Der Erzengel Michael im frühen Mittelalter. Ikonographie und Verehrung eines Heiligen ohne Vita 3039106775, 9783039106776

Im Zentrum dieser kulturgeschichtlichen Untersuchung stehen sowohl die Geschichte der mittelalterlichen Michaelsverehrun

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Der Erzengel Michael im frühen Mittelalter. Ikonographie und Verehrung eines Heiligen ohne Vita
 3039106775, 9783039106776

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VESTIGIA BIBLIAE Jahrbuch des Deu t schen Bibel-Archivs Hamburg Begründet von He i mo Reinitzer Herausgegeben von Bruno Reudenbach Band 26/27

PETER LANG Bern · Berlin · Bru xelles · Fran kfurt am Main ·New York ·Oxford ·Wien

Andrea Schaller

Der Erzengel Michael im frühen Mittelalter Ikonographie und Verehrung eines Heiligen ohne Vita

PETER LANG Bern · Berlin · Bruxe lles · Frankfurt am Ma in ·New York·Oxford ·Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

A A (; A::J3i5 Gedruckt mit Unterstützung der Wilhelm Dähn-Stiftung.

Umschlaggestaltung:Thomas Jaberg, Peter Lang AG

ISSN 0939-6233 ISBN 3-03910-677-5

© Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2006

Hochfeldstrasse 32, Postfach 746, CH-3000 Bern 9 [email protected], www.peterlang.com, www.peterlang.net Alle Rechte vorbehalten . Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

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Inhalt

Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A.

Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B.

Das erste Jahrtausend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

Anfänge der Michaelsverehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein Engel wie alle anderen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Michaelsverehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Frühe Heiligtümer im Osten ...... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.

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Engelbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfänge einer Ikonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Michael und der Drache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Drachenkampf und Apokalypse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 39 43 48

III. Rahmenthemen, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Drachenkampf, Christus Victor und Anastasis . . . . . . . . . . . . . 2. Kampf oder Triumph? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Stoß in den Rachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Christi Kampf als Triumph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 62 66 71

IV. Stellvertreterkämpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Drachenkampf als Stellvertreterkampf . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Michael als Stellvertreter Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Psychomachie und Drachenkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Michaels Drachenkampf als Tugendagon . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 75 81 91 95

V.

Heiligenbilder ..... .................. ........... ......... 1. Das Dedikationsbild des Gelduinus .... .... . ... •. . . . . . . . . . 2. Michael als Kirchenpatron .. ........ ............. -. . . . . . . 3. Der Heilige als Sieger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107

VI. Heiligenkarriere eines Engels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das erste Kultzentrum im Westen: S. Angelo auf dem Gargano . 2. Erfolg und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkurrenz im Norden: Der Mont Saint-Michel ... . ... .... 4. Verbreitung der Michaelsverehrung .................... . .

119 119 127 134 138

111

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6

Inhalt

VII. Karriereknick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lokalheiligenkult contra Engelsverehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zögerliche Durchsetzung von Festtag und Patrozinium ...... 3. Mangelndes Profil in der Liturgie .......... .............. 4. Bekämpfung übertriebener Engelsverehrung .... .. ... ......

145 14 5 157 163 166

C.

Vom zehnten bis zum zwölften Jahrhundert .... ....... .. . .. .. 173

I.

Jahrtausendwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Kirchweihfest zum Michaelstag .............. .... .. . 2. Pilgerfahrten und Kirchengründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Michaelsverehrung im Umfeld Ottos III. ..................

175 175 179 186

II.

Bild und Kult im elften und zwölften Jahrhundert ............. 1. Der Heilige als Kämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Michael auf dem Aachener Antependium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Erzengel als Mönchspatron .......................... 4. Michael als Typus Christi ..... . ......................... 5. Michael als Figur der Heilsgeschichte (mit Exkursen Die Bronzetüren auf dem Gargano und Michael als Seelenwäger) ...............................

193 193 197 208 229

III. Nationalheiliger, Volksheiliger oder Vorbote des Weltuntergangs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Michael als Sterbepatron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Michael als politischer Heiliger ......................... . 3. Michael als Patron hochgelegener Stätten .................. 4. Drachenkampf und Endzeiterwartung . .................. .

D.

243 263 263 274 288 294

Fazit und Ausblick: Popularisierung eines Heiligen ..... ........ 315

Abkürzungsverzeichnis ................. . ... .................. 325 Gedruckte Quellen und Quellensammlungen, Faksimile-Ausgaben ... 327 Literatur .................... ................................ 337 Abbildungsnachweis .......................................... 391 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Vorwort des Herausgebers

Im Jahre 1978 übernahm die Universität Hamburg das Deutsche BibelArchiv, d essen Geschichte nach seiner Gründung 1931 meist unter keinem guten Stern gestanden hatte. Mit der Übernahme durch die Universität wurde seinerzeit die Existenz des Archivs gesichert und seine Weiterführung als eine der Wissenschaft dienende Einrichtung des damaligen Germanischen Seminars beschlossen. Die wissenschaftliche Leitung übertrug der Präsident der Universität dem Germanisten Heimo Reinitzer. Er hat seither das Archiv konzeptionell gänzlich neu ausgerichtet und zu einer anerkannten und leistungsfähigen Forschungseinrichtung ausgebaut. Zeugnis dieses wissenschaftlichen Engagements ist nicht zuletzt die von ihm begründete Reihe der Jahrbücher des Archivs, der „Vestigia Bibliae". Nach mehr als einem Vierteljahrhundert verdienstvoller Arbeit für das Archiv und nach 25 Bänden „Vestigia Bibliae", die er als Herausgeber betreut hat, hat Heimo Reinitzer nun die Leitung des Archivs und damit auch die Herausgeberschaft der „Vestigia Bibliae" in neue Hände gelegt. So hat der Präsi~ent der Universität Hamburg mir zum 1. Januar 2005 die wissenschaftliche Leitung des Archivs übertragen; zugleich wird das Deutsche Bibel-Archiv damit dem Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg zugeordnet. Eine erneute Neuausrichtung des Archivs und auch der „Vestigia Bibliae" ist damit freilich nicht beabsichtigt. Schon Heimo Reinitzer hatte nicht die Beschränkung auf das philologische, literatur- und sprachwissenschaftliche Terrain, sondern die Bearbeitung einer breiter angelegten Wirkungsgeschichte der Bibel zur Aufgabe des Archivs gemacht. Diese weitere kulturwissenschaftliche Perspektive soll auch in Zukunft verfolgt werden. Dass in diese Jahrbuch-Reihe eine kunsthistorische Arbeit aufgenommen ist, stellt insofern kein Novum dar, galten doch auch frühere Bände der „Vestigia Bibliae" immer wieder der bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit biblischen Themen und Motiven. Der nun vorliegende Doppelband, der als erster unter neuer Herausgeberschaft erscheint, knüpft an diese Tradition an. Andrea Schallers Studie widmet sich einer besonderen biblischen Gestalt, dem Erzengel Michael, und untersucht die ikonographischen, hagiographischen, historischen und kultgeschichtlichen Umstände und Bedingungen seiner mittelalterlichen Verehrung als Heiliger. Die Breite der damit berührten Disziplinen und Interessen kann dabei durchaus programmatisch verstanden werden, soll doch eine Aufgeschlossenheit für alle Aspekte biblischer Wir-

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Vorwort des Herausgebers

kungs- und Rezeptionsgeschichte die „Vestigia Bibliae" auch in Zukunft auszeichnen. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, die Reihe in diesem Sinne fortzusetzen. So sei der Wilhelm Dähn-Stiftung gedankt für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses, der die Publikation des vorliegenden Bandes möglich machte. Heimo Reinitzer möchte ich auch an dieser Stelle sehr herzlich danken, nicht nur für die Verdienste um das Jahrbuch, die jahrelang getragenen Herausgebermühen und die Arbeit an und mit dem Archiv, sondern auch für seine erfolgreichen Anstrengungen um die Sicherung der Fortexistenz und nicht zuletzt für die keineswegs selbstverständliche kollegiale und vertrauensvolle Form der Übergabe. Bruno Reudenbach

Vorwort und Dank

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die gekürzte Fassung meiner 2002 im Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde der Universität Hamburg eingereichten Dissertation. Die Abfassung der Arbeit wurde unterstützt durch Stipendien der Hamburger Rudolf und Erika Koch-Stiftung und nach dem Hamburgischen Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses (HmbNFG), ohne die auch die nötigen Bibliotheks- und Forschungsreisen nicht möglich gewesen wären. Nach 2002 erschienene Literatur konnte nur in Einzelfällen berücksichtigt werden; zu spät bekannt geworden sind mir die 2003 erschienenen Kongreßakten Les trois monts dedies al'archange (Actes du colloque organise par l'Ecole Franr;aise de Rome, Cerisy-la-Salle et Mont-Saint-Michel, 27-30 septembre 2000), ed. Pierre Bouet, Rom 2003 (Collection de l'Ecole Franr;aise de Rome 316). Lateinische Zitate sind nach der jeweils zitierten Edition wiedergegeben, nur die dort unterschiedlich gehandhabte u/v-Schreibweise wurde angeglichen. Die Lebensdaten zahlreicher erwähnter Personen und die Datierungen literarischer Werke sind entnommen: Das Mittelalter in Daten, Literatur, Kunst, Geschichte, 750 bis 1520, hg. Joachim Heinzle, München 1993. Danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Bruno Reudenbach für seine Aufgeschlossenheit gegenüber einem sperrigen Thema, dessen Bearbeitung sich in der Schwerpunktsetzung mehrfach änderte. Die stets unkomplizierten Gespräche und kritischen Anmerkungen, die fruchtbare Atmosphäre in den Doktorandenkolloquien und nicht zuletzt auch die große Geduld bei der langjährigen Betreuung haben entscheidend zum Reifungsprozeß der Arbeit beigetragen. Ohne H errn Reudenbachs tatkräftige Unterstützung wären sowohl das Verfassen der Dissertation als auch ihre Drucklegung so nicht möglich gewesen. Ebenso herzlich möchte ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Wolfgang Kemp dafür danken, daß er die Mühe der Mitbetreuung auf sich genommen hat. Michaela Bautz, Klaus Gereon Beuckers, Wolfgang Brückle,Joachim Ott, Jörg Richter und Silke Tammen haben sich der Lektüre des Textes unterzogen, Felix Heinzer hat sich der liturgiegeschichtlichen Kapitel angenommen. Ihnen allen verdanke ich eine Fülle von kritischen Anmerkungen, hilfreiche Anregungen und immer wieder neuen Ansporn. Ganz besonders möchte ich Wolfgang Brückle für seine umfassende Teilnahme am Entstehungsprozeß der Arbeit von den ersten Ideen bis zur Disputation und für seine Begleitung zu den wichtigsten Michaelsheiligtümern danken. Auch Irene Brückle danke

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Vorwort und Dank

ich herzlich für die Reisebegleitungen, das rege Interesse am Thema und die Beschaffung von amerikanischem Text- und Bildmaterial. Bei der Bildorganisation haben mich außerdem Kristina Gräfe, Markus Hörsch und Barbara Polaczek unterstützt, ferner Felix Heinzer und Magdalene Popp-Grilli (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart), Harald Horst (Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln) und Gerald Raab (Staatsbibliothek Bamberg) durch ihre unkomplizierte Hilfsbereitschaft. Einblick in ihre damals noch unpublizierten Arbeiten gewährten mir Steffen Bogen, Michael Peter und Barbara Polaczek, der ich außerdem die Kenntnis des einzigartigen Engelsgebetbüchleins in Brüssel verdanke. Viel Verständnis und Beistand habe ich durch die ehemaligen Kollegen im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart erfahren, besonders durch Fritz Fischer, Heribert Meurer und Christian Väterlein, ebenso durch Dietrich Kötzsche in Berlin. Auch ihnen sei herzlich gedankt. Daß das Buch in der vorliegenden Form erscheinen kann, verdanke ich Heimo Reinitzer und Bruno Reudenbach, die den Band in die Reihe Vestigia Bibliae aufgenommen haben. Thomas Bachmann besorgte mit großem Engagement und hoher Akribie die Druckvorlagen und erstellte die Umzeichnung Abb. 93. Brigitte Baumann kümmerte sich um den reibungslosen Ablauf der·Buchherstellung. Meinem ehemaligen Deutschlehrer Joachim Korb danke ich dafür, daß er viele seiner Schüler nachhaltig geprägt und für Literatur wie Kulturgeschichte begeistert hat. Meinen Eltern danke ich für grenzenloses Vertrauen und Geduld, für langjährige Unterstützung und große Toleranz.

A. Einleitung und Fragestellung

Einleitung und Fragestellung

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Der Erzengel Michael zählt zu den populärsten Heiligen überhaupt. Fast jede Region in Europa besitzt eine größere ihm geweihte Kirche oder Kapelle. Der Mont Saint-Michel in der Normandie zieht in jedem Jahr rund zweieinhalb Millionen Besucher an, nimmt in der kulthistorischen Rangfolge der europäischen Michaelsheiligtümer allerdings nur den zweiten Platz ein. Die wichtigste Stätte der westlichen Michaelsverehrung befindet sich auf dem Monte Gargano in Apulien. Dort nämlich soll der Erzengel im Jahre 490 persönlich erschienen sein und sich selbst eine Kirche gegründet haben. Wegen der sich daraufhin ereignenden Wunder gelangte jenes Heiligtum im Mittelalter zu großer Berühmtheit und zog zahlreiche Pilger an, durch die sich der Michaelskult in ganz Europa verbreitete. Einen lebhaften Eindruck von der bis ins 19. Jahrhundert hinein ungebrochen andauernden religiösen Bedeutung dieses Ortes vermittelt der Karlsruher Nationalökonom Eberhard Gothein, der S. Angela 1882 aufsuchte, in seinem Reisebericht: In einem Vorhof haben Verkäufer von allerlei Waaren ihren Kram aufgeschlagen; mancherlei fromme Erinnerungen werden hier feilgeboten: Alabaster- und Thonfiguren des Erzengels, bU:nte Bilderbogen, die seinen Kampf mit dem Satan schildern und noch dunkel an Raphael und Guido Reni gemahnen[ ... ]. Die wenigen Schriftkundigen erstehen wohl auch eines der gedruckten Volkslieder, in denen die Nachklänge der Legenda Aurea tönen; in ungelenken Stanzen erzählt das eine mit wunderlichen, scholastischen Wendungen den Wortstreit des Erzengels mit Lucifer um die arme Seele, während ein anderes in volksthümlichen Rhythmen berichtet: wie Michael einer Wöchnerin überirdischen Beistand geleistet, nachdem ihr Mann ,mit einigen seiner Verwandten' ihn darum auf dem Gargano angegangen habe. [... ]Die Höhle selbst hat fromme Schau in ihrem alten Zustand gelassen.[ ... ] Der Fussboden ist kaum geglättet; da, wo er in die Höhe steigt und die Höhlung verengt, befindet sich eine Art Hochaltar. Dort oben biegen und neigen sich die Priester hin und her und reichen die geheiligte Statuette des Erzengels zum Kusse dar; von da schiebt sich die Menge langsam nach der linken Seite hin; dort ist in dem Steine die Fussspur des Engels abgedrückt, eine Vertiefung kaum wie ein Handteller gross; sie mit den Lippen zu berühren gilt als das letzte Ziel der Wallfahrt. Keinerlei geregelter Gottesdienst wird hier innegehalten, stets ist die Höhle gedrängt voll, die Pilgerschaaren kommen und gehen und jede für sich stimmt ihr Gebet an[ .. .]. Das Brausen der Stimmen, das Geschrei der Säuglinge, die auf den Armen ihrer Väter dem :Srzengel dargestellt werden, der Qualm der Kerzen und die dick lastende Atmosphäre machen bald den Aufenthalt unerträglich [ ... ]. 1

Den Aufzeichnungen des englischen Reisenden Norman Douglas zufolge, der den Gargano etwa zwei Jahrzehnte später besuchte, sollen es zu Gotheins Zeit Gothein 1886, S. 45-47.

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Einleitung und Fragestellung

etwa 30000 vor allem aus Apulien kommende Menschen gewesen sein, die jährlich dorthin pilgerten. 2 Auch Douglas selbst traf in der Grottenkirche entschieden mehr fromme Besucher an, als ihm lieb war: Nach dem Durchgang durch das Portal steigt man inmitten einer Schar sich drängender frommer schmutziger Bettler in eine natürliche Felsauswaschung, von Kerzen erleuchtet. Hier geht der Gottesdienst vor sich mit Begleitung fröhlicher Opernmelodien auf einer asthmatischen Orgel. Wasser tropft unablässig von der Felsendecke auf die andächtigen Köpfe der den ganzen Boden bedeckenden knienden Gläubigen, die, brennende Kerzen in der Hand, ekstatisch hin und her schaukeln und dabei singen und litaneien. Wirklich ein gespenstischer Anblick. Der Kutscher hatte ganz recht mit seiner Vermutung hinsichtlich des Temperaturunterschiedes. Hier unten ist es heiß, stickig heiß, wie in einem Orchideenhaus. Aber das Aroma läßt sich kaum als Blütenemanation beschreiben: es ist eher das ,bouquet' von dreizehn Jahrhunderten schwitzender Pilger. ,Terribilis est locus iste' besagt eine Inschrift über dem Eingang zum Heiligtum. Sehr wahr. An Orten wie diesem begreift man den Gebrauch und möglicherweise den Ursprung des Weihrauchs. 3 Daß der Michaelskult in der Volksfrömmigkeit offensichtlich Ausprägungen erfahren hat wie andere Heiligenkulte auch, ist jedoch nicht selbstverständlich. Denn bei Michael handelt es sich nicht um einen sterblichen Heiligen, sondern um ein überzeitliches Lichtwesen aus der nächsten Nähe Gottes. Da dem Erzengel jede Leiblichkeit und jede Historizität fehlen, entbehrt seine Hagiographie der konstitutiven Elemente einer Heiligenlegende: Für ihn gibt es keine Vita, die durch den üblichen Schematismus Verstrickung des Heiligen in der sündigen Welt, Bewährung und Gnade geprägt wäre, und auch der Antagonismus zwischen Leib und Seele sowie die Möglichkeit einer Schilderung des Triumphes der unsterblichen Seele über den nichtigen und vergänglichen Leib entfallen. Da ein Engel es nicht nötig hat, sich in der Welt zu bewähren, bieten die Michaelslegenden den Gläubigen keine Gelegenheit der Einfühlung und des Mitleidens, und auch die imitatio als psychische und moralische Leistung der Rezipienten entfällt. Weil Michael nicht sterben kann, fehlen in seinen Legenden Geburtstag, Sterbetag sowie Sterbeort und damit die hagiographisch wichtigen Momente der depositio, inventio und translatio der Gebeine. Da es keinen Sterbeort gibt, ist die Verehrung seiner Grabstätte nicht möglich. Darüberhinaus fehlen

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Vgl. Douglas 1915, S. 66. Für den Hinweis auf diesen Reisebericht danke ich herzlich Fritz Emslander, Karlsruhe. Douglas 1915, S. 44f. Die Feier des Michaelsfestes in der Grottenkirche am 29. September 1958 schildert Keyserlingk 1968, S. 101.

Einleitung und Fragestellung

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strenggenommen auch Reliquien, die eine „Überprüfbarkeit" der Legenden gewährleisten könnten. 4 Damit ist dieser Heilige eigentlich jedem Besitzanspruch und jeder lokalen Vereinnahmung entzogen: Kein Ort oder Volk kann ernsthaft von sich behaupten, als einziges unter dem Schutz des Erzengels zu stehen oder allein für ihn zuständig zu sein. Als Lokalpatron ist er deshalb ungeeignet. Wenn im frühen Mittelalter an Stätten wie dem apulischen Monte Gargano oder dem Mont Saint-Michel dennoch eine spezifische Form des Michaelskultes entstand, dann geschah dies durch die Ausbildung und geschickte Verbreitung lokaler hagiographischer Traditionen. 5 In ihnen wurde auch das für einen Heiligenkult absolut unakzeptable Manko von Reliquien durch ,,Ersatz" - bzw. Sekundärreliquien kompensiert: Bereits in der Gründungslegende des Monte Gargano aus dem späten achten Jahrhundert spielen ein Altartuch, das der Erzengel auf Monte Gargano selbst hinterlassen, und ein Stein, auf dem sich sein Fußabdruck erhalten haben soll, eine große Rolle. Beide werden häufig in den Reliquienlisten von Kirchen, vor allem des zehnten und elften Jahrhunderts, aufgeführt. Auch auf dem Mont Saint-Michel kamen im elften Jahrhundert Steinbrocken als „Pilgersouvenirs" auf. Seit dem zwölften Jahrhundert sind dort eine Lanze und ein Schild Michaels nachgewiesen, bei denen e~ sich vermutlich um Funde aus einem bronzezeitlichen Grab handelte. Spätmittelalterliche Legenden vom Mont Saint-Michel und von Valenciennes erwähnen ein Schwert Michaels. Ebenso wird auf dem Monte Gargano seit dem 15. oder 16. Jahrhundert ein Michaelsschwert verehrt. Auf dem Michaelsberg im württembergischen Cleebronn soll sich einer spätmittelalterlichen Überlieferung zufolge gar eine Schwungfeder Michaels befunden haben. 6 Der ,Aufstieg' Michaels vom Engel zum Heiligen vollzog sich allerdings nicht geradlinig. Denn es ist niemals Ziel der christlichen Kirche gewesen, die Vielzahl der Engel oder gar einen einzelnen von ihnen zum Gegenstand eines Kultes zu machen. Engel sollten nicht in Konkurrenz zu Christus und den Heiligen treten, sondern von den Gläubigen als dienende Geister begriffen werden, als Übermittler göttlichen Heils und als Vollstrecker göttlicher Strafe ohne eigenes Wesen und ohne eigenen Willen. Bis ins elfte Jahrhundert ging die Kirche deshalb immer wieder gegen die übertriebene 4

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Sumption 1975, S. 48, verweist auf einen Bericht von Reynold Pecock aus dem 15. Jahrhundert, demzufolge viele Pilger zum Mont Saint-Michel, über das Wesen Michaels nicht informiert, erwartet hätten, dort die Gebeine des Erzengels vorzufinden. Auch andere biblische Gestalten wie etwa Maria Magdalena wurden erst durch die Verortung des Kultes mittels Legenden und Reliquien zu Heiligen. Vgl. Sumption 1975, S. 25; Laporte 1967, bes. S. 404; Meisen 1963, S. 238 und 243-245; Keyserlingk 1968, S. 34; Beissel 1892, S. 72, Anm. 3 und 135; Gothein 1886, S. 88.

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Einleitung und Fragestellung

Verehrung von Engeln und insbesondere gegen einen übersteigerten Michaelskult vor. Die umrissenen Besonderheiten des Michaelskultes scheinen in einem scharfen Kontrast zu den zahlreichen Michaelskirchen und den geradezu unzähligen bildlichen Darstellungen des Erzengels zu stehen. In den bisherigen Untersuchungen zum Thema wird diesem Widerspruch allerdings nicht nachgegangen. Ein Großteil von ihnen schildert die Ausbreitung des Michaelskultes in Europa als kontinuierlichen Prozeß mit Höhepunkten in der Karolinger- oder in der Ottonenzeit und zieht die bildlichen Zeugnisse allenfalls als Belegstücke heran. Dies gilt auch für die meisten Beiträge in den seit 1966 anläßlich des tausendjährigen Jubiläums der Michaelskirche auf dem Mont Saint-Michel erschienenen, für die Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Michaelskult insgesamt unverzichtbaren Bänden „Millenaire monastique du Mont Saint-Michel''.7 Die rein historisch ausgerichtete Forschung hat sich seit dem 19. Jahrhundert besonders für den Weg der Patrozinienwanderung interessiert. Wolfgang Rintelen beweist in seinen 1968 und 1971 erschienenen Untersuchungen die byzantinischen Wurzeln des süditalienischen Michaelskultes und vollzieht die „Kult- und Legendenwanderung von Ost nach West" nach. 8 Wichtige Erkenntnisse zur Verehrung Michaels in Byzanz als „Arzt und Feldherr" steuerten wenig später auch Michael Rohland und Victor Saxer bei. 9 Schon vorher hatten sich in den auf Erforschung des westlichen Michaelskultes ausgerichteten Arbeiten zwei Grundtendenzen herausgebildet: Die erste, durch den 1886 erschienenen Aufsatz Eberhard Gotheins „Der Erzengel Michael, der Volksheilige der Langobarden" angeregte Auffassung geht davon aus, daß der Michaelskult von Süditalien aus durch die Langobarden nach Norden vermittelt worden sei und sich kontinuierlich im fränkischen und später im deutschen Reich ausgebreitet habe. 10 Weil dieses Modell einer Instrumentalisierung des Erzengels als „deutschem Nationalheiligen" Vorschub leistete, folgten vor allem französische Forscher der Studie „Le culte de Saint Michel et le moyen age latin", die 1922 von Olga Dobiache-Rojdes tvensky vorgelegt worden war. 11 Die Autorin entwirft darin ein „irisches Gegenmodell", nach dem die Gründung der europäischen Michaelskirchen in spätmerowingischer und karolingischer Zeit

7 8 9 10 11

Vgl. bes. Millenaire monastique III. Vgl. Rintelen 1986 und 1971. Vgl. Rohland 1977 und Saxer 1985. Gothein 1886; Lueken 1898; Renner 1927; Meisen 1963. Wesentlich moderater und kritischer neuerdings: Müller 2003. Rojdestvensky 1922.

Einleitung und Fragestellung

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von Irland aus erfolgte. Da sich auf den ersten Blick einige der frühen Michaelsheiligtümer im westlichen Frankenreich mit einer Niederlassung irischer Mönche in Verbindung bringen lassen, wurde diese Ansicht noch in jüngerer Zeit Marcel Baudot und Michel Rouche vertreten. 12 Mehrere Einzeluntersuchungen über das Verhältnis Irlands zu Europa, allen voran die Beiträge der 1982 von Heinz Löwe herausgegebenen Aufsatzbände „Die Iren und Europa im frühen Mittelalter" führten jedoch zu dem Ergebnis, daß sich der stets postulierte irische Einfluß auf merowingische und fränkische Klostergründungen nur in den seltensten Fällen nachweisen läßt.13 Auf diesen Erkenntnissen baut John Arnold in seiner 1998 erschienenen Untersuchung zum Thema „Origin and diffusion of the christian cult of St. Michael the archangel" auf, in der er belegen kann, daß die irische Michaelsverehrung nicht vor 800 nachweisbar ist und ebenso wie die fränkische ihre Wurzeln in Rom hat. 14 Da Arnolds Untersuchungszeitraum mit der offiziellen Einführung des Michaelsfestes im Frankenreich im Jahr 813 endet, fehlt noch immer eine kritische Studie zum westlichen Michaelskult im hohen Mittelalter. Eine weitere Forschungslücke stellt die Geschichte des Michaelspatroziniums aus bauhistorischer Sicht dar: Michael gilt als Patron von hochgelegenen Kirchen und Kapellen, etwa in Türmen und im Obergeschoß von Vorhallen, als Schutzherr von_Grabkapellen und als idealer Heiliger für herrscherliche Palast- und Burgkapellen. Auf diese Funktionen ist er so fest abonniert, daß immer wieder Kapellen in Obergeschossen, Friedhofskapellen und Burgkapellen als Michaelskapellen bezeichnet werden, für die dies nicht nur nicht überliefert, sondern sogar unwahrscheinlich ist. Generell krankt die Forschung in diesem Bereich oft daran, daß die Entwicklung des mittelalterlichen Mi ~~ chaelskultes und damit einhergehend die Gepflogenheiten der Patrozinien 1 gebung in den einzelnen Jahrhunderten zuwenig bekannt sind. ~~~111 Um die Kenntnis dieser Kultgeschichte ist es in der Kunstgeschichte er- "'~ staunlich schlecht bestellt. Zwar gehört die Deutung der bildlichen Darstellungen Michaels als Repräsentant der himmlischen Heerscharen, als Drachenbekämpfer oder als Seelenwäger wegen ihrer weiten Verbreitung und ihrer häufigen Einbindung in übergreifende Zusammenhänge zu den Alltagsproblemen ikonographischer Forschung, allzuoft geschieht sie aber nur nebenbei und zwangsläufig oberflächlich.15 Zumal in der kunsthistorischen Mediävistik wird deshalb immer wieder auf das Fehlen eines breit angelegten Über-

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12 13 14

Beispiele hierfür sind Saint-Michel-en-Thierache, Honau oder Saint-Wandrille. Vgl. Baudot 1971; Rouche 1989. Löwe 1982, passim. Vgl. auch Schieffer 1954, S. 114f. Vgl. Arnold 1998, S. 270-345, bes. 329.

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Einleitung und Fragestellung

blicks über die Entwicklung und Bedeutung der verschiedenen Michaels-Bildtypen hingewiesen. 16 Ein besonderes Desiderat stellt dabei die Ikonographie des Drachenkampfes dar. Für die Michaelsverehrung ist sie von großer Bedeutung, weil sie der Sonderentwicklung dieses Engels bildhaften Ausdruck verleiht: Keiner der anderen Engel oder Erzengel hat es zu einer vergleichbaren Popularität wie Michael gebracht; nur für ihn haben sich eigenständige Bildtypen und Attribute entwickelt. Da die Darstellung Michaels als Bekämpf er des Drachen auf Einzelbildern, das heißt außerhalb von zyklischen Zusammenhängen wie etwa Apokalypseillustrationen, üblicherweise als Beleg für seine Verehrung als Heiliger gewertet wird, ist auch der Zeitpunkt des Auftretens dieser Bilder von großer Wichtigkeit. Aus diesem Interesse ergibt sich der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Untersuchung: In ihr wird den Anfängen einer eigenständigen Michaelsikonographie nachgespürt, die in der Zeit zwischen der Herrschaft Karls des Großen und derjenigen der Ottonenkaiser liegen. Im Anschluß daran wird die Entwicklung der Drachenkampfikonographie im elften und zwölften Jahrhundert in Abhängigkeit von dem jeweiligen Rezipientenkreis beleuchtet. Die Ikonographie Michaels als Seelenwäger spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, weil sie als Derivat aus der Drachenkampfikonographie zu begreifen ist und sich erst im Laufe des elften Jahrhunderts herausgebildet hat.17 Weil hier der Versuch unternommen wird, die Verehrung Michaels im frühen und beginnenden hohen Mittelalter in ihren unterschiedlichen Ausprägungen zu erfassen und zu deuten, werden nicht nur bildliche Darstellungen und Kirchengründungen untersucht, sondern auch Wallfahrten und Festtage zu Ehren des Erzengels herangezogen. Die wichtigste Grundlage für die qualitativ-inhaltliche und gleichzeitig für die quantitative Bewertung des Michaelskultes bilden die Schriftquellen aus dem liturgischen Bereich. Besonders werden die Lesungen, Gebete und Gesänge in den Sakramentaren, Martyrologien und Hymnaren, ferner patristische und mittelalterliche Kommentare zum Psalter und zu einzelnen Büchern des Neuen Testaments herangezogen, um Aussagen über die Stellung Michaels in der Heiligenverehrung der einzelnen Epochen machen zu können. Auch die Interpretation der Ikonographie Michaels in der Buchmalerei, in der Elfenbeinschnitzerei, in

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Dies belegen die neuesten Versuche einer Annährung an die Ikonographie des Drachenkampfes bei Höh] 1996; Prestel 1993 oder Polaczek 1998, die diesbezüglich über die Wiederholung von Stereotypen nicht hinausgelangen. Die wichtigsten Vorstöße in dieser Richtung haben unternommen: Dinkler-von Schubert 1964; Alexander 1970; Avril 1971; Lamy-Lassalle 1971. Vgl. dazu allgemein Kretzenbacher 1958 und speziell Kap. C.II.5 .

Einleitung und Fragestellung

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der Goldschmiedekunst und in der Wandmalerei erfolgt mit Blick auf die liturgischen Texte. Durch breite Auswertung der Bild- und Schriftquellen vom frühen Mittelalter bis ins zwölfte Jahrhundert läßt sich zeigen, daß der Erzengel zwar seit karolingischer Zeit als Drachenbekämpfer dargestellt, jedoch erst in ottonischer Zeit als Heiliger verehrt wurde. Die frühesten Zeugnisse dieses Bildtyps sind daher nicht als Zeugnisse des Michaelskultes zu verstehen, sondern als symbolische bzw. typologische Bilder, auf denen der Erzengel die Rolle eines Stellvertreters Christi einnimmt. Erst um die Jahrtausendwende entstanden Darstellungen Michaels, die als Heiligenbilder zu lesen sind. Wie die Untersuchung des jeweiligen Auftraggeber- und Rezipientenkreises ergeben wird, lassen sich fast alle diese Bilder einem monastischen Umfeld zuordnen. Das Interesse der Mönche an Michael kann auf die enge Verbindung zwischen ihrer Lebensweise bzw. ihrem „Amtsideal" und den spezifischen Eigenschaften des Engelsheiligen zurückgeführt werden. Da sich die Anzeichen für eine zunehmende Michaelsverehrung in den Jahrzehnten um die erste Jahrtausendwende verdichten und da es sich bei dem angesprochenen Personenkreis um den Stand der Gebildeten, d. h. in der Bibelexegese und Historiographie Kundigen handelt, wird darüberhinaus nach dem Zusammenhang zwischen dem Mi~haelskult und der Nachweisbarkeit einer Endzeiterwartung um die erste Jahrtausendwende gefragt. In weiteren Kapiteln wird die Entwicklung der Michaelsikonographie im elften und zwölften Jahrhundert verfolgt und wiederum auf ihren Wirkungskreis hin untersucht. Dabei zeigt sich, daß die vielschichtige Michaelsikonographie des zehnten und elften Jahrhunderts durch die massenhafte Verbreitung der Darstellungen in der romanischen Großplastik eine inhaltliche Vereinfachung erfuhr. Michaels Heiligenkarriere, die im Westen erst im ausgehenden zehnten Jahrhundert ihren Höhepunkt erlebt hatte, erfuhr im Laufe des elften und vor allem des zwölften Jahrhunderts eine Popularisierung, die mit einer Entwertung und Einschränkung der Zuständigkeiten des Erzengels einherging.

B. Das erste Jahrtausend

I. Anfänge der Michaelsverehrung

1. Ein Engel wie alle anderen? In den Schriften der drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam wimmelt es geradezu von Erwähnungen überirdischer Wesen, die zwischen Gott und den Menschen als Mittler tätig sind. 1 Allein in den von der katholischen Kirche anerkannten Büchern der Bibel kommen über 300 „mächtige" oder „dienende Geister" (Hebr 1,14; Ps 34,8; Ps 103,21), Cherubim (Gen 3,23f.; Ez 10,3), Seraphim Qes 6,2-4) oder „Engel des Herrn" (Gen 16,7-11; 21,17; 28,12) vor. 2 Der hebräische Begriff für Engel, mal'ak Jah weh (Botschaft bzw. Zeichen Gottes) ist aus dem Gedanken heraus entstanden, daß die Menschen einen direkten Kontakt mit Gott gar nicht ertragen könnten, daß es also einer weniger machtvollen zweiten Person Gottes beziehungsweise einer vermittelnden Instanz bedürfe, damit Gott überhaupt zu den Menschen sprechen kann. 3 Obwohl im Alten Testament von zahlreichen Erscheinungen Gottes selbst die Rede ist, legen die Verfasser des Neuen Testaments großen ·Wert darauf, diese als Engelserscheinungen zu deuten. Denn, wie bei Johannes zu lesen ist: Deum nemo vidit umquam unigenitus Filius qui est in sinu Patris ipse enarravit (Joh 1,18). Selbst Moses hat das Gesetz nicht direkt von Gott empfangen: igitur Lex propter transgressiones posita est donec veniret semen cui promierat ordinata per angelos in manu mediatoris (Gal 3,19). Pseudo-Dionysius Areopagita (t um 500) schreibt später, daß die Engel der Benennung „Bote" gewürdigt worden seien, weil sie, vom göttlichen Licht erleuchtet, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigenden Offenbarungen an die Menschen weiterleiten würden (De coelesti hierarchia IV,2). Mit der Personifizierung dieser zunächst unpersönlichen Botschaft Gottes geht wiederum die Vorstellung einher, bei einem Botenhand-

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VgL ausführlicher die Zusammenstellungen in: AASS Sept. VIII, Sp, 8-25; RAC 5 (1962), S. 53-258 (Jürgen Mich!); Tavard 1968, S. 1-19; Hannah 1999, passim. VgL Jacob 1988. Die wichtigsten Erwähnungen von Engeln im Alten Testament erscheinen allerdings erst in den Büchern, die in der griechischen Septuaginta hinzugekommen sind (Weisheit, Tobit, Jesus Sirach, Makkabäerbücher) und in später eingefügten Passagen der Danielbücher Günglinge im Feuerofen, Susanna, Bel und der Drache). VgL hierzu Hannah 1999, S. 33; Bentchev 1999, S, 20.

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Das erste Jahrtausend

le es sich um ein antropomorphes Wesen. 4 Entsprechend werden diese Mittler, Sprachrohre und Stellvertreter Gottes oft auch als „Jünglinge", ,,Männer" (Gen 32,25-31) oder „Heilige" bezeichnet. 5 Die Vorstellung einer antropomorphen Gestalt der Engel führt zu einer versinnlichten Vermittlung der göttlichen Nachricht: N icht nur der Inhalt einer Botschaft, sondern die sichtbare physische Präsenz des Boten verleiht ihr Gewicht und Gültigkeit. 6 Dem Bedürfnis der Menschen nach einer Individualisierung dieser abstrakten Geisteswesen ist es zu verdanken, daß einzelne Engel Namen erhielten und bestimmte Eigenschaften und Zuständigkeiten zugeordnet bekamen, die sich schließlich auch auf die bildlichen Darstellungen der Engel auswirkten. Die Zahl der Engel gilt als unendlich groß (vgl. die unterschiedlichen Angaben in: 3 Kön 22,19; Ps 17,11; Dan 7,10; Mt 26,53; Lk 2,9-14; 1 Kor 49; Hebr 12,22). Pseudo-Dionysius Areopgita faßt im späten fünften Jahrhundert zusammen: ,,Die Überlieferung der WORTE über die Engel spricht von tausendmaltausend und zehntausenmalzehntausend, multipliziert also die höchsten und geläufigen Zahlen mit sich selbst. Sie gibt dadurch klar zu erkennen, daß die Ordnungen der himmlischen Wesen für uns unzählbar sind. " 7 Nur drei der unzähligen Engel werden in der Bibel namentlich erwähnt, und das erst in den postbabylonischen Büchern Tobit und Daniel, im neutestament1ichenJudasbrief und in der Johannesoffenbarung: Michael, Gabriel und Raphael. Mit ihrer Nennung werden beiläufig auch Hinweise sowohl auf eine Spezialisierung der Aufgaben als auch auf eine Hierarchisierung der Engel gegeben. Während im Buch Daniel Gabriel und Michael als „Engelsfürsten" bezeichnet werden (Dan 10,13), ist im Buch Tobit von einer Siebenzahl der (führenden) Engel die Rede. Nur dort wird näher auf das Wesen und die Funktion der Engel eingegangen. Raphael offenbart sich nämlich Tobit und Sara mit den Worten: Ego enim sum Rafahel angelus unus ex septem qui adstamus ante Dominum. (Tob 12,15 ). 8 An anderer Stelle betont er sein himmlisches

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Das griechische rJ.Y'(EAor, und das davon abgeleitete lateinische angelus bezeichnen konkret eine Funktion (des Übermittlers), nicht aber ein bestimmtes Wesen oder eine bestimmte Gestalt. Vgl. dazu Arnold 1998, S. 35. Angaben bei Diether Kellermann, Heilig, Heiligkeit und Heiligung im Alten und Neuen Testament, in: Dinzelbacher/Bauer 1990, S. 27-47, hier 40. Aus den Ausführungen von Brown 1991, S. 57, wird deutlich, daß im Frühchristentum die Begriffe „Schutzengel" und ,,persönlicher Heiliger" durchaus austauschbar sind. Ausführlicher dazu Held 1995, S. 9. Dionysius Areopagita: De coelesti hierarchia XIV. Auf diesen und auf zwei ähnliche Hinweise in Offb 1,4 und Offb 15,1 stützt sich die allgemeine Annahme einer Siebenzahl von Erzengeln in Patristik und Apologetik.

Anfänge der Michaelsverehrung

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Wesen. 9 Schließlich weist er wie viele der biblischen Engel, die mit einem Menschen in Kontakt treten, jede Verehrung von sich, indem er seine ausschließlich vermittelnde und dienende Funktion betont: etenim cum essem vobiscum pervoluntatem Dei ipsum benedicite et cantate illi (Tob 12, 18). Gemäß dieser Selbsterklärung und der Rolle nach, die Raphael in der Tobias-Geschichte als dessen Reisebegleiter spielt, gehen die Aufgaben des Engels weit über die bloße Übermittlung von göttlichen Befehlen an die Menschen hinaus. Raphael wird von Gott zu Tobias geschickt, um ihm in schwierigen Situationen und bei wichtigen Entscheidungen beizustehen und um ihn sogar vor dem Tod zu bewahren. Hier wird die im Judentum wie auch in der christlichen Heilslehre gleichermaßen gültige Idee des persönlichen Schutzengels greifbar. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß Gott den Menschen, die aufgrund ihrer sterblichen Natur der Gewalt böser Mächte von vornherein unterlegen sind, Helfer an die Seite gegeben hat, die von derselben Natur sind wie der Teufel, also ebenfalls unsterblich. 10Daß es Aufgabe der (Schutz-)Engel sei, die Seelen derjenigen, die sich die ewige Seligkeit verdient haben, in den Hirn-. mel zu tragen, wird im Hebräerbrief (Hebr 1, 14) h ervorgehoben: nonne omnes

sunt administratorii spiritus in ministerium missi propter eos qui hereditatem capient salutis? Der Begriff „Erzengel" begegnet zuerst in der der jüdisch-christlichen Henochliteratur de~ ersten beiden vorchristlichen Jahrhunderte und findet dann Eingang in das Neue Testament: Im ersten Brief an die Thessalonicher (1 Thess 4,16) ist von einem Erzengel die Rede, d er mit seinem Ruf das zweite Kommen Christi einleitet, und im Judasbrief, der stark durch die Engelslehre der Henochliteratur geprägt ist, wird zum ersten Mal Michael - als einziger Engel in der Bibel - als Erzengel bezeichnet.11 Johannes Chrysostomos (t 407) zufolge sind Erzengel diejenigen, die über die anderen Engel herrschen.12 Origenes (t 253/54) schreibt den Erzengeln bestimmte Ämter zu und führt diese auf ihre jeweiligen Tugenden und Verdienste vor der Schaffung der Welt zurück. 13 Wie etwa am Baseler Antependium (Abb. 62) zu beob9 10 11

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In Tob 12,20 weist er jegliche Speise von sich. In Gen 18,8 setzt Abraham jedoch den drei Engeln, die ihm bei Mamre erscheinen, Butter, Milch und ein Kalb vor. Schuster 1931 , S. 254; Danielou 1963, S. 92-106. Jud 9: cum Michahel archangelus cum diabolo disputans altercaretur de Mosi corpore non est ausus iudicium inferre blasphemiae sed dixit imperet tibi Dominus. Vgl. hierzu Heiligenthal 1992, S. 62, 94, 156. Das deutsche Erz- wie das lateinische arch- leiten sich vom griechischen drchein ab, das „der Erste sein", ,,an der Spitze stehen", ,,regieren" bzw. ,,Ober-" oder „Haupt-" bedeutet. Johannes Chrysostomos: De incomprehensibili Dei natura homiliae 1-5, Ill,5, PG 48, Sp. 724. Origenes: De principiis 1,8,1; 1,8,4, S. 252f. und 260f.

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Das erste]ahrtausend

achten ist, setzte sich im Mittelalter die auf Hieronymus (t 419/20) zurückgehende Anschauung durch, daß Raphael als Heiler, Gabriel als Übermittler göttlicher Botschaften und Michael als Kämpfer für die Menschen zuständig seien. Darauf wird noch ausführlich einzugehen sein. Im Buch Daniel agieren die Engel nicht als persönliche Patrone einzelner Personen, sondern als Schlachtenhelfer und als Schutzengel für ganze Völker. Der Engelsfürst Michael wird hier ausdrücklich als Verteidiger Israels genannt, der für das auserwählte Gottesvolk gegen die Engelsfürsten anderer Völker kämpft: Ein in Leinen und Gold gekleideter Mann mit leuchtenden Augen und metallglänzenden Beinen teilt dem erschrockenen Propheten Daniel mit, er habe 21 Tage lang mit dem Engel des Perserreichs gekämpft, bis ihm Michael, unus de principibus primis, zu Hilfe gekommen sei. Er müsse aber bald zurückkehren, um den Kampf fortzusetzen und dann gegen den Engelsfürsten von Jawan zu streiten. Dabei, betont er, helfe ihm nemo [. .. } nisi Michahel princeps vester (Dan 10,13 und 21 und Dan 12,1). Die Schilderung dieser Engelserscheinung war grundlegend für die Vorstellung vom nationalen Beschützerengel, die weit bis ins 20. Jahrhundert hinein wirksam geblieben ist. 14 Auch die Erwähnung Michaels als Drachenbekämpfer in der Johannesapokalypse (Offb 12,7-9) ist unter anderem durch seine Rolle im Buch Daniel angeregt worden. 15 Im zweiten Buch der Könige und fast gleichlautend bei Jesaja wird geschildert, wie ein namenloser Engel des Herrn dem Volk Israel zum Sieg verhilft, indem er über Nacht 185.000 feindliche Assyrer erschlägt (2 Kg 19,35; identisch Jes 37,36). Im Buch Josua tritt vor der Schlacht um Jericho überraschend ein Mann mit Schwert auf, den der erstaunte Josua fragt: noster es an adversariorum? und zur Antwort erhält: sum princeps exercitus Domini QOS 5, 13 f.). 16 Origenes (t 253/54) und ihm folgend Theodoret von Kyros (t ca. 466) deuten diesen Helfer später als den Archistrategen Michael.17 Neben dem Autor der Danielbücher deutet im dritten vorchristlichen Jahrhundert auch der Rabbiner Simeon b. Lakish an, daß der Glaube an einen Engel namens Michael ein Erbe der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel sei. 18 Im sogenannten Henochbuch, das zu einem unbestimmten Zeitpunkt in den ersten beiden vorchristlichen Jahrhunderten entstand 14 15 16 17 18

Vgl. Carell 1997, S. 49; Hannah 1999, S. 33-40. Zu Michael als deutschem Nationalengel im 19. und 20. Jahrhundert vgl. den Überblick bei Wunderlich 1996, S. 517-523. Vgl. hierzu Busch 1996, S. 15. Zu Michael als Schlachtenhelfer im Mittelalter vgl. Kap. C.III.2 . Origenes: PG 12, Sp. 821. Theodoret: PG 80, Sp. 467. Darin folgt ihnen später Hrabanus Maurus in seinemJosua-Kommentar (Jos 5,13f.), PL 108, Sp. 1086f. Dazu Hannah 1999, S. 33; Arnold 1998, S. 29 f., 34.

