Der Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen: Eine Darstellung am Beispiel der Tarifrunde 1978 in der bundesdeutschen Metallindustrie [1 ed.] 9783428455577, 9783428055579

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Der Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen: Eine Darstellung am Beispiel der Tarifrunde 1978 in der bundesdeutschen Metallindustrie [1 ed.]
 9783428455577, 9783428055579

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 72

Der Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen Eine Darstellung am Beispiel der Tarifrunde 1978 in der bundesdeutschen Metallindustrie

Von

Florian Schilling

Duncker & Humblot · Berlin

FLORIAN SCHILLING

Der Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 72

Der Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen E i n e D a r s t e l l u n g am B e i s p i e l d e r T a r i f r u n d e 1978 i n der bundesdeutschen M e t a l l i n d u s t r i e

Von D r . F l o r i a n Schilling

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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schilling, Florian: Der Einigungsprozess bei Tarifverhandlungen: e. Darst. am Beispiel d. Tarifrunde 1978 i n d. bundesdt. Metallindustrie / v o n Florian Schilling. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1984. (Schriften zum Sozial- u n d Arbeitsrecht; Bd. 72) I S B N 3-428-05557-8 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3-428-05557-8

Vorwort Die vorliegende Arbeit, die i m September 1981 abgeschlossen wurde, konnte nur Dank der Hilfe einer Reihe von Personen entstehen. Mein Dank geht dabei zunächst an alle die Teilnehmer von Tarifverhandlungen, die sich, ungeachtet ihrer sonstigen Verpflichtungen die Zeit nahmen, einem „Außenseiter" Rede und A n t w o r t zu stehen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die bereit waren, auch über Vorgänge zu sprechen, die außerhalb der offiziellen Sprachregelung lagen und dam i t erst echte Einblicke ins Verhandlungsgeschehen ermöglichten. Stellvertretend für alle Interviewpartner von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite möchte ich den Verhandlungsführern i n Stuttgart, Heinz Dürr und Franz Steinkühler, sowie den leitenden Repräsentanten ihrer Organisationen, Horst Knapp und Eugen Loderer, herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt auch Dr. Pankraz Breu, dem bayerischen Schlichter, für seine Unterstützung bei der Darstellung der bayerischen Tarifrunde. Prof. Dr. K a r l Brandt gab m i r immer wieder Anregungen und H i n weise für die Durchführung der Arbeit. Frau Annerose Braun leistete m i r große Hilfe bei der Niederschrift des Manuskriptes. Tom Werneck und Dr. Peter Asam stellten m i r die „technische Infrastruktur" zur Verfügung. Ihnen allen bin ich zu Dank verpflichtet. Dies gilt noch mehr für meine Eltern, die m i r diese Arbeit ermöglichten. Florian

Schilling

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung I. Problemstellung

13

I I . Durchführung

14

I I I . Arbeitsmethodik

15

B. Die Entscheidungsträger in den Tarifbewegungen der Metallindustrie der Bundesrepublik Deutschland I. Die Industriegewerkschaft M e t a l l für die Bundesrepublik Deutschland 1. Die Organisationsstruktur der I G M e t a l l

16

a) Darstellung aa) bb) cc) dd) ee) ff) gg) hh)

16

16

Die Vertreterversammlung Die Orts Verwaltung Die Bezirkskonferenz Die Einteilung u n d Leitung der Bezirke Der Vorstand Der Beirat Der Gewerkschaftstag Der Kontrollausschuß

16 16 17 18 18 19 19 20

b) Erläuterung u n d Beurteilung

21

2. Der Willensbildungsprozeß i n der I G M e t a l l

21

a) Darstellung

21

b) Erläuterungen u n d Beurteilungen

24

I I . Die Arbeitgeberverbände der Metallindustrie

25

1. Die Organisationsstrukturen geberverbände

der

metallindustriellen

Arbeit-

a) Darstellung aa) Die Organisationsstruktur des Gesamtverbandes der metallindustriellen Arbeitgeberverbände — Gesamtmetall — α) Die Mitgliederversammlung ß) Der Vorstand γ) Das Präsidium δ) Die Geschäftsführung

25 25

25 25 26 26 27

8

Inhaltsverzeichnis ε) Der Tarifpolitische Ausschuß £) Der Verhandlungskreis η) Weitere Ausschüsse v o n Gesamtmetall

27 28 28

bb) Die Organisationsstruktur des Verbandes der M e t a l l i n d u strie Baden-Württemberg e. V a) Die Mitgliederversammlung ß) Der Vorstand γ) Der engere Vorstand δ) Die Geschäftsführung ε) Der Ausschuß ζ) Der erweiterte Ausschuß (Mitgliederrat)

29 29 30 30 31 31 31

cc) Die Organisationsstruktur des Vereins der bayerischen Metallindustrie 32 α) Die Mitgliederversammlung 32 ß) Der Vorstand 33 γ) Die Geschäftsführung 34

e b d >

Ebd. 259 V g L f r v o m 28. März 1978. 280 Vgl. SZ v o m 28. März 1978. 281 Vgl. Aussperrungsnachrichten Nr. 33 v o m 28. März 1978. 282 Vgl. SZ v o m 29. März 1978.

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

80

nig Hoffnung auf eine rasche Einigung i n den Verhandlungen. Nach wie vor stand i m Mittelpunkt der Kontroverse der Abgruppierungsschutz. I n wesentlichen Punkten war man sich offenbar immer noch nicht näher gekommen. Nach 9-stündigen Beratungen wurden die Verhandlungen auf Mittwoch, den 29. März 1978 vertagt 2 6 3 . Nach V M I - A n gaben befinden sich 198 700 Beschäftigte i m Ausstand 2 6 4 . Von diesem Tag an müssen weitere 15 000 Arbeitnehmer i n Hessen, Bayern, Niedersachsen und Berlin kurzarbeiten* 65 . A m 29. März 1978 werden die Verhandlungen fortgesetzt. Die Gespräche stehen unter dem Eindruck verschärfter Arbeitskampfmaßnahmen, nachdem die I G Metall ihre Schwerpunktstreiks ausgedehnt hat und noch weitere Unternehmen i n den Ausstand einbeziehen w i l l . Die I G Metall hat an diesem Tag 8 Betriebe i m Raum Mannheim und 4 Betriebe i n Ludwigsburg m i t insgesamt 5 000 Arbeitnehmern zusätzlich zum Streik aufgefordert. A m Donnerstag und Freitag sollen 15 weitere Betriebe m i t rund 3 000 organisierten Beschäftigten hinzukommen. Die Kampfmaßnahmen sollen „scheibchenweise" ausgedehnt werden, u m Druck auf die Arbeitgeber auszuüben 266 , „der offenbar notwendig ist, u m Gesamtmetall davon zu überzeugen, daß es an der Zeit für einen Tarifabschluß i s t " 2 6 7 . I n den Verhandlungen selber wurde nach 7-stündigen Beratungen kein nennenswerter Fortschritt erzielt 2 6 8 . Sowohl D ü r r als auch Steinkühler erklärten, daß der Karren immer noch i m Dreck stecke bzw. daß die Verhandlungen stellenweise sehr festgefahren seien 269 . Die Verhandlungen wurden auf Donnerstag, den 30. März 1978, 10 Uhr, vertagt. A m 30. März 1978 stehen i n 107 Betrieben 90 000 Arbeitnehmer i m Streik, 146 000 sind ausgesperrt 279 . I n den Verhandlungen gab es nach Angaben beider Seiten zum ersten M a l seit Tagen größere Bewegung. Der VMI-Vorsitzende meinte, sein Pessimismus sei nicht mehr so groß wie früher, der I G Metall-Bezirksleiter sprach von einer Bereitschaft der Gewerkschaft, „die uns schwer gefallen ist". Offenbar gab es i n den Beratungen „neue Ideen", die jedoch noch keinen Durchbruch bedeuteten 271 . 263

Ebd. Vgl. Der Arbeitskampf '78, S. 11. 265 Vgl. SZ v o m 29. März 1978. 2ββ Vgl. SZ v o m 30. März 1978. 267 Vgl. Aussperrungs-Nachrichten Nr. 35 v o m 30. März 1978. 268 Vgl. SZ v o m 30. März 1978. 2ββ v g l Ausspemmgs-Nachrichten N r . 35 v o m 30. März 1978. 264

270

Vgl. SZ v o m 31. März 1978.

V. Der Arbeitskampf 1978

81

A m selben Tag demonstrierten alle 17 DGB-Einzelgewerkschaften i n 32 Städten m i t über 30 000 Arbeitnehmern gegen die Aussperrung 2 7 2 . Tausende von Arbeitnehmern reichten Einzelklagen gegen die Aussperrung bei den Arbeitsgerichten ein. Nach 13-stündiger Verhandlungsdauer vertagten sich die Tarifpartner auf Freitag. A m 31. März 1978 sind i n insgesamt 22 Verhandlungsrunden bis dah i n über 200 Verhandlungsstunden vergangen. Heinz D ü r r erklärt, i n einem wesentlichen Punkt der Verdienstabsicherung gegen Abgruppierung liege man noch weit auseinander und andere Punkte des Vertragswerkes müßten noch ausdiskutiert werden 2 7 8 . Franz Steinkühler betont, daß beim Formulieren des Vertragswerkes neue Streitpunkte entstanden wären, die nicht zur Lösung des Konfliktes beigetragen hätten 2 7 4 . Die Folgen des Arbeitskampfes greifen i m gesamten Bundesgebiet weiter u m sich. Gesamtmetall erklärt, daß ab der darauffolgenden Woche i n 200 Betrieben mit rund 250 000 Beschäftigten Kurzarbeit eingelegt werden müsse. Die bisherigen Umsatzeinbußen setzt Gesamtmetall auf weit über 1 Milliarde D M 2 7 6 . Wiederum w i r d bis i n die frühen Morgenstunden verhandelt. A m frühen Morgen des 1. A p r i l 1978 gab es die ersten sichtbaren Fortschritte. Heinz D ü r r meinte dazu: „Ich sehe Licht am Ende des Tunnels 2 7 6 ." Auch Franz Steinkühler meinte am Abend des gleichen Tages, daß er „ein gutes Papier" habe 2 7 7 . A m Ende einer 15-stündigen Nachtsitzung gaben dann beide Parteien am Sonntag Morgen zu verstehen, daß eine Vereinbarung über die Absicherung i m wesentlichen ausgehandelt sei 2 7 8 . D ü r r erklärte, der Sicherungsvertrag, für sich betrachtet, könne „ k l a r gehen" 2 7 9 und Steinkühler bestätigte, daß es dabei nichts gebe, was die Verhandlungen noch scheitern lassen könnte 2 8 0 . Auch i n der Frage der prozentualen Lohnerhöhung kam es zu einer Annäherung der Standpunkte 2 8 1 . Die Arbeitgeber erklärten hierzu, sie hätten eine Lohnhürde genommen, und die Gewerkschaften sprachen 271

Ebd. Vgl. Aussperrungs-Nachrichten Nr. 36 v o m 31. März 1978. 273 Vgl. SZ v o m 1. A p r i l 1978. 274 Ebd. 275 Ebd. 276 Vgl. SZ v o m 3. A p r i l 1978. 277 Vgl. FR v o m 3. A p r i l 1978. 278 Vgl. SZ v o m 3. A p r i l 1978. 2 ™ Ebd. 280 Ebd. 281 Ebd. 272

6 Schilling

82

C. Die T a r i f runde 1978 i n der Metallindustrie

i m Hinblick auf die Lohnzahl von einem ernsthaften Angebot, bei dem nur die ultimative Form gerügt wurde 2 8 2 . A m Sonntagabend, dem 2. A p r i l 1978, setzten sich die Parteien schließlich zur letzten Verhandlung zusammen. Morgens u m 6 Uhr steht nach 13-stündigen Verhandlungen der Tarifabschluß 283 . Insgesamt wurde an 25 Verhandlungstagen rund 250 Stunden verhandelt 2 8 4 . 4. Die Einigung im Tarifbezirk Nordwürttemberg-Nordbaden

a) Das Verhandlungsergebnis Die Einigung hatte folgenden Inhalt: 1. 5 °/o mehr L o h n u n d Gehalt, r ü c k w i r k e n d v o m 1. Januar 1978. 2. F ü r die Monate Januar - März w i r d diese Erhöhung pauschal ausgezahlt. 137,— D M pro Monat, d . h . 411,— D M f ü r das I . Quartal erhält jeder Arbeitnehmer. 3. Die unterste Lohngruppe I w i r d auf Lohngruppe I I angehoben. 4. Die Arbeitnehmer werden vor Verdienstminderung bei Abgruppierung i n niedrigere L o h n - u n d Gehaltsgruppen geschützt 2 » 5 . (Absicherungsvertrag s. Anlage)

Beide Verhandlungsführer gaben sichtlich erschöpft die Einigung bekannt. Franz Steinkühler erklärte dazu, es sei das Wichtigste erreicht, nämlich den Unternehmern den finanziellen Anreiz für Abgruppierungen zu nehmen 2 8 6 . M i t dieser sozialstaatlichen Lösung werde die Abgruppierung für den einzelnen Arbeitnehmer ihre Schrecken verlieren. Der Absicherungsvertrag sei eine Leistung, derer sich keine Seite zu schämen brauche 287 . Heinz D ü r r äußerte sich zufrieden darüber, daß man sich auf eine Lohnerhöhung geeinigt habe, die noch einigermaßen i n die Projektion der Bundesregierung passe. Es handele sich u m einen tragfähigen Kompromiß, bei dem die Arbeitgeber an die Grenze des ihnen Möglichen gegangen seien 288 . M i t dem Abgruppierungsschutz hätten die Arbeitgeber i h r Verständnis für die Folgen des technischen Wandels bewiesen. Es sei allerdings nicht einfach gewesen, die bis zum Don282

283 284 285 286 287 288

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Vgl. SZ v o m 4. A p r i l 1978. Vgl. Der Arbeitskampf 78, S. 11. Vgl. SZ v o m 4. A p r i l 1978. Ebd. Vgl. F A Z v o m 4. A p r i l 1978. Vgl. SZ v o m 4. A p r i l 1978.

V. Der Arbeitskampf 1978

83

nerstag vergangener Woche immer wieder vorgebrachten Gewerkschaftsforderungen nach einer kollektiven Lösung, abzuwehren 209 . Beide Seiten vermieden es, eine Umrechnung der Kombination aus prozentualer und pauschaler Zulage auf die gesamte Laufzeit vorzunehmen. Ubereinstimmend erklärten beide, die Belastung werde i n manchen Betrieben über, i n anderen unter 5 % liegen 2 9 9 . b) Die Übertragung

des Verhandlungsergebnisses

Kurz vor 3 Uhr früh fanden am 3. A p r i l 1978 auch noch Spitzenkontakte zwischen Gesamtmetall- und I G Metall-Vorstand statt. Teilnehmer waren: Gesamtmetall-Vorsitzender Dr. Wofram Thiele, Vizepräsident Horst Knapp und Geschäftsführer Dr. Dieter Kirchner auf A r beitgeberseite und 1. I G Met all-Vorsitzender Eugen Loderer, 2. Vorsitzender Hans Mayr und das für Tarifpolitik zuständige Vorstandsmitglied Hans Janßen auf Gewerkschaftsseite 291 . I n diesen Gesprächen wurde die Übertragung des erzielten Verhandlungsergebnisses auf die übrige Metallindustrie behandelt. Die I G Metall-Vertreter erklärten hierzu, daß eine Übertragung nur i n Betracht kommen könne, wenn sie sowohl die Lohnerhöhung als auch den A b sicherungsvertrag umfasse. Gesamtmetall lehnte sowohl die Übertragung des Absicherungsvertrages m i t der Begründung ab, daß eine diesbezügliche Forderung i n den anderen Tarifbezirken wegen ungekündigter Mantel- bzw. Rahmentarifverträge nicht verhandlungsfähig sei 2 9 2 , als auch die Übertragung des Pauschbetrages 293 . Da die I G Metall ihre volle Übertragungsforderung jedoch nicht aufgab, scheiterte an dieser Frage die Übertragung des Ergebnisses 294 . 5. Die Beendigung des Arbeitskampfes

A m 4. A p r i l 1978 fand eine Sitzung der Großen Tarif kommission der I G Metall statt. I n stundenlanger Diskussion 2 9 5 sprachen sich von 12 Rednern 5 gegen die Annahme des Verhandlungsergebnisses aus 2 9 6 . Die Abstimmung ergab folgendes Ergebnis: Von 112 anwesenden Tarifkommissionsmitgliedern stimmten 102 für die Annahme und 10 gegen 289 V

g l >

F A Z v o m 4. A p r i l 1978.

290

Ebd. Vgl. SZ v o m 4. A p r i l 1978. 292 Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 48. 293 v g L F A Z v o m 4. A p r i l 1978. 291

294 295 296

ß*

Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 49 u n d F A Z v o m 4. A p r i l 1978. Vgl. Der Arbeitskampf '78, S. 12. Vgl. Dokumentation 75 - 78, I G M , S. 56.

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

84

die Annahme des Verhandlungsergebnisses 297 . Daraufhin richtete die Große Tarifkommission die Empfehlung an den Vorstand der I G Metall, eine Urabstimmung am 5. und 6. A p r i l 1978 über die Annahme des Ergebnisses durchzuführen 2 9 8 . A m gleichen Abend trafen sich auch Vorstand und Ausschuß des V M I , u m ihrerseits über das Ergebnis abzustimmen. Die Arbeitgeber nahmen es „ m i t Gegenstimmen" an, und hoben, als ihnen das Ergebnis der A b stimmung der Großen Tarifkommission bekannt wurde, die Aussperrung m i t Wirkung vom 5. A p r i l 1978, 0.00 Uhr, auf 2 9 9 . Trotzdem ruhte am Mittwoch, den 5. A p r i l 1978, auch i n den Betrieben, i n denen die Aussperrung aufgehoben wurde, weiter die Arbeit. Nach Darstellung der Arbeitgeber zogen vor dem größten Teil der betreffenden Unternehmen Streikposten auf 3 0 0 . Die Arbeitgeber erklärten hierzu, daß durch diese „Eskalation des Streiks" der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der M i t t e l durch die I G Metall verletzt werde 3 0 1 . Die I G Metall bestritt diese Darstellung und meinte, daß ein Teil der ausgesperrten Arbeitnehmer wohl noch nicht durch Rundfunk und Fernsehen von der Beendigung der Maßnahme erfahren hätte 3 0 2 , der größere Teil warte darauf, von den Arbeitgebern brieflich ebenso wieder „eingeladen" zu werden wie sie vor 2 1/2 Wochen bei Beginn der Aussperrung „rausgeschmissen" worden seien 303 . Die Zahl der Streikenden belief sich an diesem Tag auf 189 500 i n 113 Betrieben 3 0 4 . Auch am 6. A p r i l 1978 kehren nur wenige Arbeitnehmer an den Arbeitsplatz zurück. A m gleichen Abend w i r d das Ergebnis der Urabstimmung bekanntgegeben. Von 305 809 stimmberechtigten Arbeitnehmern beteiligten sich 280 351 an der Abstimmung. Von diesen stimmten 169 456 m i t Ja, d. h. für die Annahme des Ergebnisses, 107 987 stimmten dagegen. Dam i t hatten 55,41 % der Stimmberechtigten für und 35,31 % der Stimmberechtigten gegen die Annahme des Ergebnisses gestimmt 3 0 5 . Damit war das Ergebnis angenommen, da 75 °/o der Stimmen benötigt worden wären, u m es abzulehnen^ 00 . 297

Ebd., S. 56. 298 Vgl. Aussperrungs-Nachrichten Nr. 39 v o m 5. A p r i l 1978. 299 300

801 302

1978. 303

Vgl. Der Arbeitskampf '78, S. 12. Ebd., S. 12, u n d SZ v o m 6. A p r i l 1978. Vgl. F A Z v o m 6. A p r i l 1978. Vgl. SZ v o m 6. A p r i l 1978 u n d Streik-Nachrichten Nr. 40 v o m 6. A p r i l

Vgl. SZ v o m 7. A p r i l 1978. Vgl. Der Arbeitskampf '78, S. 12. 305 Stimmliste zur Urabstimmung a m 5./6. A p r i l 1978 der I G M - B e z i r k s leitung Stuttgart. 3 M

V. Der Arbeitskampf 1978

85

Die I G Metall wertete das Ergebnis als Erfolg, da es erstmals i n einer Urabstimmung u m ein „Gesamtpaket Lohn- und Verdienstabsicherung" gegangen sei 3 0 7 . Franz Steinkühler äußerte aber auch Verständnis für die Nein-Sager: I h r Votum sei kein Mißtrauen gegen die I G Metall, sondern eine deutliche Warnung an die Arbeitgeber 3 0 8 . Die I G Metall setzte daraufhin das Streikende auf Freitag, den 7. A p r i l 1978, 24 Uhr, fest 3 0 9 . Dieser Zeitpunkt wurde m i t Problemen bei der Auszahlung der Streikgelder begründet, die auch dadurch verursacht worden seien, daß die Betriebe die Auszahlung der Gelder i n den Werken abgelehnt hätten 3 1 0 . A m Montag, den 10. A p r i l 1978, w i r d die Arbeit i n allen Betrieben des Tarifbezirks wieder aufgenommen 311 . Damit endet i n NordwürttembergNordbaden nach 3-monatiger Gesamtdauer, 3 1/2 wöchigem Streik, 2 1/2wöchiger Aussperrung und 250-stündigen Verhandlungen an 25 Verhandlungstagen die Metall-Tarifrunde 1978. 6. Finanzielle Auswirkungen des Arbeitskampfes 1978

Nach Angaben der Arbeitgeberseite gingen 1978 durch den Arbeitskampf i n 223 Betrieben durch 292 876 Arbeitnehmer insgesamt 2 602 181 Arbeitstage verloren 3 1 2 . Der Umsatzausfall wurde m i t insgesamt 4,5 Milliarden D M beziffert. I m einzelnen gaben die Arbeitgeber folgende Zahlen an: 1. Lohnausfall i n den a m Arbeitskampf beteiligten Betrieben i n den m i t t e l b a r betroffenen Betrieben gesamter Lohnausfall

rd. 350 M i l l . D M rd. 100 M i l l . D M rd. 450 M i l l . D M

2. Umsatzausfall der a m Arbeitskampf beteiligten Betriebe rd. 2 M r d . D M der mittelbar betroffenen Betriebe u n d der nicht am Arbeitskampf beteiligten Vorlieferanten rd. 2,5 M r d . D M gesamter Umsatzausfall d a r i n enthaltener Wertschöpfungsausfall 30e

rd. 4,5 Mrd. D M rd. 2 M r d . D M

IGM-Satzung, § 22 Streik, Abs. 3, S. 50. Vgl. SZ v o m 8. A p r i l 1978. 308 Vgl. Streik-Nachrichten Nr. 41 v o m 7. A p r i l 1978. 309 Vgl. SZ v o m 8. A p r ü 1978. 310 Ebd. 311 Vgl. Der Arbeitskampf 78, S. 12. 815 Vgl. Metallindustrie i n Zahlen, Beilage zum Geschäftsbericht 1977/79 von Gesamtmetall, Tabelle 19. 307

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

86 3. Steuerausfall

L o h n - u n d Kirchensteuer Mehrwertsteuer Gewinnsteuer

rd. 55 M i l l . D M rd. 210 M i l l . D M rd. 125 M i l l . D M

gesamter Steuerausfall auf den Arbeitskampf d i r e k t zurückzuführender Steuerausfall

rd. 390 M i l l . D M rd. 190 M i l l . D M

4. Kosten der Sozialversicherungen a) Einnahmeausfall, Rentenversicherung Krankenversicherung

rd. rd.

63 M i l l . D M 52 M i l l . D M

Arbeitslosenversicherung

rd.

10 M i l l . D M

insgesamt

rd. 125 M i l l . D M

b) Kurzarbeitergeld (einschl. Erstattung v o n Sozialversicherungsbeiträgen) f ü r m i t t e l b a r betroffene A r beitnehmer

rd.

31 M i l l . D M

5. Unterstützungsleistungen I G Metall

130 M i l l . D M

Arbeitgeberverbände

252 M i l l . D M 3 1 3

Bei diesen Zahlen ist jedoch zu berücksichtigen, daß Umsatz- u n d P r o d u k tionseinbußen der betroffenen Unternehmen w ä h r e n d des Arbeitskampfes i n der darauffolgenden Zeit erfahrungsgemäß durch Überstunden u n d Sonderschichten weitgehend wieder ausgeglichen werden k ö n n e n 3 1 4 .

V I . D i e Vorbereitung der bayerischen Tarifrunde 1978 1. Die Manteltarifverhandlungen in Bayern D e r T a r i f r u n d e 1978 g i n g e n i n B a y e r n V e r h a n d l u n g e n ü b e r M a n t e l t a r i f f r a g e n v o r a u s . H i e r z u h a t t e d i e I G M e t a l l m i t Schreiben v o m 17. O k t o b e r 1977 Ä n d e r u n g s w ü n s c h e z u 5 K o m p l e x e n f ü r g e w e r b l i c h e Arbeitnehmer u n d zu 4 K o m p l e x e n für Angestellte erhoben 315. Die Tar i f k o m m i s s i o n d e r I G M e t a l l h a t t e d a b e i u n t e r d e r A n n a h m e , daß auch die Arbeitgeber i n u n g e k ü n d i g t e m Zustand zu V e r h a n d l u n g e n bereit w ä r e n , beschlossen, v o n e i n e r K ü n d i g u n g d e r M a n t e l t a r i f e a b z u s e h e n 3 1 6 . 313 314 315 318

Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 61 f. Vgl. Zeit v o m 30. März 1978 u n d W e l t v o m 4. A p r i l 1978. VBM-Parteidarlegung, S. 4. Schreiben der I G M - B e z i r k s l e i t u n g an den V B M v o m 17. Oktober 1977.

V I . Die Vorbereitung der bayerischen Tarifrunde 1978

87

Das Schreiben beinhaltete Forderungen, die verschiedene Bereiche betrafen, u. a. die Einführung einer Hitzepause, einer Ankündigungsfrist bei Kurzarbeit, die Gewährung unbezahlter Freizeit wenn Mehr-, Sonnoder Feiertagsarbeit geleistet wurde, eine stündliche Mindesterholungszeit für Nachtarbeiter, entsprechende Kündigungsfristen bei langer Unternehmenszugehörigkeit und die Gewährung eines Pauschbetrages für Kontoführungsgebühren. Außerdem wurde eine Erhöhung der Leistungszulagen i n der Zeitlohnregelung und beim Prämienlohn gefordert 3 1 7 . Die Verhandlungen über diese Forderungen wurden am 23. November 1977 aufgenommen 318 . Dabei begründete die I G Metall ihre Forderungen und der V B M legte seine Vorschläge zur Reform des Manteltarifvertrages vor und begründete sie. Als Ergebnis dieser Verhandlungen hielt das gemeinsame Protokoll fest: „Die Verhandlungen zwischen den Tarifkommissionen werden bis zum Abschluß der anlaufenden Lohn-, Gehaltsrunde vertagt. Z u Verhandlungen über spezifische leistungslohntechnische Fragen w i r d eine Sachverständigenkommission, bestehend aus je 5 - 6 Mitgliedern zu einem weiteren Termin am 13. Dezember 1977 zusammentreten 319 . 2. Die öffentlichen Erklärungen

Ihre Vorstellungen zur Tarifrunde 1978 unterbreiteten die Arbeitgeber der bayerischen Metallindustrie den Arbeitnehmern, der Gewerkschaft und der Öffentlichkeit bevor die I G Metall ihre Forderung beschloß 320 . A m 7. Dezember 1977 nahm Dr. Ernst Wrede, Vorsitzender des Vereins der Bayerischen Metallindustrie (VBM) und gleichzeitig Vizepräsident von Gesamtmetall sowie neuer Präsident der Bayerischen A r beitgeberverbände, zur bevorstehenden Tarif runde Stellung 3 2 1 : Wrede gab zu verstehen, daß sich die Tarifvorstellungen der Metallindustrie zunächst 3122 am jüngsten Gutachten des Sachverständigenrates orientieren dürften, der i n seiner Alternative I Tariferhöhungen u m 3 °/o und einschließlich Nebenleistungen u m 3,5 % vorschlug. Dies aber nicht als Ausgangsangebot, sondern als Abschlußzahl. 317

Anlage zum Schreiben der IGM-Bezirksleitung, S. 2. VBM-Parteidarlegung, S. 4. 319 Ebd., S. 5. 320 Ebd., Schreiben an den unparteüschen Schlichtungsvorsitzenden 29. März 1978, S. 1. 321 SZ v o m 8. Dezember 1977. 322 Hervorhebung durch den Verfasser. 318

vom

88

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

„Einen Kuhhandel w i r d es diesmal nicht geben" 3 2 3 , so Wrede wörtlich. Während der letzten Lohnrunde 1977 habe die Metallindustrie „ein makabres B i l d mangelnder Solidarität geboten" 3 2 4 . Jetzt sei jedoch die Front zumindest der bayerischen Unternehmer geschlossen, versicherte Wrede auf die Frage, ob es nicht i n der gutverdienenden und v o l l ausgelasteten Autobranche Schwierigkeiten gebe. Beim Tarifabschluß 1978 komme es nicht nur darauf an, die Weiche dafür zu stellen, sondern gleichzeitig Strategien durchzusetzen, die einen ersten Beitrag zur Lösung dieses schwierigen Problems leisten. Alles i n allem habe die bayerische Metallindustrie an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Dies gelte vor allem für den heimischen Markt, wo die Importe an Erzeugnissen der Metallindustrie insgesamt u m über 13 % gestiegen seien, während der Inlandsumsatz dieses aus vielen Branchen bestehenden Bereichs nur u m 7,5 % zugenommen habe 3 2 5 . Der Hauptgeschäftsführer des VBM, Wolf Moser, erklärte, es komme jetzt darauf an, die Weichen für einen sich über Jahre erstreckenden Prozeß zu stellen, an dessen Ende die gegenüber den sechziger Jahren klaffende Lücke zwischen Personalkosten und Leistungskraft von 5,5 % 8,25% (je nach Rechnungsart) geschlossen sein und die Lohnrelation am Arbeitsplatz wieder entzerrt sein müsse. Als Folge dessen hätten die bayerischen Metallarbeitgeber eine eigene Lohnstrategie unter dem Stichwort „Reallohnsicherung" entwickelt. Diese erfordere nach Verbandsberechnungen einen Tarifabschluß u m etwa plus 2,5%, da dann die vorhersehbare unvermeidliche Teuerung während der Laufzeit des Vertragswerkes ausgeglichen werde. Unter dieser Prämisse ließe sich dann die Schere zwischen Personalkosten und Leistungskraft i m kommenden Jahr u m 1,5 % schließen wobei zudem noch 0,5 % zur zusätzlichen Anhebung von Verdiensten i n höherqualifizierten Berufen (Entzerrung der Lohnrelation) verwandt werden könnte 3 2 6 . Von einer Lohnpause, wie sie unter Aspekten der Reallohnsicherung nach den Berechnungen des Verbandes wegen der steuerlichen Entlastung ebenfalls zu vertreten wäre, hielte man bei den Metallarbeitgebern nichts, w e i l diese den Eindruck der Einmaligkeit erwecken würde. Die entworfene Lohnstrategie jedoch, wolle man solange beibehalten, bis das Verhältnis zwischen Personalkosten und Leistungskraft wieder dem der sechziger Jahre entspreche, i n denen die W i r t schaft vollbeschäftigt gewesen sei. Erst wenn dies erreicht sei, wolle 823

SZ v o m 8. Dezember 1977. ® 4 Ebd. 325 H b v o m 8. Dezember 1977. 32e SZ v o m 8. Dezember 1977.

