Der Gemeinsame Ausschuss im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung: Eine Einordnung des besonderen Verfassungsorgans in die rechtsstaatliche Dogmatik der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG [1 ed.] 9783428588336, 9783428188338

48 Vertreter aus Bundestag und Bundesrat formen gem. Art. 53a GG den Gemeinsamen Ausschuss, dem im Verteidigungsfall säm

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Der Gemeinsame Ausschuss im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung: Eine Einordnung des besonderen Verfassungsorgans in die rechtsstaatliche Dogmatik der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG [1 ed.]
 9783428588336, 9783428188338

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1498

Der Gemeinsame Ausschuss im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung Eine Einordnung des besonderen Verfassungsorgans in die rechtsstaatliche Dogmatik der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG

Von Lara F. Gräwe

Duncker & Humblot · Berlin

LARA F. GRÄWE

Der Gemeinsame Ausschuss im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1498

Der Gemeinsame Ausschuss im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung Eine Einordnung des besonderen Verfassungsorgans in die rechtsstaatliche Dogmatik der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG

Von Lara F. Gräwe

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18833-8 (Print) ISBN 978-3-428-58833-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Kapitel

Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung für den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a GG

18

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG im Lichte der Gewaltenteilung . . . . . . 18 1. Das Weimarer Verständnis von Gewaltenteilung und Notstand . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Die neue Notstandsverfassung: Der Verteidigungsfall als Stunde der Exekutive? 22 a) Die Idee des Ersten Regierungsentwurfes von 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Die Gefahr der Einebnung der Gewalten i.H.a. die Vergleichbarkeit mit Art. 48 Abs. 2 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 c) Die Etablierung eines echten Notparlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Die historische Rolle des Gemeinsamen Ausschusses im System der Gewaltenteilung 32 1. Der Gemeinsame Ausschuss als eigenständiges Verfassungsorgan . . . . . . . . . . . 32 a) Die Voraussetzungen für Verfassungsorgan-Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Die Verfassungsorganqualität des Gemeinsamen Ausschusses . . . . . . . . . . . . 34 c) Die begriffliche Fehlbezeichnung als „Gemeinsamer Ausschuss“ . . . . . . . . . 35 2. Seine Einordnung in die verfassungsmäßige Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Die Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Der Gemeinsame Ausschuss als Organ der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Warum Art. 53a GG unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung problematisch sein könnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Kapitel

Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip – Ein Überblick von der Antike bis zur Gegenwart

42

I. Zum Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewaltausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Die Grundlagen der Gewaltenteilung aus der Antike  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

6

Inhaltsverzeichnis

III. Die französisch-englische Uridee der Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Die Gewaltenteilung nach John Locke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Die Gewaltenteilung nach Charles de Montesquieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Die legislative Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Die exekutive Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Die richterliche Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IV. Die Bedeutung der Lehre Montesquieus für den modernen Verfassungsstaat . . . . . . 53 1. Der Wesensgehalt der Lehre Montesquieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Die Kodifikation von Dreiteilung sowie Gewaltentrennung und -verschränkung in modernen Verfassungsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Die US-amerikanische Verfassung als Vorreiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Die verspätete Durchsetzung in der französischen Verfassung . . . . . . . . . . . . 56 c) Die Gewaltenteilung im Grundgesetz und im deutschen Sprachgebrauch . . . 57 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Kapitel

Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und ihr Maßstab

61

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung der Gewaltenteilung am Grundgesetz . . . . 62 1. Die Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Die Einordnung der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Der Gesetzeswortlaut nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 aa) Die Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 bb) Die Staatsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 cc) Die besonderen Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Erstes Problem: Die Systematik von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Zweites Problem: Das Verhältnis von Gewaltentrennung und -verschränkung zu funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 d) Drittes Problem: Das Verhältnis zur geschriebenen Kompetenzordnung . . . . 70 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Exkurs: Die sog. vertikale Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Inhaltsverzeichnis

7

II. Die Erforderlichkeit der Herausbildung eines Maßstabs – Die Anwendungsbereiche des Prinzips der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Was bedeutet „Maßstab der Gewaltenteilung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Die Gewaltenteilung als Element Allgemeiner Staatslehre und des Staatsrechts . 75 3. Die Gewaltenteilung als allgemeiner Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz . . . . 77 4. Die Gewaltenteilung als Maßstab verfassungswidrigen Verfassungsrechts . . . . . 78 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung: Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Zum ersten Grundpfeiler: Die Gewaltentrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Die materielle Theorie: Strenge Kernbereichslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Die rein formale Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Die Theorie von materiellen und formellen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Die Theorie der Funktionenadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 e) Der legitimationstheoretische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Zum zweiten Grundpfeiler: Die Gewaltenverschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Die Verfassungsmäßigkeit der Gewaltenverschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Die Gewaltenverschränkungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Die parlamentarischen Kontrollrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Die Kontrollrechte der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Die Kontrollmechanismen der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Der schmale Grat zwischen Gewaltenverschränkung und Gewaltendurchbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Fazit: Die Bedeutung von Gewaltentrennung und -verschränkung für den Maßstab 112 IV. Die Bedeutung des Spannungsverhältnisses zwischen dem klassischen Dualismus von Parlament und Regierung und dem Wechselspiel von Opposition und Mehrheit für die Gewaltenteilung und ihren Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Ein neuer Dualismus von Opposition und Mehrheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Die Ursachen für die Relativierung des klassischen Dualismus . . . . . . . . . . . 117 b) Das Verhältnis von Opposition und Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Fazit: Ein neuer Dualismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Die Einordnung des Wechselspiels von Opposition und Mehrheit in das klassische Prinzip der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

8

Inhaltsverzeichnis

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung – Eine praktikable Lösung? . . . . . . . . . 125 1. Die vier Stufen des Maßstabs der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Die Ausgangsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Stufe I: Materielle Unterscheidung funktionaler Hauptteile . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Stufe II: Kompetenzzuordnung qua Legitimationsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Stufe III: Funktionsadäquate Organstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 e) Stufe IV: Vereinbarkeit mit dem Telos der Gewaltenteilung – Abwägung . . . 134 f) Fazit: Der gestufte Maßstab – Eine praktikable Lösung? . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Der Maßstabsumfang i.H.a. den Grundsatz-Schutz nach Art. 79 Abs. 3 GG . . . . 137 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 VI. Fazit: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und ihr Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

4. Kapitel



Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung auf Grundlage des Maßstabs

144

I. Der Maßstab und Prüfungsgegenstand für die verfassungsrechtliche Einordnung . . 145 II. Die Zusammensetzung und Verfahrensweise des Gemeinsamen Ausschusses, Art. 53a Abs.  1  GG   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Der Zeitpunkt seiner Bildung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

2. Die zahlenmäßige Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Der Ausschluss der Regierungsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Die rechtliche Stellung seiner Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5. Die Verfahrensweise im Gemeinsamen Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Die Kompetenz des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten, Art. 53a Abs. 2 GG 153 1. Die Begrenzung der Haupttätigkeit auf den Verteidigungsfall . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Das Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Zur Unberührbarkeit der Rechte nach Art. 43 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4. Die Bewertung des Informationsrechts am Maßstab der Gewaltenteilung . . . . . . 156 a) Stufe I: Materielle Unterscheidung funktionaler Hauptteile . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Die Vereinbarkeit mit der Gesetzgebung des Bundestages . . . . . . . . . . . . 157 bb) Die Vereinbarkeit mit dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung . 158

Inhaltsverzeichnis

9

cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Stufe II: Informationsprivilegierung qua Legitimationsmodus . . . . . . . . . . . . 160 aa) Individuelle oder kollektiv-demokratische Legitimation? . . . . . . . . . . . . 161 bb) Das Informationsprivileg als faktisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 cc) Die legitimatorische Rechtfertigung der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . 164 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Stufe III: Funktionsadäquate Organstruktur in Friedenszeiten . . . . . . . . . . . . 167 d) Stufe IV: Vereinbarkeit des Informationsanspruches mit dem Telos der Gewaltenteilung – Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 IV. Die Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall, Art. 53a Abs. 1 i. V. m. Art. 115a ff. GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Die Feststellung des Verteidigungsfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Die Funktionsübernahme von Bundestag und Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Die Beendigung der Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses . . . . 174 4. Die Bewertung der Kompetenzen am Maßstab der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . 176 a) Stufe I: Materielle Unterscheidung funktionaler Hauptteile . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Stufe II: Weitreichende Notstandsbefugnisse qua Legitimationsmodus . . . . . 179 aa) Die (Schein-)Legitimation der Notstandsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Die ungleichen Legitimationsmodi als Bänkespalter? . . . . . . . . . . . . . . . 181 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Stufe III: Funktionsadäquate Organstruktur im Verteidigungsfall . . . . . . . . . . 184 aa) Die personelle Eignung von 48 Funktionsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Die verfahrensmäßige Eignung nach den Regeln der GO GA . . . . . . . . . 186 cc) Die instrumentelle Eignung bzw. Digitalisierung des Verfahrens . . . . . . . 190 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Stufe IV: Vereinbarkeit der Notstandsbefugnisse mit dem Telos der Gewaltenteilung – Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Kein legislatives Machtübergewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Keine de facto Stunde der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Missbrauchsverhütung durch Regierungsinkompatibilität . . . . . . . . . . . 197 dd) Missbrauchsverhütung trotz Verschiebung parlamentarischer Stärkeverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 ee) Rechtfertigung des Legitimationsdefizits der zweiten Stufe . . . . . . . . . . 202 ff) Rechtfertigung der verfahrensmäßigen Defizite der dritten Stufe . . . . . . 203 gg) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 V. Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

10

Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel



Der Gemeinsame Ausschuss als universales Notparlament im sog. Pandemiefall?

218

I. Die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Auslegung von Art. 53a GG als universales Notparlament  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Die Corona-Pandemie und die Erforderlichkeit eines verkleinerten Notparlaments   . 220 III. Die Verfassungsmäßigkeit einer Grundgesetzänderung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Zusammenfassung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht Abs. Absatz alte Fassung a. F. Art. Artikel Ausg. Ausgabe Landesverfassung Bayern BayVerf. Begr. Begründer BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BWVerf. Landesverfassung Baden-Württemberg bzw. beziehungsweise der / des d. ders. / dies. derselbe  / dieselbe ebd. ebenda Einl. Einleitung et cetera etc. ff. folgende FS Festschrift gem. gemäß GG Grundgesetz Geschäftsordnung Bundestag GO BT Geschäftsordnung Gemeinsamer Ausschuss GO GA Geschäftsordnung Vermittlungsausschuss GO VermAussch Hdb. d. Handbuch des Deutschen Staatsrechts Dts. Staatsrechts Hdb. d. Staatsrechts Handbuch des Staatsrechts Landesverfassung Hessen HessVerf. Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz im Ergebnis i. E. i.H.a. im Hinblick auf InfSchG Infektionsschutzgesetz im Rahmen der i.R.d. in Sinne der / des i. S. d. im Sinne von i. S. v. in Verbindung mit i. V. m. mit weiteren Nachweisen m. w. N. Nachdr. Nachdruck s. siehe S. Seite Landesverfassung Sachsen SachsVerf

12

Abkürzungsverzeichnis

Landesverfassung Schleswig-Holstein SHVerf. sog. sogenannt Stenografischer Bericht Sten. Ber. Tsd. Tausend unter anderem u. a. u. ä. und ähnliche v. vom vor allem v. a. vor Christus v. Chr. Weimarer Reichsverfassung WRV zum Beispiel z. B. zit. zitiert

Einleitung 32 Abgeordnete des Bundestages und 16 Mitglieder des Bundesrates formen in Friedenszeiten den Gemeinsamen Ausschuss, dem im Verteidigungsfall sämtliche Kompetenzen beider Verfassungsorgane einheitlich zuteilwerden, die sonst in den Händen von mindestens 598 Bundestagabgeordneten sowie Vertretern des Bundesrates liegen. Durch die personelle Zusammenschrumpfung zu einem Notparlament soll eine schnelle und effektive Entscheidungsfindung im Verteidigungsfall herbeigeführt werden – unter Berücksichtigung der Anforderungen, die der Rechtsstaat eben auch an die Bewältigung von Ausnahmesituationen stellt. War in den 1960er Jahren seine Einfügung über Art. 53a GG in die Verfassung mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes noch ein Prestigeprojekt, das der politischen Debatte zwischen umfassendem Parlamentarismus und einer schnellen Reaktionsfähigkeit der Exekutive für den Verteidigungsfall entsprang, legte sich im Laufe der Zeit ein grauer Schleier über den Gemeinsamen Ausschuss – zumindest was seine rechtliche Bedeutsamkeit für die Machtverhältnisse im Rechtsstaat anbelangte. Maßgeblicher Grund dafür war, dass seither der Eintritt des Verteidigungsfalles im Sinne von Art. 115a Abs. 1 GG, der die Aktivierung seiner Ausnahmebefugnisse gem. Art. 115e Abs. 1 GG bedeutet hätte, ausblieb. Dennoch ist der Gemeinsame Ausschuss in diesen Monaten gegenwärtiger denn je: In Zeiten der Corona-Pandemie flammt eine, wenn auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausgereifte, Debatte über die Einsetzung eines allgemeinen Notparlaments zur Pandemiebewältigung auf.1 Die Einsetzung eines verkleinerten Parlaments in verschieden gelagerten Ausnahmesituationen scheint auf den ersten Blick eine attraktive Lösung zur effektiven und flexiblen Bewältigung derartiger Krisen. Zu diesem positiven Bild des Notparlaments trägt seit jeher die Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses als Gegenmodell zum Weimarer Notstand als Stunde der Exekutive und damit als wesentlicher Bestandteil moderner Rechtsstaatlichkeit bei. Mit Blick auf seine Entstehungsgeschichte war der Gedanke prägend, die Ausübung der Staatsgewalt in seiner Gesamtheit in Friedenszeiten wie im Verteidigungsfall auf verschiedene Funktionsträger des Verfassungsstaates zu verteilen und in ein System gegenseitiger Kontrolle einzuflechten, insofern also den Anforderungen, die die Gewaltenteilung des Grundgesetzes aufstellt, zu genügen. Der Gemeinsame Ausschuss soll de jure als eigenständiges Verfassungsorgan im Sinne eines echten Notparlaments im Zentrum dieses gewaltenteiligen Systems stehen; er soll in Ausnahmesituationen in einem Geflecht verschiedener, ausbalancierter Funktionen und Funktionsträger aufgehen, um die rechtsstaat­liche 1

Dazu z. B. C. und S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020.

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Bewältigung dieser zu gewährleisten. Aber hält dieser auch, was er verspricht? Genügt der Gemeinsame Ausschuss den Anforderungen, die das Grundgesetz an die Gewaltenteilung stellt? Die im Zuge der Corona-Pandemie aufgeflammte Debatte über die Einsetzung eines allgemeinen Notparlaments zur Bewältigung pandemieartiger Krisen in Zusammenschau mit der entstehungsgeschichtlichen Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung für den Gemeinsamen Ausschuss gibt Anlass, sich mit vorstehenden Fragen zu befassen. Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG steht daher im Mittelpunkt dieser Abhandlung. Darum wird es in dieser Abhandlung gehen – zunächst abstrakt und dann konkret um die Bewertung des Gemeinsamen Ausschusses am Maßstab der Gewaltenteilung.

Fragestellungen Hält der Gemeinsame Ausschuss, was er entstehungsgeschichtlich unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung verspricht? Die Abhandlung setzt sich im Zuge der Beantwortung dieser Forschungsfrage damit auseinander, inwiefern der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 53a GG in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einzuordnen ist und ob seine Konzeption und Kompetenzen den Anforderungen dieses grundgesetzlichen Prinzips genügen. Die Beantwortung der Forschungsfrage mündet also in der konkreten Einordnung bzw. der Zuordnung einer Rolle im System der Gewaltenteilung des Grundgesetzes und der Bewertung seiner Konzeption und Kompetenzen als verfassungskonform respektive verfassungswidrig. Auf dem Weg zur Beantwortung der Forschungsfrage werden in den Kapiteln 1 bis 4 verschiedene Teilfragen beleuchtet: Welche Bedeutung spielte das Prinzip der Gewaltenteilung für die Konstituierung von Art. 53a GG (1. Kapitel)? Was sind die historischen Pfeiler des Prinzips der Gewaltenteilung und welche Rolle spielen sie für die gegenwärtige Verfassungsanalyse (2. Kapitel)? Was sind die Grundpfeiler des Prinzips der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG? Wie lassen sich die drei Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung voneinander trennen? Was sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewaltenverschränkung? Lässt sich ein Maßstab der Gewaltenteilung entwickeln, der Universalaussagen des Prinzips generiert, an denen sich Kompetenzen und Funktionsträger messen lassen müssen (alle 3. Kapitel)? Was bedeutet das für den Gemeinsamen Ausschuss? Genügen seine Konzeption und Kompetenzen aus Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG den dadurch statuierten Anforderungen der Gewaltenteilung (alle 4. Kapitel)? Und letztlich verfolgt das 5. Kapitel die ganz eigene Fragestellung, ob nach diesen Erkenntnissen die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses auch außerhalb

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des Verteidigungsfalles etwa zur gewaltenteiligen Bewältigung von Pandemien verfassungsrechtlich geboten sein kann.

Gang der Darstellung Eine Annäherung an die Forschungsfrage und die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung erfolgen stufenartig. In dem 1. Kapitel „Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung für den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a GG“ wird grundsätzlich geklärt, warum und in welcher Weise das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung Bedeutung für den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a GG erlangen konnte. Hierbei ist es unerlässlich, auf die Entstehungsgeschichte, insbesondere die Einfügung der Notstandsverfassung mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes von 1968, einzugehen (I.). Ferner gilt es, anhand der aus der Genese gewonnenen Erkenntnisse die entstehungsgeschichtliche Rolle des Gemeinsamen Ausschusses im Verfassungsgefüge zu skizzieren (II.). Schnell wird in diesem 1. Kapitel klar werden: Das Prinzip der Gewaltenteilung hat besondere Bedeutung für die Etablierung des Art. 53a GG. Warum könnte die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments zur Bewältigung fundamentaler Krisen unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung dennoch problematisch sein (III.)? Die Beantwortung dieser Frage bildet gleichzeitig den Schlusspunkt des 1. Kapitels und die Grundlage für die sich anschließende verfassungsrechtliche Analyse in den darauffolgenden Kapiteln. Um dann die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das Prinzip der Gewaltenteilung vornehmen zu können, ist auf der nächsten Stufe erforderlich, das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung als rechtlichen Maßstab zu verstehen und seine Inhalte sowie Grenzen zu erfassen. Die Idee der Mäßigung staatlicher Gewalt zur Verhütung von Machtmissbrauch ist allerdings keine originäre Erfindung des Grundgesetzes, sondern kann als klassisches Ordnungsprinzip von Maß und Mitte auf eine lange Entstehungs- und Erfolgsgeschichte zurückblicken. In dem 2. Kapitel „Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip – Ein Überblick von der Antike bis zur Gegenwart“ geht es daher um die Auseinandersetzung mit der Uridee des Gewaltenteilungsprinzips, also um die Gliederung staatlicher Machtausübung in gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalten aus ihren ideengeschichtlichen Wurzeln heraus. Von einem Prinzip lässt sich im Verfassungskontext aber immer erst dann sprechen, wenn ein verfassungsrechtliches Element über seinen Wortlaut hinaus allgemeine Geltung für sich in seiner Anwendung beansprucht. Bei dem Prinzip der Gewaltenteilung lässt sich diese Allgemeingültigkeit vor allem auf seine Zwecksetzung (I.), seine Entwicklungsetappen von der Antike (II.) über die Neugliederung monarchischer Strukturen bei John Locke und Charles de Montesquieu (III.) bis hin zur Gegenwart sowie seine tradierte Bedeutung für die Entwicklung moderner Verfassungsstaaten (IV.) zurückführen.

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Nach der Erläuterung der historischen Hintergründe der Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip ist es unerlässlich, in einem 3. Kapitel „Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und ihr Maßstab“ in den Fokus zu rücken: Die Herausarbeitung bzw. Fokussierung auf die wesentlichen Elemente des Prinzips der Gewaltenteilung verfolgt das Ziel, einen Maßstab herauszubilden, mit dem sich das Prinzip der Gewaltenteilung erfassen und der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 53a GG messen lässt. Der rechtliche Maßstab des verfassungsrechtlichen Systems der Gewaltenteilung nach dem Grundgesetz ergibt sich selbstredend vornehmlich aus dem Verfassungstext selbst. Den Dreh- und Angelpunkt bildet dafür Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt der Abhandlung auf der horizontalen Gewaltenteilung. Die sogenannte vertikale Gewaltenteilung ist demgegenüber vielmehr Ausdruck verfasster Bundesstaatlichkeit und daher nicht primär auf Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zurückzuführen. Die Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung beginnt zunächst mit der verfassungsrechtlichen Anknüpfung des Prinzips der Gewaltenteilung im Grundgesetz (I.). Dabei spielt neben Wortlaut und Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG das Rechtsstaatsprinzip eine tragende Rolle. Daran schließt sich als denklogischer Zwischenschritt die Beantwortung der Frage an, ob die Erarbeitung des anvisierten Maßstabs des abstrakten Prinzips der Gewaltenteilung überhaupt erforderlich ist, könnte sich sein Aussagegehalt doch in den zahlreiche Kompetenznormen des Grundgesetzes manifestieren und damit gänzlich erschöpfen (II.). Nur wenn dem Prinzip nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eigenständige Direktionskraft zukommt, kann diese Frage positiv beantwortet werden und die verfassungsrechtliche Analyse des Systems der Gewaltenteilung im engeren Sinne beginnen und gelingen. Die Analyse der Grundpfeiler der Gewaltenteilung ist sodann an die klassische Zweigliedrigkeit des Prinzips der Gewaltenteilung angelehnt: die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung (III.). Die Darstellung der beiden Grundpfeiler stellt den Schwerpunkt des 3. Kapitels dar und befasst sich mit ausgewählten Theorien, insbesondere zur Gewaltentrennung, deren Verfassungsmäßigkeit und Bedeutsamkeit für die Formulierung eines Maßstabs bewertet werden. Im Anschluss an die kritische Auseinandersetzung mit den Grundpfeilern der Gewaltenteilung folgt die Beantwortung der Frage, inwiefern das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit Einfluss auf den klassischen Dualismus von Parlament und Regierung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nimmt (IV.). Handelt es sich dabei etwa um einen neuen Dualismus und ist dieser bei der Konstruktion des Maßstabs der Gewaltenteilung zu berücksichtigen? Zuletzt folgt die Formulierung eines Maßstabs des Prinzips, der die Gewaltenteilung als rechtlichen Parameter zu erfassen vermag und eine einheitliche, praktikable Lösung zum Umgang mit diesem Prinzip liefert (V.). Dieser Maßstab bildet dann die Grundlage für die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in und für die Überprüfung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung – und schließlich die Basis für den Fortgang der Abhandlung (VI.).

Einleitung

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Im 4. Kapitel „Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung auf Grundlage des Maßstabs“ folgt die Zusammenführung der bis hierhin gewonnenen Erkenntnisse über den Gemeinsamen Ausschuss und seine Entstehungsgeschichte auf der einen und das Prinzip der Gewaltenteilung auf der anderen Seite. Ziel dieses Kapitels ist die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in und die Überprüfung anhand des Systems der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Der zuvor entwickelte Maßstab dient dabei als rechtliche Grundlage (I.). Angelehnt an die Unterscheidung in seine Zusammensetzung und Verfahrensweise (II.), seine Tätigkeiten in Friedenszeiten (III.) und seine Notstandsbefugnisse im Verteidigungsfall (IV.) erfolgt die Einordnung und Überprüfung des Gemeinsamen Ausschusses am Maßstab der Gewaltenteilung im Kleinen und letztlich im großen Ganzen (V.). In einem 5. Kapitel geht es schließlich um den Transfer der aus der verfassungsrechtlichen Analyse gewonnenen Erkenntnisse auf den Pandemiefall. Ziel ist es, die Relevanz des Gemeinsamen Ausschusses für die rechtsstaatliche Bewältigung pandemieartiger Krisen zu bewerten. Es fragt sich, ob der Gemeinsame Ausschuss im Verfassungskontext als universelles Notparlament ausgelegt werden kann (I.) bzw. ob der Pandemiefall am Beispiel der Corona-Pandemie den Einsatz eines verkleinerten Notparlaments überhaupt erfordert (II.). Falls ja, ist zu beleuchten, ob eine dahingehende Verfassungsänderung den rechtsstaatlichen Anforderungen unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung genügen würde (III.). In einem letzten Schritt (Schluss) werden die wesentlichen Thesen der Abhandlung zusammengefasst.

1. Kapitel

Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung für den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a GG Mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes fand der Gemeinsame Ausschuss 1968 Einzug in die Verfassung. Jene Verfassungsänderung hat zu dieser Zeit wie keine andere Grundgesetzänderung den Verfassungstext formal und inhaltlich beeinflusst: Zwei Abschnitte wurden in das Grundgesetz eingefügt, 14 Artikel neu geschaffen, vier Artikel aufgehoben und weitere Normen abgeändert.1 Die Konstituierung eines Notparlaments fand dann mit Art. 53a GG im IVa. Abschnitt in das Grundgesetz und bildet seither das Herzstück der sogenannten Notstandsverfassung. Um den Gemeinsamen Ausschuss in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung einordnen zu können, bedarf es der Klärung, ob und welche Rolle das Prinzip der Gewaltenteilung überhaupt für die Verfassungsänderung von 1968 und die Etablierung des Notparlaments nach Art. 53a GG spielte. In einem ersten Schritt ist daher die Entstehungsgeschichte des Art. 53a GG im Lichte der Gewaltenteilung zu betrachten (I.). Mittels der aus der Genese gewonnenen Erkenntnisse lässt sich dann im Weiteren dem Gemeinsamen Ausschuss seine entstehungsgeschichtlich angestammte Rolle im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung zuordnen (II.). Schnell wird dabei klar: Das Prinzip der Gewaltenteilung hat für die Implementierung des Gemeinsamen Ausschusses im Grundgesetz eine bedeutende Rolle gespielt. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache muss abschließend die Frage gestellt werden, warum die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung dennoch problematisch sein könnte (III.).

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG im Lichte der Gewaltenteilung Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG formt den historischen Anknüpfungspunkt für die verfassungsrechtliche Analyse des Gemeinsamen Ausschusses am Maßstab des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Vor diesem Hintergrund ist die Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte des Art. 53a GG auf diejenigen Aspekte zu be 1

BGBl. I 1968, S. 709 ff.; dazu Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 1.

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

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schränken, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Prinzip der Gewaltenteilung stehen.2 Da die Einführung von Art. 53a und Art. 115a ff. GG oftmals – wenn auch etwas plakativ – als Gegenreaktion auf die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Zusammenhang mit einem ausufernden Notstandsrecht nach Art. 48 Abs. 2 WRV verstanden wird3, wird das Weimarer Verständnis von Gewaltenteilung und Notstandsrecht an den Anfang der historischen Überlegungen des Art. 53a GG gestellt (1.).4 Darauf folgt die Darstellung der Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG im engeren Sinne: Ausgewählte Aspekte der parlamentarischen Debatten, die in der Etablierung der neuen Notstandsverfassung von 1968 mündeten, werden mit Blick auf ihre gewaltenteiligen Aspekte abgebildet (2.). 1. Das Weimarer Verständnis von Gewaltenteilung und Notstand Nach der Weimarer Verfassungstheorie und -praxis lag die Behandlung des Notstandes in der Hand der vollziehenden Gewalt. Dieser Umstand war der politischen und gesellschaftlichen Lage geschuldet, in der sich die Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg befand und für die es ein adäquates Notstandsrecht zu schaffen galt: Die Weimarer Republik fand sich in einem Zwiespalt zwischen erstarkendem Parlamentarismus und dem Verlangen nach einem geradlinigen Staatspräsidenten, der das Staatshandeln in Not, innerer Unruhe und Aufständen leiten sollte, wieder.5 Diesen Umständen entsprach sodann Art. 48 WRV: (2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentli 2 Demgegenüber ist die Literatur zum Sinn und Zweck einer Notstandsverfassung, zu ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung und zu verschiedenen historischen Notstandsverfassungen zahlreich. In diesem Abschnitt geht es jedoch nicht um die grundsätzliche Bedeutung von Notstandsregeln, sondern um diejenigen Vorüberlegungen und konkreten historischen Normen, die für die Einordnung des Art. 53a GG relevant sind. Zur Frage nach dem Sinn und Zweck von Notstandsregeln im Grundgesetz allgemein und ausführlich Hesse, in: JZ 1960, S. 105 ff.; Hesse, in: Krüper / Payandeh / Sauer, Konrad Hesses normative Kraft der Verfassung, S. 1, 16 ff.; Schäfer, Der Notstand im Rechtsstaat, Vortrag auf der Tagung „Notstandsrecht und Öffentlichkeit“ in Bad Boll v. 08. 05. 1964; Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 159 ff.; Stern, StaatsR II, § 52 I, II; zum Staatsnotrecht in Deutschland vor 1871 etwa Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 209 ff. 3 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 18; Stern, StaatsR II, § 28 I 2 a); Sterzel, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 7, 8. 4 Ausführlich zu den Vorläufern des Gemeinsamen Ausschusses und vergleichbaren Regelungen anderer Verfassungen Benda, Die Notstandsverfassung, S. 34 ff.; Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 27 ff.; aus entstehungsgeschichtlicher Perspektive der Bundesregierung dazu etwa auch im Dritten Regierungsentwurf, BT-Drucks. V/1879, S. 7 ff. 5 Stern, StaatsR II, § 52 III 3 a); ausführlich Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 220 ff.

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung  chen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforder­lichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. (3) Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen.

In den Fällen, in denen im Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört würden, sollten dem Reichspräsidenten umfassende Handlungsmöglichkeiten zukommen. Begrenzt wurden diese durch eine Erheblichkeitsschwelle der Störung sowie die Einschaltung des Parlaments nach Abs. 3, wobei der Reichspräsident dann zum Erlass von Maßnahmen aller Art auf den Gebieten der Gesetzgebung oder Verwaltung berechtigt sein sollte6 – mithin also zur Wahrnehmung von Aufgaben verschiedener Staatsfunktionen. Gepaart mit den Befugnissen des Reichspräsidenten zur Auflösung des Reichstages nach Art. 25 Abs. 1 WRV und dem Recht, den Reichskanzler gem. Art. 53 WRV zu ernennen und zu entlassen, liefen sämtliche Funktionen in der Hand des Reichspräsidenten zusammen, wobei dies nicht sogleich zu einem Problem des Rechtsstaates heranwuchs.7 Lange Zeit war in Folge der Parlamentszerrissenheit das Notverordnungsrecht nach Art. 48 Abs. 2 WRV die einzige Möglichkeit, Gesetze erlassen zu können, mit der Konsequenz, dass das Parlament die Mehrzahl der gesetzlichen Entscheidungen schließlich nicht mittrug.8 Wurden unter Reichspräsident Paul von Hindenburg die Rechte nach Art. 48 Abs. 2 WRV noch zur verantwortungsvollen Krisenbewältigung in Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten herangezogen, begann sich nach dem Sturz der Regierung unter Franz von Papen 1932 die Stoßrichtung zu ändern. Die Wiederherstellung der ordentlichen parlamentarischen Gesetzgebung war nicht mehr bezweckt. Das Notverordnungsrecht verlor seinen Charakter als Ausnahme-, Übergangs- bzw. echtes Notstandsrecht9; auch nicht suspendierbare Grundrechte, die bis dato als absolute Schranke galten, wurden ganz oder teilweise ausgeschaltet. Erst in dieser letzten Periode der Weimarer Republik erlangte die Anwendung des Art. 48 Abs. 2 WRV seinen heute hingegen allgegenwärtigen unheilvollen Ruf.10 Als folgenreichste Notverordnung auf Grundlage des Art. 48 Abs. 2 WRV gilt die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933. Jene setzte wesentliche Grundrechte außer Kraft und übertrug dabei auch Kompetenzen des Reichspräsidenten auf die neue Reichsregierung unter Adolf Hitler.11 Im Zuge der 6

Stern, StaatsR II, § 52 III 3 c), d). Stern, StaatsR II, § 52 III 3 d). 8 Dazu und im Folgenden Stern, StaatsR II, § 52 III 3 d) α)–γ). 9 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 228. 10 Stern, StaatsR II, § 52 III 3 d), e); die vorstehend beschriebene Anwendung der Norm führte zu den Fehlentwicklungen „[…], die erst die Praxis des Art. 48 WeimRV in das überkommene Notverordnungsrecht getragen hat“, so Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 107. 11 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 230. 7

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

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Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ vom 24. März 1933 entledigte sich das Parlament seiner verfassungsrechtlichen Verantwortung selbst und ebnete den Weg von gewaltenteiliger Machtausübung hin zur Gewaltenvereinigung.12 Es gilt an dieser Stelle festzuhalten, dass Art. 48 Abs. 2 WRV und das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten in der Anfangszeit der Weimarer Republik äußerst dienlich waren, da eine prekäre wirtschaftliche Lage, die Zerrüttung der Währung, Aufruhr in einigen Ländern und die parlamentarische Zerrissenheit eine schnelle, außerordentliche Rechtsetzung in der Hand einer Person erforderlich machten.13 Die später folgende extensive Anwendung dieser Norm negierte aber sodann sämtliche Werte des Rechtsstaates. Dennoch ist die Bedeutung des Art. 48 WRV für die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den Untergang des gewaltenteiligen Rechtsstaates umstritten.14 Stellte man das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten als historischen Sündenbock dar, käme das wohl einer Simplifizierung eines umfassenden Vorgangs gleich.15 Die isolierte Betrachtung des Notverordnungsrechts übersieht jedenfalls die Umstände, die einen fruchtbaren Nährboden für die Machtübernahme und die missbräuchliche Anwendung von Art. 48 Abs. 2 WRV lieferten: die Verschlimmerung der wirtschaftlichen Lage, andauernde Streiks, eine hohe Arbeitslosigkeit, die Zunahme von sowohl Rechts- als auch Linksextremismus sowie separatistischen Bestrebungen und das zahlreiche rechtswidrige Verhalten politischer Parteien und einzelner Personen.16 Ohne hier vertiefend die Bedeutung des Art. 48 WRV für die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten thematisieren zu wollen, lässt sich jedoch konstatieren, dass durch die wenigen Kontrollmechanismen und die mangelnde gewaltenteilige Bewältigung des Notstandes nach der Weimarer Reichsverfassung zumindest der Weg für einen Machtmissbrauch, der durch das Prinzip der Gewaltenteilung indes vermieden werden sollte, geebnet und begünstigt wurde.17 Die Vereinigung wesentlicher Kompetenzen in einer Hand, in der Hand des Reichspräsidenten, unter Hinzuziehung eines weitestgehend unbestimmten Tatbestandes des Notstandes („[…] die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährdet oder gestört wird […]“) und unbestimmt weit reichender Rechtsfolgen („[…] die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnah-

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Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 232; sog. förmlicher Legiszid, dazu Fuchs, in: DÖV 2020, S. 653, 654. 13 Stern, StaatsR II, § 52 III 3 d); ausführlich Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 220 ff. 14 Dazu ausführlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 18 ff.; Stern, StaatsR II, § 52 III. 15 So Stern, StaatsR II, § 52 III 3 f); Sterzel, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 7; ähnlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 19. 16 Eine ausführliche Auflistung bei Stern, StaatsR II, § 52 III 3 f); ähnlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 19. 17 So im Ergebnis auch Stern, StaatsR II, § 52 III 3 f); Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 227; zu weiteren wesentlichen Mängeln des Art. 48 WRV Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 107.

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

men treffen […]“) war Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit. 2. Die neue Notstandsverfassung: Der Verteidigungsfall als Stunde der Exekutive? Die Folgen des Weimarer Notverordnungsrechts vor Augen nahmen die poli­ tischen Debatten um ein neues Notstandsrecht der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren erheblich an Fahrt auf. Die Diskussionen um die verfassungsrechtliche Einfassung des Notstandes und seiner Bewältigung bewegte sich wie ein Spielball zwischen der effektiven staatlichen Willensbildung und schnellen Reaktionsfähigkeit auf der einen und der rechtsstaatlichen Absicherung des Notstandes gegen Machtmissbrauch auf der anderen Seite.18 Zugleich sollten die Rechtsgüter und Prinzipien des Normalfalles durch das neue Notstandsrecht nicht mehr als nötig und nur zu Gunsten der Bewältigung einer unvorhergesehenen Ausnahmesituation bzw. Krise beschränkt werden.19 Die Entstehungsgeschichte des Gemeinsamen Ausschusses im engeren Sinne mündete letztlich in die sogenannte Notstandsverfassung mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968, das Art. 53a, 115a ff. GG in die Verfassung integrierte. Vom Beginn der ersten politischen Debatten um eine Notstandsverfassung der Bundesrepublik Deutschland über konkrete Entwürfe bis hin zur Einfügung der Notstandsverfassung hat die Entstehungsgeschichte des Gemeinsamen Ausschusses verschiedene Phasen mit grundlegend verschiedenen Konzeptionen zur Bewältigung von Ausnahmesituationen durchlaufen, die im Wesentlichen mit Bezügen zu ihren gewaltenteilenden Aspekten vorgestellt werden: Die Darstellung fokussiert sich in einem ersten Schritt auf den Ersten Regierungsentwurf von 1960 als Stein des Anstoßes zahlreicher konkreterer parlamentarischer Debatten, der den Notstand noch als „Stunde der Exekutive“ deklarierte (a)). In einem zweiten Schritt werden die unmittelbaren Reaktionen auf diesen Entwurf unter dem Gesichtspunkt

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Benda, Die Notstandsverfassung, S. 12 sieht darin das jeder Regelung einer Notstandsverfassung immanente Spannungsfeld; so auch schon Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 221, der zu dem Fazit kommt, dass der Entwurf von 1965 „[…] der – zunächst gescheiterte – Versuch eines politischen Kompromisses, der einen perfekten Ausgleich zwischen Effektivität und Sekurität sucht“, ist. 19 Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 3; die Unterscheidung von Normalfall und Krise bzw. Ausnahmesituation spielt im Folgenden eine zentrale Rolle, wobei jene Begriffe im Verfassungstext keine unmittelbare Anbindung finden. Nichtsdestotrotz lassen sich Regeln der Krise bzw. des Ausnahmezustandes gegenüber solchen für den Normalfall ausmachen. Zu den unterschiedlichen Begriffen auch Böckenförde, in: NJW 1978, S. 1881, 1884 f.; Gläß, in: DÖV 2020, S. 263, 264; ferner Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 8 f., 14 ff.; demgegenüber erkennt Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 50 den Ausnahmezustand begrifflich „neben“ dem Notstand an.

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

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der Gefahr der Einebnung der Gewalten im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Regelung des Ersten Regierungsentwurfes mit Art. 48 Abs. 2 WRV zusammengefasst (b)). In einem dritten Schritt werden der Zweite und Dritte Regierungsentwurf skizziert und die schrittweise Etablierung eines Notparlaments im Grundgesetz nachgezeichnet (c)). a) Die Idee des Ersten Regierungsentwurfes von 1960 Das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 sah, abgesehen vom sogenannten Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG, keine Regelungen eines Notstandsrechts im eigentlichen Sinne vor. Dies war wohl nicht dem Umstand geschuldet, dass man das Notstandsrecht bewusst ungeregelt lassen wollte, sondern vielmehr der Tatsache, dass sich im Parlamentarischen Rat diesbezüglich keine Einigung erzielen ließ und die in Rede stehenden Normen (vor allem Art. 111, 111a des Verfassungskonvents vom Herrenchiemsee) kurz vor der letzten Lesung des Hauptausschusses ersatzlos gestrichen wurden. Das Notstandsrecht blieb also vorerst ungeregelt.20 Daran änderte sich nur punktuell etwas durch die Einfügung der sogenannten Wehrverfassung vom 19. März 1956: So wurden zum Beispiel in Art. 59a a. F. GG und Art. 65a a. F. GG die Kompetenzen zur Feststellung des Verteidigungsfalles – also des äußeren Notstandes infolge eines Angriffes mit Waffengewalt – und die Inhaberschaft der Befehls- und Kommandogewalt geregelt; und daneben Regelungen getroffen, die die Wehrpflicht, Wehrverwaltung und Grundrechtseinschränkung betrafen. Die Regelungen der Wehrverfassung vermochten also nur einen Ausschnitt der Notstandsproblematik zu erfassen.21 Hinzu kam, dass gem. Art. 5 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (sogenannter Deutschlandvertrag) vom 26. Mai 1952 den Alliierten Notstandskompetenzen zustanden, sofern der deutsche Gesetzgeber diesbezüglich nicht tätig werden würde.22 Das deutsche Notstandsrecht stand mithin unter der „Sicherheitsglocke der Alliierten“23. Lange wurde verkannt, dass die Alliierten zum Schutze des Besatzungsgebietes eingreifen konnten, aber nicht mussten und die deutsche Staatsgewalt

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Stern, StaatsR II, § 52 III 4. Dort auch ausführlich zu dem Ansatz, dass die geplanten Notstandsregeln kurz vor der vierten Lesung gestrichen wurden, weil eine Nichteinigung über die Notstandsregeln das gesamte Werk in Gefahr gebracht hätte; ferner auch Benda, Die Notstandsverfassung, S. 54. 21 Stern, StaatsR II, § 52 III 4 d), e). 22 Zu Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages ausführlich Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 236 ff. 23 Diese Metapher prägend Bundesinnenminister Schröder z. B. in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7175; zu den Hintergründen Stern, StaatsR II, § 52 III 4 e).

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

nicht handeln durfte, solange es kein ausreichendes Notstandsrecht in dem Grundgesetz gab.24 Die Verfassungssituation war also insofern unhaltbar, als das Grundgesetz keine umfassenden Regeln für den Notstand enthielt und das Besatzungsrecht weitestgehend unverbindliche und im unüberprüfbaren Ermessen stehende Kompetenzen der Drei Mächte beinhaltete, die zum Schutz der Bundesrepublik nur unzureichend waren.25 Der deutsche Verfassungsgeber war daher auf den Plan gerufen, ein umfassendes System notstandsrechtlicher Regelungen zu entwickeln. In der dritten Wahlperiode sollte der Erste Regierungsentwurf – der SchröderEntwurf26 – aus dem Jahr 1960 den Weg für die Einführung einer Notstandsverfassung in das Grundgesetz ebnen.27 Dieser Entwurf enthielt keinerlei Regelungen über die Einrichtung eines Notparlaments, geschweige denn namentlich die Bezeichnung eines Gemeinsamen Ausschusses. Der Verteidigungsfall sollte nach dem Ersten Regierungsentwurf vielmehr die „Stunde der Exekutive“28 sein und fortan bleiben. Ganz wesentlich für den Regierungsentwurf nach Art. 115a Abs. 4 war die umfassende Rechtsetzungsbefugnis der Regierung, wenn der Bundestag erst einmal den sogenannten Ausnahmezustand29 festgestellt hat.30 Bundesinnenminister Schröder verteidigte in der Reaktion der Bundesregierung auf die kritische Stellungnahme des Bundesrates den Verteidigungsfall als Stunde der Exekutive und begründete dies mit der für eine Ausnahmesituation erforderlichen Reaktions- und Handlungsfähigkeit der Regierung.31 Eine Beteiligung aller Organe des Verfassungslebens sei im Notstand schlechterdings unmöglich.32 Abgeschwächt 24

Die Tragweite bzw. die grundsätzliche Inanspruchnahme des Alliiertenvorbehalts war ungewiss, sodass eine Ablösung dieses verfassungsrechtlichen Zustandes geboten schien, so Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 106. 25 Stern, StaatsR II, § 52 III 4 e). Im Übrigen wurde das Bedürfnis für eine Änderung des Grundgesetzes zur Regelung des Notstandes in den Debatten von Bundestag und Bundesrat breit geteilt, so z. B. im Ersten Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 302, 304, in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7175, 7180 f. sowie in der Ersten Beratung des Bundestages, 117. Sitzung am 29. 06. 1967, Sten. Ber. S. 5856, 5873. 26 Benannt nach dem damaligen Bundesinnenminister (1953–1961) Gerhard Schröder (CDU). 27 Der sog. Schröder-Entwurf in BT-Drucks. III/1800, Anlage 1. 28 So Bundesinnenminister Schröder in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7177. 29 Um an dieser Stelle begrifflichen Missverständnissen vorzubeugen: In den verschiedenen Entwürfen werden jeweils ein anderer Begriff und auch andere Voraussetzungen für den Zustand, der heute in Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG als Verteidigungsfall definiert wird, genannt. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG wird daher jeweils der Begriff verwendet, der dem in Rede stehenden Entwurf zu Grunde liegt. 30 BT-Drucks. III/1800, Anlage 1. 31 Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7177; dazu ausführlich Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 43 f. 32 So auch Bundesinnenminister Schröder im Ersten Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 306.

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

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wurde die Brisanz dieser Aussagen lediglich dadurch, dass die Überprüfung und Aufhebung der Bestimmungen, die die Regierung im Ausnahmezustand träfe, sowieso dem Bundestag obliegen würde, um eine legitimatorische Rückabsicherung der Maßnahmen zu gewährleisten.33 Der erhebliche Machtzuwachs der Bundesregierung stieß bereits im Ersten Durchgang des Bundesrates und in der Ersten Beratung durch den Bundestag auf ganz grundsätzliche Kritik: Da der Regierungsentwurf zu Gunsten der Bundesregierung und zu Lasten der Länderbeteiligung notstandsrechtliche Regelungen treffe, bedeute dies zum einen einen Verstoß gegen das Bundesstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG und zum anderen gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, wenn die Ausnahmesituation als Stunde der Exekutive und nicht gleichermaßen der Gesetzgebung deklariert werde.34 Die Gesetzgebungsbefugnis sowie die gesamte Vollzugs- und Kommando­ gewalt in der Hand der Bundesregierung bedeute eine der Gewaltenteilung widerstrebende Machtkonzentration. Wichtig sei an dieser Stelle auch, dass diese nach Art. 79 Abs. 3 GG unveränderlichen Grundsätze ebenfalls im Zuge eines Notstandes gewahrt werden müssen. Der Notstand rechtfertige zu keiner Zeit die Aushebelung der über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten und in Art. 20 Abs. 1, 2 S. 2 GG verbürgten Grundsätze.35 Der Innenausschuss des Bundesrates entwickelte daraufhin einen Gegenvorschlag zum Schröder-Entwurf, der die Errichtung eines 22-köpfigen Notstandsausschusses bestehend aus 11 Mitgliedern des Bundesrates und 11 Mitgliedern des Bundestages in Art. 115a Abs. 2 vorsah.36 Daneben wurde das Notverordnungsrecht der Bundesregierung eingrenzend zwar akzeptiert. Allerdings sollte der Notstandsausschuss gem. Art. 115a Abs. 5 des Gegenvorschlages die Rechtsetzungsbefugnisse der Regierung durch ein weitreichendes Zustimmungsrecht zu ihren Maßnahmen und ein permanentes Aufhebungsrecht kontrollieren werden.37 Diesen Gegenvorschlag nahm der Bundesrat mit Stimmenmehrheit an und gab ihn als Stellungnahme zum Schröder-Entwurf ab.38

33

Ebd. Erster Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 303, 307; zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2. S. 2 GG auch die Kritik der Opposition in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7183 durch den SPD-Abgeordneten Schäfer, in diese Richtung auch SPD-Abgeordneter Jahn, S. 7224. 35 So die SPD-Abgeordneten Schäfer und Jahn in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7183, 7224. 36 Zu Vorläufern notparlamentsähnlicher Gremien in- und ausländischer Verfassungen z. B. Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 27 ff.; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 97 ff. 37 Gegenvorschlag des Bundesrates abgedruckt in BT-Drucks. III/1800, Anlage 2. 38 Erster Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 316 f. 34

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

b) Die Gefahr der Einebnung der Gewalten i.H.a. die Vergleichbarkeit mit Art. 48 Abs. 2 WRV Neben der ausdrücklichen Kritik des Bundesrates war die Vergleichbarkeit des Ersten Regierungsentwurfes mit Art. 48 Abs. 2 WRV Gegenstand der darauffolgenden Sitzung des Bundestages.39 Der Vorwurf einer augenscheinlichen Parallele zwischen dem Ersten Regierungsentwurf und der Regelung des Art. 48 Abs. 2 WRV lag nahe: Art. 48 Abs. 2 WRV galt als Meilenstein für die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die Errichtung einer Diktatur, die das Prinzip der Gewaltenteilung gänzlich negierte. Nach Art. 48 Abs. 2 WRV stand dem Reichspräsidenten ein umfassendes Notverordnungsrecht und damit die Möglichkeit zu, Grundrechte im Sinne von Art. 48 Abs. 2 S. 2 WRV außer Kraft zu setzen. Der Notstand war daher als Stunde der Exekutive konzipiert, dem Reichstag verblieb de jure nach Art. 48 Abs. 3 WRV ein Kontrollrecht, das de facto keine Bedeutung erlangen konnte.40 Nach Art. 115a Abs. 4 des Regierungsentwurfes „[…] ist die Bundesregierung ermächtigt, 1. gesetzesvertretende Verordnungen zu erlassen, und […] 2. in solchen Verordnungen a) für die Dauer des Ausnahmezustandes die Grundrechte aus Artikel 5, 8, 9, 11 und 12 über das sonst vorgesehene Maß einzuschränken […].“ Der ähnlich lautende Wortlaut beider Vorschriften drängte ihre Vergleichbarkeit auf bzw. ließ die Befürchtung zu, dass die Konsequenzen – nämlich eine Einebnung der Gewaltenteilung – dieselben wären. Es wurde daher von den Regierungsfraktionen ausdrücklich hervorgehoben, dass die Bundesregierung nicht die Einführung einer Regelung vergleichbar mit Art. 48 Abs. 2 WRV zu ihren Gunsten anstrebe.41 Die effektive Bewältigung von Ausnahmezuständen stünde im Vordergrund. Dabei stützte man sich hauptsächlich auf zwei Argumentationsstränge: Zum einen wurde vorgebracht, dass der Regierungsentwurf nicht mit Art. 48 Abs. 2 WRV vergleichbar sei, da für die Aktivierung der Notstandskompetenzen der Regierung nach Art. 115a des Regierungsentwurfes erst die Feststellung des Ausnahmezustandes durch den Bundestag erforderlich sei und strengere Voraussetzungen an das Vorliegen eines Ausnahmezustandes gestellt würden.42 Anders als nach Art. 48 Abs. 2 WRV solle also der Bundestag Herr des Verfahrens, der die Rechte der Regierung erst aktiviere, bleiben.43 Im Sinne der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG treffe die Bundesregierung mithin Notstandsmaßnahmen, die der Kontrolle des Bundestages unterworfen bleiben würden, kombiniert mit der notstandsfesten Stellung des Bundesverfassungsgerichts.44 Demnach sähen 39

Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7174 ff. Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  2. 41 Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7181. 42 So z. B. in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7189, 7188 f. 43 Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7176. 44 So ausdrücklich Bundesinnenminister Schröder vor dem Bundesrat, Erster Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 306. 40

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

27

die Regelungen des Ersten Regierungsentwurfes eine gewaltenteilige Bewältigung von Ausnahmesituationen vor, was mit der politischen Situation, die Art. 48 WRV zu erfassen vermochte, nicht gleichzusetzen sei. Und zum anderen – so die zweite Argumentationslinie – sei Art. 48 WRV schon gar nicht als Grund für die dezentrale Einebnung der verschiedenen Machtebenen durch die Nationalsozialisten verantwortlich bzw. allein als Faktor dafür ausschlaggebend gewesen.45 Die Gegenseite wurde sodann mindestens genauso vehement vertreten46; vor allem, wenn es darum ging, dass sich die Machtübernahme der Nationalsozialisten durch Notstandsregelungen nicht wiederholen dürfe: Selbst wenn man annehme, dass Art. 48 Abs. 2 WRV nicht der Garant für die Machtübernahme war, so müssten dennoch – in Abwägung mit der Effektivität der Gefahrenabwehr – möglichst viele Schranken der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit auch in einem Notstandsrecht enthalten sein, um Machtmissbrauch jeglicher Art zu verhüten.47 An dieser Stelle soll es nicht weiter um die Bedeutung des Art. 48 Abs. 2 WRV für die Machtübernahme der Nationalsozialisten gehen und auch nicht um die Vergleichbarkeit eines Ersten Regierungsentwurfes einer Notstandsverfassung mit der Regelung des Art. 48 Abs. 2 WRV. Entscheidend ist vielmehr – und das ist an dieser Stelle festzuhalten –, dass bereits in diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens die gewaltenteilige Bewältigung der Ausnahmesituation zur Vermeidung von Machtmissbräuchen ein ganz wesentlicher Parameter für die Entstehung der Notstandsverfassung war.48 Ferner zeigt sich allerdings auch, dass dieses Ziel, vor allem auch im Hinblick auf eine effektive Gefahrenabwehr, auf unterschiedliche Art und Weise bewerkstelligt werden kann. Wie wurden die Spannungsfelder von effektiver Gefahrenabwehr und missbrauchssicherer Krisenbewältigung sodann in Einklang gebracht? c) Die Etablierung eines echten Notparlaments Zunächst kam es mangels Einigung und infolge des Ablaufs der dritten Legislaturperiode zum Verfall des Ersten Regierungsentwurfes.49 Als Reaktion auf die rege Befürwortung in der parlamentarischen Debatte eines wie vom Bundesrat vorgeschlagenen Notstandsausschusses erhielt der Zweite Regierungsentwurf  – 45

Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7176. So z. B. in der Ersten Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7180 ff.; eine vermittelnde Position einnehmend die FDP-Fraktion, S. 7191 sowie angedeutete Skepsis in den eigenen Reihen von CDU / CSU, S. 7200. 47 Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7191. 48 Dazu exemplarisch der Erste Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 304 sowie die Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7183. 49 Ausführlich zu den Bestrebungen rund um den Ersten Regierungsentwurf Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 42 ff. 46

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

der sogenannte Höcherl-Entwurf50 – aus dem Jahre 1962 nun in Art. 115a Abs. 2 die Einrichtung eines Ausschusses. War nach dem Schröder-Entwurf der Notstand die Stunde der Exekutive, ließ sich mit dem Vorschlag eines Ausschusses eine jedenfalls partielle Abkehr dieser Sichtweise ablesen: Diesem Ausschuss wurden zwar im Zustand der äußeren Gefahr51 Notstandsbefugnisse eingeräumt (Art. 115a Abs. 2, Art. 115c Abs. 1, 2 des Regierungsentwurfes), die allerdings hinter den Befugnissen und der paritätischen Besetzung im Sinne der Stellungnahme des Bundesrates zurückblieben.52 Hinzu kam, dass der Höcherl-Entwurf auf ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung nicht verzichtete. Gem. Art. 115c Abs. 2 des Regierungsentwurfes konnte die Bundesregierung Notgesetze erlassen, wenn die Lage ein sofortiges Handeln erfordern würde. Der Höcherl-Entwurf sah die Besetzung des Ausschusses mit 20 Bundestagsabgeordneten und 10 Bundesratsmitgliedern vor. Eine paritätische Besetzung des Ausschusses wäre mit dem demokratischen Legitimationsdefizit des Bundesrates im Vergleich zum Bundestag, dem „höchsten, unmittelbar vom Volk gewählten Repräsentationsorgans der Gesamtnation“53, unvereinbar gewesen. Außerdem wurden diesem Notorgan erstmals im Sinne von Art. 115c Abs. 1, 2 GG des Regierungsentwurfes eigene Rechtsetzungsbefugnisse im Zustand der äußeren Gefahr eingeräumt. Dieser Umstand war dem Prinzip der Gewaltenteilung insofern geschuldet, als dass Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG entsprechend auch in Notzeiten die Befugnis zur Rechtsetzung so lange wie möglich bei dem Parlament des Normalfalles verbleiben sollte. Könnte dies jene Aufgabe nicht mehr wahrnehmen, würde der Ausschuss dafür zuständig werden.54 Wesentliche Veränderungen erfuhr dieser Regierungsentwurf durch den Entwurf des Rechtsausschusses des Bundestages 196555, der nach 38 Sitzungen und weit mehr als 150 Beratungsstunden auf Grundlage des Höcherl-Entwurfes erstellt wurde.56 Jener Entwurf wurde unter dem Namen Benda-Entwurf bekannt, benannt nach dem Berichterstatter des Rechtsausschusses Ernst Benda.57 Wurde vormals das Notorgan noch als Ausschuss bezeichnet, verwendete man im Entwurf des Rechtsausschusses von 1965 erstmals den Begriff des Gemeinsamen Ausschusses. Dem Gemeinsamen Ausschuss wurde ein eigener Artikel gewidmet, Art. 53a. Der 50

Benannt nach dem damaligen Bundesinnenminister (1961–1965) Hermann Höcherl (CSU). Der Höcherl-Entwurf unterschied drei Notstandsfälle: den Zustand der äußeren Gefahr (Art. 115–115h), den Zustand der inneren Gefahr (Art. 115i–115l) und den Katastrophenzustand (Art.115m). Der Zustand der äußeren Gefahr ist vergleichbar mit dem heutigen Verteidigungsfall und meint den Angriff mit Waffengewalt von außen. 52 Zweiter Regierungsentwurf, BT-Drucks. IV/891. 53 Ebd., S. 24. 54 Ebd., S. 11 f. 55 Entwurf des Rechtsausschusses, BT-Drucks. IV/3494. 56 Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 39; Stern, StaatsR II, § 52 IV 2 c); umfassende Darstellung der einzelnen Regelungen des Entwurfes des Rechtsausschusses und der Kritik daran bei Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1; sowie Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193. 57 Stern, StaatsR II, § 52 IV 2 c). 51

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

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Gemeinsame Ausschuss war demnach ein gegenüber Bundesrat und Bundestag eigenständiges Organ, das gem. Art. 53a Abs. 1 S. 1 des Entwurfes zu ⅔ aus Abgeordneten des Bundestages und zu ⅓ aus Mitgliedern des Bundesrates bestehen sollte, wobei die Abgeordneten in einer Verhältniswahl entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt werden sollten.58 Der Gemeinsame Ausschuss sollte als Notgesetzgeber Notgesetze erlassen sowie gem. Art. 115e Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 5 des Entwurfes die Rechte des Bundestages und des Bundesrates einheitlich im Übrigen wahrnehmen können. Laut schriftlichem Bericht des Berichterstatters Benda im Rechtsausschuss bezweckte die organisationsrechtliche Schaffung des Gemeinsamen Ausschusses die Etablierung eines eigenständigen Verfassungsorgans, das das Kernstück der neuen Notstandsverfassung bilden sollte.59 Dem entsprach es, die Regelungen über die Besetzung und Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses weitgehend aus den Art. 115a ff. zu extrahieren und im organisationsrechtlichen Teil des Grundgesetzes als Art. 53a zu verankern.60 Neben den Regelungen zum Gemeinsamen Ausschuss war für den Entwurf des Rechtsausschusses der Verzicht auf ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung charakteristisch. Diesem Entwurf lag ausdrücklich der Gedanke zu Grunde, im Sinne der Gewaltenteilung die Gesetzgebungskompetenz so lange wie möglich bei dem Parlament zu belassen und erst im Falle seiner Funktionsunfähigkeit diese Aufgabe einem anderen, eigenständigen Organ zukommen zu lassen.61 Der Höcherl-Entwurf fand allerdings auch in der geänderten Form des Rechtsausschusses nicht die für eine Grundgesetzänderung erforderliche ⅔-Mehrheit nach Art. 79 Abs. 2 GG.62 Für die Verweigerung der Zustimmung der SPD-Fraktion waren jedoch hauptsächlich Bedenken maßgeblich, die nicht in der Konzeption von Art. 53a des Entwurfes wurzelten.63 Hinsichtlich des Gemeinsamen Ausschusses wurde lediglich bemängelt, dass ihm eine zu schwache Stellung mit Blick auf die Tertiärkompetenz des Bundeskanzlers nach Art. 115a Abs. 3 S. 1 des Entwurfes eingeräumt werde und die Bundesratsmitglieder von der Bundeskanzlerwahl nach Art. 115h Abs. 4, 5 des Entwurfes ausgeschlossen würden.64 Trotz der gescheiterten Regierungsvorlage hatte sich also das Konzept des Gemeinsamen Ausschusses mit 58

Entwurf des Rechtsausschusses, BT-Drucks. IV/3494, S. 2. Bundestag zur BT-Drucks. IV/3494, S. 8. 60 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 5. 61 Dritte Beratung des Bundestages, 192. Sitzung am 24. 06. 1965, Sten. Ber. S. 9722. 62 Ebd., S. 9737 f.: Die ⅔-Mehrheit scheiterte an der SPD-Fraktion, die einstimmig gegen die Grundgesetzänderung abstimmte. Die Stimmen von CDU / CSU und FDP waren nicht ausreichend. 63 Die Bedenken richteten sich z. B. auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmer im Verteidigungsfall, so SPD-Abgeordneter Erler in der Dritten Beratung des Bundestages, 192. Sitzung am 24. 06. 1965, Sten. Ber. S. 9733 f. sowie auf die Einschränkung der Grundrechte aus Art. 5 GG im Verteidigungsfall, dazu SPD-Abgeordneter Schäfer, S. 9698 f. Dazu ausführlich Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 124 f. Fn. 15. 64 Dritte Beratung des Bundestages, 192. Sitzung am 24. 06. 1965, Sten. Ber. S. 9700. 59

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

dem Höcherl-Entwurf in der politischen Debatte etabliert und konsensartig über die vierte Legislaturperiode hinaus verfestigt. Der Dritte Regierungsentwurf von 1967 – der sogenannte Lücke-Entwurf65 – entsprach daher in weiten Teilen dem Entwurf des Rechtsausschusses von 1965.66 War in der vierten Legislaturperiode das Ob des Gemeinsamen Ausschusses Teil der politischen Debatten, ging es nun vertieft kontrovers um dessen Ausgestaltung.67 Eine wesentliche Änderung des neuen Regierungsentwurfes im Vergleich zum Entwurf des Rechtsausschusses von 1965 betraf indes die Bestimmung der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses. Sollten nach dem Benda-Entwurf die Abgeordneten des Bundestages für den Gemeinsamen Ausschuss noch in einer Verhältniswahl entsprechend ihrer Fraktionsstärke bestimmt werden, beinhaltete der Dritte Regierungsentwurf, dass die Abgeordneten des Bundestages für den Gemeinsamen Ausschuss mit einer ⅔-Mehrheit gewählt werden müssten, unabhängig von ihrer Fraktionsstärke. Schnell wurde die Gefahr gesehen, dass wegen der erforderlichen ⅔-Mehrheit oppositionelle Parteien aus dem Gemeinsamen Ausschuss ausgeschlossen werden könnten, was dem Charakter eines repräsentativen Notparlaments zuwiderlaufen würde.68 Der darauffolgende Entwurf des Rechtsausschusses entsprach daher inhaltlich in weit höherem Maße dem Entwurf des Rechtsausschusses aus der vierten Wahlperiode als dem Lücke-Entwurf, denn für die Wahl der Abgeordneten gem. Art. 53a Abs. 1 S. 2 des Entwurfes wurde erneut die Anlehnung an das Stärkeverhältnis der Fraktionen im Bundestag gefordert.69 Der so abgeänderte Entwurf fand sodann in dritter Lesung am 30. Mai 1968 die erforderliche ⅔-Mehrheit im Bundestag.70 Dabei stimmten 384 Abgeordnete und 20 Berliner Vertreter mit Ja für die Änderung des Grundgesetzes, während 100 Abgeordnete und ein weiterer Vertreter Berlins mit Nein stimmten. Die erforderliche ⅔-Mehrheit von insgesamt 496 stimmberechtigten Mitgliedern des Bundestages wurde vor allem durch die einheitlich abstimmenden Mitglieder der CDU / CSUFraktion erreicht, während die SPD-Abgeordneten mehrheitlich gegen die Grundgesetzänderung abstimmten. Die einstimmige Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 79 Abs. 2 GG erfolgte danach am 14. Juni 1968.71

65

Benannt nach dem damaligen Bundesinnenminister (1965–1968) Paul Lücke (CDU). Dritter Regierungsentwurf, BT-Drucks. V/1879, Anlage 1. 67 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 125 f.; umfassende Darstellung der einzelnen Regelungen des Dritten Regierungsentwurfes und der Kritik daran bei Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37. 68 Dazu lebhafte Ausführungen des FDP-Abgeordneten Dorn in der Ersten Beratung des Bundestages, 117. Sitzung am 29. 06. 1976, Sten. Ber. S. 5871 f.; BT-Drucks. V/2130, S. 8; ausdrücklich diese Argumentationslinie nachzeichnend Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 6. 69 Entwurf des Rechtsausschusses, BT-Drucks. V/2873, S. 25. 70 Dritte Beratung des Bundestages, 178. Sitzung am 30. 05. 1968, Sten. Ber. S. 9652 ff. 71 Zustimmung des Bundesrates, 326. Sitzung am 14. 06. 1968, Sten. Ber. S. 149 f. 66

I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 53a GG   

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Am 23. Juli 1969 kam der Bundestag dann im Sinne von Art. 53a Abs. 1 S. 3 GG dem Auftrag zur Verabschiedung einer Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuss nach, die die erforderliche Zustimmung des Bundesrates fand.72 3. Zusammenfassung Der kurze entstehungsgeschichtliche Abriss offenbart, dass die Entscheidung für eine Notstandsverfassung mit dem Gedanken des Verteidigungsfalles als einem Zustand rechtsstaatlicher Verfasstheit  – und eben nicht marginaler Verfasstheit oder Verfassungslosigkeit – einhergeht.73 Willkür und Machtmissbrauch können nur verhindert werden, wenn die staatliche Machtausübung auch im Notstand determiniert ist.74 Die rechtsstaatliche Bewältigung derartiger Ausnahmezustände erfordert dann allerdings auch die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Dazu zählt unter anderem das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, also die Verflechtung verschiedener Funktionsträger bei ihrer Kompetenzausübung zur gegenseitigen Kontrolle.75 Auf dieser Linie liegt die Idee des Verteidigungsfalles nach dem Grundgesetz, der so oder so der parlamentarischen Kontrolle unterliegt: Denn entweder sind die gesetzgebenden Organe Bundestag und Bundesrat funktionsfähig oder aber der Gemeinsame Ausschuss nimmt ihre Stellung ein. Die Stunde der Exekutive ist der Notstand jedenfalls nicht mehr.76 Es lässt sich bis hier hin festhalten, dass das Prinzip der Gewaltenteilung ein wichtiges, wenn auch nicht das alleinige, Motiv für die Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses war. Die Beteiligung möglichst vieler Verfassungsorgane verschiedener Funktionen, ihre gegenseitige Kontrolle und die möglichst effiziente Ausgestaltung ihrer Notstandskompetenzen sollen die missbräuchliche Machtausübung auch im Verteidigungsfall verhindern und mithin die Wahrung des Prinzips der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gewährleisten. Der essentielle Gedanke des Gemeinsamen Ausschusses ist es, im Verteidigungsfall so wenig wie möglich an parlamentarischen Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen sowie an bundesstaatlicher Struktur einzubüßen, und dabei nicht den für den Notstand ty 72

Dazu übersichtlich Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229. Stern, StaatsR II, § 52 IV 3. 74 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 56; damit Willkür und Machtmissbrauch vorgebeugt werden kann, bedarf es solcher Notstandsrechte, „[…] mit deren Hilfe die veranwtortlichen Organe äußersten Gefahren für das staatliche Leben in Bahnen des Rechts begegnen können […]“, so Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 107. 75 Stern, StaatsR II, § 52 IV 3. 76 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  9; Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 102; Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 95 betrachten die Krise als eine Art Schnittstelle zwischen der Stunde der Exekutive und des Parlaments. Auch in den parlamentarischen Debatten zeichnete sich bereits die Erkenntnis ab, dass die Krise weder die Stunde der Exekutive noch die des (Not-)Parlaments ist, dazu z. B. in der Ersten Beratung des Bundestages, 117. Sitzung am 29. 06. 1967, Sten. Ber. S. 5857. 73

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

pischerweise erforderlichen Aktions- und Handlungsspielraum auszuklammern.77 Neben der offenkundigen parlamentarischen Funktion vereint der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 53a GG aber auch die effektiv schnelle Entscheidungsfindung aufgrund seiner komprimierten Zusammensetzung auf sich, sodass gleich mehrere Motive für die Abkehr vom Notstand als Stunde der Exekutive in einem einzelnen Organ aufgehen.78

II. Die historische Rolle des Gemeinsamen Ausschusses im System der Gewaltenteilung Auf der Grundlage der Genese von Art. 53a GG lässt sich nun aufzeigen, welche Rolle dem Gemeinsamen Ausschuss im System der Gewaltenteilung seiner entstehungsgeschichtlichen Konzeption nach zugeschrieben wird. In einem ersten Schritt gilt es herauszuarbeiten, ob der Gemeinsame Ausschuss als ein eigenständiges Verfassungsorgan im Verfassungsgefüge konzipiert ist und daher als gleichrangiger Funktionsträger im System der Gewaltenteilung berechtigt und verpflichtet ist (1.). Erst in einem zweiten Schritt kann geklärt werden, welche entstehungsgeschichtliche Rolle dem Gemeinsamen Ausschuss im System der Gewaltenteilung zugewiesen wird. Dabei wird vor allem auf die Einordnung in die gesetzgebende Gewalt einzugehen sein (2.). Die Zuordnung einer bestimmten Rolle im System der Gewaltenteilung aus entstehungsgeschichtlicher Sicht bildet die Referenz für die im 4. Kapitel folgende Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Gemeinsamen Ausschusses de lege lata und der Klärung der Frage, ob die Einordnung in die verfassungsmäßige Gesetzgebung den Anforderungen des Prinzips der Gewaltenteilung entspricht. 1. Der Gemeinsame Ausschuss als eigenständiges Verfassungsorgan Um den Gemeinsamen Ausschuss in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung einordnen zu können, muss seine staatsorganisationsrechtliche Rolle zunächst klar sein. Der Gemeinsame Ausschuss kann erst dann den Verfassungsorganen wie Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat unter verschiedenen Gesichtspunkten des Gewaltenteilungsprinzips gegenübergestellt werden, wenn er eine gleichwertige Organqualität aufweist. Am Anfang dieses Abschnitts steht also die Frage nach den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Verfassungsorgan-Qualität eines Funktionsträ-

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Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 231; Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 179; Stern, StaatsR II, § 28 I 2 a). 78 In diese Richtung argumentierend auch Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 9.

II. Die historische Rolle des Gemeinsamen Ausschusses   

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gers in genere (a)). Unter diese Voraussetzungen lässt sich dann der Gemeinsame Ausschuss im Besonderen subsumieren und die Frage beantworten, ob es sich bei dem Gemeinsamen Ausschuss um ein gleichrangiges Verfassungsorgan handelt (b)). Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind dann allerdings noch der begrifflichen (Fehl-)Bezeichnung dieses Organs zum einen als „Gemeinsamer“ und zum anderen als „Ausschuss“ gegenüberzustellen (c)). a) Die Voraussetzungen für Verfassungsorgan-Qualität Was unterscheidet also Verfassungsorgane von sonstigen Organen des Verfassungsrechts? Verfassungsorgane sind besonders qualifizierte Staatsorgane.79 Semantisch gilt, dass der Begriff „Verfassungsorgan“ synonym für „oberstes Bundes­organ“ verwendet wird. Oberste Bundesorgane sind jedenfalls – anders als Verfassungsorgane – in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG als solche ausdrücklich betitelt und unterscheiden sich von einfachen Bundesorganen sowie von sonstigen Organen. (Sonstige)  Organe sind vom Organwalter unabhängige Kompetenzkomplexe, die zur selbständigen Aufgabenwahrnehmung eingesetzt werden.80 Bundesorgane sind demnach Organe, die mit der Aufgabenwahrnehmung des Bundes durch das Grundgesetz betraut werden. Demgegenüber sind oberste Bundesorgane solche Bundesorgane, die keinem anderen Organ mehr hierarchisch untergeordnet werden, mithin in Gänze eigenständig sind. So sind etwa Wehrbeauftragte nach Art. 45b GG zwar Bundesorgane, aber, da sie nur ein untergeordnetes Hilfsorgan des Bundestages formen, kein oberstes Bundesorgan. Konstitutiv für oberste Bundesorgane, also Verfassungsorgane, ist, dass sie neben ihrer Organeigenschaft als institutionalisierter Kompetenzkomplex ihre Funktionsträgereigenschaft unmittelbar aus der Verfassung ableiten.81 Hinzu kommt, dass sie aufgrund ihrer Stellung von Verfassungsrang für das Verfassungsgefüge prägend sind. Aufgrund ihrer exponierten Stellung an der Spitze sind sie in ihrer Organisation im Wesentlichen frei. Sie haben daher auch die Befugnis, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben.82 Es handelt sich aus diesem Grund bei obersten Bundesorganen um den Bundestag, die Bundesregierung, den Bundesrat, den Bundespräsidenten, das Bundesverfassungsgericht und die Bundesversammlung.

79

Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 1 Rn.  17. Dazu und im Folgenden sowie eine übersichtliche Darstellung der Bundesorgane und ihrer Eigenschaften bei Hillgruber / Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 449 ff.; so auch Grote, Der Verfassungsorganstreit, S. 100 ff. 81 Dazu und im Folgenden Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 1 Rn. 17 ff.; Grote, Der Verfassungsorganstreit, S. 101 m. w. N. 82 Stern, StaatsR I, § 4 I 4 a); Stern, StaatsR II, § 28 III 1. 80

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

b) Die Verfassungsorganqualität des Gemeinsamen Ausschusses In Art. 53a Abs. 1 GG wird der Gemeinsame Ausschuss staatsorganisationsrechtlich konstituiert und in Art. 115a ff. GG unmittelbar mit Rechten und Pflichten ausgestattet. In jedem Fall handelt es sich daher bei dem Gemeinsamen Ausschuss um ein Bundesorgan. Handelt es sich allerdings auch um ein oberstes Bundesorgan? Die Bezeichnungen als „Gemeinsamer“ zum einen und „Ausschuss“ zum anderen, seine Zusammensetzung aus Mitgliedern des Bundesrates und des Bundestages und seine fehlende Geschäftsordnungsautonomie lassen daran zweifeln.83 Fragwürdig ist daher das Kriterium seiner Eigenständigkeit, was konstitutives Merkmal der Verfassungsorgane ist.84 Neben der Entstehungsgeschichte des Gemeinsamen Ausschusses spricht aber auch der Verfassungstext selbst für die Verfassungsorganqualität des Gemeinsamen Ausschusses: Unter den Voraussetzungen des Art. 115e Abs. 1 GG kann der Gemeinsame Ausschuss die Stellung von Bundestag und Bundesrat einnehmen, welche zweifelsohne oberste Bundesorgane sind, sodass sich für den Gemeinsamen Ausschuss nichts anderes ergeben kann.85 Ferner spricht auch die verfassungsrechtliche Systematik dafür, weil sich Art. 53a GG im IVa. Abschnitt im organisationsrechtlichen Teil des Grundgesetzes befindet, eingebettet zwischen sämtlichen anderen obersten Bundesorganen.86 Auf seine Eingliederung in Art. 115a ff. GG wurde demgegenüber bewusst verzichtet.87 Die gemischte Zusammensetzung aus Bundestagsabgeordneten und Bundesratsmitgliedern spricht zudem nicht gegen die Eigenständigkeit des Gemeinsamen Ausschusses, denn es gilt das sogenannte Einkammerprinzip.88 Das heißt, der Gemeinsame Ausschuss nimmt gem. Art. 115e Abs. 1 GG die Rechte dieser beiden anderen Verfassungsorgane einheitlich wahr89 und fällt in originären Willensbildungsprozessen unabhängige, organspezifische Entscheidungen. Insbesondere drückt sich die Eigenständigkeit des Gemeinsamen Ausschusses aber durch die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechtsstellung der Bundestagsabgeordneten und der Bundesratsmitglieder – vor allem durch den Wegfall der Weisungsgebun 83

Erst im Verteidigungsfall hat der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 115e Abs. 1 GG i. V. m. § 19 GO GA das Recht, seine Geschäftsordnung zu ändern bzw. von ihr abzuweichen. 84 Ausführlich zur Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses als Verfassungsorgan und der Abgrenzung von originären und abgeleiteten Rechten Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 30 ff. 85 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  10. 86 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 44; Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 136; Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 53a Rn. 4; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  10 ff.; Heun, in: Dreier, GG, Art. 53a Rn. 5; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 131. 87 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 40 f. 88 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 40; Kirchhof, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 115e Rn. 7. 89 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 15; Stern, StaatsR II, § 28 I 3 a).

II. Die historische Rolle des Gemeinsamen Ausschusses   

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denheit letzterer – in ihrer Funktion als Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses auf der einen Seite und in ihrer Funktion als Mitglieder von Bundestag und Bundesrat auf der anderen Seite aus.90 Hinzu kommt, dass der Gemeinsame Ausschuss bereits in Friedenszeiten gem. Art. 53a Abs. 2 GG besteht und daher nicht als untergeordnetes, sondern eigenständiges Bundesorgan neben Bundestag und Bundesrat tritt.91 Die Eigenständigkeit des Gemeinsamen Ausschusses lässt sich daher bejahen. In Abgrenzung zu einem einfachen Bundesorgan handelt es sich bei dem Gemeinsamen Ausschuss also um ein oberstes Bundesorgan.92 Daher lässt sich der Gemeinsame Ausschuss als Verfassungsorgan, aber sicherlich als eines der besonderen Art, bezeichnen.93 c) Die begriffliche Fehlbezeichnung als „Gemeinsamer Ausschuss“ Die Bezeichnung dieses Notorgans schwankte zwischen Notstandsausschuss, Ausschuss, Notparlament und Gemeinsamen Ausschuss.94 Das Problem all dieser Begrifflichkeiten bestand und besteht darin, dass der Gemeinsame Ausschuss seiner verfassungsrechtlichen Konzeption nach weder Parlament im engeren Sinne noch Ausschuss dessen ist.95 Auf den Begriff des Gemeinsamen Ausschusses konnte man sich dann aber am ehesten einigen, da jene Bezeichnung die Besetzung des Organs mit Bundestags- und Bundesratsmitgliedern als auch seine Zusammensetzung in Abhängigkeit von den politischen Gewichten des Parlaments widerspiegelt.96 Offenkundig ist die Bezeichnung als Gemeinsamer Ausschuss aber unglücklich und irreführend. Dass Zweifel an der Verfassungsorganqualität durch den Wortlaut aufkommen können, ist daher zunächst einmal durchaus nachvollziehbar.97 Insbe 90

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 15; dieses Argument hingegen kritisch beleuchtend Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 45 f. 91 In die Richtung gehend Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  10; Stern, StaatsR II, § 28 I 4 a). 92 So z. B. BVerfGE 84, 304 (334 f.); Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 231; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  10; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 14; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 2; von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 53a Rn. 4. 93 BT-Drucks. IV / zu 3494, S. 8; BT-Drucks V/1879, S. 15, 20; Stern, StaatsR II, § 28 I 4; ähnlich auch Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 9. 94 Siehe zur entstehungsgeschichtlichen Begriffsentwicklung S. 27 ff. 95 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 13; zur Abgrenzung von Ausschüssen des Bundestages z. B. Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 4; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig /  Herzog, GG, Art. 53a Rn. 12. 96 Stern, StaatsR II, § 28 I 2 b). 97 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 30 f., 33; ­Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  10; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 13; Stern, StaatsR II, § 28 I 4; Kritik zu einem früheren Zeitpunkt schon bei Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 25; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 132.

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

sondere die grammatikalische Vergleichbarkeit des Begriffs mit dem Vermittlungsausschuss nach Art. 77 GG, der unselbständiges Unterorgan des Bundestages ist, nährt diese Bedenken.98 Die gegenwärtige Bezeichnung spiegelt allerdings die besondere Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses und die Intention des Gesetzgebers wider, die parlamentarischen und bundesstaatlichen Strukturen auch im Verteidigungsfall so lange wie möglich zu erhalten.99 Allein die Bezeichnung als Gemeinsamer Ausschuss bzw. der Wortlaut der Norm können aus oben genannten systematischen, teleolo­ gischen und entstehungsgeschichtlichen Gründen nicht über seine verfassungsrechtliche Auslegung als eigenständiges Verfassungsorgan hinwegtäuschen.100 Auf die Verfassungsorganqualität hat die Bezeichnung als Gemeinsamer Ausschuss also letztlich keine Auswirkung. Zumal der Gemeinsame Ausschuss über sein Informationsrecht hinaus nur im Verteidigungsfall nach Art. 53a Abs. 1 i. V. m. Art. 115a ff. GG tätig wird und den Bundestag als Parlament des Normalfalles ersetzt, ist aber auch die Bezeichnung des Gemeinsamen Ausschusses als Notparlament möglich.101 Allerdings stellt auch diese Bezeichnung vor dem Hintergrund, dass der Gemeinsame Ausschuss nicht ausschließlich aus gewählten Abgeordneten des Bundestages, sondern auch zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates besteht, eine Kompromiss­lösung dar. 2. Seine Einordnung in die verfassungsmäßige Gesetzgebung Die Tatsache, dass es sich bei dem Gemeinsamen Ausschuss um ein Verfassungsorgan handelt, statuiert noch nicht seine Rolle im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung; sagt insbesondere nichts über sein Verhältnis zu Bundestag und Bundesrat. Welche Rolle wird dem Gemeinsamen Ausschuss also zugeschrieben? Welche der drei Funktionen nimmt der Gemeinsame Ausschuss wahr? In diesem Zusammenhang ist in einem ersten Schritt die grundsätzliche Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber Bundestag und Bundesrat herauszuarbeiten (a)). In einem zweiten Schritt wird dann die Frage geklärt, ob der Gemeinsame Ausschuss nach seiner entstehungsgeschichtlichen Konzeption ein Organ der Gesetzgebung ist (b)).

98

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 13. BT-Drucks.  IV / zu 3494, S.  8; Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 2. 100 Siehe zur systematischen, teleologischen und entstehungsgeschichtlichen Argumentation S. 34 f. 101 Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 53a Rn. 7; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 13; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 133; zusammenfassend zur parlamentarischen Debatte um den Begriff „Notparlament“ Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  9 Fn.  2. 99

II. Die historische Rolle des Gemeinsamen Ausschusses   

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a) Die Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses Der Gemeinsame Ausschuss wird, abgesehen von der Wahrnehmung seiner Informationsrechte in Friedenszeiten nach Art. 53a Abs. 2 GG, ausschließlich im Verteidigungsfall und ausschließlich subsidiär und anstelle von Bundesrat und Bundestag tätig.102 Gem. Art. 115e Abs. 1 GG tritt der Gemeinsame Ausschuss an die Stelle von Bundestag und Bundesrat und nimmt deren Rechte einheitlich wahr, wenn dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder dieser nicht beschlussfähig ist. Ferner können Bundestag und Bundesrat den Notstandsbefugnissen des Gemeinsamen Ausschusses die Rechtsgrundlage entziehen und den Verteidigungsfall gem. Art. 115l Abs. 2 GG für beendet erklären. Unabhängig davon können Bundestag und Bundesrat gem. Art. 115l Abs. 1 GG jederzeit die vom Gemeinsamen Ausschuss getroffenen Maßnahmen aufheben. In der Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses als subsidiäres Organ, das nie zeitgleich neben Bundestag und Bundesrat agieren kann, ist also seine sogenannte Reservefunktion103 angelegt. Daraus folgt, dass es sich bei dem Gemeinsamen Ausschuss um ein besonderes Verfassungsorgan handelt, das neben Bundestag und Bundesrat, nicht aber in Konkurrenz zu diesen steht.104 Der Grund dafür liegt in der zeitlichen und sachlichen Diskrepanz von Gemeinsamem Ausschuss auf der einen und Bundestag auf der anderen Seite: Entweder tritt der Verteidigungsfall ein und der Bundestag ist arbeits- respektive beschlussunfähig, sodass der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 115e Abs. 1 GG als Notparlament aktiviert wird. Oder aber der Bundestag ist arbeits- und beschlussfähig und blockiert die Aktivierung des Gemeinsamen Ausschusses.105 Sinn und Zweck der Konzeption als Reserveorgan liegt in der Erhaltung bundesstaatlicher, demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen auch in Ausnahmesituationen.106 Der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber, der Bundestag, soll so lange wie möglich unter der Mitwirkung des Bundesrates die Gesetze

102

Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 231; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 14; Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 112; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 124; von Stern, StaatsR II, § 28 I 4 b) zutreffend als „Parlament im Wartestand“ bezeichnet. 103 Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 2; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 9, 65. 104 Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 231; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 10; R ­ obbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 2. 105 Siehe zur Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115e Abs. 1 GG und ihren Voraussetzungen S. 172 ff. 106 Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 8; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 9; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 20; Akzeptanzsteigerung, Qualitäts­ sicherung und Interessenausgleich sollen durch die öffentliche parlamentarische Entscheidungsfindung stets erwirkt werden, so im Allgemeinen und im Besonderen für den Pandemiefall auch Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272, 273.

