Der Fahrende Schüler als prekärer Typus: Zur Genese literarischer Tradition zwischen Mittelalter und Neuzeit 9783110708349, 9783110708073

The travelling students and scholars of the middle ages conjure up images of merry young wayfarers. But it turns out tha

318 105 101MB

German Pages 721 [722] Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Der Fahrende Schüler als prekärer Typus: Zur Genese literarischer Tradition zwischen Mittelalter und Neuzeit
 9783110708349, 9783110708073

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Erster Teil
1 Einleitung
2 Zur Forschung
3 Zum Vorgehen
Zweiter Teil (um 1500)
4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I
5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500
Dritter Teil (bis 1500)
6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II
7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)
8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)
9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)
10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)
11 Zwischenfazit und Verbindung mit dem Zweiten Teil
Vierter Teil (nach 1500) – ein Ausblick
12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert
13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition im Zeichen des Historismus?
Fünfter Teil
14 Zusammenfassung und Fazit
Anhang
Abbildungen
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Autoren‐ und Textregister
Sachregister
Ortsregister

Citation preview

Philip Reich Der Fahrende Schüler als prekärer Typus

Deutsche Literatur Studien und Quellen

Herausgegeben von Beate Kellner und Claudia Stockinger

Band 39

Philip Reich

Der Fahrende Schüler als prekärer Typus Zur Genese literarischer Tradition zwischen Mittelalter und Neuzeit

ISBN 978-3-11-070807-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070834-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070835-6 ISSN 2198-932X Library of Congress Control Number: 2020945572 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), Cod.Pal.germ. 848, Blatt 355v. Wikimedia Commons Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Vorwort

IX

Erster Teil  . .

Einleitung 3 ‚Des Pudels Kern‘ oder Warum lacht Faust? Grundlegende Annahmen 11

 .

.

14 Zur Forschung Discursus historico-philologicus de vagantibus scholasticis – 14 ein erster Forschungsbeitrag Vom Verfall des gelehrten ‚Vagantentums‘ – ältere Forschungsansätze 17 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten 23



Zum Vorgehen

.

3

35

Zweiter Teil (um 1500)  . . . .

Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I Zur Narratologie einer typisierten Figur 39 Gesellschaftsbilder 42 53 Literarische Imaginationen Zusammenfassung und Bezug auf das weitere Vorgehen

 .

Der Fahrende Schüler als Schema um 1500 61 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – 61 Bettlerkataloge Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren 115 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz 140

. .

39

59

Dritter Teil (bis 1500)  . .

Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II Zu partialer Literaturgeschichtsschreibung 153 Traditum, depositum, vestigium 162

153

VI

. .

Inhalt

Wiederholung und/als Erneuerung – die vormoderne Situation 197 Zusammenfassung und weiteres Vorgehen

 . . .

Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I) Der Codex Buranus als Vagantenliederbuch? 199 Die Imagination eines Vaganten-Ordens 201 210 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

 .

Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II) 222 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert 228 267 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik Der Schüler als Typus zwischen ritter und pfaffe – 293 Zusammenfassung

. .

 . . . . .

 . . . .



Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III) 296 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche 298 Positionen Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht Inconstantia und intellektuelles exilium – 349 schuldidaktische Texte Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen 371 Kleinepik Vom Unterschied von migratio und vagatio – Zusammenfassung 413

188

199

336

Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche 417 Spurensuche (IV) 417 Der lotterpfaffe Der Fahrende Schüler als Schwankfigur 421 Der Fahrende Schüler mit dem Netz – zum Bildprogramm 448 in Planetenkinderbüchern Um 1430 in Basel – die Reformatio Sigismundi und der Oberrhein 459 Zwischenfazit und Verbindung mit dem Zweiten Teil

465

Vierter Teil (nach 1500) – ein Ausblick  .

Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert 469 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen 469

VII

Inhalt

Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters 486 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition 504 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh. 548

. . .

 . . . .

Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition im Zeichen 563 des Historismus? Zum Historismus des 19. Jahrhunderts 563 Carmina Burana und Thomas Platter – 566 zwei wichtige Wiederentdeckungen Die Literatur der Romantik 569 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Joseph 579 Victor von Scheffel

Fünfter Teil  . . . .

Zusammenfassung und Fazit 595 Traditionslinien 1: Der gelehrte Bettler – materielle Prekarität Traditionslinien 2: Der Vagantenorden – ständische Prekarität Traditionslinien 3: Zauberei und Venusberg – 599 ‚diabolische Prekarität‘ Fazit 600

Anhang Abbildungen

605

Abkürzungsverzeichnis

623

626 Literaturverzeichnis Quellen 626 645 Forschung Autoren‐ und Textregister 708 Sachregister Ortsregister 711

702

596 597

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Neuphilologischen Fakultät der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg als Dissertation angenommen, im Frühjahr 2020 verteidigt und für die Druckfassung leicht überarbeitet. Mein Dank gilt zuvorderst meinem Betreuer Tobias Bulang für sein Vertrauen, alle wichtigen Impulse und seine Bereitschaft zum fachlichen Gespräch. Ebenso möchte ich meinem Zweitbetreuer Dirk Werle danken, der vor allem die methodischen und theoretischen Überlegungen begleitete. Eine anregende Atmosphäre und zugleich die nötigen Freiräume bot das Graduiertenkolleg „Was ist Tradition? Zu Genese, Dynamik und Kritik von Überlieferungskonzepten in den westeuropäischen Literaturen“, in dessen Rahmen diese Arbeit entstanden ist. Ich möchte allen Mitgliedern des Kollegs herzlich für die inspirerenden Vorträge, Diskussionen und Colloquien danken; außerdem der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg für die großzügige finanzielle Unterstützung. Doch auch andere Personen haben zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ich will nur wenige hervorheben. Thomas Wilhelmi und Tino Licht für ihre Geduld bei paläographischen oder textgeschichtlichen Detailfragen, Sophie Knapp und Helge Perplies für die ‚akademischen Mittagspausen‘, Dominik Bohmann, Dennis Disselhoff, Jonas Göhler, Joana van de Löcht, Martin Reich, Katharina Ruckdäschel, Sarina Tschachtli und Katharina Worms für die akribische Lektüre‐ und Korrekturarbeit und schließlich dem Colloquium der Heidelberger Mediävistik für die Möglichkeit, Passagen aus der Dissertation vorzustellen. Für die Aufnahme in die Reihe danke ich den Herausgeberinnen Beate Kellner und Claudia Stockinger und dem Verlag für die kompetente Betreuung, die zuerst Jakob Klingner und dann Robert Forke und Julie Miess übernahmen. Ich danke auch herzlich dem Karrierefonds der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der LMU München, der den Druck finanziell großzügig förderte. Abschließend danke ich meinen Eltern Johann und Therese für ihr Vertrauen, meinen Geschwistern Sabine und Martin für jede Form der Ablenkung und meiner Frau Pia für ihre Liebe und ihr Verständnis. Meiner kleinen Familie ist dieses Buch gewidmet. Heidelberg im Oktober 2020

https://doi.org/10.1515/9783110708349-001

Erster Teil

1 Einleitung 1.1 ‚Des Pudels Kern‘ oder Warum lacht Faust? Mephistopheles: Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten? Faust: Das also war des Pudels Kern! Ein fahrender Scolast? Der Casus macht mich lachen. Mephistopheles: Ich salutire den gelehrten Herrn! Ihr habt mich weidlich schwitzen machen. (vv. 1322– 1326)¹

Als Faust in der Szene „Vor dem Tor“ der Goethe’schen Tragödie wieder in die Welt zurückgekehrt ist, nimmt er den wohl berühmtesten Pudel der deutschen Literatur in sein Studierzimmer mit. Während der Versuche, den Anfang des Johannesevangeliums zu übersetzen, windet sich der Hund vor Schmerzen und Faust erkennt die übernatürliche Beschaffenheit des Tieres, die er mittels der Zaubersprüche aus der Clavicula Salomonis zu vertreiben versucht. Nachdem die Bannung der Elementargeister (Salamander, Undene, Sylphe, Kobold, vv. 1271– 1291) keinen Erfolg zeitigt, erkennt er den Gast als einen „Flüchtling der Hölle“ (v. 1299). Dieser scheint sich zu einer schattenhaft-dämonischen Entität aufzublähen, doch unter Berufung auf die Heilige Dreifaltigkeit versteht er den Teufel endlich zu bezwingen. Anstelle eines schreckenerregenden Höllenfürsten jedoch tritt „Mephistopheles […], indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.“ (vor v. 1322). Die mögliche Überraschung des Rezipienten, der andere Bearbeitungen des Fauststoffes kannte,² spiegelt auch Faust, sobald er „des Pudels Kern“ als „fahrenden Scolast[en]“ erkennt. Faust muss über Gestalt und Habitus Mephistos lachen, was er gemäß akademischer Diktion als „Casus“ bezeichnet. Doch warum lacht Faust? Figurenpsychologisch und komiktheoretisch einleuchtend scheint die Tatsache, dass er „im Augenblick nur frappiert von dem Kontrast zwischen der gewalttätig drohenden und jetzigen harmlosen Erscheinung“³ ist. Das Lachen ‚widerfährt‘ Fausts Körper⁴ und die Entlastung von der angestauten Angst führt unwillkürlich zum un-

 Die folgenden Angaben beziehen sich auf die historisch-kritische Ausgabe: Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie, hg. von Anne Bohnenkamp, Silke Henke und Fotis Jannidis, Bd. 1: Kontituierter Text, bearb. von Gerrit Brüning und Dietmar Pravida. Göttingen 2018.  Der Stoff war zu Goethes Zeit durch die populären Faustbücher, v. a. aber durch Wanderbühnen und Puppenspiele durchaus präsent. Vgl. Jochen Schmidt: Goethes Faust, erster und zweiter Teil. Grundlagen – Werk – Wirkung. München 32011, S. 29. Goethe schreibt selbst in „Dichtung und Wahrheit“ Teil 2, Buch 10: „Die bedeutende Puppenspielfabel […] klang und summte gar vieltönig in mir wider“; Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit, hg. von Klaus-Detlef Müller. Frankfurt a. M. 1986, S. 451.  Hans Arens: Kommentar zu Goethes Faust I. Heidelberg 1982, S. 156.  Zum ‚Widerfahrnis‘, das zuvorderst den Körper und erst nachrangig Geist und Bewusstsein affektiert, vgl. Bernhard Waldenfels: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, hg. von Regula Giuliani. Frankfurt a. M. 2000. https://doi.org/10.1515/9783110708349-002

4

1 Einleitung

kontrollierbaren Reflex des Lachens.⁵ Demnach figuriert sich das Lachen Fausts als Mischung aus dem Weglachen der intermittierenden Angsterfahrung, einer sich durch die erkannte Abwesenheit des Angstobjekts einsetzenden Erleichterung und der plötzlichen Überraschung. Faust muss nicht mehr den übermächtigen Dämon bezwingen, sondern kann mit dem Erschienenen diskutieren. Dabei zeigt sich Mephisto in unterwürfigem Gestus: „Was steht dem Herrn zu Diensten?“ (v. 1322). Dies wird auch in der gewählten Kostümierung deutlich: Denn Mephisto tritt als Schüler auf und passt sich damit der Lebenswelt Fausts an, jedoch in einer Rolle, welche dem Lehrer Faust hierarchisch dezidiert untergeordnet ist. Fausts Lachen zeigt demnach auch sein Amüsement darüber, dass die Machtverhältnisse – vom schrecklichen Dämonen zum dienstbaren Schüler – so schnell umgekehrt wurden und er nun einen scheinbar Untergebenen vor sich hat. Doch diese Erklärungen können die gestellte Frage nicht abschließend beantworten. Vielmehr sind auch inszenierungspraktische und literaturgeschichtliche Gründe zu bedenken: Zum einen sind Schrecken und darauf folgende Erleichterung Fausts leicht auf das Publikum des Dramas zu übertragen. Wenn nach viel Schattenspiel, Nebel und pathetischen Worten ein einfacher Schüler erscheint, mag das manchen Rezipienten zum Lachen gereizt haben. Dazu kommen noch andere Dimensionen, für die der heutige Leser einer vergleichenden Lektüre anderer historischer Varianten derselben Szene bedarf. Der literaturgeschichtliche Kontext dürfte Goethe und womöglich auch Teilen seiner Zuschauerinnen und Zuschauer bekannt gewesen sein.⁶ Durch eine kontrastive Lektüre treten die Spezifika von Goethes Drama umso deutlicher zutage. Denn Goethe steht in einer Tradition von Teufelsbunderzählungen, die sich bis auf die Spätantike zurückverfolgen lässt, sich im 16. Jahrhundert auf die Figur des Johannes/Georg Faust konzentriert und so einen der populärsten Stoffe der europäischen Literatur prägt.⁷ Zugleich führt Goethe durch die Neukomposition des überlieferten Stoffes, tradierter Motive und übernommener For-

 Dazu Nietzsche: „Diesen Uebergang aus momentaner Angst in kurz dauernden Uebermuth nennt man das Komische“; Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I [1878], hg. von Giorgio Colli, Mazzino Montinari u. a. Berlin 1967, S. 159 f. Ähnlich auch Hans Rudolf Velten: Scurrilitas. Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Tübingen 2017, S. 21– 46.  Goethe kannte wahrscheinlich das Faustbuch des Christlich Meynenden (1725), sicherlich aber das Faustbuch in der Bearbeitung von Pfitzer (1674), das er von 18. Februar bis 9. Mai 1801 aus der Weimarer Hofbibliothek entliehen hatte.Vgl. Elise von Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek. Ein Verzeichnis der von ihm entliehenen Werke, hg. von Werner Deetjen.Weimar 1931, S. 44. Zu Goethe und seinem Bezug zur Faustbuchtradition vgl. weiter Otto Pniower: Pfitzers Faustbuch als Quelle Goethes. In: ZfdA 57 (1920), S. 248 – 266.  Vgl. dazu grundlegend Walter Haug: Der Teufelspakt vor Goethe oder Wie der Umgang mit dem Bösen als felix culpa zu Beginn der Neuzeit in die Krise gerät. In: DVjs 75 (2001), S. 185 – 215, Leopold Kretzenbacher: Teufelsbündner und Faustgestalten im Abendlande. Klagenfurt 1968 und Christian Schneider: Das Motiv des Teufelsbündners in volkssprachlichen Texten des späteren Mittelalters. In: Faust-Jahrbuch 1 (2004), S. 165 – 198.

1.1 ‚Des Pudels Kern‘ oder Warum lacht Faust?

5

mulierungen die Tradition auch weiter und schafft ein Drama, welches so starken Einfluss auf Stoffgeschichte, literarischen Diskurs und Mentalitäten hatte wie kaum ein anderes deutschsprachiges Werk. Wenn nun in Goethes Tragödie Faust und Mephisto das erste Mal zusammentreffen, fällt die Figurenkonstellation ins Auge, die von den anderen Varianten der Stoffgeschichte abweicht. Im Gegensatz zur üblichen Beziehung zwischen der aktiven Rolle des beschwörenden Magiers und der eher passiven Rolle des beschworenen Teufels nimmt in Goethes Faust Mephistopheles den Kontakt auf. Jedoch wählt er kein erschreckendes Erscheinungsbild, sondern das eines tollenden Hundes. So spielen schon beim ersten Auftritt des Höllengeists in der Szene „Vor dem Tor“ ernsthaftdämonische und weltlich-burleske Elemente zusammen: Faust sieht „ein[en] Feuerstrudel“ (v. 1154) hinter dem Pudel herziehen und bewertet die wilden Sprünge des sich annähernden Hundes als „magisch leise Schlingen | Zu künftgem Band“ (vv. 1158 f.). Damit erkennt Faust, der ja ohnehin eine grundsätzliche Disposition zum Transzendenten hat, die teuflische Natur des Hundes. Wagner, der bei Goethe durch seine verstaubt akademische Attitüde als komische Figur auftritt, erklärt die Erscheinung jedoch als „Augentäuschung“ (v. 1157) und überzeugt seinen Professor durch logische Argumente, sodass auch dieser ‚erkennt‘, dass „nicht die Spur | Von einem Geist“ (vv. 1172 f.) vorhanden und alles nur „Dressur“ (v. 1173) sei. Abschließend resümiert Wagner: Dem Hunde, wenn er gut erzogen, Wird selbst ein weiser Mann gewogen. Ja deine Gunst verdient er ganz und gar Er, der Studenten trefflicher Scolar. (vv. 1174– 1177)

Wagner antizipiert, indem er den Hund als gelehrigen Diener des Menschen charakterisiert und ihn mit einem Studenten vergleicht, bereits die Verkleidung, welche Mephisto für seinen ersten Auftritt wählt. Eine Metamorphose vom „pudelnärrisch Thier“ (v. 1167) zum furchteinflößenden Satan mit hässlicher Fratze scheint nicht denkbar. So nimmt der Pudel als Reaktion auf die Zauberformeln Fausts zwar gruselige Gestalten an, doch auch die Tiermetaphern tendieren eher ins Grotesk-Wunderliche, wenn der Teufel ein „Nilpferd […] | [m]it feurigen Augen, schrecklichem Gebiß“ (v. 1254 f.) oder „ein Elephant, | [der den] ganzen Raum füllt“ (vv. 1311 f.), zu sein scheint.⁸ Zwar findet sich auch in anderen Bearbeitungen des Fauststoffes ein Hund als Gefährte,⁹ doch im Gegensatz zu Goethes Tragödie ist die Natur des Hundes

 Zwar stellte man sich gerade das Flusspferd noch bis ins 18. Jahrhundert als schreckliches, kinderfressendes Untier vor. Die Beschreibung des exotistischen Kinderschrecks bei Goethe entbehrt jedoch nicht komischer Elemente.Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Kommentar, hg. von Albrecht Schöne. Frankfurt a. M. 1994, S. 247.  So nennen die Bearbeitungen von Widmann und von Pfitzer, die in diesem Kapitel sehr ähnlich sind, „einen grossen zotteten Hund“ namens Præstigiar, der rotglühende Augen hat und dessen Fell sich bei

6

1 Einleitung

als spiritus familiaris den Hauptfiguren stets bekannt.¹⁰ Gerade durch das Nichtwissen von Goethes Fausts aber ist ein Lachen, welches auf der Überraschung des Protagonisten basiert, erst möglich. Faust lacht also wegen der unerwarteten Volte, die ihn gerade auch in seinen intuitiven Hypothesen in der Szene „Vor dem Tor“ bestärkt. Gleichzeitig spiegelt das Lachen Fausts das Lachen des kundigen Rezipienten, der die ‚übliche‘ Faktur der Beschwörungsszene kennt. Die visuelle Konzeption, in welcher der Teufel zahlreiche Illusionen erzeugt und nicht direkt erscheint, ist zwar in verkürzter Form eingehalten – bei der ersten Beschwörung des Teufels in der Historia lässt dieser ein ganzes Geisterheer aufmarschieren¹¹ – doch die endgültige Gestalt differiert. In anderen Texten der Fausttradition tritt der Satan als furchteinflößende Entität auf, sei es in „der Gestalt eines fewrigen Manns“,¹² als Geist „in the shape of a dragon“¹³ oder als einer, der „einen natürlichen Menschenkopff“ hat, aber dessen „gantzer Leib […] gar zotticht, gleich als ein Bär“¹⁴ ist. Diesen Anblick kann der Mensch Faustus nicht ertragen und drängt den Teufel, sich in anderer Gestalt zu zeigen, und zwar als Franziskaner-Mönch in grauem Habit.¹⁵ Goethe kombiniert in der einer Berührung veränderte. Nicolaus Pfitzer: [Widmann, Georg Rudolf] Fausts Leben, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1880, S. 212. Im zweiten Teil schenkt Faust den Hund dann einem Abt, mit dem er sich befreundet, da er auch die schwarzen Künste betreibt (vgl. Pfitzer: Fausts Leben, S. 397 f.). Zum Teufel in Gestalt eines Hundes vgl. Barbara Allen Woods: The Devil in Dog Form. A Partial Type-Index of Devil Legends. Berkeley 1959. Als prominenteste Verbindung von Magier und (schwarzem) Hund als spiritus familiaris gilt Cornelius Agrippa von Nettesheim, z. B. in den Anmerkungen bei Widmann/ Pfitzer, der die Situation Agrippas mit Faust vergleicht (vgl. Pfitzer: Fausts Leben, S. 213 f.). Ohne den Bezug zu Faust auch bereits bei Jean Bodin 1580 (De la Démonomanie des Sorciers, hg. von Virginia Krause, Christian Martin und Eric MacPhail. Genf 2016, I, 3 (S. 122) und in einer Ergänzung Johann Fischarts 1581 (De magorvm daemonomania, hg. von Tobias Bulang und Nicolai Schmitt, in Vorb., II, 1).  Vgl. Woods: The Devil in Dog Form, S. 60 f.  Historia von D. Johann Fausten. Text des Druckes von 1587. Kritische Ausgabe. Mit den Zusatztexten der Wolfenbütteler Handschrift und der zeitgenössischen Drucke, hg. von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer. Stuttgart 2012, S. 16 f. Zu den zentralen Veränderungen der Faustbuch-Tradition in der Historia und den Bearbeitungen des englischen Faustbuchs, bei Widmann, Pfitzer und anderen vgl. Marina Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Göttingen 2011, S. 149 – 193.  Historia (1587), S. 17, Z. 12.  Regieanweisung in der erweiterten Fassung Christopher Marlowe: Dr Faustus B-Text. In: Doctor Faustus and Other Plays, hg. von David Bevington und Eric Rasmussen. Oxford, New York 1995, S. 184– 246, hier: I, 3 vor v. 23 (S. 194).  Pfitzer: Fausts Leben, S. 107.Vgl. auch mit der Darstellung des Mephistopheles der Höllenzwänge in Johann Scheible (Hg.): Doktor Johannes Faust’s Magia naturalis et innaturalis oder Dreifacher Höllenzwang. Stuttgart 1849, Abb. 10, nach S. 46.  In der Historia von D. Johann Fausten erschrickt Faustus nicht über die Illusionen des Teufels, dieser präsentiert sich darauf aus eigenem Antrieb „in Gestalt eines grauwen Muͤ nchs“ (Historia [1587], S. 17, Z. 14). In Marlowes Tragedy of Doctor Faustus ruft der Gelehrte: „I charge thee to return and change thy shape. | Thou art too ugly to attend on me. | Go, and return an old Franciscan friar; | That holy shape becomes a devil best.“ (Marlowe: Dr Faustus, I, 3, vv. 23 – 26). Pfitzer schildert die Szene folgendermaßen: Der Teufel selbst (nicht der Geist Mephostopheles) blickt „Faustum an, worüber denn dieser sehr erschrack, und ihme befahl, er solte sich wiederum hinter den Ofen machen, wie er auch thate.

1.1 ‚Des Pudels Kern‘ oder Warum lacht Faust?

7

Studierzimmerszene einige Versatzstücke aus der Fauststoff-Tradition und lässt aus dem dämonischen Pudel gleich den Geist Mephistopheles entstehen, ohne den Satan selbst in einer notwendig schaurigen Form auf die Bühne bringen zu müssen. Die dämonischen Fratzen erschöpfen sich bei Goethe in dem grotesken Schattenspiel, als dessen Ergebnis der „fahrende Scholastikus“ erscheint. Die Erwartungen von Figur und Rezipient, ein grauenerregendes Monster zu erblicken, werden also nicht erfüllt. Anstatt Schauder folgt Lachen. Bis auf diese Bezeichnung bleibt die Kostümierung Mephistos ebenso vage wie der Grund der Verkleidung. Denn der folgende Dialog dreht sich nur um das Wesen Mephistos als „Geist der stets verneint“ (v. 1338). Was aber hat der Auftritt Mephistos zu bedeuten? Soll sein Erscheinen als „fahrender Scolast“ die bevorstehende „Bildungsreise“ Fausts präfigurieren?¹⁶ Oder ist es für Mephisto, den es als „Person ‚an sich‘ gar nicht“¹⁷ gibt, eine Notwendigkeit, sich an die Umgebung anzupassen – in diesem Fall an das akademische Umfeld als wandernder Student?¹⁸ Oder ist die Beschreibung als „fahrender Scholastikus“ nur ein blindes Motiv? Warum lässt Goethe Mephisto nicht als Mönch auftreten? Oder ist die Scholasten-Kleidung als Mönchshabit vorzustellen? Hinweise für die Funktion dieser Verkleidung Mephistos sind im Prozess der Werkgenese zu suchen. Noch am 3. April 1801 schreibt Goethe an Schiller: Ich hoffe daß bald in der großen Lücke nur der Disputationsaktus fehlen soll, welcher dann freilich als ein eigenes Werk anzusehen ist und aus dem Stegreife nicht entstehen wird.¹⁹

Diese Disputationes oder Quaestiones zwischen Faustus und Mephistopheles sind im Großteil der vorgehenden Faustbücher und ‐dramen ein Herzstück der Texte.²⁰ Auch in Goethes Faust sollte diese Passage nicht fehlen, wie der Brief an Schiller zeigt. Dabei ist sich die Forschung weitgehend einig, dass der konzeptionelle Ort des Disputationsakts zwischen der Pudel‐ und der Paktszene zu situieren sei.²¹ Spekulation

Darauf fragte ihn D. Faustus, ob er sich nicht anderst denn in einer so abscheulichen und greulichen Gestalt zeigen könnte? Der Geist antwortete Nein; Denn, sagte er, er wäre kein Diener, sondern ein Fürst unter den Geistern“ (Pfitzer: Fausts Leben, S. 107) und an späterer Stelle nach dem Schließen des Pakts erscheint „der Teuffel in eines grauen Münchs Gestalt“, in der ihm auch der Geist Mephostopheles begegnen werde (Pfitzer: Fausts Leben, S. 122).  Peter Matussek: Faust I. In: Theo Buck (Hg.): Goethe-Handbuch. Bd. 2: Drama. Stuttgart, Weimar 1996, S. 352– 390, hier S. 366.  Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 156.  Vgl. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 156.  Goethe, Johann Wolfgang von: Briefe, Tagebücher und Gespräche von 24. Juni 1794 bis zum 9. Mai 1805. Teil II: Vom 1. Januar 1800 bis zum 9. Mai 1805, hg. von Volker C. Dörr und Norberg Oellers. Frankfurt a. M. 1999, S. 142.  In der Historia von D. Johann Fausten umfassen die Disputationen und Fragen Fausts die Kapitel 3 – 5 und 11– 17 und damit fast den ganzen ersten Teil. Bei Pfitzer umfassen sie die Kapitel 16 – 24.  Vgl. die Aussagen in der älteren Forschung bei Robert Petsch: Die Disputationsszene im Faust. In: Euphorion 22 (1915), S. 307– 317, hier S. 310 und Konrad Burdach: Die Disputationsszene und die

8

1 Einleitung

hingegen muss bleiben, ob konzeptionelle oder pragmatische Gründe Goethe von der Umsetzung dieses Werkteils abhielten, ob der Gehalt der Szene also nicht mehr zu den neuentstanden Dialogen in den Studierzimmerszenen passte oder ob schlicht Zeitmangel ausschlaggebend war.²² Den fragmentarischen Charakter seiner Tragödie hebt Goethe jedenfalls in Briefen immer wieder hervor.Vielleicht meinte er auch das Fehlen solcher Passagen, wenn er in seinen Tag- und Jahresheften für 1806 schreibt, er habe „Faust in seiner jetzigen Gestalt fragmentarisch behandelt“,²³ und „vielleicht läßt sich auch die Tatsache, daß er die Vorarbeiten zur Disputation sorgfältig aufbewahrt hat, als Hinweis darauf deuten, daß er ihre Ausführung noch nicht gänzlich aufgegeben hat.“²⁴ Fest steht, dass Goethe den Plan hatte, die ‚große Lücke‘ durch eine universitäre Disputation zu füllen. Unter den Vorarbeiten, die in den Paralipomena auf uns gekommen sind, befinden sich eine Gliederung und erste damit korrespondierende Ausformulierungen.²⁵ Durch diese zusätzliche Szene bekäme die als weitgehend unmotiviert erkannte Erscheinung Mephistos eine Funktion, da er in diesem universitären Kontext weiter als „Fahrender Scholastikus“ aufträte.²⁶ Die Szene ist folgendermaßen angelegt: Zwei Halbchöre aus Studenten geraten auf der Schwelle des Auditoriums aneinander. Das Gerangel scheint stark genrehaft und komödiantisch. Während die einen zum Mittagessen gehen wollen, streben die anderen zur Vorlesung: „Denn uns hat das Convikt gespeist | Lasst uns hinein wir wollen hier verdauen, | Uns fehlt der Wein, und hier ist Geist.“²⁷ Ein „Fahrender Scholasticus“ regelt nun das Chaos durch Binsenweisheiten, was einer der Schüler mit folgender Aussage quittiert: „Der ist vom fahrenden Geschlecht. | Er renomirt, doch er

Grundidee in Goethes Faust. In: Euphorion 27 (1926), S. 1– 69, hier S. 6, zusammengefasst bei Anne Bohnenkamp-Renken: „… das Hauptgeschäft nicht außer Augen lassend“. Die Paralipomena zu Goethes „Faust“. Frankfurt a. M. 1994, S. 231 f. Siehe weiter Schmidt: Goethes Faust, S. 118: „Vielleicht allerdings wollte Goethe ursprünglich zwischen den beiden Studierzimmer-Szenen mit ihrem sinnschweren Gehalt zur Auflockerung eine Genreszene aus dem Universitätsleben bloß als Kontrapunkt platzieren und damit beide Arten von ‚Disputation‘ kombinieren.“  Zusammenfassend zu den verschiedenen Forschungsmeinungen Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 232 f.  Johann Wolfgang von Goethe: Tag- und Jahreshefte, hg. von Irmtraut Schmid. Frankfurt a. M. 1994, S. 180. Vgl. weiter die Aussagen zu Faust II im Brief vom 8.9.1831 an Sulpiz Boisserée: „Nun sollte und konnte dieser zweite Teil micht so fragmentarisch sein als der erste“; Johann Wolfgang von Goethe: Die letzten Jahre. Briefe, Tagebücher und Gespräche von 1823 bis zu Goethe Tod. Teil II: Vom Dornburger Aufenthalt 1828 bis zum Tode, hg. von Horst Fleig. Frankfurt a. M. 1993, S. 460.  Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 233.  Die beiden Paralipomena stellen zwar dieselbe Szene dar, jedoch gibt es auch inhaltliche und konzeptuelle Unterschiede. Beispielsweise tritt in der ausformulierten Szene der „Fahrende Scholastikus“ früher auf, Wagner und der Rektor aber bekommen keinen Auftritt. Ob das Schema oder die Ausformulierung zuerst stand, ist dabei unter Anbetracht von Goethes Arbeitsweise nicht abschließend zu klären. Vgl. Bohnenkamp-Renken: Paralipomena: S. 237 und weiter S. 820 – 828.  Vgl. auch Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 156.  Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 236, Z. 11– 14.

1.1 ‚Des Pudels Kern‘ oder Warum lacht Faust?

9

hat recht.“²⁸ Aus dem Szenenschema lässt sich entnehmen, dass es sich bei dem „Fahrenden Scholasticus“ um den verkleideten Mephisto handelt. Nachdem Faust eine geordnete Argumentation gefordert hat – „Schilt sein Schwadronir[en] | Verlangt daß er articuli[re]“²⁹ – führen die beiden nun einen Disput über die Grundeigenschaft der persona Mephistos, welcher gleich „ins Lob des Vagirens“³⁰ fällt. Nach der Gegenrede Fausts betont Mephisto abermals die praktischen „Kenntnisse die dem Schulweisen fehlen“.³¹ Die Gliederung endet mit einer Liste von Themen für die weitere Ausführung der Disputation, die von naturkundlichen bis zu ontologischen Fragestellungen reicht. Der einzige (zumindest rudimentär) ausgeführte Szenenteil der Disputation behandelt also Vor- und Nachteile des Vagantentums, motiviert den Auftritt Mephistos als „Fahrender Scholasticus“ und gibt gleichzeitig einem Konzept besonderes Gewicht, welches Goethe sicherlich noch 1801 als Teil seiner Tragödie gewusst haben wollte: der Figur des Vaganten, ‚fahrenden Schülers‘ oder Scholasticus vagans. Dieser Szenenentwurf beweist Goethes semantische und terminologische Differenzierung zwischen dem ‚fahrenden Scholasticus‘, in dessen Kostümierung Mephisto auftritt, und dem ‚normalen‘ wandernden Studenten, der seine Heimat verlassen muss, um an die Bildungsstätte zu gelangen. Diese Unterscheidung wird schließlich auch in der berühmten Schülerszene von Faust I (vv. 1868 – 2050) deutlich, da Goethe hier den Begriff des ‚fahrenden Scholasticus‘ konsequent vermeidet; der angereiste, um Rat fragende Schüler wird einer anderen Kategorie zugeordnet. Der wandernde Student steht dem fahrenden Scholasticus gegenüber. Dabei beruft sich Goethe auf einen Diskurs, der mindestens seit dem 16. Jahrhundert allgemein präsent ist. Das wird auch durch eine stichpunkthafte BleistiftAufzeichnung deutlich, die er wohl 1788 in sein Notizbuch von der Italienreise eintrug:³² Schola Druidica Faustus Scholasticus vagans Murr 699

Die Signatur am Ende der Notiz bezieht sich auf ein Buch, welches Goethe auf der Rückreise von Rom in Ulm kaufte, und zwar auf Christoph Gottlieb von Murrs Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in des H. R. Reichs freyen Stadt Nürnberg (1778). Das Buch enthält im Anhang ein Verzeichnis der deutschen Erfindungen, das

 Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 236, Z. 21 f.  Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 227, Z. 24 f.  Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 227, Z. 27.  Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 227, Z. 34 f.  Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 25/W 2491; Ed. in Bohnenkamp-Renken: Paralipomena, S. 112 (als H P13); Das Faksimile ist zugänglich über http://www.faustedition.net/.

10

1 Einleitung

auch den Buchdruck durch Johannes Gensfleisch (Gutenberg) und seinen Geldgeber Johann Fust (hier „Faust“) thematisiert. Dabei kommt Murr der Verwechslung mit dem anderen Johann Faust zuvor,³³ indem er klarstellt: Der Gauckel- oder Taschenspieler dieses Namens, den man irrig mit dem Maynzer Johann Faust verwechselte, und von dem man nachher die laͤ cherlichsten Maͤ hrchen ausheckte, lebte zu Trithemius Zeiten, wie man aus dessen Briefen pag. 312 ersehen kann.³⁴

Weiter präzisiert Murr diesen ‚anderen‘ Faust, den Faust der Frühen Neuzeit, der ‚Volksbücher‘ und später Goethes, mit einem Zitat aus den Epistolae medicinales von Conrad Gessner (1577). Im ersten Brief seiner Sammlung schrieb dieser an den kaiserlichen Arzt und seinen Freund Johann Crato von Krafftheim: Ex illa schola [Murr ergänzt hier sinngemäß Druidica] prodierunt, quos vulgo scholasticos vagantes nominabant, inter quos Faustus quidam non ita pridem mortuus, mire celebratur.³⁵

Natürlich ist diese Notiz Goethes nur ein unsicherer Hinweis, der keine endgültige Deutung zulässt, und hier soll keine unmöglich nachweisbare Autorintention rekonstruiert werden. Doch diese drei Textbeispiele machen Folgendes deutlich: Es besteht mindestens seit dem 16. Jahrhundert die Vorstellung, dass Faust zur Gruppe der scholastici vagantes (deutsch: ‚fahrende Schüler‘) gehöre und wegen seiner Herkunft von den gallischen (magiekundigen) Druiden zaubern könne. Dass diese Zuschreibungen auch Goethe bekannt waren, belegen seine Aufzeichnungen. Demnach impliziert das Auftreten Mephistos in der Maske des scholasticus vagans die magischdämonischen Eigenschaften, die im 16. Jahrhundert mit diesem Typus konnotiert werden und die sich gut in das Gefüge einer Teufelspakt-Geschichte einfügen. Der Zusammenhang im Städtelob Murrs (1778) und die Rezeption durch Goethe (~1788) geben Hinweise, dass der Begriff der scholastici vagantes oder fahrenden Schüler im 18. Jahrhundert durchaus Teil des kulturellen Gedächtnisses war, sodass selbst das kurze Stichwort von den kundigen Rezipienten Goethes verstanden werden konnte. Gleichzeitig aber wird offensichtlich, dass sich die Aussagen weder auf ein soziales Phänomen der zeitgenössischen Gegenwart beziehen noch aktive Teile des

 Diese Verwechslung bestand – z. T. intendiert – bereits seit dem 16. Jahrhundert, sodass wechselweise Faust die Erfindung des Buchdrucks und Fust magische Praktiken unterstellt wurden. Vgl. dazu Nicolas Detering: Buchdruck. In: Carsten Rohde, Thorsten Valk und Mathias Mayer (Hg.): FaustHandbuch. Konstellationen – Diskurse – Medien. Stuttgart 2018, S. 121– 128, hier S. 122 – 124.  Christoph Gottlieb von Murr: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in des H. R. Reichs freyen Stadt Nürnberg und der hohen Schule zu Altdorf. Nebst einem chronologischen Verzeichnisse der von Deutschen, insonderheit Nürnbergern, erfundenen Künste, vom XIII Jahrhunderts bis auf jetzige Zeiten. Nürnberg: Eberhard Zeh 1778, S. 699.  Conradi Gesneri Epistolarum medicinalium libri III. Zürich: Christoph Froschauer d. J. 1577, S. 1v; Übers. P. R. ‚Aus jener Druidenschule kamen die hervor, die man gemeinhin die Fahrenden Schüler nennt und unter denen ein gewisser Faust, der erst vor Kurzem gestorben ist, einen besonderen Ruf hat.‘ Vgl. dazu weiter Kapitel 12.3.4.

1.2 Grundlegende Annahmen

11

kommunikativen Gedächtnisses sind. Vielmehr rekurriert er mit archaisierender Tendenz auf das Phänomen ‚Fahrender Schüler‘, das im 16. Jahrhundert mit spezifischen Konnotationen, Attributen und Mythen versehen wurde und im 18. Jahrhundert als „die laͤ cherlichsten Maͤ hrchen“ abgetan werden konnte. Die angedeuteten Aspekte geben der Beantwortung der einleitend gestellten Frage eine weitere Dimension: Wenn es sich beim „fahrenden Scholasten“ um eine typische Figur komischer Textformen handelt, wird die Thematisierung des Lachens als Reaktion Fausts nicht nur legitim, sondern notwendig. Auch die gespreizte Ausdrucksweise „Der Kasus macht mich lachen“ passt zu der Konfrontation des akademischen Lehrers mit einer schwankhaften Figur. Und schließlich handelt es sich um eine gewitzte Konstellation, wenn der Teufelsbeschwörer Faust eine Entität beschwört, welche als Figur auftritt, die ihrerseits in volkstümlichen Traditionen mit Magie und Teufelspakt konnotiert ist. Demnach beschwört der Beschwörer einen Beschwörer. Faust wird ein Spiegel vorgehalten, sein Abbild jedoch durch die Jugend und vor allem den schwankhaft-komischen Charakter verzerrt. Wie ein eigener Lachanfall oft nur subjektiv zu erklären ist, scheint es auch nicht möglich, das Figurenlachen Fausts auf einen einzigen Grund zurückzuführen. Ohne eine abschließende Erklärung anzustreben, wurde hier doch deutlich, dass die Kostümierung Mephistos als ‚fahrender Scholast‘ nicht willkürlich ist, dass man manche Implikationen aber nur mit Blick auf die Tradition der einzelnen Motive und Muster erkennen kann. Die vorliegende Studie versucht die literarische Tradition des ‚Fahrenden Schülers‘³⁶ durch eine umfassende Analyse aufzuzeigen.

1.2 Grundlegende Annahmen Einige Grundannahmen der folgenden Untersuchung will ich anhand der Darstellung des bereits erwähnten frühneuzeitlichen Druiden-Diskurses verdeutlichen, zumal dieser in enger Verbindung mit den scholastici vagantes steht. Dieser Mythos, auf den Murr wie auch Gessner referieren, thematisiert die Rückführung der Kulturation Germaniens auf die vertriebenen griechisch-gallischen Druiden. Durch die Gleichsetzung antiker Stammesverbände mit zeitgenössischen ‚Staatsgebilden‘ postuliert er eine Emanzipation von der übermächtig erscheinenden französischen und vor allem italienischen Kunst und Gelehrsamkeit. Durch die direkte Abstammung von den griechischen Druiden mit den Galliern als ‚Vermittlerkultur‘ habe Deutschland dieselben Voraussetzungen und sei kulturell ebenso bedeutsam wie Italien, für welches die römische Kultur die Vermittlerposition zur griechischen Kultur (Troja) einnehme.³⁷ Diese kulturpolitisch legitimistische ‚Erfindung einer Tradition‘ im Rahmen erster

 Im Folgenden steht ‚Fahrender Schüler‘ mit Majuskel und ohne Anführungszeichen, da ich die Verbindung aus Adjektiv und Substantiv als begriffliche Einheit fasse.  Mehr dazu in Kapitel 12.3.4.

12

1 Einleitung

nationalstaatlicher Bestrebungen im Humanismus wurde vor allem von Konrad Celtis in seinen Texten um 1495 geprägt.³⁸ Gessner greift diese Vorstellung auf und erweitert sie dahingehend, dass er versucht, die Existenz der ‚Fahrenden Schüler‘ zu erklären. Aus den Kulturbringern und Vorgängern humanistischen Arkanwissens³⁹ habe sich eine deviante Gruppe bettelnder „Gauckel- oder Taschenspieler“ entwickelt. Diese Zusammenhänge führen direkt zum Gegenstand der vorliegenden Studie. Denn das Beispiel demonstriert, dass eine Rückführung des Phänomens auf eine sozialhistorische Wirklichkeit nicht den Kern des Problems trifft. Man kann einwenden, dass Mobilität während der schulischen und universitären Ausbildung⁴⁰ eine realhistorische Basis haben kann wie möglicher krimineller Gelderwerb und deviante Karrieren unter Lernenden. Dennoch gehe ich davon aus, dass die konkreten Ausprägungen des Phänomens ‚Fahrender Schüler‘, wie sie in den Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit begegnen, aus einer Kombination und Transformation bestehender literarischer Muster zusammengesetzt sind. Die Verbindung der Notwendigkeit räumlicher und der Möglichkeit sozialer Mobilität angehender Gelehrter zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit prägte den literarischen Diskurs und erzeugte so ein konkretes Muster, welches durch veränderte historische Konstituenten variiert oder transformiert werden konnte. Das führt mich zu meiner ersten These: Der Fahrende Schüler ist in seiner konkreten Ausprägung ein Resultat literarischer Konstruktion, welches keine direkten Rückschlüsse auf die außerliterarische Wirklichkeit zulässt. Durchaus sind aber indirekte Rückschlüsse auf den außerliterarischen Kontext möglich, und zwar durch die Untersuchung der Konstellationen und Funktionalisierungen des Phänomens. Bei den kulturpolitischen Implikationen des (erfundenen) Druidenmythos und seinem Bezug zu den Fahrenden Schülern handelt es sich beispielsweise um eine solche Funktionalisierung. Aufgrund dessen greift die Analyse der rezeptionsästhetischen Prozesse und intertextuellen Bezüge zu kurz. So kann die in der Einleitung rekonstruierte Textreihe von Goethe über Murr und Gessner bis Celtis mit Schwerpunkt auf den Rezipienten oder den Text beschrieben werden. Gerade die ideologischen und funktionalisierenden Aspekte sind so jedoch nur unzureichend offengelegt. Eine Möglichkeit des Einbezugs der Perspektive des Produzenten in diese komplexen Überlieferungs-, Beeinflussungs- und Funktionalisierungsprozesse bietet das Konzept des literarischen Traditionsverhaltens. Meine zweite These lautet demnach: Das Motiv des Fahrenden Schülers bildet eine literarische Reihe, für deren Interpretation das Konzept des Traditionsverhaltens (v. a. ab dem 16. Jahrhundert) ein nützliches Instrument ist. Diese These lässt sich noch konkretisierend erweitern: Die Transformationen des Musters ‚Fahrender Schüler‘ ab dem 15. Jahrhundert stellen ein Symptom für den Mentalitätswandel gegen Ende des Mittelalters dar. Auch die Kon Vgl. Jörg Robert: Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich. Berlin 2003, S. 378.  Vgl. Robert: Celtis, S. 382.  Über die genaue Ausprägung dieser peregrinatio academica herrscht auch innerhalb der sozialhistorischen Forschung keine Einigkeit. Vgl. Kapitel 2.1.4.

1.2 Grundlegende Annahmen

13

junkturen dieses Motivs im 16. und wieder im 19. Jahrhundert sind in mentalitätsgeschichtliche Prozesse einzuordnen. Um das Traditionsverhalten in einem literarischen Text substantiell erörtern zu können, ist eine differenzierte Analyse des Traditionsmaterials und – je nach Möglichkeit – des Entstehungskontextes notwendig. Gleichzeitig schärft eine spätere Strukturierung und Schematisierung den Blick auf frühere Texte. Denn während der Fahrende Schüler erst im 16. Jahrhundert definiert und von anderen Studenten- und Schülerfiguren unterschieden wird, kommen Begriff und Konzept auch schon früher vor. In der Forschung wurde ihre Dominanz beispielsweise in mittelhochdeutscher Versnovellistik zwar erkannt, eine Interpretation mithilfe außerliterarischer Realien hat sich jedoch als problematisch erwiesen. Da davon auszugehen ist, dass der Diskurs über den Fahrenden Schüler ebenso den grundsätzlichen Regeln literarischer Texte folgt, gelange ich zur dritten Annahme: Der kritische Einbezug der schematisierenden Definition des Fahrenden Schülers im 16. Jahrhundert bietet eine Möglichkeit, auch den Blick auf ältere Texte zu schärfen. Aus den angestellten Überlegungen ergibt sich ein weiteres Problem, wenn man es auf die anschließende Erörterung der Forschungsgeschichte zum Fahrenden Schüler bezieht: Da Wissenschaftler durch Vor-Urteile geprägt sind und so stets an einem dynamischen „Überlieferungsgeschehen“⁴¹ teilnehmen, wirken auch Forschungsbeiträge traditionsprägend oder -verändernd. Dieser Umstand kann durch das möglichst objektive Offenlegen von Theorie und Methode zwar minimiert, jedoch nie ausgeschlossen werden. Besonders evident wird dies in den älteren Forschungsbeiträgen, sei es weil sich bestimmte Standards noch nicht etabliert haben, sei es wegen der zeitlich objektivierenden Distanz des gegenwärtigen Betrachters. Es wird festzustellen sein, dass zwischen den frühen Germanisten ab Mitte des 19. Jahrhunderts und den Dichtern der Romantik sowie des Historismus eine komplexe Interdependenz besteht. So komme ich zu meiner letzten Vorannahme: Die intensive wissenschaftliche Beschäftigung im 19. Jahrhundert ist (gegenstandsbezogen) als Beitrag zur Forschung und (wissenschaftsgeschichtlich) als Untersuchungsgegenstand zu betrachten.

 Hans Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 51986, S. 295.

2 Zur Forschung Die folgende Forschungsskizze bietet einen weitgehend chronologischen Überblick von einem ersten lateinischen Forschungsbeitrag aus dem universitären Späthumanismus über die Forschung in der frühen Philologie des 19. Jahrhunderts, die den Fahrenden Schüler als Verfallsphänomen der ‚Vagantendichter‘ ansah, bis zu aktuellen Ansätzen. Für diese ist eine Unterscheidung zwischen dem literaturwissenschaftlichen und dem sozial-/kultur-/universitätsgeschichtlichen Forschungsstand notwendig, da hier – gegenseitig wenig beachtet – voneinander abweichende Ergebnisse erreicht wurden.¹

2.1 Discursus historico-philologicus de vagantibus scholasticis – ein erster Forschungsbeitrag In seinen sprachvergleichenden Studien postuliert Conrad Gessner die Abhängigkeit der Fahrenden Schüler in Deutschland von der klandestinen, arkangelehrten Gemeinschaft der Druiden. Der erste als kultur- oder sozialgeschichtlich zu bezeichnende Beitrag zur vorliegenden Forschungsfrage widerspricht Gessners Position zwar, kann ihn als fachliche Autorität aber auch nicht umgehen. Es handelt sich um den Discursus historico-philologicus de vagantibus scholasticis sive Von Fahrenden Schuͤ lern aus dem Jahr 1675 (Leipzig: Johann Georgi). Dabei handelt es sich um die akademische Disputatio des Johannes Ulrich Meyer (Respondent) unter dem Vorsitz von Jakob Thomasius, der unterschiedlich mit dem Attribut ‚Späthumanist‘ oder ‚Frühaufklärer‘ versehen wurde.² Selbstverständlich ist die Zuordnung dieses Textes zur aktuellen Forschungslage problematisch und man würde ihn eher im Corpus der Primärtexte erwarten. Dort wird er auch eine zweite kritische Durchsicht erfahren. Durch den akribischen Verweis auf seine Quellen und die stringente Argumentation kann diese Abhandlung, die nach zeitgenössischer Zuschreibung als „curiös“³ zu bezeichnen  Auf dasselbe Problem verweist auch Rudolf Münz aus der Perspektive der Theaterwissenschaft (wenn auch mit Schwerpunkt auf die musizierenden Fahrenden der mittelalterlichen Giulleria): „Wenn überhaupt, werden Forschungsergebnisse von Vertretern anderer deutschsprachiger Disziplinien – meist verkürzt – wiedergegeben, so der Musikwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Kulturwissenschaft, der Medizingeschichte, der Soziologie, der Medienwissenschaft oder der allgemeinen Geschichtswissenschaft“; Rudolf Münz: Sind ‚die großen Erzählungen‘ im Theater zu Ende? In: Gerda Baumbach (Hg.): Theaterkunst & Heilkunst. Studien zu Theater und Anthropologie. Köln 2002, S. 327– 424, hier S. 364 f. (mit Verweis auf Forschungsbeiträge aus den Einzeldisziplinen).  Vgl. Herbert Jaumann: Jakob Thomasius, ein protestantischer Späthumanist. Seine Dissertationes und Programmata zur Philosophiegeschichte. In: Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel und Bernd Zegowitz (Hg.): Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Wien 2012, S. 587– 603, hier S. 589. Detailliert dazu vgl. Kapitel 12.3.4. An dieser Stelle geht es v. a. um die Inhalte und weniger um den Entstehungskontext.  Jaumann: Späthumanist, S. 589. https://doi.org/10.1515/9783110708349-003

2.1 Discursus historico-philologicus de vagantibus scholasticis

15

wäre, durchaus als erste wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Fahrenden Schülers gelten. Da die Disputatio bis auf den kurzen Verweis bei Jaumann noch nie beschrieben wurde, will ich diesem alten ‚Forschungsbeitrag‘ hier etwas mehr Platz einräumen. Der Traktat führt das Thema ein, indem er zwei historische (§ 1) und zwei qualitativ moralische Kategorien (§ 2) der Armut von Vaganten unterscheidet. Sowohl ‚früher als auch heute habe eine große Schar von Menschen, die nicht von ihrem eigenen Gut leben könne, Deutschland durchwandert‘.⁴ Unter ihnen seien einerseits Bettler aufgrund widriger Umstände, andererseits profitgierige und schamlose falsche Bettler und Hausierer, die ‚lieber mit üblen Tricks als mit eigener Arbeit ihre Bedürftigkeit lindern wollen.‘⁵ Der zweiten Gruppe seien die zuzuordnen, die ‚vor ungefähr zweihundert Jahren‘ gelebt hätten und ‚die man auf Deutsch die fahrenden Schüler nenne‘,⁶ deren lateinische Bezeichnung am ehesten vagantes Scholastici wäre, wobei er auch Studiosi und Scholares akzeptiert. Im Folgenden rechtfertigt er das niedere Thema, indem er im Stil einer captatio benevolentiae die ‚Lustigkeit des Gegenstandes‘ und den ‚Mangel an wissenschaftlicher Beschäftigung mit ihm‘ anführt⁷ – dieselben Argumente könnte man nach fast 350 Jahren noch genauso nennen. Als Grund für die wissenschaftliche Randstellung ist das moralische Argument (Nam et plurimi indignos judicarunt nullius frugi homines, qvorum memoriam scriptis suis insererent, § 7) heute obsolet, die Einschätzung, dass die Fahrenden Schüler als Phänomen zeitlich und räumlich sehr eng auf das Deutschland von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis 1545 zu beschränken sind, dezidiert zu hinterfragen.⁸ Als seine beiden Hauptquellen nennt die Disputatio Heinrich Bebels Fazetien (§ 13 f.) als älteste und völlig vertrauenswürdige Quelle für die historischen Hintergründe⁹ und Martin Crusius, in dessen Annales Suevici er eine satis accuratam Scholasticorum vagantium descriptionem (§ 15), also ‚eine recht genaue Beschreibung der Fahrenden Schüler‘, mit guten Ergänzungen zu den anderen Quellen findet. Ausgehend von den beiden Autoren kommt er zu folgender Definition (§ 24):

 Si qvoqvam tempore alio, hoc sane peragravit nostram Germaniam, et peragrat etiamnum magna vagantium hominum multitudo, qvi, qvum propriis sumptibus non possint, aere alieno victitare qværunt; Thomasius/Meyer: Discursus § 1. auf den Unterschied zwischen den alten und den ‚modernen‘ Bettlern geht er noch in § 9 – 11 genauer ein.  Aliter sentiendum de iis, qvi artibus malis potius, qvam labore sublevare student egestatem suam (§ 3)  [Sub hoc altero, quod omnino neqvitiæ est, vexillo, militarunt etiam] ante duo circiter secula homines qvidam, qvos germanice die fahrenden Schuͤ ler appellamus; Thomasius/Meyer: Discursus § 4.  argumenti jucunditate, (lepida enim qvædam, dum horum hominum historiam exeqvimur, miscenda venient,) tum penuria scriptorum de isto disserentium; Thomasius/Meyer: Discursus § 6.  In Thomasius/Meyer: Discursus § 7 und den detaillierteren Ausführungen in § 108 – 164. Vgl. dazu Kapitel 12.3.4.  Neqve enim antiqviorem eo, qvi de his Circulatoribus scripserit, inspicere contigit nobis, et de ipsius fide dubitandi causa non est; Thomasius/Meyer: Discursus § 13.

16

2 Zur Forschung

Daraus […] erkennt jeder, dass die Fahrenden Schüler Folgendes waren: (1.) Herumtreiber, die (2) sich als Gelehrte ausgaben und (3) ihren Lebensunterhalt mit üblen (Zauber‐)Tricks verdienten, wobei sie besonders (4) mit der Kenntnis nützlicher Magie warben, (α) im 15. Jahrhundert n. Chr. und bis vor etwa 200 Jahren (β) in unserem Deutschland lebten (γ) und mit einem gelben Netz um die Schultern gekleidet gewesen zu sein scheinen. ¹⁰

Die weitere Gliederung des Traktats zerfällt dann – diesem Schema folgend – in sieben Teile, welche den einzelnen Zuschreibungen (1) Mobilität, (2) Gelehrtheit, (3) üble Tricks, (4) Zauberkünstler und den einzelnen Rahmenbedingungen (a) Zeit, (b) Ort und (c) Kleidung zugeordnet sind. In den genaueren Ausführungen setzt er sich immer wieder von gelehrten Autoritäten ab, vor alle von Conrad Gessner.¹¹ Darauf rekurriert er noch am Ende seines Discursus in Verbindung mit einer zweiten captatio benevolentiae (§ 166): Hæc fuerunt, qvæ de Scholasticis vagantibus obtulere se nobis. Qvos si qvis dicat indignos fuisse, qvorum conservaretur memoria, non repugnabimus. Et veniam tamen sperabimus huic nostræ commentationi, qvod ea relatæ ab aliis in literas historiæ ipsorum, a viris etiam qvibusdam doctissimis, ut Gesnero, parum exploratæ, ac potius involutæ tenebris, aliqvam lucem accendere fuerimus conati.¹²

Der Discursus setzt sich also kritisch mit dem von ihm vorgefundenen Wissensstand auseinander, um – wie er es selbst ausdrückt – Licht in die Finsternis zu bringen. Damit reflektiert er einen Diskurs, dem er in Teilen selbst noch folgt, sich jedoch schon im Rahmen des Paradigmenwechsels vom frühneuzeitlichen Humanismus zur frühen Aufklärung abzugrenzen beginnt.¹³ Mit seiner Position in der Dynamik des Wandels und der umfassenden Reflexion und ideengeschichtlichen Einordnung der Aussagen der Frühen Neuzeit nimmt er eine nicht unbedeutende Rolle im Diskurs über den Fahrenden Schüler ein. Daher untersuche ich ihn in einem zweiten Durchgang nochmals – und zwar weniger als wissensvermittelnden Forschungsbeitrag, sondern als Teilnehmer an der Tradierung von Vorstellungen von und Zuschreibungen an den Fahrenden Schüler.¹⁴  Ex iis […] nemo non videt, Scholasticos vagantes fuisse (1.) circulatores, qvi (2.) literatos se professi (3.) victum qværerent malis artibus, præprimis (4.) peritiam Magiæ beneficæ præ se ferentes, α) secula post Christum natum XV. atque adeo ante annos circiter ducentos, β) in Germania nostra, γ) vestiti circa humeros reticulo flavo visi [Herv. im Orig.].  Vgl. Kapitel 12.3.4.  Übers. P. R.: ‚Das war, was sich uns über die fahrenden Schüler zeigte. Wenn irgendeiner sagt, dass sie es nicht wert seien, ihre Erinnerung zu bewahren, werde ich nicht widersprechen. Und dennoch werde ich auf Nachsicht für meine Abhandlung hoffen, weil ich mit dieser versucht habe, in eine Geschichte, auf die sich andere in ihren eigenen Schriften beziehen und die manche hochgelehrte Männer wie Gessner zu wenig untersuchten und sogar noch mehr verfinsteren, etwas Licht zu bringen.‘  Vgl. auch Herbert Jaumann: Öffentlichkeit und Verlegenheit. Frühe Spuren eines Konzepts öffentlicher Kritik in der Theorie des plagium extrajudicale von Jakob Thomasius (1673). In: Scientia Poetica 4 (2000), S. 62– 82.  Vgl. Kapitel 12.3.4.

2.2 Vom Verfall des gelehrten ‚Vagantentums‘ – ältere Forschungsansätze

17

2.2 Vom Verfall des gelehrten ‚Vagantentums‘ – ältere Forschungsansätze Die Disputation bei Jakob Thomasius wurde in der neu einsetzenden Beschäftigung mit Fahrenden Schülern, wenn überhaupt dann nur marginal beachtet. So erwähnt ihn Wilhelm von Giesebrecht, dessen Aufsatz „Die Vaganten oder Goliarden und ihre Lieder“ von 1853 die folgende Forschung maßgeblich prägte,¹⁵ in einer knappen, eher despektierlichen Fußnote: Nur über die fahrenden Schüler des 15. und 16. Jahrhunderts handelt eine wunderlich pedantische Dissertation von J. Thomasius, die aber für diese Zeit manches Material beibringt.¹⁶

Grund für dieses Urteil ist wohl neben der humanistischen ‚Pedanterie‘ des Discursus die Interessensverschiebung der scientific community des 19. Jahrhunderts auf frühere Epochen. Diese ist mit einer Konzentration auf die Rekonstruktion der Ursprünge verbunden und intensivierte sich durch das Wiederentdecken alter Codices, v. a. des nach seinem Fundort Benediktbeuern benannten Codex Buranus. ¹⁷ Dieser fachte das Interesse für mittellateinische ‚Vagantenlieder‘ neu an. Man stellte die ‚Vaganten‘ in eine Reihe mit den Fahrenden Schülern, wobei man gemäß einem teleologischen Schema „diese Erscheinung in ihrer Entstehung, Entfaltung, Blüte und ihrem Verfalle“¹⁸ verfolgte. Im 12. und 13. Jahrhunderts habe die Dichtung des ‚Vagantentums‘

 Wilhelm von Giesebrecht: Die Vaganten oder Goliarden und ihre Lieder. In: Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur 4 (1853), S. 10 – 43 und S. 344– 381. Danach sind an wissenschaftlichen Beiträgen zum ‚Vagantentum‘ unter andem zu nennen: Max Büdinger (1854) und Julius Feifalik (1861), die auf die Ursprünge der ‚Vagantendichtung‘ in Österreich und in Böhmen verweisen. Außerdem im deutschsprachigen Raum Oscar Hubatsch (1870), Ludwig Laistner (1879), Kuno Francke (1879), Johannes Ilberg (1889), Karl Marold (1890 f.), Nicolaus Spiegel (1888 – 1908), Wilhelm Meyer (1907), Hermann Suchier/Adolf Birch-Hirschfeld (1900), Gustav Gröber (1902), Max Häßner (1905), Siegfried Jaffe (1908), Holm Süssmilch (1917), Leo Jordan (1925), Johann J. A. A. Frantzen (1919 – 1921), Paul Lehmann (1922 f.), Hennig Brinkmann (1924 f.), Hans Naumann (1924), Karl Strecker (1926 – 1928), Max Manitius (1931), Martin Löpelmann (1940) und Martin Bechthum (1941). Eine umfassende Forschungsgeschichte bietet Marian Weiß: Die mittellateinische Goliardendichtung und ihr historischer Kontext. Komik im Kosmos der Kathedralschulen Nordfrankreichs. Univ.-Diss. Gießen 2018, S. 23 – 43, zur frühen Forschung vgl. S. 23 – 32.  Giesebrecht: Vaganten, S. 41 (Anm. 2).  Mehr dazu in Kapitel 13.2.  Giesebrecht: Vaganten, S. 11. Vgl. dazu auch die Gliederung bei Martin Bechthum: Beweggründe und Bedeutung des Vagantentums in der lateinischen Kirche des Mittelalters. Jena 1941. Diese Dissertation von 1941 fasst summarisch und detailgenau die Forschung zur ‚Vagantenlyrik‘ zusammen, sodass die Ergebnisse oft noch in modernen Forschungsbeiträgen zitiert werden. Auch wenn sich explizite Verweise auf dezidiert rassistisches Gedankengut und völkische Stammesvorstellungen bei Bechthum auf die Einleitung konzentrieren und in der weiteren Argumentation keinen hervorgehobenen Stellenwert haben, ist eine Studie auf solcher Basis doch hoch unzuverlässig. Vgl. dazu Uwe Puschner: Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte. Göttingen 22012, S. 164.

18

2 Zur Forschung

ihre Blüte erlebt, die „ihre Poesieen der näheren Beachtung und Würdigung sehr werth“¹⁹ mache. Im Gegensatz dazu spricht Giesebrecht die Verfallserscheinungen der „späteren Phasen des Vagantenthums in Deutschland“ nur kurz an, da in ihnen „die Poesie […] immer mehr in den Hintergrund [trete], und die schwarze Kunst und Alchemie ihre Stelle“ einnehme, bis schließlich „[a]ls die völlig entarteten Nachfolger […] im 16. Jahrhundert die Bacchanten und Schützen […], der Auswurf der damals schlecht genug bestellten Schulen,“ hervorträten.²⁰ Giesebrecht konstruiert so eine absteigende Reihe vom poetischen Vaganten über den fahrenden Schüler als Zauberkünstler des 15. Jahrhunderts bis zu den bettelnden und stehlenden Bacchanten und Schützen. Obwohl er ‚Fahrender Schüler‘ dem allgemeinen Sprachgebrauch seiner Zeit folgend als neutralen Überbegriff über alle diese Phänomene verwendet,²¹ ist doch eine wertende Differenzierung zwischen ‚Fahrendem Schüler‘ und ‚Vagant‘ festzustellen: Während er den ersten mit Betrug und sozialer Devianz konnotiert, stilisiert er den zweiten zu einer Sehnsuchtsfigur akademischer Freiheit und Geselligkeit. Insgesamt kreist die Beschäftigung der älteren Forschung mit den lateinischen ‚Vaganten‘-Liedern um drei Problemkreise: (1) die Einteilung in Epochen und Periodisierung des Phänomens, (2) die Differenzierung von (poetisch hohen) Vaganten und ihren Deviationen (Goliarden, fahrenden Schülern, Bacchanten) und schließlich (3) etymologische Fragestellungen, v. a. bezüglich der philologischen Herleitung der Bezeichnung ‚Goliarde‘, wobei diese Debatte „heute selbst als goliardesk zu bezeichnen“²² sei. Man konstruierte einen ‚Vagantenmythus‘, der die Verfasser der Vaganten- oder Goliardendichtung mit „verbummelte[n] Studenten“²³ gleichsetzt. Eine „weltbekannte[ ] Vorkämpferin“²⁴ dieses ‚Vagantenmythus‘ ist Helen Waddell mit ihrem Buch The Wandering Scholars. ²⁵ Sie legte die wohl erfolgreichste und wirkmächtigste Beschäftigung mit ‚Vaganten‘ überhaupt vor, wurde überaus häufig zitiert²⁶ und inspirierte auch den Komponisten Gustav Holst zu einer Kammeroper mit demselben Namen (Op. 50).²⁷ Waddell prägte und popularisierte mit ihrem Buch vor allem im anglophonen Raum ein spezifisches Bild vom ‚fahrenden Scholaren‘, verstellte dadurch aber auch den Weg für eine differenziertere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema: „For too long, fanciful theories about denizens of the

 Giesebrecht: Vaganten, S. 27.  Giesebrecht: Vaganten, S. 41.  Vgl. Giesebrecht: Vaganten, S. 11 et passim.  Rudolf Münz: Giullari nudi, Goliarden und ‚Freiheiter‘. In: Rudolf Münz und Gisbert Amm: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen. Berlin 1998, S. 104– 140, hier S. 122.  Hermann Suchier und Adolf Birch-Hirschfeld: Geschichte der französischen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig, Wien 1905, S. 172.  Heinrich Naumann: Dichtung für Schüler und Dichtung von Schülern im lateinischen Mittelalter. In: Der altsprachliche Unterricht 17 (1974), S. 63 – 84, hier S. 70.  Helen Waddell: The Wandering Scholars [1927]. London 191980.  Vgl. Felicitas Corrigan: Helen Waddell. A Biography. London 1986, S. 234 und Weiß: Goliardendichtung, S. 204 u. ö.  Vgl. Imogen Holst: A Thematic Catalogue of Gustav Holst’s Music. London 1974, S. 178 f.

2.2 Vom Verfall des gelehrten ‚Vagantentums‘ – ältere Forschungsansätze

19

highways and taverns have been allowed to prevail in connection with the repertory.“²⁸ Jedoch gab es bereits vor den Kritikern von Helen Waddell Stimmen gegen einen ‚Vagantenmythus‘, v. a. Salvatore Santangelo (1902)²⁹ und Wilhelm Meyer (1907), dessen Meinung in der Aussage deutlich wird, die Literaturgeschichte sei „allmählich zu der sonderbaren Anschauung gekommen, daß die weltlichen Gedichte des Mittelalters und provenzalischer, französischer und deutscher Sprache zumeist von Edelleuten, die in lateinischer Sprache zumeist von Lumpen gedichtet“.³⁰ Auch Karl Langosch zieht einen fiktionalen Status der Dichtung in Erwägung, wenn er betont, der Verfasser brauchte „selber kein Vagant zu sein, kein Vagantenleben zu führen“, sondern der konnte „sich kraft seiner Phantasie in die Vagantensituation hineindenken und -fühlen“.³¹ Dennoch sei seiner Meinung nach „jene Gattung zur Hauptsache von den Vaganten begründet und entwickelt zu denken.“³² Die Perspektive auf eine Beschäftigung mit den weltlichen lateinischen Liedern verändert sich maßgeblich ab Ende der 1960er Jahre, vor allem nach Heinrich Naumanns Aufsatz mit dem provokanten Titel „Gab es eine Vaganten-Dichtung?“ Er stellt sich dezidiert gegen die allgemeine Forschungsmeinung, die er als „Vagantologie“³³ desavouiert, und führt Argumente dagegen an, dass die namhaft fassbaren Autoren Vaganten gewesen³⁴ und die anonymen Texte von Vaganten gedichtet worden seien. Weiter vertritt er die These, die Lieder seien „von Akademikern, von Schülern und Studenten, von Magistern und Professoren“³⁵ verfasst worden. Der Terminus der ‚Vagantendichtung‘ müsse also als unzureichend verworfen werden, da er nur „im Dienste des Establishments“³⁶ stehe. Stattdessen gibt Naumann, „da das Geistliche und das Weltliche hier kaum zu trennen sein wird, […] der Bezeichnung ‚gereimte‘ oder ‚rhythmische Akademikerdichtung‘“³⁷ den Vorrang. Er verweist auch auf die Kontamination des Mittelalterbildes durch unzeitgemäße Interpretationen im Geist der Romantik des 19. Jahrhunderts oder der Wandervogelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.³⁸ In Naumanns kurzem Text blieben zwar einige Aspekte unzurei Bryan Gillingham: The Social Context of ‚Goliardic‘ Song: Highway, Court, and Monastery. In: Dalhousie Review 82 (2002), S. 75 – 90, hier S. 75.Vgl. ebenso Bryan Gillingham: The Social Background to Secular Medieval Latin Song. Ottawa 1998, S. 1.  Salvatore Santangelo: Studia sulla Poesia Goliardica. Palermo 1902, S. 1 f.  Wilhelm Meyer: Die Oxforder Gedichte des Primas (des Magisters Hugo von Orelans). In: Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse 13 (1907), S. 75 – 111 und 113 – 175, hier S. 76.  Karl Langosch: Profile des lateinischen Mittelalters. Geschichtliche Bilder aus dem europäischen Geistesleben. Darmstadt 1965, S. 242  Langosch: Profile des lateinischen Mittelalters, S. 242.  Heinrich Naumann: Gab es eine Vaganten-Dichtung? In: Der altsprachliche Unterricht 12 (1969), S. 69 – 105, hier S. 70 et passim.  Dies räumt freilich auch schon Waddell: Wandering Scholars, S. VI ein.  Naumann: Gab es eine Vaganten-Dichtung?, S. 105.  Naumann: Dichtung für Schüler, S. 61 f.  Naumann: Gab es eine Vaganten-Dichtung?, S. 105.  Vgl. Naumann: Gab es eine Vaganten-Dichtung?, S. 105.

20

2 Zur Forschung

chend thematisiert, doch er erreicht es, den Blick auf die lateinische Dichtung mit weltlichem Inhalt zu schärfen. So stellt er fest, dass „[g]erade das Bekenntnis zum Vagieren […] in der mittellateinischen ‚Vaganten-Dichtung‘, bis auf eine Ausnahme (CB 199, 3) nirgends“³⁹ zu finden sei. Naumanns Uminterpretation des Begriffes der ‚Vagantenlieder‘ folgt auch Paul Gerhard Schmidt, der die Texte größtenteils als „Schul- und Geistlichendichtung, in der das gelehrte Element dominiert“,⁴⁰ bewertet.Weiter ordnet er in Anlehnung an die sog.Vagantenstrophe cum auctoritate (dem Strophenschluss mit expliziter Anlehnung an einen Gewährsmann) zahlreiche Gedichte (v. a. Walthers von Châtillon) in den Kontext der karnevalesken Feierlichkeiten des Bakelfestes ein. Eine Relativierung dieser Auffassung als reine Schuldichtung erfahren die weltlichen Lieder durch Peter Dronke, der betont: „Such songs as the love-songs in the Carmina Burana were not exactly ‚school-exercise‘ (a favourite term of the scholars of Schumann’s generation)“.⁴¹ Stattdessen antizipiert er den Vorwurf einer romantisierenden Deutung⁴² und sagt, es handle sich um „songs of an intellectual world in its less intellectual, extramural hours, songs for singing, for company, for entertainment, but surely also for expression of one’s own deeply felt loves or – in some of the satiric songs – hates“.⁴³ Die Annäherung an eine Trägerschicht aus dem (klerikalen) Gelehrtentum für die Goliardendichtung (des 12. und 13. Jh.) hat jüngst Marian Weiß vertreten. Er verortet den Großteil seines Textkonvoluts aufgrund biographischer, zeitlicher, räumlicher, stilistisch-intentionaler, thematischer und situativer Indizien an den Kathedralschulen Nordfrankreichs.⁴⁴ Auch Bryan Gillingham referiert auf die Konstruktion eines ‚Vagantenmythus‘, wobei er die Goliarden schließlich als „part of the array of diversified types involved in the production at court, church and monastery intended to amuse those who could pay“⁴⁵ ansieht. Nach der Untersuchung verschiedener sozialer Institutionen des Mittelalters (Hof, Schule, Universität, Kloster) kommt er zu dem Schluss, dass im  Naumann: Gab es eine Vaganten-Dichtung?, S. 71 f. Diese Feststellung trifft nur auf die ‚kanonische Vagantendichtung‘ in den bekannten Textsammlungen zu und sie muss etwas relativiert werden, wenn man z. B. folgende Lieder einbezieht; Karl Strecker: Zwei mittellateinische Liedchen. In: ZfdPh 51 (1926), S. 117– 119. Gewiss aber ist gemäß Naumann zu konstatieren, dass die ältere Forschung einzelne Texte überbewertete und aus diesen ein Panorama entwarf, welches dann auch als Hintergrund für andere, gänzlich verschiedene Texte diente.  Paul Gerhard Schmidt: Das Zitat in der Vagantendichtung. Bakelfest und Vagantenstrophe cum auctoritate. In: Antike und Abendland 20 (1974), S. 74– 87, hier S. 74.  Peter Dronke: The Medieval Poet and his World. Rom 1984, S. 268.  „It is one thing to construct imaginary biography out of the love-poet’s literary persona; but to suggest that the love-poet was concerned exclusively with formal correctness, not at all with love, seems equally a defiance of common sense“; Dronke: Medieval Poet S. 269  Dronke: Medieval Poet, S. 268.  Vgl. Weiß: Goliardendichtung, S. 349 – 375. Indizien, dass es sich bei den Kompilatoren um Studenten zumindest gelehrte Personen gehandelt habe, nennt Marisa Galvez: Songbook. How Lyrics Became Poetry in Medieval Europe. Chicago, London 2012, S. 36 – 38.  Gillingham: Secular Medieval Latin Song, S. 42. Ähnlich auch Gillingham: ‚Goliardic‘ Song.

2.2 Vom Verfall des gelehrten ‚Vagantentums‘ – ältere Forschungsansätze

21

12. Jahrhundert durch die Öffnung der Klöster und die Dominanz adliger Laienbrüder auf der einen und die althergebrachte Stellung als Bewahrer und Vermittler des (literarischen) Wissens auf der anderen Seite Klöster wie Cluny die wichtigste Rolle spielten – noch vor der bedeutenden Kathedralschule in Paris und der in ihrer Bedeutung wachsenden Universitäten.⁴⁶ Dieses Ergebnis ist nicht völlig zu verwerfen und klösterliche Einflüsse scheinen evident, doch sind die Ableitungen der lateinischen weltlichen Lieder einzig (oder vor allem) von der klösterlichen Sphäre zu bezweifeln und bereits bezweifelt worden, z. B. von Elizabeth Leach, die in ihrer Rezension konkret Aussagen über Kontext und Provenienz der säkularen Vagantenlieder problematisiert.⁴⁷ Und damit schließt sich der Kreis zu Helen Waddell, die im Vorwort zur sechsten Auflage als Reaktion auf erste kritische Stimmen einräumt: „The truth is that, with very few exceptions, there is no pigeon-holing possible.We cannot often say that this was written by a vagabond and this by an archdeacon“.⁴⁸ Gerade durch ihre Ambiguität und Multivalenz entziehen sich die Texte einer eindeutigen sozialhistorischen Klassifizierung, und es stellt sich die Frage, ob eine solche Einordnung überhaupt notwendig ist. Einen anderen Weg schlägt daher Arthur George Rigg ein, indem er – ohne den bestehenden Kanon zu zerstören⁴⁹ – mit Blick auf die Praxis der materialen Tradierung durch Schreiber betont: „The myth, rather than the reality, is my concern here.“⁵⁰ Er enttarnt die Autorenbezeichnungen ‚archipoeta‘, ‚Golias‘ sowie ‚Primas‘, ‚Gauterus‘ und ‚Walter Map‘ als Pseudonyme, welche einen Mythos konstruierten, der regional variiere: The name of the hero changes: in Germany he is the Archpoet, in France he is Primas, in England he is Golias (and later Walter Mapes). The exploits of the hero are literary: they consist of poems of a distinct, but changing, character. […] I believe, the various names of the poet-hero of the literary myth were accepted as convenient authors of a recognized, if fluctuating, canon of poems. This limited corpus of poems should, perhaps, restrict the modern concept of Goliardic as a literary genre.⁵¹

 Vgl. Gillingham: Secular Medieval Latin Song, S. 172.  Elizabeth Eva Leach: The Social Background to Secular Medieval Latin Song by Bryan Gillingham. In: Music & Letters 80 (1999), S. 621– 624, hier S. 622.  Waddell: Wandering Scholars, S. VII. Zu einer Auswertung der Terminologie auf der Basis von Waddell vgl. Edwin H. Zeydel: Vagantes, Goliardi, Joculatores. Three Vagabond Types. In: Sheema Z. Buehne, James L. Hodge und Lucille B. Pinto (Hg.): Helen Adolf Festschrift. New York 1968, S. 42– 46. Doch auch er verharrt auf einer Suche der sozialhistorischen Hintergründe, ohne die literarischen Dynamiken zu beachten.  „It is certainly not my contention that the canons of works of these poets [Hugo von Orléans, Walther von Châtillon etc.], established with careful and imaginative scholarship, are to be rejected: in most cases they rest on internal references and stylistic considerations“; Arthur George Rigg: Golias and Other Pseudonyms. In: Studi medievali. 3a serie 18 (1977), S. 65 – 109, hier S. 66.  Rigg: Golias, S. 66.  Rigg: Golias, S. 107 f.

22

2 Zur Forschung

Aus der Untersuchung dieses Texcorpus folgert er: Den genannten Pseudonymen ist kein Text vor dem Ende des 12. Jahrhunderts zuzuordnen; es finden sich keine genuinen Liebes- oder Trinklieder. Ebenso besteht kein Zusammenhang mit Spielleuten, sehr wohl aber mit religiösen Themen.⁵² Die Auffassung von ‚Goliarden-Dichtung‘ weicht demnach auch in den mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Kompilationen von der kolportierten Auffassung einer romantisierenden ‚Vagantenlyrik‘ ab. Es ist kein fester ‚Sitz im Leben‘ festzustellen; ebenso ist abgesehen von der handschriftlichen Überlieferung ein Zusammenhang der Texte generell höchst fraglich, was die Einordnung in das Werk eines expliziten Autors nur in Ausnahmefällen ermöglicht. In einem Punkt ist sich die Forschung aber weitgehend einig: Man sollte die Textgruppe nicht ‚Vaganten-‘ oder ‚Goliardendichtung‘ nennen, da es sich um eine „bequeme, aber irreführende Bezeichnung für einen großen Teil der weltl[ichen] lat[einischen] Lyrik des 12. und beginnenden 13. Jh.“⁵³ handele, die sich in der älteren Forschung etabliert habe, da die „Freiheit des Wortes, die aus diesen Dichtungen spricht, […] unter respektablen Leuten nicht vorstellbar gewesen zu sein“⁵⁴ schien. Deshalb wurden die Texte einer „sozialen Randgruppe [zugewiesen], abgesunkenen, herumziehenden, ewigen Studenten und stellungslosen Klerikern“,⁵⁵ wie sie auch in Synodalbeschlüssen und anderen historischen Dokumenten Erwähnung finden. Die Rückführung des Corpus lateinischer weltlicher Lieder auf eine soziokulturelle Grundbedingung wie dem Klischee der lustig wandernden Studenten ist nicht tragfähig. Wenn man an der (auch international) etablierten Bezeichnung ‚Goliardendichtung‘ festhalten will, ist es nötig, die Begriffsverwendung dergestalt zu präzisieren, dass man zwischen dem „Goliarden“ und dem „Goliardendichter“ streng unterscheidet.⁵⁶ In den Textreihen des 12. und 13 Jahrhunderts begegnen nämlich durchaus Selbstzuschreibungen zu „Golias traditions“.⁵⁷ Genauso ist die Vorstellung von einem ‚Vagantenorden‘ nicht auf einer sozialen Grundlage zu suchen, sondern in einem imaginären Narrativ. Wenn ich im Folgenden also von ‚Goliarden-‘ ‚Vaganten-‘ oder ‚Studentendichtung‘ spreche, dann meine ich nicht Texte von Vaganten/Studenten/ Schülern, sondern Texte über Vaganten/Studenten/Schüler als literarische Figuren: „Als V[agantendichtung] dürfte man daher allenfalls die Dichtung vom Betteln und Vagieren bezeichnen. Deren Entstehung wäre aber selten im Kreis wirkl[icher] Vaganten zu suchen – so wie z. B. Räuberlieder gewöhnl[ich] nicht von Räubern gedichtet sind“.⁵⁸ Zwar relativiert Bernt seine Aussage dahingehend, dass er schreibt:

 Rigg: Golias, S. 109.  Günter Bernt: [Art.] Vagantendichtung. In: LexMA 8, Sp. 1366 – 1368, hier Sp. 1366.  Bernt: [Art.] Vagantendichtung, Sp. 1366.  Bernt: [Art.] Vagantendichtung, Sp. 1367.  Vgl. Weiß: Goliardendichtung, S. 6 f.  Josef Szövérffy: Secular Latin Lyrics and Minor Poetic Forms of the Middle Ages. A Historical Survey and Literary Repertory from the Tenth to the Late Fifteenth Century. Concord (NH) 1992– 95, Bd. 2, S. 441. Vgl. auch Rigg: Golias, passim.  Bernt: [Art.] Vagantendichtung, Sp. 1367.

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten

23

„abgesehen vielleicht von dem einen oder anderen Stück wie CB 218, 224 f.“⁵⁹ Diese Einschränkung ist meiner Meinung nach jedoch nicht notwendig, da auch CB 218 ein hochartifizielles Kunstwerk mit zahlreichen parodistischen Bezügen zur Benediktsregel ist.⁶⁰

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten 2.3.1 Literaturwissenschaftliche Ansätze Während die Wissenschaft der lateinischen Gelehrtendichtung eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte, blieben die Fahrenden Schüler des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit weitgehend unbeachtet. Nur bei wenigen der frühen Germanisten des 19. Jahrhunderts ging die Beschäftigung darüber hinaus, diese als Verfallsphänomen gegenüber der Literatur des 13. Jahrhunderts vorzuführen. Umfassend beschäftigte sich Nicolaus Spiegel nach dem Vorbild Giesebrechts mit der ‚Blüte des Vagantentums‘ und beharrte dabei vor allem auf der realen Präsenz eines Vagantenordens,⁶¹ wobei seinen Thesen schon früh scharf widersprochen wurde.⁶² Aber er veröffentlichte auch mehrere Untersuchungen, die explizit die Fahrenden Schüler des 15. und 16. Jahrhunderts zum Thema haben. Dabei konzentriert er sich auf die Bettlerkataloge (z. B. Liber Vagatorum) und die Autobiographien Thomas Platters und Johannes Butzbachs.⁶³ In seinen Studien nimmt er den Fahrenden Schüler des 15. und 16. Jahrhunderts als soziales Phänomen wahr und setzt damit neben der lateinischen ‚Vagantendichtung‘ des 10. bis 12. Jahrhunderts einen zweiten Fokus an Forschungsbeiträgen zu mobilen angehenden Gelehrten. Es fällt auf, dass das Spätmittelalter (13. und 14. Jh.) eine signifikante Lücke zwischen den beiden Textcorpora bildet. Aus einer theaterwissenschaftlichen Perspektive mit Schwerpunkt auf der  Bernt: [Art.] Vagantendichtung, Sp. 1367.  Eine etwas genauere Besprechung erfahren die wenigen lateinischen Lieder über Vaganten in Kapitel 7.  V. a. Nicolaus Spiegel: Die Vaganten und ihr ‚Orden‘. Speyer 1892.  Vgl. Holm Süßmilch: Die Lateinische Vagantenpoesie des 12. und 13. Jahrhunderts als Kulturerscheinung. Leipzig, Berlin 1918, S. 17 und Paul Lehmann: Die Parodie im Mittelalter. München 1922, S. 218 f. [Stuttgart 21963, S. 159 f.] sowie Max Manitius: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. München 1911– 1931, Bd. 3, S. 965. Im Gegensatz dazu werden die überholten Ergebnisse der ältesten Forschung auch in neueren Beiträgen wiederholt, z. B. in R. Gordon Goodrum: „Carmina Burana“: The Poetry of Wandering Scholars and Wayward Clerics. In: The Choral Journal 36 (1995), S. 9 – 12, hier S. 10 f. und Vittorio Cecchini: I Goliardi e i Loro Canti Scelti dai Carmina Burana e da Altri Testi. La Goliardia dai clerici vagantes alla sua Rinascita. Pisa 1985.  Zu den Bettlerkatalogen vgl. Nicolaus Spiegel: Gelehrtenproletariat und Gaunertum. Vom Beginn des XIV. bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts. Schweinfurt 1902 und zu den Autobiographien Nicolaus Spiegel: Das fahrende Schülertum. Ein Ergebnis der deutschen Schulverhältnisse während des XV./XVI Jahrhunderts.Würzburg 1904.Vgl. zu den Gegenständen außerdem Kapitel 5.1 und 12.3.3. Zur Rezeption der Gegenstände in der frühen Forschung vgl. Kapitel 13.2.

24

2 Zur Forschung

Performanz versucht Rudolf Münz diese Lücke zu schließen, indem er die frühneuzeitlichen wandernden Studenten mit der italienischen Giullaria vergleicht.⁶⁴ Wie Nicolaus Spiegel bewerten auch andere Studien diese Gegenstände eher als sozial- oder bildungsgeschichtliche Quellen denn als literarische Texte, obwohl bei vielen der Überlieferungszeugen eine literarische Brechung evident ist. Ein wichtiger Forschungsbeitrag ist das Buch Motive des Studentenlebens in der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Herbert Nimtz.⁶⁵ Es konzentriert sich auf den Quellenwert der Texte als Beitrag zur Analyse der studentischen Kultur, nimmt aber nicht den konkreten literarischen Eigenwert der Texte in den Blick. Außerdem liegt der Fokus der Studie auf dem 17. und 18. Jahrhundert. Dennoch stellt Nimtz ein reichhaltiges Arsenal an Texten mit Regesten und scharfsinnigen Detailbeobachtungen zur Verfügung und bietet zahlreiche wichtige Impulse zum Thema allgemein. In anderen motivgeschichtlichen Analysen zum Studenten/ Schüler in der Literatur fehlt die Vormoderne (fast) komplett.⁶⁶ Im Zuge der systematischen Beschäftigung mit mittelalterlichen Kurzerzählungen, die mit Hanns Fischers Studien zur deutschen Märendichtung einsetzte, wurde das Spektrum der mediävistischen Beschäftigung mit Studentenfiguren um eine breite Textgruppe des späten Mittelalters erweitert. In seiner Figurentypologie machte Hanns Fischer den Studenten zu einer eigenen Kategorie neben den ständisch verorteten Typen des Ritters und des Pfaffen. Dabei stehe der Student „[i]n der Nähe des Pfaffen […] als der angehende Kleriker“, sei jedoch einer „eigenen ständischen Gruppe zugehörig“.⁶⁷ Im Gegensatz zum Pfaffen, der als beliebte Ehebrecher- und Verlachfigur der Märendichtung präsentiert wird, bezeichnet Fischer den Studenten als „eine Lieblingsgestalt des Märes“, da er nur positive Züge trage.⁶⁸ Dennoch wird der Typus des Studenten neben einigen Einzelanalysen von Mären oder Versnovellen⁶⁹ mit Studenten selten in der Sekundärliteratur behandelt. Einzig  Vgl. Münz: Giullari nudi und Münz: Große Erzählungen, passim.  Herbert Nimtz: Motive des Studentenlebens in der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Würzburg 1937.  Vgl. Ronald Dietrich: Der Gelehrte in der Literatur. Literarische Perspektiven zur Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems. Würzburg 2003 und Katharina von Ruckteschell: Gefangene der Freiheit. Studien zum Typus des Studenten in der Literatur des europäischen Realismus. Frankfurt a. M., Bern u. a. 1990.  Hanns Fischer und Johannes Janota: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 21983, S. 121.  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 121. Ähnlich formuliert (mit Verweis auf die geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen von Ernst Schubert) Andrea Moshövel: Von ‚hübschen‘ Studenten und kundigen Frauen. Rüdeger von Munre: ‚Irregang und Girregar‘. In: Nathanael Busch und Björn Reich (Hg.): Vergessene Texte des Mittelalters. Stuttgart 2014, S. 175 – 186, hier: S. 178: „In der Erzählliteratur ist der ‚fahrende Scholar‘ oder ‚fahrende Schüler‘ eine der Lieblingsfiguren der Schwankdichter.“  Während sich die Gattungsbezeichnung ‚Märe‘ auf die umstrittene, aber wirkmächtige Definition von Hanns Fischer bezieht, versuchen alternative Bezeichnungen wie Kurzerzählung, Versnovelle und dgl. die starren und inhaltlich meist nicht gerechtfertigten Grenzen zu relativieren, ohne jedoch den heuristischen Vorteil eines festen Textcorpus zu verlieren. So zum Beispiel im DFG-Projekt „Edition und Kommentierung der deutschen Versnovellistik des 13. und 14. Jahrhunderts“ (2009 – 2018) und der

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten

25

die Fragestellung zum ‚Sitz im Leben‘ der Mären bezieht die ‚Studenten-Mären‘ häufig in die Forschungsdiskussion ein. So bestand in der älteren Forschung die communis opinio, dass die Studenten als angehende Kleriker die Autoren der Mären wären, was aus der positiven Darstellung oder auch den Anspielungen auf die Schreibfähigkeit der studentischen Protagonisten im Märe gefolgert wurde.⁷⁰ Fischer nennt die positive Konnotation von Studenten im Märe „eine Form der Selbstempfehlung“⁷¹ und Schirmer konstatiert: „Sicher sind an den Fabliaux in gleichem Maße wie bei den deutschen Schwänken ‚Studenten‘ (clers lettrés) beteiligt gewesen.“⁷² Dieser Feststellung folgt Wailes, schränkt sie aber insofern ein, als eine konkrete Autorschaft für die deutschen Mären nicht ermittelt werden könne. Bei den Autoren der Mären sei dennoch wie auch bei den Rezipienten wegen ihres klerikalen Sachverstandes „notions of clerical curialitas“⁷³ und wegen ihrer Anspielungen auf höfische Literatur- und Wertekonzepte „a good knowledge of courtly literature“⁷⁴ anzunehmen. Auch Birgit Beine widmet den Studenten ein Kapitel in ihrer Monographie zu Geistlichen in Mären des deutschen Mittelalters. In ihrer Sammlung von Mären mit klerikalem Personal liefert sie einen klassifizierenden Überblick über Studenten-, Schüler- und Schreiberfiguren mit Haupt- oder Nebenrollen und interpretiert diese kulturgeschichtlich.⁷⁵ Doch die Arbeit wurde scharf kritisiert, was vor allem an ihrer methodischen Nähe zur alten Forschung ohne den Einbezug neuerer narratologischer Methoden und einem Mangel textanalytischer Reflexion liegt.⁷⁶ Mireille Schnyder fasst ihre Kritik folgendermaßen zusammen: „Die Textwelten sind nicht bedacht vor lauter Suche nach einer gespiegelten (auch verkehrt gespiegelten) ‚Realität‘.“⁷⁷ Beines Thematisierung der Studenten stelle dabei eine der größten Schwachstellen in der Arbeit dar. Denn sie präsentiere die

daraus hervorgegangenen Edition (2020). Wie weite Teile der gegenwärtigen Forschung gebrauche ich die Gattungsbezeichnungen ‚Versnovelle‘ und ‚Märe‘ weitgehend synonym. Allgemeine Vorannahmen zur Textgruppe finden sich auch im Kapitel 8.2.  Vgl. Fischer/Janota: Märendichtung, S. 208 f.; Karl-Heinz Schirmer: Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle. Tübingen 1969, S. 126, 299 und 326 – 329, Stephan L. Wailes: Vagantes and the Fabliaux. In: Thomas Darlington Cooke und Benjamin L. Honeycutt (Hg.): The Humor of the Fabliaux. A Collection of Critical Essays. Columbia 1974, S. 43 – 58 und Gerhard Köpf: Märendichtung. Stuttgart 1978, S. 42.  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 208.  Schirmer: Stil- und Motivuntersuchungen, S. 326. Zu den französischen Fabliaux Per Nykrog: Les Fabliaux. Genève 1973, S. 132 f., aufbauend auf Joseph Bédier: Les Fabliaux. Études de Littérature Populaire et d’Histoire Littéraire du Moyen Âge. Paris 1893, S. 347– 356.  Wailes: Vagantes and the Fabliaux, S. 58.  Stephan L.Wailes: Students as Lovers in the German Fabliau. In: Medium Aevum 46 (1977), S. 196 – 211, hier S. 210.  Vgl. Birgit Beine: Der Wolf in der Kutte. Geistliche in den Mären des deutschen Mittelalters. Bielefeld 1999, hier v. a. S. 225 f.  Vgl. Sabine Wienker-Piepho: Rezension zu Birgit Beine: „Der Wolf in der Kutte.“. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 41 (2001), S. 208 f. und Mireille Schnyder: Rezension zu Birgit Beine „Der Wolf in der Kutte“. In: PBB 124 (2002), S. 526 – 528, hier S. 528.  Schnyder: Rezension, S. 528.

26

2 Zur Forschung

Gruppe der ‚Studenten, Schüler und Schreiber‘ geschlossen als Theologiestudenten und angehende Geistliche, wobei sie die Ergebnisse der sozialhistorischen Forschung weitgehend vernachlässige.⁷⁸ Sie weitet den Begriff clericus der Terminologie seit dem 12. Jahrhundert entsprechend auf alle Formen der Gebildeten aus,⁷⁹ behandelt die jedoch vom geweihten Priester bis zum Schreiber gleich. Diese Pauschalisierung ist problematisch, da „auf Schüler und Schreiber […] die immer wieder zur Argumentation herangezogenen Zölibatsregeln und weitgehenden Privilegien nicht zu[träfen].“⁸⁰ Auch in der Frage der Autorschaft der Mären folgt sie mit ansprechenden Simplifizierungen den Konzepten von Fischer und Schirmer, wobei sie die Studenten als „vagierende[ ] Kleriker“ darstellt, die „während ihres Universitätsaufenthalts Kenntnisse der Logik und Psychologie [!] erworben“⁸¹ und als mittellose Fahrende in Wirtshäusern ihre Schwänke zum Besten gegeben hätten. Die Studenten hätten also als Verfasser der Mären oder Fabliaux die literarischen Texte genutzt, „um ihrem schlechten Ruf entgegenzuwirken“.⁸² Zugleich müssten die Studenten der deutschen Mären wie auch der französischen Fabliaux Akzeptanz unter der Bevölkerung erfahren haben, denn sonst wäre für diese (sowohl als Autor wie auch als Figur in der Erzählung) keine so ausschließlich positive Darstellung möglich. Als Grund gibt Beine ein für mittelalterliche Dichtung ungültiges psychologisches Argument an: Es ist anzumerken, daß gerade der Student als Vertreter des freien Lebens und der steten Abwechslung für den etablierten Bürger trotz des damaligen ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses die Verkörperung seiner verborgenen Sehnsüchte darstellte.⁸³

Die Erwägung von Studenten als Autoren der Mären ist in der Forschung zur mittelalterlichen Kleinepik zu Recht umstritten. Dabei ähnelt die Argumentation der Diskussion über die Lieder der lateinischen Gelehrtendichtung, für die auch keine stichhaltigen, objektiven Beweise zur Verfasserschaft abzugeben sind, da diese meist auf übergeneralisierten vereinzelten Quellen und modernen Projektionen beruhen. Die Frage nach den Autoren der kleinepischen Texte kann sowohl geschichts- als auch literaturwissenschaftlich nicht abschließend beantwortet werden.⁸⁴ Im Folgenden ist – wie bei der ‚Goliardendichtung‘ – streng zwischen Objekt und Subjekt des Textes zu unterscheiden, also zwischen ‚Studenten-Mären‘ als Texten, die von Studenten verfasst worden sind, und Texten, in denen Studenten als Figuren auftreten. Während die

 Vgl. Beine: Wolf in der Kutte, S. 220.  Vgl. Beine: Wolf in der Kutte, S. 18.  Vgl. zu diesen Kritikpunkten Schnyder: Rezension, S. 527.  Beine: Wolf in der Kutte, S. 233.  Beine: Wolf in der Kutte, S. 233. Beine verweist dabei auch auf Nykrog: Les Fabliaux, S. 132.  Beine: Wolf in der Kutte, S. 236.  Eine Parallele der Autoren von Fabliaux und schwankhafter Kleinepik erwägt Jean-Charles Payen: Goliardisme et fabliaux. Interfe´rences ou similitudes? Recherches sur la fonction ide´ologique de la provocation en litte´rature. In: Jan Goossens u. Timothy Sodmann (Hg.): Third International Beast Epic, Fable, and Fabliau Colloquium. Kö ln, Wien 1981, S. 267– 289.

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten

27

erste Textgruppe allenfalls konstruktiv eruiert werden kann, ist eine Strukturierung nach dem zweiten Kriterium weitgehend unproblematisch. Mit ‚Studentenmären‘ beschäftigt sich auch Sebastian Coxon. Er erweitert die Darstellung der litterati bei Beine um eigene Ansätze. Die zentralen Fragen seiner Untersuchung sind: (1) Gibt es poetologische Gesetzmäßigkeiten, die das Auftreten von litterati bestimmen? (2) Gibt es eine Entwicklung bei diesen Typen? (3) Inwiefern kommt Selbstreflexivität in diesen Mären zum Tragen? (4) Welche literaturgeschichtlichen und soziohistorischen Kontexte sind für die Rezeption dieser Texte bedeutsam? Zu der bereits erwähnten Verfasserfrage merkt er an, dass eine Autorschaft der Studenten durchaus möglich sei, dass dieser Aspekt aber nicht überbewertet werden sollte.⁸⁵ So gebe es Hinweise, dass Erzähler und Protagonist dieselbe Person seien, doch diese Hinweise könnten auch ein poetologisches Spiel sein, und damit eine textimmanente Funktion haben.⁸⁶ Coxon kommt zu dem Schluss: „It seems more likely that in a large number of these texts the choice of such literate protagonisttypes is determined by internal literary functions“.⁸⁷ Die Frage, wieso die sexuell sehr aktiven litterati im Märe (im Gegensatz zu den ebenso lese- und schreibfähigen Geistlichen) in ihren amourösen Abenteuern meist erfolgreich sind und in Erzählerkommentaren positiv dargestellt werden, beantwortet er mit ethnologischen Ansätzen. Coxon referiert die Möglichkeiten der litterati als positive Identifikationsfiguren und merkt an, dass man den Weg zur Universität als „rite of passage“⁸⁸ mit den Schritten Separation (Verlassen des Zuhauses), Liminalität (Studium) und Assimilation (Rückkehr in die Gesellschaft) sehen kann.⁸⁹ Zum anderen deutet er diesen Umstand soziologisch mit Blick auf mögliche Rezipienten: Die Studenten ergäben durch die Kombination von „intellectual advantages“ und „a fundamental material disadvantage“⁹⁰ eine ideale Figur „to be the scourge of other detested or truly threatening categories of person such as peasantry, priests and women.“⁹¹ Die Studenten hätten die Fähigkeiten die anderen ‚gefährlichen‘ Personengruppen zu plagen, könnten aber dem Selbstwertgefühl der (weitgehend) männlichen und vermögenden Rezipienten des gehobenen Bürgertums und des Adels selbst durch ihre gesell-

 Vgl. Sebastian Coxon: ‚schrîber kunnen liste vil‘. Literate Protagonists and Literary Antics in the Medieval German Comic Tale. In: Oxford German Studies 31 (2002), S. 17– 62, hier S. 57.  Vgl. Coxon: schrîber, S. 43.  Coxon: schrîber, S. 57.  Coxon: schrîber, S. 58. Vgl. dazu mehr in Kapitel 11.  Zur Liminalitätsthese vgl. weiter Alison Williams: Tricksters and Pranksters. Roguery in French and German Literature of the Middle Ages and the Renaissance. Amsterdam, Atlanta (GA) 2000, S. 9 f. und Kapitel 9.4.2.  Coxon: schrîber, S. 58.  Coxon: schrîber, S. 58. Eine volkskundliche Analyse schriftkundiger Figuren in Liedern, Balladen, Witzen und Schwänken bietet Sabine Wienker-Piepho: „Je gehrter, desto verkehrter“? VolkskundlichKulturgeschichtliches zur Schriftbeherrschung. München, Berlin 2000. Jedoch verbleibt sie bei den Texten vor dem 15. Jahrhundert oft in einem vagen Verzeichnis von Erzähltypen ohne eine überlieferungskritische Perspektive.

28

2 Zur Forschung

schaftliche Außenseiterrolle nicht gefährlich werden.⁹² Daher sei auch über die derben Scherze der Studenten ein befreiendes Lachen möglich gewesen. Doch diese These hat mit der historischen Rezeptionssituation als großer Unbekannten zu kämpfen und ist leicht anzufechten, sofern Aussagen getroffen werden, die über die narrative Funktion in den Texten hinausgehen.

2.3.2 Sozial- und bildungsgeschichtliche Ansätze Interessiert einen die Frage, ob für die Verfasserschaft von einzelnen Textsorten, z. B. Mären oder ‚Vagantenliedern‘, Schüler oder Studenten in Frage kommen, sind außerliterarische oder realhistorische Argumente zentral; dabei handelt es sich eigentlich auch um sozial- oder bildungsgeschichtliche Aspekte, die in der Frühgermanistik eine zentrale Stellung einnahmen.⁹³ Doch auch in der aktuellen Situation ist eine große thematische Schnittmenge zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft evident und daher interdisziplinäre Kooperation dringend nötig, vor allem in der Literaturgeschichte. ⁹⁴ Gerade neuere Beiträge der sozial- und kulturgeschichtlichen Universitätsforschung heben den besonderen Stellenwert und die Spezifik literarischer Texte als Quellen hervor.⁹⁵ Die Beschäftigung mit den Texten, die ältere Studien noch als Abbild für die sozialgeschichtliche Situation werteten, wurden der Literaturgeschichte

 Vgl. Coxon: schrîber, S. 58.  Bis in die 1890er Jahre gab es noch keine trennscharfe Unterteilung der Disziplinen. Vgl. Wilfried Barner: Literaturwissenschaft – eine Geschichtswissenschaft? München 1990, S. 6 – 9.  Allgemein dazu die Beiträge in Matthias Buschmeier, Walter Erhart und Kai Kauffmann (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin, Boston 2014.  Umfassende Hinweise für eine Beschäftigung mit verschiedenen Quellensorten zur mittelalterlichen Universität ca. 1200 – 1600 bietet: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018; zur frühneuzeitlichen Universität: Ulrich Rasche (Hg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Wiesbaden 2011. Zusammenfassend zum Forschungsstand in der mediävistischen und frühneuzeitlichen Geschichtswissenschaft weiter Marian Füssel und Wolfgang Eric Wagner: Studentenkulturen. Begriff – Forschungsstand – Perspektiven. In: JbUG 17 (2014), S. 39 – 55, hier S. 40 – 49 und Rainer Christoph Schwinges: Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum. Einige gänzlich subjektive Bemerkungen. In: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20 (2000/2001), S. 97– 119. Ein wichtiger Beitrag zur Universitätsgeschichte der Frühen Neuzeit ist Dominique Julia und Jacques Revel: Les Universités Européennes du XVIe au XVIIIe Siècle. Paris 1986/1989. Eine aktuelle Übersicht zur umfangreichen französischen Forschung zur Universitätsgeschichte vom 19. bis 21. Jahrhundert bietet Jacques Verger: État actuel et Perspectives de la Recherche en France sur l’Histoire des Universités Médiévales. In: JbUG 17 (2014), S. 9 – 19. Zur Forschung in Italien vgl. Giovanna Petti Balbi: Qui causa studiorum peregrinantur. Studenti e Maestri. In: Sergio Gensini (Hg.): Viaggiare nel Medioevo. Pisa 2000, S. 299 – 316.

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten

29

überantwortet, im Gegenzug aber eine Vielzahl anderer Zugänge zur Geschichte der Universität und ihrer Besucher ermittelt und systematisiert. Die „literarischen Texte und Darstellungen“ nehmen dabei den Status einer Quellensorte für die Untersuchung der Repräsentation der Universität als symbolische Ordnung neben anderen ein.⁹⁶ In diesem Rahmen wurde auch der als Selbstverständlichkeit erachteten Zusammengehörigkeit von Studium und permanenter Mobilität in der Vormoderne dezidiert widersprochen. Grundlage für diesen Wandel der Forschungsmeinung zur Universitätsgeschichte sind die prosopographischen Untersuchungen von Rainer Christoph Schwinges. Nach einer Analyse von Immatrikulationslisten und der „Reichsfrequenz“ (d. h. der Zahl der Besucher deutscher Universitäten) des 14. und 15. Jahrhunderts kommt er zu dem Ergebnis, dass man das „alte Schlagwort vom ‚fahrenden Scholarentum‘ […] wie so viele Mythen der Universitäts- und Bildungsgeschichte beiseite legen“⁹⁷ könne. Denn „[h]öchstens 20 bis 25 Prozent der deutschen Universitätsbesucher wechselten die Hochschulen, und zwar in aller Regel nur ein einziges Mal.“⁹⁸ Dieses Verhalten konzentrierte sich auf die universitäre Gelehrtenelite und den Adel, sodass „Mobilität und Reisen über eine Universität hinaus als Herrenverhalten interpretiert werden“⁹⁹ müsse. Der mittellose Student (pauper) hingegen blieb meist heimatnah und ortsstabil, wobei sich vor allem nach der Regionalisierung der Universitäten ab dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts¹⁰⁰ das Einzugsgebiet der Universitäten auf eine „Kernlandschaft“¹⁰¹ verengte. Als pauper galt derjenige, der nicht selbst oder durch Unterstützung seiner Eltern, Verwandten oder Freunde die Gebühren für das Studium bezahlen konnte. Dabei handelte es sich aber um eine „subjektive Einschätzung, die

 Hannah Skoda: Literarische Texte und Darstellungen. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 511– 528.Vgl. auch Marian Füssel: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006.  Rainer Christoph Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches. Stuttgart 1986, S. 495 und vgl. S. 29 f.  Schwinges: Universitätsbesucher, S. 29. Stephanie Irrgang präzisiert diese Zahl noch weiter, indem sie angibt, dass „[n]ur 2– 5 Prozent aller Universitätsbesucher […] wirklich Fahrende in dem Sinne [waren], daß sie mehrfach von Ort zu Ort zogen“; Stephanie Irrgang: Scholar vagus, goliardus, ioculator. Zur Rezeption des ‚fahrenden Scholaren‘ im Mittelalter. In: JbUG 6 (2003), S. 51– 68, hier S. 54.  Schwinges: Universitätsbesucher, S. 495. Vgl. auch Rainer Christoph Schwinges: Europäische Studenten des späten Mittelalters. In: Alexander Patschovsky und Peter Baumgart (Hg.): Die Universität in Alteuropa. Konstanz 1994, S. 129 – 146, hier S. 145 und Stephanie Irrgang: Peregrinatio academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz im 15. Jahrhundert. Stuttgart 2002, S. 188.  Vgl. Peter Moraw: Der Lebensweg der Studenten. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 225 – 254, hier S. 255 f.  Schwinges: Universitätsbesucher, S. 136; vgl. auch Maximilian Schuh: Ingolstadt oder Italien? Möglichkeiten und Grenzen akademischer Mobilität im Reich des 15. Jahrhunderts. In: Christian Hesse (Hg.): Von Bologna zu „Bologna“. Akademische Mobilität und ihre Grenzen. Basel 2011, S. 23 – 45.

30

2 Zur Forschung

sowohl vom Ermessen des Rektors als auch von der wahrheitsgemäßen Angabe des Studenten, arm zu sein, abhängig war.“¹⁰² Schwinges stellt weiter fest, dass „[v]on den Schülern der Lateinschulen […] ‚das Fahren‘ einfach auf die Studenten übertragen“ worden sei, wobei er konzediert, dass „man bereits bei den Schülern an dieser ‚Gewohnheit‘ zweifeln kann“, obwohl oder gerade weil sich die Vorstellung von dieser ‚Gewohnheit‘ nur auf einige „prominente Beispiele“ stützt,¹⁰³ und zwar vor allem die Biographien der Gelehrten Johannes Butzbach (1516), Thomas Platter (1582) und dessen Sohn Felix Platter (1614).¹⁰⁴ Stephanie Irrgang, deren Studien zur peregrinatio academica auf den Untersuchungen von Schwinges aufbauen, spitzt dessen These zu, indem sie darlegt, dass im ‚fahrenden Scholaren‘ „die literarische Rezeption ein bestimmtes Paradigma“ konstruiere, da dieser meist nur ex negativo zu den anderen Bevölkerungsgruppen durch seine Faulheit, Armut, Oberflächlichkeit und Einsamkeit definiert sei. Außerdem seien auch die „Rahmenbedingungen des Scholarenlebens […] völlig unzureichend akzentuiert“¹⁰⁵, wie der Name, sein Studienerfolg oder, ob er eine Schule oder eine Universität besuche. Aufgrund dieses Befunds klassifiziert Irrgang die ‚fahrenden Scholaren‘ als „phantasievolle Projektionen“, die „gängige Topoi und verbreitete Bedeutungsmuster“¹⁰⁶ verarbeiteten, sodass sie „zum Produkt der Literaturgeschichte“ würden und sich „der Ebene der Kirchen-, Sozial- oder Bildungsgeschichte“¹⁰⁷ entzögen. Die mittelalterliche peregrinatio academica sei also – so das Fazit von Irrgangs Studien – ein „pfründenfundiertes, klientelgetragenes, statusbedingtes, kleinräumiges und durch geistige Interessen motiviertes Bewegungsmuster“,¹⁰⁸ die Präsentation des Fahrenden als ‚verlorenes Lamm‘ wie in Legenden und Selbstzeugnissen des 16. Jahrhunderts¹⁰⁹ aber sei eine bloße Inszenierung und rezeptionswirksame Stilisierung für den rezipierenden Schüler oder Sohn.¹¹⁰ Stattdessen müsse man „[j]enseits der literarischen Tradition“ die „große Zahl normativer Quellen“¹¹¹ systematisch sammeln. Denn diese enthielten „ein erstaunliches und variantenreiches Begriffsspektrum zur Rezeption des ‚fahrenden Scholaren‘“.¹¹² Diese literarische Tradition habe neben Phänomenen wie der konstitutiven Zuschreibung des ziellosen ‚Fahrens‘ zu einer studentischen Kultur und der imaginierten Herausbildung eines

          

Schwinges: Universitätsbesucher, S. 447. Schwinges: Universitätsbesucher, S. 29. Anm. 19. Vgl. dazu die Kapitel 12.3.3 und 13.2. Irrgang: Scholar vagus, S. 61. Irrgang: Scholar vagus, S. 61. Irrgang: Scholar vagus, S. 61. Irrgang: Peregrinatio academica, S. 191. Vgl. Kapitel 9.4.1 (Legenden) und 12.3.3 (Selbstzeugnisse). Vgl. Irrgang Peregrinatio academica S. 191. Zu den Autobiographien vgl. außerdem Kapitel 12.3.3. Irrgang: Scholar vagus, S. 61. Irrgang: Scholar vagus, S. 61.

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten

31

Vagantenordens¹¹³ das Bild einer „das ganze Abendland erfassenden Unruhe“¹¹⁴ geprägt. Die Annahme des studentischen ‚Fahrens‘ als Massenphänomen und Standardfall beim Universitätsbesuch, was von der älteren ‚Culturgeschichte‘ des 19. Jahrhunderts übernommen wurde, gilt als Mythos. Dazu stellt Irrgang die (rhetorische) Frage: „Wie kann es sein, daß jahrhundertelang eine klischeehafte Tradition gepflegt wurde, der erst in den letzten Jahren mühevoll entgegengewirkt werden konnte?“¹¹⁵ Die vormaligen Quellentexte werden in der geschichtswissenschaftlichen Forschung also zu Teilen eines Mythos oder einer literarischen Tradition. Außerdem wird die Traditionspflege der Wissenschaft betont, die ihrerseits von dieser literarischen Tradition abhänge. So konstatieren auch Füssel und Wagner, es handle sich bei den ‚fahrenden Scholaren‘ um einen „klischeebehafteten Mythos, der durch romantisierende Schwankliteratur, Vagantenlyrik und studentische Trinklieder tradiert und verfestigt wurde.“¹¹⁶ Insgesamt zielen die häufigen Zuschreibungen ‚literarische Tradition‘ und ‚Mythos‘ vor allem auf eine Hervorhebung der Konstruktivität und Fiktionalität des ‚fahrenden Scholaren‘ ab. Das entspricht auch dem geschichtswissenschaftlichen Verständnis von ‚Traditionsquelle‘, die im Gegensatz zum ‚Überrest‘ von der Verlässlichkeit des (sprachlich, schriftlich oder bildlich) Berichtenden abhängt – eine historische Verlässlichkeit, die einer literarischen Tradition prima facie fehlt.¹¹⁷ Dieses Hervorheben der Irrationalität und Fiktionalität von Mythos und literarischer Tradition entspricht dabei zwar eher der umgangssprachlichen Wortverwendung und rekurriert nicht auf eine spezifische Theorie,¹¹⁸ jedoch ist die Zuweisung der Texte zur (fiktionalen) Literatur und damit in das Metier der Literaturgeschichte offensichtlich. Der aktuelle Stand der Geschichtswissenschaft widerspricht also einer genuinen Verbindung von Studium und Lebensweise eines ‚Fahrenden‘, verweist den ‚fahrenden Scholaren‘ aufgrund der prosopographisch-sozialgeschichtlichen Studien des

 Vgl. v. a. Spiegel: Die Vaganten und ihr ‚Orden‘, außerdem z. B. Georg Kaufmann: Die Geschichte der deutschen Universitäten. 1. Band: Vorgeschichte. Stuttgart 1888, S. 139 – 156, Theodor Hampe: Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. Mit 122 Abbildungen und Beilagen nach Originalen, größtenteils aus dem fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. Leipzig 1902, S. 44– 52 und 68 – 73. Zusammenfassend dazu Irrgang: Scholar vagus, S. 52.  Norbert Ohler: Reisen im Mittelalter. München, Zürich 1986, S. 254, ähnlich bereits Bechthum: Vagantentum, S. 16 f. Ich gehe eher davon aus, dass es sich um einen mentalitätsgeschichtlichen Wandel handelt, welcher eine solche Betonung durch den starken Kontrast zur stabilitas loci v. a. im monastischen Bereich erfuhr. Vgl. dazu Kapitel 9.1.  Irrgang: Scholar vagus, S. 54.  Füssel/Wagner Studentenkulturen, S. 44. Ähnlich formuliert auch Irrgang: Peregrinatio academica, S. 11 mit Verweis auf Bechthum: Vagantentum und Adalbert von Keller (Hg.): Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Stuttgart 1853 – 1858.  Grundlegend für diese Unterscheidung vgl. Ernst Bernheim: Einleitung in die Geschichtswissenschaft. Leipzig 1907, S. 83 – 110, außerdem Alfred Heuß: Überrest und Tradition. Zur Phänomenologie der historischen Quellen. In: Archiv für Kulturgeschichte 25 (1934), S. 134– 183; weiter Ernst Opgenoorth und Günther Schulz: Einführung in das Studium der neueren Geschichte. Paderborn, München u. a. 72010, S. 49 – 86.  Vgl. Ute Heidmann: [Art.] Mythos. In: RLW 2, S. 664– 668, hier S. 665.

32

2 Zur Forschung

Feldes der Universitätsgeschichtsschreibung und ersetzt das gelehrte Vagantentum durch eine ‚gezähmte‘ akademische Mobilität. Mit diesen Zusammenhängen beschäftigte sich Ernst Schubert, der von der modernen prosopographisch geprägten Sozialgeschichte nur marginal rezipiert und meist unter die ältere Forschung subsumiert wurde,¹¹⁹ andererseits selbst die Ergebnisse von Schwinges nur marginal aufnahm.¹²⁰ Auch wenn Schubert in seinen materialreichen Arbeiten zu Fahrenden im Spätmittelalter dem Fahrenden Schüler eine prominente Rolle für die europäische Universitätsgeschichte zuspricht,¹²¹ bemerkt er doch, es liege „eine große Schwierigkeit in der Existenzbestimmung des vagierenden Scholaren“.¹²² Zwischen den sogenannten aristokratischen Vaganten des Hochmittelalters und den Fahrenden Schülern des Spätmittelalters müsse deutlich unterschieden werden; doch die beiden verbinde eine „literarische Tradition“.¹²³ Weiter hebt er hervor, dass ‚Lotterpfaffe‘ und ‚Fahrender Schüler‘ eher zu einem „Klerikerproletariat“ gehörten, das nur in loser Verbindung zu Universität und Kirche stehe und eher dem betrügerischen Betteln zuzuordnen sei.¹²⁴ Er nimmt in seiner Darstellung Abstand von einer absoluten Zuweisung des ‚fahrenden Scholaren‘ in den Bereich des Fiktionalen. Für ihn ist der ‚fahrende Schüler‘ zwar auch, aber nicht nur Literatur.¹²⁵ Die Nichtexistenz einer gebildeten, devianten Randgruppe von Universitäts- oder Schulbesuchern kann aus statistischen Zahlen über Immatrikulationen oder aus biographischen Daten nicht mit Gewissheit gefolgert werden, zumal Marginalität in der Vormoderne eine Ferne zur schriftproduzierenden (politischen oder literarischen)

 Vgl. Irrgang: Scholar vagus, S. 10 f. Keine Erwähnung finden die Studien von Schubert in Füssel/ Wagner: Studentenkulturen.  Vgl. z. B. Ernst Schubert: Fahrendes Volk im Mittelalter. Bielefeld 1995, S. 256 f. und Ernst Schubert: Das Interesse an Vaganten und Spielleuten. In: Hans-Werner Goetz (Hg.): Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung. München 2003, S. 409 – 426 nusquam. Insgesamt scheint das Vorgehen Schuberts weniger einer „sozialgeschichtliche[n] Analyse“ zu ähneln, sondern „der ‚dichten Beschreibung‘, die vielfach für sich sprechen soll und der Deutungen und Kommentare sowie mentalitätsgeschichtliche Einordnungen behutsam integriert werden.“; Hans-Werner Goetz: Rezension zu Ernst Schubert „Fahrendes Volk im Mittelalter“ In: HZ 265 (1997) S. 188 f., hier S. 189.  Vgl. Ernst Schubert: Fahrende Schüler im Spätmittelalter. In: Harald Dickerhof (Hg.): Bildungsund schulgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter. Wiesbaden 1994, S. 9 – 34, hier S. 12 f.  Schubert: Fahrende Schüler, S. 13.  Schubert: Fahrende Schüler, S. 13.  Vgl. Schubert: Fahrendes Volk, S. 245 – 275; ebenso Robert Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit des Bettler- und Gaunertums zu Beginn der Neuzeit. Sozial-, mentalitäts- und sprachgeschichtliche Studien zum Liber vagatorum (1510). Köln 1988.  Schubert: Fahrendes Volk, S. 265 f. Er relativiert die literarischen Aussagen Hugos von Trimberg und Johanns von Nürnberg mit der rhetorischen Frage „Nur Literatur?“, indem er auch die Erwähnung in einem Ratsbeschluss aus Freiburg (Schweiz) von 1442 angibt.

2.3 Neuere Beiträge zur Mobilität vormoderner Studenten

33

Trägerschicht impliziert.¹²⁶ Dass die Texte auf die außerliterarische Wirklichkeit referieren, ist durchaus möglich. Die wirkliche Existenz von ‚fahrenden Scholaren‘ ist demnach eine hinreichende, keineswegs aber eine notwendige Bedingung für eine Umsetzung in den (literarischen) Texten. Bei der Genese und Konstituierung eines mentalen Modells von der Figur des ‚fahrenden Scholaren‘ geht es demnach um literarische Tradierung in einem dezidiert fiktionalen Weltentwurf. Auch wenn eine gänzliche Verschiebung des mobilen Studenten/Schülers in die literarische Fiktion aufgrund der Quellenlage nicht gerechtfertigt ist, bestreitet kein Historiker die Bedeutung von innerliterarischen Dynamiken für die Genese eines Figurenmotivs ‚Fahrender Scholar‘ oder ‚Fahrender Schüler‘. Die Ergebnisse der (Sozial‐)Geschichtsschreibung formulieren mithin einen Auftrag für die Literaturwissenschaft. Denn gerade weil der Status der Texte als Quelle für die Bildungsgeschichtsschreibung mitunter prekär ist, macht das eine Untersuchung der diachronen, innerliterarischen Dynamiken und Traditionsbezüge umso notwendiger. Durch das Aufzeigen von Kontinuitäten und Diskontinuitäten, motivischer Konstanz und Varianz können bei der Untersuchung der Texte zum Motivkomplex ‚fahrender Scholar‘ neue Erkenntnisse zur Literatur- und Mentalitätsgeschichte gewonnen und zugleich die Interferenzen zu anderen Diskursen aufgedeckt werden. Dabei kann die Frage nicht lauten, ob die ‚fahrenden Scholaren‘ in der historischen Wirklichkeit agierten, sondern wie sie in konkreten textuellen Wirklichkeiten agieren und warum sie derart in die Textwelten Eingang finden. Es geht also um die Narratologie der Figur.¹²⁷ Bezüglich des historischen Kontexts sind weniger Einsichten in die Situation der ‚fahrenden Scholaren‘, sondern eher in die jeweils zeitgenössische Situation der Produktion und Rezeption der Texte zu erwarten, da der ‚fahrende Scholar‘ mehr ein Ergebnis jeweils zeitgenössischer Narrative als historischer Realität zu sein scheint. Diese Einschätzung deckt sich mit der von Hannah Skoda: „Wenn literarische Texte nicht nur als Quelle, sondern als historisch wirksame Aktanten verstanden werden, können wir uns der Erfahrungswelt der Studenten sehr viel nuancierter annähern.“¹²⁸ Weiter nennt sie vier methodische Herausforderungen, denen eine Nutzung der literarischen Texte als geschichtliche Quelle unterworfen sei: (1) Die literarischen Darstellungen von Studenten beruhen auf sich wiederholenden Tropen wie

 Schubert: Fahrende Schüler, S. 10 (Anm. 7) betont die „Überschätzung der Aussagekraft von Universitätsmatrikeln“. Außerdem relativiert er sozialgeschichtliche Aussagen über die akademische Mobilität und die soziale Zusammensetzung der Universität bis zu einem gewissen Grad. Nur von einem Drittel der Studenten ließe sich der weitere Werdegang bestimmen.Vgl. Schubert: Fahrendes Volk, S. 269.  Vgl. dazu Kapitel 4.1.  Skoda: Literarische Texte, S. 523.

34

2 Zur Forschung

v. a. dem ‚fahrenden Scholarentum‘.¹²⁹ Es muss also die jeweilige Adaptation und ‚Übersetzung‘ der konventionellen Bilder erfolgen. (2) Die performative Situation der Rezeption wie auch die Umstände der Produktion und (3) die Bedeutung von satirischer Darstellung und komischer Ironie sind zu beachten, um Über- und Fehlinterpretationen zu vermeiden. (4) Da die Verfasser oft nicht zu ermitteln und nur in Ausnahmefällen (v. a. bei dialogischen und dramatischen Texten) auf den universitären Kontext festzulegen sind, ist danach zu fragen, welche Vorstellungen über die Besucher von Schule und Universität bestanden und wie die Darstellungen durch die Unterstützung von Stereotypen wiederum auf das Selbstbild der Universitätsangehörigen wirkten.¹³⁰ Diese Arbeitsanweisungen an den Historiker sind scharfsinnig formuliert, für die Literaturwissenschaftler aber weitgehend selbstverständlich.¹³¹ Während ein geschichtswissenschaftlicher Zugang nun versucht, die Quellen von rhetorischem Ballast zu befreien, um die ‚Realität‘ sehen zu können,¹³² liegt es im Interesse einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung, genau diesen ‚Ballast‘ zu untersuchen, Veränderungen nachzuvollziehen und das literarische Traditionsverhalten der Texte zu beschreiben. Freilich sind dabei die Disziplinen nicht autark, was einen interdisziplinären Zugriff in einem gewissen Grad notwendig macht. Zwar führen Füssel und Wagner in ihrem Forschungsüberblick auch Beiträge aus der Literaturwissenschaft als benachbarter Disziplin an, doch diese Beiträge sind entweder veraltet¹³³ oder behandeln die Vormoderne nur unzureichend;¹³⁴ auch Skoda kann in ihrem Basisartikel nur auf vereinzelte Detailuntersuchungen verweisen.¹³⁵ Trotz der rekurrenten Erinnerung an den fiktionalen Status und die Bedeutung für Literatur- und Mentalitätsgeschichte liegt keine aktuelle umfassende literaturwissenschaftliche Studie zum Fahrenden Schüler als literarischem Phänomen vor. Damit erfüllt die vorliegende Arbeit ein Desiderat interdisziplinärer Forschung.

 Skoda: Literarische Texte, S. 521. Die Autorin verwendet die Bezeichnung ‚wandernder Scholar‘. Dies resultiert wohl am ehesten aus der Übersetzung von ‚wandering scholar‘, was im Deutschen wohl besser als ‚fahrender Scholar‘ wiederzugeben wäre.  Vgl. Skoda: Literarische Texte, S. 521– 523.  Skoda neigt durch das Hervorheben des biographischen Produktionsaspekts von Literatur teils zu zirkulären Interpretationen, auch wenn sie betont, dass dieser Zugriff problematisch ist (vgl. S. 511). Auch der Verweis auf eigene Anschauung als Authentizitätssignal weist sie explizit als „rhetorische Strategie dieser Literatursparte“ (S. 511) zu, jedoch ist dieses Stilmittel auch in anderen Gattungen und Erzählformen konventionell.  Einen ganz ähnlichen Weg geht Robert Jütte in seinen Arbeiten über Bettlerkataloge, in denen auch ‚Fahrende Schüler‘ vorkommen. Vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit; außerdem hier Kapitel 5.1.  Nämlich Nimtz: Motive des Studentenlebens von 1937 und Kurt Lange: Der Student in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Breslau 1930.  Nämlich Ruckteschell: Gefangene der Freiheit und James Lloyd Winstead: When Colleges Sang. The Story of Singing in American College Life. Tuscaloosa 2013.  Vgl. Skoda: Literarische Texte, S. 513 – 521.

3 Zum Vorgehen Dieser kurze forschungsgeschichtliche Überblick erlegt einer Beschäftigung mit dem Thema des ‚Fahrenden Schülertums‘ mehrere Aufgaben auf: Erstens muss sie sich zum Text-Kontext-Problem positionieren, um die Ergebnisse der Literatur- und Geschichtswissenschaft zusammenzubringen. Zweitens ist immer wieder vom ‚Mythos‘ oder der ‚literarischen Tradition‘ die Rede, die ein bestimmtes Motiv oder Muster geprägt habe. Da diese Begriffe meist wenig präzise verwendet werden, ist eine literaturtheoretische Reflexion notwendig. Schließlich ist zu beachten, dass durch die Grundlegung der frühen (volkssprachigen) Philologien im Historismus des 19. Jahrhunderts eine gewisse Studenten-Romantik gerade bei universitätsgeschichtlichen Themen virulent war und inhaltliche Verzerrungen zeitigte. Diese drei Aspekte gliedern auch die Argumentation der vorliegenden Studie und rechtfertigen die Abweichung von einem chronologischen Aufbau. Denn nach der Hinführung zum Thema durch den berühmten Ausspruch Fausts und einigen technischen Anmerkungen im ersten Teil (Kapitel 1– 3) widmet sich der zweite Teil (Kapitel 4 und 5) dem Verhältnis von Textwelt und außerliterarischer Wirklichkeit. Der Teil beginnt mit theoretischen Überlegungen zum Fahrenden Schüler als narratologischem Typus, Imagination und Bestandteil eines Gesellschaftsbilds (Text-KontextProblem). Die folgende Analyse der Situation in Texten um 1500 (v. a. Bettlerkatalogen und Gesellschaftssatiren) liefert dann einerseits ein Beispiel für die Theorie, andererseits einen hermeneutischen Horizont für die folgende diachrone Analyse. Denn der vagen Begriffsverwendung im Mittelalter steht ein rekurrentes und vergleichsweise stabiles Schema in den Texten um 1500 gegenüber. Dieses Schema und nicht das trügerische ‚Weltwissen‘ des modernen Verfassers dient demnach als Referenzfolie für die Analyse von Textelementen in den vorgängigen Texten. Damit umgehe ich die Gefahr eines Zirkelschlusses, respektive initiiere diesen methodisch reflektiert.¹ Ein zweiter theoretischer Block im dritten Teil (Kapitel 6 – 11) bietet dann Reflexionen zur Frage, durch welche Mechanismen Wissensbestände und textuelle (literarische) Muster als Traditionen weitergegeben, verfestigt oder abgelöst werden und wie diese als Spuren wieder rekonstruierbar sind. Einzelne thematisch geordnete Spurensuchen gehen dieser Frage nach und untersuchen in einer dichten Beschreibung einzelne Textfelder vor 1500: Die hochmittelalterlichen Vagantenlieder, den

 Dieses Vorgehen ist aufgrund der universellen wirkungsgeschichtlichen Gebundenheit des Verstehens- und Interpretationssubjekts sinnvoll, welche u. a. von Hans-Georg Gadamer betont wird. „So gibt es gewiß kein Verstehen, das von allen Vorurteilen frei wäre, so sehr auch immer der Wille unserer Erkenntnis darauf gerichtet sein muß, dem Bann unserer Vorurteile zu entgehen“; Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 494. Gleichsam ist der Umstand, „dass der Kopf von Wissenschaftlern bei der Findung neuen Wissens keine tabula rasa ist, […] trivial“; Lutz Danneberg und Andrea Albrecht: Beobachtungen zu den Voraussetzungen des hypothetisch-deduktiven und des hypothetisch-induktiven Argumentierens im Rahmen einer hermeneutischen Konzeption der Textinterpretation. In: Journal of Literary Theory 10 (2016), S. S. 1– 37, hier S. 25. https://doi.org/10.1515/9783110708349-004

36

3 Zum Vorgehen

Schüler in der Ständedidaxe und -satire, den mobilen Schüler im monastischen, didaktischen und kleinepischen Kontext sowie den Fahrenden Schüler als semantische Einheit. Der vierte Teil (Kapitel 12 und 13) schließt unmittelbar an die theoretischen und inhaltlichen Ergebnisse an und gibt einen Ausblick auf die Tradition des spezifischen Musters ‚Fahrender Schüler‘ in Texten nach 1500. Diese inhaltliche Konzentration dient der notwendigen Komplexitätsreduktion, da eine Beschränkung auf einen Autor, eine Gattung oder eine Epoche vermieden werden soll. Auch die zeitliche Zäsur 1500, die in der Untersuchung bewusst überschritten wird, markiert (aus Zufall?) sowohl die schematische Ausdifferenzierung des Fahrenden Schülers als Muster als auch die etablierte Epochengrenze zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Ebenso in der Bildungsgeschichte dient das 16. Jahrhundert als Scheidelinie.² Als Textgrundlage dienen neben schwankhaften Texten (Fazetien, Schwanksammlungen, Fastnachtspiele u. a.) auch gelehrte Stellungnahmen von Humanisten und die produktiven Aneignungen im 19. Jahrhundert. Im fünften und letzten Teil schließt sich dann der Kreis und nach einer Zusammenstellung der Ergebnisse entlässt Mephisto den geneigten Leser.

 Vgl. Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh: Einleitung. In: Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 11– 15, hier S. 11. Sie sehen die zeitliche Einschränkung von 1200 bis 1600 „pragmatisch und inhaltlich begründet“, und zwar am Anfangspunkt aufgrund der „Entwicklungsschübe“ in der Geschichte der vormodernen Universität ab dem 13. Jh. und am Endpunkt durch die „entscheidende[n] Veränderungen sowohl hinsichtlich der gelehrten Disziplinen, in den universitären Textsorten, in der personalen Struktur der Studentenschaft wie der Professoren, in deren Selbstpräsentation, in der internationalen Vernetzung sowie in der Beziehung der Universitäten zu konkurrierenden Institutionen wie Akademien und anderen hohen Schulen zu beobachten sind“.

Zweiter Teil (um 1500)

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I 4.1 Zur Narratologie einer typisierten Figur Der Fahrende Schüler der vormodernen Literatur (v. a. in der Kleinepik) ist ein schematisierter Figurentypus. Für eine literaturwissenschaftliche Annäherung sind Zugänge einer historischen oder auch diachronen Narratologie relevant.¹ Konkret mit einer Narratologie der Figur haben sich vor allem Ralf Schneider² und Fotis Jannidis³ beschäftigt: Beide nehmen eine eher systematische Perspektive ein und orientieren sich an Grundannahmen der Kommunikationstheorie, Leseforschung und kognitiven Literaturwissenschaft. Die Ergebnisse dieser ‚allgemeinen Figurentheorie‘ sind für vormoderne Literaturen problematisch, da sie weitgehend anhand (post‐)moderner Texte entwickelt wurden. Konzepte wie Fiktionalität, Autorschaft und Originalität werden so zu selbstverständlichen Voraussetzungen.⁴ Aus mediävistischer Perspektive richtet sich Silvia Reuvekamp gegen eine „Determination literarischer Figuren durch die Handlung“⁵ und nimmt zur verbreiteten Forschungsmeinung Stellung, welche mittelalterlichen literarischen

 Zum Stand der Narratologie-Debatte (v. a. über die einflussreichen Beiträge von Ansgar Nünning, Monika Fludernik und Irene de Jong) und eine Problematisierung aus mediävistischer Perspektive vgl. Eva von Contzen: Diachrone Narratologie und historische Erzählforschung. Eine Bestandsaufnahme und ein Plädoyer. In: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung‘ 1 (2018), S. 16 – 37, hier S. 19 – 23; an dieser Stelle auch zur Unterscheidung von historischer Narratologie/Erzählforschung und diachroner Narratologie. Auch wenn im Zuge der Ausweitung der (sog. postklassischen) Narratologie das ‚Erzählende‘ in den meisten kulturellen Produkten analysiert werden kann, beschränke ich mich hier doch auf erzählende Texte im engeren Sinne. Vgl. Jan Alber und Monika Fludernik (Hg.): Postclassical Narratology. Approaches and Analyses. Columbus 2010, dazu auch v. Contzen: Diachrone Narratologie, S. 17 f. Andere Gattungen beziehe ich nur in Ausnahmefällen ein, so v. a. in der Analyse der ‚Vagantenlieder‘. Doch auch hier beschränke ich mich auf die narrativen Aspekte der lyrischen Texte. Vgl. ähnlich Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius: Generische Transgressionen und Interferenzen. Theoretische Konzepte und historische Phänomene zwischen Lyrik und Narrativik. In: Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius (Hg.): Lyrische Narrationen, narrative Lyrik. Gattungsinterferenzen in der mittelalterlichen Literatur. Berlin, New York 2011, S. 1– 42.  Ralf Schneider: Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans. Tübingen 2000.  Fotis Jannidis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Berlin, New York 2004.  Philipowski nennt diese drei Kategorien, um die Inkompatibilitäten zwischen einer allgemeinen und einer mediävistischen Figurentheorie zu verdeutlichen. Vgl. dazu Katharina Philipowski: Figur – Mittelalter/Character – Middle Ages. In: Eva von Contzen und Stefan Tilg (Hg.): Handbuch Historische Narratologie. Berlin 2019, S. 116 – 128, hier S. 116.  Silvia Reuvekamp: Hölzerne Bilder – mentale Modelle? Mittelalterliche Figuren als Gegenstand einer historischen Narratologie. In: Diegesis 3 (2014), S. 112– 130, hier S. 115. https://doi.org/10.1515/9783110708349-005

40

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

Figuren eine schematische Stereotypie als flat characters ⁶ unterstellt und sie weniger „als komplexe Charaktere […], sondern in erster Linie als Handlungsträger, die bestimmte Typen repräsentieren“,⁷ ansieht. Um den Spezifika mittelalterlicher Figurendarstellung Rechnung zu tragen, spricht Katharina Philipowski von „character focused narration“ bei „transtextual characters“, um identische Figuren in unterschiedlichen Textwelten zu fassen.⁸ Das Textcorpus bilden bei Philipowski jedoch Artusromane und die Heldenepik, bei Reuvekamp höfische Vers‐ und spätmittelalterliche Prosaromane, während beide die Versnovellistik (‚Mären‘) meiden.⁹ Diese Aussparung geschieht aus gutem Grund. Denn während in der höfischen Großepik eine Verallgemeinerung auf flat characters allenfalls diskutabel ist, wird das Figurenpersonal der schwankhaften Kleinepik (‚Mären‘) in vielen Fällen zweifellos durch schematisierte Typen geprägt, deren Darstellung sich meist auf ein Merkmal beschränkt.¹⁰ Gründe für diese „modellhaft reduziert[e]“¹¹ Figurendarstellung sind die Generalisierbarkeit als Exemplum sowie die Kürze und daher angebrachte „personelle Prägnanz“.¹² Die konstitutiven Merkmale der Figurentypen setzen sich aus folgenden Faktoren zusammen: Einerseits sind sie durch die narrativen Funktionen für den Plot der Erzählung festgelegt. Das Exemplum verlangt beispielsweise einen einfältigen Bauern, einen lüsternen Pfaffen oder einen betrügerischen Müller, um seine Pointe zu erreichen. Auf dieser Ebene sind die Figuren durchaus „als Aggregate von narrativen Funktionen“¹³ anzusehen. Andererseits „stellen kulturelle (medizinische, psychologische, politische, soziologische u. a.) Vorstellungen stereotype Figurenkonzepte und ‐rollen bereit“.¹⁴ Diese generieren feste Schemata, die sozialen Rollen, medizinischpsychologischen Regeln (z. B. der Humoralpathologie) und beruflichen, geschlechtli-

 Die Unterscheidung von ‚flachen Figuren‘ (flat characters) und ‚komplexen runden Figuren‘ (round characters) geht zurück auf Edward Morgan Forster: Aspects of the Novel. London 1927, S. 73. Vgl. dazu auch Jannidis: Figur und Person, S. 103.  Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Studienausgabe, hg.von Manuel Braun, Alexandra Dunkel und Jan-Dirk Müller. Berlin, München, Boston 22015, S. 12.  Philipowski: Figur, S. 120 f.  Philipowski: Figur, S. 119 konstatiert zumindest: „So before we proceed, it is important to state that characteristics can be schematic and typological, yet still be individualized.“ Sie führt diese schematische und typologisierte Form der Figurendarstellung aber nicht weiter aus.  Vgl. Harald Haferland: Psychologie und Psychologisierung. Thesen zur Konstitution und Rezeption von Figuren mit einem Blick auf ihre historische Differenz. In: Florian Kragl und Christian Schneider: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2013, S. 91– 117, hier S. 113 f.  Klaus Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter. Fabliau, Märe, Novelle. Tübingen 2006, S. 81.  Vgl. Nina Nowakowski: Personelle Prägnanz. Figurendarstellung und exemplarisches Erzählen in Heinrich Kaufringers ‚Suche nach dem glücklichen Ehepaar‘. In: Friedrich Michael Dimpel und Silvan Wagner (Hg.): Prägnantes Erzählen. Oldenburg 2019, S. 409 – 429, hier S. 412.  Peter Strohschneider: Einfache Regeln komplexe Strukturen. Ein strukturanalytisches Experiment zum Nibelungenlied. In: Wolfgang Harms: Mediävistische Komparatistik. Stuttgart 1997, S. 43– 76, hier S. 71.  Matías Martínez und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München 102016, S. 152.

4.1 Zur Narratologie einer typisierten Figur

41

chen oder nationalen Stereotypien folgen.¹⁵ In der mittelhochdeutschen Kleinepik dient der Typisierung neben einem (meist) stereotypen Geschlechterdualismus vor allem die ständische Einordnung als Bauer, Pfaffe, Ritter, Bürger, Student etc. Der Umstand, dass die Kenntnis dieser Figurentypen beim Rezipienten meist vorausgesetzt ist, insinuiert die Existenz mentaler Modelle. Der Versuch der kognitiven Literaturwissenschaft, die Wirkung von Textinformationen aus dem Weltwissen individueller Rezipienten zu rekonstruieren und mentale Modelle zu konzeptualisieren, ist bei einem Zugriff auf vormoderne Literatur mit großen Schwierigkeiten verbunden, wenn nicht unmöglich.¹⁶ Denn nur in seltenen Fällen kann der Interpret einen Einblick in die Psychologie und Soziologie der empirischen Leser gewinnen. Der einzige greifbare Bezugspunkt bleibt der Text als sprachliches Artefakt.¹⁷ Jedoch räumt Reuvekamp ein, es gebe „die Möglichkeit, vor dem Hintergrund des kognitiven Figurenmodells die poetische Praxis mittelalterlicher Figurendarstellung auf die ihr impliziten kulturellen Codes, das vorausgesetzte anthropologische Wissen und die intendierten Wirkungsweisen zu befragen.“¹⁸ Durch eine dichte Beschreibung von Informationen über das Muster einer Figur käme man „zu einem genaueren Bild vom Status, der Poetik und den Funktionsweisen literarischer Figuren in mittelalterlicher Literatur.“¹⁹ Demgemäß entstehen Figurentypen folgendermaßen: Der Rezipient kategorisiert die Figuren des Textes antizipierend, indem er sein Weltwissen und sein generisches Wissen aktiviert und in top-down-Prozessen diese kulturellen/sozialen und literarischen Wissensbestände in den Textsinn trägt. Gleichzeitig wird durch die Rezeption des Textes das Wissen ergänzt (bottom-up). Aus der dynamischen Reziprozität dieser beiden Prozesse mit den auf der Textoberfläche vorgefundenen Figureninformationen entsteht das mentale Modell einer Figur.²⁰ Entsprechen alle Informationen dem eigenen Wissen und kann man „starre Erwartungen an eine Figur richten und nachfolgend geschildertes Verhalten auf Grundlage dieser Einschätzungen erklären“,²¹ wird ein bekannter Typus reaktiviert. Falls jedoch Erwartungen an das mentale Modell enttäuscht oder neue Gesichtspunkte ergänzt werden, kommt es zu einer Erweiterung des Figurenmodells, was bis zur Indi-

 Vgl. Martínez/Scheffel: Erzähltheorie, S. 152.  Vgl. Markus Stock: Figur. Zu einem Kernproblem historischer Narratologie. In: Carmen Stange, Harald Haferland u. a. (Hg.): Historische Narratologie, mediävistische Perspektiven. Berlin, New York 2010, S. 187– 203 und Reuvekamp: Hölzerne Bilder. Die intensive mediävistische Beschäftigung mit der historischen Narratologie folgt gewissermaßen auf die Kritik von Jan-Dirk Müller, der anmerkte: „Außerdem stehen im Fokus des Interesses der neueren Narratologie selten Probleme, die über den Horizont der literarischen Moderne hinausreichen“; Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen 2007, S. 22.  Vgl. generell Rüdiger Zymner: Körper, Geist und Literatur. Perspektiven der ‚Kognitiven Literaturwissenschaft‘ – eine kritische Bestandsaufnahme. In: Martin Huber und Simone Winko (Hg.): Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Paderborn 2009, S. 135 – 154.  Vgl. Reuvekamp: Hölzerne Bilder, S. 116 f.  Reuvekamp: Hölzerne Bilder, S. 117.  Vgl. dazu Schneider: Figurenrezeption, S. 164– 169 und das Modell auf S. 170.  Schneider: Figurenrezeption, S. 148. Dazu auch Jannidis: Figur und Person, S. 181– 184.

42

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

vidualisierung reichen kann. Die Erwartungen des Rezipienten werden mit seinem Vorwissen abgeglichen. Denn „Figuren sind keine autonomen Konzepte, sondern hängen in vielfältiger Weise von einem Welt- und Textwissen ab“,²² welches auf der „Tradition fiktionaler Figuren“²³ aufbaut. Die Einzeltradition eines Figurentypus basiert einerseits auf dem Wissen über die Regeln von (mündlich und schriftlich tradierten) Erzählmustern und Gattungen, welche die Beliebtheit bestimmter Figuren prägen oder diese mit Plots/Erzähltypen verbinden. Andererseits basiert sie auf dem Weltwissen des Rezipienten. Dieses folgt aber weniger Codes, also eindeutig dechiffrierbaren semiotischen Zuweisungen, sondern einer inferenzbasierten Kommunikation, die neben dem Codewissen stark von der individuellen Situation und dem Kontext abhängt.²⁴ Das generische und das kulturelle Wissen prägen den Interpretanten, eine Instanz im triadischen Zeichenmodell (Peirce/Eco), die über den individuell-subjekthaften Interpreten hinausreicht und das arbiträre Verhältnis zwischen Objekt und Zeichen strukturiert.²⁵ Die tradierte Kultur gibt demnach Möglichkeiten für die Bildung von Interpretanten, und damit Interpretationen bzw. literarischen Realisierungen.²⁶

4.2 Gesellschaftsbilder Für die folgenden Überlegungen muss die Frage, was ‚real‘ oder ‚wahr‘ ist, marginal bleiben. Ich nehme stattdessen eine mittlere Ebene zwischen literarischer Fiktion und faktenorientierter Realität ein, wenn ich als Referenzhorizont der behandelten Texte von Gesellschaftsbildern spreche, die als mentale Repräsentation eines spezifischen „Sinnfelds“²⁷ entstehen können. Dabei verfolge ich das Ziel, die gesellschaftlichen Prozesse – sofern lokalisierbar – möglichst kleinräumig und regional zu beschreiben und individuelle Überlieferungsprozesse nachzuvollziehen, wie es erst jüngst Ursula Peters in ihrem „Plädoyer für eine detailhistorisch basierte gesellschaftsgeschichtlich orientierte Mittelalterphilologie“²⁸ forderte.

 Jannidis: Figur und Person, S. 238.  Jannidis: Figur und Person, S. 238.  Vgl. Jannidis: Figur und Person, S. 44– 52 und 237– 243.  Vgl. dazu: Charles S. Peirce: Semiotische Schriften. Band 1, hg. von Christian Kloesel und Helmut Pape. Frankfurt a. M. 1986, S. 390 und Umberto Eco: Peirce’s Notion of Interpretant. In: Modern Language Notes 91 (1967), S. 1457– 1472.  Vgl. zusammenfassend zu Ecos Kultursemiotik: Helge Schalk: Umberto Eco und das Problem der Interpretation. Ästhetik, Semiotik, Textpragmatik. Würzburg 2000, S. 119 – 211. Zu Tradition(en) Kapitel 6.2.  Markus Gabriel: Sinn und Existenz. Eine realistische Ontologie. Berlin 2016, § 6, hier S. 224– 270.  Vgl. Ursula Peters: Die Rückkehr der ‚Gesellschaft‘ in die Kulturwissenschaft. In: Scientia Poetica 22 (2018), S. 1– 52, hier S. 49.

4.2 Gesellschaftsbilder

43

Der deutsche Terminus ‚Gesellschaftsbild‘ wurde durch die klassische soziologische Untersuchung Das Gesellschaftsbild des Arbeiters (1957)²⁹ geprägt und bezeichnet „die von Mitgliedern einer Gesellschaft entwickelten Ordnungsvorstellungen über den Aufbau ihrer Gesellschaft, mit deren Hilfe die individuelle Lage in Relation zu den anderen definiert werden kann.“³⁰ Die Untersuchung von Gesellschaftsbildern ermöglicht gerade Texte mit intrikatem Realitätsbezug nach den ihnen zugrundeliegenden Imaginationen zu befragen und vermeidet eine Konfusion von ‚historischen‘ Fakten und ‚literarischen‘ Fiktionen. Freilich basieren auch objektiv attribuierte Begriffe wie Gesellschaftsordnungen oder ‐strukturen auf konstruktiven Verallgemeinerungen von Wirklichkeit, doch der Unterschied zwischen literarischer Fiktion und einer postulierten Gesellschaftsordnung ist allenfalls ein polarer und für eine historische Situation nicht oder nur unzureichend definierbar. Der Ausgangspunkt der verstärkten Zuwendung zur Untersuchung von imaginären Ordnungen in historischen (v. a. mittelalterlichen) Gesellschaften liegt in der französischen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Forschung um Georges Duby und Jacques Le Goff. Diese untersuchen auf Grundlage von Ständelehren die enorm einflussreiche Vorstellung von den drei Ständen (oratores, bellatores, laboratores).³¹ In seiner Monographie legt Duby den ersten Versuch in der Mittelalterforschung vor, ‚Wirklichkeit‘ und das ‚Wissen von ihr‘ umfassend zu differenzieren.³² Nach Duby leitet sich die soziale Wirklichkeit von drei Instanzen ab: der objektiven Wirklichkeit, dem Wissen darüber (images/attitudes mentales) und dem aus diesem Wissen resul-

 Heinrich Popitz, Hans Bahrdt u. a.: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Soziologische Untersuchungen in der Hüttenindustrie. Tübingen 1957. Neuausgabe hg. von Jochen Dreher. Wiesbaden 2018. Zentral ist dabei die Vorstellung einer zweiten „sozialen Bildwelt“ des Bewusstseins (Popitz/Bahrdt: Gesellschaftsbild, S. 2 f.), wobei sich die Verfasser auf Arnold Gehlen und Georg Wilhelm Friedrich Hegel berufen. In einer späteren Stellungnahme zur Studie reflektiert Hans Bahrdt auch die verwendete Terminologie: „Das Wort ‚Gesellschaftsbild‘ haben wir nicht nur gewählt, weil wir einen Begriff brauchten, unter dem außer rational konstruierten Gedankengebäuden auch umfassende bildhafte Vorstellungen erfasst werden sollen, sondern […] ‚Gesellschaftsbild‘ umfaßte für uns eben auch das, wovon man sich nur ein Bild machen kann, weil es an Erfahrung fehlt, und ein Bild machen muß, falls man ein Bedürfnis dazu hat“; Hans Bahrdt: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Ein Vortrag zur Entstehung dieser Studie. In: Zeitschrift für Soziologie 14 (1985), S. 152– 155, hier S. 153.  Walter M. Sprondel: [Art.] Gesellschaftsbild. In: Werner Fuchs-Heinritz, Daniela Klimke, Rüdiger Lautmann u. a. (Hg.): Lexikon zur Soziologie. Wiesbaden 52011, S. 245.  Vgl. die berühmte Studie Georges Duby: Les Trois Ordres ou l’Imaginaire du Féodalisme. Paris 1978 und die Essaysammlung Jacques Le Goff: L’Imaginaire Médiéval. Paris 1985. Eine Zusammenfassung der mentalitätsgeschichtlichen Forschungsposition bietet Évelyne Patlagean: L’Histoire de l’Imaginaire. In: Jacques Le Goff und Roger Chartier (Hg.): La Nouvelle Histoire. Paris 1978, S. 249 – 269. Zu einem Überblick über einzelne Anwendungen der Methode vgl. Peter Dinzelbacher (Hg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Stuttgart 22008.  Vgl. Otto Gerhard Oexle: Die ‚Wirklichkeit‘ und das ‚Wissen‘. Ein Blick auf das sozialgeschichtliche Oeuvre von Georges Duby. In: HZ 232 (1981), S. 61– 91, hier v. a. S. 73.

44

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

tierenden (abermals realen) Verhalten.³³ František Graus beschrieb die Mentalitäten als Potential im Hintergrund, welches sowohl Widersprüche zulässt als auch Handeln motiviert und bezeichnete sie als „‚Tonus‘ des Denkens und Verhaltens.“³⁴ Dieser Einbezug von ‚mentalen Bildern‘ trägt mithin dem Prozess einer Wirklichkeitskonstruktion Rechnung, also dem Umstand „that reality is socially constructed“.³⁵ Jedoch gibt die Mentalitätsgeschichte eine Grenzziehung zwischen dem realen Historischen und dem fiktiven Imaginären nicht auf, sondern flexibilisiert diese Kategorien allenfalls.³⁶ Einen Schritt weiter geht Hayden White, wenn er in seiner Metahistory ³⁷ die Bedeutung von rhetorischen Kategorien sowie der Narrativität von Geschichtsschreibung und damit historischer Gesellschaftsbilder im geschichtswissenschaftlichen Diskurs popularisiert.³⁸ Eine vermittelnde Position zwischen konstruktivistischem Relativismus und deterministischem Positivismus ist mittlerweile communis opinio in kulturgeschichtlicher Forschung.³⁹ Von grundsätzlicher Bedeutung für die Beschäftigung mit Gesellschaftsbildern (imagines) ist die Kategorie des Imaginären, welche beispielsweise bei Jean-Paul Sartre und Jacques Lacan zum Gegenstand und Werkzeug wurde.⁴⁰ Etwa zeitgleich zu den

 Vgl. Georges Duby: Histoire Sociale et Idéologies des Sociétés. In: Jacques Le Goff und Pierre Nora (Hg.): Faire de l’Histoire. Band I: Nouveaux Problèmes. Paris 1974, S. 147– 168, hier S. 147– 149.  František Graus: Mentalität. Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung. In: František Graus (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Sigmaringen 1987, S. 9 – 48, hier S. 17. Auf diesen grundsätzlichen Überlegungen basieren auch die Studien von Gerhard Oexle und Robert Jütte: z. B. Otto Gerhard Oexle: Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens. In: František Graus (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Sigmaringen 1987, S. 65 – 117 und Otto Gerhard Oexle: Die Entstehung politischer Stände im Spätmittelalter. Wirklichkeit und Wissen. In: Reinhard Blänkner und Bernhard Jussen (Hg.): Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens. Göttingen 1998, S. 139 – 162 sowie Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit.  Dazu grundlegend Peter L. Berger und Thomas Luckmann: The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge. New York 1966, zit. hier S. 13.  „C’est dire que chaque culture, donc chaque société voire chaque niveau d’une société complexe a son imaginaire. En d’autre termes, la limite entre le réel et l’imaginaire révèle variable“; Patlagean: L’Histoire de l’Imaginaire, S. 307 [Herv. im Orig.].  Hayden White: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore, London 1973. Eine explizite Absetzung von der mentalitätsgeschichtlichen Annales-Schule in: Hayden White: Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie. In: Pietro Rossi (Hg.): Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt a. M. 1987, S. 57– 106.  Für die Kritikpunkte an dem tropologischen Modell Whites sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. Vgl. zusammenfassend Wulf Kansteiner: Hayden White’s Critique of the Writing of History. In: History and Theory 32 (1993), S. 273 – 295 und Stefan Haas: Fiktionalität in den Geschichtswissenschaften. In: Tobias Klauk und Tilmann Köppe (Hg.): Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin, Boston 2014, S. 516 – 523, hier v. a. S. 524 f.  Vgl. z. B. Peter Burke: Was ist Kulturgeschichte? Frankfurt a. M. 2005, S. 145.  Verweise in Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a. M. 1991, S. 331– 353. Vgl. dazu auch die detailierte Auseinandersetzung mit dem

4.2 Gesellschaftsbilder

45

Studien Dubys wurde das Imaginäre auch zur zentralen Beschreibungskategorie gesellschaftlicher Prozesse bei Cornelius Castoriadis,⁴¹ der „in seinem Zugriff auf das Imaginäre aus dem Horizont einer im weitesten Sinne verstandenen Subjektphilosophie“ heraustritt und eine „Globalisierung des Imaginären“⁴² vornimmt. Im Unterschied zur Annales-Schule, die das Imaginäre nicht terminologisch verwendet, entwickelt Castoriadis einen großen Entwurf vom gesellschaftlichen Imaginären. Er versteht das Imaginäre nicht als Gegensatz, Ergänzung oder Interpretation von Realität, sondern als ein diese konstituierendes Moment.⁴³ Dabei macht er nur am Rande Aussagen zum Verhältnis von literarischer Darstellung und praktischer Handlung. Doch offensichtlich sieht er eine Differenz zwischen dem Funktionellen/ Instrumentellen und dem, was im Bereich des Kulturellen darüber hinausgeht und das er das „Imaginäre stricto sensu, das poetische[ ] Imaginäre[ ]“,⁴⁴ nennt. In unterschiedlicher Intensität und Akzentuierung wandte die Literaturwissenschaft die Kategorie produktiv an und demonstrierte die Nützlichkeit dieses „kulturwissenschaftlichen Schlüsselkonzepts“.⁴⁵ Zugespitzt resümiert Jan-Dirk Müller den Stand der Forschungsdiskussion zur Text-Kontext-Frage mit Verweis auf das Imaginäre: Inzwischen ist es eine Banalität, an die Textualität historischer Zeugnisse oder die soziale Instituiertheit des Imaginären zu erinnern, ebenso wie kein Text- oder Kunstwissenschaftler mehr von der lebensweltlichen Bedeutung der literarischen oder künstlerischen Imagination absehen kann.⁴⁶

Obwohl diese Feststellung eine erneute Behandlung des Themas eigentlich obsolet erscheinen lässt, sind doch einige Überlegungen darüber angebracht, wie das Ima-

Begriff in Dirk Werle: Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580 – 1630. Tübingen 2007, S. 37– 41. Werle spricht sich in seiner Studie gegen den Begriff aus, da er in der Terminologie Isers (und Lacans) zu missverständlich und unbestimmt ist. Auf die Bestimmungen bei Castoriadis geht er hingegen nicht ein.  Cornelius Castoriadis: L’Institution Imaginaire de la Société. Paris 1975. Im Folgenden benutze ich die deutsche Übersetzung Cornelius Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Frankfurt a. M. 1990.  Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, S. 355.  Vgl. Jan-Dirk Müller: Imaginäre Ordnungen und literarische Imaginationen um 1200. In: Jahrbuch des Historischen Kollegs (2003), S. 41– 68, hier S. 49.  Cornelius Castoriadis: Kultur und Demokratie. In: Lettre international 27 (1994), S. 14– 17, hier S. 14.  Annette Simonis und Carsten Rohde: Einleitung: Das kulturelle Imaginäre. Perspektiven und Impulse eines kulturwissenschaftlichen Schlüsselkonzepts. In: Comparatio 6 (2014), S. 1– 12. Wichtige Beiträge für die mediävistische Literaturwissenschaft kommen von Rainer Warning und Jan Dirk Müller, z. B. Rainer Warning: Die Phantasie der Realisten. München 1999 und mit Schwerpunkt auf der vormodernen Literaturwissenschaft: Müller: Imaginäre Ordnungen und Müller: Höfische Kompromisse. Den produktiven Dissens zwischen den beiden Münchener Literaturwissenschaftlern sowie seine eigenen Positionen resümiert Rainer Warning: Das Imaginäre und das Symbolische bei Cornelius Castoriadis. Illustriert am mittelalterlichen geistlichen Spiel. In: Comparatio 6 (2014), S. 13 – 27, hier S. 13 (Anm. 15) und S. 27. Weiter befasst sich mit den Theorien Johannes Rauwald: Politische und li-

46

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

ginäre als Grundlage für die Konzeptualisierung von Gesellschaftsbildern nutzbar gemacht werden kann. Cornelius Castoriadis beschätigte sich – zeitgleich zu Paul Ricœur – mit der Frage einer imaginären Ordnung von Gesellschaft und befreite das Imaginäre als (sozial‐) philosophische Kategorie von seinen esoterischen Konnotationen.⁴⁷ Eine der größten Differenzen ist Castoriadis’ Annahme einer creatio ex nihilo bei seiner Konzeption eines radikalen Imaginären,⁴⁸ welche Ricœur vehement verneint. Das zeigt die einzige edierte (Radio‐)Diskussion der beiden Denker. Gleichzeitig wird hier offenbar, dass sie in ihren Konzeptionen von Kontinuität und Imagination nicht so weit auseinanderliegen.⁴⁹ Denn Castoriadis präzisiert und relativiert seine Überlegungen zur radikalen Neuschöpfung in seinen späteren Schriften dahingehend, dass es sich bei dem kreativen Akt der creatio ex nihilo nicht gleichzeitig um eine creatio in nihilo und cum nihilo handle. Das Hervorbringen von Neuem sei also ohne unmittelbare Kausalität möglich, könne aber nicht absolut hintergrundfrei ablaufen.⁵⁰ Vielmehr führt er vier Bedingungen an: (1) biologische und natürliche Faktoren (z. B. auch Sprachwerkzeuge), (2) psychische Faktoren und Sozialisierung, (3) Beschränkungen durch his-

terarische Poetologie(n) des Imaginären. Zum Potenzial der (Selbst‐)Veränderungskräfte bei Cornelius Castoriadis und Alfred Döblin. Würzburg 2013. Seine absolute Bevorzugung des Neuen (vgl. S. 152) ist für vormoderne Texte aber unzulässig. Vgl. dazu auch Kapitel 6.3  Jan-Dirk Müller: Einleitung. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründungen einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik. Berlin, Boston 2007, S. VII–XI, hier S. VIII.  Ricœur unternimmt vor allem in seinem dreiteiligen Hauptwerk Text und Erzählung unter hermeneutisch-phänomenologischen Prämissen eine Verbindung von Geschichte und Narration und ist damit unmittelbar anschlussfähig für literaturwissenschaftliche Fragestellungen. Vgl. auch Jean-Luc Amalric: Ricoeur and Castoriadis. The Productive Imagination Between Mediation and Origin. In: Suzi Adams (Hg.): Ricoeur and Castoriadis in Discussion. On Human Creation, Historical Novelty, and the Social Imaginary. London 2017, S. 77– 110, hier S. 81. Die Theorien von Castoriadis sind hingegen nicht eindeutig philosophisch, sondern sind auch psychoanalytisch, soziologisch etc. geprägt und „disziplinär nicht zu verorten“; Hans Joas und Wolfgang Knöbl: Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen. Frankfurt a. M. 42013, S. 558.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 10.  Ricoeur and Castoriadis. Radio Dialogue. In: Suzi Adams (Hg.): Ricoeur and Castoriadis in Discussion. On Human Creation, Historical Novelty, and the Social Imaginary. London 2017, S. 1– 20.Weiter konstatiert Ricœur 2004 in einem anderen Interview: „[T]he imaginative and creative dimension of the social, this imaginaire social, has been brilliantly analysed by Castoriadis“; Paul Ricœur: The Creativity of Language. In: Richard Kearney (Hg.): On Paul Ricoeur. The Owl of Minerva. Aldershot 2005, S. 127– 144, hier S. 133. Castoriadis betont trotz aller Differenzen, die zwischen den Theorien bestünden, die „richness and solidity“ von Ricœurs Werk. Cornelius Castoriadis: World in Fragments. Writings on Politics, Society, Psychoanalysis, and the Imagination, hg. von David Ames Curtis. Stanford 1997, S. 438. (Anm. 1).  „The creation is not motivated by external factors but is conditioned by them“; George H. Taylor: On the Cusp. Ricoeur and Castoriadis at the Boundary. In: Suzi Adams (Hg.): Ricoeur and Castoriadis in Discussion. On Human Creation, Historical Novelty, and the Social Imaginary. London 2017, S. 23 – 48, hier S. 40.

4.2 Gesellschaftsbilder

47

torische Traditionen, (4) intrinsische Bedingungen zur Kohärenzbildung.⁵¹ Laut Castoriadis (wie auch laut Ricœur) sind kreative Prozesse also durch historische Traditionen geprägt und beschränkt.⁵² Diese Position hat weitergehende Voraussetzungen im Denken von Castoriadis. Denn sein Anspruch ist die wenig bescheidene „Klärung der Frage der Geschichte – und der Gesellschaft. Beide Fragen sind nur als eine einzige, als die Frage nach dem Gesellschaftlich-Geschichtlichen zu begreifen.“⁵³ Dieses Gesellschaftlich-Geschichtliche ist zugleich passiv und aktiv. Es wird von einer grundlegenden „Identitäts- oder Mengenlogik [logique identitaire ou ensembliste]“⁵⁴ instituiert und instituiert diese durch den Einfluss auf die Institutionen des legein (Sprache und gesellschaftliche Vorstellung) und des teukein (gesellschaftliches Handeln).⁵⁵ Castoriadis gebraucht den Begriff ‚Institution‘ sehr weit und prägt selbst den Terminus ‚Instituierung‘, welcher alle Modellierungen „im Rahmen menschlicher Vergesellschaftungsformen“⁵⁶ beinhaltet und damit eine phänomenologische „Proto-Ebene, aus der ‚Institutionelles‘ sich erst entwickeln kann“,⁵⁷ einnimmt. Jedoch gibt es keine Kausalbeziehung. Vielmehr besteht ein zirkuläres Implikationsverhältnis zwischen dem Modellierten und dem Modellierenden: „[D]ie Institution setze sich voraus; sie kann nur sein, als ob sie schon immer und ohne Einschränkung gewesen wäre – und als ob sie immer erst noch bevorstünde.“⁵⁸ Diese Korrelation macht Castoriadis mit den Operationsschemata der Trennung und Vereinigung im Signifikationsprozess deutlich: Aber Trennung und Vereinigung sind Operationen, die nicht ohne einander auskommen und nicht ohne die übrigen Operationsschemata, von denen noch die Rede sein wird, sein können. Sie fordern einander; das eine tritt auf, nur weil das andere erscheint. Dennoch wäre es sinnlos zu sagen, sie seien ‚dasselbe‘. Mangels angemessenerer Ausdrücke sprechen wir von ‚wechselseitiger Inhärenz‘ oder ‚zirkulärer Implikation‘.⁵⁹

 Cornelius Castoriadis: Radical Imagination and the Social Instituting Imaginary. In: Gillian Robinson und John Rundell (Hg.): Rethinking Imagination. Culture and Creativity. London, New York 1994, S. 136 – 154, S. 149 – 151. Vgl. auch Taylor: On the Cusp, S. 39 – 41. Castoriadis nennt die vier Bereiche (1) „external“, (2) „internal“, (3) „historical“ und (4) „intrinsic“.  Vgl. Kapitel 6.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 285.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 298.  Dazu und zur Differenzierung des Begriffsspektrums ‚Institution‘ vgl. Karl-Siegbert Rehberg: Die stabilierende ‚Fiktionalität‘ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung. In: Reinhard Blänkner und Bernhard Jussen (Hg.): Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens. Göttingen 1998, S. 381– 407, hier S. 386.  Rehberg: Stabilierende ‚Fiktionalität‘, S. 386.  Rehberg: Stabilierende ‚Fiktionalität‘, S. 386.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 417 [Herv. im Orig.].  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 417 (Anm. 23) [Herv. im Orig.].

48

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

Durch diese Prozesse konstituiere sich das Gesellschaftlich-Geschichtliche: „Das gesellschaftlich Imaginäre besteht in der und durch die Setzung/Schöpfung gesellschaftlicher imaginärer Bedeutungen und der Institution.“⁶⁰ Es ist also simultan ein Produkt und ein Produzent von Gesellschaft und ihren – diese modellierenden – Institutionen. Trotz einer Anlehnung des gesellschaftlich Imaginären an eine natürliche Primärschicht⁶¹ ist das Imaginäre nicht notwendigerweise real. Gewisse Umstände und Dynamiken können jedoch die Folge nach sich ziehen, „daß das gesellschaftliche Imaginäre in unserem Sinne realer ist als das ‚Reale‘.“⁶² Über die Wirklichkeit des Imaginären sagt Castoriadis: In der Sicht der Beteiligten hängen diese Ziele [unzählige partikulare Ziele, die sich auf die Praxis beziehen] mit ebenso begrenzten, ‚konkreten‘ und ‚abstrakten‘ Bedeutungen zusammen, die – wie sich später zeigt – von der sich im selben Zuge instituierenden zentralen Bedeutung [theoretischlogischer Reflexion über die Gesellschaft] überdeterminiert sind. Diese läßt sich somit erst nachträglich als nicht-reale Bedingung der realen Koexistenz der gesellschaftlichen Phänomene erfassen: als nicht-reale, aber eminent wirkliche*, weil wirkende* Bedingung.⁶³

Die Praxis geht notwendig der Theorie, also das handelnde Sein (πράσσω) dem reflektierenden Sehen (θεάομαι) voraus, auch wenn die Praxis erst post festum durch die als vorgängig und übermächtig wahrgenommene Theorie erkannt und klassifiziert wird. Das gesellschaftlich Imaginäre ist analog modellbildend und demnach die nicht-reale Bedingung der realen Koexistenz und Inhärenz. Demnach ist das gesellschaftlich Imaginäre nicht real, aber enorm wirklich. Die gesellschaftlich imaginären Bedeutungen aber hängen in einem zirkulären Implikationsverhältnis mit den Dingen zusammen, deren Individualität und Exemplarität vom gesellschaftlich Imaginären konstituiert ist. Diese Institution von imaginärer Bedeutung fasst Castoriadis im unkonventionellen Bild des Magmas. ⁶⁴ Dieses stellt eine Alternative zu einem vorgeprägten identitätslogischen und mengentheoretischen Denken zur Verfügung, welches nur eine sekundäre Position einnehme, jedoch das einzige – weil gewohnte – Instrument des Denkens darstelle.⁶⁵ Dabei versteht er unter dem Magma „nicht das Chaos […],

 Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 603.  Castoriadis orientiert sich an der Terminologie von Sigmund Freud. Vgl. Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 317.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 242. Castoriadis wählt hier als Beispiel die Verdinglichung des Menschen im Zustand der Sklaverei, die er als imaginäre Schöpfung bezeichnet, welche rhetorischen Regeln folge (Metapher und Metonymie).  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 594 f. Die mit Asterisk versehenen Wörter sind im französischen Original in deutscher Sprache.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 583.  „Mit der Institution der Gesellschaft wird jeweils ein Bedeutungsmagma instituiert, dem das Instrumentarium jener beiden grundlegenden Institutionen [legein als das gesellschaftliche Sagen/ Vorstellen und teukein als das gesellschaftliche Tun] zur Verfügung stehen muß, die das, was für die

4.2 Gesellschaftsbilder

49

sondern eine nicht-mengenförmige Organisationsweise einer Mannigfaltigkeit, für die das Gesellschaftliche, das Imaginäre und das Unbewußte als Beispiel dienen können.“⁶⁶ Es handelt sich also um ein vielgestaltiges, wechselhaft-fluides, nicht-systematisierbares, aber dennoch „gegliedertes Beziehungssystem“.⁶⁷ Müller hält diese Metapher dahingehend für problematisch, als sie die Vorstellung einer gestaltlosen Masse evoziere: „Aus globaler Perspektive trifft die Metapher Magma also zu, während in bezug auf bestimmte Wirklichkeitsbereiche und Typen durchaus strukturierte Einheiten zu unterscheiden sind.“⁶⁸ Rainer Warning interpretiert das Bild anders, indem er mit Jürgen Habermas feststellt, das Magma sei „keine wabernde und wabbelnde Masse, sondern eher […] eine vulkanartige Bedeutungsfülle, aus der sich die Geschichte der imaginären Selbstinstitution von Subjekt und Gesellschaft speist.“⁶⁹ Georg H. Taylor führt den metaphorischen Sprachgebrauch vom Vulkan weiter und integriert gleichzeitig die Überlegungen zum zirkulären Implikationsverhältnis: Er vergleicht die Genese einer neuen ontologischen Form mit dem Austreten von Magma aus der Erde.⁷⁰ Sobald das Magma zur Lava wird und weiter fließt, bleibt die Zusammensetzung der Lava zwar dieselbe, doch sie wird von den natürlichen Bedingungen kanalisiert,⁷¹ verändert durch ihre Hitze und Beschaffenheit aber auch die sie umgebenden natürlichen Bedingungen. Die Eruption ist (von außen betrachtet) unmotiviert und plötzlich, wird jedoch durch verschiedene natürliche Konditionen in der Plattentektonik geleitet und begrenzt. Die Hitze und die Ablagerung der Lava, wenn sie erkaltet, verändern weiter das Bodenrelief, und damit die vorgefundenen Bedingungen. Da das Relief jedoch auch ein Resultat geologischer Prozesse ist, stehen das Modellierende (die neue Lava) und das Modellierte (der erkaltete Basalt) in einem zirkulären Implikationsverhältnis. Wie jeder Vergleich deckt auch dieser nicht alle Dimensionen des Gedankengebäudes ab, sondern dient vielmehr der Illustration. Gemäß der Magmalogik Castoriadis’ und den Regeln des zirkulären Implikations-

Gesellschaft ist, identitätslogisch-mengentheoretisch organisieren“; Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 604.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 310. Eine formale Definition von Magma bietet Cornelius Castoriadis: The Logic of Magmas and the Question of Autonomy. In: Philosophy and Social Criticism 20 (1994), S. 123 – 154, hier S. 131 f.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 245.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 14.  Warning: Das Imaginäre und das Symbolische, S. 18 mit Bezug auf Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985, S. 383.  „[E]merge of a new ontological form – eidos – and of a new mode and level of being“; Cornelius Castoriadis: Philosophy, Politics, Autonomy, hg. David Ames Curtis. New York 1991, S. 64.  Vgl. Taylor: On the Cusp, S. 41: „To use another metaphor, if magma erupts above the earth’s surface as lava, the lava flow will be channeled by conditions on the surface, but the constitution of the lave itself remains unimpinged. The creation as form is not modified. The creation’s meaning is substantively unaltered“.

50

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

verhältnisses ist das gesellschaftlich Imaginäre also „nicht bestimmt, aber bestimmend.“⁷² Neben diesen Strukturen des Imaginären ist zwischen verschiedenen Ebenen des Imaginären zu unterscheiden.⁷³ Castoriadis bewegt sich vornehmlich auf einer makroskopischen Ebene, beschäftigt sich also mit gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Institutionen und Vorstellungen, welche eine identitätslogische und mengentheoretische Fundierung von Gesellschaften bilden. Gesellschaftsbilder sind weniger ein direkter Teil des Bedeutungsmagmas, sondern ein Teil des ‚aktualen‘ Imaginären, also des Imaginierten als Produkt des (radikalen) gesellschaftlich Imaginären.⁷⁴ Bei ihnen handelt es sich um äußerst wirkmächtige und damit auch die Wirklichkeit konstituierende Imaginationen, wie z. B. die Aufteilung der Gesellschaft in verschiedene Stände. Um ein zentrales Imaginäres, welches in der hierarchisch-stratifikatorischen Differenzierung liegt, gruppiert sich ein „Gürtel von sekundärem Imaginärem“,⁷⁵ welcher die genaue Ausgestaltung des Gesellschaftsbildes und damit der jeweiligen Praktiken prägt, z. B. ob das Schichtenmodell aus den drei Ständen des Mittelalters oder der Trennung in Arbeiter, Mittelstand und Eliten realisiert wird, ob es theologisch oder sozial-funktional legitimiert ist etc. Es ist offensichtlich, dass diese Produkte des gesellschaftlich Imaginären nur durch eine Repräsentation im Symbolischen bestehen können.⁷⁶ Das Symbolische hingegen beinhaltet aufgrund einer im Signifikationsprozess zugeschriebenen Referenz „beinahe immer einen ‚rational-realen‘ Bestandteil, der das Reale darstellt und für den theoretischen und praktischen Umgang mit diesem unentbehrlich ist.“⁷⁷ Das Imaginäre steht demnach nicht in Opposition zum Realen,⁷⁸ sondern es ist dem

 Cornelius Castoriadis: Das griechische und das moderne politische Imaginäre. In: Michael Halfbrodt und Harald Wolf (Hg.): Philosophie, Demokratie, Poiesis. Lich 2011, S. 93 – 121, hier S. 93.  Rauwald extrahiert sechs Dimensionen aus den Schriften von Castoriadis, die einander gegenüberstehen: individuell : gesellschaftlich; zentral : peripher; radikal : aktual. Vgl. Rauwald: Poetologie(n) des Imaginären, S. 67– 69.  Vgl. Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 218. (Anm. 24). Das ‚aktuale Imaginäre‘ als sprachlich realisierte Vorstellung von Welt deckt sich weitgehend mit dem Foucault’schen DiskursBegriff.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 221.  „Die tiefgreifenden und undurchsichtigen Beziehungen zwischen Symbolischem und Imaginärem lassen sich ahnen, sobald man folgendes in Erwägung zieht: Das Imaginäre muß das Symbolische benutzen, nicht nur um sich ‚auszudrücken‘ – das versteht sich von selbst –, sondern um überhaupt zu ‚existieren‘, um etwas zu werden, das nicht mehr bloß virtuell ist“; Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 218.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 219. Dieser Bezug zum ‚Realen‘ wird durch die triadische Zeichenrelation erläutert, der zufolge rational-reale Erkenntnis erst durch das Erkennen der Einheit und flexiblen Unterschiedenheit von Signifikant, Signifikat und ihre Verbindung sui generis möglich ist. Fehlt diese, kommt es in der starren Gleichsetzung von Ding und Symbol zu einer naiven Regression ins aktual Imaginäre.  Vgl. Iser Das Fiktive und das Imaginäre, S. 292 f. Dieser erweitert jedoch die binäre Opposition von Fiktivem und Realem durch die Zwischenstellung des Imaginären.

4.2 Gesellschaftsbilder

51

Realen inhärent, sofern dieses als „bestimmte Realität, als Realität dieser Gesellschaft“⁷⁹ verstanden wird. So hat die Geburt in einen bestimmten Stand oder eine bestimmte Schicht (noch heute, aber in viel stärkerem Maße im Mittelalter) einen enormen realen Einfluss auf die Möglichkeiten des Handelns und Denkens, da das Individuum „unter der imaginären Voraussetzung einer Realität, in der das Mögliche selbst als bestimmt gesetzt wäre“,⁸⁰ zu leben glaubt. Damit schafft es wieder – gemäß einem zirkulären Implikationsverhältnis – Realität. Es ist also gleichzeitig bestimmend und bestimmt. Das Imaginäre markiert einen diffusen Modus zwischen Wahrnehmung des Realen und (konstruktivem) Denken des Möglichen,⁸¹ sie bilden „einen Kreislauf oder eine Art gesellschaftlichen Verdauungsprozess.“⁸² Außerdem changiert das Vermögen der Konstitution des Imaginären zwischen dem wahrnehmenden und denkenden Individuum und der symbolisch strukturierten Gesellschaft.⁸³ Imaginationen oder Phantasmen auf einer individuellen Ebene werden erst dadurch wirksam und damit wirklich, dass sie von der Gesellschaft als Orientierungsmarken wahrgenommen werden.⁸⁴ Dieser Prozess begegnet als sprachliche Modellierung der vorgestellten Wirklichkeit – eine „Imagination des Imaginären“.⁸⁵ Das Imaginäre kann also, wie bereits erwähnt, nicht voraussetzungslos entstehen, es „ereignet sich erst, wo es auf schon Vorhandenes trifft.“⁸⁶

 Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 440.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 440 f.  „Der Reiz des Imaginären liegt deshalb in seiner Stellung zwischen regressiven Bindungen an eine Lebensrealität wie die Sprachordnung und in seinen progressiven Konstruktionen von Wirklichkeitsentgrenzung. Deren Vermittlung ist dadurch eingeschränkt, daß auch sie einer signifikanten Medialität bedürfen. Das Eindringen von Realem und Symbolischem in das Imaginäre ist deshalb nicht auszuschließen“; Erich Kleinschmidt: Die Imagination des Imaginären. In: Erich Kleinschmidt und Nicolas Pethes (Hg.): Lektüren des Imaginären. Bildfunktionen in Literatur und Kultur. Köln 1999, S. 15 – 31, hier S. 17.  Albrecht Koschorke: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt a. M. 22012, S. 222. Koschorke rekurriert zwar nicht auf Castoriadis’ zirkuläres Implikationsverhältnis, kommt jedoch durch die Reflexionen von Gedächtnistheorien (u. a. von Assmann) auf ein ähnliches Ergebnis.  Kleinschmidt: Die Imagination des Imaginären, S. 17.  Vgl. Kleinschmidt: Die Imagination des Imaginären, S. 29.  Kleinschmidt: Die Imagination des Imaginären, S. 29. Diese sprachliche Modellierung des gesellschaftlich Imaginären beschreibt Castoriadis folgermaßen: „Die Gesamtheit der Vorstellungen, die ein Individuum in jedem Augenblick und sein ganzes Leben lang hat […] ist zunächst und vor allem ein Magma. Diese Vorstellungen sind keine Menge bestimmter und wohlunterschiedener Elemente, aber auch keineswegs reines Chaos. Es ist durchaus möglich, aus jedem Magma eine bestimmte Vorstellung herauszugreifen oder ihren Ort darin zu bestimmen. […] Das legein trennt aus dem Vorstellungsstrom ein Bruchstück, einen Aspekt, ein Moment provisorisch aus dem Übrigen heraus […]. Gewöhnlich wird es dazu mit einem bestimmten sprachlichen Ausdruck verbunden“; Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 530.  Kleinschmidt: Die Imagination des Imaginären, S. 30.

52

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

Castoriadis verneint einen eindeutigen Sinn und geht davon aus, dass Sinn wesentlich imaginär sei,⁸⁷ was ihn zu folgendem Ergebnis veranlasst: „Die gesellschaftlichen imaginären Bedeutungen – sofern sie wirklich die letzten sind – denotieren nichts, konnotieren aber fast alles.“⁸⁸ Eine komplette und auf endgültigen Sinn ausgerichtete (Literatur‐)Geschichtsschreibung ist mit den Ansätzen von Castoriadis nicht vereinbar: Eine fertige Theorie der Geschichte kann es nicht geben, und die Idee einer totalen Vernünftigkeit der Geschichte ist abwegig. Dennoch sind Geschichte und Gesellschaft nicht in einem positiven Sinne irrational.⁸⁹

Es gibt zwar keinen letzten Sinn, jedoch auch kein Chaos. Denn die magmatischen Bedeutungen sind strukturiert durch konstante „Rillen, Kraftlinien, Adern […], die das Mögliche und Machbare begrenzen, das Wahrscheinliche anzeigen und es dem Handeln erlauben, im Gegebenen Eingriffspunkte zu finden.“⁹⁰ Eine hermeneutische Annäherung ist so zumindest asymptotisch an einen letztlich offenen Sinn möglich.⁹¹ Von einem „epistemologischen Pluralismus“⁹² geht auch Markus Gabriel in seinen Ausführungen zu einem Neuen oder Neutralen Realismus aus.⁹³ Dabei teilt er in manchen Aspekten Grundannahmen von Castoriadis:⁹⁴ Er lehnt ebenfalls eine mengentheoretische Ontologie ab und postuliert stattdessen potentiell indefinite ‚Sinnfelder‘.⁹⁵ Für diese gilt anstatt eines radikalen (Bereichs‐)Konstruktivismus ein Bereichsrealismus, d. h. die „robuste Notwendigkeit der Tatsache, dass es Bereiche gibt“⁹⁶ und innerhalb dieser Bereiche Tatsachen ‚existieren‘. Er versteht

 Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 233 – 268.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 246.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 135.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 136.  Ausführlich vgl. Rauwald: Poetologie(n) des Imaginären, S. 165 – 173 und S. 406 f. Vgl. auch Johann P. Arnason: Kulturelle Horizonte und imaginäre Bedeutungen. In: Alice Pechriggl und Karl Reitter (Hg.): Die Institution des Imaginären. Zur Philosophie von Cornélius Castoriadis. Wien, Berlin 1991, S. 143 – 171.  Gabriel: Sinn und Existenz, S. 439.  Wichtige Vertreter des recht heterogenen Neuen Realismus sind US-amerikanische (v. a. Paul Artin Boghossian: Fear of Knowledge. Against Relativism and Constructivism. Oxford, New York 2006, Thomas Nagel: The Last Word. Oxford, New York 1997), italienische (v. a. Maurizio Ferraris: Manifesto del Nuovo Realismo. Rom, Bari 2012) und deutsche Philosophen (v. a. Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt. Berlin 2013 und Gabriel: Sinn und Existenz).Vgl. außerdem die Tagung „Aussichten für einen Neuen Realismus“ (26 – 28. März 2013): Markus Gabriel (Hg.): Der neue Realismus. Berlin 32015. Zu einer kritischen Diskussion der Positionen vgl. Markus Gabriel: Neutraler Realismus. JahrbuchKontroversen 2, hg. von Thomas Buchheim. Freiburg i. Br., München 2017.  Zu einer expliziten Aufnahme von Castoriadis’ Modellen vgl. Markus Gabriel: An den Grenzen der Erkenntnistheorie. Die notwendige Endlichkeit des objektiven Wissens als Lektion des Skeptizismus. Freiburg im Breisgau 22014, S. 213 und 284.  Vgl. Gabriel: Sinn und Existenz, S. 183 und zu den Sinnfeldern S. 276 – 355.  Gabriel: Sinn und Existenz, S. 179.

4.3 Literarische Imaginationen

53

unter ‚Existenz‘ die Tatsache, dass ein Gegenstand oder einige Gegenstände in einem Sinnfeld erscheinen. […] Einige Gegenstände sind konstruiert, mindestens in dem anspruchslosen Sinn, dass sie in Tatsachen involviert sind, die nicht bestanden hätten, wenn es keine Menschen gegeben hätte. So wie mentale Gegenstände trivialiter davon abhängen, dass jemand sie hat, werden noch viele weitere Tatsachen durch uns produziert, das heißt, sie existieren ontologisch abhängig von uns. Demnach ist es weder der Fall, dass alle Gegenstände konstruiert sind, noch, dass dies für überhaupt keinen Gegenstand gilt.“⁹⁷

Diese Verbindung einer objektiven Realität mit gesellschaftlicher Konstruktion teilt er mit Castoriadis’ Magmalogik, die ja auch eine Anlehnung des Imaginären an eine natürliche Schicht postuliert. Gesellschaftsbilder repräsentieren mithin ein eigenes Sinnfeld, welches unter Umständen den Anschein einer objektiven Tatsache sozialer Wirklichkeit erweckt. Dieser Eindruck von Objektivität ist dadurch verstärkt, dass ein Gesellschaftsbild an verschiedenen anderen Sinnfeldern partizipiert und so die allgemeine Vorstellung prägen kann wie die Gewissheit einer tatsächlichen Existenz von Hexen und Zauberern in weiten Teilen der Gesellschaft während der Frühen Neuzeit.

4.3 Literarische Imaginationen Auf einer mittleren Ebene zwischen individuellen Imaginationen und dem gesellschaftlichen Imaginären sind literarische Texte zu situieren. Nach Müller referieren literarische Imaginationen „auf alle Erscheinungsformen des gesellschaftlich Imaginären“,⁹⁸ indem sie diese interpretativ aufnehmen und im Einzeltext konkret verdichtet umsetzen. Durch die höhere relative Gestaltungsfreiheit, die literarischen Texten zugebilligt wird – den „‚Spielraum‘ für literarische Fiktionen“⁹⁹ – kann sich „das Imaginäre ungehinderter entfalten“,¹⁰⁰ und zwar einerseits als Bezugsobjekt der innerliterarischen Wirklichkeit (z. B. Weltbilder, Gesellschaftsbilder, Rechtsvorstellungen etc.), andererseits als Impulsgeber für literarische Produktion (z. B. aufgrund von Wünschen, Ängsten, Idealen, Schreckbildern etc.).¹⁰¹ Das gesellschaftliche Imaginäre setzt einen Rahmen, in dem sich die Ausprägungen der konkreten literarischen Imaginationen einschreiben,¹⁰² gewissermaßen als „imaginäre Ordnungen zweiten Grades“.¹⁰³ Beispiele für „kulturspezifisch gültige Interpretationsmuster, die zwar der Orientierung dienen, aber nicht in derselben Weise institutionell verankert sind“,¹⁰⁴

 Gabriel: Sinn und Existenz, S. 184 [Herv. im Orig.].  Müller: Höfische Kompromisse, S. 15.  Jan-Dirk Müller: Literarische und andere Spiele. Zum Fiktionalitätsproblem in vormoderner Literatur. In: Poetica 36 (2004), S. 301.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 15.  Vgl. Müller: Literarische und andere Spiele, S. 300.  Vgl. Müller: Imaginäre Ordnungen, S. 49.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 12.  Müller: Literarische und andere Spiele, S. 301.

54

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

wären spezifische Gesellschaftsbilder, wie die Vorstellung von einzelnen Ständen. So bezeichnet des Imaginäre vornehmlich eine heuristische Denkfigur, die es erlaubt, „die unbestimmten doch schöpferischen Kräfte von (Selbst‐)Veränderung begrifflich zu fixieren und mental zu figurieren, um diese denken und mit ihr (hier literaturwissenschaftlich) arbeiten zu können.“¹⁰⁵ Explizit fiktionalen Texten ist es möglich, „solche imaginären Ordnungen ‚spielend‘ zu verändern: zu überhöhen, karikieren, subvertieren, verkehren und dergleichen“,¹⁰⁶ wobei diese Veränderungen meist nur das sekundäre Imaginäre des Gesellschaftsbildes betreffen. Außerdem sind fiktionale Texte dahingehend eingeschränkt, dass sie Veränderungen nur soweit durchführen können, als es der gesellschaftlich vom Rezipienten akzeptierte ‚Spielraum‘ der Fiktion zulässt: der Fiktionalitätskontrakt zwischen Produzent und Rezipient.¹⁰⁷ Also kann „das literarisch Imaginäre zwar kategorial, doch keineswegs faktisch so fundamental vom gesellschaftlich Imaginären geschieden“¹⁰⁸ werden. Dies gilt vor allem für vormoderne Texte, die generell zu einer Typisierung der Figuren neigen und sich auf die Umsetzung sozialer Rollen konzentrieren, v. a. Fabeln, Satiren und Schwänke. Stärker als bei modernen Texten ist es essentiell, neben der narrativen Funktion im Einzeltext das (historische) Weltwissen über einen solchen Figurentypus in die Untersuchung einzubeziehen. Jedoch darf sich dieses Vorgehen weder in der Suche nach (vermeintlichen) sozialgeschichtlichen Fakten erschöpfen, noch das vorausgesetzte Wissen als Teil literarischer Fiktion absolut setzen. Denn mittelalterliches Erzählen situiert sich zwischen den beiden Polen des Fiktionalen und Faktualen, wobei die Poetologie faktualem Erzählen (oder zumindest einer signifikativen Fiktionalität) den Vorrang gibt.¹⁰⁹ Jan-Dirk Müller geht von einer Skalierbarkeit von Fiktionalität in (vormodernen) literarischen Texten aus.¹¹⁰ Denn die Aufnahme von Elementen aus der Realität kann pragmatisch bestimmt sein (z. B. als politische Täuschung, zur Selbstdarstellung etc.), nur fragmentarisch oder eine Variation des ‚realen‘ Referenzobjekts. Dieser unsichere Bezug zur Realität aber beschränkt sich nicht auf ‚Literatur‘ und nicht einmal auf Texte, sondern umfasst auch außerliterarische Praktiken und Habitus. Es

 Rauwald: Poetologie(n) des Imaginären, S. 427.  Müller: Literarische und andere Spiele, S. 301.  Zu pragmatischer Fiktionalitätsdefinition und dem Fiktionalitätskontrakt im Erzählen um 1200 vgl. Müller: Literarische und andere Spiele, S. 290 f. und Mark Chinca: Mögliche Welten. Alternatives Erzählen und Fiktionalität im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg. In: Poetica 35 (2003), S. 307– 333, hier S. 313 f.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 16.  Vgl. Sonja Glauch: Fiktionalität im Mittelalter; revisited. In: Poetica 46 (2014), S. 85 – 139, hier v. a. S. 95 f. und 101– 107. Fritz Peter Knapp (Hg.): Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik (II). Heidelberg 2005, S. 10 fasst unter signifikativer Fiktionalität eine Form der Nicht-Wirklichkeit, die sich auf eine (theologische oder gnomische) Bedeutung bezieht.  Vgl. Müller: Literarische und andere Spiele; für eine skalierbare Fiktionalität auch Glauch: Fiktionalität, S. 120 – 125.

4.3 Literarische Imaginationen

55

gibt also ‚fiktionalere‘ und ‚weniger fiktionale‘ Texte.¹¹¹ Schließlich ist Fiktionalität auch historisch relativ, also das Bewusstsein davon, wie weit die Literatur die Realität dispensieren darf, variabel. „Der Umstand, daß bestimmte Elemente an mittelalterlichen Fiktionen als ‚faktisch wahr‘ betrachtet werden, obwohl sie es im modernen Sinne nicht sind, schließt nicht aus, daß sie in einem historisch spezifischen Sinne explizit oder implizit als ‚fiktional‘ verstanden werden.“¹¹² Die Strukturen des Imaginären lassen sich demnach in nuce auch auf den Bereich (eher) literarischer Texte „als integrale Teil[e]“¹¹³ des Imaginären übertragen und Wechselbeziehungen feststellen. So stehen literarische Texte in einem zirkulären Implikationsverhältnis mit anderen Instanzen des gesellschaftlich Imaginären. Sie sind durch die zentralen Elemente der gesellschaftlichen Vorstellungen konturiert. Denn auch der Produzent autonom-ästhetischer ‚genialer‘ Literatur ist ein Teil einer Gesellschaft und zu einem gewissen Grad von dieser bestimmt. Zugleich wirken diese Imaginationen wieder auf das gesellschaftlich Imaginäre und prägen dieses in unterschiedlicher Intensität, indem sie Erklärungen und Ätiologien liefern oder indem sie Bezeichnungsmodelle für Phänomene bieten. Sie können von einem rezipierenden Individuum oder einer Gruppe internalisiert werden und zu einem prägenden Moment für eine ganze Gesellschaft werden. Gerade in der Retrospektive sind solche literarischen Imaginationen wirksam, da sie durch die geschichtliche Distanz eine Rekonstruktion von Vergangenheit vornehmen und vor allem bei einem Bezug auf die Geschichte der eigenen sozialen Gruppe des interpretierenden Rezipienten (der Familie,

 Gegen einen „Gradunterschied stärkerer und schwächerer Fiktivität“ wandte sich explizit Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung. Stuttgart 1957, S. 223. In Absetzung und Ergänzung von Hamburger lehnt auch Danneberg die Gradation oder Komparation von Fiktionalität als fiktionstheoretischen Kompositionalismus ab. Denn die „ontologische Welt einer fiktionalen Darstellung ist im Vergleich zur als real ausgezeichneten Welt immer begrenzt, ohne dass sich die Grenze vorab ziehen lässt.“ Zudem könne man sich fiktionalen Texten nur mittels der Interpretation annähern, für diese Interpretation aber seien weder alles außertextliche Weltwissen noch alle innertextlichen Informationen relevant. Vgl. Lutz Danneberg: Kritik am Kompositionalismus. Zu Vorstellungen fiktional-faktual gemischter Texte, zu Semifiktionalität und zu Gradationen der Fiktionalität. In: Andrea Albrecht und Claudia Löschner (Hg.): Käte Hamburger. Kontext, Theorie und Praxis. Berlin, Boston 2015, S. 253 – 267, hier S. 266. Hamburger und Danneberg gehen jedoch von der Perspektive eines modernen Literarizitätsanpruchs aus, der für das Mittelalter und Teile der Frühen Neuzeit nachrangig oder obsolet ist.  Müller: Literarische und andere Spiele, S. 311. Zur Methodik einer historischen Fiktionalitätsforschung – v. a. aus dem Bereich der Frühneuzeitforschung – vgl. Stefan Trappen: Fiktionsvorstellungen der Frühen Neuzeit. Über den Gegensatz zwischen „fabula“ und „historia“ und seine Bedeutung für die Poetik. In: Simpliciana 20 (1998), S. 137– 163 und Benjamin Gittel: Enzyklopädisches Erzählen als Indikator einer frühneuzeitlichen Fiktionalitätspraxis sui generis? Historische und methodologische Überlegungen am Beispiel von Johann Fischarts Geschichtklitterung und dem Fortunatus. In: Mathias Herweg, Johannes Klaus Kipf und Dirk Werle (Hg.): Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400 – 1700). Wiesbaden 2019, S. 45 – 60, hier S. 46 – 49.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 17.

56

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

des Stammes etc.) die eigene Selbstwahrnehmung prägen.¹¹⁴ Auf das Beispiel von Literatur mit universitärem Kontext bezogen, „sollten literarische Artefakte auch auf Wirkungen befragt werden, die sie bei Studenten auslösten, nicht zuletzt durch die Bekräftigung von Stereotypen.“¹¹⁵ Ein historisch dezidiert fiktional wahrgenommener Text kann so in späterer Zeit aus pragmatischen Gründen oder zufällig auf das Imaginäre und damit auf die Praktiken einer zeitlich späteren Gesellschaft wirken. Auch wenn die Vormoderne eine Zeit dominanter Mündlichkeit und eine performative Aneignung der Literatur über das Ohr die normale Rezeptionssituation ist, hat doch die schriftkundige Elite eine diskursprägende Potenz. Denn wenn das geschriebene und so relativ zeit- und raumunabhängig tradierbare Wort nur in sehr begrenztem Umfang existiert, zugleich aber als Schatzkammer eines kulturellen Gedächtnisses wahrgenommen wird, können auch schlecht überlieferte Texte eine potentiell hohe Wirkung erzielen. Dies verschiebt sich durch die medialen Umbrüche zum Ende des Mittelalters. Im Verlauf einer zunehmenden Handschriftenproduktion und in neuem Maßstab durch die technischen Vervielfältigungsmöglichkeiten im Druck können die Inhalte einzelner Handschriften durch die größere Fülle an Material untergehen. Gedruckte Texte sind hingegen leichter zu reproduzieren, zugänglich zu machen und zu verbreiten.¹¹⁶ So können einzelne schriftliche Inhalte erheblich größere Reichweiten erzielen und so den Diskurs prägen. Das gesellschaftlich Imaginäre ist also – neben einer eigenen Anschauung von Wirklichkeit – einerseits zentraler Bezugspunkt der Inhalte von Literatur, andererseits auch der „Inbegriff jener Energien, aus denen Literatur ihre Impulse bezieht und denen sie Gestalt verleiht: Wünsche und Phobien, Begehren und Abwehr, Neigungen und Ängste, Ideale und Schreckbilder, Selbst- und Gesellschaftsentwürfe.“¹¹⁷ Der (mediävistischen) Literaturwissenschaft darf es demnach nicht um das Extrahieren historischer Sachverhalte aus fiktionaler Literatur und einen Abgleich mit der außerliterarischen (‚realen‘) Wirklichkeit gehen, sondern um „die weit grundsätzlichere Frage, wie im Mittelalter literarische Imagination und gesellschaftlich Imaginäres zusammenhängen.“¹¹⁸ Dieses Verhältnis von ‚Realität‘ und ‚literarischen Imaginationen‘ ist unterschiedlich benannt worden: als „Echtwelterfahrungen (real world frames)“ und „literarische Konventionen (literary frames)“,¹¹⁹ als „kulturelle Konfigurationen“ und

 In Bezug auf die romantische Hermeneutik und den Historismus Diltheys vgl. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 222– 246.  Skoda: Literarische Texte, S. 523.  Vgl. Rüdiger Schnell: Handschrift und Druck. Zur funktionalen Differenzierung im 15. und 16. Jahrhundert. In: IASL 32 (2007), S. 66 – 111.  Müller: Literarische und andere Spiele, S. 300.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 45, dazu auch S. 2 f.  Bruno Zerweck: Der cognitive turn in der Erzähltheorie. Kognitive und ‚Natürliche‘ Narratologie. In: Ansgar Nünning und Vera Nünning (Hg.): Neue Ansätze in der Erzähltheorie. Trier 2002, S. 219 – 242, hier S. 222.

4.3 Literarische Imaginationen

57

„narrative Muster“¹²⁰ oder als der „literarische und kulturelle Referenzrahmen“.¹²¹ Alle Bezeichnungen haben den Versuch gemeinsam, das komplexe Verhältnis von Vorgaben, die auf systemimmanenten, literarhistorischen Voraussetzungen (literarische Muster wie Gattungspoetik, Erzähltypen, Motive etc.) und von Vorgaben, die auf externen, kulturellen Voraussetzungen (kulturelles, kontextuelles Wissen) beruhen, zu ordnen. Dabei ist das Wissen über die Umwelt als individuelles oder kollektives Gesellschaftsbild und damit als Teil des gesellschaftlich Imaginären zu sehen. Dieses steht in Bezug auf das Imaginäre als konkrete Repräsentation auf einer mittleren Ebene: „‚unterhalb‘ von globalen Ordnungen des Wissens und ‚oberhalb‘ von singulären Ordnungen der Texte“.¹²² Jan-Dirk Müller operiert mit dem Terminus Erzählkern. Er geht davon aus, dass sich „um bestimmte, kulturell distinkte Erzählkerne […] Muster mehr oder minder rudimentärer Erzählungen anschließen, die eine zeitlang literarisch produktiv sind, weil sie historisch relevante Probleme konfigurieren und Lösungsansätze durchspielen.“¹²³ Die Erzählkerne sind also kulturell und historisch flexibel, außerdem weniger artikuliert als ‚Einfache Formen‘ und in ihrem Anspruch der Welterklärung zurückhaltender als Mythen.¹²⁴ Um die Normen von expliziten oder impliziten Gattungspoetiken und die Struktur von Erzähltypen und anderen Mustern bewerten zu können, ist jedoch eine intertextuelle (auch diachrone) Analyse notwendig.¹²⁵ Für die Analyse des kulturellen Referenzrahmens gilt weiter, dass das zirkuläre Implikationsverhältnis von Text und (imaginärem) Kontext bedacht werden muss, um einen methodischen Zirkelschluss zu verhindern.¹²⁶ Dass der unmittelbare Horizont des historischen Produzenten oder ein olympischer „Blick von nirgendwo“¹²⁷ nicht erreicht werden können, versteht sich von selbst. Das Wissen der Vergangenheit sowie das Wissen über die Vergangenheit konstituiert sich erst durch Texte – nicht zuletzt solche, die auch fiktionale Elemente enthalten. Dies schließt nicht unmittelbar eine objektive, von Interpretationen unabhängige Realität der Dinge an sich aus. Bei (literarischen) Texten handelt es sich sowohl um Abbildungen der Wirklichkeit als auch um Bildungen von Wirklichkeit. Durch die Positionierung zwischen Konstruktivismus und Realismus teilt die Abhandlung grundsätzliche Annahmen des Neuen Realismus, der überhaupt in hohem Maße für die Literaturwissenschaft anschlussfähig scheint. Das zeigen bei Christian Kiening: Unheilige Familien. Sinnmuster mittelalterlichen Erzählens. Würzburg 2009, S. 35.  Nicole Eichenberger: Geistliches Erzählen. Zur deutschsprachigen religiösen Kleinepik des Mittelalters. Berlin/Boston 2015, S. 88.  Kiening: Unheilige Familien, S. 35.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 23.  Vgl. Müller: Höfische Kompromisse, S. 23 – 41.  Diesen Aspekt werde ich in den „Theoretischen Überlegungen II“ aufgreifen, indem ich Vorschläge für einen mustertheoretischen Zugriff auf eine Literaturgeschichte mache. Vgl. Kapitel 6.  Vgl. dazu Kiening: Unheilige Familien, S. 33 – 35 und Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 88 f.  Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo. Frankfurt a. M. 22015.

58

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

spielsweise bei Gabriel die gehäuften Bezüge auf Texte und Figuren, die dem Bereich der Literatur oder Fiktion zuzuordnen sind, z. B. die Einhörner in Das letzte Einhorn ¹²⁸ oder die Hexen im Faust. ¹²⁹ Textwelten sind eigene (komplexe) Sinnfelder, die an anderen Sinnfeldern partizipieren. Die einzelnen Sinnfelder können sich überschneiden oder miteinander interagieren. Am Beispiel von Goethes Faust – als das Drama und nicht als die Figur, die freilich in ihrem Wirklichkeitsanspruch auch umstritten ist – expliziert Gabriel: Der Faust selbst ist auch ein Gegenstand, etwa im Sinnfeld der Literaturwissenschaften oder in einer Bibliothek, die mehrere Ausgaben von Faust besitzt. […] Wenn ich mich daran erinnere, Faust gelesen zu haben, erscheint das Stück in meiner Erinnerung und existiert dort. Es gibt kein Sinnfeld all dieser Sinnfelder, das uns das Wesen von Faust vollständig erschließt: Faust existiert nicht etwa privilegiert in Goethes Selbstdeutung des Stücks, Faust existiert nicht privilegiert in Bibliotheken oder in Form als klassisch anerkannter Aufführungen, und schon gar nicht existiert Faust privilegiert im Universum, in dem Faust gar nicht vorkommen kann.¹³⁰

Dabei unterscheidet sich die Position Gabriels von einem radikal konstruktivistischen Antirealismus dahingehend, dass der Gegenstand nicht erst durch die Unterscheidung von Sinnfeldern in diskursiven Praktiken hervorgebracht werde. Stattdessen geht er davon aus, dass die ontologische Differenz von Gegenstand und Sinnfeld nicht hervorgebracht, sondern vorgefunden wird, dass die Konstruktion von Artefakten und eigenen Sinnfeldern zwar grundsätzlich möglich ist, sich diese jedoch immer auf Bestehendes/Existierendes beziehen müssen, „was eben nicht bedeutet, dass es ohne unsere kreativen Aktivitäten weder Sinnfelder noch Gegenstände gegeben hätte.“¹³¹ Diese grundsätzliche Feststellung deckt sich mit dem Kernpunkt des Dissenses zwischen Castoriadis und Ricœur über eine creatio ex nihilo – jedoch nicht in und cum nihilo!¹³² Gerade (historische) Gesellschaftsbilder sind also Vorstellungen, die als individuelle und/oder soziale Sinnfelder maßgeblich durch Texte geprägt sind – was nicht heißt, dass sie nicht auch auf tatsächlichem Verhalten beruhen und/oder Praktiken anstoßen können – und für deren Verständnis die Analyse der zugrundeliegenden traditionalen Muster oder Erzählkerne hoch relevant ist.

 Vgl. Gabriel: Sinn und Existenz, S. 205 – 211 u. ö.  Vgl. Gabriel: Sinn und Existenz, S. 173 f., 219 f. u. ö.  Gabriel: Sinn und Existenz, S. 360 f.  Gabriel: Sinn und Existenz, S. 361.  Gabriel betont: „Eine reine Konstitution ex nihilo ist undenkbar, es kann sie nicht geben. Es ist nicht einmal möglich, dass es eine reine Konstitution jenseits unserer Vorstellungskraft oder unserer Fähigkeiten, Möglichkeiten zu entwerfen, gibt“; Gabriel: Sinn und Existenz, S. 180 f.

4.4 Zusammenfassung und Bezug auf das weitere Vorgehen

59

4.4 Zusammenfassung und Bezug auf das weitere Vorgehen Einen Text mit dem Kontext abzugleichen ist nicht weiter erstaunlich und innovativ. Die angestellten theoretischen Überlegungen zeigen jedoch, dass die einzelnen Instanzen kategorial nicht streng zu unterscheiden sind, sondern auf einem Imaginären beruhen. Dieses Imaginäre aber kann man mit text- und kulturwissenschaftlichen Methoden untersuchen. Da sich die vorliegende Studie auf eine gesellschaftliche Gruppe in ihrer textlichen Darstellung bezieht, geht es bei diesem Imaginären um Gesellschaftsbilder. Diese bilden einerseits als imaginiertes Produkt des Imaginären (demnach als aktuales Imaginäres) den kulturellen Referenzrahmen für die literarischen Texte und modellieren so die Wirklichkeit des Textes, andererseits sind sie selbst durch (u. U. als fiktional wahrgenommene) Texte modelliert. Dieser Zusammenhang verstärkt sich im hermeneutischen Blick des wissenschaftlichen Interpreten, welcher sich das Wissen über die Vergangenheit aus textuellen (und z. T. nichttextuellen materiellen) Quellen erschließen muss. Der Unterschied zwischen dem kulturellen und dem literarischen Referenzrahmen ist dabei ein kategorialer: Es handelt sich um zwei unterschiedliche Sinnfelder; das eine beeinflusst die Referenzobjekte des Inhalts, das andere die Normen, Strukturen und z. T. das Material für die Textproduktion. Vor allem in den dieser Studie zugrundeliegenden Texten ist dieser Umstand evident: Bei den vormodernen Texten, die den Fahrenden Schüler als gesellschaftliches Phänomen anführen, handelt es sich nämlich weitgehend um solche, die im weiteren Sinne als Ständedidaxe oder ‐satire einzuordnen sind, also auf ein Gesellschaftsbild referieren und dieses modellieren. Zumindest aber handelt es sich bei allen Texten um Produkte, die aus einem Bewusstsein entstanden sind, welches durch eine bestimmte ständisch geprägte Umgebung fundiert ist. Es zeigte sich in der Skizze der Forschungsbeiträge zum Thema, dass diese Differenzierungen oftmals unzureichend oder gar nicht beachtet wurden. Als literarisch gekennzeichnete Texte werden sie zwar auf die ‚historische Wirklichkeit‘ bezogen, ohne jedoch auszuweisen, wie diese ‚Wirklichkeit‘ erschlossen wurde. Oder die literarischen Texte wurden als Quellenreservoir für eine Alltagsrealität wahrgenommen, über die andere Quellen meist keine oder nur unzureichende Aussagen treffen.¹³³ Die Thematisierung von kulturellen Konfigurationen (z. B. Gesellschaftsbildern), die in unterschiedlicher Intensität und Deutlichkeit in Texte Eingang finden, minimiert die Gefahr eines Zirkelschlusses, der durch die Untersuchung von semantischen Einheiten entstehen kann. Denn gerade in der Interpretation einer semantischen Einheit besteht die Gefahr, dass man Muster extrahiert, welche aus dem eigenen kulturellen Wissen resultieren. Dieses Wissen ist aber oftmals durch ebendiese (literarischen) Muster geprägt. So würde sich das Vorverständnis, mit welchem man an die Texte geht, stets bestätigen, da man nur die eigenen (kulturellen) Imaginationen

 Vgl. Kapitel 2.

60

4 Probleme der Referenzialität: Theoretische Überlegungen I

wiederholt.¹³⁴ Schon die Auswahl eines Textcorpus stellt einen konstruktiven Akt des Interpreten dar, welcher zu einer teleologischen ‚Meistererzählung‘ neigen kann, umso mehr, wenn die semantische Einheit als solche konstruiert ist.¹³⁵ Um diesen Einfluss der Position des Interpreten möglichst gering zu halten, soll im Folgenden nicht eine Entwicklung der semantischen Einheit hin zu gegenwärtigen Imaginationen nachverfolgt werden. Als heuristischer ‚Zielpunkt einer Entwicklung‘ oder eher als Ausgangshorizont für eine Orientierung in der weiteren Analyse soll der erste Entwurf herangezogen werden, welcher den ‚Fahrenden Schüler‘ sozialgeschichtlich in verschiedenen Diskursen konturiert.

 Genau dieses Vor-Urteil ist aus dem Horizont des Interpreten der Ausgangspunkt des hermeneutischen Zirkels. Gerade bei der (Re‐)Konstruktion einer semantischen Einheit, die dem Interpreten ja erhebliche Freiräume zugesteht droht „die Gefahr, das Andere im Verstehen ‚anzueignen‘ und damit in seiner Andersheit zu verkennen.“ Vgl. zum hermeneutischen Zirkel, dem Problem des Vor-Urteils und dem Prinzip der Wirkungsgeschichte Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 270 – 312. zit. S. 305 (Anm. 230). Kritisch zum Universalitätsanspruch des hermeneutischen Zirkels als methodologisches Instrument vgl. Lutz Danneberg: Die Historiographie des hermeneutischen Zirkels. Fake und fiction eines Behauptungsdiskurses. In: Zeitschrift für Germanistik, N. F. 5 (1995), S. 611– 624.  Mit dem Prozess der Corpusbildung aus linguistischer Perspektive befasst sich kritisch Gerd Fritz: Historische Semantik. Stuttgart, Weimar 22006, S. 23 f.

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500 Um das Jahr 1500 bekommen Ausdruck und Muster des ‚Fahrenden Schülers‘ im Vergleich zur früheren Thematisierung eine spezifische Prägung, welche sich vor allem im (obrigkeitlichen) Sprechen über Armut verdichtet. Auf Grundlage von Textzeugen aus verschiedenen funktionalen Sinnfeldern, die vor allem der Gesellschaftsstabilisierung (z. B. Gesetze) und -diagnose (z. B. Satire) dienen, soll im Folgenden ein spezifisches Verständnis für den Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘ entworfen werden. Welche Imaginationen bestanden zu diesem konkreten historischen status quo und wurden zumindest in Teilen des allgemeinen Diskurses thematisiert? Dafür präsentiere ich zunächst kursorisch die allgemeinen diskursiven Veränderungen (v. a. im Umgang mit Armut), konzentriere mich dann auf eine zentrale Textsorte und befrage sie nach der spezifischen Darstellung des Fahrenden Schülers.¹

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge 5.1.1 Zum Wandel des Armutsdiskurses im Spätmittelalter Nach den Erfahrungen von Pestepidemien, Kriegszügen und Hungersnöten, einem ansteigenden Bevölkerungswachstum und einer damit verbundenen zunehmenden Verelendung² dominiert um die Mitte des 15. Jahrhunderts das Bewusstsein, in einer „aus den Fugen geratenden Welt“ zu leben.³ Insgesamt ist für diese Zeit in weiten Teilen Europas eine Dynamisierung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnungen festzustellen.⁴ Im Zusammenhang zahlreicher Umbrüche entsteht das Gefühl, in einer bedrohten Ordnung oder gar chaotischen Unordnung zu leben.⁵ Außerdem verstärkt sich der Eindruck, der Angst, Dysfunktionalität und Perspektivlosigkeit im

 Es ist zwar keine harte Epochengrenze zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert festzustellen, dennoch ist eine Differenzierung in der Zitation notwendig. Daher folge ich diesem Schema: Quellen bis zum Jahr 1520 werden durch Kursive, spätere Quellen durch doppelte Anführungszeichen markiert.  Vgl. Martin Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450 – 1850. Frankfurt a. M. 2000, S. 18 – 24.  Grundlegend dazu vgl. Winfried Schulze: Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500 – 1618. Frankfurt a. M. 1987, hier S. 75. Zum Spätmittelalter als Krisenzeit vgl. František Graus: Pest – Geissler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. Göttingen 31994.  Vgl. Richard van Dülmen: Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Ein Versuch. In: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 5 – 41.  Zum kulturwissenschaftlichen Kategorie der „Bedrohten Ordnung“ und der „Bedrohungskommunikation“ vgl. den Tübinger SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“ (2011– 2023). Vgl. dazu Ewald Frie und Mischa Meier: Bedrohte Ordnungen. Gesellschaften unter Stress im Vergleich. In: Ewald Frie und Mischa Meier (Hg.): Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften. Tübingen 2014, S. 1– 27. https://doi.org/10.1515/9783110708349-006

62

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Bewusstsein der Krise nur durch eine gesellschaftliche Neuformierung begegnen zu können. Von den zahlreichen kirchen‐ und sozialpolitischen Reformationsbestrebungen des 15. Jahrhunderts sind hier nur die wichtigen (wenn auch ‚innenpolitisch‘ wenig erfolgreichen) Konzile von Konstanz (1414– 1418) und Basel (1431– 1449) zu nennen.⁶ Neben den ‚großen Themen‘ (Hussiten, Konziliarismus etc.) beschäftigten sich diese auch mit der Regulierung des alltäglichen Lebens. Diesen Prozess einer zunehmenden Einflussnahme obrigkeitlicher Gewalt beschrieb Michel Foucault als „Ergebnis des Vorgangs […], durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt für Schritt ‚gouvernementalisiert‘“.⁷ Es komme also zu einer (zumindest graduellen) Verschiebung der ‚Pastoralmacht‘ vom Souverän auf Disziplinarmechanismen wie Staatsraison und Polizei (Policey).⁸ Als Beispiel für diesen Wandel der Machtstrategie wählt Foucault den Umgang mit Krankheitsepidemien: Während bei der mittelalterlichen Lepra gemäß der Taktik der „Zweiteilung und Stigmatisierung“⁹ eine durch Zeichen unterstützte binäre Gliederung der Gesellschaft in ‚krank : nicht-krank‘ vorgenommen worden sei, habe man infolge der erschütternden Erfahrungen mit den Pestepidemien ab dem 14. Jahrhundert eine „Taktik der individualisierenden Disziplinierung“¹⁰ angewandt. Die Erkrankten stünden in einer panoptischen „Allgegenwart der disziplinierenden Kontrolle“¹¹ mit dem Ziel, alle Aspekte des täglichen Lebens durch regelmäßige Inspektionen zu erfassen, individuell zu differenzieren und zu kategorisieren.¹² Die Zunahme dieser medizinischen Kontrollinstanzen  Zu den Reformbestrebungen im Reich vgl. Heinz Angermeier: Die Reichsreform 1410 – 1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart. München 1984. Zum Einfluss literarischer Texte für die Genese des Konstanzer Konzils als diskursives ‚Weltereignis‘ vgl. Thomas Rathmann: Geschehen und Geschichten des Konstanzer Konzils. Chroniken, Briefe, Lieder und Sprüche als Konstituenten eines Ereignisses. München 2000, v. a. S. 267 f.  Michel Foucault: Analytik der Macht, hg. von Daniel Defert und François Ewald. Frankfurt a. M. 2005, S. 171 f.  Zur Policey vgl. Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesungen am Collège de France 1977/1978, hg. von Michel Sennelart. Frankfurt a. M. 2004, S. 521f. Zur Idee der Staatsraison, die sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts Bahn bricht, vgl. Foucault: Gouvernementalität, S. 369 – 448 und aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive vgl. Herfried Münkler: Staatsraison. Die Verstaatlichung der Politik im Europa der Frühen Neuzeit. In: Gerhard Göhler, Kurt Lenk u. a. (Hg.): Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch. Ideengeschichtliche Beiträge zur Theorie politischer Institutionen. Wiesbaden 1990, S. 190 – 202. Am Beispiel der öffentlichen Hinrichtung als abschreckendes Exempel für die anderen und der strengen Verurteilung von Dieben im häuslichen Umfeld als Vermeidung eines wahrscheinlichen Verbrechens demonstriert Foucault, dass auch im mittelalterlichen Gerechtigkeitsstaat bereits Disziplinar- und Sicherheitsmechanismen von Belang sind. Damit zeigt er, dass es sich nur um eine graduelle Verschiebung im dominanten „Korrelationssystem“ handelt. Foucault: Gouvernementalität, S. 20 – 23, zit. S. 23.  Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. 21977, S. 256.  Foucault: Überwachen und Strafen, S. 256.  Foucault: Überwachen und Strafen, S. 256.  Als drittes Modell nennt Foucault noch die Praktiken im Zuge der Pockenimpfungen seit dem 18. Jahrhundert, in denen absolute Kontrolle durch das Erfassen der Kranken und Gesunden mit einer

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

63

kongruiert mit der Entwicklung von Policeyordnungen im beginnenden 16. Jahrhundert.¹³ Demnach ist zumindest eine Korrelation zwischen der disziplinarischen Durchdringung der Gesellschaft als Reaktion auf die Pestepidemien und den zivilen Reglementierungen anzunehmen.¹⁴ Wie die Pestverordnungen folgen auch die policeylichen Mechanismen den Prinzipien von Segmentierung, Klassifizierung und Disziplinierung: Die Gesellschaft wird in bestimmte Segmente (binär oder individuell) aufgeteilt, diese werden dann als spezifische Klassen eingestuft. Ziel dieses Vorgehens ist eine allgemeine Sozialdisziplinierung oder ein System sozialer Kontrolle. Grundlage und Folge dieser Prozesse ist eine Veränderung des allgemeinen Gesellschaftsbildes. Im Folgenden werfe ich einen mikroskopischen Blick auf die Entwicklung des Policey-Schrifttums vom Ende des 15. Jahrhunderts bis 1530 unter dem Schwerpunkt der Veränderung des Betteldiskurses. Dieser Zwischenschritt ist notwendig, da nur diese diskursive Veränderung die Umakzentuierung des (literarischen) Musters ‚Fahrender Schüler‘ erklären kann. Der zeitliche Endpunkt dieser Untersuchung ist bewusst gewählt, da 1530 die ersten Reichspoliceyordnung erlassen wurde, also das wichtigste Justizgesetz der Reichsreform neben der Constitutio Criminalis Carolina (1532). Dadurch kommen die Prozesse zu einem (vorläufigen) Abschluss, indem sie institutionalisiert werden. Die Ursprünge der Policey-Ordnung liegen in den Städten des Spätmittelalters, wobei die ältesten Bestimmungen aus dem Nürnberg des 13. Jahrhunderts überliefert sind.¹⁵ Auf Reichsebene beginnt die Diskussion mit dem Wormser Reformreichstag von 1495 unter Kaiser Maximilian I. Die Beschlüsse dieses Reichstags sind aus zwei Gründen für die weiteren Ereignisse bedeutend und berechtigterweise als „Beginn der Neuzeit unter

Orientierung an der Gefährdungswahrscheinlichkeit erfolgt und sich nicht mehr an Ausschluss und Quarantäne orientiert. Vgl. Foucaul: Gouvernementalität, S. 25 f.  Vgl. Ulrich Knefelkamp: Das Verhalten von Ärzten in Zeiten der Pest (14.–18. Jahrhundert). In: Jan C. Joerden (Hg.): Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin. Bloß ein Mittel zum Zweck? Berlin, Heidelberg 1999, S. 13 – 39, hier S. 25 – 30 und Walter G. Rödel: Die Obrigkeit und die Pest. Abwehrmaßnahmen in der frühen Neuzeit. Dargestellt an Beispielen aus dem süddeutschen und Schweizer Raum. In: Neithard Bulst (Hg.): Maladies et Société. XIIe – XVIIIe Siècles. Paris 1989, S. 187– 205.  Vgl. Knefelkamp: Ärzte, S. 20; zu frühen Pestschriften vgl. die ältere Arbeit von Karl Sudhoff: Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des „schwarzen Todes“. In: Zeitschrift für Geschichte der Medizin 17 (1925), S. 12– 139. Knefelkamp: Ärzte, S. 38 betont, dass die „Beschreibungen des Verhaltens der Menschen bei Pestepidemien […] in der Regel nicht von Medizinern verfaßt“ sind und sich „sogar zu einem literarischen Genre entwickeln“ können. Er berücksichtigt auch die „Übertreibungen, Ausschmückungen und subjektiven Sichtweisen“, jedoch mit dem Schwerpunkt einen Aussagewert für die tatsächlichen Reaktionen der Menschen zu erreichen.  Werner Buchholz: Anfänge der Sozialdisziplinierung im Mittelalter. Die Reichsstadt Nürnberg als Beispiel. In: ZHF 18 (1991), S. 129 – 147; zu den Policeyordnungen vgl. die Reihe Karl Härter und Michael Stolleis (Hg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1996 ff. Zum Folgenden vor allem auch die fundierten und wichtigen Überlegungen in Thomas Simon: „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2004, hier S. 111– 151. Er setzt die Veränderungen im 16. Jahrhundert auch der rechtsgeschichtlichen Situation im Mittelalter gegenüber (S. 9 – 89).

64

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

rechtspolitischen Aspekten“¹⁶ bezeichnet worden. Grund 1: Hier ist das erste Mal der Terminus policey in die Reichsakten eingegangen.¹⁷ Unter dem Begriff der (Guten) Policey (griech. πολιτεία über frz. police), ist dabei nicht das Exekutivorgan des Staates zu verstehen wie in der Gegenwart (ab dem 18. Jahrhundert),¹⁸ – daher die bewusst archaisierende Schreibweise – sondern der „Zustand guter Ordnung im Gemeinwesen“.¹⁹ Diese Ordnung bezieht sich auf Politik und Sozialwesen ebenso wie auf Religion und Moral. In den Policeyordnungen verbinden sich also Vorstellungen eines ‚Wohlfahrtsstaats‘ mit dem Ziel einer Sozialdisziplinierung.²⁰ Dabei beschränkt sich die Semantik von Policey (genau wie die von Ordnung) nicht auf den Zustand, sondern bezeichnet auch das konkrete Gesetz, durch welches dieses geordnete Gemeinwesen herzustellen ist.²¹ Der Umstand, dass das konkrete Instrument und das gesellschaftliche Ziel synonym gebraucht werden, führt bereits vor Augen, wie stark die Interdependenz zwischen dem Instituierenden (dem einzelnen Gesetz) und dem zu Instituierenden/dem Instituierten (der Gesellschaft) ist. „Die Policey ist also Erkenntnisweise, Instrumentarium und Interventionsprogramm zugleich“.²² Grund 2: Der Wormser Reichstag liefert ein ‚Programm‘ für die Verhandlungen über die Reichspoliceyordnungen und formuliert eine Agenda.²³ Neben Kleider- und Luxusgesetzen soll dieses überregionale Gesetz Regelungen über den Umgang mit Randgruppen beinhalten: der ubermessigen kleydung und anderer unzimlichen kostlicheit, auch von der spilleut, betler und der zigeuner wegen […] ein gemein ordnung durch daz Reiche mug gemacht werden zu ere, nutz und underscheid aller stende. ²⁴ Insgesamt folgen die Beschlüsse den Maximen der Subsidiarität, der Individualisie-

 Schulze: Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert, S. 60.  Auch sollen sie ordenung und policey furnemen und die kostlikeit und uberfluß aller stende messigen, sunderlich seydengewand, spezerey und anders, dadurch und auch durch andere wege das gelt aus der nation geschoben wurd; Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495. Band 1: Akten, Urkunden und Korrespondenzen, hg von Heinz Angermeier. Göttingen 1981, Teil 1, S. 342. Vgl. dazu Karl Härter: Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 16. Jahrhundert. In: Ius commune 20 (1993), S. 61– 141, hier S. 69.  Vgl. Franz-Ludwig Knemeyer: Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts. Kritische Bemerkungen zur Literatur über die Entwicklung des Polizeibegriffs. In: Archiv des öffentlichen Rechts 92 (1967), S. 154– 180, hier S. 163 f.  Knemeyer: Polizeibegriffe, S. 155.  Vgl. Gerhard Oestreich: Policey und Prudentia civilis in der barocken Gesellschaft von Stadt und Staat. In: Albrecht Schöne (Hg.): Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. München 1976, S. 10 – 21 und Christoph Sachße und Florian Tennstedt (Hg.): Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt a. M. 61991.  Vgl. Knemeyer: Polizeibegriffe, S. 158 – 160 und Härter: Policeygesetzgebung, S. 69 f.  Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München 2002, S. 74.  Vgl. Härter: Policeygesetzgebung, S. 71.  Zum Reichsabschied vom 7. August 1495 vgl. Reichstagsakten, hg. von Angermeier, Teil 2, S. 1140 – 1150, zit. S. 1143.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

65

rung, des Indigenats und der Disziplinierung.²⁵ Alle diese Programmpunkte finden sich 1530 in der Reichspoliceyordnung wieder und werden damit zu geltendem Recht. Wie groß die Reichweite dieser Gesetze war, ist jedoch umstritten. Man nimmt an, dass die Policeygesetze trotz ihres umfassenden Anspruchs nur eine geringe Wirksamkeit auf die Lebensweise der Bevölkerung entfalteten und allenfalls subsidiäre Geltung beanspruchen konnten. Sie dienten also weniger der „direkten sozialen Disziplinierung der Bevölkerung“,²⁶ erreichten aber durch eine „Aufsichts- und Anzeigepflicht“,²⁷ die sich vor allem an die Herrschaftsträger richtete, „eine horizontale Disziplinierung zumindest indirekt“.²⁸ Die Erlasse hatten „Signalwirkung“.²⁹ Dabei ist die Gesetzgebung einerseits Symptom, anderseits Anstoß eines Systems sozialer Kontrolle oder einer Vigilanzkultur in der Frühen Neuzeit.³⁰ Die Ordnungen sind also – gemäß der aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschung – nicht nur einem Disziplinierungsparadima unterworfen, sondern als „relationale Kategorie [ein] dynamisches Ensemble von Techniken und Kräfteverhältnissen“ und damit auch für Maximen der Analyse von Machtverhältnissen nach Foucault anschlussfähig.³¹ Für den Diskurs über Armut ist die Reichspoliceyordnung von 1530 Exponent und vor Zu den Begriffen vgl. Robert Jütte: Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit. Städtisches Armenwesen in Frankfurt am Main und Köln. Köln,Wien 1984, S. 331– 345. Subsidiarität: Nur Bettler, die sich nicht selbst versorgen können, werden unterstützt. Individualisierung: Die Bettler werden nicht als Kollektiv behandelt. Indigent: Keine fremden Bettler werden unterstützt (nur als Ausnahme und über einen kurzen Zeitraum). Disziplinierung: Die Rechtmäßigkeit des Almosenanspruchs wird kontinuierlich geprüft, außerdem impliziert der Begriff die Intention, die Armen zu Fleiß, Gehorsam, Demut und Bescheidenheit zu erziehen.  Härter: Policeygesetzgebung, S. 138.  Härter: Policeygesetzgebung, S. 138.  Härter: Policeygesetzgebung, S. 138. Auch Martin Dinges bezweifelt den direkten obrigkeitlichen Einfluss auf eine Durchsetzung einer Sozialdisziplinierung und betont stattdessen die Bedeutung der auf sozialem Kapital beruhenden Selbsthilfestrategien der Betroffenen. Vgl. Martin Dinges: Frühneuzeitliche Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung? Probleme mit einem Konzept. In: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 5 – 29. Zusätzlich hat die veränderte Gesetzgebung auch als symbolische Ordnung (Dispositiv) Gewicht für die Kultur der Frühen Neuzeit.  Alexander Wagner: Armenfürsorge in (Rechts‐)theorie und Rechtsordnungen der frühen Neuzeit. In: Sebastian Schmidt und Jens Aspelmeier (Hg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 2006, S. 21– 59, hier S. 40.  Zu einem System sozialer Kontrolle vgl. und zusammenfassend Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung. Frankfurt a. M. 2011, S. 9 – 11 sowie die Beiträge in Heinz Schilling (Hg.): Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa. Frankfurt a. M. 1999. Zum zweiten Begriff vgl. den SFB 1369 „Vigilanzkulturen: Transformationen. Räume. Techniken“ an der LMU München.  Gerd Schwerhoff: Die „Policey“ im Wirtshaus. Frühneuzeitliche Soziabilität im Spannungsfeld herrschaftlicher Normsetzung und gesellschaftlicher Interaktionspraxen. In: Gert Melville und KarlSiegbert Rehberg (Hg.): Dimensionen institutioneller Macht. Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart. Köln 2012, S. 177– 193, hier S. 179. An dieser Stelle auch weitere Literaturhinweise, v. a. Michael Maset: Zur Relevanz von Michel Foucaults Machtanalyse für kriminalitätshistorische Forschungen. In: Andreas Blauert und Gerd Schwerhoff (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Konstanz 2000, S. 233 – 241.

66

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

läufiger Abschluss eines Wandels, welcher spätestens ab dem 14. Jahrhundert in städtischen Ordnungen greifbar ist (z. B. Nürnberg 1387, Esslingen 1389, Köln 1403, Wien 1442). In der Reichspoliceyordnung heißt es: Item daß auch die oberkeyt versehung thü/ daß eyn jede statt und Cummun ire armen selbst erneren und underhalten/ und imm Reich nit gestattet an eynem jeglichen ort frembde zu bettlen. Und so darüber solche starcke Bettler befunden/ sollen die selbigen vermög der recht oder sunst gebürlich gestrafft werden/ andern zu abschew und exempel/ es were dann sach/ daß eyn Statt oder Ampt also mit vilen armen beladen/ daß sie der ort nit möchten ernert werden/ so soll die oberkeyt die selben armen mit eynem briefflichem schein und urkundt inn eyn ander ampt zu fürdern macht haben.³²

Das Betteln von sogenannten ‚unwürdigen‘ oder ‚starken Bettlern‘ (mendicantes validi), also solchen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten könnten, verbietet das Gesetz generell. Für die anderen ist von Gesetz wegen zu sorgen. Eine institutionalisierte städtische Armenfürsorge wird in die Pflicht genommen, sich um die Bettler zu kümmern. Alle Bettler aber werden aufgrund der Kontrollmechanismen ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und mit einem besonderen Kennzeichen (Bettelmarken) versehen.³³ Das Gesetz erstellt so eine binäre Ordnung zwischen den beiden Typen des ‚wahren‘/‚würdigen‘ und des ‚starken‘/‚unwürdigen‘ Bettlers. Die ganze soziale Gruppe aber muss zur Herstellung dieser Ordnung und zur weiteren Disziplinierung permanent kontrolliert und durch (öffentliche) Kennzeichnung stigmatisiert werden. So bildete sich „in dialektischem Wechselspiel von Armutsrealität und Armutsbewertung das Stereotyp vom lästigen, Furcht einflößenden und unwürdigen Armen“.³⁴ Diese Diskriminierung in der Frühen Neuzeit steht in Opposition zum generell positiven Status des Armen im Gesellschaftsbild des christlichen Mittelalters, respektive verstärkt eine bestehende armutsfeindliche Tendenz, während sie die ältere positive Attribuierung nicht vollends ablöst.³⁵ Denn nach christlichem Selbstverständnis ist der Arme dem Prinzip der caritas folgend wichtig für die Gemeinschaft, da

 Reichspoliceyordnung von 1530 § 34. Zit. nach Matthias Weber: Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Historische Einführung und Edition. Frankfurt a. M. 2002, S. 161. Interessanterweise heben bereits einige Überlieferungsträgern der Reichsabschiede zum Wormser Reichstag von 1495 (aus Nürnberg, Ansbach und Schwerin) die unwürdigen/starken Bettler eigens hervor: Item auch der betler, die vermogent sind, zu gedenken; Reichstagsakten, hg. von Angermeier, Teil 2, S. 1143 (Anm. 2).  Mit den Bettlern wird ähnlich verfahren wie mit anderen gesellschaftlichen Randgruppen, z. B. den ‚Zigeunern‘ (§ 35), den ‚Schalcksnarren‘ (§ 36), den Musikern, Boten und Spielleuten (§ 37 f.).  Gerhard Schäfer: Geschichte der Armut im abendländischen Kulturkreis. In: Ernst-Ulrich Huster, Jürgen Boeckh und Hildegard Mogge-Grotjahn (Hg.): Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. Wiesbaden 22012, S. 257– 278, hier S. 265. Vgl. ebenso Ernst Schubert: Der „starke Bettler“. Das erste Opfer sozialer Typisierung um 1500. In: ZfG 48 (2000), S. 869 – 893.  Durch eine semiasologische Untersuchung des Wortes arm kommt Lobenstein-Reichmann zu dem Ergebnis einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ in der Frühen Neuzeit. Vgl. Anja LobensteinReichmann: Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Berlin 2013, S. 275 – 278.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

67

das Almosen (neben Gebet und Fasten) als eines der drei ‚Werke der Barmherzigkeit‘ oder actus caritatis, misericordia mediante der wichtigen Aufgabe dient, die eigene Nächstenliebe und Anteilnahme zu erproben.³⁶ Durch die Bedeutung des Almosens im Heilsprozess wird dem Bittenden so eine privilegierte Position eingeräumt. Der Almosengeber ist also einerseits vom Bettler ‚abhängig‘, andererseits verfestigt diese „Vertragstheorie“ die Determination der sozialen Hierarchie mit einem subalternen Status des Bettlers.³⁷ Ab dem 12. Jahrhundert (Gerhoch von Reichersberg) etablierte sich eine Binnendifferenzierung der Armen, indem zwischen den pauperes cum Lazaro, also den unfreiwillig Armen, und den pauperes cum Petro, den freiwillig Armen (z. B. Bettelorden) unterschieden wurde.³⁸ Auch wenn diese Gliederung grundsätzlich keine Wertung vornimmt, verstärkte sie doch die Tendenz, dass unfreiwillige Armut mit einem Abfall von Gott erklärt und mit Unmoral oder Dummheit konnotiert wurde – eine Meinung, die mitunter auch die Praxis der Bettelorden diskreditierte.³⁹ Die Bewertung von Armut und Bettelei war in christlich geprägten Gesellschaften schon jeher ambivalent: Zum einen war sie mit negativen Attributen verbunden, indem ‚Armut‘ weniger auf soziale Missstände und Schicksalsschläge, sondern mehr auf geistige, körperliche oder moralische Defizite des Armen zurückgeführt wurde. Zum anderen unterlag Betteln in der mittelalterlichen Gesellschaft als „durchaus legitime Form individueller Reproduktion […] keiner Ächtung“.⁴⁰

 Zitat: Thomas von Aquin: Summa theologica. II 2, q. 32. a. 1. Vgl. dazu Bronisław Geremek: Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa. München 1991, S. 28 f.  Zusammenfassend zur mittelalterlichen Situation vgl. Schäfer: Geschichte der Armut, S. 260 – 265.  Vgl. Anna Lazzarino Del Grosso: Armut und Reichtum in Denken Gerhohs von Reichersberg. München 1973 und Geremek: Geschichte der Armut, S. 35.  Vgl. Jürgen Miethke: Paradiesischer Zustand – Apostolisches Zeitalter – Franziskanische Armut. Religiöses Selbstverständnis, Zeitkritik und Gesellschaftstheorie im 14. Jahrhundert. In: Stephanie Haarländer und Franz J. Felten (Hg.): Vita religiosa im Mittelalter. Berlin 1999, S. 503 – 532 und Michel Mollat: Die Armen im Mittelalter. München 21987, S. 230 – 234.  Christoph Sachße und Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 1: Vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg. Stuttgart 21998, S. 29. Vgl. auch Mollat: Die Armen, S. 10 – 13. Thomas von Aquin problematisiert bereits das Almosen für den Nicht-Bedürftigen. Die ganze 32. quaestio widmet sich der Frage des Almosengebens. Er konzediert als Voraussetzungen für die Gabe einen gewissen Überfluss beim Geber und eine bedrohliche Notlage beim Bittenden. Seien diese Voraussetzungen nicht gegeben, handle es sich beim Almosengeben mehr um einen Rat als um eine Vorschrift: Sic igitur dare eleemosynam de superfluo est in praecepto; et dare eleemosynam ei qui est in extrema necessitate. Alias autem eleemosynam dare est in consilio (Thomas von Aquin. Sum. theol. II 2, q. 32. a. 5). Er schreibt weiter, dass das Almosen nicht zur Verschwendungssucht des Empfängers führen dürfe und situativ anzupassen sei: loquitur de abundantia eleemosynae quae superexcedit necessitatem recipientis, cui non est danda eleemosyna ut inde luxurietur, sed ut inde sustentetur. circa quod tamen est discretio adhibenda propter diversas conditiones hominum (Thomas von Aquin. Sum. theol. II 2, q. 32 a. 10). Schließlich ergänzt Thomas von Aquin ein Zitat von Ambrosius: Consideranda est in largiendo aetas atque debilitas (Thomas von Aquin. Sum. theol. II 2, q. 32 a. 10): ‚Man muss beim Schenken Alter und Gebrechen beachten.‘ Generell ist festzustellen, dass die Tendenz, dass das Almosen nach seiner gesellschaftlichen Nützlichkeit befragt wurde, bei Thomas von Aquin weit weinger augeprägt ist als im frühneuzeitlichen Bettlerdiskurs.

68

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Ab dem 14. und stärker im 15. Jahrhundert nahm im Gefolge des Anstiegs der Massenarmut die negative Konnotation zu und Erklärungen der Armut als moralisches Defizit bekamen einen höheren Stellenwert: „Die religiöse Identifikation der Armen als pauperes Christi wurde verdrängt durch die Figur des hässlichen und kriminellen Armen, der zu einem verbreiteten literarischen Topos avanciert.“⁴¹ Damit wird die Gruppe der Bettelnden noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt.⁴² Dieser Prozess hängt mit einer Melioration des Begriffs und Konzepts ‚Arbeit‘ als Erwirtschaftung des Lebensunterhalts und einer Peiorisierung von ‚Armut‘ zusammen.⁴³ Als Ursachen für Armut werden im Zuge dessen vier Kategorien angeführt: „Mangelnde Arbeitsfähigkeit“, „Mangelndes Arbeitseinkommen“, „Mangelnde Arbeitsgelegenheit“ und „Mangelnder Arbeitswille“.⁴⁴ Während Kategorie eins bis drei auf gesellschaftliche, körperliche oder geistige Zustände zurückgeführt werden, referiert die vierte Kategorie unmissverständlich auf das moralische Defizit des arbeitsscheuen Müßiggängers, welches durch den Topos vom ‚starken Bettler‘ transportiert wird.⁴⁵ Um weitere Gewissheit zu schaffen, dass die Geldspenden an den Richtigen kommen, erließ man Reglementierungen und eine Kennzeichnungspflicht, der neben den Bettlern auch Prostituierte, Kranke und Juden unterzogen wurden.⁴⁶ Diese Ausstattung mit einem vestimentären Symbol ergänzt die Stigmatisierung ⁴⁷ des Bettlers um

 Schäfer: Geschichte der Armut, S. 266.  Zu Randgruppen in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft vgl. Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen 1993, Bernd-Ulrich Hergemöller (Hg.): Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Warendorf 2001, Wolfgang Hartung: Gesellschaftliche Randgruppen im Spätmittelalter. Phänomen und Begriff. In: Bernhard Kirchgässner und Fritz Reuter (Hg.): Städtische Randgruppen und Minderheiten. Sigmaringen 1986, S. 49 – 114 und Robert Scribner: Wie wird man Außenseiter? Ein- und Ausgrenzung im frühneuzeitlichen Deutschland. In: Norbert Fischer und Marion Kobelt-Groch (Hg.): Aussenseiter zwischen Mittelalter und Neuzeit. Leiden, New York 1997, S. 21– 46.  So bekam 2 Thess 3,10 „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“ einen höheren Stellenwert. Weiter ist festzustellen, dass „im Spätmittelalter besonders die bürgerlich-handwerkliche Arbeit in den Städten hoch bewertet und damit die reformatorische Lehre vom Beruf vorbereitet wurde“; Werner Conze: [Art.] Arbeit. In: GG 1. S. 154– 215, hier S. 163. Vgl. weiter Otto Gerhard Oexle: Arbeit, Armut, „Stand“ im Mittelalter. In: Jürgen Kocka, Claus Offe und Beate Redslob (Hg.): Geschichte und Zukunft der Arbeit. Frankfurt a. M. 2000, S. 67– 79, hier S. 76 – 79. Martin Luther beruft sich in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation (1520; WA 6, S. 381– 469) explizit auf die zitierte Stelle aus den Paulusbriefen.  Jütte: Obrigkeitliche Armenfürsorge, S. 13 f.  Zur Typologisierung der ‚starken Bettler‘ vgl. auch Ernst Schubert: „Hausarme Leute“, „starke Bettler“. Einschränkungen und Umformungen des Almosengedankens um 1400 und um 1500. In: Otto Gerhard Oexle (Hg.): Armut im Mittelalter. Ostfildern 2004, S. 283 – 347.  Vgl. Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten, S. 135 und Robert Jütte: Stigma-Symbole. Kleidung als identitätsstiftendes Merkmal bei spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Randgruppen (Juden, Dirnen, Aussätzige, Bettler). In: Saeculum 44 (1993), S. 65 – 89.  „Stigmatisierungen sind semiotische Akte, die einen Einzelmenschen oder eine Gruppe diskriminieren. Das Stigma […] macht die Situation von Individuen oder ganzen Gruppen offensichtlich, die aufgrund gezielter Fremdzuschreibungen von vollständiger sozialer Akzeptierung ausgeschlossen sind

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

69

ein Merkmal materieller Evidenz. Während die zerschlissene, zerlumpte Kleidung des mittelalterlichen Bettlers zu einer „Selbst-Stigmatisierung“ führte,⁴⁸ kennzeichnete die städtische Bettlermarke extern. Entgegen der obrigkeitlichen Intention galt diese aber nicht als „Prestigesymbol“, sondern „ganz im Gegenteil eher als ehr- und rufschädigend“, was zeitgenössische Quellen belegen.⁴⁹ Parallel dazu wurde die Fürsorge für die ‚wahren Armen‘ durch kirchliche und städtische Einrichtungen weiter ausgebaut, wobei mit der disziplinierenden Ordnung Versuche einer Erziehung verbunden waren.⁵⁰ Dieser Prozess ist Teil einer europaweiten Entwicklung, die zum Ende des 16. Jahrhunderts zum ‚großen Einsperren‘ (le grand renfermement)⁵¹ führt und sich schon in der Entstehung der ersten ‚Irrenhäuser‘ (Hamburger Tollkiste 1375) und Frauenhäuser (Luzern 1318, Venedig 1360, Tarascon 1374, Nürnberg 1381) abzeichnet, die sich parallel zur Differenzierung in Kranken-, Siechen-, Waisen-, Zucht‐ und eben auch Armenhäuser und Bettelspitäler ereignet.⁵² Neben der Entwicklung einer spätmittelalterlichen und humanistischen Reformliteratur, die versucht, das Problem durch theoretische Reflexionen und praktische Verbesserungen zu lösen, entwickelte sich eine Reihe, deren Texte in der Forschung als „Bettelordnungen“, „Gilerverzeichnisse“, „Vagantenregister“ oder „Gaunerbüchlein“ bezeichnet wurden.⁵³ Indem sie „einer polizeiliche[n] Logik des Verdachts“⁵⁴ folgend mendicitas (Bettelarmut) und mendacitas (Lügenhaftigkeit) überblenden und eine stig-

(im Zustandspassiv) oder auch (im Handlungspassiv) ausgeschlossen werden“; Anja LobensteinReichmann: Stigma. Semiotik der Diskriminierung. In: Wolf-Andreas Liebert und Horst Schwinn (Hg.): Mit Bezug auf Sprache. Tübingen 2009, S. 249 – 271, hier S. 250. Die Ausführungen beruhen auf der Definition in Erving Goffman: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt a. M. 232016, S. 11– 13.  Jütte: Stigma-Symbole, S. 77.  Jütte: Stigma-Symbole, S. 77– 79, zit. S. 78 f.  Vgl. Karl Otto Scherner: Arme und Bettler in der Rechtstheorie des 17. Jahrhunderts. Der ‚Tractatus de mendicantibus validis‘ des Ahasver Fritsch. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 10 (1988), S. 129 – 150, hier S. 129 f., Hans Scherpner: Theorie der Fürsorge. Göttingen 21974, S. 54– 72. Es ist neben Johann Geiler von Kaysersberg, John Mayor, Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam vor allem der Traktat De subventione pauperum (1526), den der Spanier Juan Luis Vives für die Armenfürsorge in Brügge verfasst hat, zu nennen. Dazu Scherpner: Theorie der Fürsorge, S. 78 f.  Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. M. 1969, S. 68 – 98. Vgl. auch Robert Jütte: Arme, Bettler, Beutelschneider. Eine Sozialgeschichte der Armut in der Frühen Neuzeit. Weimar 2000, S. 224– 236.  Vgl. Wolfgang Reinhard: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie. München 2004, S. 465 – 467.  Vgl. Bernhard D. Haage, Wolfgang Wegner u. a.: Deutsche Fachliteratur der Artes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2007, S. 126 – 129, Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 106 – 117 und Jörg Wesche: Der Narr ist ein Reisender. Frühneuzeitliche Vagantenregister im Gegenlicht der Literaturgeschichte. In: Jörg Wesche, Julia Amslinger und Franz Fromholzer (Hg.): Lose Leute. Figuren, Schauplätze und Künste des Vaganten in der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019, S. 19 – 30. Zur Terminologie vgl. ferner Kapitel 5.1.2.  Roman Widder: Bettler. In: Joseph Vogl und Burkhardt Wolf (Hg.): Handbuch Literatur & Ökonomie. Berlin, Boston 2019, S. 111– 114, hier S. 112.

70

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

matisierende Klassifizierung der sozialen Gruppe vornehmen, betreiben sie eine Praxis sprachlicher Ausgrenzung.⁵⁵ Auch wenn es sich bei diesen Prozessen um ein europaweites Phänomen handelt, hat der Südwesten des deutschsprachigen Raumes als textgeschichtlicher Ursprungsort dieser Art von „Reformliteratur und Armengesetzgebung“⁵⁶ hier einen besonderen Stellenwert. Ein gutes Beispiel dafür bieten die Schrifen des Straßburger Münsterpredigers Johannes Geiler von Kaysersberg, der sich mit dem christlichen Almosengebot,⁵⁷ reformpolitischen Veränderungen (v. a. seine 21 Artikel von 1501)⁵⁸ und der moralischen Narrensatire (Predigten zu Brants Narrenschiff in den Jahren 1498/99)⁵⁹ befasste.

5.1.2 Eine Literaturgeschichte der frühen ‚Gaunerliteratur‘ Vielleicht scheint es überraschend, von einer Justizordnung oder einem kriminologischen Handwerkszeug, welches vorgibt, sein Wissen aus eigener Anschauung erlangt zu haben, eine Literaturgeschichte schreiben zu wollen. Dies bietet sich bei dieser Textform jedoch an. Es ist nämlich anzunehmen, dass sich die sogenannten ‚Bettelordnungen‘ zwar an der empirischen Realität orientieren, diese jedoch nicht ungefiltert wiedergeben. Vielmehr bieten sie Wahrnehmungsmuster, die nur zum Teil aus eigener Anschauung und mehr aus Erfindung und Modellen einer literarisch fixierten

 Vgl. Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 280 – 292.  Franz Irsigler und Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt ; Köln 1300 – 1600. München 122010, S. 56.  In der Christlich Pilgerschaft zum ewigen Vaterland (1500) nennt er Möglichkeiten dafür, in das ewige Leben zu kommen, bildlich als rollwagen […] z dem hymmel, aber [d]ise rollwegen sint dye armen menschen/ die das allmsen heischent. Sichstu uff dise soltu dyn übrig brot/ wyn cleider/ sch/ und andre ding legen deren du nit bedarfft und z vil hest. Diesen ‚rollwegen‘ der würdigen Bettler stellt er die ‚lastwegen‘ der starken Bettler gegenüber. Zit. Johannes Geiler von Kaysersberg: Christlich bilgerschaft zum ewigen vaterland, bearb. von Jacob Otther. Basel: Adam Petri 1512, fol. CXIIIv Sp. 1. Zur Stellung Johannes Geilers von Kaysersberg gegenüber der Armenfürsorge in seinen Predigten vgl. Rita Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 – 1510) und Straßburg. Trier 2005, v. a. S. 570 – 573 und Rita Voltmer: Zwischen polit-theologischen Konzepten, obrigkeitlichen Normsetzungen und städtischem Alltag. Johannes Geiler von Kaysersberg und das Straßburger Fürsorgewesen. In: Sebastian Schmidt und Jens Aspelmeier (Hg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 2006, S. 91– 135, hier S. 113 f.  In dieser Appellschrift an den Straßburger Rat betont er die obrigkeitliche Pflicht der Armensorge und Kontrolle des Bettelwesens (v. a. in Artikel 13) und nimmt sogar eine reichspolitische Ebene ein. Ed. in Johannes Geiler von Kaysersberg: 21 Artikel. In: Sämtliche Werke. Teil 1: Die Deutschen Schriften; Abt. 1: Die zu Geilers Lebzeiten erschienenen Schriften; Bd. 1, hg. von Gerhard Bauer. Berlin, Boston 1989, S. 153 – 200, S. 187. Zu Geiler als Rechtsreformer vgl. Uwe Israel: Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 – 1510). Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer. Berlin 1997 und Voltmer: Ein Prediger und seine Stadt, S. 537– 602.  Vgl. dazu mehr in Kapitel 5.2.2.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

71

Tradition stammen.⁶⁰ Daher spreche ich im Folgenden nur dann von Bettelordnungen, wenn die Texte nachweislich normative juristische Bestimmungen mit bindendem Charakter enthalten. Listen von verschiedenen Erscheinungsformen betrügerischen Bettels, die meist in andere Textzusammenhänge inseriert sind (z. B. Chroniken) werde ich im Folgenden Bettlerkataloge nennen. Die alternative Bezeichnung als ‚Vaganten-, Bettler- oder Gilerverzeichnisse‘ insinuiert dagegen, dass aus eigener Erfahrung das Verhalten empirisch nachweisbarer Personen verzeichnet wird.⁶¹ Bei der dritten Kategorie der kriminologischen Literatur handelt es sich um einen selbständigen Text, der aus einem Bettlerkatalog und (meist) einem Vokabular einer Geheimsprache (z. B. Rotwelsch) besteht und als ‚Gaunerbüchlein‘ bezeichnet wird.⁶²

Frühe Bettlerkataloge Dass eine persönlich-mündliche oder brieflich-schriftliche Kommunikation, wie sie gerade in der respublica litteraria des Humanismus verstärkt gepflegt wurde,⁶³ für die genannten Textsorten kennzeichnend ist, zeigt die Überlieferungssituation der frühen ‚Gaunerliteratur‘. Bereits die rudimentären Bettlerkataloge des 14. Jahrhunderts, meist nicht mehr als amtliche Notizen, kann man in den Kontext eines sozialreformierten Frühhumanismus mit dem Ziel einer rational-ordnenden Durchdringung der Welt stellen: So stehen die Bemerkungen im Achtbuch der Reichsstadt Augsburg zum Jahr 1342 und 1343 in Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen und geistigen Aufschwungs der Stadt im 14. Jahrhunderts.⁶⁴ Auch das Verzeichnis aus dem Notatenbuch Dietmars von Meckebach,⁶⁵ des Kanzlers von Breslau, steht im Kontext frühhuma-

 Vgl. dazu Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 70 – 105, Wolfgang Seidenspinner: Das Janusgesicht der Binnenexoten. Marginalisierte zwischen Verteufelung und utopischem Gegenentwurf. In: Hartmut Lehmann und Anne-Charlott Trepp (Hg.): Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1999, S. 337– 358, hier S. 341 f., Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten, S. 95 und Piero Camporesi: Il Libro dei Vagabondi. Lo „Speculum cerretanorum“ di Teseo Pini, „Il vagabondo“ di Rafaele Frianoro e Altri Testi di „Furfanteria“. Milano 2003, S. 71 f.  Daher wähle ich auch nicht den von Jörg Wesche (2019) vorgeschlagenen Begriff des ‚Vagantenregisters‘ für den Liber Vagatorum, zumal dieser Text über eine bloße Registrierung hinausgeht.  Z. B. Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. Stuttgart 21967, S. 46 f. Die wenig neutrale Bezeichnung deckt sich mit der textimmanenten Bewertung des Gegenstands als deviante ‚Gauner‘. Demnach ist der Ausdruck (in Anführungszeichen) geeignet.  Vgl. die Beiträge in Franz Josef Worstbrock (Hg.): Der Brief im Zeitalter der Renaissance. Weinheim 1983.  Zu Augsburg vgl. Rolf Kießling: Techniktransfer und Wirtschaftsboom in Augsburg/Schwaben im 14. Jahrhundert. In: Martin Kaufhold (Hg.): Augsburg im Mittelalter. Augsburg 2009, S. 36 – 51. Zum Augsburger Gilerverzeichnis vgl. Friedrich Kluge: Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. I. Rotwelsches Quellenbuch. Straßburg 1901, S. 1 f. und Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 107.  Ed. in Kluge: Rotwelsch, S. 2. Ein Zeichen für diese ordnenden Ambitionen in Breslau ist neben dem Verzeichnis des betrügerischen Bettels, dessen Wirkung eher gering blieb, die Statuta physicorum, apothecorum et medicorum von 1352, die erste deutschsprachige Ordnung für die medizinischen

72

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

nistischer Ordnungsbestrebungen. Denn der Verfasser gehört zu den Schülern des Breslauer Domprobsts Johannes von Neumarkt, an dessen Bischofssitz „der gesellschaftliche Kristallisationspunkt gegeben war, um den herum humanistisches Gedankengut sich auszubreiten vermochte“,⁶⁶ zumal dieser in intensivem Briefwechsel mit Francesco Petrarca stand.⁶⁷ Aus gelehrter Korrespondenz und nicht unbedingt nur aus „der hohen Mobilität der fahrenden Leute sowie der heterogenen Zusammensetzung des spätmittelalterlichen Bettler- und Gaunertums“⁶⁸ ist auch diese so früh unikale Präsenz derartiger Texte abseits der südwestlichen Reichsstädte zu erklären.

Die Basler/Straßburger Betrügnisse der Gyler ⁶⁹ Im Südwesten des Reiches, genauer in Straßburg, entstanden die Betrügnisse der Gyler, deren Ursprung die Forschung früher in Basel verortete.⁷⁰ Dieser Bettlerkatalog erreichte im Gegensatz zu den frühen, aber sehr eingeschränkt wirksamen Zeugnissen als Vorlage für den populären Liber Vagatorum eine beträchtliche Strahlkraft. Seine Herkunft aus der elsässischen Reichsstadt ist nicht zufällig. Denn gerade Straßburg zeigt sich mit seiner ersten regulären Bettelordnung um 1464, dem Verzeichnus der mutwillig betler, welches auf Grundlage eines standardisierten Frageschemas 1473 und wieder 1481 die Bettler der Stadt kategorisierte, und die Appellschiften Geilers von Kaysersberg als Vorreiter der Prozesse im Reich.⁷¹

Stände, die vom Hofkaplan und Leibarzt des Herzogs Thomas von Sarepta im Umfeld und vielleicht unter Mitwirkung Dietmars von Meckebach in Breslau verfasst wurde. Vgl. Gundolf Keil: [Art.] Dietmar von Meckebach. In: 2VL 2, Sp. 98 – 100. Zur Medizinalordnung vgl. Karl-Heinz Bartels: Breslauer Medizinal-Statuten aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Breslau 47/48 (2006/2007), S. 11– 26.  Klaus Garber: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole. Köln, Berlin 2014, S. 241.  Zu Johannes von Neumarkt vgl. Joseph Klapper: Johann von Neumarkt, Bischof und Hofkanzler. Religiöse Frührenaissance in Böhmen zur Zeit Kaiser Karls IV. Leipzig 1964 und Ugo Dotti: Petrarch in Bohemia. Culture and Civil Life in the Correspondence Between Petrarch and Johann von Neumarkt. In: Karl A. E. Enenkel und Jan Papy (Hg.): Petrarch and his Readers in the Renaissance. Leiden, Boston 2010, S. 73 – 87.  Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 108 (Anm. 11).  Das Wort giler ist erklärungsbedürftig. Ein geiler oder giler ist im Mittelhochdeutschen (mhd. gîlære) und im Frühneuhochdeutschen entweder ein „Spaßmacher, Witzbold“, ein „Unzucht Treibender, unzüchtiger Mensch“ oder ein „zudringlicher (unverschämter) Bettler“.Vgl. Lexer 1, Sp. 1015 und FWB 6, Sp. 622 f. Die Semantik des ‚Gilerverzeichnisses‘ konzentriert sich auf die dritte Bedeutung. Dass auch der Nachname des Straßburger Predigers Johannes Geiler (gen. von Kaysersberg) mit diesem Ausdruck etymologisch verwandt ist, ist ein Zufall.  Vgl. Rita Voltmer: Die Straßburger Betrügnisse und das Verzeichnis der mutwillig[en] betler. Beobachtungen zum städtischen Armen- und Bettlerwesen im 15. Jahrhundert. In: Angela Giebmeyer und Helga Schnabel-Schüle (Hg.): „Das Wichtigste ist der Mensch“. Mainz 2000, S. 501– 532, hier S. 507 f. Ed. in Kluge: Rotwelsch, S. 8 – 16.  Vgl. Voltmer: Straßburger Betrügnisse, S. 520 und allgemein S. 511 f.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

73

Die Textgeschichte der Betrügnisse demonstriert auch, dass Bettlerkataloge Gegenstand interstädtischer Kommunikation waren. Aus einem Brief vom 28. Juli 1410 geht nämlich Folgendes hervor: Der Bürgermeister von Basel habe diesen (oder einen ähnlichen) ‚Gilerkatalog‘ von der Straßburger Bürgerschaft erhalten und schicke ihn nun an die befreundeten Eidgenossen in Bern weiter: Wir sendent üch ouch der gyleren ufsätz, damitte si der welte ir gelt abtriegent, verschrieben als uns daz unser lieben fründ und eitgenossen die von Straßburg ouch in geschrift geschikt hand, umb daz ir üch vor ihrem betriegen dest baß gehülfen könnent.⁷²

Das angefügte Schriftstück sollte als Muster für kriminalistisches Vorgehen dienen, prägte jedoch auch das Gesellschaftsbild der Adressaten. Da es nämlich unwahrscheinlich ist, dass identische Erfahrungen in Straßburg und Basel gemacht wurden, sind als Grundlage des Verzeichnisses nicht empirische Autopsie in Basel oder Straßburg, sondern vielmehr zirkulierende schriftlich fixierte Muster anzunehmen. Während in Bern das erwähnte Schriftstück verloren ist, blieb die Straßburger Version erhalten, wenn auch nicht in der Urfassung, welche vor 1410 entstanden sein muss, sondern als Abschrift in einem anderen Kontext, welche um 1474 in eine Sammlung Straßburger Rechtsdokumente (Kodifikationen, Privilegien) inseriert wurde.⁷³ Auch in den Basler Überlieferungsträgern von der Mitte des 15. Jahrhunderts ist der Text ein Teil oder Inserat juristischer Schriften.⁷⁴ Daraus ergibt sich der interessante Befund,

 Basler Staatsarchiv, Missiven I, 101, zit. nach Voltmer: Straßburger Betrügnisse, S. 507 (Anm. 25). Zuerst zitiert bei John Meier: Gaunersprachliches. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 14 (1910), S. 246– 247, hier S. 247, fotografischer Abdruck bei Peter Assion: Matthias Hütlin und sein Gaunerbüchlein, der ‚Liber Vagatorum‘. In: Alemannisches Jahrbuch (1971/1972), S. 74– 92, hier S. 77.  Dieser Text in einer Handschrift der Bibliotèque national et régionale Strasbourg (MS 626, fol. 91v– 98v) wurde lange nicht beachtet. Stattdessen wurde nur auf den Druck von 1749 verwiesen: J. Heumann von Teutschenbrunn: Observatio de lingua occulta. In: Exercitationes iuris universi, praecipue germanici. Bd. 1. Altdorf: Johannes Adam Hesselius 1749, S. 163 – 183, zit. S. 173: Dabimus specimina ex Codice quodam initio Seculi XV manu exarato, nunc Illustr. D. Hieron. Cvil. Ebneri, primarii inclutae reipublicae Noricae moderationis, toti literatorum choro uenerabilis, bibliothecae magnificae addicto, quo inter alia Argentoratensia, ius feudale Alemannicum continetur. Mit diesen Aussagen bezieht sich Heumann von Teutschenbrunn auf die berühmte Nürnberger Privatbibliothek Bibliotheca Ebneriana, welche Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach (1673 – 1752) anlegte und die zu Beginn des 19. Jahrhunderts verkauft wurde. Die Straßburger Betrügnisse finden sich wahrscheinlich in der Nummer 74 des Auktionskatalogs: „Die Uffsatzungen der Brieff und Recht der Statt Strassburg etc. 1470“. Catalogus Bibliothecae numerosae ab incluti nominis viro Hieronymo Guilielmo Ebnero ab Eschenbach. Nürnberg: Bieling 1812. Bd. 1., S. 10. Die Handschrift ist weiter beim Käufer Friedrich Cropp (1790 – 1832) aus Lübeck nachgewiesen. Aus dessen Besitz ging sie auf August Ludwig Reyscher (1802– 1880) in Tübingen über, der sie der Universitätsbibliothek Straßburg geschenkt hat. Vgl. dazu Ernest Wickersheimer: Documents pour Servir à l’Histoire de la Police de la Mendicité à Strasbourg à la Fin du Moyen Âge. In: Bulletin philologique et historique (jusqu’à 1715) du comité des travaux historiques et scientifiques (1921), S. 143 – 151, hier S. 150 f.  So findet sich der Text in einer Sammlung von Ordnungen und Verträgen des Basler Ratsschreiber Johannes Zwinger (um 1430/1444) und als Anhang zur Gerichtsordnung von 1457 in einer Handschrift

74

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

dass der Bettlerkatalog durchaus als valides Rechtsdokument angesehen und vielleicht in praktischer Rechtsprechung verwendet wurde, um Betrüger zu überführen. Andererseits findet sich der Text im Diarium (1473 – 1479), einer Stadtchronik des Notars der 1460 neugegründeten Universität Basel Johannes Knebel. Dieser gliedert den deutschsprachigen Bettlerkatalog in sein ansonsten lateinisches Geschichtswerk im Rahmen der Geschehnisse zum Ende der Burgunderkriege ein – ohne auf inhaltliche Kohärenz mit dem vorgehenden Kotext zu achten. Er leitet vom lateinischen Bericht über die Reichsversammlung in Würzburg am 6. Januar 1479 unvermittelt in deutsche Sprache über: Z den zyten giengent vil bben im land umb und betteletend und muͤ rtend vil luten. deren wurdent etlich gefangen, die seitend underscheid der bben und wenn sy zsammen komend, wie sy hiessent, gabend sy in Rotwelsch für, als hienoch stot. ⁷⁵

Die Passage dient hier eher der (gegenwartsanalytischen) Information. Der unvermittelte Wechsel im Sprachregister macht aber offensichtlich, dass er sich einer Vorlage bedient hat. Der Bettlerkatalog beginnt sich durch die Aufnahme in andere Textformen vom juristischen Kontext im engeren Sinne zu lösen. Auch wenn eine Chronik des 15. Jahrhunderts nicht als autonomer literarischer Text zu verstehen ist, zeigt die pragmatische Eingliederung in den differenten Zusammenhang doch einen ersten Schritt zur allgemeinen Verfügbarkeit der Textsorte. Keine direkte Übernahme aus den Straßburger Betrügnissen, aber zumindest ein Beleg für die Textform des Bettlerkatalogs mit rotwelschem Vocabularium findet sich auch in einer Zürcher Sammelhandschrift des Ratsherrn und Chronisten Gerold Edlibach aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (zwischen 1464 und 1493).⁷⁶ Es ist sehr

vom Ende des 15. Jahrhunderts. Zu den einzelnen Textzeugen vgl. Kluge: Rotwelsch, S. 9 und Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 108 f. Bei vielen Registern fehlt die Handschrift Darmstadt, ULB 3719 (Ende 15. Jahrhundert), welche von einer Sammelhandschrift oder einem Druck abgelöst wurde. Vgl. Kurt Hans Staub und Thomas Sänger: Deutsche und niederländische Handschriften. Mit Ausnahme der Gebetbuchhandschriften. Wiesbaden 1991, S. 153 (Nr. 107).  Johannis Knebel Capellani Ecclesiae Basiliensis Diarium. Juni 1476–Juli 1479, hg. von Wilhelm Vischer und Heinrich Boos. Leipzig 1887, S. 226. Das Gilerverzeichnis ist gesondert als Beilage XX: (Bericht über das Rotwelsch von Albert Socin S. 556 – 567) abgedruckt.  Zur Frühdatierung auf 1464 vgl. Martina Backes und Jürgen Geiß: Zwei neue Fragmente des ‚Schachzabelbuchs‘ Konrads von Ammenhausen. Mit einer revidierten Liste der Textzeugen. In: ZfdA 125 (1996), S. 419 – 447, hier S. 437. Dieser Abfassungszeitpunkt der Handschrift (Zürich, Staatsarchiv, W I 3.21) durch Gerold Edlibach ist bei einer Datierung seiner Geburt auf 1454 sehr unwahrscheinlich.Vgl. Fritz Büsser: [Art.] Edlibach, Gerold. In: NDB 4, S. S. 315. Kluge: Rotwelsch, S. 19 datiert das Vocabularium auf ca. 1490. Die Handschrift enthält neben dem Vocabularium noch eine Version des Schachzabelbuches Konrads von Ammenhausen, Melibeus et Prudentis des Albertanus von Brescia, eine Nativität und ein Wappenbuch. Vgl. Karl August Barack: Die Handschriften der Fürstlich-Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen. Tübingen 1865 Nr. 98, S. 93 – 95 (als Donaueschingen Cod. 98) sowie Backes/Geiß: Fragmente, S. 437 f.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

75

wahrscheinlich, dass der Anstoß für die Aufnahme dieses fickabel des rotwelschtz ⁷⁷ ebenfalls durch Kontakt mit den benachbarten Städten Basel, Bern oder Straßburg entstanden ist.

Quaestio quodlibetica und die Chronik des Matthias von Kemnat in Heidelberg Eine andere Traditionslinie dieser Betrügnisse der Gyler führt nach Heidelberg zu Pfalzgraf Friedrich I., dessen Hof und Universität im 15. Jahrhundert zu einem Zentrum des deutschen Humanismus wurden.⁷⁸ Hier findet sich eine Scherzrede, die als eine von drei quaestiones minus principales im Sommer 1458 unter der Leitung von Magister Peter Krebs von Sesslach gehalten wurde und im Cod. pal. lat. 870 überliefert ist:⁷⁹ Die beiden ersten Reden haben den Umgang mit Häretikern zum Thema (De beghardis et peginis), wobei die zweite Rede nicht ganz ausgeführt ist (fol. 144v–147v), die dritte Rede aber ist mit de validis mendicantibus diripientibus sub spem pietatis et religionis (fol. 148r–154r) überschrieben und im Gegensatz zu den anderen Reden mit dem rubrizierten Marginalkommentar quaestio bona versehen (fol. 148r). Bei diesen Scherzreden handelt es sich um die ältesten Beispiel einer literarischen Reihe, deren institutioneller Ort im Rahmen der oft mehrtägigen quaestiones quodlibeticae liegt. Bei diesen Veranstaltungen musste ein Magister zu einem frei gewählten Thema sprechen, während ein Kollege als Quodlibetar dessen Disputationen widerlegen musste. Diese Form der universitären Veranstaltung ist vor allem für die Universitäten Leipzig und Tübingen, aber auch für Prag, Wien, Erfurt, Heidelberg und Köln nachgewiesen.⁸⁰ Vielleicht um diese langwierigen Veranstaltungen für die Zuhörer interessanter zu machen,⁸¹ wurden dieser Art öffentlicher Rede besondere Lizenzen zugebilligt; zum einen Lizenzen einer gewissen moralischen Offenheit – eine Bestimmung der Universität Köln setzte nur voraus, dass Ernstes mit sittlich anständigen Scherzen zu mischen sei (seriis ioca misceantur honesta) – zum anderen Lizenzen der Fiktionalität, was schon an der Selbstbezeichnung als quaestiones fabulosae deutlich wird.⁸² Dass diese literarische Reihe nur von 1450 bis 1530 nachzuvollziehen ist, liegt nach Johannes Klaus Kipf zum einen an der genuin mündlichen Konzeption, welche eine

 Kluge: Rotwelsch, S. 19.  Vgl. Jan-Dirk Müller: Der siegreiche Fürst im Entwurf der Gelehrten. Zu den Anfängen eines höfischen Humanismus in Heidelberg. In: August Buck (Hg.): Höfischer Humanismus. Weinheim 1989, S. 17– 50  Rom, BAV, Cod. pal. lat. 870 fol. 144v–154r. Vgl. Johannes Klaus Kipf: Ludus philosophicus. Zum medialen Status der akademischen Scherzreden des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Ursula Kundert und Marion Gindhart (Hg.): Disputatio 1200 – 1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur. Berlin, New York 2010, S. 203 – 230, hier S. 225 f.  Vgl. Erich Kleinschmidt: Scherzrede und Narrenthematik im Heidelberger Humanistenkreis um 1500. Mit der Edition zweier Scherzreden des Jodocus Gallus und dem Narrenbrief des Johanes Renatus. In: Euphorion 71 (1977), S. 47– 81, hier S. 47.  Dieses Argument wird angeführt in Kleinschmidt: Scherzrede, S. 47 f.  Vgl. Kipf: Ludus philosophicus, S. 204– 206.

76

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Verschriftung lange im Wege stand, zum anderen an den veränderten Rahmenbedingungen nach Reformation und humanistischer Reform der Universitäten, welche der Aufführungssituation Mitte des 16. Jahrhunderts die Basis entzogen habe.⁸³ Dass die beiden Heidelberger quaestiones im Cod. pal. lat. 870 aufgezeichnet wurden, ist weniger „der Dokumentation literarischen Schaffens, sondern der Sachinformation über die Themen der quaestiones“⁸⁴ geschuldet. So steht die lateinische Scherzrede in einem Faszikel, in welchem vor allem juristische und theologische Traktate/Arbeitshilfen zusammengefasst sind⁸⁵ wie bereits im Überlieferungszusammenhang des Basler Bettlerkatalogs. Weiter wird der Charakter der Sachinformation dadurch evident, dass der durch Vermerk nachweisliche Besitzer der Handschrift Matthias von Kemnat diese auch als Quelle für seine Pfälzer Chronik von 1475 nutzte.⁸⁶ Er inseriert den Katalog in die Kölner Stiftsfehde und schließt die Passage unmittelbar an den Tod Adolfs von Nassau, des Erzbischofs von Mainz, an: Furbas wil ich hie sagen von einem besondern volck vnd seckt, die dan gewonlich zu meiner zeit regiert hait in besunder bosheit, der mir mancher bekant ist gewesen vnd haben ein besonder willen vnd lust, dauon zu schreiben, das volck daruor zu warnen⁸⁷

Dabei übernimmt der Chronist nicht nur den Aufbau und die Kategorien der beiden Scherzreden, sondern auch die vereinzelten deutschen Passagen.⁸⁸ Interessant ist beim Gaunerkatalog Matthias’ von Kemnat weiter die Positionierung in einem Exkurs, in dem er soziales und religiöses Fehlverhalten verschränkt. So setzt er die Delinquenz der betrügerischen Bettler mit Andersgläubigen gleich – neben den Lollarden, Begarden und Hussiten stereotypisierend auch Juden und Hexen.⁸⁹ Damit erreicht er mithilfe von Generalisierung und Diskreditierung eine adhortative Warnung gegenüber diesen sozial ausgegrenzten Personengruppen. Die Verbindung der Ketzer- mit der Bettlerthematik liegt bereits Matthias’ Quelle, den quaestiones, zugrunde. Doch er verallgemeinert und steigert die Aussagen. Als Beispiel dafür, was

 Vgl. Kipf: Ludus philosophicus, S. 228 f.  Kipf: Ludus philosophicus, S. 228.  Zur Handschrift vgl. Birgit Studt: Fürstenhof und Geschichte. Legitimation durch Überlieferung. Köln 1992, S. 25 – 27. Der zweite Faszikel der Handschrift, in welchem Reden und Schriften des Heidelberger Humanistenkreises zusammengefasst sind, hebt sich paläographisch und inhaltlich deutlich von dem ersten ab.  Vgl. Studt: Fürstenhof, S. 339 – 341.  Matthias von Kemnat: Chronik Friedrich I. des Siegreichen. In: Quellen zur Geschichte Friedrich’s des Siegreichen. Erster Band, hg. von Conrad Hofmann. München 1862, S. 1– 142, hier S. 101.  Als Beispiel soll nur eine Textstelle in der Einleitung dienen, welche das Bibelwort (Mt 23,28) abwandelnd in der Scherzrede den ‚Starken Bettlern‘ in den Mund legt: Zwar ich pin kein gleyßner dann ich pin Inwendig als posse als aussen (Cod. pal. lat. 870, fol. 148r). Diese Aussage greift Matthias von Kemnat auf, indem er schreibt: Die sect treib kein glissnerei, dan sie sint inwendig als bosse als auswendig; Matthias von Kemnat: Chronik, S. 101.  Matthias von Kemnat: Chronik, S. 109 – 119 (Häretiker), S. 119 – 126 (Juden) und S. 113 – 117 (Hexen).

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

77

vnmeslicher grosser bosheit, schalckheit, buberei die Beckgart vnd Lolhart treiben ⁹⁰ führt er die Erzählung von einem Cambisirer oder Glatten ⁹¹ an, welchen der vorgehende Exkurs explizit als eine Gaunerkategorie nannte. Die pragmatische Anwendbarkeit ist in der Chronik also erweitert; das Werkzeug für die unmittelbare Arbeit der Exekutive (Stadtbüttel, Richter etc.) erhält eine allgemeinere, den Diskurs abbildende, jedoch auch prägende Dimension, indem sie Argumentationsmuster für jeden Rezipienten bereitstellt. Dabei schreibt sie sich in aktuelle reichspolitische Diskussionen ein. Diese Aufgabe der Chronistik ist vor allem in einer Zeit, in der eine weitere Säkularisierung und Ablösung von einer heilsgeschichtlichen Universalgeschichte festzustellen ist, umso brisanter.⁹²

Das Speculum Cerretanorum des Teseo Pini Beim ersten Text im Untersuchungszusammenhang, der eigenständig, also nicht als Inserat konzipiert ist, handelt es sich um das Speculum Cerretanorum, welches vom Italiener Teseo Pini 1484/86 abgefasst wurde. Pini ist in den Archiven nicht zu finden.⁹³ Es ist nur bekannt, dass er der Onkel von Polydor Vergil ist, des berühmten Humanisten und Verfassers der Abhandlung De rerum inventoribus (1499/1521). Außerdem nennt er sich in der Widmungsvorrede den Vikar des Bischofs von Fossombrone Girolamo Santucci, in dessen Besitz auch ein Tratato contra ceretanos domini thesej de Urbino verzeichnet ist.⁹⁴ Dieser Bischof reiste als Legat von Papst Sixtus IV. ab 1473 nach Köln, wobei ihn seine Reiseroute über Florenz, Bologna und Mailand auch in die Städte Basel und Straßburg führte. Dort lernten der Bischof und sein Vikar Pini vielleicht die Praxis der verschriftlichten Bettlerkataloge kennen,⁹⁵ fällt doch die Rückkehr der Gesandtschaft mit dem Entstehen des Speculum Cerretanorum zusammen. Dabei handelt es sich um das umfangreichste überlieferte ‚Gaunerbüchlein‘ mit 39 Kategorien, vielen Anekdoten und einer Wortliste der italienischen Gaunersprache Gergo. Obwohl ein direkter Bezug auf die Betrügnisse aufgrund der inhaltlichen Eigenständigkeit des Speculum Cerretanorum unwahrscheinlich ist, folge ich dennoch John Considine in seiner Annahme: „[I]t is almost certain that it was inspired by the knowledge of the very similarly structured ‚Basler Betrügnisse‘“.⁹⁶

 Matthias von Kemnat: Chronik, S. 109.  Matthias von Kemnat: Chronik, S. 109. Zu dieser Erzählung mehr in Kapitel 5.1.4.  Vgl. dazu und den Funktionen der Chronik allgemein Studt: Fürstenhof, S. 372 f.  Camporesi: Vagabondi, S. 150 – 152.  Camporesi: Vagabondi, S. 155. Die Meinung in Heiner Boehncke: Die Austreibung der Fahrenden. Geschichten eines Gaunerbuchs. In: Heiner Boehncke und Rolf Johannsmeier (Hg.): Das Buch der Vaganten. Spieler, Huren, Leutbetrüger. Köln 1987, S. 43 – 78, hier S. 56, dass der Bischof den Traktat verfasst habe, welchen Pini dann überarbeitet habe, ist falsch und beruht wohl auf einem Übersetzungsfehler.  Zur Reiseroute vgl. John P. Considine: Small Dictionaries and Curiosity. Lexicography and Fieldwork in Post-medieval Europe. Oxford, New York 2017, S. 44.  Considine: Dictionaries, S. 44 f.

78

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Considine geht weiter davon aus, dass Pini den Katalog nicht in einem offiziellen Dokument gesehen hat, sondern dass dieser in Basel und Umgebung als „curious text“⁹⁷ bereits in den 1470ern allgemein zirkulierte, wofür dieses Kapitel einige weitere Anhaltspunkte bietet. Struktur und Faktur von Pinis Speculum sind weitaus elaborierter als die zeitgleich in den Reichsstädten des deutschen Südwestens geschriebenen Texte. Sie erinnern mehr an den Liber Vagatorum und übertreffen diesen sogar an rhetorischer Finesse und Komplexität. Das Speculum beginnt mit einer Verteidigung des Unterfangens, schreitet fort mit der Darlegung des Gegenstandes mit Schwerpunkt auf den Ursprung von Wort und Phänomen der Cerretani und handelt dann mit illustrierenden Beispielen die verschiedenen Erscheinungsformen der Bettler ab. Der Text schließt mit einer Vokabelliste des Gergo. Der Aufbau folgt ausdrücklich rhetorischen Normen, was er in der Einleitung mit explizitem Verweis auf Cicero (De Oratore I, 189/Orator 116) deutlich macht: Veniam igiur ad explanationem rei, quam aggressus sum, quia ut inquit Cicero, omnis quae de aliqua re suscipitur disputatio, debet a diffinitione proficisci, ut intelligatur de quo disputatur.⁹⁸

Am Ende nimmt er diese luzide rhetorische Strukturierung seiner Untersuchung wieder auf, um auf die Wörterliste der Geheimsprache überzuleiten: Dicto igitur de cerretanorum origine, diffinitione deductioneque nominum, ac de specierum exemplis artibusque quibus homines imperitos decipiunt, dicendum profecto videtur de eorum idiomate et dictionibus, quibus loquendo utuntur ad fallendum.⁹⁹

Auch wenn die – weitgehend auf etymologischen Erklärungen basierende – Erläuterung der ‚historischen‘ Ursprünge der Cerretani (S. 189 – 191) wie auch die Liste der einzelnen Erscheinungsformen (S. 191– 240) und das Vocabularium (S. 241– 256)¹⁰⁰

 Considine: Dictionaries, S. 45.  Camporesi: Vagabondi, S. 189; Übers. P. R.: ‚Ich will also zur Darstellung des Sachverhalts übergehen, den ich in Angriff nahm, weil ja gemäß Cicero jede Diskussion über einen Sachverhalt von der Abgrenzung (Definition) ausgehen soll, damit man verstehen kann, worüber gesprochen wird.‘  Camporesi: Vagabondi, S. 240; Übers. P. R.: ‚Nachdem ich also vom Ursprung der Cerretani, ihrer Wesensbestimmung und der Ableitung der Namen sowie über Beispiele der Erscheinungsformen und ihrer Künste, mit denen sie die unerfahrenen Menschen täuschen, gesprochen habe, scheint es in der Tat nötig, über deren Sprache und Ausdrucksweisen zu sprechen, die sie nutzen, um durch ihre Worte zu täuschen.‘  Considine fügt an, es handle sich bei dieser Vokabelliste womöglich um „the first example of a European compiler making a wordlist of more than a hundred items simply because he was carried away by interest in a language variety of which he believed the records to be sparse or non-existent“; Considine: Dictionaries, S. 46. Damit deckt sich die Intention Pinis mit dem ältesten Beleg des Kryptolekts Gergo, der sich in den Gedichten und einem Brief des Luigi Pulci an Lorenzo de’ Medici von 1466 findet. Der große Unterschied zu den anderen Wortlisten, die der Unterdrückung der Vagabunden dienten, ist der, dass die Behandlung bei Pulci dem literarisch-gebildeten Habitus einer sozial hoch-

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

79

hier nicht en detail dargestellt werden können, lohnt sich doch ein genauerer Blick auf die Einleitung der Abhandlung, welche die bisherigen Forschung nur marginal untersuchte: Nach einer ehrenden Dedikation an den höherstehenden Adressaten weist er darauf hin, dass es nötig sei, immer wieder Neues zu lernen: Quoniam, R[everenda] D[ominatio], omnia discere licet propter scire ut boni probique homines ab improborum deceptionibus et hypocrisi se tueri valeant. ¹⁰¹ Dafür nennt er einige Beispiele (Plato, Apollonios von Tyana, Moses, Daniel), die alle gemeinsam hätten, dass sie neues Wissen durch Reisen in die Ferne erworben und in der Heimat ausgebaut hätten. Dieser Einstieg könnte als Referenz auf die eigene biographische Situation des Autors gelesen werden, wenn man davon ausgeht, dass er den Impuls für das Abfassen seiner Schrift erlangte, als er im Gefolge des Bischofs Santucci nach Deutschland reiste und zirkulierende Bettlerkataloge kennenlernte. Als Argument für die Notwendigkeit des Dazulernens dient ihm die Bibelstelle Ex 12,35 f., die er allegorisch auslegt: Legitur etiam quod praecipit Dominus filiis Israel ut spoliarent Aegyptios omni auro et argento, allegorice docens ut sive aurum sapientiae, sive argentum eloquentiae, inventa in poetarum fabulis et finctionibus ad usum salubris nostrae doctrinae, vertere niterentur. Legunt quidam seculares litteras ad poetarum voluptatem figmentis [et] verborum ornatu delectati; quidam vero ad illustrandam mentem discunt, ut gentilium errores legendo detestentur et utilia, quae in eis inveniunt, tanquam rosas ex sentibus ad usum sacrae eruditionis devoti vertant.¹⁰²

Pini benutzt dezidiert literarisches Vokabular, wenn er betont, dass auch die weltlichen Geschichten und Erfindungen der Dichter einen Beitrag am Heilsgeschehen leisten, sofern man sie nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Unterweisung liest. Dieser Gestus des Lernens aus den inventa in poetarum fabulis et finctionibus steht in doppelter Weise zum einen für die Textintention, zum anderen für den Text selbst. Denn das Speculum Cerretanorum soll die Erfindungen und Täuschungen der Bettler ans Licht führen und daraus Lehren ziehen, damit die Menschen nicht mehr auf die Tricks der Cerretani hereinfallen. Andererseits ist diese prononcierte Stellung ein Indiz dafür, dass die Darstellung und die Liste der Bettler nicht nur aus eigener Anschauung resultierten, sondern auch aus dichterischen Erfindungen; diesen wird

stehenden Elite entstammt und dementsprechend mit dem Kryptolekt verfährt. Vgl. Considine: Dictionaries, S. 43 f.  Camporesi: Vagabondi, S. 185; Übers. P. R.: ‚Da Eure Exzellenz ja alles darüber wissen sollten, wie gute und redliche Menschen sich vor den Täuschungen und Verstellungen Unredlicher zu schützen vermögen…‘  Camporesi: Vagabondi, S. 186; Übers. P. R. ‚Man kann auch lesen, dass der Herr den Söhnen Israels vorschrieb, dass sie den Ägyptern alles Gold und Silber rauben sollen. Darin liegt die allegorische Lehre, dass das Gold der Weisheit wie auch das Silber der Beredsamkeit, sei es auch durch Geschichten und Geistesgebilde der Dichter erfunden, zum Nutzen unserer heilbringenden Lehre drängt. Manche lesen weltliche Schriften, um von den Erfindungen der Dichter und dem Schmuck der Worte belustigt und erfreut zu werden; manche aber lernen zum Erhellen des Geistes, um die Fehler der Väter durch die Lektüre zu vermeiden und – zum Nutzen gesegneter Bildung – Brauchbares, was sie darin finden, wie Rosen aus den Dornen zu winden.‘

80

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

durch die biblische Legitimation ebenso der Anspruch zugebilligt, einen Anteil am sozialen und religiösen Wohlergehen zu leisten. Er rechtfertigt also die Beschäftigung mit den Fiktionen der Betrüger, gleichzeitig aber die Fiktionen der Darstellung, da sie einem höheren Zweck folgen. Auf die Einleitung folgt ein (wohl erfundener) Dialog des Erzählers mit einem Rechtsgelehrten namens Johannes Grandis aus Spoleto. Dieser habe sich vor seiner akademischen Karriere selbst den Cerretani, die als subversive Subkultur dargestellt werden, angeschlossen, jedoch weniger aus finanziellen Nöten, sondern aus Spaß. Im Gottesdienst (d. h. im Broterwerb durch betrügerischen Bettel) sei er schließlich so erfolgreich gewesen, dass man sogar versucht hätte, ihn abzuwerben, indem man ihm das fürstliche Salär von hundert Gulden (wohl floreni aurei) in Aussicht stellte.¹⁰³ Im folgenden Gespräch, in welchem der gelehrte Spoletaner Scipio einen besonders großen Redeanteil hat, differenziert er verschiedene Arten von Bettlern. Dabei hebt er die Bettler hervor, die unter der Schirmherrschaft der Gottesliebe (sub scuto amoris Dei) bettelten und auch täuschten. Deren Betrug sei legitim, da der Schaden, wenn man diesen gebe, aus der Leichtgläubigkeit der Geber resultiere: Nam illa credulitas […] forte ex debilitate processit ingenii. ¹⁰⁴ Anders verhalte es sich bei den Cerretani, die rücksichtslos bettelten, was der Anwendung von Gewalt gleichkomme und so aus dem Almosen des Gebers die Beute des Bittenden mache: Nam qui importune petit, quasi vim inferre videtur. Igitur quod vi datum est, non beneficium sed praedam puto. ¹⁰⁵

 Camporesi: Vagabondi, S. 187: sciscitans a quodam legum interprete Ioanne cive Spoletano, cognomento Grandi, qui, ut asserit, cum illis turpissimam artem, non ad quaestum se ad risum bis in perusino agro, dum studio legum fuerat emancipatus, antequam ad doctoratus honorem fuisset evectus, exercuit, et saepe ab illis, tamquam idoneus et facilis ad decipiendum requiritur, ut cum eis velit sese ad remotas mundi partes ad sanctuariam exercendam, hoc est ad quaestuarium usum, conferre: nec veriti sunt sibi promittere mille aureos ex annuo quaestu. Tanti enim faciunt acumen ingenii ipsius, linguaeque dexteritatem. Übers P. R.: ‚Ich erlangte das Wissen von einem gewissen Ausleger der Gesetze Johannes, einem Bürger von Spoleto, mit dem Beinamen Grandis. Dieser übte, wie er behauptet, mit jenen [den Cerretani] die äußerst schändliche Kunst nicht zum Broterwerb, sondern aus Spaß zweimal im Gebiet um Perugia aus, sobald er vom Studium der Gesetze ledig und bevor er zu den Ehren des Doktorats emporgestiegen war. Er wurde von jenen häufig angefragt – weil er angeblich geeignet wäre und ihm das Täuschen leichtfalle –, dass er sich mit ihnen zu den entfernten Teilen der Welt begebe, um den Gottesdienst zu feiern; das heißt, um Geld zu verdienen: und sie scheuten sich nicht, ihm tausend Goldstücke als Jahresverdienst zu versprechen. So viel nämlich bringen die Schärfe seines Verstandes und seine Redegewandtheit ein.‘  Camporesi: Vagabondi, S. 188.  Camporesi: Vagabondi, S. 188; Übers. P. R.: ‚Denn wer unredlich bittet, scheint gleichsam Gewalt anzuwenden. Was aber unter Gewalteinwirkung gegeben wurde, halte ich nicht für eine wohltätige Gabe, sondern für Diebesgut.‘

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

81

Um diesen Verbrechern Herr zu werden, habe Teseo Pini sein Werk verfasst; er wolle nämlich den einfachen Menschen (er nennt mulierculis und rusticanis […] viris)¹⁰⁶ ein Beispiel und einen Handlungsleitfaden geben. Daneben soll die Schrift jedoch noch einen anderen Zweck erfüllen: Scripsi etiam ut R[everenda] D[ominatio] T[ua], otii tempore, quiescente animo, dum a sacrarum divinarumque litterarum (cura) vacat, habeat fabellam immo historiam, et, ut verius dicam, scientiam quae inventoris ingenio omnium artium magistros superat et vincit, et animum a curis levare poterit.¹⁰⁷

Diese Textstelle verdeutlicht den hybriden Charakter dieser Textform, nämlich einerseits als unterhaltsame Erzählung (fabella) für die Mußestunden (otii tempore), andererseits als Text mit einem gewissen Wahrheitsanspruch (historia) und sogar als Wissensträger (scientia), der mit den Texten der magistri artium liberalium konkurriert. Schließlich soll die Schrift von Sorgen befreien, sei es durch sozialreformatorische Verbesserungsvorschläge oder durch die Entlastung bei der Lektüre der scherzhaften Erzählungen.¹⁰⁸ Dieser hybriden Intention entspricht auch die Darstellung der einzelnen species mit ihren zahlreichen Beispielen mitunter novellistischen Charakters. Augenfällig ist die häufige Bezeichnung der Tätigkeit der Bettler als ars; diese wird einerseits beschrieben mit dem Wunsch, den Rezipienten über heimtückische Machenschaften aufzuklären, andererseits mit einer gewissen Faszination über den Gegenstand. In der Konklusion nach dem Bettlerkatalog betont der Verfasser in einer Ansprache an den Adressaten, dass die Zahl der Betrugsformen eigentlich unendlich sei und ständig neue Formen ‚ausschlüpfen‘ könnten: Licet, Reverenda Dominatio, ars profunda sit, et multae potuissent species addi, cum innumerae sint fallaciae, tamen quae de novo invenientur uni istarum poterunt adhaerere, veluti pulli trepiduli, qui sub gallinae alis foventur et calefiunt; ne in longiorem prorumpam dicendi materiam, cui forte carta non sufficeret, his quadraginta specibus fallendi contenti sumus.¹⁰⁹

 Camporesi: Vagabondi, S. 189.  Camporesi: Vagabondi, S. 189; Übers. und Herv. P. R.: ‚Ich habe die Schrift auch verfasst, damit Eure Exzellenz in der Zeit der Muße und in Phasen geistiger Erholung, wenn Ihr euch gerade nicht mit den heiligen und göttlichen Schriften befasst, eine kleine Erzählung oder vielmehr Geschichte habt, und, um die ganze Wahrheit zu sagen, das Wissen; dises übertrifft abhängig von der Begabung des erfindenden Dichters die Meister aller (freien) Künste bei weitem und kann das Herz von Sorgen befreien.‘  Zur Bewertung von komischer Literatur in der Scholastik vgl. Thomas von Aquin. Summa theologica II 2, q. 168. a. 3 und 4. Vgl. auch Joachim Suchomski: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern, München 1975, S. 57– 60.  Camporesi: Vagabondi, S. 240; Übers. P. R.: ‚Mag die Kunst, Eure Exzellenz, auch bodenlos sein und viele Erscheinungsformen hinzugefügt werden können, weil die Täuschungen zahllos sind, werden dennoch einzelne derer, die von Neuem gefunden/erfunden werden, davon abhängig sein wie ängstliche Küken, die unter den Flügeln der Henne gehegt und gewärmt werden; um nicht mit einer

82

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Bildlich bleibt die Sprache auch bei der Erklärung des Titels. Inspiriert von der Bezeichnung der italienischen Gaunersprache als ‚Gergo‘ führt er einen mythologischen Vergleich an: nam, sicut illi qui Gorgonis caput in scuto aspiciebant in lapides vertebantur, sic isti suis sermonibus simplices homines ac mulieres attonitos reddunt, demum fortunis spoliant. ¹¹⁰ Vom Spiegel der Medusa leitet er dann auch die Bezeichnung der Schrift als Speculum ab: Nos ergo opusculum hoc speculum appellemus, ut Medusa suam formam aspiciens vertatur in saxum, hoc est, ut homines ipsis improbis artibus dediti recognoscentes fallacias suas in hoc respiciant et convertantur, vel cogniti minus laedant.¹¹¹

Wie der Spiegel des Perseus soll das Speculum die Cerretani also entweder durch die Lektüre bessern oder durch ihre Bloßstellung unschädlich machen. Es ist jedoch offensichtlich, dass der Text vor allem die zweite Alternative umsetzt. Schließlich zeigt die Wirkungsgeschichte des Speculum Cerretanorum, dass ein ‚Gaunerbüchlein‘ einerseits literarisch, andererseits sozialhistorisch wirksam sein kann. Denn der Text wurde zur Inspirationsquelle einer literarischen Reihe, vor allem für die Version des Dominikaners Giacinto de Nobili Il vagabondo, der unter dem Pseudonym Rafaele Frianoro den Text 1621 (großteils wortwörtlich) ins Italienische übertrug. Il vagabondo erlebte bis 1722 fünfzehn Editionen und wurde sogar ins Französische übersetzt.¹¹² Andererseits konnte und sollte der Text auch sozialhistorische Prozesse auslösen.¹¹³ Diese doppelte Wirksamkeit stellt Piero Camporesi in seiner Pionierstudie zum Werk fest. Er betont zwar den Status des Textes als Literatur und als Imagination eines historisch-spezifischen Gesellschaftsbildes,¹¹⁴ erkennt aber noch längeren Behandlung des Stoffes fortzufahren, wofür schwerlich das Papier reicht, sind wir mit diesen 40 Erscheinungsformen der Täuschung zufrieden.‘ Weshalb Pini in der conclusio von 40 species spricht, aber nur 39 nennt, darüber bleibt zu spekulieren.  Camporesi: Vagabondi, S. 240; Übers. P. R.: ‚Denn wie jene sich in Stein verwandeln, die das Haupt der Gorgo in ihrem Schild sehen, so werden die einfachen Männer und Frauen durch ihre Sprache verblüfft und schließlich ihrer Güter beraubt.‘  Camporesi: Vagabondi, S. 240; Übers. P. R.: ‚Lasst uns also auch dieses kleine Werk Spiegel nennen, damit die Medusa, wenn sie sich selbst sieht, in Stein verwandelt wird – das heißt, damit die Menschen, die sich selbst unredlichen Künsten hingegeben haben und ihre eigene Falschheit erkennen, in ihn hineinschauen und so verwandelt werden, oder selbst, indem sie erkannt werden, [anderen] weniger Schaden zufügen.‘ Vgl. auch Camporesi: Vagabondi, S. 155 f.  Camporesi: Vagabondi, S. 161– 164 und 249 – 259.  So werden die Aussagen über die Cerretani aus Spoleto auch im gelehrten Diskurs weiter zitiert, z. B. bei Piedro Andrea Mattiolis Commentarii secundo aucti (1560) und dann in Tomaso Garzonis Piazza Universale (1584). Vgl. dazu Katrin Kröll: „Kurier die Leut auf meine Art…“. Jahrmarktskünste und Medizin auf den Messen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Udo Benzenhöfer und Wilhelm Kühlmann (Hg.): Heilkunde und Krankheitserfahrung in der frühen Neuzeit. Studien am Grenzrain von Literaturgeschichte und Medizingeschichte. Tübingen 1992, S. 155 – 186, hier S. 162 f.  Camporesi: Vagabondi, S. 171: „La storia dei ‚falsi vagabondi‘ è storia eminentemente letteraria, quindi fantastica, fortemente irreale, e, inoltre, tendenziosa e classista […]. Uomini come Teseo Pini e Raffaele Frianoro, pur tenuto conto della loro particolare ottica, della loro appartenenza sociale, e, in

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

83

die Imagination der Bettler als verabscheuenswerte und lächerliche Figuren als einen unterhaltsamen Spaß, der schnell in Perversion und Grausamkeit abrutscht, da er auf dem tatsächlichen Leid der Armen beruht.¹¹⁵ Durch die Diskreditierung als betrügerische Bettler kämen die Menschen, die aufgrund von Mangel auf Almosen angewiesen seien, in einen schmerzhaften Teufelskreis, sich immer wieder neu erfinden zu müssen, „a una dolorosa girandola d’invenzioni“.¹¹⁶

5.1.3 Die räumliche Ausweitung des Diskurses im Zeichen des Buchdrucks – der Liber Vagatorum Zu Aufbau, Autor und Vorlagen Der Liber Vagatorum wurde um 1510 in Pforzheim ohne Verfasserangabe gedruckt und nimmt den zirkulierenden Inhalt der Betrügnisse der Gyler als Grundlage für seinen Bettlerkatalog, erweitert ihn aber auf mindestens 28 Kategorien im Hauptteil und ergänzt noch einen zweiten Teil, in dem er in anekdotischem Gestus notabilia zu 13 weiteren Typen darstellt.¹¹⁷ Daran schließt ein umfangreiches Verzeichnis rotwelscher Wörter mit 219 Lemmata an. Aufbau und Aussageabsicht ähneln mithin dem Traktat Pinis. Der wichtigste Unterschied betrifft jedoch den medialen Status:¹¹⁸ Das Speculum Cerretanorum ist ein lateinischer Traktat, welcher explizit an einen Adressaten aus der gebildeten Elite gerichtet ist und so nur in limitiertem Umfang als Handschrift zirkulieren konnte. Dies ist auch daraus ersichtlich, dass nur zwei Exemplare, beide aus dem 16. Jahrhundert, überliefert sind.¹¹⁹ Der Liber Vagatorum hingegen ist, anders als

più, dei tempi diversi in cui scrivevano, non possono che trasmettici una immagine altera, fuorviante e, in definitiva, faziosa, del pauperismo e della mendicità.“  Camporesi: Vagabondi, S. 171: „Se la letteratura dei vagabondi e dei pitocchi riesce spesso a muovere il riso del lettore, o almeno il sorriso, se spesso diventa divertimento e buffonesca commedia, vista e letta da un ipotetico ma autentico straccione, diventa ignobile pantomima letteraria, cinico travisamento e colpevole mistificazione di un dramma millenario ‚recitato‘ su un copione di fame, di stenti, di sangue, da una moltitudine inimmaginabile d’infelici sbattuti dal destino sul palcoscenico di un atroce teatro della crudeltà.“  Camporesi: Vagabondi, S. 171.  Liber Vagatorum. Der Betler Orden. Pforzheim: Thomas Anselm 1510. Ich folge der Edition in Kluge: Rotwelsch, 35 – 58, da die neuere Ausgabe nur die beiden Hauptteile des Buches abdruckt; vgl. Beate Althammer und Christina Gerstenmayer (Hg.): Bettler und Vaganten in der Neuzeit. Eine kommentierte Quellenedition. Essen 2013, S. 30 – 41. Zum Aufbau vgl. die Synopse in Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 67– 69.Vgl. Assion: Matthias Hütlin und sein Gaunerbüchlein und Peter Assion: [Art.] Hütlin, Matthias. In: 2VL, Sp. 332– 337.  Zu Aspekten des Nebeneinanders von Handschriftlichkeit und Druck in der Zeit von 1470/80 und 1560 vgl. Schnell: Handschrift und Druck, S. 107 f.  Vgl. Camporesi: Vagabondi, S. 179 f. Die Handschrift Vat. lat. 3486 von 1589 wiederholt dabei den pragmatischen Rahmen des Originaltextes, indem sie auch von seinem ‚ergebensten Diener‘ (servus addictissimus) Marcellus an einen Teil der gebildeten Elite, Kardinal Antonius Carafa, adressiert ist. Die Dedikationsepistel ist ediert in Camporesi: Vagabondi, S. 337– 343, zit. S. 337.

84

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

der Titel vermuten lassen könnte, auf Deutsch abgefasst und recht früh gedruckt worden – zumindest sind keine handschriftlichen Zeugnisse überliefert. Durch die Volkssprachigkeit und die billige Reproduktion – das Buch ist schmal, auf Papier gedruckt und mit wenigen, sich oft wiederholenden Holzschnitten versehen – hat das Buch schon schnell eine weite Verbreitung erlangt und gilt als „das populärste deutsche Gaunerbüchlein“.¹²⁰ So gab es in vorreformatorischer Zeit allein bis 1525, also innerhalb von weniger als 15 Jahren, mindestens 14 verschiedene Editionen, darunter eine niederdeutsche und eine niederrheinische Übertragung.¹²¹ Auf den niederdeutschen Mundarten basiert weiter die reichbebilderte niederländische Übersetzung Der Fielen Rabauwen von 1547.¹²² Trotz der anonymen Edition (es fehlen auch Ort und Jahr), wurde durch Typenvergleich ermittelt, dass die erste Edition in der Pforzheimer Offizin Thomas Anselms gedruckt wurde. Als Verfasser, der sich im Text nur einen hochwirdigen meister nomine expertus in trufis ¹²³ also einen Experten in Betrügereien nennt, nimmt man den von 1500 – 1524 amtierenden Pforzheimer Spitalmeister des Hospitaliterordens zum Heiligen Geistes Matthias Hütlin an. Die Grundlage dieser (nicht unumstrittenen) Vermutung¹²⁴ ist die Aussage des niederdeutschen Braunschweiger Druckes: so is de utleging hir in gedrukt sovil des ein Spitalmeister up dem Ryn geweten hefft de dan dit bock to Pfortzen int erste heft drucken laten.¹²⁵

 Vgl. Frieder Schanze: Die älteren Drucke des Liber vagatorum. In: Gutenberg-Jahrbuch 70 (1995), S. 143 – 150, hier S. 143.  Pforzheim (bei Thomas Anshelm um 1510), Nürnberg (bei Johann Stuchs um 1510 und Johann Weißenburger um 1510/13), Straßburg (bei Matthias Hupfuff um 1510/11), Braunschweig (bei Hans Dorn um 1510/25), Köln (bei Heinrich von Neuß, datiert auf 1511), Augsburg (zweimal bei Erhard Öglin um 1512), Erfurt (zweimal bei Mathes Maler um 1512/15), Basel (bei Michael Furter um 1513/17), Ulm (bei Johann Zainer d. J. um 1515), Würzburg (bei Martin Schubart, nicht nach 1518) und Speyer (bei Jakob Schmidt um 1522).Vgl. die elaborierte Darstellung in Schanze: Drucke, S. 144– 149.Vgl. auch Considine: Dictionaries, S. 36 f. Letzerer bezieht sich jedoch – wenn er auch einzelne Fehler korrigiert – auf die veralteten und fehlerhaften Angaben in Franz Claes: Bibliographisches Verzeichnis der deutschen Vokabulare und Wörterbücher, gedruckt bis 1600. Hildesheim, New York 1977.  Vgl. Kluge: Rotwelsch, S. 58 und Considine: Dictionaries, S. 37. Es wurde auch erkannt, dass Droit chemin de l’hopital des Robert de Balsac (1501) als Vorlage des niederländischen Textes diente. Vgl. Marc van Vaeck und Johan Verberckmoes: Who Do Beggars Deceive? Adriaen van de Venne, Recreational Literature and the Pleasure of Forging Texts. In: Toon van Houdt (Hg.): On the Edge of Truth and Honesty. Principles and Strategies of Fraud and Deceit in the Early Modern Period. Leiden 2002, S. 269 – 288, hier S. 271. Dazu auch Herman Pleij: Van Schelmen en Schavuiten. Laatmiddeleeuwse Vagebondteksten. Amsterdam 1985, S. 114– 119 (ed. 9 – 43).  Kluge: Rotwelsch, S. 37.  Bezweifelt u. a in Erich Kleinschmidt: Rotwelsch um 1500. In: PBB 97 (1975), S. 217– 229, auch wenn er Hütlin durchaus eine Teilverfasserschaft (den dritten Teil) zubilligt.  Ed. in Kluge: Rotwelsch, S. 75.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

85

Um die Verfasserschaft Matthias Hütlins zu stützen, wurde die Unkenntnis des Braunschweiger Druckers über die Geographie Süddeutschlands angeführt.¹²⁶ Doch für Hütlin ist auch ansonsten ein intensiver Kontakt zu den anderen Heiliggeistklöstern der oberdeutschen, am Rhein gelegenen Ordensprovinz anzunehmen, zum Kloster Markgröningen¹²⁷ und gerade auch zum elsässischen Stephansfeld in der Nähe von Straßburg, wo er durch den Vorschlag Markgraf Christophs I. von Baden am 23. Oktober 1500 durch das Ordenskapitel zum Ordensmeister berufen wurde.¹²⁸ Es ist vorstellbar, dass er durch sein Netzwerk mit den zirkulierenden Bettlerkatalogen in Kontakt getreten ist und diese in seiner Aufgabe als Spitalmeister – die Spitäler waren wichtige Institutionen in der Reform der Armenfürsorge – zu einer eigenen Schrift verarbeitete. An Popularität gewann der Text noch weiter, als Martin Luther sich seiner annahm und einen neuen Druck unter dem deutschen Titel Von der falschen Bettler Büberey (1528) veranlasste. Zu möglichen direkten Prätexten ist wenig Sicheres zu sagen. Durch die enge Anbindung an den deutsch-französischen Grenzraum um Straßburg ist natürlich an die Möglichkeit einer französischen Vorlage zu denken. Jedoch ist der erste französischsprachige Text derartiger ‚Gaunerliteratur‘ erst 1596 nachzuweisen (La vie généreuse).¹²⁹ Andererseits transportiert ein lateinischer handschriftlicher Text mit dem Titel De multiplici genere mendicantium mit geringen Abweichungen denselben Text wie der Liber vagatorum – inklusive der Rotwelschliste als Vocabularium vagantium.¹³⁰ Dieser wurde – auch aufgrund des lateinischen Titels eines deutschen Textes – als Vorlage erwogen.¹³¹ Nun steht die lateinische Version zwar in einer Predigthandschrift von 1472, jedoch ist die Passage ein Nachtrag des 16. Jahrhunderts, was eine paläographische

 So bei Boehncke: Austreibung der Fahrenden, S. 48: „Pforzheim, so wurde herausgefunden, liegt vom Rhein nur 33 Kilometer entfernt, von Niederdeutschland aus betrachtet mag das sehr nah sein.“  Klaus Militzer: Das Markgröninger Heilig-Geist-Spital im Mittelalter. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des 15. Jahrhunderts. Sigmaringen 1975, S. 26 erwägt, dass Hütlin, bevor er provisor hospitalis in Pforzheim wurde, einfacher Bruder in Markgröningen war.  Der Vorschlag durch den Markgrafen und der Investiturbrief des Generalvikars der Ordensprovinz Alamania superior und Spitalmeisters von Stephansfeld Roli Kiesel ist ediert in Moritz Gmelin: Zur Geschichte der Spitäler in Pforzheim. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 24 (1872), S. 327– 399, hier S. 375 – 380.  Die Annahme einer französischen Vorlage bei Uwe Danker: Die Geschichte der Räuber und Gauner. Düsseldorf, Zürich 2001, S. 51 sitzt diesem Irrtum auf.  Szombathely, Diözesanbibliothek (Egyházmegyei Könyvtár), cod. 7, S. 546 – 550, 544 (Ende an den Anfang gebunden) und S. 564– 566. Vgl. die Handschriftenbeschreibung in András Vizkelety: Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken. Bd. 2: Budapest, Debrecen, Eger, Esztergom, Győr, Kalocsa, Pannonhalma, Pápa, Pécs, Szombathely. Budapest 1973, Nr. 85 (S. 253 – 255).  Vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 112 f. Trotz verschiedener Ankündigungen von Peter Assion steht eine Edition noch aus. Vgl. Assion: [Art.] Hütlin, Matthias. In: 2VL, Sp. 334. Auch die Sichtung seines Nachlasses im Universitätsarchiv Freiburg i. Br. gab keine Hinweise auf eine tatsächliche Arbeit an einer Edition.

86

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Untersuchung belegt.¹³² Durch die zeitliche Koinzidenz sind keine objektiven Gründe für ein Abhängigkeitsverhältnis zu ermitteln. Textimmanente Kriterien legen allenfalls nahe, im vorliegenden Fall von einer Übersetzung des deutschen Textes ins Lateinische auszugehen, z. B. aufgrund signifikanter Abkürzungen und vieler deutscher Passagen.¹³³ Sollte es sich um eine lateinische Übersetzung des deutschen Liber Vagatorum handeln, zeigt dies aber, dass das ‚Gaunerbüchlein‘ auch in Gelehrtenkreisen und im südostdeutschen Raum – es handelt sich um eine bairisch-österreichische Handschrift – rezipiert wurde. Als Vorlagen bleiben in jedem Fall die Betrügnisse der Gyler und der oberrheinische Gaunerdiskurs.

Zu den Zielen des Texts Als Aussageabsichten des Liber Vagatorum nennt Roger Chartier eine frühneuzeitliche „intention classificatrice“,¹³⁴ die soziale Phänomene ähnlich wie biologische Phänomene mit enzyklopädischem Anspruch zu strukturieren und klassifizieren versucht,¹³⁵ außerdem eine „intention pédagogique“,¹³⁶ welche den Rezipienten warnen, den Delinquenten aber bloßstellen und auf diese Weise bessern will. Weiter stellt er fest, dass das Genre in der Folgezeit zu einer „littérature facétieuse“¹³⁷ neigt und durch witzige oder sensationelle Details auch unterhalten will. Der Liber Vagatorum weist also mindestens eine doppelte Stoßrichtung auf, die sich zwischen sozialreformatorischer Protreptik und unterhaltsamer Lektüre bewegt. Was in Pinis Speculum explizit gemacht wurde, liegt also auch im deutschen ‚Gaunerbüchlein‘ vor. Durch den Drang der möglichst umfassenden Klassifikation gehört es zum juristischen Instrumentarium mit dem Ziel der Enthüllung und der Belehrung. Die ausufernde enzyklopädische Aneinanderreihung macht den Liber Vagatorum auch zu einem kuriosen oder ‚sen-

 Vgl. Vizkelety: Verzeichnis, S. 255. An manchen Stellen ist deutlich erkennbar, dass der Text des ‚Gaunerbüchleins‘ auf halbleeren Seiten um den bestehenden Text herumgeschrieben wurde, z. B. auf der Seite 565.  Eine detailliertere Untersuchung muss Gegenstand weiterer Untersuchungen bleiben.  Roger Chartier: Les Élites et les Gueux. In: Revue d’histoire moderne et contemporaine 21 (1974), S. 376 – 388, hier S. 382.  Als Beispiel für diesen Drang des Klassifizierens führt Chartier die Bibliotheca universalis (1545) Conrad Gessners an. Grundlegend zu mittelalterlichen Enzyklopädien ante litteram vgl. Christel Meier: Grundzüge der mittelalterlichen Enzyklopädik. Zu Inhalten, Formen und Funktionen einer problematischen Gattung. In: Ludger Grenzmann und Karl Stackmann (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Stuttgart 1984, S. 467– 500. Zu verschiedenen Möglichkeiten der Strukturierung am Beispiel frühneuzeitlicher Enzyklopädien (Theodor Zwinger und Conrad Gessner) vgl. Udo Friedrich: Grenzen des Ordo im enzyklopädischen Schrifttum des 16. Jahrhunderts. In: Christel Meier-Staubach (Hg.): Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit. München 2002, S. 391– 408. Vgl. dazu auch Kapitel 6.3.  Chartier: Les Élites et les Gueux, S. 382.  Chartier: Les Élites et les Gueux, S. 382.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

87

sationellen‘ Text, welcher die Neugier befriedigen und so unterhalten wollte.¹³⁸ Diese letzte Rezeptionsmöglichkeit reduziert Luther in seiner Version und vereinheitlicht damit die Intention des Textes, indem er ihn zu einem „Teil der reformatorischen Polemik“ macht.¹³⁹ Im Liber Vagatorum begegnet also „ein typisches Beispiel für ideologisch perspektiviertes Schreiben, das mit Hilfe humorvoll-narrativer Darstellungen letztlich eine aggressive Ausgrenzungspolitik gegen die Bettler und Fahrenden betreibt.“¹⁴⁰ Im hochdeutschen Druck von 1510 führt der anonyme Verfasser¹⁴¹ zu Beginn explizit eine vierfache Werkintention an: Hie nach volgt ein hübschs büchlin genant Liber vagatorum […] dem Adone zu ob und ere, sibi in refrigerium et solacium, allen menschen zu einer underwysung und lere, unnd denen die dise stuck brauchen zu einer besserung und bekerung.¹⁴²

Der Text soll also dem Gotteslob, der eigenen Stärkung/Tröstung, der Unterweisung und konkret der Besserung der Leser dienen, wobei unklar bleibt, ob die delinquenten oder die exekutiven Rezipienten gemeint sind. Der didaktische Impetus ist evident, jedoch scheint diese kurze Angabe insgesamt eher topisch. Luther ersetzt und erneuert die programmatische Vorrede 1528, greift aber viele der im Betteldiskurs bereits angesprochenen Prinzipien wieder auf. Er strebt eine allgemeine Verbreitung des Textes an, indem er veranlassen will, das solch buͤ chlin nicht alleine am tage bliebe, sondern auch fast uberall gemein wurde, damit man doch sehe und greiffe, wie der teuffel so gewaltig ynn der welt regiere, obs helffen wolte, das man klug wuͤ rde und sich fur yhm ein mal fursehen wolte. ¹⁴³ Damit arbeitet Luther an einem sozialen Projekt, welches er bereits 1520 in seiner äußerst weit verbreiteten Flugschrift An den christlichen Adel deutscher Nation gefordert hat.¹⁴⁴ Von dort übernimmt er viele Elemente in die Vorrede zu Von der Bettler Büberey: Er führt die Pflicht

 Vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 115. Vgl. weiter Boehncke: Austreibung der Fahrenden, S. 6 – 68 und Considine: Dictionaries, S. 37 f.  Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 115, weiter Boehncke: Austreibung der Fahrenden, S. 65 – 68.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 288  Die Anonymität ist weniger ein Zeichen dafür, dass der Verfasser wegen der sozialen Sprengkraft des Textes seinen Namen zurückhalten wollte, vielmehr ist davon auszugehen, dass der Verfasser des Liber Vagatorum noch verstärkt einer Handschriftenkultur verpflichtet ist, bei der – v. a. bei (geistlichem) Gebrauchsschrifttum – Anonymität der unmarkierte Regelfall ist. Vgl. Harald Haferland: Wer oder was trägt einen Namen? Zur Anonymität in der Vormoderne und in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Stephan Pabst (Hg.): Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit. Berlin 2011, S. 49 – 72, hier S. 53 – 55 und 66 f.  Kluge: Rotwelsch, S. 37.  Martin Luther: Vorrede zu ‚Von der falschen Bettler Büberei‘ [1528]. In: WA 26 (1909), S. 634– 654, hier S. 638.  Vgl. Martin Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung [1520], In: WA 6, S. 381– 469, hier S. 450 f.