V I I . Die Tarifverhandlung i n München am 30. Januar 1978 m a n v o n der Reallohnsicherung wieder zur Lohnpolitik übergehen327.

89

produktivitätsorientierten

I n d e r 1. A u s g a b e i h r e r T a r i f n a c h r i c h t e n f ü r d i e T a r i f r u n d e

1978

schrieb h i e r z u d i e I G M e t a l l B e z i r k s l e i t u n g M ü n c h e n : „Bayerische Arbeitgeber erklären: — Es gibt höchstens 3,5 °/o. W e r mehr w i l l , muß streiken! — Deutschlands Metallarbeitgeber, v o r a n der V B M w o l l e n ein L o h n d i k t a t durchsetzen. Noch ehe die I G M e t a l l die Tarifverträge gekündigt, geschweige denn über Forderungen beraten hatte, erklärte der V B M : Es gibt nicht mehr als 3,5 ^/o Tarifsteigerungen. — Dies ist k e i n Ausgangsangebot, sondern die Abschlußzahl! — Einen K u h h a n d e l w i r d es diesmal nicht geben! — Möglicherweise finden gar keine T a r i f Verhandlungen statt! — W i r stellen uns auf einen Arbeitskampf ein. — Streik werden w i r m i t Aussperrung beantworten 3 2 8 ." D a z u e r k l ä r t e B e z i r k s l e i t e r E d u a r d S c h l e i n k o f e r v o r d e r Presse: „Das L o h n d i k t a t der Arbeitgeber ist i n unserer Nachkriegsgeschichte ein einmaliger Vorgang. Offensichtlich w o l l e n die Arbeitgeber den Arbeitskampf u m jeden Preis. D a m i t zeigen sie ein schlechtes Verhältnis zur Tarifautonomie u n d zur Demokratie überhaupt. Denn die Tarifautonomie ist ein entscheidender Bestandteil unserer freiheitlichen u n d demokratischen Ordnung." Die Tarifkommission der bayerischen I G M e t a l l ließ sich v o m Verhalten des V B M weder einschüchtern noch provozieren. Nach reiflicher Überlegung u n d unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen u n d sozialen Gegebenheiten faßte sie am 15. Dezember ihre Beschlüsse 329 .

V I I . D i e T a r i f Verhandlung i n München a m 30. Januar 1978 1. Darstellung a) Die Kündigung

der

Tarifverträge

M i t S c h r e i b e n v o m 19. D e z e m b e r 1977 k ü n d i g t e Bayerns folgende T a r i f a b k o m m e n u n d Bestimmungen:

die

IG

Metall

1. D i e A b s c h n i t t e I + I I d e r T a r i f Vereinbarung ü b e r L ö h n e , A u s b i l d u n g s v e r g ü t u n g e n u n d Ä n d e r u n g des M a n t e l t a r i f v e r t r a g e s f ü r d i e gewerblichen A r b e i t n e h m e r der bayerischen M e t a l l i n d u s t r i e v o m 31. J a n u a r 1977 z u m 31. J a n u a r 1978. 2. A b s c h n i t t e I + I I d e r T a r i f V e r e i n b a r u n g ü b e r G e h ä l t e r , A u s b i l d u n g s v e r g ü t u n g e n u n d Ä n d e r u n g des M a n t e l t a r i f v e r t r a g e s f ü r d i e 327

Ebd. T a r i f nachrichten Nr. 1 v o m 19. Dezember 1977, Herausgeber: I G M - B e zirksleitung München, S. 1. 329 Tarifnachrichten N r . 1, S. 2. 328

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie vom 31. Januar 1977 zum 31. Januar 1978. 3. § 20 Ziff. 3 und Anhang 6 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie vom 31. Januar 1977 zum 31. Januar 1978. 4. § 7 und Anhang 3 des Manteltarifvertrages für die Angestellten der bayerischen Metallindustrie vom 31. Oktober 1970/2. November 1970. Stand 1. J u l i 1977 zum 31. März 1978 330 . M i t gleichem Schreiben gab die Gewerkschaft ihre Forderungen für den Abschluß neuer Tarifregelungen bekannt: 1. Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen u m 8%.

2. Erhöhung des Punktwertes i n Anhang 6, Ziffer 4 zum Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie von 0,20% auf 0,30% des jeweiligen Tariflohnes, bei maximal 100 erreichbaren Punkten. 3. Erhöhung des Punktwertes i n Anhang 3, Ziffer 4 zum Manteltarifvertrag für die Angestellten der bayerischen Metallindustrie von 0,15% auf 0,20% des jeweiligen Tarifgehaltes bei maximal 100 erreichbaren Punkten. Die Begründung der Forderungen wollte die Gewerkschaft, wie üblich bei Aufnahme der Verhandlungen abgeben 331 . b) Die Parteidarlegungen aa) Die Parteidarlegung der I G Metall A m 30. Januar 1978 nahm die bayerische Metallindustrie als einziger Tarifbereich der deutschen Metallindustrie die Verhandlungen bei noch laufendem Tarifvertrag auf. Die I G Metall begründete dabei ausführlich ihre Forderungen vom 19. Dezember 1977 332 . Der Begründung lag i m wesentlichen eine Ausarbeitung der Abteilung Wirtschaft beim Vorstand der I G Metall vom November 1977 über „Wirtschaftslage und Perspektiven i m Herbst 1977" zugrunde 3 3 3 . Die gesamtwirtschaftliche Betrachtung i n dieser Ausarbeitung entsprach dabei i m Hinblick auf Produktivitätszuwachs, Preissteigerungsrate und Einkommensverteilung derjenigen von Stutt330 Einschreiben der I G M - B e z i r k s l e i t u n g München an den V B M v o m 19. Dezember 1977. Betreff: Tarifabkommen f ü r die bayerische Metallindustrie. 331 Einschreiben der I G M - B e z i r k s l e i t u n g v o m 19. Dezember 1977. 332 IGM-Parteidarlegung, S. 3. 3 E b d . , S. .

V I I . Die Tarifverhandlung i n München am 30. Januar 1978

91

gart 3 3 4 . Auch i n der Darlegung der wirtschaftlichen Situation der metallverarbeitenden Industrie ergaben sich keine nennenswerten Unterschiede zu der i n Stuttgart verwandten Argumentatign 3 3 5 . I m Hinblick auf die Perspektiven der Metallverarbeitung für 1978 w i r d i n der Ausarbeitung das Gemeinschaftsgutachten zitiert, wonach sich die realen Zuwachsraten bei den wichtigsten Bestimmungsgründen des Absatzes der Metallverarbeitung — bei Ausfuhr und Ausrüstungsinvestitionen — über der Wachstumsrate des Sozialproduktes bewegen werden. Dem würde nach der Gemeinschaftsprognose ein unterdurchschnittliches reales Wachstum des privaten Verbrauchs, m i t entsprechenden Rückwirkungen auf den Konsumgüterabsatz des Metallbereichs gegenüberstehen. Schon danach könnte die Metallindustrie 1978 mit leicht überdurchschnittlichen Wachstumsraten bei der Produktion (ca. 5

Demnach war 1976 das Jahr m i t der geringsten Tariferhöhung und der stärksten Zunahme des privaten Verbrauchs und 1974 das Jahr mit der stärksten Tariferhöhung und der geringsten Zunahme des privaten Verbrauchs 349 . I m folgenden wurde vom V B M beklagt, daß seit Jahren keine gemeinsamen Grundlagen für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage bestünden, obgleich sich der V B M immer wieder bemüht habe, einen M i nimal-Konsens über den relevanten volkswirtschaftlichen Datenkranz herzustellen. Die I G Metall wähle für ihre Darstellungen nicht repräsentative Jahre aus und komme so zu völlig irrealen Zuwachsraten und Ergebnissen 350 . Als nächsten Punkt gab der V B M noch seine „Stellungnahme zur I G Metall-Forderung auf Erhöhung der Leistungszulage" ab: Der I G Met a l l ·Vergleich m i t anderen Tarifgebieten der Metallindustrie sei unzulässig, da das tarifliche Leistungsbeurteilungssystem der bayerischen Metallindustrie bundesweit ein völliges Novum darstelle; i n Bayern werde kein durchschnittlicher Prozentsatz mehr fixiert, sondern auf den einzelnen Arbeitnehmer und seine Leistung abgestellt. Zwei Komponenten verbänden sich zu einem geschlossenen System: Das Leistungsbeurteilungssystem m i t dem detaillierten Beurteilungsverfahren und der als Prozentsatz aus dem tariflichen Grundlohn fixierte Punktwert. „Eine Festlegung eines Geldwertes f ü r Punkte, die sich aus dem Leistungsbeurteilungssystem ergeben, ohne einen bestimmten durchschnittlichen Prozentsatz festzulegen, gibt es i n Tarifbereichen außerhalb der bayerischen Metallindustrie nicht. Deshalb ist jeder Vergleich unzulässig 3 5 1 ." 348 349 350 351

Vgl. ebd., S. 27. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. ebd., S. 28 f. Ebd., S. 31.

V I I . Die Tarifverhandlung i n München am 30. Januar 1978

95

Die Forderung der I G Metall sprenge das i n jahrelangem zähen Ringen um die neuen Grundsätze erarbeitete System. Die Erhöhung des Punktwertes müsse auf den Bestand der gesamten Leistungsbeurteilung zurückschlagen. I m bisherigen Verhandlungsverlauf seien sich beide Seiten der wesensnotwendigen Verknüpfung des gesamten Leistungsbeurteilungssystems m i t dem tariflich fixierten Punktwert bewußt gewesen. I n dem von der Sachverständigenkommission am 13. Dezember 1977 geführten Gespräch über Manteltariffragen sei i n beiderseitigem Einvernehmen der Komplex Leistungsbeurteilung ausgeklammert worden. Dies sei wenige Tage vor Eingang des I G Metall-Forderungsschreibens am 19. Dezember 1977 erfolgt. Deshalb bestehe der V B M darauf, die Zusatzforderung auf Anhebung des Punktwertes der Leistungszulage nicht zu behandeln und schlage vor, diese Frage i m Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex Leistungsbeurteilungssystem i n die i m Anschluß an die Lohn- und Gehaltsrunde wieder aufzunehmenden Manteltarifverhandlungen zurückzuverweisen 352 . Die von der I G Metall angebotene volle Anrechenbarkeit der Punktwerterhöhung sei nicht möglich, da die dann nach Abzug der tariflichen Leistungszulagen verbleibenden 4 % als übertarifliche Spanne nach Meinung des V B M zu niedrig seien. Hieraus sich ergebende bedenkliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt beständen bereits. Zusätzliche Tariferhöhungen müßten die hohe Arbeitslosigkeit i n diesem Problembereich weiter verschärfen. Die Erhöhung des Punktwertes von 0,2 °/o auf 0,3 °/o führe bei Zeitlöhnern zu einer Zusatzbelastung 4,55 °/o. Die rechnerische Durchschnittsleistung von 2,43 °/o beschönige nur und ändere nichts daran, daß die Belastung tatsächlich konzentriert nur bei den Zeitlöhnern auftrete 3 5 3 . Abschließend schlugen die Arbeitgeber zur „Lösung des Tarifkonflikts" vor: „Löhne, Gehälter u n d Ausbildungsvergütungen ab 1. Februar 1978 u m 3 % anzuheben 3 5 4 ."

Für die Aufgabe der Sanierung der Wirtschaft stünden nur zwei Wege zur Wahl, die allerdings hinsichtlich der Aufgabe, Vollbeschäftigung zu erreichen, i n entgegengesetzte Richtungen führten. Es seien dies: — die Anpassung der zu schwachen Leistungskraft an die zu hohen Personalkosten; — die Anpassung der zu hohen Personalkosten an die zu niedrige Leistungskraft 355. 352 353 354

Ebd., S. 32. Ebd., S. 35. Ebd., S. 35.

96

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

Die I G Metall entscheide sich m i t ihren Forderungen für den ersten Weg, der eine Forcierung der Rationalisierung bis h i n zur Stillegung unwirtschaftlicher Arbeitsplätze erzwinge. Der V B M hingegen wolle dem zweiten Weg den Vorrang geben, wobei er zu seiner V e r w i r k l i chung eine mittelfristige Strategie für möglich halte. Die Tarifpolitik solle sich deshalb für einige Jahre an dem Arbeitsplatz mit unterdurchschnittlicher Produktivität orientieren. Anschließend weist der V B M noch auf die wirtschaftlich vorteilhaften Konsequenzen der von i h m vorgeschlagenen Regelung i m H i n blick auf Investitionswachstum, Arbeitslosigkeit, Preisstabilität und Verbrauchsnachfrage h i n 3 5 6 . Nach diesem umfangreichen Austausch wirtschaftlicher Argumente trennten sich beide Seiten unverrichteter Dinge wieder. A m 2. Februar 1978 befaßte sich die Tarifkommission der I G Metall mit dem „völlig undiskutablen Angebot der Arbeitgeber" 3 5 7 . Die Bezirksleitung teilte dem Arbeitgeberverband daraufhin m i t Schreiben vom 3. Februar mit, daß sein Angebot von der Tarifkommission als völlig unzureichend erachtet werde und sein Vorschlag, Forderung auf Erhöhung der Leistungszulagen i m Rahmen der Manteltarifvertragsverhandlungen zu behandeln, zurückgewiesen werde. Der V B M wurde i m Auftrag der Tarifkommission aufgefordert, von seinem am 30. Januar eingenommenen Standpunkt abzurücken und m i t ihr auf der Grundlage ihrer Forderungen weiter zu verhandeln 3 5 8 . Abschließend fügte die I G Metall-Bezirksleitung noch hinzu: „Dabei brauchen w i r nicht besonders zu betonen, daß unsere Forderungen, w i e auch i n der Vergangenheit eine Verhandlungsgrundlage u n d k e i n U l t i m a t u m darstellen. W i r stehen unter diesen Voraussetzungen zu Verhandlungen jederzeit zur Verfügung u n d erwarten Ihrerseits einen Terminvorschlag 3 5 9 ."

Die Geschäftsführung des V B M entgegnete darauf i n ihrem Schreiben vom 9. Februar, daß sie sich außerstande sehe, unter den von der I G Metall genannten Bedingungen die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Der V B M habe i n den Verhandlungen zu den Forderungen der I G Metall „ m i t der dem Ernst der Lage angemessenen Sorgfalt" Stellung genommen und auf die nicht zu verantwortenden Konsequenzen hingewiesen. Man sehe i n dem Lösungsvorschlag des V B M „die 355

Ebd., S. 36. Ebd., S. 37 - 40. 357 I G M - B e z i r k s l e i t u n g München: IGM-Tarifnachrichten Nr. 3 v o m 21. Februar 1978, S. 1. 358 I G M - B e z i r k s l e i t u n g München: Schreiben an den V B M v o m 3. Februar 1978, B l a t t 2. 359 Ebd. 356

V I I . Die Tarifverhandlung i n München am

Januar 1978

97

einzige Möglichkeit zu einer für beide Seiten tragbaren und vernünftigen Regelung zu kommen". Ein Termin für eine vertiefende Erörterung des Vorschlags könnte fernmündlich kurzfristig abgestimmt werden 3 6 6 . Daraufhin faßte die Tarif kommission der I G Metall am 13. März den einstimmigen Beschluß, die Verhandlungen über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen für gescheitert zu erklären und die Schlichtung anzurufen 8 6 1 . Die I G Metall-Bezirksleitung teilte m i t Schreiben vom 15. März 1978 dem V B M das Scheitern der Verhandlungen 3 6 2 und m i t Schreiben vom 21. März 1978 die Anrufung der Schlichtung m i t 8 6 3 . 2. Beurteilung

Die Darstellungen der Ausführungen beider Verhandlungspartner am ersten Verhandlungstag sprechen weitgehend für sich selbst und bedürfen m. E. kaum der Erläuterung. Beide Seiten bewegten sich i m Rahmen ihrer „üblichen" Argumentationsschemata und erwarteten wohl beide nicht, den Verhandlungspartner i n dieser ersten, zeitlich frühen Verhandlungsrunde, von den jeweils eigenen Argumenten überzeugen zu können. Es handelte sich hierbei offenbar wirklich nur u m die Verlesung vorbereiteter Erklärungen. Auch der Briefwechsel zwischen den Tarifparteien bestätigt die Ansicht, daß ein echter Einigungswille zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden war. Z u deutlich zeichnete sich schon der Konflikt i m Tarifgebiet Nordwürttemberg-Nordbaden ab, als daß eine Einigung i n M ü n chen zu erwarten gewesen wäre. Daß man i n München keine Eile hatte, einen Abschluß zu erzielen, w i r d aus dem ungewöhnlich langen Zeitraum bis zur Erklärung des Scheiterns der Verhandlungen und der Anrufung der Schlichtung deutlich. Die relativ ausführliche Darstellung der Positionen beider Parteien soll verdeutlichen, inwieweit Argumente aus der ersten und einzigen Tarifverhandlung i n der anschließenden Schlichtung noch Verwendung finden.

860 Verein der Bayerischen Metallindustrie: Schreiben an die I G M - B e z i r k s leitung München v o m 9. Februar 1978, S. 2. 861 I G M - B e z i r k s l e i t u n g München: IGM-Tarifnachrichten Nr. 4 v o m 23. März 1978, S. 1. 862 Dieselbe: Schreiben an den V B M v o m 15. März 1978. 868 Dieselbe: Schreiben an den V B M v o m 21. März 1978.

7 Schilling

98

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

V I I I . Die Schliditung in Bayern 1. Der erste Schlichtungstag am 30. März 1978

a) Darstellung Die Schlichtung i n München begann am 30. März 1978 um 14.30 Uhr mit dem Austausch wirtschaftlicher Argumente 3 0 4 . Beide Seiten wiederholten und vertieften vorwiegend die Argumentationen aus ihren Parteidarlegungen 365 . Einigkeit wurde hierbei über zwei Arbeitgebervorschläge zur Verfahrensordnung erzielt: a) Während der Schlichtung das Nachrichtenmonopol beim Vorsitzenden zu deponieren und b) den Zeitfaktor flexibel anzusetzen. Die Arbeitgeberseite schlug auch eine Übereinkunft vor, nur einen einstimmigen Einigungsvorschlag oder eine einstimmige Vereinbarung zu machen; auf einen, nur von einer Mehrheit getragenen Einigungsvorschlag solle verzichtet werden. Dieser Vorschlag wurde vom Verhandlungsführer der Gewerkschaft, Bezirksleiter Eduard Schleinkofer abgelehnt. A u f die Frage des Schlichtungsvorsitzenden, Ministerialdirigent Dr. Pankraz Breu, an den Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, den Hauptgeschäftsführer des V B M Wolf Moser, wie er seinen Vorschlag begründe „antwortete er nur m i t blabla und das Ganze sei mit der Ablehnung ohnehin erledigt" 3 6 6 . Folgender Zeitplan wurde vereinbart: Fortsetzung der Schlichtung am Freitag von 10.30 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag Pause, Montag und Dienstag Verhandlungen open-end, es sei denn, daß eine Nachfrist i m Hinblick auf die Entwicklung i m Streikgebiet Nordwürttemberg-Nordbaden sinnvoll erscheine. Die Verhandlungsführer beider Seiten berichteten anschließend über den Verhandlungsstand i n den anderen Tarifgebieten. I n NW/NB dauerte zu diesem Zeitpunkt noch der Arbeitskampf an und auch i n den anderen Tarifgebieten war noch keine Einigung erzielt worden.

354 Vgl. hierzu u n d zu den folgenden K a p i t e l n „Schlichtung 1978"; Protok o l l der Schlichtungsverhandlungen, erstellt v o m stimmberechtigten Vorsitzenden der Bayerischen Schlichtung, Ministerialdirigent Dr. Pankraz Breu. 365 Vgl. Parteivorbringen V B M sowie Parteivorbringen I G M - B e z i r k s l e i t u n g München. 386 Vgl. Schlichtung '78, S. 2 a.

V i l i . Die Schlichtung i n Bayern

b) Erläuterung

99

und Beurteilung

A m ersten Schlichtungstag wurde i n zwei Phasen insgesamt nur drei Stunden verhandelt. Beide Seiten beschränkten sich auf ihre wirtschaftliche Argumentation, ohne daß schon irgendwelche Anzeichen für eine Annäherung vorhanden gewesen wären. Dies konnte jedoch nicht überraschen, da offensichtlich zunächst das Ergebnis der Stuttgarter Einigung abgewartet werden sollte, bevor man i n Bayern i n die Einigungsphase eintrat. Der Arbeitgebervorschlag, nur einen einstimmigen Einigungsvorschlag zu machen, hätte bewirkt, daß entweder ein gemeinsames oder gar kein Ergebnis zustande gekommen wäre. Dadurch hätte keine Partei i n die Lage kommen können, eine von der anderen Partei und dem Schlichter empfohlene Einigung abzulehnen. Hierbei spielt offenbar das Element der öffentlichen Meinung eine Rolle, da die Partei, die ein Schlichtungsergebnis alleine ablehnt, leicht i n den Ruf gerät, unnachgiebig zu sein und den sozialen Frieden zu stören. Die mangelnde Begründung dieses Vorschlages durch die Arbeitgeberseite legt den Schluß nahe, daß diese befürchtete, daß es zu einem Schlichtungsspruch des Schlichters und der Gewerkschaft kommen könne. Die m i t der einseitigen Ablehnung eines solchen Spruches verbundenen Konsequenzen wollte sie offenbar dadurch vermieden sehen, daß nur ein einstimmiger Schlichtungsspruch zugelassen würde. 2. Der zweite Schlichtungstag am 31. März 1978

a) Darstellung Z u Beginn des zweiten Verhandlungstages am Freitag, dem 31. März um 10.30 Uhr rekapitulierte der Schlichtungsvorsitzende zunächst die verfahrensmäßigen Vereinbarungen vom Vortage. Er wies außerdem darauf hin, daß ebenfalls vereinbart wurde, an diesem Tag mit der Erörterung der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge und der w i r t schaftlichen Situation i n der bayerischen Metallindustrie zu beginnen. Nacheinander sprachen hierauf die Verhandlungsführer der Arbeitgeber und der Gewerkschaft. Beide beschränkten sich auf den Austausch von Darstellungen und Beurteilungen der gesamtwirtschaftlichen Lage, wobei die Basis der Ausführungen offenbar wieder die Parteidarlegungen bildeten. Ein Unternehmer wies auf die wesentlich geringeren Lohnkosten bei seiner Auslandsfertigung hin, worauf der Bezirksleiter zu bedenken gab, daß auch die unterschiedlichen Produktivitäten berücksichtigt werden müßten. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Moser, verglich die Wachstumsraten und die Ecklohnerhöhungen der vergangenen Jah7*

100

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

re und fragte die I G Metall, wie hoch die Gewinnmargen der Unternehmen nach ihrer Meinung zu sein hätten. Nach seiner Meinung müßten sie unbedingt i n der Gegend zwischen 4,5 % und 5 % liegen. Tatsächlich hätten sie aber 1974 1,9%, 1975/76 3,1% und 1977 3 , 6 % betragen, während i m internationalen Vergleich Umsatzrenditen von 6,5 % bis 8 % üblich seien. Hinsichtlich der Preissteigerungsrate erklärte er, daß sie bei nur etwas über 2 % liegen könne, wenn maßvolle Löhne vereinbart würden. Moser fragte den zweiten Schlichtungsvorsitzenden, den Präsidenten der Bayerischen Landeszentralbank K u r t Stadler, wie die Bundesbank die Situation sehe. Man einigte sich darauf, daß Stadler wertfrei berichten könne. Stadler nannte zunächst die Bundesbankzahlen über Privatverbrauch und Preisrate und kam dann zu den Konjunkturerwartungen für 1978. I n diesem Zusammenhang ging er auf die Werte der Auftragseingangsstatistik, der Produktion, des Wachstums, der Investitionstätigkeit und des Außenwertes der D M ein 5 6 7 . A m Nachmittag desselben Tages wurde die Frage der Leistungszulagen diskutiert. I G Metall-Bezirksleiter Schleinkofer begann m i t der Begründung, warum die Leistungszulage i n der Lohnrunde und nicht i m Manteltarifvertrag behandelt würde. E i n derartiges Verfahren sei nicht nur nicht unüblich, sondern seit 1970 sogar die Regel. Auch der Vergleich mit entsprechenden Verträgen i n anderen Tarifgebieten, sei sachlich geboten und rechtlich zulässig. M i t der Veränderung des Punktwertes solle lediglich i n Mark und Pfennig ein höheres Ergebnis als bisher erzielt, nicht aber das System verändert werden. Wieviel Punkte der einzelne bekomme, werde nach wie vor unabhängig sein von dem Faktor, mit dem der einzelne Punkt zu multiplizieren sei. Die Zulagen lägen bei den Arbeitern i m Durchschnitt bei 10 % und zwar bei den Männern bei 10,26% und bei den Frauen bei 9,21%. Bei den Angestellten lägen sie genau bei 7,5 % . I n den einzelnen Lohngruppen steigerten sie sich von 8,06% i n Lohngruppe I I bis 12,39% i n der Lohngruppe X. Bei einer Anhebung von 5 0 % bei den Arbeitern und von 1/3 bei den Angestellten würde das durchschnittliche Niveau i m Bundesgebiet erreicht werden. Die Kosten einer derartigen Lohnerhöhung betrügen 4,55% i m Bereich der Arbeiter. Da jedoch nur ca. 5 0 % der Arbeiter i n der Metallindustrie Zeitlöhner seien, würde das Tariflohnniveau i m Durchschnitt der Metallindustrie i n Bayern nur u m 2,275 % angehoben werden. Eine Anrechnung auf außertarifliche Zulagen würde von der Gewerkschaft zugestanden. Das durchschnittliche übertarifliche Polster sei hierfür sehr wohl ausreichend, da die Effektivlöhne nach VBM-eigenen Angaben zwischen 367

Ebd., S. 8 a ff.

101

V i l i . Die Schlichtung i n Bayern

14 % bei der Lohngruppe I I und 28 °/o bei der Lohngruppe X über den Tariflöhnen lägen. Aber auch dort, wo nur echte Tariflöhne bezahlt würden, sei es sicherlich gerechtfertigt, zu einer höheren Leistungszulage zu kommen. Zusammenfassend legte Schleinkofer nochmals die vier Gründe für die Forderung dar: „1. Der Anschluß an das übrige Bundesgebiet soll erreicht werden. 2. Durch Zulässigkeit der Anrechnung der Erhöhungen der Leistungszulagen auf alle außertariflichen Leistungen k o m m t es i m allgemeinen zu keinen effektiven Leistungen. 3. Die Forderung ist w o h l auch aus der unterschiedlichen Laufzeit des bayerischen Lohnvertrages zu rechtfertigen (1 Monat später). 4. W i r erheben i n Bayern sonst keine Sonderforderungen,

weder eine Lohnabsicherung

wollen wir nicht und hätten w i r gar nicht, da sie unserem System nicht entspricht; stand u n d steht bei uns,

noch eine stärkere Anhebung oder gar Beseitigung der unteren Lohngruppen Vorausbelastung Vorausentlastung (Ersparnis)

Bezirksleitung,

Verhandlungskommis-

sion u n d Tarifkommission haben sich bisher erfolgreich gegen selbstverständlieh vorhandene Niveaubestrebungen gewehrt u n d durchgesetzt 8 6 8 ."

Abschließend bat er die Arbeitgeber u m A n t w o r t auf seine Frage vom 20. März, ob, u m eine alsbaldige weitere Schlichtung zu vermeiden, die Angestelltenleistungszulage gleich m i t i n die Schlichtung hineingenommen werden könne. Nachdem sie bereits zum 31. März gekündigt sei, müsse die I G Metall nämlich erst i n den nächsten Tagen das Scheitern erklären und eine weitere Schlichtung anrufen. Der Arbeitgebervertreter Moser erklärte zu Schleinkofers abschließender Frage, daß diese Forderung an sich nicht Gegenstand dieses Schlichtungsverfahrens sein und werden könne. Die Frage könne erst beantwortet werden, wenn man mehr über das Schicksal dieser ganzen Leistungszulagenforderung wisse. Z u den anderen Punkten sagte Moser, daß die Arbeitgeber nach wie vor kein Verständnis dafür hätten, daß die I G Metall aus dem großen Komplex gewichtiger Manteltarifforderungen heraus plötzlich einen einzelnen Punkt herausgreife, auch wenn die Möglichkeit eine solche Forderung zu stellen, nicht bestritten werden könne. Danach fragte er die I G Metall, wie groß eine übertarifliche Spanne denn sein solle. Nach Meinung der Arbeitgeber sei sie eine unverzichtbare Polstergröße und müsse 10 %> bis maximal 15 °/o 8

Ebd., S.