Anfänge der Michaelsverehrung

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und zeitweise zu den kanonischen Schriften zählte, 19 sind sechs Engel mit spezifischen Aufgaben aufgeführt, nämlich Uriel, Raphael, Raguel, Michael, Sariel und Gabriel (1 Hen 20). Michael bewacht den Baum des Lebens (1 Hen 24f.), steht zusammen mit Raphael, Gabriel und Phanuel am Thron Gottes (1 Hen 40) und ist wie bei Daniel Patron des auserwählten Volkes (1 Hen 20). Von besonderer Bedeutung ist die Passage, in der Michael den Engel Semyza (Semjasa) unter die Erde stößt, der sich gegen G ott erhoben und gemeinsam mit seinen Gefährten am Berg Hermon mit irdischen Frauen vermählt hat (1 Hen 6-10). Diese ausführliche Darstellung des Engelsturzes ist einer der wichtigsten Nachweise dafür, daß das Thema der Auflehnung eines führenden Engels gegen Gott im jüdischen wie auch im frühchristlichen Glauben eine große Rolle spielte und im Zusammenhang damit auch für die Rolle Michaels als Gegner dieses abtrünnigen Engels. 20 Die Schilderung des Aufbegehrens eines Satanael, Semyza oder Luzifer genannten Engels 21 gegen Gott und der nachfolgenden Vertreibung aus dem Himmel diente den Kirchenvätern als Erklärung für die Existenz des Bösen in der Welt.22 Über die Frage, wann der Engelsturz stattgefunden habe, herrscht in den frühen Schriften keine Einigkeit. Die meisten Autoren setzen ihn entweder noch vor Erschaffung der Welt an oder während des Schöpfungswerkes nach der Erschaffung der_Menschen. 23 In Gen 6,2 werden „Gottessöhne" erwähnt, die sich in den Tagen Noahs Menschentöchter zur Frau nahmen und dadurch den Zorn Gottes hervorriefen. Daß mit diesen Gottessöhnen Engel gemeint sind, geht wiederum aus dem Henochbuch und aus dem ebenfalls apokryphen sogenannten Salomo-Testament 24, aber auch aus den Apostelbriefen hervor. In 2 Petr 2,4 etwa steht zu lesen: D eus angelis peccantibus non pepercit sed rudentibus inferni detracto in tartarum tradidit in iudicium cruciatos reservari. Ähnlich schreibt Judas: angelos vero qui non servaverunt suum princi19

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Apokryphen, ed. Kautzsch, II, S. 236-310. Erst Hieronymus hat dieses u. a, für die Johannesoffenbarung wichtige Buch unter die Apokryp hen verwiesen, vgl. ebd., S. 217-235 (Einleitung), Vgl. hierzu Rohland 1977, S. 19-21. Busch 1996, S, 143, weist darauf hin, daß auch die Babylonier, die Sumerer und die Ägypter einen Mythos vom Sturz des Erzfeindes Gottes aus den himmlischen Sphären kennen. Dazu ausführlich: Forsyth 1987, S, 6-253. Der Name Luzifer geht auf Jes 14,12 zurück, wo es heißt: quomodo cecidisti de caelo lucifer qui mane oriebaris, ,,Auch du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte", Im zweiten Korintherbrief warnt Paulus vor der Wandlungsfähigkeit des Teufels mit den Worten: enim Satanas transfigurat sein angelum lucis (2 Kor 11,14). So etwa Isidor von Sevilla: Sententiae 10,4-12, CCSL 111 , S. 30-33 . Vgl. Busch 1996, s. 241. Vgl. Lohse 1959 S. 284-287; Tavard 1968, S. 42-45. Zu bildlichen Darstellungen des Engelsturzes vgl. Kap. C.II. 5. Vgl. Busch 1996, S. 136-142.

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Das erste Jahrtausend

patum sed dereliquerunt suum domicilium in iudicium magni diei vinculis aeternis sub caligine reservavit. Als zweites Vergehen neben ihrer Überheblichkeit gegenüber dem Ordnungswillen und dem Schöpfungsgefüge Gottes nennt auch Judas ihre sexuelle Verbindung mit Wesen anderer Art (Jud 5,6f.). Jesus erwähnt den Engelsturz seinen Jüngern gegenüber mit den Worten: videbam Satanan sicut fulgur de caelo cadentem (Lk 10,18). Um die bösen Mächte schließlich ganz aus der Welt zu vertreiben, bedarf es eines zweiten Kampfes am Ende aller Zeiten, in dem der Engelsturz endgültig besiegelt wird. Weil Michael schon im Spätjudentum als Gegner Satans für den Kampf gegen böse Mächte angesehen wurde - man denke an die oben zitierten Daniel-Stellen - und weil ihm etwa im Henochbuch bereits der erste Satansturz zugeschrieben worden ist, wird er auch in der Johannesoffenbarung als derjenige genannt, der den Drachen und dessen Gefolge aus dem Himmel vertreibt: factum est proelium in caelo. Michael et angeli eius proelibantur cum dracone, et draco pugnabit et angeli eius, et non valerunt neque locus inventus est eorum amplius in caelo. Eet proiectus est draco ille magnus serpens antiquus qui vocatur Diabolus et Satanas/ qui seducit universum orbem/proiectu~est in terram et angeli eius cum illo missi sunt. (Offb 12,7-9). 25

Hier werden erstmals die in beiden Testamenten häufiger erwähnten himmlischen Heerscharen mit einem Engelsheer gleichgesetzt, dessen unangefochtener Anführer Michael ist. 26 Die im Henochbuch und in den QumranRollen angelegte Zuständigkeit Michaels als Schutzgeist für das Gottesvolk Israel27 wird in frühchristlicher Zeit auf das neue Volk von Auserwählten, die Christen, übertragen. Er ist Patron der christlichen Kirche - der sogenannte Schäfer von Hermas bezeichnet Michael als denjenigen, der die Kirche führt 28 wie auch der christlichen H eerscharen. Nachdem so aus dem princeps gentis Judaeorum der princeps gentis Christianorum geworden ist, wird Michael bisweilen als Schlachtenhelfer christlicher Heere erwähnt. 29

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Vgl. Busch 1996, bes . S. 241-243; Hannah 1999, S. 40-42, 127-130. Rohland 1977, S. 37-43, mit zahlreichen Belegen aus frühchristlichen Apokryphen. So etwa in 1 QM 17,5-8. Vgl. Danielou 1963, S. 76f. Vgl. hierzu Kap. C.III.2.

Anfänge der Michaelsverehrung

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2. Michaelsverehrung In der theologischen Forschung wird immer wieder darüber diskutiert, ob die religiöse Verehrung von Engeln und insbesondere Michaels ein Phänomen noch des zweiten oder ersten Jahrhunderts vor Christus oder aber der frühchristlichen Zeit sei. 30 Einigkeit besteht zumindest darüber, daß spätestens im ersten Jahrhundert nach Christus im Judentum Ansätze einer religiösen Verehrung von Engeln existierten, die zur Abfassungszeit des Neuen Testaments besonders in koptischen und in hellenistisch geprägten Gebieten, wo zahlreiche Apokryphen entstanden und rezipiert wurden, fortlebte. Auch in den Lehren der Gnostiker spielten die Engel eine wichtige Rolle. Auf dem ersten ökumenischen Konzil von Nikaia 325 wurde die Erschaffung von Engeln zum Dogma erklärt, nur wenige Jahre später befaßte sich die Synode von Laodicea (zw. 343-381) mit dem Problem eines übertriebenen Engelskultes.31 Das Interesse der Gläubigen konzentrierte sich dabei keineswegs von Anfang an auf Michael: In den Qumranrollen wie auch in der Henochapokalypse stehen nahezu gleichberechtigt Gabriel, Raphael und Sariel bzw. Uriel neben ihm, die ebenso wie er deutlich kriegerische Züge aufweisen; in der Apokalypse des Abraham ist es nicht Michael, sondern der Engel Yahoel, der die himmlischen Heerscharen anführt und dem Michael untergeordnet ist. 32 Auch Origenes erweist sich als von der jüdischen Tradition einer mehreren Engeln zugleich geltenden Verehrung geprägt, indem er den Erzengeln folgende Aufgaben zuschreibt: Raphael solle pflegen und heilen, Gabriel die Kriege lenken und Michael sich der Gebete der Menschen annehmen. 33 In den ersten christlichen Jahrhunderten bildet sich jedoch die Vorstellung heraus, Michael - quis ut Deus - sei der mächtigste der Erzengel und daher ein potenter Helfer nicht nur für das Volk Israel und das Gottesvolk der Christen, sondern für jeden Einzelnen in militärischer oder persönlicher Notlage. Er scheint in idealer Weise das Bedürfnis der Gläubigen nach einem Wesen befriedigt zu haben, das weder menschlich noch göttlich, aber unsterblich ist, 30

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Diese erste Ansicht vertreten: Lueken 1898, S. 7; Müller 1959; Stuckenbruck 1995, bes. S. 194-196. Für das Auftreten der Engelsverehrung erst in christlicher Zeit treten neuerdings ein: Carell 1997, S. 73-75 und Hannah 1999, S. 104-114. Mansi II, 563-574, bes. 570. Vgl. hierzu Rintelen 1971, S. 84 und Beck 1959, S. 50, ferner Stuckenbruck 1995, S. 57 und 63 f. Ausführlicher zu den Verboten der Engelsverehrung in Kap. B.VII.4. Ausführlich dazu: Rohland 1977, S. 17-25; Carell 1997, S. 54-56. Origenes: De principiis I,8,1, S. 252f. Wohl in Unkenntnis dieser Tradition bezeichnete Gothein 1886, S. 50, Anm. 3 zu 49, diese noch in der Karolingerzeit vorkommende Ämterzuweisung als eines „der vielen Privathirngespinnste des Origines".

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Das erste Jahrtausend

das überirdische Kräfte besitzt, ihre Phantasie anregt und ihnen dabei jederzeit persönlich nahe sein kann. 34 Es ist nicht leicht zu beantworten, warum die Erzengel Raphael und Gabriel seither keine gleichermaßen intensive und zunehmend spezifizierte Verehrung erfahren haben. 35 Man kann wohl davon ausgehen, daß Raphael so sehr mit der Tobias-Episode identifiziert wurde, daß man ihm über diese auf Tobias bezogene Schutzengelfunktion hinaus nicht viel Einfluß zumaß. Auch Gabriel war durch seine Rolle bei der Verkündigung an Maria so sehr auf eine bestimmte Funktion, nämlich die des Übermittlers von Botschaften, festgelegt, daß man ihn als Schlachtenhelfer wohl nicht für geeignet hielt. Daß er im Buch Daniel als ebenso kämpferische Gestalt erscheint wie Michael und sich in seiner Autorität keineswegs von diesem unterscheidet, scheint im Bewußtsein der Gläubigen (mit Ausnahme weniger, wie etwa Origenes) nie eine große Rolle gespielt zu haben.36 Daran haben auch die Übersetzung von Gabriels Namen mit fortitudo Dei und die entsprechende Ausdeutung, etwa durch Hieronymus (t 419/29) und später durch Isidor von Sevilla (t 636) wenig geändert. Beispielhaft für die standardisierte Ausdeutung der Engelsnamen im Mittelalter ist eine auf Gregor den Großen zurückgehende Homilie (um 843) des Hrabanus Maurus: Michael, namque, quis sicut D eus? Gabriel autem fortitudo D ei, Raphael vero dicitur medicina D ei. Et quoties mirae aliquid virtutis agitur, Michael mitti perhibetur, ut ipso actu et nomine detur intelligi quod nullus potest facere quod facere praevalet Deus. Unde et ille antiquus hostis, qui se ad similitudinem ejus superbus extulerat, in fine mundi cum Michaele archangelo praeliaturus esse perhibetur, ut per Michaelem peremptus discat quia ad similitudinem D ei per superbiam nullus exsurgat. Ad Mariam quoque Gabriel mittitur, quia D ei fortitudo nominatur: illum quippe nuntiare veniebat, qui ad debellandas aereas potestates humilis apparere dignatus est. Raphael quoque, qui ad curandum Tobiae oculos mittitur, dignum videlicet fuit ut Dei medicina vocaretur. 37

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In diesem Sinne auch Gothein 1886, S. 60 f.; Stuhlfauth 1897, S. 46; Hannah 1999, S. 48-51. Dekor 1982, S. 171, nennt einige Lesungen und Altarweihen zu Ehren Gabriels und Raphaels in Spanien. Ihre Feste am 24. März und am 24. Oktober sind jedoch ers t 1921 in die Liturgie der Gesamtkirche aufgenommen und inzwischen wieder abgeschafft worden, vgl. Meisen 1963, S. 204. Vgl. Otzen 1992, passim. PL 110, Sp. 59f. - D er hebräische Name Gabriel bedeutet wörtlich „Gott hat sich stark gezeigt" oder, etwas freier gefaßt, ,,Stärke" oder auch „Mann Gottes". Vgl. Hieronymus: Danielkommentar VIII, PL 25, Sp. 538; Isidor: Ethymologiae VII,5, 9-11; ferne r die Instructiones des Eucherius von Lyon (t um 450), PL 50, Sp. 811.

Anfänge der Michaelsverehrung

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Durch seine enge Verbindung zu Maria stand das Ansehen Gabriels von Anfang an in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem der Jungfrau, anders ausgedrückt, stand Gabriel gewissermaßen immer in deren Schatten. Wie Horst Wenzel dargelegt hat, läßt sich darüberhinaus an den bildlichen Darstellungen der Verkündigung Gabriels an Maria im Laufe des Mittelalters eine schrittweise Marginalisierung des Erzengels verfolgen: Während Gabriel dort zunächst als göttlicher Botschafter im alten Sinne, also als Stellvertreter Gottes, der an der himmlischen Sphäre teilhat, gezeigt w ird, führt eine allmähliche „Externalisierung" seiner Botschaft in Symbol und Schrift dazu, daß seine Rolle schließlich die ursprüngliche Bedeutung verliert und er vom Gesandten zum bloßen Briefboten ,absteigt', welcher an der übermittelten Heilsbotschaft kaum mehr Anteil hat. 38 Michael dagegen ist an keine bestimmte Person des Alten oder des Neuen Testaments gebunden. Möglicherweise wird daher im Descensus Christi ad inferos, dem zweiten Teil des apokryphen Nikodemusevangeliums aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert, die Formel „Engel des Herrn" auf ihn angewandt.39 Aus dieser Gleichsetzung entwickelt sich in den folgenden Jahrhunderten die Tradition, praktisch alle wichtigen Taten des namenlosen „Engels des Herrn" in der Bibel und Patristik Michael zuzuschreiben (vgl. Abb. 92; 93). Als solcher verdrängt er bisweilen sogar die anderen Engel aus ihrem Aufgabenbereich: Spätestens im sechsten Jahrhundert wird Michael mit dem Engel gleichgesetzt, der Zacharias die Geburt seines Sohnes Johannes voraussagt, eigentlich eine Zuständigkeit Gabriels (Lk 1,19) 40 . In den mittelalterlichen Michaelslegenden werden die Worte Gabriels in dieser Szene sogar auf Michael übertragen. 41 Die häufig überlieferte Ansicht, Michael sei einer der drei Engel gewesen, die Abraham an der Eiche von Mamre bewirtete (Gen 18, 1-8), ist auch dahingehend abgewandelt worden, daß man in ihm die Verkörperung aller drei Gestalten zugleich sehen wollte. 42

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Wenzel 1993, S. 23-52. Vgl. auch die diesbezüglichen Überlegungen von Gothein 1886,

s. 50-54.

Hennecke/ Schneemelcher I, S. 352 f. Dazu: Rohland 1977, S. 47. Vgl. hierzu Carell 1997, S. 24-26. D azu ausführlicher unten, Kap. B.VI.l. Ausführlicher Arnold 1998, S. 48.

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Das erste Jahrtausend

3. Frühe Heiligtümer im Osten Bei der Gründung von Engelskultstätten, zumal in Ägypten, Äthiopien und Kleinasien, richtete sich das Interesse schon früh auf Michael als den zentral Verantwortlichen für die Ausführung fast aller wichtiger Aufgaben der Engel.43 Eine vieldiskutierte Stelle im Kolosserbrief könnte als Hinweis darauf gelesen werden, daß es in dem phrygischen Ort Chonae, bei Kolossae gelegen, 44 schon zur Abfassungszeit des Textes im ersten Jahrhundert ein Engelsbzw. Michaelsheiligtum gab: nemo vos seducat volens in humilitate et reli-

gione angelorum quae non v idit ambulans frustra inflatus sensu carnis suae (Kol 2,18). 45 Theodoret von Cyrus (t ca. 466) merkt in seinem Kommentar zum Kolosserbrief an, daß die Verbote der Synode von Laodicea 46 offensichtlich keinen Erfolg gehabt hätten, da in Phrygien und Pisidien weiterhin zahlreiche Michaels-Heiligtümer bestünden; in der traditionell Didy mus dem Blinden zugeschriebenen, um 400 entstandenen Schrift De trinitate ist von Gebetshäusern für die Erzengel Michael und Gabriel in Ägypten die Rede, die mit Gold, Silber und Elfenbein geschmückt und Ziel zahlreicher, oft von weither angereister Pilger seien. 47 Obwohl diese Nachrichten einen anderen Schluß nahelegen, scheinen die Pilgerfahrten nicht durch eine besondere Verehrung des Erzengels Michael motiviert gewesen zu sein. Darauf läßt zumindest die Geschichte des bedeutendsten Michaelszentrums der Spätantike in Chonae oder Chonai (heute Konya/ Honas im türkischen Distrikt Denizli) schließen. Es befand sich nur etwa 20 Kilometer von Laodicea entfernt an einer Erdspalte, aus der eine warme Quelle entsprang. Als nach einem Erdbeben im nahegelegenen Kolossae dessen Bewohner dorthin übersiedelten, benannten sie den Ort nach der Felsöffnung: XWVIJ heißt Spalte. 48 Von alters her waren Menschen hierher gekommen, um in dem warmen Wasser körperliche Leiden zu kurieren, und schon immer schrieben sie ihre Genesung dem Wirken einer Gottheit oder einer gottgesandten Macht zu. Es ist für Michaelskultstätten wie Chonae da43 44 45 46 47

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Vgl. Müller 1959; Rintelen 1971, bes. S. 88-92; Rohland 1977, S. 80-86; Canivet 1980; Saxer 1985; Mango 1986; Hannah 1999, S. 104-114. H enri Leclerq, Colosses, in: DACL 3/2 (1948), Sp. 2339-2342. D azu skeptisch: Arnold 1998, S. 53-57. Zu den Beschlüssen von Laodicea vgl. Kap . B.I.2 sowie B.VII.4. Theodoret: PG 82, Sp. 613 und 620. Didymus: PG 39, Sp. 589. Vgl. hierzu: Lueken 1898, S. 75; Lucius 1904, S. 266-268; Arnold 1998, S. 12; Saxer 1985, S. 371 f.; Baumeister 1988, S. 208, Anm. 35. Lueken 1898, S. 76; Kötting 1980, S. 169. Allgemein zur Geschichte des Heiligtums in Chonae: Schneider 1981, S. 13-32.

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her kaum zu entscheiden, ob es sich bei den zahlreichen Besuchern von der Spätantike bis ins Mittelalter hinein überhaupt um Michaels-Wallfahrer gehandelt hat oder vielmehr um Kranke, die einen allseits geschätzten Kurort aufsuchten. Die Grenzen waren sicher fließend. 49 Jedenfalls scheint man wie in frühchristlicher Zeit anderweitig auch die Heilkraft des Ortes paganen Gottheiten ab- und dem Wirken des Erzengels Michael zugesprochen zu haben, da sein Kult in Kleinasien mit Naturereignissen wie Erdbeben und mit warmen Quellen wie denen in Hierapolis oder Chairetopa in Verbindung gebracht wurde. 50 Grundlage hierfür dürften unter anderem Bibelstellen wie etwa Mt 28,2 gewesen sein, wo der Engel, der den Marien am Ostermorgen die Auferstehung Christi verkündet, von einem gewaltigen Erdbeben begleitet vom Himmel herabsteigt und den Stein vor dem Grab Christi wegwälzt. 51 Auch diesen namenlosen Engel des Herrn hielt man bereits im sechsten Jahrhundert für Michael, eine Tradition, die sich später in den hochmittelalterlichen Osterspielen fortgesetzt hat. Als Arzt und Heiler bot Michael sich schon deshalb an, weil er bereits in der spätjüdischen Angelologie auch als Fürst des Wassers verehrt worden war und als der Engel erschien, der „über den menschlichen Leib gesetzt" ist. 52 Darauf aufbauend deutete auch Hieronymus (t 419/29) die im Namen quis sicut Deus? angelegte Christusgleichheit Michaels mit Blick auf seine Funktion als Heiler. 53 So schrieb man ihm bisweilen auch die Bewegung und die Heilkraft des Wassers im Teich Bethesda in Jerusalem zu, die in J oh 5, 24 geschildert wird: Angelus autem domini secundum tempus descendebat in piscinam et movebat aquam. Qui ergo primus descendisset post motum aquae sanus fiebat a quocumque languore tenebatur. 54 Das Bethesda-Wunder unter Mitwirkung eines Engels bzw. Michaels wurde im Mittelalter vielfach rezipiert und fand, wie eine Antiphon im Liber responsalis Gregors des Großen

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Vgl. Lueken 1898, S. 78; Kötting 1980, S. 170. Kötting 1980, S. 168. Mt 28,2: et ecce terraemotus factus est magnus/ angelus enim domini descendit de caelo! et accedens revolvit lapidem et sedebat super eum. Lueken 1898, S. 54; Stuhlfauth 1897, S. 47, Anm. 4; Rohland 1977, S. 25-33, 45, 72-74. PL 25, 538: .. . necessaria est, Michael, dirigitur, qui interpretatur quis sicut Deus? hoc videlicet nominis interpretatione significante, quod in D eo sit medicina vera. Eine Fortführung dieser Verehrung Michaels als Krankenheiler ist seine Darstellung auf dem sogenannten Baseler Antependium (Abb. 62). Da die Stelle in den frühesten Bibelhandschriften fehlt und zuerst im Codex Alexandrinus aus dem fünften Jahrhundert auftritt, wird sie in der von Robert Weber und Bonifatius Fischer edierten Vulgata-Fassung nur im Apparat zitiert, ebenso in der katholisch-evangelischen Einheitsübersetzung der deutschsprachigen Länder. Vgl. hierzu auch Saxer 1985, S. 363, Anm. 11.

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beweist, schon früh Eingang in die Liturgie. 55 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Chonae-Legende als erste Gründungslegende eines Michaelsheiligtums.56 In ihr werden die Insellage des Ortes und ein Naturphänomen, die Erdspalte, auf das Wirken einer übernatürlichen Macht, nämlich Michaels, zurückgeführt und so die Verehrung des Engels an diesem Ort plausibel gemacht. Der körper- und ortslose „Heilige" wird durch sein Wirken an einer bestimmten Stätte dieser zugeordnet und ihr durch die Wundererwartung der Gläubigen geradezu verpflichtet. Indem Michael an dem betreffenden Ort auftritt, wird er für ihn zuständig und löst gleichzeitig einen Besitzanspruch der Bewohner auf „ihren Heiligen" aus. Da Michael keine physisch faßbaren Spuren hinterlassen kann, verändert er zum Beweis seiner immateriellen Präsenz die Landschaft. 57 Wie die Legende berichtet, hätten zunächst die in der Gegend von Ephesus und Hierapolis missionierenden Apostel Philippus und Johannes den Einwohnern von Keretapa (Chairetopa) eine Quelle verheißen, an welcher der Erzengel Michael Wunder tun werde. 58 Als die stumme Tochter eines Heiden aus Laodicea an dieser Quelle von ihrem Leiden erlöst wird, läßt ihr Vater dort zum Dank ein Engelsheiligtum errichten. In den folgenden Jahren wird die Stätte zum Gebetsort der ersten Christen und zum -Ziel derer, die ebenfalls auf die Heilung ihrer Krankheiten hoffen. Den Heiden der Gegend ist der Ort jedoch ein Dorn im Auge. Zu der Zeit, als ein Mönch namens Archippus das Michaelsoratorium bewacht, stauen sie einen Fluß auf, durch den sie den Heiligen mitsamt dem Heiligtum wegzuschwemmen trachten. Der Erzengel jedoch beschützt seine Stätte und bewirkt durch sein Eingreifen, daß sich der Strom in zwei Arme teilt, die um das Heiligtum herumfließen und anschließend wieder zusammenkommen. In einem zweiten Angriff stauen die Feinde der christlichen Kirche gleich zwei Flüsse auf, um das Heiligtum zu vernichten. Im letzten Moment erscheint wiederum Michael, läßt die gewaltigen Wassermassen in Form einer Säule emporsteigen und dann in eine tiefe Erdspalte hinabstürzen. Daraufhin segnet er die Spalte mit den

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PL 78, Sp. 805: Concussum est mare, et contremuit terra, ubi archangelus Michael descendebat de coelo; Encomium, 1264. Vgl. dazu Rohland 1977, S. 44. Narratio Chonis; BHG 3 1282. Als Entstehungszeit der Chonae-Legende nahm Nau 1907, S. 544, das sechste oder siebte Jahrhundert an. Peers 1996, S. 101 f., datiert die Legende dagegen ins achte Jahrhundert. Vgl. ferner Rohland 1977, S. 2-6, 95-99 und 114-118; Lueken 1898, S. 74; Saxer 1985, S. 384-392. Vgl. Peers 1996, S. 104f. Eine kurze Besprechung weiterer Versionen und Ausgaben bei: Peers 1996, S. 102 f. Nicht eingesehen werden konnte die unpublizierte Dissertation der Autorin (Representing Angels, Cu!t and Theology in Byzantine Art, John Hopkins University 1995).

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Worten: ,,An diesem Ort wird jede Krankheit und jede Weichlichkeit der Seele zerstieben, und die Gifte, die Zaubermittel und alle Anstrengung des Bösen werden zunichte. Wer an diesem Ort Zuflucht nimmt[ ... ], er soll nicht ungetröstet von dannen gehen. Die Gnade Gottes und meine Macht sind über diesem Ort und heiligen ihn im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. " 59 Das Oratorium und sein Hüter Archippus sind gerettet und ziehen infolge dieser Wunder eine noch größere Zahl von Pilgern an. Das Motiv der Bändigung von Naturgewalten durch den Erzengel in dieser Legende orientiert sich unverkennbar an biblischen Vorbildern sowohl des Alten wie auch des Neuen Testaments. So wird in der dramatischen Rede des Propheten Jesaia an den „starken Arm Jahwes" auf dessen Sieg über die Urweltungeheuer Rahab und Drache sowie über die Wassermassen des Roten Meeres hingewiesen, 60 und in dem von dieser Stelle wohl beeinflußten zwölften Kapitel der J ohannesapokalypse wird im Anschluß an den Drachenkampf Michaels und seiner Engel das Verschwinden von bedrohlichen Fluten im Erdreich geschildert (Offb 12,15-18). Ähnliche Szenen wurden später auch in den Engelsenkomien und Homilien verarbeitet, auch kehren sie in den bildlichen Darstellungen der Chonae-Legende wieder: In einer Miniatur im 985 entstandenen Menologion Basileios' II. kämpft Michael mit einem Speer so gegen den aus zwei einzelnen Strömen zusammengeleiteten Fluß, als würde er einem Drachen gegenüberstehen (Abb. 38). 61 Dort, wo er seine Waffe ins Erdreich gestoßen hat, um die bedrohliche Flut umzuleiten, ist ein Wirbel entstanden, der einerseits das abfließende Wasser meinen könnte, andererseits aber an den Kopf bzw. an den geringelten Schwanz des Drachen erinnert, den Michael auf vielen abendländischen Darstellungen bekämpft. Wohl von der Michaelsverehrung in Chonae beeinflußt, doch ohne historische Grundlage sind byzantinische Legenden, in denen von Michaelsvisionen Kaiser Konstantins die Rede ist: So soll etwa der Erzengel dreimal im Jahr drei eherne Kreuze, die Konstantin in der Stadt aufstellen ließ, umschwebt und durch Hymnen gefeiert haben. 62 Sozomenos berichtet in seiner Historia ecclesiastica (um 440), daß Konstantin eine Michaelskirche an einer Heilquelle in Anaplus am Bosporos errichten ließ, an der sich ebenfalls zahlreiche

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Zitiert nach Rohland 1977, S. 5. Jes 51,9s.: Numquid non tu percussisti superbum vulnerasti draconem? Numquid non tu siccasti mare aquam abyssi vehementis qui posuisti profundum maris viam ut transirent liberati? Rom, Bibi. Apost. Vat., Cod. gr. 1613. Vgl. hierzu Gregorovius 1874, S. 608f.; Schneider 1981 , S. 33-39; Rohland 1977, S. 121124.

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Wunderheilungen ereignet haben sollen. 63 Damit ist zwar nicht erwiesen, daß der Erzengel bereits im vierten Jahrhundert in der Hauptstadt durch eigene Kirchenbauten geehrt worden ist, wohl aber, daß es spätestens zur Zeit des Sozomenos, also zu Beginn des fünften Jahrhunderts, solche gegeben haben muß.64 Der ein Jahrhundert später schreibende Prokop von Caesarea (t ca. 562) erwähnt in seinem Liber de aedificiis und im Liber de bellis weitere Michaelskirchen, die Kaiser Justinian in Konstantinopel, Antiocheia und Phytia habe wiederherstellen oder errichten lassen. 65 In Konstantinopel lassen sich bis ins ausgehende Mittelalter insgesamt mindestens 15 Michaelskirchen nachweisen, von d enen sechs aus dem fünften und sechsten Jahrhundert stammen. 66 Eine von ihnen war die Kapelle des kaiserlichen Palasts, in der die bedeutendsten Reliquien des Landes aufbewahrt wurden.67 Neben Kleinasien, Ägypten und dem Oströmischen Reich 68 scheint Syrien ein w eiteres Kerngebiet der frühen Michaelsverehrung gewesen zu sein: Pierre Canivet hat vor kurzem auf das 487 errichtete Michaelsheiligtum im syrischen Hüarta bei Apameia aufmerksam gemacht, das in engem Zusammenhang mit einer größeren Grabanlage stand. 69 Darüberhinaus nennt er ein gutes Dutzend weiterer Michaelskirchen im nördlichen Sy rien, die alle zwischen dem fünften und dem achten Jahrhundert gegründet w urden. 70 Trotz d er zahlreichen Belege für eine frühchristliche Michaelsverehrung läßt sich festhalten, daß in dieser Zeit noch kaum Züge eines individuellen Heiligenkultes ausgeprägt waren: 71 Der Erzengel unterschied sich zunächst 63

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PG 67, Sp. 940f.; SC 306, Sp. 240-244. Auf die Kirche in Anaplus bezieht sich auch Cassiodor (t um 580), der in seiner die griechischen Kirchengeschichten von Sozomenos, Sokrates Scholasticus und Theodoretos verarbeiteten Historia ecclesiastica tripartita (PL 69, 938) von einem ehemaligen Vestatempel bei Konstantinopel berichtet, der 233 in ein Michaelion umgewandelt worden und wo ein Mann namens Aquilinus von schwerer Krankheit geheilt worden sei. Auch Jacobus de Voragine (S. 991) kannte diese Legende, schrieb sie aber Eusebius zu . Rintelen 1968, S. 34-37. Vgl. hierzu Rintelen 1968, S. 40f.; Kötting 1980, S. 170f.; Rohland 1977, S. 99-101; Canivet 1980, S. 90. AASS Sept. VIII, Sp. 49-53; Janin 1934, S. 29.; ders. 1953, S. 349-364. Saxer 1985, S. 402415, kommt auf 35 Michaelsheiligtümer, von denen 16 vor dem neunten Jahrhundert entstanden seien, berücksichtigt aber zuwenig die Mehrfachnennungen einiger Kirchen bei Janin. Vgl. Rohland 1977, S. 130f.; Belting 1991, Anhang 27,II. Vgl. auch Mango 1986. Canivet 1980, S. 96-100. Saxer 1985, S. 372 f., erwähnt eine Inschrift (409) von einem Friedhof bei Alexandria, die ebenfalls Bezug auf Michael als Psychopomp os nimmt. Vgl. ferner Falla Castelfranchi 1997, S. 13-1 7. Canivet 1980, S. 107-112. Vgl. Gothein 1886, S. 64 und 67f.; Rohland 1977, S. 99-102; Martin-Hisard 1992, S. 365-369.

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nicht von den anderen Engeln, indem er weder Reliquien noch eine Legende oder gar eine eigenständige Ikonographie aufzuweisen hatte. In den frühchristlichen liturgischen Lesungen wurde Michael nicht eigens erwähnt. Kein patristischer Traktat und keiner der frühen Hymnen ist speziell ihm gewidmet.72 Die Orte früher Michaelsverehrung scheinen sich durchweg an antiken Kultstätten befunden zu haben, an denen der Engel pagane Naturgottheiten oder Heiler wie etwa Äskulap ersetzte. In frühbyzantinischer Zeit war die unspezifische Verehrung Michaels als Heiliger an wundertätigen Quellen besonders in den unteren Bevölkerungsschichten weit verbreitet, 73 sie fand aber kaum Niederschlag in der Hymnologie oder Hagiographie. Das Gleiche gilt für die Anfangszeit der ersten Michaelskirche in Europa, die im fünften oder sechsten Jahrhundert auf dem apulischen Monte Gargano gegründet wurde und dort zunächst pagane Naturgottheiten ersetzte. Bevor jedoch auf die im Laufe des Frühmittelalters zu beobachtende Ausbildung eines Michaelskultes auf dem Monte Gargano und sein Bekanntwerden in ganz Europa eingegangen wird, sollen zunächst die frühesten bekannten bildlichen Darstellungen des Erzengels vorgestellt werden.

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Lattke 1991, S. 364-366, zufolge stammen die ältesten außereuropäischen Michaelshymnen aus dem sechsten Jahrhundert. Michael singt in ihnen das ewige Gotteslob, besondere Eigenschaften werden ihm aber nicht zugeschrieben. Vgl. Rohland 1977, S. 101 und 104.

II. Engelbilder

1. Anfänge einer Ikonographie Wie in den schriftlichen Erwähnungen trat Michael auch auf bildlichen Darstellungen von Engeln, von denen die ersten schon in altjüdischer Zeit entstanden, zunächst nicht besonders hervor. In Gottes detailliertem Auftrag für die Anfertigung der Bundeslade war auch die Aufforderung enthalten, die goldene Deckplatte mit zwei getriebenen Cherubim zu verzieren, die ihre Flügel nach oben ausbreiten und mit ihren Flügeln das Heiltum beschirmen sollten. 74 Im Allerheiligsten des Salomonischen Tempels befanden sich zwei riesige vollplastische Darstellungen von Cherubim aus vergoldetem Olivenholz, deren ausgestreckte Flügel die ganze Raumbreite umspannten (1 Kön 6,23-28). Auch die Innenwände und die Türen des Tempels waren mit Bildern von Cherubim verziert (1 Kön 6,29-35). 75 Das Aussehen dieser Wesen wird ausführlich bei Ezechiel beschrieben: Sie sind zwar von menschlicher Gestalt, besitzen aber vier Gesichter, die als Menschengesicht, Löwengesicht, Stiergesicht und Adlergesicht ausgebildet sind, Beine wie aus Bronze, Stierfüße, Menschenhände, vier Flügel und Räder (Ez 1,5-21; 10,8-17), und sie sind über und über mit Augen bedeckt (Ez 10,12). D a Flügel in der Heiligen Schrift nur im Zusammenhang mit den zoomorphen Cherubim und Seraphim erwähnt werden,7 6 fehlen sie auf den frühesten bildlichen Darstellungen der anthropomorphen „Jünglinge" oder „Männer" aus den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung. 77 Bereits im apokryphen Henochbuch (1 Hen 61) aus den ersten beiden vorchristlichen Jahrhunderten wurde jedoch geschildert, wie die Engel Flügel ergreifen, um zu fliegen, und auch in Offb 14,6 ist von einem fliegenden Engel die Rede. Tertullian (t nach 220) schloß aus der Feststellung, daß Engel wie auch die bösen Geister jederzeit überall erscheinen könnten, daß sie sich fliegend fortbewegen und demnach Flügel besitzen müßten: Omnis spiritus ales est. 78 Aus diesen Überlegungen 74 75 76 77 78

Ex 25, 17-21, hier 25, 20. Vgl. auch Ez 41,25. Dazu allgemein: Wulff 1894. Etwa in der Priscillakatakombe in Rom, 2.H. 3.Jh. Vgl. hierzu Stuhlfauth 1897, S. 60-63. Tertullian: Apologeticum XXII,8, CCSL 1, S. 129: [. ..] Igitur momento ubique sunt. Totus orbis iliis locus unus est; quid ubi geratur tarn facile sciunt quam annuntiant. Velocitas divinitas creditur, quia substantia ignoratur. Weitere Nachweise bei Stuhlfauth 1897, S. 49-5~undKroos 1985,S.257[

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einerseits und in Orientierung an antiken Bildformeln andererseits entwikkelte sich zwischen dem dritten und dem fünften Jahrhundert die uns heute geläufige Bildformel für die in den Texten geschilderten Engelwesen: junge, bartlose Männer mit Flügeln, gekleidet in eine weiße Tunika und Pallium. Von Anfang an scheint man streng darauf geachtet zu haben, Engel von den antiken Flügelwesen wie Nike bzw. Victoria, Genien und Psychen abzugrenzen. Dies war nötig, weil die Genien ebenso weiterexistierten wie auch die ehemalige Siegesgöttin Victoria, die als allegorische Figur noch lange nicht ausgedient hatte und einen unverzichtbaren Bestandteil der kaiserlichen Triumphikonographie bildete.79 Indem erstens durch die Frisur und die Kleidung - Tunika bzw. Dalmatika mit Pallium statt des weiblichen Peplos - die männliche Natur der Engel betont wurde und indem man sie zweitens in einer anderen Körperhaltung zeigte, suchte man die Gefahr einer Verwechslung der Engel mit den antiken weiblichen Flügelwesen zu vermeiden: 80 Ins Profil gestellte Engel treten in der frühchristlichen Kunst nur da auf, wo dies aus inhaltlichen Gründen unverzichtbar ist, etwa in Verkündigungsszenen, kommen aber außerhalb szenischer Zusammenhänge kaum vor. Umgekehrt treten auch die vier häufigsten Darstellungstypen der Victoria, nämlich als einen Kranz darbringende Profilfigur, als Frontalfigur init akklamierend erhobenen Händen, als Einzelfigur im Flug oder paarweise mit Clipeus ausschließlich in klar definierten Kontexten auf und können insofern kaum mit Engeln verwechselt werden.81 Erst seit dem siebten Jahrhundert kommt Michael zuweilen auf dem Revers langobardischer Münzen vor, um dort Victoria als Siegesallegorie zu ersetzen (Abb . 4).82 Bezeichnenderweise trägt er im Gegensatz zu seiner Vorgängerin meist einen Schild bei sich- ein Schutz, der für Victoria schlicht nicht denkbar ist.83 Etwa zur gleichen Zeit lösen Engel die Victorien auf den Adventusbildern ab. 84 Engel als Thronassistenten weltlicher Herrscher treten erst mit der Herausbildung des symbolischen Herrscherbildes in karolingischer Zeit auf. 79 80

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Auf dem Barberini-Diptychon (Konstantinopel, 1. H. 6. Jh.; Paris, Musee du Louvre) kommen sowohl Engel als auch Victorien vor. Von den ebenfalls männlichen, aber stets nackt darges tellten jugendlichen Genien unterschieden sie sich schon durch ihr Erwachsenenalter und ihre Kl eidung. Vgl. Stuhlfau th 1897, s. 244f. Vgl. Stuhlfauth 1897, S. 49- 57 und 242-244; Berefelt 1968, passim; Schneider 1989 und 1991, bes. S. 230- 232; Bussagli 1991 a, S. 67-71 und 1991 b, Sp. 632. Michael erscheint auf den Münzen der Langobardenfürsten C unicpert (68 8- 700), D esiderius (757-774) und Grimoald IV. (806- 817). Vgl. unten, Kap . B.VI.1. Zu merowingischen Münzen mit dem Motiv der Victoria vgl. Lafaurie 1990. Vgl. auch Kap. B.VI.1. Vgl. hierzu Kantorowicz 1944, S. 21 7-221.

Engelbilder

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Generell prägte Michaels Rolle als „großer Engelsfürst" und Schutzherr des auserwählten Gottesvolkes die bildlichen Darstellungen dieses Erzengels als Repräsentant des himmlischen Staates in Frühchristentum, frühem Mittelalter und der byzantinischen Kunst (Abb. 1; 2) 85 : Spätestens seit seiner ältesten erhaltenen Darstellung auf einem der Mosaiken in S. Maria Maggiore in Rom (432-440) wird Michael als frontale Standfigur in militärischem Gewand oder in der vornehmen Kleidung des byzantinischen Hofstaates (Tunika bzw. Dalmatika mit Pallium, meist mit Chlamys oder Loros) mit einem (Kreuz-)Stab, einem Labarum oder Szepter und oft mit einer Sphaira in einer der beiden Hände gezeigt. 86 Michael erscheint auf diesen Bildern nie allein, sondern immer in Begleitung Gabriels, oft auch Raphaels. Seit dem sechsten Jahrhundert tritt er zusammen mit anderen Erzengeln als Thronassistent Christi oder Marias auf, ohne aber besonders hervorgehoben zu sein (Abb. 1).87 Im gleichen Jahrhundert wandte sich der monophysitische Patriarch Severus von Antiochia (512-518) energisch gegen Bilder, die Michael und Gabriel als purpurgekleidete Fürsten mit den Insignien der kaiserlichen Macht zeigten, und noch auf dem zweiten Konzil von Nicaia 787 forderte Bischof Johannes von Gabala ihre Darstellung ausschließlich in weißen Gewändern. 88 Offenbar existierten bereits im fünften Jahrhundert Kultbilder Michaels. Darauf deutet ein griechisches Epigramm hin, das ein Pilger aus Alexandria auf das Heiltum in Anaplus verfaßte: ,,Hier finden die leidenden Sterblichen göttliche Hilfe gegen die Schmerzen ihres Körpers oder ihrer Seele, denn schnell flieht die Natur der Not vor Deinem Namen, Michael, Deinem Bild oder Deinem Heiligtum. " 89 Ob damit ein Gemälde, ein Relief oder eine Statue gemeint war, ist nicht bekannt. 90 Es ist aber gut möglich, daß es sich um 85 86

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Vgl. Stuhlfauth 1897, S. 14-34; Bussagli 1991 a, passim. Auf den Mosaiken in S. Maria Maggiore erscheint Michael in antiker Kriegerrüstung und vertritt damit einen Typus, der in Byzanz häufiger, im Westen aber selten vorkommt. Genaue Untersuchung der Gewänder auf frühen Engelsdarstellungen: Bussagli 1991 a, S. 141-175. Grabar 1936, S. 68 f., zufolge handelt es sich bei den Erzengeln, die als Throngarde oder Zeremonienmeister auf frühchristlichen Apsismosaiken erscheinen, um uminterpretierte Palastbeamte ohne spezifische Eigenbedeutung. Vgl. ferner Ihm 1992, S. 27, 40; LamyLassalle 1968. Weitere Beispiele: Byzantinischer Bildteppich mit der thronenden Madonna mit Kind, flankiert von Michael und Gabriel, 6. Jh., The Cleveland Museum of Art, Leonard C. HannaJr. Bequest, Inv. Nr. 1967.144, Abb.: Kurt Weitzmann, Die Ikone, 6. bis 14. Jahrhundert, München 1978, Nr. 4; Kat. Salzburg 1997, S. 13, Abb. 1. Vgl. Martin-Hisard 1992, S. 365f.; Falla Castelfranchi 1997, S. 17. Zitiert nach: Rohland 1977, S. 89. Wiegand, Erzengel, S. 8, erwähnt weitere griechische Distichen, die „das kühne Wagnis" lobten, ,,den Unkörperlichen darzustellen" und dies damit rechtfertigten, ,,dass das Bild die Gedanken auf den Himmlischen selbst richtet". Er interpretiert diese Bilder als Engelsstatuen.

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eine Bildnisikone handelte, ähnlich einem koptischen Exemplar aus dem sechsten Jahrhundert, das Michael in antiker Offizierstracht und mit Edelsteintänie im Haar zeigt. 91 Solche Bilder waren lange umstritten und dürften daher nicht in allzugroßer Zahl gefertigt worden sein. 92 Auch fällt auf, daß die wenigen frühen Einzeldarstellungen Michaels dem koptischen Bereich zugehören. Dem widerspricht auch nicht das heute in London aufbewahrte byzantinische Elfenbein des sechsten Jahrhunderts mit der Darstellung Michaels (Abb. 2): 93 Hier steht der Erzengel, ähnlich wie auf den frühchristlichen Mosaiken in Rom und Ravenna, in frontaler Haltung auf der obersten von sechs Stufen vor einer architektonisch gerahmten Nische, in deren Lünette eine Muschel mit Kreuz im Siegeskranz einbeschrieben ist. Er trägt Mantel, Tunika und Sandalen und hält in der einen Hand einen Globus mit Kreuz, in der anderen einen Langstab. So ausgestattet, bewacht Michael das Portal des Himmelspalasts und empfängt dort die Seelen der Verstorbenen. 94 Wie an der Bearbeitung ihrer Ränder zu erkennen ist, war die Tafel ursprünglich der rechte Teil eines Diptychons, stellt also nicht, wie mehrfach behauptet, das älteste erhaltene Einzelbild Michaels dar. Es ist unklar, welche Figur der andere Flügel gezeigt haben könnte. Denkbar wäre eine Darstellung Gabriels, der Michael ja auch in mehreren Kircheninnenräumen der Zeit gegenübergestellt ist, 95 oder aber des Kaisers. 96

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Paris, Cabinet des Medailles. Vgl. Kat. New York 1977/ 80, I, Kat. 483; Belting 1991, S. 110 mit Abb. 47. Ein im sechsten Jahrhundert verfaßtes Epigramm des Agathias Scholasticus bezieht sich auf ein Bild, wohl ein Diptychon, das zweimal den Proconsul Theodorus zeigte, wie er aus den Händen Michaels ein Abzeichen seiner Würde empfängt. Auch in diesem Fall muß die Darstellung als solche gerechtfertigt werden: ,,Sei nicht erzürnt darüber, dass Du Gestalt erhalten hast, Erzengel; denn dein Anblick ist unsichtbar, aber diese ist ein Geschenk der Sterblichen. Von dir nämlich hat Theodorus den Gürtel des Magister Officiorum erhalten, und dank dir hat er zwei Mal bei Hofe als Proconsul gedient. Das Bild ist ein Zeuge seiner Dankbarkeit, es hat mit Farben deine Wohltat getreulich nachgebildet." Zitiert nach: Rohland 1977, S. 125. Vgl. ferner Belting 1991, S. 110. London, British Museum, lnv. Nr. MLA OA 9999. Die lnschrift!autet übersetzt: ,,Empfange diese Gaben, wenn du die Ursache erfährst[ .. .]", bezeichnet den dargestellten Erzengel also nicht explizit als Michael. Stuhlfauth 1897, S. 179-182, zufolge dürfte sie sich aber auf seine Funktion als Fürbitter und Seelengeleiter beziehen. Zur Datierung und weiteren Literatur: Volbach 1916, S. 78, Nr. 109, Taf. 59. Vgl. neben den Mosaiken in S. Vitale in Ravenna und in S. Apollinare in Classe auch die Steinreliefs am Evangelistentor des Wallfahrtsortes Alahan Manastiri in Isaurien, 5. Jh., auf denen sich Michael und Gabriel einander gegenüberstehen. Abb.: Falla Castelfranchi 1997, S. 15, Abb. 2. Dies schlägt etwa Volbach 1916, S. 78, vor.