88

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

der Armenfürsorge an, die der Obrigkeit und anderen Almosengebern zukomme. Diese hätten zu beachten, dass sie nur hausarmen und duͤ rfftigen nachbarn […], wie Gott gepotten hat“ also ‚würdigen Bettlern‘ der eigenen Stadt, ein Almosen geben, nicht jedoch den verlauffenen, verzweiffelten buben,¹⁴⁵ also ‚starken/fremden Bettlern‘. Jede Stadt solle also durch Kenntnis, Registration und Kennzeichnung eine umfassende Kontrolle der indigenen Bettler erreichen und fremde Bettler ausweisen.¹⁴⁶ Mit diesen Aspekten schließt Luther an die auch in der Policeygesetzgebung virulenten disziplinierenden Maximen der juristischen Praxis an.¹⁴⁷ Dieser Umstand deckt sich wie bereits beim Straßburger Münsterprediger Johannes Geiler von Kaysersberg mit seinem politischen Programm, dem gemäß er der weltlichen Obrigkeit im Bereich des Naturrechts eine gewisse Autonomie zubilligt und sie auch für eigentlich kirchliche Zuständigkeiten in die Pflicht nimmt.¹⁴⁸ Neben dieser sozialreformatorischen Tendenz, ist jedoch auch ein „innerkirchlicher Adressat“¹⁴⁹ in seinen Schriften über die Armut und die Bettler zu erkennen, und zwar die Bettelorden. Scharfe Polemiken begleiten sie schon seit ihren Anfängen im 13. Jahrhundert und gipfelten erstmals im Pariser Universitätsstreit.¹⁵⁰ Argumente aus dieser Zeit, v. a. aus dem Tractatus brevis de periculis novissimorum temporum des Wilhelm von Saint-Amour, dienen Jahrzehnte später und zum Teil noch in der Reformation als Grundlage einer Diskreditierung mendikantischer Praktiken¹⁵¹ und fanden ihren Weg in die Volksliteratur.¹⁵² Geprägt von einer mendikantenfeindlichen Polemik war auch das 15. Jahrhundert, wie einige Reformentwürfe im Umfeld des Konstanzer Konzils bezeugen,¹⁵³ und die Reformatoren des 16. Jahrhunderts, wobei

 Luther: Vorrede, S. 639.  Luther: Vorrede, S. 639: Darumb solt billich eine igliche Stad und dorff yhr eigen armen wissen und kennen als ym register verfasset, das sie yhn helffen moͤ chten, Was aber auslendische odder frembde betler weren, nicht on brieffe odder zeugnis leyden.  Vgl. Kapitel 5.1.1.  Vgl. Geremek: Geschichte der Armut, S. 226 f. Luther selbst befasste sich neben sozialethischer Paränese auch praktisch in einigen Schriften – v. a. der 1520er Jahre – mit dem Problem des Bettelns, z. B. in seinem Zusatz zur Wittenberger Beutelordnung (1520/21; WA 59, S. 62– 65). Mit seiner Ordenung eyns gemeynen kastens (1523; WA 12, S. 11– 30) liefert er am Beispiel der Einrichtung einer Armenkasse in Leisnig selbst ein Muster für den praktischen Umgang mit der Armenfürsorge. Vgl. dazu Harold J. Grimm: Luther’s Contributions to Sixteenth-Century Organization of Poor Relief. In: Archiv für Reformationsgeschichte 61 (1970), S. 222– 234, hier S. 224 f.  Geremek: Geschichte der Armut, S. 227.  Dazu vgl. die Beiträge in Albert Zimmermann (Hg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert. Berlin, New York 1976.  Michel-Marie Dufeil: Guillaume de Saint-Amour et la Polémique Universitaire Parisienne 1250 – 1259. Paris 1972, S. 353 – 362.  Zur Unterstützung des Pariser Weltklerus durch den Dichter Rutebeuf vgl. Dufeil: Polémique Universitaire, S. 358.  Vgl. Petra Weigel: Reform als Paradigma: Konzilien und Bettelorden. In: Heribert Müller (Hg.): Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414– 1418) und Basel (1431– 1449). Institution und Personen. Ostfildern 2007, S. 289 – 335, hier S. 305 f.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

89

sich diese freilich auch auf andere monastische Gemeinschaften bezogen.¹⁵⁴ Zwar führt Luther in der Vorrede der Schrift Von der Bettler Büberey die Bettelmönche neben Klöstern, Kirchen, Kapellen und Stiften als eine positive Form der Armenfürsorge an, doch scheint die Einschätzung von Bronisław Geremek nicht verfehlt, dass es Luther nicht missfallen haben dürfte, dass der Liber Vagatorum einige Bettlertypen (‚Stabuler‘, ‚Debisser‘, ‚Kammesierer‘, ‚Schlepper‘) mit bettelnden Mönchen assoziiert und er sich „des gebotenen anekdotischen Materials […] in seiner leidenschaftlichen Demaskierung der Bettelorden wie auch der Oberflächlichkeit der traditionellen Frömmigkeit bedient.“¹⁵⁵ Mittels einer Sekundärstigmatisierung der ‚teuflischen‘ Missstände der Gauner desavouiert Luther auch eine andere Gruppe, wenn er betont, dass freylich solch rottwelsche sprache von den Juden komen, denn viel Ebreischer wort drynnen sind. ¹⁵⁶ Damit schließt er an den nicht unüblichen – gerade auch in den Schriften der Reformatoren präsenten – Antijudaismus an, als dessen Kristallisationspunkt im öffentlichen Gelehrtendiskurs zum Anfang des 16. Jahrhunderts der Reuchlin-Pfefferkorn-Streit über den Wert des Talmuds für das Christentum (1509 – 1515) gilt.¹⁵⁷ Am Ende seiner Vorrede aktualisiert Luther das Phänomen durch den Bericht einer eigenen Erfahrung: Ich bin selbs diese iar her also beschissen und versucht von solchen landstreichern und zungendresschern, mehr denn ich bekennen wil. Darumb sey gewarnt, war gewarnt sein wil, und thue seinem nehsten gutes nach Christlicher liebe art und gepot.¹⁵⁸

Der Liber Vagatorum ist somit – zugespitzt in der reformatorischen Neuauflage – ein Symptom für die Geisteshaltung des 16. Jahrhunderts, die als „terror of the tramp“¹⁵⁹  Vgl. Robert Scribner: For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. Oxford 1994, S. 37– 58. Grundlegend zur Mönchskritik ist Bernhard Lohse: Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters. Göttingen 1963. In jüngerer Zeit befasst sich damit der Dresdner SFB 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ im Teilprojekt E „Sakralität und Sakrileg. Die Herabsetzung des Heiligen im interkonfessionellen Streit des 16. Jahrhunderts“, Arbeitsbereich A: „Der Mönch als invektive Figuration“.  Geremek: Geschichte der Armut, S. 230.  Luther: Vorrede, S. 638.  Zur antijudaistischen Theologie Luthers und anderer Reformatoren und dem Reuchlin-Pfefferkorn-Streit vgl. Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 189 – 259 und 307– 328, außerdem Anja Lobenstein-Reichmann: „Wer Christum nicht erkennen will, den las man fahren“. Luthers Antijudaismus. In: Norbert Richard Wolf (Hg.): Martin Luther und die deutsche Sprache – damals und heute. Heidelberg 2017, S. 147– 166, Achim Detmers: Reformation und Judentum. Israel-Lehren und Einstellungen zum Judentum von Luther bis zum frühen Calvin. Stuttgart 2001.  Luther: Vorrede, S. 639.  Vgl. ursprünglich Richard Henry Tawney: The Agrarian Problem in the Sixteenth Century. New York u. a. 1912, S. 268. Das Zitat wird aber nahezu aphoristisch in der Forschungsliteratur weitergetragen. Vgl. Bronisław Geremek: La Popolazione Marginale tra il Medioevo e l’Era Moderna. In: Studi Storici 9 (1968), S. 623 – 640, hier S. 637, Henry Kamen: The Iron Century. Social Change in Europe 1550 –

90

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

bezeichnet wurde. Dies zeitigt eine besondere Furcht vor Verstellung (simulatio) und Betrug (dissimulatio), also einer Auflösung von Gewissheiten bezüglich des Wirklichen und des Falschen,¹⁶⁰ die eine „vagrancy of the signifier“¹⁶¹ und eine absolute Uneindeutigkeit gesellschaftlicher Konventionen nach sich zieht. Wenn sogar Martin Luther in seiner Autorität als großer Reformator von den Gaunern seiner Zeit hinters Licht geführt werde, müsse es wirklich schlimm um die Gesellschaft stehen. Das ‚Gaunerbüchlein befördert eine Geisteshaltung, indem es diesen ‚Terror‘ bewusst macht, und fördert konkrete Praktiken, indem er gestützt auf literarische Imaginationen narrative Muster zur Verfügung stellt, die in der Realität angewandt werden können.¹⁶² Indem die Armut diskriminierend ausgestellt wird, haben die Texte aber auch eine integrative Funktion; soziale Gruppen, die nicht betroffen sind, können sich durch die Distanzierung von den Betroffenen zusammenschließen und ihre Gruppenidentität stärken.¹⁶³ Bezüglich der Armut wurden drei Modi dieser gesellschaftlichen Festigung festgestellt, nämlich dass 1. A[rmut] mit Attributen des Horrors ausgestattet wird und so als Abschreckung dient, 2. A[rmut] als vorübergehender Zustand betrachtet wird, dem man abhelfen kann und soll und 3. bestimmte Formen potentieller Bedürftigkeit schuldhaftem Verhalten zugeschrieben werden; diese Formen werden sozial geächtet und die damit verbundene reale Not nicht wahrgenommen.¹⁶⁴

Alle Spielarten der ‚Gaunerliteratur‘ bedienen den dritten Modus des gesellschaftsstabilisierenden Umgangs mit Armut und nehmen dabei den Habitus fachliterarische Unterweisung an.¹⁶⁵ Dabei bedienen sie sich jedoch auch genuin rhetorischer Stilmittel. Diese folgen den Regeln der Karikatur und der Hyperbel, was vor allem zur 1660. London 1971, S. 394, James A. Sharpe: Crime in Early Modern England 1550 – 1750. London 1984, S. 142 oder Camporesi: Vagabondi, S. 97. Auch Roman Widder zeigt sich kritisch, die Vorstellung einer „Flut simulierender Bettler […] unreflektiert aus der hypertrophen Rhetorik des historischen Materials“ zu übernehmen. Roman Widder: Pöbel, Poet und Publikum. Figuren arbeitender Armut in der Frühen Neuzeit. Konstanz 2020, S. 23 f.  Unter simulatio versteht sich das Vorspiegeln einer falschen Tatsache (z. B. durch Hochstapelei) unter dissimulatio die Verheimlichung, welche die wirklichen Verhältnisse verbirgt.Vgl. zu den Begriffen Peter von Matt: Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist. München 2006, S. 20 und Gert Ueding und Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte – Technik – Methode. Stuttgart, Weimar 52011, S. 316. Eine Anwendung der beiden Begriffe zur Analyse von mittelalterlichen Chanson de geste unternimmt Bernd Bastert: „Überwachen und Strafen“. simulatio und dissimulatio in deutschen Chanson de geste-Bearbeitungen des 12.–14. Jahrhunderts. In: Matthias Meyer und Alexander Sager (Hg.):Verstellung und Betrug im Mittelalter und in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2015, S. 35 – 51.  So die Leitkategorie in den semiotischen Analysen in Barry Taylor: Vagrant Writing. Social and Semiotic Disorders in the English Renaissance. New York 1991, S. 10 und mit einem Schwerpunkt auf dem englischen Theater der Frühen Neuzeit Paola Pugliatti: Beggary and Theatre in Early Modern England. Aldershot u. a. 2003, S. 65 – 106.  Mehr dazu im Zwischenfazit dieses Teils in Kapitel 5.3.  Zu Praktiken der sozialen Ausgrenzung und der Interferenz von Identität und Alterität vgl. Kapitel 5.3.  Uta Lindgren: [Art.] Armut und Armenfürsorge. In: LexMA 1, Sp. 984– 994, hier Sp. 984.  Haage/Wegner: Fachliteratur, S. 126 – 129

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

91

besseren Memorierbarkeit der einzelnen Wissensbestände dienlich ist. Gerade in der Zeit des frühen Buchdrucks sind solche mnemotechnischen Mittel noch sehr präsent und bedeutend. Der höheren Eindringlichkeit dienen auch die anekdotischen und exemplarischen Illustrierungen.

Bezug zur Narrensatire Die unterhaltende Dimension des Liber Vagatorum verweist auch auf andere Schreibformen, die dem Bereich der Gesellschaftssatire zuzuordnen sind, v. a. auf Sebastian Brants Narrenschiff (1494).¹⁶⁶ Damit gehört der Liber Vagatorum zu einer „Strömung der satirischen Literatur, die bissig und mitleidlos die betrügerischen Praktiken der Bettler und Almosensammler aufspieße, welche die traditionellen Empfindungen der Barmherzigkeit, die mittelalterliche Verehrung der Armut und die schlichte Naivität ausschlachteten.“¹⁶⁷ Diese enge Verflechtung mit gesellschaftssatirischer Literatur wird bereits in den ersten vorreformatorischen Varianten des Textes deutlich. Denn schon sehr früh nach Erscheinen des Prosatextes wurde 1510/11 eine anonyme Reimpaarfassung des Liber Vagatorum erstellt, und zwar in der Straßburger Offizin des Matthias Hupfuff, die auch eine Prosaversion verlegte.¹⁶⁸ Als Thema und Titel nennt sich die versifizierte Version des Textes selbst in der Vorrede [d]en Bettler orden […] | Durch mich ein jeder lert, merckt, vnd erkent, | was grossen btrugs ist vff erstanden | Von mancherley bettler, jnn dútschen landen (vv. 1– 5),¹⁶⁹ um dann auf Sebastian Brant überzuleiten: All stend jetzund in diser welt Hatt doctor Brant clorlich erzoͤ lt, Vom minsten an, biß an den hoͤ chsten Vnd gsagt eim ieden sin gebresten, Do mit er sie mit clgen gryff Allsand hat bracht jns narren schyff (vv. 9 – 14).

Der Bezug auf Brant konkretisiert sich im Folgenden und der Anonymus verweist explizit auf den 62. Narren des Narrenschiffs, den Bettler. Er sagt, die Zahl der Bettler habe sich unmäßig vergrößert: Der bruͤ der und schwestern sind so vil worden, | Das es ist jetzund vß der massen | Sie begegnem eim vff allen strassen (vv. 46 – 48). Als Kristallisationspunkt führt er den Kohlenberg zu Basel an (vv. 51– 54), der ausgehend von

 Vgl. Considine: Dictionaries, S. 36; dazu weiter Kapitel 5.2.  Geremek: Geschichte der Armut, S. 230.  Der Druck des Liber Vagatorum fällt in der Offizin in ein Modernisierungsprogramm (nach 1510), welches die Veränderung vom Druck mittelalterlicher Versepik auf den Nachdruck relativ aktueller Fach- und Unterhaltungsliteratur zum Ziel hatte. Vgl. Oliver Duntze: Ein Verleger sucht sein Publikum. Die Straßburger Offizin des Matthias Hupfuff (1497/98 – 1520). Berlin 2007, S. 309.  Versangaben zit. nach [Pamphilus Gengenbach]: Bettlerorden. Liber vagatorum. In: Pamphilius Gengenbach, hg. von Karl Goedeke. Hannover 1856, S. 343 – 370.

92

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Brants Narrenschiff ein beliebtes Muster einer eigenen literarischen Tradition wurde.¹⁷⁰ Diese greift unter anderem Johann Fischart, der in Basel promoviert wurde, auf, wenn er als die besten Säufer der Truncken Litanei die Elsaßbettler auff dem Kolberg ¹⁷¹ nennt. In der versifizieren Version des Liber Vagatorum heißt es: Z Basel vff dem colenberg, Do ji kumpt hin ein grosse zal Vß dútschen land gantz vberal (vv. 52– 54).¹⁷²

Aufgrund dieser Referenzen auf Basler Regionaldetails, der herausgehobenen Stellung Brants und der lange Zeit angenommenen Einzelüberlieferung im GengenbachDruck von 1513 wurde die Verfasserschaft immer wieder dem Basler Pamphilus Gengenbach zugesprochen,¹⁷³ früher sogar die Verfasserschaft der Prosaversion. Dies ist aber unwahrscheinlich, wie der zeitlich frühere Straßburger Druck zeigt.¹⁷⁴ Auch wenn es nicht unmöglich ist, dass ein Basler die versifizierte Fassung erstellt hat, kann das Wissen des Verfassers über regionale Besonderheiten auch über die ungemeine Popularität der Satire Brants als Textzitat erklärt werden. Ähnlich verhält es sich bei der gegenseitigen Abhängigkeit von Narrenschiff und Liber Vagatorum allgemein. So heißt es im Verfasserlexikon: „Sebastian Brant ließ sich von dem Büchlein zu Kapitel 63 des ‚Narrenschiffes‘ anregen.“¹⁷⁵ Freilich ist es angesichts der Datierung der Erstdrucke unmöglich, dass Brant (Narrenschiff 1494) den Liber Vagatorum (1509/1510) als Quelle genutzt hat, dennoch zeigt dieser Befund, dass die beiden Texte auf demselben Diskurs basieren und in einem engen intertextuellen Verhältnis stehen. Diesen Zusammenhang verdeutlicht auch die unbestreitbare ikonographische Ähnlichkeit der Holzschnitte im Erstdruck des Liber Vagatorum

 Zur literarischen Tradition des Kohlenbergs vgl. Max Siller: Hans Leberwurst, verbrannt in Basel am 19. April 1528. Wie ein alemannischer Spruchdichter in einem Tiroler Fastnachtspiel überlebte. In: Ulrich Mehler und Anthonius H. Touber (Hg.): Mittelalterliches Schauspiel. Amsterdam 1994, S. 277– 298, hier S. 280 – 283 und Katharina Simon-Muscheid: Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag (Oberrhein, 14. bis 16. Jahrhundert). Göttingen 2004, S. 218 – 221. Zur sozialhistorischen Situation des Kohlenbergs vgl. Simon-Muscheid: Dinge, S. 214– 242 u. ö.  Johann Fischart: Geschichtklitterung (Gargantua). Text der Ausgabe letzter Hand von 1590, hg. von Ute Nyssen. Düsseldorf 1963, S. 145, Z. 22 f.  Sebastian Brant hingegen nennt als Heimstätten der Bettler Basel und Straßburg: Der sytzen vier und zwentzig noch | Zü Straspurg jn dem dummenloch [enge Straße, in der die Pockenkranken lebten] | On die man setzt inn weisen kasten | Aber baͤ ttler dnt selten vasten | Z Basel vff dem kolenbergk | Do triben sie vil bbenwergk | Ir rottwelsch sie jm terich hand; Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben, hg. von Manfred Lemmer. Tübingen 42004, S. 160 f.  Z. B. in [Gengenbach]: Bettlerorden, S. 678 f., Siller: Hans Leberwurst, S. 281, Münkler: Faustbücher, S. 162 und v. a. in Assion: [Art.] Hütlin, Matthias. In: 2VL 4, Sp. 336.  Vgl. Schanze: Drucke, S. 149, basierend auf sprachanalytischen Vorarbeiten in Samuel Singer: Die Werke des Pamphilus Gengenbach. In: ZfdA 45 (1901), S. 153 – 177, hier S. 157.  Assion: [Art.] Hütlin, Matthias. In: 2VL, Sp. 336.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

93

(Abb. 3), der in den meisten späteren Drucken zumindest ähnlich reproduziert wurde,¹⁷⁶ und des Holzschnitts von Albrecht Dürer zum 63. Kapitels Von bettleren in der Version des Basler Erstdrucks vom Narrenschiff (Abb. 4).¹⁷⁷ Beide Bilder zeigen im Vordergrund ein Bettlerpaar und im Hintergrund eine Stadt. Einzelne Elemente, die explizit auf Verse im Narrenschiff verweisen, sind im Holzschnitt des Liber Vagatorum hingegen nicht aufgenommen (z. B. die Narrenkappe des Bettlers oder der Esel mit dem Sack voll Kinder),¹⁷⁸ sehr wohl hingegen das dominante Motiv des hochgebundenen Beins. Auch wenn die gemeinsame Kennzeichnung der Bettler durch körperliche Versehrtheit in der bildlichen Darstellung des 15. Jahrhunderts stereotyp ist, beweisen doch Studien von Hieronymus Bosch, dass andere Darstellungsmodi für einen Bettler möglich gewesen wären.¹⁷⁹ Da nicht dieselben Druckstöcke verwendet wurden, scheidet ein produktionsökonomisches Argument für die Ähnlichkeit der Bilder aus. Vielmehr handelt es sich um ein bewusstes Zitat, welches die beiden Schriften intertextuell verbindet, gewiss aber auch aus verkaufsökonomischen Gründen an die Prominenz von Brant/Dürer anzuknüpfen versucht. Die enge Bezie-

 Vgl. Schanze: Drucke, S. 145.  Brant: Narrenschiff, S. 63. Zu den Illustrationen des Narrenschiffs vgl. grundlegend Friedrich Winkler: Dürer und die Illustrationen zum Narrenschiff. Die Baseler und Strassburger Arbeiten des Künstlers und der altdeutsche Holzschnitt. Berlin 1951. Außerdem Brant: Narrenschiff, S. XXIX–XXXV und Manfred Lemmer: Die Holzschnitte zu Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘. Leipzig 31994 mit einer Bildbeschreibung auf S. 147.  Diese Bildelemente referieren auf folgende Verse: Der gat vff krucken so mans sicht | Wann er alleyn ist / darff ers nicht […] | Der lehnt andern ji kynder ab | Das er eyn grossen huffen hab | Mit koͤ rb eyn esel dt bewaren | Als wolt er z sant Jacob faren / | Der gat hyncken / der gat bucken | Der byndet eyn beyn vff eyn krucken | Oder eyn gerner beyn jn die schlucken; Brant: Narrenschiff, S. 155. Aufgrund der abweichenden Bildzuordnung muss hier auch die Version des Neuen Narrenschiffs, das ab 1494 bei Grüninger in Straßburg gedruckt wurde, miteinbezogen werden, gegen die sich Brant selbst dezidiert verwahrt (siehe Brant: Narrenschiff, S. 321 f.). Wegen der thematischen Nähe wird hier der Druckstock zur Narrengruppe 17 Verachtung armut (im Basler Druck als Von unnutzem richtum) auch für die Bettler verwendet (Sebastian Brant: Das neue Narrenschiff, hg. von Loek Geeraedts. Dortmund 1981, fol. d iiiv und l vir). Die spezifische Text-Bild-Relation, welche die Straßburger Holzschnitte ansonsten auszeichnet, geht so verloren. Vgl. Brant: Das neue Narrenschiff, S. 22– 28. Der Holzschnitt mit den Bettlern aber (Brant: Das neue Narrenschiff, f. n iiiiv) wird dem Kapitel 70 (Nit fürsehen bi zit) zugeordnet, zum dem es nur eine sehr vage inhaltliche Verbindung hat. Markant ist, dass das Bild alle Einzelheiten des Basler Drucks spiegelverkehrt übernimmt, sodass davon auszugehen ist, dass für Grüninger ein Druckstock hergestellt wurde, welcher direkt von dem gedruckten Blatt ausgeht und dieses kopiert. Wie erklärt sich, dass diese Illustration in einem Kapitel zu finden ist, zu dem sie inhaltlich eigentlich nicht passt, in dem korrespondierenden Kapitel jedoch eine andere Illustration in Wiederholung genutzt wurde? Da dieser Druckstock für diese eine Druckseite hergestellt wurde, scheiden produktionsökonomische Gründe auch hier wieder aus. Vielmehr handelt es sich bei dieser falschen Zuordnung um einen Fehler des Druckers, was durch die kurze Bearbeitungszeit auch wahrscheinlich ist. Vgl. Brant: Das neue Narrenschiff, S. 27 f.  Elisabeth Sudeck: Bettlerdarstellungen vom Ende des XV. Jahrhunderts bis zu Rembrandt. Straßburg 1931, S. 13 und Tafeln I–III (S. 125 f.)

94

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

hung zwischen den beiden Texten beweist mithin eine Nähe des Liber Vagatorum zur satirischen Narrenliteratur des 16. Jahrhunderts. Beide Texte waren sehr verbreitet: Brants Narrenschiff gelang es durch die frühen Übersetzungen ins Lateinische und verschiedene Volkssprachen „innerhalb kürzester Zeit zu einem der meistgelesenen Bücher jener Epoche“¹⁸⁰ zu werden und die Narrenidee in einer ethisch-religiösen Perspektive zu einem „Signum der Epoche“¹⁸¹ zu machen, in welcher der Narr „in jeder Hinsicht das negative Korrelat zu all dem, was man in der Lehrdichtung dieser Zeit vom Menschen erhoffte, erwartete und forderte“¹⁸² einnimmt. Auch der Liber Vagatorum war zumindest in Zentraleuropa ein „Publikumserfolg“.¹⁸³ Als Grund dafür nennt Lobenstein-Reichmann das „Ineinandergreifen aufklärend informierender, belehrender, appellierender und unterhaltender Elemente des ‚Liber Vagatorum‘ unter dem Deckmäntelchen, den unbescholtenen Bürger über die Gauner zu informieren“.¹⁸⁴ Weiter betont sie, der Liber Vagatorum sei „kein Ausnahmetext, sondern ein typisches Beispiel für eine lange Reihe vergleichbarer didaktisch-warnender ‚Skandal‘- bzw. Kriminalisierungsabhandlungen.“¹⁸⁵ Diese ‚Abhandlungen‘ aber sind nach Form und Überlieferungskontext eher poetische als kriminologische Texte im engeren Sinne. Es handelt sich um Lieder/Gedichte mit Reim und Metrum von populären Schriftstellern: z. B. das „Lied vom Heller“ (um 1520) des Nürnberger Liedermachers Jörg Graff, das als Flugblatt kursierte,¹⁸⁶ das „Neue Gedicht“ des Oppenheimer Stadtschreibers Jakob Köbel (1520)¹⁸⁷ oder Der valschen bettler teuscherey des Nürnberger Handwerkerdichters Kunz Has (1515/25), das in dem literarischen Hausbuch des Valentin Holl neben zahlreichen anderen schwank- und liedhaften Texten steht.¹⁸⁸ Alle genannten Bearbeitungen desselben Themas verstär-

 Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus. Wiesbaden 1966, S. 2 f.  Könneker: Narrenidee, S. 1 und weiter dazu S. 75 f.  Könneker: Narrenidee, S. 49.  Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 113.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 290.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 291.  Vgl. Kluge: Rotwelsch, S. 84 f. Vgl. dazu Rolf Wilhelm Brednich: Die Liedpublizistik im Flugblatt des 15. bis 17. Jahrhunderts. Bd. 2. Baden-Baden 1975, Nr. 439.  Im vollen Titel: Eyn Neüwe Gedicht Wie die Lantbescheisser/ Zwyecker/ Orenbeysser/ Bleer/ Meinster/ Heylig man/ vnd Stoͤ rck/ Die Freyen vnd Voperten (Das sein die einfaltigen/ Auch etwan die Fürwytzigen und Geytzygen/ über dye Hellergen) Betrygen/ Leychen/ vnd überfüren/ deren viele ir fürwytz gebüßt wirdt. Oppenheim: Jacob Koebel 1520. Ed. in Kluge: Rotwelsch, S. 86 – 90.  Der Text beginnt in der einzigen Handschrift Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. Merkel 2° 966, fol. 100v folgendermaßen: In disem spruch da vindt ir frey. | Der valschen bettler teuscherey | Den gibtt man geltt flesch wein vnd prott. | Die fromen last man leiden nott. | Der soltt man sich erbarmen lassn. | Vnnd söltt die schelck zum tor nauß stossn. | Nun liß du dz gedicht | Du wirst schon werden vnderricht; Dieter H. Meyer: Literarische Hausbücher des 16. Jahrhunderts. Die Sammlungen des Ulrich Mostl, des Valentin Holl und des Simprecht Kröll. Würzburg 1989, Band 1, S. 187. Teiledition auch in Kluge: Rotwelsch, S. 118 f. Der Text steht zwar in einer Passage ohne erkennbare Ordnung (2.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

95

ken mithin eine Tendenz, die im Liber Vagatorum schon angelegt ist, nämlich seinen literarisch-satirischen Charakter. Einen interessanten Grenzfall zwischen den Bettlerkatalogen und satirischer ‚Gaunerliteratur‘ bietet der obengenannte Meistergesang Jakob Köbels: Dieser hatte in Heidelberg beide Rechte studiert, ist also sicherlich mit den Bettelordnungen von der judikativen Seite in Kontakt getreten.¹⁸⁹ Diese Kenntnis beweist er in der gehäuften Verwendung rotwelscher Terminologie in seinem stark erzählenden Lied, das beschreibt, wie drei Gaunern einen nichtahnenden Wirtshausbesucher durch einen Kartentrick um sein Geld bringen. Um ihr Opfer in Sicherheit zu wiegen, stellt sich einer der Gauner doͤ rlich (v. 36) und berichtet, wie ihm ein Schüler seine Frau und seinen Besitz abspenstig gemacht habe: Ein schler alt vmb achttzeh iar […] In einem blawen tüchelein Het ein wrtzel sitzen Die hat er ir gegeben ein Und si verzaberitzen [verzaubert]. (vv. 75 – 80)

Die betrügerischen Praktiken des (fahrenden) Schülers, den der Erzähler als halb pfaff (v. 74 und 62) bezeichnet¹⁹⁰ und der mit einer magischen Wurzel (Alraune?) die Frau betört, werden intradiegetisch als im doppelten Wortsinn komische Geschichte eingefügt. Indem diese explizit als lüge[ ] (v. 69) ausgewiesen ist, erscheint auch extradiegetisch der Realitätsstatus des Erzählten und vielleicht der Gaunerliteratur allgemein prekär.¹⁹¹ Auch wenn das Lied in der Vorrede als Exempel (v. 15) und warnung (v. 19) bezeichnet ist, kann sich der Rezipient doch genauso über das Opfer des Betrugs lustig machen, wie dieser den intradiegetischen Geschichtenerzähler verspottet (vgl. vv. 93 f.). Das Lied hat also dieselben Aussageabsichten wie der Liber Vagatorum, wenn auch mit anderer Gewichtung. Weit erfolgreicher und wirkmächtiger als der Liber Vagatorum war Brants Narrenschiff. Denn die Rezeption des ‚Gaunerbüchleins‘ blieb auf den deutschsprachigen Raum beschränkt und seine lateinische Übersetzung so unbedeutend, dass sie nicht gedruckt wurde und sich so – im Gegensatz zum Narrenschiff – dem gelehrten humanistischen Diskurs in Europa verschloss. Einzig im Niederdeutschen/Niederländischen wurde der Text populär, wobei dieser Raum auch ansonsten durch eine deutliche Präsenz der behandelten Muster auffällt.¹⁹² Zum Narrenschiff verhält sich

Drittel des 2. Faszikels), dennoch ist der Kontext erkennbar durch weltliche literarische Texte geprägt. Vgl. Meyer: Hausbücher, Bd. 2, S. 494 und S. 523 – 525.  Vgl. Menso Folkerts und Gundolf Keil: [Art.] Köbel, Jakob. In: 2VL 4, Sp. 1276 – 1278.  Zur konventionellen Situierung des Schülers zwischen dem klerikalen und dem profanen Stand vgl. Kapitel 8.1.  Vgl. Kapitel 5.3.  Auf Niederdeutschland und die Niederlande verweisen zahlreiche Texte, die den bettelnden Fahrenden Schüler behandeln, z. B. Der Boiffen Orden und andere parodistische Reimpaarreden (vgl.

96

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

der Liber Vagatorum in folgendem Sinne wie ein präzisierender Kommentar: Wenn der Narr ein Signum der krisenhaften Zeit ist, dann ist der betrügerische Bettler eine typisierende Realisierung dieser Krise, die unter Zuhilfenahme der Bettlerkataloge weiter differenziert und segmentiert werden kann. Demnach ist auch der Fahrende Schüler, der als eine Bettlerkategorie auftritt, eine Spielart des Epochen-Narren. In der Schreibart der Satire treffen sich die beiden Rezeptionshaltungen, die bereits für die Bettlerkataloge ermittelt wurden: Unterhaltung und belehrende Warnschrift. Somit kann das Urteil, welches Johannes Trithemius über das Narrenschiff gefällt hatte, in nuce auch auf die ‚Gaunerliteratur‘ übertragen werden: (Ut non jure stultorum librum, sed divinam potius satyram opus illud appellasset.) Nescio enim si quid tempestatis nostrae usibus salubrius aut iocundius legi possit.¹⁹³

Eine terminologische Kontrolle des Unkontrollierbaren und das Rotwelsch Warum die Geheimsprache genutzt und verschriftlicht wurde und wie es zur Zuordnung der einzelnen Bettlerkategorien kam, dafür gibt es Erklärungen von verschiedenen Seiten. Zum einen impliziert die Geheimsprache ein intentionales Verbergen des Nutzers und eine Camouflage der eigenen Herkunft und Absichten, was eine Gruppenidentität der ‚eingeweihten‘ Randständigen stärkt und viele Gruppenaktionen (z. B. Betrug, Diebstahl) begünstigt.¹⁹⁴ Dies würde jedoch eine überregionale Gruppenbildung und Kommunikation voraussetzen, die zur Ausbildung einer homogenen Terminologie führen könnte. Die Möglichkeit einer solchen Entwicklung in der standardisierten und elaborierten Form der ‚Gaunerbüchlein‘ scheint für Fahrende des 15. Jahrhunderts jedoch unwahrscheinlich. Andererseits wurden die ortsstabilen Menschen des Mittelalters durch Reisende stets mit unterschiedlichsten fremden Sprach- und Lebensformen konfrontiert, was in Verbindung mit durchaus wahrscheinlichen negativen Erfahrungen und Attribuierungen mit den Fahrenden und Reisenden leicht zu einer ablehnenden Haltung gegenüber einem generalisierten

Kapitel 10.2.1) oder Selbstzeugnisse im Umfeld der niederländischen Lateinschulen (vgl. Kapitel 12.3.3). Vgl.dazu auch Pleij: Van Schelmen en Schavuiten.  Johannes Trithemius: Liber de scriptoribus ecclesiasticis. Basel: Johannes Amerbach 1494. 1 c. [Herv. P. R.]. Zit. nach Charles Schmidt: Histoire littéraire de l’Alsace à la fin du XVe et au commencement du XVIe siècle. Paris 1879, Bd. 1, S. 313 (Anm. 165). Trithemius stützt sich hier auf das berühmte Horaz-Dictum (Hor. Ars poetica, vv. 333 f.); Übers. P. R.: ‚Sodass jenes Werk zu Recht weniger das Buch über die Narren, sondern eher eine göttliche Satire zu nennen wäre – ich weiß nämlich nicht, ob es zum Nutzen in unserer widrigen Zeit eine heilsamere oder erheiterndere Lektüre gäbe.‘  Vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 44– 51, zit. S. 44: „Als charakteristisch für das Rotwelsch und die ihm verwandten Geheimsprachen wird man insbesondere das Wechselverhältnis von gruppeneigener Sprachentfaltung und sozialer Verfestigung ansehen können. Der Grad der Absonderung ist proportional zur sprachlichen Solidarität.“ Dazu auch Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 289. Sie erwägt die Möglichkeit einer Strategie „der sogenannten ‚Gauner‘, mit Hilfe dynamischer Bezeichnungsvariationen bei ihren Verfolgern Verwirrung zu stiften bzw. das mit einem der Ausdrücke Gemeinte geheim zu halten.“

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

97

‚Kauderwelsch‘ führen konnte. Die Wortlisten und Kategorien der ‚Gaunerliteratur‘ wären demnach „das sprachkreative Produkt einer Mehrheitsgesellschaft, die die Rotwelsch Sprechenden verachtet und sich durch sie bedroht fühlt.“¹⁹⁵ Es handelt sich um eine terminologische Kontrolle des Unkontrollierbaren. Aus der Beliebtheit und Verbreitung der Drucke des Liber Vagatorum und seiner Versionen resultiert weiter der Umstand, dass das textuell aufbereitete Wissen über die rotwelsche Terminologie, die in den wenigen älteren Textzeugen noch stark variiert, festgeschrieben wird, sodass der Text spätestens ab 1540 auch als Rotwelsch Grammatic bezeichnet und als ebensolche rezipiert wurde. Unter diesem Titel und mit der damit verbundenen lexikografischen Werkintention erschien noch im 18. Jahrhundert (Frankfurt a. M. 1755) ein Nachdruck des Liber Vagatorum. ¹⁹⁶ Doch auch darüber hinaus hatte das ‚Gaunerbüchlein‘ eine beträchtliche Wirkung auf den literarischen Diskurs. Die linguistische Sondersprachenforschung konzentriert sich weitgehend auf eine Rekonstruktion und Beschreibung von Sprachstufen tatsächlich gesprochener und genutzter Geheimsprachen, wie Jenisch oder Masematte.¹⁹⁷ Dabei liefert Siegmund A. Wolfs Wörterbuch des Rotwelschen (1956) die Grundlage. Dieser unterschätzte aber, dass die (Re‐)produktion von Listen der Sondersprachen als Gaunersprachen auch zur sprachlichen Ausgrenzung der Randgruppen beitrug.¹⁹⁸ Gegen einen Gebrauch ‚auf der Straße‘ in der überliferten Form spricht ebenfalls der Umstand, dass die „literarische Tradition […] keine Aussage über den tatsächlichen Gebrauch der Wörter in späterer Zeit“¹⁹⁹ zulässt, wie es Jörg Riecke in einer präzisen literarischen Reihe vorführt: Er zeigt, dass die Rotwelschliste des Liber Vagatorum (in der Ausgabe Martin Luthers von 1528) in Johann Michael Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald

 Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 289 f.  Vgl. dazu das Verzeichnis bei Kluge: Rotwelsch, S. 57 f. und speziell für das 16. Jahrhundert in Claes: Bibliographisches Verzeichnis der deutschen Vokabulare und Wörterbücher als Item 380/381 (~1540), 383 (~1540 – 1547), 657 (1583), 664 (1584) und 744 (1590) Vgl. Considine: Dictionaries, S. 37 (Anm. 18 f.).  Vgl. Klaus Siewert: Grundlagen und Methoden der Sondersprachenforschung. Mit einem Wörterbuch der Masematte aus Sprecherbefragungen und den schriftlichen Quellen. Wiesbaden 2003 und Corinna Leschber und Christian Efing (Hg.): Geheimsprachen in Mittel- und Südosteuropa. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2011. Einen Überblick liefert Klaus Siewert: 25 Jahre moderne Sondersprachenforschung in Deutschland. In: Stéphane Hardy, Sandra Herling und Klaus Siewert (Hg.): Geheimsprachen unter besonderer Berücksichtigung der Romania. Hamburg, Münster 2015, S. 9 – 34.  Siehe Siegmund A. Wolf: Wörterbuch des Rotwelschen. Deutsche Gaunersprache. Mannheim 1956, v. a. S. 5 – 14 und Siegmund A. Wolf: Studien zum Liber Vagatorum. In: PBB (H) 80 (1958), S. 157– 167. Zu den Rotwelschlisten als Element sprachlicher Ausgrenzung vgl. Kapitel 5.3.  Jörg Riecke: Zum Fortleben einiger alter Wörter des Rotwelschen in der deutschen Literatur. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 57 (1990), S. 186 – 192, hier S. 191. In seinem letzten Aufsatz geht Riecke nochmal konzentriert auf die Rotwelsch-Liste in Moscheroschs Gesichten Philanders von Sittewald und das Verhältnis zum Liber vagatorum ein.Vgl. Jörg Riecke: Rotwelsch bei Moscherosch. In: Sylvia Brockstieger und Dirk Werle (Hg.): Johann Michael Moscheroschs Textwelten. Bern u. a. 2020 (Beihefte zu Simpliciana), in Vorb.

98

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

(Abschnitt „Soldatenleben“ in der Ausgabe von 1644) aufgenommen wurde; diese integrierten dann Achim von Arnims Novelle „Philander unter den streifenden Soldaten und Zigeunern im dreißigjährigen Kriege“ in der Sammlung Der Wintergarten (1809) und Josephs von Eichendorffs Die Glücksritter (1840). Das rotwelsche Vokabularium ist bei den einzelnen Autoren gewiss keine Folge eigener Erfahrungen. Ebenso belegen kleine Variationen, dass die späteren Texte nicht auf den Liber Vagatorum als ‚Primärtext‘ zurückgreifen, sondern in einem Prozess sukzessiver literarischer Tradierung die Listen von anderen literarischen Texten abschreiben.²⁰⁰ Das Wortverzeichnis und die Liste von ‚Gaunertypen‘ werden mithin in identischer Form von diskursprägenden, obrigkeitlichen Akteuren weitergetragen und prägen durch ihre Verbreitung die Produktion literarischer Texte und die Wahrnehmungen sozialhistorischer Phänomene.

Bettlerkataloge als Phänomen im südwestdeutschen Kommunikationsraum Es ist bemerkenswert, dass die meisten Belege für Bettlerkataloge, die anhand idealtypischer Beispiele Muster bereitstellen, in einem recht kleinen Umkreis entstanden. Bei der Verschriftung der Bettlerkataloge im 15. Jahrhundert handelt es sich also um ein kleinräumiges Phänomen, welches sowohl von konkreten schriftlichen Fixierungen und zirkulierenden Inhalten ausgeht als auch von einem Bedürfnis der Differenzierung, Katalogisierung und damit Kontrolle mobiler Bettler und ihrer abweichenden Sprache. Die rekurrente Beschäftigung mit dem Thema des Bettelbetrugs und der sozialen Konstruktion von ‚starken Bettlern‘ konzentriert sich schon früh auf Ordnungen der deutschsprachigen Städte im Südwesten des Reiches. Damit markieren diese Region und ihr kommunikatives Netzwerk den Beginn einer Entwicklung, welche ab dem 16. Jahrhundert mit dem Druck des Liber Vagatorum im nahen Pforzheim den Diskurs prägte. Dabei gehen die deutschen Texte Prozessen voraus, die später auch in anderen Teilen Europas bristant werden. Denn „[b]etrügerischer Bettel war eine gesamteuropäische Erscheinung, bzw. entwickelte sich zu einem gesamteuropäischen Topos“,²⁰¹ z. B. im englischen Genre der anatomy of roguery (ab 1561 mit John Awdeleys The Fraternity of Vagabonds),²⁰² der französischen La vie généreuse unter dem Pseudonym Pechon de Ruby (Lyon 1596)²⁰³ oder dem italienischen Il vagabondo unter dem Pseudonym Frianoro Rafaele (eigentl. Giacinto de Nobili; Viterbo 1621).²⁰⁴

 Vgl. Riecke: Fortleben, S. 188 – 191.  Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten, S. 146.  Vgl. Pugliatti: Beggary and Theatre, S. 125 – 130 und Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 62– 64.  Vgl. Seidenspinner: Janusgesicht, Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 64– 66. Ed. in Roger Chartier: Figures de la Gueuserie. Paris 1982, S. 107– 131.  Camporesi: Vagabondi, S. 247– 331. Diese europäische Dimension nimmt die Literaturgeschichte der Bettlerkataloge bereits in Les Procès des Coquillards des Juristen Jehan Rabustel ein, der 1455 in

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

99

Die oberdeutsche Textreihe der Bettlerkataloge selbst bildet ein kleinräumig zirkulierendes narratives Muster und eine eigene literarische Tradition, die mikroskopisch beschreibbar ist. Diese Muster werden durch Vervielfältigung und Verbreitung im Druckzeitalter verbindlich und greifen so auf andere Räume und Gattungen über. Die einzelnen Typen aber bilden ein Reservoir an Figurenmustern, auf das zahlreiche Texte ab dem 16. Jahrhundert zugreifen konnten – so auch hinsichtlich des Fahrenden Schülers als Bettlertypus.

Exkurs: Jüdische Betteljuden und der Fahrende Schüler im Maaseh Nissim Der Umstand, dass der Großteil der Vokabeln in den tradierten Rotwelsch-Listen aus dem Jiddischen abgeleitet ist,²⁰⁵ stärkt die These einer Konstruktion durch die Obrigkeit der christlichen Majorität. Denn delinquentes Betteln unter Juden als Massenphänomen ist vor dem 17. Jahrhundert eher unwahrscheinlich und dürfte die Ausnahme geblieben sein. Dafür sind drei Argumente anzuführen: (1) Bettelnde NichtChristen hatten in ländlichen Regionen nur eine geringe Chance, ein Almosen zu bekommen, in den Städten hingegen duldete man nur wohlhabende Juden.²⁰⁶ Innerhalb der jüdischen Gemeinden aber ist von einer aktiven Subsistenz für wandernde Bettler und Talmudschüler auszugehen. Diese geriet erst ab dem Spätmittelalter ins Wanken, als die zunehmend verelendende jüdische Unterschicht immer mehr auf die Unterstützung durch andere Juden angewiesen wurde, was diese nicht mehr leisten konnten. So unterschied man – ähnlich wie in den Bettelordnungen der Christen – seinerseits zwischen ‚würdigen‘ Bettlern (Kabzen) mit Bettelbrief (Kibbuz) und ‚unwürdigen‘ Archi-(u)Parchi oder Orchim. ²⁰⁷ Die Letzteren firmieren auch unter der Bezeichnung Schalant- oder Betteljuden.²⁰⁸ Die christliche Majorität, die über innerjü-

Dijon eine Aufzeichnung verschiedener Gauner als Bericht eines Barbiers mitsamt einzelnen Jargonworten in seine Akten inseriert und womöglich am narrativen Muster der Straßburger Betrügnisse partizipiert. Vgl. Considine: Dictionaries, S. 47 f. Ed.: Lazare Sainéan: Les Sources de l’Argot Ancien. Bd. 1: Des Origines a la Fin du XVIIIe Siècle. Paris 1912, S. 87– 110.  Vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 168 f. und Martin Schüßler: Die Entwicklung der Gauner- und Verbrechersprache „Rotwelsch“ in Deutschland von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 118 (2001), S. 387– 437, hier S. 413.  Vgl. dazu Yacov Guggenheim: Meeting on the Road. Encounters between German Jews and Christians on the Margins of Society. In: Ronnie Po-chia Hsia und Hartmut Lehmann (Hg.): In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 2002, S. 132– 135, Rudolf Glanz: Geschichte des niederen jüdischen Volkes in Deutschland. Eine Studie über historisches Gaunertum, Bettelwesen und Vagantentum. New York 1968, S. 2. und Schüßler: Gaunerund Verbrechersprache, S. 414 f.  Vgl. Yacov Guggenheim: Von den Schalantjuden zu den Betteljuden. Jüdische Armut in Mitteleuropa in der Frühen Neuzeit. In: Stefi Jersch-Wenzel (Hg.): Juden und Armut in Mittel- und Osteuropa. Köln 2000, S. 55 – 70, S. 66.  Für diese häufige Bezeichnung hat Guggenheim folgende Wortgeschichte ausgemacht: „Schalantjuden waren im Hochmittelalter jüdische Fernhändler, die auf den Calanna oder Salandria, großen

100

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

dische Mechanismen ohnehin selten informiert war, konnte in diesen (mitunter delinquenten) Bettlern antijüdische Stereotype realisiert sehen²⁰⁹ und diese auf die ganze Bevölkerungsgruppe übertragen, um ihnen generelle Delinquenz vorzuhalten und sie zu ridikülisieren (z. B. bei Hans Folz).²¹⁰ (2) Dass das Rotwelsche tatsächlich von jüdischen ‚Gaunern‘ als Geheimsprache genutzt wurde, ist außerdem unwahrscheinlich, da für ein Verbergen von Absichten gegenüber Nichtjuden das Hebräische/ Jiddische ausreichend, das Rotwelsch mit den vielen hebräischen Lehnwörtern gegenüber anderen Juden als Geheimsprache, aber untauglich gewesen wäre.²¹¹ Schließlich (3) leiten sich die jüdischen Lehnwörter in den Rotwelsch-Listen nicht vom gesprochenen Jiddisch ab, sondern vom klassischen Hebräisch.²¹² Dies macht eine gelehrte Adaptation wahrscheinlich, die – ohne die simplifizierende Erklärung von delinquenten Gelehrten bemühen zu müssen – auf eine nichtjüdische juristische Obrigkeit zurückzuführen sein könnte.²¹³ Die Zuteilung einer jüdischen Sprache an die Vaganten dient mithin einer Sekundärstigmatisierung, wie sie bereits bei Luthers Neuherausgabe des Liber Vagatorum deutlich wird, wenn er betont, dass das Rotwelsch voll Ebreischer wort ist.²¹⁴ Blickt man hingegen in die jiddische Literatur der Frühen Neuzeit, so werden dort dieselben Muster wie in den anderen Literaturen sichtbar. Beispielsweise zeigt das jiddisch-deutsche Spielerlied Al Ha-Seḥok (‚Über das Spielen‘) das Muster vom Budenorden: Secht welcher ein schöner Spieler ist, und spielt ohn alles Arglist, ach wie sehr loben ihm die Buden, das Lob wird ihm viel zu schwer, man spricht das seind die guten Spieler, leigen all in der Badstuben, das bin ich innen worden, mit meinem Schad ist es geschehen, ich was auch in dem

Flußkähnen, als Gäste in fremde Städte kamen. In der sozio-ökonomischen Situation der spätmittelalterlichen Stadt waren fremde, nichtprivilegierte Juden vornehmlich arme Juden, an welchen die Bezeichnung haften blieb“; Guggenheim: Schlantjuden, S. 55 (Anm. 2).  Zu antijüdischen Vorurteilen, die im 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten vgl. Ronnie Pochia Hsia: The Usurious Jew. Economic Structure and Religious Representations in an Anti-Semitic Discourse. In: Ronnie Po-chia Hsia und Hartmut Lehmann (Hg.): In and Out of the Ghetto. JewishGentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 2002, S. 161– 176.  Vgl. Guggenheim: Encounters, S. 129 und Edith Wenzel: „Do worden die Judden alle geschant“. Rolle und Funktion der Juden in spätmittelalterlichen Spielen. München 1992, S. 256 – 265.  Vgl. dazu Schüßler: Gauner- und Verbrechersprache, S. 415 f.  Paul Wexler nennt „an unmistakably varied Jewish component“ und „[s]ubstratal relics in Rotwelsch“. Paul Wexler: Languages in Contact. The Case of Rotwelsch and the Two „Yiddisches“. In: Ronnie Po-chia Hsia und Hartmut Lehmann (Hg.): In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 2002, S. 109 – 124, hier S. 120 und 124.  Z. B. bei Matthias Mieses, der erwägt, dass diese Lexeme „von hebräisch geschulten Scholaren nichtjüdischen Stammes her[rühren], die das Buch mit dem Gaunerhandwerk vertauschten und aus der hebräischen Urquelle ihr Wortmaterial schöpften“; Matthias Mieses: Die Entstehungsursache der jüdischen Dialekte [1915], hg. von Peter Freimark. Hamburg 21979, S. 25. Diese These verwirft auch Wexler: Languages in Contact, S. 116.  Zitat: Luther: Vorrede, S. 638. Vgl. dazu auch Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 107.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

101

Orden, dem die Buden Preis verjehen […], welcher sein Leib zu Spiel verflicht, er spiel ehrlich oder nicht, so ist es doch als gar ein Wicht.²¹⁵

Das Lied bleibt freilich bei allgemeinen Referenzen auf einen Orden der Spieler wie auch die meisten lateinischen Lieder.²¹⁶ Auch in einer jüdischen Schwanksammlung, dem Sefer Ma’asseh Nissim (‚Buch der Wundergeschichten‘) des Wormser Synagogendieners Juspa Schammes (1604– 1678),²¹⁷ befindet sich eine Erzählung über einen „Fahrenden Schüler“,²¹⁸ die wahrscheinlich auf ältere „traditional narratives“²¹⁹ zurückgeht: Sie handelt von einem frommen Mann und dessen Tochter, welcher ein fahrender Student droht, dass er in der kommenden Nacht

 Frankfurt, UB, MS. hebr. oct. 17 von 1517: Ed. in Leopold Löwenstein: Jüdische und jüdischdeutsche Lieder. In: Jubelschrift zum siebzigsten Geburtstag des Dr. Israel Hildesheimer, Rabbiner und Rector des Rabbiner-Seminars zu Berlin. Berlin 1890, S. 126 – 144, hier S. 143 (Str. 12); ed. des zweiten Teils in Leopold Löwenstein: Jüdische und jüdisch-deutsche Lieder. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 38 (1894), S. 78 – 89. Handschriftenbeschreibung in Ernst Róth und Leo Prijs: Hebräische Handschriften. Teil 1: Die Handschriften der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Bd. A–C. Wiesbaden 1982, S. 22 f. Vgl. dazu auch Israel Zinberg: A history of Jewish Literature, übers. und hg. von Bernard Martin. 12 Bde. New York 1975, Bd. 7, S. 39 f.  Vgl. Kapitel 7.2 und 7.3. Zur produktiven Umsetzung des Musters vom Bubenorden vgl. weiter Kapitel 10.2.3.  Sein voller Name lautet Yiftah Yozpa Ben-Naftali ha-Levi. Zu seiner Biographie und zum Buch vgl. Shlomo Eidelberg: R. Juspa, Shammash of Warmaisa (Worms). Jewish Life in 17th Century Worms. Jerusalem 1991, S. 9 – 14 und 49 – 52; außerdem Fritz Reuter und Ulrike Schäfer: Wundergeschichten aus Warmaisa. Juspa Schammes, seine Ma’asseh nissim und das jüdische Worms im 17. Jahrhundert.Worms 2012, S. 76 – 103 und Zinberg: Jewish Literature, Bd. 6, S. 72 f. Die älteste erhaltene Fassung ist Juspa Schammes: Sefer ma’es´e nisim, hg. von Elieser Ben Seeb Wolf Liebermann. Amsterdam: Asher Anshel ben Eliezer Chazzen 1695/96 (Yiddish publications from the Netherlands, YBN-33).  So in der Übertragung des Wormser Lehrers Samson Rothschild: Aus der Vergangenheit und Gegenwart der Israelitischen Gemeinde Worms. Frankfurt a. M. 61926, S. 58 f. Das Buch erschien von 1890 bis 1929 in sieben voneinander abweichenden Versionen. Da diese Edition stark verkürzend ist, beziehe ich mich auf die englische Übersetzung in Eidelberg: Juspa, Shammash of Warmaisa, S. 89 f. (hier auch auf Hebräisch, S. 86 f.) und die neuere deutsche Übersetzung in Reuter/Schäfer: Wundergeschichten, S. 53 f.  Lucia Raspe: Yuzpa Schammes and the Narrative of Medieval Worms. In: Karl E. Grötzinger (Hg.): Jüdische Kultur in en SchUM-Städten. Literatur – Musik – Theater. Wiesbaden 2014, S. 99 – 118, hier S. 108. Genaue Aussagen sind darüber nicht möglich. Ebensowenig ist über die ursprüngliche Sprache von Schammes’ Sammlung Sicherheit zu gewinnen. Die ältese Version wurde von Eliezer Liberman, dem Sohn des Verfassers, erst nach dem Tod des Vaters im Amsterdamer Exil 1695/96 auf Jiddisch herausgegeben. Während bis 1777 sieben Editionen in jiddischer Sprache erschienen, ist das Urmanuskript nicht erhalten. Vgl. zur Editionsgeschichte Nathanael Riemer: Juden und Christen in Juspa Schammes’ Mayse Nissim und das Selbstverständnis der Wormser jüdischen Gemeinde als aschkenasisches „Jerusalem“ in einer diesseitigen, fragilen Welt. In: Karl E. Grötzinger (Hg.): Jüdische Kultur in en SchUM-Städten. Literatur – Musik – Theater. Wiesbaden 2014, S. 119 – 136, hier S. 120 (v. a. Anm. 6) und Zinberg: Jewish Literature, Bd. 7, S. 197– 203. Argumente dafür, dass auch die Urfassung auf Jiddisch und nicht – wie angenommen wurde – auf Hebräisch verfasst war, nennt Raspe: Yuzpa Schammes, S. 101– 103.

102

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

gegen ihren Willen zu ihr kommen werde. Das Mädchen meldet die Drohung ihrem Vater und dieser versammelt zehn Gelehrte, um seine Tochter und sich selbst gegen den Fremden zu schützen. Der Student aber hat bei einem Hexenmeister die schwarze Magie studiert und kann die zehn Gelehrten und den Vater in ihrer Wacht mit einem Schlafzauber belegen. Als der Eindringling das Mädchen bedrängt, kann sie den Vergewaltiger abwehren und mit einem Messer erstechen. Auch den Schlafzauber – zehn Kerzen im Kamin – kann sie durch einen Rat der (christlichen) Nachbarn wieder lösen. Die Kerzen und damit den Zauber kann nur der Zauberer selbst löschen. In einem absurden Umkehrritual positionieren die Beteiligten den Leichnam des Schülers so bei den Kerzen, dass seine Körperwinde die Flammen ausblasen, indem sie auf seinen Bauch drücken. Neben dem Nachbarn ist auch der fahrende Student dezidiert nicht Teil der jüdischen Gemeinde; denn er wird mit der Bezeichnung eines nicht-jüdichen Schülers versehen.²²⁰ Außerdem wird die Fürsprache der christlichen Nachbarn betont, die dem Mädchen bezeugen, „dass sie in Notwehr gehandelt hatte.“²²¹ So entgeht sie einer Verurteilung für den Mord an einem Christen. Ähnlich wie bei den (christlichen) ‚Gaunerbüchlein‘ nutzt auch der jüdische Text eine Figur aus der anderen Religion, um die Fremdheit des Devianten auszustellen.

5.1.4 Der Fahrende Schüler als Bettler Schüler als privilegierte Bettler Die einzelnen Typen der Bettlerkataloge bedienen sich meist der Verstellung (simulatio), um Almosen zu heischen. Vergleicht man die Fahrenden Schüler mit anderen Bettlertypen, die dies durch Nacktheit oder vorgetäuschte Krankheit versuchen, nehmen sie eine besondere Stellung ein. Schon der juristische Diskurs zum Ende des 15. Jahrhunderts bewertet das Bettelrecht der Schüler ambivalent. So vertritt der Lindauer Reichsabschied im Februar 1497 die Meinung: Item, sol ein yede Oberkait der Bettler halber ernstlichen Insehens tun, damit nyemants zu betteln gestattet werde, der nit mit Swacheyt oder Gebrechen seins Leybs beladen und des nit notdürftig sey […] Doch sollen die armen Schüler, so der Lere nachziehen, hierinne nit begriffen sin.²²²

 Die (nicht-jüdischen) Studenten sind die einzige Gesellschaftsgruppe im Ma’asseh Nissim, „die eindeutig und durchweg negativ dargesellt wird“ (z. B. auch in der Erzählung Nr. 5 und 23); Riemer: Juden und Christen, S. 129.  Reuter/Schäfer: Wundergeschichten, S. 54; vgl. auch Riemer: Juden und Christen, S. 124 und Raspe: Yuzpa Schammes, S. 107.  Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstage von Lindau,Worms und Freiburg 1496 – 1498, hg von Heinz Gollwitzer. Göttingen 1979, S. 338 – 352, Nr. 51, zit. 344. Die Bettelordnungen von Nürnberg (1478) und Würzburg (1490) folgten diesem Beispiel. Vgl. Johannes Bolte: Fahrende Leute in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 31 (1928), S. 625 – 655, hier S. 630.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

103

Damit sind die armen Schüler in einer privilegierten Situation – sofern sie betteln, um ihren Studien nachgehen zu können. Auch in der Scholastik wurden die Schüler herausgestellt: Ihr Betteln sei gut, da sie als zukünftige Priester für die Gemeinschaft nützlich seien. Darauf aber müssten sie sich durch den Besuch der (Hoch‐)Schule vorbereiten.²²³ Dasselbe Argument nennt Johannes Geiler von Kaysersberg, wenn er die bettelnden Schüler gewissermaßen als exzeptive Einheit der betler narren in der 67. Narrenschar beschreibt. Et prefatis circumstantijs existentibus etiam licet petere id quod pertinet ad hanc necessitatem: utputa si mendicans utilis sit studio sacre scripture et predicationi: ad quam libris indiget qui pertinent ad istam tertiam necessitatem: bene licet petere ea quibus sibipsos comparet: pensatis tamen circumstantijs qui ultra id quod opus est petere non licet: quisque plus ad curiositatem et cupiditatem pertinet quam ad necessitatem.²²⁴

Der arme Schüler dürfe als zukünftiger Prediger also völlig zu Recht betteln, um sich seine Bücher leisten zu können, und sei nicht zu den ‚starken Bettlern‘ zu zählen, auch wenn er möglicherweise für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen könnte. Diese Einschätzung geht einher mit der Meinung, dass die Erfahrung von Selbsterniedrigung und Armut ‚am eigenen Leib‘ auch einen pädagogischen Nutzen beinhalte und zur Barmherzigkeit erziehe.²²⁵ Diese Privilegierung der armen Schüler sieht man schon in der hochmittelalterlichen Gesetzgebung.²²⁶ Mit der Jahrhundertwende kommt es jedoch innerhalb weniger Jahre zu einer Relativierung des status quo. Ein Indiz dafür ist Folgendes: Obwohl im Augsburger Reichsabschied vom September 1500 die Paragraphen des Lindauer Reichsabschieds (1497) zum Teil wortwörtlich kopiert wurden, übernahm man die Privilegierung der Schüler nicht.²²⁷ Auch Martin Luther führt in seiner Schrift An die Radherrn aller stedte deutsches lands: das sie Christliche schulen auffrichtenn vnd halten sollen (1524),²²⁸ in der er die Neuordnung des Schulwesens fordert, den

 Scherpner: Theorie der Fürsorge, S. 34 f. Vgl. Kapitel 9.3.1.  Johannes Geiler von Kaysersberg: Nauicula siue speculum fatuorum, übers. und hg. von Jacob Otther. Mit einer Lebensbeschreibung durch Beatus Rhenanus. Straßburg: Matthias Schürer 1510, Turba LXII, fol. Y5r, übers. von Johannes Pauli: Des hochwirdigen doctor keiserspergs narenschiff. Straßburg: Johann Grüninger, fol. CXXXr: und wan man die umbstend betrachtet/ so mag man z der nottdurft heischen. Als wan einer nutzlich wer zepredigen/ so moͤ cht man im wol betlen dz er der schl nach moͤ cht ziehen/ oder bücher zekauffen zepredigen/ aber me heischen dan er bedoͤ rffte/ das man die bücher wol zierte und ußstryche/ das sol nit sein wann das diente me z der geitigkeit/ da z notdurfft.  Vgl. dazu Kapitel 12.3.3.  Vgl. Kapitel 9.2.1.  Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede. Bd. 2. 1747 (Osnabrück 1967), S. 63 – 91, hier S. 80 Art. 27. Vgl. außerdem Friedrich Battenberg: Obrigkeitliche Sozialpolitik und Gesetzgebung. Einige Gedanken zu mittelrheinischen Bettel- und Almosenordnungen des 16. Jahrhunderts. In: ZHF 18 (1991), S. 33 – 70, hier S. 45 f.  Martin Luther: An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen [1524]. In: WA 15 (1899), S. 9 – 53

104

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Schülerbettel nicht als Lösung eines Problems an, sondern schlägt ein allgemeines Schulgeld vor. Diese Indizien geben Anlass zu der Vermutung, dass sich um 1500 die Tendenz verstärkte, dass auch ein bettelnder oder (Kurrende) singender Schüler eher als Tagedieb oder Betrüger beargwöhnt wurde.

‚Kammesierer‘ und ‚Vagierer‘ – Schüler in der ‚Gaunerliteratur‘ Der Fahrende Schüler wird erst recht spät Teil der Bettlerkataloge, erhält dann aber spezielle Attribute. Der allgemeinere Typus des ‚gelehrten Bettlers‘ jedoch ist bereits seit den ersten Bettlerkatalogen im Typus des ‚Kammesierers‘ präsent. Das Augsburger Achtbuch (1342/43) nennt ihn als: kappsierer, die jehent, sie sien phaffen und hant wip und kint. ²²⁹ Die Betrügnissen der Gyler bezeichnen den Typus als die ‚G(a)latten‘. Diese Bezeichnung der ‚Gaunerkategorie‘ leitet sich entweder ab von ‚gelehrt‘/‚gelahrt‘ mit der Semantik des litteratus oder von ‚glatt‘ und bezieht sich dann auf den glattgeschorenen/tonsurierten Kopf des falschen Priesters: Item es sint ouch etlich, [die] ein wenig gelert und doch nit gewihet sint, und sprechent, si sient priester, und tnd inen ein blatten scheren als eym priester, und wandelent umbe und umbe in den landen und sprechent, sy habent verre heym z iren landen und sient von Rome oder anderswa har komen und sient beroubet, und nement ein bch in die hand, als ob si ire zyt bettent. und wer inen das almsen gitt, so sprechent sy, [sy] wellen inen sant Johanns ewangelium oder ander gebett fürderlich sprechen, und betriegent die lüte damitte.²³⁰

Dem ‚Kammesierer‘ als falschem Priester wird also zum einen Bildung zugesprochen – er ist zumindest lesekundig und im Besitz von Büchern – zum anderen gilt er als frommer Mann: Er sei nämlich ein ausgeraubter Pilger und könne den Segen spenden. In der lateinischen Rezeption dieser Betrügnisse (Heidelberger Scherzdisputation von 1458) wird die Formulierung weitgehend übernommen: Sunt denique quidam alij parumper leterati non tum sacius in sanctis ordinibus, qui se prespiteros fuisse dicunt et coronas deferunt sacerdotum. ²³¹ Durch die Übertragung in die Chronik Matthias’ von Kemnat (1475) kommt es zu einigen maßgeblichen Umakzentuierungen:²³² Das Buch, das der ‚Glatte‘ bei sich

 Kluge: Rotwelsch, S. 2.  Kluge: Rotwelsch, S. 14.  Cod. pal. lat. 870, fol. 153r; Übers. P. R.: ‚Es gibt nämlich seit geraumer Zeit einige andere ‚Gelehrte‘, die sich nicht nur als Teile heiliger Mönchsorden, sondern sogar als Priester ausgeben und sich eine klerikale Tonsur schneiden.‘  Die gegenwärtigen Editionen Matthias von Kemnat: Chronik und als Teiledition Kluge: Rotwelsch, S. 20 – 27 nennen und kennen nur die jüngeren Handschriften Cod. germ. mon. 1642 (2. Viertel 16. Jh.) und Leipzig Rep. III. 16a (1530). Älter und bedeutender aber sind ist der wiederentdeckte Cod. Heid. N.F. 9 (~1476, bis 1997 noch Malibu, P. Getty Museum, 83 Mp. 152) mit seinen Schwesterhandschriften Paris Bibl. Nat. Ms. allem. 85 (~1475) und Heid. Hs. 3599 (~1480). Für die folgenden Untersuchungen nutze ich die beiden Heidelberger Handschriften. Diese sind auch durch die zentralen Lesarten getrennt, zumal die Leipziger Handschrift von Heid. Hs. 3599 abhängt. Vgl. zu den Handschriften und Affilia-

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

105

trägt, spezifiziert er als vol zauberey und buberey ²³³ und er ergänzt, sie lehrten den Menschen sant thobias und columbanus segen ²³⁴ – zwei Reisesegen, die seit dem Spätmittelalter auch mit Magie konnotiert waren.²³⁵ Schließlich fügt er noch als Wahrheitsbeteuerung an, dass er diese aus eigener Erfahrung kenne und erweitert die aus den Betrügnissen übernommene Bezeichnung um den geläufigeren Namen dieses Bettlertyps: und heissen Cambisirer oder die glatten. ²³⁶ Das Interesse, das Matthias von Kemnat diesem Betteltyp entgegenbringt, zeigt die wiederholte Nennung des Typs in einer Anekdote. Hier greift er die Konnotation des betrügerischen Pilgers auf, die er im ersten Abschnitt getilgt hatte: Er berichtet von einem ‚Kammesierer‘, der Spenden sammelt, um den Schädel seines auf der Wallfahrt verstorbenen Vaters nach Rom zu bringen, und damit sowohl an die Barmherzigkeit als auch an die Sensationsgier der Städter appelliert.²³⁷ Die etwas jüngere Abschrift des Schreibers Johann Rot aus Weinheim betont diese Akzente noch weiter und bezeichnet den Bettlertyp konkret als Schüler und damit als angehenden Kleriker: daß sint die verdorbenen schüler die ein wenig gelert sint und noch nyt geweyhet und sagent doch sie syent pristere und pfaffen. ²³⁸ Der Schreiber fügt zum Schluss dieses Abschnitts noch eine durch Rubrizierung hervorgehobene eigene Erfahrung an, die ihm 1457 in Erfurt widerfahren sei: Aber [gestrichen, ursprünglich rubrifiziert: ich her johann rode von wynheim] der diß buch mit syner hantt geschrieben hait [unleserliche Tilgung über zwei halbe Zeilen]²³⁹ habe derselben

tionen Studt: Fürstenhof, S. 73 – 144. Im Gegensatz zu den eher allgemeinen Aussagen in Kapitel 5.1.2 ist bei dem folgenden close reading eine Berücksichtigung des (älteren) handschriftlichen Befundes wichtig, weshalb ich direkt aus den Handschriften zitiere.  Cod. Heid. N.F. 9 fol. 88r, ebenso Heid. Hs. 3599 fol. 153v.  Cod. Heid. N.F. 9 fol. 88r, ebenso Heid. Hs. 3599 fol. 153v.  Zum Columbanssegen, der häufig mit dem Colomanssegen verwechselt wird, vgl. Adolf Jacoby: [Art.] Columbansegen. In: HdA 2, Sp. 100; Adolf Jacoby: [Art.] Colomanibüchlein und- segen. In: HdA 2, Sp. 97– 99. Zum Tobiassegen vgl. Anton Schönbach und Elias Steinmeyer: Zum Tobiassegen. In: ZfdA 24 (1880), S. 182– 191 [der angekündigte Eintrag im HdA fehlt].  Cod. Heid. N.F. 9 fol. 88r, ebenso Heid. Hs. 3599 fol. 153v.  Yedoch mag ich hier eines nit übergen zu melden von eynem Cambisierer oder glatten der nam eynen dottenkopff und drug in von eyner statt zu der andern und sagt, er wer sins vattre kopff der were heylig dan sin vatter were gestorben uff dem weg gein sant Jacob und er hette in gesucht lanngzitt bis das er yn gefonden hett. Nün so er yno hett gefunden, so samelt er darzu und sagte er wolt yn gein Rom dragen und heylig machen lassen machen also überkam er vil geltes und wartt zu lautterburg gefangen und bekentt das er den kopff sunst in eynem kerntner hett genomen, und man fand XX gulden by im, die er mit liegen vnd dem almusen darzu gesamelt hett; Cod. Heid. N.F. 9 fol. 88v, auch in Heid. Hs. 3599 fol. 154r.  Heid. Hs. 3599 fol. 153r [Herv. P. R.].  Textgenetisch interessant ist an dieser Stelle, dass die Schreibernennung, die noch lesbar ist (respektive zum Teil durch Chemikalien wieder lesbar gemacht wurde) in der Leipziger Handschrift, die auch Kluge kennt – vgl. Kluge: Rotwelsch, S. 26 (Anm. 1) – aufgenommen, die Tilgung jedoch ausgelassen wurde. Tatsächlich ist der Inhalt der Passage aus den Ober- und Unterlängen nicht mit Sicherheit feststellbar. Die große Zahl von rot hervorgehobenen Majuskeln (D, P, O, E) läßt den Schluss zu, dass es sich womöglich um den Namen des Autraggebers, eines Gönners oder eines weiteren

106

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

glatten eynen zuo Erfort uff eyner leytern sehen steen [.] der sange und laße messe, er daufft [taufte], er hort beicht und absolvieret die leute [erteilt die Absolution] und recht alle sacrament. Und bei erffort inn eynem dorfflin hielt der selbe mess und verschlug [stahl] den silberyn kelich und steckt eynen holzin jn sack. Der wart gefangen und alle sin boißhaytt offenbart und dar umbe verbrandt. Und geschae ungeverlich jm jare nach cristi geburt Mo CCCCo Lvij [1457] alß ichs behalten habe.²⁴⁰

Er setzt den ‚Kammesierer‘ als ‚gelehrten Bettler‘, der lesekundig (d. h. auch lateinkundig) und in den geistlichen Praktiken beschlagen ist, gleich mit dem abgefallenen armen Schüler oder Studenten, der mittels seiner Gelehrsamkeit bettelt und betrügt. Analog verfährt Gerold Edlibach (~1490) in seinem Rotwelsch-Vokabular, das übersetzt: kemmesierer, figant – student. ²⁴¹ Michel Beheim übernimmt in seiner Versifikation von Kemnats Chronik zwar nicht die Passage mit dem Bettlerkatalog, scheint aber – wohl vermittelt über dessen Chronik – am Diskurs über die ‚Gauner‘ zu partizipieren, was er in seinem Lied Von den sterczern, wie sy die leut petriegen ²⁴² beweist. Hier ruft er die einzelnen Attribute des ‚Kammesierers‘ auf, wenn er sie auch unterschiedlichen Gruppen zuschreibt. Beheim nennt neben falschen Priestern, Reliquienhändlern (vv. 5 – 45, 78 – 81) und Bettlern, die sich als bedürftig ausgeben,²⁴³ auch Hochstapler: z. B. wunderbar Genesene (vv. 98 – 108), Schatzgräber, Nekromanten und Propheten,²⁴⁴ sowie falsche Wunderheiler, welche vorgeben, die Jungfräulichkeit wiederherstellen zu können,²⁴⁵ oder Alraunen verkaufen, und damit vor allem törichte Frauen betrügen: Hort, wie die sterczer und die pubm die welt petriegen und petrubm. etlich die sniczen pild aus rubm [Rüben] oder aus andern wurczen. Mit erd sy es pesturczen. darinn sein sy es wurczeln lan, pis das es vil nasen wirt han.

Zeugen handeln könnte, der im Prozess der Tradierung der Handschrift getilgt wurde. Das bleibt jedoch Spekulation.  Heid. Hs. 3599 fol. 153v [Anm. P. R.].  Kluge: Rotwelsch, S. 19. Das rotwelsche figant begegnet ansonsten in keiner weiteren Wörterliste.  Michel Beheim: Die Gedichte. Nach der Heidelberger Hs. cpg 334 unter Heranziehung der Heidelberger Hs. cpg 312 und der Münchener Hs. cgm 291 sowie sämtlicher Teilhandschriften. Band 2: Gedichte 148 – 357, hg. von Hans Gille und Ingeborg Spriewald. Berlin 1970, S. 331– 335 (Nr. 236).  Er nennt Behinderte und Kranke (vv. 46 – 57), Pilger, Büsser und Nackte (vv. 58 – 73),Wahnsinnige (vv. 82– 85), konvertierte Juden (vv. 90 f.) und arme Frauen in der Schwangerschaft (vv. 86 – 89) oder mit Kind (vv. 74– 77).  Und etlich welln verporgen schecz | den leüten czaigen. mit geswecz | chunden sy es. es daucht mich lecz, | das sy es selb nit nehmen. | Mer furbas solt ir gemen. | etlich sprechen, die toten sy | her wider chunnen pringen hie. | auch so sprechen ir etlich, wy | das sy enczuket sein | Gen himel oder in die hell, | do sy gesehen hannd die quell, | dy noch etliches leiden sell, | das noch auf der erd ist leben. (vv. 109 – 121).  Manche sprechen, sy sein ercztin | und haben sovil chunst und sinn, | welch magt ir ern verlirn peginn, | die machens wider maget. (vv. 92– 95).

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

107

den tumen weiben fur allran [Alraunen] sy es czu kauffen geben. Sust treiben sy vil triegereÿ mit andern wurczeln mangerley. (vv. 122 – 132, Anm. P. R.)

Auch wenn Beheim nicht wörtlich den Fahrenden Schüler oder ‚Vagierer‘ nennt, sammelt er doch zahlreiche Motive, die sich an dieser Figur anlagerten.²⁴⁶ Im handschriftlichen Überlieferungszusammenhang steht das Gedicht stets als Abschluss eines thematischen Blocks mit Gedichten gegen Juden (Nr. 203 – 234) und Zauberer (Nr. 235), und damit in einem ähnlichen Zusammenhang wie das Inserat bei Matthias von Kemnat. Dies ist ein Zeichen für eine Abwertung aller behandelten sozialen (Rand‐)Gruppen mittels Sekundärstigmatisierung. Der Liber Vagatorum teilt die Eigenschaften des ‚Kammesierers‘/‚Glatten‘ in mindestens drei Kategorien auf. Die Bedeutung des falschen Pilgers findet sich in den Typen der ‚Christianer‘ und ‚Calmierer‘.²⁴⁷ Die beiden anderen Typen sind weitaus interessanter: die ‚Kammesierer‘ und die ‚Vagierer‘. Diese Aufteilung begegnet als erstes in einer lateinischen Nota de fictis mendicis in der deutsch-lateinischen Sammelhandschrift Diversarius multarum [materiarum] (Zürich Ms. C 101), die um 1470 vom Benediktinermönch Gallus Kemli verfasst/kompiliert wurde. Hier reihen sich kurze Passagen verschiedenster Thematik und Provenienz meist unverbunden aneinander: Anweisungen für richtiges Schreiben, medizinische Rezepte, astrologische Tafeln, Exorzismen, Ablässe und Kirchenrecht.²⁴⁸ Die Nota de fictis mendicis folgt auf einen Abschnitt, der mit De abusionibus questionariorum (fol. 109v f.) überschrieben ist. Diese Passage ist – wie in dem Quellennachweis ex sexto Clementini ²⁴⁹ angegeben – ein Zitat aus den Clementinae constitutiones, die von Papst Clemens V. auf dem Konzil von Vienne erlassen und nach seinem Tod 1317 veröffentlicht wurden. Das zitierte Kapitel aus dem Rechtstext (Clem. 5, 9, 2)²⁵⁰ behandelt die Hinterziehung von Almosen durch kirchliche Verwalter. Damit sind die

 Vgl. die Darstellung in kleinepischen Texten, v. a. De vita vagorum (Kapitel 10.2.1) oder in der Sagenüberlieferung (Kapitel 12.3.1).  Kluge: Rotwelsch, S. 49.  Zur Handschrift vgl. Jakob Werner: Beiträge zur Kunde der lateinischen Literatur des Mittelalters. aus Handschriften gesammelt. 2., durch e. Anh. verm. Ausg. Aarau 1905, S. 152– 183 (mit Teiledition); nota de fictis mendicis auf S. 165. Außerdem Beat Matthias von Scarpatetti: Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550. Bd. 3: Die Handschriften der Bibliotheken St. Gallen–Zürich, Text- und Abbildungsband. Dietikon-Zürich 1991, Textband, S. 252 (Nr. 806); Heinrich Hänger: Mittelhochdeutsche Glossare und Vokabulare in schweizerischen Bibliotheken bis 1500. Berlin, New York 1972, S. 58 f.; Leo Cunibert Mohlberg: Mittelalterliche Handschriften. Zürich 1951, S. 52 f. (Nr. 130). Das Inhaltsverzeichnis des Diversarius befindet sich auch in der Handschrift Zürich, Zentralbibl. Cod. A 135, fol. 5v–7r aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. Abdruck in Paul Lehmann: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur. München 1918, S. 124– 127.  Zürich, ZB, C 101, fol. 109v marg.  Vgl. Emil Friedberg (Hg.): Decretalium Collectiones. Leipzig 1879 (ND Graz 1959), Sp. 1190 f.

108

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

beiden Teile thematisch durchaus aufeinander zu beziehen, was ein anschließendes Item, welches in der Handschrift ansonsten nur spärlich genutzt ist, noch verstärkt. Bemerkenswert ist, dass die Nota durch eine für die Handschrift ungewöhnliche viertelseitige Lücke von den Clementinae abgesetzt ist. Da der Abschnitt über den Almosenmissbrauch abgeschlossen ist,²⁵¹ also keine nachträgliche Erweiterung geplant gewesen zu sein scheint, und sich außerdem die Farbe der Tinte in der Nota gegenüber den umgebenden Seiten absetzt, hat Gallus Kemli die Notiz über die falschen Bettler wohl später auf freiem Raum nachgetragen. Von einer anderen Hand ist nicht auszugehen. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass der Mönch nach Verlassen seines Heimatklosters St. Gallen in seinen Wanderjahren zwischen 1443 und 1470 – er war nachweislich in Erlach, Sponheim, Mainz, Trier, Augsburg und Heidelberg – von den zirkulierenden Bettlerkatalogen erfuhr und eine nicht überlieferte Version als Kopie in seinen Diversarius nachtrug.²⁵² Ob er diese Version auch zuvor übersetzte oder ob ihm ein lateinischer Text vorlag, ist nicht festzustellen. Im Folgenden zitiere ich die ganze Passage: Modus et conswetudo [homines] decipiendi et elemosinas defraudandi modernis temporibus a quibusdam mendicis innovata est, qui per quasdam societates et confederaciones mutuo habitas multa mala praticant et per ficto ydiomate se mutuo affantes in lingua quadam, quae dicitiur Rubeum Ytalicum, assumentes sibi iam talem modum sub tali forma vel tali, verbi gratia ut si in uno non prosperati fuerint ad alia se convertunt etc totum mundum decipiunt. Modus [!] autem ficticiorum tot et tales sint, videlicet: Primi dicuntur inter se hanesen et sunt victi [lies: ficti] nobiles, qui dicunt se depauperatos, captos, vinculatos et exactos et similia etc. 2i dicuntur vagi, hoc est ficti nigromantici, qui nichil veritatis experimentorum sciunt et tantum fingunt se aliqua scire etc. [Decipiunt honestos] 3i dicuntur Camsierer et sunt, qui dicunt se velle presbiterari et sic petunt subventionem pro studio etc. 4i dicuntur losner, ficti captivi vel ceci vel claudi etc. de al. 5i dicuntur grantner, qui dicunt se habere morbum caducum etc. 6i dicuntur deuser, qui fingunt sibi questos [!] et per arendam vel alia machinamenta, cum fict fictis reliquiis homines decipiunt [etc]²⁵³

 Zum einen endet das zitierte Kapitel, zum anderen sind ein gekritzeltes etc und ein XPS (d. h. Christus) als Abschlusszeichen zu erkennen.  Durch eine kurze Autobiographie und zahlreiche andere Zeugnisse sind wir erstaunlich gut über den Mönch informiert. Zusammenfassend dazu vgl. Milena Svec Goetschi: Klosterflucht und Bittgang. Apostasie und monastische Mobilität im 15. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2015, S. 273 – 279.  Ed. zuerst in Werner: Beiträge, S. 165. Außerdem bei Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 60. Streichungen und Überschreibungen in Zürich C 101, fol. 110r wurden im Zitat kenntlich gemacht. Hervorhebungen werden übernommen, in der Edition vergessene Wörter in eckigen Klammern ergänzt. Übers. P. R.: ‚Eine Art und Sitte zu täuschen und für Almosen zu betrügen ist von manchen Bettlern in dieser Zeit erneuert/erfunden worden. Diese vollziehen in einigen Ländern und Gebieten, die sie im Wechsel in ihrer Gewalt haben, viel Übel und betrügen sie die ganze Welt. Dabei sprechen sie sich gegenseitig mit erfundenen Ausdrücken in einer gewissen Sprache namens ‚Rubeum Italicum‘ [Rot-welsch] an und legen sich unter diesem Deckmantel und mithilfe dieser Worte eine solche Erscheinungsform zu,

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

109

Die Praxis des betrügerischen Bettelns wird in diesem Text also als etwas dezidiert Neues und Modernes gekennzeichnet. Damit gibt der Text vor, sich mit einem Wandel der tatsächlichen Praktiken auseinanderzusetzen, mindestens aber mit einem veränderten Diskurs über das Betteln. Diese beiden Aspekte sind ja, wie gezeigt wurde, miteinander verschränkt.²⁵⁴ Der Mentalitätswandel wird hier emphatisch als epochenmachend für die moderna tempora apostrophiert. Bemerkenswert ist, dass diese ‚neue Zeit‘ mit Konnotationen eines Bewusstseins einer konstruierten Welt verbunden sind. Die neue Art dieser Welt ist ein modus ficticiorum, da man sich einer neuen, erfundenen Sprache (ficto ydiomate) bedient, dem Rubeum Ytalicum (Rot-Welsch) – in dieser lateinischen Übertragung meines Wissens einzigartig. Als Beispiele für diese neu erfundenen Betteltechniken werden die beiden ‚gelehrten Bettler‘ genannt und explizit gegenübergestellt: die ‚Kammesierer‘, angehende Priester, die dezidiert pro studio betteln, und die ‚Vagierer‘ als ficti nigromantici, die ihr Wissen über schwarze Magie aber nur vorspiegeln. Es ist nicht davon auszugehen, dass Gallus Kemli der Autor dieses Textes ist, denn die einzelnen Bettlertypen werden nur anzitiert, die Beschreibung bricht dann aber mit einem etc. bald wieder ab. Dennoch hängt die Nota von keiner der bekannten Vorlagen ab, was dadurch offensichtlich wird, dass die einzelnen ‚deutsch-rotwelschen‘ Typbezeichnungen nur hier belegt sind: die ‚hanesen‘ (in den Betrügnissen: ‚küsche narunge‘; im Liber Vagatorum: ‚Söntzen‘) und ‚deuser‘ (im Liber Vagatorum am ehesten ‚wiltner‘). Davon weicht die Bezeichnung als ‚vagi‘ ab, da dieses Wort als einziges in seiner lateinischen Flexionsform abgeschrieben ist. Dafür sind folgende Gründe denkbar: Entweder korrespondierten der Klang der lateinischen und deutschen Bezeichnung so sehr, sodass das deutsche Wort flektiert wurde, oder Kemli übernahm das lateinische Wort aus seiner Quelle. Da es sich bei den ‚gelehrten Bettlern‘ um Phänomene handelt, welche in naher Affiliation mit der Sphäre der Universität und des Gelehrtentums stehen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es sich um eine Bezeichnung handelt, die in diesem Gelehrtenmilieu gebildet oder zumindest davon inspiriert wurde.²⁵⁵ So werden Scholaren, welche die

dass sie, wenn sie an einem Ort nicht erfolgreich sind, sich an einen anderen begeben und so weiter. Die Erscheinungsformen des Betrugs aber sind offensichtlich so viele und dergestalt: Die ersten heißen ‚Hanesen‘ und sind falsche Edle, die sagen, dass sie verarmt, gefangen, versklavt, vertrieben und ähnliches sind usw. Die zweiten heißen ‚Vagi‘; falsche Schwarzkünstler, die die Wahrheit über ihre Vorführungen nicht kennen und nur vorspiegeln, etwas zu wissen usw. [Sie täuschen ehrbare Menschen]. Die dritten heißen ‚Camisierer‘ und sind Leute, die sagen, dass sie Priester werden wollen und daher um Unterstützung für das Studium bitten usw. Die Vierten heißen ‚Losner‘, falsche Gefangene oder Blinde oder Lahme usw. usf. Die Fünften heißen ‚Grantner‘, die sagen, dass sie Epilepsie haben. Die Sechsen heißen ‚Deuser‘, die vorgeben mit Ackerbau oder anderem Handwerk für sich selbst zu sorgen und die Menschen mit falschen Reliquien täuschen [usw.]‘  Vgl. Kapitel 5.1.1 und 5.3  Zu (küchen‐)lateinischen Ausdrücken im Rotwelsch (v. a. im älteren Rotwelsch) vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 146 – 148.

110

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Vorlesungen nur unzuverlässig oder unregelmäßig besuchen und daher von den Privilegien auszuschließen sind, schon in den Disziplinargesetzen der Universität Heidelberg vom Juni/Juli 1387 als vagi scholares bezeichnet.²⁵⁶ Demnach wäre die Bezeichnung ‚Vagierer‘ des Liber Vagatorum eher von der lateinischen Gelehrtensprache als von der rotwelschen Gaunersprache abzuleiten. Gewiss aber hat diese Bezeichnung – wenn auch über das Rotwelsche vermittelt – ihren Ursprung in einer lateinischen Vokabel, da die Wurzel des Wortes als Ableitung von vagari evident ist. Der Liber Vagatorum folgt in der Differenzierung der ‚gelehrten Bettler‘ denselben Prämissen wie die lateinische Nota de fictis mendicis, erweitert jedoch die Darstellung der beiden Typen: Unter ‚Kammesierern‘ versteht er betler idem iung scholares iung studenten die vatter und muter nit volgen und iren meistern nit gehorsam woͤ llen sein, und apostasieren [von zu Hause weglaufen] und kumen hinder boͤ ß geselschafft die auch gelert sind in der wanderschaft. ²⁵⁷ In dieser schlechten Gesellschaft, wohl dem Fahrenden Volk als imaginiertem Kollektiv, lernen sie dann die Techniken des Betrugs: die helffen in das ir verionen [verspielen] versenken [versetzen] unnd verkümern [verkaufen] und verschoͤ chern. und wann sie nüt me haben so lernen sie betlen oder kammesiern und die houtzen beseflen [die Bauern bescheißen] und kamisieren also.²⁵⁸

Der ‚Kammesierer‘ (im Vokabularium übersetzt als gelerter betler)²⁵⁹ täusche vor, das gespendete Geld für die Ausbildung zum Kleriker und den gespendeten Flachs für seine Kleidung zu brauchen. Tatsächlich aber verprasse er alles Geld und gaukle den geistlichen Stand durch das Schneiden einer Tonsur nur vor: Item sie scheren kronen und sin nit ordinirt und hond auch kein format wie sie sprechen sie habens, und ist ein loe boͤ se falsche vot [böser/falscher Erwerb].²⁶⁰ Wie bei allen einzelnen Kategorien ist auch beim ‚Kammesierer‘ in der Conclusio ein paränetischer Hinweis für den Rezipienten angefügt, welcher besagt: disen kammisierern gib nüt dann so man inen minder gibt so sie baß geraten und ee, dar von lond. ²⁶¹ Damit wird die Möglichkeit offen gehalten, dass sie sich durch den Entzug der Einkommensquelle bessern und vielleicht doch einer ehrlichen Tätigkeit nachgehen könnten. Anders verhält es sich bei der Kategorie der ‚Vagierer‘ mit dem Synonym farend schler. In der Conclusio heißt es: Vor disen vagierern ht dich, dan wo mit sie umb gond

 Libri actorum Universitatis Heidelbergensis / Die Rektorbücher der Universität Heidelberg. Bd. 1 1386 – 1410 (zugleich das erste Amtsbuch der Juristischen Fakultät), hg. von Jürgen Miethke. Heidelberg 1986, S. 164. Vgl. auch Kapitel 9.2.2.  Kluge: Rotwelsch, S. 41.  Kluge: Rotwelsch, S. 41. In Klammern die Übersetzungen der Rotwelschen Ausdrücke aus dem Vocabularium des Liber Vagatorum.  Kluge: Rotwelsch, S. 54.  Kluge: Rotwelsch, S. 42. Zu historischen Fällen dieses Betrugs vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 79. Zum umgekehrten Fall des Verdeckens der Tonsur als kirchenrechtlicher Straftat vgl. Svec Goetschi: Klosterflucht und Bittgang, S. 43.  Kluge: Rotwelsch, S. 42.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

111

ist als erlogen. ²⁶² Eine Besserungsmöglichkeit wird bei ihnen also ausgeschlossen. Sie sind vor allem geprägt durch Assoziationen mit der schwarzen Magie, die schon in der Version des Matthias von Kemnat zum Tragen kam, und entwickeln sich zu einem Amalgam von verschiedenen allgemein verbreiteten Erscheinungsformen der Magie. Im Liber Vagatorum heißt es: Von Vagierern: Das vij capitel ist von vagierern – das sind betler oder abentürer dy die gelen garn antragen und uß der fraw Venus berg komen und die schwartzen kunst künden und werden genant fahrend schler, die selben wo sie in ein hauß komen so fahen sy an zu sprechen, Hie kumt ein farnder schler der siben freien künsten ein meister (die houtzen [Bauern] zu beseflen [betrügen]) ein beswerer der tüfel für hagel für wetter und für al ungehür, darnach spricht etlech character und macht ij oder iij crütz, und spricht wo dise wort werden gesprochen da wirt nieman erstochen, es gat auch nieman unglück zuhanden hie und in allen landen, und vil andere kostliche wort, so wenen dann die houtzen es sy also, und sind fro das er komen ist und sie hon nie kein farnden schler gesehen, und sprechen z dem vagierer, das ist mir begegnet oder das, künten ir mir helfen ich wolt üch i guldin oder ij geben, so spricht er ia und besefelt den houtzen ums meß [Geld], Mit den experimenten begond sie sich, die houtzen meinen umb das sie sprechen sie künden den tüfel beswern, so künnen sy eim helffen alles das inen anligen ist, dan du kanst sy nüt fragen sy kunden dir ein experiment derüber legen, das ist sy künnen dich bescheissen und betriegen umb dein gelt, Conclusio, Vor disen vagierern ht dich, dan wo mit sie umb gond ist als erlogen.²⁶³

Der Inhalt entspricht im Kern der späteren versifizierten²⁶⁴ und der lateinischen Version, die ich hier (erstmals) transkribiere: Septimi dicuntur vagierer qui portant phila crocea aut rethia crocea dicunt se venisse ex monte veneris, ut sciant nigromanciam, cum intrant domum, dicunt hic venit scolaris vagans magister septem artium liberalium ad sophisticandum rusticos vel die houtzen zu beseflen [Rotwelsch], Coniurator demonum quoniam fulgura et coruscationes et quoniam omnia fantasmata per hoc facit caracteres et facit signa et cetera et dicit ubi hec verba recitantur nullus occiditur neque in aliquod diffectum inde(?) vel in quacumque provintia constitutus et alia pulcra verba et cetera

 Kluge: Rotwelsch, S. 42.  Kluge: Rotwelsch, S. 42.  [Gengenbach]: Bettlerorden, vv. 386 – 422: Das .vij. Capittel sind die vagierer | Oder die farnen schler | Das sind die gele gan an tragen | Vnd von frow Fenus berg sagen | wo die selben koͤ mmen fur ein huß | Gar berit streckt er sein gernlin vß | Spricht hie kumpt ein farnder schler | Der siben frien kunst ein meister | Vnd der hutzen ein beseffler | Ein beschwerer der dufel | Fur waͤ ter vnd hagel | Vnd ouch fur alles vngehur | Dar z fur wasser vnd ouch für | Darnach etlich character macht | Vnd spricht sie haben solich krafft. | wo dise wort werden gesprochen | Do mag nieman werden erstochen. | Kein vnglück inen godt z handen | Hie vnd wo sie sind in landen. | Vnd macht dann ein kruͤ oder dry | Vff das do sig der gloub dar by. | So went dann der hutz es sig also | Entpfacht in schon, vnd ist gar fro, | Das er sit z imm kommen haͤ r | wann er kein farender schler | Gesehen hat by sinen tagen | wol hat er ghoͤ rt von inen sagen | Der hutz seit imm bald sin anligen | Vnd dt jmm ouch gar nut verschwigen. | Das nimpt der vagierer war gar eben | Gar bald er spricht was wilt mir geben | Ich hilff dir nach dim begeren | So verr du mich ouch welst geweren | Vnd mir gibst ein oder zwen guldin rot | Min kunst hilfft dir gar bald uß not, | Also sie dnd die hutzen btriegen | Ir kunst ist anders nütz dan liegen.

112

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

simplices letantur et estimant ita esse et dant fenoris aut gratiae(?) qua sophisticantur. Conclusio ab his cave quia omnia mentiuntur.²⁶⁵

Eine Übersetzung erübrigt sich, da der Inhalt (wie auch bei der Versversion) mit dem deutschen Druck übereinstimmt. Nur auf ein paar Details sei verwiesen: Neben einigen Kürzungen (v. a. in der zweiten Hälfte des Absatzes) und Erweiterungen (z. B. die ‚gelben Netze‘ rethia crocea) interessiert an dieser Stelle vor allem die Bezeichnung des Fahrenden Schülers. Dieser wird entgegen der mittelalterlichen Tradition nicht als vagus, sondern als vagans wie bei Thomasius und Crusius bezeichnet, entgegen der späteren Terminologie aber nicht als scholasticus, sondern als scholaris. Der Liber vagatorum scheint also auch dahingehend ein Bindeglied zwischen (terminologischen) Konventionen. Durch folgende Attribute zeichnet sich der ‚Vagierer‘ oder Fahrende Schüler in allen Varianten aus: Er trägt einen gelben garn (oder ein gelbes Netz) als Erkennungszeichen und vielleicht als Stigma-Symbol,²⁶⁶ er steht in Verbindung mit dem Venusberg ²⁶⁷ und gibt vor, die sieben freien Künste, vor allem aber die schwarze Kunst zu beherrschen. Daraus folgt, dass er sich auf Teufelsbeschwörungen, Wetterzauber, Schutzzauber und Wahrsagung verstünde. Der Fahrende Schüler verliert demnach bis auf die angeberische Berufung auf die Kenntnis der septem artes alle Verbindungen zu einer universitären Ausbildung. Diese konzentrieren sich auf den ‚Kammesierer‘. Stattdessen lagern sich am ‚Vagierer‘ zahlreiche volkstümliche Konnotationen mit dem Magiediskurs an. Als betrügerische Bettler im engeren Sinne sind sie jedoch nicht einzustufen, da ihre narung (Broterwerb) nicht darauf beruht, jemanden durch Lügen zu einem Almosen zu bewegen, sondern jemanden schlicht mittels Hochstapelei hinters Licht zu führen und eine Bezahlung für eine imaginäre Gegenleistung zu verlangen. Als dezidierter Unterschied zwischen dem ‚Kammesierer‘ und dem ‚Vagierer‘/Fahrenden Schüler ist also hervorzuheben, dass der erste einen spezifischen Gesellschaftsstatus vorspiegelt, um sich durch dessen soziale Privilegien einen Vorteil zu verschaffen. Ein mittelloser Schüler oder Student galt – wie aus den Zugeständnissen in Bettelordnungen oder Predigten offensichtlich wurde – mitunter als almosenberechtigt und demnach als lukrative persona für den betrügerischen Bettler. Der ‚Vagierer‘ hingegen nimmt die persona eines Magiers an und stellt sich demnach als mächtiger dar, als er ist. Der Status des Fahrenden Schülers wird aber nicht als intendierte Maske beschrieben, sondern als ‚Berufsbezeichnung‘. Indem er mit dem Attribut ‚fahrend‘ verbunden wird, erhält die (wohl externe) Bezeichnung explizit die Konnotation

 Szombathely, Diözesanbibliothek (Egyházmegyei Könyvtár), cod. 7, S. 548. Zur Handschrift vgl. Kapitel 5.1.3.  Vgl. dazu mehr in Kapitel 10.3.  Vgl. dazu mehr in Kapitel 12.2 und 12.3.

5.1 Der Fahrende Schüler als materiell prekärer Typus – Bettlerkataloge

113

gesellschaftlicher Devianz, die zu delinquentem Verhalten (Betrug, Hochstapelei) führen kann.²⁶⁸ Typen ‚gelehrter Bettler‘ finden sich auch im strukturell etwas abweichenden Speculum Cerretanorum des Teseo Pini. Stärker noch als im Liber Vagatorum wird hier eine Gegengesellschaft konstruiert, die sich explizit hinsichtlich gelehrter und klerikaler Dimensionen von der bestehenden, dominanten Gesellschaft absetzt. Die Tätigkeit der Bettler bekommt als ars den Stellenwert einer ‚wissenschaftlichen Disziplin‘,²⁶⁹ ihre Tätigkeit des Gelderwerbs aber wird als Gottesdienst (sanctuaria) (pseudo‐)sakralisiert.²⁷⁰ Schon aus der Ursprungserzählung der Cerretani wird diese Inversion der gesellschaftlichen Normen deutlich. Aufbauend auf etymologischen Argumenten leitet der Verfasser die Herkunft der Cerretani ab von einer Sekte verstoßener Cerespriester oder von der Wintereiche ([a]esculus), die früher Cerrus geheißen habe. Als die Gruppe schließlich zu groß geworden sei, habe ihr Hohepriester, der magnus eorum sacerdos tantique religionis pontifex,²⁷¹ Gesandte in die ganze Welt geschickt, quod ubique, et non solum ad finitimos, verum ad longe remotos populos diffusus est sonus loquacitatis eorum, et in omnem terram sparsere deceptiones et fallacias ipsorum.²⁷² Mit dieser missio konvergiert auch die Aufteilung der einzelnen species: Verum, ut dixi, crescente numero et auctoritate novae mirandae et inauditae sectae, magnus ille collegii pater in plures, varias, et diversas species tam magnum et admirabile sacerdotium divisit sicut factum vidimus in Ecclesia Sancta Dei, quae quantum abundet variis religionibus distincto habitu et ritibus, mirabile dictu, D[ominationi] T[uae] non latet: ita ille, ne magnae rei et perdifficilis aliqua esset confusio, in plures species, ut dixi, divisit, quarum primi dicti sunt Biantes, secundi Felsi…²⁷³

 Vgl. Kapitel 9.  Explizit ist die Nennung der artes außerdem bei den Biantes, als deren Erfinder (huius artis inventorem) Bias von Priene gesehen wird. Vgl. Camporesi: Vagabondi, S. 191 und weiter S. 197, 200, 205, 208, 210, 215, 218, u. ö.  Vgl. v. a. Camporesi: Vagabondi, S. 187.  Camporesi: Vagabondi, S. 190.  Camporesi: Vagabondi, S. 190; Übers. P. R.: ‚dass überallhin und nicht nur zu den Nachbarn, sondern auch zu weit entfernten Völkern der Klang ihres Geschwätzes getragen würde, und dass sie in allen Ländern ihre Täuschungen und Lügen verbreiten.‘  Camporesi: Vagabondi, S. 190 f.; Übers. P. R.: ‚Als aber wie gesagt die Zahl und der Einfluss dieser neuen, erstaunlichen und ungehörten Sekte zunahm, teilte jener große Vater der Gemeinschaft die so große und bewundernswerte Priesterschaft in mehrere, verschiedene und unterschiedliche Erscheinungsformen, wie wir es in der Heiligen Kirche Gottes sehen, bei der Eurer Exzellenz nicht verborgen sein dürfte, welch geradezu erstaunlichen Überfluss sie an verschiedenen Anbetungsformen hinsichtlich Auftreten und Ritus hat: So teilte sie jener wie gesagt in verschiedene Erscheinungsformen ein, damit auch keine große Verwirrung über die wichtige Angelegenheit entstünde: die ersten von ihnen wurden Biantes genannt, die zweiten Felsi…‘

114

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Die einzelnen Erscheinungsformen der Cerretani sind also ein Kontrastbild der kirchlichen Gemeinschaft, es sind inverse Mönchsorden.²⁷⁴ Einzelne dieser Gruppierungen nehmen nun auch in ihrer Betrugstechnik kirchliche Praktiken wieder auf, um an Geld zu kommen. Drei davon will ich im Folgenden als Beispiel anführen: Die Spectini führen verkleidet als Priester (sacerdotali veste indutos)²⁷⁵ liturgische Rituale durch, die jedoch magischen Praktiken ähneln. Als Exempel wird ein Geschehnis um die Cerretani Nardus aus Trepozzi und Tasca aus Vallo di Nera berichtet. Diese bitten leichtgläubige Frauen zuerst um Stoffe für den Altarschmuck des heiligen Antonius²⁷⁶, werden dann jedoch von den Hausherren als Hochstapler enttarnt und müssen zu einer anderen List greifen. Sie schüren einen Schwelbrand im Stoffbündel, geben die Tuche zurück und verabschieden sich mit Verweis auf das Feuer des Hl. Antonius: „Deus quod fecisti in bonam tibi vertat fortunam; verum nos timemus ne praecibus Beati Antonii, cuius formidandam potestatem tu non es veritus, male vertat, et ipsius furenti igne te et tua exurat.“ ²⁷⁷ Als der Brand dann ausbricht, werden die beiden Gauner schnell zurückgeholt und zur Besänftigung des Heiligen mit Gaben überhäuft. Ein gewisses liturgisches und religiöses Grundwissen ist – zumindest für ein erfolgreiches Auftreten der Spectini – durchaus notwendig, jedoch kein theologisches Studium. Vor allem der Verweis auf den Heiligen Antonius ist durch die allgemeine Präsenz des Ergotismus auch in der Gaunerliteratur weit verbreitet, v. a. durch das Vortäuschen der Krankheit, z. B. bei den acapones im Speculum Cerretanorum ²⁷⁸ und dem ‚Grantner‘ und ‚Burckhart‘ des Liber Vagatorum. ²⁷⁹ Bei den Affrates steckt die Inversion klerikaler Strukturen bereits im Namen, da sie ‚benannt sind nach a, d. h. ohne und fratres (Brüder), also gewissermaßen ohne Bruderschaft.‘²⁸⁰ Ihre Technik basiert auf der Verkleidung, die es ihnen ermöglicht, gegen Bezahlung Beichten zu hören, Absolution zu erteilen und Messen zu feiern. Der Erzähler berichtet aus eigener Erfahrung von deren Techniken.

 Zu Gaunerliteratur und Gegengesellschaften vgl. Kapitel 5.3. Zur Invertierung von monastischen Strukturen vgl. Kapitel 9.1.  Camporesi: Vagabondi, S. 214.  Es handelt sich um Antonius den Großen, dessen Gebeine in der Abbaye de Saint-Antoine in Vienne ruhten. Es gab im 15. Jahrhundert in ganz Europa (auch in Italien) fast 370 Klöster und Spitäler des Antoniter-Ordens, der im 11. Jahrhundert wegen der epidemischen Verbreitung der Mutterkornvergiftung/Ergotismus (Ignis sacer oder ‚Antoniusfeuer‘) gegründet wurde. Spenden für die Armenund Krankenpflege waren üblich. Vgl. Adalbert Mischlewski: Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts (unter besonderer Berücksichtigung von Leben und Wirken des Petrus Mitte de Caprariis). Köln 1976, v. a. S. 30 f.  Camporesi:Vagabondi, S. 216; Übers. P. R.: ‚Gott, du mögest alles zum Guten wenden; wir fürchten aber, dass er es auf Bitten des Hl. Antonius, vor dessen fürchterlicher Macht du keine Ehrfurcht hast, zum Bösen wenden wird und du und all dein Gut in seinem eigenen rasenden Feuer vergeht.‘  Camporesi: Vagabondi, S. 206 f.  Kluge: Rotwelsch, S. 42 f. und 50.  Übers. P. R. aus Camporesi: Vagabondi, S. 197: dicti sunt ab A, quod est sine, et fratres quasi sine fraternitate.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

115

Die Falpatores schließlich nehmen weniger die Gestalt eines Priesters, sondern mehr eines Gelehrten an, womit sie zumindest im weiteren Sinne an die klerikale Sphäre anschließen. Sie werden auch als magistri artium bezeichnet und ihr Name abgeleitet von falsi palpatores, quia docent falso palpare verbis et simplices decipere.²⁸¹ Sie sind die Ausbilder der anderen Gaunertypen, da sie selbst nicht mehr reisen können und daher ‚ihre Zöglinge für den verderblichen Broterwerb ausbilden, indem sie Grammatiklehrer, Dichter, Redner, Dialektiker, Philosophen Rechtsgelehrte, Kanoniker oder heilige Theologen imitieren. Sie unterrichten nämlich nicht nur die Geheimsprache, sondern auch die Techniken und Verhaltensweisen, Unerfahrene zu täuschen‘,²⁸² wobei der Verfasser den Betrug emphatisch apostrophiert: O profunda et vetus scientia, quae temporum negligentia hominumque ignavia, cum non sit minima nec spernenda inter liberales tamen artes, nunquam reposita, ut obtineret inter eas octavum saltem locum!²⁸³ Die Technik der Gauner, die deceptio, ist also die ‚achte freie Kunst‘. Es ist nicht mehr weit zum mundus vult decipi, ergo decipiatur ²⁸⁴ der Narrenliteratur.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren Der enge Bezug der Gaunerliteratur zu satirischen Texten,v. a. dem Liber Vagatorum und dem Narrenschiff wurde bereits angesprochen und dadurch eine gewisse Literarizität des Gaunerbüchleins betont. Für eine Präzisierung dieser Aussagen ist der literaturgeschichtliche und ‐theoretische Status satirischer und parodistischer Schreibformen zu beleuchten.

5.2.1 Gesellschaftsbilder und Traditionsverhalten in Satire und Parodie Satire und Parodie sind zwei wichtige Begriffe des literaturwissenschaftlichen Instrumentariums, sodass es unmöglich ist, auch nur ansatzweise einen Überblick über

 Camporesi: Vagabondi, S. 218; Übers. P. R.: ‚Falsche Schmeichler, da sie lehren mit Worten heuchlerisch zu schmeicheln und Einfältige zu täuschen.‘  Übers. P. R. von Camporesi: Vagabondi, S. 218: imitantes gramaticos, poetas, retores (U: rectores), dialecticos, philosophos, legistas, canonistas, sacrosve theologos, pueros suos instruunt ad perniciosum quaestum. Docent enim non solum linguam obscuram, sed artem moresque quibus decipiant imperitos.  Camporesi: Vagabondi, S. 218; Übers. P. R.: ‚Oh du weitreichende und alte Wissenschaft, welche die Nachlässigkeit der Zeiten und die Trägheit der Menschen, die, wenn sie auch nicht die kleinste und verachtenswerte unter den freien Künsten ist, dennoch niemals zu Grabe getragen wurde, sodass sie wenigstens den achten Platz einnimmt.‘  Das mittellateinische Zitat etablierte sich als geflügeltes Wort ausgehend von der Textstelle die weltt die will betrogen syn in Brants Narrenschiff, Kapitel 65 von achtung des gstirns v. 68 (S. 163). Vgl. TPMA 13, S. 58.

116

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

den Forschungsstand zu geben. Doch die beiden Begriffe sind in ihrer Definition so unbestimmt, dass eine kurze Positionierung unerlässlich ist.²⁸⁵ Der Status der Satire als ‚Literatur‘ im engeren Sinne – also die „ästhetische Dimension der satirischen Schreibart“ – ist durchaus intrikat, da „die Zweckgebundenheit gerade nicht ein ästhetischer allenfalls irritierender Nebeneffekt, sondern Hauptkonstituens jeder Satire ist.“²⁸⁶ Eine literarische Gattung ‚Satire‘ (oder zeitgenössisch eher satyra) ist von der durch Intention und Struktur gestützten Schreibform des ‚Satirischen‘ zu unterscheiden.²⁸⁷ Beide Begriffe verbindet ihr konstitutives Merkmal, sich gegen ein Objekt zu richten, welches zum Teil aggressiv kritisiert wird, und sich auf eine ideale Ordnung zu beziehen, wodurch sich die Satire von der Invektive oder der Polemik absetzt. Denn der Satire „geht es um die Wahrheit hinter der Maske, die Erkenntnis und Wiederherstellung des gestörten ordo.“²⁸⁸ Ihr liegt also eine als bedrohlich und korrekturbedürftig empfundene Wirklichkeit zugrunde. Bei der sprachlichen Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit adaptiert sie ein bestehendes Gesellschaftsbild und konstruiert eine spezifische Inversion desselben als Zerrspiegel der vorgängigen Ordnung. Dabei bedient sie sich genuin literarisch-rhetorischer Stilmittel: der Karikatur, der Hyperbel oder auch einer bildlichen Sprache in illustrierenden Anekdoten, Erzählungen und Vergleichen. Auch die äußere Form vieler Satiren weist durch die Verwendung eines elaborierten Metrums und komplexe Text-Bild-Beziehungen eine literarisch-ästhetische Dimension auf. Viele Texte nehmen aber eine Stellung zwischen den beiden Dimensionen (normativ-kritisierend und literarisch-unterhaltend) ein, wie auch der Liber Vagatorum, in dem freilich das normative Moment überwiegt. Eine ‚Definition‘ der Satire als literarische Gattung bietet auch die recht ausdifferenzierte mittellateinische Poetik. So unterteilt Vinzenz von Beauvais 1240/60 (Speculum doctrinale 3, 109) die Dichtung in sieben Bereiche, die er als Erscheinungsformen (species) und nicht als Gattungen (genera) bezeichnet – wohl auch um eine Konfusion mit den Stilhöhen der Rhetorik zu vermeiden: Habet autem poesis septem species, scilicet Comœdiam, Tragœdiam, Invectionem, Satyram, Fabulam, Historiam, Argumentum. ²⁸⁹ Dass diese Einteilung keinem strikten System folgt und der

 Die angestellten Überlegungen greifen manche Positionen aus dem zweiten Theorieteil (Kapitel 6) auf. Aufgrund der engen Verschränkung der Themenbereiche scheint eine genaue Trennung weder möglich noch sinnvoll, zumal die Lektüre des zweiten Theorieteils keine notwendige Bedingung für das Verständnis darstellt.  Barbara Könneker: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche – Werke – Wirkung. München 1991, S. 16 f.  Vgl. Günter Hess: Deutsch-lateinische Narrenzunft. Studien zum Verhältnis von Volkssprache und Latinität in der satirischen Literatur des 16. Jahrhunderts. München 1971, S. 18 f. Dieser folgt den grundsätzlichen theoretischen Überlegungen von Klaus Hempfer, dem zufolge Schreibformen „ahistorische Konstanten“ und Gattungen „historisch konkrete Realisationen dieser allgemeinen Schreibweisen“ sind. Klaus W. Hempfer: Gattungstheorie. Information und Synthese. München 1973, S. 27.  Hess: Narrenzunft, S. 27.  Vinzenz von Beauvais: Speculum Quadruplex sive Speculum Maius. Bd. II: Speculum doctrinale. Graz 1965, Sp. 287. Vgl. zum Gattungssystem bei Vinzenz von Beauvais und Isidor von Sevilla: Udo

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

117

Autor durchaus Widersprüche zulassen kann, zeigt das darauffolgende Zitat Isidors von Sevilla, der die Satire als Untergattung der (neuen) Komödie ausweist: Novi, qui et Satirici, a quibus generaliter vitia carpuntur, ut Flaccus, Persius, Iuvenalis vel alii. Hi enim universorum delicta corripiunt, nec vitabatur eis pessimum quemque describere, nec cuilibet peccata moresque reprehendere. Vnde et nudi pinguntur, eo quod per eos vitia singula denudentur (Isid. orig. 8, 7, 7).²⁹⁰

Hier zeigen sich die signifikanten Eigenschaften eines mittelalterlichen Gattungssystems: Es ist an autorisierten personellen Prototypen orientiert – hier: dem Kanon aus der Antike – und pragmatisch funktionalisiert.²⁹¹ Noch mehr als in der Frühen Neuzeit entzieht sich die Satire trotz dieser Kategorien einer festen Gattungszuordnung, was dem „allgemein zu beobachtenden relativ schwachen Interesse an gattungssystematischer Definitionsschärfe“²⁹² entspricht. Demnach gilt der mittelalterlichen Poetik – abgeleitet von der (pseudo‐) etymologischen Herleitung von satura (lanx), dem bunten Obstkorb, – „thematische Vielfalt und inhaltliche Fülle als Charakteristikum der Satire“.²⁹³ Ebenso ist es „nicht zulässig, von strafender bzw. lachender Satire im Sinne einer theoretisch untermauerten Typologie zu sprechen“,²⁹⁴ da sich diese Gegenüberstellung vom Horazischen ridentem dicere verum und dem scharfen Spott Iuvenals erst später etablierte;²⁹⁵ allenfalls von einer Tendenz zur strafenden, enthüllenden Haltung der Schreibform ist

Kindermann: Gattungssysteme im Mittelalter. In: Willi Erzgräber (Hg.): Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Sigmaringen 1989, S. 303 – 313.  Isidor von Sevilla: Etymologiae sive Origines. 2 Bde., hg. von W. M. Lindsay. Oxford 1911; Übers. P. R.: ‚Die Neuen [sc. Komödiendichter] sind auch Satiriker, von denen die Laster generell zerpflückt werden, wie Horaz, Persius, Iuvenal und andere. Sie greifen nämlich die Verbrechen von allen an und vermieden es nicht jeweils das Schlimmste zu beschreiben und die Sünden und Charakerschwächen eines jeden zu tadeln. Deshalb werden sie auf Bildern auch nackt dargestellt, weil von ihnen die einzelnen Laster bloßgestellt werden.‘  Vgl. dazu auch Kapitel 6.3.  Udo Kindermann: Satyra. Die Theorie der Satire im Mittellateinischen. Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Nürnberg 1978, S. 83.  Kindermann: Satyra, S. 31– 46. Zit. S. 36. Auch Vinzenz von Beauvais folgt dieser Definition, indem er Isidors von Sevilla Etymologiae zitiert: Saturici autem dicti, sive quod pleni sint omni facundia, sive a saturitate et copia: de quibus enim simul loquuntur; seu ab illa lance quae diversis frugum vel pomorum generibus ad templa gentilium solebat deferri; aut a satyris nomen tractum, qui inulta habent ea, quae per vinolentiam dicuntur (Isid. orig. 8, 7, 8); Übers. P. R.: ‚Sie heißen aber Satiriker entweder wegen ihrer reichlichen Zungenfertigkeit oder des rhetorischen Überflusses und der inhaltlichen Fülle: denn sie sprechen von vielen Dingen gleichzeitig. Die Ableitung ihres Namens kommt entweder von jener Schale, die gewöhnlich mit verschiedenen Sorten Getreide und Obst zu den Tempeln der Heiden gebracht wurden; oder von den Sayren, bei denen ungerächt blieb, was im Rausch gesagt wird.‘  Kindermann: Satyra, S. 84.  Zur Begriffsgeschichte ausgehend von den Satirikerkommentaren im Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts vgl. Jürgen Brummack: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: DVjs 45 (1971), S. 275 – 377, v. a. S. 286 f.

118

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

zu sprechen.²⁹⁶ Doch auch dann steht „hinter der Negativ-Perspektive der Satire […] ein verborgener oder auch offen herausgestellter pädagogischer Optimismus: die Hoffnung nämlich, bei rechter Einsicht in das menschlich gesteuerte Fehlverhalten den Lauf der Welt zum Besseren wenden zu können.“²⁹⁷ Das machen u. a. die Accessus zu den Sermones des Horaz deutlich: Item nota quod hac de causa reprehendit vitia, ut dehortetur a vitiis et hortetur ad contraria, virtutes scilicet. ²⁹⁸ Satirisches Schreiben gilt also im Mittelalter als eine spezifische Form der Moraldidaxe, entbehrt jedoch nicht einer autonom-ästhetischen Komik. Es hat einerseits ein extratextuelles Zielobjekt, ist andererseits (gerade im Mittelalter) geprägt von einem „höchst artifiziell gehandhabten Rückgriff auf literarische Muster und Traditionen.“²⁹⁹ Die Satire ist also ein Konzept von „irritierender Vieldeutigkeit“,³⁰⁰ das zwischen einer (z. T. gattungsäquivalenten) Schreibform, einer moraldidaktischen Intention und einer rhetorischen Stilhöhe changiert. Diese einzelnen Dimensionen bedienen sich (wie andere Schreibformen) meist adaptierender oder parodierender Verfahren und verhalten sich zu einzelnen Traditionen. Ganz ähnlich ist es bei der Parodie.³⁰¹ Sie wurde entweder als „Textform, deren Ton und Funktion sie durch einen satirischen oder komischen Charakter sowie Verzerrung und Verkehrung der Vorlage“³⁰² bestimmt oder allgemeiner als „literarisches Verfahren“³⁰³ definiert. Die Parodie ist mithin „eine Form der intertextuellen Bezugnahme, die gleichzeitig auf der Analogie mit und auf der ausgestellten Differenz zu der Vorlage

 Vgl. Kindermann: Satyra, S. 47– 113.  Nikolaus Henkel: Gesellschaftssatire im Mittelalter: Formen und Verfahren satirischer Schreibweise in den „Sermones nulli parcentes“ (Walther 6881), im „Carmen satricum“ des Nicolaus von Bibra, in der Ständekritik von „Viri fratres, servi Dei“ (Walther 20575) und im „Buch der Rügen“. In: Thomas Haye und Franziska Schnoor (Hg.): Epochen der Satire. Traditionslinien einer literarischen Gattung in Antike, Mittelalter und Renaissance. Hildesheim 2008, S. 95 – 117, hier S. 96.  Accessus ad auctores. Bernhard d’Utrecht, Conrad d’Hirsau, Dialogus super Auctores, hg. von Robert B. Constantijn Huygens. Leiden 1970, S. 51, Z. 60 – 62; Übers. P. R.: ‚Merke ebenso, dass der Sermo deshalb die Fehler tadelt, um von diesen abzuraten und zum Gegenteil zu ermuntern, nämlich natürlich den Tugenden.‘ Der zitierte Accessus zu Horaz unterscheidet freilich zwischen satira und sermo. Demzufolge sei von satira nur dann zu sprechen, wenn jemand mit Namen getadelt werde: quamvis reprehendat hic, quod convenit satirae, tamen non vocatur satira, cum satirae sit sub certo nomine reprehendere, quod hic non fit; Accessus, hg. von Huygens, S. 51, Z. 58 – 60. Nach gegenwärtigem Sprachgebrauch aber wäre unter einer satira eher die Invektive zu verstehen, sodass eigentlich der Sermo – entgegen der mittelalterlichen Terminologie – als satirisches Schreiben bezeichnet werden muss.  Henkel: Gesellschaftssatire im Mittelalter, S. 97.  Brummack: Begriff und Theorie der Satire, S. 275.  Im Folgenden stütze ich mich auf die Aussagen in Carmen Cardelle de Hartmann: Parodie in den Carmina Burana. Zürich 2014, die das Forschungsfeld mit dem Skopos des lateinischen Mittelalters rekapituliert.  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 17. Unter dieser Forschungslinie subsumiert sie neben Paul Lehmanns Die Parodie im Mittelalter (1923/1963) die einflussreichen Beiträge von Michail Bachtin (Rabelais und seine Welt, geschrieben 1940, erstmals auf Russisch veröffentlicht 1965, dt. Ausgabe 1987), Martha Bayless (Parody in the Middle Ages, 1996) und Gérard Genette (Palimpsestes 1982).  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 17.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

119

basiert.“³⁰⁴ Von einer komischen Akzentuierung wird die Parodie dabei dezidiert entkoppelt – zumal die Wirkung des Komischen oder Lächerlichen in der historischen und kulturellen Distanz allenfalls Gegenstand spekulativer Vermutung ist.³⁰⁵ Um das problematische Verhältnis von Parodie und Satire zu erörtern, adaptiert Cardelle de Hartmann literaturtheoretische Aussagen von Linda Hutcheon und überträgt diese von der Literatur des 20. Jahrhunderts auf das Mittelalter.³⁰⁶ Zentrales Moment bleibt das Zusammenspiel von Analogie und Differenz – also den beiden Strukturen der traditionalen Erneuerung (im Modus der Hypolepse).³⁰⁷ Bezugsobjekt und Vorlage der Parodie kann dabei „ein einzelner Text sein oder eine Textreihe, aus der gemeinsame Elemente (zum Beispiel charakteristische Szenen oder Figuren) aufgenommen werden.“³⁰⁸ Das Verhältnis (Analogie) zwischen parodiertem und parodierendem Text „kann in sprachlicher und stilistischer Ähnlichkeit bestehen oder inhaltlicher Natur sein, indem Stoffe, Diskurse oder Motive übernommen werden.“³⁰⁹ Die Parodie impliziert also ein spezifisches Traditionsverhalten, welches die Prätexte degradiert oder (seltener) erhöht.³¹⁰ Ein wichtiger Unterschied zu einem affirmativen Traditionsverhalten ist aber, dass die Differenz zwischen den beiden Texten explizit herausgestellt wird. Einzelne Verfahren der Parodie führt Cardelle de Hartmann – jeweils mit Beispielen aus den Carmina Burana – als „Verkehrung“, „Verschiebung“ und „ironische Distanzierung“ an.³¹¹ Parodie und Satire (oder besser das Parodistische und das Satirische) haben gemeinsam, dass es sich weniger um Gattungen handelt, sondern um „literarische Verfahren, die in verschiedenen Gattungen realisiert werden können.“³¹² Sie bedienen sich jeweils derselben Tropen und Motive, weshalb sie in mittelalterlichen Texten meist schwer zu unterscheiden sind. Oft wird die Parodie als Strategie oder Unterform

 Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 25. Durch das Verfahren der (analogisierenden) Übernahme und (differenzierenden) Verschiebung wird die Parodie ein zentrales Verfahren in der Theorie des Russischen Formalismus. So sieht Tynjanov in ihr die prädestinierte Form der Variierung im Prozess der literarischen Evolution und damit den Garanten für literarischen ‚Fortschritt‘. Vgl. Jurij Tynjanov: Dostoevskij und Gogol (Zur Theorie der Parodie). In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994, S. 302– 371. Diesen Grundlagen folgen auch Theodor Verweyen und Gunther Witting, wobei sie die formalistischen Axiome um die Argumente der Rezeptionsästhetik erweitern. Vgl. Theodor Verweyen und Gunther Witting: Die Parodie in der neueren deutschen Literatur. Darmstadt 1979, S. 62– 101 und 210 f.  Vgl. Tynjanov: Dostoevskij und Gogol, S. 371. Speziell für die mittellateinische Situation vgl. Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 25.  Linda Hutcheon: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms. Urbana [New York] 2000 [1985].  Vgl. dazu Kapitel 6.3.  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 25.  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 25.  Vgl. Max Wehrli: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Stuttgart 1984, S. 280.  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 26 f. u. ö.  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 40.

120

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

der Satire eingestuft. So definiert Bayless die Satire als „any form of literature, in verse or prose, which ridicules vice or folly“, die Parodie aber als „a ridiculing composition of a particular type, […] a subgenre of satire.“³¹³ Auf Grundlage von Hutcheons Überlegungen bestünde der Unterschied im Referenten und in der pragmatischen Funktion (dem Ethos) der Texte. Während die Parodie als intertextuelles Verfahren ohne ein spezifisches moralisches Ethos ausgestattet sei und daher ganz unterschiedliche Funktionen annehmen könne, habe die Satire als extratextuelles Verfahren ein moralisches Ethos, also das Ziel der moralischen Bewertung, Anprangerung und Besserung.³¹⁴ Dass sich die beiden Verfahren überschneiden können, ist offensichtlich: in der parodistischen Satire (parodic satire), die mit den Mitteln der Parodie auf ein extratextuelles Zielobjekt abzielt, oder der satirischen Parodie (satiric parody), die die gesellschaftliche Dimension (z. B. die Produktionsbedingungen oder Konventionen) des parodierten Textes einschließt.³¹⁵ Gerade die mittelalterlichen (v. a. mittellateinischen) Verhältnisse sind für eine Verschränkung der beiden Verfahren prädestiniert, da sich weite Teile der offiziellen Kultur auf autoritative Muster stützten, die ihrerseits traditionsprägend sind; z. B. in der Theologie, der Liturgie oder dem kirchlichen und römischen Recht. Gesellschaftssatire kann also als Textparodie ausgeführt sein:³¹⁶ Demnach ist die Mönchs- oder Ordensparodie, wie sie sich in den Carmina Burana vielfach zeigt, meist Parodie der (schriftlichen) Regulae (v. a. der Regula Benedicti).³¹⁷ Gesellschaftssatire, wie sie in der frühneuzeitlichen ‚Gaunerliteratur‘ begegnet, bezieht sich aber weniger auf einen konkreten diskursbildenden Text, sondern auf ein extratextuelles Gesellschaftsbild. Doch auch dieses wird (mitunter) in Texten abgebildet oder durch Texte transportiert, zumindest beschränkt sich die Sichtbarkeit dieser Gesellschaftsbilder bei Rezipienten in räumlicher und zeitlicher Distanz (z. B. modernen Wissenschaftlern) auf diese verschriftlichten Repräsentationen. Dass diese in einem spezifischen Kontext entstanden sind, ist freilich bei der Interpretation zu beachten.

 Martha Bayless: Parody in the Middle Ages. The Latin tradition. Ann Arbor 1996, S. 5. Ähnlich auch Helga Schüppert, die die Parodie als „Einkleidung […], um besondere satirische Wirkung zu erreichen“, interpretiert. Helga Schüppert: Kirchenkritik in der lateinischen Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts. München 1972, S. 185.  Vgl. dazu Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 40.  Vgl. Hutcheon: Theory of Parody, S. 62 f. Vgl. dazu auch Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 41. Auf ganz ähnlichen Überlegungen basiert auch die Unterteilung in „textual parody“ und „social parody“ in Bayless: Parody, S. 3.  Vgl. Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 41.  Vgl. dazu die Kapitel 7.3 und 9.1.2.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

121

5.2.2 Der Fahrende Schüler als Narr Dass das Satirische in der Textgattung der Bettlerkataloge spezifischen Zielen im Zusammenhang mit dem Armutsdiskurs folgt, habe ich bereits deutlich gemacht. Für die Integration mobiler Studentenfiguren in dieser Textsorte gibt es aber noch weitere Gründe. Denn die Denunzierung des jungen Scholaren als ‚Kammesierer‘ geht einher mit einer allgemeinen Abwertung des Studiums, was unter anderem aus der zunehmenden Popularisierung der Universität und dem Verlust des kirchlichen Wissensmonopols ab dem Ende des 14. Jahrhunderts resultiert. Durch zahlreiche Neugründungen, v. a. auch nördlich der Alpen, und einer damit verbundenen Verdichtung der Universitätslandschaft wächst mit der Anzahl der Immatrikulierten nicht nur das Wissen der Universitäten, sondern auch das Wissen über diese.³¹⁸ Diese Ausweitung des Erfahrungsraumes geht jedoch mit negativen Ereignissen einher, was zu einer zunehmenden „Skepsis des ‚Normalmenschen‘ gegenüber der immer stärker werdenden Tendenz, Wissensbestände an obrigkeitlich approbierte Experten zu delegieren“,³¹⁹ führt. Besonders deutlich wird diese Tendenz durch die Etablierung des Sprichworts ‚Die Gelehrten, die Verkehrten‘ ab dem 15. Jahrhundert.³²⁰ Der Fahrende Schüler bewegt sich demnach zwischen den beiden Sphären, zwischen Doktorhut und Bettelstab. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Untersuchung dreier Texte als bester Beispiele, der Narrenschiffpredigten des Straßburger Münsterpredigers Johannes Geiler von Kaysersberg, des lateinischen allegorischen Epos Triumphus Veneris von Heinrich Bebel und der Narrenbeschwörung von Thomas Murner. Alle diese Texte sind um 1500 im deutschsprachigen Südwesten entstanden.

Johannes Geiler von Kaysersberg: Die Narrenschiffpredigten (gehalten 1498/1499, gedruckt 1510) Der arme Schüler markiert in den Predigten Geilers von Kaysersberg, die er als Reaktion auf Brants Narrenschiff gehalten hat, eine positive Ausnahme der ‚Bettel-Narren‘. Er bezieht mit diesem Hinweis Aspekte der sozialreformatorischen Diskussion, auf die Sebastian Brant nicht explizit rekurriert, in seine Predigt ein. Im 63. Narrenschiff-Kapitel Von bettleren kommen keine Schüler vor, hingegen widmet Brant dem  Diese Zeit (1380 – 1500) beschreibt Peter Moraw als das „national-regionale Zeitalter“ der mittelalterlichen Universität. Vgl. Moraw: Der Lebensweg der Studenten, S. 248 – 253.  Frank Rexroth: Die Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Zur Einführung. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Ostfildern 2010, S. 7– 14, hier S. 12. Vgl. weiter dazu Frank Rexroth: Expertenweisheit. Die Kritik an den Studierten und die Utopie einer geheilten Gesellschaft im späten Mittelalter. Basel 2008.  Carlos Gilly: Das Sprichwort „Die Gelehrten, die Verkehrten“ oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung. Florenz 1991, S. 233 – 237. Zur Gelehrtensatire auch Marian Füssel: Die Experten, die Verkehrten? Gelehrtensatire als Expertenkritik in der Frühen Neuzeit. In: Björn Reich, Frank Rexroth und Matthias Roick (Hg.): Wissen, massgeschneidert. Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne. München 2012, S. 269 – 288.

122

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

‚Studier-Narren‘ eine eigene Sektion unter dem Titel von unnutzem studieren (27. Kapitel, Abb. 5).³²¹ Zum Narren wird der Lernende jedoch nicht aufgrund seiner materiellen, sondern seiner moralischen Prekarität: Denn so sie soltten vast studieren So gont sie lieber bbelieren Die jugent acht all kunst gar kleyn Sie lernent lieber yetz alleyn Was unnütz und nit fruchtbar ist (S. 69 f.)

Neben Müßiggang und unnützem Wissen prangert er die Erfolglosigkeit des Studenten und seine Verschwendung des elterlichen Besitzes an. Brant konnotiert mit dem Müßiggang aber eindeutig auch den Besuch verschiedener Hochschulen und damit die räumliche Unbeständigkeit der Studenten: So sint wir z Lyps/ Erfordt/ Wyen Z Heidelberg/ Mentz/ Basel / gstanden Kumen z letst doch heym mit schanden Das gelt das ist verzeret do (S. 70)

Die Berufsaussichten reduzieren sich schließlich auf das Druckereigewerbe und die Gastronomie, zwei gerade bei Brant deutlich negativ gesehene Berufssparten: Der truckerey sint wir dann fro Und das man lert vfftragen wyn Das vß wurt dann eyn henselyn (S. 70)

Geiler von Kaysersberg greift die genannten Aspekte des Prätexts in seinen Predigten auf, erweitert sie jedoch beträchtlich. Bevor ich näher auf den Text selbst eingehen kann, ist es nötig, einen Blick auf die intrikate Überlieferungssituation der Narrenschiffpredigten Geilers von Kaysersberg zu werfen. Der Zyklus besteht aus 137 Einzelpredigten, die er in den Jahren 1498 und 1499 auch tatsächlich in deutscher Sprache hielt und die mit zwei anderen Predigtreihen (Pilgerschaft und Schiff der Pönitenz) eine umfangreiche Trias bilden.³²² Lateinische Predigtnotizen Geilers dienten Jakob Otther als Grundlage für die Navicula, die dieser kurz nach dem Tod des Predigers 1510 mit dem bezeichnenden Nebentitel Speculum fatuorum – ein ‚Spiegel für die Narren‘ – herausgab. Trotz der postumen Veröffentlichung ist davon auszugehen, dass es sich um eine homologe (d. h. vom Prediger autorisierte und begleitete)

 Brant: Narrenschiff, S. 69 f.  Vgl. dazu Voltmer: Ein Prediger und seine Stadt, S. 984 f. Während das Ziel des ersten Zyklus, Narragonien, als Weg in die Hölle dargestellt wird, führt der Weg in den beiden anderen Zyklen – analog zu Dantes Divina Comedia – durch Buße und Reue in die Himmelsstadt Jerusalem.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

123

Herausgabe handelt.³²³ Die deutsche Fassung wurde 1520 als Übersetzung des lateinischen Textes von Johannes Pauli, einem Schüler Geilers als Des hochwirdigsten doctor Keiserspergs narrenschiff veröffentlicht. Dabei hält sich Pauli eng an der Vorlage und neigt zum Teil sogar zu einer wörtlichen Übersetzung, auch wenn er in der Vorrede betont: den sinn für sich genomen des latins/ mer dan die wort/ wan latin zetütsch machen von wort z wort/ ist etwan unverstentlich. ³²⁴ Viele Stellen lässt er weg oder verkürzt sie, v. a. bei belegenden Zitaten und Quellenverweisen, jedoch auch bei zusätzlichen Vergleichen und Beispielen, die in die Predigten inseriert waren. Schließlich sind in der Übersetzung zahlreiche sprachliche Mängel und Verständnisfehler zu erkennen.³²⁵ Die Übersetzung Paulis wurde daher bald als unzureichend eingeschätzt, sodass Nikolaus Höniger im nahen Basel knapp 50 Jahre später den Bedarf sah, eine neue Übersetzung anzufertigen und als Weltspiegel oder Narrenschiff 1574 zu drucken. Diese unterschlägt Paulis Version und gibt auf dem Titelblatt an, dass sie „in Lateinischer sprach beschrieben/ jetzt aber mit sonderm fleiß auß dem Latein inn das recht hoch Teutsch gebracht/ unnd erstmals im Truck außgangen/ Durch Nicolaum Hoͤ niger“.³²⁶ Um eine Übersetzung im engeren Sinne handelt es sich beim Weltspiegel jedoch nicht. Zum einen bringt Höniger die Verse von Brants Narrenschiff mit den Prosapassagen Geilers zusammen, sodass diese wie ein Kommentar oder eine Auslegung des ersten Textteils wirken; zum anderen tendiert er dazu, die lateinische Version zu erweitern und zu aktualisieren. Für allgemeine Aussagen zu Veränderungen in diesem Druck ist hier nicht ausreichend Raum, jedoch kann der Vergleich der Passage vom ‚StudierNarren‘ in den einzelnen Versionen des Textes einige Tendenzen illustrieren. Die Erweiterung der Vorlage ist bei Geiler von Kaysersberg auch mit einer Binnendifferenzierung der Narren verbunden, die er anhand der Schellen (nolae) am Narrengewand vornimmt. Die Eigenschaften des ‚Studier-Narren‘ stellt er in neun Schellen dar. Inhalt der ersten bis vierten Schelle ist falsches Verhalten in den einzelnen Fachdisziplinen (Grammatik, Dialektik, Rhetorik und Poetik, Quadrivium), in der fünften Schelle kritisiert er das Vermischen von Disziplinen, in der sechsten weist

 Vgl. Voltmer: Ein Prediger und seine Stadt, S. 82– 84 auf Grundlage von Volker Mertens: Authentisierungsstrategien in vorreformatorischer Predigt: Erscheinungsform und Edition einer oralen Gattung am Beispiel Johannes Geilers von Kaysersberg. In: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 16 (2002), S. 70 – 85, hier S. 70.  Johannes Pauli: Des hochwirdigsten doctor Keiserspergs narrenschiff. Straßburg 1520, S. IXr.  Einen Textvergleich unternimmt Karl Fischer: Das Verhältnis zweier lat. Texte Geilers von Kaisersberg zu ihren deutschen Bearbeitungen, der ‚Navicula fatuorum‘ zu Paulis ‚Narrenschiff‘ und der ‚Peregrinus‘ zu Otthers ‚Christenlich bilgerschafft‘ nebst einer Würdigung der lateinischen Texte Geilers. Diss. Metz 1908. Zu den Auslassungen vgl. S. 36 – 43, zu den sprachlichen Fehlern, die zum Teil auf einem Nichtverstehen der lateinischen Vorlage beruhen vgl. S. 24– 36.  Johannes Geiler von Kaysersberg: Welt Spiegel oder Narren Schiff, übers. von Nicolaus Höniger. Basel: Sebastian Henricpetri 1574, Titelblatt [Herv. P. R.]. Dazu kommt im 18. Jahrhundert noch: FatuoSophia Cæsare-Montana: Das ist die Kaysersbergische Narragonische Schiffahrt, Augsburg/Dillingen a. d. Donau: Johann Caspar Bencard 1708.

124

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

er auf ein Maßhalten im Studieren hin, in der siebten kritisiert er Müßiggang und erfolgloses Studieren, in der achten eine verfrühte Karriere und in der neunten Halsstarrigkeit beim Diskutieren.Während die meisten dieser Aspekte eher Fragen des Umgangs mit dem System der Universität betreffen, stellt die siebte Schelle die Lasterhaftigkeit der Studenten heraus und gibt auch einige Tätigkeiten der Studenten als Beispiel an: In scientia et moribus non proficere. Redeunt miseri iuvenes indocti et viciosi: utique aliquando neglegentia suorum praeceptorum/ aliquin sua propria malicia. Quippe dum operam litteris dare deberent student luxurijs et alijs vanitatibus/ ludis/ spaciamentis/ crapulis/ arti gladiatorie/ saltationibus/ exercitijs virium (Geiler von Kaysersberg: Navicula fatuorum, fol. L Iv).

In der (ziemlich wortgetreuen) Übersetzung von Johannes Pauli (1520) heißt es: In kunst/ in sitten/ und in geberden/ nitt znemen unsere armen iungen/ wan ir sie ze schlen schicken/so kumen sie wider umb ungelert in kunst/ aber boßhafftiger dan vor/ da ist etwan schuldig der meister das er hinlessig ist/ etwan des iungen eigen boßheit. Sie solten studieren/ so lauffen sie den hren nach/ sie leren schirmen/ spacieren/ sie spilen/ sie springen/stein stoßen etc. (Pauli: Des hochwirdigsten doctor Keiserspergs narrenschiff 1520, fol. LXIXr).

Weiter verderben sie durch dieses verschwenderische Verhalten das Vermögen ihrer Eltern und enden selbst in einem schändlichen Beruf: Inde damna non modicia parentibus quorum substantiam vane et luxuriose consumpserunt: sed et sibi mimi/ henselini/ servitores balnearum/ si tamen non peiora sequantur (Geiler von Kaysersberg: Navicula fatuorum, fol. L Iv).

Pauli beschränkt die vanitas und luxuria auf die Verschwendung bei den Frauen und ergänzt zu der illustren Gemeinschaft der Gaukler (mimi), Possenreißer/Kuppler (henselini) und Badeknechte, die wohl als Stricher verstanden wurden (servitores balnearum), den Schmarotzer (schlecker oder lat. leccator) und – im Geiste Sebastian Brants – den bchtrucker: Da kumpt dan iren vatter und mutter groser schad/ deren gt sie unnützlich mit den frawen verzeren Sie hond aber den groͤ sten schaden wan sie wider heim kumen/ so kunnen sie nüt/ und werden bchtrucker daruß gockler/ henselin/ schlecker/ baderknecht etwan schantlichers (Pauli: Des hochwirdigsten doctor Keiserspergs narrenschiff 1520, fol. LXIXr).

Geiler schließt die Passage mit einer autoritativen Referenz ab, indem er Seneca und einen Psalm zitiert: Docet Seneca epistula xx. [moderne. Zählung Sen. ep. 108,23] quod causa quare scolastici non sunt morigerati partim est ex parte doctoris/ partim ex parte discipulorum. Aliquid (inquit) praecipientium vicio peccatur/ qui vos docent subtiliter disputare non vivere. Aliquid discentium/ qui propositum ad praeceptores affuerunt non animi excolendi sed ingenium.Vult dicere/ quae hec sola est intentio scolasticorum conitur ingenium colere per scientiam/ non autem animum per virtutes.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

125

sed talem animum non tenuit. Psal. [118,66] qui dicit Bonitatem et disciplinam et scientiam doce me: ut ait [Robert] Holkot lectio lxxxi. A. (Geiler von Kaysersberg: Navicula fatuorum, fol. L Iv).

Auch Pauli führt Seneca und König David als Autoritäten an, die gelehrte Quellenangabe wird aber unterschlagen: von denen schreiber Seneca Vil meister leren ire schler künsten in dem hirn dar durch ir gemüt gespeiset würt/ aber nit tugent darin ir gemüt gebessert würt. Davit bat gott nit also/ aber er sprach. bonitatem et disci et scientiam doce me (Pauli: Des hochwirdigsten doctor Keiserspergs narrenschiff 1520, fol. LXIXr).

Dieses Verfahren wiederholt sich an anderer Stelle (v. a. bei der ersten Schelle) und ist wohl auf den veränderten Adressatenkreis zurückzuführen, der sich vom gelehrten Lateinkundigen auf Rezipienten ausweitet, für die der Verweis auf die genaue Quelle unerheblich ist. Die Version von 1574 intensiviert diese Tendenz der Streichung gelehrter Autoritäten. Ebenso verfährt sie bei Elementen, die den Text als lebensweltliche Warn- und Lehrschrift ausweisen. Um die Untaten des ‚Studier-Narren‘ eindringlicher zu vermitteln, wird dessen lasterhafter Tagesablauf plastisch und wesentlich umfangreicher auserzählt: Dann wann man vermeint sie solten Studieren/ so lernen sie Hoffieren. Ziehen von einer Mitternacht zu der anderen mit Lauten/ Geigen/ Harpffen/ Zittern und Pfeiffen/ herumb zu löfflen und vagieren/ und werden also des nachts voll und tholl/ darnach mögen sie des morgens nit studieren/ stehen etwann umb die zehen uhr auff/ darnach legen sie sich ein stund an/ nachmals gehn sie ein stundt spatzieren biß es essens zeit wirt/ als dann gehn sie zu dem Tisch/ und wann sie uber den Tisch kommen rmet einer dem anderen wie er seinem holderstock [Holunderstock; elsässisch: Liebling] und Keterle diese nacht hab gelöfflet/ darnach fangen sie an sauffen einander zu/ und welcher dann am besten sauffen mag der wirt Magister oder Doctor. Wann nun das mittag mal ist verzert/ ziehen sie herumb schrantzen/ tretten jrem Elsele für die thür/ und stehn vor ir ein stund oder zwo zu knippen und zu knappen biß es schier nacht essens zeit wirt. Oder uben sich nach dem Mittagmal in solchen ehrlichen künsten/ inn dem ballenschlagen/ fechten/ tantzen und springen und wirt etwann under hundert nicht einer gefunden der inn die Lection gieng/ und höret waz im da profitiert wird. Also bringen sie den tag biß man wider zum nacht essen gehet/ da rümen sie dann abermals was sie des tags studiert haben/ nemlich wievil er mit balenschlahen gewonnen hab/ und wievil casus er allein hab geschlahen. Item wie er auff der Fechtschul disem unnd jenem Beltzschmid ein kappen versetzt hab/ das im der rot safft uber den kopff abgeloffen sey. Item wie er mit seinem Ursele getantzt hab/ und wie sie so weiche händlin/ schwartze öuglin habe. Und wie hurtig es seye im herumb schwencken. Mit disen und andern stucken mehr volbringen sie den tag und die Maalzeiten/ als dann fahren sie wider an gassaten zu gehn [nachts um die Häueser zu ziehen]/ und so sie inn der vorigen nacht etwann einer nicht gelöfflet haben/ so thun sie solches dise. Dises ist unserer jetzigen Studenten der mehrertheil studieren/ darinn uben sie sich / das sein jre Tischred und Disputationes/ so sie auff den Hohenschulen treiben.³²⁷

 Geiler von Kaysersberg: Welt Spiegel, übers. von Höniger, fol. 98v f.

126

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Die Studenten werden im 16. Jahrhundert mithin als privilegierte Gruppe wahrgenommen, da sie es sich leisten können – auf Kosten der Eltern – den Tag ohne (körperliche) Arbeit zu verbringen. Doch anstelle des Lernens beschäftigen sie sich nur mit Gelagen, Liebschaften, Händeln, Sport oder bleiben gänzlich untätig. Die Folgen dieses Verhaltens sind im Weltspiegel ganz ähnlich wie in den älteren Versionen der Narrenschiffpredigten. Jedoch wird die Mobilität der gescheiterten Studenten explizit hervorgehoben: „Diese ziehen nachmals (wann sie der füllerey gewohnet haben) inn dem land herumb/ der ein wirdt ein Gauckler/ oder spilmann der ander ein thellerschlecker […]“.³²⁸ Außerdem nennt der Weltspiegel den verlotterten Studenten einen „faulen Bachanten oder unnützen Studenten“ und verwendet damit eine Bezeichnung, die am Anfang des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist und sich ab der Mitte des Jahrhunderts weiter verbreitet.³²⁹ Zusammenfassend lässt sich zum Gehalt des Narrenschiffs und seiner Bearbeitungen für eine Beschreibung des devianten Studenten Folgendes festhalten: In der satirischen Darstellung einzelner Stände, Gruppen und Verhaltensweisen ist er weitgehend durch sein Fehlverhalten im Rahmen der universitären Ausbildung gekennzeichnet: zum einen durch Faulheit und Verschwendungssucht (7. Schelle), zum anderen durch übertriebenen Ehrgeiz und Arroganz (8. und 9. Schelle). Obwohl der soziale Abstieg als Folge des Fehlverhaltens als Möglichkeit am Horizont aufscheint, sind die Themen der Gaunerliteratur nicht relevant. Der Bettelstab erscheint zwar als mögliche Folge des Handelns, ist jedoch nicht konstitutiv für diese Narrengruppe. Weiter zeigt sich die Tendenz einer semantischen Differenzierung in die ‚StudierNarren‘ als eine sozial privilegierte Gruppe, die vor allem durch ihr unmoralisches Verhalten (v. a. die Todsünden luxuria, gula, superbia, ira und acedia) festgelegt ist, und die armen Schüler als ‚Bettel-Narren‘ und Teil einer sozial marginalen Gruppe, die sich durch Almosenheische und Hochstapelei über Wasser hält. Allenfalls am Rande wird die Bettelarmut als Folge unmoralischen Verhaltens thematisiert.

Heinrich Bebel: Triumphus Veneris (1509) Das satirische Epos Triumphus Veneris von Heinrich Bebel pointiert diese Zweiteilung. Am Anfang und am Ende spannt der Text als diegetischen Rahmen einen allegorischen Krieg der Venus gegen die Virtus in Analogie zur spätantiken Psychomachia auf.³³⁰ Gleichzeitig steht das Epos in Beziehung zu anderen allegorischen Texten wie dem Roman de la Rose (13. Jh.), Boccaccios Amorosa Visione (~1343) und vor allem Petrarcas Trionfi (1341– 1374; v. a. dem Trionfo d’Amore). Drei zentrale Unterschiede bei Bebel sind jedoch, (1) dass es sich um keine introspektive Verhandlung der conditio humana handelt, sondern um eine soziale Satire, (2) dass Venus demnach nicht  Geiler von Kaysersberg: Welt Spiegel, übers. von Höniger, fol. 99r f.  Geiler von Kaysersberg: Welt Spiegel, übers. von Höniger, fol. 97r. Die Herkunft von ‚Bacchant‘ ist nicht geklärt. Vgl. dazu die Worterklärungen am Anfang von Kapitel 8.  Vgl. Hess: Narrenzunft, S. 281.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

127

als Personifikation der Liebe, sondern als Patronin aller Laster und Gegnerin der Tugenden und Gottes auftritt und es (3) am Ende dem satirischen Gestus folgend keine – im moralischen Sinne – positive Wendung gibt.³³¹ Ausgangspunkt der Handlung ist eine Klage der Venus. Sie beschwert sich in einem als frühlingshaftem locus amoenus stilisierten Setting darüber, ihre Machtansprüche über die Menschen aufgrund der andauernden Fastenzeit zu verlieren (I, 1– 122). Ihr Sohn Amor will der verängstigten Mutter helfen und eilt davon, um mit dem Ausheben eines Heeres zu beginnen. Während Venus mit ihrer Amme Luxuria und ihrer Mutter Superbia Rat hält (I, 123 – 229), rückt er mit einem Heer an, sodass die Zurückgebliebenen in Angst geraten: dum loquerentur adhuc siduntque ex ordine divae, ecce, Cupido venit legionum millia mille ducens, qui complet silvas et rura catervis. diriguere metu subito Venus atque puellae credentes pavidae iam castra inimica videre. (I, 247– 251)³³²

Daran schließt sich der Hauptteil des Triumphus Veneris an, der ‚Truppenkatalog‘ der Venus (I, 257–V, 310) – dazu später mehr. Im letzten Buch wechselt die Fokalisierung zum Heer der Virtus. Zu den zahlreichen allegorischen ‚Heerführern‘ (Sobrietas, Pudor, Patientia, Iustitia, Aequitas, Pietas, Concordia, Honestas, Modestia, Fides, Spes) kommen jedoch nur sehr wenige ‚Soldaten‘, v. a. Greise, einige Geistliche und Bauern (VI, 1– 11). Auch als Spes die ‚Hoffnung‘ nicht aufgibt und versucht, durch das Versprechen des ewigen Lebens und der ewigen Freude im Himmel Unterstützer zu gewinnen (VI, 13 – 45), kann sie die Situation nicht ändern. Sie kehrt erfolglos zurück und rapportiert, dass die Welt frei von tugendhaften und übervoll von lasterhaften Menschen sei. Dieser Befund deckt sich mit dem in der Narrenliteratur häufig zitierten Bibelvers: perversi difficile corriguntur et stultorum infinitus est numerus (Koh/Ecc 1,15). Durch die Aufnahme gattungshistorischer Bauformen des Versepos – der Aufmarsch erinnert beispielsweise an die Heereskataloge und Aristien des carmen heroicum ³³³ – wird die satirische

 Vgl. zur Triumphidee im italienischen Trecento Alexandra Ortner: Petrarcas Trionfi in Malerei, Dichtung und Festkultur. Untersuchung zur Entstehung und Verbreitung eines florentinischen Bildmotivs auf cassoni und deschi da parto des 15. Jahrhunderts. Weimar 1998, S. 34– 60.  Alle Übersetzungen aus dem Triumphus Veneris beruhen auf Heinrich Bebel: Triumphus Veneris. Ein allegorisches Epos von Heinrich Bebel, hg., übers. und komm. von Marcel Angres. Münster, Hamburg, London 2003 (Übers. im Folgenden: M. A.): „Während die Göttinnen noch sprechen und sich in eine Reihe setzen, siehe, da kommt an der Spitze Abertausender von Legionen Amor, der Wälder und Fluren mit seinen Truppen anfüllt. Sofort erstarren vor Angst Venus und die ängstlichen Mädchen, weil sie glauben, schon das feindliche Lager zu sehen.“  Vgl. zum Beispiel die berühmten Szenen aus Vergils Aeneis: Heldenschau (VI, 752– 892), Schildbeschreibung (VIII, 626 – 731) und die Heereskataloge (VII, 641– 817 und X, 166 – 214). Vgl. weiter Hess: Narrenzunft, S. 282.

128

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Schreibweise um eine literaturhistorische Dimension erweitert. Die Spielformen der Lasterhaftigkeit werden parodistisch zu epischen ‚Helden‘ stilisiert. Der Ausgangssituation entsprechend unterliegt die Virtus, da ihr kleines Heer vor den Truppen der Venus die Flucht ergreift (VI, 81– 117). Sie selbst kehrt zurück zu Gott, dem sie ihr Leid klagt. Dieser plant der Menschheit die ira Dei zu demonstrieren und sie durch Plagen (Seuchen, Kriege, Irrlehrer, Sintflut) auszulöschen (VI, 118 – 231), wird jedoch von der Misericordia und Maria als mediatrix von seinem Plan abgebracht. Endlich entschließt er sich, nur unheilvolle Vorzeichen zu senden (VI, 232– 288) und zu prophezeien, dass seine Strafe die Nachfahren treffen werde: heuheu, nostra quidem sententia firma manebit, sentiet atque malum, quod nec videre parentes, posteritas scelerum variis peritura ruinis. (VI, 286 – 288)³³⁴

Diese Inszenierung einer zweiten Erbsünde, welche Indiz der als bedrohlich empfundenen Epochenerfahrung ist, steht in starkem Kontrast zur abschließenden orgiastischen Triumphfeier der Venus und ihres Gefolges. Diese selbst aber bleibt vorsichtig, und so endet das Epos mit den warnenden Worten: Nec secura satis prudens nec frangier unquam rebus in adversis Virtutes atque periclis, fortius afflictas sed surgere in arma sorores. quid tandem fiat, non est praedicare tutum.³³⁵

Die abschließende Vorsicht der Venus scheint auch als Appell an den (tugendhaften) Rezipienten gerichtet, dass es nämlich nicht unmöglich sei, sich gegen diese Laster zu wehren. Ex negativo – wie für Ständesatiren üblich – dient der Text so der Moralisierung, die Bebel selbst in einem Brief vom 9. Mai 1505 als Werkintention angibt. Triumphum Veneris sex libris heroico carmine descriptum, ubi mira et nova et iucunda inventione mores hominum taxantur; afferuntur enim ibi causae tantorum bellorum per Germaniam et alibi, item causae famis, pestilentiae, morbi Gallici et similium adversitatum, quibus iam multis annis mundus tam graviter est vexatus.³³⁶

 Übers. M. A.: „Ach weh, mein Entschluß jedenfalls wird unerschütterlich bleiben, und eine Strafe, welche die Urheber der Vergehen nicht gesehen haben, werden die Nachfahren zu spüren bekommen, welche in mannigfaltigen Stürzen zugrunde gehen werden.“  Bebel: Triumphus Veneris. Lib.VI, vv. 304– 307; Übers. M. A.: „Weder bin ich, Venus, ausreichend geschützt, noch sehe ich vorher, ob die Tugenden durch Gefahren und widrige Umstände[n] jemals gebrochen werden und ob die Schwestern sich nicht, gerade weil sie schwer heimgesucht sind, noch tapferer zum Kampf erheben werden. Was letztendlich geschieht, kann man nicht mit Sicherheit vorhersagen.“  Brief Bebels an Benedikt Farner. In: Commentaria Epistolarum Conficiendarum Henrici Bebelij Iustingensis Poetae […], Straßburg: Johann Grüninger 1506, fol. 173v–175v, hier fol. 175r f. Ed. nach der Ausgabe Pforzheim: Thomas Anselm 1508, hier fol. E9v mit Übersetzung von Marcel Angres in Bebel: Triumphus Veneris, S. 15 f.: „der in einem Epos von sechs Büchern geschilderte ‚Triumph der Venus‘, in

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

129

Die einzelnen ordines, welche im revuehaften Aufmarsch der ‚Truppen‘ vorgestellt werden, sind gemäß den Regeln der Satire zum einen karikierte Missstände der eigenen Welt, zum anderen topische Negativierungen eines normativ richtigen Verhaltens. Die vier Bücher spiegeln die Grobeinteilung in verschiedene Stände/Gesellschaftsgruppen: die Bettler (de mendicis, lib. II), Kleriker (Papa cum sacerdotibus, lib III), weltlichen Stände (nobilitas, ordo civium und milites et lancearii, lib. IV) und Frauen (Foemineus Sexus) sowie Bauern (Rustici, beide in lib.V). Im Gegensatz zu einer Klimax-Struktur, wie sie in epischen Truppenkatalogen eher üblich ist, wird die wichtigste Gruppe für das Heer der Venus an den Anfang gesetzt. Zusätzlich zu einer Inversion des Heldenepos gewinnt der statische Ständeaufbau ein dynamisches Moment, indem die erstgenannte Gruppe der Venus am nächsten, der Virtus aber am fernsten ist. Die Bettler stehen an der Spitze des Venus-Heeres: […] vix est hominum proclivior ullus in mea castra, nec est proles numerosior ullus, […] unde supremus honos merito decernitur illis. progredere iccirco turba comitante, sodalis, mendice, atque audens strictis mucronibus adsis, mollibus aut armis potius mea castra subito! (II, 105b f. und 112– 115)³³⁷

Diese Vorrangstellung der Bettler können auch die folgenden Stände nicht umstürzen. So entgegnet Venus den entrüsteten Geistlichen, die sich selbst an erster Stelle sehen, dass ihr Beschluss unumstößlich sei.³³⁸ In der Dankesrede des Anführers der Bettler, der als signifer […] procero corpore vastus | […] horribili vultu laceris et amictus | vestibus, ut mos est vel cuncta vorantis egeni (II, 30 – 32)³³⁹ beschrieben ist, bedient sich Bebel eindeutig der Muster der ‚Gaunerliteratur‘. So nennt sich der signifer selbst einen besonders würdigen Bettler, gibt sich als weitgereisten, pilgernden Bruder des Michaelsordens aus, gibt aber gleichzeitig an, dass er in Wahrheit nur umherreise, um die Menschen zu betrügen, auszurauben und die

dem mittels einer seltsamen, neuartigen und unterhaltsamen Fiktion die Sitten der Menschen getadelt werden; dort werden nämlich die Gründe für die so großen Kriege in Deutschland und anderswo angeführt, ebenso die Gründe für Hungersnot, Pest, die Französische Krankheit [Syphilis] und ähnliche Leiden, durch welche die Welt schon viele Jahre so heftig gequält worden ist“ [Herv. P. R.].  Übers. M. A.: „kaum einer der Menschen strebt mehr in mein Lager, noch hat irgendwer eine zahlreichere Nachkommenschaft. […] Daher wird jenen zu Recht die höchste Ehre zugewiesen. Daher, Bettler, rücke vor mit der dich begleitenden Schar, und sei als kühner Kamerad mit gezogenem Schwert zugegen, oder betrete vielmehr mein Lager mit sündigen Waffen!“  sic stat sententia nostris, quam renuisse pudet, nec, si volo, rumpere possum. (III, 12b f.); Übers. nach M. A.: „So ist es für die Unserigen beschlossen; diesen Beschluß zurückzuweisen, schäme ich mich, noch könnte ich ihn, auch wenn ich wollte, brechen.“  Übers. M. A.: „der Fahnenträger, ungeschlacht, hoch gewachsen, mit einem schrecklichen Antlitz und mit zerrissenen Kleidungsstücken bekleidet, wie es bei den Bettlern Sitte ist, die aber auch alles auffressen.“

130

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Frauen zu entehren (II, 129 – 144). Damit vereint er Eigenschaften des ‚Calmierers‘ (falschen Pilgers), des ‚Kammesierers‘ (falschen Geistlichen)³⁴⁰ und anderer Bettlertypen, z. B. des ‚Grantners‘ (II, 164– 174) und ‚Klenckers‘ (II, 175 – 179).³⁴¹ Es folgt ein Abschnitt über die ‚gelehrten Bettler‘. Dieser gliedert sich in drei Abteilungen, die in margine ausgewiesen sind als Scholastici vagantes et mendicantes (II, 207– 230), Rusticae puellae (II, 231– 246) und Stationarii mendici (II, 247– 268). Die Passage beginnt mit einer allgemeinen Darstellung der ungebundenen Mobilität der entlaufenen Studenten, welche als Teil eines ‚Vagantenordens‘³⁴² und Sprecher einer Geheimsprache (Rotwelsch?) apostrophiert werden: desertis studiis iamque orta, scholastica plebes, per cunctos pagos, cunctas cursura per urbes ordine sub proprio vocitat sese esse vagantum, quod mendicando totumque vagentur in orbem nudi atque extorres proprio semone loquentes, quem sibi finxerunt, ne plebs intellegat exlex nequitias, fraudes, mendicia, furta, rapinas et cum spurcitiis veneris periuriam, luxum. (II, 207– 214)³⁴³

Im Folgenden schreibt der Text ihnen die stereotypen Eigenschaften des ‚Kammesierers‘ zu. Dieser erbitte vom Bauern zur Finanzierung seiner klerikalen Ausbildung Gaben und täusche diesen durch sein rudimentäres Latein: sed, quantum sceleris patrent, horribile dictu; in rogitando tamen non est submissior ullus: hii cum vix possint tria dinumerare latina verba nec aspirent ullum contingere honorem

 Vgl. Kapitel 5.1.4. Außerdem Kluge: Rotwelsch, S. 49/41 f. Zum Michaelsorden vgl. LexMA 2 (1983) S. 740 f.  Vgl. Kluge: Rotwelsch, S. 42 f. und S. 40. Es fällt v. a. die Parallele der von einem Gerichteten gestohlenen Gliedmaßen auf, die zur Täuschung genutzt werden. Im Liber Vagatorum heißt es: Z Schletstat saß einer vor der kirchen der selb het einem dieb einen schenckel an dem galgen ab gehawen und het in für sich gelegt, und het seinen gten schenckel vff gebunden…, im Narrenschiff S. 163 heißt es: der byndet […] | eyn gerner beyn jn die schlucken. Im Triumphus Veneris wird dieser Frevel noch gesteigert, indem es heißt, das Bein sei von einem Gekreuzigten: alter de cruce suspendi sibi crura resectat | proque suis miro ingenio supponit et illis | insidias vetulae nummis locat ante se ratis (II, 175 – 178); Übers. M. A. „Ein anderer, außerordentlich kluger, schneidet die Beine eines am Kreuze Hängenden ab und streckt diese anstelle der eigenen hervor und stellt den Münzen des alten Weibes durch jene vor ihm liegenden als echt erkannten eine Falle.“  Mehr dazu in Kapitel 7.3.  Übers. M. A.: „Nachdem die Studien im Stich gelassen, und nun das Laufen durch alle Gaue, durch alle Städte begonnen hat, ruft das Scholastenvolk laut aus, es gehöre zum eigenen Orden der Vaganten, weil sie heimat- und mittellos bettelnd auf dem ganzen Erdkreis herumzögen und dabei in einer eigenen Sprache redeten, welche sie für sich eigens ersonnen hätten, damit das der Gesetze nicht kundige Volk die Verschwendung, Betrügereien, Lügen, Diebstähle, Räubereien, die Genußsucht und die Meineide zusammen mit der Unreinlichkeit der körperlichen Liebe nicht erkenne.“

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

131

clericulos iactant se, Simplicitatis alumnis, agricolis tantaque et paupertate gravari hactenus, ut nequeant sacris operarier almis atque sacerdotes sacrari. „tristis egestas et, quo mercamur sacra, Romam, altaria, coelum, impediat nummus?“ sibi dum patrimonia desint, subsidium hinc rogitant flentes et supplice voce. rusticus, o facilis, quicquid servavit in arca defossi argenti, butirum, cum vestibus ova, cum Baccho Cererem hos miseratus donat abunde; namque Iovem hoc uno sperat meruisse supremum, dummodo luxuriae dedit incrementa vagantis. (II, 215 – 230)³⁴⁴

Der nächste Teil ist nicht mit dem Subjekt, sondern mit dem Objekt der Täuschung bezeichnet, der mulier rustica simplex, die der Betrüger um ihr Hab und Gut erleichtert, indem er ihr verspricht, durch seine magische Begabung ihr Leben zu erleichtern: multo plura, tamen mulier, sed rustica, simplex, porrigit occulte simul ignorante marito, quae longum de caseolis lucrata per annum est, dum vagus ornate secretam gannit in aurem nescio quem fingens Veneris de monte profectum sese hinc esse magum, possit qui daemonas atros imperio regere et compellere cuncta fateri: abdita quoque loco nummorum grata supellex thesaurusque ingens qua si tellure sepultus. promittitque lupum sese exarmare rapacem, ponat ut insidias pecori. mox vulpibus aufert carmine gallinas et sagis Thessala verba, tristificos prohibere potest hic grandinis imbres. denique se iactat mendax coeli omnia nosse; simplex hinc capitur cum munere rustica pubes. ³⁴⁵

 Übers. M. A. [Herv. und Erg. im Orig.]: „Jedoch, wie viele Verbrechen sie begehen, ist schrecklich zu sagen; dennoch ist nicht einer beim Bittstellen demütiger: obwohl sie kaum drei lateinische Wörter aufzählen können und nicht danach trachten, irgendeine ehrenvolle Stellung zu erlangen, führen sie ständig im Munde, daß sie kleine Kleriker durch die Bauern, die Zöglinge der Einfalt, und die so große Armut so sehr in Bedrängnis seien, daß sie den segenspendenden Gottesdienst nicht verrichten und nicht zu Priestern geweiht werden könnten. ‚Sollen die traurige Bedürftigkeit und das [fehlende] Geld, mit dem wir heilge Altäre, Rom und den Himmel kaufen, etwa ein Hindernis darstellen?‘ Weil ihnen ererbtes Vermögen fehlt, bitten sie dann inständig unter Tränen und mit demütiger Stimme um Unterstützung. Was von den eingegrabenen Silberlingen der Bauer, oh ein gütiger Mann, in der Lade zurückgelegt hat, Butter, Eier und Kleidung, Brot und Wein schenkt er überreichlich, weil er sie bedauert; denn er ist überzeugt, allein hierdurch den erhabensten Gott verdient zu haben, wenn er nur der Genußsucht des Vaganten Förderung gewährt hat.“  Übers. nach M. A.: „Aber viel mehr fördert diese die einfache Frau – wohlgemerkt aber eine Bäuerin –, sooft sie heimlich ohne Wissen des Ehemannes darreicht, was über das lange Jahr an Käslein sie gewonnen hat, während der Vagant ihr heimlich unter Ausschmückung ins Ohr raunt, er

132

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

In dieser Darstellung werden stereotype Konnotationen mit ‚Magie‘ abgerufen: der Venusberg als Lehrstätte, die Kontrolle von Dämonen und die dadurch erreichten Fertigkeiten des Schatzfindens, des Festmachens (Abwehr von Waffen), des Schutzzaubers gegen wilde Tiere und Unwetter und der Wahrsagerei. Diese Gruppe stehe Venus besonders nahe: hoc genus inprimis, Venus, o regina, foveto! (II, 246).³⁴⁶ Es ist evident, dass Heinrich Bebel hier auf dieselben Zuschreibungen und Strukturen zugreift wie beim ‚Vagierer‘ oder Fahrenden Schüler. Die Aufzählung der Bettler, der ‚Eliteeinheit der Venus‘, endet mit den Stationarii, welche unter Berufung auf einen bestimmten Heiligen in großen liturgischen Spektakeln Gaben erhaschen – damit kommen ihnen dieselben Merkmale zu, wie den Spectini in Teseo Pinis Speculum Cerretanorum. ³⁴⁷ Das Ende der Dankesrede des signifer und zugleich das Ende des zweiten Buches markiert der hyperbolische Vergleich der Zahl der Bettlerschar mit dem Heer des Xerxes: […] quo milite Xerxis exuperat numerum, quo flumina sicca reliquit (II, 275b f.)³⁴⁸

Auf dieses Extrem folgt die Einschränkung, dass es einige wenige gebe, die sich der Virtus angeschlossen hätten (sunt tamen e nostris capti Virtutis amore, | attamen hii pauci et distantes iungere multo, II, 276 f.). Diese Doppelung von übertrieben karikaturesker Darstellung der Lasterhaftigkeit mit einer minimalen Einschränkung eines ‚kleinen Fähnchens der Aufrechten‘ ist typisch für die Gesellschaftssatire im Stil des Triumphus Veneris. Das Ergebnis, dass auch hier der ‚gelehrte Bettler‘ in den beiden Ausformungen des ‚Kammesierers‘ und des ‚Vagierers‘/Fahrenden Schülers auftritt, deckt sich mit der Darstellung in der ‚Gaunerliteratur‘. Wenn auch die Abhängigkeitsverhältnisse auf-

sei, weil er vom Berg der Venus’, wie er vorgibt, aufgebrochen sei, ein kleiner Zauberer, der die unheilvollen Dämonen lenken und mit einem Befehl bewegen könne, alles zu verraten: an welchem Ort ein wertvoller Vorrat von Münzen verborgen und wo in der Erde ein riesiger Schatz vergraben sei. Und er verspricht, den räuberischen Wolf unschädlich zu machen, damit er nicht mehr dem Vieh nachstellt. Bald entreißt er mit einem Zauberspruch den Füchsen die Hennen und raubt den thessalischen Wahrsagerinnen die Worte, fernhalten kann er die Trauer bringenden Hagelgüsse. Schließlich brüstet sich der Lügner, alle Geheimnisse des Himmels zu kennen; darauf wird mit Gewinn das einfältige Bauernvolk überlistet.“  Übers. M. A.: „Dieses Geschlecht vor allem, Venus, hege!“  Vgl. Kapitel 3.1. Zu den Stationariern in frühneuzeitlichen Schwanksammlungen und den konfessionspolemischen Implikationen vgl. Peter Strohschneider: Heilswunder und fauler Zauber. Repräsentation religiöser Praxis in frühmodernen Schwankerzählungen. In: PBB 129 (2007), S. 438 – 468.  Übers. M. A.: „an Soldaten aber übertrifft sie die Anzahl des Xerxes, durch welche er ausgetrocknete Flüsse zurückließ.“ Bebel adaptiert hier den konventionellen Vergleich Herodots; dieser war in Mittelalter und Früher Neuzeit wohl mindestens genauso präsent über M. Iunianus Iustinus’ Historiae Philippicae (3. Jh. n.Chr.): Iam Xerxes septingenta millia de regno armaverat, et trecenta millia de auxiliis: ut non inmerito proditum sit, flumina ab exercitu eius siccata Græciamque omnem vix capere exercitum ejus potuisse (Iust. II, 10).

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

133

grund der problematischen Datierung ziemlich intrikat sind, sind der Liber Vagatorum und der Triumphus Veneris doch offensichtlich verbunden.³⁴⁹ Von den beiden mobilen Schülerfiguren, der scholastica plebes, die in der Rubrik de mendicis (von den Bettlern) zu finden ist, grenzt sich eine studiosa cohors ab, welche als Teil der Rubik de ordine studiosorum im Buch über den Klerus (Buch III: Papa cum Sacerdotibus) präsentiert wird. Ihr Auftreten wird eingeleitet als: Post studiosa cohors comitatur robore multo martigenaque manu poscentes bella sophistae. (III, 234 f.)³⁵⁰ Der Standartenträger jedoch erklärt, wieso sie als Teil des venerischen Gefolges anzusehen seien: inque scholis quamvis discamus honestum, ipse tamen qui signa gero, primusque pudorem virtusque pias et relligionis amorem praedico gymnasiis nil non moderabile suadens invehor inque tuas arces reliquas sorores, attamen acculto Cypriae servimus et ipsos non iuvat immodico mentem vinire Lyeo. (III, 240b–246)³⁵¹

Die ehrenhafte Fassade des Gelehrten steht also in Kontrast zur geheimen Lasterhaftigkeit und Venus-Gefolgschaft. Bei den Studenten als angehenden Gelehrten ist das Verhältnis von ehrhafter Fassade und verborgener Lasterhaftigkeit noch anders gewichtet. Sie sollen zwar zur Tugendhaftigkeit erzogen werden, folgen jedoch der Venus: atque scholastica gens virtutes discere iussa arcubus et gladiis sequitur munita magistros uni se Veneri promittens munia fortem solvere […]. (III, 268 – 271a)³⁵²

Die Darstellung der Studenten spiegelt die Formen des Missverhaltens des ‚StudierNarren‘: Sie verprassen das elterliche Vermögen für Liebschaften und Gelage,³⁵³ sind Unruhestifter.³⁵⁴ Würfelspiel und Trunkenheit sind an die Stelle der Studien getreten:

 Mehr zur Frage der Datierung und der Abhängigkeitsverhältnisse vgl. unten.  Übers. M. A.: „Hernach folgt die sehr rüstige Schar der Studenten und die mit von Mars stammender Hand Krieg fordernden Sophisten“  Übers. M. A.: „Und so sehr wir auch in den Schulen Anstand lernen und ich, der ich dennoch selbst die Standarte trage, als erster die Scham, die gottgefälligen Tugenden und die Liebe zur Gläubigkeit preise, den Schülern nur Maßvolles rate und gegen deine Bollwerke und deine übrigen Schwestern wettere, [so] dienen wir dennoch im Verborgenen der Venus und erfreut es gerade uns, den Verstand durch maßlos getrunkenen Wein zu umnebeln.“  Übers. M. A.: „Mit Bogen und Schwertern bewaffnet folgt die Studentenschar, der zu lernen geboten war, daß die Tugenden die Lehrmeisterinnen seien, und verspricht, daß sie einzig für die Venus tapfer ihre Pflicht erfüllen wird.“ Die Bewaffnung der Studenten ist wohl einerseits allegorisch zu verstehen (der wehrhafte Teil des Venus-Heeres) andererseits verbirgt sich dahinter auch das Privileg der Studenten, eine Waffe tragen zu dürfen, welches immer mehr zur Schau gestellt wird.  gymnasio hos genitor, qui larga numismata praestat, | addixit iussos sacrae invilare Minervae, | quos Amor infoelix atque immoderatus Iacchus | nocte dieque agitat studio virtutis abacto (III, 274– 277);

134

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

at damnosa iuvat permultos alea; ludo amittunt nummos, vestes et, quicquid ubique est librorum. sophiae studeant vel Iustiniano Ebrietas, praedulce malum, nunc occupat illos. (III, 285 – 288)³⁵⁵

In einem Gestus, der weniger durch die satirische Schreibweise gebrochen ist, sondern eher direkt mahnend wirkt, werden die lasterhaften Studenten, die im 16. Jahrhundert mitunter als Renommisten verrufen sind, als Ferkel beschrieben, deren kleiner Juckreiz eine ganze Herde mit der Krätze infizieren könne: nanque prurigine scrophae | unius inficitur scabie grex totus in agris, | sic trahit infirmam numeroso cum grege secum (III, 298 – 300). Die lasterhaften Studenten bilden die Grundlage eines Gelehrtenproletariats, welches ohne Bindung und ohne Ziel durch die Welt vagiert: ille iuventutem, nimium mutabile vulgus, qui spretis studiis nunc huc, nunc fluctuat illuc nescius incepti nec, quo se vertat. et unus nil nisi cum ludo venerem, convivia curans inque voluptates pravas immergit ineptus convivas, raro datur unde emergere cuidam. (III, 301– 306)³⁵⁶

Übers. M. A.: „Der Vater, der reichlich Geld gibt, hat sie, die auf die heilige Minerva bedacht sein sollten, für die Universität bestimmt, sie, die der unheilvolle Amor und der maßlose Bacchus Tag und Nacht umtreibt, nachdem das Streben nach Tugend verscheucht.“  pars cursant noctu nocturnaque praelia miscent | propter amicarum fraudes et perfidia verba. | hi testudinea cythara placuisse puellae | contenti reboant vesano more vagantes (III, 278 – 281); Übers. M. A.: „Ein Teil zieht nachts herum, und es kommt dann wegen Untreue der Geliebten und treuloser Reden zu nächtlichen Kämpfen. Andere, die damit zufrieden sind, einem Mädchen mit der Laute zu gefallen, treiben sich herum und lassen [die Gassen] in wahnsinniger Weise widerhallen.“  Übers. M. A.: „Sehr viele aber erfreut der verderbliche Würfel; im Spiel verlieren sie allenthalben ihr Geld, ihre Kleider und, was sie an Büchern besitzen. Mögen sie Philosophie studieren oder das Römische Recht, nun hat sich ihrer die Trunkenheit, eine sehr süße Sünde, bemächtigt.“ Als Signifikant der Ebrietas wird der Brauch des maßlosen ‚Zutrinkens‘ erwähnt: ille „propino tibi“, „totum siccabo, sodalis“, | hic ait; ad numerum calices hinc evacuantur. | hic, qui plus revomit stomachi de gurgite fusum, | ille coronatur cunctis praelatus ephebis; Übers. M. A.: „Jener sagt ‚Ich trink dir zu‘ und dieser ‚Ich werd’ ihn ganz austrinken, Kamerad‘; darauf werden die Becher vollständig geleert. Dieser, der vom Eingeschenkten aus der Tiefe des Magens mehr wieder ausspeit, der wird als Sieger bekränzt, weil er sich vor allen Jünglingen hervorgetan hat.“ Diese Weise des übermäßigen Alkoholkonsums wird spätestens im 16. Jahrhundert zum Teil der allgemeinen Festkultur, findet jedoch ebenso starke Kritik durch die Geistlichkeit und die sog. ‚Mäßigungsbruderschaften‘.Vgl. dazu Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Zweiter Band: Dorf und Stadt. 16.–18. Jahrhundert. München 32005, S. 127– 129.  Übers. M. A.: „so zieht die noch ungefestigte Jugend, ein allzu unbeständiges Volk, in großer Menge jener mit sich, der, nachdem er die Studien verachtet, bald hierhin, bald dahin treibt, kein Vorhaben kennend, noch wissend, wohin er sich wenden soll. Und einer, der sich um nichts anderes als Spiel, Liebe und Gelage sorgt, versinkt als Tor in üble Sinnesfreuden und einen Kreis von Zechgenossen, woraus sich emporzubringen selten einem gegeben ist.“

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

135

In dieser Darstellung wirkt der lasterhafte Student wie der (noch institutionell gebundene) Vorgänger des signifer der Bettler: Nachdem dieser in seinen Studien gescheitert sei, habe er sich dem Leben auf der Straße zugewandt, wovon er nur sehr selten umkehren könne. Er werde ein Teil des fahrenden Bettelvolkes und gliedere sich in die Gruppe der Mendici ein. Die Verbindung der beiden Gruppen wird durch den analogen Verweis auf die Vernachlässigung der Studien hervorgehoben (desertis studiis II, 207; studiis spretis III, 302). Jedoch fällt durch die Gliederung der Ständesatire auch eine Differenzierung der beiden Gesellschaftsgruppen ins Auge. Diese gewinnt ihr narratives Potential aus der literarischen Tradition und der damit verbundenen Aussageabsicht. Bei den ‚gelehrten Bettlern‘ wird eine nicht mit diesen identische Rezipientengruppe adressiert, nämlich der Bürger oder der Gelehrte, der sich vor deren betrügerischen Machenschaften, die doch nur die Lasterhaftigkeit förderten, hüten solle. Unmittelbares Vorbild Bebels sind dabei die Bettlerkataloge. Als Rezipienten der Mahnungen vom ‚unnützen Studieren‘ sind die (bürgerlichen) Schüler und Studenten selbst vorzustellen, welchen die materielle und gesellschaftliche Prekarität als Folge moralischen Fehlverhaltens vor Augen gestellt wird.³⁵⁷ Der Fahrende Schüler und der Verlotterte Student sind als literarische Typen also nah miteinander verwandt, jedoch hinsichtlich der bloßgestellten Missstände unterschiedlich perspektiviert und klassifiziert. Auch biographisch stand Heinrich Bebel in unmittelbarem Kontakt zur sozialreformatorischen und satirischen Beschäftigung mit der ‚Bettlerfrage‘. Er stammte aus dem kleinen Dorf Justingen auf der Schwäbischen Alb, von dem er sich seinen Beinamen Iustingensis lieh.³⁵⁸ Er war in der privilegierten Position, für sein Studium zuerst nach Krakau und dann nach Basel reisen zu können, wo er ab 1494 – dem Jahr der Drucklegung des Narrenschiffs – bei Sebastian Brant Vorlesungen hörte. Im Jahr 1496 wird er auf die neugeschaffene, wenn auch schlecht bezahlte, ‚Lektur‘ der Oratorien (Rhetorik und Poesie) in Tübingen berufen,³⁵⁹ wo er unter anderem Werke des vormaligen Rektors und wichtigen scholastischen Sozialphilosophen Gabriel Biel (~1415– 1495) herausgab.³⁶⁰ Auch mit dem um 1510 in Pforzheim gedruckten Liber Vagatorum

 Als Grundlage dieser Praxis sind paränetische Reden und Fazetien aus dem akademischen Kontext anzuführen, z. B. in Disputationes quodlibeticae oder bei Heinrich Bebel. Vgl. dazu Kapitel 10.2.1 und 12.1.  Einen Überblick zur Biographie Bebels bieten Klaus Graf: Heinrich Bebel. In: Stephan Füssel (Hg.): Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450 – 1600). Ihr Leben und Werk. Berlin 1993, S. 281– 295, Klaus Graf: Heinrich Bebel (1472– 1518).Wider ein barbarisches Latein. In: Paul Gerhard Schmidt (Hg.): Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. Stuttgart 22000, S. 179 – 194 und Carl Joachim Classen: Zu Heinrich Bebels Leben und Schriften. Göttingen 1997.  Vgl. Classen: Bebels Leben und Schriften, S. 12. Vor ihm haben diese Lektur kurzzeitig Johannes Reuchlin und Jakob Locher eingenommen. Vgl. Sönke Lorenz: Von Johannes Reuchlin und Jakob Locher zu Philipp Melanchthon: Eine Skizze zum Tübinger Frühhumanismus. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999), S. 37– 58.  Z. B. Epithoma expositionis Canonis misse magistri Gabrielis Biel sacre theologie licentiati (1499) und Gabriel super primo sententia[rum] (1501). Gabriel Biel wird oft als der ‚letzte Scholastiker‘ be-

136

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

hat Bebel einige Berührungspunkte,³⁶¹ wie den Drucker Thomas Anselm, bei dem Heinrich Bebel ab 1504 in Pforzheim und noch verstärkt nach dessen Übersiedelung im Sommer 1511 nach Tübingen die meisten seiner Texte drucken ließ.³⁶² Der erste Druck der Anselm’schen Presse nach dieser Übersiedelung nach Süden war ein Text von Heinrich Bebel: eine Ausgabe der Commentaria epistolarum conficiendarum, die Bebel bereits vorher in Pforzheim bei demselben Drucker hatte fertigen lassen.³⁶³ Auch wenn die Zusammenarbeit teilweise angespannt blieb,³⁶⁴ handelt es sich bei Heinrich Bebel, der ab 1501 zum poeta laureatus gekrönt wurde und so einen erhöhten Absatz versprach, neben Anselms Nähe zu anderen Humanisten wie Georg Simler und Johannes Reuchlin³⁶⁵ wohl um einen Grund für die Übersiedelung der Offizin. Im Jahr 1509 erschien bei Anselm der Triumphus Veneris in den Opera Bebeliana sequentia und ungefähr zeitgleich der Liber Vagatorum, ohne jedoch Offizin und Jahr explizit auszuweisen. Ebenso inhaltlich bestehen viele Parallelen, wie die Darstellung des Fahrenden Schülers zeigt. Dennoch ist es schwierig, eine direkte Abhängigkeit festzustellen. Während man über den Prozess der Verfertigung des Liber Vagatorum keine Aussagen treffen kann, hat Bebel über sein satirisches Epos einige Hinweise hinterlassen, die den Rückschluss zulassen, dass es zwischen 1502 und 1505 entstand. Bis zum Druck 1509 sind kleine Eingriffe möglich, aber keine fundamentalen Veränderungen mehr anzunehmen.³⁶⁶ Die Chronologie drängt den Befund auf, dass der Liber Vagatorum durch die Darstellung bei Bebel inspiriert worden sei. Ich halte eine

zeichnet. Der scholastischen Methode folgend analysiert er auch den rezenten Betteldiskurs, und zwar in dist. 16, quaest. 4, quaest. 3, ed. in Gabriel Biel: Collectorium circa quattuor libros sententiarum. Bd. 4,2 Libri quarti pars secunda (dirst. 15 – 22), hg. von Wilfridus Werbeck und Udo Hofmann. Tübingen 1977, S. 431– 457.  Beispielsweise reflektiert Joseph Maria Wagner über „den anteil, den der berühmte humanist Heinr. Bebel vermutlich an dessen redaction genommen“ habe. Rotwelsche Studien. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 33 (1863), S. 197– 246, hier S. 218.  Hildegard Alberts: Reuchlins Drucker Thomas Anselm unter besonderer Berücksichtigung seiner Pforzheimer Presse. In: Manfred Krebs (Hg.): Johannes Reuchlin (1455 – 1522), neu herausgegeben und erweitert von Hermann Kling und Stefan Rhein. Sigmaringen 1994, S. 205 – 265, hier S. 211.  Nämlich 1507, 1508, 1509 und 1510 (vgl. Alberts: Rechlins Druker, Nr. 48, 52, 59 und 68). Zu Thomas Anselm in Tübingen vgl. Hans Widmann: Tübingen als Verlagsstadt. Tübingen 1971, S. 18 – 41.  Bebel druckte sein Commentarium 1513 und 1516 in Straßburg bei Grüninger, weil er aufgrund seines persönlichen Zwists mit dem Reuchlinschüler Georg Simler, der als Korrektor für Anselm gearbeitet hatte, auch mit dem Drucker brach. Er schreibt in einem Brief, dass Anselm nur aufgrund der Bezahlung für Bebel arbeitete: Thomas nil harum rerum nisi mercede conductus imprimit. Vgl. Alberts: Reuchlins Drucker, S. 217.  Vgl. Wilfried Lagler: Philipp Melanchthon als Mitarbeiter des Tübinger Buchdruckers Thomas Anselm. In: Sönke Lorenz, Matthias Asche u. a. (Hg.): Vom Schüler der Burse zum „Lehrer Deutschlands“. Philipp Melanchthon in Tübingen. Tübingen 2010, S. 175 – 185, hier S. 176.  Zur Entstehung mit Abdruck der einzelnen Selbstaussagen zum Arbeitsfortschritt vgl. Bebel: Triumphus Veneris, S. 7– 19, ergänzt durch Dieter Mertens: [Art.] Heinrich Bebel. In: HumVL 1, Sp. 142– 163, hier Sp. 157 f. Zur Arbeitsweise Bebels generell und zur Praxis, einen zeitlichen Abstand zwischen Vollendung, Widmung und Drucklegung des Textes zu akzeptieren, vgl. Classen: Bebels Leben und Schriften, S. 18 – 24.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

137

direkte Abhängigkeit jedoch für unwahrscheinlich und gehe eher davon aus, dass sich beide Zeugnisse aus einem Reservoir in humanistischen Kreisen zirkulierenden Wissens und tradierter Narrative bedienten, dem durch den Text Bebels allenfalls ein zusätzliches Muster hinzugefügt wurde. Diese Zirkulation – einerseits von Wissen, andererseits aber vor allem von fertigen Texten im Umkreis der Humanisten – belegen die konkreten Aussagen von Heinrich Bebel zum Fortschritt seines Triumphus Veneris, und zwar im Widmungsbrief des Epos, der an die universitas Germaniae gerichtet ist (1509), in einem Brief an Benedikt Farner (1505/06), in der Castigatio Commentariorum (1506) und vom Bebelschüler Johannes Altenstaig im Kommentar zum Triumphus Veneris (1510/1515).³⁶⁷ Gemäß den Aussagen im Widmungsbrief begann er mit seiner Arbeit am Triumphus um 1502, als er sich wegen der Pest nach Ingstetten auf die Schwäbische Alb zurückzog,³⁶⁸ und schloss sie im Mai 1505 weitgehend ab. Denn er beschreibt sie im Brief an Farner als quid modo mediter et qui sint labores nostri intra domesticos adhuc parietes detenti. ³⁶⁹ Spätestens 1508 hat Bebel seinen Triumphus Veneris vollendet.³⁷⁰ Denn er verweist an zwei Stellen seiner Facetiae auf diesen Text, in Buch I, fac. 6 und in Buch III, fac. 97³⁷¹, und zwar beide Male mit demselben Verb: scripsi.³⁷² Zwar bezieht sich Heinrich Bebel auch an anderen Stellen durch Verben mit Verweis- oder Zitatfunktion (reporting verbs) auf andere Texte,

 Vgl. dazu mit Abdruck und Übersetzung der relevanten Textstücke Bebel: Triumphus Veneris, S. 7– 19; die Castigatio Commentariorum befindet sich wie auch der Farner-Brief im Sammelband Commentaria Epistolarum. Die Castigatio nimmt einen Teil des fiktiven Dialoges ein, den Bebel mit einem fictus monitor zur Apologie seiner Schrift De abusione linguae latinae führt. Dieser Dialog ist erstmals 1506 bei Grüninger in Straßburg gedruckt worden und fehlt logischerweise im Erstdruck der Commentaria – 1503 auch bei Grüninger in Straßburg –, da es sich ja um eine apologetische Reaktion auf diese handelt.  Hier heißt es: Ex Ingsteten villa tempore pestis. Vgl. Bebel: Triumphus Veneris, S. 8 und 14.  Übers. M. A. „worüber ich zur Zeit nachsinne und welche Arbeiten in meinen [vier] Wänden bisher zurückgehalten worden sind“. Vgl. weiter Bebel: Triumphus Veneris, S. 15 f. Es ist nicht eindeutig, ob diese Aussage 1505 oder 1506 zu datieren ist. In der ältesten Straßburger Version der Texte von 1506 sind sowohl die Castigatio als auch der Farner-Brief auf das Jahr 1506 datiert. (fol. 173v auf ex Tubinga. 3. Kal. Maias MCCCCCvi. [29. April 1506] und fol. 175v Thübinga septimo idus Maias Mcccccvi [9. Mai 1506]). Da in allen folgenden Drucken von 1507, 1508, 1509 und 1510 (bei Anselm) und 1516 (wieder bei Grüninger) die beiden Texte auf 1505 datiert sind, ist wohl davon auszugehen, dass Bebel die erste Version korrigiert hat und demnach nicht die älteste Version die beste ist. Man sollte also bei der Datierung 1505 bleiben.  Der widersprüchlichen Bemerkung von Marcel Angres, der unter Berufung auf einen Bibliothekskatalog von 1779 eine editio princeps von 1504 für möglich hält, folge ich nicht, da auch die eigenen Aussagen des Dichters dem widersprechen. Die Auktionatoren folgten wohl in der Datierung der im selben Band abgedruckten Laus Germanorum, welche tatsächlich auf 1504 datiert ist. Vgl. Bebel: Triumpus Veneris, S. 19.  Buch 1 und 2 der Facetiae erschienen erstmals in den Bebeliana opuscula nova. Straßburg, Grüninger 1508. Das dritte Buch wurde hingegen erst in den Opuscula nova et adolescentiae labores 1512 bei Matthias Schürer in Straßburg gedruckt.  Heinrich Bebel: Facetien. Drei Bücher. Historisch-kritisch Ausgabe, hg. von Gustav Bebermeyer. Leipzig 1931, S. 6 und 137.

138

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

die noch nicht gedruckt sind,³⁷³ dass Bebel aber vor (1508) und nach (1512) dem Erstdruck des Triumphus Veneris (1509) mit denselben Worten auf den Text verweist, impliziert das Bewusstsein, dass der Text oder zumindest dessen Inhalt und Aufbau bereits durch eine interne Zirkulation innerhalb seines Netzwerks als bekannt vorausgesetzt wurden. Der Schritt zur Drucklegung aber scheint im Selbstverständnis Bebels keinen allzu großen Stellenwert für die Bekanntheit des Werkes zu haben – zumindest bei dem anvisierten lector doctus et familiaris. Wie auch immer sich die genauen Abhängigkeitsverhältnisse gestalten: Der Liber Vagatorum und der Triumphus Veneris sind ein textuell gestaltetes Resultat zirkulierenden Wissens über gesellschaftliche Imaginationen. Weiter sind beide Verweise Bebels auf das erste Buch des Triumphus Veneris gerichtet, also auf die Bettler: einmal im Rahmen einer allgemeinen gesellschaftskritischen Bettlerschelte (III, 97) und einmal in einem Schwank über einen Fahrenden Schüler (I, 6).³⁷⁴ Damit wird die Bedeutung hervorgehoben, die Bebel selbst der Darstellung der Bettler im ‚Truppenkatalog‘ der Venus zusprach.

Thomas Murner: Narrenbeschwörung (1512) Wie Geiler von Kaysersberg bezieht sich auch Thomas Murner unmittelbar auf Brants Narrenschiff. In der Vorrede inszeniert er die inventio seines Themas als Bildungsreise: Ich hab durch schet/ und durch lesen, | Ob yendert wer ein man gewesen, | Der mich die rechte kunst moͤ cht leren, | Wie ich die narren solt beschweren, | Vnd hab durch wandelt manches landt, | Ee ich die recht kunst erfandt, | Darinn ich yetz bin meister worden, | Ein narr in aller narren orden (vv. 11– 18).³⁷⁵

Dieser ‚Narrenorden‘ aber sei seit und durch Brants Narrenschiff omnipräsent: Der narren orden ist so groß, | Das er fült all weg vnd stroß, | Doͤ rffer/ stett/ flecken, landt; | Die hat vns all sebastian brandt | Mit im bracht im narren schiff (vv. 19 – 23).

Murners Narrenrevue ist demnach als Korrektiv zu Brant angelegt, indem er mittels eines Exorzismus die einzelnen Narren aufruft, um sie zu bannen. Daher nimmt seine Satire auch einen schärferen und mitunter aggressiven Duktus an. Als Schriftsteller situiert sich der elsässische Franziskaner Thomas Murner (zumindest vor der Reformation) zwischen humanistischem Gelehrten und einfachem Volksprediger und ver-

 Dabei scheinen scripsi, dixi, ostendi, plura leges, invenies usw. austauschbar zu sein.Vgl. Classen: Bebels Leben und Schriften, S. 20.  Da dieser Schwank ein recht wirkmächtiges literarisches Muster tradiert, soll er an passender Stelle eingehend besprochen werden. Vgl. Kapitel 12.1.  Die folgenden Angaben nach der Ausgabe Thomas Murner: Narrenbeschwörung, hg. von Meier Spanier. Berlin, Leipzig 1926.

5.2 Der Fahrende Schüler als moralisch prekärer Typus – Gesellschaftssatiren

139

fasst sowohl lateinische als auch deutsche Texte.³⁷⁶ Mit diesem Hintergrund passt er sehr gut in das Netz der besprochenen Texte von Brant, Geiler und Bebel. Seine Narrenbeschwörung, die er zwischen 1509 und 1512 verfasste³⁷⁷ und 1512 bei Hupfuff in Straßburg drucken ließ,³⁷⁸ nimmt also offensichtlich Elemente von Brants Narrenschiff auf, z. B. die ‚Studier-Narren‘ im Kapitel 61 Der gestryflet ley über die halbgebildeten und verschwendungssüchtigen Studenten.³⁷⁹ Doch auch eine fundierte Kenntnis der ‚Gaunerliteratur‘ und des Liber Vagatorum ist unbedingt anzunehmen. Denn Murner bezieht sich explizit auf Wissen und Formulierungen aus diesem Diskurs, an dem sein Drucker Hupfuff durch Herausgabe der Reimversion des Liber Vagatorum ebenso produktiv mitwirkte. Fahrende Schüler oder ‚Vagierer‘ nennt er in folgenden Zusammenhängen: Im 16. Kapitel sind sie Teil des ‚Verlorenen Haufens‘, der bezeichnenderweise mit dem Titelholzschnitt von Brants Narrenschiff illustriert ist. Diese Narren seien nicht einmal den Exorzismus wert und gebührten dem Rad des Henkers anstatt seinem Buch.³⁸⁰ Einen Teil dieser Gruppe gliedert er in eine lange rotwelsche Wortreihe ein: Suppenfresser/ lecker/ kupler, | Schmorutzer/ vnd schmaltzbetteler, […] | Grantner/ vopper/ vnd vagierer, | Klencker/ depser/ karmesierer, | Kürtzner/ dützner/ granerin, | Schlepper/ schwertzner/ hoͤ rendt dryn. | In rotwelsch sind das boͤ ß stocknarren, | Die all mit schelmen zamen faren (16, 35 – 46, Herv. P. R.)

Die einzelnen Praktiken der hier nur anzitierten Betrugsarten führt er dann auch später noch weiter aus (16, 77– 90): falsche Reliquienverkäufer (‚Stazionierer‘/ ‚Stabüler‘), Epileptiker (‚Grantner‘), Besessene und Kranke (‚Klencker‘) und wiederholt dies in Kapitel 33 über Menschen, die Schafe nicht scheren, sondern schinden. Darnach so heischt man an den buw [Kirchbau]; | [–] So will der thenger [Antonius] haben suw [–] | Sant veltin [Valentin] ander stationirer, | Betler, vopper und vagierer; | Die betlerin die lyren stimpt[.] | der farendt schler ouch yn nimpt [:] | Erst kompt der dunder, hagel, schne, | Die thndt den armen lüten we (33, 79 – 83; Anm. von P. R.)

Die Interpunktion in der Ausgabe von Meier Spanier scheint mir hier irreführend. Die komplizierte Stelle wäre so zu übersetzen: ‚Danach gehen die [falschen] Epileptiker, Reliquienhändler, Bettler, Betrüger und Vaganten zur Kirchenbaustelle zum Betteln –

 Vgl. Könneker: Satire, S. 68 – 82 und Franz Josef Worstbrock: [Art.] Thomas Murner. In: HumVL 2, Sp. 299 – 368, hier v. a. Sp. 306 – 309.  Vgl. die Einleitung in Murner: Narrenbeschwörung, S. 77– 83.  Vgl. Duntze: Ein Verleger sucht sein Publikum, S. 206 f.  Murner: Narrenbeschwörung, S. 333 – 335. Auch der Holzschnitt ist von Brant kopiert.Vgl. Murner: Narrenbeschwörung, S. 24– 26.  Der wer mir leydt, das sy har kemen | Vnd in mym bch ein statt yn nehmen; | Sy hoͤ rendt vil baß vff das rad (16, 9 – 11)

140

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

der mit der [vorgetäuschten] Antoniuskrankheit will ein Schwein.³⁸¹ Die Bettlerin spielt die Leier. Der Fahrende Schüler nimmt auch etwas ein: Zuerst kommt der Donner, dann der Hagel und der Schnee, was die armen [Bauern] schmerzt.‘ Diese Stelle wird erst verständlich, wenn man die konventionelle Konnotation des Fahrenden Schülers mit Wetterzauberei (z. B. im Liber Vagatorum) kennt. Mit Zauberei konnotiert Murner die Fahrenden Schüler weiter im Kapitel 6 über das ‚Geuch ußbrieten‘. Nach angeberischen Söldnern (6, 1– 37), Alchemisten (6, 38 – 50) und vor Teufelsbeschwörern (6, 60 – 75), Quacksalbern (6, 61– 79) und verlotterten Studenten (6, 92– 172) steht der Fahrende Schüler: Dornoch kumpt vns der farendt schler, | Vß frouw venus berg ein bler, | Vnd kan vill vom danhüser sagen | Vnd vber eynen babste klagen, | Der jm sein sündt nit ab wolt lon, | Vnd wie frouw venus sey so schon, | Doch sey beschlossen ietz das thor, | Vnd wen galgen stondt dorvor. | Der dunder schlag mich, sey es wor! (6, 51– 59)

Der Fahrende Schüler erscheint hier als magiekundiger Betrüger, der vorgibt aus dem Venusberg zu kommen – hier interessanterweise weniger der Zauber‐ und eher der Liebesberg³⁸² –, um Geld zu erbetteln, ohne den Erzähler aber täuschen zu können. Murner wiederholt mithin die semantische Zweiteilung des mobilen Schülers/ Studenten, legt den Fahrenden Schüler jedoch noch stärker als Geiler von Kaysersberg und Bebel im Sinne der ‚Gaunerliteratur‘ aus und expliziert die dort aufgezählten Techniken.

5.3 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz Die vorgenommenen Untersuchungen führen zu dem Ergebnis, dass eindeutige Wahrheiten über den (historischen) ‚Fahrenden Schüler‘ nicht möglich sind. Dies ist nun freilich eine offensichtliche Binsenweisheit. Jedoch ergeben sich folgende Tendenzen in den untersuchten Texten um 1500: Arme Schüler werden als eine Gruppe der weitgehend als kriminell beschriebenen Bettlertypen wahrgenommen, wenn sie auch als angehende Gelehrte und Kleriker eine privilegierte Position einnehmen. Dieser Status relativiert sich jedoch durch die Unterstellung, dass sie den Stand des Schülers nur vortäuschen und damit eine ‚Straftat‘ begehen. Es kommt zu einer Verschiebung von einem akademischen in ein juristisches Sinnfeld.

 Der Hl. Antonius ist der Patron der an Ergotismus/Mutterkornvergiftung/Antoniusfeuer Erkrankten, der Hl. Valentin der Patron der an Epilepsie Erkrankten. Das Schwein ist durch die Ikonographie des heiligen Antonius zu erklären, der oft mit Kirche, Schelle und Schwein dargestellt wird. Vgl. Murner: Narrenbeschwörung, S. 512 f.  Murner nimmt explizit auf die Tannhäuser-Sage Bezug. Vgl. dazu Kapitel 12.3.1.

5.3 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz

141

In den gesellschaftssatirischen Schriften, die den devianten Lernenden behandeln, wird ein Bewusstsein von einer semantischen Differenzierung in zwei soziale Gruppen explizit: Zum einen gibt es die Gruppe der ‚verlotterten‘ oder ‚verbummelten Studenten‘, die sich dem ‚verkehrten Gelehrten‘ und dem Prasser annähert, zum anderen eine Gruppe, die sich vom akademischen Feld gänzlich gelöst hat und im Schnittfeld von Bettler, Hochstapler und Zauberkünstler steht. Als ein Phänomen dieser zweiten Gruppe zeigt sich die Bezeichnung ‚Fahrender Schüler‘. Dieser repräsentiert eine Form des ‚gelehrten Bettlers‘, welcher durch den hochstaplerischen Hinweis auf schwarzmagisches Wissen die (vornehmlich) ländliche Bevölkerung betrügt. Doch konnte man diesen Fahrenden Schülern um 1500 tatsächlich auf der Straße begegnen? Diese Frage ist absichtlich so naiv formuliert, trifft jedoch einen wichtigen Aspekt für die Analyse gesellschaftsbeschreibender Texte der Vormoderne. Der Zusammenhang von Textzeugen und realen Praktiken ist – verstärkt bei im weiteren Sinne satirischem Schrifttum – methodisch höchst problematisch. Denn (nicht nur, aber besonders) literarische Texte haben ihr Fundament in spezifischen Gesellschaftsbildern. Diese sind ihrerseits wiederum maßgeblich durch Texte fundiert: Text und Gesellschaftsbild stehen also (potentiell) in einem zirkulären Implikationsverhältnis. So ist es nicht möglich, über eine Form von ‚Realität‘ oder ‚geschichtlichem Hintergrund‘ zu sprechen. Es muss stattdessen von jeweiligen ‚Wirklichkeiten‘ oder Sinnfeldern der einzelnen Textwelten gesprochen werden, wobei einzelne Textgruppen in einem intertextuellen Verhältnis stehen können: in diesem Fall administrative und literarische Schreibformen. Anja Lobenstein-Reichmann erkennt in ihrer semantischen Analyse der Prozesse gesellschaftlicher Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit, dass im Wechselprozess zwischen Botschaft und Medium, „der als solcher Absolutheits- oder gar Ewigkeitswert als Ziel hat, […] Prozess und Ergebnis […] unbestreitbar ‚real‘“³⁸³ werden. Mit den Bettelordnungen, Bettlerkatalogen und der ‚Gaunerliteratur‘ wurden „Textsorten aktiviert oder entwickelt, in denen die Ausgrenzung vollzogen und der Vollzug dokumentiert, nachhaltig archiviert und schriftlich über die orts- und zeitgebundene Welt hinaus gültigkeitsheischend kommuniziert werden konnte.“³⁸⁴ Als wichtigsten „Ort dieser Kriminalisierung“ sieht sie nicht – wie es vielleicht erwartbar wäre – die „juristische Fachsprache mit ihren Textsorten, sondern […] die literarischen und bildungssprachlichen Texte“³⁸⁵ aufgrund ihrer größeren Reichweite. Dennoch besteht eine extern-administrative Motivierung, was bereits die abwertenden Bezeichnungen der Textsorten als Narren- und Gaunerliteratur deutlich machen. Gerade die ‚Gaunerbüchlein‘ aber stehen durch ihr juristisches Thema und die literarische Schreibweise zwischen den beiden Polen. Durch die verstärkte Präsenz der (auch betrügerischen) Bettler verändert sich die Meinung über diese und durch die veränderte

 Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 282.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 283.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 284.

142

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Mentalität wird diese Meinung wiederum auf weitere Personenkreise appliziert. Ein sozialdisziplinierendes, obrigkeitliches Almosenwesen musste nun ein Interesse daran haben, möglichst weite Kreise durch Diskreditierung und Stigmatisierung als berechtigte Almosenempfänger auszugrenzen – auch im wörtlichen Sinne durch Ausschluss aus der Gemeinschaft, z. B. der Stadt. Diese Ausgrenzung gerade von hilfsbedürftigen und machtlosen Teilen der Gesellschaft dient gleichzeitig einer Stabilisierung der Machtverhältnisse und -ansprüche unter den diskursprägenden Eliten. Denn eine Abgrenzung vom Anderen oder Fremden erleichtert die Stabilisierung der eigenen Gruppe. „Identität und Alterität setzen sich als dialektische Begriffe voraus.“³⁸⁶ Was als Abweichung (also De-Vianz) zu sehen ist, bestimmen aber die diskursprägenden Akteure der Gesellschaftsmehrheit. Für diesen Prozess prägte die postmoderne Ethnologie den Begriff Othering oder ‚VerAnderung‘. Das Andere oder Fremde wird dabei als nicht-kommunikationsfähig oder ‐würdig abgestempelt und „damit die Bedingungen für einen Dialog mit dem Anderen zugunsten eines ungestörten Diskurses über den Anderen in Abrede gestellt.“³⁸⁷ Die Diffamierung und Stigmatisierung sozialer Randgruppen in der Frühen Neuzeit bietet ein mustergültiges Beispiel eines sozialen Othering. Vermittelnde und diskursprägende Instanzen dieser gesellschaftlichen Prozesse sind mitunter gedruckte ‚Warnschriften‘ wie der Liber Vagatorum. Die Verschriftlichung ist aber nur der überlieferte ‚Gipfel des Eisbergs‘ vormoderner Vermittlungswege und der Liber Vagatorum „die frühneuzeitlich gängige Melange aus mündlich oder schriftlich übermittelten Fallgeschichten, eigenen Erfahrungen und direkten prätextuellen Übernahmen durch Kompilation aus gedruckten Vorlagen.“³⁸⁸ Vor allem bei der Behandlung gesellschaftlicher Randgruppen ist die mediale Vermittlung notwendig zu beachten. Da die Ausgegrenzten oft selbst illiterat waren oder keinen Zugang zu diskursprägenden Medien hatten, ist der überlieferte Blick auf marginale Gruppen (fast) immer ein externer.³⁸⁹ Da sich Randgruppen außerdem durch ihre  Wolfgang Raible: Alterität und Identität. In: LiLi 110 (1998), S. 7– 22, S. 20. Ähnlich auch Alois Hahn: „Partizipative“ Identitäten. In: Herfried Münkler und Bernd Ladwig (Hg.): Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Berlin 1997, S. 115 – 158  Julia Reuter: Ordnungen des Anderen. Zum Problem des Eigenen in der Soziologie des Fremden. Bielefeld 2002, S. 142; zum Konzept des othering vgl. S. 145 – 149.  Wesche: Vagantenregister, S. 26.  Grundlegend zu Randgruppen die Definition in František Graus: Randgruppen der städtischen Gesellschaft im Spätmittelalter. In: ZHF 8 (1981), S. 385 – 437, hier S. 396: „Es sind Personen oder Gruppen, die Normen der Gesellschaft, in der sie leben, nicht anerkennen bzw. nicht einhalten oder nicht einhalten können und aufgrund dieser Ablehnung bzw. Unfähigkeit (infolge sog. nonkonformen Verhaltens) von der Majorität nicht als gleichwertig akzeptiert werden […]. Marginalität ist immer das Ergebnis eines Andersseins und der Reaktion der Majorität (Stigmatisierung). Randständigkeit kann nur sozial in […] Bezug zu konkreten sozialen Bezugssystemen, insbesondere im Hinblick auf die Normen einer historisch gegebenen Gesellschaft bestimmt werden.“ Vgl. auch Hartung: Gesellschaftliche Randgruppen; Hergemöller: Randgruppen; Scribner: Außenseiter; Irsigler/Lassotta: Bettler und Gaukler, Roeck: Außenseiter; Bronisław Geremek: Truands et Misérables dans l’Europe Moderne, 1350 – 1600. Paris 1980.

5.3 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz

143

meist sehr hohe (räumliche, v. a. aber soziale) Mobilität einer Zuordnung in die Hierarchien einer ständisch geordneten Gesellschaft entzogen, dienten klassifizierende Texte wie der Liber Vagatorum dazu, „die zu Beginn der Neuzeit noch nicht abgeschlossene Ausbildung der ständischen Gesellschaft, den Übergang von vergleichsweise hoher Mobilität zu neuer Verfestigung“³⁹⁰ zu unterstützen. Es geht also um die „Demonstration von Hierarchien“³⁹¹ durch die Arbeit an einem bestimmten Gesellschaftsbild. Dies geschieht in juristischen und normativen Texten wie den angeführten Policeyordnungen weitgehend explizit und gezielt, wobei sie den imaginären Charakter verschleiern; ebenso (eher) literarische Texte haben impliziten Anteil, auch wenn sie ihre Fiktionalität gezielt markieren, zumal ohnehin in der ganzen Vormoderne nicht von einer strikten Trennung von fiktionalen und faktualen Texten auszugehen ist.³⁹² Durch eine „ausgeprägte Typisierungs- und Exemplifizierungstechnik“ – wie Jörg Wesche feststellt – schaffen die Texte „eine Abbildrelation als Realitätseffekt.“ Dabei ist die „[h]ervorstechende Textsortenfunktion […] die Klassifikation vaganter Lebensformen, welche einerseits das Bedrohungspotential des Unbekannten diskursiv reduziert und andererseits zugleich den sozialen Abgrenzungsimpuls gegenüber dem Fremden verstärkt.“³⁹³ Solange aber keine Beschreibungsmöglichkeiten des A-sozialen, d. h. außerhalb der gesellschaftlichen Norm Befindlichen, existierten, bot sich zur Evokation der Unordnung die Inversion/Parodie bestehender Ordnungen und Regeln an, was zur Entstehung oder Erfindung von ‚Gegengesellschaften‘ führte, die ihrerseits als hierarchisch strukturiert imaginiert wurden.³⁹⁴ Robert Jütte sieht im Bettler- und Gaunertum der Frühen Neuzeit solche extern konstruierten ‚Gegengesellschaften‘ als „Analogiebildungen zur herrschenden Kultur“,³⁹⁵ versucht jedoch durch die ‚autochthone‘ Verwendung der historischen Gaunersprachen die historische Wirklichkeit zu ermitteln.³⁹⁶ Wie sich die Stereotype und Muster jedoch gestalten und ausdifferenzieren, ist für Jütte sekundär. Als Extremfall der funktionalen Konstruktion bei der Arbeit an einem Gesellschaftsbild können mit Bernd Roeck die ‚imaginären Randgruppen‘ gelten. Damit bezeichnet er eine soziale Gruppe, welche sich durch normwidriges Verhalten kenn-

 Seidenspinner: Janusgesicht, S. 340.  Roeck: Außenseiter, S. 11.  Vgl. Müller: Literarische und andere Spiele; ausführlich dazu auch Kapitel 4.3.  Wesche: Vagantenregister, alle Zitate S. 26.  Grundlegend vgl. Graus: Randgruppen, S. 427 f. und František Graus: Organisationsformen der Randständigen. Das sogenannte Königreich der Bettler. In: Rechtshistorisches Journal 8 (1989), S. 235 – 255. Dazu auch Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten, S. 95 f.: „Zur Beschreibung der unständischen Welt bedienten sich die Autoren der Begriffe und Hierarchien, die aus der Berufs- und Ständewelt bekannt waren. so entstand das Bild von Bruderschaften und Zünften, ja Königreichen der Bettler – aus denen später die Vorstellung einer ‚Subkultur‘ oder gar einer ‚Gegenkultur‘ der Bettler und Vaganten abgeleitet wurde.“ Kritisch dazu Danker: Geschichte der Räuber und Gauner, S. 171– 179.  Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 55.  Vgl. Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 53 – 55.

144

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

zeichnet, das keine Fundierung in der Realität haben kann. So nennt Roeck die „Erschaffung der Hexe, eine erstaunenswerte Leistung der Phantasie“, die „oft einer Dämonisierung des Anomalen, eines sich nicht völlig in die Regeln der ihn umgebenden Gesellschaft fügenden Menschen“³⁹⁷ gleichkomme. Jedoch kann zwischen einer ‚imaginären‘ Randgruppe wie den Hexen und einer tatsächlichen Randgruppe wie den ‚Zigeunern‘ nur ein gradueller und meist sehr geringer Unterschied bestehen. Denn zum einen gab es für die meisten vormodernen Menschen keinen Anlass, an der realen Existenz von Magie und Dämonen zu zweifeln, zum anderen wissen wir, dass auch die vormoderne Kategorie von Randgruppen wie den ‚Zigeunern‘ keineswegs der historischen Realität entsprach, sondern ebenso eine Erfindung der dominanten gesellschaftlichen Gruppen war.³⁹⁸ Randgruppen wurden also gemacht. Robert Scribner gibt dabei zu bedenken, dass dieser Prozess keinesfalls eindimensional zu denken sei. Vielmehr entwickle er sich in einem „komplexen Netz situationsbedingter Klassifizierungen, die […] die davon Betroffenen radikaler von sozialen, wirtschaftlichen[,] rechtlichen und geistlichen Vorteilen ausschlossen, was zunehmend ‚fremden Bettlern‘ widerfuhr.“³⁹⁹ Die Konstruktion von Randgruppen steht also in einem markanten zirkulären Implikationsverhältnis mit dem historischen Gesellschaftsbild. Dieses Verhältnis präzisiert Wesche: Insofern stiften Texte wie der Liber vagatorum durch die intensive textautoritative Rückkopplung geradezu eine buchgestützte Wirklichkeit, die, wie auch die geheime Verkehrssprache des Rotwelschen, als glaubhaft konstruiert wird und sich dann wiederum durch Kompilation auch in nachfolgenden Texten als ‚Realität‘ perpetuiert.⁴⁰⁰

In den seltensten Fällen stellen Texte (in Mittelalter und Früher Neuzeit) die Realität ungefiltert dar, vielmehr streben sie mittels einer verallgemeinernden Tendenz Unterhaltung oder Belehrung an. So ist es auch in der ‚Gaunerliteratur‘ mit den ausufernden Listen des Speculum Cerretanorum oder des Liber Vagatorum. Auch wenn diese Bücher eine beachtliche Fülle von Phänomenen anführen und damit vermeintlich einen Großteil der sozialen Realität abdecken, erstellen sie – gleichgültig, ob sie dies selbst thematisieren oder nicht – ein Raster oder Schubladen, und damit eine Reduktion von Komplexität. Individualität wird zugunsten von Kategorien aufgegeben. Grundlage dieser Kategorisierung und damit einer Konstruktion eines gewissen verallgemeinernden Bettlertypus konnten tatsächliche Erfahrungen sein, die als illustrierendes Beispiel dienten. Doch die an der Produktion diskursprägender Texte beteiligten Akteure sind durch das zirkulierende Wissen dahingehend geprägt, dass sie sich bezüglich Gesellschaftsbild und Diktion auf Muster berufen, die allge-

 Roeck: Außenseiter, S. 8 f.  Vgl. dazu Klaus-Michael Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Bonn 2011.  Scribner: Außenseiter, S. 43.  Wesche: Vagantenregister, S. 27.

5.3 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz

145

mein – oder auch nur regional und gruppenspezifisch gebunden – zirkulieren. Das betrifft neben den Gelehrten (z. B. Heinrich Bebel oder Thomas Murner) ebenfalls die an der (juristischen) Entscheidungsfindung Beteiligten wie Richter, Protokollanten etc. Das Phänomen zeigt sich demnach auch in Texten, die der juristischen Praxis im engeren Sinne zuzuordnen sind wie Gerichtsurteilen,Verhör‐ oder Prozessprotokollen. Diese stellen zwar nicht ihre poetische Faktur (poiesis) heraus und berufen sich auf spezifische Lizenzen ‚schöner Literatur‘, doch auch sie sind durch die Intention der obrigkeitlichen Judikative geprägt und gefiltert, zumindest aber durch das Gesellschaftsbild des Produzenten grundgelegt. Auch wenn durch die Regionalität der Beispiele versucht wird, der Darstellung Authentizität und Eindringlichkeit zu verleihen, sind die realhistorische Ursprünge des Musters meist nicht festzustellen. Es ist also zu beachten, dass sich historische Quellen wie juristische Prozessakten in der Vormoderne zum Teil an tradierten Mustern orientieren. Diese Muster können inhaltlich, strukturell oder nur terminologisch sein. Die Rezeption eines bestimmten Plots, eines Berichts oder eines Begriffs gestaltet Möglichkeiten, Phänomene einer komplexen Realität zu kategorisieren. Es besteht also – bis zu einem gewissen Grad – ein zirkuläres Implikationsverhältnis zwischen dem instituierenden schriftlichen Medium (den Texten, Akten etc.) und dem instituierten gesellschaftlichen Miteinander. Wenn beispielsweise der frühneuzeitliche Rechtsgelehrte einen konkreten Fall in ein bestimmtes Raster einzuordnen schaffte, würden zugleich Muster der weiteren Konnotation abgerufen – so ergäben sich Mechanismen analog zu einer self-fulfilling-prophecy. Als Beispiel für diesen engen Bezug juristischer Praktiken und (literarisch) tradierter Muster soll ein Nördlinger Verhörprotokoll aus dem Jahr 1487 dienen, das die Vernehmung des konvertierten Juden⁴⁰¹ Hans von Straßburg festhält.⁴⁰² Dieselbe Person wird auch im zweiten Teil des Liber Vagatorum als Beispiel eines Quacksalbers und Wahrsagers erwähnt: Ht dich des glichen auch vor den artzten die after land ziehen und tyriack und wurtzlen feil tragen, und tn sich grosser ding auß, und besonder etlich blinden sind, einer genant hans von Straßburg ist gewesen ein iud unnd ist z Straßburg getaufft worden inn den pfingsten vor iaren, unnd sind im sein augen auß gestochen worden z Worms, unnd der ist ietzund ein artzet und sagt den lüten war und zeucht affter land unnd bescheißt alle menschen, wie, ist nit not ich künt es wol sagen.⁴⁰³

 Zum Zusammenhang der Devianzdarstellung von Juden und ‚Gaunern‘ im Liber Vagatorum vgl. Kapitel 5.1.3.  Ediert und kommentiert in Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 71– 73. Ähnlich verfährt auch ein Verhörprotokoll aus Rom (1595). Vgl. Camporesi: Vagabondi, S. 505 – 514, zuerst in Martin Löpelmann: Il Dilettevole Essamine de Guidono Furfani ò Calchi, Altramente detti Guitti nelle Carcari di Ponte Sisto di Rome nel 1598. Con la Cognitione della Lingua Fubesca ò Zerga Commune à Tutti Loro. Ein Beitrag zur Kenntnis der italienischen Gaunersprache im 16. Jahrhundert. In: Romanische Forschungen 34 (1915), S. 653 – 664.  Kluge: Rotwelsch, S. 52.

146

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

Robert Jütte bezeichnet es als „glücklichen Zufall […], daß wir ein historisches Dokument besitzen, welches den Realitätswert einer Vielzahl der im Liber Vagatorum genannten Bettlerkategorien am Einzelfall belegt“⁴⁰⁴ – es werden acht der Finten des ‚Gaunerbüchleins‘ genannt. Bei dieser „ungewöhnlichen (weil so gut dokumentierten) Gaunerkarriere“⁴⁰⁵ handelt es sich tatsächlich um einen bemerkenswerten Textzeugen. Im Protokoll wird notiert: Item z zeiten sey er als ain varender schüler gegangen. und den Beurin waar gesagt und sy damit um Air und annder Ring ding betrogen.⁴⁰⁶

Es ist faszinierend, dass hier dieselbe Person wie im 20 Jahre später gedruckten Liber Vagatorum auftaucht und seine ‚Kriminalbiographie‘ weitererzählt wird. Dennoch teile ich die Euphorie Jüttes nicht ganz und gebe zu bedenken, dass man sich zumindest hinsichtlich der klassifizierenden Terminologie am zirkulierenden Wissen zur ‚Bettlerfrage‘ orientiert hat. Der varende schüler scheint hier bereits einer terminologischen Klassifizierung unterzogen worden zu sein.⁴⁰⁷ Der Protokollant versteht darunter dasselbe wie der Verfasser der wohl etwa zeitgleich entstandenen Nota de fictis mendicis aus St. Gallen: einen Betrüger mittels magisch konnotierter Praktiken (Wahrsagerei), wobei er analog zur Darstellung in der ‚Gaunerliteratur‘ (und einem misogynen Weltbild folgend) Frauen, konkreter Bäuerinnen, als vermeintlich ideale Betrugsopfer hervorhebt.⁴⁰⁸ Ein ähnlich intrikates Implikationsverhältnis von literarischen und juristischen Texten liegt bei einem Vogtgerichtsartikel aus Justingen aus der Zeit um 1510 vor (also vom Geburtsort Bebels zur Zeit der Produktion des Triumphus Veneris!): Es soll auch kain amptman kain varenden schlern, würst bben oder juff bben oder allmusensamler an die kirchen oder sunst, die dem kirchherrn nit versigelt hand gezeigt haben, daß sie richt sachen füren, samlen und die leut übergan laussen.⁴⁰⁹

Der Text nennt zwar den Fahrenden Schüler, ordnet ihn aber eher allgemein in den Betteldiskurs ein, ohne magische Praktiken zu thematisieren.

 Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 71.  Robert Jütte: Der Prototyp des Vaganten. Hans von Straßburg. In: Heiner Boehncke und Rolf Johannsmeier (Hg.): Das Buch der Vaganten. Spieler, Huren, Leutbetrüger. Köln 1987, S. 117– 128, hier S. 119.  Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit, S. 73.  Wie bei den Protokollen von Zaubereiprozessen werden hier vornehmlich Bestände juristischen Fachwissens und weniger konkrete Praktiken repetiert. Vgl. Kapitel 12.3.2.  Diese Hervorhebung der vermeintlichen größeren Leichtgläubigkeit des weiblichen Geschlechts wird in der Folge topisch für Schwänke über den ‚Fahrenden Schüler‘ (z. B. schon im Triumphus Veneris), während im Liber Vagatorum noch die geschlechtsneutrale rotwelsche Bezeichnung houtzen steht.  Württembergische Ländliche Rechtsquellen. Bd. 2: Das Remstal, das Land am mittleren Neckar und die Schwäbische Alb, hg. von Friedrich Wintterlin. Stuttgart 1922, S. 562 (§ 13).

5.3 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz

147

Daraus ergibt sich Folgendes: Texte und Praktiken, die Ein- und Ausgrenzungen vornehmen und damit jeweils gegenseitig inhärent einen Beitrag für die Konstitution eines spezifischen Gesellschaftsbildes leisten, sind „komplex vernetzt“.⁴¹⁰ Das Schaffen von Außenseitern, die im Gegensatz zur Gesamtgesellschaft stehen, also das Othering, stabilisiert jedoch auch die ausschließende diskursprägende Mehrheit, indem es „identitätsstiftend und identitätsfördernd“⁴¹¹ wirkt. Zu dieser soziologischmachtkritischen Perspektive kommt noch die methodische Prekarität der Inhalte bei der historischen Beschreibung von Außenseitern. Dazu resümiert Scribner: Die Vielfalt der Ein- und Ausgrenzungen stellt ein Problem der Analyse dar, wie auch ihre Uneinheitlichkeit und zeitliche Veränderbarkeit. Die Definition der Ein- und Ausgrenzung unterlag also einem komplexen Prozeß der Zeitverschiebung und Umwertung. Ältere Formen der Abgrenzung überlebten die Umstände, die sie hervorgerufen hatten oder wurden völlig neu gedeutet. Neue Formen der Abgrenzung entstanden, fanden aber noch immer ihren Ausdruck zu jedem Zeitpunkt vielschichtig und fließend.⁴¹²

Am Beispiel des Liber Vagatorum bedeutet dies, dass sich der Verfasser in seiner Darstellung aus dem zirkulierenden Wissen zum Thema aus verschiedenen Diskursen bedient. Gleichzeitig muss dieses Wissen nicht den status quo des 16. Jahrhunderts repräsentieren, sondern auch ältere Wissensbestände können durch die archivierende Kraft der Schrift aktiviert werden. Der Verfasser kann sich also auf Inhalte aus schriftlichen und mündlichen Traditionen historisch variabler Zeitpunkte berufen. Durch die Aktivierung eines traditionellen Narrativs bekommen die Anweisungen zur Fremdenfeindlichkeit sogar ein zusätzliches autoritäres Gewicht.⁴¹³ Zugleich prägt der Liber Vagatorum durch seine enorme Popularität selbst das diskursive Wissen derart, dass die Darstellungen und Konnotationen, die im gedruckten Buch nachzulesen sind, zum neuen Wissen arrivieren und das Gesellschaftsbild maßgeblich prägen. Bedingung für eine solche Popularität aber ist, dass der Text an Gesellschaftsbilder und diskursive Formationen seiner Rezipienten anschließt und als wichtig und interessant wahrgenommen wird, also den ‚Nerv der Zeit‘ trifft.⁴¹⁴ All dies schließt natürlich nicht aus, dass die genannten Phänomene auf tatsächlichen Geschehnissen beruhen, wie sie in juristischen und chronikalen Quellen überliefert sind.⁴¹⁵ So kann sowohl die Erstnennung eines konkreten Betteltyps oder  Scribner: Außenseiter, S. 23.  Scribner: Außenseiter, S. 24.  Scribner: Außenseiter, S. 23 f.  František Graus geht auch davon aus, dass aus „stereotyp wiederholten ‚gelehrten‘ Erzählungen […] historische Überlieferungen entstehen [können], […] dazu jedoch kein immanenter Zwang [besteht]“. František Graus: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln 1975, S. 6.  Vgl. zum Liber Vagatorum Scherpner: Theorie der Fürsorge, S. 50.  Vgl. Gerd Schwerhoff: Karrieren im Schatten des Galgens. Räuber, Diebe und Betrüger um 1500. In: Sigrid Schmitt und Michael Matheus (Hg.): Kriminalität und Gesellschaft in Spätmittelalter und Neuzeit. Stuttgart 2005, S. 11– 46, hier 30 – 33.

148

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

einer Gaunervokabel durchaus auf einem überführten Fall beruhen als auch die Popularisierung des Wissens über Betrugstechniken neue Praktiken stimulieren. Die Bedeutung der Texte über Gauner und betrügerische Bettler scheint mir aber relevanter für die Kulturgeschichte als die oftmals marginale Zahl konkreter Fälle.⁴¹⁶ Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass ein dichtes – verwirrtes und verwirrendes – Knäuel von Bedeutungsdimensionen und literarischen Traditionen vorliegt. Dies ist nur durch einen Blick in die Vergangenheit zu entwirren und zu bewerten. Bevor ich nun jedoch zum nächsten Teil der Untersuchung komme, muss ich noch die konkreten Bedeutungsdimensionen aufzeigen, die sich am Terminus ‚Fahrender Schüler‘ anlagerten. Denn als Ziel dieses zweiten Teils der Untersuchung galt es ja, aus den (im weiteren Sinne) gesellschaftssatirischen Schriften um 1500, v. a. der ‚Gaunerliteratur‘, ein Muster zu extrapolieren, welches als valide Richtlinie und Vergleichsmoment für die anschließende Untersuchung der motivgeschichtlichen Tradition des Fahrenden Schülers im Mittelalter dienen kann. So komplex der Typus des Fahrenden Schülers auch ist, so einfach ist er als sich ständig wiederholendes Narrativ in seinen Zuschreibungen und Attributen gestaltet. Die einzelnen Elemente, die um 1500 das Muster ‚Fahrender Schüler‘ bildeten, will ich im Folgenden kurz zusammenfassen. Als durchaus repräsentative Grundlage dient der Kommentar zum Triumphus Veneris, den der Bebelschüler Johann Altenstaig 1510 vollendete und als Absatzkommentar mit dem Hauptwerk 1515 in Straßburg bei Matthias Schürer drucken ließ:⁴¹⁷ (1) Der ‚Fahrende Schüler‘ oder scholasticus vagans ist ein spezieller Betteltypus: Ponit nunc alios mendicos s. scholasticos quos uagantes appellant, qui postquam bellum studio indixerunt, currunt per uillas et urbes, colligendo quibus suam expere possint libidinem. Quorum conditiones et mores ibi per pulchre notat poeta.⁴¹⁸

Er zeichnet sich vor allem durch seine nicht-zielgerichtete Mobilität aus. Weiter wird er als gescheiterter Student (oder Lernender im weiteren Sinne) vorgestellt und tritt so als imaginierte Folgeerscheinung neben den verlotterten Studenten an der Hochschule. (2) Außerdem ist er heimatlos: Extorris, qui extra terram suam i. patriam est expulsus uel

 Vgl. Robert W. Scribner: Mobility:Voluntary or Enforced.Vagrants in Württemberg in the Sixteenth Century. In: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.): Migration in der Feudalgesellschaft. Frankfurt a. M., New York 1988, S. 65 – 88, hier S. 66. Er kommt bei seiner Beispielanalyse zum Württemberg des 15. und 16. Jahrhundert auf „around 300 persons who might be broadly defined as vagrants, but only 14 of them are identifiable as fake beggars.“  Heinrich Bebel: Triumphus Veneris Henrici Bebelij poetae laureati cum commentario Ioannis Altenstaig Mindelheimensis. Straßburg: Matthias Schürer 1515. Vgl. Bebel: Triumphus Veneris, S. 25 f.  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLIVv; Übers. P. R.: ‚Er [Bebel] stellt andere Bettler dar, das sind Schüler, die Vaganten genannt werden und die, nachdem sie dem Studium den Krieg erklärt haben, durch die Dörfer und Städte ziehen, wobei sie zusammensammeln, womit sie ihre Gelüste erfüllen können. Deren äußere Umstände und Sitten beschreibt der Dicher dort sehr schön. [Kommentar zu II, 207: desertis studiis]‘ [Herv. P. R.].

5.3 Der Fahrende Schüler als methodisch prekärer Typus – Zwischenbilanz

149

eiectus, sicut exul extra solum. ⁴¹⁹ (3) Er nimmt eine intrikate Zwischenstellung zwischen einem Geistlichen (clericulos iactant se) und einem Nicht-Geweihten ein (non possint […] presbyteri fieri uel ordinari).⁴²⁰ (4) Er ist als Bettler arm (paupertas),⁴²¹ versucht aber durch verschiedene Tricks zu Reichtum zu kommen und augmenta et fomenta occasionemque illi uaganti, luxuriandi & lasciuiendi ⁴²² zu erreichen. (a) Zielobjekt sind einfache und oftmals auch einfältige Menschen: ex calamitate istorum uagantum quam prae se ferunt, quaque homines simplices fallunt. ⁴²³ (b) Mittel der Hochstapelei ist das Vortäuschen magischen Wissens und magischer Praktiken, indem er ‚sagt, dass er aus dem Berg der Venus gekommen sei und dort die Nigromantie oder Nekromantie gelernt habe‘:⁴²⁴ Magus incantator dicitur, qui non solum syderum observatione futura praedicere, sed artibus quibusdam et maleficijs et se scire omnia, et facere posse profitetur, et persica lingua dicitur sapiens, quem graeci philosophum, latini sapientes, galli dryudas, Aegyptij prophetas sive sacerdotes, Indi gymnosophistas, Assirij chaldeos uocant.⁴²⁵

Der Fahrende Schüler nimmt also die persona des Magiers an, welche seit dem Mittelalter vornehmlich durch Zukunftsprophezeiung (divinatio), Heil-, Schadens- und Schutzzauber konnotiert ist.⁴²⁶ Weiterhin schreibt Altenstaig, ‚dass jener Fahrende Schüler sich damit brüste, alle Dinge des Himmels zu wissen, das heißt alle Geheimnisse Gottes, und alles vorhersagen zu können. Um des Gewinns willen ist er also gezwungen mittels tausender Trugmittel zu lügen.‘⁴²⁷ Die einzelnen Fertigkeiten führt

 Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLIVv; Übers. P. R.: ‚Heimatlos, wer aus seinem Lande vertrieben oder verjagt ist, d. h. aus seinem Vaterland, wie der Verbannte vom Grund und Boden.‘ Die etymologische Erklärung kann in der Übersetzung nicht nachvollzogen werden. Das Adjektiv ex-torris (= extra terram) folgt denselben Wortbildungsregeln wie ex-sul (= extra solum).  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVr; Übers. P. R.: ‚Sie nennen sich angeberisch kleine Geistliche […] könnten aber nicht Priester oder Ordensbrüder werden.‘  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVr.  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVr; Übers. P. R.: ‚Vermehrung, Ruhepolster und die Gelegenheit für jenen Vaganten in Luxus und Ausgelassenheit zu schwelgen‘.  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVr; Übers. P. R.: ‚infolge des schlimmen Schicksals dieser Vaganten, das sie vor sich hertragen und durch das sie Einfältige täuschen.‘  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVr : uenisse ex monte Veneris ubi nigromantiam uel necromantiam didicisse ait.  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVr ; Übers. P. R.: ‚Magus wird ein Beschwörer genannt, der nicht nur durch die Beobachtung der Sterne die Zukunft vorhersagen kann, sondern öffentlich kundtut, dass er durch gewisse Künste und Hexereien sowohl alles wisse als auch machen könne. Auch wird der Weise auf Persisch so genannt, den die Griechen Philosoph, die Lateiner Weiser (sapiens), die Gallier Druide, die Ägypter Prophet oder Priester (sacerdos), die Inder Gymnosophist, die Assyrer Chaldäer nennen.‘  Vgl. Richard Kieckhefer: Magie im Mittelalter. München 1992, S. 70 – 108.  Bebel/Altenstaig: Triumphus Veneris, fol. XLVIr; Übers. und Herv. P. R.: illum uagantem scholasticum se iactare, omnia cœli nosse, id est omnia secreta dei, et posse diuinare. quaestus gratia cogitur mentiri per mille dolos.

150

5 Der Fahrende Schüler als Schema um 1500

der Kommentar nicht aus, auch wenn einige (aus heutiger Sicht durchaus kommentierungsbedürftige) Praktiken im Prätext vorkommen.⁴²⁸ Ein wichtiges (da kryptisches) Detail ist schließlich noch das gelbe Netz, welches bei Bebel/Altenstaig fehlt, über den Liber Vagatorum hinaus jedoch rekurrent ist. Dieser Befund entspricht freilich in nuce den Feststellungen Jakob Thomasius’ von 1675,⁴²⁹ erreicht aber ein höheres Abstraktionsniveau.

 Es handelt sich um Dämonenbeschwörung (Bebel: Triumphus Veneris, II, vv. 236 f.), Schatzfinden (II, v. 239), Fernhalten wilder Tiere (II, vv. 240 – 242) und Wetterbeherrschung (II, v. 243).  Vgl. Kapitel 2.1.

Dritter Teil (bis 1500) Die Untersuchung des Fahrenden Schülers im zweiten Teil stützt sich auf ein schmales Feld verwandter Textsorten, auf Autoren in einem kommunikativen Netzwerk und auf die Zeit um 1500. Diesen gewissermaßen mikrohistorischen Zugriff mit dem Versuch, einen speziellen Diskurs in vielen verschiedenen Nuancen abzudecken, erweitern die folgenden Kapitel um einen makroskopischen Blick auf diachrone Prozesse. Die Situation um 1500 ist dabei der heuristische Ausgangspunkt, von dem aus ich die Spuren verschiedener traditionaler Muster in einer motiv- oder mustergeschichtlichen Analyse nachvollziehe.

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II Die angesprochenen Schlagworte (Motivgeschichte, Spur, Tradition, Muster) sind zu präzisieren. Denn sowohl das Schreiben einer Literaturgeschichte im Allgemeinen als auch das Schreiben einer Motivgeschichte im Besonderen sind ambivalent diskutierte Streitfelder der literaturwissenschaftlichen Forschung. Auch wenn es hier nicht das Ziel sein kann, auf diese großen literaturtheoretischen Fragen eine Antwort zu finden, versuche ich doch einen Überblick zu schaffen, soweit er für die vorliegende Forschungsfrage relevant ist. Mein Vorschlag soll die Konzepte einer phänomenologischen Spur und eines traditionalen Musters zusammenbringen und so eine tragfähige Ergänzung für motivgeschichtliche Analysen bereitstellen.

6.1 Zu partialer Literaturgeschichtsschreibung Die literaturtheoretischen Diskussionen der letzten vierzig Jahre changieren zwischen fachlicher Notwendigkeit und theoretischer Unmöglichkeit literarhistorischer Zugriffe. Diese Situation bildete den Ausgangspunkt für eine Neureflexion der Konzepte der Literaturgeschichtsschreibung.Werner Hamacher bezeichnete beispielsweise 1986 die Literatur selbst als „Unmöglichkeitserklärung der Literaturgeschichtsschreibung“¹ und prägte damit ein vielzitiertes Verdikt, dem weite Teile der poststrukturalistischen Theoriebildung folgten.² Zur Rehabilitation der Literaturgeschichte als einer der zentralen Aufgaben der Literaturwissenschaft (neben Edition, Interpretation und Literaturtheorie) unterscheidet Matthias Buschmeier zwischen einer dem unerreichbaren Ideal der Vollständigkeit folgenden „Literaturgeschichte als Archiv“ und einer „Literaturgeschichte als These“,³ welche durch objektive Selektion den Anspruch ‚wahrer‘ Geschichte dezidiert verwirft, gleichzeitig aber auch „in der Angreifbarkeit ihrer Thesenhaftigkeit das Bewusstsein des Konstruktionscharakters jeder historischen Sinnbildung offenlegt.“⁴ Indem Inkonzinnitäten und Brüche bei der Beschrei-

 Werner Hamacher: Über einige Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse. In: Wilhelm Voßkamp und Eberhard Lämmert (Hg.): Historische und aktuelle Konzepte der Literaturgeschichtsschreibung. Tübingen 1986, S. 5 – 15, hier S. 15.  Vgl. weiter Hans Ulrich Gumbrecht: Shall We Continue to Write Histories of Literature? In: New Literary History 39 (2008), S. 519 – 532 oder den etwas älteren Beitrag René Wellek: The Fall of Literary History. In: René Wellek (Hg.): The Attack on Literature and Other Essays. Chapel Hill 1982, S. 64– 77, hier S. 65: „something has happened to literary history which can be described as decline and even as fall. Particularly in the interval between the two world wars widespread dissatisfaction with literary history was voiced in almost every country“.  Matthias Buschmeier: Literaturgeschichtsschreibung nach dem Ende der Theorie? Theorien zu den (Un‐)Möglichkeiten einer bedrohten Gattung. In: IASL 36 (2011), S. 409 – 414, hier S. 413.  Buschmeier: Literaturgeschichtsschreibung, S. 413 f. https://doi.org/10.1515/9783110708349-007

154

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

bung von literarhistorischen Zusammenhängen nicht verborgen, sondern thematisiert werden, und zudem der Anspruch einer allgemeinen ‚Welterklärung‘ auf einen Teilaspekt eingeschränkt wird, kann eine reflektierte Literaturgeschichtsschreibung dem Verdacht einer konstruierten Meistererzählung entgehen. Um die Komplexität historischen Geschehens dennoch irgendwie abbilden zu können, ist folglich die Beschränkung auf Partialgeschichten notwendig. Als mögliche praktische Umsetzungen dieser partialen Literaturgeschichtsschreibung werden eine „Literaturgeschichte als Mikrogeschichte“⁵ oder eine „Literaturgeschichte semantischer Einheiten“⁶ diskutiert. Das Verfahren einer Mikrohistorie ist in den Geschichtswissenschaften durchaus präsent und wird vor allem mit den Namen Carlo Ginzburg und Emmanuel Le Roy Ladurie verbunden.⁷ Ansätze zur Nutzbarkeit eines mikrohistorischen Zugriffs für die Literaturgeschichte mit Konzentration auf die Vormoderne formuliert Jan-Dirk Müller. Als Voraussetzung führt er Folgendes an: Nehme man die Kritik aus der neuen Form der Literaturgeschichtsschreibung ernst, dann müsse man sich auf das literaturimmanente Avantgarde-System der Russischen Formalisten stützen. Dieses basiert auf der ständigen ‚Antwort‘ literarischer Texte auf vorliegende, wobei sich die Texte jeweils durch Innovation voneinander absetzen. Diese Sicht grenze jedoch vormoderne Texte aus dem Anwendungsbereich aus, da hier ‚Literatur‘ im modernen Sinne nicht von anderen Diskursen zu trennen sei.⁸ Außerdem sei eine Orientierung an Innovation für die Vormoderne unangebracht, da das „Neue […] keine zentrale Kategorie älterer Literatur“⁹ sei. Nach einer vergleichenden Präsentation der ‚enzyklopädischen Versuche‘ neuer diskontinuierlicher Literaturgeschichten und einem Aufzeigen des ‚positivistisch-sam-

 Jan-Dirk Müller: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte. Zur Schwierigkeit, eine Geschichte vormoderner Literatur zu schreiben. In: Matthias Buschmeier, Walter Erhart und Kai Kauffmann (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin, Boston 2014, S. 165 – 184.  Dirk Werle: Für eine Literaturgeschichte semantischer Einheiten. In: Matthias Buschmeier, Walter Erhart und Kai Kauffmann (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin, Boston 2014, S. 63 – 85.  Carlo Ginzburg: Il Formaggio e i Vermi. Il Cosmo di un Mugnaio del Cinquecento. Turin 1976 und Emmanuel Le Roy Ladurie: Montaillou,Village Occitan de 1294 à 1324. Paris 1975. Zusammenfassend zu internationalen Positionen der Mikrogeschichte mit Literaturhinweisen vgl. Jürgen Schlumbohm: Mikrogeschichte – Makrogeschichte: Zur Eröffnung einer Debatte. In: Jürgen Schlumbohm und Maurizio Gribaudi (Hg.): Mikrogeschichte – Makrogeschichte. Komplementär oder inkommensurabel?. Göttingen 22000, S. 7– 32 und Sigurður Gylfi Magnússon und István M. Szijártó: What is Microhistory? Theory and Practice. London, New York 2013. Zur literaturwissenschaftlichen Anwendbarkeit vgl. z. B. Michael Ott: Fünfzehnhundertsiebenundachtzig. Literatur, Geschichte und die Historia von D. Johann Fausten. Frankfurt a. M. 2014, v. a. S. 42 f.  Müller: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte, S. 167 f.  Müller: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte, S. 169. Hier grenzt sich Müller explizit von Hans Robert Jauß ab, der das formalistische Konzept auf die ältere Literatur zu übertragen versuchte. Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt a. M. 1997, S. 144– 207.

6.1 Zu partialer Literaturgeschichtsschreibung

155

melnden‘ Vorgehens in Teilen der Frühneuzeitforschung¹⁰ fordert Müller, „eine mittlere Ebene zwischen ‚Meistererzählung‘ und historischer Einzelanalyse“ einzunehmen, auf der dann „jene vielen Geschichten angesiedelt werden […], die sich durchaus nicht einer einzigen Geschichte subsumieren lassen, sondern mehr oder weniger miteinander verknäult ablaufen.“¹¹ Auch bei einer Konzentration auf synchrone Phänomene in einer Mikrogeschichte sind also (zumindest punktuell) lange Zeiträume als relevante Traditionslinien mitzudenken. Denn Alltagsphänomene erweisen sich – mit Foucault – als „massive Phänomene von jahrhundertelanger Tragweite“.¹² Dem Verfahren einer mikrogeschichtlich ausgerichteten Literaturgeschichte folgte cum grano salis der zweite Hauptteil der Untersuchung, indem er mit den Texten des Betteldiskurses ein zeitlich und räumlich möglichst kleinräumiges Phänomen untersucht und beschreibt. Freilich beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf ein soziales Phänomen und seine literarischen Ausprägungen, wodurch es den Prämissen einer möglichst umfassenden Beschreibung eines möglichst kleinen (Zeit‐)Raums widerspricht. Man könnte das Vorgehen demnach eher als Mikro-Motivuntersuchung bezeichnen. Damit ist bereits das zweite literaturtheoretische Problemfeld erreicht. Denn unter einer ‚Literaturgeschichte semantischer Einheiten‘ ist im weiteren Sinne ein Überbegriff zu verstehen, unter welchen auch Stoff- und Motivgeschichte fallen. Diese Verfahren waren zwar in der literaturwissenschaftlichen Praxis stets präsent, sind methodologisch jedoch in Verruf geraten, da sie in Orientierung auf ältere Forschungsbeiträge selten über das positivistische Sammeln von Belegstellen und die Rekonstruktion von Abhängigkeitsverhältnissen hinausgingen.¹³ Dabei kann man einwenden, dass diese „Kritik […] beinahe so alt wie die Stoff- und Motivforschung selber“¹⁴ ist. So betont Manfred Beller, der eine Neuorientierung der Stoff- und Motivgeschichte unter den Auspizien einer Thematologie anstrebt, „das unausrottbare Unbehagen gegenüber aller ‚Stoffhuberei‘“ und nennt „die Differenzen zwischen begrifflicher Beschränkung, geistesgeschichtlicher Allgemeinverbindlichkeit und philologischer Ungenauigkeit“, um „der konventionellen ‚Stoffgeschichte‘ die Leich-

 Vgl. Müller: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte, S. 171– 177. Das zentrale Beispiel für die erste Form ist David E. Wellbery, Hans Ulrich Gumbrecht u. a. (Hg.): Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. Berlin 2007; für die zweite Form Hans Rupprich: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Erster Teil. Das ausgehende Mittelalter, Humanismus und Renaissance 1370 – 1520. München 1970.  Müller: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte, S. 177.  Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. München 1974, S. 38.  Vgl. Rudolf Drux: [Art.] Motivgeschichte. In: RLW 2, S. 638 – 642, hier S. 642 und Hans-Jakob Werlen: Stoff- und Motivanalyse. In: Jost Schneider (Hg.): Methodengeschichte der Germanistik. Berlin, New York 2009, S. 661– 677, hier S. 663.  Werlen: Stoff- und Motivanalyse, S. 674.

156

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

abdankung zu singen.“¹⁵ Tatsächlich präzisierte die Umbenennung und Akzentverschiebung die Methode nicht.¹⁶ Einen Versuch, dieses vernachlässigte Betätigungsfeld der Literaturwissenschaft „textlich-philologisch fundiert und von theoretischen Fragestellungen und Reflexionen begleitet“¹⁷ aufzuarbeiten, unternahm die Kommission „Literaturwissenschaftliche Motiv- und Themenforschung“ an der Göttinger Akademie der Wissenschaften.¹⁸ Die Arbeitsgruppe definiert ihren Gegenstand so: Ein Motiv ist ein schematisierter Vorstellungsgegenstand von gewisser Konkretheit und Typik, der, wenn er textlich realisiert – nicht nur angedeutet oder genannt – wird, ein Werk passagenweise oder ganz prägt oder von dem der Motivanalytiker annimmt, daß dies der Fall ist.¹⁹

Der konstruierte Charakter des ‚Motivs‘ basiert auf den Annahmen Ulrich Mölks, der auch an der Kommission beteiligt war. Er stellt kurz und bündig fest: „Was ein literarisches Motiv ist, entscheidet der Interpret.“²⁰ Weiter betont er den relationalen Status eines Motivs. Es handle sich um „eine Abstraktion, eine Raffung, ein Schema dessen, was auf der Bedeutungsebene als konkret, ausgebreitet und ausgefüllt erscheint, in viel höherem Maße freilich auf der Vorstellungsebene (des Lesers)“.²¹ Wohlgemerkt geht es Mölk um die Festlegung einer inhaltlichen Binnendifferenzierung eines Textes. Der Begriff ‚Motiv‘ ist methodisch auch deshalb besonders schwer greifbar, da er zwei Kategorien abdeckt: eine textimmanente syntagmatische und eine textübergreifende paradigmatische. Auf einer syntagmatischen Ebene (1) innerhalb eines Textes bezeichnet das Motiv gemäß seiner Etymologie – abgeleitet von lat. movere bedeutet motivum schon ab dem späten Mittellatein Handlung oder Handlungser-

 Alle Zitate Manfred Beller: Von der Stoffgeschichte zur Thematologie. Ein Beitrag zur komparatistischen Methodenlehre. In: Arcadia 5 (1970), S. 1– 38, hier S. 34.  Vgl. dazu bereits John Adam Bisanz: Zwischen Stoffgeschichte und Thematologie. Betrachtungen zu einem literaturtheoretischen Dilemma. In: DVjs 47 (1973), S. 148 – 166; außerdem Werlen: Stoff- und Motivanalyse, S. 661 f. Ein Problem der Thematologie als internationale Methode ist auch, dass die postulierte terminologische Schärfe in einer komparatistischen Verwendung durch die Überschneidung mit engl. theme oder frz. thème kontaminiert wird.  Theodor Wolpers: Wege der Göttinger Motiv- und Themenforschung. In: Theodor Wolpers (Hg.): Ergebnisse und Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Motiv- und Themenforschung. Göttingen 2002, S. 41– 112, hier S. 43.  Vgl. Wolpers: Motiv- und Themenforschung, S. 43.  Wolpers: Motiv- und Themenforschung, S. 76.  Ulrich Mölk: Das Dilemma der literarischen Motivforschung und die europäische Bedeutungsgeschichte von ‚Motiv‘. Überlegungen und Dokumentation. In: Romanisches Jahrbuch 42 (1991), S. 91– 120, hier S. 101.  Mölk: Das Dilemma der literarischen Motivforschung, S. 99.

6.1 Zu partialer Literaturgeschichtsschreibung

157

gebnis ²² – die „[k]leinste selbständige Inhalts-Einheit“,²³ welche die Handlung voranbringt. So besagt die strukturalistische Basisdefinition von Motiv, es handele sich um eine „proposition predicating an action (a) to a character (c)“.²⁴ Daneben steht für Mölk jedoch die paradigmatische Ebene (2) einer Motivgeschichte, die dann von einem Motiv spricht, „wenn man es wiedererkennt, im selben oder in einem anderen literarischen Werk.“²⁵ Diese Zweiteilung deckt sich mit der bekannten Definition von Motiv als „[k]leinste[s] […] tradierbares intertextuelles Element eines literarischen Werks“²⁶ – eine Auffassung, die auf die finnische Märchenforschung nach Stith Thompson zurückgeht: „A motif is the smallest element in a tale having a power to persist in tradition.“²⁷ Um in der Tradition bestehen zu können, müssten Motive etwas Ungewöhnliches oder Auffallendes aufweisen, also salient sein. Generell seien sie nach Thompson in drei Klassen einzuteilen: Akteure/Figuren, Gegenstände/Requisiten und Ereignisse.²⁸ Die Bezeichnung ‚Motiv‘ ist also nicht eindeutig. Das verdeutlicht folgendes Beispiel: Während Ophelia als Element des textimmanenten Syntagmas im Drama Hamlet wohl schwerlich als ‚Motiv‘ zu bezeichnen ist, kann man von einem Opheliamotiv sprechen, sobald andere Texte das Textelement aufnehmen und produktiv umsetzen. Für eine produktive Aneignung ist eine gewisse Variation oder Transformation des ursprünglichen Textelements zentral. Auch wenn mehrere identische Drucke des Shakespeare-Textes vorliegen, ist das noch keine paradigmatische Reihe, sehr wohl aber wenn Arthur Rimbaud oder Georg Heym das Motiv der Wasserleiche bearbeiten. Syntagmatisch wäre in dem Beispiel demnach der ‚Selbstmord der Ophelia‘ ein Motiv, d. h. ein Element des Handlungsvorgangs, nicht jedoch die Figur an sich. Diese Konfusion der beiden Dimensionen (paradigmatisch und syntagmatisch) provoziert für die Motivgeschichte die Kritik, dass, „insofern das Motiv gerade als Element der Handlung aufgefasst wird, […] dieses Verfahren besonders fragwürdig“²⁹ wird. Noch verwirrender wird es angesichts der weiteren kategorial abweichenden Wortverwendungen wie ‚Leitmotiv‘ oder ‚blindes Motiv‘.³⁰ Die Aussage ist also noch

 Vgl. Ulrich Mölk: Zur europäischen Bedeutungsgeschichte von ‚Motiv‘ vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. In: Theodor Wolpers (Hg.): Ergebnisse und Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Motiv- und Themenforschung. Göttingen 2002, S. 11– 20, hier S. 11.  Rudolf Drux: [Art.] Motiv. In: RLW 2, S. 638 – 641, hier S. 638.  Lubomír Doležel: From Motifemes to Motifs. In: Poetica 4 (1972), S. 55 – 90, hier S. 60.  Mölk: Das Dilemma der literarischen Motivforschung, S. 101.  Drux: [Art.] Motiv. In: RLW 2, hier S. 638.  Stith Thompson: The Folktale. New York 1946, S. 415. Diese Definition wird aufgegriffen von Max Lüthi: Märchen. Stuttgart 1962, S. 19. Auf Lüthi rekurriert weiter Mölk: Das Dilemma der literarischen Motivforschung, S. 101.  Vgl. Thompson: Folktale, S. 415 f.  Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 70.  Vgl. dazu Elisabeth Frenzel: Stoff-, Motiv- und Symbolforschung. Stuttgart 21966, S. 34. Zu den divergierenden Definitionsversuchen vgl. Mölk: Das Dilemma der literarischen Motivforschung, S. 100 f.

158

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

aktuell: „Eine konsensfähige Definition des Motiv-Begriffs konnte sich bis heute nicht durchsetzen“.³¹ Für eine begriffliche Konkretisierung scheint es mir daher angebracht, bezüglich paradigmatischer Zusammenhänge den Begriff des traditionalen Musters zu gebrauchen, welcher die angesprochenen Eigenschaften des Motivs in einer historischen Reihe besser beschreibt.³² In eine andere Richtung geht der Versuch einer begrifflichen Präzisierung bei Dirk Werle, der den Terminus semantische Einheit vorschlägt. Er spricht sich nicht für eine Entdifferenzierung der elaborierten Methoden zur Untersuchung von ‚Metapher‘, ‚Symbol‘, ‚Motiv‘, ‚Thema‘ und ‚Topos‘ aus, hält jedoch seinen Sammelbegriff für notwendig, gerade hinsichtlich der praktischen Anschlussfähigkeit in der Textanalyse.³³ So würden gewisse Textmanifestationen im Akt der Textproduktion, ‐rezeption oder ‐interpretation einer speziellen semantischen Kategorie zugewiesen. Das heißt, die Festlegung eines Textelements werde letztlich vom Interpreten vorgenommen. Texte können jedoch auch in dem Bewusstsein produziert sein, einen Textbaustein als Symbol, Motiv, Metapher oder Topos zu verwenden, und durch Signale eine Lenkung des Modellrezipienten vornehmen, was jedoch keine Einordnung in ein abstraktes, überstrukturiertes Kategoriensystem legitimiert.³⁴ Schließlich weist Werle darauf hin, dass die semantischen Einheiten „nicht Textereignisse darstellen, die sich rein auf der Textoberfläche ablesen lassen“, sondern dass es „sich durchweg um interpretierende Rekonstruktionen von Elementen der Bedeutungsebene des Textes“³⁵ handle. Diese Verarbeitungstiefe teilen sich semantische Einheiten und traditionale Muster. Während das Sprechen von semantischen Einheiten aber die Bedeutungen des Einzeltextes fokussiert, akzentuiert das Sprechen von traditionalen Mustern die Prozesse der Textüberlieferung und damit den diachronen Zusammenhang zwischen den semantischen Einheiten, jedoch auch den Zusammenhang zwischen anderen prozedural entwickelten Phänomenen, wie Gattungen oder Ideen.³⁶ Es kommt somit allenfalls zu einer marginalen Überschneidung, vielmehr aber zu einer sinnvollen Ergänzung der beiden Konzepte. Diese methodische Vereinigung der Konzepte von Motivgeschichte und Traditionstheorie widerspricht auf den ersten Blick dem Verdikt, welches Wilfried Barner³⁷

 Drux: [Art.] Motiv. In: RLW 2, hier S. 639.  Mehr dazu in Kapitel 6.2.  Vgl. Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 72 f. et passim.  Vgl. zu den aufgezeigten Problemen: Werlen: Stoff- und Motivanalyse, S. 667.  Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 71. Vgl. auch Mölk: Das Dilemma der literarischen Motivforschung, S. 100.  Über das Verhältnis von Idee und semantischer Einheit urteilt Werle: „Die Idee ist ein Teil der Textbedeutung, aber ihre textuelle Verfasstheit ist nicht konstitutiv; sie ist ein zunächst textunabhängig gedachter kognitiv-epistemischer Gehalt. Eine semantische Einheit dagegen ist eine konstitutiv textuell gestaltete Sinneinheit“; Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 74.  Zur Barners einflussreicher Kategorie des literarischen Traditionsverhaltens vgl. Kapitel 6.2.1.

6.1 Zu partialer Literaturgeschichtsschreibung

159

gegen die Untersuchung der „Tradition von Textelementen“³⁸ vorbrachte. Barners Einwände sind jedoch eher fachgeschichtlich zu begründen, und zwar in dem Sinne, dass er sich vor allem gegen Zugriffe einer methodisch unreflektierten, rein positivistisch sammelnden Stoff- oder Motivgeschichte und Toposforschung richtete.³⁹ Ich teile somit die Annahme von Werle, dass durch einen reflektierten und kontrollierten Umgang⁴⁰ die literarhistorische Untersuchung semantischer Einheiten als traditionale Muster „über die von Barner angesprochenen Bereiche der Tradition von Normen und Werten, von textualer und personaler Tradition hinaus besonders geeignet [ist] für die Erforschung und Vermittlung der Vielgestaltigkeit der literarischen Tradition.“⁴¹ Als Vorzug einer Literaturgeschichte semantischer Einheiten im Gegensatz zu einer konventionellen Literaturgeschichte nennt Werle weiter die Möglichkeit, „das stets in der Gefahr der Kanonisierung und Festschreibung befindliche Bild der Literaturgeschichte durch vielfältige Perspektivierungen anzureichern und in seiner Differenziertheit kenntlich werden zu lassen.“⁴² Der notwendigen Komplexitätsreduktion dient also nicht die Konzentration auf eine einzelne Gattung, einen Autor oder eine Zeitspanne (‚Epoche‘), sondern die Einschränkung auf ein spezifisches Muster. So wird ein extensiver Blick auf verschiedene Gattungen, Zeiten, Autoren und Kontexte möglich. Gleichzeitig erleichtert der Fokus auf einen Textbaustein auch die Analyse nicht-kanonischer Texte. Bei motivgeschichtlichen Zusammenhängen gelten mithin ähnliche Prämissen wie bei der Gattungsgeschichte, da beide Verfahren rekonstruierend eine Textreihe in ihrer „historische[n] Dynamik“⁴³ beschreiben. Gerade bei der Analyse mittelalterlicher (und z.T. frühneuzeitlicher) Texte nähern sich die beiden Verfahren noch mehr an, da der „Traditionalismus des Mittelalters […] auf Autoritäten und autorisierte Muster gerichtet [ist], nicht auf Begriffe, Regeln und Systeme“.⁴⁴ Die Orientierung im Feld der mittelalterlichen Literatur ist nämlich weniger streng an gattungssystematische, sondern neben personalen Autoritäten an motivische und thematische Muster gebunden; in weiten Teilen der volkssprachigen

 Wilfried Barner: Wirkungsgeschichte und Tradition. Ein Beitrag zur Methodologie der Rezeptionsforschung. In: Wilfried Barner (Hg.): Pioniere, Schulen, Pluralismus. Studien zu Geschichte und Theorie der Literaturwissenschaft. Tübingen 1997, S. 253 – 276, hier S. 266.  So erwähnt er die „fatalen Folgen einer mechanisch-geistlosen Traditionenforschung, wie sie in der Toposforschung zu beobachten waren“; Wilfried Barner: Über das Negieren von Tradition. Zur Typologie literaturprogrammatischer Epochenwenden in Deutschland. In: Reinhart Herzog und Reinhart Koselleck (Hg.): Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. München 1987, S. 3 – 51, hier S. 12.  Werle führt in seinen Überlegungen in einer refutatio mögliche Nachteile und Kritikpunkte an einer Literaturgeschichte semantischer Einheiten an und positioniert sich zu diesen. Vgl. Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 74– 80.  Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 82 f.  Werle: Literaturgeschichte semantischer Einheiten, S. 83.  Klaus Grubmüller: Gattungskonstitution im Mittelalter. In: Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer (Hg.): Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Tübingen 1999, S. 193 – 210, hier S. 210.  Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 209.

160

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Literatur existieren nicht einmal explizite Gattungskonventionen. Eine Analyse der traditionalen Muster bietet demnach bessere Möglichkeiten, um Kontinuität und Variation in einer Textreihe aufzuzeigen. Die Bedeutung von „normbildenden Werken (Prototypen)“⁴⁵ bezieht sich also sowohl auf die Institutionalisierung von Gattungen als auch von spezifischen Motivkomplexen. Mitunter gibt es Interferenzen zwischen einer Gattungsgeschichte und einer Motivgeschichte, da manche Motive Affinitäten zu speziellen Gattungen aufweisen oder sogar (mehr oder weniger) fest mit diesen verbunden sind (z. B. der Schelm mit dem Schwank- und Pikaroroman).⁴⁶ In der mediävistischen Theoriediskussion wird diese Dominanz von Wiederholungen unter der Bezeichnung „Wiedererzählen“ oder „Retextualisierung“ diskutiert.⁴⁷ Dirk Werle und Jan-Dirk Müller zeigen in ihren Überlegungen, dass es auch ‚nach der Theorie‘ möglich ist, Literaturgeschichte zu schreiben und dass eine solche Literaturgeschichte durchaus Entwicklungen und Richtungen darstellen darf. Vorbedingungen für ein solches Unterfangen sind theoretische Transparenz und methodische Selbstreflexion. Außerdem ließe sich diese Form der Literaturgeschichte am besten umsetzen, indem nur Teilelemente der Historie wie semantische Einheiten untersucht werden, um der Illusion einer universalen, homogenen Metaerzählung zu entgehen. Ich versuche diese beiden Ansätze zu verbinden. Im ersten Teil habe ich den ‚Fahrenden Schüler‘ als konkretes Muster aus den sozial- und ideengeschichtlichen Konstellationen extrahiert, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus dem Bettlerdiskurs das Figurenmotiv ausformten. Folgt man der kulturpoetischen Metapher von Text und Kultur als textum (‚Gewebtes‘),⁴⁸ welches aus Diskursfäden besteht, die einerseits den Diskurs repräsen-

 Wilhelm Voßkamp: Gattungen als literarisch-soziale Institutionen. Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie. In: Walter Hinck (Hg.): Textsortenlehre, Gattungsgeschichte. Heidelberg 1977, S. 27– 44, hier S. 30 [Hervorhebung im Original].  Zu Gattungsaffinitäten vgl. Wolpers: Motiv- und Themenforschung, S. 92 f. und Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart 62008, S. XIV; Frenzel: Stoff-, Motiv- und Symbolforschung, S. 83. Elisabeth Frenzel geht weiter davon aus, dass es auch epochenspezifische und „nationaltypische“ Motive gebe. Frenzel: Motive der Weltliteratur, S. XIV.  Grundlegend dazu Franz Josef Worstbrock: Wiedererzählen und Übersetzen. In: Walter Haug (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Tübingen 1999, S. 128 – 142 und Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005. Vgl. auch Kapitel 6.3.  Zum sog. erweiterten Textbegriff vgl. Moritz Baßler: Einleitung: New Historicism – Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Tübingen, Basel 22001, S. 7– 28, hier S. 14 f. und Stephen Greenblatt: Kultur. In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Tübingen, Basel 22001, S. 48 – 59, hier S. 55: „Eine Kultur ist ein bestimmtes Netzwerk von Verhandlungen“. Diese Vorstellung basiert auf der grundsätzlichen Konfrontation von der ‚Geschichtlichkeit von Texten‘ und der ‚Textualität von Geschichte‘. Vgl. die vielzitierte Aussage in Louis A. Montrose: Professing the Renaissance. The Poetics and Politics of Culture. In: Harold Veeser (Hg.): The New Historicism. London, New York 1989, S. 15 – 36, hier S. 20: „The poststructuralist orientation to history now emerging in literary studies I characterize chiastically, as a reciprocal concern with the historicity of texts and the textuality of history.“ Sie geht

6.1 Zu partialer Literaturgeschichtsschreibung

161

tieren, andererseits gemäß ihrer reziproken Verfasstheit den Diskurs auch konstruieren, dann fände man um 1500 bezüglich des Ausdrucks und der Vorstellung ‚Fahrender Schüler‘ ein verwickeltes Knäuel vor.⁴⁹ Die motivgeschichtliche Analyse (griech. ἀναλύω ‚auflösen‘, ‚zerstreuen‘) löst im wörtlichen Sinne einen einzelnen Faden heraus, um seine Beschaffenheit und Geschichte nachzuvollziehen. Bei dieser Analyse ist die Situation des Referenzzeitpunkts mitzudenken, hier die Frühe Neuzeit um 1500. Das geschichtlich Vorherliegende kann dabei nicht als ‚Vorläufer‘ gemäß einer zielgerichteten Entwicklung aufgefasst werden, sondern allenfalls durch seine ähnliche Disposition; die Analyse der semantischen Einheit aber bietet den methodischen ‚roten Faden‘ in der komplexen und mitunter chaotischen Historie. Auch wenn eine Literaturgeschichte semantischer Einheiten ihren Untersuchungsgegenstand inhaltlich einschränken kann, ist eine Vollständigkeit der zu untersuchenden Texte nicht möglich, vor allem wenn man nicht per se eine Einschränkung auf kanonisierte Texte einer bestimmten Epoche vornimmt. Gerade im Umgang mit vormoderner Literatur ist ein Vollständigkeitspostulat ohnehin absurd, da die Textüberlieferung ebenso einer gewissen Kontingenz unterworfen ist wie die Textauswahl der Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen als Menschen, die etwas übersehen, Fehler machen oder allgemein in der Praxis zeitlich terminiert sind. Diese Unzulänglichkeiten sind nur durch philologische Präzision und eine intensive wie extensive Lektüre auszugleichen. Dennoch soll Vollständigkeit gar nicht suggeriert werden, denn – mit Stephen Greenblatt gesprochen – „there is no escape from contingency.“⁵⁰

auf die grundsätzlichen Annahmen einer Metahistory von Hayden White und die historisch-kritische Begriffsgeschichte von Reinhart Koselleck zurück. Vgl. dazu White: Metahistory und Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M. 102017, S. 107– 128. Die Metapher des ‚Diskursfadens‘ findet sich unter anderem auch bei Roland Barthes: „le texte est un tissu de citations, issues des mille foyers de la culture“, Roland Barthes: De l’Œuvre au Texte. In: Roland Barthes (Hg.): Le Bruissement de la Langue. Paris 1984, S. 69 – 77, hier S. 65. Außerdem bei Clifford Geertz, der seinerseits auf die Verwendung bei Max Weber rekurriert: „Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe“; Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M. 132015, S. 9.  Wagner-Egelhaaf wählt ein ähnliches Bild, spricht aber von einer „verfilzte[n] Struktur mit offenen bzw. losen Enden“; Martina Wagner-Egelhaaf: Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft? In: Nikolas Buck (Hg): Literatur Macht Gesellschaft. Neue Beiträge zur theoretischen Modellierung des Verhältnisses von Literatur und Gesellschaft. Heidelberg 2015, S. 17– 38, hier S. 37.  Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England. Berkeley, Los Angeles 1988, S. 3.

162

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

6.2 Traditum, depositum, vestigium Immer wieder wurde von narrativen Mustern gesprochen (z. B. Kiening),⁵¹ welche auf die individuellen Ausarbeitungen von literarischen Texten einwirken und so Erzählkerne (Müller),⁵² Motive (Wolpers)⁵³ oder einzelne semantische Einheiten (Werle)⁵⁴ prägen. Die diachronen Dynamiken von Literatur prägen folgende Begriffe: Tradition als wiederholende Übergabehandlung in der Generationenfolge, das Archiv als Ort des Zugriffs und der Reaktualisierung von Dokumenten und die Spur als semiotische und materiale Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das traditum wird also mitunter zum depositum, dessen vestigium vom Interpreten aufzuspüren ist. Mehr dazu im Folgenden.

6.2.1 Tradition Eine zentrale Kategorie in der Beschäftigung mit diachronen Textzusammenhängen ist der Begriff ‚Tradition‘. Obwohl oder gerade weil ‚Tradition‘ in Alltagssprache und Forschung präsent ist, stellt der Begriff eine Herausforderung für den wissenschaftlichen Gebrauch dar. Noch dazu ist der Begriff sehr unterschiedlich besetzt. Eine Beschränkung und Präzisierung ist daher notwendig.⁵⁵ So gilt Tradition einerseits als „Grundlage und kulturelle Präfiguration von Erfahrung“,⁵⁶ als „das größte Vermögen des Menschen“⁵⁷ und als „anthropologische[s] Spezifikum“,⁵⁸ andererseits lagern sich an dem Begriff zahlreiche Vorurteile an, die ihn in Opposition zu Rationalität, Moderne und Innovation stellen sowie ihn politisch vereinnahmen.⁵⁹ Diese intrikate Situation versucht Thomas Arne Winter zu klären, indem er eine allgemeine Traditi-

 Kiening: Unheilige Familien, S. 35; ähnlich auch Zerweck: cognitive turn, S. 222 und Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 88; vgl. Kapitel 4.3.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 23 u. ö.; vgl. Kapitel 4.2.  Wolpers: Motiv- und Themenforschung; vgl. auch Kapitel 6.1.  Werle Literaturgeschichte semantischer Einheiten; vgl. auch Kapitel 6.1.  Einen grundsätzlichen Überblick zu Etymologie, Geschichte und Verwendung des Begriffs bieten Volker Steenblock: [Art.] Tradition. In: HWPh 10, Sp. 1315 – 1329, Siegfried Wiedenhofer: [Art.] Tradition, Traditionalismus. In: GG 6, S. 607– 650 und Till R. Kuhnle: [Art.] Tradition – Innovation. In: ÄsthG 6, S. 74– 117. Zu den elaborierten (v. a. soziologischen und theologischen) Traditionstheorien vgl. Aleida Assmann: Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 67– 90 und Karsten Dittmann: Tradition und Verfahren. Norderstedt 2004, S. 38 – 113.  Bernd Auerochs: Tradition als Grundlage und kulturelle Präfiguration von Erfahrung. In: Friedrich Jaeger und Burkhard Liebsch (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Stuttgart 2004, S. 24– 37, hier S. 24.  Leonhard Reinisch (Hg.): Vom Sinn der Tradition. München 1970, S. VII.  Thomas Arne Winter: Traditionstheorie. Eine philosophische Grundlegung. Tübingen 2017, S. 2.  Zu den einzelnen Vorurteilen vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 9 – 15. Zur konservativen Aneignung des Begriffs vgl. Dittmann: Tradition und Verfahren, S. 21– 37.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

163

onstheorie vorlegt, welche um differentielle Theorien zu ergänzen wäre.⁶⁰ Grundlage seiner Überlegungen sind phänomenologische Überlegungen Heideggers und die Hermeneutik Gadamers. Martin Heidegger interpretiert Tradition als eine Verdeckungsgeschichte, welche durch Verborgenheit, Verschüttung und Verstellung eine kontinuierliche Entfernung von einem ‚authentischen‘ Ursprung bewirkt. Dieser könne nur durch eine sukzessive ‚Destruktion‘ (lat. destruere ‚abtragen‘) wiedererkannt werden.⁶¹ Durch die Eigenschaft der ‚Verdecktheit‘ werde Tradition zum „Gegenbegriff von ‚Phänomen‘“.⁶² Dieser Position widerspricht Hans-Georg Gadamer.⁶³ Ihm zufolge werde Erkenntnis nicht durch die Destruktion einer Tradition erreicht, die ein Hindernis für die Selbsterkenntnis darstelle. Stattdessen rehabilitiert er Tradition als „Bedingung des Verstehens“ mittels der traditionalen Autorität des Vor-Urteils.⁶⁴ Diese tiefe Erkenntnis der ‚Wahrheit‘ durch seine ‚Hermeneutik des Vertrauens‘ sei jedoch aufgrund ihres hermeneutischen Idealismus nur für eine homogene Tradition unter Ausblendung externer Faktoren möglich.⁶⁵ Zwischen der Authentizitätslogik Heideggers und der Spekulationslogik Gadamers „in ihrer radikalen Einseitigkeit“⁶⁶ versucht Winter zu vermitteln, indem er fünf Leitbegriffe aufstellt: Demnach müsse Tradition (1) unabhängig von der Frage der Wahrheit und allenfalls bezüglich ihres logischen Sinns behandelt werden. (2) Sie stehe ambivalent zwischen einer Ver-Deckung (Heidegger) und einer Ent-Deckung (Gadamer) und müsse (3) in ihrer Geschichtlichkeit betrachtet werden, was auch die Möglichkeit des Traditionsbruchs einschließt. Weiter sei (4) von einer Pluralität der Traditionen auszugehen und schließlich (5) von einer Bezugsdifferenz, dass also keine absolute Korrelation dazwischen bestehe, eine Tradition zu verstehen und sich in eine Tradition zu stellen.⁶⁷ Er ordnet seine eigene Erarbeitung weiter durch fünf Grund-

 Vgl.Winter: Traditionstheorie, S. 16. Ich versuche nicht, eine differenzielle Traditionstheorie für den Bereich der Literaturwissenschaften zu erstellen, sondern beziehe nur die luziden strukturellen Ergebnisse Winters bezüglich einer mustertheoretischen Traditionstheorie in mein Vorgehen ein. Zu einigen Überlegungen zur Adaptation von Traditionstheorie und Literaturwissenschaft vgl. Thomas Arne: Tradition und Literatur. Sinngabe und Sinnentzug. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Liteaturwissenschaftliche und kultuhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.).  Vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 23 – 87. Vgl. v. a. Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 192006 und Martin Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, hg. von Petra Jaeger. Frankfurt a. M. 1979.  Heidegger: Sein und Zeit, S. 36.  „Heidegger ging auf die Problematik der historischen Hermeneutik und Kritik nur ein, um von da aus in ontologischer Absicht die Vorstruktur des Verstehens zu entfalten. Wir gehen umgekehrt der Frage nach, wie die Hermeneutik […] der Geschichtlichkeit des Verstehens gerecht zu werden vermöchte“; Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 270.  Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 281.  Winter: Traditionstheorie, S. 88 – 148, hier v. a. S. 148.  Winter: Traditionstheorie, S. 152.  Vgl. zu den Leitbegriffen Winter: Traditionstheorie, S. 149 – 156.

164

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

begriffe: Weitergabe, Wiederholung, Muster, Verstehen und Sinn.⁶⁸ Diese interpretiert er abschließend traditionstheoretisch, wobei er sich an Modelle der Gabentheorie anlehnt.⁶⁹ Diese allgemeine Traditionstheorie bringt verschiedene Überlegungen zu Tradition in einen konzisen logischen Zusammenhang und folgt dem Anspruch einer philosophischen Grundlegung. Dieses hochgesteckte Ziel stellt jedoch eines der größten Mankos der Arbeit dar, derer sich der Verfasser auch bewusst ist. Denn eine Spezifizierung auf einen Teilbereich und damit eine Methodisierung bleibt aus, da der Verfasser alle Phänomene abdecken will. Außerdem ist die Überbewertung (absoluter) Innovation und Traditionsstiftung für die Analyse einer Motiv- oder Mustergeschichte – zumal für die Vormoderne – problematisch. Dies zeigte sich bereits in der Diskussion zwischen Cornelius Castoriadis und Paul Ricœur über eine creatio ex nihilo.⁷⁰ Zwar ist eine petitio principii (auch bei Winter) wohl nicht intendiert, jedoch besteht die Gefahr, beim Wunsch, die Geschichte einer Tradition zu schreiben, den ältesten Beleg als Archegeten überzubewerten, auch wenn dieser auf (möglicherweise verlorenen) Prätexten beruht. Hier ist ein Abgleich mit dem phänomenologischen Bild der Spur sinnvoll, welches Paul Ricœur mit Tradition und Überlieferung engführt.⁷¹

Traditionen und Muster – semantische und methodische Differenzierungen Das Wort traditio (von lat. trans-dare) stammt aus der römischen Rechtssprache und bezeichnet im Erbrecht die „formfreie Übergabe von körperlichen Sachen“.⁷² Auf diesen Umstand bezieht sich auch Hans Blumenberg, wenn er schreibt: „Die Tradition besteht nicht aus Relikten, sondern aus Testaten und Legaten.“⁷³ Aleida Assmann sieht im Testament sogar „die Urszene der Tradition“.⁷⁴ Jedoch wird der Begriff bereits seit der Antike auch auf rein geistige Weitergabehandlungen angewandt. In diesem Sinne prägte Johann Gottfried Herder die Metapher der Tradition als einer Kette:⁷⁵ Da nun aber unser specifische Charakter eben darinn liegt, daß wir, beinah ohne Instinkt geboren, nur durch eine Lebenslange Übung zur Menschheit gebildet werden, und sowohl die

 Vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 159 – 226.  Vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 226 – 292.  Vgl. Kapitel 4.2.  Es ist erstaunlich, dass Winter trotz seinem einerseits phänomenologischen, andererseits hermeneutischen Ausgangshorizont die phänomenologisch-hermeneutische Philosophie Ricœurs nicht beachtet.  Wiedenhofer: [Art.] Tradition, Traditionalismus. In: GG, S. 609. Als einzige Belegstelle für traditio als Terminus technicus im römischen Sachenrecht verweist Wiedenhofer auf die Institutiones Gaii, ein Lehrbuch zum Privatrecht aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Vgl. Gaius: Institutiones, hg. von Ulrich Manthe. Darmstadt 2004, II, 19 f.  Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M. 31996, S. 375.  Assmann: Zeit und Tradition, S. 93.  Vgl. dazu Christian Strub: Band, Kette. In: Ralf Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Darmstadt 2007, S. 23 – 34, hier S. 30 f.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

165

Perfectibilität als die Corruptibilität unseres Geschlechts hierauf beruhet: so wird eben damit auch die Geschichte der Menschheit notwendig ein Ganzes, d. i. eine Kette der Geselligkeit und bildenden Tradition vom Ersten bis zum letzten Gliede.⁷⁶

Dieses letzte Glied ist bei Herder jedoch nicht definit. Er geht von einer genealogischen „Kette stets wachsender, neuer Geschlechter“⁷⁷ und einer ständigen, fortschrittlichen Weitergabe von Mensch zu Mensch und von ‚Volk‘ zu ‚Volk‘ aus.⁷⁸ Die Statik der Kettenmetapher modifizieren Hegel⁷⁹ und später Curtius⁸⁰ zum Bild des mächtigen Stromes der Tradition. Jedoch bleibt auch dieses Bild einem essentialistischen Traditionsbegriff verhaftet, demzufolge Tradition an sich ist. Paul Ricœur versucht in seiner Ontologie von Narration und Zeitlichkeit mittels einer „Hermeneutik des historischen Bewußtseins“⁸¹ der Polysemie des Begriffs gerecht zu werden und damit seine Semantik zu erhellen. Dies macht er, indem er ‚Tradition‘ in drei Begriffe aufteilt. Er unterscheidet zwischen (1) dem formalen Begriff der Traditionalität und (2) dem materialen Begriff der tradierten Inhalte, den Traditionen (im Plural).⁸² Dazu kommt (3) der normative Begriff Tradition (im Singular), der als Legitimationsinstanz Wahrheit präsumiert und beansprucht, dadurch jedoch auch

 Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, hg. von Wolfgang Pross. München,Wien 2002, S. 307. Ebenso weist er selbstbewusst die „Philosophie der Geschichte […], die die Kette der Tradition verfolgt“, als die „wahre Menschengeschichte“ aus, „ohne welche alle äußere Weltbegebenheiten nur Wolken sind oder erschreckende Mißgestalten werden“; alle Zitate aus Herder: Ideen, S. 313.  Herder: Ideen, S. 295.  Herder sieht Tradition zwar als „eine an sich vortreffliche, unserm Geschlecht unentbehrliche Naturordnung“, erkennt aber auch kritisch das diktatorische Potential der Tradition, sobald sie „in praktischen Staatsanstalten als im Unterricht alle Denkkraft fesselt“ und so „das wahre Opium des Geistes sowohl für Staaten als Sekten und einzelne Menschen“ wird; alle Zitate aus Herder: Ideen, S. 470.  „Diese Tradition ist aber nicht nur eine Haushälterin, die nur Empfangenes treu verwahrt und es so den Nachkommen unverändert überliefert. Sie ist nicht ein unbewegtes Steinbild, sondern lebendig und schwillt als ein mächtiger Strom, der sich vergrößert, je weiter er von seinem Ursprunge aus vorgedrungen ist“; Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Bd. 1, hg. von Eva Moldenhauer. Frankfurt a. M. 1971, S. 21.  „Die Literatur des ‚modernen‘ Europa ist mit der des mittelmeerischen so verwachsen, wie wenn der Rhein die Wasser des Tiber aufgenommen hätte“; Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen 111993 [1948], S. 19 f. Curtius richtet sich auch gegen die Vorstellung einer Kette, da diese den Sprüngen in der Überlieferung zuwiderlaufe. Vgl. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 396.  Paul Ricœur: Zeit und Erzählung. Band III: Die erzählte Zeit. München 1991, S. 334, v. a. auch S. 355 – 371.  Dieser Differenzierung entspricht auch die Unterscheidung der Adjektive ‚traditional‘ und ‚traditionell‘. Während ‚traditional‘ die Zugehörigkeit zur Traditionalität als Seinsweise der Tradition (1) ausdrückt, bezieht sich ‚traditionell‘ auf die Eigenschaft der Traditionalität in den einzelnen Traditionen (2). Winter: Traditionstheorie, S. 17 folgert daraus (jedoch ohne Rekurs auf Ricœur): Demnach ist die „Traditionstheorie […] die Erforschung des Traditionalen, nicht des Traditionellen.“

166

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

unter Ideologieverdacht steht.⁸³ Unter die letzte Kategorie subsumiert Ricœur den hochgradig emotional aufgeladenen Diskurs um den Begriff Tradition von Adorno, Habermas und Gadamer.⁸⁴ Die normative Dimension des Begriffs in seiner singularischen Verwendung – also die Tradition als eine ontologische Kategorie – unterscheidet er so von einer Tradition, welche (weitgehend) neutral beschrieben werden kann. Die wissenschaftliche Alltagssprache folgt meist der Ricœur’schen Semantik von den Traditionen (2), die auf eine möglichst objektive Begriffsverwendung referiert; zum Beispiel wenn man davon spricht, dass A ‚in einer Tradition‘ von B steht. Ob man von ‚Traditionen‘ jedoch überhaupt absolut objektiv sprechen kann, wurde mehrfach bestritten, da „das normative Element einer die Gegenwart prägenden Autorität aus der Vergangenheit“⁸⁵ der Begriffsgeschichte inhärent sei. Trotz oder gerade wegen dieses sprachgeschichtlichen Ballasts bietet der Begriff aber zusätzliche Möglichkeiten. Ein Vorteil und eine Unterscheidung zu einer ausschließlich intertextuellen Analyse ist, dass sich das Verfahren nicht auf die Ebene des Textes beschränkt, sondern diachrone Textzusammenhänge als soziale Praxis analysiert und von den Positionen des Produzenten und des Rezipienten (als Tradenten und Akzipienten) ausgeht.⁸⁶ Auf diese Weise bietet sich die Möglichkeit, die individuellen Ziele im Traditionsbezug zu ermitteln; man kann so auch Phänomene wie das ‚Erfinden von Traditionen‘⁸⁷ untersuchen, bei denen gar kein tatsächlicher Bezug zu einem historischen Sachverhalt oder konkreten Prätext vorliegt, die aber an der normativen Semantik partizipieren und eine lange Vergangenheit insinuieren, um Autorität und Legitimität eines kulturellen Erbes zu gewinnen. Die Unterteilung Ricœurs erleichtert eine Beschreibung dieser Zusammenhänge. Die Differenzierung der beiden Kategorien Traditionalität und Traditionen folgt der etymologischen Doppelbedeutung von ‚Tradition‘ als Überlieferungsvorgang  Vgl. Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 355 – 371, v. a. S. 367 und 364 f.  Vgl. Theodor W. Adorno: Über Tradition. In: Kulturkritik und Gesellschaft I. Frankfurt a. M. 1977, S. 310 – 320; zum Disput zwischen Habermas und Gadamer vgl. Jürgen Habermas: Zu Gadamers ‚Wahrheit und Methode‘. In: Karl-Otto Apel, Claus von Bormann u. a. (Hg.): Hermeneutik und Ideologiekritik. Frankfurt a. M. 1971, S. 45 – 56, hier S. 49 f.: „Gadamer verkennt die Kraft der Reflexion, die sich im Verstehen entfaltet“ und darin zeigt, „daß sie den Anspruch von Traditionen auch abweisen kann.“ Dort auch die Replik von Gadamer, S. 283 – 317.  Auerochs: Tradition, S. 776.  Manfred Pfister macht aus der Theorie der Intertextualität eine Methode und bezieht bei seiner Skalierung intertextueller Verweise auch die Instanzen des Produzenten und Rezipienten ein, v. a. in der Kategorie der ‚Kommunikativität‘. Vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität. In: Manfred Pfister und Ulrich Broich (Hg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985, S. 1– 30. Auch bei Ulrich Broich: Formen der Markierung von Intertextualität. In: Manfred Pfister und Ulrich Broich (Hg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985, S. 31– 47 sind diese Erweitungen, die über das ‚bloße Wechselspiel der Zeichen‘ hinausgehen, zentral. Damit variieren sie jedoch die Theorie der Intertextualität. Eine Analyse der traditionalen Zusammenhänge kehrt die Gewichtung von Text zu den beiden anderen Instanzen um.  Vgl. Eric J. Hobsbawm und Terence O. Ranger (Hg.): The Invention of Tradition. Cambridge 1983.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

167

(actus tradendi) und Überlieferungsmaterial (traditum), die bereits der griechischen (παράδοσις) und lateinischen Substantivierung (traditio) inhärent ist.⁸⁸ Der Überlieferungsvorgang als „Zusammenhangsstil der historischen Abfolge“ bildet eine „transzendentale Kategorie des Denkens von Geschichte“⁸⁹ und ist von einer generellen inneren Dialektik geprägt, welche aus dem Zeitenabstand resultiert. Zum einen ist der Abstand zur Vergangenheit natürlich unüberwindbar, zum anderen ist der Abstand apriorisch überwunden, sofern man über die Vergangenheit nachdenken kann. Die Spannung beim „Affiziertwerden durch die Vergangenheit“⁹⁰ besteht demnach aus der „Wirkung der Vergangenheit, die wir erleiden und der Rezeption der Vergangenheit, die wir vollziehen“,⁹¹ also einem passiven und einem aktiven Verhältnis zur Geschichte. Durch den Akt der Tradierung wird das Zeitintervall zwischen Gegenwart und Vergangenheit überbrückt und so zu einer „sinnschöpfenden Überlieferung“⁹² im dialektischen „Wechselspiel zwischen interpretierter Vergangenheit und interpretierender Gegenwart.“⁹³ Kern der Traditionalität ist also kein strenger Konservatismus, der mit dem unbedingten Bewahren des Vergangenen verbunden ist, sondern die Relation und je gegenwärtige Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit. Diese Dopplung vom Erleiden und Aufnehmen einer Tradition vergleicht Ricœur mit dem Bild der Spur, die (in der Vergangenheit) hinterlassen wurde und (in der Gegenwart) verfolgt wird.⁹⁴ Da eine Überwindung der Kluft zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem im Prozess der Überlieferung grundsätzlich der existenziellen Erfahrung des Todes und der historischen Erfahrung von Zäsuren und Brüchen (z. B. im Generationswechsel) widerspricht, ist Tradition „eine paradoxe Figur […], die im doppelten Sinne unwahrscheinlich ist“.⁹⁵ Gleichzeitig folgt daraus eine spezifische Form der Geschichtsaneignung als ‚kulturelle Strategie der Dauer‘.⁹⁶ Diese Strategie basiert auf symbolischen Ordnungen, die in sprachliche Strukturen eingebettet sind⁹⁷ – wobei in einer zirkulären Implikation natürlich auch die symbolischen, gesellschaftlichen

 Vgl. Wiedenhofer: [Art.] Tradition, Traditionalismus. In: GG 6, S. 611.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 355.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 349.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 355.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 358 [Herv. im Orig.]. Ricœur verwendet auch im Original den deutschen Terminus „Überlieferung“.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 358.  Vgl. dazu eingehender Kapitel 6.2.2.  Assmann: Zeit und Tradition, S. 158.  Assmann betont auch die Bedeutung der Genealogie als Modell für Kontinuität.Vgl. Assmann: Zeit und Tradition, S. 99 – 106.  Natürlich ist auch das Tradieren von Nichtsprachlichem möglich, wodurch auch Traditionsmaterial und -medium zusammenfallen. Doch auch nichtsprachliches Tradieren ist von Sprache erst ermöglicht oder zumindest begleitet (vgl. Auerochs: Tradition, S. 25). Da die Tradierungsprozesse jedoch in Nuancen voneinander abweichen, kann zwischen einer Sach-, einer Oral- und einer Literaltradition unterschieden werden. Vgl. Dittmann: Tradition und Verfahren, S. 122 – 124.

168

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Ordnungen durch Sprache generiert werden.⁹⁸ Demnach versteht Ricœur unter Tradition „das schon Gesagte, sofern es uns entlang der Kette von Interpretationen und Neuinterpretationen überliefert ist.“⁹⁹ Durch die Erfindung der Schrift als spezifischem Medium sprachlicher Vermittlung wurde es möglich, Inhalte zu fixieren, Distanzen zwischen Raum und Zeit zu überwinden und so eine „zerdehnte Kommunikationssituation“¹⁰⁰ zu generieren, die geläufige Überlieferungsform der literalen Kultur der Moderne.¹⁰¹ Zwischen der individuell erlebten (phänomenologischen) und der kosmischen Zeit steht vermittelnd die historische als „eine dritte[ ] Zeit“,¹⁰² die durch eine Überkreuzung von historischer und fiktiver Narration entsteht und Identität konstituiert.¹⁰³ Diese Formation ähnelt in nuce den Überlegungen von Alasdair MacIntyre¹⁰⁴ und Hans Blumenberg.¹⁰⁵ ‚Tradition‘ beinhaltet in allen drei Ricœur’schen Ausprägungen eine Positionierung zur Vergangenheit, die in Differenz und Verbindung zur Gegenwart steht. Dabei ist es irrelevant, ob die jeweiligen Traditionen und der zeitliche Abstand realhistorisch oder fiktiv (respektive fingiert) sind. Es kommt vielmehr darauf an, wie die einzelnen Traditionen vom Rezipienten valorisiert und mit historischer Autorität ausgestattet werden. Von semantisch oder kategorial verwandten Begriffen (Gewohnheiten, Kon-

 Vgl. Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 372– 454, v. a. S. 417 u. 398 f.: „Die gesellschaftlich-geschichtliche Institution ist die Erscheinungsform des gesellschaftlichen Imaginären und zugleich dessen Mittel, sich zur Erscheinung zu bringen. […] Ein beträchtlicher Teil der Bedeutungen einer Gesellschaft wird unmittelbar oder mittelbar in der und durch die Sprache instituiert“. Vgl. sehr ähnlich auch Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 358: „Die Sprache aber ist die große Institution – die Institution der Institutionen –, die uns allen immer schon vorausgeht.“  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 358. Zur Metapher der Tradition als einer Kette siehe oben.  Konrad Ehlich: Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung. In: Aleida Assmann, Jan Assmann und Christof Hardmeier (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München 31998, S. 24– 44, hier S. 31 f.  Edward Shils differenziert zwischen „possessions“ und „stocks“, dem, was die Mitglieder einer Gesellschaft tatsächlich und aktiv wissen, und dem, was sie nur potentiell wissen könnten. Die „stocks“ umfassen dabei die materialen (textlichen) Artefakte, wie sie in Bibliotheken und Museen konserviert und potentiell zugänglich gemacht werden. Edward Shils: Tradition. London, Boston 1981, S. 25 – 27.Während es bei schriftlosen Kulturen keinen (oder nur einen minimalen) Unterschied gibt, ist „die Differenz zwischen der Masse des nur potentiell zugänglichen kulturellen Vorrats und dem schmalen Anteil des wirklich von Einzelnen Angeeigneten […] groß“; Auerochs: Tradition, S. 31 f.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 159 [Herv. des Originals getilgt].  Vgl. Paul Ricœur: Zeit und Erzählung. Band I: Zeit und historische Erzählung. München 1988, S. 122 – 129 und Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 11 f.Vgl. dazu Stefan Scharfenberg: Narrative Identität im Horizont der Zeitlichkeit. Zu Paul Ricœurs „Zeit und Erzählung“. Würzburg 2011, S. 121– 135.  Er geht auch von einer narrativen Entfaltung von biographischer und historischer Zeit aus, und zwar durch einen Menschen, der „in seinen Handlungen und in seiner Praxis ebenso wie in seinen Fiktionen im wesentlichen [sic!] ein Geschichten erzählendes Tier“ sei. Alasdair C. MacIntyre: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Frankfurt a. M. 1995, S. 288.  Vgl. die etwa zeitgleich zu Ricœur erschienene Studie Hans Blumenberg: Lebenszeit und Weltzeit. Frankfurt a. M. 1986.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

169

ventionen, Praktiken, Gesetzen etc.) unterscheiden sich ‚Traditionen‘ durch diese gezielte Anbindung an die Vergangenheit: As regards receptive affirmation, or conscious attachment to the past, the transition between practices/customs/laws on the one hand, and traditions on the other, is taken to be a continuous one; in other words, adherence to customs etc. might involve, though it does not need to involve, a measure of historical consciousness.¹⁰⁶

Damit wird die Bewertung durch den Rezipienten (oder Akzipienten) für den Prozess des Tradierens hervorgehoben.¹⁰⁷ Das wird schon in der dreifachen grammatikalischen Valenz des Wortes tradere (‚übergeben‘, ‚überliefern‘, ‚tradieren‘) deutlich: aliquis tradit alicui aliquid oder ‚a übergibt b Material c‘.¹⁰⁸ Auch wenn in den meisten europäischen Sprachen im Zusammenhang mit Überlieferungsprozessen der Übergebende und damit die ältere Generation semantisch im Zentrum steht (lat. trado; griech. παραδίδωμι), ist diese begriffliche Entscheidung keineswegs notwendig, wie das Hebräische zeigt: qabbalah (hebr. ‫‚ ַק ָּבָלה‬das Überlieferte‘, ‚die Kabbala‘) von qibbel (‚empfangen‘).¹⁰⁹ Hier werden der Empfangende und damit die jüngere Generation betont. Dieser Sprachvergleich macht deutlich, dass beide beteiligten Instanzen eigentlich gleich bedeutend und meist auch gleichbedeutend für den Überlieferungsprozess sind. Denn der Akzipient wird im Zuge der traditionalen Weitergabe seinerseits zum Tradenten. Jeder Tradent muss – mit Ausnahme eines (hypothetischen) Traditionsstifters – zuvor selbst Akzipient gewesen sein. Im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Gabe¹¹⁰ ist die traditionale Weitergabe jedoch durch den Rollenwechsel irreversibel und der Stifter wie der Akt der Tradition erst retrospektiv feststellbar.¹¹¹ Das führt dazu, dass eine bewusste Stiftung einer Tradition nur emphatische Rhetorik ist, der keine Praxis folgen muss. Die Mikrostruktur dieses Prozesses setzt sich zusammen aus der Übergabe eines Traditionsmaterials an einen Rezipienten, welcher im Prozess des Tradierens nun seinerseits wieder das Material weitergibt. Damit fallen der Empfangende und der

 János K. Nyíri: ‚Tradition‘ and Related Terms. A Semantic Survey. In: Tradition and Individuality. Essays. Dordrecht, Boston, London 1992, S. 61– 74, hier S. 73.  Es gibt einen kategorialen Unterschied zwischen dem Rezipienten und dem Akzipienten. Während ein Rezipient einen Text nur lesend/hörend/sehend usw. aufnimmt, nimmt der Akzipient das traditionale Muster auf, um es (als Traditionsmaterial) weiterzugeben. Ein Akzipient ist also notwendig ein Rezipient aber nicht vice versa. Wann ein Rezipent zum Akzipienten wird, ist aber erst im actus tradendi zu ermitteln, also wenn er auch zum Tradenten wird. Da der Akzipient immer auch zum Tradenten werden muss, unterscheiden sich diese beiden Begriffe nur hinsichtlich ihrer zeitlichen Perspektive, also zur Vergangenheit (Akzipient) oder Zukunft (Tradent). Vgl. dazu Winter: Traditionstheorie, S. 164 f.  Zu Terminologie und Konzeption vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 159 – 173.  Vgl. Auerochs: Tradition, S. 24. (Anm. 2).  Winter orientiert sich an der Gabentheorie von Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt a. M. 112016.  Vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 168 – 170.

170

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Gebende in einer Person zusammen. Vereinfachend stellt sich die Tradition als eine Kette dar. Dieses einfache Modell muss sich jedoch auf Sachtraditionen beschränken, z. B. auf das Vererben einer Taschenuhr.¹¹² Komplexeren Traditionsprozessen wird es nicht gerecht, da es sich bei einer Tradition um keinen eindimensionalen Prozess handelt; gerade bei schriftbasierten Tradition ist viemehr eine multigenetische, dynamische Struktur anzunehmen, wie es sich im Modell von Tradition als einem (Stamm‐)Baum vorstellen ließe.¹¹³ Grundlage ist die Erkenntnis, dass im Prozess der Weitergabe verschiedene Elemente eines Traditionsmaterials verändert werden können, indem Kürzungen, Erweiterungen oder Neukontextualisierungen eine Umakzentuierung vornehmen. Doch der Rezipient (zumal als Akzipient) darf nicht als passive Instanz gedacht werden, sondern nimmt aktiv am Traditionsakt teil. Er wählt aus dem Empfangenen kritisch oder selektiv aus, er gliedert es und passt es an sein Vorwissen an. Damit entstehen potentiell unendlich viele Varianten. Die Rekonstruktion eines Stammbaums, oder Stemmas, in dem die jeweiligen Abhängigkeiten spekulativ rekonstruiert werden – wie in der philologischen Textkritik oder der älteren Stoff- und Motivgeschichte – kann also auch nicht das Ziel einer Literaturgeschichte semantischer Einheiten sein. Eher böte sich die Metapher eines komplexen Netzes oder eines ineinander verflochtenen Rhizoms an.¹¹⁴ Für eine gelingende Weitergabe ist Wiederholung eine notwendige Voraussetzung. Dabei schließt Winter jedoch die absolute oder identische Wiederholung aus dem Bereich der Tradition aus. Stattdessen sind isomorphe Abweichungen, Variationen und Transformationen grundlegend für den Prozess des Tradierens.¹¹⁵ Auf den Kontext der vormodernen Schriftlichkeit bezogen sind absolute oder identische Wiederholungen allenfalls im Druckzeitalter in der Reproduktion mit denselben Stöcken auf demselben Beschreibstoff möglich. Wie bei der Handschriftenproduktion generell ist auch bei Drucken eine isomorphe (oder variierende) Abweichung von Fassungen der Normalfall.¹¹⁶ Sobald größere Eingriffe in den Textbestand vorgenommen werden,

 Vgl. mit Bezug auf andere Forschungsansätze: Dittmann: Tradition und Verfahren, S. 132.  Vgl. Dittmann: Tradition und Verfahren, S. 132– 134.  Vgl. Gilles Deleuze und Félix Guattari: Rhizom. Berlin 1977. Ähnlich operiert das Modell der Semantischen Netze. Vgl. grundlegend Ross M. Quillian: Semantic Memory. In: Marvin Lee Minsky (Hg.): Semantic Information Processing. Cambridge (Mass.) 1968, S. 227– 270 und Klaus Reichenberger: Kompendium semantische Netze. Konzepte, Technologie, Modellierung. Heidelberg 2010.  Zum Folgenden vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 178 – 185. Diese notwendige Variation des Traditionsmaterials in der ‚authentischen Weitergabe‘ beschreibt Winter durch die Gegenüberstellung von ‚Hingabe‘ und ‚Zugabe‘, der „existentielle[n] Dimension von Weitergabe“. Das bedeutet, dass der Tradent sich selbst völlig dediziert („Selbstwidmung und Selbstrücknahme“), der Akzipient jedoch notwendig Bestehendes variiert und dazugibt, um es in sein Selbst zu integrieren.Weiter gehören dazu auch pragmatisch begründetes Weglassen oder schlichtes Vergessen. Dazu Winter: Traditionstheorie, S. 248– 253. zit. S. 248 f.  Vgl. Joachim Bumke: Der unfeste Text. Überlegungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Aufführung und Schrift in Mittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 1996, S. 118 – 129.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

171

also Kürzungen, Ergänzungen oder Umstellungen, ist von einer variierenden Textwiederholung zu sprechen. Wenn der Inhalt oder die Form eines Textes oder Textelements (d. h. auch eines Motivs) in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt werden, handelt es sich hingegen um eine transformierende Wiederholung, so auch bei allen Formen von Literatur auf zweiter Stufe wie Parodien etc.¹¹⁷ Grundsätzlich sind Wiederholung und Weitergabe nur möglich, sofern eine gewisse Ordnung in die tradita gebracht wurde, z. B. durch traditionale Muster. Winter definiert Muster als ein Phänomen, das „in einer bestimmten, fixierten und relationalen Ordnung mehrerer Elemente, die sich als diese Ordnung wiederholen kann“,¹¹⁸ besteht. Das Muster ist also in Relation zu seinem (synchronen) Ko(n)text fixiert, jedoch erst durch die (diachrone) Dimension der Wiederholung als Muster erkennbar, dabei jedoch – analog zu den Überlegungen zum ‚Motiv‘ – von der Position des Interpreten abhängig.¹¹⁹ Die phänomenologische Qualität des Musters ist bereits etymologisch evident (‚Muster‘ von lat. monstrare ‚zeigen‘) inhärent; sie kann in fünf Ausprägungen differenziert werden:¹²⁰ Das Muster zeigt sich (1) selbst als Phänomen;¹²¹ gerade artifizielle Muster weisen eine hohe Auffälligkeit (Salienz) auf, die jedoch vom Vorwissen des Interpreten und vom Kontrast zum umgebenden Kontext abhängig ist. Doch ein Muster hat auch eine deiktische Funktion (Etwaszeigen): Es kann (2) auf einer semiotischen Ebene ein Objekt repräsentieren, also die verweisende Funktion eines Zeichens einnehmen. Es kann (3) als Symbol einen anderen Gehalt vertreten oder/und (4) ein Bild darstellen.¹²² Im Gegensatz zum verweisenden und vertretenden Zeigen, deren semiotische Konstellation (meist) auf einer arbiträren Setzung beruht, und dem darstellenden Zeigen, das von einem Vor-Bild abhängt, ist „dem Medium des Musters […] das Gezeigte auf natürliche oder intrinsische Weise inhärent.“¹²³ Dieses ist durch ein (5) ermöglichendes Zeigen charakterisiert, als „eine Wirklichkeit, in der ihre eigene Möglichkeit mit präsent ist.“¹²⁴ Konstitutiv ist dafür die Eigenschaft der Wiederholbarkeit. Denn durch die Wiederholung wird das Muster zum einen erst erkennbar, zum anderen auch „jene inneren Möglichkeiten des Dinges, die sein Wesen ausmachen“ deutlich.¹²⁵ Das Muster aber steht mit den anderen drei Funktionen in einem doppelten Verhältnis. Einerseits wären die Bedeutungszuschreibung und das Erkennen

 Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a. M. 72015. Da dieser Spezialfall für das vorliegende Textcorpus besonders relevant ist, beschäftigt sich ein eigenes Unterkapitel damit. Vgl. Kapitel 5.2.1.  Winter: Traditionstheorie, S. 193 [Herv. im Orig.].  Vgl. mit einigen illustrierenden Beispielen Winter: Traditionstheorie, S. 193 – 196.  Zum Folgenden vgl. Winter: Traditionstheorie, S. 189 – 202.  Vgl. Heidegger: Sein und Zeit, S. 28. Abgeleitet von φαίνω ist als „Bedeutung des Ausdrucks ‚Phänomen‘ […] festzuhalten: das Sich-an-ihm-selbst-zeigende, das Offenbare.“  Unter Bild sind wohl auch andere Tropen zu fassen, wie die Metapher oder die Metonymie.  Winter: Traditionstheorie, S. 198.  Winter: Traditionstheorie, S. 198.  Winter: Traditionstheorie, S. 199 unter Berufung auf Heidegger’sche Gedanken.

172

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

von Zeichen/Symbolen/Bildern ohne die tradierende Wiederholung von Mustern nicht möglich, andererseits überlagern die anderen dominanten Funktionen die Musterfunktion: „Weil das Muster aber als Muster zurücktritt, sobald es als Zeichen, Symbol oder Bild fungiert, wird es als solches übersehen und sein Wesensmerkmal der Wiederholbarkeit wird z. B. den Zeichen direkt zugeschrieben.“¹²⁶ Es gibt also einen kategorialen Unterschied zwischen einem traditionalen Muster und einem Zeichen, einem Symbol oder einem Bild. Ein einzelnes Textelement kann je nach Perspektive als Zeichen auf ein anderes Objekt verweisen, als Symbol einen anderen Sinngehalt vertreten, als rhetorisches Stilmittel dienen, als (strukturell-syntagmatisches) Motiv einen Plot konstituieren oder als Muster in anderen Texten tradiert werden. Diese Funktionen schließen sich nicht aus und können gleichzeitig auftreten. Die Bewertung hängt letztlich vom Interpreten ab. Neben dem musterbildenden Textelement können auch andere Formen der schriftbasierten Musterbildung differenziert werden; z. B. „Gestaltungsmuster bestimmter Textsorten“¹²⁷ und historisch standardisierter Gattungen oder der Text als ‚Werk‘ selbst, das durch die Zuschreibung eines exzeptionellen Status (Klassiker) zum stilistischen und thematischen Muster wird.¹²⁸ Was die Gesellschaft als Muster wahrnimmt, ist das Ergebnis komplexer historischer und sozialer Prozesse, die festlegen, was (im kollektiven oder kulturellen Gedächtnis) ‚archiviert‘ wird und so salient ist, dass es auch ohne explizite Markierung auffällt. Auf diese Weise konstituieren traditionale Muster literarische Reihen. Auch wenn sich dieses Konzept aufgrund seiner Herkunft aus dem Russischen Formalismus dezidiert als Gegenvorschlag zu einer (substantialistischen) Tradition versteht, widerspricht es keineswegs einem Traditionsverständnis, welches auf konstruktivistischen und mustertheoretischen Prämissen beruht.¹²⁹ Jedoch ist die Privilegierung des Neuen, die dem formalistischen Konzept der ‚literarischen Evolution‘ eignet, einzu-

 Winter: Traditionstheorie, S. 201.  Winter: Traditionstheorie, S. 238. Im Mittelalter sind explizite Gattungen meist allenfalls in lateinischen Poetiken greifbar.  Einen Überblick zur Kategorie ‚Werk‘ mit Schwerpunkt auf der mediävistischen Forschung bietet Martin Baisch: Was ist ein Werk? Mittelalterliche Perspektiven. In: Jahrbuch für internationale Germanistik 34 (2002), S. 105 – 125.  Zur Geschichte des Begriffs ‚Literarische Reihe‘ vgl. Jurij Tynjanov: Über die literarische Evolution [1927]. In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994, S. 433 – 461. Die Grundlage bildet das Prinzip ‚literarischer Evolution‘, das einzelne Werke aufgrund ihrer ‚externen Funktion‘ in einen Zusammenhang mit den vorgängigen Werken bringt. Grundlage dieser Vorstellung ist eine textimmanente Genese neuer Formen, die sich durch die dialektischen Prozesse der Kanonisierung zur ‚Höhenkammliteratur‘, der Automatisierung und der Verdrängung in die Peripherie entwickeln, ohne einen absoluten Zielpunkt annehmen zu müssen. Die Evolution einer literarischen Reihe wird bewusst als dynamisches Gegenkonzept zu einer substantialistischen Tradition entworfen, die als entelechische Kontinuität verworfen wird.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

173

schränken, zumal bei der Interpretation vormoderner Texte.¹³⁰ An diesem „unaufhörliche[n] Kampf des Neuen mit dem Alten“¹³¹ setzt die Kritik der Rezeptionsästhetik an, die sich zwar hinsichtlich Terminologie und Prämissen der ‚literarischen Evolution‘ bedient, das Neue aber von einer wertenden ästhetischen zu einer historischen Kategorie transformiert, objektiviert und so – nach Hans Robert Jauß – auch für vormoderne Texte anwendbar macht.¹³² In der mediävistischen Forschung konzentriert sich die Diskussion literarischer Reihen auf die Gattungsfrage: So postuliert Jauß, dass „die literarischen Gattungen nicht als genera (Klassen) im logischen Sinn, sondern als Gruppen oder historische Familien zu verstehen“ seien, die „als solche nicht abgeleitet oder definiert, sondern nur historisch bestimmt, abgegrenzt und beschrieben werden“ könnten.¹³³ Es seien keine normativen (ante rem) oder klassifikatorischen (post rem), sondern nur historische Bestimmungen (in re) von Gattungen möglich.¹³⁴ Joachim Heinzle greift diese Überlegungen auf, indem er sagt, dass Textgruppen oder ‚Gattungen‘ nur erfasst werden könnten, „wenn man die Typenbildung, statt sie aus vermeintlich überzeitlichen Konstanten herzuleiten […], als einen Prozeß begreift, der in fortwährender Traditionsstiftung [Rezeption eines Textes als modellhaftes Muster], Traditionserfüllung [Wiederholung des Musters] und Traditionsveränderung [Variation oder Transformation des Musters] die Hervorbringung der Texte lenkt“.¹³⁵ Klaus Grubmüller prägt die literarhistorische Bewertung von (mittelalterlichen) Gattungen als literarische Reihen, in denen im Prozess des geistesgeschichtlichen Wandels „die Kriterien, die für den Anfang galten, am Ende nicht mehr unbedingt“¹³⁶ gültig sein müssen. Dies treffe auf mittelalterliche – zumal volkssprachige – Literatur umso mehr zu, als diese eher einer Orientierung an traditionalen Mustern als einer theoretischen Systematik folge.¹³⁷ Eine Menge oder Liste an Kriterien, die für eine Gattung zutreffen müssen, ist für das Mittelalter mithin

 Es setzt „die ‚evolutionäre‘ Bedeutung und Charakteristik einer literarischen Erscheinung […] Innovation als entscheidendes Merkmal voraus“; Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 190. Dazu auch Müller: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte, S. 167 f. Vgl. Kapitel 6.1.  Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 191.  Vgl. Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 193 f. und S. 354 f.  Hans Robert Jauß: Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956 – 1976. München 1977, S. 327– 358, hier S. 330  Vgl. Jauß: Theorie der Gattungen, S. 331. Diesem Anspruch wird Jauß nicht gerecht, da er doch eine – wenn auch differenzierte – Gattungsklassifikation erstellt. Vgl. Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 199.  Joachim Heinzle: Märenbegriff und Novellentheorie. Überlegungen zur Gattungsbestimmung der mittelhochdeutschen Kleinepik. In: ZfdA 107 (1978), S. 121– 138, hier S. 123 [Anm. P. R.].  Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 201.  Vgl. Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 195 f. und 208 f. Mehr dazu, auch zu den unterschiedlichen Konfigurationen in volkssprachiger und lateinischer Literatur vgl. Kapitel 6.3.