.

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C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

bei den Zeitlöhnern und sinngemäß auch bei den Angestellten betragen. Die Berechnung der durchschnittlichen Belastung sei insofern nicht aussagekräftig, als es reine Zeitlöhnerbetriebe gebe, i n denen die Belastung voll wirksam werde. Außerdem müsse man damit rechnen, daß eine entsprechende Forderung für Prämienlöhner bei folgenden Tarifverhandlungen nachgeschoben werde. Moser wiederholte, daß die Erhöhung der Leistungszulage das System sprenge und deshalb ähnlich wie wesentliche Änderungswünsche des V B M späteren Verhandlungen überlassen bleiben solle. Schleinkofer erklärte dazu, daß es weder schlüssig noch zumutbar sei, aus der L u f t gegriffen eine übertarifliche Spanne von 10 - 1 5 °/o als notwendig zu bezeichnen und gleichzeitig der Gewerkschaft zuzumuten, daß sie sich mit einer niedrigeren tarifrechtlichen Absicherung der Leistungszulage begnügen solle. Der Hinweis auf die Prämienlöhner sei ziemlich unbeachtlich, da hier ein so ausreichendes Polster vorhanden sei, daß eine Veränderung des Levels nichts koste. Die Gewerkschaften stünden trotz Widerstand i n den eigenen Reihen zu dem System. Er fragte abschließend nochmals, was die Veränderung des Punktwertes i n Mark und Pfennig mit dem System zu t u n habe. Z u der Frage der Leistungszulage stellte der Schlichtungsvorsitzende Dr. Breu Zwischenüberlegungen an, die er schriftlich festhielt 3 * 9 : 1. Die Forderung (auf Erhöhung des Punktwertes bei den Zeitlöhnern) ist unbestrittenermaßen Schlichtungsfähig; obwohl rechtens zwar unmaßgeblich, k a n n auch noch festgehalten werden, daß die Behauptung der Gewerkschaft, die Behandlung derartiger geldwerter Manteltariffragen m i t besonderer, sprich verkürzter, Kündigungsfrist i m Zusammenhang m i t den Lohnfragen, sei nicht n u r nicht unüblich, sondern sei j a die Regel, v o n der Arbeitgeberseite nicht ausdrücklich bestritten w i r d . 2. Die Frage, ob das bayerische Individual-Leistungsbeurteilungssystem m i t dem tariflich fixierten Punktwertwesen notwendig verbunden sei, ob eine Änderung des Punktwertes also das ganze System sprenge, läuft über die Doppelfrage hinaus, ob ein Vergleich m i t anderen Ländern sachlich gerechtfertigt u n d ob die Verhandlungen richtigerweise i m Rahmen der L o h n - oder i m Rahmen der Manteltarifverhandlungen zu führen seien. I m Topf-System der anderen Tarifgebiete sind die einzelnen Z u lagen i n ihrer Gesamtsumme durch einen Lohngruppen- oder Betriebsdurchschnittsprozentsatz nach oben festgeschrieben. I m bayerischen I n d i vidual-System sind die einzelnen Zulagen n u r durch einen tariflich festgelegten P u n k t w e r t gesteuert, i n der Gesamtsumme also nicht durch einen betrieblichen Durchschnittshöchstsatz begrenzt. Das entscheidende materielle K r i t e r i u m ist i m Topfsystem also der betriebliche Durchschnittsprozentsatz, i m bayerischen Individual-System aber der i n A b hängigkeit v o m T a r i f l o h n tariflich fixierte P u n k t w e r t . Das bayerische 369 Diese Überlegungen sind hier, u m einige weniger wichtige Punkte gekürzt, als direktes Z i t a t wiedergegeben, da sie recht gut die Meinungsbildung des Schlichtungsvorsitzenden verdeutlichen helfen.

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Individual-System k a n n also aus sich heraus zu einer A u s w e i t u n g der durchschnittlichen Leistungszulage von 1 0 % auf Betriebsebene führen, die sich aus der m i t t l e r e n Punktzahl v o n 50 P u n k t früher ergeben sollte. 4. Meine Meinung ist, daß die gewerkschaftliche Forderung nach Erhöhung des Punktwertes nicht das System verändert. Wieviele Punkte der E i n zelne bekommt, soll nach w i e v o r unabhängig v o m P u n k t w e r t sein, u n abhängig von dem Faktor, m i t dem der einzelne P u n k t zu multiplizieren ist. Die A n n a h m e eines m i t t l e r e n Leistungsniveaus h a t m i t der Höhe der Leistungszulage nichts zu tun. Die j ä h r l i c h zu überprüfende Punktzahl w i r d durch den P u n k t w e r t nicht verändert. Die m i t t l e r e Punktzahl v o n 50 zwischen den Grenzen 0 + 100 soll bleiben, n u r soll sie k ü n f t i g zu einer Leistungszulage von 15°/o statt bisher 10°/» führen. (Es handelt sich also bei Vergleich m i t den außerbayerischen Regelungen nicht u m einen Vergleich zwischen A p f e l u n d Birne, w i e H e r r Krebs gesagt hat.) Die Vergrößerung der Bandbreite von jetzt 0 - 20 Vo auf 0 - 30 '%> ist ebenfalls nicht systemverändernd, w e i l die Relationen i m Leistungssystem u n v e r ändert bleiben. I m Gegenteil, das ist besonders systemgerecht, w e i l es den erstrebten Leistungsgedanken stärkt! 12. Frage: U m w i e v i e l w ü r d e n sich diese übertariflichen Spannen zusätzlich einengen? — U m m a x i m a l 4,55'% der Lohnsumme bei den Zeitlohnarbeitern i m Schnitt u m 2,5 °/o, u n d u m 2,5 ®/o bei den Angestellten? Moser: „Angebung w i r d mutmaßlich v o l l durchschlagen i n der Kostenbelastung." Schleinkofer: „ I c h behaupte anhand der Erfahrungen früherer Erhöhungen, auch bei den Betrieben m i t hoher übertariflicher Spanne, das Gegenteil." Es besteht Streit über das derzeitige Ausmaß der übertariflichen Spannen i n Bayern. 15. Frage: Wie groß w a r der A n t e i l der Arbeitsverhältnisse, i n denen n u r echter T a r i f l o h n bezahlt w i r d ? Wissen w i r nicht, auch nicht Größen u n d Maße. Moser: Ganz unbeachtlich, k a u m mehr als 2 % . Schleinkofer: Müssen dann alle bei M A N sein; Die haben überhaupt keine. Frage: Haben w i r i n Bayern überdurchschnittlich viele Zeitlöhner? Moser: „ J a " ; Laus: „2/3, Leistung 1/3." W i r d i n Bayern überdurchschnittlich n u r T a r i f l o h n bezahlt? Nicht beantwortet worden. 16. W i r d die Forderung nach einer Erhöhung der Leistungszulage auch m i t einem höheren Leistungsdruck i n den Betrieben begründet? Schleinkofer: „ I n den letzten Jahren erheblich gestiegen; Begründung aber nicht vorrangig." Laus: „ B e i der gleichen Leistungszulage, w i r d heute mehr geleistet." 19. Die denkbaren Spannen sind: a) Bei Betrieben, die n u r T a r i f l o h n zahlen u n d n u r m i t Zeitlohnarbeitern arbeiten = +4,55 % echt,

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C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie b) bei Betrieben, die übertariflich i n einem M i t t e l v o n ca. 2 0 % zahlen u n d Zeitlöhner i m rechnerischen Durchschnitt beschäftigen (2,43%) beschäftigen = 2 0 % — (9,1% + 2,4,11,43 = 857), c) bei Betrieben, die höchste übertarifliche Werte zahlen (26%) u n d keine Zeitlöhner beschäftigen = 0.

20. Kompromiß-Möglichkeiten: Statt Steigerung v o n 10 auf 15 % n u r eine solche auf 12,5 % bei den Zeitlöhnern u n d bei den Angestellten statt v o n 7,5 auf 10% n u r auf 7 % » . . . 21. Z u r Begründung einer Erhöhimg: a) Schlichtungsfähig. b) Erhöhung sprengt nicht das bayerische System i m bayerischen I n d i vidual-Leistungs-System wurde bisher aus k o n j u n k t u r e l l e n Gesichtsp u n k t e n heraus das Leistungssystem nicht v o l l angewendet (9,1% statt 10%). c) Vergleich m i t anderen Ländern möglich, da der tatsächliche Betriebsdurchschnitt i n B a y e r n unter dem tarifvertraglichen Schnitt der anderen Länder liegt. d) Belastung zumutbar u n d erträglich: F ü r mehr als die Hälfte aller Betriebe f ä l l t überhaupt keine effektive zusätzliche Belastung an, verringert sich n u r die übertarifliche Spanne oder, falls weniger Zeitlöhner vorhanden sind, ändert sich überhaupt nichts. e) N u r die überwiegend oder gar ausschließlich Zeitlohnarbeiter Beschäftigenden u n d n u r Tariflohn Zahlenden müssen echt blechen; sie k o m m e n i n Schwierigkeiten, aber n u r i n die, die die vergleichbaren Betriebe anderer T a r i f gebiete schon haben. f) Es ist zu honorieren, daß die bayerische Gewerkschaft den Leistungsgedanken so respektiert 3 7 0 . D e r zweite Schlichtungsvorsitzende Stadler fragte den Verhandlungsf ü h r e r d e r A r b e i t g e b e r : „ M e i n e n Sie m i t s y s t e m w i d r i g , daß m a n , w e n n m a n ein I n d i v i d u a l v e r f a h r e n hat, nicht einen Vergleich m i t einem Topfsystem anstellen darf?" A n t w o r t Moser: „Jein! Systemwidrig insbesondere deshalb, w e i l w i r w e s e n t l i c h e Vorschläge z u r V e r ä n d e r u n g des Systems e i n g e b r a c h t haben. B a n d b r e i t e g e h t j e t z t b i s 20, d a n n bis 30." F r a g e B r e u : „ M ü ß t e n Sie, w e n n Sie d i e V e r b r e i t u n g d e r B a n d b r e i t e v o n 20 a u f 30 v e r h i n d e r n w o l l e n , n i c h t d a f ü r sorgen, daß es i n d e r P r a x i s d a n n nicht zu einem bayerischen M a l u s k o m m t ? " A n t w o r t M o s e r : „ W i r s t e l l e n d a n n das ganze S y s t e m i n F r a g e u n d g e h e n z u r ü c k z u m T o p f s y s t e m . " A n t w o r t S c h l e i n k o f e r : „ D a s w ü r d e n Sie d a n n aber auch i m M a n t e l t a r i f v e r t r a g t u n 8 7 1 ! " A b s c h l i e ß e n d g a b M o s e r noch eine D a r s t e l l u n g d e r T a r i f l ö h n e u n d d e r E f f e k t i v l ö h n e i n B a y e r n u n d d r e i a n d e r e n B u n d e s l ä n d e r n aus d e r 870 871

Schlichtung '78, S. 12 a ff. Ebd., S. 13.

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u. a. hervorging, daß i n den Effektivlöhnen Bayern über NordrheinWestfalen, aber unter Hessen und Württemberg liege. U m 17.20 Uhr wurde beschlossen, sich auf Montag, den 3. A p r i l um 10.30 Uhr zu vertagen. b) Erläuterung

und Beurteilung

Auch der Vormittag des zweiten Schlichtungstages wurde mit Erörterungen der wirtschaftlichen Lage verbracht, wobei die Parteidarlegungen als Basis dienten und einzelne Argumente daraus wiederholt w u r den. Keine Seite wich irgendwo von ihrer Position ab, oder ließ sich etwa von einem Argument der Gegenseite überzeugen. Offenbar wartete man i n der Frage der Lohnerhöhung immer noch auf das Stuttgarter Ergebnis. Ein Schlichtungsteilnehmer schilderte dies folgendermaßen: „Die Schlichtungsverhandlungen gingen zunächst zügig voran, dann merkte m a n plötzlich, daß sich i m anderen Tarifgebiet etwas ereignen könnte. D a r aufhin h a t m a n auf beiden Seiten versucht, die Schlichtungsverhandlungen etwas zu ziehen."

I n der Nachmittagsverhandlung ging es dann vorwiegend u m die Forderung der Leistungszulagenerhöhung und u m die Frage, ob und inwieweit diese Erhöhung das bisherige System sprenge oder nicht. Der gewerkschaftliche Verhandlungsführer verstand es hierbei geschickt, auf den mäßigenden Einfluß hinzuweisen, den er und seine Tarifkommission gegenüber „selbstverständlich" vorhandenen Nivellierungsbestrebungen hätten ausüben können. Die Zwischenüberlegungen des Schlichters zeigen, i n welchem Maße er schon i n dieser frühen Phase der Schlichtung zu einzelnen strittigen Punkten Stellung bezog. Man könnte hieraus auf einen leichten Positionsvorteil der I G Metall schließen, da es der Arbeitgeberseite offenbar i n dieser Phase nicht gelang, m i t ihrer Argumentation hinsichtlich der Leistungszulage die Gegenseite oder den Vorsitzenden zu überzeugen. Auch die etwas unklare A n t w o r t auf die Frage des 2. Schlichtungsvorsitzenden trug sicherlich nicht zur Stärkung der Arbeitgeberposition bei. Die Auswirkung derartiger „Vorgefechte" sollte jedoch nicht zu hoch eingeschätzt werden, solange der Zeitpunkt für die Einigung noch nicht gekommen ist, was hier ganz offensichtlich der Fall war (s. o.).

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C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie 3. Der dritte Schlichtungstag am 4. April 1978

a) Darstellung Die nächste Tagung der Schlichtungsstelle fand, wohl wegen der am 3. A p r i l erzielten Ergebnisse von Stuttgart, erst am Dienstag, dem 4. A p r i l u m 11.30 Uhr statt. Sie lief durchgehend bis zum 5. A p r i l 1.30 Uhr. Gleich zu Anfang fragte I G Metall-Bezirksleiter Schleinkofer: „Ubernimmt der V B M das gesamte Stuttgarter Paket?" Arbeitgebervertreter Moser antwortete hierauf: eindeutig „Nein!" Moser schilderte den Stuttgarter Abschluß folgendermaßen: Bezogen auf den effektiven Durchschnitts verdienst i n Baden-Württemberg stelle diese Pauschale von 137 D M eine Lohnprozentzahl von 5,88 °/o auf drei Monate dar. Drei Monate 5,88 % + 9 Monate 5,0 % ergäben für zwölf Monate 5,2%. A u f die tariflich abgesicherten Durchschnittsverdienste ergäbe sich eine Erhöhung von 5,34 % . Die Anhebung der Lohngruppe I spiele eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, da von 600 000 A r beitnehmern nur 350, also 0,06 % i n dieser Lohngruppe beschäftigt seien. I n Bayern seien es immerhin 0,7 °/o von 424 808 Beschäftigten 372 . Zur Bewertung des Abschlusses erklärte er: „SignalWirkung für die Lohnrunde 78 volkswirtschaftlich eindeutig überhöht; keinerlei Beitrag zur Wiedergewinnung einer Aufschwungphase — kein Beitrag zur Verbesserung der arbeitsmarktlichen Verhältnisse. Keinerlei Rücksichtnahme auf die Exportprobleme. Gefährdung des Wachstumsziels 78, das doch wenigstens einen Tarifbeitrag zur Lösung der Probleme bringen sollte. Gefährdung der Preisentwicklung, auch der Lebenshaltungskosten. W i r sind keine Fantasten, daß m i t dem Stuttgarter Kompromiß die schwerste Kampfauseinandersetzung beendet worden ist. Preis ist zu hoch für den Verzicht auf einen politischen Vermittler 3 7 3 ." Die Arbeitgeber forderten einen Abschlag von 0,4% dafür, daß der Karfreitig und der Ostermontag i n den Kampfgebieten nicht vergütet werden mußten. Da ein Tag mit 0,5% zu bewerten sei, ergebe sich für die Kampfbetriebe 1 % , und da 40 °/o der Arbeitnehmer i m Arbeitskampf waren, i m Verbandsquerschnitt ein Abschlag von 0,4%. Der Absicherungsvertrag sei ein Weg i n die falsche Richtung. 372 373

Ebd., S. 15 f. Ebd., S. 15 a.

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Hierauf bemerkte ein I G Metall-Vertreter, daß die Einführung des Vertrages nichts kosten werde. Auch nach der Aussage von Franz Steinkühler brächte der Vertrag keinerlei materielle Belastung. Moser fuhr fort, daß Stuttgart für Bayern kein Modell sein könne, da Bayern nach Potenz und Struktur schwächer sei. Ein Abschlag von 0,5% sei deshalb absolut gerechtfertigt. So sei i n Bayern nur jeder sechste, i n Württemberg aber jeder vierte Arbeitnehmer i n der Automobilindustrie. Die für Bayern typische Elektroindustrie, zu der jeder dritte Arbeitnehmer aus der Metallindustrie gehöre, stehe mit weiten Teilen auf der Schattenseite der Konjunktur. Bayern habe 2 l/2mal soviel Arbeitslose wie Stuttgart. Der Umsatz je Arbeitnehmer betrage in Württemberg 103 000 D M und i n Bayern nur 93 000 DM. Eine Belastungsquote von 4,8 % sei deshalb das höchste für die Arbeitgeber. Moser unterbreitete ein erstes Angebot von 4,8 % , allenfalls plus einer Pauschale für zwei Monate, aber ohne nivellierende Wirkung. Die Leistungszulage solle i n den Manteltarifverhandlungen erörtert werden. I G Metall-Bezirksleiter Schleinkofer erklärte hierzu, daß es die Macht des Faktischen nicht mehr für opportun erscheinen lasse, volkswirtschaftliche Argumente, die über Wochen ausgetauscht wurden, noch einmal i n den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. Sogar nach Heinz Dürr passe das Ergebnis noch einigermaßen i n die Projektion der Bundesregierung. Lohnmäßige Ergebnisse seien nach den Bestrebungen der Arbeitgeber bisher immer auf andere Tarifgebiete übertragen worden. Niemand, weder die Öffentlichkeit noch die Arbeitnehmer würden Verständnis dafür aufbringen, daß sie nach einer über ein Jahrzehnt hinweg gleichmäßigen Behandlung i n der Lohn- und Tariffrage diesmal anders behandelt würden. Auch die politischen Parteien hätten das Ergebnis als tragbar bewertet. „ W i r sind nicht bereit, auch nur ein Jota von dem materiellen Ergebnis Abstand zu nehmen 3 7 4 ." Schleinkofer forderte auch die Übernahme der Pauschale für drei Monate. Anderenfalls würde die Laufzeit nur noch bis zum 31. Dezember erfolgen. Hinsichtlich des von den Arbeitgebern geforderten Korrekturfaktors für die beiden Feiertage, müßte man eigentlich umgekehrt einen K o r rekturfaktor nach oben verlangen, da der Ausfall bei den Bestreikten ja viel höher gewesen sei. Außerdem würde durch eine derartige A r gumentation „wer nicht streikt bekommt weniger" ein Arbeitskampf geradezu vorprogrammiert. Der Absicherungsvertrag koste doch etwas, denn immerhin hätte es 25 Gesprächsrunden und des Arbeitskampfes bedurft, u m i h n zu errei3

Ebd., S.

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C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

chen. Die Kosten des Vertrages ließen sich zwar i n Prozent der Gesamtkostenbelastung nicht ausdrücken, für den einzelnen könnte er aber Ergebnisse bis zu 5 000 D M bringen. Der zweite I G Metall-Bevollmächtigte Laus erklärte, daß die I G Metall keine weitere Radikalisierung der Arbeitnehmer i n Bayern wolle. M i t den Wünschen der A r beitgeber würde dazu aber zwangsläufig ein Beitrag geleistet. I m folgenden drehte sich die Diskussion vorwiegend u m die w i r t schaftlichen Gründe, die für und gegen die Übertragbarkeit des Stuttgarter Ergebnisses sprachen. Der Schlichter notierte sich hierzu: „1. Die 5 0 /o Lohnerhöhimg v o n Stuttgart, die ja 5,34 %> bedeuten, unter beschäftigungspolitischen Perspektiven zu hoch sind. Einen A b b a u der A r beitslosigkeit w i r d dieser Abschluß nicht oder k a u m ermöglichen. 2. A m Stuttgarter Ergebnis k o m m t München n u r noch vorbei — angesichts der gesamtwirtschaftlichen Problematik — zwingende regionale Gesichtspunkte bestehen, die ein Abweichen vielleicht rechtfertigen, daß es die Öffentlichkeit u n d die bayerische Arbeitnehmerschaft der M e t a l l i n d u strie versteht. (— Ergebnis v o r w e g genommen: nein. Stuttgart ist ein Faktum, ein politisches F a k t u m — ein Abweichen werden die A r b e i t nehmer nicht verstehen) 3 7 5 ."

Als weitere Anmerkung schrieb Breu: „ K ö n n t e m i r eine Protokollnotiz vorstellen: Dort, w o eine Leistungszulagenerhöhung zu einer effektiven A u s w i r k u n g führt, w i r d diese A u s w i r k u n g zunächst ausgesetzt unter der Voraussetzung, daß die beiden Tarifvertragsparteien zu einer Uberprüfung der betrieblichen Verhältnisse zugezogen w e r den 3 7 8 ."

Moser meinte hierzu, daß die Inanspruchnahme einer solchen Möglichkeit zu einer Rufschädigung eines Unternehmens führen würde. I n Erfahrung habe sich das nicht bewährt. Schleinkofer entgegnete, daß es sich damals u m echte und nicht um anrechenbare Tariferhöhungen gehandelt habe. Seine Manteltarifkommission würde das schlucken. Der Schlichter führte daraufhin Einzelgespräche m i t beiden Parteien. Zuvor erklärte er, daß er es für unrealistisch hielte, die gesamtwirtschaftliche Debatte fortzusetzen, und er deshalb folgende Zwischenvorschläge machte: „1.5 °/o und 2. 3 Monatspauschalen"® 77 . I n dem Gespräch m i t der I G Metall sagte Schleinkofer u. a., daß die Gewerkschaft bei Auseinandersetzungen sehr schnell die Sympathie der 375 378 377

Ebd., S. 19 a. Ebd., S. 20. Ebd., S.20a.

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Öffentlichkeit auf ihrer Seite hätte. Eine Übertragung des Stuttgarter Ergebnisses für die ersten drei Monate entsprechend der Lohnrelation lehnte er ab, da dies eine Auseinandersetzung i n der Kommission gebe, die er nicht durchstehe. Hinsichtlich der Leistungszulage würde die Verhandlungskommission eine Härteklausel schlucken. Der Kompromiß der Gewerkschaft liege i n der Bereitschaft, sich auf Stuttgart zurückzuziehen. Moser erklärte i n dem Gespräch, das der Schlichter m i t den Arbeitgebern führte „die angebliche Kompromißbereitschaft der Gewerkschaft ist eigentlich ein Witz!" Das Stuttgarter Ergebnis sei kein Kompromiß, wo denn da der Kompromiß sei? „Es gehört ein großes Maß an Rabulistik (Wortverdreherei, Haarspalterei) dazu, dies einen Kompromiß zu nennen 3 7 8 ." Die Härteklausel bezeichnete er als Augenauswischerei. Der Arbeitgeberbeisitzer Schmidt führte an, daß der übertarifliche Spielraum von 23,4 % nur durch die Konzentrierung auf die Ballungsgebiete und auf ganz wenige Branchen zustande gekommen sei. N u r die Automobilindustrie und Unternehmen, die auf den Auftraggeber öffentliche Hand abwälzen könnte, seien verantwortlich, daß sich so hohe Zahlungen ergäben. Die Kriterien der Leistungsbeurteilung seien i n 28 Punkte gegliedert und damit sei der Raster zu grobmaschig und bei einer Kostensteigerung u m 50 bzw. 33°/o nicht mehr tragbar. Die Qualität des Systems würde hierdurch i n Frage gestellt. M o s e r s t e l l t e d a r a u f h i n dar, w e l c h e M ö g l i c h k e i t e n f ü r d i e L o h n e r h ö h u n g es aus i h r e r Sicht gäbe: „4,8 °/o fortlaufend 1 2 x 1 Pauschale 5,0 °/o fortlaufend ab 1. Februar ohne Pauschale 4,8 °/o + 2 Monatspauschale — ausgelegt auf 4,8 °/o (schon w e i l Hessen 5,0 °/o) 5,0 °/o + 2 Monate Pauschale — ausgelegt auf 5,0 % effektive DurchschnittsVerdienste 5,0 ®/o + 3 Monate Pauschale — ausgelegt auf 5,0 °/o 879 ."

Hinsichtlich der Leistungszulage wies Moser daraufhin, daß insbesondere i m Bereich der geringerwertigen Arbeiten das Polster wesentlich geringer als 23,4 °/o sei. Abschließend wurde noch der Stand der Verhandlungen bzw. der Schlichtungen i n den anderen Tarifgebieten rekapituliert und die Schlichtung nach § 2 Ziff. 8 2. Absatz auf Dienstag, den 4. A p r i l wegen vorübergehender Verhinderung des stimmberechtigten Vorsitzenden ausgesetzt. Die Fortsetzung wurde anberaumt auf Freitag, den 7. April, 10.30 Uhr. 878 879

Ebd., S. 22. Ebd., S. 23.

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

b) Erläuterung

und Beurteilung

Nachdem am Vortag das Stuttgarter Ergebnis erzielt worden war, war nun auch für die bayerische Schlichtung der Orientierungspunkt gegeben. Zuvor wäre ein bayerisches Ergebnis höchst ungewöhnlich gewesen, da einem i m Arbeitskampf erzielten Ergebnis i n der Regel nicht vorgegriffen wird. Interessant sind die Reaktionen beider Seiten. Während die Gewerkschaft, wohl i n realistischer Einschätzung ihrer Position, direkt auf das Stuttgarter Ergebnis einschwenkte, unternahm die Arbeitgeberseite den Versuch, den dortigen Abschluß für Bayern zu modifizieren. M i t ihrer Forderung nach einem Abschlag vom Stuttgarter Ergebnis, wegen der Ersparnis durch die zwei Feiertage, trafen sie offenbar eine empfindliche Stelle der Gewerkschaft, wie folgende Zitate zeigen: „ . . . zweitens, das w a r also die allergrößte Unverschämtheit, die m a n uns ans B e i n geschnürt hat, müßten w i r zur K e n n t n i s nehmen, daß dort i m Streikgebiet an zwei Feiertagen praktisch die Arbeitgeber nicht bezahlen mußten, . . . das müßte sich i n der Tarifsituation a u s w i r k e n . . . Das w a r sagenhaft. Das w a r fast nicht zu ertragen 3 8 0 ." „Dabei ist dann auch ein W o r t gefallen, das v o n uns sehr übel vermerkt worden ist, nicht n u r i n der Verhandlungskommission u n d i n der K e r n k o m mission sondern auch i n der Mitgliedschaft. Das W o r t des sogenannten Streikbonusses, d.h., daß sich das Tarifgebiet i n dem gestreikt worden ist, sich einen höheren Abschluß an die Fahne heften k a n n als die übrigen Bereiche 3 8 1 ."

Der Schlichtungsvorsitzende bemerkte wohl zu Recht, daß, trotzdem er das Stuttgarter Ergebnis unter beschäftigungspolitischen Perspektiven als zu hoch ansah, München daran nur vorbeikomme, wenn zwingende regionale Gründe vorlägen. Sein Zwischenvorschlag von 5 % entsprach dieser Ansicht. D. h., daß der Schlichter hier offenbar seine eigenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die i n diesem Fall stärker auf der Linie der Arbeitgeber lagen, gegenüber „der Macht des Faktischen" zurückstellte, da er sicherlich zu Recht annahm, bei einer A b weichung vom Stuttgarter Ergebnis ohne zwingende Begründung, erhebliche Unruhe i n der Arbeitnehmerschaft auszulösen. Die tatsächliche Bedeutung volkswirtschaftlicher Argumente für den Verhandlungsverlauf geht aus der Bemerkung des I G Metall-Bezirksleiters Schleinkofer hervor, daß es die Macht des Faktischen nicht mehr opportun erscheinen lasse, diese Argumente noch einmal i n den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. Seine Argumentation, daß der 380 381

Laus, S. 16. Jubelgas, S. 16.