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2. Michael und der Drache Auf einem koptischen Stoffragment des sechstenJ ahrhunderts steht eine frontale Gestalt auf einem geschuppten Reptil und stößt ihm mit der einen Hand seine Lanze in das weit nach oben gereckte und aufgerissene Maul (Abb. 3). Möglicherweise handelt es sich dabei um die früheste erhaltene Darstellung Michaels als Drachenbezwinger. 97 Diese Deutung ist freilich umstritten, da der Figur die Flügel fehlen und sie ein Handkreuz in der Linken hält. Man hat sie deshalb als sieghaften Christus oder auch als einen über das Heidentum triumphierenden Kaiser verstanden. 98 Zu beiden würde, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, die frontale Haltung passen. Gegen eine Interpretation als Christus sprechen allerdings der fehlende Kreuznimbus und das lockige Haar mit Tänie. 99 Diese Frisur ist für Christus eher untypisch, begegnet aber häufig sowohl bei Darstellungen von Kaisern 100 als auch des Erzengels Michael. Im übrigen sind die fehlenden Flügel kein zwingendes Argument gegen Michael, da er bis ins zwölfte Jahrhundert hinein bisweilen auch flügellos dargestellt wurde (Farbtafel XI; Abb. 85 ). 101 Das Problem wird sich nicht endgültig lösen lassen, da die in den patristischen Schriften betonte Christusähnlichkeit des Erzengels auch in der sich herausbildenden Michaelsikonographie eine große Rolle spielt. 102 J.J.G. Alexander hält die Figur für ein allgemeines Symbol für den Sieg des Christentums über das Heidentum. 103 Bedenkenswert ist aber auch de Jerphanions Vorschlag, in der Figur auf dem koptischen Stoff eine Art Urbild für den in Süditalien entwickelten frontalen Typus des Erzengels Michael mit Drachen zu sehen. Die relativ hohe Zahl der heute noch erhaltenen Fragmente ähnlicher koptischer Stoffe spricht zumindest für die weite Verbreitung dieses Motivs. 104 97 Erstmals zur Diskussion gestellt von Jerphanion 1938. 98 Die erste Deutung bei Weigand 1932, S. 75, Anm. 2, die zweite bei J erphanion 1938, S. 376-378, der die Figur als Konstantin interpretiert. Eine ähnliche Darstellung auf einem ebenfalls koptischen Stoff wird von Paulsen 1966, Text zu Abb. 82c, als das Krokodil tötender Christus aufgefaßt. 99 So Brenk 1966, S. 190, Anm. 90, der die Figur als Michael deutet. Allerdings trägt Christus auf dem Barberini-Diptychon (Paris, Musee du Louvre) eine ähnliche Lockentracht (ohne Tänie). 100 Vgl. etwa Deer 1953, S. 11, zu verschiedenen Darstellungen des Kaisers Arcadius . 101 Ohlgren 1992, S. 228, Anm. 4, verweist auf eine damals im Entstehen begriffene Studie über flügellose Engel von Jan van der Meulen und Roger J. Adams (Pennsylvania State University), die jedoch nicht bibliographierbar war. 102 Vgl. unten, Kap. B.II.3. Zu jüngsten theologischen Debatten über die Wesensähnlichkeit zwischen Michael und Christus vgl. Hannah 1999, S. 1- 13 und 214-220. 103 Alexander 1970, S. 95 . 104 Jerphanion 1938, S. 370, nennt vier solcher Stoffragmente, die sich zu seiner Zeit in folgenden Museen befanden: Eines in London, Victoria and Albert Museum, zwei in Athen,

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Die früheste gesicherte Darstellung Michaels mit dem Drachen 105 entstand um 800 im Umfeld der Hofschule Karls des Großen: Auf einem heute in Leipzig aufbewahrten Elfenbein erscheint der Erzengel als hohe, schlanke Gestalt mit Flügeln und N imbus, wiederum mit lockigem Haar und Tänie, bekleidet mit Tunika, Chlamys, metallenen Armstutzen und Sandalen und bewaffnet mit Schild und einem Speer, den er in den Rachen des unter ihm vor einer Erdhöhle liegenden Drachen sticht (Abb. 5). 106 Michael nimmt eine frontale Haltung ein, wendet aber den Kopf nach links oben, wo zwei Finger der Hand Gottes segnend seinen Nimbus berühren, und dreht gleichzeitig seine Beine und seinen linken Arm mit dem Schild nach rechts. Infolge der vollen Ausnutzung des schmalen Hochformates und der starken Reliefierung der Gewandfalten ist die Tafel von geradezu monumentaler Wirkung. Obwohl sich Michael gegen den Feind mit einem Schild verteidigen muß, fehlt der Darstellung- gerade im Vergleich mit ottonischen Umsetzungen des Themas - jede Dramatik: Erstens ist der Drache von so geringer Größe, daß er nicht sonderlich bedrohlich wirkt, und zweitens blickt der Erzengel seinen Gegner nicht einmal an und hält die Lanze eher spielerisch in dessen Maul. Wie schon bei dem Londoner Elfenbein handelt es sich auch bei dem Leipziger Michael nicht um ein Einzelbild des Erzengels·, das seine unabhängige Verehrung als Heiliger belegen könnte: Die seit 1743 in der Leipziger Stadtbibliothek nachweisbare Darstellung ist auf die Rückseite eines vereinzelten Flügels eines römischen Konsulardiptychons geschnitzt und dürfte zusammen mit seinem verlorenen Gegenstück ursprünglich als Bucheinband gedient haben. 107 Auch in diesem Fall kann nur darüber spekuliert werden, was auf der anderen Tafel dargestellt gewesen sein könnte. Theologische wie auch ikonographische Argumente sprechen für den Vorschlag Adolph Gold-

Benaki Museum und Kunstgewerbemuseum, und ein viertes aus Achmim-Panopolis, bei dem es sich wohl um das Exemplar im Pariser Musee des Arts Decorativs handelt. Weitere Exemplare befinden sich den nach den Angaben von Brenk 1966, S. 190, in Ba!timore, Philadelphia-Museum of Art (ebenfalls aus Achmim-Panopolis, vgl. Abb. 3), im Kunstgewerbemuseum Berlin und in St. Petersburg. 105 Wenig überzeugend ist die entsprechende Interpretation einer merowingischen Gürtelschnalle aus Südfrankreich, heute in Leiden, bei Brenk 1966, S. 209 und 206 mit Abb. 24. 106 Leipzig, Museum für Kunsthandwerk, Inv. -Nr. 53.50. Dazu: Goldschmidt 1914, S. 12, Nr. 1la/ b, Taf. VI; Volbach 1916, S. Nr. 4 und Nr. 222, Taf. 103 (mit weiterer Lit.); Kat. Aachen 1965, Nr. 520 (Dietrich Kötzsche); Volbach 1916, S. 22, 30, 36 und Abb. 10; Gaborit-Chopin 1978, S. 52, 186f., Nr. 42; Kunsthandwerk im Grassimuseum, Antike bis Renaissance, Leipzig 1981, S. 9 (Anneliese H anisch); Kat. Frankfurt 1994, Nr. IV/ 26 (Margret Ribbert); Kat. Paderborn 1999, II, S. 747f., Kat. X.30 (Theo Jülich); Kat. Brescia 2000, S. 427, Kat. 407, Abb. 283. 107 Auf der Rückseite ist noch die Inschrift [FlaviusM]ESSI[us]PHOEB[us]SEVER[us) lesbar.

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schmidts, daß sie Christus Victor zeigte. 108 Daß dort Gabriel zu sehen war, ist dagegen schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil Michael nicht wie auf dem Londoner Elfenbein als einer von mehreren himmlischen Palastbeamten oder Torwächtern dargestellt ist, sondern erstmals bei der Ausübung einer spezifischen und nur ihm zukommenden Aufgabe. Dem sich hier herausbildenen Darstellungstyp des Drachenbekämpfers ließe sich ein entsprechendes Gabrielsbild gar nicht an die Seite stellen, weil für Gabriel keine eigenständige Ikonographie entwickelt worden ist. Noch vor Entstehung des Leipziger Elfenbeins fand der Drachenkampf möglicherweise Eingang in die Monumentalmalerei. Aus dem Hinweis des westfränkischen Pilgers Bernhard auf ein Michaels bild im Inneren der Höhlenkirche auf dem Gargano schloß Emil Male, daß es sich hierbei um ein Fresko gehandelt haben müsse, das als früheste Darstellung Michaels mit dem Drachen gelten könne. 109 Auch Max de Fraipont folgte wenig später der Meinung, daß der Bildtyp eine apulische Erfindung des siebten oder achten Jahrhunderts sei. 110 Die Formulierung in Bernhards nach 867-870 abgefaßtem Reisebericht ist allerdings -zu vage, um diese Interpretation stützen zu können, und sagt zudem nichts über die Entstehungszeit des verlorenen Engelbildes aus: lntrinsecus ergo ad orientem ipsius angeli habet imaginem. 111 Immerhin kann man einen Titulus, der sich zu dem Apsisfresko einer von Abt Poto vor 770 bei Montecassino gestifteten Michaelskirche überliefert hat, auf eine Darstellung von Michaels Drachenkampf beziehen: Poto abbas undecimus [. .. } Fecit etiam alteram ecclesiam in honore sancti Michahelis archangeli [... }, eamque et picturis insignibus et carminibus in circuitu decoravit honestis. [. .. } Quin Regi altithrono vastum qui continet orbem, / Cui cita coelicolae comportant nuntia iussi, / Addidit hoc magni Michahelis nomine templum / Sanguine rubrantem caelo qui depulit hydrum.112

Aus annähernd der gleichen Zeit stammen der Model einer spätmerowingischen Patene mit der mutmaßlichen Inschrift MICAEL VICTOR DRACONIS 113 108 109 110 111 112

Vgl. Goldschmidt 1914, S. 12. Male 1922, S. 258. Fraipont 1937, bes. S. 290-300. Itinerarium Bernardi, S. 298. Vgl. dazu Avril/Gaborit 1967, S. 278 f. MGH SS 7, S. 588. Poto muß bereits um ca. 770 gestorben sein, da sein Nachfolger Theodemar 19 Jahre zur Zeit der Kaiser Leo IV. (775-780), Konstantinos und Irene (780-797 bzw. 790-802), des Papstes Hadrian I. (772-95) und des Langobardenfürsten Arichis (t 787 / 88) regierte. Vgl. hierzu Avril!Gaborit 1967, S. 278 f. mit Anm. 3. 113 Heute im Museum von Orleans. Zur Auflösung der Buchstaben DR A in Victor Draconis siehe Baudot 1971 b, S. 25, ferner Heitz 1987, S. 81 und 86 und Rouche 1989, S. 553, Anm. 43. Zu den übrigen Engelsdarstellungen auf dem Patenenmodel vgl. unten, Kap. B.VII.4.

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und eine Spielart des Drachenkampfes in der Buchmalerei, die ganz ohne Waffen auskommt. In einer Schmuckinitiale des Sakramentars von Gellone 114 hält ein fliegender Engel mit beiden Händen einen zusammengeringelten Schlangendrachen in der Hand, der sich in den eigenen Schwanz beißt (Abb. 6). Wie bei den im Alten Testament beschriebenen Seraphim und Cherubim sind auch die Flügel dieses Engels mit zahlreichen Augen bedeckt und zeichnen ihn so als Wesen aus der unmittelbaren Umgebung Gottes aus. Der Engel biegt die Schlange zu einem Ring, der ebenso wie der verknotete Schwanz des Drachen oder wie die zahlreichen Knoten in frühmittelalterlichem Flechtbandwerk für durch das Christentum gebändigte böse Mächte steht. 115 John Arnold hat kürzlich vorgeschlagen, die D-Form des Schlangenringes als Verwandlung des Teufels (Diabolus) durch Michael in das Gute (Deus) zu interpretieren. 11 6 Da der Engel ohne Waffengewalt gegen das Untier vorgeht, kann man zumindest annehmen, daß mit diesem Bild nicht die Ausrottung des Bösen, sondern seine Unterwerfung zum Zwecke der Umverwandlung und Dienstbarmachung im manichäischen Sinne gemeint ist. 117 Auch dies gehört zum Aufgabenbereich Michaels, auf den die Darstellung in diesem Sakramentar schon deshalb zu beziehen ist, weil sie die Einträge zum Michaelsfest ziert. In den zehn Gebeten wird der Erzengel nicht als Drachenbekämpfer erwähnt, wohl aber einmal als Helfer gegen den Feind. 118 Überdies zählt Michael im Gellone-Sakramentar auch zu den Mächten, die beim Exorziat angerufen werden. Eine der historisierten Initialen, die den Gebetsformeln zum Exorziat beigegeben sind, zeigt sogar ein ähnliches Motiv wie das soeben besprochene, nämlich eine Hand mit Schlange. 119 Eine Q-Initiale in dem um 800 entstandenen Psalter aus Corbie 120 ist mit einem Engel gefüllt, der über einem riesigen Drachen schwebt - er bildet die 114 Paris, Bibi. nat., Ms. lat. 12048, Diözese Meaux oder Cambrai, E. 8.Jh., fol. 113v. Dazu allgemein: Jakobi-Mirwald 1998, S. 40-44, 173-183, Kat. 7. 115 Vgl. allgemein: Clasen 1943 mit Abb. 14-32; Weigert 1963; Brenk 1966, S. 208. 116 Arnold 1998, S. 326-328, bes. 328. 117 Gemäß der Lehre des persischen Gnostikers Mani (t 277) sind in der irdischen Welt und auch in jedem einzelnen Menschen Licht und Materie miteinander vermengt. Durch Hinwendung zum Licht und Befreiung von der schuldhaften Materie können die Gläubigen Erlösung erlangen. Da die Materie fester Bestandteil der Welt ist, kann sie jedoch nicht ausgelöscht, sondern nur bezwungen und dem Licht untergeordnet werden. 118 Liber Sacramentorum Gellonensis I, S. 198f., Nr. 251 / 1524. Kritisch zur Interpretation der Miniatur als Darstellung Michaels : Avril/Gaborit 1967, S. 278f., Anm. 3. Arnold 1998, S. 326, bezeichnet die Darstellung als „apparently the earliest surviving Frankish depiction of the archangel Michael." 119 Fol. 33r. Abb.: Liber Sacramentorum Gellonensis II. 120 Corbie, wohl A. 9.Jh., Amiens, Bibi. Municipale, Ms. 18, fol. 76r. D azu allgemein: Kuder 1977; Jakobi-Mirwald 1998, S. 44-49, 142-146, 184-193, Kat. 8, Abb. 20-30; Kat. Paderborn 1999, II, S. 812, Kat. XI.20 (Katharina Bierbrauer).

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Cauda des Buchstabens - und diesem einen Kreuzstab ins aufgerissene Maul stößt (Abb. 7). Bis auf diesen Stab ist der nimbierte Engel unbewaffnet und hält in der Linken nicht einen Schild zur Verteidigung, sondern lediglich den Überhang seines langen Gewandes. Trotz dieser wenig kriegerischen Geste befindet sich der Engel in einem echten Kampf mit dem Ungeheuer, aus dessen Rachen zwei bedrohliche Flammen schlagen und dessen gewundener Leib kraftvolle Anspannung verrät. Auch die Größe des Untiers zeigt seine Gefährlichkeit an. Die geschlossene Bogenlinie des Buchstabens Q, über den der Engel nur mit dem Nimbus und mit der rechten Hand hinausragt, wirkt wie eine Schutzhülle, die den Kämpfenden vor dem Pesthauch des Drachen bewahrt. In dieser Funktion ähnelt sie dem Kreis, der den Psalmisten bzw. Christus im nur wenige Jahre später entstandenen Stuttgarter Psalter vor dem Mittagsdämon beschirmt (Farbtafel I). 121 Einen positiven Ausgang des Kampfes deutet auch die senkrechte Stoßrichtung des Kreuzsstabes an, der ohnehin nicht als Waffe taugt und insofern wie ein vorzeitig präsentiertes Siegeszeichen wirkt. Anders als viele der anderen historisierten Initialen im Corbie- bzw. Amienspsalter steht diese in keinem direkten Zusammenang zu dem Psalm, den sie illustriert, es ist der 83. 122 Insofern läßt sich über den zugehörigen Text kein Aufschluß darµber gewinnen, ob mit dem Kämpfenden tatsächlich Michael gemeint ist. Ulrich Kuder hat hier vor allem wegen des Kreuzstabes nicht den Erzengel, sondern Christus als obersten der Engel, als Christus angelus, verkörpert gesehen. 123 Diese Interpretation vermag aber schon deshalb nicht zu überzeugen, als in der Karolingerzeit Christus nirgends sonst im Kampf mit einem Drachen dargestellt wird. 124 Die eindeutigen Hinweise auf eine kriegerische Auseinandersetzung sprechen vielmehr dafür, daß auch diese Initiale Michael zeigen soll. Als von Gott geschickter Helfer gegen alles Übel erscheint er dem, der die Psalmen liest, ganz im Sinne einer unter dem Pseudonym Augustinus verbreiteten frühmittelalterlichen Vorrede zum Psalter: [Psalterium] effugiat demones. Expellit tenebras. Efficit sanctitatem homini peccatori. [. .. } Delet peccata [. .. ]. Cotidie radicem malorum evellit. Sicut lorica induit. Sicut galea defendit. 125 121 St.-Germain-des-Pres, um 820/30, Stuttgart, Württ. Landesbibl., Bibi. Fol. 23, fol. 107r (zu Ps 90,5-6). Vgl. neuerdings Heinzer 2004. 122 Jakobi-Mirwald 1998, S. 79. Möglicherweise bezieht sich die Initiale, wie Kuder 1977, S. 216, vorschlägt, auf V 10: Protector noster, aspice, Deus. 123 Kuder 1977, S. 215. Openshaw 1990, und Jakobi-Mirwald 1998, S. 143, deuten die Darstellung als Michael. 124 Zu den scheinbaren Ausnahmen Utrecht- und Stuttgart-Psalter vgl. unten, Kap. B.III.4. 125 Zit. nach Openshaw 1989, S. 31, Anm. 99. Zur Verbreitung vgl. ebd., Anm. 98; Haubrichs 1988, s. 379.

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3. Drachenkampf und Apokalypse Wie aus den genannten Beispielen hervorgeht, wurde Michaels Drachenkampf spätestens seit dem achten Jahrhundert in verschiedener Form unabhängig von Apokalypsezyklen und um 800 erstmals in der später geläufigen Ausprägung mit Lanze und Schild dargestellt. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis das Motiv zu den Illustrationen der Apokalypse steht: Handelt es sich um eine aus einem Zyklus herausgelöste Einzelszene, die sich zum eigenständigen Bildtypus entwickelte? Oder hat umgekehrt die Michaelsikonographie auf die Bebilderung der Apokalypse eingewirkt? 126 Eine Durchsicht der ältesten Apokalypseillustrationen spricht für Letzteres: 127 In ihnen fehlt der Kampf Michaels und seines Engelsheeres gegen den Drachen entweder ganz oder wird undramatisch und ohne besondere Hervorhebung des führenden Erzengels dargestellt. Dies dürfte auf die spätantiken Vorlagen zurückzuführen sein, die den frühmittelalterlichen Zyklen zugrundelagen und von diesen vermutlich ohne größere Hinzufügungen komplett übernommen wurden. 128 Nicht vorha'n den ist die Drachenkampfszene in den Apokalypsen von Valenciennes (A. 9. Jh.) und Paris (A. 10. Jh.) 129 und fehlt wohl auch bei den erst kürzlich entdeckten, nur fragmentarisch erhaltenen Fresken des neunten Jahrhunderts im apulischen Seppannibale. 130 Dagegen zeigt die Trierer Apokalypse aus dem frühen neunten Jahrhundert131 eine Gruppe von neun gleichen Engeln, die ihre Lanzen gegen den Drachen und fünf seiner Engel richten (Farbtafel II). Ähnliches läßt sich in der von Trier abhängigen Apokalypse von Cambrai aus dem frühen zehnten Jahrhundert 132 und wenig später auch 126 Erste Überlegungen in dieser Richtung: Fraipont 1937, S. 289; Lamy-Lassalle 1971, S. 55; Alexander 1970, S. 89. 127 Eine Ausdifferenzierung der verschiedenen ikonographischen Stränge nimmt vor: Klein 1979, S. 160 (Stemma). Allgemein zur Datierung und Tradition der mittelalterlichen Apokalypseillustrationen: ders. 1992. 128 Zur Ableitung sämtlicher Apokalypseillustrationen von einem römischen Prototyp des fünften oder sechsten Jahrhunderts: Montague Rhodes 1931 , S. 37; Neuss 1931, I, 265f.; Klein 1975, S. 90f., 113-115. 129 Valenciennes, Bibi. Municipale, Ms. 99. Dazu allgemein: Juraschek 1954. - Paris, Bibi. nat., Ms. nouv. acq. lat. 1132. Dazu allgemein: Omont 1922, S. 63-73. 130 Vgl. Bertelli 1990 b, S. 73-87; dies., in: Kat. Cividale del Friuli 1990, S. 335 f., Kat. VIII.7. 131 Nordfrankreich, 1.V. 9.Jh., Trier, Stadtbibl., Cod. 31, fol. 38r. Dazu allgemein: Faksimile Trierer Apokalypse II; Kat. Paderborn 1999, II, S. 818-820, Kat. XI.24 (Katharina Bierbrauer). 132 Cambrai, Bibi. municipale, Ms. 386, 1.H. 10.Jh., fol. 27r. Dazu allgemein: Klein 1989, S. 84-151. Abb.: Neuss 1931, I, Abb. 283; Wolfgang Braunfels, Die Welt der Karolinger und ihre Kunst, München 1968, Abb. 221.

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in den spanischen Beatuskommentaren in New York (Farbtafel III) und in Valladolid beobachten. 133 In der mit Trier und Cambrai verwandten Bamberger Apokalypse aus der Zeit um 1000 sind es zwei einander völlig gleichgeordnete Engel, die aus dem Himmel heraus gegen zwei ebenso gleichartige und gleichwertige Drachen in der irdischen Sphäre kämpfen (Farbtafel IV). 134 Eine Reiterschar guter Engel streitet in den wenig später entstandenen Fresken des Baptisteriums von Novara gegen eine Reiterschar böser Engel. 135 Michael ist dort nicht identifizierbar, und der Drache erscheint erst in der nächsten Szene, in der er bereits auf die Erde geworfen ist und das apokalyptische Weib angreift. Der verlorene Apokalypsezyklus, der unter Abt Gauzlin um 1020 an die Innenfassade der Abteikirche von Fleury, heute Saint-Benoit-sur-Loire, gemalt wurde, enthielt den überlieferten Tituli zufolge auch eine Darstellung des Drachenkampfes, bei dem Michael wohl nicht hervorgehoben war. 136 Auch die Fresken in der Vorhalle der Abteikirche von Saint-Savin-sur-Gartempe (Vienne) aus den Jahren um 1080 zeigen den apokalyptischen Drachenkampf als mehrfigurigen Reiterkampf, ohne Michael besonders auszuzeichnen. 137 Ähnlich verhält es sich in Auxerre (um 1100), in Castel S. Elia (um 1120) und in Poitiers. In Bardolino (um 1150) endet der ausführliche Apokalypsezyklus mit dem apokalyptischen Weib, auf die Darstellung Michaels wurde wiederum verzichtet. 138 Die möglicherweise früheste Darstellung des kämpfenden Michael als Einzelfigur im Kontext einer Apokalypseillustration findet sich in den Fres-

133 New York, Pierpont Morgan Library, M. 644, laut Kolophon vor 950 von einem Maius auf Geheiß seines Abtes Victor in einem Michaelskloster illustriert, fol. 152v-153r. - Valladolid, Bibi. Universitaria, Ms 433, fol. 130v. Sehr ähnlich auch in Paris, Bibi. nat., Ms. lat. 9978, 11. Jh., fol. 159r. Einen Überblick über die Darstellung der Szene in den übrigen Beatus-Handschriften gibt Neuss 1931, I, S. 183-186. 134 Bamberg, Staatsbibl., Msc. Bibi. 140, fol. 30v. Dazu: Klein 2000, bes. S. 105-110 und 127. Die hier interessierende Darstellung bezeichnet Klein (S. 111 f.) als „eine der eindrucksvollsten Kompositionen des Bamberger Zyklus", dies aber „auf Kosten des Inhalts und der Treue gegenüber dem biblischen Text". 135 Vgl. Chierici 1967. Nicht greifbar war mir Marchita B. Mauck, The Apocalypse Frescoes of the Baptistery in Novara (Italy), Ph.D. Tulane University. Zur Datierung in die Zeit zwischen 1005 und 1030/ 33 vgl. Adriano Peroni, in: Exner 1998 b, S. 155-160, hier 156. 136 Andre de Fleury: Vita Gauzlini, S. 121-129. Vgl. Montague Rhodes 1931, S. 39f., 98; Christe 1999, S. 56f.; ders. 2000, S. 137f. 137 Vgl. Christe 1999 b. Abb.: Yves-Jean Riou, L'abbaye de St.-Savin, Vienne, o. 0. 1992 (Inventaire general des monuments et des richesses artistiques de la France), S. 39; Demus 1968, Abb. 98, Taf. XLVI; Kat. Bamberg 2000, Abb. 44. 138 Allgemein zum Bildprogramm der monumentalen Apokalypsezyklen: Christe 1994 und 2000.

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ken der Friedhofskapelle von Saint-Pierre-les-Eglises (Vienne), die entweder im zehnten oder aber im zwölften Jahrhundert entstanden sind (Abb. 8) 139 : Hier ficht der Erzengel allein gegen den siebenköpfigen Drachen, der gleichzeitig Wasser speit, um die apokalyptische Frau und ihr Kind zu vernichten140. Als Anführer immerhin erkennbar ist Michael auf dem Apsisfresko in Civate aus dem späten elften Jahrhundert, weil er im Gegensatz zu den anderen Engeln eine antikische Rüstung trägt und außerdem an prominenter Stelle plaziert ist (Abb. 9). 141 Gemeinsam mit seinen Mitstreitern sticht er auf einen riesenhaften Drachen ein, der sich unter ihnen befindet und wie in Saint-Pierre-les-Eglises und in Novara durch seine Kopfbewegung zu der nächsten Szene überleitet, in der er das apokalyptische Weib mit dem Kind bedroht. Aus diesem Überblick ergibt sich folgendes Bild: Der kämpf ende Erzengel Michael tritt in den frühen Apokalypseillustrationen zunächst nicht in Erscheinung und wird dort frühestens im zehnten, wahrscheinlich aber erst im späten elften Jahrhundert als Anführer der anderen Engel hervorgehoben. Noch in einer Miniatur des Siegburger Lektionars aus dem frühen zwölften Jahrhundert (Abb. 10) 142 ist er von seinen beiden Mitstreitern praktisch nicht zu unterscheiden, und dies, obwohl das Bild die Lesung zum Fest Michaels als Patron der Siegburger Klosterkirche illustriert. Da das Einzelbild Michaels mit dem Drachen im elften Jahrhundert einen ausgereiften und weitverbreiteten Bildtyp darstellt, liegt der Schluß nahe, daß bildliche Umsetzungen von Offb 12, wie sie im späteren elften Jahrhundert etwa im Jumieges-Evangeliar (Farbtafel V) 143 oder im zwölften Jahrhundert im Liber Floridus Lamberts von Saint-Omer (Farbtafel VI) sowie in einer Handschrift der Victoria verbi D ei des Rupert von Deutz (Farbtafel XXI) vor139 Für eine Datierung in das frühe achte Jahrhundert: G . C. Macchiarella (in: Annuario dell'Istituto di storia dell'arte 1973 / 74, S. 141 ff.); für das zehnte Jahrhundert: Paul Dechamps (in: Atti 1950, S. 335-342, hier 340-342), Carol Heitz (1980, S. 188) und neuerdings Xavier Barral i Altet (1987, S. 42 und 127). Demus (1968, S. 144, Abb. 114/ 115) und Exner (1989, S. 201-204) plädieren für eine Entstehung im zwölften Jahrhundert. Dazu ließe sich ergänzen, daß auch der Panzer Michaels für die Spätdatierung zu sp rechen scheint. 140 Vgl. Klein 1992, S. 168 f. 141 Dazu allgemein: Bognetti/ Marcora 1957, S. 84-100, 126-136; Grabar 1966, S. 279-282; Christe 1984; Klein 1992, S. 188 (zur Verwandtschaft der Fresken mit den spanischen Beatus-Illustrationen). 142 London, British Library, Ms. Harley 2889, fol. 68r. Dazu allgemein: Turner 1962; Mittler / Bloch 1964; Kat. Köln 1972/73, I, S. 311, J 46 Qoachim M. Plotzek); Kat. Köln 1975, S. 229-236 Qoachim M. Plotzek); Mittler 1979, S. 72- 75. 143 London, British Museum, Ms. Add. 17739, fol. 17v, N-Initiale. 144 Nordostfrankreich, 3.V. 12. Jh., Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1 Gud. lat., fol. 15r. - Köln um 1120-26; München, Bayer. Staatsbibl., Clm 14055, fol. 6v.

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kommen, 144 solche isolierten Michaelsdarstellungen rezipiert haben und nicht umgekehrt. Erst nachdem das Bild des kämpferischen Erzengels als eigenständiges Motiv etabliert war, ging es in die Apokalypseillustrationen ein. Seit dem zwölften Jahrhundert wird Michael dort praktisch immer als herausragender Führer eines himmlischen Heeres im Kampf gegen den Drachen und sein Gefolge gezeigt (Abb. 11; Farbtafel VIl). 145

145 Noch kaum hervorgehoben ist er in dem italienischen Beatuscodex Berlin, Staatsbibl., Ms. theol. lat. fol. 561 , fol. 70r, 2.H . 12.Jh. Geradezu szenebeherrschend tritt er in folgenden H andschriften auf: New York, Pierpont Morgan Libr., Ms. 524, fol. Sv; Rom, Bibl. Apost. Vat., Cod. lat. 39, fol. 163r; London, British Library, Lambeth 209, fol. 15v; Paris, Bibl. nat., Ms. lat. 10474, fol. 22r. Alle bei: Klein 1983, Abb. 88, 94 und 96f.

III. Rahmenthemen

1. Drachenkampf, Christus Victor und Anastasis Seit einer zuerst von Adolph Goldschmidt geäußerten Vermutung wird das Leipziger Täfelchen mit zwei anderen Werken der sogenannten Ada-Gruppe in Verbindung gebracht, die neben der stilistischen auch eine kompositionelle und eine inhaltliche Korrespondenz aufweisen, nämlich mit der ChristusTafel des Lorscher Einbandes 146 und mit dem Oxforder Buchdeckel (Abb. 12). 147 Beide zeigen das in der karolingischen Kunst häufig vertretene Bildthema des Christus Victor, der entsprechend der Worte aus Ps 90,13 bzw. Lk 10,19 über Löwe und Aspis oder Schlange schreitet: Super aspidem et basiliscum ambulabis et conculcabis leonem et draconem. 148 Es muß erwähnt werden, daß der Begriff Christus Victor hier ausschließlich für den über Ungeheuer schreitenden Psalmchristus verwendet wird, nicht im Sinne Friedrich Gerkes für den jugendlichen Christus mit Gemmenkreuz oder im Sinne Wolfgang Christian Schneiders für eine Vorstufe bzw. Variante der Maiestas Domini. 149 Für die Vorstellung vom triumphierenden Christus, aus dem Siegesgedanken des Frühchristentums heraus im vierten Jahrhundert entstanden, ist bis zu seiner Ablösung durch das Bild der Auferstehung im 13. Jahrhundert eine breite Überlieferungssituation zu verzeichnen. 150 Der Psalmchristus tritt zunächst auf zahlreichen frühchristlichen Terrakottalampen, Amuletten, Sarkophagen und Wandbildern auf (Abb. 13) 151 und wird sowohl in der karolingischen als auch in der ottonischen Buchmalerei und Klein146 Wohl Aachen, um 820, Rom, Bibi. Apost. Vat., Museo Sacro, Pa!. Lat. 50. Dazu allgemein (alle mit Abb.): Goldschmidt 1914, S. 13f., Nr. 13 f.; Volbach 1916, S. 96f., Nr. 223 f.; Steenbock 1965, S. 82f., Nr. 14; Reudenbach 1994; Kat. Paderborn 1999, II, S. 733-736, Kat. X.22 (Paul Williamson). Der Buchdeckel wird neuerdings der Zeit Ludwigs des Frommen zugewiesen, vgl. Harbison 1984, S. 457. 147 Wohl Aachen, um 800, O xford, Bodleian Library, Ms. Douce 176. Dazu allgemein: Goldschmidt 1914, S. 9, Nr. 5, Taf. III; Kat. Paderborn 1999, II, S. 696-698, Kat. X.7 (Rainer Kashnitz). 148 Ähnlich in Lk 10, 19. 149 Vgl. Gerke 1948, S. 42 und Schneider 1991. 150 Überblick bei: Sax! 1943, mit einer Einteilung in vier Typen: 1. Einzelfigur auf einem Ungeheuer; 2. Von Engeln flankierte oder umschwebte Figur auf zwei oder vier Ungeheuern; 3. Einzelfigur auf zwei Ungeheuern; 4. Christus Miles (kein eigenständiger Typus). 151 Allgemein dazu: RAC 4 (1959), Sp. 178-180; Ihm 1992, S. 30-33; Bovini 1964; Quacquarelli 1975; Post 1982.

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plastik häufig rezipiert (Abb. 14; Farbtafel X). 152 Auf den ersten Blick besteht tatsächlich eine enge Verwandtschaft zwischen dieser Darstellung und der des Drachenkämpfers Michael: Beide Bilder präsentieren im allgemeinsten Sinne den Sieg des christlichen Glaubens über das Böse, und in beiden Fällen wird die Überlegenheit des Siegers durch das Stehen auf oder über dem Feind verbildlicht. Bei dem Oxforder und dem Leipziger Elfenbein weisen Christus und Michael sogar ein ähnliches Standmotiv auf: Beide winkeln ihre Knie leicht an, stellen das rechte Bein etwas weiter seitlich und drehen die Füße nach außen. Trotz dieser formalen und thematischen Parallelen greift die Herleitung des drachenbekämpfenden Erzengels aus der älteren Bildtradition des Christus Victor 153 jedoch zu kurz, da sich die beiden Dargestellten in drei wichtigen Punkten unterscheiden: erstens in ihrer Körperhaltung, zweitens in der Art ihrer Waffen und drittens in deren Ausrichtung. Wir werden sehen, daß diese Abweichungen für das Verständnis des Drachenkampfes von zentraler Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß das Motiv des Kampfes gegen einen Drachen, das wie auch das dem Christus Victor zugrundeliegende Stehen auf dem Feind seit Jahrtausenden in verschiedenen Kulturen vorkommt, im Sinne C.G. Jungs als „archetypisches Bild" bezeichnet werden könnte. Der von Jan Bialostocki für die nachantike Kunst eingeführte Begriff „Rahmenthema" ist jedoch besser geeignet, die Spanne zwischen traditionellen und innovativen Elementen des Drachenkampfmotivs im Mittelalter sowie seine kontextabhängigen Varianten zu fassen. 154 Zunächst ist ein Blick auf die mutmaßliche Wurzel der beiden Bildthemen zu werfen: Als ihr gemeinsames Vorbild gilt die Calcatio im spätantiken kaiserlichen Siegeszeremoniell. Sie führte ihrerseits den altorientalischen

152 Vgl. neben den bereits genannten Elfenbeintäfelchen: Mosanisches Elfenbeindiptychon aus St. Martin in Genoels-Elderen, E. 8.Jh., Brüssel, Musees royaux d' Art et d'Histoire, Inv.-Nr. 1474; L-Initiale aus den Gregor-Homilien, um 800, Vercelli, Bibi. Capit., Ms. CXLVIII, fol. 72v; Evangeliar aus Canterbury, E. 10.Jh., New York, Pierpont Morgan Library, M. 869, fol. 13v; Sammelhandschrift, 2.H. 10.Jh., Einsiedeln, Stiftsbibl., Hs. 176, fol. 51v; Werdener Psalter, 2.V. 11.Jh., Berlin, Staatsbibl., Cod. theol. lat. fol. 358, fol. 64; Rückdeckel des Poussay-Evangelistars, 1. H. 11.Jh., Paris, Bibi. nat., Ms. lat. 10514; Elfenbeintäfelchen, M. 12.Jh., Dresden, Kunstgewerbemuseum. Eine Silberstatue Papst Benedikts III. (855-858), die Christus über Ungeheuern darstellte, erwähnt der von Duchesne edierte Liber Pontificalis II, S. 144. Zahlreiche weitere Beispiele mit Abb. bei Buddensieg 1957, s. 140-153. 153 Wie etwa bei Lamy-Lassalle 1971, S. 55 oder bei Alexander 1970, S. 89-91, der von einer „creation by analogy", spricht, bei der einfach das Buch durch den Schild und das Kreuz durch die Lanze ausgetauscht worden seien. Bei dem Leipziger Elfenbein konstatiert er ,,an awkwardness which suggests that it is an adaption of another scene" (ebd., S. 90, Anm. 1). 154 Vgl. Bialostocki 1966, S. 113-119.

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Brauch fort, einem unterwarf enen Gegner öffentlich die Füße auf den Leib zu stellen und läßt sich in Byzanz noch zur Zeit Konstantins VII. (913-921/ 22; 944-959) nachweisen. 155 Bereits unter Konstantin dem Großen wurde die bildliche Umsetzung des Themas allegorisch gedeutet: Eusebius beschreibt in seiner Vita Constantini das berühmte Wandbild über dem Eingang von Konstantins Palast mit dem Kaiser und seinen Söhnen, die über einem durchbohrten Drachen stehen, und vergleicht dabei die reale Unterwerfung von Barbarenvölkern durch den spätantiken Kaiser mit dem Sieg Christi über die Dämonen. 156 Mehrere Münzen des vierten und fünften Jahrhunderts zeigen auf dem Revers Konstantins Labarum auf der Schlange (Abb. 15), 157 wesentlich häufiger jedoch finden sich die seit Trajan bekannten Prägungen, die auf dem Revers den Kaiser dabei zeigen, wie er seinen Fuß auf einen besiegten Feind bzw. ein Ungeheuer setzt. Wie auch das Palastbild ist diese Darstellung historisch und allegorisch zugleich zu verstehen. 158 Später wurde die Verbindung von irdischem und himmlischem Herrscher auch im Zeremoniell hergestellt: Bei der Feier anläßlich seines Sieges über die Gegenkaiser Leontios und Tiberios III. Apsimaros ließ Justinian II. im Jahre 705 im Hippodrom die Verse des 90. Psalms singen, während er den Besiegten beide Füße in den Nacken setzte. 159 Man kann daraus schließen, daß einerseits das Bild des Psalmchristus aus der Tradition der antiken und spätantiken kaiserlichen Triumphfeiern entstand, daß umgekehrt aber die spätrömischen und byzantinischen Kaiser bei ihrer bildlichen und zeremoniellen Selbstdarstellung die Verbindung zum Thema des triumphierenden Christus nutzten. 160 Aufgrund der lebhaften Wechselwirkungen zwischen Kaiser- und Christusdarstellungen in der Spätantike ist an der Stichhaltigkeit der Ableitung des ChristusVictor-Bildes aus den kaiserlichen Siegesbildern also kaum zu zweifeln. 161 Die aus den verschiedensten kulturellen Zusammenhängen sowohl schriftlich als auch bildlich überlieferte 162 und auch mehrfach in der Bibel vorkam-

155 Allgemein: Grabar 1936, S. 31-45 und 129, Anm. 1; Kollwitz 1941, S. 39f.; Erika Dinklervon Schubert, Art. Fußtritt, in: LCI 22 (1970); Dunbabin 1991, S. 26-35. 156 Eusebius: Konstantin III,3, S. 97f. Vgl. hierzu auch Weigand 1932, S. 70-74. 157 Die Abb. zeigt das Exemplar in München, Staatliche Münzsammlung, M146 Rs, um 327/ 28 . 158 Vgl. Deer 1953, S. 119 f. und Uwe Süßenbach, Konstantin und die Anfänge kirchlicher Monumentalkunst, in: Städel-Jahrbuch NF 10 (1986), S. 5-76. 159 Dazu: Grabar 1936, S. 129; Kollwitz 1941, S. 39. 160 Allgemein zu diesem Themenkomplex: Grabar 1936, passim; Treitinger 1938, S. 175f., 183; Wessel 1953; Ihm 1992, S. 11-41; Mac Cormack 1982, bes. S. 303f.; Engemann 1983; McCormick 1986. 161 Dies gilt trotz der differenzierenden Bemerkungen Beat Brenks (1977, S. 44f.). 162 Vgl. Dunbabin 1991, passim.

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mende Calcatio 163 wurde bereits im Frühchristentum nicht nur mit den Siegen Christi über Heidentum, Teufel und Tod bzw. dem 90. Psalm in Verbindung gebracht, sondern auch mit dem Sieg der Gerechten über das Böse, 164 speziell mit dem Sieg der Märtyrer über die Anfechtungen des Teufels. Neben der vielzitierten Passage aus der Perpetua-Vision 165 ist hierfür auf die von Prudentius (t nach 405) verfaßte Agnes-Vita zu verweisen, in der das Martyrium ebenfalls als Sieg der Heiligen über den Teufel beschrieben wird, den A gnes in Gestalt eines Drachen niedertritt. 166 Auch die heilige Marina (Margarethe) ringt in einer frühen Version ihrer Passio mit einem Drachen und setzt ihm, nachdem sie ihn mit Hilfe des Kreuzeszeichens zu Boden geworfen hat, ihren Fuß in den Nacken. 167 Daß auch bildliche Umsetzungen des Themas bereits in frühchristlicher Zeit nicht für Christus oder den Kaiser reserviert waren, zeigt eine Vita des heiligen Stephanus. In dies er Legende ist von einem bemalten Tuch (velum variis pictum coloribus) die Rede, das den Märtyrer auf einer Darstellung bei der Vertreibung eines Drachen aus der Stadt und auf einer anderen mit geschultertem Kreuzstab triumphierend auf ihm stehend gezeigt habe. 168 Auf der Holztür von S. Ambrogio in Mailand aus dem vierten Jahrhundert stellt

163 Jos 10,24: ite et ponite pedes super colla ;egum istorum/ qui cum perrexissent et subiectorum pedibus colla calcarent; Ps 109,1 : sede a dextris meisldonec ponam inimicos tuos scabillum pedum tuorum; Röm 16,20: D eus autem pacis conteret Satanan / sub pedibus vestris velociter; 1. Kor 15,25: oportet autem illum regnare donec / ponat omnes inimicos sub pedibus eius/ novissima autem inimica destruetur mors. Weitere Textstellen und eine jeweils kontextbezogene Untersuchung des Begriffes Niedertreten (griech. xaTarrmtw) bei Passoni dell' Acqua 1986. 164 Nicht auf C hristus, sondern auf tugendhafte und gerechte Menschen wird Ps 90 von Hieronymus (PL 26, Sp. 32) und von diesem abhängig Smaragd von St.-Mihiel (PL 102, Sp . 127), Hrabanus Maurus (PL 107, Sp. 783) und später auch von Thomas von Aquin bezogen. Unabhängig von Hieronymus kommen Beda Venerabilis (PL Sp. 92, 19), die Glossa Ordinaria (PL 114, Sp. 85) und Theophylact (PG 123, Sp. 181 ) zu einer ähnlichen Auslegung des Psalms. Vgl. hierzu Köppen 1961, S. 48. 165 Vgl. dazu Dölger 1932/33; Habermehl 1992; Cramer 1993, S. 73-86. 166 CCSL 126, S. 389: H aec calcat Agnes ac pede proteritlstans et draconis calce premens caput. / Terrena mundi qui f erus omnia/ spargit venenis mergit et inferis, / nunc virginali perdomitus solo/ cristas cerebri deprimit ignei/nec victus audet tollere verticem. Weitere Hinweise bei Dunbabin 1991 , S. 27, Anm. 16. 167 RAC 4 (1959), Sp . 246f. 168 PL 41, Sp. 851: Indextera veli parte ipse sanctus Stephanus videbatur astare, et gloriosam crucem propriis repositam humeris bajulare, qua crucis cuspide portam civitatis videbatur pulsare, ex qua profugiens draco teterrimus cernebatur exire, Amico Dei videlicet adventante. Verum ille serpens noxius nec in ipsa fuga tutissimus, sub triumphali pede Martyris Christi contritus aspiciebatur et pressus.

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D avid, der soeben von Saul gesalbt wird, seine Füße auf einen Löwen.169 Diese Tradition setzte sich auch im Mittelalter fort. So ist eine L-Initiale in einem französischen Evangeliar des späten neunten Jahrhunderts aus einem Mann mit Stabkreuz gebildet, der auf den Rücken eines Löwen tritt. 170 Auf dem Griff des Siegelmodels für die angelsächsischen Adligen Godwin und Godgytha sitzen die beiden Herrn, von denen in Ps 109 die Rede ist, nebeneinander auf einem Thron und setzen die Füße auf den Körper einer unter ihnen ausgestreckten Figur. 171 Im Zuge des lnvestiturstreits wurde die Bildformel erstmals auch für den Papst dienstbar gemacht: Auf den 1122-24 von Calixtus II. für seine Beratungsräume im Lateranpalast in Auftrag gegebenen und seit dem 16. Jahrhundert verlorenen Fresken waren die rechtmäßigen Päpste von Alexander II. bis hin zu Calixtus als Thronende gezeigt, denen ihre jeweiligen Gegenpäpste als Fußschemel dienten. 172 Seit dem ausgehenden elften Jahrhundert werden zunehmend Heilige über einem Untier stehend dargestellt.173 Sämtliche schriftlichen und bildlichen Belege fü r die Calcatio in Antike und Frühchristentum stimmen trotz der im Laufe der Jahrhunderte zu verzeichnenden rituellen und begrifflichen Veränderungen darin überein, daß der Vorgang ausschließlich als Demonstration des Triumphs verstanden wurde. Nicht der Kampf selbst in seiner Dramatik und die Unwägbarkeit seines Ausgangs scheinen darin auf. Das Augenmerk richtete sich genau auf den Moment des errungenen Sieges oder noch häufiger auf die nachträgliche Feier eines bereits ausgetragenenen Kampfes, in der der Sieger öffentlich einen oder beide Füße auf den Unterlegenen setzte oder sich komplett auf ihn stellte. Weil bei dieser rituellen Geste explizit der Kopf bzw. der Nacken des Feindes getreten wurde, ist der Vorgang auch als calcatio colli belegt. 174 Wenn der 169 Dazu allgemein: Adolph Goldschmidt, Die Kirchentür des heiligen Ambrosius in Mailand, Ein Denkmal für die frühchristliche Skulptur, Straßburg 1902; Milano capitale dell'impero romano 286-402 d.c., Ausst.-Kat. Mailand 1990, S. 129-133, Kat. 2a.28a (Maria Antonia Reinhard Felice); Kat. Hildesheim 1993, II, S. 272f., Kat. V-15 (Arne Effenberger). 170 Hildesheim, Dom- und Diözesanmuseum Hildesheim, Inv. Nr. DS 68, fo l. 83r. Abb.: Kat. Hildesheim 1993, II, S. 450, VII-4 (Ulrich Kuder). 171 Doppelsiegel, Walroßbein, nach 1040, London, British Museum, No. M & LA 1881,44,1. Abb.: Kat. London 1984, S. 113, Kat. 112; Kat. Utrecht 1996, S. 254, Nr. 37, Abb. 37. 172 Vgl. dazu ausführlich Herklotz 1989. 173 Vgl. etwa das anglonormannische Elfenbein, E. 11./A. 12.Jh., London, British Museum (Abb.: Beckwith 1972, Nr. 118). 174 Noch im zwölften Jahrhundert ist im Zusammenhang mit den erwähnten Fresken Calixtus' II. im Lateranspalast vom Treten auf den Hals des unterworfenen Gegners die Rede. Vgl. dazu Herklotz 1989, S. 152, der aus einem Brief Arnulfs von Lisieux an Alexander III. aus dem Jahr 1159 zitiert. Vgl. auch den lateinischen Begriff für den Vorgang des Sich Unterwerfens: collum dare.