174

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

unzureichend, wie auch die ausufernden Diskussionen über die volkssprachige Gattung der Versnovellistik bewiesen hat.¹³⁸ Besser ist von musterhaften Prototypen oder Textsorten zu sprechen, die als traditionale Muster besonderen Einfluss auf die Bildung einer literarischen Reihe haben.¹³⁹ Oft sind kanonische Texte durch ihre eminente Wirkung auf andere Texte auch Prototypen für eine ‚Gattung‘ oder ‚Schreibweise‘. Da diese Prototypentheorie von ‚idealisierten kognitiven Modellen‘ (ICMs) ausgeht, ist sie dezidiert nicht auf Textgattungen beschränkt, sondern bezieht sich auch auf andere Phänomene, die zur strukturellen Organisation des Wissens beitragen.¹⁴⁰ Die umfassenden literaturtheoretischen Überlegungen zu einer literarischen Reihe als Gattungsparadigma sind grundlegend auf semantische Einheiten übertragbar. Denn sowohl Gattungen als auch semantische Einheiten sind traditionale Muster. Die ICMs verfahren ähnlich wie Schemata, „organisieren also Einheiten zu Gesamtheiten“,¹⁴¹ wobei sie aus einer existierenden Textmenge eine ideale Vorstellung modellieren. Im Gegensatz zum Schema ist ein Muster einer Gattung durch einen Text vertreten, welcher die idealen Bedingungen repräsentiert. Während das Schema also nicht (notwendig) in der Literaturgeschichte existiert, muss ein Muster (als bestes Beispiel) existent vorliegen oder vorgelegen sein.¹⁴² Auch wenn das Muster von der Instanz des Interpreten abhängig ist, partizipiert es doch in viel stärkerem Maße an einer materialen Basis.

Literarisches Traditionsverhalten und Traditionsdynamiken Das Erkennen eines Musters und das differenzierende Bewerten eines erkannten Musters als traditionales Muster (und nicht als Symbol oder Zeichen) hängen von der

 Vgl. die grundlegend mengentheoretische Definition für das ‚Märe‘ in Fischer/Janota: Märendichtung, S. 62 f.  Dazu Voßkamp: Gattungen sowie Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 208 f. und Doris Tophinke: Zum Problem der Gattungsgrenze. Möglichkeiten einer prototypentheoretischen Lösung. In: Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke (Hg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997, S. 161– 182, hier S. 165 – 179. Eine weitere Ausarbeitung und Anwendung außerdem bei Doris Tophinke: Handelstexte. Zur Textualität und Typik kaufmännischer Rechnungsbücher im Hanseraum des 14. und 15. Jahrhunderts. Tübingen 1999, v. a. S. 28 – 76, Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, v. a. S. 11– 16 und Eichenberger: Geistliches Erzählen, v. a. S. 23 – 27.  „The main thesis of this book is that we organize our knowledge by means of structures called idealized cognitive models, or ICMs“; George Lakoff: Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal About the Mind. Chicago 1987, S. 68.  Siegfried J. Schmidt: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur. Frankfurt a. M. 1994, S. 169.  Damit ist der Schema-Begriff anders gefasst als bei Winter, der ausgehend von der Alltagssprache das Schema als „verarmtes, weil auf seine äußere Seite reduziertes Muster“ versteht; Winter: Traditionstheorie, S. 212.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

175

Position des interpretierenden Rezipienten ab.¹⁴³ Sobald der Rezipient durch eine produktive Aufnahme des Materials, also seine Positionierung zu und Aufnahme von (Mustern aus) der Vergangenheit, am Prozess des Tradierens teilnimmt und die rezeptive Rolle des Akzipienten – diese Rolle kann freilich erst retrospektiv zugeschrieben werden – mit der produktiven des Tradenten wechselt, ist dessen (literarisches) Traditionsverhalten analysierbar.¹⁴⁴ Mit der terminologischen Unterscheidung Ricœurs ist dieses Traditionsverhalten noch aufzuteilen in das Verhalten des Akzipienten einerseits zu den (materialen/inhaltlichen) Traditionen, andererseits zur (normativen) Tradition. Damit ist (1) beschreibbar, ob und inwiefern sich ein Akzipient zu vorgängigen Inhalten und Formen als traditionalen Mustern verhält: ob er diese affirmativ aufnimmt, variiert, explizit transformiert, emphatisch negiert oder einfach ignoriert. Ebenso lässt sich (2) die Positionierung zum normativen Diskurs der Tradition untersuchen. Dieser wird je nach Ausgangspunkt als Beschränkung kreativer Möglichkeiten oder autoritative Legitimationsinstanz bewertet. Literarisches Traditionsverhalten bezeichnet also einerseits die Aufnahme oder Ablehnung poetischer oder allgemein textlicher Elemente, andererseits das (rhetorische) Verhalten zur Tradition als „Legitimitätsinstanz mit Wahrheitsanspruch“.¹⁴⁵ Diese beiden Seiten sind zwar kategorial unterschiedlich, jedoch meist wechselseitig bedingt. Beispielsweise kann durch eine emphatische Traditionsbehauptung eine charakteristische Verknüpfung mit dem Objekt des Traditionsverhaltens hergestellt werden: Man stellt sich in eine Reihe mit einer (gesellschaftlich) als vorbildhaft empfundenen Instanz und erhöht damit die Legitimität der eigenen Aussagen. Eine andere Form expliziten Traditions-

 Das betonen sowohl Winter als auch Mölk (mit dem Begriff des Motivs). Die Bedeutung des Interpreten wird auch beim Spurbegriff hervorgehoben. Vgl. Kapitel 6.2.2.  Das Konzept des literarischen Traditionsverhaltens und seine methodischen Implikationen basieren auf den Schriften von Wilfried Barner: v. a. Über das Negieren von Tradition; Tradition als Kategorie der Literaturgeschichtsschreibung. In: Wilfried Barner (Hg.): Pioniere, Schulen, Pluralismus. Studien zu Geschichte und Theorie der Literaturwissenschaft. Tübingen 1997, S. 277– 296; Traditionsverhalten als Element kultureller Orientierung. Mit Erläuterungen am Beispiel von Leibnizens Reunionsbestrebungen. In: Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger und Jörg Wesche (Hg.): Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Tübingen 2004, S. 183 – 197. Produktiv aufgegriffen wurde das Konzept von Dirk Niefanger, der das Konzept erweitert, indem er die Bezüge auf Pierre Bourdieu vertieft und feststellt, dass „Traditionsverhalten […] letztlich der Akkumulation symbolischen Kapitals“ diene und „Variation in der Regel das symbolische Kapital zu erhöhen vermag“; Dirk Niefanger: Die Chance einer ungefestigten Nationalliteratur. Traditionsverhalten im galanten Diskurs. In: Thomas Borgstedt und Andreas Sollbach (Hg.): Der galante Diskurs. Kommunikationsideal und Epochenschwelle. Dresden 2001, S. 147– 163, hier S. 152. Diese feldtheoretische Erweiterung hat für mittelalterliche Texte nur eingeschränkt Geltung, da sie die moderne Privilegierung des Neuen zugrunde legt. Vgl. Dirk Niefanger: Sfumato. Traditionsverhalten in Paratexten zwischen ‚Barock‘ und ‚Aufklärung‘. In: LiLi 25 (1995), S. 94– 118 und Dirk Niefanger: [Art.] Traditionsverhalten, literarisches. In: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie 42008, S. 668.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 367.

176

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

verhaltens ist die Abgrenzung von einer als falsch oder veraltet bewerteten Tradition, welche eine ‚Korrektur‘ durch Kommentar, Variation oder Transformation erfährt. In Opposition zu einem affirmativen Traditionsverhalten steht die emphatische Traditionsnegation, die oft mit einem Innovationspostulat oder einem affirmativen Verhalten zu einer konkurrierenden Tradition verbunden ist. Eine Häufung solcher Traditionsnegationen kann dabei als Signum für einen ‚Epochen‘-Wechsel gewertet werden – im Sinne von griech. ἐποχή: ‚Haltepunkt‘, ‚Einschnitt‘. Dieses negierende Traditionsverhalten erschöpft sich jedoch nicht im Schaffen ‚neuer‘ Muster, sondern es ist ein „programmatischer Akt“ nötig, der sich „als gewissermaßen öffentlich inszenierter Akt der Traditionsablösung, sogar des Traditionsbruchs“¹⁴⁶ zeigt. Dass der Epochenwandel weniger eine Entwicklung, sondern mehr eine Festlegung post festum ist, hat auch Hans Blumenberg betont: „Als ‚Epoche‘ gilt erst für uns, was die rhetorische Hyperbel vom Epochemachenden aufgebracht hat“.¹⁴⁷ Es ist offensichtlich, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, „nach denen sich Tradition und Innovation verschränken“¹⁴⁸ und auch das extremste Innovationspostulat durch das Abarbeiten an einer bestehenden Tradition generiert wird.¹⁴⁹ Diesen Umstand fasst Bernhard Waldenfels als das „Paradox der Innovation“, da diese „etwas voraussetzt, das sie erneuert. Sie bricht mit der Vergangenheit, indem sie sie fortsetzt, und sie setzt sie fort, indem sie den Gang der Dinge unterbricht.“¹⁵⁰ Daraus folgert er, dass keine creatio ex nihilo möglich sei.¹⁵¹ Auch ein „zunächst normdurchbrechendes, traditionsnegierendes Werk [kann] seinerseits traditionsbildend, Teil einer neuen, autoritativen Tradition“¹⁵² werden. Das literarische Traditionsverhalten setzt sich also aktiv mit dem kulturellen Erbe auseinander und prägt so das kulturelle Gedächtnis.¹⁵³ Sobald die Aufnahme oder Nicht-Aufnahme traditionaler Muster nun rhetorisch hervorgehoben wird, handelt es sich um ein Verhalten zu der Tradition (als Legitimitätsinstanz). Prädestiniert für die Analyse des Traditionsverhaltens sind Texte oder Textteile, die  Barner: Über das Negieren von Tradition, S. 14. Er führt im Folgenden einige Beispiele zum Zusammenhang von emphatischer Traditionsnegation und einem Epochenwandel an.  Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt a. M. 21996, S. 531.  Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Traditionswandel und Traditionsverhalten. Tübingen 1991, S. V.  Zur wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Begriffe ‚Tradition‘ und ‚Innovation‘ und zur Verwendung des „zum Topos avancierten Begriffspaars“ vgl. Kuhnle: Tradition – Innovation. In: ÄsthG 6, S. 77.  Bernhard Waldenfels: Der Stachel des Fremden. Frankfurt a. M. 1990, S. 96.  Vgl. Kapitel 4.3. Waldenfels sagt dazu: „In diesem Sinne ist sie eben keine ‚absolute Schöpfung‘, sondern – wie Castoriadis selbst oft behauptet – eine Umgestaltung, ein Umschaffen. Die neue Gestalt ist letzten Endes nichts anderes als eine neue Weise des Wahrnehmens, Redens, Handelns oder Herstellens“; Bernhard Waldenfels: Der Primat der Einbildungskraft. Zur Rolle des Gesellschaftlichen Imaginären bei Cornelius Castoriadis. In: Revue européenne des sciences sociales 86 (1989), S. 141– 160, hier S. 156.  Barner: Über das Negieren von Tradition, S. 14.  Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

177

programmatische Aussagen beinhalten wie in Paratexten (Vorreden, Kommentaren) oder Exkursen.¹⁵⁴ Wie die Behauptung absoluter Neuerung ist auch die emphatische Traditionsstiftung vom literarischen Traditionsverhalten, von rhetorischen Strategien und ihrer retrospektiven Bewertung abhängig. Der Anspruch, auf die Zukunft zu wirken, ist der Zeichenqualität des ‚Monuments‘ inhärent. Denn auch wenn Paul Ricœur mit dem Verweis auf ihre grundsätzliche Institutionalität die beiden Begriffe ‚Dokument‘ und ‚Monument‘ gleichsetzt,¹⁵⁵ gibt es doch einen (zumindest graduellen) rezeptionsästhetischen Unterschied. Während ein detektivischer Beobachter Dokumente „als Hinweise und Zeichen auf eine verborgene gelebte Realität werten“ muss, sind Monumente „konstitutiv auf den Betrachter bezogen“.¹⁵⁶ Monumente fordern also durch ihre Struktur ein affirmatives Traditionsverhalten ein. Ob dieses Ziel in der Geschichte erreicht worden ist, muss hingegen retrospektiv vom (wissenschaftlichen) Interpreten bewertet werden. Das Traditionsverhalten ist also zu unterscheiden in ein Verhalten zur Tradition (als Struktur in geschichtlichen Prozessen) und ein Verhalten zu (inhaltlich-material bestimmten) Traditionen. Diese beiden Ebenen fallen freilich oft zusammen: Ein Autor, der sich selbst als (eher) traditionsbewusst wahrnimmt, wird auch das Konzept einer autoritativen Tradition goutieren und vorgängige Muster (z. B. des Klassischen) in seine Arbeit integrieren, während ein Autor, der sich selbst als Avantgarde versteht, (zumindest bewusst) auch von traditionalen Mustern Abstand nehmen wird. Zwischen diesen beiden Polen befindet sich natürlich ein großes Spektrum und es ist gerade ein Zeichen avancierter Literatur, dass sie sich nicht restlos in eine der Schubladen einordnen lässt.¹⁵⁷ Die Verteilung dieses Spektrums ist Folge von komplexen Prozessen und Praktiken auf Grundlage von literarischen, gesellschaftlichen und marktwirtschaftlichen Faktoren. Je nach Zeit und Ort gibt es Traditionskonjunkturen, in denen Tradition oder Traditionen affirmativ (z. B. in der Weimarer Klassik) oder negierend expliziert werden (z. B. im Naturalismus). Diese Bewertung basiert vornehmlich auf dem rhetorisch markierten Verhalten zu der Tradition. Die besondere Konjunktur von Traditionsnegation und Affirmation abweichender Traditionen während Epochenschwellen zeigt sich auch um 1500. Neben den offensichtlichen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen als wichtiges Zei-

 Vgl. Niefanger: Ungefestigte Nationalliteratur, S. 153.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 188 f.  Aleida Assmann: Kultur als Lebenswelt und Monument. In: Aleida Assmann und Dietrich Harth (Hg.): Kultur als Lebenswelt und Monument. Frankfurt a. M. 1991, S. 11– 25, hier S. 13. Assmann präzisiert: „Kultur als Monument meint diese Seite der Kultur, die sich inszeniert, die sich für die Mit- und Nachwelt zur Schau stellt, die gesehen, bewahrt, erinnert sein will“; Assmann: Lebenswelt und Monument, S. 13.  Vgl. René Wellek und Austin Warren: Theorie der Literatur [1949]. Frankfurt a. M. 21972, S. 212: „Der gute Dichter paßt sich zum Teil der vorgefundenen Gattung an, zum Teil dehnt er sie aus.“

178

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

chen für einen Epochenwandel vom Mittelalter in die Neuzeit¹⁵⁸ erstreckt sich dieses Bewusstsein und Verhalten zur Tradition auch auf die Literatur. Indem sich die Dichter – zumindest programmatisch – nicht mehr (affirmierend oder parodierend) in eine literarische Reihe stellen, sondern die Vergangenheit als etwas ‚Altes‘ rezipieren, also eine Abgrenzung von einer ‚neuen‘ und einer ‚alten‘ Epoche allgemein bewusst wird, zu der sie sich negierend verhalten, zeigt sich ein Epochenwandel.¹⁵⁹ Das Mittelalter endet also mit dem Beginn einer (philologisch) reflektierten Mittelalterrezeption.¹⁶⁰ Doch literarische Traditionen sind nicht unmittelbar von sozialgeschichtlichen Prozessen abhängig, wie dies eine radikale Sozialgeschichte der Literatur glauben machen könnte. Stattdessen prägen auch die Gesellschaftsbilder, welche in (literarischen) Texten (re‐) produziert werden, wieder die Gesellschaft selbst.¹⁶¹ Die beiden Instanzen stehen also in einem Verhältnis zirkulärer Implikation.¹⁶² Schließlich beinhaltet Literatur noch eine Dimension, die gänzlich abseits gesellschaftlicher Prozesse steht: eine Verewigung und Vergegenwärtigung des Ästhetischen, welches unmöglich „in eine bloße Abbildungsoder Erläuterungsfunktion hineinzuzwängen“ ist.¹⁶³ Eine Analyse des Traditionsverhaltens hebt also hervor, dass eine Tradition keine Überlieferung statischer Inhalte entlang einer ‚Traditionskette‘ ist, sondern die ständige Überarbeitung und Selektion der Inhalte im Zusammenhang komplexer Rezeptions- und Produktionsprozesse. Dabei ist das Verhalten zur Tradition, also die Grundlage für die Auswahl des Traditionsmaterials, an spezifische Normen und Autoritäten rückgebunden und dient der Interpretation der „Struktur in der Diachronie“.¹⁶⁴ Durch die Analyse der historischen Autoritäten, Normen und Ursachen für das Traditionsverhalten, aber auch die wechselseitige Wirkung der Traditionen auf diese

 Z. B. in der Medizin: vgl. Ortrun Riha: Tradition, Neuanfang und das „humanistische Paradox“. Die Epochenschwelle um 1500 in der Medizin. In: Thomas Kühtreiber und Gabriele Schichta (Hg.): Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren. Die Konstruktion von Epochen in Mittelalter und früher Neuzeit in interdisziplinärer Sichtung. Heidelberg 2016, S. 93 – 110.  Vgl. Jan-Dirk Müller: ‚Alt‘ und ‚neu‘ in der Epochenerfahrung um 1500. Ansätze zur kulturgeschichtlichen Periodisierung in frühneuhochdeutschen Texten. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Traditionswandel und Traditionsverhalten. Tübingen 1991, S. 121– 144.  Die Zäsur um 1500/1520 gilt sowohl für die Volkssprache als auch für die Latinitas. Vgl. Johannes Klaus Kipf: Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption? Vergleichende Beobachtungen zu Rezeptionsweisen volkssprachiger und lateinischer mittelalterlicher Literatur (ca. 1450 – 1600). In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012, S. 15 – 49, hier S. 48 f.  Diese Kategorie nannte František Graus die „historische Tradition“ als Pendant zur „literarischen Tradition“; Graus: Lebendige Vergangenheit, S. 33 f.  Vgl. Kapitel 4. Diese gesellschaftsbildende Dimension von Literatur hebt auch die Rezeptionsästhetik hervor. Vgl. Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 199 – 202.  Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 167. Vgl. bereits Boris Ejchenbaum: Das literarische Leben [1929]. In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994, S. 463 – 481, hier S. 472 f.  Barner: Über das Negieren von Tradition, S. 13.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

179

sind Aussagen über (inner- und außerliterarische) Vergangenheitsbilder möglich.¹⁶⁵ Tradition suggeriert also absolute Konstanz und Identität, transportiert diese aber nur bedingt. Aus einer semantischen Differenzierung des Begriffs nach Ricœur, den mustertheoretischen Überlegungen von Winter und einer Analyse des jeweiligen Traditionsverhaltens nach Barner tritt die Variationsfähigkeit, die dem Konzept zugrunde liegt, hervor. Weiter ist das Traditionsverhalten von gesellschaftlichen Faktoren und Interessen abhängig. Traditionen sind also durchaus dynamisch; und das nicht nur in der Opposition zu statisch, sondern – angesichts der Überlegungen zum zirkulären Implikationsverhältnis nach Castoriadis – auch in der griechischen Grundbedeutung (δύναμις): Sie haben und generieren Macht.¹⁶⁶

6.2.2 Archiv und Spur Für eine Diskussion des Phänomens ‚Tradition‘ sind weiter zwei andere Kategorien relevant, und zwar Traditionen als archiviertes Material (lat. depositum) und als Spur (lat. vestigium). Das Archiv bezeichnet als „Speichergedächtnis“ eine Form des gesellschaftlichen (kulturellen) Gedächtnisses, welches vor allem medial schriftlich gefasst ist, indem es Datenträger sicher deponiert und konserviert.¹⁶⁷ Unter depositum versteht das römische Recht eine Form der treuhänderischen Übergabe zur möglichst sicheren Verwahrung mit dem Ziel, es „in der ganzen Integrität seines Bestandes zu erhalten“¹⁶⁸ und wieder an den ursprünglichen Besitzer zurückzugeben. In einer übertragenen Bedeutung „tabuisiert das Depositum im Bedeutungsfeld der Tradition einen Bestand an Texten oder Wahrheiten, in den nicht verändernd eingegriffen werden darf“.¹⁶⁹ Das ist vor allem für heilige Texte und Glaubenswahrheiten virulent. Dieses Verständnis vom Archiv beschränkt sich jedoch auf die statische Dimension: das Speichern und Abrufen von Daten – storage and retrieval.¹⁷⁰ Tradierung als dynamisches Konzept ist so unmöglich. Eine andere Dimension hingegen macht eine Tradition erst möglich, sofern sie über eine zeitliche Zäsur reichen soll: das Zurückhalten von Daten und ihre

 Am Beispiel von frühneuzeitlichen historiae vgl. Frank Bezner und Kirsten Mahlke (Hg.): Zwischen Wissen und Politik. Archäologie und Genealogie frühneuzeitlicher Vergangenheitskonstruktionen. Heidelberg 2011.  Vgl. Kapitel 5.3 zu Überlegungen zur Konstruktion des ‚Gauners‘ in Texten um 1500.  Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 52010, zit. S. 134; vgl. auch Aleida Assmann: Das Archiv und die neuen Medien des kulturellen Gedächtnisses. In: Georg Stanitzek und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Schnittstelle. Medien und Kulturwissenschaften. Köln 2001, S. 268 – 281, hier S. 279 und Assmann: Kulturelles Gedächtnis, S. 92 f.  Assmann: Zeit und Tradition, S. 95.  Assmann: Zeit und Tradition, S. 95.  Siegfried J. Schmidt: Gedächtnisforschung: Positionen, Probleme, Perspektiven. In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der interdisziplinären Gedächtnisforschung. Frankfurt a. M. 42016, S. 9 – 55, hier S. 23 f.

180

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

aktualisierende Reaktivierung – retention and recall:¹⁷¹ „Das stabile Fortbestehen weicht einer dynamischen Reorganisation von Daten.“¹⁷² Auf den zweiten Aspekt konzentriert sich Michel Foucault. Er geht über die konventionellen Zuschreibungen hinaus, nämlich die Bezeichnung als „die Summe aller Texte, die eine Kultur als Dokumente ihrer eigenen Vergangenheit oder als Zeugnis ihrer beibehaltenen Identität bewahrt hat“ sowie „die Einrichtungen, die in einer gegebenen Gesellschaft gestatten, die Diskurse zu registrieren und zu konservieren“.¹⁷³ Stattdessen sieht er das Archiv als das, „was bewirkt, daß so viele von so vielen Menschen seit Jahrtausenden gesagte Dinge […] dank einem ganzen Spiel von Beziehungen erschienen sind, die die diskursive Ebene charakterisieren“.¹⁷⁴ Das Archiv umfasst also Aussagen und aus Machtdispositionen resultierende Aussage(‐un‐) möglichkeiten, die mithilfe einer ‚Archäologie‘ als Beschreibung von Diskursen „als spezifizierte Praktiken im Element des Archivs“¹⁷⁵ eruiert werden können. Eine psychoanalytische und machttheoretische Akzentuierung des Foucault’schen Archivs unternimmt Jacques Derrida, indem er davon ausgeht, dass nicht jede Spur ein Archiv, ein Archiv aber nur durch Spuren möglich sei. Denn die Spur sei das, was zurückbleibe.¹⁷⁶ Foucaults ‚Archäologie‘ dreht die Blickrichtung um. Nicht mehr die konventionelle Untersuchung von Tradition als eine Übergabehandlung von der Vergangenheit in die Gegenwart steht im Zentrum, sondern ein sukzessives Zurückgehen in die Vergangenheit. Dieselbe Bewegung nimmt eine ‚Spurensuche‘ vor. Der Begriff Spur ist aktuell in verschiedenen wissenschaftlichen Feldern präsent – v. a. in der Philosophie, Geschichts- und Literaturwissenschaft.¹⁷⁷ Allgemein handelt

 Schmidt: Gedächtnisforschung, S. 23 f.  Assmann: Archiv, S. 277.  Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1981, S. 187.  Foucault: Archäologie, S. 187 [Herv. P. R.].  Foucault: Archäologie, S. 190.  Vgl. Jacques Derrida: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression [1995]. Berlin 1997. Programmatisch dazu Jacques Derrida: Trace et Archive, Image et Art. In: Ginette Michaud (Hg.): Penser à ne pas Voir. Écrits sur les Arts du Visible, 1979 – 2004. Paris 2013, S. 79 – 127, hier S. 105: „toute trace n’est pas une archive, mais il n’y a pas d’archive sans trace. Donc la trace, ça part toujours de moi et ça se sépare. Quand je dis ‚reste‘, la trace part de son origine […] et reste comme trace“. Bei Jacques Derrida avanciert die Spur (trace) zum programmatischen Begriff eines metaphysikkritischen Phonozentrismus. Wie die Spur auf immer andere Signifikanten verweist, aber kein Objekt repräsentiert, verweist auch jeder Signifikant in einem ‚freien Spiel‘ immer auf einen weiteren Signifikanten: „Es gibt keine Wörter, sondern nur Spuren: jede Spur ist Spur einer Spur“; Geoffrey Bennington: Jacques Derrida. Ein Portrait. Frankfurt a. M. 2001, S. 83. Zur Forschung über Derridas Spurbegriff vgl. Nora Hannah Kessler: Dem Spurenlesen auf der Spur. Theorie, Interpretation, Motiv. Würzburg 2012, S. 22 (Anm. 29).  Vgl. v. a. die Beiträge in Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt a. M. 22016, Gisela Fehrmann, Erika Linz und Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Spuren, Lektüren. Praktiken des Symbolischen. München 2005 und Carlo Ginzburg (Hg.): Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin 2002. Vgl. außerdem Hans-Jürgen Gawoll: Spur. Gedächtnis und Andersheit. Teil I: Geschichte des Aufbewahrens;

6.2 Traditum, depositum, vestigium

181

es sich dabei – von ahd. spor, das etymologisch verwandt ist mit spüren und Gespür ¹⁷⁸ – aber um einen alltagssprachlich geläufigen und allgemein verständlichen Begriff: Spuren sind Abdrücke, Eindrücke, Reste oder Hinterlassenschaften von Lebewesen, Gegenständen oder Ereignissen, die im Hier und Jetzt Rückschlüsse auf eine selbst nicht unmittelbar wahrnehmbare Realität erlauben.¹⁷⁹

Mehrere Spuren ergeben eine Fährte und ermöglichen damit den Nachvollzug einer Bewegung, die sowohl räumlich als auch zeitlich verläuft. Denn der Spurenleser folgt einem Weg, auf dem etwas Anderes dagewesen ist. Der Begriff als epistemologische Kategorie verweist auf drei Dimensionen: seine Materialität, Kontextualität und Semiotizität.¹⁸⁰ Nur durch eine Einwirkung auf die material dingliche Umgebung ist eine Spur möglich, denn „Spuren treten gegenständlich vor Augen; ohne physische Signatur auch keine Spur.“¹⁸¹ Das Verhältnis „zwischen Urheberschaft und Spur“ ist also das „einer Ursache-Wirkungs-Relation“.¹⁸² Das gilt für nichtsprachliche ‚Reste‘ wie zerschlagene Keramiken auf einer antiken Müllhalde ebenso wie für sprachliche, z. B. einen mittelalterlichen Codex im Archiv.¹⁸³ Dabei wird die Spur zwar nicht-intentional hinterlassen und existiert so unabhängig von der Deutung eines Interpreten,¹⁸⁴ kann

Teil II: Das Sein und die Differenzen – Heidegger, Levinas und Derrida. In: Archiv für Begriffsgeschichte 30/32 (1986 f./1989), S. 44– 69/S. 269 – 296, Thomas Bedorf: Spur. In: Ralf Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Darmstadt 2007, S. 401– 420. Für die mediävistische Literaturwissenschaft vgl. Martin Baisch: Seitensprünge und Eisenstäbe. Blutspuren in Szenarien von Betrug und Verstellung. In: Matthias Meyer und Alexander Sager (Hg.): Verstellung und Betrug im Mittelalter und in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2015, S. 9 – 33.  Dazu Sybille Krämer: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme. In: Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt a. M. 22016, S. 11– 33, hier S. 13.  Kessler: Spurenlesen, S. 30.  Zusammenfassend Marcus Müller: Geschichte als Spur im Text. In: Jochen A. Bär und Marcus Müller (Hg.): Geschichte der Sprache – Sprache der Geschichte. Probleme und Perspektiven der historischen Sprachwissenschaft des Deutschen. Berlin 2012, S. 159 – 180, hier S. 168 – 172.  Krämer: Spur, S. 15. Zur Materialität des Tradierens mit Schwerpunkt auf nontypographische Gesellschaften vgl. auch Christoffer Theis, Lisa Wilhelmi und Lothar Ledderose: Tradieren. In: Thomas Meier, Michael Ott und Rebecca Sauer (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin, Boston, München 2015, S. 709 – 721.  Vgl. Krämer: Spur, S. 15.  Vgl. Kessler: Spurenlesen, S. 96 – 108. Dagegen beschränkt Assmann Spuren auf nichtsprachliche Überreste. Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 209.  Vgl. Helmut Pape: Fußabdrücke und Eigennamen. Peirces Theorie des relationalen Kerns der Bedeutung indexikalischer Zeichen. In: Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt a. M. 22016, S. 37– 54, hier S. 38 – 41 und Krämer: Spur, S. 16: „Spuren werden nicht gemacht, sondern unabsichtlich hinterlassen […]. Und umgekehrt: wo etwas als Spur bewusst gelegt und inszeniert wird, da handelt es sich gerade nicht mehr um eine Spur.“

182

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

jedoch nur aufgrund des Kontextes als Spur erkannt werden. Es ist also notwendig, dass eine Spur ihre geordnete Umgebung stört und durch Abweichung auffällt.¹⁸⁵ Auf einer Spurensuche aber versucht der Interpret, Ordnung und Orientierung in eine als ungeordnet und womöglich bedrohlich empfundenen Umgebung zu bringen.¹⁸⁶ Eine Spur ist dabei genuin abhängig von einem interpretierenden Spurenleser, sowohl von dessen Absichten als auch von dessen Vorwissen. Dazu sagt Umberto Eco: Wenn die Spuren Spuren von etwas sind, was ich noch niemals vorher gesehen habe (und von dem mir niemals gesagt wurde, welche Art von Spuren es hinterlässt), dann erkenne ich den Index nicht als Index, sondern interpretiere ihn als natürlichen Zufall.¹⁸⁷

Spurensucher und Spur sind also interdependent. Erst durch das Erkennen und die Bewertung eines material existierenden Phänomens als Spur wird dieses auch zur Spur.¹⁸⁸ Ludwig Jäger geht in seinem Modell der Transkriptivität sogar so weit zu sagen, dass die Zeichen, die durch historische Spuren vermittelt sind, bereits im Prozess des Erkennens in die idiosynkratische Sprache des jeweils einzelnen übersetzt/transkribiert werden. Damit geht die Spur zwar als vorgefundener Stimulus der transkribierenden Lektüre voraus, ist als semantisierte Transkription jedoch auch ihr Ergebnis. Nach Jäger konstituiert sich das Transkript aus einem Fundus von Präskripten aus dem kulturellen Gedächtnis, dem es durch Auswahl und Semantisierung erst Lesbarkeit verleiht. Das Transkript ist also gewissermaßen ein (kommentierender) Text zweiter Ebene. Zugleich ist es ein Skript und Teil des kulturellen Gedächtnisses, indem der Text wieder in den allgemeinen Fundus integriert wird. „Transkriptionen stellen also […] keine Abbilder von Skripten dar, weil sie diese in einer bestimmten Hinsicht erst erzeugen.“¹⁸⁹ Demnach ist der „Erzeuger [der Spur] eben nicht dort zu suchen, wo Spuren verursacht werden, sondern dort, wo etwas als Spur wahrgenommen und verfolgt wird.“¹⁹⁰ Die zuletzt genannten Aspekte beziehen sich bereits auf die Semiotizität der Spur: Während der Begriff ‚Zeichen‘ die Vorstellung von der Einzigartigkeit eines ‚Zeichens‘ und von der Statik in der Zuordnung von ‚Signifikant‘ und ‚Signifikat‘ nahelegt, läßt der Begriff ‚Spur‘ von

 Dazu Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen [1963]. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Freiburg i. Breisgau 62012, S. 231: „Die authentische Spur […] stört die Ordnung der Welt“. Vgl. auch Krämer: Spur, S. 16.  Vgl. Krämer: Spur, S. 15. Dies gilt umso mehr im Bewusstsein einer ‚Bedrohten Ordnung‘.Vgl. Frie/ Meier: Bedrohte Ordnungen.  Umberto Eco: Einführung in die Semiotik [1968]. München 92002, S. 199.  Vgl. Albert Spitznagel: Auf der Spur von Spuren. In: Hans-Georg von Arburg, Michael Gamper und Ulrich Stadler (Hg.): Wunderliche Figuren. Über die Lesbarkeit von Chiffrenschriften. München 2001, S. 239 – 259, hier S. 240.  Ludwig Jäger: Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik. In: Ludwig Jäger und Georg Stanitzek (Hg.): Transkribieren. Medien/Lektüre. München 2002, S. 19 – 41, hier S. 32.  Sybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Frankfurt a. M. 2008, S. 280.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

183

vornherein an eine Abfolge mehrerer ‚Signale‘ (vgl. ‚Fährte‘) und an deren komplexen Interpretationsprozeß (‚Spurenlesen‘) denken, der sich nicht in einer einfachen Zuordnung von ‚Signal‘ (‚Signifikant‘) und ‚Bedeutung‘ (‚Signifikat‘) erschöpft.¹⁹¹

Das Objekt, auf das die Spur verweist, entzieht sich gerade dem Zugriff des Betrachters. Spuren sind „nicht selbstevident“¹⁹² und zeigen „nicht das Abwesende, sondern vielmehr dessen Abwesenheit.“¹⁹³ Dieser Umstand verbindet die Spur mit den Vorstellungen des gesellschaftlich Imaginären. Castoriadis beschreibt das Sprechen über diese Vorstellungen treffend mit folgendem Bild: Wir verwenden jene Ausdrücke, wie ein galoppierendes Pferd Bodenrillen verwendet; uns kommt es aber nicht auf das Gelände, sondern den Galopp an. Erdboden und Spuren sind für den Lauf Voraussetzung beziehungsweise Folge; wir aber wollen gerade den Lauf verstehen. Aus den Hufspuren läßt sich gegebenenfalls die Laufrichtung des Pferdes erschließen, vielleicht seine Geschwindigkeit und das Gewicht des Reiters. Doch wir können nicht daraus entnehmen, wer der Reiter war, was ihm im Kopf herum ging und ob er der Geliebten oder dem Tode entgegenritt.¹⁹⁴

Aufgrund ihrer Polysemie kann die Spur nie eindeutig sein: Denn „[e]twas, das nur eine (Be‐)Deutung hat und haben kann, ist keine Spur, vielmehr ein Anzeichen.“¹⁹⁵ Andererseits steht die Spur im Gegensatz zum Zeichen, dessen Bedeutung auf Arbitrarität und Konventionalität beruht, in direkter (materialer) Beziehung zum Objekt, mit dem es kausal verbunden ist. Doch „[w]ährend sich das Objekt des Zeichens Spur auf die Ursache der Spur bezieht, richtet sich der Interpretant des Zeichens Spur auf das, was eine Spur in einem bestimmten Kontext und vor dem Hintergrund einer bestimmten Fragestellung bedeutet, und das ist nicht allein ihr Verursachtwordensein.“¹⁹⁶ Der Interpretant als dritte Instanz im Zeichenmodell von Charles S. Peirce ist also notwendig einzubeziehen, wobei dieser nicht notwendig ein interpretierender personaler Verstand ist.¹⁹⁷ Zwar ist der Interpretant von individuellen Faktoren abhängig, wie dem Kontext und den Zielen der Spurensuche, jedoch widerspricht er einer interpretativen Beliebigkeit. Denn die Bildung von Interpretanten, die durch die Möglichkeiten der Kultur angeregt ist, wird auch restringiert. Manche Denkmuster

 Maximilian Scherner: Textverstehen als Spurenlesen. In: Peter Canisius, Clemens-Peter Herbermann und Gerhard Tschauder (Hg.): Text und Grammatik. Bochum 1994, S. 317– 339, hier S. 322.  Kessler: Spurenlesen, S. 43.  Krämer: Spur, S. 15.  Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, S. 462 f.  Krämer: Spur, S. 17.  Kessler: Spurenlesen, S. 45.  „Ein Zeichen ist irgendein Ding, das auf ein zweites Ding, sein Objekt, in Hinsicht auf eine Qualität in der Weise bezogen ist, daß es ein drittes Ding, seinen Interpretanten, in eine Relation zu demselben Objekt bringt, und zwar in der Weise, daß dieses dritte ein viertes Ding in derselben Form auf das Objekt bezieht, ad infinitum.Wird die Abfolge unterbrochen, bleibt die signifikante Eigenschaft des Zeichens unvollkommen. Es ist nicht notwendig, daß der Interpretant tatsächlich existiert. Ein Sein in futuro wird ausreichen“; Peirce: Semiotische Schriften, Bd. 1, S. 390.

184

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

sind einfach nicht Teil des Wissens einer Kultur, also des Archivs (nach Foucault) oder der Enzyklopädie (nach Eco).¹⁹⁸ Sowohl die Konstitution eines (kulturpoetischen) Archivs als auch einer Enzyklopädie, also der Fundus von Interpretationen und Interpretationsmöglichkeiten, hängt von komplexen Tradierungsprozessen ab. Zwischen die Spekulation über die Autorintention (intentio auctoris) und die Beliebigkeit der Leserintention (intentio lectoris) setzt Umberto Eco deshalb die relative Stabilität der Werkintention (intentio operis), die die Bildung von Interpretanten steuert und damit die Möglichkeit schafft, eine Interpretation als ‚falsch‘ zu bewerten: Zwischen der mysteriösen Entstehungsgeschichte eines Textes und dem unkontrollierbaren Driften künftiger Lesarten hat die bloße Präsenz des Textes etwas tröstlich Verläßliches als ein Anhaltspunkt, auf den wir stets zurückgreifen können.¹⁹⁹

Durch die Objektgebundenheit der Spur wird demnach auch die relative Offenheit des Interpretantenbezugs eingeschränkt. Eine Spur hat hinsichtlich ihres Objekts eine einzelne, hinsichtlich ihres Interpretanten eine (nicht unendliche) Vielzahl an Bedeutungen. Denn „[w]as eine Spur bedeutet, muss in Hinblick auf das Objekt der Spur re-konstruiert, in Bezug auf den Interpretant konstruiert werden.“²⁰⁰ Bei Paul Ricœur wird die Spur als „notwendige Vorbedingung für alle Schöpfungen der historischen Praxis“²⁰¹ hinsichtlich ihrer phänomenologischen Qualität mit der Tradition enggeführt: Zwischen der hinterlassenen und verfolgten Spur und der überlieferten und rezipierten Tradition zeigt sich eine tiefe Affinität. Als hinterlassene bezeichnet die Spur – durch die Materialität der Markierung – die Äußerlichkeit der Vergangenheit, nämlich ihre Einschreibung in die Zeit des Universums. Die Tradition legt den Akzent auf eine andere Art Äußerlichkeit, auf die unseres Affiziertwerdens durch eine Vergangenheit, die wir nicht gemacht haben. Doch es gibt eine Korrelation zwischen der Signifikanz der verfolgten Spur und der Wirksamkeit der überlieferten Tradition. Beides sind vergleichbare Vermittlungen zwischen der Vergangenheit und uns.²⁰²

Wie die hinterlassene Spur in der Gegenwart sichtbar ist, da sie früher durch ihre Markierung die biologisch-pflanzliche Umgebung verändert hat, wird auch das Do-

 Vgl. Umberto Eco: Semiotik – Entwurf einer Theorie der Zeichen [1975]. München 21991, S. 143 – 145. Dazu auch Sabine Kuhangel: Der labyrinthische Text. Literarische Offenheit und die Rolle des Lesers.Wiesbaden 2003, S. 136 f.: „Ein Kernbegriff der semiotischen Theorie Ecos ist der Begriff der Enzyklopädie. Als Enzyklopädie gilt Eco die gesamte menschliche Kultur. Es ist die Art, in der die Kultur die Welt ‚sieht‘. Die Vorstellungen von der Welt werden in einer Gesellschaft zu kulturellen Einheiten, deren Bedeutung codiert oder konventionell anerkannt wird.“  Umberto Eco: Zwischen Autor und Text. Interpretation und Überinterpretation [1992]. München 1994, S. 97. Dazu auch Umberto Eco: Die Grenzen der Interpretation [1990]. München 32004, S. 440 f. Vgl. auch den Überblick in Schalk: Umberto Eco, S. 164– 192.  Kessler: Spurenlesen, S. 46.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 186 [Herv. im Original].  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 369 f. [Herv. im Original].

6.2 Traditum, depositum, vestigium

185

kument durch das Überführen in einen die Tätigkeit des Menschen überdauernden Zustand gesammelt und aufbewahrt. Durch die Überführung in das institutionelle Archiv aber bekommt das Dokument die Potenz der Erweiterung des kollektiven Gedächtnisses:²⁰³ „Im Dokument ist die Spur bereits traditionsbildend.“²⁰⁴ Die Spur ist ebenso notwendige Bedingung für das Einrichten eines Archivs. Wie die erhaltene Spur ist die Tradition ein Zeichen für das Vergangene und Wirkung des Vergangenen im Jetzt. Damit ist sie ein Bindeglied zwischen zwei Zeitperspektiven²⁰⁵ und ermöglicht eine ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘, also ein kalendarisches Zusammenfallen historischer Strukturen, die verschiedenen historischen Entwicklungsphasen (‚Altem‘ und ‚Neuem‘) entstammen.²⁰⁶ Da Traditionen nicht gleichzeitig verlaufen müssen und in verschiedenen Dimensionen jeweils anders valorisiert sind, ist auch in der sprachgeschichtlichen Veränderung bestimmter Codes und Bezeichnungen ein Zusammenfallen typischerweise zeitlich, räumlich, sozial oder textsortenspezifisch differenter Elemente möglich, sodass bei der Bewertung von Bezeichnungen wie Bettler, Abenteurer oder Fahrender Schüler neben der zeitlichen Dimension „mindestens auch sozialschichtige, gruppengebundene und textsortenbezügliche sowie […] sozialräumliche Komponenten“²⁰⁷ beachtet werden müssen. Diese Differenzierung erreicht die Spur/Tradition durch die Ambivalenz von Materialität und Semiotizität: „Das Vorübergehen bringt die Dynamik der Spur, das Markieren ihre Statik besser zum Ausdruck.“²⁰⁸ Die Dynamik wird durch das Zeichen evident, das verursacht wurde und Anlass zum Nachverfolgen gibt: Jemand ist dort vorübergegangen; die Spur lädt dazu ein, ihr zu folgen, sie zurückzuverfolgen, wenn möglich bis zu dem Menschen oder Tier, die dort vorübergegangen sind; man kann die Spur verlieren; sie kann sich selbst verlieren und nirgendwo hinführen; sie kann sich auch verwischen: denn die Spur ist empfindlich und muß unversehrt erhalten bleiben, sonst hat der Übergang zwar stattgefunden, ist aber ein für allemal vorüber.²⁰⁹

Die Statik aber markiert die materielle Wirkung, also das Markieren von „Materie […], die härter und dauerhafter ist als die vorübergehende Tätigkeit des Menschen“,²¹⁰ also

 Vgl. Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 191– 193.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 370.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 193.  Ricœur nennt diese Denkfigur selbst zwar nicht, referiert aber auf Marc Bloch (Hg.): Apologie der Geschichtswissenschaft oder der Beruf des Historikers. Stuttgart 22008. Zu Geschichte und Bedeutung dieser Denkfigur vgl. Falko Schmieder: Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zur Kritik und Aktualität einer Denkfigur. In: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie 4 (2017), S. 325 – 363.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 275; dort auch die Beispiele bettler (S. 276 f.) und abenteurer (S. 331) im Frühneuhochdeutschen.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 192.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 192.  Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 193.

186

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Stein, Knochen, Tontafeln, Pergament und vielleicht auch USB-Sticks.²¹¹ Das Vergangene ist nach Ricœur also einerseits vorübergegangen und damit abgeschlossen, jedoch ebenso höchst wirksam für Praktiken der Gegenwart.²¹² Beim Spurenlesen werden nun Ursache und Wirkung umgekehrt. Die Spur steht nicht mehr als Ergebnis (historischer) Prozesse im Zentrum, sondern sie wird zur Ursache für Interpretationsprozesse. Es kommt zu „einer kleinen, aber bedeutsamen Akzentverschiebung von der Spur als Zeichen zum Zeichen als Spur.“²¹³ Auch einzelne Traditionen verweisen demnach einerseits als Zeichen unmittelbar auf historische Tatsachen, andererseits können sie als Spuren nur Indizien für komplexe Zusammenhänge bieten. Dabei werden die Traditionen von einem Interpreten bewusst aus der Fülle von Quellen ausgewählt und so erst zu Spuren gemacht. Während bei einer Spur/Tradition als Zeichen von ihrer Nicht-Intentionalität auszugehen ist, wird diese als Spur zielgerichtet gesucht. Das Phänomen der Bettelordnungen um 1500 kann demnach aus sich heraus als Zeichen für frühneuzeitliche Ausgrenzung und gesellschaftliche Missstände gedeutet werden, aber auch als ein Indiz für einen diskursiven Wandel hinsichtlich des Umgangs mit Arbeit und Armut – oder aber als Teil einer Spur, die zu einem konturierten literarischen Muster führt, welches in einer beträchtlichen Zahl an Texten der Frühen Neuzeit vorkommt. Das Suchen von Spuren und das Folgen einer ‚Fährte‘ bieten sich generell als Metaphern für die Interpretationsmethode der Literaturwissenschaften an. Denn die Philologien folgen gemäß Carlo Ginzburg (wie die Kriminalistik) einem „Indizienparadigma“ oder „konjekturalen Paradigma“. Dieses gelte vor allem für Disziplinen, die ihren Gegenstand nicht durch Experimente beliebig wiederholen können und demnach auf begründete Vermutungen angewiesen seien.²¹⁴ Diese Vermutungen seien nach einer intensiven Suche von Indizien auf Grundlage eines möglichst umfassenden Wissens über den Gegenstand anzustellen, um möglichst objektiv zu sein. Durch das Herausstellen der Bedeutung des Interpreten, der Sinn konstruiert, ist das Spurenlesen als Modell für (post‐)strukturalistische oder rezeptionsästhetische Methoden

 Für schrifttragende Artefakte in vormodernen Gesellschaften vgl. die Beiträge in Thomas Meier, Michael Ott und Rebecca Sauer (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin, Boston, München 2015.  Vgl. Scharfenberg: Narrative Identität, S. 406 – 412. Auch aus mediävistischer Perspektive betont Christian Kiening: „Die Gegebenheiten, unter denen sich Überlieferung ausbildet, verstetigt und verändert, hinterlassen in besonderer Weise ihre Spuren im Überlieferten, seinen kommunikativen Strukturen wie materiellen Formen“; Christian Kiening: Medialität in mediävistischer Perspektive. In: Poetica 39 (2007), S. 285 – 352, hier S. 344.  Vgl. Kessler: Spurenlesen, S. 47– 54, hier S. 48.  Vgl. dazu Carlo Ginzburg: Indizien. Morelli, Freud und Sherlock Holmes. In: Umberto Eco und Thomas A. Sebeok (Hg.): Der Zirkel oder im Zeichen der Drei. Dupin, Holmes, Peirce. München 1985, S. 125 – 179 und Carlo Ginzburg: Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. In: Carlo Ginzburg (Hg.): Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin 2002, S. 7– 44.

6.2 Traditum, depositum, vestigium

187

anschlussfähig. Es reicht aber darüber hinaus und vereint sie mit einer hermeneutischen Rekonstruktion, indem eine präsupponierte Willkürlichkeit durch die materiale Grundlage des ‚Spurerzeugers‘ entkräftet wird.²¹⁵ Denkt man das Bild der Spurensuche weiter, ergibt sich folgende Überlegung: Eine Fährte kann in zwei Richtungen verfolgt werden, entweder zum Objekt, welches Urheber der Fährte ist (beispielsweise zum Jagdwild), oder zur Herkunft des Objekts (beispielsweise dem Bau oder der Höhle). Im übertragenen Sinne als eine traditionale Überlieferung ist die Richtung nun jedoch irrelevant, da weder eine absolute Herkunft noch ein absoluter Referent eines (sprachlichen) Musters ermittelt werden kann. Das Verfolgen einer phänomenologischen Spur ermöglicht allenfalls das Erkennen weiterer Spuren mit dem Ziel gemäß dem Indizienparadigma einen Sachverhalt möglichst umfassend abzudecken. Auch wenn durch möglichst große Präzision wirkliche Zusammenhänge als Ergebnis angestrebt werden, legen Methode und Terminologie der Spurensuche die notwendige Unmöglichkeit von Gewissheiten und die Unabgeschlossenheit in der Interpretation sozialhistorischer Zusammenhänge offen. Sowohl eine wissenschaftliche Analyse als auch das ‚Erfinden von Tradition‘ sind demnach (weitgehend) konstruktive Prozesse. Diese Setzung erkennt Aleida Assmann als Scheinploblem: Traditionen, so hören wir immer wieder, sind konstruiert, sie werden gemacht. Ja bitteschön, frage ich dann, was denn sonst? Das konnte ich bisher noch nicht in Erfahrung bringen. Es gibt ja auch niemanden, der diesen Sachverhalt in ernstzunehmender Weise bestreitet. Warum reitet man dann eigentlich so emphatisch auf dieser Selbstverständlichkeit herum? Wird hier vielleicht eine unausgesprochene falsche Prämisse hartnäckig am Leben erhalten, um sich selbst mit jeder Wiederholung dieses Satzes noch einmal ein überlegenes Wissen bestätigen zu können?²¹⁶

Assmann ist weitgehend zuzustimmen, denn jedes Traditionsverhalten beruht auf (mehr oder weniger expliziten) Interessen und ist von den Handlungen der beteiligten Akteure abhängig. Es ändert jedoch die Präzision der Beschreibungssprache und damit mitunter die Ergebnisse, wenn man zwischen einer gemachten und einer erfundenen Tradition unterscheidet – ein Unterschied, den Assmanns Kritik nivelliert. Denn während gemachte oder konstruierte Traditionen auf einem historischen Substrat aufbauen und durch bestimmtes Rearrangement neue Ergebnisse zeitigen, gibt es für erfundene Traditionen keine historischen Belege für die als Autoritäten aufgerufenen Traditionsmaterialien, oder Einzelbelege werden so stark isoliert und überinterpretiert, dass ein Bezug zum historischen Kontext mehr als vage ist. Sowohl bei der Analyse gemachter als auch erfundener Traditionen liegt der Fokus auf der Tradition (nach Ricœur), also auf dem normativen Potential, wenn man sich auf die Tradition als eine Autorität beruft.

 Dazu ausführlich Kessler: Spurenlesen, S. 135 – 153.  Zitat aus Aleida Assmann: Tradition und kulturelles Gedächtnis. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.).

188

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Auch (geistes‐)wissenschaftliche Studien machen selbstverständlich Traditionen, indem sie sich einem historischen Gegenstand mit einer spezifischen Fragestellung und Methode annähern, jedoch besteht der Unterschied, dass seriöse Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen Instrumentarium und Auswahlkriterien möglichst transparent halten, nicht zu überreden oder zu täuschen versuchen und es daher nach bestem Wissen vermeiden, Traditionen zu erfinden. Das ist auch der Grund, weshalb sich wissenschaftliche Analysen idealiter auf die Untersuchung von material-inhaltlichen Traditionen oder – sofern die normative Dimension Gegenstand des Interesses ist – auf die Untersuchung von einer Tradition von der Tradition konzentrieren. Es geht also mehr um die Deskription als um die emphatische Betonung eines Wahrheitsanspruchs. Dass letztlich aber der Unterschied relativ bleibt, zeigen gerade auch die historischen Großentwürfe des 19. Jahrhunderts, die für sich Objektivität in Anspruch nehmen, aber mehr Geschichtsspekulation als ‐interpretationen sind.²¹⁷

6.3 Wiederholung und/als Erneuerung – die vormoderne Situation Bereits mit Erfindung der Schrift werden die Prozesse des Absetzens und Zusammenwirkens der beiden Kommunikationsmodi Mündlichkeit und Schriftlichkeit zentral. Jan Assmann fasst als Prinzipien der Schriftlichkeit einerseits den Kanon, der durch Wiederholung Identität und durch Kommentierung Kontinuität generiere, andererseits die Hypolepse, die durch partielle Wiederholung des Vorhergehenden unter der Prämisse der Kritik variierende Erneuerung ermögliche.²¹⁸ Diese beiden Prinzipien seien wichtige Faktoren, die das kulturelle Gedächtnis bis heute prägen. Gerade im Prinzip der Hypolepse, einem Begriff, den Assmann der Gerichtsrhetorik entnimmt und der die kritische Aufnahme von Argumenten der gegnerischen Partei bezeichnet, fallen die beiden Semantiken des Wortes ‚Erneuerung‘ zusammen: Das Wort impliziert zum einen, dass etwas noch einmal/erneut gemacht und so wiederholt wird, zum anderen aber auch die variierende Erweiterung der Handlung in dem Sinne, dass etwas neu/innovativ ist. Diese Überlegungen sind in doppelter Weise für die Mediävistik anschlussfähig: Zum einen bewegt sich mittelalterliches Erzählen (v. a. auch in epischen Kleinformen) zwischen den beiden Kommunikationsmodi (Schriftlichkeit und Mündlichkeit), zum anderen bewegen sich die mittelalterlichen Texte zwischen konventionellem ‚Wie-

 Beispielsweise Wilhelm von Giesebrechts Geschichte der deutschen Kaiserzeit (1855 – 1895) und Leopold von Rankes Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (1839 – 1847) schreiben nicht nur ‚objektive‘ Geschichte, sondern prägen diese auch aufgrund gesellschaftspolitischer Ziele. Vgl. zum Historismus des 19. Jahrhunderts auch Kapitel 13.1.  Assmann: Kulturelles Gedächtnis, S. 280 – 301; konzentriert auch in Aleida Assmann und Jan Assmann: Schrift, Tradition und Kultur. In: Wolfgang Raible (Hg.): Zwischen Festtag und Alltag. Zehn Beiträge zum Thema „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“. Tübingen 1988, S. 25 – 49, hier S. 46 f.

6.3 Wiederholung und/als Erneuerung – die vormoderne Situation

189

dererzählen‘ und Variation – Mouvance und Variance.²¹⁹ Galfred von Vinsauf, der wichtige Rhetoriker und Poetiker des 12. Jahrhunderts, schreibt zum Zusammenhang von Tradition und ‚Erneuerung‘: Post praedicta est notandum quod difficile est materiam communem et usitatam convenienter et bene tractare. Et quanto difficilius, tanto laudabilius est bene tractare materiam talem, scilicet communem et usitatam, quam materiam aliam, scilicet novam et inusitatam (Ars Versificandi 2, 3, 132).²²⁰

Das Wiedererzählen möglich sei, werde bereits in der Antike bezeugt, wofür Galfred Horaz’ Ars poetica zitiert.²²¹ Es sei zwar schwierig, einen bekannten Stoff wiederzubearbeiten, dennoch sei es möglich, wenn man vier Prämissen beachte. Man müsse (1) die Gewichtung der Passagen verschieben, dürfe (2) nicht den Formulierungen und der Erzählreihenfolge der Vorlage folgen, sich (3) nicht im Stoff verlieren und schließlich (4) keine überheblichen Vorankündigungen machen.²²² Was Galfred in seiner Poetik fordert, ist ein affirmatives literarisches Traditionsverhalten mit Variation des Traditionsmaterials. Diese Tendenz zur Wiederholung wird in der mediävistischen Forschung durch den Begriff des Wiedererzählens gefasst, den Franz Joseph Worstbrock einführte. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Schriftsteller nach mittelalterlichem Verständnis kein auctor, also Urheber von Neuem, sondern ein artifex sei, der eine vorgegebene materia bearbeite (tractare/dilatare). Diese Bindung mittelalterlicher Literatur an eine Autorität oder eine Vorlage ist bekannt, nämlich dass das „Auffälligste an der mittelalterlichen Dichtung und ihr Ärgernis ihre Konventionalität, ihre Schema-, Musterund Traditionsbezogenheit“²²³ sei. Die Vormoderne sieht das Konzept einer traditionalen Bindung an eine Autorität weitaus positiver als die Moderne. Auch wenn es ebenfalls im Mittelalter innovative Momente gibt,²²⁴ besteht ein (zumindest graduel-

 Zu den beiden Begriffen, die v. a. in der Lyrikforschung präsent sind, vgl. Thomas Cramer: Mouvance. In: Helmut Tervooren und Horst Wenzel (Hg.): Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte. Berlin, Bielefeld, München 1997, S. 150 – 181.  Geoffroi de Vinsauf: Documentum de Arte Versificandi. In: Edmond Faral (Hg.): Les Arts Poétiques du XIIe et du XIIIe Siècle. Recherches et Documents sur la Technique Littéraire du Moyen Âge. Paris 1924, S. 263 – 320, hier S. 309; Übers. P R.: ‚Nach dem Gesagten ist anzumerken, dass es schwierig ist, einen allgemein bekannten und verbreiteten Stoff treffend und angemessen zu bearbeiten. Und je schwieriger es ist, desto lobenswerter ist es, einen solchen Stoff – einen bekannten und verbreiteten – als einen anderen – einen neuen und ungebräuchlichen – treffend zu bearbeiten.‘  difficile est proprie communia dicere, tuque | rectius Iliacum carmen deducis in actus | quam si proferres ignota indictaque primus (Hor. ars vv. 128 – 130).  Vgl. Geoffroi de Vinsauf: Ars Versificandi, S. 309 f.  Peter Strohschneider: Situationen des Textes. Okkasionelle Bemerkungen zur ‚New Philology‘. In: ZfdPh 116 (1997), S. 62– 86, hier S. 82.  Vgl. Hans-Joachim Schmidt (Hg.): Tradition, Innovation, Invention. Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter. Berlin 2005 und Christian Hesse (Hg.): Aufbruch im Mittelalter – Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne. Ostfildern 2010.

190

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

ler) Unterschied zu moderner Literatur mit ihrer emphatischen Privilegierung oder Postulierung von kreativer Innovation unter einem „Regime des Neuen“.²²⁵ Unter diesem Begriff versteht Andreas Reckwitz die permanente (und theoretisch endlose) Notwendigkeit, Neues hervorzubringen und dadurch das Alte zu übertreffen. Diese habe sich seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts herausgebildet und weite Teile der Gesellschaft durchdrungen; eine wichtige Instanz dabei ist das „Kreativitätsdispositiv“, das „ein ganzes soziales Netzwerk von gesellschaftlich verstreuten Praktiken, Diskursen, Artefaktsystemen und Subjektivierungsweisen“ umfasst.²²⁶ Für das Mittelalter wäre dagegen allenfalls von einem ‚Traditionalitätsdispositiv‘ zu sprechen. Umberto Eco bringt das Verhältnis von Tradition/Innovation in Mittelalter und Moderne auf den Punkt: Die mittelalterliche Kultur bringt durchaus Neues hervor, wenngleich sie sich bemüht, es unter den Überresten der Wiederholung zu verstecken (im Gegensatz zur modernen Kultur, die auch dann vorgibt, Neues zu produzieren, wenn sie nur Altes wiederholt).²²⁷

Diese spezifische Prägung vormoderner Literatur begründet Jan-Dirk Müller mit dem „Spielraum literarischer Texte“, der noch weitaus kleiner gewesen sei, da sich noch kein „relativ selbständiges System ‚Literatur‘ ausdifferenziert“²²⁸ habe. Die Referenz auf literarische Vorlagen sei deshalb umso relevanter. Ludger Lieb meint diesbezüglich, dass materia und artificium metaphysisch verschränkt seien: „Es geht nicht in erster Linie um die Variation im Sinne einer kunstvollen Veränderung einer gegebenen und verfügbaren Materia, sondern darum, die prinzipiell unverfügbare Potenz möglichst gut zu aktualisieren.“²²⁹ Diese „wechselseitige Bedingtheit von Materia und Artificium“²³⁰ ist auch durch den kategorialen Unterschied von traditionalem Muster und der semiotischen Funktionalisierung auf Textebene (als Zeichen, Symbol etc.) evident. Um sich von der Bedeutung eines Originalität imaginierenden ‚Werkes‘ zu distanzieren, wurde in die Forschung der Begriff der „Retextualisierung“²³¹ eingeführt.

 Vgl. Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin 52017, S. 38 – 53.  Reckwitz: Erfindung der Kreativität, S. 49.  Umberto Eco: Kunst und Schönheit im Mittelalter. München u. a. 1991, S. 13.  Müller: Höfische Kompromisse, S. 6.  Ludger Lieb: Die Potenz des Stoffes. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005, S. 356– 379, hier S. 365.  Lieb: Die Potenz des Stoffes, S. 362.  Vgl. Bumke/Peters: Retextualisierung. Das GRK 1767„Faktuales und fiktionales Erzählen“ schlägt neuerdings den Begriff der „Renarrativierung“ vor, der im Gegensatz zur Retextualisierung, die auf die Wiederholung eines (materialen) Textes abhebt, die Wiederholung von Narrativen betont und versucht, Methoden aus verschiedenen Disziplinen zusammenzuführen. Vgl. dazu Thorsten Glückhardt, Sebastian Kleinschmidt und Verena Spohn: Renarrativierung in der Vormoderne. Zur Einleitung. In: Renarrativierung in der Vormoderne. Funktionen, Transformationen, Rezeptionen. Baden-Baden 2019, S. 7– 38.

6.3 Wiederholung und/als Erneuerung – die vormoderne Situation

191

Darunter sind „die verschiedensten Ebenen und Aspekte vormoderner ‚Arbeit am Text‘ als eine Interaktion von Prä- und Re-Text“²³² gefasst, wobei nicht die Aufnahme eines (heute) konkret fassbaren Prätexts notwendig sei.²³³ Anstelle einer Rückwärtsgewandtheit vormoderner Literatur sei demnach eher von einer „produktiven Rezeption“²³⁴ zu sprechen. Für diese Variationsaffinität mittelalterlicher Literatur wurden verschiedene Voraussetzungen angeführt, die sich auf die mediale Vermittlung konzentrieren: zum einen mnemotechnische Gründe in einer oralen Kultur; denn die mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaft ist von einer engen medialen Verflechtung mündlicher und schriftlicher Kommunikationsformen geprägt, einer „Bi-Medialität der mittelalterlichen Kommunikationsverhältnisse“.²³⁵ Dieses Zusammenwirken können auch die medialen Veränderungen zum Ausgang des Mittelalters nicht fundamental erschüttern, wie die „Überlieferungsexplosion“²³⁶ im 15. Jahrhundert oder der Übergang zum Druckzeitalter.²³⁷ Die Geltung technologischer und kommunikativer Standards ist aber nur ein Teil einer Veränderung „im größeren Rahmen epistemischer Pluralisierungen, institutioneller Differenzierungen und semantischer Umbesetzungen“.²³⁸ So bleibt die „frühneuzeitliche Gesellschaft nach wie vor eine (obschon veränderte) Präsenzgesellschaft, in der zwar immer mehr an öffentlicher und politischer Kommunikation im Medium des Drucks erfolgte, diese Kommunikation aber auf Formen der Anwesenheit bezogen blieb.“²³⁹ Über das ganze Mittelalter hinweg ist von einer doppelten, mehr ineinander als nebeneinander verlaufenden medialen Überlieferung auszugehen, wobei Bereiche, die nicht als schrift- oder literaturwürdig angesehen werden, eher zur Mündlichkeit tendieren. So bleibt der Bericht über Alltagsereignisse oder gesellschaftliche Randfiguren meist außerhalb der Schriftlichkeit. Auch witzige oder schwankhafte Erzählungen werden weitaus seltener verschriftlicht als theologische, erbauliche oder didaktische Texte. Sofern sie aber verschriftlicht werden, wird ein  Joachim Bumke: Retextualisierungen in der mittelhochdeutschen Literatur, besonders in der höfischen Epik. Ein Überblick. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005, S. 6 – 46, hier S. 2.  Vgl. Kiening: Unheilige Familien, S. 34 f.  Bumke: Retextualisierungen, S. 46.  Horst Wenzel: Die ‚fließende‘ Rede und der ‚gefrorene‘ Text. Metaphern der Medialität. In: Gerhard Neumann (Hg.): Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Stuttgart, Weimar 1997, S. 481– 503, hier S. 482.  Ingeborg Glier (Hg.): 1250 – 1370. Reimpaargedichte, Drama, Prosa. München 1987, S. 9 f.  Auch eine Verschiebung zum gedruckten Wort verläuft nicht plötzlich und initiiert einen gesellschaftlichen Wandel, wenn auch viele Transformationen dieser Zeit im religiösen (Reformation) oder politischen (Polizeiordnungen, Flugblätter) Diskurs durch die technischen Veränderungen ermöglicht oder beschleunigt wurden.  Kiening: Medialität, S. 351 f.  Kiening: Medialität, S. 302. Auch für die Frühe Neuzeit gilt, dass „Geschriebenes und Gedrucktes […] als Momentaufnahmen eines noch stark von Mündlichkeit geprägten Kommunikationsprozesses“ zu sehen sind. Fritz Nies: Osmosen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Feld der literarischen Genres (16.–18. Jh.). In: Frühneuzeit-Info 9 (1998), S. 209 – 212, hier S. 210.

192

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Paratext mit nützlichem/didaktischem Anspruch ergänzt. Diese Texte „experimentieren intradiegetisch mit vielfältigen Phänomenen der Destruktion und Transgression […], die zwar im Kommentar gedeutet, nicht aber ihres Sinnüberschusses beraubt werden.“²⁴⁰ Hans Blumenberg nennt am Beispiel des Mythos einige grundlegende Aspekte, die sich in ähnlicher Weise auf literarische Formen im Grenzbereich zwischen Oralität und Literalität übertragen lassen, z. B. auf viele Schwänke und Anekdoten. So stellt er fest, „daß der gesamte uns tradierte Bestand an mythischen Stoffen und Mustern durch das Organ der Rezeption gegangen, durch ihren selektiven Mechanismus ‚optimiert‘ worden“²⁴¹ und „in gar keiner anderen Fassung als der, stets schon im Rezeptionsverfahren befindlich zu sein, überliefert und bekannt ist“.²⁴² Ähnlich wie in der Geschichte einer semantischen Einheit wird bei der ‚Arbeit am Mythos‘ permanent der Versuch unternommen, „den Kernbestand unter dem Druck der verändernden Rezeptionslage auf seine Haltbarkeit zu erproben und das gehärtete Grundmuster freizulegen“.²⁴³ Auch wenn sich Mythen als „Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns [ikonische Konstanz] und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit“²⁴⁴ einer profunden Veränderung eigentlich widersetzen, werden sie gerade dadurch jedoch zugleich „traditionsgängig“,²⁴⁵ vor allem in „Zeiten mit hohen Veränderungsgeschwindigkeiten.“²⁴⁶ Neben dieser Affinität für Prozesse der Tradierung ermöglicht die Konstanz seines narrativen Kernbestandes, dass der Mythos auch „als erratische[r] Einschluß noch in Traditionszusammenhängen heterogener Art“²⁴⁷ zu finden sei. Damit kann er bezüglich seiner ästhetischen Faktur und seiner kontextuellen Funktion angepasst werden, ohne ein grundsätzliches Verständnis zu verhindern. Eine Differenzierung zwischen einer bedeutsameren ‚UrForm‘ und späteren Literarisierungen des Mythos ist prinzipiell absurd, da sich die ‚Arbeit am Mythos‘ grundsätzlich in der Rezeption vollzieht, durch Prozesse der Verschriftlichung sichtbar wird und so auch in geschichtlich späteren Adaptationen keinen qualitativen Unterschied aufweist.²⁴⁸ „Der Grundmythos ist nicht das Vorge-

 Christian Kiening: Verletzende Worte – verstümmelte Körper. Zur doppelten Logik spätmittelalterlicher Kurzerzählungen. In: ZfdPh 127 (2008), S. 321– 335, hier S. 323.  Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M. 52017, S. 186.  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 240.  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 166. Gerhart von Graevenitz kritisiert dieses Vorgehen als „Jagd auf das ‚Wesen des Mythos‘“ und „hermeneutische Verschleierung der Wesensfrage“ (Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart: Metzler 1987, S. VIII). Die vorliegende Studie folgt aber dezidiert keinem ‚Mythenrealismus‘, sondern reflektiert und überträgt die medialen Bedingungen ‚mythenanalogen‘ Erzählens auf semiorale Traditionsprozesse.  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 40.  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 40  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 41.  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 165.  Vgl. Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 186. Vgl. dazu Jörg Villwock: Mythos und Rhetorik. Zum inneren Zusammenhang zwischen Mythologie und Metaphorologie in der Philosophie Hans Blu-

6.3 Wiederholung und/als Erneuerung – die vormoderne Situation

193

gebene, sondern das am Ende sichtbar Bleibende, das den Rezeptionen und Erwartungen genügen konnte.“²⁴⁹ Wie beim Mythos kann es auch bei einer mustergeschichtlichen Analyse eigentlich keine absolute qualitative Privilegierung eines Textes geben.²⁵⁰ Durch den Einbezug mündlicher Traditionen, die unter Umständen weit vor einer Verschriftlichung bereits zirkulierten, und unter Berücksichtigung von möglichem Verlust schriftlicher Zeugnisse, ist eine Rekonstruktion von echten Ursprüngen literarischer Traditionen oder direkten Abhängigkeitsverhältnissen in den meisten Fällen nicht möglich. Die Betrachtung der einzelnen schriftlich überlieferten Umsetzungen einer semantischen Einheit können als Repräsentationen einer ‚Arbeit am Muster‘ dienen. Eine primäre Hierarchisierung und Stemmatisierung – z. B. durch Datierung – ist dabei nur mit Abzügen zulässig, da eine mündliche Tradition mitzudenken ist. Gegen Blumenberg merkt Jan Assmann an, dass Mythos als „Inbegriff mündlicher Traditionsform“ zu gelten habe, Blumenberg aber nur „sein Rezeptionsschicksal im ‚Späthorizont‘ der Schriftkultur“ anvisiere.²⁵¹ Diese Kritik macht die Annäherung Blumenbergs an eine materiale Dimension der Schriftlichkeit deutlich, da durch eine Konzentration auf die Oralität die Interpretation eine gewisse Beliebigkeit bekomme. Immer kann eine mündliche Tradition als ‚Original‘ stilisiert und als übermächtiger Einfluss angeführt werden.²⁵² Auch Abweichungen sind aufgrund performativer Variation nicht nachweisbar, Veränderungen im Prozess der literalen Tradierung – beim Abschreiben – aber durchaus.²⁵³ Außerdem ist Variation keine Eigenschaft von oralen Kulturen, sondern im Gegenteil versuchen diese eine (möglichst) identische Wiederholung – die in der Praxis freilich immer isomorph ist – zur Stabilität des Memorierens und der Wissensvermittlung. Bewusste Variation aber sei in literalen Kulturen, in denen die Schrift Konstanz simuliert, weitaus dominanter; die „Tradierung des Texts verselbständigt sich also gegenüber den Tradenten.“²⁵⁴ Statt der methodisch fluiden menbergs. In: Philosophische Rundschau 32 (1985), S. 68 – 91 und Udo Friedrich: Mythos und europäische Tradition. In: Manfred Eikelmann und Udo Friedrich (Hg.): Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen – Literatur – Mythos. Berlin 2013, S. 178 – 204, hier S. 191– 200.  Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 192, vgl. auch S. 133 u. ö.  „Der Mythos ist immer schon in Rezeption übergegangen […]. Wenn er nur in Gestalten seiner Rezeption uns vorliegt, gibt es kein Privileg bestimmter Fassungen als ursprünglicher oder endgültiger“; Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 299.  Assmann/Assmann: Schrift, Tradition und Kultur, S. 46.  Zu den Unwägbarkeiten in der (literaturwissenschaftlichen) Analyse einer oralen Kultur vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Schriftlichkeit in mündlicher Kultur. In: Aleida Assmann, Jan Assmann und Christof Hardmeier (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München 31998, S. 158 – 174, hier S. 159 u. ö.  Vgl. die Auswertung in Klaus Grubmüller: Verändern und Bewahren. Zum Bewusstsein vom Text im deutschen Mittelalter. In: Ursula Peters (Hg.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150 – 1450. Stuttgart 2001, S. 8 – 33, hier S. 31.  Ehlich: Text und sprachliches Handeln, S. 39. Mit Bezug zur Heldenepik: Jan-Dirk Müller: „Improvisierende“, „memorierende“, und „fingierte“ Mündlichkeit. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005, S. 159 – 181, v. a. S. 163 f.

194

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Oralität muss man sich auf den konkreten materialen Überlieferungszusammenhang konzentrieren, in dem die Instanzen des Schreibers und des Kompilators einer Textsammlung eine besondere Bedeutung gewinnen.²⁵⁵ Identität und Varianz der Textgestalt sind aber auch abhängig vom Inhalt des Textes. So ist für „heilige Texte […] Textfestigkeit ein schlechterdings konstitutives Merkmal“, bei denen in Verbindung mit der Heilserwartung die „universale Geltung reklamierende göttliche materia […] vom Buchstaben nicht zu lösen“ sei.²⁵⁶ Bei profanen Texten hingegen²⁵⁷ gilt „ein anderer Ermächtigungsspielraum für die Bearbeitung und Veränderung“.²⁵⁸ Zu diesen wird „neben Lyrik, Chronistik und verschiedenen Bereichen pragmatischer Textualität auch die Kleinepik gezählt.“²⁵⁹ In der semioralen Handschriftenkultur der Vormoderne dominieren also variierende und transformierende Formen der (retextualisierenden) Wiederholung. Für die mittelalterliche Latinität – v. a. geistliche und z. T. juristische Texte – gelten diese Aussagen jedoch nur eingeschränkt.²⁶⁰ Denn diese erreichte im Bereich der literarischen Gattungseinteilung ein differenziertes System mit vergleichsweise hoher Abstraktion.²⁶¹ Die lateinischen Poetiken stellen aber „keine Beschreibung der Realität mittelalterlicher Literatur und ihrer Gattungen“ dar, „sondern eine Beschreibung der Orientierungsversuche mittelalterlicher Geisteswissenschaft.“²⁶² Sie bleiben weitgehend in einem „halbsystematischen Raum“.²⁶³ Grubmüller formuliert zugespitzt: „Die lateinische Literatur des Mittelalters verfügt – im Gegensatz zur volkssprachigen – über eine Gattungssystematik und in diesem Rahmen über ein

 Vgl. dazu: Jürgen Wolf: Buch und Text. Literatur- und kulturhistorische Untersuchungen zur volkssprachigen Schriftlichkeit im 12. und 13. Jahrhundert. Tübingen 2008, S. 290. Für das Textfeld der Versnovellen am Beispiel des Herzmære hat dies übernommen: Margit Dahm-Kruse: Versnovellen im Kontext. Tübingen 2018, v. a. S. 52– 83.  Bruno Quast: Der feste Text. Beobachtungen zur Beweglichkeit des Textes aus Sicht des Produzenten. In: Ursula Peters (Hg.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150 – 1450. Stuttgart 2001, S. 34– 46, hier S. 45. Mit dem Titel stellt sich Bruno Quast programmatisch gegen Joachim Bumke, der für die Heldenepik zwar eine große Variationsaffinität diagnostiziert hat. Doch er hat auch festgestellt, dass für die Großepik ab dem 13. Jahrhundert eine erhebliche (auch verbale) Konstanz gelte. Vgl. Bumke: Der unfeste Text, S. 127 f.  Quast nennt poetische und normative Texte. Vgl. Quast: Der feste Text, S. 45 f.  Dahm-Kruse: Versnovellen im Kontext, S. 55.  Dahm-Kruse: Versnovellen im Kontext, S. 55.  Aharon R. E. Agus: Heilige Texte. München 1999, S. 43 – 46 unterscheidet zwischen „fetischistischen heiligen Texten“, die qua Objekt als Verehrungswürdige gegeben sind, und „kommunikativen heiligen Texten“, deren Bedeutsamkeit erst durch das Ereignis der Nutzung entsteht. Bei der ersten Kategorie ist freilich die Textkonstanz noch strenger.  Vgl. Kindermann: Gattungssysteme zu den Etymologiae Isidors von Sevilla (7. Jh.) und dem Speculum doctrinale Vinzenz’ von Beauvais (13. Jh).  Kindermann: Gattungssysteme, S. 303.  Frank Bezner: Zwischen „Sinnlosigkeit“ und „Sinnhaftigkeit“. Figurationen der Retextualisierung in der mittellateinischen Literatur. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005, S. 205 – 237, hier S. 208.

6.3 Wiederholung und/als Erneuerung – die vormoderne Situation

195

Gattungsbewußtsein – aber über ein praktisch folgenloses.“²⁶⁴ Für die Bildung von Gattungen und anderen literarischen Reihen nennt er zwei kontextuelle Bedingungen: die Anlassgebundenheit und die Orientierung an Mustern.²⁶⁵ Zur Anlassgebundenheit (1): Eine Grundlage von Kontinuität ist die Kanonisierung von Redeanlässen in den (kirchlich-liturgischen) Gattungen, z. B. Predigt, Hymnus oder Sequenz.²⁶⁶ In einem institutionellen Rahmen der Literaturproduktion steht auch der Kanon der (antiken) Schulautoren, deren Nachahmung zentraler Teil des Lehrplans war.²⁶⁷ Grubmüller macht die Negativkontrolle in seinen Überlegungen zum säkularen lateinischen Lied. Er führt an, dass die „gewisse Entfernung von der Praxis der Glaubensausübung“ der Grund sei für die „begrenzte Dauer der Klerikerkultur, wie sie uns in den ‚Carmina Burana‘ entgegentritt“.²⁶⁸ Ein institutioneller Rahmen hätte das literarische Phänomen im Wortlaut kanonisiert und ihm damit Dauer verliehen. Da dieser aber fehlte, folgte das literarische Phänomen ähnlichen Tradierungsprozessen wie die volkssprachige Literatur. Zur Orientierung an Mustern (2): Die (antiken und spätantiken) Schulautoren bieten Muster, die das Gattungswissen fundieren und (rhetorische) Formulierungen zur Verfügung stellen. Diese (Gattungs‐)Muster aber vertritt ein „autorisierter Autor“,²⁶⁹ was für das Mittelalter (auch in der Theologie) konstitutiv ist, da es „die nomina propria den appellativa vorzieht.“²⁷⁰ Im Laufe des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit ereignet sich ein epistemischer Wandel zum Bedarf einer enzyklopädischen Ordnung der Welt in abundanten Listen und Kategorisierungen wie auch den Bettlerkatalogen. Die Bedeutung eines autorisierten Prototyps nimmt zugunsten eines Sets katalogisierender Bedingungen ab.²⁷¹

 Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 198.  Vgl. Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 208 f.  Auch in der Volkssprache bildet sich ein Gattungsrepertoire heraus. Doch dieses orientiert sich viel stärker an kommunikativen als an systematischen Regeln, Medium,Vortragssituation oder Thema. Vgl. Barbara Frank: ‚Innensicht‘ und ‚Außensicht‘. Zur Analyse mittelalterlicher volkssprachlicher Gattungsbezeichnungen. In: Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke (Hg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997, S. 117– 136.  Vgl. Peter Stotz: Dichten als Schulfach. Aspekte mittelalterlicher Schuldichtung. In: MlatJb 16 (1981), S. 1– 16 und Tony Hunt: Teaching and Learning Latin in Thirteenth Century England. I. Texts. Cambridge 1991, S. 68 – 70.  Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 208.  Fidel Rädle: Literatur gegen Literaturtheorie? Überlegungen zu Gattungsgehorsam und Gattungsverweigerung bei lateinischen Autoren des Mittelalters. In: Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke (Hg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997, S. 221– 234, hier S. 224.  Rädle: Literatur gegen Literaturtheorie, S. 224. Vgl. auch Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 208 f.  Vgl. dazu grundlegend Meier: Enzyklopädik. Zu Systematisierungsbestrebungen in frühen Enzyklopädien vgl. auch Friedrich: Grenzen des Ordo. Zu einer Poetologie der Liste jüngst Eva von Contzen: The Limits of Narration: Lists and Literary History. In: Style 50 (2016), S. 241– 260. Zu Phänomenen des Ausgreifens dieses epistemischen Wandels auf die Literatur vgl. Tobias Bulang: Enzyklopädische Dichtungen. Fallstudien zu Wissen und Literatur in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Berlin 2011 und die Beiträge in Mathias Herweg, Johannes Klaus Kipf und Dirk Werle (Hg.): Enzyklo-

196

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

Allgemein hat die lateinische Literatur im Gegensatz zur volkssprachigen Literaturproduktion in stärkerer Weise „Zugang zu den die Tradition verwaltenden Instanzen […] Wissenschaft und Kirche.“²⁷² Durch dieses Entstehensumfeld wurden Muster lateinischer Texte systematisch protegiert und stabilisiert;²⁷³ ebenso steuerte die lateinische Gelehrtenkultur die Prozesse der Überlieferung (zu einem gewissen Grad).²⁷⁴ Grund für diese dominante Position des Lateinischen ist neben der Besetzung der institutionellen Posten auch das Monopol der Schriftlichkeit, das einen beträchtlichen Einfluss auf die Steuerung von Überlieferung und Traditionsbildung hat. Diese Prozesse sind nicht exklusiv für das Lateinische und verstärken sich für die Volkssprachen im Laufe des Mittelalters durch das zunehmende Mäzenatentum nichtgeistlicher Würdenträger und die Relativierung des klerikalen Schriftmonopols. Es ist davon auszugehen, dass in der Praxis heterogene Diskurse und Wissensinhalte verschiedenartiger Herkunft verbunden und aus dem interferierenden Zusammenspiel unterschiedlicher lateinischer wie volkssprachlicher, gelehrter wie laikaler, antiker wie aktuell mittelalterlicher, höfischer wie mythischer Vorstellungen neue Sinnzusammenhänge und Traditionsansätze gewonnen werden.²⁷⁵

Für die Analyse des Wissens über einen Gegenstand oder ein soziales Phänomen sowie der gesellschaftlichen Einstellung dazu ist demnach eine vergleichende Analyse der volkssprachigen und der lateinischen Literatur obligatorisch. Da das Mittelalter keine Unterteilung in einzelne ‚Nationalliteraturen‘ kennt und allenfalls herrschaftspolitische und sprachliche Grenzen verschiedene Literaturen trennen, ist eine europäische Perspektive für die Untersuchung mittelalterlicher Literatur im Allgemeinen sinnvoll, im Fall einer lateinischen (Gelehrten‐)literatur sogar unerlässlich.²⁷⁶

pädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400 – 1700). Wiesbaden 2019, v. a. Einleitung. Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik, S. 9 – 24, vgl. hier S. 12: Nach Herweg/Kipf/ Werle ist das Enzyklopädische durch seine quantitative Bestimmung (1), seine Ausrichtung auf die Ordnung der Menge (2) mit Blick auf eine angestrebte Vollständigkeit (3) und eine Entproblematisierung (4) sowie systematische Erfassung (5) und Förderung einer pädagogisch-didaktischen Vermittlung von Wissen (6) gekennzeichnet.  Grubmüller: Gattungskonstitution, S. 207.  Vgl. Rädle: Literatur gegen Literaturtheorie, S. 226.  Vgl. Manfred Eikelmann: Wissen und Literatur im Kontext der europäischen Traditionsbildung. In: Manfred Eikelmann und Udo Friedrich (Hg.): Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen – Literatur – Mythos. Berlin 2013, S. 11– 27, hier S. 18.  Eikelmann: Wissen und Literatur, S. 18.  Dazu auch Eikelmann: Wissen und Literatur, S. 18: „Geprägt ist es [das kulturelle Erbe des Mittelalters, Anm. P. R.] hingegen durch die Auseinandersetzung mit dem verpflichtenden Erbe europäisch übergreifender und vernetzter Wissenstraditionen. Nicht nur in seinen offiziellen leitenden Diskursen – von allem dem der lateinisch-christlichen Transformation der Antike – verfügt die Epoche daher über spezifische Praktiken, die es erlauben, neue Wissenskulturen und Traditionen zu generieren und formieren.“ Die konstitutive Bedeutung des lateinischen Mittelalters für eine europäische

6.4 Zusammenfassung und weiteres Vorgehen

197

6.4 Zusammenfassung und weiteres Vorgehen Das Schreiben einer Literaturgeschichte ist möglich, sofern man sich vom Anspruch der Darstellung einer umfassenden Entwicklung in allen Facetten mit einer inhärent zielgerichteten, absoluten Ordnung verabschiedet. Es geht nicht um eine Teleologie hin zum gegenwärtigen status quo; Vollständigkeit ist nicht erreichbar. Mit Brüchen und Zäsuren in den historischen Prozessen ist zwar zu rechnen, aber auch eine absolute Neuerung (im Sinne einer creatio ex nihilo) ist aufgrund der Paradoxie absoluter Innovation nicht anzunehmen. Wiederholung und Erneuerung als semantisch verwandten Prozessen kann man sich durch die Analyse des Traditionsprozesses annähern, sofern man Tradition als soziale Praxis auffasst. Sie hängen vom Traditionsverhalten der beteiligten Akteure ab. Weiter hat eine Tradierung spezifische Gründe, die sozialer oder ästhetischer Natur sein können: Diese reichen von einer idealistischen Annäherung an eine (metaphysische) materia bis zur bloßen politischen Funktionalisierung, die Tradition als Legitimationsstrategie nutzt und nicht vor einer Erfindung von normativen Traditionen haltmacht. Dies kann bis zur aktiven Falschinformation mit täuschender Absicht reichen, die den eigenen Zielen dienlich ist – sozusagen traditionale fake news. Das Traditionsmaterial erscheint in traditionalen Mustern, welche die semiotische und rhetorische Dimension syntagmatischer Textbeschreibung (also von Zeichen, Symbolen, Bildern oder Motiven) um eine diachrone Perspektive ergänzt. Deshalb ist eine Motivgeschichte eigentlich eine Mustergeschichte. Die genaue Einschätzung und Abgrenzung von Mustern unternimmt dabei der interpretierende Rezipient. Wenn dieser vom bloßen Leser/Hörer nun zum produktiven Traditionsaktanten wird, wird er – retrospektiv als Akzipient erkannt – zum Tradenten und konstruiert durch seine Auswahl von Mustern eine Tradition. Tradition ist also etwas Gemachtes. Gleichzeitig ist diese Auswahl nicht völlig beliebig, da die Literaturproduktion vom Archiv der Kultur, also den diskursiven Sprechmöglichkeiten und Codes, abhängt. Diese stehen wiederum in einem zirkulären Implikationsverhältnis mit den Texten einer Kultur. Durch die Auswahl eines traditionalen Musters aus dem kulturellen Archiv und seine Adaptation durch den Akzipienten wird dieses bereits – gemäß den Aussagen zur Transkriptivität – verändert. Variation und Transformation sind also feste Teile von Traditionen. Die Bindung der literarischen Produktion an traditionale Muster zeigt sich besonders in der vormodernen Literatur, welche die Retextualisierung von Bestehendem nicht als minderwertig gegenüber dem Innovativen erachtet und sich (v. a. in der Volkssprache) eher an Mustern als an Gattungssystemen orientiert. Schließlich prägt die mediale Gestalt der Überlieferung den Tradierungsprozess: So ist – entgegen der spontanen Einschätzung – schriftliche Überlieferung affiner für (variierende und

Literatur ist bereits das Programm Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter von Ernst Robert Curtius (1948).

198

6 Probleme einer Motivgeschichte: Theoretische Überlegungen II

transformierende) Veränderung, da mündlicher Überlieferung eine fixierte Grundlage zur (verändernden) Interpretation entzogen ist. Für die philologische Beschreibung von Traditionen bietet sich das Bild der Spurensuche an, da es einige Prämissen mit dem Bild der traditionalen Übergabehandlung teilt, wenn auch in umgekehrter Richtung. Eine Spur ist wie ein Muster von einem Interpreten zu erkennen, indem sie durch ihre Salienz in der Wiederholung sichtbar wird. Damit macht der Interpret die Reihe von Phänomenen zur Spur. Die Phänomene aber haben eine Basis in der materialen Realität. Damit vereinen sich in der Spurensuche konstruktive und rekonstruktive Momente. Eine Spurensuche ist mithin nicht völlig beliebig, sondern material determiniert, suggeriert jedoch keine Abgeschlossenheit und Zielgerichtetheit. Sie ermöglicht vielmehr, indem sie auch zu heterogenem (Text‐)Material führt, ein Panorama ihres Gegenstandes, z. B. einer semantischen Einheit. Im Gegensatz zu einer Spur, die nicht notwendig einen Ausgangspunkt hat – sie kann sich verwischen, plötzlich enden oder im Kreis laufen – hat jede Spurensuche einen Ausgangspunkt. Dieser liegt beim interpretierenden Subjekt, welches einen Anhaltspunkt, also das erste Anzeichen einer Spur sucht. Um den Einfluss dieser Interpretenposition möglichst gering zu halten, habe ich aus historischem Material ein Panorama zu einem Teilbereich der Kultur um 1500 entworfen, welcher als heuristischer Ausgangspunkt und perspektivischer Zielpunkt der Spurensuche dienen kann: den Wandel im Bettlerdiskurs. Die folgenden Spurensuchen sind als genuin heuristische Verfahren (griech. εὑρίσκω ‚finden‘) auf das Aufspüren von Hinweisen und Indizien gerichtet, wodurch sie verstreute Bausteine in einen Argumentationszusammenhang bringen. Dabei liefern rekurrente Forschungsmeinungen unter Umständen die ersten Anhaltspunkte. Kursierendes ‚Fakten‐‘ oder ‚Allgemeinwissen‘ und gängige Sachverhalte, die als mögliche ‚Herkunft‘ des Figurenmusters ‚Fahrender Schüler‘ gelten, sind kritisch zu hinterfragen. Dabei ermitteln die einzelnen Spurensuchen mögliche Grundlagen für das literarische Muster um 1500. Als Ausgangspunkt dienen demnach einschlägige kanonische und vielrezipierte Texte der Vormoderne, von deren diskursprägendem Einfluss als Prototyp auszugehen ist (z. B. die Regula Benedicti oder Boethius’ Consolatio Philosophiae); jedoch auch im Mittelalter weniger rezipierte, in der Forschung aber rekurrente Texte wie der Codex Buranus der ‚Goliardendichter‘ sind als Ausgangspunkt der Spurensuche zu erwägen. Auch wenn der Schwerpunkt auf der Situation im deutschsprachigen Raum liegt, ist die Einnahme einer europäischen Perspektive notwendig, zumal durch den Einbezug der lateinischen Literatur, die Wissenskulturen und Tradierungspraktiken generiert und prägt. Dabei ist zu zeigen, inwiefern sich die lateinische und die deutsche volkssprachige Perspektive gegenseitig bedingen, ergänzen oder ausschließen.

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I) 7.1 Der Codex Buranus als Vagantenliederbuch? Die ältere Forschung konzentrierte sich auf eine etymologische Herleitung des Pseudonyms Golias, eine teleologische Phasenuntergliederung und den ‚Sitz im Leben‘ der Texte, deren Verfasserschaft sie biographisch fassbaren ‚Vaganten‘ oder ‚Goliarden‘ zuschrieb. Der Überblick über die neuere Forschungsdiskussion zeigt hingegen, dass die ‚Vaganten‘ als Interpretationsgrundlage für das Textfeld der weltlichen lateinischen Dichtung¹ überbewertet wurden.² Die wichtigste Sammlung mit Gedichten, die dem Feld der ‚Vagantenlieder‘ zugeordnet werden können, sind die Carmina Burana, die ein Redaktor wohl um 1230 im südostbairischen Sprachraum zusammengestellt hat (Cod. lat. mon. 4660).³ Jedoch ist unter Anbetracht von Qualität und Aufbau der Handschrift sicher, „daß die Carmina Burana nicht aufgezeichnet wurden, um als Liederbuch für herumziehende Kleriker (Vaganten) zu dienen.“⁴ Ebenso sind die Vorlagen der Lieder kleinere oder größere Liedersammlungen statt „umlaufenden Einzelliedern“,⁵ sodass die Sammlung allenfalls einen semioralen Charakter hat. Der Codex Buranus ist mithin eher mit den großen volkssprachigen Liedersammlungen (z. B. Codex Manesse) als mit einem aktiv genutzten Vagantenliederhandbuch vergleichbar.⁶ Die durchdachte themenorientierte (im Gegensatz zum Codex Manesse also nicht autorenorientierte) Komposition wird auch durch das unregelmäßige Einschieben von nicht-sangbaren versus deutlich, die aus den in der Vormoderne beliebten Florilegien moralischer und literarischer Au-

 Diese Bezeichnung in Anlehnung an Frederic J. E. Raby „secular Latin poetry“ scheint mir am passendsten. Dabei soll der Terminus nicht implizieren, dass keine theologischen oder religiösen Sachverhalte thematisiert werden, sondern nur eine Opposition zur (weitaus häufigeren) religiösen lateinischen Dichtung aufbauen, die unmittelbar oder zumindest im Weiteren mit der Liturgie verbunden ist (Hymnen, Sequenzen etc.). Frederic J. E. Raby: A History of Secular Latin Poetry in the Middle Ages. Oxford 1957 [1934]. Vgl. auch Szövérffy: Secular Latin Lyrics.  Vgl. Kapitel 2.2 und 2.3.  Zusammenfassend dazu vgl. Carmina Burana, hg. von Benedikt Konrad Vollmann. Frankfurt a. M. 2011 (Übers. im Folgenden: B. K. V.), S. 897– 901. Dies ist auch im Folgenden die Textgrundlage, die freilich abgeglichen ist mit der kritischen Ausgabe Carmina Burana: 2 Bde. Bd. 1: Text (1,1 Die moralisch-satirischen Dichtungen; 1,2 Die Liebeslieder; 1,3 Die Trink- und Spielerlieder, die geistlichen Dramen, Nachträge). Bd. 2: Kommentar (nur CB 1– 55), hg. von Alfons Hilka, Otto Schumann und Bernhard Bischoff. Heidelberg 1930 – 1970. Vgl. zum historischen Kontext auch Peter Godman: Rethinking the Carmina Burana (I). The Medieval Context and Modern Reception of the Codex Buranus. In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 45 (2015), S. 245 – 286, hier S. 245 – 271.  Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 913.  Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 902.  Vgl. Lothar Voetz: Der Codex Manesse. Die berühmteste Liederhandschrift des Mittelalters. Darmstadt 2015, S. 82– 85. https://doi.org/10.1515/9783110708349-008

200

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

toritäten geschöpft sind.⁷ Diese nutzen die Redaktoren als „Trenner inhaltlich zusammengehörender Liedgruppen, vor allem aber als ‚Kommentar‘-Texte zu vorausgehenden Nummern oder auch […] geradezu als Negation der in den benachbarten Liedern vertretenen Anschauungen“.⁸ Bei den moralisch intrikaten Liedern im letzten Teil der Sammlung, den Spielerund Trinkliedern, nehmen diese Korrekturversuche erstaunlicherweise deutlich ab, sodass sie den unmoralischen oder moralisch ambivalenten „Charakter der einzelnen Lieder nicht überdecken, sondern lediglich abmildern“⁹ können. Dieser Umstand wäre dadurch zu erklären, dass im Mittelalter kein strenger Widerspruch zwischen Didaxe und Darstellung unerlaubter Ausschweifung gegolten haben muss. Denn im Bereich des Didaktischen könnte man laut Vollmann, „nach mittelalterlicher Vorstellung, nicht ganz auf die Darstellung des ‚Verkehrten‘ verzichten.“¹⁰ Deshalb sei der Codex neben dem ästhetischen Anspruch auch „ein Buch der Lebensklugheit und der Lebenslehre“¹¹ mit einer strukturalen Nähe zu „moralischen Enzyklopädien, die ihrerseits reichlich mittelalterliche Rhythmen und Verse zitieren“.¹² Dieser Interpretation widerspricht Frank Bezner, indem er das Potential der Gedichte zwischen der Reaktion „auf eine moralische Problemlage“¹³ und reiner Transgression situiert. Als eine Leitfrage spitzt er zu: Warum […] produziert und inszeniert man im gelehrten Milieu der ‚Renaissance des 12. Jahrhunderts‘ eine imaginäre Welt mit literarischen Ich-Subjekten, die fortgesetzt und mit ansteckender Freude eben die Normen brechen, die für eben dieses Milieu wichtig waren […], namentlich: sexuelle Abstinenz, Selbstkontrolle, tugendhaftes Leben und stabilitas loci. ¹⁴

Der Codex Buranus hat also viele Facetten, ein Liederhandbuch singender Goliarden ist er aber gewiss nicht.

 Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 901 f.; vgl dazu Galvez: Songbook, S. 25 – 33.  Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 911.  Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 69. Ich folge der allgemein etablierten Gliederung der Carmina Burana nach Burghart Wachinger: Deutsche und lateinische Liebeslieder. Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana. In: Lieder und Liederbücher: Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik. Berlin, New York 2011 [1984], S. 97– 123; vgl. darauf aufbauend auch Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 905 – 914.  Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 910; ähnlich auch in De disciplina scholarium des PseudoBoethius. Vgl. Kapitel 9.3.2.  Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 910, vgl. ferner Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 54 f.  Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 912.  Bezner: Devianz tradieren. Überlegungen zur materialen Semantik der Vagantendichtung des lateinischen Mittelalters. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.).  Bezner: Devianz tradieren (in Vorb.). Vgl. auch Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 58.

7.2 Die Imagination eines Vaganten-Ordens

201

7.2 Die Imagination eines Vaganten-Ordens In den letzten Teil der Sammlung fällt auch das anonyme Carmen Buranum 219 CUM ‚In orbem universum‘, welches die Forschung bezeichnenderweise als „Ordenslied der Vaganten“¹⁵ oder „Bundeslied des Vagantenordens“¹⁶ betitelte und einer biographischen Lesart folgend zum metapoetischen Interpretationsleitfaden einer ganzen ‚Gattung‘ machte. So wurde dieses Lied zu einem wichtigen Ausgangspunkt für die Genese des „Vagantenmythus“.¹⁷ Einen real existierenden Vaganten-Orden, der bestehende Strukturen bewusst parodierte, erwog besonders Nicolaus Spiegel (1892 u. ö.),¹⁸ wobei ihm schon früh widersprochen wurde.¹⁹ Bereits im ersten Vers des CB 219 wird das Markus-Evangelium (Mk 16,15) in seiner prominenten Form eines Responsoriums aus der Pfingstwoche zitiert.²⁰ Dieses Kirchenlied dient dann als Aufhänger dafür, die permanente Mobilität verschiedener Kleriker zu beschreiben: CVM „in orbem universum“ decantatur „ite!“, sacerdotes ambulant, currunt cenobitę et ab ewangelio iam surgunt levitę, sectam nostram subeunt, quę salus est vitę. (CB 219, Str. 1)²¹

Diesen Aufruf, die liturgische Position zu verlassen, führten Giesebrecht (1853) oder Süßmilch (1917) auf den „ungeheuere[n] Wandertrieb des Kreuzzugzeitalters“²² zurück. Eine reine kulturgeschichtliche Interpretation aber greift zu weit. Es handelt sich nämlich um den Beginn einer Reihe, die mit parodistischer Zielsetzung konventionelle klerikale Texte und Ideale verschiebt und verkehrt. Die erste Strophe bezieht neben den biblischen Zitaten gerade auch das monastische Ideal der stabilitas loci ein, wie es in der Regula Benedicti (r. 1) formuliert ist.²³ Die zweite Strophe rekurriert weiter auf die (Selbst‐)Prüfung im Pauluszitat omnia probate! (1 Thess 5,21), das ähnlich auch in der Regula Benedicti (r. 58,2) zu finden ist. Das Carmen Buranum prüft Bittsteller an der Klosterpforte und kehrt Objekt und Subjekt mit den Mitteln der Satire um: Statt an die Bettler richtet sich das Lied an die Almosengeber als pravi clerici, die das Gebot der

 Bechthum Vagantentum, S. 100, vgl. auch Schüppert: Kirchenkritik, S. 185.  Lehmann: Parodie im Mittelalter, S. 161 u. ö.  Umfassend dazu Weiß: Goliardendichtung, S. 168 (Anm. 1447) und S. 249.  Spiegel: Die Vaganten und ihr ‚Orden‘, S. 54– 73.  Süßmilch: Vagantenpoesie, S. 17 und Lehmann: Parodie im Mittelalter, S. 159 f.  Corpus Antiphonalium Officii. Bd. 4, hg. von René-Jean Hesbert. Rom 1970, Nr. 7028 (S. 257).  Ed. Carmina Burana, hg. von Vollmann, hier S. 680. Alle folgenden Übersetzungen nach der hier genannten Ausgabe: „Wenn man singt: ‚Gehet hin in alle Welt!‘, machen sich die Priester auf, eilen die Mönche, erheben sich die Leviten von der Verlesung des Evangeliums, um sich unserer Glaubensgemeinschaft anzuschließen, die das Heil des Lebens ist.“  Giesebrecht: Vaganten, S. 14; ähnlich Süßmilch: Vagantenpoesie, S. 58.  Vgl. dazu Kapitel 9.1.2.

202

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

Nächstenliebe missachteten. Gegen diese sollen die textinternen Adressaten des Liedes standhalten: contra prauos clericos uos perseuerate, qui non large tribuunt uobis in karitate! (CB 219, Str. 2, 3 f.)²⁴

Der erste Teil des Liedes ruft also durch Aktivierung verschiedener gelehrter Codes und intertextueller Verweise dazu auf, möglichst aggressiv zu betteln. Die folgenden Strophen (3 – 7) konzentrieren sich auf die Mitglieder des Ordens und betonen seine allumfassende Aufnahmebereitschaft. Jeder könne Teil der Gemeinschaft werden, gerade aber diejenigen, die von den frommen Mönchen vor die Tür gesetzt wurden (quos deuoti monachi dimittunt extra fores, Str. 3, 4) und vor allem die gutgekleideten (also vermögenden?) Scholaren: scolarem libentius tectum veste bona (Str. 4, 4).²⁵ Auch gegenüber dem Geschlecht seiner Anhänger ist der Orden indifferent, was folgendes grammatische Sprachspiel zeigt: Ordo procul dubio noster secta uocatur, quam diuersi generis populus sectatur. ergo ‚hic‘ et ‚hec‘ et ‚hoc‘ ei preponatur, quod sit omnis generis, qui tot hospitatur. (Str. 11)²⁶

Mit dem Maskulinum ordo und dem Femininum secta hat bereits die Bezeichnung der Gemeinschaft zwei Genera. Gleichzeitig bekommt die Strophe durch die explizite Herleitung des Wortes secta vom Frequentativ von sequi (sectari) eine räumliche Dynamik. Zu den Verhaltensregeln des ‚Vagantenordens‘ gehört Folgendes: Er verdammt den Geiz und die Geizigen (Str. 5, 3 f.) und ruft zu verschiedenen sündhaften Verhaltensweisen auf, zu Völlerei (gula, Str. 8, 14) und Faulheit (acedia) hinsichtlich der Frühmesse (Str. 9 f.), zumal morgens die Gespenster umgehen: sunt quedam fantasmata, quę uagantur mane (Str. 9, 2). Diese beiden Aspekte sind dezidiert auf das Mönchtum perspektiviert, indem sie zum Verzehr von Fleisch – pinguis assura (Str. 8, 3) und gallinas (Str. 10, 3) –, der gemäß der Regula Benedicti (r. 36, 9) möglichst eingeschränkt sein soll, und zur Missachtung der genau geregelten Stundengebete (Regula Benedicti r. 16) aufrufen.²⁷ Ebenso verhält es sich beim Verbot, ein zweites Ge-

 Übers. B. K.V.: „[H]altet durch in den Anfechtungen von seiten böser Kleriker, die euch nicht, wie es die Nächstenliebe fordert, großzügig unterstützen.“  Übers. B. K. V.: „am liebsten aber [nehmen wir] den gutgekleideten Studenten [auf].“ Üppige Kleidung gilt mitunter auch als Zeichen für die Todsünde der luxuria, was die Passage als AlamodeKritik ante litteram lesen ließe. Vgl. dazu auch Kapitel 9.3.3 (Hugos von Trimberg Renner) und allgemeiner Kapitel 9.2.1.  Übers. B. K. V.: „Unser Orden wird zu Recht eine Glaubensgemeinschaft genannt, weil sich zu ihr eine gemischtgeschlechtliche Gemeinde bekennt. Es kann demzufolge der Artikel ‚der‘, ‚die‘ oder ‚das‘ beigesetzt werden, weil ja, wer so viele beherbergt, jedes Geschlecht annehmen kann.“  Vgl. ebenso Schüppert: Kirchenkritik, S. 120 f.

7.2 Die Imagination eines Vaganten-Ordens

203

wand zu besitzen (Str. 12 f.), wie es ähnlich in anderen Liedern zu finden ist.²⁸ Hier wird satirische Kritik am prächtigen (seidenen) Untergewand der Cluniazenser (dupla vestis) geübt und dieser Umstand im Sinne einer Analogisierung von Innen und Außen als Heuchelei (doppeltes Herz) der Mönche bloßgestellt.²⁹ Auf der Textoberfläche im Carmen Buranum ist der Grund für das Kleidergebot allerdings materieller Mangel, da die Angehörigen des ‚Vagantenordens‘ dem Gott des Würfelspiels Decius verfallen seien (Str. 12, auch in 10 und 14). Die vorletzte Strophe reaktiviert schließlich das Narrativ der Mobilität, welches in der ersten Strophe präsent war, in den Mittelstrophen aber ausgeblendet wurde: Nemo in itinere contrarius sit ventis nec a paupertate ferat uultum dolentis, sed spem sibi proponat semper consulentis, nam post grande malum sors sequitur gaudentis. (Str. 15)³⁰

Diese Strophe ruft eindeutig das Bild eines armen, jungen und vom Schicksal gebeutelten Vaganten auf, der sich allen Widerständen zum Trotz das schalkhafte Lachen nicht von seinen Lippen vertreiben lässt. Sieht man die Strophe jedoch im Gesamtzusammenhang des Gedichtes, reiht sie sich in eine Serie von parodistischen Verkehrungen des ordentlichen Mönchwesens ein: hier durch eine Verkehrung der stabilitas loci. Das Gedicht ist also als spielerische Kritik am Mönchtum zu lesen, indem es die typischen monastischen Tugenden ironisch verkehrt und als Ständelaster reformuliert.³¹ Kommentierende versus, die diese These stützen könnten, finden sich unmittelbar bei den Strophen des CB 219 nicht. Doch die nächststehenden versus CB 214 könnten das Motto für den folgenden Abschnitt bis CB 222 bilden. Es handelt sich um Hexameter aus Marbods von Rennes Carmina. ³² Diese liefern, ohne dass parodistischer Witz erkennbar wäre, eine typische Anweisung des Lehrers an den Schüler:

 „Trunksucht, Tragen von Pelzkleidern oder zu delikate Speisezubereitung warf man den verweltlichten Mönchen auch in Reformkreisen vor“; Schüppert: Kirchenkritik, S. 186 f., vgl. außerdem S. 117 f. und 186. Hier werden die beiden Lieder De Clarevallensibus et Cluniacensibus und De Mauro et Zoilo ausgewertet. Ed. in Thomas Wright: The Latin Poems: Commonly Attributed to Walter Mapes. London 1841, S. 237– 250. Vgl. auch Kassius Hallinger: Gorze – Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter. Rom 1950/51, Bd. 2, S. 710 f.  Vgl. Jörg Sonntag: Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit. Berlin 2008, S. 100 f.  Übers. B. K. V.: „Niemand soll, wenn er unterwegs ist, gegen den Wind marschieren und wegen seiner Armut eine geschmerzte Miene zur Schau tragen, vielmehr soll er immer ein hoffnungsfrohes Gesicht aufsetzen wie einer, der sich zu helfen weiß, denn auf ein großes Übel folgt ein Glückslos.“  Zu Ironie in den ‚Vagantenliedern‘ vgl. Gerd Althoff und Christel Meier: Ironie im Mittelalter. Hermeneutik – Dichtung – Politik. Darmstadt 2011, S. 194– 200.  Marbod von Rennes: Carmina Varia. In: PL 171, Sp. 1647– 1736, hier Sp. 1724 AB. Bezner erwägt, dass bei den letzten Versen des Liedes (CB 219, Str. 16, 2– 4), die ein Rügegedicht Walthers von Châtillon adaptieren, an „einem ebenso einschlägigen wie prekären ‚Moment‘ der Gattung […] letztlich ein

204

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

Si preceptorum superest tibi cura deorum, Parce, puer, nugis, dum rums colo tempore frugis. Prefigam metas, quales tua postulat etas; Quas si transgrederis, male de monitore mereris. (CB 214, vv. 1– 4)³³

Es folgen Anweisungen zu verschiedenen Tugenden. Sie beinhalten frühes Aufstehen (vv. 5 f.) sowie Mäßigkeit im Umgang beim Essen, Trinken und Ausruhen (vv. 7– 10). Nur in einem sehr eingeschränkten Zeitfenster des festen Tagesplans sei es dem Zögling gestattet zu ‚spielen‘: Si tempus superest, post cenam ludere prodest. | Sub tali meta tibi tota dieta. (vv. 15 f.).³⁴ In einer poetologischen Lesart wären in diesem ludere auch das Singen oder Dichten von Liedern wie den folgenden Carmina Burana zu verorten, die als Trink- und Spielerlieder die Tugenden im Zitat Marbods gerade verkehren. Ein deviantes Vagieren steht mithin weder für Marbod noch den Kompilator der Carmina Burana im Zentrum. Lieder, die das konkrete Vagieren oder eine Ordensgemeinschaft von Vaganten zum Thema haben, finden sich in den Carmina Burana bis auf 219 kaum. CB 222 erwähnt eine secta Decii (v. 3), also eine Gemeinschaft von Spielern, und CB 195 ganz ähnlich ein uagorum […] consortium (vgl. Str. 1, 2). Außerdem wird das ‚Vagieren‘ zum Thema in CB 199. Dieses Gedicht zerfällt in vier Strophen bei denen die ersten drei jeweils einem Thema gewidmet sind: dem Weinkonsum (Str. 1), dem Würfelspiel (Str. 2) und dem ziellosen Vagieren: numquam erit habilis qui non est instabilis et corde iocundo non sit uagus mundo et recurrat et transcurrat et discurrat in orbe rotundo. (CB 199, Str. 3)³⁵

Dass auch dieses Lied monastische Verhältnisse parodiert, wird in der letzten Strophe offensichtlich, in der die Situation einer klösterlichen Visitation entworfen wird. Die

versus in ein transgressives Gedicht integriert“ werde und eine „‚verkehrte Welt‘, die keine Anti-Welt ist, sondern ein dialektisches Spiel mit Eigentlichkeit und Institution“ auf diese Art „kalkuliert evozier[e]“; Bezner: Devianz tradieren (in Vorb.).  Übers. B. K. V.: „Wenn du noch Ehrfurcht hast vor den Weisungen der Götter, dann hüte dich vor Flausen, Knabe, während ich aufs Land gehe zur Erntezeit. Ich will dir Grenzpfähle setzen, die deinem Alter entsprechen; solltest du sie überschreiten, machst du dich schlecht verdient um deinen Erzieher.“  Übers. B. K. V.: „Ist aber noch Zeit übrig, dann empfiehlt es sich, nach dem Essen zu spielen. Nach dieser Ordnung soll sich dein ganzer Tageslauf richten.“  Übers. B. K.V.: „Niemals wird ein rechter Kerl, der immer am selben Ort hockenbleibt und nicht mit frohem Sinn in der Welt herumzieht, und hin und her, und kreuz und quer das Erdenrund durchstreift.“

7.2 Die Imagination eines Vaganten-Ordens

205

Klöster im Elsass kontrolliert ein Bruder Symon, dessen Namen hier deutlich das Verbechen der Simonie (Ämterkauf) aufruft. Ähnlich wie die Carmina Burana verfahren auch Lieder außerhalb der Sammlung. Contra monachos vagantes atque mendicantes, das durch seine unmittelbare Textumgebung in einem Codex vom Ende des 13. Jahrhunderts in die Golias-Dichtung eingegliedert ist,³⁶ weist bereits im Titel auf die satirische Zielgruppe hin. Es steht motivisch nahe an CB 199, v. a. was ziellose Bewegung betrifft. Dies thematisiert die erste Strophe mit deutlicher Ähnlichkeit zum Carmen Buranum: Nos per mundi climata ferimur vagantes, semper vagi, stabiles nunquam, set instantes, solis voluptatibus solum gloriantes, carnis desideriis et cordis instantes.³⁷

Neben einer dezidierten Absage an die stabilitas loci betont das Sprecher-Wir also auch die moralische Unbeständigkeit. Es ist körperlich und geistig unstet.³⁸ Auch wenn es nicht die Imagination eines Ordens entwirft, kehrt das Lied somit doch explizit zwei Mönchsprinzipien parodistisch um. Die folgenden fünf Strophen sind schließlich einer typischen Fahrenden-Thematik gewidmet. Lob erfahre, wer dafür bezahlt; diffamiert werde, wer nicht bezahlt: qui dat nobis, eum nos publice laudamus, qui non coram omnibus illum diffamamus. (Str. 2, 3 f.)³⁹

Gerechtfertigt wird dies mit folgendem Sprichwort, das als Autorität gelten soll, hier aber selbstironisch verwendet ist:⁴⁰ ‚Ein Schandmaul sollst du mit Geschenken stopfen.‘ Wenn man diese Regel beachte, bestehe kein Risiko: Recole, quod dicitur per verbum vulgare: ‚Os malum muneribus debes opilare‘;

 Bodleian Library, Ms. Digby 166. fol. 60v. Vgl. William Dunn Macray: Digby Manuscripts. Oxford 1999, Sp. 168: In unmittelbarer Umgebung stehen einige Gedichte, die in anderen Handschriften explizit unter dem Pseudonym Golias oder Walter Mapus stehen, wie die Apocalypsis Goliae oder die Praedicatio Goliae. Vgl. dazu Rigg: Golias, S. 89 und die Tabelle nach S. 96.  Ed. in Strecker: Zwei mittellateinische Liedchen, S. 117. Ed. auch in Szövérffy: Secular Latin Lyrics, Bd. 2, S. 443; Übers. P. R.: ‚Wir lassen uns ziellos durch alle Zonen der Welt treiben, immer unterwegs, nie ortsfest, sondern fortdrängend. Wir rühmen uns einzig unserer Gelüste und folgen unablässig den Begierden des Fleisches und des Herzens.‘  Zum Konzept der vagatio corporis et mentis vgl. Kapitel 9.1.1.  Übers. P. R.: ‚Wer uns gibt, den rühmen wir öffentlich, wer nicht, dessen Ruf zerstören wir vor allen Leuten.‘  Das Sprichwort ist (ähnlich) auch an anderer Stelle belegt. Es ist jedoch keine deutsche Übertragung bekannt. Vgl. TPMA 8, S. 271 f. und Jakob Werner: Lateinische Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters. Aus Handschriften gesammelt. Heidelberg 1966, Nr. i 159 und o 88. Hier beziehen sich beide Belege auf Paris BN Lat. 6765 vom Ende des 12. Jahrhunderts.

206

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

hunc loquax aut garulus nequid diffamare, qui novit petentibus bona data dare. (Str. 6)⁴¹

Dieses Verständnis erinnert an das Konzept des guot umbe êre nemen der deutschen Sangspruchdichtung. Es bezeichnet die rechtmäßige Entlohnung des lobenden Sängers und zielt in Verbindung mit einem Appell an die Freigiebigkeit (mhd. milte, lat. largitas) auf eine Gabenheische ab.⁴² Doch weder die Beispiele aus der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung noch lateinische Bettelstrophen (z. B. CB 223, 224 oder archipoeta VI u. a.) kommen dem vorliegenden Gedicht an drastischer Deutlichkeit gleich. Die Formulierungen, die sich einer ‚Schutzgelderpressung‘ annähern, können unmöglich dem pragmatischen Zweck einer ausreichenden Bezahlung dienen. Vielmehr nimmt der Verfasser eine Rolle ein und bedient sich damit literarischer Muster, die er in parodierendem Spiel überzeichnet. Eine ganz andere Perspektive hat Hospita in Gallia (das sog. ‚Schwabenlied‘). Es ist unikal in einer Zürcher Handschrift überliefert, die wohl ein wenig älter ist als der Codex Buranus (um 1200).⁴³ Vordergründig behandelt das Gedicht die Klage über den Aufbruch eines Schülers aus seiner schwäbischen Heimat in Richtung einer französischen Schule: Hospita in Gallia Vadam ergo; Plangite, discipuli! […] Vale! dulcis patria! Salve! dilecta Francia! Suscipe discipulum Quem post dierum circulum

nunc me vocant studia: flens a tergo socios relinquo. lugubris discidii tempore propinquo. (342, Str. 1 a u. b) suavis Suevorum Suevia! philosophorum curia! in te peregrinum! remittes Socratinum. (343, Str. 1 a u. b)⁴⁴

 Übers. P. R.: ‚Behalte stets im Gedächtnis, was im Volksmund gesagt wird: ‚Ein Schandmaul sollst du mit Geschenken stopfen‘; ein redseliger Schätzer wird den nicht verleumden, von dem er weiß, dass er denen gibt, die um gute Gaben bitten.‘  Vgl. dazu Berenike Krause: Die milte-Thematik in der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung. Darstellungsweisen und Argumentationsstrategien. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2005, S. 87– 92 und Franz Heinrich Bäuml: „Guot umb ere nemen“ and Minstrel Ethics. In: Journal of English and Germanic Philology 59 (1960), S. 173 – 183. Bäuml differenziert weiter zwischen der Ausdrucksweise guot umbe êre nemen, was einen rechtmäßigen Austausch impliziert und in der Dichtung vorkommt, und der Ausdrucksweise guot vür êre nemen, wie er vor allem in juristischen Texten zu finden ist und die pejorative Bedeutung annimmt, dass Sachgüter dem persönlichen Ansehen vorgezogen werden.  Zürich, ZB, Ms. C 58, fol. 148v. Werner ediert die beiden Gedichte unter den Nummern 342 unf 343, betont aber, dass sie in „engem Zusammenhang“ stehen. Siehe Werner: Beiträge, S. 135. Zu Datierung und Aufbau vgl. Henrike Lähnemann: Versus de despectu sapientis. Ein Einblick in die lateinischdeutsche Literaturszene um 1200. In: Christiane Ackermann und Ulrich Barton (Hg.): „Texte zum Sprechen bringen“. Philologie und Interpretation. Tübingen 2009, S. 19 – 33.  Ed. in Werner: Beiträge, S. 134; Übers. P. R. (z. T. nach Moser: Vaganten und Vagabunden, S. 16): ‚Als Fremder will ich nach Gallien gehen wohin mich jetzt das Studium ruft. Ich lasse meine Gefährten zurück und weine hinter vorgehaltener Hand. Klagt, ihr Schüler zu der Zeit, wenn der traurige Abschied

7.2 Die Imagination eines Vaganten-Ordens

207

Doch diese rein räumliche Reise steht nach Dietz-Rüdiger Moser, einem entschiedenen Gegner des ‚Vagantenmythus‘,⁴⁵ für einen topologischen Aufbruch des Sprecher-Ichs ins Himmlische Jerusalem und weniger in die Philosophenstadt Paris. Als Beleg führt er v. a. den Abschluss des Gedichts an, der vom Erwerb der mystischen Perle handelt: Ut misticam sufficiam | Mercari margaritam (Str. 8,7 f.). In Perle, Stadt (Ad urbem sapientiam, Str. 8,1) und Fluss (Str. 3,5 – 8) sieht er „die wichtigsten quasi-topographischen Punkte der neuen Welt Gottes, wie sie in der Apokalypse (21,1– 22,5) beschrieben werden.“⁴⁶ Eine heilsgeschichtliche Dimension mag enthalten sein, vor allem aber markiert die Überquerung des Wassers einen Grenzübertritt zwischen zwei getrennten Räumen, der dulcis patria zur urbs sapientiae. Die Reise in diesen zweiten Raum wird zwar mit der mystischen Perle der Wissenschaft belohnt, jedoch beinhaltet sie das Leid der Trennung, das sich vor allem in den programmatischen Begriffen exilium (si non in exilio | miser expirabo, Str. 4,7 f.) und peregrinatio (Str. 5,6 und 8,4) verdichtet.⁴⁷ Es ist zu einseitig, es nur als „Hinwendung zu einer Lebensreise, an deren Ende die Hoffnung auf Einkehr in den ewigen Frieden steht“,⁴⁸ zu sehen. Es werden Muster aus dem theologischen und aus dem gelehrten Diskurs rearrangiert. Generell sind alle Lieder, in denen die Sprecher als Fahrende auftreten, nur mit Vorsicht biographisch zu deuten. Vielmehr handelt es sich um Rollendichtung, die eigene Ziele verfolgt. Diese können unmittelbar pragmatisch sein, indem sie durch witzige Anspielung den Rezipienten zur Freigiebigkeit animieren. Doch sie können auch anders perspektiviert sein. Claudia Lauer ist in ihrer Analyse der (deutschsprachigen) Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts zu dem Ergebnis gekommen, dass die „sozial vorgefertigte Rolle des abhängigen fahrenden Sängers“⁴⁹ als Grundlage dafür dient, „über verschiedene Inklusions- und Exklusionsmechanismen und Äquivalenz- wie Differenzrelationen unterschiedliche perspektivische Positionen zu

naht! […] Lebe wohl, liebliche Heimat, süßes Schwaben Schwabenland! Sei gegrüßt, liebes Frankreich, Land der Philosophen. Nimm den fremden Schüler in dir auf, den du nach einigen Tagesumläufen als Sokrates entlassen wirst!‘  Er unterzieht auch die lateinischen Spieler- und Heischelieder generell einer theologischen Interpretation indem er das exilium des vagans gemäß Hebr 13,14 (non enim habemus hic manentem civitatem sed futuram inquirimus) als transzendente Pilgerschaft auslegt, z. B. in CB 129: EXUL Ego clericus ad laborem natus. nisi quod inopia cogit me cessare. (CB 129, Str. 1 f.). Eine Übersetzung als „fahrender Scholar“ – so in der Übersetzung von Carl Fischer (Zürich/München 1974, S. 433) – lehnt Moser als völlig unzureichend ab und schlägt stattdessen „heimatloser Kleriker“ vor.Vgl. Dietz-Rüdiger Moser: Vaganten oder Vagabunden? Anmerkungen zu den Dichtern der ‚Carmina Burana‘ und ihren literarischen Werken. In: Rolf Bräuer (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext. Göppingen 1998, S. 9 – 25, hier S. 13. Dieser Umdeutung folgte auch Vollmann in der Neuübersetzung (S. 459).  Moser: Vaganten oder Vagabunden, S. 16.  Vgl. Kapitel 9.3.1.  Moser: Vaganten oder Vagabunden, S. 18.  Claudia Lauer: Ästhetik der Identität. Sänger-Rollen in der Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts. Heidelberg 2008, S. 300.

208

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

besetzen“.⁵⁰ Einen festen Rahmen an Rollenerwartungen umreißt auch das Feld der ‚Vaganten-‘ oder ‚Goliardendichtung‘, vor allem wenn sich das Sänger-Ich als Teil eines imaginierten Vagantenordens beschreibt, der Lizenzen für die Anklage von Eliten oder moralischer Zügellosigkeit (Promiskuität, Ausschweifung) eröffnet.⁵¹ Dass die meisten Lieder über Vaganten anonym überliefert sind, ist angesichts mittelalterlicher Autorenanonymität kein Beleg, aber symptomatisch dafür, dass die Dichter eine Maske aufsetzen, wenn es um das Leben der Vaganten geht. Ebenso ist die Maske des Schülers zu bewerten, der in einigen Liedern wie ein allegorischer Prototyp der Liebe,⁵² der Heiterkeit⁵³ oder der Armut⁵⁴ erscheint. Dennoch ist der „Kosmos der Schule […] nur eines von vielen Themen […] und quantitativ zwar markant, aber keinesfalls dominant ausgeprägt.“⁵⁵ Schließlich ist sich die Forschung weitgehend einig, dass es sich bei den ‚Vaganten-‘ oder ‚Goliardendichtern‘ trotz der möglichen Zusammenstellung von Autorencorpora um (Selbst‐)inszenierungen handelt: so beim archipoeta ⁵⁶ oder auch in der französischen Literatur bei Rutebeuf (1250 – 1285)⁵⁷ oder

 Lauer: Ästhetik der Identität, S. 301. Diese Positionen umfassen geistliche Lehre (z. B. Sündenklage, Gotteslob, Paränese), weltliche Lehre (z. B. Armutsklage, Gönnerpreis, Lasterschelte), politische Lehre (z. B. Reichs- oder Kirchenklage, Herrscherlob, politischer Rat) oder Kunstlehre (z. B. Sängerklage, Publikumsschelte, Konkurrentenschelte, Kunstbelehrung).  Zur ‚Goliardendichtung‘ als Rollendichtung vgl. Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 2, 1, S. 86 f. und Weiß: Goliardendichtung, S. 244– 252.  Z. B. in der Pastourelle CB 90; in CB 56, Str. 3, 1 f.: Dum alumpnus Paladis | Cyntharee scolam introissem… [Übers. B. K. V.: „Nachdem ich, Zögling der Pallas [Athene] die Schule Cynthereas [Venus’] betreten hatte…“]; in CB 147, Str. 2: Tamen cano, sed de uano | statu Veneris, | cuius Paris et scholaris | sum cum ceteris, | qui nouerunt uaria | decantare, ueri dare | sua gaudia [Übers. B. K. V.: „Ich singe trotzdem – aber über Venus’ Unbeständigkeit, deren Paris und Schüler ich mit den übrigen bin, die sich darauf verstehen, die verschiedensten Lieder zu machen und die Freuden des Frühlings zu preisen“]; außerdem in CB 162, Str. 4 u. 5.  Z. B. in CB 75, Str. 1 oder in CB 216, Str. 1, 7 f., welches den Scholaren explizit hervorhebt: et scolares maxime, | qui festa colunt optime [Übers. B. K.V.: „vor allem die Studenten, die am besten Feste zu feiern verstehen] und in ähnlichem Sinne in CB 219, Str. 4, 4.  Z. B. im Mantelgedicht CB 129. Vgl. dazu Therese Latzke: Der Topos Mantelgedicht. In: MlatJb 6 (1970), S. 109 – 131.  Weiß: Goliardendichtung, S. 364 mit einer Liste von 30 Gedichten, die explizit auf Schule, Lehrer oder Schüler verweisen.  Vor allem der archipoeta stilisiert sich als scolaris oder litteratus (CB 220, Str. 1 u. 3) und als vagus. Er sei unbeständig wie das Blatt in Wind, der Vogel oder das steuerlose Schiff: factus de materia leuis elementi | folio sum similis, de quo ludunt uenti […] Feror ego ueluti sine nauta nauis, | ut per uias aeris uaga fertur auis (CB 191, Str. 1, 3 f. und Str. 3, 1 f.). Vgl. dazu William T. H. Jackson: The Politics of a Poet. The Archipoeta as Revealed by his Imagery. In: William T. H. Jackson (Hg.): The Challenge of the Medieval Text. Studies in Genre and Interpretation. New York 1985, S. 81– 102 und Peter Godman: The Archpoet and Medieval Culture. Oxford 2014. Zu diesen und anderen Identifizierungstheorien des archipoeta mit anderen Personen vgl.Weiß: Goliardendichtung, S. 70 – 75. Alle Thesen bleiben aber am Ende spekulativ, sodass eine Untersuchung der Rolleninszenierung am fruchtbarsten ist.  Der Selbstinszenierung als Bettler und einer autobiographischen Lesart ist zu misstrauen, vielmehr dienen Topoi und traditionale Muster der Inszenierung seines Rollen-Ich: „il s’attribue […] les défauts des jongleurs et des goliards, chantres des dés, de l’ivresse et de l’insouciance“; Jean-Charles Payen: Le

7.2 Die Imagination eines Vaganten-Ordens

209

dem povre petit escollier ⁵⁸ François Villon (1431– 1463),⁵⁹ der im 19. Jahrhundert als erster Poète maudit oder infamer Dichter gefeiert wurde, da er an „der eigentümlichen Dialektik von Ruhm und Verworfensein“ Anteil nimmt.⁶⁰ Die (wenigen) Gedichte, die eine Gemeinschaft von Vaganten, einen ordo vagorum entwerfen, sind deutlich als Fiktion zu erkennen: „There were, undoubtedly, vagrants (wandering scholars, wandering monks, gyrovags, etc.) but they were hardly identifiable with the ‚Goliardic poets‘ and had nothing to do with this poetry. All this is fiction.“⁶¹ Das Muster eines Vagantenordens aber eignet sich besonders, monastische Grundgebote parodistisch umzukehren und das Mönchtum zu kritisieren.⁶² In der Folge wird es in der Polemik gegen die Bettelorden ab dem 13. Jahrhundert⁶³ und darüber hinaus aktiv aufgegriffen. Das monastische Gebot einer stabilitas loci bildet in diesem Kontext die Grundlage für die Darstellung der vagatio eines ‚verkehrten‘ ordo vagorum. Die Eigenschaften der gewitzten Listigkeit, der erotischen Potenz und der magischen Affinität, die in kleinepischen Texten oft mit dem Vaganten konnotiert sind,⁶⁴ bleiben hier allenfalls sekundär.

„je“ chez Rutebeuf, ou les Fausses Confidences d’un Auteur en Quête de Personnage. In: Henning Krauss (Hg.): Mittelalterstudien. Heidelberg 1984, S. 229 – 240, hier S. 234 f. Andererseits sind auch viele seiner Texte als explizite Parodie oder Propaganda gegen die jungen Bettelorden gerichtet.  François Villon: Le Testament Villon. Bd. 1, hg. von Jean Rychner und Albert Henry. Genf 1974, v. 1886. Die Formulierung wiederholt sich ähnlich in Louange à Marie d’Orleans. In: Le Lais Villon et les Poèmes Variés. Bd. 1, hg. von Jean Rychner und Albert Henry. Genf 1977, S. 40 – 45, hier v. 132 und Le Lais de François Villon. In: Le Lais Villon et les Poèmes Variés. Bd. 1, hg. von Jean Rychner und Albert Henry. Genf 1977, S. 11– 30, hier v. 2.Vgl. auch François Villon: Sämtliche Werke, übers. und hg. von Carl Fischer. München 22002, S. 178 f., 24 f. und 216 f.  In der Forschung wird vom „mystère Villon“ gesprochen, über dessen Biographie und Identität, die weitgehend aus den Texten selbst rekonstruiert ist, kein Konsens besteht. Beispielsweise François Villon: Poésies Completes, hg. von Pierre Michel. Paris 1972, S. XI. Gert Pinkernell: François Villon. Biographie Critique et Autres Études. Heidelberg 2002, S. 11 fasst die Forschung folgendermaßen zusammen: „selon laquelle le je des texts villoniens est normalement un moi autobiographique qui, en étant fictionnel, parle de la personne réelle de l’auteur“. Gewiss aber prägte er und seine Gedichte schon sehr bald eine eigene Legende, die ihn zu „le roi et le type des escrocs“ machte (Pierre Champion: François Villon. Sa vie et son Temps. 2. Bde. Paris 21933, Bd. 2, S. 260 – 287, zit. S. 260). Einen wichtigen Beitrag zu dieser Stereotypisierung Villons hatten zum einen die frühe Weiterdichtung von fiktiven Erlebnissen des Dichters in der Schwanksammlung Repues Franches, zum anderen der große Erfolg, den die erste gedruckte Ausgabe von Pierre Levet 1489 erreichte und der zahlreiche weitere Editionen folgten. Zur Rezeption Villons im 15. und 16. Jahrhundert vgl. Rudolf Sturm: François Villon, Bibliographie und Materialien. 1489 – 1988. 2 Bde. München, London u. a. 1990, Bd. 2, S. 25 – 45. Es ist bezeichnend, dass zwischen 1542 und 1723 keine Beschäftigung mit Villon nachzuweisen ist. Vgl. Sturm: François Villon, S. 43 – 48.  Vgl. dazu Achim Geisenhanslüke: Die Sprache der Infamie. Literatur und Ehrlosigkeit. Paderborn 2014, S. 67.  Szövérffy: Secular Latin Lyrics, Bd. 2, S. 445.  Vgl. Schüppert: Kirchenkritik, S. 185 – 188.  Vgl. dazu Kapitel 9.1.2 mit dem Beispiel des Gedichts Altitonans celicola.  Vgl. Kapitel 8.2 und 9.4.

210

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster Diese mönchskritische Tendenz lässt sich auch in Texten feststellen, die in einer intertextuellen Beziehung zu CUM ‚In orbem universum‘ decantatur ‚ite‘ (CB 219) stehen und als Varianten des Musters im Codex Buranus gelten.⁶⁵ Diese weisen eine starke Tendenz zu Variabilität in Wortwahl und Strophenreihung auf, was dadurch zu erklären ist, dass alle behandelten Lieder im gesungenen Vortrag memorierter Strophen oral tradiert wurden.⁶⁶ Durch die Überführung in das Medium der Schrift, folgen die Texte neuen Regeln, in deren Rahmen die konkrete Konstellation und die artifiziell gestaltete Auswahl festgelegt werden. Die romantische Vorstellung des ‚Zersingens‘ der Volkslieder im Zuge der Anwendung auf der Straße und im Wirtshaus greift dabei zu kurz und bleibt zu spekulativ.⁶⁷ Stattdessen kann man mit den Begriffen der eingeführte Terminologie versuchen, folgende Modi der (schriftlichen) Tradierung zu unterscheiden: (1) eine (nicht-intentional) verändernden Wiederholung im Redaktions- oder Produktionsprozess der Handschrift, (2) eine Variation der Ausgangsversion, die der Anpassung an die konkrete Vorführungssituation oder gesellschaftliche Umstände dient, und (3) eine intentionale Transformation – unter Umständen mit dem Ziel der (ästhetischen oder satirischen) Parodie. Es handelt sich also um eine Reihe eigener Lieder, die in einem (unterschiedlich intensiven) intertextuellen Verhältnis zueinander stehen. Der ‚Prätext‘ kann dabei in allen Modi mündlich und schriftlich vorliegen. Als Ausgangstext der Liedtradition von De vagorum ordine ist nicht CB 219 anzunehmen. Denn diese Version des Liedmusters ist in der vorliegenden Form unikal in Cod. lat. mon. 4660 überliefert, der ab dem 14. Jahrhundert wohl nur noch selten – wenn überhaupt – genutzt wurde.⁶⁸ Vielmehr partizipieren das Carmen Buranum und die spätmittelalterlichen Lieder vom Vagantenorden an einem gemeinsamen, zirkulierenden Narrativ. Da die Aktivierung dieses Narrativs aber an lexikale Impulse gebunden ist, erscheint dieses als traditionales Muster, welches durch Adaptation und intertextuelle Markierungen grundgelegt ist. Womöglich ist bereits CB 219 ein Kompilat aus mehreren (älteren) Stücken. Denn es ist in der Handschrift zwar ein zusammengehöriger Text, zerfällt aber optisch in zwei Teile, da in der siebten Strophe eine Lücke Platz für zwei fehlende letzte Verse lässt.⁶⁹ Ein weiteres (schwaches) Indiz  Vgl. Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 2, S. 72– 77.  Vgl. Cardelle de Hartmann: Parodie, S. 11.  Vgl. dazu Rolf Wilhelm Brednich: [Art.] Zersingen. In: EM 14, Sp. 1306 – 1310. Lutz Röhrich: [Art.] Volkslied. In: 2RLG 4, S. 761– 772, hier S. 770 beschränkt das „Zersingen“ auf eine Veränderung aufgrund eines Nicht-Verstehens der Vorlage. Daneben stellt er das intentionale „Zurechtsingens“ und „Umsingen“. Dass diese Kategorie gerade auch für lateinische Lieder unpassend ist, wird auch betont in Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 1,3, S. 75.  Vgl. Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 904 f. Vollmann spekuliert, dass Gründe dafür sein könnten, dass die Neumen nicht mehr verstanden wurden oder eine feingeistige klerikale Leserschicht im 14. Jahrhundert wegbrach.  Cod. lat. mon. 4660, fol. 95v.

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

211

für eine Kompilation ist der lexikalische Wechsel für die Bezeichnung des besungenen Vagantenordens als secta im ersten und als ordo im zweiten Teil.⁷⁰ Durch die Funktion einer Überleitung nimmt die elfte Strophe eine Sonderstellung ein. Hier kommen beide Bezeichnungen vor, jedoch ergänzt secta hier durch den etymologischen Zusammenhang mit sequi/sectari eine zusätzliche semantische Ebene: Ordo procul dubio noster secta uocatur, | quam diuersi generis populus sectatur (CB 219, 11, 1 f.). Ob es sich nun um zwei ursprünglich eigenständige Lieder handelt oder ob diese erst im Laufe der Überlieferung separiert wurden, ist nicht zu klären. Signifikant ist jedoch, dass nur der zweite Teil des Liedes in Handschriften des Spätmittelalters begegnet. Im späteren Mittelalter entstand also ein Lied, welches auf verschiedenen anderen ‚Vagantenliedern‘ basiert. Es handelt sich nur zum Teil um eine variierende Bearbeitung des Carmen Buranum, vielmehr jedoch um eine selbständige Arbeit mit allgemein verfügbarem Textmaterial. Für diese allgemeine Verfügbarkeit und gegen eine literarische Reihe, deren Repräsentanten unmittelbar aufeinander aufbauen, spricht der hohe Grad an Variabilität in der Strophenreihung. Aufgrund dieser hohen Abweichung im Aufbau konzentriere ich mich bei der Analyse des Textinhalts auf das längste Lied in der Leipziger Variante.⁷¹ Die ersten drei programmatischen Strophen sind dort mit unterschiedlich großer Abweichung aus CB 219 übernommen. Sie behandeln die hedonistischen Speise-, Ruhe- und Kleidergebote des Ordens. Die folgenden Strophen (4– 11) sind das wohl „ursprünglich selbständige herbstliche Trinklied Plenitudo temporis“,⁷² welches die typischen Themen von Wein und Würfeln behandelt, wobei das Gefühl eines allgemeinen Carpe diem vorherrscht: Dum plenitudo temporis venit exultemus, quamvis ramus [in marg. ramos] nemoris calvari videmus licet promptuaria plena non habemus Ex quo torcularia fluere videmus. (Str. 4)⁷³

Es folgt eine weitere Trinkerstrophe (11). Den Abschluss bildet eine Variante der äußerst populären Strophen aus der ‚Beichte des archipoeta‘ (CB 191: Meum est propositum).

 Von nostra secta wird in 1,4; 2,1 und 6,1 gesprochen, vom ordo uagorum oder dem ordo noster in 8,1; 9,1; 10,1; 11,1 und 12,1.  Leipzig UB Ms. 1250. fol. 33r (um 1480). Auch Bischoff wählt diese aufgrund ihres Umfangs als Leithandschrift für das Lied De vagorum ordine. Vgl. Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 2, S. 75.  Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 1,3, S. 74.  Übers. P. R.: ‚Sobald die Zeit der Ernte kommt, wollen wir frohlocken, [Gal. 4,4] obwohl wir sehen, dass die Äste des Waldes kahl werden. Unsere Vorratskammern können gerne leer sein, wenn wir den Wein aus den Keltern fließen sehen.‘

212

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

Doch diese Reihenfolge findet sich nur im Leipziger Codex. Keiner der sieben Textzeugen aus dem 14. und 15. Jahrhundert entspricht einem anderen:⁷⁴ B (Cod. Bur.): 1, 2, 4, 5, 3, 6, Lz: M: Pr: Vo: We: Wi: Pé:

7,

9, 9, 9, 9,

9, d, 9, d, k, 9,

10, 10, l, m,

11, c, i, c, n,

8, d–h h, h d, e, f,

p, 10, c, h,

12– 16 k, i, l–n i/k, c, o, n l 4, n, q l, i, k, g, 10, m, n l, h, 10, g, c, i, n, m

Bemerkenswert ist außerdem die Überlieferungssituation. Denn im Gegensatz zum Carmen Buranum ist keines der Lieder in Sammlungen überliefert, sondern stets als Einzeltext, der in Miszellanhandschriften unterschiedlichen – oft didaktischen oder juristischen – Inhalts inseriert und nur selten in einem Faszikel mit anderen Liedern zusammengefasst ist. Im Folgenden eine kurze Beschreibung der einzelnen Überlieferungsträger: 1) Lz: Bei der Leipziger Handschrift (UB Ms. 1250. fol. 33r) handelt es sich um eine rhetorische Sammelhandschrift verschiedener Hände (um 1480), die neben juristischen, rhetorischen und metrischen Lehrtexten auch die Historica Bohemica von Papst Pius II (Enea Silvio Piccolomini) und De disciplina scholarium des Pseudo-Boethius enthält.⁷⁵ Das Lied De vagorum ordine steht hier in direktem Anschluss an die schwankhafte Erzählung Lectio cuiusdam monachi nigri secundum luxuriam (fol. 32v) – mehr dazu später. 2) M: Bei der Münchener Handschrift (Cod. lat. mon. 18910, fol. 193v) handelt es sich um ein humanistisches Schulbuch von 1494/98, in dem neben Lehrtexten auch allerlei antike Schulautoren zusammengestellt sind, sodass von einer „kleine[n] ‚Handbibliothek‘ in Buchform“⁷⁶ gesprochen wurde. Das Gedicht steht unmittelbar zwischen der Ars poetica von Horaz und einem Heroidenbrief Ovids (Sappho

 Siehe auch den Vergleich der Strophenfolge in Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, S. 73. In der kritischen Ausgabe unbeachtet ist die ungarische Variante (Pé). Mehr dazu siehe unten.  Die aktuellste Handschriftenbeschreibung findet sich im Projekt der Kurzerfassung der mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Leipzig im Signaturenbereich Ms 1114–Ms 1715. URL http://www.manuscripta-mediaevalia.de/?xdbdtdn!%22obj%2031569973 %22&dmode=doc#|4 [zuletzt aufgerufen am 15.7. 2020].  Michael Baldzuhn: Schulbücher im Trivium des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die Verschriftlichung von Unterricht in der Text- und Überlieferungsgeschichte der „Fabulae“ Avians und der deutschen „Disticha Catonis“. Berlin u. a. 2009, S. 648.

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

213

an Phaon) und trägt die Überschrift: Statuta lenonum – also ‚Verordnungen der Kuppler‘.⁷⁷ 3) Pr: In der Prager Handschrift (Nat. Bibl. V G 17, fol. 96v), die 1419 – 1422 zusammengestellt wurde, steht das Lied zwischen Sermones de sanctis, also hagiographischen Predigttexten, die zum Teil böhmisch glossiert sind.⁷⁸ 4) Vo: Auch in einer Handschrift in Volterra, die ansonsten moralische Maximen und Sentenzen sammelt, finden sich einige Strophen des Liedes, die unmittelbar an Meum est propositum anschließen (Volterra, Bibl. Guarnacci 100 (8653), fol. 13v– 14r).⁷⁹ Bischoff geht davon aus, das Inserat stamme „offenbar von einem italienischen Schreiber, der den Text aus Deutschland mitgebracht haben kann“,⁸⁰ was zu den bilingualen deutsch-italienischen Verspassagen passt (fol. 13). Als Prätext für Vo käme aufgrund von Strophenübereinstimmungen und Bindefehlern (z. B. garruerunt, Str. 5, 4) am ehesten die Leipziger Version in Betracht.⁸¹ Wenn die Datierung der Handschrift in das 14. Jahrhundert korrekt ist,⁸² dann wäre hingegen von einem gemeinsamen Prätext von Lz und Vo auszugehen. 5) We: Eine (heute verschollene) Handschrift aus der Gräflich Stolbergischen Bibliothek zu Wernigerode (Zb 4 m, fol. 140r), die von verschiedenen Händen des 15. und 16. Jahrhunderts geschrieben wurde, enthält neben einem Arzneibuch mit astrologischen Inseraten auch Fabeln (Boners Edelstein), epische Strophen und mehrere kleine Gedichte, darunter auch De vagorum ordine. ⁸³ 6) Wi: Die Handschrift von Wittingau/Třeboň (Státní Archiv, A 7, fol. 147v–148r) wurde von verschiedenen Händen des 15. Jahrhunderts geschrieben und ist eine Mischhandschrift aus tschechischen und lateinischen Texten. Sie beinhaltet neben chronikalen, diätetischen, theologischen und alchemistischen Texten auch lateinische und tschechische Lieder.⁸⁴ Die Themen konzentrieren sich auf kirch-

 Zur Beschreibung vgl. Karl Halm, Georg von Laubmann und Wilhelm Meyer: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis, Bd. II,3: Codices num. 15121– 21313 complectens. Wiesbaden 1878, S. 217– 219 und Baldzuhn: Schulbücher, S. 644– 648.  Vgl. Josef Truhlář: Catalogus codicum manu scriptorum latinorum qui in C. R. Bibliotheca publica atque Universitatis Pragensis asservantur. Pars prior: Codices 1– 1665. Prag 1905, S. 969 f.  Vgl. Luigi Suttina: Due Ritmi Bacchici Giusta un Codice Volterrano. In: Studi medievali 2 (1906/ 1907), S. 563 – 567; Giuseppe Mazzatinti (Hg.): Inventario dei Manoscritti delle Biblioteche d’Italia. Bd. 2. Forlì 1892, S. 193.  Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 1,3, S. 72; ebenso Suttina: Due Ritmi Bacchici, S. 564.  Entgegen Suttina: Due Ritmi Bacchici, S. 567, der mangels weiterer Textkenntnis auf Wi verweist.  Vgl. Suttina: Due Ritmi Bacchici, S. 563.  Zur Beschreibung vgl. Ernst Förstemann: Die Gräflich Stolbergische Bibliothek zu Wernigerode. Nordhausen 1866, S. 103 f. und Ulrich-Dieter Oppitz: Die ‚Deutschen Manuskripte des Mittelalters ‘ (ZbSignatur) der ehemaligen Stolberg-Wernigerodischen Handschriftensammlung. In: Detlef Haberland (Hg.): Geographia spiritualis. Frankfurt a. M. u. a. 1993, S. 187– 205, hier S. 192 f. Ed. in Bolte: Fahrende Leute, S. 644 f.  Beschreibung in Julius Feifalik: Altčechische Leiche, Lieder und Sprüche des XIV. und XV. Jahrhunderts. Mit einer Einleitung und Anmerkungen. Wien 1862, S. 628 – 630. Die lateinischen Lieder sind

214

7)

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

liche Missstände sowie Wein, Würfelspiel und Frauenliebe. Die Variante Wi ist besonders auffallend, da sie nicht mit dem programmatischen De vagorum ordine beginnt, sondern mit dem Herbstlied Plenitudo temporis und die Beschreibung des Vagantenordens nachreicht. Außerdem steht das Gedicht hier (wie in Lz) im gleichen Abschnitt wie der schwankhafte Prosatext Passio (!) cuiusdam nigri monachi secundum luxuriam. Schließlich lässt Wi „punktuell eine gezielte, fast schon textkritische Aufbereitung verschiedener Traditionslinien erkennen“.⁸⁵ Pé: Bei dieser Handschrift aus der Bischöflichen Bibliothek [Püspöki Könyvtár] zu Pécs/Fünfkirchen handelt es sich um ein juristisches Formel- und Lehrbuch aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts (1476 – 1493), das vom notarius publicus János Magyi zusammengestellt wurde.⁸⁶ Das Lied mit dem Incipit Plenitudo temporis ⁸⁷ ähnelt zwar aufgrund des Jahreszeiteneingangs Wi, weist jedoch auch zahlreiche Abweichungen in Lexik und Strophenreihung auf. Die Variante Pé fehlt sowohl in der kritischen Ausgabe als auch im Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen.⁸⁸ In der Pécser Handschrift markiert das Lied den Beginn einer Recto-Seite und ist gerahmt von einer juristischen Klausel (derselben Hand) über einen Nachbarschaftsstreit, die auf der vorgehenden Verso-Seite be-

ediert in Julius Feifalik: Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur. V. Die altböhmischen Gedichte vom Streite zwischen Seele und Leib. Nebst Beiträgen zur Geschichte der Vagantenpoesie in Böhmen. Wien 1861, S. 38 – 74. Plenitudo temporis hier Nr. XIX, S. 60 f.  Philip Reich: Traditionales Vagieren und vagierende Traditionen. Zum ‚Fahrenden Schüler‘ in der Literatur des Spätmittelalters. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.).  Pécs, Bischöfliche Bibliothek DD. III. 18, Digitalisat: Budapest, Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Staatsarchiv] Diplomatikai fényképgyűjtemény [Diplomatische Fotosammlung] 283678. Der Codex ist das einzige erhaltene Formelbuch und einer der wichtigsten erhaltenen Texte des mittelalterlichen Ungarn. Er wurde in letzter Zeit immer wieder behandelt. Die (ältere) Bezeichnung als Nyírkálloér Codex aufgrund der Nennung einiger Verse des Tamás Nyírkálloi gilt als überholt. Edition des Codex in Formulae solennes styli in cancellaria, curiaque regum, foris minoribus, ac locis credibilibus, authenticisque Regni Hungariae olim usitati, hg. von Martinus Georgius Kovachich. Pest 1799, S. VIII– XXVIII. und S. 155 – 458; Handschriftenbeschreibung in József Fitz: A Nyírkállói-kódex genetikus leírása. In: Közlemények a Pécsi Erzsébet Tudományegyetem Könyvtárából 6/7 (1931/1932), S. 12– 28; zur Geschichte des Buches und dem Prozess seiner Wiederentdeckung vgl. Eva Pohánka: Egy kalandos sorsú kódex nyomában. Magyi János formuláskönyve a Pécsi Püspöki Könyvtárban. In: Tanulmányok Pécs történetéből 18 (2006), S. 61– 76; zum Aufbau, der Funktion und Praxis der ungarischen Formelbücher vgl. György Bónis: Magyi János formuláskönyve és a gyakorlati jogtanítás. In: Jubileumi tanulmányok a pécsi egyetem történetéből. Bd. 1., hg. von Andor Csizmadia. Pécs 1967, S. 225 – 259 und Gábor Dreska: Das Formelbuch des Notars Johann Magyi aus dem 15. Jahrhundert. In: Les formulaires. Compilation et Circulation des Modèles d’Actes dans l’Europe Médiévale et Moderne, hg. von Olivier Guyotjeannin, Morelle Laurent und Silio P. Scalfati 2016.  Pécs, Bischöfliche Bibliothek DD. III. 18, S. 95. Ed.: Formulae solennes, S. XI f.  Vgl. Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 1,3, S. 71– 77 und Hans Walther: Initia carminum ac versuum Medii Aevi posterioris Latinorum. Alphabetisches Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen. Unter Benutzung der Vorarbeiten Alfons Hilkas. Göttingen 1959, Nr. 14172.

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

215

ginnt und – mit einem Verweiszeichen markiert – unmittelbar nach dem Lied fortgesetzt wird.⁸⁹ Diese Praxis der platzökonomischen Buchgestaltung findet sich im vierten Teil des Codex immer wieder und korrespondiert mit dem heterogenen Inhalt der einzelnen Formeln.⁹⁰ Das Lied wurde wohl auf einem losen Blatt notiert, und dieses dann in den Codex eingebunden. Dafür, dass der Liedund der Gesetzestext in unterschiedlichen Stadien der Buchproduktion gefertigt wurden, spricht auch, dass das Lied sehr eng am Falz steht, während die juristischen Textblöcke eingerückt und damit leichter lesbar sind. Im Gegensatz zu Plenitudo temporis notierte der Schreiber die juristische Klausel in das bereits gebundene Buch oder zumindest mit der Intention, in ein Buch gebunden zu werden. Auffällig ist, dass der Schreiber und der Buchbinder im hedonistischen Inhalt des Liedes kein Problem sahen, sonst hätten sie das Lied tilgen oder zumindest streichen können. Jedoch achtete man beim Beschneiden darauf, dass möglichst kein Textverlust entstand. Die Analyse der einzelnen Varianten zeigt, dass das Lied De vagorum ordine keine kanonisierte Form und Strophenfolge kennt. Das vorgängige Textmuster diente vielmehr als Grundlage einer individuellen Aneignung im Prozess der re-produzierenden Ausführung. Die einzelnen Strophen sind dabei in Handschriften mit sehr heterogenem Inhalten (rhetorisch, juristisch oder didaktisch) inseriert und über unterschiedliche Regionen Zentraleuropas verteilt. Das Lied fand also eine große räumliche und gesellschaftliche Verbreitung. Auch wenn De vagorum ordine noch stärker als CB 219 zum bloßen Trinklied ohne kritische Dimension neigt, steht das Lied doch in einigen Handschriften in unmittelbarem mönchs- oder kirchenkritischem Kontext. Beide Seiten zeigt die überlieferungsgeschichtliche Verbindung des Lieds vom Vagantenorden mit der Passio/Lectio cuiusdam nigri monachi secundum luxuriam, die in Lz und Wi zusammenstehen.⁹¹ Der Schwank handelt von einem Benediktiner, der in einem Wirtshaus eine Frau trifft. Er schläft mit ihr, wird vom zurückkehrenden Ehemann jedoch ertappt und kastriert, sodass er – seines ‚Schwerts‘ beraubt – den Geist aushaucht: Et euaginato gladio emisit spiritum.⁹² Zu diesem schwankhaften Prosastück, das ähnlich auch in der deutschen

 Pécs, Bischöfliche Bibliothek DD. III. 18, S. 94 f. Vgl. Formulae solennes, S. 214 f. (Nr. 105).  Formulae solennes; S. 188 – 218 (Nr. 59 – 108), S. 286 – 308 (Nr. 228 – 255), S. 348 – 458 (Nr. 360 – 485). Vgl. Dreska: Formelbuch.  Ein Abhängigkeitsverhältnis ist bei den beiden Versionen schwer zu ermitteln. Während Lz mehr Details zu Beginn gibt (Veris in temporibus aprilis erat, fol. 33r) ist die narrative Motivation in Wi ausgeprägter. So kehrt der Mönch in beiden Versionen vor dem Stelldichein in sein Kloster zurück, jedoch nur in Wi wird diese Rückkehr dadurch erklärt, dass er Geld für die Bezahlung der Frau stiehlt, die hier als Prostituierte gestaltet ist.  Wittingau/Třeboň, Státní Archiv, A 7, fol. 147r. Ed. in Feifalik: Geschichte der altböhmischen Literatur, S. 58.

216

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

Volkssprache zu finden ist,⁹³ passt das Lied thematisch sehr gut. Beide Texte behandeln hedonistische Freizügigkeit (luxuria) von Klerikern. Während es sich beim lyrischen Text auf der Textoberfläche um ein Loblied auf den ‚Vagantenorden‘ handelt, sanktioniert der erzählende Text das Fehlverhalten des Geistlichen unmittelbar. Freilich bleibt für den Rezipienten auch im Akt der körperlichen Verstümmelung eine komische Dimension erhalten: Man lacht über den Mönch vom ‚Orden der Liederlichkeit‘, da er sich moralisch falsch und obendrein ungeschickt verhält. Diese gemeinsame Überlieferung der beiden Texte verdeutlicht mithin eine kirchenkritische Dimension des Liedes De vagorum ordine, sie zeigt aber auch, dass sich spätestens im 15. Jahrhundert das Muster vom Vagantenorden mit schwankhaften Erzählformen verschränkt. Einen anderen intertextuellen Bezug weist das CB 219 zu einem lyrischen Text auf, welcher mit der Überschrift Regula beati Libertini ordinis nostri versehen ist. Er behandelt das Muster eines ausschweifenden Vagantenordens, in dem verschiedenen kirchlichen Ämtern ‚verkehrte‘ Eigenschaften zugewiesen sind: So wird der heilige Augustinus bereits in der Überschrift zum Libertinus. Abt, Probst und Kämmerer sind Trinker, die Äbtissin eine laszive Tänzerin, der Küster ein Geizhals und der Koch tischt reichlich auf. Die Chorherren aber haben selten Schuhe an und haben als Oberbekleidung Hemden und Netze: Canonici nostri sunt raro calceati, | Sed camisijs et retibus sunt superpelliciati (vv. 7 f.). Mit diesem Netz verweist der Text auf ein Attribut, welches spätestens ab 1500 den Fahrenden Schülern zugeschrieben wird.⁹⁴ Hier scheint damit vornehmlich ein fadenscheiniges Obergewand gemeint zu sein. Wie in anderen Ordensparodien ist auch in der Regula beati Libertini der Orden für alle offen: für die kanonisierten Mönchsorden (Prämonstratenser, Zisterzienser, Dominikaner und Franziskaner), aber auch für Diebe und Räuber, für Schüler und Lehrer, mit denen die Gemeinschaft durch das Land streife.⁹⁵ Bei den Gewohnheiten des Ordens findet sich schließlich die Entlehnung aus CB 219 (Str. 10,1 und 4) im Gebot, die Frühmesse zu meiden. In weiteren Geboten wird der Ablauf der Liturgie parodiert, indem zur Lesung gezecht und zu Responsorium und Benedicamus gewürfelt wird. Der Text endet mit der kommentierenden Bewertung dieser Zustände als Missstände: Et sic erit nouißimus error peior priore (v. 31) – ‚und so wird jeder neue Irrtum schlimmer als der vorangehende.‘ Leider ist der Text nicht in zeitlicher Nähe zur vermuteten Abfassung überliefert, sondern nur in einer Kompilation des Humanisten und lutherischen Theologen Matthias Flacius Illyricus, dessen Intention bereits im Titel evident ist: Varia doctorum

 So zum Beispiel in „Die Rache des Ehemanns“ von Heinrich Kaufringer. Auch wenn diese Versnovelle eine weit komplexere Replikstruktur aufweist, stellt die Kastration auch hier eine Spiegelstrafe für den Ehebruch des Klerikers dar.  Ich widerspreche hier der Interpretation Lehmanns, der die Verse als „in üppigen Kleidern und Schuhwerk“ übersetzt hat. Lehmann: Parodie im Mittelalter, S. 221.  Nec spernit fures et latrones, ut spectatur. | Ordo noster suscipit cum pueris magistrum, | Vt nobiscum discurrant, et finiant registrum. (vv. 21– 23)

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

217

piorumque virorum, de corrupto ecclesiae statu poemata, Ante nostram aetatem conscripta: Ex quibus multa historica quoque utiliter, ac summa cum uoluptate cognosci possunt (Basel: Ludwig Lucius 1557, S. 488 f.).⁹⁶ Das Lied reiht sich sehr gut in die von Flacius Illyricus ausgewählten Texte ein, die das Ziel einer antikatholischen Propaganda verfolgen. Sie sollen beweisen, dass die Missstände und die Korruption der alten Kirche auch schon in der fernen Vergangenheit erkannt und gegeißelt wurden. Dabei hat Flacius kein Interesse, Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden. Ihm dienen die Gedichte vielmehr zur theologischen Argumentation und Agitation, indem er die Goliardendichter als Reformatoren ante litteram inszeniert und idealisiert.⁹⁷ Diese kirchenkritische Intention des Flacius Illyricus legt damit – zusammen mit dem zeitgleich und ebenso in Basel publizierten Scriptorum illustrium maioris Brytanniae […] Catalogus von John Bale⁹⁸ – den Grundstein für eine bibliographische Beschäftigung mit den Goliardendichtungen, sodass Flacius „mit Fug und Recht als einer der ersten Herausgeber mittelalterlicher Verssatiren gelten“⁹⁹ kann. Alle folgenden Sammlungen bis zur textkritischen Erschließung der Codices im 19. Jahrhundert hängen von Bale/Falcius ab; damit prägten die beiden frühneuzeitlichen Gelehrten die künftige Vorstellung von Textcorpora nachhaltig und machten die (wenigen) Lieder über das Vagieren besonders prominent.¹⁰⁰ Diesen fachgeschichtlichen Umstand einer konfessionspolemischen Übergeneralisierung muss man bei der Bewertung der Verbreitung von (kirchenkritischen) Vaganten- und Trinkliedern bedenken. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass ein literarisches Muster eines parodistischen Vagantenordens in spätem Mittelalter und Früher Neuzeit existierte. Das zeigen die zahlreichen, weitgehend unabhängig voneinander entstandenen Versionen des Lieds De vagorum ordine, aber auch deutsche Adaptationen, zum Beispiel in einem Lied von Ludwig Senfl (1490 – 1543):¹⁰¹

 Übers. P. R.: ‚Veschiedene Gedichte gelehrter und frommer Männer über den verdorbenen Zustand der Kirche. Vor unserer Gegenwart verfasst: Aus diesen lassen sich viele geschichtliche Umstände auf nützliche und zugleich höchst vergnügliche Weise erfahren.‘ Olga Dobiaš-Roždestvenskaja (Hg.): Les Poésies des Goliards. Paris 1931, S. 146 f. verweist darauf, dass das Lied womöglich aus Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1099 Helmst. (W 2) entnommen sei, jedoch findet sich dort kein Beleg.  Vgl. Gerlinde Huber-Rebenich: Die Rezeption der mittelalterlichen Satire bei Matthias Flacius Illyricus. In: Thomas Haye und Franziska Schnoor (Hg.): Epochen der Satire. Traditionslinien einer literarischen Gattung in Antike, Mittelalter und Renaissance. Hildesheim 2008, S. 173 – 190, hier S. 176 f.  John Bale: Scriptorum illustrium maioris Brytanniae, quam nunc Angliam & Scotiam vocant: Catalogus. Basel: Johannes Oporinus 1557.  Bale: Catalogus, S. 175.  Vgl. den Überblick in Rigg: Golias, S. 103 – 106. Einen ersten Wandel brachte die Edition von Wright: The Latin Poems.  Die älteste Version des Liedes ist überliefert in Johann Ott: Hundert vnd fünffzehen guter newer Liedlein. Nürnberg: Hieronymus Andreae 1544. Nr. 23. Jedoch muss es schon früher bekannt gewesen sein, was die Notitz im Neuburger Kapellinventar von 1544 belegt (Cod. pal. germ. 318, fol. 110r). Text nach der Edition Ludwig Senfl: Deutsche Lieder zu vier bis sechs Stimmen. III. Teil: Lieder aus den gedruckten Liederbüchern von Egenolff 1535, Finck 1536, Schöffer und Apiarius 1536, Forster 1539 – 1540, Salblinger 1540 und Ott 1544, hg. von Arnold Geering und Wilhelm Altwegg. Wolfenbüttel 1949,

218

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

Ein’n Abt wöll’ wir weihen, ist aus der Maßen guet; Ein Kloster wöll’ wir bauen, liegt so in großer Armuet. Darinne wohnt manicher Brueder ahn’ bar Geld, Unser Orden regiert in aller dieser Welt.

Dieses Lied imaginiert einen Orden, der die ganze Welt regiert (Str. 1, 6) und aus abgerissenen Bettlern und Spielern besteht. Was soll der Brueder für ein seltsam Gugel han? Ein Narrenkappen ziembt ihm wol, Wie soll sein Gugel sein? Zerrissen Kleider stehnd ihm wohl, Darin er wol erschein’ Schmorotzen, Bettlen thut uns armen Brüedern wohl, Trachten nur, daß wir Tag und Nacht werden voll. (Str. 2,6–Str.3,6)

Im Gegensatz zu den lateinischen Texten werden hier nicht eindeutig Institutionen oder Rituale der Kirche parodiert, und der Abt bleibt das einzige explizit angesprochene Amt des Ordens. Dieser Umstand hängt wohl damit zusammen, dass sich die lateinische Sprache für den subtilen Witz durch die sprachliche Koinzidenz von parodiertem und parodierendem Text besonders eignete.¹⁰² Auch die zeitliche Differenz spielt eine große Rolle. Denn die deutschen Texte entstanden um 1500, also in der Zeit, als sich der Armutsdiskurs veränderte und die Bettler als gemeinschaftlicher Zusammenschluss von Gaunern imaginiert wurden. Da in den lateinischen Liedern bei der Beschreibung des Vagantenordens immer wieder der scholaris tectus veste bona oder der magister cum pueris hervorgehoben wird, ist es nur ein kleiner Schritt, wenn in deutschsprachigen Liedern des 15. Jahrhunderts von einem Orden der Studenten gesprochen wird wie im Älteren Augsburger Liederbuch (Cod. germ. mon. 379, fol. 129v f.):¹⁰³

S. 40 f. Nr. 27. Kritischer Kommentar S. 123. Offensichtlich ist das Lied recht verbreitet gewesen, denn auch Johann Fischart zitiert es mit einer bewussten Umdrehung in seiner Geschichtklitterung (1575): „Ein Abt den wöllen wir weihen, Ist auß dermassen gut, Ein Kloster wöllen wir bauen, Ligt gar inn in grosser Armut, Darinn manch Bruder tringt keyn gelt, Unnd ißt keyn Wein, daß er den Orden helt.“ Fischart: Geschichtklitterung, S. 67, Z. 18 – 21. Die darauf folgenden Strophen bei Fischart stammen nicht von Senfl.  Vgl. zum Unterschied von lateinischer und deutscher Satire Henkel: Gesellschaftssatire im Mittelalter, S. 113.  Zum Codex Klaus Jürgen Seidel: Der Cgm 379 der Bayerischen Staatsbibliothek und das „Augsburger Liederbuch“ von 1454. Diss. München 1972 und Albrecht Classen: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster 2001, S. 62 f. Edition in Johannes Bolte: Ein Augsburger Liederbuch vom Jahre 1454. In: Alemannia 8 (1890), S. 97– 127 und 203 – 235, hier S. 215 f. (Nr. 69); in Classen: Liederbücher, Nr. 95.

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

219

Ich waiß ein frisch geschlechte, das sind die bursenknechte,¹⁰⁴ ir orden stet alßo. Das macht ir freyes gemüte der schönen frawen clar, got selber sie behütte durch sein milte gütte die mynneclichen schar. (vv. 1– 8)

Zu dieser frischen, freien und mynneclichen schar passt das unmittelbar folgende Lied, welches den Studenten in Form eines meisterlichen Rats als idealen Liebhaber preist: Wer zartter mynnen pflegen well, dem gib ich ratt vnd lere, das er sich z den studenten gesell, die künnen zucht und ere (vv. 1– 4)

Diese Eigenschaften werden dann weiter in einer eindeutig sexuellen Metapher gerühmt: Nun schreib, nun schreib mein schreiber fein, nun schreibf [sic!] ein geschrifft meins hertzen! du mst auch ymmer selig sein, der federkyll ist so hertte. (vv. 9 – 12)¹⁰⁵

Von der Parodie eines Mönchsordens im engeren Sinne lässt sich nicht mehr sprechen. Wenn hier von einem orden gesprochen wird, bezeichnet dies eine beliebige Gemeinschaft oder auch nur die gesellschaftlich-ständische Stellung. Während diese Lieder des Älteren Augsburger Liederbuchs in den Kontext bürgerlicher Geselligkeit einzuordnen sind,¹⁰⁶ ist es bezeichnend, dass die erhaltenen Liedersammlungen des Spätmittelalters, die nachweislich von Studenten als „private pocketbook“¹⁰⁷ gesammelt wurden – z. B. von Liebhard Eghenvelder aus seiner Wiener Studienzeit (1420er) oder von Ambrosius Kettenacker aus Basel (um 1500) – vornehmlich höfisches und/oder geistliches Material aufzeichnen, das Muster des

 Von einer Regula bursalis spricht auch ein lateinisches Gedicht aus dem 15. Jahrhundert, welches den Opportunismus feiert: Regula bursalis est omni tempore talis: | si sint presentes plures quam deficientes, | nunquam presentes debent exspectare absentes; | absentes careant, presentes omnia tollunt; Feifalik: Geschichte der altböhmischen Literatur, S. 59.  Cod. germ. mon. 379, fol. 130r f. Ed. in Bolte: Augsburger Liederbuch, S. 216 f. (Nr. 70); in Classen: Liederbücher, Nr. 96.  Michael Curschmann: [Art.] Augsburger Liederbuch. In: 2VL 1, Sp 521– 523.  Reinhard Strohm: The Rise of European Music, 1380 – 1500. Cambridge 1993, S. 495.

220

7 Vagantenlieder als Sackgasse der Forschung? (Spurensuche I)

Vaganten(‐ordens) aber nicht behandeln.¹⁰⁸ Dieses scheint also kein fester Bestandteil studentischer Liedkultur des 15. und 16. Jahrhunderts gewesen zu sein oder man empfand es zumindest nicht der Aufzeichnung in Liedersammlungen als würdig. Erst in Drucken des 17. Jahrhunderts erreicht das Studentenlied, also Lieder für und über Studenten, eine Blüte.¹⁰⁹ In den früheren Sammlungen dominieren jedoch allgemeine Liebes- und Trinklieder, z. B. in Johann Hermann Scheins Venuskränzlein (1609) und Studentenschmaus (1626).¹¹⁰ Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Imagination eines Vagantenordens in der lateinischen Dichtung auf relativ wenigen Textquellen mit einem hohen Maß an Intertextualität beruht. Diese sind in den meisten Fällen anonym überliefert, bezüglich der Datierung nicht eindeutig und begegnen in sehr unterschiedlichen Überlieferungszusammenhängen. Die Funktion der Lieder reicht – sofern ermittelbar – von beißender Kirchen- und Mönchskritik bis zur Auflockerung in (wissensvermittelnden) Sammelhandschriften. Ab dem 16. Jahrhundert (bei Flacius Illyricus und bei John Bale) bewirkt die interpretierend-tendenziöse Aufbereitung des Textfeldes eine literaturgeschichtliche Übergeneralisierung einzelner Texte. Diese Stoßrichtung wird im 19. Jahrhundert noch verstärkt.¹¹¹ Den Status eines prägenden Motivs für eine Gattung der mittelalterlichen Dichtung kann der ‚Vagant‘ gewiss nicht einnehmen. Überblickt man die Ergebnisse zu den (wenigen) Gedichten über ‚Vaganten‘ im Mittelalters, fällt Folgendes auf: Die meisten lateinischen Lieder (vor dem ausgehenden Mittelalter) haben den Grundtenor der schwankhaften Mönchsparodie gemeinsam. Das ist wenig verwunderlich, da ja die lateinische Literatur von Klerikern verfasst wurde oder zumindest von Personen, die Latein von Anfang an mittels biblischer, liturgischer, erbaulicher und zum Teil klassischer Schriften lernten und einübten. Die Mönchsorden aber gelten als die im allgemeinen Diskurs präsenteste Form eines korporativen ordo und damit als ideales Muster. Jedoch auch strukturell bietet sich das Mönchtum als Folie an, da diese Gruppe wie kaum eine andere durch die Tradition

 Umfassend zu Eghenvelder vgl. Marc Lewon: Die Liedersammlung des Liebhard Eghenvelder. Im Ganzen mehr als die Summe ihrer Teile. In: Björn R. Tammen und Alexander Rausch (Hg.): Musikalische Repertoires in Zentraleuropa (1420 – 1450). Prozesse & Praktiken. Wien, Köln, Weimar 2014, S. 299 – 343. Zu nennen sind für das 15. Jahrhundert außerdem die Liedersammlungen Hartmann Schedels aus der Leipziger Studienzeit (1459 – 1461), das Rostocker Liederbuch (1465 – 1487) und im 16. Jahrhundert die Liederbücher von Johannes Heer von Glarus (um 1510) und Bonifacius Amerbach aus Basel (um 1500). Vgl. dazu Strohm: European Music, S. 493 – 501.  Vgl. Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 90 – 93.  Zum biographischen Hintergrund vgl. Johann Hermann Schein: Venuskränzlein/Studentenschmaus, hg. von Marianne Helms und Siegmund Helms. Basel, Tours, London 1970, S. VI–VIII. Zum Trinklied kommt in „Frischauf, ihr Klosterbrüder mein“, dem einleitenden Lied des Studentenschmauses, eine Mönchssatire, indem das Mönchskapitel als lyrisches Wir die Abwesenheit des Abts zum alkoholischen und sexuellen Exzess ausnutzt. In dieser Persiflage bleibt eine parodistische Umkehr von monastischen Strukturen wie in der Regula beati Libertini allerdings aus. Ed. in Schein: Venuskränzlein/Studentenschmaus, S. 58 – 60.  Vgl. Kapitel 13.

7.3 Der Ordo vagorum als traditionales Muster

221

einer idealen stabilitas loci geprägt ist. Um die Herkunft der literarischen Tradition eines ‚Vagantenmythus‘ in der mittelalterlichen Literatur zu suchen, also um die prätextuellen Konditionen der ‚Vagantenlieder‘ (v. a. CB 219) zu ermitteln, bedarf es eines Blickes in die grundlegenden Texte dieses monastischen Diskurses.¹¹² Doch bei Mönchskritik und ‚Vagantenmythus‘ handelt es sich nur um ein Muster, welches zur Konstitution einer Vorstellung vom Fahrenden Schüler beitrug. Auch wenn Schüler und Studenten der geistlichen Sphäre nahestehen, gelten für sie doch andere Regeln. Diese Unterschiede sind zu eruieren, indem ich im Folgenden die Fährte in Ständelehren und ‐satiren (Spurensuche II), juristischen und didaktischen (Spurensuche III) und kleinepischen Texten (aufgeteilt auf Spurensuche II und III) aufnehme.

 Dazu vgl. Kapitel 9.1.

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II) Student, Schüler, Scholar, Vagant Betrachtet man die Etymologie der genannten Wörter, wird deutlich, dass die trennscharfe gegenwartssprachliche Unterscheidung zwischen dem Schüler als jüngerem Besucher einer Schule und dem Studenten als älterem Besucher einer Universität keine absolute Gültigkeit besitzt: Mhd. schuolære ¹ ist meist synonym zu mhd. studente. ² Auch die lateinischen Bezeichnungen lassen keine eindeutige Differenzierung zu. So geben die lateinisch-deutschen Vokabularien, die sich vermehrt ab dem 15. Jahrhundert finden, sehr ähnliche Übersetzungen für mlat. scholaris und studens/ studiosus an, wobei studens/studiosus gemäß der Semantik von lat. studere die Bedeutungen ‚Fleiß‘ und ‚Eifer‘ konnotiert.³ Das im klassischen Latein geläufige discipulus fällt durch die Einschränkung auf ein junges lernkint aus der Reihe.⁴ Fehlt noch das Wort Scholar. Es wird im Deutschen Wörterbuch als „gelehrte nebenform zu schüler“ (DWB 15, Sp. 1448) definiert und hat eine weniger weite Bedeutung als engl. scholar, was jede Form von Wissenschaftlern/Gelehrten bezeichnet. Das Wort Scholar leitet sich wie Schüler von mlat. scholaris ab und bildet eine deglutinierte Dublette, die eine „adäquatere Entlehnung des Latinismus“⁵ – analog zu Karzer : Kerker etc. – zur Verfügung stellt. Die ersten Nachweise des Wortes datieren auf die Mitte des 16. Jahrhunderts,⁶ gerade im 19. Jahrhundert aber hat es die Bezeichnung von „im Mittelalter herumziehender Schüler oder Student“⁷ angenommen

 Schüler ist bereits als ahd. scuolāri im 9. Jahrhundert als Ableitung der mittellateinischen Substantivierung zu lat. scholāris ‚zur Schule gehörig‘ nachzuweisen. Aus dem althochdeutschen Wort entwickelt sich mhd. schuolære, schüelære (oder -er) und md. schûlêr (oder -er). Vgl. [Art.] Schule. In: Pfeifer 2, S. 1247 f., hier S. 1248, vgl. weiter DWB 15, Sp. 1937– 1940 und Solmu Nyström: Die deutsche Schulterminologie in der Periode 1300 – 1740. Schulanstalten, Lehrer und Schüler. Helsinki 1915, S. 181– 183.  Der deutsche Ausdruck ist ab dem 13. Jahrhundert belegt und leitet sich von einer Substantivierung des lateinischen Partizips studens ab. Es bezeichnete im Mittelalter vornehmlich die mlat. fratres studentes, junge Ordensbrüder bei den Franziskanern und Dominikanern, die wissenschaftlich tätig waren. Erst ab dem 15. Jahrhundert bezieht sich dieses Wort konkret auf den Besucher einer Universität. Vgl. Art. studieren. In: Pfeifer 1, S. 1385 f., hier S. 1385, vgl. weiter DWB 20, Sp. 259 – 265.  Vgl. Diefenbach S. 519c (scholaris) und 557 b (studens)  Diefenbach S. 184 c. (discipulus), zur Tendenz vgl. auch MWB 2, Sp. 723. Ein sprachgeschichtliches Fortleben im Deutschen hat dieses Wort allenfalls in der humanistischen Gelehrtensprache als Diszipel oder Diszipul, das seit dem späten 15. Jh. belegt ist. Vgl. Nyström: Schulterminologie, S. 185 f und FWB 5.1, Sp. 805.  [Art.] Schüler. In: Boris Paraschkewow: Wörter und Namen gleicher Herkunft und Struktur. Lexikon etymologischer Dubletten im Deutschen. Berlin, Boston 2015, S. 316 f., hier S. 317.  Vgl. DRW 12, Sp. 1067 f. und Nyström: Schulterminologie, S. 183 f.  Paraschkewow: Lexikon etymologischer Dubletten, S. 317. https://doi.org/10.1515/9783110708349-009

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

223

und so eine archaisierende Tendenz erhalten.⁸ Damit bezeichnet Scholar dasselbe wie der v. a. bei Goethe nachgewiesene Scholast (DWB 15, Sp. 1449). Das Grundwort der beiden Ausdrücke, lat. schola (von griech. σχολή), ist identisch. Während Scholar aber von mlat. scholaris abgeleitet ist, hängt Scholast etymologogisch von mlat. scholasticus ab (ursprünglich ‚der Gelehrte‘ und konkreter der ‚Stiftsherr einer (klösterlichen) Schule‘).⁹ Ab dem 17. Jahrhundert ist nhd. scholastisch hingegen auf die Methode der Scholastik spezifiziert oder pejorativ als ‚spitzfindig‘ oder ‚pedantisch‘ gebraucht.¹⁰ Eine ähnliche Entwicklung vollziehen die Etymologien der lateinischen Grundwörter in der Frühen Neuzeit,¹¹ wobei scholasticus dem Ausdruck scholaris vorgezogen wird,¹² zumal scholaris eine höhere Polysemie aufweist.¹³ Auch wenn sich die genannten Ausdrucke in Nuancen unterscheiden, ist allen gemeinsam, dass sie eine gelehrte Person bezeichnen. Sowohl eine Grundbedingung als auch der Inbegriff von Gelehrsamkeit ist im Mittelalter die Lese- und Schreibfähigkeit, sodass als Überbegriff aller Ausdrücke lat. litteratus steht.¹⁴ Damit wird die Gesellschaft in zwei distinkte Gruppen unterteilt: die homines illiterati vel idiotae und die homines litterati oder clerici. Schriftlichkeit und damit Bildung ist eng an die lateinische klerikale Buchkultur gebunden und unterscheidet sie so von der mündlich tradierenden volkssprachlichen Laienkultur.¹⁵ Auch mhd. schrîbære ist so als Gelehrter denotiert.¹⁶ Es zeigt sich, dass eine konkrete Unterscheidung der Personen oder Figuren anhand der volkssprachigen und lateinischen Termini nicht möglich ist, sondern nur eine tendenzielle Unterschiedlichkeit in der Begriffsverwendung. Man muss vorsichtig  Vgl. dazu auch Kapitel 13.4.  Der erste nachweisbare Beleg von mlat. scholasticus als Substantiv vom Ende des 11. oder Anfang des 12. Jahrhunderts ist in einer Aufzählung von exterior scolasticus et interior, dem Lehrer der weltlichen und der geistlichen Schüler; vgl. Cantatorium Huberti sive Chronicon Andaginense, hg. von Karl Hanquet als La chronique de S.-Hubert dite Cantatorium. Brüssel 1906, S. 21. Weitere Verweise vgl. [Art.] scholasticus. In: Niermeyer S. 946 und DRW 12, Sp. 1068 f.Vgl. dazu auch Irrgang: Scholar vagus, S. 55.  Vgl. [Art.] Scholastik. In: Pfeifer 2, S. 1235 f.  Vgl. Zedler 35 [Art.] Scholastici, Sp. 921 f. und [Art.] Scholasticker, Sp. 922– 925.  Vgl. Gottfried Voigt: Indices I-VI. In: Nomenclator Strategicus, hg. von Konrad Samuel Schurzfleisch, Gießen: Müller 1720, S. 153.  Das Wort bezeichnet auch oder vor allem Reit- und Tanzschüler sowie die Soldaten der Scholae Palatinae (spätantike Palastwachen).Vgl. Zedler 35 [Art.] Scholaren (Sp. 915 f.) und Scholares (Sp. 916). Vgl. außerdem scholaris in Niermeyer, S. 945.  Diefenbach S. 334a  Vgl. grundlegend Herbert Grundmann: Litteratus – illitteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter. In: Archiv für Kulturgeschichte 40 (1958), S. 1– 65 und dazu Georg Steer: Zum Begriff ‚Laie‘ in deutscher Dichtung und Prosa des Mittelalters. In: Ludger Grenzmann und Karl Stackmann (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Stuttgart 1984, S. 764– 768.  Lexer 2, Sp. 793. Zu ‚Scholaren‘ in spätmittelalterlichen Kanzleien vgl. Klaus Wriedt: Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Verwaltung norddeutscher Städte. In: Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts. Berlin 1996, S. 437– 452, hier S. 444 f.

224

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

sein, aus den deutschen oder lateinischen Begriffen des Mittelalters einen Verweis auf die Stellung des Bezeichneten zu schließen. Denn je nach Region, Zeit und idiosynkratischen Umständen kann scholasticus einen ehrwürdigen Stiftherrn oder einen wandernden Bettler bezeichnen, während die Bedeutung von schrîbære zwischen einem unbedeutenden Kanzleischreiber und einem arrivierten Schriftgelehrten changiert. Bei der Untersuchung literarischer Narrationen ist also die allgemeine Bezeichnung Schülerfiguren als Sammelbezeichnung zu benutzen. Die Unschärfe in der Terminologie wiederholt sich bei der Untersuchung des geschichtlichen Hintergrunds. Denn auch hier kann man den mittelalterlichem Studenten oder Schüler nicht genau unterscheiden. Es ist bereits unmöglich, das Bild des ‚typischen Studenten‘ zu zeichnen; zu heterogen ist diese Gruppe. So kannte die mittelalterliche Universität „weder nationale noch soziale, weder intellektuelle noch sprachliche Zugangs- und Zulassungsbedingungen“,¹⁷ sodass ein minderjähriger Bauernsohn, der erst noch die Unterrichtssprache Latein lernen musste, neben einem bepfründeten Bischof studieren konnte. Ebenso ist die Unterscheidung zwischen Student und Dozent problematisch, da Studenten der höheren Fakultäten gewöhnlich als Magister in der Artistenfakultät auftraten. Die einzige Voraussetzung für den Besuch der Universität und damit Gemeinsamkeit aller Universitätsbesucher war neben der mittelalterlichen Selbstverständlichkeit eines christlichen Bekenntnisses, der Taufe und des männlichen Geschlechtes¹⁸ nur ein ‚gesitteter Lebenswandel‘.¹⁹ Ansonsten war die Universität durchaus ‚universal‘ zugänglich. Doch sie war kein freier Raum gleichberechtigter Gelehrte, wie ihn Herbert Grundmann euphorisch apostrophierte,²⁰ sondern vielmehr das „getreue Spiegelbild der sie jeweils umgebenden Gemeinschaft“ mit den „gleichen alteuropäisch-traditionalen Regeln.“²¹ So waren

 Rainer Christoph Schwinges: Die Zulassung zur Universität. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Bd. 1: Mittelalter. München 1993, S. 161– 180, hier S. 161.  Die Verhinderung des Frauen- oder Mädchenstudiums liegt weniger an einer kirchlichen Bindung der Universität, sondern mehr in der Vorstellung des Mittelalters, dass Frauenbildung nicht rechtmäßig sei. So bleiben wenige Beispiele von adligen Studentinnen in Südeuropa nur ein Randphänomen und es muss von einer rein männlichen Domäne ausgegangen werden. Vgl. Andrea von Hülsen-Esch: Frauen an der Universität? Überlegungen anläßlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten. In: ZHF 24 (1997), S. 315 – 346. Eine Grundbildung und vor allem eine Alphabetisierung wurden den Frauen aber meist zugebilligt, was an der Orientierung an Maria, die von den mittelalterlichen Theologen „zum Vorbild der lesenden Frau, das zur Nachahmung verpflichtete“, gemacht wurde; Klaus Schreiner: Marienverehrung, Lesekultur, Schriftlichkeit: Bildungs- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zur Auslegung und Darstellung von ‚Mariä Verkündigung‘. In: Frühmittelalterliche Studien 24 (1990), S. 314– 368, hier S. 368.  Vgl. Rainer Christoph Schwinges: Der Student in der Universität. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 181– 223, hier S. 187.  Herbert Grundmann: Vom Ursprung der Universität im Mittelalter. Darmstadt 21976, S. 17– 20. Zu den Intentionen Grundmanns und dem Einfluss seiner Thesen vgl. Schwinges: Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters, S. 99 – 101.  Schwinges: Der Student in der Universität, S. 187.

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

225

Privilegien, Reihenfolgen und Karrierechancen vom Stand oder dem Reichtum des Studenten abhängig und meist nicht von seiner Begabung.²² Schwinges unterteilt die Studentenschaft nach Auswertung seiner Quellen in fünf Grundtypen: Der (1) Jugendliche an der Artistenfakultät (scholaris simplex) weist gerade die juristischen und finanziellen Mindestvoraussetzungen für den Zugang zur Universität und oft Grundfähigkeiten in lateinischer Sprache und Schrift durch den Besuch einer Lateinschule auf. Denn man kann generell davon ausgehen, dass der Besuch einer Schule der „‚normale‘ Bildungshintergrund des Hochschulbesuchs“²³ war. Dieser Typ bleibt meist nur ein bis zwei Jahre an der Universität, strebt keine Examina oder akademischen Grade an, stellt aber meist über die Hälfte der Universitätsbesucher. Daneben steht der Student, der mit dem (2) Baccalaureus artium ein akademisches Ziel hat, jedoch auch nicht in die höheren Fakultäten aufsteigen wird, und der (3) ‚Magisterstudent‘ mit 19 bis 21 Jahren, der ein Artisten-Studium absolviert hat und parallel zum Studium von Theologie, Jura oder Medizin Studienanfänger unterrichtet.Von diesen Typen hebt sich der (4) ‚Standesstudent‘ ab. Dieser hat bereits ein hohes Ansehen, ist adelig, mit Pfründen versehen oder sehr reich. Deshalb versieht er auch kein Artisten-, Theologie- oder Medizinstudium, nimmt keine Lehraufträge entgegen und strebt generell keine Grade an, da dies seiner Würde abträglich wäre.²⁴ Seine typische Fakultät ist die Rechtswissenschaft. Der letzte Typ ist der (5) ‚Fachstudent‘, der mit seinem Ziel, ein Examen und eine akademische Graduierung zu erreichen, am ehesten dem modernen Studenten entspricht, jedoch nur in niedriger Prozentzahl in der Universität vertreten war.²⁵ Bei den deutschen Studenten an den europäischen Universitäten handelte es sich vor 1380 um Standesstudenten – zumindest soweit dies anhand der Karrieren fassbar ist – wobei es wohl „auch eine

 Vgl. Schwinges: Der Student in der Universität, S. 187– 195.  Schwinges: Universitätsbesucher, S. 332.  Das Studium galt neben einer hohen Geburt als Zusatzqualifikation für die Karriere, vor allem für geistliche, später auch für weltliche Adlige. Vor allem eine Bildungsreise und ein Auslandsstudium in der Romania bedeutete hohes Prestige; vgl. Schwinges: Universitätsbesucher, S. 386 und Joachim Ehlers: Deutsche Scholaren in Frankreich während des 12. Jahrhunderts. In: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium in sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986, S. 97– 120, S. 120. Eine akademische Graduierung hingegen war eher hinderlich, da akademische Grade dem Selbstverständnis des Adels widersprachen. Erst ab 1600 sind Adel und Bildung miteinander vereinbar. Vgl. Alfred Wendehorst: Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben? In: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium in sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986, S. 9 – 33, S. 24 f. und Rainer A. Müller: Aristokratisierung des Studiums? Bemerkungen zur Adelsfrequenz an süddeutschen Universitäten im 17. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 31– 46, S. 41. Gleichzeitig wurden adlige Universitätsbesucher von der Universitätsleitung stets mit großer Freude aufgenommen und auch mit zahlreichen Privilegien angelockt, da die Anwesenheit eines hohen Aristokraten das Ansehen und die Finanzen der Schule erheblich steigern konnte; vgl. Schwinges: Universitätsbesucher, S. 375 – 379.  Zu den einzelnen Typen vgl. Schwinges: Der Student in der Universität, S. 182– 185.

226

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Migration armer Studenten gegeben haben [muss], schon jeweils im Gefolge der potenten.“²⁶ Durch zahlreiche Neugründungen von Universitäten im „regional-nationalen Zeitalter [ab dem 14. Jahrhundert] tritt dabei eine verhältnismäßig klare Zweiteilung hervor zwischen einem weiterhin adelig/patrizisch-besitzenden Scholarentyp und den nun klar ins Blickfeld kommenden meist wenig bemittelten einfachen Artisten.“²⁷ Diesem Ergebnis folgend etablierte sich die populäre Aufteilung der Studentenschaft in die Gruppen der pauperes, der divites und der nobiles. ²⁸ Den Großteil der deutschen Studenten machte ab dem 15. Jahrhundert der Studententyp aus dem mittleren und kleinen Bürgertum aus, der meist in Deutschland verblieb und zum Großteil nicht über die Artistenfakultät hinauskam, da akademischer Aufstieg stets stark an Reichtum und Herkunft gekoppelt war.²⁹ Außerdem gab es in der Zeit der Blüte der Universität andere Bildungsinstitutionen und der Unterschied zu diesen, so groß er theoretisch und normativ auch war, blieb für die meisten Besucher doch nur sekundär. In der Theologie und dem kanonischen Recht standen zuerst die Kathedralschulen³⁰ und später die studia der Bettelorden³¹ den Universitäten in nichts nach. Für die meisten Scholaren aber war ohnehin nur die Grundausbildung in den septem artes liberales von Interesse und dafür gab es – vereinzelt bereits seit dem 13. Jahrhundert – die Konkurrenz durch bürgerliche Stadtschulen als niedere und Pfarr-, Kloster-, Dom- oder Stiftschulen als höhere Lateinschulen.³² Man muss also davon ausgehen, dass für einen einfachen Studenten die Grenze zwischen Schule und Universität verschwamm, da die Privilegien eines studium generale für ihn irrelevant waren und er sich einen Aufstieg an der Universität ohnehin nicht leisten konnte.³³ Durch die Entstehung einer städtischen Bildungselite mit einem veränderten Wissenskonzept rückten Universität und Lateinschule näher zusammen, was die Gleichung von litteratus und clericus im späteren Mittelalter unhaltbar macht.³⁴ Da es keine fachlichen Bedingungen für den Eintritt in die Universität  Moraw: Der Lebensweg der Studenten, S. 239.  Moraw: Der Lebensweg der Studenten, S. 249.  Vgl. Schwinges: Der Student in der Universität, S. 191.  So haben in Deutschland im 15. Jahrhundert weniger als 3 % einen akademischen Grad erworben, unter den Graduierten aber waren vor allem reiche Bürger (divites) und später, als die Laisierung der Universität so weit fortgeschritten war, dass eine universitäre Karriere nicht mehr ihrem Standesbewusstsein widersprach, auch Adelige. Die Wahrscheinlichkeit, in der Universität aufzusteigen, war auf alle Fälle durch Reichtum oder Herkunft aus dem Adel weitaus erhöht. Vgl. Schwinges: Universitätsbesucher, S. 240.  Vgl. Ehlers: Deutsche Scholaren in Frankreich, S. 105 f.  Monika Asztalos: Die theologische Fakultät. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 359 – 385, hier S. 363 – 365 und vgl. weiter Isnard Wilhelm Frank: Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens. Stuttgart 1988.  Vgl. Bruno Hamann: Geschichte des Schulwesens. Werden und Wandel der Schule im ideen- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang. Bad Heilbrunn 21993, S. 32– 34.  Vgl. Schubert: Fahrendes Volk, S. 255 f.  Vgl. Martin Kintzinger: Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter. Ostfildern 2007, S. 127.

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

227

gab, waren die „Übergänge zwischen Schule und Universität […] fließend, die Begriffe Schüler und Student nicht zu trennen.“³⁵ Im Gegensatz zu Standesstudenten und angesehenen Gelehrten entschieden die meisten einfachen Studenten nicht, eine konkrete Universität zu besuchen, weil diese einen großen Namen oder besondere Privilegien hatte, zumal sie an den süd- und westeuropäischen Juristenzentren auch nicht akzeptiert worden wären. Diese besuchten lieber die einfachen ‚Artistenschulen‘ in räumlicher Nähe zum Herkunftsort oder sozialer Nähe durch persönliche Netzwerke.³⁶ Auch der Umstand, dass der Student zum entfernten Universitätsstandort reisen musste, kann nicht als Unterscheidungskriterium gelten. Denn ebenso die Besucher einer Lateinschule mussten unter Umständen zur nächsten Stadt weit reisen und hatten so ähnliche Voraussetzungen wie die Universitätsbesucher. Eine Unterscheidung bezüglich Alter, Bildungsniveau, Reisedistanz und gesellschaftlicher Stellung ist in literarischen Texten normalerweise nicht möglich, sofern es keine konkreten Zuweisungen gibt. In der Frühen Neuzeit etablieren sich im Deutschen weitere Bezeichnungen für Schüler: Anfang des 15. Jahrhunderts Schütz oder Schütze für den Anfänger im Lernen (übers. als lat. scuto oder tiro ‚Rekrut‘) und beanus oder Bachant für den etwas älteren Schüler, der aber noch nicht zu den Studenten gehört. Doch auch diese Bezeichnungen sind bereits in ihrer undurchsichtigen Etymologie pejorativ konnotiert: Bacchant von lat. bacchari ‚im Weinrausch rasen‘ oder von vagari ‚unstet umherschweifen‘ und beanus/bejaunus von frz. bec jaune ‚Grünschnabel‘;³⁷ dies zeigt der Großteil der Wortbelege.³⁸ Das Wort Vagant, welches im Deutschen erst im 16. Jahrhundert belegt ist, geht schließlich über den Kontext der Schule hinaus und hat ausschließlich negative Konnotationen. Dabei handelt es sich bei den ‚Vaganten‘ von scholares vagantes wahrscheinlich um einen deutschen Latinismus, da mlat. nur scholares vagi überliefert ist.³⁹ Alle drei Bezeichnungen denotieren nicht nur, sondern sie werden auch appellativ gebraucht, indem sie mitunter ihr Signifikat abwerten. Damit nehmen sie Anteil an der Praxis sprachlicher Ausgrenzung.⁴⁰ Ebenso verhält es sich mit dem pejorativen Kompositum Lotterpfaffe und der Substantivgruppe Fahrender Schüler (als varent schuler etc.), die durch das Attribut als Teil der als deviant eingeschätzten

 Schwinges: Der Student in der Universität, S. 181.  Vgl. Schwinges: Universitätsbesucher, S. 465 – 486 und Irrgang: Peregrinatio academica, S. 191.  Mit dieser Bezeichnung des nicht oder neu immatrikulierten Studenten ist an den Universitäten des 15.–17. Jh. das gewalttätige und erniedrigende Initiationsritual der depositio cornuum verbunden. Erst nach der Deposition wurde der Neue nicht mehr als wildes Tier (pecus campi), sondern als Teil der Gemeinschaft angesehen. Vgl. dazu Rainer Christoph Schwinges: Mit Mückensenf und Hellschepoff. Fest und Freizeit in der Universität des Mittelalters (14. bis 16. Jahrhunderts). In: JbUG 6 (2003), S. 11– 27, hier S. 11.  Vgl. Nyström: Schulterminologie, S. 236 – 240, DWB 1 (1854), Sp. 1060 und FWB 2, Sp. 1618 – 1620 mit Verweisen auf Michael Lindener, Martin Luther, Hans Sachs, Paracelsus und andere.  Vgl. Nyström: Schulterminologie, S. 235 f.  Zu verschiedenen Verfahren einer Pragmasemantik ausgrenzenden Sprechens vgl. LobensteinReichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 23 – 148.

228

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Gruppe der Fahrenden prädiziert sind. Im Humanistenlatein heißt dieser dann scholasticus vagans. Das folgende Kapitel untersucht die Bewertung des nominalen Grundworts (Schüler) in Texten des Mittelalters hinsichtlich Indizien, die für die Situation in den Texten um 1500 (z. B. Bettlerkataloge) von Bedeutung sind. Im Kapitel 9 wird dann die Bewertung des spezifizierenden Attributs (fahrend) untersucht und im Kapitel 10 die Substantivgruppe (Fahrender Schüler).

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert Das dominante stratifikatorische Gesellschaftsbild des Mittelalters, welches die Welt in mindestens drei Stände (ordines) untergliedert, wurde bereits zum Thema.⁴¹ Diese Vorstellung einer universalen und objektiven (da gottgegebenen) Ordnung gründet mitunter auf der berühmten Augustinus-Definition: ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio (Aug. civ. XIX, 15)⁴² und wurde in der Scholastik umfassend ausgebaut.⁴³ Diese Ständeideologie wird in zahlreichen anderen Texten wiederholt, unter anderem im Renner Hugos von Trimberg, der ausgehend von der siebten Ekloge Vergils (Verg. ecl. VII, 65 f.) das Bild entwirft, dass jeder Baum nur an der passenden Stelle schön werde: Ein elwer schôn bî wazzer stêt, In garten ein viehte schôn ûf gêt, Eichîn loup ziert grüenen walt, Ûf bergen ein tanne ist wol gestalt. ⁴⁴

Damit impliziert eine stabilitas ordinis auch eine stabilitas loci. Augustinus macht die Ständeordnung zu einer moralisch-theologischen Forderung, wenn er formuliert, dass nur zu Gott gelange, wer den ordo befolge.⁴⁵ „Aus der objektiven Geordnetheit der Welt leitet Augustinus die Pflicht für jeden einzelnen ab, sich selbst zu ordnen; und der  Vgl. Kapitel 4.2.  Übers. von Carl Johann Perl. Padeborn 1979, S. 475: „Ordnung ist die Verteilung der gleichen und ungleichen Dinge, die jedem seinen Platz zuweist.“  Dazu zusammenfassend Wolfgang Heinemann: Zur Ständedidaxe in der Deutschen Literatur des 13.–15. Jahrhunderts. In: PBB (H) 88; 89 und 92 (1966; 1967 und 1970), S. 1– 90; 290 – 403 und 388 – 437, hier I, S. 2– 12 und Otto Gerhard Oexle: [Art.] Stand, Klasse. In: GG 6 S. 185 – 200. Die Grundlage von Oexles Ständedefinition ist Max Webers „ständische Lage [als] eine in Anspruch genommene positive oder negative Privilegierung in der sozialen Schätzung“; Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 51976, S. 179.  Hugo von Trimberg: Der Renner. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von Günther Schweikle. 4 Bde., hg. von Gustav Ehrismann. Berlin 1970, vv. 17377– 17380. Dazu und zu anderen Beispielen im Renner vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 91 f.  ordo est, quem si tenuerimus in vita, perducat ad deum et quem nisi tenuerimus in vita, non perveniemus ad deum (Aug. ord. I, 9, 27).

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

229

ordo vitae des einzelnen ist dann wiederum Voraussetzung für das Geordnetsein einer Gesellschaft.“⁴⁶ Das Einhalten des ordo-Gebots und der Erhalt der tranquillitas ordinis werden also begründet durch die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Dadurch wird das Überschreiten der Grenzen des eigenen ordo zur Sünde wider Gott und wider die Gesellschaft. Diese transzendente Begründung der Ständedichtung ist dabei nur ein Element – wenn auch wohl ein bedeutsames – für die Konstruktion eines mittelalterlichen Gesellschaftsbildes. Man darf sie zwar nicht verabsolutieren und so sozialen Wandel und Dynamiken im kollektiven Wissen ausschließen, doch gewiss ist dieses Moment ein wichtiger Baustein im Entwurf eines gesellschaftlichen Imaginären, welches (auch) durch Texte gebildet wird und in einem zirkulären Implikationsverhältnis zu historischen Ereignissen und realen Praktiken steht.⁴⁷ Paradoxerweise wird diese hochmittelalterliche Begründung vor allem ab dem 13. Jahrhundert rekurrent, also in der Zeit einer „ersten Krise des Feudalismus“.⁴⁸ Dieser Aussage wurde aufgrund der Tendenz zur Generalisierung und der Begründung durch die „Hoffnungen moderner Historiker auf die Aufdeckung eines biologisch-genetischen Ablaufs der Geschichte“⁴⁹ widersprochen und erkannt als eine „Imagination des 20. Jahrhunderts, das in einen ‚fernen Spiegel‘ zu schauen versucht hat und sich dort allenfalls schemenhaft selbst zu erkennen vermochte.“⁵⁰ Doch grosso modo sind spätestens ab dem 14. Jahrhundert epochale Umwälzungen und eine Häufung von krisenhaft oder zumindest als Veränderung wahrgenommenen Phänomenen evident – wenn auch mit „regionalen Unterschiede[n] im Krisenszenario“⁵¹. Diese gesellschaftlichen Veränderungen beförderten eine zunehmende Ausweitung und Differenzierung der Gesellschaft in verschiedene ordines, zuerst durch die Aufnahme des Bürgertums in die Ständepyramide und später durch die Unterteilung in verschiedenste Berufs- und Sozialgruppen.⁵² Gleichzeitig sind diese Prozesse auch „wesentliche Ursache für die seit dem 13. Jahrhundert in großem Umfang einsetzende Popularisierung ständischen Gedankenguts  Heinemann: Ständedidaxe I, S. 9.  Eine kritische Stellungnahme bei Alfred J. Hubler: Ständetexte des Mittelalters. Analysen zur Intention und kognitiven Struktur. Tübingen 1993, S. 11– 13. Als Alternative bietet dieser schließlich eine mentalitätsgeschichtliche Analyse von kollektiven Wissensbeständen an.  František Graus: Die erste Krise des Feudalismus. In: ZfG 3 (1955), S. 552– 592.  Hartmut Boockmann: Stauferzeit und spätes Mittelalter. Deutschland 1125 – 1517. Berlin 1987, S. 245 f.  Peter Schuster: Die Krise des Spätmittelalters. Zur Evidenz eines sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Paradigmas in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. In: HZ 269 (1999), S. 19 – 55, hier S. 55. Dazu zusammenfassend Peter Kriedtke: Spätmittelalterliche Agrarkrise oder Krise des Feudalismus? In: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 42– 68.  Rolf Kießling, Frank Konersmann u. a. (Hg.): Grundzüge der Agrargeschichte. Köln, Weimar, Wien 2016, Bd. 1, S. 11. Vgl. Schuster: Die Krise des Spätmittelalters, S. 41.  Vgl. Heinemann: Ständedidaxe I, S. 28 f. Den vorläufigen Fluchtpunkt bilden dabei die universal empfundenen Ständebücher im 16. Jahrhundert. Der wohl berühmteste Vertreter ist Jost Amman, Hans Sachs: Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden. Frankfurt a. M.: Sigmund Feyerabend und Georg Rab d. Ä. 1568.

230

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

mit den Mitteln der Predigt und – nicht zuletzt – der Dichtung.“⁵³ Dieses Paradoxon einer zunehmenden Textproduktion zu einem Phänomen in Zeiten seiner gesellschaftlichen Erosion ist durch die Logik der bedrohten Ordnungen zu erklären, derzufolge erst in der Bedrohungssituation die andernfalls als selbstverständlich aufgenommenen Wissensbestände bewusst werden, was so zu einer verstärkten Beschäftigung führt.⁵⁴ Es ist demnach nicht weiter verwunderlich, dass die im 13. Jahrhundert einsetzende ständedidaktische Literatur als Kisenphänomen in vielen Fällen gleichzeitig ständesatirisch ist – analog zur Situation um 1500.⁵⁵

8.1.1 Ständelehren und Sermones ad status Lateinische Sermones ad status Wie sind in diesen Texten die Schüler dargestellt? Schon in den Praeloquia Rathers von Verona (wohl 934– 936), die „den eigentlichen Beginn der universalen Ständelehre“⁵⁶ markieren, wird der Schüler zum Thema: Discipulus es? Scito te obedientiam debere magistris, eamque rem moralem existere, ut hoc quis exigat a subditis, quod se meminit exhibuisse prelatis. […] Stude humiliter subesse, ut tibi et multis aliis quandoque ualeas prodessse. Magister es? Doce humiliter quod nosti. Discipulus? Disce inhianter quae adhuc minime nosti. Magister? Opta magis amari quam timeri…⁵⁷

Indem der discipulus einem Lehrer gegenübergestellt ist und nicht den Rittern, Bauern oder Handwerkern, wird der status des Schülers sichtbar. Er steht kategorial dem Lehrer nahe, wenn auch in einer hierarchisch untergeordneten Position, was durch seine Unwissenheit und Jugend begründet ist. Dennoch besetzt er damit noch lange keine eigene ständische Kategorie. Der discipulus wird nicht als eigener Gesellschaftsstand (status ordinis), sondern als Lebensstand (status aetatis) wahrgenommen.⁵⁸ Damit folgt Rather

 Heinemann: Ständedidaxe I, S. 14  Vgl. Frie/Meier: Bedrohte Ordnungen, S. 4 f.  Bei solchen quantitativen Aussagen über Vergleiche des Hoch- mit dem Spätmittelalter muss man beachten, dass 90 Prozent der handschriftlichen Überlieferung aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammen, was bei einem eklektischen Zugriff zu einer Verzerrung des Bildes führen kann. Vgl. Boockmann: Stauferzeit, S. 240. Tendenzen sind cum grano salis aber dennoch ermittelbar.  Heinemann: Ständedidaxe, I, S. 30.  Rather von Verona: Praeloquia, hg. von Peter L. D. Reid. Thurnhout 1984, I, XV, 30 f.; Übers. P. R.: ‚Du bist ein Schüler? Wisse, dass du den Lehrern Gehorsam schuldest und dass dieser moralische Sachverhalt zutagetrete, dass man das von den Untergebenen fordert, was man seiner Erinnerung nach von den Vorgesetzten vorgelebt bekam. Bemühe dich, demütig zu sein, um dir oder vielen anderen irgendwann einmal nützen zu können. Du bist Lehrer? Lehre demütig, was du weißt. Schüler? Lerne begierig, worüber du noch zu wenig weißt. Lehrer? Wünsche mehr geliebt als gefürchtet zu werden…‘  Oexle: [Art.] Stand, Klasse. In: GG 6, S. 189 spricht ählich von ‚Personalständen‘ (viri, mulieres, conjuges, uxores etc.). Heinemann: Ständedidaxe, I, S. 75 von ‚Lebensständen‘ (z. B. ad pueros). Den Begriff status aetatis habe ich als Gegenbegriff zu status ordinis aus der Rechtswissenschaft entlehnt.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

231

derselben Tendenz wie schuldidaktische Texte und die großen ständetheoretischen Summen der Scholastik (z. B. De sacramentis christianae fidei Hugos von St. Victor oder der Polycraticus des Johannes von Salisbury), in denen der Schüler als Stand entweder gar nicht oder in der skizzierten Weise vorkommt.⁵⁹ Explizit wird dieser Unterschied zwischen dem kategorial anderen status des Schülers und dem status eines Priesters oder Ritters bei Bonaventura (Giovanni Fidanza), der nach einer universal empfundenen Reihe die Schüler nur dahingehend in sein hierarchisches Schema integriert, dass sie sich dem Lehrer unterordnen.⁶⁰ Die Schüler sind also ein subalterner Teil des ‚Lehrstandes‘, des ordo clericus. Dieser status ist als status aetatis jedoch nur auf eine Entwicklungsphase beschränkt, wobei der hierarchische Aufstieg (für den moralisch und fachlich ‚guten‘ Schüler) explizit mitgedacht ist. Indem sich ab dem 12. Jahrhundert in Predigtanweisungen die Auffassung durchsetzt, dass jeder Hörer durch je passende Inhalte angesprochen werden müssten – mit den Worten eines Predigthandbuches Diversa diversis ⁶¹ – etablierte sich die Textgattung der Sermones ad status, z. B. in den homiletischen Hilfsbüchern des Honorius Augustodunensis (Speculum Ecclesiae, 1100/1110) und des Alanus ab Insulis (Summa de arte praedicatoria, Ende 12. Jh.). Diese Predigten dienen weniger der systematischen Durchdringung des Themas, sondern sind „vielmehr durch die Pädagogisierung und Popularisierung des Ständegedankens gekennzeichnet“,⁶² wodurch sie auch eine Wirkung auf literarische Texte über Stände hatten. Sie sagen aber weniger etwas über das angesprochene Auditorium der Predigt aus, sondern mehr über das Bild von den Ständen, das der Prediger hatte.⁶³ Während die ersten Musterpredigten an die verschiedenen Stände die Schüler allenfalls als implizite Adressaten der Predigten anführt, widmen andere Sermones ad status, die vor allem in der Romania des 13. Jahrhunderts entstanden sind, den Schülern ganze Musterpredigten. Der Wandel in der Darstellung der Studenten und Magister in den Sermones ist ein Zeichen für eine Veränderung des Gesellschaftsbildes im 13. Jahrhundert.⁶⁴ Die wichtigsten Sammlungen mit solchen Sermones ad status

 Vgl. Heinemann: Ständedidaxe I, S. 46 – 51.  Bonaventura: Illuminationes Ecclesiae, hg. von A. C. Peltier. Paris 1867, Serm. XXII, S. 140. Sunt ergo in Ecclesia præsidentes, et subditi; docentes et disciplinati; regulantes, et regulati […] Debent enim plus esse subjecti regulares suo superiori, quam discipuli magistro, quam subjecti præsidenti; vgl. Heinemann: Ständedidaxe I, S. 54– 57.  Humbert de Romans: De eruditione religiosorum Predicatorum, hg. von Margarinus de la Bigne. Lyon 1677, S. 424– 567. Vgl. Sarah Khan: Diversa diversis. Mittelalterliche Standespredigten und ihre Visualisierung. Köln 2007, S. 102.  Heinemann: Ständedidaxe I, 65 – 78, hier S. 65.  Vgl. Carolyn Muessig: Audience and Preacher. Ad status Sermons and Social Classification. In: Carolyn Muessig (Hg.): Preacher, Sermon, and Audience in the Middle Ages. Leiden, Boston 2002, S. 255 – 276, hier S. 275 f.  Dazu Antonio Marson Franchini: Studenti e Maestri sotto la Lente dei Predicatori. Il XIII Secolo come Spartiacque. In: I quaderni del m.æ.s. Journal of Mediæ Ætatis Sodalicium 15 (2017), S. 95 – 119, hier S. 95: „Ai fini di questa trattazione l’analisi si concentrerà sull’immagine che ci viene restituita di

232

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

stammen von Jacques de Vitry (1160/70 – 1240)⁶⁵, Humbert de Romans (1190/1200 – 1277),⁶⁶ Guibert de Tournai (~1200 – 1284),⁶⁷ Luca Lettore († vor 1287)⁶⁸ und Federico Visconti (1253 – 1277).⁶⁹ Diese beinhalten Anweisungen darüber, welche Inhalte gelernt werden sollen, Ermahnungen zu einem tugendhaften Leben sowie Appelle an den Arbeitseifer (studiositas) der Schüler und Studenten. Eine Predigt von Jacques de Vitry (sermo XV) will ich hier genauer untersuchen. Dabei handelt es sich weniger um ein bestes Beispiel der Gattung, vielmehr hat diese Musterpredigt einen exzeptionellen Status, da sie Schüler (und implizit auch der Lehrer) sowie deren vagatio eingehend behandelt. Die beiden Predigten an die Scholaren (XV und XVI)⁷⁰ stehen an einer Scharnierstelle zwischen den Geistlichen im engeren Sinne (Nr. I–VIII: Prälaten und Priestern; Nr. IX–XIV: Kanonikern und anderen Klerikern) und den Gelehrten (Nr. XVII f.: Richtern und Advokaten; Nr. XIX–XXI: Theologen und Predigern). Darauf folgen Predigten für die verschiedenen Mönchsorden (Nr. XXII–XXIX). Die Gelehrten werden als ein Teil des ordo clericus, die Schüler hingegen als logisch eigener ‚Stand‘ angesehen. Die erste Scholarenpredigt (XV) nimmt den Bibelvers Si videris sensatum, evigila ad eum, et gradus ostiorum illius exstudenti e professori universitari da testi coevi come i sermones ad status e altri contributi di ambiente laico.“  In den Sermones vulgares (~1226), einer der populärsten Predigtsammlungen des 13. Jahrhunderts, sind zwei Predigten, Nr. XV und XVI, Ad scolares gerichtet.Vgl. dazu Jacques de Vitry: Iacobi de Vitriaco Sermones vvlgares vel ad statvs, hg. von Jean Longère. Turnhout 2013, Muessig: Audience and Preacher, S. 265 – 270. Heinemann: Ständedidaxe I, S. 73 – 75 und Franchini: Studenti e Maestri, S. 99 f. (v. a. Anm. 25).  Im zweiten Teil seines Predigthandbuches De eruditione praedicatorum stehen 100 meist sehr kurze Impulse für Musterpredigten, die an spezielle Studentengruppen adressiert sind. Die Predigt LXII ist an alle Scholaren adressiert (Ad omnes Scholares), die folgenden Predigten an gewisse Gruppen: Nr. LXIII Ad scholares in Grammatica, Nr. LXIV Ad Scholares de Cantu, Nr. LXV Ad Scholares in Logica, et in artibus liberalibus, et Philosophicis, Nr. LXVI Ad Scholares in Medicina, Nr. LXVII Ad studentes in iure communi, Nr. LXVIII Ad studentes in Iure Ciuili, Nr. LXIX Ad Studentes in iure Canonico, Nr. LXX Ad Studentes in Theologia. Ed. Humbert de Romans, De eruditione, S. 424– 567. Für weitere Informationen vgl. Edward Tracy Brett: Humbert of Romans. His life and Views of Thirteenth-Century Society. Toronto 1984 sowie Muessig: Audience and Preacher, S. 270 – 275, Heinemann: Ständedidaxe I, S. 75 – 78 und Franchini: Studenti e Maestri, S. 99 f. (v. a. Anm. 26).  Hier finden sich drei Predigten ad scolasticos et scolares (Nr. XXXIII–XXXV). Ed. Marjorie Burghart: Remploi Textuel, Invention et Art de la Mémoire. Les Sermones ad status du Franciscain Guibert de Tournai († 1284). 2 Bände. Univ.-Diss. Lyon 2013. Für mehr Informationen vgl. Franchini: Studenti e Maestri, S. 99 – 101 (v. a. Anm. 27).  In seiner Predigtsammlung Ad status et de diversis richtet sich eine Modellpredigt [a]d magistros et scolares.Vgl. Emanuele Fontana: Luca Lettore da Padova Omin. E i Sermoni del Codice Antoniano 466. In: Il Santo 47 (2007), S. 7– 104 und Franchini: Studenti e Maestri, S. 99 – 101 (v. a. Anm. 28).  Die Predigt Nr. LIX behandelt das Studium. Vgl. Les Sermons et la Visite Pastorale de Federico Visconti Archevêque de Pise, 1253 – 1277, hg. von Nicole Beriou. Rome 2001 und Franchini: Studenti e Maestri, S. 99 – 101 (v. a. Anm. 28).  Muessig: Audience and Preacher, S. 266 f. analysiert Sermo XVI und erkennt als Aussageabsicht, dass der Prediger versucht, die aufkommende Aristoteles-Begeisterung durch einen Appell an konservative Modelle zu zügeln.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

233

terat pes tuus (Sir 6,36)⁷¹ zum Thema und widmet sich zuerst der Frage, was einen würdigen Lehrer ausmache, welchen sensatus (klugen Mann) der Schüler also besuchen solle. Das ist gar nicht so einfach. So führt die Predigt aus, dass die Schüler närrisch und arm dran seien, welche die Schulen von (schlechten) Lehrern besuchten, um im Land der Blinden als Einäugige zu scheinen, und die dafür sogar weite Wege über Land und Wasser auf sich nähmen.⁷² Der Hauptteil der Predigt nennt die Eigenschaften, die ein Lehrer nicht haben solle: Er solle nicht eitel (vanus; XV, 3) sein, also die Wissenschaft ohne einen Bezug zu Gott um ihrer selbst willen praktizieren;⁷³ er solle nicht im Überfluss leben und nicht neugierig sein (superfluus und curiosus; XV, 5), da ein unmäßiger Lebensstand das eigene Lernen nur behindere,⁷⁴ die curiositas aber die Zeit und Energie der Studierenden verschwende und sie auf falsche Pfade führe;⁷⁵ er solle nicht unzuverlässig und lügnerisch sein (infidelis und dolosus; XV, 8), da er mit leerer Rhetorik mehr den Schein pflegen als dem Schüler nützen wolle⁷⁶ und – damit verbunden – solle er anderen gegenüber nicht neidisch oder missgünstig sein (invidus und malitiosus; XV, 9), also versuchen den guten Ruf anderer zu schmälern oder deren Schüler abzuwerben.⁷⁷ An dieser Stelle besonders hervorzuheben ist die Anweisung, der Lehrer solle nicht unbeständig sein (vagus und inconstans; XV, 4), wobei sich diese Anweisung vornehmlich auf eine übermäßige, oberflächliche und eklektische Lektüre bezieht, der eine fundierte und repetierende vorzuziehen sei: sicut illi qui multa perfunctorie et in transitu legunt, sed cibum non ruminant nec sibi incorporant […] Non simus igitur uagi et profugi de uno in aliud properantes et nihil retinentes. Sicut cribrum in aqua plenum uidetur, sed quando extrahitur apparet uacuum, ita isti, dum multa transeundo

 Übers. P. R.: ‚Wenn du einen verständigen Mann findest, dann steh früh auf und geh zu ihm und komme so oft, bis deine Schritte seine Schwelle abgenutzt haben.‘  Quam fatui et miseri scolares qui, ut in regione cecorum monoculi appareant, talium scolas frequentant! […] Multique alii mare transierunt, longos terrarum tractus circumierunt, ut sensatos magistros reperirent; Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 2; S. 268.  Vanus est qui scientiam suam ad Deum non refert, qui de scientia sua in seipso et non in Domino gloriatur; Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 3; S. 269.  Vnde Seneca [Sen. epist. 48, 12]: ‚Etiamsi multum superesset etatis, parce dispensandum erat, ut sufficeret necessariis. At nunc que dementia est superflua discere in tanta temporis egestate; Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 3; S. 269.  Multi quidem curiosi scolares defecerunt, scrutantes scrutinio, et in uanis atque inutilibus dies suos inaniter consumpserunt. […] Multi quidem propter curiositatem et falsi nominis scientiam corrupti sunt et abhominabilis facti sunt in studiis suis. Et quia a ueritate declinaverunt, omnes huiusmodi simul inutiles facti sunt; Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 5; S. 273 f. Der Sermo XVI der Sammlung (S. 286 – 306) konzentriert sich auf die Frage des richtigen Wissens, gibt Anweisungen für die richtige Lektüre und verwirft falsche Bücher.  Non enim fideles sunt sed dolosi qui querunt apparere, non prodesse; qui querunt gloriam suam, npn discipulorum utilitatem; qui uerborum perplexitatibus detinent auditores, quasdam subtilitates et nouitates sine fructu excogitantes; Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 8; S. 278.  Multos enim uidimus qui, aliorum fame inuidentes, detrahebant illis quos a multitudine scolarium frequentari dolebant, cum ipsi paucos haberent, licet aliis scolares subtrahere conarentur, crimen plagii committentes; Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 9; S. 280.

234

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

legunt, licet pleni uideantur, ex aquis Scripturarum remotis libris uacui remanent et inanes. Igitur utiliora ex multis debemus excerpere et diu masticando memorie commendare, ut tandem docendo effundere ualeamus. Fructus quidem arboris secundum legem esibiles erant anno quinto.⁷⁸

Den doctores wird also weniger eine Verletzung des Prinzips der stabilitas loci (vagatio corporis) unterstellt, sondern vielmehr ein oberflächliches Umherschweifen (vagatio mentis) wie auch in anderen moraldidaktischen Texten aus dem Umfeld der Schule.⁷⁹ Durch diese Ratschläge an die Schüler nimmt die Predigt dezidiert Kritikpunkte auf, die oft gegen (angehende) Gelehrte vorgebracht wurden und die sich vor allem um die Ablehnung der Gier nach weltlichem Ruhm (vanitas, apparentia) drehen.⁸⁰ Ebenso betont sie, dass Verstellung (dolus), und übermäßige Neugier (curiositas) dem Studium schaden, Sparsamkeit (parcitas) aber nützt. Der Umstand, dass sich diese Aspekte in sehr vielen Predigten in unterschiedlicher Intensität wiederholen, führt zu dem Befund, dass die Inhalte mit einem spezifischen Bild zusammenhängen, welches die Prediger (oftmals Angehörige der Bettelorden) vom Objekt ihrer Rede, den doctores, hatten oder konstruieren wollten. Denn bei vielen Kritikpunkten handelt es sich um schematisierte Muster oder rhetorische Topoi, welche auf Grundlage eines (Text‐) Vorbilds tradiert wurden.⁸¹ Demnach ist die Gier nach äußerem Schein und irdischem Ruhm abzulehnen. Der Schüler (als status aetatis) solle Gott und dem Lehrer gehorsam folgen. In der behandelten Predigt von Jacques de Vitry wird die rekurrente Ablehnung einer geistigen Instabilität (der Lehrer) um die örtliche Instabilität der Scholaren erweitert. Der Titel der Passage lautet: Contra uagos scolares qui assidue studere nolunt et

 Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 4; S. 271 f.; Übers. P. R.: ‚Wie jene, die viel oberflächlich und im Vorbeigehen lesen, aber die (Geistes‐)Nahrung nicht ordentlich kauen und sich einverleiben. […] Lasst uns nicht wie Herumstreifende oder wie Flüchtige sein, die vom einen Ort zum anderen rennen und nichts behalten. Wie ein Sieb im Wasser voll erscheint, aber, sobald man es herausnimmt, sich als leer erweist, so mögen auch die, solange sie vieles im Vorbeigehen lesen, voll erscheinen, doch vom Wasser der heiligen Schriften bleiben die entlegenen Bücher leer und nichtig. Also müssen wir das Nützliche aus vielen Büchern exzerpieren und dem Gedächtnis übergeben, nachdem wir es lange wiedergekäut haben, damit wir es endlich bei der Lehre ausgießen können. Die Früchte des Baumes sind ja dem Gesetz nach erst nach dem fünften Jahr essbar.‘  Zum Unterschied einer vagatio corporis und einer vagatio mentis vgl. Kapitel 9.1.1, zu schuldidaktischen Texten (v. a. von Pseudo-Boethius und den Predigten von Guibert de Tournai) vgl. Kapitel 9.3.2.  Dieses Herausstellen der Gier nach weltlichem Ruhm als Kennzeichen des Fehlverhaltens der Gelehren wird dadurch deutlich, dass sich die exempla, die gegen Ende der Predigt geboten werden, auf dieses Thema konzentrieren: (1) die Anekdote von Herostratos, der den Artemistempel in Ephesos niederbrannte, damit sein Name unsterblich werde (Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 10; S. 280 f.), (2) das Gleichnis vom Mann, der die gefangene Nachtigall in der Hoffnung auf größere Beute freilässt (XV, 14; S. 283 f.) und (3) die Fabel vom Frosch, der platzt, da er sich zu sehr aufbläst (XV, 15; S. 284 f.).  Dieselbe Meinung vertritt auch Franchini: Studenti e Maestri, S. 108 f. Mit seinen Geboten folgt Jacques de Vitry mithin dem allgemeinen mittelalterlichen Lehrkonzept, wie es auch in den deutschen Texten (z. B. dem Renner Hugos von Trimberg) deutlich wird. Vgl. Kapitel 9.3.3.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

235

qui in apparentia student. ⁸² Auf den ersten Blick scheint es ein Oxymoron, wenn hier von beständigen (assiduus) Unsteten (vagus) gesprochen wird, doch dies unterstreicht das Phänomen, dass Instabilität und Wandelhaftigkeit zum festen und beständigen Attribut des Schülers avancieren. Der Schwerpunkt dieser Textstelle, die einen zweiten Themenblock einleitet, der weitaus kürzer ist als die Warnungen vor falschen Lehrern, liegt auf der zweiten Hälfte des Bibelverses, also darauf, was darunter zu verstehen ist, dass die Türschwelle des guten Lehrers vom Fuß des Schülers abgewetzt werden solle: id est diligenter et assidue intende doctrine, non sicut quidam scolares qui in hyeme sunt in scolis et in estate recedunt. Alii autem euagando magistros mutant de scolis ad scolas transeuntes et nunquam libros integros uel certas audiunt lectiones. Immo atqui tantum, ut scolares reputentur et redditus ab ecclesiis quas debitis officiis defraudant hac occasione recipiant, uix semel uel bis in ebdomada scolas intrant. Et quia decretiste hora tertia legere consueuerunt, ut satis dormire possint, huiusmodi doctores sibi eligunt, ponderosa quidem uolumina coram se ad ostentationem deferri faciunt, ex quibus parum aut nichil proficiunt, quia non student ex corde sed omnia faciunt in apparentia et fraude.⁸³

Die Predigt stellt überaus detailliert und in fast schwankhaftem Ton die listigen Verhaltensweisen der Scholaren dar, dass diese nämlich ständig die Schule wechselten oder diese nur besuchten, um ein Almosen zu ergaunern. Auch ihre schweren Bücher hätten sie nur dabei, um die ‚normalen‘ Menschen (die Rezipienten der Predigt) zu täuschen. Durch diese Ausgestaltung sind weiter Momente einer Transgression der Predigt zum Satirischen hin feststellbar. Außerdem folgt die Passage einem Narrativ, das sich später im Gaunerdiskurs um 1500 findet: die betrügerische Verstellung eines ‚gelehrten Bettlers‘, der das Ziel verfolgt, sich seinen Lebensunterhalt durch ein (kirchliches) Almosen zu erschwindeln. Die Sermones ad status sind keinesfalls deskriptiv und objektiv, sondern deutlich interessengeleitet.⁸⁴ Dennoch oder gerade deshalb können sie als Merkmal für einen Wandel des gesellschaftlich Imaginären von Schülern und Studenten im 13. Jahr-

 Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 11; S. 281; Übers. P. R.: ‚Gegen fahrende Scholaren/ Schüler, die sich beständig weigern zu studieren und solche, die nur für den äußeren Schein studieren.‘  Jacques de Vitry: Sermones vulgares, XV, 11; S. 281 f.; Übers. P. R.: ‚Das heißt: Richte deine Aufmerksamkeit sorgfältig und beharrlich auf die Lehre nicht wie manche Schüler, die im Winter in der Schule sind und im Sommer wieder von dort zurückkehren. Andere aber wechseln beim Herumstreifen ihre Lehrer, wenn sie von Schule zu Schule gehen und nie unverdorbene Bücher oder bestimmte Vorlesungen gehört haben. Ja sie betreten die Schulen vielmehr nur ein- oder zweimal pro Woche, um als Schüler zu gelten und durch diese Gelegenheit Einkünfte von den Kirchen zu bekommen, die sie durch diese Verbindlichkeiten betrügen. Und weil die Dekretisten es gewohnt waren zur dritten Stunde [vormittags] zu lesen, um ausreichend schlafen zu können, wählten sie sich derartige Gelehrte aus und machten sich daran, schwere Bücher öffentlich zu Schau mit sich zu führen. Mit Hilfe dieser Bücher machten sie nicht sonderlich große oder gar keine Fortschritte, da sie das alles ja nicht aus vollem Herzen machten, sondern nur um des äußeren Scheins willen mit betrügerischer Absicht.‘  Vgl. dazu Franchini: Studenti e Maestri, S. 108 f. und 118 f.

236

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

hundert bewertet werden, als Wendepunkt und Geburt einer neuen Denkweise,⁸⁵ die auch allgemein als „Zeitalter der Stände“ bezeichnet wurde.⁸⁶ Bezüglich der Schüler betrifft diese Innovation einen Wandel von der Zuordnung als Teil des ordo clericus hin zu einem eigenen ordo. Während hier die formalrechtliche Zugehörigkeit zum Rechtskreis der Kirche – wenn auch als eigene Gemeinschaft – noch betont wird, kommt es mit dem Rückgang geweihter Schulbesucher und -lehrer schon ab dem 12. Jahrhundert zu einer Problematisierung der Identifizierung von Geistlichkeit und Bildungsträger, die im Spätmittelalter immer weiter erodiert. Während im frühen Mittelalter Alphabetisierung die hinreichende Bedingung für den Kleriker war,⁸⁷ löst sich durch die Zunahme der Lese- und Schreibfertigkeit die Bezeichnung clericus (wie auch das volkssprachige Pendant pfaffe)⁸⁸ vom geistlichen Stand und geht allgemein auf den Schriftkundigen und Gebildeten über wie im gegenwärtigen Sprachgebrauch mancher Sprachen, z. B. frz. clerc, engl. clerk. ⁸⁹ Gewiss standen die Universitätsangehörigen der Kirche nahe. Die meisten hatten vor, während oder nach ihrem Studium die niederen Weihen empfangen und die Kirche blieb „‚Arbeitgeber und Entlohner‘ mittelalterlicher Studenten, oft auch dann, wenn diese in den Dienst der Könige, Fürsten, Herren und Städte eintraten“,⁹⁰ da jeder die Universitätsabgänger mit kirchlichen Pfünden zu versorgen plante. Die Statuten der Universität und der Studentenhäuser zeigen weiter, dass ihrer Mitglieder dem Zölibat folgen sollten. ⁹¹ All diese normativen Aspekte

 „funge da spartiacque per la nascita di un nuovo modo di pensare“; Franchini: Studenti e Maestri, S. 119.  Heinemann: Ständedidaxe II, S. 308.  Zur Gleichung von clericus und litteratus vgl. die Aussage von Philipp von Harvengt († 1182): De institutione clericorum. In: PL 203, Sp. 665 – 1206, hier Sp. 816: interrogamus eum utrum clericus sit, non quaerentes scire utrum sit ad agendum altaris officium ordinatus, sed tantummodo, utrum sit litteratus. At ille ad interrogata consequenter respondens, dicit se clericum esse, si litteratus est; conversum vero laicum, si illiteratus est; Übers. P. R. ‚Wir fragen ihn, ob er ein Kleriker sei und wollen dabei nicht wissen, ob er als ordentlich Geweihter den Altardienst versehe, sondern nur ob er gelehrt sei. Und jener wird folgerichtig auf die Frage antworten und sagen, dass er ein Kleriker sei, wenn er gelehrt ist, umgekehrt aber dass er ein Laie sei, wenn er nicht gelehrt ist.‘ Diese Stellungnahme soll nicht insinuieren, dass clericus vornehmlich die Semantik des ‚Gelehrten‘ aufnimmt und die Semantik des ‚Geistlichen‘ völlig ablöst. Vgl. dazu [Art.] clericus. In: MWB 2, Sp. 713 – 717.  Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 12 2008, S. 682 f.  Vgl. Schwinges: Der Student in der Universität, S. 185 f. und Peter Classen: Studium und Gesellschaft im Mittelalter. Stuttgart 1983, S. 17 f. Dazu passt auch die Bezeichnung der „Klerisei“ für die Gesamtheit der gelehrten Elite v. a. in anglophoner Kulturgeschichte. Vgl. Peter Burke: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft. Berlin 22014, S. 25 – 35.  Schwinges: Universitätsbesucher, S. 410.  Vgl. Wolfgang Eric Wagner: Verheiratete Magister und Scholaren an der spätmittelalterlichen Universität. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Ostfildern 2010, S. 71– 100, hier S. 71 f. und S. 98 – 100: Wagner geht umfangreicher auf die Frage der clerici uxorati ein. Er erkennt, dass das zölibatäre Leben als Forderung der Universität das Zusammenleben der Universitätsangehörigen mit den Städtern und das Zusammenleben in der universitären

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

237

rückten die Studenten in die Nähe der Geistlichkeit und sagen dennoch wenig aus. Der Rechtsstatus des clericus beinhaltete nämlich, sofern keine kirchlichen Pfründen erreicht wurden, keine Verpflichtung gegenüber einem kirchlichen oder einem geistlichen Leben.⁹² Das zeigt auch die hohe Zahl an clerici uxorati, also verheirateten Magistern, Rektoren und Scholaren. Auch wenn die Anbindung an den ordo clericus nicht völlig aufgelöst wurde, bildete sich doch die Auffassung, dass der ‚klerikale‘ Student zwischen den konventionellen Ständen zu verorten sei. Die Distanz zum Priester wurde durch die zunehmende Laisierung der Universitäten aber immer größer.⁹³ Diesem Umstand tragen Aussagen von Geistlichen Rechnung, wie bei Rupert von Deutz, der sich beklagt, dass es allgemein üblich geworden sei, jeden – gleich welchen Standes und welchen Ranges – als clericus zu bezeichnen.⁹⁴

Deutsche Predigtliteratur Es ist wenig verwunderlich, dass die weitaus größere Zahl an Texten über die Mobilität von Schülern und Studenten auf Latein abgefasst sind, da diese als clerici ja auch dem Wirkkreis der Kirche angehörten. Tatsächlich finden sich deutsche Beschäftigungen mit dem Phänomen erst in den Bußpredigten des 13. Jahrhunderts und auch hier sind sie wenig explizit. Beispielsweise kritisiert Berthold von Regensburg⁹⁵ ganz allgemein das Tragen von langen Haaren bei pfaffen und schuolern als Zeichen der Todsünden superbia (hôhvart) oder acedia (lôsheit).⁹⁶ Nur an einer Stelle in den edierten deutschen Predigten wird ein devianter ‚Fahrender Schüler‘ behandelt, und zwar in der Predigt XXIX Wie man die Werlt in zwelfiu teilt unter der Rubrik der unkiusche. Jedoch ist diese Passage textkritisch äußerst problematisch. In der Handschrift Cod. pal. germ. 24 (fol. 187v f.) heißt es:

Gemeinschaft gefördert habe und dass für viele Fachstudenten eine kirchliche Pfründe für die Finanzierung des Studiums wichtig gewesen sei. Mit einer Bepfründung aber seien die Geistlichkeit und damit der Zölibat verbunden. Im Laufe des Spätmittelalters aber hätten ausgehend von den Fakultäten der Medizin und der Rechtswissenschaften die Häufigkeit und die Akzeptanz gegenüber verheirateten Studenten und Magistern deutlich zugenommen.  Vgl. Schwinges: Universitätsbesucher, S. 410.  Vgl. Moraw: Der Lebensweg der Studenten, S. 238 und 250 f. sowie J. R. Strayer: The Laicization of French and English Society in the Thirteenth Century. In: Speculum 15 (1940), S. 76 – 86.  quo nomine designari mos est cujuscumque ordinis vel habitus valenter litteratum; Rupert von Deutz: Commentaria in Evangelium s. Joannis. In: Opera Omnia. Paris 1894, Sp. 201– 828, hier Sp. 203/204. Vgl. dazu Bumke: Höfische Kultur, S. 682.  Ich beziehe mich auf: Berthold von Regensburg: Vollständige Ausgabe seiner Predigten. 2 Bde., hg. von Franz Pfeiffer und Joseph Strobl.Wien 1862/1880. Trotz aller Unzulänglichkeiten dieser Edition wie der Beschränkung auf meist nur zwei Handschriften aus Unkenntnis der übrigen Überlieferung und die Übertragung in ein normalisiertes Mittelhochdeutsch ist sie noch immer das opus citandi. Zum Handschriftenbefund und zu Abhängigkeiten vgl. Dieter Richter: Die deutsche Überlieferung der Predigten Bertholds von Regensburg. Untersuchungen zur geistlichen Literatur des Spätmittelalters. München 1969.  Vgl. Berthold von Regensburg: Predigten, Bd. 1, S. 114, Z. 19 – 21; ähnlich in Bd. 2, S. 119, Z. 15 – 21.

238

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Man seit nur ein ungleplichez mer, daz ein dirnelin mit einem si hin weg gelaufen, daz ist nüwer aht iar alt. Ir sült vwer kinde hüten; alse sie zu frevelich gebarn, so sult ir ir war nemen, vnd sült vwer dohter in flisze haben so ir zur kirchen gent ir frauwen, oder an swelhen enden ir gent. Wanne die schüllerlin wartent vil eben wanne ir usgent, daz sie vwer kint verratent. Seht von einem rate der uf unküsch geraten wart, da worden wol vier vnd zweintzig tusent libe vnd sele verlorn, daz ir niemer mere rat wirt.⁹⁷

Diese Lesart von ‚Fahrenden Schülern‘, den schüllerin die junge Mädchen verführen, wird jedoch durch den anderen Zweig des Handschriftenstemmas relativiert. So nennt die Lesart in einer Brüsseler Handschrift stattdessen diu trullerin,⁹⁸ die Kupplerin oder Betrügerin (von trüllen ‚gaukeln‘, ‚spielen‘, ‚betrügen‘, ‚betören‘), eine Vokabel die bei Berthold von Regensburg vielfach bezeugt ist, während für schüelerlin nur diese eine Stelle angeführt wird.⁹⁹ Eine endgültige Entscheidung muss ausbleiben, jedoch passt die Kupplerin besser in den aufgespannten Rahmen der Unkeuschheit, auch wenn der Schüler die lectio difficilior darstellt. Die Vorstellung von Schülern als ordnungsgefährdende Elemente des Fahrenden Volkes ist in Bertholds Predigten aber gewiss noch kein geläufiges Stereotyp. Dagegen findet man bei Berthold immer wieder Anzeichen einer konventionellen Abneigung gegen ein deviantes ‚Fahrendes Volk‘. Betrachtet man die rekurrenten Polemiken gegen die Mendikantenorden als vagierende clerici,¹⁰⁰ dann scheint es nicht weiter verwunderlich, dass der Franziskaner Berthold von Regensburg gerade dieses Bild, das auf ihn selbst zurückfallen könnte, weitgehend ausspart. Die Invektiven gegen die gumpelliute hingegen stehen eher im Kontext eines Wettkampfes um die Aufmerksamkeit des Laienpublikums, den die (mendikantischen) Wanderprediger gegen die (Sangspruch‐)Dichter führten.¹⁰¹ Dabei bedient sich Berthold einer alternativen Möglichkeit der Ständerüge: Anstatt sich an den Todsünden zu orientieren oder die negativen Derivate der einzelnen Stände hervorzuheben, stellt der Prediger alle devianten Elemente als ‚letzten Stand‘ einer Reihe von ‚ordentlichen‘ Ständen gegenüber, v. a. in seiner Predigt Von den zehen kœren der engele unde der kristenheit:

 Cod. pal. germ. 24 fol. 187v f. Die normalisierte und an vielen Stellen durch Konjekturen von der Leithandschrift abweichende Predigt findet sich auch in Berthold von Regensburg: Predigten, Bd. 1, S. 470, Z. 2– 11.  Brüssel, Königl. Bibl., ms. 11083 – 84 (Kat.-Nr. 2042) Die Handschrift wird am Rand durch den Bearbeiter Bruder Wolfhart kommentiert Am puch der chunig vinst daz gesriben (die Stelle bezieht sich aber wohl auf Num 25, 9). Vgl. Berthold von Regensburg: Predigten, Bd. 2, S. 477.  Vgl. Lexer 2. Sp. 1543 (Art. trüllen und Art. trüllerinne, trüllerin) und Sp. 823 (Art. schuolerlîn, schüelerlîn).  Vgl. die Beispiele in Kapitel 2.2.  Vgl. Hannes Kästner: „Sermo vulgaris“ oder „Hövischer Sanc“. Der Wettstreit zwischen Mendikantenpredigern und Wanderdichtern um die Gunst des Laienpublikums und seine Folgen für die mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts (am Beispiel Bertholds von Regensburg und Friedrichs von Sonnenburg). In: Michael Schilling (Hg.): Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik. Heidelberg 1996, S. 209 – 243.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

239

Daz sint nû die niun kœre, dâ der almehtige got due kristenheit mite geordent hât: die êrsten drî kœre und die nidern sehs, die den obern alsô dienen sulnt mit ir amten. […] Daz sult ir mit untriuwen niht velschen noch lestern, als her Luzifer. Wære der getriuwe gewesen, sô wær er niht aptrünnic worden der himelischen engelschar unde dem almehtigen gote. Wan er wolte sich ze hôhe dünken unde dankte gote der hôhen êren niht, die er an in geleit hete […] Und alsô verstôzet man etelîche von den niun kœren und alle die von der heiligen kristenheit, die ungehôrsam sint und aptrünnic sint worden an triuwen und an wârheit […]; wan der zehende kôr ist eht gar von uns gevallen und aptrünnic worden. Daz sint die gumpelliute, gîger unde tambûrer, swie die geheizen sîn, alle die guot für êre nement.¹⁰²

In Opposition zu den neun ordnungsgemäßen und gottgefälligen ‚Chören‘ steht der zehnte ‚Chor‘, der in Analogie zu Luzifer aus Hochmut von der Ordnung und damit von Gott abgefallen sei. Teil dieses ‚Chores‘ sind zuvorderst die Schausteller. Deviante Schülerfiguren sind damit aber nicht gemeint. Signifikant dafür, dass es in Bertholds deutschen Predigten noch keine feste Imagination vom ‚Fahrenden Schüler‘ gibt, ist weiter folgender Umstand: Der Erzähltyp vom ‚Mann aus dem Paradies‘ ist noch nicht – wie im beliebten Schwank des 16. Jahrhunderts „Der Schüler aus dem Paradies“ – fest mit dem Fahrenden Schüler verbunden, sondern wird unspezifisch einem trügener und lieger zugeschrieben.¹⁰³ Ab dem Anfang des 14. Jahrhunderts knüpfen an die Praxis der Ständepredigten die ‚Schachzabelbücher‘ an, welche im Bild des (zum Teil verfemten) Brettspiels eine neue Gesellschaftsmetapher etablierten. Im ersten (lateinischen) Schachzabelbuch, Liber de moribus hominum et de officiis nobilium sive de ludo scaccorum (um 1300) des Genueser Dominikaners Jacobus de Cessolis,¹⁰⁴ wird diese Tradition durch die Inszenierung als tatsächlich gehaltene Predigten im Prolog evident.¹⁰⁵ Entgegen der Einschätzung der älteren Forschung¹⁰⁶ war das Schachbuch aber nicht zur pragmatischen Umsetzung geschrieben,¹⁰⁷ sondern es handelt sich um einen „hybride[n] polygenerische[n] Text“¹⁰⁸ zwischen allegorischer Ständelehre und Exempelsammlung. Schließlich wurde der Liber de ludo scachorum sehr populär und dadurch zum traditionalen Muster für zahlreiche Nachdichtungen in verschiedenen Volksprachen, deren berühmteste für den

 Berthold von Regensburg: Predigten, Bd. 1, S. 154.  Vgl. Berthold von Regensburg: Predigten, Bd. 2, S. 18, Z. 7– 21 und S. 34, Z. 8 – 27. Dazu weiter Kapitel 12.1 und 12.2.  Zum Verfasser und zur Datierung vgl. Oliver Plessow: Mittelalterliche Schachzabelbücher zwischen Spielsymbolik und Wertevermittlung. Der Schachtraktat des Jacobus de Cessolis im Kontext seiner spätmittelalterlichen Rezeption. Münster 2007, S. 46 – 51.  Vgl. Plessow: Schachzabelbücher, S. 46.  Vgl. Ferdinand Vetter (Hg.): Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhausen, Mönchs und Leutpriesters zu Stein am Rhein. Nebst den Schachbüchern des Jakob von Cessole und des Jakob Mennel. Frauenfeld 1892, S. XXXVIII–XLIV und Heinemann: Ständedidaxe II, S. 316.  Vgl. Plessow: Schachzabelbücher, S. 47.  Plessow: Schachzabelbücher, S. 70.

240

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

deutschsprachigen Raum das Schachzabelbuch Konrads von Ammenhausen ist.¹⁰⁹ Durch ihre ungemeine und bis in die Frühe Neuzeit – die Bücher wurden auch in den Druck überführt – reichende Wirkungsdauer „können sie geradezu als Paradebeispiel wirkungsmächtiger didaktischer Literatur gelten.“¹¹⁰ Das Symbolpotential der Schachmetapher reiht sich ein in die älteren Metaphern der Gesellschaft als Körper oder als Schiff und in die jüngeren Metaphern als ein Räderwerk.¹¹¹ Dabei ist das Schachspiel jedoch exzeptionell durch seine Repräsentation eines gradualistischen Gesellschaftsbildes (gradus), da die einzelnen Figuren hinsichtlich ihrer Aufteilung (v. a. Bauern und Offiziere) und deren Konstellation beschrieben werden können. Während der Schwerpunkt der Körpermetapher auf dem Zusammenhalt der Gesellschaft liegt (vgl. die berühmte Parabel vom Magen und den Gliedern des Menenius Agrippa, Liv. 2, 32), hebt die Schachmetapher die ständische Trennung hervor. Die einzelnen ‚edlen Schachfiguren‘ ebenso wie die Bauern (lat. populares; mhd. venden), die die niederen Stände symbolisieren,¹¹² erfahren Lob und Kritik, werden außerdem aber stets hinsichtlich ihrer Stellung in der Gesellschaft interpretiert. Der achte vende nimmt dabei eine Sonderstellung ein, da zwei gesellschaftliche Außenseiter in das Bild aufgenommen werden, die sich noch dazu „nicht durch ihren Stand bzw. durch ihren Beruf, sondern durch ihre moralischen Verfehlungen als Gruppe konstituieren“,¹¹³ nämlich die Spieler und Verschwender.¹¹⁴ Im Gegensatz zu den anderen Schachfiguren handelt es sich bei dem achten venden also um einen Vertreter des ‚letzten Standes‘, die personifizierte deviante Randgruppe, den Außenseiter. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Bebilderung der (lateinischen und volkssprachigen) Schachzabelbücher, die in den meisten Fällen vorliegt oder zumindest durch Aussparung intendiert ist. Dieser Umstand hängt auch damit zusammen, dass der Text konkrete Bildbeschreibungen bietet und so eine ikonographische Ausgestaltung motiviert. Die Illustrierung ist durch den Übergang in den  Der Traktat Jacobs von Cessolis ist in über 130 Handschriften allein im deutschen Sprachraum überliefert. Konrad von Ammenhausen vollendete sein Schachzabelbuch bereits 1337 und ist damit ein sehr frühes Zeugnis einer produktiven Rezeption. Die deutsche Dichtung selbst ist auch recht populär gewesen, was die 22 überlieferten Handschriften beweisen. Vgl. Plessow: Schachzabelbücher, S. 97 f. und S. 269 – 408.  Plessow: Schachzabelbücher, S. 12 und zur Rezeption vgl. S. 96 – 109.  Vgl. Plessow: Schachzabelbücher, S. 18 f.  Neben dem König und der Königin, werden die Läufer gewöhnlich als Richter/kirchliche Würdenträger oder Gelehrte, die Springer als Ritter und die Türme als Landvögte interpretiert. Die ersten sieben Venden sind der Bauer, der Handwerker (Goldschmied, Maurer, Zimmermann), der Woll- und Lederarbeiter (Weber, Scherer, Schneider, Friseur, Färber, Gerber, Sattler, Kürschner, Metzger und Schreiber wegen des Pergaments), der Händler, der Arzt, der Schank-/Gastwirt und der Stadthüter (Büttel, Wärter, Amtmann, Zöllner). Siehe die vergleichende Tabelle in Heinemann: Ständedidaxe II, S. 381– 385.  Plessow: Schachzabelbücher, S. 212.  Dass als dritte Gruppe noch die Boten als Teil dieses ‚Standes‘ wahrgenommen werden, ist verwunderlich und auch nicht explizit motiviert. Eine Erklärung könnte jedoch die Mobilität sein, die den Boten explizit, den anderen beiden Gruppen implizit zugesprochen wird.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

241

Frühdruck, sogar zum konstitutiven Merkmal des Textes geworden: Alle fünf Inkunabeldrucke der deutschen Prosaübersetzung des Schachbuches – nur diese wurde im deutschen Sprachraum überhaupt gedruckt – sind illustriert und stehen mit Ausnahme der niederdeutschen Version in einem komplexen Abhängigkeitsverhältnis.¹¹⁵ In der deutschen Prosafassung wird der achte vend folgendermaßen beschrieben: Vnd sol auf dem schachtzabel gestalt sein als ain man, das er hab auf seinem hawpt ain raitz, praitz har, vnd in der rechten hant drey würfel, vnd in der lenken hant ein wenig pfening, vnd an seiner gürtel ain priefvas vol prief. Pey den wurfeln in der rechten hant sind bedawtet spiler, loter vnd rufyan. Pey den pfenyg in der lenken hant sind wedawt die güftigen prodigi. Das priefuas mit priefen pedawt lawffer vnd brieftrager.¹¹⁶

Teile der historischen Forschung identifizieren diesen achten venden nun als „fahrende[n] Scholar[en]“.¹¹⁷ Diese Interpretation hat keinen unmittelbaren Rückhalt im Text, sondern rekurriert allenfalls auf die Darstellung von Außenseitertum und Mobilität. Zwar entlehnt Konrad von Ammenhausen in seiner mittelhochdeutschen Versbearbeitung das Exempel vom Sohn des Lucrêtius als Muster für einen Verschwender aus der disciplina scholarium des Pseudo-Boethius und erweitert so seine Vorlage (vv. 17094 – 17174);¹¹⁸ doch in diesem Beispiel wird allenfalls auf die Jugend und die fehlende Lenkung durch den Vater abgehoben, welche zum moralischen Abgleiten des Protagonisten und schließlich zum Tod am Galgen führt. Der Status als Schüler ist sekundär. Die Illustration und wohl sogar derselbe Druckstock wurden abseits der Gattungsreihe der Schachzabelbücher in der Kölner Inkunabel Der Boiffen Orden aus der Offizin Johann Koelhoff d. Ä. genutzt. Diese parodistische niederdeutsche Reimpaarrede aus dem Mund eines vagierenden Sprechers demonstriert neben einer Anlehnung an die oberdeutsche Texttradition des Schachbuches auch die semantische Offenheit der Darstellung für jede Außenseiterfigur. Diese Semantik einer ‚Figur des Dritten‘ übernimmt ab dem 16. Jh. der Narr, was der (ebenfalls Kölner) Neudruck des Bovenorden bei Heinrich von Neuß (um 1508) verdeutlicht, wenn er auf das Titelblatt einen Holzstich mit einem Schiff voller Narren setzt.¹¹⁹ Die Untergliederung des Gesellschaftsbildes zeigt sich schließlich im 15. Jahrhundert, wenn in Verlautbarungen der Universitätsstädte die Gesamtheit der Bevöl-

 Vgl. allgemein Plessow: Schachzabelbücher, S. 181 f. Für Überlegungen zu den konkreten materialen und ideellen Tradierungsprozessen vgl. Philip Reich: Tradierende Drucker. Überlegungen zum Traditionsverhalten in den Schachzabelbüchern deutscher Frühdrucker. In: Daphnis 47 (2019), S. 380 – 406.  Das Schachzabelbuch des Jacobus de Cessolis, O. P. in mittelhochdeutscher Prosa-Übersetzung, hg. von Gerard F. Schmidt. Berlin 1961, S. 108.  Irsigler/Lassotta: Bettler und Gaukler, S. 13 f. und ähnlich Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1973, S. 341– 346.  Vetter: Schachzabelbuch, Sp. 701– 703. Vgl. dazu Kapitel 9.3.2.  Vgl. Reich: Tradierende Drucker, S. 399 f. mit der Abb. auf S. 398.

242

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

kerung angesprochen und die Studenten explizit hervorgehoben werden.¹²⁰ Das konventionelle pfaffen unde leien ¹²¹ wurde beispielsweise in den Kölner Ansprachen um 1400 (und wieder 1435) zu pfaffe, studente, leye, vrauw off man ¹²² erweitert. In Erfurter Prozessionsplänen von 1483 heißt es schulere, pristere, studenten, monche, leyen, juncfrouwen unde frowen. ¹²³ In Leipzig und Rostock wird diese ständische Zwischenstellung der Studenten sogar durch die lexikalische Neubildung von halfpapen, also halbe pfaffen, realisiert.¹²⁴ Aus einer Zuordnung der Schüler und Studenten zum ordo clericus, in dem sie allenfalls als status aetatis erscheinen, der durch ihre spezifische Lebenssituation (Jugend und Abhängigkeit vom Lehrer) geprägt ist, wird so im Laufe des Spätmittelalters ein eigener status ordinis, der ergänzend neben die konventionellen drei (Adel, Klerus, Bauern) oder zwei (Klerus, Laien) Ständegruppen tritt. Ursache für diese Entwicklung ist dabei unter anderem die problematische Zwischenstellung des Gelehrtenstandes. Eine Gleichsetzung, dass jeder Schriftkundige auch Geistlicher war, ließ sich nicht mehr aufrechthalten. Die Eingliederung in ein stratifikatorisches System, verbunden mit einer Säkularisierung des ordo der Schüler, stellt wichtige Weichen für die Imagination des Musters vom Fahrenden Schüler, wie er ab dem Spätmittelalter in erzählenden Texten zu finden ist.

8.1.2 Ständesatiren Die Schreibform des Satirischen wurde bereits thematisiert.¹²⁵ Nun hat Ulrich Gaier in seiner einflussreichen Monographie die Ständesatire eigentlich aus dem Feld des Satirischen verbannt, indem er in der „positiv-materialistische[n] Einstellung zu Sünde und Laster“ die „Auseinandersetzung mit dem bedrohlich Unbekannten“ als Konstituens der Satire unzureichend umgesetzt sieht.¹²⁶ Dieses Verdikt Gaiers ist zu relativieren, beruht es doch auf einer qualitativen Absetzung der vorgängigen Texte,

 Vgl. zum Folgenden: Rainer Christoph Schwinges: Pfaffen und Laien in der deutschen Universität des späten Mittelalters. In: Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp (Hg.): Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburg (Schweiz) 1999, S. 235 – 249, hier S. 236 f.  Vgl. Lexer 1; Sp. 1866, [Art.] leie, leige und zu Belegstellen in der Versnovellistik vgl. Beine: Wolf in der Kutte, S. 98 f.  Hermann Keussen: Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388– 1559. Köln 1918, S. 12. Es handelt sich um Morgensprachen über ein Ausgeh- und Versammlungsverbot nach 23 Uhr.  Horst Rudolf Abe: Die mittelalterliche Universität Erfurt im Spiegel der zeitgenössischen Chroniken des Hartung Cammermeister († 1467) und des Conrad Stolle († 1505). In: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 3 (1957), S. 7– 18, hier S. 12.  Paul Kretschmann: Universität Rostock. Köln, Wien 1969, S. 21 und Wilhelm Bruchmüller: Der Leipziger Student 1409 – 1909. Leipzig 1909, S. 9 f.  Vgl. Kapitel 5.2.1.  Ulrich Gaier: Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart. Tübingen 1967, S. 340 f.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

243

welche die innovative, epochemachende Kraft von Brants Narrenschiff hervorzuheben versucht.¹²⁷ Gewiss unterscheidet sich Brants Text von Ständesatiren wie Des Teufels Netz hinsichtlich der Offenheit der rahmenden Allegorie, der Imagination einer stabilen Gesellschaftsordnung oder der narrativen Gliederung. Der Unterschied zwischen Brant und seinen Vorgängern ist aber nur graduell, was Gaier auch selbst einräumt.¹²⁸ Zu einer Negierung des Satirischen in der Ständedidaxe besteht kein Grund, allenfalls ist von einer Konventionalisierung zu sprechen, die gewisse feste Formen ausprägt. Prinzipiell gelten dieselben Aussagen für die mittellateinische und mittelhochdeutsche Gesellschaftssatire, wobei generell eine enge Abhängigkeit der deutschen satirischen Dichtung von den lateinischen Texten nachgewiesen wurde.¹²⁹ Im Folgenden geht es – einer chronologischen Ordnung folgend – um einige Texte, in denen der Student/Schüler als Stand satirisch behandelt wird. Dabei klammere ich das weite Textfeld der Fabel, das durch semantische Verzerrung ebenso der Gesellschaftssatire dient, weitgehend aus. Hier erscheinen neben Wölfen und Hasen vor allem auch Esel als Schul‐ und Universitätsbesucher,¹³⁰ wie der Esel Burnellus im populären Speculum stultorum des Nigellus Wireker (1179/80).¹³¹  Vgl. Gaier: Satire, S. 221– 226. Damit widerspricht er ausdrücklich Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Hamburg 31967, S. 228, Rainer Gruenter: Die ‚Narrheit‘ in Sebastian Brants Narrenschiff. In: Neophilologus 43 (1959), S. 207– 221, hier S. 209 und Barbara Könneker: „Eyn wis man sich do heym behalt“. Zur Interpretation von Sebastian Brants Narrenschiff. In: GRM NF: 14 (1964), S. 46 – 76, hier S. 48. Diese drei gehen von einer engen Bindung des Narrenschiffs an die moralund ständedidaktische Satire aus.  Vgl. Gaier: Satire, S. 224.  Vgl. dazu Henkel: Gesellschaftssatire im Mittelalter, S. 110 – 114 und Heinemann: Ständedidaxe I, S. 14: „Die deutsche Dichtung ständischen Charakters steht in der Tradition einer umfangreichen lateinischen Ständeliteratur.“  Verbreitet ist die Erzählung vom Wolf, der in die Schule (auch konkret nach Paris) geht, aber nur ans Fressen denkt, daher nichts lernen kann und ohne Erfolg zurückkehrt. Erster Beleg diese Fabel ist Nivardus Gandavensis: Ysengrimus, hg. von Jill Mann. Leiden 1987 V, 541– 566. Besonders akzentuiert ist sie in der frühneuhochdeutschen Version „Der Wolf in der Schule“ (Von dem wolff vnd seinem wyb). Vgl. dazu Gerd Dicke und Klaus Grubmüller: Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen. München 1987, Nr. 644, S. 751– 755. Zum Esel vgl. Dicke/Grubmüller: Fabeln, Nr. 122, S. 132 f. Ab dem 16. Jahrhundert kommt dann noch der Hase dazu. Zu den Scherzdisputationen zur ‚Haserei‘ vgl. Tobias Bulang: [Art.] Hasenkopff, Leppisch. In: VL16, 3, Sp. 170 – 174.  Der Text ist in mindestens 40 Handschriften überliefert und wurde in mehreren Auflagen bis ins 17. Jh. gedruckt. Der Esel Burnellus gelangt auf der Suche nach einem längeren Schwanz nach Salerno, wo er einem Scharlatan (Truffator, v. 786) aufsitzt und nach Paris, wo er studieren will, aber nur das Wohlleben genießt und nichts lernt. Am Ende gründet er einen ‚Patchwork‘-Orden mit den Vorteilen verschiedener bestehender Mönchsorden. Damit erweist sich der Text sowohl als Mönchs- als auch als Gelehrtenparodie. Dies betont der Verfasser in einem beigegebenen auslegenden Brief. Ed. der satirischen Fabel in Nigellus de Longchamp: Speculum stultorum, hg. von John H. Mozley und Robert R. Raymo. Berkeley 1960, Der Brief ed. in John H. Mozley: The ‚Epistula ad Wilhelmum‘ of Nigel Longchamps. In: Medium Ævum 39 (1970), S. 13 – 20. Übers. von Fabel und Brief in Nigellus Wireker: Narrenspiegel oder Burnellus, der Esel, der einen längeren Schwanz haben wollt, hg. und übers. von Karl Langosch. Leipzig 1982.

244

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Sermones nulli parcentes und das Buch der Rügen Eine enge Verbindung der bereits besprochenen homiletischen und satirischen Schriften bieten die Sermones nulli parcentes, die ungenau in das 13. oder beginnende 14. Jahrhundert zu datieren sind.¹³² Dieser Text inszeniert sich selbst als Predigtanleitung, ist jedoch eher als unabhängige Gesellschaftssatire zu lesen. Dabei sind die Sermones in einer doppelten Reihe von vierzehn Ständen angeordnet; die eine umfasst ausgehend vom Papst die klerikale Sphäre, die andere ausgehend vom Kaiser die laikale Sphäre. Der vierzehnte und der siebenundzwanzigste Stand sind dabei jeweils aus dem hierarchischen Muster ausgenommen, da sie die klerikalen (Nonnen) respektive laikalen Frauen behandeln.¹³³ Die Ständereihen folgen also weitgehend hierarchisch absteigend folgender Reihenfolge: Papst (1), Kardinäle (2), Patriarchen (3), Bischöfe (4), Prälate (5), Mönche (6), Kreuzherren/Kreuzritter (7) und Laienbrüder (8) zu den Wandermönchen (9), weltlichen Priestern (10), Gelehrten, also Juristen und Medizinern (11), Schülern (12) und schließlich Vaganten (13). Neben der hierarchischen Gliederung wurde von Alfred Hubler auch eine Unterteilung zwischen den institutionell und räumlich gebundenen und den relativ ungebundenen Ständen postuliert, sodass die „Forderung nach stabilitas […] in diesem Gedicht also nicht auf die Mönche beschränkt“¹³⁴ bleibe. Mehrfach betont der Text, dass seine Darstellung sine omni palliatione vel adulatione (‚ohne Ummäntelung und Schmeichelei‘), also möglichst objektiv sein solle.¹³⁵ Die Frage der Diffamierung von Mobilität und der Objektivität bleiben zu diskutieren. Neben dem Umstand, dass die Sermones nulli parcentes eine prototypische Ständereihe zur Verfügung stellen, wurden sie in der Forschung auch schon früh beachtet, da sie im einzigen überlieferten Textzeugen vom Ende des 14. Jahrhunderts (Berlin, SB, Ms. germ. oct. 138) gemeinsam mit ihrer deutschen Übertragung, dem sog. Buch der Rügen (um 1320) überliefert sind.¹³⁶ Der fundamentale Unterschied zwischen dem lateinischen und dem volkssprachigen Text besteht darin, dass das Lateinische „ganz selbstverständlich auf die Tradition sowohl der antiken Literatur wie auf die der

 Die Datierung von Theodor von Karajan auf ca. 1220 entbehrt konkreter Argumente. Zur Datierung vgl. Nikolaus Henkel: „Sermones nulli parcentes“ und „Buch der Rügen“. Überlegungen zum Gattungscharakter und zur Datierung. In: Walter Haug, Johannes Janota und Timothy R. Jackson (Hg.): Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Heidelberg 1983, S. 115 – 140, hier S. 122.  Buch der Rügen, hg. von Theodor von Karajan. In: ZfdA 2 (1842), S. 6 – 92, hier S. 15: quoddam opusculum sermonum rigmice compositum continens xxviij capitula minio assignata, incipiens a papa usque ad ultimum clericum et ab imperatore usque ad ultimum rusticum, tam monialibus quam aliis mulieribus non oblitis, quod unicuique nulla palliatione vel adulatione mediante debeat vindicari.  Hubler: Ständetexte, S. 179.  Buch der Rügen, S. 15.  Vgl. Nikolaus Henkel: Eine verschollene Handschrift aus St. Paul. Zur Geschichte der ehemaligen Kuppitsch-Handschrift des Buchs der Rügen. In: Peter Krämer (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten. Wien 1981, S. 67– 85. Zur Datierung vgl. Henkel: „Sermones nulli parcentes“ und „Buch der Rügen“, S. 121 f. Im Folgenden sind die Sermones nulli parcentes im Text abgekürzt als Snp und das Buch der Rügen als BdR.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

245

Bibel- und Liturgiesprache zurückgreifen“¹³⁷ kann, was dem satirischen Sprechen ganz andere Räume ermöglicht, die der Volkssprache weitgehend versperrt sind. Trotz oder gerade wegen dieser Differenzen sollen die mobilen ‚Letzten‘ der klerikalen Reihe in den beiden Texten parallel zueinander besprochen werden. Auf die Mönche, Kreuzritter und Konversen folgen also die Wandermönche. Mit einer Abwertung, die kaum stärker sein kann, werden diese mit der (nach der Benediktsregel) degenerierten Form des Mönchtums gleichgesetzt, den Sarabaiten und Gyrovagen (Snp: Ad sarabyatas et girovagos, vv. 377– 396; BdR: Den umblaufærn, vv. 591– 622).¹³⁸ Um die lateinischen Worte in Verse zu gießen, was dem Übersetzer wichtig war, wird der Beginn des Kapitels deutlich erweitert: Heizt die sarabâiten in die helle rîten und mit in gyrovagos. die tiuvel werdent iriu ros, si bessern danne ir valschez leben daz in der vînt hât gegeben. (BdR vv. 591– 596)¹³⁹

Es folgen die Vergehen der als filii perversitatis (Snp v. 391) angesprochen Standesgruppe: vor allem das Schneiden der Tonsur zum Zweck des Betrugs (mentientes per tonsuram, v. 381) und die Völlerei (pro deo ventrem elegistis, Snp v. 386). Die deutsche Übertragung hingegen stellt die Eigenschaft der Verlogenheit daneben, die mit der instabilitas der Gruppe verbunden ist: ir heizt iu schern die blatten, daz ir mügt gesatten iuwer biuche ze aller zît, loufet durch die werlde wît, swâ ir danne belîbet den valsch ir ouch trîbet. swaz iu kumt in den muot, daz dunket iuch unmâzen guot: swaz iu niht gevallet wol, das muoz bôsheit wesen vol. (BdR vv. 605 – 614)

Damit adaptieren die Texte die satirischen Darstellungsweisen in den Mönchsregeln des 6. Jahrhunderts (v. a. der Regula Magistri), die zur Diffamierung der instabilitas auch Verlogenheit und Völlerei betonen.¹⁴⁰

 Henkel: Gesellschaftssatiren im Mittelalter, S. 112.  Vgl. dazu Kapitel 9.1.2.  In den Snp heißt es dagegen: Dicite sarabaytis, | girovagis quos malos scitis: | Emendari ni velitis, | in damnationem itis. (vv. 377– 380)  Vgl. Kapitel 9.1.2.

246

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Das nächste Kapitel ist Den werltleichen priestern zugeschrieben (BdR vv. 623 – 702; Snp: Ad sacerdotes saeculares, vv. 397– 464). Als Sünden werden dieser Gruppe Simonie auf Grundlage ihrer superbia und ausschweifendes Leben, welches nicht mit ihrem Stand zusammenpasse, angelastet. Sie sind trinksüchtig, jähzornig, ausschweifend (semper estis ebriosi, | semper nimis furiosi, | semper et luxuriosi, Snp vv. 413 – 415) und brechen ständig das Gelübde der Keuschheit (continentiam vovisti, | et saepissime fregisti, Snp vv. 447 f.). Auf eine ordnungsgefährdende Mobilität hebt das Kapitel nicht ab. Nicht weniger negativ wird der Stand im nächsten Kapitel gezeichnet, welches Den artzden und den juristen (BdR vv. 703 – 754; Snp: Ad iurisperitos et phisicos, vv. 465 – 496) gewidmet ist. Die prägende Anklage wird in den Sermones nulli parcentes in der Ansprache als Filii cupiditatis (Snp v. 467) deutlich. Die Ärzte und Juristen seien nämlich so gierig, dass sie die Bedürftigen beraubten und den Antichrist damit reich machten: egenos semper spoliatis | Antichristumque ditatis. (Snp vv. 471 f.). Damit hätten sie die Menschen öfter betrogen, als ihnen geholfen: non dimittitur peccatum donec redditur ablatum?‘ […] immo, credo, decepistis multo plures quam iuvistis (Snp vv. 491– 496)¹⁴¹

Die deutsche Übertragung hält sich im Kern an den lateinischen Prätext und überträgt sogar das juristisch-gelehrte Sprichwort (‚wil du âne sünde leben, | dû muost genomenz wider geben?‘, BdR vv. 25 f.), baut jedoch die Darstellung erheblich aus. So wird die Gier durch das Bild des bodenlosen Meeres verstärkt, das ebenso topisch ist wie die Geldgier der angeführten Berufsgruppen: ir meister von der erzenî und die juristen derbî, wie sît ir sô grundelôs als daz mer, dâ wazzer grôz stæte in vliezent und sich dar in besliezent, und kan doch nimmer werden vol! (BdR vv. 709 – 715)

 Übers. P. R.: ‚Man erhält keine Sünde, solange man Erhaltenes zurückgibt? Ich jedenfalls glaube, dass ihr mehr getäuscht als geholfen habt.‘ Der zitierte Rechtssatz bezieht sich ironisch auf die Regulae iuris von Bonifacius VIII. (1298), Reg. 4 (Sp. 1122), welche sich vom Decretum Gratiani II, C. 14, q. 6, c.1 ableitet: Si res aliena, propter quam peccatum est, reddi possit, et non redditur, penitencia non agitur, sed simulatur. Si autem ueraciter agitur, non remittetur peccatum, nisi restituatur ablatum. Emil Friedberg (Hg.): Decretum Magistri Gratiani. Leipzig 1879 (ND Graz 1959), Sp. 742. In der vorliegenden Version scheint die Aussage Sprichwortcharakter zu haben.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

247

Die dilatio in der volkssprachigen Version durch Integration weiterer Topoi aus dem reichen Fundus mittelalterlicher Juristenkritik ist bezeichnend.¹⁴² Weiter wird den Gelehrten die apologetische Selbstvergewisserung in den Mund gelegt, dass sie doch so lange studiert hätten, dass sie jetzt auch gut verdienen müssten. Deshalb sei es auch legitim, zahlungsunfähige Bedürftige abzuweisen: swenne ir den armen ane seht, in iuwerm herzen ir des jeht ‚ich hân verzert ze schuole vil, daz ich wider haben wil. dû maht wol umb sust gân, ich trû dir niht gewinnen an.‘ (BdR vv. 733 – 738)

Durch die Erwähnung der entbehrungsreichen Schulzeit bindet der deutsche Text die gelehrten Juristen und Ärzte explizit an die folgende Kategorie der Schüler an, was der lateinische Text allenfalls implizit macht. Wie bei den anderen Ständen bleibt auch bei den Schülern (BdR: Den schuolæren, vv. 755 – 796; Snp: Ad scolares, vv. 497– 536) eine kritische Stellungnahme zur Missachtung einer stabilitas loci aus. Außerdem ähnelt die Musterpredigt eher einer Reihe guter Ratschläge und weniger einer strengen Standesschelte wie in den ‚Predigten, die keinen schonen‘: Haec scolaribus dicatis: Si ad gradum dignitatis promoveri cupiatis, toto nisu studeatis in virtutibus pollere. iam doceri, iam docere, semper qualiter sincere possitis domino placere. mulierculas vitetis, ne vos ipsos maculetis, sed si maculam habetis

 Hugo von Trimberg beschreibt beispielsweise im Renner den Juristenstand (vv. 8275 – 8800) und stellt die rechtmäßigen Juristen (auch hier der deutsche Erstbeleg!) den Judisten gegenüber, deren Namen er vom Verrat Judas’ und mittels einer antijudaistischen Sekundärstigmatisierung von den Juden ableitet: Juristen stênt dem rehten bî, | Judisten sint niht valsches frî (vv. 8527 f.). Vgl. dazu Erich Genzmer: Hugo von Trimberg und die Juristen. In: L’Europa e il Diritto Romano 1954, S. 290 – 336. Einige Beispiele zur mittellateinischen und -englischen Juristenkritik, die ab der Wiederaufnahme des Römischen Rechts und der Etablierung der Rechtsschulen und Universitäten in der Romania einsetzt und oftmals auch in der Kombination mit den Ärzten zu finden ist, finden sich in James A. Brundage: Vultures, Whores, and Hypocrites. Images of Lawyers in Medieval Literature. In: Roman Legal Tradition 1 (2002), S. 56 – 103, v. a. S. 66 – 87. Vgl. mit weiteren Verweisen außerdem Rebekka Nöcker: vil krummer urtail. Zur Darstellung von Juristen im frühen Nürnberger Fastnachtspiel. In: Klaus Ridder (Hg.): Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Tübingen 2009, S. 239 – 283, hier S. 245 – 248.

248

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

precor amodo cessetis. a taberna caveatis, quia, credo, si intratis, vix vel numquam exeatis, nisi vestibus ablatis. ibi mali sunt lusores pessimique deceptores, qui vos ducunt in errores et in maximos dolores. dolebitis, quod introistis, et ingressi quod lusistis, ludendo quod perdidistis, perdendo scolam neglexistis. et sic dolor non cessabit, sed vos amplius gravabit, donec malum findem dabit, de quo nemo vos iuvabit. ex vobis quidam procurati sunt vel beneficiati, nimis tamen inclinati sunt servire vanitati. recedentes ab altari tamen volunt honorari, cupientes plus damnari in eternum, quam salvari. elemosinis viventes, nil pro eis servientes, habent inter omnes gentes hi perversiores mentes. (Snp vv. 497– 536)¹⁴³

Den Schülern wird also der wohlwollende Rat gegeben, sich um ihr Studium zu bemühen sowie Huren, Wirtshäuser und Glücksspiel zu meiden. Zur Abschreckung werden Ehrlosigkeit und Armut als schlimme Folgen erwähnt. Außerdem sollen die Schüler nicht der Vergnügungssucht (luxuria) oder einem hochmütigen Ehrgeiz (su Übers. P. R.: ‚Folgendes sollt ihr zu den Schülern sagen: Wenn ihr auf der Karriereleiter aufsteigen wollt, müsst ihr euch mit ganzer Kraft bemühen, tugendhaft zu sein. Sowohl wenn ihr belehrt werdet als auch wenn ihr lehrt, könnt ihr immer das Wohlwollen des Herrn erreichen, wie aufrichtig auch immer. Ihr sollt die leichten Mädchen meiden, um euch selbst nicht zu beflecken, aber wenn ihr schon befleckt seid, bitte ich euch, sie von nun an zu meiden. Hütet euch vor dem Wirtshaus, weil ihr – wie ich glaube – sobald ihr eintretet, kaum oder nie wieder mit euren Kleidern herauskommt. Dort sind die üblen Spieler und die schlimmsten Betrüger, die euch in die Irre und den größen Kummer führen. Ihr werdet es schmerzlich bereuen eingetreten zu sein und, wenn ihr eingetreten seid, gespielt zu haben und im Spiel verloren zu haben und für diesen Verlust die Schule vernachlässigt zu haben. Und so wird der Schmerz nicht ausbleiben, sondern euch recht schwer belasten bis zum bitteren Ende, aus dem euch niemand helfen kann. Für manche von euch ist gesorgt oder manche sind begütert, dennoch sind sie allzu sehr geneigt, der Eitelkeit zu dienen. Sobald sie vom Altar zurückkehren, wollen sie dennoch Ehre, wobei sie eher wünschen in Ewigkeit verdorben als gerettet zu werden.Wer von Almosen lebt und überhaupt nicht für sich selbst sorgt, der ist unter allen am verdorbensten.‘

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

249

perbia) verfallen. Alle diese Aspekte sind schon häufiger in schul- und ständedidaktischen Texten deutlich geworden und erscheinen konventionell. Das Buch der Rügen hat auch hier einzelne Erweiterungen und Kürzungen. So wiederholt sich die Mahnung vor dem Bordell und dem Wirtshaus. Jedoch werden luxuria und superbia nicht gesondert thematisiert, sondern der Zorn des Lehrers und der Hass der Eltern bei pflichtvergessenem Verhalten hervorgehoben: ir kleit daz ir habt verlorn, die schuole versûmt, des meisters zorn, vater unde muoter haz (BdR vv. 785 – 787)

Insgesamt ist der Ton der deutschen Übertragung noch positiver gegenüber dem Stand der Schüler. Schon der Beginn des Kapitels rekurriert weniger auf den Aufstieg auf der Karriereleiter, sondern auf die Freude am Lernen und den allgemeinen Nutzen der Tätigkeit der jungen (oder auch älteren) Schüler: Sagt den schuolæren swâ sie sint, sie sîn michel oder kint, ‚ir sült zuo der lerne frœlich unde gerne komen zuo aller zît, wan grôzer nutze dar an lît. (BdR vv. 755 – 760)

Recht lebensweltlich scheint der Einwand des fictus interlocutor, der die Dauer des Studiums kritisiert, wobei der Text mit ausgesprochenem Selbstbewusstsein für die Sache die Bedeutung der Gelehrsamkeit betont. Denn ein gelehrter Mann könne mehr wert sein als ein König oder Kaiser, wenn der Herrscher die Gelehrten nicht als Ratgeber nutzt: lât iuch niht betrâgen ob man beginnet vrâgen ‚wie lange wil dû schuoler sîn?‘ ich spriche bî der triwe mîn, ez mac ein wol gelêrter man vür künec und vür keiser gân, sô ein leige hin dan sêt und nindert zuo ir râte gêt. (BdR vv. 761– 768)

Wie in der lateinischen Version wird am Ende des Kapitels auch auf die Bettelstudenten verwiesen und diese gewissermaßen als Folge und Inbegriff eines falschen Studiums bewertet: iuwer etelîcher hât von almousen alle rât, kirchen oder phrüenden vil, des er niht verdienen wil,

250

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

er ist an allen sinnen toup und izzet rehten rêroup.‘ (BdR vv. 755 – 796)

Zu den sinnen toup (perversiores mentes) kommt hier noch das Bild dessen, der den rêroup frisst, der seinen Lebensunterhalt also gewissermaßen aus Leichenfledderei verdient. Dieses Kausalverhältnis, demgemäß moralisches Fehlverhalten an den Bettelstab bringt, ist allgemeiner Gegenstand der gelehrten Diskussion.¹⁴⁴ Weder in den Sermones nulli parcentes noch im Buch der Rügen ist eine Instabilität bezüglich des Ortes oder der fachlichen Interessen Teil des Fehlverhaltens. Der letzte Aspekt leitet bereits zur letzten und hierarchisch tiefststehenden Gruppe der Klerikerreihe über, die auch als die moralisch tiefststehende Gruppe erscheint. Das Kapitel über diese Gruppe wird lateinisch als Ad vagos (Snp vv. 537– 548) überschrieben, während im deutschen Text der spezifisch volkssprachige Begriff Den lotter phaffen (BdR vv. 797– 828) steht, über den noch gesondert zu sprechen sein wird.¹⁴⁵ Der Sermo hält sich bei der Beschreibung dieses Standes sehr kurz. Als Grund wird angeführt, dass diese Gruppe ohnehin nur sehr geringe Chancen habe, der Hölle zu entgehen: Vagis breviter dicatis vilibus et desperatis: Iubet deus, ut eatis Ad infernum cum damnatis, nisi cito relinquatis viam verae pravitatis et de male perpetratis sibi satisfaciatis. quorum mala neque fari possunt nec excogitari, si ergo nolunt emendari, permittantur condemnari. (Snp vv. 537– 548)¹⁴⁶

Vergleicht man die vagi nun mit dem korrespondierenden Part in der laikalen Ständereihe, dann fällt auf, dass diese Passage weniger mit den aufmüpfigen Bauern des letzten Kapitels (Cap. 26: ad rusticos qui sunt rebelles) kongruiert – allenfalls die Prohezeiung höllischer Schrecken ist gleich (vv. 983 – 991) –; vielmehr entspricht die Passage, z. T. wörtlich, dem Kapitel 24 über Schergen und ihre Gesellen (Ad praecones et socios suos):

 Vgl. Kapitel 9.3.  Vgl. Kapitel 10.1.  Übers. P. R.: ‚Zu den Vaganten sollt ihr nur kurz sprechen, da sie minderwertig und ein hoffnungsloser Fall sind: Gott befiehlt, dass ihr mit den Verdammten in die Hölle fahrt, wenn ihr nicht ganz schnell den Pfad der wahren Schlechtigkeit hinter euch lasst und euch selbst etwas Gutes tut, indem ihr mit dem Bösen aufhört. Deren Schandtaten kann man weder aussprechen noch sich ausdenken. Wenn sie sich also nicht bessern wollen, sollen sie verdammt werden.‘

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

251

Post haec dicite praeconi usurario, cauponi, lusori, furi et latroni, feneratori et lenoni: Mandat daemon, ut eatis ad infernum cum damnatis, cui fidem conservatis atque bene militatis. non habere cupit gratis laborem vestrae probitatis: idcirco citius curratis, ne ingressum negligatis. (Snp vv. 929 – 940)¹⁴⁷

Die gehorsamen, ‚guten‘ Bauern im zwischenliegenden Kapitel 25 (Ad rusticos obedientes; Snp vv. 941– 972) sind bei weitem nicht so negativ dargestellt. Die Struktur des Ständegedichtes Sermones nulli parcentes – und analog des Buchs der Rügen, welches dessen Aufbau übernommen hat – ist also keine kontinuierliche degressive Doppelreihe, die vom hierarchisch (und womöglich moralisch) höchstgestellten zum niedersten absteigt. Vielmehr zeigen die einzelnen Befunde, dass sich die Struktur an etablierte Standeseinteilungen anlehnt und diese weiter ausdifferenziert. So wird bei den Laien zuerst der Adel in einer Reihe vom Kaiser über die Könige, Fürsten und Grafen, Ritter, Knappen bis zum Schildknecht besprochen (cap. 15 – 20), dann das Bürgertum, in dessen Reihe nach den Kaufleuten und Krämern die Schergen und ihre Gesellen den Abschluss bilden (cap. 21– 24). Die abschließenden Kapitel der Reihe¹⁴⁸ öffnen schließlich noch eine letzte Rubrik, und zwar die Bauern, die wieder unterteilt werden in die gehorsamen und die rebellischen Bauern (cap. 25 f.). Die Ordnung folgt mithin der konventionellen spätmittelalterlichen Aufteilung in vier Stände, die in sich hierarchisch gegliedert sind, jedoch selbst wieder eigene Rubriken erstellen, in denen eine hierarchische Binnendifferenzierung vorgenommen wird. Das heißt, dass der Wucherer zwar die letzte Position in der Ordnung der Bürger einnimmt, deshalb aber nicht unbedingt höhergestellt ist als der gehorsame Bauer. Überträgt man diese Ergebnisse auf die Klerikerreihe, kommt man zu folgender Aufteilung: die kirchlichen Würdenträger (cap. 1– 5), die (Mönchs‐)Orden und niederen Kleriker (cap. 6 – 10) und die Gelehrten (cap. 11– 13). Die Sarabaiten und Gyrovagen stehen damit zusammen mit den weltlichen Priestern am Ende der Reihe der Geistlichen (im engeren Sinne), während die Gelehrten eine neue Rubrik darstellen, an  Übers. P. R.: ‚Sagt danach dem Schergen, dem Wucherer, dem Wirt, dem Spieler, dem Dieb und dem Räuber, dem Geldverleiher und dem Zuhälter: Der Dämon, dem ihr die Treue haltet und dem ihr loyal dient, befiehlt, dass ihr mit den Verdammten in die Hölle fahrt. Er wünscht nicht, dass ihr umsonst an eurer Redlichkeit arbeitet. Rennt daher schneller, damit ihr den Einlass nicht verpasst.‘  Das 27. Kapitel steht außerhalb dieser Ständeordnung, indem es parallel zu den Frauen in der Klerikerreihe, den Nonnen, konstruiert ist. Das abschließende 28. Kapitel aber schließt an die Einleitung an und ist an die Prediger selbst gerichtet: De ipsis fratribus qui populo praedicant.

252

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

deren Ende die Vaganten stehen. Diese Aufteilung lässt den Schluss zu, dass hier eine bewusste Differenzierung zwischen Klerikern im engeren Sinne und den Gelehrten unternommen wird, was auf eine Sensibilisierung für das Problem einer ständischen Zuordnung der Gruppe der Gelehrten hinweist. Der Meinung, dass der Text nur einer konservativen bipolaren Unterteilung von Klerus und Laien folgt und dass „[v]on den drei Ordnungen […] offenbar beide Autoren noch nichts gehört haben“¹⁴⁹ ist demnach dezidiert zu widersprechen. Vielmehr folge ich der Forschungsmeinung, die den innovativen Charakter des Textes hervorhebt. So sei „neben der fast systematisch geordneten Reihung die Berücksichtigung von Ständen, die bisher noch nicht oder nur am Rande behandelt worden waren [sc. Wanderprediger und Vaganten]“,¹⁵⁰ auffallend, wie auch die Forderung nach einer Aktualisierung des Predigtstils.¹⁵¹ Es verwundert kaum, dass mittellateinische Predigten schon sehr früh auch explizit an Schüler adressiert sind. Doch diese beziehen sich auf die Zielgruppe als status aetatis, die dem erwachsenen Lehrer gegenübersteht. Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts und ganz dezidiert in den Sermones nulli parcentes (und ihrer deutschen Übertragung im Buch der Rügen) erscheinen Schüler jedoch als status ordinis neben anderen. Die Schüler sitzen dabei ‚zwischen den Stühlen‘ des Laien und des Klerikers. In den beiden Texten wird noch ein anderer status zum Thema, und zwar die scholares vagi oder lotterpfaffen als ‚letzter Stand‘ (der clerici) und verdammenswerte Negativfolie des Schülers. Diese sind gekennzeichnet durch ihre (ziellose) Mobilität. Ein offenes Verdikt gegen das (örtliche) Vagieren bleibt aber meist implizit und wird nur sehr untergeordnet zum Gegenstand der Standesschelte. Von einer doppelten Gliederung gemäß der Hierarchie und einer Unterscheidung in mobil : immobil ist daher nicht auszugehen. Ganz im Gegenteil wird Mobilität als Eigenschaft der Wanderprediger hervorgehoben, die gemäß der Inszenierung des Gedichts als Adressaten der Predigtanleitung zu gelten haben. Zu Beginn des Prologs heißt es: Fratres, mundum qui transitis totum atque circuitis praedicantes imperitis, cum ad hoc electi sitis, rogo semper intendatis loqui verbum veritatis (vv. 1– 6)¹⁵²

 Winfried Frey: wie lange wil dû schuolær sîn? Hochschuldidaktische Überlegungen zum Buch der Rügen. In: Karl-Friedrich O. Kraft und Eva-Maria Lill (Hg.): Triuwe. Studien zur Sprachgeschichte und Literaturwissenschaft. Heidelberg 1992, S. 243 – 262, hier S. 249.  Heinemann: Ständedidaxe II, S. 313.  Vgl. Helmut de Boor: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. 1250 – 1350. München 51997, S. 396 f.  Übers. P. R.: ‚Brüder, die ihr die ganze Welt durchquert und im Kreise herumlauft, um den Unerfahrenen zu predigen, weil das eure Bestimmung ist, euch fordere ich auf, darauf zu achten, immer die Wahrheit zu sagen.‘

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

253

Wie bei den Sermones ad status scheinen die beiden untersuchten satirischen Ständereihen primär im Umkreis der Bettelorden (hier z. B. Dominikaner) verortet, andererseits nehmen die Ständesatiren wohl Elemente aus den populären Ständepredigten auf und überzeichnen diese parodistisch. Gewiss aber sind die Musterpredigten und ihre satirischen Transgressionen wichtige Zeugnisse für die Veränderung der Möglichkeit des Sprechens über den Schüler und Studenten als spezifischen Stand.

Occultus Erfordensis Dass eine Unterscheidung von satirischem und didaktischem Schreiben im Mittelalter nicht trennscharf möglich ist, zeigt der sog. Occultus Erfordensis (1282/84) des Nicolaus von Bibra.¹⁵³ Schon der tradierte Titel als Carmen satiricum ¹⁵⁴ gibt einen Hinweis auf die Rezeptionsweise des Textes, die – wie die Forschungsgeschichte zeigt – keineswegs eindeutig ist. Nikolaus Henkel kam aufgrund inhaltlicher und stilistischer Argumente zu dem Ergebnis, dass der Verfasser der Satire „die Sermones [nulli parcentes] gekannt und benutzt“¹⁵⁵ habe. Zumindest haben sich beide Texte offensichtlich derselben konkreten Muster bedient. Der Occultus Erfordensis provoziert bereits in der Einleitung eine extrem kritische Rezeptionshaltung, indem er seine ironische Erzählhaltung betont: Sim quod yperbolicus, homo forte putabit iniquus, Vel quod ob invidiam mea scripta ferant yroniam, Aut est fortasse, qui me putat antifrasasse; […] Cedite, ficta, retro! Sint vera placentia metro! (I, 5 – 7)¹⁵⁶

Durch die übertriebene Zurückweisung der uneigentlichen Rede macht sich der Text implizit der genannten Stilmittel verdächtig. Dass der Text auch so rezipiert wurde, zeigen die Definitionen nach den Etymologiae Isidors von Sevilla, die am Rand notiert sind: Yperbole est figura excusans veritatis excessum und Yronia est figura inducens derisionem und Antifrasis est figura signans contrarium eius, quod dicitur. ¹⁵⁷ Das macht den Occultus Erfordensis zu einem „Paradezeugnis für Ironie im Mittelalter.“¹⁵⁸ Diese rhetorische Strategie wird dann im breit erzählten Ausbildungsweg des Erfurter Ju-

 Ed. und Übers.: Der „Occultus Erfordensis“ des Nicolaus von Bibra. Kritische Edition mit Einführung, Kommentar und deutscher Übersetzung, hg. von Christine Mundhenk. Weimar 1997 (Übers. im Folgenden: C. M.). Zur Datierung vgl. Mundhenk (Hg.): Occultus Erfordensis, S. 57– 60.  Zum Titel vgl. Mundhenk (Hg.): Occultus Erfordensis, S. 13 – 25.  Henkel: Gesellschaftssatire im Mittelalter, S. 106.  Übers. C. M.: „Vielleicht wird ein böswilliger Mensch denken, daß ich übertreibe oder daß mein Werk aufgrund von Mißgunst ironisch sei; vielleicht gibt es auch jemanden, der glaubt, ich sagte das Gegenteil von dem, was ich denke. […] Weg mit euch, ihr Lügen! Dem Vers soll die Wahrheit gefallen!“  Dazu Mundhenk (Hg.): Occultus Erfordensis, S. 75.  Althoff/Meier: Ironie, S. 155.

254

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

risten Heinrich von Kirchberg (dist. 1 und 2) vorgeführt¹⁵⁹ und ist auch in der Beschreibung Erfurts während des Kirchenbanns 1281– 1284 (dist. 3 und 4) präsent, v. a. in einer revuehaften Darstellung der Studenten von Erfurt, einer der wichtigsten deutschen Universitätsstädte des 13. Jahrhunderts.¹⁶⁰ Er unterteilt die Studenten in drei Gruppen: die Spieler (primo dicit de illis, qui sunt lusores et non vadunt ad scolas), die Faulen (Secundo dicit de illis, qui vadunt ad scolas et nichil proficiunt) und die Fleißigen (Tertio de illis, qui student die et nocte).¹⁶¹ Die erste Gruppe entspricht der bereits aus den Sermones ad status bekannten Identifizierung der Studenten als Betrüger und Gauner: Ex hijs sunt aliqui truffatores et iniqui, Tessere ludentes, in fraude dolove studentes, Discere nolentes, tantummodo nomen habentes. Tales seducunt alios et ad improba ducunt, Et fiunt plures decurso tempore fures. (IV, 1572– 1576)¹⁶²

Diese trügen nur wegen gesellschaftlicher Vorteile den Namen des Studenten, lernten jedoch nichts außer dem Würfelspiel. Diese Gruppe wird noch brisanter, da sie auch andere Studenten zum Bösen verführte. Als Zukunftsaussicht bleibe ihnen dann nur die Kriminalität, was die gesellschaftliche Ordnung zunehmend gefährde, da die Zahl der Diebe immer weiter zunehme. Die zweite Gruppe referiert die oppositionelle Verbindung von studium und acedia: Quidam proficere bene possent, si removere Vellent torporem; sed enim quia ferre laborem Nec studium possunt, aliquando rudes quasi bos sunt.

 Auch die ältere Forschung bewertete den Text sehr unterschiedlich. Einmal wurde er dafür gelobt, weil er „das Leben eines leuchtenden Sternes unter den deutschen Juristen im Zeitalter der Abfassung des Sachsen- und Schwabenspiegels enthält“; Constantin Höfler: Carmen historicum occulti autoris saec. XIII (aufgefunden in einer Handschrift der Prager Universitäts-Bibliothek). In: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe 37 (1861), S. 163 – 262, hier S. 187. Bald darauf jedoch beschreibt man diesen Protagonisten Heinrich von Kirchberg als „einen rabulistischen, um seiner Erfahrung und Bildung willen um so gefährlicheren Rechtsverdreher, der um Geld für jede Sache zu haben war“; Theobald Fischer (Hg.): Nicolai de Bibera Occulti Erfordensis Carmen Satiricum. Eine Quelle des XIII. Jahrhunderts, neu herausgegeben und erläutert. Halle 1870, S. 172. Die ironische Schreibhaltung ist hier jedenfalls unzureichend berücksichtigt.  Dazu vgl. Sönke Lorenz: Studium generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jahrhundert. Stuttgart 1989, S. 1– 58. Auch das Carmen satiricum hebt die größe der Universität Erfurt hervor. Hier heißt es: Restant adhuc nova res: ibi sunt bene mille scolares (IV, 1571); Übers. C. M.: „Eine neue Sache steht noch aus: Es gibt dort wohl tausend Studenten.“  Diese drei Rubriken stehen in unterschiedlichen Handschriften in margine. Vgl. Mundhenk (Hg.): Occultus Erfordensis, S. 238 und 240.  Übers. C. M.: „Von diesen sind etliche Betrüger und moralisch völlig verkommen, die nur Würfel spielen, Betrug und List studieren und nichts lernen wollen, sondern nur den Namen von Studenten haben. Diese verführen die anderen und verleiten sie zum Bösen, und im Laufe der Zeit werden die Diebe immer zahlreicher.“

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

255

Cattis esse pares tales ego credo scolares, Qui prandere volunt piscem, sed prendere nolunt. Quid faciet talis, si fortan presbiteralis Ordo negetur ei? Confusio fit faciei! Discat pulsare vel sacre serviat are; Sit campanista, qui noluit esse sophista! (IV, 1577– 1585)¹⁶³

Die studiositas kann schnell in die Todsünde umschlagen, mit der ja auch die curiositas verbunden ist;¹⁶⁴ in der vorliegenden Textstelle beschränkt sie sich aber freilich auf die lähmende Untätigkeit. Diese Studenten werden mit verschiedenen Tieren verglichen: dem dummen Ochsen, der mit dem Brauch der depositio cornuum im frühen 15. Jahrhundert zum Topos für den angehenden Studenten (beanus) wird,¹⁶⁵ und der Katze, die zwar den Fisch will, aber nicht weiß, wie sie ihn erreichen soll. Da er kein guter Gelehrter (sophista) werden könne, werde ihm womöglich auch der Stand des Priesters versagt (ordo presbiteralis), sodass er eine niedrige Kirchenaufgabe als Glöckner oder Mesner übernehmen müsse (campanista). Alle vier Gruppen – Student, Gelehrter, Priester und Kirchendiener – gehören also dem Rechtskreis der Kirche an, werden jedoch als einzelne Gruppen/Stände differenziert. Während der Mesner hierarchisch unter dem Priesterstand steht, kann der Student als status aetatis in der Reihe der Jugend vor dem Priesterstand stehen. Indem jedoch die Priesterwürde als Möglichkeit für den faulen Studenten eingeräumt wird, der nicht zum Gelehrten taugt, wird eine satirische Spitze gegen den Weltklerus gesetzt, die sich an anderen Stellen im Occultus Erfordensis wiederholt. Die dritte Gruppe umfasst schließlich die fleißigen Studenten: Quidam sunt hilares ad queque legenda scolares, Hijs que dicuntur, vigili mox aure bibuntur Nec cito labuntur, memori sed corde teruntur. Hij sicco pane sustentant corpus inane, Surgentes mane non ducunt tempora vane. Hij de fonte bibunt et synkathegreumata scribunt Fontem cottidie sitientes philosophie; Nocte dieque pari non desistunt operari. (IV, 1586 – 1593)¹⁶⁶

 Übers. C. M.: „Andere könnten gute Fortschritte machen, wenn se nur ihre Trägheit überwinden wollten; aber weil sie weder Arbeit noch Mühe ertragen können, sind sie bisweilen dumm wie ein Ochse. Diese Studenten kommen mir vor wie Katzen, die zwar Fisch fressen möchten, ihn aber nicht selbst fangen wollen. Was wird so einer machen, wenn ihm vielleicht die Priesterwürde verweigert wird? Ein langes Gesicht! Er soll lernen, die Glocken zu läuten oder den heiligen Altardienst zu versehen; Glöckner soll sein, wer nicht Gelehrter werden wollte!“  Vgl. Kapitel 9.1.1.  Der beaunus wird im Rahmen dieses gewalttätigen Initiationsrituals als ungehobeltes Tier (pecus campi) inszeniert, dessen ‚Hörner‘ abgeschliffen‘ werden mussten. Vgl. dazu Schwinges: Mückensenf und Hellschepoff, S. 11– 15 und Marian Füssel: Riten der Gewalt. Zur Geschichte der akademischen Deposition und des Pennalismus in der frühen Neuzeit. In: ZHF 32 (2005), S. 605 – 648, hier S. 615 f.  Übers. C. M.: „Etliche Studenten sind munter dabei, alles zu lesen. Was ihnen gesagt wird, wird mit aufmerksamem Ohr aufgenommen und nicht gleich wieder vergessen, sondern im Herzen, das nichts

256

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Diese Gruppe folgt ausgesprochen intensiv den Geboten der studiositas und der parcitas, wobei ihr übertriebener Fleiß zwar gelobt wird, diese Übertreibung jedoch einseitig die actio betont und damit das Gleichgewicht zur contemplatio gefährdet, also auch nicht uneingeschränkt positiv zu bewerten ist.¹⁶⁷ Die fleißigen Studenten könnten verschiedenste Berufe erlangen, die anaphorisch aneinandergereiht werden, teilweise jedoch nicht so ganz zusammenpassen wollen: Die Reihe (IV, 1597– 1604) beinhaltet nämlich neben (hohen) kirchlichen Ämtern (Prälat, Bischof, Propst, Priester, Dekan, Kanoniker) auch die amici virtutis (Tugendfreunde?), Rompilger (romipete), Privatsekretäre (magnorum scripores […] dominorum) und sogar Dichter (poete). Darauf, dass die Reihenfolge der verschiedenen Ämter des fleißigen Studenten wie auch der drei Arten von Studenten insgesamt satirisch gebrochen ist, weisen folgende Verse hin. Horum doctores posuissem iure priores, Utpote maiores; nec in hoc sunt deteriores, Nam puto non esse, servetur ut ordo, necesse. ¹⁶⁸

Da eine feste Reihenfolge oder ein regulärer ordo als unnötig verworfen wird, verliert auch das Lob der fleißigen Studenten seine Eindeutigkeit. Die ergebnisorientierte Strebsamkeit, der die Kontemplation und Durchdringung des Gelesenen im Herzen fehlt, wird so auch zum Objekt der Satire. Damit deckt sich die implizite Kritik bei Nicolaus von Bibra mit der expliziten in den deutschen schuldidaktischen Texten, z. B. bei Hugo von Trimberg.¹⁶⁹

Der Kleine Renner Hugo von Trimberg verfasste 1300/1314 mit seinem Renner einen universalen und überaus populären schuldidaktischen Text.¹⁷⁰ Jedoch orientiert er sich nicht an einer

vergißt, zermahlen. Sie ernähren ihren ausgemergelten Körper mit trockenem Brot, stehen früh auf und vergeuden keine Zeit. Sie trinken nur Quellwasser, schreiben philosophische Abhandlungen und dürsten täglich nach dem Quell der Weisheit; Tag und Nacht gleichermaßen hören sie nicht auf zu arbeiten.“  Dazu z. B. der recht einflussreiche Traktat De contemplatione (Benjamin Maior) des Richard von St. Victor († 1173). Vgl. Marc-Aeilko Aris: Contemplatio. Philosophische Studien zum Traktat Benjamin Maior des Richard von St. Victor. Mit einer verbesserten Edition des Textes. Frankfurt a. M. 1996, S. 5 und 131 f.  Übers. C. M.: „Ihre Lehrer [oder die Gelehrten] hätte ich eigentlich an erster Stelle behandeln müssen, da sie ja ranghöher sind. Aber in dieser Sache stehen die Studenten ihnen in nichts nach, und so halte ich es nicht unbedingt für nötig die Reihenfolge einzuhalten.“ [Anm. und Herv. P. R.].  Vgl. oben und Kapitel 9.3.3.  Mit über 65 Textzeugen gehört der Renner zu den meistverbreiteten deutschsprachigen Texten des Mittelalters, wobei die meisten Handschriften auf die Zeit von 1400 bis Mitte des 15. Jh. zu datieren sind. Vgl. Rudolf Kilian Weigand: Der „Renner“ des Hugo von Trimberg. Überlieferung, Quellenabhängigkeit und Struktur einer spätmittelalterlichen Lehrdichtung. Wiesbaden 2000, S. 143 – 152. Das Repertorium

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

257

ständischen Gliederung und behandelt die Schüler durchgehend als status aetatis. ¹⁷¹ Anders verfährt ein späterer Text, der bereits im Titel plakativ auf die didaktisch-enzyklopädische Dichtung Hugos von Trimberg bezogen wird: der anonyme sog. Kleine Renner, der 1330/50 in Franken oder Thüringen entstand.¹⁷² Er nimmt einige Formulierungen aus seinem Prätext, verhält sich also traditionsaffirmativ; dennoch steht er inhaltlich den Ständereihen der Sermones ad status und (lateinischen und deutschen) Ständesatiren näher als seinem Namensverwandten.¹⁷³ Die intradiegetische Ausgangssituation bildet eine kontemplative Reflexion des Erzählers ähnlich einem ‚Kamingespräch‘: Ein abents do was ich gesessen Alleine Inn meinem gemach Vnd gedachte an vil wunderliche sache, Die ich hab gesehen und erfarn […] Wan leider nuͤ der prieserschafft In den geseczin nicht mer behafft, Das man yczundt moge herkennen hie bay, Wer do pfaff oder leye sey. (vv. 8 – 20)

Dieser konventionellen Zweiteilung in Pfaffen und Laien folgt ganz grob auch der Text. Eine Besonderheit in der Reihung ist jedoch, dass er nicht nur die Gesellschaftsstände aneinanderreiht, sondern auch einige abweichende Personen- oder Lebensstände eigens aufnimmt und damit eine feste Ordnung des Klassifizierungsmusters verhindert.¹⁷⁴ Die thematisierten Stände sind im ersten Block (1) der Papst, (2) die Amtleute, (3) die jungen Leute, (4) das einfache Volk, (5) die Prälaten, (6) Mönche und (7) Schüler und in einem zweiten Block (8) die Ritter, (9) Richter, (10) Handwerker, (11) Bediensteten, (12) Bauern, (13) Eheleute und (14) Witwen. Das Gedicht endet mit dem Jüngsten Gericht, auf das die Unsitten der Stände verweisen: Hyr an habt ir wol vernomen, Das der ende crist wol komen, Wan diß alles vorspil sindt. (vv. 391– 393)

https://handschriftencensus.de/werke/653 [Stand 5.10. 2020] listet sogar 70 Handschriften (davon 17 Fragmente).  Zur Darstellung der Mobilität von Schülern und Lehrern im Renner vgl. Kapitel 9.3.3.  Zum Titel, zur Lokalisierung und zur Datierung vgl. Wolfgang Bührer: Der kleine Renner. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Ständesatire. Mit kritischer Ausgabe des Textes nach der einzigen Handschrift. In: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 105 (1969), S. 1– 201, hier S. 70 – 83.  Vgl. Bührer: Der kleine Renner, 126 – 145.  „Die Aufnahme von Lebensständen […] und ihre Stellung im System der Stände […] entsprechen der mittelalterlichen Vorstellung vom ‚Stand‘-Charakter der Lebensstände, für die – wie etwa für die verschiedenen Gruppen der Religiosen – eine bestimmte regula bindend sein sollte“; Heinemann: Ständedidaxe II, S. 338.

258

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Im Kleriker-Block werden die Schüler als eigener status als letzte behandelt (7). Jedoch bekommen die jungen Leute (3) eine gesonderte Rubrik. Hier klagt der Sprecher, dass die jungen Leute keine Disziplin mehr hätten, dass sie das schändliche Verhalten aber von ihren Eltern gelernt hätten, die nur darüber lachten. Wie die Disziplin seien auch die Weisheit und Frömmigkeit von damals vergangen: Die czucht ist gar von den Iungen, Sie werdenn czu tugend geczwungen. Nun leren sie die eltern vort Böse sitten vnd schentliche wortt. Irre vntugent sie nuͤ lachen Vnd sich mit In czu schanden machen. Ettwan die leute phlegen, Das sie ire kindt cziehen Czu weyßheit vnd frombkeit, Do sein sie nun wenig czu bereitt. Wer nun nicht spilt vnd boßlich spricht, Der taugt In Irer geselschafft nicht. Das clage ich heüt vnd ymmer mere, Das tugent vnd czucht also sol vergen. (vv. 69 – 82)

In dieser laudatio temporis acti kommen zahlreiche Elemente vor, die in anderen Thematisierungen dieses Standes Schülern zugesprochen werden, wie fehlende Disziplin (Fluchen, Glückspiel) oder mangelnder Gehorsam gegenüber den Eltern. Von den Iungen behandelt also explizit einen status aetatis. Die Schüler (7) hingegen werden für ihre Verschwendungssucht (luxuria) kritisiert, die sich vornehmlich in Kleidergewohnheiten niederschlägt: Die schuler leyden nun keynen getwangk. Die kappen breit, die czipfel lang, Die sie vumb die keppffe binden. Die hende sie mit prysem [Besatz am Gewand] bewinden. (vv. 193 – 196, Anm. P. R.)

Mit Studium und Büchern hätten die Schüler gar nichts mehr zu schaffen, stattdessen widmeten sie sich dem Glücksspiel, amourösen Beziehungen und begingen nächtliche Ruhestörung, weshalb sie den Hass der normalen Leute (leyen) auf sich zögen: Nach taffeln vnd griffeln sie wenig fragen, Gelt vnd wurffel sie bey in tragen. Der fleiß vnd der bucher lere Ist von den schulernn gar. Man findt sie ee bei den weyben, Denn das sie lesen oder schreiben. Sie singen die reyen auff der gassen, Darvmb sie die leyen hassen. (vv. 197– 204)

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

259

Auch ansonsten definieren sich die Schüler vornehmlich über äußere Merkmale und würden, sobald sie irgendwelche Fertigkeiten (Singen, Lesen oder Schreiben) erworben hätten, sofort voll prahlerischen Übermuts die Schule verlassen. Auch wenn es solche Schüler zu einer bepfündeten Pfarre brächten und pfaffen würden (der Begriff wird hier also exklusiv für den ordentlichen Geistlichen genutzt), blieben sie doch Narren: Wann der schuler het einen rock, So ist er mutig rech sot. Hat er dann einen schonen hut, So dunckt er sich czu mal gut. Kan er dann ein muttetten gesingen, So wil er sich nymmer lassen czwingen. Kan er dann einen brieff geschreiben, So wil er nicht In der schule bleiben. Also bleiben sie thoren vnd narren Vnd sten danoch noch grossen pfarren Vnd wollen pfaffen werden. (vv. 205 – 215)

Das Kapitel endet mit einer Weltklage und der Frage, wie es so weit hatte kommen können, dass solche Narren, die die Heilige Schrift beim Tanz mit der Kupplerin gelernt hätten, die Pflichten eines Priesters übernehmen könnten. Dabei hebt der Text vor allem auf den Predigtdienst ab. Die Schüler sprächen dabei über die Sünden der anderen, ignorierten aber die eigenen. Denn sie seien wie die Schafe und Ziegen am Jüngsten Tag (vgl. Mt 25,31– 46).¹⁷⁵ Diese Kritik an der Überheblichkeit der Schüler deckt sich mit einigen Textstellen bei Hugo von Trimberg,¹⁷⁶ die Darstellung des Fehlverhaltens der Schüler aber ist in dieser Explizitheit und so früh einzigartig in der deutschen Literatur und sie erinnert vielmehr an die ausufernde Standesschelte der Studiernarren in der späteren Narrenliteratur, die in die Alamode-Kritik übergeht.¹⁷⁷ Im Kleinen Renner verdichten sich also Anhaltspunkte dafür, dass es eine Tendenz gibt, den Schüler oder Studenten nicht mehr als Repräsentanten einer Lebensphase zu sehen, sondern als eigenen status ordinis.

 Als vbel stet sie dann auff erden. | Wer hat sie denn die schrifft gelertt? | Frawe mecze, die an dem tancze get! | Wan sie kunen ein meß gesingen, | Noch kunst vnd weyßheit sie weig ringen, | Vnd kunnen die heiligen tag verkundigen | Vnd sagen den lewten von grossen sunden. | Sie sagen den leuten, si sollen czu himele komen, | Sie gedencken als an Iren frommen. | Gar wenig stellen sie sich, | Das sie selber wollen czu himelreich. | Sie gedencken, das die schaf werden geschorn, | Vnd nicht, das sie darvmb sein verlorn, | Vnd das er muͤ ße fur due garnn | Vnd nicht kunne sein sele bewarnn. (vv. 216 – 230)  Vgl. Kap. 9.3.3.  Vgl. dazu z. B. Weltspiegel oder Narrenschiff 1574 in Kapitel. 5.2.2.

260

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Des Teufels Netz Einen vorläufigen „Höhepunkt deutscher Ständedichtung“¹⁷⁸ bildet hinsichtlich äußerem Textumfang und innerem Differenzierungspotential das Lehrgedicht Des Teufels Netz (Des tüfels segi) aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.¹⁷⁹ Den allegorischen Rahmen bildet eine Verführungssituation durch den Teufel. Dieser versucht einem Eremiten durch die schiere Menge der ihm Verfallenen zu imponieren und diesen von seiner Macht über die Welt zu überzeugen. Nach einem Disput, der analog zu anderen homiletischen und didaktischen Texten an den Todsünden und den Zehn Geboten orientiert ist (vv. 267– 2823), folgt im quantitativen Hauptteil eine Liste all jener Stände und Gruppen, die dem Teufel ins Netz gehen: Wan ich dir in ganzer warheit sag Das ich all die welt in min sege jag, Gaistlich und weltlich die züch ich allsampt an mich. (vv. 2826 – 2829)

Als Grund für seinen Erfolg nennt der Teufel – ähnlich wie im Buch der Rügen ¹⁸⁰ – die Auflösung der ständischen Ordnung: Nun wisset das uns nie als wol ist worden, Won es halt nieman sin rechten orden. (vv. 2887 f.)