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Arbeitskampf doch etwas koste, setzte Schleinkofer i n Widerspruch zu den Aussagen der Stuttgarter I G Metall-Bezirksleitung, die diese vor dem dortigen Ergebnis über den Vertrag gemacht hatte und ließ diese i m nachhinein als zweifelhaft erscheinen. Nach Breus Stellungnahme mußte für die Arbeitgeber klar sein, daß ein Belastungsvolumen von weniger als 5 % i n der Schlichtung nicht zu erreichen war. Der offenkundige Ärger der Arbeitgeber über die gewerkschaftliche Argumentation und die Einstellung des Schlichters hierzu resultiert möglicherweise aus dieser Einschätzung, konnte aber an der Tatsache nichts mehr ändern. Die Arbeitgeber trugen dieser Lage mit ihrem Vorschlag zur Lohnerhöhung auch weitgehend Rechnung. 4. Der vierte Schlichtungstag am 7. April 1978

a) Darstellung Zu Beginn des vierten Verhandlungstages am Freitag den 7. A p r i l 1978 u m 10.30 Uhr fragte der Vorsitzende, ob sich i n anderen Tarifgebieten etwas getan habe, was das Verfahren wesentlich beeinflussen würde. Insbesondere wollte er den Stand der Schlichtungen und der wiedereröffneten freien Verhandlungen i n anderen Tarifgebieten erfahren. I m Nordverbund lag die Einigung i n greifbarer Nähe. Hier sollte 5 % Tariferhöhung und für Januar und Februar eine Pauschale von je 137 D M gezahlt werden, außerdem sollte die Lohngruppe I I von 80 auf 85 % angehoben werden. I n den anderen Tarifgebieten war noch keine Einigung erzielt worden. Daraufhin rekapitulierte der Vorsitzende den Verhandlungsstand von Mittwoch früh 1.30 Uhr: Er sagte, daß sich seit Stuttgart der Problemkatalog u m zwei Komplexe verkürzt; nämlich a) um die gesamwirtschaftlichen Zusammenhänge und b) u m die Bewertung der wirtschaftlichen Lage der Metallindustrie schlechthin. Das Stuttgarter Lohnmodell entspreche einer zusätzlichen Belastung von 5,34%, bezogen auf den tariflich abgesicherten Durchschnittsverdienst. Die Erhöhung der Ausbildungsvergütung sei mit exakt 5 % zu bewerten. Die Anhebung der Lohngruppe I spiele i n N W - N B nur eine untergeordnete Rolle, während i n Bayern 0,6 bis 0,7% der gewerblichen Beschäftigten i n der Lohngruppe I sind. Die Arbeitgeberseite lehne das Stuttgarter Modell als volkswirtschaftlich überhöht ab. Eine Übertragung sei nur denkbar, wenn einer der beiden Korrekturfaktoren berücksichtigt werden würde:

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a) ein Abschlag von 0,40 % wegen der Feiertagsersparnis während des Arbeitskampfes und b) ein Abschlag von 0,50% wegen der geringeren Leistungskraft der bayerischen Metallindustrie. Die Gewerkschaft erkläre sich m i t einer Übernahme des Stuttgarter Lohnmodells einverstanden, wenn i n der materiellen Auswirkung keine Veränderung erfolge und die Leistungszulage entsprechend erhöht werde. Sie sei nicht bereit vom materiellen Ergebnis auch nur ein Jota abstreichen zu lassen. Die geforderten Abschläge lehnte sie als nicht gerechtfertigt ab. Die Haltung zur Leistungszulage sei bei beiden Seiten unverändert gewesen. „ A m Ende der dritten Verhandlungsrunde waren die Positionen folgende: 1. Arbeitgeber: a) L o h n : Äußerstenfalls 5 , 0 % + 2 oder 3 Monatspauschalen ausgelegt auf insgesamt 5,0 % b) Leistungszulage: Verweisung i n der Mantelrunde, da Forderung systemwidrig; die geforderte Erhöhung der tariflichen Absicherung verenge nicht n u r das übertarifliche Polster ungebührlich, sondern gehe i n 2 Bereiche auch echt u n d massiv i n die Kostenbelegung ein, was derzeit wirtschaftlich nicht tragbar sei. 2. Gewerkschaft:

a) Lohn: Materiell unveränderte Übernahme des Stuttgarter Modells; abgelehnt werden die v o m stimmberechtigten Vorsitzenden angesprochene Möglichkeit einer strukturorientierten Ausrichtung v o n Pauschalabgeltungen f ü r die ersten Monate, also v o n der Lohnrelation entsprechenden Pauschalen. b) Leistungszulage: K e i n Verhandlungsspielraum i n der Frage der Leistungszulage; eine sog. Härteklausel werde allerdings angeboten 8 8 2 ."

„Ich werde verhältnismäßig bald einen zweiten Einigungsvorschlag andeuten. Beweisnotstände, die nicht auszuräumen sind, werden w i r durch Entscheidungsfreudigkeit überbrücken müssen 303 ." Z u r L e i s t u n g s z u l a g e e r k l ä r t e B r e u u. a.: ,,a) die Forderung ist unbestrittenermaßen schlichtungsfähig b) ich persönlich halte die Forderung f ü r systemgerecht u n d d a m i t den Ländervergleich f ü r sachlich gerechtfertigt" 8 8 4 . 882 888

Schlichtung 78, S. 25 a. Ebd., S. 26.

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Als nächstes rekapitulierte er die noch nicht ausdiskutierten Fragen und die jeweiligen Positionen der Arbeitgeber und Gewerkschaften hierzu. Dazu gehörten u. a. die Erhöhung des Tariflohnniveaus durch die geforderte Leistungszulagenerhöhung, der Anteil und die Verteilung der Zeitlöhner i n der bayerischen Metallindustrie, Ausmaß und Struktur der übertariflichen Spanne und die Frage der Härteklausel. Hinsichtlich der Lohnerhöhung erklärte er: „ Z u r V e r k ü r z i m g u n d Konzentrierung des Verfahrens b i t t e ich davon auszugehen, daß ein Einigungsvorschlag, den ich m i t unterschreibe, v o n einer Erhöhung des Lohnniveaus (zum Jahresende) v o n 5°/o ausgehen w i r d . D e m nach verbleibt als offen die Frage, ob die ersten Monate der Laufzeit m i t einer die 5®/o erhöhenden Pauschale abgegolten werden sollen u n d w e n n ja, i n welchem Ausmaß u n d i n welcher Struktur. Die Frage lautet also: 5 % durchlaufend ab 1. Februar oder 5 % + 2 oder 3 Monatspauschalen ausgelegt auf 5,χ °/o, wobei das χ durch Stuttgart, also m i t 0,34 «Vo bzw. absolut m i t 411 D M begrenzt ist. Z u r Höhe, zur S t r u k t u r i e r u n g u n d zur Errechnimg der etwaigen Pauschale äußere ich mich erst, w e n n einige noch nicht ausdiskutierte Fragen abgehakt sind. Die Fragen, ob w i r ggf. v o n Vo-Zahlen auf absolute Zahlen rechnen oder umgekehrt, ob w i r auf 2 oder 3 Monatspauschalen verteilen usw. sind nachrangig u n d können Sie besser bewerten als ich 3 8 5 ."

I m folgenden ging Breu noch auf nicht ausdiskutierte Fragen i m Zusammenhang mit der Lohnerhöhung ein. Auch hierzu wiederholte er die Positionen beider Verhandlungsparteien ohne jedoch selber Stellung zu beziehen. Angesprochen wurde dabei die Frage der geforderten Abschläge, die größere Schwäche der bayerischen Metallindustrie und die Ausgestaltung der Pauschale nach Höhe, Struktur und Berechnung. Dann nannte er die Vorteile der Arbeitgeberseite i n Bayern i m Vergleich der gewerkschaftlichen Forderungen i n den anderen Tarifgebieten: ,,a) Ziff. 3 Stuttgart (15, 21) Es w i r d keine N i v e l l i e r u n g der L o h n s t r u k t u r gefordert i m Gegensatz zur Mehrzahl der anderen Tarifgebiete; auch nicht bei den Ausbildungsvergütungen. b) K e i n Absicherungsvertrag, der doch etwas kostet, der i n °/o bezüglich der Gesamtbelastung nicht ausdrückbar, i m Einzelfall aber berechenbar, k a n n nämlich bis zu 5 000 kosten, w a r die Dispositionsfreiheit beschränkt. Moser: Es gehört ein großes Maß an Rabulistik dazu, dies einen K o m p r o miß zu nennen. 384 385

Ebd. Ebd., S. 28.

8 Schilling

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C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

c) Bonus der anderen Laufzeit: Der bayerische Monat b r i n g t Vorteile (0,5 %> Lohnzuwachs). d) Gewerkschaft akzeptiert sofort die unveränderte Übernahme v o n S t u t t gart. W e n n m a n das Ergebnis i m Streikgebiet annimmt, hat m a n auch zurückgesteckt. e) M a n erklärt, daß man auch k ü n f t i g nicht sockeln w i l l . f)

Härteklausel

g) Kämpfe i n Bayern. Bessere Stellung i n der Öffentlichkeit 3 8 6 ."

I n der folgenden Zusammenfassung nahm Breu schließlich selber Stellung zu den Problemkomplexen und richtete sich damit offenbar vor allem an die Arbeitgeber: „(1) Es ist richtig, daß der Produktionsfaktor A r b e i t dem Unternehmer zu teuer geworden ist, a) i m Verhältnis zum F a k t o r Kapital, deshalb werden Arbeitsplätze laufend wegrationalisiert, b) i m Verhältnis zur P r o d u k t i v i t ä t (bei geringem Wachstum), deshalb werden keine Arbeitsplätze neu geschaffen. (2) Zweifelhaft aber ist, ob die reine Lehre der Sachverständigen zutrifft, daß über P r o d u k t i v i t ä t orientierte Lohnzuwachse u n d dadurch wieder entstehende rentable Produktionen wieder mehr Nachfrage entstehen würde. (4) Sie w o l l e n eine grundlegende K u r s k o r r e k t u r i n der Lohnpolitik, d. h. der Partner soll m i t einem Schlag zurückstecken, das ist eine lohnpolitische Roßkur. So k a n n nicht d i k t i e r t werden, auch w e n n sie die besseren Argumente haben. D a f ü r m u ß erst geworben werden — Vertrauensbasis schaffen. (5) Sie gehen ein hohes Risiko ein; Sie können nichts garantieren, höchstens negativ; Sie können nicht garantieren, daß höhere Gewinne allein schon mehr Investitionen bringen, höchstens umgekehrt. . . . Das k a n n also umschlagen! Aus Enttäuschimg über das Ausbleiben rasch einsetzender Beschäftigungswirkung? k a n n das lohnpolitische Ruder w i e der herumgerissen werden. (6) Erst den Erwartungshorizont der Arbeitnehmerschaft bereiten — Den ersten Schritt t u n — m i t t e l f r i s t i g aufbauen u n d stetige Grundlinie f o r t setzen — Bereitschaft zur Geduld h a t abgenommen — Geduld beweisen — jahrelang h a t m a n n u r v o n Wachstum gesprochen, jetzt muß m a n das Gespräch über die zu hohen Löhne vorbereiten. Das ist der bedeutendste Aktivposten unserer Ordnung? (7) Wichtiger ist der soziale Konsensus; totale Konfrontation der P o l i t i k darf nicht auf die Tarifvertragsparteien überspringen. (8) M i t ein paar zehntel Prozenten mehr L o h n als gesamtwirtschaftlich erwünscht, k a n n m a n leben. 3

Ebd., S.

.

V i l i . Die Schlichtung i n Bayern

115

(10) Sie sagen: Wenn nach der bisherigen Lohnformel Produktivitätsfortschritt u n d Inflationsrate gewährt w i r d , k a n n der M a r k t nicht die zur Vollbeschäftigung passende Lohnformel finden. — Freie m a r k t w i r t schaftliche Verhältnisse haben w i r i n mancher Beziehung sowieso nicht mehr, u n d auch die Tarifvertragsparteien tragen dazu b e i . . . (11) E i n neuer Lohntarifvertrag muß 3 Bedingungen erfüllen: a) A u f die Kostensituation Rücksicht nehmen, b) die K a u f k r a f t erhalten, c) sozialen Frieden w a h r e n — rebellische Basis — w i l d e r S t r e i k 3 8 7 . "

Nach Breu referierte Moser über den Verhandlungsstand i n den anderen Tarifbezirken. Stadler schilderte die Beurteilung der konjunkturellen Situation durch die Bundesbank. Daraufhin berichtete Schleinkofer von der vierstündigen Sitzung der Großen Tarifkommission am Vortag: Alle hätten Unverständnis, Enttäuschung und Erbitterung gezeigt. a) Pauschalen hätte m a n i n der Vergangenheit i m m e r i n Einheitsbeträgen festgelegt, wozu Moser erklärte, daß er dies nicht bestreiten könne. b) Der Ländervergleich sei ein einmaliger u n d erstmaliger Vergleich. c) Ergebnis: Abstand zu irgendeinem anderen T a r i f gebiet, zumindest aber z u m B u n d sei nicht mehr gerechtfertigt. d) Durch den einmonatigen zeitlichen Rückstand sei man i m L o h n u m 0,5 %> i m Rückstand. 1978 erhielten die Beschäftigten i n Bayern u m 0,45 % w e n i ger Gehaltszulage als i n anderen Gebieten. Eine Gleichziehung der L a u f zeit müsse dann ernsthaft geprüft werden.

Moser erwiderte hierauf, man müsse wegen der besonderen Situation erstmals von Stuttgart weg. Bayerische Lebenshaltungskosten seien günstiger, das müsse auch berücksichtigt werden. A n dem Bayernmonat hätten beide Seiten ein politisches Interesse. Die Arbeitgeber seien weder bereit, noch i n der Lage, diesen politischen Faktor der gemeinsamen Tarifpolitik jedes Jahr mit einem Sonderbonus abzukaufen. Der Januar 1978 sei durch den letzten Abschluß v o l l honoriert. Die Diskussion drehte sich dann noch einmal um ein von der I G Metall am gleichen Tage vorgelegtes Papier 3 8 8 , m i t dem die Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Struktur und Entwcklung der Metallindustrie i n Baden-Württemberg und Bayern belegt werden sollte. Darin wurde von der Prognos-AG für Bayern und Baden-Württemberg u. a. ein etwa gleichstarker Produktionsanstieg von 1975 bis 1990 von knapp 1 4 % prognostiziert. Die Beschäftigtenzahlen sollten i n Bayern m i t 16,7% i m gleichen Zeitraum sogar stärker als i n Baden-Württemberg mit 12,5 % steigen. Der Absender des Papiers schrieb hierzu: 387

Ebd., S. 31 f. Schreiben des I G M - M i t g l i e d e s Schmidt, Frankfurt, F r a n k f u r t , vorgelegt a m 7. A p r i l 1978. 888

*

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

116

„Ob die positiven Aussagen v o n Prognos über die Beschäftigung nützlich sind f ü r einen etwaigen Versuch, den Absicherungsvertrag zu übernehmen, sei dahingestellt 3 8 9 ."

Z u diesem Papier argumentierten beide Seiten entsprechend ihren Begründungsstrukturen. I n einem Einzelgespräch unterhielt sich dann der Schlichter mit I G Metall-Bezirksleiter Schleinkofer: Dieser erklärte, daß die I G Metall ein bayerisches Ergebnis wolle und nicht zentral gebunden sei. Der Schlichter solle feststellen, ob bei der Gegenseite ein zweiter Schwerpunkt abgewartet werden müsse. Schon am Mittwoch habe man sich unterhalten, ob es zweckmäßig gewesen sei, daß die Gewerkschaft so schnell auf Stuttgart eingeschwenkt sei. „ W i r wollten einen Schritt tun. Pauschbetrag brauchen w i r und dann muß er auch 137 D M betragen. 8,82 versteht niemand 3 "!" Bei der Leistungszulage sei der Unterschied zum Bund unbestreitbar. Es sei keine Systemsprengung. Man wolle nicht aus der Schlichtung heraus, könne aber die Punktwerterhöhung erst wirksam werden lassen, wenn die Manteltarifrunde abgeschlossen sei. Dies müsse allerdings vor dem Zeitpunkt der nächsten Lohn- und Gehaltserhöhung erfolgen. Der Schlichter notierte sich hierzu: „1. Die Gewerkschaftsseite wünscht, u n d das w e n n möglich bald, ein bayerisches Ergebnis, sie ist i n keiner Weise v o n irgendwelchen strukturellen Rücksichten gebunden. Sie wünsche von der Gegenseite zu hören. 2. Etwaige Schritte aufeinander zu sind i n ihren Einzelheiten stets abgehangen v o m entstehenden Gesamtpaket. 3. O b w o h l die gewerkschaftliche Seite bis zur Stunde eine Stuttgarter zusätzliche Pauschalabgeltung als unabdingbar bezeichnet, könnte ich mir, der Vorsitzende, aufgrund meiner Gespräche m i t der gewerkschaftlichen Seite vorstellen, daß diese i n Richtung Nordverbund (sprich 2 Monatspauschalen) bewegt werden könne 137 D M u n d nicht 128,18 D M . 4. Zur Leistungszulage: Gewerkschaft besteht auf einer Regelung i n diesem Verfahren. Sie deutet Entgegenkommen i n folgender Richtimg an: Eine Punktwerterhöhung w i r d zwar schon jetzt festgelegt, aber erst i m Herbst (spätestens i m Oktober), sicher aber v o r der nächsten Tariflohnerhöhung, wirksam. Die Härteregelung, sprich Aussetzungsmöglichkeit, w i r d nach w i e v o r angeboten. M e i n Drängen, u. U. das Ausmaß der Punktwerterhöhung auf etwa 60 °/o der Forderung (sprich 10 auf 13 % , 0,20 auf 0,26 Vo = 30 Vo) zu begrenzen stieß auf keine große Gegenliebe. Ich habe aber Hoffnung, daß

389 390

Ebd., S. 1. Schlichtung 78, S. 33 a.

V i l i . Die Schlichtung i n Bayern

117

0,20%-0,30% 0,15%-0,20 % 0,20 %>- 0,28 % 0,15%-0,19% 1 0 % auf 1 4 % 7,5 % - 9,5 % immer i m Rahmen Gesamtpaket erreichbar i s t 3 9 1 . "

Moser meinte hierzu, daß ein Mitdenken über eine Leistungszulage für die Arbeitgeber erst i n Frage käme, wenn sie über den Schlichter ein Signal bekämen, daß die I G Metall eine Lösung mit durchlaufend 5 % akzeptieren könnte. Sonst bestehe keine Chance für eine Einigung. Auch Schleinkofer meinte hierzu, daß unter diesen Umständen keine Chance für eine Einigung bestünde. A u f die Frage des Schlichters, ob eine solche Chance auch nicht bei einer entsprechenden Erfüllung der Leistungszulagenforderung bestünde, kam die A n t w o r t : „Dieses Modell 5 % ohne Pauschale ist f ü r uns n u r diskutabel, w e n n die Leistungszulagenforderung v o l l e r f ü l l t w i r d 3 9 2 . "

A u f die weitere Frage des Schlichters, ob nicht ein Einstieg von beiden Seiten aus denkbar sei, wie z. B. durch die Gewährung einer Monatspauschale und flexibler Verhandlung der Leistungszulagenforderung antwortete Schleinkofer: „Nein, dann k o m m t bei unseren Leuten erst recht die Frage der Pauschalen auf 393."

Moser erkannte an, daß m i t 5 % ein Weg aufgezeigt würde, der richtig sei. Die Arbeitgeber seien allerdings der Meinung, daß die Maximalforderung von voller Erfüllung der Leistungszulagenforderung ab 1. Februar 1978 eine Belastungsdimension von über 8 % heraufbringen würde. Eine Zahl über die sie nicht ernsthaft diskutieren könnten. „ F ü r uns ist u n d bleibt die materielle Gesamtbelastung m i t 5 , 2 % eine Grenze, über die hinaus k e i n Weg führt. W i r w ü r d e n i m Interesse einer Einigung bereit sein, unsere schlüssige Feststellung der Forderung eines A b schlages nach Stuttgart aufzugeben. W i r akzeptieren die 5,2 % als Belastungsgröße i n der Form, daß w i r durchlaufend 5,0 % f ü r 12 Monate zahlen u n d die dann verbleibende Spanne v o n 0 , 2 % sinnvoll f ü r die Teillösimg des L e i stungszulagenkomplexes einsetzen 394 . "

Moser erklärte, daß er dazu keine Vorschläge machen könne und deshalb den Vorsitzenden bitte, selbst einen Vorschlag zu machen. 0,63 % würden es ermöglichen, den Mittelwert der Leistungszulage bei A n gestellten und Arbeitern jeweils u m einen Prozentpunkt zu erhöhen. Es wäre also mit 0,2 % möglich, den Mittelwert für ein volles Jahr u m etwa je 1/3 Prozentpunkt aufzustocken, d. h. daß es für vier Monate möglich wäre ,um je ein volles Prozent zu erhöhen. 301 392 393 394

Ebd., S. 33 b u n d S. 34. Ebd., S. 35. Ebd. Ebd.

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C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

I n die Verhandlungen kam die Nachricht der Einigung i n Niedersachsen. Dort wurden 5 % durchlaufend für 12 Monate gewährt und eine Anhebung der tariflichen Leistungszulage i n vier Stufen vereinbart. Der Schwesterverband des V B M bewertete den Abschluß mit 5,1 % . Schleinkofer erklärte das Ergebnis des Denkprozesses auf Arbeitgeberseite für nicht akzeptabel. Die Gewerkschaft bevorzuge einen Komplex und zwar die Leistungszulage. Ein neuer Zwischenvorschlag des Schlichters m i t einer Pauschale von 128,18 D M und einem Dreijahresplan ab 1. J u l i für die Erhöhung der Leistungszulage stieß bei den Arbeitgebern sowohl wegen der Kombination als auch wegen der Konditionen auf einmütige Ablehnung. Sie hielten es für an der Zeit, einen Einigungsvorschlag zu erbitten. Dazu legten sie ihre Positionen dar, bei denen der Schlichter ohne Weiterverhandeln m i t den Stimmen der Arbeitgeberbeisitzer rechnen könnte. Der Ausgangspunkt seien 5,2%. Die Arbeitgeber würden es bevorzugen, wenn eine Lösung i m Zweierpack käme i m Bereich der Leistungszulagen. „Sollte ein solcher Vorschlag nicht gemacht werden, w o l l t e n w i r signalisieren, daß sie m i t den Stimmen der Arbeitgeberbeisitzer, w e n n auch m i t weitem Abstand der Meinung, 3 χ 128 D M + 9 x 5 % + Zurückweisung der Leistungszulagen an den Manteltarifbereich 8 9 5 ."

Bei Schleinkofer war „keine Begeisterung 1 Monatspauschale... wenn Pauschale, dann für 2 Monate" 3 9 6 . Zur Leistungszulage sagte er: „unter der Bedingung, daß man die Pauschalregelung auf 2 Monate (ausdehnen könne), würde Bereitschaft bestehen, sich dem Plan anzuschließen3«7." Moser legte daraufhin den Entwurf einer Einigung vor: „1. Löhne u n d Gehälter werden a b . . . u m 5 % erhöht; Ziffer ab 1. Februar sinngemäß. 2. F ü r die Monate Februar, März u n d A p r i l 78 erfolgt die Erhöhung der Löhne u n d Gehälter durch Zahlung eines Pauschalbetrages von j e 128 D M brutto. 3. Die Forderung der I G M e t a l l auf Erhöhung des Punktwertes f ü r die tariflichen Leistungszulagen der Zeitlöhner werden i m Rahmen der Manteltarifverhandlungen unverzüglich nach Ende der L o h n - u n d Gehaltsrunde 1978, u n d zwar innerhalb dieser Verhandlungen m i t Vorrang, weiterberaten. Die insoweit bereits gekündigte Forderung bleibt schlichtungsfähig. Bei Scheitern dieser Verhandlungen k a n n erneut ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden. Das Schlichtungsverfahren k a n n fort895 89β 897

Ebd., S. 37 a. Ebd., S. 38. Ebd.

V i l i . Die Schlichtung i n Bayern

119

gesetzt werden u n d zwar unabhängig v o m Stand der übrigen Verhandlungen zum übrigen Manteltarif. Das Schlichtungsverfahren w i r d f ü r diesen T e i l ausgesetzt zum Zweck der Fortsetzung i n freier Verhandlung. 4. Ausbildungsvergütung öVo (exakte). Auch w e n n einstimmig (beschlossen) E r k l ä r u n g bis Freitag nächster Woche 18.00 U h r 3 9 8 . "

Dieser Einigungsvorschlag wurde von beiden Seiten akzeptiert. b) Erläuterung

und Beurteilung

I n dieser 4. Schlichtungsrunde war schon zu Anfang deutlich zu erkennen, daß sich der Klärungsprozeß verdichtete und einer Einigung zustrebte. Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und die Bewertung der wirtschaftlichen Lage der Metallindustrie schlechthin, galten seit dem Stuttgarter Ergebnis als erledigt. Die Rekapitulierung der Verhandlungspositionen machte deutlich, wo Meinungsverschiedenheiten bestanden und erleichterte die Konzentration auf diese Punkte. Zudem gab Breu bekannt, daß ein Einigungsvorschlag den er unterschreiben würde, von einer Erhöhung des Lohnniveaus von 5 % ausginge. Damit war beiden Parteien ein klarer Orientierungspunkt gegeben. Offen war nur noch die Frage ob Pauschalen oder eine Erhöhung des Punktwertes der Leistungsbeurteilung gewährt werden sollten. Breu sprach i n dieser Phase i n erster Linie die Arbeitgeber an und versuchte, sie i m Gespräch von der Notwendigkeit des Nachgebens i n diesem Fall zu überzeugen. Er bezog dabei klar Stellung und ließ keine Zweifel daran, daß er i n dieser Frage der gewerkschaftlichen Position näherstand und deshalb stärker versuchte auf die Arbeitgeber einzuwirken, u m sie zum Einlenken zu bewegen. I n Breus Argumentation dominiert zu diesem Zeitpunkt der Aspekt der Rücksichtnahme auf den sozialen Frieden. Trotzdem er den Faktor Arbeit als zu teuer bezeichnet, hält er es doch für notwendig, u m des sozialen Friedens willen, entsprechende Lohnerhöhungen zu gewähren. Schleinkofer beruft sich i n der Ablehnung des Arbeitgeber-Angebotes auf seine Tarifkommission, die enttäuscht und erbittert gewesen sei. Nachdem die gesamtwirtschaftliche Diskussion beendet ist, kommt das von der I G Metall vorgelegte Papier i n dieser Phase offensichtlich zu spät, u m den Verlauf der Ereignisse beeinflussen zu können. Nach den weiteren Einzelgesprächen, waren die Positionen beider Seiten klar: Die I G Metall wollte i n Prozentzahl und Pauschale die Übernahme des Stuttgarter Ergebnisses, wobei der Schlichter allerdings vermutete, daß bei der Pauschale gewisse Abstriche möglich wären. Bei 398

Ebd., S. 38 f.

120

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

der Punktwerterhöhung war die I G Metall insofern bereit nachzugeben, als diese Erhöhung zwar jetzt vereinbart, aber erst i m Herbst, bzw. vor der nächsten Tariferhöhung wirksam werden könnte. Die Arbeitgeber wollten hingegen die Leistungszulage nur bei einer Beschränkung des Gesamtvolumens auf 5 % akzeptieren. A u f die Frage des Schlichters war die I G Metall dann sogar bereit, auf die Pauschale zu verzichten, wenn die Leistungszulage voll erfüllt würde. Damit waren die Positionen nicht mehr weit voneinander entfernt. Bei einer Tariferhöhung von 5 °/o ging es nur noch u m die Frage, i n welchem Umfang die Leistungszulagenforderung erfüllt werden sollte. Die Arbeitgeber bevorzugten offensichtlich eine Lösung mit Leistungszulage, gegenüber einer Lösung mit Pauschale. Trotzdem erklärten sie sich auch zu einer Lösung bereit, die keine Leistungszulage, sondern nur eine Pauschale von 3 χ 128 D M beinhaltete. Damit war der Einigungspunkt erreicht. Die I G Metall war bereit, die Diskussion der Leistungszulage zu vertagen und die Arbeitgeber waren bereit, i n der Pauschalregelung der Gewerkschaft weiter entgegenzukommen als ursprünglich geplant. Die Bereitschaft der Arbeitgeber, diesen relativ großen Schritt zu tun, war es, die die Einigung zu diesem Zeitpunkt ermöglichte. Bei einem Vergleich der Positionen beider Seiten nach dem Stuttgarter Ergebnis zeigt sich, daß nachdem die Gewerkschaft auf dieses Ergebnis eingeschwenkt war, die Arbeitgeber einen größeren Schritt zum Einigungspunkt h i n unternahmen. Wie von allen Beteiligten bestätigt wurde, hatte der Schlichter an dieser Einigung erheblichen Anteil. I X . D i e Abschlüsse i n den anderen Tarifbezirken

M i t dem Abschluß i n Nordwürttemberg-Nordbaden war das Signal für die anderen Tarif bezirke gegeben, auch zum Abschluß der jeweiligen Tarifrunden zu kommen. Zunächst erklärten am 7. A p r i l 1978 die Bereiche SüdwürttembergHohenzollern und Südbaden die Bereitschaft, das Verhandlungsergebnis von Nordwürttemberg-Nordbaden zu übernehmen 3 9 9 . Für die dort beschäftigten 250 000 Arbeitnehmer wurden alle Bestandteile des Stuttgarter Abschlusses: die Lohnerhöhung, die Pauschale und der Absicherungsvertrag übernommen, da nach Meinung der Arbeitgeber die 3 Tarif gebiete i n Baden-Württemberg auch wegen der gleichlautenden » · Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 50.

I X . Die Abschlüsse i n den anderen Tarifbezirken

121

Gewerkschaftsforderungen eine Einheit darstellten 4 0 0 . Einen Streitpunkt bildete allerdings noch die Frage, ob die Arbeitgeber auch i n diesen beiden Tarif gebieten der Gewerkschaft jährlich Verbandsstatistiken über die Lohnstruktur übergeben würden 4 0 1 . Ebenfalls am 7. A p r i l 1978 erzielte Niedersachsen ein Verhandlungsergebnis. Auch hier betrug die Lohn- und Gehaltserhöhung 5 % für die 125 000 Beschäftigten 402 . Es wurde allerdings keine Pauschale, sondern eine stärkere Anhebung der Lohn- und Gehaltsgruppen unter dem Ecklohn vereinbart 4 0 3 . Außerdem sollten i n Niedersachsen i n einem 4-jährigen Stufenplan die Leistungszulagen für Angestellte vom 1. Januar 1979 an, u m 1 % und i n den folgenden Jahren um jeweils 0,5% erhöht werden 4 0 4 . Einen Tag später, am 8. A p r i l 1978, wurde i n Hamburg i n der Schlichtung unter dem Vorsitz des früheren Hamburger Bürgermeisters Peter Schulz ein einstimmiger Einigungsvorschlag für den Nordverband erzielt. Für die 286 000 Beschäftigten der Metallindustrie von Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und dem nordwestlichen Niedersachsen wurde eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 5 °/o und für Januar und Februar eine Pauschalzahlung von 137 D M vereinbart 4 0 5 . Ebenfalls am 8. A p r i l 1978 gab es i n Bayerns Metallindustrie für 660 000 Beschäftigte einen Einigungsspruch i n der Schlichtungsstelle, die unter dem Vorsitz von Ministerialrat Dr. Pankraz Breu vom A r beitsministerium tagte. Hier wurde neben der 5%igen Tariferhöhung eine Pauschale von je 128 D M für die Monate Februar, März und A p r i l vereinbart 4 0 6 . Außerdem sollte die Zusatzforderung der Bayerischen I G Metall auf Anhebung der Leistungszulagen bei den bereits angelaufenen Manteltarif-Verhandlungen vorrangig behandelt werden 4 0 7 . A m 10. A p r i l 1978 kam es i n Berlin zu einem einstimmigen Einigungsvorschlag. Neben der 5 %igen Lohn- und Gehaltserhöhung wurde vereinbart, ab 1. J u l i 1978 die Lohngruppen I und I I um 6 bzw. 7 Pfg. und am 1. J u l i 1979 die Lohngruppe I nochmals u m 1 % zu erhöhen 4 0 8 . 400

Vgl. SZ v o m 8. A p r i l 1978. Vgl. SZ v o m 18. A p r i l 1978 u n d Metall-Nachrichten Nr. 44 u n d 45 v o m 18. u n d 24. A p r i l 1978. 402 V g l < F R v o m ι α A p r i l 1 9 7 8 > 401

403

Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 51. Ebd. 405 Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 51 u n d FR v o m 10. A p r i l 1975. 4oe Vgl. Einigungsvorschlag der Schlichtungsstelle der Bayerischen M e t a l l industrie v o m 8. A p r i l 1978. 404

407 408

Ebd. Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 51.