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

beschließen.107 Dem Grunde nach geht die Verfassung dementsprechend davon aus, dass die Verfassungsorgane des Normalfalles auch im Verteidigungsfall ihre Funktionen wahrnehmen können und sollen.108 Sind diese dazu aber nicht in der Lage, verfolgt das Notstandsrecht das Ziel, den Verfassungszustand des Normalfalles so schnell wie möglich wieder herzustellen bzw. das Notstandsrecht leitet seine Legitimität aus dieser Zwecksetzung ab.109 b) Der Gemeinsame Ausschuss als Organ der Gesetzgebung Der Gemeinsame Ausschuss ist also als Reserveorgan konzipiert, das gem. Art. 115e Abs. 1 GG an die Stelle von Bundestag und Bundesrat tritt. Für die Konzeption und die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses im engeren Sinne war die Bewältigung von Notständen nach rechtsstaatlichen Parametern wie dem Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG maßgeblich. Aber welche Funktion nimmt der Gemeinsame Ausschuss seiner entwicklungsgeschichtlichen Idee nach wahr? Ist der Gemeinsame Ausschuss seiner Konzeption nach Organ der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung? Gemeinhin wird der Gemeinsame Ausschuss als ein Notparlament im weiteren Sinne verstanden und damit als Gesetzgebungsorgan eingeordnet.110 Dieser Eindruck wird durch die Rolle des Gemeinsamen Ausschusses als Gegenkonzept zur Stunde der Exekutive unterstrichen.111 Der Gemeinsame Ausschuss als legislativer Gegenpol verfolgt dabei den Zweck, eine Machtkonzentration auf Seiten der Regierung im Verteidigungsfall zu verhindern.112 Aufgrund seiner Stellung als Reserveorgan ist dabei aber auch klar, dass es sich zwar um ein eigenständiges und vollwertiges, aber eben auch subsidiäres Gesetzgebungsorgan handelt. In Friedenszeiten kommt dem Gemeinsamen Ausschuss lediglich ein Informationsrecht gegenüber der Regierung nach Art. 53a Abs. 2 GG zu, das aufgrund seiner Vergleichbarkeit mit den klassischen parlamentarischen Kontrollrechten als Element von Gewaltenverschränkung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einzuordnen ist.

107

Die möglichst lange Aufrechterhaltung der ordentlichen parlamentarischen Strukturen gilt als zentrales Element moderner Notstandsverfassungen, Benda, Die Notstandsverfassung, S. 22; Fritz, in: BayVBl. 1983, S. 72, 74. 108 Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 2; zur allgemeinen Bedeutung des verfassungsmäßigen Parlaments gegenüber dem subsidiären Ersatzorgan im Staatsnotstandsrecht Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 87. 109 Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 106. 110 Fritz, in: BayVBl. 1983, S. 72; nach Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG Art.  53a Rn. 6 tritt der Gemeinsame Ausschuss an die Stelle der „regulären Legislative“; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 20; „legislatives Ersatzorgan“ nach Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 127. 111 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 3 ff. 112 Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 1.

III. Warum Art. 53a GG  problematisch sein könnte

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Die Ausübung staatlicher Macht im Verteidigungsfall durch den Gemeinsamen Ausschuss fällt also seiner Ideengeschichte nach schwerpunktmäßig in den Bereich der Gesetzgebung. An dieser Stelle gilt noch einmal festzuhalten, dass vorstehende Einordnung zunächst einmal nur die entstehungsgeschichtliche Rolle des Gemeinsamen Ausschusses wiedergibt. Ob es sich dabei um eine dem Prinzip der Gewaltenteilung und seinen Anforderungen entsprechende Konzeption handelt und wie sich der Gemeinsame Ausschuss in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung einfügt, gilt es erst noch zu klären. 3. Zusammenfassung Der Gemeinsame Ausschuss findet seine historische Rolle als subsidiäres Reserveorgan der Gesetzgebung, da er im Verteidigungsfall als Notparlament gem. Art. 115e Abs. 1 GG an die Stelle von Bundestag und Bundesrat tritt und deren Rechte und Pflichten einheitlich wahrnimmt. Mit der Funktion als Reserveorgan von Bundestag und Bundesrat ist zugleich die Organqualität des Gemeinsamen Ausschusses besiegelt: Bei dem Gemeinsamen Ausschusses handelt es sich gleichfalls um ein eigenständiges Verfassungsorgan, was sich nicht zuletzt aus seiner exponierten Stellung im staatsorganisationsrechtlichen Teil des Grundgesetzes ergibt. An dieser Einordnung kann im Ergebnis auch nicht die (Fehl-)Bezeichnung als „Gemeinsamer“ zum einen und „Ausschuss“ zum anderen etwas ändern. Die entstehungsgeschichtlich angestammte Rolle des Gemeinsamen Ausschusses im System der Gewaltenteilung ist in Anlehnung an die Genese von Art. 53a GG also unstrittig.

III. Warum Art. 53a GG unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung problematisch sein könnte Der kurze entstehungsgeschichtliche Abriss sowie die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses als Reserveorgan der Gesetzgebung verdeutlichen eindrucksvoll die enorme Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung für die Etablierung des Gemeinsamen Ausschusses. Insbesondere der Verzicht auf ein Notverordnungsrecht der Exekutive zu Gunsten parlamentarischer Krisenbewältigung erweckt den Anschein missbrauchssicherer Machtverteilung im Verteidigungsfall.113 Die einstige Annahme, der Ausnahmezustand bedeute die Aufhebung der Gewaltenteilung, ist heute dementsprechend in ihr Gegenteil gekehrt.114 Man könnte daher zu dem Schluss gelangen, die Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses sei wegen ihrer ausdrücklichen Ausrichtung am Prinzip der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich unbedenklich. 113 114

Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 105 f. Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 19.

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1. Kap.: Die Bedeutsamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung 

Im Kern ist das so unproblematisch aber nicht: Ein extrem verkleinertes Notparlament soll in Krisenzeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit fundamentale Entscheidungen treffen, die sonst in den Händen von mehr als 598Abgeordneten des Bundestages und den Mitgliedern des Bundesrates liegen.115 Die Gefahr der Verselbständigung des Gemeinsamen Ausschusses ist daher nicht von vornherein als gegenstandlos abzutun116, weil ein wesentliches Merkmal jeder Notstandsverfassung stets der Wegfall bzw. die Vereinfachung verschiedener Kontrollmechanismen ist.117 Zwar gewährleistet die Minimierung der personellen Stärke auf 48 Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss (voraussichtlich) eine effektive und flexible Entscheidungsfindung unter Beibehaltung parlamentarischer Strukturen und Verfahren. Damit ist jedoch nicht automatisch eine dem Maßstab des Grundgesetzes entsprechende gewaltenteilige Krisenbewältigung verbunden. Denn ob der Gemeinsame Ausschuss die Verhütung von Machtmissbrauch und die Sicherung der Freiheit des Einzelnen bewirken kann, darf nicht allein deswegen bejaht werden, weil es sich dabei um die Gegenkonzeption zum Notverordnungsrecht der Exekutive handelt. Schließlich – und das ist durchaus nicht unproblematisch für den gewaltenteiligen Verfassungsstaat  – tritt der Gemeinsame Ausschuss unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 115e Abs. 1 GG vollumfänglich an die Stelle von Bundestag sowie Bundesrat und verdrängt diese Verfassungsorgane für unbestimmte Zeit aus ihrem „Besitzstand“118. Neben seiner konkreten Konzeption und Funktion als subsidiäres Gesetzgebungsorgan sieht sich der Gemeinsame Ausschuss als Notorgan verschiedenen Gefahren gegenüber, mit denen wiederum jede Notstandsverfassung zu kämpfen hat119: Dazu zählen die Inanspruchnahme der Notstandsbefugnisse, bevor die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Notstandes überhaupt vorliegen sowie, in die andere Richtung, das Festhalten an den Notstandsbefugnissen, nachdem die Voraussetzungen des Notstandes wieder entfallen sind. Ferner ist sowohl die Sorge vor der extensiven Wahrnehmung der Notstandsbefugnisse während des Verteidigungsfalles real als auch die Gefahr der Verdrängung respektive Flucht des Parlaments des Normalfalles aus seiner verfassungsrechtlichen Rolle und Verantwortung. Freilich soll der Gemeinsame Ausschuss in seiner Zusammensetzung und Aufgabenwahrnehmung den vorstehenden Gefahren entgegenwirken und dem Prinzip der Gewaltenteilung entsprechen. Dies akzentuieren insbesondere seine Entstehungsgeschichte und seine Rolle als Reserveorgan der Gesetzgebung. Ob dieser aber hält, was er verspricht, ist gesondert zu hinterfragen. Daher wird der Gemein 115

In diese Richtung äußert auch Benda, Die Notstandsverfassung, S. 64 Bedenken. Zum Dritten Regierungsentwurf von 1967 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 178; ähnlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 128. 117 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 119; zur Suspension des Rechts als notwendiges Merkmal des Ausnahmezustands im Allgemeinen Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 53 ff. 118 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 3. 119 Diese Gefahren listet Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 4 katalogartig auf. Dabei sieht er in der Einwirkung der Notstandsverfassung durch ihre bloße Existenz auf das Verfassungsleben des Normalfalles eine weitere, fünfte Gefahr jeder Notstandsverfassung begründet. 116

IV. Zusammenfassung   

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same Ausschuss im Folgenden einer verfassungsrechtlichen Überprüfung und einer Einordnung in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung unterzogen.

IV. Zusammenfassung  Der – also verfassungsrechtlich nicht ganz unbedenkliche – Gemeinsame Ausschuss entsprang einer politischen Debatte vom Aufrechterhalten rechtsstaatlicher, parlamentarischer und föderaler Strukturen auf der einen und dem Erfordernis extremer Handlungs- und Reaktionsfähigkeit im Ausnahmezustand auf der anderen Seite, dabei die Folgen des Weimarer Notverordnungsrechts noch lebhaft vor Augen habend. Der Gemeinsame Ausschuss als Notparlament entwickelte sich als Kompromiss aus diesen beiden Komponenten heraus und fand mit der 17. Änderung des Grundgesetzes am 24. Juni 1968 Einzug in die Verfassung. Dabei sollte insbesondere vor dem Hintergrund einer gewaltenteiligen Krisenbewältigung auf ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung verzichtet und ein verkleinertes, handlungsfähiges Notparlament eingesetzt werden.120 Konzipiert wurde der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 53a GG als Reserve der Gesetzgebung. De jure handelt es sich bei dem Gemeinsamen Ausschuss also um ein besonderes Organ der gesetzgebenden Funktion, das im Sinne der Subsidiarität neben Bundestag und Bundesrat in Hab-Acht-Stellung verharrt, ehe er im Verteidigungsfall nach Art. 115e Abs. 1 GG in deren Rechte und Pflichten eintritt. Da die Ausgestaltung des Gemeinsamen Ausschusses als gesetzgeberisches NotVerfassungsorgan folgenschwer ist und aus oben genannten Gründen unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht ganz unbedenklich erscheint, ist Art. 53a GG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung am Maßstab der Gewaltenteilung zu unterziehen.

120

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 12 betitelt die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses als das „geringere Übel“ gegenüber dem Notverordnungsrecht und geht damit auf den Kompromisscharakter des Art. 53a GG ein.

2. Kapitel

Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip – Ein Überblick von der Antike bis zur Gegenwart Ehe der Gemeinsame Ausschuss als Reserveorgan der Gesetzgebung am Maßstab der Gewaltenteilung nach dem Grundgesetz gemessen werden kann, ist auf der nächsten Stufe zunächst erforderlich, das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung abstrakt und isoliert als klassisches Ordnungsprinzip von Maß und Mitte zu begreifen. Da die Idee der Mäßigung staatlicher Gewalt zur Verhütung von Machtmissbrauch keine originäre Erfindung des Grundgesetzes ist, sondern als ein tradiertes Ordnungsprinzip auf eine lange Entstehungs- und Erfolgsgeschichte zurückblicken kann, geht es in diesem Kapitel um die Auseinandersetzung mit der Uridee des Gewaltenteilungsprinzips, also um die Gliederung staatlicher Machtausübung aus ihren ideengeschichtlichen Wurzeln heraus. Ein theoretisches Verständnis der Gewaltenteilung ist schließlich die Grundlage dafür, das Verfassungsorgan des Gemeinsamen Ausschusses in einen verfassungsrechtlichen Zusammenhang einordnen und anhand eines Maßstabs auf die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung des Grundgesetzes hin bewerten zu können. Um das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungssystem von überverfassungsrechtlichem Wert zu verstehen, wird zunächst der Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewaltausübung beleuchtet (I.). Im Fortgang können dann wichtige Entwicklungsetappen des Prinzips der Gewaltenteilung von der Antike (II.) über die Neugliederung monarchischer Strukturen bei John Locke und Charles de Montesquieu (III.) bis hin zur Gegenwart sowie seine historische Bedeutung für die Entwicklung moderner Verfassungsstaaten (IV.) nachgezeichnet werden. Die nachstehenden Ausführungen sollen eine Grundlage für den Fortgang einer rechtlichen Untersuchung der Gewaltenteilung als Element verfasster Rechtsstaatlichkeit bilden. Da das Prinzip der Gewaltenteilung als juristisches sowie politisches Phänomen gilt, scheint die dazugehörige Literatur nahezu uferlos, sodass im Folgenden eine Auswahl bedeutender Aspekte und Autoren sowie ihrer Theorien zur Gewaltenteilung getroffen wurde, ohne Vollständigkeit zu beanspruchen.

I.  Teilung staatlicher Gewaltausübung

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I. Zum Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewaltausübung Worin liegt aber überhaupt der Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewaltausübung? Was spricht gegen die Vereinigung der Staatsgewalt in der Hand einer Person? Diese Fragen gilt es vorab zu klären, ehe bedeutende Entwicklungsetappen der Gewaltenteilung nachgezeichnet werden. Seinem Ursprung nach ist die Teilung staatlicher Machtausübung ein klassisches Prinzip von „Maß und Mitte“1, entwickelt zunächst als politisches Strukturprinzip zur Abgrenzung von Befugnissen und Zuständigkeiten.2 Die Teilung staatlicher Machtausübung erfolgt zur Mäßigung staatlicher Herrschaft, um Machtmissbrauch zu Gunsten der Freiheit des Einzelnen zu verhindern.3 So formulierte bereits Montesquieu: „Die politische Freiheit ist nur unter maßvollen Regierungen anzutreffen. Indes besteht sie selbst in maßvollen Staaten nicht immer, sondern nur dann, wenn man die Macht nicht missbraucht […]. Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, ist es nötig, durch die Anordnung der Dinge zu bewirken, daß die Macht die Macht bremse.“4 Zunächst einmal geht es also um die Ausbalancierung staatlicher Macht5, wobei die einzelnen Motive – die Verhütung von Machtmissbrauch und die Freiheitssicherung des Einzelnen – in der Vergangenheit in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Situation unterschiedlich akzentuiert wurden.6 Hinter der Gewaltenteilung steht also ein komplexes Motivbündel bzw. vielmehr eine Verkettung verschiedener Motive, bei der die einzelnen Glieder der Kette einander bedingen: Am Anfang jener Kette steht die Mäßigung staatlicher Gewaltausübung. Diese führt zunächst dazu, dass die Staatsgewalt nicht missbräuchlich

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Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 17. Daher eignet sich das Prinzip der Gewaltenteilung seiner Grundidee nach auch zur Organisation wirtschaftlicher Unternehmen oder internationaler und supranationaler Institutionen u. ä., so Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183; der „Maß und Mitte“-Gedanke wohl auch bei Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 259. 2 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 17, 19. 3 Diese Zielrichtung hat Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 4. Kapitel S. 215 erstmals derart formuliert; aufgegriffen wurden diese Gedanken von sämtlicher Staatsrechtsliteratur, so z. B. von Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 81; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 20; Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 39; Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 1; Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 401; Kotzur, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 20 Rn. 132 f.; Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 13; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  20 Rn. 197; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 35; Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 110 Rn. 15. 4 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 4. Kapitel S. 215. 5 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 40; Schlieffen, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 71. 6 So zusammenfassend Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 96; ähnlich auch Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183, 184.

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

eingesetzt werden kann, was wiederum zur Folge hat, dass die individuelle Freiheit des Einzelnen gesichert wird. Die Mäßigung staatlicher Macht erfolgt dabei in erster Linie durch ihre Hemmung unmittelbar gegenüber dem Bürger, wodurch der Staat in seiner Machtausübung greifbarer, transparenter, berechenbarer und funktionsfähiger gestaltet und dem Bürger die Teilhabe ermöglicht wird, sodass missbräuchliche Gewaltanwendung verhindert werden kann.7 Die Sicherung der Gesetzesherrschaft ist dafür von großer Bedeutung: Macht kann nur gebändigt werden, wenn die Mächte sich an eine von Organisationsgesetzen geschaffene Kompetenzordnung halten.8 Die Gewaltenteilung geht daher in einer konkreten Zuständigkeitsordnung auf.9 Es muss allerdings bedacht werden, dass die Herrschaft des Gesetzes nicht unreflektiert und unkontrolliert gelten kann, da jede Gewalt missbrauchsanfällig ist, also auch die gesetzgebende Gewalt, die die Kompetenzordnung in Gesetzesform beschließt.10 Die Kompetenzordnung muss berücksichtigen, dass die gesamte Staatsgewalt nicht in einer Hand vereinigt werden darf und Machtmissbrauch umso unwahrscheinlicher ist, je kleinteiliger die Machtanteile verteilt sind, über die ein Machtträger verfügt und je mehr andere Machtträger ihm gegenüberstehen, damit eventuelle Missbräuche erkannt und sanktioniert werden können.11 Hinzu kommt, dass im Falle eines eingetretenen Machtmissbrauchs dieser umso ungefährlicher ist, je kleiner der der missbrauchenden Gewalt zugewiesene Machtanteil ist.12 Demgegenüber bedeutet die Freiheitssicherung im modernen Verfassungsstaat die private Freiheit aller Individuen, die in einer staatlichen Gemeinschaft verfasst sind, vor staatlichen Übergriffen, insbesondere vor Willkürakten, zu schützen.13 Die Aufspaltung und Kontrolle staatlicher Machtausübung gibt nämlich jedem Einzelnen eine autonome Chance.14 Nur autonom und frei kann das Individuum im politischen Gefüge Einfluss erlangen, um nicht von der politischen Übermacht erdrückt zu werden.15 7

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 498; Stern, StaatsR II, § 36 III 3. Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 31; zum freiheitssichernden Aspekt der Gesetzesherrschaft auch Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183, 185. 9 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 31; ähnlich Schmitt, Verfassungslehre, S. 126 f.; Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 112. 10 Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 32; in diese Richtung auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 138, wonach die Herrschaft des Gesetzes zu Gunsten der Erhaltung des Rechtsstaates nicht schrankenlos gelte. 11 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  30. 12 Ebd. 13 So auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 3. Kapitel S. 214: „Freiheit ist das Recht, all das zu machen, was die Gesetze gestatten.“; ferner Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 28; zum freiheitssichernden Aspekt moderner Verfassungs- und Rechtsstaatlichkeit auch schon Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 14 Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 11. 15 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 2; kritisch zur Effektivität der individuellen Freiheit durch Gewaltenteilung Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 256. 8

II. Die Grundlagen der Gewaltenteilung aus der Antike   

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Neben diese althergebrachte Vorstellung vom Sinn und Zweck der Gewaltenteilung treten vermehrt andere Erwägungen: Eine effiziente, leistungssteigernde Arbeitsteilung zwischen den Gewalten und eine transparente Arbeitsweise werden gleichermaßen bezweckt.16 Dabei ist unausweichlich, dass sich augenscheinlich gegenläufige Zwecke gegenüberstehen. Die Beschränkung der jeweiligen Machtanteile zu Gunsten von Missbrauchsverhütung darf nicht zu staatlicher Ineffizienz und Irrationalität führen. Im Gegenteil: Die ausbalancierte Aufteilung staatlicher Machtausübung soll die staatliche Effizienz vielmehr steigern.17 Die Tatsache, dass möglichst kleine Machtanteile zur Verhütung von Machtmissbrauch per Kompetenzordnung einem Machtträger zugewiesen werden, muss also in einem ausgewogenen Verhältnis zum Ziel einer effizienten Arbeitsteilung der Gewalten stehen, sonst drohen Ineffizienz und Gewaltenzersplitterung. Die Aufgabe einer Kompetenzordnung im Kontext verfasster Rechtsstaatlichkeit ist es also, dergestalt aufzugehen, dass die Ziele der Gewaltenteilung gleichermaßen zur Geltung kommen. Die Verhütung von Machtmissbrauch, die Freiheitssicherung des Einzelnen sowie die effiziente und transparente Wahrnehmung staat­licher Befugnisse müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Die Geschichte hat gezeigt, wie Kompetenzordnungen derart ausgestaltet sein können. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden ausgewählte Kompetenzordnungen sowie prägende Köpfe und Entwicklungsetappen der Gewaltenteilung dargestellt.

II. Die Grundlagen der Gewaltenteilung aus der Antike  Bereits in der Antike lassen sich staatspolitische Konzeptionen eines Prinzips zur Ordnung und Strukturierung hoheitlicher Gewaltausübung ausmachen, die dem Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewaltausübung folgen.18 Schon Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) berichtet im vierten Buch seiner „Politica“ von drei Teilen, in die sich die Verfassung bzw. staatliche Gewalt gliedern lässt.19 Demnach würden ein über die allgemeinen Angelegenheiten beratender Teil, die Beamten und die Rechtsprechung existieren.20 Parallel dazu statuiert Aristoteles ein zweites Ordnungssystem, das die staatliche Gewalt anhand von verschiedenen Funktionen gliedert.21 Innerhalb dieses Systems stehen sich die 16

Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 9 f.; Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183 f., 186, zum Gegensatz von Machtbeschränkung und Effizienz S. 194; Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 29; Stern, StaatsR II, § 36 III 3. 17 Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183 f.; Jarass, Politik und Bürokratie, S. 6. 18 Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 111; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 261. 19 Aristoteles, Politik, 4. Buch 14.–16. Kapitel S. 157 ff.; dazu Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 48 ff., 128. 20 Aristoteles, Politik, 4. Buch 14. Kapitel S. 157; dazu mit weiteren Anmerkungen Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 51 ff., 66 ff., 91 ff. 21 Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 123.

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

Funktion der (allgemeinen oder konkreten) Entscheidung und die Funktion des regelnden Vollzuges als Antithese gegenüber.22 Schnell offenbart sich aber, dass Aristoteles nicht als Begründer einer modernen, universellen Lehre zur Teilung staatlicher Gewalt gehandelt werden kann.23 Es wird nicht von einer Funktion, die die Ausübung staatlicher Macht annehmen kann, auf bestimmte Organe geschlossen, die diese wahrnehmen. Aristoteles zeigt lediglich auf, dass die staatliche Zuständigkeit als solche ein Problem darstellt und aufgeteilt gehört. Die zwei verschiedenen Ordnungssysteme der Teile und Funktionen verdeutlichen dies. Die fehlende Universalität seiner Überlegungen zeigt sich dann daran, dass sich Funktionen und Teile nicht decken, sondern allenfalls Querschnittsmengen bilden. Bei den beiden Ordnungssystemen handelt es sich vielmehr um bloße Ansätze, Zuständigkeiten voneinander abzugrenzen, nicht aber um eine einheitliche Lehre, die für sich beansprucht, Zuständigkeiten widerspruchsfrei und systematisch zu gliedern.

III. Die französisch-englische Uridee der Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt Die amerikanische Verfassung vom 17. September 1787 konstatierte als erste ausdrücklich die Teilung staatlicher Machtausübung.24 Die Staatsgewalt soll demnach getrennt durch die gesetzgebende Gewalt (Art. 1 sec.  1), die vollziehende Gewalt (Art. 2 sec. 1) und die richterliche Gewalt (Art. 3 sec. 1) ausgeübt werden. Im Vorfeld der US-amerikanischen Implementierung des abstrakten Ordnungsprinzips in ihrer Verfassung brachten die Europäer staatstheoretisches Wissen auf den amerikanischen Kontinent. Fernab verfestigter monarchischer Strukturen konnten europäische Lehren zur Teilung staatlicher Gewalt auf einen fruchtbaren Boden fallen und einen rechtsstaatlichen Verfassungsstaat herausbilden.25 John Locke und Charles de Montesquieu gelten in diesem Kontext als Urheber moderner Gewaltenteilungslehren, die im Laufe der Zeit zu juristischen Staatsfunktionenlehren heranwuchsen.26 Moderne Gewaltenteilungslehren und die Implementierung dieser in Verfassungsstaaten gehen also auf eine französisch-englische Uridee zurück, die im Folgenden, orientiert an der Gewaltenteilung nach John Locke (1.) und der Gewaltenteilung nach Charles de Montesquieu (2.), in Grundzügen dargestellt wird. 22

Dazu Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 123 ff., der die verschiedenen Ordnungssysteme und Ansätze zu einer „Funktionenlehre“ i. S. v. Aristoteles bestehend aus allgemeiner Entscheidung, Vollzug und Einzelfallentscheidung zusammenführt. 23 Dazu und im Folgenden Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 17; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 199. 24 Schon vor der Bundesverfassung 1787 deklarierte die Erklärung der Rechte von Virginia aus dem Jahre 1776 die drei Gewalten, dazu Schmitt, Verfassungslehre, S. 127. 25 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 55 f. 26 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 21; Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 36; Möllers, Die drei Gewalten, S. 20.

III. Die französisch-englische Uridee der Gewaltenteilung  

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1. Die Gewaltenteilung nach John Locke Die Ausführungen John Lockes zur Teilung staatlicher Gewalt finden sich in seinen „Two Treatises of a Civil Government“ von 1692.27 Seine politische Theorie der Gewaltenteilung gilt als Reaktion auf die fortgesetzten Krisen Englands im 17. Jahrhundert.28 Locke findet einen monarchischen Staat vor, den er in verschiedene Gewalten gliedert, um Machtmissbrauch durch die Vereinigung der Staatsgewalt in einer Hand zu verhindern.29 Dabei lassen sich den Ausführungen Lockes sowohl eine Zweiteilung30 als auch eine Vierteilung31 der Staatsgewalt entnehmen. Nimmt man eine Zweiteilung der Staatsgewalt an, so ergibt sich folgendes Konzept nach Locke: Staatliche Gewalt wird in eine Legislative und in eine Exekutive unterteilt.32 Die Legislative, bestehend aus Parlamentshäusern und König, ist zuständig für die Gesetzgebung, während die Exekutive, allein bestehend aus dem König, die Straf- und Vollzugsgewalt darstellt.33 Die richterliche Gewalt steht daher dem König zu.34 Locke wird dahingehend interpretiert, dass der Legislativen ein – wie auch immer gearteter – Geltungsvorrang zukommt.35 Dieser Vorrang wird damit begründet, dass die Legislative aus einer Vielzahl von Trägern der staatlichen Gewalt besteht, während die Exekutive lediglich auf einen Monarchen zurückzuführen, aber die Legislative ihren eigenen Gesetzen unterworfen ist, was eine erhöhte Legitimität und Richtigkeit ihrer Entscheidungen bedeuten soll.36 Ferner gibt es nach Locke föderative und prärogative Aufgaben37: Die Prärogative ist eine dem König per Natur innewohnende, das heißt aufgrund der Tatsache

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Locke, Two Treatises of Government, Book II §§ 107, 134–168. Zur politischen Lage, Bedeutung der Gewaltenteilungslehre und Entwicklung der Verfassungstradition in England ausführlich Möllers, Die drei Gewalten, S. 25 ff. 29 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 27 ff.; Reinhart, Gewaltenteilung im Staatsund Kommunalverfassungsrecht, S. 9; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 29. 30 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 27 ff.; Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 36; Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 9; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 29.  31 Rostock, Die Lehre von der Gewaltenteilung nach Locke, S. 119; Stern, StaatsR II, § 36 I 4 b). 32 Locke, Two Treatises of Government, Book II § 159. 33 Locke, Two Treatises of Government, Book II §§ 143, 147. 34 Locke, Two Treatises of Government, Book II § 125; dazu Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 29; Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 9; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 29. 35 Locke, Two Treatises of Government, Book II §§ 132, 150; dazu Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 36; Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 9; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 29. 36 Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 29. 37 Locke, Two Treatises of Government, Book II §§ 147, 159 f. 28

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

seiner Geburt zustehende Kompetenz der Staatsleitung, die allein dem public good unterworfen ist.38 Unter der Föderativen versteht man hingegen die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten.39 Der Zweiteilung der Staatsmacht ist immanent, dass die Prärogative und die Föderative institutioneller Teil der Exekutive sind und damit dem König obliegen.40 Demgegenüber stellen bei einer Vierteilung die Legislative, Exekutive, Föderative und Prärogative jeweils eigene Gewalten dar41, was allerdings keinen Unterschied für die Reichweite der einzelnen Befugnisse und der Machtanteile ihrer Organwalter bedeutet. Alles in allem gelten Lockes Ausführungen zur Gliederung monarchischer Strukturen als auffallend bedeutsam für die europäische Verfassungsentwicklung, was allerdings nicht bedeutet, dass jener mit althergebrachten Traditionen und Machtstrukturen bricht: Seine Teilung basiert lediglich auf der Trennung zweier Organe, wobei der König de facto die meiste Gewalt auf sich vereint, sodass die angestrebte Verhütung von Machtmissbrauch eher einer Einbahnstraße gleicht.42 2. Die Gewaltenteilung nach Charles de Montesquieu Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu gilt mit seinem Werk „De l’esprit des lois“ von 1748 als der Impulsgeber für eine ganze Reihe von Verfassungsentwicklungen die Gewaltenteilung betreffend.43 Die gewaltenteilenden Ausführungen Montesquieus beruhen auf einer eigenwilligen, idealisierten Interpretation der englischen Verfassung.44 An den Ausgangspunkt seiner Betrachtung stellt Montesquieu Monarchien, in denen ein absolutistischer Alleinherrscher die gesetzgebenden und die gesetzesvollziehenden Befugnisse auf sich vereinigt.45 Montesquieu bezweckt in diesem Kontext schwerpunktmäßig die 38

Locke, Two Treatises of Government, Book II §§ 159 f., 165. Locke, Two Treatises of Government, Book II § 147; dazu Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 28. 40 Locke, Two Treatises of Government, Book II §§ 147, 159; Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 28 f.; Rostock, Die Lehre von der Gewaltenteilung nach Locke, S. 145 f.; ­Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 31. 41 Rostock, Die Lehre von der Gewaltenteilung nach Locke, S. 119; Stern, StaatsR II, § 36 I 4 b). 42 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 602; Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 39 betonen demgegenüber die Tatsache, dass Locke anders als später Montesquieu keine richterliche Gewalt etabliert. 43 Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 26; laut Möllers, Die drei Gewalten, S. 20 gilt Montesquieu als Urvater der Lehre von der Gewaltenteilung; Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 40 sprechen von dem „Schöpfer der Lehre der Gewaltenteilung“. 44 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 30; Sommermann, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG, Art.  20 Rn.  201; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 33. 45 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 11. Kapitel S. 233; jene Ausgangssituation bestätigt auch Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 201. 39

III. Die französisch-englische Uridee der Gewaltenteilung  

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Beschränkung absolutistischer Herrscher.46 Das bedarf insofern einer Erwähnung, als dass ab dem 18. und 19. Jahrhundert Gewaltenteilungslehren jedes Organ für missbrauchsanfällig erachten, also auch Parlamente und Gerichte.47 Sein Leitgedanke ist es, die Majestätsrechte derart zu gliedern, dass der Weg für konstitutionelle Demokratien geebnet wird48 und sich neben dem Monarchen Organe herausbilden, die einen eigenständigen und durchsetzbaren Willen formen und äußern können.49 Dieses Ziel gilt es, mit einem Konzept basierend auf der Teilung der Staatsgewalt in legislative, exekutive und richterliche Befugnisse zu erreichen.50 Ein Schwerpunkt liegt bei Montesquieu anders als bei Locke oder Aristoteles vor allem auf der personellen Teilung51: Wären legislative und exekutive Befugnisse in einer Hand vereinigt, führe dies zu Unfreiheit. Derselbe Monarch könne tyrannische Gesetze erlassen und diese ungehindert tyrannisch umsetzen.52 Die personelle Trennung soll idealerweise dadurch erreicht werden, dass jeweils ein Organ nur eine Funktion wahrnehmen kann. Diese auffallend strenge Sichtweise soll nach Montesquieu formelle und materielle, das heißt organisatorische und funktionale Deckungsgleichheit bedeuten.53 Die Bedeutsamkeit der Ausführungen Montesquieus rührt vor allem daher, dass er als erster von der heute noch vertrauten Dreiteilung staatlicher Machtausübung in Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt bzw. Gesetzgebung, Vollzug und Rechtsprechung spricht.54 Ferner rührt die Tragweite seiner Interpretation des allgemeinen Ordnungsprinzips daher, dass er nicht eine unumstößliche Trennung der drei Gewalten etabliert, sondern ein System von Balance, Kontrolle und Wechselwirkung zwischen den Gewalten in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt.55 Die legislative (a)), die exekutive (b)) und die richterliche Befugnis (c)) unterscheiden sich nach folgender Maßgabe. a) Die legislative Befugnis Es gibt eine der drei Gewalten, die die Gesetze schafft.56 Die allgemeinen Regeln werden in Gesetzesform durch zwei separate Häuser beraten und entschie 46 Möllers, Die drei Gewalten, S. 43; allgemein zur verfassungspolitischen Motivation der Mäßigung der „Herrschaftsgewalt der Krone“ Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 289. 47 Möllers, Die drei Gewalten, S. 43. 48 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 10. 49 Möllers, Die drei Gewalten, S. 28. 50 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 216. 51 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 31. 52 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 216 f. 53 So die geläufige Interpretation von Stern, StaatsR II, § 36 I 4; kritisch Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 291. 54 Möllers, Die drei Gewalten, S. 21; Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 40. 55 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 37. 56 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 216.

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

den, die jeweils verschiedene Interessen verfolgen.57 Nach Montesquieu soll der Mensch durch sich selbst regiert werden, daher muss das Volk als Gesamtkörper die Gesetzgebung innehaben. Das sei in großen Demokratien allerdings nicht durchführbar, sodass es gelte, Repräsentanten des Volkes zu wählen, die die erste Legislativkörperschaft bilden.58 Dieser werde eine zweite Legislativkörperschaft gegenübergestellt; die Adelskörperschaft. Die Vorrangstellung des Adels – an dieser zweifelt also auch Montesquieu nicht – komme durch eine eigene Körperschaft zum Ausdruck. Denn wenn der Adel mit den Volksrepräsentanten vermengt werde oder diesen untergeordnet werden würde, hätte dieser kein Interesse an der Wahrung von Frieden und Freiheit.59 Es bildet sich also ein Dualismus innerhalb der Gesetzgebung und zwischen den Körperschaften heraus.60 Montesquieu fordert allerdings, die beiden Legislativkörperschaften mit gegenseitigen Verhinderungsrechten auszustatten, die sie nicht unverbunden nebeneinander stehen lassen.61 In einigen Angelegenheiten solle die Adelskörperschaft lediglich ein Verhinderungsrecht und kein Entscheidungsrecht inne haben, weil sonst die Gefahr bestehe, dass nicht im Sinne des Volkes entschieden werde, wenn es beispielsweise um die Erhebung von Steuern gehe.62 b) Die exekutive Befugnis Die zweite, exekutive Befugnis stifte Frieden, sei für die Sicherheit des Staates zuständig und sorge in diesem Kontext vor.63 Die gesetzesvollziehende Gewalt liege allein in der Hand des Monarchen, weil es sonst im Falle einer Personalunion zwischen Mitgliedern der Gesetzgebung zu einer Gewaltenvereinigung komme, die der Freiheit des Einzelnen entgegenstehe.64 Was genau der exekutiven Befugnis obliegt, lässt sich Montesquieus Ausführungen nur schwerlich entnehmen. Letztlich lässt sie sich als Vollstreckungs- und Zwangsgewalt verstehen.65 Daraus ergibt sich auch, dass die Armee ebenfalls Bestandteil der gesetzesvollziehenden Gewalt ist, denn die Armee handle und beratschlage nicht.66 Der Monarch kontrolliere die Legislative, indem er ein Verhinderungsrecht gegenüber all ihren Gesetzesbeschlüssen innehabe; allerdings kein Entscheidungsrecht, da sonst die Unterscheidung zwischen Legislative und Exekutive gänzlich 57

Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 221. Ebd., S. 219 f. 59 Ebd., S. 221. 60 Hippel, Gewaltenteilung im modernen Staate, S. 14. 61 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 221. 62 Ebd., S. 222. 63 Ebd., S. 216. 64 Ebd., S. 222. 65 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 36. 66 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 228. 58

III. Die französisch-englische Uridee der Gewaltenteilung  

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gegenstandslos wäre.67 Die gesetzgebende Gewalt habe hingegen kein gesondertes Vetorecht gegenüber der gesetzesvollziehenden Gewalt, weil sich eine automa­ tische, natürliche Beschränkung der Exekutive daraus ergebe, dass sie schließlich auf die Anwendung der Gesetze der gesetzgebenden Gewalt beschränkt sei.68 Hinzu komme, dass die gesetzgebende Gewalt nie der gesetzesvollziehenden Gewalt – also dem Monarchen – bei Gericht gegenüber sitzen dürfe, da im Falle der Verurteilung der Exekutiv-Person die gesetzgebende Gewalt quasi einem Alleinherrscher entsprechend tyrannisch agieren würde.69 Dann wäre der Staat zwar keine absolutistische Monarchie mehr, aber eine Republik ohne Freiheit, und diese sei gleichermaßen ungewollt.70 Es zeigt sich, dass Montesquieu besonderen Wert auf ein ausgefeiltes System gegenseitiger Kontrolle legt, zunächst ausgedrückt durch die Zweigliedrigkeit der gesetzgebenden Gewalt und dann durch das Verhinderungsrecht des Monarchen. Dabei sieht er die Gefahr des Stillstandes in Folge eines gegenseitigen, permanenten Verhinderns der Gewalten durch das natürliche Bestreben nach Voranschreiten beseitigt – quasi durch einen natürlichen Zwang „im gleichen Schritt zu marschieren“71. Montesquieu vertraut dabei auf die Natur des Menschen, das heißt er glaubt, dass vor allem die verschiedenen Schichten und Interessenlagen innerhalb der gesetzgebenden Gewalt sich gegenseitigen Kontrollen unterwerfen72, sodass neben dem Verhinderungsrecht des Monarchen keine weiteren Kontrollbefugnisse der gesetzesvollziehenden Gewalt erforderlich werden würden. c) Die richterliche Befugnis Nach Montesquieu existiert eine dritte Gewalt, die Verbrechen bestraft und zu Gericht über die Einzelpersonen sitzt.73 Mit Montesquieu wird die richterliche Gewalt erstmals als selbständige Gewalt herausgestellt („separée“).74 Die richterliche Gewalt obliege allein den unabhängigen Richtern, die sich personell von der legislativen und exekutiven Gewalt unterscheiden müssten.75 Im gleichen Atemzug bezeichnet Montesquieu die richterliche Gewalt im Vergleich zu den beiden anderen Gewalten als „gewissermaßen gar keine“ („quelque façon nulle“)76. Die Richter seien lediglich der „[…] Mund, der den Wortlaut des 67

Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 226. Ebd., S. 224. 69 Ebd., S. 224. 70 Ebd., S. 225. 71 Ebd., S. 227. 72 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 38. 73 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 216. 74 Ebd., S. 217. 75 Ebd., S. 218 f., 225. 76 Ebd., S. 221. 68

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

Gesetzes spricht“.77 Diese geringe Wertigkeit, die Montesquieu damit wiederum der dritten Gewalt beimisst, ist insofern verwunderlich, als er den Gerichten zuvor eigens eine Gewalt zuordnet und die Gerichtskultur in dem englischen Vorbild, das er kommentiert, durchaus ausgeprägt ist.78 Aber auch de facto stellt sich die richterliche Gewalt nach Montesquieu nicht als „separée“ und unabhängig dar, da der Angeklagte zeitweise seinen Richter wählen dürfe79 und es darüber hinaus zu einer Vermischung von legislativen Befugnissen und der richterlichen Gewalt komme, wenn die Mitglieder der Adelskörperschaft nicht vor die ordentlichen Gerichte zitiert, sondern von der Adelskörperschaft eigens gerichtet würden.80 d) Zusammenfassung Nach dieser kurzen Betrachtung von Montesquieus Gewaltenteilung lassen sich zusammenfassend drei Kernaussagen treffen: Erstens, Montesquieus Gewaltenteilung beinhaltet eine Dreiteilung staatlicher Gewalt in Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt. Zweitens, auf der einen Seite ist die persönliche Unabhängigkeit – das heißt die Inkompatibilität bestimmter Ämter – entscheidend, auf der anderen Seite stehen die Gewalten jeweils in einem System gegenseitiger Kontrolle zueinander, sodass es eine strikte Trennung der einzelnen Befugnisse nicht geben kann. Drittens, dass die Dreiteilung und die gegenseitige Kontrolle allerdings keine Gleichrangigkeit81 der drei Gewalten bedeuten, zeigt (auch) die geringe Wertigkeit der dritten, also der richterlichen, Gewalt. 3. Zusammenfassung Die französisch-englische Uridee der Teilung staatlicher Macht basiert auf den Lehren John Lockes und Charles de Montesquieus. Während bei Locke die Limitierung monarchischer Alleinherrschaft aufgrund einer Personalunion der Machtträger in Gestalt des Königs noch leise Zukunftsmusik darstellt, ist die Dreiteilung nach Montesquieu tatsächlich geeignet, Machtmissbrauch durch den Einzelnen zu verhüten. Die Ausbalancierung der Legislative, der Exekutive und der richterlichen Gewalt durch gegenseitige Kontrollrechte gewährleistet eine gewaltenteilige Machtausübung im Staate. Die personelle Unabhängigkeit der einzelnen Machtträger sorgt demgegenüber für eine selbständige Machtausübung der drei Gewalten, was wiederum die Bündelung übermäßig vieler Kompetenzen in einer Hand verhindert. Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades dieser Dreiteilung lässt 77

Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 225. Möllers, Die drei Gewalten, S. 21. 79 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 218. 80 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch 6. Kapitel S. 225. 81 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 39 f. 78

IV. Die Bedeutung der Lehre Montesquieus   

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sich daher zurecht von einer (französisch-englischen) Uridee der Gewaltenteilung sprechen.

IV. Die Bedeutung der Lehre Montesquieus für den modernen Verfassungsstaat Montesquieu gilt zwar als Gesicht besagter Uridee und Urheber moderner Gewaltenteilungslehren. Es fragt sich allerdings, ob und wie die vorstehenden Erkenntnisse Grundlage für eine verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung am Maßstab des Grundgesetzes sein können. In diesem Kontext muss daher die Frage beantwortet werden, welche Bedeutung die Lehre Montesquieus für den modernen Verfassungsstaat82 im Allgemeinen und den deutschen Verfassungsstaat im Besonderen erlangen konnte. Die verfassungsrechtliche Bedeutsamkeit seiner Lehre lässt sich wohl am ehesten daran messen, wie seine Vorstellungen von Gewaltenteilung im Zuge der Herausbildung moderner Verfassungsstaaten rezipiert wurden.83 Dafür wird in einem ersten Schritt der unverfälschbare Kern84, also der Wesensgehalt, von Montesquieus Lehre herausgearbeitet (1.). Anders als bei den detaillierten Ausführungen zur französisch-englischen Uridee geht es an dieser Stelle um diejenigen Aspekte seiner Gewaltenteilungslehre, die aus rechtsdogmatischer Sicht relevant für die Herausbildung rechtsstaatlicher Strukturen im Verfassungsstaat sind. In einem zweiten Schritt wird beleuchtet, inwiefern genau diese strukturellen Elemente durch Kodifikationen in modernen Verfassungsstaaten implementiert wurden (2.). Dabei wird insbesondere auf die Entwicklung der US-amerikanischen, französischen und schließlich der deutschen Verfassungstradition unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung einzugehen sein. 1. Der Wesensgehalt der Lehre Montesquieus Am Anfang gilt es, mit einem Irrglauben aufzuräumen: Ehe man den entscheidenden Wesensgehalt extrahieren kann, muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass die klassische Teilung staatlicher Gewaltausübung wiederholt missverstanden 82

Zum Begriff des modernen Verfassungsstaates bzw. moderner Verfassungen Schmitt, Verfassungslehre, S. 125 f. 83 Die Schlagkraft von Montesquieus Lehre wird unterschiedlich beurteilt. Es wird vertreten, dass sowohl Locke als auch Montesquieu nicht den Anspruch erheben könnten, eine eigenständige Funktionenlehre zu konzipieren, so z. B. bei Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 36. Demgegenüber wird ebenso vertreten, dass Montesquieu der erste sei, der die Gewaltenteilung als rechtlich verbindlich für jeden verfassten Rechtsstaat postuliere und damit seine Lehre erhebliche Schlagkraft habe, so z. B. bei Hippel, Gewaltenteilung im modernen Staate, S. 11. 84 Diesen Terminus verwendet auch Stern, StaatsR II, § 36 I 7.

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

wird. Montesquieu wird in diesem Zusammenhang fälschlicherweise und vermehrt auf die strikte Trennung von Legislative, Exekutive und richterlicher Gewalt reduziert.85 Dabei statuiert Montesquieu ausdrücklich eine Gewaltenteilung und nicht ihre Trennung. Die umfangreichen Kontrollrechte der drei Gewalten verdeutlichen, dass es eher um ein verfassungsmäßiges, koordiniertes Zusammenwirken der verschiedenen Gewalten geht, also um die Gewährleistung von Machtbalancierung, als um die strikte Separierung dreier Machtträger.86 Es geht schlechterdings nicht darum, König, Adel und Volk jeweils eine separierte Gewalt zuzuordnen, sondern durch ihre Ausbalancierung – das heißt durch die Aufteilung staatlicher Gewalt unter verschiedenen Mächten  – eine nivellierte Mischverfassung zu erlangen.87 Das will nicht heißen, dass die Lehre Montesquieus keine gewaltentrennenden Elemente enthält, denn eine gewisse Trennung ist der Unterscheidung drei verschiedener Gewalten immanent. Jedoch ist die Lehre Montesquieus ausdrücklich eben nicht auf diese zu reduzieren. Für den Wesensgehalt, den unverfälschbaren Kern, von Montesquieus Lehre bedeutet dies, dass die drei Gewalten in Gestalt von Legislative, Exekutive und richterlicher Gewalt entgegen einer strikten Gewaltentrennung in einem sinnvollen System gegenseitiger Kontrolle aufgehen.88 Das heißt, dass erstens zwar drei Gewalten sachlich und personell unterschieden – wenn man so will also getrennt – werden, diese aber zweitens in einem ausgewogenen System gegenseitiger Kon­ trolle miteinander verwoben werden. Im Hinblick auf ihre strukturelle Bedeutsamkeit für den Rechtsstaat ließe sich die Lehre Montesquieus also zum einen auf eine Dreiteilung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt und zum anderen auf eine zweigliedrige Grundformel der Gewaltenteilung reduzieren. Nach dieser zweigliedrigen Grundformel ist der gewaltenteilige Ideal-Rechtsstaat strukturell durch die Kombination von Elementen der Gewaltentrennung mit Elementen der Gewaltenverschränkung geprägt.

85

Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 545; Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 291 f.; zur Kritik daran Stern, StaatsR II, § 36 III 3; ausführlich zur Kritik an einer etwaigen strikten Gewaltentrennung nach Montesquieu und seiner Wahrnehmung der englischen Verfassungswirklichkeit Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 3 ff.; allgemein zur Unzulänglichkeit des Trennungsgedankens Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 257. 86 Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 11; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1; die Bedeutung des BalanceElements betonend Schmitt, Verfassungslehre, S. 183. 87 Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 432; zur Mischverfassung als Produkt moderner Rechtsstaatlichkeit ausführlich Schmitt, Verfassungslehre, S. 200 ff. 88 Stern, StaatsR II, § 36 III 3.

IV. Die Bedeutung der Lehre Montesquieus   

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2. Die Kodifikation von Dreiteilung sowie Gewaltentrennung und -verschränkung in modernen Verfassungsstaaten In einem zweiten Schritt gilt es nun zu erörtern, ob und wie die wesentlichen Strukturelemente im Sinne einer Dreiteilung und der Gewaltentrennung und -verschränkung rezipiert wurden und die Lehren Montesquieus der Herausbildung moderner Verfassungsstaaten dienten. Dabei wird auf die Entwicklung der USamerikanischen (a)), französischen (b)) und schließlich der deutschen Verfassungstradition (c)) unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung einzugehen sein. a) Die US-amerikanische Verfassung als Vorreiter Zunächst fanden die Lehren Montesquieus auf dem amerikanischen Kontinent mehr Anklang als in seiner eigenen Heimat. 1787 wurde in der Verfassung der Vereinten Staaten von Amerika erstmalig und ausdrücklich die Dreiteilung staatlicher Machtausübung konstatiert. Die Staatsgewalt sollte getrennt durch die gesetzgebende Gewalt (Art. 1 sec. 1), die vollziehende Gewalt (Art. 2 sec. 1) und die richterliche Gewalt (Art. 3 sec. 1) ausgeübt werden. In den USA wurde im Zuge dessen ein verfasstes System von checks and balances etabliert, das zur Beteiligung mehrerer, personell getrennter Machtträger bei der Bildung des Staatswillens verpflichtet.89 Qua Verfassung wurde neben der Gewaltentrennung die Verschränkung der Machtbereiche durch gegenseitige Kontrollrechte der Machtträger verbindlich.90 Vergleichbar mit der Vorstellung Montesquieus existieren beispielsweise verschiedene Häuser der gesetzgebenden Gewalt (der Senat, das Repräsentantenhaus), die jeweils die Gesetzesvorlage des anderen ablehnen können (balances). Hinzu kommt ein Vetorecht des Präsidenten gegenüber den beiden Häusern (checks I). Dieses Veto kann der Kongress wiederum überstimmen (checks II).91 Das mehrstufige System der checks and balances ist also nichts anderes als die Konkretisierung von Gewaltentrennung und -verschränkung nach US-amerikanischem Verständnis92 – und daher eine von vielen Spielarten des Prinzips der Gewaltenteilung.

89

Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 57. Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 57; Schmitt, Verfassungslehre, S. 185; zur Entwicklung und Vergleichbarkeit der Gewaltenteilung in den USA mit der Lehre Montesquieus ausführlich Möllers, Die drei Gewalten, S. 29 ff. 91 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 58. 92 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 61; Möllers, Die drei Gewalten, S. 32 sieht in der Bezeichnung checks and balances sogar noch eine Simplifizierung bzw. Reduzierung dessen, was das amerikanische Gewaltenteilungsprinzip in seinem Kern ausmache. Aufgrund einer zumindest in Ansätzen aufkeimenden Diktatur des Parlaments der Gliedstaaten solle die Gewaltenteilung v. a. interessengerechte demokratische Verfahren hervorbringen, „[…] damit die Regierung nicht durch bestimmte Interessen Einzelner usurpiert wird“, S. 31. Dahinter stehe die amerikanische politische Theorie, das Staatshandeln der Regierung als Ausdruck von dahinter stehenden Einzelinteressen zu interpretieren. 90

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

b) Die verspätete Durchsetzung in der französischen Verfassung Der Grund für die verspätete Durchsetzung der Lehre Montesquieus in der französischen Verfassungstradition hing mit der Stoßrichtung der französischen Revolution zusammen. Die Idee der französischen Revolution (1789–1799) war es, der absolutistischen Staatsleitung, die Gesetzgebung und richterliche Autorität auf sich vereinte93, ein Ende zu bereiten – soweit also auf der Linie der Gewaltenteilung. Die Aufteilung aller staatlicher Gewalt auf verschiedene Machtträger widersprach dabei allerdings dem revolutionären Drängen nach Volkssouveränität, bei der die Staatsgewalt einzig und allein vom Volke ausgeht.94 Volkssouveränität etwa im Sinne von Rousseau auf der einen Seite und Gewaltenteilung nach Montesquieu auf der anderen Seite standen sich daher augenscheinlich als Antithese gegenüber.95 Im Gegensatz zur Volkssouveränität im Sinne einer transparenten Demokratie, in der die Staatsgewalt durch das Volk ausgeübt wird, war die Idee der Gewaltenteilung nicht revolutionärer Natur: Gewaltenteilung umfasst ihrer Grundidee nach die Zuständigkeitsgliederung gemischter Staatsformen, das heißt nicht gezwungenermaßen von Demokratien.96 Die Konzepte von Volkssouveränität und Gewaltenteilung fügten sich erst im Laufe der Zeit zusammen.97 Die einheitliche Verknüpfung beider Elemente lässt sich auf zwei wesentliche Erwägungen zurückführen: Zunächst gelangt man zu einer Synthese von Volkssouveränität und Gewaltenteilung, wenn das Volk als eine „Grundgewalt“98, „Große Gewalt“99 oder als verfassungsgebende Gewalt100, als pouvoir constituant, verstanden wird. Dann ist die Teilung der ausgeübten Staatsgewalt verfassungsrechtlich legitim, da „[…] wenn die ‚große‘ Gewalt durch die 93

Scheuner, in: Kaufmann / Scheuner / Weber, FS-Smend, S. 253, 280. Möllers, Die drei Gewalten, S. 22; Stern, StaatsR II, § 36 III 2; ähnlich auch Schöbener /  Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 41: Allein das Volk ist Inhaber der Staatsgewalt, welche i. S. v. Rousseau auf den demokratischen Gemeinwillen des Volkes zurückgeht und dadurch unteilbar ist. Siehe zum Begriff der Staatsgewalt später ausführlich S. 64 f. 95 Stern, StaatsR II, § 36 III 2 a); zum Souveränitätsgedanken und der Selbstunterwerfung des Individuums bei Rousseau ausführlich Schottky, Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, S. 58 ff. 96 Die Gewaltenteilung hält nämlich allein für sich betrachtet keine Staatsform bereit, so Schmitt, Verfassungslehre, S. 200. 97 Starck, Volkssouveränität und Gewaltenteilung, S. 1; die bedeutsame Rolle von Abbé Emmanuel Joseph Sieyès betonend Stern, StaatsR II, § 36 III 2 b); Imboden, Politische Systeme, S. 210; sowie Schmitt, Verfassungslehre, S. 77 f. 98 Imboden, Politische Systeme, S. 175. 99 Marti, Urbild und Verfassung, S. 132. 100 Dass in der Gewaltenteilungslehre Montesquieus dem Volk kein Platz eingeräumt wird, bemängelte bereits Rousseau vehement. Abbé Emmanuel Joseph Sieyès hingegen gilt mit „Qu’estce que le Tiers État“ (1789) als erster Theoretiker der verfassungsgebenden Gewalt, dazu überblicksartig Stern, StaatsR II, § 36 III 2 a), b); über die verfassungsgebende Gewalt (des Volkes) ausführlich Schmitt, Verfassungslehre, S. 77 ff.; zu einer Synthese gelange man schließlich auch über ein gewandeltes Verständnis der Gewaltenteilung hin zu einer mit der Volkssouveränität verträglichen Funktionenteilung, so Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 289 f. 94

IV. Die Bedeutung der Lehre Montesquieus   

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Verfassung gesprochen hat, […] nur die ‚kleinen‘ Gewalten für den Staat in Tätigkeit [treten].“101 Will heißen, dass sofern das Volk als verfassungsgebende Gewalt sich die Gewaltenteilung qua Verfassung selbst auferlegt, kein Widerspruch zum Dogma der Volkssouveränität entsteht. Praktisch wurde die Gewaltenteilung neben der Volkssouveränität relevant, da und als die Gefahr des Machtmissbrauches auch ohne einen absolutistischen Herrscher als virulent eingestuft wurde. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit von Machtmissbrauch in Demokratien geringer, da die Existenz zahlreicher Grundrechte, der demokratische Willensbildungsprozess durch Volk und Parlament usw. die Freiheit des Einzelnen sowie die Machtausübung durch viele garantieren.102 Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass die Konstituierung der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich nicht notwendig wäre. Im Sinne der Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip von Maß und Mitte ist nämlich jede Gewalt missbrauchsanfällig. Daher erachtete man sodann auch die Gewaltenteilung als unerlässliches Element der Demokratie und nicht mehr nur als Instrument gegen absolutistische Herrschaftsformen.103 In der französischen Verfassung von 1791 sieht man das Prinzip der Gewaltenteilung sodann im Sinne einer funktionalen, organisatorischen und personellen Trennung mit Balanceelementen verwirklicht.104 In Tit. III, Art. 3–5 werden die drei Staatsfunktionen als gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt bezeichnet und in Tit. III cap. 3 sect. 3 Art. 1, 2, 6 Vetorechte als entsprechende Kontrollelemente eingeräumt. c) Die Gewaltenteilung im Grundgesetz und im deutschen Sprachgebrauch Auch heute im deutschen Verfassungsstaat – um die Entwicklung der Gewaltenteilungslehre im monarchischen Deutschland sowie in der Weimarer Republik soll es an dieser Stelle nicht vertiefend gehen105 – wird die Gewaltenteilung weiterhin dreiteilig empfunden.106 Sie liegt dem Grundgesetz gleichermaßen zu Grunde. 101

Stern, StaatsR II, § 36 III 2 b). Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 57; so auch Cornils, in: Depenheuer /  Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 671 f. Rn. 24 zu deuten, der zum einen die Gefahr eines Machtmissbrauchs durch die Gesetzgebung als gering einschätzt und zum anderen bezweifelt, dass im Falle einer potenziell „bösen“ und willkürlichen Gesetzgebung die Machtbegrenzung im Rahmen der Gewaltenteilung effektiv wirke. 103 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 10; ähnlich auch Cornils, in: Depenheuer /  Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 663, 668. 104 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 47; Schmitt, Verfassungslehre, S. 185. 105 Dazu aber ausführlich Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 8 ff.; Möllers, Die drei Gewalten, S. 35 ff. 106 Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 158 führen dies ausdrücklich auf die Dreiteilung nach Montesquieu zurück; demgegenüber kritisch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 481. 102

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unterscheidet ausdrücklich in die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Zwar wird im deutschen Sprachgebrauch unter dem Begriff der Gewaltenteilung nicht immer automatisch auch die Verschränkung der Funktionen verstanden, weil Gewaltenteilung expressis verbis eine Verschränkung ausschließt.107 Allerdings handelt es sich bei dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung eben um ein Prinzip, das in seiner Handhabung – anders als ein Gesetz – nicht absolut durch seinen Wortlaut limitiert wird. Der Inhalt der Gewaltenteilung ist also nicht von der eindimensionalen Begrifflichkeit der Gewaltenteilung abhängig, sondern normativ aus der jeweiligen Verfassung heraus zu konkretisieren.108 Mit den Inhalten und Grenzen der grundgesetzlichen Gewaltenteilung wird sich im Folgenden noch ausführlich auseinanderzusetzen sein. 3. Zusammenfassung War Gewaltenteilung lange Zeit allein ein politisches Programm, ist es im Zuge der Entwicklung moderner abendländischer Verfassungsstaaten zu einem wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsatz herangereift.109 Mit der Implementierung des Prinzips der Gewaltenteilung in den Verfassungen moderner Rechtsstaaten, insbesondere in Gestalt einer klassischen Dreiteilung der Staatsgewalt, wurde die Gewaltenteilung mehr und mehr „entphilosophiert“ und entwickelte sich von einer politischen Theorie zu einem Element verfasster Rechtsstaatlichkeit und damit zu einer Materie der Rechtswissenschaft – mit all ihren Konsequenzen.110

107

So z. B. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 111 kritisiert dies und schlägt daher den Begriff „Funktionenordnung“ vor; anders Benz, in: Hartlapp / Wiesner, Gewaltenteilung und Demokratie im EU-Mehrebenensystem, S. 37, 38, der in dem Begriff der Gewaltenteilung Elemente von Differenzierung und Verschränkung ausmachen will. 108 Die klassische Dreiteilung in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung begegnet seit jeher i.H.a. den Ur-Dualismus von Rechtsetzung und Rechtsanwendung, also einer Zweiteilung, zwar erheblicher Kritik, so auch Stern, StaatsR II, § 36 II 1 b)  m. w. N. Hinzu kommt, dass andere Machtträger wie z. B. politische Parteien, Interessengruppen und Massenmedien auf die Ausübung der Staatsgewalt einwirken. Zum einen aber ist der Ur-Dualismus von Rechtsetzung und Rechtsanwendung ohnehin relativ, denn die meisten Rechtsakte sind zugleich beides, so Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 92 f. Zum anderen wird eine Abkehr von der Dreiteilung im modernen Verfassungsstaat nicht als zwingend erforderlich erachtet, weil die klassische, historisch gewachsene Gewaltenteilung bislang noch nicht durch ein anderes, rational überzeugenderes Ordnungssystem ersetzt werden konnte. Dazu z. B. Stern, StaatsR II, § 36 II 1 b); Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 62 ff. Siehe etwa zur Bedeutung des Wechselspiels von Opposition und Mehrheit für die klassische Gewaltenteilung im Folgenden S. 115 ff. 109 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 35; Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 112; Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 297 bejaht ausdrücklich den zeitgemäßen Charakter der Lehre Montesquieus. 110 Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 50; ähnlich Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 255; es wundert daher nicht, dass sich der Teilungsge-

V. Zusammenfassung   

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Der Wesensgehalt der Lehre Montesquieus – seine Dreiteilung und die oben beschriebene Zweigliedrigkeit bestehend aus Trennung und Verschränkung der Gewalten – fanden im Kern gemeinhin Anklang. Die Unterteilung der Staatsgewalt in drei Staatsfunktionen gilt als wesentlich, auch bzw. gerade, wenn an ihr mehrere Organe beteiligt sind.111 Diese Kategorisierung dreier Funktionen und Funktionsträger ist wahrlich nicht die einzige Möglichkeit, die Ausübung der Staatsgewalt zu systematisieren.112 Dennoch hat sich jene Betrachtungsweise durchgesetzt und ist zum unerlässlichen Element sämtlicher moderner Verfassungsstaaten herangewachsen. Im Ergebnis ist an dieser Stelle die Schlagkraft von Montesquieus Gewaltenteilungslehre daher als beachtlich einzuschätzen. Elemente der Gewaltentrennung und -verschränkung sowie Dreiteilung in Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt lassen sich in jeder modernen Verfassung wiederfinden. Die Grundgedanken Montesquieus sind daher nichts anderes als ein „principe d’art politique“113 – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

V. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen schärfen das Bewusstsein dafür, dass Gewaltenteilung keineswegs nur eine neumodische Erscheinung verfasster Rechtsstaatlichkeit ist. Die Wurzeln des Prinzips der Gewaltenteilung gehen weit bis in die Antike zurück, was seinen Grund vor allem in der Stoßrichtung der Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip von Maß und Mitte hat. Die Gewaltenteilung soll die Ausübung staatlicher Macht mäßigen und die Freiheit des Einzelnen schützen, ferner die Staatsleitung effizient gestalten und ist daher ein umfassendes Prinzip der „Konstitutionalisierung, Rationalisierung, Stabilisierung und Begrenzung staatlicher Gewalt“114. Da es sich um ein Ordnungsprinzip ganz allgemeinen Charakters handelt, sind seine Spielarten vielfältig und jeder Verfassung eigen.115 Es lässt sich aber sagen, dass eine Spielart die Entwicklung moderner Rechtsstaaten besonders geprägt hat: Das ist die Lehre Montesquieus. Summa summarum lässt sich aus heutiger Sicht die Spielart Montesquieus auf eine Dreiteilung staatlicher Machtausübung und eine zweigliedrige Grundformel

danke auch im Mehrebenensystem der EU wiederfinden lässt, dazu Benz, in: Hartlapp / Wiesner, Gewaltenteilung und Demokratie im EU-Mehrebenensystem, S. 37, 40 ff.; sowie Tömmel, in: Hartlapp / Wiesner, Gewaltenteilung und Demokratie im EU-Mehrebenensystem, S. 53, 56 ff. 111 Stern, StaatsR II, § 36 I 5 m. w. N. 112 Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 112. 113 Stern, StaatsR II, § 36 III 3. 114 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 499. 115 Die Mannigfaltigkeit des allgemeinen Ordnungsprinzips der Gewaltenteilung ausdrücklich bejahend Schmitt, Verfassungslehre, S. 186; eine konkrete Spielart entsteht durch die Modifikation des abstrakten Ordnungsprinzips auf Grundlage des gegenwärtigen Verfassungsrechts, so Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 113.

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2. Kap.: Die Gewaltenteilung als tradiertes Ordnungsprinzip 

der Gewaltenteilung reduzieren116: Gewaltenteilung ist die Gewaltentrennung im Sinne einer Aufteilung der Staatstätigkeit in Legislative, Exekutive und richter­ liche Gewalt bzw. Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung und die Gewaltenverschränkung im Sinne der Hemmung, Balancierung und Verknüpfung dieser drei Staatstätigkeiten, um eine möglichst große gegenseitige Abhängigkeit durch Kontrolle der voneinander unabhängigen Organe beim Setzen von Staatsakten zu konstruieren.117 Freilich geht es in diesem Kontext nur um die Übertragung der politischen Ideen Montesquieus ihrem abstrakten Wesensgehalt nach. Seine konkrete Zuordnung der Funktionen zu bestimmten Organen ist nicht Maßstab gegenwärtiger verfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen.118 Die Dreiteilung der Staatstätigkeiten sowie die zweigliedrige Unterscheidung in Gewaltentrennung und -verschränkung dienen im Folgenden dann auch als Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit der Gewaltenteilung nach dem Grundgesetz.119 Sicherlich ließe sich die nachstehende Analyse des Prinzips der Gewaltenteilung auch auf andere Pfeiler stützen und es ließen sich andere Parameter an ihren Anfang stellen. Jedoch sind die Dreiteilung und die zweigliedrige Grundformel der Gewaltenteilung aufgrund ihrer historisch gewachsenen Bedeutsamkeit als Ausgangspunkt durchaus geboten und ermöglichen ein strukturiertes Vorgehen.

116 Die Terminologien gehen stark auseinander, meinen jedoch das Gleiche, wobei sie teils missverständlich sind. Letztlich handelt es sich immer um Begriffspaare (Gewaltentaufteilung/ -trennung und Gewaltenverschränkung/-hemmung/-balancierung/-verknüpfung/-verbindung), die die Gewalten zunächst auftrennen und dann wieder in eine Relation zueinander setzen. Dieses Problem sieht auch Jarass, Politik und Bürokratie, S. 4 Fn. 15. 117 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 39; ähnlich auch Cornils, in: Depenheuer / Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 669 Rn. 20; Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 40, 42; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 478 f.; Jarass, Politik und Bürokratie, S. 3 f.; Karsch, Demokratie und Gewaltenteilung, S. 68; Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 33, 40 f.; derart zweigliedrig auch Schlieffen, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 74, wenn sie von Gewalten-Differenzierung und checks and balances spricht; Stern, StaatsR II, § 36 III 3. 118 Insofern wieder auf der Linie von Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 481; ähnlich Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 46. 119 Andere Autoren wie z. B. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 30 sind hingegen sehr zurückhaltend, was die Bedeutsamkeit der klassischen Gewaltenteilungslehre nach ­Montesquieu für aktuelle verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen anbelangt.

3. Kapitel

Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und ihr Maßstab Wurden in dem vorstehenden Kapitel die ideengeschichtlichen Pfeiler eines allgemeinen Ordnungsprinzips umrissen, beschäftigt sich das 3. Kapitel mit den konkreten Inhalten und Grenzen des verfassungsrechtlichen Systems der Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Ziel dieses Kapitels ist die theoretische Erfassung des Systems der Gewaltenteilung in der Weise, dass sich am Ende ein möglichst vollumfänglicher Eindruck des Prinzips im Sinne eines Maßstabs gewinnen lässt. Anhand dieses Maßstabs erfolgt dann im 4. Kapitel die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses gem. Art. 53a GG in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung. Am Anfang dieses 3. Kapitels steht die verfassungsrechtliche Anknüpfung des Prinzips der Gewaltenteilung am Grundgesetz, insbesondere an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG (I.). Daran schließt sich als Zwischenschritt die Beantwortung der Frage an, ob und warum die Etablierung eines Maßstabs des abstrakten Prinzips der Gewaltenteilung überhaupt erforderlich ist, konkretisieren doch zahlreiche Kompetenznormen des Grundgesetzes seinen abstrakten Aussagegehalt und lassen an der eigenständigen Direktionskraft von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zweifeln (II.). Die Eigenständigkeit des abstrakten Prinzips bejahend, folgt sodann die Analyse des verfassungsrechtlichen Systems der Gewaltenteilung im eigentlichen Sinne, die an die klassische Zweigliedrigkeit des Prinzips der Gewaltenteilung angelehnt ist: die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung (III.). Die Darstellung dieser beiden Grundpfeiler stellt den Schwerpunkt des Kapitels dar und befasst sich mit ausgewählten Theorien und der Frage, inwiefern sich aus den Kategorien von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung Universalaussagen im Sinne eines Maßstabs entwickeln lassen. Ehe die Formulierung des Maßstabs der Gewaltenteilung erfolgen kann, muss eine weitere Weichenstellung vorgenommen werden: Es ist die Frage zu beantworten, inwiefern sich das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit auf den klassischen Dualismus von Parlament und Regierung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auswirkt (IV.). Letztlich kann dann anhand der vorstehenden Erkenntnisse ein Maßstab der Gewaltenteilung formuliert werden, der einen praktikablen Umgang mit dem besonderen Verfassungsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu gewährleisten vermag (V.). Daraus folgt dann im Ergebnis derjenige Maßstab, mit dem sich das System der Gewaltenteilung erfassen lässt und anhand dessen Art. 53a GG auf seine Vereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hin zu überprüfen sein wird (VI.).

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung der Gewaltenteilung am Grundgesetz Da der Begriff der Gewaltenteilung im Verfassungstext des Grundgesetzes keinerlei Erwähnung findet, ist das Verfassungsprinzip vielmehr zunächst anhand verschiedener Anknüpfungspunkte herzuleiten. Dafür bietet sich in erster Linie die Anknüpfung an das Rechtsstaatsprinzip an, das die Bindung aller staatlichen Gewalt an Gesetz und die Herrschaft durch Gesetz bezweckt (1.) Zum anderen lässt sich das Prinzip der Gewaltenteilung seinem Wortlaut und der Systematik nach schwerpunktmäßig in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verorten (2.). Davon abzugrenzen ist die sogenannte vertikale Gewaltenteilung (3.). 1. Die Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip Die Gewaltenteilung ist anerkanntermaßen eine normierte Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips, das an verschiedenen Stellen des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt.1 Der Kern des dem Grunde nach aus Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechtsstaatsprinzips beinhaltet die Bindung aller Staatsgewalt, sodass der Rechtsstaat nur nach und durch Regeln herrschen kann; die Herrschaft des Gesetzes ist daher wesentlich.2 Sinn und Zweck der Bindung aller Staatsgewalt ist dabei die Verhinderung von Machtmissbrauch.3 Die Idee, die Gewaltenteilung dem Rechtsstaatsprinzip zuzuordnen, ist insofern historisch bedingt und auch richtig, da der Sinn der Gewaltenteilung seit jeher in der Mäßigung staatlicher Machtausübung liegt.4 Dabei ist die Gewaltenteilung Ausfluss formeller Rechtsstaatlichkeit.5 Formelle Rechtsstaatlichkeit meint die verfahrensmäßig organisatorische Gliederung des Staates und der Ausübung der Staatsgewalt, während materielle Rechtsstaatlichkeit die Bindung aller Staatsgewalt an Grundrechte und sonstige verfassungsrechtliche Grundsätze wie das Sozialstaatsprinzip umfasst.6 1

Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 293; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 77; Schöbener /  Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 157 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 66; zur Bedeutung der Gewaltenteilung für den Rechtsstaat im Allgemeinen Schmitt, Verfassungslehre, S. 127. Dass ebenso vertreten wird, die Gewaltenteilung sei nicht nur ein bloßer Unterfall des Rechtsstaatsprinzips, sondern ein eigenes Strukturprinzip mit Überschneidungen zum Rechtsstaatsprinzip, ist für seine konkreten Inhalte und damit für den Fortgang der verfassungsrechtlichen Analyse irrelevant. 2 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 277; zur Herrschaft des Gesetzes Schmitt, Verfassungslehre, S. 138; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 253. 3 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  16; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  20 Rn.  276; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 207; so auch schon Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 4 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 57. Siehe zum missbrauchsverhütenden Motiv der Gewaltenteilung ausführlich S. 43 ff. 5 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 248. 6 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 276; ähnlich ­Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 248.

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung  am Grundgesetz

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Neben dem Rechtsstaatsprinzip spielt das Bundesstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG eine besondere Rolle für die Gewaltenteilung, sofern es um die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie um die Mitwirkung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren und damit die Mäßigung und Kontrolle von Bundestag und Bundesregierung geht.7 2. Die Einordnung der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Ein weiterer wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Gewaltenteilung nach dem Grundgesetz ist Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Demnach wird die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Dreiteilung als Wesenselement verfasster Rechtsstaatlichkeit ist also auch dem Grundgesetz immanent. Will man das Prinzip der Gewaltenteilung in die Dogmatik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einordnen, bedeutet das in einem ersten Schritt die Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Norm (a)); macht aber am Wortlaut nicht halt. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung der Gewaltenteilung bedeutet nämlich auch die Auseinandersetzung mit der Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, die sich besonders problematisch gestaltet. Vornehmlich lassen sich drei Problemfelder ausmachen: Unklar ist sowohl das Verhältnis von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung (b)), deren Unterscheidung im Wortlaut der Norm angelegt ist, als auch das verfassungsmäßige Zusammenwirken von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung (c)). Ferner wird Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durch weitere Normen, die die sogenannte Kompetenzordnung der Verfassungsorgane betreffen, komplettiert und ausgeformt. Wie das abstrakte Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu den konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes steht, ist gleichfalls problematisch und gilt es in einem letzten Schritt zu klären (d)). a) Der Gesetzeswortlaut nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Der Wortlaut der Norm bildet den Ausgangspunkt einer jeden (verfassungs-) rechtlichen Analyse. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG normiert ausdrücklich, dass die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Die Ausübung der Staatsgewalt (aa)) wird gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in drei verschiedene Staatsfunktionen (bb)) unterteilt, die verschiedenen Organen (cc)) zugewiesen werden.

7

Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 18. Siehe dazu im Kontext der vertikalen Gewaltenteilung ausführlicher S. 71 ff.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

aa) Die Staatsgewalt Gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist die Ausübung der Staatsgewalt geteilt. Die Staatsgewalt ist neben Staatsvolk und Staatsgebiet konstituierendes Merkmal des Staates und geht gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG vom Volke aus.8 Das Volk verkörpert als Souverän die verfassungsgebende Gewalt, die pouvoir constituant, die über die Verfassung die Staatsgewalt, die pouvoir constitué, begründet.9 Aus diesem Grunde ist die verfasste Staatsgewalt durch die Verfassung legitimiert und limitiert; umgekehrt kann sie die verfassungsgebende Gewalt weder beschränken noch ermächtigen.10 Im Übrigen ist die verfasste Staatsgewalt einheitlich konstituiert11; das heißt, es handelt sich bei der Staatsgewalt um eine umfassende und daher einheitliche Gewalt, die unteilbar ist.12 Damit geht die Unvereinbarkeit einer Umverteilung der Mächte auf dem Staatsgebiet einher, was unter anderem bedeutet, dass aufgrund der konstituierten Gewaltensituation die Staatsgewalt nur staatlicher und nicht etwa kirchlicher Natur sein kann.13 Die Unteilbarkeit der Staatsgewalt gilt darüber hinaus auch im Bundesstaatsverhältnis zwischen dem Bund und seinen Gliedstaaten.14 Auf kompetenzieller Ebene umfasst die Staatsgewalt in Anlehnung an den Wortlaut von Art. 30 GG die Gesamtheit der vom Staat wahrgenommenen hoheitlichen Befugnisse und Tätigkeiten.15 Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten wirkt die verfasste Staatsgewalt dann aus sich heraus und leitet ihre Kompetenzen und Befugnisse nicht von ihren durch die verfassungsgebende Gewalt konstituierten Instanzen und Organen ab, sondern wirkt durch jene. Jedes verfasste Organ bildet im vorstehenden Kontext bei Ausübung seiner Zuständigkeiten die eine, einheitliche Staatsgewalt ab.16 Die kompetenzielle Reichweite und die Gren 8 Ob das Volk tatsächlich herrscht und mehr als eine bloße Idee des Grundgesetzes ist, wird kritisch gesehen, dazu z. B. Imboden, Politische Systeme, S. 17 f. 9 Die Idee der verfassungsgebenden Gewalt (pouvoir constituant) und ihre Unterscheidung von der verfassten Gewalt (pouvoir constitué) geht auf Abbé Emmanuel Joseph Sieyès und sein Werk „Qu’est-ce que le Tiers État?“ aus dem Jahre 1789 zurück; die Überlegungen Sieyès verdeutlichend Schmitt, Verfassungslehre, S. 79, 91 ff., zur verfassten Gewalt S. 98; das Verständnis von „Volk“ ist bei Sieyès ein anderes als in heutigen Demokratien, sodass sich seine Überlegungen nur mit Einschränkungen auf die Gegenwart übertragen lassen, dazu ausführlich Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 46. 10 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 54 f. 11 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 496; ders., Gesetz und Verordnung, S. 243; Stern, StaatsR II, § 36 IV 2 b). 12 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  10; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 496; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 229; Schmitt, Verfassungslehre, S. 49; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 75. 13 Stern, StaatsR II, § 36 IV 2 b); zum Machtmonopol des Staates und seiner Alleinträgerschaft hoheitlicher Rechte Imboden, Politische Systeme, S. 19. 14 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 503; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 58. 15 Stern, StaatsR II, § 36 II 1. 16 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 501; Stern, StaatsR II, § 36 IV 2 b) β).

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung  am Grundgesetz

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zen der Staatsgewalt sowie ihrer Organe ergeben sich dann im Besonderen aus den sie konstituierenden Verfassungsnormen. bb) Die Staatsfunktionen Die verfasste Staatsgewalt wird nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durch die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung ausgeübt, was der klassischen Dreiteilung staatlicher Machtausübung entspricht. Bei der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung handelt es sich um sogenannte Staatsfunktionen17, die die verfasste Staatsgewalt unterscheidet. Die Einheit der Staatsgewalt wird durch die Unterscheidung der drei Staatsfunktionen nicht tangiert.18 Nicht die Staatsgewalt als solche, sondern ihre Ausübung ist geteilt.19 Inhaltlich handelt es sich bei den Staatsfunktionen um „bestimmte Grundtypen“20 staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Mit Blick auf die unteilbare Staatsgewalt erfolgt ihre Ausübung durch Funktionen und eben nicht durch mehrere Gewalten im eigentlichen Sinne.21 Verwunderlich ist insofern, dass Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eigens auf den Begriff der vollziehenden Gewalt abstellt. Ferner spricht das Grundgesetz an weiteren Stellen wie in Art. 122 Abs. 1 GG von mehreren Gewalten. Auf dieser Linie der begrifflichen Wirrungen liegt auch eine Kritik Jellineks an der Gewaltenteilungslehre nach Montesquieu. Jellinek kritisiert die klassische Gewaltenteilungslehre Montesquieus dahingehend, dass jene die Einheit des Staates ohne weitere Begründung in mehrere Gewalten aufspaltet bzw. es ließe sich Jellinek dahin gehend deuten, dass er glaube, die Lehre Montesquieus tangiere die Unteilbarkeit der Staatsgewalt.22 Auf inhaltlicher Ebene handelt es sich jedenfalls heute bei der Gewaltenteilung respektive Funktionenteilung im Rahmen von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG um ein und dasselbe: um die Unterscheidung der Ausübung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, Vollzug und Rechtsprechung, ohne die Einheit der verfassten Gewalt zu tangieren. 17

Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 110; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 18; oder auch „Grundfunktionen“, „Funktionsgruppen“ bzw. „Grundgewalten“ nach Imboden, Politische Systeme, S. 20, 50, 211; bzw. lediglich „Funktionen“ bei Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  10. 18 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 109; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 229; Stern, StaatsR II, § 36 III 3. 19 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 110; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 347; Stern, StaatsR II, § 36 IV 2 b). 20 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 487. 21 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 110; Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 289 f.; Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 75; ähnliches meint auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 501, wenn er die Teilung der Staatsgewalt als unmöglich beschreibt; nur eine (Ver-)Teilung von Zuständigkeiten sei möglich, so ders., Gesetz und Verordnung, S. 243. 22 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 499.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Insofern werden also die Begriffe „Funktionen“ und „Gewalten“ vielfach synonym verwendet.23 Im verfassungsrechtlichen Kontext der unteilbaren verfassten Staatsgewalt wäre es dennoch stringent, anstelle der Gewaltenteilung von einer Funktionenteilung zu sprechen.24 Allerdings ist die Unterscheidung der ausgeübten Staatsgewalt in Gesetzgebung, Vollzug und Rechtsprechung derart vorgeprägt, dass auch im Zusammenhang mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorzugsweise von der Gewaltenteilung zu sprechen ist, da mit dieser Begrifflichkeit ein bestimmtes historisch gewachsenes Ordnungsprinzip untrennbar verbunden ist.25 Im Folgenden wird daher für die jeweilige Unterscheidung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt oder Rechtsprechung der Begriff der Funktionen verwendet. Das Prinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als solches ist hingegen weiterhin mit Gewaltenteilung zu betiteln. cc) Die besonderen Organe Die Ausübung der Staatsgewalt erfolgt gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durch besondere Organe der drei Staatsfunktionen. Die besonderen Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung werden an dieser Stelle aber nicht konkret benannt.26 Die besonderen Organe nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind jedenfalls die Gesetzgebungsorgane, die Vollzugsorgane und die Rechtsprechungsorgane, die die Verfassung konstituiert und unabhängig voneinander mit den drei verschiedenen Staatsfunktionen betraut. Dabei handelt es sich nicht nur um die Verfassungsorgane, sondern auch um die ihnen nachgeordneten Organe. Im Zusammenhang mit der Unterscheidung verschiedener Organe bzw. Organgruppen wird daher regelmäßig von der sogenannten organisatorischen Gewaltenteilung gesprochen.27 Die einzelnen Staatsfunktionen werden in den Abschnitten VII, VIII und IX den besonderen Organen grundsätzlich zugeordnet: Die gesetzgebenden Organe sind primär der Bundestag und der Bundesrat (Abschnitt VII), die vollziehende Gewalt wird von der Regierung und den ihr nachgeordneten Verwaltungsbehörden 23 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 35, der bemängelt, dass durch diese Begriffe nicht deutlich wird, ob es Synonyma oder verschiedene Bezeichnungen sind; ähnlich auch Möllers, Gewaltengliederung, S. 82; demgegenüber macht Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 229 kaum praktische Unterschiede in der Begriffsverwendung aus. 24 So auch Stern, StaatsR II, § 36 III 2 b) im Kontext der Synthese von Volkssouveränität und Gewaltenteilung: Die Staatsgewalt wird allein vom Volke ausgeübt und einheitlich wahrgenommen, sodass die Unterscheidung in Gewalten der Funktionentrennung weichen muss. 25 Stern, StaatsR II, § 36 II 1. 26 Demgegenüber formuliert etwa Art. 5 BayVerf. ausdrücklich, welches Organ bzw. welche Organgruppe die jeweilige Staatsfunktion wahrnimmt: (1) Die gesetzgebende Gewalt steht ausschließlich dem Volk und der Volksvertretung zu. (2) Die vollziehende Gewalt liegt in den Händen der Staatsregierung und der nachgeordneten Vollzugsbehörden. (3) Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige Richter ausgeübt. 27 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  11.