Für die Frage der Standeszugehörigkeit der Schüler ist interessant, dass diese als eigene Gruppe zwar nicht vorkommen, jedoch die ‚Schulmeister‘ (vv. 11705 – 92) und damit der ganze Bereich der Schule in die weltliche Texthälfte oder durch die Anbindung an die ‚Kirchenpfleger‘, ‚Küster‘ und ‚Pfaffenweiber‘ zumindest in die klerikale Peripherie gerückt wird. Interessant ist weiter, dass ansonsten dezidierte Zuschreibungen an den Studenten auf den Schulmeister übergehen: Wan so si soltind singen, lesen, studieren, | So gand si lieber ze nacht hofieren | Und land die schuoler gan irre, | Als der wolff die schaf tuot wirren. (vv. 11713 – 16). Außerdem wird im Lehrgedicht offensichtlich, dass es im 15. Jahrhundert und damit in der Inkubationszeit der Bettelordnungen entstanden ist. So verdichten sich verschiedene Stereotype von den weltlichen Bettlern, nämlich der Unterschied zwischen ‚würdigen‘ Bettlern (vv. 6305 – 33) und ‚falschen‘ Bettlern, die durch Verstel-

 Heinemann: Ständedidaxe II, S. 332.  Ed. Des Teufels Netz. Satirisch-didaktisches Gedicht, hg. von Karl August Barack. Stuttgart 1863. Ich folge dieser Edition, auch wenn diese nach heutigem Stand eigentlich unzureichend ist. Vgl. dazu Georg Hofer: Zur Arbeit am Teufelsnetz. In: Alessandra Molinri (Hg.): Mittelalterphilologien heute. Eine Standortbestimmung. Teil 1: Die germanischen Philologien. Würzburg 2016, S. 203 – 213. Zur Überlieferung und Datierung vgl. weiter Anke Ehlers: Des Teufels Netz. Untersuchung zum Gattungsproblem. Stuttgart 1973, S. 16 – 25.  Viele Parallelen zwischen den beiden Texten analysiert Ehlers: Gattungsproblem, S. 120 – 125.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

261

lung,¹⁸¹ Verschwendung¹⁸² und Faulheit¹⁸³ gekennzeichnet werden. Die falschen Bettler seien vagierende Landstreicher, die durch das Vorspiegeln falscher Tatsachen und fingierter Behinderungen ein unrechtmäßiges Almosen ergaunern: Tag und nach uf daz bettlan stat, Davon er denn niemer mer lat. Das land wil er durchstrichen, Er wolt nit sin so richen Das er des bettelns möcht enbern. Er begert nit mer kainr ern. Landstricher und stirnenstöffel Sind tag und nacht vol: Das tuond si armen lüten abstraiffen Mit hinken, biegen und graiffen, Das si vor den lüten tuond. Wenn si über land gand Zuo den ainfaltigen lüten, So kummend si in abbetüten Flaisch, salz, smalz und kæs So tragend darzuo das bœst hæs. (vv. 6350 – 65)

Neben dem Simulieren einer falschen Behinderung oder Krankheit (krumppfen und gel) gehen sie einem Gelderwerb durch mantische und magische Praktiken nach, wie der Astrologie und Wetterzauberei. Beide Verhaltensweisen werden dabei mit Betrügerei (lekri und lottri) gleichgesetzt: Si kunnen sagen vom vinstern sternen Und tuond die lüt segen lernen Für den donder und den hagel. Si kunnen sich machen kumppfen und gel Und susz vil ander lekri: Das alles ist ain recht lottri (vv. 6366 – 71)

Diese Formen der Hochstapelei rufen verschiedene Imagination von Betteltypen auf, und zwar zum einen den ‚normalen‘ Betrüger und zum anderen den Hochstapler, der magische Gelehrsamkeit vorspielt. Im Epilog seiner Rede zählt der Teufel einige besonders verworfene Gruppen auf, wobei sich diese zu einer langen konnotativen Reihe devianter Gesellschaftsgruppen auswächst. So nennt er zuerst den Spieler in seinen verschiedensten Ausprägungen: spilar, rasslar und topplar, […] | Walar, bosar mit unrecht

 Si tuond ain haller umb ain krützer geben. | Si muossend gebett und andacht pflegen | Ald es stünd gar falsch ir leben (vv. 6288 – 6290).  Die ir hab uppklich hand vertan | Und muossend nun bettlen gan. | An denen wirt gerochen | Was si ie wider got hand gesprochen | Und das ir uppklich hand verzert, | Damit si sich soltind han genert. | Das tuot inan nun ze handen gan, | Das si grossen mangel muossend han (vv. 6297– 6304).  Liederliche und recht fulkait | Tuot den lüten vil ze laid | Und bringt si zuo armuot (vv. 6338 – 6340).

262

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

triben | Die sind all in die segi geschriben, | Würffelleger, bretlicher und zuoluoger | Sind mir all nit gar unmær (vv. 13319 – 24). Darauf folgen verschiedene Gruppen des schaustellerischen Gewerbes. Unter diese zählt der Teufel auch die ‚Fahrenden Schüler‘: Schellenslaher, gogler und affer Sind mir all nit unmær. Varend schuoler und buoban Sind all uppig man. Sprecher, schelter und varend lüt. Stekend recht in ainr hüt. Riffion und all bübsch man Muos ich all in der segi han. (vv. 13336 – 43)

Zu diesem Potpourri unehrlicher Berufe kommen noch die Räuber (Schecher, röubar und dieb […] | Kilchenbrecher und och brenner, vv. 13344 – 46), die Lügner, Heuchler und Betrüger (Main swerer und main tæter, | Lotter, glisner und verræter, | Klaffer, lüssmer und speher, Landzwinger und heller […] | Darzuo trieger und och lieger, | Bieger, zaner und trieger | Lugnar, trugnar und spottar, vv. 13348 – 59). Dieses ganze Feld jedoch bezeichnet er – noch mehr als die ‚verdorbenen‘ Vertreter der anderen Stände – als des tüfels hoffgesind (v. 13362). Gerade der ausgebreitete Ständeteil von Des Teufels Netz bietet eine differenzierende und laiendidaktische Ausweitung eines Schemas, das durch den Anspruch, möglichst alle Stände mitsamt ihren Lastern (und zum Teil Besserungsvorschlägen) vorzuführen,¹⁸⁴ zur ständeenzyklopädischen Dichtung¹⁸⁵ wird. Dabei ist einerseits eine wechselseitige Beeinflussung durch den Stil der Predigtliteratur, andererseits eine Rückwirkung auf diese festzustellen, indem sie ein reiches Stoffreservoir für Ständepredigten bereitstellt; der Text verfährt ähnlich wie die Sermones ad status und überträgt deren Strukturschema auf die Volkssprache.¹⁸⁶ Auch wenn die Bezeichnung ‚Fahrender Schüler‘ hier nur am Rand vorkommt, ist doch auffällig, dass diese – wie auch lotterpfaffe – in großer Nähe, wenn nicht synonym, mit den Gauklern und anderen Schaustellern genutzt wird. Auf jeden Fall benennt sie eine Personengruppe, die dezidiert deviant und dem Teufel verfallenen ist.

Die Teufelsszenen im Geistlichen Spiel Eine große Schnittmenge mit Des Teufels Netz ¹⁸⁷ haben die Teufelsszenen im Geistlichen Spiel.¹⁸⁸ Neben dem (sesshaften) Bürgertum, dem Klerus und arrivierten Gelehr-

 Vgl. Ehlers: Gattungsproblem, S. 151 f.  Der Begriff ist formuliert in Anlehnung an Bulang: Enzyklopädische Dichtungen.  Vgl. Heinemann: Ständedidaxe II, S. 341.  Vgl. zu den Parallelen Ehlers: Gattungsproblem, S. 110 – 114 und 133 – 135.  Dieser Exkurs zum mittelalterlichen Theater beschränkt sich auf das Geistliche Spiel, da sich dieses inhaltlich eng an die Ständereihen und die Predigtliteratur anschließt, die in diesem Kapitel

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

263

tentum konnten gerade auch Schüler und Studenten, also angehende Gelehrte, durch die Analyse von Rollenverzeichnissen und anderen Quellen als zentrale Trägerschichten des spätmittelalterlichen (vorreformatorischen) deutschsprachigen Geistlichen Spiels ermittelt werden.¹⁸⁹ Trotzdem (oder genau deshalb) gehören die Schüler auch nicht zu den typischen Rollen. Die Ständereihen, die sich im Gegensatz zum lateinischen Geistlichen Spiel als ein fester Bestandteil des volkssprachigen Osterspiels etablierten,¹⁹⁰ nehmen eine interessante literarhistorische Stellung ein, welche die historische Transformation traditionaler Muster an einer Textreihe vorführt. Fester Teil der Teufelsspiele, die untrennbar mit dem geistlichen Osterspiel verbunden sind, ist eine (satirische) Ständerevue.¹⁹¹ Diese Ständereihe schließt unmittelbar an das österliche Geschehen an, indem sie die Aussendung der Teufel thematisiert, die nach der Befreiung der Altväter aus der Vorhölle ‚frisches Material‘ unter den Menschen suchen sollen.¹⁹² Auch wenn die Überlieferung dramatischer Literatur des Mittelalters sehr fragmentarisch und deshalb problematisch ist, lässt sich dennoch eine (vage) Abfolge innerhalb der Ständereihen dahingehend rekonstruieren, ob und wie Schülerfiguren vorkommen. In den meisten älteren Teufelsspielen fehlen Schüler.¹⁹³ Im Brandenburger Osterspiel-Fragment (um 1400)¹⁹⁴ werden zwar in einer Reihe geistlicher Stände (vv. 46– 67) scholasticos (wohl Gelehrte) und scolere genannt, es bleibt aber bei dieser Nennung. Das ältere Innsbrucker Osterspiel (ludus de resurrectione domini) aus

besprochen wurden. Die zweite große Gattung mittelalterlicher Dramentexte, die Fastnachtspiele, sollen im nächsten Teil (vgl. Kapitel 10.2.2) besprochen werden, da diese durch ihre schwankhafte Schreibart eher an die Versnovellen anknüpfen. Von Hans Sachs wurde das Fastnachtspiel schließlich fortgesetzt und maßgeblich geprägt. Vgl. dazu Kapitel 12.2.  Zum Beispiel verzeichnet ein Rollenverzeichnis aus dem 15. Jahrhundert einen „Bacc[alaureus]“; vgl. dazu Bernd Neumann: Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet. München 1987, Bd. 1, S. 122 u. ö. Dazu auch Glier: Reimpaargedichte, S. 170 f. Sie betont außerdem, dass keine Fahrenden als Trägerschicht des mittelalterlichen Theaters anzunehmen sind. Im lateinischen Theater würde sich der Befund, dass es sich um Schüler-, Studenten- oder Gelehrtendichtung handelt, wohl noch verstärken. Dies zu analysieren würde jedoch den Rahmen sprengen.  Vgl. Rolf Max Kulli: Die Ständesatire in den deutschen geistlichen Spielen des ausgehenden Mittelalters. Einsiedeln 1966, S. 18  Vgl. Rainer Warning: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. München 1974, S. 74 f. Warning betont ferner, dass das Teufelsspiel „nicht etwa die Feier säkularisiert, sondern daß es ebenso wie jene einen kultischen ‚Sitz im Leben‘ hat.“  Zur Verortung vgl. Kulli: Ständesatire, S. 18 f. und Ute von Bloh: ‚Spielerische Fiktionen‘. Parasitäre Verselbständigungen einzelner Szenen aus Geistlichen Spielen (‚Erlauer Magdalenenspiel‘, ‚Melker Salbenkrämerspiel‘,Vigil Rabers ‚Ipocras‘. In: Ursula Peters und Rainer Warning (Hg.): Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Paderborn 2009, S. 407– 432, hier S. 414 f.  Eine Übersicht zu den Ständen in den Oster- und Passionsspielen bieten Ludwig Wirth: Der Stil der Oster- und Passionsspiele bis zum 15. Jahrhundert. Halle a. Saale 1888, S. 38 und Kulli: Ständesatire, S. 134 f.  Ed. Das Brandenburger Osterspiel. Fragment eines neuentdeckten mittelalterlichen geistlichen Osterspiels aus dem Domarchiv in Brandenburg/Havel, hg. von Renate Schipke und Franzjosef Pensel Berlin 1986.

264

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts folgt zumindest dem Schema eines ‚letzten‘ deviant-sündigen Standes, wenn es unter den sieben Seelen, die Luzifer vorgeführt werden, auch den helser anführt. Dieser bittet: Gnade, here Luzifer, | ich waz eyn helser, | ich helste dye mayt umb eyn lot | dye frawen umb eyn brot (vv. 402– 405). Sein Wunsch wird ihm auch aus ganz pragmatischen Gründen gewährt, da sich Luzifer vor dessen Promiskuität und sexueller Potenz fürchtet: Sathan, lyber gesele, | den brenge nicht in dye helle, | kommt her in dye helle myn, | wir musten alle kebes kinder sin. (vv. 406 – 409). Es ist auffallend, dass sich dieses Narrativ in den späteren Teufelsszenen wiederholt, wenn eine Seele vom Höllentor abgewiesen wird. Nur einmal (im Redentiner Osterspiel) ist die Geistlichkeit der Grund für die Ablehnung, da sie den Teufeln unangenehm ist.¹⁹⁵ Die für den Teufel als gefährdend empfundene Promiskuität aber begegnet in zwei Texten: im Wiener Passionsspiel vom Anfang des 14. Jahrhunderts bei der Figur des Dominikanermönchs¹⁹⁶ und im Erlauer Magdalenenspiel (ludus Marie Magdalene in gaudio, Erlau IV) im 15. Jahrhundert bei Schülern/Schreibern (und einem Mädchen!).¹⁹⁷ Es ist signifikant, dass schwankhafte Darstellungen devianter Schülerfiguren erst im chronologisch letzten Dramentext vorkommen. Das Erlauer Legendenspiel ist eine Kombination aus dem österlichen Teufelsspiel und Szenen aus den Passionsspielen, welche die Verführung von Maria Magdalena durch den Satan auf die Bühne bringen (Magdalenenspiel). Das Teufelsspiel bietet hier gewissermaßen einen ‚Prolog in der Hölle‘. Es stellen sich zuerst einige Dämonen vor, wobei ihre Eigenschaften und Fähigkeiten vor allem auf den Bereich der voluptas und das Verführen des weiblichen Geschlechts gerichtet sind. Im zweiten Teil des Vorspiels bringen die Dämonen dann Seelen vor Luzifer. Die einzelnen Berufsstände (Schneider, Schuster, Bäcker, Wirt und sogar Räuber, vv. 160 – 207) werden selbstverständlich in die Hölle aufgenommen. Den letzten vier ‚Ständen‘ aber wird eine Aufnahme verweigert. So wird die schone maid zurückgewiesen, da sie chainen chnaben […] nie versait (vv. 228 f.) habe. Auch die anderen drei Seelen werden wegen ihrer vom Teufel als bedrohlich empfundenen sexuellen Energie zurückgewiesen: ein ‚braver‘ Schüler, ein Schreiber und ein ‚verdorbener‘ Schüler. Der erste Schüler beschreibt sich selbst als gottesfürchtig und züchtig: Ich pin gewesen ein schueler und der gotsdiener und dient iem mit züchten und mit ern und gedacht iem sein dienst ze mern: dar umb sol ich nicht in di hellen mit den pösen gesellen. (vv. 208 – 213)

 Das Redentiner Osterspiel, hg. von Brigitta Schottmann. Stuttgart 1975, vgl. Wirth: Oster- und Passionsspiele, S. 38.  Vgl. Das Wiener Passionsspiel. In: Richard Froning (Hg.): Das Drama des Mittelalters. Teil 2: Passionsspiele. Stuttgart 1891, S. 302– 324, hier vv. 219 – 238.  Ed. Wolfgang Suppan (Hg.): Texte und Melodien der „Erlauer Spiele“. Tutzing 1990, S. 117– 151.

8.1 Status aetatis und status ordinis – ein neuer Stand im 13. Jahrhundert

265

Trotz dieser Selbstbewertung wird der individuelle Schüler vom Stereotyp des generischen Liebhabers eingeholt und von Luzifer aus Furcht davor, von ihm Stiefbrüder zu bekommen, lieber abgewiesen:¹⁹⁸ so han ich wol vernomen mär, das di schueler sein schoner fraun diener, wan si sind all guet minner, es sein greileich chnecht, si mügen mir sein nicht gar recht und füercht, chämen sie mier in di hellen zu den andern mein gesellen, si würden mier prüeder mach an der mueter mein; das müeßet mier ein gros laster sein: si chumen hin ein nicht, ich hab mit in chain phlicht (vv. 217– 227)

Dasselbe Narrativ wiederholt sich beim Schreiber, der selbst das Risiko anführt, dass er die Teufel zu seinen Stiefkindern (stefchinder, v. 257) mache, was Luzifer im Wortlaut wiederholt. Der zweite Schüler betont mit derben Worten und einer redundanten Menge an Synonymen für das weibliche Geschlechtsorgan seine sexuelle Freizügigkeit, die auch vor dem Nonnenkloster nicht haltmacht: Ich pin auch gewesen ein schueler und ein hübsch minner: si hies Mätzel oder Trugart, ich var ier in iern rauhen part; si haiß Chuendel oder Täuschl ich var ir in den rauch räuschl; dar zu so haiß ich der Smekchenstrützel, chum ich ier auf iern hützel, ich rüer ir den part, das si wänt, ich haiß Ekchart. wan mein vater wänd, ich wär ze schuel, so was ich in der loterfuer; als mein mueter wänt, ich les den salter, so mint ich ein nunn hinter dem alter, ich fuerts in das glokchhaus und machts jung münich dar aus. (vv. 266 – 281)

Wieder bleibt aus Angst vor ‚kleinen Teufeln‘ das Höllentor verschlossen und Luzifer sagt zum Abschied: chain schueler ich nicht wißen wil, | wan si chünnen aller lotrei vil. | ge hin zu den hübschen weiben, | mit den solt du dein zeit vertreiben! (vv. 290 – 293) und der Schüler antwortet im Weggehen (es heißt in der Regieanweisung vor v. 294: currit

 Eine Bewunderung für den Schüler kann ich hier nicht erkennen. Dies postuliert Bloh: Spielerische Fiktionen, S. 409 – 414.

266

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

via et dicit) provokativ: Da mit so lauff ich enwekch | her teufl, habt euch mein drekch (vv. 294 f.). Als Erklärung für diese unikale Multiplikation der abgewiesenen Seelen gibt Bernd Neumann ein produktionsorientiertes Argument, indem er feststellt, dass es sich bei den Erlauer Spielen um die „Kompilation aus mehreren Spieltexten“¹⁹⁹ handelt: „Diese hohe Zahl der Abgewiesenen läßt zusammen mit den auch hier vorliegenden Text- und Motivdoppelungen deutlich die Kompilation der Szene aus mehreren Vorlagen erkennen.“²⁰⁰ Dazu kommt, dass es deutliche (zum Teil wörtliche) Entlehnungen aus älteren Osterspielen wie dem Innsbrucker Osterspiel gibt.²⁰¹ Auch wenn keine direkte Intertextualität notwendig ist, besteht doch eine Orientierung an traditionellen Schreibformen, die dem Verfasser oder Kompilator bekannt waren. Jedoch lassen sich die Doppelungen auch textimmanent erklären: Denn die Vervielfachung steigert gleichzeitig die Intensität des zentralen Themas: sexuelle Ausschweifung. Damit hat die Ständereihe eine vorbereitende Funktion für den zweiten Teil des Dramas, die sündhafte Sexualität Maria Magdalenas, die (spätestens seit Gregor I. im 6. Jh.) mit der fußwaschenden Sünderin (Lk 7,36 – 50) gleichgesetzt und als Prostituierte interpretiert wurde. Die Forschung erklärte die Textstelle auch kulturanthropologisch. So betont Rainer Warning in seiner Habilitationsschrift, dass von einer zeitlichen und räumlichen Variabilität des Teufels- und Magieglaubens auszugehen sei und man „mit der Annahme einer epochalen Obsession vorsichtig zu sein“²⁰² habe. Denn der „Teufel war eine Realität, aber immerhin eine solche, die zu ‚spielen‘ man die Freiheit hatte.“²⁰³ Diese Aspekte bleiben recht widerspruchsfrei. Jedoch folgert Warning daraus, dass gerade in den Niederlagen des Teufels „die Entlastungsfunktion eines archaischen Rituals“²⁰⁴ erkennbar sei, welches in Konfrontation mit der „terroristischen Realität teuflischer Allmacht, die in ihm hinweggespielt ist,“²⁰⁵ stehe. Diese Argumentationsrichtung wird von Christoph Petersen aufgegriffen, indem er im Verhalten der Teufelsfigur dessen „Ohnmacht“²⁰⁶ und eine die „Teufelsfurcht kompensierende Ermächtigung über den Teufel“²⁰⁷ feststellt. Durch die Vervielfachung des Sünders, der die Ordnung der Hölle durch seine sexuelle Ausschweifung gefährden könnte, werde

 Bernd Neumann: [Art.] Erlauer Spiele. In: 2VL 2 Sp. 592– 599, hier Sp. 593.  Neumann: [Art.] Erlauer Spiele, Sp. 597.  Vgl. dazu Kulli: Ständesatire, S. 47 f.  Warning: Funktion und Struktur, S. 75.  Warning: Funktion und Struktur, S. 75.  Warning: Funktion und Struktur, S. 76.  Warning: Funktion und Struktur, S. 75.  Christoph Petersen: Ritual und Theater. Meßallegorese, Osterfeier und Osterspiel im Mittelalter. Tübingen 2004, S. 205.  Petersen: Ritual und Theater, S. 215.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

267

nun jedoch laut Bruno Quast „die Kippwirkung, das Befreiende, das vom helser im Innsbrucker Osterspiel ausging,“²⁰⁸ aufgehoben. Ute von Bloh unternimmt einen Perspektivwechsel und konzentriert sich auf die Zurückgewiesenen. Indem die promisken Figuren wieder auf die Welt geschickt werden, dienten diese als verlängerter Arm des Teufels und als diabolische Verführer. Damit setze „sich im Erlauer Magdalenenspiel die höllische Macht perfide fort.“²⁰⁹ Diese Interpretation scheint mir für die schone maid zutreffend, da diese vom Satan expliziert zu seinem eigenen Vorteil in die Welt entlassen wird:²¹⁰ si sol fliehen da hin, | das ist unser gewin (v. 238). Sie bekommt schließlich sogar den ‚Missionsauftrag‘ von Luzifer, auch gegen den Widerstand von anderen damit fortzufahren, die Knaben zu betören: nue spring hin gar pald und gewer die chnaben manigvald, und cher dich nicht an der welt chaffen, und schaffe, was du hast ze schaffen! (vv. 240 – 243)

Bei den Schülern überwiegt jedoch die Angst des Teufels. Es ist dabei gewiss kein Zufall, dass die Fähigkeit, Macht über den Teufel zu erlangen, von einem Schüler ausgeht und dieser – mit dem Schreiber als verwandtem Figurenmotiv – als prädestinierte Figur für amouröse Beziehungen und für den Umgang mit infernalen Mächten erscheint. So zeigt sich (als Erweiterung des Warning-Zitats), dass die Schüler nicht nur die Freiheit haben, (in der Aufführung) den Teufel spielen, sondern auch textimmanent mit dem Teufel zu spielen. Diese Erklärung ist auch durch die Kompilationsthese Neumanns nur bedingt zu entkräften. Vielmehr bestärkt diese These durch eine hypothetische Vervielfachung der Textgrundlage nur die feste Attribution von Narrativen an Schülerfiguren.²¹¹

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik Vorannahmen zur Textsorte Die mittelhochdeutsche Kleinepik setzt sich aus einem gattungsmäßig diffusen Feld verschiedener Formen zusammen, die nur schwer nach konkreten äußeren Kriterien differenziert werden können. Die Diskussion texttypologischer Fragen dominierte

 Bruno Quast: Vom Kult zur Kunst. Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen 2005, S. 136.  Bloh: Spielerische Fiktionen, S. 416.  Von der „Naivität“ eines „gute[n] Teufels“ kann hier nicht gesprochen werden; so bei Kulli: Ständesatire, S. 50.  Diese Bewertung des (Fahrenden) Schülers als jemand, der mit dem Teufel spielt, zeigt sich auch in der mittelhochdeutschen Versnovellistik, z. B. in „Der Teufel und der fahrende Schüler“ Heinrich Kaufringers. Vgl. Kapitel 10.2.1.

268

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

dabei lange Zeit die Forschung und verstellte andere Zugänge.²¹² Man erwog neben einer Einteilung in Autorencorpora (z. B. dem Stricker oder Hans Folz) auch eine Gliederung nach der äußeren Form (Vers, Strophe, Prosa), dem Umfang in Abgrenzung zum Roman bzw. Epos oder nach der narratologischen Gestalt als erzählendem, nichterzählend-spruchhaftem oder dialogischem Text.²¹³ Ein Fundament der Kleinepik als gattungsgeschichtliche Reihe wurde im exemplarischen Erzählen ermittelt; von einer generischen Nähe zu lateinischen und volkssprachigen exempla, bîspeln, Fabeln und ‚Predigtmärlein‘ ist auszugehen,²¹⁴ was sich mit stofflichen, motivischen und überlieferungsgeschichtlichen Übereinstimmungen deckt. Exempla können sich auf historische oder auf (mitunter fiktive) alltagsweltliche Kontexte beziehen und die Funktion einer narrativen Illustrierung eines Predigt- oder Lehrinhalts übernehmen, wodurch sie Teil argumentativer Persuasion werden.²¹⁵ Das Predigtmärlein ist freilich nur ein pragmatisch situierter Sonderfall der (universalen) exemplarischen Erzählfunktion. Eine besondere Konjunktur erlebte die schriftliche Fixierung exemplarischer Erzählungen im 13. und 14. Jahrhundert, einer Zeit, die auch als das „goldene Zeitalter der illustrativen moralischen Erzählung“²¹⁶ bezeichnet wurde. Es entstehen die

 Ausgehend von der berühmten Mären-Definition von Hanns Fischer in Fischer/Janota: Märendichtung, S. 62 f. entzündete sich eine Forschungsdiskussion, die hier nicht eigens ausgebreitet werden muss, da umfangreiche Auswertungen vorliegen. Vgl. Timo Reuvekamp-Felber: Mittelalterliche Novellistik im kulturwissenschaftlichen Kontext. In: Mark Chinca, Timo Reuvekamp-Felber und Christopher Young (Hg.): Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Berlin 2006, S. X–XXXI und Dahm-Kruse: Versnovellen im Kontext, S. 15 – 20. Zur Frage mittelalterlicher Gattung überhaupt vgl. Kapitel 6.3.  Vgl.Wolfgang Achnitz: Das Feld der literarischen Kleinformen im Mittelalter. In: Wolfgang Achnitz und Mathias Herweg (Hg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter. Band 5: Epik (Vers – Strophe – Prosa) und Kleinformen. Berlin, Boston 2013, S. XXVII–XLI. Auch Ziegeler unternimmt eine Differenzierung von volkssprachigen Versnovellen/Mären, Bîspeln, Minnereden und Romanen anhand narratologischer Kriterien. Vgl. Hans-Joachim Ziegeler: Erzählen im Spätmittelalter. Mären im Kontext von Minnereden, Bispeln und Romanen. München 1985 und Hans-Joachim Ziegeler: [Art.] Maere. In: RLW 2, S. 517– 520.  Für diesen Zusammenhang vgl. Reinhold Wolff: Unterwegs vom mittelalterlichen Predigtmärlein zur Novelle der Frühen Neuzeit: die Erzählsammlung ‚Compilatio singularis exemplorum‘. In: MlatJb 41 (2006), S. 53 – 76 und konkret für den Stricker: Maryvonne Hagby: Parturiunt montes, et exit ridiculus mus? Beobachtungen zur Entstehung der Strickerschen Kurzerzählungen. In: ZfdA 132 (2003), S. 35 – 61. Joachim Heinzle betont, die Kleinepik sei abgesehen von einigen wenigen Beispielen rein unterhaltender Texte „fest verwurzelt in der Tradition des exemplarischen Erzählens“; Heinzle: Märenbegriff, S. 131.  Vgl. Peter von Moos und Gert Melville: Rhetorik, Kommunikation und Medialität. Berlin 2006, S. 107 f. Unter Einbezug von Aristoteles auch Fritz Peter Knapp: Fabulae, parabolae, historiae. Die mittelalterliche Gattungstheorie und die Kleinepik von Jean Bodel bis Boccaccio. In: MlatJb 44 (2009), S. 97– 117, hier S. 99 f.  John Magretts: ich han den mut und den sit/ den mich min herze leret. Eigen-Sinn beim Stricker? In: Emilio González und Victor Millet (Hg.): Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme. Berlin 2006, S. 117– 133, hier S. 131.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

269

wichtigen lateinischen Exempelsammlungen (z. B. die Compilatio singularis exemplorum, die Gesta Romanorum, die Sammlungen des Étienne de Bourbon, Jacques de Vitry u. a.)²¹⁷ und die ersten (mittelhochdeutschen) kleinepischen Sammelhandschriften.²¹⁸ Die zeitliche und personale Koinzidenz der Exempelliteratur mit der Textgattung der Sermones ad status, z. B. bei Jacques de Vitry, ist kein Zufall. In den mittelhochdeutschen Versnovellen oder Mären werden exemplarische Wahrheiten oft transgressiv relativiert. Das führt zu einer höheren Ambiguität der Texte und ist der Grund dafür, dass in der Forschungsgeschichte das Groteske, Sinnlose oder Karnevaleske dieser Textgruppe als Gattungsmerkmal herausgestellt wurde. Walter Haug sieht in den Versnovellen ein „Erzählen im gattungsfreien Raum“.²¹⁹ Diese Texte verbinde der Umstand, dass ihr Sinn in einer „konstitutionellen Sinnlosigkeit“ liege, indem sie in Opposition zu erstarrten, leeren Ordnungen träten.²²⁰ Als Spielarten dieses Sinnlosen nennt er „Zufall, Gewalt, Lust und Intellekt“.²²¹ Diese spannten den narrativen Rahmen auf, in dem die Kurzerzählung unterschiedlichen Erzählprinzipien folgend (z. B. einfache Replik, serielle Weiterentwicklung, Kombination zur mehrstufig-komplexen Handlung) „auf eine brüchig, leer und verlogen erscheinende Ordnung“²²² reagiere. Klaus Grubmüller nimmt die These von einer Oppositionsrolle des ‚Märe‘ gegen eine geordnete Welt von Haug zwar auf, schränkt dessen Prämisse aber auf die letzte Entwicklungsstufe der Gattung ein, in der diese ins „Groteske“ oder ins „Karnevaleske“ tendiere.²²³ Jedoch widerspricht er Haug dahingehend, „daß es sich [bei der Versnovellistik] nicht um eine zufällig nach be-

 Es dominieren etwa ein Dutzend der Kompilationen und umfassen nahezu alle Erzähltypen der lateinischen exempla-Tradition. Vgl. Claude Bremond, Jacques Le Goff und Jean-Claude Schmitt: L’Exemplum. Turnhout 21996, S. 58 – 60.  Vgl. Arend Mihm: Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter. Heidelberg 1967, S. 45.  Walter Haug: Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993, S. 1– 36, hier S. 6  Vgl. Haug: Kurzerzählung S. 33.  Haug: Kurzerzählung, S. 21.  Haug: Kurzerzählung, S. 21.  Klaus Grubmüller: Das Groteske im Märe als Element seiner Geschichte. Skizzen zu einer historischen Gattungspoetik. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993, S. 37– 54. Die Textreihe konkretisiert er in der einflussreichen Monographie: Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Zum Karnevalsken vgl. Klaus Grubmüller: Wer lacht im Märe – und wozu? In: Werner Röcke und Hans Rudolf Velten (Hg.): Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin 2005, S. 111– 124, hier S. 122 f. und Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 241– 245. Außerdem Williams: Tricksters and Pranksters, S. 5 – 21, Sebastian Coxon: das geschach zu ainer fasnacht. Shrovetide in Late Medieval German Comic Tales. In: Mark Chinca, Timo Reuvekamp-Felber und Christopher Young (Hg.): Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Berlin 2006, S. 192– 206, hier S. 192– 206 und Sebastian Coxon: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350 – 1525. London 2008, S. 37 f.

270

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

liebigen Kriterien zusammengewürfelte Gruppe handelt“.²²⁴ Vielmehr handle es sich um „eine Textreihe, die sich in historischer Kontinuität aufbaut, different und immer wieder sich differenzierend, aber doch jeweils bezogen auf die gemeinsamen oder auf die vorausliegenden Muster: so dürfen wir sie eine Gattung nennen.“²²⁵ Kleinepische Texte formieren durch Prozesse der Retextualisierung eine literarische Reihe und erreichen so Konstanz in der Diachronie. Voraussetzung und Folge dieser Retextualisierung ist das Herausbilden von Textmustern. Außerdem verweist die Auswahl und (isomorphe, variierende oder transformierende) Wiederholung eines Prätextes auf ein besonderes Verhalten zur Tradition.²²⁶ Ein Problem in Grubmüllers Prämissen ist die notwendige Vorstellung eines literargeschichtlichen ‚Stifters‘ der literarischen Reihe, den er im Stricker sieht. Mit der Problematisierung der Vorstellung vom Einzelautor Stricker als Prototyp einer Gattung erwog man eine funktionalistische Dimension auf Grundlage der Systemtheorie²²⁷ und eine pragmatische Dimension auf Grundlage von Prämissen der New Phililogy. ²²⁸ Beide Annäherungen haben gemeinsam, dass sie eine mittlere Reichweite anstreben „auf einem intermediären Niveau oberhalb der je empirisch-konkreten einzelnen Handlungen und Kommunikationen, aber unterhalb der gesamtgesellschaftlichen Ordnungen und ihrer diskursiven Systeme.“²²⁹ Waltenberger sieht diesen Median in der Kategorie der Situation. Die ‚Situationalität‘ bewege sich zwischen den Polen einer gebundenen, (körperlich) involvierten Präsenz der Mündlichkeit und einer abstrakten, (im Zeichen) distanten Repräsentanz der Schriftlichkeit. Diese beiden Instanzen – die narrative Aktualisierung in der Interaktion und das Anknüpfen an das (sowie die Arbeit an dem) offiziellen ‚Gesellschaftsbild‘ – sind im ‚Märe‘ (in Abgrenzung zu einfacheren exempla) aktiv.²³⁰ Das (re‐)produzierte Gesellschaftsbild muss sich keineswegs mit offiziellen Positionen decken. Kiening spricht hier von einer „doppelte[n] Logik der Kurzerzählungen […]. Diese suspendieren einen sozialen Sinn nicht einfach, wohl aber umspielen sie die Fragilität seiner Bedingungen.“²³¹ Zwischen den Polen einer innerliterarischen Pragmatik, welche „die Tendenz exemplarischen Erzählens zur Situationsabstraktheit durch die Öffnung der Sinn-

 Klaus Grubmüller (Hg.): Novellistik des Mittelalters. Texte und Kommentare. Berlin 22014, S. 1007.  Grubmüller: Novellistik, S. 1007.  Vgl. Kapitel 6.2.  Vgl. Silvan Wagner: Grenzbetrachtungen. Paradoxie, Beobachtung und Sinn in Mären. In: Silvan Wagner (Hg.): Mären als Grenzphänomen. Berlin, Bern u. a. 2018, S. 13 – 40, zur Kritik an Grubmüller S. 17 f.  Vgl. Michael Waltenberger: Situation und Sinn. Überlegungen zur pragmatischen Dimension märenhaften Erzählens. In: Elisabeth Andersen, Manfred Eikelmann und Anne Simon (Hg.): Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin, New York 2005, S. 287– 308; Waltenberger beruft sich auf Strohschneider: Situationen des Textes.  Waltenberger: Situation und Sinn, S. 290.  Vgl. Waltenberger: Situation und Sinn, v. a. S. 289 f. mit Beispielen im Folgenden.  Kiening: Verletzende Worte, S. 326.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

271

stiftung auf einen Kontext hin ausgleicht“²³² und einer (mitunter didaktischen) Referenz auf ein Gesellschaftsbild bewegen sich die folgenden Analysen. Es geht also um die Frage, wie literarische Welten in einer (zeitgenössisch allenfalls implizit und vage definierten) Gattung mit sozialen Determinanten experimentieren. Durch welche Mittel lassen sich Schülerfiguren in ein stratifikatorisches Gesellschaftsbild eingliedern und in welchem Verhältnis stehen sie zu anderen (etablierten) Figurentypen?

Allgemeines zum Schüler in der Versnovellistik Das Lernen und der Status als Schüler werden in der großepischen mittelhochdeutschen Literatur des höfischen Kontexts allenfalls am Rande oder als figurenbiographische Episode zur höfischen Vervollkommnung thematisiert (z. B. im Tristan). Die Figur des Schülers ist kein integraler Teil des höfischen Figurenrepertoires. In kleinepischen Texten dagegen sind Schülerfiguren als fester Typus präsent. Insgesamt finden sich Schülerfiguren als Protagonisten in 22 der überlieferten Texte des ‚Mären‘Corpus, das etwa 150 novellistische Kurzerzählungen im Reimpaarvers umfasst.²³³ Die Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Schülerfiguren in der sog. Märendichtung bildet die Pionierstudie von Hanns Fischer. Er schreibt: In der Nähe des Pfaffen steht der angehende Kleriker, den wir in ihm (aber nicht immer) sehen müssen, der Student, obgleich er gewissermaßen als einer eigenen ständischen Gruppe zugehörig betrachtet wird. Der schulaere – wegen seiner diesbezüglichen Fertigkeit auch gerne als schrîbaere bezeichnet – ist entschieden eine Lieblingsgestalt des Märes; auf keine andere werden mit gleicher Ausschließlichkeit positive Züge gehäuft. Zweimal begegnet er als Liebhaber im höfischen Märe, seine eigentliche literarische Heimat jedoch ist der Schwank, dessen Intellektualismus keine bessere Verkörperung als den ebenso witzigen wie lebensklugen Scholaren finden könnte.²³⁴

Der Student oder Schüler stehe also in der Nähe des pfaffen, bezeichne aber eine eigene ständische Gruppe. Dieser Befund deckt sich mit den Anhaltspunkten, welche die Analyse der ständedidaktischen- und satirischen Schriften ergab, dass sich nämlich im Laufe des 13. Jahrhunderts die Einstellung gegenüber Schülern als status ordinis verfestigt habe. In zeitlicher Nähe liegt auch der Anfang der volkssprachigen Kleinepik in Deutschland (Stricker-‚Mären‘) und Frankreich (‚Fabliaux‘).²³⁵ In den

 Waltenberger: Situation und Sinn, S. 308.  Vgl. die Liste in Beine: Wolf in der Kutte, S. 225 f. und die Ergänzungen in Coxon: schrîber, S. 24 (Anm. 14).  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 121 f. Ähnlich auch Hansjürgen Linke: Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung. In: Artur Bethke (Hg.): Deutsche Literatur des Spätmittelalters. Ergebnisse, Probleme und Perspektiven der Forschung. Greifswald 1986, S. 166 – 179, hier S. 167.  Die intrikate Diskussion von Abhängigkeitsverhältnissen in der volkssprachigen Dichtung soll hier nicht Gegenstand sein. Vgl. dazu Frauke Frosch-Freiburg: Schwankmären und Fabliaux. Ein Stoffund Motivvergleich. Göppingen 1971, Ingrid Strasser: Vornovellistisches Erzählen. Mittelhochdeutsche

272

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

frühen deutschsprachigen Versnovellen des Strickers kommen Schülerfiguren jedoch nicht vor, respektive werden explizit vermieden. So behandelt „Der kluge Knecht“ des Strickers zwar den Stoff vom ‚Teufelsbannen‘, ersetzt den clericus aber durch den in die ständische Hierarchie eingebunden Knecht eines Herrn, des betrogenen Bauern, während das Fabliau Le povre clerc und lateinische exempla einen clerc/clericus auf der Rückreise aus Paris nennen.²³⁶ Erst aus dem 13. Jahrhundert ist mit dem „Studentenabenteuer A“ eine deutsche Versnovelle mit Schülern bzw. Studenten in den Hauptrollen. Das folgende Kapitel geht der Frage nach, wie sich Schülerfiguren in der kleinepischen Dichtung zwischen den konventionellen Ständen als literarischer Typus positionieren. In seinem Aufsatz über „Literate Protagonists“ in mittelhochdeutschen Kurzerzählungen begründet Sebastian Coxon die narrative Präferenz der Figur in der mittelhochdeutschen Versnovellistik mit den folgenden Konnotationen: Bildung und intellektuelle Fähigkeiten („education and ponounced intellectual capability“), eine genuine Unstetheit aufgrund der Reise zur Universität („an itinerant mode of life (to and from university or in search of employment)“), seine Jugend („youth“), sexuelle Aktivität/Frivolität („frivolity“) und materielle Bedürftigkeit („material need or impoverishment“).²³⁷ Neben etwaigen Referenzen auf eine außerliterarische Wirklichkeit haben diese Figureneigenschaften auch eine narrative Funktion in der Schwankerzählung. Armut und sexuelle Vitalität dienen als natürliche Motivation des Protagonisten, der versucht, sein Bedürfnis nach materiellen Gütern (Geld, Essen) zu befriedigen und seine sexuelle Potenz zu beweisen. Dies betont auch Andrea Moshövel: Der fahrende Student eigenet sich zum Schwankhelden deshalb besonders gut, weil er aufgrund seiner phasenweise bedingten Mobilität und Armut als ‚armer Schlucker‘, ‚Wanderbettler‘, ‚listiger Betrüger‘ und ‚Überlebenskünstler‘ von einer sozial untergeordneten Position aus agiert, zugleich aber über ‚Klugheit‘ und ‚Wissen‘ verfügt, mit deren Hilfe er als geistvoller Unterhalter, geschickter Frauenverführer und Liebhaber den Sieg davon trägt.²³⁸

Zentral ist also auch die ausgeprägte Intelligenz des litteratus, die er zur Listhandlung und zur Übertölpelung seines Gegenspielers einsetzt. Durch seine (schulische/universitäre) Ausbildung und die Kenntnis des Lateinischen hat der litteratus aus der Perspektive des Laien Anteil an exklusivem Geheimwissen, welches neben theologischen und medizinischen Feldern, auch Bereiche verbotenen Wissens (artes magicae

Mären bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts und altfranzösische Fabliaux. Wien 1989 und Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 41– 111.  Le povre clerc (ed. in NRCF, Bd. 7, 79). In der lateinischen Tradition Compilatio singularis exemplorum Nr. 282, ed. Carsten Wollin: Geschichten aus der ‚Compilatio singularis exemplorum‘. In: MlatJb 41 (2006), S. 77– 91, S. 83. In der Scala coeli Nr. 7, ed. Johannes Gobi Junior: La scala coeli de Jean Gobi, hg. von Polo de Beaulieu, Marie Anne. Paris 1991, S. 254. Mehr zum Stoff-Muster in Kapitel 10.2.1 und 12.2.  Alle Zitate aus Coxon: schrîber, S. 23  Moshövel: Von ‚hübschen‘ Studenten, S. 178.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

273

oder incertae) abdeckt. Denn „die hohe Schule überhaupt stand im Ruf, die Magie zu lehren“.²³⁹ Außerdem liefert die genuine Unstetheit des Protagonisten eine selbsterklärende narrative Struktur, indem der Plot mit dem unvermittelten und nicht notwendig motivierten Erscheinen des Schülers beginnt und mit der Abreise nach der Schwankhandlung endet.²⁴⁰ Zwei wichtige Eigenschaften der Schülerfiguren in der fiktiven Welt der Versnovellistik sind also einerseits seine Gelehrsamkeit und Intelligenz, andererseits seine Mobilität.²⁴¹ Vergleicht man die Figur mit dem konventionellen Figurenrepertoire der Kleinepik, fällt auf, dass sich die Schülerfigur einerseits dem ritter, andererseits dem pfaffen annähert, aber zwischen den beiden Ständen verbleibt. Die Eigenschaft der Gelehrsamkeit und des exklusiven Wissens verbindet Schülerfiguren mit dem Klerus, dem sie auch außerliterarisch (zumindest im weiteren Sinne) zuzuordnen sind. Die Eigenschaft der Mobilität teilt der Student mit dem Ritter: Beide sind nach der textinternen Logik von einer festen Ortsbindung befreit und so legitimiert mobil – der eine wegen seiner Reise zum Hochschulort, der andere wegen der höfisch motivierten Suche nach Aventiure.

8.2.1 Der schuoler als Ersatz des ritters Ausgehend von der Hypothese, dass der Student in seiner kleinepischen Darstellung zwischen ritter und pfaffe tritt, ist seine Stellung im Kontext des höfischen Gesellschaftsideals zu diskutieren.²⁴² In der mittelalterlichen Kultur stehen nach Hans Ulrich Gumbrecht die beiden Systeme ‚ritterlicher Adel‘ und ‚christlicher Klerus‘ in einem Verhältnis asymmetrischer Negation.²⁴³ Ein wichtiger Unterschied bestehe in den höfischen Liebesregeln, durch welche die außereheliche Liebesbeziehung legalisiert und die christliche Ehe angegriffen werde,²⁴⁴ ein anderer aus höfisch-ritterlicher  Adolf Jacoby: [Art.] Kunst (schwarze, weiße Magie). In: HdA 5, Sp. 817– 836, hier Sp. 826. Allgemein standen die artes magicae im Volksglauben nahe an den artes liberales (vgl. ebd. Sp. 817). Schwarze Magie wird auch in anderen Mären verhandelt, z. B. in „Der Teufel und der fahrende Schüler“, „Der fahrende Schüler“ oder „Die Wahrsagebeeren“. Doch die Darstellung von ‚zaubernden‘ Studenten ist meist entmystifiziert und sie spielen nur mit den Vorurteilen ihrer Umwelt. Vgl. dazu Kapitel 10.2.  Vgl. Coxon: schrîber, S. 23.  Beispiele zur Gestaltung und Bewertung der Mobilität des Studenten werden gesondert im Kapitel 9.4.2 erörtert. Auch auf das „Studentenabenteuer A“ und „Die treue Magd“, die hier als Beispiel dienen, werde ich in einem zweiten Durchgang noch einmal gesondert eingehen.  Vgl. grundlegend Bumke: Höfische Kultur, S. 381– 582 und Horst Wenzel: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995, S. 15 – 47.  Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Literarische Gegenwelten, Karnevalskultur und die Epochenschwelle vom Spätmittelalter zur Renaissance. In: Hans Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer und PeterMichael Spangenberg (Hg.): Literatur in der Gesellschaft des Spätmittelalters. Heidelberg 1980, S. 95 – 144.  Vgl. Gumbrecht: Gegenwelten, S. 111.

274

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Perspektive in der „Weltferne seines intellektuellen Lebens.“²⁴⁵ Gumbrecht urteilt dazu: „Aber nie geriet das Bild der Kirche für die höfische Welt zur Antikultur oder zur Unkultur.“²⁴⁶ Das Negationsverhältnis zwischen Student und Ritter muss auf den zweiten Aspekt beschränkt bleiben, da der Student trotz seiner Zugehörigkeit zum ordo clericus nicht strikt an den Zölibat gebunden war. Anders als beim Pfaffen, dessen Haupteigenschaft in schwankhafter Kleinepik oft seine Sexualität ist, steht der sexuell aktive Körper bei Ritter und Student „nicht im Kontrast zu seiner Bestimmung, sondern in voller Übereinstimmung mit ihr.“²⁴⁷ Daher können beide Figurentypen „in typischer Weise Ehebrecher- […] und Verführerrollen“²⁴⁸ besetzen und dennoch positiv bewertet sein. Außerdem entstammt der Student der Versnovellen des 13. und v. a. 14. Jahrhunderts oft aus dem Adel – mitunter sogar dem europäischen Hochadel – und sucht selbst (Liebes‐)Abenteuer. In „Schampiflor“ wird dez konigez bruder von Engelant (DVN 2, Nr. 77, v. 10) zum Protagonisten, in „Der Schüler zu Paris A“ uon geschlechte | auss Engellanndt, von hoher artt (DVN 2, Nr. 75, Red. h1, v. 40 f.), in „Der Schüler zu Paris B“ ein edler graf (DVN 3, Nr. 91, v. 33), in „Der Schüler zu Paris C“ ein freyer herr (DVN 3, Nr. 112, v. 38) und im „Bussard“ von Engelant, eines koniges barn, der wolt da hin gein Paris farn (DVN 2, Nr. 80, vv. 60 f.). Dass mit der adligen Herkunft sowohl spezifische Lizenzen als auch die Gefahr von Statusdestabilisierung und -verlust verbunden sind, wird zum beliebten Gegenstand kleinepischer Dichtung.²⁴⁹ Durch die Tendenz einer Reduktion des Ritterlichen auf den minne-Körper sind Student und Ritter sogar weitgehend austauschbar. Im Laufe des Spätmittelalters hat sich (verstärkt in schwankhaften Texten) eine Bedeutungsverengung vollzogen, welche âventiure auf das amouröse ‚Abenteuer‘ und minne auf den Geschlechtsverkehr einschränkt.²⁵⁰ Dieser Bedeutungswandel von âventiure/abenteuer verläuft in der Frühen Neuzeit „von der noch mhd. geprägten ‚ritterlichen Bewährungsprobe‘ über die ‚militärische Auseinandersetzung‘ über ‚Merkwürdigkeit‘ in den Bereich von ‚Lüge‘, ‚Unrechtmäßigkeit‘ in einer ganzen Anzahl von Spezialisierungen […] über eine lange zeitliche Überlappungsphase“.²⁵¹ Gerade die Kleinepik bietet ein Experimentierfeld für diesen Bedeutungswandel. Dabei schließen die (klerikalen) Schülerfiguren explizit an höfi-

 Gumbrecht: Gegenwelten, S. 110.  Gumbrecht: Gegenwelten, S. 110.  Klaus Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft. Zur Fragmentierung des Ritters im Märe. In: Matthias Meyer, Hans-Jochen Schiewer und Volker Mertens (Hg.): Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Tübingen 2002, S. 193 – 207, hier S. 207.  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 122.  Vgl. z. B. Jan-Dirk Müller: Die ‚hovezuht‘ und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads ‚Halber Birne‘. In: Jahrbuch der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft 3 (1984/ 1985), S. 281– 311 und Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft.  Vgl. dazu u. a. Hansjürgen Linke: Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters. In: ZfdA 135 (2006), S. 450 – 473, hier S. 451.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 331. Vgl. mit Belegen auch FWB 1, Sp. 61– 68.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

275

sche Maximen an und referieren so auf kulturelle Codes und Probleme, die ohne die Einnahme einer verfremdenden Veränderung nicht beobachtbar wären.²⁵² Denn ein Verweis auf die höfische Standeskultur ist nicht auf dezidiert adlige Figuren beschränkt, sondern alle Studenten im ‚Mären‘-Corpus bis 1400 werden als ‚höfisch‘ (oder gleichbedeutend) ‚hübsch‘ bezeichnet. Im „Studentenabenteuer A“ appelliert einer der Väter an die höfische Gesinnung der Söhne: ir seit schoͤ n (Hs. d: hübsch) juͤ ngelinge, | nu tuet so wol iurem dinge! | dez habt ir immer mere | baidiu frum und ere (DVN 1/1, Nr. 18, Red. B2, vv. 77– 80; ähnlich in Red. w, vv. 93 – 95); sogar der Gastgeber, bei dem die beiden auf ihrer Reise einkehren, wird ain huͤ bsch man (Red. B2, v. 207) genannt, da er die Studenten reich bewirtet und sich freigiebig zeigt. Ähnlich nennt auch das „Studentenabenteuer B“ die Protagonisten mit zuchtin hubesljiche (DVN 2, Nr. 70, v. 25), also kundig in höfischer Lebensart, weswegen sie auch überall hochgeschätzt werden – wer si in der werlde gesach, | der in ie des besten jach (vv. 39 f.) – und in „Die treue Magd“ ist die hovesscheyt (DVN 4, Nr. 173, Red. b3, v. 317) des Studenten explizit gebunden an dessen Etikette. Es handelt sich also um dezidiert ritterlich-höfische Verhaltensweisen, die hier auf Figuren übertragen werden, die teils explizit, teils implizit aus dem gehobenen Bürgertum kommen. Gleichzeig leuchtet in den Mären die Bedeutungsverengung und -verschiebung des Begriffes ‚höfisch‘/‚hübsch‘ durch, die in Vokabularien des 14. und 15. Jahrhunderts zu verzeichnen ist: Aus dem weiten curialis (‚zur Verhaltensweise des Hofes gehörig‘) wird honestus (‚ehrbar‘ und synonym zu zuchtig), urbanus (‚städtisch kultiviert‘) oder sogar facetus (‚gelehrt, humorvoll‘). Diese Veränderung trägt auch dem außerliterarischen Aufstieg der bürgerlichen Stadt gegenüber dem Adel als Trägerschicht der Literaturproduktion Rechnung.²⁵³ Während nun in den frühen ‚StudentenMären‘ noch die Anlehnung an das ritterliche oder stadtbürgerliche Ideal zu erkennen ist, ist der Begriff in den späten Versnovellen, z. B. in Rosenplüts „Der fahrende Schüler“, von jeder moralischen Konnotation losgelöst und muss als ‚Klugheit‘ oder ‚Intelligenz‘ verstanden werden: hübscheit ist mir von im bekant (v. 4).²⁵⁴ Die Bedeutung von ‚höfisch‘ wandelt sich also von der Leitkategorie eines Kultursystems zur Bezeichnung der allgemeinen Eigenschaft listiger Gewitztheit. Doch die Diskussion ständischer Rollenzuordnung ist nicht auf die Terminologie beschränkt, sondern ist in einigen Erzählungen auch zentrales Thema.

 Vgl. dazu Wagner: Grenzbetrachtungen, S. 25 – 28, der das Phänomen mit einem systemtheoretischen Terminus als re-entry bezeichnet.  Vgl. Klaus Grubmüller: höfisch – höflich – hübsch im Spätmittelalter. Beobachtungen an Vokabularien I. In: H. L. Cox,V. F.Vanacker und E.Verhofstadt: wortes anst – verbi gratia. donum natalicium gilbert a. r. de smet. Leuven 1986, S. 169 – 181, hier S. 171– 179. Alle anderen wortgeschichtlichen Arbeiten konzentrieren sich auf das 13. Jahrhundert und nehmen das 14./15. Jahrhundert nur am Rande in den Blick. Vgl. dazu den Forschungsüberblick in Stefan Erlei: ‚Höfisch‘ im Mittelhochdeutschen. Die Verwendung eines Programmworts der höfischen Kultur in den deutschsprachigen Texten vor 1300. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2010, S. 39 – 54.  Ed in Grubmüller: Novellistik, S. 916 – 927; vgl. v. a. die Anm. auf S. 1316.

276

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Substitution: „Der Rosendorn“ und „Der Sperber“ Am deutlichsten wird die Austauschbarkeit von Ritter und Schüler in Texten desselben Erzähltyps, bei denen in unterschiedlichen Versionen einmal eine Ritter- und einmal eine Schülerfigur in der Rolle des galanten Verführers auftreten. In der Versnovelle „Der Rosendorn“ (aufgrund neuer Erkenntnisse datiert auf das 13. Jh.) geht eine Frau, nachdem sie sich im Streit von ihrem Genitale getrennt hat, zu einem Verehrer, um zu prüfen, ob sie ohne diesen Körperteil irgendwelche Nachteile habe. Als Kontrollinstanz dient in der ursprünglichen Version ein ritter (DVN 4, Nr. 175, zuerst v. 176), während die Frau in der späteren Handschrift d (15. Jh.) zu einem schuͤ ler geht (Red. d, zuerst v. 177).²⁵⁵ In allen Redaktionen verachten die Männer die Frau aufgrund des körperlichen Mangels und verspotten sie öffentlich. Beide Figuren sind in der narrativen Funktion identisch und austauschbar.²⁵⁶ Auch in der verbreiteten Versnovelle „Der Sperber“ (wohl aus der 1. Hälfte des 13. Jh.) tritt ein ritter (DVN 1/2, Nr. 46, Red. H, zuerst v. 81) als Verführerfigur einer Klosterschwester auf. Dieser wird in der ripuarischen Fassung B1 (Ende 14. Jh.) durch einen schriuer (Red. B1, zuerst v. 65) ersetzt. Da diese Substitution aber keine weiteren Veränderungen im Text nach sich zieht, entsteht eine semantische Konfusion; denn das titelgebende Attribut, der Sperber, verweist als Zeichen auf den ritterlichen Stand. Wenn nun ein Schreiber, Schüler oder Student diesen Jagdvogel mit sich führt, entsteht ein Bruch in der Standeszuweisung; denn der semantische Verweis auf die Ritterschaft bleibt trotz Figurenwechsel bestehen. Das Handlungsmuster der überlieferten Versnovelle hat ein größeres Gewicht als die Logik der Einzelerzählung. Dass der Sperber als Requisit keinen semantischen Eigenwert hat und ohne weiteres ersetzt werden könnte, zeigt die narrativ ähnliche Versnovelle „Das Häslein“ (DVN 2, Nr. 63). Der Unterschied zwischen dem Schreiber/Schüler und dem Ritter schien für den Redaktor zwischen Mitte und drittem Viertel des 14. Jahrhunderts marginal und die Figuren daher austauschbar. Wailes erklärt diesen Wechsel des Protagonisten literatursoziologisch als Anpassung an den Geschmack des Publikums, das von den Abenteuern eines clericus vagus lesen wollte.²⁵⁷ Doch auch textimmanent ist der Wechsel interessant: In der ursprünglichen Lesart verführt der typischerweise weltkluge, aber nicht gebildete Ritter das nach Klostersitte gebildete, aber einfältige Mädchen.²⁵⁸ Wegen ihrer Naivität

 Dass es sich bei k1 um die ursprünglichere Fassung handelt, machen die Anhaltspunkte im auf 1300 datierten Melker Fragment (M17), das erst 2019 gefunden wurde, deutlich. Hier ist [t]ter (Red. M17, v. 85) zu erkennen und damit belegt, dass die ritter-Version älter ist. Vgl. dazu weiter Nathanael Busch: Höfische Obszönitäten? Ein ‚Rosendorn‘-Fund und seine Folgen. In: ZfdA 148 (2019), S. 331– 347.  Ebenso in „Die Buhlschaft auf dem Baume A“, die als Liebhaber einen schüler (Deutsche Märendichtung, hg. von Hanns Fischer, Nr. A7, zuerst v. 36) nennt, während die Fassung B diesen nicht spezifiziert.  Vgl. Wailes: Students as Lovers, S. 210.  so leirde ir schoilmeisterin | de iungen singen inde lesen | inde mit schonen zgten wesen (DVN 1/2, Nr. 46, Red. B1, vv. 24– 26) und si leuede in eynueldicheyt | rechte na cloisters sede (vv. 58 f.).

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

277

und trotz der Gelehrsamkeit wird die Novizin von der situationsadäquaten listigen Klugheit des Ritters übertölpelt. Neben der misogyn-patriarchalen Bevorzugung des Mannes und Ridikülisierung der Frau, werden hier auch die Wissenssphären des Rittertums und des monastischen Klerus gegenübergestellt. Praktische Weltklugheit siegt also über die alte ‚traditionelle‘ und klerikal gebundene Klosterbildung. Wenn die Hs. B1 den Ritter durch den Studenten, den weltlichen clericus, ersetzt, verschiebt sie diesen Konflikt nur marginal. Durch seine narrative Affinität zum Ritter gelingt es Schülerfiguren also in einigen Erzählungen den Ritter zu ersetzen. Dies ist aber weniger das Resultat eines sozialhistorischen Niedergangs des Rittertums,²⁵⁹ sondern eher – laut Grubmüller – die Folge „einer generellen Entgrenzung der Redeweisen und der Vermehrung der verfügbaren literarischen Anschlüsse“.²⁶⁰ Jedoch auch er konstatiert, dass die somatische Prävalenz des Ritterlichen im Gegensatz zum Geistlichen bestehe: „Aus der geistlichen Aufgabe des Priesters ist kein körperliches Heldentum abzuleiten, aus der gesellschaftlichen Aufgabe des Ritters schon. Ritterliche Tat ist immer auch körperliche Tat.“²⁶¹ Der Ritter sei demnach maßgeblich über seine Körperlichkeit definiert. Wenn ein Schüler seine Rolle einnimmt, geht diese Hervorhebung des Körperlichen auf ihn über.

Umdichtung: „Der zurückgegebene Minnelohn“ und „Fünfzig Gulden Minnelohn“ Ein tieferer Eingriff in die Erzählungstruktur ist zu beobachten, wenn Claus Spauns „Fünfzig Gulden Minnelohn“ (Ende 15. Jh.) Heinrich Kaufringers „Der zurückgegebene Minnelohn“ (um 1400) bearbeitet.²⁶² Bereits bei Kaufringer ist die Reduktion auf den Körper und eine sozialhistorische Marginalisierung des Ritters ein zentrales Thema.²⁶³ Hier wird ein junger Ritter aus verarmter Familie von einem reichen Nachbarn subventioniert. Der junge Ritter sucht Aventiure in beiden Aspekten ritterlicher Selbst So in Rüdiger Krohn: Zeugnisse des Niedergangs. Zum Wandel des Ritterbildes in der deutschen Märendichtung. In: Werner Hoffmann, Waltraud Fritsch-Rössler und Liselotte Homering (Hg.): Uf der mâze pfat. Göppingen 1991, S. 255 – 276, hier S. 276: „Der soziologische Wandel […] hat die adelige Personage funktionslos und überflüssig gemacht. Der Ritter, der […] abgebaut und entlarvt wurde, ist für die Gattung kein Thema mehr.“  Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft, S. 207.  Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft, S. 207. Die Aussagen über den Priester lassen sich mit der Einschränkung einer starken Bindung an den Zölibat auch auf die Schülerfiguren übertragen.  Die folgenden Zitate beziehen sich auf Heinrich Kaufringer „Der zurückgegebene Minnelohn“ in: Werke. Bd. 1 Text, hg. von Paul Sappler. Tübingen 1972. S. 53 – 72 und Claus Spaun „Fünfzig Gulden Minnelohn“ in: Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, hg. von Hanns Fischer. München 1966, S. 351– 361. Für einen motivischen und narratologischen Vergleich der beiden Erzählungen vgl. Ziegeler: Erzählen im Spätmittelalter, S. 306 – 310 und Marga Stede: Schreiben in der Krise. Die Texte des Heinrich Kaufringer. Trier 1993, S. 48 – 58.  Andere Mären, in denen die Körperlichkeit des Ritters sehr deutlich hervorgestellt wird, sind beispielsweise „Die halbe Birne“ und „Ritter Beringer“ Vgl. dazu Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft, S. 203 – 206.

278

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

entfaltung: Turnier und Frauendienst. In einem Burggarten trifft er nachts eine Dame. Diese hält den Neuankömmling für ihren Liebhaber, auf den sie wartet und gibt sich ihm hin. Als sie die Verwechslung bemerkt, muss sie der Protagonist der Erzählung durch seine gesamte Barschaft beruhigen, erhält von ihr als Gegengabe aber einen goldenen Ring. Wieder in ökonomischer Notlage wird er von einem älteren Ritter – unerkannterweise dem gehörnten Ehemann – mit finanziellen Mitteln versorgt und zieht mit ihm auf ein Turnier. Dort erzählt der junge Ritter von seiner amourösen aubentür (v. 423). Der ältere Ritter aber kann die Minnedame der Erzählung aufgrund des Rings als seine Gattin identifizieren. Anstatt den Standesgenossen jedoch offen bloßzustellen, arrangiert er ein Treffen im privaten Raum seiner Burg. Dort bekommt der junge Ritter sein Geld zurück und auch seine Frau wird für den Minnedienst bezahlt, implizit aber freilich kritisiert; zugleich „negiert er den Geschäftscharakter der Leistung, indem er die Bezahlung in Form von Belohnung vornimmt“²⁶⁴ und so die ritterlich-höfische Ordnung weitgehend rehabilitiert. Die Eigenschaft des jungen Ritters, die er in der Geschichte einbringt, „ist allein seine körperliche Kraft: als Kämpfer und als Liebhaber“.²⁶⁵ Ihn konstituiert also (wie den jungen ritterlichen Galan in anderen Versnovellen auch) seine sexuelle Vitalität und seine Eignung zum Kampf: minne und strît. Die Versnovelle „Fünfzig Gulden Minnelohn“ des Augsburger Kaufmanns Claus Spaun behandelt denselben Stoff.²⁶⁶ Auch hier verliert der Protagonist seine gesamte Barschaft, um mit einer verheirateten Frau zu schlafen, erzählt die Geschichte dann unwissenderweise ihrem Ehemann und erhält schließlich von diesem sein Geld zurück. Doch „Fünfzig Gulden Minnelohn“ weist drei zentrale Veränderungen auf: Das obszöne und skatologische Register wird beim Liebestreffen voll ausgespielt, was der Tendenz entspricht, dass im Mären-Corpus ab der Mitte des 14. Jahrhunderts Merkmale des Gewalttätigen, Grausamen und Ordinären vermehrt werden.²⁶⁷ So trifft sich die Frau mit dem Liebhaber auf dem scheußhaus (v. 116), während ihr Ehemann daneben auf ein Becken klopfen muss, da die Frau vorgibt, sich vor der Stille zu fürchten. Der dreimal wiederholte Geschlechtsverkehr selbst wird dann auch im Gegensatz zu den schamhaften Umschreibungen in vielen älteren Versnovellen²⁶⁸ expliziert: dem gsellen gar vast wol mit was. der gab ir manch herten stoß.

 Stede: Schreiben in der Krise, S. 58.  Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft, S. 197.  Vgl. dazu Stede: Schreiben in der Krise, S. 48.  Vgl. Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 193.  Beispielsweise wird der sexuelle Akt im „Studentenabenteuer A“ übergangen: diu enpfie in minnecleich, | do ward er freudenreich. (DVN 1/1, Nr. 18, Red. B2, v. 259 f.), was in der Redaktion w nur erweitert wird um vnd het chürtzweil vil. | die red ich ew kürtzen will (vv. 333 f.). In „Die treue Magd“ heißt es: vnd legt sie an den arm sein. | do wurd ym grosse lieb schein. | was sie alles thaten, | das moͤ ht ain kint wol erraten (DVN 4, Nr. 173, Red. m, vv. 243 – 246).

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

279

der arbait in gar wenig verdroß, biß er ain wenig was worden matt. (vv. 140 – 143)

Die zweite Veränderung betrifft die Verschiebung ins städtisch-bürgerliche Milieu. Das Geld wird nicht wie eine höfische Belohnung rückerstattet, sondern die Replik ist „durch ein sich an den Gesetzen des Marktes orientierendes Handeln gekennzeichnet.“²⁶⁹ Jeder bekommt die seiner Dienstleistung entsprechende Bezahlung: 20 Pfennig an die Magd als Kupplerin, nur dreimal zwei Pfennig an die ‚prostituierte‘ Ehefrau für den dreifachen Geschlechtsverkehr, und dreimal acht Pfenning an ihn selbst für die musikalische Beteiligung. Der Rest geht an den Protagonisten zurück (vgl. vv. 326 – 365). Im Protagonisten selbst zeigt sich die dritte Veränderung. Der junge Ritter bei Kaufringer wird durch einen Studenten ersetzt, der die titelgebenden fünfzig Gulden von seinem Vater bekommen hatte, um den Doktorgrad zu erwerben. Zwar bekommt der Student in „Fünfzig Gulden Minnelohn“ nicht das Attribut ‚höfisch‘, jedoch ist er der Sohn eines ehrbaren, reichen Bürgers, der ihn zur Steigerung des Familienansehens zur Universität schicken will: In ainer statt ain burger saß. der selb reich und erber was und hett ain sun, was stolz und gail. zu dem hett er gesetzt sein hail, wann er ain wenig was gelert. („Fünfzig Gulden Minnelohn“, vv. 1– 5)

Der Referenzrahmen wird vom höfischen Belohnungssystem in die bürgerliche Ökonomie verschoben. Eine Tendenz, die bei Kaufringer beginnt, wird bei Spaun fortgesetzt. Aventiure wird bereits in „Der zurückgegebene Minnelohn“ weitgehend auf die Liebesbeziehung reduziert, was einer Marginalisierung des ritterlich-höfischen Turniers gleichkommt.²⁷⁰ In der Begegnung des jungen Ritters mit der Ehefrau wird der Aventiure-Begriff dissoziiert und es kommt zu einer „krassen Isolierung der sexuellen Begegnung, die aus der Sicht des Helden das Konzept der Aventiure befriedigt“:²⁷¹ ich pin auch ain ritter guot ich haun gesuocht aubentüre ie; die haun ich auch gefunden hie. ritterschaft hat mich außpracht; auch haun ich mir des gedacht, verzeren meinen werden leib ze dienst durch alle raine weib. („Der zurückgegebene Minnelohn“, vv. 190 – 196)

 Stede: Schreiben in der Krise, S. 57.  Vgl. Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft, S. 196.  Grubmüller: Wolgetan an leibes kraft, S. 196.

280

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Durch die Kombination von Strukturelementen des höfischen Romans und des Ehebruchschwanks verschränken sich eine höfisch-ritterliche und eine schwankhaftsubversive Wertebene.²⁷² Es ist nur ein kleiner Schritt, wenn „Fünfzig Gulden Minnelohn“ den Kampf dann ganz streicht und den Protagonisten durch den alternativen Verführer im Figurenrepertoire des Schwanks ersetzt. Folgerichtig tritt an die Stelle des repräsentativen Turniers dann die Institution der Universität, an die Stelle des höfischen Ehrkonflikts der finanzielle Ruin. Die Aventiure des Studenten ist demnach nicht durch Minne und Kampf geprägt, sondern durch Minne und Bildung. Beide Typen, der Ritter wie der Student, sind legitimiert mobile Typen auf der Suche nach Liebesabenteuern. Durch eine Erweiterung des tradierten Figurenrepertoires kann ein Student die Rolle des Ritters übernehmen, zumal das Märe nicht mehr als Prüfinstanz für das höfische System (als re-entry) dienen muss. So wird die Erzählung in die an außerliterarischer Bedeutung zunehmende Sphäre bürgerlich-kaufmännischer Ökonomie gerückt. Damit stehen die beiden Typen im Verhältnis asymmetrischer Negation mit dem Gegensatzpaar Kampf : Bildung.

8.2.2 Die (Zwischen‐)Stellung von Schülerfiguren „Studentenabenteuer A“ Eine Prävalenz listiger Gewitztheit gegenüber körperlicher Stärke liegt auch in den Versnovellen vor, die konstitutiv mit Schülerfiguren verbunden sind, wie der Versnovelle „Studentenabenteuer A“. Dabei handelt es sich um die mittelhochdeutsche Version des Erzähltyps von der ‚Verstellten Wiege‘.²⁷³ Der Plot der Verführungs- und Verwechslungsgeschichte ist im Kern konstant: Zwei junge Besucher schlafen im selben Raum wie die Familie des Gastgebers – je in einem Bett die beiden Fremden, Vater und Mutter, deren Tochter und ein Säugling in einer Wiege am Fuße des elterlichen Bettes. Einer der Fremden schläft mit der Tochter des Gastgebers, der andere mit der Ehefrau, indem er sie durch das Verstellen der Wiege in sein Bett lockt. Diese List des einen Gastes führt jedoch dazu, dass der andere nach der Rückkehr der Tochter im Bett des Gastgebers landet. Dort kommt es zu einer Rauferei, wobei der Gastgeber den Neuankömmling für seine betrunkene Frau hält. Als die Ehefrau Licht holen geht, gelangt jeder wieder in sein ursprüngliches Bett, sodass die Fremden keine Konsequenzen aus ihren Taten ziehen müssen. In den französischen Fabliaux Gombert et les deus clers (Ende 12. Jh.) und Le meunier et les deux clercs (Mitte 13. Jh.)

 Vgl. Ziegeler: Erzählen im Spätmittelalter, S. 306 f. und Udo Friedrich: Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer. In: IASL 21 (1996), S. 1– 30, hier S. 17.  ATU 1363. Zu den verschiedenen Versionen vgl. Hans-Joachim Ziegeler: Boccaccio, Chaucer, Mären, Novellen: ‚The Tale of the Cradle‘. In: Klaus Grubmüller, Leslie Peter Johnson und Hans-Hugo Steinhoff (Hg.): Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Paderborn 1988, S. 9 – 31 mit einem Überblick auf S. 18.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

281

werden die Protagonisten als gerissene clerici eingeführt, ebenso im mittelniederländischen Bispel van .ij. clerken, ene goede boerde (um 1400) und Geoffrey Chaucers The Reeve’s Tale aus den Canterbury Tales (Ende 14. Jh.).²⁷⁴ Einzig in der entsprechenden Erzählung IX, 6 im Decamerone Boccaccios (1349 – 53) wird der Hintergrund als clericus oder Schüler getilgt und die Protagonisten durch den eher tölpelhaften Florentiner Edelmann Pinuccio und seinen gewitzten Gefährten Adriano ersetzt.²⁷⁵ Der Gastgeber lebt in allen genannten Fällen in einfachen Verhältnissen, als Müller, Bauer oder armer Häusler. Das mittelhochdeutsche „Studentenabenteuer A“ (vor 1300)²⁷⁶ ist jedoch geprägt durch eine vom Muster des Erzähltyps in den anderen europäischen Literaturen abweichende Figurenkonstellation. Hier ist der Plot um einige individuelle Merkmale ergänzt, v. a. um eine Vorgeschichte, die Fischer ein „Paradigma für das Arbeiten mit funktionslosen Geschehniselementen“²⁷⁷ nannte. Doch gerade in dieser Vorgeschichte werden die Transformationen der Erzählung mit spezifischem Gestus prononciert und die damit einhergehenden strukturellen Probleme motiviert. Diese hängen vor allem mit der Herkunft der Protagonisten zusammen. Denn die Väter der Protagonisten sind tüchtige Kaufleute, zwen piderb man (v. 3), die nicht nur nach materiellem Reichtum, sondern auch nach gesellschaftlichem Aufstieg streben: die gesellen woren bede reich und wurben vaste noch eren. do von begund sich meren ir erbe und ir varent gut (vv. 6 – 9)

 The Reeve’s Tale ist eine Reaktion des Gutsverwalters auf die vorgehende Erzählung des Müllers (Miller’s Tale). Die beiden Erzählungen sind außerdem durch das Figurenpersonal miteinander verschränkt. Denn der Zimmermann John in The Miller’s Tale wird – wie auch der Müller in The Reeve’s Tale – von einem Studenten, dem hende (‚netten‘, ‚gerissenen‘) Nikolas, übertölpelt und betrogen. Der Name des Studenten ist wohl bewusst gewählt und rekurriert auf den Hl. Nikolaus als Patron der Schüler. Vgl. dazu Michael Harry Blechner: Chaucer’s Nicholas and Saint Nicholas. In: Neuphilologische Mitteilungen 79 (1978), S. 367– 371 zu den Nikolaus-Legenden weiter Kapitel 9.4.1.  Giovanni Boccaccio: Decameron. 2 Bde., hg. von Vittore Branca. Turin 21992, Bd. 2, S: 1073 – 1079. Auch ansonsten kommen in den Novellen des Decamerone keine expliziten Schülerfiguren vor, allenfalls ein Gelehrter in VIII, 7.  Das „Studentenabenteuer A“ ist in fünf Handschriften überliefert, die drei Redaktionen erkennen lassen. Darüber, welcher Textzeuge am nähesten am Ursprung steht, sind keine eindeutigen Aussagen möglich. Ich folge der ältesten vollständigen Handschrift B2, die erst 2012 entdeckt wurde, und in Ausnahmefällen (und dann eigens gekennzeichnet) der Redaktion w oder der Handschrift d. Textgrundlage ist im Folgenden: DVN 1/1, S. 72– 102 (Nr. 18); hier im Kommentar (bearb. von Christian Seebald) auch zur Überlieferung und Datierung. Vgl. zur Handschrift außerdem Reinhard Berron und Christian Seebald: Die neue Berliner Handschrift mgo 1430. Ein bedeutendes Zeugnis zur Märenüberlieferung des 14. Jahrhunderts. In: ZfdA 145 (2016), S. 319 – 342.  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 132. Dass hingegen die Vorgeschichte ein konstitutiver Bestandteil und keine ‚funktionslose‘ spätere Ergänzung der Erzählung ist, zeigt der Umstand, dass sie in allen (nicht fragmentarisch) überlieferten Handschriften und Redaktionen enthalten ist.

282

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Mit ihrem Wunsch nach Ansehen haben die beiden Patrizier ein Ziel, das ursprünglich der höfischen Sphäre des Adels zukommt. Êre ist überhaupt ein Leitwort der ganzen Erzählung: Bereits zu Beginn wird die Schulausbildung als Möglichkeit für das Erreichen von Ansehen für den nicht-adligen Städter angeführt und damit die êre implizit zum Movens der Handlung. In der Schule lernen die beiden Knaben singen und lesen (v. 18), also eigentlich klerikale Fähigkeiten, und dazu Grundzüge der Dialektik (lernt man si den widerstreit, v. 19).²⁷⁸ Als ihnen ihr Schullehrer nichts mehr beibringen kann (in der maister ward ze cranch, v. 22) und sie die pesten da (v. 23) sind, erfahren sie von ein schuel von gantzer maisterschaft, | und da waͤ r pfaffen chunst und craft: | die wær Paris genant (vv. 25 – 27). Sie fassen sogleich den Plan, dorthin zu reisen und zu studieren. Dazu sagt einer der Schüler, er waͤ r gern da ein jar (v. 32), um frum und ere (v. 34) zu erlangen. Der Aufenthalt in der Ferne soll also nicht dem Ziel akademischer Graduierung und nur nachrangig der Fortbildung dienen, sondern vornehmlich das Prestige vergrößern. Diese Motivation deckt sich mit dem typischen Verhalten adliger ‚Standesstudenten‘.²⁷⁹ Als die beiden Freunde von der Schule zurückkehren und ihre Eltern über ihrem Plan informieren, kommt es zu einem Streitgespräch zwischen den beiden Generationen. Dieses entzündet sich vor allem am Unterschied von klerikaler und laikaler Bildung. Denn während die Ausbildung in der Schule den ganzen Bereich laikalen Wissens abdeckt (ir seit als wol geleret, | swaz ein lay kunnen schol, vv. 56 f.), wird das Studium in Paris der klerikalen Sphäre zugewiesen und so von den bürgerlichen Vätern abgelehnt. Die Söhne setzen aber apodiktisch fest „wir sein an jar do pfaffen sint“ (v. 59), die Väter hingegen verunglimpfen das Studium und widersprechen dem Plan: ir schuͤ li niht mer ze schaffen | haben mit den pfaffen (vv. 61 f.). Mit dieser Gegenüberstellung der beiden Stände werden zwei verschiedene Vorstellungen von êre aufgerufen.²⁸⁰ In der Vätergeneration ist Prestige mit körperlicher Arbeit und materiellem Reichtum verbunden, was sich darin zeigt, dass sie sich rühmen swaz uns unser vater lie, | daz hab wir iu gemeret (vv. 54 f.). Die jüngere Generation hingegen weiß damit nichts anzufangen:

 An dieser Stelle weichen die Redaktionen B2 und w voneinander ab. In w steht: er lert sy singen vnd lesen, die knaben, wider strit (vv. 18 f.). In w scheint durch den adverbialen Gebrauch von wider strit die Übersetzung als „um die Wette“, die angemerkt wurde, zuzutreffen. Als Objekt ohne Präposition ist diese Form jedoch nicht überliefert. Die Übersetzung als ‚Streitrede‘ oder ‚Dialektik‘ motiviert auch die folgende engagierte Diskussion der Söhne mit ihren Vätern.  Vgl. Wendehorst: Lesen und schreiben, S. 24 f.  Ein ähnliches Argument liefert auch „Bürgermeister und Königssohn“ Heinrich Kaufringers. Der Erzähler kritisiert im Promythion den voreiligen Entschluss mancher Adliger, ihre Kinder auf die Universität zu schicken, um êre zu erlangen, aber nicht zu bedenken, dass damit die Gefahr des Standeswechsels in den Klerus möglich wäre: Nu secht ir wol, wau herren sind, | die sendent oft ire kind | zuo den hohen schuolen hin | und habent doch des kainen sin, | das si ze pfaffen süllen wern. (vv. 17– 21). Die Vorbehalte gegenüber dem Klerus sind hier also auf den adligen Protagonisten perspektiviert, während „Studentenabenteuer A“ (groß‐)bürgerliche Protagonisten hat.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

283

daz wȧ re ain michel vnsin, das wir durch das belyben vnd vnser tage also vertriben mit arbait vnd mit sorgen. (Red. w, vv. 72– 75; im Vgl. zu Red. B2 erweitert)

Diese Vorrangstellung des Reichtums motiviert auch das Vorurteil der Väter, wenn sie sagen, dass bei den Franzosen niemand etwas tauge, der kein Geld dabeihabe: so wert ir den Walhen als ein bast | und gar ein unmarer gast. | wan swer zu in an silber vert | der ist in […] gar unwert (vv. 69 – 74).²⁸¹ Endlich geben die Eltern dem Wunsch der Söhne nach, da sie im Universitätsbesuch auch eine Potenzierung des eigenen Ansehens erwarten (vgl. vv. 75 – 81). Sie statten ihre Kinder reich mit dem aus, was vermögende Studenten für eine standesgemäße Reise benötigen, und geben ihnen phaͤ rde und claider (v. 99) und dazu zwei Diener (zwen knaben, v. 84) mit. Deren Aufgabe es ist, für eine standesgemäße, aber nicht ausschweifende Unterbringung zu sorgen: daz si ir gu iht verluͤ rn und daz si in frum wirt erchuͤ ren, daz si zerten ritterlich unde doch o bei weschaidenlich. (vv. 87– 90)

Viele Aspekte der Vorgeschichte sind für den Kern der eigentlichen Schwankhandlung, die Verführungs- und Verwechslungsgeschichte, weitgehend irrelevant. Die erwähnten Diener sind sogar für den Plot nicht nur unwichtig, sondern sogar hinderlich, sodass deren Anwesenheit im Folgenden schlicht unterschlagen wird.²⁸² Diese Elemente dienen nur der höfischen Umdeutung der Protagonisten. Denn im Gegensatz zu anderen Erzählungen der Stofftradition kommen hier keine zwei verarmten, aber gerissenen clerici zu einem Bauern, sondern reiche und höfisch verfeinerte junckheren (Red. w, v. 107) zu einem wohlhabenden Gastgeber.²⁸³ Diese Veränderung in der Figurenkonstellation wirft das Problem auf, wie man „in einem solch reichen Haushalt alle in die notwendige eine Kammer, die sonst den sozialen Rang des bäuerischen Gastgebers bestimmte“,²⁸⁴ bringen soll. Die Erzählung versucht dieses Problem, das

 Diese Aussage wird zumindest in Red. w bereits textimmanent als Klischee widerlegt, da ihr Gastgeber im nordfranzösischen Arras (Red. w, Aras, v. 114) die beiden Studenten gerne aufnimmt und reich bewirtet (ich schaff ew guten gemach, | laẅ ten lieber nie gesach (Red. w, vv. 167 f.). Dafür fordert er auch keine Gegenleistung. Dass die Studenten prôt vnd wein (Red. w, v. 162) besorgen, ist ihr eigenes Angebot. B2 gibt als Ort nur unspezifisch ain stat (v. 91) an; dass diese in Frankreich liegt, ist allenfalls zu mutmaßen.  Eine Erklärung für diesen Logikfehler im Plot, den alle überlieferten Handschriften teilen, könnte darin liegen, dass die Vorgeschichte vom Autor des ‚Märes‘ an den bestehenden altfranzösischen Fabliau-Plot hinzugefügt wurde, in dem die Studenten bereits ihr gesamtes Gut durchgebracht haben. Vgl. Frosch-Freiburg: Schwankmären und Fabliaux, S. 122.  Vgl. Ziegeler: ‚The Tale of the Cradle‘, S. 23 – 25.  Ziegeler: ‚The Tale of the Cradle‘, S. 25 [Herv.im Orig.].

284

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

aus der Tradition des Erzähltyps übernommen wurde, zu erklären. So wird schon beim Aufbruch der beiden Protagonisten die Frage der Beherbergung angesprochen (siehe oben vv. 87– 90) und auch später nochmals konkret thematisiert. Als mehr oder weniger schlüssige Erklärung dient das Argument, dass sie nur finanzielle Mittel für ein Jahr dabei hätten und deshalb bei der Beherbergung auf der Reise kein Geld ausgeben könnten. Außerdem müssten sie einen Ort wählen, an dem ihr Vermögen sicher sei: wir wellen hintz schuel varen und muͤ zzen uns do vor bewaren, daz wir uns wirtte erchi[ese]n, dez wir icht verliesen, dez wir dort bedurfen an jar. (vv. 227– 231)

Darauf antwortet der Gastgeber, dass sie in seiner Kammer schlafen könnten. Denn dort sei es am sichersten (vv. 296 – 298). Die umfassende Vorgeschichte ist ein zentrales Element des „Studentenabenteuer A“, der ältesten mittelhochdeutschen Versnovelle des tradierten Erzähltyps, der so einen umfassenden Hintergrund bekommt, welcher auch ein ständisches Gesellschaftsbild reflektiert. Möglicherweise ist dies dem außerliterarischen Umstand geschuldet, dass Studenten und die Institution der Universität in Deutschland noch nicht allgemein bekannt waren und für das nicht-gelehrte Publikum erst eingeführt werden mussten. Das könnte dann auch ein Grund dafür sein, dass Paris in allen deutschen Versnovellen vor dem 15. Jahrhundert standardisiert als der topische Universitätsstandort gilt.²⁸⁵ Das bleibt jedoch Spekulation. Sicher ist aber, dass diese Veränderung ein wesentliches Anliegen der mittelhochdeutschen Erzählung ist, da sie einiges an Aufwand betreibt, um die veränderte Ausgangslage der Figuren im Vergleich zur Erzähltradition zu motivieren. Doch auch nach dem Prolog verliert sich die Standesdiskussion nicht. Denn die Protagonisten vereinen Eigenschaften des Höfisch-Laikalen und des Klerikalen. Das wird vor allem in der Szene deutlich, in welcher der eine Schüler und seine Geliebte das erste Mal alleine zusammenkommen, um am Psalter das Lesen zu üben (vv. 160 – 206). Da die Tochter beim Vorlesen der Psalmen Schwierigkeiten hat, löst sie der Schüler ab und zeigt sich dadurch als an gelert man (v. 147). Zugleich qualifiziert er sich als Privatlehrer, da die Mutter den Schüler lachend bittet, ob er nicht die Tochter unterrichten könne: dez begond ir muter lachen, si sprach: „chond er daz gemachen, daz du chondest lesen alsam er, so wær er dir ze saͤ lden her chomen und uͤ berhuͤ be dich slege […].“ (vv. 153 – 157)

 Vgl. Wailes: Vagantes and the Fabliaux, S. 57 f.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

285

Damit ist die Mutter indirekt die Kupplerin der Liebesbeziehung. Denn sie ist die Urheberin der Situation am pastourellenhaften locus amoenus, als sie in die lauben fuͤ r di thuer (v. 159) gehen. Dort vermittelt der Schüler ihr weniger das Lesen des Psalters, sondern daz si gevie der minne bant (v. 180). Im Gespräch werden verschiedene Register höfischer Minnedarstellung gezogen, der pathologische minnetwanc beim Mann (v. 211 in Red. w) und der Frau mitsamt den typischen somatischen Symptomen (vv. 185 f.).²⁸⁶ Das Gespräch der beiden Verliebten thematisiert weiter die (höfische) êre.²⁸⁷ Der Begriff wird vierfach semantisiert: Zuerst appelliert der Galan an die weiplich ere (v. 265) des Mädchens als Minnedame, als libiu fraw (v. 163), die seinen Kummer lindern und sich ihm hingeben solle. Dann konnotiert das Mädchen in ihrer Entgegnung ihre êre mit ihrer Keuschheit, die auf der Geheimhaltung der Beziehung zu gründen scheint (vv. 172– 175). Diesen Aspekt greift später der zweite Student auf, wenn er fragt: „will du all dein ere | hie verliesen und dein leben, | daz wildu umb diu magt geben? […]“ (vv. 190 – 192). Heimlichkeit bietet also eine Möglichkeit trotz Normverletzung das gesellschaftliche Ansehen sowohl des Mädchens als auch des Liebhabers zu erhalten. Dieser Umstand wird umso brisanter, wenn die geheimen und explizit im Dunklen gehaltenen Machenschaften der Nacht aufzufliegen drohen. Ein letztes Verständnis von êre wirft schließlich der Im-Bett-Gebliebene auf, als sich sein Gefährte zur Tochter begibt: er gedaht: ‚ich vil boͤ ser man, daz ich nicht werben kan, und daz mir dehein er widervert und daz mein [mein Hab und Gut] doch wirt verzert!‘ (vv. 263 – 265)

Um seines ‚Ansehens‘ willen und nicht aus Geilheit verführt er die Hausherrin und löst die Verwechlungshandlung aus; er hält sich für ‚ehrlos‘, wenn er in dieser Nacht ohne sexuellen Verkehr bliebe. Höfisches Verhalten wird also darauf reduziert, beim Verführen von Frauen nicht zu versagen; zugleich wird es zur ökonomischen Rechnung, die seine eigenen Aufwände mit dem erreichten Nutzen vergleicht. Durch ihre Lesefertigkeit und den Psalter als Dingsymbol²⁸⁸ sind die Protagonisten offen als klerikal ausgewiesen, sie zeigen aber auch höfisch-ritterliche Verhaltensweisen in einer grundsätzlich bürgerlich-städtischen Umgebung.

 Vgl. dazu im Vergleich zum „Studentenabenteuer B“ und mit einigen Parallelstellen aus der höfischen Literatur Theodore M. Andersson: Rüdiger von Munre’s ‚Irregang und Girregar‘: A Courtly Parody? In: PBB 93 (1971), S. 311– 350, hier S. 315 – 322.  Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf Wailes: Students as Lovers, S. 198 f., der freilich Red. w folgt.  Der Psalter dient auch in den inhaltlich ähnlichen Debatten zwischen Rittern und Klerikern über die Vorrangstellung des jeweiligen Standes in der lateinischen und französischen Literatur als identifikatorisches Dingsymbol. Siehe in Florence et Blancheflor v. 112, Hueline et Aiglantine v. 56, Melior et Ydoine v. 164; Les Débats du Clerc et du Chevalier dans la Littérature Poétique du Moyen Âge, hg. von Charles Oulmont. Paris 1911, dazu S. 26 und Wailes: Students as Lovers, S. 210 (Anm. 4).

286

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

„Die treue Magd“ Am ausführlichsten und explizitesten ist die ständische Zwischenstellung des Studenten in der niederdeutschen Überlieferung von „Die treue Magd“.²⁸⁹ Der erste Teil (vv. 1– 183) beschreibt in einer Exposition die Herkunft des jungen Protagonisten und wirft die Frage nach dem ‚besten Stand‘ auf.²⁹⁰ Im zweiten Teil (vv. 184– 624) folgt die eigentliche Schwankhandlung, und zwar der Ehebruch des durchreisenden Studenten und dann die Rettung des Liebespaars durch die Magd: Diese zündet die Scheune an, um den zurückkehrenden Ehemann wegzulocken und der Herrin und ihrem Liebhaber die Flucht aus der delikaten Situation zu ermöglichen. Die Gestaltung des Protagonisten in „Die treue Magd“ entspricht der im „Studentenabenteuer A“. Der Schüler stammt aus reichem Hause: sin vader were eyn here ho | und des gudes also ryk (vv. 32 f.). Er ist fleißig in der Schule (vv. 36 – 42), togentzam (v. 43) und betet jeden Tag zwei Gebete an die Heilige Gertrud.²⁹¹ Schließlich interessiert sich der Schüler aber für die weltliche Pracht, der werlde syrheyt (v. 49). Die Vorgeschichte der Erzählung handelt davon, wie der junge Protagonist die Knechte seines Vaters danach befragt, welcher Stand der Beste sei. Der erste Knecht lobt die adligen Ritter: vorsten unde edele hern (v. 63). Deren Stand definiere sich durch Ansehen, Turnier und Wohlstand: „[…] de leven an groten eren unde ok to allen tyden durch lust dustern unde stryden. se hebben durch leve steten mud und an dem lande manige tucht gud, beyde sulver unde golt, dure stene, kleder manichvolt; de sint stolt unde vrisch.“ (vv. 64– 71).

Der zweite Knecht lobt den geistlichen Stand mit seiner Gelehrsamkeit und seinem bequemen Leben ohne Mangel:

 „Die treue Magd“ ist zwar erst im 15. Jahrhundert überliefert und würde demnach diese Chronologie sprengen, die Überlieferung beruht aber wahrscheinlich auf einem Archetypus aus dem 14. Jahrhundert. Über die Abhängigkeitsverhältnisse der niederdeutschen (Red. b3) und der oberdeutschen (Red. m) Version sind keine gesicherten Aussagen möglich. Vgl. Hartmut Beckers: [Art.] Die treue Magd. In: 2VL, 9, Sp. 1034– 1036. Textgrundlage ist die niederdeutsche Redaktion in DVN, Bd. 4, S. 508 – 527 (Nr. 173), Red. b3.  Die Standesdiskussion beschränkt sich in der oberdeutschen Version m auf drei Verse: einer sagt von hoher eͤ r, | der ander von guter leͤ r | der dritt von schoͤ nen frawen (vv. 53 – 55).  Die Heilige Gertrud von Nivelles gilt als Patronin für gute Herberge.Vgl. AA.SS. 7 (1668) 17. März und Ferdinand Wrede: [Art.] hl. Gertrud. In: HdA 3, Sp. 699– 706. Die Heilige wurde aber auch mit Magie und vor allem dem Schatzheben konnotiert. Vgl. Adolf Jacoby: [Art.] Gertrudenbüchlein. In: HdA 3, Sp. 706– 708. Zur Figur und ähnlichen Motiven in „Der Reiher“, Le meunier et les deux clers, Speculum stultorum von Nigellus Wireker und Decamerone II, 2 vgl. weiter Wailes: Students as Lovers, S. 208 f.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

287

ein ander sprak: „yk geven den papen hogeren pris, de syk vlyten jummermere an hogen kunsten sere; so leven se myd gemake und hebben nenes dinges brake. se vorwervͮ en myd der lere van den luden loff unde ere […]“ (vv. 72– 78)

Der dritte Knecht verlegt sich schließlich auf die Frauenliebe, da die Frauen vor ritter unde vor knapen | unde vor den lerden papen | […] alle sorge swaken | unde manige vraude maken (vv. 83 – 88). Die Knechte stellen die beiden Stände miles und clericus gegenüber und imitieren damit Strukturen aus der Tradition der Débats du clerc et du chevalier, erweitern diese aber freilich um eine dritte Instanz.²⁹² Der Protagonist entscheidet sich für keinen der Stände, sondern kombiniert die letzten beiden Optionen, den Frauendienst mit der Wissenschaft, indem er sich dafür entscheidet, Student zu werden: den der, de geleret sint, | de dat vorwar menen, | dat se hovesschen vrauwen denen (vv. 99 – 101). Aus dieser Wahl folgt, dass der Student in höfischer Liebe vor dem Ritter steht, und laut Wailes „finally, that academics are the real champions of courtly love.“²⁹³ Im Gegensatz zum „Studentenabenteuer A“ entsprechen die Studienpläne dem Wunsch des Vaters: „yk hedde dy lange gesant | to Padawe [Padua] ydder to Paris, | wiste yk […] | dat du woldest lern“ (vv. 107– 111). Er stattet den Sohn mit einem Pferd (v. 116) und ausreichend Geld aus: vifftich gulden, de sint hir (v. 124).²⁹⁴ Der junge Student reist ein Stück in Richtung Paris mit Kaufleuten, nächtigt aber aus Sparsamkeit nicht bei ihnen in der Stadt, sondern zieht weiter und bittet schließlich bei einer jungen Frau, auf die er zufällig trifft, um Herberge. So treffen die beiden Hauptfiguren zusammen: de scriver hovesch unde walgetan | sach de vrauwen boven ome stan | so eyn rose, de men des morgens sut up gan (vv. 199 – 201). Auch wenn anders als im „Studentenabenteuer“ keine der beiden Seiten eindeutige Avancen macht, legt diese Konstellation sofort offen, dass die beiden zum Liebespaar werden. Der Protagonist inszeniert sich jedoch selbst zuerst als armer Schüler:

 Siehe dazu Oulmont (Hg.): Les Débats. Edmond Faral geht weiter davon aus, dass andere Bearbeitungen vom lateinischen Gedicht De Philide et Flora, das auch im Codex Buranus (CB 92) überliefert ist, abhängen. Edmond Faral: Les Débats du Clerc et du Chevalier dans la Littérature des XIIe et XIIIe Siècles. In: Romania 164 (1912), S. 473 – 517, hier S. 516. Diese Meinung liegt ebenfalls der Einschätzung Paul Sapplers zugrunde, der dies als ein „vagantisches Motiv“ bezeichnet. Paul Sappler: Zur Lehrhaftigkeit der ‚Treuen Magd‘. In: Henrike Lähnemann und Sandra Linden (Hg.): Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin 2009, S. 253 – 264, hier S. 260. Dazu auch Wailes: Students as Lovers, S. 207: „Die treue Magd is the old dispute about knights, clerics, and ladies exemplified in a story.“  Wailes: Students as Lovers, S. 207  Die Menge von Fünfzig Gulden scheint prototypisch für ‚viel Geld‘ zu stehen; vgl. auch die Versnovelle „Fünfzig Gulden Minnelohn“.

288

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

he sprak: „neyn twar, vrauw, jo bin yk ein arm elende scholere. wil gy my herbergen ume unser vrauwen ere?“ (vv. 215 – 217)

Der skriver hovesch und walgedan mimt also den gelehrten Bettler, wobei er sich mit dem ‚armen Schüler‘ eines Klischees zu bedienen scheint. Aufgrund dieses niedrigen Standes weist die Frau den Gast zuerst ab, indem sie vorschützt, dass sie wegen der Abwesenheit ihres Gatten üble Nachrede fürchte: „eya, vil hertze leve kint, yk dede dat gerne, went nu sint de lude also unslicht, dat dar nemant blifft unvordicht. […]“ (vv. 233 – 336)

Erst als ein Reisender, der zufällig des Weges kommt, die Identität des Schülers aufdeckt – er erkennt ihn als den Sohn seines ehemaligen, wohlhabenden Dienstherrn –, lenkt die Frau ohne weitere Einwände ein und bewirtet ihren Gast. Der Stand des Schülers muss offensichtlich werden, damit das Gebot der Gastfreundschaft oder eher eine ständische Verpflichtung bindend wird. Auch die Herberge ist nicht das Haus eines armen Häuslers, sondern enes ryken rydders hoff (v. 186). Der Student als armer clericus wird aus Angst vor übler Nachrede abgewiesen, als Sohn eines angesehenen Bürgers aber aufgenommen; die Ehefrau antizipiert Erzählmuster des Schwanks, der den jungen Studenten als Verführerfigur kennt. Diese werden jedoch zugunsten der erzählstrukturell notwendigen Gegenüberstellung von klerikalem und ritterlichem Frauendienst, wie sie schon in der Vorgeschichte zum Thema wurde, zurückgestellt. Sowohl der Schüler als auch der (zunächst absente) Gastgeber gehören also einer (einfluss‐)reichen Sphäre an, in der höfische Normen virulent sind, und unterscheiden sich nur hinsichtlich ihrer Zuschreibung in ‚Ritter‘ und ‚Gelehrte‘. Auch wenn die Vorerzählung suggeriert, dass die Gegenüberstellung von der Stärke des Ritters und der listigen Klugheit des Schülers handelt, wird diese Erwartung nicht erfüllt. Der Schüler bleibt weitgehend passiv:²⁹⁵ Ein Passant (und damit der Zufall) verhilft ihm zur Herberge, nachdem der Schüler schon aufgeben und weiterreisen will (vv. 275 – 286), die Frau sucht das Bett des Schülers auf (vv. 356 f.) und die Magd deckt die beiden Ehebrecher, indem sie den zurückgekehrten Gatten durch ihre geschickte List aus dem Haus lockt (vv. 461– 529). Ebenso das Epimythion interessiert sich nicht für das Verhalten des Studenten, sondern nur für die Tat der ‚treuen Magd‘, die als Thema der Versnovelle angegeben wird: dat wy an truwen vaste stan, | als disse maget orer vrauwen (vv. 618 f.). Damit wird die Erzählung ‚von hinten‘ anders moti-

 Vgl. dazu Coxon: schrîber, S. 38 f.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

289

viert²⁹⁶ als im Promythion, in dem der Erzähler vor dem Hintergrund einer unsicheren Welt dazu aufruft, im Gebet konstant zu bleiben, wie der Protagonist der Geschichte: neyn man weyt der werlde mud; se ys leyder los genoch, doch sal ein man wesen kluch unde don, als ein scriver dede: he sprak alle dage twe bede. (vv. 8 – 12)

Die beiden Themen, das Gebet zur heiligen Gertrud um gute Herberge und die Treue der Magd, sind verbunden, indem die Heilige der Magd bei ihrer Handlung hilft; der Erzähler kommentiert: yk mene, min vrawe sunte Gertrud, | de de scriver des avendes an bat, | de gaff der juncvrauwen eynen rad (vv. 501– 503). Das fromme Gebet des Schülers ist also indirekt der Grund für seine Rettung.²⁹⁷ Der Stand der Studenten als „champion[ ] of courtly love“,²⁹⁸ wie er in der Vorerzählung konstruiert wurde, wird brüchig. Die Erzählung basiert auf zwei Grundannahmen gegenüber der Schülerfigur: seiner unerschütterlichen Frömmigkeit und seinem höfischen Frauendienst. Das fromme Gebet um gute Herberge führt beide Aspekte zusammen, indem mit Hilfe der Heiligen der Ehebruch verhüllt und ihr Schützling gerettet wird. Dafür kann ihr der Student nur danken – bezeichnenderweise im Verborgenen: hemelik sprak de sine beden, der he plach herde sere, in sunte Gertrudis ere. (vv. 563 – 565)

Auch den Abschied von seiner Minnedame begleiten verborgene Handlungen (de edele vrauwe togenlik | deme scrivere begunde vaken, vv. 574 f.); neben Kosungen schenkt die Gastgeberin dem Schüler einen wertvollen Ring (vv. 577– 580), einerseits als Minnegabe, andererseits als Schweigegeld. Sie beschwört ihn: „eija, leve scrivere, yk bidde ju, dat gy disse mere nemande openbarn. wen gy willen weder to hus varn, so komet weder to myr.“ (vv. 582– 586)

 Zur ‚Motivation von hinten‘, die sich von Clemens Lugowski (1932) ableitet und zum Bezug auf vormoderne Literatur vgl. Harald Haferland: ‚Motivation von hinten‘. Durchschaubarkeit des Erzählens und Finalität in der Geschichte des Erzählens. In: Diegesis 3 (2014), S. 66 – 95.  Damit folgt die Erzählung eigentlich Strukturen geistlichen Erzählens: Vgl. Kapitel 9.4.1. Jedoch auch in anderen schwankhaften Texten findet sich namentlich St. Gertrud (von Nivelles), als Fürsprecherin für gute Herberge (z. B. in „Der Reiher“). Damit nimmt St. Gertrud dieselbe Rolle ein, wie sie in anderen Erzählungen St. Julian und St. Martin, z. B. in Le Meunier et les deux clers, Nigellus’ Speculum stultorum und Boccaccios Decamerone. Vgl. dazu Wailes: Students as Loves, S. 207– 209.  Wailes: Students as Loves, S. 207.

290

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Darauf antwortet dieser: „yk weyt wol, wes yk swygen sal.“ (v. 588). Im Gegensatz zu den Liebhabern in den Erzählungen „Der zurückgegebene Minnelohn“ und „Fünfzig Gulden Minnelohn“, deren Replik durch die mangelnde Schweigsamkeit des Studenten erst initiiert wird, kann sich der Protagonist in „Die treue Magd“ selbst kontrollieren und wird nicht textimmanent selbst zum Erzähler der schwankhaften Erzählung. Im Rückblick entsprechen die Ereignisse dem Plan Gottes und der höfischen Minne, wie es aus der Sicht des Protagonisten mitgeteilt wird: myd vruntheyt he jo der vrauwen dachte, de ome gut hadde gedan. deme god noch der salde gan, deme mach an hovesschen dingen noch rechte wal gelingen. (vv. 601– 605)

Den göttlichen Plan bemüht auch der gehörnte Ehemann, wenn er davon spricht, dass der Gast ein großes Unglück erlebt hätte, wenn er selbst nicht rechtzeitig zurückgekommen wäre: de wert sprack: „gy mochten alle sin vorbrant. god hefft uns hire heime gesant, dat wy gelesschet hebt de schune; hus, hoff hedde gebrant und de schune.“ (vv. 548 – 551)

Die Komik dieser Aussage wird für den Rezipienten offensichtlich, da er genau weiß, dass die frühzeitige Rückkehr des Ehemanns überhaupt der Grund für den Brand und die Probleme des Liebespaars war. Zugleich konterkariert der Figurenkommentar die Aussagen im Epimythion. Nach Paul Sappler gliedert sich diese Passage ein in eine Reihe von „Schiefheiten“, die deutliche „Distanz zum Exemplarischen“²⁹⁹ demonstrieren. Er sieht in der Versnovelle eine Form von Lehrhaftigkeit, die durch eine „Übererfüllung des Exemplarischen mit unerwarteter Aussparung der Explikation in einem Teilbereich“³⁰⁰ geprägt ist. Der exemplarische Charakter tritt in der Konfrontation verschiedener Stände im Rahmen des Frauendienstes (v. a. in der umfangreichen Vorgeschichte) hervor, wird durch die integrierten Widersprüchlichkeiten aber entkräftet. Das „Aussetzen der Explizitheit“ verweise auf „ein leichthin veranstaltetes Lustspiel zu einem ernsten Thema, wenn nicht gar eine feine Ironisierung des literarischen Typus“.³⁰¹ Sappler marginalisiert dabei jedoch, dass hier – in der Logik des Schwanks am Prüfstein sexueller Prävalenz – die Frage nach der ständischen Position

 Sappler: Lehrhaftigkeit, S. 261.  Sappler: Lehrhaftigkeit, S. 261 (Anm. 7). Mit dieser Rubrik ergänzt er das Schema in Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, dem sich „Die treue Magd“ zu entziehen scheint.  Sappler: Lehrhaftigkeit, S. 261.

8.2 Der schuoler in der mittelhochdeutschen Kleinepik

291

des Schülers gestellt wird.³⁰² Auch wenn dieser zwischen Klerus und Ritterschaft verortet wird, bleibt seine genaue Position unbestimmt.

Geschlechtliche Zwischenstellung Diese indifferente Zwischenstellung hinsichtlich des sozialen Standes (class) wiederholt sich in der Relativierung der Grenzen des natürlichen Geschlechts (sex) und des sozialen Geschlechts (gender).³⁰³ Die Versnovellistik gibt allgemein recht große Spielräume für experimentierende Transgression geschlechtlicher Normen (z. B. cross-dressing, Geschlechtertausch), um „Handlungsmöglichkeiten wie identitätsstiftende Muster von Geschlechtlichkeit überprüfen, dabei Grenzen antasten und zur Diskussion stellen“³⁰⁴ zu können. Die Darstellung von Schreibern, Schülern oder Studenten betont immer wieder eine geschlechtliche Uneindeutigkeit. Einerseits sind sie erfolgreiche Liebhaber und Verführer, andererseits erscheinen sie als androgyn und sind überdurchschnittlich häufig in cross-dressing-Handlungen verwickelt. Jedoch kommt es nie zu einer sozialen Degradierung oder Demütigung wie bei anderen Figuren.³⁰⁵ Als Beispiele sollen vor allem die beiden zuvor diskutieren Versnovellen dienen: Im „Studentenabenteuer A“ hält der Gastgeber, als einer der Studenten während der Bettverwechslung an seiner Seite landet, diesen für seine Gattin und verprügelt ihn in der Meinung, seine Frau sei betrunken und spreche wirr: „du bist trunchen als an hunt!“ und sluch den schuler in den munt (er wont, ez wær sein weip). (vv. 303 – 305)

Diese Verwechslung wird in der um einige Szenen erweiterten Version „Studentenabenteuer B“ noch gesteigert, indem einer der Studenten freiwillig zum Gastgeber ins Bett geht, um dem Gefährten eine ungestörte Nacht mit der Hausherrin zu ermöglichen.³⁰⁶ Dafür unternimmt er einen vestimentären Geschlechtswechsel, indem er sich mit gewande, sam ein wip | […] mit einr hubin und mit gebende (vv. 1095 – 1097) kleidet.³⁰⁷ Als sich der Herbergswirt nun seiner (vermeintlichen) Ehefrau annähert, be-

 Dazu Sappler: Lehrhaftigkeit, S. 260 f.  Vgl. dazu Andrea Schallenberg: Spiel mit Grenzen. Zur Geschlechterdifferenz in mittelhochdeutschen Verserzählungen. Berlin 2012, S. 349 f.  Schallenberg: Spiel mit Grenzen, S. 409  Vgl. Andrea Moshövel: wîplîch man. Formen und Funktionen von „Effemination“ in deutschsprachigen Erzähltexten des 13. Jahrhunderts. Göttingen 2009, S. 310 f. und Schallenberg: Spiel mit Grenzen, S. 312.  Ed. in DVN, Bd. 2, S. 257– 296 (Nr. 70). Für eine gendertheoretische Interpretation der Versnovelle vgl. Moshövel: wîplîch man, S. 228 – 247.  Vgl. dazu Andreas Kraß: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen 2006, S. 270 – 285. Insgesamt erkennt man Identität in mittelalterlicher Literatur weniger an Physiognomie und Stimme, sondern mehr an der „sozialen Hülle des Körpers – an Kleidung, Kopfbedeckung,

292

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

merkt er erst nach haptischer Untersuchung die männlichen körperlichen Geschlechtsmerkmale. Er beschwert sich: ‚wer hat mir vorvelschit das wip? | si hat nu mannis lip!‘ (vv. 1137 f.). Der Student betont aber die Weiblichkeit seiner Rolle unter Verweis auf die langjährigen sexuellen Erfahrungen mit dem Ehepartner: nen ich, sware, ich bin ein wip! | nu hastu doch minen lip | manich jar wol bechant (vv. 1169 – 1171). Diese Aussage der vermeintlichen Ehefrau widerspricht der dreifachen haptischen Untersuchung (vv. 1127 f., 1134 und 1175 f.) und führt zur inkommensurablen Gegenüberstellung zweier ‚Wahrheitsgaranten‘, die einerseits durch Aktion, anderseits durch Sprache generiert werden: Die ‚Wahrheit‘ der ‚phallischen Frau‘ besteht somit aus dem Widerspruch, dass ihr Körper unter dem Vorzeichen der heterosexuellen Norm in jedem Akt ehelicher Sexualität in der Vergangenhet als weiblicher Körper bestätigt worden ist, und dem plötzlich entdeckten männlichen Geschlechtsmerkmal, das diesen Körper als Objekt des männlichen Begehrens ausschließt.³⁰⁸

Diese geschlechtliche Indifferenz kann sich der Mann nur durch Dummheit, wie sie im Text den Westfalen zugesprochen wird (vgl. vv. 1180, 1189), oder durch ein magisches Zwitterwesen erklären: ich sehe wol, das du elbis bist (v. 1185). Die performativ erreichte Umkehr der Dominanzverhältnisse bleibt auch, nachdem der effeminierte Student mittels einer geschickten List wieder die Position mit der richtigen Ehefrau tauscht. Sie bleibt die ‚phallische Frau‘ und erreicht zusammen mit ihren Komplizen mittels weiterer Listhandlungen, die in einem Exorzismus gipfeln, eine „Demontage der hausherrlichen Macht.“³⁰⁹ Die geschlechtliche Indifferenz ist auch zentraler Gegenstand in „Die treue Magd“. Als der Schüler mit der Ehefrau engumschlungen im Bett liegt und ihn der zurückkehrende Gatte mit seinen beiden Schwagern³¹⁰ erblickt, meinen alle, es handle sich um eine einzelne Person: do lege de twe alumme bevangen unde wern al na to samende komen unde hadden syk lefflik ummenomen, dat se alle hedden gesworn, dat dar nene twe in dem bedde warn. (vv. 425 – 429)

Als die Magd auf den hohen Stand des schlafenden Schülers verweist, beschließt der Hausherr den Gast schlafen zu lassen (v. 438). Dennoch beobachten sie den Körper des Schlafenden voyeuristisch und urteilen über ihn, v. a. über den unter der Decke herWappen, Rüstung – und an dauerhaften Versehrungen der daneben sichtbaren Haut“; Armin Schulz: Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik. Tübingen 2008, S. 3.  Moshövel: wîplîch man, S. 243.  Moshövel: Von ‚hübschen‘ Studenten, S. 183. Zum „Studentenabenteuer B“ aus der Perspektive der Bewegung der Protagonisten vgl. weiter Kapitel 9.4.2.  Zur Frage, ob es sich um einen oder zwei Schwäger handelt und welche der in der Überlieferung konkurrierenden Lesarten zu bevorzugen ist, vgl. Sappler: Lehrhaftigkeit, S. 262– 264.

8.3 Der Schüler als Typus zwischen ritter und pfaffe – Zusammenfassung

293

vorschauenden Arm der Frau, den sie aber für den des Schülers halten. Der eine Schwager weist darauf hin, dass der Arm ganz weiß, van witter hut (v. 445), sei, worauf der Ehemann entgegnet: „swager, yk segge dy dat, dat nenen luden ys bat. se endorvͮ en nicht vele sorgen unde ok nicht borgen. dat mach wal wesen ore hogeste qual, wo se schonen vrauwen denen wal.“ (vv. 446 – 451)

Der Schüler habe also einen sorgenfreien Lebenswandel, der nur auf den Frauendienst ausgerichtet sei. Mit dieser Entgegnung erklärt der Ehemann – natürlich ohne es zu wissen – die tatsächlich vorliegende Situation des Ehebruchs. Auch als der zweite Schwager auf die feine Hand (ene hand so suverlick, v. 454) hinweist, nimmt der Hausherr den Gast durch eine Erklärung in Schutz: he sprack: „swager, weystu nicht, dat scriver weke hende han, wente se gripen selden an exen unde hauwen. dar umme lat din schauwen unde lat ome hebn sin gemack!“ (vv. 456 – 461)

Sowohl das natürliche (sex) als auch das soziale Geschlecht (gender) des Schülers wird als unmännlich attribuiert. Dabei überdeckt die soziale Erwartung beim gehörnten Ehemann die eigene Wahrnehmung. Auf der Handlungsebene erzeugt die Szene durch den Wissensvorsprung des Rezipienten erhebliches komisches Potential.³¹¹ Gleichzeitig werden in der Diskussion der drei Männer einige Vorurteile gegen (angehende) Gelehrte transportiert und der ganze Stand effeminiert. Auf dem Schüler vereinen sich so Eigenschaften der äußersten Feminität – gepflegtes, weiches Aussehen durch den Mangel körperlicher Arbeit – und der äußersten Maskulinität – Held der (höfischen) Liebe und perfekter Verführer.

8.3 Der Schüler als Typus zwischen ritter und pfaffe – Zusammenfassung Es gab bereits seit dem Aufkommen elaborierter ständischer Differenzierungen im 10. Jahrhundert (Rather von Verona) die Tendenz, den Schüler auch als eigenen status in das System einzugliedern. Diese verstärkte sich durch die Predigtanleitungen und die

 Das Verhältnis von Figuren- und Rezipientenwissen und die Folgen für die Narratologie der ‚Märendichtung‘ untersucht Ziegeler: Erzählen im Spätmittelalter, S. 91 f.

294

8 Schüler: Zur sozialständischen Position (Spurensuche II)

Sammlungen mit Musterpredigten ad status, jedoch konzentrierte sich die Darstellung auf die spezifische Lebensphase des Schülers,v. a. also auf den Umgang mit dem Lehrer. Vom 13. bis ins 15. Jahrhundert verschob sich die Behandlung des Schülers/Studenten als status aetatis sukzessive – v. a. in den Universitätsstädten – immer mehr hin zu der Wahrnehmung als einen gesellschaftlichen Stand, einen status ordinis. Dieser Prozess ist mit der problematisch gewordenen Einordnung des Gelehrtenstandes in den ordo clericus verbunden. Die Gleichung von lese- und schreibkundig mit geistlich, ließ sich nicht mehr aufrechthalten. Dieser Wandel bedingt auch eine Veränderung des Gesellschaftsbildes und damit der kulturellen Muster und Codes, die für eine literarische Verarbeitung zur Verfügung standen, aufgrund des zirkulären Implikationsverhältnisses aber selbst wieder Muster und Codes zur Verfügung stellten. In der deutschsprachigen Versnovellistik des 13.–15. Jahrhunderts führte dies zu einer Erweiterung des Figurenpersonals um Schülerfiguren, welche die Eigenschaften der etablierten literarischen Figur des Ritters mit den neuen kulturellen Bedingungen (Veränderung des ‚Bildungssystems‘ durch die Entstehung der Universitäten etc.) vereinen. In den Versnovellen sind dabei unterschiedliche Modi literarischer Traditionen zu erkennen: (1) Ritterfiguren in bestehenden deutschsprachigen Texten werden durch Schülerfiguren ohne größere Eingriffe substituiert und übernehmen deren narrative Funktion, es kommt also zu einer Verschiebung im selben literarischen System oder (2) Stoffe aus anderen Sprachsystemen werden adaptiert und in das deutsche integriert, vornehmlich aus dem Lateinischen und Französischen. Gerade beim „Studentenabenteuer“, das auf einem französischen Prätext beruht, ist auffällig, dass der mittelhochdeutsche Text die finanzielle Prekarität der povres clers nicht übernimmt, sondern bürgerliche oder höfische Attribute betont, was z. T. mit erheblichen Eingriffen in den Text verbunden ist. Auch in den anderen Versnovellen ohne ermittelbaren Prätext finden sich keine armen Kleriker. Trotz der Tendenz (ritterlich‐)höfischer Schülerfiguren ist es eines der Hauptintentionen einiger Texte, die ständische Prävalenz von Rittern oder Gelehrten zu diskutieren, gemäß den Maximen der Schwankdichtung meist auf sexueller Ebene. Der Student steht in seiner spezifischen literarischen Gestaltung also zwischen dem adligen Ritter/miles, der durch seine legitime räumliche und sexuelle Freizügigkeit gekennzeichnet ist³¹² und dem gelehrten Geistlichen/clericus (nicht dem pfaffen als Schwankfigur!)³¹³ mit seinem Fachwissen (auch Lese- und Schreibfähigkeit) und dem

 Nur die bürgerlichen Kaufleute als Figur im Märe scheinen ähnlich mobil zu sein wie die Ritterund Schülerfiguren.  Der pfaffe versieht eine gänzlich unterschiedliche narrative Funktion als der Student. Der mobile Student sucht im Gegensatz zum pfaffen seine erotischen Abenteuer in der Fremde. Außerdem ist er durch seine relativ lockere Bindung an den Zölibat und die Regeln der Geistlichen geprägt. Während der litteratus weder obligatorisch geweiht war noch ein Theologiestudium aufgenommen haben musste, hat der geweihte Priester als Ehebrecher eine größere Fallhöhe und erzeugt so größere Komik. Schließlich kommt der Student als Verführer und Ehebrecher immer gut weg, während der Pfaffe „sehr

8.3 Der Schüler als Typus zwischen ritter und pfaffe – Zusammenfassung

295

Einblick in die freien und/oder verbotenen Künste. Diese ständische Zwischenstellung mündet in einigen schwankhaften Texten aufgrund der Kombination der sexuellen Potenz des Ritters und der Physiognomie des Gelehrten auch in eine geschlechtliche Uneindeutigkeit der (durchwegs männlichen) Schülerfiguren. Diese stehen als transgressive ‚Figuren des Dritten‘ also zwischen konventionellen Instanzen. In der Predigtliteratur und den (motivisch und konzeptuell nahestehenden) Satiren geht die Verschiebung von der Darstellung einer Lebensphase (status aetatis) zum Sozialstand (status ordinis) mit einer Differenzierung in verschiedene, meist hierarchisch geordnete gesellschaftliche (Sub‐)Stände einher. In diesem Kontext konturiert sich nun auch ein als deviant empfundenes Derivat des Schülers als scholaris vagus. Dabei reicht die sprachliche Ausgrenzung von der allgemeinen Konstruktion eines ‚letzten‘, gottverlassenen Standes (z. B. bei Berthold von Regensburg) über eine Differenzierung in fleißige und faule Studenten (z. B. im Occultus Erfordensis) bis zur abundanten Ausdifferenzierung in verschiedenste Erscheinungsformen des Devianten (z. B. in Des Teufels Netz). Dieser Prozess verstärkt sich bis ins 15. Jahrhundert und führt zu einer Imagination ständischer Differenzierung von Devianz und Delinquenz, die analog zur ständischen Ausdifferenzierung des offiziellen Gesellschaftsbildes geschieht (vgl. das Ständebuch von Amman und Sachs 1568) und die Grundlage für das Material und die Struktur der ‚Gaunerbüchlein‘ von Beginn des 16. Jahrhunderts legt. Mit der genuinen Zwischenstellung der Schülerfiguren, dem durch das Stereotyp begründeten Zugang zu arkanem Geheimwissen und der allgemeinen Tendenz einer Denunzierung von Randgruppen ist dann auch die Affinität des armen Fahrenden Schülers zum Teufel motiviert, wie sie in einzelnen Geistlichen Spielen rekurrent ist.

häufig für die Rolle des ertappten, bloßgestellten und schmählich bestraften Buhlers […] herhalten muss“; Fischer/Janota: Märendichtung, S. 120.

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III) Reisen, Wandern, Fahren Genauso wie der konkrete Bildungshintergrund historisch und begrifflich uneindeutig bleibt,¹ ist es auch nicht leicht, die Bewegung von der Heimat zum (Hoch‐)Schulort begrifflich festzulegen.² Als neutrale Bezeichnung hat sich der Oberbegriff ‚Akademische Mobilität‘ durchgesetzt. Der Begriff kann in räumliche und soziale Mobilität und die soziale weiter nach Pitirim Sorokin in eine vertikale und eine horizontale Mobilität differenziert werden.³ Bezogen auf die akademische Mobilität bezeichnet dabei die horizontale Mobilität einen Hochschulwechsel ohne explizite intellektuelle Progression oder sozialen Aufstieg, während vertikale Mobilität einen Anstieg des Anspruchs und normalerweise einen Fortschritt in der Karriere sowie einen Wechsel der gesellschaftlichen ‚Schicht‘ impliziert.⁴ Auch wenn das permanente Umherwandern der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Studenten und Gelehrten als Ausnahmezustand erkannt und als Mythos enttarnt wurde,⁵ ist doch die Bedeutung von Mobilität vor allem im Kontext des Universitäts- oder Schulbesuchs unbestritten. Man muss zwar einräumen, dass Konstanz und Beständigkeit, also eine stabilitas (loci), zu den Idealen der mittelalterlichen Gesellschaft gehörten, jedoch handelte es sich bei der Vorstellung, dass im Mittelalter Veränderung ausgeschlossen und (räumliche und soziale) Immobilität der Normalfall waren, um eine simplifizierenden Generalisierung und ein Verdikt der Moderne. Es ist also zu „unterscheiden zwischen modernen Narrativen über vormoderne Geschichte einerseits und zeitgenössischen Ideen von Selbstbestimmung andererseits.“⁶ Gerade der vormoderne Student ist genuin mobil – was keineswegs einschließt, dass er permanent mobil war. Zur Spezifizierung des sehr weiten Begriffes Mobilität wurden auch andere Begriffe verwendet: Migration ist aufgrund seiner soziologischen Implikationen nur eingeschränkt einsetzbar, da der Aufenthalt am Hochschulort im Falle einer Migration  Vgl. Kapitel 8.  Michael Maurer: Reisen interdisziplinär. Ein Forschungsbericht in kulturgeschichtlicher Perspektive. In: Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin 1999, S. 287– 410, hier S. 409 sieht die Bildung von klaren Kategorien als „ein Desiderat ersten Ranges“. Allgemein zur Diskussion der verschiedenen Begriffe Knut Schulz: Unterwegssein im Spätmittelalter. Einleitende Bemerkungen. In: Peter Moraw (Hg.): Unterwegssein im Spätmittelalter. Berlin 1985, S. 9 – 15, Schubert: Fahrendes Volk, S. 29 – 31 und Irrgang: Scholar vagus, S. 56 – 59.  Vgl. Pitirim A. Sorokin: Social Mobility. New York 1927.  Vgl. Tina Maurer und Christian Hesse: Von Bologna zu ‚Bologna‘. Akademische Mobilität und ihre Grenzen. In: Christian Hesse (Hg.): Von Bologna zu „Bologna“. Akademische Mobilität und ihre Grenzen. Basel 2011, S. 5 – 22, hier S. 6 f.  Vgl. Kapitel 2.1.4.  Martin Kintzinger: Gelehrte und Schüler. In: Michael Borgolte (Hg.): Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch. Berlin 2014, S. 279 – 290, hier S. 280. Ähnlich auch Schubert: Fahrendes Volk, passim. https://doi.org/10.1515/9783110708349-010

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

297

mit einer langfristigen Veränderung des Lebensmittelpunkts verbunden sein muss und „nicht wegen Problemen oder Konflikten […], sondern wegen ihres persönlichen Wissensinteresses und ihres eigenen Karrieremanagements“ ⁷ geschieht, also dezidiert zielgerichtet und intendiert ist. Die Zahl solcher akademischen Migrationen blieb während der Vormoderne sehr gering.⁸ Ebenso intendiert und zielgerichtet sind Reise und Wanderung. Reise fokussiert dabei sowohl gegenwartssprachlich als auch sprachgeschichtlich (mhd. ‚Aufbruch zum Krieg‘)⁹ die eingeschränkte Dauer am Zielort,Wanderung hingegen den Prozess der kontinuierlichen Fortbewegung über die Grenzen des eigenen Zuhauses hinaus in eine fremde Umgebung. Auch der Terminus Unterwegssein konzentriert sich auf den Prozess der Bewegung, jedoch handelt es sich hier um eine Form der Bewegung, die nicht notwendig zielgerichtet ist und die Bewegung des Soldaten ebenso umfasst wie die des Studenten, des Pilgers oder des ‚Fahrenden‘.¹⁰ An die Pilgerreise knüpft der lateinische Terminus peregrinatio an, der als peregrinatio academica in der Forschungsliteratur vielfach verwendet wird.¹¹ Gegen diesen Begriff wurde angeführt, dass er „den Eindruck zeitgenössischer Authentizität“¹² mache, selbst jedoch nicht auf das Mittelalter, sondern auf die Frühe Neuzeit zurückgehe. Weiter sei der Begriff normativ aufgeladen. Es handelt sich um eine „Metapher“,¹³ die ausgehend vom Privilegium scholasticum Friedrichs I. Barbarossa (1155/ 1158) den Studenten als exul in einer terra aliena apostrophiere. Diese Vorstellung eines exilium des Studenten prägte das wirkmächtige Narrativ vom Studenten, der für die Weisheit zahlreiche Entbehrungen in der Fremde auf dich nehmen müsse.¹⁴ Die sozialgeschichtliche Forschung relativierte dieses Bild, indem sie erkannte, dass der vormoderne Student meist auch am Hochschulort in (heimatliche) soziale Netzwerke von Gelehrtendynastien eingegliedert war, was das evozierte ‚Martyrium für die Weisheit‘ minimiert.¹⁵ Durch die Möglichkeit akademischer Kommunikation an ver Kintzinger: Gelehrte und Schüler, S. 288. So unterscheidet sich auch die Migration von der Flucht. Während die Migration auf das Erreichen des Zielorts ausgerichtet ist, ist die Flucht auf das Verlassen des Ausgangsortes gerichtet. Bei studentischer Mobilität ist in den meisten Fällen nicht von einer Flucht auszugehen.  Vgl. Kintzinger: Gelehrte und Schüler, S. 288.  Vgl. DWB 14, Sp. 718 – 723, hier Sp. 718 und DRW 11, Sp. 769 – 776.  Vgl. Schulz: Unterwegssein.  Vgl. Irrgang: Peregrinatio academica, S. 39 und Winfried Siebers: Bildung auf Reisen. Bemerkungen zur Peregrinatio academica, Gelehrten- und Gebildetenreise. In: Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin 1999, S. 177– 188, hier S. 179 f.  Schuh: Ingolstadt oder Italien, S. 25.  Winfried Müller: Der Universitätsgelehrte im späten Mittelalter. In: Rudolf W. Keck (Hg.): Literaten – Kleriker – Gelehrte. Zur Geschichte der Gebildeten im vormodernen Europa. Köln 1996, S. 191– 206, hier S. 197.  Vgl. genauer Kapitel 9.2.1.  Auch Stephanie Irrgang eliminiert diese Konnotation in ihrer Begriffsverwendung von peregrinatio und hebt die Bedeutung der Klientelen und Kommunikationsräume hervor. Vgl. Irrgang: Peregrinatio academica, S. 191. Dazu auch Rainer Christoph Schwinges: Universität, soziale Netzwerke und Ge-

298

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

schiedenen Orten Europas – nicht zuletzt auf Grundlage der Integration der Scholaren in nationes – sei so ein „deutscher Universitätsraum“ geschaffen worden.¹⁶ Schließlich kann man die Bewegung der Scholaren auch als Fahren bezeichnen, als eine genuin ziellose Bewegung, die im Gegensatz zu den anderen Formen von Mobilität nicht notwendig zeitlich terminiert sein muss. Dieses Attribut für den vormodernen Studenten widerspricht nun explizit den soeben aufgezeigten Ergebnissen der bildungsgeschichtlichen Forschung, da die Gruppe der ‚Fahrenden‘ den „Randständigen“ der vormodernen Gesellschaft zuzuordnen ist¹⁷ und so nicht von Klientelen und Netzwerken getragen wird. Daraus zieht Stephanie Irrgang das Fazit, der ‚fahrende Scholar‘ diene nur „als Sammelbezeichnung für eine ganze Reihe komplizierter Zusammenhänge“ und tauge „zu fast kaum mehr als einem Schlagwort.“¹⁸ Für die Darstellung der jeweils individuellen historischen Zusammenhänge mag dieses „Schlagwort“ ungenügend sein, doch gleichzeitig hat genau dieser Terminus die allgemeine Vorstellung mobiler Schüler bzw. Studenten maßgeblich geprägt. Die Pejorisierung des ‚Fahrens‘ auf die ziellose Bewegung sozialer Randgruppen beschränkt sich jedoch sowohl mhd. (varn eigentlich jede Art von Fortbewegung) als auch nhd. (fahren eingeschränkt auf die Fortbewegung mit Rädern) auf das substantivierte Partizip: Die Fahrenden oder varnde (varndiu diet).¹⁹ Im Gegensatz dazu vermag das Lateinische bei den Verben zu differenzieren, und zwar in vagari für eine Darstellung der ziellosen, devianten Bewegung und migrare für eine neutrale Form der (zielgerichteten) Bewegung, z. B. bei Kaufleuten oder Pilgern.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio ²⁰ – monastische und kirchenrechtliche Positionen Für die Frage, wie studentische Mobilität bewertet wurde, ist ein Blick auf kirchliche Positionen unerlässlich, zumal Universität und Schule dem klerikalen Wirkungskreis

lehrtendynastien im deutschen Spätmittelalter. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Ostfildern 2010, S. 47– 70.  Vgl. Harald Dickerhof: Europäische Traditionen und ‚Deutscher Universitätsraum‘. Formen und Phasen akademischer Kommunikation. In: Hans Pohl (Hg.): Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Stuttgart 1989, S. 173 – 198.  František Graus: Die Randständigen. In: Peter Moraw (Hg.): Unterwegssein im Spätmittelalter. Berlin 1985, S. 93 – 104.  Irrgang: Scholar vagus, S. 55.  Vgl. Lexer 3, Sp. 24. Diesen Umstand verkennt Ernst Schubert, wenn er in der allgemeinen Bedeutung des Verbs varn einen sozialintegrativen Akt des Mittelalters sieht. Vgl. Schubert: Fahrendes Volk, S. 29 f. Zu Bezeichnungen der sozialen Ausgrenzung von Fahrenden im Frühneuhochdeutschen vgl. Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 328 – 336, v. a. S. 332.  Dieses vielgenannte Dictum zur Bedeutung der monastischen stabilitas loci ist auf eine Rede zurückzuführen, welche dem irischen Klostergründer Luanus (6./7. Jh.) in einer Heiligenvita in den Mund gelegt wird: Fratres mei, manibus vestris bene laborate: nam si bene laboraveritis, saturati eritis, et

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

299

angehörten und die Kirche in vormoderner Zeit eine hohe diskursprägende Kraft besaß. Die stabilitas loci war ebenso Ideal und normatives Element monastischer Kultur. Schubert geht sogar soweit anzumerken, dass die Frage der (In‐)Stabilität vor allem ein Problem in der Diskussion der Geistlichen war und er nimmt an, „daß die Unterscheidung von ‚vagari‘ und ‚migrare‘ lediglich die Perspektive von Mönchen und Klerikern widerspiegelt“.²¹ Laurent Mayali geht einen Schritt weiter und erwägt, dass die kirchliche Argumentation die politische Einschätzung von Devianz entschieden prägte und damit die kanonikale Reaktion gegen den vagierenden Mönch die Repressionen gegen die weltliche ‚vagabondage‘ bis zu einem gewissen Grad antizipierte – wobei freilich andere Faktoren ebenso eine Rolle spielten, wie die wirtschaftliche Lage oder ein allgemeines Krisenempfinden.²² Im Folgenden untersuche ich, inwiefern der monastische Diskurs eine stabilitas loci priorisierte und Ortsunbeständigkeit diskreditierte, indem er Muster aus Texten mit hoher traditionsbildender Kraft bereitstellte und so das Gesellschaftsbild prägte sowie auf die politische Gesetzgebung des 14. und 15. Jahrhunderts wirkte.

9.1.1 Zur Engführung von acedia und instabilitas Seit den Anfängen einer kodifizierenden Vorstellung der Todsünden bei den Anachoreten gilt die acedia (‚Trägheit des Herzens‘ oder ‚Schwermut‘) als Nährboden verschiedener anderer Sünden: otiositas (‚Faulheit‘), somnolentia (‚Schläfigkeit‘), inportunitas (‚Rücksichtslosigkeit‘), inquietudo (‚Ruhelosigkeit‘), verbositas (‚Geschwätzigkeit‘), curiositas (‚Neugier‘) und vor allem auch pervagatio und instabilitas mentis et corporis, die geistige und körperliche Unrast.²³ Daraus folgt der auf den ersten Blick irritierende Befund, dass (geistige) Trägheit nach Vorstellung des mit-

stabiles permanebitis; et si stabiles fueritis, religiosi eritis; AA.SS. 8 (1733). 4. August, S. 352; Übers. P. R.: ‚Meine Brüder, arbeitet fleißig mit euren eigenen Händen; denn wenn ihr fleißig arbeitet, werdet ihr satt werden; und ihr werdet beständig weitermachen; und wenn ihr beständig bleibt, werdet ihr fromm sein.‘. In einer späteren Druckversion der Vita findet sich dann der spezielle Satz: et ubi stabilitas in servitio divino fuerit, ibi religio erit. AA.SS. 8 (1733), S. 353; Übers. P. R.: ‚Und wo Beständigkeit im Gottesdienst ist, dort wird Frömmigkeit sein.‘ Bedenkt man, dass Luanus Teil des iroschottischen Wandermönchtums mit dem Ideal einer freigewählten peregrinatio propter Christum ist, wird deutlich, dass sich der Verweis auf die stabilitas mehr auf eine seelische als auf eine örtliche Stabilität beziehen muss.  Schubert: Fahrendes Volk, S. 30.  Laurent Mayali: Du Vagabondage à l’Apostasie. Le Moine Fugitif dans la Société Médiévale. In: Dieter Simon (Hg.): Religiöse Devianz. Untersuchungen zu sozialen, rechtlichen und theologischen Reaktionen auf religiöse Abweichung im westlichen und östlichen Mittelalter. Frankfurt a. M. 1990, S. 121– 142, hier S. 141.  Z. B. in Johannes Cassianus: Collationes XXIIII, hg. von Michael Petschenig. Wien 22004, 5, 16, 5 (S. 142 f.). Vgl. auch Siegfried Wenzel: The Sin of Sloth. Acedia in Medieval Thought and Literature. Chapel Hill 1967, S. 21.

300

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

telalterlichen Christentums mit ziellosem (geistigem und räumlichem) Umherschweifen enggeführt ist; ziellose Mobilität ist sündhaft. Die Verbindung von acedia und vagatio erlebte im Laufe des Mittelalters einige Veränderungen, blieb aber präsent. Hinsichtlich der Bezugsgruppe kam es jedoch zu einer Verschiebung und Ausweitung: Während bei den Wüstenvätern (v. a. Evagrios Pontikos, fl. 346 – 399) der Fokus auf die eremitisch lebenden Anachoreten gerichtet war, weitete Johannes Cassianus (~360 – 435) das Phänomen auf das ganze (koinobitische) Mönchtum aus und machte das Konzept durch seine Übersetzung ins Lateinische für den Okzident anschlussfähig, wo es Benedikt von Nursia aufnahm.²⁴ Neben der wirkmächtigen Rezeption in der Benediktsregel, auf die das folgende Kapitel zurückkommen wird, behandelten auch Beichtregeln und Ethikhandbüchlein (libri poenitales) die auf Cassian gründende Vorstellung von einer Verbindung der acedia und instabilitas loci. Ein frühes Beispiel ist Alcuins Liber de virtutibus et vitiis ad Widonem comitem [Wido, Graf von Nantes] von 799/800 Acedia est pestis, quae Deo famulantibus multum nocere probatur, dum otiosus homo torpescit in desideriis carnalibus, nec in opere gaudet spirituali, nec in desiderio animae suae laetatur, nec in adiutorio fraterni laboris hilarescit: sed tantum concupiscit et desiderat, et otiosa mens per omnia discurrit. Haec est quae maxime monachos excutit de cella in saeculum […]. De qua nascitur somnolentia, pigritia operis boni, instabilitas loci, pervagatio de loco in locum, tepiditas laborandi, taedium cordis, murmuratio et inaniloquia²⁵

Auch wenn das Mönchtum immer als Referenz mitgedacht und thematisiert ist, erweitern die libri poenitales dennoch das genuin monastische Konzept erstmals explizit auf die Laien. Ab dem 12. Jahrhundert ist im gelehrten Diskurs über die instabilitas mentis et corporis eine Ablösung vom äußeren Verhalten und eine Priorisierung intrinsischer

 Vgl. Werner Post: Acedia – das Laster der Trägheit. Zur Geschichte der siebten Todsünde. Freiburg i. Br. 2011, S. 26 – 32 und Wenzel: Sin of Sloth, S. 3 – 46.  Alcuinus, Liber de virtutibus et vitiis ad Widonem comitem, PL 101, 0635B; Über. P. R.: ‚Die Trägheit ist die Seuche, die den Dienern Gottes offensichtlich schadet, solange der müßige Mensch durch seine fleischlichen Begierden gelähmt ist, nicht an geistlichen Werken Vergnügen empfindet, nicht durch die Wünsche seiner Seele erfreut wird und nicht durch die Hilfe in brüderlicher Arbeit erheitert wird. Sondern er empfindet nur Begehren und Sehnsucht und sein müßiger Geist irrt ziellos überall hin und her. Das ist aber die wichtigste Ursache, die die Mönche aus der Zelle in die (sündhafte) Welt hinaustreibt […]. Daraus [sc. aus der acedia] resultieren Schläfrigkeit, Unlust am guten Werk, örtliche Unbeständigkeit, ziellose Bewegung von Ort zu Ort, Halbherzigkeit bei der Arbeit, Überdruss des Herzens, unzufriedenes Murren und leeres Geschwätz.‘ Vgl. dazu Luitpold Wallach: Alcuin on Virtues and Vices: A Manual for a Carolingian Soldier. In: The Harvard Theological Review 48 (1955), S. 175 – 195, S. 188 f. und Siegfried Wenzel: ‚Acedia‘ 700 – 1200. In: Traditio 22 (1966), S. 73 – 100, 78 f. Ähnlich auch in irischen Beichtspiegeln des 7. und 8. Jahrhunderts, z. B. im Paenitentiale Cummeani und Bigotianum. Ludwig Bieler (Hg.): The Irish Penitentials. Dublin 1963, S. 121 und 234 f.: „Of languor […] Any wandering and unstable man shall be healed by permanent residence in one place and by application to work“. Zu späteren Beispielen vgl. Wenzel: Sin of Sloth, S. 70 – 96.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

301

Dispositionen festzustellen.²⁶ So wandelte sich die acedia im scholastischen System (v. a. bei Thomas von Aquin) von einem Fehlverhalten, das auf sich selbst und die nähere Umgebung wirkt, zu einer zentralen theologischen Sünde und – im engeren Sinne – zu einer intrinsischen Aversion gegen Gott.²⁷ Gleichzeitig wurde das monastische Konzept in der populären Imagination säkularisiert zu einer „moral perversion of human nature which could manifest in any profession, state of life, or locality“.²⁸ Auf Grundlage des Versäumnisses von Pflichten gegenüber dem Göttlichen wurde weiter „vor handfesten Folgen wie Verarmung, Verwahrlosung und Vergeudung des eigenen Lebens gewarnt.“²⁹ Damit wird die acedia im Laufe des Spätmittelalters zu einem alltagsweltlich differenzierten, jedoch auch zunehmend profanierten und theologisch verflachten Fehlverhalten.³⁰ Damit verbunden verstärkt sich die Tendenz des Hoch- und Spätmittelalters, dass eine Anbindung der vagatio mentis an die acedia zwar erhalten bleibt, die physische vagatio hingegen getilgt wird.³¹ Dies gilt jedoch nur im säkularen Kontext. In Lebensratgebern für Mönche wiederholt sich immer wieder die Legitimation eines Bewegungsverbots mittels eines Hinweises auf die acedia. Johannes de Fruttuaria (12. Jh.) teilt die acedia beispielsweise in zwei Arten ein: die eine, die zur Faulheit ruft, und die andere, die zum Vagieren, zur Klosterflucht und dem Verlassen der Brüder ermuntert.³² Als Symbol und Inbegriff dieser Form der acedia gilt spätestens seit Boethius der Esel: Segnis ac stupidus torpet? Asinum vivit. ³³ Weit größeren Raum in der gelehrten Diskussion nimmt jedoch eine andere ‚Tochter‘ der acedia ein, die als Variante von der vagatio mentis zu sehen ist: die curiositas. ³⁴ Diese hat zwar seit Augustinus auch eine somatische Dimension als die

 Wenzel: Acedia, S. 101.  Wenzel: Sin of Sloth, S. 66 f.  Wenzel: Sin of Sloth, S. 176.  Post: Acedia, S. 71.  Vgl. Wenzel: Sin of Sloth, S. 164– 187 und Post: Acedia, S. 71.  So schon bei Thomas von Aquin. Er zitiert den Lasterkatalog Gregors des Großen mit der vagatio mentis circa illicita, widerspricht aber dessen Herleitung von der acedia, Summa theologica II 2, q. 35 a. 4 arg. 2. Auch die großen populären Lasterkataloge folgen nur der intrinsischen Dimension: z. B. die wichtige und umfangreiche Summa de vitiis et virtutibus von Guillelmus Peraldus (um 1236) und das Speculum morale des Pseudo-Vinzent von Beauvais aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Vgl. Wenzel: Sin of Sloth, S. 75 – 78.  Acediæ genera duo sunt. Unum, quod ad opus Dei pigritare monachum ac dormitare compellit. Aliud, quod vagari huc illucque facit, ac fugere cohortatur de fratrum, cum quibus vivit, societate; Johannes Fructuariensis: Tractatus de ordine vitae et morum institutione, X, 30. In: PL 184. Sp. 559 – 584, hier Sp. 579.  Boeth. cons. IV, 3. Ins Deutsche als: Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae, hg. von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon. Düsseldorf 62002, S. 184 f.: „Träge und stumpf starrt der vor sich hin: Er lebt eines Esels Dasein.“ Vgl. dazu Susanne Blöcker: Studien zur Ikonographie der sieben Todsünden in der niederländischen und deutschen Malerei und Graphik von 1450 – 1560. Münster, Hamburg 1993, S. 95 f. und Coxon: schrîber, S. 34.  Dazu grundlegend Hans Blumenberg: Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Frankfurt a. M. 1973. Aus der umfassenden Forschung zu diesem Thema z. B.: Gunther Bös: Curiositas. Die Rezeption

302

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Begierde nach eigener Anschauung (concupiscentia oculorum); jedoch bleibt sie weitgehend mental.³⁵ Generell handelt es sich um das deviante Gegenteil der studiositas des ethisch ‚bemühten‘ Menschen. Das zielgerichtete (moralische) Handeln des homo studiosus fehlt dem homo curiosus. Acedia führt aber auch in der Form der curiositas nicht unmittelbar zu (sündhaftem) Handeln, sondern hält von jeder Form des Handelns ab.³⁶ Daraus folgt zielloses Umherschweifen, das ins Verbotene ausgreift und sich in sich selbst verliert. Aus der Gleichgültigkeit gegenüber dem Heilsversprechen und dem „Mißvergnügen des endlichen Wesens in seiner gegenwärtigen Dürftigkeit an dem unendlichen Reichtum der Gottheit“ entspringt nach Hans Blumenberg ein „Vorgriff auf die transzendente Bestimmung“, der freilich göttliche in anthropologische Bedeutsamkeiten transformiert:³⁷ Neugierde wäre dann die Art von kompensatorischer Ausschweifung, die sich an den Rätseln und Geheimnissen der Welt Ersatz für das verschafft, was zu erreichen der Mensch resigniert hat. Aus ihr läßt sich der Teufelspakt der Wißbegierde verstehen, der die Gestalt des Faust zur Figur der unter mittelalterlichen Voraussetzungen gesehenen Emanzipation der frühneuzeitlichen curiositas werden lassen sollte.³⁸

Diese Form des Zweifels am Göttlichen wird von Thomas von Aquin als schwere Sünde eingestuft und die theoretische Neugierde damit pejorisiert. Spätestens im Zeitalter der Entdeckungen ab dem 15. Jahrhundert zeigt sich das Potential einer ins Positive gewendeten Bewertung von curiositas. Sie generiert neue Motivationen und lässt die mittelalterliche acedia, welche zu Erstarrung und NichtHandeln führt, „zur Energie und epochalen Anspannung einer neuen geschichtlichen Daseinsform werden.“³⁹ Dem steht das mittelalterliche Weltbild gegenüber. Dieses manifestiert sich „in geschlossenen symbolischen Raumkonstrukten, in einer hierarchischen Sozialstruktur und in einer Lebensform, die die stabilitas loci und mir ihr die Haltung der contemplatio privilegiert, während als ihr Zerrbild die Sünde der curiositas und ihr entsprechend die Bewegungsform des Umherschweifens (vagari) entworfen wird.“⁴⁰

eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin. Paderborn 1995 sowie Klaus Krüger (Hg.): Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit. Göttingen 2002.  Das augustinische Laster des Schauens ist nicht mit der körperlichen Lust (concupiscentia carnis) vergleichbar, bedarf aber ebenso eines speziellen Sinnesorgans (Augen) und der somatischen Anwesenheit des homo curiosus. Vgl. Bös: Curiositas, S. 100 – 103.  Sed acedia non movet ad agendum, sed magis retrahit ab agendo Summa theologica IIa-IIae q. 35 a. 4 arg. 1.  Blumenberg: Neugierde, S. 129 – 137, zit. S. 135.  Blumenberg: Neugierde, S. 135 f.  Blumenberg: Neugierde, S. 136.  Udo Friedrich: Kirchliche Rekultivierung und feudale Territorialisierung. Mobilität als Faktor von Raumaneignung im 12. Jahrhundert. In: Karl-Siegbert Rehberg, Walter Schmitz und Peter Stroh-

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

303

Die Analyse von theologisch-theoretischen und populär-paränetischen Sündenkatalogen zeigt, dass räumliches Vagieren allenfalls im Frühmittelalter mithilfe des traditionellen Registers der Todsünden geahndet werden konnte. Die Emanzipation des Katalogs aus der monastischen oder klerikalen Sphäre im 12. und 13. Jahrhundert relativiert den Problemgehalt der vagatio corporis; vielmehr wird die ziellose Bewegung durch eine Aufwertung der curiositas in der Frühen Neuzeit sogar nobilitiert. Das Konzept einer vagatio corporis ist als Gegenbegriff zum Gebot einer instabilitas loci also sowohl ursprünglich als auch in der historischen Entwicklung eng mit den Mönchsregeln verbunden. Diese müssen als traditionsbildendes Muster für die weitere (literarische) Beschäftigung mit Instabilität beachtet werden.

9.1.2 Die Regula Benedicti als traditionsbildendes Muster Der Gyrovagus in der Regula Benedicti und der Regula Magistri Für den monastischen Diskurs ist die Regula Benedicti neben der Bibel der wichtigste Bezugstext. Teil der Mönchsregel ist auch die Ortbeständigkeit (stabilitas loci). Zum Gelöbnis heißt es: Bei der Aufnahme verspreche er im Oratorium in Gegenwart aller Beständigkeit, klösterlichen Lebenswandel und Gehorsam. (58, 17)⁴¹

Doch die Regel insistiert nicht nur auf dem Einhalten einer stabilitas, sondern diskreditiert auch Ortsunbeständigkeit. Dies zeigt sich vor allem in der Figur des gyrovagus, die im ersten Kapitel der Benediktsregel in einer Differenzierung der vier Formen des Mönchtums (genera monachorum) steht. Es gebe demnach einerseits zwei reguläre Mönchsformen: die Koinobiten, die unter Abt und Regel leben, und die eremitischen Anachoreten. Der ersten Gruppe sind die irregulär-chaotischen Sarabaiten mit dem Vorwurf von Hedonismus und Beliebigkeit gegenübergestellt; diese verstoßen gegen eine moralische Beständigkeit. Der zweiten Gruppe sind die Gyrovagen gegenübergestellt, die aufgrund ihrer örtlichen Unbeständigkeit als die Schlimmsten gelten. Als tertium comparationis dient also ihr Umgang mit der stabilitas loci. In der Benediktsregel lautet der betreffende Absatz: Quartum uero genus est monachorum, quod nominatur gyrovagum qui tota uita sua per diuersas prouincias ternis aut quaternis diebus per diuersorum cellas hospitantur semper vagi et num-

schneider (Hg.): Mobilität – Raum – Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dresden 2005, S. 53 – 74, hier S. 53.  Die folgenden Zitate nach Benedicti Regula, hg. von Rudolf Hanslik. Wien 21977, hier S. 149: Suscipiendus autem in oratorio coram omnibus promittat de stauilitate sua et conversatione morum suorum et oboedientiam. Die Übersetzungen folgen der Ausgabe: Die Benediktsregel. Lateinisch/deutsch, hg. von der Salzburger Äbtekonferenz. Beuron 42005.

304

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

quam stabiles et propriis uoluntatibus et guilae inlecebris seruientis et per omnia deteriores sarabaitis.⁴²

Eine ähnliche schematisierende Klassifizierung begegnet noch vor den Mönchsregeln in den Texten der Kirchenväter und ihrer Gliederung des ägyptischen Mönchtums. Dieser Prozess steht in Zusammenhang mit der Vermittlung von Wissensbeständen an (westeuropäische) Rezipienten, beispielsweise 384 n. Chr. im Brief des heiligen Hieronymus an die römische Senatorentochter Julia Eustochia, der als De custodia virginitatis bekannt ist. Der Kirchenvater versucht in einem rhetorischen Wechsel von Ernst und Satire seine junge Schülerin vor drohenden Gefahren zu warnen, sie aber auch zu belehren und zu informieren.⁴³ Dafür stellt er den beiden regulären Mönchsarten eine (hedonistische) Negativgruppe gegenüber. Diese Reihe erweitert Johannes Cassianus um ein viertes genus, das erst vor kurzem entstanden sei und sich vor allem durch Unbeständigkeit auszeichne.⁴⁴ Weit umfangreicher als in den genannten Texten wird die Mönchsform der Gyrovagen in der Regula Magistri behandelt, die, wenn auch vielleicht nicht als unmittelbare Vorlage, so doch sicher im 6. Jahrhundert in engem intertextuellem Zusammenhang mit der Benediktsregel entstand.⁴⁵ In der Regula Magistri bekommt das ‚neue‘ genus monachorum der Gyrovagen nun einen so breiten Exkurs, dass in der Forschung die Möglichkeit einer späteren Interpolation diskutiert wird.⁴⁶ Die textgenetischen Aspekte sind für die Wirkungsgeschichte jedoch sekundär, da es sich um einen integralen Bestandteil in der Überlieferung des Textes handelt. Interessant ist vielmehr, dass der Exkurs mit seinem „excess of satirical spirit“⁴⁷ als beispielhaft für eine beißende Kritik an mobilen Klerikern gelten kann. Randständige Praktiken der

 Benedicti Regula, S. 19 f.; Übers. „Die vierte Art der Mönche sind die sogenannten Gyrovagen. Ihr Leben lang ziehen sie landauf landab und lassen sich für drei oder vier Tage in verschiedenen Klöstern beherbergen. Immer unterwegs, nie beständig, sind sie Sklaven der Launen ihres Eigenwillens und der Gelüste ihres Gaumens. In allem sind sie schlimmer als die Sarabaiten.“  Vgl. Hieronymus. Ep. 22, 34. In: Eusebius Hieronymus: Epistulae I–LXX, hg. von Isidor Hilberg. Wien 1910, erw. von Magrit Kamptner 1996, S. 196. Zu Rahmeninformationen und Übersetzung vgl.: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften. Bd 2: ausgewählte Briefe. I. Briefband, hg. von Ludwig Schade. München 1936, S. 58 – 61 und 150 f. Vgl. dazu auch Daniel Caner: Wandering, Begging Monks. Spiritual Authority and the Promotion of Monasticism in Late Antiquity. Berkeley 2002, S. 7– 9. Zum problematischen Verhältnis von normativer Tradition und historischer Realität der Wandermönche generell vgl. Caner: Begging Monks, S. 12– 18.  Cassianus: Collationes, 18, 8 (S. 516 f.).  Zu den genauen Abhängigkeitsverhältnissen vgl. Conrad Leyser: Authority and Asceticism From Augustine to Gregory the Great. Oxford 2007, S. 108 – 118.  Auch falls diese Stelle später ergänzt wurde, so doch sicherlich noch im 6. Jahrhundert. Vgl. Adalbert de Vogüé: Community and Abbot in the Rule of St. Benedict. Kalamazoo (Mich.) 1988, S. 30 u. 37.  Vogüé: Community, S. 57.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

305

mönchischen Spiritualität werden durch den Index gyrovagus als ‚falsche‘ Lebensform diskreditiert.⁴⁸ Der Exkurs beginnt mit einer rhetorischen Präteritio: Der Magister wolle gar nicht über ein Thema sprechen, das man eigentlich totschweigen sollte, breitet dies dann aber umso weiter aus.⁴⁹ Der folgende Absatz (RM I, 14) entspricht in nuce der Benediktsregel, doch die Themen der permanenten Unbeständigkeit (vagatio/instabilitas, v. a. RM I, 13 – 17, 23 – 37, 68 – 74) und der Unmäßigkeit beim Essen, Trinken und Schlafen (gula und luxuria, v. a. RM I, 16 – 22, 31– 43, 56 – 67) sind deutlich erweitert und werden im Bild der umherschweifenden Gaumenlust (gula vaga, RM I, 59) sogar explizit verschränkt. In seiner grenzenlosen Unmäßigkeit beutet der gyrovagus nicht nur Klöster aus, sondern er bringt auch Eremiten in den Ruin (RM I, 36 – 43) und zwingt Mönche zum Fastenbrechen (RM I, 56 – 61). Als Gipfel der unmenschlichen Barbarei führt der Erzähler vor, wie ein Gyrovage, um zum nächsten Mahl zu kommen, seinen Esel so aggressiv antreibt, dass dieser halbtot zusammenbricht.⁵⁰ Außerdem werden die Gyrovagen als betrügerische, vagierende Schmarotzer beschrieben. Die Semantik des Hausierers steckt schon in der Bezeichnung, die sich sprachhybrid aus griechisch γύρος und lateinisch vagus zusammensetzt und wörtlich als ‚Ziellos-im-Kreis-Herumgeher‘ zu übersetzen wäre.⁵¹ Dies entspricht auch der im Text beschriebenen Praxis, als betrügerischer Bettler von einem Kloster zum nächsten zu gehen, um am Ende wieder beim ersten anzufangen. Hyperbolisch wird ausgeführt, dass für diese Lebensform kein Ort, kein Wald und nicht einmal die weite Wüste Ägyptens groß genug seien und deshalb auch gewiss kein Kloster. Die ganze Welt könne ihnen keinen Platz bieten. Deshalb hätten sie guten Grund herumzuirren, da sie ja in keinem Kloster Ruhe und Erholung für die Seele finden könnten.⁵² Eine positive

 Vgl. Maribel Dietz: Wandering Monks, Virgins, and Pilgrims. Ascetic Travel in the Mediterranean World, A.D. 300 – 800. University Park (Penn.) 2005, S. 69 – 105, v. a. S. 70 und 105. Das Erkenntnisinteresse von Dietz, die den Gyrovagenexkurs als „unique insight into the monastic world of the sixthcentury West“ betrachtet, wird hier nicht verfolgt; zit. Dietz: Wandering Monks, S. 89.  Quartum uero genus est monachorum nec nominandum, quod melius tacerem quam de talibus aliquid dicerem (I, 13) Ich beziehe mich im Folgenden auf die Edition der Regula Magistri in La règle du maitre. Introduction, texte, traduction et notes par Adalbert de Vogüé, 3 Bde., Paris 1964/1965; Exkurs in Bd. 1, S. 332– 347 (= RM), die Übersetzungen beruhen auf: Die Magisterregel, hg. und übers. von Karl Suso Frank. St. Ottilien 1989 (Übers. im Folgenden: K. S. K.).  Caeditur, pungitur, ustulatur, lordicat miser asellus et non uadet. Vapulant aures eius, postquam clunes defecerint. Ideo miser perocciditur et manibus laesus inpingitur, quia festinatur et satagitur, ut ad alterius monasterii prandium occurratur. (RM I, 48 – 50) Übers. K. S. K., S. 94: „Das arme Eselchen wird geschlagen, gestochen, gebrannt; es biegt sich krumm und geht doch nicht weiter. Sie schlagen es auf die Ohren, nachdem es mit den Hinterbeinen zu Boden ging. So wird das Arme fast umgebracht, das Erschöpfte wird mit den Händen geschoben, und das, weil man es eilig hat, weil man darauf drängt, in einem anderen Kloster zum Essen zu kommen.“  Zur Wortgeschichte vgl. Caner: Begging Monks, S. 9 (Anm. 27).  ex toto eos nec loca nec siluae nec latus ipse Aegypti heremus capiat, nec uniuersa monasteria ad seruitium Dei eos suscipiant, et eos, ut diximus,] totus mundus non capiat. Inde se dicunt iuste errare et ex

306

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Bewertung wird vom Magister im Keim erstickt, indem er ihr Verhalten als wahnwitzigen Hedonismus destruiert: Hoc ergo agunt, ut gulae suae magis cottidie peregrinari uideantur quam animae (RM I, 30).⁵³ Dieser Mangel an Heilssorge wird dadurch noch gesteigert, dass sie angetrieben seien, nie an einem Ort zu bleiben, täglich umherzuwandern, zu betteln, zu schwitzen und zu jammern, anstatt ortsstabil zu leben und zu arbeiten. Durch das ständige Umherwandern wüssten sie nicht, wo sie in der kommenden Nacht Aufnahme und nicht einmal wo sie ihre letzte Ruhestätte finden könnten.⁵⁴ Dabei verberge der Gyrovage seine gute Kleidung und hülle sich in Fetzen, da er um neue Kleider betteln wolle.⁵⁵ Außerdem entschuldigt er seine Unbeständigkeit, indem er vorgibt, wegen einer Pilgerreise oder infolge einer Gefangenschaft unterwegs zu sein.⁵⁶ Das Narrativ des betrügerischen Bettlers, das in der Gaunerliteratur der Frühen Neuzeit allgegenwärtig ist (hier ähnlich dem ‚Calmierer‘ und ‚Loßner‘), wendet bereits dieser frühe Text an. Die Aussagen decken sich mit denen von Augustinus in der Schrift „Über die Handarbeit der Mönche“ (De opere monachorum). Er bezeichnet ein ganz ähnliches Phänomen als hypocritae cirucumeuntes und bewertet diese als ‚teuflische Fallstricke, die mit ihrem Moder den guten Ruf des Mönchtums wie den heiligen Duft Christi ausmerzten‘.⁵⁷ Diese Heuchler seien vom Teufel im Mönchsgewand in alle Welt geschickt wurden und zögen ohne Missionsauftrag, ohne festen Wohnsitz wie wurzellose Landstreicher in den Provinzen umher.⁵⁸ Dabei verkauften sie (womöglich falsche) Reliquien von Märtyrern, trügen Kleidung mit langen Quasten und breiten Gebetsstreifen nach Art der Schriftgelehrten und Pharisäer (Mt 23,5) und gäben vor, auf dem Weg zu Verwandten zu sein. Alle forderten eine Bezahlung für ihre heilige Armut. Durch diese Untaten aber werde der ganze Mönchsstand geschmäht.⁵⁹ Die

toto locum repausationis et refrigerium animae et integram se observationem disciplinae nusquam posse invenire. (RM I, 25 – 27).  Übers. K. S. K., S. 92: „So aber treiben sie es, weil sie offenkundig täglich mehr wegen der Gaumenlust als für das Seelenheil unterwegs sind.“  Vnde numquam persistantes acti sunt cottidie ambulando mendicare, sudare et gemere, quam uno loco stando laborare et uiuere. […] Qui per diuersa semper uagando ignorant apud quem tedia sua suscipiant, et quod est ultimum, nesciunt ubi suam constituant sepulturam (RM I, 71, 71).  et ut alios petant, fingunt se pannos aduestiri (RM I, 46).  rationem erroris sui per peregrinationem et captiuitatem celando excusant (RM I, 13) und Et nouiter aliquid de peregrinatione aut de captiuitate et ipsi hospiti quais humili et inclinato capite mentientes (RM I, 37)  callidissimi hostis insidias, qui bonam famam uestram, tam bonum Christi odorem […] omni modo cupientes obscurare putoribus suis; Aug. op. monach. 28, nach der Ausgabe Aurelius Augustinus: De opere monachiorum. In: De fide et symbolo, […] De patientia, hg. von Joseph Zycha.Wien 1900, S. 529 – 596, hier S. 585; Übers. nach der Ausgabe Aurelius Augustinus: Die Handarbeit der Mönche, hg. von Rudolph Arbesmann. Würzburg 1972, hier S. 59 f.  tam multos hypocritas sub habitu monachorum usquequaque dispersit, circumeuntes prouincias, nusquam missos, nusquam fixos, nusquam stantes, nusquam sedentes; Aug. op. monach. 28 (S. 585).  alii membra martyrum, si tamen martyrum, uenditant; alii fimbrias et phylacteria sua magnificant; alii parentes aut consaguineos suos in illa uel illa regione se audisse uiuere et ad eos pergere mentiuntur.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

307

Bedeutung der instabilitas als (sekundäre) Todsünde ist in diesem Zusammenhang gewiss mitzudenken.⁶⁰ Die spätantike Patristik folgt mithin derselben Logik wie Gesetze gegen vermeintliche Studenten des Mittelalters, die einen privilegierten Stand vorspiegeln/ simulieren.⁶¹ Permanente Ortsunbeständigkeit und Teilhabe am monastischen wie auch studentischen Stand schließen sich aus und Instabilität schließt per definitionem De-Vianz ein. Ich gehe dabei keineswegs in allen Fällen von einer direkten und unmittelbaren Abhängigkeit aus. Doch die zitierten Texte der Kirchväter stellen Autoritäten dar, die bei der weiteren (kirchlich geprägten) Interpretation von örtlicher Unbeständigkeit und Mobilität nicht zu unterschätzen sind, indem sie auf Wertvorstellungen einwirken, Darstellungsmuster zur Verfügung stellen und so Traditionen und schließlich Identitäten prägen.⁶²

Der Gyrovagus als Teil monastischer Invektive Als Beispiel sollen die Zisterzienser dienen, die schon bald nach ihrer Gründung im 11. Jahrhundert sehr einflussreich und schnell Objekt innerkirchlicher Polemik wurden. Ausgangspunkt der Abspaltung war der Wunsch, den Missständen – v. a. im Mutterkloster Cluny – durch eine Rückbesinnung auf die Wurzeln und eine strenge Auslegung der Mönchsregeln zu begegnen. Da sich beide Orden auf die Benediktsregel berufen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass bei den Zisterziensern wie bei den Cluniazensern eine Vielzahl von Beschlüssen und Dekreten gegen ein (uner-

et omnes petunt, omnes exigunt, aut sumptus lucrosae egestatis aut simulatae pretium sanctitatis, cum interea ubicumque in malis factis suis ubicumque deprehensi fuerint, uel quoquo modo innotuerint, sub generali nomine monachorum uestrum propositum blasphematur; Aug. op. monach. 28 (S. 585 f.).  Vgl. Kapitel 9.1.1.  Vgl. Kapitel 9.2.2.  Dazu: Christoph Dartmann: Die Konstruktion monastischer Identitäten in karolingerzeitlichen Kommentaren der Regula Benedicti. In: Mirko Breitenstein, Julia Burkhardt u. a. (Hg.): Identität und Gemeinschaft.Vier Zugänge zu Eigengeschichten und Selbstbildern institutioneller Ordnungen. Berlin, Münster 2015, S. 13 – 30. Spätestens im 9. Jahrhundert kommt es zu einer Kanonisierung der Benediktsregel als alleinige Klosterregel, was wohl auf eine verstärkte Rezeption und Kommentartätigkeit zurückgeht, respektive diese verstärkt. Nach Dartmann ist von einem sukzessiven Prozess auszugehen und von keiner herrscherlichen Einflussnahme. Ausgehend von den frühen Kommentaren (z. B. den Kommentaren von Benedikt von Aniane und Hildemar im 9. Jh.) waren „Kommentare zur Benediktsregel […] Ordenstradition“ wie die Regelkommentare von Johannes Keck und Johannes Schlitpacher aus dem Kontext der Melker Klosterreform des 15. Jahrhunderts. Vgl. Meta Niederkorn-Bruck: Kommentare zur Benedikts-Regel aus der Melker Reform. In: Mirko Breitenstein, Julia Burkhardt u. a. (Hg.): Identität und Gemeinschaft. Vier Zugänge zu Eigengeschichten und Selbstbildern institutioneller Ordnungen. Berlin, Münster 2015, S. 47– 87, zit. S. 48. Es ist wenig verwunderlich, dass vor allem in Zeiten des erhöhten Reformdrucks eine größere Fülle von Regelkommentaren erscheinen, vor allem wenn es sich um traditionsaffirmierende Reformen handelt, die einen Rückkehr zu den Wurzeln und eine Stärkung der erschlafften Disziplin intendierten. Vgl. dazu Meta Niederkorn-Bruck: Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen. Wien, München 1994, S. 49 – 51 und mehr dazu unten.

308

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

laubtes) Verlassen des Klosters erlassen wurde.⁶³ Interessant ist dabei, dass die Gesetzgebung beider benediktinischen Orden zwischen zwei Gruppen unterscheidet: den fugitivi, die ungleich strenger zu bestrafen und zu verfolgen seien, da sie sich gänzlich der Ordnung entzögen und den gyrovagi oder vagabundi, deren Bewegung dezidiert mit dem Kreis (γύρος) verglichen wird, demnach der Delinquent nach seinem Ausgang in die ‚Welt‘ wieder ins Kloster zurückkehre.⁶⁴ Eine andere Perspektive nimmt die zisterzienserfeindliche Polemik ein, wie beispielsweise die Satire De nugis curialium des gelehrten Geistlichen Walter Map.⁶⁵ Dieser übt an den Mönchsorden und darunter vor allem an den Zisterziensern harsche Kritik. Besonders präsent ist die Anklage ihrer Raffgier (avaritia),⁶⁶ die aus ihrem Gebot der (weltlichen) Handarbeit resultiere. Denn – so Walter Map – auch wenn die weißen Mönche (Zisterzienser) zusammen mit den schwarzen Mönchen (Cluniazenser) zu Füßen Mariens säßen, verrichteten sie doch ‚falsche‘ Arbeiten mit eigenen Händen. Im Kloster seien sie Handwerker, außerhalb jätende Ackerbauern, Schäfer, Kaufleute und bei jeder Tätigkeit voller (falschem) Diensteifer.⁶⁷ Am extremsten wird die Darstellung, wenn Map, hervorhebt, dass die Zisterzienser dem Mammon als novus deus huldigten, der die Gebote der Barmherzigkeit zu invertieren befehle. Die Zisterzienser seien daher schlimmer als die Christenverfolger Dacian und Nero (vgl. dist. I, 25). Zu allen diesen Punkten tritt noch der Vorwurf der vagatio, der bereits seit der Gründung mit dem Orden verbunden ist. Denn (entgegen der historischen Tatsachen) erzählt Map die Geschichte, dass die Zisterzienser als monachi fugativi vor ihrem allzu strengen Abt aus dem englischen Kloster Sherborne nach Frankreich geflohen seien.⁶⁸ So seien sie zu Vaganten geworden:

 Dazu die detaillierte Aufarbeitung in Thomas Füser: Mönche im Konflikt. Zum Spannungsfeld von Norm, Devianz und Sanktion bei den Cisterziensern und Cluniazensern (12. bis frühes 14. Jahrhundert). Münster, Hamburg, London 2000, S. 260 – 324.  Vgl. Füser: Mönche im Konflikt, S. 318 – 324.  Die Darstellung bei Walter Map kann dabei als gutes Beispiel für die allgemeine Kritik an den Zisterziensern gewertet werden: „But there is no doubt that he gives us in his vivid fashion the elements of the common criticism of them“; Walter Map: De nugis curialium. Courtiers’ trifles, hg. von M. R. James, C. N. L. Brooke und R. A. B. Mynors. Oxford 1983, S. XLIV.  Map: De nugis curialium, S. XLIV: „Above all, he delighted to have it both ways. If the Cistercians had gone in for display he would have accused them of luxury; but as they were still at this date notorious for the simplicity and austerity of their lives, he plays his trump card: the answer is plain – avarice.“  Map: De nugis curialium, dist. I, 25: Nigri [monachi] cum Maria secus pedes Domini uerbum audiunt, nec ad sollicitudinem egredi licet; albi cum ad pedes sedent, ad laborem exeunt, manibus agriculturam omnimodam exercentes propriis, intra septa mecanici, extra runccatores opiliones negiciatores, in singulis officiosissimi.  Map: De nugis curialium, dist. I, 24: qui cum eis arcius frena teneret, displicere cepit aliquibus, de quorum numero quatuor a fuga non abstinentes Franciam omnis maliciei matrem petunt.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

309

Circuierunt, associatis sibi deliciarum sectatoribus, quales Francia precipue semper exibet; et in circuitu suo uictualium tandem tenuitatem incurrunt, penaque penurie castigati, quid agendum sit diu deliberant. Reuerti nolunt, sine questu uiuere nequeunt. Quomodo querant? Quo fit?⁶⁹

Als Antwort auf diese Fragen, also aus rein weltlichen Gründen, hätten sie dann ihr erstes Kloster gegründet. Es ist offensichtlich, dass diese Darstellung erfunden ist.⁷⁰ Jedoch ist dies ein bemerkenswertes Zeichen dafür, dass die vagatio zum allgemeinen Vorwurf gegen den jeweiligen Gegenspieler avanciert. Auch die Waldenser, mit denen Map als Gesandter auf dem Dritten Lateranischen Konzil (1179) selbst unmittelbaren Kontakt hatte, beschreibt er als Personen ohne festen Wohnsitz, die je zu zweit, barfuß, in wollener Kleidung und ohne Eigenbesitz nach dem Ideal ‚nackt dem nackten Christus folgend‘ in der Welt herumzögen.⁷¹ Die Tendenz der polemischen Diskreditierung des Antagonisten durch eine Anklage der vagatio verstärkt sich noch weiter durch das Aufkommen der wandernden Bettelorden im 13. Jahrhundert. So karikiert das satirische Lied Altitonans celicola die Unstetheit und die Arbeitsscheu der Bettelorden. Diese würden nicht arbeiten, sondern nur eine Gemeinschaft gegen die Kirche ‚zusammenfischen‘: Fratres Franciscani, simul et Paulini, bini quoque bini mundum perscrutantur. Hii labores abnegant, sed dispersa congregant, contra clerum allegant: recte nominantur Falsi pseudoprophete Christi, non adlete, que suum jactant rete in predam sacerdotum. Piscantur cum hamo, oris venantur ramo, constringunt cum chamo, sic concludunt totum. (vv. 41– 56)⁷²

 Map: De nugis curialium, dist, I, 24; Übers. P. R.: ‚Sie wanderten herum, wobei sich ihnen einige Freunde des Luxus anschlossen, wie sie Frankreich immer besonders zahlreich aufweist. Bei ihrem Herumwandern begegnete ihnen endlich ein Engpass an Lebensmitteln und sie überlegten lange – gezüchtigt von der Geißel des Hungers – was zu tun sei. Zurückkehren wollten sie nicht, ohne Erwerb überleben konnten sie nicht.Wie könnten sie auch etwas erwerben? Wodurch könnte dies geschehen?‘  Zur Unzuverlässigkeit Walter Maps als Historiograph vgl. Map: De nugis curialium, S. XXXVII f.  Map: De nugis curialium, dist. I, 31: Hii certa nusquam habent domicilia, bini et bini circueunt nudi pedes, laneis induti, nichil habentes, omnia sibi communia tanquam apostoli, nudi nudum Christum sequentes.  Admont, Stiftsbibliothek Cod. 443, hinteres Deckblatt. Ed. in Wilhelm Wattenbach: Bericht über eine Reise durch Steiermark im August 1876. In: Neues Archiv für ältere deutsche Geschichte 2 (1877), S. 383 – 425, hier S. 422– 425; Übers. P. R.: ‚Die Franziskaner und genauso die Paulaner durchstreifen je

310

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Dabei bedient sich das Lied einiger aus der Imagination des ‚Vagantenordens‘ bekannter Muster.⁷³ Die angesprochenen Mönchsorden würden einerseits die Geistlichen dazu bringen, ihre Gelübde zu brechen, andererseits allerlei Gesindel in ihren Orden aufnehmen. Dabei gehe es den Mönchen in ihren Predigten nur darum, Geld für ihr ausschweifendes Leben zu erheischen: Tollunt vota cleri sub figura veri: cum quis vult confiteri, veniat ad illos. Si sit usuarius, adulter, fornicarius, vel sit tabernarius, qui ludit ad taxillos; Predo, fenerator, fur, latro vel mercator, judicii causator: […] Predicant clamose, tractim et morose, sed dicunt jocose: ‚Date tabulariis, Qui nostras ferunt tabulas‘. Inducunt fictas fabulas, loquendo parabolas, dicentes pro denariis (vv. 41– 80)⁷⁴

Doch der negative Kampfbegriff des vagari wird nicht nur gegen die Mendikanten, sondern auch von diesen selbst verwendet. So ist es signifikant, dass sich Franz von zu zweit die ganze Welt. Sie verweigern sich der Arbeit, aber scharen Verstreute um sich und stiften sie gegen die Kirche an: Richtig nennt man sie falsche Pseudopropheten Christi und nicht Erwählte, da sie ihr Netz zum Priesterfang auswerfen. Sie fischen mit Haken, jagen mit der Leimrute ihres Mundes und legen einen Maulkorb an. So bringen sie alles zum Abschluss.‘ Dazu auch Alphons Lhotsky: Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs. Graz 1963, S. 232. Das Gedicht wird nach paläographischen Gesichtspunkten auf das 13. Jh. datiert, ist aber in Handschriften des 15. Jh. erhalten, z. B. Wien, ÖNB Cod. 4134, fol. 193r und Schlägl, Stiftsbibliothek Codex Plagensis 102, S. 19 – 21. Zu den Handschriften vgl. Academia Caesarea Vindobonensis (Hg.): Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum. Wien 1869, Bd. 3, S. 176 und Gottfried Vielhaber und Gerlach Indra: Catalogus Codicum Plagensium (Cpl.) manuscriptorum. Linz 1918, S. 148 – 153.  Vgl. Kapitel 7.2.  Übers. P. R: ‚Sie heben die Gelübde von Geistlichen unter dem Schein der Wahrheit auf: Denn wer beichten wolle, solle zu jenen kommen. Sei es ein Wucherer, ein Ehebrecher, ein Sittenstrolch oder ein würfelspielender Schankwirt; ein Räuber, ein Geldverleiher, ein Dieb, ein Wegelagerer, ein Kaufmann oder ein Denunziant […]. Sie predigen polternd, gezogen und langsam, aber sie sprechen voll Witz: ‚Gebt den Schankwirten, die uns die Tabletts bringen.‘ Sie erzählen erdichtete Geschichten, indem sie Gleichnisse erzählen, aber eigentlich nur für Geld reden.‘

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

311

Assisi im Prozess der Kanonisierung seines Ordens von solchen Brüdern distanziert, die nicht dem Befehl Gottes und dem Evangelium folgen, sondern ‚abseits vom Gehorsam herumstreifen‘ – extra obedientiam evagari. ⁷⁵ Er ersetzt die örtliche Bindung an das benediktinische monasterium durch die moralische Bindung an die franziskanische disciplina – eine stabilitas loci durch eine stabilitas mentis. ⁷⁶ In einem offenen Brief vom Frühjahr 1220 an seine Ordensbrüder, mahnt Franciscus scharf, dass er alle, die Disziplin und Gehorsam nicht einhielten, nicht mehr als rechtgläubig und als seine Brüder betrachte und mit ihnen keinen Kontakt mehr pflegen wolle.⁷⁷ Die Auflösung einer strengen Ortsbindung und Ausweitung des Wirkungsbereichs der Bettelorden wird schon im allegorischen Exempel vom ersten Zusammentreffen von Franciscus mit der personifizierten Armut im Sacrum Commercium evident. Die Erzählung handelt davon, dass die Ordensbrüder der paupertas ihr Kloster zeigen sollen. Sie führen diese auf einen Hügel, zeigen zum Horizont und sagen: ‚Herrin, dies ist unser Kloster‘.⁷⁸ Diese Zuwendung zur Welt wurde zu einem der zentralen Vorwürfe gegen die Mendikanten in der ordensfeindlichen Polemik, in der die ‚Welt‘ nach den Vorstellungen seit der Patristik als Ort der teuflischen Verlockungen und der Sünde gilt. Räumliche Mobilität wird dabei mit moralischer Beliebigkeit gleichgesetzt und als Teufelswerk verurteilt.⁷⁹ Einen besonderen Status nehmen dabei – auch in der innerfranziskanischen Kritik – die jungen Mitbrüder ein, welche als formbarer und beeinflussbarer durch die Einflüsterungen der Welt gelten. Bereits in der Frühzeit des Franziskanerordens lobt  Franciscus Assisiensis: Regula non bullata. In: Fontes Franciscani, hg. von Enrico Menestò. Assisi 1995, S. 183 – 212, S. 183 – 212, hier S. 187: Postea non licebit ei ad aliam religionem accedere neque extra obedientiam evagari iuxta mandatum domini papae et secundum evangelium  Vgl. Benedikt Mertens: „Vidi quasi vias ipsorum multitudine plenas“ (l Cel 27). Die evangelische Wanderschaft in der Praxis und Debatte der Minderbrüder im 13. Jahrhundert. In: Wissenschaft und Weisheit 63 (2000), S. 9 – 60, S. 17.  Franciscus Assisiensis: Epistola toti ordini missa. In: Fontes Franciscani, hg. von Enrico Menestò. Assisi 1995, S. 97– 104, hier S. 103: Quicumque autem fratrum haec observare noulerint, non teneo eos catholicos nec fratres meos; nolo etiam ipsos videre nec loqui, donec poenitentiam egerint. Hoc autem dico de omnibus aliis, qui vagando vadunt, postposita regulae disciplina. Vgl. auch Ramona Sickert: Extra obedientiam evagari. Zur zeitgenössischen Deutung der Mobilität von Franziskanern und Dominikanern im 13. Jahrhundert. In: Sébastien Barret und Gert Melville (Hg.): Oboedientia. Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum. Münster 2005, S. 159 – 180, hier S. 164 f.  Adducentes eam in quodam colle ostenderunt ei totum orbem quem respicere poterant, dicentes: ‚Hoc est claustrum nostrum, domina‘; Sacrum Commercium sancti Francisci cum domina Paupertate. In: Fontes Franciscani, hg. von Enrico Menestò. Assisi 1995, S. 1705 – 1732, hier S. 1730.  Umfassend zu Bewertung, Kritik und Polemik von Wanderschaft und Ortsungebundenheit innerhalb und außerhalb der Bettelorden vgl. Ramona Sickert: Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert. Berlin 2006, S. 184– 199. Es ist hier auch zu betonen, dass Auffassungen der Mendikanten und Laienprediger zwar als Widerspruch zum regulären Mönchtum gesehen wurden, dass Polemik und Verurteilung bei diesen kanonisierten Mönchsgemeinschaften jedoch bei weitem nicht so radikal sind wie bei den als Häretiker eingestuften Gruppierungen der Waldenser oder Katharer.

312

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Jacques de Vitry, der in engem Kontakt zu Franz von Assisi stand, in einem Brief von 1220 zwar die Nähe der Minderbrüder zur christlichen Urkirche, betont jedoch auch kritisch, dass gerade die Ortsungebundenheit für junge und unvollkommene Brüder gefährlich sei und diese eine Zeitlang im Schutz des Konvents geprüft werden sollten, bevor sie je zu zweien durch die weite Welt verteilt würden.⁸⁰ Diese Kritik deckt sich mit dem Inhalt eines Musterbriefs in der weitverbreiteten Rhetorica antiqua (1215), einer Ars dictaminis des Bologneser Gelehrten Boncompagnus da Signa. Diese besagt, dass gerade die jungen Mönche wegen ihres Alters noch sehr leicht beeinflussbar seien und durch die permanente Mobilität in Wahnsinn verfallen würden, da das ziellose Umherstreifen ein schreckliches und unmenschliches Martyrium darstelle.⁸¹

Kommentierung der Regula Benedicti als affirmatives Traditionsverhalten Ziellose Mobilität (vagari) wird mithin von allen Ordensgemeinschaften unisono als Widerspruch zu ihrer eigenen Lebensweise verurteilt, dient jedoch auch der polemischen Abgrenzung zu anderen Orden, v. a. vonseiten der ortsstabilen Benediktiner. Der Vagant dient als Schreck- und Gegenbild zum regulären Mönch, was gerade in der iterativen Kommentierung der autoritativen Benediktsregel und ihrer Bewertung der (orientalischen) Gyrovagen deutlich wird. Der Kommentar aber gilt als idealtypische Form eines hypoleptischen Traditionsbezugs,⁸² der den Inhalt des Prätexts weitergibt, während er seinen Gehalt erweitert und möglicherweise verändert. Kommentare zur Benediktsregel, die oftmals im Rahmen von Predigten überliefert sind, können gerade wegen des konstanten Inhalts und Aufbaus aktualisierende Veränderungen in der Tradition aufzeigen, da selbst kleine Verschiebungen erkennbar sind. Als Beispiel dient hier ein zisterziensischer Predigtzyklus vom Anfang des 13. Jahrhunderts, der ein explizites affirmatives Traditionsverhalten zur Regula Benedicti aufweist (iuxta auctoris nostri traditionem) und eine Predigt den Quattuor ge-

 […] religioni Fratrum Minorum, que religio valde multiplicatur per universum mundum eo, quod expresse imitantur formam primitive ecclesie et vitam apostolorum. Hec tamen religio valde periculosa nobis videtur eo, quod non solum perfecti, sed etiam iuvenes et imperfecti, qui sub conventuali disciplina aliquanto tempore artari et probari debuissent, per universum mundum bini et bini dividuntur; Lettres de Jacques de Vitry (1160/1170 – 1240), hg. von Robert B. Constantijn Huygens. Leiden 1960, ep. VI S. 123 – 133, hier S. 131 f.  Boncompagnus: Rhetorica antiqua. Auszüge in: Testimonia minora saeculi XIII de S. Francisco Assisiensi, hg. von Leonhard Lemmens. Florenz 1926, S. 92: Fratres Minores ex parte sunt iuvenes et pueri; unde, si iuxta aetatum suarum flexibilitatem sunt mutabiles et proclives, non est contra naturam; ipsi autem iam ad extremam dementiam pervenerunt, quia per civitates et oppida et loca solitaria sine discretione vagantur horribilia et inhumana martiria tollerando; Übers. von Thomas Morus Huber und Leonhard Lehmann in: Franziskus-Quellen. Die Schriften des Heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seine Orden, hg. von Dieter Berg und Leonhard Lehmann: Kevelaer 2009, S. 1539.  Vgl. Assmann/Assmann: Schrift, Tradition und Kultur, S. 46 – 49 und Kapitel 6.3.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

313

nera monachorum widmet.⁸³ Die Predigt orientiert sich am Bild des Kreises, wobei sie von nominalistischen Prämissen ausgeht:⁸⁴ Verschiedenen Bibelstellen zufolge (Ps 45,6 und 81,1) stehe Gott unbeweglich im Zentrum.⁸⁵ Es bestehe weiter eine geometrische Homologie zwischen Gott als dem Mittelpunkt und dem weltzugewandten, vagierenden Mönch (gyrovagus) als Teil der Kreislinie (circulus) oder des dynamischen Kreis-Laufs (girus). Wie sich Kreislinie und Mittelpunkt nie treffen könnten, so passten auch permanente Bewegung und klösterliche Ortsbindung nicht zusammen und der Gyrovage könne demnach nicht zu Gott gelangen. Denn Gott sei immer und überall, aber überall unbeweglich, der Gyrovage jedoch nie (orts‐)stabil. Mit einer Anrede an die Mitbrüder, die wohl als Adressaten zu sehen sind, konstatiert der Prediger: ‚Wenn du nicht von Gott ausgehst, kommst du nicht zu Gott, wieviel du auch herumstreifst.‘⁸⁶ Die Predigt wendet sich im Folgenden noch anderen Aspekten (Lüge,Völlerei, etc.) zu, um die Anschauung des Gyrovagen als das teterrimum genus monachorum, ‚die abscheulichste der Mönchsarten‘, zu untermauern: Diese verhielten sich wie der Satan und seien daher (wie die Sarabiten) zu verdammen.⁸⁷ Inwiefern diese gelehrte Stellungnahme zum Prinzip der stabilitas loci auf die Frühzeit der mendikantischen Wanderbettler abzielt, ist nicht eindeutig zu klären. Anders verhält es sich bei Jacques de Vitry, der in der ersten seiner Sermones ad Fratres

 Zur Einordnung und Datierung des Predigtzyklus vgl. Jörg Sonntag (Hg.): Sermones in Regulam s. Benedicti. Ein zisterziensischer Regelkommentar aus Pontigny. Berlin, Münster 2016, S. XV–XVIII; zit. S. 40.  Sonntag (Hg.): Sermones in Regulam, S. 43: Sed sicut rem ex re, cur non ita et nomen trahamus ex nomine, ut, quemadmodum ab Israel Israelitas, ita ab Adam competenter dicamus adamitas? Übers. P. R.: ‚Warum ziehen wir nicht die Schlussfolgerungen über den Namen aus dem Namen, wie wir auch die Schlussfolgerungen über die Sache aus der Sache ziehen; beispielsweise, wenn wir abgeleitet von Israel die Israeliten benennen und entsprechend von Adam die Adamiten?‘  Sonntag (Hg.): Sermones in Regulam, S. 41: Deus autem in medio est, propterea non commovebitur, et, si bene Scripturas recolis, Deum in medio invenies semper: Sive in medio deorum stantem sive deos in medio diiudicantem sive ministrantem sive in medio discipulorum, denique in hunc modum semper; Übers. P. R.: ‚Gott aber steht im Mittelpunkt und wird sich daher nicht bewegen und, wenn du dir die Heilige Schrift in Erinnerung rufst, dann wirst du Gott immer im Mittelpunkt finden: Sei es, dass er in der Mitte der Göttlichen steht, sei es, dass er über die Göttlichen in der Mitte richtet oder dient, oder sei es in der Mitte seiner Schüler; schließlich immer in dieser Weise.‘  Sonntag (Hg.): Sermones in Regulam, S. 41: Sicut est de circulo, ita et de giro, sicut de puncto, ita et de Deo. Sicut punctus ad circuli, ita claustrum ad ambitum seculi seculariumque rerum. Propterea sicut numquam accedit ad punctum circulus, ita nec ad Deum monachus girovagus. Siquidem tam punctus quam Deus uterque immobilis, ille stabilis numquam. Etsi est ubique punctus divine essentie, sed girus nusquam; proinde vide, si non a Deo exis nec ad Deum vadis, quociens vagaris.  So heißt es am Ende der Predigt: Iam vero sicut duorum in lecto, ‚duorum in molendino et duorum in agro unum assumetur et alterum relinquetur‘ [Mt 24,41], duo istorum genera [die gyrovagi und die sarabitae] relinquamus et ‚ad disponendum cenobitarum fortissimum genus adiuvante Domino veniamus‘ [Regula Benedicti 1,13]; Sonntag (Hg.): Sermones in Regulam, S. 48; Übers. P. R.: ‚Wie schon die beiden im Evangelium, von denen der eine auf dem Feld oder die eine bei der Mühle angenommen und der oder die andere preisgegeben wurde, so wollen wir auch diese zwei Mönchsformen preisgeben und zur Verfasstheit der Koinobiten, der – so Gott will – besten Form fortschreiten.‘

314

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Minores (1228) unter Berufung auf die Benediktsregel das Verhalten der Vagierenden anprangert.⁸⁸ Dabei verschiebt er gemäß mendikantischer Interpretation die instabilitas von einer Vernachlässigung der Ortsstabilität zu einer Vernachlässigung des Gehorsamsgebots,⁸⁹ führt jedoch im Stil einer allgemeinen Zeitklage an, dass unter Missbilligung der Mehrheit die Straßen, das Meer, die Fürstenhöfe und die Klosterherbergen voll seien von vagierenden Religiosen, die nicht von der Not angetrieben seien, sondern von Neugier (curiositas) und Völlerei (cura ventris).⁹⁰ Als Beleg dafür, dass nicht nur die Gegenwart (die moderni), sondern auch die Vergangenheit (die antiqui) an diesem Problem gelitten hätten, führt er die Benediktsregel an, wobei er mit Psalm 57,11 die Rache Gottes in Aussicht stellt, wonach der Gerechte seine Hände im Blut der Sünder waschen werde.⁹¹ Konkret findet sich das Fehlverhalten in der Vernachlässigung monastischer Aufgaben, der Kontemplation in der Zelle, des Predigtdiensts außerhalb des Klosters und der Handarbeit in der Mühle. Die göttliche Ordnung werde missachtet, sodass dem Vagierenden nur ein Ort bleibe, und zwar der Ort, an dem ‚der Schatten des Todes herrsche, keine Ordnung bestehe, sondern ewiger Schrecken wohne‘ (nach Hiob 10,22).⁹² Diese Warnungen richten sich konkret an die Brüder im Predigtdienst: Diese sollen das Kloster nur wegen eines dringenden Auftrags verlassen und sich nur dann dem ‚Meer der weltlichen Angelegenheiten‘ widmen. Dabei dürften sie sich aber nie vom Gehorsam entfernen (extra obedientiam evagari).⁹³ Auch von franziskanischer Seite gibt es im Tractatus pauperis von Johannes Peckham eine Stellungnahme, die sich gegen die Anklage der ziellosen, ordnungsgefährdenden Mobilität der Bettelorden richtet. Der Traktat entstand 1270 im Kontext des Pariser Mendikantenstreits.⁹⁴ Er führt drei Argumente gegen mönchische Bettelei an, um diese dann zu entkräften: (1) Die Bettelarmut mache unstet und führe dazu, sich vermehrt mit zwielichtigen Menschen einzulassen, deren Umgang für den Um Zu der Textstelle vgl. Sickert: Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern, S. 195.  Non igitur ad exeundum sit proni, nec exeant nisi obedientia; Jacques de Vitry: Sermones ad Fratres Minores, hg. von H. Felder.In: Analecta Ordinis Minorum Capuccinorum 19 (1903), S. 22– 24 und 114– 122, hier S. 117.  Aliquando enim non absque scandalo plurimorum quibusdam religiosis plenae sunt plateae civitatum, exitus maris, palatia principum, hospitia praelatorum, nulla necessitate compellente, sed curiositate vel cura ventris impellente; Jacques de Vitry: Sermones ad Fratres, S. 117.  Ut autem exemplo antiquorum castigentur moderni, et justus manus suas in sanguine peccatoris, audite quid dicat sanctus Benedictus da vagis et inconstantibus: ‚Est, inquit, genus monachorum quod nominatur gyrovagum; Jacques de Vitry: Sermones ad Fratres. S. 117 f.  Cum igitur quidam gyrovagi non sint in lecto per contemplationem, nec in agro per praedicationem, nec in mola per manuum laborem, quia nullum ordinem observant, quid aliud restat eis, nisi locus ille, ubi ‚umbra mortis et nullus ordo, sed sempiternus horror inhabitat‘? Jacques de Vitry: Sermones ad Fratres. S. 119. Dieselbe Bibelstelle zitiert auch die mittelhochdeutsche Reimpaarrede De vita vagorum. Vgl. Kapitel 10.2.1.  frater obediens in mare hujus saeculi ad praedicandum mittitur a Ministris Ordinis; Jacques de Vitry: Sermones ad Fratres, S. 116.  Vgl. dazu Sickert: Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern, S. 196.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

315

gang der Religiosen widrig, wenn nicht abträglich sei. (2) Außerdem führe sie dazu, dass der Religose mehr lüge, Heiligkeit vorspiegele, denen, die geben, schmeichle und über die, die nicht geben, herziehe. Das alles sei schlecht. (3) Schließlich führe sie dazu, dass sich die Mönche vermehrt weltlichen Aufgaben zuwendeten.⁹⁵ Offensichtlich decken sich die ersten beiden Anklagen mit den Narrativen, die der weltliche Betteldiskurs der Frühen Neuzeit wiederholt. Peckham erwidert auf den ersten Anklagepunkt, dass man zwischen verschiedenen Formen lokaler Mobilität unterscheiden müsse und nicht jedes Hinundherlaufen gyrovagatio sei; sonst wäre nämlich der Apostel Paulus der größte gyrovagus. ⁹⁶ Weiter unterscheidet er zwischen der stabilitas corporis und der stabilitas cordis. So gebe es diejenigen, die örtlich stabil seien, jedoch im Herzen unstet. Diese beleidigten die pauperes Christi, die ein Pilgertum für die ganze Kirche auf sich nähmen, sammelten Kritikpunkte und verbreiteten diese schriftlich als ob sie ihren eigenen Mist wiederkäuten. Deren Stabilität/Ruhe sei nicht fruchtbringend, sondern verderblich.⁹⁷ Damit wendet sich Peckham freilich gegen die Gegner der Bettelorden. Dem gegenüber stünden die Mendikanten, die wie Paulus für ihre Mitbrüder bettelten, vor dem Volk predigten oder der Kirche anders dienen wollten. Sie seien nicht als Gyrovagen zu bezeichnen, sondern als Räder am Wagen Gottes, die je nach Situation gingen und wiederkehrten, nach Art eines zuckenden Blitzes.⁹⁸ Schließlich verweist Peckham darauf, dass die lokal mobile, im Herzen jedoch stabile Gruppe freilich an mönchischen Tugenden herausrage: in vita monastica, paupertate scilicet, obedientia et castiate, et aliis quibusdam observantiis honestatis. ⁹⁹ Auf die beiden anderen Anklagepunkte erwidert er schlicht, dass richtiges, heiliges Betteln nicht zu Lüge und Schmeichelei führe und sich auch weltlichen Aufgaben richtig zuwende.¹⁰⁰

 (19) Item mendicitas facit girovagos et instabiles et cogit societati hominum secularium etiam malorum se pluries intermiscere, que omnia sunt conversationi religiose contraria sive inimica. (20) Item facit mendicos tales frequenter necessitatem simulare et sanctitatem, adulari dantibus, detrahere non dantibus, que omnia mala sunt; ergo et status mendicitatis. (21) Item tales mendicitati subiecti huius occasione frequenter se immiscent alienis negotiis, non manu sed lingua gerendis, quod est secularibus negotiis implicari: ergo non convenit religioni. Johannes Pecham: Tractatus pauperis. In: Fratris Johannis Pecham quondam archiepiscopi Cantuariensis Tractatus tres de paupertate, hg. von A. G. Little, F. Tocco und A. G. Kingsford. Aberdeen 1910, S. 21– 90, hier S. 24.  Ad 19 dicendum quod non omnis discursus est girovagacio, alioquin apostolus Paulus summe fuisset girovagus; Pecham: Tractatus pauperis, S. 24.  Alii sunt qui quiescunt corpore et non corde, sicut quidam impii voluntarie quieti in uno loco detrahunt pauperibus Christi per totam ecclesiam peregrinis, defectus eorum observantes colligentes et scriptitantes quasi ipsorum stercora ruminantes. […] Horum quies est eis infrutuosa, immo perniciosa; Pecham: Tractatus pauperis, S. 24.  Religiosi igitur pro fratribus elemosinas petituri, sicut Paulus pro collectis faciendis per se et per alios laboravit […], aut predicaturi populo vel bonum ecclesie aliter procurantes, non sunt girovagi appellandi sed rote Domini, quas rapit vite spiritus euntes et redeuntes in modum fulguris coruscantis; Pecham: Tractatus pauperis, S. 24.  Pecham: Tractatus pauperis, S. 24.  Vgl. Pecham: Tractatus pauperis, S. 25.

316

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Offensichtlich lässt es sich Peckham aber angelegen sein, die von ihm Vertretenen von dem abzusetzen, was seit dem 6. Jahrhundert als gyrovagus bezeichnet wird. Ein anderes Beispiel für diesen polemischen Wortgebrauch bietet die Chronica maior des Matthaeus Parisiensis (~1259). Einmal bezeichnet dieser so flüchtige Mönche, und zwar im Kontext eines Privilegs zur Eindämmung des Klosterwechsels (transitus), welches die Dominikaner 1247 vom Papst forderten.¹⁰¹ An anderer Stelle rekurriert der Chronist auf die Benediktsregel im Zusammenhang des Mendikantenstreits an der Universität Paris – genauer bei der revocatio der Pariser universitas im Jahr 1255, nachdem aufgrund der Veränderungsbestrebungen der Dominikaner die Vorlesungen und Disputationen aufgegeben wurden und sich viele Scholaren überall verstreut hatten.¹⁰² In Kontrast zu dieser chaotischen Situation stellt Matthaeus Parisiensis das geordnete Pariser studium der Zisterzienser. Dieses sei aufgrund des schändlichen Verhaltens der Dominikaner und Franziskaner vom anglofranzösischen Gelehrten und Abt von Clairvaux Stephen of Lexinton gegründet und eingeweiht worden und wachse täglich. Der wichtigste Grund dafür sei die Tatsache, dass die Zisterzienser nicht in den Städten umherzögen, die von der Regel geforderte stabilitas loci einhielten und so auch im Volk wohl gelitten seien. Anstelle des weiten Ozeans wählten sie die stabile Ordnung der Klostermauern. Der Verweis auf die gyrovagi der Benediktsregel bezieht sowohl eine Kritik am Vagieren der Mendikanten als auch gerade der scholares ein.¹⁰³ Die Priorisierung der Zisterzienser gründet neben der mendikantenkritischen Grundhaltung des Chronisten wohl auch auf einem gewissen Regionalstolz. Denn das explizite Hervorheben seines englischen Landmannes, der den Anstoß dazu gab, nach dem Vorbild der Bettelorden ein Ordens-studium in Paris einzurichten, ist gewiss kein Zufall. Nachdem im 14. Jahrhundert eine gelehrte Beschäftigung mit der Benediktsregel in den Hintergrund getreten war, verstärkte sich diese wieder im Rahmen der Melker Klosterreform im 15. Jahrhundert, vor allem bei Johannes Schlitpacher, einem der  Vgl. Matthaeus Paris: Chronica Maior. 7 Bde., hg. von H. R. Luard 1872– 1883 (ND 1964), hier Bd. 4, S. 625.  Vgl. Matthaeus Paris: Chronica Maior, Bd. 5, S. 528.  Domus autem monachorum ordinis Cisterciensis, Parisius studentium, quæ per abbatem Clarevallensium, videlicet [Stephanum] de Lexintona, natione Anglicum, propter obprobria fratrum Prædicatorum et Minorum initiata est, felix diatim suscepit incrementum. Et placuit Deo, prælatis, et populo eorum honesta et ordinata conversatio; non enim vagabantur per civitates et pagos. Non erat eis pro claustrali maceria oceanus, sed infra muros suos clausi et stabiles conversantes suo secundum regulam sancti Benedicti voluerit intueri; in principio videlicet genera distinguens monachorum, Sarabaites et girovagos reprehendit. Matthaeus Paris: Chronica Maior, Bd. 5, S. 528 f.; Übers. und Herv. P. R.: ‚Das Pariser Studienhaus des Zisterzienerordens wurde natürlich von Stephan von Lexington eingerichtet, einem Engländer, und zwat wegen der Missstände bei den Dominikanern und Franziskanern. Es wuchs erfreulich von Tag zu Tag und der geordnete/gesittete Umgang gefiel Gott, den Prälaten und dem ganzen Volk; denn sie schweiften nicht durch die Gemeinden und Dörfer. Sie hatten nicht den ganzen Ozean anstelle der Klostermauer, sondern sie verweilten abgeschlossen und ortsstabil innerhalb der Mauern ganz für sich selbst, denn sie wollten die Benediktsregel beachten; bei der Unterscheidung am Anfang, tadelt sie natürlich die Sarabaiten und die Gyrovagen.‘

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

317

wichtigsten Exponenten dieser Ordensreform.¹⁰⁴ Eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Mönchtums war einer der Grundpfeiler der Melker Reform mit der „Regula Benedicti als Leittext und Grundlage allen Handelns und Denkens.“¹⁰⁵ Neben zahlreichen Bezügen auf Regelkommentare, die im direkten Umfeld des Mutterklosters entstanden sind (v. a. der Kommentar von Petrus Boerius, † 1386)¹⁰⁶ schrieb Schlitpacher in mehreren Etappen einen eigenen Regelkommentar, dessen ersten größeren Entwurf, die Postilla regulae, er 1443 vollendete.¹⁰⁷ Schlitpacher schließt sich an die etablierte etymologische Erklärung des gyro-vagus ¹⁰⁸ an sowie an die Wortverwendung bei Augustinus (Enarratio in psalmum CXXXII, 3 u. 6), der bereits kritisch anmerkte, dass die circelliones eigentlich circumcelliones heißen müssten, weil sie circum cellas vagantur, also ohne festen Wohnsitz von Kloster zu Kloster zögen, was allgemein bekannt sei.¹⁰⁹ Schließlich verwendet Augustinus noch die Bezeichnung agonistici, was Schlitpacher auf den Brudermörder Kain aus der Genesis zurückführt. Wie Kain seinen Bruder Abel ermordete, würden auch die Gyrovagen für die Vernichtung aller Rechtschaffenen sorgen; Kain und die Gyrovagen aber müssten als flüchtige Bettler umherziehen, wobei sie das Gastrecht schändlich ausnutzten.¹¹⁰ Als Zwischenfazit – das am Rand mit einem roten Nota hervorgehoben ist – führt er gemäß der Unterscheidung von vagatio mentis und vagatio corporis eine Bestandsaufnahme für seine Gegenwart durch. Heute gebe es eine ausgeprägte geistige Unrast (vagatio

 Vgl. Niederkorn-Bruck: Die Melker Reform und Christine Glaßner: Stift Melk und die Melker Reform im 15. Jahrhundert. In: Franz Xaver Bischof und Martin Thurner (Hg.): Die benediktinische Klosterreform im 15. Jahrhundert. Berlin 2013, S. 75 – 91 (zu Rolle Schlitpachers v. a. S. 89 – 91). Zur Person Schlitpachers vgl. Franz Josef Worstbrock: [Art.] Schlitpacher, Johannes. In: 2VL 8, Sp. 727– 748.  Glaßner: Stift Melk, S. 81.  Vgl. Albert Groiss: Spätmittelalterliche Lebensformen der Benediktiner von der Melker Observanz vor dem Hintergrund ihrer Bräuche. Ein darstellender Kommentar zum Caeremoniale Mellicense der Jahres 1460. Münster 1999, S. 251.  Worstbrock: [Art.] Schlitpacher, Johannes. In: 2VL 8, Sp. 733.  Hic beatus Benedictus quartum describens genus monachorum. […] Notandum quod Girovagus nomine compositum existens, dicitur quasi vagans in giro. quia circuit vagando; Johannes Schlitpacher: Postilla regulae (1443). BSB, Cod. lat. mon. 22111, fol. 8r.  et tales girovagos beatus Augustinus super psalmo: Ecce quam bonum item tribus nominibus normiant. Primo vocat eos corrupte circelliones dicens. Quid sibi vult nomine circellionum? Secundo circumcelliones. Nam circumcelliones dicti sunt, que circum cellas vagantur. Solent enim ut ait beatus Augustinus ire hac atque illac, nusquam habentes sedes et facere que nostis, et que illi norunt velint nolint; Schlitpacher: Postilla regulae, fol. 8r; vgl. auch Aurelius Augustinus: Enarrationes in psalmos 101– 150. Bd. 3: Enarrationes in psalmos 119 – 133, hg. von Franco Gori. Wien 2001.  Tercio dicit eos Agonisticos tum ait Agonisticos eos vocant. Fatemur et nos honesto nomine si et res conveniret. Et literam de eorum origine sive institutione non legatur. potuit tum eorum figuram gessisse cayn fratricida, que dixit Genesis IXo. Ego ero vagus et profugus in terra. Ita illi Girovagi animam propriam tanquam iustum Abel occidentes vagantur in terra, ad aliorum eciam subversionem operam dantes. […] Girovagi autem in alienis edibus hospitantur, et de alienis laboribus vivunt. Et que longo tempore quesitum est, brevi hora consumunt. male vivendo alios perdunt. Ideo sunt peiores; Schlitpacher: Postilla regulae, fol. 8r.

318

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

mentis) unter den Mönchen, d. h. viele solche, die gedanklich herumschweiften,¹¹¹ jedoch in gleichem Maße eine körperliche Unrast (vagatio corporis) als Folge der ersten. Dabei bezieht er sich auf Bernhard von Clairvaux, der sagt, dass nur ein örtlich stabiler Körper einen gefestigten Geist haben könne. Schlimmer als die beiden genannten Formen aber sei eine simultane Unrast von Körper und Geist.¹¹² Zum Abschluss gibt Schlitpacher Ratschläge für die konkrete Praxis der Mönche: Manchmal sei eine Ortsveränderung durchaus gut und fruchtbringend und laut Isidor von Sevilla, gerade für das Seelenheil von Konversen nützlich, da mit dem Ort auch die affektiven Stimmungen verändert würden.¹¹³ Am Ende des Passus empfiehlt Schlitpacher noch seinen Mitbrüdern, die Depravationen des Mönchtums aus didaktischen Gründen totzuschweigen. Deinde de utrisque falsis. Sarabaitis et Girovagis dicitur, quod melius est silere quam loqui particulariter de eorum mala conversatione, coram meis perfectis frateribus. Ratio. quia faciliter possent inde scandalizari et tentari.¹¹⁴

Für alle Regelkommentare gilt: Auch wenn es teilweise Umakzentuierungen und Veränderungen gab, orientieren sie sich doch konstant an der Darstellungsabsicht der Gyrovagen in der Benediktsregel, nämlich dass diese Gruppe als Negativfolie zur eigenen zu verurteilen sei – entweder aus Gründen der Verteidigung der eigenen Gruppe oder der invektiven Diskreditierung der anderen. Die Benediktsregel stellt demnach ein Narrativ zur Verfügung, welches wegen seiner auctoritas neben anderen – darunter zuvorderst der Bibel – einen idealen Referenztext bietet. Dieses Narrativ ist aber funktionalisiert und hat nichts mehr zu tun mit den Gyrovagen des spätantiken Ägypten, von denen wir freilich auch nur verzerrende Berichte durch ihre Gegner haben.¹¹⁵ Der Begriff gyrovagus dient trotz aller Veränderungen mit erstaunlicher

 Circa illud genus notandum est breviter. Quod est vagatio quaedam mentis, et talis hodie multi sunt monachi girovagi, cogitationibus suis vagantes; Schlitpacher: Postilla regulae, fol. 8r.  Alia est vagatio corporis, quam cordis vagatio subsequitur. De qua beatus bernardus ait [Bernardi Casinensis Speculum monachorum I, 1,1,2]: ‚Impossibile est hominem fideliter figere in uno animum suum, qui non prius alicui loco perseverantem affixerit corpus suum.‘ Tercia est vagacio corporis similiter et cordis, que peior est utrisque harum; Schlitpacher; Postilla regulae, fol. 8r f.  Mutatio localis aliquando fit iuste et fructuose. Unde ysidorus de summo bono [de summo bono 9, dist. 8]. ‚Valet interdum conversis pro anime salute mutatio loci, plerumque dum mutatur locus, mutatur et mente affectus‘; Schlitpacher; Postilla regulae, 8v.  Schlitpacher: Postilla regulae, 8v; Übers. P. R.: ‚Schließlich über beide falschen Erscheinungsformen [des Mönchtums]: Man sagt über die Sarabaiten und die Gyrovagen, dass es besser sei, zu schweigen und nicht über deren schlechten Umgang zu sprechen, insbesondere vor meinen vollendeten Mitbrüdern. Der Grund dafür ist, dass sie leicht versucht werden und Anstoß nehmen könnten.‘  Die ältere Forschung ging zum Teil noch vom Prozess einer organischen Ablösung der einzelnen Orden aus: „Mit dem Vordringen und Sieg der Benediktiner Regel verschwinden die monachi gyrovagi“; Hennig Brinkmann: Anfänge lateinischer Liebesdichtung im Mittelalter. In: Neophilologus 9 (1924), 49 – 60 u. 203 – 221, hier S. 211. Diese Meinung ist nicht haltbar.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

319

Konstanz als ‚invektive Figuration‘¹¹⁶ und das schon seit seinen Ursprüngen: „They create the figure of the gyrovague, the deliriously misguided monk who embodies evagatio mentis, the wandering state of attention that results from failure to observe a proper occupatio mentis.“¹¹⁷

Ein Kloster voller Narren in der Scala coeli Eine Überschneidung und Zusammenführung der diskutierten Motive und Muster, vom Vagantenorden, der Engführung von acedia und instabilitas und der Regula Benedicti begegnet in der Scala coeli (1323 – 1330) des Johannes Gobi Iunior.¹¹⁸ Diese exempla-Sammlung ist nach verschiedenen Rubriken gegliedert, die dem Prediger zur Orientierung dienen können, darunter auch die acedia. Als das sechste der acht mala dieser Sünde wird hier die Narrheit oder Dummheit am Beispiel eines Klosters voller Narren angeführt: Sexto est fatuitatis et stulticie observativa. ¹¹⁹ Den Rahmen dieses in seinen Grundzügen geläufigen Exemplums¹²⁰ bildet das Fehlverhalten eines heiligen Mannes (sanctus pater), der manchmal zu sehr die Ruhe (ociositas) liebt. Diesen führt ein Engel (ganz ähnlich wie Vergil in Dantes Comedia) zur Abschreckung durch ein monasterium Goliardorum [!] in quo erant multe camere. ¹²¹ In den insgesamt neun Klosterzellen befinden sich verschiedene Personen, die jeweils ein Laster symbolisieren. So stehen die Ritter der ersten Zelle, die vor Angst vom Pferd fallen, für die Menschen, die aus Angst vor der Welt und der Zukunft von Unlust und Ängstlichkeit überwältigt werden.¹²² Die anderen Zellen sind bewohnt von denen, die aus Überdruss vor guten Taten die Vorschriften missachten,¹²³ denen, die das Brot wegwerfen und lieber Steine essen (also nichtigen Worten anhängen),¹²⁴ einem Kranken, der die

 Vgl. dazu Dagmar Ellerbrock, Lars Koch u. a.: Invektivität. Perspektiven eines neuen Forschungsprogramms in den Kultur- und Sozialwissenschaften. In: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift 1 (2017), S. 2– 24.  Leyser: Authority and Asceticism, S. 119.  Vgl. Johannes Gobi: Scala coeli, S. 54.  Johannes Gobi: Scala coeli Nr. 28, S. 175.  Vgl. Frederic C. Tubach: Index Exemplorum. A Handbook of Medieval Religious Tales. Helsinki 1969 Nr. 2135. Das geläufigste Muster mit vier allegorisch gedeuteten Narren, die Vision des Arsenius, dürfte aus den Vitae Patrum stammen. Die Interpretation als Kloster fehlt dort jedoch:Vitae patrum sive historiae eremiticae libri decem. 2 Bde., hg. von Heribert Rosweyde. Paris 1850/1860, Bd. 1. 5, 18, 1 f. (Sp. 978).  Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.  In prima erant quidam milites qui solo timore dejiciebantur de equo, quando audiebant nomen unius militis qui nondum erat natus […] Isti sunt qui propter timorem mundanum et tempus futurum dejiciuntur pigricia et timore; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.  In secunda erant quidam detenti, qui nullo alio vinculo sed sola pigricia erant ligati […] hii, qui ex tedio benefaciendi contemnebant precepta; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.  In tercia erant quidam qui tenentes panes in manibus rodebant lapides pane dimisso; et isti sunt qui inanibus verbis adherentes sermones dimittunt; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.

320

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Medizin (als Symbol für das greifbare Heil) direkt neben sich verschmäht.¹²⁵ Dazu kommen die Schwätzer,¹²⁶ die Depressiven (tribulati), die, je mehr sie sich erwärmen, desto kälter werden,¹²⁷ die Geizigen, die, je fetter sie essen, desto magerer werden¹²⁸ und Menschen, die, je größer die Gefahr (vor Krieg Räubern, Feuer und Flut) ist, umso ruhiger schlafen, also zu großes Vertrauen in ein langes Leben haben und zu sehr die Wonnen des Lebens genießen.¹²⁹ Besonders interessant ist die sechste Zelle des monasterium Goliardorum: In sexta erat unus magister docens scolares, qui quanto plura ostendebat tanto plura obliviscebantur; et isti sunt dissoluti religiosi.¹³⁰

Die Schüler, die, je mehr sie gelehrt bekommen, umso mehr vergessen, sind also auch Teil des Narrenklosters. Mit den dissoluti religiosi wendet sich das exemplum dabei allgemein gegen die Religiosen, die – als fugitivi oder vagi – außerhalb der Ordnung leben oder der falschen Ordnung oder Ordensgemeinschaften angehören. Eine Spitze gegen die Bettelorden ist dabei nicht anzunehmen, da Johannes Gobi selbst Dominikaner ist. Das exemplum referiert mit der Vorstellung des ‚verkehrten‘ Mönchsklosters vielmehr auf eine Textsituation, wie sie sich auch im lateinischen weltlichen Lied findet,¹³¹ und ordnet die Erzählung der Rubrik der acedia zu. Damit wird das Mönchsideal der stabilitas loci invertiert und die moralische und räumliche Ungebundenheit (dissolutio) als Phänomen der acedia herausgestellt.

Zusammenfassung und Bezug zur peregrinatio religiosa Die kirchliche Verurteilung von Mobilität basiert auf verschiedenen Traditionen, von denen zwei hier vorgeführt wurden: Aus der Patristik resultiert (1) die Zuschreibung der instabilitas mentis et corporis als von der acedia abgeleitete sekundäre Todsünde und die damit verbundene Mühe um die Heilssorge der Unsteten. Auf dieser Konstellation sitzen (2) die Invektiven im monastischen Diskurs auf, die sich vornehmlich an der Figur des gyrovagus in Mönchsregeln und von diesen abhängigen Texten  In quarta erat infirmus medicinam salutiferam juxta se habens, nec attendebat […] et isti sunt ignorantes; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.  In quinta erat unus loquens […] Et isti sunt indevoti qui negligenter horas dicunt; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.  In septima erant quidam qui quanto plus calefaciebant tanto plus frigidi erant; et isti sunt tribulati; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175.  In octava erant quidam qui quanto plus impinguebantur tanto macilenciores fiebant; isti sunt avari; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 176.  In nona erant quidam qui quanto in majori periculo belli, latronum, ignis vel aque erant, tanto suavius dormiebant; et isti sunt qui confidentes in longitudinem vite firmant se in deliciis mundi; Johannes Gobi: Scala coeli, S. 176.  Johannes Gobi: Scala coeli, S. 175; Übers. P R.: ‚In der sechsten [Zelle] ist ein Lehrer, der seine Schüler unterrichtet, die, je mehr sie gezeigt bekommen, desto mehr vergessen.‘  Vgl. Kapitel 7.2.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

321

zweiter Ordnung (Stellenpredigten, Kommentaren etc.) entzünden. Die Verurteilung des Vagierens weist neben Aspekten der Heilssorge auch machtpolitische Gründe auf, was vor allem ab dem 13. Jahrhundert im Versuch einer verstärkten Einflussnahme auf die Ordensbrüder hervortritt. Denn ziellose Bewegung mindert eine mögliche Kontrolle. Insgesamt ist in diesen Prozessen eine sukzessive Verschiebung vom monastischen in den säkularen Diskurs festzustellen. Der kirchliche Diskurswandel bereitet also durchaus einzelne säkular-politische Prozesse vor, respektive nimmt Anteil an deren Entwicklung bis ins Spätmittelalter. Der gyrovagus repräsentiert in diesem Zusammenhang als invektive Figuration im monastischen Diskurs ein ganz ähnliches Phänomen wie der Fahrende Schüler in der weltlichen Gaunerliteratur um 1500. Gleichzeitig dient diese Argumentationsweise einer Konsolidierung von Machtverhältnissen. Denn durch den Ausschluss und die Diskriminierung oder Ridikülisierung des anderen wird sowohl die Struktur der eigenen Gruppe gestärkt¹³² als auch ein Ausbrechen aus der gesetzten Ordnung unmittelbar mit der Gefahr der Ächtung verbunden. Damit geben die Kirchenväter eine theologische Begründung für eine machtstabilisierende Verurteilung der Ortsungebundenheit des Klerus, wie sie in der abundanten Reihe von Konzilsbeschlüssen und Dekreten gegen clerici vagi entgegentritt.¹³³ Diese Autoritäten sind auch notwendig, denn in der Bibel gibt es durchaus Belege für eine positive Bewertung einer Ortsungebundenheit – einer peregrinatio religiosa (z. B. Gen 12,1; 2 Kor 5,6; Phil 3,19 f. u. a.).¹³⁴ Die religiös motivierte Wanderschaft erreichte im 11. und 12. Jahrhundert eine starke Inflation angesichts der zunehmenden kurialen Unterstützung und Förderung von Pilgerreisen und die Loslösung des territorial organisierten Pfarramtes durch das verstärkte Aufkommen von Wanderpredigern im Umbruch zur Zeit der Reformen von Papst Gregor VII.¹³⁵ Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Akzeptanz gegenüber monastischer Mobilität abnimmt.¹³⁶ Es etablierte sich eine alternative Auslegung zur Notwendigkeit einer peregrinatio durch das benediktinisch geprägte Mönchtum, dem aus den obengenannten Gründen daran gelegen war, diese zu beschneiden. Die kirchliche Obrigkeit

 „This so-called ‚satire of the gyrovagues’ may be a comment on monastic life in sixth-century Campania, but it is more certainly to be interpreted as an essay about cenobitism. Its purpose is to contrast the errant body of the gyrovague with the stability of the obedient cenobite“; Leyser: Authority and Asceticism, S. 119 f.  Vgl. Kapitel 9.1.3.  Vgl. dazu Gerhart B. Ladner: Homo Viator: Mediaeval Ideas on Alienation and Order. In: Speculum 42 (1967), S. 233 – 259 und Hans-Henning Kortüm: Advena sum apud te et peregrinus. Fremdheit als Strukturelement mittelalterlicher conditio humana. In: Andreas Bihrer, Paul G. Schmidt und Sven Limbeck (Hg.): Exil, Fremdheit und Ausgrenzung in Mittelalter und früher Neuzeit. Würzburg 2000, S. 115 – 135.  Vgl. Rolf Zerfaß: Der Streit um die Laienpredigt. Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Predigtamtes und zu seiner Entwicklung im 12. u. 13. Jahrhundert. Freiburg i. Br. 1974, S. 120 f. und allgemein auch Norbert Ohler: Pilgerleben im Mittelalter. Zwischen Andacht und Abenteuer. Freiburg i. Br., Basel, Wien 1994.  Vgl. Mayali: Vagabondage, S. 129 – 131.

322

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

versuchte, die „stabilitas in peregrinatione [d. h. die innere Beständigkeit bei äußerer Ungebundenheit] in die spiritualisierte peregrinatio in stabilitate, d. h. den inneren Weg bei äußerer Ortsgebundenheit“¹³⁷ zu verkehren und damit – zum Teil mit Erfolg – die zahlreichen unbeständigen und so unkontrollierbaren Instanzen wie die neuen Orden, die ‚Häresien‘, die Kreuzzugs- und Laienprediger sowie die eremitische oder kanonikale Seelsorgsbewegung in geordnete Bahnen zu lenken.¹³⁸ Sollte diese Einhegung nicht gelingen, diente die Anklage der vagatio dazu, die Gegner zu desavouieren. Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass sich monastische Würdenträger um eine Distanzierung von einer ziellosen und ungestümen vagatio bemühten. Diese vollzogen sie in symbolischen Handlungen und deren Verschriftlichung, indem sie Reisen explizit als notwendig und langsam beschreiben. Diese Bewertungen mögen „eine Reminiszenz an den [biblischen] Eselsritt darstellen, der sich zugleich vom energischen ‚Ritt der Ritter‘ abhob.“¹³⁹

9.1.3 Das Ende des Vagantentums aufgrund kirchlicher Gesetzgebung? Aus den genannten Gründen einer kirchlichen Verurteilung von Instabilität ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich diese in kirchlicher Gesetzgebung (Synodalbeschlüsse und ‐erlasse) wiederholt. Hier finden sich Verbote von Ortsunbeständigkeit und Gebote zur Ortsstabilität meist im Kontext von Mahnungen zur Disziplin.¹⁴⁰ Eine genauere Analyse der einzelnen kirchengesetzesgeschichtlichen Hintergründe würde den Rahmen der Untersuchung unnötig überdehnen. Deshalb beschränke ich mich auf eine Reihe von Erlassen, die aufgrund ihres expliziten Verweises auf scholares vagi herausstechen und schon früh als Beleg für die Historizität der „[u]nheilbringend[en]

 Mertens: Evangelische Wanderschaft, S. 12.  Zerfaß: Laienpredigt, S. 120 – 136. Als Beispiel dienen hier die französischen Wanderprediger (Robert von Arbrissel, Géraud von Salles, Bernhard von Tiron, Norbert von Xanten) deren charismatische Lenker eigene Orden gründeten, welche sie dem traditionellen Mönchtum annäherten.  Sonntag: Klosterleben, S. 632.  Vgl. dazu die keineswegs vollständige Liste in Waddell: Wandering Scholars, S. 267– 291 (Appendix E). Bei Waddell fehlt zum Beispiel der einschlägige Erlass des Erzbischofs von Bremen Giselbert von Brunkhorst von 1290, der in zeitlich unmittelbarem Umfeld mit den hier herausgegriffenen Synoden von Würzburg und Salzburg steht. Der Erlass diszipliniert die Hofhaltung von Geistlichen und verbietet das Engagement von Schaustellern, v. a. von denjenigen, die eigentlich selbst Kleriker sind: Item omnibus et singulis Prælatis ac clericis nostræ diœcesis et provinciæ prohibemus nec in domibus suis vel commestitionibus scholares vagos, qui Goliardi vel histriones alio nomine appellantur, per quos, non modum vilescit dignitas clericalis ullatenus recipiant, illos maxime, qui in sacris ordinibus constituti et clericali habitu apostasiantes et ordine laicalem habitum assumserunt, quod cum præmissis statuis omnibus et singulis sub excommunicationis pœna præcipimus firmiter observari; Monumenta Inedita Rerum Germanicarum Praecipue Cimbricarum Et Megapolensium, hg. von Ernst Joachim de Westphalen. Bd. 2. Leipzig 1745, Sp. 2220 [Herv. im Orig.]. Zu einer terminologischen Auswertung dieser Quellen vgl. Zeydel: Vagantes, Goliardi, Joculatores, S. 43 – 45.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

323

[…] Rotte“ der Fahrenden Schüler zitiert wurden.¹⁴¹ Außerdem bietet sich diese Reihe von Beschlüssen aufgrund ihrer guten Überlieferungslage und ihrer geographischen Beschränkung auf die Kirchenprovinz Salzburg (mit ihrer unmittelbaren Umgebung) für eine Untersuchung an.

Die Salzburger Provinzialsynoden und der Hoftag/das Konzil von Würzburg Als Beginn der Reihe wird oftmals die Synode von Würzburg (1287) hervorgehoben, durch die „der Lebensnerv des Vagantentums getroffen“¹⁴² worden sei.Vergleicht man aber die Würzburger Synode mit den Salzburger Provinzialsynoden der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, relativiert sich diese Aussage.¹⁴³ Im Mai 1267 berief der päpstliche Legat Guido von S. Lorenzo eine Synode in Wien ein, die „alle älteren Ansätze einer Provinzialgesetzgebung der Salzburger Erzbischöfe verdrängt“ habe und gleichzeitig „zur Grundlage einer lebhaften Legislationstätigkeit der Salzburger Kirchenprovinz“¹⁴⁴ geworden sei. Die Themen dieser Synode sind grob in zwei Kategorien eingeteilt: Den ersten Teil nehmen Reformbeschlüsse zur Disziplinierung von Klerikern und Religiosen ein, wie sie sich bis in die Neuzeit immer wieder finden, zum Beispiel über ein ehrenwertes Leben (De vita et honestate Clericorum, c. 1), Keuschheit (De castitate clericorum, c. 2), Anhäufung von Pfründen (De collatione beneficorum, c. 9), Residenzpflicht (De residentia Plebenorum, c. 12) und vor allem die Missstände in den Klöstern, in denen die Regel nicht mehr eingehalten würde und die durch Supervision

 Matthias Rumpler: Geschichte des Salzburg’schen Schulwesens. Salzburg 1832, S. 29 – 33, zit. S. 32. Außerdem aus einer schulgeschichtlichen Perspektive Friedrich Ernst Ruhkopf: Geschichte des Schul- und Erziehungs-Wesens in Deutschland von der Einführung des Christentums bis auf die neuesten Zeiten. Bremen 1794, S. 124– 135, Mittelschulgeschichtliche Dokumente Altbayerns einschließlich Regensburgs. 1: Geschichtlicher Überblick und Dokumente bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, hg. von Georg Lurz. Berlin 1907, S. 162– 165 und aus einer germanistischen Perpektive Max Büdinger: Über einige Reste der Vagantenpoesie in Österreich. Wien 1854, S. 15 – 24.  Spiegel: Die Vaganten und ihr ‚Orden‘, S. 68. Vgl. auch Giesebrecht: Vaganten, S. 39. Anhand anderer Synoden rekonstruiert Spiegel mit viel Kreativität die genaue Reiseroute der Vaganten. Dieses Vorgehen ist freilich höchst spekulativ und problematisch, da es jeden Text beim Wort nimmt und als unmittelbaren Nachweis für die Realität nutzt. Diese Vorstellung teilt auch Bechthum: Vagantentum, S. 138 und 174 f. (Anm. 458).  Synode und Konzil bedeutet dasselbe: eine Versammlung der Bischöfe. Provinzial- oder Partikularsynoden haben im Gegensatz zu den größeren Allgemeinen Synoden oder Ökomenischen Konzilen eine geringere Verbindlichkeit und keine Jurisdiktionsgewalt. Vgl. dazu: Stephan Haering: Mittelalterliche Partikularsynoden in Baiern. Ein Überblick zum Raum der Bistümer Chiemsee, Freising, Passau und Regensburg. In: Nathalie Kruppa und Leszek Zygner (Hg.): Partikularsynoden im späten Mittelalter. Göttingen 2006, S. 77– 98, hier S. 78 – 80.  Beide Zitate aus Peter Johanek: Das Wiener Konzil von 1267, der Kardinallegat Guido und die Politik Ottokars II. Přemysl. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N. F. 44/45 (1978/79), S. 312– 340, hier S. 340.

324

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

zu kontrollieren seien (De Religiosis, c. 23).¹⁴⁵ Der zweite Teil der Themen umfasst Regeln zum Umgang mit Juden und deren Stigmatisierung, z. B. durch eine explizite Kennzeichnungspflicht (De habitu Judæorum, c. 15, außerdem c. 15 – 19). Von Fahrenden Schülern ist hier nicht die Rede, jedoch dienen die Gesetze einer Sozialdisziplinierung, indem man versucht, durch Klassifizierung und Stigmatisierung die als bedroht empfundene Ordnung unter Kontrolle zu bringen. Diese Tendenz setzt sich in der Salzburger Kirchenprovinz fort. 1274 wird in Salzburg eine Provinzialsynode abgehalten, in der v. a. die Beschlüsse des 2. Konzils von Lyon (1274) verkündet werden sollten, welche aber auch die Aussagen der Wiener Synode bestärkt und ergänzt.¹⁴⁶ Es ist auffallend, dass sich 1274 vor allem die Verurteilung von zielloser Mobilität intensiviert. So behandelt ein Canon die Rückführung flüchtiger Mönche (De revocatione monachorum fugitivorum, c. 2), welcher besagt, dass Mönche, die in der Welt herumschweiften, zurückgerufen und Unverbesserliche inhaftiert werden sollten. Die Äbte aber dürften keinen Mönch, der in einen anderen Orden übertreten wollte, vom Gelübde des Gehorsams befreien, da dieses unteilbar mit dem Mönchtum verbunden sei.¹⁴⁷ Auch die Praxis, Mönche zur Strafe in ein anderes Kloster zu übersenden, wird eingeschränkt (c. 3), da die Mönche nicht für ihre Fehler Buße tun, sondern vielmehr ohne Ordnung herumstreifen würden.¹⁴⁸ Außerdem wird verboten, Männer oder Frauen (!) die Tonsur zu schneiden oder sie klerikal einzukleiden, sofern sie nicht in einen approbierten Orden einträten und sich für einen festen Ort entschlössen (c. 15).¹⁴⁹ Die monastisch Eingekleideten aber müssten geprüft oder gezwungen werden die Kleidung wieder ablegen. Als Grund wird angeführt, dass sich die klerikale Kleidung als Grund für das Vagieren und als Möglichkeit für verbrecherisches Verhalten eigne, da diese Kleidung das eigentlich regellose Leben

 Florian Dalham: Concilia Salisburgensia provincialia et dioecesana. Jam inde ab hierarchiae hujus origine, quoad codices suppetebant, ad nostram usque aetatem celebrata. Augsburg 1788, S. 105 – 112, zit. S. 109: ab obversatione sanctae regulae temere recedentes, vitam nimis dissulutam ducere, in suarum periculum animarum, et scandalum plurimorum. […] omnia claustra nigrorum Monachorum, suæ diœcesis visitent, corrigant, et emendant, tam in capite quam in membris. Dazu außerdem Karl Hübner: Die Provinzialsynoden im Erzbistum Salzburg bis zum Ende des XV. Jahrhunderts. In: Deutsche Geschichtsblätter 10 (1909), S. 187– 236, hier S. 208 – 210 und Haering: Partikularsynoden in Baiern, S. 87 f.  Zur Salzburger Synode von 1274 vgl. Hübner: Provinzialsynoden, S. 210 – 213 und Haering: Partikularsynoden in Baiern, S. 88.  Ex nunc tamen eisdem Abbatis præcipimus & mandamus, ut monachos fugitivos in sæculo divagantes revocari procurent. Et quod in singulis monasteriis carcer fiat, in quo incorregibiles, seu alias delinquentes enormiter monachi, prout culpæ qualitas exigit, recludantur. Sed nec licitum sit abbatibus, cum nec unquam licuerit, monachos, ad ordinem strictiorem transeuntes minime absolvere ab obedientia, quæ monachorum ossibus inseperabiliter est affixa; Dalham: Concilia, S. 118.  cum nec tales missi ad alia monasteria peccata sua lugeant, sed vagentur potius dissolute; Dalham: Concilia, S. 118.  Nullus deinceps Prælatus, nullus alius, cujuscunque ordinis vel religionis existat, masculum aut fœminam tonserare, aut benedicere sibi vestes præsumat, nisi certam de approbatis profiteatur regulam, & se destinet certo loco; Dalham: Concilia, S. 121.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

325

des Trägers verschleiere (dissimulatio)¹⁵⁰ und einer hochstaplerischen simulatio des geistlichen Standes zum Erreichen von dessen Privilegien Vorschub leiste. Daran schließt unmittelbar die Passage De vagis Scholaribus (c. 16) an: Sub vagorum Scholarium nomine quidam per Salzburgensem provinciam discurrentes, monasteriis & Ecclesiis se exhibent adeo onerosos, quod per eorum importunitatis audaciam nonnunquam clerici illud eis erogare coguntur, de quo sit necessitatibus pauperum providendum: denegantibus sibi suffragia, per quæ occasionem nutriunt malæ vitæ, calumnias inferunt: conferentibus sibi, quod postulant, vituperium existunt: reverentiæ clericali utique multum detrahitur, dum blasphemi hujusmodi se personas Ecclesiasticas profitentur. ut autem viri hujusmodi per subtractionem nostri & nobis subditorum suffragii resipiscere compellantur: authoritate sacri Concilii prohibemus, ne quis Prælatorum, plebanorum, aut vicariorum, seu quæcunque persona Ecclesiastica, post spatium duorum mensium, infra quem terminum, de ordinata sibi vita provideant, ipsis aliquid beneficii vel juvaminis erogare præsumat. Qui contrarium fecerit, tamdiu ab ingressu Ecclesiæ sit suspensus, donec in subsidium terræ sanctæ usualis monetæ conferat unam libram. Hanc tamen constitutionem extendi nolumus ad pauperes advenas & pro necessitatibus suis publice mendicantes.¹⁵¹

Offensichtlich knüpft diese Darstellung an die rekurrenten Vorurteile von Bettlern und Simulanten an, wie sie gerade auch in der monastischen (zumal mendikantenfeindlichen) Gesetzgebung auftreten. Sie ergaunern Geld, das andernorts dringender gebraucht würde, sie zeigen keine echte Dankbarkeit für die Almosen und sie sind generell moralisch verworfen. Ein expliziter Verweis auf Eigenschaften von Schülern oder Gelehrten fehlt. Stattdessen wird in dem Gesetz von einer Gruppe, die unter dem Namen (sub nomine!) der scholares vagi herumstreune, gesprochen. Auch die Betonung, dass arme Reisende und ‚echte/würdige Bettler‘ weiter unterstützenswert seien, nimmt keinen Bezug zum schulischen Umfeld. Die scholares vagi werden als betrügerische Bettler dargestellt, die sich nur des Namens und der damit verbundenen Privilegien bedienen.  religionis vestem, quæ vagandi eis præstat materiam & opportunitatem accommodat delinquendi, abjiciant; ne irregularem vitam religiosa vestis obumbret; Dalham: Concilia, S. 118.  Dalham: Concilia, S. 121 f.; Übers. P. R.: ‚Unter der Bezeichnung ‚Fahrende Scholaren‘ schweifen einige Leute durch die Kirchenprovinz Salzburg und sind in den Klöstern und Kirchen so lästig, dass sich wegen ihrer rücksichtslosen Unverschämtheit die Kleriker manchmal gezwungen sehen, jene Güter zu verschwenden, mit denen sie eigentlich um das Nötigste für die Armen sorgen müssten: Diejenigen, die ihnen die Hilfe verweigern, welche die Möglichkeit für ihr böses Leben noch fördert, verleumden sie; wer zusammenbringt, was sie fordern, den schmähen sie. Auf jeden Fall beschädigen sie den guten Ruf des Klerus, solange sie sich derart lästerlich als Kirchenmänner ausgeben. Damit aber solche Leute durch den Entzug unserer Hilfsmittel und der unserer Untergebenen dazu gebracht werden, zur Einsicht zu kommen, verbieten wir kraft des heiligen Konzils, dass sich irgendein Prälat, Pfarrgeistlicher, Vikar oder anderer Kirchenmann erdreiste, nach der Frist von zwei Monaten – in diesem Zeitraum sollen sie sich um die Ordnung ihres Lebens kümmern – an ebendiese irgendwelche Güter oder Unterstützungen zu verschwenden. Wer dagegen handelt, dem soll so lange verboten werden, eine Kirche zu betreten, bis er ein Pfund der hiesigen Regionalwährung zur Unterstützung des Heiligen Landes aufbringt. Dennoch wollen wir nicht, dass diese Bestimmung auf arme Reisende und Bettler, die öffentlich um das Nötigste betteln, ausgedehnt wird.‘

326

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Die Synoden von 1281 in Salzburg¹⁵² und 1284 in St. Pölten wiederholen das Verbot klerikaler Mobilität. Besonders interessant ist die Synode von 1284, da sie das Aufnahme‐ und Unterstützungsverbot auf bewaffnete scholares vagi einschränkt und nur unter besonderen Auflagen eine Übertretung des Verbots aus Menschlichkeit und Nächstenliebe gestattet: Item de vagis Scholaribus duximus statuendum, districte præcipientes, ut cultellos longos & gladios ac arma deferentes non recipiantur omnino, nec aliquales eisdem exhibeantur consolationes. Aliis autem humanitatis causa uni vel duobus tantummodo venientibus, & non pluribus, detur modicus pastus in caritate: & si importuni vel infesti fuerint, vel alia dona petiverint, puta denarios vel vestes, penitus repellantur.¹⁵³

Im Folgenden differenziert und spezifiziert der Canon zwischen dem scholaris pauper, dem man in seiner Notlage helfen dürfe und dem scholaris/sacerdos vagus, der nicht mehr als Kleriker gelte und unter keinen Umständen beherbergt werden dürfe: Admittimus tamen, si quis necessitate suadente, ex liberalitate vestem aliquam Scholari pauperi dare voluerit propter Deum. Vagos autem Scholares detrahentes Clericis nullus omnino Clericorum modo aliquo recipiat, vel ad panem admittat, cui hoc constiterit: quod qui non fecerit, pœnæ subjaceat prædictæ. De vagis vero sacerdotibus idem, quod vagis Scholaribus statuimus, & sub eadem pœna volumus per omnia observari.¹⁵⁴

 Die Synode befasst sich unter anderem mit dem Discursus Religiosorum, also dem ordnungswidrigen Herumstreifen von ehr- und schamlosen Klerikern wie entlaufenen Mönchen, die nicht mehr aufgenommen werden dürften und eingeperrt werden sollten: De Discursu Religiosorum: Item inhonestos & indecentes Religiosorum discursus amputare volentes; determinamus, ut quicunque Prælatus monachum fugitivum vel ejectum ad admonitionem Episcopi, Rectorum, vel visitatorum ordinis, non receperit, ex tunc sit a temporalium administratione suspensus, donec recipiat monachum vagabundum: ut inquietos & inobedientes coërcere possint, per pœnas in sua regula constitutas, & mancipare carceribus penitus incorrigibiliter obstinatos, ubi magis visum fuerit expedire, quod de consilio ordinari ad alia sui ordinis claustra destinentur; Dalham: Concilia, S. 127. Außerdem werden wieder Gesetze im Kontext von Hochstapelei thematisiert: Siegel-, Brief- oder Geldfälscher unter den Klerikern und den Laien sollen bestraft werden (c. 17) und die Einkleidung von Ordensbrüdern durch Laien soll verboten werden (c. 18).  Johannes Dominicus Mansi (Hg.): Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Bd. 24. Venedig 1780, Sp. 511; Übers. P. R.: ‚Ebenso über die fahrenden Scholaren erlassen wir den strengen Befehl, dass solche, die lange Dolche, Schwerter und andere Waffen tragen, überhaupt nicht aufgenommen werden dürfen, auch nicht wenn ebendiese versuchen, euch irgendwie zu überreden. Anderen aber, sofern sie allein oder nur zu zweien – und nicht zu mehreren – kommen, soll um der Menschlichkeit willen ein mäßiges Mahl in Nächstenliebe gegeben werden: Wenn sie hingegen unverschämt oder aggressiv sind oder andere Gaben verlangen – man denke an Geld oder Kleidung – dann soll man sie ganz fortjagen.‘  Mansi: Conciliorum collectio, Bd. 24, Sp. 511; Übers. P. R.: ‚Wir erlauben es gleichwohl, einem armen Scholaren, von dessen Notlage man überzeugt ist, aus Freigiebigkeit irgendein Kleidungsstück um Gottes Willen zu geben. Unter keinen Umständen soll ein Kleriker aber die fahrenden Scholaren, die aus dem Klerikerstand entfernt wurden, aufnehmen oder zu Tische laden. Wer dagegen handelt, soll der vorhergenannten Strafe unterworfen sein. Wir bestimmen aber bezüglich fahrender Priester,

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

327

Der Anklagepunkt der vagatio hat also zur Folge, dass der Delinquent seinen klerikalen Stand verliert und nicht mehr almosenberechtigt ist. Als ein hartes Unterscheidungskriterium zum bettelarmen Scholaren, der ja auch mobil ist, gilt das bewaffnete und unverschämte Auftreten, das für die Praxis aber Interpretationsspielräume offengehalten haben dürfte. In der Synode von Würzburg (1287), die so großen Einfluss auf das ‚Vagantentum‘ gehabt haben soll, erscheint das Verbot der Unterstützung der scholares vagi erneut: Peccatores,¹⁵⁵ seu reprobatos apostolos, in eorum reprobata regula remanere vetantes omnino: volumus quod nullus clericus, nulla sæcularis persona, intuitu religionis eorum, ac insolito habitu, eos de cetero recipiat, aut eis alimenta ministret. Et qui contra fecerit, arbitrio sui ordinarii puniatur. Quod et in vagis scholaribus tractandis observari volumus: et quod clericali privilegio coram sæculari judice nequeat se tueri.¹⁵⁶

Dieser Canon reiht sich in eine Reihe von Disziplinargesetzen ein: Kleidungsgebote, Verbote von Konkubinat, Glücksspiel und Wirtshausbesuchen oder allgemein Appelle an ein ehrbares Leben.¹⁵⁷ Es ist für den Würzburger Beschluss signifikant, dass er die vagi scholares nur marginal erwähnt, ins Zentrum aber reprobati apostoli stellt. Damit ist der radikale Bettelorden der Apostoliker gemeint, der 1260 von Gerardo Segarelli in Parma gegründet und 1286 von Papst Honorius IV. in der Bulle Olim felicis recordationis als Häresie verdammt wurde.¹⁵⁸ Honorius beruft sich in der Bulle auf die Beschlüsse des 2. Konzils von Lyon (1274) unter Papst Gregor X., in dem bis auf die Dominikaner und Franziskaner alle Bettelorden verboten wurden. Die Bulle hebt als zentrale Kennzeichen neben dem habitus novae religionis vor allem die Instabilität der Apostoliker hervor: qui […] sub nomine Ordinis Apostolorum habitum novae religionis assumpserunt, quamquam nullam aliquando confirmationem Sedis Apostolicae meruissent, prohibitionis ac revocationis praedictae temerarii praesumptores eumdem habitum, seu ei consimilem sub eodem nomine

dass bei diesen in allen Fällen dieselben Aspekte und dieselben Strafen zu beachten sind wie bei den Fahrenden Schülern.‘  Mansi: Conciliorum collectio, Bd. 24, Sp. 863 hat Peccatores. Eine ältere Lesart hat Leccatores (vgl. Severin Binius: Concilia Generalia et Provincialia. Bd. 3, 2. Köln 1618, S. 996). Auf diese Ausgabe bezieht sich auch Spiegel: Die Vaganten und ihr ‚Orden‘, S. 68 (Anm. 1).  Mansi: Conciliorum collectio, Bd. 24, Sp. 863; Übers. P. R.: ‚Sündern oder verstoßenen Apostolikern ist gänzlich verboten, unter ihrer nicht zugelassenen Regel zu bleiben: Kein Kleriker und kein Laie soll sie aufgrund ihres frommen Auftretens und ihrer ungewöhnlichen Kleidung neben anderen aufnehmen oder sie durch Lebensmittel unterstützen. Wer aber dagegen handelt, soll nach dem Willen seines Vorgesetzten bestraft werden. Dies soll auch bei der Behandlung von Fahrenden Schülern beachtet werden. Außerdem soll er sich öffentlich gegenüber einem weltlichen Gericht verantworten, ohne sich durch das Vorrecht des Klerus schützen zu können.‘  Vgl. die Übersicht in Georg von Gaisberg-Schöckingen: Das Konzil und der Reichstag zu Würzburg im Jahre 1287. Univ.-Diss. Marburg 1928, S. 37.  Raniero Orioli: [Art.] Apostoliker. In: LexMA 1. Sp. 792 f. und Herbert Grundmann: Ketzergeschichte des Mittelalters. Göttingen 1963, S. 49 – 52.

328

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

usque hodie deferentes, quamplures etiam alii, assumpto post dictum Lugdunense concilium huiuscemodi habitu, per diversas mundi partes mendicando discurrere non verentur¹⁵⁹

Im Folgenden wird die Sekte qua päpstlichen Beschlusses aufgelöst und von den Mitgliedern verlangt, den Habit abzulegen oder in einen approbierten Orden einzutreten.¹⁶⁰ Wenn sie dies nicht wollten, setzt die Bulle fest, dass alle Mitglieder – zur Not mit Hilfe des weltlichen Arms – inhaftiert oder anderweitig bestraft werden sollten.¹⁶¹ Dieser Beschluss sei allgemein unter den Leuten zu verbreiten. Weiter verbietet die Bulle explizit, denen, die dieses oder ein ähnliches äußeres Auftreten hätten, Herberge oder Almosen zu geben.¹⁶² Es ist offensichtlich, dass der Würzburger Synodalbeschluss ein Jahr später 1287 ebendiese päpstliche Forderung umsetzt und die Gruppe der Apostoliker und die, die diesen ähnlich sind, verurteilt. Diese Doppelformulierung (ille habitus seu ei consimilis), die in der Bulle zweimal zu finden ist, scheint im Würzburger Beschluss dann mit den peccatores, reprobati apostoli und vagi scholares ausgefüllt zu sein. Die Bezeichnung als vagi scholares aber scheint aus dem Salzburger Synodalbeschluss entlehnt und konkretisiert damit die Aussagen der Bulle. Die strengen Forderungen und Verbote gegen die scholares vagi beruhen demnach weniger auf einem konkreten aktuellen Ereignis, es handelt sich eher um ein mentalitätsgeschichtliches Symptom. Das deckt sich auch mit den vorangehenden Analysen. Vorurteile gegen ziellose Mobilität, die für das Mönchtum seit Anfang an prägend sind, werden auf andere Bereiche des klerikalen Feldes übertragen, gleichzeitig aber Argumente und Formulierungen transponiert. So ist es möglich, unter dem (eigentlich ubiquitären) Anklagepunkt der vagatio neben gegnerischen Orden auch ra-

 Bullarum diplomatum et privilegiorum sanctorum Romanorum pontificum Taurinensis editio. Bd. 4, hg. von Sebastinus Franco, Henricus Fory und Henricus Dalmazzo. Turin 1859, S. 83; Übers. P. R.: ‚Diese nehmen unter dem Namen des Ordens der Apostoliker die äußere Erscheinung (den Habit) einer neuen religiösen Gemeinschaft an, obwohl sie sich nie eine Bestätigung vom Apostolischen Stuhl verdient hatten, diese Galgenvögel ignorieren unbedacht das ausgesprochene Verbot und den Widerruf und nehmen denselben Habit an oder bis heute unter demselben Namen einen ähnlichen Habit. Mehrere andere nahmen auch nach dem Erlass des Lyoneser Konzils einen ebensolchen Habit und scheuen sich daraufhin nicht als Bettler durch die verschiedenen Teile dieser Welt ziellos umherzustreifen.‘  [E]os ad deponendum huiusmodi habitum, monitione praemissa, per censuram ecclesiasticam, appellatione postposita, compellatis, monentes eosdem, ut si religiosam vitam ducere cupiunt, ad aliquam se transferant de religionibus approbatis; Bullarum editio, Bd. 4, S. 83.  Quod si aliqui eorum censuram praedictam contempserint, vos contra ipsos ad poenam carceris, seu aliam, prout expedire videritis, procedatis, invocato adversus eos, si opus fuerit, auxilio brachii saecularis; Bullarum editio, Bd. 4, S. 83.  Caeterum ut praedicti eo facilius a sua insolentia compescantur, quo magis a Christi fidelibus abiici se viderint et contemni: volumus nihilominus, quod huiusmodi processum nostrum, in vestrarum civitatum et dioesesum terminis, iteratis vicibus publicantes ac facientes per aliquos publicari, eosdem populos auctoritate nostra moneatis et inducatis attente, ne aliquem de praedictis praefatum habitum deferentes recipere praesumant in pospitio, vel eis aliquas eleemosynas largiantur; nec ad deferendum habitum illum, seu ei consimilem impendant consilium, auxilium vel favorem; Bullarum editio, Bd. 4, S. 83.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

329

dikale Häretiker und andere Gruppen zu denunzieren, die im Verdacht stehen, die allgemeine Ordnung zu gefährden. Gerade in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gab es auch außerhalb der Kirche umfangreiche Bestrebungen, die Ordnung wiederherzustellen, nachdem man sie nach der Zeit des Interregnums (1250 – 1273) verloren zu haben glaubte. Diese Bestrebungen gipfelten in der Landfriedenspolitik Rudolfs I., des ersten Habsburger römisch-deutschen Königs. Nach einem langen Konflikt, der den ganzen Osten des Reiches (auch die Kirchenprovinz Salzburg!) destabilisierte, behauptete sich Rudolf 1278 gegen den mächtigen König von Böhmen, Ottokar II. Přemysl. Sogleich begann er seine eigenen Erfolge von der ‚schrecklichen Zeit‘ des Interregnums und vor allem dem als moralisch defizitär stilisierten reichen ‚goldenen König‘¹⁶³ aus Böhmen propagandistisch abzusetzen und so seine eigene Landfriedenspolitik zu begründen.¹⁶⁴ Durch die Nähe von königlichem Hoftag und päpstlichem Konzil bei Würzburg (1287) erreichte man „eine breite Rechtsgrundlage für die geplante Intensivierung der traditionellen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung.“¹⁶⁵ Auch wenn sich die Zielgruppe unterscheidet – entlaufene Mönche, häretische Bettelmönche und fahrende Scholaren in der kirchlichen, strazrouber und Raubritter in der weltlichen Gesetzgebung¹⁶⁶ – stimmt doch die Tendenz überein; man versucht, die Anzahl schwer kontrollierbarer Subjekte im eigenen Rechtsbereich zu minimieren, um so Ordnung wiederherzustellen. Es gibt also bereits im 13. Jahrhundert intensive Versuche, zielloses Vagabundieren durch Gesetzesbeschluss unter obrigkeitliche Kontrolle zu bringen. Diese Tendenzen wiederholen sich in weiteren Disziplinargesetzen. Sehr plastisch und drastisch beschreibt die Synode von 1291 eine Secta vagorum Scholarium, wobei hier einige Stereotype und Elemente der Fahrenden Schüler kulminieren. Die Synode

 Unter anderem in den Annales Ottokarini, die Ottokar II. als, qui ab utero matris suae vocatus est rex aureus bezeichnen. Siehe Chronica et annales aevi Salici, hg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 187. Mathias von Neuenburg kontrastiert in seiner Chronik später den edlen, aber schlicht gekleideten Rudolf mit dem prunkvoll und luxuriös auftretenden Ottokar: Rex [Rudolfus] autem longus et gracilis statura valde aquilum habens nasum, indutus grisea rusticali tunica cum alto golerio in communi strata sedens, Ottakarum indutum preciosissime genuflexum more regio investivit de feudis; Mathias von Neuenburg: Chronik, hg. von Adolf Hofmeister. Berlin 1924– 1940, S. 26. Zur Propaganda Rudolfs mit weiteren Textbelegen vgl. František Graus: Přemysl Otakar II. – sein Ruhm und sein Nachleben. Ein Beitrag zur Geschichte politischer Propaganda und Chronistik. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 79 (1971), S. 57– 110, hier S. 62– 65.  Detailliert zur Landfriedenspolitik Rudolfs I. vgl. Christel Maria von Graevenitz: Die Landfriedenspolitik Rudolfs von Habsburg (1273 – 1291) am Niederrhein und in Westfalen. Köln 2003, S. 182– 261.  Graevenitz: Landfriedenspolitik, S. 186.  Vgl. c. 17, 21, 22, 31 und 32 im rudolfinischen Reichslandfrieden vom 24. März 1287 in Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum inde ab a. MCCXCVIII usque ad a. MCCCXIII (1273 – 1298), hg. von Jacob Schwalm. Hannover, Leipzig 1904– 1906, S. 370 – 377. Zum Gesetz und dem Umstand, dass der Raub als Fehdemittel galt und damit den allgemeinen Landfrieden gefährdete, vgl. Graevenitz: Landfriedenspolitik, S. 190 f.

330

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

prangert wortreich die unrechtmäßige Annahme des klerikalen Status an und betont, dass die Erlasse der Vergangenheit keinen Erfolg gezeigt hätten.¹⁶⁷ Darauf folgt die Anklage der Unzucht und des Hedonismus; die Scholares vagi liefen in der Öffentlichkeit nackt herum, faulenzten an warmen Orten und besuchten Tavernen, Spielhäuser und Bordelle.¹⁶⁸ Ihren Lebensunterhalt verdienten sie durch sündhaftes Verhalten und ließen auch im Alter nicht von ihre ‚Sekte‘ ab. Insgesamt bestehe keine Hoffnung auf Besserung.¹⁶⁹ Wer also diese ‚Sekte‘ innerhalb von Monatsfrist nicht verlasse, solle alle klerikalen Privilegien verlieren und im Falle von Widerstand inhaftiert werden.¹⁷⁰ Diese Darstellungen brachten die Forschung zu der Annahme, von einer real existierenden Schülerbande auszugehen, die vor allem im Salzburger Raum ihr Unwesen getrieben habe und der man nicht durch einen einzelnen Beschluss das Handwerk legen konnte. Denn außer dem Salzburger Beispiel findet man nur vereinzelt und nie in solcher Plastizität und Drastik derartige Gesetzestexte. Auch wenn man die Meinung einer exklusiven Salzburger Clique fahrender Schüler nicht teilt, hat diese Reihe juristischer Texte durchaus einen exzeptionellen Status. Sie demonstriert, dass die ablehnende Haltung gegenüber ordnungsgefährdender vagatio, die sowohl theologisch als auch sozial begründet ist, vom monastischen Diskurs auf mobile Schüler ausgedehnt wurde. Doch warum findet sich die Nennung des Phänomens ausgerechnet in der Kirchenprovinz Salzburg so gehäuft? Durch die umfangreiche und vergleichsweise frühe Thematisierung bildete sich ein Muster, auf welches sich spätere Synoden berufen konnten, zumal es ohnehin in die Praxis der Provinzialsynoden gehörte, vorgängige Beschlüsse und Themen mehr als einmal zu wiederholen. Da im 14. Jahrhundert in Salzburg fast gar keine Synoden ab-

 Licet contra quosdam sub vagorum Scholarium nomine discurrentes scurriles, maledicos, blasphemos, adulationibus importune vacantes, qui se clericos in vituperium clericalis ordinis profitentur, nonnulla pio zelo pro salubri eorum correctione emanaverint instituta: ex his tamen nullus fructus, aut modicus jam provenit; Dalham: Concilia, S. 140 f.  Publice nudi incedunt, in furnis jacent, tabernas, ludos & meretrices frequentant; Dalham: Concilia, S. 141.  peccatis suis victum sibi emunt: inveterati sectam suam non deserunt: sic ut de eorum correctione nullus remaneat locus spei; Dalham: Concilia, S. 141. In einem anderen Salzburger Synodalbeschluss von 1310 wird ein ‚sündiger Lebensunterhalt‘ für Kleriker konkret erwähnt, indem diesen verboten wird als Schauspieler oder andere Spaßmacher aufzutreten. Andernfalls verliere er seine Privilegien: Clerici, qui clericali ordini non modicum detrahentes, se Joculatores, seu Goliardos faciunt, aut buffones, si per annum artem illam ignominiosam exercuerint, ipso jure, si autem tempore breviore, & tertio admoniti non resipuerint, cereant omni privilegio clericali; Dalham: Concilia, S. 150.  Alioquin eos, qui hujusmodi sectam ante hanc nostram constitutionem temere assumptam, infra mensem a tempore promulgationis ejusdem constitutionis numerandum, penitus non dimiserit, & illos, qui nunc assumere præsumpserint; ipso facto statim omni privilegio clericali axui præcipimus & nudari: volentes, ut quandocunque a Monasteriis, Ecclesiis vel Clericis, cujuscunque rei importuni, aut violenti fuerint exactores, ipsis eosdem liceat nostra auctoritate capere, invocato ad hoc, si opus fuerit, brachio sæculari. Et eos captos Nobis, vel Archidiaconis nostris assignari volumus, nostro carceri, ut nobis videbitur, includendos: ut sic reatus omne excludat privilegium in his, quos vilitas vitæ eo nec frui patitur, nec gaudere; Dalham: Concilia, S. 141.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

331

gehalten wurden und das Thema scheinbar durch andere Probleme abgelöst wurde,¹⁷¹ findet sich das Thema erst wieder im 15. Jahrhundert, z. B. in einer Synode von 1456:¹⁷² Item provideat Sancta Synoda, ut pauperes peregrini continuo de loco in locum discurrentes, et similiter vagi scholares cum retibus vel sine discurrentes et quodammodo discredere facientes, multique alii truffatores, et terrarum exploratores foris ejiciantur, et in provincia ista nullatenus, ita discurrere et mendicare permittantur.¹⁷³

Offensichtlich hängt diese Darstellung eng mit dem Gaunerdiskurs des 15. Jahrhunderts zusammen, indem sie wesentlich expliziter als in früheren Beschlüssen verschiedene Bettlertypen aufruft, z. B. die falschen Pilger als ‚Christianer‘/‚Calmierer‘ und die Fahrenden Schüler als ‚Kammesierer‘ oder ‚Vagierer‘; gerade die Nennung des Netzes als Attribut der vagi scholares macht eine Kenntnis anderer Diskurse wahrscheinlich.¹⁷⁴ Auch der Kontext der Passage bestätigt diese Annahme. Indem dieser den Missbrauch von Almosen behandelt (Contra abusus collectorum),¹⁷⁵ weist der Synodalbeschluss von 1456 eine frappierende Übereinstimmung mit der Nota de fictis mendicis von Gallus Kemli (1443 – 1470) auf.¹⁷⁶ Gerade in der chaotischen Zeit während der Streitigkeiten zwischen Ottokar und Rudolf im österreichisch-böhmischen Grenzgebiet kann man nicht ausschließen, dass unfreiwillige Mobilität und Bettelei aufgrund einer Verarmung der Schüler zunahmen. Ein ereignisgeschichtlicher Kontext für die Anregung von Textproduktion (in Urkunden und deren Parodien) ist also durchaus gegeben. Es ist jedoch verwunderlich, dass sich die Quellen auf einen engen zeitlichen und räumlichen Umkreis konzentrieren. Es scheint mir wahrscheinlicher, dass die kirchliche Gesetzgebung demnach weniger das Ende des ‚Vagantentums‘ einläutet, sondern eher einen Beitrag dazu leistet, wie man über als deviant empfundene Mobilität sprechen kann. Durch monastische und klerikale mobilitätsfeindliche Traditionen bildete sich so eine diskursive Formation, welche schon mindestens seit dem 13. Jahrhundert die Mobilität von Schülern und Studenten problematisierte und unter bestimmten Voraussetzungen diskriminierte.

 Vgl. Haering: Partikularsynoden in Baiern, S. 89.  Andere Salzburger Synodalbeschlüsse aus dieser Zeit verbieten wiederholt, dass Kleriker als Schausteller auftreten dürfen, z. B. die Synode in Mühldorf am Inn von 1490. C. 4: Ne clerici joculatoribus, vagis scholaribus et similibus Goliardis largiantur; Dalham: Concilia, S. 247.  Dalham: Concilia, S. 239; Übers. P. R.: ‚Ebenso soll sich die heilige Synode darum kümmern, dass arme Pilger, die ziellos von einem Ort zum anderen wandern, genauso Fahrende Schüler, die mit oder ohne Netz herumstreifen und einen gewissermaßen übers Ohr hauen, und andere Gauner und Kundschafter rausgeworfen werden sollen. In dieser (Kirchen‐)Provinz soll es außerdem keinem mehr erlaubt sein, auf diese Weise umherzulaufen und zu betteln.‘  Vgl. Kapitel 10.3.  Vgl. Dalham: Concilia, S. 239.  Vgl. Kapitel 5.1.

332

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Eine Salzburger Urkundenparodie In diesen Kontext ist auch ein Prosatext einzuordnen, der in der älteren Forschung als Manifest des ‚Vagantenmythus‘ und Beleg für „die frühe Existenz der Vaganten“ galt: „ein humoristisches Exemptionsprivilegium der fahrenden Schüler für die Güter der Salzburger Kirche in Oesterreich vom Jahre 1209“.¹⁷⁷ Gegen die räumliche Verortung spricht nichts,¹⁷⁸ jedoch zeigt die Datierung des Textes, dass das Offensichtliche zu hinterfragen ist. Betrachtet man den Überlieferungszusammenhang, so gibt es keinen Grund von dieser frühen Datierung auszugehen. Denn der Text der Urkunde ist keineswegs ein einzelnes „fliegendes Blatt“,¹⁷⁹ das einem Kopialbuch des AugustinerChorherrenstifts St. Pölten¹⁸⁰ beigeheftet ist. Sie befindet sich vielmehr in einem Faszikel, das wohl um 1265 entstanden ist und bis auf zwei spätere Nachträge von 1429 (fol. 69v) nur unmittelbar zeitgenössische Gegenstände versammelt. Von den beiden benachbarten Urkunden, die auf die Jahre 1266 und 1267 datieren, ist das Privilegium nur durch einen Umbruch getrennt. Es ist also fraglich, ob man der Aussage am Ende der Urkunde so viel Glauben schenken darf. Dazu kommt, dass Papst Innozenz III. und der Herzog von Österreich Leopold (VI.) zwar historisch korrekt zugeordnet sind, sich der Verfasser jedoch bei der Nennung des Kaisers irrt und fälschlich Heinrich (vielleicht VI.) anstelle Otto IV. angibt.¹⁸¹ Es ist demnach zu erwägen, dass der Text als amüsantes ‚U-Boot‘ in das Kopialbuch eingetragen wurde, und zwar nicht 1209, sondern erst in den 1260ern. Ob der Text als Dank für ein Weggeld (viaticum) von externen „‚echten‘ Vaganten“¹⁸² verfasst wurde oder ob es sich nur um einen Scherz eines Klosterangehörigen handelt, ist nicht zu ermitteln. Doch Inhalt und Aufbau lassen keinen Zweifel an

 Vgl. Giesebrecht: Vaganten, hier S. 35. Ebenso die ersten Mitteilungen in Theodor Mayer: Spicilegium von Urkunden aus der Zeit der österreichischen Babenberger-Fürsten. In: Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen 6 (1851), S. 273 – 318, hier S. 316 – 318; Wilhelm Wattenbach: Geistliche Scherze des Mittelalters. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 15 (1868), Sp. 285 – 288, hier Sp. 288; Matthias Pangerl: Zur Geschichte der fahrenden Schüler. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 15 (1868), Sp. 198 – 199 und Waddell: Wandering Scholars, S. 262– 264 (mit engl. Übers.). Dt. Übers. mit fachdidaktischer Aufbereitung in Walter Zechmeister: Eine Vagantenurkunde aus dem Jahr 1209. Überliefert auf einem fliegenden Pergamentblatt des 13. Jh. im alten Saalbuch der Canonie St. Pölten. In: Circulare (2001), S. 25 f. (Übers. im Folgenden: W. Z.).  Neben der Überlieferung in einem Kopialbuch in St. Pölten, das zur Salzburger Kirchenprovinz gehört, beziehen sich laut Giesebrecht auch einige Ausdrücke auf diese Umgebung als Entstehungsort, z. B. die Bezeichnung der cathedralium sociorum, einem typisch Salzburger Terminus für die Kanoniker; vgl. Giesebrecht: Vaganten, S. 36 (Anm. 2).  Giesebrecht: Vaganten, S. 35.  Wien, Haus-, Hof‐ u. Staatsarchiv, Hs. B 356, fol. 68v. Beschreibung in Constantin Edler von Böhm: Die Handschriften des Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Wien 1873, Nr. 1077 (S. 296 f.).  An dieser Stelle liegt offensichtlich ein Fehler und keine politische Propaganda gegen den welfischen Kaiser vor. Denn der Staufer Heinrich VI. war bereits 1197 gestorben und sein Enkel Heinrich (VII.) erst 1211 geboren.  Fritz Peter Knapp: Die Literatur des Früh- und Hochmittelalters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273. Graz 1994, S. 197.

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

333

seiner parodistischen Schreibart.¹⁸³ Formal lehnt sich die Urkundenparodie dezidiert an den kurialen Urkundenstil an,¹⁸⁴ wendet diesen jedoch schon in der Invocatio um, indem die Urkunde nicht in nomine sancte et individue trinitatis, sondern In nomine summae et individuae vanitatis beginnt und so durch minimale Variation aus der Dreifaligkeit die nichtige Eitelkeit macht. Im Eingangsprotokoll nennt sich weiter als Aussteller Surianus ¹⁸⁵ mit der Intitulatio diutina fatuorum favente dementia per Austriam, Stiriam, Bawariam et Morawiam praesul et archiprimas vagorum scolarium. ¹⁸⁶ Das Amt des Vorstehers eines weitverbreiteten Ordens der Fahrenden Schüler hat er also nicht aus der Gnade Gottes (divina favente clementia), sondern wegen des Wahnsinns der Narren. Adressat sind die Anhänger seines Ordens, die an Hunger, Durst, Kälte und Nacktheit leiden: omnibus ejusdem sectae professoribus, sociis et successoribus universis fame, siti, frigore, nuditate perpetuo laborare. In der folgenden Arenga erklärt die Urkunde den Grund der Ausstellung: Einfalt und Dummheit (cruda simplicitate et inerti stultitia impellente), womit sie abermals die erwarteten Attribute verkehrt. Im Folgenden werden einige Eigenschaften aneinandergereiht, die zum Muster der Beschreibung des Fahrenden Schülers gehören: Die scholares vagi leben von fremdem Geld und halten dies sogar für das höchste Gut, wobei mit der ethischen und materiellen Doppelbedeutung von bonum gespielt wird: eadem mens est, ut bona summa putemus aliena vivere quadra. Diese Aussage ist wörtlich von Iuvenal übernommen (Iuv. 5, 1 f.) wie auch der folgende Vergleich mit den Spaßmachern Sarmentus und Gabba – im Text zum bekannteren Galba verändert –, die an der cena des Augustus als niedrige Gäste teilnehmen dürfen (Iuv. 5, 3 f.).¹⁸⁷ Doch bei Iuvenal hängen die beiden Textstellen zusammen und insinuieren, dass es sogar die beiden Personen, die beim römischen Satiriker als Bodensatz der Gesellschaft gelten, nicht ausgehalten hätten, in subalterner Position nur vom Tisch des Kaisers zu leben; in der Urkundenparodie wird die zweite Textstelle aber als Beleg zitiert, dass die scholares vagi wegen der harten Regeln ihres ordnungslosen Ordens diese Position gerne einnähmen und sogar Spott und Schläge ertrügen: juxta rigorem inordinati nostro ordinis ludibria et verbera experti. Eine drastische Reihe intensiviert die Darstellung von Mangel und Leid des ‚Ordens‘ weiter: egentes, angustiati, afflicti, fame prodigi, fame sitique tabidi,

 Vgl. Knapp: Literatur des Früh- und Hochmittelalters, S. 196 f. und die viel rezipierte Studie: Lehmann: Parodie im Mittelalter, S. 218 – 220.  Zum konventionellen Aufbau und zur Terminologie am Beispiel von Papsturkunden vgl. Thomas Vogtherr: Urkundenlehre. Hannover 2008, S. 67– 71.  Knapp erklärt Surianus als ‚Der Mann von Suris‘, also einer Ableitung von Tyrus. Es handelt sich demnach um einen Heiden oder einen Fremden. Vgl. Knapp: Literatur des Früh- und Hochmittelalters, S. 196. Diese Erklärung ist aber spekulativ.  Übers. nach W. Z.: ‚Surianus, aufgrund der lang dauernden Begünstigung der Narren durch den Wahnsinn Bischof und Erzprimas der fahrenden Schüler in Österreich, Steiermark, Bayern und Mähren‘  Zu den beiden Figuren vgl. Konrad Vössing: Mensa Regia. Das Bankett beim hellenistischen König und beim römischen Kaiser. Berlin 2004, S. 495 f.

334

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

frigore tremuli, gelu rigidi, rictu tumidi, habitu miseri, vestiti lintheolo super nudo, uno semper pede nudo. ¹⁸⁸ Zur Bettelarmut kommt noch die bereits im Namen des secta vagorum scholarium evozierte Ortsunbeständigkeit: mobiles et instabiles more hirundinum victum per aëra quaeritantium hac et illac, quocunque inconstantis, mutabilis et mirabilis animi nostri levitas nos impegerit, tanquam folium quod a vento rapitur, et quasi scintillae in arundineto infatigabiliter fatigati discurrimus.¹⁸⁹

Es werden verschiedene Bilder der vagatio loci und mentis/animi aneinandergereiht: Die Fahrenden Schüler sind wie Schwalben, die ihre Nahrung im Flug einnehmen, wie das Blatt im Wind (nach Hiob 13,25 und Jes 64,6)¹⁹⁰ oder wie die Flamme im Stroh (nach Weish 3,7). Eine besondere Ausformung der instabilitas des paradoxen inordinatus ordo ist das intrikate Standesbewusstsein der scholares vagi. Da sie als Bettler (aber auch darüber hinaus) von den Klerikern und den Laien verstoßen werden, fühlen sie sich wie die Fledermäuse zwischen den verbeinigen Landtieren und den Vögeln: a domibus laicorum expulsi, ab ostiis clericorum saepe repulsi, utpote vespertiliones quibus nec inter quadrupedia nec inter volatilia locus datur, stipem tamen tanquam in diebus rogationum nati semper rogare cogimur alienam. ¹⁹¹ Der Zwischenstellung zwischen den Lebensformen entspricht die Zwischenstellung zwischen den Ständen. Dazu kommt die Verweigerung einer gesellschaftlichen Differenzierung (discernere). Das macht auch die Promulgatio der Urkunde in einer Figura etymologica deutlich: Ea propter vestrae indis⟨cretae (in‐)di⟩scretioni notum esse volumus per praesentes. ¹⁹² Der ei Übers. nach W. Z.: ‚bedürftig, in die Enge getrieben, bedrängt, reich an üblem Ruf, von Hunger und Durst entkräftet, vor Kälte zitternd, vom Frost erstarrt, mit geschwollenem Rachen, armselig im Auftreten, bekleidet mit einem winzigen Leinentuch über dem nackten Körper, einen Fuß immer bloß‘  Übers. nach W. Z.: ‚unstet und ohne festen Platz wie die Schwalben, die ihre Nahrung in der Luft erhaschen, und weil wir auch überall dort, wohin auch immer uns die Flatterhaftigkeit unseres unbeständigen, wankelmütigen und wunderlichen Geistes getrieben hat, so wie das Blatt, das vom Wind weggeweht wird, und wie Funken im Stoppelfeld auf unerschöpfliche Weise erschöpft dort und dahin laufen‘  Dieses Bibelzitat verwendet bereits der archipoeta in seiner weitverbreiteten Vagantenbeichte Estuans interius, wobei bereits dort die beiden semantischen Sphären der Vergeblichkeit des Aufbegehrens gegen Gott und die ziellose Mobilität des Vaganten verbunden sind.Vgl. CB 191 und Archipoeta 10 in Heinrich Watenphul und Heinrich Krefeld (Hg.): Die Gedichte des Archipoeta. Heidelberg 1958, S. 73 – 76. Zur Verbreitung und den Textvarianten vgl. Carmina Burana, hg. von Hilka/Schumann/Bischoff, Bd. 2, S. 6 – 21. ‚Wie ein Blatt im Winde‘ ist sprichwörtlich erst ab dem 15. Jahrhundert belegt. Vgl. TPMA 1, S. 24.  Übers. nach W. Z.: ‚aus den Häusern der Laien verjagt, von den Türen der Kleriker oft weggestoßen wie Fledermäuse, denen weder unter Vierfüßern noch unter Vögeln Platz eingeräumt wird, und dennoch gezwungen werden, als ob wir an den Bittagen geboren wären, immer Fremde um eine Spende zu bitten‘  Übers. nach W. Z.: ‚Deswegen wollen wir, dass eure unverständige Verständnislosigkeit durch die Anwesenden bekannt ist‘. Der Semantik von discernere folgend könnte man auch übersetzen: ‚eurer

9.1 Ubi stabilitas, ibi religio – monastische und kirchenrechtliche Positionen

335

gentliche Hauptteil der Urkunde (Narratio und Dispositio) führt als Grund für das Privileg die gute Behandlung durch Sighard an und stellt diesem das Privileg aus, welches ihn von Abgaben und Bedrängung (exactio und vexatio) befreien sollte.¹⁹³ Als Poemformel gegen Übertreter wird die Exkommunikation aus dem Wirtshaus festgesetzt: contradictores ab ingressu tabernae perpetuo suspendentes. Als Bekräftigung (Corroboratio) stellt die Urkunde die Narrenrache in Aussicht: si nostram irrationalem, fatuam et indiscretam effugere voluerit ultionem. Das Eschatokoll schließt mit der Angabe des Ausstellungszeitpunkts mittels der Nennung der aktuellen Herrscher, dem Ort als sub divo, also unter freiem Himmel, und einem Hinweis auf Siegel und Zeugen. Der Text ist (sogar nach der engen Lesart Genettes) ein Prototyp der Parodie. Denn der Urkundenstil wird minutiös kopiert und an den meisten Stellen durch eine Umkehrung des Erwarteten gebrochen, wie es gerade die hoch standardisierten Formeln im Pro- und Eschatokoll deutlich machen. Ob die vorliegende Konnotation der scholares mit vagatio und stultitia eine witzig-parodistische Verkehrung des Üblichen, ein traditionaler Topos oder ein Bezug zur Wirklichkeit ist, bleibt unsicher. Dennoch vereint dieses Exemptionsprivileg zahlreiche Elemente, die auch in anderen Texten mit der Figur des Fahrenden Schülers in Verbindung stehen: Armut, ziellose Mobilität und (ständisches) Außenseitertum. Folgt man meiner Neudatierung dieser Urkundenparodie ins Salzburg der 1260er Jahre, dann muss dieser Text als Reaktion auf die ausgiebige gesetzgeberische Tätigkeit in der Kirchenprovinz gelesen werden. Doch die Urkundenparodie verweist an vielen Stellen auch auf Strukturen, wie sie sich in den ‚Vagantenliedern‘ und späteren schwankhaften Texten finden, v. a. in De vita vagorum.¹⁹⁴

nicht differenzierenden Differenzierungslosigkeit‘ oder ‚eurer nicht differenzierenden Differenzierung‘. Denn ob hier discretioni oder indiscretioni steht ist aufgrund eines Flecks nicht zu ermitteln. Jedenfalls liefert die Figura etymologica ein sprachliches Paradoxon.  Ein Sigehard kann als Bruder von Wolfger von Erla ermittelt werden, dessen Freigiebigkeit (auch gegenüber Schaustellern und Fahrenden) belegt ist. Ein Bezug auf diese konkrete Person ist aber nicht notwendig. Vgl. dazu Fritz Peter Knapp: Der Hof der Kirchenfürsten Wolfger von Erla und die Literatur um 1200. In: Egon Boshof und Fritz Peter Knapp (Hg.): Wolfger von Erla. Bischof von Passau (1191– 1204) und Patriarch von Aquileja (1204– 1218) als Kirchenfürst und Literaturmäzen. Heidelberg 1994, S. 345 – 364, hier S. 352 und Winfried Stelzer: Satire und Anekdote im mittelalterlichen Österreich. In: Österreich in Geschichte und Literatur 31 (1987), S. 261– 274, hier S. 261 f. Zu Wolfgers Reisereichnungen vgl. Kapitel 10.1.  Vgl. Kapitel 7.3 (‚Vagantenlieder) und Kapitel 10.2.1 (parodistische Reimpaarreden).

336

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht 9.2.1 Studentische Mobilität als kaiserliches Privileg – Die Authentica ‚Habita‘ Die genannten kirchlichen Positionen sind durch das weltliche Recht zu ergänzen.¹⁹⁵ Denn auch hier hatten die Gesetzgeber Interesse daran, die Schüler als mobilen Teil des ordo clericus zu regulieren und protegieren. Kaiser Friedrich I. Barbarossa stellte um 1155 ein Scholarenprivileg (Privilegium scholasticum oder Authentica ‚Habita‘) für die Bologneser Professoren aus¹⁹⁶ und fixierte damit das Gewohnheitsrecht der Universität, die als studium ex consuetudine entstanden war. Die Authentica ‚Habita‘ wurde infolgedessen als ‚Gründungsurkunde‘ und die Universität Bologna demnach als erste Universität Europas betitelt. Damit gilt es als eines der wichtigsten Zeugnisse der Universitätsgeschichte.¹⁹⁷ Über die Gründe für den Erlass wurde viel spekuliert, ob er aus altruistischen Gründen und aufgrund christlicher Nächstenliebe ausgestellt worden sei, der Bewunderung des amor sciendi gelte oder politisch motiviert sei.¹⁹⁸ Plausibel scheint, dass durch die Form der Urkunde nicht nur die Universitätsbesucher profitierten, sondern auch der Kaiser selbst. Denn dieses privilegium fällt

 Zum modèle nobilitaire und modèle clérical, die zur Herausbildung des homo academicus beigetragen haben, vgl. Antoine Destemberg und Thierry Kouamé: Aux origines de l’homo academicus. Les signes de distinction sociale chez les universitaires médiévaux. In: Jean-Philippe Genet und E. Igor Mineo (Hg.): Marquer la prééminence sociale. Paris 2014, S. 45 – 56.  Zur Frage der Datierung vgl. Winfried Stelzer: Zum Scholarenprivileg Friedrich Barbarossas (Authentica „Habita“). In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 34 (1978), S. 123 – 165, hier S. 146 – 153. Nach Stelzer ist von einer vollumfänglichen Promulgierung des Gesetzes im Jahr 1155 auszugehen. Die Anbindung an den Reichstag von Roncaglia 1158 findet sich jedoch erst in den Druckausgaben ab 1475 und ist demnach wohl „eine spätere, vermutlich im 15. Jahrhundert entstandene Zutat, die das Ergebnis gelehrter Überlegungen war“; Stelzer: Scholarenprivileg, S. 151. Durchaus wahrscheinlich und der Praxis Friedrichs I. entsprechend ist das Vorgehen, dass das Gesetz 1155 erstmals erlassen und zum Reichstag öffentlich bekräftigt wurde. Vgl. Heinrich Appelt (Hg.): Die Urkunden Friedrichs I. 1158 – 1167. Hannover 1979, S. 37 f. Offiziell wird das Gesetz als Authentica unter dem Titel Ne filius pro patre (C. 2. 27. 1) geführt, die Bezeichnung nach dem ersten Wort ist jedoch etabliert.  Daneben steht das Schutzprivileg für die Universität Paris, das um 1200 vom französischen König Philipp II. ausgefertigt wurde. Auch dieses wird – spätestens im sekundären Diskurs des 19. Jahrhunderts – als Gründungsurkunde inszeniert, thematisiert aber bezeichnenderweise die Schutzbedürftigkeit der Anreise nur marginal und bei weitem nicht so evokativ wie das Privileg für Bologna. Vgl. Frank Rexroth: Privilegien. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 129 – 138, hier S. 129 f. Ed. in Chartularium Universitatis Parisiensis. Bd. 1, hg. von Heinrich Denifle. Paris 1889, S. 59 – 61.  Vgl. Pearl Kibre: Scholarly Privileges in the Middle Ages. The Rights, Privileges, and Immunities, of Scholars and Universities at Bologna, Padua, Paris, and Oxford. London 1961, S. 10 f. und ausführlich Walter Ullmann: The Medieval Interpretation of Frederick I’s Authentica Habita. In: L’Europa e il Diritto Romano. Studi in Memoria di Paolo Koschaker. Band 1. Mailand 1954, S. 99 – 136, hier S. 101– 110.

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht

337

gegenüber anderen privilegia (z. B. zum Schutz von Juden oder Kaufleuten) aus dem Rahmen, indem es nicht an eine spezielle historische Körperschaft adressiert, sondern universell auslegbar ist, sich also als „als ein allgemeines Gesetz zugunsten einer Bevölkerungs- und Berufsgruppe stilisiert“.¹⁹⁹ Die Bologneser universitas repräsentiert dabei allenfalls den Anlass. Weiter sollte das Gesetz als Authentica explizit in den Codex Iustinianus und damit in das Corpus iuris civilis aufgenommen werden, in den es sich als lex novella, welche die Behandlung von speziellen Ständen betraf, auch gut integrierte.²⁰⁰ Friedrich inszeniert sich durch die Generalität des Gesetzes als Schutzherr über alle Gelehrten, denen er eine eminente Rolle für die Welt zuspricht. Dass äußere Gründe eine Rolle spielten, zeigt auch der Umstand, dass die explizite Hervorhebung der reisenden Scholaren den Paragraphen im Codex Iustinianus zufolge eigentlich überflüssig ist. Durch den Erlass stärkte der römisch-deutsche König in Bologna vornehmlich das römische (Zivil‐)Recht gegenüber dem kanonischen (Kirchen‐)Recht und damit auch die Position nicht-italienischer Juristen – seiner zukünftigen eigenen ‚Rechtsberater‘.²⁰¹ Anzumerken ist weiter, dass in der Person der rechtsgelehrten Hochschullehrer die wichtigsten Ausleger des Gesetzes mit den Betroffenen zusammenfallen. Inhaltlich knüpft Friedrich I. durch das Gesetz als eine lex generalis et in eternum valitura ²⁰² an das Vorbild der antiken Caesaren an, was umso brisanter wird, wenn man bedenkt, dass die Promulgation unmittelbar der Kaiserkrönung vorausgeht.²⁰³ Die Authentica ‚Habita‘ bleibt also mehr ein politischer als ein rechtspraktischer Text; sie gewinnt und behält im Folgenden „als Kaiserrecht ein Eigenleben“,²⁰⁴ was auch durch die schnelle Sicherung in einem Codex evident wird. So wird die Urkunde immer wieder abgeschrieben und „zumindest seit dem 13. Jahrhundert Gegenstand des Unterrichts und der gelehrten Erörterung“,²⁰⁵ jedoch selten bis nie in einem Rechtsstreit wirksam. Selbst wenn es naheliegen würde, sich auf die Authentica zu beziehen, wird sie nicht zitiert, wie etwa im Streit der Universität Bologna mit den Stadtoberen 1217.²⁰⁶ Das Gesetz hat also nicht primär das Ziel, einen juristischen

 Classen: Studium und Gesellschaft, S. 250.  Vgl. Classen: Studium und Gesellschaft, S. 250. Neben der Habita wurde nur ein anderes Gesetz (Sacramentum puberum) Kaiser Friedrichs I. als Ergänzung des Codex Iustinianus und damit als Änderung des älteren Kaiserrechts promulgiert. Vgl. Peter Weimar: Die legistische Literatur der Glossatorenzeit. In: Helmut Coing (Hg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Mittelalter (1100 – 1500). Die Gelehrten Rechte und die Gesetzgebung. München 1973, S. 129 – 260, hier S. 161.  Ullmann: The Medieval Interpretation, S. 108 – 111.  Vgl. Die Urkunden Friedrichs I., hg von Appelt, S. 39, Z. 25.  Vgl. Stelzer: Scholarenprivileg, S. 153 – 162.  Stelzer: Scholarenprivileg, S. 162.  Classen: Studium und Gesellschaft, S. 250; Beispiele in Ullmann: The Medieval Interpretation, S. 99 – 136.  Vgl. dazu Classen: Studium und Gesellschaft, S. 250.

338

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Sachverhalt zu klären, vielmehr soll es ein Muster bieten, auf das man sich beziehen kann. Es soll als tradendum wahrgenommen werden. Diese Eigenschaft bestärkt ein zweiter, etwa zeitgleicher Überlieferungsweg desselben Inhalts im panegyrischen Heldenepos Carmen de gestis Frederici I. imperatoris in Lombardia (nach 1160).²⁰⁷ Hier wird ein Zusammentreffen Friedrichs mit den Magistern von Bologna geschildert. Die Magister thematisieren hier neben dem Eifer und dem Einsatz für die Studien (vv. 476 – 485) vor allem das Problem der Ersatzleistung für Landsleute (vv. 487– 493). Der Inhalt des Gesetzes wird schließlich so zusammengefasst, dass man am Studienort, auf dem Weg dorthin und auf dem Rückweg nicht behindert werden dürfe und dass es verboten sei, jemanden zu zwingen, für die Schulden von Landsleuten aufzukommen.²⁰⁸ Insgesamt ist das Treffen mit den Professoren aber nur als eine Einzelepisode in die Geschichte der heroischen Italienreise Friedrichs eingefügt. Während im Heldenepos der panegyrische Gehalt stets evident bleibt, verblasst die implizite Textintention der Authentica ‚Habita‘ als Propagandainstrument zunehmend. Stattdessen führt die weiträumige Verbreitung des Inhalts zu einer Prägung des diskursiven Wissens und zu einer Erfüllung der Textintention. Damit hat die Authentica ‚Habita‘ zwar eine marginale rechtspraktische, aber dennoch ein enormes diskursprägendes und musterbildendes Potential für die libertas scholarium (v. a. der Angehörigen der Universität Bologna).²⁰⁹ Diese Freiheit hat in der Vormoderne nichts mit der akademischen Freiheit von Forschung und Lehre zu tun,²¹⁰ sondern bezeichnet vielmehr eine Anzahl rechtlicher Vorzüge, die der universitas magistrorum et scholarium zukam.²¹¹ Die Authentica ‚Habita‘ beschränkt sich diesbezüglich auf drei Aspekte: (1) das Verbot, Universitätsangehörige für die Missetaten (debita oder delicta)²¹² von Landsleuten zu belangen, (2) die Wahl des Gerichtsstandes im Falle eines Prozesses und (3) die Sicherheit auf dem Weg zum Studienort. Neben der Rechtssicherheit gegen Repressalien, die für die Betroffenen sehr, für die vorliegende Fragestellung aber weniger interessant ist, be-

 Carmen de gestis Frederici I. imperatoris in Lombardia, hg von Irene Schmale-Ott. Hannover 1965  Legem promulgat, que sit tutela legentum, | Scilicet ut nemo studium exercere volentes | Impediat stantes nec euntes nec redeuntes, | Nec pro vicino, qui nullo iure tenetur, | Solvere cogatur, quod non debere probatur (vv. 495 – 499).  Damit fügt sie sich in eine Reihe von Gesetzen ein, die dieses Ziel v. a. im 13. Jahrhundert verfolgen. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Bologneser Tradition im 13. Jahrhundert vor allem auf das privilegium scholasticum Friedrich I. stützt, während in Frankreich (v. a. in Paris und Toulouse) eigene Diskussionen über eine libertas scholarium geführt wurde. Vgl. Classen: Studium und Gesellschaft, S. 241– 246, vgl. auch Ullmann: The Medieval Interpretation und Rainer Christoph Schwinges: Libertas scholastica im Mittelalter. In: Rainer A. Müller, Tina Mauer und Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Wissenschaftsfreiheit in Vergangenheit und Gegenwart. Basel 2008, S. 1– 16, hier S. 7 f.  Vgl. Classen: Studium und Gesellschaft, S. 283 und Schwinges: Libertas scholastica, S. 1– 16.  Classen: Studium und Gesellschaft, S. 245.  Die beiden Wörter, die paläographisch leicht austauschbar sind, finden sich in den Handschriften. Eine eindeutige Entscheidung ist nicht möglich. Vgl. Stelzer: Scholarenprivileg, S. 163 f.

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht

339

trifft ein zentrales Moment dieser libertas gerade auch die Mobilität der Scholaren, die als Reisende und Fremde eine rechtliche Absicherung bekommen sollten.²¹³ Damit thematisiert der Text einige Merkmale, die für die Behandlung von mobilen Scholaren in späteren Jahrhunderten konstitutiv waren, indem sie tradierbare Muster zur Verfügung stellen. Einleitend definiert das Gesetz seinen Gegenstand, die Universitätsbesucher, wobei der Besuch der Universität dezidiert als eine peregrinatio gilt, eine Reise in die Fremde oder ein Aufenthalt in der Fremde: omnibus qui causa studiorum peregrinantur, scolaribus et maxime divinarum atque sacrarum legum professoribus hoc nostre pietatis beneficium indulgemus, ut ad loca, in quibus litterarum exercentur studia, tam ipsi quam eorum nuntii veniant et habitent in eis securi.²¹⁴

Im Gegensatz zu den beiden anderen juristischen Punkten appelliert die Authentica bei der Behandlung der Reisesicherheit der Scholaren emphatisch an die Barmherzigkeit der Menschen: Quis eorum non misereatur, cum amore scientiae facti exules de divitibus pauperes semetipsos exinaniunt, vitam suam omnibus periculis exponunt, et a vilissimis sepe hominibus – quod graviter ferendum est – corporales iniurias sine causa perferunt? ²¹⁵

Es ist weiter auffallend, dass diese Stelle die Professoren nicht anführt, sondern nur das Narrativ des armen Scholaren, der aus Liebe zur Wissenschaft Entbehrungen und Gefahren auf sich nimmt. Es stehen sich zwei Räume gegenüber: Im Raum der Heimat sei der Scholar reich, sicher und durch sein Indigenat in einem geschützten Rechtsraum gewesen, im Raum der Fremde aber befinde er sich im Exil, in dem der Scholar arm, gefährdet und ungerechtem Verhalten ausgesetzt sei. Doch das exilium sei die Bedingung für den Zugang zur scientia, durch welche die ganze Welt erstrahle: quorum scientia mundus illuminatur. ²¹⁶ Dabei ist die Ausdrucksweise weniger rechtspraktisch nüchtern, sondern deutlich religiös semantisiert (peregrinatio, misericordia, illumi-

 Kibre: Scholarly Privileges, S. 9: „Hence as foreigners, their position might become extremely difficult and precarious. The increasing tendency in the twelfth century for scholars to travel long distances to attend famous schools or to sit at the feet of noted scholars appears to have brought this matter to the fore.“  Die Urkunden Friedrichs I., hg. von Appelt, S. 39, Z. 14– 18; Übers. P. R.: ‚Lasst uns allen Scholaren, die um der Wissenschaft willen in die Ferne reisen, und den Professoren der allergöttlichsten und heiligen Rechte unsere wohltätige Gnade dahingehend erweisen, dass sowohl sie selbst als auch ihre Boten zu den Orten, an denen sie eifrig Wissenschaft betreiben, wohlbehalten gelangen und an diesen ohne Gefahr wohnen können.‘  Die Urkunden Friedrichs I., hg. von Appelt, Z. 21– 24; Übers. P. R.: ‚Wer könnte sich nicht derer erbarmen, die aus Liebe zur Wissenschaft heimatlos wurden, sich selbst von Reichen zu Armen machen und so auf alles verzichten, die ihr eigenes Leben allen Gefahren aussetzen und häufig vom Straßengesindel – kaum zu ertragen – schuldlos ungerechte körperliche Züchtigungen erdulden.‘  Die Urkunden Friedrichs I., hg. von Appelt, S. 39, Z. 19 f.

340

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

natio). Diese religiöse Konnotation ist auch der paupertas als imitatio Christi und der Heiligen inhärent. Der Scholar wird mithin als Märtyrer für die Wissenschaft gestaltet, der für einen höheren Zweck – für das Wohl der Welt – das Leiden auf sich nimmt. Damit geben die Rechtsgelehrten ein Plädoyer ab, das dem Ideal einer monastischen stablitas loci widerspricht. Das Gesetz hat zum Ziel, die Scholaren in ihrer aktualen Lebenswelt zu protegieren. Ebenso soll es eine geläufige Praxis legitimieren und sogar implizit priorisieren. Denn die akademische Mobilität war nicht nur ganz unmittelbaren Gefahren ausgesetzt, sondern bedurfte auch einer theologischen Erklärung. Der Gelehrte war als clericus und damit als Teil des Rechtsbereichs der Kirche eigentlich zur Ortsbeständigkeit angehalten, zugleich war die weite Anreise notwendig für den Universitätsbesuch, v. a. für die deutschen Universitätsbesucher vor der Gründung der ersten Reichsuniversität in Prag 1380. Den Bologneser Professoren musste eine privilegierte Reisesicherheit ebenso angelegen sein wie Friedrich I. als römisch-deutschem König.²¹⁷ Dass die Darstellung der ‚Habita‘ dramatisch überzeichnet ist, ist offensichtlich.²¹⁸ Denn ebenso wie die Ortsfestigkeit der Mönche ein übergeneralisiertes späteres Narrativ ist, welches vornehmlich die Scholastik prägte, bedeutete auch der Besuch der Universität „in jener Zeit keineswegs ein Loslösen aus den Bindungen der Herkunft“.²¹⁹ Vielmehr war der Abreisende stets in ein „engmaschiges Beziehungsnetz“²²⁰ eingebunden. So wurde der Student vor Ort in heimatliche Netzwerke integriert und in eine der nationes ²²¹ und in späteren Zeiten je nach Einfluss seines Patrons und Vermögens in eines der Kollegien oder in ein Hospiz (hospitium) bzw. eine Burse (bursa) aufgenommen.²²² Diese Eingliederung war für den mittelalterlichen Studenten es-

 Vgl. Kibre: Scholarly Privileges, S. 11.  Ullmann: The Medieval Interpretation, S. 107 formuliert treffend: „Whether the narration of the poet who depicted the scenes before Bologna in 1055 in a rather dramatic form had any factual basis is still more doubtful after the real motives of the emperor are set into proper perspective.“  Rainer Christoph Schwinges: Migration und Austausch. Studentenwanderungen im Deutschen Reich des Späten Mittelalters. In: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.): Migration in der Feudalgesellschaft. Frankfurt a. M., New York 1988, S. 141– 155, hier S. 141.  Schwinges: Studentenwanderungen, S. 141; vgl. auch Schwinges: Gelehrtendynastien, S. 54– 62 und 67– 70.  Unter den nationes versteht man Zusammenschlüsse der Studenten nach deren Herkunftsort. Während in Bologna bereits die universitates nach der Herkunft in eine citramontanorum und eine ultramontanorum aufgeteilt wurde, wurde die Universität von Lérida in zwölf nationes unterteilt und auch die Universität Prag hatte noch vier nationes (Tschechen, Böhmen, Bayern und Sachsen). In der ‚regional-nationalen Phase‘ der Universitäten wurden die nationes meist unbedeutend und lösten sich auf. Vgl. Aleksander Gieysztor: Organisation und Ausstattung. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 109 – 138, hier S. 114 f.  Die Kollegien stellen eine Art Internat dar, wobei der Stifter den Mitgliedern aus religiösen (Gebet für das Seelenheil) oder sozialen (familiale Bindung) Gründen ein Stipendium, reiche Ausstattung, Kost und Logis gewährt. In Hospitien, deren Entsprechung im deutschen Raum die Bursen waren, musste hingegen ein regelmäßiges Kost-, Wohn- und Schulgeld bezahlt werden. Beide Systeme haben gemeinsam, dass die Mitglieder eine enge Lebens- und Lerngemeinschaft bildeten, an einen strengen

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht

341

sentiell, denn im Gegensatz zur Moderne, in der die Universität durch ein Gebäude versinnbildlicht wird, war es im Mittelalter die Magister-familia. Wenn der neue Student nun in eine der Bursen eintreten musste, dann war „dieser Magisterzwang, nicht aber der Bursenzwang das entscheidende Kriterium seiner sozialen und nicht bloß räumlichen Bindung an die Universität.“²²³ Auch die Armut der Scholaren ist vornehmlich topisch, vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Universitätsbesucher, gerade in den norditalienischen Juristenschulen von Stand oder zumindest ausreichend vermögend war, für die hohen Lebenshaltungskosten der Städte aufzukommen.²²⁴ Sie waren daher keineswegs – auch nicht am Studienort – von ernster Armut geplagt. Bei der Mobilität, die eng mit der Vorstellung eines gefahrvollen exilium verbunden ist, und der paupertas der Scholaren handelt es sich um zwei konstitutive Faktoren eines populären Narrativs vom Scholaren. Auch wenn der Ursprung des Narrativs natürlich nicht in der Authentica ‚Habita‘ zu finden ist, liefert diese doch ein wichtiges Muster, auf welches sich spätere Verfasser beziehen konnten. So diente sie als Ansatzpunkt zahlreicher gelehrter (v. a. juristischer) Reflexionen über Standesprivilegien. Die umfangreichste Abhandlung zu den Privilegien des Gelehrtenstandes stammt von dem Juristen Pierre Rebuffi und wurde 1540 unter dem Titel De scholasticorum, bibliopolarum atque ceterorum universitatum omnium ministrorum iuratorumque privilegiis in Paris gedruckt.²²⁵ Nachdem Rebuffi umfassend in Buch I die Rechte (privilegia) und in Buch II die Pflichten (necessaria) der Gelehrten abhandelt, folgt in Buch III ein umfangreicher Wortkommentar zur Authentica ‚Habita‘. Damit erscheint dieser Text „als ein entscheidendes Glied, das antikes Kaiserrecht mit dem mittelalterlichen Universitätsrecht verbindet“;²²⁶ dazu strahlt er auf die zeitgenössische Rechtpraxis der Frühen Neuzeit aus. Schon in den ersten Privilegien des Traktats spitzt Rebuffi einige der Ergebnisse zu, die in der Authentica des 12. Jahrhunderts nur Tagesablauf gebunden waren und von einem Rektor geleitet wurden, der hier auch oft Lehrveranstaltungen leitete. Die Möglichkeit außerhalb der Bursen zu leben,wurde vor allem in den deutschen Städten zur Kontrolle der Studenten meist verhindert. Adlige Universitätsbesucher hingegen residierten meist privat oder bei ihren Gönnern. Vgl. Schwinges: Der Student in der Universität, S. 198– 206.  Rainer Christoph Schwinges: Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland. In: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium in sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986, S. 527– 564, hier S. 535.  Vgl.Werner Maleczek: Deutsche Studenten an Universitäten in Italien. In: Siegfried de Rachewiltz und Josef Riedmann (Hg.): Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert). Sigmaringen 1995, S. 77– 96, hier S. 81 f.  Pierre Rebuffi: De scholasticorum, bibliopolarum atque ceterorum universitatum omnium ministrorum iuratorumque privilegiis Liber I. De his quæ literarum studiosis necessaria sunt Liber II. Tertius Auten. habita. Paris: Pierre Vidoue 1540 (BP16 109953). Zum Autor und zu Bedeutung, Verbreitung und weiteren Auflagen des Textes (Traktat und Kommentar) vgl. Classen: Studium und Gesellschaft, S. 246 (Anm. 16) und Kibre: Scholarly Privileges, S. 13 – 17 und 334. Als Reaktion und Kritik auf Rebuffi verfasst Horatius Lutius 1564 einen Tractatus de privilegiis studentium und lässt ihn 1625 in Frankfurt drucken.  Classen: Studium und Gesellschaft, S. 248.

342

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

implizit bleiben. So betont das erste Privileg, dass die Scholaren an Feiertagen arbeiten dürften,²²⁷ und das zweite Privileg, dass sie in Kirchen studieren dürften;²²⁸ Daraus folgert Rebuffi in explizitem Anschluss an die Authentica ‚Habita‘,²²⁹ dass Wissenschaft eine Form des Gottesdienstes sei: vbi studium dicitur labor spiritualis, sed spiritualia illis festis exercentur, vt patet, ergo et studium. ²³⁰ Anschließend folgen ganz lebensweltliche Privilegien wie eine Bevorteilung im Mietrecht, bei der Lebensmittelversorgung, im Prozessrecht etc.²³¹ Bei der expliziten oder impliziten Berufung auf das Gesetz des 12. Jahrhunderts zeigt er ein affirmatives Traditionsverhalten. Durch den Umstand, dass die ‚Habita‘ sehr schnell auch Teil des Codex Iustinianus (und damit Teil des später so benannten Corpus Iuris Civilis) wurde, galt sie ohnehin als ultimativer juristischer Referenzpunkt und autoritatives Muster. Insgesamt schreiben sich die Kommentatoren und Glossatoren ab dem 12. Jahrhundert in einen Prozess ein, der das Ziel einer Selbstinszenierung des Gelehrtenstandes als privilegierte Gruppe einer nobilitas literaria hat²³² und zur militia armata (dem gebürtigen Ritteradel) eine militia inermis (den zivilen Gelehrtenadel) ergänzt.²³³ Der (Rechts‐)Gelehrte trage im Frieden ‚Kämpfe‘ mit ähnlichen virtutes aus wie der Ritter im Krieg; die Qualitäten von virtus und militia werden mithin

 Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 3 in marg.: Diebus etiam festis scolastici studere debent.  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 13 in marg.: In templo an sit studendum et quando.  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 6: sed mundus sine scientia regi non potest. vt in hac auten. dicitur, ergo his diebus potest exerceri literarum studium. Classen: Studium und Gesellschaft, S. 247 expliziert, dass in der Authentica nicht von einer ‚Regierung‘ der Welt, sondern von einer ‚Illuminierung‘ der Welt die Rede ist.  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 5; Übers. P. R.: ‚Wenn das Studium eine geistliche Arbeit ist, Geistliches aber offensichtlich an jenen Feiertagen ausgeübt werden dürfe, dann gilt das also auch für das Studium.‘  Zusammenfassend dazu Classen: Studium und Gesellschaft, S. 248.  Vgl. Mario Ascheri: La Nobiltà dell’Università Medievale nella Glossa e in Bartolo de Sassoferrato. In: Angela de Benedictis: Sapere e/è potere. Discipline, Dispute e Professioni nell’Università Medievale e Moderna. Il Caso Bolognese a Confronto. Bd 3. Bologna 1990, S. 239 – 268 und Marian Füssel: A Struggle for Nobility. ‚Nobilitas literaria‘ as Academic Self-Fashioning in Early Modern Germany. In: Richard Kirwan (Hg.): Scholarly Self-Fashioning and Community in the Early Modern University. Farnham u. a. 2013, S. 103 – 120.  Hi [sc. advocati] dicuntur non tantum advocati, sed et rogati, et causarum patroni, et milites, inermi militia id est literatoria militantes. Zitiert nach Placentinus: Summa Codicis. Mainz 1536 (ND, hg. von Francesco Calasso Turin 1962), S. 52 (ad C. 2,7: De advocatis diversorum ivdiciorvm); Übers. P. R.: ‚Sie heißen nicht nur Anwälte, sondern auch Berater, Patrone der Prozessangelegenheiten und Krieger ohne Waffen, d. h. sie kämpfen mit dem Wort.‘ Die Summa Codicis wurde von Rogerius in Montpellier begonnen und von Placentinus fortgeführt. Dieser vollendete um 1165 die Bücher I–IX, die meist als eine Einheit überliefert wurden. Die gesondert überlieferten Bücher X–XII (Summae Trium Librorum) wurden von Placentinus und Pilus fortgeführt, jedoch erst von Ronaldus de Luca 1197 vollendet. Bei der Summa des Placentinus handelt es sich um eines der wichtigsten Stücke der Rechtsliteratur bis zur Summa Codicis des Azo Portius von Bologna, der viele Inhalte (so auch die im Folgenden zitierte Passage) zum Teil wortgetreu weiterführte. Zu den Glossatoren vgl. Weimar: Literatur der Glossatorenzeit, S. 201– 205.

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht

343

auf den zivilen Bereich übertragen. Damit kommt es zu einer Erweiterung der „traditionelle[n] Opposition von moralphilosophisch begründetem Tugendadel und mit politischer Geltung versehenem Geburtsadels (‚nobilitas generis‘) um den Princepsund den Doktorenadel (‚nobilitas politica‘ bzw. ‚nobilitas scientiae sive literaria‘).“²³⁴ Vor allem der Stand des Rechtsgelehrten etablierte sich im Laufe des Spätmittelalters zu einer Möglichkeit vertikaler sozialer Mobilität, zumal zwar viele Adlige die Rechtsstudien betrieben, der Stand jedoch vom Bürgertum geprägt war, das sich sozialen Aufstieg erhoffte.²³⁵ Dieser Umstand wird neben der juristischen Diskussion auch in der ikonographischen Selbstinszenierung der Gelehrten deutlich²³⁶ und entzündet in der Frühen Neuzeit den Streit über das Auftreten der Studenten à la mode. ²³⁷ Auch wenn bis zu den Reichsabschieden um 1500 eine deutliche Annäherung des Gelehrtenstandes an den Geburtsadel evident ist,²³⁸ kommt es doch nie zu einer Gleichsetzung.²³⁹ Interessant ist an diesem Prozess einer Nobilitierung des Gelehrtenstandes (die sich weitgehend auf die Juristen beschränkte), dass der Umstand der Mobilität sekundär bleibt und nur auf die entbehrungsreiche Entfernung von der patria abhebt. Rebuffi kommentiert die Textstelle Quis eorum non misereatur, cum amore scientiae facti exules der Authentica ‚Habita‘ mit Verweis auf Cicero (off. I, 57) und die Passage von Jesus im Tempel (Lk 2,41– 52).²⁴⁰ Damit interpretiert er die Mobilität des Studenten

 Klaus Bleeck und Jörn Garber: Nobilitas. Standes- und Pivilegienlegitimation in deutschen Adelstheorien des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Daphnis 11 (1982), S. 49 – 114, hier S. 75. Ein präziser und quellenreicher Nachvollzug von Quellen zu dieser Frage aus der juristischen Kommentar- und Glossarliteratur findet sich in Hermann Fitting (Hg.): Das Castrense Peculium in seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen gemeinrechtlichen Geltung. Halle 1871, S. 543 – 609.  Vgl. Filippo Ranieri: Vom Stand zum Beruf. Die Professionalisierung des Juristenstandes als Forschungsaufgabe der europäischen Rechtsgeschichte der Neuzeit. In: Ius commune 13 (1985), S. 83 – 105, hier S. 94 f. und Ingrid Baumgärtner: De privilegiis doctorum. Über Gelehrtenstand und Doktorwürde im späten Mittelalter. In: Historisches Jahrbuch 106 (1986), S. 298 – 332, hier S. 301 f.  Vgl. Andrea von Hülsen-Esch: Gelehrte im Bild. Repräsentation, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen Gruppe im Mittelalter. Göttingen 2006, S. 194– 201 und Marian Füssel: Talar und Doktorhut. Die akademische Kleiderordnung als Medium sozialer Distinktion. In: Barbara Krug-Richter und Ruth-Elisabeth Mohrmann (Hg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa. Köln 2009, S. 245 – 271.  Texthinweise in Philip Ajouri: Ökonomische Semantik in Texten der Alamodekritik von ca. 1628 – 1675. In: Sandra Richter und Guillaume Garner (Hg.): „Eigennutz“ und „gute Ordnung“. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2016, S. 187– 206.  Z. B. im Reichsabschied von 1500, Tit. 23, § (5–)8. Vgl. auch Fitting: Castrense Peculium, S. 586 f.  „Although academics continued to fashion themselves as real nobles inside the ivory tower, they could not succeed in the expanding hierarchy of the apparatus of the absolutist state“; Füssel: A Struggle for Nobility, S. 120. Füssel betont weiterhin, dass sich dieser Prozess des Self-Fashioning als Assimilierung an den Adel im Laufe der Aufklärung in stärker bürgerliche Bahnen gelenkt wird; dabei betont er die Tugenden sparsamer Einfachheit, verdienstvoller Disziplin und intellektueller Leistung.  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 510 f.: studiosi scientiae amore peregrinantes patriam, ac omnes parentes relinquunt, et ideo imperator hoc sciens, dicit hic, quis eorum non misereatur? Exemplo Christi, qui reliquit parentes, vt audiret doctores; Übers. P. R.: ‚Die Studenten sind aus Liebe zur Wis-

344

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

als imitatio Ciceronis und imitatio Christi. Eine höhe Aufwertung ist für einen Humanisten schwer möglich.

9.2.2 Kriminalisierung von Vaganten und Simulanten in universitären Disziplinargesetzen Die Bemühungen, den Gelehrtenstand zu nobilitieren und generell die Mobilität der Studenten aufzuwerten, tendieren nun in den meisten Fällen auch dazu, eine ‚falsche‘ Mobilität, die vagatio, abzuwerten. Rebuffi formuliert als zehntes necessarium für die Privilegien der Scholaren: Decimo requiritur, quod continue chartis inuigilet, et non sit vagus. ²⁴¹ Er vergleicht gemäß einer seit dem Glossator Accursius im 13. Jahrhundert geläufigen Argumentationsweise die Gelehrten mit den Rittern: Wie kein vagierender Knappe zum Ritterstand gelange, so werde kein vagierender Scholar zum Magister: nullus tyro vagus ad militiam accedebat und vagus scolaris non fiet magister. ²⁴² Verschiedene Verhaltensweisen des unsteten Studenten malt Rebuffi noch weiter aus: contra scolares, qui animo præsenti non aduertunt ad lectiones, sed sunt in studio numerantes tegulas domus, et castra facientes, ac (vt adagio dicitur) animum in patinis habentes, nam tales parum in studio proficiunt […] ideo totis neruis fugere debet scholasticus, ne cubicula et studia sua supra vias publicas habeat, tum propter murmur assiduum transeuntium, tum ne a mulieribus, eas per fenestras conspiciendo, distrahatur, et corrumpatur²⁴³

senschaft fern der Heimat und lassen ihre Eltern zurück. Da der Kaiser das weiß, hat er daher Folgendes gesagt: ‚Wer könnte sich ihrer nicht erbarmen?‘ Sie folgen dem Beispiel von Christus, der seine Eltern verlassen hat, um die Gelehrten zu hören.‘  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 413; Übers. P. R.: ‚Zehntens fordert man, dass er ständig und unermüdlich und beständig bei den Schriften sei.‘ In marg.: Scolaris studeat, et non uagetur.  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 313; Übers. P. R.: ‚Kein unsteter Rekrut wurde zum Soldaten‘ und ‚Kein unsteter Schüler wird zum Lehrer werden.‘. Das erste (unvollständige) Zitat geht zurück auf den Codex Iustinianus XII, 43 De tironibus 1: Codex Iustinianus, hg. von Paul Krüger und Theodor Mommsen. Hildesheim 1892, S. 477. Das zweite geht zurück auf die glossa ordinaria zur Stelle. Rebuffi nutzt qui non fiet magister geradezu als Epitheton von vagus; vgl. z. B. Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 475 oder 343.  Rebuffi: De scholasticorum privilegiis, S. 396 f.; Übers. P. R.: ‚gegen Studenten, die sich trotz Anwesenheit nicht auf die Vorlesung konzentrieren, sondern eifrig damit beschäftigt sind, die Dachziegel zu zählen und (Luft‐)Schlösser zu bauen und (wie man sprichwörtlich sagt) ihre Gedanken in der Schüssel zu haben [Ter. Eun. 816], denn solche Menschen machen beim Studium keine Fortschritte. […] Deshalb muss der Schüler mit ganzer Kraft vermeiden, dass sein Aufenthalts- und Studienort oberhalb der öffentlichen Straßen ist und er bald wegen des anhaltenden Gemurmels der Passanten, bald vom Anblick der Frauen in den Fenstern von der Arbeit abgehalten und gänzlich verdorben wird‘

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht

345

Aus den angeführten Gründen sei der unstete Student von verschiedenen Privilegien auszuschließen und stehe als gesellschaftsgefährdende Person außerhalb des Gelehrtenstandes.²⁴⁴ Mit untätigen Studenten und Hochstaplern, die den Gelehrenstand nur vorspiegeln, um Privilegien zu erlangen, beschäftigt sich auch die universitäre Gesetzgebung: Nach der Sezession der Pariser Magister nach Angers von 1229 – 1231 nennt Papst Gregor IX. der Universität Paris – ohne freilich Widerspruch zu dulden²⁴⁵ – im Jahr 1231 einige Vorschläge zur Rekonstitution der Körperschaft und Revision der Statuten. Der Papst regelt dabei die Wahl des Kanzlers, die Examinierung von Magistern, den Lehrplan und den Umgang mit normwidrigem Verhalten und betont damit die Bedeutung von Ortsfestigkeit und Ruhe. Deshalb bestimmt er, dass die Sommerferien nicht länger als einen Monat sein sollen, dass die Studenten nicht bewaffnet durchs Land ziehen dürfen²⁴⁶ und vor allem Folgendes: Et illi, qui simulant se scolares, nec tamen scolas frequentant nec magistrum aliquem profitentur, nequaquam scolarium gaudeant libertate. ²⁴⁷ Abschließend bekräftigt der Papst die Scholarenprivilegien des französischen Königs.²⁴⁸ Disziplinargesetze wie das von Paris finden sich auch in den Statuten vieler anderer Universitäten. So wurde beispielsweise in Heidelberg im Januar 1387 drei Monate nach dem offiziellen Gründungsakt der Universität festgelegt, dass als Scholar der Universität nur der gelten solle, der regelmäßig die Vorlesungen besuche.²⁴⁹ Dieses Statut wurde im Juni/Juli 1387 präzisiert: Preterea fuit statutum, quod nullus magister testificatur aliquem esse scolarem suum, nisi sciret eum vere scolarem suum cottidie ipso legente suas lecciones audientem sine fraude, ne privilegia

 So wird der vagus vom Privileg III (Mietrecht) und CLXV (Arbeit von zu Hause) explizit ausgeschlossen. Vgl. die Darstellung im Weltspiegel oder Narrenschiff (1574) in Kapitel 5.2.2.  Dies wird besonders in folgender Formulierung am Ende des Schreibens deutlich: Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam nostre provisionis, constitionis, concessionis, prohibitionis et inhibitionis infringere vel ei ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum ejus se noverit incursum; Chartularium Universitatis Parisiensis, S. 139.  Porro vacationes estive non extendantur decetero ultra mensem, sed vacationem tempore bachellarii si voluerint suas continuent lectiones. Inhibemus autem expressius, ut scolares per civitatem armati non vadunt, et turbatores pacis et studii Universitas non defendat. Chartularium Universitatis Parisiensis, S. 138.  Chartularium Universitatis Parisiensis, S. 138; Übers. P. R.: ‚Jene Personen, die vorgeben Scholaren zu sein, ohne regelmäßig die Schulen zu besuchen und sich offen irgendeinem Lehrer anzuschließen, sollten keinesfalls die Scholarenfreiheit genießen dürfen.‘  nos generalis ecclesie necessitate ac hutilitate pensata volumus et mandamus, ut postquam a carissimo in Christo filio nostro … illustri rege Francorum magistris et scolaribus privilegia exhibita fuerint et de ipsorum malefactoribus emende taxate, Parisius licite studeant nulla prorsus de mora vel reditu infamia vel irregulitate notanda; Chartularium Universitatis Parisiensis, S. 139. Gregor bezieht sich wohl auf das Scholarenprivileg von 1200. Ed. in Chartularium Universitatis Parisiensis, S. 59 – 61.  Fuit statutum, quod nullus reputaretur scolaris universitatis, nisi haberet magistrum actu regentem, cuius lecciones fideliter audiret sine fraude; Rektorbücher, hg. von Miethke, S. 156.