122

C. Die Tarifrunde 1978 i n der Metallindustrie

Nordrhein-Westfalen, das größte Tarifgebiet m i t rund 1 M i l l . Beschäftigten, erzielte am 11. A p r i l 1978 ein Verhandlungsergebnis 409 . Hier wurde neben den 5°/o eine Pauschale von je 110 D M für die Monate Januar, Februar und März vereinbart 4 1 0 . Bereits wenige Stunden nach Beendigung der Krefelder Verhandlungen stimmte die Tarifkommission der I G Metall für Nordrhein-Westfalen dem Ergebnis m i t 149 gegen 46 Stimmen zu 4 1 1 . Die Mittelgruppe, zu der Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland gehören, erzielte am 12. A p r i l 1978 ein gemeinsames Verhandlungsergebnis. Als einzigem Tarifbereich, außer Baden-Württemberg, wurde hier neben der 5 % i g e n Tariferhöhung auch ein Absicherungsvertrag vereinbart 4 1 2 . Dieser „Frankfurter Abgruppierungsschutz" lehnte sich dabei eng an die Stuttgarter Vereinbarung an; der wesentliche Unterschied lag i n der Regelung, daß der Verdienstausgleich nicht für leistungsabhängige Lohn- und Gehaltsbestandteile gewährt wurde 4 1 3 . Schließlich erzielten am 14. A p r i l 1978 die Tarifpartner i n Osnabrück ein Ergebnis, daß i n Prozentzahl und Pauschale dem von NordrheinWestfalen entsprach. Zusätzlich wurde hier noch für ältere Arbeitnehmer ein Lohnausgleich bei Leistungsminderung durch eine Anhebung von 95 auf 100 % vereinbart 4 1 4 .

409

Vgl. SZ v o m 13. A p r i l 1978. Vgl. G M - B e r i c h t 77 - 79, S. 51. 411 Vgl. SZ v o m 13. A p r i l 1978. 412 Ebd. 413 V g L F A Z v o m 13. A p r i l 1978.

410

414

Vgl. G M - B e r i c h t 77 - 79, S. 51.

D. Die Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß I . D i e wirtschaftlichen Einflußfaktoren 1. Wirtschaftliche Begründungszusammenhänge auf Gewerkschaftsseite

a) Das Schema der gewerkschaftlichen

Argumentation

Gewerkschaften und Arbeitgeber gehen, insbesondere was die Rolle des Lohnes betrifft, von unterschiedlichen wirtschaftlichen Grundkonzeptionen aus. I n der gewerkschaftlichen Betrachtung steht nicht die Rolle des Lohns als Kostenfaktor, sondern als Nachfrage- und selbstverständlich als Einkommensfaktor i m Vordergrund 1 . Die Hauptursache für Investitionsschwäche und Unterbeschäftigung sei die allgemeine Nachfrageschwäche. Der wichtigste Ansatz zur Steigerung des Wachstums und zum Abbau der Arbeitslosigkeit sei die Belebung der Nachfrage 2 . Die zentrale Rolle, die der private Verbrauch bei der Nachfragebelebung einnehme, könne sowohl daran erkannt werden, daß er mit rund 55 °/o den mit Abstand größten Verwendungsbereich des Sozialproduktes darstelle, als auch am Beispiel der Metallverarbeitung verdeutlicht werden. So hatten 1977 die investitionsnäheren Sektoren der Metallverarbeitung wie Maschinen- und Stahlbau i m Vergleich zum Vorjahr weit unterdurchschnittlich abgeschnitten®. Weit überdurchschnittliche Wachstumsraten hatten hingegen die verbrauchsnäheren Sektoren der Metallverarbeitung wie der Straßenfahrzeugbau und die elektrotechnische I n dustrie i n Produktion und Umsatz erreicht 4 . Rund 3/4 der verfügbaren Haushaltseinkommen hingen mittelbar oder unmittelbar von der gewerkschaftlichen Tarifpolitik ab 5 . Deshalb sei es der Sinn des gewerkschaftlichen Kaufkraftarguments, daß die Tarifpolitik über ihre soziale Bedarfsdeckungsfunktion hinaus auch einen Beitrag zur Stabilisierung von K o n j u n k t u r und Beschäftigung 1 Vgl. Wirtschaftliche Begründung der L o h n - u n d Gehaltsforderung, V o r lage f ü r die Schlichtungsstelle, Vorstand der I G M e t a l l Deutschland — A b t . Wirtschaft —, Januar 1978, S. 7. 2 Ebd., S. 7. 3 Ebd., S. 8. 4 Ebd., S. 9. 6 Ebd., S. 10.

124

D. Die Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

leisten könne, — zusammen mit der Wirtschaftspolitik und gegen die Arbeitgeberpolitik 6 . Dieser Sicht der wirtschaftlichen Zusammenhänge entspricht folgendes Forderungsschema der I G Metall, das seit Jahren für die Forderungen nach prozentualer Lohn- und Gehaltserhöhung verwandt wird 7 . 3 Bestandteile sind hierfür maßgeblich: 1. Der 1. Teil ist die volle Beteiligung der Arbeitnehmer am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs 8 . 2. Der 2. Teil ist die Forderung nach vollem Preissteigerungsausgleich für die Arbeitnehmer 9 . 3. Außerdem gehört auch noch eine verteilungspolitische Komponente zum gewerkschaftlichen Forderungsschema 10 . aa) Der Produktivitätszuwachs Die Gewerkschaft führt i n ihrer Forderungsbegründung aus, daß die Wachstumsabschwächung 1977 zu praktisch keiner Beeinträchtigung der Produktivität bzw. des Produktivitätszuwachses geführt habe. Vielmehr sei i n starkem Maße die Beschäftigung beeinträchtigt worden 1 1 . Für das kommende Jahr (1978) werde eine reale Wachstumsrate von 4 % erwartet 1 2 . Es sei deshalb davon auszugehen, daß diese 4°/oige Wachstumsrate nicht für einen Abbau der Arbeitslosigkeit ausreiche und ihr Ergebnis allenfalls ein konstantes Arbeitsvolumen sein könne 1 3 . Selbst aber wenn die Wachstumsrate 1978 ζ. B. nur 3,5 °/o betrage, so werde dies zwar mit einem Rückgang des Arbeitsvolumens um 0,5% erkauft, jedoch den erwarteten gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs von 4 % nicht beeinträchtigen 14 . Die erwartete Produktivitätssteigerung i n der Metallindustrie nimmt i n der gewerkschaftlichen Begründung nur sehr wenig Raum ein. Es w i r d zwar auf die Produktivitätsentwicklung i n der Metallindustrie eingegangen und diese für das vorausgegangene Jahr (1977) insgesamt als 1 % höher als i n der Gesamtindustrie und 2 % höher als i n der Gesamtwirtschaft bezeichnet 15 , für das kommende Jahr (1978) werden » Ebd., S. 12. 7 Vgl. Interviews Loderer, ebd., S. 7, Bracker v o m 12. März 1979 i n H a m burg, S. 1 u n d B u h l v o m März 1979 i n Hannover, S. 6. 8 Vgl. Wirtschaftliche Begründung der L o h n - u n d Gehaltsforderung (im Folgenden zitiert als IGM-Wirtschaftsbegründung), S. 15. 9 Ebd., S. 18. 10 Ebd., S. 18 f. 11 Ebd., S. 14. 12 E b d , S. 15. 13 Ebd., S. 15. 14 Ebd., S. 15.

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

125

jedoch keine Zahlen für die erwartete Produktivitätssteigerung i n der Metallindustrie genannt 1 6 . Es heißt lediglich, daß „ i n der Metallverarbeitung für 1978 m i t einer leicht überdurchschnittlichen Zuwachsrate i n der Produktion und vermutlich 17 auch bei der Arbeitsproduktivität gerechnet werden" könne 1 8 . D. h. es werden nur allgemein positive Erwartungen für die Produktionsentwicklung i n der Metallindustrie dargestellt, ohne sie zu präzisieren und ohne sie als unmittelbare Forderungsbegründung heranzuziehen. Die unmittelbare Forderungsbegründung bildet die gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwachsrate. Die vage Beschreibung der erwarteten Entwicklung für die Metallindustrie dient offenbar nur dazu, eine allgemeine Parallel-Entwicklung und daraus folgend auch die Möglichkeit der Unternehmen, diesen Produktivitätszuwachs als Lohnund Gehaltserhöhung zu gewähren, zu demonstrieren. bb) Die Preissteigerungsrate Der elementarere der beiden Forderungsbestandteile ist nach gewerkschaftlicher Darstellung die Berücksichtigung der Preissteigerungsrate. „ M i t dem Ausgleich der Preissteigerungsrate verfolgt die I G M e t a l l das Ziel, sowohl den Lebensstandard als auch die Massenkaufkraft der Arbeitnehmer u n d ihrer Familien aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus h ä l t sie jedoch auch eine Beteiligung am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs sowohl f ü r sozial gerechtfertigt als auch zur Sicherung des Absatzes der hierdurch ermöglichten Mehrproduktion f ü r erforderlich 1 9 ."

Auch beim Inflationsausgleich steht die erwartete gesamtwirtschaftliche Preissteigerungsrate i m Vordergrund. N u r für 1977 werden Preissteigerungsraten i n der Metallindustrie angegeben, 3,9 % i n der Metallindustrie gegenüber 2,9 % i n der Gesamtindustrie auf den Inlands- und dementsprechend 3 , 9 % und 1,3% auf den Auslandsmärkten. Einzelne Bereiche der Metallverarbeitung setzten die Preise 1977 sogar noch stärker herauf, so ζ. B. der Maschinenbau u m 5,3 % , der Stahlbau u m 5 , 2 % und die Metallverarbeitung u m 4,2 % 2 0 . I n der Darstellung der Aussichten für 1978 werden jedoch keine Angaben über die erwartete Preissteigerungsrate i n der Metallindustrie gemacht 21 . 15

Ebd., S. 21. Ebd., S. 23. 17 Hervorhebung durch den Verfasser. 18 Vgl. IGM-Wirtschaftsbegründimg, S. 23. 19 Schreiben der I G M - B e z i r k s l e i t u n g München an die Vorsitzenden der Schlichtungsstelle f ü r die Bayerische Metallindustrie v o m 28. März 1978, S. 3. 20 Vgl. IGM-Wirtschaftsbegründung, S. 21. 21 Ebd., S. 21 ff. 1β

126

D. Die Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

Diese Darstellung der Nichtberücksichtigung (bei der Preissteigerungsrate) oder der sekundären Wertung (beim Produktivitätszuwachs) der branchenspezifischen Daten wurde durch die Ergebnisse der Interviews tendenziell bestätigt. Es ist dort zwar mehrfach von der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Daten der Metallindustrie die Rede, explizit werden aber immer nur die gesamtwirtschaftliche Preissteigerungs- und Produktivitätszuwachsrate als Begründungen für die Forderung nach Tariferhöhung angeführt. cc) Die Lohnquote Die Lohnquote w i r d von den Gewerkschaften i n erster Linie für Umverteilungsforderungen herangezogen. Ausschlaggebend scheint jedoch weniger die absolute Höhe der Lohnquote als vielmehr ihre Veränderungsrate zu sein. So w i r d i n der gewerkschaftlichen Forderungsbegründung die absolute Höhe der Lohnquote gar nicht erwähnt 2 2 . Bei der Berücksichtigung der Veränderungsrate scheint jedoch i n der gewerkschaftlichen Argumentation eine A r t „ratchet-Effekt" auf zutreten. Sinkende oder stagnierende Lohnquoten können zur Begründung von Umverteilungsforderungen verwandt werden, d.h. die 3. Komponente der gewerkschaftlichen Forderungsstruktur beleben. Dies ist jedoch offenbar nur bei niedrigen Arbeitslosenzahlen möglich. Obgleich nämlich 1976 die Lohnquote effektiv und bereinigt u m 1,5 °/o gegenüber dem Vorjahr gesunken ist und damit die Steigerung der effektiven Lohnquote u m 5 %> und der bereinigten u m 4 % von 1970 - 1975 um 1/3 wieder vermindert wurde, tauchte i n der folgenden Tarif runde 1977 keine Umverteilungsforderung auf 2 3 . Andererseits veranlaßt eine Steigerung der Lohnquote die I G Metall, zumindest offiziell, zu keiner Verminderung ihrer Forderung. I n der Forderungsbegründung wurde dargestellt, daß die Brutto-Arbeitseinkommen aus unselbständiger Arbeit 1977 u m 7 % und die Brutto-Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen u m 2,5 °/o anstiegen 24 . Gleichzeitig wird, teilweise m i t Vermutungen, begründet, warum es keineswegs ausgeschlossen werden könne, daß die eigentlichen Unternehmensgewinne 1977 i n annähernd der gleichen Größenordnung gestiegen seien wie die Brutto-Arbeitseinkommen 2 5 . Daraus w i r d gefolgert, daß es keine plausiblen Gründe für eine unternehmerische Umverteilungsforderung zugunsten der Gewinne gebe 26 . 22 Ebd., S. 18 f. Auch geht aus dem Papier der I G M e t a l l nicht hervor, ob es sich u m die bereinigte oder die unbereinigte Lohnquote handelt. 23 Ebd., S. 18. 24 Ebd., S. 19. 25 Ebd., S. 19. 28 Ebd., S. 19.

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

127

Auch i n der Frage der Lohnquote w i r d sehr viel weniger auf die spezielle Situation der Metallindustrie, als auf die der Gesamtwirtschaft eingegangen 27 . Es w i r d zwar davon ausgegangen, daß die A n gaben zur Einkommensverteilung i n der Metallindustrie m i t den A n gaben zur Einkommensverteilung i n der Gesamtwirtschaft zwar nicht i n der Höhe, wohl aber i n der Tendenz, vergleichbar seien 28 . Da die Gewinnquote der Metallverarbeitung abweichend von der Gesamtwirtschaft 1976 ihren höchsten Stand erreicht habe, würden die Unternehmen der Metallindustrie auch unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten weitaus besser abschneiden als i n anderen Wirtschaftszweigen 29 . Tarifpolitische Schlußfolgerungen i m Sinne einer Modifikation des durch die gesamtwirtschaftlichen Größen begründeten Forderungsvolumens werden hierbei nicht gezogen. Hinzuzufügen ist noch, daß Gewerkschaftsführer auch i n den Interviews angaben, daß die verteilungspolitische Forderungskomponente seit 1975 wegen der hohen Arbeitslosenzahlen i n den Hintergrund getreten sei 30 . b) Die Rolle weiterer wirtschaftlicher

Daten

Neben den 3 vorgenannten, unmittelbar für das Forderungsvolumen maßgeblichen wirtschaftlichen Größen : Produktivitätszuwachsrate, Preissteigerungsrate und Lohnquote, sollen nun die anderen wirtschaftlichen Daten dargestellt werden, die 1978 für die Forderungsbegründung der I G Metall m i t herangezogen wurden. aa) Die Arbeitslosigkeit Die Arbeitslosenquote verringert offiziell das gewerkschaftliche Forderungsvolumen nicht. Es w i r d i m Gegenteil von der I G Metall argumentiert, daß nur durch höhere Löhne die Kaufkraft gesteigert werden könne, die ihrerseits, über die sich daraus ergebenden besseren Absatzchancen, die Investitionsneigung und schließlich das Beschäftigungsvolumen erhöhen würde 3 1 . I n den Interviews wurde allerdings von mehreren Gewerkschaftsführern zugestanden, daß die Arbeitslosigkeit doch einen dämpfenden Einfluß auf die Forderung, und insbesondere auf den Umverteilungsfaktor, 27 Dies mag bei der Lohnquote wegen der Problematik einer sektoralen Bestimmimg derselben verständlich sein, nicht jedoch bei anderen sektoralen Faktoren. 28 Ebd., S. 24. 29 Ebd., S. 25. 30 Vgl. Interviews Loderer, S. 7 u n d Buhl, S. 6. 31 Vgl. Metall-Nachrichten, Nr. 13, Januar 1978, S. 3.

128

.

ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

habe. So heißt es ζ. B.: „ I c h lasse die U m v e r t e i l u n g einmal beiseite, w e i l m a n i n den letzten 3 Jahren über U m v e r t e i l u n g gar nicht mehr sprechen k a n n bei diesen Arbeitslosenzahlen 3 2 ."

Daraus läßt sich schließen, daß die Arbeitslosenquote die Rolle eines inoffiziellen Reduzierungsfaktors beim Forderungsvolumen spielt. Dieser Faktor findet offenbar über die vom Vorstand betriebene Willensbildung Eingang i n den Forderungskatalog 33 . I n dieser WillensbildungsPhase w i r d auch innergewerkschaftlich das Argument der Rücksichtnahme auf die Arbeitslosen verwendet, u m teilweise sehr hohe Erwartungen der Basis zu dämpfen 34 . bb) Die Gewinne Die Gewinnsituation der Unternehmen w i r d mittelbar schon durch die Lohnquote und i m allgemeinen auch durch den Produktivitätszuwachs m i t berücksichtigt 35 . Darüber hinaus werden die Gewinne, ähnlich wie die Arbeitslosenquote, eher zur Darstellung der Berechtigung der Forderung, als zu ihrer unmittelbaren Begründung herangezogen. Die Veränderungsraten sind auch hierbei von größerer Bedeutung als die absolute Höhe. Es w i r d i n der Forderungsbegründung relativ ausführlich auf die starken Gewinnsteigerungen i n der Metallindustrie eingegangen. Die Gewinne seien 1976 u m 67 °/o 36 von 13,30 auf 22,15 Mrd. D M angestiegen 37 . Für 1977 w i r d aufgrund einer 4°/oigen Steigerung der Verkaufsund einer nur 1,2 °/oigen bzw. 3 °/oigen Steigerung der Lohn- und Materialkosten i n der Metallindustrie eine weitere Steigerung der Gewinnsumme und der Umsatzrendite angenommen. Erste Jahresabschlüsse unterstrichen diese Analyse 3 8 . I n der Begründung w i r d zwar die Gewinnsituation der vorausgegangenen Jahre dargestellt und berücksichtigt, für 1977 w i r d aber lediglich auf eine positive Entwicklung hingewiesen, ohne diese näher zu präzisieren. Für 1978 werden keine Prognosen oder Vermutungen für die Gewinnentwicklung i n der Metallindustrie genannt 3 9 . D. h. gemäß der gewerkschaftlichen Argumentationsstruktur i n der Forderungsbe32

I n t e r v i e w Buhl, S. 6. Vgl. I n t e r v i e w Janßen, F r a n k f u r t / M a i n 1979, S. 1. 34 Vgl. Interviews Steinkühler, S. 6 u n d Buhl, S. 1. 35 Vgl. B. K ü l p u. a., Determinanten der Lohnfindung, Eine empirische Untersuchung über Tarifverhandlungen, unveröffentlichtes Manuskript. 36 Vgl. IGM-Wirtschaftsbegründung, S. 23. 37 Ebd., Tabelle 5, S. 30. 30 Ebd., S. 24. 39 Ebd., S. 25. 33

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

129

gründun g ist weder die Gewinnhöhe des Vorjahres, noch die, des für den abzuschließenden Tarifvertrag gültigen Jahres, von entscheidender Bedeutung. Dies gilt ebenso für einzelne Ausdrucksformen des Gewinns wie ζ. B. der Umsatzrendite, der Eigenkapitalrendite o. ä. Auch bei der Gewinnhöhe scheint es für die Gültigkeit der gewerkschaftlichen Argumentationsstruktur zu genügen, wenn ein positiver Trend vorliegt, d. h. wenn eine Berechnungsform ein Ansteigen der Gewinne nachweisen läßt. cc) Die Arbeitskampfkosten Die Arbeitskampifkosten, und hierbei insbesondere die von der Gewerkschaft unmittelbar zu kontrollierenden Streikkosten, sind ebenfalls als wirtschaftlicher Faktor i n diesem Abschnitt aufzuführen. Wenn sie auch auf Gewerkschaftsseite nicht direkt als Bestimmungsgrund für das Forderungsvolumen genannt wurden, deuteten doch indirekte A n gaben darauf hin, daß die zu erwartenden Kosten eines Arbeitskampfes bei der Forderung m i t berücksichtigt werden 4 0 . Dies ergibt sich auch daraus, daß von Gewerkschaftern kein Hehl daraus gemacht wird, daß während des Arbeitskampfes die Belastung der Verlängerung des A r beitskampfes mit noch zu erwartenden Ergebnisverbesserungen verglichen w i r d 4 1 . Es erscheint nur logisch, daß derartige Überlegungen nicht erst während des Arbeitskampfes auftauchen, sondern schon bei Beginn der Tarifrunde, d. h. insbesondere bei der Forderungserstellung, Berücksichtigung finden. c) Die Beurteilung der wirtschaftlichen begründung durch führende Funktionäre

Forderungsder IG Metall

Die Antworten der befragten Gewerkschafter auf die Frage nach der Bedeutung der wirtschaftlichen Forderungsbegründung differierten recht stark. Sie reichten von Aussagen wie, „ W i r meinen unsere Begründung sehr ernst" bis „Dient wenig der Einigung". Hierbei ist jedoch anzumerken, daß je „inoffizieller" und damit aussagekräftiger die Antworten waren, desto geringer wurde die Bedeutung der wirtschaftlichen Begründung der Forderung eingeschätzt. Dies soll i n den folgenden Zitaten verdeutlicht werden. A u f die Frage, ob die wirtschaftliche Begründung tatsächlich mit den wahren Gründen für die Forderung identisch sei, wurde geantwortet:

40 41

Vgl. I n t e r v i e w Steinkühler, S. 5 u n d Janßen, S. 16. Vgl. I n t e r v i e w Janßen, S. 16 ff.

9 Schilling

130

.

ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

„ W i r machen uns da sehr v i e l Mühe, zu was sollten w i r eine Wirtschaftsabteilung unterhalten, ein wirtschafts- u n d sozialpolitisches I n s t i t u t betreiben, w e n n w i r sie n u r zur Bearbeitung v o n Begründungen beschäftigten u n d die Gründe f ü r die Tarifbewegimg andere wären. Bei uns s t i m m t es schon, daß die Begründungen auch die w a h r e n Gründe f ü r Tarifbewegungen sind 4 2 . W i r meinen ja unsere Begründung sehr ernst, die w i r ihnen darlegen, u n d uns liegt daran, daß w i r über unsere Wissenschaftler den anderen das nochmal sagen können, u n d die andere Seite antwortet dann darauf 4 3 ."

Ein anderer Gewerkschafter meinte zur Rolle der Wirtschaftsdaten: „Wirtschaftsdaten sind der maßgebliche Faktor, denn es sind einfach Fakten, an denen m a n nicht vorbeikommt 4 4 . . . . Die Arbeitgeberseite müßte sich das Ausmaß unserer Forderung denken können, da w i r i n den letzten Jahren nie Abstand genommen haben v o n unserer tariflichen Grundkonzeption; d. h. die wirtschaftlichen Zahlen sind das, was w i r als Grobraster i m m e r f ü r u n sere Forderung v e r w a n d t haben 4 5 . . . . Es sind keine Fensterreden. M a n kennt zwar die Grobstruktur der gegenseitigen Argumentation, die Details kommen aber erst i n der ersten Verhandlungsrunde. W i e i m K i n o : W e n n ich den F i l m t i t e l kenne, weiß ich ungefähr, was gespielt w i r d , kenne aber noch nicht die Feinheiten 4 6 . . . . alle Bezirke (gehen) 47 zunächst von der gesamtwirtschaftlichen Situation aus. . . . Daraus ergeben sich Eckwerte, die ich zu beachten habe. W i r als I G M e t a l l haben uns noch nie darauf verstanden, die ganzen Daten u n d Fakten außer Acht zu lassen u n d ganz einfach w i l l k ü r l i c h Forderungen (zu) 47 bauen 4 8 . . . . es w i r d letztlich i m m e r nach den wirtschaftlichen Grundwerten richten, nach den Möglichkeiten i m betreffenden Gebiet, w i e das Ergebnis aussieht 4 9 .

Über die Rolle der 1. Verhandlungsrunde, i n der nur die wirtschaftlichen Begründungen abgegeben werden, meinte ein Bezirksleiter der I G Metall: „ I n der 1. Verhandlungsrunde haben w i r (einen) 50 Wirtschaftsexperten der I G M e t a l l dabei, der m i t faktischen Daten vorträgt, w a r u m w i r das u n d das fordern. Das ist praktisch die L i t u r g i e bei der Tarifverhandlung. Bei V W haben w i r uns das geschenkt, w e i l sie daraus nicht sehr v i e l ersehen können. Die Unternehmen schließen i m m e r daraus, daß es besser wäre nichts zu t u n u n d etwas abzuziehen v o m Tarifinhalt, während w i r versuchen müssen, ihnen deutlich zu machen, daß es besser geworden ist u n d daß das Bisherige nicht mehr ausreicht u n d mehr werden muß. Das ist eine t a r i f p o l i t i sche Zeremonie, der w i r uns schlecht entziehen können. So w i e i n der Kirche die L i t u r g i e v o r der Predigt k o m m t 5 1 . " 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Ebd., S. 1. Ebd., S. 22. Vgl. I n t e r v i e w Jubelgas v o m 12. Februar 1979 i n München, S. 1. Ebd., S. 4. Ebd., S. 6 f. Hinzufügung durch den Verfasser. Vgl. I n t e r v i e w Jubelgas, S. 13 f. Ebd., S. 32. Hinzufügung durch den Verfasser. Vgl. I n t e r v i e w Buhl, S. 4 f.

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

131

A u f die Frage, ob die Forderung 1978 nicht überzogen war, antwortete der Vorsitzende der I G Metall: „Wissen Sie, u m Forderungen w i r d manchesmal ein Donnerschlag veranstaltet, entscheidend ist, was nachher unter dem Strich steht. M a n k a n n sich natürlich auch m a l i n der Einschätzung vertun, das soll j a den 5 Weisen u n d den Herren v o m Sachverständigenrat mehr w i e einmal passiert sein 5 2 ."

A u f die Frage, ob sich dieses „Ritual" nicht vereinfachen ließe, antwortete der Stuttgarter I G Metall-Bezirksleiter: „ . . . nach meiner M e i n i m g könnte m a n es sehr w o h l vereinfachen, w e i l m a n davon ausgehen darf, daß w o h l beide Seiten die ökonomischen Argumente zur Begründung der Forderungen oder zur A b l e h n u n g der Forderungen allzu ernst nicht nehmen. Das ist i n der T a t ein Ritual, m i t dem m a n Position f ü r die Öffentlichkeit zu erringen hofft. Diese Argumente ökonomischer A r t spielen i m Verlauf der Tarifverhandlungen dann, wenns u m die Prozente geht, k a u m mehr eine Rolle. Es f ü h r t sogar so weit, daß bei den zweiten T a r i f verhandlungen die ökonomischen Fachleute der beiden Seiten gar nicht mehr zugezogen werden 5 3 . . . . Ja, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob ich ökonomische Argumente f ü r völligen Schwachsinn halten würde. Ich halte sie sowohl f ü r notwendig u n d auch f ü r richtig. Sie werden n u r dort zu einem gewissen Unfug, w o man m i t ökonomischen Argumenten Zehntelprozente hier u n d Zehntelprozente dort zu begründen versucht, . . . Ich glaube, diese ökonomischen Argumente können i n der T a t n u r als Begründung f ü r Tendenzen genommen werden. Dafür w ü r d e ich es f ü r zulässig halten, u n d dies w ü r d e i n der T a t weniger Spezialistenverstand erfordern w i e i n z w i schen bei Tarifverhandlungen eingesetzt w i r d , dazu würde vielmehr der vorhandene politische Verstand auf beiden Seiten ausreichen. Ich habe ein w e n i g auch den Eindruck, daß es ein bißchen Berührungsängste von beiden Seiten sind, daß m a n sich da Spezialisten aufbaut, die m a n hinsetzt, so w i e früher seine Gladiatoren hatte, u n d die aufeinander losläßt, m a n hofft, daß der eine den anderen so fertigmacht, daß v o n da schon die Argumente alle auf einer Seite sind 5 4 ."

Ein weiterer Gewerkschaftsfunktionär meinte zu dem Wunsch der Arbeitgeber, vor Beginn der Tarifrunde Einigung über die wirtschaftlichen Daten zu erzielen: „ . . . dieses H i n u n d Her m i t wirtschaftlichen Daten u n d dann dem Gerede der Arbeitgeber, m a n müßte doch gemeinsam den wirtschaftlichen Datenk r a m p f abstimmen, das ist ganz eine gefährliche Geschichte, die hier i n Frage steht. Dann können w i r j a gleich die T a r i f p o l i t i k n u r noch an Wirtschaftszahlen messen 55 ." . . .