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Unterworfene, wie oft überliefert, noch am Leben war, konnte seine Tötung durch den Triumphator den feierlichen Abschluß des Rituals bilden. So versetzte etwa Konstantin auf dem verlorenen Palastbild in Konstantinopel dem unterworfenen Drachen den Todesstoß, indem er seine Lanze in dessen Leib stemmte. 175 Auch das Labarum auf Konstantins Münzen steckt deshalb nicht im Kopf, sondern in der Körpermitte der Schlange (Abb. 15). Diese beiden Angriffspunkte finden sich in der Calcatio-Ikonographie allenthalben: Der Fuß des Siegers zielt auf den Nacken oder Hinterkopf, seine Lanze aber in den Brust- oder Bauchbereich des Besiegten. Da bereits das Stehen oder Thronen auf dem Feind ein Zeichen des errungenen Sieges ist, sind der Lanzenstich bzw. das Tragen einer Stichwaffe im Grunde nicht mehr nötig. Der überlegene hat deshalb die Hände frei für repräsentative Gegenstände, mit denen er seine Überlegenheit noch unterstreichen kann. So tragen Christus, der Kaiser oder ein Heiliger oft ein Buch oder ein Stabkreuz - das christliche Siegeszeichen schlechthin, aber keine für den Kampf geeignete Waffe. Oft hat Christus das Kreuz sogar über die Schulter gelegt, eine Gebärde, die wiederum seinen Triumph betont (Abb. 12; 13). 176 Die strenge Frontalität dieser Darstellungen entspricht dabei den elementarsten Gestaltungsprinzipien repräsentativer Herrscher-·und Christusbilder, da diese Ansicht die größte Distanz, Würde und Präsenz der gezeigten Person zum Ausdruck bringt. 177 Frühchristliche Siegesbilder des Kaisers zeigen diesen fast immer frontal sitzend oder stehend, höchst selten aber im Kampf. Wie Johannes Kollwitz gezeigt hat, bestand bereits in theodosianischer Zeit die Tendenz, weniger einen erfolgreich geführten Krieg als vielmehr den dabei errungenen Sieg darzustellen, der durch ein ausgeklügeltes Zeremoniell gefeiert und ebenso bildlich umgesetzt wurde. 178 Auf dem Obeliskensockel des Theodosius in Istanbul kommt der Gegensatz zwischen dem frontal sit-

175 Vgl. Eusebius: Konstantin III,3, S. 97f., demzufolge „der Drache zu seinen [Konstantins] Füßen mitten im Leibe von dem Geschosse durchbohrt" dargestellt gewesen sei. 176 Prudentius: Liber Peristefanon I,36, S. 252 bezeichnet es als insigne lignum, quod draconem subdidit. Auf die Untauglichkeit des Kreuzes als Waffe gehen ein: Kartsonis 1986, S. 85-87 und Baldwin 1990. 177 Allgemein dazu: Zaloscer 1970. Zur Herausbildung des frontalen Herrscherbildes im Frühchristentum vgl. Mac Cormack 1981, S. 176 und 189-192. Auf das frontale Standmotiv im oströmischen Zeremoniell geht Treitinger 1938, S. 112-114 ein, das frontale Standmotiv im byzantinischen und im späteren westlichen Bildgebrauch analysiert Francastel 1973, S. 15-51 und 213-248. Zum Zusammenhang zwischen Triumph- und Gerichtsbild vgl. Christe 1973 b. Auf andere ikonographische Zusammenhänge der frontalen Personendarstellung als die imperiale Kunst verweist Brenk 1977, S. 44 f. und 51, Anm. 27. 178 Vgl. Kollwitz 1941 , S. 58 f., der bei den Siegesdarstellungen auf der Arcadiussäule oder auf dem Galeriusbogen in Saloniki eine Tendenz zum Repräsentativen feststellt.

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zenden, in vielfacher Hinsicht siegreichen Kais er mit seinem Gefolge und den unter ihm knieenden, seitlich gezeigten Unterworfenen besonders deutlich zum Tragen. 179 In vergleichbarer Weise wird mit dem Bildthema des siegenden Christus eines der wichtigsten Elemente der christlichen Heilslehre, der Triumphgedanke, direkt umgesetzt. 180 Wie das kaiserliche Triumphbild dient auch der Bildtypus des Christus Victor der Veranschaulichung göttlicher bzw. gottverliehener Eigenschaften wie Stärke und Unbesiegbarkeit, nicht aber der Darstellung eines Geschehens. Dies unterscheidet ihn wesentlich von dem Bildtypus des drachenbekämpf enden Michael, mit dem nicht ein abstrakter Wert allegorisiert, sondern eine symbolisch gedeutete Episode des Neuen Testaments erzählt wird, in der es primär nicht um einen Triumph, sondern um einen Kampf geht. Wie gut die Differenzierung zwischen Sinnbild und Ereignisbild bzw. zwischen Triumph- und Kampfdarstellung geeignet ist, die Frontalität der Christusbilder und die Seitenansicht der Michaelsbilder zu erklären, zeigt der Blick auf die beiden wohl bekanntesten Christus-Victor-Darstellungen des neunten Jahrhunderts, die Illustrationen zu Ps 90 im Stuttgarter und im Utrecht-Psalter. 181 Der Stuttgarter Psalmchristus (Farbtafel X), der wegen seines Kettenhemdes, seines Helms und seiner Lanze meist als „kämpfender Christus" bezeichn.et wird, 182 steht frontal auf seinen beiden Gegnern und hält neb en der genannten Lanze ein aufgeschlagenes Buch in den Händen. Seine Rüstung soll an den ausgetragenen Kampf lediglich erinnern, die eigentliche Schlacht aber ist längst geschlagen, die Untiere sind unterworfen. 183 Die Unversehrbarkeit Christi wird durch den adorierenden Engel links und die Hand Gottes rechts angezeigt. Ähnlich verhält es sich mit der entsprechenden Darstellung im Utrecht-Psalter (Abb. 14): Daß Christus hier nicht in einem Kampf mit ungewissem Ausgang gezeigt wird, zeigen das Buch in seiner Linken, die ihn umgebende Mandorla mit Engeln und vor allem der

179 Dazu neuerdings Geyssen 1998, bes. 52. Ähnliche Gegensätze zwischen frontalem Herrscher und seitlich gegebenem Volk wiesen bereits die Reliefs des Konstantinsbogens auf; vgl. zur kompositorischen Ordnung des dortigen Bildprogramms Kemp 1994, S. 55-63. 180 Schiller 1971, S. 36, verweist hier auf Hieronymus (PL 113, Sp. 1251 ), demzufolge das Niedertreten vo n Aspis und Basilisk „ein Zeichen des zukünftigen paradiesischen Friedensreiches" sei. 181 St.-Germain-des-Pres, um 820/ 30, Stuttgart, Württ. Landes bibl., Bibl. Fol. 23, fol. 23r; Reims, um 820-835, Utrecht, Bibl. der Rijksuniv., Ms . 32, fol. 53v. 182 So etwa von Brenk 1966, S. 204 f. 183 Bei dem oft zum Vergleich herangezogenen Mosaik in der Erzbischöflichen Kapelle in Ravenna (Abb. 13) aus der Zeit um 500 sind der Panzer und die Stiefel Christi nicht original, sondern wurden erst bei einer Restaurierung im 19. Jahrhundert ergänzt. Vgl. den Hinweis bei Kuder 1998, S. 171, Anm. 144.

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Engel, der gerade im Begriff ist, ihm den Siegeskranz aufzusetzen. 184 Die Bewegtheit beider Darstellungen rührt nicht von der Absicht her, ein Kampfgeschehen darzustellen, sondern vom Gesamtstil der beiden Handschriften. Das gleiche gilt für Darstellungen in vom Utrecht-Psalter abhängigen Handschriften wie das angelsächsische Evangeliar aus St. Severin in Köln vom Ende des zehnten Jahrhunderts (Farbtafel VIII). 185 In diesen Zusammenhang gehört auch ein weiterer Bildtypus, der sowohl mit dem des Christus Victor als auch mit dem des Drachenkampfes eng verwandt ist und ebenfalls auf das Ritual der Calcatio zurückgeht: Christi Höllenfahrt bzw. Anastasis. 186 Wie der Christus Victor ist die Anastasis als Vorläufer der sich erst im 13. Jahrhundert herausbildenden Darstellung von Christi Auferstehung anzusprechen. Die schriftlichen Grundlagen für die wohl gegen Ende des siebten Jahrhunderts entstandene Bildformel schildern Christi Abstieg in die Vorhölle als Beweis seines Sieges über Satan, Hades oder den Tod und stellen das Ereignis in den Kontext der Auferstehung, an der durch Adams Erlösung alle Christen teilhaben. Bereits im vierten Jahrhundert ist in diesem Zusammenhang vom „Niedertreten" des Hades durch Christus die Rede. 187 Die letzten beiden Strophen eines Hymnus' des Sedulius aus dem fünften Jahrhundert stellen die Verbindung zwischen dem Abstieg in den Limbus, dem Triumph durch Calcatio und dem 90. Psalm her: Ymnis venite dulcibus / omnes canamus subditum / Christi triumpho tartarum, / Qui nos redemit venditus. / Zelum draconis invidi / Et os leonis pessimi / Calcavit unicus Dei/ Seseque coelis reddidit.188 Unter den verschiedenen Typen des Anastasis-Bildes zeigt bereits eine der frühesten Darstellungen des Themas, ein Fresko in S. Maria Antiqua in Rom vom Anfang des achten Jahrhunderts, den personifizierten Hades unter den Füßen Christi, der hier eine Buchrolle in der linken Hand hält. 189 Das Motiv findet sich etwa 150 Jahre später auch in der Unterkirche von S. Clemente, allerdings führt Christus diesmal ein Stabkreuz als Siegeszeichen mit 184 Vgl. hierzu Ott 1998, S. 278, Kat. 55 f. 185 New York, Pierpont Morgan Library, M. 869, fol. 13v. Vgl. auch den Tiberius-Psalter, London, British Library, Ms. Cotton Tiberius C.VI, um 1060, fol. llr, und den Psalter München, Bayer. Staatsbibl., Clm 343, fol. 88v. 186 Dazu allgemein: Grabar 1936, S. 237-239, 245-249; ders., Les voies de la creation en iconographie chretienne, Antiquite et moyen age, Paris 1979, S. 215f.; Kartsonis 1986; Stoll 1982. 187 Vgl. Kartsonis 1986, S. 4-6, 29-35, 69-81. 188 Bulst: Hymni, S. 73 (vgl. auch PL 19, Sp. 770 und CSEL 10, S. 167f.). 189 Datiert ca. 705-707. Vgl. auch die Darstellung Christi auf der Staurothek Fieschi-Morgan, wohl Syrien um 700, New York, Metropolitan Museum. Abb. und weitere Beispiele bei Schiller 1971, S. 41-63, Abb . 99,101.

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sich (Abb. 16). In den folgenden Jahrhunderten entwickelt sich das Stabkreuz zum zentralen Bestandteil sämtlicher Anastasis-Darstellungen. Wie PaulJ.G. Post gezeigt hat, weist es gemeinsam mit der Calcatio, der Lichtaureole und den Beischriften darauf hin, daß dieses Bild der Verherrlichung von Christi vielfältigem Sieg dient und daher als Triumphbild zu verstehen ist. 190 Allerdings präsentiert sich der Christus der Anastasis im Gegensatz zu Christus Victor immer handelnd und daher in Seitenansicht. 191 In der Anastasis werden die Typen Ereignisbild und Triumphbild miteinander verschmolzen, der Sieg wird als Aktion gezeigt. 192 Wenn man sich den Inhalt der AnastasisEpisode vor Augen hält, ist dies keineswegs erstaunlich: Schließlich wird hier ein Ereignis aus dem postumen Wirken Christi dargestellt, das einem Triumphzug gleichkommt. Indem er ohne Sünde gestorben ist, hat Christus Tod und Teufel besiegt und den Zustand göttlicher Unsterblichkeit erlangt. Der seiner Himmelfahrt vorangehende Zug in die Hölle zum Zweck der Befreiung Adams und Evas ist die Demonstration seiner Unbesiegbarkeit, nicht aber ein Kampf. Im Descensus Christi ad inferos schickt die personifizierte Hölle Satan zwar vor die Tore, um mit Christus zu kämpfen, jedoch findet ein solcher Kampf nicht statt. 193 Das Stabkreuz in der Hand des Befreiers und der niedergetretene Hades zeigen den Gläubigen, daß die Szene bei aller Dramatik rein der Verherrlichung von Christi Erlösungstat dient. 194 Für die mittelalterliche Michaelsikonographie ist von Interesse, daß die Schriftquellen zur Anastasis ähnlich denen zum Calcatio-Ritual nicht nur das Niedertreten des Hades erwähnen, sondern sich auch genauer zur Zielrichtung von Christi Stabkreuz oder Lanze äußern. In mehreren byzantinischen Hymnen und Sermones aus der vorikonoklastischen Zeit ist nämlich explizit von einem Stoß Christi in den Magen des Hades die Rede. 195 Auch dies ist ein Motiv aus der Calcatio-lkonographie, das weite Verbreitung erlangt hat. 190 Post 1982, S. 169f., verweist auch auf den Zusammenhang mit 1. Kor 15,54 s.: absorta est mors in victoria / ubi est mors v ictoria tua / ubi est mors stimulus tuus / stimulus autem mortis peccatum est. 191 Vgl. die Zusammenstellungen bei Schiller 1971, Abb. 60-95 und 99-131. 192 Brenk 1966, S. 204, deutet dies als typisches Anliegen des Frühmittelalters, ohne jedoch die gleichzeitige Entstehung der statischen Christus- Victor-Bilder genügend zu berücksichtigen. 193 Darauf verweist Campell 1982, S. 108 f. Grabar 1936, S. 238, zitiert eine Inschrift aus S. Croce in Ravenna, aus der die Nähe der beiden Triumphbilder Christus Victor und Anastasis zueinander eindeutig hervorgeht: TE VIN CENTE TVIS PEDIBVS CALCATA PER AEVVM GERMANIAE MORTIS CRIMINA SAEVA IACENT [richtig: TACEN T). 194 Auch der reitende Kais er auf Barberini-Diptychon, 1. H. 6. Jh., Paris, Musee du Louvre wird nicht im Augenblick seines Kampfes, sondern seines Triumphes gezeigt und scheint ebenso überlegen in sich zu ruhen wie die segnende Figur Christi über ihm. Vgl. Mac Cormack 1981, S. 72. 195 Vgl. English Frazer 1974, bes. S. 157-160, mit der Besprechung entsprechender Quellen.

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Für die frühmittelalterlichen Zeugnisse von Christus Victor und Anastasis ergibt sich demnach folgende Situation: Getreu ihrem zeremoniellen Vorbild treten die Protagonisten dieser Bildtypen ihre Gegner entweder auf den Kopf oder setzen ihnen den Fuß in den Nacken. Da sie nicht in einem Moment des Kampfes, sondern im Triumph gezeigt werden, führen sie in den meisten Fällen keine Waffen bei sich, sondern halten lediglich das Stabkreuz als Zeichen ihres Sieges in der Hand. Verteidigungswaffen kommen grundsätzlich nicht vor. 196 Falls noch ein Stoß gegen den Unterworfenen ausgeführt wird, trifft er dessen Körpermitte. Ausnahmen von dieser Regel bilden die beiden karolingischen Psalter in Stuttgart und Utrecht, in denen der Stich ins Maul der Schlange erfolgt. Wie schon Gertrud Schiller vermutete, dürfte das Motiv in diesen Fällen jedoch der zeitgenössischen Michaelsikonographie entlehnt worden sein. 197 Der Christus der Anastasis wird im Gegensatz zu Christus Victor nicht frontal und statisch, sondern handelnd zur Seite gewandt gezeigt, da das Bild seinen Sieg nicht durch eine triumphale Pose verherrlicht, sondern als Handlung darstellt. Da auch er sich nicht verteidigen muß, kann er auf den meisten Anastasis-Darstellungen mit mindestens einer Hand zupacken, um Adam und Eva aus der Hölle zu ziehen (Abb. 16).

2. Kampf oder Triumph? Im Gegensatz zu Christus erscheint der drachenbekämpfende Erzengel Michael, erstmalig auf der Darstellung auf dem Leipziger Elfenbein und auch später, immer bewaffnet und ist aufgrund seines Schildes noch deutlich auf Verteidigung eingestellt (Abb. 5). Er setzt seinen Fuß nicht in den Nacken des Drachen, sondern steht oder schwebt zur Seite gedreht neben ihm und stößt seine Lanze schräg nach unten in das weit aufgerissene Maul des sich gegen ihn aufbäumenden Gegners. Diese Unterschiede betreffen bei allen 196 Die einzige mir bekannte Darstellung Christi mit Schild findet sich im Psalter aus Bury St. Edmunds, 11. Jh., Rom, Bibi. Apost. Vat., Reg. lat. 12, fol. 37v. Chritus ist jedoch durch seine Krone und die Standarte in der anderen Hand als rex gloriae ausgewiesen. Die Zeichnung illustriert den Siegespsalm 24,8: Quis est iste rex gloriae? / Dominus fortis et potens, / Dominus potens in praelio. Dazu: Verdier 1982, S. 104, Anm. 211 mit Abb. 55; Ohlgren 1992, S. 43 mit Abb. 3.14. 197 Vgl. Schiller 1971, S. 36. Dasselbe gilt für die wiederum mit dem Utrecht-Psalter verwandten Handschriften des elften Jahrhunderts, etwa den Tiberius-Psalter, London, British Library, Ms. Cotton Tiberius C.VI, fol. 114v, die Handschrift Cambridge, Univ. Libr. Ms. Ff 1.23, fol. 195v oder den Crowland-Psalter, Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 296, fol. 40r.

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sonstigen Übereinstimmungen auch das Leipziger Michaels- und das Oxforder sowie das Lorscher Christus-Elfenbein (Abb. 5; 12): Während der unbewaffnete Christus seinen Blick bei gänzlich frontaler Körperhaltung direkt dem Betrachter zuwendet und die Tiere zu seinen Füßen überhaupt nicht beachtet, dreht Michael Kopf und Oberkörper leicht nach links und blickt nach oben aus dem Bildfeld heraus, führt aber gleichzeitig seine Lanze diagonal nach unten zum Maul des Drachen. Bei genauem Hinsehen steht er auch nicht auf dem Drachen, sondern hinter ihm. Bei den späteren Umsetzungen der Bildtypen sind diese Abweichungen noch wesentlich deutlicher ausgeprägt. Wie fest sie in der Darstellungstradition verankert waren, belegt ein Elfenbeindiptychon des zwölften Jahrhunderts, das beide Sujets miteinander kombiniert und dabei Christus von vorn, Michael aber seitwärts und nach unten gewandt zeigt (Abb. 83; 84). Allein die formale Gestaltung weist also darauf hin, daß der drachenbekämpfende Erzengel nicht einfach eine Variante des älteren Christus-Victor-Bildes mit veränderten Attributen und auch nicht eine der Anastasis sein kann: Bei diesem Typus handelt es sich nicht um ein Triumphbild, sondern um ein regelrechtes Kampfbild. Da Michaels Drachenkampf nicht in der Tradition antiker Triumphdarstellungen steht, ist zu vermuten, daß die Darstellung auf Schlachtenbilder zurückgeht, wie man sie von der Trajans-, der Markus- oder der Marc-AurelSäule oder aus den frühen Illustrationen zum Alten Testament kennt. Ähnlich dynamische Kampfszenen sind auch aus späterer Zeit vor allem aus dem byzantinisch-griechischen Kulturbereich erhalten 198 und dürften auch im westlichen Europa das ganze Mittelalter hindurch als Vorbilder verfügbar gewesen sein. 199 So sind etwa die bewegten Zeichnungen des Utrecht-Psalters bei aller formalen und ikonographischen Eigenständigkeit nicht ohne die Kenntnis antiker Schlachtendarstellungen denkbar.200 Eine weitere, Michaels

198 Vgl. etwa die Illustrationen der sog. Ilias Ambrosiana, wohl Konstantinopel, 5. Jh., Mailand, Bibi. Ambrosiana, Cod. F. 205 Inf., Abb. XX-XXI (Abb.: Kurt Weitzmann, Spätantike und frühchristliche Buchmalerei, München 1977, Taf. 9), im Vergilius Vaticanus, Rom, Bibi. Apost. Vat., Cod. lat. 3225, fol. 19r (Abb.: ebd., Taf. 2) oder das Elfenbein bei Volbach 1916, Kat. 81, Taf. 45. 199 Vgl. etwa den Kampf um Jericho in der Josua-Rolle, Konstantinopel, 10. Jh., Rom, Bibi. Apost. Vat., Cod. Palat. Graec. 431, BI. Sr, Szene 10 (Abb.: Faksimile), ferner die Schlachtendarstellungen in dem vor kurzem als Werk der Hofs chule Karls des Kahlen identifizierten sog. Goldenen Psalter aus St. Gallen sowie die Miniaturen im Leidener Makkabäer-Codex, A. 10.Jh., Leiden, Universitätsbibl., Ms. Periz. F 17, fol. 9r. 200 Dazu grundlegend: Tselos 1960. Zusammenfassend zu den vergeblichen Versuchen, ein direktes Vorbild für den Utrecht-Psalter aus zumachen und gleichzeitig seine Eigenständigkeit als karolingisches Original betonend: Koert van der Horst / Jacobus H.A. Engelbregt, in: Faksimile Utrecht-Psalter II, S. 32-48.

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Drachenkampf in verblüffender Weise ähnelnde Kampfszene zeigt ein spätantikes Elfenbein in H amburg (Abb. 17): 201 Eine geflügelte weibliche Figur im antiken Peplos hat einen vor ihr knieenden, mit einem Messer bewaffneten Mann an den Haaren gepackt und schickt sich an, ihm eine Lanze in die Brust zu stoßen. Der Umstand, daß auch der Unterworfene noch eine Waffe in der H and hält, spricht dafür, daß hier das Ende eines Kampf es gezeigt werden soll. Links hinter dem Knieenden steht unter einem Bogen und mit dem Rücken zum Geschehen ein militärisch gekleideter Mann, dessen Gewand aus schuppenartig übereinandergelegten Federn oder aus Fell zu bestehen scheint. 202 Diese Figurenkonstellation taucht sonst nirgends auf. Bis heute konnte die Ikonographie des Elfenbeins ebensowenig geklärt werden wie seine Herkunft und seine ursprüngliche Funktion. Üblicherweise wird die Darstellung als allegorischer „Barbarensieg mit Victoria als Hauptfigur" gedeutet und in das fünfte Jahrhundert datiert. 203 In der Rückenfigur hat man die zornig entweichende gefiederte Seele des Erstochenen sehen wollen; 204 gegen die Mö glichkeit, daß es sich dabei um den Kaiser handeln könnte, in dessen Namen die Barbarentötung vollzogen wird, sprechen die langen Haare und die Darstellung als Rückenfigur. Man nimmt an, daß die Tafel von einem Konsulardiptychon oder einem Elfenbeinkästchen stammt. 205 Ansatzweise vergleichbar sind Darstellungen der einen Stier opfernden Nike, die allerdings keinen Kampf, sondern eine rituelle Handlung zeigen, bei der keine Waffen gebraucht werden. So zeigt ein Fries-Fragment (um 113) des Trajans-Forums in Rom Nike, die ähnlich wie sonst Mithras auf dem Rücken eines Stieres kniet und ihm mit ihrer linken Hand in die Nasenlöcher greift. Obwohl es sich hierbei um eine rituelle Tötungsszene zu handeln scheint, trägt sie keine Hieb- oder Stichwaffe.206 Auf dem narrativen Fries der Westseite des Konstantinsbogens in Rom von 315 läßt sich inmitten der 201 Hamburg, Staats- und Universitätsbibl., Cod. Scrin. 93. Ich danke Frau Dr. Eva H orvath für die Möglichkeit, den Einband genauer zu untersuchen. 202 Vgl. die entsprechenden Überlegungen von Petersen 1858, S. 51, und von Steenbock 1965, s. 196. 203 Delbrueck 1929, I, S. 185f., Nr. 46, hält die Tafel für oströmisch, Volbach 1916, Nr. 46, Taf. 25, für weströmisch. Vgl. ferner: Zuzok 1948, bes. S. 39-75; Kat. Essen 1962, Tafelbd., 88f., Nr. 415; Steenbock 1965, S. 196f., Nr. 97, Abb. 136; Norbert Scharnowell, Die Restaurierung der HS Cod. 93 in scrinio der SUB H amburg Carl von Ossietzky, in: Auskunft 11 (1991 ), S. 83- 95; Eva H orvath und Hans-Walter Storck, in: Kat. Hamburg 1999, S. 262 f., Kat. 47. 204 Petersen 1858, S. 5lf. 205 Delbrueck 1929, I, S. 185 f., N r. 46, hält die Tafel für das Fragment eines ehemaligen Kaiserdiptychons. Zuzok 1948, S. 39-75, schlägt die H erkunft von einem Elfen beinkästchen vor. Vgl. ferner Brandis 1972, S. 157. 206 Abb.: Kraus 1990, II, Nr. 207a.

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konstantinischen Soldaten eine der Hamburger ähnelnde Victoria ausmachen, die freilich keine Waffen in der Hand hält, sondern den üblichen Kranz zur Verheißung des bevorstehenden Sieges. 207 Der Sockel der Arkadiussäule in Konstantinopel, auf den in diesem Zusammenhang Frauke Steenbock verweist, zeigt eine Nike, die in den Schopf eines Unterworfenen greift, ohne aber den Todesstoß auszuführen. Der Griff ins Haar des Besiegten ist ein verbreitetes Triumphmotiv, das neben den Sockelreliefs des Konstantinsbogens auch auf der Porphyrsäule in Konstantinopel vorkommt. 208 Die Geste findet sich auch mehrfach auf kaiserlichen Münzporträts oder wird von Soldaten ausgeführt, die bei der Vorbereitung einer Siegesfeier dargestellt sind. 209 Solange keine andere überzeugende Deutung des Hamburger Elfenbeintäfelchens gefunden ist, wird man deshalb weiterhin davon ausgehen müssen, daß mit dieser Schnitzerei ein singulärer Versuch aus spätantiker Zeit vorliegt, eine allegorische Figur in den Vorgang der „Barbarenbekämpfung" einzubinden. Das Ergebnis beruht jedoch auf einem ikonographischen Mißverständnis, da die aktive Teilnahme der Siegespersonifikation am Kriegesgeschehen einen Widerspruch in sich bedeutet. Der Fall erinnert an die Ikonographie des Christus Victor oder der Anastasis, Triumphbilder, die eine Deutung Christi als Kämpfer geradezu verbieten. Wohl weil es sonst als paradox empfunden wurde, eine Personifikation des Sieges mit einer Waffe in der Hand im Kampf darzustellen, hat das Motiv keine direkte Nachfolge gefunden. Zumindest in formaler Hinsicht könnte die spätantike Nike bzw. Victoria mit Lanze aber die mittelalterliche Michaelsikonographie beeinflußt haben. Sollte das Täfelchen, was sich freilich nicht nachweisen läßt, schon vor dem elften Jahrhundert in den Westen gelangt sein, erscheint eine Orientierung der Michaelsdarstellungen an diesem oder einem verwandten Motiv wahrscheinlich. Möglicherweise ist sogar die Bewegungsrichtung einiger ottonischer Erzengel, die sich im Gegensatz zur sonstigen Bildtradition von rechts nach links hin zum Drachen wenden (Abb. 28; 58; Farbtafel XI; XVII), auf eine vergleichbare Vorlage zurückzuführen. Der Michael des Aachener Antependiums weist außerdem ein vergleichbares Schrittmotiv wie die Hamburger Nike auf und stellt seine Füße in gleicher Weise auf den Drachen wie diese auf den Boden (Abb. 58). Die Ähnlichkeit der Siegesgöttin auf dem Elfenbein mit dem drachenbekämpfenden Erzengel hat in der älteren Litera207 Abb.: Kemp 1994, S. 56, Abb. 13c. 208 Dazu Kollwitz 1941, S. 35. Weitere Beispiele bei: Neumann 1980, S. 167-169. 209 Engemann 1983, S. 263. Barbaren, von römischen Soldaten an der Haaren herbeigeschleppt, zeigt die Gemma Augustea, nach 7 v. Chr., Wien, Kunsthistor. Mus., Antiken-Slg., Inv. Nr. IXa 79. Abb.: Kraus 1990, Nr. 384 b.

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tur sogar zu ihrer Interpretation als Michael geführt. 210 Es ist nicht auszuschließen, daß man die Figur auch zum Zeitpunkt der Montage des Elfenbeins auf einen Buchdeckel nicht nur christlich umgedeutet, sondern konkret als Darstellung des Erzengels verstanden hat. Immerhin schmückt sie den Einband eines im frühen elften Jahrhundert wohl in Hildesheim geschriebenen Evangeliars, das um 1100 in den Besitz der Hamburger Domkirche kam. In der Handschrift (fol. 14v) findet sich passenderweise eine ganzseitige Dracheninitiale, die den Beginn des Matthäus-Evangeliums akzentuiert. Das auf der letzten Seite (fol. 167r) eingetragene Reliquienverzeichnis des Hamburger Doms, wohl aus dem frühen zwölften Jahrhundert, führt einen Michaelsaltar auf, in dem sich neben einer Partikel des Wahren Kreuzes auch Reliquien sancti michaelis archangeli, wohl Steine vom Gargano, befanden. Wie aus der im gleichen Zeitraum geschriebenen Schenkungsnotiz (fol. 13v) hervorgeht, handelt es sich bei dem Evangeliar um die Stiftung Graf Gotfrids von Hamaburg (t 1110) zum Gedächtnis seiner Eltern Heinrich (t 1091) und Margarete (t 1092/93). 2 11 Die Darstellung einer Szene, die man in weitesten Sinne als Drachenkampf interpretieren konnte, war als Schmuck einer solchen Memorialstiftung hervorragend geeignet.

3. Der Stoß in den Rachen In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich auch das Hamburger Elfenbein von den Darstellungen Michaels mit dem Drachen: Die Nike bohrt ebenso wie die Kämpfer auf den meisten antiken Schlachtenbildern und wie die Sieger auf den Calcatio-Darstellungen ihre Lanze in die Brust des Unterworfenen. Der Stoß in den Rachen des Gegners fehlt hier ebenso wie die Verteidigungswaffen, konstitutive Elemente der mittelalterlichen Bildtradition des Drachenkampfes. Das Motiv ist jedoch keine Erfindung der Michaelsikonographie. Es kommt bereits auf altsyrischen Rollsiegeln vor und begegnet auch auf frühchristlichen und frühmittelalterlichen Darstellungen von Heroen und Kriegerheiligen. 212 Zu den frühesten Beispielen gehören die Bilder de-s-ilnti-

210 Petersen 1858, S. 50. Zuzok 1948, S. 71-73. 211 Hamburgisches Urkundenbuch, Ed. Johann Martin Lappenberg, I, Hamburg 1842, 117, Nr. CXXIV. 212 Abb. eines Rollsiegels, 18. Jh. v.Chr., bei Uehlinger 1991, S. 70. Abb. eines frühchristlichen Amuletts aus Smyrna mit einem Reiterheiligen und eines Bronzegewichts, 5./6. Jh., mit zwei stehenden Kriegerheiligen, bei Brenk 1966, S. 192, Abb. 21.

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ken Helden Bellerophon, der von seinem geflügelten Pferd Pegasus aus die Chimäre bekämpft. Auf einem in London aufbewahrten byzantinischen Elfenbein des fünften Jahrhunderts etwa reitet der Krieger von links gegen das Untier an und rammt seine Lanze so heftig in dessen Maul, daß es mit den Vorderbeinen einknickt (Abb. 18). 213 In ähnlicher Weise kämpfen auf orientalischen Amuletten und Schutzzeichen Sisinnius von Antiochien und Salomo gegen einen Drachen oder die koptischen Reiterheiligen auf Reliefs und Textilien gegen Löwen oder ähnliche Bestien. 214 Von solchen Darstellungen dürfte das Motiv im sechsten oder spätestens im achten Jahrhundert auf die Ikonographie von Michaels Drachenkampf übergegangen sein. Wenn man sich das breite Spektrum der spätantiken und mittelalterlichen Kampfbilder vor Augen führt, fällt auf, daß sich in ihnen zwei verschiedene Realitätsebenen unterscheiden lassen: Auf Schlachtenbildern oder solchen, die eine Löwen- oder Bärenjagd zeigen, wird ein historisches, ein erlebtes oder ein erlebbares Geschehen wirklichkeitsnah dargestellt. Die Tötung eines Gegners, sei es eines Menschen oder eines Tieres, geschieht durch einen Stich ins Herz oder in die Körpermitte.215 Im Berner Physiologus aus dem neunten Jahrhundert stößt ein Mann seine Lanze in die Mitte einer zusammengeringelten Schlange, die dem Text gemäß ihren Kopf weggedreht hat, um ihn zu schützen (Abb. 19). 216 Zweifellos ist hier trotz der christologischen Ausdeutung aller besprochenen Geschöpfe die Tötung eines in der Realität vorkommenden Tieres gemeint, nicht eines symbolischen Wesens. In den Illustrationen zu Offb 9,5 und 9,7-11 in der Trierer Apokalypse fällt der Engel des Verderbens die Verdammten durch einen Stoß in die Brust, weil es sich bei ihnen ebenfalls nicht um symbolische Wesen, sondern um Menschen handelt (Farbtafel IX). Die Nike auf dem Hamburger Elfenbein, selbst eine allegorische Figur, tötet offenbar einen Mann, der stellvertretend für die vom Kaiser des Ost- oder Weströmischen Reichs unterworfenen Barbarenvölker und insofern für einen tatsächlichen Feind steht. Der Unterworfene 213 London, British Museum. Vgl. Delbrueck 1929, I, S. 27; Kat. New York 1977/80, I, S. 165, Nr. 1435; Volbach 1916, S. Taf. 39, Kat. 67. Vgl. zur christologischen Umdeutung antiker Mythen und Heroen und ihrer Darstellung bis weit ins hohe Mittelalter: Hanfmann 1980, s. 85f. 214 Haubrichs 1979 a, S. 214. Beispiele aus dem koptischen Kulturkreis: Effenberger 1975, Nr. 48 und 126. 215 Vgl. auch das Konsulardiptychon Volbach 1916, Kat. 36, Taf. 20, sowie das alexandrinische Elfenbein mit Reiter auf dem Ambo H einrichs II. in Aachen. Dazu: Schomburg 1998, s. 135-139. 216 Bern, Burgerbibl., Cod. 318, fol. 12v. - ,,Wenn ein Mensch an sie herantritt, willens sie zu töten, da gibt sie ihren Leib gänzlich dem Tode preis, einzig das Haupt bewahrend" (Physiologus, S. 13 ).

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wird von der Nike deshalb in gleicher Weise niedergestochen wie die Besiegten auf den antiken Schlachten- und Triumphdarstellungen. Wenn dagegen die Helden dieser Bilder gegen ein mythisches oder symbolisches Wesen kämpfen, geschieht dessen Tötung durch einen Stoß in den Rachen. Vor allem drachenähnliche Bestien wie die Chimäre werden oft auf diese Weise besiegt. Beispiele hierfür sind in praktisch allen Kulturen zu finden, in denen ein Drachenkampfmythos existiert. 217 Auf einem ElfenbeinBehältnis mit Jagdszenen, wohl dem elften Jahrhundert entstammend, kommen beide Arten der Tötung vor: Am Rand der Platte werden reale Tiere, nämlich Wildschweine, durch einen Stoß in den Nacken erlegt, in der Mitte aber rammt ein Reiter, möglicherweise Georg, einem Drachen seine Lanze in das Maul (Abb. 20). 218 Ein erster Grund hierfür dürfte sein, daß man sich Drachen wohl grundsätzlich mit bedrohlich aufgerissenem Maul vorstellte. In persischen Erzählungen, aber auch im Buch Daniel werden Drachen getötet, indem man ihnen geschmolzenes Erz, Gold oder Pech in den Rachen gießt. 219 Darüberhinaus ist auch der aufgesperrte Rachen ein eindeutiges Indiz für die Darstellung eines Kampfes und nicht des Triumphes: Schließlich kann nur ein lebendes, noch nicht endgültig besiegtes Wesen sein Maul öffnen. 220 Was aber bedeutet der Stoß ins Maul eines Drachen? In Bibel, Patristik und Exegetik kommen Drachen, Schlangen und oft auch Löwen fast ausschließlich als symbolische Wesen vor, die für den Teufel, seine Dämonen, den Tod, böse Menschen, das Heidentum bzw. Judentum oder allgemein für das Böse stehen. Das breite Spektrum mittelalterlicher Exegese vermittelt etwa Hrabanus Maurus: Draco est diabolus, ut in Apocalypsi [. .. }. Draco, mundus iste, ut in Psalmis [. .. }. Draco, Antichristus, ut in Apocalypsi [. .. }. Per dracones spiritus mali, ut in Isaia [. .. }. Per dracones judaei, ut in ]eremia [. .. }. Per dracones, gentiles, ut in Isaia [.. .}. 221 Weil der Satan seine Gestalt jederzeit ändern kann, sind Schlange, Drache und Löwe beliebig austauschbar bzw. mit-

217 Dazu allgemein: Forsyth 1987; Robert T. Mason, The divine serpent in myth and legend, Internetartikel 1999. Zu den frühmittelalterlichen drachenbekämpfenden Heiligen vgl. Günter 1910, S. 116f.; Graus 1965, S. 231f. 218 Vermutlich byzantinisch, Mainz, Landesmuseum, Inv.-Nr. 0 .1730. Vgl. dazu Kat. Speyer 1992, S. 449f. (Mechthild Schulze-Dörrlamm), Abb. 9,4. 219 Zu den persischen Erzählungen vgl. Merkelbach 1959, S. 234f. 220 Auch die Jagdszenen der Rü ckseite, wohl um 900 in Norditalien neu bearbeit, des Elfenbeindiptychons Paris, Musee de Cluny, Cl. 391, sind vermutlich allegorisch gemeint, da eine der Figuren in kurzer Tunika einem Löwen die Lanze direkt ins aufgerissene Maul stößt. Vgl. Kat. Paris 1985, S. 128-132, Kat. 59. Vgl. ferner Alexander 1970, PI. 13. 221 Allegoriae, PL 112, 906. Vgl. auch Merkelbach 1959, S. 239f.; Rademacher 1978, S. 61-63. Zur Weiterentwicklung des Motivs bis in die Modeme: Röhrich 2000.

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einander kombinierbar. 222 In den vielfigurigen Zeichnungen des U trecht-Psalters sind Löwen wie Schlangen sehr zahlreich vertreten. Hinweise auf das alles verschlingende Löwenmaul durchziehen die ganze Heilige Schrift, vgl. etwa den Passionspsalm 21, in dem von reißenden, brüllenden Löwen die Rede ist, die ihre Rachen gegen den Psalmisten aufsperren: salva me de ore leonis ! et a cornibus unicornium humilitatem meam (Ps 21,22). Petrus warnt die Gläubigen: sobrii estote vigilate / quia adversarius vester diabolus tamquam !eo rugiens circuit / quaerens quem devor (1. Petr 5,8). 223 Bei Jesus Sirach 21,2 ist zu lesen: quasi a facie colubri fuge peccata / et si accesseris ad illa suscipient te dentes leonis dentes eius / interficientes animas hominum. Schilderungen wie diese verarbeiten menschliche Urängste, die im Mittelalter noch genauso präsent waren wie in vor- und frühchristlicher Zeit. Sie prägten nicht nur die um 900 aufkommenden bildlichen Darstellungen des Höllenrachens, sondern auch die zahlreichen früh- und hochmittelalterlichen Darstellungen von Menschen, die von Drachen verfolgt oder sogar angefallen werden. 224 Die romanische Kapitellplastik ist voll von entsprechenden Beispielen. Auf einem angelsächsischen Bischofsstab des zwölften Jahrhunderts wird eine solche Szene dem Drachenkampf Michaels gegenübergestellt (Abb. 86). 225 Wenn es in Ps 57,5-7 von den ungläubigen Frevlern heißt: Juror illis secundum similitudinern serpentis / sicut aspidis surdae et obturantis aures suas, so wird deutlich, daß mit dem Gift die Worte der Feinde Gottes gemeint sind, die Gefahr, die von ihren sündigen Reden ausgeht. Ähnlich interpretiert später Eusebius die falschen Lehren der Gottesleugner als gefährlichen Drachen: ,,Als Drachen bezeichneten nämlich die biblischen Aussprüche der Propheten das feindselige Kampftier, das die Kirche Gottes durch die Tyrannei der Gottesleugner umringt und ängstigt. "226 Weil ihre Worte wie Schlangengift lähmen - Jesus betont in Mt 10,56 seinen Jüngern gegenüber die Listigkeit der Schlange - und sogar töten können, bittet der Psalmist darum, daß sie zum Schweigen gebracht werden sollen: Deus excute dentes eorum ex ore eorum / molares leonum confringe Domine (Ps 57,5-7). Die Stelle ist im Utrecht-Psalter sehr wortgetreu durch einen Mann illustriert, der einem Löwen 222 Pamphilus: Apologia pro Origine, PG 17, Sp. 615: Diabolus, qui leo in Scripturis dicitur, corpore leonis utatur, aut draconis carnibus, cum draco nominatur. Ita erit ut secundum illos transmutatio ista animarum perveniat et in daemonum naturam, ut sit aliquando vel leo vel draco animam habens diabolum. Vgl. hierzu Busch 1996, S. 119 f. mit Anm. 120. 223 Vgl. auch ljob 36,16; Koh 6,7 und Jes 5,14. 224 Ausführlich zur Symbolik des Löwen in Bibel und Frühchristenum: Post 1982, S. 153166. Zu den Schilderungen und ersten bildlichen Darstellungen der Hölle vgl. Galpern 1977, S. 132-153 und Vorgrimler 1993, S. 63f. 225 Um 1145, London, Victoria and Albert Museum. Dazu: Goldschmidt 1926, S. 12. 226 Eusebius: Konstantin I, 40.

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mit einer Stange das Gebiß zerbricht (Abb. 21). Die Haltung des Kämpfenden und die Stoßrichtung seiner Lanze erinnern dabei an den drachenbekämpfenden Erzengel Michael. 227 Im dritten Kapitel des Jakobusbriefs ist von der gefährlichen Macht der Zunge die Rede: lingua ignis est universitas iniquitatis / lingua constituitur in membris nostris / quae maculat totum corpus / et inflammat rotam nativitatis nostrae inflammata a gehenna / omnis enim natura bestiarum [. .. ] / domantur et domita sunt a natura humana / linguam autem nullus hominum domare potest / inquietum malum / plena veneno mortifero (Jak 3,6-8).

Die Bannung böser Worte durch das Binden der Zunge ist auch Thema zahlreicher frühmittelalterlicher Miniaturen. 228 In einer P-Initiale im Corbie-Psalter, fol. 92r zu Ps 107, hat ein nimbierter Mann einen Drachen um seinen linken Arm gewickelt und faßt ihm mit seiner rechten Hand in den aufgerissenen Rachen. 229 Auf der nachfolgenden Seite steht derselbe Mann, wohl der Psalmist, in einer D-Initiale, deren Bogen von einem Drachen gebildet wird. Der um die Beine des Psalmisten geringelte Drachenschwanz zeigt an, daß das Untier nun umgekehrt im Begriff ist, ihn „einzuwickeln"; während die Schlangenzunge, die sich oben in den Mund des Psalmisten schiebt, wohl andeuten soll, daß hier ein Versuch stattfindet, ihm gottlose Worte in den Mund zu legen. 230 Mehrere L-Initialen in frühmittelalterlichen Handschriften sind als Drache oder Schlange mit weitaufgerissenem Maul, aus dem Ornamentranken hervorquellen, gestaltet. D as gleiche läßt sich an geschnitzten oder gegossenen Bildwerken beobachten. 231 Auch die bereits erwähnte Miniatur aus dem Gellone-Sakramentar, in der die von einem Engel gehaltene Schlange sich selbst in den Schwanz beißt (Abb. 6), könnte in diesem Sinne gedeutet worden sein: Ihre bösen Kräfte sind gebunden, indem ihr der Rachen verschlossen wurde. Daß mit dem dargestellten Engel tatsächlich Michael gemeint ist, legt auch seine Enthaltung lästerlicher Reden imJudasbrief nahe. 232 In den Kommenta227 Die Ausrottung der Heuchelei in Ps 11,4 wird in mehreren byzantinschen Psaltern durch einen Engel illustriert, der einem am Boden liegenden Mann die Zunge ausreißt. 228 Vgl. die Illustration zu Ps 58 im Psalter aus Bury St. Edmunds, um 1020, Rom, Bibi. Apost. Vat., Reg. lat. 12, fol. 66v. Abb.: Francis Wormald, English drawings of the tenth and the eleventh centuries, London 1952, Abb. 26 a. 229 Jakobi-Mirwald 1998, Abb. 24. 230 Jakobi-Mirwald 1998, Abb. 25. Besprechung ebd., S. 144, mit anderer Deutung. 231 Vgl. etwa den Stab des Bischofs Pali von Skalholt. Abb.: Paulsen 1966, Abb. 61 a, b. 232 Jud 9: cum Michahel archangelus cum diabolo disputans altercaretur de Mosi corpore / non est ausus iudicium inferre blasphemiae / sed dixit imperet tibi Dominus. Vgl. hierzu Hannah 1999, S. 130-132.

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ren der Kirchenschriftsteller wird Michaels Verzicht auf eine Schmähung Satans als Ausweis seiner Demut gedeutet, die sich die Gläubigen zum Vorbild nehmen sollen. Welche hohe Bedeutung man der Stelle beimaß, ist daran zu erkennen, daß die Häufigkeit ihrer Zitierung und Ausdeutung der von Offb 12 kaum nachsteht. 233 Mehr noch als die verächtlichen Reden aber fürchtete man die verführerischen Worte aus dem Schlangenmaul. Denn nicht nur durch sinnliche Verlockungen, sondern vor allem durch ihre Beredtsamkeit hatte die Schlange Eva dazu gebracht, von den verbotenen Früchten zu nehmen. 234 Weil es Ziel der Auseinandersetzungen mit der verführerischen Schlange oder dem Drachen ist, sie zum Schweigen zu bringen, bindet ihr der Gegner die Zunge, stopft ihr den Rachen oder bricht ihr die Zähne aus .235 Noch häufiger allerdings stößt der Kontrahent der Schlange, des Drachen oder des Löwen seinen Speer nicht in deren Herz oder Magen, sondern in den Rachen des Untiers. 236

4. Christi Kampf als Triumph Die Deutung des S~oßes in den Rachen als Kampf gegen Versuchung und Häresie rückt die Ikonographie des Drachenkampfes in die N ähe eines Themas, das wie dieser erstmals in der Karolingerzeit bildlich dargestellt wurde, nämlich Christi Versuchung durch den Teufel. Wie schon beim Sündenfall geht es hier nicht um eine Verführung der Sinne, sondern um den Versuch Satans, den Gottessohn durch Argumente zu verleiten. Im Zusammenhang mit der Michaelsikonographie ist von Bedeutung, daß die Versuchungsepisode in der Exegese als Kampf Christi verstanden wurde und insofern einen Anlaß bot, Christus als Kämpfer darzustellen. Bereits in frühchristlicher Zeit wurde Jesu verbale Abwehr des Teufels als Auseinandersetzung geschildert, 233 Hieronymus, PL 23, Sp. 440, kommentiert die Stelle mit den Worten: Ad benedicendum enim, et non ad maledicendum creati sumus und noch deutlicher in: PL 26, Sp. 590f.: Si igitur Michael non fuit ausus diabolo, et certe maledictione dignissimo, judicium inferre blasphemiae: quanto magis nos ab omni maledicto puri esse debemus? Merebatur diabolus maledictum: sed per archangeli os blasphemia exire non debuit. Darin fo lgen ihm später Beda, PL 93, Sp. 126; Alkuin, PL 100, Sp. 1022f.; Smaragd von St.-Mihiel, PL 102, Sp. 99; Hrabanus Maurus, PL 112, Sp. 685 und 1541. 234 Dies ist besonders eindrucksvoll dargestellt im Codex Barbarus Scaligeri, Corbie um 800, Paris, Bibi. nat., Ms. lat. 4884, fol. lr. Vgl. hierzu Jakobi-Mirwald 1998, S. 47. 235 Die Gleichsetzung dieser Tiere mit Satan und Teufel unter Anspielung auf die Versuchungsgeschichte findet bereits in Offb 12,9 statt. 236 So etwa im Utrecht-Psalter, Illustrationen zu Ps 74,14 und Ps 104,26.