346

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

bonorum scolarium in favorem concessa vagis scolaribus sive non veris occasio forent delinquendi.²⁵⁰

Der scholaris vagus entspricht also nicht dem scholaris non verus, dem betrügerischen Hochstapler der Pariser Universitätsstatuten. In den Heidelberger Universitätsakten sind scholares vagi meist spezifiziert als noctivagi oder vagabundi. Es handelt sich bei ihnen weniger um örtlich, denn mehr um moralisch unzuverlässige Studenten; diese ziehen nachts randalierend, lärmend und manchmal bewaffnet durch die Straßen und stören die Ordnung.²⁵¹ Dies scheint der Zahl der aktenkundigen Fälle nach zu urteilen ein rekurrentes Problem gewesen zu sein, das gehäuft auftritt, nachdem im Oktober 1393 von den Magistern aller Fakultäten einstimmig ein Statut erlassen wurde, welches das Tragen von Waffen und das Randalieren von Studenten verbietet und diese im Fall einer Übertretung dem Rechtsschutz der Universität entzieht.²⁵² In verschiedenen Nachträgen (Oktober 1393, Dezember 1393 und März 1394) werden die ein Waffenverbot betreffenden Statuten von 1387 und 1393 ausgelegt und im August 1394 recht plastisch auf jede Form des Krawalls erweitert: contra vagabundos et de nocte discurrentes scolares et eorum servitores tumultus, clamores, insolencias facientes sine armis incidentes ligna, vasa, carrucas pervertentes vel cum lapidibus proicientes porcos fugantes et quoscumque alios actus illicitos facientes. ²⁵³ Aus den Rektoratsakten ist schließlich der konkrete Fall der Studenten Werner Fabri aus Lorch und Konrad Kuno extrahierbar, die wegen wiederholten Übertretens des nächtlichen Ausgehverbots im Oktober 1394 temporär aus der Universität ausgeschlossen, im November aber wieder begnadigt wurden.²⁵⁴

 Rektorbücher, hg. von Miethke, S. 164; Übers. P. R.: ‚Außerdem gab es die Verordnung, dass kein Professor bezeugen dürfe, dass jemand sein Student sei, wenn er nicht wüsste, dass er wirklich jeden Tag ohne Betrug, wenn er selbst seine Vorlesungen hielt, diese gehört habe, damit das Privileg, das zugunsten der tüchtigen Studenten ausgesprochen wurde, fahrenden oder falschen Studenten nicht die Gelegenheit des Betrugs gäbe.‘  Im Frühneuhochdeutschen wird dieses nächtliche Umherschweifen der Studenten konkret bezeichnet als ‚gassatum gehen‘ oder ‚gassieren‘. Vgl. FWB 6, Sp. 140 f. und 144 f.  Vgl. Rektorbücher, hg. von Miethke, S. 175 f.  Vgl. dazu Rektorbücher, hg. von Miethke, S. 176 – 178 und S. 206, zit. S. 178; Übers. P. R.: ‚Gegen Herumtreiber und Nachtschwärmer unter den Scholaren und deren Dienern, die Unruhe, Lärm und Unverschämtheiten machen, die ohne Waffen geschehen, indem sie Holzgerät, Geschirr oder Kutschen beschädigen oder mit Steinen werfen, Schweine hetzen und allerlei andere unerlaubte Handlungen ausführen‘. Diese Quelle über die randalierenden Heidelberger Studenten gilt außerdem auch als eine mögliche Herkunft der ungeklärten Redewendung ‚die Sau rauslassen‘.  Vgl. Rektorbücher, hg. von Miethke, S. 226 und 180. Ähnliche Fälle sind aufgezeichnet im November 1394 (S. 180), August 1394 (S. 216), im Oktober/November 1394 (S. 227 f.) und speziell für bewaffnete und singende Studenten im Februar 1406 (S. 405 f.). Zu Konflikten der Studenten und der Stadtbevölkerung von Heidelberg (z. B. den ‚Studentenkrieg‘ von 1406 oder die ‚Studentenhatz‘ von 1422) vgl. Klaus-Peter Schroeder: „Tod den Scholaren!“. Studentische Kriege, Revolten, Exzesse und Krawalle an der Heidelberger Universität von den Anfängen bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts. Heidelberg 2016, S. 25 – 46.

9.2 Gelehrtenadel und Randalierer – Texte zum Universitätsrecht

347

Ein Mandat vom Januar 1402 impliziert außerdem das Problem des vorgetäuschten Studentenstandes. Es besagt, dass wegen zahlreicher Klagen von Städtern gegen nächtliche Unruhestifter (cum querimonie varie et graves contra noctivagos atque discolos in opido hoc nominentur) die Gefahr eines Ansehensverlustes der Universität drohe und dass deshalb jeder Verdacht auf eine Straftat, die unter dem Deckmantel des studentischen Standes begangen werden könne (que sub specie studencium possent committi), durch Verbote zerstreut werden müsse. So sei es nicht mehr erlaubt nach dem Erklingen der Weinglocke geheim (ohne Licht, mit verdecktem Licht, mit bedecktem oder vermummtem Gesicht) und bewaffnet durch die Stadt zu gehen – de nocte post campanam vini sine lumine ambulet vel cum lumine sub manicis vel palliis occulte portato, facie tecta vel larvata, vestitu indecenti contra modum consuetum ac decentem cum armis, clavis vel baculis per plateas vagari. Auch Würfelspiel sei verboten, wobei eine Nichtbeachtung mit hohen Geldstrafen geahndet würde.²⁵⁵ Die randalierende Handlung selbst wird mit vagari oder vagatio bezeichnet. Eine libertas scholastica bedeutet in diesen Fällen mithin weniger eine Freiheit zum Studieren, sondern eine Freiheit vom Studieren. Scholares vagi haben in allen angeführten Fällen nicht unmittelbar etwas mit studentischer Mobilität zu tun, sondern mehr mit studentischer Devianz. Indem sie nur temporär von Ort und Regel(n) absent sind, gleicht das Sprechen über noctivagi in universitärer Gesetzgebung strukturell dem Sprechen über (gyro)vagi im monastischen Diskurs: Beide bewirken eine Störung der gesellschaftlichen Ordnung, stehen jedoch nicht außerhalb derselben. Aus dem Umstand der markanten Häufung devianter Handlungen ist bei den Studenten (wie auch bei den Mönchen) nicht zu schließen, dass der Regelverstoß allgemein der Normalfall war. Da genau die Handlungen abweichenden Verhaltens aktenkundig wurden, sind diese Fälle rekurrent und können den Blick des Historiographen zum Teil verzerren sowie zu einer Stereotypisierung der Aktanten führen.²⁵⁶ Ebenso im schulischen Kontext ist diese semantische Differenzierung virulent. So sagt der Klosterreformer und Vertreter der neuen niederdeutschen Frömmigkeitsbewegung (devotio moderna) Johannes Busch in seiner Chronik (Chronicon Windeshemense 1434 – 1464), dass der Rektor der berühmten Lateinschule in Zwolle und Buschs Lehrer Johannes Cele eine Zweiteilung des erziehbaren noctivagus und des uner-

 Zitate in Rektorbücher, hg. von Miethke, S. 338. Das Mandat wird 1405 und 1406 wiederholt und spezifiziert: quatenus nullus vestrum de die deferat per plateas corisando vel alias vagando (S. 392, 396, 405 f., hier zit. S. 406).  Vgl. Hannah Skoda: Medieval violence. Physical brutality in Northern France, 1270 – 1330. Oxford 2013, S. 119 – 158 und Sophie Cassagnes-Brouquet: La Violence des Étudiants au Moyen Âge. Rennes 2012, v. a. S. 171– 260. Vgl. allgemein zum Problem der „Devianzbegeisterung der Frühneuzeitler“ als ein „Bias der Forschung“ Füssel/Wagner: Studentenkulturen, S. 49 und Marian Füssel: Repräsentation. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 389 – 403, hier S. 392.

348

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

ziehbaren vagus/trufator vorgenommen habe:²⁵⁷ Wer die Regeln der Schule übertrete und diese ohne Erlaubnis verlasse, werde geschlagen oder (bei Wiederholung) öffentlich ausgepeitscht, um ein Exempel zu statuieren.²⁵⁸ Scholares vagi und trufatores (Gauklern oder Gecken) aber sei der Zugang gänzlich untersagt.²⁵⁹ Zur Mahnung habe der Schulleiter ein Transparent mit folgenden Versen über der Tür der Schule angebracht:²⁶⁰ Qui domicellari vult nec par esse scolari Ille domi maneat, et domicellus eat.²⁶¹

Am Ende der Passage resümiert der Chronist: ‚Es gab also für die Verlotterten die Rute der Furcht und für die guten Lerner den Stab zum Hinhalten.‘²⁶² Wie in den Heidelberger Disziplinargesetzen handelt es sich beim vagus auch hier eher um den prahlenden (‚renommierenden‘) Studenten. Vom Fahrenden Schüler der Bettlerordnungen ist nicht die Rede. Gleichwohl dient die Chronik (ebenso wie die Heidelberger Gesetze) einer disziplinierenden Pädagogik, wie sie in schuldidaktischen Texten zentral ist. Erst mit dem Wechsel vom 15. ins 16. Jahrhundert wird ein Unterschied zwischen dem fahrenden und dem wandernden Schüler evident, der zuvor (z. B. in der kleinepischen Literatur des 13. Jh.) allenfalls implizit ist. Das zeigt eine Pforzheimer

 Vgl. zur Lateinschule Zwolle Michael Schoengen: Die Schule von Zwolle von ihren Anfängen bis zur Einführung der Reformation (1582). Freiburg (Schweiz) 1898 (zur Schuldisziplin unter Cele v. a. S. 70 – 79); zu Johannes Busch vgl. Bertram Lesser: Johannes Busch: Chronist der Devotio moderna. Werkstruktur, Überlieferung, Rezeption. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2005.  Tunc scolares Zuollenses in bone fuerunt custodia et in optima disciplina. Nec aliquem sine licencia a scolis abesse permisit et delinquentibus pecuniariam panam non imposuit, sed iuxta persone qualitatem excessum quantitatem et culpe modum singulos iussit plagari. Quo facto omnes huiusmodi penam et confusionem timentes salutaria eius precepta et scole instituta transgredi metuebant. Si quem continencie et castitatis repperisset transgressorem, hunc in scolis inventum aut de mandato eius adductum ad pavimentum porrectum publice per totam scolam iussit vapulari cunctis in exemplum similia devitandi; Johannes Buschius: Das Chronicon Windeshemense. In: Des Augustinerpropstes Johannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de reformatione monasteriorum, hg. von Karl Grube. Halle a. Saale 1886, S. 1– 242, hier S. 207.  Scolares vagi et trufatores nolebat admittere nec scolas suas frequentare. Tales enim, cum per piam admonicionem et aliqualem correctionem non potuit emendare, a scolis et sua presencia coegit exire, ne perversitas talium insolencium bonorum fieret detrimentum tantique rectoris et studencium inquietudinis fomentum; Buschius: Chronicon Windeshemense, S. 207.  Unde hos versus in magna textura pergameno inscriptos posti scole iussit affligi, quos eciam ad trufatorum coarctionem publice sepius pronunciavit; Buschius: Chronicon Windeshemense, S. 207.  Buschius: Chronicon Windeshemense, S. 207; Übers. P. R. ‚Wer wie ein Junker auftreten will und nicht wie ein Schüler, der soll zu Hause bleiben und als Junker verschwinden!‘  Übers. P. R. von Buschius: Chronicon Windeshemense, S. 208: Fuit ergo dissolutis virga timoris et bene discentibus baculus sustentacionis. Das Bild von der Rute, die züchtigt, und dem Stab, der dem Menschen die Belohnung in Aussicht stellt, wie man einem Esel die Karotte vorhält, leitet sich ausgehend vom Psalter (Ps 22,4) vom Kirchenrecht ab (Decretum Gartiani I, dist. 45, c. 9): Virga enim percutimur, et baculo sustentamur. Friedberg: Decretum Magistri Gratiani, Sp. 164.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

349

Schulmeisterordnung.²⁶³ Denn [e]in jeglicher fremd herkommender Schuler, der vormals zu Pforzheim nicht visitirt hat, bringt dem Schulmeister einen erhöhten Verdienst ein und ist gern gesehen – sofern er nicht aus einem Ort kommt, in dem die Pest grassiert (von den sterbenden Orthen). Bei zunehmenden Schülerzahlen hingegen solle er die Bettelschüler, die Landschrekken, die allein an dem Gile und Bettel hangen, abweisen.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte Neben den Rechtstexten findet sich die Metapher eines studentischen exilium auch in einer heterogenen Textgruppe, die zur Anleitung von Lernern und Lehrern an Schule und Universität dienten. Solche ‚Studienführer‘ sind vornehmlich aus der Pariser Artistenfakultät überliefert. Sie können auf eine Übersicht fachlicher Inhalte für die Prüfungsvorbereitung mit einer systematischen Darstellung der artes liberales abzielen oder/und einen Leitfaden zur moralischen Orientierung bieten.²⁶⁴ Für die vorliegende Fragestellung ist freilich vor allem die zweite Textintention interessant. Im Folgenden werfe ich einige Schlaglichter auf besonders wichtige und verbreitete Texte, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln zur Mobilität der Studenten Stellung beziehen.

9.3.1 Zum Wert der terra aliena in der Scholastik Ausgangspunkt der Disziplinar-Regeln für den angehenden Schüler in der Frühscholastik ist ein Bonmot des Bernhard von Chartres (zwischen 1119 und 1124). Dieser nennt als Grundlage für das Lernen folgende Schlüsselqualifikationen:²⁶⁵ Mens humilis, studium quaerendi, uita quieta, scrutinium tacitum, paupertas, terra aliena, haec reserare solent multis obscura legendi²⁶⁶

 Alle folgenden Zitate aus Die Badischen Schulordnungen. Bd. 1: Die Schulordnungen der Badischen Markgrafschaften, hg. von Karl Brunner. Berlin 1902, S. 530.  Marcel Bubert und Jan-Hendryk de Boer: Studienführer. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 337– 355, hier S. 337 f.  Johannes von Salisbury nennt sie den Schlüssel zur Weisheit: necessaria et quasi claues philosophandi. Johannes von Salisbury: Policratici sive de nugis curialium et vestigiis philosophorum libri VIII. 2 Bde., hg. von Clemens Webb. Oxford, London 1909, VII, 13 (S. 145).  Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon de studio legendi. Studienbuch, hg. von Thilo Offergeld. Freiburg i. Br., Basel u. a. 1997, S. 250 f. Hier auch die Übers.: „Demut im Sinn und eifriges Forschen und ruhiges Leben, | Schweigsam und zäh untersuchen und arm sein, weit in der Fremde, | Diese erhellen für viele das dunkle Gebiet des Studierens.“

350

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Diese Worte werden im 12. Jahrhundert in zwei weit verbreiteten Lehrwerken zitiert und umfassend kommentiert: Im Didascalicon de Studio legendi des Hugo von Sankt Viktor (~1128) und im Policratus de nugis curialium et vestigiis philosophorum des Johannes von Salisbury (~1159), dessen Charakter eines Fürstenspiegels im Untertitel offensichtlich wird. Beide Texte setzen eine Gleichbehandlung moralischer Qualitäten (Demut, Eifer, Seelenruhe) und sozialer Umstände (Armut, Fremde) voraus, wodurch sie auch die beiden letzten Aspekte zu moralischen Kategorien machen.²⁶⁷ Generell ist auffallend, dass Hugo den beiden ersten Vorschriften (humilitas und studium quaerendi) viel Raum widmet, die letzten vier (quietas, scrutinium, parcitas und exsilium) aber nur kurz abhandelt und diese auch jeweils als disciplina und exercitium gegenüberstellt.²⁶⁸ Der moralisch richtige Aufenthalt in der Fremde sei demnach eine einzuübende Disposition des Menschen. Zur Armut weiß Hugo von Sankt Viktor zu sagen, dass die meisten Schüler noch Anspruchslosigkeit zu lernen hätten und lieber so täten, als wären sie reicher, als sie tatsächlich sind. Sie sollten weniger mit ihrem Besitz, als mit dem Gelernten prahlen.²⁶⁹ Im Kapitel über den Aufenthalt in der Fremde (De exsilio) führt er an, dass für den Philosophen die ganze Welt die Fremde (exsilium) sei,²⁷⁰ auch wenn gemäß einem Ovidzitat (Pont. 1, 3, 35 f.) die Heimat jeden anzöge. Verzärtelt sei, wer noch an seiner Heimat hänge, stark, für den jedes Land Heimat sei, und schließlich vollkommen, für den die ganze Welt Fremde sei.²⁷¹ Johannes von Salisbury behandelt die einzelnen Vorschriften gleichmäßiger: Bezüglich der Anspruchslosigkeit (paupertas) merkt er an, dass ein ruhiges Leben gemäß einer aurea mediocritas nur zwischen den Extremen möglich sei, dass man also nicht vom Mangel traktiert werden und ebensowenig vom Luxus verzärtelt werden solle. Denn auch Überfluss lösche das Licht des Verstandes aus.²⁷² Als Autoritäten führt er verschiedene griechische Philosophen an, welche die Missachtung weltlicher Güter illustrieren: Demokrit, Krates von Theben, Anaxagoras und Sokrates. Ebenfalls der Aufenthalt in der Fremde (terra aliena) wird als Forderung der Philosophie begriffen, da diese die eigene Heimat fremd mache, die Fremde aber zur Heimat, sodass

 Vgl. Peter Classen: Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert. In: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966), S. 155 – 180, hier S. 160.  Vgl. cap. 15: Quattuor quae sequuntur sic alternatim disposita sunt, ut alterum semper ad disciplinam, alterum ad exercitium spectet; Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon, S. 264.  Sed quid ad haec scholares nostri temporis respondere poterunt, qui non solum in studiis suis frugalitatem sequi sontemnunt, sed etiam supra id quod sunt divites videri laborant? Nec iam quid didicerit quisque iactitat, sed quid expenderit; Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon, S. 266.  Omnis mundus philosophantibus exilium est; Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon, S. 268.  Delicatus ille est adhuc cui patria dulcis est; fortis autem iam, cui omne solum patria est; perfectus vero, cui mundus totus exsilium est; Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon, S. 268.  Ceterum uita quieta esse non potest, si natura necessaria subtrahuntur; et e contra, si luxuriat animus in deliciis, rerum affluentia lumen rationis extinguit; Johannes von Salisbury: Policraticus, VII, 13. (Bd. 2, S. 150).

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

351

der Weise durch kein exilum beschwert werde.²⁷³ Er vergleicht die Schüler im Folgenden mit Abraham, der von Gott beauftragt wurde, Heimat und Sippe zu verlassen, um den Ruhm Gottes zu vermehren (vgl. Gen 12,1 f.). Der Schüler solle für die Weisheit alle weltlichen Annehmlichkeiten hinter sich lassen.²⁷⁴ Offensichtlich werden in diesen Texten soziale Schwierigkeiten bezüglich des Aufenthalts in der Fremde nicht thematisiert, sondern allenfalls als notwendiger Teil im Prozess der eigenen und der universalen Heilsgeschichte perspektiviert. Terra aliena und Mobilität bekommen den Status einer Pilgerschaft (peregrinatio) oder eines heiligen Exils (exilium). Die Schüler bzw. Studenten selbst werden hier stilisiert, und zwar einerseits zu Märtyrern für die Weisheit, für die sie alle Leiden auf sich nähmen, andererseits als Repräsentanten der stoischen Figur des Fortschreitenden (griech. προκόπτων, lat. proficiens) auf dem Weg zum Weisen (sapiens) als höchster Stufe.²⁷⁵ Da die Hinwendung zur Philosophie die semantischen Grenzen von ‚Heimat‘ und ‚Fremde‘ aber verwischt, wird der Gelehrte zum kosmopolitischen Weisen.²⁷⁶ Dem (monastischen) Ideal einer stabilitas loci wird so der Boden entzogen. Diese Argumentation dient der Aufwertung und Rechtfertigung einzelner Voraussetzungen des Studiums. Wenn die Schüler schon die im Mittelalter durchwegs positiv besetzte Stabilität ihrer Heimat verlassen müssen, dann muss es dafür auch theologische, philosophische und didaktische Gründe geben. Eine potentiell deviante Form von zielloser Mobilität (vagatio) widerspricht dieser Argumentation und bleibt demnach unbeachtet. Denn die beiden untersuchten Traktate unternehmen eine Kodifizierung  Terram alienam philosophia exigit et suam interdum alienam facit, immo alienam facit suam, et nullo umquam grauatur exilio; Johannes von Salisbury: Policraticus VII, 13. (S. 151).  Et forte huc patriarcham inuitat Dominus, dum eum exire de terra et de cognatione sua praecipit, ut in peregrinatione proficiens multiplicetur in gentem magnam ipsamque terram adquirat feliciter quam relinquit, dum ad uocationem sapientiae omnia quae sunt mundana contempnit; Johannes von Salisbury: Policraticus VII, 13. (S. 151).  Die Zwischenfigur, die auf dem Weg zur Perfektion ist und Fortschritte macht, wird von der mittleren Stoa und vor allem dann Seneca geprägt, da die Stufe des Weisen (sapiens) gemäß dem stoischen Perfektibilitätsgedanken als eigentlich unerreichbares Ideal wahrgenommen wurde. Vgl. Stefan Dienstbeck: Die Theologie der Stoa. Berlin, Boston 2015, S. 227. Die stoischen Lehrmeinungen (v. a. Seneca, Epiktet und als Vermittler Cicero) wurden im Mittelalter weitgehend als Florilegien-, Anekdoten- und Proverbia-Sammlungen breit rezipiert, so auch zur Schullektüre (z. B. Proverbia Senecae oder Dicta Catonis). Aufgrund der eklektischen Assimilierung in christliche Axiome ist hier von einer „heidnisch-christlichen Mischtradition“ zu sprechen. Vgl. Jochen Schmidt: Grundlagen, Kontinuität und geschichtlicher Wandel des Stoizismus. In: Barbara Neymeyr, Bernhard Zimmermann und Jochen Schmidt (Hg.): Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. Berlin, New York 2008, Bd. 1, S. 3 – 134, hier S. 40.  Ideo magno animo nos non unius urbis moenibus clusimus, sed in totius orbis commercium emisimus patriamque nobis mundum professi sumus, ut liceret latiorem uirtuti campum dare (Sen. de tranqu. an. 4, 4); Übers. von Gerhard Fink: „Darum haben wir Stoiker uns ein Herz gefaßt und uns nicht in die Mauern einer Stadt gesperrt, sondern uns die Freiheit zum Gedankenaustausch mit dem ganzen Erdkreis genommen und erklärt, unsere Heimat sei die Welt, daß sich der Kampfplatz für den Mutigen noch weiter dehnen könne“; Lucius Annaeus Seneca: Schriften zur Ethik. Die kleinen Dialoge, hg. von Gerhard Fink. Düsseldorf 2008, S. 501; ähnlich auch Sen. de beat. vit. 20, 5.

352

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

von Lebensregeln, die dem Rezipienten eine eindeutige Richtlinie zur Verfügung stellen, ohne (viele) Negativbeispiele anzubringen. Dass diese Positionen auch bis in die deutschsprachige Schwankdichtung des 15. Jahrhunderts reichen und beträchtliche Reichweiten haben, zeigt ihre Rezeption in der satirischen ‚Schülerlehre‘ in Heinrich Wittenwilers Ring (vv. 3846 – 3931).²⁷⁷

9.3.2 Der Scholar als filius inconstanciae – De disciplina scholarium des Pseudo-Boethius mit einem Exkurs zu anderen ‚Studienführern‘ und dem Schuldrama Pseudo-Boethius: De disciplina scholarium Das Mittelalter kennt auch andere Formen der Präsentation moralischer Studienanleitungen,²⁷⁸ die mitunter an Satiren erinnern wie das Morale scholarium von Johannes de Garlandia (1241), das nicht von ungefähr lange mit einem Opus oder Liber satiricum verwechselt wurde,²⁷⁹ oder die Schrift De disciplina scholarium (1230 – 40),²⁸⁰ die auf den ersten Blick wie eine Sammlung moralischer Richtlinien wirkt. Da es sich bei der Disciplina scholarium um einen der wirkmächtigsten schuldidaktischen Texte des ganzen Mittelalters handelt – das wird durch die stupende Zahl von 140 erhaltenen Handschriften²⁸¹ und die rege lateinische und volkssprachige Kommentierungstätigkeit deutlich²⁸² – lohnt sich ein genauerer Blick. Ein wichtiger Unterschied zwischen De disciplina scholarium und den beiden scholastischen Traktaten ist aber, dass er auch die Negativeigenschaften zur Mahnung (und Unterhaltung) des Lesers nennt und z. T. weit ausbreitet. Das ist ein Grund, weshalb Pseudo-Boethius im Gegensatz zu Hugo von St. Victor auch den vagierenden Schüler thematisiert.

 Vgl. Elmar Mittler: Das Recht in Heinrich Wittenwilers „Ring“. Freiburg i. Br. 1967, S. 47– 49. Unter den zehn Kriterien, die Lastersak seinem Prüfling Bertschi nennt, ist gerade auch der Aufenthalt in der Fremde (frömdes land, v. 3867) und Beharrlichkeit im Studium zentral (Stätes harren pei der ler, v. 3897). Als Textgrundlage dient Heinrich Wittenwiler: Der Ring. Text, Übersetzung, Kommentar, hg. von Werner Röcke. Berlin, Boston 2012.  Bubert/Boer: Studienführer, S. 337 f.  Vgl. Johannes de Garlandia: Morale Scholarium of John of Garland. A Professor in the University of Paris and Toulouse in the Thirteenth Century, hg. von Louis John Paetow. Berkeley 1927 (Memoirs of the University of California, Bd. 4, 2), S. 143, zu Datierung und Autor des Morale Scholarium vgl. S. 152 f.  Zur Datierung von De disciplina scholarium vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium. Édition Critique, Introduction et Notes, hg. von Olga Weijers. Leiden 1976, S. 8 – 11 und Harry Francis Sebastian: William of Wheteley’s (fl. 1309 – 1316) Commentary on the Pseudo Boethius’ Tractate De disciplina scolarium and Medieval Grammar School Education. Diss. Columbia 1970, S. 289 f.  Vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, S. 36 – 90. Diese Liste von Olga Weijers, die nur 136 Handschriften umfasst, wird von Brooke Hunter um 4 Handschriften erweitert; vgl. Brooke Hunter: Boethian Humor and the Pseudo-Boethian De disciplina scolarium. In: Viator. Medieval and Renaissance Studies 46 (2015), S. 161– 179, hier S. 163 (Anm. 5).  Es sind mindestens 32 Kommentare überliefert; vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, S. 16 – 30.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

353

Ein Grund für den Erfolg von De disciplina scholarium ist gewiss die Autorfiktion und implizite Berufung auf Boethius, einen der meistgelesenen Autoren und Autoritäten des Mittelalters.²⁸³ Diese wird nicht mittels konkreter Namensnennung vorgenommen, sondern mittels impliziter Verweise auf die Arbeit an Aristoteleskommentaren, die Folter durch den Gotenkönig und die philosophica consolatio. ²⁸⁴ Rezipienten müssen den Text ohne Schwierigkeiten dem spätantiken Philosophen zugeschrieben haben, was auch die zahlreichen Kommentare belegen.²⁸⁵ So erhielt der Text auctoritas. Die Autorfiktion konstruiert eine Tradition, stützt also a priori den Wahrheitsanspruch und damit die soziale Relevanz des Gelesenen. Damit ist eine Popularität begründet, die zu einer Angliederung an das Werk des Boethius (mitunter als Appendix zur Consolatio philosophiae) führt und im 16. Jahrhundert trotz vereinzelter Kritik ins Druckzeitalter übernommen wird.²⁸⁶ Erstmals bezweifelte 1498 Alexander Hegius die Zuschreibung zu Boethius, und zwar auf Grundlage stilistischer Mängel: Man erkannte gerade die Bezeichnung für den unsteten/fahrenden Schüler als discolus als anachronistisch!²⁸⁷ Wenn sich De disciplina scholarium auf Boethius beruft, erschöpft sie sich jedoch nicht in der Autoritätspräsumtion. Vielmehr oszilliert die Adaptation von Stil und Namen des Boethius zwischen einer konservierenden Traditionsberufung und dem Wunsch, die antike Stimme in einer ‚modernen‘ (freilich scholastischen) Weise neu zu schreiben.²⁸⁸ Dieser changierende Umgang mit der Autorität verdopple sich – laut Brooke Hunter – in den subtilen Dissonanzen, die im Umgang mit Komik und moralischer Ambiguität zutage träten in einer „double hermeneutic, that simultaneously

 De consolatione philosophiae von Anicius Manlius Severinus Boethius (523/524) gilt als „the best seller for a thousand years or so“; Howard Rollin Patch: The Tradition of Boethius. A Study of his Importance in Medieval Culture. New York 1935, S. 1. Vgl. auch Schmidt: Stoizismus, S. 43 f. MarieDominique Chenu: La Théologie au Douzième Siècle. Paris 1957, S. 142 spricht für das 11. und 12. Jahrhundert sogar von einer aetas boetiana.  Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, 1, 1 (S. 93): in quasdam Aristotelis et aliorum ediciones, proprioque attenuatus studio et inhumani regis Gottorum cruciatu corrosus, philosophico preveniente consolatu, extremaque profunde Trinitatis perspicatione permollitus.  Vgl. Booke Hunter: Forging Boethius in Medieval Intellectual Fantasies. New York, London 2019, S. 4– 12.  Vgl. Hunter: Forging Boethius, S. 142– 145.  Alexander Hegius: Invectiva in modos significandi. Text, Introduction and Notes, hg von Jozef Ijsewijn: In: Forum for Modern Language Studies 7 (1971), S. 299 – 318, hier S. 310: pretermisso itaque barbarissimo illo opere, quod Scholarium Disciplina (Nam satis Latinam inscriptionem non habet!), quod Boetium scripsisse mentiuntur. Qui libellus tam ineptis tropis refertus est [ut] indignissimus sit quo pueri instituantur. […]; inde deprompta sunt magistrari, intitulari, discolus. Über. P. R.: ‚Deshalb ist jenes Werk, das Disciplina Scholarium heißt – denn eine ausreichende lateinische Überschrift hat es nicht – und das fälschlich als Werk des Boethius ausgegeben wird, aufgrund der Barbarismen zu übergehen. Dieses Büchlein ist voller stilistisch falscher [d. h. unklassischer] Ausdrücke, die es überhaupt nicht wert sind, dass ein Knabe mit ihnen unterrichtet wird. […] Davon sind magistrari [Lehrer werden], intitulari [als Überschrift setzen] und discolus [undiszipliniert, unstet] entlehnt.‘  Vgl. Hunter: Boethian Humor, S. 167.

354

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

conveys both a serious lesson and a joke, sometimes at that lesson’s expense.“²⁸⁹ Zur konventionell-didaktischen Handlungsanweisung kommt eine transgressive Ebene, die sexuelle, gewalttätige oder autoritätskritische Passagen im Rahmen von inserierten Erzählungen, Beispielen oder Sprichwörtern herausstellt und sich nicht im Horazischen Dictum des prodesse und delectare erschöpfen kann. Dass dieses Vorgehen in mittelalterlichen Morallehren nicht unüblich ist, zeigte bereits die Interpretation des Codex Buranus.²⁹⁰ Dies wiederholt sich in anderen populären Moral- und auch Grammatikhandbüchern wie der Disciplina clericalis von Petrus Alfonsi (~1115), der Poetria Nova von Galfred von Vinsauf (~1210) oder den Elegiae des Maximian, die ab dem 11. Jahrhundert zum grammatikalischen Standardlehrplan zählten.²⁹¹ Die moralischen Lizenzen des Mittelalters – zumal auch im schulischen Unterricht – scheinen also ausgeprägter zu sein, als es von modernen Interpreten für gut erachtet wurde.²⁹² De Disciplina scholarium öffnet deutlich den Raum der lehrhaften Vermittlung von Inhalten für eine satirische Abschweifung, und zwar vor allem in der Anekdote vom unsteten Scholaren, die das ganze dritte Kapitel füllt, vom zweiten Kapitel aber schon thematisch vorbereitet ist.²⁹³ Im Kapitel zwei geht es zuerst um das richtige Verhalten der Schüler: Sie sollen gehorchen, weil der, der sich nicht unterwerfen wolle, auch nicht belehrt werden könne. Sie sollen aufmerksam im Zuhören, belehrsam für das Verstehen und willig zum Memorieren sein.²⁹⁴ Weit umfangreicher und mit Lust am Detail folgt die Darstellung möglichen Fehlverhaltens: Es geht um Gewaltbereitschaft (violentia 2, 6) und Unbeherrschtheit (luxuria 2, 7– 14), die mit Verweis auf die Satiriker  Hunter: Boethian Humor, S. 168.  Vgl. Kapitel 7.1.  Zur Disciplina clericalis vgl. John Victor Tolan: Petrus Alfonsi and his Medieval Readers. Gainesville 1993. Zur Poetria nova vgl. Marjorie Curry Woods: Classroom Commentaries. Teaching the „Poetria nova“ Across Medieval and Renaissance Europe. Columbus 2010, S. 7 f. Zum Lehrplan der sex/ octo auctores vgl. Hunt: Teaching and Learning, S. 68 – 70 (im 13. Jh. wurden die Elegiae durch Ovids Remedia amoris ersetzt). Allgemein dazu Hunter: Boethian Humor, S. 176 – 179, zit. S. 179: „De disciplina, Disciplina clericalis, and Maximianus’s Elegies show us that humor need not be opposed to or negate a didactic agenda, even if that humor is grounded in subversion or a playful spoofing of authority. Conversely, however, we should not downplay the subversive potential of such texts or even the lasting power of their figuration of Boethius on later writers influenced by him.“  So schreibt Marcus Boas: De librorum Catonianorum historia atque compositione. In: Mnemosyne 42 (1914), S. 17– 46, hier S. 18: „inest denique in libro tironum institutioni destinato qui minime ad mores pueriles conformandos idoneus complures adeo locus exhibet tenerorum animorum cognitioni alienos pudicaeque indoli erubescendos, Maximianus“. Auch Hunt bezieht sich nicht auf die sprachliche Komplexität, sondern den Inhalt, wenn er 1991 die Elegien des Maximian als „not an obvious choice as a school text for beginners“ bezeichnet. Hunt: Teaching and Learning, S. 68.  De disciplina scholarium ist in drei Bücher aufgeteilt: über den Unterricht (Vorrede und cap. 1– 3), die Scholaren (cap. 4, 5) und die Magister (cap. 6). Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. PseudoBoethius: De disciplina scolarium, S. 11– 14.  de eorum [sc. scolarium] subiectione erga magistratus breviter est ordinandum, quoniam qui non novit se subici, non potest se magistrari […] Attentus, inquam, ad audiendum, docilis ad intelligendum, benivolus ad retinendum. Ista vero tria ad perfectionem currunt permutatim; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 2, 1 f. (S. 99).

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

355

in die Bereiche Putz (ornatus 2, 13 f.), Fressen und Saufen (gulositas und comessationes et ebrietates 2, 11 f.) sowie Umgang mit Huren (meretricum incursus 2, 8 – 10) untergliedert ist.²⁹⁵ An der Spitze aber steht das Umherstreifen des scolaris discolus (2, 3) – wohl (pseudo‐)etymologisch von a schola divisus (2, 3) hergeleitet:²⁹⁶ ‚Dieser treibt sich den ganzen Tag auf den Gassen, Plätzen und Wirtshäusern herum, in den Kammern der Huren, bei öffentlichen Schauspielen, Umzügen oder Tänzen, bei Empfängen, Freitischen. All dies ist ihm wichtiger als die Schule. Dabei ist sein Blick unstet, seine Zunge locker, sein Gemüt frech, seine Mimik unkontrolliert.‘²⁹⁷ In einem fiktiven Bericht beschreibt der Erzähler im Folgenden eine Reise nach Paris, die er zur Erholung, wegen des Klimas, der Herzlichkeit der Franzosen und der Rechtschaffenheit der Herbergsmütter angetreten habe. Dort habe er seiner Erinnerung zufolge sehr viele discoli gesehen.²⁹⁸ Diese würden dabei nur die artes erbetteln und nicht ‚der Philosophie als Mundschenk dienen‘.²⁹⁹ Im folgenden Abschnitt referiert der Erzähler auf die Idee der translatio studii, indem er die blonden Briten bedauert, die nach Rom zum Studieren gingen, nachdem diese den Funken Athens nur kaum noch in sich trügen, die Flamme aber in Paris lodere.³⁰⁰ Paris aber wird anachronistisch nicht aus der Perspektive des 6. Jahrhunderts, sondern als kosmopolitische Metropole des 13. Jahrhunderts entworfen, sodass der Boethius des Textes hier verschiedene Völker angetroffen haben konnte:³⁰¹ rasende Deutsche, Spanier mit ihren Zaubertricks und die eigenen Landsleute, triefäugig und entwurzelt.³⁰² An dieser

 Luxurie fervore studeat discipulus alienari. Quam triplici satirici particione diviserunt: quandam in ornatu dicentes consistere, aliam in coytu, terciam guliositati assistricem; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 2, 7 (S. 101).  Neben der Herleitung von dis- und schola wird auch die Etymologie von dis- und color erwogen. Vgl. MLW 3, Sp. 1071 f. Eine humoralpathologische Etymologie gibt Alexander Hegius: Invectiva, 32 (S. 310): Inde depromptum est dyscholus, quod significat malum et perniciosum et toleratu difficilem. Δυσ enim, cum ver[bo] Greco scriptum, malum signincat et chole coleram. Inde discolus.  Discolus autem est qui discurrit per vicos et plateas, per tabernas, per meretricum cellulas, per puplica spectacula, per pompas et coreas, per commesaciones et etiam per puplicas cenas, et hoc oculis vagis, effreni lingua, petulanti animo, incomposito vultu, omnibus istis scola postposita; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 2, 3; (S. 99).  Quodam vero tempore cum causa sanitatis recuperande ab aeris intemperiem [eigentlich widrige oder ungesunde Witterung] ritusque Gallorum facetos matronarumque pios affectus nos ad Galliam transtulissemus, multos discolos, ut meminimus, visu percipimus in civitate Iulii que Parisius decebatur; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 2, 4 (S. 99 f.).  Multos autem artes mendicare perspeximus nullis eis pocula philosophie ministrantibus; PseudoBoethius: De disciplina scolarium 2, 4 (S. 100).  Flavos vero Britannos studii precio Romam comeantes graviter indolui. Atheniensium scintillulis minime pascebantur, cum Gallica facescia grecari inceperunt; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 2, 5 (S. 100).  Vgl. Hunter: Forging Boethius, S. 73 f.  Germanici furoris paucos inspeximus intitulari, magice delusionis quidem Yberie multos magistrari. De nostris, lippientibus patet et evulsis; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 2, 5 (S. 100). Der furor Germanicus/Teutonicus bezeichnet die Aggressivität und Reizbarkeit der Germanen/Deutschen. Diese Zuschreibung ist bereits in der Antike geläufig und wird wieder zur Zeit Friedrich I. Barbarossa ver-

356

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Textstelle entzündete sich die Forschungsdiskussion darüber, welcher Nationalität nun der Autor angehörte, ob er vielleicht Flame oder Däne sei. Diese Frage ist für die Darstellung irrelevant, da der Erzähler die persona des Boethius annimmt und damit – von den Zeitgenossen nicht hinterfragt – Italiener ist.³⁰³ Vielmehr stellt der Erzähler Mobilität auf drei Ebenen dar: Zum einen beschreibt er seine eigene Kurreise als zielgerichtete Bewegung, zum anderen die horizontale Mobilität der Studenten verschiedener Nationen, die zur Grundlage der verurteilten ziellosen Bewegung der scholares discoli wird und schließlich noch die teleologische ‚Bewegung‘ des Wissens vom Orient in den Okzident (translatio studii oder artium) mit den ab dem 12. Jahrhundert konventionellen Stationen Athen, Rom und Paris.³⁰⁴ Die traditionale Weitergabe des hegemonialen Anspruchs der Bildungszentren als universalhistorische Kategorie wird an dieser Stelle aber nicht – wie gewöhnlich – zum Anlass für ein Lob der Universität Paris. Sie dient der Position im Text folgend vielmehr der Erklärung der genuinen Mobilität der Studenten, die in eine deviante vagatio mit dem Besuch von Bordell und Wirtshaus umschlagen kann. Einer Verbindung dieser beiden Deutungsdimensionen entzieht sich der Text explizit, indem er mit einem lakonischen Sed hec actenus (‚Doch genug davon‘) zum nächsten Thema übergeht und damit eine Leerstelle lässt. Entweder der Erzähler verliert sich hier in einer digressio oder er initiiert bewusst einen kritisch-komischen Konnex von Universalgeschichte und Hurenhaus. Die Entscheidung muss offen bleiben. Das dritte Kapitel erweitert diese Aspekte zu einem narrativen Plot. Eine kurze Hinführung stellt die glänzende Bedeutung von constantia der Liederlichkeit von inconstantia gegenüber: Die eine bringe Neues hervor, die andere verbrauche das Hervorgebrachte; die eine mache Fort-, die andere Rückschritte; die erste sammle, die andere zerstreue das Gesammelte.³⁰⁵ Es folgt das Exempel vom ‚unsteten Scholaren‘: Auch hier ist die Erzählung von einer Autorfiktion gerahmt, indem der Erzähler anführt, dass er als Lehrer einen filium inconstancie gehabt habe, dem Fortuna das Los

stärkt, z. B. bei Johannes von Salisbury im Zusammenhang des Investiturstreits. Vgl. Johannes Fried: Die Anfänge der Deutschen. Der Weg in die Geschichte. Berlin 2015, S. 19. Auch die Verbindung der spanischen Schulen mit Magie ist allgemein üblich und nimmt in der Frühen Neuzeit zu. Vgl. Jaime Ferreiro Alemparte: La escuela de nigromancia de Toledo. In: Anuario de estudios medievales 13 (1983), S. 205 – 268; ebenso hier Kapitel 9.4.1 und 12.3.1. Der in allen Inkunabeln des Textes angehängte Kommentar des Pseudo-Thomas von Aquin macht diesen Bezug explizit, vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, S. 145 und allgemein zu den Inkunabeln S. 34 f.  Vgl. zur Forschungsdiskussion und zu dieser Positionierung vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, S. 5 – 8.  Vgl. Franz Josef Worstbrock: Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Kategorie. In: Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965), S. 1– 22, hier S. 18 und Adrian Gerard Jonkees: Translatio studii. Les Avatars d’un Thème Médiéval. In: Co van de Kieft (Hg.): Miscellanea Mediaevalia in Memoriam Jan Frederik Niermeyer. Groningen 1967, S. 41– 51.  Quid in dileccionis opusculo lucidius constancia, quid inconstancia nequius? Prima parit, secunda parta dissolvit; prima procedit, secunda recedit; prima colligit, secunda collecta dispergit; PseudoBoethius, De disciplina scolarium 3, 1 (S. 104).

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

357

zugeteilt habe, seinen Unterricht zu besuchen. Doch jede Lektüre (satirische, historiographische, elegische, philosophische und juristische Texte) erregen schnell seinen Überdruss, oft fängt er Bücher an, bringt aber keines zu Ende.³⁰⁶ Aufgrund seiner inconstantia kehrt er bald der Schule den Rücken und wird Kaufmann, was er wegen übermäßiger Seekrankheit und Meeresangst bald auch wieder aufgibt. Stattdessen wird er (Gemüse‐)Bauer, bis die Ackerfrüchte ausgehen. Dann wird er Soldat, flieht jedoch beim ersten Zusammentreffen mit dem Feind und kommt zum Philosophen Crato, wo es ihm sicherer scheint. An dieser Stelle schließen sich die umfassenden Quaestiones Cratonis an, die mehr als doppelt so viel Raum einnehmen wie das übrige exemplum und in einer Weise gestaltet sind, die keinen Bezug zum sonstigen Plot erkennen lässt.³⁰⁷ Betrachtet man die Textstelle unter der Perspektive einer devianten Darstellung von Mobilität, dann gewinnen die enzyklopädischen Ausbreitungen kosmologischen, astrologischen und naturwissenschaftlichen Wissens eine zusätzliche Dimension.³⁰⁸ Die Quaestiones sind narrativ als Inschrift auf dem Boden in zwei Halbkreisen um den Lehrstuhl des Philosophen angeordnet. Dieser schriftlichen Fixierung steht die dezidierte Betonung der Unbeständigkeit des Wissens gegenüber. So werden verschiedene virulente Fragen gestellt: Gibt es einen einfachen oder einen dreifachen Himmel? Welchen Einfluss haben Sternkonstellationen auf das Leben der Menschen? Woraus resultiert die relative Temperatur von Wasser in einem tiefen Brunnen?³⁰⁹ Die meisten Fragen aber behandeln Gegenstände, die dezidiert mit Mobilität zu tun haben: die permanente Transmutation der Elemente,³¹⁰ die Bewegung der Fixsterne (sic!) und Planeten³¹¹ und die Wanderung der Zugvögel.³¹² Die episte-

 Cum gignasiis insudare decrevissemus magistratusque vicem optinere dignum duximus, filium inconstancie vel, ut verius dicamus, ipsam inconstanciam Fortuna nostris assignabat preceptis imbuendum, qui satiricis inhyabat attramentis mensurnus, historiographis persepe diurnus, eligiacis annuus. Ratione vero disserendi Aristotelem lamentabatur nocturnus, edicionibus philosoficis duodecimque tabularum compilacionibus quasi instantaneus. Omnibus siquidem in brevi exstiterat fastiditus. Si vero libellorum inspeccioni eorum vel scripture aliquando indulsisset, quam plures per horam incepisset nullique licet brevissimo manus perficientes imponeret; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 2 f. (S. 104 f.).  Vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, S. 148. Die Passage wurde daher für eine Interpolation gehalten, auch wenn sie in allen Handschriften enthalten ist.  Vgl. Asterik L. Gabriel: The Source of the Anecdote of the Inconstant Scholar. In: Asterik L. Gabriel (Hg.): Garlandia. Studies in the History of the Medieval University. Notre Dame (Indiana), Frankfurt a. M. 1969, S. 147– 166, hier S. 156 f.  Vgl. zu den Fragen mit Verweis auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Kommentare PseudoBoethius: De disciplina scolarium, S. 148 – 153. Zur intrikaten Frage der Identität des Crates und den naturgeschichtlichen Quellen vgl. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, S. 166 – 169.  Quinto cur elementorum continua transmutacio et an eadem que primo omnia elementa consistant; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 5 (S. 106).  Secundo an stelle fixe suo superiori an suis propriis circulis comeantes ad instar planetarum pervagari discernantur; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 6 (S. 106).  que natura estivalium pennatorum in hyeme deficiencium et conversim; Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 9 (S. 107).

358

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

mologische und räumliche Flexibilität spiegelt so die inconstantia des Protagonisten. Denn die Naturphänomene verweisen auf die Situation des filius inconstanciae. Der Spiegel der Natur impliziert so in einem Subtext, dass die ‚Irrfahrt‘ des Scholaren Teil der natürlichen Normalität sei. Diese Bewertung steht freilich in Kontrast zu den expliziten Belehrungen und erzeugt seine (satirische) Doppeldeutigkeit, die auch in der Begründung für die Abkehr von Crates deutlich wird: Cum istarum questionum difficilis solucio mutacionis animum non posset adimplere […].³¹³ Die Erzählung nutzt aber auch die Möglichkeit, in den Quaestiones aufgrund der narrativen Distanzierung problemlos über das intrikate Themenfeld der wissenschaftlichen Naturbetrachtung und Astrologie zu sprechen. So dient die inconstantia des Protagonisten als ein ‚Weg durch die Welt‘ dazu, Wissen und Erkenntnis für die Rezipienten zu entfalten und anzuhäufen, während der Protagonist gerade wegen seiner Unstetigkeit kein Wissen sammeln kann. Dass der Scholar auch bei Crates keine Stabilität findet, verwundert nicht weiter. Stattdessen verfolgt er das Ziel, sich einer Frau zu unterwerfen. Angesichts der übermäßig großen Anzahl junger Frauen wendet er sich auch von diesem Plan wieder ab und will alleine bleiben.³¹⁴ Er widmet sich der Sternkunde, was jedoch an der materiellen Grundbedingung einer Sternwarte scheitert, wobei die permanente Beweglichkeit der Planeten (planetarum discursus) hier explizit mit der (fehlenden) Stabilität eines hohen Turmes kontrastiert ist (sine turris elacione, 3, 11). Am Ende der inserierten Geschichte ruft der unstete Protagonist aus: ‚Wehe mir, dass ich ein Mensch bin! Könnte ich doch mein Mensch-Sein ablegen und mit verändertem Aussehen ein Esel-Sein anlegen!‘³¹⁵ Am Ende stellt die Erzählung also eine absolute Metamorphose des Scholaren in Aussicht und perspektiviert damit eine letzte und ultimative Instanz der Unbeständigkeit: das Ablegen der Gottesebenbildlichkeit als Mensch.³¹⁶ Die ganze Erzählung ist eine Allegorie der Unbeständigkeit. Figur und Thema fallen in eins, was schon der Titel als filium inconstancie vel, ut verius dicamus, ipsam

 Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 10 (S. 107): Diese Formulierung kann einerseits bedeuten, dass die schwierige Lösung dieser Fragen sein wandelbares Herz nicht anfüllen konnte, andererseits kann die uneindeutige Zuweisung des nachgestellten Genitivattributs mutacionis auch als zweites Attribut auf solucio bezogen werden, sodass man den Nebensatz auch so übersetzen kann: ‚Weil die schwierige Lösung einerseits dieser Fragestellungen und andererseits der Veränderlichkeit sein Herz nicht anfüllen konnte‘. Geschickt nimmt diese Formulierung die doppelte Stoßrichtung der epistemologischen und der generellen Mobilität auf.  uxori studuit predictis postpositis subiugari. Visis undique virginibus in tedium ductus parentibus sic respondit: „Inprobo corruptas, lectos detestor aniles, | nil michi cum feda virgine: solus ero.“ PseudoBoethius: De disciplina scolarium 3, 10 (S. 107).  Miserum est me hominem esse. Utinam humanitatem possem exuere, asinitatem possem induere specie mutata! Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 11 (S. 108).  Damit folgt Pseudo-Boethius auch der Darstellung vom Esel Burnellus in der populären Satire Speculum stultorum des Nigellus Wireker (1179/80).

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

359

inconstanciam ³¹⁷ zeigt. Der Plot ist nicht innovativ, sondern basiert auf der Satire I, 1, v. a. 4– 22 des Horaz, in der ein Soldat, ein Kaufmann, ein Anwalt und ein Bauer ihren Status wechseln wollen. Während sich die Spitze der Satire von Horaz gegen die Habgier (avaritia) der einzelnen Gesellschaftsgruppen richtet, ist bei Pseudo-Boethius die Unbeständigkeit selbst (ipsa inconstancia) das zentrale Thema. Diese ist – durch den Kontext – untrennbar mit der Figur eines unsteten Scholaren verbunden. Nun könnte dieses Exemplum aus der Disciplina scholarium als prägender Text für einen ganzen Diskurs über ziellose Mobilität von Schülern/Studenten betrachtet werden. Jedoch wurde es weniger als eine Darstellung einer verderbenbringenden räumlichen Mobilität (vagatio corporis), sondern vielmehr als Darstellung einer geistigen Mobilität und Instabilität der Interessen (vagatio mentis) rezipiert. In einer Predigtsammlung des Franziskaners Guibert de Tournai, die neben anderen Ständen auch eine Musterpredigt an Scholaren adressiert,³¹⁸ heißt es: Est ibi impetuositas iracundie, cecitas terrene concupiscentie, mutabilitas inconstantie […] Hic habemus exemplum Boetii in libro de disciplina scolarium de filio inconstantie, qui cum de scientia ad scientiam se transferebat de artificio ad artificium. […] Certum est autem quod constantia necessaria est, eo quod sine ipsa non est continuatio, sine continuatione non est habitus, sine habitu non est scientia, sine scientia non est sapientia³¹⁹

Die ungemeine Verbreitung des Exempels ist dadurch zu erklären, dass es abseits der umfangreichen Überlieferung des Textes neben den (authentischen) Werken des Boethius auch in die Consolatio Philosophiae ergänzt wurde, und zwar nach der Textstelle: Quis est ille tam felix, qui cum dederit impatientiae manus, statum suum mutare non optet? ³²⁰ Das führte dazu, dass die Erzählung vom ‚Unsteten Scholaren‘ breit kommentiert und in Volkssprachen übertragen wurde.³²¹ Bezeichnenderweise ersetzen die Übertragungen in die französische Volkssprache (die populärste von

 Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium 3, 2; S. 104: Es geht um ‚einen Sohn der Unbeständigkeit oder – was näher an der Wahrheit ist – um die Unbeständigkeit selbst.‘ (Übers. P. R.).  Zum Genre der sermones ad status und zu Guibert de Tournai vgl. das nächste Kapitel 2.3.2.  Burghart: Remploi Textuel, unveröffentlichtes Typoskript zitiert nach Franchini: Studenti e Maestri, S. 103; Übers. P. R.: ‚Dort herrscht ungestümer Zorn, blinde Gier nach irdischen Gütern und zum steten Wandel neigende Unbeständigkeit […]. Dafür haben wir das Beispiel im Buch De disciplina scholarium von Boethius über den Sohn der Unbeständigkeit. Indem dieser immer wieder von einem Bereich der Wissenschaft zum nächsten wechselte, wechselte er auch von einer Disziplin zur nächsten. […] Sicher aber ist Beständigkeit umso notwendiger, als es ohne diese keine Kontinuität, ohne Kontinuität keine (habituellen) Praktiken, ohne Praktiken kein Wissen und ohne Wissen keine Weisheit gäbe.‘  Boeth. cons. II, 4; dt. nach Boethius: Trost der Philosophie, hg u. übers. von Gegenschatz und Gigon, S. 61: „Wer ist so glücklich, daß er seinen Zustand nicht zu ändern wünschte, sobald er der Ungeduld nachgibt?“  Vgl. dazu die materialreiche Untersuchung von Gabriel: The Inconstant Scholar, S. 147– 166 und Hunter: Forging Boethius, S. 118 f.

360

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Renauld de Louhans ~1336) die komplexe und auf den ersten Blick störende CratoEpisode durch einen Rechtsgelehrten und folgen so eher Horaz.³²² Diese Tendenz einer vereinfachenden Auslegung des Exempels zeigt auch die Rückführung auf einen sprichwörtlichen Sinn wie im Kommentar des Nicholas Trivet: Talibus utique prodesset plus si studerent in bonis ceptis animos suos continuare quam sic novitatum desideria prævolvere; sicuti enim hoc auctorizante vulgari, „Non fit hirsutus lapis per loca volutus“ sic neque animus pluribus ac diversis, nunc his, advertens doctrinarum flosculis pullulare prohibetur.³²³

Wie ein Stein, der beständig herumgewälzt wird, kein Moos ansetzt, so wird sich am unsteten Schüler kein Wissen anlagern. Dieses geläufige Sprichwort, das sich ursprünglich universell auf Mobilität bezieht,³²⁴ wird durch die Kommentare der Disciplina scholarium dezidiert mit der unsteten Mobilität der Schüler und Studenten verbunden. Damit zeigt sich die diskursprägende Reichweite des Textes: Noch in den gelehrten Sprichwortsammlungen des 16. Jahrhunderts wird dieses Sprichwort explizit mit dem ‚Fahrenden Schüler‘ verbunden. Bei Sebastian Franck heißt es: Waltzender Stein wirt nit mosig. Nam fit hirsutus lapis per loca multa uolutus. Farender schler bleibt ein spler/ das ist/ er wirt nit reich. Pflantzen die offt versetzt werden/ bleiben nit. Der von einem ort zum andern hin und her feret/ in ein frembd ort auß der kundtschafft/ der kan nicht überkommen. Ein steyn der hin und her gewaltzet fert/ wirt nit mosecht oder muͤ sig. so er aber an einem ort still ligt/ gewinnet er ein moß.³²⁵

 Asterik Gabriel vermutet als Zwischenstufe den Kommentar von Thomas Waleis, der das einfachere Schema von Horaz übernommen hat. Vgl. Gabriel: The Inconstant Scholar, S. 159.  Dubium [Nicholas Trivet]: Commentum Super libri Boetii de Scholarium Disciplina. In: Doctoris Angelici Divi Thomae Aquinatis sacri ordinis F. F. Praedicatorum opera omnia. Bd. 26, hg. von Stanislaus Eduard Fretté. Paris 1875, S. 571– 671, hier S. 606; Übers. P. R.: ‚Solchen Leuten würde es in jedem Fall mehr nutzen, wenn sie sich bemühen würden, mit vollen Eifer die guten Unternehmungen fortzusetzen, als auf diese Weise immer den Wunsch nach Neuerungen vorzuschieben. Wie nämlich in diesem (bestätigenden) Sprichwort ‚Ein (an verschiedene Orte) rollender Stein, setzt kein Moos an‘, so wird auch ein Geist, der mehrere und verschiedene und dann diese Lehrsprüche aufnimmt, daran gehindert, selbst etwas hervorzubringen.‘  Zum Beispiel in der Fecunda ratis des Egbert von Lüttich (1022/1024): Assidue non saxa legunt uoluentia muscum; Ebert von Lüttich: Fecunda Ratis, hg. von Ernst Voigt. Halle a. Saale 1889, I, 183 (S. 43). Explizit universale Lesarten des Sprichworts gab es auch im 13. Jahrhundert, z. B. bei Guiardinus (1. Hälfte 13. Jh.): Ut petra mota satis sine musco, sic sine fructu Vivit in hoc mundo mobilis omnis homo. Vgl. Jakob Werner: Guiardinus; Bruchstücke eines lateinischen Tugendspiegels nach der Basler Handschrift. In: Romanische Forschungen 26 (1909), S. 417– 461, hier S. 569. Allgemein dazu, zu anderen (lateinischen und volkssprachigen) Varianten und späteren Versionen vgl. TPMA 11, S. 137 (Nr. 174– 199).  Franck, Sebastian: Sprichwörter, schöne, weise Klugreden. Frankfurt/Main: Egenolff 1548, fol. 25r (Neudruck: Darmstadt 1972). Interessanterweise liegt bei dieser Textstelle ein Eingriff des posthumen Herausgebers Christian Egenolff vor. Im Druck zu Lebzeiten von Sebastian Franck heißt das lateinische Zitat: Saxum uolutum non obducitur musco; Sebastian Franck: Sprichwörter, hg. von Peter Klaus Knauer und Hans-Gert Roloff. Bern, Berlin u. a. 1993, S. 317. In der Ausgabe von 1548 wurde überhaupt viel

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

361

Der Humanismus bleibt freilich gegenüber mittelalterlichen Texten im Allgemeinen und mittellateinischen (zumal schuldidaktischen) Texten im Besonderen eher reserviert. Referenzpunkt ist das antike oder das neue Wissen zur Erziehung. Bezeichnend ist in diesem Kontext die Kritik des flämischen Humanisten und Druckerverleger Jodocus Badius, der im Widmungsbrief seiner Kommentierung zur Consolatio philosophiae (1498) die Kritik äußert, dass De disciplina scholarium wegen seiner Trivialität und stilistischen Primitivität nicht der Beschäftigung und der Kommentierung wert sei. Stattdessen wird die Beschäftigung mit Quintilians Institutio oratoria vorgeschlagen und ins Werk gesetzt.³²⁶

Humanistische ‚Studienführer‘ Diese Abwertung des pseudo-boethischen Textes ist signifikant für einen Wandel in der Zielsetzung und der Qualität von ‚Studienführern‘. Denn während in den mittelalterlichen Lehrwerken der Fokus auf einer moralischen oder philosophisch-fachlichen Vermittlung von Inhalten lag, weisen die humanistischen Lehrwerke „eine andere kommunikative Ausrichtung und Funktion“³²⁷ auf: Für sie steht vor allem die Einübung guter lateinischer Konversation im Zentrum. Daher sind sie meist als Dialoge verfasst und stellen – in steigender Schwierigkeit – Muster für verschiedene Alltagssituationen an der Universität zur Verfügung. Damit fungiert die Lektüre selbst schon „als Mittel der Initiation“, um die Neuimmatrikulierten „zu Akteuren in der Welt der Studierten zu machen.“³²⁸ Der berühmteste Vertreter der Textsorte ist das in den 1480er Jahren in Heidelberg entstandene Manuale scholarium. ³²⁹ Um die Mobilität der Studenten geht es hier nur am Rand, und zwar wenn die Studenten in den Musterdialogen von ihrer Herkunft

verändert, zum Beispiel die Anlage und Verweisstruktur zur Steigerung der Benutzerfreundlichkeit. Dies machte die Ausgabe von 1548 weit beliebter, sodass meist diese Version nachgedruckt wurde.Vgl. Barbara Bauer: Die Philosophie des Sprichworts bei Sebastian Franck. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Sebastian Franck. (1499 – 1542).Wiesbaden 1993, S. 181– 221, hier S. 183 f.Warum das Sprichwort verändert wurde, darüber kann nur spekuliert werden. Vielleicht wirkte der Reim eingängiger oder dieses Sprichwort galt – vielleicht vermittelt über (Pseudo‐)Boethius – als bekannter.  De disciplina autem scholarium (sic enim inscribitur opus) non est opere precium mihi visum ut commentum facerem: cum tribunali magis ac pedestri stilo conscriptum sit: et plusculis verbis explanatum. Verum quod tute ipse fatebere utilius frustellum ex instritionibus oratorijs Marci Celij fabij Quintiliani de officio discipulorum [Quint. inst. II, 9] preposuimus et prolixe exposuimus; Boethius: De consolatione philosophiae, mit Kommentar von Pseudo-Thomas Aquinas [Thomas Waleys] und Jodocus Badius Ascensius, hg. von Conradus Poseiaen. Lyon: Jean de Vingle für Etienne Gueynard 1498, fol. A1v.  Bubert/Boer: Studienführer, S. 338.  Beide Zitate aus Bubert/Boer: Studienführer, S. 351.  Ich beziehe mich auf die neueste Edition: Manuale scholarium. hg von Pierre Riché. Turnhout 2014, hier auch eine kurze aber präzise Einführung zum Kontext des Manuale Scholarium auf S. 7– 28. Eine Aufzählung verschiedener anderer ‚Studienführer‘ des 15. bis 17. Jahrhunderts findet sich in Bubert/Boer: Studienführer, S. 338 – 343.

362

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

sprechen: Im ersten Dialog tritt ein Student auf, der alleine von Ulm angereist ist und Rat bei einem Magister sucht,³³⁰ und der siebte Dialog wird zwischen den beiden älteren Studenten Camillus und Bartoldus geführt, wobei Bartoldus erklärt, dass er von Erfurt komme und nach Heidelberg reise. Dies wird zum Anlass genommen, den Streit zwischen der via moderna und der via antiqua sowie die Positionierung der Universitäten darzustellen, nicht jedoch um die Bedingungen studentischer Mobilität auszubuchstabieren.³³¹ Allgemein ist der Text nur in sehr eingeschränktem Maße als authentischer Einblick in das Studentenleben,³³² sondern eher als literarischer Mustertext zu sehen, der ohne Veränderung auch an anderen Universitäten und in anderen Kontexten genutzt werden konnte. Dafür spricht, dass gerade das Manuale Scholarium aus dem Umfeld der Universität Heidelberg ein unmittelbares Vorbild im Latinum ydeoma pro novellis studentibus des Leipziger Schulmeisters Paulus Niavis (Schneevogel) hat.³³³ Aus dieser Transformation von Rezeptionsort und Schulform wird deutlich, „dass zwischen universitären Studienführern und für Lateinschüler verfassten Gesprächsbüchern keine strenge Differenz besteht“³³⁴ – wenn auch die universitäre Konversation als didaktischer Fluchtpunkt der Schulausbildung gedacht werden kann. Ebenso zeigt sich, „dass es sich hier um Literatur handelt, die konkrete Beobachtungen und Erfahrungen zwar einbezogen haben dürfte, jedoch auf einer allgemeineren Ebene verarbeitete.“³³⁵

Schul- und Prodigusdramen Eine andere Form der Unterweisung haben Theaterstücke, durch die Schüler bestimmte (ethische) Inhalte performativ einüben sollten. Diese Form wurde schon im Mittelalter gepflegt,³³⁶ erlebte aber einen Höhepunkt im lateinischen Schuldrama der Frühen Neuzeit. Es wurde geprägt von Guilelmus Gnapheus (1493 – 1568), v. a. Acolastus (gedr. 1529) und Georgius Macropedius (1487– 1558), v. a. Rebelles (1535 gem.

 Qualiter novelli studentes alloqui debent magistros suos, ut in matriculam intitulentur ac etiam a beanio deponentur; Manuale scholarium, hg. von Riché, S. 32– 37, hier S. 32.  In quo alter alterum de itinere interrogat; Manuale scholarium, hg. von Riché, S. 76 – 81.  So v. a. in der Sicht des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, z. B. Gerhard Ritter: Über den Quellenwert und Verfasser des sogen. „Heidelberger Gesprächsbüchleins für Studenten“ (manuale scholarium, um 1490). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 77 (1923), S. 4– 32, hier S. 5 f.  Ed. Niavis (Schneevogel), Paulus: Latinum ydeoma pro novellis studentibus. ein Gesprächsbüchlein aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, hg. von Gerhard Streckenbach. In: MlatJb 6 (1970), S. 152– 191 und 7 (1971) S. 187– 251. Siehe auch: Franz Josef Worstbrock: [Art.] Schneevogel, Paul. In 2VL 8. Sp. 777– 785.  Bubert/Boer: Studienführer, S. 339.  Bubert/Boer: Studienführer, S. 351.  Vgl. z. B. Robert Bossuat: Le Théatre Scolaire au Collège de Navarre (XIVime–XVIIime Siècle). In: Melanges d’Histoire du Theatre 1950, S. 165 – 176.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

363

gedr. mit Aluta) und Petriscus (gedr. 1536).³³⁷ Beide sind Schulmeister und Teil der reformierenden Ordensgemeinschaft der ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘ (auch Fraterherren) und stehen damit im Kontext der devotio moderna – ebenso wie der bereits erwähnte Chronist Johannes Busch.³³⁸ Die Dramen aktualisieren die biblische Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15,11– 32), insofern der Sohn den Bereich der Eltern und der Moralität verlässt, am Ende aber reumütig dorthin zurückkehrt.³³⁹ Damit nehmen die Schulspiele ein Muster auf, das auch im legendarischen Erzählen sehr oft auf Schülerfiguren bezogen wird.³⁴⁰ Die lateinischen Spiele wurden bald in die Volkssprachen übersetzt – z. B. die Rebelles 1556 und 1557 ins Deutsche³⁴¹ – und prägten weit über die Niederlande hinaus die Gattung der (mitunter komischen) Schul‐ und Prodigusdramen.³⁴² In Deutschland greifen die vielgelesenen Studentes von Christoph Stymmelius (1549) Thema und Plot auf und prägen eine literarische Tradition. Denn die Studentes wurden von verschiedenen anderen Dramen rezipiert/ akzipiert, wie dem Cornelius relegatus von Albert Wichgreve (1600), den wiederum Johannes Sommer (1605) in eine deutsche Fassung überträgt.³⁴³ Sowohl die ‚Studienführer‘ als auch die Schuldramen setzen studentische Mobilität als Selbstverständlichkeit voraus, was aus der narrativ notwendigen (räumlichen und geistigen) Distanz zum moralisch gefestigten Elternhaus resultiert. Explizit wird diese jedoch meist nicht. Ebenso gehören Fahrende Schüler nicht zum Personal der Schuldramen und tauchen allenfalls als Gauner und Tagediebe auf, z. B. in Macropedius’ Bauernstück Aluta. ³⁴⁴

 Überblick in Berd Roling: [Art.] Guilelmus Gnapheus. In: VL16, 3, Sp. 23 – 31 und Guillaume van Gemert: [Art.] Georgius Macropedius. In: VL16, 4, Sp. 238 – 252.  Vgl. Kapitel 9.2.2.  Dazu grundlegend vgl. Franz Spengler: Der verlorene Sohn im Drama des XVI. Jahrhunderts. Innsbruck 1888, S. 1– 103 (generelle Bearbeitungen der biblischen Parabel) und S. 104– 136 (Schul- und Knabenspiegel).  Vgl. dazu Kapitel 9.4.1.  Vgl. Georgius Macropedius: Rebelles und Aluta, hg. von Johannes Bolte. Berlin 1897, S. XVI.  Vgl. Jan Bloemendal: Macropedius’s Drama in an International Context. In: Jan Bloemendal (Hg.): The Latin Playwright Georgius Macropedius (1487– 1558) in European Contexts. Turnhout 2009, S. 39 – 55, hier v. a. 41– 43.  Zur Stoffgeschichte und zur literarischen Reihe vgl. Thomas Wilhelmi, Moritz Ahrens und Leonard Keidel: Einleitung. In: Moritz Ahrens und Leonard Keidel u. a. (Hg.): Cornelius relegatus (1605). Sandersdorf-Brehna 2011, 9 – 23 und Wilhelmi, Thomas: [Art.] Christoph Stymmelius. In: VL16, 6, Sp. 205 – 212, hier Sp. 207.  Aneta Bialecka: Kinder der Luna. Theaterhistorische Bildquellenforschung zur Ikonographie des Gauklers im höfischen und städtischen Kontext des 15. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Diplomarbeit Wien 2008, S. 121– 123 interpretiert die beiden Gauner als Fahrende Schüler/‚Vagierer‘ aufgrund ihres Attributs, des Netzes. Dieser Zusammenhang wird im Stück selbst aber nicht evident. Zum Netz als Kennzeichen des Fahrenden Schülers vgl. weiter Kapitel 10.3.

364

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

9.3.3 Bewegung und Laster im Renner Hugos von Trimberg Als Beispiel für einen volkssprachigen schuldidaktischen Text soll Der Renner Hugos von Trimberg dienen, der um 1300 abgeschlossen wurde.³⁴⁵ Hier avanciert die Mobilität zum primären Gegenstand und Darstellungsmittel, was schon der Titel verdeutlicht.³⁴⁶ Imaginäre Mobilität dient als „forcierte Diagnose einer sündenverfallenen Welt einerseits, andererseits aber zum Abbau der Heterogenität seines Textes“,³⁴⁷ der als enzyklopädische Transgression der Predigt zwischen Gattungskonventionen steht.³⁴⁸ Wenn Hugo von Trimberg Bewegung darstellt, sieht er diese als Epochensignum und funktionalisiert sie einerseits syntagmatisch-strukturierend, andererseits moraldidaktisch. Dabei zielt er auf eine „Perhorreszierung von Mobilität“³⁴⁹ ab. Diese generelle Tendenz des Renners verbunden mit dem Autor-Erzähler Hugo von Trimberg, der sich selbst als alter Schulmeister zu erkennen gibt (vv. 24560 – 24563),³⁵⁰ scheint geradezu prädestiniert für die umfassende Behandlung von Fahrenden Schülern. Tatsächlich wird an manchen Stellen Mobilität von Schülern behandelt und dabei gleichzeitig Diskurse und Themen integriert, die sich auf (lateinische) Prätexte beziehen, z. B. Jacques de Vitry oder die Scholastik.³⁵¹ Seine Darstellung ist aber nicht objektiv, denn er entfaltet als betont ortsstabile Person gewissermaßen „eine virtuelle Mobilität, die manchmal als metaphorische, manchmal als allegorische, in beiden Fällen jedoch kontrafaktische Gegebenheit inszeniert wird.“³⁵² Der Gedankengang bei Hugo von Trimberg, den man sein ‚didaktisch-pädagogisches Konzept‘ nennen könnte, ist folgendermaßen begründet: Die Basis stellt das Studium der Heiligen Schrift und die persönliche Frömmigkeit dar. Denn ohne diese sei alle Gelehrsamkeit bedeutungslos: Swer sîn sêle wölle wol bewarn, Der lâze alle künste varn

 Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe Hugo von Trimberg: Der Renner, hg. von Ehrismann.  Vgl. dazu Peter Keyser: Michael de Leone († 1355) und seine literarische Sammlung. Würzburg 1966, S. 136 und Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 87 f.  Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 100.  Vgl. dazu Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 62– 66.  Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 87– 100. zit. S. 87. Ähnlich auch Tobias Bulang: Zur Positionierung des Laien im Feld des Wissens. Bemerkungen zum Renner Hugos von Trimberg. In: Martin Baisch und Elke Koch (Hg.): Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens. Freiburg, Br. 2010, S. 153– 178, hier S. 169 – 172.  Solchen Selbstthematisierungen ist immer mit Vorsicht zu begegnen. Bulang Enzyklopädische Dichtungen, S. 176 – 185 betont die topische Verwendung literarischer Rollenmuster. Auch ich folge keinem blinden Biographismus. Dennoch darf man nicht unterschlagen, dass sich der implizite Autor Hugo von Trimberg explizit als gealteter Schulmeister inszeniert.  Vgl. Kapitel 8.1.1 und 9.3.1.  Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 90.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

365

Und diene unserm herren flîziclich Mit süezer andâht einvelticlich. (vv. 13485 – 13488)

Grundlage der Vermittlung dieser Gottesfürchtigkeit ist der Gehorsam gegenüber dem Lehrer. Denn man bekäme nur frume pfaffen | Und wol gelêrte schuolêr (vv. 17418 f.), wenn man ihnen den Respekt (wortwörtich) ‚einbläue‘: Dô man si lêrte und vaste streich (v. 17412). Auf dieser Grundlage sei Gelehrsamkeit (kunst) sowie weltlicher Besitz und Prestige (guot) möglich: Kunst ân guot ist affen spil, Gewin hât mit gewinne pfliht, Ein kummer ist âne den andern niht, Guot âne kunst ist tôren glanz, Kunst mit guote treit êren kranz. Diu heilige schrift muoz immer sîn Doch aller künste keiserîn: Swer die niht lernet in sîner jugent, Der sol selten grôze tugent Bî andern künsten lerne Ze Pârîs oder ze Salerne. […] Swelch schuoler selber niht wil lerne, Der êrt ouch sînen meister ungerne, Der in gern daz beste lêrte Dâ mit er unsern herren êrte, An dem sîn sêle doch muoz beklîben Wil si bî êwigen fröuden belîben. (vv. 13402– 13424)

Als Formen der gescheiterten Ausbildung nennt Hugo von Trimberg die sozial und heilsgeschichtlich falschen Verhaltensweisen des Vagierens und der angeberischen Gleißnerei. Folgende Textstelle, die das tummer schuoler disputieren (v. 13508) kritisch vorführt, ist dafür beispielhaft: Swer sînen muotwillen trîbet ûf erden, Der wil niht himel bürger werden. Aller meister flîz und lêre Muoz mit leide wider kêre, Swâ ein schuoler niht lernen wil Der man nu leider siht gar vil, Die gern hêten guot und êre Und doch versmêhen der wîsen lêre Schuoler strebent von der schuole: Ê denne si vor irs meister stuole Sîn gesezzen siben jâr, Sô lâzent si schuol und meister gar und wispelnt hin und wispelnt her, zühte, künste und êren lêr:

366

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Si sprechent denne, man habe si niht Gelêret, als leider ofte geschiht. (vv. 13513 – 13528)

Als Fazit für diesen Gedankengang formuliert Hugo von Trimberg dann: Allez lernen ist enwiht, Daz sich gein himel rihtet niht. (vv. 13533 f., ähnlich auch vv. 16577– 16579)

Natürlich hebt diese Textstelle auf die rekurrente Negativierung von Mobilität ab. Die „Heillosigkeit des Vagierens“³⁵³ liegt im Renner nicht in einer Ausstellung von Männlichkeit in amourösen Abenteuern – wie in der Versnovellistik (vgl. Kapitel 8.2 und 9.4.2) – oder in der Delinquenz des streunenden, randalierenden Schülers als vagus – wie in der Narrenliteratur und universitären Disziplinarbeschlüssen (vgl. Kapitel 5.2.2 und 9.2.2.). Vielmehr liegt sie darin, dass der Schüler aus Hochmut (Die gern hêten guot und êre) und zu früh die Schule und die Kontrolle durch den Lehrer verlasse. Aus dem übertriebenen Streben nach weltlichem Ruhm folgt neben dem Vagieren – mehr ein Symptom oder eine Grundbedingung der anderen Formen des Fehlverhaltens – vor allem Angeberei und in letzter Instanz delinquente Hochstapelei. Interessanterweise fügt Hugo von Trimberg die Schüler, die aus Ehrgeiz die Schule zu früh verlassen, zusammen mit einer allgemeinen Schul- und Lehrerklage in seine Behandlung der lâzheit ein und bedient damit das patristische acedia-Konzept, demnach der Drang nach unkontrollierbarer Mobilität (pervagatio) aus der ‚Trägheit‘ resultiere.³⁵⁴ Gemäß der Struktur der einzelnen Distinktionen im ‚Sündenteil‘ des Renners sind die Schüler für die behandelte Todsünde der acedia besonders gefährdet.³⁵⁵ Die ‚vorreifen‘ Schüler stellen als wispeler Gelehrsamkeit und Rhetorik vor Ethik und Religion (vv. 16587– 16602). Dadurch würden ihre silbernen Worte schnell zu Zinn, denn die (göttliche) Ordnung kann nur auf der Oberfläche verkehrt werden. Wenn die Kunstfertigkeit und die Kenntnis der Heiligen Schrift hingegen fehlten, da der Schüler Gehorsam (oboedientia) und Ortsbeständigkeit (stabilitas loci) missachteten, müssten sie die rein äußerliche ‚Verkleidung‘ des Gelehrten anlegen (trügementellîn) und könnten wahres Wissen nur simulieren; eine Praxis, der auch Hugo von Trimberg dem selbstkritischen Zusatz zufolge vierunddreißig Jahre gefolgt sei: Siht aber etswenne ein schuoler drîn Der suochet ein trügementellîn, In dem er schîne ze aller frist Vil künsterîcher denne er ist.

 Bulang: Zur Positionierung des Laien, S. 170 und Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 92 f.  Vgl. Kapitel 9.1.1.  Zur Gesamtstruktur des Renner vgl. Hugo von Trimberg: Der Renner, Bd. 4, S. 311– 313 und Weigand: Überlieferung, S. 346 – 358.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

367

Der hân ich einez bî mînen tagen Wol vier und drizic jâr getragen. (vv. 16737– 16742)

In unmittelbarem Anschluss an diese Textstelle führt Hugo einige Tätigkeitsfelder an, welche diese Praxis umsetzen und ihrerseits ein trügementellin trügen: Ärzte (eher Quacksalber), Gaukler, Zauberkünstler (Liebeszauber!), Schwertgesellen, Spieler (vv. 16742– 16760) und als sechste Gruppe die Schüler: Sô kumt aber einer und siht hin în, Der koufet schœniu büechelîn, Diu er mit im ze lande füere Und nimmer mêr si denne gerüere. (vv.16765 – 16768)

Die hochmütigen Schüler betrügen also, indem sie ihre Gelehrsamkeit durch kostbare Bücher ausstellen, den Inhalt aber nicht kennen. Es folgen die Pfarrer, die lernen eine Messe zu lesen und [m]it disen loufet er durch diu lant (v. 16771), außerdem die Köche, die Fiedler und als Höhepunkt und Abschluss die Hütchenspieler (vv. 16769 – 16790): Der triugt sich selber und wil doch triegen Ander liute und mit in kriegen (vv. 16787 f.)

Bei Hugo von Trimberg gilt der Hütchenspieler³⁵⁶ als Inbegriff des Betrügers. Diese negative Bewertung ist gepaart mit seiner Rolle als hoch-mobile Figur. So wird an anderer Stelle explizit die permanente Bewegung des (Falsch‐)Spielers mit der ‚unfesten‘ Sprache des Betrügers verglichen, die im Gegensatz zu der sancta simplicitas des Frommen steht:³⁵⁷ Die varnt mit worten hin und her Als ein behender kegeler, Der ûf setzet, rihtet, nider vellet Sîn kegel er nâch gewinne stellet Mit listiclicher behendikeit Und wol oder übel sich betreit, So er loufet, springet hin und her Als ein gefüeger goukeler, Der under dem huote goukeln kann: Der triuget manic wîp und man (vv. 3671– 3680)

 Während eine andere Stelle über das kugel schîeben (vv. 11401– 11438) dem Bildbereich des Boccia- oder Kegelspiels enstammen, wie es die Handschriftenillustrationen eindeutig belegen, bezieht sich Hugo von Trimberg in der Passage Von kegel werfen explizit auf das Hütchenspiel.Vgl. zu den Illustrationen Bruno Müller: Hugo von Trimberg und das Bocciaspiel. In: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 105 (1969), S. 202– 211.  Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 151– 156.

368

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Die Mobilität des Sprechers und die ‚Mobilität‘ seiner Worte wird enggeführt, also die Mobilität des Produzenten und der Signifikanten. Die Folge ist eine Uneindeutigkeit des Diskurses aufgrund der vagen Signifikanten, die als Gefährdung sowohl der weltlichen als auch der göttlichen Ordnung erscheint.³⁵⁸ Einer ähnlichen Argumentation folgt die ‚Gaunerliteratur‘ der Frühen Neuzeit, indem sie die Verstellung der Bettler als gesellschaftsgefährdend brandmarkt. Interessanterweise fallen die Attribute einiger der in der Liste angeführten betrügerischen Gesellschaftsgruppen ab dem 15. Jahrhundert mit Zuschreibungen an den Fahrenden Schüler zusammen. Dieser Prozess einer Kumulation ist schon in den Renner-Handschriften ersichtlich. Vier der bei Ehrismann kritisch edierten Handschriften weisen klassifizierende Zwischenüberschriften für die einzelnen Personengruppen auf.³⁵⁹ Dabei ist nur die Handschrift B2 vor 1400 zu datieren. Die anderen Handschriften Po1, B3 und Ha1 stammen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.³⁶⁰ B2 (und auch Ha1) teilt der ersten Rubrik die Überschrift Von erzeten zu, während Po1 von ‚unendlichen Studenten‘ (also Langzeitstudenten) spricht: Hie seyt er von vnendlichen stdenten Vnd auch von iren getenten. B3 dehnt diese Tendenz noch weiter aus und subsumiert die Quacksalber und die Gaukler/Taschenspieler unter die studenten. Die sechste Gruppe hat in B2 und Po1 nur noch ein unspezifisches aber ein anders oder gar keinen Titel mehr, wohingegen in Ha1 Von studenten und in B3 Von schuolern steht. Obwohl die Bearbeiter den spezifischen Ausdruck nicht nutzen, geben diese späteren redaktionellen Eingriffe Aufschluss über die Zuschreibungen zur Imagination des Fahrenden Schülers. Die Figur vereint Merkmale des Quacksalbers, des gaukelnden Taschenspielers und steht an (oder auch jenseits) der Scheidelinie zum falschen Priester (in Ha1: Von luder paffen) und Hütchenspieler. Diese Grenze wird ebenfalls im Text selbst deutlich, wenn Hugo von Trimberg den gesellschaftlichen Abstieg zum fahrenden Schausteller, Musiker oder Gaukler als logische Konsequenz für die luxuria der Schüler, die sich verschwenderisch bunt kleiden (vv. 16501– 16505), anführt:³⁶¹ Waz sölte ich dâ von lenger sagen? Schirmer, gîger, goukeler Siht man werden vil schuoler,

 Vgl. ähnlich Taylor: Vagrant Writing. S. 9 – 24.  Zu den einzelnen Lesarten der Handschriften vgl. Hugo von Trimberg: Der Renner, Bd. 2, S. 305 – 308.  B2: Berlin, SB, Ms. germ. fol. 1190 (= Signatur m bei Ehrismann). Vgl. Weigand: Überlieferung, S. 46 f.; Po1: Pommersfelden, Gräfl. Schönbornsche Schloßbibl., Cod. 155 (olim 2715) (= Signatur a bei Ehrismann). Vgl. Weigand: Überlieferung, S. 115 f.; B3: Berlin, SB, Ms. germ. qu. 578 (= Signatur o bei Ehrismann). Vgl. Weigand: Überlieferung, S. 47– 49; Ha1: Hamburg, Staats- und Universitätsbibl., Cod. germ. 3 (= Signatur U bei Ehrismann). Vgl. Weigand: Überlieferung, S. 77. Ehrismann stützt sich bei seiner Edition vor allem auf die Überschriftenunterteilung in dieser Handschrift.  Eine solche Darstellung im Stil einer Alamode-Kritik findet sich bereits im Carmen Buranum 219, das den scolarem libentius tectum veste bona (Str. 4, 4) nennt. Vgl. Kapitel 7.2 und später recht explizit im Kleinen Renner. Vgl. Kapitel 8.1.2.

9.3 Inconstantia und intellektuelles exilium – schuldidaktische Texte

369

Die guotes vil ze schuole verzernt Und sich mit loter fuore doch nernt. (vv. 16506 – 16510)

In den späteren Marginalien (ab 1400) wird deutlich, dass die Darstellung des Negativexempels verstärkt auf Schüler Bezug nimmt. Dennoch konzentriert es sich auf den Appell, gehorsam zu bleiben. Das Vagieren dient eher als Symptom, welches dem Lehrer die Möglichkeit gibt, das sündhafte Leben von Verstellung und Hochmut zu erkennen und zu korrigieren. So hebt der Text auch am Abschluss der ‚Gaunerreihe‘ auf die (nicht genutzten) Möglichkeiten der Schüler ab: Tumpheit, lazheit, vertrogenheit Habent manigen schuoler hin geleit, Den dêmuot und verstandenheit Brâht hêten an grôze wirdikeit. Der schuoler wart nie künste wert. Von dem sîn meister wirt beswêrt. (vv. 16821– 16826)

Demut und Verständigkeit hätten den Schüler also in eine würdige Position gebracht, während ihn sein dummes, träges (acedia) und betrügerisches Wesen davon weggeführt hätten. Der Umstand, dass es in dieser Textstelle des Renners primär um den Gehorsam und allenfalls sekundär um Mobilität geht, illustriert auch die Auswahl des abschließenden Exempels aus Schuoler zühte buoch (v. 16828), also der disciplina scholarium des Pseudo-Boethius (vv. 16827– 16859). Denn er bezieht sich nicht auf das für Mobilität eigentlich einschlägige Exemplum vom ‚Unsteten Scholaren‘, dem filius inconstanciae, sondern rekurriert auf die Erzählungen von Albin, der seinen Meister Grillius schlägt, als Beispiel für den discipulus violentus, und von Lucrecius aus Rom, der alle Vorteile seiner hohen Herkunft herumstreunend verprasst und schließlich am Galgen endet, als Beispiel für den discipulus luxuriosus. ³⁶² Das tragische Ende des Lucrecius kommentiert Hugo appellativ: Nu merket, lieben, alle gelîch Waz lazheit schaden füegen kan! (vv. 16860 f.)

Auch an anderen Stellen ruft Hugo von Trimberg zu demütiger Selbstbeschränkung, Wahrhaftigkeit und Unterwerfung unter den guten Lehrer auf, zum Beispiel im Kontrast zu demjenigen, der nur um des Prestiges willen nach Paris geht und dort wênic lernet und vil verzert (v. 13436).³⁶³ Dabei nimmt Hugo seine Aufgabe, Gehorsam anzuerziehen, mehr als Zwickmühle denn als Gratwanderung auf. Denn entweder flie-

 Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium, 2, 6 und 2, 8 (S. 100 f.).  Damit verhalten sich diese Studenten ähnlich wie der Esel Burnellus in Wirekers Speculum stultorum (1179/80), der nach seinem Studium in Paris, sich nicht einmal den Namen der Stadt merken konnte. Er ist auf einen Bauern angewiesen, um die Information zu erhalten. Vgl. Nigellus de Longchamp: Speculum stultorum, vv. 1931– 1942.

370

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

hen die Schüler von einem allzu strengen Lehrer oder sie tanzen dem zu lockeren Lehrer auf der Nase herum (vv. 15021– 15026). Extreme Vorzüge wie äußere Schönheit, gute Schrift und angenehmer Gesang seien eher zu meiden; stattdessen präferiert er das ruhige, aber sichere Mittelmaß. Er fasst dies im Bild von Nachtigall und Esel. Während der Vogel seine Nahrung in der Ferne mühsam suchen und heranbringen müsse, habe es der Vierbeiner in seinem Stall ruhig und angenehm: Schœn antlütze junge meide betriuget, Wol schribendiu hant irem meister liuget, Wol singendiu kele vil manigem schuoler Machet ê der zît die schuole unmêr Manic vogellîn singet von herzen wol Und muoz sîn spîse gar wîten hol: So belîbet ein esel in sînem stalle, Der selten lebt in hôhem schalle Und hât doch sîn gewisse spîse, Alein er sî weder schœne noch wîse. (vv. 15031– 15040)

Immer wieder wird die Mobilität als Normverstoß angeführt und mitunter breit auserzählt,³⁶⁴ wie in der Fabel von der Grille und der Ameise (vv. 5565 – 5656), indem er die Opposition Gesang : Arbeit in die analoge Gegenüberstellung von instabilitas : stabilitas überführt.³⁶⁵ Daraus folgt, dass Beweglichkeit tatsächlich „Ursache des Lasters“³⁶⁶ ist, fehlender Gehorsam aber als Ursache der Beweglichkeit vorausgeht. Dieser Ungehorsam resultiert vornehmlich aus der acedia und der von ihr abhängigen vagatio mentis et corporis. Damit dreht er wieder die Kausalbeziehungen um, da nun das Laster die Beweglichkeit begründet. Hugo von Trimberg geht also von einer diffusen Grundsituation der Sündhaftigkeit des (jungen) Menschen aus, der aber durch Gehorsam und die Lenkung des Lehrers aus seiner heilsgeschichtlichen Misere gerettet werden könne. Dieser intentio operis widerspricht auch nicht die Annahme, im Text manifestiere sich „ein Prinzip der Unruhe, das auf eine Dynamik zu beziehen ist, welche die Bereiche des Wissens und der Dichtung am Ende des 13. Jahrhunderts prägt.“³⁶⁷

 Vgl. Christoph Huber: Bemerkungen Hugos von Trimberg zum Reisen. In: Dietrich Huschenbett und John Margetts (Hg.): Reisen und Welterfahrung in der deutschen Literatur des Mittelalters. Würzburg 1991, S. 110 – 122 und Bulang: Zur Positionierung des Laien, S. 169 f.  Vgl. dazu Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 93 f.; ATU 280 A:The Ant and the Cricket. Zu der Fabel im Renner vgl. auch Klaus Grubmüller: Meister Esopus. Untersuchungen zur Geschichte und Funktion der Fabel im Mittelalter. Zürich 1977, S. 278 f.  Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 93.  Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 188. Er problematisiert zwar zu Recht eine Beschränkung auf die Interpretation der Lehrhaftigkeit des Renners, dennoch sollte die Selbstinszenierung als didaktischer Text eines alten Schulmeisters nicht unterschätzt werden.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

371

Denn Der Renner bleibt trotz aller dichterischen Anleihen³⁶⁸ doch ein anleitender Text aus der Perspektive des Lehrers, der – analog zur contemptus-mundi-Literatur³⁶⁹ – von einer sündhaften Weltverfallenheit ausgeht und durch die „Darstellung der Laster […] den Menschen zur Tugend zurückzuführen“³⁷⁰ versucht. Wenn man Hugos eigene Schüler als mögliche Rezipienten erwägt, ist die Wahl der hier angeführten Beispiele unmittelbar einleuchtend. Dabei greift er teils implizit, teils explizit bestehende Diskurse auf, gliedert diese in sein Grundprogramm ein und macht sie so einer breiteren volkssprachlichen Rezipientenschicht zugänglich. Dennoch fehlen im Renner wie in den anderen untersuchten Texten weitgehend die Elemente, die um 1500 mit dem Fahrenden Schüler konnotiert werden, wie auch die Bezeichnung selbst.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik Dass die Gattungen in der mittelhochdeutschen Kleinepik nur schwer trennscharf zu unterscheiden sind, ist Konsens der Forschung. So ist auch zwischen dem geistlichen Erzählen in Legenden und dem schwankhaften Erzählen in Versnovellen von einem breiten Gürtel an Grenzfällen und Übergangsformen auszugehen.³⁷¹ Heilige und Apostel dienen neben Teufeln als Akteure in (mithinter derben) Schwänken und werden allenfalls durch appliziert wirkende Moralisierungen im Pro-/Epimythion moralisch ausgedeutet.³⁷² Auch der Überlieferungskontext zeigt, dass schwankhafte und geistliche Versnovellen nicht kategorisch unterschieden wurden. Am deutlichsten wird dies im Cod. pal. germ. 341: Denn diese Sammelhandschrift, die zusammen mit ihrer Schwesterhandschrift Bodm. 725 (K) zu den wichtigsten Überlieferungsträgern deutschsprachiger Kleinepik gilt, dominieren in der ersten Hälfte legendarische Texte – vor allem Marienmirakel.³⁷³  Zur „Revision und Umschrift literarischer Traditionen“ vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 161– 175 und Inés de La Cuadra: Der „Renner“ Hugos von Trimberg. Allegorische Denkformen und literarische Traditionen. Hildesheim, Zürich, New York 1999, S. 167– 192.  Vgl. La Cuadra: Allegorische Denkformen, S. 246 f.  La Cuadra: Allegorische Denkformen, S. 71.  Vgl. Fritz Peter Knapp: Mittelalterliche Erzählgattungen im Lichte scholastischer Poetik. In: Walter Haug (Hg.): Exempel und Exempelsammlungen. Tübingen 1991, S. 1– 22 und Burghart Wachinger: Einleitung. In: Christoph Huber, Burghart Wachinger und Hans-Joachim Ziegeler (Hg.): Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters. Berlin 2000, S. 1– 16. Außerdem Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 34– 38 und 69 – 81.  Vor allem Petrus dient als beliebte Schwankfigur. Zum Mären-Begriff und seiner Ausweitung auf Texte mit nicht-weltlichem Personal vgl. Matthias Kirchhof: Mären mit Hörnern, Schweif und Klauen? Die ‚Teufelserzählungen‘ und das Märencorpus Hanns Fischers. In: Jörn Bockmann und Julia Gold (Hg.): Turpiloquium. Kommunikation mit Teufeln und Dämonen in Mittelalter und früher Neuzeit. Würzburg 2017, S. 45 – 62.  Vgl. grundlegend Mihm: Verbreitung der Märendichtung, S. 47– 61 und 135 f. Zum Verhältnis von geistlicher und weltlicher Dichtung im Codex vgl. außerdem Hans-Joachim Ziegeler: Der literarhisto-

372

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Dennoch rufen die Legende und der Schwank in ihren Prototypen unterschiedliche Register auf, was auch die narrativen Funktionen der auftretenden Schülerfiguren und die Plotstruktur verändern kann. Im Folgenden ist zu untersuchen, inwieweit studentische Mobilität und kleinepische Handlung zusammenhängen: Ist die Figur selbst auf ihre narrative Funktion als mobiler Aktant beschränkt oder können andere (auch außerliterarische) Implikationen erkannt werden? Wie unterscheiden sich die Darstellungsweisen in Legende und Schwank? Die Überlegungen zur Mobilität des Studenten im Schwank knüpfen an die Ausführungen in Kapitel 8.2 an.

9.4.1 ‚Verlorene Söhne‘ und ‚Fromme Lämmer‘ – Schüler in Legenden des 13. Jahrhunderts Der heilige Nikolaus als Patron der (fahrenden) Schüler Nikolaus von Myra versieht neben dem Patronat für zahlreiche Gewerbe (Seefahrer, Kaufleute, Rechtsanwälte, Metzger, Bäcker, Schneider u. a.) auch das für die Schüler. Diese Zuschreibung ist durch die „Legende von der Auferweckung der getöteten Schüler“ grundgelegt.³⁷⁴ Der Kern der Legende sind zwei (oder auch drei) Schüler, die auf der Reise um Herberge für die Nacht bitten. Da der Wirt bei den Schülern Schätze erwartet, ermordet der Wirt seine Gäste in der Nacht und pökelt sie ein. Als am nächsten Tag der Heilige in Gestalt eines Bettlers an der Tür um frisches Fleisch bettelt, wird die Sünde offenbar, der Mörder wird bestraft und die Schüler wieder zum Leben erweckt. Entgegen der Vorstellung des povre clerc in den altfrz. Fabliaux des 13. Jahrhunderts gelten die mobilen Schüler in dieser Legende als wohlhabende und fromme Reisende, die einem Verbrechen zum Opfer fallen und nicht selbst zum Täter werden. Die Überlieferung verweist zudem auf einen ähnlichen Entstehungsraum von säkularem Lied (‚Vagantenlieder‘) und den ersten Mirakelspielen und ‐erzählungen über diesen Heiligen, und zwar auf die „geistlichen Schulen Nordfrankreichs“ im 12. Jahrhundert.³⁷⁵ Hier machte Nikolaus sogar der Hl. Katharina als Schutzherrin der Universität Konkurrenz.³⁷⁶ Spätestens in Shakespeares Henry IV, 1 (1598) zeigt sich durch eine Generalisierung der Mobilität in der Legendenüberlieferung eine Transformation des Schülerrische Ort der Mariendichtungen im Heidelberger Cpg 341 und in verwandten Sammelhandschriften. In: Timothy R. Jackson, Nigel F. Palmer und Almut Suerbaum (Hg.): Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Berlin 1996, S. 55 – 77 und Dahm-Kruse: Versnovellen im Kontext, S. 170 – 178.  Vgl. dazu und zum Folgenden Karl Meisen: Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendlande. Eine kultgeographisch-volkskundliche Untersuchung. Düsseldorf 1981, S. 289 – 306. Diese Legende trug auch an der Entwicklung des Brauches bei, dass der heilige Nikolaus als Geschenkebringer für die Kinder von Haus zu Haus zieht.  Meisen: Nikolauskult, S. 299. Edition des ältesten Mirakelspiels aus dem Liber Sancti Godehardi in Hilde⟨ssemi⟩ (British Library Add. 22414) in Ernst Dümmler: Legenden vom heiligen Nicolaus. In: ZfdA 23 (1891), S. 401– 407.  Vgl. Meisen: Nikolauskult, S. 304 f.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

373

patronats auf ein Patronat für Vagabunden und Fahrende Schüler, die „Saint Nicholas’ clerks“:³⁷⁷ Mit einem „Zeichen echter volkstümlicher Heiligenverehrung“³⁷⁸ hat diese Zuschreibung nichts zu tun. Vielmehr sitzt diese Bezeichnung dem – um diese Zeit gerade auch in England – virulenten Bettlerdiskurs auf,³⁷⁹ zumal sie auch bei Shakespeare in einer Reihe von Slang-Vokabeln aus der Gaunersprache, dem rogues’ cant, steht. Nikolaus als Patron der Vagabunden ist angesichts der Überlieferungslage demnach nicht mittelalterlich. Daneben aber sind Schülerfiguren gerade in mariologischen Legenden ab dem 13. Jahrhundert weit verbreitet.

Die Marienmirakel des Passionals Einen besonderen Stellenwert innerhalb der mittelhochdeutschen Verserzählungen mit geistlicher Thematik nimmt der Kranz von 25 Marienmirakeln ein, der sich am Ende des ersten Buches im Passional finden.³⁸⁰ Denn im Gegensatz zu Quellensituation und Aufbau in anderen Teilen des berühmten Legendars, das sich sehr nah an die Legenda aurea von Jacobus de Voragine anlehnt, scheint die Komposition der Marienmirakel „eine eigene Leistung des Verfassers“³⁸¹ zu sein. Dieser stellt Texte aus verschiedenen Quellen in eine Reihe, wobei er neben der Legenda aurea auch andere Quellen nutzt, wie den Liber de miraculis sanctae Genitricis Mariae. ³⁸² Mehrere kleinepische Sammelhandschriften bedienen sich wiederum aus den Marienmirakeln

 In Henry IV, Teil 1, II, 1, Z. 57– 61 heißt es: Gadshill: Sirrah, if they meet not with saint Nicholas’ clerks. I’ll give thee this neck. | Chamberlain: No, I’ll none o fit. I prithee, keep that fort he hangman; for I know thou worshipp st saint Nicholas as truly as any man of falsehood may. Ed. William Shakespeare: Henry IV, 1. In: Stephen Greenblatt (Hg.): The Norton Shakespeare. Based on the Oxford Edition. New York, London 1997, S. 1147– 1224, hier S. 1172. Vgl. dazu und zu anderen Belegstellen John Stephen Farmer und Henley (Hg.): Slang and its Analogues. Past and Present. Bd. 5 [1902]. New York 1965, 35 f. Womöglich spielt auch der Spitzname für den Teufel als „Old Nick“ eine Rolle bei der Bezeichnung; dies ist aber unwahrscheinlich, da diese Bezeichnung erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts festzustellen ist. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch hier S. 281.  Meisen: Nikolauskult, S. 306.  Vgl. Pugliatti: Beggary and Theatre, S. 155 – 191.  Beim Passional handelt es sich um eine Sammlung von Heiligenlegenden, die im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts wohl im Umfeld des Deutschen Ordens entstanden ist. Dazu Annegret Haase, Martin Schubert und Jürgen Wolf (Hg.): Passional. Buch I: Marienleben. Berlin 2013, S. XXX–XLV und Edith Feistner: Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation. Wiesbaden 1995, S. 234 f.  Haase/Schubert/Wolf: Passional, S. CCL.  Beim Liber de miraculis sanctae Genitricis Mariae handelt es sich um eine Sammlung aus dem 12. Jh., die möglicherweise vom Benediktinermönch Potho (oder Boto) von Prüfening bei Regensburg zusammengestellt wurde. Über die Person ist wenig bekannt. Vgl. dazu Potho von Prüfening: Liber de miraculis Sanctae Dei Genitricis Mariae. Zuerst hg. von Bernhard Pez. Wien 1731, hg. von Thomas Frederick Crane. London 1925. Zur Diskussion der verschiedenen Quellen vgl. grundlegend Albert Poncelet: Miraculorum B.V. Mariae quae saec.VI–XV latine conscripta sunt Index postea perficiendus. In: Analecta Bollandiana 21 (1902), S. 241– 360.Vgl. auch Haase/Schubert/Wolf: Passional, S. CCXXIII– CCXXXIX.

374

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

des Passionals und lösen sie so aus dem Überlieferungskontext.³⁸³ Als zusammenhängend komponierte Mariendichtung wurde die Textgruppe (weitgehend) geschlossen in die Sammelhandschriften Cod. pal. germ. 341, Cod. Bo. 72 und Wien Cod. 2677 integriert.³⁸⁴ Hier folgen die Marienmirakel aus dem Passional auf andere mariologische Texte wie Konrads von Würzburg „Die goldene Schmiede“, Mariengrüße und je einen Leich Walthers von der Vogelweide und Reinmars von Zweter. Den Erzählungen des Passionals sind dann noch andere Marienmirakel angehängt („Unser Frauen Ritter“, „Thomas von Kandelberg“ und Siegfrieds von Dorfer „Frauentrost“).³⁸⁵ Dass diese 27 geistlichen Erzählungen (zumindest im Heidelberger und Bodmer-Codex) als Einheit wahrgenommen wurden, zeigt auch die Rahmung des Blocks, der mit Hie hebent sich an groz wunder | von vnser vrowen besvnder (Cod. pal. germ. 341, fol. 34r, Cod. Bo. 72, fol. 48r) beginnt und mit Hie endent sich unser vrowen wunder (Cod. pal. germ. 341, fol. 70v) schließt.³⁸⁶ Nicht nur durch seine überlieferungsgeschichtliche Stellung sticht dieser Zyklus hervor, sondern auch durch die Zeichnung seiner Figuren, v. a. von Kindern. Im Gegensatz zu anderen geistlichen Erzählungen, die Kinder als Protagonisten allenfalls in der Rolle als zukünftige Propheten oder Heilige präsentieren,³⁸⁷ begegnen sie hier auch von einer menschlichen Seite. Es handelt sich um Figuren, die Maria innig verehren und daher trotz eines Fehlers oder einer großen Sünde, die bis zum Teufelspakt reicht, von der Gottesmutter gerettet werden. Jedoch handelt es sich keineswegs „immer um Sünder, sondern auch um solche, die Maria mehr als andere (z. B. andere Heilige […]) verehren oder materiell oder geistig arm sind.“³⁸⁸ Für eine Repräsentation dieser Eigenschaften können sehr gut Schülerfiguren dienen. Als Fremde am Schulort sind sie an Gütern und sozialen Beziehungen arm (elend). Als Jugendliche gelten sie zudem bezüglich ihrer moralischen Disposition als formbar, sodass fehlerhaftes Verhalten leichter (mit Hilfe Marias) korrigiert werden kann, durch ihren Status als Lernende sind sie aber dezidiert in einem Entwicklungsprozess. In der mariologischen Textreihe der genannten Sammelhandschriften findet sich daher eine ungewöhnlich große Zahl von Schülerfiguren. So übernimmt das Legendar nicht nur die zwei Schülerlegenden aus der Legenda Aurea, sondern integriert noch

 Vgl. Hans-Georg Richert: Wege und Formen der Passionalüberlieferung. Tübingen 1978, S. 297 f. und die Tabelle in Haase/Schubert/Wolf: Passional, S. LXI–LXX mit einer Tabelle auf S. CXVII. Allgemein zur Stellung der Kleinepiksammlung als zentraler Überlieferungsträger geistlicher Verserzählungen Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 195 – 228.  In allen drei Handschriften fehlen Nr. 21 „Marien Rosenkranz“ und Nr. 25 „Der Judenknabe“. „Marien Rosenkranz“ findet sich jedoch in einer abweichenden Version an späterer Stelle. Zu diesen Handschriften vgl. z. B. Haase/Schubert/Wolf: Passional, S. LXI–LXIII.  Vgl. dazu Ziegeler: Mariendichtungen, S. 73 – 75 (mit einer synoptischen Tabelle).  Co. Bod. 72, fol. 85r weicht ab. Hier fehlt diese Zeile und es wird nur die folgende Erzählung eingeleitet. Vgl. dazu auch Richert: Passionalüberlieferung, S. 64 f.  James Alfred Schultz: The Knowledge of Childhood in the German Middle Ages, 1100 – 1350. Philadelphia 1995, S. 232 f.  Ziegeler Mariendichtungen, S. 71.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

375

drei weitere aus unterschiedlichen anderen Quellen. Aus der Legenda Aurea kommen die Erzählungen „Ein Scholar, Marien Bräutigam“³⁸⁹ und „Der Traum des Scholaren“,³⁹⁰ aus anderen Quellen „Die Blume im Munde“,³⁹¹ „Marien Rosenkranz“,³⁹² „Der Scholar und das Marienbild“³⁹³ und „Thomas von Kandelberg“.³⁹⁴ Auch die Einordnung als Schüler wird im Vergleich zur Stoffgeschichte der einzelnen Mirakel eindeutiger. Beispielsweise spezifiziert das mittelhochdeutsche Passional die eher unbestimmte Bezeichnung quidam clericus in der Version von „Ein Scholar, Marien Bräutigam“ der Legenda Aurea. Dass es sich bei dem Protagonisten der Erzählung tatsächlich um eine Schülerfigur handelt, macht hier nicht nur die Bezeichnung, sondern auch die ergänzende Erklärung deutlich, die unterstreicht, dass er ein Lernender ist: In einer schule ein schuler was, der da sanc unde las, untz an kunst er gedech.³⁹⁵

Von der Version im Liber de miraculis weicht das Passional sogar explizit ab, da hier der clericus als Kanoniker von St. Cassian in Pisa spezifiziert ist: In territorio civitatis, quae dicitur Pisa, erat quidam Clericus, ecclesiae S. Cassiani Canonicus. ³⁹⁶ Für eine Ordnung der Schülerfiguren in legendarischen Erzählungen schlage ich zwei Strukturmuster vor. Das erste Muster betont die naive Unschuld als besonderen Zugang zum Göttlichen und kontrastiert diese mit dem sozialen Umfeld – der Schüler begegnet als ‚Frommes Lamm‘ (unter den Wölfen). Das andere Muster folgt dem grundsätzlichen Schema von Fehltritt und Vergebung und damit dem Aufbau des neutestamentarischen Gleichnisses vom ‚Verlorenen Sohn‘ (Lk 15,11– 32). Grund für eine Vergebung ist dabei stets die innige Marienverehrung des jungen Protagonisten, die sich meist im regelmäßigen Beten des Ave-Maria zeigt. Dem ersten Strukturmuster folgt die Mirakelerzählung „Der Scholar und das Marienbild“ (Nr. 22). Die Exposition weist den Protagonisten dezidiert als tugendsam

 Haase/Schubert/Wolf: Passional, Nr. VII, vv. 13581– 13668. Jacobus de Voragine: Legenda Aurea, hg. von Bruno W. Häuptli. Freiburg i. Br. 2014 (Übers. im Folgenden: B. W. H.), Nr. 131 (S. 1750 – 1753). Zu den Quellen Poncelet: Miracula Mariae, Nr. 109.  Haase/Schubert/Wolf: Passional, Nr. IX, vv. 13759 – 13856. Jacobus de Voragine: Legenda Aurea, Nr. 131 (S. 1752 f.). Zu den Quellen Poncelet: Miracula Mariae, Nr. 1368.  Haase/Schubert/Wolf: Passional, Nr. XI, vv. 14027– 14150. Zu den Quellen Poncelet: Miracula Mariae, Nr. 339.  Haase/Schubert/Wolf: Passional, Nr. XXI, vv. 15469 – 15932. Zu den Quellen Poncelet: Miracula Mariae, Nr. 381. Zur Parallelversion „Rosenkranz II“ vgl. DVN, Bd. 1/1, S. 143 – 154 (Nr. 22).  Haase/Schubert/Wolf: Passional, Nr. XII, vv. 15933 – 16396. Zu den Quellen Poncelet: Miracula Mariae, Nr. 595.  Dieses Marienmirakel aus der Textreihe stammt nicht aus dem Passional. Ed. in DVN, Bd. 1/1, S. 131– 142 (Nr. 21).  Haase/Schubert/Wolf: Passional, vv. 13581– 13583.  Potho von Prüfening: Liber de miraculis, S. 18 (Nr. XVI).

376

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

aus und betont, dass sich der Schüler auf dem ‚richtigen Weg‘ befinde. Diese Wegmetaphorik ist in exemplarischen Texten rekurrent und im weiteren Sinne angelehnt an das biblische Bild von der breiten Straße der Sünde und dem engen Pfad zum Reich Gottes (Mt 7,13 f.). So wird der Protagonist nicht nur durch seine Tugend als guter Mensch, sondern auch durch seinen Fleiß als guter Schüler eingeführt: ez was hi vor in einer zit ein schuler, der zu schule gienc. den rechten wec er an vienc und larte vlizeclich di schrift. sines herzen wise grift warf er ouch uf tugende, da her von siner jugende, Marien grozer liebe er jach. (vv. 15936 – 15943)

In Kontrast zu diesem moralischen Reichtum steht seine materielle Armut aufgrund des Aufenthalts in der Fremde. beteln gienc er in der stat, da er daz almusen las, wand er von sinen vrunden was gestrichen, da er vremde lac. (vv. 15960 – 15962)

Hier werden Konzepte eines exilium studii aktiviert, demzufolge ein (temporärer) Verlust der Heimat in der Zeit des (Hoch‐)Schulbesuchs auch zu einem Verlust finanzieller Absicherung führt. Trotz oder gerade wegen seiner Armut folgt der Schüler nicht dem devianten Vorbild der anderen, sodass er nicht – wieder dargestellt mit einer Bewegungsmetapher – nach sunde wolde wandern (v. 15967). Auslöser des Plots ist ein Kirchweihfest, das in einem Nachbardorf stattfindet. Zusammen mit anderen Menschen, die dorthin wandern, um Ablass zu bekommen, und armen Schülern, die sich ein Essen erhofften, verlässt er die Stadt, jedoch ohne – wie er es gewohnt war – seine sieben Ave-Maria gebetet zu haben.³⁹⁷ Als er das bemerkt, bereut er sein Missgeschick und will schon umkehren, findet aber im Wald ein kostbares Marienstandbild, das zum Gebet einlädt. Aus Angst, das Bild könnte beschädigt werden, behängt er es nach dem Gebet mit einem Blumenkranz als Schutz gegen Vogelkot und bedeckt es weiter mit seinem Hemd als Schutz vor Regen. Sein Kleiderbesitz wird in diesem Zusammenhang umfassend erläutert: So besitze er zwei Leinenhemden und einen Mantel, jedoch habe er wegen der Sommerhitze nur eines der Hemden dabei. Das sei der Grund, weshalb er sein Hemd zerreißen und mit Fetzen bekleidet weitergehen müsse (vv. 16042– 16088). Maria hält ihn jedoch zurück, indem

 do wart ein kirchwihe bi | in eime dorf berufen, | daz sich da hine schufen | die lute durch den applaz; | die armen schuler durch az | und durch geniez giengen dar. […] sin siben ave Marie | waren noch ungesprochen, | daz im hete underbrochen | des tages sin vergezzenheit. (vv. 15972– 15985)

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

377

sie aus dem Standbild spricht. Sie teilt ihm ihren Beschluss mit, dass der Bischof, der in der Nähe Hof halte, den Schüler morgen zum Priester weihen solle. Da er die Situation antizipiert und davon ausgeht, dass er am Bischofshof verspottet würde (daz wirt gar sin schimpf | und tribet mit mir stoltzen glimpf, vv. 16111 f.), vertraut ihm Maria ein Geheimnis an: Der Bischof missachte sein gegebenes Gelübde, täglich fünfzig AveMaria zu sprechen. Damit mache er sich der acedia schuldig. Als der Schüler am Bischofshof ankommt, stellt sich das ein, was der arme Schüler erwartet hatte: Er wird wegen seines Aussehens von den Türwächtern aufgehalten und geschlagen. Endlich kommt er nacket unde bloz (v. 16167) bis zum Bischof, der an einer höfischen Festtafel sitzt, mit sinen undertanen, | rittern unde capellanen, | der da was ein michel rote. (vv. 16175 – 16177). Zum weltlichen Rahmen am Bischofshof passt auch, dass der Schüler wegen seines zerlumpten Auftretens – sein halbes Hemd hat er ja Maria geopfert – für einen professionellen Spaßmacher gehalten wird: Der bischof in an sach und dachte, daz er were von kunst ein gemelichere. (vv. 16182– 16184)

In Erwartung einer Gaukelei sorgt man für Ruhe, was der Schüler nutzt, um seine Botschaft vorzubringen. Der Bischof macht sich – wie erwartet – über ihn lustig, indem er sarkastisch (durch glichsenheit, v.16203) sagt: ir habet dar zu gute cleit, daz man uch sule wien. (vv. 16204 f.)

Weiter tadelt er ihn, dass er Maria für seine Lügengeschichten instrumentalisiere und droht ihm mit Hieben. Die Situation schlägt schließlich um, sobald der arme Schüler als Beweis für seine Worte das missachtete Gelübde des Bischofs erwähnt. Sofort kippt auch der höfische Rahmen, die Tafel wird aufgehoben und der Bischof leitet die Priesterweihe ein. Als der junge Schüler nun den Gottesdienst singen soll, geschieht das nächste Wunder: Der Schüler will die Messe vorlesen, doch der Bischof fordert ihn auf, dass er sie (frei) singen müsse. Denn Maria werde ihm schon helfen, wenn sie ihn wirklich gesandt habe: di dich hat zu mir gesant, | die sal dich leren in gotes lobe (vv. 16300 f.). Auch die Prüfung des Bischofs, die vielleicht das Ziel verfolgte, den Neuankömmling bloßzustellen, meistert er. Denn Maria hat ihm mittels göttlicher Eingebung alle nötigen Kenntnisse vermittelt. Der Schüler ist also kein Lernender mehr. Während des Gottesdienstes erscheint nun Maria selbst und bringt sowohl den Blumenkranz als auch das zerrissene Hemd zum Altar, was nur die beiden Zelebranten sehen können. Nach der Eucharistie nimmt Maria die Seele des neugeweihten Priesters zu sich. Er stirbt und wird mit hohen Ehren bestattet. Abschließend lobt der Erzähler das unbeirrbare Vertrauen auf Maria und die fleißige Gebetspraxis des jungen

378

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Schülers. Seine Naivität wird als Ideal herausgestellt.³⁹⁸ Denn im Gegensatz zum Bischof, der sich als geistlicher Würdenträger auch um weltliche Belange kümmern muss und daher sein Gelübde gegenüber Maria vergisst, ist der Schüler noch in einvaldigem sinne (v. 16259). Damit dieser moralische Originalzustand erhalten bleiben kann, ist sein Tod nach der Weihe textimmanent notwendig. Auch in der Erzählung „Thomas von Kandelberg“ begegnet die titelgebende Figur aufgrund ihrer Unerfahrenheit als Idealfigur.³⁹⁹ Dieser Text steht zwar außerhalb des Kompositionsverbunds des Passionals, jedoch ist er in mehreren Sammelhandschriften mit den Marienmirakeln überliefert. Auch hinsichtlich der Rahmung unterscheidet sich der Text. Denn er verweist weniger konkret auf einen Appell zum Marienlob wie im identischen Abschluss aller Marienmirakel: des si gelobet di kunigin (z. B. Passional, v. 13668). Statt einer Apostrophe des Transzendenten oder eines geistlichen Lesers, steht am Beginn eine captatio benevolentiae gegenüber höfischen Rezipienten: man vindet guter leute vil, die gerne darzu verdagen, wanne si horen sagen von hoflichen dingen: des muz in baz gelingen Dan ungefugen leuten, dir mir nieman kan bedeuten. (vv. 4– 10)

Auch die Ausgangssituation bedient höfische Normen. Zwölf Schüler sitzen sonntags zusammen, als einer der Kommilitonen, der selbst adlige Wurzeln hat (ein jungelinch, | der was eines richen herren kint, vv. 21 f.), zu einer Wette aufruft; dieser stimmen alle wegen der allgemein heiteren Stimmung (durch vreude und durch geselleschaft, v. 35) zu. Jeder solle nämlich am nächsten Sonntag mit einer Gabe von seiner Geliebten zurückkehren. Dieses Treffen wollen sie mit der gemeinsamen Rezitation von höfischen Minnetexten begleiten: wir wellen bi den acht tagen an dirre selben stat wesen. wir wellen singen unde lesen von liebe unt von hubescheit.

 Zur motivverwandten Erzählung „Der arme Schüler“ Heinrichs des Klausners vgl. Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 355 – 358. Eichenberger sieht in der Naivität des Armen Schülers, der [e]inveldic als ein kalp (Heinrich der Klausner: Marienlegende. In: Mitteldeutsche Gedichte, hg. von Karl Bartsch Stuttgart 1860, S. 1– 39, hier v. 72) ist, das Ziel, „die emotionale Funktion der Transzendenzerfahrung zu steigern – dadurch, dass das Kind so einfältig auf das Wunderbare reagiert, erscheint die Transzendenzerfahrung auch für den Rezipienten in einem ganz unmittelbaren Licht“; Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 357 f.  Die Erzählung ist auch als Jugendgeschichte des späteren Heiligen Thomas Becket von Canterbury zu lesen. Vgl. dazu Konrad Kunze: [Art.] Thomas von Kandelberg. In: 2VL 9, Sp. 882– 884; Textgrundlage: DVN 1/1 (Nr. 21), S. 131– 142, Red. H.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

379

so habe ewer ieglicher bereit ein kleinot von siner vrowen. (vv. 40 – 45)

Derjenige mit der kleinsten Liebesgabe aber müsse für die Zeche des Tages aufkommen. In Konflikt mit dieser dezidiert höfischen Situation (höfische Freude, Minnedienst und ‐sang) steht der Protagonist der Erzählung, der in solchen Dingen völlig unerfahren ist und Maria als einzige Frau verehrt (vv. 59 – 72). Er bereut bald seine Zustimmung zur grozen affenheit (v. 99) der Wette, da er durch die erwartete Niederlage auf einen Schlag ein Vermögen verlöre, mit dem er andernfalls ein Jahr leben könne: sol ich ze mole daz verzern, des ich mich solde ein jar genern, so bin ich ermer, denne ir kein. (vv. 107– 109)

Der junge Schüler in seiner Naivität gegenüber weltlichen Belangen wird also wie in „Der Scholar und das Marienbild“ als materiell arm dargestellt und steht damit dem reichen Schüler gegenüber, der die höfische Wette eingeleitet hatte. Dennoch stellt sich der Arme als überlegen heraus. Denn Maria erkennt seine missliche Lage und schenkt ihm eine Liebesgabe von sich: eine prächtige Schatulle, die zwei edelsteinverzierte liturgische Gewänder enthält. Bei der nächsten Zusammenkunft wird der arme Schüler zuerst von seinen Kommilitonen verspottet, da sie annehmen, er habe kein Kleinod bekommen und müsse daher die Zeche bezahlen: do vrogten sie umb sin vrowen unde spotten alle gemeine sin. „waz ist daz kleinote din?“ sprachen dise schuler alle. „uns duncket, ez gevalle ditz dienst uf den schaden din.“ (vv. 244– 249)

Als er seine Gabe vorweist, kippt die Handlung und das Objekt des Spotts wird zum Objekt des Lobes und der Verehrung: do vielen sie im ze fuze mit mangem stoltzem gruze und sprachen al gemeine beide groz unde kleine: „wir triben mit dir unsern spot. daz vergib uns durch got! […]“ (vv. 289 – 294)

Der Schüler wird bald zum Priester und zum Bischof geweiht und aufgrund dieser Ereignisse um das wunderbare Messgewand bereits früh zum Ziel von Wallfahrern. In „Der Scholar und das Marienbild“ und im „Thomas von Kandelberg“ wird der Protagonist wegen seiner naiven Unschuld zur exemplarischen Referenzfigur. Doch die ‚perfekte Figur‘ bedarf eines defizitären Kontrast. Dieser zeigt sich in „Der Scholar

380

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

und das Marienbild“ im Bischof, der sein Gelübde an Maria aufgrund seiner Hinwendung zu weltlicher Hofhaltung gebrochen hat, im „Thomas von Kandelberg“ aber in den weltlich orientierten Mitschülern. In beiden Fällen wird die Naivität von der sozialen Umwelt zuerst verlacht, wobei der Spott auf einen materiellen Mangel (Kleidung, Liebesgabe) abzielt. Nach dem Wendepunkt, der mit einem Erkenntnisprozess verbunden ist, wird die Armut als Zeichen der Heiligkeit des ‚armen Schülers‘ erkannt. Was zuerst als Defizit galt, wird zur Stärke. Triebverzicht und Selbstbeschränkung führen zur Sakralität. Während die Erzählungen nun gerade die Standhaftigkeit in Glauben und Gebet betonen und damit moralische Vorbilder vermitteln, geht es in anderen Mirakelerzählungen gerade um die Weltverfallenheit und Formbarkeit der jungen Schüler, die ‚auf die schiefe Bahn‘ geraten sind und deren Seelen nur durch den Glauben an und das Vertrauen auf Maria gerettet werden konnten. Hier steht demnach die Gnade und Vergebung Marias als Fürsprecherin der Sünder im Zentrum, so prototypisch in der Erzählung „Der Traum des Scholaren“ (Nr. IX). Diese handelt von einem Schüler auf Sizilien, der vom rechten wec (v. 13763) abgekommen ist. Dennoch bleibt er in seiner innigen Verehrung gegenüber Maria und dem regelmäßigen Gebet des Mariengrußes konstant: idoch swi er vil sunden pflac, die in heten gebogen, doch was daz herze im gezogen zu Marien der suzen, di er pflac ofte gruzen, wand er ir grozer liebe jach. (vv. 13766 – 13771)

Wegen seines sündigen Lebens, zieht er den Zorn Gottes auf sich und nimmt in einer Traumvision an einem Prozess teil, in dem ihn Gott anklagt und verurteilen will, daz er vertumet solde sin | als ein unnutze vaz (vv. 13822 f.). Auch die Heiligen sprechen sich für die Verdammnis des Delinquenten aus. Maria aber tritt als Anwältin des Sünders auf und verteidigt ihn, wobei sie in ihrem Plädoyer an die Gnade Jesu appelliert. Sie erreicht eine Frist für ihren Schützling. Am Ende wendet sich Maria an den Träumenden und spricht ihm ins Gewissen. Als der Schüler erwacht, lobt er die Gottesmutter und tritt bald in ein Kloster ein. Durch das wunderbare Eingreifen Marias in der Vision ist eine Rettung des sündigen Schüler möglich. Welcher Sünde er sich genau schuldig machte, ist dabei nicht genauer bestimmt. Folgt man der lateinischen Version, dann wäre es am ehesten die Sünde der hochmütigen Eitelkeit: Quidam clericus vanus et lubricus erat, sed tamen dei genitricem plurimum diligebat et eius horas stans devote et alacriter decantabat. ⁴⁰⁰ Beatrice Kälin hat als Sünde die „Sünde des Leibes“ erwogen, was zumindest in der lateinischen Version im lubricus auch anklingt.⁴⁰¹

 Jacobus de Voragine: Legenda Aurea, Nr. 131 (S. 1752); Übers. B. W. H.: „Ein Kleriker war leicht-

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

381

Ganz ähnlich ist der Protagonist der Erzählung „Die Blume im Munde“ (Nr. XI) konzipiert: Ouch was da bi in einer stat ein schuler, der so hin trat uf sundeclichen strazen. er wolde ungerne lazen sinen willen unvolbracht, der uf sunde was gedacht, als er des mochte haben state. (vv. 14027– 14033)

Die Beschreibung der Sünde des Protagonisten bleibt ähnlich unbestimmt wie in „Der Traum des Scholaren“. Eine lateinische Variante hingegen stützt Kälins Einschätzung, indem explizit die fleischlichen Begierden genannt werden: Quidam clericus in Carnotensi civitate degebat, qui levis erat moribus et curis saeculi deditus, carnalibus desideriis etiam ultra modum subjectus. ⁴⁰² Die Interpretation der Sünde als Unkeuschheit motiviert auch den weiteren Handlungsfortgang. Denn der Schüler wird von seinen Feinden (vielleicht Nebenbuhler oder gehörnte Ehemänner) getötet und wegen seines sündigen Lebenswandels nicht ordnungsgemäß bestattet. Doch Maria zeigt sich einem Mönch und instruiert ihn, für das Begräbnis ihres Schützlings zu sorgen. Als man den Schüler exhumiert, liegt auf seiner (unverwesten) Zunge eine frische Blume als Symbol für den Marienpreis und als Zeichen für seine Marienfrömmigkeit. Daher wird er in geweihter Erde bestattet. Maria erwirkt also eine eschatologische Rehabilitation ihres Verehrers trotz dessen Sünde und sogar ohne ein explizites Reuebekenntnis. Weniger explizit als in den beiden angesprochenen Beispielen wird der Fehler des Schülers in den Erzählungen „Marien Rosenkranz“ und „Ein Scholar, Marien Bräutigam“. Möglicherweise ist der Grund für das Fehlverhalten die (moralische) Sorglosigkeit und Unstetigkeit (acedia). Die relativ komplex gebaute Erzählung „Marien Rosenkranz“, die sich aus zwei Teilen zusammensetzt, handelt von einem Schüler, der eigentlich die besten äußeren Voraussetzungen besitzt: mit gerete was er wol behut | man schuf im meister unde buch (vv. 15476 f.). Aufgrund seiner beständigen Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit aber stumpfen sein Gemüt und Verstand ab, wogegen auch die Ermahnungen und Schläge des Lehrers nicht helfen: do gab im steter unruch herten mut, stumpfen sin. […] swaz der meister in getreib

sinnig und lüstern, doch liebte er die Gottesmutter sehr und sang ihr beharrlich die Stundengebete mit Andacht und Freude.“  Beatrice Kälin: Maria, muter der barmherzekeit. Die Sünder und die Frommen in den Marienlegenden des Alten Passionals. Bern, Berlin u. a. 1994, S. 64– 67.  Potho von Prüfening: Liber de miraculis, S. 6 (Nr. III) [mit Verbesserungen]; Übers. P. R.: ‚Ein Kleriker lebte in Chartres, der charakterlich leichtfertig, weltlichen Sorgen hingegeben und fleischlichen Begierden über Gebühr unterworfen war.‘ Dazu Kälin: Maria, S. 72– 76.

382

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

mit scharfen worten und mit slegen, diz konde nicht in in gelegen der wisheit ein gelucke. […] sin kunst was ungehebe und an schonen witzen kalt. (vv. 15478 – 15491)

Anstatt eines gelehrten Geistlichen wird er zu einem Herumtreiber, Gauner (ribaldus) und Experten in weltlichen Angelegenheiten: sus wuchs von im ein ribalt und ein tumber betschelier. Er was an allen dingen zier swaz uf der werlde leben trat. (vv. 15492– 15495)

Auch in der deutschen Parallelversion „Marien Rosenkranz II“ – eine gegenseitige Abhängigkeit ist nicht auszumachen – begegnet der Schüler als unzureichend. Jedoch wird anstelle der Lernunfähigkeit, dessen Lernunwilligkeit, seine wildikeit (DVN 1/1, Nr. 22, v. 40) betont. Diese Darstellung der Defizite des Schülers scheint sich auf den Zweck zu beschränken, einen Kontrast zur Marienverehrung zu konstruieren und damit „die große Bedeutung eines geringen Mariendienstes selbst bei ansonsten nicht vorbildlichem Leben in den Vordergrund zu stellen.“⁴⁰³ Für Maria sucht der Schüler jeden Tag – im Sommer und Winter – Blumen, bindet sie zu einem Kranz und ziert damit ein Marienbild. Die ‚Bekehrung‘ des Schülers zum Guten und sein Eintritt ins Kloster beschränkt sich auf wenige Verse und scheinen recht unmotiviert: nu vugete sichz, daz im quam anz herze ein genaden stoz, in dem er werlde in verdroz, di im swachte sin leben. zu munchen wolder sich begeben, ob er di state mochte haben. (vv. 15538 – 15543)

Der Kontrast von sündhaftem Leben und Marienfrömmigkeit wurde so beseitigt. Die Pflichten der Ordensregel aber verhindern seine Gewohnheit – seine ‚Marienregel‘. Denn gemäß der stabilitas loci darf er das Kloster nicht regelmäßig verlassen, um den Blumenkranz zu binden. Auf der einen Seite steht also das unstete Leben des Landstreichers mit der konstanten Marienverehrung, auf der anderen Seite das stete Leben des Mönchs, welches jedoch die fromme Praxis verhindert. Beide Situationen sind defizitär. Der Verlust seiner gebetspraktischen stæte macht dem jungen Mönch sehr zu schaffen:

 Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 111.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

383

ich was zur werlde valsch genuc, in der min tumpheit mich vertruc, daz ich tet wenic gutes. doch was ich sulches mutes, daz ich uf ieglichen tac eine grune schepil pflac von blumen oder von boumblaten. (vv. 15627– 15633)

Ein älterer Mitbruder bemerkt die Trauer des jungen Mönchs und gibt ihm einen Rat, um das Dilemma zu lösen: Anstelle echter Blumen solle er täglich einen Kranz von fünfzig Ave-Maria-Gebeten binden. Er substituiert also die (praktische) Handlung durch das (mündliche) Gebet. Diese scheinen gleichwertig, denn er wird getröstet und steigt aufgrund seines standhaften Glaubens bald zum Prior auf. Im zweiten Teil der Erzählung geschieht dann das Wunder. Als er sich aufgrund eines Auftrags außerhalb des Klosters befindet, lässt er sich an einem locus amoenus zum Gebet nieder. Zwei Räuber verfolgen ihn, zögern aber mit ihrem Überfall. Denn sie erblicken eine schöne Frau auf der Lichtung, wie sie die Gebete als Blumen aus dem Mund des Mönchs pflückt und zu einem Kranz bindet, also die Metaphorisierung rückgängig macht und die Blumen resubstantialisiert. Als die Frau wieder verschwunden ist, stellen die Räuber den Geistlichen zur Rede und erkennen schließlich, dass sie die Gottesmutter gesehen haben. Durch diese Epiphanie werden die beiden Gauner bekehrt und treten wie der Protagonist selbst ins Kloster ein. So habe Mariens Rosenkranz alle drei aus ihrem sündigen Leben gerettet: in ruwiger leide umb die alden missetrite bleib vil tugenthaft ir site, wand sie wol hielden gots gebot. secht, diz worchte unser herre got durch der vrouwen crentzelin. (vv. 15926 – 15931)

Die zweite Bekehrung ist eine Steigerung gegenüber der ersten, da jetzt zwei Landstreicher durch die Intervention Marias bekehrt werden. Dies macht aber die tatsächliche oder visionäre Anwesenheit Mariens notwendig. In der lateinischen Fassung des Textes wird nun zwar explizit von einem scholaris gesprochen, jedoch bleibt die Figur von Anfang an nur positiv besetzt. Er ist puer etate, senex autem moribus. ⁴⁰⁴ Die kontrastierende Ambivalenz, die durch den Entwicklungsprozess des Schülers erzeugt wird, fehlt damit genauso wie die Möglichkeit einer Doppelung des Bekehrungsprozesses bei den Wegelagerern. Die deutsche Erzählung ist damit komplexer und hat eine zusätzliche Bedeutungsdimension.

 London, BL, Add. 16589. Vgl. Eichenberger: Geistliches Erzählen, S. 110 f. Zum Lobtopos des puer senex, also der Verbindung von der Energie der Jugend und der Weisheit des Alters vgl. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 108 – 115.

384

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Auch das Verhalten der weitverbreiteten kurzen Erzählung „Ein Scholar, Marien Bräutigam“ verweist auf eine mentale Unbeständigkeit und so auf die Sünde der acedia. Sie handelt von einem Geistlichen (im Passional explizit einem Schüler), dessen Eltern plötzlich sterben und ihn als einzigen Erben ein großes Vermögen hinterlassen. Um das väterliche Gut verwalten zu können, wird ihm von seinen Freunden geraten, den geistlichen Stand hinter sich zu lassen und zu heiraten: der vrunde rat muste er tun, wand ir wille was dar an, er solde von den buchen lan und zu der e grifen, oder im begonde entslifen uz den henden sin gut. sie uberwunden sinen mut, er volgete irme rate. (vv. 13598 – 13605)

Als er am Tag der Trauung zu Maria betet, erscheint ihm diese und schilt ihn erzürnt über seinen Wankelmut (vv. 13634– 13647). Er erschrickt, kehrt zur Hochzeitsgesellschaft zurück, flieht aber heimlich, als man ihn zum Brautbett führen will, aus seinem Haus und tritt in ein Kloster ein. Denn sin alde truwe in rurte, | di er zu Marien truc (vv. 13656 f.). Wieder veranlasst Maria eine Rehabilitation vom unsteten Wankelmut. Betrachtet man die Protagonisten der Erzählungen, so fällt auf, dass der Status als Schüler bei allen Legenden nicht notwendig ist. Im Fall der letzten Erzählung („Ein Scholar, Marien Bräutigam“) scheint das Dilemma der Figur im Vergleich zu anderen (lateinischen) Versionen, die als Protagonisten einen geweihten Kleriker (canonicus) haben, sogar geringer. Mit der Bezeichnung als Schüler zitieren die Texte die Jugend und einen (peripheren) geistlichen Status der Figuren an. Diese Eigenschaften können entweder als naive Unschuld und religiöse Formbarkeit ausgestaltet werden oder dazu führen, dass der Schüler zum ‚verlorenen Sohn‘ wird, der sich weltlichen Interessen hingibt, durch seinen (z.T. naiven) Glauben und sein Vertrauen (triuwe) jedoch gerettet werden kann.

Die „Vorauer Novelle“ und die „Reuner Relationen“ Auch wenn die „Vorauer Novelle“ nicht im unmittelbaren überlieferungsgeschichtlichen Umfeld des Passionals steht, lohnt sich ein Blick auf diesen Text und die lateinischen Paralleltexte für die Beschäftigung mit Schülerfiguren in legendarischen Texten des Mittelalters. Beide verarbeiten das Erzählmuster ‚Von den zwei Klerikern‘.⁴⁰⁵ Die Texte greifen beide Attribute des Schülers in religiöser Kleinepik auf (die

 Grundlegend zu den beiden Texten und dem Textmuster Anton Schönbach: Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters I: Die Reuner Relationen. Wien 1898 und Anton Schönbach: Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters II: Die Vorauer Novelle. Wien 1899. Die Ergebnisse von Schönbach referiert Kretzenbacher: Teufelsbündner, S. 54– 64 und nähert sie dem Faust-Stoff an. Die Bezeich-

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

385

naive Unschuld und die Formbarkeit zur Sündhaftigkeit) und führen sie zu einer komplexen, zweiteiligen Erzählung zusammen. Dazu kommen die Themen des verbotenen Wissens und des Teufelspakts, die auch für die frühneuzeitliche Figur des Fahrenden Schülers wichtig sind. Der erste Teil berichtet von der Flucht zweier wesensähnlicher Knaben aus der Klosterschule. Sie gelangen an eine schwarzmagische Schule, verschreiben ihre Seele und führen ein Leben in Sünde, bis einer der beiden Gefährten von Gott mit einer schweren Krankheit bestraft wird. Eine Kernstelle ist der darauffolgende Disput zwischen den beiden Gefährten, in dem der eine den anderen davon zu überzeugen versucht, seine Taten zu bereuen, um Barmherzigkeit und Erlösung zu finden. Da dieser nicht bereut und an der Rettung durch Gott zweifelt, sich also der Sünde der desperatio schuldig macht, stirbt er qualvoll und fährt in die Hölle. Vor seinem Tod nimmt ihm der andere Schüler noch das Versprechen ab, ihm in 30 Tagen wieder zu erscheinen. Der zweite Teil behandelt dann die Rückkehr des verstorbenen Schülers im Gefolge eines Geisterheeres und den Bericht von den Schrecken der Hölle. Der überlebende Schüler bereut endlich seine Taten und tritt zur Buße in ein Kloster ein, wo er trotz seiner Vorgeschichte bis zum Abt aufsteigt und Erlösung findet. Zumindest beim einen der beiden Schüler folgt die Struktur der Erzählung demnach dem konventionellen Legendenschema, wie es bereits in den anderen behandelten Texten deutlich wurde. Im Detail wird diese Handlung in der lateinischen und der mittelhochdeutschen Version, die nicht unmittelbar voneinander abhängen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten bearbeitet, was eine vergleichende Lektüre notwendig macht.⁴⁰⁶ Bei den lateinischen „Reuner Relationen“ handelt es sich um zwei Mirakelerzählungen, die in einer Sammelhandschrift mit kleinepischen Texten geistlicher Thematik (Titel: Vitae et Miracula) aus dem 13. Jahrhundert überliefert sind,⁴⁰⁷ wobei die erste das Erzählmuster ‚Von den zwei Klerikern‘ behandelt. Als leitender Gedanke des Textes wurde die Prädestinationslehre erkannt,⁴⁰⁸ was bereits die erste Kapitelüberschrift verdeutlicht: Incipit de duobus sociis (ex consimili vita unus juste damnatus, alter misericorditer salvatus), qualiter sint pariter educati. ⁴⁰⁹ Auch wenn die beiden Knaben in

nungen sind von Schönbach gewählt worden und haben sich trotz der problematischen Terminologie (Novelle!) durchgesetzt. Zur besseren Anschlussfähigkeit folge ich dieser Praxis.  Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Texte vgl. Klaus Zatloukal: Die Vorauer Novelle. Beobachtungen zur dichterischen Umgestaltung der ersten „Reuner Relationen“. In: Euphorion 72 (1978), S. 240 – 259, hier S. 240 – 253.  Vgl. Anton Weis: Handschriften-Verzeichniss der Stifts-Bibliothek zu Reun. In: Die HandschriftenVerzeichnisse der Cistercienser-Stifte. Band 1. Wien 1891, S. 1– 114, hier S. 45 f. und Walter Steinmetz: Handschriftenverzeichnis der Stifts-Bibliothek zu Rein auf der Grundlage des Handschriftenverzeichnisses in Xenia Bernardina II. 1 (1891) von P. Anton Weis 1999 – 2014, S. 147– 150.  Vgl. dazu grundsätzlich Friedrich Ohly: Der Verfluchte und der Erwählte. Vom Leben mit der Schuld. Opladen 1976, S. 60 – 65 und Zatloukal: Beobachtungen, S. 242 f.  Schönbach: Reuner Relationen, S. 44; Übers. P. R.: ‚Es beginnt die Geschichte von zwei Gefährten (nach einem ganz ähnlichen Lebenswandel ist der eine rechtmäßig verdammt, der andere barmherzig erlöst wurden), wie sie gleich erzogen wurden.‘

386

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

ihrem Denken und Fühlen absolut gleich sind, ist dennoch für den einen die Verdammnis und den anderen der Erlösung vorherbestimmt. Diese absolute Gleichheit als Ausgangspunkt der Figurendisposition wird im Folgenden nochmals emphatisch betont: erant ibi duo juvenes, ambo socii et college, ambo cor unum et anima una, idem velle idem nolle perpendens in ambobus, ut quantum ad merita ambigeris, quem cui preponeres. sed terribilis in consiliis super filios hominum novit Dominus, qui sunt ejus, et de consimili massa perdicionis facit aliud quidem vas in honorem, aliud vero in contumeliam, dum cui vult miseretur et quem vult indurat.⁴¹⁰

Der Entschluss Gottes ist also nicht an den Taten und Verdiensten der Menschen orientiert, sondern am vorher festgelegten Heilsplan. Jede Form von Entwicklung der Figuren wird im Vorhinein ausgeschlossen. Auch das Ergebnis im Disput der beiden Schüler ist daher schon festgelegt, sodass die Szene eher „wie eine Disputation zweier Gelehrter, die einander mit Bibel- und Väterzitaten übertrumpfen wollen“,⁴¹¹ wirkt. Nach der Aufforderung des Erscheinens nach 30 Tagen wird der Tod nur knapp angeführt: his dictis ille defungitur. ⁴¹² Während die Verdammnis des einen durch einige Bibelstellen legitimiert wird, bekehrt sich der andere Schüler, erlangt Absolution und tritt in ein Kloster ein. Damit endet der erste Teil der Handlung. Die mittelhochdeutsche „Vorauer Novelle“ ist unikal in einer Sammelhandschrift vom Ende des 13. Jahrhunderts überliefert und steht als einziger deutscher Text zwischen lateinischen Predigttexten.⁴¹³ Im Vergleich zu den „Reuner Relationen“ wird die Bedeutung der Prädestination deutlich eingeschränkt, was eine Verstärkung von Motivationen und Interaktionen der handelnden Figuren ermöglicht. Gleichzeitig reduziert sie die Fülle an Entlehnungen aus der Bibel und der Patristik, betont aber die traditionale Abhängigkeit von einer lateinischen Vorlage: Ich wil ez aber wâgen und wil mich selber vrâgen,

 Schönbach: Reuner Relationen, S. 44; Übers. P. R.: ‚Dort waren zwei junge Männer, beide Gefährten und Standesgenossen, beide ein Herz und eine Seele, gleich in ihrem Wollen und Nichtwollen, sodass man zu Recht unsicher sein könnte, wem man den Vortritt geben sollte. Aber der Herr, schrecklich in seinen Ratschlüssen über die Menschenkinder [vgl. Psalm 65,5], erkannte den seinen und aus derselben Menge an Verderben machte er den einen freilich zu einem Gefäß für die Ehre, den anderen für die Schande. Denn er wollte sich des einen erbarmen, beim anderen aber hart bleiben [vgl. Röm 9,18 u. 21].‘  Zatloukal: Beobachtungen, S. 254.  Schönbach: Reuner Relationen, S. 49.  Vorau, Stiftsbibl., Cod. 412, fol. 81v–84r. Durch eine Ankündigung in der unmittelbar vorhergehenden Visitationpredigt für Zisterzienser wird ersichtlich, dass diese ursprünglich hätten fortgesetzt werden sollen. Stattdessen wurde hier der kleinepische Text inseriert. Ed. in Schönbach: Vorauer Novelle, S. 42– 68 mit einer detaillierten Beschreibung der Handschrift auf S. 2– 42. Als Faksimile mit Transkription in Hans Gröchenig: Die Vorauer Novelle und die Reuner Relationen. Göppingen 1981. Mit neuhochdeutscher Übertragung: Die Vorauer Novelle, übers. von Andrea Hofmeister. Graz 2012.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

387

ob ich iht künne rîmen und wort mit worten limen und sinne mit sinnen künden und wort mit worte ergründen und kunst mit künste sprechen und schône latîn zerbrechen und listeclîche entrennen und wider ze samen rennen in mînes herzen esse. (vv. 1– 11)

Ob das genannte lateinische Vorbild die Version der „Reuner Relationen“ ist, bleibt ungewiss, jedoch auch unerheblich. Denn beim Verfahren der übersetzenden Literaturproduktion handelt es sich um keine wortgetreue Übersetzung. Der überlieferte Stoff soll vielmehr in seine Bestandteile zerlegt, in seiner Basis erfasst und dann in der neuen Sprache wieder zusammengefügt werden. Dieses Vorgehen ist ein „Zeichen eines starken und freien künstlerischen Willens“,⁴¹⁴ zeugt aber auch von einem hohen Abstraktionsniveau in der Tätigkeit der Literaturübertragung.⁴¹⁵ Von den beiden Schülern wird – höfischer Terminologie folgend – als von zwein degenkinden (v. 27) gesprochen. Sie wurden in ir kintlîchen jâren | zeinem klôster gegeben | in ein geistlîchez leben (vv. 30 – 32). Deutlicher als die lateinische betont die deutsche Version die moralische Integrität der jungen Protagonisten: diu kindel wâren sünde vrî, | der heilec geist in wonte bî (vv. 33 f.). Auch die äußeren Voraussetzungen an der Klosterschule sind zuerst optimal: dar zuo sô wart in ouch gegeben ein meister der het reinez leben mit worte, mit werke, mit zühten. nâch himelischen frühten wart er den degenkinden daz götlich joch ûf binden, daz trugen si vil gerne. die edeln zwô lucerne wurden vil schiere enzündet. dar nâch wart in gekündet zuht, kunst und êre nâch des meisters lêre. (vv. 35 – 46)

Der harte Umgang mit den Zöglingen ist an dieser Stelle noch positiv bewertet, wie auch in der „Reuner Relation“, in welcher der harte Umgang des Lehrers mit einem

 Boor: Deutsche Literatur im späten Mittelalter, S. 485.  In der Forschung wurde eine stilistische und motivische Nähe zur höfischen Literatur mit Verweis auf auf Konrad von Würzburg und Gottfried von Straßburg erkannt. Vgl. Schönbach: Vorauer Novelle, S. 90 f. und Boor: Deutsche Literatur im späten Mittelalter, S. 484 f. Als unmittelbares Vorbild kann Konrad von Würzburg aber aufgrund der Chronologie nicht gelten. Vgl. dazu Zatloukal: Beobachtungen, S. 241 f.

388

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Paulus-Zitat legitimiert wird (Hebr 12,11).⁴¹⁶ Im Gegensatz zum lateinischen Text, in dem das Fehlverhalten der Schüler ganz von ihnen selbst ausgeht, weist die „Vorauer Novelle“ auch dem Lehrer eine Mitschuld zu: mit der tugend aste sluoc si der meister sêre mit geistlîcher lêre begunde er die degen über laden. des nam er an der sêle schaden. (vv. 50 – 54)

Das Können des Lehrers wird auf die körperliche Züchtigung reduziert: „sîn lêre und ouch sîn meisterschaft, | die er mit überiger kraft | sînen jungelingen bôt, | sô er mit slegen machte rôt | ir rücke und ir wange (vv. 65 – 69). Wegen des Übermaßes an disziplinierender Strenge und der Fülle moralischer Vermittlungsinhalte bewirkt der Unterricht sein Gegenteil. Dies verdeutlichen einige Beispiele: Der Ast, den man zu stark biegt, bricht; das Brot, das zu heiß gebacken wird, verbrennt zu Kohle; den übersättigten Jagdvogel kann man nicht locken, sondern er fliegt weg (vgl. vv. 55 – 63). Als unmittelbares Gegenteil zum Klosterlehrer wird der Zaubermeister entworfen. Dieser erscheint als höflicher, ja höfischer Gelehrter, der die beiden Neuankömmlinge freundlich auf Französisch begrüßt: lachende er in wälsche sprach: | be seeiez venu, bea sir, | mînen kinden unde mir! (vv. 146 – 148). Er hat curtesîe (gereimt auf nigromantîe, vv. 153 f.) und eine hübschheit seiner zühte (v. 195). An eine höfische Freude erinnert auch das wiederkehrende Lachen des Zaubermeisters (vv. 146, 159, 246),⁴¹⁷ das in Opposition zur Strenge des Klosterlehrers steht. Während der erste Lehrer in seinem äußerlichen Verhalten übermäßig streng, innerlich aber gut ist, erscheint der zweite Lehrer in seinem äußerlichen Verhalten übermäßig rücksichtsvoll, innerlich aber böse. Seine hintertriebene Art und der Widerspruch von Innen und Außen werden bereits bei der ersten Begegnung deutlich, wenn der Zaubermeister zwar freundlich, aber mit schaehende ougen (v. 145) – also hinterlistig schielend – auftritt. Die rücksichtsvolle Maske korrespondiert auch mit den drei Warnungen vor dem Pakt. Diese sind aufgrund der eingeräumten Entscheidungsfreiheit der Protagonisten ausgeprägter als im lateinischen Text. So warnt der Zaubermeister selbst vor dem Fluch Gottes: nû sît ir doch gewesen | in gotes schuole und hânt gelesen: | swer wil diu zouberbuoch | der mouz den swinden gotes vluoch | ûf sîne sêle enphâhen (vv. 161– 165). Die Schüler weisen die Warnung von sich und betonen, dass er sich nicht darum kümmern sollte, wenn junge schuolaere | von vrîheit des herzen | eteswenne smerzen | an der sêle enphiengen (vv. 168 – 171). Die beiden erklären sich also aus freiem Willen bereit, in die Schule einzutreten und ihre Seele zu opfern. Auch die zweite Warnung, in welcher der Zaubermeister eine gar ze spaetiu riuwe (v. 189) antizipiert, schlagen sie

 Schönbach: Reuner Relationen, S. 44.  Zatloukal: Beobachtungen, S. 247 sieht im Lachen des Zaubermeisters die „Gesprächssituation in ein schillerndes, fast diabolisches Licht“ gerückt.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

389

forsch in den Wind: „meister, disiu drô | gezaeme wol alten wîben, | ir sult si lân belîben“ (vv. 192– 194). Die dritte Warnung – und die einzige die ein bisschen Wirkung erzielt – geht vom Buch selbst aus. In roter Tinte lesen sie: hie hebet sich ane der sêle tôt, der mit êweclîcher nôt vil grimme wirt gebunden und lasterlîchen vunden in des tiuvels kêwen von êwen unz hin z’êwen. (vv. 205 – 210)

Diese explizite Warnung erklärt sich neben didaktischen Interessen des geistlichen Verfassers auch in der „paradoxe[n] Selbstbestimmung des Bösen“, das nur bestehen kann als „Negation von etwas, genauer: Die Negation des Wegs der Seele zum Heil in Gott, als sein Gegensatz und Widerpart.“⁴¹⁸ Als Medium für den Pakt mit dem Bösen dient dabei das geschriebene Buch ohne explizite Realpräsenz einer höllischen Entität – und das ist durchaus ungewöhnlich in Teufelsbunderzählungen.⁴¹⁹ Das Lesen des Buches wird als Schreiben des Teufelspakts inszeniert: sus lâsen si und schriben an | des lîbes vluoch, der sêle ban (vv. 247 f.). Alle Vorausdeutungen ihres Unheils bringen sie nicht zur Umkehr und sie geraten noch tiefer ins sündige Leben; diese sind jedoch notwendig, um die Freiwilligkeit des Paktschlusses im vollen Bewusstsein aller Konsequenzen und die Sündhaftigkeit ihres Handelns hervorzuheben. Eine letzte Warnung ist die Krankheit des einen Gefährten.⁴²⁰ Es scheint dabei nicht prädestinatorisch festgelegt, welcher Schüler mit der Krankheit geschlagen wird, denn den vil swaeren gotes zorn, | den si heten beide erkorn (295 f.). Damit bleibt auch der Ausgang des folgenden Dialogs für den Rezipienten offen und wird umso dramatischer, da der Versuch, den Gefährten zur Flucht aus der Zauberschule und zur reuigen Umkehr zu bewegen, nicht von vornherein mit Verweis auf den göttlichen Heilsplan zum Scheitern verurteilt ist. Am Ende verbleibt der eine in der desperatio und stirbt einen drastisch dargestellten Tod (vv. 528 – 562).⁴²¹ Der zweite Schüler wird durch dieses Zeichen bekehrt; er beichtet und bereut seine Sünden, bekommt Absolution und wird erlöst. Dabei wird er mit dem Adler/Phönix verglichen, der im Alter in die Höhe fliegt,

 Schneider: Motiv des Teufelsbündners, S. 180.  Vgl. dazu Schneider: Motiv des Teufelsbündners, S. 181.  Vgl. Zatloukal: Beobachtungen, S. 253. Neben den Warnungen des Zaubermeisters geht Zatloukal noch von einer weiteren Warnung aus, die ihnen von einem Priester gegeben wird, als sie zur Zauberschule gehen. In der betreffenden Textstelle wird die Frevelhaftigkeit der nigromancîe jedoch als Erzählerkommentar erklärt, während die Aussagen des Priesters eher anpreisend erscheinen: „sus was daz zouber veile“ (v. 136).  Die Darstellung erinnert an vielen Stellen an einen epileptischen Anfall. Das wundert nicht, denn Epilepsie wurde in der Medizin des Mittelalters oftmals als Besessenheit interpretiert. Vgl. Zatloukal: Beobachtungen, S. 249 f. Zur mittelalterlichen Epilepsievorstellung vgl. Owsei Temkin: The Falling Sickness. A History of Epilepsy from the Greeks to the Beginnings of Modern Neurology. Baltimore 2 1971, S. 94 f.

390

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

dort verbrennt, in einen See stürzt und verjüngt wieder daraus emporsteigt. Aufgrund dieser Eigenschaften gilt er als Symbol für die Auferstehung und die Erneuerung in der christlichen Taufe.⁴²² Mit der Bekehrung des Protagonisten endet der Text. Als Grund dafür ist wohl eine unvollständige Vorlage anzunehmen. Der letzte Teil der Erzählung, die Rückkehr des gestorbenen Freundes in der Geisterszene, ist nur in der lateinischen Tradition überliefert, kann aber auf eine große Zahl vorheriger Bearbeitungen zurückgreifen, die den ersten Teil der Erzählung mit der Ausbildung und die Hinwendung zur schwarzen Magie nur rudimentär oder gar nicht behandeln.⁴²³ Auch die beiden Schüler erscheinen in diesen Versionen, z. B. in der recht einflussreichen Passage von Wilhelm von Malmesbury als junge Priester: duo clerici, nondum patientibus annis, presbyteri. ⁴²⁴ In der Version der „Reuner Relation“ und noch stärker in der „Vorauer Novelle“ hat der Status als Schüler jedoch einen großen Stellenwert. In der Figur des Lernenden soll sich der Modellrezipient wiederfinden, was die didaktischen Intentionen im Prolog explizieren. Der Ich-Erzähler will, dass der Rezipient die Geschichte zu bilde und lêre naeme (v. 26) und daz süezer worte trouf | steinhertez herze enslüzze | daz ich dar în gegüzze | die süezen gotes vorhte (vv. 20 – 23). Er wiederholt diese Intention unter Einbezug seiner Figurenwahl: dâmite ich sünder wecke in tiefe riuwe der sünde und klagelîchen gekünde ziuwer angesihte daz swinde gotes gerihte, wie sich daz habe erzeiget und wunderlîche geneiget gen disen jüngelingen, die ze süntlichen dingen wâren wol bereitet. (vv. 118 – 127)

Die Jünglinge liefern demnach ein Negativbeispiel für andere Sünder. Doch die Figur des Schülers trägt auch zur Strukturierung bei. Denn was die anderen Legenden (z. B. die Marienmirakel) aufgrund einer paränetischen Reduktion auf die wesentlichen Schritte von Sünde und Rettung einschränken, erzählt die „Vorauer Novelle“ umfassend aus. So werden nicht nur die Stationen, sondern auch die (Ab‐)Wege dazwischen expliziert. Der erste Fehltritt der edeln zwô lucerne (v. 42) ist die Flucht vor dem strengen Lehrer, wodurch eine gewisse Fallhöhe von der anfänglichen moralischen Aufrichtigkeit der beiden Protagonisten entsteht. Denn die Entfernung aus der sta-

 Vgl. zu dieser Auslegung Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar, hg. von Christian Schröder. Würzburg 2005, S. 120 – 123.  Eine Reihe von verschiedenen Bearbeitungen des Musters, die bis auf Gregor den Großen zurückreicht, bietet Schönbach: Reuner Relationen, S. 8 – 41.  Wilhelm von Malmesbury: Gesta regum Anglorum. The History of the English Kings. Bd. 1, hg. von William, R. A. B. Mynors u. a. Oxford 1998, III, 237, 1 (S. 440).

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

391

bilen Umgebung des Klosters ist verbunden mit Verstellung (simulatio), indem sie ihr geistliches Gewand ablegen: sus vluhen âne lougen die zwêne klôsterknappen von ir geistlîchen kappen in der werlde vreise. (vv. 78 – 81)

Das Ablegen der geistlîchen kappen als vestimentäres Zeichen ist gleichzeitig ein Symbol für den Verlust des Schutzes durch ihren Stand. Ihre klagelîche reise (v. 82) führt sie der werlde süeze (v. 85) und werlicher minne (v. 110) zu, was im Honig, der mit Galle vermischt ist, verbildlicht wird (daz honec mit der gallen | muosten si dô döuwen, vv. 96 f.). Dieser räumliche, aber auch innerlich-moralische Weg der Schüler wird in der Bewegungsmetapher von der ‚breiten Straße der sündigen Welt‘ aufgegriffen: von der himelischen tür wâren si gesprungen und in die strâze gedrungen, diu dâ leitet in den tôt. (vv. 100 – 103)

Dass diese Flucht jedoch nicht erfolgreich sein wird, zeigt bereits der eingehende Vergleich mit dem edel Jôna, | der ouch von gote flühtic was | ze Tarsis in dem lande (vv. 73 – 75). Wie der alttestamentarische Prophet vor dem Plan Gottes fliehen will, im Bauch des Wales drei Tage büßt und dann doch seinen Auftrag erfüllt, führt auch die Flucht der zwei Schüler zwar zu den (größten) Sünden, dient am Ende nach Strafe, Buße und Um‐/Rückkehr aber dem Plan Gottes. Dieser Vergleich mit Jona fehlt auch in den „Reuner Relation“ nicht, jedoch wird die Flucht der unschuldigen Klosterzöglinge zusätzlich mit weiteren (biblischen) Bildern verglichen, dem Küken, das aus dem schützenden Nest fällt, und dem Lamm, das unter die Wölfe gerät: quasi pulli de nido evolant […], ovilibus relictis lupi morsibus semet exponunt. ⁴²⁵ Die Absicht der böswilligen Täuschung durch die Welt, indem sie den Dummen mit ihren Vorzügen anlacht, dann aber ins Verderben führt,⁴²⁶ personifiziert die „Vorauer Novelle“ in der Figur des Zaubermeisters. Auch die Bewegung der beiden Schüler ist in der lateinischen Version dezidiert ziellos, was prinzipiell eine Ferne zu Gott impliziert: circuierunt mare et aridam, quia in circuitu impii ambulant. ⁴²⁷

 Schönbach: Reuner Relationen, S. 44 f. Das Bild vom Küken findet sich in Jesaja 16,2, das Bild vom Lamm in die Evangelien nach Johannes 10,16 und Matthäus 10,16 sowie in der Apostelgeschichte 20,29.  Vgl. Schönbach: Reuner Relationen, S. 45.  Schönbach: Reuner Relationen, S. 45; Übers. P. R.: ‚ Zu Wasser und Land irrten sie (im Kreise) umher, weil die Frevler im Kreise herumlaufen.‘ Der erste Teil dieses Satzes ist aus Mt 23,15 entlehnt und wendet sich gegen die heuchlerischen Schriftgelehrten und Pharisäer (scribae et Pharisaei hypocritae) und der Psalm, aus dem der zweite Teil entnommen ist (Ps 11,9) vereinigt ziellose Wander-

392

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Beide Texte betonen weiter den Zufall, der die beiden Schüler in die Stadt der Zauberschule führt.⁴²⁸ Dort angekommen, erlernen sie die Nigromantie, was im engeren Sinne die Totenbeschwörung (von Nekromantie) umfasst,⁴²⁹ seine Bedeutung im Laufe des Mittelalters aber auf alle schwarzen Künste (artes magicae/incertae) ausdehnt. So listet der Zaubermeister als Lehrplan seiner Institution auf, dass die Schüler lernen wie man wîse liute | mit zouber müge verkehren (vv. 228 f.) und wîp unde man betriegen, | gote und der werlte liegen (vv. 231 f.). Damit vermittelt er den Schülern mit den Illusions- und Beherrschungszaubern genau das Wissen, mit dem er selbst auch seine Schüler gewonnen hat. Schließlich nennt er noch die Teufelsbeschwörung: dar nâch wil ich iuch lêren | dem tiuvel ruofen und beswern (vv. 233 f.). Durch diese Fertigkeiten kündigt er ihnen an, dass sie ihrem Körper ein gutes Leben ermöglichen werden: da mite sô müget ir wol genern | den lîp nâch des herzen gir (vv. 234 f.), während der Erzähler kommentiert, dass sie durch den Pakt des lîbes vluoch, der sêle ban (v. 248) erwürben. Hier stehen sich zwei Konzepte von Körperlichkeit gegenüber, der sinnliche Körper, der die weltlichen Freuden genießen kann, und der Körper als Gefäß der Seele und Auferstehungsleib am Jüngsten Tag. Das Studium der Nigromantie und der Pakt mit dem Bösen markieren den Höhepunkt der Entfernung von Gott und sind gleichzeitig Auslöser des sündhaften Verhaltens. Die Anweisungen des Zauberbuchs bilden die Grundlage: dô si die kunst emphingen, wie snelle si dô vingen nâch des buoches urkünde (vv. 249 – 251).

schaft mit lügnerischer Heuchelei: frustra loquuntur unusquisque proximo suo labium subdolum in corde et corde locuti sunt (Ps 11,3).  Die in der Forschung seit Anton Schönbach rekurrente Lokalisierung in Toledo, dem üblichen (literarischen) Gemeinplatz für eine Hochschule für schwarze Magie und Nekromantie, wird in der Erzählung im Gegensatz zu anderen Bearbeitungen des Stoffes (z. B. bei Caesarius von Heisterbach) nicht explizit.Vgl. Schönbach: Reuner Relationen, S. 81– 85 und Alemparte: La escuela de nigromacia, S. 206 – 238, zu den Reuner Relationen S. 212. Daneben werden aber auch immer wieder Salamanca, Krakau oder Toulouse genannt. Vgl. dazu auch Christa Tuczay: Magie und Magier im Mittelalter. München 1992, S. 183 f.  So schon bei Isidor von Sevilla: Necromantii sunt, quorum praecantationibus videntur resuscitati mortui divinare, et ad interrogata respondere. Νεκρὸς enim Graece mortuus, μαντεία divinatio nuncupatur: ad quos suscitandos cadaveri sanguis adicitur. Nam amare daemones sanguinem dicuntur. Ideoque quoties necromantia fit, cruor aqua miscitur, ut cruore sanguinis facilius provocentur. Isid. orig. 8, 9, 11; Übers. von Lenelotte Möller. Wiesbaden 2008, S. 305: „Die Totenbeschwörer sind die, durch deren Zaubersprüche wiedererweckte Tote zu weissagen und auf Fragen zu antworten scheinen. Νεκρος heißt nämlich griechisch tot, und μαντεια wird die Weissagung genannt. Um diese zu befragen, wird das Blut von Leichen hinzugezogen, denn man sagt, dass Dämonen Blut liebten. Daher wird, sooft eine Totenbeschwörung stattfindet, frisches Blut mit Wasser gemischt, damit das Fließen des Blutes leichter hervorgerufen wird.“

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

393

Der teuflische Erfindungsgeist der beiden Gefährten reicht sogar über die Inhalte des Buches hinaus: ûf zouber niuwe vünde | begunden si dô vinden (vv. 256 f.). Sie sind den Todsünden verfallen: der Habgier (gîtekeit ir herze besaz, v. 288), der Völlerei (vrâzheit unde trunkenheit | was ir tagelîchez kleit, vv. 289 f.), dem Hochmut (hôchvart was ir spiegelglas, v. 291) und vor allem der unkeuschen Wollust, denn sie verbreiten (in doppelter Bedeutung) den Samen ihrer Sünde unter den Menschen: sich selber vaste binden ûf unkiusche minne, dâ mite si kiusche sinne manegem wîbe nâmen. aller sünde sâmen begunden si dô saejen (vv. 258 – 263)

Als Folge dieses Verhaltens wird der erste der beiden Schüler mit der Krankheit gestraft und in der folgenden Diskussion die größte Sünde in der Verzweiflung an einer Rettung Gottes erkannt, in der desperatio, die ja – genauso wie die vagatio mentis et corporis – als Tochtersünde zur acedia gilt.⁴³⁰ Diese wird in der Bitte des Verzweifelten an seinen Freund deutlich: der erbarmherzic schepfer dîn der helfe dir, ich bin verzaget an im und an der der reinen maget, diu in in ganzer kiusche gebar. (vv. 474– 477, Herv. P. R.)

Eine Anrufung Marias als Fürsprecherin der Sünder entspricht einer allgemeinen inner- und außerliterarischen Praxis und verweist auf einen Zusammenhang, der in der „Vorauer Novelle“ allenfalls implizit bleibt, in den „Reuner Relationen“ aber besonders deutlich ist. Denn dieser Text hat auch die Ebene einer „Tendenzschrift im Interesse der Cistercienser gegen die Cluniazenser“ und ihre Form der Schriftgelehrsamkeit.⁴³¹ Das Kloster, aus welchem die Gefährten fliehen, und damit der Auslöser ihres Untergangs weist der Text eindeutig dem Cluniazenserorden zu: In ordine Cluniacensi accidit quod refero, ordine celebri et noto, sed loco incognito. ⁴³² Wenn der

 Thomas von Aquin Summa theologica II 2, q. 35 art. 4 ad 2. Zur theologischen Konzeption von desperatio vgl. Friedrich Ohly: Desperatio und Praesumptio. Zur theologischen Verzweiflung und Vermessenheit. In: Ausgewählte und neue Schriften zur Literaturgeschichte und zur Bedeutungsforschung, hg. von Uwe Ruberg. Stuttgart, Leipzig 1995, S. 177– 216. Zur Engführung von acedia und instabilitas vgl. Kapitel 9.1.1.  Vgl. Schönbach: Reuner Relationen, S. 91– 116, zit. S. 91. Außerdem Schneider: Motiv des Teufelsbündners, S. 175 f.  Schönbach: Reuner Relationen, S. 44; Übers. P. R.: ‚Wovon ich euch berichte, geschah bei den Cluniazensern, dem weithin berühmten Orden, aber an unbekanntem Ort.‘ Demselben Textmuster folgt auch Caesarius von Heisterbach: Dialogus Miraculorum. Dialog über die Wunder. 5 Bde., hg. von Nikolaus Nösges und Horst Schneider. Turnhout 2009, I, 33 (S. 298).

394

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

verfluchte Gefährte als Wiedergänger zurückkehrt, ist ein ausgedehntes Lob des ordo griseus, des Zisterzienserordens, integriert. Nach einem Bericht über die Qualen der Hölle fragt der Überlebende seinen Freund, welche Menschengruppe die wenigsten Vertreter in der Hölle habe. Darauf antwortet der Angesprochene, dass es überall Unvollkommene gebe, aber nur sehr wenige Zisterzienser in der Hölle zu finden seien. Darauf folgt eine Verherrlichung des Mönchsordens und seiner Patronin Maria: unam illam et reginam celi sibi communiter fecerunt patronam. […] huic se istius ordinis devoverunt universi, in ejus honore pacto communi sua oratoria dedicari statuerunt, hanc singularem singulariter sibi in dominam elegerunt et matrem.⁴³³

Es ist also nur folgerichtig, wenn er den Gefährten dazu auffordert zur Rettung seiner Seele in diesen Orden einzutreten: jam, si sotio creditur, si de experti fide non dubitatur, hujus ordinis te mancipabis et committes magisterio, in eo humiliaberis sub potenti manu Dei, ut te exaltet in die visitationis⁴³⁴

Auch wenn Maria hier nicht in einer mirakulösen Vision auftritt, ist sie dennoch präsent. Da die Zisterzienser in einem pactum festgelegt haben, ihre Gebete Maria zu weihen, stehen sie näher an Maria als mediatrix gratiarum und haben Anteil an ihrer heilbringenden Kraft. Durch den Eintritt in den Zisterzienserorden kann der andere Schüler schließlich die Erlösung erlangen. Durch die Betonung der Herkunft der Schüler aus dem Cluniazenserorden aber gewinnt der Ratschlag besondere propagandistische Kraft: Während der eine Orden die beiden frommen Knaben durch ihre fehlerhafte Ausbildung zum frevelhaften ziellosen Fahren und schließlich in den Teufelspakt getrieben hat, bietet der andere Orden durch seine Marienfrömmigkeit die Möglichkeit der Rettung. Die Cluniazenser werden damit als Ausgangspunkt des Wegs der Sünde, die Zisterzienser als Zielpunkt des Wegs des Heils präsentiert. Repräsentant des Wegs der Sünde aber sind die Schülerfiguren, die zu Fahrenden und schließlich zu Teufelsbündnern werden. Umkehr und Erlösung können nur die Zisterzienser bieten. Damit nähert sich die „Reuner Relation“ der propagandistischen Diskreditierung des monastischen Gegenspielers durch die Assoziation mit der instabilitas an.⁴³⁵

 Schönbach: Reuner Relationen, S. 52 f.; Übers. P. R.: ‚Sie machten jene Himmelskönigin zu ihrer einzigen Schutzherrin. […] Dieser verschrieben sich alle Mitglieder dieses Ordens und setzten in einer gemeinschaftlichen Vereinbarung fest, dass sie ihre Gebete Mariens Ehre widmen würden. Sie wählten sie auf einzigartige Weise als ihre einzige Herrin und Mutter.‘  Schönbach: Reuner Relationen, S. 53; Übers. P. R.: ‚ Wenn du dem Gefährten Glauben schenkst und am Treulosen nicht zweifelst, wirst du dich diesem Orden anvertrauen und ihrer Lehre überantworten. In dieser wirst du erniedrigt werden unter die mächtige Hand Gottes, damit du dich am Tag der Prüfung erhebst.‘  Vgl. Kapitel 9.1.2.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

395

Vergleicht man nun die untersuchten geistlichen Verserzählungen, die Marienmirakel aus dem Passional mit der „Vorauer Novelle“, fällt Folgendes auf: Die Erzählungen im Passional sind auf das Moment des Marienwunders konzentriert. Die Hauptintentionen der Erzählungen sind die paränetische Didaxe und das Lob Mariens. Das hat zur Folge, dass die Begegnung mit dem Transzendenten zwar dargestellt, jedoch nur sofern es handlungsnotwendig ist. Auch die „Vorauer Novelle“ folgt in nuce dem konventionellen Schema vom Fall in die Sündhaftigkeit und Rettung durch Umkehr zu Gott. Im Gegensatz zu den Marienmirakeln bedarf es dafür aber keiner unmittelbaren Intervention des Transzendenten, sondern die Konversion wird im Tod des spiegelbildlich gestalteten Gefährten initiiert. Durch diese Doppelung der Protagonisten wird das Strukturmodell vom ‚Verlorenen Sohn‘ um eine alternative Möglichkeit erweitert: die Verdammnis in der Hölle aufgrund der Verzweiflung an Rettung. Dazu wird der Text um ästhetische Normen der höfischen Literatur, einer Kritik an übermäßig strenger Vermittlung von Schriftgelehrsamkeit und eine Diskussion des Bösen mittels des Wegs zur nigromancîe angereichert.

9.4.2 Wandernde Schüler in der schwankhaften Kleinepik Der Fahrende Schüler kombiniert als literarisches Muster die Eigenschaften listiger Klugheit, (Schul‐)Gelehrsamkeit, erotischen Begehrens und sexueller Vitalität, legitimierte Mobilität und narratologische Ubiquität sowie eine Affinität zum Magischen.⁴³⁶ Dabei sind diese Zuschreibungen weitgehend von den Primäreigenschaften seiner Jugend und seiner Eingliederung in den Gelehrtenstand (ordo clericus) abhängig, also innerliterarischen Faktoren und Funktionalisierungen. Das erklärt auch, warum in der mittelalterlichen Versnovellistik die akademischen Grade bei der Figurenbeschreibung meist keine Rolle spielen.⁴³⁷ Die Schülerfiguren in der schwankhaften Kleinepik sind zudem frei von gesellschaftlichen Ordnungen und damit frei für den Entwurf einer eigenen (parodierenden) Weltordnung. Deshalb wird der Akteur in derartigen Erzähltypen auch in einigen Fällen als Trickster-Figur bezeichnet.⁴³⁸ Dieser werden in der Ethnologie typische Ei-

 Vgl. Kapitel 5.3 und 8.3.  Vgl. dazu Coxon: schrîber, S. 57, der für die ‚Mären‘ feststellte, „that in a large number of these texts the choice of such literate protagonist-types is determined by internal literary functions, which might in turn explain why it is often difficult to decide whether the studentfigure being portrayed is a scholaris simplex, a baccalarius or a magister artium.“  Es ist einzuräumen, dass das ethnologische Konzept für die Beschreibung von kulturellen Phänomenen vornehmlich in außereuropäischen Stammesgesellschaften entwickelt wurde, der Schwerpunkt also auf soziologischen und nicht auf literarischen Aspekten liegt. Außerdem wurde das Konzept des Tricksters auch innerhalb der Ethnologie ambivalent diskutiert, eine zu weite Verwendung des Begriffs kritisiert und eine Einengung auf den Kulturheros als ‚göttlichen Schelm‘ gefordert. Vgl. Thomas O. Beidelman: The Moral Imagination of the Kaguru. Some Thoughts on Tricksters, Translation

396

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

genschaften zugesprochen, wie „independence from and an ignoring of temporal and spatial boundaries“, eine Position „between the social and the other world or chaos“ und eine „enormous libido without procreative outcome“.⁴³⁹ Eine grundlegendende Eigenschaft des Tricksters oder des Schelms besteht also in seiner Ambiguität, Anomalität oder Liminalität. Er ist in keine binäre Opposition wie gut oder böse, bekannt oder fremd, ordnungsbedrohend oder ordnungsstabilisierend einzuordnen, sondern er steht als Alternative dazwischen und repräsentiert damit eine „Figur des Dritten“.⁴⁴⁰ Gerade beim Studenten, der sich zur Bildungsstätte bewegt, handelt es sich um eine genuin liminale Figur. Victor Turner hat in seinen grundlegenden Studien zum Ritual mit Verweis auf Arnold van Genneps Les rites de passage ⁴⁴¹ alle Übergangsriten in drei Phasen unterteilt: die Trennungs-, die Schwellen‐ und die Angliederungsphase.⁴⁴² Die Bewegung von der Struktur der Heimat in die Struktur der Bildungsstätte findet dabei in der „mittleren ‚Schwellenphase‘“ statt, in der das „rituelle Subjekt (der ‚Passierende‘) von Ambiguität gekennzeichnet“⁴⁴³ ist, da der durchschrittene ‚dritte‘ Bereich der ‚Antistruktur‘ in keine der beiden Sphären gehört und der Grenzgänger sich daher auch „zwischen den vom Gesetz, der Tradition, der Konvention und dem Zeremonial fixierten Positionen“⁴⁴⁴ aufhält. Dieser dritte Bereich der ‚Anti-Struktur‘ ist der narrative Raum reisender Studenten. Indem die Bewegung beim Fahrenden Schüler auf Dauer gestellt ist und weder das Ziel akademischer Ausbildung noch eine Rückkehr in den heimatlichen Bereich der Ordnung narrativ erwogen wird, entsteht eine Figur der Grenze. So kondensieren im Fahrenden Schüler einige Merkmale der Liminalität des Tricksters wie die ziellose Reise, die Unterbestimmtheit des sozialen (und zum Teil auch geschlechtlichen)

and Comparative Analysis. In: American Ethnologist 7 (1980), S. 27– 42, hier S. 28 und Ulrich Marzolph: [Art.] Schelmentypen. In: EM 11, Sp. 1345 – 1351, hier: Sp. 1345 f.  Barbara Babcock-Abrahams: A Tolerated Margin of Mess. The Trickster and His Tales Reconsidered. In: Journal of the Folklore Institute 11 (1975), S. 147– 186, hier S. 159 und William J. Hynes: Mapping the Characteristics of Mythic Tricksters. A Heuristic Guide. In: William J. Hynes und William G. Doty (Hg.): Mythical Trickster Figures. Contours, Contexts, and Criticisms. Tuscaloosa 1993, S. 33 – 45, hier S. 35 – 45 ergänzt in einer heuristischen Kartographie des Typus zu den Aspekten der Ambivalenz und Ordnungsinversion noch die Tendenz zu listiger Täuschung, die Gestaltwandlung (Verkleidung als dissimulatio) und die Eigenschaften eines ‚Bricoleur‘ in Verbindung mit sexuellen oder skatologischen Handlungen.  Allgemein zur „Figur des Dritten“ vgl. Albrecht Koschorke: Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaften. In: Eva Eßlinger, Tobias Schlechtriemen u. a. (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin 2010, S. 9 – 31, speziell zum Trickster: Erhard Schüttpelz: Der Trickster. In: Eva Eßlinger, Tobias Schlechtriemen u. a. (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin 2010, S. 208 – 224.  Arnold van Gennep: Übergangsriten, übers. von Sylvia M. Schomburg-Scherff und Klaus Schomburg. Frankfurt a. M., New York 32005 [Original 1909: Les rites de passage. Étude systématique des rites].  Vgl. Victor Turner: Das Ritual. Struktur und Antistruktur. Frankfurt a. M., New York 2005, S. 94 f.  Turner: Das Ritual, S. 94.  Turner: Das Ritual, S. 95, vgl. weiter S. 105.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

397

Status, die soziale Marginalisierung, jedoch auch die mangelnde Bindung an Tradition, Konvention und Gesetz.⁴⁴⁵ Ebenso die mythisch-transzendenten Zuschreibungen fehlen dem Fahrenden Schüler durch das Narrativ des magisch-esoterisch Eingeweihten nicht. Denn durch seine exklusive Bildung und seine ‚Fortbildungen‘ (u. U. im Venusberg) gilt er als Kontaktperson zum Transzendenten, v. a. dem Teufel. Doch Marginalität und Liminalität müssen hinsichtlich des Prozesses der Textproduktion und ‐rezeption betrachtet werden. Denn diese Figur wird von Personen erzählt und rezipiert, die sich auf beiden Seiten von ‚Struktur‘ und ‚Antistruktur‘ befinden, die Trickster als eine Abspaltung genießen wollen, um den Abgrund erträglicher zu machen, in dem es keinen Unterschied zwischen Statuszuschreibung und Liminalität, zwischen Restrukturierung und Destrukturiertwerden gibt. Figuren aus Verlockung und Abschreckung, Trost und Spott – sie haben eine unabweisbare Referenz, auf die man nicht warten, der man auch nicht entfliehen kann.⁴⁴⁶

Diese Überlegungen werden von Sebastian Coxon auch für die litterati in mittelhochdeutschen Schwankmären erwogen.⁴⁴⁷ Ein möglicher Grund für die paradoxe Situation von geistigen Vorzügen und materiellen Nachteilen, liege darin, dass diese Figuren nicht das Selbstbewusstsein der finanziell situierten Rezipienten stören könnten. So können sie als Gegenfigur zu den in den Textwelten „detested or truly threatening categories of person such as the peasantry, priests and women“⁴⁴⁸ eingeführt werden.

Differenzierung unterschiedlicher Strukturen von Mobilität Schülerfiguren im mittelhochdeutschen Versschwank wurden bereits unter der Leitfrage einer Verortung im ständischen Gesellschaftsbild behandelt (Kapitel 8.2). Bei den Schülern in den deutschen Versnovellen vor 1400 fiel eine intensive Adaptation höfischer Kultur auf, für welche die literarische Dominanz (höfischer) Literatur in Rechnung zu stellen ist. Sowohl auf der poetologischen Ebene als auch auf der Figurenebene scheint sich die Kleinepik an der vorliegenden Literatur abzuarbeiten. Die Texte mit Protagonisten aus dem (Hoch‐)Adel, also mit ‚Standesstudenten‘ (1),⁴⁴⁹ unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Handlungsstruktur und der handlungsrelevanten Räume und Bewegungen von den Texten (2) mit Protagonisten aus dem gehobenen Bürgertum (divites). Ab dem 15. Jahrhundert etabliert sich schließlich eine dritte Ge-

 Vgl. Schüttpelz: Trickster, S. 221– 223.  Schüttpelz: Trickster, S. 221 f.  Coxon: schrîber, S. 58. Für eine weitere Darstellung der Liminalität in mittelhochdeutschen Mären und altfranzösischen Fabliaux sei auch verwiesen auf Williams: Tricksters and Pranksters, S. 8 – 10.  Coxon: schrîber, S. 58.  Es handelt sich um folgende Verserzählungen vom Anfang des 14. Jahrhunderts: „Der Schüler zu Paris“ in den Versionen A, B und C, „Schampiflor“ und „Der Bussard“. Außerdem folgt dem Muster „Bürgermeister und Königssohn“ von Heinrich Kaufringer (um 1400).

398

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

staltungsform der Mobilität von Schülerfiguren als Fahrende (3) oder als Fahrende Schüler (3.1). (1) Die Standesstudenten sind eigentlich keine ‚reisenden Studenten‘. Denn nie ist die Reise zum Hochschulort in die Erzählung einbezogen. Entweder beginnt die Erzählung bereits am Hochschulort wie in „Schampiflor“⁴⁵⁰ oder gemäß dem genealogischen Prinzip des höfischen Romans mit der Herkunft und der Stellung der Eltern, leitet dann aber unmittelbar auf die Ereignisse am Hochschulort über. Der Raum dazwischen ist weitgehend irrelevant.⁴⁵¹ Besonders deutlich wird diese Struktur in Der Schüler von Paris C. Auf einen programmatischen Prologus praeter rem mit einer Anrede an den Rezipienten (DVN 3, Nr. 112, vv. 1– 36), folgt die ausgesprochen emotionale Vorgeschichte (Prologus ante rem, vv. 37– 170), die davon berichtet, dass die adligen Eltern erst sehr spät ihr Wunschkind bekommen, wie dieses in der Schule ausgebildet wird und sich zum Leidwesen und trotz aller Klagen der liebenden Eltern nicht davon abbringen lässt, zur Universität zu reisen. Es wird reich ausgestattet und bricht mit Gottes Segen auf. Die eigentliche Reise beschränkt sich dann auf drei Verse: wann er kom pey kurczer weil | wol uͤ ber hundert meyl | in ain stat lobesam (vv. 173 – 175). Als Grund für den Universitätsbesuch nennt der junge Schüler den Wunsch nach Wissen und Ansehen: wie er lob und alles gut | von der werlt moht eraren (vv. 146 f.).⁴⁵² Diese Intention wird folgendermaßen motiviert: er gedaht an ain wort, daz er offt het gehort: ‚haymgezogen kint ist awssen als ain rint. (vv. 137– 140)

Diese Sentenz, die sich schon in Freidanks Bescheidenheit (1217/30) findet,⁴⁵³ betont eine Dichotomie zweier valorisierter Sphären. Denn „deheime und ze hûse vertreten den Bereich der notwendigen Lebenssicherung, des Ländlichen, Defizitären, um dessen Ausgrenzung und Überwindung sich der avancierte Adel kümmern muß.“⁴⁵⁴ Mit dem Verlassen des Zuhauses hin zu einem externen Hof als Sozialisationsinstanz ist auch die Modellierung einer feudalaristokratischen Wertediskussion, die in Affektkontrolle und Repräsentation mündet, verbunden. Damit handelt es sich um einen

 da von sage ich uch eyn mere, | wye eyme schulere | geschach, der waz zcu Pariz (DVN 2, Nr. 77, vv. 5 – 7).  Schulz: Erzähltheorie, S. 280 f. und Ute Klein: Initialmotivik in der Erzählkunst des 12. und 13. Jahrhunderts. Göppingen 1991, S. 15 – 45.  Noch prägnanter formuliert in Der Schüler von Paris A: der was dorch zuht und ere | und daz her wolt werden wis, | gefaren in die stat Parys. (DVN 2, Nr. 75, Red. f, vv. 26 – 28).  Man hât ein heime gezogen kint | ze hove dicke für ein rint; Freidank: Bescheidenheit. Neudruck der Ausgabe von 1872, hg. von Heinrich Ernst Bezzenberger. Aalen 1962, 139, v. 14 a b. Zu anderen Versionen dieses Vergleichs siehe Hans-Friedrich Rosenfeld: Mittelhochdeutsche Novellenstudien. I. Der Hellerwertwitz II. Der Schüler von Paris. Leipzig 1927, S. 232 und TPMA 3, S. 53 f. (Nr. 2.3).  Wenzel: Hören und Sehen, S. 18.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

399

notwendigen Schritt im ritterlich-höfischen Selbstverständnis. Dieser ist fest mit der âventiure verbunden, also der Bewährung im (primär unhöfischen) Raum außerhalb des Zuhause (und meist auch des Hofes), der im höfischen Roman zu einer „Umwandlung des unbekannten Zukünftigen in Heldentum und vorbildliches Leben“⁴⁵⁵ führt. In der Versnovellistik ist die Aventiure räumlich auf die Hochschule, inhaltlich aber auf das ‚Liebesabenteuer‘ beschränkt.⁴⁵⁶ Ein gutes Beispiel und zugleich die letzte mittelhochdeutsche Versnovelle mit einem adeligen Studenten als Protagonisten ist das Promythion von „Bürgermeister und Königssohn“ Heinrich Kaufringers (um 1400). Hier wird die Ambition des Hochschulbesuchs in einem Erzählerkommentar programmatisch an den Beginn des Textes gestellt: Wer zucht und tuget lernen wil, der sol fürsetzen im das zil, das er dahaimet nicht beleib und ettwie lang sein zeit vertreib ferr hindan in fremde land. so wird im manig sach bekant von mangerlaie aubentür, baide guot und ungehür, die im da mag widerfaren; […] wann das sprichwort ist gewär: das dahaim erzogen kind haist und ist ze hof ain rind. (vv. 1– 16)

Der Besuch der Hochschule wird so auf zwei Ebenen zu einer rite de passage für den jungen Adligen. Einerseits soll er zucht und tuget lernen, andererseits wird das Lernen in den Versnovellen auf die sexuelle Initiation oder erotische Abenteuer reduziert. Diese führen den Protagonisten von Kaufringers Erzählung auch in die prekäre Situation, dass er bei einem Stelldichein mit der Frau des Bürgermeisters in flagranti erwischt und festgesetzt wird. Der Königssohn wird hingegen nicht bloßgestellt, sondern begnadigt, nachdem seine Identität offenbar wird. Am Ende profitieren beide: Der Bürgermeister bekommt für sein tugenthaft (v. 408) Verhalten einen Handelsfreibrief vom französischen König, der Standesstudent aber die Möglichkeit, von seiner Aventiure zu erzählen: auch begund er verschreiben | seinem vater gar behend | von anfank bis an end | dieser abentür geschicht (vv. 438 – 441). Damit wird seine ‚Heldentat‘ öffentlich und so höfisch gültig. Auch wenn die Handlungslogik auf die

 Uta Störmer-Caysa: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman. Berlin, New York 2007, S. 163.  Vgl. Kapitel 8.2.2. Die Versnovelle „Schampiflor“ (um 1300) endet z. B. mit den Worten: nye engelichem man geschach sulich eventhure (DVN 2, Nr. 77, v. 462).

400

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

erniedrigende Bloßstellung hinauszulaufen scheint, wird diese in den Texten, die Fischer als „höfisch galante Mären“⁴⁵⁷ bezeichnete, stets unterbunden. (2) Diese narrativen Eigenschaften teilen die adligen Studenten mit denen, die aus dem gehobenen Bürgertum stammen, zumal diese durchgehend mit dezidiert höfischen Attributen versehen sind. Auch hier dient der Erwerb von Wissen und Ansehen für sich und die Familie als Antrieb.⁴⁵⁸ Die veränderten Protagonisten ziehen auch eine veränderte Struktur nach sich. Denn die Aventiure der nichtadligen Studenten findet nicht am Hochschulort statt, sondern auf der Reise dorthin.⁴⁵⁹ Durch die Verlegung der erotischen Abenteuer in den Zwischenraum der Bewegung vom Ort der Heimat zum Ort der Ausbildung werden die Eigenschaften als rite de passage noch verstärkt. In diesem Raum scheint alles erlaubt zu sein, hier können die erotischen Lizenzen des Schwanks auserzählt werden. Das Studium als Ziel der Reise bleibt aber im Blick. Besonders deutlich wird das, wenn die Erzählung nicht nach dem Verlassen des Ortes der Schwankhandlung abbricht, sondern auch die Rückkehr in den geordneten Raum des Hochschulorts erzählt. Nachdem der Schüler in „Die treue Magd“ das Haus seines Gastgebers verlassen hat, nimmt er die Reise zu seinem ursprünglichen Ziel wieder auf.⁴⁶⁰ Sobald er in Paris ankommt, wird er wieder in die Gesellschaft reintegriert: he reyt hen to Parijs | unde wart an kunsten eyn groter man (vv. 597 f.). Das Liebesabenteuer und seine sexuelle Initiation auf der Reise ist nur eine Episode seiner biographischen Erinnerung: wan he to der lexien [Vorlesung] solde gan, ome were wal ydder unsachte, myd vruntheyt he jo der vrauwen dachte, de ome gut hedde gedan. (vv. 600 – 603)

Alle Handlungen bleiben im Verborgenen, was eine rächende Replik des Ehemanns unnötig macht. Durch die Verschwiegenheit des Protagonisten ist die Ordnung der Textwelt nicht gefährdet, sondern gewahrt – zumindest auf der Textoberfläche. Denn implizit steht die sexuelle Begegnung einer steten Wiederholung offen, spätestens wenn der Student wieder in die Heimat zurückkehrt. Denn die Ehefrau bietet ihm an: „[…] wen gy willen weder to hus varn, | so komet weder to myr“ (vv. 585 f.). Auch in „Fünfzig Gulden Minnelohn“ kommt der Schüler mit einem blauen Auge davon: Es erreicht den erstrebten Geschlechtsverkehr und erhält sogar einen Teil des  Vgl. Fischer/Janota: Märendichtung, S. 109 – 111.  Vgl. Kapitel 8.2.  Eine Ausnahme unter den frühen Versnovellen (wohl schon um 1270) bietet „Frauenlist“. Hier weist das Promythion die Erzählung zwar als hubschez mer | von einem stoltzen schuoler (DVN 1/1, Nr. 30, vv. 1 f.) aus, aber Mobilität ist nicht ihr Gegenstand. Die narratologische Funktion der Figur bezieht sich vielmehr auf die Schreibfähigkeit und das das fachlich-medizinische Wissen (vv. 555 – 600) des Protagonisten, welche die Ehefrau zur Tarnung ihres Ehebruchs nennt.  Genauer zu dieser Versnovelle vgl. Kapitel 8.2.2.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

401

Freierlohns zurück. Obwohl man ihn erwischt, wird sein Ansehen jedoch nicht beschädigt, da die Replik des Ehemanns im geschützten Rahmen des Bürgerhauses und indirekt über die Ökonomie des Tauschgeschäfts ausgehandelt wird. Doch er erhält das Geld nur unter der Prämisse zurück, sich wieder in die gesellschaftliche Norm einzufügen: der wirt sprach: „gsell, es hat die gstalt, das übrig gelt das hab dir wider und wird darmit frum und bider […]“ (vv. 354– 356)

Diesem Gebot folgt der Student, der in seim herzen fro (v. 366) und mit guten hulden (v. 370) weiterreist, biß er kam, do er gern was, und tet sich darnach daran keren und lernet, das er ward zu eren, und kam seim vatter frölich haim. (vv. 372– 375)

Während die Ordnung beim Studenten durch die Rückerstattung des verprassten Geldes restituiert wird, muss der Ehemann die Frau bestrafen, um die Normen des misogynen Weltbildes wiederherzustellen, dass si wölt allweg in seim willen leben (v. 380). Die Magd als Kupplerin aber schickt der Erzähler zum Teufel (vv. 385 – 392). Die Werte der laikal-bürgerlichen wie die der klerikal-studentischen Kultur sind wieder in Ordnung gebracht und jede Figur befindet sich an dem für sie vorgeschriebenen Ort.⁴⁶¹ Topischer Hochschulort ist sowohl bei den adligen als auch bei den bürgerlichen Studenten die Universität Paris, was erst im 15. Jahrhundert durch andere Universitäten erweitert wird: Die schwer datierbare „Treue Magd“ nennt Padua zumindest als (abgewiesene) Alternative zu Paris (DVN 4, Nr. 173, Red. b3, v. 108), Universitäten des Reiches aber sind der Ort der Handlung in Heinrich Kaufringers „Bürgermeister und Königsohn“ (Erfurt) und Peter Schmiehers „Der Student von Prag“.⁴⁶² Gerade Schmiehers Versnovelle thematisiert jedoch keine Reise und ist für die Untersuchung studentischer Mobilität daher sekundär, wie auch andere Versnovellen ab dem 15. Jahrhundert (z. B. „Buhlschaft auf dem Baume A“ oder Hans Folz’ „Der falsche Messias“), in denen gar kein Ort explizit genannt wird. Aufgrund der Typik der Figuren und Handlungen ist generell gleichgültig, wo sich das Ereignis abspielt, ob in Prag,

 Vgl. Coxon: schrîber, S. 40 f.  Prag hat als älteste Universität des Reiches eine besondere Bedeutung; ebenso die Universität Erfurt war im 15. Jahrhundert angesichts der Besucherzahlen eine der berühmtesten Universitäten des Reiches.Vgl. Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher, S 99 f. Ansonsten ist der Ort für die Handlung weitestgehend austauschbar. Vgl. Christoph Fasbender: Erzählen in Erfurt. Novellistik in der mittelalterlichen Stadt. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 69 (2008), S. 12– 31, hier S. 21 f.

402

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Erfurt, Bonn (Hans Folz’ „Die drei Studenten“) oder eben Paris. Diese Ubiquität aber auch die (literarische) Prävalenz von Paris zeigt nicht zuletzt, dass „Der Student von Prag“ in einem Überlieferungszeugen von der Moldau an die Seine verschoben ist.⁴⁶³ Eine dritte Ausprägung (3) wandernder Schülerfiguren beschreibt Klaus Grubmüller: „[E]s sind meist clers, fahrende Studenten und Kleriker, also ‚Intellektuelle‘ außerhalb fester Bindungen, die sich die Freiheit nehmen dürfen, die etablierten Ordnungen außer Kraft zu setzen.“⁴⁶⁴ In dieser Strukturform ist die Motivation der Bewegung sekundär, vielmehr werden die Eigenschaften und Hintergründe des Schülers als bekannt vorausgesetzt. Deshalb kann auch der Schüler den Ritter ersetzen⁴⁶⁵ oder in Erzählungen auftreten, die seinen Hintergrund nicht explizieren. Hier dient er als Prototyp des gerissenen Liebhabers und wird durch seine genuine Mobilität definiert. Dieser Fall begegnet besonders in den späteren Versnovellen, zum Beispiel in „Zweierlei Bettzeug“ eines Schweizer Anonymus aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Protagonist wird nur knapp als Lernender beschrieben, der auf der Reise nach einer Herberge sucht: ⟨E⟩in schuoler über felde gieng. ellent herbürg er enpfing, als noch mängem me beschicht, der nach der lere vicht. Er kert zuo einem puren zuohin und bat, das man in gehielti über nacht durch got. (v. 1– 4)

Ein Bauer nimmt den Schüler zwar auf, verspottet ihn aber, indem er ihm anstatt Kissen und Decke nur seine Flatulenzen gibt. Dies vergilt der Verpottete am nächsten Morgen durch eine steigernde Replik der Handlung.⁴⁶⁶ Bei seinem Aufbruch informiert er den Gastgeber, dass er das Bettzeug hinter dem Ofen zurückgelassen habe. Tatsächlich aber lässt er dort seinen Kot zurück. Beide ordnen einem Signifikanten (‚Bettzeug‘) ein Signifikat eines anderen Bereichs (Fäkalien) zu. Der Schüler kopiert dabei das uneigentliche Sprechen des Bauern, steigert aber die Drastik und ‚Mate-

 Es handelt sich um die Handschrift Ph (vgl. Die deutsche Märendichtung, hg. von Hanns Fischer, S. 89 – 92). Diese niederdeutsche Variante ist abgedruckt in: Der Reimpaardichter Peter Schmieher. Texte und Untersuchungen, hg. von John E. Tailby Göppingen 1978, S. 90 – 94.  Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 139. Hier bezieht sich Grubmüller auf die Protagonisten in altfranzösischen Fabliaux, welche ab der Mitte des 13. Jahrhunderts auf die deutsche Versnovellistik wirken. Mit seiner Betonung der zahlenmäßigen Dominanz von Schülerfiguren übertreibt Grubmüller hier, denn auch in den Fabliaux sind diese keineswegs in der Mehrzahl. Die struktuelle Funktion der Figuren wird aber gut erfasst.  Zum Beispiel im „Rosendorn A“ und beim „Sperber“, auch wenn dies nicht immer ohne semantische Brüche funktioniert. Vgl. Kapitel 8.2.1.  Der Schwank folgt relativ genau dem Handlungsschema des ‚Steigerungstyps‘. Vgl. Hermann Bausinger: Bemerkungen zum Schwank und seinen Formtypen. In: Fabula 9 (1967), S. 118 – 136, hier S. 127 f.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

403

rialität‘ des Signifikats. Die beiden für die narrative Struktur notwendigen Attribute des Schülers sind also seine Mobilität – er sucht Herberge – und seine Gerissenheit – er kann seinen Gastgeber durch Wortwitz schlagen. Die pointierte Formulierung und Struktur erinnert freilich stark an exemplarisches Erzählen (exemplum, bîspel).⁴⁶⁷

Beispiel für Strukturtyp 3: „Die drei Studenten“ von Hans Folz Auch in „Die drei Studenten“ des Nürnberger Dichters Hans Folz ist die Bewegung der Schülerfiguren ähnlich unmotiviert. In der Exposition der Erzählung heißt es: Ein stat heist Pun und leyt am Rein; Darin die schönsti wirtin sas. Eins mals ir wirt auswallen was, Und in der zeyt do fuget sich, Das drei studenten fleiseclich Sie paten herberg auff ein nacht. (vv. 6 – 11)

Die Figuren der Erzählung sind also Bonner Hauswirtin, ihr (abwesender) Ehemann und drei Studenten als Gäste. Über diese gibt es bis auf die Anzahl, die für die Schwankhandlung wichtig ist, keine Informationen. Erst später wird deutlich, dass sie nicht arm sein können.⁴⁶⁸ Im ersten Teil des Textes kommen die drei Studenten unabhängig voneinander zu ihrer Gastgeberin und werben wortreich um sie, was die Wirtin so kommentiert: „ir künt wol schmirn. | Hapt ir im herczen und im hirn, | Als ir mit worten an dut schlagen, | Wie künt und möcht ich euch versagen?“ (vv. 175 – 178). Doch ‚Herz und Hirn‘ der Studenten entsprechen nicht der Qualität ihrer Worte, sodass sich die Wirtin leicht der Gäste erwehren kann. Sie fordert eine Liebesprobe, in der sie ihre Gäste vorführt. Diese sollen sich verkleiden: Der erste soll sich wie tot in ein frisches Grab legen, der zweite davor trauern und der dritte als Teufel verkleidet den Trauernden verjagen. In der von der Wirtin herbeigeführten Szene auf dem Friedhof jagen sich der Tote, der Trauernde und der Teufel nun gegenseitig unglaublichen Schrecken ein und fliehen ängstlich zur Herberge – jedoch ohne Wissen über die anderen (v. 251). Die drei werden so zum Narren gehalten und der letzte verwandelt sich durch die Verkleidung sogar plastisch in einen Narren. Denn er trägt einen koczen allt, | Rauch, zotet, swarcz und ungestallt, | Darpey mit scheln ein gürtel fest (vv. 191– 193).⁴⁶⁹ Die drei

 Vgl. Ziegeler: Erzählen im Spätmittelalter, S. 20 f. und Fischer/Janota: Märendichtung, S. 61 (Anm. 135 f.).  Am Übergang vom ersten zum zweiten Teil der Schwankhandlung heißt es: si zerten so ir gelt vortan (v. 295). Außerdem müssen sie zweinczig gülden (v. 319) Kapital aufwenden, um ihre List umsetzen zu können.  Die Struktur des ersten Teils entspricht der Versnovelle Die verspotteten Liebhaber (überliefert im Kaufringer-Corpus Cod. germ. mon. 270). Hier bewertet der Erzähler die Handlung als solich narrenfart (v. 162) und das Verhalten wird dezidiert durch Karnevals-Praktiken motiviert: das geschach zu ainer

404

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

gefoppten Studenten brechen am nächsten Tag früh auf. Ihre Reisegemeinschaft wird aber erst dann zur Wissensgemeinschaft, als der erste sein Schweigen bricht und von den Erlebnissen der Nacht erzählt. Dadurch erhalten die Studenten wieder Handlungssouveränität und machen sich heiter lachend an den Plan der Rache: Die wirtin wolltens wider effen (v. 281).⁴⁷⁰ In der Replik dominiert gleichfalls eine Verdeckungshandlung. Denn die drei Studenten kehren, als der Ehemann wieder außer Haus ist, nacheinander zurück. Das ursprüngliche Wissensdefizit der Studenten wird nun auf die Wirtin projiziert, indem die Studenten das Unwissen der Wirtin ausnutzen.⁴⁷¹ Der erste Student kommt [i]n kauffmans weis (v. 299) und vertraut ihr vor seiner Weiterreise die große Summe von zwanzig Gulden an, da er Angst habe, beraubt zu werden. Abermals verkleidet kehrt er zu ihr zurück, wobei die äußere Erscheinung vorgeben sollte, dass der befürchtete Überfall tatsächlich geschehen sei: Yn kleidung det er sich versteln, | Als er beraubt wer worden gar (vv. 324 f.). Anstatt des Geldes, von dem sie vorgibt, es an sicherer Stelle verborgen zu haben, gewährt sie ihm eine Liebesnacht. Sie nimmt also implizit Bezahlung für eine sexuelle Dienstleistung. Bevor der erste Student wieder aufbricht, verabreicht er der Wirtin geheim eine giftige Substanz, welche ihren Leib ungesund anschwellen lässt. Der zweite Student erscheint, nachdem er sich [e]rcztische kleider (v. 259) angezogen hat. Er bietet der Frau an, sie von der kompromittierenden ‚Krankheit‘ zu heilen und fordert dafür zwanzig Gulden und sexuelle Dienste. So bekommt der zweite Student (und damit die Listgemeinschaft der drei Studenten) das Geld des ersten wieder und ebenso eine Liebesnacht. Nachdem die Wirtin geheilt ist, kommt der dritte Student ähnlich eim zigeyner (v. 400) und liest ihr aus der Hand (vgl. vv. 413 f.). Dabei deckt er als Wahrsager das unsittliche Verhalten der Frau auf und ruft: Hie grosse hur in disem haus! | Hie große, wol versuchte hur! (vv. 440 f.). Für sein Schweigen bekommt er wieder zwanzig Gulden und ebenso eine Liebesnacht. Am nächsten Morgen deckt er dann die List auf: Nun saget mir, wer meyster sey: | Ir eynig oder wir all drey (vv. 479 f.). Die Studenten haben gesiegt und die Wirtin ist doppelt geschädigt: Sie hat zwanzig Gulden verloren und wurde gegen ihren Willen von den Studenten prostituiert. Indem die Studenten der geschädigten Wirtin von ihrer List berichten, inszeniert die Erzählung am Ende einem Wissensausgleich, der wie ein Happy-End wirkt: Die Frau sagt, ir wer recht gescheen (v. 483), sie entschuldigt sich (!) und spendiert den dreien ein Abendessen. Nach Gert Hübner fußt das narrative Konzept wie in anderen Texten von Hans Folz auf der Verteilung des Wissens unter den Figuren und – damit verbunden – ihrer Handlungssouveränität.⁴⁷² Das Epimythion schließt sich diesem

fasnacht. | (daran wirt mangerlai erdacht | und mer narenhait dann ander zeit; | der den leuten nachent leut (vv. 15 – 18). Vgl. dazu Coxon: Shrovetide, S. 199 – 201.  Vgl. dazu Gert Hübner: Hans Folz als Märenerzähler. Überlegungen zum narrativen Konzept. In: GRM 54 (2004), S. 265 – 281, hier S. 273 f.  Hübner: Folz als Märenerzähler, S. 274.  Vgl. Hübner: Folz als Märenerzähler, S. 272– 276.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

405

Ende an und ermahnt die Frauen, dass jeder Spott und jede Bosheit auf sie zurückfielen.⁴⁷³ Hübner betont weiter, die Erzählung sei weniger auf einen didaktischen Gehalt hin ausgerichtet, sondern „in erster Linie auf die Stabilisierung eines souveränen, optimistischen Verhältnisses gegenüber einer gefährlichen, unordentlichen Welt.“⁴⁷⁴ Dieses zeige sich dadurch, dass es dem Rezipienten ermöglicht wird „‚mit‘ den Betrügern zu sein, wo diese die Torheit der Betrogenen ausnutzen, und ‚mit‘ den Betrogenen, wo diese die eigene Torheit erkennen.“⁴⁷⁵ Der Einbezug des Titelholzschnitts, den Folz in seiner eigenen Offizin wohl exklusiv für den Druck fertigen ließ, eröffnet eine neue Perspektive auf „Die drei Studenten“.⁴⁷⁶ Das Bild zeigt, wie ein Student um die Wirtin wirbt, während die beiden Kommilitonen beim Spiel (Schach und Mühle) sitzen (Abb. 1).⁴⁷⁷ Dieses prägnante Merkmal hebt den ludischen Charakter des Textes hervor. Zuerst spielt die Wirtin durch ihren Wissensvorsprung mit den Studenten, dann aber die Studenten mit der Wirtin. Es ist fraglich, ob nach diesen Akten von Betrug und Selbstermächtigung über den anderen, überhaupt von einer „Restitution jenes ‚Ordnungsoptimismus […], den man bei Kaufringer und Rosenplüt verloren sehen kann“,⁴⁷⁸ zu sprechen ist. Den Studenten dient als Replik aber ein Schauspiel, welches an die Revue des Fastnachtspiels (Reihenspiel) erinnert.⁴⁷⁹ Die Studenten nehmen verschiedene Rollen ein, die einerseits mit den Werbungsreden im ersten Teil der Schwankhandlung⁴⁸⁰ korrespondieren und sich auf typische Bereiche eines Studiums (Arithmetik, Medizin, Rhetorik) beziehen, andererseits verschiedene Typen aufgerufen, die auch durch ihre

 Der drastisch-derbe Wortlaut im Epimythion ist: Gespottig weib und fürwicz meid | Komen fast selbs zu schaden beyd. | Wer boßheit rempt und lasters zilt, | Wirt alls zulest auff sie gespilt, | Vorn beseycht und hinten beschissen, | Hat scham und zucht zu dod gepissen. (vv. 505 – 509)  Hübner: Folz als Märenerzähler, S. 276.  Hübner: Folz als Märenerzähler, S. 275 f.  Zu Folz’ Offizin und seinen Umgang mit Texttypen und Druckstöcken vgl. Ursula Rautenberg: Das Werk als Ware. Der Nürnberger Kleindrucker Hans Folz. In: IASL 24 (1999), S. 1– 40, hier S. 6.  Unikal überliefert in der Inkunabel: Hans Folz: Item von dreyen studenten die vm ein aller schonste wirtin pulten, Nürnberg: Hans Folz 1480. Abb. auch in Albert Schramm und Maria Möller (Hg.): Die Drucker in Nürnberg (Ausser Koberger). Leipzig 1934, Nr. 362. Die Studenten sind mit den langen Gewändern und Kopfbedeckungen von Gelehrten dargestellt. Da man bei der vorderen Figur links unter dem langen Gewand ihre Schuhe nicht erkennen kann, erscheint sie wie eine Frau. Dies ist jedoch unwahrscheinlich. Die eindeutig als Frau identifizierte Figur rechts ist mit einer späteren (schwer lesbaren) handschriflichen Notiz wohl als wibe margit ausgewiesen.  Hübner: Folz als Märenerzähler, S. 279. Auch Grubmüller, auf den sich Hübner in seinem unausgewiesenen Zitat indirekt bezieht, sieht an keiner Stelle Folz als Indikator für eine Restituierung eines Ordnungsoptimismus, sondern sieht in ihm einen typischen Vertreter des ‚Märe‘ im 15. Jahrhundert. Vgl. Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 313.  Zum Fastnachtspiel vgl. Kapitel 10.2.2 und 12.2.  Beim ersten Studenten (Kaufmann) dominieren mathematische Metaphern (Darum wirt nümer auszifrirt | Mein lieb gen euch mit keinr mensur, vv. 34 f.), beim zweiten (Arzt) medizinische (Es krenckt das hercz und swent das plut, v. 90) und beim dritten (Zigeuner) rhetorische (Wie ich mein wörter möchte gerüetern | Und eüch mein lieb darin erleütern, vv. 139 f.)

406

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Mobilität definiert sind: den Kaufmann, den Wanderarzt und das ‚Fahrende Volk‘. Neben dem Beitrag für die Listhandlung, führt diese kleine Revue auch einzelne Stände vor. Gerade eine Parodie der Wanderärzte als betrügerische Quacksalber ist dabei ein rekurrentes Phänomen im Werk von Hans Folz.⁴⁸¹

Zweites Beispiel für Strukturtyp 3: Der Erzähltyp von ‚Der verstellten Wiege‘ Eine etwas abweichende Konstellation weist das „Studentenabenteuer A“ auf. Die umfassende Vorgeschichte thematisiert zwar schon den Zielort Paris,⁴⁸² eine konkrete Realisierung der geplanten Reise wird aber nicht weiter erwähnt. Denn die Erzählung schließt damit, dass die beiden Protagonisten laut lachend den Ort der sexuellen Schwankhandlung verlassen. do ez tagen pegan, die schuler schieden von dan mit urlawb auf ir strazzen. si lachten ane mazzen von diser gemelichen tat vnd sich des gelükes rat vnd ir selden scheiben sich also liezzen treiben. (Red. w vv. 465 – 472)⁴⁸³

Das weitere Schicksal der Protagonisten bleibt offen, was Walter Haug dazu führte, überhaupt am Studienernst der beiden Figuren zu zweifeln.⁴⁸⁴ Auch wenn diese Frage irrelevant erscheint, ist doch ein deutliches Ungleichgewicht zur elaborierten Vorgeschichte auffallend. Der Plan der zielgerichteten Reise nach Paris wird ersetzt durch das Rad des Schicksals (rota fortunae), der Topos aber moralisch entfunktionalisiert.⁴⁸⁵ „Er verweist nicht mehr auf transzendente Werte, sondern auf das schnelle

 In den Texten von Hans Folz werden immer wieder Wanderärzte als Quacksalber und Scharlatane verrufen und in Kontrast zu ihren ortsansässigen Kollegen gestellt (z. B. „Der Quacksalber“ oder „Die Wahrsagebeeren“). Diese Vorliebe ließe sich durch ein biographisches Argument erklärten. Denn auch Folz selbst war Wundarzt (‚Barbierer‘) in Nürnberg. Zur Biographie von Hans Folz vgl. Fritz Langensiepen: Tradition und Vermittlung. Literaturgeschichtliche und didaktische Untersuchungen zu Hans Folz. Berlin 1980, S. 27– 35 und Johannes Janota: [Art.] Folz, Hans. In: 2VL 2, Sp. 769 – 793.  Für eine genauere Analyse vgl. Kapitel 8.2.2.  Berron/Seebald: Die neue Berliner Handschrift, S. 328 f. gehen vorsichtig davon aus, dass dieser inhaltlich signifikante Abschluss mit einem Rückkehr auf die histoire-Ebene durch die Beschränkung auf ein Quaternio begründet sein könnte.  Vgl. Walter Haug: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 2003, S. 351 f.  Vgl. Susanne Reichlin: Zeitperspektiven. Das Beobachten von Providenz und Kontingenz in der ‚Buhlschaft auf dem Baume‘. In: Cornelia Herberichs und Susanne Reichlin (Hg.): Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2010, S. 245 – 270, hier S. 246– 249. Generell zum Motiv des Fortuna-Rades in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. Helmut de Boor: Fortuna in mittelhochdeutscher Dichtung, insbesondere in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In:

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

407

Ergreifen der Möglichkeiten, die im unsteten Wandel aufblitzen.“⁴⁸⁶ Damit endet die Handlung der Versnovelle mit einer potentiell unendlichen Wiederholung eines Verhaltens, welches gesellschaftliche Regeln zwar verletzt, den Regeln des Schwanks aber entspricht. Voraussetzung ist nur, dass das Schicksal oder der Zufall die Möglichkeiten dafür bereitstellt – anlog zur ritterlichen Aventiure. Die Studenten erzeugen jedoch keineswegs ein offensichtliches Chaos, sondern können (durch die Mithilfe der klarsichtigen Ehefrau) die Ordnung auf der Oberfläche restituieren, indem sie alles vertuschen. Am Ende kann man die Schuld endlich dem Teufel zuschieben: die schuler sint unschuldich dor an, ez hat mir der uͤ bel tievel getan: der hat uns baide betrogen. (vv. 349 – 351; Konjekturen eingefügt)

Dieses äußerliche Wahren der Ordnung ist konstitutiv für „eine Komik, die den Widerspruch sowie das Ineinander von Ordnung und Chaos ausspielt, [aber] beidem sein Recht“ lässt.⁴⁸⁷ Indem die Erzählung die Ordnung nicht völlig nihiliert oder die Werte absolut invertiert, sondern alles in einem ordnenden Rahmen belässt, kann auch der Rezipient mit den Figuren lachen und so die Negativität positivieren.⁴⁸⁸ Mit dieser Präsenz des Unerlaubten im Erlaubten, der Ordnung im Chaos, beschäftigt sich auch das Epimythion, das oberflächlich auf das Sprichwort ‚Gelegenheit macht Diebe‘ hinausläuft: Nu rat ich ainem freund wol, der fremd geste behalten schol, daz er ir anders wol pflege und si nicht in sein kemnaten lege. tut er das, ez wirt im liebe, wann diu stat machet die diebe (vv. 359 – 364; Konjekturen eingefügt)

Dieses Ende wurde als „ironische Leerformel“⁴⁸⁹ bezeichnet und der „Schein der Lehrhaftigkeit“⁴⁹⁰ betont, zumal darauf auch der spätere ironisch-scherzhafte Schreibervers in den Handschriften w (dat. 1393) und i (dat. 1456) hinweist; dieser äußert den Wunsch: got vn̈ s in sölhe herberg sende (DVN 1/1, Nr. 18, Red. w, v. 475).

Hans Fromm, Wolfgang Harms und Uwe Ruberg (Hg.): Verbum et Signum. Bd. 2. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, Studien zu Semantik- u. Sinntradition im Mittelalter. München 1975, S. 311– 328.  Reichlin: Zeitperspektiven, S. 247.  Haug: Wahrheit der Fiktion, S. 352.  Vgl. Rainer Warning: Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie. In: Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning (Hg.): Das Komische. München 1976, S. 279 – 333, hier S. 325 – 329.  Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 139.  Haug: Wahrheit der Fiktion, S. 351.

408

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Um das Epimythion und die strukturelle Motivation der Erzählung bewerten zu können, ist ein Vergleich mit dem Prätext notwendig, dem altfranzösischen Fabliau Gombert et les deus Clers von Jean Bodel (1190/98);⁴⁹¹ nach Klaus Grubmüller ist das „Studentenabenteuer A“ sogar eines der frühesten „Fabliau in Deutschland“.⁴⁹² In der altfranzösischen Erzählung handelt es sich aber nicht um vermögende Bürgersöhne auf der Reise nach Paris, sondern die Bewegung der Protagonisten wird umgekehrt. Es sind zwei Studenten, die Paris verlassen müssen, da sie ihr ganzes Vermögen verprasst haben: En iceste fable parrolle De deus clers qui vindrent d’escole; S’orent despendu lor avoir Et en folie et en savoir. (vv. 1– 4)⁴⁹³

Eine kausale Motivation der Erzählung ist durch diese Beschreibung der Protagonisten viel leichter als im mittelhochdeutschen Text, welcher wegen der Betonung höfischer Verhaltensweisen erst mühsam eine Erklärung für die Ausgangssituation finden musste.⁴⁹⁴ Mit der Umbesetzung der Protagonisten geht einher, dass sie sich in die andere Richtung bewegen. Denn für die Darstellung der jungen Studenten als wohlhabende Figuren, die dennoch dem leichten Leben nicht abgeneigt sind, kann die Schwankhandlung nur auf dem Weg zum Hochschulort geschehen, während für die Darstellung von verarmten Figuren der Weg vom Hochschulort besser geeignet ist. Sofern die Bewegung zwischen Heimat und Hochschulort thematisiert wird, folgen die mittelhochdeutschen Beispiele in einhelliger Übereinstimmung der ersten,⁴⁹⁵ alle altfranzösischen Beispiele der zweiten Variante.⁴⁹⁶ Der verarmte Student (pauper) gehört also nicht in das Repertoire der mittelhochdeutschen Verserzählungen, sondern musste durch die Annäherung an eine bürgerlich-wohlhabende oder ritterlich-höfische Ordnung noch ‚eingehegt‘ werden.

 Ed. in NRCF, Bd. 4, S. 279 – 301.  Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 128. Er führt als erstes deutsches Fabliau den „Sperber“ an, wobei er bei der Datierung Heinrich Niewöhner folgt. Vgl. Niewöhner: Sperber, S. 57– 68. Heinzle hingegen relativiert diese Aussage, die „ausschließlich mit metrischen Argumenten begründet“ und so „heute nicht mehr akzeptabel“ ist. Joachim Heinzle: Rezension zu Klaus Grubmüller „Die Ordnung der Witz und das Chaos“. In: ZfdPh 128 (2009), S. 133 – 138, hier S. 136. Demzufolge wäre das „Studentenabenteuer A“ sogar das älteste überlieferte ‚deutsche Fabliau‘.  Übers. P. R.: ‚Die nächste Erzählung handelt von zwei ‚Klerikern‘, die von der Schule zurückkehrten. Sie hatten ihre ganze Habe mehr für ein lustiges Leben als für den Erwerb von Wissen ausgegeben.‘ Ebenso ist auch Le povre clerc motiviert. Vgl. dazu Kapitel 10.2.1.  Vgl. Kapitel 8.2.2.  So im „Studentenabenteuer“ der Versionen A und B, in „Die treue Magd“, „Bürgermeister und Königssohn“ und „Fünfzig Gulden Minnelohn“. Vgl. Kapitel 8.2.  Deutlich in Le povre clerc und Gombert et les deus clers. Die mittelniederländische boerde (um 1400) folgt der Struktur der Fabliaux. Vgl. dazu auch Ziegeler: ‚The Tale of the Cradle‘, S. 21– 23.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

409

Gombert et les deus clers betont im Epimythion nochmals die Eigenschaft des clericus als Idealfigur des Schwanks, indem es nicht davor warnt, einen beliebigen Fremden in seiner Kammer aufzunehmen (wie im „Studentenabenteuer A“), sondern explizit einen clerc: Ceste fable dit por essample Que nus hons qui bele fame ait Por nule proiere ne lait Jesir clerc dedenz son ostel, Qu’il ne li face autretel. (vv. 186 – 190)⁴⁹⁷

Das fabula docet ist also: ‚Nimm keinen clericus in dein Haus auf, da er deine Frau verführen wird.‘ Diese banale ‚Warnung‘ strebt weniger eine moralische Besserung des Rezipienten an, sondern spielt – wie viele Fabliaux – mit den Gattungskonventionen der Fabel und des Exemplums.⁴⁹⁸ Nimmt man diese ausdrückliche Moralisierung als (schwankhafte) ‚Lehre‘ der Erzählung ernst, dann sind gemäß dieser strukturellen Motivation ausschließlich clerici als Protagonisten der Erzählung vorstellbar. Die umfangreichste Bearbeitung des Erzähltyps von der ‚Verstellten Wiege‘ ist das unikal überlieferte „Studentenabenteuer B“ des ansonsten unbekannten Rüdeger von Munre (um 1300).⁴⁹⁹ Während diese Versnovelle den Plot von Version A deutlich (von 364 zu 1450 Versen) um zahlreiche Szenen erweitert, streicht sie die Vätervorgeschichte und damit die umfangreiche Verortung bezüglich Herkunft und Stand. Zu Beginn der Erzählung wird nicht einmal deutlich gemacht, ob es sich überhaupt um Studenten handelt.⁵⁰⁰ Sie sind nur als wohlhabende, höfisch-gebildete und einnehmende Jünglinge beschrieben (vv. 23 – 40). Zugleich seien sie ziellos unterwegs auf der Suche nach Gelehrsamkeit: das si das lant durchfurin […] | durch manchir hande wistum, | der do lit an den buchin (vv. 16 – 19). Ihre Form der Bewegung wird mit der des ‚Fahrenden Volkes‘ verglichen: Eines tagis uf dem wege, alsus gende noch ir pflege, quamen si zu einir stat,

 Übers. P. R.: ‚Diese Erzählung zeigt beispielhaft, dass ein Mann, der eine schöne Frau hat, nie und nimmer einem ‚Kleriker‘ erlauben darf, in seinem Haus zu schlafen, da dieser nicht anders handeln wird.‘  Zum Verhältnis von Fabliau und Fabel und die Lehrhaftigkeit der Versnovellistik vgl. Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 52 f. und Wolfgang Bergerfurth: „Des fables fait on les fabliaus“. Zum Verhältnis von Fabel und Fablel. In: Wolfgang Bergerfurth, Erwin Diekmann und Otto Winkelmann (Hg.): Festschrift für Rupprecht Rohr zum 60. Geburtstag. Heidelberg 1979, S. 61– 73.  Vgl. Hans-Joachim Ziegeler: Studentenabenteuer A und B. In: Fritz Peter Knapp und Nils Borgmann (Hg.): Kleinepik, Tierepik, Allegorie und Wissensliteratur. Berlin 2013, S. 100 – 110, hier S. 109. Textgrundlage: DVN, Bd. 2, S. 257– 296 (Nr. 70). Zur geschlechtlichen Zwischenstellung der Schülerfiguren in dieser Erzählung vgl. Kapitel 8.2.2.  Vgl. Andersson: Irregang und Girregar, S. 316 f.

410

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

do si wec und phat hin geleitit hette (vv. 41– 45, Herv. P. R.)

Die Ausgangssituation für die Handlung, also das Zusammentreffen der Studenten mit der Herbergsfamilie, wird also nicht dezidiert durch die Reise zum Hochschulort motiviert, sondern ereignet sich aus Zufall. Dass der Text von dieser unkoordinierten Bewegung geprägt ist, ergänzt auch die Ergebnisse Christine Witthöfts. Sie erkennt im ‚Abkommen vom Weg‘, das „grundlegende narrative Strukturelement […], wenn der kognitive Irrtum der Figuren in der räumlichen Figur des Irrens aufgeht.“⁵⁰¹ Witthöft konzentriert sich in ihrer Analyse auf den Kernort des Erzähltyps, die Irreführung durch die Wiege als „distinkte[s] Raumphänomen“,⁵⁰² welches den chaotischen Raum der Dunkelheit ordnet, durch Einflussnahme (Verstellen der Wiege) aber auch Identitätszuordnungen subvertiert. Die Irreführung (z. B. der Ehefrau) ist damit sowohl räumlich als auch kognitiv. Im „Studentenabenteuer B“ wird das räumliche Irren „durch das vorsichtig tapsende, watende, stolpernde, stoßende Voranschreiten des Minnesuchenden in der Dunkelheit der Kammer“⁵⁰³ mikroskopisch beschrieben (vv. 318 – 339), wobei der junge Gast das Ziel seiner Begierde zuerst tatsächlich nicht finden kann und erst durch das schneeweiße Bein identifiziert (vv. 346 – 350). Kognitiven Irrtum bewirkt jedoch nicht nur der natürliche Faktor Dunkelheit, sondern auch intentionale Verkleidung: einerseits durch das cross-dressing,⁵⁰⁴ anderseits durch die Inszenierung der Beschwörung der Nachtalben. Darin unterscheiden sich die beiden Versionen des „Studentenabenteuers“ voneinander. Denn während in der Version A explizit das Glück der Protagonisten (gelükes rat und selden scheiben, Red. w, vv. 470 f.) als Grund für das Happy-Ending gilt, spinnen die beiden Gäste und die Frauen im ergänzten Teil der Version B Intrigen,⁵⁰⁵ die auf eine Übertölpelung und völlige Entmündigung des Hausherrn, der einzigen huote-Figur (vgl. v. 814), abzielen.⁵⁰⁶ Diese Erniedrigung ihres Gastgebers werden durch dessen Aberglauben sowie die okkulten Fähigkeiten, die den Studenten zugesprochen werden, ermöglicht. Nach der Prügelei mit dem Studenten, der sich in das falsche Bett verirrt hatte, verschleiern der Student und die Ehefrau schnell die Lage, indem sie zur ersten Gelegenheit wieder ihre Positionen tauschen. Auf die entrüstete Nachfrage des Ehemanns motiviert die

 Christiane Witthöft: Der Weg in die Irre. Raum und Identität im ‚Studentenabenteuer B‘ (Rüdeger von Munre, ‚Irregang und Girregar‘) und in Boccaccios ‚Decameron‘. In: Matthias Däumer, Christine Waldschmidt u. a. (Hg.): Irrwege. Zu Ästhetik und Hermeneutik des Fehlgehens. Heidelberg 2010, S. 187– 212, hier S. 212.  Witthöft: Weg in die Irre, S. 190. Dazu auch Hartmut Kugler: Über Handlungsspielräume im Artusroman und im Märe. In: Helmut Brall, Barbara Haupt und Urban Küsters (Hg.): Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Düsseldorf 1994, S. 251– 267, hier S. 260. Er sieht in der Wiege den Kreuzungspunkt eines geometrisierten Raumes.  Witthöft: Weg in die Irre, S. 199.  Vgl. dazu Witthöft: Weg in die Irre, S. 203 – 205 und Kapitel 8.2.2.  Witthöft: Weg in die Irre, S. 203.  Vgl. Ziegeler: Erzählen im Spätmittelalter, S. 291 f.

9.4 Die Mobilität von Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Kleinepik

411

Gattin die Vorkommnisse mit der Anwesenheit eines Nachtmahrs oder ‐albs: „[…] dich hat geriten der mar, | ein elwichis as, | du salt das ubele getwas | mit dem cruce vortribin“ (vv. 644 – 649).⁵⁰⁷ Diese Vermutung wird zu einer Handlungsanweisung, da sie die Situation durchschaut und erkennt, dass sie bi vremdin vrundin (v. 667) gelegen habe. Sie täuscht ihren Gatten also gezielt und verweist auf die Studenten als Experten für den Umgang mit solchen magischen Wesen: si sint also versunnin, das si dich wol gelerin kunnin, wi man sol gesturin den ubelin ungehuren. (vv. 683 – 688)

Damit kann sie ihn davon überzeugen, dass er besessen ist und sich einem Exorzismus durch die Studenten unterziehen müsse, welchen diese mit Zauberformeln und Weihrauch durchführen (vv. 692– 713). Es kommt dazu, das si den tummen gouch | volleclichin gouchtin (v. 710 f.), da sich der gief (v. 718) nicht erklären konnte, wie er so durchgebläut wurde (vv. 719 – 744). Die Studenten verlassen ihre Herberge nicht nach der ersten Nacht, sondern wiederholen den Betrug am Hausherrn, und zwar in gesteigerter Form, indem sie ihn nun gezielt täuschen. Dabei sind die ergänzten Szenen mit dem ‚Korbmotiv‘ und dem ‚Substitutionsmotiv‘⁵⁰⁸ weniger eine heterogene Ergänzung,⁵⁰⁹ sondern eine variierende Ausweitung der „Irrungen im Raum auf die Irrungen der Erkenntnis“ und damit eine „Arbeit am Muster“.⁵¹⁰ Diese Erweiterung der Listhandlungen wird nötig, da der Hausherr an der Authentizität der Alb-Geschichte Zweifel bekommt und auf die Frauen besser achtgeben will. Deshalb lässt er die Gäste auf den Dachboden umziehen und bleibt selbst wachsam. Doch auch die räumlich vertikale Grenze ist kein Hindernis für die Studenten; der eine seilt den anderen in einem Korb ab. Für den Gastgeber aber wird das Vehikel der Grenzüberschreitung nun zum magischen Objekt, als er in den Korb stolpert, und ihn der Studenten zuerst nach oben zieht und dann aus Schreck fallenlässt, als er erkennt, dass er nicht seinen Gefährten im Korb hat. Der Hausherr meint, das her vluge | odir das in lichte truge | ein alp in sime troume (vv. 869 – 871). Diese Einschätzung bekräftigt auch seine Frau (v. 932) und die Tochter spricht einen Segen über den Vater (vv. 989 – 1009), was ihn genzlichin an den wan (v. 1012)

 Im „Studentenabenteuer A“ ist die Intervention der Ehefrau nicht nötig, da der Hausherr selbst auf den Teufel als Urheber der Verwirrung verweist (vv. 446 f.). Auf diese Szene scheint in der Handschrift B2 die (vielleicht später ergänzte) Teufelszeichnung hinzuweisen (Berlin, SB, Ms. germ. oct. 1430, fol. 16v), die „eher augenzwinkernd als moralisierend“ den Teufel mit dem Narren (Schelle) engzuführen scheint. Berron/Seebald: Die neue Berliner Handschrift, S. 321.  Zur Struktur und möglichen Quellen vgl. Wilhelm Stehmann, Wilhelm (Hg.): Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer. Berlin 1909, S. 113 – 118 und DVN, Bd. 2, S. 294 f. (Kommentar bearb. von Patrizia Barton auf Vorarbeiten von Uta Dehnert).  Vgl. Frosch-Freiburg: Schwankmären und Fabliaux, S. 125.  Witthöft: Weg in die Irre, S. 201 f.

412

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

bringt. In diese Struktur fügt sich dann auch die Verwirrung des Mannes ein, als einer der Gäste als Frau in seinem Bett liegt.⁵¹¹ Abermals tritt die Frau als Dämonenbannerin auf, da sie einen vluch und einen ban (v. 1284) beherrscht: In einer Beschwörungsparodie nennt sie Gott (deus salter, v. 1287), St. Peter (v. 1289), die Wilde Jagd (bi Wutingis her, v. 1288) und andere „verrätselte bzw. verballhornte volkstümliche wirkende Elemente“⁵¹² und ruft so die Alben, die dann auch in Gestalt der beiden verkleideten Studenten und mit dem Namen Irreganc und Girregar (vv. 1333 f.) leibhaftig erscheinen. Das (räumliche und kognitive) ‚In-die-Irre-Führen‘ ist den Namen der beiden Nachtalben bereits inhärent. Sie nennen ihre Fertigkeit, dass sie brengin dicke an den wan | vil manchin wicigin man (vv. 1336 f.). Unter Getöse verschwinden sie endlich und lachen – gewissermaßen hinter der Bühne – selbst über die aufgeführte Komödie: des wart wol gelachit sider, | do si beide zusamene | quamen in ir gadene (vv. 1364– 1366). Indem die Tochter die beiden ‚Kobolde‘ vermeintlich bannen konnte, demonstriert sie ihre Macht: sint her vortit [fürchtet] minen ban | und sulche wort di ich kan, | so macht du wol an angis wesin (vv. 1383 – 1385). Durch ihre superiore Position ist die huote-Funktion des Mannes obsolet und die Frauen können sich ungestört mit ihren Liebhabern vergnügen: wan der alde wirt sidir | nicht vordirme vorjach, | swas her noch der cıjt gesach (vv. 1410 – 1412). Die Herberge wird zu einem Raum sexueller Freizügigkeit ohne jede Kontrollinstanz. Daher können die beiden Gäste immer wieder zurückkehren und den Ehebruch ungestraft wiederholen (dicke quamen si ouch widir, v. 1409). Die textimmanente Entmündigung des Gastgebers wird so auf Dauer gestellt. Das Epimythion warnt schließlich wie die anderen Texte dieser Stofftradition vor der Aufnahme Fremder: uns ist ein nuir alp gesundirt: Irreganc und Girregar. der sult ir alle nemen war; und behutit uch do vure: tut ein cruce vor di ture, das her uwir gast icht werde! uch schadit sin geberde noch me den ein dunir. (vv. 1418 – 1425)

Dieses Epimythion warnt nicht allgemein vor der Aufnahme von Fremden (wie das „Studentenabenteuer A“) oder von clerici (wie Gombert et les deus clers), sondern von magischen Wesen. Damit fokalisiert es spaßhaft auf die Perspektive des genarrten Gastgebers und destruiert jeden ernsthaften Charakter des Paratextes. Die Figuren stehen also außerhalb sozialer und räumlicher Bindungen. Eine ständige Wiederkehr der Studenten ersetzt ein Ziel der Bewegung und verstärkt die Tendenz der unsteten und ziellosen Mobilität der Protagonisten. Außerdem ist bemerkenswert, dass die

 Vgl. Kapitel 8.2.2.  Andrea Moshövel: Erzählen und Wissenstransfer. Zwei Beispiele exorzistischer Beschwörungsrituale in Legende und Schwank. In: Daphnis 40 (2011), S. 249 – 274, hier S. 273.

9.5 Vom Unterschied von migratio und vagatio – Zusammenfassung

413

Schülerfiguren in dieser Bearbeitung des Musters in praxeologischer Nähe zu transzendent-anderweltlichen Entitäten gestellt werden und – im Spiel – selbst deren Rolle einnehmen. Diese Affinität zu magischen Praktiken – oder vielmehr das Spiel mit einer von anderen Figuren erwarteten Affinität zu magischen Praktiken – sowie die explizite und absolute Mobilität (vagari) wird zur konstitutiven Eigenschaft von Figuren, die als ‚Fahrende Schüler‘ (3.1) bezeichnet werden. Damit kann der Fahrende Schüler als Figur des Zwischenraums potentiell immer und überall auftreten. Außerdem muss er nicht eigens eingeführt werden, da die kodierte Semantik des Begriffes als bekannt vorauszusetzen ist. In der mittelhochdeutschen Versnovellistik werden die Figuren zweimal als Fahrende Schüler bezeichnet: Einmal in „Der Teufel und der fahrende Schüler“ des Heinrich Kaufringer (Ende 14. Jh.) und einmal in „Der fahrende Schüler“ des Hans Rosenplüt (Mitte 15. Jh.). Dazu kommt noch die Reimpaarrede De vita vagorum Johanns von Nürnberg (Mitte 14. Jh.). Die Untersuchung dieser drei Texte verschiebe ich jedoch in das folgende 10. Kapitel, da sich hier zwei ‚Spurensuchen‘ überschneiden: einmal die Spur narrativer Muster und Strukturen und einmal die Spur der Geschichte des Ausdrucks.

9.5 Vom Unterschied von migratio und vagatio – Zusammenfassung Die Kritik an Mönchen, die sich nicht an eine stabilitas loci und seine Regeln halten, ist so alt wie das Mönchtum selbst und schon in den frühesten Quellen aus dem 6. Jahrhundert belegt (z. B. Regula Magistri). Auch später dient die Bezeichnung des gyrovagus und die Anklage der vagatio einer invektiven Abwertung anderer Gruppen und damit einer Affirmation der eigenen Gruppenidentität. Außerdem unterstützt das Verdikt zielloser Bewegung obrigkeitliche Kontrolle. Natürlich gab es auch verschiedene erlaubte Praktiken der monastischer Mobilität, z. B. bei Missions-, Pilger-, Predigt- oder Seelsorgereisen. Ebenso war es Kanonikern und Mönchen mit Dispens gestattet, um der Gelehrsamkeit willen Reisen zu unternehmen. Verbunden mit der beginnenden Säkularisierung eines (universitären) Gelehrtenstandes und Auflösung des kirchlichen Bildungsmonopols prägten nun gerade die Scholastiker „die Erzählung von der angeblich veralteten Monastik“⁵¹³ und kehrten die Bewertung von Mobilität um, indem sie die Vorstellung eines kosmopolitischen intellektuellen exilium entwarfen. Diese Entwicklung wurde aufgrund politischer Interessen auch in obrigkeitlichen Scholarenprivilegien gestärkt. Einzelne Texte aus dem frühen und hohen Mittelalter (z. B. die Authentica ‚Habita‘ oder die Regula Benedicti) wurden dabei so bedeutend, dass sie Narrative zum Sprechen über die Mobilität von Studenten und Schülern prägten. Diese Narrative zielen auf die Evokation von Mitleid gegenüber dem armen Studenten ab, der um der Liebe zur

 Kintzinger: Gelehrte und Schüler, S. 284.

414

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

Weisheit willen Leid und Strapazen auf sich nimmt. Andererseits zeichnen schuldidaktische Texte die verurteilenswerte Eigenschaft der vagatio, die mitunter auf die patristische Zuordnung zur Todsünde der acedia zurückgeht, als Ursache anderen Fehlverhaltens. Dabei fällt auf, dass die vagatio in den meisten Fällen nur die mentale inconstatia (vagatio mentis) abdeckt, respektive diese als Ursache für die vagatio corporis nimmt. Ebenso in universitären Disziplinargesetzen des 14. Jh. ist der vagus auf den nächtlichen Unruhestifter reduziert. In der legendarischen Dichtung bieten sich Schülerfiguren aufgrund einiger konstitutiver Eigenschaften besonders dafür an, Umkehr und Vergebung durch ihren innigen Glauben darzustellen. Denn sie sind materiell (und im Vergleich zum Gelehrten auch geistig) arm und kein integrativer Teil ihrer sozialen Umgebung aufgrund der Distanz zu ihrer Heimat. Weiter haben sie durch ihre Jugend eine Disposition zur Weltverfallenheit. Diese Eigenschaften sind jedoch allgemein genug, dass die Figur relativ offen bleibt für Anlagerungen unterschiedlicher Charakteristika und Diskurse. Ziellose Mobilität wird dabei als expliziter Gegensatz zur geordneten Lebensweise (in der Schule und im Kloster) entworfen und gilt als hinreichende Bedingung für ein sündhaftes Leben, was im Teufelspakt gipfelt. Die Schüler als ‚Fahrende‘ nehmen also eine Position ein, die durch die Intervention des Göttlichen – durch Verdammnis oder Bekehrung – beseitigt werden muss. Doch diese Situation ist bei den Schülern im Falle reuiger Umkehr reversibel im Gegensatz zum absolut verdammten ‚letzten Stand‘, wie er in Predigten entworfen wird. Damit stehen Schüler Randfiguren im engeren Sinne gegenüber wie Vertretern der varenden diet (‚Zigeuner‘, ‚Juden‘ und Gaukler), für die eine solche Besserung in den meisten vormodernen Texten nicht in Erwägung gezogen wird.⁵¹⁴ Indem der Schüler die endlose Gnade Gottes und die Macht der Reue vorführt, ist er als ‚Frommes Lamm‘ und als reumütiger ‚Verlorener Sohn‘ eine positive Identifikationsfigur, der Fahrende/Vagant als im Leben Verdammter aber ein Gegenstand der Negativdidaxe. In der „Vorauer Novelle“ werden beide Register vorgeführt: Der eine Schüler wird gerettet und bietet sich für eine Identifikation an, weil er sich der Gnade Gottes überantwortet; der andere Schüler ist verdammt, da er in der Rolle des ‚Fahrenden Schülers‘ bleibt. Damit führt er vor, wie man nicht handeln sollte, insgesamt aber bleibt in den legendarischen Texten die geistliche Bestimmung des Protagonisten als Fluchtpunkt immer präsent. In der Struktur von anfänglicher Unschuld, sündhaftem Verhalten durch Kontakt mit der ‚Welt‘, Reue und Erlösung (mit der Hilfe Marias) markiert die ‚Ausfahrt in die Welt‘ also einen narrativ notwendigen Schritt. Dieser gilt jedoch immer als etwas, was zu überwinden und korrigieren ist. Einen anderen Schwerpunkt setzt hingegen die Kleinepik mit schwerpunktmäßig weltlich-schwankhafter Thematik, in denen Schülerfiguren ungefähr zeitgleich zu den behandelten geistlichen Versnovellen auftreten (13. Jh.). Sofern hier die Bewegung der Schülerfiguren Gegenstand der Erzählung ist und ihre Anwesenheit am Hochschulort

 Zur Praxis der sprachlichen Ausgrenzung der genannten Gruppen vgl. Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 305 – 343.

9.5 Vom Unterschied von migratio und vagatio – Zusammenfassung

415

nicht vorausgesetzt wird, kann man zwei unterschiedliche narrative Strukturen unterscheiden: Die eine Möglichkeit ist, dass die Vorhaben und Ziele der Protagonisten in einem Prolog genannt und in vielen Fällen sogar bis zur Rückreise zum heimatlichen Ausgangsort erzählt werden. In diesem Fall ist die Reise, also der Aufenthalt außerhalb der sozialen Netzwerke, narratologisch (kausal) motiviert und sozial legitimiert, da er zur Fortbildung und damit der Sozialisation der Figuren beiträgt. Da der Zwischenraum der Reise als Ort der sexuellen Initiation zu verstehen ist, nicht jedoch als Ort längerfristiger Bindung, wird dieser im Schwank auch als Raum für Promiskuität akzeptiert und der Student zur idealen Ehebrecherfigur. Auf die Desintegration vom Raum der Heimat folgt die liminale Situation auf der Reise, bis die Figur entweder am Ziel der Reise oder – nach seiner Rückkehr – in der Heimat wieder sozial reintegriert wird. Er ist also legitimiert mobil, jedoch nur auf dem eingeschränkten Weg zwischen seinem Zuhause und der Ausbildungsstätte. Da das Ziel immer im Blick ist, lässt sich dieses Bewegungsmuster als migratio bezeichnen. Indem nun relativ häufig das Muster vom wandernden Schüler bzw. Studenten in der (schwankhaften) Literatur umgesetzt wird, ist eine Reduktion auf den Kern der narrativen Funktion möglich, den die Figur einnehmen soll. Die Herkunft, die Vorhaben und das Reiseziel werden irrelevant und die Mobilität der Figuren wird zur Selbstverständlichkeit.⁵¹⁵ Die Schülerfiguren bewegen sich ziellos und nähern sich mitunter sogar dem ‚Fahrenden Volk‘ an. Daher lässt sich das Bewegungsmuster als vagatio bezeichnen. Beide Kategorien aber haben gemeinsam, dass die Schüler nicht explizit als verarmte Wanderer dargestellt werden. Zwar bitten sie bei Bauern und Bürgern um Herberge, jedoch wird dieser Umstand durch andere Argumente als die Armut der Schüler erklärt oder bleibt explizit eine Leerstelle. In vielen Situationen erwies sich das Auftreten der mobilen Figur als kontingent. Dieser Umstand ist besonders bei ‚vagierenden‘ Figuren unmittelbar einsichtig, da deren Aufenthaltsort per definitionem dem Zufall unterworfen ist. Sobald das Bedürfnis der kontrollierenden Durchdringung von Natur und Gesellschaft im Zuge der Frühen Neuzeit auch die säkulare städtische Sphäre betraf, musste ein Teil der Unkontrollierbaren notwendig ausgeschlossen werden. Diese Abwertung von Mobilität widerspricht auch nicht dem Zeitalter der Entdeckungen. Denn die neue Mentalität ist zwar geprägt von einem Drang, das Neue zu sehen und ins Unbekannte zu reisen, doch ist diese Bewegung stets auf ein Ziel gerichtet – und sei es eine terra incognita. ⁵¹⁶ Der Humanismus investiert nun einiges an Energie, die Mobilität des Gelehrten als Pilgerfahrt (pietas) zur eigenen Bildung (animi causa)

 Auch die außerliterarische Zunahme von Schülern und Studenten im deutschsprachigen Gebiet und die bessere Kenntnis von diesem ‚Stand‘ kann Anteil an diesem selbstverständlichen Umgang mit Schülerfiguren haben. Beide Prozesse sind wohl eng miteinander verbunden.  Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Walter Schmitz und Peter Strohschneider (Hg.): Mobilität – Raum – Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dresden 2005, S. 13 f.

416

9 Schüler als Fahrende: Bewertungen (studentischer) Bewegung (Spurensuche III)

darzustellen; die peregrinatio academica im engeren Sinn entsteht.⁵¹⁷ Dieser Prozess verfestigt sich in einer eigenen Ars apodemica, v. a. Theodor Zwingers Methodus apodemica (Basel 1577 und die zweiter Auflage Straßburg 1594), der das „‚peregrinari‘ abgegrenzt vom zweck- und nutzlosen Umherschweifen, ‚vagari‘, und durch den Erwerb von Bildung und nützlichem Wissen bestimmt“.⁵¹⁸ Als Gegenstand einer kunsthaften Apodemik wird das ‚Fahren‘ ausgeschlossen. Der reisende Gelehrte hat mit dem Fahrenden Schüler nichts zu tun.⁵¹⁹ Diese Annahme deckt sich mit der Definition noch in Zedlers Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste (1731– 1754), der zwischen den Scholastici vagantes und den normalen scholares unterscheidet und dabei die (auch oben genannten) Quellen anführt, die später zur Grundlage des gesellschaftlichen Imaginären vom spätmittelalterlichen Studenten wurden. Er unterscheidet zwischen den scholares vagi der Würzburger (1287) und Salzburger Synoden (1274)⁵²⁰ und den scholastici vagantes: Scholastici vagantes, sind im XV Jahrhundert entstanden, aber von den Scholaribus vagantes […] unterschieden. Es waren eigentlich nichts anders, als verlauffene Schuͤ ler, und verdorbene Studenten, die uͤ berall herumstreifften, wie die Zigeuner, sich magischer Kuͤ nste ruͤ hmten, und die Einfaͤ ltigen damit betrogen, auch sonsten allerhand Muthwillen trieben.⁵²¹

 Vgl. Justin Stagl: Ars apodemica: Bildungsreise und Reisemethodik von 1560 bis 1600. In: Xenja von Ertzdorff-Kupffer und Dieter Neukirch (Hg.): Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Amsterdam 1992, S. 141– 189, hier S. 141– 144.  Stagl: Ars apodemica, S. 165. Vgl. außerdem Jörg Wesche, Julia Amslinger und Franz Fromholzer (Hg.): Lose Leute. Figuren, Schauplätze und Künste des Vaganten in der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019, S. 8.  Jan-Dirk Müller: ‚Wandering‘ Scholars in the Beginning of Printing. In: Daphnis 45 (2017), S. 412– 426, hier S. 415.  „[A]ndere Scholares waren vagi, derer Orden aber verdammet worden, so wohl in dem Wuͤ rtzburgischem Synodo 1287, c. 34 als auch in dem Salzburg 1274 und zwar wegen ihrer boͤ se und verkehrten Sitten“; [Art.] Scholares. In: Zedler 35, Sp. 916.  [Art.] Scholastici vagantes. In: Zedler 35, Sp. 922.

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV) Während in den vorgehenden Analysen motivische, thematische und semantische Anzeichen den Ausgangspunkt für die Spurensuche boten, orientieren sich die folgenden Überlegungen an dem konkreten Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘. Dieses Kapitel steht damit komplementär zu den vorgehenden Spurensuchen. Während diese ein ‚weites Feld‘ nach vagen Hinweisen durchsuchen, handelt es sich bei der Ermittlung von Belegstellen für den konkreten Ausdruck vor 1500 um ziemlich tiefe Spuren. Im Folgenden sind diese miteinander in Beziehung zu setzen. Doch zuvor noch zu einem semantisch verwandten Ausdruck, der chronologisch vor dem Fahrenden Schüler liegt.

10.1 Der lotterpfaffe Eine mögliche Spur zum ‚Fahrenden Schüler‘ ist die Übertragung der vagi im Buch der Rügen als lotterpfaffen. ¹ Zumindest erwägt Theodor von Karajan eine Verbindung zu den scholares vagi der Salzburger Provinzialsynode von 1274.² Im lotterpfaffen liegt ein lexikalisches (Determinativ‐ oder Kopulativ‐)Kompositum vor,³ das die beiden Sphären des Klerus und des als deviant attribuierten ‚Fahrenden Volkes‘ verbindet. Denn bei lotter handelt es sich um einen Begriff gesellschaftlicher Ausgrenzung, der eine Negativsemantisierung des Grundworts vornimmt. Er bezeichnet einen „Taugenichts, Herumtreiber, Gaukler, Vagant, der idR. eine geminderte Rechtsstellung besitzt“.⁴ Wie die vagi wird diese Gruppe als moralisch gänzlich verfallen angesprochen: ir unreine affen, wie verzert ir iuwer leben daz iu got hat gegeben, wan ir niwan in üppekeit lebt und in bôsheit? (vv. 798 – 802)

Im folgenden Vers werden diese lotterpfaffen als veiger orden (v. 803) bezeichnet. Dies verweist weniger auf eine monastische Gemeinschaft, sondern zeigt, dass die angesprochene Gruppe als status ordinis wahrgenommen wird. Das ist umso prekärer, als

 Dieser Absatz knüpft inhaltlich an Kapitel 8.1.2 an.  Vgl. Buch der Rügen, S. 68. Dazu auch Kapitel 9.1.3.  Es kann nicht entschieden werden, ob es sich um eine Komposition aus dem Grundwort pfaffe und dem Bestimmungswort lotter im Sinne eines ‚verlotterten Geistlichen‘ handelt oder ob die beiden Personenbezeichnungen in dem Wort parataktisch verbunden sind.  [Art.] Lotter. In: DRW 8, Sp. 1478. Als Synonyme werden angegeben: Bube, Freihart, Gaukler, Geiler, Lediggänger und Lotterer. Vgl. auch DWB 12, Sp. 1210 – 1212. https://doi.org/10.1515/9783110708349-011

418

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

diese Gruppe ordnungslos oder sogar ‐gefährdend ist, was der Vergleich mit dem ehrlosen Stand des Henkers zeigt: wan ir gât sô lasterlîch, | rehte hangæren glîch (vv. 805 f.). Etwas versöhnlicher als in der lateinischen Version ist schließlich die Hoffnung auf Rettung, indem auf Ez 33, 11 verwiesen wird: ‚niht des sündæres tôt wil ich | er lebe und bekêre sich.‘ (vv. 825 f.). Nichtsdestoweniger weiß die satirische Predigt genau, was mit den Unwilligen zu tun ist: tuot ir des niht, sô vind ich wol | daz lôn daz man iu geben sol (vv. 827 f.). Die Bezeichnung steht nicht exklusiv im Buch der Rügen, sondern auch in anderen Texten des 13. und 14. Jahrhunderts, vornehmlich im süddeutschen Raum: So werden lotterpfaffen oder vagi aus dem Bayerischen Landfrieden von 1256 ausgeschlossen: De vagis. Loterpfaffen mit dem langen hare und spilleut, di diu wip mit in furent uzzerhalb ir pfarre, di sint uz dem fride.⁵

Die lotterpfaffen stehen in unmittelbarer Nähe zu den Spielleuten. Ebenso wird als Unart angeführt, dass sie ihre Haare lang wachsen ließen, um ihren Stand zu verschleiern.⁶ Damit wird ihnen das Gegenteil von dem unterstellt, was die Bettlerkataloge des 16. Jahrhunderts den betrügerischen ‚gelehrten Bettlern‘ vorwerfen, nämlich dass sie sich eine Tonsur schneiden.Während die einen ihren klerikalen Stand verbergen wollen (dissimulatio), versuchen die anderen, diesen vorzutäuschen (simulatio). In einem Stadtrecht von Landshut aus dem 14. Jahrhundert werden die lotterpfaffen sogar zusammen mit den (Spruch‐)Sprechern, den Tänzern/Gauklern und den Dirnen als gesetzlos deklariert: Dar uͤ ber ist daz ein burger oder sein chnecht einen uerboten aus der Stat oder einen spilman, er sey sager oder tänzer, oder einen loterpfaffen oder ein Huͤ bschaͤ rin, oder wie si genant sein, laidig mit slahen oder mit stoͤ zzen von schulden, der sol das ane puͤ zz beleibn von dem Richter vnd von der Stat; wann soͤ lich laͤ wt suͤ lln ze cheinen rechten gehoͤ ren noch gepunden sein.⁷

Doch auch außerhalb von juristischen Texten wird der Begriff benutzt: So geht im „Wachtelmäre“, einer Unsinnsdichtung um 1300, ein junger Held aus Kleie, dessen Gesicht wie Brei aussieht, mit einem loterphaffen eine homoerotische Liaison ein, aus

 Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum. Tomus II. Inde ab a. MCXCVIII usque ad a. MCCLXXII, hg. von Ludwig Weiland. Hannover 1896, S. 600. Umso deutlicher wird diese Engführung des Klerus und des Fahrenden Volkes in der lateinischen Version des Landfriedens (Pax Bawarica): De vagis et hystrionibus. Item clericos tonsuram laycalem deferentes, videlicet vagos, et etiam laicos istriones, mulieres secum per provinciam ducentes, et quoslibet ioculatores nisi in sua parrochia innatos ponimus extra pacem; Constitutiones, hg. von Ludwig Weiland, S. 577.  So auch in anderen Gesetzen, z. B. im Konzil von Montpellier (1258). Vgl. Waddell: Wandering Scholars, S. 285.  M. Müller: Ein Stadtrecht von Landshut aus dem 14. Jahrhundert. In: Verhandlungen des historischen Vereines für Niederbayern 22 (1882), S. 143 – 164.

10.1 Der lotterpfaffe

419

der ein Kalb erwächst.⁸ Außerdem bezeichnet sich der Erzähler des kleinepischen Textes De vita vagorum Johanns von Nürnberg selbst als jemanden, der das schlimme Los gezogen hat, zum lotter phaffen (v. 302) zu werden.⁹ Denn: Er kond vff diser erden | Feiger nimmer werden (vv. 305 f.). Damit bedient sich der Dichter einer ganz ähnlichen Wortwahl wie das Buch der Rügen. Schließlich verwendet auch Jans von Wien in seiner die Weltchronik die Bezeichnung, und zwar in der novellistischen Erzählung vom ‚Teufelspapst‘ Silvester II. (950 – 1003; vorher Gerbert von Aurillac).¹⁰ Um diesen Papst bildeten sich schon ab dem 11. Jahrhundert zahlreiche Legenden, die vor allem mit seiner Gelehrsamkeit zusammenhängen. So soll er bei seinen Studienaufenthalten im muslimischen Andalusien sowohl die arabischen Ziffern und die Null als auch Astrolabium und Abakus kennengelernt und daraufhin im christlichen Europa eingeführt haben – wobei allenfalls die Einführung des Abakus historisch belegbar ist.¹¹ Ausgehend von diesem teils unerklärlichen Wissen, welchem zudem eine ‚heidnische‘ Herkunft anhaftet, bildeten sich bereits seit dem 11. Jahrhundert viele Legenden von der Laufbahn und den Abenteuern des Magiers und Teufelsbündners Gerbert-Silvester.¹² Bei Jans von Wien wird er folgendermaßen vorgestellt: er was des êrsten ein spilær, aller tugend was er lær, wan daz er wol gelêrt was, daz er wol schreip unde las, swaz man im vor zalt. […] er was ein arm vlætic man, wan der würfel gewan im an, daz er was guotes alsô bar (vv. 22327– 39)

Er ist also lesekundiger Gelehrter und verschwendungssüchtiger Spieler gleichermaßen. Seine Armut treibt ihn dazu, den Teufel zu beschwören. Dieser meint zuerst: „waz

 da saz ain junger degen, | gedret schon auz kleyen, | recht als ain preyen | waz er under augen geschaffen. | mit aim loterphaffen | waz er der minn versprochen, | daz er in sechs wochen | darnah ains kalbs gnas (vv. 28 – 35); ed. in Horst Brunner (Hg.): Von achtzehn Wachteln und dem Finkenritter. Deutsche Unsinnsdichtung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2014, S. 38. Interpretationsansätze für dieses krude Stück mittelhochdeutscher Literatur bietet Sonja Kerth: Lügen haben Wachtelbeine. Überlegungen zur deutschen Unsinnsdichtung des Mittelalters. In: Dorothea Klein (Hg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit. Wiesbaden 2000, S. 267– 289.  Dazu vgl. Kapitel 10.2.  Zu Programm und Form der Weltchronik vgl. Mathias Herweg: Erzählen unter Wahrheitsgarantie. Deutsche Weltchroniken des 13. Jahrhunderts. In: Gerhard Wolf und Norbert H. Ott (Hg.): Handbuch Chroniken des Mittelalters. Berlin, Boston 2016, S. 145 – 179, hier S. 163 – 172.  Vgl. Werner Bergmann: Innovationen im Quadrivium des 10. und 11. Jahrhunderts. Stuttgart 1985, S. 185 f.  Vgl. Karl Ferdinand von Hock: Gerbert oder Papst Sylvester II. und sein Jahrhundert. Wien 1837, S. 159 – 165 und Map: De nugis curialium, S. XXXIX und S. 350 – 365.

420

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

will dû, loterpfaff? | dû bist ein rehter aff, | daz dû mich müest sô sêr“ (vv. 22357– 59).¹³ Der folgende Pakt ermöglicht dem schulære (vv. 22400 u. ö.) durch die Manipulationskraft des Teufels sukzessive bis zum Papst aufzusteigen. Dabei verschreibt er ihm seine Seele, da er die Bedingung des Teufels als leicht umgehbar ansieht, und zwar dass er seine Seele verliere, wenn er in Jerusalem eine Messe singe. Da er als Pontifex aber auch in der Stationskirche S. Croce in Gerusalemme – und damit in ‚Jerusalem‘ – eine Messe halten muss, unterliegt er der List des Teufels. Als Zeichen der Reue und Umkehr lässt er sich von vier Dienern alle sündhaften Körperteile (Füße, Hände, Ohre, Nase, Augen und Zunge) abschneiden und diese den Teufeln vorwerfen, die spilten da mit des bales schôn (v. 22669). Die Bezeichnung als lotterpfaffe ist durch die Verbindung der Eigenschaften des gelehrten Klerikers und des sündhaften Fahrenden/ Spielers begründet. Die wohl frühesten Belege des Wortes sind wohl die Reiserechnungen des Passauer Bischofs Wolfger von Erla von 1203/1204: Dieser verzeichnet an zwei Stellen eine Entlohnung oder ein Almosen für Cuidam lodderp(h)affo (I, 199; IV, 76 und VI, 99).¹⁴ Auch hier verweist der Kontext auf Schauspieler, die ihre Entlohnung wohl für eine artistische Gegenleistung bekommen (z. B. Tribus ioculatoribus, I, 199), daneben aber auch auf Alte, Blinde und Arme, die von dem kirchlichen Würdenträger ein Almosen erhalten.¹⁵ Unter den Almosenempfängern sind dabei (bereits auf den früheren Reisen) auch viele (fahrende) Scholaren vermerkt, z. B. Cuidam (uago) scolari (I, 79; 154 f.) oder scolaribus (I, 167) und unspezifisch ‚Fahrende‘; neben cuidam uago filio (I, 99 f.) auch cuidam wallero girovago (I, 203), was die allgemeine Verfügbarkeit der Bezeichnung gyrovagus unterstreicht.¹⁶ Auf der Italienreise 1204, also nach seiner Wahl zum Patriarchen von Aquileia, nimmt mit der Zahl der Spenden und Almosen ebenfalls die Zahl der Scholaren als Almosenempfänger weiter zu. Dabei ist jedoch festzustellen, dass die unbestimmten Bezeichnungen (z. B. IV, 7 f.; 9 f.; 36; 39) gegen Ende der Aufzeichnungen einer detaillierteren Information über die Herkunft weichen: Scolari de Aquilegia (IV, 83 und VI, 111), Scolari de Ramestein (IV, 128) oder Scolari de Wastfalen (IV, 151). Außerdem unterscheiden die Aufzeichnungen explizit zwischen der Gruppe der Schüler und anderen Jugendlichen (z. B. Duobus iuuenibus de Aquilegia, IV, 123 f.), was offensichtlich macht, dass die scolares als eigener status gelten. Gleichzeitig zeigen diese Dokumente auch, dass die Einteilung der status in dieser Gesellschaftsgruppe eher diffus ist. Auf Grundlage des Rechnungspostens Illi Francigene cum giga et socio suo dim. tal. Cuidam alij clerico in uridi tunica .ij. sol. (IV, 59 – 61) kommt Hedwig Herger zu dem Schluss, dass die „Wechselbeziehungen zwischen Vaganten und Klerikern […] eher zu hoch als zu niedrig [zu] veranschlagen“¹⁷ seien, da der Geigenspieler als Kleriker, der Kleriker im

 Der Ausdruck loterpfaff wie auch das Reimwort aff werden wiederholt in vv. 22379 f.  Ed. in Hedwig Heger: Das Lebenszeugnis Walthers von der Vogelweide. Die Reiserechnungen des Passauer Bischofs Wolfger von Erla. Wien 1970.  Vgl. die Übersicht in Heger: Reiserechnungen, S. 222 f.  Vgl. Kapitel 9.1.2.  Heger: Reiserechnungen, S. 224.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

421

grünen Rock aber als Spielmann zu verstehen sei. Wie auch immer die genauen Bezüge sind, so lässt sich doch feststellen, dass eine trennscharfe Linie nicht zu ziehen ist, sondern dass sich Eigenschaften des Klerikers, des Schülers und des Spielmannes zu verschiedenen opalisierenden Gesellschaftstypen amalgamieren, wie dem ‚Lotterpfaffen‘ oder dem Vaganten. Im Buch der Rügen oder in anderen ständedidaktischen und ‐satirischen Texten (z. B. den Schachzabelbüchern) wird der Versuch unternommen dieser Bedrohung der Ordnung durch eine Einhegung in ein ständisches Schema zu begegnen, indem sie – freilich als Verworfene – in das Gesellschaftsbild integriert werden und eine eigene Unterordnung bilden. Dass wie der Lotterpfaffe auch der Fahrende Schüler um 1400 dem Fahrenden Volk zugeordnet wird, zeigt eine Textstelle aus der Limburger Chronik, die über den Reichstag von Frankfurt am 25. Juli 1397 zu berichten weiß: da waren funftehalp hondert farender lude, so spellude, pifer, dromper, sprecher unde farender scholer¹⁸

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur 10.2.1 Kaufringer und Rosenplüt Die mittelhochdeutsche Versnovellistik bezeichnet nur in drei Texten eine Figur explizit als ‚Fahrenden Schüler‘: in „Der Teufel und der fahrende Schüler“ Heinrich Kaufringers (um 1400), „Die drei Mönche von Kolmar“ (vor 1430), dessen Verfasser sich ‚Niemand‘, nennt und in „Der fahrende Schüler“ Hans Rosenplüts (1426 – 1460). Diese Texte werde ich im Folgenden hinsichtlich der narrativen Funktion der Schülerfigur (vgl. Kapitel 9.4.2) und der semantischen Konnotation eingehender untersuchen.

Heinrich Kaufringer: „Der Teufel und der fahrende Schüler“ Die Versnovelle Heinrich Kaufringers „Der Teufel und der fahrende Schüler“¹⁹ ist im einzigen überliefernden Codex (Berlin, SB, Ms. germ. fol. 564, fol. 164v–167v) mit einem Sprichwort als Titel überschrieben: Ain böß alts übels weib überfaygt den tüffel. ²⁰ Dieser Titel fasst das Thema weit besser als der später applizierte.²¹ Denn die Erzählung will ein Beispiel für den Umstand geben, dass nirgends als vil faigkait lig | als an alten übeln weiben (vv. 8 f.) und diese sogar den Teufel an Schrecklichkeit überträfen

 Tilemann Elhen von Wolfhagen: Die Limburger Chronik, hg. von Arthur Wyss. Hannover 1883, S. 93.  Ed. in Heinrich Kaufringer: Werke. Bd. 1 Text, hg. von Paul Sappler. Tübingen 1972, S. 207– 212.  Zum Sprichwort ‚Die böse (unzüchtige) Frau ist bösartiger als der Teufel‘ vgl. TPMA 3, S. 358 f. (Nr. 385).  Vgl. das vergleichsweise lange Pro‐ und Epimythion (vv. 1– 27 und 193 – 202).

422

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

(überfaigen) und vertrieben (vv. 23 – 27). Die Protagonistin wird auch gleich genannt: Ain altes weib hett pfenning vil | die was unmassen pöß und faig (vv. 28 f.). Ein junger Mann heiratet sie trotz seiner Aufrichtigkeit und Klugheit (der was cluog und auch gerad, v. 31), stirbt aber bald aufgrund der Widerborstigkeit der Frau. Dieser Umstand führt zur absurden Situation, in der sich der Teufel in Erbarmen übt: den tüfel ward erbarmen das | dem weib truog er grossen haß (vv. 19 f.). Er will für den Verstorbenen Rache nehmen, verwandelt sich seinerseits in einen jungen Mann und heiratet²² die Alte. Teufel und böse Frau wetteifern nun hinsichtlich ihrer Schrecklichkeit. Der Teufel gibt sich jedoch geschlagen, als er von der Frau derart malträtiert wird, dass er in ains jungen mannes weis (v. 68) das Weite sucht. In seiner hilflosen Lage trifft er auf der Straße auf einen Fahrenden Schüler: Do er nun auf das feld kam, vil schier er des war nam, das ainer gieng pald nach im her, das was ain varender schuoler. (vv. 71– 74)

Die beiden werden sogleich Reisegefährten: sie wollten auf gelückes kraft | laisten guot gesellschaft (vv. 77 f.). Der Teufel berichtet offen, dass er ain böser gaist (v. 80) sei – demnach auch nur ein Diener Satans – und diesen Ort wegen der bösen Frau schnell verlassen müsse. Seine Gesellschaft ist dem Fahrenden Schüler aber durchaus angenehm. Er sagt: „seit du nun der teufel pist, | so will ich dich zuo diser frist | geren zuo gesellen han.“ (vv. 87– 89). Dieses unvermittelte Auftreten des Fahrenden Schülers zeigt schon, dass der Verfasser davon ausgehen konnte, dass die Figur den erwarteten Rezipienten bekannt war. Er muss diesen Typus nicht eigens einführen. Als mobiler Akteur kann der Fahrende Schüler überall auftreten, ohne dass sein Erscheinen umständlich motiviert werden muss. Dabei ist er dem Typus des Ritters dadurch überlegen, dass er durch seine Konnotation mit (pseudo‐)magischen Praktiken und okkultem Wissen ohnehin als Gefährte teuflischer Entitäten gilt. Diese magische Konnotation fehlt in der Versnovelle „Die drei Mönche von Kolmar“ (vor 1430), in welcher der betrunkene Fahrende Schüler von Städtern übertölpelt wird: ain varender schuller gie da für, | der waz truncken sa ze stunt (DVN 4, Nr. 130, vv. 292 f.). Auch wenn diese Konnotation in „Die drei Mönche von Kolmar“ von den anderen Darstellungen der Figur abweicht, entspricht die narrative Funktion doch der in Texten wie „Der Teufel und der fahrende Schüler“. In beiden Erzählungen handelt es sich um eine Hilfsfigur, die aufgrund ihrer fehlenden Integration in die lokalen Sozialgefüge relativ unmotiviert eingeführt werden kann und bei der eine Missachtung von gesellschaftlichen Regeln tolerabel

 Während es durchaus üblich ist, dass der Teufel als junger Mann oder junge Frau den Menschen beiliegt, verabscheut er immer die Ehe. Die Abneigung gegenüber diesem (eigentlich göttlichen) Bund wird hier allerdings nicht problematisiert. Ganz anders z. B. in der Historia von D. Johann Fausten (1587).

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

423

scheint. Zugleich unterstreicht der Fahrende Schüler die Kontingenz des Erzählens überhaupt, indem er als Akteur zufällig mit den Hauptfiguren (dem Kolmarer Bügerpaar) zusammentrifft.²³ Bei Kaufringer stößt der Fahrende Schüler auch nicht unmittelbar die Handlung an. Die Planung für das weitere Vorgehen kommt vom Teufel: Er will in die Königstochter fahren, die sich in der nahegelegenen Stadt befindet. Der Schüler soll die Besessene dann durch einen Exorzismus heilen und eine üppige Belohnung empfangen, die sie dann gerecht aufteilen würden: so wirt dir grosses guot gegeben: | das sollt du mit mir tailen eben (vv. 99 f.). Für diese Aktion schließen die beiden einen Pakt: sie gelübten mit der fart baide ainander ze halten das. (vv. 106 f.)

Doch der Teufel hat keineswegs den Plan, diesen Pakt einzuhalten, wie der Erzähler kommentiert: der teufel in dem fursatz was, wie er bei der jungfrawen fein wöllt ewiklich on ende sein den worten, das er sicher wär vor seines alten weibes schwär. der schuoler nicht erkannt den sin. (vv. 108 – 113)

Dieser Paktschluss ist dabei aus zwei Gründen untypisch. Ein schriftlicher Vertrag ist zwar in Texten über Teufel und Dämonen nicht unüblich und ebenso ist der Umstand geläufig, dass die Dienste des Teufels nicht fruchtbar sind und er die Vereinbarungen durch Wortverdrehungen zu ihrem Vorteil umdeutet,²⁴ doch in diesem Fall, verspricht der Höllendiener hie bei meiner treuwen (v. 103), dass er nach dem gemeinsamen Betrug wieder aus dem Opfer fahren werde. Er bricht also seinen Teil der Vereinbarung oder des Paktes, ohne durch Wortverdrehungen und Ausflüchte ein Schlupfloch zu nutzen. Außerdem ist es nicht der Magier (hier der Fahrende Schüler), der den Pakt mit dem Teufel schließt, um für sich unmittelbare Vorteile zu erlangen, sondern andersherum. Der Teufel sucht durch das listige Ausnutzen der Vereinbarung Schutz vor seiner boshaften Ehefrau. Im zweiten Teil der Versnovelle wird der Betrug an der Königstochter dann umgesetzt. Diese wird besessen: die jungfraw ward unmassen wild. | ir schön gepärd verlos sie gar (vv. 116 f.). Der Fahrende Schüler tritt als Teufelsbanner auf und verspricht bei  Auch die von Waltenberger festgestellte „unabgestimmte[ ] Konkurrenz heteronomer Teilordnungen […], der Religion und der Ökonomie“ wird im Typus des Fahrenden Schülers evident, bedenkt man die mitunter konträren Konnotationen des angehenden Klerikers und des Bettlers. Vgl. Michael Waltenberger: Der vierte Mönch von Kolmar. Annäherungen an die paradoxe Geltung von Kontingenz. In: Cornelia Herberichs und Susanne Reichlin (Hg.): Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2010, S. 226 – 244, zit. hier S. 241.  Z. B. in „Der Richter und der Teufel“ vom Stricker.

424

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

seinem Leben, dass er den Teufel mit seiner kunst außhetzen (v. 125) könne. Der Schüler geht mit der Besessenen allein in eine Kammer, während der Hof draußen wartet. Dort appelliert er an die versprochene trewe (v. 146) des Teufels, erinnert ihn an den Pakt (v. 151) und versucht ihn in früntschaft und in zoren (v. 153) zu überreden, sein Opfer zu verlassen. Schließlich behilft er sich mit einer Gegenlist: sein weiser sin im riet und pot | (den teufel betrog er damit) (vv. 158 f.). Er lässt den Hof draußen lärmen und suggeriert dem Teufel, dort stehe dessen Ehefrau, die ihn gefunden hätte. Das führt dazu, dass der Teufel erschrocken die Königstochter verlässt und in die Hölle fährt, auch wenn er ahnt, dass er dort nicht lange seine Ruhe vor der bösen Frau haben werde (vv. 190 – 192). Der Fahrende Schüler – wie auch die Königstochter – ist für den Abschluss der Erzählung irrelevant. Es ist aber bezeichnend, dass dieser nicht durch magische Begabung oder ein Zauberwort den Teufel bannen kann, sondern wiederum durch einen listigen Trick.

Hans Rosenplüt: „Der fahrende Schüler“ Auch der titelgebende Protagonist in der Versnovelle „Der fahrende Schüler“ von Hans Rosenplüt bannt den Teufel mit einem Trick.²⁵ Schon in den ersten Versen wird das Thema der Erzählung benannt: Nu horet einen klugen list, wie einest einem widerfaren ist. ein varender schüler ist er genant. hübscheit ist mir von im bekant. (vv. 1– 4)²⁶

Nach dieser Einleitung wird der Schüler ohne weitere Erklärung als Bittsuchender bei einer Bauersfrau beschrieben; wie bei Kaufringer muss auch hier die Mobilität nicht erklärt oder motiviert werden. Die rüde Abweisung löst dann die Schwankhandlung

 Der Text ist in 5 Handschriften vor 1500 (alle aus Nürnberg), in einer Handschrift um 1525 (ostmitteldeutsch) und in einer Inkunabel um 1495 (Leipzig: Konrad Kachelofen) überliefert. Der Titel der Erzählung lautet immer Von einem varnden schuler (oder ähnlich). Zur Überlieferung vgl. Grubmüller: Novellistik, S. 1313 und Jörn Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. Literatur und Leben im spätmittelalterlichen Nürnberg. Stuttgart 1985, S. 45 – 49. Texteditionen: Die deutsche Märendichtung, hg von Hanns Fischer, S. 188 – 201 und mit Übers. in Grubmüller: Novellistik, S. 916 – 927. Grubmüller wählt Fassung II, „als die in den zeitlich und örtlich autornahen Handschriften d* [Dresd. Msc. M 50] und l* [Leipzig Cod. 1590] besser überlieferte“; Grubmüller: Novellistik, S. 1314. Da jedoch alle frühen Handschriften um die Jahrhundertmitte in Nürnberg entstanden sind, scheint mir für eine Detailuntersuchung eine Beschränkung auf die eine Fassung nicht berechtigt, zumal diese an zentralen Stellen von den anderen abweicht. Ich folge vornehmlich Fassung II, beziehe aus den genannten Gründen aber auch die ältere Fassung I ein, sofern nötig. Alle folgenden Zitate beziehen sich auf die Ausgabe von Fischer, die einen synoptischen Abdruck der beiden Fassungen bietet.  Der vierte Vers weicht in der Fassung I deutlich ab. Hier heißt es: hübsch abenteur wurden im bekant. Das Attribut ‚hübsch‘ beschreibt hier also nicht seine Eigenschaften, sondern seine Erfahrungen auf der Reise.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

425

aus: Die Frau rechtfertigt ihr Handeln durch die Abwesenheit ihres Mannes (vv. 18 – 20; vgl. ebenso in „Die treue Magd“), eigentlich aber ist der Grund für das verweigerte Gastrecht das geplante Stelldichein mit dem hiesigen Pfaffen, der bereits anwesend ist. Dies durchschaut der Fahrende Schüler sofort, lässt sich jedoch nichts anmerken: er merket wol ir beider sin | und gesegent sie und ging dahin (vv. 25 f.). Auch der Pfaffe ist misstrauisch. In Fassung II schaut er den Schüler nur schief (krums, v. 21) an, während Fassung I einen Inneren Monolog integriert: der pfaff in seinem mut gedacht: „hat dich der teufel hierher pracht, der für dich wider außhin schir.“ (Fassung I, vv. 21– 23)

Aus der Perspektive dieser Figur ist die Anwesenheit des Schülers also wörtlich durch teuflische Intervention motiviert. Obgleich diese Worte hier eher als stummer Fluch dienen, aktiviert diese frühe Erwähnung des Höllenfürsten doch die Konnotation mit teuflischer Magie, die dem Fahrenden Schüler auch in anderen Texten inhärent ist, und nimmt bereits den Ausgang der Listhandlung vorweg. Im Folgenden arbeitet der Fahrende Schüler einen Plan aus, der ihm sowohl Unterhaltung als auch eine Belohnung vom Pfaffen einbringen soll (vv. 31– 36). Als er auf der Lauer liegt, kann er beobachten, wie das Liebespaar ein Festmahl vorbereitet und alles wieder versteckt, als unvermittelt der Hausherr anklopft. Der ehebrecherische Pfaffe flieht und versteckt sich auf den Dachboden. Mit dieser veränderten Ausgangslage klopft der Schüler nochmals an und wiederholt sein Begehr nun gegenüber dem Bauern, der den Besucher durch ein vestimentäres Symbol als Fahrenden Schüler identifiziert, da an seinem hals ein garn hing (v. 74). Der Bauern erkennt in ihm einen welterfahrenen und lustigen Unterhalter, wenn er sagt: „sollich gesellen die erfaren vil und sind alle gern klug und subtil. möchtest du uns nicht ein schimpf gemachen, das du uns die frauen machest lachen? […]“ (vv. 75 – 78)

Darauf antwortet der Schüler: „[…] den teufel den wil ich uns pannen, | das er uns kurzweil muß außspannen“ (vv. 83 f.). Dafür zeichnet er einen Bannkreis und spricht die Beschwörungsformel in latein (v. 90) – in der Fassung I verballhornt in lappertein (Fassung I, v. 92). Daraufhin deckt er die Verstecke aller Lebensmittel auf, wobei er gewitzt angibt, er habe sie von einem ehebrecherischen Pfaffen herbeigezaubert. Schließlich besiegt die Neugier des Bauern seine Angst und ihn interessiert das Aussehen des Teufels. Das kommt dem Plan des Schülers entgegen.Vor der Stube wird das Bannritual wiederholt und der Fahrende Schüler steigt zum Paffen auf den Dachboden, wo beide handelseinig werden: Der Schüler hilft dem Pfaffen mit gelimpf (v. 134) davonzukommen und bekommt dafür dessen Gewand als Belohnung (v. 140). Nackt und rußbeschmiert erschreckt der Pfaffe den Hausherrn – vor allem durch seine

426

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

übergroßen Geschlechtsteile, die der Bauer für Waffen hält (vv. 155 – 162). Dann verschwindet der Ehebrecher. Der Fahrende Schüler zeigt so, dass er die Situation beherrscht und auch des Teufels gewaltig (v. 166) ist. Er „hat die Welt und scheinbar selbst den Teufel im Griff, er läßt die ‚Puppen tanzen‘, ganz nach seiner Willkür. Da nicht das Gerechte immer den meisten Spaß macht, darf es ruhig auch anders sein.“²⁷ Die Aufdeckung des Ehebruchs dient nämlich nicht der Wiederherstellung einer Ordnung wie im motivverwandten Strickermäre „Der kluge Knecht“, sondern bewirkt das Gegenteil. Kein Fehltritt wird bestraft und im Gegensatz zu den anderen Figuren, gesteht nur der Bauer – die einzige Figur, die sich keines unmoralischen Verhaltens schuldig macht – seine menschliche Sündhaftigkeit bei der gastfreundlichen Aufnahme des Schülers ein: der pauer sprach: „das tu ich durch got, | dorumb das ich oft prich sein gepot“ (vv. 69 f). Diese strukturelle Umkehrung aber fußt auf dem veränderten Protagonisten. Anstelle des ständisch fest verankerten Knechts, der sich durch Loyalität seinem Herrn gegenüber auszeichnet, steht der Student, der keinem Herren dient und sich nur dafür rächen will, dass er nicht bei der Bäuerin aufgenommen wurde. Er ist ein Typ, „der nichts weiter vertritt als sich selbst und den Anspruch losgelöster Intelligenz“,²⁸ die sich bei ihm in List und Klugheit manifestiert: sein gedanken waren one zal (v. 32). Seine listige Intelligenz richtet sich nicht wie im „Klugen Knecht“ auf eine behutsame Restauration der Lebensordnung, auch wenn am Ende das harmonische Idyll eines gemeinsamen Abendessens steht, in welcher der Schüler vil kurzweil […] dem pauern macht (v. 184). Grubmüller, der sich in seiner Interpretation auf die an dieser Stelle erweiterte Fassung II stützt, sieht in der Erzählung „die anarchische Willkür [als] Zeichen einer Welt, die sich dem ordnenden Zugriff entzieht und nur noch in ihrer grotesken Vereinzelung anschaubar ist.“²⁹ Die Welt sei von Sinnlosigkeit und gleichzeitig einer schwer fassbaren Sinnpluralität geprägt; der Fahrende Schüler aber initiiere ein Lachen über die brüchige Ordnung und decke so die Sinnlosigkeit der Welt auf; er konstruiere durch seinen Intellekt eine alternative, ambivalente Welt. Konstitutive Eigenschaft für dieses Handeln sei seine listige Intelligenz. Zusammengefasst werden die Sinnpluralität der Welt und die Rolle des Studenten in einer Aussage der Bäuerin: […] „du bist ein gesell. sweig still und laß in varn in die hell. du bist in guter schul gewesen und hast die rechten bücher gelesen. […]“ (vv. 173 – 176)

Dieser Sprechakt ist doppelt gerichtet. Primär bezieht sich die Aussage auf die Situation, dass der Student im Beisein ihres Ehemannes den vermeintlichen Teufel

 Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 198 f.  Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 198.  Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 199.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

427

ausgetrieben hat: Die Bäuerin lobt die Kenntnisse des Studenten in schwarzer Magie. Sekundär aber erkennt sie auch die listige Klugheit des Studenten an, da er den Pfaffen so geschickt befreit hat. Diese sekundäre Illokution ist mit einem perlokutiven Akt verbunden: Die Bäuerin versucht zu erreichen, dass der Student ihren Ehebruch nicht doch noch aufdeckt. Zugleich unterwirft sie sich dem Intellekt des Studenten und bewirtet ihn fürstlich: die frau die trug in dar das pest, | was sie von essen und trinken west (vv. 181 f.). List und Magie sind in der Aussage der Frau konstitutiv mit der Figur des Fahrenden Schülers verbunden, der eine sinnlose oder groteske Welt vorführt, welche die Ordnung der offiziellen Kultur negiert und karnevaleske Lizenzen in Anspruch nimmt. Der Fahrende Schüler steht als dominante Figur über allen anderen Aktanten, ist jedoch nicht integraler Teil des sozialen Gefüges. So kann er sich für die spaßige Episode auf seiner Reise herzlich bedanken, wenn er weiterzieht: des morgens begond er von im scheiden. er dankt in allen peiden so ser auß seinem ganzen gemüt. (vv. 185 – 187)

Diese losgelöste Stellung hat der Protagonist aber nicht in allen Versionen des mittelalterlichen Erzähltyps, der nach Aarne-Thompson-Uther folgende Bezeichnung hat: Trickster Discovers Adultery: Food Goes to Husband Instead of Paramour (1358C). Es zeigte sich, dass im „Klugen Knecht“ des Strickers (Mitte 13. Jh.) die Listhandlung im Rahmen der Normen (gevüge kündikeit)³⁰ die zentrale Eigenschaft des Protagonisten ist, der sich fundamental vom „Fahrenden Schüler“ Rosenplüts unterscheidet. Dem Strickermäre entspricht das wohl ungefähr zeitgleich entstandene altfranzösische Fabliau Le povre clerc ³¹ „bis in manche Einzelheiten hinein genau“,³² v. a. in der Aufdeckung des Ehebruchs durch eine Erzählung anstatt eine Teufelsbeschwörung. Der größte Unterschied ist der abweichende Protagonist: ein clerc, der sein ganzes Gut in Paris durchgebracht hat und auf dem Weg zu seinem Elternhaus ist (v. 3 – 19). Er steht also außerhalb örtlicher Bindungen und ähnelt damit dem Protagonisten bei Rosenplüt. Deshalb unterscheidet sich ebenfalls das Epimythion von der Variante des Strickers, indem es die Perspektive der Gattin einnimmt und (mit gewisser Ironie) empfiehlt, nie eine Bitte abzuschlagen, weil man nie wissen könne, was noch geschehen werde (vv. 242– 254). Im Gegensatz zu Rosenplüts „Fahrendem Schüler“ ist

 Vgl. Hedda Ragotzky: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers. Tübingen 1981, S. 83 – 92 und zuletzt Friedrich Michael Dimpel und Martin Sebastian Hammer: Prägnanz und Polyvalenz – Rezeptionsangebote im ‚Klugen Knecht‘ und im ‚Schneekind‘. In: Friedrich Michael Dimpel und Silvan Wagner (Hg.): Prägnantes Erzählen. Oldenburg 2019, S. 319 – 349.  Ed. in NRCF, Bd. 7, S. 255 – 269.  Grubmüller: Novellistik, S. 1024. Vgl. auch Frosch-Freiburg: Schwankmären und Fabliaux, S. 80 – 86 und Strasser: Vornovellistisches Erzählen, S. 75 – 80.

428

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

der Auftritt des povre clerc im Fabliau aber durch dessen Rückreise aus Paris explizit motiviert.³³ Den unvermittelten Einstieg, die Aufdeckung des Ehebruchs durch ‚Magie‘ und die Erweiterung der Handlung durch die Beschwörung des Pfaffen als Teufel ist vor Rosenplüt nur in lateinischen Exempelsammlungen überliefert:³⁴ der anonymen Compilatio singularis exemplorum (Nr. 282) aus der 2. Hälfte des 13. Jhs. (A)³⁵ und der Scala coeli des Johannes Gobi Iunior (Nr. 207) aus der 1. Hälfte des 14. Jhs. (B).³⁶ Im älteren Exemplum (A) wird der Protagonist als ‚armer gelehrter Kleriker, der gerade von der Schule kommt‘ (Clericus quidam scolaris pauper veniens de scolis) kurz und prägnant eingeführt. Jedoch wird dieser nicht von einem Bauern, sondern von einem Ritter beherbergt. Auch die Absenz des Gatten ist eine Folge des Ritterstandes, da er von seiner Gattin durch eine List aus dem Haus gelockt wird: Sie lässt ihn durch einen Strohmann über den vermeintlichen Aufenthaltsort seines Erzfeindes informieren und bringt ihn dazu, sofort zum Angriff aufzubrechen. Der Getäuschte kehrt nun jedoch zu früh zurück und verpatzt damit das Stelldichein seiner Gattin. Zu Hause fordert er Weißbrot und Wein zum Abendessen, seine Frau vertröstet ihn jedoch, woraufhin er den anwesenden clericus scholaris bittet, Essen herbeizuzaubern: „Karissime, isti clerici venientes de scolis faciunt per artes suas mirabilia. Si posses procurare, libenter comederem bona cibaria.“ ³⁷ Das Geforderte führt der clericus aus, indem er das Schwert des Gastgebers nimmt und allerlei erdichtete Beschwörungen murmelnd die Speisen aus den Verstecken holt: accipiens ensem militis et fingens se facere coniurationes omnia cibaria […] fecit in presencia apportari. ³⁸ Für die nächste Beschwörung befiehlt er den Anwesenden, ihre Augen zu schließen. Er lässt den ehebrecherischen Mönch auf sein Pferd steigen und auf sein Kommando wegreiten. Als der Ritter die schwarze Gestalt auf dem schwarzen Ross sieht, meint er den Teufel zu sehen, der die Speisen gebracht hatte: a longe videns miles nigrum monachum super nigrum equum estimavit dyabolum. ³⁹ Die spätere Version in der Scala coeli (B) kürzt einige Elemente. So wird die Anwesenheit des Schülers nicht motiviert und auch die anderen Figuren auf ihre notwendigen Eigenschaften reduziert: Clericus quidam hospitatus in domo cujusdam mi-

 Ebenso auch im Fabliau Gombert et les deus clers. Vgl. Kapitel 9.4.2.  Vgl. dazu Grubmüller: Novellistik, S. 1315.  Ed. in Wollin: ‚Compilatio singularis exemplorum‘, S. 83.  Ed. in Johannes Gobi: Scala coeli, S. 254.  Wollin: ‚Compilatio singularis exemplorum‘, S. 83; Übers. P. R.: ‚Mein Lieber, diese Kleriker, die von den Schulen kommen, vollbringen durch ihre Künste wahre Wunder. Ich würde ich so gerne gutes Essen zu mir nehmen, wenn du dafür sorgen könntest.‘  Wollin: ‚Compilatio singularis exemplorum‘, S. 83; Übers. P. R.: ‚Er [der Schüler] nimmt das Schwert des Ritters, tut so, als ob er Zauberrituale vollzöge und bringt alle Speisen zum Vorschein.‘  Wollin: ‚Compilatio singularis exemplorum‘, S. 83; Übers. P. R.: ‚Der Ritter sah in der Ferne den schwarzen Mönch auf dem schwarzen Pferd und war der Meinung, dass es sich um den Teufel handelte.‘

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

429

litis, cujus uxor habebat amasium. ⁴⁰ Auch dass der Liebhaber ein Mönch ist, erfährt man erst spät. Die Enttarnung wird schließlich durch die Frage nach der Fakultät des Schülers eingeleitet, die er mit Nigromanticam beantwortet, woraufhin der Gastgeber aliquod experimentum erbittet. Als Vorführung seines Könnens ‚zaubert‘ er die versteckten Speisen herbei. Schließlich lässt er noch den demon, der sie gebracht hat, erscheinen, und zwar in Gestalt des ehebrecherischen Mönchs, der schnell und ohne weitere Komplikationen (velociter […] sine aliqua confusione) entkommt. Welche Version Rosenplüts „Der fahrende Schüler“ vorlag, ist schwer zu sagen und wahrscheinlich keine dieser beiden lateinischen Konkretisierungen aus dem romanischen Raum, sondern eine verlorene schriftliche oder mündliche Überlieferung. Offensichtlich ist jedoch, dass er sich auf eine Motivtradition bezieht, die diesen Versionen nahesteht und einen Ritter als Gastgeber vorsieht. So würde sich zumindest auch der unmotivierte Besitz eines Schwertes erklären, welches der Fahrende Schüler bei Rosenplüt zur Vorbereitung der Beschwörung benutzt:⁴¹ von dem bauern er do begert, das er im hinein precht sein swert. Damit er in stuben umbreiß und machet damit einen kreiß (vv. 85 – 88)

Alle Erzählungen teilen die grundlegenden Eigenschaften des Typus: Er ist arm und will diesen Umstand durch seine listige Klugheit und die Konnotation mit magischem Geheimwissen beheben. Außerdem ermöglicht die genuine Mobilität der Schwankfigur eine Ubiquität, die nicht eigens motiviert werden muss. Dieser traditionale Code vom Fahrenden Schüler scheint sich im Vergleich zu den Fabliaux und den lateinischen Exempla in den untersuchten mittelhochdeutschen Erzählungen noch verfestigt zu haben. Denn weder ein Hinweis auf eine Rückkehr vom Studium (in Paris) noch eine andere motivierende Erklärung von Armut und Mobilität der Figur ist notwendig. Der Fahrende Schüler ist ein mobiler und ubiquitärer Typus per excellence. Diese Haupteigenschaft wird bereits auf der lexikalischen Ebene deutlich: Während in den lateinischen Exempla der klerikale Status ohne weiteren Zusatz angeführt wird (quidam clericus), steht betont das Fabliau die Armut (povre clerc) und die mittelhochdeutschen Versnovelle die Mobilität (varend schler). Auf diesen Umstand einer lexikalischen Festschreibung eines traditionalen Musters verweist auch die Erwähnung in der Liste devianter Gesellschaftsteile in der Ständesatire Des Teufels Netz (1. H. 15. Jh.).⁴²

 Ed. in Johannes Gobi: Scala coeli, S. 254; Übers. P. R.: ‚Ein Kleriker wurde im Haus eines Ritters aufgenommen, dessen Ehefrau einen Liebhaber hatte.‘  Zur (nur vereinzelten) Nutzung eines Schwertes bei Beschwörungen vgl. Marianne Schusser: [Art.] Beschwörung, beschwören. In: HdA 1, Sp. 1109 – 1129, hier Sp. 1116 f.  Vgl. Kapitel 8.1.2.

430

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

10.2.2 Vorreformatorische Fastnachtspiele Dass zwischen dem Fastnachtspiel und dem Schwank eine generische Affinität besteht, zeigt der Umstand, dass die Nürnberger Fastnachtspieldichter (Rosenplüt, Folz und später Sachs) auch schwankhafte ‚Mären‘ verfassten. Außerdem finden sich bestimmte Erzähltypen in beiden Gattungen und es gibt Parallelen im Figurenrepertoire.⁴³ Im Gegensatz zu den beliebten Fastnachtspielfiguren des Arztes oder des Gelehrten⁴⁴ gehört der Fahrende Schüler aber nur selten zu den dramatis personae. Im Reihenspiel Der Wiletzkinder Vasnacht, das bisweilen den Rosenplütschen Fastnachtspielen zugerechnet wird und aus dem 3. Viertel des 15. Jahrhunderts überliefert ist,⁴⁵ bitten sieben Söhne nacheinander um ihr Erbteil und verkünden dabei, was sie werden wollen. Dabei betont der Ausrufer zu Beginn, dass sie sich an richten mit eern (S. 688, Z. 8). Der erste Sohn sagt: Ich wil in einen orden farn, Da sechs zehen die regel ist, Und hart ligen auf den penken zu aller frist (S. 688, Z. 13 – 15)

Er will also obdachloser Vagant werden und verdeutlicht dies durch die Topoi der harten Bank und des Ordens der Vaganten. Die sechs Zehen verweisen auf die Unnatürlichkeit dieses imaginierten Ordens, da Polydaktylie in der Vormoderne allgemein mit dem Monströsen und Teuflischen konnotiert wurde (vgl. dazu Augustinus’ De civitate Dei, XVI, 8).⁴⁶ Das Ziel des zweiten Sohnes aber ist folgendes: Ich wil ain farnter schuler sein, Wa ich gee zu den peurin ein, Das ich in sag, was in sei verstoln So gibt si mir verholn Ein reisten flachs oder zwu, So stil ich drei kes oder vier darzu, Gewinn ich mir, wil ich leb, genug. (S. 688, Z. 22–S. 689, Z. 4)

Mit dem Fahrenden Schüler wählt er das Betrügen von Bauersfrauen zum ‚Beruf‘. Das aber tue er, indem er ihnen (magische) Geheimnisse oder den Ort von verlorenem Gut (‚Verstohlenes‘) offenlegt und sie darüber hinaus noch bestiehlt.

 Vgl. Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 243 f. Zu Hans Sachs vgl. Kapitel 12.2.  Vgl. dazu Klaus Ridder: Der Gelehrte als Narr. Das Lachen über die artes und Wissen im Fastnachtspiel. In: Ursula Schaefer (Hg.): Artes im Mittelalter. Berlin 1999, S. 391– 409.  München, BSB, Cod. germ. mon. 714, fol. 382r–384v. Ed. in Keller: Fastnachtspiele, Bd. 2, S. 688 – 691.  Vgl. dazu Achim Thomas Hack: Polydaktylie in der Vormoderne. Eine Spurensuche. In: Robert Jütte und Romedio Schmitz-Esser (Hg.): Handgebrauch. Geschichten von der Hand aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019, S. 173 – 210.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

431

Die anderen fünf Brüder wollen schließlich Badeknecht/Zuhälter, Spieler, Trinker, Renommist und Wucherer werden. Bei den Worten des Vaters, eines Königs, handelt es sich offensichtlich um scherzhafte Ironie, wenn er am Ende resümiert: Welcher vater wolt nit freud han, Wenn sich seine kint so wol laßen an? Ich darf nit sorgen ümb meine kint, Wann sie selber wol geraten sint. (S. 691, Z. 9 – 12)

Auch die Bewertung der ersten beiden Söhne (Vagant und Fahrender Schüler) gegenüber dem dritten Sohn wäre demnach zu problematisieren: Dein prüder paid wölln nach eern streben. (S. 689, Z. 7). Als einziges Referenzkriterium für die Qualität der Tätigkeit gilt in einer Beratung des Königs mit dem Herzig von Orian,⁴⁷ dass sich alle ihren Lebensunterhalt verdienen können. Es werden demnach rein ökonomische Argumente angeführt. So findet der Herzog nur einen Kritikpunkt am Renommisten: Da dieser kein Geld verdiene, werde er das ganze Vermögen vertun. Deshalb solle er zuerst etwas lernen und Platzmeister (d. h. Aufseher bei Tänzen) werden (vgl. S. 690, Z. 25 – 28). Der Erhalt des Vermögens erscheint dann auch am Ende ausschlaggebend, wenn der Ausrufer verkündet, dass der Vater sein Königreich noch behalten werde (S. 691, Z. 16). Die Fahrenden Schüler sind im Fastnachtspiel ein Teil der Wiletzkinder und stehen in einer Reihe mit anderen verfemten ‚Berufs‘-Ständen, die zwar ihren Lebensunterhalt verdienen, dies jedoch mit unlauteren oder zumindest wenig angesehenen oder ehrlosen Mitteln. Auch bei einem andren Fastnachtspiel steht ein Fahrender Schüler in einer Ständereihe, und zwar im Stück Vom Tanawäschel (vor 1494). Dabei handelt es sich um „ein unicum unter den Gerichtsspielen überhaupt“⁴⁸, indem es den Prozess gegen die personifizierte Seuche ‚Tanawäschel‘⁴⁹ auf die Bühne bringt.⁵⁰ In dieser Gerichtsverhandlung, die auf das Jahr 1414 datiert ist, sprechen verschiedene ständisch verortete Figuren bei einem Marschall gegen den Tanawäschel vor, welcher der pöse

 Die Bezeichnung ist womöglich eine Ableitung von ‚Meister Urian‘ für eine unbestimmte Person oder einen teuflischen Geist.  Ingeborg Glier: Personifikation im deutschen Fastnachtspiel des Spätmittelalters. In: DVjs 39 (1965), S. 542– 587, hier S. 563.  Es handelt sich um eine epidemische, virulente Form der Influenza. Zu Etymologie und Belegstellen vgl. Max Höfler: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. München 1899, S. 786.  Das Fastnachspiel ist unikal in der Sammelhandschrift des Claus Spaun überliefert: Wolfenbüttel, HAB, Cod. 18.12 Aug. 4o, fol. 323r–328v. Ed. in Fastnachtspiele, hg. von Keller, Bd. 1, S. 468 – 476. In diese Handschrift wurde das Spiel vom späteren Schreiber Ge wohl erst kurz vor 1494 eingetragen. Vgl. Gerd Simon: Die erste deutsche Fastnachtsspieltradition. Zur Überlieferung, Textkritik und Chronologie der Nürnberger Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts (mit kurzen Einführungen in Verfahren der quantitativen Linguistik). Lübeck 1970, S. 20 mit einer Handschriftenbeschreibung S. 107– 118.

432

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

mann (S. 468, Z. 21) genannt wird. Gleich als erster Ankläger fordert ein Varend schuoler (S. 469, Z. 4 und 16) die Todesstrafe: Der Tanawäschel hat uns vil zu laid getan. Sitzt und richtent uns gar eben! Es mues verließen sein leben. (S. 469, Z. 8 – 10)

Im Folgenden beschreibt der Fahrende Schüler seine Lebenssituation: Marschalk, edler herr guot, Ich klag euch meinen unmout, Ich pin Frödenreich genannt Und in allen lande wol erkannt. Mir schadt nie kain wind noch schaur, Noch kainem teufel ungeheur. Ich will euch noch mer sagen, Ich muos laider gar verzagen. Ich mag nit laufen perg noch tal, Daß ist mein gröster unfal. (S. 469, Z. 17– 26)

Als einziger der Ankläger stellt er sich mit einem Namen (‚Frödenreich‘) vor, der wie das Pseudonym eines fahrenden Sängers und Sprechers wirkt. Dazu passt, dass er weithin bekannt und Widrigkeiten der Reise gewohnt ist. Wenn er angibt, dass er sich nicht vor dem Teufel fürchte, aktiviert die Textstelle noch das Stereotyp des magischen Wissens der Fahrenden Schüler – sofern man die Stelle nicht als bloße Floskel abtut. Der Tanawäschel trägt schließlich die Schuld daran, dass er nicht mehr wandern könne und in seiner Mobilität eingeschränkt sei. Auch in den folgenden Anzeigen wiederholt sich neben der Klage über verstorbene Angehörige (beim Ritter und dem Mädchen) die Beschwerde darüber, dass die Krankheit verhindert, die den jeweiligen Stand/Beruf bestimmende Tätigkeit auszuführen: Der Kaufmann kann kein Geld mehr verdienen, die Klosterschwestern keine Messe mehr feiern und der Bauer den Pflug nicht mehr führen. Die bestimmende Tätigkeit des Fahrenden Schülers aber ist nicht das Lernen, sondern das Reisen. In beiden Fastnachtspielen ist der Fahrende Schüler also in eine ständische Reihe gestellt, welche cum grano salis den Repräsentationen in den Ständelehren und ‐satiren entspricht.⁵¹

10.2.3 De vita vagorum und andere parodistische Reimpaarreden De vita vagorum (1342 – 1345) Aus verschiedenen Gründen nimmt der kurze mittelhochdeutsche Text De vita vagorum des ansonsten unbekannten Johann von Nürnberg einen besonderen Stellenwert in-

 Vgl. Kapitel 8.1

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

433

nerhalb des Textcorpus ein, was im Folgenden zu präzisieren ist. Der Verfasser inszeniert sich bis zum Ende als der Ich-Erzähler und die Inhalte der Erzählung als eigenes Erlebnis: Jch, johann von Nurnberg, | [h]an dirre not erlitten vil (vv. 298 f.).⁵² Deshalb wurde der Text von Hanns Fischer als „persönliche[ ] Rede“ bezeichnet, für die es wohl gar keine „feste Gattungstradition“ gegeben habe.⁵³ Der Überlieferungsverbund legt jedoch eine deutliche Affinität zur Versnovellistik nahe: De vita vagorum ist in der sogenannten ‚Würzburger Kleinepiksammlung‘, dem dritten Faszikel des Gothaer Codex Chart. A 216 (fol. 104r–106r) aus dem Umfeld des Michael de Leone, überliefert.⁵⁴ Dabei steht der Text direkt neben Reimpaardichtungen des Strickers und anderen Versnovellen, denen er vor allem aufgrund der formalen Ähnlichkeit (Reimpaarvers und Kürze) beigestellt wurde. Die Überlieferung ist auch der einzige Anhaltspunkt für eine zeitliche Einordnung 1342– 1345 aufgrund der Wasserzeichen.⁵⁵ Dadurch gehört dieser Faszikel „zu den frühesten mhd. Papierhandschriften“.⁵⁶ Angesichts des Inhalts von De vita vagorum ist diese frühe Datierung äußerst bemerkenswert. Thematisch näherte Fischer die rede dem Sangspruch an und bezeichnete sie als „typische Berufsliteratenpoesie“ in „okkasionelle[n] Ausformungen“.⁵⁷ Dass sie aus „lebensnahen Szenen aus dem Alltag der Vaganten“⁵⁸ besteht, ist jedoch nicht haltbar. Vielmehr werden „literarische Stereotypen [sic!] aufgegriffen und manifestiert“.⁵⁹ Die Reimpaarrede adaptiert zahlreiche Muster, ist für andere Muster jedoch auch der überlieferte Erstbeleg, vor allem auch für den deutschen Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘. Begriffsgeschichtlich umso interessanter wird diese Stelle, als sie den Ausdruck in einem Wortspiel einführt: Die gebur sprechen gemeine, Jch sie ein schler varnde.

 Ich folge der jüngsten Edition: Johann von Nürnberg: De vita vagorum. In Eva Kiepe und Hansjürgen Kiepe (Hg.): Epochen der deutschen Lyrik. Bd. 2: Gedichte 1300 – 1500. München 1972, S. 62– 72; als ältere Editionen sind zu nennen: Von einem fahrenden Schüler, hg. von Wilhelm Grimm. In: Wilhelm Grimm und Jacob Grimm (Hg.): Altdeutsche Wälder. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1815, S. 49 – 69 und Friedrich Kluge: Die fahrenden Schüler. In: Friedrich Kluge (Hg.): Bunte Blätter. Kulturgeschichtliche Vorträge und Aufsätze. Freiburg i. Br. 1908, S. 61– 77, hier S. 70 – 77. Niewöhner nennt den Verfasser 1936 „Johann von Amberg“, was auf einer irrigen Lesart der Handschrichrift beruht (fol. 106ra).Vgl. Heinrich Niewöhner: [Art.] Johann von Amberg. In: VL 2, Sp. 583 f.  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 43.  Keyser: Michael de Leone, S. 44 oder 130 – 133. Es gibt sogar konkrete Überschneidungen mit dem Hausbuch des Michael de Leone. Vgl. Falk Eisermann: Zur Datierung der ‚Würzburger Kleinepiksammlung‘ (Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 216). In: ZfdA 134 (2005), S. 193 – 204, hier S. 200 – 203.  Vgl. Eisermann: Datierung, S. 199.  Eisermann: Datierung, S. 204.  Fischer/Janota: Märendichtung, S. 43.  Johannes Janota: [Art.] Johann von Nürnberg. In: NDB 10, S. 564 f., hier S. 565. Auch Grimm konstatiert: „Die Sitten sind in diesem Gedicht gewiß nach der Wahrheit beschrieben“; Von einem fahrenden Schüler, hg. von Grimm, S. 63.  Wolfgang Achnitz: [Art.] Johann von Nürnberg. In: Das Mittelalter 5, Sp. 1015 f., hier 1015.

434

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Sie sint die warheit sparnde: Jch gelauf vil me, denn ich gefar. Ein minner brder durch das jar Mer gefert denn ich tvͦ. Den spot han ich denn dar zvͦ. (vv. 214– 220)

Die beiden Bewegungsverben varn und laufen werden hier also nebeneinandergestellt, wobei die Doppelbedeutung von varn in der verengten Bezeichnung für die Fortbewegung im Wagen und das ziellose Vagieren (der ‚Fahrenden‘) genutzt wird. Als Beispiel für die komfortable Fortbewegungsart via Kutsche dienen dabei ausgerechnet die Bettelmönche (minner brder). Am Ende nennt er sich noch einen lotter phaffen (v. 302) und macht damit die semantische Nähe der beiden Bezeichnungen lotterpfaffe und ‚Fahrender Schüler‘ offensichtlich. Inhaltlich ist die Reimpaarrede vor allem eine Klage des Ich-Erzählers über seine Armut und sein hartes Leben. Doch auch eine didaktische Intention klingt an. So heißt es bereits am Anfang ziemlich drastisch, dass die Aufnahme in den Orden dem Tod des initiierten Taugenichts gleichkomme: Swelich man sin kint woll morden, Der tu ez in vnsern orden, Vnd ist er frum, er wirt enwicht; Kein frummer, der enfugt uns nit. (vv. 9 – 12)

Die Ermahnung bleibt vergleichsweise allgemein und letztlich auch wirkungslos, da keine konkreten Verhaltensregeln mitgegeben werden. Diese folgen erst am Ende des Textes, wenn er als Ursache für den ‚Eintritt‘ in den Orden das Glücksspiel nennt: Jch wil euch leren vnde sagen: Welch man sim sun nicht gtes gan, Den sol er gerne spilen lan. (vv. 282– 284)

Trotz der paränetischen Warnungen an die Eltern und des Klagegestus handelt es sich nicht um didaktische Literatur im engeren Sinne. Durch die Faszination am Erzählen der Streiche des Ich-Erzählers im Hauptteil des Textes verlieren die Aussagen am Anfang und Ende ihr pädagogisches Potenzial. Denn die Reimpaarrede ist geprägt von einer Ambivalenz, indem sie die ausdrückliche Klage über die Situation mit der impliziten Überlegenheit gegenüber der (bäuerlichen) Umwelt kontrastiert. De vita vagorum gliedert sich in drei Teile: Der erste Abschnitt (vv. 3 – 113) und der letzte Abschnitt (vv. 227– 297) sind eher allgemein gehalten und thematisieren verschiedene Widrigkeiten wie fehlende Kleidung, Kälte, Hunger und erniedrigenden Spott. Das Mittelstück hingegen beschreibt einzelne (nicht konkret verortete) Tätigkeiten und Ereignisse in einer kohärenten Erzählung. Viel stärker als der letzte Teil bezieht der Anfang der rede als Kontrastfolie immer wieder die Bettelorden in die Darstellung ein. Bereits in den ersten Versen reiht sich

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

435

der wilde[ ] schulere (v. 4) ein in einen orden | von angest und von sorgen (vv. 5 f.), wobei er mit der Mehrdeutigkeit von orden als gesellschaftlichem Stand und geistlicher Gemeinschaft spielt. Diese Ambiguität löst er nur vermeintlich auf: So führt er zwar die Größe seines Klosters an: min kloster daz ist so wit | daz ez daz mer umbegit (vv. 7 f.). Durch die Übertreibung wird diese Beschreibung eindeutig als rhetorisches Stilmittel ausgewiesen; das Bild des ‚etwas anderen‘ Mönchsordens führt der Erzähler fort: Die munich, die schern ab ir har, So raufen wir vnz all durch daz iar. (vv. 15 f.)

Neben der besonderen Tonsur gibt es im Orden des Erzählers auch eigene Klosterkonventionen, die den Angehörigen immer wieder neues Leid versprechen: Min orden hat die gewonheit, | [e]r git mir teglich nuwes leit, | [d]az ich des alten nit enklag (vv. 21– 23). Durch diese permanente Veränderung invertiert der Text die auf Beständigkeit ausgelegten Mönchsregeln. Schließlich hebt der Erzähler noch auf die mönchische Investitur ab: Man kleit die munich am ersten tag, Den wir denn han enphangen, Vmb des gewant ist ez ergangen. Er hat nit wann ein hemdelin, Ein wint hebts vf, der ander blast in. (vv. 24– 28)

Die Kleidungsmetaphern wiederholt die Beschreibung der ‚Aufnahmezeremonie‘. Hier heißt es: Min orden ist ein fries leben. Den wir die regeln han gegeben, Dem sprich ich: „exue te veterem hominem Et indue nouum ribaldum et lecatorem!“ (vv. 69 – 72)

Anstelle einer Änderung des Menschen hin zum Abbild Gottes, wie es in der indirekten Quelle des Zitats Eph 4,22– 24 heißt,⁶⁰ veranlasst die Aufnahme in den Vagantenorden eine Veränderung zum schurkenhaften Landstreicher und Schmarotzer.⁶¹ Die Kleidung aber bekommen die Teufel, sodass der Novize gemäß dem Bibelwort Koh 5,14 wieder nackt wird wie zum Zeitpunkt seiner Geburt:

 Die Bibelstelle lautet: deponere vos secundum pristinam conversationem veterem hominem qui corrumpitur secundum desideria erroris […] et induite novum hominem qui secundum Deum creatus est in iustitia et sanctitate veritatis.  Ribaldus bezeichnet (wie frz. ribaud) ursprünglich den Kämpfer der ersten Schlachtreihe, übertragen einen ‚Schurken‘ oder ‚Landstreicher‘. Leccator (frz. lichard) bezeichnet einen gierigen Esser (bei Isidor wie gulosus), dann auch einen Schmarotzer und einen Possenreißer (scurra).Vgl. Du Cange 7, Sp. 183 (ribaldus) und Du Cange 5, Sp. 50 (leccator). Zur mittelhochdeutschen Wortverwendung von ribalde vgl. Lexer 2, Sp. 414.