Und auf die Frage nach der Funktion der 1. Verhandlungsrunde: „ . . . Das ist also das Üble. Die einen müssen nach oben spielen u n d die anderen spielen so w e i t nach unten, daß normale Gespräche, muß man leider 52 53 54 55



Vgl. I n t e r v i e w Loderer, S. 6. Vgl. I n t e r v i e w Steinkühler, S. 1. Ebd., S. 2. Vgl. I n t e r v i e w Laus, München 1979, S. 11.

132

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ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

sagen, i n der 1. Runde, normale realistische Gespräche leider nicht zustande kommen56."

A u f die gleiche Frage antwortete ein Gewerkschafter aus Hamburg: „Ich habe auch den Eindruck, daß die 1. Verhandlungsrunde wenig der E i n i gung dient. W i r haben j a auch schon einmal ein anderes Verfahren p r a k t i ziert, indem w i r gesagt haben, w i r können uns das schenken u n d w i r überreichen I h n e n unsere Vorstellungen vorher schriftlich. Daraufhin haben w i r dann 2 Verhandlungen darüber geredet, wieso die I G M e t a l l auf den wichtigen Vortrag der wirtschaftlichen Begründung verzichtet. Daraufhin haben w i r dann gesagt, w e n n die Begründimg, w a r u m m a n es nicht macht, länger dauert als die wirtschaftliche Begründung, dann machen w i r es halt. Die Arbeitgeber meinen, sie können darauf nicht verzichten. Auch wegen der Öffentlichkeit u n d wegen der Mitglieder. A b e r beigetragen zur Einigung hat das nie. Dies w i r d auch durch typische Äußerungen i m m e r wieder sichtbar, w e n n allgemeines Gähnen e i n t r i t t u n d gesagt w i r d , so, n u n schieben w i r das einmal beiseite u n d k o m m e n zum Ernstfall 5 7 ."

d) Die Begründung

des Absicherungsvertrages

aa) Der Absicherungsvertrag und gesamtwirtschaftliche Daten Der Absicherungsvertrag ließ sich als singuläre Erscheinung nicht aus der normalen Forderungsstruktur der Gewerkschaft ableiten. M i t i h m sollte nicht eine Verbesserung der Entlohnung oder der Arbeitsbedingungen erzielt werden, sondern eine Sicherung und Festschreibung des bestehenden „sozialen Besitzstandes". Daraus ergab sich auch, daß nach der gewerkschaftlichen Argumentation keine Kosten bei seiner Verwirklichung entstehen würden 5 8 . Der K e r n des Vertrages war die Forderung nach einer individuellen Besitzstandsgarantie. Die kollektive Absicherung sollte nur dazu dienen, ein Unterlaufen dieser individuellen Garantie zu verhindern 5 9 . Gesamtwirtschaftliche Argumente i m Sinne gesamtwirtschaftlicher Daten wurden von der I G Metall zu seiner Begründung praktisch nicht gebraucht. bb) Der Absicherungsvertrag und einzelwirtschaftliche Daten Trotzdem kein Bezug zu gesamtwirtschaftlichen Daten vorhanden war, fanden wirtschaftliche Größen Eingang i n die Absicherungsforderung. I m Gegensatz zur ausdrücklichen Einbeziehung wirtschaftlicher Daten bei der Herleitung und Begründung der prozentualen Tarifforde56 57 58 59

Ebd., S. 12. Vgl. I n t e r v i e w Bracker v o m 12. März 1979 i n Hamburg, S. 15. Vgl. Metall-Nachrichten, Nr. 1, v o m 14. Dezember 1977, S. 3. Vgl. T a r i f v e r t r a g zur Besitzstandssicherung, S. 6 ff.

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

133

rung wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Metallindustrie i n Baden-Württemberg, und dabei insbesondere der Unternehmen i n Nordwürttemberg-Nordbaden, indirekt berücksichtigt. Dies geschah, ähnlich wie bei den Lohnrahmentarifverträgen I und II, i n der Form, daß „Pionierforderungen" i n diesem Tarifgebiet gestellt wurden, wenn die wirtschaftliche Lage dementsprechend war. Die wirtschaftliche Lage war 1978 i n der baden-württembergischen Metallindustrie i m Vergleich zum Bundesgebiet überdurchschnittlich gut 6 0 . Die Arbeitslosenquote lag wesentlich niedriger als i n den anderen Bundesländern 61 . Auch der u m Stuttgart konzentrierte Fahrzeugbau verzeichnete 1977 ein Auftragsvolumen, das rund 74°/o über dem des Basisjahres 1970 lag 6 2 . Hinzu kam noch, daß i m Südwesten mit einem besonders starken Effekt eines eventuellen Streiks gerechnet werden konnte, da sich durch Streiks bei Automobilzulieferern wie Bosch, und Automobilherstellern wie Daimler-Benz und Porsche, innerhalb kurzer Zeit die gesamte deutsche Automobil- und Automobilzulieferindustrie lahmlegen ließ. D. h., daß aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und der Abhängigkeit großer Wirtschaftsbetriebe, gerade von Unternehmen i n Nordwürttemberg-Nordbaden, hier größere Chancen gegeben waren, grundsätzlich neue Forderungen durchzusetzen, als dies i n anderen Tarifbezirken der Fall gewesen wäre. Ein Gewerkschafter meinte hierzu: „Es ist eine alte Erfahrung, daß m a n Sicherungsverträge a m besten i n der Hochkonjunktur durchsetzen kann, u n d nicht dann, w e n n die Arbeitgeber anfangen m i t Abgruppierungen 6 3 ."

Zusammenfassend kann zum Einfluß wirtschaftlicher Daten auf die Forderung des Absicherungsvertrages gesagt werden: Das Bedürfnis nach einem solchen Vertrag ergab sich aus den teilweise schon eingetretenen, und insbesondere für die Zukunft befürchteten, wirtschaftlichen Auswirkungen einer technischen Entwicklung. Maßgeblich für die Möglichkeit, eine solche Forderung auch durchsetzen zu können, war die wirtschaftliche Lage des entsprechenden Bezirks. D. h., i m Gegensatz zu der prozentualen Tarifforderung beeinflußten gesamtwirtschaftliche Daten die Absicherungsforderung kaum, und durch einzelwirtschaftliche Daten wurde nur der Ort der Forderung, nicht aber ihre Ausgestaltung beeinflußt.

60 61 62 63

Vgl. F R u n d H b v o m 11. Januar 1978. Ebd. Vgl. Der Arbeitskampf '78, S. 13. I n t e r v i e w Bracker, S. 2.

134

D. Die Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß 2. Wirtschaftliche Begründungszusammenhänge auf Arbeitgeberseite

a) Das Schema der wirtschaftlichen

Argumentation

Die Arbeitgeber vertreten i m Gegensatz zu den Gewerkschaften die Ansicht, daß bei kräftigen Tariferhöhungen die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß Nachfrage vernichtet und die Arbeitslosigkeit größer werde. Nur eine maßvolle Lohnpolitik führe zur Ankurbelung der K o n j u n k t u r und zur Verbesserung der Beschäftigung 64 . Diese lasse sich begründen a) sowohl m i t Erfahrungen der Vergangenheit b) als auch theoretisch mit der Kostenwirkung von Lohnerhöhungen. Z u a): Die für 1974 vereinbarten Tariferhöhungen von knapp 14°/o hätten zu keiner Steigerung der realen Kaufkraft geführt. Es hätten nämlich Steuern

1,2 °/o

Preiserhöhungen

7

weniger Beschäftigung

4,4%

%

insgesamt also 13,3% der 14%igen Lohn- und Gehaltserhöhung vernichtet. Da sich zudem noch die Sparquote u m 1 % erhöhte, wurde nicht einmal der Kaufkraftrest der Tariferhöhung nachfragewirksam. Die realen Verbrauchsausgaben der Metallarbeiter sanken noch um 0,3% unter den Stand des Vorjahres 6 5 . Daraus sei zu schließen, daß je ungünstiger die Relation zwischen Tariferhöhung und Produktivitätszuwachs ist, u m so ungünstiger auch die Relation zwischen Tariferhöhung und Kaufkraftanstieg ist 6 6 . Z u b): Dies sei kein Zufall, sondern das zwangsläufige Ergebnis der Kosten- und Preiswirkung von Lohnerhöhungen, denn: 100 D M Lohnerhöhung kosteten den Unternehmer wegen der Arbeitgeberbeiträge zur sozialen Sicherung der Arbeitsplätze mindestens 117 DM, bedeuteten aber wegen der Abzüge für Steuern und Sozialversicherungen beim Arbeitnehmer nur 61 D M Netto-Einkommenszuwachä 67 . Der unmittelbare Kosteneffekt sei also fast doppelt so hoch wie der Einkommenseffekt beim Lohnempfänger. Auf 1977 bezogen bedeutet dies, daß von 64 Vgl. E n t w u r f v o n Gesamtmetall „ Z u r wirtschaftlichen Lage u n d den ökonomischen Schlußfolgerungen f ü r die L o h n p o l i t i k 1978" (1. Verhandlung), ohne Datum, S. 8. 65 Vgl. Argumente zur M e t a l l - L o h n r u n d e '78, Nr. 2, „ W a r u m die K a u f k r a f t Theorie der Gewerkschaften nicht s t i m m t " (im Folgenden zitiert als „ A r g u mente Gesamtmetall"), S. 4. 66 Ebd., S. 1 f. Ebd., S. .

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

135

zusätzlichen Lohnkosten i n Höhe von 44 Mrd. D M nur 22 Mrd. D M für die Steigerung der Nettolöhne übrig geblieben sei 68 . Da von den genannten 61 D M noch einmal 20 D M gespart und/oder für Auslandserzeugnisse, einschließlich Urlaubsreisen, ausgegeben w ü r den, sei der Kosteneffekt sogar dreimal so hoch wie der Nachfrageeffekt nach inländischen Gütern 6 9 . Wenn die Wirtschaft aber nur einen Teil der Mehrkosten i m Preis weitergebe, so sei der Kaufkrafteffekt der Lohnerhöhung bereits 0 7 0 . Wenn die Unternehmen dies aber nicht täten, gingen die Gewinne und mit ihnen Investitionen und Beschäftigung zurück. Weniger Beschäftigung bedeute aber ebenfalls weniger Lohnkaufkraft. Insgesamt brächten Lohnerhöhungen, die über den Produktivitätszuwachs hinausgingen, weder mehr Nachfrage noch eine bessere Kapazitätsauslastung oder mehr Investitionen 7 1 . aa) Der Produktivitätszuwachs Das Angebot der Arbeitgeber von 3,5% Tariferhöhung für BadenWürttemberg und 3 % für die anderen Tarifgebiete 72 orientiere sich an dem für 1978 zu erwartenden Produktivitätsfortschritt 7 3 . Eine am Produktivitätsfortschritt ausgerichtete Lohnpolitik bewirke eine Stabilisierung der Lohnstückkosten und bedeute damit, daß kein zusätzlicher lohnkostenbedingter Rationalisierungsdruck entstehe und keine zusätzliche lohnkostenbedingte Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eintrete 7 4 . Diese höhere Wirtschaftlichkeit der Unternehmen bedeute aber auch größere Sicherheit der Arbeitsplätze für die Arbeitnehmer. Die W i r t schaftsgutachten von Industrie, Sachverständigenrat und Bundesregierung zeigten alle, daß es bei Lohn- und Gehaltserhöhungen um 5 % zu keinem Abbau der Arbeitslosenzahlen komme. Die Alternative I des Sachverständigenrates hingegen lasse bei Lohnerhöhungen u m 3 - 3,5 % i m Laufe des Jahres eine Zunahme der Arbeitsplätze u m knapp 400 000 möglich erscheinen 75 . Damit werde die Zahl der Arbeitslosen auf deut68 Vgl. E n t w u r f v o n Gesamtmetall „ Z u r wirtschaftlichen L a g e . . . (im F o l genden zitiert als „ E n t w u r f Gesamtmetall"), S. 9. 69 Vgl. „Argumente Gesamtmetall", Nr. 2, S. 2. 70 Vgl. „ E n t w u r f Gesamtmetall", S. 9. 71 Ebd., S. 10. 72 Vgl. GM-Bericht 77 - 79, S. 44. 73 Vgl. V M I - U n t e r r i c h t u n g , S. 60. 74 Ebd., S. 63 ff. 75 Ebd., S. 61 f. u n d Anlage 4.

136

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ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

lieh unter 800 000 i m Jahresdurchschnitt zurückgehen 76 . Der entscheidende Vorteil dieser, durch Lohnzurückhaltung bewirkten Strategie „Vollbeschäftigung durch Wachstum", sehe der Rat nicht nur i n den Folgen, die bereits 1978 erzielt werden könnten. Es werde zudem ein Pfad eingeschlagen, der mittelfristig zu Vollbeschäftigung zurückführen könne 7 7 . Außerdem zeige das Sachverständigen-Gutachten, daß bei einer am Produktivitätszuwachs ausgerichteten Lohnpolitik mit einem Rückgang der Inflationsrate auf 2 1 / 2 - 3 °/o und zum Jahresende 1978 sogar auf 2 °/o gerechnet werden könne 7 8 . Die ganze Arbeitgeber-Argumentation hat den Tenor, daß nur Tariferhöhungen i m Ausmaß des erwarteten Produktivitätszuwachses der Gesamtwirtschaft zu gewähren seien. Die Berücksichtigung des Produktivitätszuwachses i n der Metallindustrie ist auf Arbeitgeberseite ähnlich wie bei der I G Metall, auch hier w i r d auf die speziellen Zahlen der Produktivitätsentwicklung i n der Metallindustrie kaum 7 9 oder gar nicht 8 0 eingegangen. Die Begründung für das Angebot der Tariferhöhungen i n Höhe des Produktivitätsfortschritts bezieht sich ausschließlich auf den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs und fand 1978 zusätzlich Bestätigung durch das Jahreswirtschaftsgutachten des Sachverständigenrates 81 . Dies kann wohl auch als dauerhafte Leitlinie der gesamten Tarifpolit i k der Arbeitgeber gelten. Wie aus dem sogenannten Tabu-Katalog hervorgeht, wonach „die Gesamtarbeitskosten dem Grundsatz nach i m Durchschnitt nicht stärker erhöht werden sollen als u m den Prozentsatz, u m den sich die gesamtwirtschaftliche Produktivität, gemessen als reales Inlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde erhöht" 8 2 .

bb) Die Preissteigerungsrate Die erwartete Preissteigerungsrate w i r d von den Arbeitgebern, i m Gegensatz zu der Gewerkschaft, meist nicht als Basis für Tariferhöhungen anerkannt. 7e 77 78 79 80 81

S.l.

Vgl. „Argumente Gesamtmetall", Nr. 3, S. 4. Ebd., S. 4. Vgl. V M I - U n t e r r i c h t u n g , S. 63 und Anlage 4. Vgl. „Argumente Gesamtmetall", Nr. 1, S. 6. Vgl. V M I - U n t e r r i c h t u n g , S. 22. Vgl. I n t e r v i e w Dr. H i l d m a n n u n d Moser, München, a m 23. A p r i l 1979,

82 K a t a l o g der zu koordinierenden l o h n - u n d tarifpolitischen Fragen — v o m 12. Oktober 1965, i n der Fassung v o m 15. Dezember 1968, v o m 6. J u n i 1975 u n d v o m 16. März 1978, erstellt v o m L o h n - u n d Tarifpolitischen A u s schuß des Vorstandes der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (im Folgenden zitiert als „Tabu-Katalog"), S. 2.

I. Die wirtschaftlichen Einflußfaktoren

137

Wenn auch nicht grundsätzlich, so lehnten die Arbeitgeber ihre Berücksichtigung doch i m Hinblick auf die spezielle Konstellation des Jahres 1978 ab 83 . Die Arbeitgeber waren der Auffassung, daß für 1978 keine „unvermeidbare Preissteigerungsrate" anzusetzen gewesen sei und sich die Lohnabschlüsse i m strengen Sinne am Produktivitätszuwachs auszurichten gehabt hätten 8 4 . Die „unvermeidbare Preissteigerungsrate" ist jener Teil der Inflationsrate, der „aus allgemeiner Ubernachfrage oder inflationsbewußtem Parallelverhalten aller resultiert" 8 5 . Die Arbeitgeber folgten damit der Meinung des Sachverständigenrates, wonach die lohnpolitische Vorwegnahme von Preissteigerungen aufhören solle, denn erst diese Vor wegnähme von „unvermeidlich gehaltenen" Preissteigerungen i n den Löhnen schaffe die Kostensteigerungen, die dann durch Preissteigerungen eingeholt werden müßten 8 6 . Sofern aber trotzdem jemand die Auffassung vertrete, daß erwartete Preiserhöhungen i m Lohn ausgeglichen werden sollten, müßte diese Zahl bei 2 liegen, da die als unvermeidbar zu erwartende Inflationsrate nur noch mit unter 3 angesetzt werden könne und hiervon die Auswirkung der Mehrwertsteuererhöhung auf die Preise i m Umfang von 3 / 4 % abgesetzt werden müsse 87 . Zum Vergleich w i r d die Entwicklung i n den USA dargestellt, wo eine zurückhaltende Lohnpolitik von 1972 1976 zu einer erheblichen Ausweitung der Beschäftigung geführt habe 88 . Sowohl die zukünftige Einstellungssituation i n der deutschen Industrie insgesamt, als auch die spezielle Situation i n der Metallindustrie, w i r d aus den obengenannten Gründen sehr pessimistisch beurteilt. A b hilfe könne geschaffen werden, wenn es zur Verwirklichung einer m i t telfristigen Strategie, vor allem durch eine Tarifpolitik verminderter Lohnzuwächse komme, die die Anpassung der zu hohen Personalkosten an die zu niedrige Leistungskraft erlaube 89 . Dabei solle sich die Tarifpolitik nicht nur an der gesamtwirtschaftlichen Durchschnittsproduktivität orientieren, sondern vielmehr an den Bedingungen jener Arbeitsplätze, die gebraucht würden, u m die Vollbeschäftigung wieder zu erreichen, dies seien die Arbeitsplätze m i t unterdurchschnittlicher Produktivität 9 0 . 83

Vgl. V M I - U n t e r r i c h t u n g , S. 28. Ebd., S. 28. 85 Ebd., S. 28. 86 Vgl. „Argumente Gesamtmetall", Nr. 3 „Der Rat der Sachverständigen f ü r 1978", S. 3. 87 Vgl. Schreiben des Vereins der Bayerischen Metallindustrie an die V o r sitzenden der Schlichtungsstelle betreffend das Schlichtungsverfahren f ü r die Bayerische Metallindustrie v o m 29. März 1978, S. 26 (im Folgenden zitiert als VBM-Parteivorbringen). 88 Vgl. „ E n t w u r f Gesamtmetall", S. 11 a. 89 Vgl. „VBM-Parteivorbringen", S. 36 ff. 84

138

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ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

Zur Unterstützung dieser Empfehlung w i r d wiederum mehrfach die Alternative I des Sachverständigengutachtens zitiert, die bei Lohnerhöhungen von 3 1/2 o/o einen Abbau der Arbeitslosigkeit prognostizierte 91 . cc) Die Gewinn- und Lohnquoten Die absolute Höhe und Entwicklung der Gewinne w i r d auch i n der Arbeitgeber-Argumentation wesentlich stärker berücksichtigt als bei den gewerkschaftlichen Begründungen. Dabei w i r d besonders auf die Rolle der Gewinne als notwendiges Finanzierungsmittel der Investitionen hingewiesen. Der von der I G Metall vertretenen These, daß Gewinne i n den Vorjahren sich nicht i n entsprechendem Maße auf das Investitionsvolumen ausgewirkt hätten 9 2 , und sich wenn, dann allenfalls i n arbeitsplatzvernichtenden Rationalisierungs-Investitionen niedergeschlagen hätten, w i r d entgegen gehalten, daß dies nicht richtig sei, da die Investitionen m i t einem time-lag von 1 Jahr nach den entsprechenden Gewinnen getätigt worden seien 93 . So sei die Gewinnsumme der Metallindustrie von 1969/70 bis 1974/75 u m 35 °/o zurückgegangen. Die Investitionen hingegen seien — entsprechend der zeitlichen Verzögerung u m 1 Jahr verschoben — von 1970/71 bis 1975/76 u m 10°/o gesunken 94 . Die Gewinnsumme sei 1976/77 etwa doppelt so hoch wie 1974/75 gewesen. Dementsprechend dürften nach den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Schätzungen die Investitionen der Metallindustrie von 1975/76 auf 1977/78 um rund 30 w i l l , als w i r , w e n n w i r 2®/o bieten u m 4°/o zu erreichen. Es gibt eine argumentative Untergrenze: Bei hohen Preissteigerungsraten k a n n man schwer eine Lohnerhöhung vertreten, die unterhalb der Inflationsrate liegt210."

Ein anderer Arbeitgeber bestätigte diese Aussage: „ D a m a n die Zahl, die m a n nennt, begründen muß, muß ein Scheingefecht geführt werden. D. h. m a n muß eine Z a h l begründen, v o n der m a n weiß, daß sie zu niedrig i s t 2 1 1 . "

Bei der I G Metall wurde zwar von einem Befragten behauptet: „Es werden keine Scheinpositionen aufgebaut, da dies sehr ungeschickt wäre. N u r ernsthafte Forderungen werden vertreten 2 1 2 ."

Andere Antworten bestätigten jedoch auch für die I G Metall die Einnahme taktischer Positionen. Außerdem wurde und w i r d auch i n der Öffentlichkeit immer wieder darauf hingewiesen, daß die Forderungen kein U l t i m a t u m und damit verhandlungsfähig seien 213 . Es kann kein Zweifel an der Tatsache bestehen, daß auf beiden Seiten taktische Positionen eingenommen werden. Interessant ist vor allem, welche Taktiken dabei angewendet werden. Die Frage, ob „Rollenspiel", d. h. eine bewußte Rollenverteilung auf die einzelnen Verhandlungsmitglieder praktiziert wurde, wurde rundweg verneint. Ein Arbeitgeber wies die Frage geradezu entrüstet zurück: 210

Siebel, S. 9 u n d 10. Aengeneyndt, S. 5. 212 Schleinkofer, S. 3. 213 Vgl. I n t e r v i e w m i t Eugen Loderer i n : Der Spiegel, H a m b u r g 1978, Nr. 12 -13, S. 17 sowie I n t e r v i e w m i t Heinz-Oskar Vetter, ebd., N r . 17, S. 28. 211

I I I . Verhandlungsspezifische Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

167

„Da w i r d doch k e i n Theater gespielt 2 1 4 !" E i n einzelner Verhandlungsteilnehmer die F r a g e :

der I G M e t a l l bejahte jedoch

„ E i n m a l muß der ein bißchen schroffer u n d direkter, das andere M a l ein anderer sein; u n d das Wechselspiel n i m m t irgendwo die Härte i n der D a r stellung, entweder ist das Sanfte oder das Harte i n der Darstellung dessen was begründet, was gefordert w i r d . (Frage nach Rollenspiel) Es gibt es> ja, teilweise. Ich w ü r d e es m i r , so w i e Sie fragen, bei uns v i e l konkreter noch vorstellen, z . T . w i r d es i n der Praxis geübt. Also i n der Praxis angewandt, aber ich muß sagen, leider nicht so genau besprochen 2 1 5 ." Diese sehr k o n k r e t e n A n g a b e n l e g e n d e n Schluß nahe, daß R o l l e n s p i e l i n W i r k l i c h k e i t h ä u f i g e r p r a k t i z i e r t w i r d , als a u f g r u n d d e r V e r n e i n u n gen anzunehmen wäre. P e r s o n e l l unterschiedliche V e r h a l t e n s w e i s e n müssen j e d o c h n i c h t n u r d u r c h „ R o l l e n s p i e l " b e d i n g t sein. E r h e b l i c h e n E i n f l u ß auf das V e r h a n d l u n g s v e r h a l t e n insbesondere d e r A r b e i t g e b e r h a t auch n a c h ü b e r e i n s t i m m e n d e n A u s s a g e n m e h r e r e r G e w e r k s c h a f t e r die H e r k u n f t d e r V e r h a n d l u n g s t e i l n e h m e r , d. h. d i e Größe d e r F i r m e n aus d e n e n d i e b e t r e f fenden Arbeitgeber k o m m e n : „ M a n k a n n j a auch manchmal feststellen, daß die Unternehmer aus den Betrieben . . . die diese Betriebsräte kennen, v ö l l i g anders argumentieren als auch a m Tisch Anwesende, die m i t solchen Betriebsräten i n ihren Betrieben nichts zu t u n haben. Das heißt also, ein Unternehmer, der einen schwachen Betriebsrat gewohnt ist, der glaubt auch a m Verhandlungstisch m i t den Gewerkschaften ,Hugole' spielen zu können 2 1 0 ." „ W e n n also so ein Arbeitgeberfürst bei Verhandlungen K r a c h provozieren w i l l , dann n i m m t er sich lauter Unternehmer aus kleineren Betrieben, i n denen es keinen vernünftigen Betriebsrat gibt, dann glauben die alle m i t stolzgeschwellter Brust, den Gewerkschaften können sie es so zeigen am Tisch, w i e sie es auch i m Betrieb tun. Wenn die dagegen lauter Unternehmen hätten w i e Daimler u n d Bosch, die w ü r d e n ganz anders auftreten 2 1 7 ." S p e z i e l l a u f d i e bayerische T a r i f r u n d e bezogen, w u r d e diese A n s i c h t von einem dortigen I G M e t a l l - F u n k t i o n ä r bestätigt: „ W e r hat das Sagen i m Arbeitgeberbereich? Uns ist bekannt geworden, ich habe also auch m i t Arbeitgebern i n der Richtung r e i n zufällig K o n t a k t gehabt, daß die Kleineren i m Grunde das Sagen hatten ,die Kleineren u n d M i t t l e r e n bei der letzten Tarifrunde. U n d die haben dicht gemacht. Die Aussage: 3,5 °/o oder 3°/o u n d darüber geht n i x , das ist also entsprungen insbesondere aus den K l e i n e n 2 1 8 . " 214 215 216 217 218

Schmidt, S. 10. Laus, S. 10. Steinkühler, S. 15. Ebd., S. 15. Laus, S. 22.

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ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

Aber auch auf Arbeitgeberseite gab es Hinweise darauf, daß Vertreter kleinerer Unternehmen teilweise stärker auf bestimmten Positionen beharrten, als Vertreter großer Unternehmen: „Das w a r eine Sache, die w a r ich nicht bereit zu schlucken, das w a r eine Frage des Lohnrahmens, die einige v o n unseren F i r m e n sehr getroffen hat u n d w o w i r bereit waren, die (Sache) vielleicht sogar gegen etwas anderes einzutauschen u n d i n der Hintergrundkommission w u r d e uns nochmal k l a r gemacht, also auch m i r persönlich, v o n zwei oder drei ganz engagierten M i t telständlern, daß das so nicht geht u n d das haben w i r dann auch durchgesetzt 2 1 9 ."

Es ist anzunehmen, daß das ausschlaggebende K r i t e r i u m für die unterschiedlichen Verhaltensweisen i n diesem Fall weniger die Betriebsgröße direkt, als vielmehr die Tatsache ist, daß es sich bei den Verhandlungsteilnehmern aus kleinen Unternehmen meist u m die Eigentümer handelt, während die großen Unternehmen normalerweise durch extra für diese Tätigkeit angestellte Mitarbeiter vertreten werden. Beispiele für Verhandlungstaktiken wurden von seiten der Arbeitgeber häufiger genannt als seitens der I G Metall. Unter anderem w u r den folgende gewerkschaftliche Verhaltensweisen beschrieben: „Die Gewerkschaft t u t sich leichter indem sie sagen: ,Wir w o l l e n fertig w e r den u n d w e n n i h r ein anständiges Angebot macht w i r d das schon laufen. 4 Die Arbeitgeber gehen dann darauf ein u n d die Gewerkschaft sagt: ,Das reicht nicht! 4 D a n n hat die Arbeitgeberseite eine taktische Position geräumt, die sie nie wieder einholen kann 2 2 0 . 4 4

I n eine ähnliche Richtung geht die Beschreibung des gewerkschaftlichen Verhandlungsführers : „ U n d gerade der H e r r Steinkühler ist also bekannt dafür, das haben m i r i m m e r meine Vorgänger gesagt, daß er i n der allerletzten M i n u t e i m m e r noch eine Steinkühler-Idee einbringt u n d i h m da noch was einfällt. Deshalb sind w i r natürlich i n der Zwischenzeit gewarnt u n d sind da besonders v o r sichtig 2 2 1 ."

Eine der wenigen Beschreibungen von Verhandlungstaktiken von Gewerkschaftsseite bezog sich auf das Rechenbeispiel der Arbeitgeber, die die Probleme und Auswirkungen der geforderten Sicherungskennzahl am Beispiel eines 10-Mann-Betriebes verdeutlichten: „Nicht akzeptiert w u r d e ein T e i l unserer Forderungen, den die Arbeitgeber, das muß ich zugeben, durch sehr vereinfachte Beispiele ins Gegenteil v e r k e h r t haben, das w a r die Sicherungskennzahl, w o die Arbeitgeber i n einem Betrieb m i t 10 Beschäftigten f ü r Journalisten m i t dem K o p f nachrechenbar Rechenbeispiele vorgeführt haben; u n d die sind dann gesessen u n d w i r 219 220 221

D ü r r , S. 14. Siebel, S. 16. Dürr, S. 8 f.