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die eine Vorstufe zu seinem wichtigsten Kampf, der Passion, bilde. Einen endzeitlichen Bezug erhält die Versuchungsgeschichte in der Auslegung Augustins, der Ps 90,13 heranzieht, um Kampfesdramatik und triumphalen Sieg miteinander zu verknüpfen: ,,Der Teufel, die hinterhältige Schlange, entfernte sich nach der ersten Versuchung; ,er wird wiederkommen als brüllender Löwe', aber der wird ihn besiegen, der auf Löwen und Drachen tritt." 237 Die exegetischen Schriften des frühen Mittelalters orientieren sich weitgehend an der patristischen Auslegung der Versuchungsszene, 238 allerdings wird in epischen, homiletischen und enkomiastischen Texten dieser Zeit der Gedanke eines Kampfes Christi mit Satan stärker betont. Dramatischer als im Frühchristentum wird das gesamte Leben J esu als militante Auseinandersetzung mit dem Feind Gottes geschildert, die ihren Höhepunkt in der Kreuzigung erfährt, einer scheinbaren Niederlage des Menschen Jesus, die er durch seine anschließende Auferstehung in einen triumphalen Sieg verwandelt. In der Caedmon (657/80) zugeschriebenen altenglischen Dichtung Christ and Satan wird Christus als „kühner Kämpf er" bezeichnet, der mit den Aposteln in ähnlicher Weise gegen die Dämonen zu Felde zieht wie der mythologische Held Beowulf mit seinem Gefolge gegen seine Gegner. 239 Hier tritt die starke Prägung der frühmittelalterlichen Gedankenwelt durch den Dämonenglauben zutage, aus dem heraus auch die Vorstellung entstand, daß es zu Christi Hauptaufgaben gehöre, physisch wie psychisch gegen die Dämonen zu streiten.240 Neben der Versuchungsgeschichte wurden deshalb vor allem seine zahlreichen Dämonenaustreibungen als Angriffe auf die Herrschaft des Bösen interpretiert. 241 Mit dieser Auffassung ging das Interesse einher, die Versuchung auch bildlich darzustellen. Das Thema lieferte dabei nicht nur eine willkommene ,,Trägerszene für Dämonendarstellungen" 242 , sondern zumindest in der Theorie auch für die Darstellung Christi als Kämpfer. Zwischen der offiziellen 237 Lukaskommentar, PL 38, Sp. 1292, zitiert nach der Übersetzung von Köppen 1961, S. 69. 238 Vgl. dazu Köppen 1961, S. 94-97. Die Lesungen am ersten Fastensonntag setzen sich aus der Versuchungsgeschichte bei Matthäus und Ps 90 zusammen. 239 Wie Forsyth 1987, S. 290, feststellt, ist es die wichtigste Funktion der Versuchungsszene in diesem Kontext, den Helden als Helden zu bestätigen. Das Gedicht besteht aus drei Abschnitten folgenden Inhalts: Aufbegehren Satans und Engelsturz, Höllenfahrt und Versuchung Christi. Vgl. Jordan 1986. 240 Vgl. Fichtenau 1948, S. 73 f.; Brenk 1966, S. 197-210; Dinzelbacher 1996, S. 30; Angenendt 1990, s. 185. 241 Allein im Markusevangelium kommen über 20 solcher Szenen vor. Vgl. Forsyth 1987, S. 285-295, zu ihrer Deutung als Kampf. Der in diesem Zusammenhang oft erwähnte Descensus wird dagegen als Triumph geschildert und bildlich dargestellt. Zu den süditalienischen Ausnahmen vgl. Kap. C.III.4. 242 Brenk 1966, S. 197.

Rahmenthemen

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Schriftexegese sowie der volkssprachlichen Rezeption einerseits und der bildlichen Umsetzung der Versuchungsgeschichte andererseits besteht jedoch eine deutliche Diskrepanz: Auf den Bildern werden weder Jesu Bedrohung noch sein allegorisierter Kampf gezeigt, sondern vor allem sein Triumph. Dies gilt für die Illustrationen zur Versuchungsgeschichte im Book of Kells (spätes 8.Jh., Dublin, Trinity College, Ms. 58, fol. 202v), auf einem Metzer Elfenbeinbuchdeckel (Abb. 22) und im Stuttgarter Psalter (Farbtafel X). 243 Es lassen sich also widersprüchliche Tendenzen im karolingischen Christusbild feststellen: Die Schilderungen eines allegorischen Waffenganges gegen den Versucher und ihre Ausdeutung als Vorbild für den Glaubenskampf der Gläubigen schlagen sich kaum in den bildlichen Darstellungen nieder. Zwar wird Christus in wenigen Bildzeugnissen als Mensch gezeigt, den der Satan durch seine verbalen Angriffe in Gefahr zu bringen sucht. Anders als in einigen Schriften wurde diese Situation aber nie in eine Allegorie übertragen, die eine tätliche Auseinandersetzung mit Waffen zum Thema hat. Der Grund muß in der schweren Vermittelbarkeit entsprechender Situationen im Bild liegen: Denn die christliche Heilserwartung läßt die Darstellung einer Gefährdung Christi strenggenommen nicht zu. Die Bilder sollen den Menschen Mut machen und sie im Glauben stärken, ihnen aber keinesfalls Unsicherheit vermitteln. Ihre Botschaft ,lautet, daß Christi Sieg von vornherein feststeht, weil er wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich ist und bereits sein Kommen auf die Welt deren Erlösung bewirkt. In diesem Zusammenhang sei auf die Ende des siebten Jahrhunderts vom Abt des Katharinenklosters auf dem Sinai, Atanasios Sinaites, verfaßte Schrift Hodegos verwiesen, in der von zwei Waffen die Rede ist, die den Vertretern des orthodoxen Glaubens im Kampf gegen die monophysitischen Häresien zur Verfügung stünden: Zum ersten Zitate aus biblischen und patristischen Schriften und zum zweiten visuelle Mittel, also Schaubilder. Atanasios gibt letzteren den Vorzug, da sie nicht durch Auslassungen oder Mißdeutungen fehlinterpreti ert werden könnten. 244 Daneben widerspräche die Darstellung Christi als Krieger seinen Tugenden Demut, Sanftmut, Geduld und Gehorsam und damit einem wesentlichen Grundzug der Lehre des Neuen Testaments. Sein Sieg ist ein Triumph der Friedfertigkeit, der nicht durch Waffengewalt erkämpft wurde, sondern durch die Passion. 245 Die Kirchenväter fordern deshalb die Gläubigen auf, die An243 Vgl. Fran~oise Henry, The Book of Keils, A Study of the Manuscript and ist decoration, London 1974, Abb. 68; Carl Nordenfalk, Insulare Buchmalerei, München 1977, Abb. 46. - Goldschmidt 1914, Nr. 75; Steenbock 1965, S. 87 f. , N r. 18; Kat. Frankfurt 1994, S. 109, Nr. IV/ 31 [Margret Ribbert]). 244 Vgl. Mahrenholz 1995, S. l OOO f. 245 Vgl. Forsyth 1987, S. 262.

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griffe des Teufels ebenfalls mit Gleichmut zu erdulden. Gregor der Große etwa beschreibt in seinen Moralia in lob den bewaffneten Angriff des Teufels, der jedoch spirituell und ohne Waffengewalt besiegt werden könne.246 Weil Christus, zusammenfassend gesagt, als Triumphator über Sünde und Tod gezeigt werden soll, wird er in der mittelalterlichen Kunst nicht kämpfend dargestellt. Auch als gewappneter Krieger in Rüstung erscheint er nur äußerst selten, weil er in den Evangelien anders als der Gott des Alten Testaments niemals als strenger Rächer oder Kämpfer geschildert wird. 247 Das im frühen Mittelalter gleichzeitig feststellbare Bedürfnis nach der Verbildlichung von Christi Kampf gegen den Satan und seine Dämonen als Vorbild für den Glaubenskampf der Christen ist eine der wichtigsten Grundlagen für die Darstellung symbolischer bzw. allegorischer Drachenkämpfe, die von anderen Protagonisten wie etwa dem Erzengel Michael ausgefochten werden. Michael ist zunächst aber nur einer von mehreren symbolischen Stellvertretern Christi im Kampf.

246 Gregor der Große: Moralia in lob Vl,9,11, CCSL 143, S. 291: Antiquus namque hostis quasi inermis vincitur, cum mala aperte suggerens humanae menti, bona omnia simul destruere conatur. Sed armatus venit quando bona alia intacta deserens, latenter alia corrumpit. [... ] Hunc ergo armatus hostis rapuit quem fraude tectus in alia deserens, ex alia parte superavit. 247 Vgl. Laurent 1908, S. 105-107 und Kantorowicz 1961, S. 384-390, der ebd., S. 389, allerdings zu dem Schluß kommt, daß Christus im Mittelalter nur deshalb nicht in Rüstung dargestellt worden sei, weil es in Europa keine Rüstungen gegeben habe. Dinzelbacher 1996, S. 150-152, bespricht einige, meist angelsächsische, Darstellungen des mit Waffen strafenden Christus. Ebd., S. 148 f., eine Zusammenstellung zahlreicher Erwähnungen von Waffen Gottes im Alten Testament.

IV. Stellvertreterkämpfe

1. Der Drachenkampf als Stellvertreterkampf In karolingischer Zeit entwickelt sich der Drachenkampf zu einem Rahmenthema der westlichen Kunst, das in verschiedenen Zusammenhängen auftritt. In vielen Fällen ist er als Ersatzbild für Christi Kampf gegen Sünde, Tod und Teufel und damit als Vorstufe seines Sieges zu verstehen. Da Christus selbst nicht kämpfend gezeigt werden soll, wird er auf den Bildern von anderen Personen vertreten. Als Stellvertreter im Kampf lassen sich beispielsweise die beiden Reiter auf den Innenseiten des um 825/28 entstandenen, nur durch eine Nachzeichnung überlieferten Einhardbogens deuten (Abb. 23). 248 Die Grenze zwischen Kampf und Triumph ist hier allerdings fließend, denn einerseits verweisen die Rüstungen und vor allem die vollständige Bewaffnung der Reiter einschließlich ihrer Schilde auf eine ausgetragene Schlacht, andererseits aber liegen ihnen die gegnerischen Drachen bereits besiegt zu Füßen. Einer von ihnen empfängt soeben den Todesstoß, der andere hat ihn bereits erhalten. Der Entd~cker der Zeichnung, Blaise de Montesquiou-Fezensac, hat den Reiter mit „römischem" Helm als Konstantin den Großen (t 337) und den mit „karolingischem" Helm als Karl den Großen (t 814) oder einen seiner Nachfolger gedeutet. 249 Wenn man ihm darin folgt, erscheint Karl Haucks Interpretation plausibel, derzufolge Konstantin nach bereits in der Vergangenheit erfolgtem Sieg über den Drachen gezeigt wäre, Karl dagegen während der Drachentötung in der Gegenwart: 250 Der erste hat seine Lanze bereits umgedreht und ihre Spitze zeigt nach oben, der zweite dagegen ist im Begriff, die Waffe in den Hals seines Gegners zu treiben. Die Darstellung ihrer Gegner zeigt an, daß die beiden Reiter einen symbolischen Streit ausfechten: Nicht gegen einen konkreten politischen Feind 248 Vgl. allgemein die verschiedenen Beiträge im Sammelband Hauck 1974 a. Zur Datierung: Hauck 1974 b, S. 181 und Belting 1973, S. 113. 249 Blaise de Montesquiou-Fezensac, L'Arc de Triomphe d'Eginhardus, in: Cahiers archfologiques 4 (1949), S. 79-103; ders., L' Are d'Eginhard (deuxieme article), in: Cahiers archfologiques 8 (1956), S. 147-174. 250 H auck 1974 b, S. 169. Allgemein zu diesem Thema: ders., Karl als neuer Konstantin 777, Die archäologischen Entdeckungen in Paderborn in historischer Sicht, Mit einem Exkurs von G. Müller, Der Name Widukind, in: FMSt 20 (1986), S. 513-540. Deer 1953, S. 138, deutet die Möglichkeit an, daß es sich um eine doppelte Darstellung desselben Kaisers handeln könnte.

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richtet sich ihr Kampf, sondern gegen die Widersacher des eigentlichen Siegers, dem der Triumphbogen gewidmet ist, nämlich des Kreuzes und damit Christi. Daß nicht einer der Kaiser an der Bogeninnenseite, sondern das ehemals von dem Miniaturbogen getragene Kreuz Bezugspunkt des Bildprogramms war, machte die Inschrift auf seiner Vorderseite deutlich: AD TROPAEUM AETERNAE VICTORIAE SUSTINENDUM EINHARDUS PECCATOR HUNC ARCUM PONERE AC DEO DEDICARE CURAVIT. Das Kreuz stand dort als Feldzeichen des Sieges über den Teufel und im Besonderen über das Heidentum. Obwohl beide Herrscher sich im Kampf gegen Unglaube und Häresie besonders ausgezeichnet haben, Konstantin zum Entstehungszeitpunkt des Kreuzfußes bereits in der weit zurückliegenden, Karl als dessen Nachfolger in der jüngeren Vergangenheit, ist dieser Kampf nicht Thema des Triumphbogens.251 Der Kreuzfuß ist kein „Staatsmonument". 252 Einhard huldigt den Kaisern mit seinem Programm nur insofern, als er sie - wie die acht nimbierten Krieger auf den Außenseiten - als vorbildliche christliche Kämpf er darstellen läßt, die an der Erfüllung des göttlichen Heilsplans mitwirken. 253 Sie sind Stellvertreter Christi auf Erden und führen durch ihren Einsatz den Triumph des Kreuzes fort. Wie Kurt Weitzmann festgestellt hat, erringen sie den Sieg aber nicht in ihrem eigenen, sondern im Namen des Kreuzes. 254 In ähnlicher Weise muß man den bewaffneten König über einer Schlange interpretieren, der in einer westfränkischen Handschrift aus der Mitte des achten Jahrhunderts dargestellt ist (Abb. 24). 255 Auch hier handelt es sich um

251 Ausführlicher: Hauck 1974 b, S. 169; Belting 1973, S. 109-111. Ebd., S. 113, der Vorschlag, die beiden Reiter als Karls des Großen Nachfolger Ludwig und Lothar zu deuten. 252 Hauck 1974 b, S. 182, erscheint er „fast wie ein Staatsmonument". Belting 1973, S. 108 f., schreibt ihm ebenfalls den „Charakter eines Staatsdenkmals, welches den Anspruch der karolingischen Erneuerung des Römerreiches formuliert", zu. Ebd., S. 113, bezeichnet er das Bildprogramm des Bogens als ein für den Hoftheologen Einhard typisches „Amalgam aus politischem Ehrgeiz, theologischer Gelehrsamkeit und dem Zusatz eines antiquarischen Trends zum Antikenzitat". Vgl. dazu auch Hauck 1970, S. 169-172. 253 Haubrichs 1979 a, S. 307 f., deutet die vier Soldaten mit Lanze und Schild als Militär heilige des oströmischen und des w eströmischen Kaisers, nämlich als Theodor Stratelates, Georg, Mauritius und eventuell Sebastian. 254 Weitzmann 1974, S. 35. Hauck 1974 b, S. 183, verweist in diesem Zusammenhang auf die Widmung Hrabans an Ludwig den Frommen von 831 (CCCM 100, S. 15; hier zitiert nach der Übersetzung Haucks ): ,,J esu, Dein Zeichen auf dem Haupt des Kaisers / mache seinen Helm segenspendend und unbesiegbar, / Deine herrliche Gnade verleih' seiner Rechten / Heldenkraft und schenke ihm den Sieg, bekleide / ihn mit dem Recht mäßigender Gerechtigkeit .... " 255 Psychomachie-Codex, wohl aus der Gegend von Tours, geteilt in zwei Hälften, heute Paris, Bibl. nat., Ms. lat. 8318, darin die angesprochene Darstellung, fol. 55v, und Rom, Bibl. Apost. Vat., Reg. lat. 596. Zur Einordnung und Datierung: Bernhard Bischoff, Die Überlieferung der technischen Literatur, in: ders. 1981, S. 277-297, hier 293; Vergnolle 1984; dies. 1985; dies., in: Kat. Hildesheim 1993, II, S. 257-260, Kat. V-6.

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eine Mischform aus Kampf- und Triumphbild: Der bärtige Held steht frontal auf einer zusammengeringelten Schlange. Zum Zeichen seines Sieges trägt er auf dem Kopf eine Krone und in der linken Hand das Labarum. Den rechten Arm jedoch hat er mit einem Schwert zur Verteidigung erhoben, da der Schlangendrache noch den Kopf in die Höhe reckt, um seinem Gegner einen Feuerschwall entgegenzuspeien. Der runde Schild in der Linken kommt dagegen nicht mehr zum Einsatz, da er zugleich mit dem Labarum gehalten und daher aus praktischen Gründen nach hinten gewendet werden muß. Wie aus der ausführlichen Beischrift hervorgeht, ist mit diesem antikisch gekleideten Krieger kein historischer Herrscher gemeint, sondern ein idealtypischer christlicher Tugendheld, der den von Paulus im Epheserbrief 6,10-17 anschaulich geschilderten spirituellen Kampf der Gläubigen gegen die Angriffe des Teufels ausficht. Besonders die letzte Zeile der Beischrift weist darauf hin, denn dort werden die Gläubigen nicht wie im Epheserbrief aufgefordert, stark im Kampf zu sein, um den insidias diaboli (Eph 6,10-11) zu widerstehen, sondern: Estote fortes in bello et pugnate cum antiquo serpente et accipietis regnum aeternum. Der Dargestellte trägt demnach eine Krone, weil als Lohn für den Sieg im Kampf gegen die Schlange der Anfechtung das Himmelreich winkt. 256 In den Beischriften ist die originale Reihenfolge der von Paulus aufgezählten geistigen Waffen so verändert, daß ihre entsprechende Schutzfunktion nun in ähnlicher Weise erläutert wird wie auf einer technischen Gebrauchsanleitung: Die Krone wird als „Helm des Heils" bezeichnet, ansonsten trägt der Krieger das „Schwert des Geistes", den „Schild des Glaubens", den „Panzer der Gerechtigkeit", einen von Paulus nicht erwähnten Keuschheitsgürtel und „Schuhe der Bereitschaft für das Friedensreich": Galeam salutis assumite. Gladius spiritus sancti quod est verbum dei proptera accipite armatura dei ut possitis resistere in die malo et in omnibus perfecti stare et militia est vita hominis super terram. In omnibus habentes scutum fidei in qua possitis omnia tela nequissimi ignea extinguere. Induite lurica iusticiae. State succincti lumbos vuestros zona castitatis. [. .. ] Calciati pedes in praeparatione evangelii pacis. [. .. ] Estote fortes in bello et pugnate cum antiquo serpente et accipietis regnum aeternum.257

256 Vgl. hierzu Deer 1953, S. 149, Anm. 85, der die Zeichnung als „ursprünglich wohl ein Herrscherbild, aber in der vorliegenden Anwendung symbolisch umgedeutet" bezeichnet. Zur Bildtradition der Lebenskronen für standhafte Gläubige: Ott 1998, S. 168-192, 248-257 und 261 f. 257 Vgl. Stettiner 1895, S. 9; Vergnolle 1984, S. 43, Anm. 60.

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Der gekrönte Tugendheld führt einen symbolischen Kampf gegen die Schlange, der dem Kampf Christi gegen den Satan vollkommen entspricht, denn er kämpft gegen Versuchungen und Laster und nutzt dabei die Waffen, mit denen die Heilige Schrift ihn ausgestattet hat. Die Zeichnung kann daher auf den Glaubenskampf eines jeden Christen bezogen werden, gleichzeitig aber auch auf die Versuchungen Christi. Sie ist ein Stellvertreterbild, das den Gläubigen Mut zur Nachahmung von Christi Kampf gegen den Teufel machen soll.2 58 Was für das karolingische Christusbild gilt, trifft auch auf das zeitgenössische Kaiserbild zu: Bei den Herrscherdarstellungen überwiegt das Interesse an einem errungenen Sieg und nicht an dem vorhergehenden Kampf. Wenn der Kampf aber als Vorstufe eines Sieges gezeigt werden soll, geschieht dies vermittels eines Stellvertreterbildes. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Rückenlehne der sogenannten Cathedra Petri im Vatikan, die Karl der Kahle (t 877) wohl anläßlich seiner Krönung im Jahre 875 für den Petersdom stiftete.259 Im Zentrum der Horizontalleiste befindet sich das Brustbild eines Herrschers, das links und rechts von je zwei ihm Kronen und Palmzweige darbringenden Engeln flankiert wird. An diese schließen sich beidseitig mehrere Kampfszenen an, von denen die erste auf der rechten Seite den Streit eines Mannes gegen einen Drachen zeigt (Abb. 25).260 Der Kämpfer trägt einen kurzen Waffenrock und einen Speer. Er steht rechts neben dem Drachen, der einen Schlangenleib, einen Hundekopf und Flügel aufweist, und stößt ihm unter höchstem Krafteinsatz den Speer in den Rachen. Es ist der Moment, der den Kampf abschließt, der Augenblick des Sieges. Wer aber ist der Krieger, wofür steht der Drache? Bereits Kurt Weitzmann und Nikolaus Staubach haben in der Szene einen Stellvertreterkampf gesehen, der für Kaiser Karl den Kahlen gegen ihn bedrohende Mächte geführt wird. 261 Damit sind keineswegs rein militärische Auseinandersetzungen gemeint. Sedulius Scotus (t 2. H. 9. Jh.) bezeichnet es in seinem Fürstenspiegel als wichtige Aufgabe des Kaisers, mit den spirituellen Waffen Christi gegen die sichtbaren wie gegen die unsichtbaren Feinde seiner Herrschaft zu kämpfen.262 Im Metzer Krönungsordo von 869 wird Gott darum gebeten, Karl ad adversitatibus cunctis et ab omnibus visibilium 258 Dazu paßt hervorragend, daß sie gerade in eine Psychomachie-Handschrift eingetragen wurde. Auf den Kontext Psychomachie wird noch ausführlich einzugehen sein. 259 Atti 1971; Gussone/ Staubach 1975; Staubach 1993, S. 284-334. 260 Weitzmann 1971, S. 227f., führt diese Darstellungen auf den Utrecht-Psalter zurück. Dagegen: Staubach 1993, S. 299-303. 261 Weitzmann 1971, S. 230-232; ders. 1974, S. 39; Staubach 1993, S. 304. 262 Zit. bei Staubach 1993, S. 303.

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et invisibilium inimicorum insidiis zu befreien.263 In den Briefen Papst Hadrians II. aus den Jahren um 875 an Karls ostfränkische Rivalen ist nicht nur von dessen Auserwähltheit als Kaiser aufgrund seiner mannigfalten Tugenden die Rede, sondern auch von der Gefährdung seines Kaisertums durch die Umtriebe teuflischer Gewalten. 264 Der Mann mit dem Speer dürfte weniger für des Kaisers Kampf gegen politische Feinde stehen als vielmehr für seine Auseinandersetzungen mit Ungläubigen und Häretikern, 265 möglicherweise auch für seinen inneren Kampf gegen Laster und Anfechtungen. Dies gilt erst recht, wenn man sich die Fülle von Fabelwesen vor Augen führt, welche die untere Zone des Karlsthrones bevölkern, 266 und dabei die Bedeutung des Stichs in den Rachen bedenkt. Karl der Kahle wird hier als Abgesandter Gottes geschildert, der wie Jesus Christus einen religiösen Auftrag auf Erden zu erfüllen hat, den aber Abgesandte des Teufels in Gestalt seiner politischen Gegner oder von moralischen Versuchungen ständig daran zu hindern suchen. Nur aufgrund seiner herrscherlichen virtutes kann Karl ihren Angriffen standhalten, muß sich dabei aber ständig neu bewähren. Auf der Rückenlehne seines Elfenbeinthrons sollte der erfolgreiche Kampf Karls des Kahlen gegen äußere und innere Feinde offensichtlich als Grundlage seiner Tugendkrönung durch Engel gezeigt werden, die in der Mitt_e als „permanentes Denotat von Herrschaft" dargestellt ist.267 Weil sich das Bildprogramm jedoch auf die Veranschaulichung seiner triumphalen Herrschaft konzentriert, wird der Kaiser wie auch die Herrscher auf den spätantiken Triumphbögen und Obeliskensockeln oder wie Christus selbst nicht kämpfend dargestellt. Den Streit ficht ein Stellvertreter aus, Karl selbst steht ausschließlich für den Sieg. 268 Auf den Herrscherbildern Karls des Kahlen kommen erstmals auch Engel als Thronassistenten vor. Sie fungieren dort als Tugendbeistand des Herrschers gegen die Angriffe böser Mächte und sind insofern ebenfalls als Stellvertreter im Kampf gegen Anfechtungen und Häresie anzusprechen. Das 263 MGH Capit. 2,456. Deer 1953, S. 129-136, führt zahlreiche Belege für die Existenz dieser Tugendlehre bereits unter Karl dem Großen an. 264 Staubach 1993, S. 341, weist auf mehrere solcher Passagen hin. 265 Im Widmungsgedicht der Bibel von S. Paolo wird Karl der Kahle als defe nsor ecclesiae bezeichnet: Vgl. unten. 266 Vgl. hierzu Claussen/Staubach 1994, S. 296-298. 267 Ott 1998, S. 122. Vgl. auch Deshman 1980, S. 401. 268 Auch die Herkulestaten auf dem Thronsitz sind, wie in der älteren Literatur häufiger bemerkt, in diesem Sinne auf Karl den Kahlen zu beziehen.John Geyssen, Presentations of Victory on the Theodosian Obelisk Base, in: Byzantion 68 (1998), S. 47-55, hier 51, interpretiert bereits den Siegeskranz spätantiker Athleten auf dem Sockel des Theodosius-Obelisken als Zeichen nicht für deren persönlichen, sondern für den politischen Sieg des Kaisers.

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Thronbild der Bibel von S. Paolo fuori le Mura 269 zeigt den Kaiser inmitten der verschiedenen Kräfte, die ihn bei der Aufgabe unterstützen, sowohl einen militärischen Kampf gegen politische Feinde als auch einen spirituellen Kampf zu führen: Die Soldaten vertreten ihn in seinem äußeren und irdischen Kampf, die Engel, wie der Titulus bestätigt, in seinem inneren und geistigen Kampf: hinc inde angelico septus tutamine sacro / hostibus ut cunctis exultet pace repulsis. Die Darstellung knüpft damit an den bereits erwähnten Metzer Krönungsordo an, in dem die sichtbaren und unsichtbaren Feinde des Kaisers angesprochen werden, gegen die er jeweils himmlischen Beistand benötigt: Indulgeat tibi mala omnia, quae gessisti, [. .. ] liberetque te ab adversitatibus cunctis et ab omnibus visibilium et invisibilium inimicorum insidiis [ .. .]. Angelas suos bonos semper et ubique, qui te praecedant, comitentur et subsequantur, ad custodiam tui ponat; et a peccato seu gladio et ab omnium periculorum discrimine te sua potentia liberet. 270

Auch der in den letzten Jahren vielbeachtete Odysseus im Kampf gegen die Skylla auf dem Emporenfresko des Corveyer Westwerks (Abb. 26) ist als Stellvertreterbild anzusprechen: Er sollte den Mönchen o'der dem das Kloster aufsuchenden Herrscher als christlich interpretiertes Idealbild eines Tugendhelden, genauer als Stellvertreter für Christi Kampf gegen die Versuchungen, vor Augen geführt werden. 271 Die Körperhaltung des Odysseus, die Ausrichtung seines Schildes und sein Stoß in eines der Skylla-Mäuler machen deutlich, daß der Held sich im Kampf mit der Bestie befindet und daß die Gefahr noch nicht vorüber ist. Wie George M.A. Hanfmann und Hilde Claussen gezeigt haben, unterscheidet sich die Darstellung darin grundlegend von der antiken Tradition der Odysseus-Bilder: Dort steht der Held auf einem Schiff und hat seine Waffen nur aus der Ferne auf das Ungeheuer gerichtet, das zudem nicht in Gestalt eines mehrköpfigen Drachen, sondern meist textgetreu als von Hunden umgürtetete weibliche Gestalt erscheint. Beispiele, in denen er auf einer schlangenförmigen Skylla steht und ihr den Speer ins Maul stößt, sind aus der Zeit vor dem Corveyer Fresko nicht bekannt. 272 Es ist anzunehmen, daß die Skylla erst im Zuge ihrer christlichen Deutung als allge269 Rom, Basilica patriarcale di San Paolo fuori le mura, ohne Inv.-Nr., fol. lr. 270 MGH Capit. 2, 456. Weitere Belege bei Staubach 1993, S. 304, Anm. 76. Deer 1953 liefert zahlreiche Textstellen zu den zwei Kämpfen des Kaisers, die sich auf Karl den Großen beziehen. 271 Claussen/Staubach 1994, S. 351 f.; Kat. Paderborn 1999, II, Kat. VIIl.61 (Hilde Claussen). 272 Hanfmann 1987, S. 352. Abb. und Besprechung zahlreicher Vergleichsbeispiele: Kat. Paderborn 1999, II, Kat. VIII.62-70 (alle Hilde Claussen).

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meines Symbol des Bösen oder speziell des Unglaubens 273 als Drache dargestellt wurde, möglicherweise sogar erstmals in karolingischer Zeit. Ihr Gegner Odysseus, der den Verlockungen der Sirenen wie Christus den Versuchungen des Teufels widersteht, wehrt die gefahrvollen Angriffe der Skylla ebenso ab wie jener die Angriffe Satans. Hilde Claussen und Nikolaus Staubach verweisen in diesem Zusammenhang auf einen vor 814 verfaßten Brief des Mönchs Dungal aus Saint-Denis an einen befreundeten Abt, in dem er den Wunsch ausspricht, jener möge „auf dem grausigen Meer der Welt nicht den trügerischen Künsten der schönen Skylla zum Opfer fallen" .274 Möglicherweise spielt hier ein Psalmvers eine Rolle, der später zuweilen auf die Ikonographie der Taufe Christi einwirkte: tu dissipasti in fortitudine tua mare / contrivisti capita draconum in aquis (Ps 73,13). 275 Daß in Corvey für den Kampf des Odysseus gegen das Meeresungeheuer dieselbe Bildformel dienstbar gemacht wurde, die sonst für die Darstellung christlicher Kämpf er gegen Abgesandte Satans verwendet wird, ist ein weiterer Beleg für die weite Verbreitung und den Variantenreichtum derartiger Stellvertreterkämpfe im neunten Jahrhundert. 276

2. Michael als Stellvertreter Christi Als wichtigster der verschiedenen Kämpfer, die in Vertretung Christi den Drachen niederstechen, ist der Erzengel Michael anzusprechen. Als solchen kann man nach dem bisher Gesagten nun auch den Drachenkämpfer im Psalter aus Corbie interpretieren und auf den in Ps 83,10 genannten Schutzschild der Gläubigen beziehen. 277 Da zwischen dem Leipziger Elfenbein und den zeitlich nächsten Beispielen aus dem späten zehnten Jahrhundert (Farbtafel XII; Abb. 57) eine Überlieferungslücke von nahezu 200 Jahren klafft, ist die Bedeutung des Motivs in der Karolingerzeit schwer einzuschätzen. Falls im neunten Jahrhundert weitere entsprechende Darstellungen Michaels mit dem Drachen existierten, standjH s-i-e zunächst gleichberechtigt neben den anderen Drachen273 Claussen/Staubach 1994, S. 347f. 274 MGH Epist. 4,581, zitiert nach der Übersetzung von Claussen/Staubach 1994, S. 351. 275 Schiller 1966, S. 146, nennt als Beispiele hierfür den byzantinischen Chludoffpsalter (E. 9. Jh., Moskau, Hist. Mus., Gr. 129, fol. 92v) und die Tür von St. Maria im Kapitol in Köln, M. 11. Jh. Ohlgren 1992, Abb. 3.30, bespricht die entsprechende Darstellung im Bury Psalter (11. Jh., Rom, Bibi. Apost. Vat., Reg. lat. 12, fol. 81r). Vgl. auch Jes 27,1. 276 Vgl. Claussen/Staubach 1994, S. 371 f. Schon Hieronymus, PL 24, 306, setzt das Meeresungeheuer Leviathan aus Ps 104, 25s. mit dem apokalyptischen Drachen gleich, der von Michael auf die Erde geworfen wird. 277 Dies schlägt bereits Kuder 1977, S. 216, vor, der die Darstellung aber auf Christus bezieht.

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bekämpfern. Mit der Aufnahme des Michaelsfests in die Festtagskalender, mit der Verbreitung des Michaelspatroziniums, mit der steigenden Zahl von Pilgern zu den großen Michaelsheiligtümern und mit dem Entstehen der ersten Michaelslegenden kam es im neunten und vor allem im zehnten Jahrhundert zu einer zunehmenden Verehrung des Erzengels als Heiliger, deren Entwicklung unten noch genauer dargelegt wird. Dieser Prozeß wirkte sich auch auf die bildlichen Darstellungen Michaels aus: Im späten zehnten Jahrhundert scheint der Erzengel die anderen Drachenbekämpfer fast völlig verdrängt zu haben und tritt in der Folgezeit vermehrt in der Buchmalerei, in der Goldschmiedekunst und in der Elfenbeinschnitzerei auf. 278 Michaels Rolle als Stellvertreter Christi im Kampf läßt sich aus der Auslegungstradition der Verse erklären, die seiner Darstellung als Drachenbekämpfer zugrunde liegen: Et factum est bellum in caelo, Michael et angeli eius pugnant cum dracone; et draco pugnavit et angeli eius; et non valerunt, neque locus eorum inventus est amplius in caelo. Et expulsus est draco magnus, anguis antiquus, qui dicitur diabolus et Satanas, seducens totum orbem. Expulsus est in terram, et angeli eius cum eo expulsi sunt (Offb 12,7-9).

Wie aus den anschließenden Versen in Offb 12 deutlich wird, bedeutet dieser Drachensturz keinen endgültigen Sieg, da der Drache und sein Gefolge lediglich aus dem Himmel vertrieben sind. Durch ihren Fall findet ein Szenenwechsel vom Himmel auf die Erde statt, wo das Kampfgeschehen jedoch nicht sofort fortgeführt wird. Der Drache verfolgt in Anknüpfung an Offb 12,4-6 das apokalyptische Weib und seinen Sohn, die Auseinandersetzung mit dem Untier wird dagegen erst in Offb 20,1-3 von einem namenlosen Engel wieder aufgegriffen und entschieden.Jede Interpretation von Michaels Drachenkampf seit den Kirchenvätern erfolgte daher mit Blick auf diese Stelle. 279 Das dort erwähnte tausendjährige, dem Wiederkommen Christi und dem Endgericht vorausgehende Friedensreich macht Offb 20 zudem zu einem heiklen Kapitel, auf das sich die Auslegung der gesamten Johannesoffenbarung von Anfang an konzentrieren mußte. 278 Georg wird erst seit dem ausgehenden elften Jahrhundert als Drachenkämpfer dargestellt und steht insofern in der Tradition der Michaelsikonographie. Vgl. hierzu Haubrichs 1979 a, S. 314f. Allgemein zur Ausbreitung des Georgspatroziniums im Westen: Zimmermann 1959, s. 47-50. 279 In seiner Untersuchung der Exegese von Offb 12 stellt Peter Busch (1996, S. 241) fest, daß das Kapitel nie die Stellung eines Ausgangstextes einnahm, der Gegenstand bestimmter Deutungsinteressen gewesen wäre, sondern vorwiegend als Argument für die Deutung anderer Texte diente.

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Fast sämtliche frühchristlichen und frühmittelalterlichen Exegeten orientierten sich dabei an dem verlorenen Apokalypsekommentar des Ticonius (t nach 380) 280 bzw. an den davon stark beeinflußten Aussagen des Augustinus (t 430) in seiner Deutung der Apokalypse sowie in seiner Schrift D e civ itate Dei. 28 1 Daraus ergab sich im wesentlichen eine antichiliastische Interpretation von Offb 20,1-7: Ohne die Zahl Tausend als konkrete Zeitangabe zu verstehen (Augustinus zufolge steht sie für „alle Tage"), wurde das tausendjährige Friedensreich auf die Gegenw art der christlichen Kirche bezogen. Von nachhaltiger Wirkung war überdies das Verbot, über die Bedeutung dieser Zahl und damit über den Zeitpunkt des Weltendes zu spekulieren.282 Vor dies em Hintergrund erstaunt es wenig, daß das Geschehen in Offb 12 nur selten eschatologisch gedeutet wurde. Zwar hatte Victorin von Pettau (t 304) d en Drachenkampf mit den Worten: Hoc est initium Antichristi k ommentiert, 283 und spätere Äußerungen w ie etwa von Hrabanus Maurus w eisen darauf hin, d aß andere diese A nsicht teilten. 284 Da die mittelalterliche Exegese durch Augustins dezidierte Vorgaben jedoch klar in eine andere Richtung gelenkt -w urde, legte man d en Drachenkampf auch nur selten historisch, also als reales Ereignis der H eilsgeschichte, aus. Cassiodor (t um 580) deutet Offb 12,7-9 einerseits als Engelsturz, d.h. als Kampf zwischen Michael und Luzifer am Anfang der Welt, kommentiert das Geschehen andererseits ab er sehr allgemein als zeitlosen Kampf zwischen Gut und Böse: quod tamen in initio mundi contigisse non dubium est. Andreas von Caesarea (6. Jh.) bezieht Michaels Drachenkampf sowohl auf die Verstoßung Luzifers als auch auf die endgültige Bekämpfung des Antichrist am Ende aller Tage. 285 Mit Abstand am häufigsten wurde Offb 12,7-9 spirituell-sy m bolisch interpretiert und d abei mehr oder w eniger konkret auf die eigene

280 Steinhauser 1987; Paula Fredriksen, Tyconius and Augustine on the Apocalypse, in: Emmerson/ McGinn 1992, S. 20-37, bes. 35- 37. 281 Au gustinus: In Apocalipsim, PL 35 , Sp. 2417-2452; D e civitate D ei XX,8, CCSL 48, hier S. 712 f. Vgl. auch ders., Epistola, Nr. 197, PL 33, Sp. 900. Allgemein dazu: Kamlah 1935, bes. S. 57-1 04. Eine übersichtliche Zusammenfass ung der neueren Forschung bei: Kretzschmar 1985 . 282 Vgl. hierzu: Kamlah 1935, S. 12, Anm. 12; Carozzi 1996, S. 58-60; Landes 1992, S. 363 370. 283 SC 423, S. 102. 284 H omiliae, PL 11 0, Sp. 59: Unde et ille antiquus hostis, qui se ad similitudinem ejus superbus extulerat, in fine mundi cum Michaele archangelo praeliaturus esse perhibetur, ut per Michaelem peremptus discat quia ad similitudin em Dei per superbiam nullus exsurgat. Vgl. auch ders., Allegoriae, PL 112, Sp. 906. 28 5 Cassiodor: PL 70, Sp . 1411 ; vgl. auch PL 11 7, Sp. 1085 und allgemein Kretzschmar 1985, S. l Of. - Andreas von Caesarea: PG 106, Sp. 326. Vgl. auch Kap. C.III.4 dieser Arbeit.

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Gegenwart bezogen. 286 Praktisch alle frühmittelalterlichen Kirchenschriftsteller folgten Augustinus darin, daß sich der geschilderte Kampf nicht im Himmel abspiele, sondern daß mit dem Schauplatz caelum die Gesamtheit der himmlischen und irdischen ecclesia gemeint sei. 287 Augustinus bezog einzelne Elemente des Drachenkampfes direkt auf die Lebenssituation der Christen seiner Zeit, die um die Ausbreitung ihres Glaubens rangen, und erklärte die Engel als Symbole für die Heiligen, die den Kern der Kirche bildeten, aus der die bösen, vom Teufel beherrschten Menschen vertrieben werden müßten. 288 Michael deutete er als Symbol für Christus: Et factum est bellum in caelo: id est, in Ecclesia. Michael et Angeli ejus pugnabant cum dracone: Michaelem, Christum intellige; et Angelas ejus, sanctos homines. Et draco pugnavit et angeli ejus: id est, diabolus et homines voluntati ejus obtemperantes. 289 Demnach wurde der Drachenkampf der Johannesapokalypse schon in der Patristik als Gleichnis für Christi Anfechtungen durch den Satan verstanden. Noch ausführlicher legte der Italiener Ambrosius Autpertus (t 784) diese Auffassung in seinem Apokalypsekommentar dar. 290 Auch Ambrosius deutet Michael als Symbol für Christus und den Drachenkampf als aktuelles Geschehen innerhalb der christlichen Kirche, ordnet diesen aber gleichzeitig in den heilsgeschichtlichen Zusammenhang ein: Nur durch die Passion Christi sei der geschilderte Kampf, unter dem er die Vertreibung des Satans aus den Herzen der Gläubigen versteht, möglich geworden. Da die teuflischen Mächte jedoch immer neue Angriffe unternähmen, sei bis zur endgültigen Wiederkehr Christi eine ständige Verteidigung nötig. Bezüglich der Stimme in Offb 12,10 schreibt Ambrosius: Et quia cotidie id fieri certum est, constat nimirum, quia vox haec ab adventu quidem Redemptoris caepit, sed usquequo ad consummationem mundi perveniat, clamare non desinit. 291 Der Bezug zur Parusie ist bei ihm stärker ausgeprägt als bei den vorherigen Kommentatoren, ebenso sein Interesse an der Rolle der Engel als gottgesandter geistiger Schutzmacht der Menschen im Kampf gegen die Anfechtungen des

286 Jacobus de Voragine (Legenda Aurea, S. 994) bietet später als guter Kompilator alle drei Auslegungen gleichberechtigt nebeneinander an: lllud enim verbum de triplici prelio Michaelis exponitur, scilicet de prelio quod habet cum demonibus nos infestantibus et de isto. 287 Zur patristischen Sicht auf die ecclesia vgl. Peterson 1955, S. 12. 288 Vgl. hierzu Kretzschmar 1985, S. 94-115. 289 In Apocalipsim, PL 35, Sp. 2434. 290 Vgl. Kretzschmar 1985, S. 131. 291 CCSL 27, S. 460. Noch deutlicher stellt später Hrabanus Maurus (t 856) die Verbindung zwischen Drachenkampf und Weltende heraus (Allegoriae, in: PL 112, 906; vgl. oben, Kap. B.III.3).

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Teufels. 292 Auch der Spanier Beatus von Liebana schreibt in seiner wohl 776 verfaßten Kompilation älterer Apokalypsekommentare: Michael Christum dicit et angelos eius sanctos homines. 293 Er zitiert aus Ps 90 und Lk 10, 19 und deutet das ganze Kapitel mit Blick auf die Inkarnation Christi. Ein Jahrhundert später bezieht Berengaud von Ferrieres (ca. 840-892) den Drachenkampf ebenfalls ausschließlich auf Christus und nimmt dabei eine entscheidende Präzisierung vor. 294 Im Anschluß an die Feststellung, daß sich durch die Geburt und die Passion Christi das Wort Gottes erfüllt habe und der Teufel besiegt worden sei, beschreibt er den Drachenkampf explizit als Kampf Christi: Michael qui interpretatur, quis ut Deus, Christum significat. Praelium in caelo factum est, id est, propter caelum, pro salute videlicet omnium electorum praeliatus est Michael cum dracon e; quia Christus praedicandi, patiendo et moriendo, pro salute generis humani praeliatus est. 295 Indem Berengaud die Engel Michaels als Apostel und die Helfer des Drachen als Juden interpretiert, wird deutlich, daß er den Drachenkampf als Allegorie auf Christi Erdenleben und Sterben versteht: Praeliati sunt angeli Michaelis, id est, apostoli Christi cum dracone, praedicando videlicet, miracula faciendo, et ad ultimum pro Christi nomine moriendo. [... ] Pugnavit draco et angeli ejus contra Michaelem, quando diabolus et caetera multitudo daemonum Judaeos contra Christum excitaverunt, ut eum interficerent. Pugnavit et contra angelos Michaelis, quando apostolos Christi et per judaeos et per paganos tandiu persecutus fuit, usque dum eos interficeret. 296

Diese bei Ambrosius Autpertus vorgebildete Deutung des apokalyptischen Kampfes als Sinnbild der Passion hat die mittelalterliche Liturgie wie auch die Bildtypologie entscheidend beeinflußt: Man weihte Altäre und Kapellen zugleich dem Heiligen Kreuz und dem Erzengel Michael, 297 kombinierte das 292 CCSL 27, S. 457: Mit den Worten Erigamus ergo arma securi, quia fortissimos nostrae patriae conciws et invictos adiutores habemus setzt er die Engel mit den spirituellen Waffen im Epheserbrief 6,10-17 gleich. 293 Beatus: Apokalypsekommentar, S. 466 f.: draco princeps diabolus est et angeli eius homines sunt mali et spriritus inmundi. omnes cum suo principe expulsi sunt in terra. terra carnales homines dicit, qui terrena diligunt, cui dictum est, ,terra es et in terram ibis.' D azu: Kretzschmar 1985, S. 122-127. 294 Expositio, PL 17, Sp. 763-970. Berengauds vieldiskutierte zei tliche und lokale Einordnun g ist kürzlich üb erzeugend von Derk Visser (1996, bes. S. 93 f.) geklärt worden: D er Verfasser lebte von ca. 840-892 und stammte aus der Ile de France. 295 PL 17, Sp. 961. 296 Ebd. 297 Eine von der Heiligen Marcia (Rusticula) von Arles (574-632) ebd. gegründete Kirche war zunächst dem heiligen Kreuz und anschließend dem Erzengel geweiht (MGH SS rer. Merov. 4, S. 343). Im Straßburger Münster (9. Jh. ) treten das Kreuz- und Michaelspatrozinium

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Heilige Grab mit dem Michaelsaltar und bezog diesen in die Karfreitagsprozession ein, 298 und man stellte, wie in Kap. C.II.5. genauer ausgeführt wird, Michaels Drachenkampf auf der Rückseite von Kruzifixen dar (Abb. 79). Schon die bisher genannten Kommentare liefern theologische Argumente dafür, daß die Leipziger Elfenbeintafel ursprünglich, wie oben angesprochen, als Gegenstück eine Christus-Victor-Darstellung besessen haben dürfte. Christus wäre dann einmal in seiner menschlichen Natur symbolisch im Kampf dargestellt gewesen, vertreten durch Michael, und einmal in seiner göttlichen Natur im Triumph über die bösen Mächte. Ein solches Doppelbildnis derselben Person würde dem Programm vieler spätantiker Konsulardiptychen entsprechen und dieses in kongenialer Weise mit christlichen Inhalten füllen. 299 Übrigens ist Michael auch in anderem Zusammenhang herangezogen worden, um im Sinne der Zweinaturenlehre zu argumentieren: In der Historia mescella des Paulus Diaconus (t nach 787) teilt König Alamundarus einer Gruppe von Monophysiten mit, er habe soeben die Nachricht vom Ableben des Erzengels erhalten. Als sie ihm antworten, daß dies unmöglich sei, verweist er sie darauf, daß Christus am Kreuz ebensowenig hätte sterben können wie Michael tot sein könne, wenn er wie jener von nur einer Natur sei. 300 Diese Beweisführung war gleichzeitig geeignet, die Vorrangstellung Christi vor seinem Gesandten Michael hervorzuheben und der Gefahr einer übertriebenen Engelsverehrung entgegenzuwirken. 301 An der Verbreitung von Michaelsbildern ab dem zehnten Jahrhundert dürfte eine zweite exegetische Tradition noch größeren Anteil haben, die in ihrer Definition des kämpfenden Erzengels und seines Gefolges von der Augustinischen Auslegung abweicht. Zuerst im Apokalypsekommentar des Primasius von Hadrumetum (t um 552) wird die Figur des Erzengels wörtlich genommen: Michael wird als Assistent Christi gedeutet, der sich (nach Mt 18,10) stets in der Nähe seines Herrn aufhalte und daher besonders gut geeignet sei, für die Menschen einzutreten. Michaels Kampf ist dabei rein spiritueller Art, er streitet für die Menschen durch sein Gebet: I deo autem hie

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gemeinsam auf (Schlosser, Schriftquellen, Nr. 489). In Hildesheim ging eine Heilig-Kreuzund Michaels-Kapelle Bernwards Michaelskirche voran. Vgl. unten, Kap. C.II.3 und C.III.4. Etwa im zehnten Jahrhundert in Essen, in Bonn und in Neustift: Bärsch 1998, S. 173-176. Vgl. hierzu Deer 1953, S. 108-125, 129-137; Steenbock 1965, S. 11-50, ferner Christian Beutlers Deutung eines byzantinischen Elfenbeindiptychons in Berlin, Staatliche Museen, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, in: ders., Der älteste Kruzifixus, Der entschlafene Christus, Frankfurt am Main 1991, S. 21-34. PL 95, Sp. 973: Litteras accepi hodie, quia Michael archangelus mortuus. Illis vero dicen tibus, hoc impossibile fore, ait princeps: Et quomodo Deus secundum vos nudus crucifixus, nisi naturarum esset duarum Christus, quandoquidem nec angelus est moriturus? Vgl. hierzu Kap. B.VII.4.