436

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Daz gewant git er den tufeln dar Vnd sprichet dann mit iamer gar: „Nudus egressus sum ex utero Et nudus reuertar denuo.“ (vv. 73 – 76)

Eine andere Stelle greift diesen vestimentären Vergleich nochmals auf. Denn während ein Mönch nur am Gürtel (als Zeichen der Mönchsgelübde) Knoten trage (vv. 223 f.), habe der Fahrende Schüler aufgrund der vielen Löcher und Flickfäden ein Hemd mit mehr Knoten als das Jahr Tage: So ist min hemd vol knotten gar, | [s]o manigen tak hat nit daz jar (vv. 225 f.). Die Kleidung des Fahrenden Schüler ist also eher ein Netz.⁶² Auch ansonsten ist das Leben im ‚Vagantenorden‘ viel schlimmer als in allen anderen klerikalen Gemeinschaften. Denn während diesen manchmal Gutes und manchmal schlechtes widerfahre, geschehe dem Sprecher nur Schlechtes: Min orden der ist swere. Wer mit andacht treit die E, Dem geschiht wol vnd auch we – So geschiht mir we und nimmer wol. (vv. 80 – 83)

Diese explizite Kontrastierung zielt neben einer mitleidsheischenden Atmosphäre auf eine parodistische Vorführung der Mönchsorden ab. Dass er vor allem die Bettelorden im Blick hat, wird explizit, wenn er sagt: Wer den grawen rock an treit, | [d]em ist tichs und bett bereit, | [e]r en darf abent nach dem morgen | [v]mb deheine koste sorgen (vv. 85 – 88). Deren Leben sei generell bequem(er): Sie fahren mit dem Wagen, sie haben mehr Besitz etc. Auch der Vergleich mit dem grenzenlosen Klosterraum basiert auf franziskanischem Gedankengut.⁶³ Dieses Motiv greift der Sprecher nochmals auf, wenn er den wite[n] walt (v. 99) als sein unwirtliches Zuhause (hus, v. 89) nennt. Denn dort werde noch nicht einmal eine Maus in tausend Jahren froh, weil es so wenig zu essen gebe. Selbst Raubritter (Ritter oder knecht, v. 94) würden wegen der Entbehrungen aus dem Wald wieder von sich aus verschwinden, ohne dass der Schüler von seinem ‚Hausrecht‘ Gebrauch machen und sie hinauswerfen müsste. Das hat aber zur Folge, dass auch der ‚Hausherr‘ [d]ry mile zvͦ refentere (v. 103), seinem Refectorium, gehen müsse. Es wird deutlich, dass der Text zahlreiche Bilder zur Beschreibung seiner Armut entwirft, die sich immer wieder um Kälte und Hunger drehen. Dazu kommt das Betteln um Almosen, wobei er es entweder als aussichtslos abtut (Gen vnd laufen ist min pluk. | Ein fromd man gibt mir genuk, | [w]est ich auch, wo er were; vv. 77– 79) oder als schwere Arbeit kennzeichnet, die mit dem Bergbau vergleichbar ist:

 Das Netz ist ein Kleidungsstück der Liminalität, da es seinen Träger zwischen Nackheit und Bekleidet-Sein darstellt.Vgl. dazu und den Konnotationen von Netz und Fahrendem Schüler auch Kapitel 10.3.  Vgl. Kapitel 9.1.2.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

437

Die fromden hann, wez ich sol leben; Wann si daz dann sullen geben, Daz tnt sie als linse, Daz ichs vs einem flinse [obd. Feuerstein, steiermärk. Eisenstein] Als sanfte mocht gewinnen. (vv. 47– 51)

Episoden aus seinem Leben erzählt der Sprecher dann im nächsten Abschnitt. Er bettelt bei einem Pfarrer (vv. 114– 140), doch dieser lässt ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, obwohl er als Kurrende-Sänger ein Almosen verdiene. Als Folge verflucht der Bettelnde ihn und seine ganze Familie (Frau und Kinder!), dass er lebendig verfaule und ihm alle Haare ausfielen: Jch schilt sin kunn vnd sin art, | [s]ine kint und sine wip, | [j]ch verfluch im sine lip: | „Daz er innan fulen mus […] | Daz er des hars mus werden kal!“ (vv. 134– 139). Er tritt demnach nicht demütig bittend, sondern aggressiv fordernd auf. Ähnlich unverschämt ist er bei seinem nächsten Gastgeber, dessen Haus daz hochste mug gesin (v. 141). Dort bittet ihn dez wirtes meit (v. 151) um einen Rat in Liebesdingen. Sie habe sich dem Knecht hingegeben, entgegen seines Versprechens, wolle er sie nun aber nicht zur Frau nehmen. Gegen ein Abendessen als Entlohnung erstellt der Schüler eine Wachspuppe (Von wachs einen kobolt; v. 171) und instruiert das Mädchen, wie sie einen Zauber wirken könne, daz er ir werde holt (v. 172), also einen Liebeszauber. Dafür müsse sie das Artefakt taufen, in die Sonne legen und dann damit rückwärts durch die Küche gehen (vv. 173 – 175). Nachdem sie ihre Erfahrungen im Dorf verbreitet hat, kommen weitere Frauen zum Fahrenden Schüler, denen er weitere absurden magischen Praktiken beibringt, natürlich nicht ohne sich gut bezahlen zu lassen (vv. 176 – 182). Der Vagant kennt Zauber gegen Falten, Albträume, den Verlust der Jungfräulichkeit und verschreibt allerlei Behandlungsmöglichkeiten: den Hintern ins Mondlicht strecken, Kohlen waschen, in die Asche pinkeln, Stinkmorcheln pflücken, Betonien ausgraben, still herumlaufen, nachts nackt herumstehen oder rückwärts zum Feuer gehen (vv. 199 – 210). Diese Behandlungsmethoden sind teils auch in anderem Kontext belegt,⁶⁴ im Text zielen sie jedoch vornehmlich auf den Aberglauben der (durchgehend weiblichen) Patientinnen ab. Eine Wirksamkeit wird den Praktiken dezidiert abgesprochen; beispielsweise vergleicht der Sprecher den Effekt, den seine Salbe zum Wiederherstellen der Jungfräulichkeit zeitigt, mit seinen löchrigen Schuhen: Da von si allenthalben Gancz wirt als min schuhelin. (Da gent wol zehen locher in!) (vv. 192– 194)

 Zu einzelnen Belegen und Überlegungen dazu vgl. Von einem fahrenden Schüler, hg. von Grimm, S. 65 – 69.

438

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Die sexuelle Konnotation ist bei den Rezepten für die verschiedenen Mädchen gewiss beabsichtigt und erinnert an die ‚Behandlung‘ durch den Ich-Erzähler in der Versnovelle „Der Rosendorn I“ (vv. 261– 272).⁶⁵ Der Fahrende Schüler offenbart sich dabei als Scharlatan, dessen Handeln nur auf seinen eigenen Profit abzielt und der den Aberglauben und die positiven Vorurteile gegenüber seinem eigenen Kenntnisstand ausnutzt. Freilich muss er daher schnell wieder das Weite suchen: Als ich dann geraten han, | [s]o mus ich aber furbas gan (vv. 211 f.). Damit endet dieser Teil der Erzählung. Der dritte Abschnitt (vv. 227– 297) ist wieder eher allgemein gehalten. Jedoch ist die Parallelisierung mit den Bettelorden weniger präsent. Er beschreibt sein Vorgehen beim Betteln, und zwar dass seine Hauptbeschäftigung (analog zur Episode im Pfarrershaus) das Fluchen und Schimpfen ist (Fluchen, schelten ist min phluck, v. 235), was teils durch Almosen (Kleidung, Geld), teils durch Schläge quittiert wird. Wenn er kein Essen bekommt, bedrängt er einen frummen man (v. 247) mit seinen Liedern, dessen Gastfreundschaft er schamlos ausnutzt, indem er maßlos trinkt, isst und die Tochter verführt (vv. 255 – 269). Gegen Ende kommt er nochmals auf seinen orden zurück und vereint in einer Variation der Vulgata-Stelle Hiob 10,22 die beiden Bedeutungen von ordo, die gottgegebene Ordnung, mit der Imagination des ‚anderen‘ Mönchsordens: Vnd het ich nicht so ringen mt, Jch wer im orden nichtsnit gt. Sit wir nun han so swere zit, Ordo in personis deficit Et non est ordo, sed sempiternus horor: Min wild gemt treit mich enbor, Kein sweres hercz mach ich getragen. (vv. 275 – 281).

Außerhalb des ordens/ordo stünden der absolute Schrecken und die Strafe Gottes, im orden/ordo aber seien die Leichtmütigen sicher. Diese Inszenierung eines sicheren Zufluchsortes ergänzt die idealisierende Verherrlichung der sommerlichen Natur in den vorangehenden Versen: Ey sumer, woltest dvͦ kumen Vnd auch dem winter angesigen, So wolt ich zvͦ velde ligen, Schaffen selb mir gt gemach, Do ist der walt min obedach. (vv. 270 – 274)

Die Imagination eines Vagantenordens adaptiert der Text dabei aus dem rekurrenten Muster des lateinischen Liedes, jedoch sind keine zitierenden Übernahmen festzu-

 Vgl. Kapitel 8.2.1.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

439

stellen.⁶⁶ Ebenso verhält es sich bei der Reihe von alternativen ‚Karrieremöglichkeiten‘ des Schülers, der aufgrund des Glückspiels gescheitert ist, vom bischof über den mesener und cappeller zum diep (vv. 286 – 290).⁶⁷ Der intertextuelle Bezug bleibt jedoch immer unbestimmt und konzentriert sich auf die Kontrastwirkung zur monastischen Gemeinschaft. Das unterschiedliche Repertoire zeigt sich u. a. in der Beschreibung der Kleidung: Während De vita vagorum das dünne Hemd nennt, unter das der Windstoß fährt, distanziert sich das Carmen Buranum 219 von einer luxuriösen und bigotten dupla vestis. Bei beiden Darstellungen geht es um das topische ‚letzte Hemd‘, in der genauen Konnotation variieren sie jedoch. Auch andere Beispiele finden sich nur im mittelhochdeutschen (z. B. Haareausraufen; ‚laufender‘ und ‚fahrender‘ Schüler) oder nur im lateinischen Text (z. B. das frühe Aufstehen und das Verbot der Frühmesse). Im Detail unterscheiden sich die beiden Texttraditionen; verbindendes Element ist nur die Imagination einer ordensanalogen Struktur unter den Vaganten, wobei in beiden Texten das Glücksspiel als topischer Auslöser für die soziale Marginalität (den ‚Eintritt in den Vagantenorden‘) dient. Jedoch transformiert De vita vagorum das Muster vom Vagantenorden auch generell: Während in den Vagantenliedern auf der Textebene eine heiter-lustige Stimmung herrscht und allenfalls der Inhalt Grund zum Mitleid mit den armen Schluckern bietet, durchziehen Armut und Leid des Sprecher-Ichs die ganze Vererzählung. Nur das praktizierte Verhalten wie die pseudomagischen Gaunereien und amourösen Avancen können dafür sorgen, dass der Rezipient mit dem Fahrenden Schüler und Zauberer über seine gerissenen Tricks lacht, anstatt über ihn als eine geprügelte Vogelscheuche: Man mochte mit mir vogel iagen | [d]er mich zvͦ velde wolte tragen (vv. 253 f.). Die expressive Klage bleibt aber der illokutionäre Akt des lotterpfaffen oder Fahrenden Schülers bis zur abschließenden Sphragis, in der er nach der Nennung seines Namens nochmals die Authentizität des Gesagten betont: Der mir des nicht gelauben wil, Dem mz daz sin beschaffen, Daz er werd zeim lotter phaffen, So geschiht im ach vnd we. Waz bedarf er dann vnselden me? Er kond vff diser erden Feiger nimmer werden (vv. 300 – 306)

Diese explizit negative Grundhaltung unterscheidet De vita vagorum mithin nicht nur vom lateinischen Lied, mit dem es über das Muster des ordo vagorum verbunden ist, sondern auch mit strukturell ähnlichen reden des 15. Jahrhunderts wie „Der Quack Vgl. Kapitel 7.3. Für eine Adaptation (und vielleicht sogar die Übertragung eines verlorenen Werkes) sprächen der lateinische Titel und die (veränderten) lateinischen Bibel-Zitate. Der Traditionsbezug vom Carmen Buranum zu De vita vagorum ist auch zentrales Fallbeispiel in Reich: Traditionales Vagieren, (in Vorb.).  Diese findet sich ganz ähnlich bereits im Occulus Erfordensis. Vgl. dazu Kapitel 8.1.2.

440

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

salber“ von Hans Folz und dem anonym überlieferten „Meister Irregang“. Bei Folz berichtet der Ich-Erzähler wie er als fahrender Arzt mittels pseudomedizinischen Therapien, die meist auf Urin und Kot basieren, seine Patienten ‚behandelt‘ oder vielmehr verspottet.⁶⁸ „Meister Irregang“ ist eine Prahlrede eines Erzählers, der vorgibt, in allen bürgerlichen, bäuerlichen, ritterlichen oder gelehrten Tätigkeiten hervorragend zu sein.⁶⁹ Im sprechenden Namen, der auch in der Versnovelle „Studentenabenteuer B“ vorkommt, zeigt sich dabei die Selbstdarstellung als Fahrender:⁷⁰ Irre gang haiß ich | Mang lant waiß ich | Min vatter irgang was genant | Er gab mir das erb in min hant | […] Ich gan in dem rich | Von lande ze lande (vv. 129 – 139).

Der Boiffen Orden (Ende des 15. Jh.s) Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts entsteht noch ein anderer Text, der hinsichtlich Aufbau und Inhalt De vita vagorum ähnelt: die ripuarische Reimpaarrede Der Boiffen Orden (auch Der Boven Orden), also der ‚Orden der (Spitz‐)Buben‘.⁷¹ Bei dieser kölnischen Variante handelt es sich wohl um eine Übersetzung der niederländischen Reghel van Aernouts arme broederen. ⁷² Im vorgesetzten Reimprolog und Prosavorspruch inszeniert sich der Text als Verkündigung eines Sent Magog, van Gecksgenaden Abt tzo Snodelberch,⁷³ der von seinem heylge orden (Prolog v. 1) berichtet:⁷⁴ Einer

 Hans Folz: Die Reimpaarsprüche, hg. von Hanns Fischer. München 1961, Nr. 14, S. 103 – 111.  Joseph von Laßberg (Hg.): Lieder-Saal, das ist: Sammelung altteutscher Gedichte. Eppishausen 1822, Nr. 127, S. 309 – 315.  In Straubinger Rechnungsbüchern von 1390 und 1392 ist ein fahrender Sprecher mit Namen Konrad Irrgankch aufgeführt. Vgl. Karl Euling: Studien über Heinrich Kaufringer. Breslau 1900, S. 121 und Sammlung historischer Schriften und Urkunden. Bd. 2, hg. von Maximilian Freiherr von Freyberg. Stuttgart, Tübingen 1829, S. 146. Vgl. zu diesen und anderen Quellen auch Klaus Graf: Meister Irregang über die deutschen Städte 2016.  Der Text ist in einer Handschrift (Darmstadt Hs. 2667, fol. 356r–356v; fragmentarisch) und zwei Drucken (Köln: Johann Koelhoff d. Ä. um 1490 [C]; Köln: Heinrich von Neuß, ca. 1508 [D]) überliefert. Ed. in Johann Joseph Aloys Arnold Frantzen und Abraham Hulshof (Hg.): Drei Kölner Schwankbücher aus dem XVten Jahrhundert. Stynchyn van der Krone, Der Boiffen Orden, Marcolphus. Utrecht 1920, S. 27– 41. Transkr. der Hs. S. XLV–XLVIII. Zum Text auch Christine Stöllinger-Loser: [Art.] Der Boiffen Orden. In: 2VL 11, Sp. 267– 269.  Mehrere Reimwörter weisen auf diesen Zusammenhang hin, auch wenn dieser niederländische Text erst um 1600 in einem Antwerpener Druck überliefert ist. Vgl. dazu Frantzen/Hulshof: Kölner Schwankbücher, S. XXI–XXXII mit Edition und Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde (Hg.): Veelderhande Geneuchlijcke Dichten, Tafelspelen ende Refereynen. Utrecht 1977 [1899], S. 89 – 93.  Boiffen Orden, S. 29. Bei Gog und Magog handelt es sich um biblische Figuren, die in der Vorstellung des Mittelalters zu Vertretern des Fremden und der apokalyptischen Bedrohung wurden. Vgl. dazu Helmut Brall-Tuchel: Die Heerscharen des Antichrist. Gog und Magog in der Literatur des Mittelalters. In: Barbara Haupt (Hg.): Endzeitvorstellungen. Düsseldorf 2001, S. 197– 228.  In der Lesart D wird der Reimprolog deutlich erweitert und eine Welt von Gaunern in Szene gesetzt: Der boven orden byn genant | In der gantzer werlt wil bekant | Ind in allen geslechten dat is wys | Want ein huere off boiff dair in is | He is van brodert ind swesteren vol | Die allesament van vernunfft syn dol | Want der orden is sere strenge van leven | Ind leirt weder gotz gebot streven | Ind wolte kennen eyn rechten

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

441

(fiktiven) Ursprungslegende zufolge habe St. Magog selbst dem boider Everhart (v. 15), der Hungher, dorst und ungemach, | Allet umb des orden willen leyt (vv. 18 f.) ein privilegium (v. 33, 37) gegeben und ihn so zum ersten Abt seines Ordens gemacht. Den Hauptteil des Textes nimmt dann ebendiese Ordensregel ein, die bezeichnenderweise mit einem lateinischen Grammatikfehler beginnt: Benedicite Dominus (v. 38). Es folgen Grundbedingungen des Ordens: Als Habit dienen eyn hemde und eyn netz (v. 50), während der Rest zu versaufen sei.⁷⁵ Auch zielloses Vagieren ist Teil der Regel, da das Kloster die ganze Welt und das Dormitorium verbrannt sei: Ouch moystu dicke louffen erren, Want unse cloister is verre, Und unse durmeter is verbrant. (v. 61– 63)

Weiter werden alle Tugenden verkehrt: Eyns anderen iae sy dyn neyn (v. 82). Die Regel verbietet Gebete oder Gottesdienste (vv. 83 – 88) und schreibt stattdessen Unkeuschheit, Faulheit, Fluchen, Fressen und Saufen vor: Nummer en saltu sprechen goide wort, Vloych, sweir und wese unkuysch […] Und wanne du kumps zo heren hove, […] So vriss, suyff und bis eyn sluych. Vur eynen got erkuyss dynen buych. […] Geneere dich myt moessich gaen (vv. 70 – 78 und v. 96)

Im zweiten Teil weist die Ordensregel einen narrativen Rahmen auf, indem sie dem ‚Ordensbruder‘ Anweisungen zum Verhalten in der Stadt gibt: Durch Schmeicheleien solle er Geld erbetteln, nachdem er sich durch sein lodderholt (v. 109) ausgewiesen habe.⁷⁶ Sofern der Hausherr nicht da sei, solle er die Frau durch den Verkauf von ‚Arzneien‘ oder Therapien betrügen, die auch die Jungfräulichkeit ‚wiederherstellen‘ könnten (vv. 116 – 145; 167– 178). Oder er solle als berühmter Wahrsager aus Paris auftreten (vv. 149 – 166), damit er vur eynen meyster (v. 177), also einen Gelehrten, gehalten wird. Im Wirtshaus solle der ‚Ordensbruder‘ dann als Spielmann und Sprecher von höfischen Dingen erzählen (vv. 179 – 209) – Van weydspijl und van mynnen, | […] Van vogelen und van hunden | Van torneyen und taiffelrungen (vv. 184– 188) – dass ihm jemand goit off ere (v. 193) gebe.⁷⁷ Dort solle er sich schließlich noch dem Glückspiel am dobbelbret (v. 210) widmen, aber sobald die Würfel schlecht stünden, die anderen des Falschspiels bezichtigen und eine Prügelei beginnen, was als Verwetzkegel | Merck off he volge deser regel; Boiffen Orden, S. 29. Mit dieser Erweitung ist auch eine Annäherung von der Stände‐ und Mönchssatire zur Narrenliteratur greifbar, wie sie die Offizin Heinrichs von Neuß vor allem in der Variation des Titelblattes vor Augen führt.Vgl. dazu Reich: Tradierende Drucker, S. 401.  Zur Darstellung und Konnotation des Netzes vgl. unten und Kapitel 10.3.  Zur Darstellung und Konnotation des Lotterholzes vgl. Kapitel 10.3.  Vgl. zum Konzept des guot umb êre geben Kapitel 7.2.

442

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

kehrung der christlichen Beichte gestaltet sei (vv. 210 – 249). Denn gemäß dem Leitspruch Hude gebroeder, morn geslagen (v. 233) verprügelt ein ‚Ordensbruder‘ den anderen, bis alle nach Erlangen der Absolution weitertrinken können: Als yr uch alsus under eynander corrigiert, Und van den sunden absolviert, Uch luyst zo dryncken vil de bais. (vv. 235 – 237)

Es folgen eine Wiederholung des Kleidergebots und ein Verweis auf Schlafmöglichkeiten während der Reise, z. B. im wijnvass, v. 270 oder der schuyre, v. 274. Am Ende steht dann ein Lob des Ordens mit dem Aufruf, durch die Initiation beim Glücksspiel in den Orden einzutreten. Auch die Investitur wird hier umgekehrt, denn der Würfel bewahre weder Geld noch Kleidung: Setze dich neder geselle mijn, Ind trecke uyss dye cleyder dijn, Want der wurffel hait den art, Dat he van rechter art Nye goyt en wart. (vv. 281– 285)

Darauf folgt noch in sprechenden Namen eine Reihe von Ordensmitgliedern. Diese Makrostruktur von narrativem Kern und angehängter Liste entspricht den ‚Gaunerbüchlein‘.⁷⁸ Die Figurengestaltung im Boiffen Orden und der älteren Vita vagorum ist weitgehend deckungsgleich. In beiden Texten geht es um das Leben eines Landstreichers, der sich durch Schmeichelei und Quacksalberei etwas Geld ergaunert, das er dann bei Wein und Würfeln durchbringt. Dabei wird er als Teil einer Gemeinschaft identifiziert, die auf invertierten Bezügen zum Mönchtum gründet.⁷⁹ Sowohl hinsichtlich der Details (z. B. bei den ‚Therapien‘) als auch hinsichtlich der Erzählstruktur fallen die Texte hingegen auseinander. Denn während De vita vagorum als (pseudo‐)biographischer Bericht eines Fahrenden Schülers die Lebensbedingungen und Verhaltensweisen des Sprechers beschreibt, also deskriptiv vorgeht, inszeniert sich Der Boiffen Orden als Ordensregel und folgt demnach einer normativen Schreibform. Auch hinsichtlich der Sprechhaltung weicht der spätere Text ab und folgt eher dem Gestus der lateinischen ‚Vagantenlieder‘, indem er das Gesagte auf der Textebene eindeutig positiv bewertet. Eine unmittelbare Abhängigkeit des Boiffen Ordens von der mittelhochdeutschen De vita vagorum ist demnach auszuschließen. Vielmehr partizipiert dieser Text an allgemein verfügbaren Mustern, wie sie v. a. in der frühen ständesatirischen Narrenlite-

 Vgl. Kapitel 5.1.3.  Gegenüber einer Interpretation des Ordens als Depravation einer transzendenten „parallele[n] ‚Anderwelt‘“ (Münz: Große Erzählungen, S. 369) scheint mir der ludisch-parodistische Aspekt doch zu überwiegen.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

443

ratur⁸⁰ im niederländisch-niederdeutschen Grenzraum populär waren: z. B. De blauwe Schuit eines Jacop von Oestvoren aus einer Antwerpener mittelniederländischer Sammelhandschrift mit Minnereden, Rätselsprüchen und Satiren von 1413.⁸¹ Weitere Zeugnisse dieses Narrativs aus dem Kölner Raum vom Ende des 15. Jahrhunderts (und womöglich tatsächliche Vorbilder dafür), bieten die folgenden zwei Quellen. Der Professor Jacob Noetlink von Straelen hält zur Promotion seines Schülers Johannes Rover von Mai 1456 eine Rede, in welcher er als Lehrer auf witzige Weise die sündhafte Jugend des Absolventen darstellt: ⁸² Quo contra faciunt, qui errorum principia revocantes felici obsequentes studio id idem optimo fine claudunt. ubi prodeat in exemplum noster dominus Iohannes Rover, utroque parente inclitus, qui olim iuxta morem sue patrie ad potum imperritus duas quartas servisie uno trahens spiritu in sua viscera sepelivit, et ut is, qui in sordibus erat, sordesceret amplius, more histrionum rigmos Arnold aliosque sermones, quibus vetule compunguntur, discere laboravit, etiam ut brevi cursu temporis super coetaneos in hac lege discipulorum Arnolt proficere videretur. Sane revolvebat penes se, quonam modo eam, quasi lucri causa cepisset, notitiam utilem conferret in usum. In orto cuiusdam piscatoris parvum rethe repperit; eodem premunitus opus aggrediens vetulam alloquitur orditurque in hos vulgatos rigmos: vrou moder | nu luckt up u doer. | Meyster Jan, die is dairvoir. | Meyster Ian van Parijs | Twe en seventich kunsten wijss | Is u molken bekomen, | Mit hulpen van Goy selt weder komen | et ceteris, que longum foret recitare. Quid plura? Ab villanis vetulis ceterisque simplicibus butirum, carnes, ova, linum, lardum, panes largo recepit numero, quibus se sibique commeantes habunde reficiens edes paternas subiit, ubi vetera mala commutans in melius in hoc felici studio oriri ut stella maluit. Inter quoque pergendum Nussie navim introgessus vetusta tractus prurigine sermonem unum olim magistri sui Arnolt inibi residentibus predicabat, quem dulci supplicatione finiens oblata plurima, mauros, ova, peculia sibi conquisivit; forma sermonem finiendi sonat in hec verba: Idem eodem modo mirificatorum. Dyt sprickt alsoe: Ghy lued slut op u scrijn ende kofferen | Ick heb gepreckt: ghy sult my offeren. | Ende gat te samen sitten dryncken. | Got will onser alre sielen gedencken. | Iste est igitur Johannes, in quem non modice descendit gratia die et amor doctrinarum. Unacum ceteris maxime diligens oritur nunc ut stella supra orizontem.⁸³

 Der Aufbau des Textes ist den hochdeutschen Ständesatiren sehr ähnlich. Vgl. Kapitel 8.1.2. Eine Besonderheit stellt jedoch die Situierung als Gildenstatuten der Narrengilde von Brabant und Antwerpen (vv. 280 – 297), welche den Text karnevaleskem Schreiben annähert. Vgl. dazu auch Johannes Melters: „ein frölich gemüt zu machen in schweren zeiten …“. Der Schwankroman in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2004, S. 250 – 254.  Vgl. dazu Herman Pleij: Het Gilde van de Blauwe Schuit. Literatuur, Volksfeest en Burgermoraal in de Late Middeleeuwen. Amsterdam 21983, ed. S. 237– 244. Zur literarhistorischen Einordnung vgl. auch Frantzen/Hulshof: Kölner Schwankbücher, S. XX f.  Die Rede ist vom Jacob van Straelen selbst in einen Codex mit anderen Reden zwischen 1450 und 1452 eingetragen. Der Codex Münster 315 ist jedoch im zweiten Weltkrieg verbrannt. Ich folge der einzigen Edition in J. W. Muller: Aernout en Consorten. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 38 (1919), S. 133 – 146, hier S. 135. Da diese Rede schwer zugänglich ist, ist sie hier ganz abgedruckt.  Muller: Aernout, S 135 [Herv. im Orig.]; Übers. P. R. unter Einbezug der Kommentare bei J. W. Muller und J. Bolte: ‚Ganz anders handeln die, die ihre anfänglichen Fehler wiedergutmachen, gut und gehorsam studieren und ihr Studium auch mit größtem Erfolg abschließen. Dafür kann unser Herr Johannes Rover als Beispiel dienen. Er ist aus gutem Hause und konnte sich nach der Sitte seiner Heimat

444

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Der Adressat der Rede, Johannes Rover, stammt also aus gutem Hause, tendiert aber zu maßlosem Alkoholkonsum und wird schließlich zum Bettler und Gaukler, indem er rhythmisierte Reden (rigmos und sermones) vorbringt und damit Lebensmittel und Kleidung ergaunert. Diese Reden folgten dem Muster eines Arnolt, als Patron und Lehrmeister der Gauner.⁸⁴ Er erkennt jedoch seine Fehler und will sich bessern. Nur kurz vor dem Eintritt in die Schule fällt er noch einmal in alte Verhaltensmuster zurück und ergaunert sich bei den Leuten nach Art der Jahrmarktszauberer, die für ihre Unterhaltung einen Lohn verlangen, Geld und Essen. Die Gesamtstruktur entspricht eindeutig dem Narrativ des ‚Verlorenen Sohnes‘, der wieder in die Sphäre der Ordnung zurückkehrt. Doch entsprechen einzelne Details frappierend dem Muster des Fahrenden Schülers, vor allem das Netz oder die Angeberei als Meister der sieben Künste. Die Rede des Jacob van Straelen verweist damit auf tatsächliche Praktiken oder darauf, dass man dieselben Muster, die zu dieser Zeit am Oberrhein präsent sind, auch in Niederdeutschland und den Niederlanden kennt. Auf eine weitere außerliterarische Spur im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Boiffen Ordens führt außerdem eine Urkunde des Erzbischofs Hermann von Köln von 1491. Diese verleiht ein begynen- und bouenkonigambt, welches das Ziel hat, alle netzbouen oder anderen, die unse arme undersaissen up dem lande of in den vriheiden

einst noch unerfahren im Trinken zwei Viertel Bier in einem Zug einverleiben. Und wie der, der im Schmutz lebt, noch schmutziger wird, lernte er eifrig nach Art der Gaukler die Rhythmen des Arnolt und andere Sprüche, mit denen er alte Frauen bezirzt. Und in kurzer Zeit bei seinen Spießgesellen schien er in diesem Gesetz der Schüler des Arnolt Fortschritte zu machen. Freilich kehrte er zu sich selbst zurück. So setzte er nämlich diesen Hinweis – als ob er ihn um des Gewinns willen aufgenommen hätte – zu seinem Nutzen ein. Im Garten eines Fischers fand er ein kleines Netz; mit diesem ausgerüstet ging er sein Werk an und redete eine alte Frau an, wobei er die folgenden weitverbreiteten Verse skandierte: „Mütterlein, schaut her zur Tür. Meister Jan steht davor, Meister Jan aus Paris, der die sieben Künste kennt. Wenn ihr Milch oder Butter verloren habt, sollen diese Güter mit meiner Hilfe wiederkommen.“ Und so weiter, was zu zitieren zu weit führen würde. Was gibt es noch? Von den alten Frauen im Dorf und anderen einfältigen Leuten empfing er Butter, Fleisch, Eier, Stoff, Speck und Brot in großer Menge. Damit konnte er sich und seine Gefährten üppig versorgen und sich dann zu Hause verkriechen. Dort aber verkehrte er seine früheren Sünden und wollte lieber in diesem verheißungsvollen Studium wie ein Stern neu aufgehen. Noch auf der Reise nach Neuß, als er das Schiff bestieg, wurde er von der alten Lust gepackt und er hielt den gerade Anwesenden eine Rede von seinem alten Lehrmeister Arnolt, die er mit der schmeichlerischen Bitte um ganz viele Gaben enden ließ. So verdiente er einige Taler [Moorkijn], Eier und kleine Gaben. Die Rede endete ungefähr so wie bei den Zauberkünstlern: „Gute Leute, schließt Schrank und Kiste auf, ich habe euch unterhalten, ihr sollt mir jetzt geben. Und gebt genug Getränke zusammen. Gott möge unser aller Seelen gedenken. Dies also sagte Johannes, auf den nicht wenig von der Gnade Gottes und Liebe der Wissenschaften herabgekommen ist. Als einer von anderen geht er nun voller Gewissenhaftigkeit auf wie ein Stern am Horizont.‘  Mit Arnolt ist – ähnlich wie bei Eberhard – wohl keine historische Person gemeint, sondern ein imaginärer Patron der Gaukler wie auch im nd. Boiffen Orden oder der ndl. Reghel von Aernout. Vgl. dazu Muller: Aernout, S. 138 – 145 und Bolte: Fahrende Leute, S. 627– 629.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

445

schynden, schatzen dringen und umb dat yre bringen,⁸⁵ aus dem Herrschaftsgebiet (v. a. Westfalen und der Grafschaft Arnsberg) zu vertreiben. Da sowohl Entstehungszeit und ‐raum (Köln am Ende des 15. Jh.) als auch Details (Netz) einander entsprechen, ist es möglich, dass der Boiffen Orden auf ein außerliterarisches Ereignis rekurriert.⁸⁶ Andererseits steht das Netz für schadhafte Kleidung und kann als allgemeine Bezeichnung für Gaukler und arme Landstreicher gelten, wie im mnd. nettebove, ein Synonym zu mhd. lotter oder lat. histrio in Vocabularien des 15. Jahrhundert.⁸⁷ Ein zirkuläres Implikationsverhältnis ist nicht auszuschließen.

Quaestiones quodlibeticae Der Fahrende Schülers ist, wie die Rede des Jacob Noetlink von Straelen zeigte, auch ein fester Teil der akademischen Spottkultur. Die Imagination einer inversen Korporation tritt in der Textreihe der überlieferten Quaestiones quodlibeticae schon im Titel entgegen, z B. Monopolium philosophorum vulgo die Schelmenzunfft (Heidelberg 1478/ 1479), Monopolium et societas vulgo des Lichtschiffs (Heidelberg 1489) oder Monopolium der Schweinezunft (Erfurt 1494).⁸⁸ Die beiden letztgenannten Disputationes präsentieren dabei ähnlich wie in anderen Imaginationen des ‚Vagantenordens‘ eine Liste der Zukunftsaussichten ihrer Mitglieder, die aber weit ausführlicher als beispielsweise in den Carmina Burana, im Occultus Erfordensis oder bei Geiler von Kaysersberg und zudem zweisprachig ist. Das Monopolium et societas vulgo des Lichtschiffs von Jodocus Gallus endet mit folgender Liste: Sed qui in navim nostram recepti et ex studentium nostrorum numero procreati sunt […] hi sunt. Fiunt enim […] ex studentibus optimi balneatores, campanatores, coci, apostatantes monachi, precones, husones, starrones, scabini tortores, fiscales, lictores dimicatores, saltatores, cursores, quaestores, stacionarii, ioculatores, histriones, mimi, lenones, cynedi, celimones, portitores, vigiles, custodes, impressores, correctores, librorum venditores, illigatores, illuminatores, pincer-

 Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürstenthümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs, Kleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden, hg. von Theodor Joseph Lacomblet. 4 Bde. Düsseldorf 1840 – 1858, Bd. 4, Nr. 453 (S. 563).  Um die These einer Abhängigkeit zu stützen, wären weitere Quellenforschungen nötig, die ich hier nicht ausbreiten kann. Dazu passt aber auch der Aufstand von 1513 in der Stadt Köln, in der ein ‚Bubenkönig‘ Everard (!) Hund als gedungener Mörder erwähnt wird: genandt Evert honndt, der buffenn Koeninck, war ein verwiegen boff dar zuo gegulden [gekauft], vnnd hatten im belofft drey honndert golt gulden zu geben, wan er all sollig datt vollbragt hett, als nemlichen er soll den graffen von Reichenstein umb briengen. Ed. in Gottfried Eckertz: Zur Revolution von 1513 in der Stadt Köln. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 30 (1876), S. 207– 209, hier S. 208. Als Erkennungszeichen einer Gaunerbande und zum handelnden Gegenstand (mit agency) wird das Netz auch im Schuldrama Aluta des niederländischen Schulmeisters Georgius Macropedius. Zu dessen Schuldramen vgl. Kapitel 9.3.2.  Vgl. Schiller/Lübben 3, S. 180. Dazu auch Johann Joseph Aloys Arnold Frantzen: Zur Vagantendichtung. In: Neophilologus 5 (1920), S. 58 – 79, hier S. 78. Zum Netz vgl. weiter Kapitel 10.3.  Vgl. dazu Kipf: Ludus philosophicus. Zur Sprachmischung (barbarolexis) in den Quaestiones vgl. Hess: Narrenzunft, S. 179 f.

446

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

nae, divinatores, suspensores, mathematici, heraldi, h. e. hyppenmenner, placzmeister, wirfelleger, zinkenzeler, kuppler, hurer, hurenwirtt, hurenjeger, lantzknecht, wurtzknecht, pfaffenknecht, helselin, winruffer, scharwechter, hengerßhunt, schelmenschinder, koltreger, sacktreger, seumer, wißner, farentschuler, et quos videmus hodie errabundos in Heidelberga clamantes: schornsteinfeger schornstein etc. Elso elso Sauber sauber sauber. ⁸⁹

Mit der Maske des Vorstehers im ‚Vagantenorden‘ macht sich der Magister hier ihren „Scherz mit sozialem Entsetzen“,⁹⁰ und bietet seinen Zuhörern/Lesern (wohl auch Studenten) gleichzeitig eine „Warnung vor dem Absinken in die Schicht des Gelichters“.⁹¹ Die adhortative Funktion der Reden verdeutlicht auch der unmittelbare Kontext im Sammeldruck Directorium statuum seu verius tributatio seculi („Reiseweg der Stände oder zutreffender Bedrängnis der Zeit“), in dem sie neben Predigten Geilers von Kaysersberg und Mahnbriefen stehen.⁹² Besonders deutlich wird die Intention des Herausgebers im Widmungsbrief Jakob Wimpfelings, in dem er dem Drucker Peter Attendorn die Rede vom Liechtschiff (also dem leichten Schiff oder dem Schiff der Leichtlebigen) zum Druck empfiehlt:

 Jodocus Gallus: Monopolium et societas vulgo Des liechtschiffs. In: Directorium statuum seu verius tribulatio seculi, hg. von Jakob Wimpfeling. Straßburg: Peter Attendorn, fol 29v–35r, hier fol. 35r. Ed. Jodocus Gallus: Monopolium et Societas vulgo des Lichtschiffs. In: Die deutschen Universitäten im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte und Charakteristik derselben. Bd. 1, hg. von Friedrich Zarncke. Leipzig 1857, S. 51– 61, hier S. 60 f.; Übers. P. R.: ‚Aber wer in unser Schiff aufgenommen wurde und aus der Zahl unserer Studenten hervorgegangen ist, das sind Folgende: Aus den Studenten werden nämlich die besten Badeknechte, Glöckner, Köche, abgefallene Mönche, Ausrufer, Störe (?)/Hochstapler [vgl. die hanesen in Kapitel 5.1.4], Lotsen [vgl. dt. Starriot oder ital. scargitore in DWB 17, Sp. 928], Folterknechte, Finanzverwalter, Kerkermeister/Schaukämpfer, Tänzer, Botenläufer, Kreditgeber, Stationierer (Reliquienverkäufer), Spaßmacher, Schauspieler, Gaukler, Zuhälter, Lustknaben, Holzschneider (von mlat. cælatores?), Zöllner/Träger, Wächter, Büttel, Drucker, Korrektor, Buchverkäufer, Buchbinder, Illuminator, Kellner, Wahrsager, Henker, Mathematiker/Zauberer (mathematicus hat die Konnotation Magie und Mantik), Herolde. Das heißt (auf Deutsch): Hippenmänner [Kuchenverkäufer, DWB 10, Sp. 1553], Platzmeister [Aufseher bei Tänzen, DWB 13, Sp. 1925], Würfelleger [Veranstalter von Glücksspielen, DWB 30, Sp. 2170], Zinkenzähler [Spieler, DWB 31, Sp. 1395], Kuppler, Hurer, Hurenwirte [Zuhälter], Hurenjäger [Räuber von Frauen zur Prostitution, DWB 10, Sp. 1962], Landsknechte [Söldner], Wirtsknechte [Kellner/Türsteher], Pfaffenknechte [Diener eines Priesters], Henselin [Lotterbube, DWB 10, Sp. 998],Weinrufer [städtischer Beamter zur Kontrolle des Weinausschanks, in der satirischen Literatur oft für einen schmähsüchtigen Menschen, DWB 28, Sp. 985], Scharwächter [Nachtwächter, DWB 14, Sp. 2228], Hengershund [Handlanger eines Henkers], Schelmenschinder [Abdecker, DWB 14, 2515, vielleicht auch in Verbindung zum ‚Narrenschneiden‘], Kohlenträger, Sackträger, Säumer [Faulpelze], Wissner [Klugscheißer, DWB 30, Sp. 774], Fahrende Schüler [!] und die, die wir heute ziellos in Heidelberg herumstreunen und schreien sehen: Der Schornsteinfeger, der Schornsteinfeger, also also, sauber, sauber, sauber!‘  Schubert: Fahrende Schüler, S. 9.  Schubert: Fahrende Schüler, S. 10.  Vgl. dazu Kipf: Ludus philosophicus, S. 208 f.; zur Adaptation in Johannes Schrams Monopolium der Schweinezunft vgl. ebd., S. 214 f.

10.2 Der Fahrende Schüler als Schwankfigur

447

Describitur secunda quaestione, quod hi, qui inter saeculares et spirituales ceteris sunt infeliciores damnaque rerum suarum patiuntur et assumpti sint ad navim pereuntium potissime ex numero studentum sint profecti. Caveant itaque scholares atque studentes, ne propter pigritiam, indiligentiam inconstantiamque suam, dum ad litteras se ineptos reddiderunt, ad alios etiam status sint ineptiores et ita in navim illam vulgo Lichtschiff appellatum cogantur ascendere.⁹³

Wimpfeling warnt also vor einer gefährlichen ständischen Depravation. Die Studenten aber scheinen besonders anfällig durch ihre gesellschaftliche Position zwischen den Ständen und durch ihre Unbeständigkeit (vagatio mentis et corporis). Damit referiert er auf tradierte Vorurteile, wie sie sich im Spätmittelalter verfestigten.⁹⁴ Das Bild vom Schiff der leicht(sinnig)en Narren setzt später vor allem Sebatian Brant wirkmächtig in Szene. Jedoch betont Wimpfeling auch, dass in den Reden die Paränese mit einer gemäßigten und völlig unanstößigen Form der Komik verschränkt ist: Est illic iocus, attamen honestus, urbanus, iocundus, neminem carpens, non nimis lasciviens, non praebens scandala teneriori aetati.⁹⁵

Dazu tragen auch die z. T. nur hier überlieferten Ausdrücke aus dem Vokabular der Studenten und Satiriker bei, wie sie das Ende der Quaestio aneinanderreiht. Die deutschen Ausdrücke bieten dabei keine direkte Übersetzung der lateinischen Worte, sondern vielmehr eine assoziative Reihe von Komposita. Beschränkt auf die lateinischen Ausdrücke bleibt die Verunglimpfung verschiedener Berufe des Druckgewerbes, welche als Formen gesellschaftlichen Abstiegs bewusst zwischen Possenreißer, Zuhälter, Stadtbüttel und Wahrsager gestellt wurden – genauso wie später bei Sebastian Brant oder bei Geiler von Kaysersberg.⁹⁶

Zusammenfassung Die parodistische Reimpaarrede De vita vagorum gibt einen Einblick in ein spätmittelalterliches Muster vom Fahrenden Schüler: Es handelt sich um eine Bettler- und

 Ed. Jakob Wimpfeling: Briefwechsel. Bd. 1, hg. von Otto Herding und Dieter Mertens. München 1990, Nr. 18, S. 154– 157, hier S. 157; Übers. P. R.: ‚Die zweite Disputatio beschreibt, dass die, welche unglücklicher als die anderen zwischen den weltlichen und den geistlichen Ständen stehen und Schaden für sich selbst in Kauf nehmen, auf dem Schiff der Verworfenen Aufnahme finden und besonders aus der Zahl der Studenten stammen. Daher sollen die Schüler und Studenten darauf achten, dass sie wegen ihrer Faulheit, Unachtsamkeit oder Unbeständigkeit, sobald sie sich für die Wissenschaften als ungeeignet erwiesen haben, für andere (Berufs‐)Stände noch ungeeigneter sind und so jenes Schiff, das gemeinhin Leichtschiff heißt, besteigen müssen.‘  Vgl. Kapitel 8.3 und 9.5.  Wimpfeling: Briefwechsel, S. 157; Übers. P. R.: ‚Dort gibt es auch Scherze, aber nur ehrbare, gewitzte und heitere, die niemanden bekritteln, nicht zu zügellos sind und für die zarte Jugend keinen Stein des Anstoßes bieten.‘  Vgl. Kapitel 5.2.2.

448

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Hochstaplerfigur, die ihre Opfer – diese sind geschlechtlich und sozial meist als Bauersfrauen festgelegt – durch magische Dienstleistungen betrügt, dabei aber selbst den Widrigkeiten des Lebens eines armen ‚Fahrenden‘ ausgesetzt ist. So arbeitet der Text an einem Gesellschaftsbild, das eine literarische Imagination prägt, die auch einige wenige vorreformatorische Fastnachtspiele und mittelhochdeutsche Versnovellen von der Mitte des 15. Jahrhunderts verarbeiten. Ausgehend von frühen Vertretern einer niederländischen Narrenliteratur etabliert sich das Muster am Ende des 15. Jahrhunderts auch am nordwestlichen Rand des deutschen Sprachgebiets. Die ersten Belege vom Fahrenden Schüler – in Text und Bild – konzentrieren sich jedoch auf den oberdeutschen Raum zwischen Basel und Straßburg, was die folgenden Absätze zeigen werden.

10.3 Der Fahrende Schüler mit dem Netz – zum Bildprogramm in Planetenkinderbüchern Bei Planetenkinderbüchern⁹⁷ handelt es sich um eine „populär vereinfachte“⁹⁸ Form der Laienastrologie, welche die komplexen komputistischen Verfahren, die für die Erstellung eines Horoskops nötig sind und den Charakter eines Menschen beschreiben, auf eine Reihe von sieben Planeten (Saturn, Jupiter, Mars, Sol, Venus, Merkur, Luna) reduziert. Grundlage für die Bestimmung des Planetenpatronats ist dabei die Stunde der Geburt.⁹⁹ Doch selbst diese Verfahren wurden im Laufe der Textgeschichte weiter vereinfacht, falls die Geburtsstunde nicht bekannt war – was keine Seltenheit gewesen sein dürfte. So gab es als Alternativen onomantische Verfahren¹⁰⁰ oder bloßes Würfeln.¹⁰¹ Diese Tendenz zur Simplifizierung und Popularisierung geht einher

 Vgl. zu diesem Thema v. a. die wichtige Untersuchung Dieter Blume: Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance. Berlin 2000. Außerdem die aktuellen (kunsthistorischen und buchwissenschaftlichen) Beschäftigungen bei Markus Mueller: Beherrschte Zeit. Lebensorientierung und Zukunftsgestaltung durch Kalenderprognostik zwischen Antike und Neuzeit. Mit einer Edition des Passauer Kalendars (UB/LMB 2° Ms. aston. 1). Kassel 2009, Annett Klingner: Die Macht der Sterne. Ein astrologisches Bildmotiv in Spätmittelalter und Renaissance. Berlin 2017 und Angelika Merk: Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Artefakte des frühen Buchdrucks. Berlin, Boston 2018, S. 75 – 130.  Blume: Regenten des Himmels, S. 159.  Vgl. zum genauen Verfahren der Berechnung der ‚Planetenstunde‘ vgl. Klingner: Macht der Sterne, S. 16. Anm. 55.  So im Tübinger Hausbuch (Md 2) von 1470 – 1480. Hier folgt auf die Planetenkinderbilder (fol. 266v–276r) eine Anleitung, wie aus dem eigenen und dem Namen der Mutter die Zuordnung des Planetenpatronats ermittelt werden kann, wobei jedem Buchstaben ein bestimmter Zahlwert zugeteilt wird (fol. 272v–274v). Vgl. dazu Iatromathematisches Kalenderbuch. Die Kunst der Astronomie und Geomantie. Farbmikrofiche-Edition, hg. von Gerd Brinkhus, David Juste und Helga Lengenfelder. München 2005, S. 19 und Klingner: Macht der Sterne, S. 113 f.  So im Losbuch Konrad Bollstatters (BSB München Cod. germ. mon. 312, fol. 51v–58r).Vgl. Klingner: Macht der Sterne, S. 115.

10.3 Der Fahrende Schüler mit dem Netz

449

mit einer hohen Affinität zur Illustrierung. Sowohl die bildlichen als auch die textlichen Elemente sind dabei stark kanonisiert. Grund für diese Eigenschaften der Planetenkinderbücher ist ihre genuine mediale Verbindung mit dem neuen Medium des Blockbuches, also Büchern, in denen Bilder und Texte mit festen Holztafeln gedruckt wurden.¹⁰² Dieses neue Medium etablierte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts und blieb noch in die Inkunabelzeit populär.¹⁰³

Die Planetenkindergedichte Eine Beschäftigung mit dem Wissensbestand, gab es schon vorher in gelehrten Texten, laienastrologischen ‚Planetentraktaten‘¹⁰⁴ und Liedern (z. B. beim Mönch von Salzburg oder Oswald von Wolkenstein).¹⁰⁵ In diesen Liedern werden den Planetenkindern spezifische physiognomische und charakterliche Eigenschaften zugesprochen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts kommt eine Ergänzung in Gestalt einer Reihe typischer Berufsfelder dazu. Diese realisiert sich in einer Serie von sieben Gedichten (für jeden der Planeten) mit zweimal zwölf Versen, deren älteste Version als „Basler Planetenkindergedicht“ bekannt ist. Die ersten dutzend Verse sind jeweils dem Himmelskörper selbst gewidmet und nennen dessen (humoralpathologische) Eigenschaften (z. B. beim Mond kalt vnd feucht und vnstete czu allir frist, v. 3 f.)¹⁰⁶ sowie seine Konjunktion zu anderen Planeten. Die Verse 13 – 24 beschreiben die sogenannten Planetenkinder, also Gesellschafts- oder Berufsgruppen, die besonders vom genannten Planeten abhängig sind und dessen Eigenschaften teilen. Unter den Kindern Lunas begegnet auch der Fahrende Schüler:

 Vgl. Blume: Regenten des Himmels, S. 164.  Vgl. Merk: Blockbücher, S. 3 – 7.  Zur ‚wissenschaftlichen‘ Beschäftigung vgl. Blume: Regenten des Himmels, S. 8 – 63 u. ö. Zu den Planetentraktaten vgl. die Edition des ältesten Vertreters, dem Astronomischen Lehrbüchlein A von 1404 in Viktor Stegemann: Aus einem mittelalterlichen deutschen astronomisch-astrologischen Lehrbüchlein. Eine Untersuchung über Entstehung, Herkunft und Nachwirkung eines Kapitels über Planetenkinder. Reichenberg 1944, außerdem Mueller: Beherrschte Zeit, S. 61– 63. Stegemann geht davon aus, dass die drei lateinischen Texte (St. Gallen, cod. 429, Cod. lat. mon. 671 und Cod. lat. mon. 4394) auf eine verlorene italienische Handschrift zurückgehen. Mueller argumentiert hingegen, dass es sich bei den Texten aufgrund des deutlichen Unterzahl und der späten Datierung (zweite Hälfte des 15. Jh.) um Übersetzungen aus dem Deutschen ins Lateinische handelt. Da die Professionen (und damit auch der Fahrende Schüler) in den Planetentraktaten nicht genannt werden, sind diese für die vorliegende Untersuchung sekundär. Einzig Cod. lat. mon. 4394 interessiert aufgrund der Illustration und wird später noch thematisiert. Auf die genauen Prozesse und Tansformationen des lateinischen und arabischen Gelehrtenwissens, das der Vorstellung von den Planetenkinderbildern zugrundeliegt, kann hier nicht eingegangen werden.  Zu den Gedichten und anderen populären Adaptationen Blume: Regenten des Himmels, S. 158 – 161 und Klingner: Macht der Sterne, S. 48 – 55.  Hier nach der ältesten fassbaren Edition: Bibl. Otto Schäfer Schweinfurt. OS 1033, fol. 7r–7v.

450

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Der sterne wirken gat durch mich Ich byn vnstete wundirlich. Meyne kynt man kawm geczeymen kan, Nymande sie gerne seynt vndirtan. Ir antlicz yst bleich vnd rvnt, Gram grawsam czene eynen dicken mund. Obirsichtig schel eyn engen gang, Gern hoffertig trege der leip nicht lang, Lewfer kewkeler fysscher marner Farnde schuler fogeler molner bader Und was sich mit wasser dirnert, Den yst des monden scheyn beschert. (vv. 13 – 24)

Diese Gedichte zirkulieren ungefähr zeitgleich als inserierte handschriftliche Texte ohne Illustration, und als illustrierte Texte in der Blockbuchausgabe, sodass die genaue Abhängigkeit der beiden Medien nicht abschließend ermittelt werden kann. Jedoch ist aufgrund der schnellen und weiten Verbreitung und hohen Konstanz des Textbestandes von einer Kopie des publizierten Drucktextes auszugehen. Es ist dabei signifikant, dass in den Handschriften der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Berufsverse (mit dem Fahrenden Schüler) noch fehlen.¹⁰⁷ In der Basler Variante aber sind sie ein fester Teil der Reihe aus Bote (lewfer), Gaukler (kewkeler), Fischer (fysscher), Seefahrer (marner), Vogelfänger (fogeler), Müller (molner) und Barbier/Wundarzt (bader). Neben dieser Reihe findet sich noch eine alternative Variante in den späteren Handschriften, in denen auch der Ausdruck varend schuler genannt wird: Astronomy farn schuler fry | Louffer gouckler geomettry | schiffzimerman marner vischer | wasser vogler bader müller | vnd waz mit wasser sich ernert. | daz ist des manes kinden bescheret.¹⁰⁸

Alle Texte wie auch das Bildprogramm haben ihren Ursprung im deutschsprachigen Südwesten. Ich stimme mit Blume überein, der konstatiert, es stehe „außer Frage, daß jenes neuartige Bildkonzept der Planetenkinder um 1430 in aller Wahrscheinlichkeit in Basel entwickelt und unmittelbar anschließend mit den Mitteln der Graphik in großem Umfang verbreitet worden ist.“¹⁰⁹ Dabei habe sich „[j]eder einzelne Zeichner

 Z. B. im Planetenkindergedicht, das um 1430 in den Bellifortis von Konrad Kyeser integriert wurde: ÖNB, Cod. 3068, fol. 89r.  Rom, BAV, Cod. pal. lat. 1370, fol. 146r (vor 1467). Grundlegend entspricht diesem München, BSB, Cod. germ. mon. 558, fol. 153r (Ende 15. Jh.), wobei der Reim durch Wortumstellung abhandenkommt; ähnlich auch in München, UB, 8° cod. ms. 339, fol. 42v (um 1500), aber ohne die Fahrenden Schüler: Sy sendt genaygt zu geometrey | Mit harnn zu sechen [Harnschau] vnnd ercznei | Die bleywage vnnd der sterne kunst | Erinnent sy woll mit maysternen gunst. In diesem Codex ist für die Illustrationen zwar Platz freigehalten, diese wurden aber nicht realisiert.  Blume: Regenten des Himmels, S. 176. Klingner führt als zusätzliches Argument für die Lokalisierung in Basel einen Holzschnitt einer Märtyrerszene des Hl. Sebastian an, der einem sehr ähnlichen Stil folgt. Vgl. Klingner: Macht der Sterne, S. 103 f.

10.3 Der Fahrende Schüler mit dem Netz

451

[…] augenscheinlich seine persönlichen Freiheiten im Umgang mit der Vorlage“¹¹⁰ herausgenommen. Die Holzschnitzer seien (z. T. wörtlich) von den Gedichten ausgegangen und hätten daraus ihr ikonographisches Programm gestaltet. Das „Basler Planetenkindergedicht“ ist mithin als Ausgangspunkt einer Text-Bild-Komposition zu sehen, die in verschiedene Gebrauchszusammenhänge und Rezeptionsformen überführt wurde, z. B. als Einblattdruck, kleines Heft, Inserat in anderen Texten oder als Teil von sog. ‚Volkskalendern‘ und kalendarischen Hausbüchern.¹¹¹ Diese ursprüngliche Lokalisierung der ersten Edition der Planetenkinderbilder, wie sie in einem Heidelberger Fragment (Cod. pal. germ. 438) und dem Schweinfurter Exemplar (OS 1033) überliefert ist, basiert auf der Tatsache, dass im Venusbild das Basler Stadtwappen als Fanfarenzier eines Musikers eingefügt wurde (Vgl. Abb. 6).¹¹² Dieses Indiz scheint mir signifikanter als eine Zuordnung in den ostmitteldeutschen Dialektraum,¹¹³ zumal die angeführten sprachgeschichtlichen Argumente zum 14. und 15. Jahrhundert keine eindeutigen Aussagen zulassen.¹¹⁴ Außer der Nennung des Ausdrucks ‚Fahrender Schüler‘ lernen wir freilich nicht sehr viel über seine Imagination. Als Kind der Luna zeichnet er sich neben einem nicht sehr gesunden Äußeren durch seine Unstetheit, Faulheit und Auflehnung gegen Autoritäten aus. Diese Eigenschaften der Luna-Kinder werden auch in lateinischen Planetenkindertraktaten wiederholt. Hier heißt es: Filius ipsius lune est instabilis uti luna ipsa et raro in uno manet loco, et vigilat libenter, et plura incipit et se ipsum non prius percogitat fore instabilem, et est tum verax […] Eciam efficitur mercator perpluries, seu eciam nauta, et transfert se in alienas provincias libentissime.¹¹⁵

 Blume: Regenten des Himmels, S. 176.  Vgl. dazu Blume: Regenten des Himmels, S. 167– 176 und Francis B. Brévart: The German Volkskalender of the Fifteenth Century. In: Speculum 63 (1988), S. 312– 342, v. a. S. 319 – 321. In den ‚Volkskalendern‘ finden sich die Planetenkindergedichte, die dem Aufbau der Basler Version folgen erst in der Serie B ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.  Schweinfurt, Bibl. Otto Schäfer, OS 1033, fol. 5v. Im kolorierten Cod. pal. germ. 438 sind leider nur die Solkinder und die Marskinder erhalten.  So bei Nigel F. Palmer: Latein und Deutsch in den Blockbüchern. In: Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer (Hg.): Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100 – 1500. Tübingen 1992, S. 312– 336, hier S. 312 (Anm. 5). Palmer beruft sich auf die Feststellungen in Wilfried Werner: Die Zehn Gebote. Faksimile eines Blockbuchs von 1455/1458 aus dem Codex Palatinus Germanicus 438 der Universtätsbibliothek Heidelberg. Zürich 1971, S. 16 – 20.  Als Hauptargument für die Zuordnung zum ostmitteldeutschen Raum gilt die häufige Digraphie cz. Doch diese begegnet „vom 14. bis zum Ende des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts in allen Räumen und in allen Positionen“, sodass „eine räumliche Konzentration auf den weiteren omd. Sprachraum […] nicht festzustellen“ ist. Robert Peter Ebert, Oskar Reichmann u. a. (Hg.): Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen 1993, § 59, 2, S. 132. Zum Vorkommen im alemannischen vgl. außerdem Karl Weinhold: Alemannische Grammatik. Berlin 1863, § 150, S. 155. Auch das i als Ersatz für das abgeschwächte e (z. B. allir) findet sich im Alemannischen. Vgl. Weinhold: Alemannische Grammatik, § 23, S. 25.  München, BSB, Cod. lat. mon. 4394, fol. 72r–72v; Übers. P. R.: ‚Der Sohn der Luna ist unstet wie der Mond, bleibt selten an einem Ort, bleibt gerne wach, fängt vieles an, hält sich selbst eher nicht für

452

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Damit wird auch das Wissen über Planetenkinder zu einem Beleg für eine Engführung von instabilitas und acedia. ¹¹⁶ Im Passauer Kalendar wird diese Assoziierung sogar bildlich umgesetzt, indem Luna auf ihre Standarte als allegorisches Wappentier den Esel trägt.¹¹⁷

Die Planetenkinderbilder Weitaus interessanter als diese sehr rudimentäre Nennung des bloßen Ausdrucks ist die bildliche Realisierung des Fahrenden Schülers, die aufgrund des kanonisierten Programms recht eindeutige Zuschreibungen zulässt. Die Vorlage für die meisten Bilder lieferte die Basler Holzschnittfolge (Abb. 7).¹¹⁸ Den einzelnen Aspekten des Gedichts folgend zeigt der Holzschnitt im Hintergrund – oder aufgrund der fehlenden Räumlichkeit besser in der oberen Hälfte – links einen Vogelfänger, der sich in einem Busch versteckt und Singvögel auf seine Leimrute lockt. Daneben steht ein Fischer, der eine Reuse ins Wasser hält und eine Person, die sich unter einem Wassereimer duscht. In der unteren Hälfte befindet sich links ein Müller, der einen bepackten Esel zu einer unterschlächtigen Wassermühle treibt. Dieser blickt über seine linke Schulter und tritt damit in kommunikativen Kontakt mit der Situation im rechten unteren Teil der Tafel. Hier ist ein Gaukler als Becher‐ oder Hütchenspieler, der an einem Tisch sitzt, auf dem er seine Requisiten ausgebreitet hat: mehrere Kugeln, Becher und einen Stab. Eine Netzschärpe trägt er über die Schulter gehängt. Auf die letzten beiden Attribute komme ich noch zu sprechen. Der Hütchenspieler interagiert nun mit der letzten Figur, dem Boten, der konventionell mit ausladender Mütze, Abzeichen und Spieß dargestellt ist. Dieser zeigt wohl mit den Fingern an, dass sich seiner Meinung zwei Kugeln unter dem Becher befinden. Der Gaukler aber greift in seine große Tasche, eine Gibecière, und zeigt damit eine Geste, die womöglich auf eine betrügerische Absicht verweist.¹¹⁹ Doch auch ohne diese Zuschreibung gilt der hütchenspielende Gaukler in Spätmittelalter und Früher Neuzeit als Inbegriff trickreichen Betrugs und Schwindels.¹²⁰ Dieser Umstand wird in einer in der Überlieferung unikalen Verschiebung des Spieltisches von den Planetenkindern der Luna zu den Kindern des Saturn, welcher das Patronat der Bauern, aber auch der Verbrecher versah, im Passauer Kalendar noch verstärkt (vgl. Abb. 8 und 9).¹²¹ Im Gegensatz zum Hütchenspieler als Kind der Luna, der eher als Schausteller auftritt, unstet und sagt die Wahrheit. Er wird auch meistens ein Kaufmann oder ein Seemann und begibt sich sehr gerne in fremde Gefilde.‘  Vgl. Kapitel 9.1.1.  Passauer Kalendar. Kassel, UB/LMB 2° MS. astron. 1, fol. 64r. Abb. Mueller: Beherrschte Zeit, ed. S. 123 und hier Abb. 8. Zu den Standarten der Planeten vgl. Mueller: Beherrschte Zeit, S. 255.  Schweinfurt, Bibl. Otto Schäfer, OS 1033, fol. 7v. Vgl. Blume: Regenten des Himmels, S. 159 und 169. Abb. 187 (S. 447). Auch Klingner: Macht der Sterne, Abb. 6.18.  Vgl. Bialecka: Kinder der Luna, S. 69.  Vgl. Robert Read: The Oldest Trick in the Book. A Compendium about the Cups and Balls in Graphic Arts. Offenbach 2014. Zu Aussagen im Renner Hugos von Trimberg vgl. Kapitel 9.3.3.  Vgl. Mueller: Beherrschte Zeit, S. 281 und S. 300.

10.3 Der Fahrende Schüler mit dem Netz

453

wird beim Spieltisch im Planetenkinderbild des Saturn eine physische Auseinandersetzung (vielleicht aufgrund von Falschspiel) gestaltet. Generell wurde das Basler Bildprogramm mithin sehr breit rezipiert, immer wieder adaptiert und prägte so nachhaltig eine Bild-Tradition,¹²² die Hieronymus Bosch (und seine Nachfolger) im Gemälde Der Gaukler aufnahmen (vgl. Abb. 14 und 15).¹²³ Vergleicht man nun die Personenreihe im Gedicht mit der bildlichen Umsetzung, fällt auf, dass zwei Berufsstände fehlen, der Seefahrer und der Fahrende Schüler. Der Seefahrer ist allenfalls durch ein Schiff im Hintergrund repräsentiert,¹²⁴ der Fahrende Schüler aber durch seine Attribute, den Stab und vor allem das Netz. Dies gilt auch in anderen Versionen des Bildes, wenn die Attribute des Gauklers im Basler Holzschnitt auf zwei Figuren aufgeteilt werden oder der Hütchenspieler durch eine Figur mit Netzschärpe ersetzt wird. Die meisten Versionen des Luna-Bildes folgen der traditionellen Ikonographie des Gauklers mit Spieltisch, Requisiten und Tasche (Gibecière) in Interaktion mit einer Gruppe Passanten (meist dem Boten). Das Netz als Attribut fehlt in den meisten Fällen, was Anlass für die Vermutung gibt, es handle sich nur um ein kleidungsmodisches Detail.¹²⁵ Doch in drei Handschriften aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist dieses Requisit präsent. In einer Münchener Handschrift mit astrologisch-medizinischem Inhalt (Cod. lat. mon. 4394, fol. 71v, Abb. 10) von 1477 trägt es der Hütchenspieler in analoger Gestaltung zum Basler Druck.¹²⁶ In den beiden anderen Codices sind die Figur des Hütchenspielers und des Netzträgers aufgeteilt: In einer Sammelhandschrift aus Wien (ÖNB, Cod. 3085, fol. 26r, vgl. Abb. 12) fehlt der Spieltisch ganz. Stattdessen spricht ein (junger) Mann in Reisekleidung und mit Netzschärpe zu einer Frau, die durch ihr Gebände als verheiratet gekennzeichnet wird.

 Annett Klingner unterscheidet insgesamt fünf Editionen bis 1470 im deutschsprachigen Raum. Dazu kommen zahlreiche handschriftliche Illustrationen. Vgl. Klingner: Macht der Sterne, S. 103 – 115. Hier auch die Abbildungen von Edition 2 (Abb. 6.46), Edition 3 (Abb. 6.48), Edition 4 (6.67, 6.69 und 6.70) und Edition 5 im Diversarius des Gallus Kemli in Zürich, ZB, Ms. C 101 (Abb. 6.78). Dazu kommen noch die Illustrationen im Tübinger Hausbuch Md2 (Abb. 6.88), im Mittelalterlichen Hausbuch (Abb. 7.37), im Losbuch Konrad Bollstatters (Cod. germ. mon. 312, fol. 58r) und in Italien außerdem die Kupferstiche von Baccio Baldini (Abb. 8.15 u. 8.16) und in De Sphaera Estense (Abb. 8.91).  Zur aktuellen Forschung dazu vgl. Florence Jakubowicz (Hg.): Jérôme Bosch et l’Escamoteur. Paris 2002, hier auch Abbildungen und Details S. 6 et passim. Zum ikonographischen Zusammenhang mit den Planetenkinderbildern der Luna vgl. Andrew Pigler: Astrology and Jerome Bosch. In: Burlington Magazine 92 (1950), S. 132– 136 und Jacques Darriulat: Jérôme Bosch et la Fable Populaire. Paris 1995, S. 20 – 23.  So zum Beispiel im Mittelalterlichen Hausbuch, fol. 17r. Abb. Klingner: Macht der Sterne, Abb. 7.37.  Die Aussage in Bialecka: Kinder der Luna, S. 72 suggeriert zwar, dass ein Fehlen der Netzschärpe die Ausnahme darstellt. Das widerspricht aber dem tatsächlichen Quellenbefund.  Die Datierung der Handschrift resultiert aus der Schreibernennung im Kolophon: Iste liber collectus est per me fratrem Wilh[elmum] de Rang. | Si quis quod suum erat tolleret parum aut nichil colligenti remaneret | 1477 (fol. 194v). Zum Codex vgl. Wolfgang Augustyn: Zu einem astronomischmedizinischen Handbuch aus dem Spätmittelalter (München, Bayerische Staatsbibliothek, cod. lat. mon. 4394). Ein Vorbericht. In: Wolfgang Augustyn (Hg.): Rondo. München 2010, S. 33 – 43.

454

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Der Gestik der Figuren zufolge ist sie in einer bittenden Position, während er ihr etwas berichtet. Eine ganz ähnliche Ikonographie liegt im sog. Mittelalterlichen Hausbuch vor (Abb. 13). Dieser Codex ist 1475 – 1483 entstanden und weist einige Anzeichen für eine intendierte gesellschaftliche Nobilitierung der Konstanzer Patrizierfamilie Guldinast auf.¹²⁷ Die (meist unkolorierten) Federzeichnungen der Planetenkinderbilder dominiert der allegorische Planet auf einem Pferd, welcher fast die halbe Seite einnimmt; darunter ist dann überaus detailliert und realitätsnah das (weitgehend) traditionelle Bildprogramm fortgesetzt. Im Lunabild (fol. 17r) ist im Hintergrund das typische Personal (Müller, Fischer, Bootsleute, Badende, Vogelfänger und Bote) zu sehen, den Vordergrund füllt eine Gruppe Fahrender: Der Spieltisch in der rechten Bildhälfte ist mit den typischen Requisiten versehen (Kugeln, Becher, Stab), der Gaukler aber agiert als Quacksalber (bader) und verabreicht einem Patienten Medizin. Andere Personen warten noch. Die Identifizierung des Quacksalbers als ein Fahrender verdeutlicht auch ein Werbeplakat mit akrobatischen Kunststücken sowie der Posaune spielende Musiker mit einem Affen auf der Schulter, der als dessen Gefolge anzusehen ist. Am linken Rand steht noch eine Figur, die ähnlich zu der in der Wiener Handschrift gestaltet ist. Es handelt sich um einen Mann mit städtischer Kleidung und einem breitkrempigen Hut, der mit einem ärmlich gekleideten Paar spricht. Über der Schulter trägt er eine Schärpe mit einer netzartigen Struktur.¹²⁸ Die Elemente des Fahrenden (Gauklers), die im Basler Holzschnitt noch auf eine Figur zusammengelegt wurden, werden hier aufgeteilt in den Musiker, den Quacksalber und den Fahrenden Schüler. Das Netz in den Planetenkinderbildern ist ein deutliches Indiz, welches Rückschlüsse auf eine Erklärung des gelben Netzes zulässt, welches um 1500 im Liber Vagatorum als Erkennungszeichen des Fahrenden Schülers gilt.¹²⁹

Netz und Lotterholz – zwei Requisiten des Fahrenden Schülers Über die Herkunft dieses Netz gibt es verschiedene Erklärungen. Neben einer volkskundlichen Ableitung von fastnächtlichen Praktiken aus dem Raum um Basel,¹³⁰ wird das Netz in vormodernen Illustrationen oft genutzt, um den liminalen Zustand zwischen Bekleidet-Sein und Nacktheit ikonographisch umzusetzen. Mit diesem Merkmal werden vornehmlich Arme und Gaukler versehen, wie z. B. der achte vende der Schachzabelbücher.¹³¹ Dieses Substitut für die Darstellung von Nacktheit ist dann

 Vgl. dazu Klingner: Macht der Sterne, S. 117– 124, Blume: Regenten des Himmels, S. 177– 179 und Aneta Bialecka: Der Planeten irdische Kinder. In: Nathanael Busch und Björn Reich (Hg.): Vergessene Texte des Mittelalters. Stuttgart 2014, S. 217– 234, hier 221– 230.  Eine detailliertere Bildbeschreibung in Klingner: Macht der Sterne, S. 131– 133.  Vgl. Kapitel 5.  Vgl. Bialecka: Kinder der Luna, S. 103 f. und Klingner: Macht der Sterne, S. 131 (Anm. 717).  Z. B. in einer Illustration in einer französischen Übertragung des Schachbuchs von Jacobus de Cessolis durch Jean de Vignay aus dem 14. Jh. Paris, BnF, Bibliothèque de l’Arsenal, Ms. 5107, fol. 69v

10.3 Der Fahrende Schüler mit dem Netz

455

möglicherweise zum Erkennungszeichen der Fahrenden Schüler als Teilgruppe der varnden diet geworden, die zwischen den Gauklern und den Gelehrten steht. Assoziationen von Netz und Nacktheit finden sich auch in der Exempelsammlung Compilatio singularis exemplorum im Abschnitt über Schauspieler (De histrionibus). Neben einigen Anekdoten über nackte Schausteller¹³² stehen hier zwei Exempel über solche, die nur mit einem Netz bekleidet sind. Hier wird das Netz als ‚Kleidungsstück‘ mit Nacktheit enggeführt: Quidam goliardus, habens rethe indutum tantummodo, intrans porticum cuiusdam divitis, voluit ibi pernoctare. Et videns cum dominus, incepit querere ab eo cuius condicionis et nacionis esset. Ait: ‚Vous vaez bien a mon hernois Que je suis nés de Gastinoys‘¹³³

Ebenso die Regula Beati Libertini führt Netze als Symbol für die lumpenhafte Kleidung der Brüder im imaginären Vagantenorden an.¹³⁴ Wo auch immer der genaue Ursprung der Netzschärpe liegt, sie verweist auf Armut und die Profession des fahrenden Schaustellers. Es ist dabei angesichts der Quellen nicht unwahrscheinlich, dass die Illustration auf einer Variante beruht, die dann vereinzelt tradiert wurde, bis sie durch Eingang in das populäre ‚Gaunerbüchlein‘ Liber Vagatorum allgemeine Geltung fand. Damit wird das Netz als Kleidertausch vom Bekleidet-Sein zur Nacktheit als Initiationsritus (rite de passage) oder als Investitur zum Eintritt in einen parodistischen Vaganten-Orden der Besitzlosen inszeniert,¹³⁵ wie im Boiffen Orden: Den habyt saltu dragen, […] eyn hemde und eyn netz, | Dat willen wyr dyr schencken. | Dyne kleyder seullen wyr verdrincken, | Idt sij beltz, rock, off wambus. ¹³⁶ Das gelbe Netz oder der gelbe

(vgl. Abb. 11). Zur bildlichen Umsetzung des liminalen Status zwischen Nacktheit und Bekleidet-Sein bei Gauklern/Musikanten vgl. Münz: Giullari nudi, S. 290 – 311 (mit Abb.).  In der Teiledition Alfons Hilka: Vermischtes zu den mittelalterlichen Vaganten, Gauklern und Gelegenheitsdichtern. In: Studi medievali. Nuova serie 2 (1929), S. 417– 424, Nr. 17, 19, 20, 21, 27.  Hilka: Vermischtes, Nr. 29 (S. 424), ähnlich auch Nr. 18 (S. 423); Übers. in Münz: Giullari nudi, S. 138, Anm. 5: „Ein Goliarde, der nur mit einem Netz bekleidet war, hatte den Portikus eines Reichen betreten und wollte dort die Nacht verbringen. Ihn sehend, fragte der Herr, von welchem Stand er wäre und von welcher Nation: „An der Ritterrüstung seht ihr wohl, | daß ich in den Sümpfen von Gatinaus geboren bin.“  Vgl. Kapitel 7.3.  Vgl. Robert Jütte: Windfang und Wetterhahn. Die Kleidung der Bettler und Vaganten. In: Heinrich Appelt (Hg.): Terminologie und Typologie mittelalterlicher Sachgüter. Das Beispiel der Kleidung. Wien 1988, S. 177– 197, hier S. 181. Dieser macht zwar die Elemente (poetischer) Ausschmückung geltend, betont aber genauso die „Notwendigkeit […] die Zugehörigkeit zu einer Randgruppe“ zu signalisieren“, was nicht unbedingt falsch ist.  Boiffen Orden, vv. 48 – 53 (S. 23). Vgl. dazu und zu einer möglichen außerliterarischen Referenz auch Kapitel 10.2.1.

456

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

garn, der durch seine Farbe negativ konnotiert war,¹³⁷ würde so – zumindest textimmanent – vom Stigma- zum Prestigesymbol umgewertet.¹³⁸ Wie das Netz verweist auch der Stab, der in den Illustrationen viel weiter verbreitet ist, auf das ‚Fahrende Volk‘. Dabei handelt es sich entweder um ein Lotterholz oder einen Zauberstab. Das Lotterholz ist ein ca. 20 – 30 cm langer Stab, welcher entweder auf dem Daumen balanciert oder als Taktgeber beim mündlichen Vortrag genutzt wurde. Es gilt als Zeichen des schaustellerischen Sprechers, des Lotter oder Freihart, der oft mit jeder Form von fahrendem Vagabunden gleichgesetzt wurde.¹³⁹ Als Vorbild des Lotterstabs führt Sebastian Brant den Heroldsstab an: Herolden/ sprecher/ Partzifand [Unterherold]/ Die strofften ettwann œfflich schand Vnd hatten dar durch eren vil Eyn yeder narr yetz sprechen wil Vnd tragen stæblin ruch vnd glatt¹⁴⁰

Beide Gegenstände, Lotterholz/‐stab und Netz, sind ebenfalls wichtige Attribute der Figur in der Illustration zur Handschrift des ripuarischen Boven-Ordens vom Ende des 15. Jh. (Darmstadt Hs. 2667, fol. 356r, vgl. Abb. 2). Die Drucke desselben Textes (Köln: Johann Koelhoff d. Ä. um 1492 und Heinrich von Neuß um 1508) rufen mit der Tradition der Schachzabelbücher und des Narrenschiffs hingegen andere populäre Traditionen auf.¹⁴¹ Die Federzeichnung zeigt einen zerlumpten, bärtigen Mann mit kaputten Schuhen. Auf dem Kopf trägt er einen Hut mit Feder. Neben ihm ist ein Hund (?), im Hintergrund sieht man eine befestigte Stadt. Als Attribute hat er einen verzierten Stab, den er auf dem rechten Daumen balanciert und einen Netzsack in der linken Hand. Dass dieser Sack für den Schreiber zentral war, beweist die halb beschnittene Anweisung an den Illustrator: hie sall stain eyn nackt boeff mit eyme netz. ¹⁴² Im Text selbst kommt das Netz nur im Sinne eines beschädigten Kleidungsstückes vor, nicht aber als Beutel:

 Jütte: Stigma-Symbole, S. 81: „Insbesondere das helle Gelb hat im Mittelalter einen deutlich negativen semantischen Wert. Mit dieser Farbe assoziierte man damals üblicherweise Juden, Dirnen, Ketzer, aber auch Vaganten.“  Zum Netz als stigmatisierendes Symbol, abgeleitet von den sozialdisziplinierenden Bettlerzeichen vgl. Kapitel 5.1.1 und Jütte: Stigma-Symbole, S. 88 f., der als Beispiele einer solchen (realhistorischen) Umdeutung Ohrringe und die Söldnertrachten anführt.  Dazu vgl. Bolte: Fahrende Leute, hier S. 634 f. und Schubert: Fahrendes Volk, S. 223 – 225. Vgl. außerdem die Bezeichnung des lotterpfaffen.  Brant: Narrenschiff, S. 155 (cap. 63, Z. 55 – 59).  Zum Text vgl. Kapitel 10.2.1. Zu den Illustrationen der Drucke vgl. Reich: Tradierende Drucker, S. 393 – 402, hier auch Abbildungen.  Darmstadt Hs. 2667, fol. 356r. Eine Transkription findet sich in Frantzen/Hulshof: Kölner Schwankbücher, S. XLV.

10.3 Der Fahrende Schüler mit dem Netz

457

Den habijt, den du salt dragen Na des Magotz gesetz. Dat is eyn gerissen cleit off eyn netz¹⁴³

Es ist davon auszugehen, dass auf dieser bildlichen Sprache auch mnd. nettebove basiert, was allgemein einen Landstreicher bezeichnet.¹⁴⁴ Eine weitere Konnotation eröffnet die Deutung des Stabes als Zauberstab. Freilich war dieser ein Accessoire des Hütchenspielers, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fokussieren und vom Trick abzulenken. Doch er verweist auch auf die Bereiche der Zauberpraktiken und des Okkulten, die zum Repertoire der Betrugspraktiken des Fahrenden Schülers in der Imagination der Bettlerkataloge gehören. Dass spätestens ab dem 15. Jahrhundert magische Zaubertricks als Form der unterhaltsamen Kleinkunst verstanden werden, zeigen einige Quellen.¹⁴⁵ Ideal ins Bild gesetzt wird die Doppelung von Magie und Betrug im Gaukler nach Hieronymus Bosch (Abb. 14), wenn der Taschenspieler einen Zuschauer derart verzaubert, dass er Kröten speit, während diesem eine andere Figur (sein Komplize?), der durch Habit und Brille als Kleriker oder zumindest Gelehrter gekennzeichnet ist, die Geldbörse abschneidet. Zauberei und Betrug treten hier in eine gefährliche Symbiose, die den närrischen Rezipienten warnen, aber auch das Dämonische ausstellen will.¹⁴⁶ In einem Kupferstich, den Balthasar van den Bos auf Grundlage des Gauklers 1550 – 1560 in Antwerpen produzierte, wurde noch eine zusätzliche Figur ergänzt (Abb. 15).Wieder hält der Kleriker die Geldbörse in der Hand, doch er reicht sie einem Mann in ärmlicher, zerschlissener Kleidung weiter, der sie an sich nimmt. Diese Bettelfigur aber trägt eine Schärpe, die mit einer Netzstruktur versehen ist!¹⁴⁷ Wie diese niederländische Bildtradition sind die Baccio Baldini zugeschriebenen, prachtvollen Florentiner Kupferstiche von der Basler Bildtradition abhängig.¹⁴⁸ Diese sind als Teil der Familienpropaganda der Medici in die 1460er Jahre zu datieren.¹⁴⁹ Neben der Anpassung verschiedener Details wie der Kleidung und der Architektur auf die Gegenwart in Florenz, fällt beim Luna-Bild auch die Veränderung des Gauklertisches ins Auge. Denn dieser ist einerseits in den Hintergrund gerückt, andererseits  Frantzen/Hulshof: Kölner Schwankbücher, S. XLVI, vv. 46 – 48.  Vgl. Kapitel 10.2.1.  Vgl. Kieckhefer: Magie im Mittelalter, S. 108 – 111.  Vgl. Jeffrey Hamburger: Bosch’s ‚Conjuror‘: An Attack on Magic and Sacramental Heresy. In: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art 14 (1984), S. 4– 23, v. a. S. 22 f.  Balthasar van den Bos: Goochelaar. Amsterdam: Rijksmuseum, RP-P-1892-A-17506. Vgl. dazu Adeline Collange: L’Escamoteur et ses Tours de Passe-passe à travers les Siècle. In: Florence Jakubowicz (Hg.): Jérôme Bosch et l’Escamoteur. Paris 2002, S. 37– 58.  Blume erwägt die Zürcher Fassung als nahestehend. Weiter geht er davon aus, dass das Bildprogramm auf dem Italienzug Kaiser Friedrich III. nach Florenz gelangt sei, räumt aber ein, dass über dieses Ereignis hinaus ein reger Handelskontakt über die Alpen bestand, der auch einen künstlerischen Austausch beförderte. Vgl. Blume: Regenten des Himmels, S. 187. Die zweite Erklärung scheint mir wahrscheinlicher.  Vgl. Blume: Regenten des Himmels, S. 183 f. und Klingner: Macht der Sterne, S. 139 – 159.

458

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

hebt das Bild den Hütchenspieler, der sich in der Basler Tradition allenfalls durch die Netzschärpe vom übrigen Personal unterscheidet, durch Narrenkappe und ‐kleidung von seinen nobel gekleideten Zuschauern ab und macht ihn so zum Unterhalter der Höflinge, zum Hofnarren.¹⁵⁰ Die Florentiner Stiche wurden in Italien und darüber hinaus intensiv rezipiert und lösten durch ihren „beispiellose[n] Erfolg“¹⁵¹ den Stil und das Bildarrangement der vorgängigen Bildtradition ab, respektive transformierten sie fundamental. So hatten diese eine weitaus größere Wirkung auf die nordalpinen Planetenkinderbilder des 16. Jahrhunderts, z. B. von Georg Pencz (ab 1531) und den niederländischen Druckgrafikern (z. B. Crispijn de Passe nach Entwürfen von Maarten de Vos vor 1581 und Jan Staenredam nach Entwürfen von Hendrick Goltzius um 1596).¹⁵² Weder der Gaukler mit dem Spieltisch noch eine Figur, die als Fahrender Schüler zu identifizieren wäre, findet sich in diesen Stichen. Das hängt wohl damit zusammen, dass in den beigegebenen (Prosa‐)Texten der italienischen und niederländischen Tradition nur die astronomischen Hintergründe der Planetenbahn und die physischen Details der Planetenkinder angesprochen werden, die Liste der gesellschaftlichen Repräsentanten aber fehlt.¹⁵³ Mit dem Verschwinden der textuellen Fundierung in den Planetenkindergedichten kommen so auch Teile des zuvor kanonischen Personals der Bilder abhanden. Beginnend mit den Basler Planetenkindergedichten wird die Tradition einer BildText-Verbindung greifbar, die sich durch ihre kanonische Grundstruktur immer wiederholt, in den Illustrationen – v. a. in den Handzeichnungen – aber ständig variiert. Dabei sind neben informativen und didaktischen Funktionen auch gesellschaftspolitische Intentionen auszumachen, die einen spezifischen Stand herausstellen. Die Figur des Fahrenden Schülers ist mit dem hütchenspielenden Gaukler und Zauberkünstler assoziiert und entspicht ihm teilweise sogar. Wie in den Bettlerkatalogen wird hier der Fahrende Schüler als Teil einer potentiell devianten, sicherlich aber unsteten und als gesellschaftlich marginal stigmatisierten Personengruppe identifiziert. Diese Verbindung wird auch durch einen anderen Befund bestärkt: Denn im Diversarius multarum materiarum des St. Gallener Mönchs Gallus Kemli findet sich neben dem wohl ersten greifbaren Beispiel für den ‚Vagierer‘ als fictus nigromanticus in den Bettlerkatalogen¹⁵⁴ ebenfalls die Reihe von Planetenkinderbildern mitsamt dem Basler Gedicht, das den faren schüler explizit nennt.¹⁵⁵ Die Holzschnitte, die als einzige Repräsentanten einer fünften Edition angehören, wurden als Einblattdrucke oder Teil

 Vgl. Klingner: Macht der Sterne, Abb. 8.15 (Serie A) und 8.16 (Serie B).  Blume: Regenten des Himmels, S. 191. Vgl. dazu auch Klingner: Macht der Sterne, S. 157– 159.  Zu den Bildern vgl. Klingner: Macht der Sterne, Abb. 11.26 (Georg Pencz), Abb. 12.17 (Crispijn de Passe), Abb. 12.33 (Jan Saenredam).  Zu den Texten vgl. Klingner: Macht der Sterne, S. 311 und 317.  Vgl. Kapitel 5.1.4.  Zürich, ZB, C 101, fol. 14v–15r.

10.4 Um 1430 in Basel – die Reformatio Sigismundi und der Oberrhein

459

eines zusammenhängenden Textes zugeschnitten und in den Codex geklebt.¹⁵⁶ Das Gedicht wurde von Kemli auf die gegenüberliegende recto-Seite handschriftlich kopiert.¹⁵⁷ Obwohl der Inhalt des Diversarius – wie es der Titel schon deutlich macht – ziemlich heterogen ist, zeigt sich doch eine inhaltliche Nähe zwischen den Planetenkinderbildern/‐gedichten und den Bettelordnungen. Beide schienen es dem interessierten Mönch Kemli wert gewesen zu sein, notiert zu werden. Dabei sind beide Textformen als ‚Gebrauchsliteratur‘ einzuordnen, die unterhalten, vor allem aber informieren oder belehren sollen. Während die Text- und Bildtradition des Basler Planetenkinderbuchs im Zusammenhang des medialen Umbruchs vom Blockbuchs als populärem Medium zu anderen Druckformen endet,¹⁵⁸ da sich spätere Stiche eher an den italienischen Kompositionen orientieren und in Richtung der Genremalerei transformiert werden, ist mit der Nota de fictis mendicis das Muster einer neuen Tradition erstmals greifbar.

10.4 Um 1430 in Basel – die Reformatio Sigismundi und der Oberrhein Die verschiedenen Spuren, welche dieses Kapitel nachverfolgte, scheinen sich in einem Text zu kreuzen, der im Umfeld der politischen Reformbestrebungen der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand: der sog. Reformatio Sigismundi. Diese ist zwar kein authentischer Rechtstext aus der Kanzlei Kaiser Sigismunds, wurde aber als solcher rezipiert, was der häufige Überlieferungsverbund mit der ‚echten‘ Reformatio Friderici, dem Landfrieden Friedrichs III. von 1422, und der Goldenen Bulle von 1356 zeigt.¹⁵⁹ Auch wenn die Schrift nicht ‚volkstümlich‘ ist und aufgrund der hohen Er-

 Vgl. dazu Klingner: Macht der Sterne, S. 111 f. und Abb. 6.78. Durch diese Inklusion vom modernen Blockbuch/Einblattdruck in das traditionelle Geltungsmedium, den Codex, wird die Überlieferung der Bilder konserviert. Vgl. dazu Sabine Griese: Exklusion und Inklusion. Formen der Überlieferung und des Gebauchs von Literatur im 15. Jahrhundert. In: Felix Heinzer und Hans-Peter Schmit (Hg.): Codex und Geltung. Wiesbaden 2015, S. 176 – 190, hier S. 187– 190.  Ob dem Original ein Text (gedruckt oder handschriflich) beigegeben war, ist nicht nachvollziehbar. Zu den Holzschnitten vgl. auch Max Lehrs: Über einige Holzschnitte des Fünfzehnten Jahrhunderts in der Stadtbibliothek zu Zürich. Straßburg 1906, S. 11– 14.  Es ist zwar von keiner plötzlichen Revolution auszugehen und die drei Medien Handschrift, Blockbuch und (Inkunabel‐)Druck mit beweglichen Lettern existierten zeitweise parallel. Aber die Zahl der Blockbücher nimmt doch im Zuge des 16. Jh. rapide ab.Vgl. Norbert H. Ott: Leitmedium Holzschnitt. Tendenzen und Entwicklungslinien der Druckillustration in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Barbara Tiemann und die Maximilian-Gesellschaft (Hg.): Die Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert. Bd. 2. Hamburg 1999, S. 163 – 252, hier S. 175 f. und Merk: Blockbücher, S. 20 und S. 170 – 190.  Von den 16 überlieferten Handschriften enthalten acht den Landfrieden von 1422 und vier die Goldene Bulle, auch die drei frühesten Drucke kombinieren die Reformatio Sigismundi mit der Reformatio Friderici. Vgl. Hartmut Boockmann: Zu den Wirkungen der „Reform Kaiser Siegmunds“. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 35 (1979), S. 514– 541, v. a. S. 524 f. Zu den einzelnen Überlieferungsträgern Heinrich Koller: Reformation Kaiser Sigismunds. Stuttgart 1964, S. 33 – 45.

460

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

werbskosten gewiss nicht allgemein verbreitet war, hat sie als politisch-agitatorischer Traktat in der Volkssprache doch einen exzeptionellen Status.¹⁶⁰ Der Abschnitt über die Fahrenden Schülern sticht auch überlieferungsgeschichtlich heraus, bezieht er sich doh auf eine Passage, die nur in der Handschriftengruppe g überliefert ist. Diese ist zwischen 1440 und 1449, also weniger als zehn Jahre nach Abfassen des ältesten Textzeugen, entstanden und weicht hinsichtlich Aufbau und Inhalt grundsätzlich von den anderen Fassungen ab.¹⁶¹ Eine wichtige Veränderung ist die Integration von zwei Kapiteln über die Herolde und Fahrenden Schüler, die in gegenseitiger Relation stehen.¹⁶² Während die Reformatio in anderen Bereichen wie dem Almosengeben und der kritischen Haltung gegenüber Mönchen und Intellektuellen konventionelle Themen aufgreift, ¹⁶³ sind diese zwei Abschnitte neu. Das Kapitel über die Fahrenden Schüler bildet den Abschluss des Teils, welcher geistliche Reformen avisiert, während das korrelierende Heroldskapitel im Zusammenhang der weltlichen Reformen steht.¹⁶⁴ Beide werden durch die Beischrift Avisamentum herausgestellt. Das Heroldskapitel weist darauf hin, dass in der keyserlichen ordenunge stot, wie herren, fürsten, grafen, ritter, fryen, edel […], ob keiner unadelich dete oder unreht sich hielt, gestrafet sülle werden. ¹⁶⁵ Wie die Herolde dem-

 Vgl. Boockmann: Wirkungen, S. 540 f. Auch mit den ‚Kleinen‘, die im Text erwähnt werden sind keineswegs die ‚einfachen Leute‘ gemeint, sondern die kleineren Stände des Reiches. Vgl. Franz Irsigler: Die ‚Kleinen‘ in der sogenannten Reformatio Sigismundi. In: Saeculum 27 (1976), S. 248 – 255, hier S. 253 f.  Die Gruppe g umfasst vor allem die Handschrift P und die fragmentarische Handschrift G. Vgl. dazu Heinrich Koller: Untersuchungen zur Reformatio Sigismundi III. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 15 (1959), S. 137– 162, hier S. 143.  Vgl. Heinrich Koller: Untersuchungen zur Reformatio Sigismundi I. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 13 (1957), S. 482– 524, hier S. 484 und Untersuchungen zur Reformatio Sigismundi II. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 14 (1958), S. 418 – 468, hier S. 466.  Zum Almosen äußert sich die Reformatio so: wer das almusen geyt, der ein enphoet dye genade, dye darzü gesetzt und gegeben ist, wobei nur Pilger, die Bettelorden, Aussätzige, Behinderte und Inhaftierte als würdige Almosenempfänger ausgestellt werden. Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 350 und 222/224. Zur Situation des Mönchtums: Die Mönche sollen in yren clostern beslossen sein und nit zü der werlt wandeln; nü sein sy offen, sy bauen dye welt, sy besingen pfarkyrchen, sy reytten und geen zü der welt allenthalben, sy luedernn, sy spilen, was yr regel verbeut, daz halten sy nit (ebd., S. 188). Zur Situation an den Schulen: einerr schickt sein süne zü schüle und verleget in und verstudiret vil gelts und wirt graduirt; als pald er meyster wirt, so wirbet er umb ein thummherrnpfrunde; wirt sy im, so müß er der kyrchen auch haben, da ist kein begnüg […]. Sein kunst ist got und der werlt unnütz und neüsset wider got sein pfründe; er dienet got nit, er dienet der hoffart und dem ubermüt; das hort dem tewffell zü, des diener er ist (ebd., S. 136). Vgl. dazu auch Carl Pfaff: Klerus und Laien im Spiegel der Reformatio Sigismundi. In: Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp (Hg.): Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburg (Schweiz) 1999, S. 191– 208, hier S. 201.  Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 237– 239 und 255 – 257. Diese Zweiteilung ist auch im allgemeinen Aufbau und der Intention des Textes deutlich (S. 56): Der erst punckt ist, zu verkumen ketzerlichen glauben, als es an manchen steten auffstet, der es nit fürkeme. Der ander punckt, frid zü bestellen und zü machenn. Der dryt ein recht reformatz geystlichs und weltlichs stats.  Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 255.

10.4 Um 1430 in Basel – die Reformatio Sigismundi und der Oberrhein

461

nach als vom Kaiser installiertes und institutionalisiertes Korrektiv für den weltlichen Adel imaginiert werden, bezieht sich die Aufgabe der Fahrenden Schüler auf die Geistlichkeit: Ein herolt gegen dem weltlichen und ein varender schler gegen den geistlichen sich erlichen tragen süllent in glichem stadt, als sy wol geordent sint und nützn sint z blyben.¹⁶⁶

Der Text geht weiter davon aus, dass es sich bei den Fahrenden Schülern um eine Institution des Papstes Galasy handle. Dieser Papst, mit dem vielleicht Gelasius I. aus dem 5. Jh. gemeint ist,¹⁶⁷ habe schon vor langer Zeit einen eigenen ordo geschaffen und diesen mit spezifischen Aufgaben und Merkmalen versehen: Vor ziten was ǒch ein ordenung in dem geystlichem stand, das man wys gelert in den hohen künsten varn schler hat, denen wart ein orden gegeben in einem concily by bobstes Galasy ziten, das sie netz umb sich tragen solten, und die schler soltent n den geistlichen stat blmen mit herlichen gedihten und priesterliche ordenung verkünden mit schoͤ nen gedihten, der priester unordenunge stroffen und offenen in der mosß, das ein yegelicher bekante sin unreht und darumb worent sy gefryet, das inen kein bischof nützig z gebieten hat.¹⁶⁸

Die Fahrenden Schüler oder Vaganten (ein späterer Bearbeiter ergänzte am Rand de vagis)¹⁶⁹ werden also explizit als Satiriker herausgestellt, die in ihren Gedichten, die Ordnung loben und stabilisieren, die Unordnung aber kritisieren sollen. In ihren Handlungen seien sie von (kirchen‐)politischen Interessen unabhängig. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, fordert die Reformatio die Priester auf, den Fahrenden Schülern, auch wenn sie sich vor deren Kritik fürchteten, mit Geld und Lebensmitteln zu versorgen.¹⁷⁰ Weiter sei ihnen die libertas scholastica zu gewähren:

 Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 257. Vgl. dazu auch und Nils Bock: Die Herolde im römisch-deutschen Reich. Studie zur adligen Kommunikation im späten Mittelalter. Ostfildern 2015, S. 200 – 202.  Vgl. Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 236. Dessen Brief Ad Episcopos per Lucaniam (cap. 18) wird im Decretium Gratiani Dist. 36, c. 1 (um 1140) als Gewährsmann für die Forderung eines entsprechenden Bildungsniveaus bei Priestern zitiert: Illitteratos aut aliqua parte corporis imminutos, nullus presumat ad clerum promouere, quia litteris carens sacris non potest esse aptus offitiis, et uitiosum nichil Deo prorsus offerri legalia precepta sanxerunt; Übers. P. R.: ‚Analphabeten und körperlich Beeinträchtigte soll niemand in den Klerikerstand heben, weil sie ohne die Heilige Schrift nicht für den Dienst geeignet sind. Die Gesetze legen auch fest, dass ein Mensch voller Fehler Gott überhaupt nichts darbringt.‘  Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 237.  Diese lateinischen Marginalien finden sich in mehreren handschriftlichen Exemplaren und geben Anlass zu der Vermutung, dass es sich um konkretisierende Übersetzungen handelt, die den Rezeptionsgewohnheiten von Gelehrten entgegenkamen. Vgl. dazu Boockmann: Wirkungen, S. 538.  Man satzet inen oͮ ch in den hohen bystm gült, die sie uff ir zit do funden und sungen und lusen umb ir presentz, als das geordent was […] die geistlichen vorhten oͮ ch die schler, wan sie msten by ierem orden offenen der geistlichen unreht; man muͤ st oͮ ch inen essen und trincken geben, da durft nieman wyder sin und sy unklaghafft halten; Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 237.

462

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

Man sol semlich schler, die so wol gelert sint und die heilige geschrift erlüthen künnent, lossen bliben by allen yren friheyten, als unser vetter geordent hant, die wiszlich den glǒben und cristenliche ordenung besehen hatten¹⁷¹

Wenn sie sich dieser Freiheiten jedoch nicht als würdig erwiesen, sollten sie ihre Privilegien verlieren: wer ǒch, das kein schler ldrige spiel oder keins rehtigen inging und an sich neme, oder in die winhüser oder zu den legen inkerten, dennen sol man das netz abryssen und den orden nemen¹⁷²

Als äußeres Zeichen des Verlustes der Standesprivilegien aufgrund von Unzucht und Hedonismus soll ihnen das ‚Netz‘ heruntergerissen werden. Dieses vestimentäre Symbol, welches schon als rekurrentes, aber irritierendes Requisit in den Planetenkinderbüchern erschien, wird hier zu einer Standesauszeichnung auf‐ und umgewertet. In den späteren Bettelordnungen begegnet das Netz als Symbol wieder, nähert sich jedoch einer diskriminierenden Stigmatisierung an. Ob die Darstellung des Netzes auf eine Praxis der historischen Realität referiert, ist nicht zu klären, zumal die Reformatio Sigismundi auch an anderen Stellen historische Ereignisse mit literarischen Mustern überformt, z. B. beim „Heidendisput zu Basel“.¹⁷³ In der Figur des Fahrenden Schülers fallen hier also verschiedene traditionale Muster zusammen, deren Spuren in den vorgängigen Kapiteln untersucht wurden: die Vaganten‐ oder Goliardendichter als satirische Kritiker der geistlichen Elite, die libertas scholastica und die Scholarenprivilegien, die Schüler/Studenten als besonderer Gesellschaftsstand und das Netz als ihr Attribut. Die Reformatio Sigismundi und die Planetenkinderbücher gehören abgesehen von einzelnen schwankhaften Texten weiter zu den ersten Belegen, in denen der Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘ greifbar wird. Auch wenn dieser noch nicht mit dem Bettlerwesen konnotiert ist, ist es doch kein Zufall, dass die Texttradition der Planetenkinderbücher, die Reformatio Sigismundi und die Texttradition der Bettelordnungen in Basel (oder zumindest im Südwesten des deutschen Sprachgebiets) ihren Ursprung haben. Der erste Beleg für den ‚Vagierer‘ in der lateinischen Nota de fictis mendicis ist sogar in einem Codex (Zürich Ms. C 101) mit dem „Basler Planetenkindergedicht“ überliefert. Auch die erste ständesatirische Nennung der Gruppe der ‚Fahrenden Schüler‘ in Des Teufels Netz verweist auf das Basler Konzil von 1433 – 36.¹⁷⁴ Ohne eine strenge Kausalverbindung zwischen dem historischen Ereignis und der Entwicklung eines literarischen Musters konstruieren zu wollen, springt diese Übereinstimmung doch ins Auge. Dabei ist auch das Potential des südwestdeutschen Raumes im 15. Jahrhundert als prosperierende Region mit großer Strahlkraft anzu Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 237.  Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 237/239.  Koller: Reformation Kaiser Sigismunds, S. 86 – 91. Vgl. dazu Koller: Untersuchungen III, S. 140 f.  Vgl. Franz-Josef Schweitzer: Das Lehrgedicht ‚Des Teufels Netz‘ und die Konzilien von Konstanz und Basel. In: Christoph Flüeler und Martin Rohde (Hg.): Laster im Mittelalter. Berlin 2009, S. 125 – 137.

10.4 Um 1430 in Basel – die Reformatio Sigismundi und der Oberrhein

463

führen, die laut Schwinges zusammen mit dem Niederrhein als „Innovationsraum“ zu den gelehrten „Führungslandschaften des Alten Reiches“ zählt.¹⁷⁵ Dazu kommt, dass der Oberrhein als wichtige Wirtschaftszone und Transitraum zwischen Frankreich, Italien und dem Reich gilt, was intensiven Kulturkontakt implizierte.¹⁷⁶ Doch nicht nur nach außen, sondern auch innerhalb der oberrheinischen Städte bestanden intensive Kontakte und Bündnisse, vor allem zwischen den Städten Straßburg, Basel, Colmar und Hagenau.¹⁷⁷ Auch dass die Papierproduktion im Südwesten – vor allem in Basel – ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts florierte und damit eines der ersten Papiermühlenreviere nördlich der Alpen ausbildete, gibt einen Hinweis für die diskursprägende Stellung der Region.¹⁷⁸ Im Falle Basels kommt noch die überaus ausgeprägte Bettler-Subkultur dazu, die sich auf den Basler Kohlenberg konzentrierte, der seit Sebastian Brant „als Brennpunkt literarischer Fiktionen, politischer ‚Aufklärung‘ über Bettelbetrug und obrigkeitliche Disziplinierungsversuche“¹⁷⁹ galt. Das Interesse am ‚Kohlenbergvölkchen‘ – einer heterogenen Gruppe vom gesellschaftlich akzeptierten Armen vom Hand Rainer Christoph Schwinges: Repertorium Academicum Germanicum. Ein Who’s Who der graduierten Gelehrten des Alten Reiches (1250 – 1550). In: Peter Moraw (Hg.): Gesammelte Beiträge zur deutschen und europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen, Personen, Entwicklungen. Leiden, Boston 2008, S. 577– 602, hier S. 589 f. und Rainer Christoph Schwinges: Innovationsräume und Universitäten in der älteren deutschen Vormoderne. In: Rainer Christoph Schwinges, Paul Messerli u. a. (Hg.): Innovationsräume.Woher das Neue kommt – in Vergangenheit und Gegenwart. Zürich 2001, S. 31– 45. Dieser Meinung entspricht auch die Aufteilung Peter Moraws in ein älteres und ein jüngeres Europa, deren Westgrenze im Rheinland liege. Vgl. Peter Moraw: Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch. In: Uwe Bestmann, Franz Irsigler und Jürgen Schneider (Hg.): Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Band 2. Trier 1987, S. 583 – 622 und Moraw Der Lebensweg der Studenten, S. 225 f. Um 1500 scheinen Nieder- und Oberrhein jedoch seine Vormachtstellung zugunsten der nord- und ostdeutschen Universitäten (v. a. Leipzig) abzugeben, was an der Entwicklung der Studentenzahlen abzulesen ist. Vgl. Robert Gramsch: Zwischen „Überfüllungskrise“ und neuen Bildungsinhalten: Universitätsbesuch und universitärer Strukturwandel in Deutschland am Ende des Mittelalters (ca. 1470 bis 1530). In: Armin Kohnle, Uwe Schirmer und Werner Greiling (Hg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470 – 1620. Köln 2015, S. 55 – 80, hier S. 69.  Vgl. Franz Irsigler: Jahrmärkte und Messen im oberrheinischen Raum vom 14. bis 16. Jahrhundert. In: Konrad Krimm (Hg.): Zwischen Habsburg und Burgund. Der Oberrhein als europäische Landschaft im 15. Jahrhundert. Ostfildern 2003, S. 229 – 254, hier S. 233 und Franz Ehrensperger: Basels Stellung im internationalen Handelsverkehr des Spätmittelalters. Diss. Basel 1972. Kritisch zum Begriff der „Wirtschaftslandschaft“ aber in den grundlegenden Annahmen übereinstimmend positioniert sich Tom Scott: Der Oberrhein als Wirtschaftsregion in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Grundsatzfragen zur Begrifflichkeit und Quellenüberlieferung. In: Peter Kurmann und Thomas Zotz (Hg.): Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter. Ostfildern 2008, 91– 112.  Vgl. Sigrid Schmitt: Städtische Gesellschaft und zwischen städtische Kommunikation am Oberrhein. Netzwerke und Institutionen. In: Peter Kurmann und Thomas Zotz (Hg.): Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter. Ostfildern 2008, S. 275 – 306, v. a. S. 304– 306.  Vgl. Sandra Schultz: Papierherstellung im deutschen Südwesten. Ein neues Gewerbe im späten Mittelalter. Berlin, Boston, München 2018, S. 171– 223.  Simon-Muscheid: Dinge, S. 214. Vgl. dazu ferner Kapitel 5.1.3.

464

10 Lotterpfaffen und varend schler – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche (IV)

werker bis zum bettelnden Hausierer – entzündete sich vornehmlich an der Besonderheit, dass dieses ein eigenes Bettlergericht bekam und externen Bettlern das Recht zugesprochen wurde für drei Tage in der Stadt zu betteln, wogegen die Basler Obrigkeit freilich immer wieder (weitgehend erfolglos) opponierte.¹⁸⁰ Damit entwickelte sich in der allgemeinen Wahrnehmung mit dem Kohlenberg „in der internationalen Welt der Randständigen ein bekannter Treffpunkt, der in den Reiserouten der landfahrenden Bettler seinen festen Platz hatte und dessen soziales Netzwerk Einheimischen und Fremden Unterschlupf bot.“¹⁸¹ Durch die literarische Stilisierung wurde der Mythos vom Kohlenberg als „‚Hochburg‘ des Bettelbetrugs“ perfekt.¹⁸² Cum grano salis kann man also konstatieren: Der Ausdruck und die Vorstellung vom ‚Fahrenden Schüler‘ als betrügerischem Bettler hat sich auf Grundlage verschiedener Faktoren am Oberrhein oder konkreter in Basel in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts formiert. In dieser Region wurde demnach ein literarisches Muster verfestigt und multipliziert, wie es die schwankhafte hochdeutsche Literatur bereits vereinzelt ab der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts artikulierte.

 Vgl. Simon-Muscheid: Dinge, S. 215 – 217.  Simon-Muscheid: Dinge, S. 218.  Simon-Muscheid: Dinge, S. 218. Dadurch unterscheidet er sich auch von anderen Orten, an denen – teilweise aufgrund obrigkeitlicher Bestimmungen – eine hohe räumliche Konzentration ‚Randständiger‘ nachzuweisen ist, wie am Perlachberg in Augsburg, der Kratz in Zürich oder der Gilergasse in Trier. Vgl. Simon-Muscheid: Dinge, S. 217 (Anm. 29).

11 Zwischenfazit und Verbindung mit dem Zweiten Teil Der Fahrende Schüler als Unterkategorie gelehrter Bettler und Gauner findet sich in der Eindeutigkeit wie in der frühneuzeitlichen Gaunerliteratur kaum. Jedoch sind Spuren zu entdecken, an denen auch das gesellschaftliche Imaginäre des 16. Jahrhunderts Anteil hat. Ab dem 13. Jahrhundert etabliert sich zuerst in lateinischen, bald aber auch in deutschsprachigen (meist gelehrten) Texten die Vorstellung, dass der Lernende nicht nur eine Lebensphase (status aetatis) markiert, sondern als eigener Stand (status ordinis) mit spezifischen Eigenschaften wahrzunehmen ist. Dieser Prozess, der mitunter auf der Säkularisierung von Gelehrsamkeit und theoretischem Wissen beruht, verstärkt die Möglichkeiten einer sprachlichen Verallgemeinerung und sichert den Schülern eine Position in (oft predigtähnlichen) Ständesatiren. Bei der ‚ständischen‘ Ausdifferenzierung bedingt das Fehlen autoritativer Muster in der Gruppe ein hoch intrikates Standesbewusstsein: Die Schüler sitzen ‚zwischen den Stühlen‘ des Laien und des Klerikers. Das generierte Stereotyp tendiert zur gesellschaftlichen Diskriminierung. Denn einerseits ist Schülern und Studenten eine genuine Mobilität inhärent, andererseits wird Mobilität vom monastischen Gebot einer stabilitas loci ausgehend als Laster verfemt, zumal von Personen im Rechtskreis der Kirche. Dieses Spannungsfeld wird durch abweichende Interessen, z. B. aus politischem Kalkül oder zur Selbstnobilitierung, noch komplexer. Insgesamt aber überwiegen pejorisierende Tendenzen. Ausschließlich negativ wird schließlich ziellose Mobilität von Schülern bewertet, wobei unter dem ‚Vagieren‘ weniger ein Verhalten wie ein Fahrender, sondern mehr ein temporärer – z.T. auch nur geistiger – Ausbruch aus konventionellem Verhalten verstanden wurde. Diese ‚ordentlichen‘ clerici haben zwar auch ihre Fehler, jedoch ebenso die Möglichkeit zur Besserung. Die Zuschreibungen von Verstellung (simulatio) und räumlicher sowie geistiger Instabilität (vagatio corporis et mentis) verdichten sich in einer gesonderten Gruppe, die als eine ‚Figur des Dritten‘ an den Rand der gelehrten oder klerikalen Gesellschaft gedrängt wird und so ein Gegenbild kontruiert. Diese ‚andere‘ Gruppe wird teils als (scholares) vagi oder als lotterpfaffen bezeichnet, wobei es semantische Überschneidungen zu den Schauspielern und Gauklern des ‚Fahrenden Volkes‘ gibt. Einzelne Merkmale decken sich dabei dezidiert mit denen, die im Bettlerdiskurs um 1500 allgemein präsent sind und in der Bettlerkategorie des ‚Vagierers‘ oder ‚Fahrenden Schülers‘ kulminieren. In der erzählenden Literatur wiederholt sich diese Doppelung eines zielgerichteten migrare und eines ziellosen vagari. Entgegen der Vermutung, man könnte Schülerfiguren so ohne weitere Motivation in die Erzählung einführen, wiederholen sich vor allem in der mittelhochdeutschen Kleinepik umfangreiche erklärende Prologe. Im Gegensatz zu französischen und lateinischen Versionen sind die Schülerfiguren hier Teil des wohlhabenden Bürgertums. Erst ab dem Ende des 14. Jahrhunderts begegnen in diesem Textfeld arme Schülerfiguren, die dezidiert als Fahrende Schüler https://doi.org/10.1515/9783110708349-012

466

11 Zwischenfazit und Verbindung mit dem Zweiten Teil

ausgewiesen werden und deren Auftritt auch nicht eigens eingeführt werden muss. Begriff und Vorstellung des Fahrenden Schülers werden also erst dann Teil des kulturellen Codes und können als traditionales Muster fungieren. Schon ab den ersten Erwähnungen (z. B. De vita vagorum) weisen die Fahrenden Schüler Konnotationen mit dem ‚Fahrenden Volk‘ (analog zum lotterpfaffen) und mit Magie auf. Diesen Eigenschaften und Fertigkeiten wird textimmanent explizites Interesse entgegengebracht (z. B. in den Schwänken Kaufringers und Rosenplüts) und sie werden dezidiert positiv (Reformatio Sigismundi) oder zumindest neutral (Planetenkinderbücher) bewertet. Definitiv dient die Bezeichnung noch nicht der Praxis gesellschaftlicher Ausgrenzung.¹ Einzig die parodistischen Reimpaarreden De vita vagorum und Der Boiffen Orden scheinen einer ähnlichen Textpragmatik zu folgen wie das ‚Gaunerbüchlein‘ Liber Vagatorum – wenn auch durch die unterschiedliche Fokalisierung und narrative Situation mit anderem Schwerpunkt. Die Intention von invektiver Schmähung und ausgrenzender Abwertung des Adressaten ist den semantisch verwandten Bezeichnungen lotterpfaffe und gyrovagus jedoch genuin inhärent. Bezeichnenderweise impliziert hier der semantische und etymologische Kern ein klerikales oder monastisches Fehlverhalten, v. a. eine Missachtung der stabilitas loci. Sieht man Traditionen nun als lokale diachrone Übergabehandlungen, dann muss man auch die regionale oder personale Verortung der Spuren in einem Kommunikationsraum in den Blick nehmen. Diese verweist einerseits auf den Südosten des deutschsprachigen Raums (Franken, und östliches Schwaben), wo die schwankhaften Texte aufgezeichnet wurden, andererseits kommen die weit wirkmächtigeren Erwähnungen in der Reformatio Sigismundi und dem „Basler Planetenkindergedicht“ aus dem Südwesten und stehen demnach räumlich und zeitlich nahe an der Entstehung der Bettlerkataloge (in Straßburg und Basel). Es ist also anzunehmen, dass sich diese Texte aufeinander beziehen oder zumindest zeitgleich aus bestehenden regionalen Mustern und Codes bedienen. Mit dem Übergang ins Druckzeitalter werden nun einzelne Muster dominant und deren Reichweite und Durchsetzungskraft deutlich erhöht, was die traditionale Referenz deutlich erleichtert.

 Vgl. Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 329.

Vierter Teil (nach 1500) – ein Ausblick

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert Der Liber Vagatorum von 1509/1510 konstituiert einen narrativen Code zum Sprechen über den Fahrenden Schüler als ‚Vagierer‘ im Rahmen der Veränderung im Armutsdiskurs und der gesellschaftlichen Ausgrenzung Bedürftiger (‚starke Bettler‘).¹ Zugleich behandeln wiederkehrende Muster in der schwankhaften Literatur des späteren Mittelalters (14. und 15. Jh.) Fahrende Schüler.² Es ist davon auszugehen, dass (neben nicht greifbaren oralen Überlieferungen) gerade diese schwankhaften Repräsentationen auf die Faktur der Bettlerkataloge und damit auch auf den Liber Vagatorum einwirkten, der seine Popularität vor allem der Aufnahme (literarischer) ‚Kriminalgeschichten‘ verdankte.³ Im Folgenden ist deshalb zu erörtern, inwiefern neben oder abhängig vom Liber Vagatorum andere literarische (meist schwankhafte) Texte das traditionale Muster vom Fahrenden Schüler umsetzen. Aufgrund der Diversifizierung und Pluralisierung des vorliegenden Materials in der Frühen Neuzeit – gerade auch im akademischen und schulischen Bereich – ist Vollständigkeit nicht angestrebt. Vielmehr konzentriere ich mich auf die literarische Umsetzung präsenter Motive (z. B. Bauernbetrüger,Venusberg oder gelbes Netz) und Erzähltypen (z. B. ‚Der Schwank von der verstellten Wiege‘) sowie auf das konkrete Lexem ‚Fahrender Schüler‘.

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen Im (lateinsprachigen) Humanismus gilt die Sammlung pointierter Witze (facetiae) als „Prestigegattung“⁴ und fundiert eine spezifische intellektuelle Konversationskultur, an der durch Übertragung und Adaptation in der Volkssprache sowohl Bürgertum als auch Adel partizipieren.⁵ Die Schwanksammlungen⁶ bieten sich „als Geschichten-

 Vgl. Kapitel 5.  Vgl. Kapitel 10.  Vgl. Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 174 f. und 290 f.  Wilfried Barner: Über die Witzfähigkeit des Deutschen. Heinrich Bebels lateinischer Import aus Italien. In: Ulrike-Christine Sander und Fritz Paul (Hg.): Muster und Funktionen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung. Beiträge zur internationalen Geschichte der sprachlichen und literarischen Emanzipation. Göttingen 2000, S. 303 – 318, hier S. 306.  Zur Diskussion zum ‚Sitz im Leben‘ vgl.Werner Röcke: Aggression und Disziplin. Gebrauchsformen des Schwanks in deutschen Erzählsammlungen des 16. Jahrhunderts. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993, S. 106– 129, Gerd Dicke: Fazetieren. Ein Konversationstyp der italienischen Renaissance und seine deutsche Rezeption im 15. und 16. Jahrhundert. In: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali und René Wetzel (Hg.): Literatur und Wandmalerei: II: Konventionalität und Konversation. Tübingen 2005, S. 155 – 188 und die Beiträge von Rüdiger Schnell: Zur Konversationskultur in Italien und Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. Mehttps://doi.org/10.1515/9783110708349-013

470

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

vorrat zum Wiedergebrauch in geselligem Erzählaustausch“⁷ an. Ob es sich bei diesen Rezeptionsangeboten aber um eine Situierung hinsichtlich eines ‚Sitzes im Leben‘ oder um rhetorische Topik handelt, die von einer Gattungstradition abhängt, ist aufgrund fehlender außerliterarischer Zeugnisse nicht abschließend zu ermitteln.⁸ Es steht jedoch fest, dass die einzelnen Schwanksammlungen auch schriftlich tradiert wurden und so eine literarische Reihe bilden, die auf Poggio Bracciolinis Liber facetiarum (Erstdruck 1470) zurückgeht.⁹ Für einzelne Erzählmuster scheint die schriftliche Tradierung in Sammlungen sogar die primäre Überlieferungsform zu sein. Für den deutschen Sprachraum gilt Heinrich Bebel „als derjenige neulateinische Schriftsteller, der die literarische Form der Fazetie im deutschen Humanismus erstmals mit nachhaltigem Erfolg handhabt und dabei zugleich eine geglückte literarisch-kulturelle Adaptation durch die Übertragung der italienischen Renaissance-Fazetie in ein

thodologische Überlegungen. In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 313 – 385. Für eine etymologische Reflexion vgl. Seraina Plotke: Conversatio/Konversation. Eine Wort- und Begriffsgeschichte. In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 31– 120.  Zu den humanistischen Fazetiensammlungen vgl. Johannes Klaus Kipf: Cluoge Geschichten. Humanistische Fazetienliteratur im deutschen Sprachraum. Stuttgart 2010, S. 19 – 47, zum Schwank vgl. grundlegend Bausinger: Bemerkungen und Kurt Ranke: Schwank und Witz als Schwundstufe. In: Helmut Doelker (Hg.): Festschrift für Will-Erich Peuckert. Berlin 1955, S. 41– 59. Eine aktuellere Definition bietet Johannes Klaus Kipf: Auf dem Weg zum Schwankbuch. Die Bedeutung Frankfurter Drucker und Verleger für die Ausbildung eines Buchtyps im 16. Jahrhundert. In: Robert Seidel und Regina Toepfer (Hg.): Frankfurt im Schnittpunkt der Diskurse. Strategien und Institutionen literarischer Kommunikation im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2010, S. 195 – 220, hier S. 200: „Unter einem Schwank verstehe ich eine kurze Erzählung von wenigen Sätzen Umfang ohne Rahmen- oder Nebenhandlungen, deren narrativer Kern in einer Pointe besteht, d. h. in einer durch einen plötzlich erkannten Zusammenhang zweier semantisch inkongruenter Konzepte erzeugten komischen Wendung.“  Dicke: Fazetieren, S. 171.  Vgl. zu den beiden Positionen Röcke: Aggression, S. 120 f. und Dicke: Fazetieren, S. 171 (v. a. Anm. 62). Auch hinsichtlich der konstitutiven Unterschiede und der Valorisierung von lateinischen und volkssprachigen Sammlungen sowie der Texte aus einer adligen und einer gelehrten Trägerschicht werden unterschiedliche Standpunkte vertreten. So heißt es bei Gerhard Wolf: Von der Chronik zum Weltbuch. Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters. Berlin 2002, S. 432 f.: „In der Adelsgesellschaft des 16. Jahrhunderts galt der Satz, daß ein Fest nur dann gelungen ist, wenn es etwas zu lachen gibt. Der Anpassungsdruck, der von einem solchen ‚Fröhlichkeitszwang‘ ausgeht, ist groß“ Dieses Lachen aber beziehe sich eher auf derbe Possen und sei grundsätzlich vom humanistischen Wortwitz zu unterscheiden, was von den Möglichkeiten von Sprache, Medium und gender abhängig sei. Vgl. Rüdiger Schnell: Zur Geselligkeitskultur des männlichen Adels in Deutschland. Das Fallbeispiel Zimmerische Chronik (ca. 1552– 66). In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 441– 471, hier S. 445 – 462 und ähnlich Dicke: Fazetieren, S. 184– 188.  Vgl. Kipf: Cluoge Geschichten, S. 14– 34 und S. 81– 98. Zum großen Erfolg der Facetiae in Deutschland, wo sie bereits 1472 nachgedruckt wurden, aber auch schon früher handschriftlich zirkulierten, vgl. Kipf: Cluoge Geschichten, S. 99 – 154.

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

471

oberdeutsches Milieu geleistet hat.“¹⁰ Auch wenn Konrad Vollert zwanghaft die Eigenständigkeit Bebels herauszustellen versucht,¹¹ ist doch eine motiv- und stoffgeschichtliche Abhängigkeit von vorgängigen Mustern (aus Poggio und anderen Quellen) evident.¹² Neben dieser Dominanz im Humanismus legen die volksprachigen Kompilationen Zeugnis für die Entstehung einer „bedeutenden Schwankkultur der frühen Neuzeit“ ab,¹³ die von Johannes Paulis Sammlung Schimpf und Ernst (Erstdruck 1522 und 1555 in der 25. Auflage)¹⁴ und Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein (1555)¹⁵ ausgeht. Gerade auf Wickram beziehen sich zahlreiche Schwanksammlungen in ihren Vorreden und schließen an dessen Rezeptionsanleitung an; dass es sich nämlich um leichte Lektüre für die Reise (im Rollwagen), in Gesellschaften oder Mußestunden handle. Das zeigen die Titel späterer Kompilationen des 16. Jahrhunderts: Jakob Freys Gartengesellschaft (1557), Michael Lindeners Rastbüchlein (1558), Martin Montanus’ Ander Theil der Gartengesellschaft (um 1560) und Wegkürtzer (1557) oder Valentin Schumanns Nachtbüchlein (1559). In den programmatischen Vorreden spiegelt sich ein affirmatives Traditionsverhalten.¹⁶ Dieses verweist auf diskursprägende ‚Klassiker‘ und Archegeten des

 Kipf: Cluoge Geschichten, S. 224, vgl. dazu auch Barner: Über die Witzfähigkeit des Deutschen, S. 311 f. und Dieter Mertens: [Art.] Heinrich Bebel. In: HumVL 1, Sp. 142– 163, hier Sp. 159: „Von prompter und langdauernder Wirkung begründen sie [die Facetiae] B[ebel]s literarischen Ruhm“.  Konrad Vollert: Zur Geschichte der lateinischen Facetiensammlungen des XV. und XVI. Jahrhunderts. Berlin 1912, S. 64: „Stofflich allerdings ist er von Poggio – wie auch von anderen schriftlichen Quellen – unabhängig.“  Vgl. zu detaillierten motivgeschichtlichen Studien zu Vorbildern und Quellen: Heinrich Bebels Schwänke. Zum ersten Male in vollständiger Übertragung, hg. von Albert Wesselski. München, Leipzig 1907, Bd. 1, S. 117– 232, Bd. 2, S. 99 – 181 und Kipf: Cluoge Geschichten, S. 245 – 266.  Jürgen Hein: Der Schwank. In: Otto Knörrich (Hg.): Formen der Literatur in Einzeldarstellungen. Stuttgart 21991, S. 360 – 367, hier S. 364.  Nach 1555 nahm die Popularität des Buches sogar noch zu. Insgesamt sind mindestens 48 Auflagen im 16. Jahrhundert zu verzeichnen, mit zum Teil massiven Eingriffen, Erweiterungen und Umstellungen des Originals. Dazu kommen Übersetzungen ins Lateinische, Niederländische, Französische und Dänische. Vgl. Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Zweiter Teil: Paulis Fortsetzer und Übersetzer, Erläuterungen, hg. von Johannes Bolte. Berlin 1924, S. 141– 153 und Dieter Kartschoke: Vom erzeugten zum erzählten Lachen. Die Auflösung der Pointenstruktur in Jörg Wickrams ‚Rollwagenbüchlein‘. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993, S. 71– 105, hier S. 71 f.  Auch Wickram erreicht 14 Nachdrucke.Vgl. Georg Wickram: Das Rollwagenbüchlein, hg. von HansGert Roloff. Berlin, New York 1973, S. 316 – 327.  Zu den Schwankbüchern als Buchtyp und literarische Reihe vgl. Klaus Kipf: Das Schwankbuch als frühneuzeitlicher Buchtyp. Dargestellt am Beispiel von Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein (1555). In: Bernhard Jahn, Dirk Rose und Thorsten Unger (Hg.): Ordentliche Unordnung. Metamorphosen des Schwanks vom Mittelalter bis zur Moderne. Heidelberg 2014, S. 79 – 92. Zu den Paratexten vgl. Bärbel Schwitzgebel: Noch nicht genug der Vorrede. Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1996, S. 124, vgl. auch Dicke: Fazetieren, S. 170 f. Dicke geht davon aus, dass es sich bei diesen Verweisen nur um Topik und literarisches Spiel handle, da es keine Hinweise auf von den Schwanksammlungen abgeleitete Praktiken gebe.

472

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Genres, z. B. Poggios Liber Facetiarum oder Boccaccios Decamerone (v. a. Buch VI), aber auch auf die wichtigsten Vertreter im deutschsprachigen Raum (Bebel, Wickram) oder generell auf vorgängige Texte.¹⁷ Es verwundert demnach nicht, dass immer wieder Stoffe und Muster von den autoritativen Vorbildern entlehnt wurden. Die Vorreden und paratextuellen Hinweise beschreiben diese kompilatorische Tätigkeit jedoch nicht als Defizit, sondern verstehen das „Sammeln, Zusammentragen, Bereitstellen von Literatur […] als eigene, verdienstvolle Leistung“,¹⁸ für die Fleiß und Disziplin nötig seien. So beschreibt Johannes Pauli in seinem Vorwort zu Schimpf und Ernst das Vorgehen als das Auflesen von Krümeln zur Rekonstruktion eines verlorenen Ganzen: Johannes Pauli […] hat dise exempel zusamen gelesen usz allen büchern, wa er es funden hat .dc.lxxx. hystorien und parabulen zu beiden hendlen, geistlich und weltlich dienende. Und uff das, das wort des heiligen Ewangely erfült werd, lesen die brösamlin zusamen, das sie nit verloren werden.¹⁹

Während der Franzsikanermönch aber noch stärker in der Tradition von Sammlungen deutscher Prosaexempla steht, die ab dem 13. Jahrhundert aufkommen und auf einen Gebrauch als ‚Predigtmärlein‘ abzielen,²⁰ hebt Wickram das innovative Potential seines Buches hervor, wenn er sagt, dass er „[e]in neüws/ vor vnerhoͤ rts Buͤ chlein“ präsentieren werde.²¹ Diese ‚Unerhörtheit‘ gründet sich nur zum Teil auf neuen Stoffen, sondern vielmehr in der neuen Gestaltung, die als ein Wandel vom „erzeugten zum erzählten Lachen“²² beschrieben wurde. Im Rollwagenbüchlein findet man also „durchaus einen (zumindest in der Volkssprache) neuen Buchtyp“, der aber „nicht als ‚creatio ex nihilo‘, sondern in Anknüpfung und Anlehnung an bestehende Muster“²³ erfolgte. Eine enzyklopädische Ausweitung des Buchtyps erreicht Hans Wilhelm Kirchhof in seiner Sammlung Wendunmuth, deren Erstdruck von 1563 er in den Jahren 1602/ 1603 um sechs weitere Bände zu einem „Kompendium der unterhaltenden Kurzerzählungen des 16. Jahrhunderts“²⁴ erweiterte. Neben dem enzyklopädischen An-

 Vgl. dazu Schwitzgebel: Vorrede, S. 125 – 129.  Schwitzgebel: Vorrede, S. 126. Vgl. allgemein S. 125 – 127. Dazu auch Frieder von Ammon und Michael Waltenberger: Wimmeln und Wuchern. Pluralisierungs-Phänomene in Johannes Paulis Schimpf und Ernst und Valentin Schumanns Nachtbüchlein. In: Jan-Dirk Müller, Wulf Oesterreicher und Friedrich Vollhardt (Hg.): Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit. Berlin 2010, S. 273 – 301, hier S. 276 f.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst, hg. von Hermann Österley. Stuttgart 1866, S. 13.  Vgl. Monika Studer: Exempla im Kontext. Studien zu deutschen Prosaexempla des Spätmittelalters und zu einer Handschrift der Straßburger Reuerinnen. Berlin 2013, S. 123 – 208.  Wickram: Rollwagenbüchlein, hg. von Roloff, S. 1.  Vgl. Kartschoke: Pointenstruktur, S. 104 f.  Kipf: Auf dem Weg zum Schwankbuch, S. 220.  Kipf: Frühneuzeitlicher Buchtyp, S. 85 (Anm. 28) mit Bezug auf Schwitzgebel: Vorrede, S. 126. Vgl. dazu Hans Wilhelm Kirchhof: Kleine Schriften. Kritische Ausgabe. Mit einer Bibliographie der „Wendunmuth“-Drucke, hg. von Bodo Gotzkowsky. Stuttgart 1981, S. 245 – 265.

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

473

spruch führt Kirchhof die Schwanksammlungen zu einem vorläufigen Endpunkt,²⁵ steigert aber auch den didaktischen Geltungsanspruch durch eine moralisierende Deutung der Texte, eine Einschränkung skatologischer und sexueller Lizenzen der Vorlagen und einer Priorisierung der Deutung zeitgeschichtlicher Ereignisse gegenüber den literarischen Traditionen.²⁶ Insgesamt sind zwar Unterschiede zwischen der volkssprachigen und der lateinischen Tradition schwankhaften Erzählens festzustellen, die weitgehend parallel verlaufen, jedoch kommt es auch zu wechselseitigen Rezeptionen und Adaptationen von Erzähltypen und Mustern, sodass eine Beschränkung auf eine der beiden Literaturen den Blick auf zentrale Interaktionsprozesse verstellen würde. Das zeigt sich bereits bei den frühen deutschen Vertretern der Facetien‐/Schwanksammlungen, die in spezifischen Erzähltypen auch von Fahrenden Schülern handeln. Im Folgenden zeichne ich punktuelle Rezeptionszusammenhänge ausgehend von den in Deutschland ältesten und populärsten Vertretern der lateinischen Fazetien (Heinrich Bebel) und deutschen Schwanksammlungen (Johannes Pauli) nach.

Die Facetiae Heinrich Bebels (1508 – 1512) und der Erzähltyp ‚Von den sieben Künsten und der einen Kunst‘ Heinrich Bebel ist der wichtigste Vertreter humanistischer Fazetiendichtung in Deutschland und zugleich ein wichtiges Bindeglied zwischen den policeylichen Texten des Bettlerdiskurses und schwankhaft-satirischer Epik. Sein allegorisches Epos Triumphus Veneris, in dem ein ‚Orden der Vaganten und Kammesierer‘ im Gefolge der Venus auftritt, wurde hier bereits behandelt.²⁷ Doch auch in seinem populärsten Werk, den Facetiarum libri tres (1508 – 1512),²⁸ kommen Fahrende Schüler vor, besonders in fac. I, 6: Dictum facetum contra quendam vagantem. Die Fazetie zerfällt in drei Teile. Vor der eigentlichen fazeten Erzählung steht eine Vorrede: Sunt quidam scholastici, qui cum nullius bonae frugis sint neque operis nec studeant nec laborare velint, vagantur hincinde mendicando variisque artibus et illusionibus atque praestigiis simplices rusticos circumveniunt dicentes: se fuisse in monte Veneris (nescio quem mentientes),

 Vgl. Christian Meierhofer: Alles neu unter der Sonne. Das Sammelschrifttum der Frühen Neuzeit und die Entstehung der Nachricht. Würzburg 2010, S. 59.  Vgl. zu diesen Tendenzen Röcke: Aggression und Michael Waltenberger: [Art.] Hans Wilhelm Kirchhof. In: VL16, 3, Sp. 539 – 547, hier v. a. Sp. 541.  Vgl. Kapitel 5.2.  Grundsätzliches zu Entstehung, Datierung, Aufbau und Rezeption vgl. Kipf: Cluoge Geschichten, S. 224– 294. Als Textgrundlage dient die noch immer einzige historisch-kritische Ausgabe Heinrich Bebel: Facetien. Drei Bücher, hg. von Gustav Bebermeyer. Leipzig 1931. In den Übersetzungen folge ich der zweisprachigen Leseausgabe Heinrich Bebel: Fazetien. Drei Bücher, hg. und übers. von Manfred Fuhrmann Konstanz 2005 (Übers. im Folgenden als M. F.).

474

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

ubi omnem magiam didicerint, pollicenturque mirabilia, de quibus multa in ‚Triumpho Veneris‘ scripsi.²⁹

Es ist bezeichnend, dass sich Heinrich Bebel gezwungen sieht, das Phänomen des Fahrenden Schülers genauer zu definieren und sich dabei derselben Beschreibungselemente wie im Liber Vagatorum, der zeitgleich erschienen ist, bedient. Auch der explizite Verweis auf den Triumphus Veneris zeigt das Bedürfnis Bebels sich in seiner Darstellungen abzusichern.³⁰ Diesen Verweis auf sein allegorisches Epos wiederholt er in fac. III, 97, in der er ohne erkennbare Pointe über betrügerische Bettler spottet und sich eindeutig in den Bettlerdiskurs um 1500 eingliedert.³¹ Die folgende Schwankhandlung in fac I, 6 wird mit einigen Authentizitätssignalen versehen: Ex illorum numero unus olim ad [consanguineum meum] plaustrarium Iustingensem (hoc est plaustrorum confectorem) venerat, qui ab illis plus quam semel erat delusus et deceptus, petens ab eo eleemosynam nomine magistri septem artium liberalium et illius, qui in monte Veneris aliquando fuisset, quos vulgus vagantes scholasticos appellat.³²

Ein Verwandter Bebels aus seinem eigenen Heimatort also habe dies selbst erlebt und trete als Figur in der Erzählung auf. Da der folgende Erzähltyp früher nicht nachgewiesen ist, muss es offenbleiben, ob die Fazetie von Bebel erfunden wurde, auf einem faktualen Kern oder einer unbekannten Quelle basiert. Eine Anreicherung vorgefun-

 Bebel: Facetien, S. 6; Übers. von M. F, S. 15.: „Es gibt Scholaren, die, da sie nichts taugen und wert sind, nicht studieren und auch nicht arbeiten wollen, bald hier, bald dort bettelnd herumziehen und mit verschiedenen Künsten,Vorspiegelungen und Tricks die einfältigen Bauern hereinlegen, indem sie mit irgendeinem erfundenen Hinweis behauptem, sie seien im Venusberg gewesen; dort hätten sie jede Art von Magie erlernt. Und sie versprechen wunderbare Dinge, worüber ich mancherlei im ‚Triumph der Venus‘ berichtet habe.“  Zum Verhältnis von Liber Vagatorum und Heinrich Bebels Werk und zur Zirkulation in humanistischen Kreisen vgl. Kapitel 5.2.  Er führt allerlei generalisierende und stereotype Gründe an, er sei nämlich empört (rerum indignitate motus) wegen Niedertracht, Täuschung und Missbrauch von Almosen (per omnem iniquitatem et perversitatem hominum simplicium abuti liberalitate et commiseratione) und, da sie ihren zahlreichen Nachwuchs wieder zu bettelnden Gaunern machten (quod illi mendici suos liberos, qui illis contigunt plus ceteris mortabilibus numerosi, curant facere non nisi mendicos, ita ut mendicus semper mendicum progeneret). Es macht daraufhin die Almosengeber für die in Deutschland herumstreunende Menge an Bettlern verantwortlich: unde tanta apud nos Germanos mendicorum copia divagatur, nostra non tam mistericordia quam culpa et vitio. Despektierlich beschreibt er schließlich die Redeweise der Bettler als ein Brüllen und Krächzen und spricht ihnen damit das Menschsein ab: quod tales tam intempestive et inepte garrientes non loquantur, sed balbutiant et instar corvorum vocem eructent; Bebel: Facetien, S. 138.  Bebel: Facetien, S. 6 f. Die Parenthese findet sich nur in den Ausgaben von 1508 und 1509; Übers. M. F.: „Einer dieses Schlages kam einst zu einem Wagner, das heißt zu einem Wagenmacher, in Justingen, der von derlei Leuten mehr als einmal gefoppt und getäuscht worden war, und bat ihn um ein Almosen, da er Magister der Sieben Freien Künste sei und jemand, der einst im Venusberg war – von denen, da man gemeinhin fahrende Scholaren nennt.“

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

475

denen Materials mit schwäbischem Lokalkolorit ist für Bebel nicht ungewöhnlich. Er selbst dekonstruiert jedoch bereits diese Beglaubigungsfunktion, wenn er beispielsweise in der unmittelbar vorangehenden Fazetie über einen ihm persönlich bekannten Müller (molitorem mihi notum) betont, dass er nur ‚Histörchen und Witze und keine tatsächlichen Ereignisse aufschreibe‘.³³ Im zweiten Teil der Fazetie folgt ein Dialog, der zur Pointe führt. Hier wiederholen sich Elemente der Darstellung des scholasticus vagans, die mit dem Liber Vagatorum übereinstimmen.³⁴ Der Fahrende Schüler rühmt sich selbst als septem artium magister et magus und beschwert sich deshalb, dass ihn der Wagner duzt. Darauf antwortet der Wagner, dass er viel mehr vermöchte. Denn er könne mit nur einer Kunst seine Frau und seine sieben Kinder ernähren, während der ‚Magister der sieben Künste‘ sich nicht einmal allein ernähren könne. Nach diesem gewitzten Spott verschwindet der Fahrende Schüler. Es folgt noch ein Epimythion, welches den Hochmut derjenigen anklagt, die sich ihrer Titel rühmen, obwohl sie nicht gelehrt sind: Et ita merito contigit illis, qui solo titulo gloriantes nihil possunt de se praestare earum rerum quas profitentur, quam solum titulum, attamen multo ferocius superbiunt maiori ex parte quam illi, qui summa eruditione instructi sunt.³⁵

Bebel klagt damit die simulatio des Fahrenden Schülers an, verweist aber im Epimythion recht sachlich auf die Anmaßung akademischer Titel und lässt die magischen Konnotationen weg. Diese scheinen nur notwendig, um an das Register des Bettlerdiskurses anzuknüpfen und die Handlung des Fahrenden Schülers drastischer wirken zu lassen. Neben Bezügen auf andere Werke (z. B. auf den Triumphus Veneris) ist in den Facetiae auch eine intratextuelle Verweisstruktur nachweisbar.³⁶ So bezeichnet Bebel in fac. II, 128 zwei Bettler als Fahrende Schüler: duo mendici (quos superius scholasticos vagantes vulgo appellari dixi a nostris). ³⁷ Diese hätten dem Bauern Held aus Justingen ein immervolles Weinfläschchen teuer verkaufen, die magische Qualität des Gegenstandes aber durch eine List erzeugt, indem einer der beiden die Flasche vom  Bebel: Facetien, I, 5 (S. 6): scribo enim fabellas et facetias, non rem veram et gestam.  Dort werden dem Fahrenden Schüler folgende Worte in den Mund gelegt: Hie kumt ein farnder schler der siben freien künsten ein meister (die houtzen zu beseflen); Kluge: Rotwelsch, S. 42 und Kapitel 5.1.  Bebel: Facetien, S. 7; Übers. M. F.: „Und das geschieht denen ganz recht, die sich nur ihres Titels rühmen und ihrerseits nichts von den Dingen vorweisen können, die sie für sich beanspruchen, als nur den Titel – und doch treiben sie es in ihrem Hochmut größtenteils viel schlimmer als die, die sich zu größter Gelehrsamkeit herangebildet haben.“  Vgl. zu einer „Regiefunktion des Erzählers“ und einer „Biographisierung des Erzählers“ in den Facetiae Bebels vgl. Stephanie Altrock: Gewitztes Erzählen in der Frühen Neuzeit. Heinrich Bebels Fazetien und ihre deutsche Übersetzung. Köln 2009, S. 72– 98, v. a. S. 75 f. (Fahrende Schüler) und S. 88 f. (Triumphus Veneris).  Bebel: Facetien, S. 91; Übers. M. F.: „zwei Bettler (von denen ich oben sagte, daß sie von unseren Leuten gewöhnlich fahrende Studenten genannt werden).“

476

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Fenster aus immer wieder nachfüllte. Auch hier gründet die List der beiden Fahrenden Schüler auf materieller Prekarität, einer intendierten Täuschung und der Unterstellung magischer Kompetenz. Auch wenn Fazetien vor und nach Bebel ebenso Schüler‐ oder Studentenfiguren Beachtung schenken,³⁸ erwähnen sie doch weder die Bezeichnung noch die einzelnen Beschreibungselemente, die sich an die Bezeichnung ‚Fahrender Schüler‘ angelagert haben. Beispielsweise umgeht Otmar Luscinius (Nachtgall) in seiner Fazetiensammlung Ioci ac sales mire festivi (1524) gezielt die Bezeichnung scholasticus vagans,³⁹ obwohl zu seinen Quellen, wenn auch ohne Autornennung, die populäre Sammlung Bebels zählt. Von ihm übernimmt Luscinius, der sich vor allem durch humanistischphilologische Gelehrsamkeit auszeichnet,⁴⁰ auch die Grundstruktur seiner Version der Erzählung ‚Von den sieben Künsten und der einen Kunst‘.⁴¹ Doch mit allen Implikationen von Magie und Aberglauben streicht Luscinius entgegen der Versionen in den Facetiae Bebels und dem Liber Vagatorum auch die Bezeichnung als Fahrender Schüler (scholasticus vagans). Er erklärt den Hintergrund des Protagonisten der Erzählung recht nüchtern: Circulator quidam ex eorum genere, qui in Academijs publicis ex ære paterno luxuriantes nihil literarum inde, nec quicquam aliud præter contaminatissimos mores reportant. Is dum egeret, in agricolæ cuiusdam ædes se contulit, indulgentias, (ut uocant) papales promittans, ijs qui se inscribi libro illius, collatis in alimoniam pecunijs, curarent. Agrestis, cui Sycophanta probe erat cognitus. „Abi“, inquit, „in malam rem furcifer: superiori anno mihi ac omni huic uiciniæ uersutia tua imposuisti. Nemo qui te satis nouit nugis fidere debebit.“ Respondit circulator: „Num te pudet sordide agrestis, Baccalaureum septenarum artium liberalium (ita enim quidam speciosos titulos

 Allgemein zu den Fazetiensammlungen des 15. Jahrhunderts, dem vierten Buch der Mensa philosophica und Augustin Tüngers lat.-dt. Facetiae vgl. Kipf: Cluoge Geschichten, S. 167– 223. Ein erstes Rezeptionszeugnis ist Johann Adelphus’ Margarita facetiarum, die bereits 1509 (Straßburg: Grüninger) vor dem Erstdruck der Facetiae Bebels erschienen ist, aber im Vorwort darauf hinweist, seine Sammlung nach der Lektüre von Bebel erstellt zu haben: Legens enim Bebelianas illas admodum gratas (fol. O3r). Dieser Umstand ist dadurch zu erklären, dass Adelphus als Mitarbeiter in der Offizin Grüningers (ab 1507) und Korrektor von Bebels Texten diese bereits vor der Drucklegung kennengelernt haben kann. Vgl. Kipf: Cluoge Geschichten, S. 294 f. Studentenfiguren werden in der Margerita facetiarum beispielsweise in De scholare doctiore plebano (fol. O5v), De astutia scholarium (fol. O8v) oder De indocto Studente (fol. P2r) integriert. Diese Erzählungen sind weitgehend selbständig – nur die erste der genannten Erzählungen findet sich ähnlich auch bei Bebel (fac. II, 115), behandelt hier aber einen dummen Priester: De alio [sacerdote ignaro]. Generell ist ein Hauptthema bei Adelphus die Bloßstellung der moralischen und intellektuellen Defizite von Klerikern und Schülern.  Ioci ac Sales mire festivi. Ab Otmaro Luscinio Argentino partim selecti […] Augsburg: Simprecht Ruff für Sigmund Grimm 1524.  Luscinus orientiert sich vor allem an antiken und humanistischen Textmustern (Lukian, Martial, Ausonius u. a.), adaptiert aber auch humanistische ‚Klassiker‘. Diese Praxis wertete Hermann Lier als „Unsitte des citierens“ ab. Vgl. Hermann A. Lier: Ottmar Nachtigalls ‚Ioci ac sales mire festivi‘. Ein Beitrag zur Kenntnis der Schwanklitteratur im 16. Jahrhundert. In: Archiv für Litteraturgeschichte 11 (1882), S. 1– 50, hier S. 10 (mit einem synoptischen Vergleich mit den Schwanksammlungen des 16. Jh. in der Anm. auf S. 27). Dazu auch Kipf: Cluoge Geschichten, S. 340 – 355.  Vgl. Lier: Ottmar Nachtigalls ‚Ioci ac sales mire festivi‘, S. 24 und 36.

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

477

fœdæ ignorantiæ prætexunt) temerario ore lacerare“ Rursus agrestis: „Abi inquam, impostor, ego arte unica agriculturæ, et uxorem et multos alo liberos, et tu qui septem iactas artes turpiter mendicas? Quæ sunt allæ septem? Nimirum, nugari, fallere, uersipellem esse, nebulonem, sycophantam, uafrum, peruersum, denique hominum fecem.⁴²

Auffallende Änderungen in dieser Fazetie sind zum einen das gelehrte Vokabular, dessen sich Luscinius bedient (z. B. sycophanta) und die pointierte Ausdeutung der sieben Künste in einer Synonymenreihe für Gaunertum und Verstellung. Weiter setzt der Erzähler die Bewertungen und Deutungen vom Rand der Fazetie ins Zentrum: Er betont die Anmaßung von Titeln trotz eigener Unwissenheit und übt Kritik an kirchlichen Missständen, insbesondere an der Praxis des Ablasshandels. Seine Haltung ist jedoch nicht polemisch gegen die katholische Kirche gerichtet, von der sich Luscinius nie gänzlich abwandte, und ähnelt eher seinem Lehrers Geiler von Kaysersberg.⁴³ Für Irritation sorgte dabei das Datum der Veröffentlichung 1524 in einer Hochphase der Turbulenzen der Reformation durch die sog. Bauernkriege im Südwesten Deutschlands. So gibt es Anhaltspunkte, dass seine Fazetiensammlung als „Aufruf zum Verzicht auf jede Auflehnung und zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit“ gelten kann sowie als „Beispiel gelehrter Arbeit, deren Voraussetzung öffentlicher Friede ist.“⁴⁴ Auch die satirischen Spitzen richten sich bei genauerer Betrachtung nur sekundär gegen den päpstlichen Ablasshandel und primär gegen die Störung der allgemeinen Ordnung durch einzelne subversive Elemente. Als Vertreter eines solchen zu kritisierenden Verhaltens zeichnet Luscinius den circulator aus. Die Version des Luscinius wurde mehrmals im 16. Jahrhundert kopiert, z. B. im Convivalium sermonum liber des Johannes Gast unter dem Titel De Magistro septem artium ⁴⁵ oder in der Iocorum facetiarum sylva des Jakob Cammerlander (Polychorius)

 Luscinius: Ioci ac Sales, Nr. 60; Übers. P. R.: ‚Es gab einen gewissen Herumtreiber von der Art, die in öffentlichen Universitäten von ererbtem Geld schwelgen und von dort kein Wissen oder etwas anderes als einen überaus verdorbenen Charakter mitbringen. Als dieser Hunger bekam, begab er sich zum Haus eines Bauern und versprach denen einen (sogenannten) päpstlichen Ablass, die sich nach einer Geldspende für seinen Lebensunterhalt anschickten, sich in sein Buch einzutragen. Der Bauer, der bereits üble Erfahrungen mit dem Gauner gemacht hatte, sagte: ‚Scher dich zum Teufel, du Galgenstrick! Vergangenes Jahr hast du mich und jeden Nachbarn hier mit deiner Verschlagenheit betrogen. Keiner, der dich hinlänglich kennt, wird auf deine Possen hereinfallen.‘ Der Herumtreiber antwortete: ‚Was erlaubst du dir, dreckiger Bauer, einen Baccelaureus der sieben Künste‘ – so nämlich verdeckten manche ihre schändliche Unwissenheit mit glänzenden Titeln – ‚mit unbedachten Worten zu verunglimpfen?‘ Der Bauer wieder: ‚Ich sagte, verschwinde, Betrüger! Ich ernähre mit nur einer Kunst, dem Ackerbau, meine Frau und viele Kinder und du, der du mit den sieben Künsten angibst, betteltst schändlich? Was sind das für sieben Künste? Zweifellos Possenreißen, Täuschen, Hochstapelei, Nichtsnutzigkeit, Gaunerei, Betrug und schließlich verkehrte Abscheulichkeit am Abschaum der Menschheit.‘  Vgl. Johannes Klaus Kipf: [Art.] Luscinius, Otmar. In: HumVL 2, Sp. 99 – 130, hier Sp. 100.  Beide Zitate Kipf: Cluoge Geschichten, S. 344.  Johannes Gast: Convivalium Sermonum Liber. Basel: Bartholomäus Westheimer 1541, fol. K5v. Bis 1549 erlebt das erste Buch vier Auflagen, zahlreiche Ergänzungen und wird 1548 und 1551 um zwei

478

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

unter dem Titel De quodam circulatore et Baccalaureo. ⁴⁶ Diese unveränderte Übernahme und Kompilation vorgängiger Muster belegt „neben der Beliebtheit der Gattung in der Mitte des 16. Jahrhunderts […] ein Bewußtsein für die literarische Form der Fazetie“⁴⁷ als Textsorte. Das Beispiel vom Erzählmuster ‚Von den sieben Künsten und der einen Kunst‘ zeigt ebenso, dass die Traditionen in den unterschiedlichen Sprachregistern teilweise separiert verlaufen. So greifen die älteren deutschsprachigen Schwanksammlungen von Pauli und Wickram auch auf lateinische Quellen zurück (z. B. Poggio, Bebel), in den meisten Fällen aber beschränkt sich die Tradierung der Schwänke auf die Versionen des jeweiligen Sprachregisters, ebenfalls beim Schwank vom Fahrenden Schüler. Erst mit der deutschen Übersetzung der Geschwenck Henrici Bebelij von 1558 erscheint die erste deutschsprachige Version unter dem Titel „Ein schwencklicher Spruch wider ein farenden Schler“: Man findt vnderweilen Schler/ welche/ so sie gar kein nütz sein/ nicht studieren/ auch nit arbeiten woͤ llen/ lauffen sie hin und wider dem Bettlen nach/ vnd betriegen die einfeltigen Bauren/ mit schalcklicher fürwendung seltzamer Künsten/ vnd anderley bescheisserey/ Sagen sie seien im Venusberg gewesen/ in welchem sie allerley Kunst vnnd Zauberey lernet haben/ verheissen darneben wunderbarliche ding/ von welchen ich vil geschriben hab im Buͤ chlin von mir gemacht/ vnd genannt/ Triumpho Veneris. Auß derer zal/ ist auff ein zeit einer z einem Wagner gen Justingen kommen (welcher von disen Gesellen offt vnd dick was betrogen worden) vnd von jm begert ein Almsen im namen eines Meisters der siben freyen Künst/ auch des/ so auff ein zeit wer gewesen im Venusberg/ die dann der gemein Man nennet die farenden Schler. Darauff sagt der Wagner. Mein lieber Freünd/ bistu das nechst verschinen Jar auch dort gewesen? Do der saget/ Nein/ So gehe hin (spricht der Wagner) vnnd kom nur fürdan nimmer wider/ dann ich will dir nichts geben. Der farend Schler aber ward vnwillig/ sonderlich/ das er jn nit wolte jertzen (dann die Teütschen habens also im brauch/ das sie nur eintweders Freünd oder bekanndt/ auch schlecht vnd vnachtsam Menschen dautzen/ vnd sonst niemandt) fragt er den Wagner/ weil er sey ein Meister der siben freyen Künsten/ darz ein halber Gaugler/ warumb er jn nit jertze/ da antwurt der Wagner. Ich kan vil mehr weder du/ dann mit einem Handtwerck allein erneer ich mich/ mein Weib vnd siben Kind/ Du aber kanst dich mit siben Künsten nit ernoͤ ren/ vnd gehest hin vnd wider bettlen. Derhalben würstu mich ehren/ vnd nit ich dich. Also hat der Schler muͤ ssen hinweck scheiden/ übel verspott vnd verlachet. Vnd auff die weiß geschicht denen recht/ die sich allein des Tittels rhuͤ men/ koͤ nnen noch mügen der ding keines leisten/ des sie bekennen vnnd fürwenden. Seind auch allezeit vil hoffertiger/ stoͤ ltzer/ vnd übermuͤ tiger/ weder die/ so eben vil wissen/ vnd vil gestudiert haben.⁴⁸

Die Übersetzung folgt seiner Vorlage sehr genau, oft wortwörtlich, trifft dabei aber manchmal nicht das angemessene Sprachregister. Ein Beispiel in der vorliegenden

zusätzliche Bände erweitert. Noch 1608 erscheint ein anonymer Nachdruck.Vgl. allgemein Kipf: Cluoge Geschichten, S. 360 – 372 und zur Editionsgeschichte S. 362 f.  Polychorius [alias Jakob Cammerlander]: Amoenissima et pvdica Iocorum Facetiarumque sylva. Straßburg: Jakob Cammerlander 1542, fol. 69r f. Vgl. dazu auch Kipf: Cluoge Geschichten, S. 372– 376.  Kipf: Cluoge Geschichten, S. 374, zu Gasts Sammlung auch S. 372.  Geschwenck Henrici Bebelij. o. O: o. D. 1558, fol. A6r–A7r [Herv. im Orig.].

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

479

Erzählung ist die Übersetzung von magus als Gaugler, was zwar nicht falsch ist, aber der angeberischen Pose des Fahrenden Schülers zuwiderläuft, da sie einzig die Semantik vom Trickzauberer transferiert. Diese Unzulänglichkeiten sind wohl auch ein Grund für die relativ eingeschränkte Verbreitung, die nicht über einige niedrige Auflagen in Frankfurt am Main (1568, 1589 und 1606) hinausgegangen ist.⁴⁹ Zwei Jahre nach der deutschen Übersetzung 1560 legt Weigand Han (ebenso in Frankfurt) eine um 70 Erzählungen umfangreich erweiterte Ausgabe von Paulis Schimpf und Ernst (Erstauflage 1522) auf, die sich neben anderen Texten vor allem auch der Fazetien Bebels bedient.⁵⁰ Jedoch nutzt die Ausgabe nicht den aktuellen Text der deutschen Übersetzung, sondern übersetzt das lateinische ‚Original‘ nochmal. Es ist nicht auszuschließen, dass die als unzureichend empfundene deutsche Übersetzung von 1558 diese Erweitung angestoßen hat.⁵¹ Es seind etliche Schuͤ ler, die faul seind und ir Lebtag nicht zu studieren begeren, behelffen sich des Betteln und betriegen die Leut, sprechen, sie seind in Frau Venus Berg gwesen, da sie die schwartze Kunst gelert haben. Derselbigen farenden Schuͤ ler einer kam zu einem Wagner, der von im offt beschissen und betrogen was, bate umb ein Almusen und sagt, er wer ein Magister der siben freyen Kuͤ nste und wer nun ein lang Zeit in Frau Venus Berg gewesen. Der Wagner sagt: ‚Du bist doch vor einem Jar auch bey mir gwesen?‘ Da ers aber leugnet, gab der Wagner im, was er gaben wolt, und saget: ‚Zeuch hin und komb nit wider!‘ Das verdroß den Carmesirer, und sprach, warumb er ihn Du hieß, so er ein Magister wer der siben freien Kuͤ nsten. Der Wagner lacht und sagt: ‚Ich kan viel mehr, wie ich sehe, denn du. Denn ich selbst sampt sieben Kinderen und Weib behelff mich mit einer Kunst, und du kanst sich mit sieben nicht erneeren. Billich soltest mich ihrtzen allein, und ich dich nit.‘ Der gute Carmesirer zog dahin und bestund also mit Schanden. Dergleichen man noch findt große Esel, die sich ihres Tittels behelffen und machen sich viel stoͤ ltzer denn die, so da wolgelehrt seind.⁵²

Diese Version behält die Struktur der Vorlage zwar bei, löst sich aber stärker davon und kürzt einige Teile wie die Erklärung des Duzens/Ihrzens, um in der Übersetzung die Pointe zu erhalten. Indem sie auch die Lokalisierung Bebels streicht, wird die Erzählung ubiquitär. Ebenso das problematische magus fällt einfach weg, stattdessen wird als Synonym von (farender) Schler der Ausdruck Carmesirer gebraucht und damit die Verbindung zum ‚gelehrten Bettler‘ unterstrichen. Schließlich integriert Hans Wilhelm Kirchhof in seiner enzyklopädischen Summe der Schwankerzählungen Wendunmuth (1563) die Erzählung von Bebel unter dem Titel

 Zu übersetzungstheoretischen Überlegungen und zur Rezeption der Geschwenck vgl. Altrock: Gewitztes Erzählen, S. 199 – 208 und 249 f.  Johannes Pauli: Schimpff und Ernst Durch alle Welthändel. Frankfurt a. M.: Weigand Han 1560.  Daneben integriert die Kompilation Erzählungen aus dem Aesopus Steinhöwels, den lateinischen Fabeln Brants in der Übertragung Adelphus’, Egenolffs Schertz mit der Wahrheit (1550), Wickrams Rollwagenbüchlein (1555), Freys Gartengesellschaft und anderen.Vgl. Pauli: Schimpf und Ernst, zweiter Teil: Paulis Fortsetzer und Übersetzer, S. *21. Zu einigen der ergänzten Erzählungen (Nr. 851– 875), S. 94– 110 (Texte) und S. 439 – 444 (Anmerkungen/Quellen).  Pauli: Schimpf und Ernst, zweiter Teil: Paulis Fortsetzer und Übersetzer, S. 96 f. (Nr. 855).

480

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

„Von einem fahrenden Schler“, nicht ohne sie auch zu verändern.⁵³ Neben einigen kleineren Anpassungen wie z. B. der gereimten Moralisatio am Ende, sind folgende Aspekte interessant: Kirchhof distanziert sich spöttelnd von einem superstitiösen Glauben an den Venusberg, indem er den Zusatz anfügt, die Fahrenden Schüler seien „ich weiß nicht in welchem loch oder Venusberg“⁵⁴ gewesen. Auch das erkannte Übersetzungsproblem von lat. magus umgeht er, indem er den Fahrenden, sich als „magister der sieben freyen künste und magum“⁵⁵ ausgeben lässt. Zugleich ruft er die Imagination eines Vagantenordens auf oder beruft sich zumindest auf die Vorstellung eines ‚Standes‘ von (magisch‐)gelehrten, bettelnden Gaunern, betont aber auch, dass sich die Erzählung vor langer Zeit zugetragen habe: Vor alten jaren war ein sonderlicher orden etlicher böser, fauler, betriegler und niemandtnutzer bben, die, ob sie schon nicht studierten, betrogen sie doch mit mancherley geschwinden griffen, auffsetzen und aberglauben die armen und einfeltigen bauren, alles nur darumb, daß sie nicht arbeiten dürffen.⁵⁶

Auch die Erzählung Bebels vom immervollen Weinfläschchen des Bauern Held und den beiden Bettlern, die er als Fahrende Schüler bezeichnet,⁵⁷ integriert Kirchhof als eine Erzählung von „zwen bettler, die man vorzeiten farende schüler genennet“.⁵⁸ Er rückt damit die Bezeichnung und das Ereignis, das ungefähr 50 Jahre früher „Bebelius […] für ein warhafftig historien“⁵⁹ aufgeschrieben habe, distanzierend in eine graue Vorzeit.

Erzählmuster mit Fahrenden Schülern in Paulis Schimpf und Ernst (1522) Ebenfalls in anderen Zusammenhängen findet sich die Figur des Fahrenden Schülers in den deutschen Schwanksammlungen seit dem ersten Vertreter der Gattung: Johannes Paulis Schimpf und Ernst, dem gattungstypologischen und literaturgeschichtlichen „Schwellentext“⁶⁰ zwischen mittelalterlichen Predigtexempla und

 Kirchhof, Hans Wilhelm: Wendunmuth. Frankfurt am Main: Georg Rab d. Ä. und Weigand Hans Erben 1563, fol. 148v–149v; Nr. 137. Ed. Hans Wilhelm Kirchhof: Wendunmuth, hg. von Hermann Österley. Tübingen 1869, S. 167. Als Quelle kommt nur die Version aus den Facetiae Heinrich Bebels (oder der Übersetzung?) infrage.  Kirchhof: Wendunmuth, S. 167.  Kirchhof: Wendunmuth, S. 167.  Kirchhof: Wendunmuth, S. 167.  Vgl. in der vorliegenden Studie auf S. 943.  Kirchhof: Wendunmuth, I, 317 (S. 356).  Kirchhof: Wendunmuth, S. 356.  Ammon/Waltenberger: Wimmeln und Wuchern, S. 276. Ähnlich auch Meierhofer: Sammelschrifttum, S. 19 und Albrecht Classen: Die deutsche Predigtliteratur des Spätmittelalters und der Frühneuzeit im Kontext der europäischen Erzähltradition: Johannes Paulis Schimpf und Ernst (1521) als Rezeptionsmedium. In: Fabula 44 (2003), S. 209 – 236, hier S. 235: „Pauli erweist sich damit als ein bedeutsamer literarhistorischer Brückenkopf zwischen Antike und Frühneuzeit, insoweit als er bei der Ge-

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

481

frühneuzeitlicher Schwanksammlung. Dass Pauli an homiletisches Erbauungsschrifttum anschließt, macht schon die enge persönliche Beziehung zum Prediger Geiler von Kaysersberg deutlich, dessen Predigten Pauli herausgab.⁶¹ Er hatte also intensiven Kontakt zu Narrenliteratur und sozialreformatorischem Schrifttum. Damit schließt Pauli einerseits unmittelbar an die Diskurse an, durch die der Fahrende Schüler Teil eines prägenden Gesellschaftsbildes wurde; andererseits beeinflusst er die späteren Schwanksammlungen. Diese integrieren zwar den Schüler oder Studenten – auch den faulen oder armen –,⁶² doch der Fahrende Schüler als magiekundige Bettlerfigur ist immer an bestimmte Plots gebunden, die bei Pauli meist das erste Mal in deutscher Sprache schriftlich überliefert sind. Die Figuren bezeichnet Pauli (1522) durchwegs als „(er)farne schuoler“,⁶³ z. B. in der Erzählung „Vom Brieflein gegen Augenweh“ (Nr. 153): Vf ein mal kam ein erfarner schler (als etwan mit den fischgernlinen gangen seind) ein lütbescheisser in ein huß/ da was ein fraw in deren thetten die Augen we. Er sprach z der selben frawen/ wolt sie im ein guldin geben/ so wolt er ir ein brieflin an den hals hencken das ir kein aug me we thet/ so lang vnd sie es an dem hals trüg/ sie solt es auch neimans zoͤ gen. Die fraw was fro/ vnd gab im den guldin. Der schler gab ir das brieflin yngenegt/ vnd hieng ir es an den hals/ die frauw trg es wol drü oder fier iar an dem halß.⁶⁴

Der Inhalt des eingenähten Briefleins wird dann im zweiten Teil des Schwanks aufgeklärt, als sie einem Priester beichtet und dieser ihr den Text vorliest: „Der hencker stech dir die augen vß/ vnd der tüffel scheiß dir in die lücken.“⁶⁵ Als die Patientin aber den Brief zerreißt, beginnen wieder ihre Schmerzen, was durch den temporären Einfluss des Teufels auf die Konstitution des Menschen erklärt wird: „der tüffel kan wol siechtagen machen vff hoͤ ren ein zeit lang.“⁶⁶ Damit wird trotz des magiekritischderben Subtexts doch das arkane Potential des Fahrenden Schülers nicht infrage gestellt. Dass diese Auseinandersetzung mit dem Aberglauben auch das Thema der staltung seines Schimpf und Ernst zwar hinsichtlich der benutzten Quellen weit in die Vergangenheit zurückgriff, zugleich aber sein Werk unablässig während des gesamten Reformationszeitalters gelesen wurde und große Popularität genoß“.  Vgl. Kapitel 5.1.1. Vgl. auch Meierhofer: Sammelschrifttum, S. 22 f.  Dies wird bereits in den Bearbeitungen von Schimpf und Ernst offensichtlich. Denn Hermann Gülfferich (Frankfurt am Main 1543, 1544 und 1546) prägt eine neue Ordnung, welche die Erzählungen in 13 Teile unterteilt. Darunter findet sich auch als dritte Rubrik „Von Doctorn und Studenten“, die einige Schwänke von Ärzten, Gelehrten und anmaßenden oder armen Studenten vereint. Vgl. Pauli: Schimpf und Ernst, zweiter Teil: Paulis Fortsetzer und Übersetzer, S. *18 f.  Die Bezeichnung leitet sich dennoch nicht von ‚Erfahrung‘, sondern von ‚Fahren‘ ab.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Straßburg: Johann Grüninger 1522, fol. 34r. Es gibt zwei Editionen der Erzählung: Pauli: Schimpf und Ernst, hg. von Hermann Österley, S. 110 und Pauli: Schimpf und Ernst, zweiter Teil: Paulis Fortsetzer und Übersetzer, S. 103 f. Da diese an vielen Stellen voneinander abweichen und z.T. stark normalisierend in die Vorlage eingreifen, beziehen sich alle Zitate und Stellenverweise, sofern nicht eigens vermerkt, auf den Erstdruck von 1522.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. 1522, fol. 34v.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. 1522, fol. 34v.

482

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Erzählung ist, zeigt die Einordnung in den Abschnitt „Von zauberern“ (Nr. 150 – 153).⁶⁷ Als Quelle für seinen Schwank verweist er auf die Predigtsammlung Emeis Geilers von Kaysersberg, die wohl 1508 gehalten und von Pauli selbst 1516 selbst herausgegeben wurde.⁶⁸ Hier heißt es nur kurz: Du sprichst wie sol ich im thn. Es geschicht doch/ mir ist an den augen wee/ mir hon die zehen wee gethon vnnd das mich die zauberer hond geheissen thon/ das hat mir geholffen. Das gelt het ich verloren/ vnd ist mir wider worden/ wer es wider got so geschehe es nit.⁶⁹

In eine narrative Struktur wird der Plot hingegen von Godescalcus Hollen gebracht, der im Kapitel De incantatoribus seines lateinischen Praeceptorium divinae legis die Erzählung als eigene Erfahrung beschreibt: Noui enim quandam mulierem que patiebatur dolorem oculorum. Accessit autem scholas interrogans an ne ibi esset scholaris, sciens scribere litteram contra infirmitatem oculorum; que etiam promisit propinam. Venit unus dicens se scire scribere illam litteram quam et scripsit et clausit ligans eam in quodam panno precipiens ei quod non aperiret. Mulier autem accipiens illam litteram et eam portauit, et sanata fuit. Finaliter autem volens scire scripturas illius littere et virtutem verborum aperuit eam et cuidam tradidit ad legendum. Continebat enim verba ignota et scandalosa cum caracteribus, et in fine fuit scriptum: Diabolus eruat tibi oculos, et reimponat tibi lutum in eos. Sed unde habuit sanitatem nisi a demone, quia adhibuit fidem huic littere?⁷⁰

In beiden vorgängigen Versionen wird der Zauberer anders beschrieben als bei Pauli. Während er in der Emeis völlig unbestimmt bleibt, erscheint er bei Hollen als betrügerischer Schüler. Neu bei Pauli ist nun die Einordnung als fahrender Leutebescheißer, der als Erkennungszeichen ein kleines Netz („fischgernlinen“) bei sich trägt. Diese Beschreibung wird jedoch bereits in der Fassung von 1533 (also der 4. Auflage) von Bartholomäus Grüninger, dem Sohn des Erstdruckers, verändert:  Zur Kategorisierung und Ordnung in Paulis Werk vgl. Ammon/Waltenberger: Wimmeln und Wuchern, S. 279 f.  Vgl. die Vorrede in Geiler von Kaysersberg: Die Emeis. Dis ist das buch von der Omeissen, vnnd auch. Her der künnig ich diente gern, Vnd sage[n] von Eigentschafft der Omeissen, vnd gibt vnderveisung vo[n] de[n] vnholden vnd hexen, vnd von gespenst der geist, vnnd von dem wütenden heer wunderbarlich, vnd nützlich zewissen, was man daruon halten oder glauben soll. Straßburg: Johann Grüninger 1516, fol. 2r.  Geiler von Kaysersberg: Emeis, fol. 58r.  Godescalcus Hollen: Praeceptorium divinae legis. Köln: Johann Guldenschaff. 1481, fol. 29vb f.; Übers. P. R.: ‚Ich kenne nämlich eine Frau, die von Augenschmerzen gequält wurde. Sie ging also zu einer Schule und fragte, ob dort nicht ein Schüler sei, der einen Spruch gegen diese Augenkrankheit aufschreiben könne; sie verspreche auch eine Belohnung. Einer kam, der sagte, er könne diesen Spruch schreiben. Er schrieb ihn auf und versperrte ihn, indem er ihn in ein Tuch einnähte, wobei er ihr befahl, das Tuch nicht zu öffnen. Die Frau nahm nun den Spruch, trug ihn bei sich und wurde gesund. Endlich aber wollte sie den Wortlaut dieses Spruchs und die Macht der Worte aufdecken und brachte ihn jemandem zum Lesen. Denn er enthielt unbekannte und anstößige Worte mit Zauberzeichen. Am Ende aber stand geschrieben: ‚Der Teufel soll dir die Augen auskratzen und hineinscheißen.‘ Aber woher kam die Gesundheit, wenn nicht vom Dämon, weil sie diesem Spruch vertraute.‘

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

483

Farend schler sein vor zeiten im land vmb gangen die hetten gelen gestrickten netz an dem halß/ grosse leut bschisser.⁷¹

Neben der Anpassung an die Diktion, wie sie beispielsweise aus dem Liber Vagatorum bekannt war, wird die Erzählung durch das Temporaladverbiale „vor zeiten“ weiter in die Vergangenheit gerückt. Dieses Verfahren zeigte sich bereits in der bereits zitierten Version des Erzähltyps ‚Von den sieben Künsten und der einen Kunst‘ in Kirchhofs Wendunmuth von 1563. Die anderen Schwänke mit Fahrenden Schülern wurden in späteren Auflagen weniger stark verändert. So kommt in Nr. 233 ein Fahrender Schüler („erfaren schler“) als Liebhaber einer verheirateten Frau vor, deren Ehemann auf einer Wallfahrt nach Rom ist. Durch einen sympathetischen Wachspuppenzauber versucht er den Nebenbuhler zu töten, indem er die Puppe mit einer Armbrust erschießt. Er versagt jedoch, da ein Kristallseher in Rom den Geschädigten unterstützt und ihm hilft, den Schüssen auszuweichen. Die Frau wird vom zurückgekehrten Gatten angeklagt und schließlich verbrannt.⁷² Weiter kommt ein Fahrender Schüler in der Erzählung Nr. 376 vor, der letzten in der Rubrik „von den spilern“ (Nr. 373 – 376). Doch nicht Glückspiel im engeren Sinne ist Grund für die Einordnung. Denn der Fahrende Schüler wird als magiebegabter Dieb und Einbrecher präsentiert: Vf ein mal waz ein erfarner schler einer der mit der schwartzen kunst kant/ vnd thet den lüten vil schaden mit rauben vnd stelen/ vnd kunt im nieman zkumen.⁷³

Als man ihn nach einger Zeit dennoch ertappt und inhaftiert, befragt ihn eine Frau, wie er so lange unerkannt bleiben konnte. Er gibt als Antwort, dass er einen magischen Würfel besitze, der ihm anzeige, wann ein Raubzug sicher gelinge. Dieser habe ihn jedoch am Ende betrogen und er sei erwischt worden. Der Würfel ist ein residuales Requisit für das Glückspiel, welches die Erzählung an die anderen Texte der Rubrik anschließt. Am Ende bringt der (magische) Würfel den Fahrenden Schüler aber nicht um Hab und Gut, sondern ums Leben. Der Fahrende Schüler erscheint auch hier als magieaffiner Gauner.

 Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Straßburg: Bartholomaeus Grüninger 1533, fol. 31v.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst 1522, fol. 49v. Es steht in der Rubik „Von der straff des eebruches“ (Nr. 223 – 233). Die Erzählung beruht auf den Gesta Romanorum (Nr. 102). Bei den handelnden Figuren handelt es sich hier um einen Ritter, der zur Zeit des Kaisers Titus nach Jerusalem reist, seine hübsche Frau und einen clericum, peritum in nigromatia. Gesta Romanorum, hg. von Adalbert von Keller. Stuttgart, Tübingen 1842, S. 153 – 155, hier S. 153. Vgl. auch Christa Tuczay: Die Kunst der Kristallomantie und ihre Darstellung in deutschen Texten des Mittelalters. In: Mediävistik 15 (2002), S. 31– 50, hier S. 43.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst 1522, fol. 74r.

484

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Schließlich steht bei Pauli die erste deutschsprachige Variante vom Schwank ‚Der Mann aus dem Paradies‘.⁷⁴ Dieser Erzähltypus findet sich in lateinischer Sprache bereits in einem Leidener Druck von 1509 unter dem Titel De Barta et marito eius per studentem Parisiensem subtiliter deceptis ⁷⁵ und in verkürzter Form in Bebels Facetiae (1508) unter dem Titel De vetula quadam (fac. II, 50). Der Kern des Schwanks ist folgender: Eine einfältige Person (meist eine Frau) versteht den Namen des Reiseziels oder der Herkunft des Studenten falsch als ‚Paradies‘ anstatt ‚Paris‘ und bittet ihn, einige Gaben für ein verstorbenes Familienmitglied mitzunehmen. Der Student bekräftigt das Mißverständnis noch und verschwindet. In einem zweiten Teil wird die Listhandlung nochmals gesteigert.⁷⁶ Der erzürnte Ehemann reitet dem Betrüger nach; dieser hat unterdessen das Gabenbündel versteckt und tarnt sich als normaler Reisender. Als der Verfolger nach dem Weg fragt, schickt er diesen in einen Wald oder Sumpf und verspricht, dessen Pferd zu hüten; mit diesem macht er sich aber am Ende aus dem Staub. Der bloßgestellte Mann berichtet daraufhin, er habe dem Studenten auch noch das Pferd mitgegeben, damit dieser schneller ins Paradies käme. Während im Leidener Druck von 1509 alle Elemente vorhanden sind, beschränkt sich Bebel auf den ersten Teil: Cum anus quaedam viatorem pauperem studendi gratia Parrhisios proficiscentem rogaret, quonam ire vellet, et ille ‚Parrhisios‘ respondisset, intellexit illa ‚Paradisum‘ et dixit: maritum suum, qui vita excesserat paucis ante diebus, etiam illo commigrasse. Rogavitque illum, ut vestes, argentum et alia quaedam illi portare dignaretur. Qui, quae vetula dederat, accipiens iter constitutum confecit atque rebus ad usum et victum necessariis provisus in egregium virum evasit.⁷⁷

 Für eine umfassende Analyse der Quellen und Zusammenhänge der verschiedenen (literarischen und volkstümlichen) Varianten des Erzähltypus mit den Methoden und Zielen der finnischen Märchenschule vgl. Antti Amatus Aarne: Der Mann aus dem Paradiese in der Literatur und im Volksmunde. Eine vergleichende Schwankuntersuchung. Hamina 1915. Ähnliche Ergebnisse hat auch Achnitz,Wolfgang: [Art.] Student aus dem Paradies (Paris). In: EM 12, Sp. 1421– 1425. Mit dem Erzähltyp beschäftigt sich auch Ann-Kristin Badel: Studenten als Botschafter des Himmels. ,delectatio‘ und ,utilitas‘ in Überlieferungen des Schwankstoffs vom ,Studenten aus dem Paradies‘. In: Bernhard Jahn, Dirk Rose und Thorsten Unger (Hg.): Ordentliche Unordnung. Metamorphosen des Schwanks vom Mittelalter bis zur Moderne. Heidelberg 2014, S. 109 – 130. Sie untersucht die Komik und den didaktischen Anspruch im Vergleich der Varianten in Paulis Schimpf und Ernst und Schumanns Nachtbüchlein und kommt zu dem wenig verwunderlichen Ergebnis, dass der didaktisch-homiletische Anspruch bei Pauli höher und demnach auch die Komik eine andere ist.  Die Erzählung steht im Libellus a magistro Petro de Rivo editus, quomodo omnia in meliorem sunt partem interpretanda. Leiden: Jan Seversz 1509 (Ex.: Deventer, Athenaeumsbibliothek, NK 1708). Abgedruckt in Georg Wickram: Werke, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1906, Bd. 8, S. 318 – 323. Vgl. dazu auch Aarne: Der Mann aus dem Paradiese, S. 3 – 5.  Der Schwank folgt dem „Steigerungstyp-Revanche“ nach Bausinger: Bemerkungen, S. 127 f.  Bebel: Facetien, S. 62 f.; Übers. von M. F., S. 123: „Als eine alte Frau einen armen Wanderer, der Studien halber nach Paris reiste, fragte, wohin er gehen wolle, und dieser ‚Nach Paris‘ antwortete, da verstand sie ‚Ins Paradies‘ und sagte, auch ihr Gatte, der vor einigen Tagen gestorben war, sei dorthin gewandert. Und sie bat ihn, er möge so freundlich sein, ihm Kleider, Geld und einiges andere zu bringen. Der nahm entgegen, was ihm das alte Weiblein gab, vollendete die Reise, die er begonnen

12.1 Eine Fortführung kleinepischer Figurenmuster in Kompilationen

485

Bei Bebel wendet der Student bezeichnenderweise nicht aktiv eine List an, sondern lässt nur das Missverständnis unaufgeklärt. Bebel präsentiert also keinen bettelnden Fahrenden Schüler, sondern einen reisenden Studenten auf dem Weg nach Paris. Deshalb kann dieser am Ende durch das erworbene Geld zu Ansehen kommen.⁷⁸ Auch in Burkard Waldis Esopus (1548), einer Sammlung von Fabeln und anderen Schwänken, nutzt die Erzählung „Vom Guardian vnd einem Lotterbuben“ (IV, 4) das Missverständnis Paris–Paradies.⁷⁹ Jedoch wird es anders kontextualisiert: Der Rahmen ist ein höfisches Fest des selbstherrlichen Franziskaner-Guardians Pater Beraldus („Sein Geystlichkeyt thet hoch auff bruͤ sten | Macht das die leut nit besser wißten“, vv. 13 f.). Nach dem Festmahl treten Spielleute auf, zuletzt ein „Freiet […], | Der rhuͤ mt sich einen Buben stoltz | Macht jn viel spruͤ ch auffm Lotterholtz“ (vv. 20 – 22). Die Frage nach der Herkunft des Spielmanns – er antwortet „auß Franckreich von Paris“ (v. 29) – leitet dann das Missverständnis ein, das der Lotterbube auch gerne nutzt, um den hochmütigen Geistlichen bloßzustellen, indem er in seinem Bericht der Totenwelt auf das sündige Leben der Heiligen und Mönche dort abhebt. Die Erzählung steht bei Waldis in konfessionspolemischem Kontext und ist nicht bauern-, sondern mönchsfeindlich. Durch die Binnenerzählung von den Heiligen und Mönchen in der Hölle stellt der protestantische Erzähler katholische Praktiken bloß.⁸⁰ Gleichzeitig wird der Pater durch den intertextuellen Bezug als ‚dumme Bäuerin‘ verlacht. Ob es sich bei dem Sprecher um einen Schüler handelt, ist für den Erzähler irrelevant. Anders ist es bei Johannes Pauli. Hier ist die schwankhafte Schimpf-Erzählung (Nr. 459) in die Rubrik „Wie man den selen z hilff kumen sol“ (Nr. 458 – 464) eingeordnet. Bei Pauli fehlt jedoch die markante Verwechlung des Namens Paris–Para-

hatte, und brachte es, da er mit dem für seinen Gebrauch und Unterhalt Notwendigen versehen war, zu einem ausgezeichneten Manne.“  Bebels Version folgen später Freys Gartengesellschaft Nr. 61 (1556) und Kirchhofs Wendunmuth Nr. 138 (1565), auch wenn sie die kurze Darstellung um einige Beschreibungen erweitern. Kirchhof bleibt dabei, dass der Student in Paris zu Ansehen gelangt und er legitimiert das Vorgehen des Studenten sogar doppelt, indem er anführt, dass die Frau bald ohne Erben gestorben sei: „Der hernach solcher kleidung und gelt sich gebrauchte, fleissig studirte und z einem fast gelehrten mann und grosser dignitet seiner geschicklichkeit halber erhaben ward. So starb auch in kurtz nach diesem die alte frauw, daß er niemandt von solchem gelt rechenschafft geben durffte“; Kirchhof: Wendunmuth, S. 168 f. Frey hingegen hält an negativen Stereotypen über den (reisenden, armen) Studenten fest und beschreibt, wie er das Gut in Paris durchbringt und unter die Landsknechte geht: „Ich gedenck, er werde des wegs ins paradis verfälet haben und gehn Beit ein weil z den frommen landsknechten kummen unnd das gelt und kleider etwan verspielt haben“; Jakob Frey: Gartengesellschaft, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1896, S. 76. Vgl. dazu allgemein auch Aarne: Der Mann aus dem Paradiese, S. 18 f.  Ed. in Burkhard Waldis: Esopus. 400 Fabeln und Erzählungen nach der Erstausgabe von 1548, hg. von Ludger Lieb, Jan Mohr und Herfried Vögel. Berlin, New York 2011.  Vgl. dazu Ludger Lieb: Erzählen an den Grenzen der Fabel. Studien zum Esopus des Burkard Waldis. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 1996, S. 129 – 136.

486

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

dies.⁸¹ Anstatt Wortwitz motiviert die Handlung die Figurendarstellung am Beginn des Schwanks: ES was ein fraw die was nit gantz witzig/ sie was aber reich/ und het ein sun gehebt der was gestorben. Vff ein mal da was der her in dem rat/ da kam ein farner schler der begert ein suppen von ir/ die fraw gab im z essen/ vnd saht das gernlin das er an het/ vnd sprach z im/ Ich sihe das ir ein farner schler sein/ und mein sun ist in ein ander welt gefaren/ haben ir in nit gesehen/ ir faren weit hin und her.⁸²

Die Frau wird demnach eindeutig als einfältig und wohlhabend beschrieben, der Besucher aber durch sein offensichtliches Erkennungszeichen, das gernlin, eindeutig als Fahrender Schüler identifiziert und mit genuiner Mobilität assoziiert. Durch die Kenntnis des Stereotyps, die Pauli sowohl bei seinem extradiegetischen Modellrezipienten als auch der intradiegetischen Figur voraussetzt, bedarf die Erzählung nicht des Missverständnisses. Dadurch entsteht eine zusätzliche Komik. Denn während der Rezipient im Fahrenden Schüler den betrügerischen Gauner erkennt, sieht die Frau in ihm nur einen Reisenden, der weit herumkommt, und zwar bis ins Jenseits. Diese Identifikation als Fahrender Schüler zusammen mit dem Wortspiel Paris–Paradies kombiniert Hans Sachs in der wohl berühmtesten Bearbeitung des Erzähltyps.⁸³ Damit macht er – womöglich auch weil er die polulären Planetenkindergedichte kannte – die Fahrenden Schüler zu „Shooting-Stars des frühneuzeitlichen Kulturbetriebs“.⁸⁴

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters Bereits Eugen Geiger hat bei Sachs einerseits die unselbständige Bindung an die Quellen, andererseits die produktiv-transformierende Aneignung literarischer Vorlagen betont.⁸⁵ In seinen Fastnachtspielen und Schwänken orientiert sich Sachs an der weitverbreiteten Schwankliteratur und vor allem an der in Nürnberg äußerst prominenten und lebendigen Fastnachtspieltradition.⁸⁶ Diese Gattungstraditionen trans-

 Nur eine frühere (tschechische) und wenige spätere Varianten unterlassen ebenso die Namensverwechslung als Ausgangspunkt der Schwankhandlung. Vgl. Aarne: Der Mann aus dem Paradiese, S. 6 – 9.  Johannes Pauli: Schimpf und Ernst 1522, fol. 89r.  Vgl. Kapitel 12.2.  Bialecka: Der Planeten irdische Kinder, S. 232.  Vgl. Eugen Geiger: Hans Sachs als Dichter in seinen Fastnachtspielen im Verhältnis zu seinen Quellen betrachtet. Eine literarhistorische Untersuchung. Halle a. Saale 1904.  Vgl. dazu Martin Przybilski: Bändigung oder Subversion. Die Gattung Fastnachtspiel, Hans Sachs und die Brüder Beham. In: Thomas Schauerte, Jürgen Müller und Bertram Kaschek (Hg.): Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit. Petersberg 2013, S. 218 – 231, hier S. 226: „Sachs bedient sich des gleichen Figurenrepertoires und der gleichen rhetorischen Mittel wie seine Vorgänger – insbesondere wiederum wie Folz – und er schöpft auch ganz ähnliche litera-

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

487

formiert er aber fundamental, indem er obszöne und skatologische Implikationen weitgehend tilgt, lose Reihenspiele in geschlossene Handlungsspiele überführt und eine stärkere didaktische Intention verfolgt, die seiner reformatorischen Ethik folgt.⁸⁷ Gerade nach „dem Ende der katechetischen Funktion der Fastnacht in der Reformation und der fortschreitenden Reglementierung von Festen durch den Rat“⁸⁸ kommt es zu einer Säkularisierung und verstärkten Literarisierung der Nürnberger Fastnachtspiele.⁸⁹ Hans Sachs verhält sich affirmativ zu vorhandenen Traditionen, indem er bestehende Gattungsnormen fortsetzt – v. a. im Fastnachtspiel und im Meistergesang – und bekannte Inhalte bearbeitet. Zugleich transformiert er in seinem großen Œuvre viele Traditionen oder konstituiert eigene Formen literarischer Traditionen wie die eines literarisierten Fastnachtspiels mit marginaler Bindung an die traditionellbrauchtümlichen Praktiken. Ebenfalls einzelne Erzähltypen und literarische Muster bekommen bei Hans Sachs eine spezifische Ausprägung, da dieser durch sein eklektisches Vorgehen und sein Streben nach inhaltlicher Geschlossenheit verschiedene Traditionsmaterialien homogenisiert und durch seinen zeitgenössischen Erfolg (bis ins 17. Jahrhundert) auch kodifiziert.⁹⁰ Damit haben die Bearbeitungen von Sachs durchaus Einfluss auf literarische Wissensbestände der Frühen Neuzeit und nach seiner Wiederentdeckung im 18. Jahrhundert durch Goethe, Wieland sowie aufgrund

rische und außerliterarische Wissensarchive aus, wie sie schon in den älteren Spielen, auch hier vor allem von Folz, genutzt worden waren. Letztlich ist auch seine Intention nicht allzu weit von derjenigen der früheren Autoren entfernt, dient doch eine ganze Reihe folzscher wie sachsscher Spiele sowohl dem subversiven Verlachen tatsächlicher oder angemaßter Herrschaftsmacht und Herrschaftswissens als auch der Präsentation divergenter Bestände gelehrter Tradition“.  Vgl. dazu Barbara Könneker: Hans Sachs. Stuttgart 1971, S. 60 – 62 und Maria E. Müller: Bürgerliche Emanzipation und protestantische Ethik. Zu den gesellschaftlichen und literarischen Voraussetzungen von Sachs’ reformatorischem Engagement. In: Thomas Cramer und Erika Kartschoke (Hg.): Hans Sachs. Studien zur frühbürgerlichen Literatur im 16. Jahrhundert. Bern, Frankfurt a. M. u. a. 1978, S. 11– 40.  Erika Kartschoke und Christiane Reins: Nächstenliebe – Gattenliebe – Eigenliebe. Bürgerlicher Alltag in den Fastnachtsspielen des Hans Sachs. In: Thomas Cramer und Erika Kartschoke (Hg.): Hans Sachs. Studien zur frühbürgerlichen Literatur im 16. Jahrhundert. Bern, Frankfurt a. M. u. a. 1978, S. 105 – 138, hier S. 111.  Zur Säkularisierung vgl. Dietz-Rüdiger Moser: Fastnacht und Fastnachtspiel. Zur Säkularisierung geistlicher Volksschauspiele bei Hans Sachs und ihrer Vorgeschichte. In: Horst Brunner, Gerhard Hirschmann und Fritz Schnelbögl (Hg.): Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Nürnberg 1976, S. 182– 218, hier v. a. S. 210 – 214; zur Literalisierung vgl. Karolin Freund: Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels. Tübingen 2018, S. 12 f.  Vgl. Dirk Rose: ‚Hans Sachs‘. Entstehung und Funktion eines poetologischen Stereotyps in der Frühen Neuzeit. In: Mirosława Czarnecka, Thomas Borgstedt und Thomasz Jabłecki (Hg.): Frühneuzeitiche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Bern u. a. 2010, S. 443 – 468. Er analysiert das ausgeprägte Autor- und Werkbewusstsein bei Sachs und sein Traditionsverhalten, das sich unter anderem auf Hans Folz richtet, (S. 444– 448) sowie die Variationen und Funktionaisierungen des Sachs-Stereotyps von den Opitzianern bis zu Goethe und Wagner (S. 449 – 468).

488

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

der „halb modisch literaturhaften, halb national politischen Sachsbegeisterung“⁹¹ am Ende des 19. Jahrhunderts auch auf die Gegenwart.

‚Der Fahrende Schüler im Paradies‘ und der Venusberg Einen exzeptionellen Status hat dabei sein Fastnachtspiel vom „Fahrenden Schüler im Paradies“, da es sich zum einen um den wohl berühmtesten Text von Sachs handelt, zum anderen um die bekannteste Variante des vielbearbeiteten Erzähltyps. Dabei nutzt Sachs neben anderen Überlieferungen Johannes Paulis Schwanksammlung Schimpf und Ernst,⁹² auf die er auch an anderer Stelle oft zurückgreift.⁹³ Der Arbeitsweise Sachs’ entsprechend erfolgt die erste Bearbeitung des Erzähltypus jedoch nicht als Fastnachtspiel, sondern in einer kürzeren Textform, in diesem Fall als Meisterlied „Der farent schuler mit der reich einfeltigen pewrin“ vom 7. Mai 1549. Das Lied gliedert sich in drei Abschnitte: (1) den Auftritt des Fahrenden Schülers und das Missverständnis der einfältigen Bäuerin, (2) die Auskunft des Schülers, die Übergabe der Gaben für den verstorbenen Ehemann und die Rückkehr des zweiten Ehemanns, (3) die List gegen den Bauern und die Flucht auf dem Pferd. Dabei wird der Fahrende Schüler zwar als Almosenbettler eingeführt, jedoch auch seine Schalckhaftigkeit herausgestellt:

 Zum Nachleben von Hans Sachs vgl. Könneker: Hans Sachs, S. 70 – 75, zit. S. 73 und die ältere Untersuchung mit zahlreichen Materialien in Ferdinand Eichler: Das Nachleben des Hans Sachs vom XVI. bis ins XIX. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1904, v. a. S. 1– 78.  Die Quellenfrage des Fastnachtspiels hat sich als ebenso problematisch wie wenig zielführend herausgestellt und das schon bei den ersten Beschäftigungen mit der Frage durch Arthur Ludwig Stiefel. Dieser geht 1891 – wie Edmund Goetze 1881 – von Paulis Schimpf und Ernst und Bebels Facetiae als unmittelbaren Quellen für Hans Sachs aus, korrigiert jedoch seine Annahme, als er auf die lateinische Komödie Clericus Eques (1535) des belgischen Dominikaners Johannes Placentius hingewiesen wird – ed. in Wickram: Werke, Bd. 8, S. 324– 333. Stiefel postuliert daraufhin ein verlorenes altfranzösisches Fabliau oder eine novellistische bzw. dramatische (mittelhoch‐)deutsche Übertragung des Fabliaus als Vorlage von Placentius und Sachs. Vgl. Edmund Goetze (Hg.): Sämtliche Fastnachtspiele von Hans Sachs. Halle a. Saale 1881, Bd. 2, S. X f., Arthur Ludwig Stiefel: Über die Quellen der Hans Sachsischen Dramen. In: Germania. Vierteljahrsschrift für Deutsche Althertumskunde 36 (1891), S. 1– 60, hier S. 14 f. und Arthur Ludwig Stiefel: Der „Clericus Eques“ des Johannes Placentius und das 22. Fastnachtsspiel des H. Sachs. In: Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur N. F. 4 (1891), S. 440 – 445, hier S. 444. Johannes Bolte hingegen nimmt Placentius als Quelle für Sachs. Vgl. Frey: Gartengesellschaft, S. 237. Zuletzt sah Freund: Theatermonolog, S. 175 – 196 in Pauli die unmittelbare Quelle für Sachs’ Bearbeitungen und untersucht die narratologischen Veränderungen von Pauli zu Sachs, wobei ihr einige Fehler beim Referat der älteren Forschung wiederfahren. Insgesamt ist festzustellen, dass eine eindeutige Vorlage nicht nachzuweisen ist und wohl auch mündliche Überlieferungen in die Überlegungen einzubeziehen sind. Wahrscheinlich partizipiert Sachs an verschiedenen, schriftlichen und mündlichen Tradition des Erzähltypus. Vgl. so auch schon Aarne: Der Mann aus dem Paradiese, S. 14 f.  Vgl. Classen: Predigtliteratur, S. 234.

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

489

Ains tages kam ain farent schueler in ir hauͤ s, Der samelt ayer, war schalckhaftig vberauͤ s.⁹⁴

Sowohl die Frage nach seiner Herkunft als auch das Missverständnis gehen im Folgenden von der Ehefrau aus und der Fahrende Schüler muss diese nur nutzen, sobald er ihre Einfalt erkannt hat (vgl. vv. 15 f.). Bei der Ausstattung mit den Gaben wird vor allem ein rotes Tuch hervorgehoben, welches dann im Folgenden als Zeichen für ein mögliches Wiedererkennen dient („Das rot duch an sein hals er henckt“, v. 33). Indem der Fahrende Schüler später das Tuch verbirgt, verschleiert er auch die Zuordnungsmöglichkeit des Bauern und kann ihn so in die Irre führen. Dieser Dreiteiligkeit folgt auch das Fastnachtspiel Der farendt schuler im paradeiß vom 8. Oktober 1550, wobei er die gedrängte Darstellung des Meisterlieds deutlich erweitert (von 60 auf 322 Verse).⁹⁵ Knut Kiesant erkennt wie im Meisterlied auch im Fastnachtspiel eine Gliederung in drei Teile, indem er auf Grundlage der sozialökonomischen Disposition der Figuren eine Reihung von drei dramatischen Tausch-Akten ausmacht:⁹⁶ Das Spiel wird durch einen Monolog der Bäuerin eingeleitet, in dem sie bereits den Wunsch äußert, ihrem verstorbenen Ehemann (materielle) Hilfe zukommenzulassen. Der Fahrende Schüler appelliert nun im Gegensatz zum Meisterlied – hier bittet er um Eier – oder zu Paulis Version – hier bittet er um eine Suppe – nicht nur an die barmherzige Mildtätigkeit der Bäuerin, sondern nennt stolz seine Stellung: Ach liebe muttr, ich kumb herein, Bit, laß micht dir befolhen sein Mit deiner milten handt und gab; Wann ich gar viel der künste hab, die ich in büchern hab gelesen. Ich bin in Venus-berg gewesen, Da hab ich gsehen manchen buler; Wiß, ich bin ein farender schuler Und fahr im lande her und hin. Von Pariß ich erst kummen bin Itzundt etwa vor dreien tagen. (S. 73, Z. 1– 11)

 Hans Sachs: Die Fabeln und Schwänke in den Meistergesängen. Bd. 5, hg. von Edmund Goetze und Carl Drescher. Halle a. Saale 1904, Nr. 596, S. 3 – 5, hier vv. 4 f.  Hans Sachs: Werke. Bd. 14, hg. von Adalbert von Keller und Edmund Goetze. Tübingen 1882, S. 72– 83. Aufgrund dieser Dreiteiligkeit erkennt Hartmut Kugler im Gespräch zwischen der Bäuerin und dem Bauern den „Angelpunkt der Geschichte, an dem das Geschehen ins doppelt Absurde kippt, weil der Bauer sich zum Schein auf den Aberglauben seiner Frau einläßt“, zumal dieser auch „ziemlich genau das arithmetische Mittel des Spiels“ bildet. Hartmut Kugler: Meisterliederdichtung als Auslegungskunst. Zur impliziten Poetik bei Hans Sachs. In: Dorothea Klein (Hg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit. Wiesbaden 2000, S. 541– 557, hier S. 554.  Vgl. Knut Kiesant: Die neuen Abenteuer des Tausches. Beobachtungen zur Figuren- und Handlungsgestaltung in Hans Sachs’ Fastnachtspiel „Der fahrend Schuler im Paradeis“. In: Weimarer Beiträge 34 (1988), S. 1505 – 1515, hier S. 1506 – 1512.

490

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Diese Passage kann mit Kiesant als „Verkaufs-Angebot“⁹⁷ interpretiert werden, demzufolge der Schüler ökonomischen Maximen der bürgerlichen Gesellschaft folgend sein Wissen für eine Gegenleistung anbietet. Doch von den magischen Dienstleistungen, wie sie Hans Sachs in anderen Texten auch explizit nennt,⁹⁸ ist hier nicht die Rede. Vielmehr handelt es sich bei diesem Auftreten des Fahrenden Schülers mit dem Verweis auf die vielen Künste und den Aufenthalt im Venusberg um eine dramatische Umsetzung der Beschreibungen im Liber Vagatorum oder dem Erzähltyp ‚Von den sieben Künsten und der einen Kunst‘ (z. B. bei Bebel). Auch weist er gleich in der ersten Redepassage auf die ziellose Bewegung (vagari) hin. Er beschränkt den Hinweis auf seine Mobilität also nicht auf den Ort Paris, der für das folgende Missverständnis strukturell notwendig ist.⁹⁹ Den zweiten Tausch beschreibt Kiesant als den „Preis von List und Einfalt“,¹⁰⁰ da die Frau dem Fahrenden Schüler durch ihre Naivität Spielräume für das Tauschgeschäft schafft und ihn ohne Sicherheiten als Boten für die kostbaren Gaben wählt. Diese Naivität wiederholt sich im dritten Tausch: Als der Bauer, der sich seiner Frau an Klugheit für überlegen hält,¹⁰¹ den Betrüger verfolgen will, vertraut er dem fremden Passanten ebenso ohne Sicherheit sein Pferd an. Denn er erkennt im Passanten nicht den eigentlich verfolgten Fahrenden Schüler. Dieser hat nämlich seine Identität gewechselt, indem er sein Erkennungszeichen verbirgt. Im Gegensatz zu Sachs’ Meisterlied oder zu Pauli, in denen die Gaben der Bäuerin dieses Zeichen repräsentieren, handelt es sich im Fastnachtspiel Der farendt schuler im paradeiß um das gelbe Garn, welches ebenfalls in anderen Texten als das konventionelle Dingzeichen der Fahrenden Schüler gilt. So identifiziert die Bäuerin ihren Boten: Er zog hinauß die untern strassen, Es tregt der schuler hoch erfarn An seinem hals ein gelbes garn Und das pürlein auff seinem rück. (S. 77, Z. 14– 17)

Und auch der Fahrende Schüler weiß von seinem Erkennungszeichen, nach welchem der Bauer sofort fragt: Der farendt schuler kummet mit dem pürlein unnd spricht […] Ich wil das pürlein hie verstecken Ein weil in diese dornen-hecken. […]

 Kiesant: Abenteuer des Tausches, S. 1506 f.  Z. B. im Fastnachtspiel Der farend schuler mit dem teuffel-pannen (1551) und den Schwänken „Die unsichtige nacket hausmagdt“ (1559) oder „Der pawrenknecht mit der nebelkappen“ (1559). Diese Texte werden noch behandelt.  Den topischen, aber auch berühmten Studienort führt der Fahrende Schüler gewiss auch an um anzugeben.  Kiesant: Abenteuer des Tausches, S. 1508.  In einem Monolog schimpft er über die Dummheit seiner Frau: „Ach, herr gott, wie hab ich ein weib, | Die ist an seel, vernunfft und leib | Ein dildap, stockfisch, halber nar, | Irs gleich ist nit in unser pfarr“ (S. 78, Z. 3 – 6).

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

491

Mein garn in busen schieben frey, Auff das er mich nit kenn darbey, Wil keinen mich an meinen stab, Sam ich auff ein zu warten hab. Der pawr kumbt gespordt unnd spricht Glück zu, mein liebs menlein, glück zu! Hast nit ein sehen lauffen du, Hat ein gelbs strenlein an dem hals Und tregt auff seinem ruck nachmals Ein kleines pürlein, das ist plab? (S. 78, Z. 26–S. 79, Z. 12)

Der Fahrende Schüler erscheint bei Sachs also einerseits als überheblicher Bettler und Hochstapler, der mit seinem (vermeintlichen) Wissen und seinen Titeln prahlt, andererseits als listige Figur, die sowohl die Meinung der Mitmenschen manipulieren als auch semantische Zusammenhänge verschleiern kann. Gleichzeitig vereinigt Sachs verschiedene Darstellungen in der Tradition der Figur. Interessant ist schließlich die Erwähnung des Venusbergs, die er womöglich aus den ähnlichen Darstellungen im Liber Vagatorum oder bei Bebel entnommen hat. Auch wenn Sachs den Venusberg bereits früher im Fastnachtspiel Das hoffgsindt Veneris (1517) und im Schwank „Der doctor im Venus-perg“ (7. Februar 1545) nennt, bleibt der Ort hier doch auf den Topos der Wirkungsstätte der Liebesgöttin und Stätte der Lust und des Luxus beschränkt. Erst in Der farendt schuler im paradeiß (1550) begegnet der Venusberg als Ort der Magie und als Ausbildungsstätte der Fahrenden Schüler. Dagegen bleibt das Bewusstsein von der (problematischen) Fiktionalität des Venusbergs, die auch als Gegenstand der Verspottung eingesetzt wird. In „Der doctor im Venus-perg“ (1545) berichten zwei schelmische Künstler aus Florenz ihrem Nachbarn, einem Doktor, von den Wundern des Venusbergs, treffen sich dann aber zu festgesetzter Stunde verkleidet als animalisches Wesen mit ihrem Opfer und tragen ihn nicht zum Venusberg empor, sondern werfen ihn in eine Kloake.¹⁰² In „Die unsichtige nacket hausmagdt“ (2. Juni 1559) ist hingegen eine Magd das Opfer.¹⁰³ Sie hört von den Fertigkeiten ihres Hausherrn, einem Apotheker, der in allerlei Disziplinen von Fahrenden beschlagen ist. Von ihm heißt es: Auff ein zeyt ein appodecker saß zu Nüremberg, der kurtzweillig was Mit seltzamen possen und schwencken, Gar artlich, was er kont erdencken. Darzu kont er auff seitenspiel Ringen, springen, schiessen zum ziel, War darzu auch ein runder fechter. Derhalben die jungen geschlechter Und jungen bürger uberal

 Hans Sachs: Werke. Bd. 22, hg. von Edmund Goetze. Tübingen 1894, S. 319 f.  Hans Sachs: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875, S. 502– 505.

492

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Legten zu im mannich nachtmal Von seiner abenthewer wegen, Der er war all zeyt unerlegen. (S. 502, Z. 3 – 14)

Im Folgenden belauscht sie, wie über die magischen Künste des Apothekers gesprochen wird: vom Wettermachen, Schatzgraben, Festmachen, Liebeszauber, Fliegen auf den Venusberg, Wiederbeschaffen von Diebesgut, Teufelsbeschwören und ‐bannen.¹⁰⁴ Wegen dieser Worte begehrt die Magd, in der Kunst des Unsichtbar-Werdens unterrichtet zu werden. Der Apotheker vermittelt ihr allerlei Hokuspokus und lässt sie, in dem Glauben unsichtbar zu sein, nackt an einer Gesellschaft erscheinen. Da die Gäste in die Posse eingeweiht wurden, stellen sie die Frau erst spät bloß und verspotten sie. Auf den folgenden Tag ist der Schwank „Der pawrenknecht mit der nebelkappen“ (3. Juni 1559)¹⁰⁵ datiert. Hier versuchen „zwen landtfahrer“ (S. 507, Z. 21) einen hochmütigen Jungbauern, der herausgeputzt in die Stadt gekommen war, unter Berufung auf ihre Erfahrung im Venusberg zu beeindrucken: […] „Wir kommen her All beide auß dem Venus-berck. Do hab wir gsehen wunderwerck Und bringen mit uns sollich kunst, Dergleichen nicht ist auff erden sunst.“ (S. 507, Z. 32– 36)

Sie verkaufen dem Bauern für viel Geld eine ‚Nebelkappe‘ (Tarnkappe) und verabschieden sich. Als er unter dem Schutz der Kappe, die Zeche prellen will, wird er vom Wirt zurückgehalten und verprügelt. Schließlich kehrt er durchgebläut und demütig wieder in sein Dorf zurück. In allen drei Schwänken dient der Venusberg als Zeichen für ein Wissensgefälle zwischen einem listigen Täter und einem abergläubischen Opfer, welches aufgrund seiner Hybris am Ende bloßgestellt wird. Dies legt das Epimythion von „Die unsichtige nacket hausmagdt“ offen: Also wer ist bald glaubig sunst, Ist einfeltig, steckt vol fürwitz,

 „Eins mals bey einr collation | Brachtens mancherley auff die pon. | Sie waren wol bezecht allsander, | Fielen von einem auff das ander. | Zu letzt wurdens auch reden da | Von der kunst nigromantia, | Von zauberey und schwartzer kunst, | Einer also, der ander sunst, | Wie man die wetter machen solt. | Ein ander die schätz graben wolt. | Der drit kont einen segen sprechen, | Der war für schiessn, hawen und stechen. | Der vierdt kam her mit solchen gaben, | Das in ein junckfraw lieb must haben. | Der fünfft saget auch her ein fabel, | Wie man nachts außführ auff der gabel | Und auff dem bock in Venus-berck, | Dorinn man sich groß wunderwerck. | Der sechst, wie man ein dieb möcht zwingen, | Der gstolen gut wider must bringen. | Der siebent, wie man in ein kreiß | Den teuffel brecht mit wenig geschreiß, | Dorinn er all geheim must sagen | Alles, was man in thete fragen, | Wie man in darnach wider bschwür, | Das er denn zu dem first außführ | Und thet keinen menschen kein leid“; Sachs: Die unsichtige nacket hausmagdt, S. 502, Z. 15–S. 503, Z. 10.  Hans Sachs: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875, S. 506 – 509.

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

493

Zu erfaren jenes und ditz, Der wirdt denn etwan auch zu letzt Von eim listigen auffgesetzt, Doraus im spot und schamrot wachs. (S. 505, Z. 18 – 23)

Als listiger Täter begegnen in den Erzählungen meist Figuren, die als potentielle Trickster nur lockere soziale Bindungen (wie die Landfahrer) oder Affinitäten zu Fahrendem Volk und Gauklern aufweisen (wie bei Sachs der Apotheker).¹⁰⁶ Beide Eigenschaften vereinen sich im Fahrenden Schüler, der ähnlich wie im Fastnachtspiel Der farendt schuler im paradeiß auch im Schwank „Das unhulden-bannen“ (10. Januar 1556)¹⁰⁷ als Angeber und Zauberkünstler auftritt und dem abergläubischen Bauern Claus Ott seine Dienste anbietet: Eins tags an einem pfintztag spat Ein fahrender schuler zu ihm eintrat, Wie sie denn umbgiengen vor jarn Und lauter pawren-bscheisser warn. Der sagt her grosse wunderwerck, Wie er kem auß dem Venus-berck, Wer ein meyster der schwartzen kunst. Macht dem pawren ein plaben dunst. (S. 271, Z. 14– 21)

Der Bauer will sich an den Hexen und Unholden rächen und wird vom Fahrenden Schüler gelehrt, einen Bannkreis zu ziehen und mitternachts auf der Kreuzung in einem Ritual und mit Zaubersprüchen die Unholde zu beschwören. Doch der Fahrende Schüler hat den Bauern nur verspottet. Als dieser mit zwei Nachbarn im Bannkreis steht, erscheint der Schüler mit acht als Hexen verkleideten Rossknechten. Sie erschrecken und verprügeln die Bauern, die am Ende wegen ihrer Leichtgläubigkeit auch noch von den anderen Dorfbewohnern verspottet werden. Der Fahrende Schüler als genuin mobile Figur aber zieht unbehelligt weiter: Der fharent [sic!] schuler nam sein lohn Des morgens frü und zog darvon (S. 275, Z. 21 f.)

 Auch bei der Verarbeitung des Erzähltyps „Der teufel nam ein alts weib zu der eh“ (13. Juli 1557 als Schwank und 24. September 1557 als Fastnachtspiel) stellt Sachs keinen Fahrenden Schüler dar wie Heinrich Kaufringer (vgl. Kapitel 10.2.1), sondern einen wandernden Arzt. Die beiden Figurentypen scheinen also sehr ähnlich zu sein. Einen bloßen Bettelschüler lässt Sachs im Fastnachtspiel Der parteckensack (2. Dezember 1552) auftreten. Hans Sachs: Werke. Bd. 17, hg. von Edmund Goetze. Tübingen 1888, S. 3 – 16. Er bezeichnet ihn hier als Bachanten: „Conrad, der pachant, kombt mit dem parteckensack und schreibzeug“ (S. 11, Z. 2 f.) und beschreibt seinen Alltag folgendermaßen: „Int schul so geh ich bey dem tag | Und den leuten umb lohn holtz trag, | Lauff auch herumb nach den partecken [kleine Almosen, vom lat. Bettelruf partem! ‚ein Stück!‘] | Die gantz statt auß, all winckl und ecken, | Darmit ich mein nahrung erjag. | Das ist mein kaufmanschatz all tag.“ (S. 11, Z. 25 – 30).  Hans Sachs: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875, S. 271– 275.

494

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Im Epimythion heißt es: So wirdt noch mancher man betrogen Und bey der nasen umbherzogen Von den landfarern und zawberern, Die sich grosser kunst rhümen gern, Und ist doch solch ir zauberey Ein plaber dunst und fantasey Und als erlogen und erticht, Wie man denn solches teglich sicht. Auß dem folget viel ungemachs. Hüt dich vor den! räth dir Hans Sachs. (S. 275, Z. 24– 33)

Damit formuliert der Text – wenn auch mit abweichender Schwerpunktsetzung – dieselbe Intention wie bereits der Liber Vagatorum. Er soll durch humorvoll unterhaltende Narrationen über (vermeintliche) Betrüger informieren und zu richtigem Verhalten anleiten. Diese Überschneidungen sind jedoch kein Zufall, sondern erscheinen als eine unmittelbare Übernahme im Dienst der Überzeugungen Martin Luthers, der durch die Neuauflage des Liber Vagatorum als Von der falschen Bettler Büberey 1528 die Thematik aufgegriffen und zum Anliegen der Reformation gemacht hatte.¹⁰⁸ Ausgehend vom Bettlerkatalog, der durch Luther mit enormem traditionsaffirmativem Potential für reformatorische Schriftsteller aufgeladen wurde, aber auch unter Einbezug bestehender Traditionen der Schwankliteratur – v. a. in seiner Heimatstadt Nürnberg (z. B. bei Rosenplüt) – entwirft Sachs damit ein geschlossenes literarisches Bild vom Fahrenden Schüler, welches durch seine zeitgenössische Popularität seinerseits von anderen Texten aufgenommen wurde. So schließt sich der Mühlhauser Fortsetzer von Wickrams Rollwagenbüchlein 1558 bei der Bearbeitung des Erzählmusters vom ‚Fahrenden Schüler im Paradeis‘ nicht der Fassung Bebels an (wie Frey oder Kirchhof), sondern er verkürzt die Version von Hans Sachs und überführt damit eine dramatisierte Fassung in die populäre Gattung der Schwanksammlung.¹⁰⁹ In ebendieser schwankhaften Version wird der Erzähltypus dann auch in späteren literarischen Varianten tradiert und in andere Literatursprachen übersetzt, z. B. ins Lateinische in Johann Hulsbuschs Sylva Sermonum (1568) und ebenso ins Niederländische (1576) oder Französische (1591).¹¹⁰

 Vgl. Kapitel 5.1.3. Hans Sachs wurde spätestens ab 1523 mit Die Wittenbergisch Nachtigall zum offenen Unterstützer der Reformation. Zum Verhältnis von Hans Sachs und Martin Luther vgl. Berndt Hamm: „Ist das gut evangelisch?“ Hans Sachs als Wortführer und Kritiker der Reformation. In: Luther 66 (1995), S. 125 – 140 und Eli Sobel: Martin Luther and Hans Sachs. In: Michigan Germanic Studies 10 (1984), S. 129 – 141.  Jörg Wickram: Rollwagenbüchlein. Mühlhausen: Peter Schmidt und Johann Schirenbrand 1558, S. 20 – 23.  Johann Hulsbusch: Sylva sermonum iucundissimorum. Basel: Apiarius 1568, S. 42– 44. Vgl. dazu weiter Frey: Gartengesellschaft, S. 237 und Aarne: Der Mann aus dem Paradiese, S. 17.

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

495

Der Schwank von der verstellten Wiege Eine gegenteilige Entwicklung nimmt der ‚Schwank von der verstellten Wiege‘, der in den mittelalterlichen (lateinischen, deutschen und englischen) Texten mit studentischen Figuren besetzt ist.¹¹¹ In der Frühen Neuzeit setzt sich jedoch auch in der deutschen Literatur die Version von Boccaccios Decamerone durch. Diese akzentuiert die Kontingenz der Handlung: Eine Katze bewirkt durch ein Geräusch, dass die Hausherrin das Bett verlässt, wodurch explizit der Zufall die Verwirrung erzeugt. Außerdem geht auf Boccaccio eine ständische Verschiebung auf zwei Edelmänner zurück. Daraus folgt auch, dass die Listhandlung nicht mehr der (topisch kluge) Student steuert, sondern die Ehefrau.¹¹² Diese italienische Version verkürzt Hans Sachs in seinem Meisterlied „Die zwey gesellen mit dem wirt (In dem langen tone Müglings)“¹¹³ und nennt als Vorbild explizit „Boccacius“ (v. 60). Ebenso auf der Boccaccio-Version basieren Michael Lindener (Rastbüchlein, Nr. 24)¹¹⁴ und Martin Montanus (Ander Theil der Gartengesellschaft, Nr. 86 [89]),¹¹⁵ wobei alle drei Versionen wohl unmittelbar auf den italienischen Prätext zurückgehen.¹¹⁶ Die Dominanz Boccaccios liegt also neben der europaweiten Bedeutung des italienischen Humanisten auch an der Rezeption der traditionssteuernden Instanzen für schwankhafte Stoffe in Deutschland, den Kompilationen und Fastnachtspielen (v. a. von Hans Sachs).¹¹⁷ Dieser Bezug des Schwankstoffes auf Boccaccio bleibt auch in allen Versionen des 17. Jahrhundert dominant. In Johann Beers Schelmenroman Corylo (1679/80) bei-

 Vgl. Kapitel 8.2.2.  Decamerone, IX, 6. Vgl. dazu und zum Folgenden Ziegeler: ‚The Tale of the Cradle‘, S. 26 – 28.  Hans Sachs: Die Fabeln und Schwänke in den Meistergesängen. Bd. 6, hg. von Edmund Goetze und Carl Drescher. Halle a. Saale 1913, Nr. 899, S. 101– 103.  Michael Lindener: Rastbüchlein. In: Rastbüchlein und Katzipori, hg. von Franz Lichtenstein. Tübingen 1883, S. 1– 58, hier S. 37– 41.  Martin Montanus: Das Ander theyl der Garten gesellschaft. In: Martin Montanus. Schwankbücher (1557– 1566), hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1899, S. 253 – 434, hier S. 347– 350.  Schon seit dem 15. Jahrhundert gibt es eine deutsche Übersetzung: Giovanni Boccaccio, deutsch von Arigo. Ulm: Johann Zainer d. Ä. um 1473, fol. 329r–331v. Auch weisen alle drei Varianten unterschiedliche Details auf: Sachs nennt als einziger den Namen der Geliebten „Nicolosa“, nennt den Liebhaber aber „Runczo“ und bleibt bei der Ortsangabe vage: „nit weit von Florenz auf dem land“ (v. 1). Lindener hingegen präzisiert den Ort auf „Mongone“ (d. i. Mugnone) und Montanus gibt den Namen des Liebhabers wie bei Boccaccio – wenn auch nicht in der Exposition – als Adriano an, weicht jedoch bei der Namensgebung der Geliebten (Magdalena) von Boccaccio ab und verweist damit auf die biblische Sünderin.  Vgl. dazu die Beiträge in Achim Aurnhammer (Hg.): Giovanni Boccaccio in Europa. Studien zu seiner Rezeption in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2014, v. a. Nikolaus Henkel: Giovanni Boccaccio und Hans Sachs Gattungen als Wirkungsräume städtischer Literatur im 16. Jahrhundert. In: Achim Aurnhammer (Hg): Giovanni Boccaccio in Europa. Studien zu seiner Rezeption in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2014, S. 183 – 206.

496

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

spielsweise wird der Erzähltyp als Erlebnis des Ich-Erzählers beschrieben wird, jedoch gemäß der Boccaccio-Tradition aus der Sicht von Edelleuten.¹¹⁸ Eine Ausnahme in der Tradition des Erzähltyps bildet eine Quaestio quodlibetica von 1515, die sich mit der Unsitte der Trunksucht befasst: De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda. ¹¹⁹ Diese Scherzrede verfasste wohl der Erfurter Humanist und poeta laureatus Helius Eobanus Hessus.¹²⁰ Auch wenn die Rede wohl nie in dieser Form gehalten wurde, knüpft sie doch an eine produktive literarische Reihe aus dem universitären Umfeld an.¹²¹ Zu diesem Kontext passt auch, dass anstatt zwei Edelmännern zwei Studenten als Protagonisten in der Erzählung vorkommen; hier unter dem Titel Alia hystoria de duobus studentibus qui hospitem cum uxore et filia inebriarunt. ¹²² Doch diese lateinische humanistische Version bleibt nicht bei einer bloßen Substitution der Protagonisten der Boccaccio-Tradition, sondern sie wählt generell eine Quelle, die der mittelalterlichen Erzählung vom „Studentenabenteuer“ ähnlicher ist als der Boccaccios. Beispielsweise sind die Erklärungen des zufälligen Ereignisses ganz getilgt und das Verstellen der Wiege wird als gezielte List dargestellt: ille alter, qui adhuc solus dormiebat, invento dolo, cunas […] ad suum lectum trahens. ¹²³ Ebenso treibt ein unbestimmtes Geräusch (nescio quid strepitus in domo audiens) die Ehefrau nach draußen und nicht eine Katze. Als unmittelbare Quelle ist das „Studentenabenteuer“ jedoch unwahrscheintlich, da der (einzige) deutsche Satz der lateinischen Quaestio dort fehlt: Eia, mein lieber man, wie seit ir heint so geil worden. Außerdem endet die Erzählung nicht damit, dass die Studenten mit den Frauen als Wissensge Johann Beer: Corylo. In: Sämtliche Werke, hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. Bern, Berlin, Frankfurt a. M.,Wien 1986, S. 107– 109. Ähnlich in Archierus Cornemicus: Der Gute Mann/ oder der wohlbegabte Hörner-Träger. Leipzig: Fritsche 1680, S. 134– 147. Nur der zweite Teil des Erzähltyps – der Galan landet aufgrund der Wiege im Bett des Hausherrn – wird umgesetzt in Johannes Riemer: Der Politische Maul-Affe. Leipzig: Fritsche 1679, S. 40 – 43. In Happels Academischem Roman (1690) ereignet sich die Schwankhandlung zwar auf der Reise zur Universität, jedoch dominiert in der Figurengestaltung die Rolle des edlen Junkers.Vgl. Eberhard Werner Happel: Der Academische Roman. Ulm: Wagner 1690, S. 614– 620. Zu Happel und den Romanen des 17. Jahrhunderts allgemein vgl. Kapitel 12.4.1.  Helius Eobanus Hessus: De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda. [Erfurt: Mathes Maler] 1515. Ed. und engl. übers. in: The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus. Vol. 3, King of Poets, 1514– 1517, hg. von Harry Vredeveld. Leiden, Boston 2012, S. 172– 323. Alle folgenden Zitate beziehen sich auf diese Ausgabe.  Grundsätzlich zu Eobanus Hessus vgl. Carl Krause: Helius Eobanus Hessus. Sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur Cultur- und Gelehrtengeschichte des 16. Jahrhunderts. Gotha 1879, Eckhard Bernstein: Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha. Köln, Weimar, Wien 2014, S. 152– 184 und Gerlinde Huber-Rebenich und Sabine Lütkemeyer: [Art.] Hessus, Helius Eobanus. In: HumVL 1, Sp. 1066 – 1122. Zur Zuschreibung der Quaestio quodlibetica vgl. Hessus: Poetic Works, S. 193 – 202 und Kipf: Ludus philosophicus, S. 221– 225.  Zu den Scherzreden als literarische Reihe vgl. Kipf: Ludus philosophicus.  Hessus: Poetic Works, S. 274; Übers. P. R.: ‚Eine andere Geschichte von zwei Studenten, die ihren Gastgeber mitsamt Ehefrau und Tochter betrunken machten.‘  Hessus: Poetic Works, S. 274; Übers. P. R.: ‚Jener andere aber, der bisher alleine schlief, zog die Wiege zu seinem Bett, denn er hatte eine List erdacht…‘

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

497

meinschaft den Ehemann übertölpeln, sondern indem die Frau, die die Situation sofort überblickt, ihren Mann beschuldigt: maritoque persuasit ne domesticam maculam propalaret; eius enim id omne culpa accidisse clamitabat. Ita fit nonnunquam, ut, quod sobrii ne cogitamus quidem, ebrii facile admittamus.¹²⁴

Frau und Erzähler nennen also gemäß der Textintention der Quaestio den Alkohol als Schuldigen für die intrikate Situation, zugleicht aber den Hausherrn, da dieser das Zechgelage nicht unterbunden habe.

Das Teufelsbannen Hans Sachs verarbeitet auch den ‚Schwank vom Teufelsbannen‘ (ATU 1358C), dessen prominenteste Version die Versnovelle „Der fahrende Schüler“ von Hans Rosenplüt darstellt.¹²⁵ Analog zu seinem Vorgehen in den bereits untersuchten Erzähltypen bearbeitete Sachs den Stoff zuerst in einem Meisterlied und dann als Fastnachtspiel. Besonders interessant ist in diesem Fall jedoch, dass derselbe Stoff ungefähr ein halbes Jahr vor Sachs von Hans Vogel (belegt 1535 – 1554) ebenfalls in einem Meisterlied bearbeitet wurde, und zwar am 27. September 1548. Vogel, der „produktivste Nürnberger Zeitgenosse des Hans Sachs“,¹²⁶ orientiert sich darüberhinaus stärker an der Version von Rosenplüt, ist aber (auch aufgrund der Bindung an den Ton) deutlich knapper und sprunghafter. Die Nähe zu Rosenplüt wird aber unter anderem dadurch deutlich, dass bei Vogel wie bei Rosenplüt und anders als bei Sachs der Priester „under das rusig dach“ (v. 10) flieht und das Herbeizaubern der Speisen separat vor der Teufelsbeschwörung beschrieben wird. Sachs’ „Der farent schueler mit dem deufl (In der gesangweis Römers)“ vom 7. Mai 1549 verändert die Stropheneinteilung und legt größeres Gewicht auf die Figurendarstellung. Bemerkenswert ist außerdem, dass beide Meisterlieder, die Sachs über einen Fahrenden Schüler schreibt, („Der farent schuler mit der reich einfeltigen pewrin“ und „Der farent schueler mit dem deufl“) auf denselben Tag datieren. Der Aufbau des Meisterliedes ist wieder dreigeteilt: Der erste Abschnitt (vv. 1– 20) entwickelt die Konstellation, in welcher sich der Pfaffe als Ehebrecher in der Küche versteckt, der Schüler aber bei den Bauersleuten sitzt. Es folgt die Vorbereitung der Teufelsbeschwörung, die Absprache mit dem Ehebrecher in der Küche (vv. 21– 40) und dann das Zauberstück mit Beihilfe zur Flucht (vv. 41– 60). Ein großer Unterschied zur  Hessus: Poetic Works, S. 275; Übers. P. R.: ‚Und die Frau überredete ihren Mann, dass er die häusliche Schande nicht öffentlich mache. Sie schreit ihn an, er sei nämlich daran schuld, dass dies alles geschehen sei. So geschieht es manchmal, dass wir betrunken leicht etwas zulassen, worüber wir nüchtern nicht einmal denken würden.‘  Zu den Bearbeitungen vor Hans Sachs vgl. Kapitel 10.2.1.  Horst Brunner: [Art.] Hans Vogel. In:VL16, 6, Sp. 402– 406, hier Sp. 403. Ed. Hans Vogel: Der farent schuler mit dem pfaffen In: Martin Montanus. Schwankbücher, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1899, S. 538 – 540

498

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Stofftradition ist, dass im Sinne einer Kürzung und Straffung die Zweiteiligkeit der Beschwörung von Lebensmitteln und dem Teufel in eins fällt, indem der Pfaffe die Speisen mitbringt. Diese Veränderung behält das Fastnachspiel Der farend schuler mit dem teuffelpannen vom 5. November 1551 bei.¹²⁷ Wie beim ‚Fahrenden Schüler im Paradeis‘ erweitert das Fastnachtspiel das Meisterlied deutlich (von 60 auf 326 Verse). Ebenso beginnt es mit einem Monolog der Bäuerin, zu der zuerst der bucklige Pfaffe und dann der Fahrende Schüler kommen. Der Text beginnt also nicht mit der titelgebenden Figur. Dessen Einführung übernimmt die Bäuerin. Der Pfaffe erschrickt wegen der Geräusche des Neuankömmlings, die Frau aber erklärt die Situation: Der pfaff spricht: Hör! wer thut durch den gattern gan? Ich hör klingen die kü-glocken. Die pewrin geht, schawt und spricht: Mein herr, seyt nicht so gar erschrocken! Es geht ein bettelman herein. Es wirdt ein farender schuler sein. Der paff spricht: So gib im resch und las in gehn Und las in nicht lang hinnen stehn! (S. 74 Z. 13 – 22)

Es folgt ein Streitgespräch zwischen dem Fahrenden Schüler und dem Pfaffen. Der Schüler appelliert an die Mildtätigkeit der Bäuerin – „O muter, gib dein milte stewr | Mir armen farenden schuler hewr, […] Der ich im land hin und her fahr!“ (S. 74, Z. 24 f. und S. 75, Z. 2) – und bietet sich dem Pfarrer als Kaplan an (S. 75, Z. 7– 10). Der Geistliche aber beleidigt ihn als „laster-balck“ (S. 74, Z. 30), „beutel-rucker“ (S. 75, Z. 24), „unverstander grober püffel“, „fauler stertzer“ und „schlüffel“ (S. 75, Z. 31 f.). Weiter prophezeit er ihm seine Hinrichtung: Der pfarrer spricht: Du wirst so lang faren fürwar, Biß du zu-letzt ferst an den galgen. […] So muß man dir ein plattn schern Draussen auff dem rabenstein. Du stertzt umb auff dem land gemein Und nichts, denn die pawrn bescheissen Mit lüg und listigs maul auffspreissen Und stielt ein wenig auch darzu. Was nicht wil gehn, das tregestu, Als flachs, ayer, schmaltz und käß. (S. 75, Z. 4– 19)

 Hans Sachs: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875, S. 72– 84.

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

499

Dieser „hochmut“ (S. 76, Z. 5) ist dann der Grund für die Rache des Schülers. Als der Bauer zurückkehrt, kommt ebenfalls der vorher Abgewiesene zurück und stellt sich als Fahrender Schüler vor (S. 78, Z. 7– 11). Die Bäuerin scheitert darin, ihn schnell mit einem Almosen abzufertigen und ist im Folgenden von ihrem Gast abhängig. Dies wird auch darin deutlich, dass der Schüler sie erpresst: „Mutter, schweig! so schweig ich auch.“ (S. 78, Z. 15). Dem Bauern teilt er seine vermeintlichen Fähigkeiten mit: Der pawer spricht: Mein schuler, sag! was ist ewr brauch, Das ir also umfart im land? Der farend schuler spricht Es ist uns auffgesetzt allsand, Das wir stetigs im land umbwandern Von einer hohen schul zu der andern, Das wir lernen die schwartzen kunst Und dergleichen ander künste sunst. Wo man eim etwas hat gestoln, Das können wir eim wider holn. Wen augenwe und zanwe krencken, Dem könn wir ein segn an halß hencken. Vor geschoß wundsegen wir auch haben. Wir kön warsagn und schätz graben, Auch zu nacht auff dem bock außfarn. Der pawer spricht: Hab ich doch wol gehört vor jarn, Ir schuler könt den teuffel pannen. (S. 78, Z. 16–S. 79, Z. 2)

Die okkulten Talente des Fahrenden Schülers sind also dezidiert an die permanente Mobilität desselben geknüpft, gleichzeitig aktiviert er die Liste bekannter magischer Fertigkeiten: das Wiederfinden von Verlorenem, Heilzauber und Schutzamulette, Festmachen, Mantik, Schatzgraben, Fliegen und schließlich Teufelsbeschwörung. Letztere führt der Fahrende Schüler dann durch. Im Gegensatz zum erzählenden Meisterlied müssen die Bauersleute (rückwärts) auf die Tenne steigen, damit die geheime Absprache von Schüler und Priester in der Stube stattfinden kann. Der Grund dafür liegt im Gattungswechsel; denn ein Schauplatzwechsel wäre in der Inszenierung weit umständlicher als im erzählenden Lied. Wie in seiner ersten Bearbeitung des Stoffes bringt auch in Sachs’ Fastnachtspiel der rußbeschmierte ‚beschworene‘ Pfaffe die Speisen. Der Fahrende Schüler zeigt sich allen überlegen und profitiert am Ende dreifach: Vom Pfaffen bekommt er zwölf Taler Schweigegeld (S. 80, Z. 15 – 24), vom Bauern einen Gulden für ein Schutzamulett (S. 83, Z. 20 – 24), von der Ehefrau fünf Gulden, die sie hinterm Haus vergraben hat (S. 83, Z. 31–S. 84, Z. 7), und dazu noch ein üppiges Abendessen. Dieser hedonistisch-selbstsüchtige Gestus scheint für keine Form möglicher Didaxe geeignet. Allenfalls eine „relative Moral“¹²⁸ ist zu erkennen.

 Barbara Könneker: Hans Sachs. Das Fastnachtspiel ‚Der farendt Schuler mit dem Teuffelbannen‘.

500

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Diese verdeutlicht den Zuschauerinnen und Zuschauern, dass sündhaftes Verhalten die möglichen schlimmen Konsequenzen, so „vil ungemachs“ (S. 84, Z. 23), nicht wert sei. Genauso wie Sachs den Stoff nicht erfunden hat, sondern eine spätmittelalterliche Tradition akzipiert (in diesem Fall von Rosenplüt und/oder von Hans Vogel) endet die Bearbeitung des Erzähltyps auch nicht bei ihm, sondern wird in verschiedenen Formen – prosaisch, versifiziert, dramatisch – fortgesetzt. Beispielhaft will ich hier eine literarische Reihe mit einigen folgenden Bearbeitungen dieses Schwankstoffes anführen.¹²⁹ Von Sachs ist ein Schwank in Martin Montanus’ Ander Theil der Gartengesellschaft (um 1560) abhängig.¹³⁰ Hier begegnet der Teufelsbanner zuerst als „ein armer schuͤ ler“ und Bettelsänger, den die Bäuerin mit dem Hinweis, dass doch „noch etwan ein frommer priester aus im werden“ aufnehmen will (S. 397, Z. 13 u. 15 f.), dann aber doch abweist. Als er später wieder zum Bauern kommt, sagt er, er sei „ein farender schler unnd keme aus fraw Venus berg, were für den hoff kommen das almsen zu heischen“ (S. 398, Z. 2– 4). Der Besuch einer Hochschule oder ein reguläres Studium sind hier irrelevant, vielmehr erkundigt sich der Bauer nach dem Wohlergehen des „Danheuser“ und nach „der schwartzen kunst“ (S. 398, Z. 6 f.). Montanus konzentriert sich demnach auf die Narrative vom Venusberg. Nur den zweiten Teil, also die Beschwörung des Ehebrechers nimmt Wolfgang Büttner in seine Exemplasammlung Epitome Historiarum (1576) auf: „Lupoldus/ wolte von einem schwartzen oder fahrenden Schuͤ ler den Teufel sehen“.¹³¹ Daneben etabliert sich noch eine andere Tradition parallel zu den Nürnberger Fastnachtspieldichtern. Diese Version weicht in drei Punkten von Sachs ab. Zum einen ist der gehörnte Ehemann kein Bauer, sondern ein Müller, zum anderen werden zuerst die Speisen herbeigezaubert und erst danach der Ehebrecher – damit steht diese Version näher an den mittelalterlichen Fassungen – und schließlich erscheint der Teufelsbanner weniger stereotyp als Fahrender Schüler aus dem Venusberg, sondern eher als (auch in der schwarzen Kunst) gelehrter wandernder Student. Der erste Beleg dieser Erzählung ist in Burkard Waldis Esopus (1548) IV, 66.¹³² Der Schüler wird zum Studenten, der verarmt von Bologna in seine schwäbische Heimat zurückkehrt: EJn jung Gsell auß dem Welschland zoh Von Bononi der Schulen hoch

In: Albrecht Weber (Hg.): Handbuch der Literatur in Bayern. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1987, S. 175 – 185, hier S. 185.  Ich beziehe mich auf einzelne Aspekte der umfassenden Stoffsammlung in Wilhelm Hertz: Spielmannsbuch. Novellen in Versen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Stuttgart, Berlin 31905, S. 427– 433.  Montanus: Ander theyl der Garten gesellschaft, Nr. 101 (S. 396 – 399).  Wolfgang Büttner: Epitome Historiarum christlicher ausgelesener Historien und Geschichten. o. O. 1576, fol. 63r.  Waldis: Esopus, S. 473 – 478.

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

501

Da selben het er lang studiert Vnd all sein barschafft gar verzert (vv. 1– 4).

Als er sich selber vorstellt, nennt er zuerst seine Kenntnis der septem artes liberales und erst sekundär die schwarze Kunst (vv. 95 – 116). Ganz ähnlich ist der Aufbau im (handschriftlich überlieferten) Fastnachtspiel Von einem Mulner und seinem Weib (1553) des Nürnberger Fastnachspieldichters Peter Probst, der sich durch die genannten Veränderungen vom populären Sachs’schen Stück abhebt.¹³³ Ohne weitere Details wird hier der Protagonist als „faretter schuler“ (v. 75) oder „faretter studenndt“ (v. 156) bezeichnet. Dazu kommt die Version in Michael Lindeners Rastbüchlein (1558), in der ein „armer verzerter student“ auftritt¹³⁴ und das ‚Satyrspiel‘ des Egerers Clemens Stephani (1568), das bis auf einzelne Details von Lindener abhängt, aber gelehrter wirkt.¹³⁵ Im 17. Jahrhundert folgen die versifizierte Version in einer Sprichwortsammlung des Eustachius Eyering (1601), die darauf verweist, dass der Stoff in „der Lügend […] gschrieben steht“¹³⁶ und einzelne niederdeutsche und niederländische Possen, z. B. die Hanenreyerey (1618).¹³⁷ Auch der katholische barocke Prediger Abraham a Sancta Clara integriert den Schwank in seine Sammlung Judas, der ErtzSchelm (1695).¹³⁸ Eine europäische Bedeutung bekommt der Erzähltyp 1615 im Entremés (span. ‚Zwischenspiel‘) La Cueva de Salamanca von Miguel de Cervantes, welches einerseits zu einer weiteren Popularisierung, andererseits zu einer Variation beiträgt.¹³⁹ In dieser Version kommen zwei Ehebrecher vor, der Sacristan (Mesner) Reponce und der Barbier Nicolás Roque. An diesen muss sich der pobre estudiante (S. 129, Z. 1) Carraolano auch nicht rächen, da er von Anfang an freundliche Aufnahme findet. Als der

 Ed. Peter Probst: Ein schon vasnacht spil von einem Mulner und seinem Weib. In: Die dramatischen Werke des Peter Probst (1553 – 1556), hg. von Emil Kreisler. Halle a. Saale 1907, S. 27– 41.  Lindener: Rastbüchlein, Nr. 5, S. 16 – 18, hier S. 16.  Ed. Clemens Stephani: Ein kurtze vnd fast lustige Satyra, oder Bawrenspil. In: Ausgewählte Texte aus der deutschen Litteratur Böhmens im XVI. Jahrhunderte, hg. von Rudolf Wolkan. Prag 1891, S. 125 – 139. Zum Vergleich zu Lindener vgl. Hans Lambel: Einige Bemerkungen zu Clemens Stephanis Satyra. Prag 1902, S. 5 – 9.  Eucharius Eyering: Proverbiorum copia. etlich viel hundert lateinischer und teutscher Schöner und lieblicher Sprichwörter. Nachdr. der Ausgabe 1601. Hildesheim 1999, Bd. 2, 431– 436, hier S. 431. Der Protagonist wird hier als „hinfahrender Schuͤ ler glat“ [wohl von ‚gelehrt‘] bezeichnet. Zum ‚Glatten‘ im Gaunerdiskurs um 1500 vgl. Kapitel 5.1.4.  Dazu und umfassend zu den anderen ‚Bearbeitungen‘ der Version von Waldis vgl. Johannes Bolte und Wilhelm Seelmann (Hg.): Niederdeutsche Schauspiele älterer Zeit. Leipzig, Norden 1895, S. *45 f.  Abraham a Sancta Clara: Judas der Ertz-Schelm/ Für ehrliche Leuth/ Oder: Eigentlicher Entwurff/ und Lebens-Beschreibung deß Iscariotischen Bößwicht. Bd. 4. Salzburg: Melchior Haan 1695, S. 366.  Ed. Miguel Saavedra de Cervantes: Entremes de la Cueua de Salamanca. In: Comedias y Entremeses, hg. von Rodolfo Schevill und Adolfo Bonilla. Madrid 1918, S. 125 – 144. Neben dem Entremés von Cervantes sind noch weitere (frühere) spanische Bearbeitungen des Erzählstyps erhalten und als Vorbilder möglich. Vgl. Manuel García Blanco: El tema de la Cueva de Salamanca y el entremés cervantino de ese título. In: Anales Cervantinos 1 (1951), S. 73 – 109, hier S. 76 f.

502

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Hausherr zurückkehrt, müssen sich der Sacristan und der Barbier verstecken. Den Studenten aber fragt er nach seiner Herkunft und seinen Fähigkeiten; dieser gibt an, in der Höhle von Salamanca allerlei Dinge gelernt zu haben, will diese allerdings aus Angst vor der Inquisition nicht anwenden (miedo de la santa Inquisicion, S. 138, Z. 14 f.). Schließlich gibt er dem Drängen seines Gastgebers nach und ‚beschwört‘ die beiden ‚Teufel‘. Diese liefern das Essen, singen und bringen mit dem gefoppten Hausherrn einen heiteren Abend zu, während dem dieser noch ganz viel von der Cueva de Salamanca wissen will.¹⁴⁰ Dazu kommt noch eine (dritte) Version, in der zwei Mönche als Teufelsbanner auftreten. Diese Version geht wohl auf ein mittelenglisches Muster zurück¹⁴¹ und wurde v. a. im 17. Jahrhundert populär. So prägten englische Komödianten auf dem Festland das deutsche Possenspiel Der viesierliche Exorcist (ed. 1675), in dem der gerissene Frater Johannes zusammen mit seinem Gefährten, dem einfältigen Pater Bernhardus, den Teufel in Form des Ehebrechers ‚beschwört‘. In der Vorrede zum Lesetext ist dazu angegeben, der Verfasser habe das Theaterstück „von Comœdianten, auff dem Schauplatz fuͤ rgestellet/ gesehen/ wegen ihrer Artigkeit behalten/ und schreibe sie/ zu […] nuͤ tzliche[r] Belustigung/ hin.“¹⁴² Dies belegt mithin, dass der Stoff lange auf ‚Wanderbühnen‘ inszeniert wurde. Dies zeigt auch die Bearbeitung des Stoffes im Wiener Lustspiel Der Bettelstudent oder das Donnerwetter von Paul Weidmann (1776, als Singspiel 1782 mit dem Libretto von Franz Xaver Huber und der Musik von Peter von Winter), das eine eigene litera-

 Zur Situierung des Studenten in der Figurenkonstellation des Stückes vgl. Luigi Contadini: La Cueva de Salamanca de Cervantes y el Dragoncillo de Calderón algunos Aspectos del Teatro Barroco Espanol. In: Confluenze 2 (2010), S. 130 – 149, hier S. 139 – 141. Allgemein zu Studentenfiguren im spanischen Siglo de Oro vgl. Maxime Chevalier: Un Personaje Folklórico de la Literatura del Siglo de Oro. El Estudiante. In: Publicaciones de la Universidad de Sevilla. Serie Filosofía y letras 54 (1981), S. 40 – 58. Nach Cervantes aber wurde der Student als ‚Teufelsbanner‘ mitunter durch einen Soldaten ersetzt, so in der französischen Version D’un jeune Soldat qui jouit de la femme d’un Bourgeois (interessanterweise lokalisiert im spanischen Granada) in einer Schwanksammlung (1651) von Antoine Le Metel D’Ouville (Les contes aux heures perdues. Vol. 2. Paris: Toussaint Quinet 1651. S. 182); außerdem im spanischen Entremés El Dragoncillo von Pedro Calderón de la Barca (wohl 1670, Druck 1708 in Zaragoza). In dieser Version wurde der Stoff dann auch 1772 als Der Soldat als Zauberer auf die deutsche Bühne gebracht. Zu diesen und anderen Retextualisierungen vgl. García Blanco: El tema de la Cueva de Salamanca, S. 97 u. 100 – 102 und Bolte/Seelmann Niederdeutsche Schauspiele, S. *47 (Anm. 4).  Im schottischen Friars of Berwick (1461– 82) sagt Freir Robert, der den Ehebrecher ‚beschwört‘, er habe sehr viele Rituale jenseits des Meeres in Paris kennengelernt: For I haif mony sindry practikis seir | Be3ond þe sey in Pareiss did I leir (vv. 317 f.). Ed. mit Kommentar in The Friars of Berwick. In: Ten Fifteenth-Century Comic Poems, hg. von Melissa M. Furrow. New York, London 1985, S. 313 – 362.  Der viesierliche Exorcist. Im Anhang von: Alamodisch Technologisches Interim. Rappersweil: Henning Liebler 1675, S. 3. Vgl. dazu Johannes Bolte: Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger in Deutschland, Holland und Skandinavien. Hamburg, Leipzig 1893, S. 37 f.

12.2 Der Fahrende Schüler bei Hans Sachs – Kodifizierung eines Musters

503

rische Reihe beginnt.¹⁴³ Die Handlung wird in ein bürgerliches Setting überführt und entschärft. Ort ist eine Mühle, das Liebespaar die (unverheiratete) Müllerstochter Hannchen und der Hydraulikus Brandheim, der dem Vater Jakob aber aufgrund seines Wasserbauprojekts, welches der Mühle das Wasser abgräbt, verhasst ist. Er will seine Tochter lieber mit dem Beamten Tollberg verheiraten. Zu ihnen kommt nun der arme Student Wilhelm, der mit Degen und Leier ausgestattet ist und um ein Almosen bittet, von Tollberg aber schroff abgewiesen wird.¹⁴⁴ Als er zufällig das Stelldichein von Hannchen und Brandheim belauscht und der Vater dazukommt, rettet er die Situation, indem er anbietet, das Gespenst in der Mühle zu bannen: In der That, ich rieche hier etwas – Ja Herr, in eurer Muͤ hle ist ein Teufel! – Ich bin in einem Zeichen geboren, wo man alle Gespenster sieht, Meine Kenntnisse erstrecken sich auch bis zum Geister verbannen.¹⁴⁵

Wie in der Tradition nach Waldis ‚zaubert‘ der Student zuerst die Speisen und dann den ‚Teufel‘ – auf den Wunsch des Müllers – in Gestalt des Hydraulikus hervor. Dieser kann fliehen. Es folgt ein Unwetter und ein Blitz lässt die Mühle Feuer fangen. Der Student Wilhelm und Brandheim können das Feuer jedoch löschen, woraufhin der Müller unter allgemeiner Glückseligkeit dem Hydraulikus die Hand seiner Tochter gewährt. Gemäß der Mode im Wiener Volkstheater greift Weidmann auf die Zauberei des Schülers zurück, welche zum glücklichen Ausgang beiträgt. Jedoch integriert er das Wunderbare – im Gegensatz zu etwa Johann Nestroy – allenfalls „rationalisiert“¹⁴⁶ als Teil einer List gegen den abergläubischen und fortschrittsfeindlichen Müller und den spießbürgerlichen Tollberg. Doch auch andere Texte bis ins 19. Jahrhundert nehmen die Tradition des Erzähltyps auf und halten ihn weiter populär, z. B. das Puppenspiel Hans Wurst als Teufelsbanner. Bezeichnenderweise mimt der Hanswurst hier nicht den Fahrenden Schüler, sondern den „fahrende[n] Künstler“, der bei einem „gewaltig gelehrten,

 Zu zahlreichen Singspielen desselben Inhalts: mit demselben Libretto durch Johann Baptist Schenk (Musik) 1796, dann Johann F. E. Albrecht (Libretto) und Adolf F. Metke (Musik) 1796 als Der Teufel ein Hidraulikus (1811 mit einer Ouvertüre von Franz Schubert) sowie nochmals von Wenzel Müller (Musik) 1800. Vor allem das musikalische Quodlibet Der reisende Student, oder: Das Donnerwetter von Louis Schneider (Libretto) und Friedrich August Schulz (Musik) 1838 in Berlin wurde in ganz Deutschland viel gespielt. Dazu kommen noch weitere Lustspiele wie das Fastnachtspiel Der eifersüchtige Müller von Heinrich Kruse (Leipzig 1887) und Verbotene Früchte von Emil Gött (Stuttgart 1894). Der Bettelstudent von F Zell/Richard Genée (Libretto) und Carl Millöcker (Musik) enstpricht zwar (gezielt?) dem Titel Weidmanns, jedoch nicht dem Inhalt. Vgl. zu dieser Textreihe Joanna Giel: Das literarische Werk Paul Weidmanns zwischen Josphinismus und deutscher Aufklärung. Wien 2013, S. 33 f., Hertz: Spielmannsbuch, S. 430 f. und Bolte/Seelmann: Niederdeutsche Schauspiele, S. *46 (Anm. 3).  Vgl. Paul Weidmann: Der Bettelstudent oder das Donnerwetter. Ein Originallustspiel von zwey Aufzügen. Wien: Johann Thomas Edler von Trattern 1776, S. 9 f.  Weidmann: Der Bettelstudent oder das Donnerwetter, S. 22.  Giel: Das literarische Werk Paul Weidmanns, S. 68.

504

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

großen, berühmten Wunderdoktor“ gelernt habe.¹⁴⁷ Der Umstand, dass sich das Puppenspiel über weite Strecken wörtlich an Hans Sachs anlehnt, erklärt diese Begriffsähnlichkeit. Ansonsten werden die Protagonisten in Texten ab dem 17. Jahrhundert aufgrund der semantischen Transformation des Ausdrucks nicht mehr als Fahrende Schüler bezeichnet. Vielmehr werden neben der unterstellten Kenntnis der Schwarzkunst, die ja handlungsnotwendig ist, vermehrt Details zeitgenössischer Studenten appliziert. So ist es auch in der Oper The Wandering Scholar (1930) von Gustav Holst (Musik) und Clifford Bax (Libretto), die auf dem französischen Fabliau Le povre clerc aufbaut, aber explizit von Helen Waddells Buch und damit einer romantisch imprägnierten Vagantenbegeisterung inspiriert ist.¹⁴⁸

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition Es konnte gezeigt werden, dass der Fahrende Schüler fast immer eine Affinität zum Magischen aufweist. Diese Eigenschaft deckt sich auch mit den Aussagen der volkskundlichen Forschung. So hebt das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens vor allem drei Konnotationen hervor, die dem Fahrenden Schüler vornehmlich in Sagen des Alpenraums (Schweiz, Allgäu, Tirol, Vorarlberg) zugeschrieben werden: Hier trete der Fahrende Schüler neben allgemeinen schwarzmagischen Konnotationen und der Fähigkeit des Teufel- und Dämonenbannens vor allem als Schlangenbanner und Schatzgräber in Erscheinung. Außerdem werde seine Ausbildung mit dem Venusberg konnotiert.¹⁴⁹ Im Folgenden gehe ich diesen Konnotationen nach, und zwar wie sie in Sagensammlungen zu finden sind, aber vor allem auch wie sie im gelehrten Diskurs des Humanismus ventiliert werden.

12.3.1 Schlangenbanner und Schatzgräber – zum Fahrenden Schüler in der Sagenüberlieferung und im Magiediskurs Schlangenbannen In der Volkserzählung vom Bannen der Bergschlangen und des (weißen) Schlangenkönigs (ATU Q 597) wird neben anderen zauberkundigen Figuren auch ein Fah-

 Hans Wurst als Teufelsbanner. Lustspiel in einem Akt. In: Deutsche Puppenkomödien. Bd. 4, hg. von Carl Engel. Oldenburg 1876, S. 39 – 51, hier S. 46.  Vgl. Kapitel 2.2. Gustav Holst verweist darauf in einem Brief an seine Tochter Imogen Holst: „I hope you will like this as much as I do. Pp. 173, 174 [in späteren Auflagen Waddell: Wandering Scholars, S. 190 f.] contain the story that Clifford Bax and I want to use as an opera“; Holst: Thematic Catalogue, S. 179.  Lily Weiser-Aall: [Art.] Fahrende Schüler. In: HdA 2, Sp. 1123 f.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

505

render Schüler als Schlangenbanner erwähnt.¹⁵⁰ Dieser kommt als externe Figur in die (meist dörfliche) Gemeinschaft und wird aufgrund seines (magischen) Wissens gebeten, die Schlangenplage auf den Wiesen zu beheben. Er erklärt sich unter der Voraussetzung bereit, dass keine weiße Schlange darunter sei. Dies wird ihm bestätigt. Durch ein Ritual kann er alle Schlangen ins Feuer locken, als aber der dämonische weiße Schlangenkönig erscheint, reißt er den Beschwörer mit in den Tod.¹⁵¹ Durch die Eigenschaften der (magischen) Gelehrsamkeit, der Fremdheit und genuinen Mobilität bietet sich der Fahrende Schüler für die Rolle des Schlangenbanners an. Die Rolle ist aber nicht auf diese Figur beschränkt, sondern kann von allen mobilen und kenntnisreichen Figurentypen übernommen werden. Die fehlende Spezifizierung zeigt auch die Überlieferung im frühneuzeitlichen Magiediskurs. Denn die Sage hat ihren Grundstock in der Erzählung über einen Zauberer von Salzburg mit einem Erstbeleg 1486 im Malleus Maleficarum (cap. II, 2, 6). Darauf beziehen sich Caspar Goldtwurms Wunderwerck und Wunderzeichen (1557), Johann Weyers De Praestigiis Daemonum (lat. 1563 und dt. 1569), Jean Bodins (1580) und Johann Fischarts De Magorum Daemonomania (1581) und die Wolfenbütteler Fausthandschrift (1570/90).¹⁵² Das Faustbuch sticht dabei heraus, weil es in der „Vorred An den Leser“ bei der Beschreibung des Zauberers nicht auf Salzburg referiert, sondern Anklagepunkte gegen die Übertragung des Faustbuches vorwegnimmt. Er entkräftet das Argument, die Studenten könnten sich in Faust ein Negativvorbild nehmen und auch zum (Jahrmarkts‐)Zauberer und (Schlangen‐)Banner werden wollen. Zum Andern/ haben sich vil gesellen vnderwunden sollichs dem Fausto nach zuthon/ wie dann bey den Studenten/ vnnd nach bey vns jir vill seind/ die mit den Coniurationibus vmbgehn/ seind Gauckhler/ Teufels Lockher/ Jaͤ ger vnnd Banner/ die sollen endtlich wissen/ Das jnen letstlich der Teuffel belohnen wirdt wie dem Fausto. – Also auch meldet Caspar Goldtwurm von ainem Teuffelbanner/ wellicher sich ermessen vnnd erbotten hat/ alle Schlanngen auf ein Meyl wegs lang jnn ein Grueb zusamen zubringen/ vnnd Dieselbigen alle ertoͤ dten […]¹⁵³

Damit schreibt die Wolfenbütteler Fausthandschrift als erste den Sagentypus des Schlangenbanners Schülerfiguren zu und konnotiert ihn zugleich mit Gauklern und Zauberkünstlern.

 Vgl. z. B. Josef Müller: Sagen aus Uri. Bd. 3, hg. von Robert Wildhaber. Basel 1945, S. 179 (Nr. 1290).  Vgl. dazu und mit zahlreichen Belegstellen Lutz Röhrich: Die Sage vom Schlangenbann. In: Friedrich Harkort, Karel C. Peeters und Robert Wildhaber (Hg.): Volksüberlieferung. Göttingen 1968, S. 327– 344.  Vgl. Röhrich: Schlangenbann, S. 337– 339.  Historia (1587), S. 133.

506

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Schatzgräberei Der Fahrende Schüler als Schatzgräber ist in seiner Darstellung meist vermischt mit Geisterwesen, die als ‚Walhen‘ oder ‚Venediger(‐männlein)‘ bezeichnet werden. Diese Konnotation geht wohl auf italienische Prospektoren und ihr (unerklärbares) Spezialwissen zurück, ist aber erst im 17. Jahrhundert belegt.¹⁵⁴ Auffallend ist, dass sich die Gleichsetzung der magiekundigen Venedigermännlein mit dem Fahrenden Schüler weitgehend auf den westlichen Alpenraum und damit auf die romanisch-deutsche Kontaktzone beschränkt.¹⁵⁵ Besonders eindrücklich ist der Beginn der Sage vom Mürtenstock in Glarus: Einst kam auf seinen Wanderungen von Italien her ein Fahrender Schüler, oder, wie man sie auch nannte ein ‚Venediger‘, auf den Kerenzerberg. Der unterhielt die Bauern an hellen Abenden mit allerlei Liedern und Späßen und mit seinen kleinen Zauberkünsten.¹⁵⁶

Ohne die eindeutige Identifikation mit einem Geisterwesen wird auch im 16. Jahrhundert vielmals von Fahrenden Schülern als (betrügerischen) Schatzgräbern gesprochen, und zwar neben Martin Crusius (1595/96) und Georg Rudolf Widmann (1599)¹⁵⁷ unter anderem von Wolfgang Büttner in seinen Epitome historiarum (1576), wenn er beschreibt, wie Fahrende Schüler in der Vergangenheit Wünschelruten hergestellt hätten, um Schätze zu finden: Vor zeiten hat man in Deutschen Landen mit der Wuͤ ndschelruthen auch Schetze gesuchet […] die fahrende Schuͤ ler dicke Bircken abgestruͤ mpffet/ hende vnd finger in die Beume geschnidten/ vnd die wege zu den Goldtbergen/ damit gemahlet vnd gezeichnet haben.¹⁵⁸

 Leander Petzoldt: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister. München 52014, S. 172 f. und Ines Köhler-Zülch: [Art.] Venediger. In: EM 13, Sp. 1370 – 1373. Zum Fahrenden Schüler vgl. Emma Locher: Die Venedigersagen. Tübingen 1922, S. 13.  Mit dem Schatzgraben als alltagsmagische Handlung hat sich v. a. Johannes Dillinger befasst, z. B. in Johannes Dillinger: The Good Magicians. Treasure Hunting in Early Modern Germany. In: Kathryn A. Edwards (Hg.): Everyday Magic in Early Modern Europe. Farnham 2015, S. 105 – 125. Johannes Dillinger: „Das Ewige Leben und fünfzehntausend Gulden“. Schatzgräberei in Württemberg. In: Johannes Dillinger (Hg.): Zauberer – Selbstmörder – Schatzsucher. Magische Kultur und behördliche Kontrolle im frühneuzeitlichen Württemberg. Trier 2003, S. 221– 297, S. 240 nennt „die als Magier und Betrüger immer wieder genannten fahrenden Schüler“, verweist aber nur auf Stefan Jäggi: Alraunenhändler, Schatzgräber und Schatzbeter im alten Staat Luzern des 16.–18. Jahrhundert. In: Der Geschichtsfreund 146 (1993), S. 37– 113. Dieser führt wiederum nur Schweizer Belege aus dem 18. Jahrhundert an (z. B. auf S. 72, 78 f. und 86 – 90).  Gerhard Heilfurth: Bergbau und Bergmann in der deutschsprachigen Sagenüberlieferung Mitteleuropas. Bd. 1: Quellen. Marburg 1967, S. 239 (Nr. 29). Andere Belege stammen aus Glarus (Nr. 29, K 2 Be20, 1206), Graubünden (Nr. 30, 745, 922 Be 1, 1178, 1189), Uri (Nr. 64, 1015 f., 1020 Be 6, 1036), St. Gallen (Nr. 825) Vorarlberg (Nr. 919), Tirol (Nr. 1190) Dazu kommt ein Beleg aus dem Erzgebirge (Nr. 61), doch hier ist explizit von „erfahrnen Schuͤ ller[n]“ gesprochen und diese sind nicht mit Magie konnotiert.  Vgl. Kapitel 12.3.4.  Büttner: Epitome Historiarum, fol. 60r.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

507

Der Venusberg Schatzgrabende Zwerge – „sylphes und pygmei“¹⁵⁹ – gelten in der paracelsistischen Schrift De occulta philosophia, die spätestens 1570 entstanden ist, als Bewohner des Venusbergs: ¹⁶⁰ So ist auch nicht minder, das mit diesen ist der Venus berg in Italia besetzt gewesen, dan Venus selbs ist ein nympha gewesen und der Venusberg ist irem reich oder paradeis vergleicht worden, aber die selbig ist auch abgestorben, darumb ist auch ir reich mit ir vergangen und hat aufgehört. dan wa hört man mer von inen sagen, wie vor alter zeiten, da der Danhauser und andere mer sind darinnen gewesen. und ist solches von im kein fabelgedicht, sonder ein wahrhaftig geschicht.¹⁶¹

Mit der Einschätzung einer tatsächlichen Existenz eines Venusbergs steht diese Schrift nicht allein. Ab dem 14. und verstärkt im 15. Jahrhundert wird dieser Berg in Reiseberichten erwähnt und an verschiedenen Orten Italiens und Deutschlands verortet (z. B. in der Toskana, Sizilien oder in Deutschland bei Dinkelsbühl, Breisach etc.).¹⁶² Der paradiesische Aufenthaltsort der Liebesgöttin wird (wie schon in De occulta philosophia ersichtlich) ab dem 15. Jahrhundert mit dem Ritter Tannhäuser und anderen Figuren wie Zwergen oder dem ‚treuen Eckhart‘ verbunden.¹⁶³ Einer der ersten und einflußreichsten Texte ist wohl Die Mörin Hermanns von Sachsenheim (beendet vor 1453), der den Venusberg als Ort der Freude und der Genüsse beschreibt.¹⁶⁴ Er wird ebenfalls immer wieder als Ausbildungsstätte der Fahrenden Schüler erwähnt, zumal er bereits in den ersten Quellen auch mit Magie konnotiert ist. So erreicht Eneas Silvius (später Papst Pius II.) von einem kursächischen Medicus in den 1440er Jahren die Frage, an Veneris montem apud Italiam sciret; nam ibi magicas artes

 De occulta philosophia. In: Sämtliche Werke. I. Abteilung: Die medizinischen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften. Bd. 14, hg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1933, S. 513 – 542, hier S. 524.  Zur Überlieferung und Authentizität vgl. De occulta philosophia, S. XXIV.  De occulta philosophia, S. 525.  Vgl. dazu Leander Petzoldt: Venusberg. In: Ulrich Müller und Werner Wunderlich (Hg.): Burgen, Länder, Orte. Konstanz 2008, S. 917– 926, hier S. 918.  Vgl. Petzoldt: Venusberg, S. 923 – 925 und zum Provenzalen Antonius de la Sale (1438/1442), der einen der ersten umfangreichen Berichte ablegte S. 920 f. Siehe zudem die materialreichen Studien Friedrich Kluge: Der Venusberg. In: Friedrich Kluge (Hg.): Bunte Blätter. Kulturgeschichtliche Vorträge und Aufsätze. Freiburg i. Br. 1908, S. 28 – 60 und Philip Stephan Barto:Tannhäuser and the Mountain of Venus. A Study in the Legend of the Germanic Paradise. New York 1916, v. a. S. 42 f.  und sagt uns vil der fremde mer, | was wunnders in den landen wer, | besunder in frow Venus berg, | von frovwen, ritter, junckfrow, zwerg | und manger hande kurczwil vil | mit singen, sagen, saiten spil | busunen, pfiffen mangerlay | er sagt uns ovch, wie das der May | zuo aller zytt im berge wer | mang zierlikait von golde swer, | gestain und berlü manigvalt. Hermann von Sachsenheim: Die Mörin. Nach der Wiener Handschrift ÖNB 2946, hg. von Horst Dieter Schlosser. Wiesbaden 1974, vv. 3901– 3911. Zum Venusberg im Werk Hermanns von Sachsenheim vgl. weiter Dietrich Huschenbett: Hermann von Sachsenheim – Namen und Begriffe. Kommentar zum Verzeichnis aller Namen und ausgewählter Begriffe im Gesamtwerk. Würzburg 2007, S. 289 – 292.

508

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

tradi. ¹⁶⁵ Eine Antwort muss er schuldig bleiben. Auch Johannes Geiler von Kaysersberg vergleicht in seinem Predigtzyklus Emeis (gehalten um 1508, gedruckt 1516) die Reise zum Venusbergs mit dem Flug der Hexen, verneint aber die tatsächliche Existenz beider Phänomene: Nun fragest ob etwas daran sei. Wen sie faren in fraw fenus berg oder die Hexen wenn sie also hin vnnd her faren/ Faren sie oder bleiben sie/ oder ist es ein gespenst oder was sol ich daruon haltten.¹⁶⁶

Das betont er im selben Zyklus und beschreibt den Venusberg als Blendwerk des Teufels: Z dem fünfften fragstu was ist aber an fraw Fenus berg da sie hin faren vnd so gt leben da ist/ so vil hübscher frauwen vnd so vil tantzes/ vnd springens vnd ist das fraw venus die ist die/ vnd die ist die etc. Ich sprich das nüt vberal daran ist vnd des teuffels gespenst wan wie gesagt ist so kan der teuffel in iren koͤ pffen semlichs z richten das sie wenen das es etwas sei und doch nüt daran.¹⁶⁷

Damit schließt Geiler von Kaysersberg an Johannes Nider an, der sich um 1470 der Frage widmet, an veritas aliqua subsit hijs qui dicuntur de monte veneris, ubi cum pulcherrimis feminis dicuntur quidam frui luxuria et voluptate ad placitum. Respondet Wilh. ubi supra de vniuerso quod fictitium est totum.¹⁶⁸

Er erklärt Magie im Folgenden als optische Täuschung. Kritisch äußerst sich ebenso Martín Delrío in einem Kommentar zur Beschreibung der Erddämonen beim Sponheimer Abt Trithemius, der 1515 (also in etwa gleichzeitig wie Geiler von Kaysersberg) schreibt: Quintum genus subterraneum dicitur, quod in speluncis et cauernis/ montiumque remotis concauitatibus demoratur. Et isti demones affectione sunt pessimi, eosque inuadunt maxime qui

 Enee Silvii Piccolominei epistolarium seculare complectens De duobus amantibus, De naturis equorum, De curialium miseriis. Post Rudolf Wolkan, hg. von Adrianus van Heck. Città del Vaticano 2007, S. 254 f. (Nr. 118); Übers. P. R.: ‚ob er einen Venusberg in Italien kenne; denn dort sollen magische Künste gelehrt werden.‘  Geiler von Kaysersberg: Emeis, fol. 36r.  Geiler von Kaysersberg: Emeis, fol. 40r.  Johannes Nider: Praeceptorium divinae legis, sive Expositio decalogi. Köln: Ulrich Zell, nicht nach 1472, fol. 58r (1,11,G); Übers. P. R.: ‚[…] ob irgendeine Wahrheit daran ist, wenn Leute vom Venusberg sprechen, wo sie mit den schönsten Frauen genussvoll schwelgten und sich nach Belieben verlustierten. Dazu sagt Guillaume d’Auvergne [1180 – 1249] in seinem obengenannten Traktat De universo, dass alles erfunden sei.‘ Der zitierte Scholastiker erwähnt jedoch den Venusberg nicht ausdrücklich. Vgl. Guilielmi Alverni Episcopi Parisiensis […] Opera Omnia. Bd. 1. London 1674, S. 720 f. (pars 1, cap. 11).

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

509

puteos et metalla fodunt, et qui thesauros in terra latentes querunt, in perniciem humani generis paratissimi.¹⁶⁹

Delrío kommentiert dazu: Ex huiusmodi ludibriis natæ sunt fabulæ de monte Veneris. ¹⁷⁰ Weiter bringt er den Venusberg dann mit den Hochschulen der Zauberei in Verbindung, die seit dem 12. Jahrhundert in Salamanca, Toledo oder Krakau situiert wurden:¹⁷¹ illi […] Salmanticæ et Toleti in spelunca maleficas et curiosas artes adhuc auorum nostrorum memoria docebant. ¹⁷² Damit folgt er einer Tendenz, derzufolge seit dem 16. Jahrhundert der Venusberg als Zauberberg und Magieschule wahrgenommen wird, aus der auch die Fahrenden Schüler kämen. Er vereinigt zwei Traditionen, die beide mit Magie konnotiert sind. Die große Verbreitung und Bedeutung des Liber Vagatorum und der Fastnachtsspiele des Hans Sachs, die den Fahrenden Schüler stereotyp aus dem Venusberg kommen lassen, haben dies gewiss begünstigt, wenn nicht motiviert.¹⁷³ Auch Paracelsus rekurriert in der Vorrede zu seinen Büchern zur Wundarznei (1528/1563)¹⁷⁴ auf den Armutsdiskurs und scheint selbst vom Vokabular der Bettel-

 Johannes Trithemius: Liber octo quaestionum ad Maximilianum Caesarem. Oppenheim: Johannes Haselberg 1515, fol. G3r; Übers. P. R.: ‚Die fünfte Dämonengattung heißt die unterirdische, weil sie in Höhlen, Kavernen und entfernten Bergschluchten weilt. Und diese Dämonen sind durch ihren Einfluss am schlimmsten und fahren in die, die Brunnen graben und nach Metallen schürfen und die in der Erde verborgene Schätze suchen; sie sind perfekt für das Verdeben der Menschheit gerüstet.‘ Das Buch ist eine Reihe von Antworten auf Fragen, die Trithemius von Kaiser Maximilian gestellt wurden. Die Klassifizierung der Dämonen steht unter dem Titel der 6. Frage De potestate maificarum (fol. F3v–G3v).  Martín Delrío: Disquisitionum magicarum libri sex in tres tomos partiti. Mainz: Johann Albin 1603, Bd. 1, S. 240 (lib. 2, q. 27, sec. 2); der betreffende Absatz (S. 236 – 242) fehlt in der Ausgabe von 1600. Übers. P. R.: ‚ Aus solchen Spielereien entstand die Geschichte vom Venusberg.‘  Vgl. Adolf Jacoby: [Art.] Hochschulen der Zauberei. In: HdA 4, Sp. 140 – 148 und Leander Petzoldt: Magie. Weltbild, Praktiken, Rituale. München 2011, S. 141– 145.  Delrío: Disquisitionum magicarum libri (1603), S. 240; Übers. P. R.: ‚Jene lehrten in den Höhlen von Salamanca und Toledo bis zur Zeit unserer Großväter die bösen und vorwitzigen Künste.‘ Die Höhle von Salamanca beschreibt er (scheinbar) aus eigener Anschauung, zumal er an der Universität Salamanca auch promoviert wurde: In hac quidem ciuitate, bonarum nunc artium matre, cum illic degerem ostensa mihi fuit crypta profundissima gymnasij nefandi vestigium, quam virilis animi mulier Isabella Regina, Fernandi Catholici vxor, vix ante annos centum, cæmentis saxisque iusserat obturari; Delrío: Disquisitionum magicarum libri, Proloquium F (1600), Bd. 1, S. 10; Übers. P. R.: ‚In dieser Stadt, heute eine Mutter guter Künste, wurde mir, als ich dort lebte, eine überaus tiefe Höhle gezeigt, die Spur einer Schule des Frevels. Diese ließ Königin Isabella [1451– 1504], die Frau von Ferdinand [II. von Aragón] vor knapp einhundert Jahren mit Zement und Felsbrocken verstopfen.‘ Vgl. dazu und zur Behandlung der Höhle in anderen Magietraktaten auch García Blanco: El tema de la Cueva de Salamanca, S. 90 – 93.  Vgl. Kapitel 5 und 12.3.4.  Paracelsus: Drei Bücher Von wunden und schäden, hg. von Adam von Bodenstein. Frankfurt a. M.: Egenolff 1563. Die Bücher wurden wohl schon 1528 bei der Übersiedlung von Basel nach Kolmar ausgearbeitet. Vgl. Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus: Drei Bücher der Wundarznei, Bertheonei. In: Sämtliche Werke. I. Abteilung: Die medizinischen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften. Bd. 6, hg. von Karl Sudhoff. München 1922, S. 16 – 23 und S. 39 – 206.

510

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

ordnungen und ‚Gaunerbüchlein‘ geprägt zu sein, wenn er vor betrügerischen Ärzten warnt – wohl als Reaktion auf seinen Ausschluss aus der Basler Universität. Neben verarmten Quacksalbern nennt er auch die Schwarzkünstler aus dem Venusberg: Ferner sind eins erlichen ansehens, wol gekleidet, aber übel gefüttert; etliche lassen mitlaufen astronomiam, etlich geomantiam, etlich pyromantiam, etlich chiromantiam, etlich hydromantiam und etlich, die sind hoch daran, practiciren heimlich und verborgen narromantiam, id est, nigromantiam, als campisierer, die komen aus dem venusberg und han ir kunst geteuft im Veltliner und haben mit dem bruder Eckhart metti bettet und mit dem Dannheuser ein blutwurst gessen, können vih und leut gesund machen, es sei febrig oder rittig, zu samt den edlen künsten schezgraben, das da eim solchen arzet sonderlich wol anstehet, bedörfen wenig spezereien, keins herbariums, keins Valsecums, nur dinten und papir, schreiben ixis pro fixis, tetragrammaton, Johannes in dolio, Jod, Vau, hinden und vornen, kreuz unden und oben, das der teufel den schreiber nicht hinfür.¹⁷⁵

Er desavouiert die verschiedenen Formen der Prognostik als Narr-Mantiken, ruft aber in seinem Spott auch einige Elemente der Venusberg-Sage auf, in dem die Kunst im Wein getauft wurde. So habe er mit dem topischen Venusberg-Wächter Eckhart gebetet und mit dem Tannhäuer Blutwurst gegessen. Außerdem werden in der Textstelle die Schatzgräber angesprochen. Im Gegensatz zu einem ‚ordentlichen‘ Arzt bräuchten diese keine Hilfsmittel (Herbarium oder Vademecum), sondern nur Papier, welches sie mit Zaubersprüchen vesähen. Diese betrügerischen Ärzte bezeichnet er als „campisierer“ und nutzt so die Bezeichnung für gelehrte Hochstapler (‚Kammesierer‘) aus dem Bettler‐ und Gaunerdiskurs. Im Folgenden breitet Paracelsus deren Betrügereien weiter aus und wirft ihnen vor, dass sie durch Wortwahl und Sprache immer im besten Licht zu stehen versuchen und so tun als seien sie bei den dorfpfaffen theologi, bei den badern doctores der arznei, bei dem schultheißen doctores der rechten, bei den geuglern und loterhölzern poeten, bei den handwerksleuten historiographi, in Teutschlanden aus Welschland bürtig, in welschem aus teutschem, in Portugalia aus Ungarn, in Ungarn aus Portugalia, und alweg wol gefreunt und leiden ubel versorgt des großen geschlechts, da huren und buben in sind, mit vil künsten überladen, doch wenig zins davon.¹⁷⁶

Diese seien auch „schelk peregrinanz in seltsamer arte hippocritica“,¹⁷⁷ also ständig umherstreifende Schelmen mit einer besonderen Kunstfertigkeit im Betrug, die immer wieder über die Alpen, den Rhein, die Donau oder die Elbe gejagt würden.¹⁷⁸ Nicht nur semiotisch, sondern auch räumlich bleiben diese Betrüger unfest. Damit folgt Paracelus der communis opinio und widerspricht seiner eigenen Aussage einer Welterkenntnis des Arztes in seinem Buch Von den tartarischen Krankheiten (1537/38): „Wil ein arzt ein theoreticus sein, so muß er perambulisch hantlen, peregrinisch und mit

   

Paracelsus: Drei Bücher der Wundarznei, S. 44 f. Paracelsus: Drei Bücher der Wundarznei, S. 45. Paracelsus: Drei Bücher der Wundarznei, S. 45. Vgl. Paracelsus: Drei Bücher der Wundarznei, S. 45.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

511

lantstreichung die bleter in büchern umbkeren.“¹⁷⁹ Er unterscheidet demnach analog zu wandernden und den fahrenden Schülern zwischen den wandernden und den fahrenden Ärzten, d. h. den Quacksalbern.¹⁸⁰ Dass der Venusberg (wie der Fahrende Schüler) kein Thema des gelehrten Magiediskurses ist,¹⁸¹ zeigt auch, dass ihn die gelehrte Diskussion des 16. Jahrhunderts weitgehend ignorierte. So fehlt ein Verweis in Jean Bodins De Magorum Daemonomania komplett. Zwar wird er in einem (umfangreichen) Zusatz des Übersetzers Johann Fischart erwähnt, doch auf den „Venusberg bey Brisach“ als einen Ort „schlaffender Ritter“ reduziert.¹⁸² Damit wiederholt er Attribute des Venusbergs, die zu Aussagen aus seiner übrigen editorischen Tätigkeit außerhalb des magischen Diskurses passen, z. B. in der Ernewerte[n] Beschreibung […] vom Herren Petern von Stauffenberg (1588) und Aller Praktik Großmutter (1572).¹⁸³ An keiner Stelle rekurriert er hier auf den Fahrenden Schüler und die magischen Konnotationen des Venusbergs. Das verwundert, da Fischart als Straßburger Jurist das Phänomen des Fahrenden Schülers aus dem Venusberg im Bettlerdiskurs bekannt gewesen sein muss. Dennoch klammert er dieses explizit aus seiner gelehrten juristischen Beschäftigung mit Magie und Hexerei aus.¹⁸⁴ Auch an keiner anderen Stelle der angeführten gelehrt-literarischen Zeugnisse zu den magischen Praktiken und magisch affizierten Narrativen des Schlangenbannens, des Schatzgrabens und des Venusbergs, in denen Schülerfiguren am Rande Erwähnung finden, fällt der Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘. Dieser wird erst in der volkstümlichen Sagenüberlieferung appliziert und dabei meist sekundär im 19. Jahrhundert bei der Sammlung der ‚Volkssagen‘. Den Sammlern war aber natürlich auch die Tradition schwankhafter Literatur bekannt, sodass man zu einem Zirkelschluss kommt, wenn man in den Volkssagen die Ursprünge der spätmittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Narrative suchen will.¹⁸⁵

 Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus: Das Buch von den tartarischen Krankheiten. In: Sämtliche Werke. I. Abteilung: Die medizinischen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften. Bd. 11, hg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1928, S. 15 – 121, S. 27.  Vgl. dazu Kröll: Jahrmarktskünste, S. 155 f.  Vgl. Kapitel 12.3.4.  Johann Fischart: De Magorum Daemonomania. Straßburg: Bernhard Jobin 1581. Neuedition hg. von Tobias Bulang und Nicolai Schmitt (in Vorb.), S. 177.  Vgl. Jonathan Schütz: Johann Fischarts Dämonomanie. Übertragungs- und Argumentationsstrategien im dämonologischen Diskurs des späten 16. Jahrhunderts. Univ.-Diss. Berlin 2011, S. 218. Die Ernewerte Beschreibung des Straßburger Juristen Bernhard Schmidt (Straßburg: Bernhard Jobin 1588) nennt den Venusberg in der Vorrede, die von Jobin unterzeichnet, aber Fischart zugeschrieben ist (fol. iiiv f.), und im Versprolog von Fischart (fol. B2r f.).  Zu Nennungen des Fahrenden Schülers bei Fischart vgl. Kapitel 12.3.4.  Vgl. zum 19. Jahrhundert Kapitel 13.

512

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Eine schwankhafte Beschäftigung mit dem Magiediskurs – die Zimmerische Chronik Eine besondere Stellung nimmt in diesem Zusammenhang eine Hauschronik ein, die Froben Christoph Graf von Zimmern um die Mitte des 16. Jahrhunderts verfasste. Diese positioniert sich besonders prägnant zur Faktizität des Venusbergs und der Figur des Fahrenden Schülers, sticht jedoch auch durch ihre Fülle schwankhafter Elemente hervor.¹⁸⁶ Die Zimmerische Chronik wurde um 1548/49 begonnen und gilt als die „mit weitem Abstand umfangreichste, vielfältigste und literarisch interessanteste adlige Hauschronik des deutschen Sprachraums“.¹⁸⁷ Ab 1564/65 wurde die ursprüngliche Pergamenthandschrift A in die Papierhandschrift B überführt, um die zahlreichen Kommentare und Ergänzungen, welche A mit der Zeit unübersichtlich gemacht hatten, einzuarbeiten.¹⁸⁸ Ein umfangreicher Nachtrag, der sich nur in B findet, ist für die vorliegende Fragestellung besonders interessant, da hier in besonderer Dichte verschiedene Schwänke eines Fahrenden Schülers präsentiert werden. Dabei stört dieses inserierte Kapitel 79 den strukturellen Zusammenhang der ursprünglich nebeneinanderstehenden Kapitel 78 und 80 über den Tod von Frobens Onkel Veit Werner und besetzt strukturell die Position eines Nachrufs für das Familienmitglied.¹⁸⁹ Schon der Beginn des Kapitels markiert einen stilistischen Kontrast zu den von Froben als Katastrophe der Dynastie empfunden Händeln mit dem Grafengeschlecht von Werdenberg, dem unfaal: ¹⁹⁰ Wir haben ain zeitlang einher etliche trawrige capitel gehabt, dann der unfahl uf das zimbrisch geschlecht so hauffecht gerathen, das kain beharrliche bösserung noch zu diser zeit zu verhoffen gewesen, derhalben ain capitel von etlichen gueten schwenken einzmischen nit underlassen wellen. (II,30)

Nach Gerhard Wolf intendiert die Passage aber keine „Entspannung eines vom vergangenen Schicksal der Zimmern betroffenen Lesers, sondern eine mit Sprach- und Gedankenwitz gestaltete Verarbeitung des Geschehens.“¹⁹¹ Indem sie sich verschie Ich folge der einzigen vollständigen Edition: Froben Christoph von Zimmern: Zimmerische Chronik. 4 Bde, hg. von Karl August Barack. Freiburg i. Br., Tübingen 21881– 1882. Die Edition von Hansmartin Decker-Hauff (Hg.): Die Chronik der Grafen von Zimmern. Handschriften 580 und 581 der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen. Konstanz 1964– 1972 gliedert zwar die Nachträge Frobens von Zimmern aus und macht damit die ursprüngliche Struktur der Chronik sichtbar. Da der Band mit den Nachträgen aber noch immer fehlt, ist auf die ältere Ausgabe zurückzugreifen.  Gerhard Wolf: Adlige Hauschroniken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Gerhard Wolf und Norbert H. Ott (Hg.): Handbuch Chroniken des Mittelalters. Berlin, Boston 2016, S. 399 – 445, hier S. 426.  Zur Handschriftenlage und Entstehungsgeschichte vgl. Wolf: Weltbuch, S. 130 – 141, zu Hs. B v. a. S. 138 f.  Vgl. Wolf: Weltbuch, S. 300 (Anm. 651).  Vgl. dazu umfassend Wolf: Weltbuch, S. 274– 310.  Wolf: Weltbuch, S. 300 f.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

513

dener literarischer Muster und Diskurse aus der rekurrenten Schwankliteratur bedient,¹⁹² wird „das zuvor perhorreszierte Magie-Thema unter der Perspektive des Schwankes neu beleuchtet.“¹⁹³ Denn die nigromantische Praktik des verfemten Großvaters Johann Werner gilt Froben schon vorher als Erklärung für den unfaal der Dynastie und als Exempel für den Umgang mit exzessivem Erkenntnisstreben an der Grenze zu verbotenem Wissen. Um die doppelte Textintention – Warnung vor der Magie und implizite Verurteilung des Großvaters – zu erreichen, bedient sich die Erzählung neben dem Verwandten, der auch ein „berömbter nigromanta“ (I, 576) war, auch anderer Personen: Sie nennt einen Doctor der Markgrafschaft Baden, einen Arzt zu Köln und gibt dem „weitberüempten schwarzkünstler, dem Fausto“ (I, 577) Raum, den sie durch die Nennung des Eigennamens noch hervorhebt. Dieses Vorgehen entspricht der „Methode Frobens, um einen kuriosen Gegenstand einen Kranz von (Schein‐)Belegen zu flechten, um so insgesamt die Seriosität der Erzählung zu erhöhen und die exemplarische Verwertbarkeit innerhalb seiner eigenen Geschichtskonstruktion zu sichern.“¹⁹⁴ Wenn nun das Kapitel 79 in Einzelschwänken magische Praktiken und Zuschreibungen an den Meßkircher Bürger Peter Schneider als geschickte Täuschung und Verstellung präsentiert, kann das als „eine aufklärerisch-karnevaleske Dekonstruktion von schwarzer Magie“¹⁹⁵ erklärt werden, welche die Umtriebe des Großvaters und anderer Nigromanten kontrastiert und die ambivalente Haltung des humanistischen Gelehrten Froben herausstellt. Indem sich die Figur Peter Schneider selbst als Fahrender Schüler und Zauberkünstler aus dem Venusberg identifiziert, knüpft Froben an rekurrente Vorstellungen aus der schwankhaften Literatur seit dem späten Mittelalter an, vor allem aber an die Imagination, die seit dem Liber Vagatorum verbreitet wurde:¹⁹⁶ Darumb ist zu wissen, das umb die zeit ain burger zu Mösskirch gelept, genannt Peter Schneider, der ist ain wunderbarlicher, frölicher mann gewesen und seiner lecherlichen bossen halb weit erkannt. Er nam sich an, were ain fahrender schuoler und mermals in fraw Venus berg gewesen und konte also darvon reden, auch das alles mit sollichen umbstenden herfürbringen, das im billich hett megen glaubt werden. (II, 30)

 Vgl. André Schnyer: [Art.] Zimmerische Chronik. In: EM 14, Sp. 1362– 1369.  Wolf: Weltbuch, S. 301.  Wolf: Weltbuch, S. 283. Zum Faust vgl. weiter S. 284– 286.  Wolf: Weltbuch, S. 301.  Wolf: Weltbuch, S. 301. Wolf geht irr, wenn er die Verbindung vom Fahrenden Schüler und dem Venusberg auf die Tannhäuser-Ballade zurückführt. Diese entstammt sicher dem Gaunerdiskurs (Liber Vagatorum), womöglich vermittelt über die Schwankliteratur. Ebenso Marija Javor Briški: Die Zimmerische Chronik. Studien zur Komik als Medium der Dialogisierung des historischen Diskurses. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2005, S. 140 f. An einer anderen Stelle greift die Zimmerische Chronik Zuschreibungen an den Venusberg als Berg der Freude und der Ausschweifung auf, wobei sie Hermann von Sachsenheim zitiert (I, 454 und III, 8). Ziel des Zitats ist hier durch Analogisierung mit dem Rottenburger ‚Venushof‘ Mechthilds von der Pfalz eine Auseinandersetzung mit dem Sexualitätsdiskurs. Vgl. Wolf: Weltbuch, S. 264– 271.

514

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Es ist bezeichnend, dass diese Zuschreibung vielfach als subjektive Aussage markiert wird, indem er als Possenreißer eingeführt wird, der so tut, als ob er ein Fahrender Schüler wäre, der oftmals den Venusberg besucht hätte. So wird auch die folgende magische Episode durch den Verweis auf den unzuverlässigen Erzähler Peter Schneider mit einem Fiktionalitätssignal versehen: „Er sagt auch für wahr, das er uf ain zeit in fraw Venus perg gefaren werde“ (I, 30). Dieser erste Schwank (1) behandelt eine Reise zum Venusberg auf zwei fliegenden Kälbern, die er mit einem anderen Bürger Meßkirchs, seinem Gesellen Strölin, unternimmt. Dieser Strölin bricht jedoch das auferlegte Schweigegebot und landet in einem Storchennest, wo er bis zur Rückkehr Schneiders drei Tage bleiben muss.¹⁹⁷ In diesem Zusammenhang setzt sich der Erzähler auch mit der Faktizität des Venusbergs auseinander: Und wiewol das mit fraw Venus berg für ain fabel und erdicht ding geachtet wurt, so ist doch nichts gewissers, dann das bei unsern vordern vil dieselbig abenteuren versucht, in dem berg gewesen, auch ains thails die schwarzen kunst darin gelernet, sich vahrende schuoler genempt und von wunderbarlichen, ungleublichen sachen reden haben künden; es sein auch deren ainsthails darin bliben. (II, 31)

Er positioniert sich also in der gelehrten Diskussion über die Existenz des Venusbergs, indem er – wie bereits in der paracelsistischen Occulta philosophia – einräumt, dass er früher („bei unsern vordern“) von vielen besucht worden sei und die Ausbildung der „vahrenden schuoler“ ebendort tatsächlich stattgefunden habe. Als Beleg, dass sich „nit allain schlechte leut“ (II, 31) mit diesem Thema auseinandersetzen, führt er in einem Nachtrag den Brief des Eneas Silvius aus den 1440er Jahren an, der zeigt, dass „[d]ise gotlose, abgeterische kunst […] zu derselben zeit heftig im schwank gangen“ (II, 31) sei. Es folgen neun Schwankepisoden, die allesamt auf Täuschung beruhen und deren Inhalt ich hier kurz resümieren will. (2) Der Schwank mit den Hühnern: Er gibt vor, auf dem Weg zum Reichstag in Konstanz hunderte Hühner durch Überlingen treiben zu wollen. Während die Schaulustigen auf ein Spektakel warten, setzt er allein über den Bodensee, da das Geflügel von seinem Sohn über Stockach und Bodman transportiert wurde, und enttäuscht die Wartenden. (3) Der Schwank mit den Töpfen: Er kauft (wieder in Überlingen) einem Töpfer (Hafner) im Geheimen seine ganze Ware ab und weiht ihn in seine Pläne ein. Als der Wirt später den anwesenden Kaufleuten „von fraw Venus berg und der schwarzen kunst“ (II, 32 f.) Peter Schneiders berichtet, bestehen diese darauf, dass „er inen was zu ainer kurzweil und schimpfbossen erzaigen well.“ (II, 33). Er gibt dem Töpfer ein Zeichen und dieser zerschlägt wie behext seine ganze Ware. Alle sind erstaunt und „auch ain guete zeit hernach hat anders niemandts gewist, dann solch misterium seie per artes magicas und sonderliche verborgne

 Vgl. Javor Briški: Die Zimmerische Chronik, S. 139 – 141 mit einer allegorischen und topologischen Lesart der Szene und S. 139 – 164 mit einer eingehenden Interpretation des Komischen und Karnevalesken in allen Peter-Schneider-Schwänken.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

515

künsten zugangen.“ (II, 33). (4) Der Schwank mit den Weinschläuchen: In der folgenden Nacht droht er einem Schnarcher im Schlafsaal, ihn aus dem Fenster zu werfen, worüber die anderen im Zimmer lachen: „Dess haben die ander all wol megen lachen“ (II, 33). Als er aber so tut, als setze er seine Worte in die Tat um, und zwei pralle Lederschläuche aus dem Fenster wirft, wird er gefangengesetzt. Erst als der Wirt die Situation aufklärt, „ist die turba zu eim großen gelechter und schimpf gezogen worden.“ (II, 34). (5) Der Schwank vom Wildschwein auf dem Baum: Er berichtet von einem Wildschwein auf dem Wipfel einer Eiche. Als der Graf von Werdenberg seinen Forstmeister schickt, erfährt dieser, dass es sich um einen umgefallenen Baum handelt, worüber alle lachen. (6) Der Schwank von den Kohlsamen: Er gibt vor, „kappassomen [Kohlsamen] ußer fraw Venus berg“ (II, 35) mitgebracht und auf der Wolfhalde bei Meßkirch ausgesät zu haben. Da sie hoffen, sich viel billiger vom magischen Kohl bedienen zu können, verzichten viele Leute auf den eigenen Anbau. (7) Der Schwank von den Hanffeldern: Er reitet über ein Feld von Hanfbäuerinnen, als diese ihn anschreien, kehrt er um und zertrampelt noch mehr Pflanzen. Eine Anzeige beim Vogt in Sigmaringen wird wegen des Rufs Peter Schneiders als Schelm aber fallengelassen. (8) Der Schwank von den vergifteten Karpaunen: Zusammen mit seinem Komplizen Auberle Stöffle ergaunert sich Schneider das Geflügel von einem Priester in Winterlingen. Nachdem Auberle die Tiere heimlich mit Bilsenkraut („bilsensomen“ II, 36) betäubt hat, rät er dem verzweifelten Priester die magischen Dienste von Peter Schneider in Anspruch zu nehmen, von dem er sagt: „Es ist nechten ain farender schueler von Mösskirch alher kommen, der weist vil künsten und ist im auch manich wunder begegnet, den wellen wir beschicken und hören, was er darzu sagt.“ (II, 36)

In einem „gauggelspill“ (II, 36) erweckt Schneider die Hühner wieder zum Leben und bekommt dafür vier Karpaunen als Lohn, die er zusammen mit Auberle und dem Priester verspeist. Gleichzeitig wird so sein Ruf verbreitet, denn der Priester „sagt menigclich von der großen kunst und erfarnus des varenden schuelers von Mösskirch.“ (II, 37). (9) Der Schwank von der Wildschweinjagd: Er bringt die Bauern bei Guttenstein dazu, mit ihm auf die Jagd nach einer großen Rotte Wildschweine zu gehen, lässt die Jagdgesellschaft dann aber den ganzen Tag warten und kehrt selbst nach Hause zurück. Dieser Scherz habe kurz vor seinem Tod zugetragen, sodass der Schwank auch den Abschluss des biographisch orientierten Kapitels über Peter Schneider bildet. Auch wenn die Geschehnisse um Peter Schneider nach der Position in der Chronik auf die Jahre um 1500 datiert werden, zielen doch einige Scherze auf ihre Wirksamkeit bis in die Gegenwart des Verfassers ab, z. B. der letzte Schwank: „Und noch heutigs tags wollen die Guttenstainer dise facetia und daz sie also geefft worden, nit verguet haben.“ (II, 39). In den einzelnen Episoden führt Peter Schneider demnach im Stil eines Schwankhelden (z. B. Dil Ulenspiegel oder Hans Clauert) durch seine Lügen generell und ohne zeitliche Einschränkung die Laster seiner Mitmenschen (Neugier, Ängste, Geiz) vor. Dabei speisen sich die Inhalte der Schwänke zum Teil aus anderen

516

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Sammlungen, wie der Schwank mit den Töpfen (3) aus dem ‚Ulenspiegel‘ (87. Historie), den Froben sogar zweimal verarbeitet.¹⁹⁸ Doch die Schwänke des Peter Schneider spielen nicht alle Lizenzen aus. Sie sind nie aggressiv oder verletzend, sondern scheinen im Vergleich zu den Aktionen Ulenspiegels ‚gezähmt‘. Das ist dadurch begründet, dass Schneider als Bürger von Meßkirch nicht außerhalb der Gesellschaft steht, wenn er auch als Possenreißer eine besondere ‚Narrenfreiheit‘ genießt, z. B. beim Vogt von Sigmaringen (Schwank 7). Dem entspricht auch der kleine Aktionsradius der Episoden zwischen Sigmaringen und Konstanz. Viele der Scherze Peter Schneiders beruhen nur auf der Täuschung von Opfern, die nicht über seine schelmische Identität aufgeklärt sind. Sofern er als Schelm auftritt, muss dies demnach bei Personen außerhalb Meßkirchs geschehen. Nur in seiner Rolle als Fahrender Schüler kann er auch die Meßkircher foppen (Schwank 1 und v. a. 6). Die Figur Peter Schneider deckt also mindestens zwei Rollen ab und „changiert zwischen Faust und Ulenspiegel […] mit südwestdeutschem Lokalkolorit.“¹⁹⁹ Auch an anderen Stellen der Chronik kommen Fahrende Schüler vor. Jedoch wird die Figurenintention schalkhafter Täuschung, die in den Peter-Schneider-Episoden evident ist, hier nicht expliziert. Einer tritt als Wetterzauberer auf, welcher der abergläubischen Gräfin von Teck einen Spruch lehrt: „Nun hat sie vil raths darüber gehapt, wie sie im thuen sölle; doch letzstlich hat sie ain farender schueler ain gewissen segen darfür gelernt“ (I, 390). In der Anekdote wird nun zwar die Wirksamkeit des Spruches impliziert, da die Gräfin in einem Unwetter umkommt, als sie es unterlässt, den Zauber zu sprechen – eine Abrechnung mit dem Aberglauben bleibt aber aus. Im letzten Teil der Chronik, der zur Autobiographie übergeht und in dem „fast regelmäßig zwischen einem ‚ernst-‘ und einem ‚schwankhaften‘ Kapitel gewechselt wird“,²⁰⁰ kommen dann mehr Fahrende Schüler vor. Denn Froben nimmt „umfangreiche literarische Plots auf, die er den zeitgenössischen Schwank- und Fazetiensammlungen entnimmt und an die Gegebenheiten seiner schwäbischen Umwelt anpasst.“²⁰¹ Die Fahrenden Schüler erscheinen hier als Schwankfiguren. Denn auch wenn sie (fast) immer mit Magie konnotiert sind,²⁰² kommen sie in den Kapiteln, in denen sich Froben eingehend und zusammenhängend mit magischen Diskursen und Phänomenen befasst, nicht vor.²⁰³ In einem dieser Übergangskapitel mit einer Reihe von Ereignissen des Jahres 1508 findet sich der Bericht über die Magd eines Pfarrers, die auf der Reise  Vgl. Wolf: Weltbuch, S. 301 f. und zur Dublette im Schwank von Hans von Rechberg S. 258 f.  Wolf: Weltbuch, S. 301.  Wolf: Weltbuch, S. 365.  Wolf: Adlige Hauschroniken, S. 431.  Eine Ausnahme bildet die mysteriöse Nennung im Rahmen eines Gerichtsrituals, demzufolge ein entgegenkommender Reisender zu Tische geladen werden solle, ohne dessen Kleidung zu beschädigen. Während in anderen Rechtstexten dieses Gebot auf ‚anständige Gäste‘ beschränkt wird, werden in der Zimmerischen Chronik in diesem Zusammenhang „ain varender schueler oder ain guete metz“ (III, 395) genannt. Zu diesem Rechtsbrauch vgl. Ludwig Uhland: Zur schwäbischen Sagenkunde. III. Bodman. In: Germania.Vierteljahrsschrift für Deutsche Alterthumskunde 4 (1859), S. 35 – 96, hier S. 92.  V. a. die Kapitel 194, 196 – 198, 205. Vgl. Wolf: Weltbuch, S. 365.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

517

von einem Geist des ‚Wütenden Heeres‘ („wuoteshere“) von der Straße weggezerrt wird, „wie vor zeiten vil beschehen“ (II, 155). Die Magd kann aber von einem Reisenden gerettet werden, indem dieser das Gespenst mit einem Zauberkreis bannt und dessen Horn abschlägt. Während die Frau heil zurückbleibt, fliegt ihr Retter unter Lärm davon. Neben dem Namen Jacob Algewer bemerkt der Chronist zur Identität des Reisenden: Indess ist ain kriegsman, ein thail sagen, es sei ain farender schuler gewesen, wie man derselbigen vor zeiten vil gefunden, andere aber wellen, es sei ain paursman gewesen (II, 155)

Dass Kriegsleute die Rolle des magiekundigen Fahrenden Schülers einnehmen können, begegnet in der Sagenüberlieferung öfter, erstaunlich ist ist jedoch der Hinweis, dass die Erben dieses Jacob Algewers nach Schmeien und dann nach Gutenstein gezogen seien. Durch den Eigennamen und die genaue Lokalisierung der Familie wird die Figur genauer identifiziert und damit historisch nachprüfbar. Das ist ungewöhnlich. Denn in den anderen Erwähnungen eines Fahrenden Schülers – mit der Ausnahme Peter Schneiders, der aber nur eine Rolle spielt – bleibt dieser eine anonyme, fremde und damit ubiquitäre Figur. So berichtet die Chronik, dass „vor jaren“ zum Schloss der Freiherren von Hewen „uf ain zeit ain farender schueler hinkommen sein, der ist uf sein begern ingelassen und wol tractirt worden“ (III, 198).Wegen der guten Behandlung habe er für immer die Mücken von dem Ort gebannt. Die Geschichte reiht sich ein in eine Behandlung von Ungezieferplagen und ungezieferfreien Orten – darunter auch die Geschichte des Rattenfängers von Hameln, der auch mit den Fahrenden Schülern verglichen wird: Vor etlichen hundert jarn sein die inwonner der stat Hammeln in Westphaln mit ainer solchen grosen anzall und viele der ratzen geplagt worden, das inen ain solichs überbeschwerlich und nahendt unleidenlich gewesen. Begab sich, das ungeferdt, oder villeucht user der verhenknus Gottes, ein frembder, unbekannter man oder ain landtfarer, wie man dann vor zeiten in unseren deutschen landen die farende schueler gefunden, dahin kommen. (III, 198)

Ebenso Erzählungen über den Schwarzkünstler Faust werden auf Fahrende Schüler übertragen. So schließt an den Verweis auf den Tod Fausts in Staufen im Breisgau der Bericht an, dieser habe das Kloster Lixheim im Wasgau („Lüxhaim im Wassichin“, III, 530) mit einem Gespenst vexiert, da ihm die Aufnahme verweigert wurde. Dieselbe Erzählung wird nun auch auf einen Fahrenden Schüler übertragen, nämlich „das dem vorigen apt von S. Diesenberg auch ain sollichs gespenst von ainem neidigen varenden schueler seie zugerüst und angehenkt worden.“ (III, 530). Die Fahrenden Schüler erscheinen meist als ergänzendes Beispiel, welches an eine berühmtere Episode oder Figurendarstellung anschließt. Dazu passt auch, dass einige der Nennungen von Fahrenden Schülern in den Nachträgen zur Chronik zu finden sind, also eher ein Addendum zum Kern der Chronik bilden²⁰⁴ und vielleicht  Nachträge liegen vor bei den letzten beiden Schwänken Peter Schneiders (II, 35 – 39), dem Bericht

518

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

sogar aus denselben (verlorenen) Quellen stammen.²⁰⁵ Auch in einem von Barack nicht eingegliederten Nachtrag findet sich eine Erzählung über einen Fahrenden Schüler. Anschließend an eine Anekdote über sexuellen Kontakt mit Dämonen, welche auf das Jahr 1294 datiert wird,²⁰⁶ berichtet die Chronik von Berchtold, Freiherr von Harburg, der sich sich in die Tochter des Nachbarn, eines Bäckers, verliebt habe. Um sie zu gewinnen, engagiert er einen Fahrenden Schüler. Über diesen wird berichtet: Derhalben, als dozumal die vahrenden schueler im landt darafter zugen, die sich der schwarzen kunst annamen und sich hören liesen, sie weren in fraw Venus perg gewest (IV, 308)

Nun gibt ihm dieser „abenteurer“ oder „nigromanta ein gueten trost und verhieß im vil, wie dann die leut in gebrauch haben“ (IV, 308). Der Fahrende Schüler führt ihm einen Geist in Gestalt der Bäckerstochter zu. Dass Berchtold das auferlegte Redeverbot missachtet, wird nicht weiter geahndet. Stattdessen stellen sich die Nachforschungen des Freiherrn als problematisch heraus. Denn er redet später die echte Bäckerstochter im Geheimen auf die Liebesnacht an und fragt auf das Unwissen des Mädchens hin auch beim Fahrenden Schüler nach der Identität seiner Sexualpartnerin. Als er erfährt, dass er Verkehr mit einem Succubus gehabt habe, kann er nie wieder lachen. „Derselbig vahrend schueler hat sich nit lang mehr in selbiger landsart gesaumpt, sonder darvon zogen, ist nit mehr gesehen worden“ (IV, 308).

12.3.2 Fahrende Schüler in Prozessprotokollen Die Vorstellung von der Existenz und Wirksamkeit der magischen Begabung von Fahrenden Schülern schlagen sich auch in seiner Beschreibung als einem Vermittler und Experten in magischen Belangen nieder.²⁰⁷ In dieser Rolle taucht die Figur in

vom Fahrenden Schüler als Wetterzauberer (I, 390) und der Episode von Jacob Algewer und dem Wütenden Heer (II, 155 f.). Vgl. in der Ausgabe von Decker-Hauff: Chronik der Grafen von Zimmern, I, 186; I, 319 und II, 45 und in der Handschrift Stuttgart, Landesbibl. Cod. Don. 580, b, S. 1248 – 1250 und S. 1285 (Nr. 92 und 127); S. 1191 f. (Nr. 17) und S. 1251 (Nr. 93).  Einen Anhaltspunkt dafür bieten die beiden Nachträge mit dem Schwank Peter Schneiders von den vergifteten Karpaunen (8), in dem er sich als Fahrender Schüler ausgibt, und der Schwank vom (potentiellen) Fahrenden Schüler Jacob Algewer. Diese Nachträge folgen in der Handschrift unmittelbar aufeinander. Man könnte also vermuten, dass Froben von Zimmern diese ‚Berichte‘ über Fahrende Schüler von derselben Quelle bezogen hat.  Das Kapitel beginnt damit, dass ein gewisser Baule und seine Geliebte auf das Angebot eines Dämons in Gestalt eines Mönchs eingehen, die Sexualpartner zu tauschen. Baule schläft mit der Buhle des Mönchs, während seine Gefährtin mit dem Mönch schläft. Im Folgenden wird ihr Körper schwarz, wo sie den Dämon berührt hatten und „[e]s haben auch iren baider gepurtglieder anfahen zu faulen. Sollich feulung hat zugenommen, inmaßen baid personnen dessen zu letzst in iren jungen jaren ellengclichen sterben müeßen, darfür sie auch kain hilf oder arznei hat megen erretten“ (IV, 307).  Vgl. Margarethe Ruff: Zauberpraktiken als Lebenshilfe. Magie im Alltag vom Mittelalter bis heute. Frankfurt a. M. 2003, S. 22 f. und Petzoldt: Magie, S. 155 f.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

519

einigen Protokollen von Hexenprozessen bereits ab dem Anfang des 15. Jahrhunderts auf. Wie schon in mittelalterlichen Zaubereiprozessprotokollen lässt die „sprachlich karge, beinahe stichwortartige Auflistung der Zauberpraktiken […] vermuten, daß es sich hier eher um Traditions- und Bildungsstoff einer kleinen Elite von Theologen und Juristen als um praktische Erfahrung handelte.“²⁰⁸ 1407 wird Adelheid von Hohenfels in Basel der Hexerei angeklagt. Die Zeugenaussagen verweisen auch auf einen Fahrenden Schüler. So wird die Aussage von Symmond Schellenberg wörtlich zitiert. Hier heißt es: [D]ie v. Hohenfels seite mir all mal brieffe, hare, karatteres (magische Schiffern) u. klütterwerk under die Küssen daruff ich lige […] Dazu so hat si yetze lang zit einen varenden schüler by ir ze Altenphirt [heute: Vieux-Ferrette] gehebt – was si mit dem tribe weis ich nüt²⁰⁹

Von einer anderen Zeugin – Frau Suse – wird der Tatbestand jedoch spezifiziert: Der Fahrende Schüler habe in einem Ritual zwei Kinder an den Beinen aufgehängt, wobei eines starb.²¹⁰ Weiter soll er die Hexe dabei unterstützt haben, auch einige andere Männer durch ihre Zauberei zu töten. Diese Anklagen werden jedoch als verleumdende Anschuldigungen (lümpd) abgewiesen und daher auch aus dem Urteilsspruch gestrichen.²¹¹ Daraus resultiert auch das (für tatsächlichen Mord) relativ milde Strafmaß der Verbannung.²¹² Der Umgang mit dem Fahrenden Schüler dient also neben den Zauberbüchern in ihrem Besitz – zoufferbüchlin darinne vil tüffel stundent u. vil unreyne wunderlich segen ²¹³ – als Beweis für ihr magisches Wissen. Die Kriminalisierung des Fahrenden Schülers resultiert vor allem aus dem Umstand, dass er potentiell (magisch‐)gelehrt und vor allem fremd ist. Ins 15. Jahrhundert fällt auch noch das Nördlinger Ratsprotokoll des konvertierten Juden Hans von Straßburg von 1487, der bereits im Liber Vagatorum als Fahrender Schüler und Bauernbetrüger genannt wird. Durch diese doppelte Quellenlage kann er als Beispiel einer Verflechtung traditionsbildender Texte und realer Ereignisse/Praktiken bei der juristischen Klassifizierung gelten.²¹⁴

 Christoph Daxelmüller: Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie. Zürich 1993, S. 118.  Karl Buxtorf-Falkeisen: Basler Zauber-Prozesse aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Basel 1868, S. 7. Die Protokolle sind überliefert in Staatsarchiv Basel-Stadt: Ratsbücher A 3 Leistungsbuch II, 1390 – 1473.  Vgl. Buxtorf-Falkeisen: Basler Zauber-Prozesse, S. 6.  Buxtorf-Falkeisen: Basler Zauber-Prozesse, S. 6 und 8 f.  Vgl. zu dieser Einschätzung auch Hans Rudolf Hagemann: Basler Rechtsleben im Mittelalter. Basel, Frankfurt a. M. 1981, S. 257 (Anm. 761).  Buxtorf-Falkeisen: Basler Zauber-Prozesse, S. 8.  Vgl. Kapitel 5.3.

520

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Um 1500 erwähnen einige Zeugenberichte in einem Hexenprozess in Kriens bei Luzern einen Fahrender Schüler.²¹⁵ Eine Frau sei an einem Bein vom kalten we ²¹⁶ erkrankt, nachdem sie in Anwesenheit der späteren Ehefrau Thomanns zur Burg, die Verbrennung aller Hexen gefordert habe: Ye das die jumpfrouw Retty, man solte sölich lüt all verbrennen. Das selbig hab Thomans zur burg wob vernomen, vnd vff das sy der jumpfrowen der obgenant prest z handen gangen. ²¹⁷ Heini Furer, der zur Zeit des Prozesses bereits der Ehemann des Opfers war, berichtet über Versuche der Kurierung. Zuerst hätten sie einen Fahrenden Schüler konsultiert; dieser habe Schadensmagie diagnostiziert: Do sy vff ein zyt ein farender schuͤ ler kommen vnd den presten besegen vnd demnach z müller zr feld müly kommen, dem selben müller vnd sinem wib hab der farent schuͤ ler den presten siner jumpfrowen, so ietz sin wib sy, geseit, vnd sy ir angetan²¹⁸

Danach habe die Betroffene Hilfe beim Pfarrer von Knutwil gesucht, ohne die Vermutung eines Schadenszaubers zu erwähnen, und bei einem blinden Wunderheiler, der ihr versichert, die Krankheit komme von bösen lüten. ²¹⁹ Aber keiner habe ihr helfen können. Dieser Bericht wird vom Müller bestätigt, der ebenso auf den Fahrenden Schüler als Wunderheiler verweist: Spricht so vil weiter, da vff ein zyt z sim huss kommen sy ein farender schler, der hab gerett: dir frouwen ist enklein worden. Sy hät aber ein gten glouben gehept, das hät ir gehulfen; aber diner jumpfrowen, so jetz furrers wib ist, der ist ir teil worden vnd der persten, die ims angetan hät, gelungen, das sy niemerme zum Rechten mönschen werden mag.²²⁰

Während sich die Frau des Müllers also aufgrund ihres Glaubens der Magie widersetzen konnte, sei die Frau Heini Furers schwer krank geworden. In beiden Aussagen wird der Fahrende Schüler mithin als Experte (iatro‐)magischen Wissens angesehen, an den sich die Krienser, die freilich von der Wirksamkeit von Zauberei und Hexerei überzeugt waren, neben dem Pfarrer und dem (schamanistischen?) Wunderheiler wenden konnten.²²¹ Eine ganz ähnlich Konstellation findet sich sich in einer Anekdote

 Umfassend zum Rahmen dieser Hexenprozesse vgl. Andreas Blauert: Hexenverfolgungen in einer spätmittelalterlichen Gemeinde. Das Beispiel Kriens/Luzern um 1500. In: Geschichte und Gesellschaft 16 (1990), S. 8 – 25, hier v. a. S. 13 f.  Erduard Hoffmann-Kreyer: Luzerner Akten zum Hexen- und Zauberwesen. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 3 (1899), S. 22– 40; 81– 122; 189 – 224 und 291– 329, hier S. 96.  Hoffmann-Kreyer: Luzerner Akten, S. 98. Diese Aussage deckt sich mit der Aussage des Müllers in der Feldmühle: vgl. S. 100 f.  Hoffmann-Kreyer: Luzerner Akten, S. 98.  Hoffmann-Kreyer: Luzerner Akten, S. 98.  Hoffmann-Kreyer: Luzerner Akten, S. 100.  Vgl. dazu Blauert: Hexenverfolgungen, S. 14. Als solche ‚Spezialisten‘ begegnen neben externen Personen wie dem Fahrenden Schüler oder dem blinden Wunderheiler, aber auch dorfinterne Personen: der Rütiweger, die Puschgin, Hans Tscholi oder der Pfarrer von Knutwil.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

521

des kurzen Magietraktats Deß Teuffels Nebelkappen von Paul Frisius (1583). Hier wird von einer Frau aus Heßloch bei Odernheim berichtet, die einen Wechselbalg für ihr Kind hält und dieses auf Anraten eines Fahrenden Schülers, den sie zufällig antrifft, nach anfänglichem Zögern in einem Bach ertränkt. Ihr echtes Kind habe sie daraufhin munter zu Hause in der Wiege angetroffen.²²² Auch am Ende des 16. Jahrhunderts finden Fahrende Schüler ganz ähnlich Eingang in die Protokolle. So klagt Dorothe Widerin in einem Überlinger Hexenprozess 1596 ihre Schwiegermutter an, ihr kleines Kind verhext zu haben. Das Wissen darüber aber habe sie von einem Fahrenden Schüler.²²³ Auch die Konnotation von Venusberg und Fahrenden Schülern, die erst seit dem 16. Jahrhundert nachzuweisen ist, begegnet in Prozessakten. So nennt das Turmbuch der Stadt Luzern die Inhaftierung eines Hans Wolgestanden aus dem Etschland wegen Hochstapelei. Er habe sich nämlich als Fahrender Schüler aus dem Venusberg ausgegeben.²²⁴ Soweit ich es ermitteln konnte, beschränken sich alle angeführten Aussagen aus Prozessprotokollen bis 1600 auf den Südwesten des deutschen Sprachgebiets. Nur dort scheint es gültig gewesen zu sein, den Fahrenden Schüler als Vermittler und Experten von Zauberei zu bewerten. Dieser Befund deckt sich geographisch mit der Verbreitung der Überlieferung in volkstümlichen Sagen; außerdem ist die Region der Raum, in dem die Texte ihren Ursprung haben, welche den Begriff und die Imaginationen vom Fahrenden Schüler transportieren, z. B. das „Basler Planetenkindergedicht“ und die frühen Bettlerkataloge. Damit zeigt sich, wie sich in kleinräumigen, komplexen und nicht en detail nachvollziehbaren Tradierungsprozessen narrative Imagination und reale Praktiken interdependent voraussetzen und damit ein spezifisches Gesellschaftsbild prägen, welches durch das zirkuläre Implikationsverhältnis des gesellschaftlich Imaginären beschrieben werden kann.

 Paul Frisius: Deß Teuffels Nebelkappen. Frankfurt am Main: Wendel Humm 1583, Punct 5, fol. E2r– E3r. Diese Geschichte findet wieder Eingang in den umfangreichen späten Zaubereitraktat: Jacob von Liechtenberg: Goëtia, vel Theurgia […], bearb. von Johann Jacob Wecker und bearb. und hg. von Wolfgang Hildebrand. Leipzig/Magdeburg: Johann Francke (Erben) und Samuel Scheibe 1631, S. 108 f.  Siehe Fritz Harzendorf: Überlinger Hexenprozeß im Jahre 1596. Ein Beitrag zur Geschichte und Psychologie des Hexenwahns. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 67 (1940), S. 108 – 141, hier S. 134 f. Überliefert im Stadtarchiv Überlingen, Blutbuch I, 39, 396 (1559 – 1623)  Staatsarchiv Luzern. Turmbuch (1594– 1599) COD 4480, fol. 287r.Verweise auf den Venusberg gibt es in Luzern auch bereits 1576, als Hans Sager der Hexerei angeklagt wird. Vgl. Turmbuch (1576 – 1581) COD 4450, fol. 17v, 20v und 13r. Im Jahr 1600 wird auch Hans Meyer der Betrügerei angeklagt, da er angibt zusammen mit dem Junker Niclaus von Mülinen im Venusberg und dazu am Roten Meer, am Jordan und in Jerusalem gewesen zu sein. Turmbuch (1600 – 1603) COD 4485, fol. 25r–26r. Zu den Verweisen aus dem Turmbuch vgl. Alois Lütolf: Sagen, Bräuche und Legenden aus den fünf Orten Lucern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Luzern 1865, S. 89 und Petzoldt: Venusberg, S. 922.