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung  am Grundgesetz

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wahrgenommen (Abschnitt VIII) und die Rechtsprechung obliegt den Gerichten (Abschnitt IX). Die Zuordnung zu einem besonderen Organ kann sich dabei aus positiven, aber auch aus negativen Kompetenznormen sowie Verboten der Ein­ mischung in andere Funktionsbereiche ergeben.28 Andere (Verfassungs-)Organe wie der Bundespräsident, der Bundesrechnungshof, die Bundesbank und auch partiell der Bundesrat fügen sich weniger eindeutig in das dreiteilige System der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.29 b) Erstes Problem: Die Systematik von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Ausübung der einheitlichen Staatsgewalt also in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, die sogenannten Staatsfunktionen, gegliedert und den besonderen Organen der Staatsfunktionen zugeordnet. Während der Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG damit die Entscheidung des verfassungsgebenden Gesetzgebers, sich das Prinzip der Gewaltenteilung – mithin das Ob – aufzuerlegen, transportiert, trifft die Norm nur begrenzt Aussagen über seine Inhalte – mithin das Wie. Zwei systematische Aussagen lassen sich Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG jedoch abgewinnen: Die Gewaltenteilung erfordert zum einen die funktionale Teilung der ausgeübten Staatsgewalt in die drei Staatsfunktionen und zum anderen die organisatorische Trennung besonderer Organe bzw. Organgruppen, die die Staatsfunktionen wahrnehmen.30 Die funktionale Gewaltenteilung, die auch in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt, gliedert die Ausübung der Staatsgewalt in die drei Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, wobei die vollziehende Gewalt traditionsgemäß zwischen Regierungs- und Verwaltungstätigkeiten differenziert.31 Aus Art. 20 Abs. 2 S. 2  GG ergibt sich allerdings nicht, wie die ausgeübte Staatsgewalt funktional geteilt und Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung voneinander abgegrenzt werden.32 Ferner lässt die Norm auch das Verhältnis von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung im engeren Sinne offen. Zwar legt an dieser Stelle der Wortlaut der Norm nahe, von der funktionalen Teilung auf eine konkrete organisatorische Zuordnung zu schließen; schließlich spricht Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG von einer Zuordnung zu Organen.33 Dieses systematische Verhältnis muss aber nicht zwingend sein. 28

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 490. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 69; Stern, StaatsR II, § 36 II 1, IV 3. 30 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  9 f.; Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 437; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33. 31 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 44; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 618 f.; ­Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 220. 32 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 2 f.; Leisner, in: DÖV 1969, S. 405, 406. 33 So wohl dem Wortlaut nach auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn. 81; Huster / Rux, in: BeckOK, GG, Art. 20 Rn. 155. 29

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Einen wichtigen Beitrag in diesem Zusammenhang hat Jarass in seinem Werk „Politik und Bürokratie als Elemente der Gewaltenteilung“ geleistet. Nach Jarass ergeben sich typischerweise drei analytische Stufen, um das Verhältnis von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung zu beschreiben.34 Auf einer ersten Stufe komme es zur funktionalen Gewaltenteilung der Staatstätigkeit in Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung. Auf einer zweiten Stufe erfordere die Gewaltenteilung die Einrichtung und Regelung von drei entsprechenden Organen bzw. Organgruppen. Zuletzt komme es dann auf einer dritten Stufe zu einer möglichst die Grenzen der beiden Teilungen auflösenden Zuordnung beider Komponenten. Dies ließe sich so verstehen, dass die funktionale und organisatorische Gewaltenteilung wegen ihrer Wesensverschiedenheit zunächst parallel nebeneinanderstünden und schließlich auf einer dritten Ebene zusammengeführt würden. Eine Hierarchie bzw. Chronologie von funktionaler zu organisatorischer Gewaltenteilung bedeutet dies nicht. Im Gegenteil: Die Komplexität des Zusammenspiels von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung wird dadurch untermauert. Das systematische Verhältnis von funktionaler zu organisatorischer Gewaltenteilung ist daher weitgehend unbestimmt, aber gegebenenfalls im Folgenden bestimmbar. Bis zu dieser Stelle lässt sich jedenfalls festhalten, dass sich aus Wortlaut und Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kein absolut zwingendes Verhältnis im Sinne einer Hierarchie bzw. Chronologie von funktionaler zu organisatorischer Gewaltenteilung ableiten lässt. Klar ist dabei allenfalls, dass Gewaltenteilung die Wahrnehmung der Ausübung der Staatsgewalt durch verschiedene Funktionen und verschiedene Organe beinhaltet. Das Prinzip erfordert also in jedem Falle beide Elemente, ohne ausdrücklich vorzuschreiben, ob anfänglich die Funktion bestimmt und diese einem Organ zugeordnet wird oder ob von der Existenz eines Organs auf seine Aufgaben und damit die Funktionen geschlossen wird. c) Zweites Problem: Das Verhältnis von Gewaltentrennung und -verschränkung zu funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung Neben die Elemente von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung tritt die Unterscheidung von Gewaltentrennung auf der einen und Gewaltenverschränkung auf der anderen Seite.35 Dabei handelt es sich um die zwei klassischen Elemente der Gewaltenteilung.36 Was bedeutet das für die dogmatische Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung? Stehen die Ordnungssysteme von 34

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 13 f. Jarass, Politik und Bürokratie, S. 3. 36 Siehe zu den historischen Grundlagen von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung bei Montesquieu S. 53 f. sowie zu der Adaption beider Grundpfeiler in den Verfassungen moderner Rechtsstaaten S. 55 ff. 35

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung  am Grundgesetz

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funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung zum einen und die Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung zum anderen unverbunden nebeneinander? Oder lässt sich das eine in das andere Ordnungssystem integrieren? Nach Jarass sind funktionale und organisatorische Gewaltenteilung von der Unterscheidung in Gewaltentrennung und -verschränkung loszulösen.37 Sowohl die Gewaltentrennung als auch die Gewaltenverschränkung seien bei funktionaler als auch organisatorischer Teilung der ausgeübten Staatsgewalt von Bedeutung. Das bedeute, dass auf der Ebene der funktionalen Teilung die Gewaltentrennung sowie die Gewaltenverschränkung virulent würden; genau das gleiche gelte auf der Ebene der organisatorischen Gewaltenteilung. Auf der für Jarass typischen dritten Verknüpfungs-Ebene spielen dann beide Elemente ebenso eine Rolle.38 Letztlich ergebe sich aus der Addition von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung, Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung eine Summe. Erst diese Summe lasse eine substantielle Aussage über die Gewaltenteilung zu.39 Aber ist das Vorgehen nach Jarass zwingend? Nein, denn Summen haben zur Eigenschaft, dass die einzelnen Summanden in ihrer Reihenfolge variabel sind; die Reihenfolge der Addition kann bei gleichem Ergebnis variieren. So ist es auch im Fall des Verhältnisses von Gewaltentrennung und -verschränkung auf der einen und funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung auf der anderen Seite. Ein verfassungsmäßiges Gesamtergebnis der Gewaltenteilung ergibt sich daher nicht nur, wenn funktionale und organisatorische Gewaltenteilung (separiert) an den Anfang gestellt, jeweils mit gewaltentrennenden und gewaltenverschränkenden Elementen aufgeladen und am Ende verknüpft werden. Ein systematisches Vorgehen, das demgegenüber die Zweigliedrigkeit von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung an den Anfang stellt, kann daher auch gangbar sein. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG steht dem jedenfalls nicht im Wege, da sich das Grundgesetz mit seiner Entscheidung für die klassische Dreiteilung auch die Unterscheidung in Gewaltentrennung und -verschränkung zu Eigen gemacht hat.40 Die Unterscheidung von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung bietet sich im Folgenden unter III. als rahmengebende Struktur für die verfassungsrechtliche Analyse des Prinzips der 37

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 14. Aufgrund seines Ebenen- und Verknüpfungssystems ließe sich eine Parallele zum Ordnungssystem materieller und formeller Funktionen ziehen. Das lehnt Jarass, Politik und Bürokratie, S. 15 aber ab und ordnet diese Unterscheidung schwerpunktmäßig als Unterfall der ersten funktionalen Ebene ein. 39 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 15 f. 40 Die eine oder die andere Vorgehensweise, was das Verhältnis von zweigliedriger Grundformel sowie funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG betrifft, soll nicht als absolut richtig oder falsch bewertet werden. Im Übrigen führt Jarass sein systematisches Vorgehen weiter aus und schlägt Brücken zwischen funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung im Zusammenhang mit der geschriebenen Kompetenzordnung: Nach Jarass, Politik und Bürokratie, S. 37 ist die organisatorische Gewaltenteilung vorwiegend ausdrücklich in den Kompetenznormen des Grundgesetzes normiert, während die funktionale Gewaltenteilung im Bereich nicht normierter Fragestellungen relevant wird. 38

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Gewaltenteilung im engeren Sinne an. Sie gibt eine klare Gliederungsstruktur vor und stellt die komplexere Frage des Verhältnisses von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung nicht an ihren Anfangspunkt, sondern in den materiellen Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung.41 d) Drittes Problem: Das Verhältnis zur geschriebenen Kompetenzordnung Ehe die verfassungsrechtliche Analyse im engeren Sinne beginnen kann, gilt es ein drittes Problemfeld aufzuzeigen: Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG transportiert die Entscheidung des verfassungsgebenden Gesetzgebers, sich das Prinzip der Gewaltenteilung – mithin das Ob – aufzuerlegen, sagt selbst jedoch nichts Näheres über dessen Ausgestaltung. Demgegenüber kommt die inhaltliche Ausgestaltung des Prinzips – also das Wie – durch die speziellen Kompetenzverteilungsnormen des Grundgesetzes zum Ausdruck.42 An dieser Stelle zeichnet sich bereits eine Trennlinie zwischen dem abstrakten Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auf der einen und seinen konkreten Ausprägungen in Kompetenznormen auf der anderen Seite ab.43 Die geschriebene Kompetenzordnung ist gegenüber dem abstrakten Prinzip der Gewaltenteilung fix und ihr normiertes Korsett der Grund dafür, dass in der Praxis nur wenig Verstöße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung festgestellt werden können.44 Dabei lassen sich die meisten Kompetenznormen in den Abschnitten VII „Die Gesetzgebung“ (zum Beispiel Art. 77 Abs. 1 S. 1, Art. 78 GG), VI „Die Bundesregierung“ (zum Beispiel Art. 65 S. 1 GG), VIII „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“ (zum Beispiel Art. 83 ff. GG) und IX „Die Rechtsprechung“ (zum Beispiel Art. 92 GG) verorten. Es sind also die konkreten Ausprägungen des allgemeinen Prinzips, die die Verfassungspraxis prägen. Welche Rolle spielt dann noch das abstrakte Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG? Erschöpft sich die Direktionskraft der Gewaltenteilung in den konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes und macht eine verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit seinen wesentlichen Inhalten und Grenzen aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG entbehrlich? Dieses dritte Problemfeld tritt neben die systematischen Spannungsfelder von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung sowie Gewaltentrennung und -verschränkung.

41 Um das Verhältnis von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung geht es vornehmlich bei der Auseinandersetzung mit dem ersten Grundpfeiler der Gewaltenteilung, der Gewaltentrennung, und der Frage, ob ein formaler oder materieller Ansatz zur Trennung der Funktionen heranzuziehen ist. Siehe dazu im Folgenden S. 82 ff. 42 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 70. 43 So ausdrücklich unterscheidet auch Jarass, Politik und Bürokratie, S. 8. 44 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 70; Verstöße z. B. in BVerfGE 4, 331 (347); 10, 200 (216 f.); 20, 150 (157 f.); 52, 1 (41); 54, 159 (166 f., 171 f.).

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung  am Grundgesetz

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e) Zusammenfassung Die verfassungsrechtliche Einordnung des Prinzips der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist trotz des eindeutigen Gesetzeswortlautes nicht unproblematisch, denn Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG trifft nur begrenzt Aussagen über die Gewaltenteilung inhaltlicher Natur. Diejenigen Aussagen, die Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG generiert, erzeugen darüber hinaus zudem systematische Kollisionen: Zwar differenziert Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ausdrücklich zwischen den drei Staatsfunktionen, die besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zugeordnet werden; ferner werden die funktionale sowie die organisatorische Gewaltenteilung angezeigt. Aber insbesondere stellen der inter-systematische Parallellauf von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung mit dem Ordnungssystem von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung sowie der augenscheinliche intra-systematische Widerspruch von Gewaltentrennung und -verschränkung sowie das systematische Verhältnis von funktionaler zu organisatorischer Gewaltenteilung die Dogmatik vor Herausforderungen. Hinzu kommt die Unterscheidung von abstrakter Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und konkreter Gewaltenteilung im Sinne der geschriebenen Kompetenzordnung, was die Frage aufwirft, welche Bedeutung dem allgemeinen Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG überhaupt beizumessen ist, wenn die konkreten Kompetenznormen für die Verfassungspraxis einzig relevant zu sein scheinen. Ist die Implementierung der klassischen Dreiteilung in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung über den Gesetzeswortlaut klar, stellt die Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Einordnung des Prinzips der Gewaltenteilung in die Dogmatik des Grundgesetzes vor zahlreiche Probleme. Diese systematischen Kollisionen gilt es im Zuge der verfassungsrechtlichen Analyse der Gewaltenteilung im engeren Sinne aufzulösen.45

3. Exkurs: Die sog. vertikale Gewaltenteilung Von der Gewaltenteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist die sogenannte vertikale Gewaltenteilung zu unterscheiden. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG regelt in diesem Kontext also allein die horizontale Gewaltenteilung.46 Die vertikale Gewaltenteilung hingegen ist an die Gliederung staatlicher Machtausübung durch die bundes-

45

Siehe zur verfassungsrechtlichen Analyse der Gewaltenteilung im engeren Sinne sowie zur Auflösung der Kollisionslage zwischen funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung und weiteren Spannungsfeldern im Folgenden S. 81 ff., S. 125 ff. 46 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 32; die Unterscheidung bzw. die Verwendung der Begriffe „horizontal“ und „vertikal“ scheint geläufig, dazu z. B. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 109 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 496; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 61.

72

3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

staatliche Ordnung angebunden.47 Neben der dreigliedrigen Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2  GG enthält also auch das Bundesstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG Aussagen zur Kompetenzverteilung, was die Wahrnehmung von Befugnissen auf vertikaler Ebene von Bund und Ländern anbelangt.48 Sinn der vertikalen Gewaltenteilung ist, neben dem auch für die horizontale Gewaltenteilung typischen Balanceakt staatlicher Machtausübung, der Ausgleich widerstreitender Interessen von Bund und Ländern.49 Die vertikale Gewaltenteilung hat verschiedene Wirkungsbereiche, die zu unterscheiden sind.50 Die grundsätzliche Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Ländern stellt den ersten wesentlichen Wirkbereich der vertikalen Gewaltenteilung dar. Ferner wirkt die vertikale Gewaltenteilung im weiteren Sinne auf die Kompetenzen des Bundesrates gegenüber der Bundesregierung und dem Bundestag ein. In Kombination mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG entsteht so ein de facto unüberschaubares Netz von Kompetenzzuweisungen und organisationsrechtlichen Verflechtungen. Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung eröffnet also neben der klassischen Gewaltenteilung ein weiteres Ordnungsprinzip, das teils die Gewaltenteilung unterstützt, teils aufbricht und vermischt. Dass es in diesem Kontext zu (scheinbaren) systematischen Widersprüchen bereits auf der Ebene des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kommt, ist daher vorprogrammiert.51 Allerdings könnte die vertikale Gewaltenteilung als Ausfluss des Bundesstaatsprinzips auch als spezifisches Element funktionaler Gewaltenteilung angesehen und damit in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eingeordnet werden.52 Zwar erkennt auch das BVerfG die vertikale Gewaltenteilung aus dem Bundesstaatsprinzip an.53 Nichtsdestotrotz konnte sich die Auffassung nicht durchsetzen, die horizontale Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG mit den kompetenzverteilenden Aspekten des Bundesstaatsprinzips zu einem Prinzip zu verbinden.54 Dies mag vor allem historisch bedingt sein, da es in Monarchien zuvörderst um die Mäßigung eines Alleinherrschers und die Verteilung verschiedener Kompetenzen auf übergeord 47

Stern, StaatsR II, § 36 V 3 b); ähnlich auch Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 267; auch im Mehrebenensystem der EU lässt sich eine vertikale Gewaltenteilungslinie ausmachen, die zwischen EU und Mitgliedstaaten verläuft, dazu Benz, in: Hartlapp / Wiesner, Gewaltenteilung und Demokratie im EU-Mehrebenensystem, S. 37, 41. 48 BVerfGE 108, 169 (181); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 496; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 198; zur Konnexität zwischen Föderalismus und Gewaltenteilung ausführlich Möllers, Die drei Gewalten, S. 40 ff. 49 BVerfGE 55, 274 (319); 108, 169 (181); zum freiheitssichernden Aspekt im Kontext vertikaler Gewaltenteilung BVerfGE 104, 249 (279). 50 Dazu und im Folgenden Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  109. 51 Siehe zu den systematischen Problemen und Spannungsfeldern des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG S. 67 ff. 52 BVerfGE 55, 274 (318 f.); 108, 169 (181). 53 BVerfGE 95, 1 (18); 104, 249 (274, 279); 108, 169 (181). 54 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 11.

I. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung  am Grundgesetz

73

neter Ebene und nicht um die Kompetenzverteilung in den Städten ging. In jedem Falle aber stehen die bundesstaatliche Ordnung und die Gewaltenteilung in einem Konnex, der Gewaltenverschränkungen vervielfältigt und das Potential politischer Teilhabe erhöht.55 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der weitere Forschungsgang auf die Gewaltenteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, das heißt exklusive vertikale Gewaltenteilung, beschränkt bleibt. Das soll nicht heißen, dass die vertikale Gewaltenteilung für den Forschungsgegenstand, den Gemeinsamen Ausschuss, gänzlich ohne Bedeutung ist – im Gegenteil. Denn schon zu Beginn der Debatten um ein Notparlament war unbestritten, dass ein solches der bundesstaatlichen Ordnung entsprechend zu besetzen wäre.56 Die Repräsentation der Länderinteressen im Rahmen der Notstandsgesetzgebung war ein bedeutsamer, stark umstrittener Aspekt der Diskussionen um die Notstandsverfassung. Die bundesstaatliche Ordnung ist indes historisch und verfassungsrechtlich strenggenommen nicht an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und auch nicht an das Rechtsstaatsprinzip angeknüpft. Aufgrund der historischen und stark an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG orientierten Anknüpfung dieser Abhandlung ist die horizontale Gewaltenteilung, also die klassische Dreiteilung auf Bundesebene, wesentlicher Parameter.57 4. Zusammenfassung Das Prinzip der Gewaltenteilung lässt sich im Grundgesetz vornehmlich am Rechtsstaatsprinzip und an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG anknüpfen. Das Rechtsstaatsprinzip bezweckt die Bindung aller Staatsgewalt, um Machtmissbrauch zu verhindern. Die Gewaltenteilung verfolgt durch die Gliederung der Ausübung der Staatsgewalt dasselbe Ziel und ist daher als Ausfluss formeller Rechtsstaatlichkeit zu verstehen. Ist die Verankerung der Gewaltenteilung im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes noch mühelos, ist ihre Einordnung in die Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durchaus problematisch. Der Gesetzeswortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG statuiert ausdrücklich die Dreiteilung der Staatsgewalt und ihre Zuordnung zu besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Das Ob des Prinzips der Gewaltenteilung ist mithin besiegelt.

55

Möllers, Die drei Gewalten, S. 42. Z. B. Erster Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 303; Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7183; Grundsatzaussprache über die Notstandsgesetze im Bundesrat, 251. Sitzung am 29./30. 11. 1962, Sten. Ber. S. 218. 57 Die Verbindungen zwischen Gewaltenteilung und Bundesstaatsprinzip sind zahlreich, genau wie ihre Synergieeffekte. Eine tiefergehende dogmatische Auseinandersetzung mit der vertikalen Gewaltenteilung bleibt daher nicht nur aufgrund des Untersuchungsgegenstandes dieser Abhandlung aus. Eine umfassende dogmatische Bearbeitung der vertikalen Gewaltenteilung würde vielmehr Stoff für eine eigene Abhandlung bieten. 56

74

3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Wie das Prinzip der Gewaltenteilung durch das Grundgesetz ausgestaltet ist, offenbart Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hingegen nicht. Im Gegenteil, denn aus oben genannten Gründen erzeugt die Norm mehr systematische Widersprüche als sie Klarheit schafft. Das Verhältnis zwischen Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung, funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung sowie dem abstrakten Prinzip und den konkreten Kompetenznormen ist weitestgehend unklar. Ob und wie sich diese systematischen Verstrickungen auflösen lassen und ob sich daraus ein widerspruchsfreier Gesamteindruck der Gewaltenteilung im Sinne eines Maßstabs generieren lässt, ist im Folgenden noch zu klären. Zuvor führt aber die Tatsache, dass die konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes das abstrakte Prinzip nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in weiten Teilen ausformen und in den Hintergrund drängen, zu der Beantwortung einer anderen Frage: Ist aufgrund der praktischen Bedeutsamkeit der Kompetenznormen des Grundgesetzes die Auseinandersetzung mit dem Maßstab des abstrakten Prinzips der Gewaltenteilung überhaupt noch erforderlich?

II. Die Erforderlichkeit der Herausbildung eines Maßstabs – Die Anwendungsbereiche des Prinzips der Gewaltenteilung Wie vorstehend beschrieben, realisiert sich das Prinzip der Gewaltenteilung wohl in weiten Teilen in den konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes. Es fragt sich daher, warum darüber hinaus eine verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und seinem Maßstab erforderlich sein sollte. Schließlich könnte man sich auf den Standpunkt stellen, die Kompetenznormen des Grundgesetzes, zu denen auch Art. 53a GG zählt, stellten allesamt verfassungsmäßige Konkretisierungen des allgemeinen Prinzips dar. Ein eigenständiger Aussagegehalt des Prinzips der Gewaltenteilung ist indes für die Erarbeitung des avisierten Maßstabs der Gewaltenteilung erforderlich. Aber was meint eigentlich „Maßstab“ und inwiefern lässt sich dieser für die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung heranziehen (1.)? Welche eigenständige Bedeutung ist dem Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch beizumessen (2. u. 3.)? Kommt ihm jedenfalls für die Prüfung und Auslegung anderer Verfassungsnormen wie etwa Art. 53a GG eine eigenständige Direktionskraft zu (4.)?

1. Was bedeutet „Maßstab der Gewaltenteilung“? Die Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung hat die Formulierung eines Maßstabs zum Ziel. Was bedeutet das? Ein Maßstab ist im Allgemeinen eine vorbildhafte Norm oder Richtlinie, anhand derer ein Prüfungsgegenstand auf seine Vereinbarkeit hin mit einer Referenzgröße ge-

II. Die Erforderlichkeit der Herausbildung eines Maßstabs  

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messen wird.58 Hier ist der Prüfungsgegenstand der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 53a GG, die Referenz ist das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und der Maßstab die vorbildhafte Norm bzw. Richtlinie aus dem Prinzip der Gewaltenteilung. Unter einer vorbildhaften Norm bzw. Richtlinie wird die einheitliche Art und Weise, den wesentlichen Standard einer Referenzgröße zu beschreiben, verstanden. Vorliegend speist sich die vorbildhafte Norm bzw. Richtlinie aus den wesentlichen, in Kategorien zu bündelnden Elementen des Prinzips der Gewaltenteilung. Maßstab bedeutet daher in diesem Kontext nichts Anderes als standardisiertes Prüfungsprogramm. Unter dem Strich ergibt sich dann aus der vorbildhaften Norm bzw. Richt­linie der in Rede stehende Maßstab, anhand dessen der Gemeinsame Ausschuss auf seine Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung hin gemessen wird. 2. Die Gewaltenteilung als Element Allgemeiner Staatslehre und des Staatsrechts Aber ist ein eben solch standardisierter Maßstab überhaupt erforderlich? Schließlich realisiert sich das abstrakte Prinzip der Gewaltenteilung in den zahlreichen Kompetenznormen des Grundgesetzes, die die Erforderlichkeit eines standardisierten Maßstabs und die eigenständige Direktionskraft des Prinzips entfallen lassen könnten. Es fragt sich daher, welche Anwendungsbereiche dem abstrakten Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch verbleiben. Die Betrachtung schwenkt den Blick zunächst auf die Bedeutsamkeit der Gewaltenteilung für die Rechtsdogmatik im Staatsrecht und in der Allgemeinen Staatslehre. Aus rechtsdogmatischer Sicht ergeben sich nämlich zwei Kategorien von Untersuchungen, die sich mit der Gewaltenteilung befassen: die konkret staatsrechtliche und die abstrakt staatstheoretische Untersuchung. Im Rahmen der staatsrecht­ lichen Untersuchung geht es um einen konkreten Staat mit einem konkret geltenden Rechtszustand, der im Hinblick auf seine gewaltenteilige Machtausübung, das heißt sein eigenes Begriffsverständnis und einzelne Elemente der Gewaltenteilung, analysiert wird. Die Allgemeine Staatslehre hingegen befasst sich mit einem Idealbild rechtsstaatlicher Gewaltenteilung. Die aus dem Gedanken der Sittlichkeit und Ordnung abgeleitete Gewaltenteilung soll dabei das Staatshandeln optimal ordnen und systematisieren. Dabei kann durchaus ein konkreter status quo, eine bestimmte Verfassung, Ausgangspunkt dieser Betrachtung sein, die allerdings im Zuge der staatstheoretischen Untersuchung von ihrem Referenzstaat abstrahiert und idealisiert wird.59

58

In Anlehnung an die Definition von „Maßstab“ im Duden, dazu https://www.duden.de / recht schreibung / Maszstab, letzter Zugriff am 31. 10. 2022. 59 Stern, StaatsR II, § 36 I 1.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Diese beiden Untersuchungsformen stehen indes nicht unverbunden nebeneinander. Jedenfalls wurde mit der Verankerung der Gewaltenteilung expressis verbis in den Länderverfassungen und im Grundgesetz die Grundlage für die Verknüpfung von staatstheoretischer Gewaltenteilung und staatsrechtlicher Wirklichkeitsanalyse im positiven Verfassungsrecht gelegt.60 Es entsteht eine einheitliche Seinund-Sollen-Analyse unter der Verknüpfung staatstheoretischer Gewaltenteilung mit staatsrechtlicher Wirklichkeitsanalyse der konkreten Verfassung. Dabei ist die Verknüpfung beider Untersuchungsformen insbesondere vor dem Grundgesetz geboten, da in ihm staatstheoretische Elemente der Montesquieuschen Lehre aufgehen61, die konkret staatsrechtlich angeknüpft werden.62 Ursächlich dafür ist, dass das Grundgesetz mit der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG statuierten Dreiteilung ein bestimmtes historisch gewachsenes Prinzip verbaut, das die konkrete Verfassung mit seinem staatstheoretischen Wesensgehalt auflädt.63 Will heißen, dass staatstheoretische Überlegungen der idealen Gewaltenteilung für die konkrete Verfassungssituation und damit den geltenden Rechtszustand elementar sind, selbst wenn eine individuell staatsrechtliche Kompetenzordnung getroffen wurde, weil sie die ungeschriebene Grundlage der geschriebenen Kompetenzordnung bilden und Auslegungsparameter sind. Die staatstheoretisch-staatsrechtliche Gesamtbetrachtung wird daher in einer einheitlichen Sein-und-Sollen-Analyse des Grundgesetzes verbunden und begründet somit eine eigenständige rechtsdogmatische Bedeutsamkeit der Gewaltenteilung und mithin die Erforderlichkeit, das Verfassungsprinzip in seinen tragenden Grundgedanken im Sinne eines Maßstabs zu entwickeln.64

60

Stern, StaatsR II, § 36 I 1; nach Vorgenanntem gelingt auf der Ebene verfassungsrecht­ licher Literatur der „Brückenschlag“ zwischen abstrakter Ideal-Staatstheorie und dem konkreten Staatsrecht erst effektiv in dem Werk von Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71; die Bedeutsamkeit des abstrakten Idealschemas der Gewaltenteilung für den konkreten Verfassungsstaat bejaht auch ganz grundsätzlich Schmitt, Verfassungslehre, S. 198; zum Übergang von einer abstrakten Betrachtungsweise zu einer wirklichkeitsbezogenen Methode auch Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 109 f. 61 Die klassische Dreiteilung der Staatsfunktionen kann als staatstheoretischer Grundsatz gesehen werden, der die grundgesetzliche Wirklichkeit mitbestimmt. Siehe zur Bedeutung der Lehre Montesquieus für die Verfassungen moderner Rechtsstaaten S. 55 ff. 62 So lässt sich Stern, StaatsR II, § 36 I 7 verstehen, wenn er von einem „unverfälschbaren Kern“ des Gewaltenteilungsprinzips und dessen Einbau in das Grundgesetz spricht. 63 Kritisch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 477; letztlich kann diese Herangehensweise auch unter der historischen Auslegung rangieren, denn „[d]ie Gegenwart versteht nur, wer die Vergangenheit kennt“, so Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 59 f. Rn. 10. 64 Im Ergebnis so Stern, StaatsR II, § 36 I 7, wenn er es allgemein als Aufgabe bezeichnet, das Gewaltenteilungsprinzip in seinem unverfälschbaren Kern, also seinen tragenden Grundgedanken, zu entwickeln.

II. Die Erforderlichkeit der Herausbildung eines Maßstabs  

77

3. Die Gewaltenteilung als allgemeiner Auslegungsund Prüfungsgrundsatz Neben seiner eigenständigen Bedeutung für das Staatsrecht und die allgemeine Staatslehre kommen dem Prinzip der Gewaltenteilung weitere Anwendungsbereiche zu, die seine Direktionskraft unterstreichen. Es geht dabei um die Gewaltenteilung als gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG tragendes, unveränderliches Verfassungsprinzip und seine Eigenschaft als allgemeiner Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz in zwei wesentlichen Anwendungsbereichen. Zum einen ist das abstrakte Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG immer dann als Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz heranzuziehen, wenn es um die Vereinbarkeit von Normen mit dem Prinzip der Gewaltenteilung geht.65 Dabei stehen praktisch Kompetenznormen des Grundgesetzes und des einfachen Rechts, deren Inhalte auf die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zu überprüfen sind, im Fokus.66 Sind die Grenzen der Auslegungsmethodik erreicht, verstößt eine Norm gegen das Prinzip der Gewaltenteilung und ist damit verfassungswidrig. In diese Kategorie fallen grundsätzlich auch Auslegung und Überprüfung des Gemeinsamen Ausschusses und dessen Kompetenznormen am Maßstab der Gewaltenteilung. Zum anderen ist Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dann als allgemeiner Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz heranzuziehen, wenn es um die Anwendung von Kompetenznormen und die Frage geht, ob die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstößt. Die Normanwendung gestaltet sich zum Beispiel mit Blick auf den Umfang und die Zulässigkeit von Richterrecht, die Ermessenskontrollen der Verwaltungsgerichte oder die Qualifizierung von Verwaltungsvorschriften problematisch.67 Als ebenso schwierig muss die Normanwendung in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit von Ermächtigungen zur Regelung bestimmter Gebühren in Landesverordnungen68, die Qualifizierung 65

Z. B. wird Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in BVerfGE 68, 1 (86) zur Auslegung der Reichweite der gesetzgeberischen Befugnisse nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG herangezogen. Insbesondere der Sinn und Zweck der Gewaltenteilung dienen als Auslegungsgrundlage. Diese Vorgehensweise wird allerdings im Rahmen eines Minderheitsvotums erheblich kritisiert. Nach Richter Marenholz (129) ist Art. 59 Abs. 2 GG eine ausdrückliche Konkretisierung des Gewaltenteilungsprinzips, sodass es keiner Überformung des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG bedürfe. Umgekehrt müsse vielmehr das allgemeine Prinzip i. S. d. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG ausgelegt werden. Allgemein zur Gewaltenteilung als Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz Huster / Rux, in: BeckOK, GG, Art. 20 Rn. 159; Jarass, Politik und Bürokratie, S. 9. 66 Normen (des Grundgesetzes) lassen sich in Kompetenz- und Organisationsnormen unterscheiden. Denklogisch betrifft die Überprüfung der Einhaltung des Prinzips der Gewaltenteilung v. a. Kompetenznormen, die Funktionsträger mit verschiedenen Befugnissen ausstatten. Das schließt indes nicht von vornherein die Relevanz bestimmter Organisationsnormen für das Prinzip der Gewaltenteilung aus. Siehe dazu im Folgenden S. 145 f. 67 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 47, 203; diese praktischen Problemfelder sieht auch Jarass, Politik und Bürokratie, S. 18. 68 BVerfGE 34, 52 (59 ff.).

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

einer Maßnahme als Maßnahmengesetz bzw. Planfeststellungsbeschluss69 oder das Zustimmungserfordernis des Bundestages zu bewaffneten Einsätzen deutscher Streitkräfte im Ausland eingeschätzt werden.70 In diesen Bereichen besteht ein „dringendes Bedürfnis nach Formung sowie festen rechtlichen Abgrenzungskriterien“71 der Gewaltenteilung, welches die Etablierung eines Maßstabs der Gewaltenteilung erforderlich macht. Es ist nämlich zu sehen, dass „[…] es in der Wirklichkeit nicht nur legitime, sondern häufig genug auch illegitime Betätigungen legitimer staatlicher Organe gibt“.72 Möglich ist dabei sowohl, dass konkret verfassungswidriges Staatshandeln auf eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage als auch auf eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage zurückzuführen ist. Während das Verdikt, die Anwendung eines Gesetzes sei verfassungswidrig, die verfassungsrechtliche Bewertung des Gesetzes nicht tangiert, trifft das Gegenteil in der Regel auf die Anwendung verfassungswidriger Gesetze zu.73 So oder so bedarf es dann der Gewaltenteilung als allgemeinen Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz. 4. Die Gewaltenteilung als Maßstab verfassungswidrigen Verfassungsrechts Gilt aber die Gewaltenteilung als allgemeiner Auslegungs- und Prüfungsgrundsatz für Normen jeden Ranges? Dass jedenfalls Kompetenznormen unterhalb des Verfassungsranges sowie die Normanwendung im konkreten Fall an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu messen sind, verdeutlichen vorstehende Überlegungen und bedingt unweigerlich der Stufenaufbau der Rechtsordnung: Die Normenhierarchie von der Verfassung, über die einfachen Gesetze bis hin zu Rechtsverordnungen, Satzungen und Einzelakten ist dabei weitestgehend klar und ergibt sich über Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3, Art. 80 Abs. 1 GG unmittelbar aus dem Grundgesetz.74 Die Unvereinbarkeit einfacher Gesetze mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG führt unweigerlich zu ihrer Verfassungswidrigkeit. Dass aber andere Normen von Verfassungsrang wie etwa Art. 53a GG – also gleichen Ranges – ebenso an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu messen sind, bedarf demgegenüber näherer Betrachtung und bedingt die Existenz normenhierarchischer Unterschiede auf Verfassungsebene. Ist dies der Fall, besteht die Möglichkeit verfassungswidrigen Verfassungsrechts.

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BVerfGE 95, 1 (7 ff.). BVerfGE 121, 135 (161 ff.). 71 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 47. 72 Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 110. 73 Zum Verhältnis und perspektivischem Gegensatz von Rechtsetzung und -anwendung vertiefend Lepsius, in: JuS 2018, S. 950, 953 f. 74 Dazu übersichtlich Lepsius, in: JuS 2018, S. 950, 951 f.; unabhängig von den Aussagen des Grundgesetzes folgt der Stufenaufbau einer jeden Rechtsordnung aus dem Verhältnis zwischen der die Erzeugung einer anderen Norm bestimmenden und der bestimmungsgemäß erzeugten Norm, so Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 84 f. 70

II. Die Erforderlichkeit der Herausbildung eines Maßstabs  

79

Anknüpfungspunkt für eine normenhierarchische Differenzierung auf Verfassungsebene bildet Art. 79 Abs. 3 GG. Demnach sind Verfassungsänderungen, die die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berühren, unzulässig. Die sogenannte Ewigkeitsgarantie75 schützt also bestimmte, identitätsbildende Leitprinzipien des Grundgesetzes vor Verfassungsänderungen.76 Da das Prinzip der Gewaltenteilung unmittelbar aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG folgt, ist es von der Ewigkeitsgarantie jedenfalls umfasst und vor Verfassungsänderungen geschützt.77 Art. 79 Abs. 3 GG schützt indes nicht nur vor Änderungen, die den Wortlaut der in Art. 20 GG verankerten Grundsätze unmittelbar betreffen, konkret ändern, streichen oder erweitern, sondern auch vor verfassungsändernden Normen, die ihrerseits nicht zu den unberührbaren Grundsätzen nach Art. 79 Abs. 3 GG zählen, aber diese Grundsätze normativ tangieren (um letzteres könnte es sich bei Art. 53a GG handeln).78 Im Hinblick auf die weitreichenden Konsequenzen eines Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 3 GG ist im Wege der Auslegung daher zunächst immer ein verfassungskonformes, also vielmehr grundsatzkonformes, Ergebnis herbeizuführen und die verfassungsändernde Norm den Inhalten der unabänderlichen Grundsätze anzunähern.79 Sind die Grenzen der Auslegung überschritten und berührt ein verfassungsänderndes Gesetz die in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze, ist es verfassungswidrig und ipso iure nichtig.80 Art. 79 Abs. 3 GG transportiert also die schärfste und ausdrücklichste Unterscheidung von verfassungsänderndem und verfassungsgebendem Gesetzgeber und markiert zugleich die äußerste Grenze des verfassungsändernden Gesetzgebers.81 Daraus ergibt sich zwar keine Binnenhierarchie im Sinne einer internen Stufenord 75

Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 79 Rn. 25; Dietlein, in: BeckOK, GG, Art. 79 Rn. 15; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 14; Stern, StaatsR I, § 5 IV 1. 76 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 79 Rn. 25; Herdegen, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 79 Rn. 60; Stern, StaatsR I, § 5 IV 2. 77 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 50; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 79 Rn. 91 m. w. N.; Herdegen, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  79 Rn.  145 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 74. Andere Elemente des Rechtsstaatsprinzips, die nicht unmittelbar aus Art. 20 GG folgen (wie z. B. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Verbot rückwirkender belastender Gesetze etc.), stehen nicht unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie, dazu z. B. BVerfGE 30, 1 (25). 78 Dietlein, in: BeckOK, GG, Art. 79 Rn. 17; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  79 Rn. 38 f. 79 BVerfGE 30, 1 (17 ff.); differenziert zur Erforderlichkeit und zu den Grenzen einer Art. 79 Abs. 3  GG-konformen Auslegung Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 79 Rn. 30; ähnlich auch Dietlein, in: BeckOK, GG, Art. 79 Rn. 18; ausführlich dazu Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 79 Rn. 31 m. w. N. 80 Dietlein, in: BeckOK, GG, Art. 79 Rn. 18; zur Nichtigkeit auch Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 83; Stern, StaatsR I, § 4 II 2 a) ζ). 81 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 79 Rn. 31 m. w. N.; Herdegen, in: Maunz /  Dürig / Herzog, GG, Art.  79 Rn.  60.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

nung auf Verfassungsebene, wohl aber die Differenzierung zwischen abänderbaren und unabänderlichen Normen durch den verfassungsändernden Gesetzgeber82 – auf Rechtsfolgenseite ergibt sich so oder so die Nichtigkeit der unvereinbaren Gesetze. Aus diesem Grunde lässt sich also die Möglichkeit verfassungswidrigen Verfassungsrechts im Kontext von Art. 79 Abs. 3 GG sowie die Erforderlichkeit eines Maßstabs der Gewaltenteilung für die Überprüfung der Normen von Verfassungsrang bejahen. Verfassungsändernde Normen wie Art. 53a GG müssen sich gem. Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG am Prinzip der Gewaltenteilung messen lassen. Wie weit der Schutz aus Art. 79 Abs. 3 GG reicht und was dies für den Umfang des Maßstabs des Prinzips der Gewaltenteilung im Falle von Verfassungsänderungen bedeutet, gilt es im Folgenden noch zu klären.83 5. Zusammenfassung Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass sich das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerte Prinzip der Gewaltenteilung nicht ausschließlich in den konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes erschöpft. Zwar ließe sich sagen, dass es sich um eine „seltsame Erscheinung eines Verfassungsprinzips“84 zu handeln scheint, wenn die Gewaltenteilung als tragender, unveränderlicher Grundsatz konstituiert ist, seine tragende und unveränderliche Substanz jedoch weitgehend unbestimmt bleibt.85 Das ändert indes nichts an der Bedeutung des abstrakten Prinzips in wesentlichen Anwendungsbereichen: Neben seiner theoretischen Bedeutsamkeit für die allgemeine Staatslehre und das Staatsrecht speist das Prinzip der Gewaltenteilung seine eigenständige Direktionskraft vornehmlich aus seiner Eigenschaft als Auslegungs- und Prüfungsparameter. Das Prinzip der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist zum einen zur (verfassungskonformen) Auslegung von Kompetenznormen jedes Ranges bzw. zur Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz heranzuziehen. Zum anderen ist das Prinzip zur Überprüfung der Normanwendung im konkreten Falle auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu konsultieren, also zur Überprüfung der Normanwendung am Maßstab der Verfassung. Die Rechtsfigur des verfassungswidrigen Verfassungsrechts eröffnet sodann auch die Möglichkeit, Normen von Verfassungsrang wie Art. 53a GG am Maßstab des Prinzips der Gewaltenteilung zu messen. Um die Verfassungsmäßigkeit feststellen zu können, bedarf es dann einer vorbildhaften Norm bzw. Richtlinie, anhand derer der Prüfungsgegenstand auf seine 82 Einen besonderen Überverfassungsrang ebenso verneinend Lepsius, in: JuS 2018, S. 950, 952; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 83. 83 Bei Art. 53a GG handelt es sich um eine derartige Verfassungsänderung, die in den Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 3 GG fällt und an diesem Maßstab zu messen ist. Siehe dazu S. 137 ff. 84 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 21. 85 Ebd.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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Vereinbarkeit mit der Referenzgröße hin gemessen werden kann. Es bedarf also eines Maßstabs. Dabei setzt jede Überprüfung anhand eines Maßstabs die inhaltliche Klarheit des Maßstabs voraus. Zumal sich der Maßstab der Gewaltenteilung aus seinen wesentlichen Standards, das heißt seinen Eigenarten, speist, werden diese Eigenarten in einer umfänglichen verfassungsrechtlichen Analyse im Folgenden herausgearbeitet.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung: Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung  Dieser Abschnitt befasst sich mit der verfassungsrechtlichen Analyse des Prinzips der Gewaltenteilung im engeren Sinne mit Blick darauf, dass sich am Ende dieses 3. Kapitels ein möglichst vollumfänglicher Eindruck des Prinzips im Sinne eines Maßstabs gewinnen lässt. Da sich wie vorstehend beschrieben der Maßstab im Sinne einer vorbildhaften Norm bzw. Richtlinie aus der einheitlichen Art und Weise, den wesentlichen Standard einer Referenzgröße zu beschreiben, ergibt, hat dieser Abschnitt zum Ziel, die konkreten Inhalte und Grenzen des Prinzips der Gewaltenteilung in der Ausgestaltung durch das Grundgesetz zu erfassen und erste Aussagen über die Bedeutung dieser Inhalte für den Maßstab zu treffen. Was sind also die wesentlichen Eigenarten des Prinzips nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG? Wodurch zeichnet sich die Spielart des tradierten Ordnungsprinzips von Maß und Mitte nach dem Grundgesetz aus? Lassen sich bereits an dieser Stelle standardisierte Aussagen über die Gewaltenteilung im Sinne des eingangs beschriebenen Maßstabs gewinnen? Zumal aber Wortlaut und Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG diese Fragen weitestgehend unbeantwortet lassen und nur begrenzt Aussagen darüber zulassen, wie das Grundgesetz die Ausübung staatlicher Gewalt unter den drei Funktionen teilt, bildet zunächst das klassische zweigliedrige Verständnis der Gewaltenteilung den Ausgangspunkt dieser Untersuchung. In Anlehnung an die Kategorien von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung werden daher die wesentlichen Inhalte und Grenzen des Prinzips der Gewaltenteilung aufgezeigt. Im Hinblick auf den ersten Grundpfeiler, die Gewaltentrennung, gilt es zunächst, zu verifizieren, wie die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung nach dem Grundgesetz getrennt werden (1.), ehe in einem zweiten Schritt dargestellt wird, wie dem Grunde nach getrennte Funktionen mit einander verschränkt werden (2.). Daraus ergibt sich ein Gesamteindruck des Prinzips der Gewaltenteilung, der es in einem ersten Fazit ermöglicht, die Bedeutsamkeit der Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung als Elemente eines einheitlichen Maßstabs zu bewerten (3.).

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

1. Zum ersten Grundpfeiler: Die Gewaltentrennung Die Gewaltentrennung bildet den ersten Grundpfeiler der Gewaltenteilung, welcher unmittelbar in Anlehnung an die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG statuierte Dreiteilung aus der Verfassung folgt und dessen Inhalte und Grenzen es im Sinne wesentlicher Standards zu bestimmen gilt.86 Vorab: Die Gewaltentrennung erweist sich gegenüber der Gewaltenverschränkung als besonders problematisch. Der schwierige Umgang mit der Trennung der drei Staatsfunktionen hat vornehmlich drei Gründe. Zum einen liegt es an der fehlenden Legaldefinition des Grundgesetzes von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung. Klar ist insofern allein, dass sich die drei Funktionen unterscheiden; unklar ist, wie sie sich unterscheiden und ihre Zuordnung zu den besonderen Organen im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vollzogen wird. Zum anderen tritt erschwerend das Spannungsfeld zwischen Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung hinzu: Die Trennung der Funktionen auf der einen und ihre Verknüpfungen und Verschränkungen auf der anderen Seite stehen sich zunächst einmal konträr gegenüber. Das ist der Grund dafür, dass es dogmatisch jedenfalls schwierig erscheint, die Funktionen im Kontext des ersten Grundpfeilers der Gewaltenteilung widerspruchsfrei definieren und trennen zu können.87 Und drittens liegt ein weiterer Grund darin, dass der Grundsatz der Gewaltenteilung nirgends in Reinform verwirklicht ist.88 Die ausgeübte Staatsgewalt ist vielseitig. Meist sind eine Vielzahl an Funktionsträgern und Organen an ihr beteiligt, sodass in vielen Fällen eine eindeutige Gewaltentrennung und Zuordnung zu den drei Staatsfunktionen bereits im Ausgangspunkt scheitert. Aber: Vor solchen Problemen und Fragestellungen darf eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Organisations- und Funktionsstrukturen der Gewaltenteilung nicht kapitulieren.89 Und dies liegt in der Natur der Sache, zumal es sich bei dem Prinzip der Gewaltenteilung in concreto um einen ausfüllungsbedürftigen, weitestgehend unbestimmten Verfassungsgrundsatz und nicht um eine schematisch erfassbare Definition handelt.90 Daher ist die Aufgabe, sich dem unbestimmten Verfassungsprinzip derart anzunähern, dass über 86

Demgegenüber sieht Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 477 die Gewaltentrennung (gleich der Gewaltenverschränkung) nicht in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankert. 87 In die Richtung auch Jarass, Politik und Bürokratie, S. 5; Cornils, in: Depenheuer / Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 668 f. Rn. 19 f., 696 Rn. 55 sieht das Problem ähnlich darin, dass das Prinzip aus dem Gebot der Gewaltenteilung und dem Gebot der Gewaltenverbindung besteht, was ein spannungsreiches Begriffsverständnis darstellt. Dies führe im Ausgangspunkt jedenfalls zur teilweisen Aufhebung einer normativen Wirksamkeit des Prinzips der Gewaltenteilung. 88 BVerfGE 3, 225 (247); nach Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 478 ist die Fixierung der Gewaltentrennung schier unmöglich, wenn das Prinzip der Gewaltenteilung „nirgends rein verwirklicht“ ist. 89 Stern, StaatsR II, § 36 IV 3. 90 Ebd.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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möglichst viele gemeinsame Nenner die wesentlichen Inhalte der Gewaltenteilung jedenfalls bestimmbar werden und letztlich ein dogmatisch-praktikabler, wenn eben auch nicht schematischer Umgang mit diesem gewährleistet wird. Will man nun Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung in diesem Sinne voneinander trennen, dann bietet Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG mit der funktionalen und der organisatorischen Gewaltenteilung zwei Ansatzpunkte: die Funktionen oder die Organe.91 Entweder wird von der vorab zu bestimmenden Funktion auf das jene Funktion wahrnehmende Organ oder aber von der Existenz eines Organs auf seine Aufgaben und damit die Funktionen geschlossen. Im Folgenden werden daher mögliche Ansätze, die die systematischen Schwierigkeiten von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung zu überwinden und die drei Funktionen voneinander zu trennen versuchen, jeweils dargestellt und bewertet (a)–f)).92 a) Die materielle Theorie: Strenge Kernbereichslehre Die Ausübung der Staatsgewalt kann im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG also grundsätzlich die Funktion oder das Organ an den Anfang stellen.93 Eine weit verbreitete Ansicht trennt die Funktionen daher, indem an die Funktion anknüpfend Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung materiell bestimmt werden.94 Allen voran greift das BVerfG an dieser Stelle auf sogenannte Kernbereiche zurück, um den materiellen Gehalt einer Funktion erfassen zu können.95 Die gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Funktion werden mit unantastbaren Mindestbefugnissen96 ausgestattet, welche die vom Grundgesetz zugeschriebenen typischen Aufgaben der drei Staatsfunktionen betreffen und den jeweiligen Kernbereich der Funktion ausmachen.97 Welcher Kernbereich welcher Funktion zukommt, entscheidet jedenfalls das BVerfG stark einzelfallbezogen98, wobei der 91

Beyer, in: ZgS 1911, S. 421; Möllers, Gewaltengliederung, S. 81; so auch Stern, StaatsR II, § 36 I 1, der sowohl das Organ als auch die Funktion als zwei grundverschiedene Anknüpfungspunkte im Staatsrecht sieht. 92 Durch die Darstellung dieser Theorien und Ansätze wird eine große Bandbreite der Literaturmeinungen in diesem Kontext abgedeckt, ohne dabei Vollständigkeit zu beanspruchen. 93 Ähnlich auch Stern, StaatsR II, § 36 II 1. 94 So interpretiert Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 200 die Vorgehensweise des BVerfG. 95 Das BVerfG operiert seit der BVerfGE 3, 225 mit dem Begriff des Kernbereichs. Der Kernbereich wird seitdem als eine unantastbare Kompetenzbeschreibung jeder Funktion verstanden. 96 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 233. 97 BVerfGE 9, 268 (279 f.); 34, 52 (59); 95, 1 (15); 139, 321 (362); zur Kernbereichs-Dogmatik des BVerfG, anderer Gerichte und Autoren ausführlich Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 182 ff. 98 Zum Beispiel  – so BVerfGE 34, 52 (61)  – läuft ein Ermächtigungsgesetz (§ 93 Abs. 2 HRiG) im Sinne von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nicht dem Kernbereichsschutz der Gesetzgebung zuwider, wenn die vollziehende Gewalt zur Erhebung von Prüfungsgebühren durch Rechtsver-

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Schluss vom Begriff auf die Funktion kennzeichnend für die Kernbereichslehre ist.99 Trotz der Einzelfallbezogenheit der Kernbereichs-Rechtsprechung lassen sich einige allgemeine Aussagen zu den Kernbereichen der drei Funktionen treffen. Konzeptionelle Trennung der Funktionen Für die Gesetzgebung bedeutet das nach verbreiteter Auffassung, dass sich ihr Kernbereich auf die Setzung abstrakt-genereller Normen und damit die Befugnis zur parlamentarischen Leitentscheidung erstreckt.100 Für diese Interpretation des gesetzgeberischen Kernbereichs spricht auch die Möglichkeit, dass die Gesetzgebung Verordnungsrechte nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG delegieren kann.101 Daher greift die vollziehende Gewalt auch nicht in den Kernbereich der Gesetzgebung ein, wenn sie im Rahmen von Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG Recht setzt, weil es sich um eine beschränkte, von der gesetzgebenden Funktion abgeleitete Kompetenz handelt, wobei eine generelle Übertragung auf die vollziehende Gewalt dementsprechend mit dem Prinzip der Gewaltenteilung unvereinbar ist.102 Der Kernbereich der Gesetzgebung wird durch den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes103 flankiert.104 Der Bereich der Gesetzgebung korreliert dabei insbesondere mit dem Umfang des Parlamentsvorbehaltes.105 Nach dem Parlamentsvorbehalt müssen die wesentlichen Entscheidungen vom demokratisch unmittelbar legitimierten Parlament getroffen und können nicht an Exekutivorgane delegiert werden106, sodass der Parlamentsvorbehalt eine Trennlinie zwischen dem Kernbereich der Gesetzgebung und den Kompetenzen der vollziehenden Gewalt zieht. Der Kernbereich der vollziehenden Gewalt liegt in der Wahrnehmung von Regierungs- und Verwaltungstätigkeiten.107 Die vollziehende Gewalt nimmt also über

ordnung im Zweiten Staatsexamen ermächtigt wird, solange der vollziehenden Gewalt allein ergänzende Normsetzungsbefugnis aufgetragen wird. Oder aber: Ein Maßnahmengesetz zum Bau einer Eisenbahnstrecke in Ostdeutschland verletzt nicht den Kernbereich der vollziehenden Gewalt, weil die staatliche Planung weder eindeutig dem Kernbereich der Gesetzgebung noch der vollziehenden Gewalt angehört, BVerfGE 95, 1 (16 ff.). 99 Die apriorische Funktionenbestimmung gilt als probates Mittel, dazu auch Imboden, Politische Systeme, S. 163. 100 BVerfGE 34, 52 (59 f.); 95, 1 (15 f.); zum generellen Charakter der Gesetze z. B. Schmitt, Verfassungslehre, S. 146, 151 ff. 101 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 217. 102 BVerfGE 34, 52 (59 f.) 103 BVerfGE 20, 150 (157 f.); 121, 135 (163); Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 GG, S. 46 f. 104 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 72. 105 BVerfGE 121, 135 (161, 163); Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  97. 106 BVerfGE 33, 125 (158); 34, 52 (60); 34, 165 (192 f.); 45, 400 (417); 47, 46 (78 f.); 49, 89 (127); 83, 130 (142); Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Einl. Rn. 280. 107 BVerfGE 95, 1 (16); 139, 321 (362); Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 222.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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ihren Wortlaut hinaus weit mehr als den behördlichen Vollzug wahr.108 So kommt ihr neben ihrer Vollzugskompetenz109, die Richtlinienkompetenz gem. Art. 65 S. 1 GG, das Recht zur Gesetzesinitiative nach Art. 67 Abs. 1 GG, die Haushaltsinitiative nach Art. 110, 113 GG und das personelle Entscheidungsrecht aus Art. 64 Abs. 1 GG zu110; ebenso wie der Oberbefehl über die Streitkräfte gem. Art. 65a Abs. 1 GG bzw. Art. 115b GG und der militärische Schutz der Bundesrepublik im Übrigen.111 Neben die Ausführungsbefugnisse als Vollzugsinstanz treten mithin gewichtige Initiativbefugnisse der Regierung.112 Außerhalb der normierten Kompetenzordnung erstreckt sich der Kernbereich der vollziehenden Gewalt ferner auf sogenannte implizite exklusive Befugnisse.113 Dazu zählt, dass der Regierung ein Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung verbleibt, der vor Ausforschung geschützte Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereiche wie die Geheimhaltung regierungsinterner Besprechungen, Abläufe und Ergebnisse garantiert. Insbesondere nicht abgeschlossene Willensbildungsprozesse der Regierung sind der Öffentlichkeit, vor allem dem Parlament, entzogen.114 Neben die exklusiven Befugnisse von Gesetzgebung und ausführender Gewalt treten noch sogenannte permeable Befugnisse beider Funktionen.115 In diesen Fällen können die besonderen Organe der gesetzgebenden oder der vollziehenden Funktion agieren. Das betrifft zum Beispiel die Einbringung einer Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG. Darüber hinaus gibt es Befugnisse, die weder dem Kernbereich der Gesetzgebung noch der vollziehenden Gewalt eindeutig zugeordnet werden können. Zum Beispiel kann die staatliche Planung dem Grunde nach sowohl in Maßnahmengesetzen als auch in Planungsbeschlüssen erfolgen.116 Die Grundlage für den Kernbereich der Rechtsprechung wird aus Art. 92 Hs. 1 GG und insbesondere für die Richter aus Art. 97 Abs. 1, Art. 21 Abs. 4, 108

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 530. BVerfGE 95, 1 (16); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 530, 536; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 224. 110 Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 534, 536. 111 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 544. 112 Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 536; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 531, 533. 113 Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 537. 114 BVerfGE 67, 100 (139); 110, 199 (214); 124, 78 (Rn. 120); 143, 101 (Rn. 119); kritisch zur Bedeutung der ständigen Teilnahme von Fraktionsvorsitzenden an Kabinettssitzungen der Bundesregierung für das Prinzip der Gewaltenteilung und den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung Steuck, in: ZRP 1999, S. 403, 404. 115 Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 539. 116 BVerfGE 95, 1 (16): Die staatliche Planung stellt ohnehin vielmehr einen „[…] komplexen Prozess der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel […]“ dar. Jedenfalls lässt sich sagen, dass die staatliche Planung, insbesondere die Planungsvorbereitung so weit in den Kernbereich der vollziehenden Funktion fällt, wie sie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betrifft. Davon abgesehen kann die Gesetzgebung grundlegende Planungsentscheidungen durch Gesetze beschließen, was vor allem für den Haushalt aufgrund des historisch gewachsenen Haushaltsbewilligungsrechts gilt. 109

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Art. 93 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1, Art. 126, Art. 13 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3, Art. 104 Abs. 2 GG gewonnen und der Begriffsbestimmung zu Grunde gelegt.117 Zu den wesentlichen Merkmalen des Kernbereichs der Rechtsprechung zählt die Entscheidungsfindung der Gerichte; sie stellen fest und sprechen aus, was rechtens ist.118 Ihnen obliegt die Wahrung und Konkretisierung des Rechts.119 Der Kernbereich der Rechtsprechung ist dabei vor Einwirkungen der anderen Gewalten besonders geschützt. Insofern kann die Entscheidung der rechtsprechenden Funktion nicht durch die anderen Funktionen abgeändert oder gar aufgehoben werden, während Akte der Gesetzgebung und vollziehenden Gewalt durch die Gerichte für nichtig erklärt bzw. aufgehoben und abgeändert werden können.120 Verfassungsrechtliche Bewertung der Theorie Die Kernbereiche der drei Funktionen stellen jeweils Ausübungs-, Regelungsund Wirkverbote für die Funktionsträger der anderen Funktionen dar.121 In der Theorie geht es also idealerweise um die funktionale Unantastbarkeit von Kernkompetenzen und ihr Ineinandergreifen in sogenannten Zwischenbereichen.122 Vor diesem Hintergrund fragt sich aber, ob die materielle Begriffsbestimmung der Funktionen und der Schluss von der Funktion auf das Organ die verfassungsrechtlich richtige Herangehensweise ist. Zunächst einmal ist der Kernbereichslehre ihre Vereinbarkeit mit Wortlaut und Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zugutezuhalten: Die Regelungstechnik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG spricht erst von einer Abgrenzung verschiedener Funktionen und dann von einer Zuordnung zu den Organen, sodass eine materielle Bestimmung der Funktionen im Vorfeld unerlässlich ist.123 Dabei ist nur von den Funktionen her ein Rückschluss auf die einzelnen Funktionsträger systematisch realisierbar.124 Denn die Gewaltenteilung bezweckt die Ordnung und Teilung der ausgeübten Staatsgewalt. Die Staatsgewalt ist in Anlehnung an Art. 30 GG die Gesamtheit aller staatlichen Tätigkeiten und Befugnisse und demgegenüber nicht die Gesamtheit der sie ausübenden Organe. Eine Betrachtung der Verfassungsorgane unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung kann allenfalls an Organgruppen anknüpfen, wobei dies dem Grunde nach nichts anderes als die Kategorisierung von – wiederum – Funktionen bedeutet.125 117

Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 231 ff. BVerfGE 7, 183 (188 f.). 119 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 548. 120 BVerfGE 7, 183 (188). 121 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 233. 122 Leisner, in: DÖV 1969, S. 405, 407. 123 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  64. 124 Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 292; Stern, StaatsR II, § 36 II 1; ähnlich auch Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 11. 125 Stern, StaatsR II, § 36 II 1. 118

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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Kritiklos bleibt die Auseinandersetzung mit dem materiellen Ansatz jedoch nicht. Im Gegenteil: Zwar ist es dem Grunde nach erforderlich, ein abstraktes Prinzip wie die Gewaltenteilung, das als Argumentationstopos zur Klärung konkreter Rechtsfragen herangezogen wird, großzügig auszulegen und unbestimmte Rechtsbegriffe gegenüber einengenden Kategorien vorzuziehen.126 Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff des Kernbereichs einer „Leerformel“127 gleicht.128 Die etwaigen Kernbereiche bewegen sich auf einem „schwankenden Boden unsicherer Hypostasierungen“129 und produzieren allenfalls „unzulängliches Stückwerk“130, da ihre Definitionsversuche an wiederum unbekannte und undefinierte materielle Begrifflichkeiten anknüpfen. Die fehlende Universalität und Präzision der Kernbereichslehre münden schnell in einem Teufelskreis: Wie kann die Feststellung erfolgen, dass die verfassungsrechtlichen Schranken der Gewaltenteilung durchbrochen wurden, wenn nicht einmal diese Schranken klar umrissen sind?131 Das Problem liegt dabei nicht in der Anknüpfung an materielle Kriterien, sondern darin, dass man sich dabei an bestimmten Begriffen von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung orientiert, die apriorisch zu existieren scheinen, anstatt auf materielle Aussagen des positiven Verfassungsrechts abzustellen.132 Dies betrifft im Rahmen der Kernbereichslehre besonders die gesetzgebende Funktion, die aufgrund ihrer historisch gewachsenen Bedeutsamkeit dazu einlädt, mit einem gewissen Pathos aufgeladen zu werden, wobei das zu Grunde liegende Begriffsverständnis auf die Zeit der konstitutionellen Monarchie zurückgeht.133 Dies ist vor dem geltenden Recht indes irreführend. Es leuchtet nicht ein, warum losgelöst vom geltenden Verfassungstext apriorisch, insofern also überverfassungsrechtlich, zu bestimmen versucht wird, welche Mindestbefugnisse der gesetzgebenden Funktion zukommen, während Art. 70 ff. GG im VII. Abschnitt konkrete Aussagen diesbezüglich treffen. 126

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 8, 136; Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn. 63: „An dieser Stelle wird deutlich, dass die Steuerungswirkungen, die dem Grundsatz der Gewaltenteilung von diesem Ansatz zugeschrieben werden, eher schwach sind. Sie laufen mehr darauf hinaus, Problemzonen, Spannungsfelder und Grundtendenzen aufzuzeigen, statt verfassungsrechtliche Einzelfragen ‚durchzulösen‘. Allerdings sollte von einem isoliert betrachteten, verfassungstheoretischen Grundsatz der Gewaltengliederung auch nicht unbedingt mehr erwartet werden.“ 127 Leisner, in: DÖV 1969, S. 405, 407. 128 Ebenfalls kritisch zur Bestimmung und zum Aussagegehalt etwaiger Kernbereiche Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 478. 129 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 201. 130 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 230. 131 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 27; präzise die Kritik an der Kernbereichslehre zusammenfassend Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 357 ff. 132 Auf dieser Linie Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 52 ff., 200 ff.; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 480, der den Inhalt des Prinzips der Gewaltenteilung ebenfalls eng an die Aussagen des Grundgesetzes anknüpft und eine überverfassungsrechtliche Bestimmung ablehnt. 133 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 200.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Es lässt sich festhalten, dass die Kernbereichslehre einen Versuch darstellt, der Gewaltenteilung in genere und der Gewaltentrennung im Besonderen Direktionskraft zuzusprechen. In diesem Kontext werden Kernbereiche gebildet, die auf apriorischen Begriffsverständnissen von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung beruhen. Dennoch bzw. gerade deswegen ist die Kernbereichslehre aufgrund einer hohen Einzelfallbezogenheit, fehlender juristischer Dogmatik und materiell unpräziser Abgrenzungen allein für sich betrachtet wenig geeignet, die Gewaltentrennung nach dem Grundgesetz zu bewerkstelligen. Vor allem die mangelnde positivistische Anbindung dieser materiellen Theorie wiegt schwer. b) Die rein formale Theorie Als Gegenmodell zu der materiellen Theorie ließe sich eine rein formale Betrachtungsweise anstrengen, die das Organ anstelle der Funktion an den Anfang stellt, zumal das Grundgesetz nicht zu einem Vorgehen nach materiellen Begriffsdefinitionen zwingt, um die drei Funktionen nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG voneinander zu trennen.134 Schon die verfassungsrechtliche Analyse des Verhältnisses von funktionaler zu organisatorischer Gewaltenteilung zu Beginn dieses Kapitels hat keine eindeutige Antwort darauf geliefert, ob zunächst die Funktion materiell zu bestimmen ist oder ob von der Existenz eines Organs auf seine Aufgaben und damit die Funktionen geschlossen wird.135 Konzeptionelle Trennung der Funktionen Bei rein formaler Betrachtung wird vom Organ bzw. der Organgruppe auf die verfassungsmäßige Wahrnehmung der Funktion geschlossen.136 Im Sinne einer rein formalen Theorie reicht für die Gewaltentrennung der drei Funktionen aus, dass die Ausübung der Staatsgewalt von verschiedenen Organen wahrgenommen wird.137 Im Kern geht es daher um eine reine Pluralisierung von Gewaltträgern, die in einer strikten Zuständigkeitsordnung aufgehen, ohne materiell bestimmen zu müssen, in welcher Funktion der jeweilige Gewaltträger auftritt.138 Die bloße Existenz mehrerer Gewaltträger innerhalb einer Zuständigkeitsordnung würde dann den Anforderungen an eine verfassungsmäßige Gewaltentrennung genügen.139 Indem das Grundgesetz verschiedene Verfassungsorgane mit unterschiedlichen Befugnissen konstituiert, ist der Gewaltentrennung bei formaler Betrachtungsweise bereits ge 134

Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 176. Siehe dazu S. 67 ff. 136 In diesem Sinne zusammenfassend Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 45 f. m. w. N. 137 Leisner, in: DÖV 1969, S. 405, 408. 138 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  70. 139 Cornils, in: Depenheuer / Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 699 Rn. 61. 135

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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nügend Rechnung getragen. Folglich wäre all das Rechtsprechung, was der Richter entscheidet, Gesetzgebung, was der Bundestag beschließt und Vollzug, was die Bundesregierung und ihre nachgeordneten Behörden ausführen. Verfassungsrechtliche Bewertung der Theorie Zwar scheint bei einer Pluralisierung der Gewaltträger dem Sinn und Zweck der Gewaltententeilung, Machtmissbrauch zu verhindern, entsprochen, indem Macht auf zahlreiche Organe verteilt, anstatt in einer Hand gebündelt wird.140 Diese rein formale Sichtweise verleitet allerdings dazu, der Gewaltenteilung ein Maximierungsgebot aufzuzwängen, das jeder verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt.141 Die bloße Maximierung der Gewaltträger ohne Rücksicht auf den funktionalen Gehalt ihrer Aufgabenwahrnehmung würde nicht zur erstrebten Machtbalance führen, da sich nicht bestätigen lässt, dass eine gesteigerte Aufgabendistribution und ein höherer Grad an Teilung im Ergebnis auch eine effektivere Gewaltenteilung bedeuten würden – im Gegenteil.142 Mit einer Vielzahl kleiner, vereinzelter Gewaltträger steigt auch die Gefahr einer informalen, heimlichen Machtkonzentration, die gleichfalls bedrohlich ist. Auch würde bei rein formaler Betrachtung der Gewaltentrennung Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG allein deklaratorische Wirkung zukommen: Die Norm hätte keinen materiellen Aussagegehalt, wenn die Gewaltenteilung auf die Pluralisierung von Gewaltträgern beschränkt bleiben würde, da sie selbst Organe mit Kompetenzen nicht ausstattet, auf die es aber bei der Pluralisierung von Machtträgern allein ankommt. Das heißt aber auch, dass die Eigenarten der Funktionen, die durch die funktionale Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unstreitig geschützt werden, außer Betracht bleiben würden, sodass Übergriffe durch Organe in die durch die funktionale Gewaltenteilung implizierten selbständigen Funktionsbereiche der anderen Funktion zulässig wären, so lange sie in einer Kompetenzordnung hinreichend ausdrücklich geregelt wären. Würde man im Sinne eines rein formalen Ansatzes davon ausgehen, dass all das, was das Gesetz den Richtern zuweist, Rechtsprechung ist und wiederum dasjenige nicht, was ihnen nicht qua Gesetz zugewiesen wird, dann würde einzig und allein das Parlament über die Einhaltung des Prinzips der Gewaltenteilung entscheiden.143 Die exponierte Machtstellung der Gesetzgebung ist eines der entscheidendsten Argumente gegen die rein formale Sichtweise.144 140

Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  72. Cornils, in: Depenheuer / Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 699 Rn. 62; es geht eben nicht um die bloße Existenz wie auch immer ausgestalteter Organe, sondern um eine sachgemäße Aufgabenbewältigung, so auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 488. 142 Cornils, in: Depenheuer / Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 699 Rn. 62; so wohl auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  72. 143 So im Ergebnis die Kritik von Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  71, 73; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 46 f. 144 Diesen Eindruck gewinnt man auch bei Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 46 f. 141

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Hinzu kommt, dass die rein formale Theorie in dieser Konzeption schon im Ausgangspunkt keinen methodischen, widerspruchsfreien Umgang mit der Gewaltenteilung gewährleisten kann. Ein methodisch geschlossener Umgang ohne Ungereimtheiten kann angesichts Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG allein dann garantiert werden, wenn von klar definierten Organen auf ihre Funktionen oder aber von klar definierten Funktionen auf die besonderen Organe geschlossen wird. Setzte man im Sinne der rein formalen Theorie hingegen beides als gegeben voraus, so kommt es unweigerlich zu einem Parallellauf zweier verschiedener, sich allenfalls überschneidender Ordnungssysteme.145 Die rein formale Theorie kann daher nicht überzeugen. Materielle Elemente sind unerlässlich, um die ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerte funktionale Gewaltenteilung zu gewährleisten, auch wenn es dabei nicht um eine materielle Begriffsbestimmung, sondern positivistische, am Grundgesetz ausgerichtete Gewaltentrennung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung geht.146 Die bloße Pluralisierung von Machtträgern genügt demgegenüber den Anforderungen an eine funktionale Gewaltenteilung nicht. Erst die materiellen Eigenarten der Funktionen begründen ihre Daseinsberechtigung und verleihen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG über rein deklaratorische Bedeutung hinaus verfassungsrechtliche Relevanz. c) Die Theorie von materiellen und formellen Funktionen Gegenüber rein formalen respektive materiellen Ansätzen lässt sich vermittelnd eine Betrachtungsweise anstrengen, die im Ausgangspunkt sowohl an die Funktion als auch an das Organ anknüpft: Die Theorie von materiellen und formellen Funktionen eröffnet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, die Ausübung der Staatsgewalt unter verschiedenen funktionalen sowie organisatorischen Gesichtspunkten einzugruppieren. Konzeptionelle Trennung der Funktionen Wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Theorie der materiellen und formellen Funktionen bildet die Mannigfaltigkeit verfassungsrechtlicher Aufgabenwahrnehmung. Da verschiedene Kompetenzen de jure und de facto von mehreren Organen 145 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 204; die Zirkelschlüssigkeit der formalen Theorie lässt sich ebenso anhand anderer Funktionsträger belegen, so am Beispiel des Richters Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 20. 146 Den Stellenwert der materiellen Unterscheidung der Funktionen betonend Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 14; Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 20; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 610; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 46, 52 ff.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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anteilig wahrgenommen werden, besteht nach dem Grundgesetz keine organisato­ rische und funktionale Deckungsgleichheit, also keine Kongruenz zwischen Funktionen auf der einen und den besonderen Organen im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auf der anderen Seite.147 So obliegt zum Beispiel die Gesetzgebung im eigentlichen Sinne, also das Beschlussverfahren, zwar dem Bundestag gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG, dennoch ist die Bundesregierung gem. Art. 76 Abs. 1, 2 GG verfassungsrechtlich legitimiert, Gesetzesvorlagen einzubringen und damit das Gesetzgebungsverfahren wesentlich zu beeinflussen. Aufgrund solch anteiliger Aufgabenwahrnehmung – aber auch schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes – hielt man es für angebracht, die Funktion im materiellen von der Funktion im formellen Sinne zu unterscheiden. Die Unterscheidung formeller und materieller Funktionen ist eng mit dem Dualismus der Staatsaufgaben verbunden, den erstmals Friedrich Jakob Schmitthenner hervorbrachte.148 Weiterhin liegen auch die Theorie vom doppelten Gesetzesbegriff, der zwischen formellen und materiellen Gesetzen differenziert, sowie die Reichweite des Gesetzesvorbehaltes auf der Linie vorstehender Theorie.149 Die Mannigfaltigkeit verfassungsrechtlicher Aufgabenwahrnehmung sowie die fehlende organisatorische und funktionale Deckungsgleichheit führen schließlich dazu, ein dualistisches System formeller und materieller Funktionen zu unterscheiden.150 Das bedeutet letztlich, eine Trennlinie zwischen dem inneren, inhaltlich durch typische Merkmale gekennzeichneten Wesen bestimmter Staatstätigkeiten und den äußerlichen, formalen Tätigkeiten bestimmter Staatsorgane zu ziehen.151 Denn nicht alles, was von dem formell zu einer Funktion bestimmten Organ entäußert wird, entspricht auch materiell dieser, also derselben, Funktion. Das heißt, dass Organe, die formell der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Funktion zugeordnet sind, zwar formell Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung sind, aber nicht ihrem inhaltlichen Wesen nach bei jeder Ausübung der Staatsgewalt kongruent Aufgaben der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung wahrnehmen.152 Das äußert sich dann etwa in der Weise, dass eine von der Bundesregierung erlassene Rechtsverordnung gem. Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG formal in die Zuständigkeit der Regierung als Teil der 147

Stern, StaatsR II, § 36 I 7, II 2. Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845; ausführlich zu den Betrachtungsweisen nach Schmitthenner Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 106 ff. 149 Dazu z. B. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 12 ff., zum Gesetzesvorbehalt S. 62 ff.; ausführlich zum doppelten Gesetzesbegriff und Gesetz im materiellen Sinne bei ­Laband, Dts. Reichsstaatsrecht, S. 108 ff., zum Gesetz im formellen Sinne S. 121 ff.; Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 124 ff.; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 39. Um nicht noch weitere Variablen ins Feld zu führen, wird auf die gesonderte Darstellung der Gewaltenteilung auf Basis des doppelten Gesetzesbegriffs und der Unterscheidung des Gesetzes im formellen und im materiellen Sinne im Folgenden verzichtet. 150 Stern, StaatsR II, § 36 II 2. 151 Beyer, in: ZgS 1911, S. 421, 430; Stern, StaatsR II, § 36 II 2. 152 Stern, StaatsR II, § 36 II 2 m. w. N. 148

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

vollziehenden Gewalt fällt, aber materiell der Ausübung der gesetzgebenden Funktion zuzuordnen ist, da das Verordnungsrecht der Regierung im VII. Abschnitt des Grundgesetzes „Die Gesetzgebung des Bundes“ verortet ist und es sich inhaltlich um den Erlass materieller Gesetze mit allgemeinverbindlichem Charakter handelt. Verfassungsrechtliche Bewertung der Theorie An der Verfassungsmäßigkeit dieses Ansatzes lässt demgegenüber zweifeln, dass sich mit der Theorie von formellen und materiellen Funktionen die Diskrepanz bzw. fehlende Deckungsgleichheit zwischen Funktionen und Organen darstellen, aber nicht begründen, geschweige denn auflösen lässt, da es bei der Unterscheidung von materiellen und formellen Funktionen um die Einordnung in zwei parallellaufende Ordnungssysteme geht. Dieser Ansatz liefert weder die Antwort auf die Frage, ob die Ausübung konkreter staatlicher Befugnisse am Maßstab der Gewaltenteilung verfassungsmäßig erfolgt, noch eine Grundlage für eine eigenständige Trennung und Zuordnung von Funktionen. Es wird vielmehr auf eine bestehende Kompetenzordnung abgestellt, die die Begriffe von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung apriorisch zu Grunde legt.153 Dies führt dementsprechend zu bereits oben beschriebenen verfassungsrechtlichen Problemen und lässt die normative Funktionsbestimmung als Nebensächlichkeit verkümmern. Die verfassungsrechtliche Bewertung staatlicher Machtausübung am Maßstab der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kann dieser Ansatz daher nicht leisten. Hinzu kommt gewichtig, dass die Unterscheidung von materiellen und formellen Funktionen im Verfassungstext nicht angelegt ist. Die Unterscheidung in formelle und materielle Funktionen offenbart vielmehr expressis verbis ihr eigenes Unvermögen, weil sie augenscheinlich in eigentliche und uneigentliche Befugnisse der Staatsgewalt differenziert.154 Diese Vorstellung lässt sich demgegenüber nicht aus dem Verfassungstext entwickeln, weil das Grundgesetz nur verfassungsmäßige – und im Falle eines Verstoßes gegen Normen des Grundgesetzes verfassungswidrige – Befugnisse kennt. Die Theorie von formellen und materiellen Funktionen statuiert daher vielmehr zwei parallellaufende Ordnungssysteme, die keine verbindlichen Aussagen darüber zulassen, ob die Ausübung der Staatsgewalt gemessen am Maßstab nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verfassungsmäßig erfolgt. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kann diese Theorie jedenfalls nicht aufrechterhalten werden.155

153

Zur Kritik apriorischer Begriffsbestimmung Stern, StaatsR II, § 36 II 1 b); Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 46 ff. 154 Dazu und im Folgenden Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 45. 155 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 56.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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d) Die Theorie der Funktionenadäquanz Einen weiteren Ansatz, die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung voneinander zu trennen, liefert die vergleichsweise moderne Theorie der Funktionenadäquanz. 1984 statuiert das BVerfGE in seiner Entscheidung zur Atomwaffenstationierung erstmalig, dass funktionale wie organisatorische Gewaltenteilung nicht ausschließlich der Kontrolle staatlicher Machtausübung dienten, sondern auch gewährleisten, dass „[…] die staatlichen Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen […].“156 Durch vorstehend zitiertes Urteil leitete das BVerfG eigens die Modifikation seiner Kernbereichslehre ein. Über die materiellen Unterschiede der Funktionen hinaus fragt es nunmehr, welches Organ die Funktion aufgrund seiner Organstruktur, Zusammensetzung und Verfahrensweise am besten ausüben kann; es ordnet also die Funktionen bestimmten Organen aufgrund ihrer Funktionenadäquanz zu.157 Die funktionsgerechte Organstruktur158 wird damit zum Dreh- und Angelpunkt der Gewaltentrennung. Die Theorie der Funktionenadäquanz hat daher zum Ziel, die strukturell optimale, sachgerechteste Besetzung der verschiedenen Funktionen zu ermitteln.159 Die angestrebte effiziente Funktionenzuordnung ergibt sich dann aus der Frage, was die jeweilige Staatsfunktion von einem Organ verlangt.160 Sie ist daher weitaus weniger auf materielle Kernbereiche und Begriffsdefinitionen von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung gestützt als vorstehende Ansätze161 und knüpft sowohl auf organisatorischer als auch auf funktionaler Ebene an. Konzeptionelle Trennung der Funktionen Die Theorie der Funktionenadäquanz vermittelt eine genaue Vorstellung davon, was die funktionsgerechte Gesetzgebung verlangt.162 Die Gesetzgebung ist ihrem Wortlaut nach eng mit der Setzung abstrakt-genereller Normen, also den Gesetzen, verbunden, die allgemeingültig gegenüber dem Bürger gelten. Diese Allgemeingül 156

BVerfGE 68, 1 (86). BVerfGE 68, 1 (86); 95, 1 (15); 98, 218 (251 f.); 124, 78 (120); 139, 321 (362); 143, 101 (Rn. 118). 158 Diesen Begriff verwendete als erster Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 402; dann im Weiteren übernommen u. a. von Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 549; oder auch Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 186 ff. 159 Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183, 184; Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 403; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 48 f. 160 Lerche, in: Isensee, Gewaltenteilung heute, S. 75, 78, 81. 161 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  90 f.; Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 295. 162 Dazu und im Folgenden Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 488; ausführlich zur Gesetzgebung Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 249 ff. 157

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

tigkeit, die die Gesetzgebung ausmacht, verlangt im Sinne der funktionsgerechten Organstruktur, dass die Setzung der Normen von einem Organ erfolgt, das strukturell dieser Aufgabe gerecht wird. Dafür sind die freie Willensbildung, Publizität und Transparenz des gesetzgebenden Organs erforderlich. Diese Organeigenschaften sind untrennbar mit dem Parlament verbunden. Das Parlament ist der besondere, transparente und diskursive Ort des Verfassungsstaates. Es steht in engem Kontakt mit der beobachtenden und kommentierenden öffentlichen Meinung sowie mit Sachverständigen und politischen Interessenverbänden im Austausch163, was die Allgemeingültigkeit seiner Rechtsetzung weitestgehend legitimiert. Die hingegen zahlenmäßig überschaubare Regierung als Teil der vollziehenden Gewalt zeichnet sich dadurch aus, dass sie sachlich, organisatorisch und personell am ehesten auf schnell wechselnde äußere Lagen sachgerecht und zeitnah zu reagieren vermag.164 Anders als die Verfahren der Gesetzgebung sind ihre Verfahren daher informell und ihre Entscheidungsfindung vollzieht sich verfahrensrechtlich nicht-öffentlich.165 Diese Interpretation ergibt sich auch unmittelbar aus der Verfassung: Akte der auswärtigen Gewalt sind gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG dem Grunde nach der Regierung zugeordnet.166 Allerdings zeigt sich auch anhand des Verordnungsrechts nach Art. 80 Abs. 1 GG, dass die Regierung nicht in jedem Falle verfahrensrechtlich formlos handeln darf, jedenfalls dann nicht, wenn es um wenig dringliche Entscheidungen geht.167 Demgegenüber ist die Verwaltung „mehr als abhängiger Vollzug“168 und mehr als der „verlängerte Arm“169 der Regierung. Als zweiter Teil der vollziehenden Gewalt zeichnet sie sich personell und sachlich durch den Sachverstand Einzelner aus, der eine Einzelfall- und Ermessensbetrachtung sowie daraus resultierende Einzelfallentscheidungen anhand eines konkreten Sachverhaltes ermöglicht.170 Die Organisationsstruktur der Verwaltung ist durch ihre sachliche, verfahrensrechtliche und personelle Ausstattung geprägt, jeder Zeit sachnahe, unparteiliche und lokal differenzierte Einzelfallentscheidungen zu treffen.171 Das stark untergliederte System in Behörden, Ämter und Amtswalter ermöglicht eine sachverständige Entscheidung unter Kenntnis aller Wirklichkeitszusammenhänge.172 Die verfahrensrechtliche Umsetzung ist dabei schwerpunktmäßig auf den Erlass von 163

Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 19. BVerfGE 68, 1 (87); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 531, 533; Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 281 m. w. N.; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 235, ausführlich S. 266 ff. 165 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 270 f. 166 BVerfGE 68, 1 (87). 167 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 272 f. 168 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 537. 169 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 538. 170 So auch BVerfGE 139, 321 (363); Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 408. 171 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 536; Zimmer, Funktion-KompetenzLegitimation, S. 274 f. 172 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 275, 277. 164

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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Verwaltungsakten gerichtet, was sich als ein funktionsadäquates Instrument der Verwaltung präsentiert.173 Die Aufgabe der Rechtsprechung ist hingegen die rechtliche Bewertung des Einzelfalls. Der Rechtsprechung kommt im Gegensatz zur Gesetzgebung eine retrospektive, subsumierende Funktion zu.174 Um eine effiziente Bewertung des Einzelfalles zu gewährleisten, bedarf es nicht eines Kollektivs im Sinne eines Parlaments und auch nicht des Einzelnen, sondern einer kleinen Zahl.175 Daher sind die Richter das funktionsadäquate Organ. So ist „[…] die rechtskräftige Individualisierung […] unabhängigen Richtern in (justizförmigen) Verfahren, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Gerichtsverfahren genügen, vorbehalten […].“176 Darüber hinaus ist sowohl eine besondere juristische Sachkenntnis erforderlich als auch die organisations- und verfahrenstechnische Abschirmung von politischen Beeinflussungsmöglichkeiten.177 Die politische Unabhängigkeit und Unbeeinflussbarkeit der Richter gewährleisten das funktionsadäquate Verfahren der Gerichte.178 Nur so können zwangsweise Entscheidungen gegen das Individuum funktionsadäquat begründet und legitimiert werden.179 Verfassungsrechtliche Bewertung der Theorie Die Theorie der Funktionenadäquanz gilt gemeinhin als Schlüssel zur verfassungsmäßigen Trennung und Zuordnung der Funktionen.180 Dies mag vor allem darauf zurückzuführen sein, dass Elemente der funktionalen sowie der organisatorischen Gewaltenteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Berücksichtigung finden. Darüber hinaus wird in zahlreichen anderen Normen des Grundgesetzes erkennbar, dass ein verfassungsrechtlicher Sinnzusammenhang zwischen materiellem Aufgabenbereich und charakteristischer Organstruktur besteht und unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung einzufordern ist.181 Zum Beispiel zeigen Art. 104 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2, Art. 18 S. 2, Art. 98 Abs. 2 GG in Zusammenschau mit Art. 97 Abs. 1, Art. 101 Abs. 2, Art. 103 GG, dass einzelne Sachbereiche der Rechtsprechung zugeteilt sind, weil bestimmte verantwortungsvolle Aufgaben 173

Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 280. Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 409; Möllers, Die drei Gewalten, S. 100; ders., Gewaltengliederung, S. 95; a. A. wohl Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 548, der schwerpunktmäßig auf die Wahrung und Fortbildung des Rechts durch den Richter abstellt. 175 Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 409. 176 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 292. 177 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 235 f. 178 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 488; Zimmer, Funktion-KompetenzLegitimation, S. 49, 235 f. 179 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 293. 180 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 482; Hoffmann-Riem, in: Hufen, FSSchneider, S. 183, 184; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 71. 181 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 48. 174

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

eine bestimmte sachgerechte Organstruktur erfordern. So lässt sich auf den Punkt bringen, dass beispielsweise das Erkennen auf Freiheitsstrafe aufgrund seiner Gravität der Entscheidungswirkung nur durch das Organ – den Richter – erfolgen kann, welches keiner politischen Beeinflussung unterliegt und dessen Verfahren die Garantie für eine umfassende Wahrheitsermittlung bietet.182 Aus teleologischer Sicht wird durch eine funktionsgerechte Verteilung der Staatsgewalt auf die Organe zum Ausdruck gebracht, dass es bei der Gewaltenteilung als Element des Rechtsstaatsprinzips um mehr als die Machtbalance und Freiheitssicherung des Einzelnen im modernen Verfassungsstaat geht. Zu den weiteren Motiven der Gewaltenteilung zählen die Legitimation, Verantwortung und Effizienz staatlichen Handelns, die gleichermaßen zu schützen und zu fördern sind.183 Gegen den Ansatz der Funktionenadäquanz spricht indes, dass „die Katze sich in den eigenen Schwanz zu beißen scheint“: Die Adäquanz einer Funktionenausübung kann nur dann bestimmt werden, wenn die Funktion und ihre optimale Ausübung materiell bestimmbar und hinreichend bestimmt sind. Es wird eine gewisse Grundkenntnis darüber vorausgesetzt, was die jeweilige Funktion zu eigen hat und materiell von dem Organ einfordert.184 Letzten Endes zeigt sich, dass auch die Lehre der Funktionenadäquanz nicht in der Lage ist, widerspruchsfrei und eigenständig Aussagen darüber zu treffen, wo die Trennlinien zwischen Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung verlaufen. Es erscheint schwierig, anhand dieser die Grenzen der einzelnen Funktionen bestimmen zu wollen, weil die Funktionenadäquanz letztlich nur belegt, dass weitestgehend unbestimmte staatliche Entscheidungen von Organen mit bestimmten Eigenschaften getroffen werden müssen: Allgemeinverbindliche Entscheidungen vom Parlament, subsumierende Einzelfallbetrachtungen von der Verwaltung, die Urteilsfindung vom Richter. Das setzt allerdings dem Grunde nach materiell-rechtliche Definitionen bzw. gewisse materielle Vorstellungen über funktionale Eigenarten voraus. Nämlich: Was bedeutet Gesetzgebung? Allgemeinverbindlichkeit! Was bedeutet Vollzug? Subsumierende Einzelfallbetrachtung! Was bedeutet Rechtsprechung? Rechtliche Beurteilung konkreter Sachverhalte etc. Die Antwort auf vorstehende Fragen liefert die Theorie der Funktionenadäquanz

182

Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 48 f. Cornils, in: Depenheuer / Grabenwarter, Verfassungstheorie, S. 657, 683 f. Rn. 36; Maier, Gewaltenteilung bei Aristoteles, S. 27 ff. erkennt neben der Missbrauchsverhütung aus staatsphilosophischer Sicht die Steigerung der Funktionsfähigkeit und Effektuierung des Staates durch Gewaltenteilung als selbstverständlich an; Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 549; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 207; v. a. die Effektuierung durch Arbeitsteilung betonend Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 94 f. 184 In diese Richtung auch Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 195, wonach der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur (lediglich) als Bindeglied zwischen dem Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung und den ihm zuzuordnenden konkreten Verfassungsregelungen angesehen werden könne. 183

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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indes selbst nicht, sondern setzt die funktionalen Eigenarten als gegeben voraus. Die Funktionenadäquanz kann daher vielmehr als ein zweiter, korrigierender Parameter verstanden werden. Sie gewährleistet eine sachgerechte Funktionenverteilung, nachdem die funktionale Eigenart materiell und normativ auf Grundlage des Grundgesetzes im Großen und Ganzen bereits festgestellt wurde. Für sich alleinstehen kann daher auch diese Theorie nicht. e) Der legitimationstheoretische Ansatz Einen anderen Anknüpfungspunkt der Gewaltentrennung eröffnet der legitimationstheoretische Ansatz. Ob eine Aufgabe den gesetzgebenden, den vollziehenden oder den rechtsprechenden Organen obliegt, wird danach beurteilt, welches Niveau demokratischer Legitimation eine Aufgabe erfordert.185 Im Mittelpunkt des legitimatorischen Ansatzes steht der freiheitssichernde Aspekt verfassungsmäßiger Gewaltenteilung. Das Ziel der Gewaltenteilung – die Freiheit des Einzelnen vor hoheitlicher Missbrauchsherrschaft zu bewahren – wird über die Freiheit durch legitimierte Herrschaft verwirklicht.186 Die Selbstbestimmung des Volkes ist dabei das zentrale, notwendige Element, um jede Form der Herrschaftsausübung in der Demokratie zu legitimieren187 und tritt in zwei Erscheinungsformen auf (sogenanntes doppeltes Selbstbestimmungserfordernis). Das doppelte Selbstbestimmungserfordernis basiert dem Grunde nach auf der individuellen und der kollektiven Selbstbestimmung.188 Die individuelle Selbstbestimmung knüpft an den Willen und die Entscheidung des einzelnen Bürgers an, während die kollektive Selbstbestimmung die Selbstbestimmung durch das Staatsvolk als solches meint.189

185

Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 449 f.; Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 296; auch nach Schwarz / Sairinger, in: NVwZ 2021, S. 265, 271 stehen die drei Funktionen auf unterschiedlichen Legitimationsniveaus, wobei die konkrete Zuweisung einer Kompetenz zum Organ darüber hinaus und ganz wesentlich durch das Prinzip gegenseitiger Kontrolle und Hemmung beeinflusst wird. 186 Möllers, Gewaltengliederung, S. 16, 41. 187 Möllers, Die drei Gewalten, S. 69; ders., Gewaltengliederung, S. 15. Die Selbstbestimmung als legitimierendes Element folgt einerseits aus Art. 1 Abs. 1 GG, also der Personalität und der Subjektqualität des Individuums und seiner Fähigkeit zur freien Willensbildung, und andererseits aus den Grundrechten, also dem Schutz individueller Selbstbestimmung. Die Notwendigkeit der Rückführbarkeit staatlicher Machtausübung auf die Selbstbestimmung des Volkes folgt wiederum aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, denn staatliche Herrschaft ist nur als Form der Selbstbestimmung der ihr Unterworfenen zu legitimieren, S. 30, 399. 188 Möllers, Die drei Gewalten, S. 71 ff.; ders., Gewaltengliederung, S. 15. 189 Möllers, Die drei Gewalten, S. 71 ff.; ders., Gewaltengliederung, S. 34 f.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Konzeptionelle Trennung der Funktionen Die drei unterschiedlichen Funktionen der ausgeübten Staatsgewalt lassen sich im Kontext des doppelten Selbstbestimmungserfordernis legitimationsrechtlich jeweils typisieren.190 Die Gesetzgebung ist der Inbegriff artikulierter verselbständigter, kollektivdemokratischer Selbstbestimmung.191 Fragen, die das Gemeinwesen bzw. viele betreffen, sollen von dem Organ beantwortet werden, das qualitativ am stärksten demokratisch legitimiert ist; das ist das Parlament, das vom Volke in Wahlen gewählt wird.192 Die Wahl des Parlaments ist der entscheidende Moment, insofern als darin der kollektiv-demokratische Wille des Volkes abgebildet wird.193 Dieser Legitimationsmodus befähigt das Parlament, zukunftsorientiert und mit großer Entscheidungsreichweite, in der Regel also allgemeingültig, zu handeln.194 Die Rechtsprechung hingegen trifft individualisierte, retrospektive Entscheidungen ohne eigeninitiativ tätig zu werden.195 Traditionell wird die Legitimation der Rechtsprechung an ihre Gesetzesbindung gem. Art. 20 Abs.3 GG angeknüpft, mithin an jene Gesetze, die auf die kollektiv-demokratisch legitimierte Gesetzgebung zurückzuführen sind, sodass eine mittelbare Legitimation der Rechtsprechung erfolgt.196 Außerdem legitimiert der jeweilige Wille des Klägers, also des Individuums, die konkrete gerichtliche Entscheidung.197 Der Schwerpunkt der Legitimation soll bei der individuellen Selbstbestimmung des Klägers liegen198, da diese eng mit dem individualisierten Charakter der gerichtlichen Entscheidung verknüpft ist. Demgegenüber zeichnet sich die vollziehende Gewalt durch ihre politischen Initiativen sowie Alternativen, schöpferisches Agieren, Sachverstand und Dynamik, im Falle der Verwaltung durch Sach- und Bürgernähe sowie Sachkunde aus, 190

Möllers, Die drei Gewalten, S. 94, 95 ff. Möllers, Die drei Gewalten, S. 95. 192 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 503; Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 450. 193 Möllers, Gewaltengliederung, S. 107, 108 ff.; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 209. 194 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  62; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 504 ff. 195 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  62; Möllers, Die drei Gewalten, S. 100; ders., Gewaltengliederung, S. 95 ff.; nach Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 549 entfaltet die Rechtsprechung daher v. a. „ordnende, rationalisierende und stabilisierende Wirkung“. 196 Möllers, Die drei Gewalten, S. 101; ders., Gewaltengliederung, S. 97; Zimmer, FunktionKompetenz-Legitimation, S. 210; Säcker, in: NJW 2018, S. 2375, 2378 sieht die demokratische Legitimation der richterlichen Entscheidung v. a. durch die Richterwahl gegeben. Gem. Art. 94 Abs. 1 S. 2 und Art. 95 Abs. 2 GG legitimieren das Parlament und die Exekutive die Richter jedenfalls mittelbar. 197 Möllers, Die drei Gewalten, S. 101; ders., Gewaltengliederung, S. 97. 198 Möllers, Gewaltengliederung, S. 97.