II.

r a n n s s p e z i f i s c h e Einflußfaktoren auf den E i n i g u n g s p r o z e ß 1 6 9

hatten nicht mehr die Zeit u n d die K r a f t nachzuweisen, daß diese Beispiele i n der Praxis gar nicht auftreten können. Daß es eben nicht denkbar ist, daß 30 °/o der Arbeitnehmer i n der Lohngruppep 12 sind, so einen Betrieb gibts i m ganzen Lande nicht 2 2 2 . U n d es ist auch nicht denkbar, daß diese 30 ϋ /ο der Lohngruppe 12 auf einmal gehen, da muß j a ne Revolution i m Betrieb ausgebrochen sein. A b e r das saß i n den Köpfen, das saß i n der veröffentlichten Meinung, hat bei unseren Kollegen Eingang gefunden, hat uns das Leben i n dieser Phase sehr sehr schwer gemacht 2 2 3 ." Gemäß d e r g e w e r k s c h a f t l i c h e n D a r s t e l l u n g w a r d e n A r b e i t g e b e r n das t a k t i s c h e M o m e n t i h r e s V e r h a l t e n s auch durchaus b e w u ß t : „ N e i n w i r haben sogar ganz nachdrücklich gesagt, daß w i r ihnen ihre A r g u mente nicht abnehmen. Diese ganzen Taschenspielertricks i m Absicherungsvertrag, die der Presse vorgeführt wurden, haben w i r den Arbeitgebern i n der Verhandlung als Taschenspielertricks auch vorgeführt u n d die haben n u r m i t den Schultern gezuckt u n d sich gefreut über einen gelungenen Streich . . . Schuljungen, die sich über einen gelungenen Streich freuen 2 2 4 ." N i c h t d e r a r t i g e „ T r i c k s " , s o n d e r n e i n anderes E l e m e n t d e r V e r h a n d l u n g s t a k t i k ist n a c h ü b e r e i n s t i m m e n d e r Aussage d e r B e t e i l i g t e n d e r d o m i n i e r e n d e t a k t i s c h e F a k t o r . Es h a n d e l t sich u m das „ t i m i n g " , d i e W a h l des r i c h t i g e n Z e i t p u n k t e s f ü r b e s t i m m t e A k t i o n e n . Dieses t i m i n g s p i e l t auch i m K l ä r u n g s p r o z e ß u n d i n d e r A b s c h l u ß v e r h a n d l u n g eine w i c h t i g e Rolle, w i e noch z u zeigen sein w i r d . H i e r w e r d e n v o r a l l e m die E l e m e n t e der Z e i t w a h l angesprochen, d i e v o n j e d e r d e r P a r t e i e n a l l e i n , ohne A b s p r a c h e m i t d e r Gegenseite b e s t i m m t w e r d e n , dies b e z i e h t sich insbesondere a u f d i e W a h l des r i c h t i g e n Z e i t p u n k t e s f ü r d i e Bekanntgabe neuer Positionen. V o n b e i d e n S e i t e n w u r d e i m m e r w i e d e r b e t o n t , daß j e d e g e n a n n t e Z a h l „ w e g " ist, d. h. n i c h t m e h r r ü c k n e h m b a r : „Jede Z a h l die genannt w i r d ist weg. Ebenso ist alles weg, was beim vorigen m a l als Stufenplan gegeben w u r d e 2 2 5 . " „ . . . w e i l jede genannte Z a h l w e g ist, w e n n die Verhandlungen noch nicht reif dafür sind 2 2 8 ." Diese Regel g i l t o f f e n b a r selbst d a n n , w e n n A n g e b o t e u n t e r V o r b e h a l t unterbreitet wurden: „Jedes Teilangebot g i l t i n aller Regel unter dem Vorbehalt, daß das Ganze akzeptabel ist. Es ist allerdings unter realistischen Gesichtspunkten verhältnismäßig schwer vorstellbar, daß einmal gemachte Konzessionen dann vielleicht wieder zurückgenommen werden könnten. 222

Steinkühler, S. 18. Der A n t e i l der Arbeitnehmer i n der Lohngruppe 12 betrug 1978 i m Tarifbezirk N W - N B 4,3 Vo. 224 Steinkühler, S. 25. 225 Aengeneyndt, S. 4. 228 Siebel, S. 15 f. 223

170

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ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

A b e r was nicht denkbar ist, daß m a n offiziell ein Lohnangebot unterbreitet u n d sagt, m i t dem Blick auf irgendwas anderes, das w i r d nachher wieder zurückgenommen 2 2 7 . "

Derselbe Arbeitgebervertreter schilderte auch seine Sicht der Tarifrunde i n der Stahlindustrie 1978/79 wo die Arbeitgeberseite als A n t wort auf die Forderung nach der 35-Stunden-Woche sehr frühzeitig 6 Wochen Urlaub anbot: „ D i e Stahlindustrie, die hat i m ganzen gesehen gut operiert, sie hat einen gravierenden Fehler allerdings gemacht: sie hat dieses Angebot auf 6 W o chen U r l a u b f ü r alle, zu einem Z e i t p u n k t herausgegeben, zu dem das genausogut hätte z u m Fenster hinausgeworfen werden können. U n d dieses Angebot ist während der definitiven Einigung p a r t i e l l zurückgenommen w o r den 2 2 8 ."

bb) Erläuterung und Beurteilung Aus der Schilderung taktischer Verhaltensweisen i n den Tarifverhandlungen ergibt sich nicht der Eindruck, als ob derartige „Tricks" einen maßgeblichen Einfluß auf das Ergebnis ausüben könnten. Ein solcher Einfluß wäre ja nur dann denkbar, wenn die Gegenseite von bestimmten Aktionen überrascht und damit unvorbereitet getroffen würde. Dies ist jedoch bei den meisten der genannten Fälle kaum vorstellbar. Weder bewußtes oder unbewußtes Rollenspiel einer Partei, noch das plötzliche „Nachschieben" einer Forderung kurz vor dem Einigungspunkt werden die jeweils andere Seite unvorbereitet treffen. Auch das von Franz Steinkühler als Trick interpretierte Rechenbeispiel der A r beitgeber könnte allenfalls seine Position i n der Schlichtung beeinflußt haben, ein Einfluß auf das spätere Ergebnis ist hierbei wohl auszuschließen. Damit bleibt als Faktor von Bedeutung tatsächlich nur das „timing", d. h. die Wahl des richtigen Zeitpunktes. Auch dies scheint jedoch, ebenso wie die i m vorigen Abschnitt dargestellten Eigenschaften, ein Faktor zu sein, der die Verhandlungen zwar negativ, nicht aber positiv beeinflussen kann, da beide Seiten auch i n dieser Hinsicht über zuviel Verhandlungsroutine verfügen, u m sich durch derartige Maßnahmen tatsächlich überraschen zu lassen. Diese große Bedeutung, die der Wahl des richtigen Zeitpunktes zukommt, läßt wiederum Rückschlüsse auf die Bedeutung der Verhandlungserfahrung und des Verhandlungsgeschicks zu. Es wäre wegen der Unmöglichkeit, einmal gemachte Konzessionen zurückzunehmen, viel zu gefährlich, entsprechende Angebote von unerfahrenen Verhandlungsteilnehmern machen zu lassen. 227 228

Knapp, S. 29. Ebd., S. 29.

II.

r a n n s s p e z i f i s c h e Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

171

2. Prozeßbezogene Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

Während i n den vorhergehenden Abschnitten die Verhandlungen unter dem Aspekt der beteiligten Personen betrachtet wurden, sollen hier die aus der Prozeßhaftigkeit der Verhandlungen resultierenden Einflüsse verdeutlicht werden. a) Der Klärungsprozeß aa) Darstellung Der Klärungsprozeß beginnt häufig, von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt, längere Zeit vor Beginn der offiziellen Kontaktaufnahme. Aus durchaus verständlichen Gründen w i r d diese Frage jedoch von allen Beteiligten m i t großer Diskretion behandelt, u m sich, dies gilt besonders für die Gewerkschaften, nicht dem Verdacht einer Einigung über die Köpfe der Basis hinweg auszusetzen. Die Frage nach inoffiziellen Kontakten und Informationen vor Beginn der anstehenden Tarifrunde wurde von fast allen befragten Gewerkschaftern kategorisch verneint. So entgegnete der Vorsitzende der I G Metall auf die Frage: „ W i r führen u n d das ist ganz entscheidend, v o r keiner Tarifrunde Spitzengespräche m i t der anderen Seite, w e i l das leicht mißverstanden u n d m i ß gedeutet werden könnte, i n der Richtung als ob der Vorstand der Organisat i o n zuvor, ich sags jetzt m a l i n der Sprache der Basis, m i t der anderen Seite gekungelt habe 2 2 0 ."

Auch der gewerkschaftliche Verhandlungsführer i n NordwürttembergNordbaden bestätigte diese Aussage: „Das gab es nicht, das gab es bisher überhaupt noch n i e 2 3 0 . "

Die einzige Ausnahme machte i n diesem Fall ein Gewerkschafter, der derartige Kontakte zwar als sehr unwahrscheinlich bezeichnete, sie aber nicht völlig ausschloß: „Das gibt es nicht, das gibt es kaum, das müßte reiner Z u f a l l sein, daß m a l zwei sich treffen irgendwo u n d u n t e r v i e r Augen l a u t denken 2 3 1 ."

Auch auf Arbeitgeberseite wurden derartige Kontakte von der Mehrzahl der Befragten, wie ζ. B. dem Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Nordwürttemberg-Nordbaden verneint: „Uberhaupt nicht, das wäre völlig falsch 232 ." Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete allerdings die A n t w o r t eines führenden Arbeitgeberfunktionärs : 229 230 231 232

Loderer, S. 2. Steinkühler, S. 6. Laus, S. 8. Dürr, S. 5.

172

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ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

„Das ist eine sehr delikate Frage. Ich w i l l sie m a l so beantworten: Es gibt j a über die Begegnungen i m Rahmen einer Tarifkonfliktsituation hinaus auch i m m e r wieder auf andere Weise begründete Begegnungen zwischen Exponenten der Tarifvertragsparteien, auch zwischen den verantwortlichen Exponenten der Tarifvertragsparteien u n d i m Rahmen solcher Kontakte gibt es sicher auch Vorgänge, die gewisse Anhaltspunkte f ü r ein zukünftiges V e r halten zu liefern geeignet sind. A b e r es ist nicht so, daß hier i m Rahmen einer vorgefaßten Meinung dann hinterher n u r noch Figuren geschoben werden 2 3 3 ."

I n welcher Form sich inoffizielle Kontakte während der Verhandlungen abspielen können, zeigt eine andere Bemerkung: „ F r ü h e r gab es häufig ,zufällige' Treffen auf Gang u n d Toilette 2 3 4 ."

Insgesamt bleibt trotz der zahlreichen Verneinungen der Eindruck, daß derartige Kontakte auf einigen Ebenen, wenn auch i n einer Atmosphäre größter Vertraulichkeit, praktiziert werden. Deshalb kann vermutet werden, daß beide Seiten schon vor Beginn der Verhandlungen zumindest über die Grobstruktur und die Gewichtung der gegenseitigen Positionen unterrichtet waren. Den nächsten, offiziellen Schritt des Klärungsprozesses bildet dann die erste Verhandlungsrunde, welche, wie schon an anderer Stelle ausführlich erläutert, normalerweise m i t großen Kommissionen, die nicht selten 15-20 Personen auf jeder Seite umfassen, durchgeführt wird. Diese erste oder teilweise auch ersten Verhandlungsrunden dienen jedoch i m Gegensatz zu eventuellen inoffiziellen Kontakten nur der Verlesung vorbereiteter Erklärungen, ohne daß i n dieser Phase schon echtes Verhandeln beginnen würde. Die Gründe für die anfängliche Größe der Verhandlungskommissionen wurde von beiden Seiten durchaus einleuchtend beschrieben: „ W i r als I G M e t a l l müssen doch darauf auch W e r t legen, da w i r darauf angewiesen sind, daß w i r möglichst v i e l M u l t i p l i k a t o r e n haben, glaubwürdige, gute redegewandte Funktionäre m i t Gewicht, die schildern können, w i e u n sere Argumente v o n der anderen Seite aufgenommen worden sind. W i r sind v ö l l i g hilflos, w e n n das n u r 'ne H a n d v o l l Leute macht. Wobei sowas die Verhandlungen nicht erleichtert, das w i l l ich zugeben 2 3 5 ."

Ein Arbeitgeber sieht eher psychologische Gründe für die Vielzahl der Teilnehmer: „ A u f beiden Seiten sind die Leute beleidigt, w e n n sie beim ersten M a l nicht m i t hineingenommen werden 23 ®."

Nachdem jedoch dieses „Ritual" der ersten Runde erledigt ist, beginnt der eigentliche Klärungsprozeß. Hierzu w i r d der größte Teil der K o m 233 234 235 236

Knapp, S. 12. Siebel, S. 17. Steinkühler, S. 20 f. Aengeneyndt, S. 11.

II.

r a n n s s p e z i f i s c h e Einflußfaktoren auf den E i n i g u n g s p r o z e ß 1 7 3

missionsmitglieder beider Seiten i n die Hintergrundkommissionen verwiesen, u m dort andere Aufgaben wahrzunehmen: „Die Notwendigkeit der Verkleinerung ergibt sich zwingend nach der ersten Runde. Dies hängt aber stark v o n der Mentalität der Verhandlungsteilnehmer u n d der allgemeinen Situation a b 2 3 7 . "

Von der allgemeinen Situation hängt auch ab, auf wieviel Personen die Kommission verkleinert wird. Während der Klärungsphase dürften die Kommissionen i m allgemeinen aus 3 - 5 Personen auf jeder Seite bestehen. Die Dauer der Klärungsphase ist von der A r t der gestellten Forderungen abhängig. Insbesondere bei Manteltarifverhandlungen oder bei Tarifverhandlungen, bei denen es u m grundsätzlich neue Forderungen geht, w i r d die Klärungsphase den weit überwiegenden Teil der Verhandlungen i n Anspruch nehmen. Dies gilt auch für 1978, wo es nach den Aussagen beteiligter Arbeitgeber schon bald nicht mehr u m die Forderung der kollektiven Absicherung, sondern u m die Ausgestaltung der individuellen Absicherung ging. Zwar war 1978 offiziell „die gewerkschaftliche Forderung der kollektiven Absicherung i n der Schlichtung nie vom Tisch" 2 3 8 . Nach Angaben der Arbeitgeber wurde aber tatsächlich „noch i n der Schlichtung... die individuelle Absicherung akzeptiert" 2 3 9 . Ein führender Arbeitgeberfunktionär bestätigte diese A n sicht: „Also w e n n es da überhaupt noch jemand gegeben haben sollte bei den Gewerkschaften, die vorgegeben haben, m a n könne ein solch kollektives Sicherungsverfahren durchsetzen, dann w a r e n das Scheingefechte 240 ."

Das bedeutet, daß fast während der gesamten Verhandlungsdauer über die einzelnen Punkte des Absicherungsvertrages gesprochen wurde: „Diese Absicherung w a r j a nicht eine Frage, die man i n einer Stunde diskutiert hätte, sondern es w a r eine lange Phase, w o die verschiedenen Paragraphen abgeklärt wurden. Das w a r j a auch deshalb so schwierig, w e i l w i r hier praktisch einen Schritt i n die Z u k u n f t t u n mußten, w i r mußten etwas vorbereiten, was i n der Z u k u n f t W i r k u n g hat. B e i m Absicherungsvertrag geht es Paragraphen u m Paragraphen. D a n n schreibt m a n drei nieder u n d es bleibt noch ein Halbsatz offen, dann sagt man: Gut, den lassen w i r weg, versuchen w i r m a l weiter zu k o m m e n 2 4 1 . "

Demnach diente der überwiegende Teil der Verhandlungen dazu, Punkt für Punkt dieses komplexen Vertragswerkes ausgiebig zu diskutieren und die gegenseitigen Positionen abzutasten. 237 238 239 240 241

Siebel, S. 13. Breu, S. 3. Siebel, S. 13. Knapp, S. 22. Dürr, S. 7 f.

174

D. Die Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

„ B e i m Abtasten können sich unausgesprochen Eindrücke ergeben, i n ihnen w i r d nicht ausdrücklich auf etwas verzichtet. Es ist ebenso w i c h t i g die eigene Position zu vermitteln, w i e die des anderen zu erfahren. Da m a n keine Position aufbauen w i l l , die m a n nicht eventuell wieder räumen kann, ist es ein wirkliches Abtasten 2 4 2 ."

Sobald also über einzelne, meist nicht grundsätzliche Fragen Einigkeit erzielt wurde, wurden diese Punkte, immer unter dem Vorbehalt einer befriedigenden Gesamtlösung, abgehakt. Durch diesen Prozeß erfolgte eine „Reduktion" der Verhandlungsmasse auf die Fragen, i n denen beide Seiten i n der Klärungsphase nicht zum Kompromiß fanden, weil grundsätzliche Positionen auf dem Spiel standen. Erst als dieser Punkt erreicht war und die Grundpositionen, die natürlich durch die Eliminierung von Extremen eine gewisse Annäherung erfuhren, herausgearbeitet wurden, konnte die Abschlußverhandlung bzw. die Einigungsphase eingeleitet werden. bb) Erläuterung und Beurteilung Dem Klärungsprozeß fällt bei Tarifverhandlungen, bei denen über neuartige Forderungen verhandelt wird, eine zentrale Rolle zu. Wegen der großen grundsätzlichen und wirtschaftlichen Bedeutung neuartiger Tarifabschlüsse i n der Metallindustrie müssen sich beide Seiten und insbesondere die Arbeitgeber genau über sämtliche mögliche Auswirkungen der Forderung orientieren. Je normaler und entspannter die Atmosphäre ist, i n der dieser Prozeß stattfindet, desto besser w i r d dieser Klärungsprozeß ablaufen. Dies gilt i n besonderem Maße für 1978, wo die Arbeitgeberseite erst kurz vor Beginn der Verhandlungen I n formationen über die Absicherungsforderung erhielt. Hieraus erklärt sich auch das Interesse der Arbeitgeberseite an Kontakten und Informationen vor Beginn der Verhandlungen, wobei verständlich ist, daß das Vorhandensein derartiger Kontakte offiziell kaum zugegeben werden kann. Die erste Verhandlungsrunde kann zum Klärungsprozeß wegen ihrer „Propagandafunktion" nichts beitragen. Der danach einsetzende Prozeß beanspruchte dann den weit überwiegenden Teil der Verhandlungen. Dieser Klärungsprozeß ist sehr viel weniger von Konfrontationselementen bestimmt, als es nach außen h i n den Anschein hat. Es gibt dabei selbstverständlich Auseinandersetzungen über einzelne Punkte, diese Auseinandersetzungen werden aber i m Allgemeinen nicht bis zum Letzten ausgetragen, d. h. es w i r d stärker herausgearbeitet was kontrovers ist, als daß die Kontroversen selber ausgetragen würden. Die leicht lösbaren Punkte werden dabei abgehakt und die problemati242

Siebel, S. 13.

I I I . Verhandlungsspezifische Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

175

sehen zurückgestellt. Somit ergibt sich eine immer weitergehende Problemverdichtung und Konzentration. Auch die zurückgestellten Problempunkte werden jedoch i m allgemeinen nochmals erörtert, da sich häufig entweder relativ einfache Lösungen finden lassen, die zunächst nicht erkennbar waren, oder bestimmte Probleme durch Entscheidungen in anderen Punkten obsolet werden. Interessant erscheint, welche Rolle i n dieser Phase, die, wie erwähnt, den größten Teil der Verhandlungen beanspruchte, der Arbeitskampf und insbesondere der Streik spielen konnte. Da die I G Metall nach den Worten eines ihrer führenden Funktionäre „ j a i m Streik die große Strafe für uneinsichtige Arbeitgeber" 2 4 3 sieht, fragt sich, inwieweit der Streik als Druckmittel hier richtig eingesetzt war. Solange nämlich noch nicht die Reduktion auf die „letzten Fragen" erfolgt ist, ist es schwer vorstellbar, daß ein Arbeitskampf grundsätzliche Positionsverbesserungen bewirken kann. Wenn es u m eine Grundfrage geht, die zu akzeptieren die Gegenseite gezwungen werden soll, dann w i r d der Streik, als zielgerichtete Sanktion für das Nichtakzeptieren dieser Frage, sicherlich erheblichen Einfluß auf die Überlegungen der anderen Seite ausüben. Ist es dagegen noch nicht völlig klar, was kontrovers ist, dann muß, von einer allgemeinen Stimmungsbeeinflussung abgesehen, der Streik i m Hinblick auf die andere Seite wirkungslos bleiben. b) Die Abschlußverhandlung aa) Darstellung I m vorhergehenden Abschnitt wurde gezeigt, wieweit der Klärungsprozeß gediehen sein muß, u m den Einigungsprozeß einleiten zu können. I n der Abschlußverhandlung spielt dann wiederum der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle. I n diesem Fall ist es die Verhandlungsdauer, die zum bestimmenden Element des letztlichen Einigungsprozesses wird. M i t der Verhandlungsdauer ist damit i n erster Linie die Stundenzahl der letzten Verhandlungsrunde gemeint. I n dieser letzten Verhandlungsrunde machen sich Müdigkeit und Erschöpfung der Verhandlungsteilnehmer immer deutlicher bemerkbar. Erst durch diesen physischen Einigungsdruck werden die bis dahin „letzten" und „endgültigen" Positionen soweit aufgeweicht, daß schließlich der Wunsch zu einem Ende zu kommen, gegenüber der Hoffnung, unter Umständen noch etwas mehr herausholen zu können, dominiert. 243

Janßen, S. 7.

176

.

ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

E i n A r b e i t g e b e r b r a c h t e dies a u f die plastische F o r m e l : „ E i n i g u n g ist d e r Sieg des H i n t e r n ü b e r d e n G e i s t 2 4 4 . " B e i d e S e i t e n s i n d sich i n diesem F a l l ü b e r d e n E f f e k t einig, d e n eine V e r t a g u n g d e r V e r h a n d l u n g e n auf d e n nächsten T a g m i t sich b r i n g e n w ü r d e : „ U n d ich w a r auch derjenige, der gesagt hat ,ich jetzt nach 18 Stunden aufstehen, f ä l l t m i r überhaupt nicht ein'. W i r haben schon 22 Stunden, w i r haben auch schon 24 Stunden geschlichtet; u n d der ganze Zinnober beginnt wieder v o n vorne, w e n n w i r jetzt auseinandergehen. Da muß m a n einfach ein Durchstehvermögen haben. Da muß der i - P u n k t a m Ende noch gesetzt werden können, w e n n m a n (der Einigung) so nahe (ist), es w a r also absehbar, daß es zur Einigung k o m m e n w i r d . Da k a n n m a n nicht u n d darf m a n nicht auseinandergehen u n d w e n n m a n stehend aus den Latschen herauskippt, u m es einmal ganz salopp zu sagen. W e i l die ganze Argumentation v o n vorne beginnt. Es ist also k a u m zu erwarten, daß nahtlos an der Argumentationskette, die auf beiden Seiten gebracht wurde, die Argumente angefügt werden können 2 4 5 . Das w ü r d e Stunden dauern, bis m a n wieder zu dem gleichen Argumentationsstand käme. Verhandlungsökonomisch wäre das ein W a h n sinn. Wobei es natürlich unter die H a u t geht, w e n n da m a l 10, 14, 16 Stunden keine Bewegung i s t 2 4 6 . " D i e gleiche A n s i c h t v e r t r a t e n auch m e h r e r e A r b e i t g e b e r : „Nach 19stündiger Verhandlung, w e n n m a n dann m a l i n einer Phase ist, i n der sich die Standpunkte etwas annähern u n d i n der m a n sieht, es könnte vielleicht auf diesem Wege zu einer Einigung kommen, da muß m a n auch zusammenbleiben, denn w e n n sie jetzt auseinandeìrlaufen, abends u m 10 U h r u n d am nächsten Morgen u m 10 U h r wieder beginnen, dann beginnen Sie nicht an dem Punkt, an dem Sie aufgehört haben, sondern an einem ganz anderen P u n k t 2 4 7 . " Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber i n Nordwürttemberg-Nordbaden bestätigte die Bedeutung der Verhandlungsdauer: „Das ist also ein Aufeinanderzuringen u n d a m Schluß ist es sicher auch eine Frage des politischen Durchsetzungsvermögens, vielleicht auch des physischen Durchsetzungsvermögens. , . . . da muß ich so lange sitzenbleiben, nach Möglichkeit einen Bruchteil der Zeit länger als der andere' 2 4 8 ." Diese Aussage b e s t ä t i g t w i e d e r u m d i e Tatsache, daß entsprechende persönliche F ä h i g k e i t e n , i n diesem F a l l e d i e e r f o r d e r l i c h e A u s d a u e r , u n a b d i n g b a r e V o r a u s s e t z u n g f ü r erfolgreiches V e r h a n d e l n ist. N e b e n dieser W i r k u n g a u f d i e V e r h a n d e l n d e n selber, i s t d i e l a n g e V e r h a n d l u n g s d a u e r aber auch n o t w e n d i g , u m e i n erzieltes E r g e b n i s nachher v o r d e r eigenen K o m m i s s i o n v e r t r e t e n z u k ö n n e n : 244 245 246 247 248

Wehr, S. 5. Laus, S. 23 f. Ebd., S. 23 f. Hildmann, S. 17. Dürr, S. 8 u n d 14.

I I I . Verhandlungsspezifische Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

177

„Die Tarifverhandlungen dauern deshalb i m m e r so lange bis i n die Nacht hinein, w e i l die Situation reifen muß. H i e r spielt die Frage des ,Verkaufens nach innen' eine große Rolle. Ich w ü r d e es f ü r ausgeschlossen halten, daß eine Gewerkschaft nachmittags u m 17 U h r m i t einem Tarifergebnis i n ihre Kommission geht. Sie w i r d sich sofort den V o r w u r f zuziehen: , I h r habt euch nicht genügend bemüht, da wäre mehr d r i n gewesen.' Bei uns w ä r e es ähnlich, w e n n auch nicht so ausgeprägt 2 4 9 ."

Eine ähnliche Aussage machte auch der DGB-Vorsitzende Vetter i n einem Interview 2 5 0 . Daraus folgt, selbst wenn sich beide Parteien über den Einigungspunkt schon i m Klaren sind, müssen sie trotzdem auf den richtigen Moment warten, u m auch offiziell zu einem Ergebnis zu kommen. Neben dem Zeitelement ist auch die Kontakthäufigkeit nach außen ein wesentlicher Faktor für die Einigung. Während i m Verlauf der Verhandlungen i n der Regel jeweils nach etwa einer Stunde, oder wenn neue Vorschläge oder Probleme auftauchen, Kontakt zur Hintergrundkommission aufgenommen wird, werden diese Kontakte i n der Endphase immer seltener. „Teilweise werden sehr lange Gespräche nicht unterbrochen, u m mühsam erreichte Einigungsmöglichkeiten nicht durch ein Gespräch i n den eigenen Reihen wieder zunichte zu machen. Das ist oft so i n den letzten Verhandlungsphasen, d . h . Unterrichtung n u r i n großen Abständen. Der psychologische Einigungsdruck wächst 2 5 1 ."

Ein anderer Arbeitgeber bestätigte diese Ansicht: „ I n der Endphase stört ein zu häufiger K o n t a k t m i t der Außenwelt. Je mehr Leute die Möglichkeit haben hineinzureden u n d Vorschläge zu machen, desto weniger k o m m t m a n zum Ende. Je mehr m a n i n die letzte Phase k o m m t , desto weniger A u ß e n k o n t a k t 2 5 2 . "

Der Grund für diese Verminderung der Kontakthäufigkeit zu den Hintergrundkommissionen beider Seiten ist leicht einzusehen: Die H i n tergrundkommission hat die Aufgabe, der Verhandlungskommission, der, weil sie die Lösung finden muß, „ein nuanciert höheres Maß von Kompromißbereitschaft" unterstellt wird, den Rücken zu stärken und die Zielsetzung der eigenen Seite zu vertreten. Deshalb führen zu häufige Kontakte nach außen zu einem ähnlichen Ergebnis, wie die Vertagung der Verhandlungen auf den nächsten Tag: Die physische und psychische Erschöpfung t r i t t dann i n der Bedeutung gegenüber dem Wunsch nach bestmöglicher Vertretung der eigenen Interessen zurück, der von der Hintergrundkommission wiederum bekräftigt wird. 249 250 251 252

Siebel, S. 14 f. Vetter i m Spiegel. Siebel, S. 12. Aengeneyndt, S. 20.

12 S c h i l l i n g

178

.

ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

D. h. beide Verhandlungsdelegationen müssen grundsätzlich bereit sein, sich innerhalb eines sehr engen Spielraumes zu einigen und sie sollten davor von ihrer Hintergrundkommission zumindest innerhalb gewisser Grenzen freie Hand bekommen. Diese Bewegung zum Schluß erfolgt dann typischerweise nicht mehr i n Form zahlreicher kleiner Schritte, sondern beide Parteien überbrükken die vorhandene Differenz eher i n Form von wenigen großen Schritten. „ I n der Endphase w i r d es dann nicht mehr so gemacht, daß ich ein halbes Prozent, d u ein halbes bis dreiviertel Prozent (nachgebe), das geht an sich i n der entscheidenden Phase nicht mehr u m diese kleinen Schiritte, sondern da k o m m e n eigentlich i n zunehmendem Maße ein oder zwei größere Schritte, die dann ganz i n die Nähe der Endstation f ü h r e n 2 5 3 . " „ W e n n die Verhandlungen bis zu einem gewissen P u n k t gediehen sind, muß einer den M u t haben, den Rest auszuhandeln. Schrittweise Annäherungen an den Einigungspunkt findet m a n insbesondere bei Rahmenverhandlungen. Gegen Schluß w i r d dann eher eine Gesamtvereinbarung bzw. ein Gesamtpaket geschaffen. Der L o h n w i r d i n der Regel i m m e r als letztes besprochen 2 5 4 ."

D. h. daß beide Parteien nicht mehr so ängstlich wie i n den vorhergehenden Phasen darauf bedacht sind, ihre eigene Position nicht durch zu große Zugeständnisse zu schwächen bzw. zu demontieren. I n dieser Phase ist eher zu vermuten, daß eine der beiden Parteien einen Einigungsvorschlag unterbreitet, der tatsächlich ihre endgültige Position beinhaltet. Wie oben erwähnt, gilt dies insbesondere für reine Lohnbzw. Gehaltsverhandlungen wo eine Zahl „ i m Raum" steht und wo es i n erster Linie u m die Frage geht, wer diese Zahl zuerst nennt. Ein Arbeitgeber schilderte stichwortartig aus seinen Unterlagen, wie sich die Einigung 1978 vollzog: „(1978) erfolgte Annäherung erst sehr spät. Kernfrage w a r die Verdienstsicherung. Bei Streikbeginn gab es noch keine Lohnannäherung. Es gab keine Annäherung über einen langen Zeitraum. Erst i n der Schlußphase k a m es zur Einigung. Die Z a h l stand f r ü h i m Raum. Schon i n F r a n k f u r t waren die Zahlen nicht mehr w e i t auseinander. I n Stuttgart w u r d e n Zahlen erst sehr spät genannt. A n m e r k u n g i n den Unterlagen: ,Unter Niveau des Vorjahres, aber Stahlpräjudiz'255."