522

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

12.3.3 Exkurs: Selbstzeugnisse von Gelehrten als narrative Selbstdarstellung Als Indizien für sozialhistorische Details über Bettelstudenten und Fahrende Schüler werden in der Forschung die Zuschreibungen in Selbstzeugnissen²²⁵ gelehrter Personen des 16. Jahrhunderts betrachtet. Gerade der frühe Humanismus bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Peter Luder, Konrad Celtis, Samuel Karoch von Lichtenberg) war trotz des Buchdrucks auf reisende Gelehrte als Mittlerfiguren angewiesen. „Humanist society was a traveling society, humanism was spread by migration.“²²⁶ Der reisende Gelehrte oder ‚Wanderhumanist‘ hat aber mit dem Fahrenden Schüler (gerade im zeitgenössischen Verständnis) nichts zu tun. Daher konzentrierte man sich auf die Darstellungen in zwei populären Selbstzeugnissen, welche die permanente Mobilität und die Armut des autobiographischen Erzählers in der Jugend- und Ausbildungszeit besonders betonen. Diese beschrieb man als Berichte von/über Fahrende Schüler. Es handelt sich um Johannes Butzbachs Odeporicon (1506)²²⁷ und Thomas Platters Lebensbeschreibung (1572).²²⁸ Im Gegensatz zu Ansätzen, welche die Texte vornehmlich als bloße Quelle sozial- und kulturhistorischer Fakten lesen,²²⁹ hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass die „literarische Selbstinszenierung als armes Kind und Jugendlicher […] gezielt [vorgenommen werde], um einen Spannungsbogen zu erzeugen“.²³⁰

 Zum Begriff ‚Selbstzeugnis‘, der sich für das vielfältige autobiographische Schrifttum der Frühen Neuzeit durchgesetzt hat, vgl. Benigna von Krusenstjern: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie 2 (1994), S. 462– 472. Vgl. dazu auch die Berliner DFG-Forschergruppe 530 „Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive“, hier v. a. die Quellenkunde von Gabriele Jancke: Selbstzeugnisse im deutschsprachigen Raum. Autobiographien, Tagebücher und andere autobiographische Schriften 1400 – 1620. URL: www.geschkult.fu-berlin.de/e/jancke-quellenkunde/index.html [aufgerufen am 15.7. 2020]. Zum Teil ausgewertet in Gabriele Jancke: Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Köln 2002. Theoretisch zum Konzept der Forschergruppe vgl. Gabriele Jancke und Claudia Ulbrich (Hg.): Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung. Berlin 2005, S. 7– 28.  Müller: ‚Wandering‘ Scholars, S. 415.  Johann Butzbach: Odeporicon. Zweisprachige Ausgabe, hg. von Andreas Beriger. Weinheim 1991 (Übers. im Folgenden: A. B.).  Thomas Platter: Lebensbeschreibung. Zweite ergänzte Auflage nach der Erstauflage von Alfred Hartmann, hg. von Ueli Dill. Basel 21999.  Vgl. Spiegel: Das fahrende Schülertum. Etwas neuere Arbeiten sind: Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit, übers. von Caroline Neubaur und Karin Kersten. München, Wien 41977, S. 356– 362 und Emmanuel Le Roy Ladurie: Eine Welt im Umbruch. Der Aufstieg der Familie Platter 1499 bis 1628. Stuttgart 1998.  Juliane-Britta Kruse: Vom Elend ins Glück. Die Überwindung von Armut durch Bildung in den Selbstzeugnissen Johannes Butzbachs (um 1505) und Thomas Platters (1572). In: Elke Brüns (Hg.): Ökonomien der Armut. Soziale Verhältnisse in der Literatur. München 2008, S. 43 – 60, hier S. 55. Zu Thomas Platter vgl. auch Hans Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995 und Hans Rudolf Velten: Selbstbildung und

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

523

Die zeitliche und soziale Situation der beiden Selbstzeugnisse divergiert deutlich. Denn Butzbach wird Benediktiner am Anfang und Platter städtischer Arzt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, außerdem schreibt der eine Latein, der andere Deutsch. Dennoch haben die beiden Texte als Gelehrten- und Aufsteigerautobiographien einige Gemeinsamkeiten. Sie erzählen von der Entwicklung aus einfachen Verhältnissen (Butzbach ist ein Weberssohn und Platter ein Bauernsohn und Geißhirt) und ihrem Aufwachsen als Halbwaisen. Schließlich stimmen sie in der Darstellung der Lebenszeit als wandernde Schüler relativ überein. Jeder wird einem älteren Schüler (beanus) auf der Reise zur Universität als Zögling (scuto oder ‚Schütz‘) mitgegeben.²³¹ Der ältere beanus sollte den jüngeren Schützen eigentlich beschützen und unterrichten, lässt ihn jedoch für sich (als hausierenden Sänger) betteln, stiftet ihn zum Diebstahl an, lässt ihn hungern und quält ihn auf verschiedene Weise, die dezidiert auserzählt werden. So berichtet Butzbach davon, dass ihn der beanus zwang, den Mund auszuspülen, um festzustellen, ob er heimlich etwas Fettiges gegessen habe (cap. I, 16) und er lernte, eher zu stehlen als zu lesen.²³² Platter hingegen steigert die Reihe von teils schwankhaften (Gänsediebstahl, S. 38 f.), teils existenzbedrohenden Erzählungen (in der Herberge mit den Mördern, S. 39 – 41) zu einer Reihe von ‚(Über‐)

soziale Mobilitat in der Autobiographie Thomas Platters. In: Kaspar von Greyerz und Sebastian Leutert (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500 – 1850). Köln 2001, S. 135– 153 sowie Stephan Pastenaci: Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur historischen Psychologie. Trier 1993 und Franziska Ziep: Erzählen ohne Ende. Lebensgeschichten im 16. Jahrhundert am Beispiel der autobiographischen Texte von Ludwig von Diesbach (1488/1518) und Thomas Platter (1572). In: Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Hg.): Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven. Köln, Weimar, Wien 2012, S. 105 – 121.  Butzbach wird nach einer maßlosen Verprügelung durch den Lehrer der Dorfschule einem Beanus mitgegeben, da dieser ein besseres Leben versprach, das sich der junge Schüler als Schlaraffenland mit Bratwurstzäunen ausmalte (sepes farciminibus fore complexos, Butzbach: Odeporicon, cap. I, 3; S. 150). Auch Platter verlässt die Dorfschule aufgrund der Gewalt des Lehrers und wird seinem Vetter Paulus Summermatter mitgegeben. Vgl. Platter: Lebensbeschreibung, S. 35 f. Bereits in einem Selbstzeugnis von Burkhard Zink (vor 1468) wird die Situation erwähnt, dass der junge Schüler, von einem älteren Studenten überredet wurde, mit ihm zu ziehen, dann aber gezwungen war zu betteln. Vgl. Burkhard Zink: Chronik, hg. von Ferdinand Frensdorff. Leipzig 1866, S. 125 f. Zu einzelnen anderen Belegen über Bettelschüler und zum Kurrendesingen vgl. Nyström: Schulterminologie, S. 223 – 240. Insgesamt scheint sich die Konstellation von Bachant und Schütz weitgehend auf die beiden angeführten Darstellungen zu beschränken. Bei studententischen Reisegruppen lässt sie sich nicht nachweisen. Vgl. Rainer Christoph Schwinges: Zur Prosopographie studentischer Reisegruppen im Fünfzehnten Jahrhundert. In: Neithard Bulst und Jean-Philippe Genet (Hg.): Medieval Lives and the Historian. Studies in Medieval Prosopography. Kalamazoo (Mich.) 1986, S. 333 – 341.  Sepius etiam me cum alio consocii sui scutulo ad villas mittebat furandi aucas et gallinas gratia. In tali negotio ut studiosus et docilis essem operam dabat, in adiscendis vero litterarum bonarum morumque disciplinis minime; Butzbach: Odeporicon, S. 186.

524

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

lebensgeschichten‘.²³³ Diese steigern sich noch, als er von seinem Vetter Paulus flieht. In Kontrast zu dieser Darstellung wird im zweiten Teil der Aufstieg zum erfolgreichen Gelehrten beschrieben, der im Fall Platters unterschiedlich als kontinuierlicher Aufstieg vom „Self-made-man aus dem Wallis“²³⁴ oder als plötzliche Konversion und Fügung in die göttliche Prädestination beschrieben wurde.²³⁵ Deshalb wird bei Platter auch unterschiedlich der Änderung des Namens in das humanistische Platerus ²³⁶ oder das Verbrennen der Johannesstatue²³⁷ als Wendepunkt in der biographischen Entwicklung interpretiert. Bei Butzbach hingegen ist der Umschlag zum erfolgreichen Leben in seiner Nacktheit symbolisiert: Aus Neid auf seinen Erfolg als Hauslehrer wird er von seinem beanus und seinen Gefährten verprügelt, vielleicht auch vergewaltigt und nackt in einer kalten Zelle festgehalten.²³⁸ Dieser Umschlag markiert zugleich die Grenze zwischen dem ersten und dem zweiten Buch, in dem er fliehen kann und ins ‚ketzerische‘ Böhmen kommt. Hier begegnet der junge Butzbach neben zahlreichen Adligen auch einem Fuhrmann, der ihn auf der Reise nach Nürnberg nach seinen Eltern fragt: quid tunc misellus inter ignotos hisce in regionibus in tanta paupertate exularis? Quis te huc adduxit? Scitne pater tuus in tanta miseria te constitutum hicinde ita vagabundum per orbem palantem velut deperditum oberrare ovem?²³⁹

Die Situation des kleinen Butzbach erscheint also als elendes exilium und er selbst wie ein verlorenes Lamm unter den Wölfen. Im Kontext wird diese topische Benennung aber problematisch, denn sie ist die erwartete Reaktion auf eine (Not‐)Lüge. Um weiter kutschiert zu werden, fabuliert Butzbach nämlich von seinem Vater als einem reichen  Vgl. Ziep: Erzählen ohne Ende, S. 116. Zum Betteln und zum Umgang mit dem Bachanten v. a. Platter: Lebensbeschreibung vgl. ebd. S. 42 f. Zur körperlichen Züchtigung (Vergewaltigung?) durch einen älteren Schüler wegen (unterschlagener) Bezahlung vgl. ebd. S. 37.  Velten: Selbstbildung, S. 135.  Vgl. Pastenaci: Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung, S. 188 f. Vermittelnd zu den beiden Extrempositionen von Velten und Pactenaci vgl. Ziep: Erzählen ohne Ende, S. 119 f. (Anm. 57).  Platter: Lebensbeschreibung, S. 56 f. Vgl. Velten: Selbstbildung, S. 149 f.  Platter: Lebensbeschreibung, S. 62. Vgl. Pastenaci: Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung, S. 216 f.  post nostrum exitum a scholis de itinere me rapiens ad cellamque eorum trahens cum eisdem spoliatum vestibus nudum per totum corpus crudeliter diutissime virgis cecidit, ligatumque et clausum in camera magnis frigoribus in crastinum iacere permisit; Übers. A. B.: ‚[Er] passte mir [sic!] eines Tages ab, nachdem wir die Schule verlassen hatten; er packte mich auf dem Heimweg und schleppte mich zu ihrer Kammer [von zwei anderen beani, für die der kleine Schüler betteln sollte]; dort zog er mich nackt aus und prügelte mich mit ihnen zusammen am ganzen Körper aufs grausamste und lange Zeit lang mit Stöcken; schliesslich fesselten sie mich und schlosen mich in der Kammer ein, wo sie mich trotz der grossen Kälte bis zum nächsten Tage liegen liessen.‘; Butzbach: Odeporicon, S. 188 – 191. Zur Interpretation als Konversionsereignis vgl. Kruse: Vom Elend ins Glück, S. 51.  Butzbach: Odeporicon, S. 246 f.; Übers. A. B.: „Was tust du armer Kerl denn hier in dieser Gegend, im Elend, unter lauter Fremden? Wer hat dich hierher gebracht? Weiss denn dein Vater nicht, dass du hier so ins Unglück geraten bist? Dass du überall durch die Welt herumirrst wie ein verlorenes Lamm.“

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

525

Miltenberger Bürger statt eines armen Webers und stellt dem Fuhrmann damit eine Belohnung in Aussicht. Das ‚arme Lamm‘ ist also eigentlich ein Schwindler. Weiter macht die exemplarische Textstelle deutlich, dass die chronologische Biographie vornehmlich räumlich strukturiert ist, was bei Butzbach schon der Titel als Odeporicon (Wanderbüchlein oder Itinerar) offensichtlich macht. Die Entfernung vom Lebensziel, welches dem Erzähler und dem Rezipienten bekannt ist, wird als Entferung von den heimatlichen Netzwerken inszeniert. Die List aber ermöglicht es Butzbach wieder in seine Heimat zurückzukehren – eine kontinuierliche Entwicklung im Sinne einer moralischen Besserung ist nicht zu erkennen. Trotz aller Drastik und Detailliertheit der Ausgestaltung müssen die Darstellungen nicht notwendig als unmittelbare Belege der Realität gewertet werden, wenn man die intendierte Rezeptionssituation bedenkt: Sie richten sich von der Position der gealterten und weisen Autoritätsperson an jüngere Familienmitglieder und Schüler: Bei Butzbach ist der Adressat sein Halbbruder Philipp Trunk und bei Platter sein „lieber sn Felix […], des glichen ouch andre verriempte und glerte menner, die vor ettlich iaren in ir iugent mine discipuli gsin sind“.²⁴⁰ Es liegt also eine genealogische Traditionssituation vor. Die Tradierung der eigenen Lebensgeschichte soll der nachfolgenden Generation ein Muster für die eigene Lebensbewältigung bieten.²⁴¹ Die Geschichte vom Bildungsaufstieg aber steht in möglichst großem Kontrast zu den Erzählungen von Leid, Gewalt, Demütigungen und Armut als wandernder Bettelschüler und wird dadurch noch weiter hervorgehoben. Die Autobiographien (z. B. von Johannes Butzbach oder von Burkhart Zink) betonen immer wieder die Scham vor dem Betteln;²⁴² dennoch gilt es als pädagogische Maßnahme. So gibt der spätere Theologe Heinrich Bullinger in seinem Diarium zum Jahr 1516 an, dass ihn sein wohlhabender Vater zum Betteln nötigte, damit er Bedürftigkeit am eigenen Leib erfahre: Volebat autem parens, ut toto tempore, quo Embricae agebam, ostiatim mendicarem, non quod victus mihi deesset, sed quod ita vellet me experiri, quae esset mendicantium calamitas, ut porro illis per omnem vitam magis essem propitius.²⁴³

 Platter: Lebensbeschreibung, S. 23.  Vgl. Kruse: Vom Elend ins Glück, S. 57 f.  Bei Zink heißt es: „da ich das sach, daß die alten und die großen schueler nach prot sungen und giengen, da lief ich mit in und kam an […] und schemet mich fürbaß nit mer und gwan mir gnueg, daß ich wol zu eßen hett.“ Zink: Chronik, S. 126. Butzbach: Odeporicon, S. 176 nennt das Betteln semper exosam ob verecundiam.  Heinrich Bullinger: Diarium, hg. von Emil Egli. Basel 1904, S. 3; Übers. und Anm. P. R.: ‚Mein Vater wollte aber, dass ich die ganze Zeit, die ich in Emmerich [am Rhein] verweilte, an der Tür der Leute bettelte, nicht weil es mir am Nötigsten für den Lebensunterhalt gefehlt hätte, sodern weil er wollte, dass ich so das schlimme Schicksal der Bettler erführe, damit ich jenen ferner mein ganzes Leben hindurch mitfühlend verbunden sei.‘

526

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Diese Intention wiederholt sich im niederdeutschen Raum auch in der Epistola doctrinalis de esurie et arte mendicandi ad pauperem scholarem, einem autobiographischen Lehrbrief vom Xantener Domdechanten Arnold Heymerick (1482): Divitum adhuc vides parentum liberos mendicabilem subire calamitatem oportere, ne deliciis emolliantur et voluptati indulgere consuescant. Hi etenim quo suam ferunt miseriam alacrius, eo fiunt magis ad discendum idonei. ²⁴⁴

Zu dieser didaktischen Zielsetzung kommt noch ein anderes Argument. Es ist nämlich zu bedenken, dass laut Alois Hahn Selbstthematisierungen in Biographien stets aus dem Storm des Erlebten auswählen und dies ordnen müssen. Dafür aber seien Schemata notwendig und stets (implizit) angewandt,²⁴⁵ die je nach Epoche und sozialem Umfeld von verschiedenen – auch literarischen – Genera abhängig seien.²⁴⁶ Gerade für die Frühe Neuzeit diagnostizierte man unter dem Stichwort des Self-Fashioning von Stephen Greenblatt die Dominanz der Selbstkonstitution auf Grundlage sprachlicher und körperlicher Repräsentationen „an increased self-consciousness about the fashioning of human identity as a manipulable, artful process.“²⁴⁷ Als Strategien der Selbstdarstellung in den Biographien dient ein Set an Bezugsmustern: Sie bedienen sich aufgrund des Fehlens von Vorbildern für die vitae gewöhnlicher Personen an Schemata der Heiligenlegende (der ‚zweimalgeborene Heilige‘, Konversion)²⁴⁸ oder der didaktischen Spiegelliteratur sowie der schwankhaften Erzählliteratur des 16. Jahrhunderts.²⁴⁹ Auch nutzt Platter wohl gezielt zur Selbstinszenierung

 Franz Schröder: Ars Mendicandi. Ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Schülerbettels. In: Nederlands archief voor kerkgeschiedenis 18 (1925), S. 124– 145, hier S. 137 f. Dazu auch Pleij: Van Schelmen en Schavuiten, S. 110; Übers. P. R.: ‚Wie du bis hierher siehst, gehört es sich für die Kinder reicher Eltern, die Bedürftigkeit eines Bettlers anzunehmen, damit sie nicht durch den Komfort verweichlichen und sich daran gewöhnen, der eigenen Lust und Laune nachzugeben. Denn je schärfer sie das Elend am eigenen Leib erfahren, desto tüchtiger werden sie beim Lernen.‘  Vgl. Alois Hahn: Identität und Selbstthematisierung. In: Alois Hahn und Volker Kapp (Hg.): Selbstthematisierung und Selbstzeugnis. Bekenntnis und Geständnis. Frankfurt a. M. 1987, S. 9 – 24, hier S. 13.  Vgl. Hahn: Selbstthematisierung, S. 16 f.  Vgl. Stephen Greenblatt: Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago 1980, S. 2, zu einem spezifisch akademischen Self-Fashioning vgl. Richard Kirwan (Hg.): Scholarly Self-Fashioning and Community in the Early Modern University. Farnham u. a. 2013. Vgl. in Bezug auf die deutsche Autobiographie auch Velten: Selbstbildung, S. 149.  Vgl. Pastenaci: Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung, S. 190 f.  Vgl. Kruse:Vom Elend ins Glück, S. 46 f. und Ziep: Erzählen ohne Ende, S. 115 f. Ziep verweist dabei v. a. auf Wickrams Roman Der jungen Knaben Spiegel (1554), der dem Narrativ des sündhaften und des tugendsamen Weges folgt. Während der Ritterssohn Willibald von dem Metzgerssohn mit dem sprechenden Namen Lottarius zur Gaunerei verführt wird, wird dessen Halbbruder Fridbert zum Kanzler. Lottarius aber endet am Galgen und Willibald wird Bettler, bevor er von Fridbert gerettet wird. Vgl. Georg Wickram: Knabenspiegel. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken, mit sämtlichen Holzschnitten. Frankfurt a. M. 1990, S. 679 – 828, v. a. Kapitel 4 und 9. Zum mittelalterlichen didaktischen (und legendarischen) Literatur, v. a. dem Schuldrama mit ganz

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

527

als Gelehrter antike und humanistische Topoi.²⁵⁰ Alle diese Anleihen beschränken sich jedoch auf Details und es bleibt für beide Autobiographien festzustellen, dass sie in nuce originell sind.²⁵¹ Es ist jedoch bezeichnend, dass in keiner der Selbstzeugnisse der Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘ auftaucht und nur einmal am Rande bei Platter das Phänomen des betrügerischen Zauberkünstlers thematisiert wird: „was ein betrogener mensch, mit namen Carle, ein tüfell bschwerer, meint man, den er wußt z allen zytten, was hin und wider für sich gieng.“²⁵² Die Selbstzeugnisse, die Wahrheit zumindest präsupponieren, und die schwankhafte Figur des Fahrenden Schülers scheinen nicht zusammenzupassen, da sie zwei unterschiedlichen Registern angehören; auf der einen Seite steht biographisches oder pädagogisches, auf der anderen Seite schwankhaftes Schrifttum.

12.3.4 Faust und Fahrende Schüler – Gelehrte Positionen Im gelehrten Diskurs des 16. und 17. Jahrhunderts zeigt sich, dass die Imagination des Fahrenden Schülers in seiner spezifischen Form von einer schriftlichen Tradition abhängig ist, die verschiedene Diskurse und Register zu homogenisieren versucht. Während die schwankhafte Literatur des 16. Jahrhunderts wie auch kriminologische Schriften (Bettlerkataloge, Prozessprotokolle) den Fahrenden Schüler als (vermeintlich) magiebegabten Zauberkünstler behandeln, fehlt eine gelehrte Stellungnahme zum Phänomen im elaborierten Magiediskurs der Frühen Neuzeit. In den großen Schriften zum Zauberer- und Hexendiskurs wird der Ausdruck nicht explizit erwähnt, weder in Johann Weyers De Praestigiis Daemonum (Erstausgabe Basel: Johannes Oporinus 1563) noch in der Démonomanie des sorciers des Juristen Jean Bodins (Erstausgabe Paris: Jacques du Puys 1580) und der deutlich erweiterten deutschen Übersetzung De Magorum Daemonomania Johann Fischarts (Erstausgabe Straßburg: Bernhard Jobin 1581). Nur vereinzelt finden sich Beschäftigungen mit dem Phänomen. Diesen ist hier nachzugehen.

ähnlicher Struktur vgl. die Kapitel 9.3.2 und 9.4.1. Zur Figur des Fahrenden Schülers in Schwanksammlungen (auch bei Wickram) vgl. Kapitel 12.1.  Velten: Selbstbildung, S. 151 f. nennt die lucubratio (nächtliches Studium) bis zur körperlichen Erschöpfung und das Zwiegespräch mit den Klassikern.  Vgl. dazu die Aussagen Andreas Berigers in Butzbach: Odeporicon, S. 369 und 373.  Platter: Lebensbeschreibung, S. 37.

528

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Conrad Gessner (1555 und 1561) – Faust als Fahrender und der Druidendiskurs Der humanistische Universalgelehrte Conrad Gessner vertritt gleich in drei Texten eine spezifische Haltung zum Phänomen des Fahrenden Schülers.²⁵³ Dabei orientiert er sich am humanistischen Druidendiskurs. Denn die Humanisten – v. a. Konrad Celtis – verbreiteten angeregt durch die Wiederentdeckung der Germania des Tacitus in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Ansicht einer alternativen translatio studii unter pränationalem Vorzeichen. Während sich die romanischen Kulturen unter Vermittlung durch das römische Reich von Aeneas ableiten, stamme die ‚deutsche‘ Kultur von den Druiden ab, welche aus Griechenland gekommen und von Kaiser Tiberius von Gallien über den Rhein nach Germanien vertrieben worden seien. Da beide Kulturen nur eine ‚Vermittlerkultur‘ aufwiesen (Rom/Druiden) seien sie gleichberechtigt. Die deutschen Humanisten erfinden demnach in ihrer aemulatio Italorum eine Tradition. Dadurch erweist sich „[d]as historische Denken und Argumentieren der Humanisten […] einmal mehr als Teil eines rhetorisch bestimmten Diskurses, der den Blick auf die Vergangenheit für je wechselnde Ziele in der Gegenwart in Anspruch nimmt.“²⁵⁴ Celtis sieht dabei die antiken Druiden „als Mittlerfiguren und Schnittstellen zwischen antiker Natur- und Arkanphilosophie (unter Einschluß der Magie) und Christentum bzw. christlicher Theologie“,²⁵⁵ die sich „gegen die degenerierten Priester einer sich in sinnlicher Ausschweifung verlierenden christlichen Religion“²⁵⁶ stellen. Als Nachkommen der Druiden als Kulturstifter Deutschlands und Urheber eines pagan-gelehrten Synkretismus inszeniert Celtis (u. a. in seiner Ode 3, 28 von 1513) den Sponheimer Benediktinerabt Trithemius, der aufgrund seiner Steganographia (~1499) bereits im 16. Jahrhundert zu einem Muster magisch-dämonologischer Gelehrsamkeit avanciert, dadurch aber auch in den Ruf eines zwielichtigen Teufelsbündners erhält.²⁵⁷ Celtis unternimmt demnach eine Archäologie, welche sich apologetisch am Projekt der Identitätsstiftung einer deutschen Kulturnation beteiligt. Damit wirkt er produktiv in dieselbe Richtung wie der politische ‚Antiquarianismus‘ der Frühen Neuzeit, der durch (reproduktives) Studium und Sammeln alter Texte und Artefakte versucht, Geltungsansprüche zu stärken.²⁵⁸ Im Gegensatz zu antiqua-

 Gessner repräsentiert einen Typus am Übergang mittelalterlicher zu neuzeitlicher Wissenschaft und wirkt durch seine Großprojekte (z. B. der Bibliotheca universalis) an der enzyklopädischen Wissensakkumulation der Frühen Neuzeit mit.Vgl. dazu Udo Friedrich: [Art.] Gessner, Konrad. In: VL16, 2, Sp. 571– 583, hier Sp. 572. Vgl. auch Udo Friedrich: Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft. Conrad Gessners „Historia animalium“ und ihre volkssprachliche Rezeption. Berlin 1995.  Robert: Celtis, S. 349. Vgl. dazu auch die einleitenden Kommentare in Kapitel 1.2.  Robert: Celtis, S. 382.  Robert: Celtis, S. 383.  Konrad Celtis: Oden, Epoden, Jahrhundertlied. Libri odarum quattuor, cum epodo et saeculari carmine, übers. und hg. von Eckart Schäfer. Tübingen 2008, S. 284– 289. Vgl. dazu auch Robert: Celtis, S. 384– 394.  Vgl. die Definition in Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart, Weimar 2007, S. 143 f.: „Als politischen Anti-

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

529

rischen Bestrebungen um 1600, die vor allem die Prävalenz der (meist protestantischen) deutschen Territorialfürsten gegenüber dem (katholischen) Papsttum (et vice versa) durch wuchtige historiographische Arbeiten zu belegen suchen, entwirft Celtis ein mythisches Selbstbild einer deutschen Kulturnation, als deren Vertreter er seinen Freund Trithemius enkomiastisch (und wohl auch rehabilitierend) inszeniert. An diesen Diskurs knüpft Conrad Gessner an, wenn er 1555 in seiner protolinguistischen Enzyklopädie Mithridates polyglottus eine Alternative zu Celtis entwirft. Er erwähnt im Kapitel über die altgallische Sprache die Druiden, welche er etymologisch von trouen ableitet: inde complura nomina […] et Druides philosophi Galliæ pulsi a Tiberio Cæs. in Germaniam. Vulgus adhuc cuiusdam nominis genus esse putat, quod noctu premat sontes: et quo infantes territant: saltationis, figuræ Mathematicæ, calcei etiam philosophici genus adhuc nomen ab ipsis retinet, Auentinus. […] Hi sunt, ut conijcio, qui postea a Germanis studiosi peregrinantes dicti sunt, die farenden schler, qui Salamanticæ in Hispania patrum nostrorum memoria in subterraneo gymnasio magiam edocebantur.²⁵⁹

Eine pränationale Legitimationsintention, wie sie Celtis eignet, fehlt hier. Vielmehr zeigt Gessner ein rein enzyklopädisch-antiquarisches Interesse: Er erwähnt zwar die mutmaßliche Vertreibung der Druiden aus Gallien, führt dann aber aufgrund des Gleichklangs Vergleiche mit der ‚Drude‘ des Volksglaubens²⁶⁰ und anderen Phänomenen an, die er von Johannes Turmair (Aventinus) übernimmt.²⁶¹ Schließlich ergänzt quarianismus kann man in einem weiten Sinne die gelehrte Tätigkeit bezeichnen, alte Monumente und Dokumente aufzufinden und in ihrem kulturellen Kontext zu rekonstruieren, um damit einem zeitgenössischen politischen Zweck zu dienen – etwa der Legitimation von Herrschaftsansprüchen und Institutionen. Normalerweise ist der Ausdruck ‚Antiquarianismus‘ enger gefaßt: er beschränkt sich auf Monumente, die aus der Antike stammen. Doch in der Zeit um 1600, um die es hier gehen soll, hatte sich das humanistische Interesse an ‚Altem‘ längst auch schon auf die mittelalterliche Kultur ausgedehnt und diese in die große Aufgabe einbezogen, frühere Gebräuche, Sitten, Institutionen und Weltbilder wieder verständlich zu machen.“ Grundsätzlich ähnlich, aber kritisch zum Begriff, da der Anglizismus im Deutschen zu sehr nach Antiquitäten-Verkauf klingt, äußert sich Jaumann: Späthumanist, S. 601 f.  Conrad Gessner: Mithridates. De Differentiis Linguarum. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. 1555, fol. 19r [Konjektur P. R.: numinis zu nominis]; Übers. P. R.: ‚Davon leiten sich einige Namen ab […] Auch die Druiden, die gallischen Philosophen, die von Kaiser Tiberius nach Germanien vertrieben worden sind. Es ist noch heute der Volksglaube verbreitet, dass es ein Wesen desselben Namens gebe, das nachts auf den Sündern hocke, ein Kinderschreck. Ein Tanz, eine mathematische Figur und ein Philosophenschuh haben laut Aventinus noch den Namen von ihnen behalten. […] Diese sind es auch, wie ich annehme, die später von den Deutschen die Fahrenden Schüler genannt wurden. Diese seien zur Zeit unserer Elterngeneration in Salamanca in Spanien in einer unterirdischen Schule in der Magie unterrichtet worden.  Vgl. Petzoldt: Dämonen und Elementargeister, S. 53 f.  Johannes Aventinus: Annalium Boiorum Libri Septem. Ingolstadt: Alexander Weißenhorn II. und Samuel Weißenhorn 1554, S. 128: Huius regni Vanniani meminit et Plinius. Druidas quoque Gallorum Philosophos, et uates Imperator Tiberius exegit omni Gallia, succisa eorum sylua, ipsi in Germaniam trans Rhenum demigraverunt. In syluis, et sub quercubus de natura rerum, et Deorum Philosophati sunt. Ter-

530

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

er selbst als gegenwärtige Nachfolger der klandestinen Druidengemeinschaft die magiekundigen Fahrenden Schüler, die zur Zeit der Elterngeneration in einer Höhle in Salamanca die (schwarze) Magie studiert haben sollen.²⁶² Noch im selben Jahr wiederholt er seine Herkunfts-Hypothese in der Beschreibung des Pilatusmassivs in der Zentralschweiz. Nach einem Referat der Sage von Pontius Pilatus, der hier in einer Höhle bestattet sein soll, beschreibt er eine Wiese, auf der einer der Fahrenden Schüler den Versuch unternommen habe, den Geist des Pilatus zu beschwören: inde in planitiem dextrorsum descendimus, ubi reperimus aream quadratam, hexaclino fere, eminentibus circunquaque marginibus, gramine uirentem, sed locus medius sesquipedis fere spatio quoquouersus, nudus et sine herba erat, terra in eo aperta, nec unquam innasci quicquam aiunt. in eo stetisse incantatorem ex illis quos uulgo scholasticos peregrinantes auorum memoria nominauit, druidarum reliquias, (ut in Mithridate polyglotto ostendi,) dum Pilatum ex illa, (quam dixi) specula coniurationibus suis depulsum in proximam deturbaret paludem.²⁶³

Gessners Ergänzung zur Sage setzte sich im gelehrten Diskurs der Frühen Neuzeit jedoch nicht durch.²⁶⁴

riculamenti nocturni genus, calciamentum Philosophicum, figura Mathematica, apud nos adhuc ab his nomina servant. In der deutschen Übertragung von 1556 (also nach Gessners Mithridates) wird die (pseudoetymologische) Erklärung des besonderen Schuhwerks noch spezifiziert: Sie „hetten ein groß ansehen vor iederman, truegen besondre klaidung und fünfzinkete holzschuech an, so man noch ‚druddenfueß‘ haist“; Johannes Turmair, (Aventinus): Bayerische Chronik, hg. von Matthias Lexer. München 1882, Bd. 1, S. 105.  Die ältesten erhaltenen Verweise auf die Höhle von Salamanca als Teufelsschule datieren (neben vereinzelten uneindeutigen Hinweisen ab der 2. Hälfte des 15. Jh.s) auf das 16. Jahrhundert. Vgl. García Blanco: El tema de la Cueva de Salamanca, S. 86 – 90 und Adolf Jacoby: [Art.] Hochschulen der Zauberei. In: HdA 4, Sp. 140 – 148, hier Sp. 142 f.  Conrad Gessner: Descriptio Montis Fracti, siue Montis Pilati, iuxta Lucernam in Heluetia. In: Conradi Gesneri Medici, De Raris Et Admirandis Herbis. Zürich: Andreas und Hans Jakob Geßner 1555, S. 43 – 67, hier S. 52; Übers. P. R.: ‚Von dort steigen wir rechts zu einer Ebene hinab, wo wir eine quadratische Fläche vorfinden, fast sechseckig, auf allen Seiten umstanden und mit saftigem Gras. Aber ein Platz in der Mitte mit etwa sechs Fuß Radius war unbedeckt und ohne Bewuchs. Die Erde lag offen da und man sagt, dass darauf nichts wachsen könne. Darauf sei ein Beschwörer von denen gestanden, die man volksläufig seit der Zeit unserer Großväter [oder zur Zeit unserer Großväter] die Fahrenden Schüler nannte, die Überreste der Druiden (wie ich im Mithridates polyglottus gezeigt habe). Dieser habe Pilatus währenddessen (wie gesagt) aus dieser Höhle mit seinen Beschwörungen aufgescheucht und in den nahegelegenen Tümpel vertrieben.‘  Vgl. Heinrich Kornmann: Mons Veneris, Fraw Venus Berg. Frankfurt am Main: Jakob Fischer und Matthäus Becker d. Ä. 1614, S. 393 – 416 und Johannes Praetorius: Blockes-Berges Verrichtung. Leipzig: Johann Scheibe; Frankfurt a. M.: Friedrich Arnst 1669, S. 3 f. Beide kennen die Pilatus-Sage, bei keinem aber kommt die Episode mit dem Fahrenden Schüler vor.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

531

Schließlich vertritt Gessner seine Position auch in einem Brief an seinen Freund, den kaiserlichen Leibarzt Johann Crato von Krafftheim vom 16. August 1561.²⁶⁵ Krafftheim habe ihn gebeten, ihm einen Katalog der Werke des Paracelsus zu schicken, Gessner aber versagt dem Freund den Wunsch und weist darauf hin, dass die paracelsistischen Irrlehren der Beschäftigung nicht wert und zudem unchristlich seien. Paracelsus selbst und seine Anhänger seien gar ruchlosere Zauberer und Dämonenbündner gewesen²⁶⁶ und hätten nichtige Mantiken (Astrologie, Geomantie, Nekromantie und andere artes prohibitae) gepflegt, was Gessner zu der Annahme führt, sie stammten von den Druiden ab: Equidem suspicor illos [sc. Paracelsistos] ex Druidarum reliquijs esse, qui apud Celtas veteres in subterraneis locis a dæmonibus aliquot annis erudiebantur: quod nostra memoria in Hispania adhuc Salamancæ factitatum constat. Ex illa schola prodierunt, quos vulgo scholasticos vagantes nominabant, inter quos Faustus quidem non ita pridem mortuus, mire celebratur.²⁶⁷

Indem er neben den Fahrenden Schülern auch noch Faust (als Teil dieser Gruppe) nennt, referiert er auf ein vergleichsweise aktuelles Thema; vertraut man nämlich den Aussagen in der Zimmerischen Chronik, dann sei ein Faustus 1541 in Staufen im Breisgau vom Teufel geholt worden.²⁶⁸ Die Erwähnung von diesem „weitbeschreyten Zauberer vnnd Schwartzkuͤ nstler“²⁶⁹ verstärkt die Invektive gegen die Paracelsisten noch mehr als es die bloße Erwähnung der Fahrenden Schüler getan hätte. Gessners Kommentar wurde zu seinen Lebzeiten nicht mehr problematisiert, sondern erst im 17. Jahrhundert und verstärkt in der frühen Forschung zum historischen Johann oder Georg Faust im 19. Jahrhundert diskutiert.²⁷⁰ Die Druiden erscheinen hier freilich nicht  Postum veröffentlicht als erster Brief der Sammlung Epistolarum medicinalium Conradi Gesneri philosophi et medici Tigurini libri III, hg. von Caspar Wolf. Zürich: Christoph Froschauer d. J. 1577, fol. 1r–2v.  neque curaui vt haberem, et si facile potissem, cum illum plane indignum cuius inter bonos scriptores mentio fieret, iudicarem bonos dico, non solum eruditos, sed Christianos, et pios salem ciuiliter, sicut et Ethnici fuerunt. Theophrastus vero certe impius homo et magus fuit, et cum dæmonibus communicauit; Gessner: Epistulae medicinales fol. 1v.  Gessner: Epistulae medicinales fol. 1v; Übers. P. R.: ‚Ich jedenfalls vermute, dass jene [die Paracelsisten] aus den Überresten der Druiden herstammen, die bei den alten Kelten an unterirdischen Orten für einige Jahre durch Dämonen unterrichtet wurden. Es ist ja bekannt, dass die auch zu unserer Zeit in Salamanca in Spanien praktiziert wird. Aus jener Schule kamen die hervor, die man gemeinhin die Fahrenden Schüler nennt und unter denen ein gewisser Faust, der erst vor Kurzem gestorben ist, einen besonderen Ruf hat.‘ [Erg. von P. R.].  Zimmerische Chronik, Bd. 3, S. 529 f.  So der Untertitel der Historia von D. Johann Fausten.  U. a. ging man der Frage nach, ob daraus hervorginge, ob Faust in Salamanca studiert habe. Eine erste Rezeption von Gessners Meinung begegnet am Rande im Discursus Historico-Philologicus De Vagantibus Scholasticis Sive Von Fahrenden Schülern (Leipzig: Johann Georgi 1675) von Jakob Thomasius (Präses) und Johann Ulrich Mayer (Resp.); zweite Auflage in Leipzig 1714. Vgl. dazu unten. Weiter dazu in Johann Georg Neumann (Präs.) und Karl Christian Kirchner (Resp.): Disquisitio Historica De Fausto Praestigiatore. Wittenberg: Christian Fincelius 1683, hier § 6 zu Gessner und Thomasius; zweite

532

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

mehr positiv als die humanistischen Kulturbringer, sondern negativ als die klandestinen Irrlehrer. So können wahlweise Faust, die Fahrenden Schüler oder die Paracelsisten als ihre Nachfahren dargestellt werden. Eine weitere Tendenz bei Gessner wird offensichtlich, wenn man seine Version mit einem anderen Werk vergleicht, welches ebenso auf Aventinus’ Geschichtswerk aufbaut, dem biographischen Lexikon Illustrium Germaniae Virorum Historiae (1562) des Hieronymus Ziegler. Hier steht: Ex horum professione fuere patrum memoria, quos studiosos peregrinantes (die farenden Schler) nominabant. Qui se, in, nescio quo, Veneris monte fuisse, et ibidem edoctos gloriabantur.²⁷¹

Er verbindet also die Motive vom Druiden, Fahrenden Schüler und Venusberg und zeigt damit ein wichtiges Merkmal humanistisch-gelehrter Geschichtsschreibung und zwar den Drang zur enzyklopädischen Vereinigung von Wissensbeständen, die auch populär-schwankhafte Motive vereinnahmt und aitiologisch erklärt. Ständige Wiederholung und bestätigendes Zitat festigen diese Informationen in ihrem Wahrheitsanspruch – im vorliegenden Fall z. B. Heinrich Pantaleons Prosopographiae Heroum atque Illustrium Virorum Totius Germaniae (1565, in dt. Übers. 1567).²⁷² Diese Tendenz ist freilich Gessner nicht abzusprechen. Auch er versucht verschiedene (ebenso zeitgenössische) Phänomene in einen umfassenden (wissenschaftlichen) Zusammenhang zu stellen und in eigene Gedankengebilde zu integrieren, wobei er konnotativ ebenso nicht-notwendige Informationen anführt, um zu demonstrieren, dass er wohl unterrichtet und universell gebildet ist. In diesem Sinne folgt Gessner der Praxis des name dropping und weist seine ‚Polyhistorie‘ aus.²⁷³

Auflage Wittenberg: Recusa 1693; Neuauflage: Karl Theens (Hg.): Faust Dissertation. Schrift gegen d. Aufenthalt Fausts in Wittenberg. Darmstadt 1973. Schließlich in der frühen Forschung des 19. Jahrhunderts: Heinrich Düntzer: Die Sage von Doctor Faust. Stuttgart 1846, S. 63 f. Vgl. auch Carl Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. Mit besonderer Berücksichtigung des occulten Phänomenalismus und des mittelalterlichen Zauberwesens. Leipzig 1893, S. 28 und später Günther Mahal: Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens. Reinbek bei Hamburg 1995, S. 176 f.  Hieronymus Ziegler: Illvstrivm Germaniae Virorvm Historiae aliquot singulares. Ingolstadt: Alexander Weißenhorn II. und Samuel Weißenhorn 1562, fol. 9r; Übers. P. R.: ‚Aus dieser Zunft waren zur Zeit unserer Väter auch die, welche sich die Fahrenden Schüler nannten. Diese rühmten sich, in irgendeinem Venusberg gewesen und ebendort ausgebildet worden zu sein.‘  Heinrich Pantaleon: Prosopographiae Heroum atque Illustrium Virorum Totius Germaniae, Pars Prima. Basel: Nikolaus Brylinger 1565, S. 40 f. Dabei ist seine Quelle falsch angegeben als Ioannes Zieglerus. *fol. 5r (Verzeichnis unpag.). Dt. als: Das erste Teil deutscher Nation Heldenbuch. Basel: Nikolaus Brylinger (Erben) 1567.  ‚Polyhistorie‘ ist hier anachronistisch gebraucht, da Polyhistorie und Polymathie erst verstärkt in der Gelehrtenpanegyrik und ‐polemik des 17. Jahrhundert aufkommen. Dabei markiert der Begriff ‚Polyhistor‘ eine persona zwischen „[e]nzyklopädische[r], d. h. […] umfassende[r], vornehmlich philologisch-antiquarische[r] Bildung“ und der „frühneuzeitliche[n] Kuriositäten- und Kompilationsliteratur resp. ‚Buntschriftstellerei‘, die anstelle einer systematischen Kategorisierung […] dem Prinzip der

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

533

Johannes Lange (1554) und Matthias Flacius (1553) – Abgrenzung und Beleidigung Der Fahrende Schüler erscheint in allen humanistischen Texten weniger als eine listiglustige Schwankfigur, vielmehr wird er als dilettantischer Betrüger abgelehnt, so auch beim kurpfälzischen Arzt Johannes Lange (1485 – 1565), der in seinen nach italienischem Vorbild (noch vor Gessners Epistolae) offen publizierten Epistolae medicinales aggressiv gegen die große Zahl der Quacksalber, Astrologen und ungelehrten deutschen Pseudoärzte wettert: Simulque a Medicinæ professione agyrtæ, circulatores, monachi apostatæ, perfidi et Christianis infesti Iudæi, indoctique parochiarum sacrificuli, chymistæ, et id genus nebulonum (anus quoque fatidicas fere præterijssem) exploderentur. qui cum nec prima Philosophiæ naturalis aut Medicinę rudimenta didicerint, impune per hominum mortes experimenta agunt.²⁷⁴

Besonders deutlich wird seine programmatische Ablehnung in den elegischen Distichen im Brief an den Leser: Sunt ueneratores Medici, sycophantæ et agyrtæ, Qui phaleris populum fallere nempe student. Ista Philargyriæ possedit pectora dæmon, Quæ nugis cogit turpe parare lucrum. Horum lethiferas quæris discernere fraudes? Iudicio prudens, hæc paradoxa legas.²⁷⁵

Er wendet sich also gegen seine ungelehrten und betrügerischen Berufskollegen, wie dies bereits der Arzt Conrad Gessner im Brief an seinen Kollegen Johann Crato von Krafftheim und ganz ähnlich Paracelsus und Hans Folz taten. Unter diese ungelehrten varietas“ folgt. Eine kritische Wort- und Ideengeschichte bietet Hole Rößler: Polyhistorie und Polymathie. In: Herbert Jaumann und Gideon Stiening (Hg.): Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Berlin, Boston 2016, S. 635 – 676, hier S. 639 f.  Johannes Lange: Medicinalium epistolarum miscellanea. Basel: Johann Oporinus 1554, S. 40; Übers. P. R.: ‚Zugleich sollte man medizinische Quacksalber, Vaganten, abgefallene Mönche, treulose und christenfeindliche Juden, Bettelpriesterlein, Alchemisten und diesen Menschenschlag von Taugenichtsen – weissagende alte Weiber hätte ich fast vergessen – vertreiben. Obwohl diese weder die einfachsten Grundlagen der Naturphilosophie oder der Medizin gelernt haben, experimentieren sie ungestraft mit dem Leben der Menschen.‘ Ebenso an anderen Stellen, z. B. in der Praefatio (S. 1– 6), im Brief 71 (S. 320) u. ö. Vgl. dazu auch Viktor Fossel: Aus den medizinischen Briefen des pfalzgräflichen Leibarztes Johannes Lange. 1485 – 1565. In: Archiv für Geschichte der Medizin 7 (1913), S. 238 – 252, hier v. a. S. 240 – 243. Zur Situation in Heidelberg vgl. auch Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle: Humanismus und Medizin an der Universität Heidelberg im 16. Jahrhundert. In: Wilhelm Doerr (Hg.): Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1386 – 1986. Bd. 1: Mittelalter und frühe Neuzeit: 1386 – 1803. Berlin 1985, S. 255 – 289.  Lange: Medicinales epistolae, *fol. 2v (unpag.); Übers. P. R.: ‚Es gibt Quacksalber, Gauner und ‚Fahrende Schüler‘, die das Volk offenbar um ihr Geld bringen wollen. Deren Herz bewohnt der böse Geist der Geldgier und zwingt sie mit Gaunereien schändlichen Gewinn zu machen. Du fragst, ob man ihre verfluchten Betrügereien erkennen kann? Klug im Urteil solltest du diese widersprüchlichen Aussagen lesen.‘

534

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Quacksalber zählt Lange auch die Fahrenden Schüler, indem er am Rand anführt: Agyrtæ, germ. Die farende schler. ²⁷⁶ Im Haupttext steht: Habuit et hoc maleficij genus in Græcia, ac non adeo ante multos annos adhuc in Germania, suæ artis, sub medicinæ prætextu, suos professores. quos Plato libro de Republica secundo agyrtas, ariolos et uates nominat: qui ante ianuas diuitum, stipem petituri, oppidatim quæstu causa oberrabant, et diuina quadam uirtute, carminibus et sacrificiorum mysterijs se morbos infligere, inflictos quoque curare: et si quid sceleris a diuitibus, aut eorum proauis esset commissum, id magica sacrificiorum celebritate, suffimentorumque expiare, eorumque inimicos tam sontes quam innocentes ἐπώδαις, id est carminibus oblædere posse gloriabantur.²⁷⁷

Lange hat also die Bezeichnung agyrtae von Platon übernommen und will sie als ‚Fahrende Schüler‘ übersetzt wissen. Dabei unterlässt er einen Bezug zum Druidenmythos und führt stattdessen Belegstellen aus der antiken Literatur an – auf Platons Politeia folgt das (pseudo‐)hippokratische De morbo sacro. ²⁷⁸ Die Bezeichnung ‚Fahrender Schüler‘ erscheint in diesem Zusammenhang als Negativfigur zum Gelehrten (v. a. dem Arzt) und als Möglichkeit der ausschließenden Stigmatisierung der als minderwertig und dilettantisch empfunden Wanderärzte, Chirurgen, aber auch Alchemisten und Paracelsisten. Damit weist die Bezeichnung ähnliche Konnotationen auf wie die Bezeichnung ‚Scharlatan‘ ab dem 17. Jahrhundert.²⁷⁹ Doch auch als völlig unspezifisches Schimpfwort ist der Ausdruck zu gebrauchen, wie die Verwendung in der Streitschrift des Mattias Flacius Illyricus gegen den spi-

 Lange: Medicinales epistolae, S. 116 (in marg.).  Lange: Medicinales epistolae, S. 116; Übers. P. R.: ‚Es gab auch in Griechenland einen solchen frevelhaften Menschenschlag und noch vor wenigen Jahren in Deutschland, der sich unter dem Deckmäntelchen der Medizin öffentlich zu ihrer (Zauber‐)Kunst bekannt hat. Diese nennt Plato in seiner Schrift Vom Staat ‚Fahrende Schüler‘, Bettelpriester und Wahrsager: Sie gingen ziellos von Stadt zu Stadt und bettelten vor den Türen der Reichen, wobei sie sagten, dass sie mit einer göttlichen Macht, Zaubersprüchen und geheimen Ritualen Krankheiten lindern und gelinderte Krankheiten auch heilen könnten. Sie rühmten sich außerdem folgender Dinge: Wenn irgendein Reicher oder einer seiner Vorfahren irgendein Verbrechen begangen habe, könnten sie dies mit der Feier einer magischen Zeremonie und Weihrauchduft entsühnen, und ihren Feinden, den sündigen wie den unschuldigen, könnten sie mit Epoden, das sind Zaubersprüche, Schaden zufügen.‘ Dieselbe Textstelle kopiert er in seinem Dialog Medicum de Republica Symposium. o. O. 1554. S. 89 f. Die Passage vertritt hier aber vor allem eine apologetische Funktion, indem das Alter Ego des Verfassers Langius Medicus die Medizin als staatsrelevante Disziplin gegen die Theologie (gegen Theophilus), die Jurisprudenz (gegen Ulpianus) und die Pädagogik (gegen Aristarchus) verteidigt und die betrügerischen Ärzte aus seiner Disziplin ausschließt.  (Pseudo‐)Hippokrates: De morbo sacro. Über die heilige Krankheit, hg., übers. und erl. von Hermann Grensemann. Berlin 1968, 10 f. (S. 60/61)  Vgl. dazu Hole Rößler: Scharlatan! Einleitende Bemerkungen zu Formen und Funktionen einer Negativfigur in Gelehrtendiskursen der Frühen Neuzeit. In: Tina Asmussen und Hole Rößler (Hg.): Scharlatan! Eine Figur der Relegation in der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur. Frankfurt a. M. 2013, S. 129 – 160.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

535

ritualistischen Reformator Kaspar Schwenckfeld Von der h. Schrifft vnd jrer wirckung, widder Caspar Schwenckfeld (1553) zeigt: Was nun weiter antrifft/ Schwenckfeldts meinung von der Rechtfertigung/ in dem ist er sehr unbestendig/ wetterwendisch/ und ein rechter fahrender schler.²⁸⁰

Im Gegensatz zu den anderen Assoziationen mit dem Magiediskurs und den Konnotationen in der schwankhaften Literatur wird hier das invektive Potential der semantischen Basis des Ausdrucks genutzt, welche die Unbeständigkeit und Unstetheit der vagierenden Existenz herausgestellt.

Teil abundanter Listen – Johann Fischarts Geschichtklitterung (1575) Johann Fischart gliedert den Fahrenden Schüler einer vielgeübten Praxis folgend in lange etymologische Reihen ein, die zur „Exponierung lexikalischer Varianz“²⁸¹ dienen und meist über seine Vorlage hinausgehen. So bereits im ersten Kapitel der Geschichtklitterung. Während seine Vorlage, der Gargantua von François Rabelais (1532), nur kurz auf die translatio imperii anspielt, nimmt Fischart die Veränderlichkeit der Herrschaft zum Anlass allgemein über Instabilität zu sprechen: Also kugelts im kreiß herumb, wie solt es nicht kegel geben: Ja daß ich geschweig des verreisens, migrirens, verruckens unnd auffbrechens etwann gantzer Länder unnd Völcker von wegen plagung der Mäus und Schnacken.²⁸²

Auf die Mobilität der Völker folgen mobile Bevölkerungsgruppen: Und inn was Land ziehen nicht die Zigeiner, Kauffleut, Studenten, Becken, Kämetfeger, Handwercksgesellen, Allgäuische Maurer, Schnitter, Elsessische Bettler, Pilger, Stazionierer, fahrende Schuler, Kriegsleut, Juden. Item Landraumige.²⁸³

Dabei scheint die Reihenfolge wichtig. Denn auf die ‚Zigeuner‘ folgen zuerst neben einigen ‚normalen‘ Berufen (Kaufleute, Bäcker, Kaminkehrer, Erntehelfer, Handwerker und Gesellen) die Studenten und in einem zweiten Teil dann einige typische Professionen der Bettlerkataloge: die Elsassbettler,²⁸⁴ die (falschen?) Pilger und Reliquienhändler und schließlich die Fahrenden Schüler, bevor Soldaten, Juden und Landflüchtige die Liste abschließen. Fischart unterscheidet also explizit zwischen Studenten und Fahrenden Schülern und ordnet sie zwei disparaten Bereichen zu.

 Matthias Flacius: Von der h. Schrifft vnd jrer wirckung, widder Caspar Schwenckfeld. Magdeburg: Michael Lotter 1553, fol. K4r.  Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 344.  Fischart: Geschichtklitterung, S. 34, Z. 8 – 11.  Fischart: Geschichtklitterung, S. 34, Z. 39–S. 35, Z. 3.  Zu den Elsassbettlern vom Kohlenberg vgl. Kapitel 10.4.

536

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Zugleich zeigt er seine Kenntnis der ‚Gaunerbüchlein‘.²⁸⁵ Abermals in eine Liste integriert er den Fahrenden Schüler im Zuge der etymologischen Erklärung des Namens ‚Paris‘: Aber vom Paradyß hats den Namen, wie jender farend Schuler die Bäurin uff dem kropff ließ [d. h. gefoppt und übervorteilt zuließ] als sie ihrem gestorbenen Man kleider unnd zerung schickt.²⁸⁶

In dieser kurzen Anspielung zeigt er seine Kenntnis des Erzähltyps vom ‚Mann aus dem Paradies‘. Er setzt damit die schwankhafte Worterklärung mit anderen (gelehrten) Etymologien gleich oder präferiert diese sogar.

Martin Crusius (1595/96) und Georg Rudolf Widmann (1599) – Fahrende Schüler als Teil gelehrter Wissensbestände Während Johannes Lange, Hieronymus Ziegler, Johann Fischart und auch Conrad Gessner den Fahrenden Schüler nur am Rande behandeln – mitunter im wörtlichen Sinne des Wortes in margine –, widmet ihm der Tübinger Gräzist Martin Crusius in seinen Annales Suevici (1595/96) einen ganzen Abschnitt. Die Passage ist Teil einer Reihe von Kuriositäten des Jahres 1544 mit der Überschirft „Errones, impostores, præstigiatores, fahrende Schuͤ ler. Alraun, wuͤ tend Heer/ Gespaͤ nst“.²⁸⁷ Im einleitenden Satz des Abschnitts bezieht sich Crusius gleich auf den Gaunerei-Diskurs (simulatio): Reperiebant et hoc, et superiori tempore, nebulones aliqui in Alemannia: qui ociose circumuagantes, decipiebant homines.²⁸⁸

Als Beispiele für diese betrügerischen Müßiggänger führt Crusius Alraunenverkäufer, Falschspieler und eben die Fahrenden Schüler an, denen er am meisten Raum gibt: Quidam alij fuerunt, scholastici rudes, perditæque, spei: qui in humeris paruum reticulum flauum gestabant, tanquam cappam. Hi se appellabant volaticos vel erraticos scholasticos. Fingebant apud Rusticos, et homines simplices: se in monte veneris fuisse: mire vidisse: scire, quæ

 Dass Fischart den Liber Vagatorum kennt und sogar zitieren kann, zeigt er in Aller Praktik Großmutter in der erweiterten Auflage von 1574 (Version C): „Adde die zunft des Rabenfters librum vagatorum,Waghaͤ lß/ dictirt von eim hochwirdigen Meister mit Namen Expertus in trufis, dem Adone z eer, sibi in refrigerium Kalbslung/ allen zur vnderrichtung: darinnen aller farb beschudlerulm hochbenamset sind/ als Breger/ Stabuler…“; Johann Fischart: Aller Praktik Großmutter. In: Sämtliche Werke. Bd. 1, hg. von Ulrich Seelbach. Bern, Berlin u. a. 1993, S. 293 – 411, hier S. 356. In der folgenden Reihe der devianten Saturnkinder nennt er auch die „Studenten die nicht liber vagiren/ gassenhauiren vnd hofiren, dann studiren.“ Fischart: Aller Praktik Großmutter, S. 359.  Fischart: Geschichtklitterung, S. 216, Z. 32– 34.  Martin Crusius: Annales Svevici. Frankfurt a. M.: Nikolaus Basse 1595/1596, Bd. 2, S. 652; dt. als Schwäbische Chronick, erw. und übers. von Johann Jacob Moser. Frankfurt a. M.: Metzler und Erhard 1733.  Crusius: Annales Svevici, Bd. 2, S. 653; Übers. P. R.: ‚Es fanden sich zu dieser Zeit und auch schon früher einige Taugenichtse in Deutschland, die müßig umherzogen und die Menschen betrogen.‘

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

537

essent, quæ fuissent, quæ venturæ essent. Posse res amissas restituere, et præmunire homines aduersus sagas & magiam. ὑπετονθόρυζον ἀλλόκοτά τινα ὄνοματα: sub dentibus murmurabant monstrosa quædam verba: ut homines, præsertim mulieres fila in conuentu trahentes, in sui admirationem raperent, et nummis emungerent.²⁸⁹

Darauf folgen verschiedene Fertigkeiten, derer sich die Fahrenden Schüler rühmen. Crusius führt Schutzzauber gegen Waffen (sog. Festmachen), Hagel und magische Beherrschung (fascinatio) an. Außerdem hätten sie Macht über die ‚Wilde Jagd‘ (exercitum furiosum), über die er noch mehr Informationen anführt.²⁹⁰ Abschließend beschreibt er drei Gaunereien der Fahrenden Schüler: (1) Die List vom Wolfskot in der Viehkrippe – das Vieh wird durch den Geruch rasend und wird durch die ‚Zauberei‘ des Fahrenden Schülers wieder besänftigt – und die List (2) vom Verkauf von Seilen, die die Fruchtbarkeit der Weinberge und Äcker steigern: Ponebant fimum lupi in præsepi pecorum: quæ inde abhorrentia, strepebant. Ipsi ex magia id fieri dicentes: crucibus factis, et babaris vocibus pronunciatis, τὴν κόπρον, occulte remouebant: ac sic pecuniam accipiebant. Ijdem dicebant se habere duos funes, frumentarium & vinarium. Vtrum horum defoderent: vini aut frumenti precium excrescere eo anno.²⁹¹

Leider gibt Crusius der Methode frühneuzeitlicher Historiographie folgend nur sehr vereinzelt seine Quelle an, doch die ersten beiden Listhandlungen erinnern stark an die Schwänke von Peter Schneider aus der Zimmerischen Chronik. Bei der List vom Wolfskot geht es ja gerade darum, einen selbst herbeigeführten Zustand durch vermeintliche Magie zu korrigieren. Ebenso verfährt auch Peter Schneider im ‚Der Schwank von den vergifteten Karpaunen‘ (Nr. 8). Die List vom Verkauf des Wein- und

 Crusius: Annales Svevici, Bd. 2, S. 653; Übers. P. R.: ‚Es gab auch eine Gruppe, und zwar liederliche, hoffnungslos verdorbene Schüler, die über der Schulter ein kleines gelbes Netz wie eine Kapuze trugen. Sie nannten sich fliegende, unstete oder fahrende Schüler. Sie taten bei den Bauern und den Einfältigen so, als ob sie im Venusberg gewesen seien, dort Wunderwerke gesehen hätten und die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft kennen würden. Sie könnten Verlorenes wiederbeschaffen und Menschen gegen Hexerei und Zauberei schützen. Sie murmeln irgendwelche unheilvollen Worte zwischen den Zähnen. So ziehen sie die Menschen in ihren Bann und locken ihnen Münzen heraus, besonders aber den Frauen, wenn sie in Gemeinschaft Garn spinnen.‘  Addebant, vbi ea verba recitarentur, neminem gladio confodi: non percuti grandine fruges: neminem in domo ea magicis artibus fascinari posse: nullum pecus toto anno mori. Se potestatem habere in Furias, vel exercitum furiosum: in quo essent omnes infantes non baptizati: omnes in pugnis cæsi: omnes ecstatici, in quorum corpora animæ, quæ evolassent, non redijssent: quod aliquis illos excitare volens, nomine proprio appellasset. Eos venire in solitudinem, nocte diei sabbati in 4. Angarijs, et nocte trium dierum Iovis in Adventu Domini: ac ferri alium in locum magna cum querimonia ad extremum vsque diem. Tunc et ipsos accenseri beatis; Crusius: Annales Svevici, Bd. 2, S. 653 f.  Crusius: Annales Svevici, Bd. 2, S. 654; Übers. P. R.: ‚Sie legten Wolfskot in die Viehkrippe, weshalb das Vieh auch aus Angst lärmt. Sie selbst aber gaben es als Zauberei aus, machten Kreuzzeichen, sagten Worte in einer fremden Sprache und entfernten den Kot geheim. So bekamen sie Geld. Dieselben sagten, dass sie zwei Seile hätten, ein Fruchtseil und ein Weinseil. Wenn man eines davon vergrübe, würde der Preis für Wein oder die Feldfrüchte im folgenden Jahr steigen.‘

538

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Fruchtseils hingegen erinnert an den ‚Schwank von den Kohlsamen‘ (Nr. 6), in dem der Schwankheld magisches Saatgut verkauft, außerdem auch an Fazetie II, 128 von Bebel, in welcher dem Bauern Held ein immervolles Weinfläschchen angedreht wird.²⁹² Eine Kenntnis der Zimmerischen Chronik und ähnlicher (mündlicher wie schriftlicher) Berichte ist bei Crusius trotz des Fehlens von Belegen durchaus anzunehmen.²⁹³ Es folgt noch (3) die List vom Schatzgraben: Tales, erant quoque θησαυρωρύχοι, fossores thesaurorum. Vt quidam in villa cœnobij Chomburgensis: qui nocte diei Iouis circulum gladio proxime domum Rustici, a quo 30. argenteos acceperat, fecit: res consecratas, salem, aquam, herbas, candelas accensas, inspersit et addidit: crucem in circulo fecit: carbones ardentes posuit. Pinxerat liquore cepæ in charta figuram Dæmonis, ahenum cum pecunia tenentis: quæ figura non apparebat, nisi charta supra carbones tenetur. Fecit sic. Tunc Rusticus figuram vidit: et thesaurum in terra latere iam credidit. Impostor, thus praeterea opus sibi esse dixit. Id dum Rusticus allatum ibat: nebulo cum pecunia euanuerat. Rusticus postea fraudem G. Widemanno recensuit.²⁹⁴

In typischer Weise erbeutet der Fahrende Schüler sein Geld durch die Unterstellung magischen Wissens und einen gewitzten Trick, der diese Vorurteile bestätigt – hier das mit Zwiebelsaft geschriebene Papier mit einem Bild des Teufels. Crusius legt Wert auf die Authentizität dieses Geschehens und gibt im Gegensatz zu den anderen Beispielen einen autoritativen Gewährsmann an, und zwar den Schwäbisch Haller Chronisten Georg Widmann (1486 – 1560). Crusius und die Familie Widmann sind freundschaftlich verbunden. So verweist Crusius nicht nur an mehreren Stellen auf die Chronik Georg Widmanns, sondern widmet ihm sogar einen eigenen Abschnitt, in dem er neben einem Werkverzeichnis auch anführt, dass der (Ur‐)enkel des Chronisten zurzeit (1589) erfolgreich bei ihm studiere.²⁹⁵ In der überlieferten Stadtchronik Widmanns steht jedoch kein Bericht über

 Vgl. zu den Schwänken in der Zimmerischen Chronik Kapitel 12.3.1 und zu Bebel Kapitel 12.1.  Zumindest für die Zimmerische Chronik ist nachzuweisen, dass Martin Crusius Auszüge daraus als Kopie vom Abt des Klosters Herrenalb Konrad Weiß erhalten hat, die er auch in seine Annales Suevici integrierte.Vgl. im Nachwort zur Zimmerischen Chronik (Bd. 4, S. 316). Auf die Kenntnis von Widmanns Text verweist auch eine Notiz im Diarium von Crusius zum 22. Januar 1589. Martin Crusius: Diarium. 9 Bde., Bd. 4. Tübingen, UB, Mh 466 – 4, S. 113.  Crusius: Annales Svevici, Bd. 2, S. 654; Übers. P. R.: ‚Solche Leute waren auch Schatzgräber, wie der eine bei einem Bauernhof des Klosters Comburg [bei Schwäbisch Hall]: Donnerstagnacht hat er einen Kreis mit seinem Schwert neben dem Haus des Bauern gezogen, von dem er 30 Silbertaler bekommen hatte. Er legte geweihte Dinge, Salz, Wasser, Kräuter und brennende Kerzen hinein, dann machte er ein Kreuz über dem Kreis und fügte glühende Kohlen hinzu. Er hatte mit Zwiebelsaft zuvor die Gestalt des Teufels mit einem Kessel voll Geld auf ein Blatt Papier gemalt, aber so, dass die Gestalt nur erscheine, wenn er das Blatt über die Kohlen halte. Er führte dies aus. Der Bauer sah die Gestalt und glaubte, dass ein Schatz in der Erde verborgen läge. Der Betrüger sagte, dass er außerdem Weihrauch bräuchte. Während der Bauer ging, um diesen zu holen, verschwand der Nichtsnutz mit dem Geld. Der Bauer berichtete den Betrug später G[eorg] Widmann.‘  Crusius: Annales Svevici, Bd. 2, S. 689: Viuebat adhuc 1553 anno, Georgius Widemannus: ille, ex quo multa in hoc opus transtulimus. […] Eos autem libros, impedimentis interuentientibus, non scripsit:

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

539

einen betrügerischen Fahrenden Schüler in Comburg. Dies führte dazu, dass man als Quelle für Crusius den verlorenen sog. Alten Kalender (von ca. 1530/40) annahm, der „eine Reihe von Erzählungen, die ganz den Charakter von ‚Kalendergeschichten‘ an sich tragen“,²⁹⁶ enthielt und in 855 (wohl teilweise auch schwankhafte) historiae unterteilt war. Die schwankhafte Anekdote entsprach vielleicht nicht dem Verständnis Widmanns von der Gattung ‚Stadtchronik‘, sodass er sie – im Gegensatz zu anderen Teilen des Alten Kalenders – nicht in die Haller Chronik übernahm. Sehr wohl aber wurde sie ungefähr zeitgleich zu Crusius in die Wahrhafftigen Historien von […] Faustus (1599) aufgenommen, eine erweiternde Bearbeitung der Historia von D. Johann Fausten durch Georg Rudolf Widmann.²⁹⁷ Bei diesem handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um den Urenkel des Chronisten und den oben genannten Studenten von Crusius.²⁹⁸ Der Faustbuchbearbeiter verweist in mehreren ‚Erinnerungen‘ – ergänzenden Zusätzen, die von der eigentlichen Erzählung vom Doktor Faust abschweifen – auf seinen „Altuater sehliger“ und dessen Alten Kalender. ²⁹⁹ Dieser war wohl einst mit der erhaltenen Chronik zusammengeheftet. In der ‚Erinnerung‘ zum Kapitel „Von einem Schatz so Faustus gefunden“ schließt Widmann (III.) Berichte von anderen Schatzgräbern an; darunter ist auch die Erzählung von einem Fahrenden Schüler, wie sie bei Crusius steht: Hierauff weil man gedenckt vom Schatzgraben/ kan ich nicht umbgehen/ meldung zu thun von den verloffnen vnd farenden Schuͤ lern/ wie sie dann im Babsthumb mit schatzgraben die leut beredt/ vnd genarret haben/ welches mein lieber Herr Altuater sehliger in seiner Cronic anziehet/ nemlich/ das sein Herr Dechant einer von Comberg hatte ein einoͤ den hoff den Sterckelsbach genant/ zu solchem kam ein verloffener Schuͤ ler/ vnd beredet den Bawern/ wie allernechst umb

sed alia: vt, Chronicon capitum 8 et Kalendarium 855 historiarum. Verum nihil horum editum est, bello in Germaniam illapso. […] Cuius filius, superioris Georgij nepos, Georgius et ipse dictus, noster Tybingæ anno millesimo, quingentesimo, octuagesimo nono, auditor erat, adolescens bonæ spei. Crusius scheinen bei dieser Familiengenealogie einige Fehler unterlaufen zu sein. Der Chronist Georg Widmann (1486 – 1560) hatte einen Sohn Dr. jur. Georg Rudolf Widmann (1519 – 1584). Dieser war der Vater eines Comburger Schreibers Georg Rudolf Widmann II. (1550 – 1594), der zusammen mit seinem Sohn Georg Rudolf Widmann III. (1571– 1628) als Verfasser einer berühmten Faustbuch-Bearbeitung diskutiert wurde. Bei dem genannten Georg Rudolf Widmann III. muss es sich aber um den Studenten des Martin Crusius handeln. Somit ist Georg Rudolf Widmann (III.) der Urenkel des Schwäbisch Haller Chronisten. Vgl. dazu schon Georg Widman: Chronica. In: Geschichtsquellen der Stadt Hall. Bd. 2, hg. von Christian Kolb. Stuttgart 1904, S. 32* f.  Widman: Chronica, hg. von Kolb, S. 35*.  Georg Rudolf Widmann: Der Ander Theil der Historien von Doct. Johanne Fausto dem Ertzzaͤ uberer und Schwartzkuͤ nstener. Hamburg: Hermann Möller 1599. Ed. in: Johann Scheible: Doctor Johann Faust. Stuttgart 1846, S. 544– 645.  Für Argumente betreffs der Zuordnung der Autorschaft an Georg Rudolf Widmann (III.) vgl. Münkler: Faustbücher, S. 167 f. (Anm. 83). Ebenso in: Marina Münkler: [Art.] Widman, Georg Rudolf (II. und III.). In: VL16, 6 Sp. 552– 557. Zur älteren Zuordnung an Johann Georg Widmann (II.) vgl. Gerd Wunder: Die Bürger von Hall. Sozialgeschichte einer Reichsstadt. 1216 – 1802. Sigmaringen 1980, S. 129.  Widmann: Der Ander Theil der Historien, S. 53. Vgl. dazu auch Widman: Chronica, hg. von Kolb, S. 35*.

540

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

sein hauß herumb ein schatz lege/ der liege auch nicht tieff begraben/ vnnd so er dann den kosten darauff legen wolte/ so wolle er jhn graben³⁰⁰

Der weitere Fortgang entspricht der Darstellung bei Crusius, wurde aber von Widmann deutlich erweitert. So dehnt er den Dialog mit dem Bauern aus und nennt noch dessen Knecht, den er weglocken muss, bevor er fliehen kann. Denn alsbaldt der Vagandt allein sich befandt/ seckelt er die 30 gestempte blappert [blechartige Silbermünze] ein/ gab versen geldt den Waldt hinein/ als der Bawr vnd knecht kam/ da war der Schatzgraͤ ber dahin/ hette das Papir mit erzelten figur und etliche blettlein/ darin die Incantationes geschrieben stuͤ nden/ in der eil hinder jhm gelassen/ welches der Bawr des Morgens bracht klagende/ wie es jm gangen were.³⁰¹

Welche Version von welcher abhängig ist – die des Lehrers von der des Schülers oder vice versa – oder ob beide (relativ) unabhängig voneinander unmittelbar auf den chronikalen Text Georg Widmanns zurückgehen, ist nicht zu ermitteln. Die Bezeichnung Fahrender Schüler aber beschränkt sich in beiden Texten auf eine Form des Schatzgräbers und ist narrativ spezifisch gebraucht. Gerade im Faustbuch fällt dies auf, da die folgenden Berichte/Erzählungen von Schatzgräbern (z. T. ebenso aus der Chronik des Urgroßvaters), jene allgemein als ‚Vaganten‘ oder ‚Landfahrer‘ bezeichnen. Die Erzählung vom Fahrenden Schüler ist sowohl bei Georg Rudolf Widmann (III.) als auch bei Martin Crusius in einem umfangreicheren Zusammenhang gestellt. Beide versuchen eine möglichst umfassende Liste von Beispielen zu einem Schlagwort zusammenzubringen: Der eine referiert die Geschichte über den Fahrenden Schüler in der Rubrik ‚Schatzgräber‘, der andere die Geschichte über das Schatzgraben in der Rubrik ‚Fahrende Schüler‘. Dabei vereinen die beiden Varianten vom Ende des 16. Jahrhunderts (in unterschiedlicher Akzentuierung) einen gelehrten Anspruch mit einer didaktisch-informierenden Intention und schwankhaft-unterhaltenden Nuancen, beziehen sich dabei aber auf eine schriftliche Tradition, die sich – sollte sie einen Rückhalt in der Realität haben – vor mindestens 70 Jahren zugetragen hatte und über einen (schwankhaften) Text weitergegen wurde.

Eine neue Welle im 17. Jahrhundert? Es zeigte bereits die Behandlung des Fahrenden Schülers in der schwankhaften Literatur, dass das Narrativ des Vaganten zwar unglaublich präsent, der konkrete Begriff des Fahrenden Schülers jedoch sekundär ist. Auch in der explodierenden Studentenliteratur (Liederbücher, Commentschriften mit Scherz- und Saufdisputationen, Schwankbücher) und im Schuldrama fehlt der Begriff und das Phänomen weitge-

 Widmann: Der Ander Theil der Historien, S. 52 f.  Widmann: Der Ander Theil der Historien, S. 54.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

541

hend.³⁰² Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts finden sich wieder Beschäftigungen mit dem Vaganten oder dem Bettelstudenten, die Herbert Nimtz als „eine neue Welle fahrender Schüler“³⁰³ interpretierte. Dieses neue Interesse geht wohl unter anderem auf den Tractatus TheologicoNomico-Politicus de Mendicantibus Validis (1659) des renommierten protestantischen Juristen Ahasver Fritsch zurück.³⁰⁴ Diese Schrift ist die erste bedeutende monographische Spezialuntersuchung zur Armenfürsorge, welche den Ansprüchen des usus modernus pandectarum und damit der modernen Rechtspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts folgt.³⁰⁵ Dabei nennt Fritsch in der Praefatio kein akutes Problem (wie das Elend infolge des Kriegs) als Grund für sein Vorhaben, sondern weist auf die generelle Hartherzigkeit und Selbstsucht seiner Gegenwart sowie die Existenz betrügerischen Bettelns hin.³⁰⁶ Neben der modernen Konzeption des Traktats ist im Werk Fritschs auf inhaltlicher Ebene die „eigentliche Neuheit […] die Herleitung der staatlichen Pflicht und Kompetenz für die ‚cura pauperum‘.“³⁰⁷ Einzelnen Gruppen widmet er auch Spezialuntersuchungen: den ‚Zigeunern‘,³⁰⁸ den Mendikantenorden und den armen Schülern und Studenten.³⁰⁹ Die Letztgenannten nehmen dabei am meisten Raum ein.³¹⁰ Der Traktat betont die Bedeutung der jungen Schüler und Studenten für den Staat (sowohl den Fürstenstaat als auch die Gelehrtenrepublik res publica litteraria), denn aus der Verachtung von Bildung und Gelehrsamkeit resultiere das Abgleiten zum Übel.³¹¹ Als historisch erste Interventionsstrategie gegen diese Missstände nennt er die

 Vgl. die umfassende und materialreiche Darstellung in Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 49 – 72 (Prodigusdramen, Schulspiegel und Studentendrama) und S. 72– 96 (Lieder, Commentschriften, Schwankbücher).  Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 111.  Ahasver Fritsch: Tractatus Theologico-Nomico-Politicus De Mendicantibus Validis. Jena: Georg Sengenwald 1659.  Vgl. Wagner: Armenfürsorge, S. 51 f.  Vgl. Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 1– 3.  Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 53.  Sinti und Roma wurden durch die Frühe Neuzeit hindurch verfolgt und mit ähnlichen Narrativen verbunden wie die Fahrenden Schüler, und zwar mit Zauberei, Dämonenbund, Unstetigkeit, Infamie und Ordnungslosigkeit. Vgl. dazu Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner, v. a. S. 23 – 140.  Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 73 – 102. cap. 10 De Scholaribus vagantibus, eorumque studiis ac stipendium; cap. 11 De Ordinibus Religiosorum Mendicantium; cap. 12 De Zingaris seu Saracenis, quos Germani Ziegeuner vocant.  Ahasver Fritsch veröffentlichte 1679 noch einen eigenen Traktat, der sich mit den Fehlern der Schüler und Studenten befasste: Scholaris peccans. Sive Tractatus De Vitiis Et Erroribus Scholarium. Breslau/Leipzig: Esaias und Joachim Fellgiebel 1679. Doch hier stehen weniger die Probleme der vagierenden, sondern der sesshaften Studenten im Zentrum wie fehlende Frömmigkeit, die Lektüre verbotener Bücher aufgrund übertriebener Neugier, Hochmut, Faulheit, Glückspiel, Kleiderluxus und mangelnder Respekt gegenüber den Lehrern und vor allem nächtliche Ruhestörung, Duelle und Pennalismus (aggressive Gängelung von Erstsemestern).  Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 75: a doctrinæ contemptu literarumque dispensio prima mali labes prognascitur.

542

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

berühmte Authentica ‚Habita‘ von Friedrich I. Barbarossa (1155) sowie deren Auslegung durch Pierre Rebuffi (1540).³¹² Im Folgenden diskutiert Fritsch verschiedene Möglichkeiten der Subsistenz: Das Betteln und Kurrendesingen wird abgelehnt, zum einen aus Barmherzigkeit, zum anderen weil es einem liederlichen Lebenswandel Vorschub leiste: sane tristi hoc ævo vagabundos scholares divitum fores pulsare sæpe videris, quos partim alimentorum inopia, partim vilis conditio ab aliis despectui habita excusat, multos etiam, ut paulo post dicetur, turpis otiose divagandi libido inexcusabiles reddit. ³¹³ Als Lösung des Problems werden Stipendien, privates Mäzenatentum und staatliche Förderung vorgeschlagen und diskutiert. Dennoch gebe es auch Gesindel, das die Hilfe ausnütze und sie daher nicht verdiene. Diese Leute seien zu den ‚starken Bettlern‘ zu zählen: Als hoffnungslose Fälle wären sie nämlich nicht aus Liebe zur Wissenschaft, sondern mehr aus Abneigung zu dieser unterwegs und aus Überdruss gegenüber Hilfsarbeiten, um durch Betteln und Betrugstechniken Geld zusammenzukratzen, das sie dann in der Kneipe oder im Wirtshaus durchbringen könnten.³¹⁴ Sie seien die Schande der Gelehrtenrepublik: Reip. literariæ dedecora. ³¹⁵ Diese dichotome Aufteilung der Studenten in gute und schlechte ist schon seit Hugo von Trimberg und Heinrich Bebel typisch für moralisierendes und satirisches Schrifttum im Schulkontext. So ist es auch im 17. Jahrhundert weit verbreitet, z. B. in Wolfgang Heiders Orationes (1591, 1605 u. ö.) oder in Johann Matthäus Meyfart Christlicher Erinnerung (1636).³¹⁶ Als Sinnbild des faulen Studenten gilt in manchen Fällen der Vagant, was im 1668 anonym und billig gedruckten Vaganten-Hospital redundant durchexerziert wird, indem die Schrift das Ziel verfolgt, dass sich „doch der Welt zum wenigsten den grossen und Nothwendigen Unterscheid unter einem Ehrlichen Studioso und Biersüchtigen Vaganten einbilden moͤ ge.“³¹⁷ Denn die Vaganten raubten „einem Ehrlichen Studioso seine Reputation und gutes Ansehen/ in dem sie des Tages Ehrlicher Leute Thüren mit betteln beschwerend/ sich fälschlich für Studenten außgeben.“³¹⁸

 Vgl. Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 79. Zum Inhalt und der Bedeutung der Authentica vgl. weiter Kapitel 9.2.1  Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 80; Übers. P. R.: ‚Man könnte es fürwahr oft in diesem traurigen Zeitalter sehen, wie herumziehende Schüler an die Türen der Reichen klopfen, wobei diese teils der Mangel an Lebensmitteln, teils der ärmliche Zustand, der ihnen Verachtung von anderen einbringt, entschuldigt. Bei vielen aber führt dies, worüber ich wenig später sprechen werde, zu einer schändlichen Lust am müßigen Umherstreifen, wofür es keine Entschuldigung gibt.‘  Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 87: Primum enim non amore scientiæ, sed potius literarum toedio ac servitiorum impatientia oberrant, ut mendaciis, fraudibus variisque technis nummulos corradere, eosque in tabernis ac propinis turpiter consumere possint. Dein exigua vel sæpe nulla emendationis spes in illis apparet.  Fritsch: De Mendicantibus Validis, S. 87.  Vgl. Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 96 – 114.  H. G. L. L. Stud.: Vaganten-Hospital, Das ist: Außführliche Beschreibung des Höchstärgerlichen Vaganten- Oder Stapel-Lebens, o. O. 1668, fol. A3r.  Vaganten-Hospital, fol. B1r.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

543

Damit verhielten sich die Vaganten zu den Studenten wie „die schwermende/ faule und unnütze Hummeln“ zu den „Fruchtbringenden Bienen“.³¹⁹ Durch Information und Anzeige will er „den Muthwilligen Bettlern den Vaganten ein solch Gebiß ins Maul legen“³²⁰ und führt auch fünf Arten betrügerischer Betteltechniken an, deren ‚Orden‘ seinen Sitz in einer ‚Stapelherberge‘ in Lieck bei Kiel habe.³²¹ Die systematische Nähe zu den ‚Gaunerbüchlein‘ des 16. Jahrhunderts wie dem Liber Vagatorum ist evident, wenn auch im Vaganten-Hospital weniger konsequent konzipiert. Ebenso Balthasar Kindermanns Der Unverschämte Vagant (1673) wird von Nimtz dieser ‚neuen Welle‘ zugeordnet. Denn auch dieser Text mit dem Untertitel Das Erste Gesicht Kurandors von Zittau ³²² behandelt in einer losen Reihe typische Themen des Diskurses schulischer und akademischer vagatio. Das Alter Ego des Verfassers resümiert in längeren Monologen über Themen wie die Gründe für das Betteln, schlechte Lehrer, das Gebot des Almosengeben oder einer Arbeitspflicht. Dabei stellt er die gegenwärtige Situation einer idealen Vergangenheit gegenüber: Vorzeiten hielten es die Schuͤ ler fuͤ r einen Ruhm/ an einem Orte lange zur Schule gehen; hergegen hielten es fuͤ r eine Schande/ von einem Ort zum andern zu ziehen; Aber izt wil es nicht gelten.³²³

Als aitiologisches Mythologem für die Vaganten, die der ‚Wind‘ dem Erzähler zutreibt, wird gleich zu Beginn der Schrift ein Gelage der griechischen Götter auf der Insel des Windgottes Äolus genannt, bei dem auch das Gefolge Apolls (Gelehrte und Studenten) sowie das Gefolge Vulcans (Handwerker und Gesellen) teilgenommen hätten. Ein Müller habe nun aus Gier den Windsack des Äolus geöffnet. So seien die Vaganten ins Land hinausgeblasen worden.³²⁴ Kurandor bewertet diese Situation: „Von gewanderten Handwercksgesellen halt ich viel aber von gewanderten Schülern gar nichts.“³²⁵ Weder unter den Bettelstudenten, die den Erzähler in den narrativen Passagen besuchen, noch in den Monologen finden sich der Ausdruck oder Motive des Fahrenden Schülers. Die angeführten Texte aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert befassen sich also – gewissermaßen in einer ‚neuen Welle‘ – wieder verstärkt mit betrügerischen Bettlern, was aus einem erneuten juristischen Interesse resultiert, die magieaffine Figur des Fahrenden Schülers bleibt aber außen vor.

 Vaganten-Hospital, fol. B1r.  Vaganten-Hospital, fol. A3r.  Der Text nennt die Dedicantes, d. h. Gratulanten (fol. B5v f.), die Alloquentes, die potentielle Almosengeber aggressiv ansprechen (fol. B6r f.), die Cantantes, d. h. singende Bettler (fol. B6v–B7v), die Fechter, d. h. faule Säufer (fol. B8r–B9v) und die Brandani, die fingierte Brandbriefe vorzeigen (fol. B9v– B10v).  Kindermann, Balthasar (Kurandor von Zittau): Der Vnverschämte Vagant. Wittenberg: Johann Borckhardt 1673.  Kindermann: Der Vnverschämte Vagant, S. 42.  Vgl. Kindermann: Der Vnverschämte Vagant, S. 1– 6.  Kindermann: Der Vnverschämte Vagant, S. 42.

544

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Jakob Thomasius und Johann Ulrich Mayer (1675/1714) – die ‚kritische‘ Aufarbeitung Das ändert sich mit dem Discursus historico-philologicus de vagantibus scholasticis sive Von fahrenden Schuͤ lern. Diese Dissertation wurde am 25. September 1675 in Leipzig abgehalten, und zwar mit dem Universitätsprofessor und Rektor der Nikolaischule Jakob Thomasius (1622– 1684) als Praeses und dem Jurastudenten Johannes Ulrich Mayer aus Delitzsch (1659 – 1676) als Respondent. Mayer ist der Neffen des gleichnamigen berühmten Theologen (1616 – 1679), dem die Dissertation auch gewidmet ist,³²⁶ Jakob Thomasius aber zählt in den „1660er bis 1680er Jahren zu den gelehrten Autoritäten in Europa“.³²⁷ De vagantibus scholasticis vertritt, wie bereits das Attribut historico-philologicus zeigt, einerseits sozial-/kulturgeschichtliche, andererseits literaturgeschichtliche/ philologische Interessen. Juristische und theologische Fragestellungen sind dagegen sekundär. Damit stellt sich die Schrift in eine Reihe von anderen ‚curiösen‘ Dissertationen unter Thomasius, deren Zuordnung zu einer Fachdisziplin Herbert Jaumann „improvisiert als ‚volkskundlich‘ oder ‚ethnographisch‘“³²⁸ bezeichnete. Die Themen reichen dabei von Mythographie und der Kunde magischen Aberglaubens in De mandragora disputatio philologica (1655, deutsch als Von der Alraun-Wurtzel 1739) oder De poculo S. Joannis, quod vulgo appellant S. Johannis-Trunck (1675) bis zu sozialgeschichtlichen Schriften in De cingaris (1652, deutsch als Curiöser Tractat von Ziegeunern 1702) und zeigen ähnliche Interessen, wie sie im Discursus über die Fahrenden Schüler deutlich werden. Andere Dissertationen weisen in ganz andere Richtungen wie De barba (1671) mit einer Sozialgeschichte männlicher Gesichtsbehaarung, naturgeschichtliche Themen über Schwalben (De hibernaculis hirundinum, 1658), Maulwürfe (De visu talparum, 1659), Edelsteine (De gemmis, 1661), Wölfe (De Nominibus atque insignibus Lupinis, 1667) etc.³²⁹ Die von Thomasius präsidierten Dissertationen zeigen mithin, dass er sich nicht auf eine Disziplin oder Fakultät einschränken lässt und belegen die polyhistorische Gelehrsamkeit des Lehrers.

 Thomasius, Jakob (Präses) und Mayer, Johann Ulrich (Resp.): Discursus Historico-Philologicus De Vagantibus Scholasticis, Sive Von Fahrenden Schülern. Leipzig: Johann Georgi 1675. Die Dissertation erreichte eine zweite Auflage in Leipzig 1714. Sie ist auch gelistet im Dissertationsverzeichnis: Hanspeter Marti: Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten 1660 – 1750. Eine Auswahlbibliographie. München 1982, Nr. 8493 (S. 485).  Jaumann, Herbert: Thomasius, Jakob [Art.]. Killy2 Bd. 11, S. 506 – 509, hier S. 506. Das Interesse Thomasius’ an Polyhistorie/Polymathie zeigt auch seine Tätigkeit als Herausgeber der vergriffenen De Polymathia tractatio des Johann von Wowern bei Lorenz Sigmund Körner und Christian Michael in Leipzig 1665 – ursprünglich Hamburg: Bibliopolium Frobenianum 1603. Vgl. dazu auch Rößler: Polyhistorie und Polymathie, S. 661– 663.  Jaumann: Späthumanist, S. 598.  Zum Werk und den präsidierten Dissertationen vgl. Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin, New York 2004, S. 655.

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

545

Inhalt und Aufbau des Discursus historico-philologicus de vagantibus scholasticis wurden bereits zum Thema:³³⁰ Die Zweiteilung der Vaganten in gute und schlechte folgt dem moralisierenden Schrifttum seiner Zeit. Die schuldlosen vagierenden Bettler werden dabei durch die schicksalhaften Ereignisse der (jüngeren) Vergangenheit als Vertriebene aus den Religionskriegen gegen die ‚rasenden Papisten‘ entschuldigt, da sie standhaft zu ihrem Glauben gestanden hätten.³³¹ Diesen sei unbedingt zu helfen, was die Verwandtschaft in Jesu (arctissimum, quo obstricti sumus invicem Christiani, cognationis vinculum) und der Befehl Gottes (mandatum Dei, § 2) verlangten. Aus diesen Zeilen spricht bereits die protestantische und (z. T. latent) antipapistische Sichtweise von Thomasius.³³² Weiter setzt die Dissertation eine historische Unterscheidungskategorie zwischen den veteres und den moderni, verweist das zeitgenössische Phänomen aber aus dem Untersuchungsraum (vgl. § 9 f.) und konzentriert sich auf die Fahrenden Schüler als magische Bettler. Es folgen die Quellen: v. a. Bebels Facetiae (den Triumphus Veneris lässt er außer Acht, da er ihm nicht zur Hand ist, vgl. § 14) und Crusius’ Annales Suevici. Dabei wird eine potentielle Fiktionalität der Darstellungen nicht in Betracht gezogen. Während Bebel als älteste und damit völlig glaubwürdige Quelle gilt (de ipsius fide dubitandi causa non est, § 13), hinterfragt er kritisch, ob die Geschehnisse genau auf das Jahr 1544 zu datieren seien. Denn die Fahrenden Schüler hätten in diesem Jahr schon lange nicht mehr existiert. Gleichzeitig rettet Jakob Thomasius seine Quelle, indem er in Anbetracht des Kotextes darauf verweist, dass Crusius die Fahrenden Schüler und die darauf folgenden betrügerischen Pfarrer – freilich katholische Pfarrer nach der Konversion Schwabens zum Protestantismus – als Vergleichsobjekt zum ebenso unzeitgemäßen Auftreten von Alraunen-Verkäufern nutzt.³³³ Damit wird ein grundlegendes Argumentationsziel des Textes offenbar, und zwar die raum-zeitliche Verortung des Phänomens auf das Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts (1500 bis höchstens 1544).³³⁴

 Vgl. Kapitel 2.1.  In altero ii sunt, qvos aut a tristi bellorum furore, aut a sævientibus Pontificiis, sedibus suis pulsos ob firmam in Religione orthodoxa constantia, ad fratres tendere coegit necessitas; Thomasius/Meyer: Discursus § 2.  Anzeichen für konfessionspolemische Abwertungen gibt es weiter in Thomasius/Meyer: Discursus §§ 15, 23, 80, 87 und 90.  Id qvod monendum ideo duximus, ne qvis putet, ipsam ejus de Scholasticis vagantibus narrationem præcise ad eum annum, (qvo qvidem tempore jam tum ipsos nullibi visos amplius fuisse probabitur infra §. 112.) pertinere; neqve vero voluit hoc Crusius, qvi loco illo id agit tantum, ut narrationem de mandragoreis institoribus, ab illo anno minime alienam, illustraret similium, licet alterius temporis, fraudatorum comparatione. Nam et Sacerdotes postea, qvi sub Papatu fuerint, (qvem tamen eo anno jam diu exuerat Svevia) ejusdem furfuris homines memorat; Thomasius/Meyer: Discursus § 15.  Vgl. Thomasius/Meyer: Discursus § 112 und § 7: historia illorum omnis ævi non prolixi spatio circumscripta, prætereaqve solius Germaniæ nostræ angustiis inclusa, non usque adeo late potuit evagari; Übers. P. R.: ‚Die Geschichte von jenen konnte nicht so weit umherschweifen, da sie von einem Zeitraum beschränkt wird, der sich nicht über das ganze Jahrhundert erstreckt, und außerdem nur in der Enge unseres Deutschlands eingesperrt ist.‘

546

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Die weitere Dissertation gliedert sich dann in die vier Voraussetzungen (praedicata) der Fahrenden Schüler, Mobilität (§ 26 – 30), Gelehrtheit (§ 31– 52), Betrügerei (§ 53 – 60) und Magie (§ 61– 107), und die drei Rahmenbedingungen (circumstantiae) der Zeit (§ 108 – 119), des Ortes (§ 120 – 164) und der Kleidung (§ 165). Dabei werden auch immer wieder etymologische und kulturgeschichtliche Exkurse inseriert, welche sich kritisch mit bestehenden Positionen auseinandersetzen, z. B. dem Ceretanus (§ 36 – 52), dem Wütenden Heer (§ 63 – 80), dem Venusberg (§ 97– 107), dem Druidendiskurs (§ 121– 153) und den Barden (§ 154– 164). Vor allem in den letzten beiden Exkursen setzt er sich mit noch immer wichtigen Positionen Conrad Gessners auseinander. Er widerspricht der Herleitung des Wortes Bardi von peregrinantes (§ 157), weist Mängel in Gessners zeitlicher Situierung nach (hunc historiæ præsentis non æqve per omnia gnarum fuisse […] experiemur, § 110) und widersetzt sich umfassend der Interpretation Gessners, derzufolge die fahrenden Schüler von den Druiden abstammten. Er schreibt ironisch: Cum exilio mulctati olim essent Druidæ, magicas artes adeo non deseruisse, ut disseminarent potius; sed hoc in speluncis, (nam et in his acceperant,) fecisse, […] ita virus hoc clandestinus qvidem meantibus, sed per secula pariter et loca terreni orbis multa, præside speluncis omnibus cacodæmone, serpsisse; cæterum qvi has scholas egressi erraticam agerent vitam, suasque operas agyrtarum in morem oppidatim venderent, peregrinantes Scholasticos fuisse dictos; atqve hoc genus hominum avorum maxime parentumque memoria circumvolasse (§ 140).³³⁵

Dieser Sicht widerspricht er deutlich in § 141 und 142 und ergänzt weiter in § 145, dass Faust zwar den Fahrenden Schülern und Zigeunern wesensähnlich sei, aber mit ‚würdigerer Haltung‘ agiert habe: Ambulatoriam ille vitam egit fateor, et Magiam ita circumtulit, sed graviori schemate, qvi verus esset incantator, artisque scelestæque specimina clara posset edere, secus atque isti nugivendi. Cingarorum consvetudine dilitenter usum, ut Chiromantiam edoceretur (§ 145).³³⁶

Eine kritische Bestandsaufnahme unternimmt der Traktat auch hinsichtlich der zeitlichen und räumlichen Verortung des Phänomens ‚Fahrender Schüler‘. Akribisch rechnet er in den §§ 108 – 114 und 123 die Zeitangaben nach und versucht dadurch eine

 Übers. P. R.: ‚Als die Druiden vertrieben worden seien, hätten sie die magischen Künste weniger aufgegeben, als weiterverbreitet; aber dies hätten sie in Höhlen gemacht (denn auch in diesen haben sie sie empfangen). So sei dieses Virus insgeheim weitergekrochen, aber durch die Jahrhunderte gleichmäßig und durch viele Orte der Erde unter der Leitung des Teufels in alle Höhlen gelangt. Wer aber diese Schulen verlassen, ein unstetes Leben geführt und seiner Hände Arbeit nach Art der Marktschreier von Ort zu Ort feilgeboten habe, sei ein fahrender Schüler genannt worden; und dieser Menschenschlag sei besonders zur Zeit der Großeltern und der Eltern herumgestreift.‘  Übers. P. R.: ‚Ich gebe zu, dass jener [sc. Faust] das Leben eines Vaganten führte und sich ebenso mit Magie befasste, aber mit würdigerer Haltung; er war ein wahrer Beschwörer und konnte die Zeichen dieser frevelhaften Kunst offen zeigen, anders als diese Tandhändler. Sorgsam habe er die Sitte der Zigeuner benutzt, um die Chiromantie zu lehren‘ (dazu auch schon in § 28).

12.3 Der Fahrende Schüler als Zauberkünstler in volkstümlicher und gelehrter Tradition

547

zeitliche Einordnung, die ich hier mit einigen korrigierenden Eingriffen zusammenfasse.³³⁷ Er vergleicht die Zeitangaben bei Bebel (1506/1508: olim), Pauli (1518/41533: vor zeiten), Gessner (1557/1555: avorum memoria), Pantaleon (1565: avorum nostrorum memoria), Lange (~1544/1554: ante paucos annos) und wendet sich gegen abweichende Aussagen bei Bebel (1506/1508: Sunt quidam…), Gessner (1610/1555: patrum nostrorum memoria) und Crusius/Widmann (1596/ zum Jahr 1544). Als Terminus post quem folgert er den Anfang des 16. Jahrhunderts, da vor Bebel die tiefe Stille der Vergangenheit (priscæ vetustatis altissimum de iis silentium, § 114) geherrscht habe. Dieser Einschätzung ist angesichts der Befunde in der vorliegenden Arbeit freilich zu widersprechen,³³⁸ doch auch beim zeitlichen Endpunkt wirft die Dissertation Probleme auf. So nennt sie selbst Abweichungen vom Zeitfenster 1500 – 1544 (§ 111), der leicht noch weitere hinzugefügt werden könnten: Kirchhofs Wendunmuth von 1563 und Büttners Epitome historiarum von 1576 schreiben „vor zeiten“. In der Zimmerischen Chronik (1548 – 1566) heißt es zu Ereignissen des Jahres 1508 und 1538 „vor zeiten“, zu einem Ereignis um 1500 „umb die zeit“ und zu einem Ereignis, das auf 1294 datiert wird „dozumal“. Eine Bewertung dieser Aussage in der Dissertation leitet gleich zu einem allgemeinen Resümee zum Fahrenden Schüler in den gelehrten Texten des 16. und 17. Jahrhunderts über.

Resümee Das Phänomen des Fahrenden Schülers ist in den Texten des 16. Jahrhunderts generell mit indefiniten Zeitangaben versehen und auch bei der Datierung ‚zur Zeit der Eltern oder Großeltern‘ handelt es sich um eine unbestimmte Phrase. Die Texte versuchen das Phänomen ohne zeitliche Festlegung nur auf eine vage Vergangenheit zu beziehen. Dabei ist es wenig verwunderlich, dass diese betrügerisch-schwarzmagischen Kleriker von den durchwegs protestantischen Schriftstellern teils explizit (z. B. bei Crusius) als Vertreter einer verfehlten altkirchlichen Schul- und Gesellschaftsordnung dargestellt und in eine Zeit verrohten Gelehrtentums und ‚mittelalterlichen‘ Aberglaubens versetzt werden, von dem sich die Gegenwart abhebe. Dass die Wissensbestände auch darüber hinaus implizit rekurrent waren, zeigen kleine Anspielungen wie in Büttners Epitome historiarum. Dieser vergleicht die alttestamentarische Abgötterei (zu Ri 17) mit den Reliquienverkäufern und sagt, dies sei so, „wie im Bapsthumb die fahrende Schuͤ ler/ im Lande“ umgegangen seien.³³⁹ Dass man in der vorreformatorischen und damit (aus der Perspektive der Autoren) ‚vorkritischen‘ Vergangenheit noch an Magie geglaubt und diese aktiv angewandt

 Die Jahreszahlen in Klammern entsprechen den Aussagen bei Thomasius/Mayer und weichen teilweise von heute ermittelten Angaben des Erstdrucks ab. Kursive Jahreszahlen sind meine Ergänzung. In diesem Fall geben entweder Thomasius/Mayer keine oder falsche Daten an. Es handelt sich dabei um die Daten des Erstdrucks nach heutigem Wissensstand.  Vgl. v. a. Kapitel 10.  Büttner: Epitome Historiarum, fol. 36v.

548

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

habe, ridikülisiert und kriminalisiert auch die Dissertation unter Thomasius, indem sie anführt, dass selbst die Päpste erfahren in der Magie gewesen seien (§§ 89 f.). Zu dieser impliziten Polemik gegen einen vorrationalen Katholizismus passt schließlich auch, dass Fahrende Schüler oder scholastici vagantes nur in deutschen Texten zu finden seien, wie Thomasius’ Dissertation § 120 anmerkt. Dies liegt aber an den spezifischen Kontexten, auf welche die Fahrenden Schüler beschränkt sind, und zwar auf den Druidendiskurs (seit Gessner) und exemplarische (teils schwankhaften) Anekdoten, die mitunter Material aus der Überlieferung der volkssprachigen Literatur des Schwanks und des Fastnachtspiels aufnehmen. Diese kleinräumig weitergegebenen Traditionen wurden von den anderen europäischen Literaturen schlicht nicht wahrgenommen oder zumindest nicht produktiv gemacht.

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh. Die letzten untersuchten Texte des gelehrten Diskurses reichen bereits in das 17. Jahrhundert hinein und damit in eine Zeit, für die auch eine ‚neue Welle‘ an Literatur über Vaganten angenommen wurde. Gleichzeitig wird der Fahrende Schüler als zaubernder Trickster aus dem literarischen Repertoire genommen. Im Folgenden ist ein Blick auf die Romanliteratur dieser Zeit zu werfen, v. a. auf den Simplicissimus, in dem der Fahrende Schüler auf eine neue Art und Weise Darstellung findet.

12.4.1 Der vagierende Student im Schelmen- und galanten Studentenroman Gerade der europäische Schelmenroman stellt eine Struktur zur Verfügung, für die ziellose räumliche und soziale Mobilität des Protagonisten (pícaro) zentral ist. Denn es gilt: „Ein Schelm, der zur Ruhe käme und seinen Platz fände, hörte auf, ein Schelm zu sein.“³⁴⁰ Es ist wenig verwunderlich, dass von Anfang an die paradigmatische Struktur des Schelmenromans auch das studentische Milieu abdeckt, wie im Guzman de Alfarache. ³⁴¹ Mit dem Ende des 17. Jahrhunderts aber nehmen auch Texte zu, in denen gerade die Mobilität des Protagonisten als Student die Struktur des Romans konstituiert. So verschlägt es den Protagonisten im Haspel-Hannß von Daniel Speer (1684) auf insgesamt 15 Universitäten, die im vollen Titel explizit aufgeführt werden:

 Ansgar M. Cordie: Raum und Zeit des Vaganten. Formen der Weltaneignung im deutschen Schelmenroman des 17. Jahrhunderts. Berlin, New York 2001, S. 576.  Der Protagonist des ersten (spanischen) Picaro-Romans, der Vida del picaro Guzman de Alfarache (1599), besucht die Universität von Alcalá de Henares. Mateo Alemán: Guzmán de Alfarache, hg. von Luis Gómez Canseco. Madrid 2012, II, 3, 4 (S. 656 – 681); ins Deutsche übersetzt von Aegidius Albertinus: Der Landtstörtzer Gusman von Alfarche oder Picaro genannt […]. München: Nicolaus Heinrich 1615, cap. 28/29.

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

549

Simplicianischer/ Lustig-Politischer Haspel-Hannß/ Oder/ H. Hannß Haspelinsky von Fadenstätt auf Garnwinden und Gunckelhausen/ Nachdenckliche Hasen Sprünge/ So er auf XV. Universitäten Als: Zu Crakaw/ Königsberg/ Rostock/ Gripswaldt/ Franckfurth/ Wien/ Prag/ Leipzig/ Jena/ Altdorf/ Heydelberg/ Tübingen/ Straßburg/ Basel/ und zu Leyden; fleißig zusammen getragen. Anjetzo in Druck herauß gelassen Von Einem Seines Gleichen (Ulm: Wagner 1684). Neben diesem Text, der den Simpliciana zuzuordnen ist,³⁴² sind (reisende) Studenten auch fester Bestandteil und anzunehmender Rezipientenkreis³⁴³ anderer Schelmenromane, der didaktisch akzentuierten politischen Romane, der Schäferdichtung und der galanten Romane.³⁴⁴ Ein „extremes Beispiel für den literarischen Synkretismus seiner Zeit“³⁴⁵, also eine Mischung von Schwanksammlung, politischem und galantem Roman ist der Academische Roman von Eberhard Werner Happel (Ulm 1690). Er „läßt seine Gestalten, befreit von paradigmatischen Funktionen als pikarische Figuren einer antibürgerlichen Gegenwelt agieren, welche in schwankhafter Inszenierung philiströse Ordnung durch Räuberromantik, Raufhändel, erheiternde Possen kompensiert.“³⁴⁶ Dabei greift er Versatzstücke literarischer Traditionen auf, z. B. aus Boccaccios Dekamerone oder Fischarts Geschichtklitterung, prägt aber auch den typisierten Figurenbestand der Stutzer, Renommisten, Pedanten und armen Kandidaten, wie sie sich in der komischen Literatur und vor allem in den galanten Studentenromanen zu Beginn des 18. Jahrhunderts finden.³⁴⁷ Als Ausgangspunkt und als Wegweiser für ein biographisches Makrosyntagma des ‚bürgerlichen‘ Romans im Gegensatz zur frühneuzeitlichen Schwanksammlung und dem Schelmenroman³⁴⁸ wurde mehrfach auf die anonyme

 Vgl. Edith Parzefall: Das Fortwirken des Simplicissimus von Grimmelshausen in der deutschen Literatur. Berlin 2001, S. 97– 101. Zu einer problematischen Gattungsdiskussion zwischen Simplicianischem, Studenten-, Musiker oder Handwerkerroman vgl. auch Konrad Gajek: Daniel Speers romanhafte und publizistische Schriften. Wrocław 1988, S. 95 f.  Zeitgenössische Quellen belegen die modische Lektüre galanter Romane für Studenten. Vgl. Herbert Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln, Wien 1963, S. 91. In George Ernst Reiwalds Academien- und Studentenspiegel (1720) werden außerdem die Studenten angeklagt, für diese Form der Literatur auch produktiv verantwortlich zu sein. Vgl. Olaf Simons: Zum Korpus ‚galanter‘ Romane zwischen Bohse und Schnabel, Talander und Gisander. In: Günter Dammann und Dirk Sangmeister (Hg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 1– 34, hier S. 26.  Eine besondere Rolle spielen dabei die unter Pseudonym gedruckten Romane Johann Beers (1655 – 1700). Vgl. dazu Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 116 – 119.  Wilhelm Kühlmann: Happels „Academischer Roman“ und die Krise der späthumanistischen Gelehrtenkultur. In: Albrecht Schöne (Hg.): Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. München 1976, S. 383 – 395, hier S. 384.  Kühlmann: Happels „Academischer Roman“, S. 387.  Vgl. Kühlmann: Happels „Academischer Roman“, S. 387 f., 392 und 394 f.  Im Schelmenroman ist das biographische Makrosyntagma durch allzu kontrastreiche Kompilation einzelner Episoden nur unzureichend realisiert. Vgl. Michael Waltenberger und Jan Mohr: Einleitung. In: Jan Mohr und Michael Waltenberger (Hg.): Das Syntagma des Pikaresken. Heidelberg 2014, S. 9 – 36, hier S. 9 f.

550

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Übertragung von Der Ruchlose Student aus dem Niederländischen (nl. 1679, dt. 1681) hingewiesen.³⁴⁹ Bis in die 1730er Jahre florierte im erotischen Unterhaltungsschrifttum der galante Studentenroman, der sowohl hinsichtlich der Herkunft der mutmaßlichen Verfasser (Pseudonyme) als auch der Herkunft der Protagonisten auf die Universität verweist; das zeigen Titel wie Celanders Der Verliebte Student (1707) oder Sarcanders Amor auf Universitäten (1710).³⁵⁰ Obwohl die galante Literatur in der literarisch-kulturellen Krisenzeit um 1700 ein hohes Selbstbewusstsein trägt, im Gegensatz zur Frühaufklärung (v. a. Gottsched) keine Traditionsbrüche forciert, und sich so – meist ohne dies zu markieren – aus vorgehenden Texten bedient, also ein grundsätzlich affirmatives Traditionsverhalten aufweist,³⁵¹ gehört der Fahrende Schüler in der Konfiguration des 16. Jahrhunderts nicht zum Personal der galanten Studentenromanen und auch von den tradierten Schwankhandlungen ist allenfalls das Grundgerüst übernommen. Gleichwohl werden narrative Makrostrukturen, an denen auch die Erzählungen vom Fahrenden Schüler partizipierten ebenso im 17. Jahrhundert literarisch produktiv, z. B. das Motiv vom ‚Verlorenen Sohn‘ in Johann Georg Schochs Comoedia vom Studenten-Leben (Leipzig: Wittigau 1657) und besonders nah an der Figuration des Bettelschülers (inklusive Schatzgräberszene) in Hieronymus Dürers Lauf der Welt und Spiel des Glücks (Hamburg: Guht 1668).³⁵²

 Urheber der sog. ‚Verbürgerlichungsthese‘ des Pikaro-Romans ist Arnold Hirsch: Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes. Köln,Wien 21957. Als Argumente für die Bedeutung des übersetzten Romanfragments (nur der erste Teil ist übersetzt) vom pikarischen zum ‚bürgerlichen Roman‘ nennt Maren Lickhardt neben der Kulisse noch die „Desambiguisierung der Wertungsperspektive“ mit dem Entstehen von „Entscheidungsspielräume[n]“ für die Figuren und die „Dynamisierung von Erzählung und Figur im Rahmen eines progressiven und in weiten Teilen unumkehrbaren zeitlich-kausalen Syntagmas“; Maren Lickhardt: Schwankhaftes und Biographisches im Ruchlosen Studenten (anonym, 1681). Zur Transformation von pikareskem Syntagma und pikaresker Figur im späten 17. Jahrhundert. In: Daphnis 45 (2017), S. 277– 303, hier S. 302. Mit den beiden niederländischen Teile und ihren marktökonomischen Hintergründen als „Szeneroman“ befasst sich Jan Habermehl: Hier van daan ging ik na een Boekverkoopers Winkel. Buchmarktkenntnis und poetologische Selbstreferentialität in einem niederländischen Szeneroman des späten 17. Jahrhunderts. In: Daphnis 48 (2020), S. 435 – 461. Nimtz sieht in dem Roman den Anfang der Reihe erotisch-galanter Studentenromane. Vgl. Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 138.  Vgl. Katja Barthel: Gattung und Geschlecht. Weiblichkeitsnarrative im galanten Roman um 1700. Berlin, Boston 2016, S. 107– 143, hier v. a. S. 112 f.  Vgl. Niefanger: Ungefestigte Nationalliteratur, S. 150 – 152. Einen Überblick über zahlreiche erotisch-galante Studentenromane von ca. 1700 bis zu den Ausläufern in den 1750ern bietet Nimtz: Motive des Studentenlebens, S. 136 – 164.  Zum Dasein des studentischen Protagonisten als Bettler in Deutschland, was sich zu einer ars mendicandi auswächst vgl. den Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York 1984, S. 159 f.; zur Schatzgräbersezene und einem folgenden Magie-Exkurs S. 166 – 179. Tychander, der Protagonst des Romans selbst denkt angesichts seiner Lage an den „verlohrnen Sohn“ (S. 65). Zu einer Lektüre aus dem Blickwinkel einer Philologie des Abenteuers vgl. Michael Waltenberger: Tychander und Springinsfeld. Krieg als pikarische Abenteuersphäre bei Hieronymus Dürer und Grimmelshausen. In: Martin von

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

551

Durch den literarischen und sozialen Mentalitätswandel wird die hypertroph aufgeblähte Gattung des galanten Studentenromans mit seinen sexuell ausschweifenden und eindimensional rohen Liebesabenteuern nach seiner kurzen Hochkonjunktur bereits um 1720 von Abenteuer- und Liebesromanen – vornehmlich aus englischem Kulturimport (z. B. Defoes Robinson Crusoe 1719 oder Richardsons Pamela 1740) – vom Buchmarkt verdrängt.³⁵³ Auch in diesen Texten haben die tradierten Imaginationen und Strukturmuster vom Fahrenden Schüler keinen Platz. Nur in einzelnen Erzähltypen bleiben Narrative des Fahrenden Schülers bestehen, v. a. im Stoff vom ‚Teufelsbannen‘, der von Paul Weidmann in Der Bettelstudent oder das Unwetter (1776) zu einem populären Theaterstück verarbeitet wurde. ³⁵⁴

12.4.2 Die Rezeption des Fahrenden Schülers bei Grimmelshausen Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch In Grimmelshausens Simplicissimus (1668) sind Studenten nur Randfiguren, beispielsweise in der Figur des Olivier, der in Lüttich studierte (IV, 19 f.)³⁵⁵ oder des Jupiter, des „Phantasten […] der sich uͤ berstudirt/ und in der Poëterey gewaltig verstiegen.“ (III, 3; S. 253). Doch partizipiert Grimmelshausen in mehreren Texten an der (literarischen) Imagination des Fahrenden Schülers. Am Ende der Mummelsee-Episode bekommt Simplicius vom König der Sylphen einen Stein zum Geschenk, der einen heilkräftigen Sauerbrunnen entstehen lassen kann. Während er sich seinen zukünftigen Reichtum ausmalt, verirrt er sich jedoch im Schwarzwald und trifft auf eine Gruppe von Bauern. Er schleicht sich diesen an und spricht „Gute Nacht oder guten Tag/ oder guten Morgen oder guten Abend ihr Herren! sagt mir zuvor/ umb welche Zeit es seye/ damit ich euch darnach zu gruͤ ssen wisse?“ (V, 17; S. 518). Simplicius gibt sich demnach als unwissend bezüglich der Zeit aus, während er tatsächlich nicht weiß, an welchem Ort er sich befinde. Diese irritierende Frage – zumal es dunkel ist – und das ungewöhnliche Auftreten des Fremden, der „ein schwartz Trauer-Kleid und einen schroͤ cklichen Pruͤ gel in Haͤ nden trug“, sodass er „wie ein wilder Mann“ (S. 519) aussieht, versetzt die Bauern in Angst. Erst als einer der Bauern den Schreck überwindet und in schwäbischem Dialekt fragt „Wear ischt dann der Hair?“ (S. 519) passt er seine Rolle an. Denn er bemerkt, „daß es ein Schwaͤ bische Nation seyn muͤ ste/ die man zwar (aber vergeblich) vor einfaͤ ltig schaͤ tzet“ (S. 519). Aus diesem Grund gibt er sich im Folgenden als Fahrender Schüler aus. Er sagt, er „seye

Koppenfels und Manuel Mühlbacher (Hg.): Abenteuer. Erzählmuster, Formprinzip, Genre. München 2019, S. 137– 160, hier S. 144– 151.  Vgl. Simons: Korpus ‚galanter‘ Romane, S. 29 – 31  Dazu und zu anderen Erzähltypen (‚Der Mann aus dem Paradies‘ und ‚Von der verstellten Wiege‘) vgl. Kapitel 12.2.  Die folgenden Zitate im Text aus Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicissimus Teutsch. In: Werke 1,1, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1989.

552

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

ein fahrender Schuͤ ler/ der jetzo erst auß dem Venus-Berg komme/ und ein gantzen Hauffen wunderbarliche Kuͤ nst gelernet haͤ tte“ (S. 519). Darauf antwortet der älteste Bauer: „Oho! […] jetzt glaub ich GOtt Lob/ daß ich den Frieden wieder erleben werden/ weil die fahrende Schuͤ ler wieder anfangen zu raͤ isen“ (S. 519). Am Ende des Kapitels zeigen sich die Bauern nicht nur beruhigt, sondern sie konnotieren mit dem (vermeintlichen) Schüler als Vertreter einer zivilen Mobilität auch die Hoffnung auf ein Ende des Krieges. Der Fahrende Schüler aber wird nicht als Vertreter für eine allgemeine Regeneration der Bildungselite nach dem Krieg verstanden, sondern als Teil des Fahrenden Volkes. Das zeigt das folgende 18. Kapitel: Die Bauern fordern Simplicius auf, für ihre Gastfreundschaft „als ein fahrender Schuͤ ler gute Warheit“ (V, 18; S. 519) zu sagen. Er soll also sein Können in der Physiognomie und Chiromantie (Gesichts- und Handlesekunst) zeigen, was dazu führt, dass er – so seine Eigenaussage – „solcher gestalt einen Zigeiner agirt“ (V, 17; S. 520). Als die Bauern „allerhand fuͤ rwitzige Kuͤ nste“ (S. 520) von ihm lernen wollen, worunter nur Praktiken der Teufelsbeschwörung gemeint sein können, vertröstet er sie auf den nächsten Tag. Er will Zeit gewinnen, um aus der Situation zu entkommen. Er legt sich hin, mimt aber nur den Schlafenden und horcht die Bauern aus, die sich keineswegs als so ‚einfältig‘ erweisen, wie Simplicius annimmt. Sie diskutieren über seine Identität: Gegen die Möglichkeit, er sei ein Soldat, spreche seine Kleidung. Vielmehr wird angenommen, er sei entweder ein „lateinischer Handwercks-Gesell“, also ein Lateinschüler (V, 17; S. 520 und vgl. auch II, 31; S. 230), der sich verirrt hätte – also am falschen Ort sei – oder ein fahrender Schüler gemäß seiner eigenen Angabe. Einem Fahrenden Schüler scheint man mithin überall begegnen zu können, sodass auch seine Anwesenheit im entlegenen Waldstück des ‚Mucken-Lochs‘ nicht weiter verwunderlich ist. Schließlich aber verwerfen sie die Evidenz und kommen zu dem Schluss, dass es sich um einen Soldaten im Deckmantel eines Schülers handle, zumal er nicht alles gewusst habe. Da er sie gewiss überwältigen wolle, müsse man ihm zuvorkommen. Insgesamt erinnert die Passage an die Bettlerepisode der Continuatio. Hier präsentiert sich Simplicius als Bettler, der kein Almosen annehmen will und so auf den „unverschaͤ mbten BettlerBrauch“ (Cont., 15; S. 634) von Betrug und Täuschung verzichtet, da dieser einem Bettler nicht gezieme. Im Wirtshaus versuchen die Anwesenden den Fremden dann auf bestimmte „vorurteilsbeladene Wanderidentitäten“³⁵⁶ festzulegen: Spion, Kundschafter, Wiedertäufer, heiliger Prophet oder ewiger Jude. In der Bettlerepisode kommt es schließlich zu einer dynamisierenden Umkehr närrischer Attributionen vom passiven Schelm auf seine Umwelt, wodurch „das Machtgefälle von kategorialer Fremdzuschreibung und zum Verstummen gebrachter Subjektivität loser Existenz satirisch“³⁵⁷ vorgeführt wird. Am Ende werden die Narren-Macher selbst zu Narren. In beiden Fällen aber irritiert das Auftreten des Simplicius präsente Stereotype

 Wesche: Vagantenregister, S. 29.  Wesche: Vagantenregister, S. 29.

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

553

und regt das „typologische Klassifizierungsbedürfnis vaganter Fremdheit“³⁵⁸ an, wie es v. a. im Liber Vagatorum evident ist. Während im Kapitel der Continuatio nun der Wirt den Vaganten aus der Situation rettet, bevor sie für ihn brenzlig wird, retten Simplicius vor den Waldbauern sein Sauerbrunnen und seine eigene Rage. Denn plötzlich wird sein Bett nass, „als ob einer bey [ihm] lege/ der ins Bett bruntzte“ (V, 17; S. 520). Als Simplicius versteht, dass es der Sauerbrunnen war, den er aus Versehen hier in der Waldwildnis entstehen ließ, fährt er zornig die Bauern an, dass ihnen seine (magiekundige) Identität damit nun offenbar geworden sein müsse: „Jhr gottlose Flegel/ […] an diesem Saurbrunnen der auff meiner Laͤ gerstatt hervor quillt/ koͤ nt ihr mercken/ wer ich sey“ (S. 521). Nachdem die Klassifizierung nun zweifellos geklärt ist, werden ökonomische Besitzansprüche diskutiert: Simplicius ruft die Bauern dazu auf, es ihrem Landesherrn mitzuteilen, damit hier ein prosperierendes Heilbad entstünde. Diese sehen jedoch keinen Profit für sich, da nur ein eingesetzter Wirt reich würde, sie hingegen ohne Dank „seine Narren seyn/ ihm Weg und Steg erhalten“ (S. 522) müssten. Sie sagen: „Ja […] da waͤ ren wir wol Narren/ daß wir uns eine Ruth auff unsern eigenen Hindern machten“ (S. 522).Während sich die Gäste im Wirtshaus in der Bettlerepisode der Continuatio selbst zu Narren machen, indem sie Simplicius’ Auftreten typisierend zu erklären versuchen, wird die Kurzsichtigkeit der ambitionierten Pläne von Simplicius in der Sauerbrunnen-Episode durch die elaborierten und pragmatisch-realistischen Argumente der ‚einfältigen‘ schwäbischen Bauern erkannt. Auch Simplicius hätte wohl kaum Profit aus einem Sauerbrunnen gezogen, sobald ein (mächtigerer) Landbesitzer seinen Anspruch gelten machen würde. Aus dem Missgeschick aber zieht er einen Vorteil, indem es ihm seine magische Maskerade gibt. Diese hilft ihm am Ende, aus der lebensbedrohlichen Situation zu entkommen, da er den aufgebrachten Baunern Schadenszauber androhen kann: „Wenn sie nicht wolten/ daß alle Kuͤ he im gantzen Bayersbrunner Thal rothe Milch geben solten/ […] so solten sie mir alsobald den Weg in Seebach weisen“ (S. 522). Im Simplicissimus Teutsch werden mit dem Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘ also explizit Muster aufgegriffen, die vom Bettlerdiskurs um 1500 mit seinen populären und wirkmächtigen Texten abhängen. Diese Muster waren Grimmelshausen aber nicht durch den gelehrten Diskurs bekannt, da diese hier insgesamt eine Randstellung einnehmen.³⁵⁹ Auch fehlt das Phänomen der Fahrenden Schüler in den gelehrten Traktaten, die ihm wohl vorlagen.³⁶⁰ Stattdessen akzipiert Grimmelshausen

 Wesche: Vagantenregister, S. 29.  Vgl. Kapitel 12.3.  Zum Thema Magie und Venusberg sind v. a. zu erwähnen: Heinrich Kornmanns Mons Veneris (1614), Johannes Praetorius’ Blockes-Berges Verrichtung (1668) und Anthropodemus plutonicus (1666). vgl. dazu Wilhelm Kühlmann: Grimmelshausen und Praetorius. Alltagsmagie zwischen Verlockung und Verbot. Anmerkungen zu ‚Simplicissimi Galgen-Männlein‘. In: Simpliciana 26 (2004), S. 61– 76, hier S. 68 f. und Maximilian Bergengruen: Lässliche Todsünde oder Männerphantasie? Zur Funktion der Luxuria in der Venusberg-Episode des Simplicissimus. In: Simpliciana 32 (2010), S. 83 – 100, hier S. 94 f.

554

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

schwankhafte Traditionen, die er von Hans Sachs,³⁶¹ populären Schwanksammlungen wie Paulis Schimpf und Ernst oder von nicht schriftlich tradierten Erzählungen oder Schauspielen übernahm.³⁶² Diese Form der Darstellung des Fahrenden Schülers wiederholt sich im satirischen Galgen-Männlein Grimmelshausens, das in Form eines Briefs des Simplicius an seinen Sohn den Volksaberglauben desavouiert, v. a. bezüglich der titelgebenden Alraunen. Hier dienen die Fahrenden Schüler in einem Kapitel über die Distributoren des Materials für Aberglauben und Betrug, die „Land-stoͤ rtzr und Betriegr/ die durch Kuͤ nst Galgn-Maͤ nnl machn/ und den Leutn verkauffn.“³⁶³ Da diese auch „mit dem Teuffl zu thun“³⁶⁴ hätten, sei man mit zwei Betrügern konfrontiert. In der angeschlossenen Anmerckung des fiktiven Herausgebers Israel Fromschmidt von Hugenfelß (ein Anagramm Grimmelshausens) wird nach einigen Autoritäten und Exempeln als Beweis für die Illusionen des Teufels auch der Venusberg der Fahrenden Schüler genannt: Gleich wie nun der leidige Satan auff Verhaͤ ngnus GOttes einem jeden ohne Zweiffel einen VenusBerg daher gauckeln kan/ umb (wie man den fahrenden Schuͤ lern sagt) die schwartze Kunst allda zu studirn/ wann gleich kein solcher Berg nirgends vorhanden; also gilts jhm auch gleich/ ob er die Menschen mit Warheit oder mit Lugen in seine Strick und zu sich in die ewige Verdammnus bringe³⁶⁵

Der Venusberg erhält in diesem Kontext einerseits epistemisches Potential, andererseits wird er zu einem Exempel intentionaler Fiktionalität. Trotz der Erwähnung Satans als Urheber der Imagination ist der Berg nicht nur moralisch interpretiert, wie in alternativen Traditionen, die im Wohnort von Venus und Tannhäuser den Topos von Wollust und Verschwendung sehen. Auf diese moralische Lesart des Topos beschränkt sich jedoch der Simplicissimus in der Venusberg-Epsiode.³⁶⁶ Die Aussage, Grimmelshausen habe „[d]urch die Er Dieter Breuer verweist häufiger auf Der farendt Schuler mit dem Teuffelbannen als Prätext. Vgl. Dieter Breuer: Grimmelshausen-Handbuch. München 1999, S. 111 oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Werke 1,1, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1989, S. 974 u. ö. Maximilian Bergengruen merkt dagegen korrekterweise an, dass das Motiv auch in anderen Sachs-Texten vorkommt. Vgl. Bergengruen: Luxuria, S. 97 f. Vgl. dazu Kapitel 12.2.  Ein Repertorium von Quellen, die Grimmelshausen genutzt haben könnte, führt auch Bebels Geschwenck (1558) und Schwanksammlungen wie Schumanns Nachbüchlein (1559) an. Vgl. Günther Weydt: Nachahmung und Schöpfung im Barock. Studien um Grimmelshausen. Bern, München 1968, S. 201/394 und S. 197/400.  Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicissimi Galgen-Männlein. In: Werke 2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1997, 733 – 776, hier S. 754.  Grimmelshausen: Galgen-Männlein, S. 754. Die Passage mit dem Fahrenden Schüler ergänzt Grimmelshausen gegenüber seiner Vorlage, der Piazza Universale von Tomaso Garzoni, Frankfurt a. M.: Hoffmann 1619. S. 575 – 580.  Grimmelshausen: Galgen-Männlein, S. 759.  Zum Venusberg vgl. Kapitel 12.3.1. Konkret zu Grimmelshausen Bergengruen: Luxuria, S. 94– 100. Allenfalls eine sekundäre Verbindung zwischen Venusberg und Fahrendem Volk ist festzustellen,

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

555

zählung vom Venusberg […] seinen Helden mit den fahrenden Schülern in Verbindung gebracht“ und damit der „Gruppe der Gaukler, Marktschreier und Spielleute“³⁶⁷ angeschlossen, ist so nicht korrekt. Vielmehr ist von zwei disparaten Imaginationskomplexen auszugehen, die sich durch die begriffliche Überschneidung vermischen.³⁶⁸ Allenfalls eine lose Verknüpfung von Venusberg und Fahrendem Volk ist festzustellen, wenn man die sexuellen Ausschweifung des Protagonisten im Pariser ‚Venusberg‘ als Beau Alman (IV, 4 f.) mit der folgenden Syphilis-Infektion, den Blattern-Narben (IV, 6) und dem Auftreten als quacksalbernder „Landfahrender Storger und Leutbetruͤ ger“ (IV, 8) als kausale Folge erkennt.

Das wunderbarliche Vogel-Nest II Als Fahrender Schüler bezeichnet sich schließlich auch eine Figur in Grimmelshausens Spätwerk, in den beiden Romanen vom Wunderbarlichen Vogelnest (1672 und 1675),³⁶⁹ die gleichzeitig das Ende des Simplicianischen Zyklus bilden. Diese schließen als ‚Sproßromane‘ an ein Motiv an, welches bereits in Der Seltzamen Springinsfeld (1670) vorkommt. Hier findet die Gefährtin des Ich-Erzählers, die Leyerin, ein unsichtbar machendes Vogelnest, welches sie zur eigenen Bereicherung einsetzt.³⁷⁰ Nachdem die erste Besitzerin wegen des magischen Objekts umgekommen ist, geht das Vogelnest auf einen Stadtgardisten Michael Rechulin von Sehmsdorff (Erzähler im Vogel-Nest I) und dann auf einen Kaufmann (Erzähler im Vogel-Nest II) über, wobei die Protagonisten der drei Romane eng aufeinander bezogen sind. In der satirischen Gesellschaftsschau der selbst unsichtbaren Beobachter werden Missstände aufgezeigt, gleichzeitig nutzen die Besitzer das magische Objekt auch für teils schwerste Verbrechen, werden am Ende geläutert und vernichten das Nest – zumindest vorläufig. Der nur provisorische Charakter der Destruktion wird am Übergang vom ersten zum zweiten Teil des Vogel-Nestes deutlich, wenn der eine Besitzer (der Gardist) das

nämlich indem man eine kausale Folge von der sexuellen Ausschweifung des Protagonisten im Pariser Venusberg als Beau Alman (IV, 4 f.), der Syphilis-Infektion, der Blattern-Narben (IV, 6) und dem Auftreten als Marktschreier und Quacksalber („Landfahrender Storger und Leutbetruͤ ger“, Kap. IV, 8). Eine direkte Verbindung zieht Werner Welzig: Beispielhafte Figuren. Tor, Abenteurer und Einsiedler bei Grimmelshausen. Graz, Köln 1963, S. 127.  Welzig: Beispielhafte Figuren, S. 127.  Mehr dazu vgl. Kapitel 12.3.1.  Die Zitate im Fließtext beziehen sich auf die folgenden Ausgaben: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Werke 1,2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1992, Das Wunderbarliche VogelNest. Erster Teil. S. 297– 447 (= VN I) und Das Wunderbarliche Vogel-Nest. Zweiter Teil, S. 449 – 650 (= VN II).  Vgl. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der seltzame Springinsfeld. In: Werke 1,2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1992, S. 153 – 295, S. 274– 282. Im Folgenden gibt sie sich gegenüber einem Bäckersknecht als Melusine aus und wird von diesem geheiratet. Später aber initiiert der abergläubische Jüngling einen Lynchmob, dem die Leyerin zum Opfer fällt und von dem sie schließlich als Hexe verbrannt wird. Vgl. Grimmelshausen: Springinsfeld, S. 288 – 292.

556

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Nest zerstört und der nächste Besitzer (der Kaufmann) dieses mit magischer Hilfe wiederherstellt. Bei dieser Rekonstruktion aber nimmt ein Fahrender Schüler eine zentrale Rolle ein, indem er seine Dienste als Schatzgräber anbietet. Der Fahrende Schüler begegnet dem Kaufmann unerwartet als ein „Stein deß Anstosses“³⁷¹ und als ein „Geist“ (VN II, S. 472). Sein Aussehen ist beschrieben als „ein altes/ magers/ buckelts Maͤ nnel/ mit kleinen Augen/ einem kleinen spitzigen eingebogenen Naͤ ßlein/ grossen schwartzgrauen Bart/ bleich von Farb/ und zimlich abgeschaben bekleidet“ (VN II, S. 472). Auch wenn der Kaufmann erst an dem buckligen Männlein vorbeigehen will,³⁷² erbarmt er sich doch und kommt mit ihm ins Gespräch. Dieses demonstriert sein exzeptives Wissen und weist sich selbst als Fahrender Schüler aus. Vielmehr besteht es auf diese Bezeichnung, auch wenn sie prima facie seinem Auftreten und Alter widerspricht: „wie es sich nannte/ und genennet seyn wollte“ (VN II, S. 474). In dem Männlein amalgamieren also verschiedene Vorstellungen, vom Fahrenden Schüler: Es erscheint als schatzsuchendes Venedigermännlein und Berggeist, als Kindgreis (puer senex) durch die Vereinigung von Attributen der Jugend (Schüler) und des Alters.³⁷³ Damit ist er sowohl eine „Teufelsfigur“³⁷⁴ als auch ein Betrüger wie in den Bettlerkatalogen und Schwänken. Oder vielmehr nimmt er diese Rollen selbst für sich in Anspruch und aktiviert damit verschiedene traditionelle Wissensbestände. Zugleich belegt der Roman, dass Grimmelshausen den Fahrenden Schülern als Konglomerat einzelner Motive kannte. Auch in die erzählende Literatur finden demnach die Einzelmotive Eingang, denen sich im selben Jahr mit deutlich antiquarischem Interesse die Dissertation bei Jakob Thomasius widmet.³⁷⁵ Doch auch narratologisch und poetologisch ist die Figur interessant, denn sie steht an einer Schlüsselposition des Romans. Dies wird schon im Titelkupfer deutlich, welches das Wiedererlangen des Vogelnestes ins Bild setzt (Vgl. Abb. 16). Es zeigt die beiden Personen in einem magischen Bannkreis auf einer Waldlichtung: den Kaufmann, der à la mode gekleidet ist und den Fahrenden Schüler, der mit seinem Zauberstab einen Geist in Gestalt eines Drachen mit dem Kopf einer gekrönten Frau beschwört (VN II, S. 450 f.).³⁷⁶ Als Erläuterung des Titelkupfers und als Kern des „Tractaͤ tleins“ aber wird angegeben:

 Die Verwendung des Bildes ist hier generalisiert und nicht auf die Bibel bezogen (Jes. 8,14 und Röm. 9,32), in der Jesus als „Stein des Anstoßes“ gilt.  Menschen mit Behinderungen (Bucklige, Lahme, Einäugige etc.) galten im Volksaberglauben als verflucht und es wurde empfohlen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Vgl. Eduard Stemplinger: [Art.] Buckliger. In: HdA 1, Sp. 1700.  Er wird neben der Bezeichnung als „Maͤ nnlein“ (VN II, S. 473) oder „fahrender Schuͤ ler“ (VN II, S. 474) auch „der Alte“ (VN II, S. 477) oder „Zauberer“ (VN II, S. 478) genannt. Zum Topos des puer senex vgl. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 108 – 115.  Joana van de Löcht: Geld aus „unsichtbarer Hand“. Bereicherung durch Geister und Schatzfunde in den simplicianischen Texten. In: Simpliciana 40 (2018), S. 45 – 64, hier S. 55.  Vgl. Kapitel 12.3, v. a. Kapitel 12.3.4.  Das Titelkupfer hat motivgeschichtliche Vergleiche mit Marlowes Tragical History of Doctor Faustus motiviert. Als erster dazu Manfred Koschlig: Faust und das ‚Wunderbarliche Vogel-Nest‘. Zur

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

557

Die Huͤ lffe so du glaubst vom Teufel her zu zwingen/ Scheint zwar/ sie komm dir wol/ ist aber so bewand/ Daß sie je mehr und mehr dich faß mit Suͤ nden-Band Fein schnell/ gewiß und fett dich in die Hoͤ ll zu bringen. (VN II, S. 452)

Diese vier Verse implizieren, dass das ‚Außernatürlich-Wunderbare‘ des Teufels (im Gegensatz zum ‚Übernatürlich-Wunderbaren‘ Gottes) im Zentrum steht³⁷⁷ und nicht der satirische Blick des unstet-vagierenden Pikaro. Im Vogel-Nest II zeigt sich das „sich verschärfende[ ] Spannungsfeld zwischen Dämonologie und naturphilosophischer bzw. naturwissenschaftlicher Beobachtung“, welche „das Außernatürlich-Wunderbare (abermals) in Bewegung“ setzt. Dies „eröffnet einen Raum diskursiver Auseinandersetzung, der von unzähligen Schriften der Zeit ventiliert wird.“³⁷⁸ Wie das Vogelnest, das der Magiediskurs nur am Rande thematisiert,³⁷⁹ nimmt auch der Fahrende

‚Abbildung deß Zauberers‘ bei Grimmelshausen. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 23 (1979), S. 154– 187. Gegen Marlowe als Quelle wendet sich Dieter Martin: Marlows Faust oder Petrarcas Schatzgräber? Zum Titelkupfer von Grimmelshausens Vogelnest II. In: Simpliciana 28 (2006), S. 185 – 194, S. 185 f. Er weist darauf hin, dass das englische Theaterstück zur Zeit Grimmelshausens auf dem Festland wohl noch unbekannt gewesen sein müsste und verweist auf das ähnliche Bildprogramm in einem Holzschnitt des Petrarca-Meisters. Die Darstellung scheint also geläufig zu sein und keine eindeutige Quelle zu verlangen. Zu poetologischen Interpretationen des Titelkupfers vgl. Maximilian Bergengruen: Satyr mit Gauckel-Tasche. Titelkupfer und Illustration als implizite Poetik des Simplicianischen Zyklus. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen. München 2008 und Andreas Bässler: Sprecherkonstellation in Grimmelshausens Titelkupfer-Arrangements. In: Simpliciana 30 (2008), S. 17– 46, hier S. 29 – 32.  Vgl. dazu Simon Zeisberg: Paradoxe Perspektiven. Zur Poetik des Wunderbaren in Grimmelshausens Wunderbarlichem Vogel-Nest (1672/75). In: Peter-André Alt, Jutta Eming u. a. (Hg.): Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie und Alchemie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2015, S. 313 – 337, hier S. 313 – 316. Dieser bezieht sich terminologisch auf Lorraine Daston: Wunder und Beweis im frühneuzeitlichen Europa. In: Lorraine Daston (Hg.): Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Frankfurt a. M. 32014, S. 29 – 76, hier v. a. S. 36 – 39. Zum exzeptionellen Status dieser Konzentration auf die Darstellung des Wunderbaren im Werk Grimmelshausens auch Rosmarie Zeller: Magia naturalis, Zauberkunst und Kritik des Wunderbaren im Wunderbarlichen Vogelnest. In: Simpliciana 28 (2006), S. 151– 167, hier S. 151. Diese Konstellation führt Jörg Jochen Berns auch zu der einseitigen Ansicht, im Protagonisten des Vogel-Nestes II handle es sich um den „charakterlich mieseste[n] Held[en]“, einen „gierige[n] Adept[en] der Schwarzen Magie, die auf Dämonenbeschwörung beruht und Schadenzauber bezweckt“ und außerdem auf „voyeuristische, vor allem aber sexualkriminelle und finanzkriminelle Gelüste“ ausgerichtet ist. Alle Zitate Jörg Jochen Berns: Der Zauber der technischen Medien. Fernrohr, Hörrohr, Camera obscura, Laterna magica. In: Simpliciana 26 (2004), S. 245 – 266, hier S. 250. Relativierend dazu vgl. Zeller: Magia naturalis, S. 159 f.  Alle Zitate Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, S. 315.  Das magische Vogelnest wurde mangels Prätexten lange Zeit als Erfindung Grimmelshausens gewertet wie noch bei Zeller: Magia naturalis, S. 166 (Anm. 30). Es gibt jedoch Belege bereits aus dem späten 13. Jahrhundert (Liber de mirabilibus mundi eines Pseudo-Albertus Magnus) und wieder in Hexenprozessprotokollen des 16. Jahrhunderts. Vgl. Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, hier S. 318 f. und Maximilian Bergengruen: Nachfolge Christi – Nachahmung der Natur. Himmlische und natürliche

558

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Schüler als ambige Figur zwischen magischer Attribution und simulatio in diesem liminalen Feld eine besondere Stellung ein.³⁸⁰ Neben dem Medium des Bildes, das eine für Grimmelshausen ungewöhnlich „exakte Referenz von Titelkupfer und Romanszene“³⁸¹ aufweist, begegnet dieselbe Szene auch doppelt in den Vogel-Nest-Romanen, und zwar mit zwei unterschiedlichen Fokalisierungen. Die erste Darstellung der Szene ist am Ende vom Vogel-Nest I: Nachdem der Erzähler Michael Rechulin den unsichtbar machenden Gegenstand in einem Akt der Erkenntnis seiner Schuld und als Sühnehandlung zerstreut hat, erscheint eine Schar Wölfe. Rechulin muss auf einen Baum fliehen, wo ihn gleich zwei vermeintliche Schlangen bedrohen.³⁸² Dennoch kann er so aus seiner voyeuristischen Perspektive beobachten, wie das Vogelnest wiedergefunden wird. Denn den Wölfen folgen „zween Maͤ nner/ auß denen der eine einem reichen Herrn: der ander aber/ so zimlich betagt war/ den zerlumpten Kleidungen nach einem vagirenden Landstoͤ rtzer gleich sahe“ (VN I, S. 444), also der Kaufmann und der Fahrende Schüler, welcher als solcher von Rechulin freilich nicht erkannt und folglich auch nicht so bezeichnet wird. Von diesen beiden Figuren erzählt dann Das Vogel-Nest II mehr, was über die interne Fokalisierung Rechulins hinausreicht. Hier beginnt die Erzählung mit einem Lamento über die Wirkung und Flüchtigkeit des Geldes und der Rezipient erfährt von einigen Verknüpfungen der Figuren in der Simplicianischen Erzählwelt. Denn der Kaufmann berichtet, dass ihm „die Springinsfeldische Leyerin als [s]ein Gold und Silber […] außgefischt“ (VN II, S. 466) habe, was ihn in die „gaͤ ntzliche Verzweifflung“ (VN II, S. 467), die desperatio, und in die Melancholie getrieben habe. Auch sieht er sich in der Versuchung, Selbstmord zu begehen oder „wider das außtruͤ ckliche Gebot Gottes/ und frommer Christen Gebuͤ hr/ […] bey den Siebtraͤ hern/ Schatzgraͤ bern und Teuffelsbannern umb Huͤ lff und Rath“ (VN II, S. 470) zu fragen. All dies tut der Erzähler in seiner retrospektiven moralischen Haltung als Narrheit und Sünde ab. Als dem Kaufmann aber der Schatzgräber begegnet und dieser ihm seine Dienste anbietet, geht er sofort auf den Handel ein. Auch demonstriert das Männlein sein exzeptives Wissen, indem es nicht nur vom Verlust des Geldes durch die Leyerin weiß, sondern auch den

Magie bei Paracelsus, im Paracelsismus und in der Barockliteratur (Scheffler, Zesen, Grimmelshausen). Hamburg 2007, S. 259.  Zeller stellt es als erstaunlich heraus, dass die Beschwörungen des Fahrenden Schülers überhaupt gelingen und referiert dabei auf die Widmann’sche Erzählung bei Crusius. Vgl. Zeller: Magia naturalis, S. 156.  Bässler: Sprecherkonstellation, S. 31.  „dann als ich auff die Buche gestiegen/ wurde ich zweyer Wuͤ rm gewahr/ die ich vor zwo erschreckliche Schlangen ansahe; ich gedachte/ steigst du wieder hinunter zuruͤ ck/ so kommst du den Woͤ lffen in den Rachen/ verbleibst du aber hieroben/ so erwuͤ rgen dich diese Basilißcken; langen Bedacht und die Wahl zu nahmen liesse mir weder der Schrecken/ so mich uͤ bereilet/ noch meine Furcht zu; sondern ich kletterte/ das gewisseste zu spielen/ an einem Ast oder Zelgen hinauff/ der Seiten der Stuͤ mling/ deß Mutter Stammes gewachsen und sich wiederumb in die Lufft geschwungen/ so wol den vermeinten Schlangen als den Woͤ lffen zu entgehen“ (VN I, S. 443 f.).

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

559

Ort des vergrabenen Schatzes kenne. Als Beleg für sein Wissen nennt er außerdem die genaue Zahl der einzelnen Münzen und der ausgestoßenen Seufzer des Kaufmanns. Sein Wissen stellt sich jedoch als prekär heraus, denn es bedarf zweier Dämonenbeschwörungen, um dieses zu erreichen. Das erste Monstrum in Gestalt einer Schlange mit dem Kopf einer Jungfrau stellt die beiden Schatzsucher vor die Wahl, den Weg entweder zu den gestohlenden Münzen oder zu einem besonderen Kleinod zu weisen. Erst der zweite Geist nennt die Wirkung des Gegenstandes und sagt „auß besonderer guten Vertraulichkeit“ (VN II, S. 476) zu seinem Beschwörer, dass es sich um dasselbe Ding handle, wodurch der Kaufmann seinen Besitz verloren habe. Noch vor einer weiteren Entscheidung erscheint ein Rudel Wölfe, die der Erzähler als „Geister in der Woͤ lffGestalt“ (VN II, S. 477) bezeichnet, und lotst die beiden Schatzsucher zum Ort des Schatzes: einem Ameisenhaufen, der durch ein Flämmchen markiert ist. Hier wird der Kaufmann abermals unter Zeitdruck gesetzt, dass er sich für den Schatz oder das Kleinod entscheiden solle, „ehe die Gluͤ cks-Stund vollends verstreicht“ (VN II, S. 477).³⁸³ Der Protagonist entscheidet sich für Zweiteres. Das Männlein zerpflückt nun stückweise den Ameisenhaufen und testet einzelne Teile dahingehend, ob er unsichtbar würde. Denn er weiß auch, dass die Magie „in einem einzigen kleinen Steinlein oder Wuͤ rtzlein bestuͤ nde“ (VN II, S. 478). Als dieses trialand-error-Verfahren schließlich Erfolg zeitigt, schlägt der Fahrende Schüler das Material in ein Taschentuch ein und rekonstruiert damit die magische Potenz des Vogelnestes. Der Kaufmann zeigt sich im Folgenden skeptisch und beweist, dass er kein naives Opfer eines magischen Trickbetrügers ist. Denn er weiß, dass sich der Fahrende Schüler „als ein Zauberer […] durch ein ander Mittel unsichtbar gemacht“ (VN II, S. 478 f.) haben könnte. Er fordert weitere Experimente. Nachdem der Fahrende Schüler nun alle Zweifel ausräumen konnte, trennen sich die Wege der zwei Schatzsucher. Der Kaufmann wendet sich seinen (verbrecherischen) Taten als Unsichtbarer zu und lässt den Fahrenden Schüler zurück, „nicht wissend/ ob er in derselben Gluͤ cks-Stund/ wie er [der Fahrende Schüler] sie nannte/ etwas von [s]einem Schatz […] erhalten habe oder nicht“ (VN II, S. 479). Dieses Wissen aber hat der ‚Hellebardierer‘ Rechulin. Denn dieser beobachtet das weitere Handeln des Fahrenden Schülers, der mittels seiner „Wuͤ nschel-Ruthe“ oder „Gluͤ cks-Ruthen“ (VN I, S. 446) in einem hohlen Baum „einen zimlichen Partickel Reichsthaler und etwas an SilberGeschirr“ (VN I, S. 446) findet. Dabei handelt es sich explizit nicht um den Schatz des Kaufmanns, den die Leyerin gestohlen hatte. Denn auf diesen stößt das Schicksal den versteckten Rechulin, der in seinem naiven Schrecken das eingenähte Gold der Leyerin als Schlangenleiber interpretiert hatte.  Allgemein erscheint Fortuna oder das Glück als beherrschende Instanz in der Passage, da sich von dieser sowohl die Geister als auch der Fahrende Schüler abhängig zeigen.Vgl. zur Stelle als FortunatusAnspielung auch Zeller: Magia naturalis, S. 155 f. Zur Gleichsetzung von Fortuna und dem Teufel im 17. Jahrhundert vgl. Gottfried Kirchner: Fortuna in Dichtung und Emblematik des Barock. Tradition und Bedeutungswandel eines Motivs. Stuttgart 1970, S. 108.

560

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

Diese Stelle demonstriert wiederholt das eingeschänkte Wissen des Fahrenden Schülers. Zwar hat er offensichtlich Kenntnis der artes prohibitae und (natur‐)magischer Praktiken (Zauberkreise, Invokation, Wünschelrute),³⁸⁴ besitzt jedoch selbst kein außergewöhnliches Wissen – vieles kann laut Rosmarie Zeller auch auf natürlichem Wege erklärt werden.³⁸⁵ Indem er den Kaufmann vor die Wahl stellt, das Vogelnest oder das Geld zu nehmen, bereichert er sich selbst. Denn er affirmiert die Aussagen der Geister, dass in der Glücksstunde nur genug Zeit sei, eine der beiden Kostbarkeiten zu erlangen, was der Kaufmann fraglos akzeptiert und sogar – unter der Bedingung, dass er das Objekt tatsächlich bekäme – das Eigentumsrecht für sein geraubtes Gut in einer juristischen Geste dem ersten besten Finder zuspricht: „wers find/ mag es/ so viel ich daran habe/ und Recht darzu zu haben vermeynen moͤ chte/ meinetwegen/ und mit meinem Willen als sein Eygenthumb behalten“ (VN II, S. 478). Damit folgt er der internen Logik der magischen Situation (oder der Erzählung), was für den Rezipienten aber naiv erscheinen muss, zumal dieser aus der Paralleldarstellung im Vogel-Nest I weiß, dass das Männlein in der ‚Glücksstunde‘ selbst noch einen Schatz finden und sich durch die Situation bereichtern wird. Dem Kaufmann aber spielt es ein Ding zu, dessen Eigenschaften einerseits Voyeurismus andererseits auch tätige Verbrechen begünstigt, also Affordanz zur Delinquenz besitzt. Dies bestätigen die zuvor erzählten Lebensgeschichten der beiden Vorbesitzer, wobei das Objekt die erste Besitzerin auf den Scheiterhaufen und den zweiten in eine moralische Misere bringt, was sich beim dritten Besitzer wiederholen wird. Eine poetologische Dimension betonen Jörg Wesche und Rosmarie Zeller. Das Vogelnest ist als „Fiktionsindikator“ zu sehen, das einen „Möglichkeitsspielraum“³⁸⁶

 Zur juristischen Situation und der historischen Praktik des Schatzgrabens in der Frühen Neuzeit mitsamt einer Auswertung von 26 Prozessakten zwischen 1606 und 1791 aus dem Herzogtum Württemberg vgl. Dillinger: Schatzgräberei in Württemberg. Die Quellen verweisen auch darauf, dass in den meisten Fällen die Wünschelrute als magisches Hilfsmittel eingesetzt wurde. Vgl. Dillinger: Schatzgräberei in Württemberg, S. 238 f. Zur Wünschelrute im gelehrten Diskurs vgl. Bernd Roling: Virgula divinatrix. Frühneuzeitliche Debatten über die Wünschelrute zwischen Magie und Magnetismus. In: Peter-André Alt, Jutta Eming u. a. (Hg.): Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie und Alchemie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2015, S. 419 – 437.  Vgl. Zeller: Magia naturalis, S. 153 – 157. Sie weist darauf hin, dass der Fahrende Schüler der Geister bedürfe, um den Schatz überhaupt zu finden, dann aber nur mittels trial and error das Objekt finden könne. Weiter wisse auch die Leyerin, also eine dezidiert nicht-magische Figur über das Vogelnest Bescheid. Schließlich könne er vom Verlust und Verstecken des Schatzes sowie dem Tod der Leyerin auch anders unterrichtet worden sein, da auch der Springinsfeld bereits von den Vorfällen Bescheid wisse. Wenn sie die Beschwörungen als Imaginationen des Fahrenden Schülers interpretiert, da sie aus der Perspektive des Dritten (Rechulin) nicht beschrieben würden, scheint sie aber zu missachten, dass die Beschwörungen auch an einem anderen Ort und damit außerhalb des Sicht- und Kenntnisbereichs des Erzählers im ersten Teil durchgeführt worden sind. Hier gibt es keine neutrale Vergleichsinstanz. Die Wölfe hingegen (und ihr plötzliches, mysteriöses Verschwinden) werden von Rechulin deutlich wahrgenommen.  Jörg Wesche: Unsichtbares Lesen. Narrative Selbstreflexion in Grimmelshausens Vogel-Nest. In: Simpliciana 28 (2006), S. 69 – 82, hier S. 76 f.

12.4 Variation, Transformation und Destruktion im Roman des 17. Jh.

561

für die Satire eröffnet, bis am Ende des zweiten Vogel-Nestes die Maske des Satirikers gleichsam mit dem Staub des Vogelnestes im Rhein verschwindet und ein „souveräner Abschied des Autors“³⁸⁷ mit der „Zerstörung des Instruments des Wunderbaren, der Fiktionalisierung oder wenn man will der Imaginationsmaschine“³⁸⁸ in Szene gesetzt wird. Diese Einschätzung relativiert Simon Zeisberg, indem er die ambige Semiotik des Vogelnestes als magischer Gegenstand und des Vogel-Nestes als Text herausstellt und betont, dass sich die Erzählung einem absoluten Abschluss verweigert. Denn das Vogel-Nest als Text wird sowohl intradiegetisch vom Erzähler rezipiert und regt zur Produktion des zweiten Teils an als auch vom empirischen Leser: Auf dieser Ebene simplicianischer Metareflexion erscheint die Linearität des Bekehrungsnarratives aufgehoben in einer Kreisbewegung des Lesens und Schreibens, deren Antrieb das vom Roman entfaltete Paradox der Anziehung und Abstoßung der außernatürlich-wunderbaren Kunst und Materi des Vogelnestes/Vogel-Nestes ist. Auch die Vernichtung im Rhein, in die der Kaufmann nach eindringlichen Mahnreden des Paters einwilligt, unterbricht den Zirkel nicht.³⁸⁹

Daraus folge in der erzählten Welt eine „fiktionale Entreferentialisierung der Zeichenkomplexe, die sich an das Nest knüpfen“,³⁹⁰ und ein potentielles Wiederfinden des fiktionalen Gegenstands wird damit auf Dauer gestellt. Indem die Übergabehandlung eines materiellen Dings auf eine fiktionale Erzählung übertragen und damit desubstantialisiert wird, zeigt das Vogelnest/Vogel-Nest auch die Potentiale einer traditionalen Handlung. Dabei ist nicht nur das leitmotivische Ding von Belang, sondern auch der Fahrende Schüler als Agent der Restitution des Vogelnestes und der Ermöglichung eines zweiten Vogel-Nestes. Der Prozess der traditionalen Übergabe wird vor allem im Durchsieben des Ameisenhaufens evident. Denn während Rechulin im ersten Teil die entdifferentialisierende Vereinnahmung des magischen Gegenstands in die Struktur des Ameisenhaufens emphatisch als Allegorie einer göttlichen und weltlichen Ordnung (ordo) interpretiert und sich selbst dadurch bekehrt sieht, steigt im Folgenden „[a]us dem Rauch der Beschwörungsszene […] Deß wunderbarlichen Vogelnests Zweiter theil als Text gewordene Dementierung der frommen Verdrängung des Außernatürlich-Wunderbaren am Ende des ersten Teils herauf.“³⁹¹ Das experimentierende Auf-Lesen (colligere) des unsichtbar machenden Partikels steht in Analogie zum Lesen (legere) des „Tractaͤ tlein[s] in offenem Truck“ (VN II, S. 650), also das Vogel-Nests I, welches der anonyme Erzähler des Vogel-Nestes II am Ende des Romans liest. Bei der Prüfung des Ameisenhaufens durch den Fahrenden Schüler „kommt es zu einer Selektion, der diejenigen Elemente des Nestes zum Opfer fallen, die bloß der Stabilisierung des ordo (Ameisenhaufen) dienen“, da die beiden Schatzsucher von der „verlockende[n] Kraft     

Wesche: Unsichtbares Lesen, S. 78. Zeller: Magia naturalis, S. 163. Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, S. 336 f. Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, S. 337. Vgl. Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, S. 335.

562

12 Konstitution und Transformation im 16. und 17. Jahrhundert

des Außernatürlich-Wunderbaren“³⁹² angetrieben werden. Gleichzeitig bewirkt der Fahrende Schüler eine sukzessive Destruktion oder Analyse (griech. ἀνα-λύω: ‚auflösen‘) der vorliegenden Struktur, aus der er dann die nützlichen Elemente herauslöst, also den magischen Bestandteil (Stein oder Wurzel) aus dem Ameisenhaufen oder den (subjektiv varianten) ‚wahren‘ Kern aus dem gelesenen Buch. Durch die Analyse aber wird etwas Neues erzeugt, also entweder die pikarisch-satirischen Handlungen oder der Text des Vogel-Nestes II. Aufgrund der Affordanz des Vogelnestes ist in den vorliegenden Romanen die delinquente Nutzung des Gegenstandes erst die Bedingung für die Weitergabe, denn der Kaufmann würde gar nicht zum Schatzsucher, wenn ihm nicht die Leyerin mithilfe des Vogelnestes sein Vermögen gestohlen hätte. So perpetuiert sich textimmanent das Verbrechen. Doch auch die reuige Bekehrung mit der Dispersion des Vogelnestes/Vogel-Nestes ist eine notwendige Bedingung für die Weitergabe, indem hier zwei Momente zusammenfallen: der Zeitpunkt „an dem die Figuren sich aus der Sündenverstrickung zu lösen versuchen“ und der „Moment der epidemischen Fortzeugung eines Buches, dessen vitiogene Potenziale durch die Einsicht des Bekehrten allein nicht vollständig zu bannen sind.“³⁹³ In dieser literarischen Umsetzung des Traditionsprozesses kommt dem Fahrenden Schüler eine wichtige Rolle zu. Erst durch dessen magische Dienstleistungen kann das Vogelnest – je nach Perspektive – aus der ordnenden Struktur gerissen (Rechulin) oder vom Ballast befreit und geborgen (Kaufmann) werden. In poetologischer Analogie zum Fahrenden Schüler stünde demnach der Satiriker, der mit einem „anderen Blick“ den ‚wahren Kern‘ gesellschaftlicher Dispositionen analysiert und produktiv tradiert.³⁹⁴ Kodikologisch kann der Fahrende Schüler auch analog zum (Raub‐)Drucker des ‚offenen Drucks‘ stehen, da dieser die tradierende Verteilung erst ermöglicht, wenn auch durch mitunter zwielichtige Operationen.

 Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, S. 336. Ähnlich in Simon Zeisberg: Das Handeln des Anderen. Pikarischer Roman und Ökonomie im 17. Jahrhundert. Berlin, Boston 2019, S. 331– 333. Hier verstärkt er die allegorische und symbolische Lesart, indem er politische und ökonomische Dimensionen geltend macht, dass nämlich die Gefahr der Dispersion von politscher Macht oder ökonomischen Kapitals (Staatsschatz) satirisch demonstriert würden.  Zeisberg: Das Handeln der Anderen, S. 334.  Zum ‚anderen Blick‘ der Satire vgl.Werner von Koppenfels: Der andere Blick oder das Vermächtnis des Menippos. Paradoxe Perspektiven in der europäischen Literatur. München 2007, S. 27– 29, in Bezug auf das Vogel-Nest vgl. auch Zeisberg: Paradoxe Perspektiven, S. 325 f. und 337.

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition im Zeichen des Historismus? Das folgende Kapitel schließt einerseits in einer vagen Chronologie an die Texte des 17. und 18. Jahrhunderts an, andererseits dient es einer notwendigen fachgeschichtlichen Einordnung der ältesten Texte des Corpus, den ‚Vagantenliedern‘. Einzelne Strukturen und grundlegende Bedingungen im literarischen und wissenschaftlichen Feld, die auf die spezifische Form der Aneignung dieser Textgruppe gewirkt hat, sind kurz und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit aufzuzeigen. Diese Ausführungen verstehen sich dabei mehr als Anregungen für weitere detailliertere Forschungen.

13.1 Zum Historismus des 19. Jahrhunderts Im Zuge einer Ablehnung des Idealismus ist ab dem beginnenden 19. Jahrhundert eine zunehmende Orientierung an historistischen Paradigmen festzustellen, die „in allen kulturellen Feldern“¹ wirkt. Dabei geht der Historismus in seiner erweiterten Begriffsverwendung mit einem historischen Relativimus und Positivismus einher.² In der Literatur begründete die Strömung ebenso eine eigene Ästhetik;³ als deren Hauptgattung gilt der Historische Roman, doch auch andere Formen (Dramen, Liederbücher) folgen einem ästhetischen Historismus, der schließlich in der „populäre[n] Wissenschaftsprosa ein Medium bereitstellt, in dem der positivistische Historismus originäre literarische Effekte zeitigt.“⁴ Diese Tendenzen nehmen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich zu, basieren aber auf Dispositionen der Romantik. Infolge des Krisenbewusstseins und der Empfindung einer Entfremdung des Individuums durch Modernisierung und Technisierung verfestigt sich das Gefühl einer sozialen Gegenwelt, die geprägt ist „durch heimatliche Vertrautheit, soziale Geborgenheit und Einbindung in Traditionen und in die Natur […], die mit der Kälte der erfahrenen Realität scharf kontrastiert.“⁵ Erst durch die Aneignung dieser Traditionen könnten sich das Individuum und einzelne soziale Kollektive richtig entfalten und

 Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland. 1831– 1933. Frankfurt a. M. 1983, S. 53. Einführend zur romantischen Geschichtsphilosophie und zum frühen Historismus (Justus Möser, Johann Gottfried Herder) vgl. Detlef Kremer und Andreas B. Kilcher: Romantik. Stuttgart 42015, S. 74– 80.  Vgl. die Aufteilung in Herbert Schnädelbach: Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus. Freiburg i. Br., München 1974, S. 19 – 30. Dazu auch Moritz Baßler, Christoph Brecht u. a. (Hg.): Historismus und literarische Moderne. Tübingen 1996, S. 23 f.  Vgl. dazu Baßler/Brecht: Historismus, S. 25 – 32. Hier wird differenziert zwischen einem historiographischen (Inhalte), einem simulierenden (Formen und Stil) und einem technischen Historismus (Textverfahren).  Baßler/Brecht: Historismus, S. 7 [Herv. im Orig.].  Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen: Geschichte des Historismus. Eine Einführung. München 1992, S. 26 f. https://doi.org/10.1515/9783110708349-014

564

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Stabilität gewinnen, woraus in politisch-nationalem Impetus ein Rückgriff auf die (auch mythische) Vergangenheit erfolgte.⁶ Wenn nun Herder und Bodmer im 18. und Tieck/v. Arnim und die Grimms im 19. Jahrhundert als „Mittel der Traditionsvergewisserung“⁷ nach ‚alten Volksüberlieferungen‘ (Sagen, Märchen, Volkslieder) suchen, neigt dieser Zugriff auch zu einem konstruktivistischen ‚Erfinden von Traditionen‘ aufgrund der Übergeneraliserung oder sogar Fälschung einzelner Überlieferungen (vgl. den Ossian). Durch die eifrige und enthusiastische Suche nach neuen Quellen und Archivalien gewinnt das Bemühen um die eigene Tradition in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusätzliche Dynamik,⁸ was schließlich ausgehend von den mediävistischen Interessen zu einer institutionellen Etablierung einer germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft⁹ und einer mittellateinischen Philologie führt.¹⁰ Als ihre Aufgabe fassen die Philologen, das aufgefundene Material von den „Spuren von Vergänglichkeit“¹¹ zu befreien und die „Zeichen, die lebendig bleiben, an denen lediglich Verunreinigungen durch die Zeit geilgt werden müssen“,¹² offenzulegen. In diesem Sinne scheint Tradition als ‚Verdeckungsgeschichte‘,¹³ von der unnötiger Ballast und unechter Schwulst zu entfernen sei, um an das ‚echte‘ und ‚ursprüngliche‘ Volkstümliche zu gelangen. Die ‚Rezeptionskultur‘¹⁴ des Historismus bedingt sowohl im wissenschaftlichen als auch im literarischen Feld Konjunkturen affirmativen Traditionsverhaltens und adaptiert (meist stark eklektisch) Elemente vergangener Epochen als Muster für ak-

 Vgl. Jaeger/Rüsen: Historismus, S. 27.  Jaeger/Rüsen: Historismus, S. 27.  Vgl. Ulrich Hunger: Altdeutsche Studien als Sammeltätigkeit. In: Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München 1991, S. 89 – 98, hier S. 90 f. Grundlegend dazu vgl. weiter Ulrich Wyss: Die wilde Philologie. Jacob Grimm und der Historismus. München 1979 und Ulrich Wyss: Der doppelte Weg der Literaturwissenschaft nach 1800. In: Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München 1991, S. 73 – 88.  Vgl. Rainer Kolk: „Liebhaber, Gelehrte, Experten“. Sozialsystem der Germanistik bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart, Weimar 1994, S. 48 – 114, hier S. 55 – 79. Jaeger/Rüsen: Historismus, S. 28 sehen – unter Verweis auf Droysen – in der „Überwindung des romantisch erschlossenen Traditionsbestandes zugunsten seiner wissenschaftlich-reflexiven Aneignung“ den „konstitutiven Schritt zum Historismus.“  Vgl. zusammenfassend Walter Berschin: Einleitung in die lateinische Philologie des Mittelalters (Mittellatein), hg. von Tino Licht. Heidelberg 2012, S. 31– 45.  Hannelore Schlaffer u. Heinz Schlaffer: Studien zum ästhetischen Historismus. Frankfurt a. M. 1975, S. 65.  Schlaffer/Schlaffer: Ästhetischer Historismus, S.65  Ähnlich wie bei Heidegger. Vgl. dazu Kapitel 6.2.1.  Zum Begriff vgl. Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012.

13.1 Zum Historismus des 19. Jahrhunderts

565

tuelle Sachverhalte.¹⁵ Da diese Formen des Traditionsverhaltens über die konkrete Rezeption (kultureller) ‚Prätexte‘ hinausgeht und teilweise auch Mentalitäten und Praktiken initiiert, ist eher von einem aktualisierenden Mediävalismus zu sprechen.¹⁶ Dieser verfolgt mitunter (kultur‐)politische Ziele,¹⁷ denn die rezipierten (und mitunter tradierten) Muster speisen sich meist aus der Geschichte der eigenen ‚Nation‘, z. B. einem idealisierten ‚Altdeutschen‘ als ideologische Hohlformel für eine volkstümlichnatürliche ‚Urzeit‘.¹⁸ Als historische Referenzzeit literarischer Vergangenheitskonstruktion gelten dabei sowohl das Mittelalter als auch die Frühe Neuzeit, indem die „imaginäre Grenze um 1500 regelmäßig ignoriert“ wird.¹⁹ Gerade der Übergang der Makroepochen als Zeit einer Neuorientiertung bietet für die Literatur in einer der „Hochphasen der Exploration und damit einhergehender Neustrukturierung des Weltbilds“²⁰ eine beliebte Folie, auch wenn diese Zeit in der Periodisierung der zeitgenössischen, teleologisch ausgerichteten Literaturgeschichtsschreibung als epigonale Übergangsphase im ‚Wellental‘ (so bei Wilhelm Scherer 1883) „gegenüber den zwei ‚Klassiken‘ um 1200 und um 1800“²¹ abgewertet wurde.  Freilich beschränkt sich diese Form der Mittelalterrezeption nicht auf das 19. Jahrhundert, sondern zeigt sich bereits in der „bibliomane[n] Gelehrsamkeit“ und dem „reformprogrammatischen Eifer“ seit dem 16. über das 17. und 18. Jahrhundert. Vgl. Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki: Mittelalterrezeption. Gegenstände und Theorieansätze eines Forschungsgebiets im Schnittpunkt von Mediävistik, Frühneuzeit- und Moderneforschung. In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012, S. 1– 12, hier S. 8.  Zusammenfassend für die breite Forschung zum anglophonen medievalism Elizabeth Emery und Richard Utz (Hg.): Medievalism. Key Critical Terms. Cambridge 2014. Zum Mediävalismus (als englisches Lehnwort) in Abgrenzung zur Mittelalterrezeption vgl. Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur mit Rückblicken auf den Humanismus. In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Das Mittelalter des Historismus. Formen und Funktion in Literatur und Kunst, Film und Technik.Würzburg 2015, S. 9 – 39, hier S. 24– 26.  Für das Deutschland des 19. Jahrhunderts differenziert David E. Barclay den Mediävalismus in einen „cosmopolitan“, einen „Christian-German“/„national-conservative“, einen „national-liberal“/ „national-democratic“, einen „escapist“ und „the ‚official‘ medievalism of the late nineteenth century“; David E. Barclay: Medievalism and Nationalism in Nineteeth-Century Germany. In: Studies in Medievalism 5 (1993), S. 5 – 22, hier S. 7 u. ö.  Vgl. Nathanael Busch: Zur Logik des Altdeutschen. In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012, S. 226 – 247.  Herweg/Keppler-Tasaki: Mittelalterrezeption, S. 2. Gerade Grimmelshausen wird in der Romantik intensiv rezipiert, v. a. durch Achim von Arnim und Clemens Brentano. Vgl. dazu auch Jakob Koeman: Die Grimmelshausen-Rezeption in der fiktionalen Literatur der deutschen Romantik. Amsterdam, Atlanta 1993 und Parzefall: Fortwirken des Simplicissimus, S. 195 – 268.  Herweg/Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus, S. 10.  Dazu Dirk Werle: Die Literatur der 16. in Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts. Wissenschaftsgeschichte und Darstellungsform. In: Marcel Lepper und Dirk Werle (Hg.): Entdeckung der frühen Neuzeit. Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte seit 1750. Stuttgart 2011, S. 79 – 100, hier S. 99.

566

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt die unkritische und aktualisierende Aufnahme von Elementen aus der Vergangenheit als (vermeintliche) historische Gewissheiten in ganz Europa weiter zu und konstituiert im wilhelminischen Deutschland einen bürgerlichen ‚offiziellen Mediävalismus‘, der von den ‚dämonischen oder geheimnisvollen‘ Aspekten der Romantik losgelöst ist.²² Diese undifferenzierte Übernahme von mittelalterlichen Mustern und solchen, die mittelalterlich erscheinen, wurde damit so populär, „daß sie zu kulturellen und stilistischen Klischees wurden“,²³ die bis zur Gestaltung von ‚altdeutschen‘ Häusern, Wirtsstuben, Wohnzimmern, Möbeln und Bierkrügen reichte. Bei dieser Mittelalterbegeisterung handelt es sich um ein affirmierendes Verhalten zu der (normativen) Tradition an sich und nicht zu konkreten (inhaltlichen) Traditionen. Gerade das Mittelalter scheint prädestiniert, da man diese Epoche aufgrund einer angenommenen fehlenden kulturellen Verfeinerung als besonders ursprünglich und unverfälscht bewerten konnte. Dazu kommt das mythische Narrativ eines nationalen Ursprungs (v. a. bei den nicht-romanischen Nationen Europas in Großbritannien, Deutschland und Skandinavien), was diese Zeit zur perfekten Referenzfolie eines gesellschaftlich Imaginären zur Zeit des historistischen Nationalismus machte.

13.2 Carmina Burana und Thomas Platter – zwei wichtige Wiederentdeckungen Ausgangspunkt dieser historistischen Reaktualisierungen sind archivarische Bemühungen von Wissenschaftlern zu Beginn des Jahrhunderts. Für die Geschichte der Veränderung des Musters vom Fahrenden Schüler sind vor allem zwei Entdeckungen wichtig: (1) Im Jahr 1803 entdeckte Johann Christoph von Aretin im Zuge der Säkularisierung des Klosters Benediktbeuern mit den Carmina Burana eine Liedersammlung, die bis dahin kaum rezipiert wurde.²⁴ Ab diesem Zeitpunkt setzte eine Wirkungsgeschichte ein, die in zwei Richtungen wies: Zum einen bekommt eine „wissenschaftliche Erforschung der weltlichen lateinischen Lyrik des Mittelalters“ Konjunktur, zum anderen wird „dieses lange unbekannte ‚andere‘ Mittelalter durch zahlreiche Über-

 Vgl. dazu Barclay: Medievalism and Nationalism, S. 17: „By the end of the nineteenth century, medievalism in Germany had become ‚domesticated.‘ The German Middle Ages had been emptied of any ‚demonic,‘ mysterious, or emotional quality with which they may have been invested earlier in the century. Instead, they were now serving to justify and legitimize the new Imperial system, which was frequently portrayed […] as the legitimate and direct descendant of the old Reich“  Peter Paret: Kunst als Geschichte. Kultur und Politik von Menzel bis Fontane. München 1990, S. 174.  Vgl. dazu und zum Folgenden: Günter Bernt: [Art.] Carmina Burana. In: 2VL 1, Sp. 1179 – 1186, hier S. 1185 f., Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 904 f. und Franz Xaver Scheuerer: Zum philologischen Werk J. A. Schmellers und seiner wissenschaftlichen Rezeption. Eine Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik. Berlin, New York 1995, S. 64.

13.2 Carmina Burana und Thomas Platter – zwei wichtige Wiederentdeckungen

567

setzungen und Nachdichtungen der Benediktbeurer Lieder einem breiten Publikum vermittelt“.²⁵ Eine verstärkte Rezeption der lateinischen ‚Vagantenlyrik‘ setzt jedoch erst in der Mitte des Jahrhunderts ein. Zwar hatte Aretin bereits 1803 von der Handschrift berichtet²⁶ und sein Journal hatte in ganz Europa Leser, doch seine Mitteilungen gingen nicht über informierte Fachkreise hinaus.²⁷ Ebenso verhält es sich bei der Edition der mittelhochdeutschen Passagen, die sein Angestellter Bernhard Joseph Docen 1807 in seiner (historisch-kritischen) Volksliedsammlung veröffentlichte.²⁸ Aufgrund seines Anspruchs wissenschaftlicher Genauigkeit sind Docens Miscellaneen im Gegensatz zu konkurrierenden Volksliedprojekten wie Brentanos/v. Arnims Des Knaben Wunderhorn (1805 – 1808) und v. d. Hagens/Büschings Sammlung deutscher Volkslieder (1807) „nicht über einen begrenzten Kreis von Fachleuten hinaus bekannt geworden.“²⁹ Die „Epoche der Sammlungen“³⁰ wurde eher von den nachdichtenden als von den wissenschaftlichen Aneignungen eingeläutet. Erst in den 1840ern intensivierte sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Carmina Burana durch die Ausgabe von Jacob Grimm (1844)³¹ und die erste Gesamtausgabe von Johann Andreas Schmeller (1847), Docens Nachfolger an der Bayerischen Staatsbibliothek.³² Mit der Edition der ‚eigenen‘ Vagantenlieder folgte die deutsche Forschung einem europäischen Trend.³³ Die jeweiligen Editionsprojekte hoben dabei gemäß einer nationalstaatlichen Perspektive vor allem die Leistungen des eigenen Landes hervor, und das nicht nur in den volkssprachigen Texten, sondern auch in den lateinischen Dichtungen. Um 1840 ist also eine Grenze zu ziehen, nach der sich der Umgang mit der

 Beide Zitate: Carmina Burana, hg. von Vollmann, S. 905.  Johann Christoph Freiherr von Aretin (Hg.): Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek zu München. Bd. 1. München: Scherer 1803. Fünftes Stück, S. 75 und 78 f. Wieder in Johann Christoph von Aretin. Briefe über meine literarische Geschäftsreise in die baierischen Abteyen. Mit einer Einführung, hg. von Wolf Bachmann. München, Wien 1971, S. 70 – 72 und 171.  Vgl. Aretin: Briefe, S. 32.  Bernhard Joseph Docen: Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur, Bd. 2, München: Scherer 1807, S. 189 – 208.  Gesa Singer: Bernhard Joseph Docen (1782– 1828) und sein Beitrag zur frühen Germanistik. Eine biographisch orientierte wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung. Hildesheim 2010, S. 180. Zu Docens programmatischem Projekt einer ‚Deutschen Altertumskunde‘, seinem textkritischen Ansatz und seiner Stellung zu den anderen Sammlungen vgl. Singer: Docen, S. 175 – 204.  Schlaffer und Schlaffer 1975, S. 64.  Gedichte des Mittelalters auf König Friedrich I. den Staufer und aus seiner so wie der nächstfolgenden Zeit, hg. von Jacob Grimm. Berlin 1844.  Johann Andreas Schmeller: Carmina Burana. Lateinische und deutsche Lieder und Gedichte einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts aus Benedictbeuern auf der k. Bibliothek zu München. Stuttgart 1847.  In Frankreich ist hervorzuheben: Édélstand du Méril: Poésies Populaires Latines Antérieures au Douzième Siècle. Paris 1843. In England bezieht sich Thomas Wright: The Latin Poems Commonly Attributed to Walter Mapes. London 1841 v. a. auf die Sammlungen von Flacius Illyricus und Bayle aus dem 16. Jahrhundert. Vgl. Kapitel 7.3.

568

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Rezeption des Musters ‚Fahrender Schüler‘ in Literatur und Wissenschaft deutlich veränderte. (2) Diese Periodisierung wiederholt sich bei der Wirkungsgeschichte von Thomas Platters Lebensbeschreibung (1572).³⁴ Nach der Wiederentdeckung und den ersten Abdrucken der Handschrift ab 1718 wurde sie erst ab 1793 über Zürich oder die Schweiz hinaus bekannt, und zwar durch die Edition von Ernst Gottfried Baldinger,³⁵ die unter anderem Jacob und Wilhelm Grimm, deren Lehrer Friedrich Carl von Savigny (Brief von 1805) und Johann Wolfgang von Goethe (Brief von 1812) nachweislich lasen.³⁶ „Einen Markstein der Platter-Forschung“³⁷ bildet schließlich die Edition Daniel Albert Fechters von 1840, die sich (im Untertitel) als „Beitrag zur Sittengeschichte des XVI. Jahrhunderts“³⁸ ausweist und erstmals einen zuverläsigen Text liefert. Dieser wird auch schnell von der frühen Bildungsgeschichte aufgenommen. So stehen in der Geschichte des Schul- und Erziehungs-Wesens in Deutschland von Friedrich E. Ruhkopf (1794) neben Platter nur Burkhard Zink und Faust (!) als „sprechendste[ ] Zeugen dieser seltsamen Gewohnheit“³⁹ der bettelnden und betrügenden Fahrenden Schüler. Die Selbstzeugnisse Platters ergänzen damit die Hauptquellen Ruhkopfs (Martin Crusius Schwäbische Annalen und Thomasius’/Meyers Discursus historico-philologicus).⁴⁰ Ruhkopfs Ausführung werden zum Standardwerk und unter anderem von Franz Michal Vierthaler (1804) und Matthias Rumpler (1832) in ihren Arbeiten zur Geschichte des Salzburger Schulwesens zitiert.⁴¹ In Gustav Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit (1859 – 67; 1903 in der 28. Auflage),⁴² Cornelia, Zeitschrift für häusliche Erziehung (1864)⁴³ und später in Die Gartenlaube (1897), dem „meistgelesenen Periodikum des 19. Jahrhunderts“⁴⁴ kommt es zu einer weiteren Popularisierung. Das Bild, welches dem Artikel in der Gartenlaube unter dem Titel „Fahrende Schüler im Lager“ beigegeben ist, illustriert dies besonders (vgl. Abb. 17).⁴⁵

 Vgl. Kapitel 12.3.3.  Thomas Plater’s Leben. Wegen seiner Merkwürdigkeit neu hg. von E. G. Baldinger. Marburg 1793.  Vgl. dazu und zur Wirkungsgeschichte allgemein Platter: Lebensbeschreibung, S. 186 – 192.  Platter: Lebensbeschreibung, S. 191.  Thomas Platter und Felix Platter. Zwei Autobiographien. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des XVI. Jahrhunderts, hg. von Daniel Albert Fechter. Basel 1840.  Ruhkopf: Geschichte des Schul- und Erziehungs-Wesens, S. 124– 134, zit. S. 129.  Vgl. Ruhkopf: Geschichte des Schul- und Erziehungs-Wesens, S. 126 (Anm.)  Vgl. Franz Michael Vierthaler: Geschichte des Schulwesens und der Cultur in Salzburg. Ein Versuch. Erster Theil. Salzburg 1804, S. 118 – 132 und Rumpler: Salzburg’sches Schulwesen, S. 29 – 33.  Gustav Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 4 Bde. Leipzig 1859 – 1867, Band 2, Abt. 2: Aus dem Jahrhundert der Reformation (1500 – 1600), S. 13 – 32.  Otto Moser: Pädagogische Umschau. Zur Geschichte des Schulwesens. Culturhistorische Skizze. In: Cornelia. Zeitschrift für häusliche Erziehung 1 (1864), S. 147– 151.  Claudia Stockinger: An den Ursprüngen populärer Serialität. Das Familienblatt „Die Gartenlaube“. Göttingen 2018, S. 17  Friedrich Helbig: Fahrende Schüler. Etwas aus der Flegelzeit des deutschen Schülerwesens. In: Die Gartenlaube 1897, Heft 39, S. 644– 647, hier S. 645. Die Xylographie (Holzstich) folgt einem Gemälde des Genremalers Heinz Heim (eigentlich Heinrich Wilhelm Heim 1859 – 1895), wohl aus dem Zyklus ‚Gas-

13.3 Die Literatur der Romantik

569

In die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt auch eine verstärkte Begeisterung für das Werk von Hans Sachs⁴⁶ sowie die ersten wissenschaftlich-kriminologischen Beschäftigungen mit dem Liber Vagatorum, welche den Text freilich als historische Quelle für eine Sozialgeschichte des „historischen Gaunerthums“ lesen (Hoffmann von Fallersleben 1856 und Avé Lallemant 1858).⁴⁷ Diese wissenschaftlichen Beschäftigungen stehen in einem zirkulären Implikationsverhältnis mit der literarischen Produktion ihrer Zeit, zumal die Grenze zwischen Literatur und Fachschrifttum durchlässig ist. In beiden Fällen fallen die Imaginationen vom singenden Vaganten, dem Bettelstudenten und dem Fahrenden Schüler des Schwanks zusammen.

13.3 Die Literatur der Romantik Ob die romantischen Schriftsteller die wissenschaftlichen Ausführungen Aretins/ Docens und die Edition der Autobiographie Platters produktiv rezipierten, ist nicht eindeutig zu entscheiden, aber sehr wahrscheinlich. So weist Clemens Brentano in einem Brief vom 17. Juni 1803 seinen Freund Friedrich Carl von Savigny auf „Platers Biografie, die unter den lezten Büchern von Frankfurt“⁴⁸ hin, worüber dieser dann 1805 Jacob Grimm unterrichtet. Außerdem steht er in regem Briefkontakt mit Bernhard Joseph Docen. Dieser soll Material für Des Knaben Wunderhorn beisteuern, worüber Brentano seinen Freund Achim von Arnim wiederholt informiert.⁴⁹ Diese beiden Schriftsteller entwerfen in ihren Texten jedenfalls ein eigenes Bild vom Fahrenden Schüler.

Eichendorffs Bild von der Heidelberger Romantik Brentano, Arnim und Heidelberg als Chronotopos romantischen Stebens setzt Joseph von Eichendorff in seinen autobiographisch gefärbten, retrospektiven ‚Betrachtungen‘

senbuben‘. Die Vorlage ist auch auf Nachfrage im Hessischen Landesmuseum Darmstadt nicht nachweisbar. Vgl. dazu [Art.] Heinz Heim. In: AKL 71, S. 166 f. und Barbara Bott: Gemälde hessischer Maler des 19. Jahrhunderts im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Bestandskatalog. Heidelberg 2003, S. 134– 145. Zu den Kinderdarstellungen bei Heim vgl. Manfred Großkinsky und Carina Matschke (Hg.): Bilder aus dem Leben. Genremalerei im Rhein-Main-Gebiet. Frankfurt am Main 2004, S. 136.  Vgl. Kapitel 12.2. und Könneker: Hans Sachs, S. 70 – 75.  August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Liber Vagatorum. In: Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst 4 (1856), S. 65 – 101 und Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant: Das deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestande. Leipzig 1858 – 1862, zit. Bd. 1, S. XI. Ed. des Liber Vagatorum in Avé-Lallemant: Gaunerthum, S. 165 – 206.  Clemens Brentano: Briefe. Dritter Band. 1803 – 1807, hg. von Lieselotte Kinskofer. Stuttgart, Berlin, Köln 1991, S. 116.  Beispielsweise in Briefen vom 2. April und 13. Dezember 1805 sowie vom 15. Februar 1806 und 18. März 1806. Vgl. Brentano: Briefe, S. 421, 476, 493 f. und 504.

570

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

„Halle und Heidelberg“ (wohl 1857) ein Denkmal, wenn er das zusammen mit seinem Bruder während seines Studienaufenthalts 1807 in Heidelberg „Erlebte“ beschreibt. Obwohl sein Essay nur lose an die historisch-biographischen Fakten angebunden ist – die Brüder Eichendorff haben wohl nie persönlich Clemens Brentano oder Achim von Arnim getroffen –, konstituierte gerade die Idealisierung durch Eichendorff eine ‚Heidelberger Romantik‘.⁵⁰ Kern dieser Romantik ist das ‚Triumvirat‘ um Görres, Arnim und Brentano. Über diese drei schreibt er: Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik […]. Es hauste dort ein einsiedlerischer Zauberer, Himmel und Erde,Vergangenheit und Zukunft mit seinen magischen Kreisen umschreibend – das war Görres. […] Neben ihm standen zwei Freunde und Kampfgenossen: Achim von Arnim und Clemens Brentano, welche sich zur selben Zeit nach mancherlei Wanderzügen in Heidelberg niedergelassen hatten. Sie bewohnten im ‚Faulpelz‘, einer ehrbaren aber obskuren Kneipe am Schoßberg, einen großen luftigen Saal […]. Beide verhielten sich zu Görres eigentlich wie fahrende Schüler zum Meister, untereinander aber wie ein seltsames Ehepaar, wovon der ruhige mild-ernste Arnim den Mann, der ewig bewegliche Brentano den weiblichen Part machte.⁵¹

Mit dieser Klassifizierung Heidelbergs und seiner drei literarischen Exponenten greift Eichendorff die literarische Imagination des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auf, die den Fahrenden Schüler mit Magie konnotiert, und macht Görres zu deren Mittelpunkt als magischen Lehrmeister, einen Faust. Über die beiden Fahrenden Schüler und ihr Projekt Des Knaben Wunderhorn schreibt er: „In diesem Sinne sammelten sie selbst auf ihren Fahrten und durch gleichgestimmte Studenten überall die halbverschollenen Volkslieder“.⁵² Dass auch dieses Bild eine idealisierende Konstruktion im Sinne von Eichendorffs Romantikverständnis ist, darauf hat die Forschung bereits hingewiesen.⁵³ Denn der Großteil der Lieder wurde ohne Bezug auf den genius loci aus schriftlichen Quellen gesammelt. Eichendorff entwirft mithin sein eigenes romantisches Heidelberg durch kreative Projektionen und prägt damit das gesellschaftlich Imaginäre. Auf schriftlichen Quellen fußt auch Eichendorffs Mittelalterbegeisterung, die nach Auswertung seiner Tagebücher auf die Lektüre von Ludwig Tiecks Franz

 Vgl. Hartwig Schultz: Eichendorff als ‚Erfinder‘ der Heidelberger Romantik? In: Karin Tebben und Friedrich Strack (Hg.): 200 Jahre Heidelberger Romantik. Berlin, Heidelberg 2008, S. 67– 80 und Theodore Ziolkowski: Heidelberger Romantik. Mythos und Symbol. Heidelberg 2009, S. 79 – 107. Dazu auch Achim Hölter: Eichendorff und der „Eleusische Bund“ in Heidelberg. In: Walter Pape (Hg.): Das „Wunderhorn“ und die Heidelberger Romantik. Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Performanz. Berlin 2005, S. 61– 77, hier S. 74: „Heidelberg ist zwar hundertmal real, die Heidelberg-Dichtung [sc. von Eichendorff] aber ist eine Maschine zur Reproduktion von Bildern, Gefühlen und Formulierungen“.  Joseph von Eichendorff: Halle und Heidelberg. In: Tagebücher, Autobiographische Dichtungen, Historische und politische Schriften, hg. von Hartwig Schultz. Frankfurt a. M. 1993, S. 416 – 452, hier S. 430 – 432 [Herv. P. R.].  Eichendoff: Halle und Heidelberg, S. 434.  Vgl. Schultz: Eichendorff als ‚Erfinder‘, S. 72 f. und Ziolkowski: Heidelberger Romantik, S. 106 f.

13.3 Die Literatur der Romantik

571

Sternbalds Wanderungen (1798) zurückgeht;⁵⁴ den Ausdruck ‚Fahrender Schüler‘ aber entlehnt er aus Brentanos Aus der Chronika eines fahrenden Schülers (gedruckt 1818).⁵⁵

Clemens Brentano: Aus der Chronika eines fahrenden Schülers (1806/1818) Clemens Brentano arbeitete an dem Text von 1802– 1806, also während seiner Heidelberger Zeit.⁵⁶ Die Rahmenhandlung der Chronik richtet sich auf das Leben des IchErzählers Johannes, der als armer Schüler von dem Ritter Veltlin von Turlingen aufgenommen wird. Das Mittelalter dient hier jedoch allenfalls als rahmende Kulisse und wird „in einem Maße enthistorisiert, in dem es den persönlichen Gehalt poetisiert, denn dieser ist es, der durch die Übersetzung ins Mittelalterliche poetisiert wird, nicht umgekehrt.“⁵⁷ Damit wird „das Mittelalter […] Bestandteil des Bild-, Symbol- und Strukturinventars“⁵⁸ und Reservoir einer „in der Romantik neugewonnenen poetischen Bildsprache“.⁵⁹ Das ‚Fahren‘ und der ‚Schüler‘ nehmen so auch eine transzendente Bedeutung an. Am Beginn der Erzählung reflektiert der Ich-Erzähler: [W]enn ich ein armer fahrender Schüler gewesen bin, so werde ich immer ein armer fahrender Schüler bleiben, denn auf Erden sind wir alle arm und müssen manichfach mit unserm Leben herumwandeln, und lernen, und bleiben doch arme Schüler, bis der Herr sich unser erbarmet, und uns einführet durch seinen bittern Tod in das ewige Leben.⁶⁰

Es kommt mithin zu einer essentiellen Metaphorsierung des ‚Fahrens‘. Dieses manifestiert sich nicht als ein romantisierend verklärtes, sehnsuchtsvolles Fahren-in-dieWelt wie in Eichendorffs Taugenichts, sondern als irrende Bewegung in einem irdischen Jammertal. Die Semantik des ‚Schülers‘ ergänzt zur lokalen Fortbewegung noch

 Vgl. Schultz: Eichendorff als ‚Erfinder‘, S. 74 f.  Vgl. Schultz: Eichendorff als ‚Erfinder‘, S. 76 (Anm. 36). Anzumerken sind auch die Aussagen in Joseph von Eichendorff: Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland. In: Geschichte der Poesie. Schriften zur Literaturgeschichte, hg. von Hartwig Schultz. Frankfurt a. M. 1990, S. 61– 280, hier S. 185 f.  Neben der Druckfassung ist die Chronika eines fahrenden Schülers auch in einer älteren handschriftlichen Vorstufe überliefert. Zur Textgeschichte vgl. Konrad Feilchenfeldt: Eine neuentdeckte Fassung/Textstufe von Clemens Brentanos Chronic/cka des/eines fahrenden Schülers? In: Christiane Henkes, Walter Hettche u. a. (Hg.): Schrift, Text, Edition. Tübingen 2003, S. 181– 188 und Clemens Brentano: Erzählungen, hg. von Gerhard Kluge. Stuttgart, Berlin u. a. 1987, S. 502– 622.  Nikolaus Reindl: Die poetische Funktion des Mittelalters in der Dichtung Clemens Brentanos. Innsbruck 1976, S. 71. Vgl. dazu auch Helene M. Kastinger Riley: Clemens Brentano. Stuttgart 1985, S. 54 f.  Reindl: Poetische Funktion, S. 299.  Reindl: Poetische Funktion, S. 71.  Clemens Brentano: Aus der Chronicka eines fahrenden Schülers. In: Erzählungen, hg. von Gerhard Kluge. Stuttgart, Berlin u. a. 1987, S. 179 – 225, hier S. 184.

572

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

eine geistige Dimension, meint aber explizit keinen sozialen Status.⁶¹ Einziges Mittel gegen das Leid des Vagierens scheint das Gebet: [B]edachte auch auf meinem Lager, wie die Schwalbe in dauernder Freude lebet, gegen den Winter in ferne wärmere Lande ziehet, und der Heimath getreu gegen den Frühling wiederkehrt, also nicht der Mensch, der arme fahrende Schüler, der wohl viel gegen Sturm und Wetter ziehen muß, ja der oft kein Feuer findet, die erstarrten Hände zu erwärmen, daß er sie falte zum Gebet⁶²

Bezüge auf einen historischen Kontext oder auf die literarische Tradition, die sich an dem Ausdruck anlagerten, bleiben marginal und sekundär.⁶³ Von einem trivialen Historismus distanziert sich Brentano auch in seinem Vorwort von 1818, wenn er dem Leser in Erinnerung ruft, die Erzählung sei „zu pädagogischen Zwecken entworfen worden, als [er] von der sogenannten Romantik noch wenig wußte, und daß sie daher neben den allerneuesten Ritterromandichtern in ihrer redseligen Einfalt um Schonung bittet.“⁶⁴ Dennoch ist Brentanos Mittelalter „letztlich eben nicht real-, sondern idealtypisch-poesiegebunden.“⁶⁵

Achim von Arnim (1812, 1817, 1828) Auch Brentanos Weggefährte Achim von Arnim nennt in einzelnen Erzählungen Fahrende Schüler. In „Isabella von Ägypten“ (in der Novellensammlung von 1812) konstruiert er einen ‚National- oder Heimkehrermythos‘ der ‚Zigeuner‘, die aus Europa wieder nach Ägypten ‚zurückkehren‘. Treibende Kraft ist die ‚Zigeunerkönigin‘ Isa-

 Vgl. dazu Michael Huber: Clemens Brentano. Die Chronika des fahrenden Schülers. Eine Analyse der Figurenkonstellation und der kompositorischen Prinzipien der Urfassung. Bern, München 1976, S. 188 – 194. In der ersten Fassung wird die Aufhebung sozialer Unterschiede noch in einer Aussage des Ritters Veltlin deutlich: „Du bist ein armer fahrender Schüler, und ich bin ein Alter Kriegsmann, aber wir sind beide auch Menschen, der Schüler und der Kriegsmann haben nichts in ihrem Wesen gemein, und sind sich fremd, aber die Menschen sind von dem selben Stamme, und waß sie erfahren, müßen alle theilen können“; Clemens Brentano: Chronica des Fahrenden Schülers (1. Fassung). In: Erzählungen, hg. von Gerhard Kluge. Stuttgart, Berlin u. a. 1987, S. 85 – 177, hier S. 95.  Brentano: Chronicka (2. Fassung), S. 181 f. Diese religiöse Perspektive wird in der überarbeiteten Druckfassung von 1818 noch verstärkt. In der ersten Fassung heißt es: „bedachte auch auf meinem Lager, wie die Schwalbe in ewiger Seeligkeit lebt, gegen den kalten Winter in ferne wärmere Lande zieht, und der Heimath getreu gegen den Frühling wiederkehrt, so nicht der Mensch, der wohl viel Leid und Weh im Herzen erdulden muß, ehe ihm wieder ein freundliches Glück, ein Frühling erblühet“; Brentano: Chronica (1. Fassung), S. 87.  So zum Beispiel in der Erzählung von der ersten Begegnung der Schülers Johannes mit seinem zukünftigen Mentor. Auf die Frage des Ritters antwortet Johannes: „ich bin ein armer Schüler aus Frankenland gebürtig, sei auch ettliche Wochen der Schule nachgezogen, habe jetzt meine Reiße nach Strasburg gerichtet, und werde durch meine äusserste Armuth gezwungen, fromme Leute demüthig um einen Zehrpfennig anzusprechen“; Brentano: Chronicka (2. Fassung), S. 137 und dazu weiter S. 515 – 517.  Brentano: Chronicka (2. Fassung), S. 181.  Ingrid Leitner: Sprachliche Archaisierung. Historisch-typologisch Untersuchung zur deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Bern u. a. 1978, S. 30.

13.3 Die Literatur der Romantik

573

bella. Diese hat eine Liaison mit dem zukünftigen Kaiser Karl V. und nimmt durch ihre Angliederung an den Hof eine externe Perspektive auf ‚ihr Volk‘ ein: Diese Bande von Musikern, welche sich vor dem Hause hören ließ, unterschied sich aber gar herrlich von jenen rohen Sängern auf der Kirmes. Es waren weder Bettler, noch Diebe, sondern junge Leute aus allen Ständen, die sich Abends zusammenfanden mit ihren Lauten, und allerlei Lieder, so gut ein jeder sie wußte, absangen. Was sie einnahmen, verjubelten sie entweder zusammen gegen Morgen, ehe sie von einander schieden, oder sie schenkten es den Mädchen, die sie mitzugehen beredet hatten.⁶⁶

Teil dieser ‚Bande fahrender Musiker‘ ist auch „ein junger fahrender Schüler“,⁶⁷ den sie voyeuristisch beim Gebet beobachtet und überlegt, ob „sie sich ihm, wie ein Allmosen hingeben“⁶⁸ sollte. Von diesem Erlebnis bewegt, überwindet sie schließlich die Perspektive kultureller Alterität, indem sie von ihrem Liebhaber Karl flieht und sich wieder den ‚Zigeunern‘ anschließt. Der Übergang von einer kulturellen Sphäre in die andere wird als waghalsiger Sprung aus dem Fenster inszeniert: Sie aber fühlte das im bewegten Gemüte anders und sprang leicht aufs Fenster und zu den Ihren herab, ohne zu denken, ob ihr Sprung hoch oder nieder; aber das Glück ihres Volkes wollte sie unverletzt erhalten. Ihre Zimmer waren im ersten Geschoß und der fahrende Schüler, den seine Liebe und Traurigkeit, nachdem er sie im Schlosse erkannt, des Nachts unter ihr Fenster getrieben, fing sie in seinen Armen auf.⁶⁹

Sowohl ihr Glück als auch der Fahrende Schüler federn also ihren Sprung ab und ermöglichen ihr so eine – wenn auch gefahrvolle – Überquerung der Grenze. Nach der Rückkehr in das ‚Gelobte Land der Zigeuner‘ in Ägypten ernennt sie den Fahrenden Schüler – als sein Name wird später Sleipner genannt – zu ihrem Feldherrn, also zum Offizier im alteritär gespiegelten ‚Reich der Zigeuner‘.⁷⁰ Bei seiner Darstellung dieses ‚Zigeunerreichs‘ demonstriert Arnim, dass er von der rassistisch imprägnierten Ätiologie der orientalischen Abstammung der Romvölker weiß, die zu dieser Zeit communis opinio war.⁷¹ Dieses Wissen macht er zum Ausgangspunkt seiner „romantischreaktionären Utopie.“⁷² Auch eine Kenntnis frühneuzeitlicher Literatur ist nachzu-

 Achim von Arnim: Isabella von Ägypten, Kaiser Karls des Fünften erste Jugendliebe. Eine Erzählung. In: Sämtliche Erzählungen 1802– 1817, hg. von Renate Moering. Frankfurt a. M. 1990, S. 622– 742, hier S. 714.  Arnim: Isabella von Ägypten, S. 714.  Arnim: Isabella von Ägypten, S. 715.  Arnim: Isabella von Ägypten, S. 734.  Vgl. Arnim: Isabella von Ägypten, S. 736 und 740.  V. a. bei Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann: Historischer Versuch über die Zigeuner betreffend die Lebensart und Verfassung, Sitten und Schicksale dieses Volks seit seiner Erscheinung in Europa, und dessen Ursprung. Göttingen: Johann Christian Dieterich 21787. Vgl. dazu Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner, S. 160 – 165 und S. 180 f.  Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner, S. 181.

574

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

weisen, z. B. Grimmelshausens Galgen-Männlein, und Crusius’ Schwäbische Chronik. ⁷³ Dennoch bleibt sein Fahrender Schüler ein Sänger, der obschon in Wahlverwandtschaft zum Fahrenden Volk, doch keine der Konnotationen des 15. bis 17. Jahrhunderts aufweist, sondern als unsteter Künstler, gewissermaßen als ‚Bohème‘, stilisiert ist. Auch in den Kronenwächtern kommen Fahrende Schüler als Figuren vor: Im ersten Teil (1817) verdrängt „ein fahrender Schüler aus der Schweiz, ein Bachante, der seit Jahren schon in den Straßen herumsinge,“⁷⁴ den Protagonisten Berthold aus seiner Position als Schreiber und im zweiten Teil (postum 1854) erscheint ein Fahrender Schüler als raufender und fechtender Renommist.⁷⁵ Schließlich gelangt eine Gruppe Fahrender Schüler zum Protagonisten der fragmentarisch überlieferten Erzählung „Martin Martir“ (1828), die in einer frühneuzeitlichen Szenerie spielt. Der in seiner Karriere ursprünglich verheißungsvolle Geistliche Martir flieht nach dem (vermeintlichen) Tod seiner Geliebten Marielle in die Stellung eines Dorfpfarrers, in der er sich als Metzger und Abdecker betätigen muss. In dem Moment, als er ein verloren geglaubtes Kupfermedaillon mit dem Bild seiner Geliebten im Kadaver einer (durch das Kupfer) vergifteten Kuh wiederfindet, kündigt sich ihm und seiner Haushälterin Martha eine Bande Fahrender Schüler an: In dem Augenblicke wurden sie durch einen wohlklingenden Gesang von vielen männlichen Stimmen gestört. Es ist ein lateinisches Studentenlied: Ecce quam bonum, sagte der Geistliche, gewiß fahrende Schüler. – Ach da sind wir verloren, rief Martha, die fressen uns die Haare vom Haupte, aber sie lassen sich nicht abweisen, ich habs mit dem wilden Volke schon ein paarmal zur Zeit des alten Herrn erlebt, sie schlagen die Fenster ein, wenn wir nicht auf machen […]. Geht Herr, beschwichtigt sie mit eurem Latein, das wirkt noch am besten.⁷⁶

Die „zwölf fahrende[n] Schüler und Studenten“⁷⁷ laden sich selbst ein und bedienen sich an dem (vergifteten) Rindfleisch, auch wenn der ‚Gastgeber‘ sie zurückzuhalten versucht. Auf die Gründe für ihr Wandern, das für Martir nicht nachvollziehbar ist – „mir ist solch ein Umtreiben nie eingefallen, obgleich ich so lange auf Schulen und Universitäten war, um keinen Preis hätte ich so viel Zeit versäumen mögen“⁷⁸ –, anworten sie nur indirekt, geben aber verschiedene Gründe für ihr Vagieren an: Der Älteste versicherte ihm, jetzt würde die Antwort zu weit führen, den jeder von ihnen hätte einen andern Grund zum Wandern, den einen hätten die Mücken, den andern das Fieber, den

 Achim von Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802– 1817, hg. von Renate Moering. Frankfurt a. M. 1990, S. 1254– 1259.  Achim von Arnim: Die Kronenwächter, hg. von Paul Lützeler. Frankfurt a. M. 1989, S. 56. Es ist bezeichnend, dass der Bachant aus der Schweiz stammt. Hier liegt unter Umständen eine Rezeption von Platters recht früh verbreiteter Lebensbeschreibung vor. Vgl. Kapitel 12.3.3 und 13.2.  Vgl. Arnim: Kronenwächter, S. 505.  Achim von Arnim: Martin Martir. In: Sämtliche Erzählungen 1818 – 1830, hg. von Renate Moering. Frankfurt a. M. 1992, S. 817– 881, hier S. 867.  Arnim: Martin Martir, S. 867.  Arnim: Martin Martir, S. 868.

13.3 Die Literatur der Romantik

575

dritten die Hartherzigkeit des Wirts vertrieben, der seine Miete haben wolle, sie suchten Anstellung oder eine andre Universität!⁷⁹

Am nächsten Tag reisen die Studenten weiter. Als Martir daraufhin zum schlammbespritzten Schweinehirten wird und ihn der Scharfrichter des Fellschmuggels anklagt, wird er von den zufällig erscheinenden Studenten, die auf ihre juristischen Kenntnisse verweisen, verteidigt.⁸⁰ Die Erzählung bricht ab, als eine Herzogin dazukommt, den Studenten die Schweine schenkt, dem Abdecker das Fell überlässt und Martha in ihrer Kutsche mitnimmt, Martir hingegen gedemütigt „in Narrheit versinken“ lässt.⁸¹ Hier bricht das Fragment ab. Es wurde ersichtlich, dass die Fahrenden Schüler an zentralen (Wende‐)Punkten des Plots auftreten. Jedoch sind sie weder notwendig für die Motivierung noch die Initiierung von Handlung. Dieses Urteil lässt sich auf alle betrachteten romantischen Erzählungen übertragen. In den Erzählungen sind die Fahrenden Schüler stets ersetzbare Nebenfiguren, respektive der Status als Fahrender Schüler bleibt sekundär (z. B. bei Brentano).Weiter zeichnen sie sich weder durch eine listige Gerissenheit, noch exzeptionelles Geheimwissen (z. B. Magie) aus, sondern sind meist einfache fahrende Bettelsänger, die u. U. auf dem Weg zu oder von einer Universität/Schule sind.

Ludwig Uhland (1819) Anders sieht es bei Ludwig Uhland aus. Dieser greift in seinem Historiendrama Ludwig der Baier (1819)⁸² die Imagination vom Fahrenden Schüler einerseits als Satiriker/ Enkomiast, andererseits als Zauberkünstler auf. Unter den dramatis personae ist Albertus, ein „fahrender Schüler“⁸³ oder (nach seiner Selbstaussage) „reisender Scholar“ (II, 1, S. 95) mit einem Mantel, der „einer Spinnwebe zu vergleichen“ (II, 1, S. 95) ist. Dieser kommt anlässlich der Doppelkrönung des Wittelsbachers Ludwig und des Habsburgers Friedrich zum römisch-deutschen König im Habsburger Lager vor Frankfurt, um diesem ein panegyrisches Lob anzubieten: Albertus: Mein Glückwunsch muß ihm werden, Denn dazu bin ich eigens hergereist […] Salve, surgens imperator,

 Arnim: Martin Martir, S. 868.  Vgl. Arnim: Martin Martir, S. 878  Arnim: Martin Martir, S. 881. Bettine von Arnims Fortsetzung des Fragments wird hier nicht weiter einbezogen, da sie eine deutliche Umakzentuierung der Figuren vornimmt.  Uhland verfasste das Drama anlässlich eines Preisausschreibens der Intendanz des neuen Hoftheaters zu München aus dem Jahr 1817, es fiel jedoch (wohl aufgrund politischer und kirchlicher Bedenken) bei den Preisrichtern durch. Vgl. Hartmut Froeschle: Ludwig Uhland und die Romantik. Köln 1973, S. 119 – 121.  Ludwig Uhland: Ludwig der Baier. Schauspiel in fünf Aufzügen. In: Uhlands Werke. Bd. 2, hg. von Ludwig Fränkel. Leipzig, Wien 1908, S. 79 – 164, hier S. 80.

576

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Friderice, triumphator! Salve, suavis Isabella, Flos venuste, fulgens stella! Salve… (II, 1, S. 98)

Er wird jedoch schnell abgespeist und wechselt stehenden Fußes das Lager. Zuvor erzählt er den anwesenden Edelknaben in einer Mischung aus Unterhaltung und Einschüchterung von Albertus Magnus als einem Magier, der auf seinem Mantel fliegen kann (vgl. II, 1, S. 96 f.). Als solcher Mantelfahrer erscheint der Fahrende Schüler dann wieder im vierten Akt, in dem er Friedrich von Burg Trausnitz befreien will: „den Mantel schlag’ ich | Dir um: der Sturmwind führt uns durch die Luft.“ (IV, 3, S. 140). Friedrich aber schlägt das Angebot unter Verweis auf seine ehrenhafte Gesinnung aus und lässt Albertus mit Weihwasser und ‐rauch vertreiben (IV, 3, S. 142 f.), sodass einer großmütigen Vereinigung der beiden gekrönten Herrscher nichts mehr im Wege steht (V, 2). Dabei orientiert sich Uhland stark an den historischen Rahmenbedingungen (Trausnitzer Sühne und Vertrag von München 1325). Auch wenn sich das Drama durch diese Tatsachentreue, die gesamtdeutsch-harmonisierende politische Perspektive und die Stoffwahl „als romantisch intendiertes ‚nationalhistorisches Drama‘ im Sinne Schlegels“ ausweist, ist „das Ethos des Dramas [v. a. Ludwigs Herrscherideal] eher biedermeierlich als romantisch oder realistisch“.⁸⁴ Dazu passt, dass die irrational-magische Komponente des Fahrenden Schülers Albertus rationalisiert wird, indem Friedrich die ‚Mantelfahrt‘ zu erklären versucht: „Ob durch Zauber du, | Ob durch Verwegenheit die Zinn’ erstiegst, | Fahr’ hin, Verfluchter!“ (IV, 3, S. 142).

Ludwig Aurbacher (1827/29) und Wilhelm Theodor von Chézy (1835) Tendenzen von gelehrtem Historismus und volkstümlicher Einhegung begegnen auch bei dem Münchener Professor für Ästhetik und Rhetorik Ludwig Aurbacher (1784– 1847). Der schwäbische Schriftsteller trat neben Stillehrbüchern v. a. mit seiner zweibändigen Schwanksammlung, den Volksbüchlein (1827 und 1829), an die Öffentlichkeit. Diese Sammlung trug ihm die Bewertung als „einer der besten volkstümlichen Erzähler des Biedermeierdeutschland“⁸⁵ ein. Er wird dem „romantischen Kreis der Katholiken in München“ zugeordnet, der mit dem Ziel einer „Überwindung der Aufklärung“⁸⁶ eine Neubewertung frühneuzeitlicher Literatur anstrebte. Auch wenn er nur Stoffe aus der volkstümlichen Überlieferung und Sage aufzugreifen scheint,  Froeschle: Ludwig Uhland, S. 121 f.  Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815 – 1848. Bd. 1: Allgemeine Voraussetzung, Richtungen, Darstellungsmittel. Stuttgart 1971, S. 394 und weiter dazu Bd. 2, S. 162– 165.  Beide Zitate: Alois Epple: Der schwäbische Volksschriftsteller Ludwig Aurbacher. In: Literatur in Bayern 73 (2003), S. 52– 64, hier S. 60. Einführend zur katholischen Spätromantik in Wien, Landshut und München vgl. Harro Segeberg: Phasen der Romantik. In: Helmut Schanze (Hg): Romantik-Handbuch. Stuttgart 22003, S. 31– 78, hier S. 70 – 76 und Kremer/Kilcher: Romantik, S. 49 f.

13.3 Die Literatur der Romantik

577

erweist er sich doch als vielbelesen in der schwankhaften Literatur des 15. bis 17. Jahrhunderts, z. B. Geiler von Kaysersberg, Luther, Pauli, Wickram, Brant, Zinkgref und andere, über die er selbst aussagt, dass sie „heutzutage kein Leser von Geschmack mehr lieset.“⁸⁷ Seine Kenntnis der frühneuzeitlichen Literatur und der wissenschaftlichen ‚Sittengeschichte‘ macht er auch in einer Episode deutlich, in der die sieben Schwaben, die Protagonisten der Schwankreihe, auf den Fahrenden Schüler Adolphus treffen. Dieser sei auch Schwabe, habe im Norden studiert und kehre nun zurück, um die Schwankerzählungen seiner Heimat zu sammeln und in den Druck zu geben. Einen ‚Schwabenstreich‘ lassen sie diesen dann am eigenen Leib erfahren, worüber der Erzähler am Ende urteilt: „Und so hatte denn der Student Adolphus von den Schwabenstreichen genug erfahren am eignen Leib; weiß aber nicht, ob er sie auch eingetragen habe in sein Buch.“⁸⁸ Die metaleptische Verfasserfiktion vom Fahrenden Schüler als imaginiertem Herausgeber der Sammlung wird in den „Abenteuern des Spiegelschwaben“ wiederholt, als der Schwankheld auf ebenjenen Adolphus trifft, der als Spion und Gauner zum Galgen geführt wird. Als Begründung geben die Henkersknechte an, „man habe Schriften bei ihm getroffen in einer unverständlichen Sprache, in der Meißner Mundart, die wahrscheinlich eine Spitzbubensprache sei“.⁸⁹ Bei den Schriften, die man vorsorglich vernichtet hatte, handelte es sich um die bereits erwogene Sammlung von Schwabenstreichen. Mit der ‚Spitzbubensprache‘ aber rekurriert Aurbacher auf die Präsenz von Geheimsprachen (z. B. Rotwelsch) als Instrument frühneuzeitlicher Umgehung (oder Begründung) obrigkeitlicher Sozialdisziplinierung.⁹⁰ Indem er nun die Hinrichtung des unschuldigen Schülers wegen geläufiger Anklagepunkte (verbotenes Wissen, Gaunersprachen) vorführt, nimmt er ein sozialgeschichtliches Experiment vor: Er überblendet den wandernden (und u. U. singenden) Studenten, wie er in anderen romantischen Texten vorkommt, mit dem bettelnden Gauner des frühneuzeitlichen Gesellschaftsbildes und vereint damit zwei Imaginationen. Die Episode endet schließlich so, dass der schelmische ‚Spiegelschwabe‘ darum bittet, als fremder Henker den Delinquenten selbst richten zu dürfen. Im Geheimen aber schneidet er den Strick an und rettet durch diese List den Fahrenden Schüler. Aurbacher vereint in seinem Volksbüchlein also sozialhistorisches Wissen mit einer volkstümlichen Schwankerzählung, die regional eingehegt ist und auch an-

 Ludwig Aurbacher: Bemerkungen zu den erbaulichen und ergötzlichen Historien. In: Ein Volksbüchlein. Zweiter Teil, hg. von Joseph Sarreiter. Leipzig 1879, S. 216 – 222, hier S. 216 f., zit. S. 217. Zu den Quellen außerdem Epple: Volksschriftsteller, S. 62.  Ludwig Aurbacher: Abenteuer der sieben Schwaben. In: Ein Volksbüchlein. Erster Teil, hg. von Joseph Sarreiter. Leipzig 1878, S. 137– 185, S. 166 im Kapitel: „Von einem fahrenden Schüler, und was er von Schwabenstreichen erfahren“.  Ludwig Aurbacher: Abenteuer des Spiegelschwaben. In: Ein Volksbüchlein. Zweiter Teil, hg. von Joseph Sarreiter. Leipzig 1879, S. 152– 200, hier S. 173 im Kapitel: „Wie der Spiegelschwab den fahrenden Schüler Adolphum vom Galgen errettet“.  Vgl. Kapitel 5.1.

578

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

sonsten eher gezähmt scheint. So kommen durch die Schelmenstreiche nur selten Personen ernsthaft zu schaden und die bestehende Ordnung wird meist eher stabilisiert als gefährdet. An der spätromantischen Literatur, die sich vormodernen Stoffen widmet, orientiert sich auch Wilhelm Theodor von Chézy, der darin seiner als Schriftstellerin berühmteren Mutter Helmina von Chézy folgt. Er gab seinem zweiteiligen 1835 erschienenen Roman den Titel Der fahrende Schüler. Es handelt sich um eine verworrene Verwechslungsgeschichte der Doppelgänger Oskar und Samuel, in die auch der Erzbischof von Salzburg involviert wird. Durch eine Intrige kann Samuel seinen Zwilling für die eigenen Verbrechen schuldig machen, sodass er vom Erzbischof gefangengesetzt wird. Der Doppelgänger nimmt beide Identitäten für sich in Anspruch, während er den anderen infamisiert: Ich bin zugleich Samuel Oesterling und Oskar, du aber bist einer, der keinen Namen und keine Heimath mehr hat, und für den es kein Recht mehr gibt. Du bist der fahrende Schüler, der mörderische Goliardus von Wittenberg, der nordische Ketzer, der Strang und Scheiterhaufen zugleich verdient.⁹¹

Der zweite Teil des Romans schließt mit einem Happy-End: Die Identität des getöteten Samuel kann aufgedeckt und Oskars Unschuld bewiesen werden. Der Erzbischof spricht Oskar frei und gibt ihm seinen Segen für die anstehende Hochzeit mit seiner Geliebten Lisbet. Mit dieser Hochzeit, die am selben Ort wie die Hochzeit zu Beginn des Romans stattfindet, kommen wieder einige der Figuren zusammen und berichten selbstreflexiv über die „Mähr von dem fahrenden Schüler“, die „einem unheimlichen Räthsel gleich, vor ihren Augen sich entfaltet“ (Teil II, S. 147) hatte. Damit wird intradiegetisch die Erzählung angesprochen, auf die v. Chézy im Nachwort verweist und von der er anzumerken weiß, dass sie lange im Raum Salzburg als Sage überliefert wurde (vgl. Teil II, S. 148). Der Titel ist demnach sowohl durch das Anknüpfen an die Regionalsage als auch durch die beiden Protagonisten, zwei wandernde Studenten, motiviert. In einem Exkurs über die Klassifizierung fauler Schüler, den Mechtild in ihrem Gespräch mit Lisbet, der Geliebten Oskar, ihrem Vater in den Mund legt, heißt es: Die erste Klasse seien verzärtelte jungen Edelleuten, und eine „zweite Hauptklasse […] die fahrenden Schüler, eine wahre Landplage“ (Teil I, S. 61). Weiter wird der Vater zitiert: [F]reilich haben einige unter ihnen Mittel von zu Hause, doch die Meisten sind auf ihre eigene Geschicklicheit angewiesen, und müssen, indem sie lernen wollen, schon erwerben. Da ziehen sie denn in ihren langen, schwarzen Kleidern, oft in kaum kennbaren Lumpen, Wittenberg zu, und machen von da wieder Heuschreckenzüge in das Land, einige als Musikanten, andere als Wahrsager aus den Sternen oder Händen, wieder andere als einfache Krippenreiter, wenige unter ihnen ordentlich und ehrlich, und diese nennt man gewöhnliche Studenten. (Teil 1, S. 61)

 Wilhelm Theodor von Chézy: Der fahrende Schüler. Zürich 1835, Teil I, S. 233.

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

579

Mit dieser kulturgeschichtlichen Einordnung lehnt sich v. Chézy an Aussagen in der zeitgenössischen Bildungsgeschichtsschreibung an, deren Quellenmaterial sich vornehmlich auf die Lebensbeschreibung Thomas Platters beschränkt.⁹²

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Joseph Victor von Scheffel Nach diesen Einstreuungen in Romane und Dramen stand der Fahrende Schüler gerade auch für Titel von Gedichtsammlungen Pate. Die Bezeichnung als ‚Gedichte‘ oder ‚Lieder eines fahrenden Schülers‘ stellt eine literarische Maske (persona) zur Verfügung, welche sich der Autor aufsetzen kann. Dabei handelt es sich oft um selbst philologisch tätige oder zumindest gebildete Dichter wie die Germanisten Wilhelm Wackernagel und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Diese bilden ein „direktes Verbindungsglied zur spätromantischen Mittelalter-Forschung“.⁹³ Doch der Titel korrespondiert oft nicht oder nur teilweise mit dem Inhalt und bleibt mitunter eine Hohlformel, hinter der sich eine bunte Sammlung lyrischer Texte unterschiedlicher Provenienz versammelt wie in Wackernagels Gedichten eines fahrenen Schülers, die er 1828 mit nur 22 Jahren herausgab. Neben der persona des jugendlichen Wanderers ruft er die Imagination des mittelalterlichen fahrenden Spielmanns auf, indem er zwölf (frei nachgedichtete) Minnelieder „in mittelhochdeutscher Mundart“ ans Ende der Sammlung stellt.⁹⁴ Hoffmanns von Fallersleben Liederzyklus Des fahrenden Schülers Lieben und Leiden (1824) hingegen zeichnet die Lebens- und Liebesgeschichte eines fahrenden Schülers nach. Dieser weist sich in der ersten Strophe des Eingangsgedichtes als „vielgewanderter Mann“ ⁹⁵ aus und gibt vor, er sei „ein weiser Scholar“ von der „hohe[n] Schule von Prag“.⁹⁶ Weiter sagt er: Ich habe gelernt, was man lernen kann, Kann zaubern, bannen, beschwören, Ich kann mit verbundenen Augen sehn, Kann über glühende Kohlen gehen – Nun muß mich ein Mädel betören!⁹⁷

 V. a. auf Rumpler: Salzburg’sches Schulwesen, S. 29 – 33. Vgl. dazu auch Kapitel 13.2.  Friedemann Spicker: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik in den Jahren 1910 bis 1933. Wege zum Heil – Straßen der Flucht. Berlin 1976, S. 21.  Wilhelm Wackernagel: Gedichte eines fahrenden Schülers. Berlin 1828, S. 109 – 125.  August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Gedichte und Lieder, hg. von Hermann Wendebourg und Anneliese Gerbert. Hamburg 1974, S. 73. (hier nur Lied 1– 6 des Zyklus, vgl. S. 72– 77). Alle Lieder in August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Gedichte. Leipzig 1834, Band 2, S. 141– 153.  Hoffmann von Fallersleben: Gedichte und Lieder, S. 74.  Hoffmann von Fallersleben: Gedichte und Lieder, S. 73.

580

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Sein akademisches und magisches Wissen will er für seine Geliebte aufgeben: „Ich will nicht mehr Griechisch verstehn und Latein, | Kein Zaubrer, Beschwörer und Banner mehr sein, | Nie wandern von deiner Seiten.“⁹⁸ Auch wenn in den folgenden Strophen der soziale Stand bei der Darstellung der Beziehung des unglücklich Verliebten irrelevant bleibt, greift Hoffmann von Fallersleben in der ersten Strophe explizit die Imagination des frühneuzeitlichen Teufelsbanners auf und beweist damit seine Kenntnis vom frühneuzeitlichen Diskurs, welche er nachweislich hatte. Dies beweist seine Edition des Liber Vagatorum im Jahr 1856.⁹⁹ Dafür, dass sein „Blick auf die Vaganten“ in dieser Edition „fast romantisch-verklärend“¹⁰⁰ ist, sehe ich keinen Grund.Vielmehr nimmt er eine weitgehend rationale, wissenschaftliche Erklärung des Textes vor. Dass er in seinem Bild vom Fahrenden Schüler einer epigionalen Romantik folgt, zeigt er jedoch in seinen anderen Texten, z. B. in der Selbstdarstellung seiner Studienreise in die Niederlande von 1852: Wie ein fahrender Schüler, mit langem Haar, im deutschen Rocke, den Ziegenhainer [Wanderstab] in der Hand und ein leichtes Ränzelchen auf dem Rücken, ohne Paß und fast ohne Geld überschritt ich an einem schönen Frühlingstage die holländische Gränze.¹⁰¹

Während er hier wie selbstverständlich in die Rolle des vormodernen fahrenden Schülers schlüpft, zeigt er in seiner Autobiographie Mein Leben (6 Bände, 1868 – 1870) ein Bewusstsein terminologischer Differenzierung zwischen dem reisenden Studenten und dem Fahrenden Schüler der Vergangenheit: Zu einem reisenden Studenten gehörte damals vor allen Dingen ein ledernes Ränzelchen mit grünem Wachstuche überzogen, das auf dem Rücken getragen wurde und etwas Wäsche und ein Commersbuch enthielt. […] Obschon wir nicht wie unsere Vorfahren, die weiland fahrende Schüler ‚heischen‘ (betteln) gingen, so versäumten wir doch nicht, hier und da die Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.¹⁰²

Es ist wohl kein Zufall, dass zwischen den beiden Thematisierungen, die sich im Kern ähneln, die eingehende Beschäftigung mit dem Liber Vagatorum steht. Dennoch postuliert er einen romantisierenden genetischen Zusammenhang zwischen dem vormodernen Phänomen und seiner eigenen Lage. Eine ähnliche poetische Selbstinszenierung findet sich auch bei Paul Heyse. Dieser gibt seiner Novellensammlung Jungbrunnen. Neue Märchen von einem fahrenden Schüler (1849) in der Auflage von 1877 ein neues Vorwort, in dem er rückblickend über sein 19-jähriges Alter Ego schreibt, dass sich damals der „Verfasser in Wahrheit  Hoffmann von Fallersleben: Gedichte und Lieder, S. 74.  Hoffmann von Fallersleben: Liber Vagatorum, S. 65 – 101.  Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung, S. 288.  August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Loverkens. Altniederländische Lieder. Göttingen 1852, S. I.  August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen. 6 Bde., hg. von Heinrich Gerstenberg. Berlin 1892, S. 53.

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

581

[…] einen fahrenden Schüler nennen durfte, da er in Bonn als Studiosus der Philosophie und allerlei Wissenschaften und Künsten oblag und dazwischen mit leichtem Ränzel und noch leichterem Sinn den Rhein hinauf und hinabwanderte.“¹⁰³ Das Vorwort schließt mit historistisch-romantisierendem Ton: Vielleicht begegnen sie hie und da einem fahrenden Schüler, dem es in der Welt der Eisenschienen nicht ganz geheuer ist und der auf den noch immer vorhandenen stillen Seitenpfaden gern einem Klang aus verschollenen Tagen lauschen mag.¹⁰⁴

In den einzelnen Erzählungen sind Schülerfiguren dagegen allenfalls marginal. Auch der Liederzyklus Lieder eines fahrenden Schülers von Emanuel Geibel (wohl 1842/43 entstanden),¹⁰⁵ und die gleichnamigen Zyklen von Joseph Victor von Scheffel (1847)¹⁰⁶ oder von Berthold Sigismund (1853)¹⁰⁷ konzentrieren sich auf die Themen der lustigen Wanderschaft, Einkehr und Liebelei. Friedemann Spicker nennt als Gemeinsamkeit dieser und zahlreicher anderer Liedsammlungen dieser Zeit, dass sie sich „[n]icht aus wissenschaftlichem Antrieb, sondern aus identifikationswütiger Begeisterung, die das historische Vorbild romantisiert und simplifiziert“ auf die Vergangenheit bezögen und „in der Pose des Fahrenden vergangener Zeiten dem Bildungsbürgertum glatte, kommersbuchnahe Poesie voll germanischer Trinkfreudigkeit und Volksverbundenheit“ böten.¹⁰⁸ Für diesen Duktus hat Paul Heyse den Begriff „Butzenscheibenlyrik“¹⁰⁹ geprägt, der cum grano salis auch bereits auf den Münchener Dichterkreis (u. a. Geibel, Heyse und später auch Scheffel) anzuwenden ist, ursprünglich aber auf die Scheffel-Epigonen gemünzt war:¹¹⁰ Denn mittlerweile kam bei uns in Schwang Ein seltsam Wesen, ein gespreiztes Spiel Mit altertümlich krausem Kling und Klang, Das flachen Halbtalenten wohlgefiel. Der Freund, der liedesmächtig, stark und zart, Zur Urständ half dem edlen Ekkehart, Wohl ahnt’ er nicht, daß er heraufbeschwor

 Paul Heyse: Novellen und Erzählungen 1850 – 1886. (Nachdruck), hg. von Markus Bernauer und Norbert Miller. Hildesheim, Zürich, New York 1995, S. 516*  Heyse: Novellen und Erzählungen, S. 517*  Emanuel Geibel: Lieder eines fahrenden Schülers. In: Gesammelte Werke. Band 1. Stuttgart 1883, S. 163 – 166.  Joseph Victor von Scheffel: Lieder eines fahrenden Schülers. In: Fliegende Blätter 116 (1847), S. 153 – 156.  Berthold Sigismund: Lieder eines fahrenden Schülers. In: Ausgewählte Schriften, hg. von Karl Markscheffel. Langensalza 1900, S. 381– 405.  Beide Zitate in Spicker: Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik, S. 21.  So in einer Versepistel von 1884, die der 100. Auflage von Geibels Gedichten das Vorwort bilden sollte. Vgl. Erich Petzet (Hg.): Der Briefwechsel von Emanuel Geibel und Paul Heyse. München 1922, S. 285 – 290 und 344.  Spicker: Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik, S. 20 (v. a. Anm. 59).

582

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Den minn- und meistersingerischen Chor. […] Der Maskentrödel guter alter Zeit Entlehnt, birgt nun moderne Nichtigkeit. […] Zumal zum altertümlichen Gerät, In Haus und Tracht als höchster Schmuck bewundert, Die Butzenscheibenlyrik trefflich steht, Verleugnend unser lichteres Jahrhundert!¹¹¹

Diese Maske des altertümlich sprechenden fahrenden Spielmannes oder Schülers in verklärter mittelalterlicher Kulisse wurde – wie gezeigt wurde – bereits früher genutzt, doch nach dem durchschlagenden Erfolg von Scheffels historisierenden Versepen Der Trompeter von Säckigen (1853) und Ekkehard (1855) nimmt derartige ‚Butzenscheibenliteratur‘ deutlich zu.¹¹² In vielen Gedichten, Liedern und Erzählungen wird die archaisierende Rolle des Fahrenden Schülers, Vaganten oder Spielmanns inszeniert. Diese Mode erreicht unter anderem mit Rudolf Baumbachs Liedern eines fahrenden Gesellen (1878), Johannes Reinelts (Pseudonym Philo vom Walde) Vagaten-Liedern (1888) und Julius Wolffs Verepos Der fahrende Schüler (1900) ihren Höhepunkt, nimmt dann aber deutlich ab.¹¹³ Dabei wandelt sich die Darstellung vom frommen Schüler der Romantik (v. a. bei Brentano), der dem Einsiedler oder Klosterbruder nahe steht, zum fahrenden Sänger als aristokratischem Rhapsoden, wie in Stefan Georges Sänge eines fahrenden Spielmanns,¹¹⁴ oder zum weltlichen, frechen Bohèmien, der auch immer öfter als „Vagant“ bezeichnet wird.¹¹⁵ Als Teil und Motor dieses Prozesses sticht Joseph Victor von Scheffel heraus. Dieser wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte (v. a. ab 1870) landesweit berühmt und kann für diese Zeit (angesichts der Verkaufszahlen) als „ein oder der Lieblingsdichter der Deutschen“¹¹⁶ angesehen werden. Diese Popularität traf vornehmlich sein Erst-

 Petzet (Hg.): Briefwechsel, S. 288, vv. 107– 130.  Dazu auch das Urteil von Berthold Emrich: [Art.] Butzenscheibenlyrik. In. 2RLG 1, S. 203 f., hier S. 204: „Das Dasein von Rittern, Pfaffen und Bürgern aber wird vom Glanz des Vagantenlebens überstrahlt; der vogelfreie Spielmann kostet die Lust der Walt ganz: Seine Fiedel erobert ihm die Gunst des Wirtes und der Frauen, sein Beruf führt ihn durch die weite Welt. Die Kulissen dazu liefern die deutschen Gaue und der geheimnisvolle Wald, das Reich der blauen Blume. […] Unerträglich ist aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form vieler dieser Erzeugnisse. Veraltete Vokabeln und lateinische Brocken müssen eigens erklärt werden, ja ganze Gedichte sind im mhd. Sprachstand gehalten.“  Vgl. dazu mit zahlreichen weiteren Beispielen Spicker: Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik, S. 21– 24. Programmatisch sind auch die letzten Verse von Wolffs Epos: „Ich will’s in alle Winde schreien | Die brausen über See und Sand: | Der freieste von allen Freien | Im Menschenvolk ist der Vagant!“; Julius Wolff: Der fahrende Schüler. Eine Dichtung, hg. von Joseph Lauff. Leipzig 1913, S. 336.  Stefan George: Sänge eines fahrenden Spielmanns. In: Sämtliche Werke. Bd. 3. Stuttgart 1991, S. 57– 67. Zum mediävalisierenden Gestus Georges und seiner Nähe zum romantischen Historismus und zur Spielmannsdichtung vgl. Jutta Saima Schloon: Modernes Mittelalter. Mediävalismus im Werk Stefan Georges. Berlin, Boston 2019, S. 113 – 168, hier v. a. S. 120 f.  Vgl. Leitner: Sprachliche Archaisierung, S. 52 f.  Günther Mahal: Joseph Viktor von Scheffel. Versuch einer Revision. Karlsruhe 1986, S. 162 und ähnlich Rolf Selbmann: Der Dichter und seine Zeit. Joseph Viktor von Scheffel und das 19. Jahrhundert.

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

583

lingswerk, das historisierende Versepos Der Trompeter von Säckingen (1853) – 1897 in der 227. Auflage –, dessen schleppende Verkaufszahlen in den ersten Jahren durch den durchschlagenden Erfolg der Liedersammlung Gaudeamus! (1867) – 1897 in der 60. Auflage – angekurbelt wurden.¹¹⁷ Dabei unterzog man seine Texte schon recht früh einer biographischen Lektüre, wozu er in seiner Selbstinszenierung als lustiger Wandersmann und ‚Fahrender Schüler‘ in Briefen und auf Fotographien auch explizit beitrug.¹¹⁸ So übersendet er am 21. November 1847 an seinen Freund Karl Schwanitz seine Lieder eines fahrenden Schülers, die er kurz vorher in den Fliegenden Blättern abdrucken ließ, mit dem Kommentar, diese seien „die Eindrücke meines einsamen Wanderlebens vom vorigen Sommer auf Rügen und im Harz pp., ich dediziere sie hiermit nachträglich Dir, der Du als so lieber und treuer Wirt den fahrenden Schüler gar manchmal bei Dir beherbergt hast“.¹¹⁹ Auch eine schriftliche Selbstempfehlung mit seinem Erstlingswerk an Ludwig Uhland leitet er ein mit „Ein unbekannter, fahrender Schüler erlaubt sich das beifolgende Büchlein zu übersenden als Dank für Anregung und Unterweisung“.¹²⁰ Dieses Self-Fashioning als Fahrender Schüler oder Vagant, das für Scheffel auch der existentiellen persönlichen Er-Fahrung von Welt sowie einer expliziten Zurückweisung eines gefürchteten Philister-Daseins dient und demnach nicht nur Pose ist, unternahm er bis ins fortgeschrittene Alter.¹²¹ Ob wirklich „die Carmina burana […] zu seinem obligaten Wandergepäck“¹²² gehörten, ist nicht belegt. Aber gewiss leisteten seine Mittelalter-Studien einen wichtigen Beitrag für sein dichterisches Selbstverständnis. Diese betrieb er schon an der Universität, intensivierte sie jedoch durch seine Tätigkeit als Bibliothekar in der Handschriftenabteilung der Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen und seine Arbeiten an einem Wartburgroman, den er Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach versprochen, aber nie vollendet hatte.¹²³ Ein Ergebnis seiner Vorarbeiten ist die

In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 126 (1978), S. 285 – 302, hier S. 299: „Von den Verkaufszahlen seiner Werke her ist Scheffel einer der beliebtesten Autoren des 19. Jahrhunderts.“  Zu den Zahlen vgl. Mahal: Scheffel, S. 230 (Anm. 38), zum Erfolg von Gaudeamus! vgl. Mahal: Scheffel, S. 162.  Vgl. Johannes Proelß: Scheffel’s Leben und Dichten. Berlin 1887, S. 191– 235. Dazu auch Mahal: Scheffel, S. 77– 85.  Josef Victor v. Scheffels Briefe an Karl Schwanitz (Nebst Briefen der Mutter Scheffels) 1845 – 1886. Leipzig 1906, S. 87. Noch am 7. Oktober 1851 wiederholt er deprimiert mit Blick auf Schwanitz’ Stellung als Bürgermeister von Eisenach: „ich bin noch derselbe fahrende Schüler, ohne Ruhe, ohne Stellung, mit unbefriedigtem Drange ins Weite“. Scheffels Briefe an Karl Schwanitz, S. 179.  Uhlands Briefwechsel. Vierter Teil (1851– 1862), hg. von Julius Hartmann. Stuttgart, Berlin 1916, S. 85.  Mahal: Scheffel, S. 78 – 80.  Mahal: Scheffel, S. 78.  Zu Scheffels Mittelalterrezeption, -verständnis und -studien in Donaueschingen vgl. Ludger Syré: Der Dichter als Bibliothekar. Joseph Victor von Scheffel in Donaueschingen. In: Walter Berschin und Werner Wunderlich (Hg.): Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht. Ostfildern 2003, S. 135 – 163. Weiter am Beispiel des Ekkehard vgl. Rüdiger Krohn: Mittelalter hausgemacht: Scheffels Schaffen zwischen Historie und Poesie. In: Walter Berschin und Werner

584

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Sammlung lyrischer Passagen in Frau Aventiure (1863). Hier wird der Mediävalismus Scheffels deutlich, wenn er im Vorwort erklärt, dass die Rezeption auf eine einlullende Identifikation mit dem fernen Gegenstand und einen Eskapismus ins Ursprüngliche abziele: So du freundigen Sinn hast für altertümliche Weisen, so laß Dich umsummen von ihrem Getön und versetze Dich ein Stündlein oder zweie in luftige Träume im Rundbogenstil.¹²⁴

Als literarische Gewährsleute dieser Imagination dienen ihm neben den (bereits damals) kanonischen mittelhochdeutschen Gattungen des höfischen Romans (Parzival), des Heldenepos (Nibelungenlied) und des Minnesangs auch die ‚Vagantenlieder‘, „das üppige Tirilieren der fahrenden Schüler“.¹²⁵ Die „Fahrenden Leute“ bekommen dann auch neben einzelnen Figuren des Wartburgkriegs – zu denen er noch zusätzliche hinzudichtet – einen eigenen Zyklus. Im Gedicht „Exodus cantorum. Bambergischer Domchorknaben Sängerfahrt“¹²⁶ zeigt er (nach eigenem Bekunden) „in welcher Art der fahrende Schülergesang im Mittelalter den Baedeker ersetzte“,¹²⁷ und in „Fahrender Schüler Psalterium“ bietet er bilingual eine ‚germanisierte‘ Parodie der SoracteOde des Horaz (Carm. I, 9), die als Übersetzung eines „fahrende[n] Scholasticus | Von Salzburg“¹²⁸ zitiert wird. Er versieht seine „wissenschaftsbefrachteten Gedichte“ auch mit „zuweilen eher aufdringlich-gelehrten als tatsächlich verständniserleichternden Anmerkungen“,¹²⁹ in denen er die Forschung zitiert und die Vagantendichter des 12. und 13. Jahrhunderts als „fahrende Schüler“¹³⁰ kennt, die v. a. um Salzburg ihr Unwesen getrieben hätten. Ferner versieht er alle Gedichte mit Geleitworten, die aus den Salzburger Synodalbeschlüssen,¹³¹ den Carmina Burana ¹³² oder sogar den Sermones Wunderlich (Hg.): Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht. Ostfildern 2003, S. 35 – 55 und am Beispiel der Frau Aventiure vgl. Michael Rupp: Ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers Joseph Victor von Scheffel. In: Walter Berschin und Werner Wunderlich (Hg.): Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht. Ostfildern 2003, S. 109 – 134.  Joseph Victor von Scheffel: Frau Aventiure. Lieder aus Heinrich von Ofterdingens Zeit. In: Werke. Bd. 2, hg. von Friedrich Panzer. Leipzig, Wien 1922, S. 5 – 174, hier S. 28.  Scheffel: Frau Aventiure, S. 27.  Scheffel: Frau Aventiure, S. 86 – 90.  Brief an Paul Heyse vom 29. April 1861. In: Briefwechsel zwischen Joseph Victor von Scheffel und Paul Heyse, hg. von Conrad Höfer. Karlsruhe 1932, S. 58.  Scheffel 1922, S. 95 f., hier S. 95.  Mahal: Scheffel, S. 113.  Scheffel: Frau Aventiure, S. 164 f.  Z. B. den Exodus cantorum mit „vagi scholares per Salzburgensem provinciam discurrentes“; Scheffel: Frau Aventiure, S. 95 und ein weiteres Zitat auf S. 102. Scheffels Quelle ist Büdinger: Reste der Vagantenpoesie. Vgl. zu den Salzburger Synodalbeschlüssen weiter Kapitel 9.1.3.  Auch ansonsten stellt er immer wieder Verse aus den Carmina Burana vor seine Gedichte im Liederzyklus Fahrende Leute:CB 203 vor Scheffels „Die Herberge am See“ (S. 97), CB 81 vor „Kahnfahrt“ (S. 98), CB 202 vor „Dem aufgehenden Mond“ (S. 99), CB 28 vor „Die Buße“ (S. 103), CB 191 vor „Reutti im Winkel“ (S. 105), CB 197 vor „In den Alpen“ (S. 106). Als seine Quellen nennt er neben den Editionen

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

585

nulli parcentes ¹³³ entnommen sind und damit eine breite Kenntnis der (recht neu edierten) mittellateinischen Dichtung zeigen.¹³⁴ Das wissenschaftliche Image aber schadete dem Erfolg: Frau Aventiure erreichte bis 1897‚nur‘ 17 Auflagen. In einem Brief urteilt er selbstkritisch: „Wenn ich selber zu Gericht drüber sitze, scheint es für die Ungelehrten zuviel vorauszusetzen, für die Gelehrten wieder zu modern im Ton.“¹³⁵ Weit populärer wurde die Liedersammlung Gaudeamus! Lieder aus dem Engeren und Weiteren (1867) mit seinen heiteren und zotigen Trink- und Spaßliedern. Hier integriert er unter der Rubrik „Kulturgeschichtliches“ auch ein „Lied fahrender Schüler“, welches mit einem makkaronischen Geleitwort aus den Carmina Burana steht.¹³⁶ Das bis heute wohl verbreitetste Lied Scheffels und die wohl bekannteste lyrische Repräsentation des ‚fahrenden Scholaren‘ folgt unmittelbar: das „Wanderlied“, das Scheffel 1859 im oberfränkischen Banz dichtete und das mit der Vertonung von Valentin Eduard Becker (1861) auch als ‚Lied der Franken‘ bekannt wurde: Wohlauf, die Luft geht frisch und rein, Wer lange sitzt, muss rosten; Den allersonnigsten Sonnenschein Läßt uns der Himmel kosten.

von Schmeller (1847) und Grimm (1844) auch Giesebrecht (1853) und Karl Ernst Christoph Schneider: Das musikalische Lied in geschichtlicher Entwickelung. Band 1. Leipzig 1863.  Im Gedicht Die Verfluchung, dem ein Zitat aus den Salzburger Synodalbeschlüssen vorangestellt ist, steht nach drei deutschen, eine lateinische Strophe. Hier zitiert er die Sermones nulli parcentes (vv. 451 f.): Cito, cito relinquatis | viam nigrae pravitatis | leccatores vagabundi | desperata pestis mundi!; Scheffel: Frau Aventiure, S. 103 mit Übersetzung in der Anm.: „Eilig, eilig verlast den Weg finstrer Schändlichkeit, ihr Lottervagabunden, verzweifelte Weltpest!“  Dazu schreibt er in einem Brief an Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach am 27. Juni 1863 mit Übersendung der Frau Aventiure selbstbewusst, die Sammlung werde „bei Kennern der mittelalterlichen Kunst, aus deren sorgfältigem Studium es hervorgegangen, das Zeugniß eines redlichen Strebens sich erwerben!“; weiter schreibt er am 20. Juni 1864 von seinem Anspruch einer „Reproduction mittelalterlicher Anschauungsweise und Kunstform […] sowie deren Würdigung“; Briefwechsel zwischen Joseph Viktor von Scheffel und Carl Alexander, Grossherzog von Sachsen-WeimarEisenach, hg. von Conrad Höfer. Karlsruhe 1928, S. 94 und S. 98.  Brief an Eduard Dössekel, 23. Juli 1863. In: Briefe J. V. v. Scheffels an Schweizer Freunde, hg. von Adolf Frey Zürich 1898, S. 76. In einem Brief an seine Mutter vom 29. September desselben Jahres sagt er angesichts des schleppenden Verkaufs weiter: „Feuilletoncritik, vornehmer Pöbel, Wirtshauspolitiker u.s.w. werden es [Frau Aventiure] links liegen lassen… leider auch viele redliche brave Leute, die […] sonst gern etwas Schönes lesen. Diese aber haben vor allem Mittelalterlichen eine Gespensterfurcht und können sich meinen Standpunct, der die Alten so treu wie möglich in ihrer eigenen Denk- und Fühlweise zu schildern versucht, nicht klar machen“; Wandern und Weilen. Scheffels Briefe ins Elternhaus, 1860 – 1864, hg. Wilhelm Zentner. Karlsruhe 1951, S. 68. Dazu weiter Mahal: Scheffel, S. 110 – 112 und Krohn: Mittelalter hausgemacht, S. 48 f.  CB 218, Str. 2, 1– 8 und Joseph Victor von Scheffel: Gaudeamus! In: Werke. Bd. 1, hg. von Friedrich Panzer. Leipzig, Wien 1922, S. 1– 134, hier S. 39: Liberales clerici, | nû merchent rehte wie dem sî. | Date: vobis dabitur | ir sült lân offen iwer tür | Vagis et egentibus | so gewinnet ihr daz himelhûs, | et in perenni gaudio | alsus alsô, alsus alsô! Inhalt des Liedes ist dann auch das dreist-aggressive Betteln der Fahrenden Schüler bei einem Pfarrherrn, ähnlich wie in Achim von Arnims Martin Martir.

586

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Jetzt reicht mir Stab und Ordenskleid Der fahrenden Scholaren. Ich will zur schönen Sommerszeit Ins Land der Franken fahren! (vv. 1– 8)¹³⁷

Im Folgenden greift das Lied neben allerlei Lokalkolorit (Staffelstein, Bamberg, Grabfeldgau) vor allem die Themen Wanderschaft und Lebensgenuss (Wein und Liebelei) auf. Die überlieferte Reinfassung weicht jedoch an einigen Stellen von der Version im (erhaltenen) Urmanuskript von 1859 ab.¹³⁸ Ein Einbezug der Textgenese gibt einige interessante Einblicke. So formuliert Scheffel in der vierten Strophe Verse, die mit dem „Bachanten“ eine Bezeichnung aufgreifen, die in der frühen Germanistik – v. a. vermittelt durch die Lektüre von Thomas Platter – populär geworden ist; er streicht diese aber im Bearbeitungsprozess wieder: Wir brachen in den Keller ein Und tranken was wir fanden Und schrieben an den leeren Schrein Es tranken die Bachanten.¹³⁹

Ebenso fehlt im Urmanuskript die Bezeichnung der „fahrenden Scholaren“ und damit ein Terminus, der bis dahin auch allgemein eher unüblich ist; so wissen die Brüder Grimm im Deutschen Wörterbuch zu berichten: „heute ist scholar durchaus ungebräuchlich“.¹⁴⁰ Stattdessen steht (durchgestrichen) bei Scheffel ganz konventionell der ‚Vagant‘: Nun schwing ich auf Vagantensang Sang wandernder Gedanken Sing unsern Gang den Main entlang Im (…) Land v. Franken¹⁴¹

Als Überschrift für diese Konzepte schreibt Scheffel: „Fahrender Schüler in Franken – Wanderlied“.¹⁴² Er verwendet demnach die gängigen Bezeichnungen ‚Bachant‘, ‚Va-

 Scheffel: Gaudeamus, S. 40.  Erste Seite abgedruckt in Natalie Gutgesell: „Da hat Herr Scheffel etwas dazu gedichtet“. Joseph Victor von Scheffel als bildender Künstler. Halle a. Saale 2014, Bd. 2, Kat.-Nr. 152, S. 171 (hier Abb. 18). Transkription in Bd. 1, S. 222 f. mit textkritischen Anmerkungen auf S. 349 f. Original in Karlsruhe, Museum für Literatur am Oberrhein, Inv.-Nr. 1430 (vier Seiten).  Gutgesell: Scheffel als bildender Künstler, Bd. 1, S. 223. In der Druckfassung handelt es sich um die fünfte Strophe.  [Art.] scholar. In: DWB, 15, Sp. 1448 (Band vollendet 1899).  Gutgesell: Scheffel als bildender Künstler, Bd. 1, S. 222 hat hier falsch transkribiert: „Nun schwing ich auf Vagantengang | Ganz wankender Gedanken | Schwing unsern Gang den Main entlang | Früh im Land v. Franken.“  Gutgesell: Scheffel als bildender Künstler, Bd. 1, S. 222.

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

587

gant‘ und ‚Fahrender Schüler‘ synonym. Die latinisierte Form ‚fahrender Scholar‘ aber hat sich erst nach Scheffel (und vielleicht durch dessen Einfluss) zur Bezeichnung des mittelalterlichen Phänomens durchgesetzt. Trotz oder gerade durch diese Archaismen lädt das „Wanderlied“ ein, als inszenierte Erlebislyrik rezipiert zu werden und den wandernden ‚fahrenden Scholaren‘ zu imitieren. Eine biographische Lesart, welche das lyrische Ich mit dem Verfasser identifiziert, scheint von Scheffel auch explizit intendiert. Wie der Wanderer des Liedes ist auch Werner Kirchhof, der Protagonist des Trompeters von Säckingen als Alter Ego des Verfassers entworfen. Denn Scheffel versah wie seine Figur Kirchhof 1850 – 51 sein Rechtspraktikum in dem Städtchen. Dieser beschreibt sich selbst als vom trockenen Jura-Studium fortdrängenden und schließlich relegierten Jügling sowie als renommierenden Fechter und Trinker. Damit arrangiert Scheffel Elemente, die in der romantisierenden Darstellung des Studentenlebens nicht fehlen durften.¹⁴³ Außerdem setzt er seiner Alma mater Heidelberg mit „Alt-Heidelberg, du feine“ ein Denkmal,¹⁴⁴ wodurch er nicht unwesentlich zur Konstitution Heidelbergs als Chronotopos studentenromantischer Schwelgerei beitrug. Dieses Image der Stadt wurde dann spätestens durch die Romanze Alt-Heidelberg von Wilhelm Meyer-Förster (1901) und die Broadway-Operette The Student Prince in Heidelberg von Sigmund Romberg (1924) international gefestigt.¹⁴⁵ So ist Alt-Heidelberg „wohl das meistgespielte Stück in der ersten Hälfte des 20. Jh.s“ und wurde in kurzer Zeit in 22 Sprachen übersetzt.¹⁴⁶ Auf Scheffel geht damit ein „spätromantische[s] Idyll einer beschaulichen und biedermeierlichen, bisweilen drolligen und burlesken, manchmal auch pathetischsentimentalen Butzenscheiben-Welt aus dem Willen und der Vorstellung des bürgerlichen XIX. Jahrhunderts“¹⁴⁷ zurück, in der er (v. a. in Frau Aventiure) „philologische Akkuratesse und historische Verläßlichkeit nicht selten nur vortäuschte“.¹⁴⁸ Unter Kenntnisnahme einzelner Forschungsbeträge konstruiert er ein eigenes mittelalterliches Gesellschaftsbild, wobei die Forschung ihrerseits unter dem Einfluss dieser historisierenden ‚Butzenscheiben-Literatur‘ steht. Durch diese Reziprozität nimmt

 Auch in früheren Versepen, die z. T. große Popularität erreichten, aber (wie Scheffel) als Trivialliteratur verworfen wurden, werden typisierte Studentenfiguren inszeniert, z. B. in Oskar von Redwitz’ Amaranth (1851). Vgl. dazu Peter Sprengel: Amaranth und die Studenten. Parodie – Politik – Philosophie/Religion im Versepos um 1850. In: ZfdPh 138 (2019), S. 179 – 206.  Joseph Victor von Scheffel: Der Trompeter von Säckingen. In: Werke. Bd. 2, hg. von Friedrich Panzer. Leipzig, Wien 1922, S. 175 – 394, hier: S. 212– 221.  Zu Scheffels Lied als Studentenlied und Schlager vgl. Oliver Fink: „Memories vom Glück“.Wie der Erinnerungsort Alt-Heidelberg erfunden, gepflegt und bekämpft wurde. Heidelberg 2002, S. 58 – 65, zu Meyer-Försters Theaterstück als „Höhepunkt der Popularisierung“ vgl. ebd. S.66 – 95, zu Romberg vgl. ebd. S. 113 – 118 und zu anderen Verfilmungen von 1915 – 1995 vgl. ebd. S. 118 – 143.  Vgl. Fink: Alt-Heidelberg, S. 66 – 68, zit. S. 66.  Krohn: Mittelalter hausgemacht, S. 55.  Krohn: Mittelalter hausgemacht, S. 55.

588

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

Scheffel Anteil an einer ‚bürgerlichen Domestizierung des Mittelalters‘ um die Mitte des 19. Jahrhunderts.¹⁴⁹ Gerade die lateinischen Vagantenlieder boten eine besonders geeignete Folie, da die fehlende Kenntnis der Autorschaft aufgrund Anonymität (Carmina Burana) oder Pseudonym (archipoeta) eine bessere Referenz auf zeitgenössische Phänomene zulässt. Das 19. Jahrhundert machte sich seine eigenen Vaganten. Dafür spielte auch der akademisch-gebildete Modellrezipient des 19. Jahrhunderts keine kleine Rolle, der (wie Scheffel selbst) einer Studentenverbindung angehörte. Denn Scheffels Lieder als Gelegenheitsdichtung bei und für (verbindungs‐)studentische Feiern fanden früh Aufnahme in studentische Liederbücher und werden bereits in der 6. Auflage von 1861 (also vor dem Gaudeamus!) im Allgemeinen Deutschen Kommersbuch abgedruckt,¹⁵⁰ dem „meistaufgelegte[n] Liederbuch im deutschen Sprachraum“.¹⁵¹ In diesem Kontext ist auch die Popularisierung der Carmina Burana zu sehen.¹⁵² Diese zeigt sich in der Edition von Carmina Clericorum. Studenten-Lieder des Mittelalters. Edidit Domus quaedam vetus (1876), die mit dem Zusatz „Supplement zu jedem Commersbuch“¹⁵³ versehen ist. Es war im Interesse von Hermann Hagen, Extraordinarius für klassische Philologie der Universität Bern, sich als Herausgeber hinter dem Pseudonym ‚altes Haus‘ zu verbergen, da das Buch mit Verweis auf Melodien im Allgemeinen Deutschen Kommersbuch für die Nutzung als Liederbuch gedacht war und nicht wissenschaftlichen Standards entsprach. Unter seinem echten Namen publizierte hingegen der Gymnasiallehrer und Philologe Rudolf Peiper im folgenden Jahr ein Liederbuch auf Grundlage der Carmina Burana und anderer Quellen: Gaudeamus! Carmina vagorum selecta in usum laetitiae. ¹⁵⁴ Das Buch bietet sich an, als unterhaltendes Lesebuch sowie als Liederbuch gebraucht zu werden, da Hinweise auf die Melodien zwar gegeben, aber im Anhang ‚versteckt‘ sind. Interessanterweise weichen die Melodien der beiden Liederbücher voneinander ab. So gibt Hagen für das CB 219 an: „Ordo Vagorum. – Lied der Corpsbrüder. Mel.: Dulce cum sodalibus. Allg. deut-

 So bei Paret: Kunst als Geschichte, S. 155 – 174.  Friedrich Silcher und Friedrich Erk (Hg.): Allgemeines Deutsches Kommersbuch. Lahr 61861, S. 559. Vgl. Mahal: Scheffel, S. 160.  Harald Lönnecker: [Art.] Kommersbuch. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. 2 Auflage, Supplement 2008, Sp. 424– 427, hier Sp. 426.  Zum Folgenden vgl. Carmina Burana: Lieder der Vaganten. Lateinisch und deutsch nach Ludwig Laistner, hg. von Eberhard Brost: Heidelberg 1961, S. 200 – 204. Dazu urteilt auch Hess: Narrenzunft, S. 176: „Nur über die Kommersbücher sind Reste dieser munter historisierenden Erneuerungsversuche ins 20. Jahrhundert gelangt“.  [Hermann Hagen (Hg.)]: Carmina clericorum. Studentenlieder des Mittelalters. Heilbronn 1876, Titelblatt. Als Herausgeber ist Domus quaedam vetus angegeben. Wer sich hinter dem alten Haus verbirgt ist nicht ganz sicher, wohl Hermann Hagen, vielleicht aber auch Gustav Gröber. Vgl. dazu Carmina Burana, hg von Brost, S. 202 f.  Der Titel verweist explizit auf Scheffel, was auch eine Widmung bestätigt. Rudolf Peiper (Hg.): Gaudeamus! Carmina vagorum selecta in usum laetitiae. Leipzig 1877. S. *II.

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

589

sches Commersbuch p. 178“.¹⁵⁵ Peiper aber notiert: „Cum ‚in orbem‘ cantatur Meum est propositum“.¹⁵⁶ Auch im Titel der Liederbücher wird diese Imagination verstärkt, z. B. Kleines Kommersbuch. Liederbuch fahrender Schüler (Leipzig 1890). Den Weg in die Volkssprache finden die Vagantenlieder schließlich durch die Übersetzung Golias. Studentenlieder des Mittelalters (1879) durch Ludwig Laistner; er ist Teil des Münchener Dichterkreises und Freund Paul Heyses, dem auch auch die Zueignung gilt. Hier nimmt Laistner eine philologische Umdeutung von CB 219 vor:¹⁵⁷ Geht hinaus in alle Welt, Ist ein Ruf erklungen, Suchet was verloren ist: Was in fremden Zungen Irgendwann und irgendwo Schönes ward gesungen Sei auch für den Heimatlaut Als ein Hort errungen!¹⁵⁸

Ein „[m]untres Goliardenvolk“¹⁵⁹ soll dann die Schätze zeigen, damit die Lieder schließlich als Buchtext angeeignet und verbreitet werden können: Was vordem Vagantenmund Fröhlich ließ erschallen, Geht nun auf Wanderschaft Still im Bücherballen, Bittet um geneigt Gehör¹⁶⁰

Neben den singenden Vaganten als den ursprünglichen Dichtern der Lieder, betont Laistner die Wanderschaft der tradierenden Philologen sowie der Texte selbst. Damit werden sowohl der Produzent als auch der Tradent zum Vaganten und implizit auch der Rezipient, der die Texte im ‚vagierenden Buch‘ lesen oder selbst nach Art der Vaganten singen kann.¹⁶¹ Als diese Rezipienten aber gelten die zeitgenössischen Akademiker, die dem Goliardendichter als ‚Studenten des Mittelalters‘ und ihrem ‚Vorfahren‘ nacheifern können. Dazu kommen noch Lieder, die zum Teil eigens zu diesem Zweck verfasst wurden: z. B. „Vagans scholasticus (Der Sang ist verschollen)“ mit einer Melodie von Bernhard Willibald Sommer um 1865, dessen lyrisches Ich sich nach einer durchzechten Nacht

 Hagen: Carmina clericorum, S. 5.  Peiper: Gadeamus, S. 218.  Das Carmen Buranum 219 steht dann an erster Stelle der Sammlung. Vgl. Ludwig Laistner (Hg.): Golias. Studentenlieder des Mittelalters. Stuttgart 1879, S. 1– 6.  Laistner: Golias, S. V.  Laistner: Golias, S. VI.  Laistner: Golias, S. VII.  Zum Golias als Lese- oder Liederbuch vgl. Carmina Burana, hg. von Brost, S. 203 f.

590

13 Fahrende Schüler‘ im 19. Jh. – Die Erfindung einer Tradition

als „fahrender Schüler, ein wüster Gesell“¹⁶² präsentiert. Oder das „Vagantenlied (Vale Universitas, Bursa und Taberne)“ von Ottokar Kernstock (ursprünglich in der Sammlung Aus dem Zwingergärtlein von 1897) mit dem berühmten Refrain, der durch den Zusatz „Alter Bettelstudentenspruch“ die Patina des mittelalterlichen Alten bekommt: […] Was not uns tut, schafft das Zaubersprüchlein: Sumus de vagantium ordine laudando. Petimus viaticum porro properando.¹⁶³

Wie im Studentenlied wurde die Tradition vom mittelalterlichen ‚fahrenden Scholaren‘ auch im Zuge der Jugendbewegung produktiv aufgenommen und in korporative Strukturen überführt. Neben der Inspiration für Liederbücher¹⁶⁴ oder die Verbandszeitschrift¹⁶⁵ folgte die gesamte Struktur des ‚Wandervogels‘, der 1901 von Karl Fischer gegründet wurde, einem imaginär mittelalterlichem ‚Fahrenden Schülertum‘. Fischer stand dem Verein als „selbsternannter Oberbachant“ voran, die anderen Mitglieder aber waren untergliedert in „junge Scholaren und bewährte Burschen unter der Führung von Bachanten.“¹⁶⁶ Grund für diese Struktur ist hingegen die individuelle Begeisterung des Verbandsgründers für die mittelalterlichen Vaganten in einer diffusen idealisierenden Form.¹⁶⁷ Trotz aller Unterschiede zwischen den beiden gesellschaftlichen Gruppen (Studentenverbindungen und Wandervogel) ist die Rezeption des Musters vom Fahrenden Schüler in Liederbüchern und Vereinsstruktur ähnlich. Das hängt auch damit zusammen, dass sich beide auf die Zeit der Jugend (Schule und Studium) konzentrieren, die ältere Vereinsmitglieder als Idealzeit verklärten. Außerdem ist ihr eklektischer Mediävalismus auf eine harmonisierende Suche nach einem historischen (mitunter deutsch-germanischen) Wesenskern gerichtet. Der Rückhalt in der Historie ist dabei marginal.Was auch immer in das „selbstgemachte Bild vom ‚Ursprunglich-Schlichten‘  Kommersbuch für den deutschen Studenten. [Erste Auflage 1855]. Leipzig 121866, S. 293 f., hier S. 294.  Ottokar Kernstock: Aus dem Zwingergärtlein. Gedichte. München 91901, S. 73 – 76. Auf S. 73 (Anm. 1) heißt es: „Alter Bettelstudentenspruch. Deutsch etwa: Munter fahr’n wir durch die Welt | Nach Vagantenweise, | Bitten schön um Zehrungsgeld | Für die Weiterreise.“  Beispielsweise ist das Liederbuch fahrender Schüler für den Alt-Wandervogel (Berlin 1908) zu nennen. Auch der Zupfgeigenhansl. (hg. von Hans Breuer. 1. Auflage Darmstadt 1909) weist die paradoxe Situation auf, dass zwar nur wenige Lieder (weniger als 5 %) aus dem Mittelalter stammen, der Gestus und die Nomenklatur aber stark mediävalisierend ist. Vgl. dazu Horst Dieter Schlosser: Das Mittelalter im Lied deutscher Jugendbewegungen. Vom „Zupfgeigenhansl“ zur „Ougenweide“. In: Jahrbuch für Volksliedforschung 30 (1985), S. 54– 67, hier S. 59 f.  Der Fahrende Schüler. Monatsschrift für moderne Jugendbestrebungen 1911 ff.  Günter Köhler: Der Steglitzer Wandervogel 1896 – 1914. In: Gerhard Ille und Günter Köhler (Hg.): Der Wandervogel. Es begann in Steglitz. Berlin 1987, S. 54– 85, hier S. 64.  Vgl. Köhler: Wandervogel, S. 64 f.

13.4 Der Fahrende Schüler in Liedersammlungen, besonders bei Scheffel

591

hineinpaßt, wird hineingesteckt“,¹⁶⁸ was nicht hineinpasst „zugunsten gewünschter deutscher Wesenskonstanten ausgeblendet“.¹⁶⁹ Den beiden Gruppen geht es dabei auch um eine petitio principii, die das eigene Handeln legitimiert, indem sie es mit der Patina des erhabenen Alten überziehen. Ihr Traditionsverhalten richtet sich dabei jedoch meist auf diffuse Allgemeinplätze und, wenn sie konkrete Texte rezipieren, werden diese als Muster für ganze Epochen übergeneralisiert. Damit folgen sie dem Trend ihrer Zeit. Die Texte geben ebenso einen Einblick in eine spezifische Festkultur des 19. Jahrhunderts, von der auch die frühen Philologen (zumindest marginal) geprägt sein mussten, wenn sie die neuentdeckten Carmina Burana und ähnliche Texte euphorisch wandernden Scholaren zuschrieben und damit Grundlagen für die Lektüre und Interpretation der mittelalterlichen Literatur legten.

 Schlosser: Jugendbewegungen, S. 60.  Schlosser: Jugendbewegungen, S. 60. Diese Orientierung an implizitem deutschem Imperialismus ist umso prekärer, als sich der Wandervogel eigentlich kulturkritisch von dieser Weltanschauung distanziert.

Fünfter Teil

14 Zusammenfassung und Fazit Die grundlegenden Vorannahmen machen es notwendig, Texte aus verschiedenen Diskursen, Entstehungszusammenhängen, Jahrhunderten und Sprachen zu analysieren und komparatistisch in Beziehung zu setzen. Der Gefahr einer übermäßig spekulativen Konstruktion von Zusammenhängen ist dabei mit philologischer Präzision und einer Rückbindung an die materialen und historischen Überlieferungszusammenhänge (sofern ermittelbar) zu begegnen. Anhaltspunkte für eine Beantwortung der Frage, warum ein spezielles Muster aus der Tradition ausgewählt wurde, bieten in vielen Fällen der Kontext der Textproduktion oder auch das Netzwerk des Verfassers sowie die textimmanenten, strukturellen Funktionalisierungen. Indem die Einzelinterpretationen Gründe für die Reaktualisierung des traditionalen Musters eruieren, sind sie auch problemorientiert. Die vorliegende Studie versucht, alle diese Aspekte ausreichend zu beachten, und stellt damit ein Beispiel zur Verfügung, wie man eine avancierte motiv‐ oder mustergeschichtliche Analyse als partiale Literaturgeschichte schreiben kann. Diese soll über eine positivistische oder lexikographische Aneinanderreihung von Belegstellen, aber auch über unzusammenhängende Einzeltextinterpretationen hinausgehen. Die Analyse eines möglichst konkreten Gegenstands oder Begriffs (hier ‚Fahrender Schüler‘) ersetzt dabei Autor, Gattung oder Epoche als Leitkategorien der Orientierung und Anordnung von Wissen; oder vielmehr ergänzt eine Mustergeschichte diese Kategorien. Denn sie macht eine Untersuchung möglich, die – ähnlich wie ideen-, problem‐ oder mentalitätsgeschichtliche Studien – quer zu Autorencorpora und Textsorten ein (spezifisches) Phänomen in einer longue durée betrachtet. Als methodisches Werkzeug dient die Analyse von Traditionen als prozeduralen und dynamischen Reihen von Akteuren mit jeweils spezifisch begründetem Traditionsverhalten. Aus der Retrospektive des (wissenschaftlichen) Interpreten werden diese Traditionsreihen in einzelnen Spurensuchen aufgespürt. Heuristische Anhaltspunkte der Spuren bilden entweder Texte mit großer Wirkung auf die Zeitgenossen oder auf die Forschungsdiskussion. Einige ‚Traditionslinien‘, die wichtige Elemente im Muster des Fahrenden Schülers prägen und durch Spurensuchen rekonstruierbar sind, fasse ich kurz zusammen. Dabei folge ich nicht dem Aufbau der Arbeit und ihrer chronologischen Ordnung mit den Schritten um 1500/vor 1500/nach 1500, sondern einer thematischen Ordnung, die (weitgehend) quer zu den einzelnen Kapiteln erfolgt. Auch wenn sich die Linien immer wieder überschneiden und eigentlich nicht streng unterteilbar sind, versuche ich sie zur besseren Übersichtlichkeit zu differenzieren.

https://doi.org/10.1515/9783110708349-015

596

14 Zusammenfassung und Fazit

14.1 Traditionslinien 1: Der gelehrte Bettler – materielle Prekarität Als Referenzhorizont für alle durchgeführten Spurensuchen der Studie dient die Situation um 1500. Hier wird der Fahrende Schüler als Kategorie in der elaborierten Diskrimination von Bettlern und ‚Gaunern‘ erstmals als Ausdruck in mehreren Texten (v. a. bei Heinrich Bebel und im Liber Vagatorum) definiert. Es handelt sich um einen ‚Gaunertyp‘, der als mobiler angehender Gelehrter einfache Leute um Geld und Nahrung betrügt. Er tritt als Hochstapler auf, von dem sich die Menschen Hilfe durch sein okkultes Wissen erhoffen. Diese Praxis wird dadurch begünstigt, dass Schüler bis ca. 1500 eine privilegierte (rechtliche) Position unter den Bettlern einnahmen (vgl. Kapitel 5.1). Doch auch eine literarische Tradition, die den Fahrenden Schüler seit der Mitte des 14. Jahrhunderts als Schwankfigur kennt, liefert Anregungen für die literarische Darstellung (vgl. Kapitel 10.2). Während sich die Überlieferung der schwankhaften Literatur mit Fahrenden Schülern auf den Südosten des deutschsprachigen Raumes (v. a. Franken um Nürnberg) beschränkt, konzentrieren sich die Erstbelege in einigen anderen (z. T. sehr populären) Textsorten auf den Südwesten um Basel und Straßburg sowie auf die Zeit um 1430. Hier kongruieren die Erwähnung in den Planetenkindergedichten im Blockbuch, in Reformtexten (Reformatio Sigismundi) und in Bettlerkatalogen (Nota de fictis mendiciis) mithin räumlich, zeitlich und u. U. sogar in derselben Handschrift (vgl. Kapitel 10.3 und 10.4). Ganz ähnliche Konnotationen wie mit dem Fahrenden Schüler findet man bereits ab dem Anfang des 13. Jahrhunderts im Ausdruck lotterpfaffe, der mitunter als Synonym für vagus oder Fahrender Schüler gilt, sowie Ende des 15. Jahrhunderts im niederdeutschen boiffen oder buben (vgl. Kapitel 10.1 und 10.2.3). Im Zuge des Medienwandels kommt es zu einer räumlichen Entgrenzung des Diskurses. Denn der Liber Vagatorum, der um 1510 erstmals gedruckt und im Folgenden immer wieder neu herausgegeben wurde (u. a. von Luther), nimmt die vorgängigen Traditionen auf, prägt aber durch seine weite Verbreitung auch die Sprechweisen über den Fahrenden Schüler und schreibt eine Reihe einzelner Attribute zu einem Schema fest. Die ursprünglichen Überlieferungszusammenhänge werden dadurch verdeckt. Zahlreiche Texte des 16. (und z. T. 17.) Jahrhunderts beziehen sich im Folgenden auf das traditionale Muster (v. a. im Liber Vagatorum) und konstituieren so eine eigene literarische Tradition, die vornehmlich von den populären Gattungen der lateinischen Fazetie (Heinrich Bebel), des Fastnachtspiels (Hans Sachs) und der Schwanksammlung (Johannes Pauli, Burkard Waldis etc.) getragen wird. Dabei konzentriert sich die Figur auf Reaktualisierungen einzelner Erzähltypen wie den Schwänken von der ‚Verstellten Wiege‘, vom ‚Teufelsbannen‘ oder vom ‚Mann aus dem Paradies‘ (vgl. Kapitel 12.1 und 12.2). Im 17. Jahrhundert war der Vagant dann zwar eine beliebte Figur, die Schwankstoffe der vorgehenden Jahrhunderte aber werden kaum aufgenommen oder stark transformiert, sodass ebenfalls die Tradition vom Fahrenden Schüler maßgebliche Veränderungen erfährt; das betrifft auch die Bezeichnung

14.2 Traditionslinien 2: Der Vagantenorden – ständische Prekarität

597

‚Fahrender Schüler‘ (vgl. Kapitel 12.4). Der Ausdruck taucht erst wieder im 19. Jahrhundert im Gefolge einer erneuten Rezeption mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Literatur auf, bezieht sich jedoch ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf ein ganz anderes Phänomen (vgl. Kapitel 13).

14.2 Traditionslinien 2: Der Vagantenorden – ständische Prekarität Das gesteigerte Interesse am Muster des Fahrenden Schülers während des 19. Jahrhunderts geht auf die Wiederentdeckung einiger vormoderner Texte zurück. So werden im Zeichen des gelehrten Historismus ab der zweiten Jahrhunderthälfte die Carmina Burana einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht und auf Grundlage einer spezifischen akademischen Festkultur und mit dem Ziel nationalkultureller Selbstbehauptungen als Wurzel der eigenen Identität interpretiert (vgl. Kapitel 13.4). Die mittellateinischen Texte gelten als Werke lustig-verlotterter – natürlich deutscher – Vaganten, Goliarden oder ‚fahrender Scholaren‘, der Codex Buranus als deren Liederbuch. Dabei handelt es sich um eine generalisierende Überinterpretation und ‚Erfindung einer Tradition‘ aufgrund spezifischer Interessen einzelner Körperschaften. Dieses Verfahren, das sich keineswegs auf Deutschland beschränkt, hat das Ziel, die Leistungen des eigenen ‚Volkes‘ hervorzuheben und so die kulturelle Bedeutung der eigenen Nation in Europa zu erhöhen. Die Analyse des Codex Buranus und anderer Sammlungen aus dem 12./13. Jahrhundert zeigt jedoch, dass ‚Vagantenlieder‘ im engeren Sinne hier allenfalls marginal sind und die Thematik oft auf einzelne Strophen reduziert ist. Die Imagination eines ordo vagorum erweist sich als traditionales Muster, welches auf wenigen Texten basiert und durch die Parodie der stabilitas loci vor allem Missstände im Mönchtum kritisiert (vgl. Kapitel 7). Kirchliche Positionen sind auch für die Bewertung des ‚Fahrens‘ und der ‚Fahrenden‘ zentral. Seit der Patristik dominieren Verdikte gegen eine instabilitas, die als sekundäre Todsünde von der acedia abhängigt. Als invektives Stereotyp ist die vagatio seit der Regula Benedicti im Bild des gyrovagus präsent und bleibt es durch das ganze Mittelalter hindurch, was die iterative Diskreditierung von monachi fugitivi und scholares vagi am Beispiel der Erlasse einiger Salzburger Provinzialsynoden belegt (vgl. Kapitel 9.1). Im außermonastischen Diskurs ist die Bewertung (studentischer) Mobilität differenzierter: Sowohl in großen Didaktiken der Scholastik als auch in Universitätsprivilegien wird die Reise zum (Hoch‐)Schulort als notwendiges intellektuelles ‚Exil‘ bewertet. Neben einem Aufruf zur Barmherzigkeit dienen diese Urteile sowohl einer Selbstnobilitierung des Gelehrtenstandes als auch politischen Interessen (vgl. Kapitel 9.2.1 und 9.3.1). Das Zerrbild des vagierenden Schülers findet man in universitären Disziplinarakten (z. B. der Universität Heidelberg) vornehmlich als noctivagus, der weniger durch räumliche Unstetheit, sondern vielmehr durch (moralische) Devianz auffällt (vgl. Kapitel 9.2.2). In moralischen Texten aus dem Umfeld der

598

14 Zusammenfassung und Fazit

Schule in lateinischer (z. B. De disciplina scholarium oder Manuale scholarium) und deutscher Sprache (z. B. Der Renner) beschränkt sich die Darstellung studentischer Bewegung, die über die Anreise zum Studienort hinausreicht, auf eine Negativdidaxe oder auf satirische Elemente (vgl. Kapitel 9.3.2 und 9.3.3). In der legendarischen, exemplarischen und schwankhaften Kleinepik erweisen sich Schülerfiguren als besonders geeignet für bestimmte Erzähltypen: Durch ihre genuine Mobilität sind Schüler auf den ersten Blick besonders passend als Figuren in kleinepischen, prägnanten und pointierten Texten, da ihr Auftreten nicht eigens ausholend motiviert werden muss. Dennoch bedürfen gerade Schülerfiguren in der mittelhochdeutschen Versnovellistik bis ca. 1400 stets einer umfangreichen Exposition, wohl da sie noch nicht zum eingeführten und bekannten Personal der literarischen Reihe gehören (vgl. Kapitel 9.4). Insgesamt führten die weitgestreuten Beispielanalysen zu dem Ergebnis, dass in der Vormoderne die Mobilität von Schülern, Studenten oder Gelehrten ambivalent bewertet wurde: Als zielgerichtete migratio war sie notwendig und tolerierbar, als ziellose vagatio aber galt es als gefährdend und verdammenswert. Außerdem steht der Vagant außerhalb der ordentlichen Gesellschaftsstände. Diese ‚ständische Prekarität‘ hat der Vagant mit dem Schüler gemeinsam. Denn die Analyse von deutschen und lateinischen Ständelehren und ‐satiren (z. B. Sermones ad status oder Bußpredigten) zeigte, dass der Schüler und Student bis ins 13. Jahrhundert nur hinsichtlich seiner Lebensphase im Vergleich zum Lehrer oder Gelehrten (status aetatis) bewertet wurde und nicht als eigener Stand im Vergleich zu Bauer, Priester oder Ritter (status ordinis) gilt (vgl. Kapitel 8.1). Als ebensolche Zwischenfiguren finden Schüler und Studenten auch – erst nach dem Stricker – Eingang in die Kleinepik. Hier stehen die Schüler durch ihre genuinen Eigenschaften der (listigen) Klugheit und Gelehrsamkeit sowie ihre Mobilität und Affinität für amouröse Abenteuer oft explizit zwischen den etablierten Figuren des ritters und des pfaffen. Die Zwischenstellung der Schüler geht in der Versnovellistik mitunter mit einer geschlechtlichen Unbestimmtheit und Effeminierung der jungen Gelehrten einher (vgl. Kapitel 8.2). Neben der Differenzierung einzelner Stände nutzt die Bußpredigt das Narrativ eines verdammten ‚letzten Standes‘, von dem sich um 1400 der Vagant oder Fahrende Schüler als deviantes Derivat des Schülers entwickelte (z. B. im Buch der Rügen und in Des Teufels Netz, vgl. Kapitel 8.1.2). Um 1500 ergänzen satirische Texte in die ständische Differenzierung die Ergebnisse aus der Klassifizierung im Bettlerdiskurs und unterteilen die ‚Schüler-Narren‘ in den verlotterten Taugenichts und den Bettelschüler, respektive Fahrenden Schüler (vgl. Kapitel 5.2). Damit partizipieren sie an vorgängigen Elaborationen und Traditionen, schließen vage an diese an und aktualisieren sie.

14.3 Traditionslinien 3: Zauberei und Venusberg – ‚diabolische Prekarität‘

599

14.3 Traditionslinien 3: Zauberei und Venusberg – ‚diabolische Prekarität‘ Der Fahrende Schüler erweist sich seit den ersten Belegen des Ausdrucks in schwankhaften Reimpaarerzählungen als jemand, der mit dem Teufel verkehrt. Doch nur in den wenigsten Erzählungen steht er wirklich in Kontakt mit bösen Geistern; wenn dem aber so ist, dann versucht er, der Macht des Teufel zu entkommen – z B. in der „Vorauer Novelle“ oder der Legende vom Teufelspapst Silvester (vgl. Kapitel 9.4.1 und 10.1) – oder er treibt generell sein Spiel mit der infernalen Entität wie in Kaufringers „Der Teufel und der fahrende Schüler“ oder in den Teufelsszenen im Geistlichen Spiel (vgl. Kapitel 8.1.2 und 10.2.1). In den meisten Fällen jedoch ist der Fahrende Schüler dadurch gekennzeichnet, dass ihm seine Mitmenschen (oder Opfer) Kontakt zum Teufel und eine Kenntnis von Magie zuschreiben, was er dazu ausnutzt, sie zu übertölpeln oder zu betrügen. Schon in der frühen mittelhochdeutschen Versnovelle „Studentenabenteuer A“ (und verstärkt in der Version B, vgl. Kapitel 9.4.2) werden die Listhandlungen der Studenten durch magische Handlungen legitimiert; in den Versionen des Erzähltyps vom ‚Teufelsbannen‘ bei Rosenplüt, Sachs und anderen wird die inszenierte Teufelsbeschwörung erst durch die Unterstellung magischen Wissens möglich (vgl. Kapitel 10.2.1 und 12.2); in De vita vagorum, Der Boiffen Orden und Folz’ „Die drei Studenten“ ist das Vertrauen der abergläubischen (bäuerlichen) Bevölkerung Voraussetzung für den betrügerischen Gelderwerb (vgl. Kapitel 9.4.2 und 10.2.3). Diese Darstellung deckt sich mit der Präsentation des Fahrenden Schülers oder ‚Vagierers‘ als Teufelsbeschwörer aus dem Venusberg im Liber Vagatorum und anderen Texten der ‚Gaunerliteratur‘ (vgl. Kapitel 5.3). Der Fahrende Schüler nutzt also Gutgläubigkeit und Aberglauben aus, um sich selbst unter der Maske des gelehrten ‚Nigromanten‘ zu bereichern. Er spielt den Teufel(‐sbanner). Damit passt die altsprachliche Bezeichnung – lat. Diabolus, griech. Διάβολος von διαβάλλειν ‚durcheinanderwerfen‘, ‚verwirren‘ – cum grano salis auch auf den betrügerischen Beschwörer. Denn der Fahrende Schüler ‚wirft‘ die geordneten Verhältnisse ‚durcheinander‘, ohne dass er des leibhaftigen Teufels bedarf. Erst ab der Frühen Neuzeit findet der Fahrende Schüler auch Eingang in den elaborierten Magiediskurs, und zwar bei Conrad Gessner und dann Jakob Thomasius (vgl. Kapitel 12.3.4). In der Zimmerischen Chronik sind die Darstellungen der (mitunter tatsächlich zaubernden) Fahrenden Schüler durch die Figur des Possenreißers Peter Schneider in hohem Maße unzuverlässig und stehen nah an schwankhaften Erzählformen (vgl. Kapitel 12.3.1). Gessner jedoch integriert ihn in seine ‚große Erzählung‘ als Nachfahren der zaubernden Druiden. Dabei hat er den Ausdruck und seine Konnotationen aus schwankhaft-lierarischen Texten oder aus dem juristischen Umfeld entlehnt, zumal Fahrende Schüler aus dem Venusberg ab dem 16. Jahrhundert – wohl in Anlehnung an die Terminologie des Liber Vagatorum – auch in Prozessprotokollen auftauchen (vgl. Kapitel 12.3.2). Bei den meisten (hauptsächlich protestantischen) Schriftstellern und Gelehrten, z. B. bei Jakob Thomasius, dient eine Datierung des

600

14 Zusammenfassung und Fazit

Phänomens in eine abergläubische ‚dunkle‘ Vergangenheit ebenso einer Diskreditierung des ‚alten Glaubens‘ (vgl. Kapitel 12.3.4). Aus den genannten Kontexten resultiert dann die Darstellung des Fahrenden Schülers als Teufelsfigur und Schatzgräber bei Grimmelshausen (vgl. Kapitel 12.4.2). Goethe rückt den ‚diabolisch prekären‘ Status des scholasticus vagans schließlich von der Peripherie ins Zentrum, wenn im Faust der Teufel Mephistopheles selbst als ‚Fahrender Scholast‘ hinter dem Ofen hervortritt.

14.4 Fazit Der Fahrende Schüler ist ein Resultat literarischer und administrativer Darstellungen, die in der Frühen Neuzeit wechselseitig aufeinander aufbauen und auf das allgemeine Gesellschaftsbild einwirken. In allen Fällen markiert die Bezeichnung ‚Fahrender Schüler‘ soziale Devianz oder sogar Delinquenz. Es zeigte sich jedoch, dass die Darstellung im Policey-Schrifttum, welches im Umfeld einer Veränderung des Armutsdiskurses um 1500 entstand, auf älteren Mustern der literarischen Tradition aufbaut. Auf diese konnten sich die juristischen Akteure des frühneuzeitlichen Verwaltungsstaates beziehen. Dabei ist es sekundär, ob es Fahrende Schüler oder lotterpfaffen tatsächlich gab; denn man kann diese auch verfolgen, wenn es sie nicht gibt. Stereotype und Muster von Devianz stellen schematisierte Figurentypen und Narrative zur Verfügung, welche eine Kriminalisierung bestimmter Praktiken (z. B. zielloser Mobilität) begünstigen. Das Unkontrollierbare wird so zumindest einer terminologischen Kontrolle unterzogen. Jene Prozesse würden jedoch ohne eine literarische Formierungsphase, die Begriff und Muster ausarbeitet, ins Leere laufen. Die ermittelten Aspekte decken sich auch mit empirischen Ergebnissen der Geschichtswissenschaft, die nahelegen, die wissenschaftliche Bewertung studentischer Mobilität in der Vormoderne zu revidieren. Hier hätten sich nämlich Narrative aus der frühen Mediävistik des 19. Jahrhunderts sedimentiert. Der intrikaten Stellung des Figurentypus zwischen historischer Realität und literarischer Fiktion versucht die Arbeit mittels einer theoretischen Reflexion gerecht zu werden, die sich auf Vorannahmen zum gesellschaftlich Imaginären stützt, welches Gesellschaftsbilder prägt und damit Sprech- und Denkmuster zur Verfügung stellt. Diese Gesellschaftsbilder formieren sich in einem Prozess zirkulärer Implikation zwischen (literarischen) Texten und (realen) Praktiken. Die Muster hingegen sind das Resultat literarischer Traditionen. Knüpft man an der Tradition des ‚Fahrenden Scolasten‘ im Faust an, gelangt man unweigerlich auch zu Thomas Mann. Im berühmten 25. Kapitel des Doktor Faustus (1947) begegnet Adrian Leverkühn dem Teufel in Gestalt eines ‚modernen‘ Fahrenden Schülers. Dieser vereinigt in sich die Eigenschaften materieller, gesellschaftlichständischer und ‚diabolischer‘ Prekarität, wenn er als verlotterter (Sitten‐)Strolch, als ‚Lude‘ und ‚Strizzi‘ auftritt, selbst aber nur diese Rollen spielt:

14.4 Fazit

601

Ist ein Mann, eher spillerig von Figur, längst nicht so groß wie Sch[ildknapp], aber auch kleiner als ich, – eine Sportmütze übers Ohr gezogen, und auf der andern Seite steht darunter rötlich Haar von der Schläfe hinauf; rötliche Wimpern auch an geröteten Augen, käsig das Gesicht, mit etwas schief abgebogener Nasenspitze; über quer gestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln, aus denen die plumpfingrigen Hände kommen; widrig knapp sitzende Hose und gelbe, vertragene Schuhe, die man nicht länger putzen kann. Ein Strizzi. Ein Ludewig. Und mit der Stimme, der Artikulation eines Schauspielers.¹

 Thomas Mann: Doktor Faustus. Mit Kommentar. 2 Bde., hg. von Ruprecht Wimmer. Frankfurt a. M. 2007, Bd. 1, S. 327 [Herv. P. R.]. Dabei waren Thomas Mann die Imaginationen der frühneuzeitlichen Schwankfigur durchaus bekannt. Vgl. Mann: Doktor Faustus, Bd. 2, S. 560.

Anhang

Abbildungen

Abb. 1: Hans Folz: Item von dreyen studenten die vm ein aller schonste wirtin pulten. Nürnberg: Hans Folz 1480 (GW 10127). Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 183, Vorsatz verso; urn:nbn:de: bvb:12-bsb00027019-8. https://doi.org/10.1515/9783110708349-016

606

Abbildungen

Abb. 2: Der Boeven Orden. Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 2667, fol. 356r.

Abbildungen

607

Abb. 3: Liber Vagatorum. Der Betler Orden. Staatsbibliothek zu Berlin – PK, Abteilung Historische Drucke, Yc 3211 : R, Titelblatt; URL: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN= PPN835541681&PHYSID=PHYS_0005&DMDID=

608

Abbildungen

Abb. 4: Sebastian Brant (Text)/Albrecht Dürer (Bebilderung): Das Narrenschiff, Kap. 63 Von bettleren. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 121, S. 158; urn:nbn:de:bvb:12-bsb00036978-3.

Abbildungen

609

Abb. 5: Sebastian Brant (Text)/Albrecht Dürer (Bebilderung): Das Narrenschiff, Kap. 27 Von vnnutzem studieren. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 121, S. 74; urn:nbn:de:bvb:12-bsb00036978-3.

610

Abbildungen

Abb. 6: Basler Planetenblockbuch (Venus). Bibliothek Otto Schäfer Schweinfurt, OS 1033, fol. 5v; urn: nbn:de:bvb:12-bsb00039824-6.

Abbildungen

611

Abb. 7: Basler Planetenblockbuch (Luna). Bibliothek Otto Schäfer Schweinfurt, OS 1033, fol. 7v; urn: nbn:de:bvb:12-bsb00039824-6.

612

Abbildungen

Abb. 8: Passauer Kalendar (Luna). Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, 2° MS. astron., fol. 64r; URL: https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/view er/rest/image/1300793634809/00000129.tif/full/!2000,2000/0/default.jpg.

Abbildungen

613

Abb. 9: Passauer Kalendar (Saturn). Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, 2° MS. astron., fol. 76v; URL: https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/view er/rest/image/1300793634809/00000154.tif/full/!2000,2000/0/default.jpg

614

Abbildungen

Abb. 10: Jacobus de Cessolis: Liber de ludo scaccorum, übers. ins Frz. von Jean de Vignay. Bibliothèque nationale de France, Bibliothèque de l’Arsenal Paris, Ms.-5107, fol. 69v; URL: https://gallica.bnf.fr/ ark:/12148/btv1b8458138q/f144.item.zoom.

Abb. 11: Planetenkinderzeichnung. Bayerische Staatsbibliothek München, Cod. lat. mon. 4394, fol. 71v; urn:nbn:de:bvb:12-bsb00110794-5.

Abbildungen

Abb. 12: Planetenkinderzeichnung. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085, fol. 26r; URL: https://digital.onb.ac.at/RepViewer/viewer.faces?doc=DTL_2945848&order=1&view=SINGLE.

615

616

Abbildungen

Abb. 13: Mittelalterliches Hausbuch (Planetenkinderbild Luna). Privatbesitz, fol. 17r; Abdruck nach: Christoph Graf zu Waldburg Wolfegg (Hg.): Venus und Mars. Das mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg, München 1997.

Abbildungen

617

Abb. 14: Hieronymus Bosch: Der Gaukler, Musée municipal Saint-Germain-en-Laye, 872.1.87; Quelle: 10.000 Meisterwerke der Malerei. Von der Antike bis zum Beginn der Moderne, ausgewählt von Ines Borchart. Berlin 2001, CD-ROM.

618

Abbildungen

Abb. 15: Balthasar van den Bos: Goochelaar (nach Jheronimus Bosch, Antwerpen 1528–1580), Rijksmuseum Amsterdam, RP-P-1892-A-17506; URL: https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/RP-P-1892A-17506.

Abbildungen

619

Abb. 16: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Deß Wunderbarlichen Vogelnests zweiter theil. Badische Landesbibliothek Karlsruhe, KK 410,2, Titelkupfer; URL: https://digital.blb-karlsruhe.de/ blbihd/content/pageview/65039.

620

Abbildungen

Abb. 17: Anonyme Xylographie (Holzstich). In: Die Gartenlaube 1897, Heft 39, S. 645, Bildunterschrift „Fahrende Schüler im Lager. Nach einem Gemälde von H. Heim [d. i. Heinz Heim]; URL: https://upload. wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5d/Die_Gartenlaube_%281879%29_b_645.jpg.

Abbildungen

621

Abb. 18: Joseph Victor von Scheffel: Wanderlied Urmanuskript (1859), Museum für Literatur am Oberrhein Karlsruhe 1430; Quelle: Gutgesell, Natalie: „Da hat Herr Scheffel etwas dazu gedichtet“. Joseph Victor von Scheffel als bildender Künstler. 2 Bde. Halle a. Saale 2014, Bd. 2, S. 171, Kat.-Nr. 152.

Abkürzungsverzeichnis Wörterbücher Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854 – 1866. Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis von Lorenz DiefenDiefenbach: bach. Nachdr. der Ausg. Frankfurt am Main, 1857. Darmstadt 1997. Glossarium mediæ et infimæ latinitatis. 10 Bde. Paris 1883 – 1887. DuCange: DRW: Deutsches Rechtswörterbuch. Bisher 13 Bde. Weimar 1914 – 2018. DWB: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 33 Bde. Leipzig 1854 – 1971 FWB: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Bisher 9 Bde. Berlin, New York 1986 – 2013. Georges: Ausführliches lateinisch–deutsches Handwörterbuch. 2 Bde., hg. von Karl Ernst Georges. Hannover 81995 (ND als Der neue Georges, hg. von Thomas Baier, bearb. von Tobias Dänzer. Darmstadt 2013). Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, hg. von Mattias Lexer. 3 Bde. Stuttgart 1869 – 1974. LSJ: A Greek-English lexicon, hg. von Henry George Liddell und Robert Scott, 9. Auflage von Henry Stuart Jones und Roderick McKenzie. Oxford 1940 (Neudruck: Oxford 1996) MLW: Mittellateinisches Wörterbuch. Bis zum 13. Jahrhundert. Bisher 3 Bde. München 1967 – 2007. Niermeyer: Mediae Latinitatis lexicon minus. Lexique latin médiéval [1976], hg. von Jan Frederik Niermeyer und Co van de Kieft. Darmstadt 22002. Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet von einem Autorenkollektiv des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft, hg. von Wolfgang Pfeifer. 3 Bde. Berlin 1989 Schiller/Lübben: Mittelniederdeutsches Wörterbuch. 6 Bde., hg. von Karl Schiller und August Lübben. Bremen 1875 – 1881 TGL: Thesaurus Graecae Linguae, hg. von Enri Estienne. 8 Bde. Paris 1831 – 1865 (Neudruck: Graz 1954). TLL: Thesaurus Linguae Latinae. Leipzig/München/Berlin. Bisher 11 Bde. 1900 – 2012. Tobler-Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch Adolf Toblers, berab. und hg. von Erhard Lommatzsch u. a. 12 Bde. Stuttgart 1925 – 2018. BMZ:

Lexika AA.SS.: AKL:

ÄsthG:

Acta Sanctorum. 68 Bde., hg. von der Société des Bollandistes. Antwerpen, Brüssel, Paris u. a. 1643 – 1940. Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Bisher 105 Bände, begr. von Günter Meißner. München, Leipzig 1992 – 2010 und Berlin 2010 – 2019. Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch. 7 Bde., hg. von Karlheinz Barack, Martin Fontius, Dieter Schlenstedt u. a. Stuttgart, Weimar 2000 – 2005.

https://doi.org/10.1515/9783110708349-017

624

EM:

Abkürzungsverzeichnis

Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. 15 Bde., hg. von Rolf Wilhelm Brednich und Hermann Bausinger. Berlin, New York 1977 – 2015. GG: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde., hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Stuttgart 1972 – 1997. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bde., hg. von Hanns BächtoldHdA: Stäubli und Edurad Hoffmann-Krayer, Berlin 1927 – 1942. Neuauflage hg. von Christoph Daxelmüller. Berlin, New York 1987. Historisches Wörterbuch der Philosophie. 13 Bde., hg. von Joachim Ritter und KarlHWPh: fried Gründer, neu bearbeitet von Rudolf Eisler. Basel 1971 – 2007 LexMA: Lexikon des Mittelalters. 10 Bde., hg. von Robert-Henri Bautier mit Gloria AvellaWidhalm und Robert Auty. München, Zürich 1980 – 1999. Das Mittelalter: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter. 8 Bde., hg. von Wolfgang Achnitz. Berlin, Boston 2011 – 2016. NDB: Neue deutsche Biographie. Bisher 26 Bde., hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1953 – 2016. 2 RLG: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 5 Bde., begründet von Paul Merker und Wolfgang Stammler. 2. Auflage hg. von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. Berlin, New York 21958 – 1988. RLW: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. 3 Bde., hg. von Klaus Weimar, gemeinsam mit Harald Fricke, Klaus Grubmüller und Jan-Dirk Müller. Berlin, New York 1997 – 2003. TPMA: Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. 13 Bde., begründet von Samuel Singer, hg. vom Kuratorium Singer. Berlin, New York 1995 – 2002. VD16: Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts. 25 Bde. Stuttgart 1983 – 2000. Zitiert nach den üblichen Abkürzungen in https://www.bsb-muenchen.de/sammlungen/historische-drucke/recherche/vd-16/ (Stand: 15. 7. 2019). VD17: Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts. Zitiert nach den Angaben in http://www.vd17.de/ (Stand: 15. 7. 2019). VD18: Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts. Zitiert nach den Angaben in https://gso.gbv.de/DB=1.65/ (Stand: 15. 7. 2019). VL: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 5 Bde., hg. von Wolfgang Stammler (Bde. 1/2) und Karl Langosch (Bd. 3 – 5). Berlin, Leipzig 1933 – 1955. 2 VL: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 14 Bde., hg. von Kurt Ruh gemeinsam mit Gundolf Keil (Bde. 1 – 8), Burghart Wachinger (Bde. 9 – 11) u. a. Berlin, New York 21978 – 2008. HumVL: Deutscher Humanismus 1480 – 1520 Verfasserlexikon. 3 Bde., hg. von Franz Josef Wortsbrock. Berlin, New York 2008 – 2015. VL16: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. 7 Bde., hg. von Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Michael Schilling u. a. Berlin, Boston 2011 – 2019. VL17: Frühe Neuzeit in Deutschland 1620 – 1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bisher 1 Bd., hg. von Stefanie Arend, Bernhard Jahn, Jörg Robert u. a. Berlin, Boston 2019. Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. 68 Bde., hg. von Johann Heinrich Zedler. Halle a. S., Leipzig 1731 – 1754.

Abkürzungsverzeichnis

625

Übrige Abkürzungen Bibelstellen sind unter Verwendung der gängigen Abkürzungen (Loccumer Richtlinien) zitiert und folgen der Ausgabe: Biblia sacra. Vulgata, hg. von Robert Weber Robertus Weber, bearb. von Bonifatius Fischer und Roger Gryson. Stuttgart 52007. ATU:

The types of International Folktales. A Classification and Bibliography, based on the System of Anttli Aarne and Stith Thompson, hg. und überarb. von Hans-Jörg Uther. 3 Bde. Helsinki 2004 (FF communications, Bde. 284 – 286/133 – 135). BmE: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung BT: Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana BLV: Bibliothek des Lit(t)erarischen Vereins in Stuttgart CSEL: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum DVjs: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte DVN: Deutsche Versnovellistik des 13. bis 15. Jahrhunderts. 6 Bde., hg. von Klaus Ridder und Hans-Joachim Ziegeler. Berlin 2020. GAG: Göppinger Arbeiten zur Germanistik GRM: Germanisch-Romanische Monatsschrift HZ: Historische Zeitschrift IASL: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur JbUG: Jahrbuch für Universitätsgeschichte LiLi: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik MGH: Monumenta Germaniae historica MlatJb: Mittellateinisches Jahrbuch MTU: Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters N.F.: Neue Folge NRCF: Nouveau Recueil Complet des Fabliaux, hg. von Willem Noomen und Nico H. J. van den Boogard. Assen 1983 – 1998. OCT: Oxford Classical Texts; Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis PBB: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur PL: Jacques Paul Migne (Hg.):Patrologiae cursus completus/ series latina/ sive Bibliotheca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica, omnium ss. patrum, doctorum scriptorumque ecclesiasticorum, qui ab aevo apostolico ad usque Innocentii III tempora floruerunt […] Paris 1844 – 1855. WA: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe. 120 Bde. Weimar 1883 – 2009. ZfdA: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur ZfdPh: Zeitschrift für deutsche Philologie ZfG: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZHF: Zeitschrift für Historische Forschung

Literaturverzeichnis Auch wenn die Aufteilung in Quellen und Forschungsbeiträge an manchen Stellen nicht problemlos möglich ist, folge ich zur besseren Übersichtlichkeit dennoch dieser Praxis. Artikel in Lexika sind im Literaturverzeichnis nicht gesondert aufgeführt. Handschriften und Drucke, von denen eine wissenschaftliche Edition vorliegt, nenne ich nur gesondert, wenn der Text auf eine konkrete Handschrift oder einen konkreten Frühdruck eingeht. Digitalisate der großen Bibliotheken, die an bekannten Stellen veröffentlicht sind, sind nicht eigens angegeben. Bei der alphabetischen Reihung werden (bestimmte und unbestimmte) Artikel nicht berücksichtigt.

Quellen Handschriften (alphabetisch sortiert nach den Orten der Bibliotheken) Altitonans celicola: Admont, Stiftsbibliothek Cod. 443, Deckblatt (auch in Wien, ÖNB Cod. 4134, fol. 193r und Schlägl, Stiftsbibliothek, Codex Plagensis 102, S. 19 – 21). Briefe über den Austausch eines ‚Gilerkatalogs‘: Basler Staatsarchiv, Missiven I, 101; Abdruck in Assion: Matthias Hütlin und sein Gaunerbüchlein, S. 77. Prozessprotokolle Basel 1407: Staatsarchiv Basel-Stadt: Ratsbücher A 3 Leistungsbuch II, 1390 – 1473. Hugo von Trimberg: Der Renner. Berlin, SB, Ms. germ. fol. 1190 (auch in Pommersfelden, Gräfl. Schönbornsche Schloßbibl., Cod. 155 [olim 2715]; Berlin, SB, Ms. germ. qu. 578 und Hamburg, Staats- und Universitätsbibl., Cod. germ. 3). Berthold von Regensburg: Predigten. Brüssel, Königl. Bibl., ms. 11083 – 84 (Kat.-Nr. 2042). Der Boiffen Orden. Darmstadt, ULB, Hs. 2667, fol. 356r–356v. Berthold von Regensburg: Predigten. Heidelberg, UB, Cod. pal. germ. 24. Matthias von Kemnat: Chronik Friedrich I. des Siegreichen. Heidelberg, UB, Cod. Heid. N.F. 9 und Heidelberg, UB, Heid. Hs. 3599. Neuburger Kapellinventar: Heidelberg, UB, Cod. pal. germ. 318. Passional. Heidelberg, UB, Cod. pal. germ. 341 (auch: Cologny, Bibl. Bodmeriana, Co. Bod. 72). Planetenkindergedicht in: Heidelberg, UB, Cod. pal. germ. 438. Passauer Kalendar. Landes- und Murhardsche Bibliothek Kassel, UB/LMB 2° MS. astron. 1. Ordo Vagorum in Leipzig, UB, Ms. 1250. fol. 33r (auch in München, BSB, Cod. lat. mon. 18910, fol. 193v; Prag, Nat. Bibl., V G 17, fol. 96v; Volterra, Bibl. Guarnacci 100 (8653), fol. 13v–14r; Třeboň Státní Archiv, A 7, fol. 147v–148r; Pécs, Bischöfliche Bibliothek [Püspöki Könyvtár], DD. III. 18, S. 85, URL: https://archives.hungaricana.hu/hu/charters/2093). Prozessprotokolle Luzern 16. Jh.: Staatsarchiv Luzern. Turmbuch (1594 – 1599) COD 4480; Turmbuch (1576 – 1581) COD 4450; Turmbuch (1600 – 1603) COD 4485. Älteres Augsburger Liederbuch: München, BSB, Cod. germ. mon. 379. Ed. in Bolte: Augsburger Liederbuch (Nr. 70) und in Classen: Liederbücher (Nr. 96). Codex Buranus. München, BSB, Cod. lat. mon. 4660. Der Wiletzkinder Vasnacht: München, BSB, Cod. germ. mon. 714, fol. 382r–384v. Ed. in Keller Fastnachtspiele, Bd. 2, S. 688 – 691. Johannes Schlitpacher: Postilla regulae (1443). München, BSB, Cod. lat. mon. 22111. Losbuch Konrad Bollstatters, München, BSB, Cod. germ. mon. 312. Planetenkindergedicht in: München, UB, 8° cod. ms. 339, fol. 42v. Planetenkindergedicht in: München, BSB, Cod. germ. mon. 558, fol. 153r. Planetenkindertraktat in: München, BSB, Cod. lat. mon. 4394, fol. 72r–72v. https://doi.org/10.1515/9783110708349-018

Quellen

627

Jacobus de Cessolis: Liber de ludo scaccorum, übers. ins Frz. von Jean de Vignay Paris, BnF, Bibliothèque de l’Arsenal, Ms. 5107. Peter Krebs von Sesslach (Praeses): Quaestiones minus principales. Rom, BAV, Cod. pal. lat. 870 fol. 144v–154r. Planetenkindergedicht in: Rom, BAV, Cod. pal. lat. 1370, fol. 146r. Betrügnisse der Gyler: Bibliotèque national et régionale Strasbourg, Ms. 626, fol. 91v–98v. Froben Christoph von Zimmern: Chronik. Stuttgart. Württ. LB, Don. Hs. 580 (B) und 581 (A). De multiplici genere mendicantium und Vocabularium vagantium. In: Szombathely, Diözesanbibliothek (Egyházmegyei Könyvtár), cod. 7, S. 546 – 550, 544 und S. 564 – 566; Digitalisat über http://web.unideb.hu/~tkis/sl/codex.pdf. Crusius, Martin: Diarium. 9 Bände. Bd. 4. Tübingen, UB, Mh 466 – 4. Tübinger Hausbuch. Iatromathematisches Kalenderbuch; die Kunst der Astronomie und Geomantie. Tübingen, UB, Md 2. Prozessprotokolle Überlingen 1596: Stadtarchiv Überlingen, Blutbuch I, 39, 396 (1559 – 1623). Planetenkindergedicht in: Wien, ÖNB, Hs. 3085, fol. 25v f. Urkundenparodie von St. Pölten: Wien, Haus-, Hof‐ u. Staatsarchiv, Hs. B 356, fol. 68v, URL: https://www.archivinformationssystem.at/bild.aspx?VEID=12675&DEID=10&SQNZNR=66. Vom Tanawäschel: Wolfenbüttel, HAB, Cod. 18.12 Aug. 4o, fol. 323r–328v. Ed. in Fastnachtspiele, hg. von Keller, Bd. 1, S. 468 – 476. Edlibach, Gerold: Rotwelsch Vocabularium. Zürich, Staatsarchiv, W I 3.21. Gallus Kemli: Nota de fictis mendicis. In: Diversarius multarum [materiarum]. Zürich, ZB, Ms. C 101, fol. 110r. Ed. in Werner: Beiträge, S. 165. Das mittelalterliche Hausbuch (sog. Hausbuch von Schloss Wolfsegg), in Privatbesitz (wohl August Baron von Finck). Faksimile: München 1997.

Frühneuzeitliche Drucke des 15.–16. Jahrhunderts Adelphus, Johann: Margarita facetiarum. Straßburg: Grüninger 1508 (VD16 A 233, ben. Ex.: München, BSB, 4 Rem. IV 1935). Aventinus, Johannes [Johann Georg Turmair]: Annalium Boiorum Libri Septem. Ingolstadt: Alexander Weißenhorn II. und Samuel Weißenhorn 1554 (VD16 T 2318, ben. Ex.: Regensburg, Staatl. Bibl. 999/Bav.936). Bale, John: Scriptorum illustrium maioris Brytanniae, quam nunc Angliam & Scotiam vocant: Catalogus. Basel: Johannes Oporinus 1557 (VD16 B 226, ben. Ex.: München, BSB, 2 H.lit.p. 14 – 1). Basler Planetenkindergedichte in: Schweinfurt Bibl. Otto Schäfer Schweinfurt [Blockbuch, Basel ca. 1465/70]. OS 1033. Bebel, Heinrich: Commentaria Epistolarum Conficiendarum, Straßburg: Johann Grüninger 1506 (VD16 B 1173, ben. Ex.: München, BSB, 4 Epist. 23 e); hier: Castigatio Commentariorum, fol. 171v–173v und der Brief Heinrich Bebels an Benedikt Farner, fol. 173v–175v. Bebel, Heinrich: Commentaria Epistularum Conficiendarum, Pforzheim: Thomas Anselm 1508 (VD16 B 1174, ben. Ex.: München, BSB, 4 Epist. 23 h). Bebel, Heinrich: Triumphus Veneris Henrici Bebelij poetae laureati cum commentario Ioannis Altenstaig Mindelheimensis. Straßburg: Matthias Schürer 1515 (VD16 B 1304, ben. Ex.: München, BSB, Rem. IV 1936). Bebel, Heinrich: Geschwenck Henrici Bebelij. o. O: o. D. 1558 (VD16 B 1222, ben. Ex.: München, BSB, L.eleg.m.111c). Boccaccio, Giovanni, deutsch von Arigo. Ulm: Johann Zainer d. Ä. um 1473 (GW 4451, ben. Ex.: München, BSB, 2 Inc.s.a. 218).

628

Literaturverzeichnis

Boethius, Anicius Manlius Severinus: De consolatione philosophiae, mit Kommentar von Pseudo-Thomas Aquinas [Thomas Waleys] und Jodocus Badius Ascensius. Mit einer Vorrede an Etienne Gueynard von Jodocus Badius Ascensius, hg. von Conradus Poseiaen. Lyon: Jean de Vingle für Etienne Gueynard 1498 (GW 4569, ben. Ex.: München, BSB, Ink B-612). Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Holzschnitte von Albrecht Dürer, vom Meister des Haintz Narr u. a., Basel: Johann Bergmann 1494 (GW 5041, ben. Ex.: München, BSB, Rar. 121). Büttner, Wolfgang: Epitome Historiarum christlicher ausgelesener Historien und Geschichten. o. O. 1576 (VD16 B 9220, ben. Ex.: München, BSB, Res/2 Catech. 5). Crusius, Martin: Annales Svevici. Frankfurt a. M.: Nikolaus Basse 1595/1596 (VD16 C 6103, ben. Ex.: Tübingen, UB, L I 24.2 – 3); dt. als: Schwäbische Chronick, erw. und übers. von Johann Jacob Moser. Frankfurt a. M.: Metzler und Erhard 1733. Der Boiffen Orden. Köln: Johann Koelhoff d. Ä. um 1492 (GW 4613, Ex. in Cambridge (Mass.), Houghton Library Inc 1083.6); Abdruck in Frantzen/Hulshof: Kölner Schwankbücher, S. 27 – 41. Der Boven Orden. Köln: Heinrich von Neuß um 1508. (VD16 B 6830, ben. Ex: Koninklijke Bibliotheek ’s-Gravenhage, KW 230 E 13). De Barta et marito eius per studentem Parisiensem subtiliter deceptis. In: Libellus a magistro Petro de Rivo editus, quomodo omnia in meliorem sunt partem interpretanda. Leiden: Jan Seversz 1509 (Ex.: Deventer, Athenaeumsbibliothek, NK 1708), fol. E1r–E4r. Eyn Neüwe Gedicht Wie die Lantbescheisser/ Zwyecker/ Orenbeysser/ Bleer/ Meinster/ Heylig man/ vnd Stoͤ rck/ Die Freyen vnd Voperten (Das sein die einfaltigen/ Auch etwan die Fürwytzigen und Geytzygen/ über dye Hellergen) Betrygen/ Leychen/ vnd überfüren/ deren viele ir fürwytz gebüßt wirdt. Oppenheim: Jacob Koebel 1520 (VD16 K 1658, ben. Ex.: Wien: ÖNB, *35.R.303). Fischart, Johann: De magorvm Daemonomania. Straßburg: Bernhard Jobin 1581 (VD16 B 6269, ben. Ex.: München, BSB, Phys.m. 19 b). Neuedition hg. von Tobias Bulang und Nicolai Schmitt (in Vorb.). Flacius, Matthias: Von der h. Schrifft vnd jrer wirckung, widder Caspar Schwenckfeld. Magdeburg: Michael Lotter 1553 (VD16 F 154, ben. Ex.: München, BSB, 4 Polem. 1232). Flacius, Matthias: Varia doctorum piorumque virorum, de corrupto ecclesiae statu poemata. Basel: Ludwig Lucius 1557 (VD16 F 1509, ben. Ex.: München, BSB, Res/P.o.lat. 1175). Folz, Hans: Item von dreyen studenten die vm ein aller schonste wirtin pulten, Nürnberg: Hans Folz 1480 (GW 10127, ben. Ex.: München BSB, Rar. 183). Franck, Sebastian: Sprichwörter, schöne, weise Klugreden. Frankfurt/Main: Egenolff 1548 (VD16 F 2125), S. 25r (Neudruck: Darmstadt 1972). Frisius, Paul: Deß Teuffels Nebelkappen. Frankfurt am Main: Wendel Humm 1583 (VD16 F 3023, ben. Ex.: München, BSB, 4 Phys.m. 58). Gallus, Jodocus: Monopolium et societas vulgo Des liechtschiffs. In: Directorium statuum seu verius tribulatio seculi, hg. von Jakob Wimpfeling. Straßburg: Peter Attendorn (GW 8476, ben. Ex.: Wolfenbüttel, HAB A: 53 Quod. 13), fol 29v–35r. Gast, Johannes: Convivalium Sermonum Liber. Basel: Bartholomäus Westheimer 1541 (VD 16 G 525; ben. Ex.: München, BSB, L.eleg.m. 1347 n). Geiler von Kaysersberg, Johannes: Nauicula siue speculum fatuorum, übers. und hg. von Jacob Otther. Mit einer Lebensbeschreibung durch Beatus Rhenanus. Straßburg: Matthias Schürer 1510 (VD16 G 777, ben. Ex.: München, BSB, 4 P.lat. 728 a). Geiler von Kaysersberg, Johannes: Christlich bilgerschaft zum ewigen vaterland, bearb. von Jacob Otther. Basel: Adam Petri 1512 (VD16 G 727, ben. Ex.: München, BSB, Res/2 P.lat. 874). Geiler von Kaysersberg, Johannes: Die Emeis. Dis ist das buch von der Omeissen. Straßburg: Johann Grüninger 1516 (VD16 G 714, ben. Ex.: München, BSB Res/2 J.pract.10 m). Geiler von Kaysersberg, Johannes: Welt Spiegel oder Narren Schiff, übers. von Nicolaus Höniger. Basel: Sebastian Henricpetri 1574 (VD16 G 781, ben. Ex.: München, BSB, Res/P.lat. 1290).