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Michahelem cum angelis suis contra diabolum confligere dicit, quia secundum dei voluntatem pro peregrinante ecclesia orando et adiutoria ministrando recte intelligitur pro ea confligere. 302 Primasius verweist deshalb auch auf Eph 6,12, die Stelle, in der von einem Kampf der Christen nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte der finsteren Welt und gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs die Rede ist. Auch Beda Venerabilis beschreibt in seinem vielrezipierten Apokalypsekommentar (735) den Kampf Michaels für die ecclesia als ein Eintreten mittels Gebets. Wie bereits Augustinus verknüpft er das Geschehen zudem mit Ps 90,13 und bezieht das Schreiten über die Untiere auf die Heiligen. 303 Darauf aufbauend kommt ein Apokalypsekommentar des achten Jahrhunderts, bei dessen Autor es sich wahrscheinlich um Karls des Großen Hoftheologen Alkuin (t 804) handelt,304 zu einer in vieler Hinsicht eigenständigen und neuartigen Interpretation von Offb 12,7-9. Der Verfasser äußerst sich so dezidiert wie niemand vor ihm zur Aktualität des Drachenkampfes für sich und seine Zeitgenossen und nimmt die N ennung Michaels wiederum wörtlich. Für ihn ist der Erzengel keine Symbolfigur für einen allgemeinen Kampf zwischen Gut und Böse und steht auch nicht stellvertretend für die Passion Christi. Er wird ganz realistisch als wirkmächtiges Wesen, als Schutzengel für die Gläub~gen begriffen. Niemand sonst wendet sich so deutlich gegen eine historische Deutung und schreibt stattdessen von einem Kampf, den „ wir" in der Gegenwart auszufechten hätten: Absit a fidelium cordibus, ut hoc praelium tune factum credant, quando per superbiam antiquus hostis cum satellitibus suis de coelo cecidit. Sed ab initio fidei Christianae usque ad finem vitae praesentis fieri sine ulla dubitatione tenendum est. [. ..] Q uod si nos pugnamus contra hanc sententiam, cur Michael pugnare dicitur? Quapropter sciendum, et nostrum et angelorum certamen contra diabolum esse, etiam in multis aliis locis ostendi.305

Der Autor verknüpft die Paulinischen Worte über die Waffen des Geistes, mit denen allein die unsichtbaren Feinde der Christen geschlagen werden könnten (Eph 6,10-20), mit mehreren biblischen Versen, in denen von der 302 CCSL 92, S. 183 f. 303 PL 93, S. 167: Coelum Ecclesiam significat, in qua Michaelem cum angelis suis contra diabolum dicit pugnare, quia secundum Dei voluntatem pro peregrinante Ecclesia orando, et adjutoria ministrando, confligit. [. ..}Et projectus est draco ille magnus in terram. Antiquus hostis de spiritualibus expulsus, arctius in terrenis includitur. [.. .] I n qua terra sanctorum pedibus conteritur, sicut scriptum est: Super aspidem et basiliscum ambulabis ... 304 Vetreter dieser Zuschreibung etwa: Kamlah, Steinhauser, Visser. 305 PL 100, Sp. 1154f.

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Hilfe Gottes für die Gläubigen die Rede ist (u. a. Ps 3; 1. Petr 5,9), und betont, daß diese Hilfe den Menschen durch die Engel gebracht werde. 306 Diese Auffassung Michaels als tatsächlich existierende Schutzmacht und die genaue Ausdeutung der Funktion des Drachenkampfes im eigenen Leben machen diesen Apokalypsekommentar geradezu zum Schlüsseltext für die bildlichen Darstellungen des Erzengels im frühen Mittelalter. Deutlicher als bei Primasius ist bei dem mit Alkuin identifizierten Verfasser der Ansatz greifbar, das abstrakte Wesen zu personalisieren und den Engel als Heiligen zu begreifen. In dieser Sicht folgt ihm Haimo von Auxerre (um 840/60) in seinem häufig rezipierten Apokalypsekommentar, der den Drachenkampf sowohl allegorisch als auch historisch deutet, indem er das Geschehen auf den Sturz Luzifers am Anfang der Welt und auch auf die Unterwerfung des Antichrists am Ende aller Tage bezieht. Michael bezeichnet er als praepositus ecclesiae, der wie schon im Buch Daniel beschrieben den Glaubenskampf im Namen der Kirche täglich aufs Neue austrage und später auch gegen den Antichrist ausfechten werde. Zwar stellt Haimo zunächst fest, daß In hac autem revelatione nihil historicum est accipiendum, deutet den Drachenkampf dann aber so: Non tune solummodo factum est proelium, quando in initio temporis diabolus per superbiam dejectus est de caelo, sed et quando a Domini passione ejectus de cordibus fidelium, coepit amplius saevire contra omnes, et haec pugna perseverat usque ad finem saeculi, quando cum fuerit solutus, consummabitur. [. .. JSie enim dicitur: ,Factum est proelium magnum in coelo', ut ab initio fidei Christianae usque ad finem, totum tempus vitae praesentis comprehendi, sine aliqua dubitatione credatur, quatenus et factum in praeteritis, et esse in praesentibus, et consummandum in novissimis asseratur. [. .. ] Pugnat enim nunc Michael, qui est praepositus Ecclesiae cum suis angelis pro Ecclesia. Pugnabit etiam amplius tempore Antichristi, juxta illud: In tempore illo consurget Michael princeps vester et cetera.[. .. } Potest autem et hoc specialiter referri ad diem judicii, quando illorum certamen ab adventu Domini in judicio terminabitur. 307

Wie schon Gregor der Große 308 betont Haimo an anderer Stelle, daß Michael zwar siege, aber nicht aus eigener Kraft: Quod utrumque verum potest esse: quia si Michael illum [den A ntichrist] interfecerit, non sua, sed Dei virtus erit 306 Ebd., Sp. 1155: In quibus exemplaribus ostenditur quia nec nos sine angelorum, nec angeli sine nostro conflictu dimicant. Angeli autem Michael non ideo dicuntur, quod ipse eos, juxta quorumdam haereticorum perfidiam, creaverit; sed quia eos a Deo in adjutorium acceperit [. .. ]. 307 PL 117 (unter Haimo von Halberstadt), Sp. 938. 308 Liber responsalis, PL 78, Sp. 806: Michael archangelus qui pugnavit cum diabolo; gratia Dei ille victor in coelis exstitit, et ille hostis antiquus patuit ruinae magnae. [. .. JDum praeliaretur Michael archangelus cum dracone antiquo, dedit ei Dominus victoriam sempiternam.

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et jussio 309 . Dieser Hinweis auf Michaels Kampf, der alleine durch Christi Stärke entschieden werde, dürfte auf die Weissagung der Tiburtinischen Sibylle zurückgehen (wohl um 360 ins Lateinische übersetzt) und findet sich nicht nur in anderen theologischen Schriften der Karolingerzeit, sondern im zehnten Jahrhundert auch im Antichrist-Traktat Adsos von Montier-en-Der (ca. 949-954). 310 Hier wird das Bemühen spürbar, einerseits den im neunten Jahrhundert stärker werdenden Tendenzen einer Anerkennung des Erzengels als Heiligem Rechnung zu tragen, ihn andererseits aber nicht zum Gegenstand einer übertriebenen Verehrung zu machen. D enn wie in Kap. B.VII.4. gezeigt werden wird, stand die „Heiligenkarriere" Michaels von Anfang an unter der scharfen Beobachtung der Amtskirche, die wohl nicht zu Unrecht stets die Gefahr einer Ablenkung des religiösen Interesses von der Hauptperson Christus fürchtete . Deshalb wenden sich viele Michaelsgebete und -hymnen nicht direkt an den Erzengel, sondern bitten Christus darum, den Gläubigen seinen minister zu schicken und preisen ihn für dessen Hilfe. Überraschenderweise kommt die in jeder hochmittelalterlichen Michaelslegende erwähnte Rolle d_es Erzengels als Drachenbekämpfer in den liturgischen Texten des ersten Jahrtausends nicht allzu häufig vor. Zwar spricht Alkuin in seinen zahlreichen Michaelshymnen und Altartituli den Engel einige Male als Bekämpfer des bösen Drachen an, 311 in einem Wandalbert von Prüm (t 870) zugeschrieb~nen H ymnus wird er als aetherea v irtute potens princepsque supernae militiae, als miles invictus und als dextra fortis Christi bezeichnet: Gloriam cujus meruit triumpho / Miles inv ictus Dominoque fidus, / Qua jacet pestis, similis tonanti / Q uae cupit esse. / M ichahel summ us ,quis ut est' alumnus, / Hoc ,Deus' vincit reprimens superbos / roborans alte stabili v i309 Kommentar der Paulusbriefe, PL 11 7, Sp . 773 (fast wörtlich ebenso in Sp. 78 1). Ähnlich in der Alkuin zugeschriebenen Vita Antichristi ad Carolum Magnum, CCCM 45, S. 11 7128, hier 127: Tradunt quoque doctores, sicut ait beatus Gregorius papa, quod Michael archangelus perimet illum in monte Oliveti, in papilione et in solio suo, in illo loco, de qua Dominus ascendet ad celos, quod utrumque poterit esse, quia, si Michael D ei faciem venientis ad iudicium preveniens, eum interf ecerit, non sua, sed Dei virtus erit et iussio. 31 0 Die Tiburtinische Weissagung (Sibyllinische Weissagungen, S. 326) lautet: Adbreviabit autem dominus dies illos propter electos et occidetur virtute D omini Antichristus a M ikaele arcangelo in monte Oliveti. Zu ihrer Datierung vgl. ebd., S. 468-470. Vgl. auch denJesaiakommentar des Walahfrid Strabo (t 849), PL 113, S. 1249 sowie Adso vo n Montier-enDer: D e ortu, CCCM 45, S. 20-30, hier 28f. 31 1 So etwa in einer Weiheinschrift für einen nicht lokalisierbaren Michaelsaltar, MGH Poet. 1, S. 315: Per quem victus erat perfidus ille draco [.. .]. Ebens o in einem Titulus für eine ebenfalls nicht identifizierbare Michaelskirche, MGH Poet. 1, S. 345: l gneaque infesti noceant ne tela draconis, Continuam infirmis pande benignus opem, / Q uatenus expleto belli praesentis agone, / A d palmam vitae nos tua dextra levet. Vgl. auch MGH Poet. 1, S. 31 8: llle suis precibus nos hie conservet ab haste [... ].

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gore / agmina caeli.312 In Hrabans In honorem sanctae crucis ist von Michaels horrida bella draconis die Rede. 313 In den meisten Fällen wird Michael jedoch als Übermittler der Gebete zu Gott, als Engel mit dem Weihrauchfaß nach Offb 8,3 und als Seelengeleiter angesprochen, so ebenfalls bei Alkuin, 314 bei Florus von Lyon (t um 860), Paschasius Radbertus oder Hrabanus Maurus. 315 In Hrabans De universo wird Gabriel, indem der Theologe die Ausdeutung der Engelsnamen durch Isidor von Sevilla wortwörtlich wiederholt, als ebenso kämpferisch angesprochen wie Michael.3 16 In einem ebenfalls von Hraban verfaßten weitverbreiteten Gesang zu den Laudes des Michaelsfestes ist es denn auch Gabriel, der gegen den Drachen kämpft, während Michael lediglich als angelus pacis bezeichnet wird. 317 Die Auslegung des apokalyptischen Drachenkampfes bei den Kirchenschriftstellern des ersten Jahrtausends läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Eine an Augustinus anschließende Tradition deutet Michael als Symbol für Christus und den Drachenkampf als Allegorie auf Christi Streit gegen den Teufel in der Versuchungsgeschichte, bei den Dämonenaustreibungen und in der Passion. Die bildlichen Darstellungen des Drachenkampfes können nach diesem Verständnis keinesfalls als Zeugnisse einer besonderen Michaelsverehrung aufgefaßt werden. Sie sind Ersatzbilder oder Typeri für die spirituellen Kämpfe Christi und rein auf seine menschliche Natur zu beziehen. Eine zweite, zuerst bei Primasius fests tellbare Interpretation faßt Michael als Abgesandten Gottes und damit als konkrete Figur der Heilsgeschichte auf, die wie schon im Buch Daniel im Auftrag Gottes für die Gläubigen kämpft. Damit ist prinzipiell die Möglichkeit gegeben, dieses Wesen persönlich zu erfahren und zu verehren sowie entsprechende Darstellungen als Michaelsbilder zu verstehen. In den Jahrhunderten des kirchlichen Kampfes gegen Dämonen- und übersteigerten Engelskult traten solche Bilder aber noch nicht auf. Sie entstanden erst nach der Etablierung Michaels als Heiliger um die Jahrtausendwende. 312 MGH Poet. 2, S. 595; AH 34, Nr. 181. Mone I, S. 451, zufolge bereits im achten Jahrhundert entstanden, und bei Migne, PL 90, Sp. 777 auch unter den Werken Bedas aufgeführt. Haubrichs 1979 b, S. 79, tritt aber für die Autorschaft Wandalberts ein. 313 CCCM 100, S. 43 (B3): At Michael princeps habitantum dux et in alto / Te memorat virtute Dei simul aethera cuncta / Et regere et tegere, stes numinis alma quod ara. / Qua clypeo exultat; framea qua fortis inibit, / Horrida bella draconis ovans cum milibus almis. 314 MGH Poet. 1, S. 183, 306f., 312, 315, 318; Schlosser, Schriftquellen, Nr. 548. Alkuin erwähnt Michael auch in seinem Kommentar zu den Paulus briefen und bittet ihn in De uso Psalmorum um Unterstützung: PL 100, Sp. 1022; PL 101, Sp. 476. 315 Michaelshymnus, MGH Poet. 2, S. 540; Litanei, PL 87, Sp. 39. Altartituli Hrabans: MGH Poet. 2, S. 209-211, 217,221 , 226f., 231f. Vgl. auch die Einträge in den Sakramentaren: Sakramentarium Gregorianum I, S. 280f. 316 PL 111, Sp. 28. Vgl. Isidor von Sevilla: Ethymologiae VII,5, 9-13. 317 PL 112, Sp. 1659. Vgl. auch AH 50, Nr. 146.

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3. Psychomachie und Drachenkampf Die in den Apokalypsekommentaren zu beobachtende Auffassung des Drachenkampfes als Tugendagon entspricht den durch die Paulus briefe angeregten Schilderungen des Kampfes der Christen gegen eigene Schwächen, Anfechtungen und Irrlehren in der patristischen Literatur. 318 Vor allem aber läßt sich eine enge thematische Verwandtschaft zwischen der Exegese von Offb 12 und einem Gedicht feststellen, in dem das innere Ringen der Christen in einmaliger Ausführlichkeit und Anschaulichkeit gestaltet ist: gemeint ist die um 410 verfaßte Psychomachia des Aurelius Prudentius Clemens C- 349). 319 Diese Schrift zählt nicht nur zu den meistgelesenen des gesamten Mittelalters, sondern auch zu den einflußreichsten: Sie regte Autoren wie Isidor von Sevilla (t 636), Theodulf von Orleans (t 821) und im zwölften Jahrhundert auch Hugo von St. Victor (t 1141) zur Abfassung ähnlicher Traktate an, 320 diente Alkuin zu seiner im Auftrag von Graf Guy de Bretagne verfaßten Tugendlehre und ähnlichen Schriften von Ambrosius Autpertus und Hinkmar von Reims (t 882) als Vorbild. 321 Die von Prudentius in sieben Einzelkämpfen beschriebenen Angriffe der Hauptlaster Götzendienst (cultura deorum veterum), Unzucht (so domita Libido), Zorn (ira), Hochmut (superbia), Unmäßigkeit (luxuria); Gier bzw. Geiz (avaritia) und Zwietracht (discordia bzw. h ereses) gegen die Haupttugenden Glaube (fides) , Keuschheit (pudicitia), Geduld (patientia), Demut (mens humilis, unterstützt durch spes), Mäßigung (ratio) und nochmals Glaube bzw. Eintracht (fides bzw. concordia) sind als dualistischer Kampf zwischen Körper (Laster) und Seele (Tugenden) angelegt, lassen sich ab er auch als Streit innerhalb der Kirche, etwa gegen häretische Strömungen, oder zwischen Heidentum und Christentum lesen. 322 Im Vorwort weist Prudentius seine Leser auf ihre tägliche Gefährdung durch die verschiedensten Anfechtungen und Sünden hin und versichert sie in paulinisch-militärischem Vokabular der „kampffähigen Sklaven" und der „Rüstung eines gläubigen Herzens", mit denen jeder Gläubige ausgestattet 318 Vgl. neben dem Epheserbrief auch Gai 5, 17-24, ferner Tertullians Parabel De spectaculis XXIX,29 (CCSL 1, S. 251 f.), Commodians Gedicht Bellum Cottidianum (CCSL 128, S. 57f.), Augustins Traktat D e agone christiano (Der chris tliche Kampf, Ed. und übers. von Carl Johann Perl, Wien 1948), die Confessiones VIII, 26f. (S. 129f.) sowie die Annotationes in Job (PL 34, Sp. 862). 319 CCSL 126, 149-180. Dazu allgemein: Jauss 1960; Gnilka 1963; Smith 1976. 320 Isidor von Sevilla: Sententiae, CCSL 111; Theodulf von Orleans: De septem vitiis capitalibus, Carmina V,2, PL 105, Sp. 348-360; Hugo von St. Victor: De Anima, PL 177, Sp. 185. 321 Liber de virtutibus et vitiis ad Widonem comitem, PL 101, Sp. 614-638. 322 Zur modernen Auslegung vgl. Jauss 1960; Gnilka 1963, S. 28.

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sei: der Tugenden. 323 Diese setzen sich jeweils erfolgreich, aber mit gesteigerter Dramatik gegen die Angriffe ihrer personifizierten Gegnerinnen zur Wehr 324 und erreichen schließlich durch ihren Sieg die Reinigung des Leibes. Zur Feier ihres Triumphes errichten sie einen Tempel, der durch seine quadratische Form, die je drei Tore in jeder Himmelsrichtung mit den Apostelnamen und seine Ausstattung (Gold, Edelsteine) an die Beschreibung des Himmlischen Jerusalem in der Johannesoffenbarung (Offb 21,10-27) erinnert. Dieser geistige Tempel entspricht der frühchristlichen Auffassung, daß gemäß der Worte Christi Qoh 2,19-22) jeder einzelne Mensch ein Tempel Gottes sei, ebenso aber auch die aus allen Gläubigen gebildete Kirche. 325 Im Schlußgebet hebt Prudentius die Feindschaft von Leib und Seele hervor, ohne dabei den Körper zu verdammen, da der Mensch ebenso wie ehemals Christus von doppelter Natur (duplex substantia) sei und da Christus den Gläubigen bei allen Anfechtungen beistehe. 326 Indem Prudentius in der Psychomachia auf die apokalyptische Himmelsstadt rekurriert, stellt er den deutlich gegenwartsbezogenen Seelenkampf in einen übergeordneten heilsgeschichtlichen Kontext. 327 Diese Sicht auf den christlichen bellum intestinum kommt der oben besprochenen Exegese des Drachenkampfes in Frühchristentum und frühem Mittelalter gleich. 328 Ein weiterer verbindender Aspekt ist die Art der geschilderten Auseinandersetzung: Sowohl Christus wie der Erzengel Michael als auch die Tugenden kämpfen rein defensiv, indem sie sich lediglich gegen die Angriffe ihrer Feinde, den Teufel, den Drachen und die Laster, zur Wehr setzen, greifen aber selbst nicht an. Das Problem, so passive und unkriegerische Tugenden wie Demut, Geduld oder Keuschheit kämpfend schildern zu müssen, entspricht genau dem Darstellungsproblem des kämpfenden Christus. Prudentius hat es auf ähnliche Weise gelöst wie die frühmittelalterlichen Künstler durch ihre Stellver323 VV 52-58 (CCSL 126, S. 151): vigiliandum in armis pectorum fidelium / omnemque nostri portionem corporis / quae capta foedae serviat libidini / domi coactis liberandam viribus, / nos esse Zarge vernularum divites, / si quid trecenti bis noverimus mystica. 324 Während fides gegen cultura deorum veterum dank der „Vorarbeit" der Märtyrer ein leichtes Spiel hat, machen die taktischen Mannöver der avaritia (in VV 494, CCSL 126, S. 167) als mächtigstes Laster bezeichnet) und der discordia den Tugenden stark zu schaffen. 325 VV 804-874 (CCSL 126, S. 178). Dazu: Smith 1976, S. 133-141. Zahlreiche weitere Belege aus frühmittelalterlicher Zeit bei: Otto-Karl Werckmeister, lrisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität, Berlin 1967, S. 26-29. 326 VV 764-771 (CCSL 126, S. 176); 909 (ebd., S. 181). 327 Vgl. Smith 1976, S. 206 . 328 Die zahlreichen Anspielungen auf die Psychomachie im Apokalypsekommentar Berengauds von Ferrieres untersucht Visser 1996, S. 133 f., der Berengauds Schrift als wichtigste theologische Grundlage für zahlreiche romanische Portalprogramme in Aquitanien wahrscheinlich macht.

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treterkämpfe, indem er diesen drei Tugenden die eigentliche Kampfhandlung aus der Hand nimmt. So bleibt ihm die Möglichkeit, Kriegsszenen zu schildern, die an Drastik selbst in der antiken Literatur ihresgleichen suchen. 329 Daß es ihm in seinem Gedicht insgesamt um die Vermittlung der christlichen Friedfertigkeit zu tun ist, macht Prudentius im Prolog und im Epilog deutlich, ferner durch seine zweimalige Hervorhebung Salomos als friedvollen Erben eines kriegerischen Thrones. 330 Ziel dies es gleichzeitig mikro- und makrokosmischen, für jeden einzelnen Christen aktuellen und zugleich vergangenheits- und zukunftsweisenden Kampfes der Tugenden und Laster ist erstens der persönliche Seelenfrieden innerhalb einer durch Christi Wirken überhaupt erst friedensfähig gewordenen Welt, zweitens der Frieden innerhalb der Kirche und drittens der durch die Parusie Christi zu erwartende umfassende Frieden am Ende aller Tage. Die paulinische Auffassung vom agonalen Prinzip des christlichen Lebens erfährt in der Psy chomachie eine anschauliche Interpretation, die weitgehend dem oben geschilderten Verständnis von C hristi Versuchung und auch von Michaels Drachenkampf entspricht: Alle diese Auseinandersetzungen sind eindeutige Verteidigungskämpfe, die allein der Wiederherstellung des Seelenbzw. allgemeinen Glaubensfriedens dienen, nötig, weil dieser durch Aggressionen des Bösen immer wieder gefährdet ist.331 Der Erzengel Michael ist als Symbol oder als Stellvertreter, die Tugenden sind als Allegorien für Christi Kampf und damit für Gottes Beistand im täglichen Leben anzusprechen. Wenn man sich den vorläufigen Charakter des Drachensturzes in Offb 12,7-9 vor Augen hält, stellt die Johannesapokalypse jedoch im Vergleich zur Psychomachia ein getreueres Abbild des christlichen Tugendkampfes dar, weil der Teufel hier nicht wie die Laster in der Psychomachia getötet, sondern lediglich gestürzt wird und bis zu seiner endgültigen Überwindung weiter sein Unwesen auf Erden treibt. Wohl bereits im fünften Jahrhundert wurde Prudentius' Gedicht mit Illustrationen versehen, die anschließend weite Verbreitung fanden. Auf diese Bilderzyklen lassen sich sämtliche Darstellungen in den 20 erhaltenen illu329 Die Las ter sterben fast alle auf eine Weise, die keine Waffen im eigentlichen Sinne erfordert, nämlich durch Schlagen, Steinwurf, Selbstvernichtung oder Erwürgen. Es fällt auf, daß nicht die eigentlichen Kampf-, sondern vielmehr die Tötungsszenen in ausführlicher und geradezu blutrünstiger Weise geschildert werden. Vgl. hierzu: Gnilka 1963, S. 47f., 67, 75-81. 330 V 805 f. (CCSL 126, S. 178): [. .. ] regni quod tandem pacif er heres / belligeri armatae successor inermus [. . .}. 331 Entsprechend bezeichnet Johannes Scotus Eriugena (Expositiones, CCCM 31, S. 142) Michael als Friedensbringe r: Michael autem interpretatur: Quid sicut D eus? vel pax fortis, id est pax D ei, vel v ir v irtutis.

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strierten Psychomachia-Handschriften des neunten bis 13. Jahrhunderts zurückführen.332 Da sich die Illustrationen größtenteils eng an den Text halten, zeigen sie zahlreiche dynamische Kampfbilder mit Figuren in unterschiedlicher Körperhaltung und mit verschiedenen Waffen. Die Tugenden sind entsprechend der Textvorlage meist passiv bzw. defensiv gegeben und oft mit einem Schild ausgestattet, tragen aber häufiger Waffen in den Händen als dort beschrieben. Vornehmlich pudicitia und patientia treten in mehreren Handschriften als Profilfiguren oder zumindest seitwärts gewandt mit Lanze und Schild auf (Abb . 27). Beim Vergleich dieser Figuren mit dem drachenbekämpfenden Erzengel läßt sich eine enge Verwandtschaft feststellen: In beiden Fällen wird für die Darstellung eines spirituellen christlichen Verteidigungskampfes dieselbe Bildformel dienstbar gemacht, nämlich eine seitlich gegebene Standfigur mit Lanze und Schild. 333 Dieses Motiv dürfte auf Schlachtendarstellungen zurückzuführen sein, wie sie auf den antiken Siegessäulen und Triumphbögen zu finden sind334 und wie sie auch in Handschriften aus dem byzantinisch-griechischen Kulturbereich wie der Ilias Ambrosiana aus dem fünften oder der Josua-Rolle aus dem zehnten Jahrhundert vorkommen. 335 Keinesfalls stehen diese Darstellungen aber in der Tradition der Calcatio- und Christus-Victor-Bilder: Der sich im Hochmittelalter etablierende triumphale Typ der frontal auf dem gegnerischen Laster stehenden Tugenden fehlt nämlich in den frühen Psychomachiezyklen Pl, Lel und Le2 und kommt erstmals in Handschriften des elften Jahrhunderts vor. 336 Die Prudentius-Illustrationen orientieren sich also an denselben Vorbildern wie die bildlichen Darstellungen des Drachenkampfes. Aufgrund der engen inhaltlichen Verwandtschaft beider Themen wäre es daher möglich, daß die sich im neunten Jahrhundert herausbildende Ikonographie des Drachenkampfes unter anderem auch Anregungen durch die älteren Psychomachiezyklen verarbeitet hat. Auch eine gleichzeitige Entstehung und damit wechselseitige Beeinflussung der verschiedenen dynamischen Kampfszenen 332 Dazu allgemein: Stettiner 1895; Woodruff 1930; Katzenellenbogen 1939; Norman 1988. 333 Nur in wenigen kunsthistorischen Arbeiten wird der Bezug zwischen Drachenkampf und Psychomachie hergestellt. Eine wichtige Ausnahme bildet Adams 1975. Kurze Hinweise finden sich bei Klein 1975, S. 100 f. 334 Vgl. Katzenellenbogen 1939, S. 5 f. 335 Vgl. etwa die oben erwähnte Szene 10 in der Josua-Rolle (Konstantinopel, 10. Jh., Rom, Bibl. Apost. Vat., Cod. Palat. Graec. 431 , Bl. Sr). 336 So Katzenellenbogen 1939, S. 14, der ansonsten eine klare Trennung zwischen szenischen Kampfbildern der Psychomachie und allegorischen Gegenüberstellungen von Tugenden und Lastern vornimmt. Zur Bezeichnung und Einordnung der Handschriften: Stettiner 1895 und Woodruff 1930, passim. Speziell zu den genannten Handschriften: Woodruff 1930, S. 6-8; Norman 1988, S. 15.

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ist durchaus denkbar, da die besonders dramatischen Darstellungen in den Psychomachie-Handschriften Le2, B 1 und P2 w ohl erst unter dem Einfluß des Reimser Skriptoriums entstanden, aus dem die Zeichnungen im UtrechtPsalter und möglicherweise auch die Vorlage fü r den Drachenkämpfer auf der Cathedra Petri hervorgegangen sind.337 Für die Interpretation von Michaels Drachenkampf dagegen bieten sich nach dem bisher Gesagten folgende Möglichkeiten an: Erstens kann der Erzengel symbolisch für Christus stehen und seine Auseinandersetzung mit dem Untier für Christi Kampf gegen Sünde, Tod und Teufel während seines irdischen Daseins. Eine zweite Möglichkeit ist die Interpretation des Drachenkampfes als Sinnbild des christlichen Kampf es gegen innere und auch äußere Feinde, gegen Laster und Häresie. Michael jagt dem Drachen die Lanze ins Maul, damit aus diesem kein lästerliches oder verführerisches Reden mehr kommt. Er wehrt damit Versuchungen und Sünden ab und kann insofern für den Tugendagon eines jeden Gläubigen stehen, für die Psychomachie. Eine dritte Möglichkeit kommt in der Karolingerzeit noch nicht zum Tragen: Die Interpretation von Darstellungen des Drachenkampfes als Heiligenbild und damit als Zeugnis einer ausgeprägten Michaelsverehrung. Wir werden jedoch sehen, daß sich das Verhältnis der Gläubigen zum Erzengel bis zur Jahrtausendwende wandelte. Im Zusammenhang mit den Michaelsbildern des zehnten und elften Jahrhunderts wird darüberhinaus nach einer vierten Möglichkeit ihrer Interpretation zu fragen sein, nämlich nach der als Zeichen einer wie auch immer gelagerten Endzeitstimmung.

4. Michaels Drachenkampf als Tugendagon Obwohl karolingische Vorlagen für mehrere ottonische Handschriften angenommen werden, die eine Darstellung Michaels als Drachenbekämpfer enthalten, 338 existierte um die Jahrtausendwende noch keine kanonische Bildformel für dieses Thema. In einer bisher unpublizierten Randzeichnung, die vermutlich am Ende des zehnten Jahrhunderts nachträglich in eine französische Handschrift der Lex Bajuwariorum eingefügt wurde, erscheint der Erzengel sogar bärtig und mit Schwert (Abb. 28). Der Codex wurde wohl im 337 In den wörtlichen Illustrationen der Handschriften P l, Lel, C, Lol und Lo2 sind die Tugend en nicht mit klassischen römischen Waffen aus gerüstet, sondern werd en nur durch ihren Glauben beschirmt. Ellen J. Beer (1980) datiert die H andschriften aus Helen Woodruffs ,Reihe R' ins neunte Jahrhundert. 338 Vgl. Kahsnitz 1988, S. 123; H öh] 1996, S. 432-434.

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frühen zehnten Jahrhundert von geübter Hand geschrieben. Für seine Entstehung oder zumindest frühe Nutzung in Frankreich spricht eine zweite nachträgliche Randzeichnung auf fol. 69r, die zwei kapetingische Herrscher, nämlich Ludwig IV. Ultramarinus (t 954) und König Hugo den Großen (t 956) zeigt (Abb. 29). Obwohl beide, wie von Schramm treffend beschrieben, mit „garstiger Hilflosigkeit" dargestellt sind, verhilft die Gestaltung ihrer Gewänder zu einer Datierung dieser Zeichnung in den Beginn der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts: Mit den kreisförmigen Verzierungen dürfte der Edelsteinbesatz karolingischer Festtagsgewänder gemeint sein, wie sie etwa im Psalter Lothars I. (kurz nach 842) begegnen und in der Ottonenzeit nicht mehr vorkommen. 339 Diese Datierung kann mit Vorsicht auch für den Erzengel Michael übernommen werden, der zwar etwas flüssiger und wohl auch mit anderer Feder gezeichnet ist, dessen Beischrift jedoch aus derselben Zeit stammen dürfte wie die der beiden Kapetinger. Da der Kodex Krusch zufolge auf freien Blättern auch Gebete und Augustinusexzerpte von einer Hand des elften Jahrhunderts enthält, ist aber auch eine Entstehung der Zeichnung in dieser Zeit nicht auszuschließen. Auf der Zeichnung wendet sich Michael nach links und holt mit dem rechten Arm zum Schlag gegen den Drachen aus, gleichzeitig streckt er ihm mit der Linken seinen Schild entgegen. Seine Kleidung ist schwer zu bestimmen, es scheint sich eher um einen wadenlangen frühmittelalterlichen Waffenrock zu handeln als um ein antikisches Gewand. Der Erzengel besitzt keinen Nimbus, aber ein Paar kleiner Flügel und ist wie sein Gegner durch eine Beischrift eindeutig zu identifizieren. Michael ist ebenso ungelenk gezeichnet wie der Drache, der wegen seines Hundekopfes und der Haltung seiner (Vorder-) Beine nur sehr entfernt an ein gefährliches Untier erinnert. Daran ändert auch die weit herausgestreckte Zunge nichts, mit der wohl ein Feuerstrahl wie im Amienspsalter oder auf dem Aachener Antependium gemeint ist (Abb. 7; 58). Mit Sicherheit hat der Zeichner diese Darstellung nicht erfunden, sondern nach einer Vorlage oder auch aus dem Gedächtnis summarisch wiedergegeben. Der knäuelartig gezeichnete Schild und das Gewand erinnern entfernt an die Darstellung des Erzengels auf der Münze des Langobardenkönigs Cunicpert (688-700), die ansonsten jedoch einen völlig anderen Michaelstypus zeigt (Abb. 4). Als Vorbild der Zeichnung muß eine dramatische Kampfszene gedient haben, in der Michael neben einem bedrohlichen Drachen stand und sich mit Waffengewalt gegen diesen zur Wehr setzen mußte. Von Triumph kann bei einem solchen Schwertkampf jedenfalls nicht die Rede sein. 339 Abb. der Miniatur im Lotharpsalter (London, British Library, Ms. Add. 37768, fol. 4r) bei Schramm/ Mütherich 1962, S. 163.

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Wie auch die zweite Randzeichnung in dieser Handschrift (Abb. 29) steht das Bild in keinem direkten Zusammenhang mit dem nebenstehenden Text; wie die beiden ungeschickt gekritzelten Herrscherbilder fügt es sich nur auf den ersten Blick und in einem sehr allgemeinen Sinn in den Themenkomplex ,,Recht und Gerechtigkeit" ein, dem eine Sammlung von Volksrechten zuzuordnen ist. Denn erstens wird Michael hier nicht als Richter, sondern als Kämpfer dargestellt, und zweitens spielt Michaels Rolle als Seelenwäger beim Weltgerichtsbild in der Ikonographie des zehnten Jahrhunderts noch keine Rolle. Da sich diese Funktion erst im ausgehenden elften Jahrhundert herausgebildet hat (vgl. hierzu Kap. C.II.5.), sollte man die frühe Darstellung Michaels mit Schwert in einem Rechtskodex nicht überinterpretieren. 340 Dies gilt umso mehr, als eine von der Komposition her ähnliche Darstellung in einer ebenfalls französischen Handschrift des frühen elften J ahrhunderts vorkommt: Im Evangeliar des Abtes Odbert von Saint-Bertin (t 1007 / 12) schmückt sie gemeinsam mit der Taufe Jesu die !-Initiale am Anfang des Markus-Evangeliums (Farbtafel XI a, b ).341 Auch hier hält Michael ein Schwert hoch erhoben in der einen (diesmal der linken) und einen Schild in der anderen Hand und wendet sich nach links unten zu seinem Gegner hin. Der Drache ist so in den Bogenschwung des auslaufenden Buchstabens gesetzt, daß sein nach oben gereckter Kopf genau dessen Umrißform ausfüllt. Dadurch soll sicher nicht der E{ndruck entstehen, er befände sich im Rückzug, im Gegenteil: Deutlicher als bei der flüchtigen Randzeichnung kommt zum Ausdruck, daß diese Szene einen lebhaften Kampf zwischen dem Erzengel und seinem Widersacher zeigt. Das weitaufgerissene Raubtiermaul und der mehrfach gewundene Schlangenleib zählen zum festen Motivrepertoire der Schilderung von gefährlichen Untieren, wie sie auch sonst in der Michaelsikonographie häufig begegnen. Michael besitzt zwar einen Nimbus, aber keine Flügel. Bis ins zwölfte Jahrhundert wird er allerdings bisweilen auch flügellos dargestellt. So kommen im Odbert-Evangeliar selbst noch andere flügellose Engel vor. Auch die Figur oberhalb von Michael müßte als Engelassistent bei der Taufe J esu eigentlich mit Flügeln ausgestattet sein.342

340 Zu bedenken wäre allerdigs die Funktion des Schwertes beim Lehenseid. 341 New York, Pierpont Morgan Library, M. 333, fol. 28r. Die Handschrift wird im Vergleich zum 999 illuminierten Odbert-Psalter (Boulogne-sur-Mer, Bibi. municipal, Ms. 20) als spätere Arbeit angesehen. Aus dem Todesjahr Odberts ergibt sich ein Terminus ante quem 1007 bzw. 1012. Vgl. hierzu Kahsnitz 1988, S. 79. 342 Vgl. hierzu Kahsnitz 1988, S. 81-83, der zwar im Zusammenhang mit einer ähnlichen Darstellung im Odbert-Psalter feststellt, daß das fehle n der Flügel bei Odbert „sicher kein Zufall" sei, im folgenden aber nicht weiter darauf eingeht.

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Die Kombination von Taufbild und Drachenkampf als Illustration des Markusevangeliums wirkt auf den ersten Blick befremdlich, sie erschließt sich aber aus dem Aufbau des Evangeliums . Denn anders als die anderen beiden Synoptiker beginnt Markus seine Erzählung nicht mit der Kindheitsgeschichte Jesu, sondern mit dessen Taufe durch Johannes (Mk 1,4-11). Indem die Initiale den Täufer bei dieser Handlung zeigt, begleitet durch die Taube des Heiligen Geistes, die Hand Gottes und einen Engel mit Tuch, führt sie textgetreu in das Buch ein. Ein ähnliches Bemühen um die Abstimmung von Bildern und Text wird bei den anderen Zierseiten des Odbert-Evangeliars spürbar: In der historisierten Initiale, die dem Lukasevangelium vorangestellt ist, sind, wie an dieser Stelle üblich, die nur dort geschilderte Verkündigung an Zacharias (Lk 1,5-25) und darunter die Jesu Geburt (Lk 1,26-38) ins Zentrum gerückt. Auf der Zierseite zum Johannesevangelium wird mit der Darstellung des lebenden Christus am Kreuz der erste Satz des Evangeliums In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum et Deus erat Verbum verbildlicht und damit eine Szene, mit der das Evangelium zwar nicht beginnt, die dort aber breiter und vor allem deutlicher als Triumph ausgestaltet wird als in den anderen Evangelien. Die Initialseite zum Matthäusevangelium fehlt. 343 Bei genauerem Hinsehen läßt sich auch die Darstellung des Engels bei Markus aus dem zugehörigen Evangelientext erklären. Denn wie direkt neben der Initiale zu lesen steht, leitet der Evangelist die Taufgeschichte mit einem Zitat aus dem Buch Maleachi ein: Ecce mitto angelum meum ante faciem tuam qui praeparabit viam tuam (Mal 3,1; Mk 1,2). Weil der Evangelist diese Verheißung mit Johannes dem Täufer in Verbindung bringt, der Jesus den Weg bereitet, erscheint der Vorgänger in der byzantinischen Kunst oft als geflügelter homo angelus.344 Es ist jedoch auszuschließen, daß auch mit dem vorliegenden Drachenbekämpfer Johannes gemeint sein könnte. Denn das im Alten Testament mehrfach erwähnte Versprechen Gottes, den Gläubigen einen Engel vorauszuschicken, wird in der Patristik vor allem auf Christus und im Westen in Krönungszeremoniell sowie Geschichtsschreibung auf den ottonischen Herrscher bezogen. 345 Darüberhinaus ist die Verheißung für die Verehrung des Erzengels Michael im frühen und hohen Mittelalter von Bedeutung, denn in ihr kommt 343 Die genannten Initialen deuten auf ein völlig anderes Interesse Odberts am Aussagegehalt der Bilder hin, als es sich im wenige Jahre älteren Odbert-Psalter beobachten läßt. Wie Rainer Kahsnitz (1988, S. 43-46) festgestellt hat, verzichtet Odbert dort in einem geradezu verblüffenden Ausmaße auf die Parallelisierung von Text und Bild. 344 Vgl. die von Ernst Kantorowicz, Ivories and litanies, in: JWCI 5 (1942), S. 56-81, hier 71, Anm. 3, genannten byzantinischen Texte, die sich auf den Täufer beziehen. 345 Vgl. hierzu Kap. C.III.2.

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die auf Dan. 10 zurückgehende Vorstellung zum Tragen, daß Michael zum persönlichen Schutzengel des Volkes Israel und in dessen Nachfolge der Christen bestellt sei. Er steht ihnen als Schlachtenhelfer bei oder aber, wie oben ausführlich dargelegt, als geistige Hilfsmacht bei ihren inneren Kämpfen gegen Anfechtungen und Laster. In diesem Sinne deutet etwa Haimo von Auxerre Mal 3,1 in seinem Jesaiakommentar: Hie angelus Michael est intelligendus, qui praepositus est illi populo a Deo: juxta quod Danieli dicitur: „Nemo est adjutor meus in omnibus his, nisi Michael princeps vester, qui astat pro filiis populi tui.346 Wenn man Haimos Auslegung auf die Miniatur im Odbert-Evangeliar überträgt, erscheint die Darstellung Michaels als direkte Illustration der Worte mitto angelum meum und damit als Verbildlichung seiner Funktion als Schutzengel der Gläubigen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Taufszene steht. Da die Handschrift zu einer Zeit entstanden ist, in der sich die ersten Belege für eine bildliche Darstellung Michaels als Heiliger nachweisen lassen, könnte man annehmen, daß dem Erzengel auch hier als persönlichem Schutzpatron des Auftraggebers o_der Illuminators gehuldigt werden soll. Der Kontext legt jedoch eine andere Interpretation nahe: Der Drachenkampf ist an einer Stelle dargestellt, an der normalerweise die Versuchungsgeschichte zu erwarten wäre und ersetzt diese Szene. Denn so, wie die drei Synoptiker im Anschluß an die Ta~fe J esu das Herantreten und die erfolgreiche Abwehr Satans schildern, werden die Episoden auch in mehreren mittelalterlichen Handschriften in direkter Abfolge dargestellt. Wichtige Beispiele hierfür sind der im Jahre 999 ebenfalls von Odbert ausgestaltete Psalter in Boulogne-surMer oder das etwa gleichzeitig entstandene Evangeliar Ottos III. in München. 347 Hier werden in zwei Registern die Taufe und daran anschließend alle drei Versuchungen in der Reihenfolge dargestellt, wie sie im Matthäusevangelium vorkommen. Der Teufel fordert Jesus also zunächst auf, Steine in Brot zu verwandeln, dann sich vom Dach des Tempels stürzen und schließlich ihn mit der Aussicht auf alle Reichtümer der Welt anzubeten. Wenn es um die szenische Schilderung aller drei Versuchungen geht, geschieht dies in den Evangeliaren der Zeit wie hier in den Zierseiten zum Matthäus-, eventuell auch in denen zum Lukasevangelium, da Markus die Versuchung ja nur als Tatsache erwähnt, aber nicht in Einzelepisoden erzählt. Das Markusevangelium ist dagegen besser für die Verdeutlichung der engen Zusammengehörigkeit von Taufe und Versuchung, Taufe und Engelsdienst oder Versuchung 346 PL 116, Sp. 1056. 347 Boulogne-sur-Mer, Bibi. municipal, Ms. 20; München, Bayer. Staatsbibl., Clm 4453, fol. 32v.

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und Engelsdienst geeignet. 348 Denn Markus ist es stärker als den anderen Evangelisten um die Beschreibung von Jesu menschlicher Niedrigkeit und Demut zu tun, weshalb er anders als vor allem Johannes Jesu Tod nicht als Triumph, sondern als gehorsame Erfüllung seines göttlichen Auftrags versteht. Indem Odbert die Versuchungsszene durch den Drachenkampf ersetzt, zeigt er Michael als Stellvertreter Jesu im Streit gegen den Satan. Textvorläuf er hierzu sind patristische Kommentare wie der des Andreas von Caesarea, der den Angriff des Drachen auf Michael mit dem Angriff Satans auf den soeben getauften Jesus gleichsetzt. 349 Wenn man das J esuswort filius hominis non venit ut ministraretur ei sed ut ministraret (Mk 10,45) als eine Art Motto des Markusevangeliums begreift, wird dieses durch Odberts Kombination von Taufe, Engelsdienst und Drachenkampf anschaulich illustriert. Michaels Drachenkampf ist in diesem Zusammenhang als Dienst Jesu, des nach Maleachi von Gott gesandten Engels, an den Menschen zu verstehen. Das Bild steht für J esu Kampf gegen den Satan und die Dämonen und soll die Gläubigen zur Nachahmung anregen. Daß auch die im Namen Christi Getauften, indem sie Anfechtungen gegenüber standhaft bleiben, gegen Schlangen kämpfen und Dämonen austreiben können, verheißt ihnen Markus am Schluß seines Evangeliums : in'nomine meo daemonia eicient {,,,] serpentes tollent et si mortiferum quid biberint non eos nocebit (Mk 16,17 f.). Odberts Gestaltung der Eingangsinitiale faßt damit in raffinierter Weise den Anfang und den Schluß des Evangelientextes zusammen. Es ist übrigens denkbar, daß Odbert sich bei seiner Zusammenstellung von Taufe und dem D rachenkampf mit dem Schwert an zwei Bibelstellen orientiert hat, die in mehreren Fällen die Ikonographie der Taufszene beeinflußt haben, nämlich in die illo v isitabit Dominus in gladio suo duro et grandi et forti super Lev iathan serpentem vectem et super Lev iathan serpentem tortuosum et occidet cetum qui in mari est Qes 27,1) und vor allem: tu dissipasti in fortitudine tua mare / contrivisti capita draconum in aqua / tu confregisti capita Leviathan (Ps 73,13 f.). Schon Cassiodor (t um 580) bezog den letztgenannten Vers in seinem Psalmkommentar auf die Taufe Christi, 350 Rupert von Deutz (t 1129) später auch auf Michaels Drachen-

348 Rodulf Glaber bezeichnet das Markusevangelium in seinen Historiarum Libri Quinque (I,1,2, S. lOf.) als das der Taufe, der Mäßigung und des Wassers. 349 PG 106, Sp. 326, Cyrill von Jerusalem, BKV 41, S. 56L, deutet die Taufe als Ü berwindung des Drachen. Vgl. auch den H ymnus, wohl 10. Jh., in: AH 50, Nr. 156 und Nr. 207, in dem Michael als Bezwinger des Versuchers im Auftrag Christi bezeichnet wird. 350 CCSL 98, II, S. 679: Er schildert die Taufe als Vorgang, ubi capita draconum, id est spirituum immun dorum, perducuntur ad nihilum [. ..].