191

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um Einzelfallgerechtigkeit gegenüber dem Individuum zu generieren.199 Aber wie ist die vollziehende Gewalt legitimiert, wenn sich intrafunktional zum einen der einzelne Beamte, der Einzelentscheidungen mit strikter Gesetzesbindung trifft, und zum anderen die initiierende, dynamisch handelnde Regierung gegenüberstehen?200 Die legitimationsrechtliche Lösung ist keinesfalls eindeutig. Der vollziehenden Gewalt wird kein eigener Legitimationsmodus zugeschrieben. Sie steht legitimatorisch zwischen individueller Selbstbestimmung durch den Einzelnen und demokratischer Selbstbestimmung durch viele. Innerhalb der vollziehenden Gewalt wird von oben nach unten differenziert: Je mehr Amtsträger zwischen Minister und nachgeordnete Stellen treten, desto näher kommt die vollziehende Gewalt dem individuellen Selbstbestimmungsanspruch des Bürgers.201 Legitimiert ist sie aber letztlich durch ihre Stellung zwischen individueller und demokratischer Selbstbestimmung. Verfestigt wird diese Einordnung durch die Bindung der vollziehenden Gewalt gem. Art. 20 Abs. 3 GG an durch die kollektiv-demokratisch legitimierte Gesetzgebung gesetztes Recht und ihre Kontrolle durch die individuell legitimierten Gerichte.202 Verfassungsrechtliche Bewertung der Theorie Zwar stellt der legitimatorische Ansatz entsprechend dem Wortlaut und der Systematik des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die materielle Funktion der Herrschaftsausübung an den Anfang203, fragt also zunächst nach bestimmten materiellen Kerneigenschaften der Funktionen (prospektiv, retrospektiv, einzelfallbetrachtend etc.) und sucht dann über den jeweiligen Legitimationsmodus nach dem verfassungsmäßigen Organ. Jedoch ist zweifelhaft, ob dieser Ansatz, der auf einem binären System von individueller und kollektiver Selbstbestimmung basiert, in der Lage ist, die komplexe Funktionalität aller drei Funktionen abbilden zu können.204 Kritisch zu bewerten ist in diesem Kontext vor allem der fehlende eigene Legitimationsmodus der vollziehenden Gewalt. Es ließe sich denken, dass der unstreitig 199

Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 457; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 531, 635. 200 Dieses Problem sieht wohl dem Grunde nach auch Möllers, Die drei Gewalten, S. 107; ders., Gewaltengliederung, S. 113. 201 Möllers, Die drei Gewalten, S. 108; ders., Gewaltengliederung, S. 112 f.; ähnlich Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 62, der die Verwaltung als Verknüpfung kollektivdemokratischer und individueller Legitimation einordnet. 202 So Möllers, Die drei Gewalten, S. 110; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 213 sieht die Regierungsmitglieder jedenfalls unmittelbar durch die Vertreter des Volkes legitimiert (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), weil der Regierungschef vom Vertrauen des Parlaments abhänge. Demgegenüber gibt das BVerfG in BVerfGE 68, 1 (109) auch die parlamentarische Kontrolle als wesentlich für die ausreichend kollektiv-demokratische Legitimation der Regierung an. 203 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  64. 204 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  65.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgte funktionale Eigenbereich der vollziehenden Gewalt dadurch negiert würde.205 Mit dem legitimatorischen Ansatz entstünde dann unweigerlich eine Hierarchie der Organe bzw. die Gefahr eines Gewaltenmonismus des Parlaments206, was hingegen in der Systematik des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG keine Grundlage findet. Es besteht die Gefahr, dass die funktionale Gewaltenteilung unterlaufen würde und dann zu Gunsten eines höheren Legitimationsniveaus die bewusste Entscheidung des Grundgesetzes für die vollziehende Gewalt unberücksichtigt bliebe.207 Zwar steht der legitimatorische Ansatz im Vergleich zur Theorie der Funktionenadäquanz für mehr Eigenständigkeit, allerdings kommt es hier zu systema­ tischen Brüchen auf der Ebene funktionaler Gewaltenteilung. Der legitimatorische Ansatz extrahiert Spannungsfelder der Gewaltentrennung und löst partiell Probleme der Gewaltenteilung über eine Zuordnung der Funktionsträger anhand ihres Legitimationsmodus, ist darüber hinaus jedoch nicht in der Lage, die Ausübung staatlicher Macht am Maßstab der Gewaltententeilung zu messen.208 Vornehmliche Ursache dafür ist, dass der über den jeweiligen Legitimationsmodus des Organs stattfindenden Gewaltentrennung gezwungenermaßen eine Privilegierung der gesetzgebenden Funktion immanent ist. Der legitimatorische Ansatz vermag letztlich zwar die Gewaltenteilung wegen seiner demokratischen Rückanbindung ganzheitlich zu betrachten und verfassungsrechtlich einzubinden. Dennoch kann aber auch dieser Ansatz nicht allein für das Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und seinen Maßstab stehen.209 f) Zusammenfassung Nach eingehender Betrachtung des ersten Grundpfeilers der Gewaltenteilung, der Gewaltentrennung, zeigt sich, dass sich die Herausarbeitung wesentlicher Aussagen über die Inhalte und Grenzen der Gewaltentrennung als schwierig erweist. Die Methode, die drei Funktionen voneinander zu trennen, existiert nicht, da weder formale noch materielle bzw. organisatorische oder funktionale Ansätze für sich genommen alleinstehen können.210 Die materiellen Theorien sehen sich vornehmlich dem Problem apriorischer Begriffsbestimmung und fehlender verfassungsrechtlicher Anbindung gegenüber. Die formal geprägten Theorien verlieren demgegenüber aus dem Auge, dass es bestimmte materielle Eigenarten der Funktionen gibt, die die Existenz von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung 205

Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 452. Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 451. 207 BVerfGE 49, 89 (125); 68, 1 (86 f., 109). 208 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  63. 209 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  69. 210 Ebenso kritisch zum isolierten Umgang mit einzelnen Ansätzen Hain, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG, Art.  79 Rn.  103 f. 206

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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erst zu legitimieren vermögen. Denn ein bloßer Maximierungsgedanke der Machtträger kann weder dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch dem Telos der Gewaltenteilung abgewonnen werden. Auch Ansätze, die zunächst den Anschein erwecken, einen ganz eigenen Anknüpfungspunkt zu verfolgen, wie die Theorie der Funktionenadäquanz oder der legitimationstheoretische Ansatz, stützen sich im Kern auf bestimmte materielle Vorstellungen der Funktionen oder Zuständigkeiten bestimmter Organgruppen, was wiederum zu den eben beschriebenen Ausgangsproblemen führt. Die verschiedenen Ansätze bedingen sich also vielmehr gegenseitig. Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Gewaltentrennung und für den Maßstab der Gewaltenteilung ziehen? Erstens, die augenscheinliche Ansatzlosigkeit der Gewaltentrennung unterstreicht die obige Annahme, dass die funktionale und organisatorische Gewaltenteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in keinem eindeutigen Verhältnis zueinander stehen, sondern formale wie materielle Elemente gleichermaßen im Prinzip der Gewaltenteilung enthalten sind. Erst verbunden in Summe lässt sich eine Aussage über das Prinzip der Gewaltenteilung bzw. über dessen Anforderungen treffen. Zweitens, für den Maßstab erweist sich der fehlende Standard, was die Gewaltentrennung anbelangt, als besonders problematisch. Ursache dafür ist, dass vorstehende Annahmen dazu führen können, bereits aufgrund fehlender Globalanforderungen der Gewaltentrennung die Direktionskraft des Prinzips anzuzweifeln211 bzw. sie als in ihrer Ausformung durch die Kompetenznormen erschöpft und damit bereits oben geäußerte Kritik als bestätigt anzusehen. Drittens, hat sich gezeigt, dass eine isolierte Betrachtung der Gewaltentrennung als ersten Grundpfeiler der Gewaltenteilung keine standardisierten Anforderungen im Sinne eines Maßstabs generieren kann. In einem nächsten Schritt gilt es daher, das zweite Essential der Gewaltenteilung, die Gewaltenverschränkung, zu beleuchten, um daraus seine etwaigen standardisierten Aussagegehalte gewinnen zu können. Zuletzt entscheidet sich in einem Fazit, ob sich eine einheitliche, vorbildhafte Norm im Sinne eines Maßstabs aus beiden Grundpfeilern entwickeln lässt. 2. Zum zweiten Grundpfeiler: Die Gewaltenverschränkung Neben die Gewaltentrennung tritt als zweiter Grundpfeiler die Gewaltenverschränkung. In diesem Sinne stehen die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung nicht unverbunden nebeneinander, sondern bilden ein „[…] Beziehungsgeflecht, welches unterschiedliche Formen und Verfahren interorganschaftlicher personeller und sachlich-inhaltlicher Kontrolle sowie Zusammenarbeit umfasst“.212 Es geht um das geordnete Zusammenspiel bei dem Grunde 211

Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 63, 69. Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 212; ähnlich Schmitt, Verfassungslehre, S. 196.

212

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

nach getrennten Kompetenzbereichen der Organe, die von der Verfassung zur gemeinschaftlichen Aufgabenerfüllung eingerichtet werden213, um die ausgeübte Staatsgewalt zu Gunsten des Gemeinwohls zu kanalisieren.214 Als Mittel der Wahl erweist sich gegenseitige Kontrolle als Kernelement der Gewaltenverschränkungen.215 Die Herausforderung besteht darin, dass der durch die gegenseitige Kontrolle erreichte Gewinn an Mäßigung staatlicher Gewalt nicht außer Verhältnis zur Effizienz staatlicher Machtsauübung und Funktionsfähigkeit des Staates steht; eine Art positive Gesamtbilanz muss in Summe gebildet werden können.216 Da die Gewaltenverschränkung keine ausdrückliche Erwähnung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG findet, gilt es in einem ersten Schritt, ihre verfassungsrechtliche Legitimität herzuleiten (a)). Beispielhaft werden ausdrückliche Verschränkungen des Grundgesetzes aufgezeigt und in das verfassungsrechtliche Kontrollsystem eingeflochten (b)). Ihre Grenzen findet die Gewaltenverschränkung in dem verfassungsrechtlich verbürgten Minimum an Gewaltentrennung. Das macht es erforderlich, in einem weiteren Schritt zwischen der verfassungsmäßigen Gewaltenverschränkung und der unzulässigen Gewaltendurchbrechung zu differenzieren und beides voneinander abzugrenzen (c)). a) Die Verfassungsmäßigkeit der Gewaltenverschränkung An der Verfassungsmäßigkeit der Gewaltenverschränkung lässt sich gegenüber der ausdrücklich normierten Gewaltentrennung zunächst zweifeln. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG enthält ausdrücklich nur das Gebot der Dreiteilung staatlicher Machtausübung und der Zuordnung der Machtanteile zu verschiedenen Organen, nicht aber ihre gegenseitige Verschränkung. Erst die einzelnen Kompetenznormen des Verfassungsrechts lassen Verschränkungen der Funktionen durch gegenseitige Kontrollrechte erkennen. Die Gewaltenverschränkung ließe sich dann bei eindimensionaler Betrachtungsweise als Verbindung von Befugnissen und damit als Einebnung der funktionalen Dreiteilung verstehen oder aber als Ausprägung des dem Prinzip immanenten Kontrollmechanismus.217 Die zuletzt genannte Betrachtungsweise ist insofern vorzuziehen, als Gewaltenverschränkungen die logische Konsequenz sind, wenn im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Ausübung der einen, einheitlichen Staatsgewalt in

213

Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 31. Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 39; eine ausführliche Darstellung verschiedener Gleichgewichtsmechanismen nach der Weimarer Reichsverfassung bei Schmitt, Verfassungslehre, S. 197 ff. 215 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 31; Grzeszick, in: Maunz /  Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  34 ff. 216 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 213. 217 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 42, 46; Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 42 f. 214

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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drei geteilt wird.218 Im Übrigen ergibt sich die Verfassungsmäßigkeit gegenseitiger Verschränkung jedenfalls mittelbar aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. An das Telos der Gewaltenteilung sowie die Forderung des Grundgesetzes an verschiedenen Stellen nach gegenseitiger Hemmung, Kontrolle und Mäßigung wird die Verfassungsmäßigkeit der Gewaltenverschränkung geknüpft.219 Vor allem Missbrauchsverhütung und Freiheitssicherung lassen sich nur durch voneinander unabhängige Organe, die jedoch gegenseitiger persönlicher und sachlicher Kontrolle unterworfen sind, gewährleisten. Hinter dem Kontrollelement der Gewaltenteilung steht die Idee, dass die in einer Hand konzentrierte Staatsgewalt gleichermaßen missbrauchsanfällig ist wie stark voneinander getrennte Staatsfunktionen, die unverbunden nebeneinanderstehen.220 Ferner soll auch das effizienzgeleitete Motiv der Gewaltenteilung durch gegenseitige Kontrolle und Verschränkung gestärkt werden.221 Festzuhalten ist, dass die vom Grundgesetz konkret normierten Gewaltenverschränkungen und Kontrollmechanismen dem Prinzip der Gewaltenteilung immanent sind und nicht im Widerspruch zu diesem stehen.222 Die Gewaltenverschränkung ist schließlich keine „Verwässerung“223 des Prinzips, sondern seine legitime, klassische zweite Ausformung. b) Die Gewaltenverschränkungen des Grundgesetzes Die Gewaltenverschränkung des Grundgesetzes konkretisiert sich in einem umfassenden System gegenseitiger Kontrolle. Innerhalb des Grundgesetzes werden zahlreiche Kompetenzen statuiert, die als Kontrollrechte gegenüber den Organen und Funktionsträgern der jeweils anderen Funktion ausgestaltet sind. Jeder Staatsfunktion aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG stehen derartige Kontrollrechte gegenüber. In diesem Kontext erweisen sich vor allem die parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber der Bundesregierung (aa)), die Kontrollrechte der Bundesregierung (bb)) sowie die Kontrollmechanismen der Rechtsprechung (cc)) als charakteristisch. aa) Die parlamentarischen Kontrollrechte Im Grundgesetz sind die Kontrollrechte der gesetzgebenden Funktion, verkörpert in Gestalt parlamentarischer Kontrollrechte, besonders ausgeprägt. Darunter 218

Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 243 f. BVerfGE 95, 1 (15); 124, 78 (120); 143, 101 (Rn. 118); Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 51. 220 So im Ausgangspunkt auch Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 39; Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 41. 221 Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 178 f. 222 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  42. 223 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 3. 219

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

versteht man die gesamtparlamentarischen Kontrollrechte sowie die oppositionelle, öffentlich-kritische Minderheitenkontrolle.224 Insbesondere gegenüber der Regierung lassen sich vielschichtige Kontrollrechte ausmachen, die auf den verschiedenen Stufen staatlichen Handelns anknüpfen. Möglich ist demnach die Nachprüfung des Regierungshandelns durch nachträgliche Beobachtung, ebenso wie die gegenwärtige Kontrolle durch permanent währende Überprüfung, jeweils gekoppelt mit verschiedenen Sanktions- und Reaktionsmöglichkeiten der Kontrollorgane.225 Voraussetzung für eine effektive Kontrolle ist stets die Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung und sodann die Informationsbewertung und rechtsverbindliche Entscheidung des kontrollierenden Organs.226 Im Mittelpunkt der Kontrollrechte stehen dabei die Informationsgewinnungsrechte des Parlaments gegenüber der Regierung227, die in der Regel bereits der Minderheit des Parlaments zustehen. Dazu zählen vor allem die Herbeirufung von Regierungsmitgliedern und damit verbundene Berichtspflichten gem. Art. 43 Abs. 1 GG i. V. m. § 42 GO BT, aber auch die Herbeiführung einer parlamentarischen Debatte durch die Fragen einzelner Mitglieder des Bundestages an die Regierung gem. §§ 105 ff. GO BT, das Berichterstattungsrecht gem. § 115 GO BT, die kleine und große Anfrage gem. §§ 75 Abs. 3, 104 GO BT und §§ 100–103 GO BT228, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gem. Art. 44 GG, die öffentliche Anhörung nach § 73 GO BT sowie die Einsetzung einer Enquete-Kommission gem. § 56 Abs. 1 S. 1, 2 GO BT229, eines Petitionsausschusses gem. Art. 45c Abs. 1 GG, eines Haushaltsausschusses und des Wehrbeauftragten gem. Art. 45b S. 1 GG i. V. m. § 2 GWB (mit jeweils unterschiedlicher Effektivität als Kontrollrecht).230 Die wohl wichtigste Informationsquelle stellen indes die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages dar.231 Neben die Informationsrechte treten besondere, sonstige Kontrollrechte des Parlaments. Auch hier ist zu unterscheiden zwischen speziellen Minderheitenrechten und allgemeinen Parlamentsrechten: Zu den Minderheitenrechten zählen zum Beispiel das Antragsrecht für die abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 Abs. 1

224

Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 11. Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 5. 226 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 132; ähnlich auch Schneider, in: Schneider /  Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 44; Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 11. 227 Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 53; ­Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 13 f.; Wewer, in: Magiera /  Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 47 f., 51. 228 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 137. 229 Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 66 ff. 230 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 140 ff.; zum Wehrbeauftragten Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 179 ff. 231 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 143 f.; Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 45 ff. 225

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Nr. 2 GG und für das Misstrauensvotum gem. § 97 Abs. 1 S. 2 GO BT (auf Antrag von ¼ der Mitglieder des Bundestages), die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Tagesordnung des Plenums und der Ausschüsse gem. §§ 20 Abs. 4, 62 Abs. 2 S. 2 GO BT, das Initiativrecht nach Art. 76 Abs. 1 GG, aber letztlich auch die Eigenschaft der Opposition, bei ⅔-Mehrheiten über eine Sperrminorität zu verfügen.232 Allgemeine Parlamentsrechte umfassen die Kanzlerwahl nach Art. 63 Abs. 1 GG, das Misstrauensvotum gem. Art. 67 Abs. 1 S. 1 GG, die Entscheidung über die Vertrauensfrage nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG und die Entscheidung über Missbilligungsanträge sowie die Verabschiedung notfalls sanktionierender Gesetze.233 Die effektiven sanktionsfähigen parlamentarischen Kontrollrechte liegen daher meist bei dem Parlament als solchem bzw. dann doch bei der Parlamentsmehrheit, die sanktionierende Gesetze beschließt.234 bb) Die Kontrollrechte der Bundesregierung Die Kontrollrechte der Bundesregierung ergeben sich zum Großteil aus dem VIII. Abschnitt des Grundgesetzes und betreffen vor allem die Ausführung der Bundesgesetze. Allerdings ist diese Form der Kontrolle vielmehr Ausdruck des Bundesstaatsprinzips bzw. vertikaler Gewaltenteilung.235 Die Bundesregierung führt die Bundesaufsicht gem. Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG über die Ausführung der Bundes­ gesetze durch die Länder im Sinne einer Rechtskontrolle; führen die Länder Gesetze im Auftrag des Bundes aus, obliegt der Bundesregierung die Rechtskontrolle sowie die Überprüfung der Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidungen gem. Art. 85 Abs. 4 S. 1 GG.236 Die Effektivität dieser Kontrollrechte ist nicht bedingungslos gewährleistet. Die Mängelrüge der Bundesregierung bei fehlerhafter Gesetzesausführung nach Art. 84 Abs. 4 GG ist ausschließlich feststellender Natur.237 Erst der darauffolgende Feststellungsbeschluss des Bundesrates gem. Art. 84 Abs. 4 S. 1 GG ist verbindlich; das Land muss den Mangel abstellen.238 Die sogenannte Berichtigungsfunktion kommt daher dem Bundesrat zu; die Kompetenz der Bun-

232

Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 42; ­Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 16; Wewer, in: Magiera /  Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 47; eine Auflistung der Minderheitenrechte z. B. auch bei Stern, StaatsR I, § 23 III 4 a)–f). 233 Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 16, im Detail Rn. 119 ff. 234 Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 9 f. 235 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 159. Siehe zur vertikalen Gewaltenteilung überblicksartig S. 71 ff. 236 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 160 f. 237 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 162; Kirchhof, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 84 Rn. 243, 247; Trute, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 84 Rn. 86. 238 Broß / Mayer, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 84 Rn. 67; Brunner, Kontrolle in Deutschland, S.  163; a. A. Trute, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 84 Rn. 90.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

desregierung ist insofern limitiert.239 Im Übrigen erweist sich das Weisungsrecht der Bundesregierung bzw. der obersten Bundesbehörden nach Art. 85 Abs. 3 GG im Rahmen der Auftragsverwaltung und nach 84 Abs. 5 GG im Rahmen der Aufsichtsverwaltung als wirksames Kontrollrecht, wobei letzteres eine gesetzliche Ermächtigung einfordert, die von der Zustimmung des Bundesrates abhängt. Neben Rechts- und Zweckmäßigkeitskontrolle im Rahmen der Ausführung der Bundesgesetze treten weitere Kontrollrechte. Dazu gehören operative Handlungsbefugnisse der Bundesregierung wie der Bundeszwang gem. Art. 37 und die Bundesintervention gem. Art. 91 Abs. 2 GG.240 Teils wird auch das Gesetzesinitiativrecht nach Art. 76 Abs. 1, 2 GG als Kontrollrecht und nicht als Kernbereich der Bundesregierung verstanden.241 Wiederum eindeutige Kontrollrechte der Bundesregierung gegenüber dem Parlament stellen die Einschränkung des parlamentarischen Bewilligungsrechts durch ein Zustimmungserfordernis gem. Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG sowie ihr Recht auf Zutritt und Gehör bei allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse nach Art. 43 Abs. 2 GG dar. Insbesondere die Mitwirkungsrechte in Bezug auf den Haushalt sind effektiv ausgestaltet, da sie keine nachträgliche Überprüfung, sondern eine vorzeitige Mitwirkung durch die Bundesregierung bedeuten.242 cc) Die Kontrollmechanismen der Rechtsprechung Die Gewaltenverschränkung manifestiert sich in besonderer Art und Weise in den Kontrollmechanismen der rechtsprechenden Funktion. Als Dreh- und Angelpunkt gilt in diesem Zusammenhang Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG.243 Demnach wird die Kontrolle von Akten der vollziehenden Gewalt vor allem durch die Gerichte garantiert. Ein besonderes Kontrollrecht der Rechtsprechung gegenüber der gesetzgebenden Funktion stellt die Möglichkeit der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle dar, die letztlich dazu führen kann, das Gesetz als verfassungswidrig und nichtig zu erklären.244 Konträr dazu gestaltet sich die Kontrolle gegenüber der Rechtsprechung. Eine Kontrolle der Gerichtbarkeiten außerhalb der einzelnen Gerichtszweige findet 239

Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 162; zur sog. Berichtigungsfunktion maßgeblich Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 102 ff. 240 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 163. 241 Scheuner, in: Ritterspach / Geiger, FS-Müller, S. 379, 396. 242 Ebd. 243 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 496; zur „internen“ Rolle des BVerfG als „Schiedsgericht zwischen Staatsorganen“ Broß, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 27, 29. 244 Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183, 191, 193 f.; zur Abgrenzung von gesetzgeberischer Teilhabe des BVerfG und gewaltenteilger Kontrolle im Kontext der Normenkontroll­ entscheidung Schlaich / Korioth, Das BVerfG, Rn. 511.

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allein durch das BVerfG und das auch nur im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde statt.245 Eine unmittelbare Kontrolle der Rechtsprechung durch die anderen Funktionen erfolgt nicht. Allein die Wahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes durch Bundestag und Bundesrat nach Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG, die Berufung der Richter der obersten Bundesgerichte nach Art. 95 Abs. 2 GG durch die Mitbestimmung der Minister sowie das Recht der Richteranklage gem. Art. 98 Abs. 2 GG kommt einer personellen Kontrolle am nächsten.246 Der Grund dafür liegt in der exponierten Stellung der Rechtsprechung nach dem Grundgesetz. Während etwa der Verwaltungsbeamte weisungsgebunden ist, ist der Richter gem. Art. 97 Abs. 1 GG persönlich und sachlich unabhängig; er ist einzig und allein an Recht und Gesetz gebunden.247 Daher ist eine inhaltliche externe Kontrolle unmöglich und eine interne Kontrolle nur innerhalb des eigenen Funktionenstranges möglich: Die oberen Gerichte kontrollieren die Entscheidungen der unteren, aber auch nur dann, wenn die Prozessbeteiligten per Rechtsmittel den Instanzenzug in Gang setzen.248 Die Unabhängigkeit der Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG lässt sich daher als eine besondere, absolute Schranke für die anderen Funktionen bezeichnen.249 Insofern ist die Konstitution der Rechtsprechung nach dem Bonner Grundgesetz wohl sondergleichen.250 Es handelt sich um eine außerordentliche Entwicklung der dritten Funktion im Vergleich zum „quelque façon nulle“ nach Montesquieu, weswegen nicht selten aus Furcht vor einem richterlichen

245

Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 174. Die Verfassungsgerichtsbarkeit nimmt i.R.d. Rechtsprechung eine besondere Stellung ein: Das BVerfG ist als verfassungsmäßig eingesetztes Gericht Teil der rechtsprechenden Funktion, dient dabei aber ausschließlich der Wahrung der Verfassung. Es kontrolliert anders als die anderen Gerichte nicht nur die vollziehende (und intraorganschaftlich die rechtsprechende) Gewalt, sondern auch die gesetzgebende Funktion, indem es im Zuge der Normenkontrollen Parlamentsgesetze für nichtig erklären kann. Dabei sind zwar die unmittelbaren Rechtsfolgen auf die Nichtigkeitserklärung beschränkt. Allerdings stellen die Entscheidungen des BVerfG verfassungsrechtliche Dogmen und Maßstäbe auf, die die Grundlage künftiger Gesetzesbeschlüsse und sonstiger Maßnahmen der Gesetzgebung sind. Problematisch – darauf sei an dieser Stelle hingewiesen – ist, dass das BVerfG politisch zwar unabhängig urteilt, seine Entscheidungen aber anders als solche anderer Gerichte erhebliche politische Auswirkungen haben. Im Übrigen ist das BVerfG aufgrund seines verfassungsrecht­ lichen Maßstabs besonderer Garant für die Freiheit des Einzelnen und steht damit im Zeichen der Gewaltenteilung. Dazu und im Übrigen zur Stellung des BVerfG im Gefüge der Staatsfunktionen ausführlich Schlaich / Korioth, Das BVerfG, Rn. 503 ff.; kritisch zur politischen Gestaltung durch das BVerfG z. B. Risse, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 15, 18 ff. 246 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 552. 247 Ausführlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 553 ff. 248 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 173. 249 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 288; ähnlich ­Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 267 f. 250 Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 548; nach Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 551 ist die Rechtsprechung „mit besonderer Deutlichkeit von den anderen Funktionen abgehoben“.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Ersatzgesetzgeber von einem „Aufstieg der Dritten Gewalt“251 oder einer „Entfesselung“252 der Rechtsprechung mit negativer Konnotation die Rede war. Relativiert wird diese Sichtweise durch einen besonderen verfassungsrechtlichen Kontroll-Parameter: Die Rechtsprechung ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist. Jene Bindung gewährleistet einen besonderen Schutz vor Machtmissbrauch, insbesondere im Hinblick auf die Machtübernahme durch sogenannte rechtsstaatliche Diktaturen.253 Hinzu kommt, dass der Richter aufgrund seiner Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG im Prinzip nur Zweitentscheider ist, weil das erste Wort im Sinne der Erstentscheidung bei dem Gesetzgeber verbleibt, an dessen Gesetz die Rechtsprechung gebunden ist. Der Entscheidungsmaßstab liegt also bei der gesetzgebenden Funktion.254 Diese jedenfalls mittelbare Lenkungskraft der Gesetzgebung gegenüber der Rechtsprechung wird dadurch verstärkt, dass die Gesetzgebung den Aufbau der Gerichte und das Prozessrecht bestimmt.255 Kontrollfrei ist die Rechtsprechung daher nicht. dd) Zusammenfassung Da die Gewaltenverschränkung dem Prinzip der Gewaltenteilung immanent ist und jedenfalls mittelbar auch aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG folgt, wundert es nicht, dass das Grundgesetz zahlreiche Verschränkungen der drei Funktionen ausdrücklich normiert. Mit Blick auf das missbrauchsverhütende Motiv ist gegenseitige Kontrolle das Kernelement der Gewaltenverschränkung und gewährleistet ferner ein effektives Zusammenwirken aller Organe und Funktionsträger unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung. Die parlamentarischen Kontrollrechte sind besonders ausgeprägt: Das Parlament, das naturgemäß ein Informationsdefizit gegenüber der Regierung aufweist, wird mit verschieden ausgestalteten Informationsrechten ausgestattet, um einen wirksamen Gegenpol gegenüber der Regierung bilden zu können. Dabei sind die Informationsrechte in der Regel als Minderheitenrechte ausgestaltet. Dazu zählen vor allem die Beantragung verschieden gelagerter Fragerunden, die Herbeirufung von Ministern und die Einsetzung unterschiedlicher Ausschüsse zur Informationsgewinnung. Dazu treten die gesamtparlamentarischen Kontrollrechte256, die vor al 251

Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 548. Schneider, in: AöR 82 (1957), S. 1, 12. 253 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 26. 254 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 26; Kreuter-Kirchhof, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 272 Rn. 33; demgegenüber die Position des BVerfG als Letztentscheider betonend Hillgruber / Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 37; sowie Risse, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 15, 16. 255 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 552; ähnlich auch Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  20 Rn.  220. 256 Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 16, im Detail Rn. 119 ff. 252

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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lem die Kanzlerwahl nach Art. 63 Abs. 1 GG, das Misstrauensvotum gem. Art. 67 Abs. 1 S. 1 GG257, die Entscheidung über die Vertrauensfrage nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG und die Verabschiedung notfalls sanktionierender Gesetze umfassen. Die Kontrollmechanismen der vollziehenden Gewalt sind denklogisch in die Ausführung der Bundesgesetze eingeflochten und folgen daher vornehmlich aus Art. 83 ff. GG. Ferner kann auch das Gesetzesinitiativrecht der Regierung aus Art. 76 Abs. 1 GG als Kontrollrecht der vollziehenden Gewalt verstanden werden. Die Kontrollmechanismen der Rechtsprechung nehmen demgegenüber eine exponierte Stellung ein: Während die Kontrolle von Akten der vollziehenden Gewalt gem. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG vor allem durch die Gerichte als besondere Organe der Rechtsprechung erfolgt258, findet eine Kontrolle der Gerichte außerhalb der rechtsprechenden Gewalt unmittelbar nicht statt. Allein der Instanzenzug und die Einsetzung von Rechtsmitteln garantiert eine gewalteninterne Kontrolle. Relativiert wird diese Sichtweise durch die Bindung der rechtsprechenden Gewalt an Gesetz und Recht nach Art. 20 Abs. 3 GG. Die verfassungsrechtliche Anbindung der Rechtsprechung an die Gesetze ermöglicht eine mittelbare, vorgelagerte Kontrolle der dritten Funktion durch das Parlament. Alles in allem zeichnet sich das Grundgesetz daher durch ein umfängliches System gegenseitiger Kontrolle aus, wobei der Rechtsprechung verfassungsrechtlich eine herausragende Stellung zukommt. c) Der schmale Grat zwischen Gewaltenverschränkung und Gewaltendurchbrechung Die gegenseitigen Kontrollen führen insbesondere im Bereich der vollziehenden Gewalt und der Gesetzgebung zu Problemen: Erlässt die Regierung etwa Rechtsverordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und schränkt Grundrechte der Bürger wesentlich ein, reißt sie damit vielleicht die Mauern der gesetzgebenden Funktion ein? Mutieren die als Instrument ausbalancierter Machtausübung eingesetzten Kontrollrechte dann zu einer Durchbrechung der Gewaltenteilung? Jedenfalls dort, wo das Grundgesetz jene Kontrollrechte anordnet, sind sie in der Regel Ausdruck der Gewaltenteilung bzw. dieser im Sinne ihres Telos immanent und im Lichte von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als deren Konkretisierung zu verstehen und auszulegen.259 Allerdings können die verschränkenden Normen auch gegen das 257

Nur der Misstrauensantrag ist gem. § 97 Abs. 1 S. 2 GO BT als Minderheitenrecht ausgestaltet. ¼ der Mitglieder des Bundestages oder eine Fraktion, die mindestens ¼ der Mitglieder des Bundestages umfasst, können den Antrag stellen. Der Ausspruch des Misstrauens ist hingegen an das Quorum nach Art. 67 Abs. 1 S. 1 GG gebunden und bedarf der Mehrheit. 258 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 496. 259 Vergleichbar damit, wenn das BVerfG z. B. Art. 59 Abs. 1 S. 2 GG im Lichte von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auslegt (a. A. Minderheitsvotum: Die Kompetenznormen des Grundgesetzes sind Ausdruck einer bestimmten Entscheidung nach dem Prinzip der Gewaltenteilung und dürfen nicht nochmal an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegt bzw. gemessen werden), dazu BVerfGE 68, 1 (86, 129).

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Prinzip verstoßen, wenn sie über die verfassungsmäßige Gewaltenverschränkung hinaus zu einer unzulässigen Gewaltendurchbrechung führen. Insofern ist die Gewaltenverschränkung, die dem System der Gewaltenteilung immanent ist, von der unzulässigen Gewaltendurchbrechung abzugrenzen.260 Es stellt sich also die Frage, wann die Grenze zwischen zulässiger Gewaltenverschränkung und unzulässiger Gewaltendurchbrechung überschritten wird. Klar ist zunächst, dass, um den Grat zwischen Verschränkung und Durchbrechung zu wahren, vor allem auf die Inkompatibilität zwischen Kontrollinstanz und kontrollierter Instanz abzustellen ist.261 Davon zu trennen und als typische Form der Gewaltenverschränkung zu bezeichnen, ist die Kontrolle durch den Einfluss auf die personelle Besetzung von anderen Organen, zum Beispiel in Gestalt der Wahl des Regierungsoberhauptes durch das Parlament gem. Art. 63 Abs. 1 GG oder umgekehrt durch die Auflösung des Parlaments durch den Bundeskanzler gem. Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG.262 Die Grenze zwischen zulässiger Gewaltenverschränkung und unzulässiger Gewaltendurchbrechung verläuft letztlich dort, wo die Gewaltenverschränkung das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgte Minimum an Gewaltentrennung tangiert. Ein unkoordiniertes Durcheinander aller Funktionsträger ohne Rücksicht auf die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegten funktionalen Eigenarten würde die Einebnung der Funktionen und mithin eine Gewaltendurchbrechung bedeuten. Grundvoraussetzung für eine verfassungsmäßige Gewaltenverschränkung in Abgrenzung zur Gewaltendurchbrechung ist also die Etablierung verschiedener Kontrollrechte unter Wahrung funktionsspezifischer Eigenbereiche. Schnell wird klar: Die Abgrenzung von Gewaltverschränkung und Gewaltendurchbrechung ist an die Gewaltentrennung bzw. an das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgte Minimum an Gewaltentrennung gekoppelt. Die Trennung der drei Funktionen ist Voraussetzung, die Gewaltenverschränkung von der unzulässigen, die Eigenarten der Funktionen einebnenden Gewaltendurchbrechung zu unterscheiden. Das bedeutet aber auch, dass auf der Ebene der Gewaltenverschränkung dieselben Fragen virulent werden, die bereits auf Ebene der Gewaltentrennung gestellt wurden: Wie lassen sich die drei Funktionen voneinander trennen? Was sind die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgten Mindestanforderungen an Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung? Wo verläuft also die unantastbare Grenze zwischen den Funktionen? In Anlehnung an die oben dargestellten Theorien und Ansätze zur Gewaltentrennung lässt sich wie folgt formulieren: Es handelt sich jedenfalls dann um eine 260

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 7. Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 39; die Rechtsprechung ist in diesem Kontext besonders stark von Inkompatibilitätsregeln betroffen, dazu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 489. 262 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  40. 261

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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Gewaltendurchbrechung, falls in den Kernbereich der einen Funktion durch eine andere eingegriffen, die Unterscheidbarkeit der Funktionen also eingeebnet würde.263 Demgegenüber kann es nach der rein formalen Theorie nur dann zur Gewaltendurchbrechung kommen, wenn entgegen der Maximierung der Machtträger die Gewaltenvereinigung in einer Hand drohen würde. Im Sinne der Funktionenadäquanz käme es dann zur Gewaltendurchbrechung, wenn strukturell, personell und verfahrenstechnisch ungeeignete Organe die in Rede stehende Aufgabe wahrnehmen würden; oder, angelehnt an das Telos der Gewaltenteilung, wenn die Kontrolle durch das Kontrollorgan erfolgen würde, und zwar nicht um die Willkürherrschaft der anderen Funktion zu verhindern, sondern um die eigene Machtposition über Gebühr auszubauen.264 Es zeigt sich, dass bei der Differenzierung von Gewaltenverschränkung und -durchbrechung nicht nur dieselben Fragen wie bei der Gewaltentrennung virulent werden, sondern sich auch bei ihrer Beantwortung die gleichen Probleme in den Weg stellen. Der Versuch, rein formale oder materielle Ansätze zur Lösung derartiger Fragestellungen zu bemühen, kann aufgrund der Komplexität und Verwobenheit des Prinzips nicht zielführend sein. Letztlich wiederholt sich im Falle des zweiten Grundpfeilers der Gewaltenteilung, der Gewaltenverschränkung, das Dilemma. So, wie sich die drei Funktionen nicht eindeutig voneinander trennen lassen, ist auch die verfassungsmäßige Gewaltenverschränkung von der Gewaltendurchbrechung nur schwerlich zu unterscheiden. Was das für das Prinzip der Gewaltenteilung in Summe bedeutet und ob daraus standardisierte Anforderungen im Sinne des Maßstabs gezogen werden können, gilt es noch zu beleuchten (3.). d) Zusammenfassung Die Gewaltenverschränkung als zweiter Grundpfeiler der Gewaltenteilung ist im Gegensatz zur Gewaltentrennung nicht ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankert. Dass die drei Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung dennoch nicht unverbunden nebeneinanderstehen, gebietet vielmehr das Telos des Prinzips: Die unkontrollierte Machtausübung in drei voneinander gänzlich unabhängigen Bereichen ermöglicht Machtmissbrauch genauso wie die Vereinigung der gesamten Staatsgewalt in nur einer Hand. Um dem entgegenzuwirken und die Tatsache vor Augen, dass jede Funktion missbrauchsanfällig ist, ist die Gewaltenverschränkung verfassungsrechtlich legitim und geboten. Die ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Verschränkungen lassen sich vor allem an den parlamentarischen Kontrollrechten, insbesondere den Minderheitenrechten der Opposition, den Kontrollrechten der Regierung bei der Durchführung 263

BVerfGE 9, 268 (279 f.); 22, 106 (111); 34, 52 (59 f.); 95, 1 (15 f.); Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 191. 264 Karsch, Demokratie und Gewaltenteilung, S. 45.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

der Bundesgesetze nach Art. 83 ff. GG und der Überprüfung aller Akte der vollziehenden Gewalt durch die Gerichte gem. Art. 19 Abs. 4 GG festmachen. Dabei nimmt die Rechtsprechung bzw. die fehlende ausdrückliche Kontrolle der Rechtsprechung durch die anderen Funktionen sicherlich eine exponierte Stellung ein. Allerdings wird diese Sichtweise durch die Rückanbindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG relativiert. Dem Sinn und Zweck der Gewaltenteilung entsprechend dürfen die jeweiligen Kontrollrechte nicht zu einer Machtkonzentration in einer Hand, also zu einer Gewaltendurchbrechung führen. Wo die verfassungsmäßige Gewaltenverschränkung endet, und die verfassungswidrige Gewaltendurchbrechung beginnt, ist weitestgehend unbestimmt. Wie vorstehend beschrieben, kann und muss die Beantwortung jener Frage aber an dem in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgten Minimum an Gewaltentrennung anknüpfen: Die Gewaltendurchbrechung beginnt dort, wo die Grenzen zwischen den drei verfassungsrechtlich verbürgten Funktionen eingeebnet werden. Wie bei der Gewaltentrennung kann versucht werden, die Grenze über materielle oder formale Ansätze zu bestimmen. Aber auch hier gelangen die einzelnen Ansätze schnell an ihre eigenen Grenzen. Sie können jeweils nicht alleine stehen und keine universale Lösung zur Abgrenzung der Funktionen und damit zur Unterscheidung von Gewaltenverschränkung und Gewaltendurchbrechung generieren. Der zweite Grundpfeiler der Gewaltenteilung steht vor den gleichen Problemen wie der erste; nämlich dem Verlust jeglicher Kontur mangels eindeutiger verfassungsrechtlicher Grenzen. Können der Gewaltenteilung auf dieser Grundlage überhaupt standardisierte Aussagen im Sinne eines Maßstabs abgewonnen werden? 3. Fazit: Die Bedeutung von Gewaltentrennung und -verschränkung für den Maßstab Fakt ist: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes weist Elemente der Gewaltentrennung und der Gewaltenverschränkung sowie der klassischen Dreiteilung in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung auf. Das Grundgesetz verfolgt dabei eine ganz eigene Spielart des klassischen Ordnungsprinzips.265 Die vorstehende Analyse, angelehnt an die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung, die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung, versucht die Inhalte dieser Spielart der Gewaltenteilung aufzuzeigen. Was lässt sich abschließend der vorstehenden Analyse entnehmen? Und was bedeutet das für die Herausbildung eines standardisierten Maßstabs der Gewaltenteilung?

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So dem Grunde nach Stern, StaatsR II, § 36 I 4, 7.

III. Die zwei Grundpfeiler der Gewaltenteilung  

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Was lässt sich abschließend der vorstehenden Analyse entnehmen? Während die Gewaltentrennung in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankert ist, folgt die Gewaltenverschränkung jedenfalls mittelbar aus dem Grundgesetz und ist eng mit dem Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Machtausübung verknüpft. Beide Essentiale der Gewaltenteilung stehen sich begriffsnotwendig zunächst einmal konträr gegenüber, offenbaren aber dieselbe Fragestellung sowie Probleme: Wo verlaufen die Grenzen zwischen den drei Funktionen? Die Bestimmung der funktionsspezifischen Grenzen ist dabei Voraussetzung für die Gewaltentrennung, aber auch für die Differenzierung von verfassungsmäßiger Gewaltenverschränkung und unzulässiger Gewaltendurchbrechung. Weder rein materielle noch formale Theorien, weder die Theorie der Funktionenadäquanz noch der legitimatorische Ansatz können für sich genommen diese Frage beantworten. Letztlich ist die Unterscheidung in Gewaltentrennung auf der einen und Gewaltenverschränkung auf der anderen Seite ein Versuch, die Grundpfeiler der Gewaltenteilung dogmatisch zu erfassen. Die jeweiligen Definitionsversuche beider Komponenten  – insbesondere die Theorien zur Gewaltentrennung  – sehen sich dem Problem gegenüber, dass sich in ihren Gleichungen zu viele Variablen befinden, als dass sich verbindliche Aussagen über den Maßstab aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG treffen lassen könnten. Dies hat primär drei Gründe. Erstens ist die Gewaltenteilung ein verfassungsrechtliches Prinzip, das, ähnlich wie zum Beispiel der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, verschiedener, aber eben nicht schematischer Abwägungen bedarf. Zweitens gehen die Elemente der Gewaltentrennung und -verschränkung fließend ineinander über, obwohl sie augenscheinlich konträre Stoßrichtungen aufweisen.266 Letztlich schließen sie sich aber nicht gegenseitig aus, sondern bedingen einander: „Wer Funktionsgruppen unterscheidet, schafft eben durch das principium divisionis zugleich die Verbindung des Getrennten, und wer die Letztinstanzen durch ein Kontrollsystem aufeinander bezieht, hat diese zunächst als etwas voneinander Geschiedenes gedacht.“267 Dass die Gewaltentrennung und -verschränkung unlösbar miteinander verbunden sind, zeigt die Vergleichbarkeit ihrer Fragestellungen betreffend die Differenzierung der drei Funktionsbereiche auf der Ebene der Gewaltentrennung, aber auch die Unterscheidung von Gewaltenverschränkung und -durchbrechung auf zweiter Ebene. Definitionsversuche, die strikt zwischen diesen beiden Komponenten separieren wollen, gehen daher gänzlich fehl. Und drittens ergibt sich die Definition der Gewaltenteilung nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, spielt sich aber dennoch innerhalb seiner Wortlautgrenze ab. Zum einen lassen sich im Rahmen der Gewaltentrennung die funktionale und die organisatorische Gewaltenteilung nach

266 Zur Gegenläufigkeit trennender und verschränkender Elemente und ihrer praktischen Bedeutung Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 7 f. 267 Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 10.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht begrifflich und systematisch voneinander trennen. Es zeigt sich, dass für die Funktionentrennung sowohl funktional materielle als auch organisationsrechtliche Elemente zeitgleich entscheidend sind. Zum anderen ist die Gewaltenverschränkung gar nicht ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegt. Innerhalb der Wortlautgrenze ergibt sich aber nach historischer, systematischer und teleologischer Auslegung die Erforderlichkeit der Gewaltenverschränkung als zweites Element. Unsicherheit und Unklarheit prägen also den Umgang mit der Dogmatik der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.268 Was bedeutet das für den Maßstab? Die Antwort liegt auf der Hand: Aufgrund fehlender Globalanforderungen wird die Direktionskraft des Prinzips angezweifelt269 bzw. in seiner Ausformung durch die Kompetenznormen als erschöpft angesehen und damit die bereits oben geäußerte Kritik bestätigt. Diese Annahme lässt sich indes so nicht hinnehmen. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Dogmatik bisweilen dem Prinzip nicht mit einer Universallösung Herr werden konnte, darf der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht seine verfassungsrechtliche Bedeutung abgesprochen werden. Dies wäre allein im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG schlechterdings verfassungswidrig. Die Antwort auf die Frage nach einer dogmatischen Handhabung und einem Maßstab des Prinzips darf daher nicht lauten, dass es darauf nicht ankäme, weil schon seine einzelnen Elemente nicht schematisch erfassbar seien. Die damit einhergehende Reduzierung des in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Prinzips auf die geschriebene Kompetenzordnung des Grundgesetzes und die Versagung einer darüberhinausgehenden Direktionskraft käme einer Resignation vor dem Verfassungstext und seiner Methodik gleich. Ferner würde so die Rolle des Prinzips als Auslegungs- und Prüfungsparameter unterlaufen. Der Resignations-Haltung ist entschieden entgegenzutreten: Um das Prinzip der Gewaltenteilung justiziabel zu gestalten, bedarf es nicht der Definition der Gewaltenteilung. Der Wert eines derart abstrakten Verfassungsprinzips liegt eben nicht darin, eine Vielzahl eindeutiger Aussagen zu Rechtsproblemen liefern zu können, sondern in seiner großen Reichweite und Eigenschaft als Argumentationstopos270 bzw. umgekehrt liegt sein Unwert nicht in der fehlenden Eindeutigkeit einer Zuständigkeitsfindung im Rahmen der Gewaltentrennung.271 So formuliert Jarass zutreffend: „Eine Kritik an der Unschärfe der traditionellen Gewaltenteilungstheorie ist daher erst berechtigt, wenn nachgewiesen wird, daß eine andere Konzeption 268

Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 22. Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 63, 69. 270 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 8. 271 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 136. 269

IV. Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Opposition  

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die gleiche Reichweite hat und trotzdem in konkreten Rechtsfragen eindeutigere Aussagen zuläßt.“272 Um diese Tatsache zu verstehen, muss man sehen, dass der stetige Versuch, Gewalten konkret zu trennen, daher rührt, dass die Gewaltenteilung fälschlicherweise immer noch auf ihre Trennung reduziert273 und der Gewaltenverschränkung bereits an dieser Stelle nicht ausreichend Platz eingeräumt wird. Auf der anderen Seite ist die Gewaltenteilung ein Rechtsprinzip, das aufgrund seiner Komplexität keiner einheitlichen Definition zugänglich ist.274 Klar ist also, dass die Gewaltenteilung nach dem Grundgesetz sowohl trennende als auch verschränkende Elemente aufweist. Die vorstehende Analyse zeigt aber auch, dass die separierte Betrachtung der Inhalte und Grenzen beider Grundpfeiler keine standardisierten Aussagen im Sinne eines Maßstabs zulässt.275 Schließlich bedarf es daher eines anderen Ansatzes als den der strikten Unterscheidung von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung. Es bedarf eines Ansatzes, der die verschiedenen Elemente der Gewaltenteilung als einheitliches Prinzip versteht und so standardisierte Anforderungen im Sinne eines Maßstabs generieren kann. Dies gilt es im Folgenden zu eruieren.

IV. Die Bedeutung des Spannungsverhältnisses zwischen dem klassischen Dualismus von Parlament und Regierung und dem Wechselspiel von Opposition und Mehrheit für die Gewaltenteilung und ihren Maßstab IV. Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Opposition

Bevor in einem nächsten Schritt der Maßstab des Prinzips der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unter vorstehender Prämisse aufgestellt werden kann, gilt es, eine weitere Weichenstellung vorzunehmen und die Frage zu klären, welche Bedeutung dem Spannungsverhältnis zwischen dem klassischen Dualismus von Parlament und Regierung und dem Wechselspiel von Opposition und Mehrheit für das Prinzip der Gewaltenteilung und dessen Maßstab aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG beizumessen ist. 272

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 8. Scheuner, in: Kaufmann / Scheuner / Weber, FS-Smend, S. 253, 267. 274 Ähnlich auch Jarass, Politik und Bürokratie, S. 8, 10. Letztlich ist die Gewaltenteilung ein Verfassungsprinzip wie jedes andere, z. B. das der Verhältnismäßigkeit. Dem Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit wird aber trotz erheblicher Einzelfallbedeutung und fehlender schematischer Erfassbarkeit Direktionskraft beigemessen. Der Unterschied in der Wahrnehmung beider Prinzipien mag darin liegen, dass Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG mit einem eindeutigen Wortlaut wahrgenommen wird, der eine hohe Erwartungshaltung an eine griffige, ausdifferenzierte Definition schürt. 275 Und dies ist wiederum auf die unumgängliche Verknüpfung von Getrenntem und Verbundenem respektive Verbundenem und Getrenntem zurückzuführen, dazu Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 10. 273

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

In diesem Zusammenhang gilt sich zuvörderst vor Augen zu führen, dass es seit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 weder zu Putschen, Umstürzen noch sonstigen Machtergreifungen kam, sodass sich das Telos des Prinzips der Gewaltenteilung weitestgehend realisiert hat.276 Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, ließe sich denken, die Vorstellung von klassischer Gewaltenteilung als politischem Pathos sei weit überholt.277 Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Existenz weiterer gesellschaftlicher Machtträger wie zum Beispiel der Parteien, der Gewerkschaften, der Wirtschaftsverbände oder der Medien, die zu einer Verselbständigung der Machtverteilung bzw. -verlagerung in der Verfassungswirklichkeit beitragen und die Vorstellung klassischer Gewaltenteilung erheblich angreifen (können).278 Insbesondere aber die Wahrnehmung von Minderheitenrechten durch die Opposition, die spezifische Abhängigkeit der Regierung von der Regierungsfraktion, innerparteiliche Dissonanzen, Partei übergreifende Zusammenarbeit sowie die Ministerialbürokratie können zu einer Gewichtsverlagerung zwischen und innerhalb der gesetzgebenden und gesetzesvollziehenden Funktionen führen.279 Aber führt diese Tatsache auch zu einer Einebnung des klassischen Dualismus zwischen Gesetzgebung und vollziehender Gewalt aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu Gunsten einer vertikalen Gewaltenteilungslinie innerhalb des Parlaments, die die Opposition von der Regierung und Parlamentsmehrheit separiert? In diesem Kontext klärt dieser Abschnitt in seinem ersten Teil, wie sich das Spannungsverhältnis zwischen dem klassischen Dualismus und dem Wechselspiel von Opposition und Mehrheit, das heißt von Opposition auf der einen und Regierung und Parlamentsmehrheit auf der anderen Seite, gestaltet und ob die Charakteristika parlamentarischer Demokratien einen neuen, modernen Dualismus von Opposition und Mehrheit statuieren (1.). In einem zweiten Abschnitt steht zur Diskussion, ob und inwiefern sich das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit in das oben umrissene Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einordnen lässt (2.). 1. Ein neuer Dualismus von Opposition und Mehrheit? Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG stehen sich die Gesetzgebung und die vollziehende Gewalt gegenüber. Organisationsrechtlich bedeutet dies einen Dualismus von Parlament und Regierung im Sinne einer Polarität der Funktionsträger beider Organe. 276

Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 429. Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 430. 278 Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 290; Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 547; auch ­Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183, 186 f., der schwerpunktmäßig dann aber die eigene gewaltenteilige Organisation derartiger, anderer Machtträger in den Blick nimmt; Stern, StaatsR I, § 22 II 5 d) γ); Zeh, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 41, 43; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 269; zur Bedeutung verselbständigter, ausgegliederter Verwaltungseinheiten, sog. Agenturen, Möllers, Die drei Gewalten, S. 132 ff. 279 Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 530; ähnlich auch Schwerdtfeger, Krisengesetz­ gebung, S. 196; sowie Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a). 277

IV. Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Opposition  

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De facto stehen aber Parlament und Regierung in parlamentarischen Demokratien aufgrund der Ausübung spezieller Oppositionsrechte, der Abhängigkeit der Regierung von der Parlamentsmehrheit und der Doppeleigenschaft der Regierungsmitglieder als Abgeordnete in einem funktionenübergreifenden Verhältnis zueinander.280 Es führt eine vertikale Trennungslinie durch das Parlament, die die Opposition von der Parlamentsmehrheit separiert und sich bis auf die Ebene der Regierung durchzieht. Diese vertikale Linie bringt einerseits die Regierung und die Parlamentsmehrheit, die in Summe die Mehrheit bilden, und andererseits die Opposition in eine Frontstellung.281 Die Frontstellung von Opposition und Mehrheit ist charakteristisch für parlamentarische Demokratien und über Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG unmittelbar in der Verfassung angelegt. Aber bedeutet dies gleich die Etablierung eines neuen, den klassischen ablösenden Dualismus von Opposition und Mehrheit? Um diese Frage zu beantworten, gilt es in einem ersten Schritt, die weiteren Ursachen für eine Relativierung des klassischen Dualismus von Parlament und Regierung herauszuarbeiten (a)). In einem zweiten Schritt kann sodann geklärt werden, welche Rolle dabei das Verhältnis von Opposition und Mehrheit spielt (b)), und schließlich, ob es sich dabei um einen modernen, den klassischen ablösenden, Dualismus handelt, der das Spannungsverhältnis endgültig auflöst (c)). a) Die Ursachen für die Relativierung des klassischen Dualismus Dass der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegte klassische Dualismus von Regierung und Parlament in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes de facto so nicht rein verwirklicht ist, hat primär drei Ursachen. Erstens, so lange der Monarch die vollziehende Gewalt allein und vollumfänglich innehatte, verkörperte die Volksvertretung (heute das Parlament) einen geschlossenen, gänzlich politisch-sozialen sowieso personell unabhängigen Funktionsträger, um einen Gegenpol gegenüber dem Alleinherrscher zu generieren.282 Mangels eines Monarchen in parlamentarischen Demokratien entfiel das Erfordernis eines derartigen strukturellen Gegengewichts. Zweitens, die meisten Rechtserzeugnisse staatlicher Machtausübung stellen de facto einen Gesamtakt von Gesetzgebung und vollziehender Gewalt dar, wie 280

Dazu Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 530; zu den Eigenarten parlamentarischer Demokratien im Allgemeinen Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 73 f. 281 Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a); zur verschobenen Trennungslinie auch Zeh, in: Magiera /  Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 40. 282 Scheuner, in: Kaufmann / Scheuner / Weber, FS-Smend, S. 253, 280; ähnlich Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 78; zur grundsätzlichen Bedeutung ständischer und damit politischer Polarität der Akteure (im Konstitutionalismus) Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 290; Zeh, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 40.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

zum Beispiel der Gesetzgebungsakt.283 Gem. Art. 76 Abs. 1, 2 GG kann die Regierung als Teil der vollziehenden Gewalt eine Gesetzesinitiative in den Bundestag einbringen (Gesetzesinitiativen erfolgen zu ⅔ durch die Bundesregierung284). Das Gesetz wird dann gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG vom Parlament beraten und beschlossen, sodass beide Funktionen an der Rechtserzeugung in Form des Gesetzes beteiligt sind und der klassische Dualismus zu Gunsten funktionsübergreifender Machtausübung aufweicht. Auch hier zieht sich vielmehr die Linie zwischen Opposition und Regierung mit Parlamentsmehrheit, die sich als kontrollierende und beschränkende Interessengruppen im Gesetzgebungsverfahren gegenüberstehen. Die dritte Ursache für die Relativierung des Dualismus zwischen Parlament und Regierung liegt in der personellen Struktur beider. Den klassischen Dualismus von König und Parlament wie bei Montesquieu kann es in parlamentarischen Regierungssystemen in der Form nicht geben, da Mitglieder der Regierung als Abgeordnete im Parlament sitzen und dort die parlamentarische Mehrheit bilden. Das Parlament besteht dann letztlich aus Regierungsfraktionen und der Opposition; das heißt Regierungsmitglieder sind zugleich Abgeordnete im Parlament. Eine Inkompatibilitätsregel, die die Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats bei gleichzeitiger Regierungsmitgliedschaft verbietet, kennt das Grundgesetz nicht – eine Ausnahme davon ist Art. 53a Abs. 1 S. 2 GG. In diesem Kontext fällt es schwer, das Parlament in seiner Gesamtheit als kontrollierenden Gegenpart zur Regierung zu verstehen.285 Der Dualismus von Parlament und Regierung weicht auf und verlagert sich also de facto zu einem Wechselspiel von Mehrheit und Opposition.286 Die Frage nach der Bedeutung des Wechselspiels von Opposition und Mehrheit für den klassischen Dualismus und den Maßstab der Gewaltenteilung ist daher dem Grunde nach berechtigt.

283

Baer, in: Der Staat 40 (2001), S. 525, 546; Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 160; Leisner, in: DÖV 1969, S. 405, 411; Möllers, Die drei Gewalten, S. 122; nach Tsatsos, in: Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie, S. 1, 77 f. enthalten alle Staatsakte legislative und exekutive Elemente. Dabei bezieht er sich nicht auf das Bonner Grundgesetz, sondern vielmehr auf ein Phänomen, das in allen modernen Verfassungsstaaten auftritt. So sei der Beschluss eines Gesetzes nicht allein legislativer Natur, weil letztlich dabei auch Normen des Gesetzgebungsverfahrens vollzogen würden. 284 Zeh, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 41. 285 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 100; Reinhart, Gewaltenteilung im Staatsund Kommunalverfassungsrecht, S. 60; Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a). 286 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 140; Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 97; Gehrig, in: DVBl. 1971, S. 633, 635, 637; Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 20 V. Rn. 24; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 35 nennt das die „Verklammerung“ von Regierung und Parlamentsmehrheit; Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 546 f.; Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 16; Scheuner, in: Ritterspach / Geiger, FS-Müller, S. 379, 397; Schmitt, Verfassungslehre, S. 325; Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 19.

IV. Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Opposition  

119

b) Das Verhältnis von Opposition und Mehrheit Das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit könnte also schließlich äquivalent für den historischen und in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Dualismus von Parlament und Regierung stehen. Daher fragt sich, wie das Verhältnis von Opposition und Mehrheit, das heißt von Parlamentsopposition und Regierung mit Parlamentsmehrheit, im engeren Sinne ausgestaltet ist. Im Ausgangspunkt fällt auf, dass die Opposition als solche keinerlei Erwähnung im Verfassungstext findet. Ihre grundsätzliche Bedeutung für das parlamentarische Regierungssystem ist indes unbestritten.287 Nach Art. 42 Abs. 2, Art. 121 GG gilt zwar das Mehrheitsprinzip, aber auch die Mehrheit kann irren. Um dieser Gefahr zu begegnen, zählt der Minderheitenschutz gleichermaßen zum Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG.288 Die Opposition ist eingesetzt, Staatsmacht in Ausübung durch die Mehrheit zu mäßigen und für die Stärkung individueller Freiheiten einzutreten.289 Es ist daher möglich, die Opposition als Antagonisten der verfassungsrechtlichen Mehrheit zu verstehen. Das allein ist für die Etablierung eines neuen Dualismus aber nicht ausreichend. Charakteristisch für einen Dualismus verschiedener Organe sind demgegenüber die Dichte, die Ausgestaltung und die Effektivität gegenseitiger Kontrollrechte. Das Maß der gegenseitigen Kontrolle von Opposition und Mehrheit bestimmt also ihr Verhältnis im engeren Sinne. Die Kontrollrechte der Opposition, die Minderheitenrechte, knüpfen an verschiedene Minderheiten Quoren an (zum Beispiel ¼ der Abgeordneten).290 Beispiele derartiger Kontrollrechte sind insbesondere die abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, der Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses nach Art. 44 Abs. 1 GG, die Initiativ- und Antragsrechte in Form der kleinen Anfrage gem. §§ 104, 75 Abs. 3 GO BT, die große Anfrage gem. §§ 100–103 GO BT, die Aktuelle Stunde nach § 106 GO BT und die Einsetzung der EnqueteKommission gem. § 56 Abs. 1 S. 1, 2 GO BT.291 Da das Grundgesetz jedoch nicht selbst die Kontrollrechte der Opposition als verbindliche Minderheitenrechte ausgestaltet, sondern dies der Geschäftsordnung des Bundestages überlässt, können 287

Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  42 Rn.  95; Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a) δ), zum Begriff der Opposition § 23 III 1, 2. 288 Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 16, 19. 289 Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 19; zur machtmäßigenden Funktion der Opposition Stern, StaatsR I, § 23 III 4. 290 Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 42; Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 16; allerdings handelt es sich bei den Minderheitenrechten nicht um ausschließliche Oppositionsrechte, da die in Rede stehenden Rechte allein von einem Minderheitenquorum abhängig sind, das auch Einzelne der Parlamentsmehrheit für sich beanspruchen können, dazu z. B. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 70. Siehe zu den verschiedenen Minderheitenrechten als parlamentarische Kontrollrechte schon S. 105. 291 Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 49 Rn. 66 ff.; Stern, StaatsR I, § 23 III 4.

120

3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

die Kontrollrechte der Opposition als unzureichend empfunden werden.292 Nach Frohn ist aufgrund der Tatsache, dass das Grundgesetz nicht selbst diese Kon­ trollrechte normiert, die Bundesregierung etwa nicht verpflichtet, Anfragen nach §§ 100 ff. GO BT überhaupt oder wahrheitsgemäß zu beantworten.293 Auch für den Fall, dass die Minderheitenrechte der Opposition verbindliche Antworten der Bundesregierung nach sich zögen, wiese die Opposition ein nicht unerhebliches Informationsdefizit gegenüber der Mehrheit auf.294 Das ist darauf zurückzuführen, dass die zahlenmäßig überschaubare Regierung engeren, persönlichen Kontakt zu Sachverständigen pflegt und pflegen kann und durch gezielte und zentral gesteuerte Prozesse der Informationsgewinnung fachlich effizienter informiert ist. Außerdem trägt die punktuelle Auseinandersetzung der Regierung mit sozialen Kräften und Gruppen im Vorfeld zu ihrer größeren Informiertheit bei.295 Entscheidend kommt dann hinzu, dass die Parlamentsmehrheit Zugriff auf diese Informationen der Regierung hat, sodass das Informationsdefizit insbesondere bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen durch die Opposition zum Tragen kommt, obwohl die Gesetzgebung nach Art. 76 ff. GG den Kern der gesetzgebenden Funktion ausmacht.296 Das Verhältnis von Opposition und Mehrheit ist also durch das Informationsdefizit der Opposition gekennzeichnet. Effektive Informationsrechte der Opposition sind indes unerlässlich, um im Sinne klassischer Gewaltenteilung einen effektiven Gegenpol zur Mehrheit generieren zu können.297 Es lässt sich daher in diesem Kontext bezweifeln, das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit als einen echten Dualismus zu verstehen. c) Fazit: Ein neuer Dualismus? Nein, um einen neuen, den klassischen verdrängenden Dualismus von Opposition und Mehrheit handelt es sich nicht. Es lässt sich zwar zunächst einmal wie bei Jarass hören, dass das klassische Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG schlecht abschneidet, weil dieses auf einen vergangenen, spätkonstitutionellen Gegensatz von Gesetzgebung

292 Zur Relevanz effektiver Rechte der Opposition im Allgemeinen Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 73. 293 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 137 f. 294 Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 55 f.; Schneider, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 38 Rn. 44; in diese Richtung auch Wewer, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 47, 51. 295 Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 55 f.; Scheuner, in: Ritterspach / Geiger, FS-Müller, S. 379, 398. 296 Reinhart, Gewaltenteilung im Staats- und Kommunalverfassungsrecht, S. 56. 297 Ähnlich auch Gehrig, in: DVBl. 1971, S. 633, 637.

IV. Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Opposition  

121

und Vollzug zugeschnitten ist.298 Die augenscheinlichen formalen Differenzen zwischen Parlament und Regierung könnten nicht verschleiern299, dass die Distanz zwischen ihnen gegenwärtig derart gering sei, dass der traditionellen Gewaltenteilungslehre die Basis entzogen sei.300 Parlament und Regierung seien keine zwei deutlich getrennten Positions- und Interessenbereiche mehr, während die vertikale Gewaltenteilungslinie zwischen Opposition und Mehrheit separiere. Dem ist insofern zuzustimmen, als sicherlich eine vertikale Trennungslinie existiert, die die Opposition von der Mehrheit separiert und Ausdruck eines funktionenübergreifenden Verhältnisses ist. Jedoch zeigt sich auch, dass allein die Minderheitenrechte keinen mit einem Dualismus vergleichbaren Graben zwischen Opposition und Mehrheit ziehen. An dieser Stelle von einem Dualismus zu sprechen, käme wohl einer Überbewertung der oppositionsrechtlichen Stellung und einer Simplifizierung des Verhältnisses von Parlament und Regierung gleich. Für die These, dass es sich allenfalls um eine Relativierung und nicht um die Einebnung des klassischen Dualismus von Parlament und Regierung handelt, sprechen vor allem zwei Aspekte, die es auszuführen gilt: zum einen die rechtlich verbindliche gesamtparlamentarische Kontrolle der Bundesregierung und zum anderen die persönliche Interessenlage der Abgeordneten, die der Parlamentsmehrheit angehören. Erstens bleibt die für die Unterscheidung der drei Funktionen typische und notwendige Spannungslage nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG trotz einer vertikalen Trennung in Opposition und Mehrheit zwischen Regierung und Gesamtparlament erhalten. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die gesamtparlamentarischen Kontrollmechanismen, die sich zum Beispiel auf die Haushaltskontrolle der Bundesregierung nach Art. 113 Abs. 1 S. 1, 2 GG oder den Zustimmungsvorbehalt bei Auslandseinsätzen erstrecken.301 Die verfassungsrechtlich gewährleisteten gesamtparlamentarischen Kontrollrechte kreieren die für das Prinzip der Gewaltenteilung und den klassischen Dualismus von Parlament und Regierung typische, aber eben auch erforderliche Spannungslage. Diese Sichtweise gewinnt insofern an Gewicht, wenn man bedenkt, dass die Opposition als solche keine verfassungsrechtliche Normierung erfährt und im Übrigen nur unzureichend mit Informationsmitteln ausgestattet ist, was ihre grundsätzliche verfassungsrechtliche Stellung sowie ihre Bedeutung für den Dualismus von Gesamtparlament und Regierung schwächt.302

298

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 54. Zu den formalen Differenzen zählt z. B., dass der Bundestag im Gegensatz zur Bundesregierung der Vertreter „kleiner Interessen“ sei, was sich über die Direktmandate aus den Wahlkreisen ausdrücke, so Jarass, Politik und Bürokratie, S. 80. 300 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 81; weitaus mildere Kritik bei Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 158; Zeh, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 46. 301 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Rn. 55; auch nach von Münch, in: NJW 1998, S. 34 f. hebt das Verhältnis von Regierung und Regierungsmehrheit den Stellenwert der gesamtparlamentarischen Kontrolle nicht auf. 302 In diese Richtung auch Stern, StaatsR I, § 23 III 5. 299

122

3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Darin, dass die Opposition als solche nicht verfassungsrechtlich bestimmt ist, lässt sich wohl die Stärkung des Parlaments in seiner Gesamtheit erkennen.303 Zweitens lässt sich eine fortwährende Unterscheidung von Regierung und Gesamtparlament auch auf der Ebene der persönlichen Interessenlage der Gesamtparlamentarier festmachen. Es ist zwar der Regelfall, dass Regierungsmitglieder zuvor das Abgeordnetenmandat innehatten – und sich dort erworbene Verhaltensmuster wohl nicht ablegen lassen304 – und umgekehrt das Regierungsmitglied auch im Fortgang weiterhin das Abgeordnetenmandat ausübt. Nichtsdestotrotz weisen Regierungsmitglieder und Abgeordnete der Mehrheitspartei je nachdem, in welcher Eigenschaft sie agieren, faktisch interessenspezifische Unterschiede auf und formen einen divergierenden Gesamtwillen.305 Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass Abgeordnete der Mehrheitsfraktion, die nicht Mitglied der Regierung sind, sich von dieser in Abstimmungen und Debatten distanzieren.306 Man sei sich als Parlamentarier seiner eigenständigen, kontrollierenden Rolle gegenüber der Regierung bewusst.307 Das unterstreicht den Grundsatz, dass das Prinzip repräsentativer Demokratie ohnehin die Repräsentation des Parlaments als solches und nicht durch seine Untergliederungen einfordert.308 Aus vorstehenden Gründen ist demzufolge die Einebnung des klassischen Dualismus von Parlament und Regierung zu verneinen.309

303

Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  42 Rn.  95. Jarass, Politik und Bürokratie, S. 73; im Kontext des Verhaltens im Bundestag zeichnet von Münch, in: NJW 1998, S. 34, 35 sarkastisch das Bild eines „Doppelkopfes“, der bei jeder Wortmeldung zuerst zu verstehen geben müsse, ob er nun in der Rolle des Abgeordneten oder des Regierungsmitgliedes auftrete. 305 Z. B. BVerfGE 10, 4 (17, 19); Friesenhahn, in: Friesenhahn / Partsch, Parlament und Regierung im modernen Staat, S. 9, 35; Scheuner, in: Ritterspach / Geiger, FS-Müller, S. 379, 397; zum eigenen politischen Bewusstsein auch Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a) γ); Wewer, in: Magiera /  Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 47; Zeh, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 46. 306 Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a) γ); v. a. die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen hinterfragen die Vorstellungen der Regierung in Gesetzesentwürfen, so Zeh, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 39, 46. 307 Scheuner, in: Ritterspach / Geiger, FS-Müller, S. 379, 397 Fn. 60 zur Umfrage von 1969; Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a) die Eigenständigkeit der Mehrheitsabgeordneten und ihre Eigenschaft als „öffentliche Kontrolleure der Regierung“ bejahend. 308 Z. B. BVerfGE 44, 308 (316); 56, 396 (405); 80, 188 (217 f.); 123, 267 (342); 130, 318 (243); BVerfG NVwZ 2016, S. 922, 925 (Rn. 95 f.). 309 Di Fabio, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, § 27 Fn. 126; zur Debatte um die „neue Frontstellung in dem parlamentarischen Regierungssystem“ zusammenfassend Stern, StaatsR I, § 23 I 3 a). 304

IV. Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Opposition  

123

2. Die Einordnung des Wechselspiels von Opposition und Mehrheit in das klassische Prinzip der Gewaltenteilung Zwar etabliert das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit nach hier vertretener Ansicht keinen eigenen, modernen Dualismus. Nichtsdestotrotz bzw. gerade deswegen muss gefragt werden, ob und wie das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit in das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und dessen Maßstab zu integrieren ist, insbesondere welche Bedeutung jenes für die klassische Dreiteilung und die Gewaltentrennung und -verschränkung hat.310 Für die These, dass sich auch das Wechselspiel von Mehrheit und Opposition in das bestehende verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einfügt, spricht vor allem der Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Machtausübung.311 Nach dem Telos der Gewaltenteilung ist eine ausbalancierte Machtverteilung angestrebt, um den Missbrauch der Staatsgewalt durch den Einzelnen oder Einzelne zu verhüten. Die ausbalancierte Machtverteilung im Sinne einer maßvollen Kompetenzordnung wird vor allem durch die Verschränkungen der drei Funktionen in Form von gegenseitiger Kontrolle erreicht.312 In diesem Kontext ließe sich annehmen, dass das funktionsübergreifende Verhältnis von Parlament und Regierung und die Verteilung der Funktionen zwischen Mehrheit und Opposition nichts anderes als Ausdruck von checks and balances, das heißt gegenseitiger Kontrolle, seien.313 Die durch das Grundgesetz als Minderheitenrechte ausgestalteten Parlamentsrechte sowie die gesamtparlamentarischen 310

Vor dem Hintergrund eines relativierten Dualismus von Parlament und Regierung werden alternative Teilungsmodelle vertreten, die nicht an die klassische Dreiteilung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG anknüpfen (überblicksartige Darstellung der Alternativmodelle bei Stern, StaatsR II, § 36 IV 6 m. w. N.). Schließlich ist unabhängig von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine Dreiteilung staatlicher Gewaltausübung nicht zwingend. Früh angedacht war die „Staatsleitung zur gesamten Hand“ nach Friesenhahn, in: Friesenhahn / Partsch, Parlament und Regierung im modernen Staat, S. 9, 37 f. Danach soll die politische Planung sowie die Gesetzgebung dem Parlament und der Regierung in gesamter Hand zustehen, ohne dabei zwei Funktionen zu unterscheiden, weil die Staatsleitung größtenteils die Ausübung kooperativer Befugnisse einfordert. Demgegenüber ist nach Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 63 ff. die Ausübung der Staatsgewalt dreigeteilt, wobei zwischen der Grundentscheidung, ihrer Durchführung und der Nebenfunktion der Kontrolle zu unterscheiden ist und die Regierung und das Parlament als einheitliche Funktion zu betrachten sind. Jarass, Politik und Bürokratie, S. 125 ff. hingegen ordnet die herkömmlichen Funktionen neu, indem er die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit aufsplittet. Die Politik bilde die erste (Parlament und Regierung), die Bürokratie die zweite (die Verwaltung) und die Judikative die dritte Gewalt. Allerdings lässt Jarass im Ergebnis die gesteigerte Praktikabilität seines Ansatzes im Vergleich zur klassischen Gewaltenteilungslehre offen, S. 152. 311 Siehe zum Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewaltausübung S. 43 ff. 312 Siehe dazu S. 102 f. 313 Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, S. 98; auch Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 158, die die Eigenarten parlamentarischer Demokratien als moderne Interpretation der Gewaltenteilung i. S. d. Gewaltenverschränkung verstehen.