Quellen

629

Gessner, Conrad: Mithridates. De Differentiis Linguarum. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. 1555 (VD16 G 1767, ben. Ex.: München, BSB, Polygl. 71). Gessner, Conrad: Descriptio Montis Fracti, siue Montis Pilati, iuxta Lucernam in Heluetia. In: Conradi Gesneri Medici, De Raris Et Admirandis Herbis. Zürich: Andreas und Hans Jakob Geßner 1555, S. 43 – 67 (VD16 G 1713 in VD16 G 1793, ben. Ex.: München, BSB, 4 Phyt. 106). Gessner, Conrad: Epistolarum medicinalium libri III. Zürich: Christoph Froschauer d. J. 1577 (VD16 G 1719, ben. Ex.: München, BSB, 4 Med.g. 93). Goldtwurm, Kaspar: Wunderwerck und Wunderzeichen […]. Frankfurt a. M.: David Zöpfel 1557 (VD16 G 2602, ben. Ex. München, BSB, Res/4 H.misc. 105). Hessus, Helius Eobanus: De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda. [Erfurt: Mathes Maler] 1515 (VD 16 E 1496). Ed. und engl. übers. in Hessus: Poetic Works, hg. von Harry Vredeveld, S. 172 – 323. Hollen, Godescalcus: Praeceptorium divinae legis. Köln: Johann Guldenschaff. 1481 (GW 12891, ben. Ex.: Darmstadt, ULB Inc. IV–432). Hulsbusch, Johann: Sylva sermonum iucundissimorum. Basel: Apiarius 1568, S. 42 – 44 (VD16 H 5864, ben. Ex.: München, BSB, L.eleg.m. 758). Juspa Schammes: Sefer ma’es´e nisim, hg. von Elieser Ben Seeb Wolf Liebermann. Amsterdam: Asher Anshel ben Eliezer Chazzen 1695/96 (Yiddish publications from the Netherlands, YBN-33). Kirchhof, Hans Wilhelm: Wendunmuth. Frankfurt am Main: Georg Rab d. Ä. und Weigand Hans Erben 1563 (VD16 K 949, ben. Ex.: Wien, ÖNB, 1530-A). Kornmann, Heinrich: Mons Veneris, Fraw Venus Berg. Frankfurt am Main: Jakob Fischer und Matthäus Becker d. Ä. 1614 (VD17 23:274397E, ben. Ex.: Wolfenbüttel, HAB, 413.1 Quod. [2]). Lange, Johannes: Medicinalium epistolarum miscellanea. Basel: Johann Oporinus 1554 (VD16 L 329, ben. Ex.: München, BSB, 4 Med.g. 128 – 2). Lange, Johannes: Medicum de Republica Symposium. o. O. 1554. S. 89 f. (VD16 L 332, ben. Ex.: München, BSB, Med.g. 274 g). Liber Vagatorum. Der Betler Orden. Pforzheim: Thomas Anselm 1510 (VD16 L 1539, ben. Ex.: Berlin, SB, Yc 3211). Luscinius, Ottmar: Ioci ac Sales mire festivi. Augsburg: Simprecht Ruff für Sigmund Grimm 1524 (VD16 N 26, ben. Ex.: München, BSB, A.gr.c 12). Neumann, Johann Georg (Präs.) und Karl Christian Kirchner (Resp.): Disquisitio Historica De Fausto Praestigiatore. Wittenberg: Christian Fincelius 1683 (VD17 1:001013R); zweite Auflage Wittenberg: Recusa 1693; Neuauflage: Theens, Karl (Hg.): Faust Dissertation. Schrift gegen d. Aufenthalt Fausts in Wittenberg. Darmstadt 1973 (Schriften des Gutenberg-Museums, Bd. 5). Nider, Johannes: Praeceptorium divinae legis, sive Expositio decalogi. Köln: Ulrich Zell, nicht nach 1472 (GW M26918, ben. Ex.: Darmstadt, ULB, Inc. IV 416). Ott, Johann: Hundert vnd fünffzehen guter newer Liedlein. Nürnberg: Hieronymus Andreae 1544 (VD16 ZV 26849, ben Ex.: Berlin, SB, Mus. ant. pract. O 125). Pantaleon, Heinrich: Prosopographiae Heroum atque Illustrium Virorum Totius Germaniae, Pars Prima. Basel: Nikolaus Brylinger 1565 (VD16 P 228, ben. Ex.: München, BSB, 2 Biogr.c. 68 c-1/3); dt. als: Das erste Teil deutscher Nation Heldenbuch. Basel: Nikolaus Brylinger (Erben) 1567 (VD16 P 231, ben. Ex.: München, BSB, 2 Biogr.c. 65 – 1/3). Paracelsus: Drei Bücher Von wunden und schäden, hg. von Adam von Bodenstein. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff d. Ä. (Erben) 1563 (VD16 P 720, ben. Ex.: München, BSB, Bibl.Sud. 1489). Pauli, Johannes (Übers.): Des hochwirdigen doctor keiserspergs narenschiff. Straßburg: Johann Grüninger (VD16 G 780, ben. Ex:. München, BSB, 2 P.lat. 865). Pauli, Johannes: Schimpf und Ernst. Straßburg: Johann Grüninger 1522 (VD 16 P 937, ben. Ex.: München, BSB, L.eleg.m. 90 h).

630

Literaturverzeichnis

Pauli, Johannes: Schimpf und Ernst. Straßburg: Bartholomaeus Grüninger 1533 (VD 16 P 938, ben. Ex.: Wien, ÖNB, 33.K.11). Pauli, Johannes: Schimpff und Ernst Durch alle Welthändel. Frankfurt am Main: Weigand Han 1560 (VD16 P 961, ben. Ex.: Stuttgart, WLB, D.D.oct.9144). Placentinus: [Summa Codicis]. In Codicis Dn. Iustiniani […] Summa Placentino […] ante 400 ferme annos conscripta […]. Mainz: Ivo Schöffer 1536 (VD16 P 1887, ben. Ex.: München, BSB, 2 J.rom.c. 241; ND, hg. von Francesco Calasso. Turin 1962. Polychorius [alias Jakob Cammerlander]: Amoenissima et pvdica Iocorum Facetiarumque sylva. Straßburg: Jakob Cammerlander 1542 (VD 16, C 601, ben. Ex: München, BSB, L.eleg.m. 758d). Praetorius, Johannes: Blockes-Berges Verrichtung […]. Leipzig: Johann Scheibe; Frankfurt a. M.: Friedrich Arnst 1669 (VD17 3:015601X, ben. Ex.: Weimar, HAAB, F 174). Rebuffi, Pierre: De scholasticorum, bibliopolarum atque ceterorum universitatum omnium ministrorum iuratorumque privilegiis Liber I. De his quæ literarum studiosis necessaria sunt Liber II. Tertius Auten. habita. Paris: Pierre Vidoue 1540 (BP16 109953) Sachs, Hans: Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden. Mit Holzschnitten von Jost Amman Frankfurt a. M.: Sigmund Feyerabend und Georg Rab d. Ä. 1568 (VD16 S 244, ben. Ex.: München, BSB, Res/4 P.o.germ. 176). [Schmid, Bernhard:] Ernewerte Beschreibung […] vom Herren Petern von Stauffenberg […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1588 (VD16 ZV 5868, ben. Ex. München, BSB, Res/L.eleg.m); auch in: Johann Fischarts Werke. 3 Bde., hg. von Adolf Hauffen. Stuttgart 1893 – 1895 (Deutsche National-Litteratur, Bd. 18), Bd. 1, S. 263 – 352. Trithemius, Johannes: Liber de scriptoribus ecclesiasticis. Basel: Johannes Amerbach 1494 (GW M47585, ben. Ex.: München, BSB, 2 Inc.c.a. 3118). Trithemius, Johannes: Liber octo quaestionum ad Maximilianum Caesarem. Oppenheim: Johannes Haselberg 1515 (VD16 T 1986, ben. Ex. München, BSB, Res/P.lat. 1239). Weyer, Johann: De Praestigiis Daemonum. Basel: Johannes Oporinus 1563 (VD16 W 2663, ben. Ex.: München, BSB, P.lat. 441 a); dt. Das Hexenbuch […]. Frankfurt a. M.: Peter Schmidt 1569 (VD16 ZV 29900). Wickram, Jörg: Rollwagenbüchlein. Mühlhausen: Peter Schmidt und Johann Schirenbrand 1558 (VD 16 W 2394, ben. Ex.: Wien, ÖNB, 22797-A; Rara 169). Widmann, Georg Rudolf: Die Wahrhafftige Historie von Doct. Johanne Fausto dem Ertzzaͤ uberer und Schwartzkuͤ nstener. 3 Teile. Hamburg: Hermann Möller 1599 (VD16 F 656, ben. Ex.: München, BSB, Res/4 Biogr. 101 d-1/3). Ed. in: Johann Scheible: Doctor Johann Faust. Stuttgart 1846 (Das Kloster, Bd. 2), S. 544 – 645. Ziegler, Hieronymus: Illvstrivm Germaniae Virorvm Historiae aliquot singulares. Ingolstadt: Alexander Weißenhorn II. und Samuel Weißenhorn 1562 (VD16 Z 425, ben. Ex.: München, BSB, 4 Biogr.c. 190).

Drucke des 17.–18. Jahrhunderts Abraham a Sancta Clara: Judas der Ertz-Schelm/ Für ehrliche Leuth/ Oder: Eigentlicher Entwurff/ und Lebens-Beschreibung deß Iscariotischen Bößwicht. 4 Bde. Salzburg: Melchior Haan 1686 – 1695 (VD17 23:230481C). Albertinus, Aegidius: Der Landtstörtzer Gusman von Alfarche oder Picaro genannt […]. München: Nicolaus Heinrich 1615 (VD17 23:285610Y). Binius, Severin: Concilia Generalia et Provincialia. 3 Bde. Köln: Gymnicus 1618 (VD17 12:124203S). Calderón de la Barca, Pedro: El Dragoncillo. In: Flores del Parnaso. Zaragoza: Pascual Bueno 1708.

Quellen

631

Cornemicus, Archierus: Der Gute Mann/ oder der wohlbegabte Hörner-Träger. Leipzig: Fritsche 1680 (VD17 39:120276T). Delrío, Martín: Disquisitionum magicarum libri sex in tres tomos partiti. Mainz: Johann Albin 1600 (VD16 D 461, ben. Ex.: München, BSB, Phys.m. 44 – 1/2). Delrío, Martín: Disquisitionum magicarum libri sex in tres tomos partiti. Mainz: Johann Albin 1603 (VD17 1:001581Y, ben. Ex.: München, BSB, 2 Phys.m. 4). D’Ouville, Antoine Le Metel: Les contes aux heures perdues. Vol. 2. Paris: Toussaint Quinet 1651. Dürer, Hieronymus: Lauf der Welt Und Spiel des Glücks. Zum Spiegel Menschliches Lebens vorgestellet in der Wunderwürdigen Lebens-beschreibung des Tychanders. Hamburg: Guht 1668 (VD17 1:664538Q); Neudruck: Hildesheim, Zürich, New York 1984. Fatuo-Sophia Cæsare-Montana: Das ist die Kaysersbergische Narragonische Schiffahrt, Augsburg/Dillingen a. d. Donau: Johann Caspar Bencard 1708 (VD18 14023857). Fritsch, Ahasver: Tractatus Theologico-Nomico-Politicus De Mendicantibus Validis. Jena: Georg Sengenwald 1659 (VD17 1:002084Y, ben. Ex.: München, BSB, 4 Diss. 1709). Fritsch, Ahasver: Scholaris peccans. Sive Tractatus De Vitiis Et Erroribus Scholarium. Breslau/Leipzig: Esaias und Joachim Fellgiebel 1679 (VD17 1:002124Q, ben. Ex.: Berlin, SB, 3 in: Fa 5721 ⟨a⟩) Garzoni, Tomaso: Piazza Universale. Frankfurt a. M.: Hoffmann 1619 (VD17 12:109736B, ben. Ex.: München, BSB, 2 Var. 60B). [Guillaume d’Auvergne]: Guilielmi Alverni Episcopi Parisiensis […] Opera Omnia. Bd. 1. London 1674. H. G. L. L. Stud.: Vaganten-Hospital, Das ist: Außführliche Beschreibung des Höchstärgerlichen Vaganten- Oder Stapel-Lebens, o. O.: o. D. 1668 (VD17 12:643031Y, ben. Ex.: Wien, ÖNB, 409226-A). Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm: Wagner 1690 (VD17 23:234004U). Kindermann, Balthasar (Kurandor von Zittau): Der Vnverschämte Vagant. Wittenberg: Johann Borckhardt 1673 (VD17 23:236013B, ben. Ex.: Heidelberg, UB, Waldberg 3957 RES). Liechtenberg, Jacob von: Goëtia, vel Theurgia […], bearb. von Johann Jacob Wecker und bearb. und hg. von Wolfgang Hildebrand. Leipzig/Magdeburg: Johann Francke (Erben) und Samuel Scheibe 1631 (VD17 3:303223Y). Murr, Christoph Gottlieb von: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in des H. R. Reichs freyen Stadt Nürnberg und der hohen Schule zu Altdorf. Nebst einem chronologischen Verzeichnisse der von Deutschen, insonderheit Nürnbergern, erfundenen Künste, vom XIII Jahrhunderts bis auf jetzige Zeiten. Nürnberg: Eberhard Zeh 1778 (VD18 11427361). Riemer, Johannes: Der Politische Maul-Affe. Leipzig: Fritsche 1679 (VD17 1:666340H). Schoch, Johann Georg: Comoedia vom Studenten-Leben. Leipzig: Wittigau 1657 (VD17 32:673076X). Speer, Daniel: Simplicianischer/ Lustig-Politischer Haspel-Hannß […]. Ulm: Wagner 1684 (VD17 23:234306 A, ben. Ex.: Wolfenbüttel, HAB, Lo 2666). Teutschenbrunn, J. Heumann von: Observatio de lingua occulta. In: Exercitationes iuris universi, praecipue germanici. Bd. 1. Altdorf: Johannes Adam Hesselius 1749, S. 163 – 183. Thomasius, Jakob (Präses) und Mayer, Johann Ulrich (Resp.): Discursus Historico-Philologicus De Vagantibus Scholasticis, Sive Von Fahrenden Schülern. Leipzig: Johann Georgi 1675 (VD17 12:144159W, ben. Ex.: München, BSB, 4 Diss. 78); zu dieser Auflage gibt es noch eine Variante ohne Widmung als VD17 3:012638G. Die Dissertation erreichte eine zweite Auflage in Leipzig 1714 (Exemplar in Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 4 GS 966). Der viesierliche Exorcist. Im Anhang von: Alamodisch Technologisches Interim. Rappersweil: Henning Liebler 1675 (VD17 23:235914D). Weidmann, Paul: Der Bettelstudent oder das Donnerwetter. Ein Originallustspiel von zwey Aufzügen. Wien: Johann Thomas Edler von Trattern 1776 (ben. Ex. Wien, ÖNB, 628985-A. THEAT.-S.).

632

Literaturverzeichnis

Wowern, Johann von: De Polymathia tractatio des Hamburg: Bibliopolium Frobenianum 1603 (VD17 23:232460R) und Neuauflage hg. von Jakob Thomasius bei Lorenz Sigmund Körner und Christian Michael. Leipzig 1665 (VD17 1:043897P).

Editionen Accessus ad auctores. Bernhard d’Utrecht, Conrad d’Hirsau, Dialogus super Auctores, hg. von Robert B. Constantijn Huygens. Leiden 1970. Alcuinus: Liber de virtutibus et vitiis ad Widonem comitem. In: PL 101, Sp. 613 – 638. Ins Englische als: Wallach, Luitpold: Alcuin on Virtues and Vices. A Manual for a Carolingian Soldier. In: The Harvard Theological Review 48 (1955), S. 175 – 195. Alemán, Mateo: Guzmán de Alfarache, hg. von Luis Gómez Canseco. Madrid 2012 (Biblioteca Clásica de la Real Academia Española, Bd. 42). Archipoeta: Gedichte, hg. von Heinrich Watenphul und Heinrich Krefeld. Heidelberg 1958. Aretin, Johann Christoph Freiherr von (Hg.): Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek zu München. Bd. 1. München 1803. Aretin, Johann Christoph Freiherr von: Briefe über meine literarische Geschäftsreise in die baierischen Abteyen. Mit einer Einführung, hg. von Wolf Bachmann. München, Wien 1971 (Bibliotheca Bavarica). Arnim, Achim von: Die Kronenwächter, hg. von Paul Lützeler. Frankfurt a. M. 1989 (Achim von Arnim Werke, Bd. 2). Arnim, Achim von: Isabella von Ägypten, Kaiser Karls des Fünften erste Jugendliebe. Eine Erzählung. In: Sämtliche Erzählungen 1802 – 1817, hg. von Renate Moering. Frankfurt a. M. 1990 (Achim von Arnim Werke, Bd. 3), S. 622 – 742. Arnim, Achim von: Martin Martir. In: Sämtliche Erzählungen 1818 – 1830, hg. von Renate Moering. Frankfurt a. M. 1992 (Achim von Arnim Werke, Bd. 4), S. 817 – 881. Arnim, Achim von: Sämtliche Erzählungen 1802 – 1817, hg. von Renate Moering. Frankfurt a. M. 1990 (Achim von Arnim Werke, Bd. 3). Augustinus, Aurelius: De civitate Dei. 2 Bde., hg. von Bernhard Dombart und Alfons Kalb. Stuttgart, Leipzig 51981 (BT); dt.-lat. übers. von Carl Johann Perl. 2 Bde. Paderborn 1979 (Aurelius Augustinus’ Werke, Bd. 3,8,1 und 2) Augustinus, Aurelius: De ordine. In: Opera. Bd. 2,2, hg. von W. M. Green und K.-D. Daur. Thurnhout 1970 (Corpus Christianorum, Series Latina, Bd. 29), S. 86 – 137. Augustinus, Aurelius: De opere monachiorum. In: Augustinus: De fide et symbolo, […] De patientia, hg. von Joseph Zycha. Wien 1900 (CSEL, Bd. 41), S. 529 – 596; auf Deutsch als: Die Handarbeit der Mönche, hg. und übers. von Rudolph Arbesmann. Würzburg 1972. Augustinus, Aurelius: Enarrationes in psalmos 101 – 150. Bd. 3: Enarrationes in psalmos 119 – 133, hg. von Franco Gori. Wien 2001 (CSEL, Bd. 95,3). Aurbacher, Ludwig: Abenteuer der sieben Schwaben. In: Ein Volksbüchlein. Erster Teil, hg. von Joseph Sarreiter. Leipzig 1878, S. 137 – 185. Aurbacher, Ludwig: Abenteuer des Spiegelschwaben. In: Ein Volksbüchlein. Zweiter Teil, hg. von Joseph Sarreiter. Leipzig 1879, S. 152 – 200. Aurbacher, Ludwig: Bemerkungen zu den erbaulichen und ergötzlichen Historien. In: Ein Volksbüchlein. Zweiter Teil, hg. von Joseph Sarreiter. Leipzig 1879, S. 216 – 222. Die Badischen Schulordnungen. Bd. 1: Die Schulordnungen der Badischen Markgrafschaften, hg. von Karl Brunner. Berlin 1902 (Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. 24). Bebel, Heinrich: Schwänke. Zum ersten Male in vollständiger Übertragung. 2 Bde., hg. von Albert Wesselski. München, Leipzig 1907.

Quellen

633

Bebel, Heinrich: Facetien. Drei Bücher. Historisch-kritisch Ausgabe, hg. von Gustav Bebermeyer. Leipzig 1931. Bebel, Heinrich: Triumphus Veneris. Ein allegorisches Epos, hg., übers. und komm. von Marcel Angres. Münster, Hamburg, London 2003 (Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie, Bd. 4). Bebel, Heinrich: Fazetien. Drei Bücher, hg. und übers. von Manfred Fuhrmann. Konstanz 2005 (Bibliotheca suevica, Bd. 13). Beer, Johann: Corylo. In: Sämtliche Werke, hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. Bern, Berlin, Frankfurt a. M., Wien 1986. Beheim, Michel: Die Gedichte. Nach der Heidelberger Hs. cpg 334 unter Heranziehung der Heidelberger Hs. cpg 312 und der Münchener Hs. cgm 291 sowie sämtlicher Teilhandschriften. Band 2: Gedichte 148 – 357, hg. von Hans Gille und Ingeborg Spriewald. Berlin 1970 (Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 64). Benedicti Regula, hg. von Rudolf Hanslik. Wien 21977 (CSEL, Bd. 75); Ins Deutsche als: Die Benediktsregel. Lateinisch/deutsch, hg. und übers. von der Salzburger Äbtekonferenz. Beuron 4 2005. Berthold von Regensburg: Vollständige Ausgabe seiner Predigten. 2 Bde., hg. von Franz Pfeiffer und Joseph Strobl. Wien 1862/1880. Biel, Gabriel: Collectorium circa quattuor libros sententiarum. Bd. 4,2 Libri quarti pars secunda (dirst. 15 – 22), hg. von Wilfridus Werbeck und Udo Hofmann. Tübingen 1977. Boccaccio, Giovanni: Decameron. 2 Bde., hg. von Vittore Branca. Turin 21992 (Nuova Universale Einaudi). Bodin, Jean: De la Démonomanie des Sorciers, hg. von Virginia Krause, Christian Martin und Eric MacPhail. Genf 2016 (Travaux d’Humanisme et Renaissance, Bd. 559). Boethius, Anicius Manlius Severinus: De consolatione philosophiae. Opuscula theologica, hg. von Claudio Moreschini. München, Leipzig 2000 (BT); Ins Deutsche als: Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae, hg. und übers. von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon. Düsseldorf 6 2002 (Sammlung Tusculum). Der Boiffen Orden. In: Johann Joseph Aloys Arnold Frantzen und Abraham Hulshof (Hg.): Drei Kölner Schwankbücher aus dem XVten Jahrhundert. Utrecht 1920, S. 27 – 41. Bonaventura: Illuminationes Ecclesiae, hg. von A. C. Peltier. Paris 1867 (S. Bonaventurae Opera omnia, Bd. 9). Das Brandenburger Osterspiel. Fragment eines neuentdeckten mittelalterlichen geistlichen Osterspiels aus dem Domarchiv in Brandenburg/Havel, hg. von Renate Schipke und Franzjosef Pensel Berlin 1986 (Beiträge aus der Deutschen Staatsbibliothek, Bd. 4). Brant, Sebastian: Das neue Narrenschiff, hg. von Loek Geeraedts. Dortmund 1981 (Deutsche Wiegendrucke). Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben, hg. von Manfred Lemmer. Tübingen 42004 (Neudrucke deutscher Literaturwerke. N. F., Bd. 5). Brentano, Clemens: Aus der Chronicka eines fahrenden Schülers. In: ders: Erzählungen, hg. von Gerhard Kluge. Stuttgart, Berlin u a. 1987 (Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 19; Prosa IV), S. 179 – 225. Brentano, Clemens: Chronica des Fahrenden Schülers (1. Fassung). In: ders: Erzählungen, hg. von Gerhard Kluge. Stuttgart, Berlin u a. 1987 (Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 19; Prosa IV), S. 85 – 177. Brentano, Clemens: Briefe. Dritter Band. 1803 – 1807, hg. von Lieselotte Kinskofer. Stuttgart, Berlin, Köln 1991 (Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31; Briefe III). Buch der Rügen, hg. von Theodor von Karajan. In: ZfdA 2 (1842), S. 6 – 92.

634

Literaturverzeichnis

Bullarum diplomatum et privilegiorum sanctorum Romanorum pontificum Taurinensis editio. Bd. 4, hg. von Sebastinus Franco, Henricus Fory und Henricus Dalmazzo. Turin 1859. Bullinger, Heinrich: Diarium, hg. von Emil Egli. Basel 1904 (Quellen zur Schweizerischen Reformationsgeschichte, Bd. 2). Buschius, Johannes: Das Chronicon Windeshemense. In: Des Augustinerpropstes Johannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de reformatione monasteriorum, hg. von Karl Grube. Halle a. Saale 1886 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 19), S. 1 – 242. Butzbach, Johann: Odeporicon. Zweisprachige Ausgabe, hg. von Andreas Beriger. Weinheim 1991. Caesarius von Heisterbach: Dialogus Miraculorum. Dialog über die Wunder. 5 Bde., hg. von Nikolaus Nösges und Horst Schneider. Turnhout 2009 (Fontes Christiani, Bd. 86). Carmen de gestis Frederici I. imperatoris in Lombardia, hg. von Irene Schmale-Ott. Hannover 1965 (MGH: Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 62). Carmina Burana. Lateinische und deutsche Lieder und Gedichte einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts aus Benedictbeuern auf der k. Bibliothek zu München, hg. von Johann Andreas Schmeller. Stuttgart 1847 (BLV, Bd. 16, 1). Carmina Burana: 2 Bde. Bd. 1: Text (1,1 Die moralisch-satirischen Dichtungen; 1,2 Die Liebeslieder; 1,3 Die Trink- und Spielerlieder, die geistlichen Dramen, Nachträge). Bd. 2: Kommentar (nur CB 1 – 55), hg. von Alfons Hilka, Otto Schumann und Bernhard Bischoff. Heidelberg 1930 – 1970. Carmina Burana: Lieder der Vaganten. Lateinisch und deutsch nach Ludwig Laistner, hg. von Eberhard Brost: Heidelberg 1961. Carmina Burana. Die Lieder der Benediktbeurer Handschrift. Vollständige Ausgabe des Originaltextes nach der von Bernhard Bischoff abgeschlossenen kritischen Ausgabe von Alfons Hilka und Otto Schumann. Übersetzung der lateinischen Texte von Carl Fischer, der mittelhochdeutschen Texte von Hugo Kuhn. Anmerkungen und Nachwort von Günter Bernt. Zürich 1974. Carmina Burana, hg. von Benedikt Konrad Vollmann. Frankfurt a. M. 2011 (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch, Bd. 49). Cassianus, Johannes: Collationes XXIIII, hg. von Michael Petschenig. Wien 22004 (CSEL, Bd. 13). Celtis, Konrad: Oden, Epoden, Jahrhundertlied. Libri odarum quattuor, cum epodo et saeculari carmine, übers. und hg. von Eckart Schäfer. Tübingen 2008 (NeoLatina, Bd. 16). Cervantes, Miguel Saavedra de: Entremes de la Cueua de Salamanca. In: Comedias y Entremeses, hg. von Rodolfo Schevill und Adolfo Bonilla. Madrid 1918 (Obras completas, Bd. 4), S. 125 – 144. Chartularium Universitatis Parisiensis. Band 1, hg. von Heinrich Denifle, Paris 1889. Chézy, Wilhelm Theodor von: Der fahrende Schüler. Zürich 1835. Chronica et annales aevi Salici, hg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851 (MGH: Scriptores in Folio, Bd. 9). La chronique de S.-Hubert dite Cantatorium, hg. von Karl Hanquet. Brüssel 1906 (Comission Royale d’Histoire). Cicero, Marcus Tullius: De Oratore, hg. von Kazimierz F. Kumaniecki. Leipzig 1969 (BT). Cicero, Marcus Tullius: De officiis, hg. von C. Atzert. Leipzig 41963 (BT). Cicero, Marcus Tullius: Orator, hg. von Rolf Westman. Leipzig 1980 (BT). Codex Iustinianus, hg. von Paul Krüger und Theodor Mommsen. Hildesheim 1892 (Corpus Iuris Civilis, Bd. 2). Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum inde ab a. MCXCVIII usque ad a. MCCLXXII (1198 – 1272), hg. von Ludwig Weiland: Hannover 1896 (MGH, Legum Sectio IV, 2). Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum inde ab a. MCCXCVIII usque ad a. MCCCXIII (1273 – 1298), hg. von Jacob Schwalm. Hannover, Leipzig 1904 – 1906 (MGH, Legum Sectio IV, 4).

Quellen

635

Corpus Antiphonalium Officii. Bd. 4, hg. von René-Jean Hesbert. Rom 1970 (Rerum ecclesiasticarum documenta: Series maior, Fontes, Bd. 10). Les Débats du Clerc et du Chevalier dans la Littérature Poétique du Moyen Âge, hg. von Charles Oulmont. Paris 1911. Decretalium Collectiones, hg. von Emil Friedberg. Leipzig 1879 (ND Graz 1959) (Corpus Iuris Canonici, Bd. 2). Decretum Magistri Gratiani, hg. von Emil Friedberg. Leipzig 1879 (ND Graz 1959) (Corpus Iuris Canonici, Bd. 1). Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, hg. von Hanns Fischer. München 1966 (MTU, Bd. 12). Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495. Band 1: Akten, Urkunden und Korrespondenzen, hg. von Heinz Angermeier Göttingen 1981 (Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe, Bd. 5). Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496 – 1498, hg. von Heinz Gollwitzer. Göttingen 1979 (Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe, Bd. 6). Deutsche Versnovellistik des 13. bis 15. Jahrhunderts (DVN). 6 Bde., hg. von Klaus Ridder und Hans-Joachim Ziegeler. Berlin 2020. Docen, Bernhard Joseph: Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur, 2 Bde. München 1806/1807. Ebert von Lüttich: Fecunda Ratis, hg. von Ernst Voigt. Halle a. Saale 1889. Eichendorff, Joseph von: Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland. In: Geschichte der Poesie. Schriften zur Literaturgeschichte, hg. von Hartwig Schultz. Frankfurt a. M. 1990 (Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 52), S. 61 – 280. Eichendorff, Joseph von: Halle und Heidelberg. In: Tagebücher, Autobiographische Dichtungen, Historische und politische Schriften, hg. von Hartwig Schultz. Frankfurt a. M. 1993 (Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 96), S. 416 – 452. Fischart, Johann: Geschichtklitterung (Gargantua). Text der Ausgabe letzter Hand von 1590, hg. von Ute Nyssen. Düsseldorf 1963. Fischart, Johann: Aller Praktik Großmutter. In: Sämtliche Werke. Bd. 1, hg. von Ulrich Seelbach. Bern, Berlin u. a. 1993 (Berliner Ausgaben Sektion Philologische Wissenschaften), S. 293 – 411. Fischart, Johann: De magorvm daemonomania. Edition und Kommentar von Johann Fischarts Übersetzung der ‚Démonomanie des sorciers‘ Jean Bodins, hg. von Tobias Bulang und Nicolai Schmit (in Vorb.). Folz, Hans: Die Reimpaarsprüche, hg. von Hanns Fischer. München 1961 (MTU, Bd. 1). Formulae solennes styli in cancellaria, curiaque regum, foris minoribus, ac locis credibilibus, authenticisque Regni Hungariae olim usitati, hg. von Martinus Georgius Kovachich. Pest 1799. Franck, Sebastian: Sprichwörter, hg. von Peter Klaus Knauer und Hans-Gert Roloff. Bern, Berlin u. a. 1993 (Sämtliche Werke, Bd. 11). Franciscus Assisiensis: Epistola toti ordini missa. In: Fontes Franciscani, hg. von Enrico Menestò. Assisi 1995 (Medioevo francescano, Testi, Bd. 2), S. 97 – 104. Franciscus Assisiensis: Regula non bullata. In: Fontes Franciscani, hg. von Enrico Menestò. Assisi 1995 (Medioevo francescano, Testi, Bd. 2), S. 183 – 212. Franciscus Assisiensis: Sacrum Commercium cum domina Paupertate. In: Fontes Franciscani, hg. von Enrico Menestò. Assisi 1995 (Medioevo francescano, Testi, Bd. 2), S. 1705 – 1732. Franziskus-Quellen. Die Schriften des Heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seine Orden, hg. von Dieter Berg und Leonhard Lehmann. Kevelaer 2009 (Zeugnisse des 13. und 14. Jahrhunderts zur Franziskanischen Bewegung, Bd. 1).

636

Literaturverzeichnis

Die Geschichte von den Wachteln: In: Von achtzehn Wachteln und dem Finkenritter. Deutsche Unsinnsdichtung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. und übers. von Horst Brunner Stuttgart 2014. Eyering, Eucharius: Proverbiorum copia. etlich viel hundert lateinischer und teutscher Schöner und lieblicher Sprichwörter. Nachdr. der Ausgabe 1601. Hildesheim 1999 (Volkskundliche Quellen, Sprichwort, Bd. 7). Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert. 4 Bde., hg. von Adalbert von Keller. Stuttgart 1853 – 1858 (BLV, Bde. 28, 29, 30, 46). Freidank: Bescheidenheit. Neudruck der Ausgabe von 1872, hg. von Heinrich Ernst Bezzenberger. Aalen 1962. Frey, Jakob: Gartengesellschaft, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1896 (BLV, Bd. 209). Freytag, Gustav: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 4 Bde. Leipzig 1859 – 1867. The Friars of Berwick. In: Ten Fifteenth-Century Comic Poems, hg. von Melissa M. Furrow. New York, London 1985 (Garland Medieval Texts, Bd. 13), S. 313 – 362. Gaius: Institutiones, hg. von Ulrich Manthe. Darmstadt 2004 (Texte zur Forschung, Bd. 81). Gallus, Jodocus: Monopolium et Societas vulgo des Lichtschiffs. In: Die deutschen Universitäten im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte und Charakteristik derselben. Bd. 1, hg. von Friedrich Zarncke. Leipzig 1857, S. 51 – 61. Gedichte des Mittelalters auf König Friedrich I. den Staufer und aus seiner so wie der nächstfolgenden Zeit, hg. von Jacob Grimm. Berlin 1844. Geibel, Emanuel: Lieder eines fahrenden Schülers. In: Gesammelte Werke. Bd. 1. Stuttgart 1883, S. 163 – 166. Geiler von Kaysersberg, Johannes: 21 Artikel. In: Sämtliche Werke. Teil 1: Die Deutschen Schriften; Abt. 1: Die zu Geilers Lebzeiten erschienenen Schriften; Bd. 1, hg. von Gerhard Bauer. Berlin, Boston 1989 (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 129), S. 153 – 200. [Gengenbach, Pamphilus]: Bettlerorden. Liber vagatorum. In: Pamphilius Gengenbach, hg. von Karl Goedeke. Hannover 1856, S. 343 – 370. Geoffroi de Vinsauf: Documentum de Arte Versificandi. In: Edmond Faral (Hg.): Les Arts Poétiques du XIIe et du XIIIe Siècle. Recherches et Documents sur la Technique Littéraire du Moyen Âge. Paris 1924 (Bibliothèque de l’École des hautes études. Sciences historiques et philologiques, Bd. 238), S. 263 – 320. George, Stefan: Sänge eines fahrenden Spielmanns. In: Sämtliche Werke. Bd. 3. Stuttgart 1991, S. 57 – 67. Gesammtabenteuer. Hundert altdeutsche Erzählungen, hg. von Friedrich Heinrich von der Hagen. Stuttgart, Tübingen 1850. Gesta Romanorum, hg. von Adalbert von Keller. Stuttgart, Tübingen 1842. Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit, hg. von Klaus-Detlef Müller. Frankfurt a. M. 1986 (Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd. 15; Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 15). Goethe, Johann Wolfgang von: Die letzten Jahre. Briefe, Tagebücher und Gespräche von 1823 bis zu Goethe Tod. Teil II: Vom Dornburger Aufenthalt 1828 bis zum Tode, hg. von Horst Fleig. Frankfurt a. M. 1993 (Sämtliche Werke, Abt. 2, 11, Bd. 38; Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 90). Goethe Johann Wolfgang von: Faust. Kommentar, hg. von Albrecht Schöne. Frankfurt a. M. 1994 (Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd. 7,2; Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 114). Goethe, Johann Wolfgang von: Tag- und Jahreshefte, hg. von Irmtraut Schmid. Frankfurt a. M. 1994 (Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd. 17; Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 111). Goethe, Johann Wolfgang von: Briefe, Tagebücher und Gespräche von 24. Juni 1794 bis zum 9. Mai 1805. Teil II: Vom 1. Januar 1800 bis zum 9. Mai 1805, hg. von Volker C. Dörr und Norberg

Quellen

637

Oellers. Frankfurt a. M. 1999 (Sämtliche Werke, Abt. 2, 5, Bd. 32; Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 162). Goethe Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie, hg. von Anne Bohnenkamp, Silke Henke und Fotis Jannidis, Bd. 1: Kontituierter Text, bearb. von Gerrit Brüning und Dietmar Pravida. Göttingen 2018. Grellmann, Heinrich Moritz Gottlieb: Historischer Versuch über die Zigeuner betreffend die Lebensart und Verfassung, Sitten und Schicksale dieses Volks seit seiner Erscheinung in Europa, und dessen Ursprung. Göttingen: Johann Christian Dieterich 21787. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Simplicissimus Teutsch. In: Werke 1,1. hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1989 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 16,1). Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Werke 1,1, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1989 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 16,1). Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Das Wunderbarliche Vogel-Nest. Erster Teil. In: Werke 1,2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1992 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 16,2), S. 297 – 447. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Das Wunderbarliche Vogel-Nest. Zweiter Teil. In: Werke 1,2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1992 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 16,2), S. 449 – 650. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Der seltzame Springinsfeld. In: Werke 1,2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1992 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 16,2), S. 153 – 295. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Simplicissimi Galgen-Männlein. In: Werke 2, hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1997 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 17), 733 – 776. Hagen, Hermann (Hg.): Carmina clericorum. Studentenlieder des Mittelalters. Heilbronn 1876. Hans Wurst als Teufelsbanner. Lustspiel in einem Akt. In: Deutsche Puppenkomödien. Bd. 4, hg. von Carl Engel. Oldenburg 1876, S. 39 – 51. Hegius, Alexander: Invectiva in modos significandi. Text, Introduction and Notes, hg. von Jozef Ijsewijn. In: Forum for Modern Language Studies 7 (1971), S. 299 – 318. Heinrich der Klausner: Marienlegende. In: Mitteldeutsche Gedichte, hg. von Karl Bartsch Stuttgart 1860 (BLV, Bd. 53), S. 1 – 39. Helbig, Friedrich: Fahrende Schüler. Etwas aus der Flegelzeit des deutschen Schülerwesens. In: Die Gartenlaube 1897, Heft 39, S. 644 – 647. Hermann von Sachsenheim: Die Mörin. Nach der Wiener Handschrift ÖNB 2946, hg. von Horst Dieter Schlosser. Wiesbaden 1974 (Deutsche Klassiker des Mittelalters N.F., Bd. 3). Hessus, Helius Eobanus: De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda. In: The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus. Vol. 3, King of Poets, 1514 – 1517, hg. von Harry Vredeveld. Leiden, Boston 2012 (The Renaissance Society of America texts and studies series, Bd. 1), S. 172 – 323. Heyse, Paul: Novellen und Erzählungen 1850 – 1886. (Nachdruck), hg. von Markus Bernauer und Norbert Miller. Hildesheim, Zürich, New York 1995 (Gesammelte Werke Reihe IV, Bd. 1). Hieronymus, Eusebius: Epistulae I–LXX, hg. von Isidor Hilberg. Wien 1910, erw. von Magrit Kamptner 1996 (CSEL, Bd. 54). Ins Deutsche als: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften. Bd 2: ausgewählte Briefe. I. Briefband, hg. und übers. von Ludwig Schade. München 1936 (Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 2, 16). Historia von D. Johann Fausten. Text des Druckes von 1587. Kritische Ausgabe. Mit den Zusatztexten der Wolfenbütteler Handschrift und der zeitgenössischen Drucke, hg. von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer. Stuttgart 2012. Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Gedichte. Leipzig 1834. Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Loverkens. Altniederländische Lieder. Göttingen 1852 (Horae Belgicae, Bd. 8). Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Liber Vagatorum. In: Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst 4 (1856), S. 65 – 101.

638

Literaturverzeichnis

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen. 6 Bde., hg. von Heinrich Gerstenberg. Berlin 1892 (Gesammelte Werke, Bd. 7). Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Gedichte und Lieder, hg. von Hermann Wendebourg und Anneliese Gerbert. Hamburg 1974. Horatius Flaccus, Quintus: Opera, hg. von Edward C. Wickham und Heathcote William Garrod. Oxford 1967 (OCT). Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon de studio legendi. Studienbuch, hg. von Thilo Offergeld. Freiburg i. Br., Basel u. a. 1997 (Fontes Christiani, Bd. 27). Hugo von Trimberg: Der Renner. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von Günther Schweikle. 4 Bde., hg. von Gustav Ehrismann. Berlin 1970 (Deutsche Neudrucke, Texte des Mittelalters). Humbert de Romans, De eruditione religiosorum Predicatorum. In: Bibliotheca maxima veterum patrum. Bd. 25, hg. von Margarinus de la Bigne. Lyon: Anisson 1677. S. 424 – 567. Alle Predigten sind verfügbar unter: http://sermones.net/thesaurus/list.php?coll=humbert % 2Fseries1 [zuletzt aufgerufen am 15. 7. 2020]. Iatromathematisches Kalenderbuch. Die Kunst der Astronomie und Geomantie. Farbmikrofiche-Edition der Handschrift Tübingen, Universitätsbibliothek, Md 2, hg. von Gerd Brinkhus, David Juste und Helga Lengenfelder. München 2005 (Codices illuminati medii aevi, Bd. 63). Iustinus, Iunianus: Historiæ Philippicæ. 2 Bde., hg. von Abraham Gronovius. London 1822. Iuvenalis, Decimus Iunius: Saturae sedecim, hg. von James Willis. Leipzig, Stuttgart 1997 (BT). Iohannes Fructuariensis: Tractatus de ordine vitae et morum institutione. In: PL 184. Sp. 559 – 584. Isidor von Sevilla: Etymologiae sive Origines. 2 Bde., hg. von W. M. Lindsay. Oxford 1911; Ins Deutsche als: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. von Lenelotte Möller. Wiesbaden 2008. Jacobus de Cessolis: Das Schachzabelbuch in mittelhochdeutscher Prosa-Übersetzung, hg. von Gerard F. Schmidt. Berlin 1961 (Texte des späten Mittelalters, Bd. 13). Jacobus de Voragine: Legenda Aurea, hg. von Bruno W. Häuptli. Freiburg i. Br. 2014 (Fontes Christiani, Sonderbände 1 u. 2). Jacques de Vitry: Sermones ad Fratres Minores, hg. von H. Felder.In: Analecta Ordinis Minorum Capuccinorum 19 (1903), S. 22 – 24 und 114 – 122. Jacques de Vitry: Lettres, hg. von Robert B. Constantijn Huygens. Leiden 1960. Jacques de Vitry: Sermones vvlgares vel ad statvs, hg. von Jean Longère. Turnhout 2013 (Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis, Bd. 255). Johann von Nürnberg: De vita vagorum. In Eva Kiepe und Hansjürgen Kiepe (Hg.): Epochen der deutschen Lyrik. Bd. 2: Gedichte 1300 – 1500. München 1972, S. 62 – 72; Johannes de Garlandia: Morale Scholarium of John of Garland. A Professor in the University of Paris and Toulouse in the Thirteenth Century, hg. von Louis John Paetow. Berkeley 1927 (Memoirs of the University of California, Bd. 4, 2). Johannes Gobi Junior: La scala coeli de Jean Gobi, hg. von Polo de Beaulieu, Marie Anne. Paris 1991 (Sources d’histoire médiévale). Johannes von Salisbury: Policratici sive de nugis curialium et vestigiis philosophorum libri VIII. 2 Bde., hg. von Clemens Webb. Oxford, London 1909. Jüdische und jüdisch-deutsche Lieder, hg. von Leopold Löwenstein: In: Jubelschrift zum siebzigsten Geburtstag des Dr. Israel Hildesheimer, Rabbiner und Rector des Rabbiner-Seminars zu Berlin. Berlin 1890, S. 126 – 144 (I. Teil) und in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 38 (1894), S. 78 – 89 (II. Teil). Kaufringer, Heinrich: Werke. Bd. 1 Text, hg. von Paul Sappler. Tübingen 1972. Kernstock, Ottokar: Aus dem Zwingergärtlein. Gedichte. München 91901. Kirchhof, Hans Wilhelm: Wendunmuth, hg. von Hermann Österley. Tübingen 1869 (BLV, Bd. 95).

Quellen

639

Kirchhof, Hans Wilhelm: Kleine Schriften. Kritische Ausgabe. Mit einer Bibliographie der „Wendunmuth“-Drucke, hg. von Bodo Gotzkowsky. Stuttgart 1981 (BLV, Bd. 302). Kleines Kommersbuch. Liederbuch fahrender Schüler. Leipzig 1890. Knebel, Johannes: Diarium. Juni 1476–Juli 1479, hg. von Wilhelm Vischer und Heinrich Boos. Leipzig 1887 (Basler Chroniken, Bd. 3). Kommersbuch für den deutschen Studenten. [Erste Auflage 1855]. Leipzig 121866. Kramer (Institoris), Heinrich: Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum. Kommentierte Neuübersetzung von Günter Jerouschek und Wolfgang Behringer. München 112015. Laistner, Ludwig (Hg.): Golias. Studentenlieder des Mittelalters. Stuttgart 1879. Laßberg, Joseph von (Hg.): Lieder-Saal, das ist: Sammelung altteutscher Gedichte. Eppishausen 1822. Libri actorum Universitatis Heidelbergensis / Die Rektorbücher der Universität Heidelberg. Bd. 1 1386 – 1410 (zugleich das erste Amtsbuch der Juristischen Fakultät), hg. von Jürgen Miethke Heidelberg 1986. Liederbuch fahrender Schüler für den Alt-Wandervogel, hg. von der Bundesleitung des A.W.V. Berlin 1908. Lindener, Michael: Rastbüchlein. In: Rastbüchlein und Katzipori, hg. von Franz Lichtenstein. Tübingen 1883 (BLV, Bd. 163), S. 1 – 58. Livius, Titus: Ab urbe condita, hg. von Robert Seymour Conway und Charles Flamstead Walters. Oxford 1914 – 1935 (OCT). Luther, Martin: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung [1520], In: WA 6, S. 381 – 469. Luther, Martin: An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen [1524]. In: WA 15 (1899), S. 9 – 53. Luther, Martin: Ordnung eines gemeinen Kasten [1523]. In: WA 12 (1891), S. 1 – 30. Luther, Martin: Vorrede zu ‚Von der falschen Bettler Büberei‘ [1528]. In: WA 26 (1909), S. 634 – 654. Luther, Martin: Zusatz zur Wittenberger Beutelordnung [1520/21]. In: WA 59 (1983), S. 62 – 65. Mathias von Neuenburg: Chronik. Berlin 1924 – 1940, hg. von Adolf Hofmeister (MGH: Scriptores rerum Germanicarum, Nova series, Bd. 4). Mittelschulgeschichtliche Dokumente Altbayerns einschließlich Regensburgs. 1: Geschichtlicher Überblick und Dokumente bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, hg. von Georg Lurz. Berlin 1907 (Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. 41). Mann, Thomas: Doktor Faustus. Mit Kommentar. 2 Bde., hg. von Ruprecht Wimmer. Frankfurt a. M. 2007 (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Bd. 10,1). Macropedius, Georgius: Rebelles und Aluta, hg. von Johannes Bolte. Berlin 1897 (Lateinische Litteraturdenkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts, Bd. 13). Manuale scholarium, hg. von Pierre Riché. Turnhout 2014 (Témoins de Notre Histoire). Mansi, Johannes Dominicus (Hg.): Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Bd. 24. Venedig 1780. Map, Walter: De nugis curialium. Courtiers’ trifles, hg. von M. R. James, C. N. L. Brooke und R. A. B. Mynors. Oxford 1983 (Oxford medieval texts). Marbod von Rennes: Carmina Varia. In: PL 171, Sp. 1647 – 1736. Marlowe, Christopher: Dr Faustus B-Text. In: Doctor Faustus and Other Plays, hg. von David Bevington und Eric Rasmussen. Oxford, New York 1995 (Oxford English Drama), S. 184 – 246. Matthaeus Paris: Chronica Maior. 7 Bde., hg. von H. R. Luard 1872 – 1883 (ND 1964) (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores, Bd. 57). Matthias von Kemnat: Chronik Friedrich I. des Siegreichen. In: Quellen zur Geschichte Friedrich’s des Siegreichen. Erster Band, hg. von Conrad Hofmann. München 1862 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, Bd. 2), S. 1 – 142. Méril, Édélstand du (Hg.): Poésies Populaires Latines Antérieures au Douzième Siècle. Paris 1843.

640

Literaturverzeichnis

Meyer, Wilhelm (Hg.): Die Oxforder Gedichte des Primas (des Magisters Hugo von Orelans). In: Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse 13 (1907), S. 75 – 111 und 113 – 175. Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar, hg. von Christian Schröder. Würzburg 2005 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 24). Montanus, Martin: Das Ander theyl der Garten gesellschaft. In: Martin Montanus. Schwankbücher (1557 – 1566), hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1899 (BLV, Bd. 217), S. 253 – 434. Monumenta Inedita Rerum Germanicarum Praecipue Cimbricarum Et Megapolensium. 4 Bde., hg. von Ernst Joachim de Westphalen. Leipzig 1739 – 1745. Moser, Otto: Pädagogische Umschau. Zur Geschichte des Schulwesens. Culturhistorische Skizze. In: Cornelia. Zeitschrift für häusliche Erziehung 1 (1864), S. 147 – 151. Müller, Josef: Sagen aus Uri. Bd. 3, hg. von Robert Wildhaber. Basel 1945. Müller, M.: Ein Stadtrecht von Landshut aus dem 14. Jahrhundert. In: Verhandlungen des historischen Vereines für Niederbayern 22 (1882), S. 143 – 164. [Nicolaus von Bibra]: Der „Occultus Erfordensis“ des Nicolaus von Bibra. Kritische Edition mit Einführung, Kommentar und deutscher Übersetzung, hg. von Mundhenk, Christine. Weimar 1997 (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, Bd. 3). Murner, Thomas: Narrenbeschwörung, hg. von Meier Spanier. Berlin, Leipzig 1926 (Kritische Gesamtausgaben elsässischer Schriftsteller des Mittelalters und der Reformationszeit; Thomas Murners Deutsche Schriften, Bd. 2). Neues Gesamtabenteuer. Bd. 1, hg. von Heinrich Niewöhner und Werner Simon: Dublin 21967. Niavis (Schneevogel), Paulus: Latinum ydeoma pro novellis studentibus. ein Gesprächsbüchlein aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, hg. von Gerhard Streckenbach. In: MlatJb 6 (1970), S. 152 – 191 und 7 (1971) S. 187 – 251. Nivardus Gandavensis: Ysengrimus, hg. von Jill Mann. Leiden 1987 (Mittellateinische Studien und Texte, Bd. 12). Nigellus de Longchamp: Speculum stultorum, hg. von John H. Mozley und Robert R. Raymo. Berkeley 1960. Ins Deutsche als: Narrenspiegel oder Burnellus, der Esel, der einen längeren Schwanz haben wollt, hg. und übers. von Karl Langosch. Leipzig 1982. Ovidius Naso, Publius: Ex Ponto epistulae, hg. von J. A. Richmond. Leipzig 1990 (BT). Passional. Buch I: Marienleben, hg. von Annegret Haase, Martin Schubert und Jürgen Wolf. Berlin 2013 (Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 91,1). Pauli, Johannes: Schimpf und Ernst, hg. von Hermann Österley. Stuttgart 1866 (BLV, Bd. 85). Pauli, Johannes: Schimpf und Ernst. Zweiter Teil: Paulis Fortsetzer und Übersetzer, Erläuterungen, hg. von Johannes Bolte. Berlin 1924 (Alte Erzähler, Bd. 2, 2). Pecham, Johannes: Tractatus pauperis. In: Fratris Johannis Pecham quondam archiepiscopi Cantuariensis Tractatus tres de paupertate, hg. von A. G. Little, F. Tocco und A. G. Kingsford. Aberdeen 1910 (British Society of Franciscan Studies, Bd. 2), S. 21 – 90. Peiper, Rudolf (Hg.): Gaudeamus! Carmina vagorum selecta in usum laetitiae. Leipzig 1877. Petzet, Erich (Hg.): Der Briefwechsel von Emanuel Geibel und Paul Heyse. München 1922. Pfitzer, Nicolaus: [Widmann, Georg Rudolf] Fausts Leben, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1880 (BLV, Bd. 146). Philipp von Harvengt: De institutione clericorum. In: PL 203, Sp. 665 – 1206. Piccolomini, Eneas Silvius: Epistolarium seculare complectens De duobus amantibus, De naturis equorum, De curialium miseriis. Post Rudolf Wolkan, hg. von Adrianus van Heck. Città del Vaticano 2007 (Studi e testi, Bd. 439). Platter, Thomas: Thomas Plater’s Leben. Wegen seiner Merkwürdigkeit neu hg. von E. G. Baldinger. Marburg 1793. Platter, Thomas: Thomas Platter und Felix Platter. Zwei Autobiographien. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des XVI. Jahrhunderts, hg. von Daniel Albert Fechter. Basel 1840.

Quellen

641

Platter, Thomas: Lebensbeschreibung. Zweite ergänzte Auflage nach der Erstauflage von Alfred Hartmann, hg. von Ueli Dill. Basel 21999. Potho von Prüfening: Liber de miraculis Sanctae Dei Genitricis Mariae. Zuerst hg. von Bernhard Pez. Wien 1731, hg. von Thomas Frederick Crane. London 1925. Probst, Peter: Ein schon vasnacht spil von einem Mulner und seinem Weib. In: Die dramatischen Werke des Peter Probst (1553 – 1556), hg. von Emil Kreisler. Halle a. Saale 1907, S. 27 – 41. Pseudo-Boethius: De disciplina scolarium. Édition Critique, Introduction et Notes, hg. von Olga Weijers. Leiden 1976 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, Bd. 12). (Pseudo‐)Hippokrates: De morbo sacro. Über die heilige Krankheit, hg., übers. und erl. von Hermann Grensemann. Berlin 1968 (Ars medica: Abt. 2, Griechisch-lateinische Medizin, Bd. 1). Quintilianus, Marcus Fabius: Institutio oratoria. 2 Bde., hg. von M. Winterbottom. Oxford 1970 (OCT). Rather von Verona: Praeloquia, hg. von Peter L. D. Reid. Thurnhout 1984 (Corpus Christianorum, Continuatio mediaevalis, Bd. 46 A). Das Redentiner Osterspiel, hg. von Brigitta Schottmann. Stuttgart 1975. Reformation Kaiser Sigismunds, hg. von Heinrich Koller Stuttgart 1964 (MGH: Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 6). Regula Magistri. Ed. in: La règle du maitre. Introduction, texte, traduction et notes par Adalbert de Vogüé, 3 Bde., Paris 1964/1965 (Sources chrétiennes, Bde. 105, 106, 107), dt. als: Die Magisterregel. Einführung und Übersetzung, hg. von Karl Suso Frank. St. Ottilien 1989. Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Historische Einführung und Edition. hg. von Matthias Weber. Frankfurt a. M. 2002 (Ius commune Sonderhefte, Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 146). Rupert von Deutz: Commentaria in Evangelium s. Joannis. In: PL 169, Sp. 201 – 828. Sachs, Hans: Der farend schuler mit dem teuffel-pannen. In: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875 (BLV, Bd. 125), S. 72 – 84. Sachs, Hans: Das unhulden-bannen. In: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875 (BLV, Bd. 125), S. 271 – 275. Sachs, Hans: Die unsichtige nacket hausmagdt. In: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875 (BLV, Bd. 125), S. 502 – 505. Sachs, Hans: Der pawrenknecht mit der nebelkappen. In: Werke. Bd. 9, hg. von Adalbert von Keller. Tübingen 1875 (BLV, Bd. 125), S. 506 – 509. Sachs, Hans: Der farendt schuler im paradeiß. In: Werke. Bd. 14, hg. von Adalbert von Keller und Edmund Goetze. Tübingen 1882 (BLV, Bd. 159), S. 72 – 83. Sachs, Hans: Der parteckensack. In: Werke. Bd. 17, hg. von Edmund Goetze. Tübingen 1888 (BLV, Bd. 181), S. 3 – 16. Sachs, Hans: Der doctor im Venus-perg. In: Werke. Bd. 22, hg. von Edmund Goetze. Tübingen 1894 (BLV, Bd. 201), S. 319 f. Sachs, Hans: Der farent schueler mit dem deufl. In: Die Fabeln und Schwänke in den Meistergesängen, hg. von Edmund Goetze und Carl Drescher. Halle a. Saale 1904 ( Sämtliche Fabeln und Schwänke, Bd. 5), S. 1 – 3. Sachs, Hans: Der farent schuler mit der reich einfeltigen pewrin. In: Die Fabeln und Schwänke in den Meistergesängen, hg. von Edmund Goetze und Carl Drescher. Halle a. Saale 1904 (Sämtliche Fabeln und Schwänke, Bd. 5), S. 3 – 5. Sachs, Hans: Die zwey gesellen mit dem wirt (In dem langen tone Müglings). In: Die Fabeln und Schwänke in den Meistergesängen, hg. von Edmund Goetze und Carl Drescher. Halle a. Saale 1913 (Sämtliche Fabeln und Schwänke, Bd. 6), S. 101 – 103. Sammlung historischer Schriften und Urkunden. Bd. 2, hg. von Maximilian Freiherr von Freyberg. Stuttgart, Tübingen 1829.

642

Literaturverzeichnis

Schein, Johann Hermann: Venuskränzlein/Studentenschmaus, hg. von Marianne Helms und Siegmund Helms. Basel, Tours, London 1970 (Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 6). Seneca, Lucius Annaeus: Dialogorum libri duodecim, hg. von L. D. Reynolds. Oxford 1977 (OCT); hier: De beata vita S. 167 – 197 und De tranquillitate animi S. 207 – 238. Ins Deutsche als: Schriften zur Ethik. Die kleinen Dialoge, hg. und übers. von Gerhard Fink. Düsseldorf 2008 (Sammlung Tusculum). Seneca, Lucius Annaeus: Epistulae morales ad Lucilium. 2 Bde., hg. von L. D. Reynolds. Oxford 1965 (OCT). Senfl, Ludwig: Deutsche Lieder zu vier bis sechs Stimmen. III. Teil: Lieder aus den gedruckten Liederbüchern von Egenolff 1535, Finck 1536, Schöffer und Apiarius 1536, Forster 1539 – 1540, Salblinger 1540 und Ott 1544, hg. von Arnold Geering und Wilhelm Altwegg. Wolfenbüttel 1949 (Sämtliche Werke, Bd. 5). Scheffel, Joseph Victor von: Lieder eines fahrenden Schülers. In: Fliegende Blätter 116 (1847), S. 153 – 156. Scheffel, Joseph Victor von: Briefe an Schweizer Freunde, hg. von Adolf Frey. Zürich 1898. Scheffel, Joseph Victor von: Briefe an Karl Schwanitz (Nebst Briefen der Mutter Scheffels) 1845 – 1886. Leipzig 1906. Scheffel, Joseph Victor von: Der Trompeter von Säckingen. In: Werke, hg. von Friedrich Panzer. Leipzig, Wien 1922, Bd. 2, S. 175 – 394. Scheffel, Joseph Victor von: Frau Aventiure. Lieder aus Heinrich von Ofterdingens Zeit. In: Werke, hg. von Friedrich Panzer. Leipzig, Wien 1922, Bd. 2, S. 5 – 174. Scheffel, Joseph Victor von: Gaudeamus! In: Werke, hg. von Friedrich Panzer. Leipzig, Wien 1922, Bd. 1, S. 1 – 134. Scheffel, Joseph Victor von: Briefwechsel mit Carl Alexander, Grossherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, hg. von Conrad Höfer. Karlsruhe 1928 (Gabe des Deutschen Scheffelbundes an seine Mitglieder, Bd.4). Scheffel, Joseph Victor von: Briefwechsel mit Paul Heyse, hg. von Conrad Höfer. Karlsruhe 1932 (Gabe des Deutschen Scheffelbundes an seine Mitglieder, Bd. 8). Scheffel, Joseph Victor von: Wandern und Weilen. Briefe ins Elternhaus, 1860 – 1864, hg. von Wilhelm Zentner Karlsruhe 1951 (Gabe an die Mitglieder des Volksbundes für Dichtung, Bd. 26). Scheible, Johann (Hg.): Doktor Johannes Faust’s Magia naturalis et innaturalis oder Dreifacher Höllenzwang. Stuttgart 1849 (Bibliothek der Zauber-, Geheimniß- und Offenbarungs-Bücher und der Wunder-Hausschatz-Literatur, Bd. 1). [Schmieher, Peter]: Der Reimpaardichter Peter Schmieher. Texte und Untersuchungen, hg. von John E. Tailby Göppingen 1978 (GAG, Bd. 241). Sermones in Regulam s. Benedicti. Ein zisterziensischer Regelkommentar aus Pontigny, hg. von Jörg Sonntag. Berlin, Münster 2016 (Vita regularis Editionen, Bd. 6). Shakespeare, William: Henry IV, 1. In: Stephen Greenblatt (Hg.): The Norton Shakespeare. Based on the Oxford Edition. New York, London 1997, S. 1147 – 1224. Sigismund, Berthold: Lieder eines fahrenden Schülers. In: Ausgewählte Schriften, hg. von Karl Markscheffel. Langensalza 1900, S. 381 – 405. Silcher, Friedrich und Friedrich Erk (Musikal. Red.): Allgemeines Deutsches Kommersbuch, hg. von Hermann und Moritz Schauenburg. Lahr 61861. Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, hg. von Heinrich Niewöhner Berlin 1913. Stephani, Clemens: Ein kurtze vnd fast lustige Satyra, oder Bawrenspil. In: Ausgewählte Texte aus der deutschen Litteratur Böhmens im XVI. Jahrhunderte, hg. von Rudolf Wolkan. Prag 1891 (Böhmens Anteil an der deutsche Litteratur des XVI. Jahrhunderts, Bd. 2), S. 125 – 139. Strecker, Karl (Hg.): Zwei mittellateinische Liedchen. In: ZfdPh 51 (1926), S. 117 – 119.

Quellen

643

Suppan, Wolfgang (Hg.): Texte und Melodien der „Erlauer Spiele“. Tutzing 1990 (Musikethnologische Sammelbände, Bd.11). Terentius Afer, Publius: Comoediae, hg. von Robert Kauer und Wallace M. Lindsay. Oxford 1973 (OCT). Testimonia minora saeculi XIII de S. Francisco Assisiensi, hg. von Leonhard Lemmens. Florenz 1926. Des Teufels Netz. Satirisch-didaktisches Gedicht, hg. von Karl August Barack. Stuttgart 1863 (BLV, Bd. 70). Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus: Drei Bücher der Wundarznei, Bertheonei. In: Sämtliche Werke. I. Abteilung: Die medizinischen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften. Bd. 6, hg. von Karl Sudhoff. München 1922, S. 39 – 206. Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus: Das Buch von den tartarischen Krankheiten. In: Sämtliche Werke. I. Abteilung: Die medizinischen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften. Bd. 11, hg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1928, S. 15 – 121. [Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus]: De occulta philosophia. In: Sämtliche Werke. I. Abteilung: Die medizinischen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften. Bd. 14, hg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1933, S. 513 – 542. Thomas von Aquin: Summa theologica. Die deutsche Thomas-Ausgabe (Summa theologica), lat.– dt. übers. von Dominikanern u. Benediktinern Deutschlands u. Österreichs. 36 Bde. Salzburg, Leizig, Graz u. a. 1933 – 1961. Tilemann Elhen von Wolfhagen: Die Limburger Chronik, hg. von Arthur Wyss. Hannover 1883 (MGH: Deutsche Chroniken, Bd. 4,1). [Trivet, Nicholas]: Commentum Super libri Boetii de Scholarium Disciplina. In: Doctoris Angelici Divi Thomae Aquinatis sacri ordinis F. F. Praedicatorum opera omnia. Bd. 26, hg. von Stanislaus Eduard Fretté. Paris 1875, S. 571 – 671. Turmair, Johannes, (Aventinus): Bayerische Chronik, hg. von Matthias Lexer. München 1882. Uhland, Ludwig: Ludwig der Baier. Schauspiel in fünf Aufzügen. In: Uhlands Werke. Bd. 2, hg. von Ludwig Fränkel. Leipzig, Wien 1908, S. 79 – 164. Uhland, Ludwig: Briefwechsel. Vierter Teil (1851 – 1862), hg. von Julius Hartmann. Stuttgart, Berlin 1916 (Veröffentlichungen des Schwäbischen Schillervereins, Bd. 7). Die Urkunden Friedrichs I. 1158 – 1167, hg. von Heinrich Appelt. Hannover 1979 (MGH: Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bd. 10,2). Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürstenthümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs, Kleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden, hg. von Theodor Joseph Lacomblet. 4 Bde. Düsseldorf 1840 – 1858. Eine Vagantenurkunde aus dem Jahr 1209. Überliefert auf einem fliegenden Pergamentblatt des 13. Jh. im alten Saalbuch der Canonie St. Pölten, hg. von Walter Zechmeister In: Circulare (2001), S. 25 – 26. Vergilius Maro, Publius: Opera, hg. von R. A. B. Mynors. Oxford 1969 (OCT). Vetter, Ferdinand (Hg.): Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhausen, Mönchs und Leutpriesters zu Stein am Rhein. Nebst den Schachbüchern des Jakob von Cessole und des Jakob Mennel. Frauenfeld 1892 (Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz. Ergänzungsbd. zur ersten Serie). Villon, François: Poésies Completes, hg. von Pierre Michel. Paris 1972 Villon, François: Le Testament Villon. Bd. 1, hg. von Jean Rychner und Albert Henry. Genf 1974. Villon, François: Le Lais de François Villon. In: Le Lais Villon et les Poèmes Variés. Bd. 1, hg. von Jean Rychner und Albert Henry. Genf 1977, S. 11 – 30. Villon, François: Louange à Marie d’Orleans. In: Le Lais Villon et les Poèmes Variés. Bd. 1, hg. von Jean Rychner und Albert Henry. Genf 1977, S. 40 – 45. Villon, François: Sämtliche Werke, übers. und hg. von Carl Fischer. München 22002.

644

Literaturverzeichnis

Vinzenz von Beauvais: Speculum Quadruplex sive Speculum Maius. Bd. II: Speculum doctrinale. Graz 1965. [Visconti, Federico:] Les Sermons et la Visite Pastorale de Federico Visconti Archevêque de Pise, 1253 – 1277, hg. von Nicole Beriou. Rome 2001 (Sources et documents d’histoire du Moyen Âge, Bd. 3). Vitae patrum sive historiae eremiticae libri decem. 2 Bde., hg. von Heribert Rosweyde. Paris 1850/1860 (PL 73, 74). Vogel, Hans: Der farent schuler mit dem pfaffen. In: Martin Montanus. Schwankbücher, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1899 (BLV, Bd. 217), S. 538 – 540. Voigt, Gottfried: Indices I-VI. In: Nomenclator Strategicus, hg. von Konrad Samuel Schurzfleisch, Gießen 1720. Von einem fahrenden Schüler, hg. von Wilhelm Grimm. In: Wilhelm Grimm und Jacob Grimm (Hg.): Altdeutsche Wälder. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1815, S. 49 – 69. Die Vorauer Novelle und die Reuner Relationen, hg. von Hans Gröchenig: Göppingen 1981 (Litterae Göppinger Beiträge zur Textgeschichte, Bd. 81). Die Vorauer Novelle, übers. von Andrea Hofmeister. Graz 2012 (Texte zu den Steirischen Literaturpfaden des Mittelalters, Bd. 4). Wackernagel, Wilhelm: Gedichte eines fahrenden Schülers. Berlin 1828. Waldis, Burkhard: Esopus. 400 Fabeln und Erzählungen nach der Erstausgabe von 1548, hg. von Ludger Lieb, Jan Mohr und Herfried Vögel. Berlin, New York 2011 (Frühe Neuzeit, Bd. 154). Wickram, Georg: Werke, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1906 (BLV, Bd. 241). Wickram, Georg: Das Rollwagenbüchlein, hg. von Hans-Gert Roloff. Berlin, New York 1973 (Sämtliche Werke, Bd. 7; Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 46). Wickram, Georg: Knabenspiegel. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken, mit sämtlichen Holzschnitten. Frankfurt a. M. 1990 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd. 1), S. 679 – 828. Widman, Georg: Chronica. In: Geschichtsquellen der Stadt Hall. Bd. 2, hg. von Christian Kolb. Stuttgart 1904 (Württembergische Geschichtsquellen, Bd. 6). Das Wiener Passionsspiel: In: Froning, Richard (Hg.): Das Drama des Mittelalters. Teil 2: Passionsspiele. Stuttgart 1891 (Deutsche National-Litteratur, Bd. 14,2), S. 302 – 324. Wilhelm von Malmesbury: Gesta regum Anglorum. The History of the English Kings. Bd. 1, hg. von William, R. A. B. Mynors u. a. Oxford 1998 (Oxford medieval texts). Wimpfeling, Jakob: Briefwechsel. Bd. 1, hg. von Otto Herding und Dieter Mertens. München 1990 (Jacobi Wimpfelingi Opera selecta, Bd. 3, 1). Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Text, Übersetzung, Kommentar, hg. von Werner Röcke. Berlin, Boston 2012. Wolff, Julius: Der fahrende Schüler. Eine Dichtung, hg. von Joseph Lauff. Leipzig 1913 (Sämtliche Werke, Bd. 17). Wright, Thomas: The Latin Poems: Commonly Attributed to Walter Mapes. London 1841. Württembergische Ländliche Rechtsquellen. Bd. 2: Das Remstal, das Land am mittleren Neckar und die Schwäbische Alb, hg von Friedrich Wintterlin. Stuttgart 1922. Zink, Burkhard: Chronik, hg. von Ferdinand Frensdorff. Leipzig 1866 (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 5). Zimmern, Froben Christoph von: Zimmerische Chronik. 4 Bde., hg. von Karl August Barack. Freiburg i. Br., Tübingen 21881 – 1882. Zimmern, Froben Christoph von: Die Chronik der Grafen von Zimmern. Handschriften 580 und 581 der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen, hg. von Hansmartin Decker-Hauff. Konstanz 1964 – 1972. Zupfgeigenhansl, hg. von Hans Breuer. Darmstadt 1909.

Forschung

645

Forschung Aarne, Antti Amatus: Der Mann aus dem Paradiese in der Literatur und im Volksmunde. Eine vergleichende Schwankuntersuchung. Hamina 1915 (FF communications, Bd. 22). Abe, Horst Rudolf: Die mittelalterliche Universität Erfurt im Spiegel der zeitgenössischen Chroniken des Hartung Cammermeister († 1467) und des Conrad Stolle († 1505). In: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 3 (1957), S. 7 – 18. Academia Caesarea Vindobonensis (Hg.): Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum. Wien 1869. Achnitz, Wolfgang: Das Feld der literarischen Kleinformen im Mittelalter. In: Wolfgang Achnitz und Mathias Herweg (Hg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter. Bd. 5: Epik (Vers – Strophe – Prosa) und Kleinformen. Berlin, Boston 2013, S. XXVII–XLI. Ricoeur and Castoriadis. Radio Dialogue. In: Suzi Adams (Hg.): Ricoeur and Castoriadis in Discussion. On Human Creation, Historical Novelty, and the Social Imaginary. London 2017 (Social imaginaries), S. 1 – 20. Adorno, Theodor W.: Über Tradition. In: Kulturkritik und Gesellschaft I. Frankfurt a. M. 1977 (Gesammelte Schriften, Bd. 10,1), S. 310 – 320. Agus, Aharon R. E.: Heilige Texte. München 1999. Ajouri, Philip: Ökonomische Semantik in Texten der Alamodekritik von ca. 1628 – 1675. In: Sandra Richter und Guillaume Garner (Hg.): „Eigennutz“ und „gute Ordnung“. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 54), S. 187 – 206. Alber, Jan und Monika Fludernik (Hg.): Postclassical Narratology. Approaches and Analyses. Columbus 2010 (Theory and interpretation of narrative). Alberts, Hildegard: Reuchlins Drucker Thomas Anselm unter besonderer Berücksichtigung seiner Pforzheimer Presse. In: Manfred Krebs (Hg.): Johannes Reuchlin (1455 – 1522), neu herausgegeben und erweitert von Hermann Kling und Stefan Rhein. Sigmaringen 1994 (Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 4), S. 205 – 265. Alemparte, Jaime Ferreiro: La escuela de nigromancia de Toledo. In: Anuario de estudios medievales 13 (1983), S. 205 – 268. Althammer, Beate und Christina Gerstenmayer (Hg.): Bettler und Vaganten in der Neuzeit. Eine kommentierte Quellenedition. Essen 2013. Althoff, Gerd und Christel Meier: Ironie im Mittelalter. Hermeneutik – Dichtung – Politik. Darmstadt 2011. Altrock, Stephanie: Gewitztes Erzählen in der Frühen Neuzeit. Heinrich Bebels Fazetien und ihre deutsche Übersetzung. Köln 2009 (Kölner germanistische Studien N.F., Bd. 10). Amalric, Jean-Luc: Ricoeur and Castoriadis. The Productive Imagination Between Mediation and Origin. In: Suzi Adams (Hg.): Ricoeur and Castoriadis in Discussion. On Human Creation, Historical Novelty, and the Social Imaginary. London 2017 (Social imaginaries), S. 77 – 110. Ammon, Frieder von und Michael Waltenberger: Wimmeln und Wuchern. Pluralisierungs-Phänomene in Johannes Paulis Schimpf und Ernst und Valentin Schumanns Nachtbüchlein. In: Jan-Dirk Müller, Wulf Oesterreicher und Friedrich Vollhardt (Hg.): Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit. Berlin 2010 (Pluralisierung & Autorität, Bd. 21), S. 273 – 301. Andersson, Theodore M.: Rüdiger von Munre’s ‚Irregang und Girregar‘: A Courtly Parody? In: PBB 93 (1971), S. 311 – 350. Angermeier, Heinz: Die Reichsreform 1410 – 1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart. München 1984. Arens, Hans: Kommentar zu Goethes Faust I. Heidelberg 1982 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3, Bd. 57).

646

Literaturverzeichnis

Ariès, Philippe: Geschichte der Kindheit, übers. von Caroline Neubaur und Karin Kersten. München, Wien 41977. Aris, Marc-Aeilko: Contemplatio. Philosophische Studien zum Traktat Benjamin Maior des Richard von St. Victor. Mit einer verbesserten Edition des Textes. Frankfurt a. M. 1996 (Fuldaer Studien, Bd. 6). Arnason, Johann P.: Kulturelle Horizonte und imaginäre Bedeutungen. In: Alice Pechriggl und Karl Reitter (Hg.): Die Institution des Imaginären. Zur Philosophie von Cornélius Castoriadis. Wien, Berlin 1991, S. 143 – 171. Ascheri, Mario: La Nobiltà dell’Università Medievale nella Glossa e in Bartolo de Sassoferrato. In: Angela de Benedictis (Hg.): Sapere e/è potere. Discipline, Dispute e Professioni nell’Università Medievale e Moderna. Il Caso Bolognese a Confronto. Bd 3. Bologna 1990 (Collana Convegni e colloqui N.S., Bd. 14), S. 239 – 268. Assion, Peter: Matthias Hütlin und sein Gaunerbüchlein, der ‚Liber Vagatorum‘. In: Alemannisches Jahrbuch (1971/1972), S. 74 – 92. Assmann, Aleida: Kultur als Lebenswelt und Monument. In: Aleida Assmann und Dietrich Harth (Hg.): Kultur als Lebenswelt und Monument. Frankfurt a. M. 1991, S. 11 – 25. Assmann, Aleida: Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer. Köln, Weimar, Wien 1999 (Beiträge zur Geschichtskultur, Bd. 15). Assmann, Aleida: Das Archiv und die neuen Medien des kulturellen Gedächtnisses. In: eorg Stanitzek und Wilhelm Voßkamp (Hg): Schnittstelle. Medien und Kulturwissenschaften. Köln 2001 (Mediologie, Bd. 1), S. 268 – 281. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 52010. Assmann, Aleida: Tradition und kulturelles Gedächtnis. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.). Assmann, Aleida und Jan Assmann: Schrift, Tradition und Kultur. In: Wolfgang Raible (Hg.): Zwischen Festtag und Alltag. Zehn Beiträge zum Thema „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“. Tübingen 1988 (Script-Oralia, Bd. 6), S. 25 – 49. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992 (C. H. Beck Kulturwissenschaft). Asztalos, Monika: Die theologische Fakultät. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 359 – 385. Auerochs, Bernd: Tradition als Grundlage und kulturelle Präfiguration von Erfahrung. In: Friedrich Jaeger und Burkhard Liebsch (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Stuttgart 2004, S. 24 – 37. Augustyn, Wolfgang: Zu einem astronomisch-medizinischen Handbuch aus dem Spätmittelalter (München, Bayerische Staatsbibliothek, cod. lat. mon. 4394). Ein Vorbericht. In: Wolfgang Augustyn (Hg.): Rondo. München 2010 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, Bd. 25), S. 33 – 43. Aurnhammer, Achim (Hg.): Giovanni Boccaccio in Europa. Studien zu seiner Rezeption in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2014 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 31). Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestande. Leipzig 1858 – 1862. Babcock-Abrahams, Barbara: A Tolerated Margin of Mess. The Trickster and His Tales Reconsidered. In: Journal of the Folklore Institute 11 (1975), S. 147 – 186. Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, übers. von Gabiele Leupold, hg. von Renate Lachmann. Frankfurt a. M. 1987.

Forschung

647

Backes, Martina und Jürgen Geiß: Zwei neue Fragmente des ‚Schachzabelbuchs‘ Konrads von Ammenhausen. Mit einer revidierten Liste der Textzeugen. In: ZfdA 125 (1996), S. 419 – 447. Badel, Ann-Kristin: Studenten als Botschafter des Himmels. ‚delectatio‘ und ‚utilitas‘ in Überlieferungen des Schwankstoffs vom ‚Studenten aus dem Paradies‘. In: Bernhard Jahn, Dirk Rose und Thorsten Unger (Hg.): Ordentliche Unordnung. Metamorphosen des Schwanks vom Mittelalter bis zur Moderne. Heidelberg 2014 (Beihefte zum Euphorion, Bd. 79), S. 109 – 130. Bahrdt, Hans: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Ein Vortrag zur Entstehung dieser Studie. In: Zeitschrift für Soziologie 14 (1985), S. 152 – 155. Baisch, Martin: Was ist ein Werk? Mittelalterliche Perspektiven. In: Jahrbuch für internationale Germanistik 34 (2002), S. 105 – 125. Baisch, Martin: Seitensprünge und Eisenstäbe. Blutspuren in Szenarien von Betrug und Verstellung. In: Matthias Meyer und Alexander Sager (Hg.): Verstellung und Betrug im Mittelalter und in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2015 (Aventiuren, Bd. 7), S. 9 – 33. Baldzuhn, Michael: Schulbücher im Trivium des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die Verschriftlichung von Unterricht in der Text- und Überlieferungsgeschichte der „Fabulae“ Avians und der deutschen „Disticha Catonis“. Berlin u. a. 2009 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 44). Barack, Karl August: Die Handschriften der Fürstlich-Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen. Tübingen 1865. Barclay, David E.: Medievalism and Nationalism in Nineteeth-Century Germany. In: Studies in Medievalism 5 (1993), S. 5 – 22. Barner, Wilfried: Über das Negieren von Tradition. Zur Typologie literaturprogrammatischer Epochenwenden in Deutschland. In: Reinhart Herzog und Reinhart Koselleck (Hg.): Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. München 1987 (Poetik und Hermeneutik, Bd. 12), S. 3 – 51. Barner, Wilfried: Literaturwissenschaft – eine Geschichtswissenschaft? München 1990 (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 18). Barner, Wilfried: Tradition als Kategorie der Literaturgeschichtsschreibung. In: Wilfried Barner (Hg.): Pioniere, Schulen, Pluralismus. Studien zu Geschichte und Theorie der Literaturwissenschaft. Tübingen 1997, S. 277 – 296. Barner, Wilfried: Wirkungsgeschichte und Tradition. Ein Beitrag zur Methodologie der Rezeptionsforschung. In: Wilfried Barner (Hg.): Pioniere, Schulen, Pluralismus. Studien zu Geschichte und Theorie der Literaturwissenschaft. Tübingen 1997, S. 253 – 276. Barner, Wilfried: Über die Witzfähigkeit des Deutschen. Heinrich Bebels lateinischer Import aus Italien. In: Ulrike-Christine Sander und Fritz Paul (Hg.): Muster und Funktionen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung. Beiträge zur internationalen Geschichte der sprachlichen und literarischen Emanzipation. Göttingen 2000 (Europäische Literaturen und internationale Prozesse, Bd. 5), S. 303 – 318. Barner, Wilfried: Traditionsverhalten als Element kultureller Orientierung. Mit Erläuterungen am Beispiel von Leibnitzens Reunionsbestrebungen. In: Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger und Jörg Wesche (Hg.): Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit, Bd. 93), S. 183 – 197. Bartels, Karl-Heinz: Breslauer Medizinal-Statuten aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 47/48 (2006/2007), S. 11 – 26. Barthel, Katja: Gattung und Geschlecht. Weiblichkeitsnarrative im galanten Roman um 1700. Berlin, Boston 2016 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung, Bd. 56). Barthes, Roland: De l’Œuvre au Texte. In: Roland Barthes (Hg.): Le Bruissement de la Langue. Paris 1984 (Essais Critiques, Bd. 4), S. 69 – 77. Barto, Philip Stephan: Tannhäuser and the Mountain of Venus. A Study in the Legend of the Germanic Paradise. New York 1916.

648

Literaturverzeichnis

Baßler, Moritz: Einleitung: New Historicism – Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Tübingen, Basel 22001, S. 7 – 28. Baßler, Moritz, Christoph Brecht u. a. (Hg.): Historismus und literarische Moderne. Tübingen 1996. Bässler, Andreas: Sprecherkonstellation in Grimmelshausens Titelkupfer-Arrangements. In: Simpliciana 30 (2008), S. 17 – 46. Bastert, Bernd: „Überwachen und Strafen“. simulatio und dissimulatio in deutschen Chanson de geste-Bearbeitungen des 12.–14. Jahrhunderts. In: Matthias Meyer und Alexander Sager (Hg.): Verstellung und Betrug im Mittelalter und in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2015 (Aventiuren, Bd. 7), S. 35 – 51. Battenberg, Friedrich: Obrigkeitliche Sozialpolitik und Gesetzgebung. Einige Gedanken zu mittelrheinischen Bettel- und Almosenordnungen des 16. Jahrhunderts. In: ZHF 18 (1991), S. 33 – 70. Bauer, Barbara: Die Philosophie des Sprichworts bei Sebastian Franck. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Sebastian Franck. (1499 – 1542). Wiesbaden 1993 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 56), S. 181 – 221. Baumgärtner, Ingrid: De privilegiis doctorum. Über Gelehrtenstand und Doktorwürde im späten Mittelalter. In: Historisches Jahrbuch 106 (1986), S. 298 – 332. Bäuml, Franz Heinrich: „Guot umb ere nemen“ and Minstrel Ethics. In: Journal of English and Germanic Philology 59 (1960), S. 173 – 183. Bausinger, Hermann: Bemerkungen zum Schwank und seinen Formtypen. In: Fabula 9 (1967), S. 118 – 136. Bayless, Martha: Parody in the Middle Ages. The Latin tradition. Ann Arbor 1996 (Recentiores). Bechthum, Martin: Beweggründe und Bedeutung des Vagantentums in der lateinischen Kirche des Mittelalters. Jena 1941. Bédier, Joseph: Les Fabliaux. Études de Littérature Populaire et d’Histoire Littéraire du Moyen Âge. Paris 1893. Bedorf, Thomas: Spur. In: Ralf Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Darmstadt 2007, S. 401 – 420. Beidelman, Thomas O.: The Moral Imagination of the Kaguru. Some Thoughts on Tricksters, Translation and Comparative Analysis. In: American Ethnologist 7 (1980), S. 27 – 42. Beine, Birgit: Der Wolf in der Kutte. Geistliche in den Mären des deutschen Mittelalters. Bielefeld 1999 (Braunschweiger Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur, Bd. 2). Beller, Manfred: Von der Stoffgeschichte zur Thematologie. Ein Beitrag zur komparatistischen Methodenlehre. In: Arcadia 5 (1970), S. 1 – 38. Ben-Amos, Dan: Jewish Folkstales. An Encyclopedic Survey. Old and Middle Yiddish Folktales. In: Jewish Folklore and Ethnology Review 14 (1992), S. 5 f. Bennington, Geoffrey: Jacques Derrida. Ein Portrait. Frankfurt a. M. 2001 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1550). Bergengruen, Maximilian: Nachfolge Christi – Nachahmung der Natur. Himmlische und natürliche Magie bei Paracelsus, im Paracelsismus und in der Barockliteratur (Scheffler, Zesen, Grimmelshausen). Hamburg 2007 (Paradeigmata, Bd. 26). Bergengruen, Maximilian: Satyr mit Gauckel-Tasche. Titelkupfer und Illustration als implizite Poetik des Simplicianischen Zyklus. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen. München 2008 (Text + Kritik Sonderband 6/08). Bergengruen, Maximilian: Lässliche Todsünde oder Männerphantasie? Zur Funktion der Luxuria in der Venusberg-Episode des Simplicissimus. In: Simpliciana 32 (2010), S. 83 – 100. Berger, Peter L. und Thomas Luckmann: The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge. New York 1966.

Forschung

649

Bergerfurth, Wolfgang: „Des fables fait on les fabliaus“. Zum Verhältnis von Fabel und Fablel. In: Wolfgang Bergerfurth, Erwin Diekmann und Otto Winkelmann (Hg.): Festschrift für Rupprecht Rohr zum 60. Geburtstag. Heidelberg 1979, S. 61 – 73. Bergmann, Werner: Innovationen im Quadrivium des 10. und 11. Jahrhunderts. Stuttgart 1985 (Sudhoffs Archiv, Beihefte, Bd. 26). Bernheim, Ernst: Einleitung in die Geschichtswissenschaft. Leipzig 1907. Berns, Jörg Jochen: Der Zauber der technischen Medien. Fernrohr, Hörrohr, Camera obscura, Laterna magica. In: Simpliciana 26 (2004), S. 245 – 266. Bernstein, Eckhard: Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha. Köln, Weimar, Wien 2014 (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, Bd. 2). Berron, Reinhard und Christian Seebald: Die neue Berliner Handschrift mgo 1430. Ein bedeutendes Zeugnis zur Märenüberlieferung des 14. Jahrhunderts. In: ZfdA 145 (2016), S. 319 – 342. Berschin, Walter: Einleitung in die lateinische Philologie des Mittelalters (Mittellatein), hg. von Tino Licht. Heidelberg 2012. Bezner, Frank: Zwischen „Sinnlosigkeit“ und „Sinnhaftigkeit“. Figurationen der Retextualisierung in der mittellateinischen Literatur. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005 (ZfdPh Sonderhefte, Bd. 124), S. 205 – 237. Bezner: Devianz tradieren. Überlegungen zur materialen Semantik der Vagantendichtung des lateinischen Mittelalters. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.). Bezner, Frank und Kirsten Mahlke (Hg.): Zwischen Wissen und Politik. Archäologie und Genealogie frühneuzeitlicher Vergangenheitskonstruktionen. Heidelberg 2011 (Akademiekonferenzen, Bd. 6). Bialecka, Aneta: Kinder der Luna. Theaterhistorische Bildquellenforschung zur Ikonographie des Gauklers im höfischen und städtischen Kontext des 15. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Diplomarbeit Wien 2008. Bialecka, Aneta: Der Planeten irdische Kinder. In: Nathanael Busch und Björn Reich (Hg.): Vergessene Texte des Mittelalters. Stuttgart 2014, S. 217 – 234 Bieler, Ludwig (Hg.): The Irish Penitentials. Dublin 1963 (Scriptores Latini Hiberniae, Bd. 5). Bisanz, John Adam: Zwischen Stoffgeschichte und Thematologie. Betrachtungen zu einem literaturtheoretischen Dilemma. In: DVjs 47 (1973), S. 148 – 166 Blauert, Andreas: Hexenverfolgungen in einer spätmittelalterlichen Gemeinde. Das Beispiel Kriens/Luzern um 1500. In: Geschichte und Gesellschaft 16 (1990), S. 8 – 25. Blechner, Michael Harry: Chaucer’s Nicholas and Saint Nicholas. In: Neuphilologische Mitteilungen 79 (1978), S. 367 – 371. Bleeck, Klaus und Jörn Garber: Nobilitas. Standes- und Pivilegienlegitimation in deutschen Adelstheorien des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Daphnis 11 (1982), S. 49 – 114. Bleumer, Hartmut; Emmelius, Caroline: Generische Transgressionen und Interferenzen. Theoretische Konzepte und historische Phänomene zwischen Lyrik und Narrativik. In: Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius (Hg.): Lyrische Narrationen, narrative Lyrik. Gattungsinterferenzen in der mittelalterlichen Literatur. Berlin, New York 2011 (Trends in medieval philology, Bd. 16), S. 1 – 42. Bloch, Marc (Hg.): Apologie der Geschichtswissenschaft oder der Beruf des Historikers. Stuttgart 2 2008. Blöcker, Susanne: Studien zur Ikonographie der sieben Todsünden in der niederländischen und deutschen Malerei und Graphik von 1450 – 1560. Münster, Hamburg 1993 (Bonner Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 8).

650

Literaturverzeichnis

Bloemendal, Jan: Macropedius’s Drama in an International Context. In: Jan Bloemendal (Hg.): The Latin Playwright Georgius Macropedius (1487 – 1558) in European Contexts. Turnhout 2009 (European Medieval Drama, Bd. 13), S. 39 – 55. Bloh, Ute von: ‚Spielerische Fiktionen‘. Parasitäre Verselbständigungen einzelner Szenen aus Geistlichen Spielen (‚Erlauer Magdalenenspiel‘, ‚Melker Salbenkrämerspiel‘, Vigil Rabers ‚Ipocras‘. In: Ursula Peters und Rainer Warning (Hg.): Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Paderborn 2009, S. 407 – 432. Blume, Dieter: Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance. Berlin 2000 (Studien aus dem Warburg-Haus, Bd. 3). Blumenberg, Hans: Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Frankfurt a. M. 1973 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 24). Blumenberg, Hans: Lebenszeit und Weltzeit. Frankfurt a. M. 1986. Blumenberg, Hans: Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt a. M. 21996 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1268) Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M. 31996. Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M. 52017 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1805). Boas, Marcus: De librorum Catonianorum historia atque compositione. In: Mnemosyne 42 (1914), S. 17 – 46. Bock, Nils: Die Herolde im römisch-deutschen Reich. Studie zur adligen Kommunikation im späten Mittelalter. Ostfildern 2015 (Mittelalter-Forschungen, Bd. 49). Böckmann, Paul: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Hamburg 31967. Boehncke, Heiner: Die Austreibung der Fahrenden. Geschichten eines Gaunerbuchs. In: Heiner Boehncke und Rolf Johannsmeier (Hg.): Das Buch der Vaganten. Spieler, Huren, Leutbetrüger. Köln 1987, S. 43 – 78. Boer, Jan-Hendryk de, Marian Füssel und Maximilian Schuh: Einleitung. In: Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 11 – 15. Bogdal, Klaus-Michael: Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Bonn 2011 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bd. 1232). Boghossian, Paul Artin: Fear of Knowledge. Against Relativism and Constructivism. Oxford, New York 2006. Böhm, Constantin Edler von: Die Handschriften des Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Wien 1873. Bohnenkamp-Renken, Anne: „… das Hauptgeschäft nicht außer Augen lassend“. Die Paralipomena zu Goethes „Faust“. Frankfurt a. M. 1994. Bolte, Johannes: Ein Augsburger Liederbuch vom Jahre 1454. In: Alemannia 8 (1890), S. 97 – 127 und 203 – 235. Bolte, Johannes: Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger in Deutschland, Holland und Skandinavien. Hamburg, Leipzig 1893 (Theatergeschichtliche Forschungen, Bd. 7). Bolte, Johannes: Fahrende Leute in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 31 (1928), S. 625 – 655. Bolte, Johannes und Wilhelm Seelmann: Niederdeutsche Schauspiele älterer Zeit. Leipzig, Norden 1895. Bónis, György: Magyi János formuláskönyve és a gyakorlati jogtanítás. In: Andor Csizmadia (Hg.): Jubileumi tanulmányok a pécsi egyetem történetéből. Bd. 1. Pécs 1967, S. 225 – 259. Boockmann, Hartmut: Zu den Wirkungen der „Reform Kaiser Siegmunds“. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 35 (1979), S. 514 – 541. Boockmann, Hartmut: Stauferzeit und spätes Mittelalter. Deutschland 1125 – 1517. Berlin 1987 (Deutsche Geschichte, Bd. 4).

Forschung

651

Boor, Helmut de: Fortuna in mittelhochdeutscher Dichtung, insbesondere in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Hans Fromm, Wolfgang Harms und Uwe Ruberg (Hg.): Verbum et Signum. Bd. 2. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, Studien zu Semantik- und Sinntradition im Mittelalter. München 1975, S. 311 – 328. Boor, Helmut de: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. 1250 – 1350. München 51997 (Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 3/1). Borst, Arno: Lebensformen im Mittelalter. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1973. Bös, Gunther: Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin. Paderborn 1995 (Münchener Universitäts-Schriften N.F., Bd. 39). Bossuat, Robert: Le Théatre Scolaire au Collège de Navarre (XIVime–XVIIime Siècle). In: Melanges d’Histoire du Theatre 1950, S. 165 – 176. Bott, Barbara: Gemälde hessischer Maler des 19. Jahrhunderts im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Bestandskatalog. Heidelberg 2003 (Kataloge des Hessischen Landesmuseums, Bd. 20). Brall-Tuchel, Helmut: Die Heerscharen des Antichrist. Gog und Magog in der Literatur des Mittelalters. In: Barbara Haupt (Hg.): Endzeitvorstellungen. Düsseldorf 2001 (Studia humaniora, Bd. 33), S. 197 – 228. Brednich, Rolf Wilhelm: Die Liedpublizistik im Flugblatt des 15. bis 17. Jahrhunderts. Bd 2. Baden-Baden 1975 (Bibliotheca Bibliographica Aureliana, Bd. 60). Bremond, Claude, Jacques Le Goff und Jean-Claude Schmitt: L’Exemplum. Turnhout 21996 (Typologie des sources du Moyen Âge occidental, Bd. 40). Brett, Edward Tracy: Humbert of Romans. His life and Views of Thirteenth-Century Society. Toronto 1984 (Studies and texts; Pontifical Institute of Mediaeval Studies, Bd. 67). Breuer, Dieter: Grimmelshausen-Handbuch. München 1999 (UTB Literaturwissenschaft, Bd. 8182). Brévart, Francis B.: The German Volkskalender of the Fifteenth Century. In: Speculum 63 (1988), S. 312 – 342. Brinkmann, Hennig: Anfänge lateinischer Liebesdichtung im Mittelalter. In: Neophilologus 9 (1924), 49 – 60 und 203 – 221. Broich, Ulrich: Formen der Markierung von Intertextualität. In: Ulrich Broich und Manfred Pfister (Hg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 35), S. 31 – 47. Bruchmüller, Wilhelm: Der Leipziger Student 1409 – 1909. Leipzig 1909 (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 273). Brummack, Jürgen: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: DVjs 45 (1971), S. 275 – 377. Brundage, James A.: Vultures, Whores, and Hypocrites. Images of Lawyers in Medieval Literature. In: Roman Legal Tradition 1 (2002), S. 56 – 103. Bubert, Marcel und Jan-Hendryk de Boer: Studienführer. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 337 – 355. Buchholz, Werner: Anfänge der Sozialdisziplinierung im Mittelalter. Die Reichsstadt Nürnberg als Beispiel. In: ZHF 18 (1991), S. 129 – 147. Büdinger, Max: Über einige Reste der Vagantenpoesie in Österreich. Wien 1854. Bührer, Wolfgang: Der kleine Renner. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Ständesatire. Mit kritischer Ausgabe des Textes nach der einzigen Handschrift. In: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 105 (1969), S. 1 – 201. Bulang, Tobias: Zur Positionierung des Laien im Feld des Wissens. Bemerkungen zum Renner Hugos von Trimberg. In: Martin Baisch und Elke Koch (Hg.): Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens. Freiburg, Br. 2010 (Rombach Wissenschaften Reihe Scenae, Bd. 12), S. 153 – 178.

652

Literaturverzeichnis

Bulang, Tobias: Enzyklopädische Dichtungen. Fallstudien zu Wissen und Literatur in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Berlin 2011 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen, Bd. 2). Bumke, Joachim: Der unfeste Text. Überlegungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Aufführung und Schrift in Mittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 1996 (Berichtsbände; Germanistische Symposien, Bd. 17), S. 118 – 129. Bumke, Joachim: Retextualisierungen in der mittelhochdeutschen Literatur, besonders in der höfischen Epik. Ein Überblick. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005 (ZfdPh Sonderhefte, Bd. 124), S. 6 – 46. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 122008. Burdach, Konrad: Die Disputationsszene und die Grundidee in Goethes Faust. In: Euphorion 27 (1926), S. 1 – 69. Burghart, Marjorie: Remploi Textuel, Invention et Art de la Mémoire. Les Sermones ad status du Franciscain Guibert de Tournai († 1284). 2 Bände. Univ.-Diss. Lyon 2013. Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte?, übers. von Michael Bischoff. Frankfurt a. M. 2005. Burke, Peter: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, übers. von Matthias Wolf. Berlin 22014. Busch, Nathanael: Zur Logik des Altdeutschen. In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012 (Trends in medieval philology, Bd. 27), S. 226 – 247. Busch, Nathanael: Höfische Obszönitäten? Ein ‚Rosendorn‘-Fund und seine Folgen. In: ZfdA 148 (2019), S. 331 – 347 Buschmeier, Matthias: Literaturgeschichtsschreibung nach dem Ende der Theorie? Theorien zu den (Un‐)Möglichkeiten einer bedrohten Gattung. In: IASL 36 (2011), S. 409 – 414. Buschmeier, Matthias, Walter Erhart und Kai Kauffmann, Kai (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin, Boston 2014 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 138). Buxtorf-Falkeisen, Karl: Basler Zauber-Prozesse aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Basel 1868. Camporesi, Piero: Il Libro dei Vagabondi. Lo „Speculum cerretanorum“ di Teseo Pini, „Il vagabondo“ di Rafaele Frianoro e Altri Testi di „Furfanteria“. Milano 2003 (Saggi). Caner, Daniel: Wandering, Begging Monks. Spiritual Authority and the Promotion of Monasticism in Late Antiquity. Berkeley 2002 (Transformation of the classical heritage, Bd. 33). Cardelle de Hartmann, Carmen: Parodie in den Carmina Burana. Zürich 2014 (Mediävistische Perspektiven, Bd. 4). Cassagnes-Brouquet, Sophie: La Violence des Étudiants au Moyen Âge. Rennes 2012 (Historiens d’aujourd’hui). Castoriadis, Cornelius: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie, übers. von Horst Brühmann. Frankfurt a. M. 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 867); frz. Orig.: L’Institution Imaginaire de la Société. Paris 1975. Castoriadis, Cornelius: Philosophy, Politics, Autonomy, hg. David Ames Curtis. New York 1991 Castoriadis, Cornelius: Kultur und Demokratie. In: Lettre international 27 (1994), S. 14 – 17. Castoriadis, Cornelius: Radical Imagination and the Social Instituting Imaginary. In: Gillian Robinson und John Rundell (Hg.): Rethinking Imagination. Culture and Creativity. London, New York 1994, S. 136 – 154. Castoriadis, Cornelius: The Logic of Magmas and the Question of Autonomy. In: Philosophy and Social Criticism 20 (1994), S. 123 – 154. Castoriadis, Cornelius: World in Fragments. Writings on Politics, Society, Psychoanalysis, and the Imagination, hg. von David Ames Curtis. Stanford 1997 (Meridian).

Forschung

653

Castoriadis, Cornelius: Das griechische und das moderne politische Imaginäre. In: Michael Halfbrodt und Harald Wolf (Hg.): Philosophie, Demokratie, Poiesis. Lich 2011 (Cornelius Castoriadis, Ausgewählte Schriften, Bd. 4), S. 93 – 121. Catalogus Bibliothecae numerosae ab incluti nominis viro Hieronymo Guilielmo Ebnero ab Eschenbach. Nürnberg 1812. Cecchini, Vittorio: I Goliardi e i Loro Canti Scelti dai Carmina Burana e da Altri Testi. La Goliardia dai clerici vagantes alla sua Rinascita (1945/1946). Pisa 1985. Champion, Pierre: François Villon. Sa vie et son Temps. 2. Bde. Paris 21933 (Bibliothèque du XVe siècle, Bd. 20/21). Chartier, Roger: Les Élites et les Gueux. In: Revue d’histoire moderne et contemporaine 21 (1974), S. 376 – 388. Chartier, Roger: Figures de la Gueuserie. Paris 1982 (Bibliothèque bleue). Chenu, Marie-Dominique: La Théologie au Douzième Siècle. Paris 1957 (Études de philosophie médiévale, Bd. 45). Chevalier, Maxime: Un Personaje Folklórico de la Literatura del Siglo de Oro. El Estudiante. In: Publicaciones de la Universidad de Sevilla. Serie Filosofía y letras 54 (1981), S. 40 – 58. Chinca, Mark: Mögliche Welten. Alternatives Erzählen und Fiktionalität im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg. In: Poetica 35 (2003), S. 307 – 333. Claes, Franz: Bibliographisches Verzeichnis der deutschen Vokabulare und Wörterbücher, gedruckt bis 1600. Hildesheim, New York 1977. Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster 2001 (Volksliedstudien, Bd. 1). Classen, Albrecht: Die deutsche Predigtliteratur des Spätmittelalters und der Frühneuzeit im Kontext der europäischen Erzähltradition: Johannes Paulis Schimpf und Ernst (1521) als Rezeptionsmedium. In: Fabula 44 (2003), S. 209 – 236. Classen, Carl Joachim: Zu Heinrich Bebels Leben und Schriften. Göttingen 1997 (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. I Philologisch-Historische Klasse, 1997, Bd. 1). Classen, Peter: Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert. In: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966), S. 155 – 180. Classen, Peter: Studium und Gesellschaft im Mittelalter. Stuttgart 1983 (Schriften der MGH, Bd. 29). Collange, Adeline: L’Escamoteur et ses Tours de Passe-passe à travers les Siècle. In: Florence Jakubowicz (Hg.): Jérôme Bosch et l’Escamoteur. Paris 2002, S. 37 – 58. Considine, John P.: Small Dictionaries and Curiosity. Lexicography and Fieldwork in Post-medieval Europe. Oxford, New York 2017 (Oxford linguistics). Contadini, Luigi: La Cueva de Salamanca de Cervantes y el Dragoncillo de Calderón algunos Aspectos del Teatro Barroco Espanol. In: Confluenze 2 (2010), S. 130 – 149. Contzen, Eva von: The Limits of Narration: Lists and Literary History. In: Style 50 (2016), S. 241 – 260. Contzen, Eva von: Diachrone Narratologie und historische Erzählforschung. Eine Bestandsaufnahme und ein Plädoyer. In: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung 1 (2018), S. 16 – 37. Cordie, Ansgar M.: Raum und Zeit des Vaganten. Formen der Weltaneignung im deutschen Schelmenroman des 17. Jahrhunderts. Berlin, New York 2001 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 19 [253]). Corrigan, Felicitas: Helen Waddell. A Biography. London 1986. Coxon, Sebastian: ‚schrîber kunnen liste vil‘. Literate Protagonists and Literary Antics in the Medieval German Comic Tale. In: Oxford German Studies 31 (2002), S. 17 – 62. Coxon, Sebastian: das geschach zu ainer fasnacht. Shrovetide in Late Medieval German Comic Tales. In: Mark Chinca, Timo Reuvekamp-Felber und Christopher Young (Hg.): Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Berlin 2006 (Beihefte zur ZfdPh, Bd. 13), S. 192 – 206.

654

Literaturverzeichnis

Coxon, Sebastian: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350 – 1525. London 2008. Cramer, Thomas: Mouvance. In: Helmut Tervooren und Horst Wenzel (Hg.): Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte. Berlin, Bielefeld, München 1997 (ZfdPh Sonderhefte, Bd. 116), S. 150 – 181. Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen 111993 [1948]. Dahm-Kruse, Margit: Versnovellen im Kontext. Tübingen 2018 (Bibliotheca Germanica, Bd. 68). Dalham, Florian: Concilia Salisburgensia provincialia et dioecesana. Jam inde ab hierarchiae hujus origine, quoad codices suppetebant, ad nostram usque aetatem celebrata. Augsburg 1788. Danker, Uwe: Die Geschichte der Räuber und Gauner. Düsseldorf, Zürich 2001. Danneberg, Lutz: Die Historiographie des hermeneutischen Zirkels. Fake und fiction eines Behauptungsdiskurses. In: Zeitschrift für Germanistik, N. F. 5 (1995), S. 611 – 624. Danneberg, Lutz: Kritik am Kompositionalismus. Zu Vorstellungen fiktional-faktual gemischter Texte, zu Semifiktionalität und zu Gradationen der Fiktionalität. In: Andrea Albrecht und Claudia Löschner (Hg.): Käte Hamburger. Kontext, Theorie und Praxis. Berlin, Boston 2015, S. 253 – 267. Danneberg, Lutz und Andrea Albrecht: Beobachtungen zu den Voraussetzungen des hypothetisch-deduktiven und des hypothetisch-induktiven Argumentierens im Rahmen einer hermeneutischen Konzeption der Textinterpretation. In: Journal of Literary Theory 10 (2016), S. 1 – 37. Darriulat, Jacques: Jérôme Bosch et la Fable Populaire. Paris 1995. Dartmann, Christoph: Die Konstruktion monastischer Identitäten in karolingerzeitlichen Kommentaren der Regula Benedicti. In: Mirko Breitenstein, Julia Burkhardt u. a. (Hg.): Identität und Gemeinschaft. Vier Zugänge zu Eigengeschichten und Selbstbildern institutioneller Ordnungen. Berlin, Münster 2015 (Vita regularis Abhandlungen, Bd. 67), S. 13 – 30. Daston, Lorraine: Wunder und Beweis im frühneuzeitlichen Europa. In: Lorraine Daston (Hg.): Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität, übers. von Gerhard Herrgott, Christa Krüger und Susanne Scharnowski. Frankfurt a. M. 32014 (Fischer Figuren des Wissens, Bd. 14763), S. 29 – 76. Daxelmüller, Christoph: Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie. Zürich 1993. Deleuze, Gilles und Felix Guattari: Rhizom, übers. von Dagmar Berger. Berlin 1977 (Internationale marxistische Diskussion, Bd. 67); frz. Orig.: Rhizome. Paris 1976. Derrida, Jacques: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression, übers. von Has-Dieter Gondek und Hans Naumann. Berlin 1997; frz. Orig.: Mal d’archive. Une impression freudienne. Paris 1995. Derrida, Jacques: Trace et Archive, Image et Art. In: Ginette Michaud (Hg): Penser à ne pas Voir. Écrits sur les Arts du Visible, 1979 – 2004. Paris 2013 (Essais, Bd. 92), S. 79 – 127. Destemberg, Antoine und Thierry Kouamé: Aux origines de l’homo academicus. Les signes de distinction sociale chez les universitaires médiévaux. In: Jean-Philippe Genet und E. Igor Mineo (Hg.): Marquer la prééminence sociale. Paris 2014, S. 45 – 56 (Le pouvoir symbolique en Occident, Bd. 6). Detering, Nicolas: Buchdruck. In: Carsten Rohde, Thorsten Valk und Mathias Mayer (Hg.): Faust-Handbuch. Konstellationen – Diskurse – Medien. Stuttgart 2018, S. 121 – 128. Detmers, Achim: Reformation und Judentum. Israel-Lehren und Einstellungen zum Judentum von Luther bis zum frühen Calvin. Stuttgart 2001 (Judentum und Christentum, Bd. 7). Dicke, Gerd: Fazetieren. Ein Konversationstyp der italienischen Renaissance und seine deutsche Rezeption im 15. und 16. Jahrhundert. In: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali und René Wetzel (Hg.): Literatur und Wandmalerei: II: Konventionalität und Konversation. Tübingen 2005, S. 155 – 188.

Forschung

655

Dicke, Gerd und Klaus Grubmüller: Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen. München 1987 (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 60). Dickerhof, Harald: Europäische Traditionen und ‚Deutscher Universitätsraum‘. Formen und Phasen akademischer Kommunikation. In: Hans Pohl (Hg.): Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Stuttgart 1989 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, Bd. 87), S. 173 – 198. Dienstbeck, Stefan: Die Theologie der Stoa. Berlin, Boston 2015. Dietrich, Ronald: Der Gelehrte in der Literatur. Literarische Perspektiven zur Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems. Würzburg 2003 (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 425). Dietz, Maribel: Wandering Monks, Virgins, and Pilgrims. Ascetic Travel in the Mediterranean World, A.D. 300 – 800. University Park (Penn.) 2005. Dillinger, Johannes: „Das Ewige Leben und fünfzehntausend Gulden“. Schatzgräberei in Württemberg. In: Dillinger, Johannes (Hg.): Zauberer – Selbstmörder – Schatzsucher. Magische Kultur und behördliche Kontrolle im frühneuzeitlichen Württemberg. Trier 2003, S. 221 – 297. Dillinger, Johannes: The Good Magicians. Treasure Hunting in Early Modern Germany. In: Kathryn A. Edwards (Hg.): Everyday Magic in Early Modern Europe. Farnham 2015, S. 105 – 125. Dimpel, Friedrich Michael und Martin Sebastian Hammer: Prägnanz und Polyvalenz – Rezeptionsangebote im ‚Klugen Knecht‘ und im ‚Schneekind‘. In: Friedrich Michael Dimpel und Silvan Wagner (Hg.): Prägnantes Erzählen. Oldenburg 2019 (Brevitas, Bd. 1 – BmE Sonderheft), S. 319 – 349. Dinges, Martin: Frühneuzeitliche Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung? Probleme mit einem Konzept. In: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 5 – 29. Dinzelbacher, Peter (Hg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Stuttgart 22008. Dittmann, Karsten: Tradition und Verfahren. Norderstedt 2004. Dobiaš-Roždestvenskaja, Olga (Hg.): Les Poésies des Goliards. Paris 1931 (Les textes du christianisme, Bd. 9). Doležel, Lubomír: From Motifemes to Motifs. In: Poetica 4 (1972), S. 55 – 90. Dotti, Ugo: Petrarch in Bohemia. Culture and Civil Life in the Correspondence Between Petrarch and Johann von Neumarkt. In: Karl A. E. Enenkel und Jan Papy (Hg.): Petrarch and his Readers in the Renaissance. Leiden, Boston 2010 (Intersections, Bd. 6), S. 73 – 87. Dreska, Gábor: Das Formelbuch des Notars Johann Magyi aus dem 15. Jahrhundert. In: Olivier Guyotjeannin, Morelle Laurent und Silio P. Scalfati (Hg.): Les formulaires. Compilation et Circulation des Modèles d’Actes dans l’Europe Médiévale et Moderne. 2016; URL: http://elec.enc.sorbonne.fr/cid2012/part11 [zuletzt aufgerufen am 15. 7. 2020]. Dronke, Peter: The Medieval Poet and his World. Rom 1984 (Storia e letteratura, Bd. 164). Duby, Georges: Histoire Sociale et Idéologies des Sociétés. In: Jacques Le Goff und Pierre Nora (Hg.): Faire de l’Histoire. Band I: Nouveaux Problèmes. Paris 1974 (Bibliothèque des Histoires), S. 147 – 168. Duby, Georges: Les Trois Ordres ou l’Imaginaire du Féodalisme. Paris 1978. Dufeil, Michel-Marie: Guillaume de Saint-Amour et la Polémique Universitaire Parisienne 1250 – 1259. Paris 1972. Dümmler, Ernst: Legenden vom heiligen Nicolaus. In: ZfdA 23 (1891), S. 401 – 407. Duntze, Oliver: Ein Verleger sucht sein Publikum. Die Straßburger Offizin des Matthias Hupfuff (1497/98 – 1520). Berlin 2007 (Archiv für Geschichte des Buchwesens, Studien, Bd. 4). Düntzer, Heinrich: Die Sage von Doctor Faust. Stuttgart 1846 (Der Schatzgräber, Bd. 1). Ebert, Robert Peter, Oskar Reichmann u. a. (Hg.): Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen 1993 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, Hauptreihe, Bd. 12).

656

Literaturverzeichnis

Eckertz, Gottfried: Zur Revolution von 1513 in der Stadt Köln. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 30 (1876), S. 207 – 209. Eco, Umberto: Peirce’s Notion of Interpretant. In: Modern Language Notes 91 (1967), S. 1457 – 1472. Eco, Umberto: Semiotik – Entwurf einer Theorie der Zeichen, übers. von Günter Memmert. München 2 1991 (Supplemente, Bd. 5); ital. Orig.: Trattato di semiotica generale. Mailand 1975. Eco, Umberto: Kunst und Schönheit im Mittelalter, übers. von Günter Memmert. München u. a. 1991; ital. Orig.: Arte e bellezza nell’estetica medievale. Mailand 1987. Eco, Umberto: Zwischen Autor und Text. Interpretation und Überinterpretation, übers. von Hans Günter Holl München 1994 (Edition Akzente); engl. Orig.: Interpretation and overinterpretation. Cambridge u. a. 1992. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, übers. von Jürgen Trabant. München 92002 (UTB Linguistik, Literaturwissenschaft, Philosophie, Bd. 105); ital. Orig.: La struttura assente. Mailand 1968. Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation, übers. von Günter Memmert. München 32004 (Dtv Wissenschaft, Bd. 30168); ital. Orig.: I limiti dell’interpretazione. Mailand 1990. Ehlers, Anke: Des Teufels Netz. Untersuchung zum Gattungsproblem. Stuttgart 1973 (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur, Bd. 35). Ehlers, Joachim: Deutsche Scholaren in Frankreich während des 12. Jahrhunderts. In: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium in sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 30), S. 97 – 120. Ehlich, Konrad: Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung. In: Aleida Assmann, Jan Assmann und Christof Hardmeier (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München 31998 (Archäologie der literarischen Kommunikation, Bd. 1), S. 24 – 44. Ehrensperger, Franz: Basels Stellung im internationalen Handelsverkehr des Spätmittelalters. Diss. Basel 1972. Eichenberger, Nicole: Geistliches Erzählen. Zur deutschsprachigen religiösen Kleinepik des Mittelalters. Berlin/Boston 2015 (Hermaea, N. F., Bd. 136). Eichler, Ferdinand: Das Nachleben des Hans Sachs vom XVI. bis ins XIX. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1904. Eidelberg, Shlomo: R. Juspa, Shammash of Warmaisa (Worms). Jewish Life in 17th Century Worms. Jerusalem 1991. Eikelmann, Manfred: Wissen und Literatur im Kontext der europäischen Traditionsbildung. In: Manfred Eikelmann und Udo Friedrich (Hg.): Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen – Literatur – Mythos. Berlin 2013, S. 11 – 27. Eis, Gerhard: Mittelalterliche Fachliteratur. Stuttgart 21967. Eisermann, Falk: Zur Datierung der ‚Würzburger Kleinepiksammlung‘ (Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 216). In: ZfdA 134 (2005), S. 193 – 204. Ejchenbaum, Boris: Das literarische Leben [1929]. In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994, S. 463 – 481. Ellerbrock, Dagmar, Lars Koch u. a.: Invektivität. Perspektiven eines neuen Forschungsprogramms in den Kultur- und Sozialwissenschaften. In: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift 1 (2017), S. 2 – 24. Emery, Elizabeth und Richard Utz (Hg.): Medievalism. Key Critical Terms. Cambridge 2014 (Medievalism, Bd. 5). Epple, Alois: Der schwäbische Volksschriftsteller Ludwig Aurbacher. In: Literatur in Bayern 73 (2003), S. 52 – 64.

Forschung

657

Erlei, Stefan: ‚Höfisch‘ im Mittelhochdeutschen. Die Verwendung eines Programmworts der höfischen Kultur in den deutschsprachigen Texten vor 1300. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2010 (Kultur, Wissenschaft, Literatur, Bd. 22). Euling, Karl: Studien über Heinrich Kaufringer. Breslau 1900. Faral, Edmond: Les Débats du Clerc et du Chevalier dans la Littérature des XIIe et XIIIe Siècles. In: Romania 164 (1912), S. 473 – 517. Farmer, John Stephen und William Ernest Henley (Hg.): Slang and its Analogues. Past and Present. Bd. 5 [1902]. New York 21965. Fasbender, Christoph: Erzählen in Erfurt. Novellistik in der mittelalterlichen Stadt. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 69 (2008), S. 12 – 31. Feifalik, Julius: Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur. V. Die altböhmischen Gedichte vom Streite zwischen Seele und Leib. Nebst Beiträgen zur Geschichte der Vagantenpoesie in Böhmen. Wien 1861 (Sitzungsberichte; Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 36). Feifalik, Julius: Altčechische Leiche, Lieder und Sprüche des XIV. und XV. Jahrhunderts. Mit einer Einleitung und Anmerkungen. Wien 1862 (Sitzungsberichte; Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 39). Fehrmann, Gisela, Erika Linz und Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Spuren, Lektüren. Praktiken des Symbolischen. München 2005. Feilchenfeldt, Konrad: Eine neuentdeckte Fassung/Textstufe von Clemens Brentanos Chronic/cka des/eines fahrenden Schülers? In: Christiane Henkes, Walter Hettche u. a. (Hg.): Schrift, Text, Edition. Tübingen 2003 (Beihefte zu editio, Bd. 19), S. 181 – 188. Feistner, Edith: Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation. Wiesbaden 1995 (Wissensliteratur im Mittelalter, Bd. 20). Ferraris, Maurizio: Manifesto del Nuovo Realismo. Rom, Bari 2012 (I Robinson: Letture). Fink, Oliver: „Memories vom Glück“. Wie der Erinnerungsort Alt-Heidelberg erfunden, gepflegt und bekämpft wurde. Heidelberg 2002 (Buchreihe der Stadt Heidelberg, Bd. 9). Fischer, Hanns und Johannes Janota: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 21983. Fischer, Karl: Das Verhältnis zweier lat. Texte Geilers von Kaisersberg zu ihren deutschen Bearbeitungen, der ‚Navicula fatuorum‘ zu Paulis ‚Narrenschiff‘ und der ‚Peregrinus‘ zu Otthers ‚Christenlich bilgerschafft‘ nebst einer Würdigung der lateinischen Texte Geilers. Diss. Metz 1908. Fischer, Theobald (Hg.): Nicolai de Bibera Occulti Erfordensis Carmen Satiricum. Eine Quelle des XIII. Jahrhunderts, neu herausgegeben und erläutert. Halle 1870 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 1: Erfurter Denkmäler). Fitting, Hermann (Hg.): Das Castrense Peculium in seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen gemeinrechtlichen Geltung. Halle 1871. Fitz, József: A Nyírkállói-kódex genetikus leírása. In: Közlemények a Pécsi Erzsébet Tudományegyetem Könyvtárából 6/7 (1931/1932), S. 12 – 28. Fontana, Emanuele: Luca Lettore da Padova Omin. E i Sermoni del Codice Antoniano 466. In: Il Santo 47 (2007), S. 7 – 104. Förstemann, Ernst: Die Gräflich Stolbergische Bibliothek zu Wernigerode. Nordhausen 1866. Forster, Edward Morgan: Aspects of the Novel. London 1927. Fossel, Viktor: Aus den medizinischen Briefen des pfalzgräflichen Leibarztes Johannes Lange. 1485 – 1565. In: Archiv für Geschichte der Medizin 7 (1913), S. 238 – 252. Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, übers. von Ulrich Köppen. Frankfurt a. M. 1969; frz. Orig.: Histoire de la folie à l’âge classique. Paris 1961.

658

Literaturverzeichnis

Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dezember 1970, übers. von Walter Seitter. München 1974; frz. Orig.: L’ordre du discours. Paris 1972. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. 21977 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 184); frz. Orig.: Surveiller et punir. La naissance de la prison. Paris 1975. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, über. von Ulrich Köppen. Frankfurt a. M. 1981 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 356); frz. Orig.: L’Archéologie du savoir. Paris 1969. Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesungen am Collège de France 1977/1978, übers. von Claudia Brede-Konersmann und Jürgen Schröder, hg. von Michel Sennelart. Frankfurt a. M. 2004. Foucault, Michel: Analytik der Macht, übers. von Reiner Ansén, Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek, Hermann Kocyba und Jürgen Schröder, hg. von Daniel Defert und François Ewald. Frankfurt a. M. 2005 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1759). Franchini, Antonio Marson: Studenti e Maestri sotto la Lente dei Predicatori. Il XIII Secolo come Spartiacque. In: I quaderni del m.æ.s. Journal of Mediæ Ætatis Sodalicium 15 (2017), S. 95 – 119. Frank, Barbara: ‚Innensicht‘ und ‚Außensicht‘. Zur Analyse mittelalterlicher volkssprachlicher Gattungsbezeichnungen. In: Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke (Hg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997 (ScriptOralia, Bd. 99), S. 117 – 136. Frank, Isnard Wilhelm: Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens. Stuttgart 1988 (Vorträge des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 83). Frantzen, Johann Joseph Aloys Arnold: Zur Vagantendichtung. In: Neophilologus 5 (1920), S. 58 – 79. Frantzen, Johann Joseph Aloys Arnold und Abraham Hulshof (Hg.): Drei Kölner Schwankbücher aus dem XVten Jahrhundert. Stynchyn van der Krone, Der Boiffen Orden, Marcolphus. Utrecht 1920. Frenzel, Elisabeth: Stoff-, Motiv- und Symbolforschung. Stuttgart 21966 (Sammlung Metzler, Bd. 28). Frenzel, Elisabeth: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart 62008 (Kröners Taschenausgabe, Bd. 301). Freund, Karolin: Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels. Tübingen 2018 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur, Bd. 100). Frey, Winfried: wie lange wil dû schuolær sîn? Hochschuldidaktische Überlegungen zum Buch der Rügen. In: Karl-Friedrich O. Kraft und Eva-Maria Lill (Hg.): Triuwe. Studien zur Sprachgeschichte und Literaturwissenschaft. Heidelberg 1992 (Heidelberger Bibliotheksschriften, Bd 47), S. 243 – 262. Frie, Ewald und Mischa Meier: Bedrohte Ordnungen. Gesellschaften unter Stress im Vergleich. In: Ewald Frie und Mischa Meier (Hg.): Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften. Tübingen 2014 (Bedrohte Ordnungen, Bd. 1), S. 1 – 27. Fried, Johannes: Die Anfänge der Deutschen. Der Weg in die Geschichte. Berlin 2015. Friedrich, Udo: Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft. Conrad Gessners „Historia animalium“ und ihre volkssprachliche Rezeption. Berlin 1995 (Frühe Neuzeit, Bd. 21). Friedrich, Udo: Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer. In: IASL 21 (1996), S. 1 – 30. Friedrich, Udo: Grenzen des Ordo im enzyklopädischen Schrifttum des 16. Jahrhunderts. In: Christel Meier-Staubach (Hg.): Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit. München 2002 (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 78), S. 391 – 408.

Forschung

659

Friedrich, Udo: Kirchliche Rekultivierung und feudale Territorialisierung. Mobilität als Faktor von Raumaneignung im 12. Jahrhundert. In: Karl-Siegbert Rehberg, Walter Schmitz und Peter Strohschneider (Hg.): Mobilität – Raum – Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dresden 2005 (Kulturstudien, Bd. 1), S. 53 – 74. Friedrich, Udo: Mythos und europäische Tradition. In: Manfred Eikelmann und Udo Friedrich (Hg.): Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen – Literatur – Mythos. Berlin 2013, S. 178 – 204. Fritz, Gerd: Historische Semantik. Stuttgart, Weimar 22006 (Sammlung Metzler, Bd. 313). Froeschle, Hartmut: Ludwig Uhland und die Romantik. Köln 1973. Frosch-Freiburg, Frauke: Schwankmären und Fabliaux. Ein Stoff- und Motivvergleich. Göppingen 1971 (GAG, Bd. 49). Füser, Thomas: Mönche im Konflikt. Zum Spannungsfeld von Norm, Devianz und Sanktion bei den Cisterziensern und Cluniazensern (12. bis frühes 14. Jahrhundert). Münster, Hamburg, London 2000 (Vita regularis Abhandlungen, Bd. 9). Füssel, Marian: Riten der Gewalt. Zur Geschichte der akademischen Deposition und des Pennalismus in der frühen Neuzeit. In: ZHF 32 (2005), S. 605 – 648. Füssel, Marian: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne). Füssel, Marian: Talar und Doktorhut. Die akademische Kleiderordnung als Medium sozialer Distinktion. In: Barbara Krug-Richter und Ruth-Elisabeth Mohrmann (Hg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa. Köln 2009 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 65), S. 245 – 271. Füssel, Marian: Die Experten, die Verkehrten? Gelehrtensatire als Expertenkritik in der Frühen Neuzeit. In: Björn Reich, Frank Rexroth und Matthias Roick (Hg.): Wissen, massgeschneidert. Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne. München 2012 (HZ. Beiheft, N.F., Bd. 57), S. 269 – 288. Füssel, Marian: A Struggle for Nobility. ‚Nobilitas literaria‘ as Academic Self-Fashioning in Early Modern Germany. In: Richard Kirwan (Hg.): Scholarly Self-Fashioning and Community in the Early Modern University. Farnham u. a. 2013, S. 103 – 120. Füssel, Marian: Repräsentation. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 389 – 403. Füssel, Marian und Wolfgang Eric Wagner: Studentenkulturen. Begriff – Forschungsstand – Perspektiven. In: JbUG 17 (2014), S. 39 – 55. Gabriel, Asterik L.: The Source of the Anecdote of the Inconstant Scholar. In: Asterik L. Gabriel (Hg.): Garlandia. Studies in the History of the Medieval University. Notre Dame (Indiana), Frankfurt a. M. 1969, S. 147 – 166. Gabriel, Markus: Warum es die Welt nicht gibt. Berlin 2013. Gabriel, Markus: An den Grenzen der Erkenntnistheorie. Die notwendige Endlichkeit des objektiven Wissens als Lektion des Skeptizismus. Freiburg im Breisgau 22014. Gabriel, Markus: Der neue Realismus. Berlin 32015 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 2099). Gabriel, Markus: Sinn und Existenz. Eine realistische Ontologie. Berlin 2016 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 2116). Gabriel, Markus: Neutraler Realismus. Jahrbuch-Kontroversen 2, hg. von Thomas Buchheim. Freiburg i. Br., München 2017. Gadamer, Hans Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen [1960] 51986 (Gesammelte Werke, Bd. 1). Gadamer, Hans Georg: Replik [auf Jürgen Habermas]. In: Karl-Otto Apel, Claus von Bormann u. a. (Hg.): Hermeneutik und Ideologiekritik. Frankfurt a. M. 1971 (Theorie-Diskussion), S. 283 – 317.

660

Literaturverzeichnis

Gaier, Ulrich: Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart. Tübingen 1967. Gaisberg-Schöckingen, Georg von: Das Konzil und der Reichstag zu Würzburg im Jahre 1287. Univ.-Diss. Marburg 1928. Gajek, Konrad: Daniel Speers romanhafte und publizistische Schriften. Wrocław 1988 (Germanica Wratislaviensia, Bd. 76). Galvez, Marisa: Songbook. How Lyrics Became Poetry in Medieval Europe. Chicago, London 2012. Garber, Klaus: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole. Köln, Berlin 2014. García Blanco, Manuel: El tema de la Cueva de Salamanca y el entremés cervantino de ese título. In: Anales Cervantinos 1 (1951), S. 73 – 109. Gawoll, Hans-Jürgen: Spur. Gedächtnis und Andersheit. Teil I: Geschichte des Aufbewahrens. In: Archiv für Begriffsgeschichte 30 (1986/87), S. 44 – 69. Gawoll, Hans-Jürgen: Spur. Gedächtnis und Andersheit. Teil II: Das Sein und die Differenzen – Heidegger, Levinas und Derrida. In: Archiv für Begriffsgeschichte 32 (1989), S. 269 – 296. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, übers. von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann Frankfurt a. M. 132015 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 696). Geiger, Eugen: Hans Sachs als Dichter in seinen Fastnachtspielen im Verhältnis zu seinen Quellen betrachtet. Eine literarhistorische Untersuchung. Halle a. Saale 1904. Geisenhanslüke, Achim: Die Sprache der Infamie. Literatur und Ehrlosigkeit. Paderborn 2014. Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, übers.und hg. von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt a. M. 72015 (Edition Suhrkamp Aesthetica, Bd. 1683 = N.F., Bd. 683); frz. Orig.: Palimpsestes. La Littérature au second degré. Paris 1982. Genzmer, Erich: Hugo von Trimberg und die Juristen. In: L’Europa e il Diritto Romano 1954, S. 290 – 336. Geremek, Bronisław: La Popolazione Marginale tra il Medioevo e l’Era Moderna. In: Studi Storici 9 (1968), S. 623 – 640. Geremek, Bronisław: Truands et Misérables dans l’Europe Moderne, 1350 – 1600. Paris 1980 (Collection archives, Bd. 84). Geremek, Bronisław: Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa, übers. von Friedrich Griese. München 1991. Giel, Joanna: Das literarische Werk Paul Weidmanns zwischen Josphinismus und deutscher Aufklärung. Wien 2013. Giesebrecht, Wilhelm von: Die Vaganten oder Goliarden und ihre Lieder. In: Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur 4 (1853), S. 10 – 43 und S. 344 – 381. Gieysztor, Aleksander: Organisation und Ausstattung. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 109 – 138. Gillingham, Bryan: The Social Background to Secular Medieval Latin Song. Ottawa, Canada 1998. Gillingham, Bryan: The Social Context of ‚Goliardic‘ Song: Highway, Court, and Monastery. In: Dalhousie Review 82 (2002), S. 75 – 90. Gilly, Carlos: Das Sprichwort „Die Gelehrten, die Verkehrten“ oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung. Florenz 1991. Ginzburg, Carlo: Il Formaggio e i Vermi. Il Cosmo di un Mugnaio del Cinquecento. Turin 1976 (Piccola biblioteca Einaudi, nuova serie, Bd. 465). Ginzburg, Carlo: Indizien. Morelli, Freud und Sherlock Holmes. In: Umberto Eco und Thomas A. Sebeok (Hg.): Der Zirkel oder im Zeichen der Drei. Dupin, Holmes, Peirce, übers. von Christiane Spelsberg. München 1985 (Supplemente, Bd. 1), S. 125 – 179. Ginzburg, Carlo: Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. In: Carlo Ginzburg (Hg.):

Forschung

661

Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin 2002 (Wagenbachs Taschenbuch, Bd. 430), S. 7 – 44. Gittel, Benjamin: Enzyklopädisches Erzählen als Indikator einer frühneuzeitlichen Fiktionalitätspraxis sui generis? Historische und methodologische Überlegungen am Beispiel von Johann Fischarts Geschichtklitterung und dem Fortunatus. In: Mathias Herweg, Johannes Klaus Kipf und Dirk Werle (Hg.): Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400 – 1700). Wiesbaden 2019 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 160), S. 45 – 60. Glanz, Rudolf: Geschichte des niederen jüdischen Volkes in Deutschland. Eine Studie über historisches Gaunertum, Bettelwesen und Vagantentum. New York 1968. Glaßner, Christine: Stift Melk und die Melker Reform im 15. Jahrhundert. In: Franz Xaver Bischof und Martin Thurner (Hg.): Die benediktinische Klosterreform im 15. Jahrhundert. Berlin 2013 (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Bd. 56), S. 75 – 91. Glauch, Sonja: Fiktionalität im Mittelalter; revisited. In: Poetica 46 (2014), S. 85 – 139. Glier, Ingeborg: Personifikation im deutschen Fastnachtspiel des Spätmittelalters. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 39 (1965), S. 542 – 587. Glier, Ingeborg: 1250 – 1370. Reimpaargedichte, Drama, Prosa. München 1987 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 3, 2). Glückhardt, Thorsten, Sebastian Kleinschmidt und Verena Spohn: Renarrativierung in der Vormoderne. Zur Einleitung. In: Renarrativierung in der Vormoderne. Funktionen, Transformationen, Rezeptionen. Baden-Baden 2019 (Faktuales und fiktionales Erzählen, Bd. 7), S. 7 – 38. Gmelin, Moritz: Zur Geschichte der Spitäler in Pforzheim. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 24 (1872), S. 327 – 399. Godman, Peter: The Archpoet and Medieval Culture. Oxford 2014. Godman, Peter: Rethinking the Carmina Burana (I). The Medieval Context and Modern Reception of the Codex Buranus. In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 45 (2015), S. 245 – 286. Goetz, Hans-Werner: Rezension zu Ernst Schubert „Fahrendes Volk im Mittelalter“ In: HZ 265 (1997) S. 188 f. Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt a. M. 23 2016 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 140). Goodrum, R. Gordon: „Carmina Burana“: The Poetry of Wandering Scholars and Wayward Clerics. In: The Choral Journal 36 (1995), S. 9 – 12. Graevenitz, Christel Maria von: Die Landfriedenspolitik Rudolfs von Habsburg (1273 – 1291) am Niederrhein und in Westfalen. Köln 2003 (Rheinisches Archiv, Bd. 146). Graevenitz, Gerhart von: Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart 1987. Graf, Klaus: Heinrich Bebel. In: Stephan Füssel (Hg.): Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450 – 1600). Ihr Leben und Werk. Berlin 1993, S. 281 – 295. Graf, Klaus: Heinrich Bebel (1472 – 1518). Wider ein barbarisches Latein. In: Paul Gerhard Schmidt (Hg.): Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. Stuttgart 22000, S. 179 – 194. Graf, Klaus: Meister Irregang über die deutschen Städte 2016. Online verfügbar unter https://archivalia.hypotheses.org/61118 [zuletzt aufgerufen am 15. 7. 2020]. Gramsch, Robert: Zwischen „Überfüllungskrise“ und neuen Bildungsinhalten: Universitätsbesuch und universitärer Strukturwandel in Deutschland am Ende des Mittelalters (ca. 1470 bis 1530). In: Armin Kohnle, Uwe Schirmer und Werner Greiling (Hg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470 – 1620. Köln 2015 (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, Bd. 4), S. 55 – 80. Graus, František: Die erste Krise des Feudalismus. In: ZfG 3 (1955), S. 552 – 592.

662

Literaturverzeichnis

Graus, František: Přemysl Otakar II. – sein Ruhm und sein Nachleben. Ein Beitrag zur Geschichte politischer Propaganda und Chronistik. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 79 (1971), S. 57 – 110. Graus, František: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln 1975. Graus, František: Randgruppen der städtischen Gesellschaft im Spätmittelalter. In: ZHF 8 (1981), S. 385 – 437. Graus, František: Die Randständigen. In: Peter Moraw (Hg.): Unterwegssein im Spätmittelalter. Berlin 1985 (ZHF Beihefte, Bd. 1), S. 93 – 104. Graus, František: Mentalität. Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung. In: František Graus (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Sigmaringen 1987 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 35), S. 9 – 48. Graus, František: Organisationsformen der Randstädnigen. Das sogenannte Königreich der Bettler. In: Rechtshistorisches Journal 8 (1989), S. 235 – 255. Graus, František: Pest – Geissler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. Göttingen 31994 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 86). Greenblatt, Stephen: Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago 1980. Greenblatt, Stephen: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England. Berkeley, Los Angeles 1988. Greenblatt, Stephen: Kultur, übers. von Moritz Baßler. In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Tübingen, Basel 22001, S. 48 – 59. Griese, Sabine: Exklusion und Inklusion. Formen der Überlieferung und des Gebauchs von Literatur im 15. Jahrhundert. In: Felix Heinzer und Hans-Peter Schmit (Hg.): Codex und Geltung. Wiesbaden 2015, S. 176 – 190 Grimm, Harold J.: Luther’s Contributions to Sixteenth-Century Organization of Poor Relief. In: Archiv für Reformationsgeschichte 61 (1970), S. 222 – 234. Groiss, Albert: Spätmittelalterliche Lebensformen der Benediktiner von der Melker Observanz vor dem Hintergrund ihrer Bräuche. Ein darstellender Kommentar zum Caeremoniale Mellicense der Jahres 1460. Münster 1999 (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums, Bd. 46). Großkinsky, Manfred und Carina Matschke (Hg.): Bilder aus dem Leben. Genremalerei im Rhein-Main-Gebiet. Frankfurt am Main 2004. Grubmüller, Klaus: Meister Esopus. Untersuchungen zur Geschichte und Funktion der Fabel im Mittelalter. Zürich 1977 (MTU, Bd. 56). Grubmüller, Klaus: höfisch – höflich – hübsch im Spätmittelalter. Beobachtungen an Vokabularien I. In: H. L. Cox, V. F. Vanacker und E. Verhofstadt (Hg.): wortes anst – verbi gratia. donum natalicium gilbert a. r. de smet. Leuven 1986, S. 169 – 181. Grubmüller, Klaus: Das Groteske im Märe als Element seiner Geschichte. Skizzen zu einer historischen Gattungspoetik. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993 (Fortuna vitrea, Bd. 8), S. 37 – 54. Grubmüller, Klaus: Gattungskonstitution im Mittelalter. In: Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer (Hg.): Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Tübingen 1999, S. 193 – 210. Grubmüller, Klaus: Verändern und Bewahren. Zum Bewusstsein vom Text im deutschen Mittelalter. In: Ursula Peters (Hg.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150 – 1450. Stuttgart 2001 (Germanistische Symposien; Berichtsbände, Bd. 23), S. 8 – 33. Grubmüller, Klaus: Wolgetan an leibes kraft. Zur Fragmentierung des Ritters im Märe. In: Matthias Meyer, Hans-Jochen Schiewer und Volker Mertens (Hg.): Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Tübingen 2002, S. 193 – 207.

Forschung

663

Grubmüller, Klaus: Wer lacht im Märe – und wozu? In: Werner Röcke und Hans Rudolf Velten (Hg.): Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin 2005 (Trends in medieval philology, Bd. 4), S. 111 – 124. Grubmüller, Klaus: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter. Fabliau, Märe, Novelle. Tübingen 2006. Grubmüller, Klaus: Novellistik des Mittelalters. Texte und Kommentare. Berlin 22014 (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch, Bd. 47). Gruenter, Rainer: Die ‚Narrheit‘ in Sebastian Brants Narrenschiff. In: Neophilologus 43 (1959), S. 207 – 221. Grundmann, Herbert: Litteratus – illitteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter. In: Archiv für Kulturgeschichte 40 (1958), S. 1 – 65. Grundmann, Herbert: Ketzergeschichte des Mittelalters. Göttingen 1963. Grundmann, Herbert: Vom Ursprung der Universität im Mittelalter. Darmstadt 21976. Guggenheim, Yacov: Von den Schalantjuden zu den Betteljuden. Jüdische Armut in Mitteleuropa in der Frühen Neuzeit. In: Stefi Jersch-Wenzel (Hg.): Juden und Armut in Mittel- und Osteuropa. Köln 2000, S. 55 – 70. Guggenheim, Yacov: Meeting on the Road. Encounters between German Jews and Christians on the Margins of Society. In: Ronnie Po-chia Hsia und Hartmut Lehmann (Hg.): In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 2002 (Publications of the German Historical Institute). Gumbrecht, Hans Ulrich: Literarische Gegenwelten, Karnevalskultur und die Epochenschwelle vom Spätmittelalter zur Renaissance. In: Hans Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer und Peter-Michael Spangenberg (Hg.): Literatur in der Gesellschaft des Spätmittelalters. Heidelberg 1980 (Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, Begleitreihe, Bd. 1), S. 95 – 144. Gumbrecht, Hans Ulrich: Schriftlichkeit in mündlicher Kultur. In: Aleida Assmann, Jan Assmann und Christof Hardmeier (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München 31998 (Archäologie der literarischen Kommunikation, Bd. 1), S. 158 – 174. Gumbrecht, Hans Ulrich: Shall We Continue to Write Histories of Literature? In: New Literary History 39 (2008), S. 519 – 532. Gutgesell, Natalie: „Da hat Herr Scheffel etwas dazu gedichtet“. Joseph Victor von Scheffel als bildender Künstler. 2 Bde. Halle a. Saale 2014. Haage, Bernhard D., Wolfgang Wegner u. a.: Deutsche Fachliteratur der Artes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2007 (Grundlagen der Germanistik, Bd. 43). Haas, Stefan: Fiktionalität in den Geschichtswissenschaften. In: Tobias Klauk und Tilmann Köppe (Hg.): Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin, Boston 2014 (Revisionen, Bd. 4), S. 516 – 523. Habermas, Jürgen: Zu Gadamers ‚Wahrheit und Methode‘. In: Karl-Otto Apel, Claus von Bormann u. a. (Hg.): Hermeneutik und Ideologiekritik. Frankfurt a. M. 1971 (Theorie-Diskussion), S. 45 – 56. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985. Habermehl, Jan: Hier van daan ging ik na een Boekverkoopers Winkel. Buchmarktkenntnis und poetologische Selbstreferentialität in einem niederländischen Szeneroman des späten 17. Jahrhunderts. In: Daphnis 48 (2020), S. 435 – 461. Hack, Achim Thomas: Polydaktylie in der Vormoderne. Eine Spurensuche. In: Robert Jütte und Romedio Schmitz-Esser (Hg.): Handgebrauch. Geschichten von der Hand aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019, S. 173 – 210.

664

Literaturverzeichnis

Haering, Stephan: Mittelalterliche Partikularsynoden in Baiern. Ein Überblick zum Raum der Bistümer Chiemsee, Freising, Passau und Regensburg. In: Nathalie Kruppa und Leszek Zygner (Hg.): Partikularsynoden im späten Mittelalter. Göttingen 2006 (Studien zur Germania Sacra, Bd. 29), S. 77 – 98. Haferland, Harald: Wer oder was trägt einen Namen? Zur Anonymität in der Vormoderne und in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Stephan Pabst (Hg.): Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit. Berlin 2011 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 126), S. 49 – 72. Haferland, Harald: Psychologie und Psychologisierung. Thesen zur Konstitution und Rezeption von Figuren mit einem Blick auf ihre historische Differenz. In: Florian Kragl und Christian Schneider (Hg.): Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik, Bd. 13), S. 91 – 117. Haferland, Harald: ‚Motivation von hinten‘. Durchschaubarkeit des Erzählens und Finalität in der Geschichte des Erzählens. In: Diegesis 3 (2014), S. 66 – 95. Hagby, Maryvonne: Parturiunt montes, et exit ridiculus mus? Beobachtungen zur Entstehung der Strickerschen Kurzerzählungen. In: ZfdA 132 (2003), S. 35 – 61. Hagemann, Hans Rudolf: Basler Rechtsleben im Mittelalter. Basel, Frankfurt a. M. 1981. Hahn, Alois: Identität und Selbstthematisierung. In: Alois Hahn und Volker Kapp (Hg.) Selbstthematisierung und Selbstzeugnis. Bekenntnis und Geständnis. Frankfurt a. M. 1987 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 643), S. 9 – 24. Hahn, Alois: „Partizipative“ Identitäten. In: Herfried Münkler und Bernd Ladwig (Hg.): Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Berlin 1997, S. 115 – 158. Hallinger, Kassius: Gorze – Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter. Rom 1950/51 (Studia Anselmiana, Bde. 22/23; 24/25). Halm, Karl, Georg von Laubmann und Wilhelm Meyer: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis, Bd. II,3: Codices num. 15121 – 21313 complectens. Wiesbaden 1878 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis IV, Bd. 3). Hamacher, Werner: Über einige Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse. In: Wilhelm Voßkamp und Eberhard Lämmert (Hg.): Historische und aktuelle Konzepte der Literaturgeschichtsschreibung. Tübingen 1986 (Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses, Bd. 11), S. 5 – 15. Hamann, Bruno: Geschichte des Schulwesens. Werden und Wandel der Schule im ideen- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang. Bad Heilbrunn 21993. Hamburger, Jeffrey: Bosch’s ‚Conjuror‘: An Attack on Magic and Sacramental Heresy. In: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art 14 (1984), S. 4 – 23. Hamburger, Käte: Die Logik der Dichtung. Stuttgart 1957. Hamm, Berndt: „Ist das gut evangelisch?“ Hans Sachs als Wortführer und Kritiker der Reformation. In: Luther 66 (1995), S. 125 – 140. Hampe, Theodor: Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. Mit 122 Abbildungen und Beilagen nach Originalen, größtenteils aus dem fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. Leipzig 1902 (Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, Bd. 10). Hänger, Heinrich: Mittelhochdeutsche Glossare und Vokabulare in schweizerischen Bibliotheken bis 1500. Berlin, New York 1972 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N. F., Bd. 44 [168]). Härter, Karl: Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 16. Jahrhundert. In: Ius commune 20 (1993), S. 61 – 141. Härter, Karl und Michael Stolleis (Hg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1996 ff.

Forschung

665

Hartung, Wolfgang: Gesellschaftliche Randgruppen im Spätmittelalter. Phänomen und Begriff. In: Bernhard Kirchgässner und Fritz Reuter (Hg.): Städtische Randgruppen und Minderheiten. Sigmaringen 1986 (Südwestdeutscher Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung; Arbeitstagung, Bd. 23), S. 49 – 114. Harzendorf, Fritz: Überlinger Hexenprozeß im Jahre 1596. Ein Beitrag zur Geschichte und Psychologie des Hexenwahns. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 67 (1940), S. 108 – 141. Haug, Walter: Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993 (Fortuna vitrea, Bd. 8), S. 1 – 36. Haug, Walter: Der Teufelspakt vor Goethe oder Wie der Umgang mit dem Bösen als felix culpa zu Beginn der Neuzeit in die Krise gerät. In: DVjs 75 (2001), S. 185 – 215. Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 2003. Haug, Walter und Burghart Wachinger (Hg.): Traditionswandel und Traditionsverhalten. Tübingen 1991 (Fortuna vitrea, Bd. 5). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Bd. 1, hg. von Eva Moldenhauer. Frankfurt a. M. 1971 (Werke, Bd. 18). Heger, Hedwig: Das Lebenszeugnis Walthers von der Vogelweide. Die Reiserechnungen des Passauer Bischofs Wolfger von Erla. Wien 1970. Heidegger, Martin: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, hg. von Petra Jaeger. Frankfurt a. M. 1979 (Gesamtausgabe, Bd. 20: Abt. 2, Vorlesungen 1923 – 1944). Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 192006. Heilfurth, Gerhard (Hg.): Bergbau und Bergmann in der deutschsprachigen Sagenüberlieferung Mitteleuropas. Bd. 1: Quellen. Marburg 1967 (Veröffentlichungen des Instituts für mitteleuropäische Volksforschung an der Philipps-Universität Marburg-Lahn A, Bd. 1). Hein, Jürgen: Der Schwank. In: Otto Knörrich (Hg.): Formen der Literatur in Einzeldarstellungen. Stuttgart 21991 (Kröners Taschenausgabe, Bd. 478), S. 360 – 367. Heinemann, Wolfgang: Zur Ständedidaxe in der Deutschen Literatur des 13.–15. Jahrhunderts. In: PBB (H) 88; 89 und 92 (1966; 1967 und 1970), S. 1 – 90; 290 – 403 und 388 – 437. Heinzle, Joachim: Märenbegriff und Novellentheorie. Überlegungen zur Gattungsbestimmung der mittelhochdeutschen Kleinepik. In: ZfdA 107 (1978), S. 121 – 138. Heinzle, Joachim: Rezension zu Klaus Grubmüller „Die Ordnung der Witz und das Chaos“. In: ZfdPh 128 (2009), S. 133 – 138. Hempfer, Klaus W.: Gattungstheorie. Information und Synthese. München 1973 (Information und Synthese, Bd 1). Henkel, Nikolaus: Eine verschollene Handschrift aus St. Paul. Zur Geschichte der ehemaligen Kuppitsch-Handschrift des Buchs der Rügen. In: Peter Krämer (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten. Wien 1981 (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie, Bd. 16), S. 67 – 85. Henkel, Nikolaus: „Sermones nulli parcentes“ und „Buch der Rügen“. Überlegungen zum Gattungscharakter und zur Datierung. In: Walter Haug, Johannes Janota und Timothy R. Jackson (Hg.): Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Heidelberg 1983 (Reihe Siegen. Germanistische Abt., Bd. 45), S. 115 – 140. Henkel, Nikolaus: Gesellschaftssatire im Mittelalter: Formen und Verfahren satirischer Schreibweise in den „Sermones nulli parcentes“ (Walther 6881), im „Carmen satricum“ des Nicolaus von Bibra, in der Ständekritik von „Viri fratres, servi Dei“ (Walther 20575) und im „Buch der Rügen“. In: Thomas Haye und Franziska Schnoor (Hg.): Epochen der Satire. Traditionslinien einer literarischen Gattung in Antike, Mittelalter und Renaissance. Hildesheim 2008 (Spolia Berolinensia, Bd. 28), S. 95 – 117.

666

Literaturverzeichnis

Henkel, Nikolaus: Giovanni Boccaccio und Hans Sachs Gattungen als Wirkungsräume städtischerLiteratur im 16. Jahrhundert. In: Achim Aurnhammer (Hg.): Giovanni Boccaccio in Europa. Studien zu seiner Rezeption in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2014 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, Bd. 31), S. 183 – 206. Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, hg. von Wolfgang Pross. München, Wien 2002 (Werke, Bd. III/1). Hergemöller, Bernd-Ulrich (Hg.): Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Warendorf 2001. Hertz, Wilhelm: Spielmannsbuch. Novellen in Versen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Stuttgart, Berlin 31905. Herweg, Mathias: Erzählen unter Wahrheitsgarantie. Deutsche Weltchroniken des 13. Jahrhunderts. In: Gerhard Wolf und Norbert H. Ott (Hg.): Handbuch Chroniken des Mittelalters. Berlin, Boston 2016, S. 145 – 179. Herweg, Mathias und Stefan Keppler-Tasaki: Mittelalterrezeption. Gegenstände und Theorieansätze eines Forschungsgebiets im Schnittpunkt von Mediävistik, Frühneuzeit- und Moderneforschung. In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012 (Trends in medieval philology, Bd. 27), S. 1 – 12. Herweg, Mathias und Stefan Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur mit Rückblicken auf den Humanismus. In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Das Mittelalter des Historismus. Formen und Funktion in Literatur und Kunst, Film und Technik. Würzburg 2015 (Rezeptionskulturen in Literatur und Mediengeschichte, Bd. 3), S. 9 – 39. Herweg, Mathias, Johannes Klaus Kipf und Dirk Werle (Hg.): Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400 – 1700). Wiesbaden 2019 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 160). Hess, Günter: Deutsch-lateinische Narrenzunft. Studien zum Verhältnis von Volkssprache und Latinität in der satirischen Literatur des 16. Jahrhunderts. München 1971 (MTU, Bd. 41). Hesse, Christian (Hg.): Aufbruch im Mittelalter – Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne. Ostfildern 2010. Heuß, Alfred: Überrest und Tradition. Zur Phänomenologie der historischen Quellen. In: Archiv für Kulturgeschichte 25 (1934), S. 134 – 183. Hilka, Alfons: Vermischtes zu den mittelalterlichen Vaganten, Gauklern und Gelegenheitsdichtern. In: Studi medievali. Nuova serie 2 (1929), S. 417 – 424. Hirsch, Arnold: Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes. Köln, Wien 21957 (Literatur und Leben, N. F., Bd. 1). Hobsbawm, Eric J. und Terence O. Ranger (Hg.): The Invention of Tradition. Cambridge 1983 (Past and present publications). Ins Deutsche als: Das Erfinden von Traditionen; übers. von Sebastian Engelhardt. In: Christoph Conrad und Martina Kessel (Hg.): Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung. Stuttgart 1998, S. 97 – 118. Hock, Karl Ferdinand von: Gerbert oder Papst Sylvester II. und sein Jahrhundert. Wien 1837. Hofer, Georg: Zur Arbeit am Teufelsnetz. In: Alessandra Molinri (Hg.): Mittelalterphilologien heute. Eine Standortbestimmung. Teil 1: Die germanischen Philologien. Würzburg 2016, S. 203 – 213. Hoffmann-Kreyer, Eduard: Luzerner Akten zum Hexen- und Zauberwesen. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 3 (1899), S. 22 – 40; 81 – 122; 189 – 224 und 291 – 329. Höfler, Constantin: Carmen historicum occulti autoris saec. XIII (aufgefunden in einer Handschrift der Prager Universitäts-Bibliothek). In: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe 37 (1861), S. 163 – 262. Höfler, Max: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. München 1899. Holst, Imogen: A Thematic Catalogue of Gustav Holst’s Music. London 1974.

Forschung

667

Hölter, Achim: Eichendorff und der „Eleusische Bund“ in Heidelberg. In: Walter Pape (Hg.): Das „Wunderhorn“ und die Heidelberger Romantik. Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Performanz. Berlin 2005 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft, Bd. 5), S. 61 – 77. Hsia, Ronnie Po-chia: The Usurious Jew. Economic Structure and Religious Representations in an Anti-Semitic Discourse. In: Ronnie Po-chia Hsia und Hartmut Lehmann (Hg.): In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 2002 (Publications of the German Historical Institute), S. 161 – 176. Huber, Christoph: Bemerkungen Hugos von Trimberg zum Reisen. In: Dietrich Huschenbett und John Margetts (Hg.): Reisen und Welterfahrung in der deutschen Literatur des Mittelalters. Würzburg 1991 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 7), S. 110 – 122. Huber, Michael: Clemens Brentano. Die Chronika des fahrenden Schülers. Eine Analyse der Figurenkonstellation und der kompositorischen Prinzipien der Urfassung. Bern, München 1976 (Gegenwart der Dichtung, N.F., Bd. 2). Huber-Rebenich, Gerlinde: Die Rezeption der mittelalterlichen Satire bei Matthias Flacius Illyricus. In: Thomas Haye und Franziska Schnoor (Hg.) Epochen der Satire. Traditionslinien einer literarischen Gattung in Antike, Mittelalter und Renaissance. Hildesheim 2008 (Spolia Berolinensia, Bd. 28), S. 173 – 190. Hubler, Alfred J.: Ständetexte des Mittelalters. Analysen zur Intention und kognitiven Struktur. Tübingen 1993 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur, Bd. 66). Hübner, Gert: Hans Folz als Märenerzähler. Überlegungen zum narrativen Konzept. In: GRM 54 (2004), S. 265 – 281. Hübner, Karl: Die Provinzialsynoden im Erzbistum Salzburg bis zum Ende des XV. Jahrhunderts. In: Deutsche Geschichtsblätter 10 (1909), S. 187 – 236. Hülsen-Esch, Andrea von: Frauen an der Universität? Überlegungen anläßlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten. In: ZHF 24 (1997), S. 315 – 346. Hülsen-Esch, Andrea von: Gelehrte im Bild. Repräsentation, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen Gruppe im Mittelalter. Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 201). Hunger, Ulrich: Altdeutsche Studien als Sammeltätigkeit. In: Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München 1991, S. 89 – 98. Hunt, Tony: Teaching and Learning Latin in Thirteenth Century England. I. Texts. Cambridge 1991. Hunter, Brooke: Boethian Humor and the Pseudo-Boethian De disciplina scolarium. In: Viator. Medieval and Renaissance Studies 46 (2015), S. 161 – 179. Hunter, Brooke: Forging Boethius in Medieval Intellectual Fantasies. New York, London 2019. Huschenbett, Dietrich: Hermann von Sachsenheim – Namen und Begriffe. Kommentar zum Verzeichnis aller Namen und ausgewählter Begriffe im Gesamtwerk. Würzburg 2007 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 34). Hutcheon, Linda: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms. Urbana [New York] 2000 [1985]. Hynes, William J.: Mapping the Characteristics of Mythic Tricksters. A Heuristic Guide. In: William J. Hynes und William G. Doty (Hg.): Mythical Trickster Figures. Contours, Contexts, and Criticisms. Tuscaloosa 1993, S. 33 – 45. Irrgang, Stephanie: Peregrinatio academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz im 15. Jahrhundert. Stuttgart 2002 (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald, Bd. 4). Irrgang, Stephanie: Scholar vagus, goliardus, ioculator. Zur Rezeption des ‚fahrenden Scholaren‘ im Mittelalter. In: JbUG 6 (2003), S. 51 – 68.

668

Literaturverzeichnis

Irsigler, Franz: Die ‚Kleinen‘ in der sogenannten Reformatio Sigismundi. In: Saeculum 27 (1976), S. 248 – 255. Irsigler, Franz: Jahrmärkte und Messen im oberrheinischen Raum vom 14. bis 16. Jahrhundert. In: Konrad Krimm (Hg.): Zwischen Habsburg und Burgund. Der Oberrhein als europäische Landschaft im 15. Jahrhundert. Ostfildern 2003 (Oberrheinische Studien, Bd. 21), S. 229 – 254. Irsigler, Franz und Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt ; Köln 1300 – 1600. München 122010. Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a. M. 1991. Israel, Uwe: Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 – 1510). Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer. Berlin 1997 (Berliner historische Studien, Bd. 27). Jackson, William T. H.: The Politics of a Poet. The Archipoeta as Revealed by his Imagery. In: William T. H. Jackson (Hg.): The Challenge of the Medieval Text. Studies in Genre and Interpretation. New York 1985, S. 81 – 102. Jaeger, Friedrich und Jörn Rüsen: Geschichte des Historismus. Eine Einführung. München 1992. Jäger, Ludwig: Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik. In: Ludwig Jäger und Georg Stanitzek (Hg.): Transkribieren. Medien/Lektüre. München 2002, S. 19 – 41. Jäggi, Stefan: Alraunenhändler, Schatzgräber und Schatzbeter im alten Staat Luzern des 16.– 18. Jahrhundert. In: Der Geschichtsfreund 146 (1993), S. 37 – 113. Jakubowicz, Florence (Hg.): Jérôme Bosch et l’Escamoteur. Paris 2002. Jancke, Gabriele: Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Köln 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 10). Jancke, Gabriele; Ulbrich, Claudia (Hg.): Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung. Berlin 2005 (Querelles, Jahrbuch für Frauenforschung, Bd. 10). Jancke, Gabriele: Selbstzeugnisse im deutschsprachigen Raum. Autobiographien, Tagebücher und andere autobiographische Schriften 1400 – 1620. URL: www.geschkult.fu-berlin.de/e/jancke-quellenkunde/index.html [aufgerufen am 15. 7. 2020]. Jannidis, Fotis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Berlin, New York 2004 (Narratologia, Bd. 3). Jaumann, Herbert: Öffentlichkeit und Verlegenheit. Frühe Spuren eines Konzepts öffentlicher Kritik in der Theorie des plagium extrajudicale von Jakob Thomasius (1673). In: Scientia Poetica 4 (2000), S. 62 – 82. Jaumann, Herbert: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin, New York 2004. Jaumann, Herbert: Jakob Thomasius, ein protestantischer Späthumanist. Seine Dissertationes und Programmata zur Philosophiegeschichte. In: Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel und Bernd Zegowitz (Hg.): Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Wien 2012, S. 587 – 603. Jauß, Hans Robert: Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956 – 1976. München 1977, S. 327 – 358. Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt a. M. 1997 (Edition Suhrkamp, Bd. 418), S. 144 – 207. Javor Briški, Marija: Die Zimmerische Chronik. Studien zur Komik als Medium der Dialogisierung des historischen Diskurses. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2005 (Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft, Bd. 27). Joas, Hans und Wolfgang Knöbl: Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen. Frankfurt a. M. 4 2013 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1669).

Forschung

669

Johanek, Peter: Das Wiener Konzil von 1267, der Kardinallegat Guido und die Politik Ottokars II. Přemysl. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N. F. 44/45 (1978/79), S. 312 – 340. Jonkees, Adrian Gerard: Translatio studii. Les Avatars d’un Thème Médiéval. In: Co van de Kieft (Hg.): Miscellanea Mediaevalia in Memoriam Jan Frederik Niermeyer. Groningen 1967, S. 41 – 51. Julia, Dominique und Jacques Revel: Les Universités Européennes du XVIe au XVIIIe Siècle. Paris 1986/1989. Jütte, Robert: Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit. Städtisches Armenwesen in Frankfurt am Main und Köln. Köln, Wien 1984 (Kölner historische Abhandlungen, Bd. 31). Jütte, Robert: Der Prototyp des Vaganten. Hans von Straßburg. In: Heiner Boehncke und Rolf Johannsmeier (Hg.): Das Buch der Vaganten. Spieler, Huren, Leutbetrüger. Köln 1987, S. 117 – 128. Jütte, Robert: Abbild und soziale Wirklichkeit des Bettler- und Gaunertums zu Beginn der Neuzeit. Sozial-, mentalitäts- und sprachgeschichtliche Studien zum Liber vagatorum (1510). Köln 1988 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 27). Jütte, Robert: Windfang und Wetterhahn. Die Kleidung der Bettler und Vaganten. In: Heinrich Appelt (Hg.): Terminologie und Typologie mittelalterlicher Sachgüter. Das Beispiel der Kleidung. Wien 1988 (Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs, Bd. 10), S. 177 – 197. Jütte, Robert: Stigma-Symbole. Kleidung als identitätsstiftendes Merkmal bei spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Randgruppen (Juden, Dirnen, Aussätzige, Bettler). In: Saeculum 44 (1993), S. 65 – 89. Jütte, Robert: Arme, Bettler, Beutelschneider. Eine Sozialgeschichte der Armut in der Frühen Neuzeit. Weimar 2000. Kälin, Beatrice: Maria, muter der barmherzekeit. Die Sünder und die Frommen in den Marienlegenden des Alten Passionals. Bern, Berlin u. a. 1994 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700, Bd. 17). Kamen, Henry: The Iron Century. Social Change in Europe 1550 – 1660. London 1971 (History of Civilisation). Kansteiner, Wulf: Hayden White’s Critique of the Writing of History. In: History and Theory 32 (1993), S. 273 – 295. Kartschoke, Dieter: Vom erzeugten zum erzählten Lachen. Die Auflösung der Pointenstruktur in Jörg Wickrams ‚Rollwagenbüchlein‘. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993 (Fortuna vitrea, Bd. 8), S. 71 – 105. Kartschoke, Erika; Reins, Christiane: Nächstenliebe – Gattenliebe – Eigenliebe. Bürgerlicher Alltag in den Fastnachtsspielen des Hans Sachs. In: Erika Kartschoke und Thomas Cramer (Hg.): Hans Sachs. Studien zur frühbürgerlichen Literatur im 16. Jahrhundert. Bern, Frankfurt a. M. u. a. 1978 (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3), S. 105 – 138. Kastinger Riley, Helene M.: Clemens Brentano. Stuttgart 1985 (Sammlung Metzler, Bd. 213). Kästner, Hannes: „Sermo vulgaris“ oder „Hövischer Sanc“. Der Wettstreit zwischen Mendikantenpredigern und Wanderdichtern um die Gunst des Laienpublikums und seine Folgen für die mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts (am Beispiel Bertholds von Regensburg und Friedrichs von Sonnenburg). In: Michael Schilling (Hg.): Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik. Heidelberg 1996 (GRM Beihefte, Bd. 13), S. 209 – 243. Kaufmann, Georg: Die Geschichte der deutschen Universitäten. 1. Band: Vorgeschichte. Stuttgart 1888.

670

Literaturverzeichnis

Kerth, Sonja: Lügen haben Wachtelbeine. Überlegungen zur deutschen Unsinnsdichtung des Mittelalters. In: Dorothea Klein (Hg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit. Wiesbaden 2000, S. 267 – 289. Kessler, Nora Hannah: Dem Spurenlesen auf der Spur. Theorie, Interpretation, Motiv. Würzburg 2012 (Film, Medium, Diskurs, Bd. 39). Keudell, Elise von: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek. Ein Verzeichnis der von ihm entliehenen Werke, hg. von Werner Deetjen. Weimar 1931. Keussen, Hermann: Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388 – 1559. Köln 1918 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Bd. 36/37). Keyser, Peter: Michael de Leone († 1355) und seine literarische Sammlung. Würzburg 1966 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte 9, 21). Khan, Sarah: Diversa diversis. Mittelalterliche Standespredigten und ihre Visualisierung. Köln 2007 (Pictura et poesis, Bd. 20). Kibre, Pearl: Scholarly Privileges in the Middle Ages. The Rights, Privileges, and Immunities, of Scholars and Universities at Bologna, Padua, Paris, and Oxford. London 1961. Kieckhefer, Richard: Magie im Mittelalter, übers. von Peter Knecht. München 1992. Kiening, Christian: Medialität in mediävistischer Perspektive. In: Poetica 39 (2007), S. 285 – 352. Kiening, Christian: Verletzende Worte – verstümmelte Körper. Zur doppelten Logik spätmittelalterlicher Kurzerzählungen. In: ZfdPh 127 (2008), S. 321 – 335. Kiening, Christian: Unheilige Familien. Sinnmuster mittelalterlichen Erzählens. Würzburg 2009 (Philologie der Kultur, Bd. 1). Kiesant, Knut: Die neuen Abenteuer des Tausches. Beobachtungen zur Figuren- und Handlungsgestaltung in Hans Sachs’ Fastnachtspiel „Der fahrend Schuler im Paradeis“. In: Weimarer Beiträge 34 (1988), S. 1505 – 1515. Kiesewetter, Carl: Faust in der Geschichte und Tradition. Mit besonderer Berücksichtigung des occulten Phänomenalismus und des mittelalterlichen Zauberwesens. Leipzig 1893. Kießling, Rolf: Techniktransfer und Wirtschaftsboom in Augsburg/Schwaben im 14. Jahrhundert. In: Martin Kaufhold (Hg.): Augsburg im Mittelalter. Augsburg 2009, S. 36 – 51. Kießling, Rolf, Frank Konersmann, Frank u. a. (Hg.): Grundzüge der Agrargeschichte. Köln, Weimar, Wien 2016. Kindermann, Udo: Satyra. Die Theorie der Satire im Mittellateinischen. Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Nürnberg 1978 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft, Bd. 58). Kindermann, Udo: Gattungssysteme im Mittelalter. In: Willi Erzgräber (Hg): Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Sigmaringen 1989, S. 303 – 313. Kintzinger, Martin: Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter. Ostfildern 2007. Kintzinger, Martin: Gelehrte und Schüler. In: Michael Borgolte (Hg.): Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch. Berlin 2014, S. 279 – 290. Kipf, Johannes Klaus: Auf dem Weg zum Schwankbuch. Die Bedeutung Frankfurter Drucker und Verleger für die Ausbildung eines Buchtyps im 16. Jahrhundert. In: Robert Seidel und Regina Toepfer (Hg.): Frankfurt im Schnittpunkt der Diskurse. Strategien und Institutionen literarischer Kommunikation im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2010 (Zeitsprünge, Bd. 14), S. 195 – 220. Kipf, Johannes Klaus: Cluoge Geschichten. Humanistische Fazetienliteratur im deutschen Sprachraum. Stuttgart 2010 (Literaturen und Künste der Vormoderne, Bd. 2). Kipf, Johannes Klaus: Ludus philosophicus. Zum medialen Status der akademischen Scherzreden des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Ursula Kundert und Marion Gindhart (Hg.): Disputatio 1200 – 1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur. Berlin, New York 2010 (Trends in medieval philology, Bd. 20), S. 203 – 230.

Forschung

671

Kipf, Johannes Klaus: Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption? Vergleichende Beobachtungen zu Rezeptionsweisen volkssprachiger und lateinischer mittelalterlicher Literatur (ca. 1450 – 1600). In: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012 (Trends in medieval philology, Bd. 27), S. 15 – 49. Kipf, Johannes Klaus: Das Schwankbuch als frühneuzeitlicher Buchtyp. Dargestellt am Beispiel von Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein (1555). In: Bernhard Jahn, Dirk Rose und Thorsten Unger (Hg.): Ordentliche Unordnung. Metamorphosen des Schwanks vom Mittelalter bis zur Moderne. Heidelberg 2014 (Beihefte zum Euphorion, Bd. 79), S. 79 – 92. Kirchhof, Matthias: Mären mit Hörnern, Schweif und Klauen? Die ‚Teufelserzählungen‘ und das Märencorpus Hanns Fischers. In: Jörn Bockmann und Julia Gold (Hg.): Turpiloquium. Kommunikation mit Teufeln und Dämonen in Mittelalter und früher Neuzeit. Würzburg 2017 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 41), S. 45 – 62. Kirchner, Gottfried: Fortuna in Dichtung und Emblematik des Barock. Tradition und Bedeutungswandel eines Motivs. Stuttgart 1970. Kirwan, Richard (Hg.): Scholarly Self-Fashioning and Community in the Early Modern University. Farnham u. a. 2013. Klapper, Joseph: Johann von Neumarkt, Bischof und Hofkanzler. Religiöse Frührenaissance in Böhmen zur Zeit Kaiser Karls IV. Leipzig 1964. Klein, Ute: Initialmotivik in der Erzählkunst des 12. und 13. Jahrhunderts. Göppingen 1991 (GAG, Bd. 563). Kleinschmidt, Erich: Rotwelsch um 1500. In: PBB 97 (1975), S. 217 – 229. Kleinschmidt, Erich: Scherzrede und Narrenthematik im Heidelberger Humanistenkreis um 1500. Mit der Edition zweier Scherzreden des Jodocus Gallus und dem Narrenbrief des Johanes Renatus. In: Euphorion 71 (1977), S. 47 – 81. Kleinschmidt, Erich: Die Imagination des Imaginären. In: Erich Kleinschmidt und Nicolas Pethes (Hg.): Lektüren des Imaginären. Bildfunktionen in Literatur und Kultur. Köln 1999, S. 15 – 31. Klingner, Annett: Die Macht der Sterne. Ein astrologisches Bildmotiv in Spätmittelalter und Renaissance. Berlin 2017. Kluge, Friedrich: Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. I. Rotwelsches Quellenbuch. Straßburg 1901. Kluge, Friedrich: Der Venusberg. In: Friedrich Kluge (Hg.): Bunte Blätter. Kulturgeschichtliche Vorträge und Aufsätze. Freiburg i. Br. 1908, S. 28 – 60. Kluge, Friedrich: Die fahrenden Schüler. In: Friedrich Kluge (Hg.): Bunte Blätter. Kulturgeschichtliche Vorträge und Aufsätze. Freiburg i. Br. 1908, S. 61 – 77. Knapp, Fritz Peter: Mittelalterliche Erzählgattungen im Lichte scholastischer Poetik. In: Walter Haug (Hg.): Exempel und Exempelsammlungen. Tübingen 1991 (Fortuna vitrea, Bd. 2), S. 1 – 22. Knapp, Fritz Peter: Der Hof der Kirchenfürsten Wolfger von Erla und die Literatur um 1200. In: Egon Boshof und Fritz Peter Knapp (Hg.): Wolfger von Erla. Bischof von Passau (1191 – 1204) und Patriarch von Aquileja (1204 – 1218) als Kirchenfürst und Literaturmäzen. Heidelberg 1994 (Germanische Bibliothek Reihe 3, Untersuchungen N.F., Bd. 20), S. 345 – 364. Knapp, Fritz Peter: Die Literatur des Früh- und Hochmittelalters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273. Graz 1994 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1). Knapp, Fritz Peter: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik (II). Heidelberg 2005 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 35). Knapp, Fritz Peter: Fabulae, parabolae, historiae. Die mittelalterliche Gattungstheorie und die Kleinepik von Jean Bodel bis Boccaccio. In: MlatJb 44 (2009), S. 97 – 117.

672

Literaturverzeichnis

Knefelkamp, Ulrich: Das Verhalten von Ärzten in Zeiten der Pest (14.–18. Jahrhundert). In: Jan C. Joerden (Hg.): Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin. Bloß ein Mittel zum Zweck? Berlin, Heidelberg 1999 (Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für Ethik an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder), S. 13 – 39. Knemeyer, Franz-Ludwig: Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts. Kritische Bemerkungen zur Literatur über die Entwicklung des Polizeibegriffs. In: Archiv des öffentlichen Rechts 92 (1967), S. 154 – 180. Koeman, Jakob: Die Grimmelshausen-Rezeption in der fiktionalen Literatur der deutschen Romantik. Amsterdam, Atlanta 1993 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Bd. 108). Köhler, Günter: Der Steglitzer Wandervogel 1896 – 1914. In: Gerhard Ille und Günter Köhler (Hg.): Der Wandervogel. Es begann in Steglitz. Berlin 1987, S. 54 – 85. Kolk, Rainer: „Liebhaber, Gelehrte, Experten“. Sozialsystem der Germanistik bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart, Weimar 1994, S. 48 – 114. Koller, Heinrich: Untersuchungen zur Reformatio Sigismundi I–III. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 13/14/15 (1957/1958/1959), S. 482 – 524, 418 – 468 und 137 – 162. Könneker, Barbara: „Eyn wis man sich do heym behalt“. Zur Interpretation von Sebastian Brants Narrenschiff. In: GRM NF. 14 (1964), S. 46 – 76. Könneker, Barbara: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus. Wiesbaden 1966. Könneker, Barbara: Hans Sachs. Stuttgart 1971 (Sammlung Metzler, Literaturgeschichte, Bd. 94). Könneker, Barbara: Hans Sachs. Das Fastnachtspiel ‚Der farendt Schuler mit dem Teuffelbannen‘. In: Albrecht Weber (Hg.): Handbuch der Literatur in Bayern. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1987, S. 175 – 185. Könneker, Barbara: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche – Werke – Wirkung. München 1991 (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte). Köpf, Gerhard: Märendichtung. Stuttgart 1978 (Sammlung Metzler, Bd. 166). Koppenfels, Werner von: Der andere Blick oder das Vermächtnis des Menippos. Paradoxe Perspektiven in der europäischen Literatur. München 2007. Kortüm, Hans-Henning: Advena sum apud te et peregrinus. Fremdheit als Strukturelement mittelalterlicher conditio humana. In: Andreas Bihrer, Paul G. Schmidt und Sven Limbeck (Hg.): Exil, Fremdheit und Ausgrenzung in Mittelalter und früher Neuzeit. Würzburg 2000 (Identitäten und Alteritäten, Bd. 4), S. 115 – 135. Koschlig, Manfred: Faust und das ‚Wunderbarliche Vogel-Nest‘. Zur ‚Abbildung deß Zauberers‘ bei Grimmelshausen. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 23 (1979), S. 154 – 187. Koschorke, Albrecht: Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaften. In: Eva Eßlinger, Tobias Schlechtriemen u. a. (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin 2010 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1971), S. 9 – 31. Koschorke, Albrecht: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt a. M. 22012 Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M. 10 2017 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 757). Krämer, Sybille: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Frankfurt a. M. 2008. Krämer, Sybille: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme. In: Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt a. M. 22016 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1830), S. 11 – 33. Krämer, Sybille, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt a. M. 22016 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1830).

Forschung

673

Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen 2006 (Bibliotheca Germanica, Bd. 50). Krause, Berenike: Die milte-Thematik in der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung. Darstellungsweisen und Argumentationsstrategien. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2005 (Kultur, Wissenschaft, Literatur, Bd. 9). Krause, Carl: Helius Eobanus Hessus. Sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur Cultur- und Gelehrtengeschichte des 16. Jahrhunderts. Gotha 1879. Kremer, Detlef und Andreas B. Kilcher: Romantik. Stuttgart 42015 (Lehrbuch Germanistik). Kretschmann, Paul: Universität Rostock. Köln, Wien 1969 (Mitteldeutsche Hochschulen, Bd. 3). Kretzenbacher, Leopold: Teufelsbündner und Faustgestalten im Abendlande. Klagenfurt 1968 (Buchreihe des Landesmuseums für Kärnten, Bd. 23). Kriedtke, Peter: Spätmittelalterliche Agrarkrise oder Krise des Feudalismus? In: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 42 – 68. Krohn, Rüdiger: Zeugnisse des Niedergangs. Zum Wandel des Ritterbildes in der deutschen Märendichtung. In: Werner Hoffmann, Waltraud Fritsch-Rössler und Liselotte Homering (Hg.): Uf der mâze pfat. Göppingen 1991 (GAG, Bd. 555), S. 255 – 276. Krohn, Rüdiger: Mittelalter hausgemacht: Scheffels Schaffen zwischen Historie und Poesie. In: Walter Berschin und Werner Wunderlich (Hg.): Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht. Ostfildern 2003, S. 35 – 55. Kröll, Katrin: „Kurier die Leut auf meine Art…“. Jahrmarktskünste und Medizin auf den Messen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Udo Benzenhöfer und Wilhelm Kühlmann (Hg.): Heilkunde und Krankheitserfahrung in der frühen Neuzeit. Studien am Grenzrain von Literaturgeschichte und Medizingeschichte. Tübingen 1992 (Frühe Neuzeit, Bd. 10), S. 155 – 186. Krüger, Klaus (Hg.): Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit. Göttingen 2002 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 15). Kruse, Juliane-Britta: Vom Elend ins Glück. Die Überwindung von Armut durch Bildung in den Selbstzeugnissen Johannes Butzbachs (um 1505) und Thomas Platters (1572). In: Elke Brüns (Hg.): Ökonomien der Armut. Soziale Verhältnisse in der Literatur. München 2008, S. 43 – 60. Krusenstjern, Benigna von: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie 2 (1994), S. 462 – 472. Kugler, Hartmut: Über Handlungsspielräume im Artusroman und im Märe. In: Helmut Brall, Barbara Haupt und Urban Küsters (Hg.): Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Düsseldorf 1994 (Studia humaniora, Bd. 25), S. 251 – 267. Kugler, Hartmut: Meisterliederdichtung als Auslegungskunst. Zur impliziten Poetik bei Hans Sachs. In: Dorothea Klein (Hg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit. Wiesbaden 2000, S. 541 – 557. Kuhangel, Sabine: Der labyrinthische Text. Literarische Offenheit und die Rolle des Lesers. Wiesbaden 2003 (Literaturwissenschaft/Kulturwissenschaft). Kühlmann, Wilhelm: Happels „Academischer Roman“ und die Krise der späthumanistischen Gelehrtenkultur. In: Albrecht Schöne (Hg.): Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. München 1976 (Germanistische Symposien; Berichtsbände, Bd. 1), S. 383 – 395. Kühlmann, Wilhelm: Grimmelshausen und Praetorius. Alltagsmagie zwischen Verlockung und Verbot. Anmerkungen zu ‚Simplicissimi Galgen-Männlein‘. In: Simpliciana 26 (2004), S. 61 – 76. Kühlmann, Wilhelm und Joachim Telle: Humanismus und Medizin an der Universität Heidelberg im 16. Jahrhundert. In: Wilhelm Doerr (Hg.): Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1386 – 1986. Bd. 1: Mittelalter und frühe Neuzeit: 1386 – 1803. Berlin 1985, S. 255 – 289.

674

Literaturverzeichnis

Kulli, Rolf Max: Die Ständesatire in den deutschen geistlichen Spielen des ausgehenden Mittelalters. Einsiedeln 1966. La Cuadra, Inés de: Der „Renner“ Hugos von Trimberg. Allegorische Denkformen und literarische Traditionen. Hildesheim, Zürich, New York 1999 (Germanistische Texte und Studien, Bd. 63). Ladner, Gerhart B.: Homo Viator: Mediaeval Ideas on Alienation and Order. In: Speculum 42 (1967), S. 233 – 259. Lagler, Wilfried: Philipp Melanchthon als Mitarbeiter des Tübinger Buchdruckers Thomas Anselm. In: Sönke Lorenz, Matthias Asche u. a. (Hg.): Vom Schüler der Burse zum „Lehrer Deutschlands“. Philipp Melanchthon in Tübingen. Tübingen 2010 (Tübinger Kataloge, Bd. 88), S. 175 – 185. Lähnemann, Henrike: Versus de despectu sapientis. Ein Einblick in die lateinisch-deutsche Literaturszene um 1200. In: Christiane Ackermann und Ulrich Barton. (Hg.): „Texte zum Sprechen bringen“. Philologie und Interpretation. Tübingen 2009, S. 19 – 33. Lakoff, George: Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal About the Mind. Chicago 1987. Lambel, Hans: Einige Bemerkungen zu Clemens Stephanis Satyra. Prag 1902. Lange, Kurt: Der Student in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Breslau 1930. Langensiepen, Fritz: Tradition und Vermittlung. Literaturgeschichtliche und didaktische Untersuchungen zu Hans Folz. Berlin 1980 (Philologische Studien und Quellen, Bd. 102). Langosch, Karl: Profile des lateinischen Mittelalters. Geschichtliche Bilder aus dem europäischen Geistesleben. Darmstadt 1965. Latzke, Therese: Der Topos Mantelgedicht. In: MlatJb 6 (1970), S. 109 – 131. Lauer, Claudia: Ästhetik der Identität. Sänger-Rollen in der Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts. Heidelberg 2008 (Studien zur historischen Poetik, Bd. 2). Lazzarino Del Grosso, Anna: Armut und Reichtum in Denken Gerhohs von Reichersberg. München 1973 (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft Reihe B, Bd. 4). Le Goff, Jacques: L’Imaginaire Médiéval. Paris 1985. Le Roy Ladurie, Emmanuel: Montaillou, Village Occitan de 1294 à 1324. Paris 1975 (Bibliothèque des Histoires). Le Roy Ladurie, Emmanuel: Eine Welt im Umbruch. Der Aufstieg der Familie Platter im Zeitalter der Renaissance und Reformation, übers. von Wolfram Bayer. Stuttgart 1998. Leach, Elizabeth Eva: The Social Background to Secular Medieval Latin Song by Bryan Gillingham. In: Music & Letters 80 (1999), S. 621 – 624. Lehmann, Paul: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur. München 1918. Lehmann, Paul: Die Parodie im Mittelalter. München 1922 (zweite Auflage: Stuttgart 1963). Lehrs, Max: Über einige Holzschnitte des Fünfzehnten Jahrhunderts in der Stadtbibliothek zu Zürich. Straßburg 1906 (Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts, Bd. 4). Leitner, Ingrid: Sprachliche Archaisierung. Historisch-typologisch Untersuchung zur deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Bern u. a. 1978 (Europäische Hochschulschriften Reihe 1, Deutsche Literatur und Germanistik, Bd. 246). Lemmer, Manfred: Die Holzschnitte zu Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘. Leipzig 31994. Leschber, Corinna und Christian Efing (Hg.): Geheimsprachen in Mittel- und Südosteuropa. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2011. Lesser, Bertram: Johannes Busch: Chronist der Devotio moderna. Werkstruktur, Überlieferung, Rezeption. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2005 (Tradition – Reform – Innovation, Bd. 10). Lévinas, Emmanuel: Die Spur des Anderen [1963]. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Freiburg i. Breisgau 62012 (Alber-Reihe Philosophie).

Forschung

675

Lewon, Marc: Die Liedersammlung des Liebhard Eghenvelder. Im Ganzen mehr als die Summe ihrer Teile. In: Björn R. Tammen und Alexander Rausch (Hg.): Musikalische Repertoires in Zentraleuropa (1420 – 1450). Prozesse & Praktiken. Wien, Köln, Weimar 2014, S. 299 – 343. Leyser, Conrad: Authority and Asceticism From Augustine to Gregory the Great. Oxford 2007 (Oxford historical monographs). Lhotsky, Alphons: Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs. Graz 1963 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsbände, Bd. 19). Lickhardt, Maren: Schwankhaftes und Biographisches im Ruchlosen Studenten (anonym, 1681). Zur Transformation von pikareskem Syntagma und pikaresker Figur im späten 17. Jahrhundert. In: Daphnis 45 (2017), S. 277 – 303. Lieb, Ludger: Erzählen an den Grenzen der Fabel. Studien zum Esopus des Burkard Waldis. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 1996 (Mikrokosmos, Bd. 47). Lieb, Ludger: Die Potenz des Stoffes. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005 (ZfdPh Sonderhefte, Bd. 124), S. 356 – 379. Lier, Hermann A.: Ottmar Nachtigalls ‚Ioci ac sales mire festivi‘. Ein Beitrag zur Kenntnis der Schwanklitteratur im 16. Jahrhundert. In: Archiv für Litteraturgeschichte 11 (1882), S. 1 – 50. Linke, Hansjürgen: Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung. In: Artur Bethke (Hg.): Deutsche Literatur des Spätmittelalters. Ergebnisse, Probleme und Perspektiven der Forschung. Greifswald 1986 (Deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 3), S. 166 – 179. Linke, Hansjürgen: Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters. In: ZfdA 135 (2006), S. 450 – 473. Lobenstein-Reichmann, Anja: Stigma. Semiotik der Diskriminierung. In: Wolf-Andreas Liebert und Horst Schwinn (Hg.): Mit Bezug auf Sprache. Tübingen 2009 (Studien zur deutschen Sprache, Bd. 49), S. 249 – 271. Lobenstein-Reichmann, Anja: Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Berlin 2013 (Studia Linguistica Germanica, Bd. 117). Lobenstein-Reichmann, Anja: „Wer Christum nicht erkennen will, den las man fahren“. Luthers Antijudaismus. In: Norbert Richard Wolf (Hg.): Martin Luther und die deutsche Sprache – damals und heute. Heidelberg 2017 (Schriften des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften, Bd. 7), S. 147 – 166. Locher, Emma: Die Venedigersagen. Tübingen 1922. Lohse, Bernhard: Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters. Göttingen 1963 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 12). Löpelmann, Martin: Il Dilettevole Essamine de Guidono Furfani ò Calchi, Altramente detti Guitti nelle Carcari di Ponte Sisto di Rome nel 1598. Con la Cognitione della Lingua Fubesca ò Zerga Commune à Tutti Loro. Ein Beitrag zur Kenntnis der italienischen Gaunersprache im 16. Jahrhundert. In: Romanische Forschungen 34 (1915), S. 653 – 664. Lorenz, Sönke: Studium generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jahrhundert. Stuttgart 1989 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 34). Lorenz, Sönke: Von Johannes Reuchlin und Jakob Locher zu Philipp Melanchthon: Eine Skizze zum Tübinger Frühhumanismus. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999), S. 37 – 58. Lüthi, Max: Märchen. Stuttgart 1962 (Sammlung Metzler, Bd. 16). Lütolf, Alois: Sagen, Bräuche und Legenden aus den fünf Orten Lucern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Luzern 1865. Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde (Hg.): Veelderhande Geneuchlijcke Dichten, Tafelspelen ende Refereynen. Utrecht 1977. MacIntyre, Alasdair C.: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, übers. von Wolfgang Rhiel. Frankfurt a. M. 1995 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1193). Macray, William Dunn: Digby Manuscripts. Oxford 1999 (Bodleian Library Quarto Catalogues, Bd. 9).

676

Literaturverzeichnis

Magnússon, Sigurður Gylfi; Szijártó, István M.: What is Microhistory? Theory and Practice. London, New York 2013. Magretts, John: ich han den mut und den sit/den mich min herze leret. Eigen-Sinn beim Stricker? In: Emilio González und Victor Millet (Hg.): Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme. Berlin 2006 (Philologische Studien und Quellen, Bd. 199), S. 117 – 133. Mahal, Günther: Joseph Viktor von Scheffel. Versuch einer Revision. Karlsruhe 1986. Mahal, Günther: Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens. Reinbek bei Hamburg 1995. Maleczek, Werner: Deutsche Studenten an Universitäten in Italien. In: Siegfried de Rachewiltz und Josef Riedmann (Hg.): Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert). Sigmaringen 1995, S. 77 – 96. Manitius, Max: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. 3 Bde. München 1911 – 1931 (Handbuch der Altertumswissenschaften, Abt. 9, T. 2, Bd. 1 – 3). Marti, Hanspeter: Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten 1660 – 1750. Eine Auswahlbibliographie. München 1982. Martin, Dieter: Marlows Faust oder Petrarcas Schatzgräber? Zum Titelkupfer von Grimmelshausens Vogelnest II. In: Simpliciana 28 (2006), S. 185 – 194. Martínez, Matías und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München 102016. Maset, Michael: Zur Relevanz von Michel Foucaults Machtanalyse für kriminalitätshistorische Forschungen. In: Andreas Blauert und Gerd Schwerhoff (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Konstanz 2000 (Konflikte und Kultur, Bd. 1), S. 233 – 241. Matt, Peter von: Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist. München 2006. Matussek, Peter: Faust I. In: Theo Buck (Hg.): Goethe-Handbuch. Bd. 2: Drama. Stuttgart, Weimar 1996, S. 352 – 390. Maurer, Michael: Reisen interdisziplinär. Ein Forschungsbericht in kulturgeschichtlicher Perspektive. In: Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin 1999 (Aufklärung und Europa, Beiträge zum 18. Jahrhundert), S. 287 – 410. Maurer, Tina und Christian Hesse: Von Bologna zu ‚Bologna‘. Akademische Mobilität und ihre Grenzen. In: Christian Hesse (Hg.): Von Bologna zu „Bologna“. Akademische Mobilität und ihre Grenzen. Basel 2011 (Itinera, Bd. 31), S. 5 – 22. Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, übers. von Eva Moldenhauer. Frankfurt a. M. 112016 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 743); frz. Orig.: Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques. In: L’Année Sociologique, 1 (1925), S. 30 – 186. Mayali, Laurent: Du Vagabondage à l’Apostasie. Le Moine Fugitif dans la Société Médiévale. In: Dieter Simon (Hg.): Religiöse Devianz. Untersuchungen zu sozialen, rechtlichen und theologischen Reaktionen auf religiöse Abweichung im westlichen und östlichen Mittelalter. Frankfurt a. M. 1990 (Ius comme Sonderhefte, Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 48), S. 121 – 142. Mayer, Theodor: Spicilegium von Urkunden aus der Zeit der österreichischen Babenberger-Fürsten. In: Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen 6 (1851), S. 273 – 318. Mazzatinti, Giuseppe (Hg.): Inventario dei Manoscritti delle Biblioteche d’Italia. Bd. 2. Forlì 1892. Meier, Christel: Grundzüge der mittelalterlichen Enzyklopädik. Zu Inhalten, Formen und Funktionen einer problematischen Gattung. In: Ludger Grenzmann und Karl Stackmann (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Stuttgart 1984 (Germanistische Symposien-Berichtsbände, Bd. 5), S. 467 – 500. Meier, John: Gaunersprachliches. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 14 (1910), S. 246 – 247. Meierhofer, Christian: Alles neu unter der Sonne. Das Sammelschrifttum der Frühen Neuzeit und die Entstehung der Nachricht. Würzburg 2010 (Epistemata Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 702).

Forschung

677

Meisen, Karl: Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendlande. Eine kultgeographisch-volkskundliche Untersuchung. Erweiterte und veränderte Ausgabe der Erstauflage von 1931. Düsseldorf 1981 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 41). Melters, Johannes: „ein frölich gemüt zu machen in schweren zeiten …“. Der Schwankroman in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2004 (Philologische Studien und Quellen, Bd. 185). Merk, Angelika: Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Artefakte des frühen Buchdrucks. Berlin, Boston 2018. Mertens, Benedikt: „Vidi quasi vias ipsorum multitudine plenas“ (l Cel 27). Die evangelische Wanderschaft in der Praxis und Debatte der Minderbrüder im 13. Jahrhundert. In: Wissenschaft und Weisheit 63 (2000), S. 9 – 60. Mertens, Volker: Authentisierungsstrategien in vorreformatorischer Predigt: Erscheinungsform und Edition einer oralen Gattung am Beispiel Johannes Geilers von Kaysersberg. In: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 16 (2002), S. 70 – 85. Meyer, Dieter H.: Literarische Hausbücher des 16. Jahrhunderts. Die Sammlungen des Ulrich Mostl, des Valentin Holl und des Simprecht Kröll. Würzburg 1989 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 2). Mieses, Matthias: Die Entstehungsursache der jüdischen Dialekte [1915], hg. von Peter Freimark. Hamburg 21979. Miethke, Jürgen: Paradiesischer Zustand – Apostolisches Zeitalter – Franziskanische Armut. Religiöses Selbstverständnis, Zeitkritik und Gesellschaftstheorie im 14. Jahrhundert. In: Stephanie Haarländer und Franz J. Felten (Hg.): Vita religiosa im Mittelalter. Berlin 1999 (Berliner historische Studien, Bd. 31), S. 503 – 532. Mihm, Arend: Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter. Heidelberg 1967. Militzer, Klaus: Das Markgröninger Heilig-Geist-Spital im Mittelalter. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des 15. Jahrhunderts. Sigmaringen 1975 (Vorträge und Forschungen des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte, Sonderband 19). Mischlewski, Adalbert: Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts (unter besonderer Berücksichtigung von Leben und Wirken des Petrus Mitte de Caprariis). Köln 1976 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte, Bd. 8). Mittler, Elmar: Das Recht in Heinrich Wittenwilers „Ring“. Freiburg i. Br. 1967 (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte, Bd. 20). Mohlberg, Leo Cunibert: Mittelalterliche Handschriften. Zürich 1951 (Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Bd. 1). Mölk, Ulrich: Das Dilemma der literarischen Motivforschung und die europäische Bedeutungsgeschichte von ‚Motiv‘. Überlegungen und Dokumentation. In: Romanisches Jahrbuch 42 (1991), S. 91 – 120. Mölk, Ulrich: Zur europäischen Bedeutungsgeschichte von ‚Motiv‘ vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. In: Theodor Wolpers (Hg.): Ergebnisse und Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Motiv- und Themenforschung. Göttingen 2002 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Folge 3, Bd. 249), S. 11 – 20. Mollat, Michel: Die Armen im Mittelalter. München 21987. Montrose, Louis A.: Professing the Renaissance. The Poetics and Politics of Culture. In: Harold Veeser (Hg.): The New Historicism. London, New York 1989, S. 15 – 36. Moos, Peter von und Gert Melville: Rhetorik, Kommunikation und Medialität. Berlin 2006 (Geschichte – Forschung und Wissenschaft, Bd. 15).

678

Literaturverzeichnis

Moraw, Peter: Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch. In: Uwe Bestmann, Franz Irsigler und Jürgen Schneider (Hg.): Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Bd. 2. Trier 1987, S. 583 – 622. Moraw, Peter: Der Lebensweg der Studenten. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 225 – 254. Moser, Dietz-Rüdiger: Fastnacht und Fastnachtspiel. Zur Säkularisierung geistlicher Volksschauspiele bei Hans Sachs und ihrer Vorgeschichte. In: Horst Brunner, Gerhard Hirschmann und Fritz Schnelbögl (Hg.): Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Nürnberg 1976 (Nürnberger Forschungen, Bd. 19), S. 182 – 218. Moser, Dietz-Rüdiger: Vaganten oder Vagabunden? Anmerkungen zu den Dichtern der ‚Carmina Burana‘ und ihren literarischen Werken. In: Rolf Bräuer (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext. Göppingen 1998 (GAG, Bd. 651), S. 9 – 25. Moshövel, Andrea: wîplîch man. Formen und Funktionen von „Effemination“ in deutschsprachigen Erzähltexten des 13. Jahrhunderts. Göttingen 2009 (Aventiuren, Bd. 5). Moshövel, Andrea: Erzählen und Wissenstransfer. Zwei Beispiele exorzistischer Beschwörungsrituale in Legende und Schwank. In: Daphnis 40 (2011), S. 249 – 274. Moshövel, Andrea: Von ‚hübschen‘ Studenten und kundigen Frauen. Rüdeger von Munre: ‚Irregang und Girregar‘. In: Nathanael Busch und Björn Reich (Hg.): Vergessene Texte des Mittelalters. Stuttgart 2014, S. 175 – 186. Mozley, John H.: The ‚Epistula ad Wilhelmum‘ of Nigel Longchamps. In: Medium Ævum 39 (1970), S. 13 – 20. Mueller, Markus: Beherrschte Zeit. Lebensorientierung und Zukunftsgestaltung durch Kalenderprognostik zwischen Antike und Neuzeit. Mit einer Edition des Passauer Kalendars (UB/LMB 2° Ms. aston. 1). Kassel 2009 (Schriften der Universitätsbibliothek Kassel, Bd. 8). Muessig, Carolyn: Audience and Preacher. Ad status Sermons and Social Classification. In: Carolyn Muessig (Hg.): Preacher, Sermon, and Audience in the Middle Ages. Leiden, Boston 2002 (A new history of the sermon, Bd. 3), S. 255 – 276. Muller, J. W.: Aernout en Consorten. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 38 (1919), S. 133 – 146. Müller, Bruno: Hugo von Trimberg und das Bocciaspiel. In: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 105 (1969), S. 202 – 211. Müller, Jan-Dirk: Die ‚hovezuht‘ und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads ‚Halber Birne‘. In: Jahrbuch der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft 3 (1984/1985), S. 281 – 311. Müller, Jan-Dirk: Der siegreiche Fürst im Entwurf der Gelehrten. Zu den Anfängen eines höfischen Humanismus in Heidelberg. In: August Buck (Hg.): Höfischer Humanismus. Weinheim 1989 (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung, Bd. 16), S. 17 – 50. Müller, Jan-Dirk: ‚Alt‘ und ‚neu‘ in der Epochenerfahrung um 1500. Ansätze zur kulturgeschichtlichen Periodisierung in frühneuhochdeutschen Texten. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Traditionswandel und Traditionsverhalten. Tübingen 1991 (Fortuna vitrea, Bd. 5), S. 121 – 144. Müller, Jan-Dirk: Imaginäre Ordnungen und literarische Imaginationen um 1200. In: Jahrbuch des Historischen Kollegs (2003), S. 41 – 68. Müller, Jan-Dirk: Literarische und andere Spiele. Zum Fiktionalitätsproblem in vormoderner Literatur. In: Poetica 36 (2004). Müller, Jan-Dirk: „Improvisierende“, „memorierende“, und „fingierte“ Mündlichkeit. In: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005 (ZfdPh Sonderhefte, Bd. 124), S. 159 – 181.

Forschung

679

Müller, Jan-Dirk: Einleitung. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründungen einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik. Berlin, Boston 2007 (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 64), S. VII–XI. Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen 2007. Müller, Jan-Dirk: Literaturgeschichte als Mikrogeschichte. Zur Schwierigkeit, eine Geschichte vormoderner Literatur zu schreiben. In: Matthias Buschmeier, Walter Erhart und Kai Kauffmann (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin, Boston 2014 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 138), S. 165 – 184. Müller, Jan-Dirk: ‚Wandering‘ Scholars in the Beginning of Printing. In: Daphnis 45 (2017), S. 412 – 426. Müller, Marcus: Geschichte als Spur im Text. In: Jochen A. Bär und Marcus Müller (Hg.): Geschichte der Sprache – Sprache der Geschichte. Probleme und Perspektiven der historischen Sprachwissenschaft des Deutschen. Berlin 2012 (Lingua Historica Germanica, Bd. 3), S. 159 – 180. Müller, Maria E.: Bürgerliche Emanzipation und protestantische Ethik. Zu den gesellschaftlichen und literarischen Voraussetzungen von Sachs’ reformatorischem Engagement. In: Thomas Cramer und Erika Kartschoke (Hg.): Hans Sachs. Studien zur frühbürgerlichen Literatur im 16. Jahrhundert. Bern, Frankfurt a. M. u. a. 1978 (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3), S. 11 – 40. Müller, Rainer A.: Aristokratisierung des Studiums? Bemerkungen zur Adelsfrequenz an süddeutschen Universitäten im 17. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 31 – 46. Müller, Winfried: Der Universitätsgelehrte im späten Mittelalter. In: Rudolf W. Keck (Hg.): Literaten – Kleriker – Gelehrte. Zur Geschichte der Gebildeten im vormodernen Europa. Köln 1996 (Beiträge zur historischen Bildungsforschung, Bd. 15), S. 191 – 206. Mulsow, Martin: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart, Weimar 2007. Münkler, Herfried: Staatsraison. Die Verstaatlichung der Politik im Europa der Frühen Neuzeit. In: Gerhard Göhler, Kurt Lenk u. a. (Hg.): Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch. Ideengeschichtliche Beiträge zur Theorie politischer Institutionen. Wiesbaden 1990, S. 190 – 202. Münkler, Marina: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Göttingen 2011 (Historische Semantik, Bd. 15). Münz, Rudolf: Giullari nudi, Goliarden und ‚Freiheiter‘. In: Rudolf Münz und Gisbert Amm (Hg.): Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen. Berlin 1998, S. 104 – 140. Münz, Rudolf: Sind ‚die großen Erzählungen‘ im Theater zu Ende? In: Gerda Baumbach: Theaterkunst & Heilkunst. Studien zu Theater und Anthropologie. Köln 2002, S. 327 – 424. Nagel, Thomas: The Last Word. Oxford, New York 1997. Nagel, Thomas: Der Blick von nirgendwo, übers. von Michael Gebauer. Frankfurt a. M. 22015 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 2035). Naumann, Heinrich: Gab es eine Vaganten-Dichtung? In: Der altsprachliche Unterricht 12 (1969), S. 69 – 105. Naumann, Heinrich: Dichtung für Schüler und Dichtung von Schülern im lateinischen Mittelalter. In: Der altsprachliche Unterricht 17 (1974), S. 63 – 84. Neumann, Bernd: Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet. München 1987 (MTU, Bd. 84). Niederkorn-Bruck, Meta: Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen. Wien, München 1994 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsbände, Bd. 30).

680

Literaturverzeichnis

Niederkorn-Bruck, Meta: Kommentare zur Benedikts-Regel aus der Melker Reform. In: Mirko Breitenstein, Julia Burkhardt u. a. (Hg.): Identität und Gemeinschaft. Vier Zugänge zu Eigengeschichten und Selbstbildern institutioneller Ordnungen. Berlin, Münster 2015 (Vita regularis Abhandlungen, Bd. 67), S. 47 – 87. Niefanger, Dirk: Sfumato. Traditionsverhalten in Paratexten zwischen ‚Barock‘ und ‚Aufklärung‘. In: LiLi 25 (1995), S. 94 – 118. Niefanger, Dirk: Die Chance einer ungefestigten Nationalliteratur. Traditionsverhalten im galanten Diskurs. In: Thomas Borgstedt und Andreas Sollbach (Hg.): Der galante Diskurs. Kommunikationsideal und Epochenschwelle. Dresden 2001 (Arbeiten zur neueren deutschen Literatur, Bd. 6), S. 147 – 163. Nies, Fritz: Osmosen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Feld der literarischen Genres (16.–18. Jh.). In: Frühneuzeit-Info 9 (1998), S. 209 – 212. Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches I [1878], hg. von Giorgio Colli, Mazzino Montinari u. a. Berlin 1967 (Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 4, Bd. 2). Nimtz, Herbert: Motive des Studentenlebens in der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Würzburg 1937. Nöcker, Rebekka: vil krummer urtail. Zur Darstellung von Juristen im frühen Nürnberger Fastnachtspiel. In: Klaus Ridder (Hg.): Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Tübingen 2009, S. 239 – 283. Nowakowski, Nina: Personelle Prägnanz. Figurendarstellung und exemplarisches Erzählen in Heinrich Kaufringers ‚Suche nach dem glücklichen Ehepaar‘. In: Friedrich Michael Dimpel und Silvan Wagner (Hg.): Prägnantes Erzählen. Oldenburg 2019 (Brevitas, Bd. 1 – BmE Sonderheft), S. 409 – 429. Nyíri, János K.: ‚Tradition‘ and Related Terms. A Semantic Survey. In: Tradition and Individuality. Essays. Dordrecht, Boston, London 1992 (Synthese library, Bd. 221), S. 61 – 74. Nykrog, Per: Les Fabliaux. Genève 1973. Nyström, Solmu: Die deutsche Schulterminologie in der Periode 1300 – 1740. Schulanstalten, Lehrer und Schüler. Helsinki 1915. Oestreich, Gerhard: Policey und Prudentia civilis in der barocken Gesellschaft von Stadt und Staat. In: Albrecht Schöne (Hg.): Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. München 1976 (Germanistische Symposien; Berichtsbände, Bd. 1), S. 10 – 21. Oexle, Otto Gerhard: Die ‚Wirklichkeit‘ und das ‚Wissen‘. Ein Blick auf das sozialgeschichtliche Oeuvre von Georges Duby. In: HZ 232 (1981), S. 61 – 91. Oexle, Otto Gerhard: Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens. In: František Graus (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Sigmaringen 1987 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 35), S. 65 – 117. Oexle, Otto Gerhard: Die Entstehung politischer Stände im Spätmittelalter. Wirklichkeit und Wissen. In: Reinhard Blänkner und Bernhard Jussen (Hg.): Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens. Göttingen 1998 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 138), S. 139 – 162. Oexle, Otto Gerhard: Arbeit, Armut, „Stand“ im Mittelalter. In: Jürgen Kocka, Claus Offe und Beate Redslob (Hg.): Geschichte und Zukunft der Arbeit. Frankfurt a. M. 2000, S. 67 – 79. Ohler, Norbert: Reisen im Mittelalter. München, Zürich 1986. Ohler, Norbert: Pilgerleben im Mittelalter. Zwischen Andacht und Abenteuer. Freiburg i. Br., Basel, Wien 1994. Ohly, Friedrich: Der Verfluchte und der Erwählte. Vom Leben mit der Schuld. Opladen 1976 (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G, Bd. 207).

Forschung

681

Ohly, Friedrich: Desperatio und Praesumptio. Zur theologischen Verzweiflung und Vermessenheit. In: Ausgewählte und neue Schriften zur Literaturgeschichte und zur Bedeutungsforschung, hg. von Uwe Ruberg. Stuttgart, Leipzig 1995, S. 177 – 216. Opgenoorth, Ernst und Günther Schulz: Einführung in das Studium der neueren Geschichte. Paderborn, München u. a. 72010 (UTB Geschichte, Bd. 1553). Oppitz, Ulrich-Dieter: Die ‚Deutschen Manuskripte des Mittelalters ‘ (Zb-Signatur) der ehemaligen Stolberg-Wernigerodischen Handschriftensammlung. In: Detlef Haberland (Hg.): Geographia spiritualis. Frankfurt a. M. u. a. 1993, S. 187 – 205. Ortner, Alexandra: Petrarcas Trionfi in Malerei, Dichtung und Festkultur. Untersuchung zur Entstehung und Verbreitung eines florentinischen Bildmotivs auf cassoni und deschi da parto des 15. Jahrhunderts. Weimar 1998. Ott, Michael: Fünfzehnhundertsiebenundachtzig. Literatur, Geschichte und die Historia von D. Johann Fausten. Frankfurt a. M. 2014. Ott, Norbert H.: Leitmedium Holzschnitt. Tendenzen und Entwicklungslinien der Druckillustration in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Barbara Tiemann und die Maximilian-Gesellschaft (Hg): Die Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert. Bd. 2. Hamburg 1999, S. 163 – 252. Palmer, Nigel F.: Latein und Deutsch in den Blockbüchern. In: Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer (Hg.): Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100 – 1500. Tübingen 1992, S. 312 – 336. Pangerl, Matthias: Zur Geschichte der fahrenden Schüler. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 15 (1868), Sp. 198 – 199. Pape, Helmut: Fußabdrücke und Eigennamen. Peirces Theorie des relationalen Kerns der Bedeutung indexikalischer Zeichen. In: Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt a. M. 22016 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1830), S. 37 – 54. Paraschkewow, Boris: Wörter und Namen gleicher Herkunft und Struktur. Lexikon etymologischer Dubletten im Deutschen. Berlin, Boston 2015. Paret, Peter: Kunst als Geschichte. Kultur und Politik von Menzel bis Fontane, übers. von Holger Fliessbach. München 1990. Parzefall, Edith: Das Fortwirken des Simplicissimus von Grimmelshausen in der deutschen Literatur. Berlin 2001. Pastenaci, Stephan: Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur historischen Psychologie. Trier 1993 (Literatur, Imagination, Realität, Bd. 6). Patch, Howard Rollin: The Tradition of Boethius. A Study of his Importance in Medieval Culture. New York 1935. Patlagean, Évelyne: L’Histoire de l’Imaginaire. In: Jacques Le Goff und Roger Chartier (Hg.): La Nouvelle Histoire. Paris 1978 (Les encyclopédies du savoir moderne), S. 249 – 269. Payen, Jean-Charles: Goliardisme et fabliaux. Interfe´rences ou similitudes? Recherches sur la fonction ide´ologique de la provocation en litte´rature. In: Jan Goossens u. Timothy Sodmann (Hg.): Third International Beast Epic, Fable, and Fabliau Colloquium, Kö ln, Wien 1981 (Niederdeutsche Studien, Bd. 30), S. 267 – 289 Payen, Jean-Charles: Le „je“ chez Rutebeuf, ou les Fausses Confidences d’un Auteur en Quête de Personnage. In: Henning Krauss (Hg.): Mittelalterstudien. Heidelberg 1984 (Studia Romanica, Bd. 55), S. 229 – 240. Peirce, Charles S.: Semiotische Schriften. 3 Bde., hg. von Christian Kloesel und Helmut Pape. Frankfurt a. M. 1986. Peters, Ursula: Die Rückkehr der ‚Gesellschaft‘ in die Kulturwissenschaft. In: Scientia Poetica 22 (2018), S. 1 – 52.

682

Literaturverzeichnis

Petersen, Christoph: Ritual und Theater. Meßallegorese, Osterfeier und Osterspiel im Mittelalter. Tübingen 2004 (MTU, Bd. 125). Petsch, Robert: Die Disputationsszene im Faust. In: Euphorion 22 (1915), S. 307 – 317. Petti Balbi, Giovanna: Qui causa studiorum peregrinantur. Studenti e Maestri. In: Sergio Gensini (Hg.): Viaggiare nel Medioevo. Pisa 2000 (Collana de Studi e Ricerche, Bd. 8), S. 299 – 316. Petzoldt, Leander: Venusberg. In: Ulrich Müller und Werner Wunderlich (Hg.): Burgen, Länder, Orte. Konstanz 2008 (Mittelalter-Mythen, Bd. 5), S. 917 – 926. Petzoldt, Leander: Magie. Weltbild, Praktiken, Rituale. München 2011 (Beck’sche Reihe, Bd. 6015). Petzoldt, Leander: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister. München 52014 (Beck’sche Reihe, Bd. 427). Pfaff, Carl: Klerus und Laien im Spiegel der Reformatio Sigismundi. In: Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp (Hg.): Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburg (Schweiz) 1999 (Scrinium Friburgense, Bd. 10), S. 191 – 208. Pfister, Manfred: Konzepte der Intertextualität. In: Ulrich Broich und Manfred Pfister (Hg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 35), S. 1 – 30. Philipowski, Katharina: Figur – Mittelalter/Character – Middle Ages. In: Eva von Contzen und Stefan Tilg (Hg.): Handbuch Historische Narratologie. Berlin 2019, S. 116 – 128. Pigler, Andrew: Astrology and Jerome Bosch. In: Burlington Magazine 92 (1950), S. 132 – 136. Pinkernell, Gert: François Villon. Biographie Critique et Autres Études. Heidelberg 2002 (Studia Romanica, Bd. 110). Pleij, Herman: Het Gilde van de Blauwe Schuit. Literatuur, Volksfeest en Burgermoraal in de Late Middeleeuwen. Amsterdam 21983. Pleij, Herman: Van Schelmen en Schavuiten. Laatmiddeleeuwse Vagebondteksten. Amsterdam 1985 (Griffioen). Plessow, Oliver: Mittelalterliche Schachzabelbücher zwischen Spielsymbolik und Wertevermittlung. Der Schachtraktat des Jacobus de Cessolis im Kontext seiner spätmittelalterlichen Rezeption. Münster 2007 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 12). Plotke, Seraina: Conversatio/Konversation. Eine Wort- und Begriffsgeschichte. In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 31 – 120. Pniower, Otto: Pfitzers Faustbuch als Quelle Goethes. In: ZfdA 57 (1920), S. 248 – 266. Pohánka, Eva: Egy kalandos sorsú kódex nyomában. Magyi János formuláskönyve a Pécsi Püspöki Könyvtárban. In: Tanulmányok Pécs történetéből 18 (2006), S. 61 – 76. Poncelet, Albert: Miraculorum B. V. Mariae quae saec. VI–XV latine conscripta sunt Index postea perficiendus. In: Analecta Bollandiana 21 (1902), S. 241 – 360. Popitz, Heinrich, Hans Bahrdt u. a.: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Soziologische Untersuchungen in der Hüttenindustrie. Tübingen 1957 (Soziale Forschung und Praxis, Bd. 17). Neuauflage hg. von Jochen Dreher. Wiesbaden 2018 (Klassiker der Sozialwissenschaften). Post, Werner: Acedia – das Laster der Trägheit. Zur Geschichte der siebten Todsünde. Freiburg i. Br. 2011 (Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte, Bd. 12). Proelß, Johannes: Scheffel’s Leben und Dichten. Berlin 1887. Przybilski, Martin: Bändigung oder Subversion. Die Gattung Fastnachtspiel, Hans Sachs und die Brüder Beham. In: Thomas Schauerte, Jürgen Müller und Bertram Kaschek (Hg.): Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit. Petersberg 2013, S. 218 – 231. Pugliatti, Paola: Beggary and Theatre in Early Modern England. Aldershot u. a. 2003. Puschner, Uwe: Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte. Göttingen 22012 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts, Bd. 47).

Forschung

683

Quast, Bruno: Der feste Text. Beobachtungen zur Beweglichkeit des Textes aus Sicht des Produzenten. In: Ursula Peters (Hg.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150 – 1450. Stuttgart 2001 (Berichtsbände / Germanistische Symposien, Bd. 23), S. 34 – 46. Quast, Bruno: Vom Kult zur Kunst. Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen 2005 (Bibliotheca Germanica, Bd. 48). Quillian, Ross M.: Semantic Memory. In: Marvin Lee Minsky (Hg.): Semantic Information Processing. Cambridge (Mass.) 1968, S. 227 – 270. Raby, Frederic J. E.: A History of Secular Latin Poetry in the Middle Ages. Oxford 1957 [1934]. Rädle, Fidel: Literatur gegen Literaturtheorie? Überlegungen zu Gattungsgehorsam und Gattungsverweigerung bei lateinischen Autoren des Mittelalters. In: Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke (Hg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997 (ScriptOralia, Bd. 99), S. 221 – 234. Ragotzky, Hedda: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers. Tübingen 1981 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 1). Raible, Wolfgang: Alterität und Identität. In: LiLi 110 (1998), S. 7 – 22. Ranieri, Filippo: Vom Stand zum Beruf. Die Professionalisierung des Juristenstandes als Forschungsaufgabe der europäischen Rechtsgeschichte der Neuzeit. In: Ius commune 13 (1985), S. 83 – 105. Ranke, Kurt: Schwank und Witz als Schwundstufe. In: Helmut Doelker (Hg.): Festschrift für Will-Erich Peuckert. Berlin 1955, S. 41 – 59. Rasche, Ulrich (Hg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Wiesbaden 2011 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 128). Raspe, Lucia: Yuzpa Schammes and the Narrative of Medieval Worms. In: Karl E. Grötzinger (Hg.): Jüdische Kultur in en SchUM-Städten. Literatur – Musik – Theater. Wiesbaden 2014 (Jüdische Kultur, Bd. 26), S. 99 – 118. Rathmann, Thomas: Geschehen und Geschichten des Konstanzer Konzils. Chroniken, Briefe, Lieder und Sprüche als Konstituenten eines Ereignisses. München 2000 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, Bd. 20 [25]). Rautenberg, Ursula: Das Werk als Ware. Der Nürnberger Kleindrucker Hans Folz. In: IASL 24 (1999), S. 1 – 40. Rauwald, Johannes: Politische und literarische Poetologie(n) des Imaginären. Zum Potenzial der (Selbst‐)Veränderungskräfte bei Cornelius Castoriadis und Alfred Döblin. Würzburg 2013 (Studien zur Kulturpoetik, Bd. 17). Read, Robert: The Oldest Trick in the Book. A Compendium about the Cups and Balls in Graphic Arts. Offenbach 2014. Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin 52017 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1995). Rehberg, Karl-Siegbert: Die stabilierende ‚Fiktionalität‘ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung. In: Reinhard Blänkner und Bernhard Jussen (Hg.): Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens. Göttingen 1998 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 138), S. 381 – 407. Rehberg, Karl-Siegbert, Walter Schmitz und Peter Strohschneider (Hg.): Mobilität – Raum – Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dresden 2005 (Kulturstudien, Bd. 1). Reich, Philip: Tradierende Drucker. Überlegungen zum Traditionsverhalten in den Schachzabelbüchern deutscher Frühdrucker. In: Daphnis 47 (2019), S. 380 – 406. Reich, Philip: Traditionales Vagieren und vagierende Traditionen. Zum ‚Fahrenden Schüler‘ in der Literatur des Spätmittelalters. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.).

684

Literaturverzeichnis

Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. Literatur und Leben im spätmittelalterlichen Nürnberg. Stuttgart 1985. Reichenberger, Klaus: Kompendium semantische Netze. Konzepte, Technologie, Modellierung. Heidelberg 2010. Reichlin, Susanne: Zeitperspektiven. Das Beobachten von Providenz und Kontingenz in der ‚Buhlschaft auf dem Baume‘. In: Cornelia Herberichs und Susanne Reichlin (Hg.): Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2010 (Historische Semantik, Bd. 13), S. 245 – 270. Reindl, Nikolaus: Die poetische Funktion des Mittelalters in der Dichtung Clemens Brentanos. Innsbruck 1976 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe, Bd. 6). Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie. München 2004. Reinisch, Leonhard (Hg.): Vom Sinn der Tradition. München 1970 (Beck’sche schwarze Reihe, Bd. 68). Reuter, Fritz und Ulrike Schäfer: Wundergeschichten aus Warmaisa. Juspa Schammes, seine Ma’asseh nissim und das jüdische Worms im 17. Jahrhundert. Worms 2012. Reuter, Julia: Ordnungen des Anderen. Zum Problem des Eigenen in der Soziologie des Fremden. Bielefeld 2002. Reuvekamp, Silvia: Hölzerne Bilder – mentale Modelle? Mittelalterliche Figuren als Gegenstand einer historischen Narratologie. In: Diegesis 3 (2014), S. 112 – 130. Reuvekamp-Felber, Timo: Mittelalterliche Novellistik im kulturwissenschaftlichen Kontext. In: Timo Reuvekamp, Mark Chinca und Christopher Young (Hg.): Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Berlin 2006 (Beihefte zur ZfdPh, Bd. 13), S. X–XXXI. Rexroth, Frank: Expertenweisheit. Die Kritik an den Studierten und die Utopie einer geheilten Gesellschaft im späten Mittelalter. Basel 2008 (Freiburger mediävistische Vorträge, Bd. 1). Rexroth, Frank: Die Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Zur Einführung. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Ostfildern 2010 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 73), S. 7 – 14. Rexroth, Frank: Privilegien. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 129 – 138. Rheinheimer, Martin: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450 – 1850. Frankfurt a. M. 2000. Richert, Hans-Georg: Wege und Formen der Passionalüberlieferung. Tübingen 1978 (Hermaea. N. F., Bd. 40). Richter, Dieter: Die deutsche Überlieferung der Predigten Bertholds von Regensburg. Untersuchungen zur geistlichen Literatur des Spätmittelalters. München 1969 (MTU, Bd. 21). Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung. 3 Bde, übers. von Rainer Rochlitz und Andreas Knop. Bd. 1: Zeit und historische Erzählung; Bd. 2 Zeit und literarische Erzählung; Bd. 3: Die erzählte Zeit. München 1988/1989/1991 (Übergänge, Bd. 18); frz. Orig.: Temps et récit. Montrouge 1983 – 1985. Ricœur, Paul: The Creativity of Language. In: On Paul Ricoeur. The Owl of Minerva, hg. von Richard Kearney. Aldershot 2005 (Transcending boundaries in philosophy and theology), S. 127 – 144. Ridder, Klaus: Der Gelehrte als Narr. Das Lachen über die artes und Wissen im Fastnachtspiel. In: Ursula Schaefer (Hg.): Artes im Mittelalter. Berlin 1999, S. 391 – 409. Riecke, Jörg: Zum Fortleben einiger alter Wörter des Rotwelschen in der deutschen Literatur. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 57 (1990), S. 186 – 192. Riecke, Jörg: Rotwelsch bei Moscherosch. In: Sylvia Brockstieger und Dirk Werle (Hg.): Johann Michael Moscheroschs Textwelten. Bern u. a. 2020 (Beihefte zu Simpliciana), in Vorb.

Forschung

685

Riemer, Nathanael: Juden und Christen in Juspa Schammes’ Mayse Nissim und das Selbstverständnis der Wormser jüdischen Gemeinde als aschkenasisches „Jerusalem“ in einer diesseitigen, fragilen Welt. In: Karl E. Grötzinger (Hg.): Jüdische Kultur in en SchUM-Städten. Literatur – Musik – Theater. Wiesbaden 2014 (Jüdische Kultur, Bd. 26), S. 119 – 136 Rigg, Arthur George: Golias and Other Pseudonyms. In: Studi medievali. 3a serie 18 (1977), S. 65 – 109. Riha, Ortrun: Tradition, Neuanfang und das „humanistische Paradox“. Die Epochenschwelle um 1500 in der Medizin. In: Thomas Kühtreiber und Gabriele Schichta (Hg.): Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren. Die Konstruktion von Epochen in Mittelalter und früher Neuzeit in interdisziplinärer Sichtung. Heidelberg 2016 (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit, Bd. 6), S. 93 – 110. Ritter, Gerhard: Über den Quellenwert und Verfasser des sogen. „Heidelberger Gesprächsbüchleins für Studenten“ (manuale scholarium, um 1490). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 77 (1923), S. 4 – 32. Robert, Jörg: Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich. Berlin 2003 (Frühe Neuzeit, Bd. 76). Röcke, Werner: Aggression und Disziplin. Gebrauchsformen des Schwanks in deutschen Erzählsammlungen des 16. Jahrhunderts. In: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993 (Fortuna vitrea, Bd. 8), S. 106 – 129. Rödel, Walter G.: Die Obrigkeit und die Pest. Abwehrmaßnahmen in der frühen Neuzeit. Dargestellt an Beispielen aus dem süddeutschen und Schweizer Raum. In: Neithard Bulst (Hg.): Maladies et Société. XIIe – XVIIIe Siècles. Paris 1989, S. 187 – 205. Roeck, Bernd: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen 1993 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, Bd. 1568). Röhrich, Lutz: Die Sage vom Schlangenbann. In: Friedrich Harkort, Karel C. Peeters und Robert Wildhaber (Hg.): Volksüberlieferung. Göttingen 1968, S. 327 – 344. Roling, Bernd: Virgula divinatrix. Frühneuzeitliche Debatten über die Wünschelrute zwischen Magie und Magnetismus. In: Peter-André Alt, Jutta Eming u. a. (Hg.): Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie und Alchemie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2015 (Episteme in Bewegung, Bd. 2), S. 419 – 437. Rose, Dirk: ‚Hans Sachs‘. Entstehung und Funktion eines poetologischen Stereotyps in der Frühen Neuzeit. In: Mirosława Czarnecka, Thomas Borgstedt und Thomasz Jabłecki (Hg.): Frühneuzeitiche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Bern u. a. 2010 (Jahrbuch für internationale Germanistik, Reihe A, Kongressberichte, Bd. 99), S. 443 – 468 Rößler, Hole: Scharlatan! Einleitende Bemerkungen zu Formen und Funktionen einer Negativfigur in Gelehrtendiskursen der Frühen Neuzeit. In: Tina Asmussen und Hole Rößler (Hg.): Scharlatan! Eine Figur der Relegation in der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur. Frankfurt a. M. 2013 (Zeitsprünge, Bd 17), S. 129 – 160. Rößler, Hole: Polyhistorie und Polymathie. In: Herbert Jaumann und Gideon Stiening (Hg.): Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Berlin, Boston 2016, S. 635 – 676. Róth, Ernst; Prijs, Leo: Hebräische Handschriften. Teil 1: Die Handschriften der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Bd. A–C. Wiesbaden 1982 (Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland, Bd. 6, 1). Rothschild, Samson: Aus der Vergangenheit und Gegenwart der Israelitischen Gemeinde Worms. Frankfurt a. M. 61926.

686

Literaturverzeichnis

Ruckteschell, Katharina von: Gefangene der Freiheit. Studien zum Typus des Studenten in der Literatur des europäischen Realismus. Frankfurt a. M., Bern u. a. 1990 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 18, Bd. 55). Ruff, Margarethe: Zauberpraktiken als Lebenshilfe. Magie im Alltag vom Mittelalter bis heute. Frankfurt a. M. 2003. Ruhkopf, Friedrich Ernst: Geschichte des Schul- und Erziehungs-Wesens in Deutschland von der Einführung des Christentums bis auf die neuesten Zeiten. Bremen 1794. Rumpler, Matthias: Geschichte des Salzburg’schen Schulwesens. Salzburg 1832. Rupp, Michael: Ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers Joseph Victor von Scheffel. In: Walter Berschin und Werner Wunderlich (Hg.): Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht. Ostfildern 2003, S. 109 – 134. Rupprich, Hans: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Erster Teil. Das ausgehende Mittelalter, Humanismus und Renaissance 1370 – 1520. München 1970 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 4, 1). Rosenfeld, Hans-Friedrich: Mittelhochdeutsche Novellenstudien. I. Der Hellerwertwitz II. Der Schüler von Paris. Leipzig 1927 (Palaestra, Bd. 153). Sachße, Christoph und Florian Tennstedt (Hg.): Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt a. M. 61991 (Edition Suhrkamp. N.F, Bd. 323). Sachße, Christoph und Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 1: Vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg. Stuttgart 21998. Sainéan, Lazare: Les Sources de l’Argot Ancien. Bd. 1: Des Origines a la Fin du XVIIIe Siècle. Paris 1912. Santangelo, Salvatore: Studia sulla Poesia Goliardica. Palermo 1902. Sappler, Paul: Zur Lehrhaftigkeit der ‚Treuen Magd‘. In: Henrike Lähnemann und Sandra Linden (Hg.): Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin 2009, S. 253 – 264. Scarpatetti, Beat Matthias von: Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550. Bd. 3: Die Handschriften der Bibliotheken St. Gallen–Zürich, Text- und Abbildungsband. Dietikon-Zürich 1991. Schäfer, Gerhard: Geschichte der Armut im abendländischen Kulturkreis. In: Ernst-Ulrich Huster, Jürgen Boeckh und Hildegard Mogge-Grotjahn (Hg): Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. Wiesbaden 22012, S. 257 – 278. Schalk, Helge: Umberto Eco und das Problem der Interpretation. Ästhetik, Semiotik, Textpragmatik. Würzburg 2000 (Epistemata Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 276). Schallenberg, Andrea: Spiel mit Grenzen. Zur Geschlechterdifferenz in mittelhochdeutschen Verserzählungen. Berlin 2012 (Deutsche Literatur – Studien und Quellen, Bd. 7). Schanze, Frieder: Die älteren Drucke des Liber vagatorum. In: Gutenberg-Jahrbuch 70 (1995), S. 143 – 150. Scharfenberg, Stefan: Narrative Identität im Horizont der Zeitlichkeit. Zu Paul Ricœurs „Zeit und Erzählung“. Würzburg 2011 (Epistemata Reihe Philosophie, Bd. 463). Scherner, Karl Otto: Arme und Bettler in der Rechtstheorie des 17. Jahrhunderts. Der ‚Tractatus de mendicantibus validis‘ des Ahasver Fritsch. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 10 (1988), S. 129 – 150. Scherner, Maximilian: Textverstehen als Spurenlesen. In: Peter Canisius, Clemens-Peter Herbermann und Gerhard Tschauder (Hg.): Text und Grammatik. Bochum 1994 (Bochumer Beiträge zur Semiotik, Bd. 43), S. 317 – 339. Scherpner, Hans: Theorie der Fürsorge. Göttingen 21974.

Forschung

687

Scheuerer, Franz Xaver: Zum philologischen Werk J. A. Schmellers und seiner wissenschaftlichen Rezeption. Eine Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik. Berlin, New York 1995 (Studia Linguistica Germanica, Bd. 37). Schilling, Heinz (Hg.): Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa. Frankfurt a. M. 1999 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 127). Schirmer, Karl-Heinz: Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle. Tübingen 1969 (Hermea, Bd. 26). Schlaffer, Hannelore und Heinz Schlaffer: Studien zum ästhetischen Historismus. Frankfurt a. M. 1975 (Edition Suhrkamp, Bd. 756). Schloon, Jutta Saima: Modernes Mittelalter. Mediävalismus im Werk Stefan Georges. Berlin, Boston 2019 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 97). Schlosser, Horst Dieter: Das Mittelalter im Lied deutscher Jugendbewegungen. Vom „Zupfgeigenhansl“ zur „Ougenweide“. In: Jahrbuch für Volksliedforschung 30 (1985), S. 54 – 67. Schlumbohm, Jürgen: Mikrogeschichte – Makrogeschichte: Zur Eröffnung einer Debatte. In: Jürgen Schlumbohm und Maurizio Gribaudi (Hg.): Mikrogeschichte – Makrogeschichte. Komplementär oder inkommensurabel? Göttingen 22000 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 7), S. 7 – 32. Schmidt, Charles: Histoire littéraire de l’Alsace à la fin du XVe et au commencement du XVIe siècle. Paris 1879. Schmidt, Hans-Joachim (Hg.): Tradition, Innovation, Invention. Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter. Berlin 2005 (Scrinium Friburgense, Bd. 18). Schmidt, Jochen: Grundlagen, Kontinuität und geschichtlicher Wandel des Stoizismus. In: Barbara Neymeyr, Bernhard Zimmermann und Jochen Schmidt (Hg.): Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. 2 Bde. Berlin, New York 2008, S. 3 – 134. Schmidt, Jochen: Goethes Faust, erster und zweiter Teil. Grundlagen – Werk – Wirkung. München 3 2011 (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte). Schmidt, Paul Gerhard: Das Zitat in der Vagantendichtung. Bakelfest und Vagantenstrophe cum auctoritate. In: Antike und Abendland 20 (1974), S. 74 – 87. Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur. Frankfurt a. M. 1994 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1128). Schmidt, Siegfried J.: Gedächtnisforschung: Positionen, Probleme, Perspektiven. In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der interdisziplinären Gedächtnisforschung. Frankfurt a. M. 42016 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 900), S. 9 – 55. Schmieder, Falko: Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zur Kritik und Aktualität einer Denkfigur. In: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie 4 (2017), S. 325 – 363. Schmitt, Sigrid: Städtische Gesellschaft und zwischen städtische Kommunikation am Oberrhein. Netzwerke und Institutionen. In: Peter Kurmann und Thomas Zotz (Hg.): Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter. Ostfildern 2008 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 68), S. 275 – 306. Schnädelbach, Herbert: Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus. Freiburg i. Br., München 1974. Schnädelbach, Herbert: Philosophie in Deutschland. 1831 – 1933. Frankfurt a. M. 1983 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 401). Schneider, Christian: Das Motiv des Teufelsbündners in volkssprachlichen Texten des späteren Mittelalters. In: Faust-Jahrbuch 1 (2004), S. 165 – 198.

688

Literaturverzeichnis

Schneider, Karl Ernst Christoph: Das musikalische Lied in geschichtlicher Entwickelung. Bd. 1. Leipzig 1863. Schneider, Ralf: Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans. Tübingen 2000 (Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik studies, Bd. 9). Schnell, Rüdiger: Handschrift und Druck. Zur funktionalen Differenzierung im 15. und 16. Jahrhundert. In: IASL 32 (2007), S. 66 – 111. Schnell, Rüdiger: Zur Geselligkeitskultur des männlichen Adels in Deutschland. Das Fallbeispiel Zimmerische Chronik (ca. 1552 – 66). In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 441 – 471. Schnell, Rüdiger: Zur Konversationskultur in Italien und Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. Methodologische Überlegungen. In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 313 – 385. Schnyder, Mireille: Rezension zu Birgit Beine „Der Wolf in der Kutte.“. In: PBB 124 (2002), S. 526 – 528. Schoengen, Michael: Die Schule von Zwolle von ihren Anfängen bis zur Einführung der Reformation (1582). Freiburg (Schweiz) 1898. Scholl, Richard: Thomas von Kandelberg. Eine mittelhochdeutsche Marienlegende. Leipzig 1928. Schönbach, Anton: Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters I: Die Reuner Relationen. Wien 1898 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 139). Schönbach, Anton: Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters II: Die Vorauer Novelle. Wien 1899 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 140). Schönbach, Anton und Elias Steinmeyer: Zum Tobiassegen. In: ZfdA 24 (1880), S. 182 – 191. Schramm, Albert und Maria Möller (Hg.): Die Drucker in Nürnberg (Ausser Koberger). Leipzig 1934 (Der Bilderschmuck der Frühdrucke, Bd. 18). Schreiner, Klaus: Marienverehrung, Lesekultur, Schriftlichkeit: Bildungs- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zur Auslegung und Darstellung von ‚Mariä Verkündigung‘. In: Frühmittelalterliche Studien 24 (1990), S. 314 – 368. Schröder, Franz: Ars Mendicandi. Ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Schülerbettels. In: Nederlands archief voor kerkgeschiedenis 18 (1925), S. 124 – 145. Schroeder, Klaus-Peter: „Tod den Scholaren!“. Studentische Kriege, Revolten, Exzesse und Krawalle an der Heidelberger Universität von den Anfängen bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts. Heidelberg 2016 (Heidelberger Schriften zur Universitätsgeschichte, Bd. 4). Schubert, Ernst: Fahrende Schüler im Spätmittelalter. In: Harald Dickerhof (Hg.): Bildungs- und schulgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter. Wiesbaden 1994, S. 9 – 34. Schubert, Ernst: Fahrendes Volk im Mittelalter. Bielefeld 1995. Schubert, Ernst: Der „starke Bettler“. Das erste Opfer sozialer Typisierung um 1500. In: ZfG 48 (2000), S. 869 – 893. Schubert, Ernst: Das Interesse an Vaganten und Spielleuten. In: Hans-Werner Goetz: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung. München 2003 (MittelalterStudien, Bd. 1), S. 409 – 426. Schubert, Ernst: „Hausarme Leute“, „starke Bettler“. Einschränkungen und Umformungen des Almosengedankens um 1400 und um 1500. In: Otto Gerhard Oexle (Hg.): Armut im Mittelalter. Ostfildern 2004 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 58), S. 283 – 347.

Forschung

689

Schuh, Maximilian: Ingolstadt oder Italien? Möglichkeiten und Grenzen akademischer Mobilität im Reich des 15. Jahrhunderts. In: Christian Hesse (Hg.): Von Bologna zu „Bologna“. Akademische Mobilität und ihre Grenzen. Basel 2011 (Itinera, Bd. 31), S. 23 – 45. Schultz, Hartwig: Eichendorff als ‚Erfinder‘ der Heidelberger Romantik? In: Karin Tebben und Friedrich Strack (Hg.): 200 Jahre Heidelberger Romantik. Berlin, Heidelberg 2008 (Heidelberger Jahrbücher, Bd. 51), S. 67 – 80. Schultz, James Alfred: The Knowledge of Childhood in the German Middle Ages, 1100 – 1350. Philadelphia 1995 (Middle Ages series). Schultz, Sandra: Papierherstellung im deutschen Südwesten. Ein neues Gewerbe im späten Mittelalter. Berlin, Boston, München 2018 (Materiale Textkulturen, Bd. 18). Schulz, Armin: Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik. Tübingen 2008 (MTU, Bd. 135). Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Studienausgabe, hg. von Manuel Braun, Alexandra Dunkel und Jan-Dirk Müller. Berlin, München, Boston 22015. Schulz, Knut: Unterwegssein im Spätmittelalter. Einleitende Bemerkungen. In: Peter Moraw (Hg.): Unterwegssein im Spätmittelalter. Berlin 1985 (ZHF Beihefte, Bd. 1), S. 9 – 15. Schulze, Winfried: Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500 – 1618. Frankfurt a. M. 1987 (Edition Suhrkamp Neue historische Bibliothek, Bd. 1268). Schüppert, Helga: Kirchenkritik in der lateinischen Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts. München 1972 (Medium aevum, Bd. 23). Schüßler, Martin: Die Entwicklung der Gauner- und Verbrechersprache „Rotwelsch“ in Deutschland von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 118 (2001), S. 387 – 437. Schuster, Peter: Die Krise des Spätmittelalters. Zur Evidenz eines sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Paradigmas in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. In: HZ 269 (1999), S. 19 – 55. Schüttpelz, Erhard: Der Trickster. In: Eva Eßlinger, Tobias Schlechtriemen u. a. (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin 2010 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1971), S. 208 – 224. Schütz, Jonathan: Johann Fischarts Dämonomanie. Übertragungs- und Argumentationsstrategien im dämonologischen Diskurs des späten 16. Jahrhunderts. Univ.-Diss. Berlin 2011. Schweitzer, Franz-Josef: Das Lehrgedicht ‚Des Teufels Netz‘ und die Konzilien von Konstanz und Basel. In: Christoph Flüeler und Martin Rohde (Hg.): Laster im Mittelalter. Berlin 2009 (Scrinium Friburgense, Bd. 23), S. 125 – 137. Schwerhoff, Gerd: Karrieren im Schatten des Galgens. Räuber, Diebe und Betrüger um 1500. In: Sigrid Schmitt und Michael Matheus (Hg.): Kriminalität und Gesellschaft in Spätmittelalter und Neuzeit. Stuttgart 2005 (Mainzer Vorträge Geschichte, Bd. 8), S. 11 – 46. Schwerhoff, Gerd: Historische Kriminalitätsforschung. Frankfurt a. M. 2011 (Historische Einführungen, Bd. 9). Schwerhoff, Gerd: Die „Policey“ im Wirtshaus. Frühneuzeitliche Soziabilität im Spannungsfeld herrschaftlicher Normsetzung und gesellschaftlicher Interaktionspraxen. In: Gert Melville und Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Dimensionen institutioneller Macht. Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart. Köln 2012, S. 177 – 193. Schwinges, Rainer Christoph: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches. Stuttgart 1986 (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Bd. 6). Schwinges, Rainer Christoph: Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland. In: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium in sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 30), S. 527 – 564.

690

Literaturverzeichnis

Schwinges, Rainer Christoph: Zur Prosopographie studentischer Reisegruppen im Fünfzehnten Jahrhundert. In: Neithard Bulst und Jean-Philippe Genet (Hg.): Medieval Lives and the Historian. Studies in Medieval Prosopography. Kalamazoo (Mich.) 1986 (Medieval Institute publications), S. 333 – 341. Schwinges, Rainer Christoph: Migration und Austausch. Studentenwanderungen im Deutschen Reich des Späten Mittelalters. In: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.): Migration in der Feudalgesellschaft. Frankfurt a. M., New York 1988 (Studien zur historischen Sozialwissenschaft, Bd. 8), S. 141 – 155. Schwinges, Rainer Christoph: Die Zulassung zur Universität. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 161 – 180. Schwinges, Rainer Christoph: Der Student in der Universität. In: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. München 1993, S. 181 – 223. Schwinges, Rainer Christoph: Europäische Studenten des späten Mittelalters. In: Alexander Patschovsky und Peter Baumgart (Hg.): Die Universität in Alteuropa. Konstanz 1994 (Konstanzer Bibliothek, Bd. 22), S. 129 – 146. Schwinges, Rainer Christoph: Pfaffen und Laien in der deutschen Universität des späten Mittelalters. In: Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp (Hg.): Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburg (Schweiz) 1999 (Scrinium Friburgense, Bd. 10) S. 235 – 249. Schwinges, Rainer Christoph: Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum. Einige gänzlich subjektive Bemerkungen. In: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20 (2000/2001), S. 97 – 119. Schwinges, Rainer Christoph: Innovationsräume und Universitäten in der älteren deutschen Vormoderne. In: Rainer Christoph Schwinges, Paul Messerli u. a. (Hg.): Innovationsräume. Woher das Neue kommt – in Vergangenheit und Gegenwart. Zürich 2001, S. 31 – 45. Schwinges, Rainer Christoph: Mit Mückensenf und Hellschepoff. Fest und Freizeit in der Universität des Mittelalters (14. bis 16. Jahrhunderts). In: JbUG 6 (2003), S. 11 – 27. Schwinges, Rainer Christoph: Libertas scholastica im Mittelalter. In: Rainer A. Müller, Tina Mauer und Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Wissenschaftsfreiheit in Vergangenheit und Gegenwart. Basel 2008 (Veröffentlichungen der Ges. für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 9), S. 1 – 16. Schwinges, Rainer Christoph: Repertorium Academicum Germanicum. Ein Who’s Who der graduierten Gelehrten des Alten Reiches (1250 – 1550). In: Peter Moraw (Hg.): Gesammelte Beiträge zur deutschen und europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen, Personen, Entwicklungen. Leiden, Boston 2008 (Education and society in the Middle Ages and Renaissance, Bd. 31), S. 577 – 602. Schwinges, Rainer Christoph: Universität, soziale Netzwerke und Gelehrtendynastien im deutschen Spätmittelalter. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Ostfildern 2010 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen), S. 47 – 70. Schwitzgebel, Bärbel: Noch nicht genug der Vorrede. Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1996 (Frühe Neuzeit, Bd. 28). Scott, Tom: Der Oberrhein als Wirtschaftsregion in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Grundsatzfragen zur Begrifflichkeit und Quellenüberlieferung. In: Peter Kurmann und Thomas Zotz (Hg.): Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter. Ostfildern 2008 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 68), S. 91 – 112.

Forschung

691

Scribner, Robert W.: Wie wird man Außenseiter? Ein- und Ausgrenzung im frühneuzeitlichen Deutschland. In: Norbert Fischer und Marion Kobelt-Groch (Hg.): Aussenseiter zwischen Mittelalter und Neuzeit. Leiden, New York 1997 (Studies in medieval and Reformation thought, Bd. 61), S. 21 – 46. Scribner, Robert W.: Mobility: Voluntary or Enforced. Vagrants in Württemberg in the Sixteenth Century. In: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.): Migration in der Feudalgesellschaft. Frankfurt a. M., New York 1988 (Studien zur historischen Sozialwissenschaft, Bd. 8), S. 65 – 88. Scribner, Robert W.: For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. Oxford 1994. Sebastian, Harry Francis: William of Wheteley’s (fl. 1309 – 1316) Commentary on the Pseudo Boethius’ Tractate De disciplina scolarium and Medieval Grammar School Education. Diss. Columbia 1970. Segeberg, Harro: Phasen der Romantik. In: Helmut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch. Stuttgart 2 2003 (Kröners Taschenausgabe, Bd. 363), S. 31 – 78. Seidel, Klaus Jürgen: Der Cgm 379 der Bayerischen Staatsbibliothek und das „Augsburger Liederbuch“ von 1454. Diss. München 1972. Seidenspinner, Wolfgang: Das Janusgesicht der Binnenexoten. Marginalisierte zwischen Verteufelung und utopischem Gegenentwurf. In: Hartmut Lehmann und Anne-Charlott Trepp (Hg.): Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 152), S. 337 – 358. Selbmann, Rolf: Der Dichter und seine Zeit. Joseph Viktor von Scheffel und das 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 126 (1978), S. 285 – 302. Sengle, Friedrich: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815 – 1848. 2 Bde. Stuttgart 1971/1972. Sharpe, James A.: Crime in Early Modern England 1550 – 1750. London 1984 (Themes In British Social History). Shils, Edward: Tradition. London, Boston 1981. Sickert, Ramona: Extra obedientiam evagari. Zur zeitgenössischen Deutung der Mobilität von Franziskanern und Dominikanern im 13. Jahrhundert. In: Sébastien Barret und Gert Melville (Hg.): Oboedientia. Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum. Münster 2005 (Vita regularis Abhandlungen, Bd. 27), S. 159 – 180. Sickert, Ramona: Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert. Berlin 2006 (Vita regularis Abhandlungen, Bd. 28). Siebers, Winfried: Bildung auf Reisen. Bemerkungen zur Peregrinatio academica, Gelehrten- und Gebildetenreise. In: Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin 1999 (Aufklärung und Europa, Beiträge zum 18. Jahrhundert), S. 177 – 188. Siewert, Klaus: Grundlagen und Methoden der Sondersprachenforschung. Mit einem Wörterbuch der Masematte aus Sprecherbefragungen und den schriftlichen Quellen. Wiesbaden 2003 (Sondersprachenforschung, Bd. 8). Siewert, Klaus: 25 Jahre moderne Sondersprachenforschung in Deutschland. In: Stéphane Hardy, Sandra Herling und Klaus Siewert (Hg.): Geheimsprachen unter besonderer Berücksichtigung der Romania. Hamburg, Münster 2015 (Sondersprachenforschung, Bd. 14), S. 9 – 34. Siller, Max: Hans Leberwurst, verbrannt in Basel am 19. April 1528. Wie ein alemannischer Spruchdichter in einem Tiroler Fastnachtspiel überlebte. In: Ulrich Mehler und Anthonius H. Touber (Hg): Mittelalterliches Schauspiel. Amsterdam 1994 (Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik, Bd. 38/39), S. 277 – 298. Simon, Gerd: Die erste deutsche Fastnachtsspieltradition. Zur Überlieferung, Textkritik und Chronologie der Nürnberger Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts (mit kurzen Einführungen in Verfahren der quantitativen Linguistik). Lübeck 1970 (Germanische Studien, Bd. 240).

692

Literaturverzeichnis

Simon, Thomas: „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2004 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 170). Simonis, Annette und Carsten Rohde: Einleitung: Das kulturelle Imaginäre. Perspektiven und Impulse eines kulturwissenschaftlichen Schlüsselkonzepts. In: Comparatio 6 (2014), S. 1 – 12. Simon-Muscheid, Katharina: Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag (Oberrhein, 14. bis 16. Jahrhundert). Göttingen 2004 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 193). Simons, Olaf: Zum Korpus ‚galanter‘ Romane zwischen Bohse und Schnabel, Talander und Gisander. In: Günter Dammann und Dirk Sangmeister (Hg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung, Bd. 25), S. 1 – 34. Singer, Gesa: Bernhard Joseph Docen (1782 – 1828) und sein Beitrag zur frühen Germanistik. Eine biographisch orientierte wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung. Hildesheim 2010 (Germanistische Texte und Studien, Bd. 86). Singer, Herbert: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln, Wien 1963 (Literatur und Leben, N. F., Bd. 6). Singer, Samuel: Die Werke des Pamphilus Gengenbach. In: ZfdA 45 (1901), S. 153 – 177. Skoda, Hannah: Medieval violence. Physical brutality in Northern France, 1270 – 1330. Oxford 2013 (Oxford historical monographs). Skoda, Hannah: Literarische Texte und Darstellungen. In: Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Maximilian Schuh (Hg.): Universitäre Gelehrtenkultur vom 13.–16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch. Stuttgart 2018, S. 511 – 528. Sobel, Eli: Martin Luther and Hans Sachs. In: Michigan Germanic Studies 10 (1984), S. 129 – 141. Sonntag, Jörg: Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit. Berlin 2008 (Vita regularis Abhandlungen, Bd. 35). Sorokin, Pitirim A.: Social Mobility. New York 1927. Spengler, Franz: Der verlorene Sohn im Drama des XVI. Jahrhunderts. Innsbruck 1888. Spicker, Friedemann: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik in den Jahren 1910 bis 1933. Wege zum Heil – Straßen der Flucht. Berlin 1976 (Quellen und Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker. N.F., Bd. 66). Spiegel, Nicolaus: Die Vaganten und ihr ‚Orden‘. Speyer 1892. Spiegel, Nicolaus: Gelehrtenproletariat und Gaunertum. Vom Beginn des XIV. bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts. Schweinfurt 1902. Spiegel, Nicolaus: Das fahrende Schülertum. Ein Ergebnis der deutschen Schulverhältnisse während des XV./XVI Jahrhunderts. Würzburg 1904. Spitznagel, Albert: Auf der Spur von Spuren. In: Hans-Georg von Arburg, Michael Gamper und Ulrich Stadler (Hg.): Wunderliche Figuren. Über die Lesbarkeit von Chiffrenschriften. München 2001, S. 239 – 259. Sprengel, Peter: Amaranth und die Studenten. Parodie – Politik – Philosophie/Religion im Versepos um 1850. In: ZfdPh 138 (2019), S. 179 – 206. Stagl, Justin: Ars apodemica: Bildungsreise und Reisemethodik von 1560 bis 1600. In: Xenja von Ertzdorff-Kupffer und Dieter Neukirch (Hg.): Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Amsterdam 1992 (Chloe, Bd. 13), S. 141 – 189. Staub, Kurt Hans; Sänger, Thomas: Deutsche und niederländische Handschriften. Mit Ausnahme der Gebetbuchhandschriften. Wiesbaden 1991 (Die Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Bd. 6). Stede, Marga: Schreiben in der Krise. Die Texte des Heinrich Kaufringer. Trier 1993 (Literatur, Imagination, Realität, Bd. 5).

Forschung

693

Steer, Georg: Zum Begriff ‚Laie‘ in deutscher Dichtung und Prosa des Mittelalters. In: Ludger Grenzmann und Karl Stackmann (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Stuttgart 1984 (Germanistische Symposein; Berichtsbände, Bd. 5), S. 764 – 768. Stegemann, Viktor: Aus einem mittelalterlichen deutschen astronomisch-astrologischen Lehrbüchlein. Eine Untersuchung über Entstehung, Herkunft und Nachwirkung eines Kapitels über Planetenkinder. Reichenberg 1944 (Prager deutsche Studien, Bd. 52). Stehmann, Wilhelm (Hg.): Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer. Berlin 1909. Steinmetz, Walter: Handschriftenverzeichnis der Stifts-Bibliothek zu Rein auf der Grundlage des Handschriftenverzeichnisses in Xenia Bernardina II. 1 (1891) von P. Anton Weis 1999 – 2014. Online verfügbar unter http://sosa2.uni-graz.at/sosa/stift_rein/HsVerzeichnisRein.pdf. Stelzer, Winfried: Zum Scholarenprivileg Friedrich Barbarossas (Authentica „Habita“). In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 34 (1978), S. 123 – 165. Stelzer, Winfried: Satire und Anekdote im mittelalterlichen Österreich. In: Österreich in Geschichte und Literatur 31 (1987), S. 261 – 274. Stiefel, Arthur Ludwig: Der „Clericus Eques“ des Johannes Placentius und das 22. Fastnachtsspiel des H. Sachs. In: Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur N. F. 4 (1891), S. 440 – 445. Stiefel, Arthur Ludwig: Über die Quellen der Hans Sachsischen Dramen. In: Germania. Vierteljahrsschrift für Deutsche Althertumskunde 36 (1891), S. 1 – 60. Stock, Markus: Figur. Zu einem Kernproblem historischer Narratologie. In: Carmen Stange, Harald Haferland u. a. (Hg.): Historische Narratologie, mediävistische Perspektiven. Berlin, New York 2010 (Trends in medieval philology, Bd. 19), S. 187 – 203. Stockinger, Claudia: An den Ursprüngen populärer Serialität. Das Familienblatt „Die Gartenlaube“. Göttingen 2018. Störmer-Caysa, Uta: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman. Berlin, New York 2007. Stotz, Peter: Dichten als Schulfach. Aspekte mittelalterlicher Schuldichtung. In: MlatJb 16 (1981), S. 1 – 16. Strasser, Ingrid: Vornovellistisches Erzählen. Mittelhochdeutsche Mären bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts und altfranzösische Fabliaux. Wien 1989 (Philologica Germanica, Bd. 10). Strayer, J. R.: The Laicization of French and English Society in the Thirteenth Century. In: Speculum 15 (1940), S. 76 – 86. Strohm, Reinhard: The Rise of European Music, 1380 – 1500. Cambridge 1993. Strohschneider, Peter: Einfache Regeln komplexe Strukturen. Ein strukturanalytisches Experiment zum Nibelungenlied. In: Wolfgang Harms (Hg.): Mediävistische Komparatistik. Stuttgart 1997, S. 43 – 76. Strohschneider, Peter: Situationen des Textes. Okkasionelle Bemerkungen zur ‚New Philology‘. In: ZfdPh 116 (1997), S. 62 – 86. Strohschneider, Peter: Heilswunder und fauler Zauber. Repräsentation religiöser Praxis in frühmodernen Schwankerzählungen. In: PBB 129 (2007), S. 438 – 468. Strub, Christian: Band, Kette. In: Ralf Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Darmstadt 2007, S. 23 – 34. Studer, Monika: Exempla im Kontext. Studien zu deutschen Prosaexempla des Spätmittelalters und zu einer Handschrift der Straßburger Reuerinnen. Berlin 2013 (Kulturtopographie des alemannischen Raums, Bd. 6). Studt, Birgit: Fürstenhof und Geschichte. Legitimation durch Überlieferung. Köln 1992 (Norm und Struktur, Bd. 2). Sturm, Rudolf: François Villon, Bibliographie und Materialien. 1489 – 1988. 2 Bde. München, London u. a. 1990.

694

Literaturverzeichnis

Suchier, Hermann und Adolf Birch-Hirschfeld: Geschichte der französischen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig, Wien 1905. Suchomski, Joachim: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern, München 1975. Sudeck, Elisabeth: Bettlerdarstellungen vom Ende des XV. Jahrhunderts bis zu Rembrandt. Straßburg 1931 (Studien zur Deutschen Kunstgeschichte). Sudhoff, Karl: Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des „schwarzen Todes“. In: Zeitschrift für Geschichte der Medizin 17 (1925), S. 12 – 139. Süßmilch, Holm: Die Lateinische Vagantenpoesie des 12. und 13. Jahrhunderts als Kulturerscheinung. Leipzig, Berlin 1918 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Bd. 25). Suttina, Luigi: Due Ritmi Bacchici Giusta un Codice Volterrano. In: Studi medievali 2 (1906/1907), S. 563 – 567. Svec Goetschi, Milena: Klosterflucht und Bittgang. Apostasie und monastische Mobilität im 15. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2015 (Zürcher Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Bd. 7). Syré, Ludger: Der Dichter als Bibliothekar. Joseph Victor von Scheffel in Donaueschingen. In: Walter Berschin und Werner Wunderlich (Hg.): Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht. Ostfildern 2003, S. 135 – 163. Szövérffy, Josef: Secular Latin Lyrics and Minor Poetic Forms of the Middle Ages. A Historical Survey and Literary Repertory from the Tenth to the Late Fifteenth Century. 4 Bde. Concord (NH) 1992 – 95 (Medieval classics, Bde. 25 – 28). Tawney, Richard Henry: The Agrarian Problem in the Sixteenth Century. New York u. a. 1912. Taylor, Barry: Vagrant Writing. Social and Semiotic Disorders in the English Renaissance. New York 1991. Taylor, George H.: On the Cusp. Ricoeur and Castoriadis at the Boundary. In: Suzi Adams (Hg.): Ricoeur and Castoriadis in Discussion. On Human Creation, Historical Novelty, and the Social Imaginary. London 2017 (Social imaginaries), S. 23 – 48. Temkin, Owsei: The Falling Sickness. A History of Epilepsy from the Greeks to the Beginnings of Modern Neurology. Baltimore 21971. Theis, Christoffer, Lisa Wilhelmi und Lothar Ledderose: Tradieren. In: Thomas Meier, Michael Ott und Rebecca Sauer (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin, Boston, München 2015 (Materiale Textkulturen, Bd. 1), S. 709 – 721. Thompson, Stith: The Folktale. New York 1946. Tolan, John Victor: Petrus Alfonsi and his Medieval Readers. Gainesville 1993. Tophinke, Doris: Zum Problem der Gattungsgrenze. Möglichkeiten einer prototypentheoretischen Lösung. In: Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke (Hg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997 (ScriptOralia, Bd. 99), S. 161 – 182. Tophinke, Doris: Handelstexte. Zur Textualität und Typik kaufmännischer Rechnungsbücher im Hanseraum des 14. und 15. Jahrhunderts. Tübingen 1999 (ScriptOralia, Bd. 114). Trappen, Stefan: Fiktionsvorstellungen der Frühen Neuzeit. Über den Gegensatz zwischen „fabula“ und „historia“ und seine Bedeutung für die Poetik. In: Simpliciana 20 (1998), S. 137 – 163. Truhlář, Josef: Catalogus codicum manu scriptorum latinorum qui in C. R. Bibliotheca publica atque Universitatis Pragensis asservantur. Pars prior: Codices 1 – 1665. Prag 1905. Tubach, Frederic C.: Index Exemplorum. A Handbook of Medieval Religious Tales. Helsinki 1969. Tuczay, Christa: Magie und Magier im Mittelalter. München 1992. Tuczay, Christa: Die Kunst der Kristallomantie und ihre Darstellung in deutschen Texten des Mittelalters. In: Mediävistik 15 (2002), S. 31 – 50. Turner, Victor: Das Ritual. Struktur und Antistruktur. Frankfurt a. M., New York 2005.

Forschung

695

Tynjanov, Jurij: Dostoevskij und Gogol (Zur Theorie der Parodie). In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994 (UTB, Bd. 40), S. 302 – 371. Tynjanov, Jurij: Über die literarische Evolution [1927]. In: Russischer Formalismus. Jurij Striedter (Hg.): Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994 (UTB, Bd. 40), S. 433 – 461. Ueding, Gert und Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte – Technik – Methode. Stuttgart, Weimar 52011. Uhland, Ludwig: Zur schwäbischen Sagenkunde. III. Bodman. In: Germania. Vierteljahrsschrift für Deutsche Alterthumskunde 4 (1859), S. 35 – 96. Ullmann, Walter: The Medieval Interpretation of Frederick I’s Authentica Habita. In: L’Europa e il Diritto Romano. Studi in Memoria di Paolo Koschaker. Band 1. Mailand 1954, S. 99 – 136. van de Löcht, Joana: Geld aus „unsichtbarer Hand“. Bereicherung durch Geister und Schatzfunde in den simplicianischen Texten. In: Simpliciana 40 (2018), S. 45 – 64. van Dülmen, Richard: Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Ein Versuch. In: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 5 – 41. van Dülmen, Richard: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Zweiter Band: Dorf und Stadt. 16.– 18. Jahrhundert. München 32005. van Gennep, Arnold: Übergangsriten, üers. von Sylvia M. Schomburg-Scherff und Klaus Schomburg. Frankfurt a. M., New York 32005. van Vaeck, Marc und Johan Verberckmoes: Who Do Beggars Deceive? Adriaen van de Venne, Recreational Literature and the Pleasure of Forging Texts. In: Toon van Houdt (Hg.): On the Edge of Truth and Honesty. Principles and Strategies of Fraud and Deceit in the Early Modern Period. Leiden 2002 (Intersections, Bd. 2), S. 269 – 288. Velten, Hans Rudolf: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, Bd. 29). Velten, Hans Rudolf: Selbstbildung und soziale Mobilitat in der Autobiographie Thomas Platters. In: Kaspar von Greyerz und Sebastian Leutert (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500 – 1850). Köln 2001 (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 9), S. 135 – 153. Velten, Hans Rudolf: Scurrilitas. Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Tübingen 2017 (Bibliotheca Germanica, Bd. 63). Verger, Jacques: État actuel et Perspectives de la Recherche en France sur l’Histoire des Universités Médiévales. In: JbUG 17 (2014), S. 9 – 19. Verweyen, Theodor und Gunther Witting: Die Parodie in der neueren deutschen Literatur. Darmstadt 1979. Vielhaber, Gottfried und Gerlach Indra: Catalogus Codicum Plagensium (Cpl.) manuscriptorum. Linz 1918. Vierthaler, Franz Michael: Geschichte des Schulwesens und der Cultur in Salzburg. Ein Versuch. Erster Theil. Salzburg 1804. Villwock, Jörg: Mythos und Rhetorik. Zum inneren Zusammenhang zwischen Mythologie und Metaphorologie in der Philosophie Hans Blumenbergs. In: Philosophische Rundschau 32 (1985), S. 68 – 91. Vizkelety, András: Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken. Band 2: Budapest, Debrecen, Eger, Esztergom, Győr, Kalocsa, Pannonhalma, Pápa, Pécs, Szombathely. Budapest 1973. Voetz, Lothar: Der Codex Manesse. Die berühmteste Liederhandschrift des Mittelalters. Darmstadt 2015. Vogl, Joseph: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München 2002.

696

Literaturverzeichnis

Vogtherr, Thomas: Urkundenlehre. Hannover 2008 (Hahnsche historische Hilfswissenschaften, Bd. 3). Vogüé, Adalbert de: Community and Abbot in the Rule of St. Benedict. Kalamazoo (Mich.) 1988 (Cistercian studies series, Bd. 5/2). Vollert, Konrad: Zur Geschichte der lateinischen Facetiensammlungen des XV. und XVI. Jahrhunderts. Berlin 1912. Voltmer, Rita: Die Straßburger Betrügnisse und das Verzeichnis der mutwillig[en] betler. Beobachtungen zum städtischen Armen- und Bettlerwesen im 15. Jahrhundert. In: Angela Giebmeyer und Helga Schnabel-Schüle „Das Wichtigste ist der Mensch“. Mainz 2000 (Trierer historische Forschungen, Bd. 41), S. 501 – 532. Voltmer, Rita: Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 – 1510) und Straßburg. Trier 2005 (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, Bd. 4). Voltmer, Rita: Zwischen polit-theologischen Konzepten, obrigkeitlichen Normsetzungen und städtischem Alltag. Johannes Geiler von Kaysersberg und das Straßburger Fürsorgewesen. In: Sebastian Schmidt und Jens Aspelmeier (Hg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 2006 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, Bd. 189), S. 91 – 135. Vössing, Konrad: Mensa Regia. Das Bankett beim hellenistischen König und beim römischen Kaiser. Berlin 2004 (Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 193). Voßkamp, Wilhelm: Gattungen als literarisch-soziale Institutionen. Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie. In: Walter Hinck (Hg.): Textsortenlehre, Gattungsgeschichte. Heidelberg 1977 (Medium Literatur, Bd. 4), S. 27 – 44. Wachinger, Burghart: Einleitung. In: Christoph Huber, Burghart Wachinger und Hans-Joachim Ziegeler (Hg.): Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters. Berlin 2000, S. 1 – 16. Wachinger, Burghart: Deutsche und lateinische Liebeslieder. Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana. In: Lieder und Liederbücher: Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik. Berlin, New York 2011 [1984], S. 97 – 123. Waddell, Helen: The Wandering Scholars [1927]. London 191980. Wagner, Alexander: Armenfürsorge in (Rechts‐)theorie und Rechtsordnungen der frühen Neuzeit. In: Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 2006 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, Bd. 189), S. 21 – 59. Wagner, Joseph Maria: Rotwelsche Studien. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 33 (1863), S. 197 – 246. Wagner, Silvan: Grenzbetrachtungen. Paradoxie, Beobachtung und Sinn in Mären. In: Silvan Wagner (Hg.): Mären als Grenzphänomen. Berlin, Bern u. a. 2018 (Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft 37), S. 13 – 40. Wagner, Wolfgang Eric: Verheiratete Magister und Scholaren an der spätmittelalterlichen Universität. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter. Ostfildern 2010 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 73), S. 71 – 100. Wagner-Egelhaaf, Martina: Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft? In: Nikolas Buck (Hg.): Literatur Macht Gesellschaft. Neue Beiträge zur theoretischen Modellierung des Verhältnisses von Literatur und Gesellschaft. Heidelberg 2015 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Bd. 340), S. 17 – 38. Wailes, Stephan L.: Vagantes and the Fabliaux. In: Thomas Darlington Cooke und Benjamin L. Honeycutt (Hg.): The Humor of the Fabliaux. A Collection of Critical Essays. Columbia 1974, S. 43 – 58.

Forschung

697

Wailes, Stephan L.: Students as Lovers in the German Fabliau. In: Medium Aevum 46 (1977), S. 196 – 211. Waldenfels, Bernhard: Der Primat der Einbildungskraft. Zur Rolle des Gesellschaftlichen Imaginären bei Cornelius Castoriadis. In: Revue européenne des sciences sociales 86 (1989), S. 141 – 160. Waldenfels, Bernhard: Der Stachel des Fremden. Frankfurt a. M. 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 868). Waldenfels, Bernhard: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, hg. von Regula Giuliani. Frankfurt a. M. 2000 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1472). Waltenberger, Michael: Situation und Sinn. Überlegungen zur pragmatischen Dimension märenhaften Erzählens. In: Elisabeth Andersen, Manfred Eikelmann und Anne Simon (Hg.): Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin, New York 2005 (Trends in medieval philology, Bd. 7), S. 287 – 308. Waltenberger, Michael: Der vierte Mönch von Kolmar. Annäherungen an die paradoxe Geltung von Kontingenz. In: Cornelia Herberichs und Susanne Reichlin (Hg.): Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2010 (Historische Semantik, Bd. 13), S. 226 – 244 Waltenberger, Michael und Jan Mohr: Einleitung. In: Jan Mohr und Michael Waltenberger (Hg.): Das Syntagma des Pikaresken. Heidelberg 2014 (GRM Beihefte, Bd. 58), S. 9 – 36. Waltenberger, Michael: Tychander und Springinsfeld. Krieg als pikarische Abenteuersphäre bei Hieronymus Dürer und Grimmelshausen. In: Martin von Koppenfels und Manuel Mühlbacher (Hg.): Abenteuer. Erzählmuster, Formprinzip, Genre. München 2019 (Philologie des Abenteuers, Bd. 1), S. 137 – 160. Walther, Hans: Initia carminum ac versuum Medii Aevi posterioris Latinorum. Alphabetisches Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen. Unter Benutzung der Vorarbeiten Alfons Hilkas. Göttingen 1959 (Carmina medii aevi posterioris Latina, Bd. 1). Warning, Rainer: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. München 1974 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste, Bd. 35). Warning, Rainer: Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie. In: Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning (Hg.): Das Komische. München 1976 (Poetik und Hermeneutik, Bd. 7), S. 279 – 333. Warning, Rainer: Die Phantasie der Realisten. München 1999. Warning, Rainer: Das Imaginäre und das Symbolische bei Cornelius Castoriadis. Illustriert am mittelalterlichen geistlichen Spiel. In: Comparatio 6 (2014), S. 13 – 27. Wattenbach, Wilhelm: Geistliche Scherze des Mittelalters. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 15 (1868), Sp. 285 – 288. Wattenbach, Wilhelm: Bericht über eine Reise durch Steiermark im August 1876. In: Neues Archiv für ältere deutsche Geschichte 2 (1877), S. 383 – 425. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 51976. Wehrli, Max: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Stuttgart 1984. Weigand, Rudolf Kilian: Der „Renner“ des Hugo von Trimberg. Überlieferung, Quellenabhängigkeit und Struktur einer spätmittelalterlichen Lehrdichtung. Wiesbaden 2000 (Wissensliteratur im Mittelalter, Bd. 35). Weigel, Petra: Reform als Paradigma: Konzilien und Bettelorden. In: Heribert Müller (Hg.): Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414 – 1418) und Basel (1431 – 1449). Institution und Personen. Ostfildern 2007 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 67), S. 289 – 335. Weimar, Peter: Die legistische Literatur der Glossatorenzeit. In: Helmut Coing (Hg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Mittelalter (1100 – 1500). Die Gelehrten Rechte und die Gesetzgebung. München 1973, S. 129 – 260.

698

Literaturverzeichnis

Weinhold, Karl: Alemannische Grammatik. Berlin 1863 (Grammatik der deutschen Mundarten, Bd. 1). Weis, Anton: Handschriften-Verzeichniss der Stifts-Bibliothek zu Reun. In: Die Handschriften-Verzeichnisse der Cistercienser-Stifte. Band 1. Wien 1891 (Xenia Bernhardinia, Bd. II 1), S. 1 – 114. Weiß, Marian: Die mittellateinische Goliardendichtung und ihr historischer Kontext. Komik im Kosmos der Kathedralschulen Nordfrankreichs. Univ.-Diss. Gießen 2018. Wellbery, David E., Hans Ulrich Gumbrecht u. a. (Hg.): Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. Berlin 2007. Wellek, René: The Fall of Literary History. In: René Wellek (Hg.): The Attack on Literature and Other Essays. Chapel Hill 1982, S. 64 – 77. Wellek, René und Austin Warren: Theorie der Literatur [1949]. Frankfurt a. M. 21972 (Fischer-Athenäum-Taschenbücher 2005: Literaturwissenschaft). Welzig, Werner: Beispielhafte Figuren. Tor, Abenteurer und Einsiedler bei Grimmelshausen. Graz, Köln 1963. Wendehorst, Alfred: Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben? In: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium in sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen, Bd. 30), S. 9 – 33. Wenzel, Edith: „Do worden die Judden alle geschant“. Rolle und Funktion der Juden in spätmittelalterlichen Spielen. München 1992 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, Bd. 14). Wenzel, Horst: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995. Wenzel, Horst: Die ‚fließende‘ Rede und der ‚gefrorene‘ Text. Metaphern der Medialität. In: Gerhard Neumann (Hg.): Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Stuttgart, Weimar 1997 (Germanistische Symposien, Berichtsbände, Bd. 18), S. 481 – 503. Wenzel, Siegfried: ‚Acedia‘ 700 – 1200. In: Traditio 22 (1966), S. 73 – 100. Wenzel, Siegfried: The Sin of Sloth. Acedia in Medieval Thought and Literature. Chapel Hill 1967. Werle, Dirk: Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580 – 1630. Tübingen 2007 (Frühe Neuzeit, Bd. 119). Werle, Dirk: Die Literatur der 16. in Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts. Wissenschaftsgeschichte und Darstellungsform. In: Marcel Lepper und Dirk Werle (Hg.): Entdeckung der frühen Neuzeit. Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte seit 1750. Stuttgart 2011 (Beiträge zur Geschichte der Germanistik, Bd. 1), S. 79 – 100. Werle, Dirk: Für eine Literaturgeschichte semantischer Einheiten. In: Matthias Buschmeier, Walter Erhart und Kai Kauffmann (Hg.): Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Berlin, Boston 2014 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 138), S. 63 – 85. Werlen, Hans-Jakob: Stoff- und Motivanalyse. In: Jost Schneider (Hg.): Methodengeschichte der Germanistik. Berlin, New York 2009, S. 661 – 677. Werner, Jakob: Beiträge zur Kunde der lateinischen Literatur des Mittelalters. aus Handschriften gesammelt. 2., durch e. Anh. verm. Ausg. Aarau 1905. Werner, Jakob: Guiardinus; Bruchstücke eines lateinischen Tugendspiegels nach der Basler Handschrift. In: Romanische Forschungen 26 (1909), S. 417 – 461. Werner, Jakob: Lateinische Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters. Aus Handschriften gesammelt. Heidelberg 1966. Werner, Wilfried: Die Zehn Gebote. Faksimile eines Blockbuchs von 1455/1458 aus dem Codex Palatinus Germanicus 438 der Universtätsbibliothek Heidelberg. Zürich 1971.

Forschung

699

Wesche, Jörg: Unsichtbares Lesen. Narrative Selbstreflexion in Grimmelshausens Vogel-Nest. In: Simpliciana 28 (2006), S. 69 – 82. Wesche, Jörg: Der Narr ist ein Reisender. Frühneuzeitliche Vagantenregister im Gegenlicht der Literaturgeschichte. In: Jörg Wesche, Julia Amslinger und Franz Fromholzer (Hg.): Lose Leute. Figuren, Schauplätze und Künste des Vaganten in der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019, S. 19 – 30. Wesche, Jörg, Julia Amslinger und Franz Fromholzer: Eingang. In: Lose Leute. Figuren, Schauplätze und Künste des Vaganten in der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019, S. 7 – 15. Wexler, Paul: Languages in Contact. The Case of Rotwelsch and the Two „Yiddisches“. In: Ronnie Po-chia Hsia und Hartmut Lehmann (Hg.): In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 2002 (Publications of the German Historical Institute), S. 109 – 124. Weydt, Günther: Nachahmung und Schöpfung im Barock. Studien um Grimmelshausen. Bern, München 1968. White, Hayden: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore, London 1973. White, Hayden: Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie. In: Pietro Rossi (Hg.): Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt a. M. 1987 (Edition Suhrkamp, Bd. 1390; N.F., Bd. 390), S. 57 – 106. Wickersheimer, Ernest: Documents pour Servir à l’Histoire de la Police de la Mendicité à Strasbourg à la Fin du Moyen Âge. In: Bulletin philologique et historique (jusqu’à 1715) du comité des travaux historiques et scientifiques (1921), S. 143 – 151. Widder, Roman: Bettler. In: Joseph Vogl und Burkhardt Wolf (Hg.): Handbuch Literatur & Ökonomie. Berlin, Boston 2019 (Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie, Bd. 8), S. 111 – 114 Widder, Roman: Pöbel, Poet und Publikum. Figuren arbeitender Armut in der Frühen Neuzeit. Konstanz 2020 Widmann, Hans: Tübingen als Verlagsstadt. Tübingen 1971 (Contubernium. Beiträge zur Geschichte der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Bd. 1). Wienker-Piepho, Sabine: „Je gehrter, desto verkehrter“? Volkskundlich-Kulturgeschichtliches zur Schriftbeherrschung. München, Berlin 2000 Wienker-Piepho, Sabine: Rezension zu Birgit Beine: „Der Wolf in der Kutte.“. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 41 (2001), S. 208 f. Wilhelmi, Thomas, Moritz Ahrens und Leonard Keidel: Einleitung. In: Moritz Ahrens und Leonard Keidel u. a.(Hg.): Cornelius relegatus (1605). Sandersdorf-Brehna 2011, S. 9 – 23. Williams, Alison: Tricksters and Pranksters. Roguery in French and German Literature of the Middle Ages and the Renaissance. Amsterdam, Atlanta (GA) 2000 (Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft, Bd. 49). Winkler, Friedrich: Dürer und die Illustrationen zum Narrenschiff. Die Baseler und Strassburger Arbeiten des Künstlers und der altdeutsche Holzschnitt. Berlin 1951 (Forschungen zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 36). Winstead, James Lloyd: When Colleges Sang. The Story of Singing in American College Life. Tuscaloosa 2013. Winter, Thomas Arne: Traditionstheorie. Eine philosophische Grundlegung. Tübingen 2017 (Philosophische Untersuchungen, Bd. 42). Winter, Thomas Arne: Tradition und Literatur. Sinngabe und Sinnentzug. In: Philip Reich und Karolin Toledo Flores (Hg.): Tradition und Traditionsverhalten. Liteaturwissenschaftliche und kultuhistorische Perspektiven. Heidelberg (in Vorb.). Wirth, Ludwig: Der Stil der Oster- und Passionsspiele bis zum 15. Jahrhundert. Halle a. Saale 1888. Witthöft, Christiane: Der Weg in die Irre. Raum und Identität im ‚Studentenabenteuer B‘ (Rüdeger von Munre, ‚Irregang und Girregar‘) und in Boccaccios ‚Decameron‘. In: Matthias Däumer,

700

Literaturverzeichnis

Christine Waldschmidt u. a. (Hg): Irrwege. Zu Ästhetik und Hermeneutik des Fehlgehens. Heidelberg 2010 (Studien zur historischen Poetik, Bd. 5), S. 187 – 212. Wolf, Gerhard: Von der Chronik zum Weltbuch. Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters. Berlin 2002 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 18). Wolf, Gerhard: Adlige Hauschroniken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Gerhard Wolf und Norbert H. Ott (Hg.): Handbuch Chroniken des Mittelalters. Berlin, Boston 2016, S. 399 – 445. Wolf, Jürgen: Buch und Text. Literatur- und kulturhistorische Untersuchungen zur volkssprachigen Schriftlichkeit im 12. und 13. Jahrhundert. Tübingen 2008 (Hermaea N.F., Bd. 115). Wolf, Siegmund A.: Wörterbuch des Rotwelschen. Deutsche Gaunersprache. Mannheim 1956. Wolf, Siegmund A.: Studien zum Liber Vagatorum. In: PBB (H) 80 (1958), S. 157 – 167. Wolff, Reinhold: Unterwegs vom mittelalterlichen Predigtmärlein zur Novelle der Frühen Neuzeit: die Erzählsammlung ‚Compilatio singularis exemplorum‘. In: MlatJb 41 (2006), S. 53 – 76. Wollin, Carsten: Geschichten aus der ‚Compilatio singularis exemplorum‘. In: MlatJb 41 (2006), S. 77 – 91. Wolpers, Theodor: Wege der Göttinger Motiv- und Themenforschung. In: Theodor Wolpers (Hg.): Ergebnisse und Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Motiv- und Themenforschung. Göttingen 2002 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Folge 3, Bd. 249), S. 41 – 112. Woods, Barbara Allen: The Devil in Dog Form. A Partial Type-Index of Devil Legends. Berkeley 1959. Woods, Marjorie Curry: Classroom Commentaries. Teaching the „Poetria nova“. Across Medieval and Renaissance Europe. Columbus 2010 (Text and context). Worstbrock, Franz Josef: Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Kategorie. In: Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965), S. 1 – 22. Worstbrock, Franz Josef (Hg.): Der Brief im Zeitalter der Renaissance. Weinheim 1983 (Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung, Bd. 9). Worstbrock, Franz Josef: Wiedererzählen und Übersetzen. In: Walter Haug (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Tübingen 1999 (Fortuna vitrea, Bd. 16), S. 128 – 142. Wriedt, Klaus: Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Verwaltung norddeutscher Städte. In: Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts. Berlin 1996 (ZHF Beihefte, Bd. 18), S. 437 – 452. Wunder, Gerd: Die Bürger von Hall. Sozialgeschichte einer Reichsstadt. 1216 – 1802. Sigmaringen 1980 (Forschungen aus Württembergisch Franken, Bd. 16). Wyss, Ulrich: Die wilde Philologie. Jacob Grimm und der Historismus. München 1979. Wyss, Ulrich: Der doppelte Weg der Literaturwissenschaft nach 1800. In: Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München 1991, S. 73 – 88. Zatloukal, Klaus: Die Vorauer Novelle. Beobachtungen zur dichterischen Umgestaltung der ersten „Reuner Relationen“. In: Euphorion 72 (1978), S. 240 – 259. Zeisberg, Simon: Paradoxe Perspektiven. Zur Poetik des Wunderbaren in Grimmelshausens Wunderbarlichem Vogel-Nest (1672/75). In: Peter-André Alt, Jutta Eming u. a.: Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie und Alchemie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Wiesbaden 2015 (Episteme in Bewegung, Bd. 2), S. 313 – 337. Zeisberg, Simon: Das Handeln des Anderen. Pikarischer Roman und Ökonomie im 17. Jahrhundert. Berlin, Boston 2019 (Frühe Neuzeit, Bd. 216). Zeller, Rosmarie: Magia naturalis, Zauberkunst und Kritik des Wunderbaren im Wunderbarlichen Vogelnest. In: Simpliciana 28 (2006), S. 151 – 167.

Forschung

701

Zerfaß, Rolf: Der Streit um die Laienpredigt. Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Predigtamtes und zu seiner Entwicklung im 12. u. 13. Jahrhundert. Freiburg i. Br. 1974 (Untersuchungen zur praktischen Theologie, Bd. 2). Zerweck, Bruno: Der cognitive turn in der Erzähltheorie. Kognitive und ‚Natürliche‘ Narratologie. In: Ansgar Nünning und Vera Nünning (Hg.): Neue Ansätze in der Erzähltheorie. Trier 2002 (WVT-Handbücher zum literaturwissenschaftlichen Studium, Bd. 4), S. 219 – 242. Zeydel, Edwin H.: Vagantes, Goliardi, Joculatores. Three Vagabond Types. In: Sheema Z. Buehne, James L. Hodge und Lucille B. Pinto (Hg.): Helen Adolf Festschrift. New York 1968, S. 42 – 46. Ziegeler, Hans-Joachim: Erzählen im Spätmittelalter. Mären im Kontext von Minnereden, Bispeln und Romanen. München 1985 (MTU, Bd. 87). Ziegeler, Hans-Joachim: Boccaccio, Chaucer, Mären, Novellen: ‚The Tale of the Cradle‘. In: Klaus Grubmüller, Leslie Peter Johnson und Hans-Hugo Steinhoff (Hg.): Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Paderborn 1988 (Schriften der Universität-Gesamthochschule-Paderborn. Reihe Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 10), S. 9 – 31. Ziegeler, Hans-Joachim: Der literarhistorische Ort der Mariendichtungen im Heidelberger Cpg 341 und in verwandten Sammelhandschriften. In: Timothy R. Jackson, Nigel F. Palmer und Almut Suerbaum (Hg.): Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Berlin 1996, S. 55 – 77. Ziegeler, Hans-Joachim: Studentenabenteuer A und B. In: Fritz Peter Knapp und Nils Borgmann (Hg.): Kleinepik, Tierepik, Allegorie und Wissensliteratur. Berlin 2013 (Germania litteraria mediaevalis francigena, Bd. 6), S. 100 – 110. Ziep, Franziska: Erzählen ohne Ende. Lebensgeschichten im 16. Jahrhundert am Beispiel der autobiographischen Texte von Ludwig von Diesbach (1488/1518) und Thomas Platter (1572). In: Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Hg.): Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven. Köln, Weimar, Wien 2012 (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20), S. 105 – 121. Zimmermann, Albert (Hg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert. Berlin, New York 1976 (Miscellanea mediaevalia, Bd. 10). Zinberg, Israel: A history of Jewish Literature, übers. und hg. von Bernard Martin. 12 Bde. New York 1975. Ziolkowski, Theodore: Heidelberger Romantik. Mythos und Symbol. Heidelberg 2009. Zymner, Rüdiger: Körper, Geist und Literatur. Perspektiven der ‚Kognitiven Literaturwissenschaft‘ – eine kritische Bestandsaufnahme. In: Martin Huber und Simone Winko (Hg.): Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Paderborn 2009 (Poetogenesis, Bd. 6), S. 135 – 154.

Autoren‐ und Textregister Das Register ist nach den Autorennamen geordnet. Bei anonymen Texten steht deren Titel kursiv. Bestimmte und unbestimmte Artikel bei deutschen Titeln sind in der alphabetischen Reihung nicht berücksichtigt

Abraham a Sancta Clara 501 Accursius (Glossator) 344 Adelphus, Johann 476, 479 Al Ha-Seḥok (‚Über das Spielen‘) 100 – 101 Alanus ab Insulis 231 Alcuin 300 Alemán, Mateo 548 Altenstaig, Johannes 137, 148 – 150 Älteres Augsburger Liederbuch 218 – 219 Altitonans celicola 209, 309 – 310 Archipoeta 21, 206, 208, 211, 334, 588 Aretin, Johann Christoph von 566 – 569 Aristoteles 232, 268, 353, 357 Arnim, Achim von 98, 564 – 565, 567, 569 – 570, 572 – 575, 585 Arnim, Bettine von 575 Augsburger Achtbuch 71, 104 Augustinus 216, 228, 301 – 302, 306 – 307, 317, 430 Aurbacher, Ludwig 576 – 578 Authentica ‚Habita‘ 297, 336 – 344, 413, 542 Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt 569 Awdeley, John 98 Baldini, Baccio 453, 457 Badius, Jodocus 361 Baldinger, Ernst Gottfried 568 Bale, John 217, 220 Basler Betrügnisse Siehe Betrügnisse der Gyler Basler Planetenkindergedicht 449 – 454, 457 – 459, 462, 466, 521, 610 – 611 Baumbach, Rudolf 582 Bebel, Heinrich 15, 121, 126 – 140, 145 – 150, 470 – 480, 484 – 485, 488, 490 – 491, 494, 538, 542, 545, 547, 554, 596 Beer, Johann 495 – 496 Beheim, Michel 106 – 107 Benedikt von Nursia Siehe Regula Benedicti Bernhard von Chartres 349 – 351 Berthold von Regensburg 237 – 239, 295 Betrügnisse der Gyler 72 – 77, 83, 86, 99, 104 – 105, 109 https://doi.org/10.1515/9783110708349-019

Biel, Gabriel 135 – 136 Bispel van .ij. clerken, ene goede boerde 281, 408 Die Blume im Munde 375, 381 Boccaccio, Giovanni 126, 281, 472, 495 – 496, 549 Bodel, Jean 280 – 281, 408 – 409, 412, 428 Bodin, Jean 6, 505, 511, 527 Bodmer, Johann Jakob 564 Boethius, Anicius Manlius Severinus 198, 301, 353 – 355, 359 – 361 Der Boiffen Orden / Boven Orden 95, 241, 440 – 445, 455 – 456, 466, 599 Bonaventura (Giovanni Fidanza) 231 Boncompagnus da Signa 312 Bosch, Hieronymus 93, 453, 457 – 458, 617, 618 Brandenburger Osterspiel 263 Brant, Sebastian 91 – 96, 115, 121 – 126, 130, 135, 138 – 139, 243, 259, 345, 447, 456, 463, 479, 577, 608 – 609 Brentano, Clemens 565, 569 – 572, 575, 582 Breuer, Hans 590 Das Buch der Rügen 244 – 253, 260, 417 – 421, 598 Die Buhlschaft auf dem Baume A 276, 401 Bullinger, Heinrich 525 Busch, Johannes 347 – 348, 363 Der Bussard 274, 397 Büttner, Wolfgang 500, 506, 547 Butzbach, Johannes 23, 30, 522 – 527 Caesarius von Heisterbach 392 – 393 Calderón de la Barca, Pedro 502 Carmen de gestis Frederici I. imperatoris in Lombardia 338 Carmina Burana 17 – 23, 118 – 119, 195, 198 – 221, 287, 334, 354, 368, 439, 445, 566 – 568, 583 – 585, 588 – 589, 591, 597 Cassianus, Johannes 299 – 300, 304 Celander (Pseudonym) 550 Cele, Johannes 347 – 348 Celtis, Konrad 12, 522, 528 – 529

Autoren‐ und Textregister

703

Cervantes, Miguel Saavedra de 501 – 502 Chaucer, Geoffrey 281 Chézy,Wilhelm Theodor von 578 – 579 Cicero, Marcus Tullius 78, 343, 344, 351 Clementinae constitutiones 107 – 108 Codex Iustinianus 337 – 338, 342, 344 Compilatio singularis exemplorum 269, 272, 428, 455 Constitutio Criminalis Carolina 63 Contra monachos vagantes atque mendicantes 205, 206 Cornelia, Zeitschrift für häusliche Erziehung 568 Cornemicus, Archierus 496 Crusius, Martin 15, 112, 506, 536 – 540, 545, 547, 558, 568, 574

Fischart, Johann 6, 55, 92, 118, 505, 511, 527, 535 – 536, 549 Flacius Illyricus, Matthias 216, 217, 220, 533 – 535, 567 Folz, Hans 100, 268, 401, 403 – 406, 430, 439 – 440, 486 – 487, 533, 599, 605 Franciscus von Assisi 310 – 312 Franck, Sebastian 360 – 361 Frauenlist 400 Freidank 398 Frey, Jakob 471, 479, 485, 488, 494 Freytag, Gustav 568 Frianoro, Rafaele (Giacinto de Nobili) 82, 98 Friars of Berwick 502 Frisius, Paul 520 – 521 Fritsch, Ahasver 541 – 542

D’Ouville, Antoine Le Metel 502 De Barta et marito eius per studentem Parisiensem subtiliter deceptis 484 De disciplina scholarium (Pseudo-Boethius) 200, 212, 234, 241, 352 – 361, 369, 598 De multiplici genere mendicantium 85 – 86, 111 – 112 De occulta philosophia (Pseudo-Paracelsus) 507, 514 De vagorum ordine Siehe Carmina Burana De vita vagorum Siehe Johann von Nürnberg Decretum Gratiani 246, 348, 461 Delrío, Martín 508 – 509 Der Fielen Rabauwen 84 Dietmar von Meckebach 71 – 72 Dil Ulenspiegel 515 – 516 Docen, Bernhard Joseph 567, 569 Die drei Mönche von Kolmar 421 – 423 Dürer, Albrecht 93 – 94, 608, 609 Dürer, Hieronymus 550

Galfred von Vinsauf 189, 354 Gallus, Jodocus 445 – 447 Die Gartenlaube 568, 620 Garzoni, Tomaso 82, 554 Gast, Johannes 477 Geibel, Emanuel 581 Geiler von Kaysersberg, Johannes 69, 70, 72, 88, 103, 121 – 126, 138 – 140, 445 – 447, 477, 481 – 482, 508, 577 George, Stefan 582 Gerhoch von Reichersberg 67 Gessner, Conrad 10 – 12, 14, 16, 86, 528 – 533, 536, 546 – 548, 599 Gesta Romanorum 269, 483 Giesebrecht, Wilhelm von 17, 18, 23, 188, 201, 323, 332, 585 Gnapheus, Guilelmus 362 – 363 Goethe, Johann Wofgang von 3 – 12, 58, 223, 487, 568, 600 Goldtwurm, Caspar 505 Gombert et les deus clers Siehe Bodel, Jean Görres, Joseph 570 Gottfried von Straßburg 271, 387 Gottsched, Johann Christof 550 Graff, Jörg 94 Grimm, Jacob und Wilhelm 433, 564, 567 – 569, 585, 586 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 551 – 562, 565, 574, 600, 619 Guibert de Tournai 232, 234, 359

Edlibach, Gerold 74, 106 Egbert von Lüttich 360 Eghenvelder, Liebhard 219, 220 Eichendorff, Joseph von 98, 569 – 571 Erlauer Magdalenenspiel 264 – 267 Étienne de Bourbon 269 Evagrios Pontikos 300 Eyering, Eustachius 501 Faustbuch des Christlich Meynenden Fechter, Daniel Albert 568

4 Hagen, Hermann 588, 589 Hanenreyerey 501

704

Autoren‐ und Textregister

Hans Clauert 515 Hans von Straßburg Siehe Nördlinger Ratsprotokoll Hans Wurst als Teufelsbanner 503, 504 Happel, Eberhard Werner 496, 549 Has, Kunz 94 Das Häslein 276 Hegius, Alexander 353, 355 Heidelberger Disziplinargesetze 110, 345 – 348 Heider, Wolfgang 542 Heim, Heinz 568, 569, 620 Heinrich der Klausner 378 Heinrich Kaufringer 216, 267, 277 – 280, 282, 397, 399 – 403, 405, 413, 421 – 424, 440, 466, 493, 599 Herder, Johann Gottfried 164 – 165, 563, 564 Hermann von Sachsenheim 507, 513 Hessus, Helius Eobanus 496 – 497 Heymerick, Arnold 526 Heyse, Paul 580 – 581, 584, 589 Hieronymus, Sophronius Eusebius 304 Historia des D. Johann Fausten 6, 7, 422, 505, 531 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 569, 579 – 580 Hollen, Godescalcus 482 Holst, Gustav 18, 504 Höniger, Nikolaus 123 – 126 Honorius Augustodunensis 231 Horatius Flaccus, Quintus (auch Accessus zu Horaz) 96, 117 – 118, 189, 212, 354, 359 – 360, 584 Hospita in Gallia 206 – 207 Hugo von Sankt Victor 231, 349 – 352 Hugo von Trimberg 202, 228 – 229, 234, 247, 256 – 257, 364 – 371, 452, 598 Hulsbusch, Johann 494 Humbert de Romans 231 – 232 Hütlin Matthias Siehe Liber Vagatorum Innsbrucker Osterspiel 263 – 264, 266 – 267 Irregang und Girregar Siehe Studentenabenteuer B Isidor von Sevilla 116 – 117, 194, 253, 318, 392, 435 Iuvenalis, Decimus Iunius 117, 333 Jacobus de Cessolis 239 – 242, 454, 614 Jacobus de Voragine 373 – 375, 380 Jacop von Oestvoren 443

Jacques de Vitry 232 – 235, 269, 311 – 314, 364 Jans von Wien 419 – 420 Johann Rot aus Weinheim 105 Johann von Nürnberg 107, 314, 335, 413, 419, 432 – 440, 442, 447, 466, 599 Johannes de Fruttuaria 301 Johannes de Garlandia 352 Johannes Gobi Iunior 272, 319 – 320, 428 – 429 Johannes Peckham 314 – 316 Johannes von Neumarkt 72 Johannes von Salisbury 231, 349 – 352, 356 Juspa Schammes 101 – 102 Kemli, Gallus 107 – 110, 331, 453, 458 – 459, 462, 596 Kernstock, Ottokar 590 Kettenacker, Ambrosius 219, 220 Kindermann, Balthasar 543 Kirchhof, Hans Wilhelm 472 – 473, 479 – 480, 483, 485, 494, 547 Der Kleine Renner 256 – 259, 368 Knebel, Johannes 74 Köbel, Jacob 94 – 95 Konrad von Ammenhausen 74, 239 – 241 Konrad von Würzburg 374, 387 Kornmann, Heinrich 530, 554 Kramer (Institoris), Heinrich 505 Laistner, Ludwig 589 Lange, Johannes 533 – 534, 536 Le meunier et les deux clercs 280 – 281, 286 Le povre clerc 272, 372, 408, 427 – 429, 504 Lectio [Passio] cuiusdam monachi nigri secundum luxuriam 212, 214 – 216 Legenda Aurea Siehe Jacobus de Voragine Legende vom hl. Nikolaus und den Schülern 372 Lettore, Luca 232 Das letzte Einhorn 58 Liber de miraculis sanctae Genitricis Mariae Siehe Potho (Boto) von Prüfening Liber Vagatorum 23, 71 – 72, 78, 83 – 100, 107 – 116, 130, 133, 135 – 150, 454 – 455, 466, 469, 474 – 476, 483, 490 – 491, 494, 509, 513, 519, 536, 543, 553, 569, 580, 596, 599, 607 Liechtenberg, Jacob von 521 Lindauer Reichsabschied 102 – 103 Lindener, Michael 227, 471, 495, 501

Autoren‐ und Textregister

Luanus (Hl.) 298 – 299 Luscinius (Nachtgall), Otmar 476 – 477 Luther, Martin 68, 85 – 90, 97, 100, 103, 227, 494, 577, 596 Macropedius, Georgius 362 – 363, 445 Mann, Thomas 600 – 601 Manuale scholarium 361 – 362, 598 Map, Walter 21, 203, 205, 308 – 309, 419, 567 Marbod von Rennes 203 – 204 Marien Rosenkranz 374, 375, 381 – 383 Marlowe, Christopher 6, 556 – 557 Matthaeus Parisiensis 316 Matthias von Kemnat 76, 77, 104 – 107, 111 Mattioli, Piedro Andrea 82 Maximianus 354 Mayer, Johann Ulrich Siehe Thomasius, Jakob Meister Irregang 440 Meyer-Förster, Wilhelm 587 Meyfart, Johann Matthäus 542 Mittelalterliches Hausbuch (sog. Hausbuch von Schloss Wolfsegg) 453 – 454, 616 Mönch von Salzburg 449 Monopolium der Schweinezunft Siehe Schram, Johannes Monopolium et societas vulgo des Lichtschiffs Siehe Gallus, Jodocus Monopolium philosophorum vulgo die Schelmenzunfft 445 Montanus, Martin 471, 495, 500 Moscherosch, Johann Michael 97 Murner, Thomas 121, 138 – 140, 145 Murr, Christoph Gottlieb von 9 – 12 Nestroy, Johann 503 Niavis (Schneevogel), Paulus 362 Nicolaus von Bibra 253 – 256 Nider, Johannes 508 Niemand Siehe Die drei Mönche von Kolmar Nördlinger Ratsprotokoll 145 – 146, 519 Noetlink von Straelen, Jacob 443 – 445 Nota de fictis mendicis Siehe Kemli, Gallus Oswald von Wolkenstein 449 Ovidius Naso, Publius 212, 350, 354 Pantaleon, Heinrich 532, 547 Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim) 227, 509 – 511, 531 – 534 Passauer Kalendar 448, 452 – 453, 612, 613

705

Passional 373 – 384, 395 Pauli, Johannes 103, 123 – 125, 471 – 473, 478 – 486, 488 – 490, 547, 554, 577, 596 Pechon de Ruby (Pseudonym) 85, 98 Peiper, Rudolf 588 – 589 Persius Flaccus, Aulus 117 Petrarca, Francesco 72, 126 – 127 Petrus Alfonsi 354 Pfitzer, Nicolaus 4 – 7 Pforzheimer Schulmeisterordnung 348 – 349 Philipp von Harvengt 236 Piccolomini, Eneas Silvius (Papst Pius II.) 507 – 508, 514 Pini, Teseo 71, 77 – 83, 113 – 115, 132, 144 Placentius, Johannes 488 Plato 79, 534 Platter, Felix 30, 525 Platter, Thomas 23, 30, 522 – 527, 568 – 569, 574, 579, 586 Poggio Bracciolini, Gianfrancesco 470 – 472, 478 Polychorius (Jakob Cammerlander) 477, 478 Potho (auch: Boto) von Prüfening 373, 375, 381 Praetorius, Johannes 530, 553 Primas (Hugo von Orléans) 19, 21 Probst, Peter 501 Pseudo-Boethius Siehe De disciplina scholarium Pseudo-Hippokrates 534 Pseudo-Paracelsus Siehe De occulta philosophia Quaestiones minus principales unter Peter Krebs (Heidelberg) 75 – 76 Quintilianus, Marcus Fabius 361 Rabelais, François 535 Rather von Verona 230, 293 Rebuffi, Pierre 341 – 344, 542 Redentiner Osterspiel 264 Reformatio Friderici 459 Reformatio Sigismundi 459 – 463, 466, 596 Reghel van Aernouts arme broederen 440 Regula beati Libertini 216 – 217, 220, 455 Regula Benedicti 23, 120, 198, 201, 202, 245, 300, 303 – 322, 413, 597 Regula Magistri 304 – 306, 314 Reichspoliceyordnung (1530) 63, 65 – 67 Der Reiher 286, 289

706

Autoren‐ und Textregister

Reinelt, Johannes (Philo vom Walde) 582 Reiwald, George Ernst 549 Renauld de Louhans 360 Reuchlin, Johannes 89, 135 – 136 Reuner Relationen 384 – 395 Riemer, Johannes 496 Romberg, Sigmund 587 Der Rosendorn 276, 277, 402, 438 Rosenplüt, Hans 275, 405, 413, 424 – 430, 466, 494, 497, 500, 599 Der Ruchlose Student 550 Rüdeger von Munre Siehe Studentenabenteuer B Rupert von Deutz 237 Rutebeuf 88, 208 – 209

Der Sperber 276 – 277, 402, 408 Spiegel, Nicolaus 17, 23 – 24, 31, 201, 323, 327, 522 Stephani, Clemens 501 Straßburger Betrügnisse Siehe Betrügnisse der Gyler Der Stricker 268, 270 – 272, 423, 426 – 427, 433, 598 Studentenabenteuer A 272 – 273, 275, 278, 280 – 287, 291, 294, 406 – 413, 496, 599 Studentenabenteuer B (Irregang und Girregar) 285, 291, 292, 409 – 413, 440, 496, 599 Stymmelius, Christoph 363 Summa Codicis (Rogerius, Placentinus, Azo Portius) 342 – 343

Sachs, Hans 227, 229, 262, 295, 430, 486 – 504, 509, 554, 569, 596, 599 Sarcander (Pseudonym) 550 Savigny, Friedrich Carl von 568, 569 Scala Coeli Siehe Johannes Gobi Iunior Schampiflor 274, 397 – 399 Scheffel, Joseph Victor von 579 – 588, 621 Schein, Johann Hermann 220 Schiller, Friedrich 7 Schlitpacher, Johannes 307, 316 – 318 Schmeller, Johann Andreas 567, 585 Schmieher, Peter 401 – 402 Schmidt, Bernhard 511 Schoch, Johann Georg 550 Ein Scholar, Marien Bräutigam 375, 381, 384 Der Scholar und das Marienbild 375 – 379 Schram, Johannes 445 – 446 Schumann, Valentin 471 – 472, 484, 554 Der Schüler zu Paris A/B/C 274, 397 Schweizer Anonymus Siehe Zweierlei Bettzeug Schwenckfeld, Kaspar 535 Sefer Ma’asseh Nissim Siehe Juspa Schammes Seneca, Lucius Annaeus 124 – 125, 233, 351 Senfl, Ludwig 217 – 218 Sermones nulli parcentes 244 – 253, 584 – 585 Shakespeare, William 157, 372 – 373 Siegfried von Dorfer 374 Sigismund, Berthold 582 Simler, Georg 136 Sommer, Johannes 363 Sommer, Willibald 589 – 590 Spaun, Claus 277 – 280, 287, 290, 400, 408, 431 Speer, Daniel 548 – 549

Tacitus, Publius Cornelius 528 Des Teufels Netz 243, 260 – 262, 295, 429, 462, 598 Thomas von Aquin 67, 81, 301 – 302, 356, 360 – 361, 393 Thomas von Kandelberg 374, 375, 378 – 380 Thomasius, Jakob 14 – 17, 112, 150, 531, 544 – 548, 556, 558, 599 Tieck, Ludwig 564, 570 – 571 Tilemann Elhen von Wolfhagen 421 Der Traum des Scholaren 375, 380 Die treue Magd 273, 275, 278, 286 – 293, 400, 401, 408, 425 Trithemius von Sponheim 10, 96, 508, 509, 528, 529 Trivet, Nicholas 360 Tünger, Augustin 476 Turmair, Johannes (Aventinus) 529, 530, 532 Uhland, Ludwig 516, 575 – 576, 583 Unser Frauen Ritter 374 Vaganten-Hospital (H. G. L. L. Stud.) 542, 543 Van den Bos, Balthasar 453, 457, 618 Vergil, Polydor 77 Vergilius Maro, Publius 127, 228, 319 Die verspotteten Liebhaber 403 Verzeichnus der mutwillig betler 72 Der viesierliche Exorcist 502 Villon, François 209 Vinzenz von Beauvais 116 – 117, 194, 301 Visconti, Federico 232 Vitae patrum 319 Vogel, Hans 497

Autoren‐ und Textregister

Vom Tanawäschel 431 – 432 Vorauer Novelle 384 – 395, 414, 599 Das Wachtelmäre 418 – 419 Wackernagel, Wilhelm 479 Waddell, Helen 18 – 19, 21, 322, 332, 418 Waldis, Burkard 485, 500 – 501, 503, 596 Walther von der Vogelweide 374, 420 Walther von Châtillon 20 – 21, 203 Weidmann, Paul 502 – 503, 551 Weyer, Johann 505, 527 Wichgreve, Albert 363 Wickram, Jörg 471 – 472, 478 – 479, 484, 494, 526 – 527, 577 Widmann, Georg (Chronist) 538 – 539, 558 Widmann, Georg Rudolf (Faustbuch-Autor) 5 – 6, 539, 540, 547 Wiener Passionsspiel 264

707

Der Wiletzkinder Vasnacht 430 – 431 Wilhelm von Malmesbury 390 Wilhelm von Saint-Amour 88 Wimpfeling, Jakob 446 – 447 Wireker, Nigellus 243, 286, 358 Wittenwiler, Heinrich 532 Wolff, Julius 582 Wolfger von Erla 335, 420 – 421 Wormser Reichstagsakten (1495) 63 – 65 Wowern, Johann von 544 Ziegler, Hieronymus 532, 536 Zimmern, Froben Christoph von 537 – 538, 547, 599 Zink, Burkhard 523, 525 Zweierlei Bettzeug 402 – 403 Zwinger, Johannes 73 – 74 Zwinger, Theodor 86, 416

512 – 518, 531,

Sachregister Abenteuer/âventiure 27, 273 – 280, 366, 398 – 400, 407, 419, 477, 551 acedia 126, 202, 237, 254, 299 – 303, 319 – 320, 366, 369 – 370, 377, 381, 384, 393, 414, 452, 597 Alamode-Kritik 202, 259, 343, 368 Alraune 95, 106, 536, 544 – 545, 554 Ambiguität 21, 269, 353, 396, 435, 558, 561 Antijudaismus 89, 100, 247 Apodemik 416 Arbeit 15, 68, 126, 186, 282, 293, 342, 370, 436, 546 Archiv 153, 162, 172, 179 – 182, 184 – 185, 197, 566 Armutsdiskurs 61 – 70, 87, 121, 142, 146, 155, 160, 218, 331, 373, 469, 473 – 475, 509, 511, 540 – 543, 553, 596 Bedrohte Ordnung 97, 182, 230, 324 Bettelorden/Mendikanten 67, 88, 209, 226, 234, 238, 253, 309 – 316, 320, 325, 327, 434 – 438, 460, 541 Bettelordnungen/Bettlerkataloge 69 – 79, 95 – 96, 98 – 99, 102, 104, 112, 135, 141, 186, 260, 418, 457 – 459, 462, 466, 521, 535 ‚Butzenscheibenliteratur‘ 581 – 582, 588 creatio ex nihilo 46, 58, 164, 176, 197, 472 curiositas 233 – 234, 255, 299, 301 – 303, 314 Druiden 9 – 12, 14, 149, 528 – 534, 546, 548, 599 Erzählkern 57 – 58, 162 ‚Erzähltyp vom Mann aus dem Paradies‘ 239, 484 – 486, 488 – 494, 536, 596 ‚Erzähltyp vom Teufelsbannen‘ 272, 424 – 429, 497 – 504, 551, 596 ‚Erzähltyp von den sieben Künsten und der einen Kunst‘ 473 – 480, 483, 490 ‚Erzähltyp von der verstellten Wiege‘ 280 – 285, 406 – 413, 469, 495 – 497, 596 ‚Erzähltyp vom verlorenen Sohn‘ 363, 372 – 384, 395, 414, 444, 526, 550 Esel 305, 322, 348, 358, 369 – 370, 452, 479, 608, 611 – 612, 614 – 616 https://doi.org/10.1515/9783110708349-020

Exempel/exemplum 40, 95, 239, 241, 268, 269, 290, 311, 320, 356 – 360, 403, 428, 429, 455, 513, 548 Fabel 54, 213, 234, 243, 268, 370, 409, 479, 485 Fabliau 25 – 26, 271, 272, 280, 283, 372, 407 – 409, 427 – 429, 504 Fastnachtspiel 92, 247, 262, 405, 430 – 432, 448, 486 – 495, 497 – 503, 548, 596 Fauststoff 3 – 11, 58, 302, 384 – 395, 505, 516 – 517, 531 – 532, 539 – 540, 546, 556 – 558, 570, 600 – 601 Fazetie/facetia 15, 137, 469 – 480, 484, 488, 516, 538, 545, 596 Fiktionalität 39, 42 – 47, 53 – 59, 80, 143, 209, 353, 463, 491, 514, 545, 554, 560 – 561, 577, 600 flat character 40 Gedächtnis, kollektives/kulturelles 10, 11, 51, 56, 172, 176, 179 – 185, 188 Geistliches Spiel 262 – 267, 295, 599 gender 291 – 293, 470 Gesellschaftsbild 42 – 54, 57, 59, 63, 66, 73, 82, 116, 120, 141 – 147, 228 – 231, 240 – 241, 270 – 271, 284, 294 – 295, 299, 397, 421, 448, 481, 521, 577, 587, 600 Goliarden/Golias 17 – 23, 199, 205, 208 – 209, 217, 319 – 320, 322, 330 – 331, 455, 578, 589, 597 gyrovagus 303 – 318, 320 – 321, 413, 420, 466, 597 Hermeneutik, hermeneutischer Zirkel 35, 46, 52, 56, 59 – 60, 163 – 166, 187, 192 Historismus 13, 35, 188, 563 – 569, 572, 576, 581 – 582, 597 Hütchenspieler 367, 368, 452 – 459, 611, 613 – 614, 616 – 618 Das Imaginäre 44 – 60, 143 – 144, 168, 183, 229, 235, 416, 465, 521, 566, 570, 600 Innovation/Innovationsparadox 154, 162, 164, 172 – 173, 176, 190, 197

Sachregister

‚Kammesierer‘ 77, 89, 104 – 112, 121, 130, 132, 331, 473, 510 Karneval 269, 403, 427, 443, 454, 487, 513 – 514 Kohlenberg 91 – 92, 463 – 464, 535 Kommersbuch/-literatur 580 – 581, 588 – 590 Konzil/Synode 22, 62, 88, 107, 309, 321 – 331, 416 – 418, 462, 584, 585, 597 Krise 61, 62, 96, 229, 299, 550, 563 Legende/Mirakelerzählung 30, 363, 371 – 395, 419 – 420, 599 Liminalität 27, 396 – 397, 399, 400, 415, 436, 454, 455, 558 Literaturgeschichte 4, 19, 28, 30 – 31, 70, 153 – 161, 170 – 178, 190, 220, 565, 595 Lotterholz 441, 456 – 458, 485 Magie Siehe Zauberei Märe Siehe Versnovelle Marginalität 22, 32, 64 – 68, 97, 126, 142 – 144, 240, 277, 279, 295, 298, 397, 439, 455 Mediävalismus 565 – 566, 584, 590 Meistergesang 95, 487 – 490, 495, 497 – 499, 582 Melker Klosterreform 307, 316 – 319 Motivgeschichte 24, 148, 153 – 161, 170, 197 Muster (traditionales) 35, 57 – 59, 90, 98 – 100, 118, 120, 137, 143 – 148, 158 – 164, 171 – 178, 190, 193 – 198, 210 – 221, 263, 270 – 272, 294, 303, 330, 339, 411, 439, 462 – 466, 469, 565, 591, 595 – 597 u. ö. Mythos 11, 12, 21, 29, 31, 35, 57, 192, 193, 296, 396, 397, 464, 529, 534, 543 – 544, 566, 572 Narratologie (historisch/diachron) 33, 35, 39 – 42, 56, 268, 415, 556 Netz/gelbes garn 16, 111 – 112, 150, 216, 260, 310, 331, 363, 425, 436, 441, 444 – 445, 453 – 458, 461 – 462, 469, 482, 483, 437, 490 Neutraler Realismus 52 – 53, 57 – 58 Nigromantie/Nekromantie 108, 109, 149, 388, 392, 429, 458, 492, 510, 513, 531, 546 Nobilitierung 341 – 344, 454, 465, 597 Othering

142, 147

709

Parodie 23, 115 – 120, 128, 143, 171, 178, 201 – 210, 216 – 220, 241, 253, 332 – 335, 395, 406, 412, 436, 466, 584, 597 u. ö. peregrinatio (academica/religiosa) 12, 30, 207, 297, 299, 306, 320 – 322, 339, 351, 416 Phänomenologie 46, 47, 153, 163 – 171, 182 – 188 Planetenkinderbücher 448 – 459, 462, 466, 486, 596 Policey-Schrifttum 62 – 66, 88, 143, 473, 600 Predigt/Prediger 70, 85, 112, 121 – 126, 195, 213, 230 – 242, 244 – 253, 259, 262, 268, 310 – 315, 321 – 322, 359, 364, 386, 413, 418, 446, 482, 508, 598 Predigtmärlein 268, 472 Prozessprotokolle 145 – 147, 518 – 521 Quaestiones quodlibeticae 447, 496, 497

7 – 8, 75 – 77, 445 –

Randgruppen Siehe Marginalität Retextualisierung 160, 190 – 194, 197, 270 Rezeptionsästhetik 12, 119, 173, 177, 186 Rite de passage Siehe Liminalität Romantik 13, 19 – 20, 22, 31, 35, 210, 504, 563, 566, 569 – 582, 587 Rotwelsch 74, 75, 83, 84, 95 – 100, 106, 109 – 111, 130, 139, 144, 146, 577 Sage 140, 504 – 510, 517, 530, 576, 578 Sangspruch(‐dichtung) 206 – 207, 238, 433 Schachzabelbücher 239 – 241, 421, 454, 456 Schatzgraben 492, 499, 504 – 507, 510 – 511, 538 – 540, 550, 556 – 560, 600 Schelmenroman 160, 495, 548 – 550, 551 – 562 Schlangenbannen 504 – 505, 511 Schuldrama (humanistisches) 362 – 363, 445 Schwanksammlung/Kompilationen 36, 101, 209, 469 – 488, 494, 549, 554, 576, 596 Self-Fashioning 342 – 343, 526, 583 Spur 35, 151, 164, 167, 180 – 188, 198, 417, 459, 462, 595 – 596 Stigma/Stigmatisierung 62, 66, 68 – 69, 89, 100, 107, 112, 142, 247, 324, 456, 459, 462, 534 Studentenroman 548 – 551 Studentenverbindung 588 – 591 ‚Studienführer‘ 349, 361 – 363

710

Sachregister

Teufel(‐spakt)/Dämonen 3 – 11, 112, 140, 260 – 267, 295, 302, 306, 311, 371 – 374, 384, 389, 392, 394, 397, 403, 407, 411, 419 – 435, 457, 481, 492 – 510, 518, 528 – 531, 538, 552, 556, 557, 599 – 600 Traditionsverhalten 13, 34, 119, 174 – 179, 187 – 189, 312, 342, 471, 487, 550, 591, 595 translatio studii 355 – 356, 528, 535 Trickster 395 – 397, 427, 493, 548 ‚Vagantendichtung‘ 17 – 23, 28, 31, 199 – 200, 208 – 209, 211, 221, 372, 439, 442, 462, 563 – 567, 584, 586 – 589 ‚Vagantenmythus‘ 18 – 20, 201, 207, 221, 332 ‚Vagantenorden‘ 31, 130, 201 – 221, 319, 435 – 439, 445, 455, 480, 588, 597 ‚Vagierer‘ 107 – 112, 132, 139, 331, 458, 462, 465, 469, 599 Venediger(‐männlein) 506, 556 Venusberg 111 – 112, 140, 149, 208, 397, 469, 473 – 474, 478 – 480, 492 – 494, 500, 504,

507 – 518, 521, 530, 532, 536, 546, 552 – 555, 599 Versnovelle 13, 24 – 28, 40, 174, 267 – 294, 371, 395 – 414, 421 – 448, 497, 598 Wandervogel 19, 590, 591 Wetterzauberei 112, 140, 150, 261, 516, 518 Wiedererzählen 160, 189 Zauberei/Zauberkünstler/Magie 3 – 11, 16 – 18, 53, 101 – 102, 105 – 112, 131, 132, 140 – 141, 149, 266, 273, 355 – 357, 388 – 392, 411, 419, 424 – 428, 437, 444, 456 – 458, 476 – 483, 491, 493, 497 – 521, 527 – 531, 535 – 537, 546 – 548, 556 – 559, 570, 575, 579, 590, 599 Zirkuläres Implikationsverhältnis 47 – 57, 141 – 146, 167, 178 – 179, 197, 229, 294, 445, 521, 569, 600 Zisterzienser 307 – 313, 316, 386, 394

Ortsregister Augsburg

71, 103, 104, 108, 278, 464

Bad Säckingen 587 Bamberg 584 Banz 585 Basel 62, 72 – 78, 91 – 92, 122 – 123, 135, 217, 219, 448, 450, 454, 462 – 464, 466, 509, 519, 549, 596 Bern 73, 75, 588 Bologna 77, 312, 336 – 340, 500 Bonn 402 – 403, 581 Cluny 21, 307 Colmar 421 – 423, 463 Comburg 538 – 539 Delitzsch 544 Donaueschingen

583

Eger 501 Erfurt 75, 105, 242, 253 – 256, 362, 402, 496 Florenz

77, 281, 457 – 458, 491, 495

Gutenstein

515, 517

Heidelberg 75, 76, 95, 108, 110, 122, 345 – 348, 361 – 362, 549, 569 – 571, 587, 597 Heßloch bei Odernheim 521 Ingstetten Justingen

137 128, 135, 146, 474 – 475, 478

Köln 76, 241, 440, 444 – 445 Konstanz 62, 88, 454, 462, 514, 516 Krakau 135, 392, 509, 549 Kriens 520 Landshut 418 Leipzig 544 Lieck bei Kiel 543 Limburg 421 Lindau 102 – 103 Lixheim 517 Luzern 520 – 521

https://doi.org/10.1515/9783110708349-021

Markgröningen 85 Meßkirch 513 – 516 Miltenberg 525 Mühldorf am Inn 331 München 567, 576, 581, 589 Nördlingen 145, 519 Nürnberg 9, 63, 66, 69, 73, 94, 102, 403, 405 – 406, 430, 486, 487, 494, 497, 500 – 501, 524, 596 Padua 287, 401 Paris 21, 88, 207, 208, 243, 272, 274, 282, 284, 287, 314, 316, 336, 338, 345 – 346, 349, 355 – 356, 360, 365, 369, 400 – 402, 406, 408, 427 – 429, 442, 444, 484 – 486, 490, 502, 536, 555 Pforzheim 83 – 85, 98, 135 – 136, 348 – 349 Prag 75, 340, 401 – 402, 549, 579 Rom

9, 104, 105, 145, 355 – 356, 483

Salamanca 392, 501 – 502, 509, 529 – 531 Salerno 243, 365 Salzburg 323 – 335, 416 – 417, 505, 568, 578, 584 – 585, 597 Schmeien 517 Schwäbisch Hall 538 – 539 Sherborne 308 Sigmaringen 515 – 516 Spoleto 80, 82 St. Pölten 326, 332 Staufen im Breisgau 517, 531 Straßburg 72, 73, 75, 77, 84, 85, 92, 93, 139, 148, 448, 463, 466, 596 Straubing 440 Toledo 392, 509 Trier 464 Tübingen 75, 135 – 136, 536, 549 Überlingen

514, 521

Vieux-Ferrette (Altenphirt) Wien 66, 75, 323, 549 Winterlingen 515

519

712

Ortsregister

Worms 63 – 64, 66, 101, 102, 145 Würzburg 74, 322, 323 – 329, 416

Zürich Zwolle

74, 464, 568 347, 348