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kampf. 351 Während die Holztür von St. Maria im Kapitol in Köln Christus während der Taufe auf einem Drachen stehend zeigt, 352 wird die Taufszene im zwölften Jahrhundert mehrfach wie im Odbert-Evangeliar mit dem Drachenkampf des Erzengels kombiniert. Beispiele hierfür finden sich in ganz Europa vor allem auf romanischen Taufbecken wie dem in Altenstadt (Abb. 89), in Mauriac (Haute-Auvergne) und im schwedischen Lund. 353 Was bei Odbert angelegt ist, kommt auf den Taufbecken nun deutlich zum Tragen: die Deutung des Drachenkampfes als Symbol für den Verteidigungskampf des Menschen Jesus gegen Dämonen, den sich die getauften Christen zum Vorbild nehmen sollen. Aus der Darstellung des Engels mit Schwert im Odbert-Evangeliar läßt sich mit einiger Sicherheit auf das Vorhandensein ähnlicher, heute verlorener Michaelsbilder des zehnten Jahrhunderts schließen. Denn ebenso wie die in der Anlage vergleichbare Randzeichnung in der Lex Bajuwariorum kann diese Miniatur keine Bilderfindung des Illustrators sein. Nun sind wir über die Person Odberts dank der gründlichen Untersuchungen unter anderem von Andre Boutemy und Rainer Kashnitz ein wenig, über seinen Illuminationsstil sogar recht gut informiert. 354 Der 986-1007 bzw. 1012 als Abt von SaintBertin nachgewiesene Buchmaler scheint sich nicht als großer Inventar hervorgetan zu haben, sc_:mdern bediente sich für die Miniaturen in seinem Psalter vorwiegend karolingischer Vorlagen. Für das Evangeliar dagegen griff er vermehrt auf angelsächsische Vorbilder zurück. Dies belegen die Blattwerkornamentik der Zierrahmen, die teilweise stark bewegten und faltenreichen Gewänder der Figuren und ikonographische Details wie der Höllenrachen bei der Anastasis oder die vom Bildrand abgeschnittenen Füße bei der Himmelfahrt auf der Initialzierseite zum Johannesevangelium. 355 Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß auch das Motiv des mit Schwert und Schild gegen den Drachen kämpf enden Erzengels aus England stammt. Zwar war im Aethelwold-Benedictionale aus dem zehnten Jahrhundert ursprünglich eine Michaelsdarstellung enthalten, über ihr Aussehen ist jedoch

351 PL 169, Sp. 1152. 352 Besprechung und weitere Beispiele bei Schiller 1966, Abb. 380. Vgl. auch Beuckers 1999, s. 152f. 353 Vgl. Avril 1971, S. 49-52 mit zahlreichen Literaturhinweisen und weiteren Abb. 354 Vgl. Andre Boutemy, Un Grand Enlumineur du xesiede, l'abbe Odbert de St.-Bertin, in: Annales de la Federation Archeologique et Historique de Belgique, Congres d' Anvers 2731 juillet 1947, Antwerpen 1950, S. 247-254, Taf. 5-11; ders., Odbert de St.-Bertin et la seconde Bible de Charles le Chauve, in: Scriptorium 4 (1950), S. 101 f.; Dodwell 1993, S. 197-199. Weitere Literatur bei Kahsnitz 1988, S. 34, Anm. 3. 355 Vgl. Kahsnitz 1988, S. 122f.

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nichts bekannt. 356 Aus der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts stammt eine Q-Initiale in Crowland-Psalter, in der Michael mit der gleichen Ausrüstung wie im Odbert-Evangeliar gegen einen Drachen vorgeht (Abb . 85). 357 Auch der angelsächsische Erzengel besitzt keine Flügel, unterscheidet sich ansonsten aber grundlegend von seinem nordfranzösischen Gegenstück: Michael trägt hier keine Tunika mit Umhang, sondern einen zum Kampf wesentlich besser geeigneten kurzen Rock, Stiefel und einen Helm.358 Er beugt sich nicht nach links unten, sondern wendet sich mit einem großen Ausfallschritt nach rechts zum Drachen hin, der die Cauda des Buchstabens bildet. Insgesamt sind die beiden D arstellungen im Ausdruck so verschieden, daß ein gemeinsames Vorbild kaum vorstellbar erscheint. Das gilt auch für die Darstellung Michaels auf einem Türsturz in Southwell aus dem frühen zwölften Jahrhundert. Hier führt der Erzengel ebenfalls ein Schwert statt einer Lanze und steht nicht auf, sondern neben dem Drachen (Abb. 30). Er wendet sich nach rechts zur Seite und hat auch sonst wenig mit der Darstellung im Odbert-Evangeliar gemein. Im Ganzen ist die mittelalterliche englische Kunst mit Michaelsdarstellungen nicht gerade reich gesegnet. Aus dem elften Jahrhundert haben sich nur noch zwei weitere Erzengel erhalten, die mit einer Lanze gegen den Drachen kämpfen, nämlich die auf dem Bronzekreuz von Lund0 und die im Tiberius-Psalter (Abb. 64; 79). Die beiden Darstellungen sind jedoch erstens untereinander und zweitens von den bisher genannten Beispielen so verschieden, daß sich über eine mögliche insulare Tradition der frühen Drach enkampfikonographie keine Aussagen machen lassen.359 Odberts Vorlage muß auch aus anderen Gründen in der kontinentalen Kunst vermutet werden, genauer gesagt in der spätkarolingischen oder früh-

356 Winchester, 973-984, London, British Library, Add. Ms. 49598. Fol 108r ist eine gerahmte Initialseite der Lesung zum Michaelsfest, der ursprün glich eine ganzseitige Miniatur zum Tagesheiligen gegenübergestellt war. Vgl. hierzu D eshman 1995, S. 259 mit Abb. 200. Zur Datierung ebd., S. 260f. 357 M. 11. Jh., Oxford, Bodleian Library, Ms. Deuce 296, fol. 40v zu Ps 51. Vgl. Temple 1976, S. 96 f., Kat. 79 mit Abb. 260; Kat. London 1984, S. 83, Kat. 68 (D. H. Turner); Ohlgren 1986, s. 184. 358 Möglicherweise handelt es sich auch um eine Kappe aus Wollstoff oder Leder; vgl. hierzu die Ausführungen von Tackenberg 1969, S. 278. 359 Vgl. hierzu Kap. C.Il.3 und C.II.5. - Thomas H . Ohlgren (Five new drawings in the MS Junius 11, Their iconography and thematic significance, in: Speculum 47 [1972), S. 227233, mit Abb.) deutet eine skizzenhafte Federzeichnung wohl des 11./12. Jh. in der Handschrift Oxford, Bodleian Library, MS Junius 11 als D ars tellung Michaels mit Schild und Schwert.

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ottonischen Kunst des westlichen Frankenreichs. Denn dorthin läßt sich eine ganze Reihe von späteren Darstellungen Michaels als Drachenbekämpfer lokalisieren, die den Erzengel nach links hin zum Drachen gewandt zeigen (Abb . 8; 10; 28; 31; 58; 75; 84; Farbtafel XVII; XVIII), während er sonst meist in Leserichtung von links nach rechts ausgerichtet ist. Hier wäre nochmals an die mögliche Vorbildwirkung von Darstellungen wie der kämpfenden Nike in Hamburg oder auch des Erzengels auf den langobardischen Münzen zu erinnern, die ebenfalls eine Bewegungsrichtung von rechts nach links aufweisen (Abb. 4; 17). Darauf, daß Odberts Vorlage neben karolingischen vermutlich auch byzantinische Einflüsse verarbeitet hat, verweist die Frisur seines Erzengels: Wie der Michael auf dem Londoner Elfenbein oder der in der Josua-Rolle tragen sowohl der Erzengel auf der Leipziger Tafel als auch der im Odbert-Evangeliar eine Tänie im kurzen Haar. Diese Gestaltung des Kopfes kommt um die Jahrtausendwende auch bei zwei von Odberts Miniatur ansonsten stark abweichenden italienischen Darstellungen des Drachenbekämpfers vor (Farbtafel XV; Abb. 56) und um die Mitte des elften Jahrhunds nochmals im Tiberius-Psalter (Abb. 64), verschwindet danach aber völlig aus der westlichen Michaelsikonographie. Auch das Schwert anstelle der Lanze könnte auf Michaelsdarstellungen in der byzantinischen Kunst zurückgehen, die Michael in antiker Kriegerrüstung und dem zu'gehörigen Schwert zeigen (Abb. 32). Diese Bilder orientieren sich an den zahlreichen Bibelstellen, in denen ausdrücklich von einem Schwert Michaels bzw. des „Engels des Herrn" die Rede ist: So wird im Zusammenhang mit der Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies ein ,,loderndes Flammenschwert" erwähnt (Gen 3,23 f.), der Engel, dem Josua vor Jericho begegnet, hält ein gezücktes Schwert in der Hand Qos 5,13-15), im ersten Buch der Chronik schickt Gott einen Racheengel mit Schwert nach Jerusalem (1 Chr 21, 15-18) und im Buch der Könige erschlägt ein Engel 185.000 Assyrer mit dem Schwert (2 Kön 19,35; vgl. Jes 37,36). Die meisten der Szenen sind im Malerhandbuch vom Berg Athos ausführlich beschrieben und kommen auch auf den Bronzetüren in S. Angelo auf dem Gargano vor, die 1076 in Byzanz für diese Kirche gefertigt wurden (Abb. 92; 93). Der Kampf gegen einen Drachen fehlt jedoch auch hier. Die westlichen Darstellungen, auf denen Michael ein Schwert gegen den Drachen führt, betonen grundsätzlich seinen kämpferischen Charakter und zeigen den Drachen als sehr lebhaftes und bedrohliches Wesen. Das gilt nicht nur für die soeben genannten Beispiele aus dem frühen elften Jahrhundert, sondern auch für die unter sich sehr verschiedenen romanischen Miniaturen im Perikopenbuch von St. Erentrud (Farbtafel XX), in einer Handschrift der Victoria verbi Dei Ruperts von Deutz (Farbtafel XXI), im Siegburger Lektio-

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nar (Abb. 10) oder in einer Bibel aus Citeaux (Abb. 31 ). 360 Wie an der Darstellung Michaels im Odbert-Evangeliar zu beobachten war, wird der Erzengel hier nicht als Heiliger gezeigt, sondern als Stellvertreter Christi und der Gläubigen im Kampf gegen Laster und Versuchung. Wenn man sich den Kontext der historisierten Initiale im Crowland-Psalter ansieht, wird deutlich, daß auch diese Darstellung des Drachenkampfes nur indirekt auf Michael zu beziehen ist. Sie schmückt den Anfang von Ps 51, eines Abschnitts, der bei einer Dreiteilung des Psalters üblicherweise die erste Zäsur markiert. 361 Auch in einem Psalter des zwölften Jahrhunderts aus Freising ist Ps 51 durch Michaels Drachenkampf illustriert. In dieser Tradition steht die Miniatur zu Ps 51 in einem Psalter der Schule von Arras aus dem 13 . Jahrhundert, die einen Krieger ohne Flügel im Kampf mit einem Drachen zeigt. Die in dieser Zeit veraltete Form des Schildes läßt vermuten, daß der Maler eine ältere Vorlage mit Michaels Drachenkampf verwendet hat. 362 Der Frevler, an den sich Ps 51 richtet, wurde von Cassiodor als Antichrist gedeutet, weil der Psalmist über ihn sagt: dilexisti malitiam super benignitatem / iniquitatem magis quam loqui aequitatem (Ps 51,5f.). 363 Zweimal ist von der tückischen Zunge des Feindes die Rede, von der eine so große Gefahr ausgeht, daß Deus destruet te in finem / evellet te et emigrabit te de tabernaculo / et rddicem tuam de terra viventium (Ps 51,7). Indem die angedrohte Vernichtung des boshaften Frevlers bzw. Antichrists im Bild nicht durch Gott, sondern durch Michael ausgeführt wird, zeigt auch diese Initiale einen Stellvertreterkampf im Sinne der Kirchenväter und der karolingischen Apokalysekommentare: quia si Michael illum [Antichrist] interfecerit, non sua, sed Dei virtus erit et iussio. 364 Auf der Vorderseite des Blattes, auf dem sich diese Miniatur befindet, ist Christus mit einem Kreuzstab in der einen und einem Buch in der anderen Hand triumphierend über Löwe und Drache dargestellt (Abb. 85). 365 Faßt man beide

360 Perikopenbuch aus St. Erentrud, München, Bayer. Staatsbibl., Clm 15903, fol. 88v; Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei, Niederrhein, 2.V. 12.Jh, ebd., Clm 14055, fol. 6v; Siegburger Lektionar, um 1140/50, London, British Library, Ms. H arley 2889, fol. 68r. 361 Zur Einteilung des Psalters: Florentine Mütherich, Die verschiedenen Bedeutungsschichten frühmittelalterlicher Psalterillustration, in: FMSt 6 (1972), S. 232-244; Kahsnitz 1979, S. 115-141, bes. 120-124. 362 Zum Freisinger Psalter (München, Bayer. Staatsbibl., Clm 27054, fol. 49v) vgl. Boeckler 1941, S. 4; Klemm 1988, Nr. 331, Abb. 761. Zum Psalter von Arras (Arras, Bibi. com. 830) vgl. Günter Haseloff, Die Psalterillustration im 13. Jahrhundert, Studien zur Geschichte der Buchmalerei in England, Frankreich und den Niederlanden, s.l. 1938, S. 65 f., Taf. 19, Abb. 5. 363 CCSL 98, I, S. 474. Vgl. auch Openshaw 1993, S. 26-28. 364 Haimo von Auxerre, PL 11 7, Sp. 773 und 781. 365 Ganzseitige Abb.: Kat. London 1984, Kat. 68.

Stellvertreterkämpfe

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Miniaturen als Einheit auf, so ist die Aussage dieselbe, wie sie für das Leipziger Elfenbein (Abb. 5) nur angenommen werden kann und durch das Diptychon im Bargello (Abb . 83; 84) überliefert ist: Christus kämpft in seiner menschlichen Natur, im Bild symbolisch vertreten durch Michael, und triumphiert als Gott. Warum aber mit dem Schwert? Man kann vermuten, daß diese Waffe nicht nur deshalb bisweilen der Lanze vorgezogen worden ist, weil Michael im Alten Testament mehrfach mit einem Schwert erwähnt wird, sondern auch, weil das Schwert im Epheserbrief eine symbolische Bedeutung erhält, die zum spirituellen Charakter der Drachenkämpfe Michaels hervorragend paßt. Wie auch neben dem oben besprochenenen allegorischen Krieger in der karolingischen Handschrift in Paris zu lesen steht (Abb. 24), bezeichnet Paulus das Schwert als gladium Spiritus quod est verbum Dei (Eph 6,17), als Instrument also, mit dem sich die Christen gegen innere und äußere Bedrohung, gegen Anfechtungen und Häresie ebenso wie gegen eigene Unzulänglichkeiten und Schwächen zur Wehr setzen sollen.366 Indem Michael im Odbert-Evangeliar und im Crowland-Psalter nicht mit der Lanze, sondern mit dem Schwert gegen den Drachen vorgeht, wird sein Kampf zum doppelten Abwehrkampf, zur Verteidigung gegen die äußeren Feinde wie auch zur inneren Psychomachie, die den Betrachter der Bilder zur Nachahmung anregen soll. Die dafür notwendige Waffe hält er mit der das Wort Gottes enthaltenden Handschrift bereits in der Hand.367 Angesichts der großen Bedeutung des Epheserbriefes für die mittelalterliche Theologie und Moralphilosophie liegt die Vermutung nahe, daß neben dem Schwert auch andere Elemente der Rüstung Michaels im Sinne dieser Paulusworte zu interpretieren sind. 368 Dafür kommt vor allem der Schild in Frage, der Michaels Kampf von Christi Triumph unterscheidet. Im Epheserbrief wird er als scutum fidei bezeichnet, in quo possitis omnia tela nequissimi ignea extinguere (Eph 6,16). Mit genau diesen Worten wird der Schild des allegorischen Kriegers in der Pariser Psychomachie-Handschrift erklärt (Abb. 24), und in ähnlicher Weise ist auch der Schutzschild, der Christus im Stuttgarter Psalter gegen den Mittagsdämon beschirmt (Farbtafel I), zu interpretieren.369 Auf dem romanischen Elfenbein im Florentiner Bargello kämpft 366 367 368 369

Paris, Bibi. nat., Ms. lat. 8318, fol. 55v. Zum Psalter als Waffe vgl. Openshaw 1993, passim; ferner Kap. C.II.3. Eine weitere Anregung bot Weish 5,17-21. Die Miniatur auf fo l 107r bezieht sich auf Ps 90,5-6, wo die Treue Gottes als Schutzschild für die Gläubigen bezeichnet wird: scutum et protectio veritas eius / non timebis a timore nocturno I a sagitta volante per diem / a peste in tenebris ambulante / a morsu insanientis meridie.

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Michael gegen einen menschengestaltigen Dämon und steht dabei, wie durch die Inschrift erläutert, sub fidei scuto (Abb. 84 ). 370 Mit dem Begriff fides ist bei einem Engel sicher nicht der religiöse Glaube gemeint, sondern sein Vertrauensverhältnis zu Gott. In diesem Sinne wird man Michaels Verteidigungswaffe grundsätzlich verstehen müssen: Er kämpft im Namen Christi unter dem Schutz des Glaubens bzw. seiner Treue zu Gott. Dabei spielt sicher auch die Exegese der Luzifer-Geschichte eine Rolle, deren zentrales Thema die Loyalität Michaels im Gegensatz zur Überheblichkeit Luzifers ist. Wegen seiner engen Verbindung zu Gott eignet sich der Erzengel selbst hervorragend als Schutzschild der Menschen gegen den Drachen, indem er für sie betet: Ille suis precibus nos hie conservet ab haste, / I nvigilare dei faciet et laudibus istie. 371

Auch der Helm, der um die Jahrtausendwende in der Michaelsikonographie auftritt, weist auf die Notwendigkeit des Schutzes und damit auf die Bedrohlichkeit des Kampfes hin. Im Epheserbrief (6,16) wird diese Kopfbedeckung galea salutis genannt. Bei den Darstellungen Michaels mit Helm, etwa im Crowland-Psalter (Abb. 85), handelt es sich wohl um bewußte Modernisierungen übernommener Bildtypen zugunsten einer Betonung des Kampfes als Psychomachie. Zunächst scheint der mützenartige Helm nur in der Normandie und in England dargestellt worden zu sein. Im zwölften Jahrhundert erscheint der Erzengel dann vermehrt in Handschriften aus süddeutschen Skriptorien mit Helm und zum Teil auch mit Kettenhemd (Farbtafel VII; XVIII-XXI; Abb. 75).372

370 SUB FIDEi SCUTO MICHAHEL STANS CORPORE TUTO / HOSTEM PROSTERNIT, PEDE CALCAT, CUSPIDE PUNGIT. 371 Titulus Alkuins, MGH Poet. 1, S. 318, Nr. XCI; vgl. ebd., S. 324, Nr. XCIII.

372 Zum Einfluß der Kreuzzüge auf die Darstellungen Michaels als Krieger im zwölften Jahrhundert vgl. unten, Kap.C.II.3.

V. Heiligenbilder

1. Das Dedikationsbild des Gelduinus Auf dem Widmungsblatt einer um 1000 datierten Handschrift der Recognitiones des Hl. Clemens vom Mont Saint-Michel tritt Michael ebenfalls mit Helm auf. Allerdings weist keines der übrigen Bildelemente darauf hin, daß hier ein Kampf dargestellt werden sollte (Farbtafel XII) 373 : Der Erzengel steht in fast frontaler Haltung auf einem Suppedaneum und wendet sich leicht nach rechts zu dem Mönch Gelduinus hin, der ihm die mit den Worten Historia sancti Clementis bezeichnete Handschrift überbringt. Beide Figuren werden von einer Doppelarkade überfangen, in deren Zwickel ein doppelköpfiger Adler angebracht ist. Michael hält einen Schild in der linken und eine Lanze in der rechten Hand, die er einem unterhalb liegenden menschengestaltigen Dämon in den Mund sticht. Anders als auI den bisher besprochenen Darstellungen scheint er seinen Gegner hier nicht zu bekämpfen, sondern über ihn zu triumphieren. Obwohl mehrere Details wie das Suppedaneum, der Doppelkopfadler und der menschliche Teufel vermuten lassen, daß der Illuminator byzantinische Vorlagen verarbeitete, 374 ist diese Darstellung als westliche Neuschöpfung anzusehen: Wir haben hier das früheste erhaltene Widmungsblatt vor uns, auf dem Michael als Adressat auftritt und damit als Heiliger direkt angesprochen wird. Für ein solches Bild konnte mit Sicherheit auf keine längere Tradition zurückgegriffen werden, und es hat aus naheliegenden Gründen auch keine eigentliche Nachfolge gefunden. 375 D enn wie unschwer zu erkennen ist, hat der Versuch des Illuminators, zwei Ereignisbilder miteinander zu verschmelzen, zu keiner allzu befriedigenden Lösung geführt. Offensichtlich sollte der Erzengel einerseits als Patron der Michaelskirche auf dem Mont Saint-Michel gezeigt werden, dem der Schreiber Gelduinus sein Werk überreicht, andererseits sollte er in der Funktion auftreten, auf die sich seine Verehrung konzentrierte, nämlich als Kämpfer gegen das Übel. D er Erzengel 373 Avranches, Bibi. municipale, Ms. 50, fol. 1r. Dazu: Alexander 1970, S. 85 f. mit Abb. 17 b. 374 Eine eher an angelsächsischen als an byzantinischen Vorbildern orientierte Architektu rdarstellung der H andschriften vom Mont Saint-Michel vermutet aber Bayle 1999, S. 57 mit Abb. 7. 375 Auf späteren D edikations bildern tritt Michael niemals als Drachen- oder Dämonenbekämpfer auf, sondern als würdevoller Himmelsfürst oder als frontale Standfigur. Vgl. hierzu Kap. C.II.3.

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muß daher gleichzeitig den Feind niederstechen und das Buch entgegennehmen, er muß kämpfen und dabei würdevoll repräsentieren. Der Illuminator behilft sich, indem er die Kampfszene als Triumph gestaltet, und greift dafür auf die Ikonographie des Calcatio-Rituals zurück. Dafür scheint er sich nicht an Christus-Victor-Darstellungen orientiert zu haben, denen das Scabellum unbekannt ist, sondern an byzantinischen Herrscher- und Heiligenbildern, auf denen der Dargestellte häufig frontal auf einem Podest steht: Eine Miniatur im Psalter des Basileios II. (963, 976-1025) weist eine dem GelduinusWidmungsblatt vergleichbare Komposition auf, indem sie den Kaiser auf einem Scabellum stehend im Triumph über vor ihm kauernde Barbaren zeigt. Dabei stellt der Herrscher einem der Unterworfenen das Ende seiner Lanze in den Nacken, die ihm vom Erzengel Michael gereicht wird. Die nach heutigem Kenntnisstand singuläre Darstellung wird allerdings zwischen 10011005 oder 1017-1019 datiert, dürfte also vermutlich später als der GelduinusCodex entstanden sein. 376 Der menschengestaltige Dämon stammt ursprünglich ebenfalls aus dem byzantinischen Kulturkreis, war seit dem neunten Jahrhundert aber auch im Westen bekannt. 377 In der frühmittelalterlichen Kunst werden meist die kleinen Dämonen auf Darstellungen der Teufelsaustreibung in menschlicher Gestalt gezeigt. Auch die ottonische Buchmalerei kennt den antropomorphen Widersacher Christi. Auf einer Miniatur des um 960-980 entstandenen Missale des Wormser Doms thront Christus über einer Gestalt, die dem Feind Michaels in der Gelduinus-Handschrift in einigen Punkten ähnelt (Farbtafel XIII): 378 Beide tragen wirres Haar, beide liegen schräg unter ihrem Überwinder und beiden wird eine Lanze bzw. ein Kreuzstab in den weit aufgesperrten Mund gesteckt. Das Wesen im Wormser Missale ist im Gegensatz zu dem im Gelduinus-Codex allerdings bekleidet und gefesselt. Während sich dieser von Christus besiegte Feind durch die zugehörige Inschrift und durch die im Codex folgenden Totenmessen leicht als Tod identifizieren läßt, fällt die Deutung des von Michael unterworfenen Bösen um einiges schwerer. 379 Denn Überwinder des Todes ist allein Christus.

376 Venedig, Bibi. Marciana, Cod. gr. Z.17, fol. IIIr. Vgl. hierzu Anthony Cutler, The Aristocratic Psalters in Byzantium, Paris 1984 (Bibliotheque des Cahiers Archeologiques 13), S. 115-119, Kat. 58, Abb. 412 . Abb.: Kat. Utrecht 1996, S. 90, Abb. 9. 377 Brenk 1966, S. 210, spricht sogar davon, daß menschengestaltige Dämonen seit dem neunten Jahrhundert „schlagartig überhand" nähmen. 378 Missale-Fragment, Reichenau, ca. 960-980, Paris, Bibi. de !'Arsenal, Ms. 610, fol. 55v. Dazu: Kat. Köln 1991, S. 11 0. 379 Hie residens Christus iam victor in alto / Mortem calce premit colligat atque fodit. / Dumque salutiferam v ult mors extinguere vitam / Infelix hamo deperit ille suo. Zit. nach: Kat.

Heiligenbilder

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Auch das schon mehrfach angeführte Elfenbein des zwölften Jahrhunderts, auf dem Christus über Löwen und Drache schreitet, Michael aber einen menschengestaltigen Dämon bekämpft, macht durch seine Inschriften deutlich, daß Christus als Sieger über den Tod aufzufassen ist und Michael als Bekämpfer des freilich nicht näher charakterisierten Feindes (Abb. 83; 84). 380 Obwohl dieser hier deutlicher durch kleine Flügel, einen Schwanz und Krallen an den Füßen als Teufel gestaltet ist, gilt für Handschrift und Elfenbein gleichermaßen: Bei dem zottigen Gegner muß es sich um Luzifer oder Antichrist handeln. In der byzantinischen Kunst, die den apokalyptischen Drachenkampf nicht kennt, kommen ähnliche Wesen auf Darstellungen des Höllensturzes vor. Beispiele hierfür sind das Menologion Basileios' II. 381 oder die ebenfalls in Byzanz hergestellte Bronzetür von S. Angela auf dem Gargano, auf der die Szene den Text von Offb 12 illustriert (Abb. 33; 37). 382 In beiden Fällen liegen der gestürzte Luzifer und seine Helfer jedoch, wie im Malerhandbuch vom Athos empfohlen, auf dem Bauch, zudem ist der Teufel durch Flügel als gefallener Engel gekennzeichnet.383 Als nackte und gefesselte Gestalt mit menschlichem Körper, ohne Flügel, aber mit einem Schwanz und kleinen Hundeohren, wird Luzifer in einer Regensburger Handschrift des zwölften Jahrhunderts mit dem Kommentar des Ambrosius zur Schöpfungsgeschichte dargestellt. Hier steht Michael direkt auf dem Leib des gestürzten Gegners und stößt ihm seine Lanze in den Rachen (Farbtafel XXIl).384 Menschliche Gestalten mit zottigem Haar, die nackt und flügellos sind, treten auch in den ottonischen Illustrationen zur Apokalypse oder speziell des Weltgerichts auf. Der Satan, der in der Bamberger Apokalypse gemäß Offb 20 erst von einem Engel mit der Schlange zusammengebunden und dann nochmals für kurze Zeit freigelassen wird, ist in dieser Weise dargestellt (Farbtafel XXVII), ebenso der Höllenfürst auf dem Weltgerichtsbild in dieser Handschrift oder im Perikopenbuch Heinrichs II. Die beiden zuletzt genannten Figuren kauern sogar in annähernd ähnlicher H altung am unteren Bildrand wie das von Michael niedergestoßene Wesen auf dem Widmungsblatt.

380 381 382 383 384

Köln 1991, S. 11 0; vgl. auch Von Euw / Schreiner 1991 , I, S. 214. Ebd., S. 11 0, Hinweis auf Ps 106,42. Vgl. auch H os 12,14, wo Tod und H ölle gleichgesetzt werden, und vor allem 1. Kor 15,25s.: oportet autem illum regnare donec / ponat omnes inimicos sub pedibus eius / nov issima autem inimica destruetur mors, ferner Gen. 3,15; Jes. 11,8 oder Jes. 59,5. Vgl. Kap. C .II.4. Rom, Bibi. Apost. Vat., Cod. gr. 1613, fol. 168r. Vgl. Kap. C .Il.5. Malerhandbuch, S. 104 f., §74. Vgl. unten, Kap. C.II.5. Codex aus St. Emmeram, nach 1165, München, Bayer. Staatsbibl., Clm 14399, fol. lr.

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Für seine Darstellung Michaels als Sieger über einen antropomorphen Feind hat der Mönch Gelduinus demnach zwar Details aus byzantinischen Vorlagen verarbeitet, keinesfalls aber einen bestehenden Bildtyp übernommen. Wenn er den Drachen durch einen im zehnten und elften Jahrhundert auch im Westen häufiger auftretenden menschengestaltigen Dämon ersetzt, so möglicherweise unter dem Eindruck von Michaelsgebeten, in denen der Erzengel um Beistand gegen den „alten Feind" angerufen wird. 385 Das zentrale Thema ist hier wiederum die Versuchung, für deren Abwehr die Gläubigen sich Hilfe erbitten. Wie bereits bei den karolingischen und ottonischen Darstellungen der Versuchungsepisode zu beobachten war, wird Satan, der in böser Absicht an den Menschen Jesus herantritt, oft als Mensch dargestellt und nicht als Drache oder stark mißgestaltetes Phantasiewesen. Der Hinweis, daß der Teufel sich verkleide, um die Menschen über seine wahre Natur zu täuschen, findet sich bereits im Neuen Testament und kommt auch in der Exegese und Legendenschreibung häufiger vor. 386 Weil man sich auch den Antichrist als Menschen vorstellte, konnte man bei verschiedenen Kaisern und Päpsten über ihre Identität mit diesem Widersacher Christi spekulieren.387 Die Nacktheit ist ferner ein Kennzeichen der Laster auf den Illustrationen zum Themenkreis der Psychomachie (Abb. 103).'Gelduin tritt auf seinem Widmungsbild dem Erzengel gegenüber, der einen Dämon in einer Gestalt in Schach hält, wie sie dem Mönch selbst jederzeit begegnen konnte. Michael wird daher in seiner Eigenschaft als Tugendbeistand dargestellt, als Helfer Gelduins in dessen täglicher Psychomachie. Möglicherweise ersetzt der Helm auf dem Kopf des Engels wie auch im Crowland-Psalter bewußt seinen Heiligenschein, um in Anlehnung an den Epheserbrief anzuzeigen, daß der Engel nicht nur unter dem „Schild des Glaubens" bzw. des Vertrauens steht, sondern auch unter der „Schutzhaube des Heils". Da ein Mönch namens Gelduinus auf dem Mont Saint-Michel nicht nachweisbar ist und das Widmungsblatt zudem byzantinische Elemente aufweist, hat man die Entstehung der Clemens-Handschrift an einem anderen Ort als dem Inselkloster selbst vermutet. 388 Es scheint jedoch unmöglich, den Codex

385 So bereits bei Gregor dem Großen: Liber responsalis, PL 78, Sp. 806. 386 2. Kor 11,3: timeo autem ne sicut serpens Evam seduxit astutia sua / ita corrumpantur sensus vestri et excidant a simplicitate quae est Christo. Auch die Mönchsväter wiesen darauf hin, daß der Satan die „Gestalt eines Lichtengels" annehmen könne, um die Mönche etwa durch falsche Visionen zu verführen; vgl. die Collationes patrum von Johannes Cassian [t 430/35]). 387 Vgl. Gosbert Schüßler, Studien zur Ikonographie des Antichrist, Phil. Diss. Heidelberg 1975; Emmerson 1981, bes. S. 117-145 mit Abb. 1-11. 388 So etwa Alexander 1970, S. 86.

Heiligenbilder

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in eine bestimmte Region zu lokalisieren, weil sich weder dem Stil noch der Ikonographie des Dedikationsbildes konkrete Vergleichsbeispiele an die Seite stellen lassen. Die frontale Haltung Michaels, die Bogenarchitektur mit dem Doppeladler und das Scabellum könnte man als Indizien für die Herkunft aus einem süditalienischen Kloster werten; bei der breiten Verfügbarkeit byzantinischer Vorlagen sagen diese Details andererseits nicht viel aus. D er rote Punkt auf Michaels Wangen ist ein Stilmerkmal, das sich häufiger in romanischen Handschriften aus süddeutschen Skriptorien findet, um die Jahrtausendwende aber kaum vorkommt. 389 Michaels Helm spricht dagegen für eine Entstehung der Miniatur in Nordfrankreich. Hinzu kommen stilistische Argumente wie die nervöse Linienführung der Zeichnung und der in diese Region verweisende, an karolingischen Vorbildern geschulte Initialstil. 390 Aus der Frühzeit des um die Jahrtausendwende wohl erst im Aufbau begriffenen Skriptoriums des Klosters auf dem Mont Saint-Michel sind nur wenige illuminierte Handschriften erhalten, die zwar kein einheitliches Bild vermitteln, meist aber dem Gelduinus-Codex verwandte Merkmale aufweisen wie das großflächige Stehenlassen weißer Partien innerhalb einer Figur oder eines Ornaments, die eingeschränkte Farbpalette, bei der fast ausschließlich blasse Rot- und Grüntöne Verwendung finden, das Überwiegen des graphischen Elements, die fahrige Linienführung und die insgesamt nur sparsame Ausmalung des Buches. Es erscheint von daher möglich, daß es sich bei dem Gelduinus-Codex um eines der ersten Erzeugnisse dieser Schreibwerkstatt aus dem späten zehnten Jahrhundert handelt. 391

2. Michael als Kirchenpatron Im Gelduinus-Codex sind Allegorie und Widmungsbild miteinander verschmolzen, und Michael wird zu einem der ersten Male überhaupt in der westlichen Kunst bildlich als Heiliger faßbar. Da um die Jahrtausendwende weitere Michaelsbilder entstanden, die den Erzengel in ähnlich frontaler Hai389 Vgl. die Handschriften Brüssel, Bibi. Royale Albert l er, Ms. 3089 und O xford, Bodleian Library, Ms. Bodl. 352 (von Polaczek 1998, S. 142, neuerdings dem Doppelkloster Rheinau zugewiesen). Aus dem zehnten Jahrhundert lassen sich Limousiner H andschriften anführen, fe rner das Widmungsbild mit H eto und A delheit in Einsiedeln, Stiftsbibl., H s. 176, fol. 51 v, dess en genaue D atierung und Lokalisierung nach wie vor nicht geklärt sind. 390 Vgl. Avril 1967, S. 209. 391 Diese Vermutung äußern bereits: Bourgeois-Lechartier 1967, S. 171-1 73, 182 f.; Avril 1967, S. 215-218; Dosdat 1991 , S. 32f.

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tung über dem Drachen zeigen, gleichzeitig aber auch solche, in denen er diesen seitwärts gerichtet bekämpft, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der frontalen Körperhaltung des Erzengels und dem Bildtypus des Heiligenbildes sowie daran anknüpfend nach den Konsequenzen einer solchen Relation für die Deutung der übrigen Michaelsbilder dieser Zeit. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Sicher dem Inselkloster auf dem Mont Saint-Michel zuzuschreiben und wohl unter Kenntnis von Gelduins Dedikationsbild entstanden ist eine Handschrift von Augustins Psalmkommentar, die ebenfalls ein Frontispiz mit der Darstellung Michaels als D rachenbekämpfer besitzt (Farbtafel XIV). Wegen der im Vergleich zum Gelduinus-Codex ausgereifteren Komposition und der beruhigten Linienführung dürfte die Handschrift mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Jahrzehnte später als jener entstanden sein. 392 Auch in diesem Fall steht der Erzengel unter einer Arkade, allerdings streng frontal und mit Blick zum Betrachter, da er sich nicht wie auf dem Widmungsbild einem Überbringer der Handschrift zuwenden muß. Es scheint, als habe der Illuminator nach einer ähnlichen, aber überzeugenderen Lösung des Anliegens gesucht, den Patron seines Klosters als Empfänger einer Handschrift darzustellen. Er hat daher erst in einigem Abstand von dem ersten einen weiteren Arkadenbogen gezeichnet, unter dem sich ein junger Mönch befindet. Dieser sitzt mit dem Rücken zu Michael mit Schreibzeug auf einem Kastensitz und blickt nach rechts oben zu einem dort heranschwebenden Engel. Diesmal hat sich nicht der Schreiber des Manuskripts selbst dargestellt, es handelt sich vielmehr um den heiligen Augustinus, der beim Abfassen seines Psalmkommentars Inspiration von einem Himmelsboten empfängt. Michael und Augustinus sind in ihren architektonischen Rahmen als nicht zusammengehörige Einzelbilder nebeneinander aufs Blatt gesetzt. Während sich die Darstellung Augustins wie auch die unter dem Erzengel befindliche Figur Davids mit der Harfe direkt auf den Inhalt der Handschrift bezieht, ist die Anwesenheit des Erzengels nur dadurch zu erklären, daß der Codex in einem und für ein Michaelskloster geschrieben wurde. Die Darstellung Michaels kann insofern als Besitzvermerk, als eine Art Exlibris, verstanden werden. 393 Wie sein Vorgänger im Gelduinus-Codex ist der Erzengel des Psalmkommentars mit einem weißen antikisierenden Gewand mit weiten Ärmeln und zusätzlichem Überwurf bekleidet und mit einem Schild sowie einem Speer bewaffnet, den er diagonal von links oben nach rechts unten in den Rachen 392 Avranches, Bibi. municipale, Ms. 76, fol. Av, datiert zwischen um 1000 und 3.V. 11. Jh. Vgl. Avril 1967, S. 225; Bayle 1999, S. 63. 393 Vgl. hierzu Avril 1967, S. 225.

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seines Feindes stößt. Ansonsten unterscheiden sich die Darstellungen jedoch grundlegend voneinander: Michael trägt hier keinen Helm, sondern eine kurze Lockenfrisur und besitzt einen Nimbus. Er steht direkt auf seinem Gegner, bei dem es sich nicht um einen anthropomorphen Dämon, sondern um einen Drachen mit Hundekopf und -tatzen, Schlangenleib, Flügeln und Lilienschwanz handelt. Obwohl der Drache noch lebt und Michael den Schild in Händen hält, verleihen seine aufrechte Haltung und strenge Frontalität der Darstellung eine triumphale Gelassenheit, die an das Schreiten des Christus Victor über die besiegten Tiere erinnert (Abb. 12). Im Gegensatz zu den vorher besprochenen Michaelsbildern, aber analog zum Widmungsbild im Gelduinus-Codex werden der Drachenkampf hier als statisches Bild und der Stoß in das Drachenmaul als reine Siegesgebärde gezeigt. Der Erzengel kämpft nicht, er repräsentiert. Er vertritt weder Christus in seiner Abwehr des Satans noch die Gläubigen in ihrer Psychomachie, sondern steht dem Betrachter der Handschrift als Kirchenpatron vor Augen und damit als Heiliger, der ebenso als historische Figur begriffen wird wie der Kirchenvater Augustinus oder der alttestamentliche König David als Verfasser der Psalmen. Indem der Drachenkampf nicht als allegorische Szene aufgefaßt wird, sondern als Typus eines Heiligenbildes, mutiert der Drache vom Symbol zum Attribut.

3. Der Heilige als Sieger Die bisher besprochenen Darstellungen Michaels im Kampf sind als allegorische Bilder oder Stellvertreterbilder anzusprechen, die Darstellungen als frontal auf dem Drachen stehender Sieger aber als Heiligenbilder. Diese These wird durch die Beobachtung gestützt, daß der frontale Typus zunächst nur in den Zentren der westlichen Michaelsverehrung auftrat, auf dem Mont SaintMichel und auf dem Monte Gargano. Aufgrund der großen Ähnlichkeit der erhaltenen Zeugnisse kann man vermuten, daß sie alle auf einen von Italien bis nach Nordfrankreich bekannten Prototyp zurückgehen. Dieses Urbild läßt sich auf dem ältesten und wichtigsten Michaelsheiligtum in Europa lokalisieren, dem Monte Gargano in Apulien, und konnte durch die zahlreichen Pilger weite Verbreitung erfahren. Ein wichtiges Argument hierfür ist die Darstellung Michaels auf einem Steinrelief, das sich auf der linken Außenwange des Bischofsthrones in der Grottenkirche S. Angelo befindet und genau dem angesprochenen Bildtyp entspricht (Abb. 34): Der Erzengel steht aufrecht und frontal auf dem Drachen und stößt ihm seine Lanze mit der rechten Hand diagonal von links oben nach rechts unten in das aufgerissene

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Maul. Er trägt lockiges Haar und eine lange Tunika mit Überwurf, auf den der Situation entsprechend überflüssigen Schild wird konsequenterweise verzichtet. Das früher in die Mitte des elften Jahrhunderts datierte, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber erst im zwölften Jahrhundert entstandene Relief3 94 kommt zwar als Modell für die anderen Bilder wie etwa die beiden besprochenen Miniaturen vom Mont Saint-Michel keinesfalls in Frage, könnte seinerseits aber das originale und heute verlorene Urbild direkt reproduzieren. Wie oben bereits angeführt, hat zuerst Emile Male die im ausgehenden neunten Jahrhundert von dem westfränkischen Pilger Bernhard erwähnte imago Michaels in dem apulischen Wallfahrtsort als früheste Darstellung Michaels mit dem Drachen, möglicherweise auf einem Fresko, interpretiert. 395 Selbst wenn man dieser Deutung der leider wortkargen Quelle nicht folgen will, erscheint die Existenz eines für andere Michaelsdarstellungen zum Vorbild gewordenen Kultbildes auf dem Gargano zumindest im ausgehenden zehnten Jahrhundert als wahrscheinlich. Denn schon eine Miniatur im Sakramentar des Bischofs Warmund von Ivrea (ca. 999-1002) zeigt den Erzengel in genau derselben Haltung wie auf dem Steinthron und ebenfalls ohne Schild (Farbtafel XV). 396 In der Illustration zum Fest der dedicatio basilicae sancti arcangeli michahelis am 29. September (fol. 108v) steht der Erzengel aufrecht auf dem mehrfach gewundenen Leib eines Drachen und stößt ihm seine Lanze schräg nach unten in den Kopf. Michael trägt eine kurze Lockenfrisur mit Tänie sowie eine weiße Tunika mit rotem Mantel und ist nimbiert. Von seinem Rücken flattert ein blauer Umhang herab. Indem er beide Arme wie zum Triumph erhoben hat und seine Lanze nicht wie sonst üblich in das weit aufgerissene Maul des Drachen steckt, sondern auf dessen Hinterkopf richtet, nimmt er die Pose des Siegers im Calcatio-Ritual ein. Dieser Eindruck wird durch die Inschrift in dem die Szene umgebenden Rahmen bestätigt: PARS ADVERSA LABAT I MICHAHELIS DEXTRA TRIUMPHAT. / ARCHANGELUS / MICHAHEL. Diese Verse belegen zudem, daß Bild und Inschrift unter dem Eindruck von Michaelshymnen entstanden sind. Als dextra fortis Gottes wird der Erzengel bereits

394 Vgl. Andre Grabar, Thrones episcopaux de xlme et xi?me siede en Italie meridionale, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 16 (1954), S. 7-52, bes. 7-12; Angelillis 1955, S. 191-202 und 276-286; Kat. Bari 1975, Kat. 42, 31-35, bes. 35 (Pina Belli d'Elia/Teresa Garton); Pina Belli d'Elia, Romanisches Apulien, Würzburg 1989, S. 32-35. 395 Male 1922, S. 258. Vgl. auch Fraipont 1937, S. 290-300. 396 Ivrea, Bibi. capitolare, Cod. LXXVI, fol. 108v. Vgl. allgemein: Ebner 1896, S. 52-62, bes. 59; Magnani 1934; Mayr-Harting 1991, S. 279-281; Hoffmann 1995, S. 30f.; WarmundSakramentar; Prestel 1993; Mariaux 2002. Zum eschatologischen Aspekt des Michaelsbildes vgl. unten, Kap. C.III.4.

Heiligenbilder

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in den Lobliedern Walahfrid Strabos (t 849) und Wandalberts von Prüm (t 870) bezeichnet. 397 Der Einstichpunkt der Waffe erinnert ferner an einen spanischen Hymnus des elften Jahrhunderts, in dem Michael den Nacken der schuppengepanzerten Schlange beugt.398 Wenn Michael im WarmundSakramentar nicht als Bekämpfer, sondern als Besieger des Drachen gezeigt wird, dann sicherlich aus dem Interesse heraus, ihn auch hier als Heiligen zu präsentieren. Daß der Erzengel für den Bischof eine gewisse Rolle spielte, zeigt auch die Litanei des Osterfestes in diesem Sakramentar (fol. 58v), in der Michael gleich nach Maria angerufen wird. 399 Nicht nur im näheren Einzugsgebiet der apulischen Höhlenkirche, sondern in ganz Italien wurde der Erzengel bis ins 13. Jahrhundert praktisch nie als dynamischer Drachen bekämpfer dargestellt, sondern als statischer und frontal ausgerichteter Triumphator über das unterworfene Untier (Abb. 35; 36). Auf dem Gargano selbst befindet sich eine weitere Darstellung Michaels, der frontal auf dem Drachen steht und ihm die Lanze mit der rechten Hand senkrecht nach unten ins Maul stößt. Das grob gearbeitete und zudem schlecht erhaltene Steinrelief ist zusammen mit einem weiteren Michaelsbild, das den Erzengel mit einer Waage zeigt, nachträglich in den sogenannten Königsthron in der Höhlenkirche eingefügt. Auch hier schwanken die Datierungen zwischen dem achten und dem zwölften Jahrhundert, und auch hier dürfte die Spätdatierung zutreffen. 400 Auf den ersten Blick scheint man diese Darstellungstradition nicht auf ein bestimmtes und womöglich besonders verehrtes Bild zurückführen zu müssen, sondern auf den noch lange wirksamen Einfluß der byzantinischen Kunst, der auch den in Italien noch weitaus häufigeren Michaelstyp geprägt hat, nämlich den des Himmelsfürsten bzw. des Anführers der himmlischen Heerscharen (Abb. 1; 2; 40). Da Michael in der byzantinischen Ikonographie aber grundsätzlich nicht mit dem Drachen gezeigt wird, können Darstellungen wie die im Warmund-Sakramentar nicht auf diese zurückgehen. Es wäre möglich, daß man im neunten oder zehnten Jahrhundert aus dem Bedürfnis heraus, den Erzengel als Lokalheiligen im

397 PL 114, Sp . 1129f.; MGH Poet. 2, S. 595. Vgl. oben, Anm. 314. Der Konzeptar des Programms könnte sich freilich auch an Ps 117,16 orientiert haben, wo es heißt: dextera Domini fecit fortitudinem . Vgl. dazu Prestel 1993, S. 127. 398 AH 16, Nr. 404. 399 Auf der Darstellung der Anastasis (fol. 65r) wird Christus von einem Engel begleitet, mit dem ebenfalls Michael gemeint sein dürfte. 400 Vgl. Angelillis 1955, S. 191, 279f.; M. Salvatore, Le sculture del Museo del Santuario, in: Atti 1980, S. 429-502, hier 458 . Zur weiteren Entwicklung der Michaelsikonographie auf dem Monte Gargano: Matteo Sansone, Iconografia di San Michele nell'occidente e gli statuari di Monte Sant'Angelo, in: Bronzini 1991 a, S. 137-154.