124

3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Kontrollmechanismen mäßigen die Regierung und ermöglichen zugleich eine parlamentsinterne Kontrolle314 der Mehrheit. Die Annäherung von Parlament und Regierung in Gestalt von Regierung und Parlamentsmehrheit und die damit einhergehende Divergenz von Opposition und Mehrheit ist dabei in parlamentarischen Demokratien typisch und verfassungsrechtlich legitim, da neben der Spannungslage zwischen Gesetzgebung und vollziehender Gewalt nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ohnehin auch die Annäherung beider Funktionen im Sinne einer sinnvollen Gewaltenverschränkung im Grundgesetz angelegt ist.315 Vor einem legitimationsrechtlichen Hintergrund, der gleichfalls durch die funktionale und organisatorische Gewaltenteilung indiziert ist316, gestaltet sich die Zusammenarbeit von Regierung und Parlament im Hinblick auf die Dreiteilung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ebenfalls nicht widersprüchlich: Eine enge Zusammenarbeit von Gesetzgebung und vollziehender Gewalt in Gestalt von Regierung und Parlamentsmehrheit ist legitimationsrechtlich sogar geboten, weil nur so die kollektiv-demokratische Selbstbestimmung des Wahlaktes verwirklicht werden kann.317 Durch die Zusammenarbeit und die strukturelle Verwobenheit wird die gemeinsame Verantwortlichkeit gegenüber dem demokratischen Legitimationssubjekt – dem Staatsvolk – wahrgenommen.318 Für eine sinnvoll verstandene Gewaltenteilung ist das daher kein Problem, im Gegenteil.319 Aus alldem ergibt sich  – trotz einiger Modifikationen  – die Einbettung des modernen Wechselspiels von Mehrheit und Opposition und der Relativierung des klassischen Dualismus von Parlament und Regierung in das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Falsch wäre es sicherlich, diese Entwicklungen, das heißt die Relativierung des klassischen Dualismus, die vertikale Trennungslinie zwischen Opposition und Mehrheit und die Bedeutsamkeit noch ganz anderer Machtträger zu leugnen.320 Und sicherlich stellen diese Entwicklungen das Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vor Herausforderungen. Allerdings lässt sich diesen Herausforderungen mit dem status quo begegnen und eine Einordnung anhand der bestehenden Systematik des Prinzips der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vornehmen. Darüber hinaus ist Stern aber zuzustimmen, dass, über ihre verfassungsrechtliche Verankerung hinaus, die klassische Dreiteilung als „[…] eine der großen Ideen, die den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat hervorgebracht, geformt und gefestigt haben“ beherzigt und verfolgt 314

Den Gedanken einer internen Kontrolle der Gesetzgebung i. S. d. Gewaltenteilung verfolgt bereits Schmitt, Verfassungslehre, S. 297 im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Zweikammersystem demokratischer Verfassungsstaaten. 315 Ähnlich Schöbener / Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 5 Rn. 158. 316 Siehe zur verfassungsmäßigen Relevanz des legitimatorischen Ansatzes für das Prinzip der Gewaltenteilung S. 98 ff. 317 Möllers, Die drei Gewalten, S. 123. 318 Ebd., S. 153. 319 Ebd., S. 124. 320 Stern, StaatsR II, § 36 IV 6.

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

125

werden müsse.321 Das Parlament müsse sich seiner gesetzgeberischen Grundsatztätigkeit bewusst sein und die Kontrollrechte gegenüber der vollziehenden Gewalt als gesamtparlamentarische Aufgabe betrachten. Demgegenüber solle sich die Regierung mehr als politische Gesamtstaatsleitung begreifen und die Dinge im Interesse des Gemeinwohls leiten. 3. Zusammenfassung Zwischen dem klassischen Dualismus von Parlament und Regierung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und dem Wechselspiel von Opposition und Mehrheit besteht ein Spannungsverhältnis, das dem Charakter parlamentarischer Demokratien immanent ist. Der klassische Dualismus von Parlament und Regierung wird durch eine vertikale Trennungslinie relativiert, die die Opposition von der Mehrheit separiert. Grund dafür sind die gewandelten sozialpolitischen Strukturen, die anders als in Monarchien kein derartiges Gegeneinander von Parlament und Regierung erforderlich machen. Hinzu kommt die personelle Verflechtung von Parlament und Regierung in parlamentarischen Demokratien durch die Doppeleigenschaft des Parlamentsabgeordneten als Regierungsmitglied. Allerdings relativiert das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit den klassischen Dualismus von Parlament und Regierung allenfalls. Es selbst verkörpert nämlich keinen neuen, den klassischen verdrängenden, Dualismus, sondern lässt sich in die Systematik der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und des Dualismus von Parlament und Regierung einordnen: Aufgrund starker gesamtparlamentarischer Kontrollrechte sowie einer verfassungsrechtlich verbürgten gesamtparlamentarischen Interessenlage ist an der Dreiteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und dem klassischen Dualismus festzuhalten. De jure und de facto ergibt sich ein umfassendes Kontrollsystem sowohl zwischen Opposition und Mehrheit als auch zwischen Gesamtparlament und Regierung, das dem Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und seiner Systematik gerecht wird, weil es gerade von den charakteristischen Wechselbeziehungen geprägt ist. Es ist Ausdruck, wenn auch moderner, Gewaltenverschränkung und gibt daher keinen Anlass, die klassische Dreiteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dem Grunde nach infrage zu stellen.

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung – Eine praktikable Lösung? Nach eingehender Analyse der Grundpfeiler der Gewaltenteilung – der Gewaltentrennung und -verschränkung  – zeigt sich, dass beide Komponenten, jeweils für sich betrachtet, kaum standardisierte Aussagen im Sinne eines Maßstabs zulassen. Zwar ist zu sehen, dass die Gewaltenteilung richtiger- und klassischerweise 321

Stern, StaatsR II, § 36 IV 6.

126

3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

als zweiteilig empfunden wird; beide Essentiale dürfen dabei jedoch nicht unverbunden nebeneinanderstehen bzw. sie sind nicht nacheinander zu prüfen, wenn es um die Frage geht, ob der Inhalt einer Kompetenznorm oder die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle gegen das Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verstößt. Dies ist vor allem auf die bereits beschriebene unlösbare Verbindung von Getrenntem und Verschränktem zurückzuführen.322 Aus vorstehenden Gründen ist die Gewaltenteilung daher als ein Prinzip mit fließenden Übergängen zwischen den einzelnen und innerhalb der einzelnen Funktionen zu verstehen – was bis hier hin wahrlich wenig bis gar nichts über die Gewaltenteilung als rechtlicher Maßstab aussagt. Daher verfolgt dieser Abschnitt das Ziel, einen Maßstab des Prinzips der Gewaltenteilung im Sinne einer praktikablen Lösung zu entwickeln, der die Gewaltenteilung als einheitliches Prinzip begreift, dabei gleichfalls seine wesentlichen Eigenarten erfasst und auch einen dogmatischen Umgang mit diesem ermöglicht. In einem ersten Schritt wird ein Vorschlag eines vierstufigen Maßstabs der Gewaltenteilung unterbreitet, der geeignet erscheint, einen praktikablen Umgang mit der Gewaltenteilung zu ermöglichen (1.). In einem weiteren Schritt gilt es zu bedenken, dass es sich im konkreten Fall des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG um Normen von Verfassungsrang handelt, welche dann am Maßstab des Prinzips der Gewaltenteilung zu überprüfen wären. In diesem Zusammenhang ist also auf die Bedeutung des Grundsatz-Schutzes nach Art. 79 Abs. 3 GG für den Umfang des Maßstabs der Gewaltenteilung einzugehen (2.). 1. Die vier Stufen des Maßstabs der Gewaltenteilung Wie eingangs beschrieben wird unter einem Maßstab die vorbildhafte Norm bzw. Richtlinie verstanden, anhand derer ein Prüfungsgegenstand an seiner Vereinbarkeit mit einer Referenzgröße gemessen wird. Dabei speist sich die vorbildhafte Norm bzw. Richtlinie aus dem Standard jener Referenzgröße. Vorliegend bildet das Prinzip der Gewaltenteilung diese Referenzgröße, anhand derer der Gemeinsame Ausschuss und die ihn konstituierenden Normen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zu untersuchen sein werden. Der Standard der Gewaltenteilung im Sinne der vorbildhaften Norm speist sich allerdings nicht aus der strikten Unterscheidung von Gewaltentrennung auf der einen und Gewaltenverschränkung auf der anderen Seite. Um die Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als rechtlichen Maßstab erfassen zu können, bedarf es vielmehr einer praktikablen, einheitlichen Lösung, wenn auch die trennenden und verschränkenden Gedanken der Gewaltenteilung wesentliche Grundpfeiler dieses Prinzips darstellen. Auf dem Weg zu vorstehender Erkenntnis hat sich im Übrigen gezeigt, dass sich die Theorien zur Abgrenzung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG von jeweils anderen Entschei 322

Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 10.

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

127

dungen abhängig machen.323 Rein materielle, aber eben auch rein formale Ansätze können nicht für sich allein stehen. Vielmehr bedingen sie einander, wenn es um die verfassungsmäßige Abgrenzung der drei Staatsfunktionen geht. Aufgrund eben dieser Komplexität muss für die Herausarbeitung eines Maßstabs von verschiedenen Seiten angesetzt werden.324 Die Kombination verschiedener angepasster Ansätze im Sinne eines vierstufigen Maßstabs erscheint als praktikable Lösung zielführend. Im Folgenden gilt es, den Anknüpfungspunkt des Maßstabs bzw. die Ausgangsfrage (a)) und die vier Stufen des Maßstabs (b)-e)) näher zu beleuchten. a) Die Ausgangsfrage Am Anfang stehen im Allgemeinen die Kompetenznormen bzw. die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle, die es auf ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung hin zu überprüfen gilt. Schließlich gibt es nach Thoma in der Verfassungswirklichkeit nicht nur legitime, sondern häufig genug auch illegitime Betätigungen legitimer staatlicher Organe.325 Die Ausgangsfrage lautet also stets: Ist die konkrete Ausübung der Staatsgewalt oder der Inhalt einer Kompetenznorm verfassungsmäßig oder aber handelt es sich um einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, was die Verfassungswidrigkeit des Prüfungsgegenstandes nach sich zieht?326 Um diesen Verstoß zu verifizieren, bedarf es aus vorstehenden Gründen eines standardisierten Vorgehens im Sinne eines gestuften Maßstabs. b) Stufe I: Materielle Unterscheidung funktionaler Hauptteile Wo setzt der Maßstab sinnvollerweise zuerst an? Zunächst auf materieller Ebene. Die verfassungsrechtliche Analyse unter III. zeigt schließlich, dass Wortlaut und Systematik von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine materielle Unterscheidung aufgrund der Eigenarten von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung unerlässlich machen.327 Im Ausgangspunkt muss eine materielle Vorstellung der drei Funktionen bestehen, bevor beurteilt werden kann, ob der in Rede stehende Funk 323 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  69; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 53. Siehe dazu ausführlich S. 100 ff. 324 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 10; zur Idee der Kombination zweier Ansätze auch Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 368; auch nach Schwarz / Sairinger, in: NVwZ 2021, S. 265, 271 ist etwa der Legitimationsmodus nicht alleiniger Parameter, wenn es um die gewaltenteilige Zuordnung von Kompetenzen geht. Die staatliche Gewaltausübung ist vielmehr „normativ institutionell ausbalanciert“. 325 Thoma, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Dts. Staatsrechts, § 71 S. 110. 326 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 39 f., 45, 56. Siehe zur Möglichkeit verfassungswidrigen Verfassungsrechts S. 78 ff. sowie zur Bedeutung des Grundsatz-Schutzes nach Art. 79 Abs. 3 GG für den Umfang des Maßstabs S. 137 ff. 327 Siehe dazu z. B. S. 84 f., 89 f.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

tionsträger auch verfassungsmäßiger Inhaber der in Rede stehenden Kompetenz ist.328 Die materielle Eigenart der Funktionen liefert schließlich deren jeweilige Daseinsberechtigung.329 Denn trotz zahlreicher Gewaltenverschränkungen fordert der Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ein gewisses Mindestmaß an Dreiteilung ein. Anhand welcher Kriterien aber erfolgt in diesem Zusammenhang die materielle Dreiteilung auf der ersten Stufe? Als materieller Ausgangspunkt dienen sogenannte funktionale Hauptteile330, die jeweils einem selbständigen Haupt-Organ zugewiesen werden.331 Die Bildung funktionaler Hauptteile ist dabei logische Konsequenz, weil Gewaltentrennung und -verschränkung als einheitliches Prinzip verstanden werden und die materielle Unterscheidung der drei Funktionen an den Anfang einer gestuften Betrachtungsweise gestellt wird.332 Die Entscheidung für funktionale Hauptteile wird vor allem durch die bewusste Unschärfe des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG getragen, der allein wesenstypische Grundfunktionen – das heißt funktionale Hauptteile – generiert, aber keinen abschließenden oder ausschließlichen Charakter für sich beansprucht.333 Die materielle Einfassung der drei Funktionen ist seit jeher mit der Gefahr apriorischer Begriffsbestimmung verbunden.334 Bei der hier anvisierten Bildung funktionaler Hauptteile ist der bereits aufgezeigten Gefahr apriorischer Begriffsbestimmung aber entschieden entgegenzutreten.335 Die funktionalen Hauptteile der Funktionen speisen sich nicht aus apriorischen Begriffsverständnissen, sondern ergeben sich normativ, also aus dem Grundgesetz selbst.336 Es gilt, dass, wer die Frage beantworten will, was Gewaltenteilung nach dem Grundgesetz bedeutet, auch seine normativen Aussagen zur Beantwortung dieser Frage bemühen muss.337 328

Heising, Gewaltenteilung nach dem Bonner GG, S. 20; Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 292. Die Relevanz normativer, abgesteckter Aufgabenfelder trotz erheblicher Kritik an der Kernbereichslehre wie hier bejahend Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 361. 330 Von Stern, StaatsR II, § 36 III 3 als „Funktionsteilung nach Schwerpunkten“ bezeichnet. 331 Fastenrath, in: JuS 1986, S. 194, 200; Jarass, Politik und Bürokratie, S. 4; so schon Küster, in: AöR 75 (1949), S. 397, 412; Stern, StaatsR II, § 36 IV 5 spricht insofern von sog. „Hauptträgern“. 332 Jarass, Politik und Bürokratie, S. 4. 333 Unterstützend sei dazu auf die Ausführungen von Stern, StaatsR II, § 36 IV 4 a) α) verwiesen. Besonders die weitreichende, aber eben nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG weitestgehend unbestimmte vollziehende Gewalt unterstreicht diese Sichtweise. 334 Siehe zur Kritik apriorischer Begriffsbestimmung S. 87 f. 335 Die Gefahr apriorischer Begriffsbestimmung liegt besonders darin, die Anknüpfung an den konkreten Verfassungstext und Verfassungsstaat zu verlieren, so auch Stern, StaatsR II, § 36 IV 3 b). 336 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 481; Zimmer, Funktion-KompetenzLegitimation, S. 46, 52 ff., 206 f. 337 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 481; Zimmer, Funktion-Kompetenz-­ Legitimation, S. 197 f.; vorsichtig, was die Bedeutung des geschriebenen Kompetenzkatalogs für die Bestimmung des Kerngehalts des Gewaltenteilungsprinzips anbelangt Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 363. Die Grenze zwischen unberührbarer Gewaltenteilungsgarantie und den in diesen Grenzen variablen Ausgestaltungen dürfte bei der Bestimmung der Mindestanforderungen nicht verschwimmen. 329

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

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In diesem Kontext sind zunächst materiell unstreitige Hauptteile der drei Funktionen unter Anlehnung an das positive Verfassungsrecht und unter Vermeidung aller eben nicht eindeutig aus diesem positiven Recht abzuleitenden Aussagen ganz prinzipiell zu bestimmen.338 Der funktionale Hauptteil der Gesetzgebung lässt sich vor allem aus dem normativen Gehalt des VII. Abschnitts „Die Gesetzgebung des Bundes“ ableiten. Für die gesetzgebende Funktion339 bedeutet dies die Setzung allgemeinverbindlicher Normen in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren durch das Parlament gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG.340 Bei normativer Betrachtungsweise des Grundgesetzes, insbesondere der demokratischen Bedeutung der Parlamentsentscheidung, die das Gesetzgebungsverfahren prägt, ergibt sich, dass mit der Setzung verbind­licher Normen nicht ausschließlich die Anordnung solcher mit unmittelbarer Wirkweise gegenüber dem Bürger verbunden ist. Es ist Hesse zuzustimmen, dass es vielmehr wesentlich auf die Erheblichkeit der Entscheidung bzw. Bedeutung der Anordnung für wichtige Fragen des Allgemeinwohls ankommt (die Feststellung des Haushaltsplanes ist etwa eine solche Anordnung, obwohl sie nicht unmittelbar gegenüber dem Bürger wirkt).341 Daher falle in den materiellen Funktionsbereich der Gesetzgebung unweigerlich alles Wesentliche, das heißt die Regelung wichtiger Fragen des Gemeinwesens, ungeachtet ihrer unmittelbaren Wirkweise gegenüber dem Bürger. Folgt man dieser Betrachtungsweise, lässt sich vor allem die Zuständigkeit des Parlaments für Verfassungsänderungen eindeutig begründen und an die Wesentlichkeit der Entscheidung anknüpfen. Die gesetzgebende Funktion – und einzig diese – kann im Zuge wesentlicher Entscheidungen Verfassungsänderungen gem. Art. 79 Abs. 1 GG herbeiführen342 und sonstige wesentliche Entscheidungen mit existenzieller Wirkung für den Verfassungsstaat treffen (zum Beispiel die Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG).343 Im Umkehrschluss ist zum Beispiel das Verordnungsrecht der vollziehenden Gewalt nach Art. 80 338

In diesem Zusammenhang besonders die Anknüpfung an das positive Recht betonend Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 74. 339 Zu den verfassungsrechtlichen Wirkvorbehalten der Gesetzgebung, die mit den hier beschriebenen Hauptteilen vergleichbar sind, ausführlich Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 217 ff. 340 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 218 f.; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 506, der in diesem Zusammenhang noch einmal explizit die Existenz formeller und materieller Gesetze verneint und die Gesetzgebung mit der Setzung allgemeiner Anordnungen, die die wichtigsten Fragen des Allgemeinwesens betreffen und in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren ergehen, gleichsetzt. Darauf, dass die Anordnung unmittelbar gegenüber dem Bürger gelte, komme es nicht an, da die Gesetzgebung für die Regelung verbindlicher Angelegenheiten der Allgemeinheit stehe, die sich auch in der Feststellung des Haushaltsplanes etwa äußern. 341 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 506. 342 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 218 f. 343 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 220.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Abs. 1 S. 1 GG mit dem funktionalen Hauptteil der Gesetzgebung vereinbar, weil auf Verordnungsebene nicht-wesentliche Entscheidungen getroffen werden.344 Regelte eine Verordnung indes Wesentliches oder delegierte ein Ermächtigungsgesetz im Sinne von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Wesentliches an die Regierung, so verstieße beides gegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Auch das Initiativrecht der Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 1, 2 GG ist damit kein Eingriff in den funktionalen Hauptteil der Gesetzgebung, weil erst das Beschlussverfahren gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG den Kern des funktionalen Hauptteils der Gesetzgebung ausmacht. Der Hauptteil der vollziehenden Gewalt ist – auch aufgrund der Teilung in Verwaltung und Regierung – schwieriger zu bestimmen. Unstreitig fällt in Anlehnung an den VIII. Abschnitt „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“ der unmittelbare Gesetzesvollzug darunter, der sich gegenüber dem Bürger in der Regel durch einen Verwaltungsakt der Behörde ausdrückt.345 Aus dem Gesetzesinitiativrecht gem. Art. 67 Abs. 1 GG, dem Recht der Haushaltsinitiative aus Art. 110, 113 GG und der Richtlinienkompetenz des Kanzlers gem. Art. 65 S. 1 GG ließe sich der Regierung wohl eine leitende Initiativkompetenz und die Herrschaft über die Alternative einräumen.346 Der Gesetzgebung ist es also benommen, in die Richtlinienkompetenz des Kanzlers oder auch die Ressortkompetenz der einzelnen Regierungsmitglieder qua Gesetz einzugreifen, genauso wie es der Rechtsprechung verwehrt ist, diese Befugnisse per Urteil anzutasten.347 Für die Rechtsprechung lässt sich normativ am IX. Abschnitt „Die Rechtsprechung“ anknüpfen. Ihr funktionaler Hauptteil umfasst die rechtliche Bewertung des Einzelfalls, da gem. Art. 103 Abs. 1 GG jedermann einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Sicherlich ist etwa auch die Verwaltung materiell mit dem Einzelfall befasst, sodass die funktionale Eigenart der Rechtsprechung vor allem in der Wahrung und Konkretisierung des Rechts zu Gunsten von Stabilität und Ordnung liegt.348 Die rechtliche Bewertung des Einzelfalles sowie die Wahrung des Rechts sind gem. Art. 92 GG ausschließlich den Richtern zuzuordnen, die nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig sind, was als Recht bzw. „Freiheit zur unparteiischen Anwendung der Gesetze ohne Nachteilsgefahr“349 zu verstehen ist. Das BVerfG ist gem. Art. 92 GG Teil der kontrollierenden, rechtsprechenden Funktion, nimmt dabei aber eine besondere verfassungsrechtliche Stellung ein.350 Es dient in beson-

344

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 525 f. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 223. 346 Ebd., S. 223 ff., 228. 347 Ebd., S. 228, 231. 348 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 548 f. 349 Säcker, in: NJW 2018, S. 2375. 350 Broß, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 27; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 560; Hillgruber / Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 1, 54; ausführlich zur besonderen Stellung des BVerfG im Funktionengefüge Schlaich /  Korioth, Das BVerfG, Rn. 503 ff. 345

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

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ders hohem Maße der Wahrung der Verfassung.351 Die kontrollierende Rolle der Gerichte, insbesondere des BVerfG, ist vor allem von der schöpferischen Tätigkeit der Gesetzgebung zu unterscheiden352, wobei die politische Tragweite verfassungsgerichtlicher Entscheidungen enorm ist.353 Vorstehende Einfassung funktionaler Hauptteile von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung ermöglicht eine erste Unterscheidung der Funktionen zur Abgrenzung von legitimer und illegitimer Machtausübung. c) Stufe II: Kompetenzzuordnung qua Legitimationsmodus Ausgehend von der materiellen Unterscheidung muss man sich auf einer zweiten Stufe Folgendes vor Augen halten: Fällt der Inhalt einer Kompetenznorm oder das konkrete Staatshandeln in den betreffenden funktionalen Hauptteil einer Funktion und agiert der betreffende Funktionsträger in diesem Rahmen, so ist das Prinzip der Gewaltenteilung nicht automatisch gewahrt.354 Zwei Beispiele verdeutlichen dies: Erstens, obwohl der Richter dem äußeren Erscheinungsbild nach über den Einzelfall entscheidet, könnte das Prinzip der Gewaltenteilung dennoch verletzt sein, wenn der Richter über die bewahrende Funktion der Rechtsprechung hinaus unzulässiges Richterrecht erlässt.355 Zweitens, ebenso könnte es Fälle geben, in denen eine Aufgabe normativ keinem funktionalen Hauptteil eindeutig zuzurechnen ist, wie beispielsweise die staatliche Planung, die sowohl von der Wesentliches entscheidenden Gesetzgebung durch das Parlament als auch von der vollziehenden Gewalt durch die politisch leitende Regierung wahrgenommen werden kann.356 351 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 146; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 561; zu der Frage, ob das BVerfG aufgrund seines Prüfungsmaßstabs Hüter oder Herr der Verfassung ist Hillgruber / Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 10 ff. 352 Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 147; Schlaich / Korioth, Das BVerfG, Rn. 511; etwas relativierend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 565, 569. 353 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 564; Risse, in: Magiera / Sommermann, Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, S. 15, 18 ff. Um die Einzelheiten der bundesverfassungsgerichtlichen Sonderstellung aber kann und soll es hier nicht weiter gehen. Siehe dazu als Impuls Fn. 485. 354 In diese Richtung auch Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 360, der darüber hinaus auch die funktionalen Hauptteile nicht als absolut geschützten Bereich versteht. Zutreffend handelt es sich bei den Hauptteilen um einen ersten Schritt eines „offenen Grundmusters“. 355 Ähnlich auch Ossenbühl, in: DÖV 1980, S. 545, 548, der die Gerichte als Ersatz- und Ergänzungsgesetzgeber bezeichnet, weil jedes Gesetz erst durch eine richterliche Interpretation endgültige Gestalt annehme; Schneider, in: AöR 82 (1957), S. 1, 13 ff., der in der Rechtsprechung mehrheitlich eine Gefahr im Sinne einer „Entfesselung der Dritten Gewalt“ sieht. Dabei wird der gewonnene Mehrwert der Gerichte als Kontrollinstanz der anderen Funktionen verkannt bzw. nicht ausreichend gewürdigt. 356 Z. B. kann die Planung von Eisenbahnstrecken auch in Gesetzesform ergehen. Wird wesentliche staatliche Planung indes durch die Exekutive vorgenommen, so ist dies nicht ein Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt und auch nicht gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. So dem BVerfG in BVerfGE 95, 1 (16) zu entnehmen.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Dabei handelt es sich um sogenannte Randbereiche, in denen es zu zahlreichen Berührungspunkten von Organen verschiedener Funktionen kommen kann.357 Die funktionalen Hauptteile auf materieller Ebene stellen eben nur Mindestbefugnisse dar und stecken nicht abschließend den Rahmen dafür ab, was ein Funktionsträger jenseits seines eigenen Hauptteils darf.358 In diesem Sinne sind die funktionalen Hauptteile also gerade nicht als unantastbare Kernbereiche zu verstehen, sondern weiterer Abwägung zugänglich. Die Frage, ob der Inhalt einer Kompetenznorm oder das konkrete Staatshandeln gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstößt – ob der Richter etwa noch Recht spricht oder ob es sich schon um die Setzung allgemeinverbindlicher Anordnungen handelt –, lässt sich nicht allein über die funktionalen Hauptteile von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung also beantworten. Die materielle Sichtweise kann nicht für sich allein stehen, sodass, wie über der organisatorischen Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegt, die formale Seite der Gewaltenteilung nicht außer Acht zu lassen ist. Ebenso bietet aber auch eine rein formale Betrachtungsweise aus oben beschriebenen Gründen keinen Mehrwert. In diesem Kontext und im Hinblick auf den individual-freiheitssichernden Charakter des Prinzips nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist vielmehr der rein formale Ansatz zu modifizieren und der erforderliche Legitimationsmodus der jeweiligen Funktion aus der Organperspektive zu hinterfragen.359 Ist der in Rede stehende Funktionsträger mit Blick auf die in Rede stehende Kompetenz ausreichend legitimiert? Zwar sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung durch die verfassungsgebende Gewalt völlig gleichwertig und gleichermaßen legitimiert.360 Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt für die jeweiligen Funktionsträger und die Entscheidungsfindung im jeweiligen Verfahren.361 Durch die Überprüfung des Legitimationsmodus des handelnden Funktionsträgers kann gewährleistet werden, dass die verschiedenen Legitimationsanforderungen, die das Grundgesetz für das Handeln seiner Organe aufstellt, auch durch diese repräsentiert werden.362 Dass dabei auf Elemente des Demokratieprinzips zurückgegriffen wird, ist nur natürlich und dem Umstand geschuldet, dass die Gewaltenteilung in ihrer Entwicklung mit zahlreichen anderen Prinzipien verschränkt wurde, was gegenwärtig vor allem auf die Eigenarten parlamentarischer Demokratien zurückzuführen ist.363 357

Stern, StaatsR II, § 36 IV 5. Ganz wesentlich dazu Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 234. 359 Kritisch zur Aufladung der Gewaltenteilung mit Elementen des Demokratieprinzips Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 366 ff. 360 Alle Gewalt leite sich aus der demokratischen Verfassung her, so Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 79. Dementsprechend ist jede Funktion verfassungsrechtlich legitimiert. 361 Möllers, Die drei Gewalten, S. 75 ff.; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 209. 362 Horn, in: JöR 49 (2001), S. 287, 296. 363 So ausdrücklich Stern, StaatsR II, § 36 IV 3 b); Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 177 stellt die Verknüpfung von Demokratie und Gewaltenteilung über den beiden Prinzipien inne 358

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

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Die verschiedenen Elemente der Gewaltenteilung sind letztlich „[…] wesentliche Bestandteile der demokratischen, der rechtsstaatlichen und der bundesstaatlichen Gesamtordnung des Grundgesetzes […].“364 Es gilt, über die materielle Unterscheidung hinaus zu fragen: Ist im Hinblick auf die Gravität der Entscheidungswirkung des Funktionsträgers der jeweilige Organwalter und das jeweilige Verfahren ausreichend legitimiert?365 Bedarf es der kollektiv-demokratischen Legitimation bei steigender Bedeutsamkeit der Entscheidungswirkung oder bedarf es einer individuellen Legitimation des Funktionsträgers?366 Für das Richterrecht muss dann etwa die Frage gestellt werden, ob das, was der Richter äußert, die Legitimation durch die individuelle Selbstbestimmung des Klägers oder des Antragsstellers erfordert. Falls ja, handelt es sich um die legitime Ausübung der rechtsprechenden Funktion. Die individuelle Selbstbestimmung genügt indes als Legitimation nicht, sofern der Richter durch einen eigenen individuellen Willensakt das Gesetz nicht nur auslegt, sondern es de facto erst kreiert. Daraus folgt, dass durch Auslegung zu ermitteln ist, welchen Schwerpunkt die Ausübung der Staatsgewalt betrifft und welcher Legitimationsmodus dafür einzufordern ist.367 d) Stufe III: Funktionsadäquate Organstruktur Zumal sich aber Sinn und Zweck gewaltenteiliger Machtausübung nicht in der freiheitssichernden Funktion der Gewaltenteilung erschöpfen, sondern darüber hinaus die effektive Aufgabenwahrnehmung zum Ziel haben, ist der gestufte Maßstab über diese zweite Stufe hinaus fortzuführen. Auf der dritten Stufe muss gefragt werden, ob die in Rede stehende Kompetenz von dem betreffenden Funktionsträger gemessen an der Funktionenadäquanz effektiv wahrgenommen wird. Es muss sichergestellt werden, dass eine personell, verfahrensmäßig und instrumentell geeignete Ausübung hoheitlicher Befugnisse stattfindet.368 Im Mittelpunkt steht also die Beantwortung der Frage, welches Organ bzw. welche Funktionsträger die betreffende Kompetenz am sachgerechtesten wahrnehmen können: Das Parlament, das prospektive Entscheidungen für die Allgemeinheit im öffentlichen Diskurs trifft, allerdings parteipolitisch abhängig ist? Die fachlich spezialisierte, rechtsgebundene wohnenden Freiheitsgedanken her; ferner kommt es nach Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 481 auf einen Blick „auf das Ganze der Verfassung“ an, wenn es um die Ausgestaltung des in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG abstrakt verankerten Prinzips geht. 364 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 13 Rn. 499. 365 Zum Begriff der Gravität der Entscheidungswirkung in einem anderen Zusammenhang bereits Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 48 f. 366 Diese Unterscheidung prägend und aus der individuellen und demokratischen Selbstbestimmung herleitend Möllers, Die drei Gewalten, S. 71, 75 ff. 367 Siehe zu den legitimatorischen Anforderungen an die Funktionsträger der vollziehenden Gewalt und der Gesetzgebung S. 98 ff. 368 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 235 f.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Verwaltung, deren Behörden lokale Entscheidungen auf unterer Ebene treffen? Die Regierung, die politisch initiativ agiert und neue Impulse einspeisen kann? Retrospektiv von unabhängigen Richtern, die lediglich Gesetz und Recht unterworfen sind?369 Diese Beurteilung geht ebenso über die materiellen Mindestbefugnisse der ersten Stufe hinaus und ist mithin eine Frage „faktisch-strukturellen Könnens und kompetenziellen Dürfens unter Folgenberücksichtigung“370, um verfassungsmäßige und praktikable Ergebnisse nach dem Prinzip der Gewaltenteilung zu generieren. e) Stufe IV: Vereinbarkeit mit dem Telos der Gewaltenteilung – Abwägung Da es sich bei der Gewaltenteilung, wie eingangs beschrieben, um ein Prinzip mit fließenden Übergängen innerhalb und zwischen den Funktionen handelt, ist zuletzt auf einer vierten Stufe das große Ganze zu betrachten.371 Zumal die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung dem Grunde nach konträre Stoßrichtungen aufweisen, aber gleichermaßen in dem einheitlichen Prinzip aufgehen, ist der Gewaltenteilung, wie für Verfassungsprinzipien typisch, eine (Gesamt-) Abwägung immanent. Hier besteht die Möglichkeit, vorstehende Ergebnisse und Zuordnungen zu korrigieren und abschließend zu klären, ob sich die ausgeübte Staatsgewalt noch im Rahmen zulässiger Gewaltenverschränkung bewegt oder ob es sich um einen Fall unzulässiger Gewaltendurchbrechung handelt. Letzen Endes muss diese Differenzierung, also die Beurteilung, welchem Machtträger die Wahrnehmung einer Aufgabe legitim zufällt, in eine Gesamtabwägung münden. Woran aber orientiert sich diese Abwägung? Sie wird sich wohl an dem Telos der Gewaltenteilung orientieren: Dabei wird die grundlegende Relevanz des Telos für den Maßstab schon durch die Heranziehung des legitimatorischen Ansatzes und der Funktionenadäquanz als moderne teleologische Ausprägungen bedeutsam. Die Verhütung von Machtmissbrauch und die Freiheitssicherung des Individuums sowie eine effiziente Aufgabenwahrnehmung sind schließlich das Bindeglied zwischen Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung, die aus diesen offensichtlich gegenläufigen Elementen die Brücke für ein einheitlich wahr 369

Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 237; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 531, 536 besonders anschaulich zu den Eigenschaften von Regierung und Verwaltung. 370 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 378 f. i.H.a. die rechtliche Bewertung von Richterrecht. 371 In diesem Kontext ist Hoffmann-Riem, in: Hufen, FS-Schneider, S. 183, 196 zuzustimmen, denn „[d]er das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander prägende Grundsatz der Gewaltengliederung darf nicht als formales und versteinertes Prinzip verstanden werden. Gefordert sind eine stete Rückbesinnung auf dessen normative Prämissen und die Prüfung, wie sie unter den jeweiligen Rahmenbedingungen am besten umgesetzt werden können.“ Die normative Prämisse i. S. d. Sinn und Zwecks der Teilung staatlicher Gewaltausübung ist stets am Maßstab der konkreten Ausübung zu hinterfragen.

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

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zunehmendes Prinzip schlagen.372 Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse hat sich also in dem durch die Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung geschaffenen Rahmen zu bewegen, wobei auf Grundlage einer sorgfältigen Abwägung je nach Sachlage die Glieder der Trias unterschiedlich stark akzentuiert werden können. Die Verhütung des Machtmissbrauchs und die Freiheitssicherung des Einzelnen sowie eine effiziente Aufgabenwahrnehmung als teleologische Grundidee bilden abschließend eine Kontrollinstanz, um die gewaltenteilige Funktionenzuordnung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu gewährleisten. Der Rekurs auf das Telos, um die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns feststellen zu wollen, kann daher im Ergebnis nur richtig sein. In streitigen Fällen muss gefragt werden: Bedeutet die Zuweisung einer konkreten Kompetenz einen erheblichen Machtzuwachs der einen Funktion, welcher durch Kompetenzen (das heißt Kontrollmechanismen) der anderen Funktion nicht ausgeglichen werden kann und somit zu einem missbrauchsanfälligen Machtübergewicht führt?373 Schließlich muss der jeweils andere Funktionsträger stets mehr als ein Anhängsel des anderen sein.374 Oder aber kann der Machtzuwachs einer Funktion und ihrer Funktionsträger im Sinne der Freiheitssicherung des Einzelnen oder einer effizienten Aufgabenwahrnehmung gerechtfertigt werden? Am Ende dieser Abwägung steht die Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage, die die Verfassungsmäßigkeit respektive Verfassungswidrigkeit eines konkret staatlichen Handelns oder einer Kompetenznorm zum Ergebnis hat. f) Fazit: Der gestufte Maßstab – Eine praktikable Lösung? Dieser im Kern vierstufige Maßstab bettet die Überprüfung der Vereinbarkeit konkret staatlichen Handelns oder des Inhalts einer Kompetenznorm mit dem Prinzip der Gewaltenteilung in ein dogmatisches Vorgehen ein. Auf der ersten Stufe knüpft der Maßstab an sogenannte funktionale Hauptteile an, die die materiellen Eigenarten der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG konstituierten Funktionen in den Blick nehmen. Über diese Eigenbereiche werden funktionale Mindestbefugnisse statuiert, die ein gewisses Maß an Gewaltentrennung transportieren und die über die positiven Aussagen des geschriebenen Verfassungsrechts zu bestimmen sind. Dem 372

Jarass, Politik und Bürokratie, S. 5. Für die staatliche Planung z. B. BVerfGE 95, 1 (15 f.). Das BVerfG hebt hervor, dass keine Funktion ein Übergewicht über die jeweils andere erlangen darf. Kann aber staatliche Planung von verschiedenen Funktionen gleich wirksam vorgenommen werden (Funktionenadäquanz), muss abgewogen werden, welche Funktion den konkreten Sachverhalt am effektivsten regeln kann. Dazu werden neben dem Telos der Gewaltenteilung auch andere verfassungsrechtliche Aspekte betrachtet, (17): Spielen Grundrechte eine Rolle? Wer kann die Grundrechte am besten schützen? Stehen der Machtausübung Vorschriften wie Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG entgegen? 374 Stern, StaatsR II, § 36 IV 6. 373

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Maßstab ist immanent, nicht auf der ersten Stufe – weder bei materieller Kompatibilität der Aufgabenwahrnehmung noch bei Verneinung dieser – zu verharren. Auf der zweiten und dritten Stufe ist vielmehr stets die auf der ersten Stufe gefundene Zuordnung anhand des Legitimationsmodus des materiell zuständigen Funktionsträgers zu hinterfragen und die funktionsadäquate Aufgabenwahrnehmung zu überprüfen. Der Maßstab mündet auf der vierten Stufe in eine Gesamtabwägung, in der das bis dorthin gefundene Ergebnis dem Telos der Gewaltenteilung gegenübergestellt wird, um in letzter Konsequenz die verfassungsmäßige Machtausübung von etwaigen Gewaltendurchbrechungen im Hinblick auf den freiheitssichernden und Missbrauchs verhütenden sowie Effizienz geleiteten Charakter der Gewaltenteilung abzugrenzen. Der gestufte Maßstab ist bis zu diesem Punkte geeignet, eine praktikable Lösung für den Umgang mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zu bieten. Er weist auf der einen Seite einen ausreichenden Grad an Abstraktion auf, um im Sinne einer vorbildhaften Norm standardisierte Aussagen generieren zu können, lässt auf der anderen Seite aber ausreichend Spielraum, um der Komplexität dieses besonderen Prinzips zu genügen. Insbesondere lässt dieser Maßstab die systematischen Spannungsfelder von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung zum einen sowie organisatorischer und funktionaler Gewaltenteilung zum anderen in einer einheitlichen Betrachtungsweise des Prinzips aufgehen. Wichtig ist, dass die jeweiligen Ansätze des Maßstabs stets als Ausprägung des einheitlichen Gewaltenteilungsprinzips verstanden werden. Die zweigliedrige Grundformel der Gewaltenteilung, bestehend aus Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung, soll mit dem vierstufigen Maßstab nicht negiert werden. Ihre Bedeutsamkeit gilt es aus oben genannten Gründen zu betonen.375 Die Bedeutsamkeit beider Grundpfeiler wird indes dadurch unterstrichen, dass beide als Elemente eines einheitlichen Prinzips in den vier Stufen des Maßstabs aufgehen. Eine ganz wesentliche Überlegung ist daher, dass, wenn keine eindeutige Zuordnung zu einer Funktion auf der ersten Stufe getroffen wird, die konkrete Ausübung staatlicher Gewalt immer noch Ausdruck der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sein kann, und zwar dann, wenn es sich um einen zulässigen Fall der Gewaltenverschränkung handelt. Nur so kann die Gewaltenteilung als einheitliches Prinzip verstanden und im Sinne einer praktikablen Lösung handhabbar gemacht werden. Für die funktionale und für die organisatorische Gewaltenteilung, die ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegt sind, gilt demgegenüber Folgendes: Zwei Antworten soll dieser Maßstab nicht liefern. Zum einen geht es nicht um die Frage, was Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung in letzter Konsequenz bedeuten. Die Gefahr der Bemühung apriorischer Begriffsbestimmung 375 Siehe zusammenfassend zur Bedeutung beider Grundpfeiler für den Maßstab der Gewaltenteilung S. 112 ff.

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

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wäre schlechthin zu groß. Zum anderen geht es nicht darum, der funktionalen oder der organisatorischen Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einen systematischen Vorrang einzuräumen. Dadurch, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns am Anfang steht, geht es also auch nicht um den organisatorischen Rückschluss zum Beispiel vom Parlament (Organ) auf die gesetzgebende Tätigkeit, aber eben auch nicht exklusiv um die Zuordnung materieller Funktionstätigkeit zu einem Organ. Die funktionale und die organisatorische Gewaltenteilung gehen wie die Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung gleichermaßen in dem Prinzip auf. Damit bestätigt sich die oben dargestellte Annahme, dass Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine grundsätzliche Anforderung an die Verteilung staatlicher Macht stellt: die Unterscheidung in verschiedene Funktionen und die Teilnahme verschiedener Organe an ihrer Ausübung, ohne damit im Sinne einer unumstößlichen Lehre ein systematisches Verhältnis von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung zu statuieren. Diesen Anforderungen wird der Maßstab als praktikable Lösung gerecht und berücksichtigt funktionale wie organisatorische Elemente. Die praktische Erprobung des Maßstabs am Beispiel des Gemeinsamen Ausschusses (4. Kapitel) steht im Folgenden noch aus. 2. Der Maßstabsumfang i.H.a. den Grundsatz-Schutz nach Art. 79 Abs. 3 GG Der gestufte Maßstab ist dem Grunde nach statuiert. Zu überlegen ist aber, ob jener auch in diesem Umfang für die Überprüfung von Normen gleichen Ranges wie etwa Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG verfassungsmäßig ist. Anlass für Zweifel gibt der in Art. 79 Abs. 3 GG verbürgte Grundsatz-Schutz, wonach Verfassungsänderungen an den in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen zu messen und unzulässig sind, sofern sie diese berühren. Klar ist, dass das Prinzip der Gewaltenteilung als Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG davon erfasst und damit Bestandteil des unabänderlichen Verfassungskerns ist.376 Was bedeutet das aber für den Umfang des vierstufigen Maßstabs? Ist dieser im Falle der Überprüfung von verfassungsändernden Normen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG auf ein Minimum zu reduzieren? Als gesichert gilt, dass Art. 79 Abs. 3 GG als sogenannte Ewigkeitsgarantie Art. 1 und Art. 20 GG nicht in Gänze schützt, sondern nur die in ihnen niedergelegten Grundsätze und damit nur einen unantastbaren Kern des Verfassungs 376

Zumal es bei den untersuchungsgegenständlichen Normen um Art. 53a, 115a ff. GG geht, die qua Verfassungsänderung 1968 Einzug in das Grundgesetz fanden, handelt es sich also auch keinesfalls um originäres Verfassungsrecht. Jene Verfassungsänderungen, auch wenn sie nicht den Wortlaut der in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätze unmittelbar ändern, sind daher an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu messen. Siehe zur Möglichkeit verfassungswidrigen Verfassungsrechts und seiner Bedeutung für den Maßstab auch S. 78 ff.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

rechts.377 Dem ersten Anschein nach richten sich die dem verfassungsändernden Gesetzgeber auferlegten Grenzen also nach den inhaltlichen Konkretisierungen des jeweiligen Grundsatzes.378 Dabei besteht indes die Gefahr zu „kleinteiliger Ausmünzungen“379, die dem Sinn und Zweck des Schutzes verfassungsrechtlicher Leitgedanken sicherlich zuwiderlaufen würden und auf den interpretationsbedürftigen Wortlaut der Norm auf Tatbestandsseite zurückzuführen sind.380 Aus diesem Grunde ist die Ausnahmevorschrift des Art. 79 Abs. 3 GG restriktiv auszulegen.381 In diesem Kontext stellt das BVerfG auf den Schutz vor prinzipieller Preisgabe der in Art. 1 und Art. 20 GG benannten Grundsätze ab und ermöglicht Modifikationen des Verfassungsrechts aus sachgerechten Gründen.382 Für den Umfang des Schutzes der Gewaltenteilung vor Verfassungsänderungen greift das BVerfG dafür auch in diesem Zusammenhang auf die Kernbereichslehre als verfassungsmäßigen Mindeststandard zurück.383 Die reine Kernbereichslehre als Schranke eines ausufernden Verfassungsbestandsschutzes erweist sich jedoch auch im Kontext von Art. 79 Abs. 3 GG aus oben genannten Gründen als problematisch.384 Gleichzeitig ist aber auch klar, dass eine gewisse materielle Teilung der Funktionen zum Kerngehalt des in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Grundsatzes gehört385 und darüber hinaus Gewaltenverschränkungen ausdrücklich erforderlich sind, um die Verwirklichung des Telos, die Verhinderung von Machtmissbrauch, zu ermöglichen.386 Die Debatte um den Umfang des in Art. 79 Abs. 3 GG verbürgten Schutzes des Prinzips der Gewaltenteilung könnte hier noch intensiv fortgeführt werden. Aller 377

Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 26. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 26; kritisch dazu Stern, StaatsR I, § 5 IV 5 b) γ), der die Doppeldeutigkeit des Begriffs „Grundsatz“ herausstellt und darin wohl eine Begrenzung des jeweiligen Rechtsinstituts auf seine wesentlichen Elemente sieht. 379 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 26. 380 Dietlein, in: BeckOK, GG, Art. 79 Rn. 22; Stern, StaatsR I, § 5 IV 4 b). 381 BVerfGE 30, 1 (24); 109, 279 (310); kritisch Stern, StaatsR I, § 5 IV 4 a), aber i. E. zustimmend, weil es sich bei der Ewigkeitsgarantie um eine „Ausnahme ‚der Sache nach‘ vom Grundsatz der Nichtgebundenheit des pouvoir constituant institué“ handele. 382 BVerfGE 30, 1 (24); 109, 279 (310); ferner BVerfGE 94, 12 (34); 132, 195 (244); 137, 108 (145); zum vermeintlich unterschiedlich weit reichenden Gestaltungsspielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers durch den Schutz vor „prinzipieller Preisgabe“ und dem Erfordernis „sachgerechter Gründe“ Herdegen, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  79 Rn.  63. 383 BVerfGE 30, 1 (27 f.); die Übertragung der Kernbereichslehre des BVerfG auf den Schutz nach Art. 79 Abs. 3 GG deutet Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 79 Rn. 45 an; neben der Unterscheidung materieller Kernbereiche umfasst der Schutz aus Art. 79 Abs. 3 GG unstreitig auch die ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegte funktionale sowie organisatorische Gewaltenteilung, so Michl, in: JuS 2020, S. 507, 508. 384 Siehe zu den begrifflichen und praktischen Problemen der Kernbereichslehre v. a. S. 87 ff. 385 BVerfGE 30, 1 (28) zum materiellen Kerngehalt der Rechtsprechung; zur besonderen Bedeutung des materiell-rechtlichen Begriffs der Gesetzgebung in diesem Zusammenhang ­Herdegen, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  79 Rn.  148. 386 BVerfGE 30, 1 (28); 34, 52 (59); 147, 50 (138); die Bedeutung des Telos der Gewaltenteilung in diesem Kontext hervorhebend Herdegen, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  79 Rn.  147. 378

V. Der gestufte Maßstab der Gewaltenteilung   

139

dings zeigt sich schon an dieser Stelle, dass diese Debatte mit den gleichen Schwertern ausgefochten wird wie die Debatte um den richtigen Ansatz zur Herausbildung standardisierter Aussagen im Sinne des Maßstabs. Im Kern geht es in beiden Fällen um die Herausbildung sogenannter Mindestanforderungen verfassungsmäßiger Gewaltenteilung, die sich aus dem Wechselspiel zwischen funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung, Gewaltentrennung und -verschränkung sowie formaler und materieller Ansätze ergeben und sich wie ein Netz um das Telos des Prinzips spinnen.387 Nichts anderes gewährleistet der oben statuierte Maßstab: Er stellt Mindestanforderungen an eine verfassungsmäßige Gewaltenteilung auf, die trennende wie verschränkende Elemente funktionaler und organisatorischer Natur umfassen, sowie orientiert am Sinn und Zweck der Teilung staatlicher Gewalt ausgerichtet sind und damit das Prinzip ausmachen. Letztlich bedeutet der verfassungsrechtliche Bestandsschutz aus Art. 79 Abs. 3 GG also keine Reduzierung des Umfangs des Maßstabs, da dieser ohnehin auf das verfassungsrechtliche Minimum beschränkt ist und mit dem Grundsatz-Schutz identische Mindestanforderungen an die Einhaltung des Prinzips der Gewaltenteilung aufstellt. Auch für die Überprüfung des Gemeinsamen Ausschusses aus Art. 53a GG als Norm von Verfassungsrang ist daher der oben statuierte Maßstab verfassungsmäßig und maßgeblich. 3. Zusammenfassung Anhand des hier bestimmten Maßstabs lassen sich Normen jeden Ranges sowie die konkrete Ausübung der Staatsgewalt auf ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung hin überprüfen und die Frage beantworten, ob diese verfassungsmäßig sind oder ob sie gegen das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verstoßen. Der mehrstufige Maßstab basiert auf der Annahme, dass rein formale oder rein materielle Betrachtungsweisen für sich genommen keine eigenständigen Aussagen im Sinne von Mindestanforderungen über das Prinzip der Gewaltenteilung generieren können, sodass ihre Kombination im Sinne einer gestuften Prüfungsweise zielführend ist: Am Anfang steht die Bildung sogenannter funktionaler Hauptteile der Funktionen (Stufe I), um das über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgte Mindestmaß an Gewaltentrennung zu gewährleisten. Ferner wird aus formaler Sicht gefragt, ob die über die funktionalen Hauptteile getroffene Zuordnung den Anforderungen demokratischer Legitimation der Organe (Stufe II) und einer funktionsadäquaten Aufgabenwahrnehmung (Stufe III) entspricht. In einem letzten Schritt fordert der Maßstab eine am Telos der Gewaltenteilung orientierte Gesamtabwägung (Stufe IV). So gehen sowohl die verschiedenen Spannungsfelder in Gestalt der Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung als auch die über Art. 20 387 In diese Richtung gehend und jedenfalls den Gleichlauf des Prüfungsmaßstabs für die materiellen Kernbereiche bejahend Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 79 Rn. 45.

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

Abs. 2 S. 2 GG unmittelbar verbürgte funktionale und organisatorische Gewaltenteilung im Sinne eines einheitlichen Prinzips in dem Maßstab auf. Da der festgestellte Prüfungsmaßstab dem Umfang des Grundsatz-Schutzes nach Art. 79 Abs. 3 GG entspricht, kann dieser auch die Basis für den weiteren Forschungsgang, insbesondere für die Auslegung von Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG und die rechtliche Bewertung des Gemeinsamen Ausschusses bilden.

VI. Fazit: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und ihr Maßstab Das 3. Kapitel hatte zum Gegenstand, das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2  GG mit seinen konkreten Inhalten und Grenzen zu erfassen. Ziel dieses Kapitels war die theoretische Einrahmung der Gewaltenteilung des Grundgesetzes in der Weise, dass sich am Ende ein möglichst vollumfänglicher Eindruck des Prinzips im Sinne eines Maßstabs gewinnen lässt. Anhand dieses Maßstabs erfolgt dann in einem späteren Schritt (4. Kapitel) die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in und die Überprüfung anhand des Prinzips der Gewaltenteilung. Die vorstehenden Erkenntnisse lassen im Ergebnis folgende Thesen über das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltenteilung und dessen Maßstab zu: 1. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist ein klassisches Ordnungsprinzip von Maß und Mitte, das von verschiedenen Spannungsfeldern geprägt ist. Am Grundgesetz lässt sich die Gewaltenteilung primär an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG anknüpfen. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unterscheidet bei der Ausübung der Staatsgewalt namentlich in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Durch die Differenzierung der drei Staatsfunktionen kommt die funktionale Gewaltenteilung zum Ausdruck; bei der Zuweisung der drei Staatsfunktionen zu besonderen Organen handelt es sich um die organisatorische Gewaltenteilung. In welchem Verhältnis funktionale und organisatorische Gewaltenteilung zueinanderstehen, klärt Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hingegen nicht. Ebenso uneindeutig ist das Verhältnis von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung, die zwar konträre Stoßrichtungen aufweisen, beide jedoch dem Prinzip der Gewaltenteilung immanent sind. Verkompliziert wird die systematische Einordnung der Gewaltenteilung ferner durch das Verhältnis des allgemeinen, in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Prinzips der Gewaltenteilung zu den konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes. Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes zeugt also von zahlreichen Spannungsfeldern, die dem Prinzip von Maß und Mitte immanent sind. 2. Begrifflich und inhaltlich zu unterscheiden sind auf der einen Seite die Gewaltenteilung und auf der anderen Seite ihr Maßstab. Der Maßstab der Gewaltenteilung stellt ein standardisiertes Prüfungsprogramm des Prinzips dar und ist daher enger gefasst als der Begriff der Gewaltenteilung als

VI. Fazit  

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solcher. Ein derartiger Maßstab ist deshalb erforderlich, weil das abstrakte Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG über die konkreten Kompetenznormen des Grundgesetzes hinaus Direktionskraft für sich beansprucht. Das Prinzip der Gewaltenteilung gewinnt vor allem als Auslegungs- und Prüfungsparameter an Bedeutung. Es ist in erster Linie zur verfassungskonformen Auslegung von Kompetenznormen bzw. zur Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz heranzuziehen. Ferner ist das Prinzip zur Überprüfung der Ausübung von Staatsgewalt im konkreten Falle auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu konsultieren, also zur Überprüfung der Normanwendung am Maßstab der Verfassung. Im Hinblick auf die Möglichkeit verfassungswidrigen Verfassungsrechts aus Art. 79 Abs. 3 GG lassen sich darüber hinaus Normen gleichen Ranges wie etwa Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG an diesem Maßstab messen. 3. Um eben diesen Maßstab zu verifizieren, bedarf es der Auseinandersetzung mit den Grundpfeilern des Prinzips der Gewaltenteilung. Als diese stellen sich nicht zuletzt historisch bedingt die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung heraus. a) Die Gewaltentrennung ist durch die Dreiteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ausdrücklich im Grundgesetz angelegt. Wie sich die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung voneinander unterscheiden und trennen lassen, ist hingegen unklar. Zur Lösung dieses Problems lässt sich im Hinblick auf die Existenz funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung entweder an die materielle Funktion oder an das Organ anknüpfen. In diesem Kontext werden vor allem die materielle Kernbereichslehre, die Theorie von materiellen und formellen Funktionen, rein formale Ansätze, die Theorie der Funktionenadäquanz und ein legitimatorischer Ansatz vertreten. Rein formale oder aber rein materielle Ansätze vernachlässigen jedoch die Existenz funktionaler respektive organisatorischer Gewaltenteilung. Auch die übrigen Lösungen kommen nicht ohne einen Rückgriff auf die jeweils anderen Ansätze aus. Im Kern ist diese Tatsache darauf zurückzuführen, dass eine materielle Trennung der Funktionen unerlässlich ist, um die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zum Ausdruck kommenden funktionalen Eigenarten zu gewährleisten. Hinzu tritt aber die Erforderlichkeit einer funktionsgerechten Wahrnehmung der Kompetenzen auf Organ-Ebene sowie die demokratische Legitimität dieser Aufgabenverteilung. Es kommt mithin zu einer Synthese im Sinne einer Kombination von funktionaler und organisatorischer Gewaltenverteilung auf der Ebene der Gewaltentrennung. Insofern lässt sich das zuvor als fraglich beschriebene Verhältnis von funktionaler und organisatorischer Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG erklären und partiell auflösen. b) Die Gewaltenverschränkung verwirklicht demgegenüber das der Gewaltenteilung immanente Balanceelement und drückt sich in wechselseitigen Kontrollrechten der drei Funktionen aus. Auf der Ebene der Gewaltenverschränkung lässt sich auch das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit einordnen und im Hinblick auf eine umfassende Machtmäßigung durch unterschiedlichste Verflechtun-

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3. Kap.: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

gen begründen. Wie sich die Gewaltenverschränkung verfassungsmäßig vollzieht, insbesondere, wo ihre Grenzen zur Gewaltendurchbrechung verlaufen, richtet sich in hohem Maße gleichfalls nach den Mindeststandards, die das Grundgesetz an die Gewaltentrennung der drei Funktionen stellt. Für den Maßstab offenbart dies, dass die strikte Unterscheidung in Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung kaum standardisierte Aussagen zulässt. Die Spannungsfelder von Trennung und Verschränkung, organisatorischer und funktionaler Gewaltenteilung, Missbrauchsverhütung und Effizienz sowie Unabhängigkeit und Kontrolle fordern daher eine andere Vorgehensweise, den Maßstab zu verifizieren, ein; ein Vorgehen, das die Gewaltenteilung als einheitlichen Grundsatz versteht und seiner Eigenschaft als Prinzip von Maß und Mitte gerecht wird. 4. Ein vierstufiger Maßstab wird vorstehenden Anforderungen am ehesten gerecht. Auf Grundlage der bis hierhin gewonnenen Erkenntnisse lässt sich ein einheitlicher vierstufiger Maßstab der Gewaltenteilung entwickeln. Ob eine Kompetenznorm bzw. die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle gegen das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verstößt und damit verfassungswidrig ist, lässt sich folgendermaßen feststellen: a) Der Inhalt der Kompetenznorm bzw. die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle muss den materiellen Mindestanforderungen an die Dreiteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genügen, welche erst die funktionale Daseinsberechtigung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung liefern. Die materiellen Mindestanforderungen werden über funktionale Hauptteile bestimmter Hauptorganträger normativ aus dem Grundgesetz abgesteckt. Die Setzung allgemeinverbindlicher Normen in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren obliegt gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG dem Parlament. Die vollziehende Gewalt ist mit dem unmittelbaren Gesetzesvollzug gegenüber dem Bürger durch staatliche Behörden und gegenüber der Staatsleitung durch Regierungsmitglieder betraut. Dem Richter der rechtsprechenden Funktion kommt die rechtliche Bewertung des Einzelfalles zu. Auf der ersten Stufe sind also folgende Fragen zu beantworten: Betrifft die Kompetenznorm bzw. die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle den funktionalen Hauptteil der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung? Und wird dieser von dem betreffenden Haupt-Organ wahrgenommen? b) Auf der zweiten Stufe ist zu hinterfragen: Wird das (in der Kompetenznorm beschriebene) staatliche Handeln von einem ausreichend individuell oder kollektiv-demokratisch legitimierten Organ ausgeübt? Es gilt im Sinne des freiheitssichernden Motivs der Gewaltenteilung, dass je größer die Bedeutsamkeit seiner Entscheidungswirkung ist, desto stärker der jeweilige Funktionsträger einer kollektiv-demokratischen Legitimation bedarf. c) Auf der dritten Stufe gilt es, dem effizienzsteigernden Motiv der Gewaltenteilung Rechnung zu tragen. Wird das (in der Kompetenznorm beschriebene) staatli-

VI. Fazit  

143

che Handeln funktionsadäquat ausgeführt? Handelt dasjenige Organ, das personell, verfahrensmäßig und instrumentell diese konkrete Kompetenz am effektivsten wahrnehmen kann? d) Letztlich muss der Inhalt der Kompetenznorm bzw. die Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle auch den teleologischen Grundanforderungen der Gewaltenteilung entsprechen. Auf der vierten Stufe kommen in besonderem Maße die Spannungsfelder des Prinzips zum Tragen, die sich hier vor allem zwischen Missbrauchsverhütung und effizienter Aufgabenwahrnehmung spannen und eine Gesamtabwägung erforderlich machen: Ist das konkrete staatliche Handeln aus teleologischer Sicht also erforderlich? Bewegt sich die staatliche Machtausübung im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effektiver Aufgabenwahrnehmung? Lässt sich der Machtzuwachs einer Funktion zum Beispiel zu Gunsten effizienter Aufgabenwahrnehmung rechtfertigen? Mit diesem Maßstab als Werkzeug wird sich sodann den zahlreichen verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Konzeption und den Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses zugewandt.

4. Kapitel

Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung auf Grundlage des Maßstabs Während im 1. Kapitel beleuchtet wurde, welche entstehungsgeschichtliche Rolle dem Gemeinsamen Ausschuss zugewiesen wurde und im 3. Kapitel dieser Abhandlung die Fragestellung zu klären war, welchen Maßstab das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG anlegt, steht im Mittelpunkt dieses Kapitels, den Gemeinsamen Ausschuss anhand eben dieses Maßstabs zu bewerten. Im 4. Kapitel dieser Abhandlung werden also die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln übertragen und der Gemeinsame Ausschuss wird in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung eingeordnet: Halten Konzeption und Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses, was sie entstehungsgeschichtlich versprechen? Genügt der Gemeinsame Ausschuss den Anforderungen der Gewaltenteilung im Hinblick auf ihre trennenden und verschränkenden Elemente? Ist der Ausnahmezustand ausreichend vor Machtmissbrauch gesichert?1 Damit die Einordung in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung gelingen kann, gilt es zunächst, noch einmal Prüfungsgegenstand und Maßstab festzulegen, anhand derer die Einordnung vorgenommen wird (I.). Im Anschluss werden auf einer ersten Ebene wesentliche Aspekte des Gemeinsamen Ausschusses aus Notstandsverfassung und Geschäftsordnung im Lichte der Gewaltenteilung dargestellt. Dazu zählen namentlich seine Zusammensetzung und Verfahrensweise (II.) sowie seine Befugnisse in Friedenszeiten (III.) und im Verteidigungsfall (IV.). In diesem Kontext werden dann die einschlägigen Kompetenznormen aus Friedenszeiten und des Verteidigungsfalles an den vier Stufen des Maßstabs der Gewaltententeilung gemessen. Erst danach können eine Gesamtbewertung und eine Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung vorgenommen werden (V.).

1 Typische Gefahren des Notstandes bzw. des Notstandsverfassungsrechts listet Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 4 auf.

I. Maßstab und Prüfungsgegenstand für die Einordnung

145

I. Der Maßstab und Prüfungsgegenstand für die verfassungsrechtliche Einordnung Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird anhand des oben entwickelten Maßstabs vorgenommen. Mit Hilfe des vierstufigen Maßstabs, der standardisierte Aussagen über die Anforderungen der Gewaltenteilung generiert, lässt sich der Gemeinsame Ausschuss auf seine Vereinbarkeit mit diesem Prinzip überprüfen. Die Einfassung des Prüfungsgegenstandes bedarf demgegenüber näherer Betrachtung: Dem System des Maßstabs entsprechend steht am Anfang die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Ausübung der Staatsgewalt im konkreten Falle oder aber des Inhalts einer Kompetenznorm und am Ende die Erkenntnis, ob darin ein Verstoß gegen das Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG liegt. Im Falle des Gemeinsamen Ausschusses kann aber insofern nicht die konkrete Ausübung der Staatsgewalt an den Anfang der Betrachtung gestellt werden, als es sich mangels Verteidigungsfall um ein Reserveorgan ohne Erprobung im engeren Sinne handelt.2 Es bleibt daher lediglich die Möglichkeit, die den Gemeinsamen Ausschuss konstituierenden Kompetenznormen am Maßstab der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu überprüfen. Der Umfang des Prüfungsgegenstandes ist dabei durch den normativen Aussagegehalt der jeweiligen Kompetenznorm determiniert. Der Inhalt einer Kompetenznorm ergibt sich aber nicht zwangsläufig formal aus dem einheitlichen Textbaustein eines Artikels, sondern kann sich gleichermaßen aus einer Gesamtschau normativer Aussagen verschiedener Artikel speisen. Dies trifft auf die Kompetenznormen des Gemeinsamen Ausschusses zu: Die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses erstrecken sich vor allem auf sein Informationsrecht in Friedenszeiten aus Art. 53a Abs. 2 GG und seine zahlreichen Notstandsbefugnisse im Verteidigungsfall gem. Art. 53a Abs. 1 i. V. m. Art. 115a ff. GG, die einer partiellen Verfassungsmäßigkeitsprüfung am Maßstab der Gewaltenteilung zugänglich sind und unterzogen werden. Der Prüfungsgegenstand erschöpft sich daher im Großen und Ganzen in den Kompetenznormen des Gemeinsamen Ausschusses. Allerdings wird die verfassungsrechtliche Stellung des Gemeinsamen Ausschusses im Ausgangspunkt durch seine konzeptionelle und strukturelle Zusammensetzung gem. Art. 53a Abs. 1 GG geprägt. Dabei handelt es sich allerdings um eine Organisationsnorm (im Gegensatz zur Kompetenznorm)3, die der Überprüfung anhand des Maßstabs selbst 2

Der Gemeinsame Ausschuss kommt in Friedenszeiten gem. Art. 53a Abs. 2 GG stets seinem Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung nach. Darüber hinaus werden seine Notstandsbefugnisse, die die Kernkompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses betreffen, ausschließlich im Verteidigungsfall aktiviert. Da dieser seit Konstituierung des besonderen Verfassungsorgans nicht eingetreten ist, lässt sich wohl berechtigterweise von einem Reserveorgan ohne Erprobung im engeren Sinne sprechen. 3 Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 104.

146

4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

redend nicht in gleicher Weise zugänglich ist. Die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 GG sowie Organisationsnormen aus der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses haben indes wesentliche Bedeutung für die Überprüfung konkreter Kompetenznormen am Maßstab der Gewaltenteilung. Im Ergebnis ist also zunächst auf die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 GG abzustellen (II.), ehe die Kompetenznormen des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten (III.) und im Verteidigungsfall (IV.) am Maßstab der Gewaltententeilung vollumfänglich gemessen werden können.

II. Die Zusammensetzung und Verfahrensweise des Gemeinsamen Ausschusses, Art. 53a Abs. 1 GG   Zunächst sind also hinführend wesentliche Aussagen der Organisationsnorm Art. 53a Abs. 1 GG und ergänzender Regelungen aus der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses über seine Zusammensetzung und Verfahrensweise darzulegen. Dafür gilt es, den Zeitpunkt seiner Bildung (1.), seine zahlenmäßige (2.) und personelle Zusammensetzung (3.), die rechtliche Stellung seiner Mitglieder (4.) sowie seine Verfahrensweise (5.) im Lichte der Gewaltenteilung in den Fokus zu rücken, ehe im Anschluss die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses für die Überprüfung wesentlicher Kompetenzen in Friedenszeiten (III.) und im Verteidigungsfall (IV.) virulent wird. 1. Der Zeitpunkt seiner Bildung Über den Zeitpunkt der Bildung des Gemeinsamen Ausschusses schweigt das Grundgesetz und überlässt seine Regelung gem. Art. 53a Abs.1 S.4 GG der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO GA werden die Abgeordneten des Bundestages für den Gemeinsamen Ausschuss zu Beginn jeder Legislaturperiode bestimmt. Dieser Zeitpunkt ist für die Konstituierung des Gemeinsamen Ausschusses als solchem maßgeblich und wegen der Einräumung des Informationsanspruches des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten gem. Art. 53a Abs. 2 GG sowie der Tatsache, dass der Gemeinsame Ausschuss bereits vor dem Verteidigungsfall zusammentreten muss, um in diesem handlungsfähig zu sein, der einzig richtige.4

4 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  5; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 25; Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 114.

II. Die Zusammensetzung und Verfahrensweise   

147

2. Die zahlenmäßige Zusammensetzung Die zahlenmäßige Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses ergibt sich nur mittelbar aus Art. 53a Abs. 1 S. 1, 3 GG. Da der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 53a Abs. 1 S. 1 GG zu ⅓ aus Mitgliedern des Bundesrates und zu ⅔ aus Abgeordneten des Bundestages besteht, wobei jedes der 16 Bundesländer nach Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GG durch ein bestelltes Mitglied vertreten wird, ergibt sich eine Gesamtgröße von 48 Mitgliedern. Für jedes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss ist gem. § 1 Abs. 2 GO GA ein Stellvertreter zu bestimmen, was vor dem Hintergrund einer unvorhersehbaren Krisenlage, in der der Gemeinsame Ausschuss agiert, geboten ist.5 Die 32 Abgeordneten des Bundestages werden gem. Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen im Bundestag für den Gemeinsamen Ausschuss bestimmt. Die Fraktionen schlagen einen Kandidaten aus ihren Reihen gem. § 2 Abs. 1 S. 2 GO GA vor, den der Bundestag dann entsprechend Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG bestimmt.6 Wie der Bundestag diesen bestimmt, ist in Art. 53a Abs. 1 GG nicht geregelt. Mangels ausdrücklicher Regelung ist davon auszugehen, dass die allgemeinen Regeln der Beschlussfassung gelten und der Bundestag gem. Art. 42 Abs. 2 GG i. V. m. § 54 GO BT den Beschluss mit einfacher Stimmenmehrheit fasst.7 Da der Bundestag über das vorgeschlagene Mitglied der Fraktion Beschluss fasst, ist dieser wohl nicht an die Vorschläge der Fraktionen gebunden.8 Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG ist demgegenüber verletzt, wenn der Bundestag „[…] aus den Minderheitsfraktionen gegen deren Willen die ihr genehmsten Mitglieder auswählt“.9 Grundsätzlich stehen aber sämtliche Fraktionsmitglieder zur Disposition; allein der Bundestagspräsident ist gem. § 2 Abs. 2 S. 1 GO GA Mitglied von Amts wegen, wird seiner Fraktion angerechnet und ist zugleich Vorsitzender des Gemeinsamen Ausschusses gem. § 7 Abs. 1 GO GA.10 Demgegenüber sind die 16 Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss zugleich Teil der Länderregierungen11 und werden gem. § 4 Abs. 1 S. 1 GO GA durch die jeweilige Landesregierung entsprechend dem Landesrecht bestimmt.12 Eine Vertretung durch einen Ländervertreter, der nicht dem Bundesrat angehört, ist im Übrigen ausgeschlossen.13 Beauftragte der Länder im Sinne von Art. 52 5

Stern, StaatsR II, § 28 II 1 b). Stern, StaatsR II, § 28 II 3 a); ausführlich zu einem etwaigen Ablehnungsrecht des Bundestages Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 12. 7 Heun, in: Dreier, GG, Art. 53a Rn. 7; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 27: Diese Sichtweise entspricht der ausdrücklichen Ablehnung des Dritten Regierungsentwurfes von 1967, der noch die Bestimmung der Bundestagsabgeordneten mit einer ⅔-Mehrheit vorsah. 8 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  8. 9 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 133. 10 Dazu kritisch Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 232. 11 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 33. 12 Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 13; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 10. 13 Heun, in: Dreier, GG, Art. 53a Rn. 10; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 33. 6

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Abs. 4 GG können durch die Regierungen dementsprechend nicht in den Gemeinsamen Ausschuss entsandt werden.14 3. Der Ausschluss der Regierungsmitglieder Gem. Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG dürfen die Bundestagsabgeordneten des Gemeinsamen Ausschusses nicht der Bundesregierung angehören. Von der Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss ausgeschlossen sind daher gem. Art. 62 GG in erster Linie der Bundeskanzler und die Bundesminister. Dabei handelt es sich um eine ausdrückliche Inkompatibilitätsregelung des Grundgesetzes.15 Diese stellt die einzige Einschränkung der zu entsendenden Bundestagsabgeordneten dar und soll die Überfrachtung des Gemeinsamen Ausschusses mit Regierungsmitgliedern zu Gunsten seiner parlamentarischen Kontrollfunktion vereiteln.16 Ohne die ausdrückliche Inkompatibilitätsregelung wäre nicht auszuschließen, dass Mitglieder der Bundesregierung als Abgeordnete des Bundestages Teil des Gemeinsamen Ausschusses würden und neben den parlamentarischen Oppositionellen als (Interessen-)Vertreter der Bundesregierung auftreten würden.17 Nach verbreiteter Ansicht ist die Inkompatibilitätsregel auch auf die eng mit den Ministern verflochtenen parlamentarischen Staatssekretäre zu erstrecken.18 Für die Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss gilt im Ergebnis wohl nichts anderes: Gem. Art. 66 GG, § 4 BMinG darf ein Mitglied der Bundesregierung nicht gleichzeitig Mitglied einer Landesregierung sein, sodass auch die Mitgliedschaft von Bundesratsvertretern im Gemeinsamen Ausschuss mit Ämtern der Bundesregierung inkompatibel ist.19

14

Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  28; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 33. 15 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  22; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 30; Stern, StaatsR II, § 28 I 3 c). 16 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  7; Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 135; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 30; Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 124; ähnlich auch Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 80, 82. 17 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 80. 18 Z. B. Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 53a Rn. 15; Herzog / Klein, in: Maunz /  Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  22; Heun, in: Dreier, GG, Art. 53a Rn. 8; ähnlich auch Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 129; a. A. Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 11.1. 19 Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 53a Rn. 19; Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 17; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  30; Heun, in: Dreier, GG, Art. 53a Rn. 11.

II. Die Zusammensetzung und Verfahrensweise   

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4. Die rechtliche Stellung seiner Mitglieder Die Tatsache, dass sich der Gemeinsame Ausschuss aus den Mitgliedern zweier verschiedener Verfassungsorgane zusammensetzt und seinerseits Verfassungsorganqualität für sich beansprucht, wirft die Frage auf, was die gemischte Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses für die Rechtsstellung seiner Mitglieder aus Bundestag und Bundesrat bedeutet. Über die Rechtsstellung der verschiedenen Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss enthält Art. 53a GG keine Regelung. Dies verwundert insofern, als der Gemeinsame Ausschuss als eigenständiges Verfassungsorgan über eigene, unabhängige Mitglieder mit eigener Rechtsstellung verfügt: Die Bundestagsabgeordneten im Gemeinsamen Ausschuss sind in Ausübung dieser Funktion nicht der verlängerte Arm des Bundestages, sondern eigenständige und unabhängige Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses. Damit ist indes kein Verlust besonderer Abgeordnetenrechte verbunden, was eigens durch die Beibehaltung des Begriffs „Abgeordnete“ in Art. 53a Abs. 1 GG sowie in der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses zum Ausdruck kommt.20 Auch die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses erhalten besondere Abgeordnetenprivilegien, vor allem aus Art. 38 Abs. 1 S. 2, Art. 46–48 GG.21 Die Rechtsstellung des vom Bundestag bestimmten Mitglieds des Gemeinsamen Ausschusses ist daher mit der Rechtsstellung des Bundestagsabgeordneten nahezu identisch.22 Viel mehr noch: Die Relevanz der Schutzvorschriften für die Ausübung des Abgeordnetenmandats nimmt im missbrauchsanfälligen Verteidigungsfall, also im Hauptanwendungsbereich des Gemeinsamen Ausschusses, tendenziell zu.23 Ein Unterschied in der Rechtsstellung besteht indes darin, dass das Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach § 3 Var. 3 GO GA aus diesem ausscheidet, wenn es aus der Bundestags-Fraktion ausscheidet, die ihn vorgeschlagen hat. Dieses Schicksal trifft den Abgeordneten im Falle seiner Fraktionslosigkeit im Bundestag hingegen nicht.24 Im Übrigen müssen die Abgeordnetenrechte, die die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gewährleisten (vor allem Art. 46–48 GG), auch für die Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss gelten, weil die von den Länderregierungen bestimmten Mitglieder des Bundesrates gem. Art. 115e Abs. 1 GG mit dem Gemeinsamen Ausschuss die Rechte des Bundestages und des Bundesrates einheitlich als Notparlament wahrnehmen.25 20

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 30. von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  7; Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 12; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 9; Schick, in: Schneider /  Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 26; Stern, StaatsR II, § 28 I 3 c). 22 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  24; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 26. 23 Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 26. 24 Dazu Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  24. 25 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  9; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 9. 21

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Die Unterschiede ihrer Rechtsstellung im Vergleich zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Bundesrat sind indes größer: Gem. Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG sind die Bundesratsmitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nicht an Weisungen der Länderregierungen gebunden. Dies gewährleistet im Sinne der Eigenständigkeit des Verfassungsorgans die Gleichstellung der Bundesratsmitglieder mit den Abgeordneten im Gemeinsamen Ausschuss, deren Weisungsfreiheit ohnehin aus dem freien Mandat nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folgt.26 Ferner wird durch die Weisungsfreiheit aller Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses seine Funktions- und flexible Reaktionsfähigkeit sichergestellt; die Weisungsgebundenheit der Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss würde im Verteidigungsfall schließlich umständliche Abstimmungen mit den Länderregierungen erforderlich machen.27 Dabei sind die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nicht gänzlich von der Verantwortung gegenüber den Landesregierungen entbunden, da diese ihre Vertreter aus dem Notparlament stets abberufen und neu bestimmen können.28 5. Die Verfahrensweise im Gemeinsamen Ausschuss Die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses aus Mitgliedern des Bundesrates und aus Bundestagsabgeordneten wird durch organisatorische Regelungen über seine Verfahrensweise flankiert. Das Verfahren des Gemeinsamen Ausschusses wird indes nicht in der Notstandsverfassung des Grundgesetzes geregelt, sondern folgt aus der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses. Die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses beschließt gem. Art. 53a Abs. 1 S. 4 GG der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Allerdings ist das Recht der Selbstorganisation dem Gemeinsamen Ausschuss nur in Friedenszeiten vorenthalten. Im Verteidigungsfall kann der Gemeinsame Ausschuss gem. § 19 GO GA seine Geschäftsordnung ändern und mit einer ⅔-Mehrheit seiner Mitglieder im Einzelfall beschließen, davon abzuweichen. Eine wesentliche Verfahrensregel stellt der Grundsatz nicht öffentlicher Beratung dar. Ist für den Bundestag der Ausschluss der Öffentlichkeit wesentlich erschwert, berät der Gemeinsame Ausschuss gem. § 10 S. 1 GO GA grundsätzlich nicht-öffentlich; dies gilt gleichfalls für den Verteidigungsfall wie in Friedenszeiten.29 Dabei bezieht sich der Ausschluss der Öffentlichkeit in erster Linie auf die Publikumsöffentlichkeit, denn die Abgeordneten des Bundestages, die nicht 26

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 34; sowie Stern, StaatsR II, § 28 I 3 b), der die Vereinheitlichung der Mitglieder-Rechte im Gemeinsamen Ausschuss v. a. auf die Gemeinschaftlichkeit der Bedrohung für Bund und Länder im Verteidigungsfall zurückführt. 27 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 77; von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann /  Henneke, GG, Art. 53a Rn. 9; Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 62 f.; wohingegen Schäfer, Die Notstandsgesetze, S. 71 die Sicherung der parlamentarischen Unabhängigkeit zwecktechnisch in den Mittelpunkt stellt. 28 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 64. 29 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  49.

II. Die Zusammensetzung und Verfahrensweise   

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zugleich Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses sind, haben gem. § 10 S. 2 GO GA i. V. m. § 69 Abs. 2 S. 1 GO BT grundsätzlich Zutritt zu den Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses.30 Die Parlamentsöffentlichkeit hat hingegen keinen Zutritt zu den Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses, sofern der Gemeinsame Ausschuss eine für den Bundestag geheime Beratung nach §§ 10 S. 2, 11 Abs. 3 S. 1 GO GA i. V. m. § 69 Abs. 7 GO BT beschließt oder es sich um eine ohnehin geheime Informationssitzung nach Art. 53a Abs. 2 GG i. V. m. § 11 Abs. 3 S. 2 GO GA handelt.31 Die Mitglieder der Bundesregierung haben demgegenüber das Recht bzw. auf Beschluss des Gemeinsamen Ausschusses nach § 11 Abs. 2 S. 1 GO GA die Pflicht, an allen Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses teilzunehmen. Mehrheitlich wird die Auffassung vertreten, dass die Bundesregierung aber über § 11 Abs. 3 GO GA gleichfalls ausgeschlossen werden kann32, wobei dies nicht für den Fall gelten soll, dass der Gemeinsame Ausschuss im Verteidigungsfall die Funktionen von Bundestag und Bundesrat nach Art. 115e Abs. 1 GG übernimmt.33 Für diesen Fall soll das Zutrittsrecht der Bundesregierung unabdingbar sein. Kommt es zu Abstimmungen im Gemeinsamen Ausschuss, stimmen die Mitglieder einheitlich und nicht getrennt nach Bänken ab.34 Es gilt das sogenannte Einkammerprinzip.35 War der Abstimmungsmodus des Gemeinsamen Ausschusses zu Beginn stark umstritten36, folgt nun ausdrücklich aus Art. 115a Abs. 2, Art. 115e Abs. 1 und Art. 115h Abs. 2 GG, dass die Abstimmung aller Mitglieder gemeinsam stattfindet. Gem. § 13 Abs. 1 GO GA fasst der Gemeinsame Ausschuss seine Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, es sei denn das Grundgesetz bestimmt etwas anderes. In wichtigen Fällen sind Beschlüsse mit ⅔-Mehrheiten erforderlich. Dazu zählen die Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 2 GG sowie die Funktionsübernahme nach Art. 115e Abs. 1 GG mit ⅔-Mehrheit der abgegebenen Stimmen bzw. mindestens mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglie 30

Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 139; Herzog / Klein, in: Maunz /  Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 54; den Grundsatz vom Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit bestätigend Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 22. 31 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  54. 32 Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 20; Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  53a Rn. 26; wohl auch von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn. 12. 33 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  58. 34 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  13; Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 21; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 39; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 13; Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 127 f. 35 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 40; eine Frage, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG steht und daher nicht erörtert wird, betrifft die Vereinbarkeit der Auflösung der Länderrechte in den Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses mit Art. 79 Abs. 3 GG und dem Bundesstaatsprinzip, dazu etwa Stern, StaatsR II, § 28 I 3 a). 36 Z. B. BT-Drucks. V/2130, Art. 115b Abs. 5 S. 2.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

der oder die Wahl eines neuen Bundeskanzlers gem. Art. 115h Abs. 2 S. 2 GG mit ⅔-Mehrheit seiner Mitglieder. Beschlussfähig ist der Gemeinsame Ausschuss, wenn gem. § 12 GO GA mehr als die Hälfte seiner Mitglieder oder deren Stellvertreter, das heißt mindestens 25, anwesend sind. Zu dem Szenario, dass auch der Gemeinsame Ausschuss beschlussunfähig ist, schweigt das Grundgesetz grundsätzlich. Nur im Falle des Art. 115a Abs. 4 S. 1 GG ist geregelt, dass bei Handlungsunfähigkeit aller Verfassungsorgane der Verteidigungsfall als festgestellt gilt. Ist die Bundesregierung dann zur Normsetzung ohne geschriebene Kompetenzen und zur sonstigen Funktionsübernahme befugt oder gar gezwungen, wenn der Normenbedarf durch Parlament und Notparlament nicht gedeckt werden kann?37 Um einem derartigen Notverordnungsrecht durch die Hintertür und dem Szenario weitgehender Beschlussunfähigkeit aller Gesetzgebungsorgane im Verteidigungsfall entgegenzuwirken, regelt § 1 Abs. 3 GO GA, dass, wenn der Gemeinsame Ausschuss nicht vollzählig zusammentreten kann, erreichbare Abgeordnete aus dem Bundestag bzw. Mitglieder der Länderregierungen diesen (das heißt im Zweifel bis zu seiner Beschlussfähigkeit) ergänzen. 6. Zusammenfassung Die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 GG ist geprägt von der entstehungsgeschichtlichen Leitidee, den Gemeinsamen Ausschuss als Reserveorgan der gesetzgebenden Funktion in Zeiten äußerster Not für Bundestag und Bundesrat einzusetzen. In diesem Sinne speist sich das 48-köpfige Notparlament aus Funktionsträgern beider Verfassungsorgane: 32 Bundestagsageordnete und 16 Mitglieder des Bundesrates nach Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GG formieren bereits in Friedenszeiten den Gemeinsamen Ausschuss, dem im Verteidigungsfall beträchtliche Notstandsbefugnisse zuteilwerden können. Wesentliches Merkmal des Gemeinsamen Ausschusses und insofern abweichend vom Normalfall ist die ausdrückliche Inkompatibilität der Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss mit der Regierungszugehörigkeit nach Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG. Dadurch soll die Kontrollfähigkeit des (Not-)Parlaments gegenüber einer reaktionsfähigen und -willigen Regierung in Krisenzeiten gestärkt werden. Daneben weicht auch die rechtliche Stellung einzelner Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses vom verfassungsrechtlichen Normalfall ab. So sind die Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss gem. Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG ebenso wie die Bundestagsabgeordneten nicht an Weisungen gebunden, um die Eigenständigkeit des Verfassungsorgans zu symbolisieren und zu perpetuieren sowie eine schnelle Entscheidungsfindung im Verteidigungsfall zu garantieren. Flankiert werden diese Regeln von Verfahrensvorschriften der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses. 37

Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 9; Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 56.

III. Die Kompetenz  in Friedenszeiten

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Inwiefern diese Regelungen zur verfassungsmäßigen Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten und im Verteidigungsfall beitragen, wird im Kontext der Überprüfung der Kompetenznormen am Maßstab der Gewaltenteilung noch zu erörtern sein.

III. Die Kompetenz des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten, Art. 53a Abs. 2 GG Widmet man sich nun den Kompetenznormen des Gemeinsamen Ausschusses, gilt es, zwischen solchen in Friedenszeiten und solchen im Verteidigungsfall zu differenzieren. Die verfassungsrechtliche Hauptaktivität des Gemeinsamen Ausschusses ist sicherlich auf den Verteidigungsfall begrenzt, sodass das Gros seiner Kompetenzen erst mit dem Notstand aktiviert wird (1.). In Friedenszeiten verfügt der Gemeinsame Ausschuss jedoch über einen Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung nach Art. 53a Abs. 2 GG, um seine Aktivität im Verteidigungsfall vorzubereiten (2.). Die Ausübung der Informationsrechte des Gemeinsamen Ausschusses hat dabei keine Auswirkungen auf die Kontrollrechte des Bundestages; seine Rechte nach Art. 43 Abs. 1 GG bleiben gem. Art. 53a Abs. 2 S. 2 GG unberührt (3.). Die Vereinbarkeit der Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten mit dem Maßstab der Gewaltenteilung ist dadurch jedoch nicht impliziert und bedarf einer gesonderten Prüfung (4.). Auf den vier Stufen des Maßstabs lassen sich dann verbindliche Aussagen zu der Frage treffen, ob Konzeption und Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses bereits in Friedenszeiten halten, was sie entstehungsgeschichtlich versprechen. 1. Die Begrenzung der Haupttätigkeit auf den Verteidigungsfall Ist die Begrenzung des Tätigwerdens auf den Verteidigungsfall heute unstreitig, war sie anfänglich keineswegs beschlossene Sache. Der Dritte Regierungsentwurf von 1967 sah in Art. 53a Abs. 2–4 vor, dem Gemeinsamen Ausschuss in Friedenszeiten über einen Informationsanspruch hinaus die Beteiligung an einer vorbereitenden Notgesetzgebung zu ermöglichen.38 Nach Art. 53a Abs. 3 des Regierungsentwurfes sollte der Gemeinsame Ausschusses bei Regelungen beteiligt werden, die in einem Bundesgesetz über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung vorgesehen wären und bestimmte, im Einzelnen festgelegte Rechtswirkungen auslösen würden. Ferner sollte der Gemeinsame Ausschuss angehört werden, wenn die Bundesregierung beabsichtigte, im Rahmen eines Bündnisvertrages einem Beschluss zuzustimmen, durch den die Herbeiführung der erhöhten Verteidigungsbereitschaft angeordnet werden würde. Mit dieser Vorgehensweise 38

BT-Drucks. V/1879, S. 2 f. Dazu ausführlich Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 113 ff.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

sollte schon zu einem frühen Zeitpunkt die parlamentarische Mitwirkung an der Notstandsbewältigung gesichert werden.39 Die zurückgedrängte Stellung von Bundestag sowie Bundesrat durch Art. 53a Abs. 2–4 des Regierungsentwurfes trotz ausdrücklicher Handlungsfähigkeit beider Verfassungsorgane stieß auf erhebliche Kritik.40 Auf die weitreichenden Kontrollrechte des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten konnte man sich sodann nicht einigen. Letztlich verständigte man sich auf eine bewusst schwache Ausgestaltung der Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten, was durch seine fehlende Geschäftsordnungsautonomie unterstrichen wird, die gem. Art. 115e Abs. 1 GG i. V. m. § 19 GO GA auf den Verteidigungsfall beschränkt ist. Von den Kontrollrechten des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten verblieb dann nur der Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung im Sinne von Art. 53a Abs. 2 GG.41 2. Das Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung Nach Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG hat die Bundesregierung den Gemeinsamen Ausschuss über ihre Planung für den Verteidigungsfall zu unterrichten, auch ohne ausdrückliches Verlangen des Notparlaments.42 Die Unterrichtung der Bundesregierung findet dann in den regelmäßigen Informationssitzungen des Gemeinsamen Ausschusses statt.43 Zum Ziel hat jenes Recht, die Meinungsbildung im Gemeinsamen Ausschuss mit Blick auf solche Gesetzesentwürfe der Bundesregierung, die im Verteidigungsfall zu beschließen wären, voranzutreiben und eine frühzeitige Vorbereitung des Notparlaments zu ermöglichen.44 Allerdings lässt Art. 53a Abs. 2 GG seinem Wortlaut nach den Umfang des Informationsanspruches weitestgehend offen.45 Einigkeit besteht im Ausgangspunkt allenfalls darüber, dass die Bundesregierung dem Gemeinsamen Ausschuss sämtliche Gesetzesentwürfe, Regierungsvorlagen und sonstige Informationen in militärischen wie zivilen Angelegenheiten, die die Planung und Vorbereitung des Verteidigungsfalles anbelangen, anbieten muss.46 Davon umfasst sind noch unverbindliche, weitestgehend unkonkrete Über 39

BT-Drucks. V/1879, S. 22. Dazu ausführlicher Benda, Die Notstandsverfassung, S. 81 ff. Diese Debatte zusammenfassend Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 44. 41 BT-Durcks. V/2873, S. 2. 42 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  78; Heun, in: Dreier, GG, Art. 53a Rn. 14; Lenz, Notstandsverfassung, Art. 53a Rn. 14; Stern, StaatsR II, § 28 I 4 a). 43 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  11. 44 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 80. 45 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 15, 19. 46 BT-Drucks. V/1879, S. 21; ebenso Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 48; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 16; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 42. 40

III. Die Kompetenz  in Friedenszeiten

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legungen der Bundesregierung, die etwa die Einstufung von Gesetzesvorlagen als dringend im Sinne von Art. 115d Abs. 2 S. 1 GG oder die Entscheidung betreffen, einen bestimmten Regelungsgegenstand als Bundesgesetz in Friedenszeiten nach Art. 115c GG oder im Verteidigungsfall zu erlassen.47 Nicht eindeutig ist demgegenüber, ob sich der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses auch auf sensible Sachverhalte über die Planung des Verteidigungsfalles aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung erstreckt. Die Kommentarliteratur geht überwiegend davon aus, dass die Bundesregierung dem Gemeinsamen Ausschuss diese Informationen nicht unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vorenthalten darf, um diesen bestmöglich auf einen etwaigen Verteidigungsfall vorzubereiten.48 Der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses geht in diesem Kontext also über die allgemeine Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber Bundestag und Bundesrat hinaus.49 Zur Geheimhaltung soll dann die Informationsübermittlung in nicht-öffentlicher Sitzung reichen.50 Im konkreten Fall könnte das dann zu einer nicht unumstrittenen Informationsprivilegierung des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber dem Bundestag bzw. einzelner seiner Mitglieder führen.51 Die weiteren Modalitäten der Informationssitzungen lässt das Grundgesetz dann unbestimmt. Auch die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses normiert keine Mindestanzahl jedenfalls abzuhaltender Informationssitzungen. In § 8 GO GA a. F. war indes ein Intervall von zwei Sitzungen jährlich aufgestellt, welches auch gegenwärtig als Richtschnur gilt.52 Darüber hinaus gilt grundsätzlich, dass der Vorsitzende des Gemeinsamen Ausschusses gem. § 8 Abs. 1 GO GA die Informationssitzung einberuft. Im Falle des § 8 Abs. 2 GO GA trifft ihn die Pflicht, auf Verlangen von Bundespräsident, Bundeskanzler oder von sechs Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses, ferner wenn die Voraussetzungen des Art. 115a Abs. 2 GG vorliegen, diesen einzuberufen.

47

Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  79. 48 So Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 25; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig /  Herzog, GG, Art. 53a Rn. 79. 49 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  14; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 16; wohl a. A. Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 144 f.; Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 50; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 78 ziehen indes lediglich eine Paral­ lele zur allgemeinen Informationspflicht der Bundesregierung nach Art. 53 S. 3 GG. 50 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  79. 51 Ausführlich dazu Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 14 ff.; zu einem frühen Zeitpunkt dazu kritisch Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 12; zur Problematik im Allgemeinen Schäfer, Die Notstandsgesetze, S. 75; Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, S. 61. Siehe dazu im Folgenden S. 162 ff. 52 Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 24.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

3. Zur Unberührbarkeit der Rechte nach Art. 43 Abs. 1 GG Im Übrigen bleibt gem. Art. 53a Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 43 Abs. 1 GG das Zitierrecht des Bundestages und seiner Ausschüsse von der Wahrnehmung des Informationsrechts des Gemeinsamen Ausschusses unberührt.53 Damit soll klar gestellt werden, dass die Bundesregierung mit dem Einwand, sie habe bereits den Gemeinsamen Ausschuss dahingehend informiert, dem Bundestag keine Informationen vorenthalten darf.54 Entstehungsgeschichtlich ist damit der Wunsch verbunden, die Funktionsweise des Gemeinsamen Ausschusses nicht zu Lasten der Kontrollrechte des Bundestages auszugestalten.55 Die verfassungsrechtliche Stellung des Bundestages bleibt in Friedenszeiten insofern also durch die Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses unangetastet. Praktisch soll der Bundestag gleichfalls in der Lage sein, notstandsgegenständliche Gesetze effektiv und kompetent im Verteidigungsfall beraten und beschließen zu können und nicht Gefahr laufen, betreffende Gesetzesvorlage erstmalig in der Krise zur Kenntnis zu nehmen.56 Im Zweifel ist die Bundesregierung also verpflichtet, doppelt zu informieren, weil sie gegenüber beiden Verfassungsorganen die gleiche Mindestverantwortlichkeit trifft und das Informationsrecht des Gemeinsamen Ausschusses letztlich nicht mehr als eine Pluralisierung von Kontrollorganen gegenüber der Bundesregierung bedeutet.57 Seine Grenzen findet das Informationsrecht des Bundestages im Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung; ob dagegen der Gemeinsame Ausschuss weitreichender zu informieren ist, bedarf im Folgenden am Maßstab der Gewaltenteilung noch weiterer Klärung. 4. Die Bewertung des Informationsrechts am Maßstab der Gewaltenteilung Zur Vorbereitung des Verteidigungsfalles steht dem Gemeinsamen Ausschuss allein das Recht aus Art. 53a Abs. 2 GG zu, das jedoch mit weitreichenden Informationspflichten der Bundesregierung verbunden ist und zu einer Verdopplung parlamentarischer Kontrollorgane führt. Auf Grundlage vorstehender Erkenntnisse ist das Informationsrecht des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten nach Inhalt und Umfang am Maßstab der Gewaltenteilung zu messen und der Beantwortung der Frage zuzuführen, ob der Gemeinsamen Ausschuss unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung hält, was er verspricht. Auf der ersten Stufe des Maßstabs 53 Gleiches gilt für die Rechte des Bundesrates nach Art. 53 GG, so Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  83; Lenz, Notstandsverfassung, Art. 53a Rn. 14; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 18. 54 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 48; Stern, StaatsR II, § 28 III 2. 55 BT-Drucks. V/2873, S. 11. 56 Im Umkehrschluss aus Benda, Die Notstandsverfassung, S. 110. 57 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  82.

III. Die Kompetenz  in Friedenszeiten

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muss gefragt werden, ob das Informationsrecht des Gemeinsamen Ausschusses gem. Art. 53a Abs. 2 GG mit den funktionalen Hauptteilen der drei Funktionen zu vereinbaren ist (a)). Ferner stellt sich die Frage, ob auf der zweiten und der dritten Stufe der Legitimationsmodus der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses (b)) und seine Organstruktur (c)) vor dem Prinzip der Gewaltenteilung standhalten. Auf der vierten Stufe steht die Gesamtabwägung des Informationsanspruches mit dem Sinn und Zweck der Gewaltenteilung (d)). a) Stufe I: Materielle Unterscheidung funktionaler Hauptteile Damit der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses den Anforderungen der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genügt, darf dieser nicht in den materiellen Gehalt des funktionalen Hauptteils eines anderen Hauptorgans eingreifen. Die Absicherung funktionaler Hauptteile dient in erster Linie der Aufrechterhaltung des über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgten materiellen Minimums funktionaler Eigenständigkeit von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung. Im Zusammenhang mit dem Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses könnte es zu einer Kollision mit dem funktionalen Hauptteil der Gesetzgebung in Ausübung durch den Bundestag kommen (aa)). Problematisch könnte der Informationsanspruch aber vor allem für den funktionalen Hauptteil der vollziehenden Gewalt im Hinblick auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung sein (bb)). aa) Die Vereinbarkeit mit der Gesetzgebung des Bundestages Der funktionale Hauptteil der Gesetzgebung in Ausübung durch sein Hauptorgan, den Bundestag, bestimmt sich aus den materiellen Aufgabenbereichen des positiven Verfassungsrechts. Für die Gesetzgebung bedeutet dies die Setzung allgemeinverbindlicher, wesentlicher Normen in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren durch den Bundestag gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG.58 Offenkundig tangiert der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses diesen funktionalen Hauptteil nicht. Der Informationsanspruch in Friedenszeiten ist ein wesensverschiedener Anspruch gegenüber der Bundesregierung, der in seiner Ausgestaltung durch Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG nicht in den funktionalen Hauptteil der Gesetzgebung bzw. des Parlaments fällt.

58 Siehe zum Umfang und den Inhalten der verschiedenen funktionalen Hauptteile von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung S. 127 ff.

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bb) Die Vereinbarkeit mit dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung Darüber hinaus ist auf der ersten Stufe ebenso auszuschließen, dass der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses den funktionalen Hauptteil der vollziehenden Gewalt verletzt. Dieser bestimmt sich in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine Regierungs- oder um eine Verwaltungstätigkeit handelt, ebenso materiell aus dem positiven Verfassungsrecht heraus. Der funktionale Hauptteil der Regierung umfasst dabei vor allem seine leitende Initiativkompetenz und die Herrschaft über die Alternative.59 Zur leitenden Initiativkompetenz zählt wohl auch die Vorbereitung jener Initiativen, die über einen nicht ausforschbaren Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vor Preisgabe geschützt werden sollen. Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung erstreckt sich auf Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereiche, die die Willensbildung der Regierung in internen Abstimmungsprozessen betreffen.60 Zu einem Problem der Gewaltenteilung wird jener Umstand insofern, als die Regierung nach verbreiteter Ansicht dem Gemeinsamen Ausschuss eben nicht unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung Informationen vorenthalten darf.61 Dies bedarf näherer Betrachtung, da sich der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses auf sämtliche Gesetzesentwürfe, Regierungsvorlagen und sonstige Informationen in militärischen wie zivilen Angelegenheiten, die die Planung und Vorbereitung des Verteidigungsfalles anbelangen, erstreckt.62 Der Information der Bundesregierung über ihre Planungen für den Verteidigungsfall ist also immanent, von unabgeschlossenen Willensbildungsprozessen im verteidigungspolitischen Vorbereitungsstadium zu berichten. Dass damit aber schon im Ausgangspunkt keine Verletzung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung verbunden sein kann, ist auf die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine parlamentarische Krisenbewältigung zurückzuführen: Die bewusste Abkehr von einem Notverordnungsrecht der Bundesregierung hin zur parlamentarischen Krisenbewältigung extrahiert von vornherein das verteidigungspolitische Vorbereitungsstadium aus der Alleinzuständigkeit der Exekutive. Hinzu kommt de facto, dass es einem parlamentarischen Verfassungsorgan im Verteidigungsfall nur auf Grundlage sensibler Informationen über das Vorbereitungsstadium in Friedenszeiten möglich ist, schnell und effektiv die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Für die Preisgabe sensibler Informationen aus dem Inneren vertei 59

Siehe dazu S. 130. BVerfGE 67, 100 (139); 124, 78 (120); 143, 101 (Rn. 119); 146, 1 (Rn. 92). 61 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  14; Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 25; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn. 79. 62 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 48; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 16; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 42. 60

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digungspolitischer Planungen spricht daher entscheidend, dass der Gemeinsame Ausschuss mit einem Mehr an Informationsrechten auszustatten ist, um über den Charakter einer zusätzlichen Kontrollinstanz der Bundesregierung hinaus effektive parlamentarische Vorarbeit im Hinblick auf einen etwaigen Verteidigungsfall leisten zu können.63 Dieser Umstand führt im Übrigen auch nicht zu einem dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung fremden Mitregieren Dritter64, da dem Gemeinsamen Ausschuss allein ein Informationsrecht zukommt, das nur bei Handlungsunfähigkeit des Bundestages im Verteidigungsfall zu einem Vollrecht des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115e Abs. 1 GG erstarkt. In Friedenszeiten bleibt es aber ausschließlich bei einem Informationsrecht, das zudem ausdrücklich gem. Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG auf die Planung für den Verteidigungsfall beschränkt ist; nicht mehr und nicht weniger. Dass daraus ein Gesetzgebungsrecht des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall erwachsen kann, welches dann auf Grundlage sensibler Informationen der Bundesregierung ausgeübt wird, ist der Sache immanent und Ausdruck einer Abwägung für den Verteidigungsfall: Eine zahlenmäßig überschaubare Gruppe erhält Informationen, die der breiten Masse unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vorenthalten werden, um im absoluten Ausnahmefall effektive und differenzierte Entscheidungen treffen zu können. cc) Zusammenfassung Die erste Stufe des Maßstabs garantiert im Hinblick auf die funktionalen Hauptteile eines konkreten Hauptorgans, dass die materiellen Eigenbereiche in der Hand desjenigen Organs verbleiben, das seine Daseinsberechtigung von jenen funktionalen Hauptteilen erst ableitet. Für die gesetzgebende Funktion bedeutet dies den Verbleib der Entscheidungskompetenz über Wesentliches im förmlichen Gesetzgebungsverfahren bei dem Bundestag. Dagegen sind die Rechte des Gemeinsamen Ausschusses in Friedenszeiten gem. Art. 53a Abs. 2 GG auf einen reinen Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung ohne weitere Entscheidungskompetenz beschränkt. Demgegenüber ist die Reichweite des Informationsanspruches im Hinblick auf den funktionalen Hauptteil der vollziehenden Gewalt in Gestalt des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung im Ausgangspunkt zunächst nicht ganz unbedenklich. Allerdings ist aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung auf den reinen Informationsanspruch in Friedenszeiten und aufgrund der verfassungsrechtlichen 63 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 48; von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 53a Rn. 15; wohl a. A. Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 145 f., der den Gemeinsamen Ausschuss allein als „Sicherungsverdoppelung“ einstuft. 64 BVerfGE 110, 199 (214); 124, 78 (120 f.); 137, 185 (234); 143, 100 (Rn. 120); 146, 1 (Rn. 92).

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Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive hin zur parlamentarischen Krisenbewältigung das verteidigungspolitische Vorbereitungsstadium von vornherein aus der Alleinzuständigkeit der Exekutive extrahiert. Dass der Bundestag dann womöglich weniger umfassend zu informieren und der Gemeinsame Ausschuss in diesem Kontext informatorisch zu privilegieren ist65, ist an dieser Stelle allerdings kein Problem des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung, sondern kommt erst auf der sich anschließenden Stufe zum Tragen. b) Stufe II: Informationsprivilegierung qua Legitimationsmodus Auf der zweiten Stufe des Maßstabs fragt sich, ob die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses im Kontext des Informationsanspruches nach Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG adäquat legitimiert sind. Erst bei adäquater Legitimation angesichts der Gravität seiner Entscheidungswirkung wird nach Maßgabe der Gewaltenteilung dasjenige Organ eingesetzt, das im verfassungsrechtlichen Gefüge betreffende Kompetenzen legitim wahrnehmen kann bzw. es wird ausgeschlossen, dass illegitime Organe mit jenen Aufgaben betraut werden. Grundsätzlich besteht dabei die Möglichkeit individueller oder kollektiv-demokratischer Legitimation. Hinführend, das heißt bevor spezifische legitimatorische Fragen des Informationsanspruches zu klären sind, fragt sich, inwiefern die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses überhaupt legitimiert sind, individuell oder kollektiv-demokratisch (aa)). Auf dieser Grundlage lassen sich im Anschluss der Legitimationsmodus und die Entscheidungswirkung zusammenführen. Das entscheidende legitimatorische Problem, das sich dann im Rahmen von Art. 53a Abs. 2 GG stellt, fokussiert sich auf einen etwaigen Grad unterschiedlicher Informiertheit jener Abgeordneter des Bundestages, die gleichzeitig Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses sind und jener, die ausschließlich im Bundestag agieren sowie auf die Legitimation etwaiger Informationsprivilegien. Ausgelöst wird das Spannungsverhältnis zwischen Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses und Nicht-Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses im Bundestag dadurch, dass die Bundesregierung dem Gemeinsamen Ausschuss nach verbreiteter Ansicht Informationen nicht unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vorenthalten kann66; für den Bundestag wird der Kernbereich jedoch weiterhin als absolute Grenze verstanden. Durch eine derartige Informationsprivilegierung des Gemeinsamen Ausschusses würde ein „Kernparlament“67 im Parlament entstehen, da die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses zugleich (informationsprivilegierte)  Abgeordnete des Bundestages sind, was den Maßstab auf der zweiten Stufe vor zwei, miteinander zusammenhängende, Fragen stellt: Ist die Privilegierung der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber dem Bundestag ein faktisches Problem, das 65

von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  15. Siehe dazu bereits S. 155 f. 67 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 31. 66

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heißt, führt es praktisch tatsächlich zu einer Besserstellung der Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss (bb))? Falls ja, ist eine Informationsprivilegierung des Gemeinsamen Ausschusses legitimatorisch gerechtfertigt oder mündet diese in einer Sackgasse der Gewaltenteilung (cc))? Denn schließlich nimmt der Gemeinsame Ausschuss im Verteidigungsfall die Aufgaben des Bundestages wahr, sodass eine etwaige informatorische Ungleichbehandlung im Wesentlichen gleich agierender Verfassungsorgane einer besonderen Legitimation bedarf.68 aa) Individuelle oder kollektiv-demokratische Legitimation? Fakt ist, dass die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses weder durch einen individuellen Akt des Bürgers noch, unmittelbar kollektiv-demokratisch, durch eine Volkswahl legitimiert werden. Die Wahl des Gemeinsamen Ausschusses durch das Legitimationssubjekt ist verfassungsrechtlich schlechterdings nicht vorgesehen. Die Einsetzung der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses ergibt sich demgegenüber aus Art. 53a Abs. 1 S. 4 GG i. V. m. §§ 2, 4 GO GA, wonach der Bundestag per Beschluss seine 32 Mitglieder für den Gemeinsamen Ausschuss und die Landesregierungen jeweils eines ihrer Bundesratsmitglieder für den Gemeinamen Ausschuss bestimmen. Ein originärer, einheitlicher Legitimationsvorgang und damit Legitimationsmodus der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses existiert also nicht. Der Klärung der Frage, mit welchem Legitimationsmodus die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses ausgestattet sind, lässt sich dann am ehesten über die Legitimationsmodi seiner Mitglieder aus Bundestag und Bundesrat annähern: Die Abgeordneten des Bundestages sind durch die Bundestagswahl gem. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG im Ursprung unmittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert. Die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses aus dem Bundestag werden sodann gem. § 2 Abs. 1 GO GA von ihren Fraktionen vorgeschlagen und vom Bundestag bestimmt. Ihre kollektiv-demokratische Legitimation verliert dadurch zwar an Unmittelbarkeit; letztlich trägt sich dann aber durch ihre Bestellung nach § 2 GO GA eine relativ stark ausgeprägte mittelbar kollektiv-demokratische Legitimation in den Gemeinsamen Ausschuss hinein. Die Mitglieder des Bundesrates sind im Ursprung hingegen nicht unmittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert, da sie von der jeweiligen Landesregierung gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG bestellt werden.69 An diesem Punkt lässt sich von einer vergleichsweise schwachen kollektiv-demokratischen Legitimation der Bundesrats 68 Zum Problem eines unterschiedlichen Wertmaßstabs bei im Wesentlichen gleicher Organfunktion Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 49. 69 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 53a Rn. 6; zur mittelbar kollektiv-demokratischen Legitimation des Bundesrates ausführlicher Stern, StaatsR I, § 19 III 8 g).

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mitglieder sprechen, die von der mittelbar kollektiv-demokratischen Legitimation der Länderregierungen abzuleiten und im Ursprung auf die unmittelbar kollektivdemokratische Legitimation der Abgeordneten der Länderparlamente zurückzuführen ist. Die mittelbar kollektiv-demokratische Legitimation der Bundesratsmitglieder leitet sich also von der Legitimation der Kabinettsmitglieder ab.70 Für die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses aus dem Bundesrat gilt sodann, dass die Länderregierungen aus ihren Bundesratsmitgliedern gem. § 4 Abs. 1 S. 1 GO GA jeweils ein Mitglied bestimmen. Mangels einer unmittelbar kollektiv-demokratischen Legitimation der Bundesratsmitglieder kann sich eine solche erst recht nicht im Gemeinsamen Ausschuss fortsetzen. In Bezug auf die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses aus dem Bundesrat bleibt es daher bei der schwachen mittelbaren kollektiv-demokratischen Legitimation. Insgesamt ergibt sich daraus ein gemischtes Bild der Legitimation der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses: Mangels originärer Wahl trägt sich die kollektiv-demokratische Legitimation von Abgeordneten des Bundestages und Mitgliedern des Bundesrates in unterschiedlicher Intensität in den Gemeinsamen Ausschuss. Auf dieser Grundlage lassen sich nun die spezifischen legitimatorischen Fragen des Informationsanspruches nach Art. 53a Abs. 2 GG in den Fokus rücken. bb) Das Informationsprivileg als faktisches Problem Im Zentrum der spezifischen legitimatorischen Fragen steht eine etwaige Informationsprivilegierung der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber den „reinen“ Bundestagsabgeordneten und die Frage nach ihrer Legitimation. Ein etwaiges Informationsprivileg des Gemeinsamen Ausschusses wird aber erst dann zu einem faktischen Problem der Gewaltenteilung bzw. die Frage der legitimatorischen Rechtfertigung ist erst dann zu beantworten, wenn eine Privilegierung des Gemeinsamen Ausschusses tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung der Nicht-Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses im Bundestag führt. Denn erst eine Ungleichbehandlung von Abgeordneten im Bundestag und von Abgeordneten im Gemeinsamen Ausschuss zwingt – wie Evers bildlich formulierte, im Sinne eines Grabens zwischen Geheimnisträgern und nichtinformierten Abgeordneten – zu einer Auflösung der Frage nach der Legitimation eines Informationsprivilegs des Gemeinsamen Ausschusses.71 Daher vorab: Führt eine Privilegierung der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung der Nicht-Mitglieder des Bundestags?

70 71

Stern, StaatsR I, § 19 III 8 g). Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 12.

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Nein, denn während die Gefahr eines sogenannten „Überparlaments“72 durch ein Informationsprivileg des Gemeinsamen Ausschusses schon früh gesehen und als problematisch ausgemacht wurde, führt dies nach gegenwärtiger Praxis indes kaum zu wesentlichen Unterschieden zwischen den Abgeordneten. Entscheidend ist nämlich, dass der Bundestag nicht durch den Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses als Kontrollorgan abgelöst wird. Der Bundestag übt gem. Art. 53a Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 43 Abs. 1 GG weiterhin ungehindert seine Kontrollrechte parallel zum Gemeinsamen Ausschuss aus.73 Auch wenn die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses über Inhalte aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung informiert würden, würde dies praktisch kaum messbar zu einer Besserstellung der Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss in Friedenszeiten führen: Zum einen ist der Gemeinsame Ausschuss durch eine hohe Fluktuation seiner Mitglieder in Abhängigkeit von jeder neuen Legislaturperiode im Bundestag und dem Wechsel der im Bundesrat vertretenen Länderregierungen geprägt74, was zu einem Durchreichen verteidigungspolitischer Informationen führt. Zum anderen hat sich die stete Durchführung der Informationssitzungen nach Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG, auch als sie noch im Sinne von § 8 Abs. 2 GO GA a. F. an die Mindestanzahl von zwei Sitzungen gebunden war, als praktisch kaum durchführbar erwiesen. Die wenigen Sitzungen dauerten in aller Regel nicht länger als zwei Stunden; ferner waren sie auch nicht selten öffentlich.75 Hinzu kommt, dass auch die Möglichkeit, eine vergleichsweise kleine Gruppe über sensible Sachverhalte zu informieren, keinen Anreiz für die Bundesregierung darstellt, dem Bundestag derartige Informationen gänzlich vorzuenthalten, da nur im absoluten Ausnahmefall der Gemeinsame Ausschuss an die Stelle von Bundestag und Bundesrat tritt. Es besteht stets die reale Möglichkeit, dass der Bundestag im Verteidigungsfall handlungsfähig bleibt und dann anstelle des Gemeinsamen Ausschusses entscheidet.76 Von einem Unterschied der Informiertheit der Abgeordneten und der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses kann daher de facto keine Rede sein. Die vorstehende Argumentation scheint auf den ersten Blick überzeugend. Ihre Schranken findet diese Sichtweise allerdings in einer veränderbaren Verfassungspraxis. Die Entscheidung über die Legitimität eines Informationsprivilegs kann im Folgenden nicht mit dem Argument dahinstehen, dass die gegenwärtige Ver 72

Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 15; Schäfer, Die Notstandsgesetze, S. 75; zur Problematik im Allgemeinen auch Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 61. 73 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 144. 74 So Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 43: „Der GA ist nämlich durch eine hohe Fluktuation seiner Mitglieder und eine geringe Sitzungstätigkeit gekennzeichnet. So sind von den 22 Bundestagsmitgliedern der 11. Wahlperiode gegenüber der 10. Wahlperiode sieben, gegenüber der 9. Wahlperiode dreizehn neu in den GA gekommen; von den elf Bundesratsvertretern haben bereits gegenüber der 10. Wahlperiode neun Mitglieder gewechselt“. 75 Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 43. 76 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 144.

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fassungspraxis eine Entscheidung entbehrlich macht. Aufgrund der vom Wortlaut der Norm her unbestimmten Reichweite des Informationsanspruches aus Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG besteht stets die reale Gefahr, dass der Gemeinsame Ausschuss zukünftig ein gesteigertes Interesse an Informationen aus dem potenziellen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung formuliert und vermehrt zusammentritt. Die Legitimität eines Informationsprivilegs bzw. die Frage danach sind also nicht mit dem Hinweis auf eine gegenwärtige faktische Unerheblichkeit des Problems abzutun. Es bedarf vielmehr im Folgenden der Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Privilegierung der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses legitimatorisch zu rechtfertigen ist. cc) Die legitimatorische Rechtfertigung der Privilegierung Macht der Gemeinsame Ausschuss einen Informationsanspruch im vorstehend beschriebenen Umfang geltend, könnte dieser also über verteidigungspolitische Informationen verfügen, die dem Bundestag unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vorenthalten werden. Fakt ist, dass diese informatorische Besserstellung der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses einer legitimatorischen Grundlage im Sinne des Maßstabs bedarf. Dabei lässt nicht nur die gegenüber dem Bundestag schwächere, mittelbar kollektiv-demokratische Legitimation an der Vereinbarkeit einer solchen Privilegierung zweifeln. Bedenken im Hinblick auf eine schwächere Informiertheit des Bundestages im Vergleich zum Gemeinsamen Ausschuss sind vielmehr nicht zu leugnen77: Der Gemeinsame Ausschuss tritt im Verteidigungsfall gem. Art. 115e Abs. 1 GG an die Stelle von Bundestag und Bundesrat. Warum sollte dieser dann in Friedenszeiten mit weitreichenderen Informationsrechten ausgestattet werden, wenn ihm im Verteidigungsfall keine weitreichenderen Zuständigkeiten beigeordnet sind?78 Ferner ist der Bundestag im Verteidigungsfall nicht automatisch inaktiv, sondern nur im absoluten Ausnahmefall seiner Handlungsunfähigkeit und sollte daher gleichermaßen vorbereitet sein. Spielt man auf dieser Grundlage verschiedene Szenarien des Informationsrechts durch, mit und ohne Informationsprivilegierung des Gemeinsamen Ausschusses, kommt es zu zwei verschiedenen unauflösbaren Dilemmata. Erstes Dilemma: Keine Legitimation und schlechter informierter Bundestag Erkennt man ein Informationsprivileg des Gemeinsamen Ausschusses an, kommt es unweigerlich zu einer Schlechterstellung des Bundestages. Die Abgeordneten des Bundestages haben in Friedenszeiten gem. § 11 Abs. 2 GO GA keinen Zutritt 77 78

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 31. Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 50.

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zu den Informationssitzungen des Gemeinsamen Ausschusses, sodass informatorische Nachteile auch nicht ausgeglichen werden können.79 Dadurch, dass der Gemeinsame Ausschuss im Falle eines Informationsprivilegs dann auf Grundlage von Informationen entscheidet, die aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung stammen, die anderen Verfassungsorganen vorenthalten werden, ist von einer gesteigerten Gravität seiner Entscheidungswirkung auszugehen. Dies impliziert auf der zweiten Stufe des Maßstabs dementsprechend einen gesteigerten Grad an Legitimation, um die Besserstellung gegenüber den Abgeordneten des Bundestages zu rechtfertigen. Wie aber bereits erörtert, weisen die Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss gegenüber den Abgeordneten des Bundestages keinen höheren Grad kollektiv-demokratischer Legitimation auf, im Gegenteil. Im Übrigen würde im Falle der Privilegierung auch bzw. erst recht ein Konflikt zwischen den privilegierten Bundesratsmitgliedern im Gemeinsamen Ausschusses und den Nicht-Mitgliedern im Bundestag entstehen, weil erstere noch schwächer kollektivdemokratisch legitimiert sind als die Abgeordneten im Gemeinsamen Ausschuss.80 Nun könnte man die informatorische Besserstellung mit der geringen Größe des Gemeinsamen Ausschusses und seiner nicht öffentlichen Verfahrensweise rechtfertigen wollen; ferner mit der bestmöglichen Vorbereitung des Notorgans für den Verteidigungsfall. Zu einem ersten Dilemma kommt es dann aber, wenn man sich vor Augen führt, dass der Gemeinsame Ausschuss nur im äußersten Notfall gem. Art. 115e Abs. 1 GG an die Stelle von Bundestag und Bundesrat tritt, und zwar nur im Verteidigungsfall und nur, wenn dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder dieser nicht beschlussfähig ist. Die Verfassung geht daher so lang als möglich von der Primärzuständigkeit der ordentlichen Verfassungsorgane aus.81 In diesem Kontext ist Amann beizupflichten, dass, wenn man vor diesem Hintergrund der restriktiven Zuständigkeit des Gemeinsamen Ausschusses von einem Informationsprivileg ausginge, man im Verteidigungsfall regelmäßig entweder auf das Organ mit der bestmöglichen Vorbereitung verzichte oder aber die Voraussetzungen des Art. 115a Abs. 2 und Art. 115e Abs. 1 GG zur Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses über Gebühr auslege – beides ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.82 Im Übrigen ist auch die Möglichkeit, allen Abgeordneten bei den Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses ein Anwesenheits- und Rederecht zu erteilen83, kaum gangbar. Neben Geheimhaltungsproblemen ist dies logistisch nicht unproblematisch. Die Bedenken gegen eine Informationsprivilegierung sind daher beachtlich. 79

Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 31. Dieser Umstand würde für sich genommen schon für eine Ablehnung des Informationsprivilegs aus legitimatorischer Sicht ausreichen, wird aber aufgrund der schwerpunktmäßigen Auseinandersetzung mit der Kollisionslage von Bundestag und Gemeinsamem Ausschuss nicht weitergesponnen. Nichtsdestotrotz sei auf diesen entscheidenden legitimatorischen Konflikt an dieser Stelle hingewiesen. 81 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 51. 82 Ebd. 83 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 91. 80

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Zweites Dilemma: Kenntnis der Publikumsöffentlichkeit Ginge man demgegenüber von einer Gleichbehandlung von Bundestag und Gemeinsamem Ausschuss aus, so käme es zu einem weiteren Dilemma: Dürfte sich die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag gleichfalls nicht auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung im Zuge der Information über verteidigungspolitische Entwicklungen und Vorhaben berufen, wäre die breite Parlamentsmasse mit gegenwärtig mehr als 700 Abgeordneten über sensible Sachverhalte zu informieren. Zwar könnte die Publikumsöffentlichkeit gem. Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG ausgeschlossen werden. Allerdings würde dies wohl nur unzureichend zu einer Absicherung geheimer Informationen bzw. zur Verlagerung der Unterrichtung in abgeschirmte parlamentsinterne Ausschüsse führen.84 An dieser Stelle offenbart sich der Teufelskreis: Die Unterrichtung der breiten Parlamentsmasse über verteidigungspolitische Planungen aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung führt aus Effektivitäts- und Geheimhaltungsgründen zu einer Befassung parlamentsinterner Ausschüsse mit derartigen, sensiblen Sachverhalten, was erneut die Frage nach der Rechtfertigung – in diesem Falle parlamentsinterner – Informationsprivilegierungen aufkommen lässt. Die eingangs aufgeworfene Frage nach der Legitimation informatorischer Privilegien verlagert sich also allenfalls in den Bundestag und schafft mehr verfassungsrechtliche Probleme als sie löst. Beide Szenarien, die Privilegierung des Gemeinsamen Ausschusses und die Anhebung des Informationsniveaus des Bundestages, haben also nicht unbedenkliche Konstellationen zur Folge. Entweder führen sie zu einem vergleichsweise schlecht vorbereiteten Bundestag, der in der Regel aber auch in Krisenzeiten die parlamentarischen Geschicke lenkt oder aber zu einer Verlagerung der Privilegierungs- und Legitimationsproblematik in parlamentsinterne Ausschüsse. Fakt ist: Die Einräumung eines Informationsprivilegs des Gemeinsamen Ausschusses ist zum einen verfassungsrechtlich weder zwingend noch in Betracht der vorstehenden Dilemmata geboten und würde zum anderen zu einer informatorischen Schlechterstellung des Bundestages führen, die im Sinne des Maßstabs einer legitimatorischen Rechtfertigung bedarf, die es auf Seiten des Gemeinsamen Ausschusses jedoch nicht gibt. Das Informationsprivileg gestaltet sich daher als eine Sackgasse der Gewaltenteilung. dd) Zusammenfassung Misst man die verschiedenen Elemente von Art. 53a Abs. 2 GG auf der zweiten Stufe am Maßstab der Gewaltenteilung, lässt sich ein differenziertes Bild eines aus verschiedenen Mitgliedern mit unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Herkunft 84

Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 52.

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bestehenden Verfassungsorgans zeichnen. Bezüglich des Legitimationsmodus hat sich gezeigt, dass die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses weder individuell legitimiert sind noch eine originäre Wahl jener von einem einheitlichen kollektiv-demokratischen Legitimationsmodus zeugt. Vielmehr sind die Abgeordneten aus dem Bundestag gem. § 2 Abs. 1 GO GA durch ihre Bestimmung per Bundestagsbeschluss – relativ stark – mittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert. Die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses aus dem Bundesrat verfügen gleichfalls über eine mittelbar kollektiv-demokratische Legitimation, die jedoch vergleichsweise schwach ausgeprägt ist. Auf dieser Grundlage ließen sich die spezifischen legitimatorischen Probleme des Art. 53a Abs. 2 GG angehen. In erster Linie geht es um einen etwaigen Grad unterschiedlicher Informiertheit von Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses und von reinen Bundestagsabgeordneten, der zum Tragen kommt, wenn der Gemeinsame Ausschuss auch über Inhalte aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu informieren ist. Summa summarum ist die Informationsprivilegierung aber weder verfassungsrechtlich geboten noch legitimatorisch zu rechtfertigen. Die durch die Privilegierung gesteigerte Gravität der Entscheidungswirkung spiegelt sich auf legitimatorischer Ebene nicht wider; es bleibt bei der einfachen, mittelbar kollektiv-demokratischen Legitimation der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses. Ferner besteht kein Grund, den Gemeinsamen Ausschuss zu privilegieren, der im Verteidigungsfall gem. Art. 115e Abs. 1 GG nur im absoluten Ausnahmefall an die Stelle des Bundestages tritt. Der Informationsanspruch aus Art. 53a Abs. 2 GG ist daher zum einen entgegen einer vorherrschenden Meinung nicht als Informationsprivilegierung des Gemeinsamen Ausschusses zu verstehen. Zum anderen sind getreu dem Motto „Gleiches Recht für alle“ Bundestag wie Gemeinsamer Ausschuss zwar umfassend zu informieren; aufgrund fehlender Legitimation kann sich in beiden Fällen die Unterrichtung dann aber nicht auf Sachverhalte aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung erstrecken. Versteht man den Informationsanspruch nach Art. 53a Abs. 2 GG unter diesen Restriktionen, ist er mit den legitimatorischen Anforderungen des Maßstabs und dem Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vereinbar. c) Stufe III: Funktionsadäquate Organstruktur in Friedenszeiten Auf der dritten Stufe ist die Wahrnehmung des Informationsanspruches am Maßstab funktionsadäquater Aufgabenwahrnehmung zu messen. Es muss gefragt werden, ob der Informationsanspruch aus Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG in vorstehend beschriebener Ausprägung gemessen an der Funktionenadäquanz effektiv wahrgenommen werden kann. Dabei muss sichergestellt werden, dass eine personell, verfahrensmäßig und instrumentell geeignete Ausübung hoheitlicher Befugnisse stattfindet. Dieses Erfordernis bezieht sich im Kontext des Art. 53a Abs. 2 GG auf

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die Organstruktur des Gemeinsamen Ausschusses und auf seine personelle, verfahrensmäßige sowie instrumentelle Eignung im Hinblick auf die Ausübung des Informationsrechts. Die Überprüfung der Funktionenadäquanz gestaltet sich in Friedenszeiten überschaubar. Der Gemeinsame Ausschuss zeichnet sich personell durch seine komprimierte Zusammensetzung aus 48 Mitgliedern aus. Ist für den Verteidigungsfall diese komprimierte Zusammensetzung essentiell85, ist sie für die Ausübung des Informationsanspruches weniger ausschlaggebend, zumal dieser im Sinne von Art. 53a Abs. 2 GG als Bringschuld der Bundesregierung ausgestaltet ist. Jedenfalls liefert der Informationsanspruch die Basis für eine schnelle Reaktionsfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall86, sodass schon die komprimierte Zusammensetzung in Friedenszeiten aufgrund ihrer dienenden Funktion funktionsadäquat ist.87 Auf Ebene der verfahrensmäßigen Eignung ist hervorzuheben, dass die nicht öffentliche Beratung des Gemeinsamen Ausschusses nach § 10 S. 1 GO GA den Regelfall darstellt, welche es ermöglicht, sensible Informationen der Bundesregierung vor Preisgabe gegenüber der Publikumsöffentlichkeit zu schützen.88 Demgegenüber tagt der Bundestag in aller Regel öffentlich, sodass seine verfahrensmäßige Organstruktur die Preisgabe sensibler Informationen der Publikumsöffentlichkeit im Grundsatz nicht verhindern kann. Die Beratung sensibler Sachverhalte der verteidigungspolitischen Planung des Verteidigungsfalles erfordert indes eine gewisse Abschirmung der breiten Publikumsmasse, um den Verteidigungsfall effektiv vorbereiten zu können. Die personelle Besetzung und Verfahrensweise des Gemeinsamen Ausschusses entsprechen diesen Anforderungen und sind daher funktionsadäquat. d) Stufe IV: Vereinbarkeit des Informationsanspruches mit dem Telos der Gewaltenteilung – Abwägung Auf der letzten Stufe ist zu fragen, ob der Informationsanspruch gem. Art. 53a Abs. 2 GG nach vorstehender Maßgabe einer Gesamtabwägung am Telos der Gewaltenteilung standhält. Das Telos des Ordnungsprinzips aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG erstreckt sich auf die Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung sowie effizienter Aufgabenwahrnehmung, in deren Rahmen sich vorstehender Informationsanspruch zu bewegen hat. Dabei können im Zuge der Abwägung und Be-

85

Siehe dazu im Folgenden ausführlich S. 184 ff. Fremuth, in: v.  Münch / Kunig, GG, Art. 53a Rn. 25; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig /  Herzog, GG, Art. 53a Rn. 78. 87 Zur hinführenden Funktion des Informationsanspruches in Friedenszeiten auch Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 48. 88 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  12. 86

III. Die Kompetenz  in Friedenszeiten

169

wertung des Einzelfalles die Elemente der Trias unterschiedlich stark akzentuiert werden. Bei der Ausübung des Informationsanspruches nach Art. 53a Abs. 2 GG stehen in Anlehnung an die Trias der Gewaltenteilung die effiziente Aufgabenwahrnehmung im Sinne der Vorbereitung des Verteidigungsfalles sowie – und das ist ganz wesentlich – die Missbrauchsverhütung im Vordergrund. Für die Missbrauchsverhütung erweisen sich Informationsansprüche im Sinne klassischer Kontrollrechte als Mittel der Wahl, welche für ein ausbalanciertes Miteinander der Funktionsträger verschiedener Funktionen sorgen. Dabei darf hingegen nicht außer Acht gelassen werden, dass einfache Kontrollrechte nicht zu übermäßigem Einfluss des Kontrollorgans heranreifen dürfen, was dem Gedanken der Gewaltenteilung gleichfalls fremd wäre. Die konsequente Ausübung des Informationsanspruches gegenüber der Bundesregierung darf also nicht zu einem Anhäufen von Kompetenzen auf Seiten des Gemeinsamen Ausschusses führen. Unstreitig ist der Informationsanspruch aus Art. 53a Abs. 2 GG gegen die Bundesregierung gerichtet und soll neben informatorischer Kontrolle den Gemeinsamen Ausschuss im Verteidigungsfall befähigen, auf Grundlage einer breiten Informationslage effektiv agieren zu können. In Friedenszeiten bedeutet dies lediglich ein einfaches Kontrollrecht in Gestalt des Informationsanspruchs des Gemeinsamen Ausschusses, welcher – und das ist entscheidend – nicht mit weiteren Handlungsbefugnissen verbunden ist. Dabei handelt es sich um die denkbar schwächste Form der Beteiligung des Gemeinsamen Ausschusses vor Eintritt des Verteidigungsfalles. Die Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses unterstreicht seine nachrangige Rolle und das verfassungsrechtliche Bestreben, den Normalfall so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Insbesondere die historische Perspektive hebt die Verhältnismäßigkeit des Informationsanspruchs hervor: Während im Dritten Regierungsentwurf gem. Art. 53a Abs. 2–4 eine vorläufige Beteiligung an der Not-Gesetzgebung durch den Gemeinsamen Ausschuss vor Eintritt des Verteidigungsfalles angedacht war89, ist der Gemeinsame Ausschuss in Friedenszeiten de facto nicht mit der staatlichen Willensbildung befasst.90 Ferner wird der Gemeinsame Ausschuss durch die Sitzungsteilnahme der Mitglieder der Bundesregierung nach § 11 Abs. 2 GO GA wechselseitig kontrolliert. Die Gefahr der Verselbständigung des Gemeinsamen Ausschusses ist daher als unwesentlich einzustufen und ein missbrauchsanfälliges Anhäufen von Kompetenzen auf Seiten des Kontrollorgans zu verneinen. Dementsprechend bewegt sich der Informationsanspruch im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung und hält der Abwägung auf der vierten Stufe des Maßstabs stand.

89 90

Siehe dazu S. 153. Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 41.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

e) Zusammenfassung Der Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung gem. Art. 53a Abs. 2 GG soll den Gemeinsamen Ausschuss im Sinne parlamentarischer Krisenbewältigung auf den Verteidigungsfall vorbereiten und genügt nach vorstehender Auseinandersetzung den Anforderungen der Gewaltenteilung mit wenigen Abstrichen. Auf der ersten Stufe, die die materiellen Eigenarten der drei Funktionen garantiert, ist der Informationsanspruch insbesondere mit den funktionalen Hauptteilen von Gesetzgebung und vollziehender Gewalt kompatibel. Ausdrücklich verstößt ein weitreichender Informationsanspruch des Notparlaments nicht gegen den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, da die grundgesetzliche Entscheidung für eine parlamentarische Krisenbewältigung das verteidigungspolitische Vorbereitungsstadium aus der Alleinzuständigkeit der Exekutive extrahiert. Auf der zweiten Stufe findet ein etwaiges Informationsprivileg des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber dem Bundestag jedoch seine Grenzen. Aufgrund seiner Reservefunktion und mangels gesteigerter kollektiv-demokratischer Legitimation ist der Gemeinsame Ausschuss nicht weitreichender zu informieren als der Bundestag. Im Übrigen genügt der Gemeinsame Ausschuss aufgrund seiner komprimierten Zusammensetzung und nicht öffentlichen Verfahrensweise den Anforderungen der Funktionenadäquanz schon zu Friedenszeiten. Auch der Abwägung auf der vierten Stufe hält der Informationsanspruch nach Art. 53a Abs. 2 GG stand, da dieser zur Kontrolle der Bundesregierung als mildestes Mittel beiträgt; eine übermäßige Einflussnahme des Kontrollorgans auf die staatliche Willensbildung ist damit in Friedenszeiten nicht verbunden. Unter dem Strich erweist sich der Informationsanspruch also als Mittel der Wahl, wenn es um die effiziente und missbrauchssichere Vorbereitung des Verteidigungsfalles geht und liegt insofern auf der Linie der Gewaltenteilung.

IV. Die Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall, Art. 53a Abs. 1 i. V. m. Art. 115a ff. GG Seinen Hauptanwendungsbereich findet der Gemeinsame Ausschuss erst im Verteidigungsfall. Für diesen Fall werden in Art. 115a ff. GG zahlreiche Kompetenzen, sogenannte Notstandsbefugnisse, des Gemeinsamen Ausschusses statuiert. Grundvoraussetzung für die Aktivierung jener Notstandsbefugnisse ist zunächst die Feststellung des Verteidigungsfalles gem. Art. 115a GG (1.). Erst diese Feststellung führt in Kombination mit der Funktionsunfähigkeit des Bundestages zu der charakteristischen Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss gem. Art. 115e Abs. 1 GG und zu der Aufnahme zahlreicher Notstandsbefugnisse (2.).91 91

Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen der Art. 115a ff. GG und ihren Relationen kann hier nicht erfolgen. Der Schwerpunkt liegt vielmehr

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

171

Ihre Grenzen finden die Notstandsbefugnisse des Gemeinsamen Ausschusses dann wiederum in der Beendigung der Funktionsübernahme (3.). Auch hier darf trotz der entstehungsgeschichtlichen Ausrichtung des Gemeinsamen Ausschusses an rechtsstaatlichen Grundsätzen die Überprüfung der Notstandsbefugnisse am Maßstab der Gewaltenteilung nicht ausgelassen werden (4.). Auf den vier Stufen des Maßstabs lassen sich dann verbindliche Aussagen zu der Frage treffen, ob Konzeption und Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses für den Verteidigungsfall halten, was sie entstehungsgeschichtlich versprechen. 1. Die Feststellung des Verteidigungsfalles Die Feststellung des Verteidigungsfalles bzw. die Frage danach, wer den Eintritt des Verteidigungsfalles feststellt, ist im Allgemeinen eine der wenigen Fragen, die das Notstandsrecht unstreitig zu beantworten hat und ist im Besonderen die Grundvoraussetzung für die Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 115e Abs. 1 GG.92 Der Verteidigungsfall liegt ausweislich des Gesetzeswortlautes nach Art. 115a Abs. 1 GG dann vor, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt von außen angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht.93 Dabei ist der Angriff von außen für den Verteidigungsfall charakteristisch und grenzt den äußeren vom inneren Notstand nach Art. 87a Abs. 4, Art. 91 Abs. 2 GG ab. Im verfassungsrechtlichen Normalfall trifft der Bundestag gem. Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG mit Zustimmung des Bundesrates die Feststellung, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist. Die Feststellung durch den Bundestag erfolgt auf Antrag der Bundesregierung mit ⅔-Mehrheit bzw. mit der Mehrheit seiner Mitglieder nach Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG und wird gem. Art. 115a Abs. 3 S. 1 GG durch den Bundespräsidenten im Bundesgesetzblatt verkündet.94 Erfordert die Lage aber unabweisbar sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentreten des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er im Sinne von § 45 GO BT nicht beschlussfähig, trifft die Feststellung des Verteidigungsfalles der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 115a Abs. 2 GG auf den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Strukturen der Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss und seiner Bedeutung für das Prinzip der Gewaltenteilung. 92 Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 4; Beginn und Ende des Ausnahmezustandes müssen für die Verhütung von Machtmissbrauch klar geregelt sein, so Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 107; ähnlich Böckenförde, in: NJW 1978, S. 1881, 1888. 93 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Verteidigungsfalles werden im Folgenden nicht weiter erläutert. Diese stellen einen eigenen, komplexen Schwerpunkt des Notverfassungsrechts dar. Dazu zusammenfassend Stern, StaatsR II, § 54 II 2; oder ausführlich Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 55 ff. 94 Die Feststellung des Verteidigungsfalles und seine Verkündung durch den Bundespräsidenten erfolgen in erster Linie aus Gründen der Rechtssicherheit, so Leupold, Die Feststellung des Katastrophenfalls, S. 107 grundsätzlich zum Übergang vom verfassungsrechtlichen Normalzustand zum Sonderzustand.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

mit ⅔-Mehrheit der abgegebenen Stimmen bzw. mit der Mehrheit seiner Mitglieder, also mit mindestens 25 Stimmen. Dabei müssen beide Voraussetzungen des Art. 115a Abs. 2 GG kumulativ vorliegen.95 Der Grund für die Beschlussunfähigkeit des Bundestages ist unerheblich; es kann sich dabei um Fälle der parlamentarischen Obstruktion oder auch um tatsächliche Hemmnisse wie zum Beispiel unüberbrückbare Verkehrsbehinderungen handeln.96 Ob darüber hinaus die Beschlussunfähigkeit des Bundesrates auch Voraussetzung ist, wird unterschiedlich beurteilt. Aufgrund des eindeutigen Wortlautes ist dies wohl zu verneinen.97 Im Zuge des Beschlusses nach Art. 115a Abs. 2 GG kommt es dann zur ersten Stufe der sogenannten Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses.98 Der Gemeinsame Ausschuss entscheidet durch die Feststellung des Verteidigungsfalles mit einem ersten Beschluss über die Aktivierung seiner Notstandsbefugnisse, die über Art. 115e Abs. 1 GG in der Übernahme der Gesetzgebungsfunktion des Gemeinsamen Ausschusses mündet. Er verfügt also über die Kompetenz-Kompetenz seiner eigenen Notstandsbefugnisse99, die sich im Übrigen nicht als unproblematisch erweist.100 2. Die Funktionsübernahme von Bundestag und Bundesrat Unter den Voraussetzungen des Art. 115e Abs. 1 GG tritt der Gemeinsame Ausschuss für die Zeit des Verteidigungsfalles in die Rechte von Bundestag und Bundesrat ein und nimmt diese einheitlich wahr. Damit der Gemeinsame Ausschuss die Funktionen von Bundestag und Bundesrat übernehmen kann, müssen drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Erstens muss der Verteidigungsfall festgestellt sein, zweitens müssen dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder aber er darf nicht gem. § 45 GO BT beschlussfähig sein und drittens muss der Gemeinsame Ausschuss darüber im Sinne von Art. 115e Abs. 1 GG mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bzw. mindestens mit der Mehrheit seiner Mitglieder Beschluss fassen.101 Dabei ist unerheblich, wer den Verteidigungsfall feststellt – der Bundestag mit Bundesrat nach 95

Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 125. Dazu aus entstehungsgeschichtlicher Perspektive Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 46. 97 So Grote, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 115a Rn. 31; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 115a Rn. 13; Schmidt-Radefeldt, in: BeckOK, GG, Art. 115a Rn. 23; im Ergebnis wohl auch, wenn auch der Sache nach kritisch Epping, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  115a Rn.  79; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 35; wohl a. A. Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 35; Lenz, Notstandsverfassung, Art. 115a Rn. 6. 98 Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 35. 99 Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 35; zum konstitutiven Charakter des Beschlusses z. B. Stern, StaatsR II, § 28 I 4 b). 100 Siehe gesondert zur Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses auf zweiter Stufe des Maßstabs S. 196 ff. 101 Ausführlich zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Art. 115e Abs. 1 GG Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 179 ff. 96

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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Art. 115a Abs. 1 GG, der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 115a Abs. 2 GG oder bei ihrer Funktionsunfähigkeit gem. Art. 115a Abs. 4 GG keines der genannten Verfassungsorgane (unter diesen Umständen wird die Feststellung mit Beginn des militärischen Angriffs fingiert).102 Im Falle der Feststellung des Verteidigungsfalles durch den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 115a Abs. 2 GG trifft der Gemeinsame Ausschuss also zwei Beschlüsse: die Feststellung des Verteidigungsfalles und den Beschluss über die Funktionsübernahme nach Art. 115e Abs. 1 GG. Dabei indiziert der eine Beschluss nicht den anderen; es handelt sich um zwei verschiedene, konstituierende Beschlüsse, die jeweils ihrer Verkündung bedürfen.103 Ungeklärt ist indes die Dauer der Bindungswirkung der Feststellung. Denkbar ist, dass der Gemeinsame Ausschuss die Feststellung nach Art. 115e Abs. 1 GG vor jedem Tagesordnungspunkt erneut oder jedenfalls vor jeder Sitzung zu treffen haben könnte.104 Die größte Rechtssicherheit ergibt sich aber wohl, wenn die Bindungswirkung der erstmaligen Feststellung bis zur Wiedererstarkung des Bundestages angenommen wird.105 Liegen die Voraussetzungen des Art. 115e Abs. 1 GG vor, übernimmt der Gemeinsame Ausschuss die Rechte von Bundestag und Bundesrat einheitlich. Der Gemeinsame Ausschuss wird dann entscheidendes Gesetzgebungs-, Wahl- und Kontroll- sowie in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung politisches Leitorgan.106 Als Löwenanteil wird man die Gesetzgebungsbefugnisse des Gemeinsamen Ausschusses sehen müssen, der Gesetzesvorlagen in einem einstufigen Gesetzgebungsverfahren nach § 14 S. 1 GO GA selbständig berät.107 Dabei werden die Gesetzgebungskompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses gem. Art. 115c GG gegebenenfalls erweitert. Verwehrt sind dem Gemeinsamen Ausschuss indes Änderungen und Außerkraftsetzungen des Grundgesetzes gem. Art. 115e Abs. 2 S. 1 GG; Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sind nur zu Gunsten der Funktionsfähigkeit des BVerfG und nur mit dessen Zustimmung nach Art. 115g S. 2 GG verfassungsmäßig.108 102

Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 35 f.; Stern, StaatsR II, § 28 III 3. 103 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  70; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 36; Stern, StaatsR II, § 54 V 4 a). 104 Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 233; Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 153 f.; nach Fritz, in: BayVBl. 1983, S. 72, 75 f. soll jedenfalls bei längeren Sitzungsunterbrechungen des Gemeinsamen Ausschusses erneut die Funktionsunfähigkeit des Bundestages festgestellt werden. 105 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 215, 218. 106 Stern, StaatsR II, § 28 III 3. 107 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 222; Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 46. 108 Dazu ausführlich Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 222 ff. Ferner ist es dem Gemeinsamen Ausschuss als einfachem Gesetzgeber nach Art. 115e Abs. 2 S. 2 GG verwehrt, Hoheitsrechte im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 2 und Art. 24 Abs. 1 GG zu übertragen und die Neugliederung des Bundesgebiets nach Art. 29 GG per Bundesgesetz vorzunehmen.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Abweichend vom verfassungsrechtlichen Normalfall ist die Wirksamkeit der Gesetze des Notparlaments nach Art. 115k Abs. 2 GG zeitlich begrenzt: Seine Gesetze treten spätestens sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles außer Kraft. Gesetze nach Art. 115c Abs. 1–3 GG sind ohnehin nur für den Verteidigungsfall konzipiert und werden danach automatisch unanwendbar.109 Unabhängig davon kann der Bundestag jederzeit mit Zustimmung des Bundesrates Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses gem. Art. 115l Abs. 1 S. 1 GG aufheben. Neben den Gesetzgebungsrechten statuiert die Verfassung weitere Notkompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses. Unmittelbar aus Art. 115h Abs. 2 GG folgt das Recht des Gemeinsamen Ausschusses, einen neuen Bundeskanzler zu wählen. Darüber hinaus obliegen dem Gemeinsamen Ausschuss sonstige Wahlen (zum Beispiel die der BVerfG-Richter nach Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG). Da aber der Gemeinsame Ausschuss ausnahmslos in die Rechtsstellung der beiden Verfassungsorgane einrückt, treffen ihn auch die Pflichten von Bundestag und Bundesrat wie zum Beispiel die Anhörungspflicht gegenüber der Bundesregierung nach Art. 53 S. 2 und Art. 43 Abs. 2 S. 2 GG.110 Ferner nimmt der Gemeinsame Ausschuss die gesamtparlamentarische Kontrolle mit sämtlichen Informations- und Kontrollrechten einheitlich wahr.111 3. Die Beendigung der Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses Die Entscheidung über die Beendigung der Ausnahmebefugnisse und des Ausnahmezustandes sind unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten wesentlich; insbesondere darf es durch die einschlägigen Regelungen nicht zu einer Perpetuierung der Ausnahmebefugnisse kommen.112 Ziel des Notstandsrechts muss daher stets die möglichst rasche Rückkehr zum Normalfall sein.113 Über die Voraussetzungen der Beendigung der Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses und damit die Herstellung der normalen Verfassungslage schweigt das Grundgesetz.114 Klar ist zunächst nur: Die Funktionsfähigkeit und die Feststellung des Verteidigungsfalles müssen im Umkehrschluss aus Art. 115e Abs. 1 GG eine zentrale Rolle für die Dauer der Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss spielen.

109

Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 241 f., zur Möglichkeit, dass Gesetze nach Art. 115c Abs. 3 zugleich solche nach Art. 115k Abs. 3 S. 1 GG sind, S. 242 ff. 110 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  95. 111 Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 44; Stern, StaatsR II, § 28 III 3. 112 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 148; ähnlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 128. 113 Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 106. 114 Fritz, in: BayVBl. 1983, S. 72, 75; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 39.

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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Gem. Art. 115l Abs. 2 S. 1 GG kann der handlungsfähige Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates den Verteidigungsfall jederzeit für beendet erklären. Erst damit – der Beschluss ist also konstitutiv115 – entfallen der Verteidigungsfall und die Funktionsunfähigkeit des Bundestages als Voraussetzungen für das Tätigwerden des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115e Abs. 1 GG.116 Ob die materiellen Voraussetzungen des Verteidigungsfalles im Sinne von Art. 115a Abs. 1 GG weiterhin vorliegen, ist also irrelevant.117 Art. 115l Abs. 2 GG sieht dementsprechend zwei Tatbestände vor, nach denen der Verteidigungsfall für beendet erklärt werden kann: entweder nach Art. 115l Abs. 2 S. 2 GG jederzeit unabhängig von den materiellen Voraussetzungen des Verteidigungsfalles oder aber spätestens, wenn die materiellen Voraussetzungen gem. Art. 115l Abs. 2 S. 3 GG entfallen sind.118 Ein Antrag der Bundesregierung ist anders als nach Art. 115a Abs.1 S. 2 GG nicht erforderlich. Entscheidungsträger für die Beendigung des Verteidigungsfalles ist also der Bundestag. Möglich ist aber auch, dass der Gemeinsame Ausschuss als Reserveorgan im Sinne von Art. 115e Abs. 1 GG den Verteidigungsfall nach Art. 115l Abs. 2 S. 3 GG für beendet erklärt, wenn der Bundestag seine Funktionsfähigkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurück erlangt hat.119 Damit ist jedoch nicht automatisch die eigene Außerfunktionssetzung des Gemeinsamen Ausschusses verbunden. Terminologisch und rechtlich ist also streng zwischen der Beendigung des Verteidigungsfalles und der Beendigung der Funktionsübernahme zu unterscheiden. Die Befugnis zur Beendigung der Funktionsübernahme obliegt nicht dem Gemeinsamen Ausschuss, da im Falle dieses Beendigungsmodus die Gefahr bestünde, dass weder der Bundestag funktionsfähig noch der Gemeinsame Ausschuss fortan aktiviert sein würden und damit gar kein parlamentarisches Organ mehr eingesetzt wäre.120 Der Gemeinsame Ausschuss darf die Beendigung seiner Tätigkeit also nicht eigens feststellen.121 Daraus ergibt sich, dass allein die Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit des Bundestages in der Krise bzw. nach dem Verteidigungsfall Dreh- und Angelpunkt des Ineinandergreifens der (Not-)Verfassungsorgane und ausschließlich entscheidend für die Beendigung der Funktions 115

Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 115l Rn. 9; Grote, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 115l Rn. 12; Schmidt-Radefeldt, in: BeckOK, GG, Art. 115l Rn. 4. 116 Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 39. 117 Fremuth, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 115l Rn. 8; Heun, in: Dreier, GG, Art. 115l Rn. 9. 118 Grote, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 115l Rn. 11. 119 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  115l Rn.  25; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 115l Rn. 9; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 39; SchmidtRadefeldt, in: BeckOK, GG, Art. 115l Rn. 4; wohl a. A. Heun, in: Dreier, GG, Art. 115l Rn. 9. 120 Heun, in: Dreier, GG, Art. 115l Rn. 9; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 126. 121 Fritz, in: BayVBl. 1983, S. 72, 75; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 40; ähnlich Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn. 72.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

übernahme des Gemeinsamen Ausschusses ist.122 Die Funktionsübernahme wird insofern also nicht durch die Beendigungserklärung nach Art. 115l Abs. 2 GG limitiert123, außer sie erfolgt durch den vollfunktionsfähigen Bundestag. Die Tätigkeit des Gemeinsamen Ausschusses endet, wenn der Bundestag wieder zusammentreten kann und beschlussfähig ist. 4. Die Bewertung der Kompetenzen am Maßstab der Gewaltenteilung Die vorstehenden Überlegungen zeugen von einem verwobenen Miteinander verschiedener Verfassungsorgane bei der Feststellung des Verteidigungsfalles und der Ausübung der Notstandsbefugnisse in eben diesem. Wie jedoch bereits mehrfach klargestellt, ersetzt die entstehungsgeschichtliche Ausrichtung des Gemeinsamen Ausschusses am Prinzip der Gewaltenteilung bzw. seine augenscheinliche Vereinbarkeit mit dem Prinzip keineswegs die Überprüfung konkreter verfassungsrechtlicher Aussagen am Maßstab der Gewaltenteilung. Schließlich gilt die Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als tragendes Ordnungsprinzip auch bzw. vor allem im missbrauchsanfälligen Ausnahmefall. Gerade aufgrund der gesteigerten Missbrauchsanfälligkeit des Verteidigungsfalles sieht sich der verfassungsrechtliche Ausnahmezustand zahlreichen Gefahren gegenüber124: Sind die Notstandsregeln derart getroffen, dass die Notstandsbefugnisse des Gemeinsamen Ausschusses weder vor Feststellung des Verteidigungsfalles noch nach seiner Beendigung in Anspruch genommen werden können? Lassen die Notstandsbefugnisse gewisse Vorkehrungen gegen ihre maß- und gewissenlose Anwendung im Verteidigungsfall erkennen? Und wird das Parlament des Normalfalles nicht über Gebühr aus seiner verfassungsrechtlichen Rolle und Verantwortung verdrängt? Um diese Gefahren mit der Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall nach Art. 53a Abs. 1 i. V. m. Art. 115a ff. GG abzuwägen, sind die Normen einer Überprüfung am Maßstab der Gewaltenteilung zu unterziehen. Dabei steht auf der ersten Stufe die Frage nach der Einhaltung funktionaler Hauptteile anderer Funktionsträger, insbesondere des Par 122 So im Ergebnis Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 175 f.; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  71; Schick, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 58 Rn. 40; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 126. 123 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 205. Aufgrund der tatbestandlichen Loslösung der Beendigung des Verteidigungsfalles von materiellen Voraussetzungen ist den Entscheidungsträgern in den Fällen von Art. 115l Abs. 2 S. 1 GG ein weiter Entscheidungsspielraum im Sinne freien Ermessens eingeräumt. Allein die Entscheidung bzw. das Nicht-Entscheiden unter den Bedingungen des Art. 115l Abs. 2 S. 3 GG ist an tatbestandlich definierte Merkmale geknüpft und somit der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung im Organstreitverfahren zugänglich. 124 Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 4.

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laments des Normalfalles (a)). Da der Gemeinsame Ausschuss die Befugnisse von Bundesrat und Bundestag einheitlich übernimmt und darüber hinaus gem. Art. 115e Abs. 1 GG im Wege der Selbstinvestitur entscheidet, wann dies der Fall ist, muss auf der zweiten Stufe nach einer legitimatorischen Begründung dieser außerordentlichen Notstandsbefugnisse gefragt werden (b)). Auf der dritten Stufe wird die besondere Verfahrensweise des Gemeinsamen Ausschusses, vor allem seine Beschlussfassung und nicht öffentliche Beratung, in den Kontext funktionsadäquater Aufgabenwahrnehmung eingeordnet (c)). Zuletzt gilt es anhand des Telos der Gewaltenteilung auf der vierten Stufe zu hinterfragen, ob die zahlreichen Notstandsbefugnisse des Gemeinsamen Ausschusses ausreichend gegen Missbrauch abgesichert sind, insbesondere ob sie zu einem geordneten und ausbalancierten Miteinander verschiedener Verfassungsorgane im Verteidigungsfall beitragen (d)). a) Stufe I: Materielle Unterscheidung funktionaler Hauptteile Auf der ersten Stufe des Maßstabs ist die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall mit der Vereinbarkeit funktionaler Hauptteile anderer Funktionsträger zu überprüfen. Grundvoraussetzung für die Einhaltung funktionaler Hauptteile ist, dass die Notstandsbefugnisse des Gemeinsamen Ausschusses nicht mit den funktionalen Hauptteilen des Bundestages, die sich auf die Entscheidung über Wesentliches im förmlichen Gesetzgebungsverfahren erstrecken, kollidieren. Dabei gilt es insbesondere, die Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber dem Parlament des Normalfalles in den Blick zu nehmen und zu untersuchen, welche Mechanismen das Eingreifen in den funktionalen Hauptteil des Bundestages verhindern (könnten), um die Perpetuierung des Ausnahmezustandes und die übermäßige Verdrängung des Parlaments des Normalfalles aus seiner Rolle und Verantwortung zu vermeiden. Auf der einen Seite zeichnet sich klar ab: Durch die Funktionsübernahme nach Art. 115e Abs. 2 GG kommt es jedenfalls temporär zu einer Verdrängung des Parlaments des Normalfalles aus seinem „Besitzstand“125. Der Gemeinsame Ausschuss nimmt gem. Art. 115e Abs. 1 GG sämtliche Befugnisse von Bundesrat und Bundestag einheitlich wahr; dies bedeutet in erster Linie die Entscheidung über Wesentliches im Verteidigungsfall in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren, das nach Art. 115c f. GG modifiziert wird. Der Gemeinsame Ausschuss verdrängt in dieser Funktion Bundestag und Bundesrat, denn grundsätzlich entsprechen die Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses denen von Bundestag und Bundesrat, jedenfalls was die einfachen Gesetze anbelangt.126 In diesem Kontext – schon der Wortlaut von Funktionsübernahme legt es nahe – ließe sich daher durchaus von einer Übernahme funktionaler Hauptteile anderer, konkurrierender Funktionsträger sprechen. 125 126

Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 3. Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 226 f.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Auf der anderen Seite nimmt der Gemeinsame Ausschuss eine Reservefunktion wahr, das heißt er spielt stets eine subsidiäre Rolle gegenüber dem Parlament des Normalfalles und dessen funktionalen Hauptteilen. Es ließe sich daher auch die Sichtweise vertreten, der Gemeinsame Ausschuss schließe im Verteidigungsfall nur eine Lücke, die das Parlament des Normalfalles aufgrund seiner Funktionsunfähigkeit im Sinne von Art. 115e Abs. 1 GG reiße; eine Verdrängung im eigentlichen Wortsinn finde nicht statt, da der Gemeinsame Ausschuss Befugnisse nicht wegnehme und an sich ziehe, sondern nur aktiviert werde, wenn es eben nötig sei, Befugnisse eines funktionsunfähigen Organs auszuüben. Nicht unproblematisch ist an dieser Position, dass außer Acht gelassen wird, dass der Gemeinsame Ausschuss in den Fällen seiner Selbstinvestitur nach Art. 115a Abs. 2 und Art. 115e Abs. 1 GG eigens über die vermeintliche Lücke, die der vermeintlich funktionsunfähige Bundestag reißt und die es dann auszufüllen gilt, beschließt. Die Gefahr der frühzeitigen Verdrängung des Bundestages aus seiner verfassungsrechtlichen Rolle und Verantwortung ist an dieser Stelle real. Die Antwort darauf, ob der Gemeinsame Ausschuss das Parlament des Normalfalles aus seinen funktionalen Eigenbereichen verdrängt und damit ein Problem der Gewaltenteilung besteht, liegt wohl in der Mitte. Das Grundgesetz geht bei der Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss (wie an so vielen Stellen) von der Aufrechterhaltung des Normalzustandes und dem Bundestag als Parlament des Normalfalles so lange wie möglich aus.127 Nur im Falle seiner Funktionsunfähigkeit nimmt der Gemeinsame Ausschuss seine Reservefunktion und die Befugnisse von Bundestag und Bundesrat als eigene wahr. Die subsidiäre Wahrnehmung der Befugnisse steht insofern der Verletzung funktionaler Hauptteile entgegen, da die in Rede stehenden Verfassungsorgane nicht um die konkreten Befugnisse konkurrieren, was wiederum Bedingung für den Eingriff in den funktionalen Hauptteil eines anderen Funktionsträgers ist. Problematisch für diese Bewertung ist demgegenüber die Möglichkeit der Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115a Abs. 2 und Art. 115e Abs. 1 GG, womit ein dem Prinzip der Gewaltenteilung fremdes und missbräuchliches An-Sich-Reißen anderer funktionaler Hauptteile verbunden sein könnte. Zum einen stellt aber die Selbstinvestitur gegenüber dem verfassungsrechtlichen Normalfall nach Art. 115a Abs. 1 GG ohnehin den absoluten Ausnahmefall dar und zum anderem sorgen verschiedene Kontrollmechanismen dafür, dass sich die einmal erfolgte Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss – unabhängig ob durch die Selbstinvestitur ausgelöst – nicht perpetuiert und das Parlament des Normalfalles dauerhaft aus seiner Rolle und Verantwortung verdrängt wird: So besteht etwa nach Art. 115l Abs. 1 S. 1 GG stets die Möglichkeit, Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates aufzuheben. Ferner sind Grundgesetzänderungen nach Art. 115e Abs. 2 S. 1 GG

127

Benda, Die Notstandsverfassung, S. 22; Fritz, in: BayVBl. 1983, S. 72, 74.

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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verfassungswidrig und ist die Geltungsdauer der Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses gem. Art. 115k Abs. 2 GG grundsätzlich auf bis zu sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles beschränkt. Es ist also dafür gesorgt, dass legal erlangte Macht des Gemeinsamen Ausschusses nicht missbräuchlich angewendet wird; im Übrigen besteht durch die (Wieder-)Aufnahme der Parlamentsarbeit des Bundestages die Möglichkeit, auch die illegitime Funktionsübernahme zu beenden. Mit dieser Sicht der Dinge, das heißt aufgrund des Subsidiaritätsverhältnisses zwischen Bundestag und Gemeinsamem Ausschuss und der kontrollierten Wahrnehmung der Befugnisse funktionaler Hauptteile im Verteidigungsfall, stellt die Funktionsübernahme nach Art. 115e Abs. 1 GG jedenfalls kein unmittelbares Problem auf der ersten Stufe des Maßstabs der Gewaltenteilung dar. Auf der ersten Stufe hält die Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses dem Maßstab mit seinen rechtlichen wie auch praktischen Konsequenzen stand. b) Stufe II: Weitreichende Notstandsbefugnisse qua Legitimationsmodus Auf der zweiten Stufe des Maßstabs müssen die außerordentlichen Notstandsbefugnisse den legitimatorischen Anforderungen genügen, die die Gewaltenteilung angesichts ihres freiheitssichernden Aspekts aufstellt: Je mehr die Entscheidungswirkung des Funktionsträgers wiegt, desto stärker bedarf es der legitimatorischen Absicherung derartiger Entscheidungen. Dabei ergeben sich zwei Problemfelder, die es separat voneinander zu beleuchten gilt. Zum Ersten: Der Gemeinsame Ausschuss nimmt gem. Art. 115e Abs. 1 GG als signifikant verkleinertes Notparlament die Funktionen von Bundestag und Bundesrat wahr. Dazu gehört insbesondere die Gesetzgebung im Sinne der Entscheidung von Wesentlichem mit Allgemeinverbindlichkeit, allerdings in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Im Ausgangspunkt lässt sich die Gravität der Entscheidungswirkung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall als beträchtlich einstufen. Zusätzlich birgt die Möglichkeit zur Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses die Gefahr der eigenmächtigen und nicht erforderlichen Aktivierung seiner Notstandsbefugnisse. Die sich darin manifestierende Bedeutung seiner Entscheidungswirkung müsste sich dann aber auch in seiner gesteigerten Legitimation widerspiegeln (aa)). Zum Zweiten: Die zweigliedrige Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses aus Bundestagsabgeordneten und Bundesratsmitgliedern stellt den Maßstab auf dieser Stufe auch vor die Frage, ob der Gemeinsame Ausschuss aufgrund unterschiedlicher Legitimationsmodi seiner Funktionsträger nicht so sehr als einheitliches Verfassungsorgan, sondern separiert zu betrachten wäre und insofern im Verteidigungsfall getrennt nach Bänken abgestimmt werden sollte (bb)).

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

aa) Die (Schein-)Legitimation der Notstandsbefugnisse Wie zuvor beschrieben, genügt die Zuordnung irgendeines Legitimationsmodus nicht für sich allein; es bedarf vielmehr eines Modus, der dem Funktionsträger des in Rede stehenden Organs angesichts der Bedeutung seiner Entscheidungswirkung gerecht wird. Da die Organe der gesetzgebenden Funktion Fragen des Gemeinwesens mit Allgemeinverbindlichkeit regeln, sollte dasjenige Organ diese Funktion wahrnehmen, welches im Hinblick auf die weitreichende Gravität seiner Entscheidungen am stärksten kollektiv-demokratisch legitimiert ist; das ist im Regelfall der Bundestag, der vom Volk in Wahlen unmittelbar gewählt wird.128 Erst die unmittelbar kollektiv-demokratische Legitimation durch das Legitimationssubjekt befähigt das Parlament, zukunftsorientiert und mit großer Entscheidungsreichweite, in der Regel also allgemeingültig, zu handeln.129 Davon unterscheidet sich der Gemeinsame Ausschuss, der entstehungsgeschichtlich schließlich als Organ der gesetzgebenden Funktion eingesetzt ist130, nicht unwesentlich: Im Ausnahmefall nimmt der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 115e Abs. 1 GG, der selbst allenfalls – und das in verschiedener Intensität – mittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert ist, die Aufgaben des unmittelbar kollektiv-demokratisch legitimierten Bundestages wahr.131 Während der Grad kollektiv-demokratischer Legitimation also sinkt, nimmt die Gravität der Entscheidungswirkung im Verteidigungsfall parallel jedoch zu, da das Notparlament nach Art. 53a Abs. 1 GG in komprimierter Zusammensetzung in einem nach Art. 115d GG gestauchten Gesetzgebungsverfahren über wesent­ liche Fragen des Allgemeinwesens (vor allem in verteidigungspolitischer Hinsicht) entscheidet. Zweifel daran, dass die Legitimation des Gemeinsamen Ausschusses der Bedeutung seiner Entscheidungswirkung entspricht, drängen sich berechtigterweise auf. Lassen sich diese auf der zweiten Stufe bereits ausräumen? Nein, denn zunächst werden die geäußerten Bedenken verstärkt, führt man sich die Voraussetzungen der Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss noch einmal vor Augen: Der Gemeinsame Ausschuss entscheidet nach Feststellung des Verteidigungsfalles selbst, ob dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder ob dieser nicht beschlussfähig ist. Die Selbstinvestitur nach Art. 115e Abs. 1 GG, die die Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses einläutet, stellt eine der umstrittensten Regelungen der Notstandsverfassung dar. Das hat vor allem den Grund, dass jene Selbstinvestitur die Gefahr der unkontrollierten Selbstermächtigung, eines soge-

128 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 503; Horn, in: AöR 127 (2002), S. 427, 450. 129 Grzeszick, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  20 V. Rn.  62; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14 Rn. 504 ff. 130 Siehe zur entstehungsgeschichtlichen Rolle des Gemeinsamen Ausschusses im verfassungsrechtlichen System der Gewaltenteilung S. 36 ff. 131 Siehe dazu ausführlich S. 161 f.

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nannten Staatsstreiches, in sich birgt, was mit dem missbrauchsverhütenden und freiheitssichernden Aspekt der Gewaltenteilung kollidiert.132 Praktisch relevant wird die Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses, wenn man zum einen bedenkt, dass, realistisch betrachtet, der Gemeinsame Ausschuss nicht nur den Beschluss nach Art. 115e Abs. 1 GG, sondern auch den Beschluss nach Art. 115a Abs. 2 GG fasst und die Gefahr einer sogenannten Scheinlegalität des Gemeinsamen Ausschusses real wird.133 Zum anderen spiegelt sich die durch die Selbstinvestitur weiter gesteigerte Gravität der Entscheidungswirkung nicht in dem relativ schwachen Legitimationsniveau des Gemeinsamen Ausschusses wider, sodass die Funktionsübernahme schon im Ausgangspunkt wesentlichen Bedenken begegnet. Intensiviert wird die Gefahr der Scheinlegalität dadurch, dass Kontrollmechanismen wie eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Beschlusses nach Art. 115e Abs. 1 GG und das Aufhebungsrecht von Bundestag und Bundesrat nach Art. 115l Abs. 1 GG erst im Nachgang greifen, das heißt nachdem die Selbstinvestitur und die Maßnahmen im Zuge der Funktionsübernahme erfolgt sind.134 Auf der zweiten Stufe gestaltet sich die Lage daher prekär. Der Gemeinsame Ausschuss verfügt über außerordentliche Notstandsbefugnisse, welche in Friedenszeiten in den Händen von mehr als 598 Funktionsträgern ruhen und ist dabei allenfalls mittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert, weist also bei gesteigerter Bedeutsamkeit seiner Entscheidungswirkung ein Legitimationsdefizit gegenüber dem unmittelbar kollektiv-demokratisch legitimierten Parlament des Normalfalles auf. Hinzu kommt die Möglichkeit zur Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115e Abs. 1 GG, die schon im Ausgangspunkt als misslich empfunden wird und mit der Gefahr der Scheinlegalität verbunden ist. bb) Die ungleichen Legitimationsmodi als Bänkespalter? Die Tatsache, dass die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses je nach verfassungsrechtlicher Herkunft verschieden legitimiert sind und der Gemeinsame Ausschuss nicht über einen eigenen, originären Legitimationsmodus verfügt, eröffnet auf der zweiten Stufe ein weiteres Problemfeld. Die ungleichen Legitimationsmodi drängen auf dieser Stufe die Frage auf, ob demensprechend der Gemeinsame Ausschuss nicht als unabhängiges und eigenständiges Verfassungsorgan zu betrachten und etwa seine Abstimmung im Verteidigungsfall separiert nach Bänken durchzuführen wäre.135 Die verschiedenen Legitimationsmodi würden in diesem Falle als Bänkespalter des Gemeinsamen Ausschusses fungieren.