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Bild darzustellen, in Süditalien einen neuen Typus prägte, für den die frontale Körperhaltung aus Byzanz und der Drache aus dem Norden übernommen wurden. Wieviel dieser mutmaßliche Prototyp des triumphierenden Erzengels der byzantinischen Kunst verdankt, zeigt ein Blick auf die beiden schon mehrfach angeführten Darstellungen Michaels im Menologion Basileios II. aus dem ausgehenden zehnten Jahrhundert: Auf der Miniatur, die ihn als Bezwinger Luzifers und seiner Dämonen zeigt (Abb. 37), steht er bildparallel und unbeweglich da. In der rechten Hand hält der Erzengel - wie auch auf den frühchristlichen Mosaiken in Ravenna - eine Standarte mit dem dreimaligen Heiligruf, mit der Linken faßt er in seinen Mantel. In Körperhaltung, Kopfgestaltung und Gewand ähnelt das Bild westlichen Darstellungen des frontalen Drachenkampfes. Auf der zweiten Miniatur, der Illustration zum östlichen Michaelsfest (Abb. 38), wendet der Erzengel sich schwungvoll nach rechts und stößt einen langen Stab mit der rechten Hand diagonal nach rechts unten in einen Wasserstrudel. Wenn man diese beiden in der byzantinischen Kunst häufiger vorkommenden Bildtypen miteinander kombiniert, indem man die frontale Standfigur als Ausgangspunkt nimmt und ihr die schräg nach unten geführte Lanze in die Hand gibt, erhält man recht genau den Typus des italienischen Drachenbesiegers. Da der Monte Gargano im zehnten und elften Jahrhundert zu den meistbesuchten christlichen Pilgerzielen überhaupt zählte, konnte die Kenntnis des mutmaßlichen neuen Heiligenbildes durch Wallfahrer nicht nur an Bischof Warmund in Norditalien, sondern auch nach Frankreich vermittelt werden, wo der Vorwurf möglicherweise noch im zehnten Jahrhundert in der Kapelle St. Michel-d' Aiguilhe, im elften Jahrhundert im AugustinusPsalmkommentar des Mont Saint-Michel und im zwölften Jahrhundert auf einem Fresko in der Kathedrale von Le Puy wiederkehrt (Farbtafel XVI). 401 Auch die rätselhafte Michaelsfigur aus Kupfer, die sich in S. Angela auf dem Monte Gargano erhalten hat, vereint byzantinische und westliche Traditionen (Abb. 39). 402 Wie die frontale Ausrichtung, das Scabellum und der Globus in der linken Hand zeigen, geht sie auf byzantinische Darstellungen des Erzengels als Himmelsfürst zurück. Andererseits trägt Michael ein für ihn vollkommen untypisches kurzes Gewand, das an Darstellungen karolingischer und langobardischer Fürsten erinnert.403 Seine Beine stehen nicht pa401 Barral i Altet 1976, S. 275 mit Abb. 35, zufolge soll bis ins 19. Jahrhundert neben der romanischen Figur Michaels im Gewölbe eine ältere und kleiner dimensionierte Darstellung des Erzengels zu erkennen gewesen sein, zu dessen Füßen sich ein Drache befand. Vgl. auch Lamy-Lasalle 1958. 402 Zu ihrer Auffindung 1891 und erste Einordnung: Angelillis 1955, S. 143-147. 403 Bertelli 1990 a, S. 207 mit Abb. 11-13.

Heiligenbilder

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rallel und durchgestreckt nebeneinander, sondern deuten eine kraftvolle Bewegung von links nach rechts an, die sich aus der ehemals mit der rechten Hand schräg nach unten geführten Lanze erklärt. Ob ein ursprünglich darunterliegender Drache ebenso verloren ist wie die Stoßwaffe, ist unklar, da sich aus dem Scabellum keine Hinweise auf eine daran ansetzende Montierung ergeben. Die merkwürdige Verschmelzung von Repräsentations- und Kampfpose könnte wiederum mit der Orientierung an einem Vorbild zusammenhängen, das Michael mit einer diagonal geführten Lanze frontal auf einem Drachen gezeigt hat. 404 In die dort wohl freie Linke wurde ihm nach byzantinischem Vorbild ein Globus mit der Hand Gottes und den Buchstaben IC XC gegeben, der zur Bewegung der rechten Hand und der Beinhaltung eigentlich nicht paßt. Die Kombination von Lanze und Sphaira begegnet später noch bei den großformatigen Michaelsstatuen an der Abteikirche von Passignano (Val di Pesa) und auf dem Giebel von S. Michele in Foro in Lucca, auf dem Architravrelief aus S. Angelo in Campo (jetzt Lucca, Sammlung Mazzarosa) und auf einem um 1277 entstandenen Relief im Gewölbeansatz des Verbindungsganges zwischen S. Michele in Foro in Lucca und dem benachbarten Pfarrgebäude. 405 Möglicherweise wollten die Auftraggeber der Kupferfigur ihren Charakter als Heiligenbild betonen und ließen daher auch den Drachen durch.das Scabellum ersetzen. Die dort eingravierte Inschrift ist nicht nur als Nachweis dafür von Belang, daß es sich bei der Figur um eine private Stiftung an das apulische Michaelsheiligtum handelt, sondern auch als Hilfsmittel zu deren Datierung: t RObbERTVS / ET. bALDVINVS. P. / AMORE. DEI. ET. S. / MihAEL. / OC. OPVS FECE/RVNT. Die zeitliche Einordnung schwankt wegen der summarischen Ausführung der gesamten Arbeit bisher zwischen dem fünften und dem 13. Jahrhundert. 406 Wie Gioia Bertelli kürzlich plausibel machen konnte, lassen sich aber die Buchstabenform, der Wechsel zwischen Maiuskeln und Minuskeln und auch die beiden Stifternamen in die erste Hälfte des elften Jahrhunderts datieren, ebenso die technischen und auch die stilistischen Besonderheiten.407 Das ursprünglich komplett vergoldete Kupferbildnis ist zwar in die Tradition der byzantinischen Reliefikonen einzureihen (Abb. 40), 408 aber sicher404 VgL auch die Darstellung des Erzengels in der Michaelsgrotte in Castellamara di Stabia, 12. Jh.: Belting 1968, S. 23, 123 und Abb. 146. 405 VgL Lucchesi-Palli 1956. 406 Eine Zusammenfassung der bisherigen Literatur gibt Bertelli 1990 a, S. 197-199. 407 Vgl. Bertelli 1990 a, S. 199-201 ; 209-211. 408 Vgl. die beiden Reliefs im Schatz von S. Marco in Venedig (Tesoro Nr. 46 und 6; Konstantinopel, E. 10. / A. 11. Jh. und E. 11. / A. 12. Jh.), die ebenfalls den Erzengel Michael zeigen: Kat. Venedig 1984, Kat. 12, S. 149-155 und Kat. 18, S. 179-183 (beide Barbara Drake Boehm).

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lieh auf süditalienischem Boden entstanden. Wenn man sich Bertellis zeitlicher Einordnung anschließt, haben wir in diesem künstlerisch bescheidenen Werk eines der ältesten erhaltenen plastischen Heiligenbilder des Mittelalters vor uns. Michael ist aus dem Schatten Christi herausgetreten und von einer Begleit- bzw. allegorischen Figur zum hochverehrten Heiligen aufgestiegen. Da die Ausprägung solcher Bilder mit der Entwicklung eines Heiligenkultes einherging, sollen im nächsten Kapitel die wichtigsten Etappen der europäischen Michaelsverehrung skizziert werden.

VI. Heiligenkarriere eines Engels

1. Das erste Kuhzentrum im Westen: S. Angelo auf dem Gargano Es nimmt nicht Wunder, daß die westliche Michaelsverehrung zuerst in Süditalien auftrat, einer Region, die lange Zeit dem byzantinischen Reich zugehörte und die stets regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit dem Osten pflegte. Seit der langobardischen Eroberung des Gebiets im siebten Jahrhundert breitete sich der Ruhm des Erzengels auch in Norditalien, nördlich der Alpen und schließlich in ganz Europa aus. Dies zog nicht nur zahlreiche Kirchengründungen und Altarweihen nach sich, sondern vor allem auch die Entstehung von Legenden, wichtige Voraussetzung für die Herausbildung eines breiten Interesses an einem Heiligen. Eine nachweisbare Michaelsverehrung blieb trotz der Häufigkeit des Patroziniums aber auf wenige Orte beschränkt, die Zahl der erst um die Jahrtausendwende auftretenden Kultbilder war anscheinend gering. Auch die Illustration der Garganolegende ist frühestens für das zehnte Jahrhundert anzunehmen, erstmals aus dem späten elften Jahrhundert überliefert und kommt erst im 13. Jahrhundert häufiger vor (Abb. 41, 42, 44): Das in Abb. 41 wiedergegebene Relief, das sich in der Nähe des Gargano am Castel von Dragonara erhalten hat, wird von süditalienischen Forschern als Szene der Stierlegende (vgl. die nachfolgende Erzählung) interpretiert. Dasselbe gilt für ein Freskenfragment in der Michaelsgrotte auf dem Gargano. 409 Diese Deutung erscheint angesichts der schlechten Überliefungssituation jedoch allzu gewagt. Um 1100 wurde die GarganoLegende in einer Miniatur einer Handschrift dargestellt, die neueren Ergebnissen zufolge wohl für die Michaelskirche bei Toul bestimmt war (Abb. 42). Sie zeigt den Herdenbesitzer Garganus, der mit einem Pfeil auf seinen entlaufenen Stier schießt. Sowohl in der ottonisch-salischen Buchmalerei als auch in der italienischen Kunst des elften Jahrhunderts blieb diese Darstellung ein Einzelfall. Erst aus dem dreizehnten Jahrhundert haben sich weitere Illustrationen der Gargano- Legende erhalten, so zuerst auf einem Antependium in Barcelona (Abb. 44). 410 Die Legenden anderer Michaelsheiligtümer wie etwa 409 Es zeigt Teile einen Stiers und wird grob auf 10.-12. Jh. datiert. Abb.: Otranto/ Carletti 1990, Abb. 3. 410 Vgl. zu den apulischen Fragmenten: Otranto 1985 a; ders., in: Otranto/Carletti 1990, bes. S. 13-19; zum Liller Evangelistar: Fuchs/ Kuder 1998 (mit der älteren Literatur). Zu späteren Darstellungen: Belli d'Elia 1994.

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die des Mont Saint-Michel scheinen im Mittelalter überhaupt keine Bilder angeregt zu haben. Die für die Geschichte der abendländischen Michaelsverehrung höchst bedeutsame Garganolegende, der wohl im späten achten oder frühen neunten Jahrhundert niedergeschriebene Liber de apparitione Sancti Michaelis in monte Gargano (im Folgenden Apparitio genannt), berichtet von drei Erscheinungen des Erzengels Michael, die den Anstoß für die Gründung des Michaelsheiligtums Monte S. Angelo auf dem Gargano in Apulien gaben und seine Vorrangstellung in Europa begründeten. 411 DieApparitio schildert auch, was ebenso wichtig ist, das Aussehen der dortigen Höhlenkirche (Abb. 45; 46). Folgendes soll sich zugetragen haben: Ein reicher Mann namens Garganus aus der Stadt Siponto in Apulien vermißt einen Stier aus seiner Herde. Nach langem Suchen findet er ihn auf dem Gipfel des nahegelegenen Berges vor dem Eingang einer Höhle. Als er erzürnt einen Pfeil auf das Tier abschießt, wendet dieser sich im Flug um und trifft den Schützen selbst. Die aufgrund des rätselhaften Vorfalls bestürzten Einwohner der Stadt wenden sich an ihren Bischof, um zu einer Erklärung zu gelangen. Nach einem allgemeinen dreitägigen Fasten erscheint dem Bischof der Erzengel Michael und erläutert, daß er mit der Abwehr des Pfeiles ein Zeichen ·habe setzen wollen. Der Ort, an den sich der Stier zurückgezogen habe, sei nämlich eine besondere Stelle, die Michael sich als Wohnstatt auf Erden auserwählt habe und die er daher hüten und beschützen wolle. Nach Empfang dieser Botschaft ziehen der Bischof und seine Gemeinde im Gebet zur besagten Höhle, wagen es aber nicht, hineinzugehen. Der Eingang zur Grotte wird von nun ab Ort des regelmäßigen Gebets zu Gott und zu seinem Erzengel Michael. 412 Dieser Stierepisode folgt die Schilderung eines militärischen Sieges unter dem Beistand Michaels: Kurz nach der ersten Selbstoffenbarung des Erzengels in Apulien greifen die noch heidnischen Neapolitaner die Städte Siponto und Benevent an. Wieder ordnet ein Bischof von Siponto ein dreitägiges Fasten an und bittet Michael um Hilfe. In der dritten Nacht erscheint der Schutzengel der Sipontiner dem Bischof und verspricht ihm den Sieg. Während des Kampfes am folgenden Tag bebt der Berg Garganus, ist von Dunkelheit umgeben und sendet Blitze gegen die Feinde aus, durch welche die meisten von ihnen um411 MGH SS rer. Lang., S. 540-543; vgl. auch den Überblick in BHL II, 1900/0 1, S. 868f., Nr. 5947-56. Eine verlorene Urfassung des sechsten oder siebten Jahrhunderts schlagen vor: Angelillis 1956, S. 15 und auf ihn Bezug nehmend Antonio Quacquarelli, in: Atti 1980, S. 207-239, bes . 228-237, sowie Pasquale Testini, in: Vetera Christianorum 2 (1965), S. 183-193, bes. 185. Inzwischen maßgeblich für die Datierung und Textgeschichte: Otranto 1981, S. 15-17 und 1983, S. 235, 238f. 412 Apparitio 2, S. 541 f.

H eiligenkarriere eines Engels

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kommen. Die überlebenden beugen sich der Macht des Erzengels und bekehren sich zum Christentum. Als die Sipontiner nach diesem glücklichen Sieg zur Grotte Michaels ziehen, finden sie im Stein vor dem nördlichen Eingang zwei menschliche Fußspuren vor, durch die ihnen der Erzengel seine physische Präsenz anzeigt. Sie werden später durch einen Altar überbaut und geben dem Kirchenraum seinen Namen: apodonia. 413 An diesen Sieg schließt sich in der dritten Episode eine wunderbare Kirchweihe an: Die Einwohner von Siponto ziehen nach gewonnener Schlacht aus Dankbarkeit zur Höhle des Erzengels Michael, wagen es aber weiterhin nicht, einzutreten oder gar eine Weihe vorzunehmen. Zunächst bauen sie in der Nähe eine Petruskirche mit Altären für die Jungfrau Maria und Johannes den Täufer. D a sie aber vor allem den Erzengel ehren wollen, schickt ihr Bischof Boten zum Papst, um ihn um Rat zu fragen. Bei dem Kirchenoberhaupt handelt es sich um Sylvester I., der sich gerade im Exil auf dem Monte Soracte befindet. Er empfiehlt den Boten, am Jahrestag des Sieges zum Erzengel zu beten, um dessen Wünsche zu erfahren. Tatsächlich erscheint Michael dem Bischof nach einem dreitägigen Beten und Fasten und teilt ihm mit, daß es nicht Aufgabe der Menschen sei, ihm diesen Ort zu weihen. Er selbst habe in der Höhle bereits eine Kirche gebaut und sie für den Gottesdienst vorbereitet. Das Volk solle den Engel endgültig als seinen Schutzpatron annehmen und am nächsten Tag in die ·neue Kirche einziehen. Der Bischof wird aufgefordert, eine Messe zu feiern, den Rest aber dem Schutzherrn des Ortes zu überlassen. Am Folgetag ziehen Bischof und Gemeinde von Osten her zur Grottenkirche und treten durch einen Eingang im Süden ein. Sie entdecken einen langen Gang, der sich in Richtung Norden erstreckt und dort endet, wo sich die Fußspuren Michaels befinden. In der Mitte des Ganges erblicken sie eine nach Osten gerichtete Kirche, die man über Treppenstufen erreicht. An ihrer Südwand finden sie einen Altar vor, der mit einem roten Tuch (pallium) geschmückt ist. Es sollte später zur wichtigsten Reliquie des Erzengels werden. Überall ragen Felsvorsprünge in den kryptenartigen Raum, der, wie es heißt, etwa 500 Menschen faßt. Nicht nur sind seine Seitenwände völlig unregelmäßig, sondern auch die Decke ist so unterschiedlich hoch, daß man an mancher Stelle mit dem Kopf anstößt, sie an anderer aber kaum mit ausgestreckter Hand berühren kann. Wie der Verfasser der Legende nun vermutet, wolle der Erzengel Michael in dieser nicht von Menschenhand geschaffenen Höhle lehren, daß es Gott nicht auf den Schmuck der Steine ankomme, sondern auf die Reinheit des Herzens. 41 4 Diese Aussage wird uns noch beschäftigen. Nach 413 Vgl. zu diesem Legendenmo tiv Kötting 1988, I, S. 34-39. 414 Apparitio 5, S. 543: [. .. } docente archangelo D omini, non ornatus lapidum, sed cordis quaerere et diligere puritatem.

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Das erste]ahrtausend

einer ersten Dankesmesse vor dem Hauptaltar setzt der Bischof Priester ein, die von da ab täglich einen Gottesdienst in der Höhle feiern, den Ort aber niemals nachts zu betreten wagen. In einem gläsernen, an einer silbernen Kette hängenden Gefäß sammeln sie das in der Nähe des Hauptaltares aus dem Felsen herabtropfende wundertätige Wasser (stilla), zu dem sich die Gläubigen fortan am Ende jeder Eucharistiefeier begeben und das - besonders am Jahrestag der wunderbaren Kirchweihe - gegen Fiebererkrankungen helfen soll. Die Legende schließt mit einem leicht abgewandelten Zitat aus Hebr 1, 14: sunt administratori spiritus in ministerium missi propter eos qui hereditatem capient salutis. 415 Wolfgang Rintelen und John Arnold haben den Weg der „Legendenwanderung von Ost nach West" verfolgt und nachgewiesen, daß die Erzählung von Michaels Apparitio auf dem Gargano unter Kenntnis der oben besprochenen Chonae-Legende entstanden sein muß. Darauf weisen Motive wie das Selbsterwählen und die Verteidigung eines Ortes durch den Engel hin, der Einsatz von Naturgewalten, die wundertätige Quelle, der Sündenerlaß für die Hüter der Kirche (in der Gargano-Legende eine spätere Zutat) und die Selbstvorstellung Michaels mittels einer Abwandlung der Worte, mit denen im Neuen Testament Gabriel Zacharias anredet, um 'ihm die Geburt seines Sohnes Johannes zu verkünden (Lk 1,19): Ego enim sum Michael Archangelus, qui in conspectu domini semper assisto. 416 Dem ist hinzuzufügen, daß das Motiv der Selbstweihe ein geradezu notwendiges Element der Gründungslegende einer Michaelskirche darstellt. Es ist als Reaktion auf die bis ins hohe Mittelalter wirksame Kritik der Kirchenväter an einer übertriebenen, der Adoration Christi Konkurrenz machenden Verehrung der Engel zu betrachten und stellt insofern eine geschickte Rechtfertigungstrategie dar: Wenn Michael vom Himmel herabsteigt, um sich selbst eine Kirche zu weihen, kann denen, die ihn dort verehren, nicht der Vorwurf eines unerwünschten Kultes oder einer falschen Patrozinienwahl gemacht werden. Darüber hinaus enthält die Apparitio zahlreiche ortsspezifische Elemente, in denen die Geschichte Süditaliens im frühen Mittelalter verarbeitet ist, Giorgio Otranto hat die drei Episoden der Gargano-Legende auf verschiedene Phasen der Christianisierung und der anschließenden politischen Entwicklung Süditaliens bezogen. Die erste Episode, die der Legende nach im Jahr 490 stattfand, bringt er in Verbindung mit der christlichen Umwidmung paganer Kultorte im Zuge der Ausbreitung des Christentums im fünften und 415 Apparitio 6, S, 543, 416 Lk 1,19: Ego sum Gabriel, qui asto ante deum; ähnlich Mt 18,10, VgL dazu Rintelen 1968, S. 53 f.

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sechstenJahrhundert. 417 Der reiche Herdenbesitzer Garganus, der durch seinen eigenen Pfeil getötet wird, könnte für antike Gottheiten bzw. Heroen wie Diomedes, Kalchas oder Podaleirios stehen, die vor der Christianisierung in Apulien verehrt, durch die Erscheinung des Erzengels aber endgültig von der Halbinsel vertrieben wurden.418 Otranto diskutiert die widersprüchlichen Angaben zum Gründungsjahr der Kirche S. Angela in der Apparitio, im Liber pontificalis und in der Vita des Sipontiner Bischofs Laurentius und kommt mit Blick auf die Nachbardiözesen zu dem Ergebnis, daß das Michaelsheiligtum auf dem Gargano in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts entstanden sein dürfte. 419 Da Süditalien bis ins siebte Jahrhundert von Konstantinopel aus regiert wurde, bestand ein reger kirchlicher Kontakt mit der Hauptstadt, durch den die Verehrung für den Erzengel Michael nach Apulien vermittelt werden konnte. Dafür sprechen neben historischen Gründen die schon erwähnten Parallelen in den Gründungslegenden der Michaelsheiligtümer in Chonae und auf dem Gargano, die ähnliche Situierung der Heiligtümer in Anaplus und auf dem Gargano sowie die Übereinstimmung religiöser Praktiken (etwa der Infusio) in Chonae, Anaplus und auf Monte S. Angelo. 420 Auch der Sachbefund stimmt annähernd mit diesen Vermutungen überein: Die frühesten nachweisbaren Reste eines Kirchengebäudes in Monte S. Angela werden ins frühe sechste Jahrhundert datiert. 421 Ebenfalls aus dem sechsten Jahrhundert stammt der erste Bericht einer Pilgerfahrt zum Monte Gargano: Die junge Byzantinerin Arthellaida, mit dem Schiff in Siponto gelandet, besteigt den Michaelsberg, um im dortigen Grottenheiligtum zu beten und hinterlegt anschließend auf dem Altar die stolze Summe von dreißig Denaren. 422 In der zweiten Episode dürften die Ereignisse der Jahre um 650 verarbeitet sein. In dieser Zeit beendeten die Langobarden des Herzogtums Benevent unter Grimoald I. (647-671) die byzantinische Vormacht in Süditalien und bezogen die Diözese Siponto in ihr Herrschaftsgebiet mit ein. Bis zur byzantinischen Rückeroberung unter Basileios I. (867-886) war Siponto dem lango-

417 Otranto 1983, S. 217. Gemäß der Legenda Aurea (Ed. Maggioni, S. 987) fand das Ereignis bereits 390 statt. Vgl. neben den zahlreichen Aufsätzen Otrantos zur Gründungslegende auch Bronzini 1991 b, S. 320-325. 418 Vgl. auch Bronzini 1968, bes. S. 89f., 94; Lassandro 1983, S. 199-209. 419 Otranto 1983, S. 237-240. 420 Vgl. Rintelen 1968, S. 15; Otranto 1983, S. 243 f. 421 Nicola Quitadamo, Note su recenti scavi archeologichi, in: Angelillis 1956, S. 373-391; Antonio Quacqarelli, Gli Apocrifi nei riflessi di un graffito del Calvario e il ,Liber de Apparitione', in: Atti 1980, S. 209-239. 422 Vita S. Arthellaidis virginis, AASS Mart. I, S. 262.

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bardischen Erzbistum Benevent unterstellt. Es ist durchaus möglich, daß eine der entscheidenden Schlachten bei Siponto am Fuße des Gargano stattfand, so wie es die Legende von der Apparitio berichtet. 423 Die „Angreifer" waren allerdings keine heidnischen Neapolitaner, sondern christliche Byzantiner. Wie auch immer es zum Sieg der Sipontiner und Beneventaner über die Byzantiner gekommen sein mag: Herzog Grimoald scheint es verstanden zu haben, sich als Auserwählter in der Nachfolge Daniels oder Josuas und sein Langobardenvolk als Nachfolger des Gottesvolkes Israel darzustellen, dem der Erzengel höchstselbst zum Erfolg verholfen hat. Zum ersten Mal im westlichen Europa ist hier eine politische Instrumentalisierung der biblischen Michaelstradition greifbar und damit im Grunde auch zum ersten Mal das Interesse an dem Erzengel als Heiligem. 424 Mit dieser Vermittlung des Bewußtseins einer gemeinsamen Auserwähltheit und mit der „Erschaffung" eines eigenen Nationalheiligen schuf sich G rimoald I. ein wirksames, die verschiedenen langobardischen Glaubens- und regionalen Gruppen einigendes Regierungsinstrument.425 Seine wichtigsten Maßnahmen in diesem Zusammenhang waren die Gründung zahlreicher Michaelskirchen in Süditalien und vor allem die Weihe der langobardischen Krönungskirche in Pavia zu Ehren des Erzengels. Nach Grimoalds I. Besteigung des Thrones in diese!' Kirche 662 breitete sich der Michaelskult auch im Norden des Herrschaftsgebiets unter arianischen wie unter katholischen Langobarden aus und wurde zur gemeinsamen Angelegenheit des heterogenen Volkes. 426 Daß die Langobarden ein besonderes Interesse an dem Erzengel hatten, weil seine Eigenschaften als Kriegsherr und Seelengeleiter denen des germanischen Gottes Wotan entsprachen, kann angenommen, aber nicht bewiesen werden.427 Grimoalds Nachfolger jedenfalls weiteten die Rolle Michaels als Schutzpatron ihres Königtums weiter aus: Perctarit (671-688), zum Zeitpunkt 423 Apparitio 3, S. 542 . D ort werden das Ereignis in das Jahr 492 und die fo lgende Episode in das Jahr 493 datiert. Davon abweichend: Paulus Diaconus: Historia Langobardorum IV, 46, MGH SS rer. Lang., S. 135. 424 Zur Michaelsverehrung der byzantinischen Kaiser vgl.: Rohland 1977; Waha 1979; Schreiner 1994, S. 372-377, ferner Kap . C.III.2. 425 Vgl. Gothein 1886, S. 76-82 und Gian Piero Bognetti, I „Loca Sanctorum" e la storia della chiesa nel regno dei Longobardi, in: L'eta longobarda, Mailand 1967, III, S. 305-345, hier 334f. 426 Vgl. Otranto 1985 b, S. 166 f. (174f.); Kat. Cividale del Friuli 1990, Kat. VI.24, VI.28, VI.30, VI.40 und VI.44; Kat. Brescia 2000, S. 200. Zu S. Michele in Pavia vgl. Peroni 1967; Mario Bruccoli, II S. Michele di Pavia, in: Convegno 1966, S. 419-426. Bereits 628 soll die mit Königin Theodolinde in Verbindung gebrachte Michaelskirche in Monza eingeweiht worden sein, die 1128 als Krönungskirche fungierte. Vgl. Krüger 1971, S. 359. 427 Vgl. etwa Wiegand 1886, S. 28-31 oder als Vertreter der neueren Forschung Otranto 1991, S. 198 und Bronzini 1991 b, S. 301.

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von Grimoalds Tod nicht in Italien anwesend, eilte der Historia Langobardorum (790-799) des Paulus Diaconus zufolge auf Geheiß eines Engels herbei, um den Thron von Pavia zu erobern, umgab sich also wiederum mit dem Mysterium der Auserwähltheit. 428 Im folgenden verliehen mehrere Langobardenherrscher ihrer besonderen Beziehung zu Michael dadurch sinnfälligen Ausdruck, daß sie mit der Tradition langobardischer Münzprägung brachen und das Bildnis des Erzengels auf ihre Münzen brachten: Erstmals unter Cunicpert (688-700) und fast identisch auch auf den Münzen von Aripert II. (701-712) und Liutprand II. (712-744), 429 ferner auf denen von Desiderius (757-774) und Grimoald IV. (806-817) ist die bis dahin übliche Darstellung der Victoria auf dem Avers ersetzt durch eine geflügelte Profilfigur mit Stab und Schild und der Beischrift SCS MIHAHIL (Abb. 4) 430 . Auf dieses Münzbild - oder auf Heeresbanner mit dem Bild des Engels - dürfte sich die von Paulus Diaconus geschilderte Michaelsvision des aufständischen Herzogs Alahis von Trient beziehen: Dieser soll es in der Schlacht von Coronate (688) nicht gewagt haben, im Zweikampf gegen Cunicpert anzutreten, weil er plötzlich zwischen den Lanzen des königlichen Heeres das Bild des Erzengels zu erblicken glaubte, auf das er seinem Herrn einmal die Treue geschworen hatte.431 König Cunicpert setzte das Bild des Erzengels demnach als Schwurzeichen ein und erhob Michael auch auf diesem Wege zur „Integrationsfigur für die Gens Langobardorum. " 43 2 In der langobardischen Historiographie werden nicht nur die Eroberung des Monte S. Angelo durch Grimoald und Cunicperts Sieg über den rebellischen Alahis der Unterstützung Michaels zugeschrieben, sondern auch die Einnahme ganz Unteritaliens. 433 Übrigens ermöglichten die Langobarden den Zugang zum Michaelsheiligtum auf dem Gargano für Pilger wohl zu allen Zeiten, egal, wie sich die Herrschaftsverhältnisse in Süditalien auch immer verschoben: Dies belegt etwa der 836 zwischen dem Langobardenfürsten Sicardus und den verfeindeten Neapolitanern geschlossene Vertrag, in dem die Gewährung dieses Rechts in einem eigenen Absatz festgehalten wird. 434 428 Historia Langobardorum V,33, MGH SS rer. Lang., S. 155. 429 Vgl. hierzu Kat. Cividale de! Friuli 1990, S. 168, Kat. IV.22 a-c. 430 Vgl. Jarnut 1994, S. 285f. Auf einer Prägung des Grafen Sico (8 17-832) aus Benevent erscheint der Erzengel frontal und mit Stab und Globus in den Händen. Abb. : Kat. Cividale de! Friuli 1990, S. 174, Kat. IV.41; Bussagli 1991 a, S. 638. 43 1 Historia Langobardorum V,41 , MGH SS rer. Lang., S. 160 f. Die Ansicht, daß Paulus Diaconus hier auf Michaelsfahnen anspielt, die unter den Langobarden in Gebrauch gewesen seien, wird häufig in der älteren Forschung vertreten. Vgl. hierzu Kap. C.III.2. 432 Jarnut 1994, S. 285; Otranto 1985 b, S. 174f. (183f.). 433 Chronica sancti Benedicti Casinensis 2, MGH SS rer. Lang., S. 467-489, hier 469. 434 MGH LL 4, 222.

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Die dritte Episode der Gründungslegende vom Michaelsheiligtum auf dem Gargano, in der die angeblich 493 stattgefundene wunderbare Weihe der Grotte durch den Erzengel geschildert wird, verarbeitet den Ausbau der Höhlenkirche zum Nationalheiligtum der Langobarden und zum vielbesuchten Pilgerzentrum: Daß die Grottenkirche sich im frühen Mittelalter zum Ziel zahlreicher Gläubiger auch von weither entwickelt hatte, belegen eine Nachricht Leos von Ostia, der den Besuch einer angelsächsischen Pilgergruppe zwischen 774 und 788 erwähnt, 435 und vor allem der reiche Bestand von etwa 200 frühmittelalterlichen Inschriften, darunter solche in Runen, die sich im Inneren der Höhle erhalten haben. Unter den seit Jahren intensiv erforschten Namenszügen befinden sich auch die des Langobardenherzogs Romuald II. von Benevent (706-731 /32) und seiner Frau Gumperga und darüberhinaus Hinweise auf Spenden mehrerer Langobardenherzöge für den Ausbau der Kirchenanlage.436 Von besonderem Interesse ist die möglicherweise von Paulus Diaconus verfaßte Grabinschrift von Ansa (756-774), der Ehefrau des letzten Langobardenkönigs Desiderius: Die Verstorbene, die mit großer Wahrscheinlichkeit selbst den Gargano besucht hatte, wird dafür gerühmt, daß sie sich um die Si~herheit des Pilgerweges zum Gargano bemüht und dort eine überdachte Unterkunft habe bauen lassen: Securus iam carpe viam;peregrinus ab oris / Occiduis quisquis venerandi culmina Petri / Garganiamque petis rupem venerabilis antri. / H uius ab auxilio totus non tela latronis, / frigora vel nimbos furva sub nocte time bis:/ Ampla simul nam tecta tibi pastumque paravit [. ..j. 437 Die Apparitio zählt bei der Beschreibung des Heiligtums neben dem von Michael geweihten Altar (drei Altäre gemäß einer anderen Version) und einer langen Vorhalle auch mehrere Elemente auf, die zwischen dem siebten und dem neunten Jahrhundert entstanden sein dürften - auch dies ist ein wenn gleich vager Hinweis auf die Abfassungszeit der Legende. Ein gewichtiges Argument für die Niederschrift der Apparitio im späten achten oder frühen neunten Jahrhundert liefert ihre offensichtlich prolangobardische und fast aggressiv antibyzantinische Ausrichtung, die sich durch die byzantinischen Angriffe auf Süditalien erklären ließe, die schließlich zur Rückeroberung im späten neunten Jahrhundert führten. 438 Die ins zehnte oder elfte Jahrhundert zu datierenden griechischen Versionen der Apparitio können entsprechend 435 Chronica monasterii Casinensis Leonis Marsicani et Petri Diaconi, MGH SS 7, S. 59. 436 Vgl. hierzu die Beiträge von C. Carletti, G. Otranto und M. G. Arcamone in den Sammelbänden Atti 1980, Otranto/ Carletti 1990 und Atti 1994. 437 MGH SS rer. Lang., S. 192. Vgl. hierzu Bertelli 1995, S. 541f. Weis 1977, S. 20, bezieht die Inschrift auf den Ausbau von Ansas Grablege S. Salvatore in Brescia zum Hospiz für die Pilger nach Rom und zum Monte Gargano. 438 Otranto 1988.

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als „Gegenlegenden" gelesen werden: Wie Armando Petrucci und Alessandro Leanza gezeigt haben, fließen hier pro byzantinische Elemente ein, durch die der Michaelskult wieder stärker auf Byzanz zurückgeführt werden soll. 439 Monte S. Angela und das nahegelegene Siponto unterstanden kirchenrechtlich bis auf eine kurze Phase der Selbständigkeit fast das ganze Mittelalter hindurch der Diözese Benevent, deren Oberhäupter sich ihre Rechte immer wieder neu verbriefen ließen. So unterzeichnete Papst Johannes XIII. im Beisein Kaiser Ottos I. anläßlich der Synode von Rom im Jahr 969 ein Dokument für den Bischof von Benevent, welches diesem unter anderem das Privileg einräumte, an den beiden Michaelstagen im Mai und im September das Pallium zu tragen, ferner bestätigte der Papst dem Bischof dessen Zuständigkeit für die Kirche S. Michele auf dem Monte Gargano und das nahegelegene Siponto. 440 Im zehnten und elften Jahrhundert erlebte Süditalien eine Schreckensperiode mit ständig neu aufflammenden Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im Land, die schließlich zum endgültigen Untergang der byzantinischen Regierungsgewalt und zur Eroberung durch die Normannen um 1040 führte. 441 Gleichzeitig erfuhr die Wallfahrt auf den Gargano ihren absoluten Höhepunkt. Im ausgehenden zehnten und im ganzen elften] ahrhundert suchten vor allem zahlreiche Geistliche die Grottenkirche S. Angela auf. Das Phänomen einer gesteigerten Aufmerksamkeit für den Erzengel Michael um die J ahrtausendwende wird unten noch genauer untersucht. Materielle Zeugnisse des frühen Reichtums der Kirche haben sich wegen der wiederholten Plünderungen durch die Sarazenen im neunten und zehnten Jahrhundert und aufgrund der zahlreichen späteren Veränderungen allerdings nicht erhalten. 442

2. Erfolg und Folgen Wie schnell die Kenntnis der Gargano-Legende sich in ganz Europa verbreitete, zeigen nicht nur die erwähnten Inschriften und Berichte der Pilger, sondern auch die breite Rezeption der Gründungslegende. Notker Balbulus von St. Gallen konnte deshalb um 896 die knappe Wiedergabe der Gargano439 Petrucci 1955; Leanza 1985; ders., Altre due versioni greche inedite dell' Apparitio Sancti Michaelis in Monte Gargano, in: Atti 1994, S. 85-93 . Vgl. auch Bronzini 1990, S. 114; Campione 1992, S. 169-213. 440 Giovanni Spinelli, II papato e la riorganizzazione ecclesiastica della Longobardia meridionale, in: Convegno 1996, S. 19-42, hier 33-35. 441 Vgl. Gay 1904, bes. 197f.; Petrucci 1963, S. 171-173. 442 Von einer Plünderung 869 berichten die Annales Bertiniani, MGH SS rer. Germ. 5, S. 106.

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Legende in seinem Martyrologium mit dem Hinweis versehen, daß man die zahlreichen Wunder, die der Erzengel in Apulien vollbracht habe, ja in mehreren (anderen) Codices nachlesen könne: Qualiter autem civibus per sanctum archangelum coelestibus ostensis miraculis, victoria de hostibus collata sit, atque de ejusdem loci situ miraculorumque ibidem ostensorum numerositate, in plerisque codicibus scriptum reperies. 443 Dabei spielt ein bemerkenswertes Element der Gründungslegende eine Rolle, das dem Monte Gargano eine geradezu einzigartige Bedeutung verleiht. Gemeint ist der schon erwähnte Hinweis des Autors, daß es sich bei der dortigen Stätte S. Angela nicht um eine Kirche handle, die sich durch architektonische Raffinessen oder ihre prachtvolle Ausstattung auszeichne, sondern im Gegenteil durch ihre einfache Baugestalt (vili facta scemate). Ihre Vorzüge seien die Wunder, derer Michael den Ort für würdig befunden habe. Der Erzengel habe sich selbst auf der Spitze eines hohen Berges eine Höhle erwählt und mit eigener Hand geweiht, damit die Menschen eine Stätte hätten, an der sie mit den himmlischen Wesen kommunizieren könnten: Quae non metallorum fu lgore, sed privilegio commendata signorum, vili facta scemate, sed celesti predita virtute, utpote quam fragilitatis humanae memor archangelus e celo veniens ad promerendam ibi mortalibus supernorum societatem propria manu condere dignatus est. Vertice siquidem montis excelsi posita, de corpore eiusdem saxi speluncae instar precavata ostenditur.

Die Beschreibung eines faszinierenden Ortes, nämlich einer riesigen Höhle auf dem Gipfel eines 800 Meter hohen Berges in Meeresnähe, und die Geschichte seiner Auserwählung durch eine Himmelsmacht scheint die mittelalterlichen Leser und Hörer der Legende ebenso beeindruckt zu haben wie die ostentative Schlichtheit des Kirchenraumes. Mehrere frühe Rezipienten der GarganoLegende übernehmen diesen Hinweis (vili facta scemate) neben dem auf die Höhenlage (vertice montis excelsi posita) und die Grottengestalt (de corpore eiusdem saxi speluncae instar precavata) der Kirche im Wortlaut. Er findet sich in den Martyrologien Bedas, 444 U suards von St-Germain-des-Pres (t um 875), das die Grundlage für das Martyrologium Romanum bildete, 445 Ados von

443 PL 131, Sp. 1155. Hinweise auf mehrere St. Gallener Codices des 9. Jh., in denen die Gargano-Legende verzeichnet ist, bei Müller 1971, S. 400. 444 PL 94, Sp. 1057, Eintrag zum 29. September: I n monte Gargano [... } ecclesia, vili facta schemate, sed coelesti praedita virtute. Vgl. Quentin 1908, S. 54. 445 Martyrologium Usuardi, S. 311 (gleichlautend mit dem Eintrag bei Beda). In der aktuellen deutschen Übersetzung des Martyrologium Romanum (S. 251 f.): ,,Am heutigen Tag wurde hier [auf dem Berg Gargano] unter seinem Namen eine Kirche geweiht, die zwar einfacher Bauart ist, durch Gnadenerweise jedoch andere überragt."

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Vienne (t 875) 446 und in einer Homilie des sogenannten Pseudo-Isidor. 447 Anscheinend war die Formulierung vili facta scemat(a)e im Zusammenhang mit dem Michaelspatrozinium so geläufig, daß sie noch um 1060 in einer Baubeschreibung der Michaelskapelle von Saint-Benigne in Dijon (1001-16) auftaucht und wenige Jahre später in den Annalen des Klosters Weißenburg. 448 Das Bedürfnis, in der in vielen Schriften so suggestiv beschriebenen hochgelegenen Grotte auf dem Gargano persönlich mit dem Erzengel Kontakt aufzunehmen, führte nicht nur zu zahlreichen Pilgerfahrten, sondern auch zu baulichen Nachbildungen der Höhlenkirche, bei denen möglichst viele, oft aber auch nur einzelne ihrer Charakteristika übernommen wurden. 449 In den Gründungslegenden zu diesen Michaelskirchen haben mehrere Elemente der Apparitio ihren Niederschlag gefunden: Das Motiv des Stieres taucht in der Entstehungsgeschichte zum Mont Saint-Michel wieder auf, ebenso die mehrmalige Erscheinung Michaels, seine eigene Wahl und Weihe eines Ortes, dessen Höhenlage, die grottenartige Gestalt der Kirche und das heilspendende Wasser. Einen besonderen Bezug auf das Hauptheiligtum auf dem Gargano stellen die Reliquien dar, Teile vom Altartuch, das Michael dort hinterlassen haben soll, und Steinbrocken, die für die Weihe der normannischen Michaelskirche eigens aus Apulien herbeigeholt werden. Andere Gründungslegenden wiederholen den Hinweis auf Höhenlage, wundertätige Quellen oder Höhlengestalteiner Michaelskirche oder das Verbot, sie nachts zu betreten.450 Bereits im fünften Jahrhundert regte die apulische Michaelsgrotte mehrere Nachfolgebauten auf italienischem Boden an, über deren Baugestalt wir freilich wenig wissen: Zur Zeit des Papstes Gelasius (t 496) sollen in den Orten Larino und Potenza Michaelskirchen errichtet worden sein, weitere nicht näher lokalisierbare Bauten sind für Kalabrien und Molise belegt, zudem eine unterirdische Engelskirche in einer frühchristlichen Katakombe in Palermo. 451 Auch

446 PL 123, Sp. 368. Wiederum gleichlautend. 447 PL 95, Sp. 1522-1524, hier 1524: [. .. ] praeruptis et saepius eminentibus asperata scopulis, culmine quoque diversae altitudinis, quod hie vertice tangi, alibi manu vix possit attingi, credo docente archangelo, Deum non ornatum lapidum, sed cordis quaerere et diligere puritatem. 448 Chronik von St. Benigne, abgedruckt bei Sehlink 1978, S. 172-176, hier 174. Zu Weißenburg: Lehmann-Brockhaus: Schriftquellen, Nr. 1524: Anno[. .. } 1075 [. .. ] monasterium s. Michaelis[. .. ] non vili factum scemate gloriosissime construxit. 449 Vgl. Giovanni Vitolo, L'organizzazione della cura d'anime nell'Italia meridionale longobarda, in: Convegno 1996, S. 101-148, bes. 108f. 450 Vgl. Pierre-Andre Sigal, Reliques, pelerinage et miracles dans l'eglise medievale (XI,~,,1w. fy.erurrt .wJ......,.,u...,f--n..m:·Y"'~•~ '~J.,.,,...-C ~--~ - • (itn..e- 6c.n:.u/.l.....,....rcr~ ~ . - . :

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Abb. 29: Ludwig IV. Ultramarinus (t 954) und König Hugo der Große (t 956), Randzeichnung ebd., fol. 96r

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Abb. 30: Southwell, Türsturz, um 1100

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Abb. 85: Christus und Michael im Crowland-Psalter, M. 11.Jh. O xford, Bodleian Library, Ms. Douce 296, fo l. 40r und 40v

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Abb. 86a, b: Christus und Michael auf einer Elfenbeinkrümme, wohl Winchester, M. 12. Jh. London, Victoria & Albert Museum, Inv. Nr. 371-1871

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Abbildungen

Abb. 87: Michaels Drachenkampf (links) auf einem Kapitell der Vorhalle von St. Benoitsur-Loire, 1020- 35 oder 1040-60

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Abb. 88: Michael auf einem Relief der Michaelskapelle auf der Hohenzollernburg bei Hechingen, um 1120

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Abb. 89: Michael auf dem Taufbecken in St. Michael in Altenstadt, 12. Jh.

Abbildungen

Abb. 90: Michael auf dem Michaels- und Abrahamsteppich in Halberstadt, um 1150. Halberstadt, Domschatz, lnv.-Nr. 516

Abb. 91 : Michael auf einem spanischen Reliquienkästchen, 1059. Le6n, Real Colegiata de S. Isidoro

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Abb. 92: Bronzetür von S. Angelo auf dem Gargano, Konstantinopel 1076

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• Abb. 93: Umzeichnung der Bronzetür

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Abb. 94: Michael mit dem Drachen an der Bronzetür von S. Zeno in Verona, wohl E. 11. Jh.

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Abb. 95

Abb. 95, 96: Engelsturz und Drachenbesiegung am Kirchenportal von Perrecy-les-Forges (Sa6ne-et-Loire), um 1120

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Abb. 97: Engelsturz und Drachenkampf im Hortus Deliciarum, Odilienberg (Elsaß), ca. 1176-96. Ehemals Straßburg, Bibl. municipale, fol. 3v (1870 verbrannt)

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Abb. 98: _Die Waage in der Hand des Guten, der sein Geld an Arme gibt, Illustration zu Ps. · M s. 32 , foL 8r 15 1m Utrecht-Psalter, Reims, um 820-835. Utrecht , BibL der Rii'k sumv.,

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Abb. 99: Seelenwägung, Kapitell aus St.-Martin zu Saujon (Charente-Maritime), um 1130-60. Ebd., St.-Jean

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Abb. 100: Michael als Seelenretter auf dem nordwestlichen Vierungspfeiler von S. Michele Maggiore in Pavia, um 1120-30

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Abb. 101: Michael als Kirchenpatron über dem Hauptportal ebd.

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Abb. 102: S. Angelo in Perugia

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Abb. 103: Triumph der Mönchstugenden in der Bamberger Apokalypse, Reichenau um 1000. Bamberg, Staatsbibl., Msc. Bibl. 140, fol. 60r

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Abb. 104: Die Zeugen und da~ Tier aus dem Abgrund, ebd., fol. 27v

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Abb. 105: Traum des Königs Nebukadnezar in den Bamberger Kommentaren, Reichenau um 1000. Bamberg, Staatsbibl., Msc. Bibl. 22, fol. 21 v

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Abb. 106: Christus als Kämpfer in der Exultetrolle aus Benevent, 981-987. Rom, Bibl. Apost. Vat., Cod. lat. 9820, Sez. 2

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Abbildungen

Abb. 107: Christus als Kämpfer in der Exultetrolle aus Gaeta, 2. H. 11. Jh. Ebd., Mus. Diocesano, Exultet 2, Sez. 1c

Abb. 108: Christus als Kämpfer in der Exu!tetrolle in Manchester, Süditalien 10./11. Jh. Manchester, John Rylands Univ. Libr. 2

Abbildungen

Abb. 109: Michael als Assistent Christi, Anastasis auf der Elfenbeinsitula aus Mailand, 967-983. London, Victoria and Albert Museum, lnv. Nr. A 18-1933

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Abb. 110: Michael als Assistent Christi, Anastasis auf dem Buchdeckel des Erzbischofs Aribert von Mailand, vor 1045. Mailand, Domschatz

Abbildungen

493

Abb. 111: Anastasis im Psalter aus Winchester, 1150/60. London, British Libr., Ms. Cotton Nero C.IV, fol. 24r

494

Abbildungen

Abb. 112: Altar in St.-Michel auf dem Mont Saint-Michel mit einem geschauten oder tatsächlich existierenden Standbild des Kirchenpatrons, Chronik des Robert de Torigni (1154-58). Avranches, Bibl. de la Ville d' Avranches, Mss. 210, fol. 25v

Abbildungen

495

Abb. 113: Michaels Drachenkampf, Tympanon vonSt.-Michel, St.-Micheld'Engraygues, 1137

497

Abbildungen

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