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Heun, in: Dreier, GG, Art. 115a Rn. 14. Kirchhof, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  115e Rn.  16 f. 134 Kirchhof, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  115e Rn.  18. 135 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 65. 133

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Aufgrund der uneinheitlichen Legitimationssituation im Gemeinsamen Ausschuss und aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestrebens, das Notparlament nur bei Handlungsunfähigkeit des Bundestages nach Art. 115e Abs. 1 GG einzusetzen, könnte eine getrennte Abstimmung in seinen Reihen verfassungsrechtlich geboten sein.136 Über die Wahrnehmung der Notstandsbefugnisse als zusammengesetztes Organ könnte die Beteiligung der Länderinteressen im Ausnahmezustand adäquat gewährleistet werden. Eine getrennte Abstimmung nach Bänken würde in diesem Kontext dann auch vereiteln, dass die Interessen der Länder wegen der 2:1 Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses zu leichtfertig unbeachtet blieben.137 Im Übrigen hätte dies zur Konsequenz, dass im Sinne des Telos der Gewaltenteilung Machtmissbrauch innerhalb der Reihen des Gemeinsamen Ausschusses umso unwahrscheinlicher wäre, je mehr durch getrennte Bänke die intraorganschaftliche Kontrolle des Gemeinsamen Ausschusses gewährleistet werden würde.138 Die zwei Bänke würden sich gegenseitigen Kontrollen gegenübersehen, was eine Kompromissfindung regelmäßig erforderlich machen würde. Letztlich ist dieser Sichtweise aber entschieden entgegen zu halten, dass sie dem Gemeinsamen Ausschuss seine verfassungsrechtlich angestammte Rolle als eigenständiges Verfassungsorgan abspricht.139 Insbesondere die Beibehaltung organschaftlicher Strukturen des Normalfalles  – also die separierte Würdigung von Bundesrat und Bundestag im Gemeinsamen Ausschuss – würde im Verteidigungsfall zum einen weder der Rolle des an die Stelle von Bundestag und Bundesrat tretenden Gemeinsamen Ausschusses gerecht werden, noch eine der Ausnahmesituation entsprechende Entscheidungsfindung bedeuten. Ein einheitliches, eingliedriges Abstimmungsverfahren ist schließlich erforderlich, um im Verteidigungsfall reaktionsfähig zu sein und eine schnelle und effektive Entscheidungsfindung zu garantieren.140 Die rechtliche Gleichstellung aller Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses unabhängig von ihrer Herkunft aus Bundestag oder Bundesrat trägt wesentlich dazu bei, den Herausforderungen des Verteidigungsfalles zu begegnen. Insbesondere die Angleichung der Rechte der Mitglieder aus dem Bundesrat im Hinblick auf ihre Weisungsfreiheit nach Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG macht Länderabsprachen entbehrlich und beschleunigt die einheitliche Entscheidungsfindung im Gemeinsamen Ausschuss.141 Eine aufgespaltene Abstimmung würde auch die Gefahr der Funktionsunfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses als solchem bedeuten, wenn schon eine der Bänke beschlussunfähig wäre bzw. es stellt sich die Frage, wie im Verteidigungsfall adäquat mit einer solchen Situation umzugehen sowie wie bei sich widerspre 136

Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 67; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 157. 137 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 68. 138 In diese Richtung Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 69. 139 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 68. 140 Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 7; differenzierend Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 69. 141 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  9.

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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chenden Beschlüssen beider Bänke zu entscheiden wäre.142 Nur durch die 2:1 Besetzung des Gemeinsamen Ausschusses unter gemeinsamer Abstimmung können zum einen Länderinteressen gehört und kann zum anderem dem Charakter bzw. der historischen Rolle des Gemeinsamen Ausschusses als überwiegend kollektivdemokratisch legitimiertem Notparlament entsprochen werden.143 Der parlamentarische Charakter des Notorgans steht eindeutig im Vordergrund.144 Ein Problem der Gewaltenteilung stellt die zusammengesetzte Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses jedenfalls nicht dar. cc) Zusammenfassung Zwar lassen sich gegen die ungleichen Legitimationsmodi als Bänkespalter des Gemeinsamen Ausschusses gewichtige Argumente in Position bringen. Jedoch gerät auf der zweiten Stufe des Maßstabs die Vereinbarkeit der Notstandsbefugnisse mit dem Prinzip der Gewaltenteilung an ihre Grenzen. Den legitimatorischen Anforderungen, die die Gewaltenteilung angesichts ihres freiheitssichernden Aspekts auf der zweiten Stufe aufstellt, wird nur in Teilen Genüge getan, weil sich die gesteigerte Bedeutsamkeit der Entscheidungswirkung nicht auf der Legitimationsebene widerspiegelt. Im Gegenteil: Der Gemeinsame Ausschuss übernimmt in komprimierter Zusammensetzung wesentliche Befugnisse des unmittelbar kollektiv-demokratisch legitimierten Parlaments des Normalfalles und ist selbst allenfalls mittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert. Verfestigt werden diese Bedenken durch die Möglichkeit der Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115e Abs. 1 GG und durch die damit verbundene Gefahr seiner Scheinlegitimität. Dass im Falle des Gemeinsamen Ausschusses nicht von einer unmittelbar kollektiv-demokratischen Legitimation die Rede sein kann, bedeutet zwar nicht zwangsläufig ein unzureichendes Schutzniveau, was die Freiheitssicherung des Einzelnen auf der zweiten Stufe des Maßstabs der Gewaltenteilung anbelangt; denn zum einen lässt sich – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – von einer ununterbrochenen Legitimationskette sämtlicher Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses sprechen. Zum anderen ist die Freiheitssicherung des Einzelnen kein absolutes Interesse, erst recht nicht im Verteidigungsfall. Jedoch betrifft die Frage nach einem Ausgleich der verschiedenen Motive der Gewaltenteilung – der Trias im Sinne der Verhütung von Machtmissbrauch, der Freiheitssicherung und der effizienten Aufgabenwahrnehmung – die vierte Stufe des Maßstabs. Das heißt: Entspricht die kompetenzielle Ausstattung des Gemeinsamen Ausschusses auf der zweiten Stufe nicht seinem Legitimationsmodus, kann die Einsetzung des

142

Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 67; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 157. 143 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  6. 144 Stern, StaatsR II, § 28 II 4.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Gemeinsamen Ausschusses nach sorgfältiger Abwägung mit dem Telos der Gewaltenteilung dennoch mit dem Prinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vereinbar sein. c) Stufe III: Funktionsadäquate Organstruktur im Verteidigungsfall Zuvor erfordert das Prinzip der Gewaltenteilung auf der dritten Stufe die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall im Sinne funktionsadäquater Aufgabenwahrnehmung. Das impliziert die personelle, die verfahrensmäßige und die instrumentelle Eignung des Organs in Ausübung seiner Kompetenzen. Es muss dementsprechend gefragt werden, ob die in Rede stehenden Notstandsbefugnisse von den betreffenden Funktionsträgern gemessen an der Funktionenadäquanz effektiv wahrgenommen werden können. An erster Stelle steht die Frage nach der personellen Geeignetheit des Gemeinsamen Ausschusses zur effizienten Aufgabenwahrnehmung seiner Notstandsbefugnisse: Wieso entschied sich der Verfassungsgeber für ein exakt 48-köpfiges Notparlament bzw. gewährleistet nun jene Größe eine funktionsadäquate Aufgabenwahrnehmung (aa))? Des Weiteren sind die vom Normalfall abweichenden Verfahrensvorschriften des Gemeinsamen Ausschusses, insbesondere seine Beschlussfassung und das Erfordernis punktueller ⅔-Mehrheiten sowie seine nicht öffentliche Beratung, einer Überprüfung am Prinzip der Gewaltenteilung auf der dritten Stufe im Hinblick auf seine verfahrensmäßige Geeignetheit zu unterziehen (bb)). In Zeiten moderner Kommunikationsmedien und der während der CoronaPandemie aufkeimenden Debatte um digitale Parlamentssitzungen145 muss im Rahmen effektiver Aufgabenwahrnehmung aber auch die Frage gestellt werden, ob das Parlament des Normalfalles unter Nutzung eben dieser Medien nicht verfahrensmäßig wie instrumentell ebenso effektiv zur Krisenbewältigung im Verteidigungsfall geeignet wäre (cc)). aa) Die personelle Eignung von 48 Funktionsträgern Im Großen und Ganzen stellt der Gemeinsame Ausschuss ein gegenüber dem Parlament des Normalfalles signifikant komprimiertes Notparlament dar, mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit der gesetzgebenden Funktion auch in absoluten Ausnahmesituationen gewährleisten und Notstandsbefugnisse effizient ausüben zu können. Denn von der Funktionsfähigkeit eines mehr als 598-köpfigen Parlaments ist nicht auszugehen, wenn man diejenigen Sachverhalte vor Augen hat, die den Verteidigungsfall nach Art. 115a Abs. 1 GG auszulösen vermögen: eine Vielzahl von Toten und Verletzten sowie die Zerstörung bedeutender Sachwerte durch einen bewaffneten Angriff von außen, außer Funktion gesetzte Infrastruktur, eine 145

Siehe dazu im Folgenden insbesondere S. 220 ff.

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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anhaltende Bedrohungslage von außen durch atomare, chemische und biologische Waffen etc. Problematisch ist in diesem Kontext vor allem die physische und pünktliche Versammlung derart vieler Abgeordneter an einem Ort. Die Einsetzung des Parlaments des Normalfalles wäre in diesen Fällen schlechterdings funktionsinadäquat. Demgegenüber leuchtet die Einsetzung eines Notparlaments, das in komprimierter Zusammensetzung über Wesentliches im Verteidigungsfall entscheidet, angesichts effizienter und parlamentarischer Krisenbewältigung ein. Dass es dafür einer 48-köpfigen Besetzung des Gemeinsamen Ausschusses bedarf, liegt gleichwohl nicht auf der Hand. Jedenfalls im internationalen Vergleich liegt das deutsche Notparlament damit in der Norm: Im Schnitt verfügen Notparlamente über 20 bis 50 Mitglieder.146 Welche Erwägungen ließen also die Wahl auf ein 48-köpfiges Notparlament fallen? Während der Erste Regierungsentwurf von 1960 die Beteiligung eines Notparlaments ohnehin nicht in Betracht zog, wurde in den sich anschließenden Parlamentsdebatten aus den Reihen der SPD die Beteiligung eines 22-köpfigen Notparlaments in Anlehnung an die Größe des früheren Vermittlungsausschusses angestrengt.147 Der Gedanke, sich an der Größe des Vermittlungsausschusses zu orientieren, war sodann auch in den Beratungen des Bundesrates prägend.148 Die Vorstellung eines Notparlaments, bestehend aus kaum mehr als zwei Dutzend Mitgliedern, setzte sich im Zweiten Regierungsentwurf von 1962 durch und sah eine Besetzung mit 20 Bundestagsabgeordneten und zehn Bundesratsmitgliedern vor.149 Dabei war nicht nur die zahlenmäßige Vergleichbarkeit mit dem Vermittlungsausschuss maßgeblich, sondern auch der Gedanke, nicht wesentlich mehr Mitglieder in einem Notparlament zu versammeln als etwa eine reaktionsfähige Regierung in der Krise hätte.150 Denn für beide Konstellationen – die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments oder der Bundesregierung mit einem Notverordnungsrecht – gilt: Ist in Friedenszeiten die Langwierigkeit politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung verfassungsrechtlich geboten, sind die Beteiligung und die Einwirkungsmöglichkeiten vieler im Notstand ein Problem.151 Das Spannungsfeld von Dringlichkeit und Langwierigkeit legislativer Entscheidungsfin-

146

Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 151. Erste Beratung des Bundestages, 124. Sitzung am 28. 09. 1960, Sten. Ber. S. 7183. Zum Zeitpunkt der Debatten um die Einführung einer Notstandsverfassung galt das Grundgesetz in elf Bundesländern, sodass sich die heutige 32-köpfige Besetzung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. § 1 GO VermAussch erst mit der Wiedervereinigung ergab. 148 Erster Durchgang im Bundesrat, 215. Sitzung am 26. 02. 1960, Sten. Ber. S. 304. 149 Zweiter Regierungsentwurf, BT-Drucks. IV/891. 150 Grundsatzaussprache über die Notstandsgesetze im Bundesrat, 251. Sitzung am 29./ 30. 11. 1962, Sten. Ber. S. 220. 151 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 80; nach Boehme-Neßler, in: DÖV 2021, S. 243, 244 ist das Parlament zwar dazu eingesetzt, bedacht und mit einer gewissen Langwierigkeit verbunden im Normalfall zu beraten, allerdings hat das nicht zur Konsequenz, dass das Parlament im Verteidigungsfall nicht auch effektiv und dringlich beraten kann. 147

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

dung, das für den Notstand charakteristisch ist152, wurde konkret in Gestalt des Art. 53a Abs. 1 GG zu Gunsten eines 48-köpfigen Notparlaments aufgelöst. Die komprimierte Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses ermöglicht es, dass auch ein Parlament anstelle einer zahlenmäßig überschaubaren und dadurch extrem handlungsfähigen Exekutive die wesentlichen Entscheidungen im Verteidigungsfall fällen kann.153 Entscheidet man sich für ein 48-köpfiges Notparlament, muss man sich im Hinblick auf die personelle Geeignetheit aber auch der Frage stellen, ob ein derart kleines Organ mit der Entscheidung über wesentliche Maßnahmen, die im Normalfall mindestens 598 Abgeordnete und Mitglieder des Bundesrates tragen und treffen, überbeansprucht würde.154 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die funktionsadäquate Aufgabenwahrnehmung im Verteidigungsfall mit der adäquaten Ausübung seiner Informationsrechte und der Abhaltung seiner Informationssitzungen nach Art. 53a Abs. 2 GG vor dem Verteidigungsfall einhergeht. Im Besonderen besteht nach Art. 115c GG in Friedenszeiten die Möglichkeit des Bundes zur Vorsorgegesetzgebung für den Verteidigungsfall, um die gesetzgebende Funktion in der Krise zu entlasten.155 In Friedenszeiten sollen die Gesetzgebungsorgane jedenfalls diejenigen Maßnahmen für den Verteidigungsfall treffen, die sich im Vorhinein schon als notwendig abschätzen lassen und jene ohne kriegsbedingten Zeitdruck beraten und beschließen.156 Dass die persönliche parlamentarische Verantwortlichkeit von dem jeweiligen Funktionsträger im Gemeinsamen Ausschuss gegebenenfalls als gesteigert wahrgenommen wird, mag zwar auch seiner komprimierten Zusammensetzung, aber vor allem dem Ausnahmezustand geschuldet sein bzw. die gesteigerte persönliche Verantwortlichkeit ist diesem immanent und durch den Verfassungsgeber nur eingeschränkt regulierbar. Personell ungeeignet ist die 48-köpfige Besetzung des Gemeinsamen Ausschusses jedenfalls nicht. bb) Die verfahrensmäßige Eignung nach den Regeln der GO GA Die funktionsadäquate Organstruktur impliziert neben der personellen Eignung die Notwendigkeit, dass dasjenige Organ die Notstandsbefugnisse wahrnimmt, welches gleichzeitig auch eine verfahrensmäßig und instrumentell geeignete Ausübung dieser hoheitlichen Befugnisse gewährleisten kann. Der Verteidigungsfall fordert von einem Notparlament im Allgemeinen und dem Gemeinsamen Ausschuss im Besonderen Reaktionsfähigkeit sowie Effizienz und Entschlussfreudig 152

Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 80. Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 77. 154 Kritisch in diese Richtung auch Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 231. 155 Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 108. 156 Epping, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 115c Rn. 12; in der Vergangenheit oft kritisch als sog. Schubladengesetze bezeichnet. 153

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keit, wenn dieser in Zeiten größter Not die Kompetenzen von Bundesrat und Bundestag gem. Art. 115e Abs. 1 GG einheitlich übernimmt. Besondere Vorschriften über die nicht öffentliche Beratung, Beschlussfähigkeit sowie Beschlussfassung und Selbstorganisation im Gemeinsamen Ausschuss aus der Notstandsverfassung und vor allem der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses sollen de jure für eine verfahrensmäßig geeignete Aufgabenwahrnehmung im Verteidigungsfall sorgen. Der Grundsatz der nicht öffentlichen Beratung Gem. § 10 S. 1 GO GA berät der Gemeinsame Ausschuss grundsätzlich nicht öffentlich. Dies bezieht sich auf sämtliche Beratungen, das heißt neben den Beratungen und Abstimmungen im Verteidigungsfall auch auf die Informationssitzungen in Friedenszeiten. Was für das Parlament des Normalfalles mit Blick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG so nicht gangbar ist, kann für den Gemeinsamen Ausschuss gerade im Verteidigungsfall das Mittel der Wahl sein, um sensible verteidigungspolitische Informationen vor allem aus den Reihen der Bundesregierung vor Preisgabe zu schützen.157 Das nicht öffentliche Verfahren ermöglicht die geheime, insbesondere von den Augen des Angreifers abgeschirmte Beratung und gewährleistet so eine unabhängige und reaktionsfähige Entscheidung wesentlicher Maßnahmen zur Krisenbewältigung. Insofern liegt der Ausschluss der Öffentlichkeit also auf der Linie funktionsadäquater Organstruktur im Verteidigungsfall. Allerdings ist schon die Verfassungsmäßigkeit eines generellen Öffentlichkeitsschutzes nicht unproblematisch, tritt der Gemeinsame Ausschuss doch gem. Art. 115e Abs. 1 GG an die Stelle von Bundesrat und Bundestag, die nur im Ausnahmefall die Öffentlichkeit ausschließen können.158 So lange Bundesrat und Bundestag im Verteidigungsfall funktionsfähig sind – was den verfassungsrechtlichen Normalfall darstellt –, gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit als demokratisches Prinzip nach Art. 42 Abs. 1, Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG: Grundsätzlich sollen gegenüber dem legitimierenden Staatsvolk parlamentarische Beratungen gem. Art. 20 Abs. 1, 2 S. 1 GG öffentlich erfolgen. Eine heimliche Krise ist der Notstand schließlich nicht.159 In der Tat, eine heimliche Krise ist der Notstand nicht, ein Ausverkauf sensibler Informationen an den Angreifer im Sinne von Art. 115a Abs. 1 GG jedoch ebenso 157

von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  12. Denn auch bzw. gerade im Verteidigungsfall ist die Öffentlichkeit bedeutendes Kontrollelement, dazu Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 224, 226 f.; gleichfalls kritisch Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 234; Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 138. 159 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 50 Fn. 2; die nicht öffentliche Beratung des Gemeinsamen Ausschusses wurde bereits in „Fallex 66“ erprobt, was die Kritiker geheimer Beratung nicht besänftigen konnte, im Gegenteil, dazu auch Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 137; Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 226. 158

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

wenig, sodass dem Demokratieprinzip und seinem Öffentlichkeitsgrundsatz nicht ausnahmslos Absolution und Vorrang einzuräumen sind – weder bei Funktionsfähigkeit von Bundestag und Bundesrat im Verteidigungsfall noch bei Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss.160 Die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses reagiert auf diesen Umstand mit einem ausdifferenzierten System, die Öffentlichkeit zu beteiligen bzw. auszuschließen: Während gem. § 10 S. 1 GO GA die Publikumsöffentlichkeit grundsätzlich ausgeschlossen ist, wird die Parlamentsöffentlichkeit eingeschränkt aufrecht erhalten (Abgeordnete dürfen zwar an solchen Sitzungen teilnehmen, für die das Publikum ausgeschlossen ist, aber nicht an geheimen Sitzungen sowie den Informationssitzungen); die Regierungsöffentlichkeit gilt demgegenüber grundsätzlich uneingeschränkt. Für die Publikumsöffentlichkeit gilt in besonderem Maße, dass jene durch die nicht öffentlichen Beratungen verteidigungspolitischer Inhalte im Gemeinsamen Ausschuss zu Gunsten effektiver und reaktionsfähiger Krisenbewältigung eingeschränkt wird.161 Die verfahrensmäßige Eignung dieser Regelung manifestiert sich in der Tatsache, dass neben der praktischen Durchführbarkeit die Beteiligung der Publikumsöffentlichkeit angesichts der Information an den Angreifer ein immenses Problem für die Effektivität der Maßnahmen darstellen würde.162 Dabei kann die Verfassungsmäßigkeit des Öffentlichkeitsausschlusses im Verteidigungsfall nicht ernsthaft angezweifelt werden, wäre die Verfassung doch vielmehr angreifbar, wenn die ihrer Natur nach publikumsfeindlichen Sitzungen öffentlich wären; schließlich geht es um die Verteidigung des Innersten.163 Ferner kann der Öffentlichkeitsgrundsatz seine sichernde und klärende Funktion im Verteidigungsfall ohnehin nicht entfalten, da der Gemeinsame Ausschuss unter Sicherheitsvorkehrungen an geheimen Orten tagen wird.164 Zweck und Nutzen der Öffentlichkeitsbeteiligung klaffen in diesem Fall weit auseinander. Es sind also neben der Information des Angreifers vor allem die äußeren Umstände des militärischen Konfliktes im Sinne von Art. 115a Abs. 1 i. V. m. Art. 115e Abs. 1 GG, die die Öffentlichkeitsbeteiligung unmöglich machen und letztlich auf dieser tatsächlichen Ebene rechtfertigen können sowie die verfahrensmäßige Eignung von § 10 S. 1 GO GA unterstreichen.165 160

Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 52; wohl a. A. Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 138, 141, der davon ausgeht, dass der Gemeinsame Ausschuss die Öffentlichkeit nur ausschließen dürfe, sofern Bundestag und Bundesrat dies auch können. Bundestag und Bundesrat können die Öffentlichkeit verfassungsmäßig gem. Art. 42 Abs. 1 S. 2, Art. 52 Abs. 3 S. 4 GG ausschließen (wenn auch nur nach gesonderter Beschlussfassung darüber), sodass der grundsätzliche Öffentlichkeitsausschluss im Gemeinsamen Ausschuss nicht zu einem Systembruch gegenüber Bundesrat und Bundestag führt, die bei Funktionsfähigkeit im Verteidigungsfall in der Regel agieren. 161 Lenz, Notstandsverfassung, Art. 53a Rn. 12. 162 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 82. 163 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 52; wohl a. A. Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 138, 141. 164 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  53. 165 Delbrück, in: DÖV 1970, S. 229, 234.

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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Für den Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit ist hingegen ein anderer Maßstab anzulegen. Hier sticht das Argument nicht, die Öffentlichkeit müsse, um dem Angreifer sensible Informationen vorzuenthalten, ausgeschlossen werden. Die Gefahr, andernfalls das Innerste nach außen zu kehren, geht bei der Beteiligung der Bundesregierung nicht mit einher. Daher ist den Regierungsmitgliedern gem. § 11 Abs. 2 GO GA grundsätzlich zu jeder Zeit Zutritt zu den Beratungen des Gemeinsamen Ausschusses zu gewähren. Ob § 11 Abs. 3 GO GA auch den Ausschluss der Regierungsmitglieder ermöglicht und eine verfahrensgeeignete Regelung darstellt, steht auf einem anderen Blatt. Für ein reaktionsfähiges, effizientes und entschlussfreudiges Verfahren kann es grundsätzlich adäquat sein, auch diejenige Öffentlichkeit auszuschließen, die zwar nicht die Gefahr der Information des Angreifers birgt, sich aber dennoch als Fremdkörper im Notparlament präsentiert. Zwingend geboten ist dieser Ausschluss jedenfalls nicht. Problematischer ist hingegen die Frage, ob der Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit auch mit dem Telos der Gewaltenteilung vereinbar ist, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsverhütung. Schließlich führt der Ausschluss zu einem niedrigeren Grad an Kontrolle im Gemeinsamen Ausschuss. Dies gilt es auf der vierten Stufe zu klären. Die Beschlussfassung mit einfacher und qualifizierter Mehrheit Neben § 10 GO GA sind die Regeln über die Beschlussfassung im Gemeinsamen Ausschuss wesentlich für die Bewertung funktionsadäquater Ausgabenwahrnehmung im Verteidigungsfall. Gem. § 13 Abs. 1 GO GA fasst der Gemeinsame Ausschuss seine Beschlüsse mit einfacher Abstimmungsmehrheit, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Diese Regelung sichert die Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses in der Krise, da sie gegenüber Art. 52 Abs. 3 GG die entschlussfreudigere Regel darstellt.166 Es bedarf lediglich – die Beschlussfähigkeit nach § 12 GO GA vorausgesetzt – mehr abgegebener Ja- als Nein-Stimmen. Auf Enthaltungen und auf die Stimmen Abwesender kommt es nicht an, was in Zeiten größter Not eine reaktionsfähige und effiziente Abstimmung ermöglicht und daher funktionsadäquat ist. Entschlussfreudiger bedeutet in diesem Kontext jedoch nicht missbrauchssicherer, denn auf Grundlage von § 13 Abs. 1 GO GA bestünde die Gefahr, dass im Verteidigungsfalle Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses andere Mitglieder von ihrer Stimmabgabe versuchen würden abzuhalten, um auf diese Weise Mehrheiten zu sichern.167 Steht auf der dritten Stufe die Frage nach der funktionsadäquaten Aufgabenwahrnehmung im Mittelpunkt, so stellt sich erst auf der vierten Stufe des Maßstabs die Frage nach der Absicherung der Verfahrensvorschriften vor Machtmissbrauch.

166 167

Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  61 f. Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  62.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Eine Einschränkung der entschlussfreudigen einfachen Abstimmungsmehrheit stellt das Erfordernis qualifizierter ⅔-Stimmen- und Mitgliedermehrheiten für wesentliche Beschlüsse dar. Dazu gehören die Feststellung des Verteidigungsfalles gem. Art. 115a Abs. 2 GG, die Feststellung, dass dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder dass er nicht beschlussfähig ist gem. 115e Abs. 1 GG und die Wahl eines neuen Bundeskanzlers nach 115h Abs. 2 GG. Die Entscheidung des Verfassungsgebers ist an der Stelle logische Konsequenz der Gewaltenteilung168, denn grundsätzlich dienen ⅔-Mehrheiten als Schranke für Machtmissbrauch169 und verhindern mit Blick auf den Gemeinsamen Ausschuss etwa die missbräuchliche Feststellung des Verteidigungsfalles oder die Ausübung weitreichender Notstandsbefugnisse gegen bzw. ohne den Willen der Opposition.170 Dadurch entsteht in einigen Punkten ein nicht ganz unproblematischer Zwang zur Kooperation, da wesentliche Entscheidungen, möglicherweise vor allem im verfassungsrechtlichen Verteidigungsfall, von der Mehrheit und von Teilen der Opposition zu tragen sind – unterstellt die Mehrheit macht nicht ohnehin ⅔ aus.171 Dabei ist aber auch klar, dass die Entscheidung für die Absicherung über eine qualifizierte Mehrheit eine Entscheidung gegen die entschlussfreudige und reaktionsfähige Verfahrensweise des Gemeinsamen Ausschusses ist. Das führt an dieser Stelle dazu, die Funktionenadäquanz dieser Verfahrensvorschriften anzuzweifeln. Die Beurteilung der Vereinbarkeit des Erfordernisses von ⅔-Mehrheiten mit dem Prinzip der Gewaltenteilung endet indes nicht an dieser Stelle. Genügen diese Verfahrensvorschriften unter sorgfältiger Gesamtabwägung dem Telos der Gewaltenteilung auf der vierten Stufe, sind die Einschränkungen auf der dritten Stufe legitim und damit verfassungsmäßig. cc) Die instrumentelle Eignung bzw. Digitalisierung des Verfahrens Im Sinne des Maßstabs der Gewaltenteilung auf der dritten Stufe muss der Gemeinsame Ausschuss nicht nur personell, verfahrensmäßig und instrumentell zur Bewerkstelligung der Notstandsbefugnisse geeignet sein, sondern die sachgerechteste und optimale Besetzung dieser Funktion darstellen. Zur instrumentellen Geeignetheit zählt bei adäquater Betrachtungsweise auch die Möglichkeit zur technischen Verfahrensweise bzw. Digitalisierung des Verfahrens mit dem Ziel ef 168

Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 208. Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 215, wenn auch mit diesem Quorum missbräuchliche Konstellationen denkbar sind, dazu S. 213 f. 170 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 209; demgegenüber ist es aber auch erforderlich, dass die Opposition im Verteidigungsfall nicht „Opposition aus Prinzip“ betreibt und Entscheidungen i. S. d. Krisenbewältigung grundsätzlich zugänglich ist, so Kirchheimer, Politik und Verfassung, S. 123. 171 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 212; zur Gefahr, dass sich aus jenem Zwang zur Kooperation bzw. Koalitionsbildung ein missbrauchsanfälliges Machtkartell bilden könnte Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 42 sowie Vorgenannter, S. 214. 169

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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fizienter Aufgabenwahrnehmung im Verteidigungsfall. Dahinter verbirgt sich eine Frage, die die Funktionenadäquanz des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall erheblich anzuzweifeln vermag: Ermöglicht ein virtuell bzw. hybrid tagender Bundestag gegenüber einem verkleinerten Notparlament nicht eine adäquate Aufgabenwahrnehmung im Verteidigungsfall und bedeutet zugleich weitaus weniger Beschneidung von Abgeordnetenrechten, Elementen öffentlicher Demokratie etc.?172 Dann muss aber – die Verfassungsmäßigkeit virtueller Anwesenheit der Abgeordneten unterstellt173 – die digitale bzw. hybride Verfahrensweise eines mehr als 598-köpfigen Bundestages vor dem Hintergrund effizienter Krisenbewältigung genauso effektiv sein wie die Tagung eines 48-köpfigen Notparlaments. Zwar wird, erstens, bei digitaler Verfahrensweise verhütet, dass die wenigen physisch anwesenden Abgeordneten für die Beschlussfähigkeit des Bundestages unzureichend wären und diejenigen, die anwesend sind, die Mehrheitsverhältnisse des Parlaments verzerren könnten.174 Und zweitens erleichtert die virtuelle Tagungsweise die Zusammenkunft vieler in für den Verteidigungsfall typischen kriegsähnlichen Krisensituationen. Allerdings ist äußerst fraglich, ob damit gleichfalls eine schnelle und effektive Krisenbewältigung verbunden sein kann. Dies ist wohl zweifelhaft, wenn man sich vor Augen führt, dass durch die virtuelle bzw. hybride Verfahrensweise zwar die grundsätzliche Teilhabe vieler Abgeordneter ermöglicht wird. In letzter Konsequenz fehlt es aber der virtuellen Tagung an einer Verfahrensweise, die in ihrer Effizienz mit der des Gemeinsamen Ausschusses vergleichbar ist. Die schnelle Verfahrensweise im Sinne komprimierten Vorschlagens, Vortragens, Beratens und Abstimmens ist auch in virtueller bzw. hybrider Sitzung bei Hunderten von Abgeordneten erschwert bzw. nicht mit der Verfahrensweise eines 48-köpfigen Notparlaments vergleichbar. Schließlich geht es im klassischen Verteidigungsfall nicht wie etwa in der Corona-Pandemie darum, ein Infektionsrisiko durch die virtuelle Sitzung zu umgehen, sondern um eine effektive Verfahrensweise zur schnellen Reaktionsfähigkeit des Parlaments, die aber auch virtuell bei Hunderten von Abgeordneten erschwert bleibt.175 Vermittelnd ließe sich zwar die Position einnehmen, dass die Feststellung des Verteidigungsfalles gem. Art. 115a Abs. 1 GG noch in funktionsadäquater Weise virtuell durch den Bundestag erfolgen könnte, sofern die Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss in einem zweiten Schritt nach Art. 115e Abs. 1 GG dennoch  – das heißt auch bei virtueller Tagung des Bundestages  – möglich wäre. Dies ist aber insofern unpraktikabel, als in den Situationen, die den Verteidigungsfall auslösen, realistisch betrachtet beide Beschlüsse, das heißt 172

Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272, 275. Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 104. 174 Diese Argumentation verfolgen auch Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der CoronaKrise, S. 101 i.H.a. die Behinderung der Arbeitsweise des Parlaments in der Corona-Pandemie. 175 Siehe zur virtuellen Sitzung in der Corona-Pandemie S. 222 f. 173

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

der nach Art. 115a Abs. 2 und jener nach Art. 115e Abs. 1 GG, vom Gemeinsamen Ausschuss gefasst würden.176 Letztendlich stellt der virtuell tagende Bundestag gegenüber dem Gemeinsamen Ausschuss keine funktionsgerechtere Lösung dar, jedenfalls hinsichtlich der vom Verteidigungsfall eingefassten Situationen. Die komprimierte Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses ist funktionsadäquat und kann daher gegenüber einem mehr als 598-köpfigen virtuellen Plenum überzeugen. dd) Zusammenfassung Will man beurteilen, ob die Notstandsbefugnisse im Verteidigungsfall durch den Gemeinsamen Ausschuss funktionsadäquat wahrgenommen werden, gilt es, sich die personelle, die verfahrensmäßige und die instrumentelle Eignung des Notparlaments vor Augen zu führen. Die personelle Geeignetheit ist in erster Linie von der 48-köpfigen Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses abhängig. Inspiriert von der Größe des Vermittlungsausschusses und dem Gedanken, ein Notparlament nicht stärker als eine reaktionsfähige Regierung zu besetzen, sind 48 Funktionsträger geeignet, in der Krise reaktionsfähig und effektiv ihrer gesetzgebenden Funktion zu entsprechen.177 Darüber hinaus gestalten sich auf der dritten Stufe die Regelungen über den Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit nach § 10 S. 1 GO GA und über die Beschlussfassung mit einfacher Abstimmungsmehrheit im Sinne von § 13 Abs. 1 GO GA als verfahrensgeeignet. Im Übrigen würde auch die Möglichkeit digitaler Sitzungen des Bundestages nichts an der personellen, verfahrensmäßigen und instrumentellen Eignung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall ändern. Unter dem Strich gestaltet sich in Zeiten größter Not ein 48-köpfiges Notparlament stets reaktionsfähiger, effektiver und entschlussfreudiger als ein (virtuelles) Plenum mit mehr als 598 Abgeordneten. Demgegenüber ist das Erfordernis qualifizierter ⅔-Stimmen- und Mitgliedermehrheiten für wesentliche Beschlüsse auf der dritten Stufe wenig funktionsadäquat. Diese Regelungen sind insofern nicht verfahrensgeeignet als sie gegenüber der Regelung des § 13 Abs. 1 GO GA weniger entschlussfreudig sind, was sich mit Blick auf die drängenden Umstände des Verteidigungsfalles als problematisch gestaltet. Ähnlich problematisch gestaltet sich das Bestreben, Regierungsmitglieder gleich der Publikumsöffentlichkeit von den Beratungen nach § 11 Abs. 3 GO GA 176

Dazu Kirchhof, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  115e Rn.  16 f. Ob sich auch die Erprobung eines 44-köpfigen Notparlaments während der NATO-Übung „Fallex 66“ positiv auf die Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses i. S. d. Dritten Regierungsentwurfes auswirkte, wird unterschiedlich beurteilt, dazu z. B. Erste Beratung des Bundestages, 117. Sitzung am 29. 06. 1967, Sten. Ber. S. 5858, kritisch zur Erprobung des Notparlaments während der NATO-Übung, S. 5872. 177

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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auszuschließen. Offen bleibt daher, ob die Möglichkeit, Regierungsmitglieder nach § 11 Abs. 3 GO GA von den Beratungen auszuschließen sowie das Erfordernis qualifizierter ⅔-Mehrheiten, mit dem Telos der Gewaltenteilung auf der vierten Stufe vereinbar sind, insbesondere in ausgewogenem Maße auch der Missbrauchsverhütung dienen respektive über diese zu rechtfertigen sind. d) Stufe IV: Vereinbarkeit der Notstandsbefugnisse mit dem Telos der Gewaltenteilung – Abwägung Auf der vierten und damit letzten Stufe des Maßstabs müssen die Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände im Einklang mit dem Telos der Gewaltenteilung stehen. Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch den Gemeinsamen Ausschuss im Verteidigungsfall hat sich also in dem durch die Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung geschaffenen Rahmen zu bewegen. Gerade in Zeiten äußerster Not kann es für die Gewährleistung einer flexiblen und reaktionsfähigen Krisenbewältigung geboten sein, der effektiven Aufgabenwahrnehmung gegenüber dem missbrauchsverhütenden Motiv der Gewaltenteilung den Vorrang einzuräumen. Grundvoraussetzung ist sicherlich ein ausreichendes Maß an Kontrollmechanismen, die vor Machtmissbrauch absichern und die es mit einem etwaigen Kompetenzzuwachs abzuwägen gilt. Mit Blick auf die vorstehend beschriebene Trias ergeben sich verschiedene Problemfelder auf der vierten Stufe, die sich teils bedingen, teils unabhängige Fragestellungen aufwerfen. Die ersten beiden Problemfelder knüpfen an die entstehungsgeschichtliche Rolle des Gemeinsamen Ausschusses an. So soll die Einsetzung eines Notparlaments aufgrund der klaren Abkehr vom „verbrannten“ Notverordnungsrecht der Exekutive in abstracto mit dem Telos der Gewaltenteilung vereinbar sein und selbst bei kritischer Betrachtungsweise jedenfalls als das kleinere Übel gelten.178 In diesem Kontext bedarf es daher zunächst der Klärung der Frage, ob mit der Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses nicht per se ein legislatives Machtübergewicht verbunden ist, was der Verhütung von Machtmissbrauch gleichermaßen widersprechen würde wie das Notverordnungsrecht der Exekutive (aa)). Verneint man ein legislatives Machtübergewicht durch die Einführung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall, soll mit Art. 53a GG dann aber nicht nur eine Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive auf dem Papier verbunden sein, sondern auch de facto die Befugnisse von Gemeinsamem Ausschuss und Bundesregierung in einem ausbalancierten Verhältnis zueinander stehen (bb)). Die Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive hin zur parlamentarischen Krisenbewältigung wird im Wesentlichen durch die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 GG verfestigt, was zwei weitere 178

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 12; ähnlich auch Stern, StaatsR II, § 28 II 4.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Problemfelder eröffnet. Charakteristisch für den Gemeinsamen Ausschuss ist nach Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG die Inkompatibilität von Regierungszugehörigkeit und Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss. Erfolgt der Ausschluss der Regierungsmitglieder also im Rahmen der Trias der Gewaltenteilung bzw. welche Umstände können im Verteidigungsfall gegenüber dem Normalfall angeführt werden, um die Inkompatibilität von Regierungsmitgliedschaft und Parlamentszugehörigkeit zu rechtfertigen (cc))? Abgesehen von dem Ausschluss der Regierungsmitglieder ist die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses durch die Beteiligung der Bundesratsmitglieder geprägt. Dabei führt ihre Beteiligung zu einer Verschiebung der Stärkeverhältnisse gegenüber dem Parlament im Normalfall. Vor dem Hintergrund seiner entstehungsgeschichtlichen Einsetzung als Notparlament bedarf diese Tatsache ebenso einer teleologischen Rechtfertigung (dd)). Schließlich gilt es nicht nur diejenigen Inhalte am Telos der Gewaltenteilung zu messen, die bereits dem Maßstab der Gewaltenteilung auf den ersten drei Stufen standhalten konnten. Für den Maßstab auf der vierten Stufe ist vielmehr charakteristisch, dass Kompetenzen, die auf den ersten Stufen nicht den Anforderungen der Gewaltenteilung genügen, einer teleologischen Rechtfertigung auf der vierten Stufe zugänglich sind. Es ist die bereits auf der zweiten Stufe aufgeworfene Frage nach der verfassungsmäßigen Rechtfertigung des Legitimationsdefizits zu klären. Ist das niedrige Legitimationsniveau der Funktionsträger im Gemeinsamen Ausschuss bei gleichzeitig steigender Gravität der Entscheidungswirkung zu Gunsten der Verhütung von Machtmissbrauch und einer effizienten Aufgabenwahrnehmung zu rechtfertigen (ee))? Mit Blick auf die dritte Stufe bedarf es sodann einer teleologischen Rechtfertigung der zuvor aufgezeigten verfahrensmäßigen Defizite (ff)). aa) Kein legislatives Machtübergewicht Das erste Problemfeld auf der vierten Stufe des Maßstabs macht es erforderlich, noch einmal die historische Perspektive einzunehmen: Mit der Konstituierung des Gemeinsamen Ausschusses war die Abkehr von einem Notverordnungsrecht der Exekutive hin zur parlamentarischen Krisenbewältigung besiegelt. Vor dem historischen Kontext, insbesondere dem uneingeschränkten Verordnungsrecht der Exekutive in der Weimarer Republik unter Ausdehnung des Art. 48 Abs. 2 WRV, scheint die durch das Grundgesetz herbeigeführte Lösung nun rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen und Machtmissbrauch im Ausnahmezustand vorzubeugen. Dementsprechend ist zwar de jure der Notstand nicht mehr die Stunde der Exekutive, auszuschließen ist demgegenüber dann aber auch, dass die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses nicht ins Gegenteil umschlägt und mit einem legislativen Machtübergewicht im Verteidigungsfall verbunden ist. Fakt ist, dass unabhängig davon, wie die Notstandsbefugnisse des Gemeinsamen Ausschusses ausgestaltet sind, das Notparlament im Verteidigungsfall eine zentrale Rolle spielt. Dabei ist die „[…] Stellung der Legislative im Staatsnotstand […]

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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nicht die des unumschränkten ‚Herrn‘ gegenüber Regierung und Rechtsprechung, sondern die des mitverantwortlichen Partners, der seine rechtmäßigen Pflichten auch unter erschwerten Bedingungen wahrzunehmen sucht.“179 Hinter der Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses steht also das Miteinander der staatlichen Akteure und keinesfalls die Absolution des Notparlaments im Sinne seiner Alleinherrschaft. Insofern wird der wahre Wert der Notstandsbefugnisse verkannt, spricht man vom Verteidigungsfall als „Stunde der Legislative“.180 Entscheidend kommt hinzu, dass gegenüber der Einräumung eines Notverordnungsrechts der Exekutive die Einsetzung eines Notparlaments bewirkt, dass im Verteidigungsfall nicht nur „so viel Effektivität wie nötig, so viel Kontrolle wie möglich“181 gilt, sondern auch die Strukturen des Normalfalles weitestgehend aufrechterhalten werden können. Schließlich sind wesentliche Entscheidungen vom Parlament zu treffen. Das aber sollte unter Abwägung der zentralen Bedürfnisse im Verteidigungsfall auch bzw. gerade für den Ausnahmezustand gelten. Die Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive hin zur Einsetzung eines Notparlaments führt also im Ausgangspunkt einerseits nicht zu einem Machtübergewicht der gesetzgebenden Funktion und ermöglicht andererseits die Aufrechterhaltung der Machtstrukturen des Normalfalles. Dem Balancecharakter der Gewaltenteilung genügt die Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses im Sinne von Art. 53a Abs. 1 GG jedenfalls. Die Entscheidung gegen die Stunde der Exekutive ist also im Kontext des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG legitim, da der Gemeinsame Ausschuss nicht als Alleinherrscher durch die Krise führen soll, sondern seine Funktionsträger in die wechselseitigen Kontrollmechanismen der Notstandsverfassung eingebunden sind. bb) Keine de facto Stunde der Exekutive Wie vorstehend beschrieben verfolgt die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses die Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive hin zur parlamentarischen Krisenbewältigung. Demgegenüber befasst sich das zweite Problemfeld auf der vierten Stufe mit der Frage, ob die Exekutive faktisch nicht doch dem Gemeinsamen Ausschuss überlegen ist.182 Ist der Gemeinsame Ausschuss vielleicht nur auf dem Papier ein wesentlicher Akteur des Verteidigungsfalles, aber tatsächlich der Notstand weiterhin die Stunde der Exekutive?

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Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 77. Diese Tendenzen aber bei Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 25; ders., in: AöR 91 (1966), S. 193, 219; Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 54; bzw. „Stunde des Gemeinsamen Ausschusses“ bei Römer, in: DuR 1983, S. 144, 148. 181 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 83. 182 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 11. 180

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Auf dieser Linie liegen auch die Bedenken Sterns, wonach der Notstand auf dem Papier zwar die Stunde des Gemeinsamen Ausschusses ist – auch diese Aussage ist kritisch zu sehen –, aber dennoch die Bundesregierung einen erheblichen Kompetenzzuwachs erfährt.183 Welche Kompetenzen wachsen der Bundesregierung im Verteidigungsfall zu und bedeuten diese eine faktische Überlegenheit der Exekutive? Die Bundesregierung wird in der Notstandsverfassung an verschiedenen Stellen mit über den Normalfall hinausgehenden Kompetenzen ausgestattet: Gem. Art. 115b GG geht in Abweichung von Art. 65a Abs. 1 GG die Befehls- und Kommandogewalt vom Verteidigungsminister auf den Bundeskanzler über, was eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Bundesregierung zur Folge hat. Ferner erhält die Bundesregierung gegenüber den Ländern nach Art. 115f Abs. 1 GG einen wesentlichen Kompetenzzuwachs. Wichtig ist auch, dass die Exekutive zwar nicht über ein klassisches Notverordnungsrecht verfügt, aber weiterhin in Gesetzen wie etwa nach Art. 115c Abs. 1 GG ermächtigt werden kann, Rechtsverordnungen für den, aber auch im Verteidigungsfall zu erlassen.184 Um darin keine Stunde der Exekutive durch die Hintertür zu vermuten, ist der Sache immanent, die Verordnungsermächtigung der Bundesregierung im Sinne parlamentarischer Krisenbewältigung und Verantwortung auszugestalten.185 Eine gewisse Missbrauchsgefahr ist an dieser Stelle wohl trotzdem nicht zu leugnen. Dieser Gefahr kann jedoch im Rahmen der Trias der Gewaltenteilung begegnet werden, sofern dem Verordnungsrecht der Bundesregierung ausreichend Kontrollmechanismen gegenüberstehen. Zu besagten Kontrollmechanismen zählen verschiedene Rechte gesetzgebender Organe im Verteidigungsfall. Genau wie Gesetze und Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses unterliegen auch Maßnahmen der Bundesregierung (wie zum Beispiel der Erlass von Rechtsverordnungen, der Einsatz der Bundespolizei oder die Erteilung von Weisungen) dem Aufhebungsrecht von Bundestag und Bundesrat nach Art. 115l Abs. 1 S. 3 GG, wobei im Sinne von Art. 115e Abs. 1 GG auch der Gemeinsame Ausschuss als Reserveorgan die Aufhebung sonstiger Maßnahmen der Bundesregierung beschließen kann.186 Dabei handelt es sich wohl um das effektivste der Kontrollrechte. Ferner können Bundestag und Bundesrat gem. Art. 115l Abs. 2 S. 1 GG ohne Antrag der Bundesregierung (anders als bei der Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG) den Verteidigungsfall für beendet erklären. Mit dem Wegfall des exekutiven Antragserfordernis verfestigen sich die Kontrollfunktion und die Rolle der gesetzgebenden Funktion im Notstand.187 Auch wenn die Gefahr des Machtmissbrauchs nie ganz auszuräumen 183

Stern, StaatsR II, § 54 V 4 b). Epping, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  115c Rn.  11. 185 Siehe zur parlamentarischen Verantwortung noch ausführlich S. 233 ff. 186 Grote, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 115l Rn. 10. 187 Grote, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 115l Rn. 14. 184

IV. Kompetenzen im Verteidigungsfall

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ist, bewegt sich das Verordnungsrecht der Exekutive mit Blick auf jenes ausbalancierte Kontrollsystem dennoch im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung. Auch de facto ist der Notstand daher keine Stunde der Exekutive mehr. In diesem Sinne lässt sich die historische Perspektive wieder verlassen und der Blick auf den verfassungsrechtlichen status quo wenden. cc) Missbrauchsverhütung durch Regierungsinkompatibilität Das dritte Problemfeld auf der vierten Stufe kreist um die personelle Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses. Gem. Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG dürfen die vom Bundestag bestimmten Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nicht der Bundesregierung angehören. Dies ist insofern verwunderlich, als das Grundgesetz für den Normalfall eine grundsätzliche Unvereinbarkeit von Regierungsmitgliedschaft und Abgeordnetenmandat nicht kennt.188 Es fragt sich daher, ob die Inkompatibilitätsregel des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG das Ziel ausbalancierter und kontrollierter Machtausübung verfolgt und daher mit dem Telos der Gewaltenteilung vereinbar ist bzw. es fragt sich, welcher Grund im Verteidigungsfall gegenüber dem Normalfall angeführt werden kann, um die Inkompatibilität von Regierungsmitgliedschaft und Parlamentszugehörigkeit zu rechtfertigen. Im Ausgangspunkt sind Inkompatibilitätsregelungen im Allgemeinen und in Form des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG im Besonderen Ausdruck personeller Gewaltenteilungen und flankieren im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die organisatorische Gewaltenteilung. Der Ausschluss der Regierungsmitglieder von der Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss soll für den Verteidigungsfall ein Minimum an Gewaltentrennung und parlamentarischer Kontrollfähigkeit sichern. Aus teleologischer Sicht wird somit der Missbrauchsverhütung durch gegenseitige Kontrolle voneinander unabhängiger Funktionsträger besonders Rechnung getragen. Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass die Unvereinbarkeit von Regierungsmitgliedschaft und (Not-)Parlamentszugehörigkeit den klassischen Dualismus zwischen Parlament und Regierung anfeuert.189 Der durch das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit relativierte Graben zwischen Parlament und Regierung gewinnt dadurch im Verteidigungsfall wieder wesentlich an Bedeutung. Andernfalls, das heißt im Falle der Besetzung des nur 48-köpfigen Gemeinsamen Ausschusses mit zahlreichen Regierungsmitgliedern, wäre ein Notverordnungsrecht 188

Mehrheitlich wird im Umkehrschluss aus Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG die Vereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Regierungsmitgliedschaft geschlussfolgert, z. B. Dörr, in: BeckOK, GG, Art. 53a Rn. 11; Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  22; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 53a Rn. 8. 189 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 82.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

der Exekutive durch die Hintertür zu befürchten. Demgegenüber kann das Argument, dass ohne die Inkompatibilitätsregelung des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG Regierungsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss die Interessen der vollziehenden Gewalt übermäßig repräsentieren würden190, in diesem Umfang nicht überzeugen. Aufgrund der Konstitution als parlamentarische Demokratie ist eine gewisse Interessenverflechtung von Regierungsinteressen auf parlamentarischer Ebene verfassungsrechtlich geboten, da über die Mehrheit im Parlament neben der Opposition stets auch die Interessen der regierungstragenden Fraktionen repräsentiert werden. Praktisch führt die Regelung des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG dann ohnehin dazu, dass die Fraktionen ihre stärksten Nicht-Regierungsmitglieder als Abgeordnete in den Gemeinsamen Ausschuss entsenden.191 Wie zuvor beschrieben ist das insofern unbedenklich, als sich trotz der Verflechtung von Parlament und Regierung über die Mehrheit signifikante Differenzen zwischen Abgeordneten und ihrer Doppelfunktion als regierungsstützende Mehrheitsmitglieder abzeichnen, die der Einebnung des klassischen Dualismus und damit der Gewaltenteilung entgegenwirken.192 Im Übrigen ist die parlamentarische Interessenvertretung durch Oppositionsabgeordnete auf der einen und Mehrheitsabgeordnete auf der anderen Seite Ausdruck der Gewaltenverschränkung und trägt zur internen Kontrolle des Organs im Sinne der Missbrauchsverhütung bei. Insofern liegt Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG auf der Linie des Telos der Gewaltenteilung. Wenn aber eine gewisse Durchmischung von oppositionellen Interessen und von Interessen der Regierungsmehrheit auf parlamentarischer Ebene üblich und mit dem Prinzip der Gewaltenteilung grundsätzlich vereinbar ist, fragt sich, welcher Grund im Verteidigungsfall gegenüber dem Normalfall angeführt werden kann, um die Inkompatibilität von Regierungsmitgliedschaft und Parlamentszugehörigkeit zu rechtfertigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die Regelung des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG dem kontrollierenden Charakter des Notparlaments in höherem Maße Rechnung getragen wird als im Normalfall.193 Dieses gesteigerte Maß ist im Kern auf das Bedürfnis zurückzuführen, „[…] in Notzeiten, in denen die Aufgaben von Bundestag und Bundesrat von einem Ersatzorgan wahrgenommen werden müssen, dessen Kontrollfähigkeit gegenüber der Exekutive nicht dadurch zu beeinträchtigen, dass ihm auch noch Mitglieder der zu kontrollierenden Regierung angehören.“194 Die Inkompatibilitätsregel von Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG stellt daher keine Ausnahme oder Negierung des in parlamentarischen Demokratien vorherrschenden Wechselspiels von Opposition und Mehrheit dar, sondern soll im Hinblick auf den gegenüber dem Normalfall missbrauchsanfälligeren Ausnahmezustand als Netz mit doppeltem Boden fungieren. Die Inkompa 190

Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 80. Dazu Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  23. 192 Siehe zum Verhältnis von Opposition und Mehrheit sowie insbesondere zur gesamtparlamentarischen Interessenlage S. 119 ff. 193 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art.  53a Rn.  22. 194 Ebd. 191

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tibilitätsregelung stellt sich in diesem Kontext als zusätzlicher Kontrollmechanismus zur umfänglichen Missbrauchsverhütung im Ausnahmezustand dar. Damit es auch in diesem Zusammenhang nicht zu einem Machtübergewicht, das heißt zu einer Übersicherung des Notparlaments zu Lasten der Exekutive kommt, ist es nach Art. 53a Abs. 1 GG dem Bundestag unbenommen, seine stärksten Abgeordneten aus den regierungsbildenden Fraktionen gem. § 2 Abs. 1 GO GA für den Gemeinsamen Ausschuss zu bestimmen. Ferner besteht nach § 11 Abs. 2 GO GA für die Regierungsmitglieder grundsätzlich die Möglichkeit, an den Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses teilzunehmen, sofern diese nicht gem. § 11 Abs. 3 GO GA geheim abgehalten werden. Die Inkompatibilitätsregelung des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG ist daher ein wichtiges Kontrollinstrument im Verteidigungsfall, das dem missbrauchsverhütenden Charakter der Gewaltenteilung dient und mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar ist. dd) Missbrauchsverhütung trotz Verschiebung parlamentarischer Stärkeverhältnisse Auf der vierten Stufe stellt sich – gemessen am Maßstab – schließlich die Frage, ob die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses (zu ⅔ aus Abgeordneten und zu ⅓ aus Bundesratsmitgliedern) mit dem Telos der Gewaltenteilung vereinbar ist: Durch die Beteiligung der Bundesratsmitglieder nach Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GG kommt es im Gemeinsamen Ausschuss im Vergleich zum Parlament des Normalfalles unweigerlich zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse, da die Länderregierungen häufig nicht die bundesstaatlichen Stärkeverhältnisse widerspiegeln. Widerspricht daher die über Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GG angelegte Verschiebung der Stärkeverhältnisse im Gemeinsamen Ausschuss seiner Einsetzung als Notparlament? Schließlich könnte man erwarten, dass der Gemeinsame Ausschuss in seiner entstehungsgeschichtlichen Rolle als Notparlament die Stärkeverhältnisse des Normalfalles abbilden müsste, um dem Prinzip der Gewaltenteilung zu genügen. Dass die Stärkeverhältnisse des Bundestages aufgrund der Beteiligung der Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss verschoben werden (können), liegt auf der Hand; dass damit ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verbunden ist, ist hingegen nicht ohne Weiteres zwingend. Zwar ist der Gemeinsame Ausschuss nicht proportional zum Bundestag zusammengesetzt, wesentliche parlamentarische Strukturen wie das Wechselspiel von Opposition und Mehrheit werden aber auch unter Beteiligung der Bundesratsmitglieder aufrechterhalten.195 Die Beibehaltung der Mehrheits-Oppositions-Struktur dient dann im Verteidigungsfall in erster Linie dazu, die Kontrollfähigkeit des Notparlaments als Teil der gesetzgebenden Funktion gegenüber der Regierung zu wahren.196 Die Gefahr eines 195 196

von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  8. von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  6.

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Oppositions-Putsches ist mit Blick auf die Regelung des Art. 115h Abs. 2 S. 2 GG und das Erfordernis einer ⅔-Mitgliedermehrheit für die Kanzlerabwahl obsolet geworden, sodass der Bundeskanzler nicht gegen den mehrheitlichen Willen der Bundestagsabgeordneten im Gemeinsamen Ausschuss abgewählt werden kann.197 Eine Neuwahl des Bundeskanzlers mit der Mehrheit seiner Mitglieder – das heißt mit der Mehrheit von mindestens 25 Stimmen und insofern auch ohne die Mehrheit der Abgeordneten des Gemeinsamen Ausschusses denkbar – ist allein im Falle des Art. 115h Abs. 2 S. 1 GG möglich, wenn eine Neuwahl aus anderen Gründen wie zum Beispiel Tod, Rücktritt oder Gefangenschaft erforderlich wird.198 Hinzu kommen verfassungsrechtliche Mechanismen, die zum einen die Rolle des Gemeinsamen Ausschusses als die Regierung kontrollierendes Notparlament stärken und zum anderen seine intraorganschaftliche Kontrolle bewirken. Insbesondere das Erfordernis punktueller ⅔-Mehrheiten für wesentliche Entscheidungen des Gemeinsamen Ausschusses wirkt einer folgenreichen Verschiebung der Stärkeverhältnisse des Notparlaments intraorganschaftlich entgegen.199 Ferner sind Beauftragte der Länderregierungen von der Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss ausgeschlossen und die Ländervertreter gem. § 4 Abs. 1 S. 1 GO GA auf Bundesratsmitglieder beschränkt, um sicherzustellen, dass ausschließlich politische Vertreter zu Gunsten parlamentarischer Krisenbewältigung im Gemeinsamen Ausschuss agieren.200 Eine Verzerrung der inhaltlichen parlamentarischen Entscheidung durch andere Interessenvertreter und Interessen bleibt im Übrigen also aus. In diesem Kontext wird klar: Die originalgetreue Abbildung des Parlaments des Normalfalles weicht im Verteidigungsfall dem Gedanken parlamentarischer Krisenbewältigung und der Absicherung parlamentarischer Kontrollfähigkeit gegenüber der Bundesregierung. Unterstrichen wird der parlamentarische Kontrollcharakter des Gemeinsamen Ausschusses dadurch, dass trotz bestehender Handlungsfähigkeit des Bundesrates im Verteidigungsfall die rechtliche Stellung seiner Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss denen der Bundestagsabgeordneten im Gemeinsamen Ausschuss angeglichen wird. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Weisungsgebundenheit der Bundesratsmitglieder im 197 Grote, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 115h Rn. 12; Herzog, in: Maunz / Dürig / ​ Herzog, GG, Art. 115h Rn. 35; Heun, in: Dreier, GG, Art. 115h Rn. 12; zu der Gefahr des Oppositions-­Putsches auf Grundlage des Dritten Regierungsentwurfes von 1967 Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 59. 198 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 115h Rn. 123, 127 f.; Heun, in: Dreier, GG, Art. 115h Rn. 9; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 115h Rn. 9 f.; Schmidt-Radefeldt, in: BeckOK, GG, Art. 115h Rn. 3. 199 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 206. Zu diesen wesentlichen Entscheidungen zählen die Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 2 GG sowie die Funktionsübernahme nach Art. 115e Abs. 1 GG mit der ⅔-Mehrheit der abgegebenen Stimmen bzw. mindestens mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder oder die Wahl eines neuen Bundeskanzlers gem. Art. 115h Abs. 2 S. 2 GG mit der ⅔-Mehrheit seiner Mitglieder. 200 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 33.

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Gemeinsamen Ausschuss gem. Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG aufgehoben wird. Dies hat zum einen den Grund, dass die Bedeutung der Abgeordneten-Rechte in Krisenzeiten zur Absicherung der personellen und sachlichen Unabhängigkeit aller Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss wesentlich höher ist. Zum anderen aber zeugt Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG davon, dass ein charakteristisches Element der bundesstaatlichen Ländervertretung zu Gunsten parlamentarischer Krisenbewältigung weicht.201 Dass die Beteiligung der weisungsfreien Bundesratsmitglieder daraufhin zu einer Verschiebung der Stärkeverhältnisse führt, ist ein Ergebnis jener Abwägung zwischen der Länderbeteiligung in Krisenzeiten sowie der Absicherung parlamentarischer Kontrollfähigkeit. Auf Basis der Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 S. 1, 3 GG existieren also verschiedene Mechanismen, die die Verhütung von Machtmissbrauch nach innen – das heißt innerhalb der Reihen des Gemeinsamen Ausschusses – und nach außen – das heißt gegenüber der vollziehenden Gewalt – zum Ziel haben und damit auf der Linie der Gewaltenteilung liegen. Unter dem Strich ist eine Verschiebung der Stärkeverhältnisse des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber dem Bundestag zwar aufgrund seiner Zusammensetzung nach Art. 53a Abs. 1 GG unvermeidbar. Seiner Einsetzung als Notparlament steht das aber insofern nicht entgegen, als die Daseinsberechtigung des Gemeinsamen Ausschusses nicht auf die Abbildung des Parlaments des Normalfalles beschränkt ist. Die Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 GG verfolgt in erster Linie die parlamentarische Krisenbewältigung und die Absicherung parlamentarischer Kontrollfähigkeit unter Abkehr von einem Notverordnungsrecht der Exekutive. Diesen Gesichtspunkten wird der Gemeinsame Ausschuss – trotz verschobener Stärkeverhältnisse – aufgrund zahlreicher inter- und intraorganschaftlichen Kontrollmechanismen gerecht. Will man dennoch den Gemeinsamen Ausschuss als gegenüber dem Parlament des Normalfalles unvollkommenes Notparlament ansehen, unterstreicht dies letztlich nur in einem weiteren Punkt seinen Charakter als Ersatzparlament des absoluten Ausnahmefalles.202 Denn nur bei Handlungsunfähigkeit des Bundestages gem. Art. 115e Abs. 1 GG tritt das Notparlament an seine Stelle. Gegen den Gemeinsamen Ausschuss können die gegenüber dem Normalfall verschobenen Stärkeverhältnisse jedenfalls nicht angeführt werden.

201

In diese Richtung auch Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 35; Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 6 sieht die Weisungsfreiheit der Bundesratsmitglieder im Gemeinsamen Ausschuss i.H.a. die Ländervertretung zunächst kritischer; letztlich verfolge die Regelung von Art. 53a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG dann nicht (nur) die personelle Unabhängigkeit aller Funktionsträger im Gemeinsamen Ausschuss, sondern v. a. die parlamentarische Unabhängigkeit als kontrollfähiges Organ der Gesetzgebung, so Schäfer, Die Notstandsgesetze, S. 71, der die Sicherung der parlamentarischen Unabhängigkeit zwecktechnisch in den Mittelpunkt stellt. 202 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 133.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

ee) Rechtfertigung des Legitimationsdefizits der zweiten Stufe Da der Maßstab im Sinne seines Stufenaufbaus auf der vierten Stufe diejenigen Defizite aufzufangen vermag, die sich auf den vorherigen Stufen ergeben haben, gilt es nun, das Legitimationsdefizit der zweiten Stufe einer Abwägung mit dem Telos der Gewaltenteilung zuzuführen. Das Legitimationsdefizit ist auf die mittelbar kollektiv-demokratische Legitimation des Gemeinsamen Ausschusses bei steigender Bedeutsamkeit der Entscheidungswirkung im Verteidigungsfall zurückzuführen und nimmt seinen Ausgangspunkt in der Möglichkeit zur Selbstinvestitur. Kann also im Hinblick auf die Trias der Gewaltenteilung von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung das Legitimationsdefizit auf der zweiten Stufe gerechtfertigt werden? Dafür ist einmal mehr in den Fokus zu rücken, welches Motiv der gewaltenteiligen Trias mit der Zuordnung eines an der Gravität der Entscheidungswirkung des Funktionsträgers ausgerichteten Legitimationsmodus verfolgt wird: Durch die Zuordnung des erforderlichen Legitimationsmodus soll dem freiheitssichernden Aspekt der Gewaltenteilung Rechnung getragen werden. Die individuelle Legitimation durch den Bürger soll Einzelfallgerechtigkeit garantieren, während die kollektiv-demokratische Legitimation durch viele solche Funktionsträger, die Entscheidungen für viele treffen, legitimieren soll. Der freiheitssichernde Aspekt der Gewaltenteilung ergänzt die Verhütung von Machtmissbrauch und die effiziente Aufgabenwahrnehmung zur vorstehenden Trias. Dabei bedingen sich die einzelnen Motive der Trias zwar wie die Glieder einer Kette203, ein absoluter Vorrang wird aber keinem dieser Glieder eingeräumt. Daher ist es mit Blick auf den Verteidigungsfall grundsätzlich möglich, den freiheitssichernden Aspekt der Gewaltenteilung im Sinne umfänglicher Missbrauchsverhütung und effektiver Aufgabenwahrnehmung auf ein erforderliches Maß zu reduzieren. Wägt man nun das Legitimationsdefizit gegen eine etwaige Missbrauchsgefahr ab, so fällt jenes insofern auf fruchtbaren Boden, als die kleine Zahl heimlich tagender und breit informierter Spitzenfunktionäre im Gemeinsamen Ausschuss durchaus die Gefahr der Verselbständigung in sich birgt.204 Erscheint daher gerade die Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses problematisch, ist die Gefahr seiner Verselbständigung praktisch aber als gering einzuordnen. Zwar kann die Gefahr des Machtmissbrauchs etwa durch das Aufhebungsrecht von Bundestag und Bundesrat nach Art. 115 l Abs. 1, 2 GG oder das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten nicht in letzter Konsequenz ausgeschlossen werden, diese Gefahr ist aber aufgrund der zusammengesetzten Konzeption und der intraorganschaftlichen Kontrolle des Gemeinsamen Ausschusses als wenig realistisch einzuschätzen.205 203

Siehe zum Zusammenspiel der Motive der Gewaltenteilung S. 43 f. Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 178. 205 Heun, in: Dreier, GG, Art. 115a Rn. 14. 204

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Insofern wird das Legitimationsdefizit der zweiten Stufe durch das missbrauchsverhütende Motiv der Gewaltenteilung ausreichend abgefedert. Dass es dabei nicht zu einer Negierung des freiheitssichernden Motivs der Gewaltenteilung kommen darf, ist selbstredend und vor dem Hintergrund jedenfalls mittelbar kollektiv-demokratischer Legitimation der Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses auch nicht zu befürchten. Letztlich ist die verfassungsrechtliche Entscheidung für eine mittelbar kollektiv-demokratische Legitimation der Funktionsträger im Gemeinsamen Ausschuss das Ergebnis eines Abwägungsprozesses am und mit dem Telos der Gewaltenteilung. Dass die Bedeutungsschwere der Entscheidung bei sinkender Legitimation im Verteidigungsfall sogar zunimmt, ist Bestandteil der Abwägung und dem Umstand einer flexiblen und effektiven Aufgabenwahrnehmung in Zeiten äußerster Not geschuldet. Die kombinierte Zusammensetzung sowie der fehlende originäre Legitimationsvorgang im Sinne einer eigenständigen Volkswahl und die von den Verfassungsorganen des Normalfalles abgeleiteten Legitimationsmodi resultieren aus dieser Abwägung und widersprechen sich nicht, sondern zeugen vielmehr von der entstehungsgeschichtlichen Konzeption des Gemeinsamen Ausschusses als reaktionsfähiges Ersatzparlament im Verteidigungsfall. Eine stärker legitimierte und zugleich noch funktionsfähige Bewältigung des Verteidigungsfalles ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.206 ff) Rechtfertigung der verfahrensmäßigen Defizite der dritten Stufe Neben dem Legitimationsdefizit auf der zweiten Stufe stellt die verfahrensmäßige Eignung des Gemeinsamen Ausschusses auf der dritten Stufe die Anwendung des Maßstabs vor Probleme: Erstens ist der Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit nach § 10 S. 1 GO GA funktionsadäquat, während ein etwaiger Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit gem. § 11 Abs. 3 GO GA aus der Perspektive effizienter Aufgabenwahrnehmung nicht zwingend geboten ist und einer gesonderten Rechtfertigung bedarf. Zweitens ist die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit gem. § 13 Abs. 1 GO GA zwar funktionsadäquat. Unklar ist aber, ob die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit den Anforderungen missbrauchssicherer Krisenbewältigung genügt. Drittens ist zu klären, ob das Erfordernis punktueller ⅔-Mehrheiten zu Lasten effizienter Aufgabenwahrnehmung einer Rechtfertigung am Telos der Gewaltenteilung zugänglich ist.

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Heun, in: Dreier, GG, Art. 115a Rn. 14.

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Der Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit Bewegt sich ein etwaiger Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit von geheimen Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses gem. § 11 Abs. 3 GO GA im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung? Ordnet man den Ausschluss der Öffentlichkeit gem. § 10 S. 1 GO GA in die Trias der Gewaltenteilung ein, steht dieser klar auf Seiten effizienter Aufgabenwahrnehmung und geht zu Lasten der Kontrolle des Gemeinsamen Ausschusses. Eine Abwägung ergibt hier, dass wegen der Gefahr der Information des Angreifers im Verteidigungsfall die Publikumsöffentlichkeit zu Lasten der Missbrauchsverhütung auszuschließen ist. Diese Abwägung gilt demgegenüber nicht für den Ausschluss der Regierungsmitglieder, da mit ihrer Information – anders als bei der Publikumsöffentlichkeit – keine Information des Angreifers verbunden ist.207 Im Übrigen speist der Gemeinsame Ausschuss einen Großteil seiner Information gem. Art. 53a Abs. 2 GG aus den Reihen der Regierung, was den Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit zu einem widersinnigen Konstrukt werden ließe. Ferner kann der Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit erst recht nicht für geheime Sitzungen im Verteidigungsfall nach Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss gelten. In dieser Situation erstarkt der Gemeinsame Ausschuss schließlich zum aktiven Organ der gesetzgebenden Funktion, welchem im Falle der Ausschlussmöglichkeit über § 11 Abs. 3 GO GA kein Kontrollorgan der vollziehenden Gewalt gegenüberstünde. Dies wäre mit dem missbrauchsverhütenden Motiv der Gewaltenteilung unvereinbar und abgesehen davon im Hinblick auf die effiziente Aufgabenwahrnehmung nicht geboten. Entscheidet man sich aus vorstehenden Gründen gänzlich gegen die Ausschlussmöglichkeit der Regierungsmitglieder gem. § 11 Abs. 3 GO GA, handelt es sich in jedem Falle um eine Lösung, die sich im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effektiver Aufgabenwahrnehmung bewegt.208 Die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit Auf der dritten Stufe fällt die Bewertung der Abstimmung mit einfacher Stimmenmehrheit am Maßstab der Gewaltenteilung deutlich aus. Bei der Regelung des § 13 Abs. 1 GO GA handelt es sich zwar um die entschlussfreudigere und insofern funktionsadäquate Regelung im Verteidigungsfall, aber gestaltet sich jene auch als missbrauchssicher? Problematisch ist schließlich, dass eine kleine Zahl abgegebener Ja-Stimmen (jedenfalls 13 Ja-Stimmen von 25 Anwesenden) ausreicht, um 207

Siehe zu den unterschiedlichen Hintergründen und Anforderungen für den Ausschluss von Publikums-, Parlaments- und Regierungsöffentlichkeit S. 187 ff. 208 Siehe zu der Ansicht, dass der Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit nur im Falle der Funktionsübernahme unmöglich ist S. 151.

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über Wesentliches im missbrauchsanfälligen Verteidigungsfall Beschluss zu fassen und die Gefahr besteht, dass Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses von ihrer Stimmenabgabe abgehalten würden, um Mehrheiten abzusichern. Als missbrauchssichere Alternative ließe sich über eine Abstimmung nach Bänken nachdenken oder aber das Erfordernis (einfacher) Mitgliedermehrheiten gegenüber § 13 Abs. 1 GO GA vorziehen. Gegen eine separierte Abstimmung nach Bänken sprechen gute Gründe, insbesondere würde der Charakter des Gemeinsamen Ausschusses als eigenständiges Verfassungsorgan verloren gehen.209 Außerdem werden der entschlussfreudigeren Regelung des § 13 Abs. 1 GO GA zahlreiche Kontrollmechanismen gegenübergestellt, die einen Rückgriff auf (einfache)  Mitgliedermehrheiten ebenso entbehrlich macht: Die Kontrolle der mit einfacher Stimmenmehrheit getroffenen Maßnahmen erfolgt weiterhin durch das BVerfG gem. Art. 115g S. 1 GG, das im Verteidigungsfall eine herausragende Stellung einnimmt.210 Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten bei Verkündung der Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses211 sowie das Aufhebungsrecht von Bundestag und Bundesrat gem. Art. 115l Abs. 1 GG und die zeitliche Limitierung der Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115k Abs. 2 GG flankieren die verfassungsrechtliche Kontrolle der mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossenen Maßnahmen. Eine derart entschlussfreudige Regelung wie § 13 Abs. 1 GO GA, die zugleich der Missbrauchsverhütung mehr Rechnung trägt, ist wohl schwerlich zu finden.212 Insofern gestaltet sich die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit als ausgewogener Kompromiss im Rahmen der Trias der Gewaltenteilung. Das Erfordernis punktueller ⅔-Mehrheiten Dagegen gestalten sich die Abstimmungen wesentlicher Entscheidungen mit ⅔-Mehrheit aus einem anderen Grund problematisch. Diese Regelung stellt gegenüber dem Grundsatz aus § 13 Abs. 1 GO GA zwar die missbrauchssichere Regelung dar, hält aber den Anforderungen funktionsadäquater Aufgabenwahrnehmung nicht stand. Das Erfordernis von ⅔-Mehrheiten für wesentliche Entscheidungen ist dabei ein gängiges Mittel, um missbräuchliche Machtausübung zu erschweren, und zwar auch dann, wenn sich dieses Mittel aufgrund des damit verbundenen Zwanges zur Kooperation von Mehrheit und Opposition nicht absolut vor Machtmissbrauch sperrt.213 Dem Grunde nach stillt das Erfordernis punktueller ⅔-Mehrheiten aber 209

Siehe zu den Nachteilen einer separierten Betrachtungsweise der Funktionsträger im Gemeinsamen Ausschuss S. 181 ff. 210 Zur herausragenden Stellung des BVerfG Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 278. 211 Herzog / Klein, in: Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 53a Rn. 62; demgegenüber kritischer Stern, StaatsR II, § 54 III 5 a). 212 Stern, StaatsR II, § 54 V 4 a) α). 213 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 206, 213 f.; so auch Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 42; kritisch dazu Natus, Verfassungsmissbrauch durch Zweidrittelmehrheit?, S. 252 ff., 281, der im Gegenteil von einem Missbrauch durch ⅔-Mehrheiten spricht.

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das Bedürfnis, gegen Machtmissbrauch jedenfalls zusätzlich abzusichern. Ist jenes Bedürfnis unter Abwägung der Umstände ausreichend legitim, die effiziente Aufgabenwahrnehmung einzuschränken? Dies ist zu bejahen, berücksichtigt man, dass ⅔-Mehrheiten nur punktuell zur Absicherung wesentlicher Entscheidungen wie der Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 2 GG herangezogen werden. In diesen Fällen bedarf es aufgrund ihrer Tragweite einer gesonderten Absicherung der Beschlussfassung. So entscheidet etwa die Feststellung des Verteidigungsfalles über die Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses, die mit der Aktivierung zahlreicher Notstandsbefugnisse und mit weit über den Beschluss hinausgehenden Konsequenzen verbunden ist. Insofern ist die Missbrauchsverhütung im Rahmen der Trias gegenüber der effektiven Aufgabenwahrnehmung zu akzentuieren. Die punktuelle ⅔-Mehrheit als Kontrollinstrument der Gewaltenteilung versagt jedoch dann, wenn die Opposition weniger als ⅓ der Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuss ausmacht. Für diesen (seltenen) Fall sichert zum Beispiel die Befristung der Macht des Gemeinsamen Ausschusses bzw. die Befristung der Wirksamkeit seiner Maßnahmen gem. Art. 115k Abs. 2 GG vor Machtmissbrauch ab.214 Darüber hinaus ist die Sichtweise, ⅔-Mehrheiten per se als schwerfällig und ineffizient einzuordnen, ein Trugschluss im Kontext der Aufgabenwahrnehmung im Verteidigungsfall. Gewichtig ist vielmehr, dass wesentliche Entscheidungen nur im Einklang mit der Opposition getroffen werden können, um auf diese Weise die Akzeptanz der breiten Masse zu sichern; das gilt auch bzw. gerade im verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand.215 Vor diesem Hintergrund ist es legitim, die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit im Regelfall zur Anwendung kommen zu lassen, während punktuelle ⅔-Mehrheiten gegen Machtmissbrauch in besonderem Maße absichern. gg) Zusammenfassung Misst man auf der vierten Stufe die Notstandsbefugnisse am Maßstab der Gewaltenteilung und an der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung, steht insbesondere die verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung gegen ein Notverordnungsrecht der Exekutive und für eine in Art. 53a Abs. 1 GG angelegte und in Art. 115a ff. GG fortgeführte parlamentarische Krisenbewältigung unter dem Stern der Missbrauchsverhütung im missbrauchsanfälligen Ausnahmezustand. Der Gemeinsame Ausschuss steht außerhalb der Tradition eines „Alleinherren“ des Ausnahmezustandes und fungiert in diesem Sinne als zentrale Figur eines ausgewogenen Miteinanders. Der Notstand ist de facto weder die Stunde der Exekutive noch die des Gemeinsamen Ausschusses. 214 215

Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 215, 220. Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 209.

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Auf der Linie eines ausgewogenen und vor allem eines kontrollierten Miteinanders liegen auch der Ausschluss der Regierungsmitglieder nach Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG sowie die Verschiebung parlamentarischer Stärkeverhältnisse aufgrund der Länderbeteiligung nach Art. 53a Abs. 1 S. 3 GG. Insbesondere die Inkompatibilitätsregelung soll die parlamentarische Kontrollfähigkeit des Notparlaments gegenüber der Bundesregierung absichern und die personell unabhängige Ausübung der gesetzgebenden Funktion im missbrauchsanfälligen Verteidigungsfall garantieren. Unter dem Aspekt einer umfänglichen Missbrauchsverhütung fungiert Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG daher als Netz mit doppeltem Boden. Im Übrigen lassen sich auch die Defizite der vorangegangenen Stufen auf der vierten Stufe am Maßstab der Gewaltenteilung messen und in Teilen rechtfertigen: Die sinkende Legitimation der Funktionsträger bei gleichzeitig steigender Gravität der Entscheidungswirkung im Gemeinsamen Ausschuss ruft auf der zweiten Stufe zwar die Gefahr seiner Verselbständigung auf den Plan. Allerdings ist jene Gefahr aufgrund der zusammengesetzten Konzeption und der intraorganschaftlichen Kontrolle des Gemeinsamen Ausschusses als wenig realistisch einzuschätzen. Während auf der dritten Stufe der Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit nach § 10 S. 1 GO GA zu Gunsten der Vorenthaltung wesentlicher Informationen gegenüber dem Angreifer Abstriche an Kontrolle einfordert, ist ein etwaiger Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit gem. § 11 Abs. 3 GO GA aus der Perspektive effizienter Aufgabenwahrnehmung nicht geboten. Misst man die Verfahrensvorschriften über die Beschlussfassung des Gemeinsamen Ausschusses am Telos der Gewaltenteilung, zeichnet sich dagegen ein gemischtes Bild. Die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit gem. § 13 Abs. 1 GO GA stellt einen ausgewogenen Kompromiss missbrauchssicherer und effizienter Krisenbewältigung dar, zumal eine derart entschlussfreudige Regelung, die zugleich der Missbrauchsverhütung mehr Rechnung trägt, wohl nicht zu finden ist.216 Demgegenüber stellt sich das Erfordernis punktueller ⅔-Mehrheiten zwar als trägere Regelung dar, findet seine Rechtfertigung aber in der verfassungsrechtlichen Tragweite seiner Beschlüsse, die es gegen Machtmissbrauch in besonderem Maße abzusichern gilt. Summa summarum offenbaren diese verschiedenen Abwägungen auf der vierten Stufe des Maßstabs, dass die Grundentscheidung für eine parlamentarische Krisenbewältigung vorbildhaft die Waage hält zwischen den Spannungsfeldern von Trennung und Verschränkung, Missbrauchsverhütung und Effizienz, Unabhängigkeit und Kontrolle, parlamentarischer Langwierigkeit und Reaktionsfähigkeit sowie Aufrechterhaltung der Normalstrukturen und Anpassung an den Verteidigungsfall.

216

Stern, StaatsR II, § 54 V 4 a) α).

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

e) Zusammenfassung Spannt man den Bogen zurück und besinnt sich auf die zu Beginn dieses Abschnitts deutlich gemachten Bedenken, dass der Gemeinsame Ausschuss zwar entstehungsgeschichtlich am Prinzip der Gewaltenteilung ausgerichtet, seine verfassungsrechtliche Vereinbarkeit dadurch aber nicht impliziert ist, lässt sich nach umfänglicher Prüfung der Notstandsbefugnisse nun im Großen und Ganzen Entwarnung geben. Zwar sieht sich die Ausübung der Notstandsbefugnisse erfahrungsgemäß aufgrund der gesteigerten Missbrauchsanfälligkeit des Verteidigungsfalles zahlreichen Gefahren gegenüber.217 Insbesondere ist bedenklich, ob die Notstandsbefugnisse derart konstituiert sind, dass sie weder vor noch nach Feststellung des Verteidigungsfalles und insbesondere während der Funktionsunfähigkeit des Bundestages illegitim in Anspruch genommen werden können. Rekapituliert man allerdings die Erkenntnisse der einzelnen Stufen, so lässt sich die grundsätzliche Vereinbarkeit der Notstandsbefugnisse mit dem Prinzip der Gewaltenteilung auf folgende Erwägungen stützen: Auf der ersten Stufe ist die Ausübung der Notstandsbefugnisse an enge Voraussetzungen gekoppelt und mit den funktionalen Hauptteilen des Bundestages vereinbar. Die beiden Organe konkurrieren nicht um die Wahrnehmung der Gesetzgebungsbefugnis, sondern stehen in einem bestimmten Rangverhältnis zueinander. Der Gemeinsame Ausschuss übernimmt schließlich die Befugnisse nur im Falle der Funktionsunfähigkeit des Bundestages – die legitime Aktivierung seiner Befugnisse gem. Art. 115a Abs. 2, Art. 115e Abs. 1 GG vorausgesetzt. Da sowohl der Verteidigungsfall als auch die Funktionsunfähigkeit des Bundestages vorab festgestellt werden müssen und die Gesetzgebungskompetenzen bei Wiedererstarkung des Bundestages auf diesen übergehen, wird die Missbrauchsgefahr im Verteidigungsfall erheblich abgefedert. Auf der zweiten Stufe stoßen die Notstandsbefugnisse allerdings an die äußeren Grenzen der Gewaltenteilung: Die Funktionsträger des Gemeinsamen Ausschusses sind zwar mittelbar kollektiv-demokratisch legitimiert. Allerdings entspricht dies nicht der steigenden Bedeutungsschwere ihrer Entscheidungen, wenn der Gemeinsame Ausschuss in komprimierter Zusammensetzung über Wesentliches im gestauchten Gesetzgebungsverfahren entscheidet bzw. sich im Wege der Selbstinvestitur eigens aktiviert. Auf der vierten Stufe lassen sich jene Zweifel aber zu Gunsten effektiver Krisenbewältigung rechtfertigen und die Gefahr seiner Verselbständigung aufgrund der inter- und intraorganschaftlichen Kontrolle als gering einschätzen. Auf der dritten Stufe zeugen die komprimierte Zusammensetzung aus 48 Funktionsträgern, der Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit und die Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit von seiner personellen, verfahrensmäßigen und instrumentellen Eignung, die Notstandsbefugnisse im unbeständigen Verteidi 217

Evers, in: AöR 91 (1966), S. 1, 4.

V. Gesamtbewertung    

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gungsfall funktionsadäquat und insofern effektiv wahrzunehmen. Demgegenüber ist der Ausschluss der Regierungsöffentlichkeit weder funktionsadäquat noch zu Gunsten umfänglicher Missbrauchsverhütung zu rechtfertigen. Führt man die Fäden auf der vierten Stufe zusammen und unterzieht die Notstandsbefugnisse einer Abwägung am Telos der Gewaltenteilung wird zum einen klar, dass die außerordentlichen Notstandsbefugnisse kein legislatives Machtübergewicht bedeuten und zum anderen, umgekehrt, auch nicht die Gefahr einer de facto Stunde der Exekutive besteht. Flankiert wird diese Annahme insbesondere durch die Inkompatibilitätsregelung des Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG. Insgesamt zeichnet sich so ein Bild des Gemeinsamen Ausschusses und seiner Notstandsbefugnisse, das sich im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheits­ sicherung und effektiver Aufgabenwahrnehmung sowie den verschiedensten Spannungsfeldern der Gewaltenteilung bewegt. Die Maßstabsarbeit kommt an dieser Stelle zu ihrem Ende.

V. Gesamtbewertung   Welche Rückschlüsse lassen sich aus der vorstehenden Maßstabsarbeit für die Beantwortung der Ausgangsfrage, ob der Gemeinsame Ausschuss hält, was er verspricht, ziehen? In erster Linie gilt: „Jede Lösung wird Gefahren in sich bergen.“, so stellte schon Hesse218 zu einem frühen Zeitpunkt der Debatten um eine neue Notstandsverfassung der Bundesrepublik 1960 fest. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. In dieser Aussage verbirgt sich eine für die folgende Betrachtung essentielle Erkenntnis. Es geht nämlich nicht darum, eine gegen alle Gefahren abgesicherte Notstandsverfassung zu normieren, sondern denjenigen Ausgleich zwischen Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und effektiver Aufgabenwahrnehmung ausfindig zu machen, der mit Blick auf die besonderen Umstände des Verteidigungsfalles die optimale Lösung im Sinne der Gewaltenteilung darstellt. Der Frage, ob es sich bei der Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a GG und seinen Kompetenzen um eben diese optimale Lösung handelt, wurde sich unter Bemühung des Maßstabs der Gewaltenteilung von mehreren Seiten genähert. Diese aus der Maßstabsarbeit gewonnenen Erkenntnisse gilt es nun in einer letzten Abwägung zusammenzuführen, um dann einen Gesamteindruck zu erhalten, der es ermöglicht, den Gemeinsamen Ausschuss als solchen in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung einzuordnen. Aus historischer Perspektive Zu Beginn dieser letzten Abwägung wird erneut die historische Perspektive eingenommen, die hier wie an sonst kaum einer anderen Stelle des Grundgesetzes zum 218

Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 106.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Tragen kommt. Die Absage an das Notverordnungsrecht der Exekutive unter der Einsetzung eines Organs der gesetzgebenden Funktion in Gestalt des Gemeinsamen Ausschusses ist die wohl größte Errungenschaft der Notstandsverfassung des Grundgesetzes.219 Dahinter steht die ausdrückliche Entscheidung des Verfassungsgebers für eine gewaltenteilige und föderalistische Krisenbewältigung in Abkehr von der Weimarer Praxis unter Art. 48 Abs. 2 WRV.220 Möglicherweise führen die präsenten Gefahren eben dieses Notverordnungsrechts dann auch dazu, die eine oder andere Schwäche der Notstandsverfassung zu relativieren.221 Die Absage an das Notverordnungsrecht als größte Errungenschaft der Notstandsverfassung zu bezeichnen, steht für sich, darf aber nicht zu einer romantisch verklärten Sicht auf den Gemeinsamen Ausschuss führen. Zu behaupten, die Bundesregierung sei – um die historischen Erfahrungen nicht zu wiederholen – im Sinne von Art. 53a, 115a ff. GG kaum an der Krisenbewältigung beteiligt, wäre sicher illusorisch. Dass die Bundesregierung Verordnungen auf Grundlage gesetzlicher Ermächtigungen erlässt, ist gem. Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsmäßig gewollt und effektiv. Worum es bei der Einsetzung des Art. 53a GG vielmehr geht, ist die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine parlamentarische Krisenbewältigung und die Übernahme eben dieser Verantwortung durch die Organe der gesetzgebenden Funktion. Parlamentarische Krisenbewältigung und Verantwortung Die erfolgreiche parlamentarische Krisenbewältigung bedingt in concreto die Wahrnehmung dieser Verantwortung durch den Gemeinsamen Ausschuss im Verteidigungsfall. Das soll nicht heißen, dass in Friedenszeiten die gesetzgebenden Organe von ihrer Verantwortung entbunden wären. Im Gegenteil, denn die Wahrnehmung dieser Verantwortung im Verteidigungsfall geht mit der verantwortungsvollen Ausübung der Informationsansprüche in Friedenszeiten einher. Jene Verantwortung wird aber im Verteidigungsfall insofern wie durch ein Brennglas hervorgehoben, als die Krise zu einer Entscheidung desjenigen verleitet, der am schnellsten auf die sich ändernden Umstände zu reagieren vermag. Aufgrund seiner personellen Zusammensetzung ist das in erster Linie die reaktionsfähige Regierung. Zu Gunsten effektiver Missbrauchsverhütung und der Vereinbarkeit mit den funktionalen Hauptteilen der Gesetzgebung ist hier eine Übernahme durch die Bundesregierung aber illegitim. Es entsteht ein Machtvakuum, das die Verantwortlichkeit für die reaktionsfähige Entscheidung von Wesentlichem in der Krise anbelangt und im Falle der Funktionsunfähigkeit des Bundestages zu füllen ist. Der Gemeinsame 219 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 264; ähnlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 64. 220 Z. B. Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 179; Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 19. 221 Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 264; ähnlich Benda, Die Notstandsverfassung, S. 64.

V. Gesamtbewertung    

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Ausschuss tritt in dieses Vakuum ein. In den Händen von 48 Mitgliedern liegt dann die Verantwortung, die Geschicke im Sinne parlamentarischer Krisenbewältigung über die Kompetenzen eines einfachen Kontrollorgans hinaus zu lenken.222 In diesem Kontext ist die persönliche Bereitschaft der Funktionsträger im Gemeinsamen Ausschuss von großer Bedeutung.223 Genauso von Bedeutung sind die individuelle Erkenntnis, die Krise parlamentarisch zu bewältigen, die persönliche Verantwortungsübernahme gegenüber der Bundesregierung über die Funktion eines einfachen Kontrollorgans hinaus und das Sich-Einfügen in ein ausbalanciertes Miteinander. Zu der Verantwortungsübernahme gegenüber der Bundesregierung im weiteren Sinne zählt etwa auch die parlamentarische verantwortungsvolle Ermächtigung der Bundesregierung, Rechtsverordnungen zu erlassen.224 Da aber der Gemeinsame Ausschuss nur im Verteidigungsfall und nur bei Funktionsunfähigkeit des Bundestages auf den Plan tritt, gilt bei Funktionsübernahme seine Verantwortung dann nicht nur gegenüber der Bundesregierung, sondern im Besonderen auch gegenüber den ordentlichen Organen der gesetzgebenden Funktion. Denn überall dort, wo es im Normalfall auf die gemeinsame Entscheidung von Bundestag und Bundesrat ankommt, entscheidet der Gemeinsame Ausschuss nun eigenverantwortlich und einheitlich. Die Verantwortung des Gemeinsamen Ausschusses gegenüber den gesetzgebenden Organen des Normalfalles gilt auch für die Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit von Bundestag und Bundesrat: So darf etwa die Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit des Bundestages durch die signifikant zusammengeschrumpfte Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses nicht erschwert werden. Daher können die Abgeordneten des Bundestages und die Mitglieder des Bundesrates grundsätzlich an den Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses teilnehmen, was ihre Funktionsaufnahme im weiteren Verlauf erleichtert; insbesondere kann der Gemeinsame Ausschuss als „Sammelort“ der Abgeordneten zur Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit dienen.225 Unter dem Strich gilt: Bewusstsein und Wahrnehmung der parlamentarischen Verantwortung sind Grundvoraussetzung für den Erfolg parlamentarischer Krisenbewältigung im Sinne der Gewaltenteilung. Abwägung verschiedener Spannungsfelder Zuletzt stehen sich die Gewaltenteilung mit ihren funktionalen und organisatorischen sowie trennenden und verschränkenden Elementen und der Gemeinsame 222

Zu unterstreichen ist aber, dass schon die Wahrnehmung bzw. Fortführung parlamentarischer Kontrollaufgaben durch den Gemeinsamen Ausschuss einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Notverordnungsrecht der Exekutive bedeutet, so auch Schmidt, in: DVBl. 2021, S. 231, 234. 223 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 79. 224 Zur Gefahr eines „förmlichen Legiszides“ am Beispiel von Verordnungsermächtigungen in der Corona-Pandemie Fuchs, in: DÖV 2020, S. 653, 654. 225 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 140.

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

Ausschuss, dem unter den Voraussetzungen des Art. 115e Abs. 1 GG die Verantwortung parlamentarischer Krisenbewältigung obliegt, für eine Einordnung gegenüber. Schnell wird klar: Die Gewaltenteilung einerseits und der Gemeinsame Ausschuss andererseits sind Spielbälle verschiedener Spannungsfelder, die der Gewaltenteilung als Prinzip von Maß und Mitte immanent sind. Es geht um die Spannungsfelder von Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung, von Reaktionsfähigkeit und Missbrauchsverhütung bzw. Effektivität und Sekurität226, von personeller und sachlicher Unabhängigkeit und Kontrolle, von Verfasstheit des Notstandes und Flexibilität im Sinne von Verfassungslosigkeit usw. Gerade der Verteidigungsfall als verfassungsrechtlicher Ausnahmezustand feuert diese Spannungsfelder an: Kriegerische Auseinandersetzungen, anhaltende Bedrohungslagen, erhebliche Personen- und Sachschäden, Zeitnot etc. lassen an der Praktikabilität und Vollziehbarkeit umfänglicher Absicherung gegen Machtmissbrauch zweifeln227 und heben den Effizienzgedanken auf ein Podest, das Gefahr läuft, Sekurität, Missbrauchsverhütung und Kontrolle zu überstrahlen. Das heißt: Eine Positionierung innerhalb der Spannungsfelder ist vor allem im verfassungsrechtlichen Ausnahmefall geboten, um diejenige Stabilität, die das Grundgesetz vermittelt, besonders auch in der Krise aufrecht zu erhalten.228 Die Spannungsfelder des Prinzips von Maß und Mitte fordern dann also, dass der Gemeinsame Ausschuss sich als Notverfassungsorgan von Maß und Mitte in dieses System einfügt. Um Hesse erneut zu zitieren: „Jede Lösung wird Gefahren in sich bergen.“229 – eine absolute Lösung kann es demnach nicht geben. Ziel muss es daher sein, unter Abwägung von Kompetenzen und Kontrollen sowie unter Berücksichtigung der Umstände des Verteidigungsfalles eine Art Optimum zu finden, das den verschiedenen, vorstehend beschriebenen Herausforderungen sowie Spannungsfeldern gerecht wird.230 Kompetenzen und Kontrolle des Gemeinsamen Ausschusses Welche Kompetenzen und Kontrollmechanismen stehen sich also gegenüber? In erster Linie übernimmt der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 115e Abs. 1 GG im Verteidigungsfall bei Funktionsunfähigkeit des Bundestages die funktionalen Hauptteile der gesetzgebenden Funktion von Bundestag und Bundesrat. Der Ge 226 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 12; Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 221; in diese Richtung auch Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 179. 227 Schäfer, in: AöR 93 (1968), S. 37, 80; ähnlich Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 108. 228 Schwarz / Sairinger, in: NVwZ 2021, S. 265. 229 Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 106. 230 So spricht Hesse, in: JZ 1960, S. 105, 106 etwa auch von der Suche nach dem „Optimum“, wenn es ihm um die Abwägung verschiedener Herausforderungen und Gefahren des Notstandsrechts geht.

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213

meinsame Ausschuss ist im Verteidigungsfall also ein echtes Gegengewicht zur Bundesregierung.231 Dieser Umstand feuert den klassischen Dualismus beider an, zusätzlich verstärkt durch die Inkompatibilität von Regierungszugehörigkeit und Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG. Im Rahmen der Funktionsübernahme obliegt dem Gemeinsamen Ausschuss, neben der Bundesregierung, das Gesetzgebungsrecht in Gestalt der Gesetzesinitiative und die eingliedrige Beschlussfassung im Notparlament in nur einer Beratung gem. § 14 S. 1 GO GA. In diesem Zuge kommt es zu einer Komprimierung des ohnehin über Art. 115d Abs. 2 GG vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens im Verteidigungsfall und somit qualitativ zu einer Kompetenzsteigerung des Gemeinsamen Ausschusses. In Vorbereitung darauf obliegt dem Gemeinsamen Ausschuss in Friedenszeiten die Wahrnehmung seines Informationsanspruches gegenüber der Bundesregierung gem. Art. 53a Abs. 2 GG. Im Sinne gewaltenteiliger, wenn auch parlamentarischer, Krisenbewältigung stehen der Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss zahlreiche Kontrollmechanismen gegenüber. Art. 115l Abs. 1 S. 1, 3 GG gibt dem Gemeinsamen Ausschuss den bedeutsamsten Kontrollmechanismus – innerhalb der gesetzgebenden Funktion – an die Hand: das Aufhebungsrecht von Bundestag und Bundesrat für Gesetze und sonstige Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses. Die ordentlichen Organe der gesetzgebenden Funktion sind also zu jeder Zeit in der Lage, ihre Funktionsfähigkeit wieder zu erlangen und Maßnahmen des außerordentlichen Gesetzgebungsorgans aufzuheben. Dabei ist essentiell, dass sowohl die Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit der ordentlichen Gesetzgebungsorgane als auch die Ausübung des Aufhebungsrechts unabhängig von einer Feststellung des Gemeinsamen Ausschusses stattfinden. Die Rückkehr zum verfassungsrechtlichen Normalfall ist daher vor Machtmissbrauch durch den Gemeinsamen Ausschuss weitreichend geschützt. Neben dem Aufhebungsrecht steht insbesondere die unantastbare richterliche Kontrolle der Entscheidungen des Gemeinsamen Ausschusses (durch das BVerfG) für eine gewaltenteilige Krisenbewältigung.232 In jedem Falle ist die wirksame und in der Zuständigkeit gesicherte Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 2 GG gerichtlich überprüfbar; ob sich dies auch auf die materiellen Voraussetzungen erstreckt, ist jedoch unklar.233 Jedenfalls unterliegen aber die vom Gemeinsamen Ausschuss beschlossenen Gesetze und Maßnahmen bei einer illegitimen Einsetzung unter Art. 115a Abs. 2, Art. 115e Abs. 1 GG dem Aufhebungsrecht nach Art. 115l Abs. 1 S. 1, 3 GG. Ferner sind die Notgesetze, die der Gemeinsame Ausschuss im Wege von Art. 115e Abs. 1 GG beschließt, einer Normenkontrolle 231

Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 109. Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 19; Stern, StaatsR II, § 52 VIII; auch Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 208 betont die notstandsfeste Position der richterlichen Funktion zu einem frühen Zeitpunkt. 233 Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 209. 232

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

zugänglich.234 Im Übrigen können bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit des Gemeinsamen Ausschusses Bund-Länder-Streite und aus Perspektive des Bundestages Organstreitverfahren vor dem BVerfG angestrengt werden.235 Des Weiteren werden vor allem Kontrollmechanismen des Normalfalles auf den Verteidigungsfall übertragen, teils intensiviert, teils modifiziert, teils abgeschwächt. Letztlich ist der Grundsatz der Erforderlichkeit ein solcher Kontrollmechanismus, den es in Friedenszeiten wie im Verteidigungsfall einzuhalten gilt.236 Dabei findet der Grundsatz der Erforderlichkeit teils ausdrücklich, teils mittelbar Anklang in der Notstandsverfassung. So kommt es ausdrücklich auf die Erforderlichkeit der BVerfGG-Änderung nach Art. 115g S. 2 GG an. Die transitorische Geltung jeden Notrechts für sechs Monate gem. Art. 115k Abs. 2 GG ist jedenfalls mittelbar Ausdruck der Erforderlichkeit.237 Demgegenüber kann die Öffentlichkeit als Kontrollmechanismus des Normalfalles im Verteidigungsfall mit Blick auf die Publikumsöffentlichkeit wohl kaum ins Feld geführt werden, berät der Gemeinsame Ausschuss nach § 10 S. 1 GO GA doch grundsätzlich nicht publikumsöffentlich.238 Zwar ließe sich aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten an einem umfassenden Öffentlichkeitsausschluss zu Gunsten partieller geheimer Beratungen zweifeln.239 Allerdings ist die geheime Beratung legitim, wenn jedenfalls § 10 S. 2 i. V. m. § 11 Abs. 3 GO GA restriktiv gehandhabt und sich auf die Kontrollfunktion des Notparlaments gegenüber der Bundesregierung konzentriert wird.240 Mit Blick auf die Kontrollmechanismen ist Fakt: Der Verteidigungsfall bedeutet zwar die Akzentuierung des Effizienzgedankens und die Vereinfachung von Kontrollmechanismen, nicht hingegen den Wegfall gegenseitiger Kontrolle.241 Insofern ist heutzutage anders als in der Vergangenheit klar, dass der verfassungsrechtliche Ausnahmezustand nicht mit der Aufgabe der Gewaltenteilung einhergeht. Verschiedene Kontrollmechanismen des Normalfalles bleiben erhalten und werden um jene des Verteidigungsfalles ergänzt. Dies ist umso bedeutsamer, als der Verteidigungsfall mit einer Kompetenzverschiebung und einem Kompetenz-

234

Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 212. Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 210 f., 212. 236 Stern, StaatsR II, § 52 VII 4 β). 237 Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses, S. 241; ähnlich Evers, in: AöR 91 (1966), S. 193, 205; sowie Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, S. 276. 238 Seifert, Der Notstandsausschuss, S. 225 f., die Öffentlichkeit kann nicht ihre angestammte Rolle als Gegengewicht der ausgeübten Staatsgewalt einnehmen, S. 224. 239 Emmelius, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, S. 118, 137 ff.; Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 134. 240 von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.  53a Rn.  12. 241 Mit etwas anderer Akzentuierung auch Benda, Die Notstandsverfassung, S. 119; zur Suspension des Rechts als notwendiges Merkmal des Ausnahmezustands im Allgemeinen Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 53 ff. 235

V. Gesamtbewertung    

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zuwachs bei Funktionsträgern aller drei Funktionen korreliert.242 Nicht zu leugnen ist auch der Kompetenzzuwachs der Bundesregierung de jure, der allerdings auf Kosten der Länder geht und daher in erster Linie nicht die Funktionsübernahme durch den Gemeinsamen Ausschuss tangiert.243 Letztlich zeugt die Gegenüberstellung von Kompetenzen und Kontrollmechanismen von der Absicherung des Verhältnisses von Missbrauchsverhütung und effizienter Aufgabenwahrnehmung – das wohl prägendste der zuvor aufgezeigten Spannungsfelder. Trotz Kompetenzzuwachs bzw. qualitativer Mehrung seiner Befugnisse besteht nicht die Gefahr eines Nebenparlaments.244 Die Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses ist charakteristisch und an dieser Stelle erneut zu betonen. Bundestag und Bundesrat werden verfassungsrechtlich eine starke Vorrangstellung eingeräumt, die vor allem durch ihr eigenständiges Aufhebungsrecht unterstrichen und das Verbot der Parlamentsauflösung im Notstand gem. Art. 115h Abs. 3 GG bekräftigt wird. Die funktionalen Hauptteile von Bundestag und Gemeinsamem Ausschuss stehen aufgrund ihrer Nachordnung in keinem Konkurrenzverhältnis; das gilt für die verfassungsändernde Gesetzgebung wegen Art. 115e Abs. 2 S. 1 GG ohnehin. Es bleibt daher nur abschließend die Beantwortung der Frage, ob der Gemeinsame Ausschuss unter den gegebenen Umständen das eingangs beschriebene Optimum darstellt. Eine optimale Lösung? Nach alledem wird klar: Der Gemeinsame Ausschuss bewegt sich in einem Minenfeld aus Spannungsfeldern der Gewaltenteilung. Es zeigt sich, dass die Gewaltenteilung als klassisches Prinzip von Maß und Mitte eben genau Maß und Mitte im Gemeinsamen Ausschuss zur parlamentarischen Krisenbewältigung sucht und im Großen und Ganzen auch findet. Der Rückschluss auf das gesuchte Optimum liegt nahe. Der Gemeinsame Ausschuss verfügt in Friedenszeiten gem. Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG über einen klassischen Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung, der weder mit dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung kollidiert noch in funktionale Eigenbereiche anderer Funktionsträger nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eingreift. Eine Informationsprivilegierung gegenüber dem Bundestag ist damit auch aufgrund eines Legitimationsdefizit nicht verbunden. Dem missbrauchsverhütenden Motiv der Gewaltenteilung wird der Informationsanspruch dennoch gerecht. Die Notstandsbefugnisse, primär mit Blick auf die Funktions-

242

Stern, StaatsR II, § 54 V 4. Zum Kompetenzzuwachs der Bundesregierung Stern, StaatsR II, § 54 V 4 b). 244 Dazu Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 135. 243

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4. Kap.: Die Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses 

übernahme nach Art. 115e Abs. 1 GG, kollidieren im Verteidigungsfall aufgrund der Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses gleichfalls nicht mit den funktionalen Hauptteilen anderer Funktionsträger. Problematisch ist demgegenüber die sinkende Legitimation der Funktionsträger bei steigender Gravität ihrer Entscheidungswirkung. Jenes Legitimationsdefizit lässt sich aber zu Gunsten effizienter Krisenbewältigung und mit dem missbrauchsverhütenden Motiv der Gewaltenteilung auffangen und in vielen Teilen relativieren. Gerade die 48-köpfige Zusammensetzung und die geheime Verfahrensweise des Gemeinsamen Ausschusses sind prädestiniert, personell und verfahrensmäßig funktionsadäquate Krisenbewältigung zu gewährleisten. Zahlreiche Kontrollmechanismen sorgen dafür, dass die Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses weder vor Feststellung des Verteidigungsfalles noch nach seiner Beendigung und erstarkenden Funktionsfähigkeit des Bundestages in Anspruch genommen wird und keine maß- und gewissenlose Anwendung der Notstandsbefugnisse im Verteidigungsfall droht. Besonders hervorzuheben sind die krisenfeste Rolle des BVerfG als persistente Kontrollinstanz gem. Art. 115g S. 1 GG, das Aufhebungsrecht von Bundestag und Bundesrat nach Art. 115l Abs. 1 S. 1, 3 GG, die transitorische Geltung der Notgesetze für höchstens sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles gem. Art. 115k Abs. 2 GG sowie die intraorganschaftliche Kontrolle des Gemeinsamen Ausschusses. Für die abschließende Bewertung des Gemeinsamen Ausschusses darf zu guter Letzt nicht außer Acht gelassen werden, dass aufgrund unvorhersehbarer Gefahren des Verteidigungsfalles auch der Gemeinsame Ausschuss beschlussunfähig werden könnte. Wie reagiert das Grundgesetz darauf bzw. kann der Gemeinsamen Ausschuss unter diesen Umständen den Anforderungen an eine optimale Krisenbewältigung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung genügen? Die Antwort lautet auch hier „Ja“. Zwar schweigt das Grundgesetz, was die Beschlussunfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses anbelangt. Die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses sorgt aber insofern vor, als dass der Gemeinsame Ausschuss gem. § 1 Abs. 3 GO GA mit sonstigen Abgeordneten und Ländervertretern aufzufüllen ist, wenn seine Mitglieder und Stellvertreter nicht zusammentreten können. Sicherlich kann es auch Szenarien geben, in denen der Gemeinsame Ausschuss unter keinen Umständen mit 25 Mitgliedern zusammentreten könnte und die Ausübung eines ungeschriebenen Notverordnungsrechts durch Mitglieder der Bundesregierung als Alternative zu handeln wäre. Letztlich darf an dieser Stelle die schier unendliche Reichweite der menschlichen Vorstellungskraft aber nicht zu der Annahme führen, das alleinige Notverordnungsrecht der Exekutive wäre nun plötzlich doch das Maß der Dinge und eine echte verfassungsmäßige Alternative zum Gemeinsamen Ausschuss. Wäre ein Notverordnungsrecht stets die letzte (ungeschriebene) Option zur Rechtsetzung im Verteidigungsfall, würde dem Machtmissbrauch ein fruchtbarer Nährboden bereitet werden.245 Vorstehenden Szenarien ist vielmehr damit zu begeg 245

Selbst die Bundesregierung verneint in BT-Drucks. V/1879, S. 15 die Möglichkeit eines Notverordnungsrechts für den äußersten Notfall.

V. Gesamtbewertung    

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nen, dass der Gesetzgeber in Friedenszeiten gem. Art. 115c GG für vorhersehbare Situationen, in denen der Gemeinsame Ausschuss nicht funktionsfähig sein könnte, Gesetze vorsorglich beschließt.246 Sicherlich bleibt dennoch ein Restrisiko, was die Beschlussunfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses und ihre Folgen anbelangt. Allerdings lässt sich dieses Risiko in vielerlei Hinsicht durch vorstehende Maßnahmen abmildern und erscheint jedenfalls gegenüber einem Notverordnungsrecht der Exekutive – auch für solche Fälle der Beschlussunfähigkeit – als das geringere Übel. Insofern lässt sich auch in diesem Kontext von der optimalen Lösung unter den gegebenen Umständen sprechen. Insgesamt ergibt sich aus den Kompetenzen, Kontrollmechanismen und der Ablehnung eines (ungeschriebenen) Notverordnungsrecht der Exekutive ein ausbalanciertes Miteinander. Der Notstand wird dadurch weder die Stunde des Gemeinsamen Ausschusses noch bleibt er die Stunde der Exekutive – sondern zeugt von parlamentarischer Krisenbewältigung im Sinne von Maß und Mitte und fügt sich insofern in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung ein. Gegebenenfalls mag diese Einordnung auf den einen oder anderen unkritisch wirken. Unkritisch ist die Einordnung aber keinesfalls, weil sie vor Augen hat, dass gewaltenteiliger Notstand nur im Sinne von Maß und Mitte zu lösen ist und nach einem Optimum unter den gegebenen Bedingungen sucht. Dass es sich bei dem Optimum um die Lösung des Grundgesetzes – mit einigen wenigen beschriebenen Abstrichen – handelt, ist vielmehr ein positives Ergebnis. Letztlich gilt es noch einmal zu betonen, wie wenig möglich es ist, eine letzte Garantie gegen Missbrauch verfassungsrechtlich eingeräumter Kompetenzen zu geben.247 Die vorstehend genannten Kontrollmechanismen sowie die Tatsache, dass der Gemeinsame Ausschuss nur im absoluten Ausnahmefall, nämlich ausschließlich im Verteidigungsfall bei Funktionsunfähigkeit des Bundestages, eingesetzt wird, gestalten diesen Umstand bzw. die Gefahr erträglich. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich der Gemeinsame Ausschuss als Optimum in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung einordnen.

246 Röttger, Gesetzgebung im Verteidigungsfall, S. 111; anders Benda, Die Notstandsverfassung, S. 70 f., wonach die Bundesregierung befugt sein soll, diejenigen vorläufigen Maßnahmen zu beschließen, die der Gemeinsame Ausschuss schon in Friedenszeiten beraten und insofern gebilligt hat. Allerdings beruhen diese Erwägungen auf der Grundlage des Entwurfes vom Rechtsausschuss aus dem Jahr 1965. 247 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 42.

5. Kapitel

Der Gemeinsame Ausschuss als universales Notparlament im sog. Pandemiefall? Die vorstehenden Überlegungen zur Einordnung des Gemeinsamen Ausschusses in das System der Gewaltenteilung gewinnen jedoch nicht nur durch den drohenden Waffenangriff von außen an praktischer Relevanz. Die Angst vor einem militä­rischen (Atomwaffen-)Angriff im Zuge des Ost-West-Konflikts, die die Entstehung der grundgesetzlichen Notstandsverfassung maßgeblich prägte, war mit der Zeit verblasst und anderen Gefahren gewichen.1 Präsenter wurden jüngst die Herausforderungen, mit denen die Corona-Pandemie das alltägliche Leben und den Rechtsstaat konfrontiert.2 Bereits zu einem frühen Zeitpunkt bzw. als sich die Auswirkungen der Krise auf die parlamentarische Arbeit eines mehr als 598-köpfigen Organs nicht absehen ließen, keimte die Idee eines verkleinerten Notparlaments zur Bewältigung der Corona-Pandemie auf.3 Dabei ging es zum einen um die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Gemeinsamen Ausschusses, über den Verteidigungsfall hinaus, auf den Pandemiefall und zum anderen um die Etablierung eines gänzlich anderen, eigenen Organs im Sinne eines Notparlaments für den Pandemiefall.4 Greift man diese Debatte auf und will die Frage beantworten, ob ein Notparlament – entweder in Gestalt des Gemeinsamen Ausschusses oder in neuem Gewand – auch zur universalen parlamentarischen Krisenbewältigung wie etwa dem Pandemiefall herangezogen werden kann, ist ein Blick auf den verfassungsrechtlichen status quo und die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Auslegung des Art. 53a GG als universales Notparlament unentbehrlich (I.). Daneben fragt sich, ob der gegenwärtige Pandemiefall, das heißt die Umstände der Corona-Pandemie, überhaupt den Einsatz eines verkleinerten Notparlaments anstelle des Parlaments des Normalfalles erfordern (II.). Losgelöst von den Umständen der Corona-Pandemie bzw. diese zum Anlass nehmend, stellt sich die Frage nach der verfassungs 1

Bereits 15 Jahre nach der 17. Änderung zum Grundgesetz kritisch zu der Frage, ob die Notstandsverfassung unter gewandelten Bedrohungslagen und Umständen noch zeitgemäß ist Römer, in: DuR 1983, S. 144. 2 Mit dem Angriff der Russischen Förderation auf die Ukraine im Februar 2022 ist die Angst vor einem erneuten Aufflammen des Ost-West-Konflikts und damit vor einer der ursprünglichen Spannungslage vergleichbaren Situation wieder aktueller geworden. 3 C. u. S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020. 4 Im Rahmen dieser Debatten muss ferner zwischen Überlegungen für ein verkleinertes Notparlament des Bundestages und der Volksvertretungen der Länder unterschieden werden. In Anlehnung an die vorstehenden Überlegungen liegt auch hier der Fokus auf der Bundesebene.

I.  Auslegung von Art. 53a GG als universales Notparlament 

219

rechtlichen Möglichkeit für eine Grundgesetzänderung, die auf die Einsetzung eines Notparlaments für den sogenannten Pandemiefall zielt (III.).

I. Die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Auslegung von Art. 53a GG als universales Notparlament  Wie gestaltet sich der verfassungsrechtliche status quo in Sachen Notparlament? Lässt sich der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 53a GG als universales Notparlament auch für den Pandemiefall auslegen? Der Wortlaut und die Systematik des Grundgesetzes sprechen bei der Beantwortung dieser Fragestellungen eine bemerkenswert eindeutige Sprache: Der verfassungsrechtliche status quo für die Einsetzung eines Notparlaments in Krisenzeiten beschränkt sich gem. Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG auf die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall. Daher kennt das Grundgesetz abweichend vom Normalfall einzig und allein für den Verteidigungsfall im Sinne des bewaffneten Angriffs oder drohenden Angriffs von außen Sonderregelungen. Einen allgemeinen Ausnahmezustand, eine Krise als solche und erst recht einen Pandemiefall normiert das Grundgesetz demgegenüber nicht.5 Daher gelten in jeder Art von faktischer Krise außerhalb des Anwendungsbereichs des Verteidigungsfalles und damit auch im Falle einer Pandemie die Regeln des Normalfalles; dazu zählt neben der Einsetzung des Bundestages als Parlament des Normalfalles insbesondere auch die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze (wie das Prinzip der Gewaltenteilung) in vollem Umfang.6 Vor diesem Hintergrund ist die gegenwärtige Situation in der Corona-Pandemie als besonders prekär wahrzunehmen, so Brüning.7 Diese Annahme wird auf die Tatsache zurückgeführt, dass einschneidende Grundrechtsbeschränkungen und Gefährdungen des Rechtsstaates von einem faktischen – wie auch immer zu betitelnden – Ausnahmezustand zeugen, der sich aber in den verfassungsrechtlichen Grenzen des Normalfalles abspielt bzw. abzuspielen hat. Einen Pandemiefall mit besonderen Regeln kennt die Verfassung schließlich nicht. Die Verfassung kennt demgegenüber lediglich die Möglichkeit der speziellen Amtshilfe im regionalen oder überregionalen Katastrophenfall nach Art. 35 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG. In diesem Fall ist der innerstaatliche Bundeswehreinsatz infolge einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalles möglich. Zwar wird der Pandemiefall nicht selten als Phänomen einer Naturkatastrophe im Sinne der Vorschriften eingeordnet.8 Die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten infolgedessen sind nach dem verfassungsrechtlichen status quo jedoch gering: 5

Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272; Krings, in: ZRP 2020, S. 97; Papier, in: DRiZ 2020, S. 180. Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272. 7 Ebd. 8 So z. B. Untrieser, in: NVwZ 2021, S. 282, 284, 286. 6

220

5. Kap.: Der Gemeinsame Ausschuss im sog. Pandemiefall?

Weiter als im Normalfall reichende Einschränkungsmöglichkeiten der Grundrechte, geschweige denn die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses noch eines anderen Notparlaments, gehen damit nicht einher. Der status quo der Einsetzung eines Notparlaments ist daher dem eindeutigen Wortlaut und der Systematik entsprechend Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG auf den Gemeinsamen Ausschuss im Verteidigungsfall beschränkt. Alles in allem ist weder ein verfassungsrechtlicher Pandemiefall mit weitreichenden staatlichen Eingriffsmöglichkeiten noch die Einsetzung eines universalen Notparlaments in der Verfassung angelegt. Die Einsetzung eines Notparlaments in Gestalt des Gemeinsamen Ausschusses ist auf den Verteidigungsfall beschränkt. Da die Auslegung von Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG ein eindeutiges Bild zeichnet, wäre eine Verfassungsänderung von Nöten, um den Pandemiefall und die Einsetzung eines Notparlaments für diesen Fall zu normieren.9

II. Die Corona-Pandemie und die Erforderlichkeit eines verkleinerten Notparlaments   Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Änderung wird im Folgenden zu beleuchten sein. Vorab soll der Blick aber auf den gegenwärtigen Pandemiefall gelenkt werden. Die Corona-Pandemie stellt neben dem alltäglichen Leben und dem Rechtsstaat im Allgemeinen die Parlamentsarbeit im Besonderen vor nie dagewesene Herausforderungen: Abgeordnete befinden sich in Quarantäne, in Eigenisolation, sind infektiös oder gar erkrankt10; daneben müssen Sicherheitsabstände sowie sonstige Hygienemaßnahmen im Parlamentsgebäude eingehalten werden und ferner verhindern gegebenenfalls Reisebeschränkungen schon das Erreichen des Parlamentsgebäudes.11 Die Versammlung Hunderter Abgeordneter wird so zumindest erschwert und scheint im Hinblick auf die Eindämmung des Pandemiegeschehens auch wenig sinnvoll. Die Notstandsverfassung des Grundgesetzes  – der verfassungsrechtliche status quo – als Kind des ehemaligen Ost-West-Konflikts, geboren aus der Angst vor einem bewaffneten Atomwaffenangriff von außen12, kennt diese Art einer faktischen Krise hingegen nicht, reagiert darauf nicht bzw. lässt für den Pandemiefall die Regel des Normalfalles anwendbar. Demgegenüber verfügen verschiedene Länderverfassungen über deutlich weitreichendere Notstandsregelungen zur Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments in verschiedenen Krisensitua 9

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 16; zu dem Ergebnis kommen letztlich auch Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 102 vor dem Hintergrund, dass informelle Bundestagsabsprachen über die komprimierte Sitzungsteilnahme das Recht auf ein freies Mandat dauerhaft über Gebühr strapazieren und eine versteckte Einführung eines Notparlaments bedeuten würden. 10 Becker, in: NVwZ 2021, S. 617. 11 Lenz / Schulte, in: NVwZ 2020, S. 744. 12 C. u. S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020.

II. Die Corona-Pandemie   

221

tionen bzw. strengen pandemiebedingt Überlegungen zur Einsetzung sogenannter Notparlamente oder Notausschüsse an.13 In diesem Kontext drängt sich eine entscheidende Fragestellung auf: Ist die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments im konkreten Pandemiefall tatsächlich erforderlich oder lässt sich die Corona-Pandemie mit dem verfassungsrechtlichen status quo, das heißt dem Parlament des Normalfalles, bestreiten? Im Ausgangspunkt gilt auch hier, dass die Einsetzung eines extrem verkleinerten Notparlaments nur ultima ratio gegenüber der Beibehaltung des verfassungsrechtlichen status quo sein kann. Schließlich liegt dem Grundgesetz die Entscheidung, den Normalfall so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, zu Grunde. Ist also der Bundestag in der Lage, seiner Parlamentsarbeit trotz Erkrankungen, Quarantäne, Kontaktbeschränkungen, Abstandsregelungen oder sonstiger Hygienemaßnahmen etc. verfassungsgemäß nachzugehen, ist die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments obsolet. Voraussetzung ist, dass die Parlamentsarbeit des Bundestages nicht an ihre Grenzen stößt bzw. im konkreten Pandemiefall gestoßen ist und pandemiebedingten Herausforderungen mit den Mitteln des verfassungsrechtlichen Normalfalles begegnet werden kann.14 Nimmt man dementsprechend die Parlamentsarbeit von Bundestag und Länderparlamenten während der Corona-Pandemie in den Blick, zeigt sich, dass in einigen Punkten Anpassungen vorgenommen wurden, während wesentliche Charakteristika parlamentarischer Arbeit wider Erwarten unproblematisch beibehalten werden konnten. Das nordrhein-westfälische Landesparlament steht exemplarisch für eine modifizierte Parlamentsarbeit während der Pandemie und traf bereits zu Beginn der Krise 2020 zahlreiche Maßnahmen: Die Plenarwoche wurde gekürzt, parlamentsintern einigte man sich darauf, dass jeweils nur ein Drittel der Fraktionsmitglieder anwesend sein durfte (sogenanntes Pairing-Verfahren), zwischenzeitlich wurden Acrylglasabtrenungen installiert und das Anzweifeln der Beschlussfähigkeit ausgesetzt.15 Im Bundestag wurde etwa die Beschlussfähigkeitsrate temporär herabgesetzt, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments in diesen unsicheren Zeiten zu garantieren.16 Gem. § 126a Abs. 1 GO BT17 ist der Bundestag abweichend von § 45 Abs. 1 GO BT bereits beschlussfähig, wenn mehr als ¼ der Mitglieder anwesend sind. 13

Becker, in: NVwZ 2021, S. 617, 618, derartige Regelungen der Länderverfassungen z. B. in Art. 113 Abs. 1 SachsVerf., Art. 110 HessVerf. (dazu ausführlich Lenz / Schulte, in: VBlBW 2020, S. 309) oder Art. 62 Abs. 1 BWVerf., Implementierung eines Notausschusses auf Grund pandemiebedingter Überlegungen in Art. 22a SHVerf. 14 Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272, 274; zum Bestreben, die Strukturen und Mechanismen des Normalfalles aufrechtzuerhalten auch Fuchs, in: DÖV 2020, S. 653, 655. 15 Zu derartigen technischen und organisatorischen Anpassungen Schmidt, in: DVBl. 2021, S. 231; Untrieser, in: NVwZ 2021, S. 282, 283. 16 C. u. S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020; ähnlich auch Fuchs, in: DÖV 2020, S. 653, 655; Krings, in: ZRP 2020, S. 97. 17 § 126a GO BT wurde zwischenzeitlich wieder aufgehoben, BGBl. I 2022, S. 2600.

222

5. Kap.: Der Gemeinsame Ausschuss im sog. Pandemiefall?

Bei alldem handelt es sich um relativ unkomplizierte Regelungen zur Aufrechterhaltung der Parlamentsarbeit. Unproblematisch sind diese Änderungen der Selbstorganisation der Parlamente unter dem Gesichtspunkt der Abgeordnetenrechte und dem demokratietypischen Grundsatz der Öffentlichkeit hingegen nicht. Insbesondere die Beteiligung nur weniger Abgeordneter – auch auf freiwilliger Basis – kann nur kurzzeitig mit dem freien Mandat vereinbar sein und eine verfassungsmäßige Lösung darstellen, da es andernfalls zu einer informellen Einführung eines verkleinerten Notparlaments käme.18 Um der Einführung eines informellen Notparlaments entgegenzusteuern, um möglichst alle Abgeordneten zu beteiligen – das heißt gerade diejenigen, die in Quarantäne, die erkrankt oder infektiös sind – und um die Hygienemaßnahmen einzuhalten, lässt sich über die Abhaltung einer virtuellen bzw. zumindest hybriden Plenarsitzung, bei der Abgeordnete mittels Bild- und Tonübertragung hinzugeschaltet werden, nachdenken. Grundvoraussetzung für eine virtuelle bzw. hybride Plenarsitzung ist selbstredend, dass das Medium geeignet ist, das Stimmrecht sowie die Frage-, Antrags- und Rederechte der Abgeordneten sicher abbilden und ausführen zu können.19 Dies vorausgesetzt, könnte die Abhaltung virtueller bzw. hybrider Sitzungen die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments entbehrlich machen bzw. ist dieser Umstand jedenfalls nicht für die Einsetzung eines solchen anzuführen.20 Schließlich gilt die Einsetzung eines Notparlaments als ultima ratio. In den Ausschüssen des Bundestages ist (daher) die Abhaltung virtueller Sitzungen in der Corona-Pandemie über § 126a Abs. 2 GO BT bereits Wirklichkeit geworden.21 Im Übrigen sieht mit neuerlicher Verfassungsänderung auch Art. 22a Abs. 5 SHVerf. die Möglichkeit hybrider Landtagssitzungen im Falle einer schweren Katastrophe oder einer epidemischen Lage von überregionaler Tragweite vor. Die Erstreckung der virtuellen Sitzungen auch auf die Plenarsitzung des Bundestages wird demgegenüber kritischer gesehen und stellt ein sensibles verfassungsrechtliches Grundsatzthema dar. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ist trotz zahlreicher praktischer Vorteile der Ansicht, dass virtuelle Sitzungen ohne Verfassungsänderung nicht möglich sind.22 In Anlehnung an Art. 39 Abs. 1, 2, 3, Art. 42 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 GG bestehe ein Zwang zur körperlichen Anwesenheit der Abgeordneten in einem gemeinsamen Plenarsaal. Im Übrigen würde die rein virtuelle Debatte 18 Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 102; wohingegen Untrieser, in: NVwZ 2021, S. 282, 283 ff. stark auf den freiwilligen Charakter der Maßnahmen abstellt, um diese verfassungsrechtlich zu rechtferigen. 19 Becker, in: NVwZ 2021, S. 617, 619; dazu kritisch Schmidt, in: DVBl. 2021, S. 231. 20 Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272, 274; Dreier, in: DÖV 2021, S. 229, 240; Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 103. 21 Dazu Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 101; derartige Regelungen auch auf Länderebene z. B. in § 97a NdsGOLT oder § 193a BayGOLT. 22 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Virtuelles Parlament v. 31. 03. 2020, S. 3 ff.; a. A. Lenz / Schulte, in: NVwZ 2020, S. 744, 745 ff.; Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 104 f.

II. Die Corona-Pandemie   

223

den Charakter der parlamentarischen Debatte doch erheblich verändern.23 Nach anderer Ansicht müssen die Abgeordneten weder anwesend sein noch würde eine digitale bzw. hybride Plenarsitzung den Grundsatz der Öffentlichkeit verletzen.24 Zum einen – so die Argumentation – können die Abgeordneten in Livestreams ihr Stimm-, Frage-, Antrags- und Rederecht ausüben und zum anderen ist die Beteiligung der Publikumsöffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bei virtuellen Sitzungen insofern unproblematisch, als Berichterstatter und andere Dritte die Sitzung ebenfalls streamen könnten.25 Auf die Frage nach einem Zwang zur körperlichen Anwesenheit der Abgeordneten und der Verfassungsmäßigkeit virtueller Sitzungen vor dem verfassungsrechtlichen status quo soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Fakt ist aber: Unabhängig davon, ob für die Einführung virtueller Sitzungen eine Verfassungsänderung erforderlich wäre, stellt die virtuelle bzw. hybride Sitzung eine erheblich geringere Beschneidung von Abgeordnetenrechten dar als die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments.26 Die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments kann auch gegenüber der virtuellen Verhandlungsweise des Parlaments des Normalfalles nur ultima ratio sein, denn der Einsatz eines Notparlaments ist ausschließlich auf extreme Ausnahmesituationen zu beschränken.27 Anders als im Verteidigungsfall, in dem die besonders drängenden Umstände selbst die virtuelle Versammlung mehrerer Hundert nahezu unmöglich machen28, kann daher im Pandemiefall die virtuelle Beratung von mehreren Hundert das Mittel der Wahl sein. Insofern lässt sich festhalten, dass im Pandemiefall die Einsetzung eines Notparlaments zu Gunsten virtueller Sitzungen des Bundestages nicht erforderlich wäre. Letztlich lässt sich sagen, dass die Parlamentsarbeit mit Änderungen der Selbstorganisation des Bundestages, des Parlaments des Normalfalles, in der bisherigen Pandemie stets möglich war, sodass die Einsetzung eines Notparlament jedenfalls gegenwärtig nicht erforderlich ist.29 Die massenweise Erkrankung zahlreicher Abgeordneter blieb aus und freiwillige Regeln zur Selbstorganisation der Parlamente konnten getroffen werden. Die Corona-Pandemie stellt Demokratie und Rechtsstaat ohnehin vor große Herausforderungen. Daraus kann nur eine behutsame Wahl der Mittel folgen: In diesem Kontext zeigt die Verfassungspraxis, dass die Einsetzung eines universalen Notparlaments im Pandemiefall ultima ratio und nach gegen 23

Schmidt, in: DVBl. 2021, S. 231. Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 104; Krings, in: ZRP 2020, S. 97; Lenz / Schulte, in: NVwZ 2020, S. 744; dies., in: VBlBW 2020, S. 309, 318. 25 Lenz / Schulte, in: NVwZ 2020, S. 744; ebenfalls für den Einsatz moderner Kommunikationsmittel Krings, in: ZRP 2020, S. 97. 26 Becker, in: NVwZ 2021, S. 617, 618; Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272, 275. 27 Becker, in: NVwZ 2021, S. 617, 618 f. dazu im Zusammenhang mit Art. 22a SHVerf. 28 Siehe dazu S. 190 ff. 29 C. u. S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020; Dreier, in: DÖV 2021, S. 229 spricht insofern davon, dass den pandemiebedingten Herausforderungen bis dato mit den „üblichen Verfahren“ getrotzt werden konnte; Kersten / Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, S. 103. 24

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5. Kap.: Der Gemeinsame Ausschuss im sog. Pandemiefall?

wärtiger Sachlage unverhältnismäßig ist. Die Parlamentsarbeit lässt sich mit den Mitteln des Normalfalles, gegebenenfalls über die grundgesetzliche Verankerung virtueller Sitzungsmöglichkeit, leisten. Allerdings erübrigt die Einschätzung der gegenwärtigen Lage nicht die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Einsetzung eines Notparlaments jedenfalls für solche Pandemiefälle, in denen auch die Aufrechterhaltung der Parlamentsarbeit des Normalfalles mit gerade beschriebenen Mitteln nicht mehr möglich ist. Denkbar wären solche Konstellationen, in denen die körperliche respektive virtuelle Versammlung hunderter Abgeordneter etwa aufgrund ihrer massenweisen Erkrankung unmöglich wird. Insofern lässt sich die gegenwärtige Krise jedenfalls als Anlass zur Überlegung und Diskussion sehen.

III. Die Verfassungsmäßigkeit einer Grundgesetzänderung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung  Zieht man also in Betracht, dass anders als bei der Corona-Pandemie eine epidemische Situation eintritt, die eine unaufhaltsame und massenweise Erkrankung der Bevölkerung hervorruft und damit die Arbeit des Parlaments des Normalfalles unmöglich macht, stellt sich die Frage nach der verfassungsmäßigen Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments bzw. nach der Ausweitung des Anwendungsfalles des Gemeinsamen Ausschusses auf den Pandemiefall. Eine derartige Verfassungsänderung ist an den Grundsätzen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit etc. auszurichten.30 Die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments bedeutet schließlich den Ausschluss zahlreicher Abgeordneter von wesentlichen Entscheidungen. Deshalb ist diese Änderung wie im Verteidigungsfall nur zu Gunsten wichtiger Verfassungsgüter zulässig, gilt darüber hinaus als ultima ratio und bedingt die Absicherung der Erforderlichkeit bzw. Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme.31 Wie an anderer Stelle ausgeführt, dürfen Verfassungsänderungen gem. Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG insbesondere das Prinzip der Gewaltenteilung nicht berühren. Auch hier lassen sich anhand des vierstufigen Maßstabs der Gewaltenteilung Problemfelder einer derartigen Grundgesetzänderung ausmachen, die im Folgenden ausblickartig angezeigt werden. Auf der ersten Stufe des Maßstabs, die sicherstellen soll, dass normativ aus dem Grundgesetz hergeleitete funktionale Hauptteile nicht von anderen Funktionsträgern tangiert werden, stellt die Einsetzung eines extrem verkleinerten Notparlaments so lange kein Problem dar, wie das Parlament des Normalfalles tatsächlich funktionsunfähig ist. Wenn dies der Fall ist, stehen Notparlament und Bundestag nicht in Konkurrenz. Das Notparlament füllt vielmehr das Machtvakuum, das infolge der Funktionsunfähigkeit des Parlaments des Normalfalles entsteht. Auf der 30 31

Becker, in: NVwZ 2021, S. 617. Becker, in: NVwZ 2021, S. 617, 618.

III.  Verfassungsmäßigkeit einer Grundgesetzänderung

225

zweiten Stufe, die dem freiheitssichernden Motiv der Gewaltenteilung Rechnung trägt, ist zu hinterfragen, ob das Notparlament (in Gestalt des Gemeinsamen Ausschusses) mit Blick auf seine Befugnisse im Pandemiefall ausreichend legitimiert ist. Bleibt es bei der allenfalls mittelbar kollektiv-demokratischen Legitimation des Notparlaments im Pandemiefall, ergeben sich an dieser Stelle dieselben Problemfelder wie im Verteidigungsfall: Die Legitimation des Notparlaments nimmt bei steigender Bedeutsamkeit der Entscheidungswirkung ab. Letztlich kommt es bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer derartigen Grundgesetzänderung sicherlich nicht (nur) auf die Vergleichbarkeit von Verteidigungsfall und Pandemiefall an, um diese zu legitimieren. Wie bereits festgestellt, haben Pandemiefall und Verteidigungsfall zwar weniger gemein als zuvor gedacht32; aber auch im Pandemiefall geht es im Wesentlichen um die Frage, ob zu Gunsten parlamentarischer Reaktionsfähigkeit auf die unmittelbar kollektiv-demokratische Legitimation vieler, das heißt des Parlaments des Normalfalles, verzichtet werden sollte.33 Dieser Gedanke lässt den Blick auf die dritte Stufe des Maßstabs richten, wonach dasjenige Organ mit der Bewältigung des Pandemiefalles betraut werden sollte, das personell, verfahrensmäßig und instrumentell geeignet ist, diese Aufgabe funktionsadäquat wahrzunehmen. Wie im Verteidigungsfall könnte auch im Pandemiefall ein heimlich beratendes 48-köpfige Notparlament personell und verfahrensmäßig das Mittel der Wahl sein. Allerdings hängt die funktionsadäquate Pandemiebewältigung in besonderem Maße von der Akzeptanzsteigerung, der Qualitätssicherung und dem Interessenausgleich durch die breite Parlamentsmasse unter Beteiligung der Öffentlichkeit ab.34 Warum ist im Pandemiefall, im Gegensatz zum Verteidigungsfall, auf ein öffentlich beratendes Parlament des Normalfalles in seiner ganzen personellen Stärke zu setzen? Gerade im Pandemiefall ist in öffentlicher Beratung auf eine Akzeptanzsteigerung zu setzen, da der Erfolg der Pandemiebekämpfung vom Mittragen der gesetzgeberischen Maßnahmen durch die Bevölkerung abhängt und die Öffentlichkeit bzw. das öffentliche Leben ohnehin weitgehend eingeschränkt werden.35 Die Umsetzung von Hygienemaßnahmen, Kontaktbeschränkungen etc. ist gerade dann, wenn sie auf Freiwilligkeit ausgelegt sind oder ihre Einhaltung nur schwer überprüfbar ist, auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen. Die Legitimitätswirkung durch den öffentlichen Charakter der Sitzungen eines mehrere hundert Personen starken Organs und ihr Beitrag zur effizienten Pandemiebewältigung dürfen daher nicht unterschätzt werden. Damit lässt sich zurecht daran zweifeln, ob der Einsatz eines heimlich beratenden, extrem verkleinerten Notparlaments die ausreichende Akzeptanz und funktionsadäquate Aufgabenwahrnehmung im Pan 32

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 17. Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 18. 34 Boehme-Neßler, in: DÖV 2021, S. 243, 250 f.; Brüning, in: NVwZ 2021, S. 272, 273; in diese Richtung auch Dreier, in: DÖV 2021, S. 229, 242. 35 C. u. S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020. 33

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5. Kap.: Der Gemeinsame Ausschuss im sog. Pandemiefall?

demiefall bedeuten kann.36 Dementsprechend darf im Pandemiefall keine generelle Geheimhaltungspflicht des parlamentarischen Beratungsvorganges gelten.37 Aufgrund einer drohenden Funktionsunfähigkeit in besonders gelagerten Pandemiefällen kann demgegenüber jedoch die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments unumgänglich und damit personell funktionsadäquat sein; zum Beispiel und vor allem dann, wenn selbst eine virtuelle Beratungsweise nicht mehr zur Beschlussfähigkeit des Parlaments führen würde.38 Besonders der unvorhersehbare Wechsel von einer Pandemiephase in die nächste (verschiedene „Wellen“) kann den Einsatz eines verkleinerten Parlaments erforderlich machen.39 Ein als ultima ratio verkleinertes, jedoch öffentlich beratendes Notparlament könnte daher funktionsadäquat und auf der dritten Stufe mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar sein. Auf der vierten Stufe des Maßstabs, auf der es die Motive der Gewaltenteilung nach einer Gesamtabwägung der Umstände des Pandemiefalles zu gewichten gilt, bestätigen sich die auf der dritten Stufe gewonnenen Erkenntnisse: Nicht nur zu Gunsten effizienter Pandemiebewältigung, sondern auch mit Blick auf das missbrauchsverhütende sowie vor allem auf das freiheitssichernde Motiv der Gewaltenteilung ist die Aufrechterhaltung der Publikumsöffentlichkeit essentiell. Die Akzeptanz der freiheitseinschränkenden Maßnahmen und deren Kontrolle sind schließlich der Schlüssel für gewaltenteilige Pandemiebewältigung. Über allem schwebt dabei einmal mehr, dass die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments nur als ultima ratio verhältnismäßig ist. Vor allem die virtuelle Beratungsweise des Parlaments des Normalfalles wären im Pandemiefall (anders als im Verteidigungsfall) das erste Mittel der Wahl, um eine Entscheidungsfindung der breiten Parlamentsmasse mit Blick auf das Infektionsgeschehen möglich zu machen. Dies vor Augen wäre eine Grundgesetzänderung für eingangs beschriebene Pandemiefälle denkbar und mit dem Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vereinbar. Den verfassungstextlichen Anknüpfungspunkt einer derartigen Verfassungsänderung könnte die Funktionsunfähigkeit des Bundestages liefern, die in verschiedenen Krisenlagen (wie Verteidigungs- und Pandemiefall) zu einer Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments führt.40

36

Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 17. C. u. S. Schönberger, Regiert bald ein Notausschuss?, FAZ v. 26. 03. 2020. 38 Insofern sei auch hier der Verfassungsmäßigkeit nicht-physischer Anwesenheit der Abgeordneten nicht detaillierter nachgegangen. 39 Hobe, in: BonnKomm, GG, Art. 53a Rn. 18. 40 In diese Richtung auch Schmidt, in: DVBl. 2021, S. 231, 234; sowie unabhängig vom Pandemiefall Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 133, 263. 37

IV. Zusammenfassung    

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IV. Zusammenfassung   Die gegenwärtige Corona-Pandemie stellt den Alltag sowie den Rechtsstaat vor unzählige Herausforderungen und gibt Anlass zu der Überlegung, ob ein Notparlament zur Bewältigung von Pandemiefällen das Mittel der Wahl und verfassungsmäßig sein könnte. Der verfassungsrechtliche status quo für die Einsetzung eines Notparlaments ist gem. Art. 53a i. V. m. Art. 115a Abs. 1, Art. 115e Abs. 1 GG auf den Verteidigungsfall, das heißt auf den (drohenden) Waffenangriff von außen, beschränkt. Der Gedanke, den Gemeinsamen Ausschuss als universales Notparlament auszulegen, wird durch den eindeutigen Wortlaut der Notstandsverfassung im Keim erstickt. Aus diesem Grund wäre eine Verfassungsänderung erforderlich, um ein Notparlament für den Pandemiefall zu etablieren. Die Corona-Pandemie als gegenwärtiger Pandemiefall zeigt aber, dass den Herausforderungen für den Rechtsstaat ohne Verfassungsänderung – und zwar mit den Mitteln parlamentarischer Selbstorganisation – ausreichend begegnet werden kann. Zum Beispiel durch: eine Verkürzung der Plenarwoche, Abstandsregelungen und -vorkehrungen, virtuelle Plenarsitzungen, freiwillige Absprachen der Fraktionen, in verringerter Personenanzahl zusammenzutreten etc. Allerdings sind andere Pandemiefälle denkbar, in denen angepasste Regelungen der parlamentarischen Selbstorganisation die Funktionsfähigkeit des Bundestages eben nicht aufrechthalten können, ausgelöst etwa durch eine hohe Infektionsrate unter den Abgeordneten. Unter diesem Gesichtspunkt ist es unerlässlich, die Verfassungsmäßigkeit einer Grundgesetzänderung, die für Fälle wie diese die Einsetzung eines Notparlaments ausdrücklich vorsieht, am Maßstab der Gewaltenteilung zu messen. Auf den vier Stufen des Maßstabs erweist sich dabei als wesentlich, dass sich Pandemiefall und Verteidigungsfall in zentralen Punkten unterscheiden: Während es im Verteidigungsfall geboten und funktionsadäquat ist, die Publikumsöffentlichkeit mit Blick auf die Information des Angreifers auszuschließen, ist die öffentliche Beratung des (Not-)Parlaments im Pandemiefall für die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber den pandemieeindämmenden Maßnahmen von immenser Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Einsetzung eines verkleinerten Notparlaments im Pandemiefall wie auch im Verteidigungsfall ultima ratio ist. Allerdings gilt im Pandemiefall anders als im Verteidigungsfall die virtuelle Beratung des Parlaments des Normalfalles als milderes Mittel und kann der Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit dienen.41 Ein Notparlament ist also nur in solchen Pandemiefällen denkbar bzw. eine dahingehende Verfassungsänderung nur für die Fälle verfassungsmäßig, in denen die ordnungsgemäße Parlamentsarbeit nicht (mehr) mit den Mitteln der Selbstorganisation geleistet werden kann – die Pandemiefolgen also eine gewisse Schwelle überschritten haben – und die Aufrecht-

41 Siehe zur Möglichkeit bzw. Funktionenadäquanz der virtuellen Beratung im Verteidigungsfall S. 190 ff.

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5. Kap.: Der Gemeinsame Ausschuss im sog. Pandemiefall?

erhaltung der Publikumsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG garantiert wird. Sofern nach dieser überblicksartigen Auseinandersetzung eine Positionierung überhaupt möglich ist, muss festgehalten werden, dass sich eine etwaige Grundgesetzänderung in einem vergleichsweise eng abgesteckten Rahmen bewegt. Leitend ist dabei der Gedanke, ein verkleinertes Notparlament allenfalls als ultima ratio unter den Umständen des Pandemiefalles einzusetzen und dies verfassungstextual zum Ausdruck zu bringen. Denkbar wäre, insofern ist Twenhöven zuzustimmen42, die Einsetzung eines Notparlaments am Differenzierungsmerkmal „Funktions­ unfähigkeit des Parlaments“ für verschieden gelagerte Ausnahmesituationen festzumachen. Mehr als einen Impuls kann diese überblicksartige Darstellung sicherlich nicht bieten, stecken doch derartige Überlegungen aufgrund des gegenwärtigen Pandemiefalles noch in den Kinderschuhen.

42

Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 133, 263.

Schluss Hält der Gemeinsame Ausschuss nun also, was er entstehungsgeschichtlich mit Blick auf das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung verspricht? Will man diese Ausgangsfrage beantworten und den Gemeinsamen Ausschuss in eben dieses System, das seinen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG findet, einordnen, zeigt sich, dass vor dieser Einordnung die Auseinandersetzung mit zwei Schwerpunkten unerlässlich ist: zum einen mit dem Gemeinsamen Ausschuss als besonderem Verfassungsorgan, der trotz seiner Ausrichtung an rechtsstaatlichen Grundsätzen unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht ganz unproblematisch ist, und zum anderen mit dem System der Gewaltenteilung, das aufgrund mehrerer dem Prinzip immanenter Spannungsfelder nur schwerlich zu erfassen ist. Im Hinblick auf die Ausgangsfrage lässt sich zu folgenden zusammenfassenden Einschätzungen kommen.

Zusammenfassende Einschätzung 1. Die Ausrichtung des Gemeinsamen Ausschusses am Prinzip der Gewaltenteilung impliziert nicht die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung. Der Gemeinsame Ausschuss gilt seinerseits entstehungsgeschichtlich unter Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive als Bollwerk rechtsstaatlicher Krisenbewältigung, das im Verteidigungsfall und bei Funktionsunfähigkeit des Parlaments einheitlich an die Stelle von Bundestag und Bundesrat tritt. So unproblematisch, wie es scheint, ist Art. 53a GG unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung dennoch nicht. Drei Problemfelder tun sich hier auf: Erstens implizieren allein die Abkehr vom Notverordnungsrecht der Exekutive (Art. 48 Abs. 2 WRV) und die Entscheidung für sein Gegenmodell noch nicht die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Schließlich könnte die gewaltenteilige Lösung des Notstandes auch zwischen Pol und Gegenpol liegen. Zweitens trifft im Verteidigungsfall ein extrem verkleinertes Notparlament fundamentale Entscheidungen, die normalerweise in den Händen von mindestens 598 Vertretern liegen und verdrängt gem. Art. 115e Abs. 1 GG Bundestag und Bundesrat für unbestimmte Zeit aus ihrem Besitzstand. Die ungewisse Dauer der Funktionsübernahme und die Reichweite der Notstandsbefugnisse sind daher vor dem missbrauchsverhütenden Motiv der Gewaltenteilung nicht unproblematisch. Und drittens ist die Vereinfachung verschiedener Kontrollmechanismen zwar ein wesentliches Merkmal jeder Notstandsverfassung, um eine flexible und effiziente Entscheidungsfindung zu gewährleisten; gleichzeitig wird dadurch die Gefahr des

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Schluss

Machtmissbrauchs jedoch real. Die 48-köpfige Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses zeugt dabei vom Effizienzgedanken. Ob der Verhütung von Machtmissbrauch ausreichend Rechnung getragen wird, ist demgegenüber aber ungewiss. Will man den Gemeinsamen Ausschuss vor diesem Hintergrund in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung einordnen, ist es unerlässlich, sich mit eben diesem System auseinanderzusetzen. 2. Die Gewaltenteilung ist als klassisches Prinzip von Maß und Mitte von zahlreichen Spannungsfeldern geprägt, die die Motive und Inhalte des Prinzips im Wesentlichen bestimmen. Da die Gewaltenteilung ein tradiertes Ordnungsprinzip von Maß und Mitte ist, sind seine Inhalte und Grenzen aus seinen entstehungsgeschichtlichen Wurzeln zu entwickeln, die bis in die Antike reichen. Als Prinzip von Maß und Mitte dient es zur Ab- und Begrenzung von Befugnissen und Zuständigkeiten verschiedener staatlicher Funktionsträger. Dabei verfolgt die Gewaltenteilung eine sogenannte Trias der Motive: An vorderster Stelle steht die Missbrauchsverhütung durch Hemmung der Machtausübung qua Kompetenzordnung; denn je kleinteiliger Machtanteile verteilt werden, desto unwahrscheinlicher ist Machtmissbrauch. Ferner verfolgt die Gewaltenteilung die Freiheitssicherung des Einzelnen, indem die Funktionsträger in eben diese konkrete Kompetenzordnung eingebunden werden. Die Trias der Motive wird durch die effiziente Aufgabenwahrnehmung, wonach kleinteilige Aufgabendistribution ihre Grenzen in Ineffizienz und Irrationalität findet, komplettiert. Schnell wird klar: Die Motive bedingen einander, formen einen Rahmen, in dem sich Gewaltenteilung abspielt, stehen sich aber auch vor allem in Gestalt des Effizienzgedankens und der Missbrauchsverhütung in einem Spannungsfeld gegenüber, das für die Gewaltenteilung als Prinzip von Maß und Mitte charakteristisch ist und weitere Spannungsfelder nach sich zieht. Setzt man sich mit der Gewaltenteilung als Ordnungsprinzip aus seinen entstehungsgeschichtlichen Wurzeln auseinander, kommt man nicht daran vorbei, früher oder später den Urheber moderner Gewaltenteilungslehren einzubeziehen: Montesquieu etablierte 1748 in seinem Werk „Vom Geist der Gesetze“ mit einer idealisierten Interpretation der englischen Verfassungspraxis die klassische Dreiteilung in Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt, wobei die dem Grunde nach getrennten Funktionen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern in einem System gegenseitiger Kontrolle aufgehen. Dabei zeichnet die Ambivalenz von Trennungs- und Verschränkungsgedanken ein weiteres Spannungsfeld im System der Gewaltenteilung, das auch gegenwärtig noch prägend ist. Das System aus Dreiteilung sowie Trennung und Verschränkung lässt sich heute in jeder Verfassung moderner Rechtsstaaten wiederfinden. Dabei verfolgt jede Verfassung selbstredend eine eigene Spielart des abstrakten Prinzips. 3. Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes präsentiert sich trotz bzw. gerade wegen des Spannungsfeldes zwischen der Gewaltentrennung und der Gewalten-

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verschränkung als einheitliches Prinzip, was sich in einem vierstufigen Maßstab der Gewaltenteilung abbilden lässt. Eine Spielart des klassischen Ordnungsprinzips stellt letztlich auch die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dar, wonach die Ausübung der Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung erfolgt. Der klassische Trennungsgedanke der Gewaltenteilung manifestiert sich über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in der ausdrücklichen Dreiteilung in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Die Gewaltentrennung soll dabei ein Mindestmaß an eigenständiger Funktionalität transportieren und damit die Daseinsberechtigung der Dreiteilung absichern. Allerdings beantwortet das Grundgesetz nicht die Frage, in welcher Weise Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung voneinander zu trennen sind. Demgegenüber findet die Gewaltenverschränkung nicht ausdrücklich Niederschrift in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Über das missbrauchsverhütende Motiv der Gewaltenteilung lässt sich die Gewaltenverschränkung im Wege der teleologischen Auslegung aber ebenso verfassungsrechtlich herleiten und findet konkret Ausdruck im Kontrollsystem des Grundgesetzes: Die Funktionsträger der Organe unterschiedlicher Funktionen stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind gegenseitigen Kontrollen (zum Beispiel über parlamentarisch-oppositionelle Kontrollrechte und die Mechanismen der Rechtsprechung) unterworfen. Aber auch im Kontext verschränkender Machtausübung definiert das Grundgesetz nicht, wo die Grenzen zwischen den drei Funktionen verlaufen bzw. wo die Trennlinie zwischen zulässiger Gewaltenverschränkung und unzulässiger Gewaltendurchbrechung verläuft. Beide Grundpfeiler der Gewaltenteilung, die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung, generieren also für sich betrachtet keine Universalaussagen über das Prinzip; insofern können sie auch nicht im Sinne eines Maßstabs fruchtbar gemacht werden. Daraus ist zunächst zu folgern, dass sich die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung (begriffsnotwendig) in einem Spannungsfeld gegenüberstehen, jedoch dieselbe Fragestellung offenbaren: Wo verlaufen die Grenzen zwischen Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung bzw. wie werden diese bestimmt? Die Gewaltentrennung und die Gewaltenverschränkung sind daher trotz oder aber gerade wegen des Spannungsfeldes unlösbar miteinander verbunden. Die Gewaltenteilung ist daher als einheitliches Prinzip zu verstehen. Diese Tatsache erschwert es wiederum, seine wesentlichen Eigenarten und Grenzen im Sinne eines Maßstabs ausmachen zu können. Aus diesem Grund bedarf es einer anderen Herangehensweise, um Universalaussagen über die Anforderungen der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG im Sinne eines Maßstabs zu generieren. Es bietet sich ein gestufter Maßstab der Gewaltenteilung an, da er funktionale wie organisatorische, trennende wie verschränkende und missbrauchsverhütende wie Effizienz geleitete Elemente in sich trägt und damit ein einheitliches Bild der Gewaltenteilung zu zeichnen vermag.

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Ausgangspunkt hinsichtlich der Formulierung eines Maßstabs ist die Frage, ob die Wahrnehmung der in Rede stehenden Kompetenz von dem in Rede stehenden Organ mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar ist. Auf der ersten Stufe sichert der Maßstab ab, dass die über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verbürgte funktionale Eigenständigkeit der drei Funktionen im Sinne von materiellen Mindestbefugnissen erhalten bleibt. Es gilt, normativ – das heißt eben nicht apriorisch – funktionale Hauptteile und funktionale Hauptorgane von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung zu bestimmen und die Frage zu klären, ob die in Rede stehende Aufgabenwahrnehmung in einen dieser funktionalen Hauptteile eingreift. Auf der zweiten Stufe ist die Aufgabenwahrnehmung mit Blick auf das freiheitssichernde Motiv der Gewaltenteilung abzusichern. Es stellt sich die Frage, ob das in Rede stehende Organ angesichts der in Rede stehenden Kompetenz ausreichend legitimiert ist. Es gilt: steigende Legitimation bei steigender Gravität der Entscheidungswirkung. Auf der dritten Stufe ist dem Effizienzgedanken der Gewaltenteilung Rechnung zu tragen und zu eruieren, ob das in Rede stehende Organ eine funktionsadäquate Organstruktur vorweist. Nimmt tatsächlich dasjenige Organ die Kompetenz wahr, das personell, verfahrensmäßig und instrumentell eine sachgerecht Aufgabenwahrnehmung garantieren kann? Auf den ersten drei Stufen zeichnet sich sodann ein Bild, das es auf der vierten Stufe am Telos der Gewaltenteilung unter Abwägung der konkreten Umstände zu überprüfen gilt. In allen Fällen, besonders aber bei Defiziten auf den ersten drei Stufen, ist stets zu hinterfragen, ob sich die Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheitssicherung und Effizienz bewegt. Ausschlaggebend ist hierbei, dass in Abhängigkeit der konkreten Umstände die Motive unterschiedlich akzentuiert werden können. Am Ende steht die Beantwortung der Frage, ob sich die in Rede stehende Kompetenzausübung durch das in Rede stehende Organ verfassungsmäßig im System der Gewaltenteilung bewegt. 4. Der Gemeinsame Ausschuss ist auf den vier Stufen des Maßstabs im Großen und Ganzen mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar und präsentiert sich insofern als das gewünschte Optimum. Überträgt man diesen Maßstab auf die Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses lassen sich verschiedene Aussagen treffen, die die Einordnung in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung ermöglichen. So beschränkt sich die Hauptaktivität des Gemeinsamen Ausschusses zwar auf den Verteidigungsfall, vorbereitend kommt dem Notparlament aber bereits in Friedenszeiten gem. Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG ein weitreichender Informationsanspruch gegenüber der Bundesregierung zu. Dieser kollidiert auf der ersten Stufe nicht mit dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der vollziehenden Gewalt, da die verteidigungspolitischen Inhalte aufgrund der Entscheidung für parlamentarische Krisenbewältigung von vornherein aus der absoluten Alleinzuständigkeit der Exekutive extrahiert werden. Demgegenüber wird der Umfang des Informationsanspruches auf der zweiten Stufe mit Blick auf seine Legitimation und die Informiertheit des

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Bundestages bestimmt. Da der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung eine absolute Grenze für den Informationsanspruch des unmittelbar kollektiv-demokratisch legitimierten Bundestags ist und dieser im Zweifel auch im Verteidigungsfall die parlamentarischen Geschicke leitet, darf der allenfalls mittelbar kollektivdemokratisch legitimierte Gemeinsame Ausschuss nicht informationsprivilegiert werden. Unter diesen Einschränkungen bewegt sich der Informationsanspruch des Gemeinsamen Ausschusses in der Trias von Missbrauchsverhütung, Freiheits­ sicherung und effizienter Aufgabenwahrnehmung. Die Haupttätigkeit des Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall, nämlich die Funktionsübernahme der Gesetzgebung nach Art. 115e Abs. 1 GG, stellt den Maßstab der Gewaltenteilung vor anders gelagerte Herausforderungen. Während auf der ersten Stufe des Maßstabs die Vereinbarkeit mit den funktionalen Hauptteilen des Bundestages aufgrund der Reservefunktion des Gemeinsamen Ausschusses unproblematisch ist und auf der dritten Stufe die komprimierte Zusammensetzung aus 48 Mitgliedern eine funktionsadäquate und effiziente Aufgabenwahrnehmung garantiert, stößt auf der zweiten Stufe die sinkende kollektiv-demokratische Legitimation bei steigender Bedeutsamkeit seiner Entscheidungswirkung an die äußeren Grenzen der Gewaltenteilung. Besonders die Selbstinvestitur des Gemeinsamen Ausschusses scheint mit Blick auf die anvisierte missbrauchssichere Krisenbewältigung kritisch. Auf der vierten Stufe zeigt sich aber, dass Einbußen an demokratischer Absicherung der Entscheidungsfindung zu Gunsten der Zweckmäßigkeit und Effizienz der Krisenbewältigung nach intensiver Abwägung hinzunehmen sind.1 Wichtige Abwägungsparamater sind in diesem Zusammenhang die geänderten Umstände des Verteidigungsfalles, die eine besondere Akzentuierung des Effizienzgedankens der Gewaltenteilung erforderlich machen: eine weitläufige Zerstörung des Bundesgebietes, Personenschäden, funktionsunfähige Infrastruktur, eine andauernde und ungewisse Bedrohungslage etc. Dabei sorgen etwa die Inkompatibilität der Regierungsmitgliedschaft, die Einbindung des Gemeinsamen Ausschusses in verschiedene Kontrollsysteme anderer Funktionsträger sowie intraorganschaftliche Kontrollmechanismen für eine ausreichende Verschränkung und Missbrauchsverhütung auf der vierten Stufe. Die Herausarbeitung verschiedener Problemfelder am Maßstab der Gewaltenteilung und deren partielle Auflösung befreit in einem letzten Schritt allerdings nicht von einer Gesamtbewertung und Einordnung in das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung. Zu berücksichtigen ist, dass das System der Gewaltenteilung aus Spannungsfeldern besteht, die der Gewaltenteilung als Prinzip von Maß und Mitte immanent sind: Gewaltentrennung und Gewaltenverschränkung stehen sich gegenüber, ebenso wie Missbrauchsverhütung und Effizienzgedanke, Sekurität und Effektivität, Kontrolle und Unabhängigkeit sowie parlamentarische Langwierigkeit und Dringlichkeit der Entscheidungsfindung. Da das System der Gewaltenteilung von der Herauskristallisierung von Maß und Mitte anhand eben 1

Twenhöven, Die Stellung der Legislative im Staatsnotstand, S. 77.

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dieser Spannungsfelder geprägt ist, bleibt letzten Endes nur noch die Beantwortung der Frage, ob sich der Gemeinsame Ausschuss als eben solcher Kompromiss von Maß und Mitte präsentiert. Sicherlich ist die Funktionsübernahme des 48-köpfigen Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht unproblematisch. Letztlich fordern Maß und Mitte aber auch nicht eine absolute Lösung, die gegenüber jedem Zweifel erhaben und gerade mit Blick auf den Verteidigungsfall gegen jegliche nicht von vornherein auszuschließende Gefahr abgesichert ist. Vielmehr geht es um diejenige Lösung, die unter mehreren Optionen die optimale darstellt. Der Gemeinsame Ausschuss stellt mit Blick auf parlamentarische Verantwortung und Krisenbewältigung gegenüber dem Notverordnungsrecht der Exekutive die vorzugswürdigere Option dar und findet Balance zwischen der Alleinzuständigkeit einer Regierung und der Alleinherrschaft des Notparlaments. Denn unter der Funktionsübernahme des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 115e Abs. 1 GG wird der Notstand weder zur Stunde des Gemeinsamen Ausschusses noch bleibt er die Stunde der Exekutive. Der Gemeinsame Ausschuss fügt sich bestimmungsgemäß als Herz ausbalancierter und verschränkter Krisenbewältigung in ein kontrolliertes Miteinander ein. Insofern findet der Gemeinsame Ausschuss als Organ von Maß und Mitte seine verfassungsmäßige Stellung im System der Gewaltenteilung. 5. Der Gemeinsame Ausschuss hält, was er verspricht. Will man abschließend eine Quintessenz, mit Blick auf die Ausgangsfrage „Hält der Gemeinsame Ausschuss, was er verspricht?“, ausfindig machen, so liegt der Schlüssel wohl zunächst eher darin festzuhalten, was der Gemeinsame Ausschuss nicht verspricht bzw. nicht versprechen kann, nämlich eine absolute Lösung des verfassungsrechtlichen Ausnahmezustandes unter Eliminierung sämtlicher Gefahren auf Null. Wohl aber stellt der Gemeinsame Ausschuss, und das ist hervorzuheben, zur Bewältigung der äußersten Not im Vergleich zu anderen Lösungen ein Optimum dar – trotz seiner Schwächen. „Schwächen“ zeigen sich insofern, als den Spannungsfeldern von Trennung und Verschränkung, Missbrauchsverhütung und Effizienz etc. immanent ist, stets Kompromisslösungen an den äußersten Rändern der Kompromissgrenzen zu generieren. Will man diese Spannungsfelder bzw. die Kompromisse als Schwäche sehen, so entpuppen sich Konzeption und Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a i. V. m. Art. 115a ff. GG dennoch in jedem Falle als stärkste unter den schwachen Lösungen. Insofern hält der Gemeinsame Ausschuss, was er mit Blick auf das verfassungsrechtliche System der Gewaltenteilung verspricht! Ausblick Brisanz erlangen Konzeption und Kompetenzen des Gemeinsamen Ausschusses angesichts ihrer Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung im Zuge der Überlegung, ein Notparlament (etwa über Art. 53b GG) zur Bewältigung pande-

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mieartiger Krisen einzusetzen. Beleuchtet man indes näher die Vergleichbarkeit von Verteidigungsfall und Pandemie, wird schnell klar: Den Herausforderungen einer Pandemie, zumindest im derzeitigen Ausmaß, lässt sich gegenüber den Herausforderungen des Verteidigungsfalles (die Vorenthaltung von Informationen gegenüber dem Angreifer und der Publikumsöffentlichkeit, zerstörte Infrastruktur, Personenschäden, andauernde Bedrohungslagen, kriegs- bzw. kriegsähnliche Zustände etc.) mit den Mitteln parlamentarischer Selbstorganisation begegnen. Die Abgeordnetenrechte und die Öffentlichkeit werden dadurch weit weniger tangiert als durch den Einsatz eines 48-köpfigen Notparlaments. Gewiss gilt das in dieser Form allenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen der Corona-Pandemie. Im Zuge dieser Überlegungen ist zu beachten, dass in Pandemiefällen, in denen Maßnahmen der parlamentarischen Selbstorganisation die Funktionsfähigkeit des Bundestages nicht mehr aufrechthalten können, der Einsatz eines verkleinerten Notparlaments als ultima ratio mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar sein kann. Anders als im Verteidigungsfall ist hier aber großer Wert auf die Beteiligung der Öffentlichkeit zu legen. Zum einen besteht anders als im Verteidigungsfall – und hier liegt der wesentliche Unterschied – nicht die Gefahr der Information des Angreifers und zum anderen ist eine Akzeptanzsteigerung durch Öffentlichkeitsbeteiligung der Schlüssel zu effizienter Pandemiebekämpfung. Unter den akuten Umständen ist es weder verfassungsmäßig noch scheint es geboten, den Gemeinsamen Ausschuss einzusetzen. Die gegenwärtige Situation gibt jedoch Anlass zu derartigen Überlegungen; Überlegungen, die im Rahmen dieser Arbeit allenfalls überblicksartig dargestellt werden konnten. Fakt ist aber, dass die Idee eines verkleinerten Notparlaments den verschiedenen Stufen der Gewaltenteilung zugänglich ist und pandemiespezifische Überlegungen zulässt. Daraus folgen – und damit enden Ausblick und Abhandlung – die Vereinbarkeit des Gemeinsamen Ausschusses mit dem grundgesetzlichen Prinzip der Gewaltenteilung und darüber hinausgehend seine Modelleigenschaft für andere Anwendungsfälle.

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Sachwortverzeichnis Antike  45 f. Bänkespalter  181 ff. Bundeskanzler  110, 148, 174, 200 Bundespräsident  33, 67, 155, 202, 205 Bundesstaatsprinzip  25, 63, 71 ff., 105 f. Checks and balances  55, 123 Corona-Pandemie  109, 191, 218 ff. Deckungsgleichheit  49, 91 f. Demokratieprinzip  57, 97 ff., 119, 188, 224 Diktatur  26, 108 Direktionskraft  70, 75 ff., 88, 114 Dritte Gewalt  51 f., 123 Dualismus  50, 91, 115 ff., 198, 213 Einkammerprinzip  34, 151 Entwurf – Benda  28 f. – Höcherl  28 ff. – Lücke 30 – Schröder  24 f., 28 Exekutive  22 ff., 39 f., 46 f., 50 f. Fallex 66  187, 192 Föderalismus 72 Französische Revolution  56 Freiheitssicherung 43 ff., 134 f., 168, 183, 204 Freiheitsstrafe 96 Funktionen  45 f., 65 f., 83 Funktionenadäquanz 93 ff., 133 ff., 167 f., 184 ff. Gemeinwohl  102, 125 Geschäftsordnung  33, 146, 149, 150 ff., 188 Gewaltenteilung – funktionale  67 ff., 89 f., 100, 136 f. – horizontale  71 f. – organisatorische  67 ff., 136 f., 197 – vertikale  71 ff., 117, 121

Gewaltentrennung  54, 55 ff., 68 ff., 82 ff. Gewaltenverschränkung  60, 68 ff., 101 ff., 134 ff., 198 Grundrechte  20, 26, 57, 220 Hybrid  191, 222 f. Individuum  44, 56, 95 ff. Informationsprivileg  162 ff. Inkompatibilität  148, 194, 197 f. Kernbereich – exekutiver Eigenverantwortung 155, 158 ff., 164 ff. – Lehre  83 ff., 138 Kompetenz-Kompetenz 172 Kompetenznorm  70 f., 77, 145 f., 153 Legislative  49 ff., 54 Legitimationsmodus  98 ff., 131 ff., 179 ff. Locke, John  47 f. Machtmissbrauch  22, 42 ff., 182, 193 ff. Machtübernahme durch die Nationalsozia­ listen  21, 26 f. Maß und Mitte  43, 57, 212 Maßstab  74 f., 125 ff., 145, 156 ff., 176 ff. Medien 116 Mehrheit – einfache  147, 203, 205 – Mitglieder-  190, 192, 205 – Parlaments-  117 ff. – qualifizierte  189 ff. – Stimmen-  25, 147, 203 ff. – Zweidrittel-  151, 190, 205 ff. Minderheitenrecht  108, 119 ff. Monarchie  48, 51, 72, 87 Montesquieu  43, 48 ff., 53 ff. Normenkontrolle  104, 106, 119, 213 Notstandsverfassung  22 ff.

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Sachwortverzeichnis

Notverordnungsrecht  20 f., 26 ff., 39 f., 152, 158, 194 ff. Öffentlichkeit  150, 179, 187 ff., 214 Opposition  105, 115 ff. Organisationsnorm  77, 146 Pandemiefall  218 ff. Parlamentarische Demokratie  117, 124 f., 198 Parlamentarismus  13, 19 Parteien, politische  21, 30, 58, 116 Plenarsitzung  222 f. Pluralisierung  88 ff., 156 Pouvoir – constituant  56, 64 – constituant institué  138 – constitué 64 Principe d’art politique  59 Rechtsordnung 78 Rechtsstaatsprinzip  62 f., 73 Rechtsverordnung  109, 196, 211 Reichspräsident  20 ff.

Reichstag  20, 26 Reichstagsbrandverordnung 20 Richterrecht  77, 131 ff. Rousseau 56 Selbstbestimmung  97 ff., 124, 133 Sozialstaatsprinzip 62 Spannungsfeld  27, 70, 100, 136, 211 ff. Staatsgebiet 64 Staatsgewalt  64 ff. Staatsvolk  64, 97, 124 Stufenaufbau der Rechtsordnung  78 Trias  135, 169, 193 ff. Verfassungsänderung  18, 220, 222 ff. Verfassungsorgan  33 ff., 66, 149 Verfassungswidriges Verfassungsrecht  78 ff. Verteidigungsfall  22 ff., 153, 170 ff. Volkssouveränität  56 f. Weimarer Reichsverfassung  19 ff., 194