253

Moser, S. 12. Wilfert, S. 6. 255 Wehr, S. 5. 254

I I I . Verhandlungsspezifische Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

179

bb) Erläuterung und Beurteilung Eine Vielzahl einzelner Elemente ermöglicht es i n der Abschlußverhandlung tatsächlich die Tarifrunde zu beenden. Wie schon erwähnt, sind bis dahin die „leichten Punkte", soweit möglich, abgehakt. Was nun zur Diskussion steht, ist der verdichtete Problemkomplex, d. h. die Grundprobleme, über die bis dahin noch keine Einigkeit erzielt werden konnte. Z u diesem Zeitpunkt haben die Verhandlungspartner jeden einzelnen Punkt immer wieder besprochen, so daß von einer gewissen Unlust, die gleichen Fragen nochmals ausführlich zu erörtern, ausgegangen werden kann. Punkte, über die i n der Klärungsphase stunden- und tagelang diskutiert wurde, werden nun i n kurzer Zeit abgehakt und/oder zusammengefaßt. Schließlich, nachdem auch die physische Erschöpfung entsprechend groß geworden ist, unterbreitet eine der beiden Parteien einen kompletten Lösungsvorschlag, der die beiderseitigen Positionen kompromißartig zusammenfaßt. A n einem solchen Vorschlag werden dann normalerweise nur noch geringe „kosmetische" Korrekturen vorgenommen, u m Rücksicht auf die Mitgliedschaft zu nehmen. Der o. g. Druck w i r d jedoch auch die Erörterung dieser Korrekturen nicht zu lang geraten lassen. Schließlich w i r d dann noch der endgültige Text schriftlich aufgesetzt, womit die Tarifverhandlungen beendet sind. 3. Die Verhandlungsmasse

a) Darstellung Nach dieser Darstellung der verhandlungspolitischen Einigungsfaktoren bleibt die Frage, wie groß die Verhandlungsmasse ist, die tatsächlich i m Verhandlungsprozeß gewonnen oder verloren werden kann. Für die Beantwortung dieser Frage muß wiederum unterschieden werden zwischen Verhandlungen, i n denen es u m grundsätzlich neue Forderungen geht, die womöglich noch zum sog. „Tabukatalog" der A r beitgeberverbände gehören und solchen Verhandlungen, i n denen es nur u m reine Lohn- und Gehaltsforderungen geht. I m ersten Fall läßt sich die Frage nicht allgemeingültig beantworten, da die Verhandlungsmasse hierbei von sehr vielen, nicht quantifizierbaren Faktoren abhängt. Speziell auf 1978 bezogen kann jedoch angenommen werden, daß von vornherein nur eine Form der individuellen Absicherung als Ergebnis denkbar war. Die Arbeitgeberseite empfand die geforderte kollektive Absicherung als einen so weitgehenden Eingriff i n ihre Be12*

180

.

ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

fugnisse, daß sie sicherlich auch noch bereit gewesen wäre, einen wesentlich längeren Arbeitskampf auf sich zu nehmen, u m diese kollektive Absicherung zu verhindern. Hinsichtlich des Umfanges der individuellen Absicherung ist es jedoch wiederum kaum möglich, eine vergleichbare Aussage zu machen. Immerhin ist es hier der I G Metall gelungen, m i t der Ausdehnung der Absicherung auch auf die Fälle, i n denen die Abgruppierung nicht aus Gründen des technischen Fortschritts erfolgt, eine Position durchzusetzen, von der mehrere Arbeitgeber geglaubt hatten, daß sie nicht aufgegeben werden müßte. Es deuten somit einige Anzeichen darauf hin, daß es der I G Metall i n diesem Fall gelang, den vermuteten Einigungsbereich zu ihren Gunsten auszudehnen. Die Frage nach der Verhandlungsmasse i m Hinblich auf die Lohnzahl ist wesentlich klarer zu beantworten, da es sich hierbei u m eindeutig quantifizierbare Werte handelt. Die Antworten der Befragten bewegten sich hierbei fast alle i m gleichen engen Bereich. Franz Steinkühler antwortete auf die Frage nach der beweglichen Masse der Lohnverhandlungen: „Also fest stand f ü r uns, daß die untere Marge nicht unterschritten werden könnte, die 4 1/2 °/o u n d daß die obere Marge möglichst n a h an der Forderung liegen sollte, wobei jedermann k l a r war, daß wahrscheinlich über 5 1/2 %> k a u m rauszukommen w ä r e 2 5 8 . "

I n München war die Einstellung auf Gewerkschaftsseite etwas optimistischer, der Spielraum wurde aber auch nicht viel größer eingeschätzt: „Bei uns war die Einstellung so um 6 %>, 5,5 bis 6 °/o257." A u f Arbeitgeberseite schwankten die Einschätzungen zwischen ± 0,3% und ± 1 Bei reinen Lohnverhandlungen scheint die Marge jedoch tatsächlich nicht größer zu sein als 0,5 °/o: „ E i n halbes P r o z e n t . . . unter dem Aspekt großer Sachkunde u n d eines hochentwickelten Beurteilungsvermögens ist das so ein Rudiment, das als nicht abschließend definierbare Einigungsmarge ü b r i g bleibt. Das k a n n m a n schon ein bißchen verallgemeinern 2 5 8 ."

Die Schätzung von Heinz Dürr entsprach i n etwa derjenigen von Franz Steinkühler: „ ± 0,5 °/o ist meine persönliche Meinimg, die ist teilweise auch gefühlsmäßig." (Wie ist es bei Tarifrunden, w o der L o h n i m Vordergrund steht?) „Also dann k o m m t s vielleicht auf ± 0,3 °/o heraus 2 5 9 ." 258 257 258 259

Steinkühler, S. 24. Laus, S. 21. Knapp, S. 24. D ü r r , S. 15.

I V . Zusammenfassung

181

Auch andere Arbeitgebervertreter gaben ähnliche Prognosen ab: „Spielraum: 1 *Vo oder weniger 260 ." „Jeder k a n n das Ergebnis m i t ± 1 °/o abgrenzen. Der Rahmen ist vorhanden. Durch äußere Daten liegt Ergebnis v o n vornherein fest. Bestimmte Vorstell u n g steht i m R a u m 2 6 1 . "

D. h., daß sich nach weitgehend übereinstimmender Schätzung der an den Verhandlungen beteiligten Gewerkschafter und Arbeitgebervertreter der tatsächliche Verhandlungsspielraum i n der Lohnfrage schon bei Beginn der Verhandlungen m i t einer Genauigkeit von ± 0,5 °/o bestimmen läßt. b) Erläuterung

und Beurteilung

Aus dieser Tatsache ergeben sich erhebliche Konsequenzen für die Bewertung der verhandlungsspezifischen Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß i m Falle von reinen Lohn- und Gehaltsverhandlungen. Damit w i r d die wesentlich größere Bedeutung der anderen lohnbestimmenden Faktoren, der wirtschaftlichen und der organisationsspezifischen Einflußfaktoren, auf den Einigungsprozeß bestätigt. Die eigentliche Tarifverhandlung erscheint dadurch nur als sichtbarer Ausdruck von Willensbildungsprozessen die sich, für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar, i n den Organisationen der Tarifpartner abspielen. Trotzdem kann auf dieses „Ritual" nicht verzichtet werden. Der eigentliche Zweck der Tarifverhandlung liegt i n ihrer sozialen Ausgleichsfunktion, die sie insbesondere für die Mitglieder der Gewerkschaft ausübt. N u r durch die, m i t großer Publizität und teilweise harten Worten durchgeführte Auseinandersetzung gewinnnt das Gewerkschaftsmitglied den Eindruck, daß wirklich bis „zum Letzten" für seine Interessen gekämpft wurde. Eine Verhandlung i n der sich beide Seiten nach einer Stunde einigen, erweckt leicht den Verdacht, daß diese Einigung auf Kosten der Basis erfolgt. I V . Zusammenfassung

Drei deutlich unterschiedliche Einflußkomplexe w i r k t e n i m Zeitablauf auf das Ergebnis der Metalltarifrunde 1978 ein; am Anfang standen dabei die wirtschaftlichen Einflußfaktoren, dann gewannen die organisationspolitischen Faktoren an Einfluß und schließlich waren es verhandlungspolitische Faktoren die an Bedeutung gewannen. 260

Siebel, S. 15. tei w e h r , S. 3.

182

.

ie Einflußfaktoren auf den Einigungsprozeß

Zunächst waren es jedoch die gesamtwirtschaftlichen Daten und dabei fast ausschließlich die erwarteten Preissteigerungs- und Produktivitätszuwachsraten, aufgrund derer der Gesamteinigungsbereich für Lohnund Gehaltserhöhungen definiert wurde. Die Differenz zwischen Forderung und Angebot entsprach dabei der, von der Gewerkschaft erwarteten Inflationsrate, vermehrt u m mögliche Einschätzungsunterschiede der Produktivitätszuwachsrate und betrug 4,5 υ /ο. Diese Verhandlungsdifferenz war durch die wirtschaftliche Situation quasi „vorbestimmt" und erfuhr keine Modifikation durch die Tarifparteien. Es gab i n dieser Situation deshalb noch keine echten Entscheidungsträger wegen der starken Prädeterminierung der Forderungs- und A n gebotspositionen und damit auch der Verhandlungsdifferenz. Die Koordinierungsbestrebungen beider Seiten können als Versuch interpretiert werden, Alleingänge autonomer Entscheidungsträger durch eine möglichst starke Verpflichtung auf die Gesamtverantwortung zu unterbinden. Eine derartige externe Determinierung war bei der Absicherungsforderung hingegen nicht gegeben. Sie ging eindeutig auf die Initiative der Stuttgarter Bezirksleitung zurück und muß deshalb anders betrachtet werden. I m Verhandlungsverlauf wurden dann die „Vollstrecker gesamtwirtschaftlicher Gegebenheiten" zu echten Entscheidungsträgern. Bei Verhandlungsbeginn konnte davon noch nicht die Rede sein, da hier noch gewisse Rituale zu absolvieren waren, wo noch keine Bewegung i n der Verhandlung möglich und daher kein Raum für Initiativen einer Gruppe war. Je mehr sich die Verhandlungen jedoch i n die K l ä rungsphase bewegten, desto stärker wurde der Einfluß verschiedener Gremien. Diese Gremien waren die jeweiligen Verhandlungs- und Hintergrundkommissionen, die I G Metall- und Gesamtmetallvorstände und, sobald die Möglichkeit eines Arbeitskampfes akut wurde, die „Basis" beider Seiten. Dabei verstand es auf Gewerkschaftsseite die Stuttgarter Bezirksleitung, sich zum dominierenden Entscheidungsträger zu machen, indem sie die vermeintliche Unterstützung der Basis für den Absicherungsvertrag gegenüber dem I G Metall-Vorstand ins Spiel brachte, wobei sie möglicherweise dort bestehende Spannungen für sich ausnützte. Sie erlangte dadurch eine ungewöhnlich hohe Entscheidungsfreiheit und wurde zum eigentlichen Entscheidungsträger auf Gewerkschaftsseite bis zum Abschluß der Tarifrunde. Auch auf Arbeitgeberseite gelang es offenbar der lokalen Verhandlungskommission zum eigentlichen Entscheidungsträger zu werden und sich, zumindest zeitweise, weitgehend von dem Einfluß Gesamtmetalls zu befreien.

IV. Zusammenfassung

183

Diese innerorganisatorischen Machtkämpfe spielten sich während der Klärungsphase der Verhandlungen ab. Die beiden Verhandlungsparteien hatten somit ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit gewonnen, gleichzeitig aber war der Einigungsbereich durch den Klärungsprozeß erheblich vermindert worden. Falls die Behauptung der Arbeitgeberseite zutrifft, ihr Eifiigungsvorschlag vom 19. März sei von Steinkühler nur abgelehnt worden, um die 100 000-Klagen-Aktion durchführen zu können, könnte diese A k t i o n als Möglichkeit interpretiert werden, auf eine frühe Einigung zu verzichten, um die eigene Entscheidungsfreiheit und innergewerkschaftliche Position dadurch auszubauen, daß durch Verwendung neuer Formen der Auseinandersetzung neuer Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt wurde, der, bei Erfolg der Klageaktion, eine grundsätzliche Positionsverbesserung für die gesamte I G Metall bedeutet hätte. I n der Absicherungsforderung war mittlerweile die kollektive A b sicherung „vom Tisch" und es ging nur noch u m die Frage der Ausgestaltung der individuellen Absicherung. So war zu diesem Zeitpunkt eine Situation gegeben, die durch steigende Entscheidungsfreiheit der beiden Verhandlungsführer und ihrer Kommissionen, bei sinkendem Einigungs- und somit Entscheidungsspielraum gekennzeichnet war. Der endgültige Einigungspunkt wurde dann schließlich i n kleistern Kreis i n der Abschlußverhandlung gefunden, dabei wohl beeinflußt von den üblichen Techniken und Verhaltensweisen. I n der Betrachtung der Tarif runde 1978 ragt besonders die Absicherungsforderung und ihre Wirkungen als außergewöhnliches Ereignis heraus. Ohne diese Forderung, bei reinen Lohn- und Gehaltsverhandlungen, hätte die Stuttgarter Bezirksleitung wohl nicht dieses hohe Maß an Autonomie gewonnen, da sonst das Forderungsvolumen unmittelbar und der Einigungspunkt mittelbar innerhalb sehr enger Grenzen prädeterminiert gewesen wäre.

E. Theoretische Ansätze zur Erklärung des Ablaufs von Tarifverhandlungen Wie eingangs (Kap. Α. I.) schon erwähnt wurde, gibt es zahlreiche theoretische Arbeiten, die sich mit der Lohnbestimmung und dem Tarifverhandlungsgeschehen befassen. I n der vorliegenden Arbeit werden diese Theorien i n 3 Kategorien eingeteilt: 1. ökonomisch bestimmte Theorien, d. h. solche Ansätze, die das Ergebnis der Verhandlungen durch wirtschaftliche Gegebenheiten hinreichend definiert sehen. Hierbei w i r d typischerweise weder die Möglichkeit organisatorischer Differenzen berücksichtigt, noch w i r d dem Verhandlungsprozeß an sich Bedeutung beigemessen. 2. Organisationspolitisch bestimmte Theorien. Diese Theorien sehen die innerorganisatorischen Willensbildungsprozesse und Verhaltensweisen und die daraus resultierenden Machtpositionen als die wichtigsten Determinanten des Einigungsprozesses an, i n die ökonomische Gegebenheiten meist nur als Nebenbedingungen eingehen und wo Verhandlungstechniken und -taktiken allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. 3. Verhandlungspolitisch bestimmte Theorien. Hierbei stehen Verhandlungsverhalten und -verlauf i m Vordergrund. Techniken und Taktiken gewinnen entsprechend an Gewicht, während wirtschaftliche Faktoren demgegenüber als gegeben hingenommen und innerorganisatorische Prozesse außer acht gelassen werden. Die verschiedenen Theorien werden hier nur dann ausführlicher dargestellt und behandelt, wenn sie für die untersuchte Materie von I n teresse sind, d. h. wenn sich daraus Ansatzpunkte für eine Bestätigung oder Ablehnung dieser Ansätze ergeben. A u f andere Theorien, für die sich kaum Anknüpfungspunkte ergeben, w i r d allenfalls kurz hingewiesen. I . ökonomisch bestimmte Theorien

Für die Bestätigung oder Ablehnung der ökonomisch bestimmten Theorien ergeben sich nur wenige Ansatzpunkte aus der vorliegenden Arbeit.

I.

o n o i s c h bestimmte Theorien

185

Böhm-Bawerks These 1 , wonach die persönliche Einkommensverteilung i n erster Linie wirtschaftlich determiniert sei, aber durch gewerkschaftlichen Machteinsatz kurzfristig über diese Grenzen angehoben werden könne, könnte nur i n einer längerfristigen Betrachtung überprüft werden. Dunlops Theorie 2 des Unternehmerverhaltens von Gewerkschaften, die Lohnsummenmaximierung betreiben, geht implizit von einer Interessenidentität aller Gewerkschaftsmitglieder aus. Rivalitäten zwischen verschiedenen Gewerkschaftsinstitutionen könnten deshalb nicht auftreten, weil ja die Gewerkschaft als Ganzes die M i t gliedschaft repräsentiert und somit auch als Ganzes, die erwähnte Lohn-Beschäftigungssummen-Maximierung betreibt. I n der Tarif runde 1978 kann von einer Lohnsummenmaximierung, zumindest kurzfristig, nicht ausgegangen werden, da m i t Sicherheit anzunehmen ist, daß von der I G Metall höhere Lohnzuwächse hätten erreicht werden können, wenn auf die Absicherungsforderung verzichtet worden wäre. Auch langfristig erscheint ein solches Maximierungskonzept höchst zweifelhaft. Dafür war, wenn die betreffenden Zahlen der Arbeitgeberseite korrekt sind, die Zahl der Abgruppierungen zu gering, als daß durch ihre Verhinderung materielle Ergebnisse erreicht worden wären, die über den entsprechenden Lohnerhöhungen gelegen hätten. Wie die Entstehungsgeschichte der Forderung und die K r i t i k an dem nachher erzielten Abschluß zeigt (vgl. Absätze C. II. 1. b) bb) und D. I I . 1. a) aa)), kann von einer vollen Unterstützung der gewerkschaftlichen Forderungen durch die Mitgliedschaft nicht die Rede sein. Es wurde sehr deutlich, daß hier stark unterschiedliche Auffassungen einzelner gewerkschaftlicher Gremien vorhanden waren. Die von Phillips 3 i n der gleichnamigen Kurve hergestellte Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Lohnerhöhungen hat für die Nominallohnbestimmung i n dem gezeigten Prozeß kaum Bedeutung. Ein solcher Zusammenhang könnte allenfalls einen Einfluß auf übertarifliche Lohn- und Gehaltsbestandteile haben, nicht jedoch auf die Bestimmung der Tariflöhne, die den Charakter von Mindestbedingungen haben.

1 Vgl. E. B ö h m - B a w e r k , Macht oder ökonomisches Gesetz, i n : Zeitschrift f ü r Volkswirtschaft, Sozialpolitik u n d Verwaltung, W i e n 1914, abgedruckt i n : Gesammelte Schriften Bd. 1, W i e n 1924. 2 Vgl. J. T. Dunlop, Wage Determination under Trade Unions, N e w Y o r k 1944, r e p r i n t O x f o r d 1950. 3 A . W. Phillips, The Relation Between Unemployment and the Rate of Change of Money Wage Rates i n the United K i n g d o m 1861 bis 1957, i n : Economica, November 1958.

186

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tarif Verhandlungen

Kaldor 4 geht i n erster Linie auf den Zusammenhang zwischen der Gewinnsituation der Unternehmen einerseits und der Arbeitslosigkeit sowie der Konzessionsbereitschaft der Unternehmer andererseits, ein. Die Gewinnsituation der Unternehmen hat jedoch, wie gezeigt wurde, kaum Einfluß auf das Forderungs- und Angebotsschema der Tarifparteien. Entsprechende Wirkungen sind deshalb auch hier eher auf das Volumen der übertariflichen Leistungen, nicht jedoch auf die Tarifverträge anzunehmen. Die These, daß weder die Arbeitgeber noch die Gewerkschaften die Preiserhöhungen berücksichtigten die aus Lohnerhöhungen resultieren, kann jedoch i n der Tarifrunde 1978 zumindest für die Arbeitgeberseite als eindeutig widerlegt gelten, wie i m Abschnitt C. V I I . 1. b) bb) gezeigt wurde. K u h 5 nähert sich mit seiner Annahme, daß die Gewinne nur stellvertretend für die Produktivität stehen und daß deren Veränderung, neben der Veränderungsrate der Unterbeschäftigung die Lohnänderung beeinflußten, wieder stärker Böhm-Bawerks These an. Auch seine Theorie müßte i m Rahmen einer, sich über mehrere Jahre erstreckenden, Analyse untersucht werden, eine einzelne Tarifrunde kann hierfür kaum Ansatzpunkte liefern. Hicks 6 w i r d hier den ökonomisch bestimmten Theorien zugerechnet, da er die Streikkosten, also eine ökonomische Variable als Bestimmungsfaktor der Lohnerhöhung sieht. Die von i h m beschriebene, ausschließliche Abhängigkeit des Einigungspunktes von den Streik- bzw. Lohnerhöhungskosten, ist aus mehreren Gründen für diese Lohnrunde nicht haltbar: 1. Nach Aussagen beider Seiten fand kein Abwägen zwischen den Kosten des Arbeitskampfes und den zu gewährenden Tariferhöhungen statt. 2. Der Grund für den Arbeitskampf lag nicht i n der Lohnerhöhung, sondern i m Absicherungsvertrag, der von den Arbeitgebern weniger aus unmittelbar wirtschaftlichen, sondern vielmehr aus grundsätzlichen Erwägungen heraus bekämpft wurde 7 . 3. Hicks' Behauptung, je größer die von den Unternehmern bereits gemachten Konzessionen seien, u m so mehr ginge die Streikbereitschaft der Arbeitnehmer zurück, ist auch nur bedingt richtig. So4

Vgl. N. Kaldor, Economic G r o w t h and the Problem of Inflation, i n : Economica 1959, S. 287 - 298. 5 Vgl. E. K u h , P r o d u c t i v i t y Theory of Wage Levels — A n Alternative to the Phillips Curve. Review of Economic Studies, Vol. 34, 1967. 6 Vgl. J. R. Hicks, The Theory of Wages, N e w Y o r k 1963. 7 Nach Aussagen der Arbeitgeberseite gibt es bis heute keine Unterlagen über die, durch den Absicherungsvertrag, verursachten Kosten.

I I . Organisationspolitisch bestimmte Theorien

187

lange sich die Verhandlungen noch nicht i n der entsprechenden Phase befinden, können Konzessionen beider Seiten „verloren" sein, d. h. es werden Positionen geräumt, ohne daß sich entsprechende Gegenleistungen zeigen 8 . 4. Hicks weist zwar zu Recht darauf hin, daß einige Streiks aus anderen als ökonomischen Gründen unausweichlich sind. Insgesamt berücksichtigt er jedoch ebensowenig wie Dunlop die Tatsache, daß die Verhandlungsführer i n starkem Maße auch verbandspolitische Ziele verfolgen 9 . Alle hier aufgeführten ökonomisch bestimmten Theorien haben gemein, daß sie die Heterogenität der an dem Verhandlungsprozeß beteiligten Organisationen nicht berücksichtigen. Es w i r d implizit oder, wie bei Dunlop, explizit davon ausgegangen, daß Interessenidentität zwischen Mitgliedschaft und Verhandlungsführung besteht. Auch auf die Prozeßhaftigkeit der Verhandlungen w i r d nicht eingegangen. I I . Organisationspolitisch bestimmte Theorien 1. Darstellung

α) Α. M. Ross Ross 10 weist i n seiner 1948 erschienenen Arbeit die Behauptung von Dunlop zurück, daß das Modell der Gewerkschaft i m wesentlichen das eines Unternehmens sei, welches den Arbeitgebern Arbeitsleistungen verkaufe und dabei die gesamte Lohnsumme zu maximieren versuche 11 . Wenn demnach die Nachfrage nach Arbeit elastisch sei, und sich die Gewerkschaftsfunktionäre dieser Elastizität bewußt seien, so müsse man erwarten, daß die Gewerkschaften unter Streikdrohung auf Lohnkürzungen beständen 12 . Insbesondere jedoch sei das Modell der Gewerkschaften als arbeitsverkaufende Unternehmen unrealistisch. Die Gewerkschaft hat wie jede größere Organisation eigene organisationspolitische Interessen, die sich durchaus von denen der Mitglieder unterscheiden können 1 3 . Ross sieht die Gewerkschaft als politische Institution, die an der Festsetzung der Löhne beteiligt ist. Der Formalzweck der Gewerk8

Vgl. hierzu Absätze D. I I I . 1. b), D. I I I . 2. a) u n d D. I I I . 2. a). Vgl. B. Keller, Theorien der K o l l e k t i w e r h a n d l u n g e n , S. 25. 10 Α . M. Ross, Trade Union Wage Policy, Berkeley 1948, i n : B. K ü l p u n d W. Schreiber, Arbeitsökonomik, S. 181 - 205. 11 Ebd., S. 182. 12 Ebd. 13 Ebd., S. 183 u n d 201. 9

188

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tariferhandlungen

schaft besteht dabei i n der Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstandes der Mitglieder, wobei der wirtschaftliche „Wohlstand" ein Konglomerat von verschiedenartigen Phänomenen ist: Löhne m i t einer Gelddimension, Arbeitszeit mit einer Zeitdimension und physische Arbeitsbedingungen, wirtschaftliche Sicherheit, Schutz gegen Ausbeutung und verschiedene Rechte der Selbstbestimmung ohne jede Dimension 14 . Lebenswichtige institutionelle Zwecke, wie Überleben und Wachst u m der Organisation erhalten aber den Vorrang, wenn es zum Konflikt m i t dem Formalzweck kommt 1 5 . I m Verhandlungsprozeß konzentriert sich starker Druck auf die Funktionäre, der aus dem Komplex politischer Beziehungen, von denen die Funktionäre umgeben sind, entsteht: So z. B. Beziehungen zu den Mitgliedern, zu den Arbeitgebern, zu anderen Organisationsstufen der Gewerkschaft, zu den übrigen Gewerkschaften und zur Regierung 18 . Da die Funktionäre normalerweise ihre persönlichen Ziele m i t den institutionellen Gewerkschaftszielen identifizieren, werden sie versuchen, den Druckausgleich i n der Weise zustande zu bringen, die dem Uberleben und dem Wachstum der Organisation am meisten zuträglich ist 1 7 . Insgesamt geht Ross davon aus, daß die Tarifverhandlungen i n einem politischen Feld stattfinden, i n welches wirtschaftliche Faktoren nur insoweit eindringen, als sie politischen Charakter annehmen 18 . b) B. Külp Die von Ross allgemein und nur verbal beschriebene Situation w i r d von K ü l p weiter disaggregiert und i n verschiedenartige Variable aufgelöst. K ü l p 1 9 entwickelt folgendes Modell: die Arbeitgeber machen u m so höhere Lohnzugeständnisse, je größer die ihnen gegenüber offenbarte Militanz (MG) der Gewerkschaftsorganisation ist. Dies w i r d durch folgende Formel ausgedrückt:

Mg wiederum w i r d bestimmt, durch die von den Mitgliedern geäußerte Militanz Ma, d . h . deren Bereitschaft, Forderungen auch durch Streik durchzusetzen, und den Grad der Nutzung α dieser Mitgliedermilitanz durch die Tarifkommission. 14 15 16 17 18 19

Ebd., S. 187. Ross, S. 201. Ebd., S. 202. Ebd. Vgl. B. K ü l p , L o h n b i l d u n g i m Wechselspiel, S. 148. B. K ü l p , Determinanten der Lohnflndung, S. 225 ff.

I I . Organisationspolitisch bestimmte Theorien

189

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190

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs von Tariferhandlungen

MG = f

(MA)

M G = α · f (M a)

Ma w i r d als das Ergebnis eines autonomen Konfliktpotentials Κ einerseits und des Organisationsgrades Ο andererseits interpretiert. MA

= f (Ο, K) wobei Κ = f (P,A,G . . . )

dabei ist Ρ = Preisniveau, A = Arbeitslosenquote, G = Gewinne, d. h. alles ökonomische Größen. Δ Ο ist abhängig von K 2 0 . Die Beziehung zwischen Ο und Mg läuft über α und Ma. Dabei kommt K ü l p zu folgendem Funktionsverlauf :

D. h. α = f (O) nimmt bei mittlerem Organisationsgrad ein Nutzungsmaximum ein, während bei steigendem Organisationsgrad der Nutzungsgrad sinkt 2 1 . Dies bedeutet, daß die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme um so mehr ansteigen wird, je mehr Gewerkschaften sich i n der schraffierten Umgebung von A befinden 22 . K ü l p geht i n einem anderen Modell auch auf die Beziehungen zwischen Arbeitgebervertretern und Arbeitgebern ein. Er geht i n dieser A r b e i t 2 3 davon aus, daß die Arbeitgebervertreter und ihre Interessen nicht m i t denen der Arbeitgeber identisch sein müssen. 20 21 22 23

Ebd., S. 226. Ebd., S. 228. Ebd., S. 229. Vgl. B. K ü l p , Lohnfindung, S. 149 ff.

I I . Organisationspolitisch bestimmte Theorien

191

Es geht den Arbeitgebervertretern darum, bei den Arbeitgebern möglichst wenig Verärgerung auszulösen. Diese Verärgerung steigt mit zunehmenden Lohnerhöhungen, d. h. es besteht eine „Lohn-Verärgerungsfunktion", die positiv geneigt ist und sich asymptotisch der Achse der gesamten Mitgliedschaft nähert. Außerdem besteht eine „Streikverärgerungsfunktion", bei der die Streikstärke durch die Dauer des Streiks und durch die Anzahl der bestreikten Betriebe bestimmt wird, und deren Stärke sich am Ausmaß der bezahlten Streikgelder messen läßt. Die Arbeitgebervertreter werden nun stets die Variante wählen, die eine geringere Verärgerung bewirkt 2 4 . Sie werden deshalb solange den gewerkschaftlichen Lohnforderungen zustimmen, wie die hierdurch ausgelöste Verärgerung geringer ist, als die Verärgerung beim Ausbrechen eines Streiks. 25

in erwarteten Geldeinheiten

Die „kritische Lohnhöhe" der Arbeitgebervertreter hängt somit a) von der erwarteten Streikstärke b) von der Streikverärgerungsfunktion c) von der Lohnverärgerungsfunktion ab. A n welchem Punkt die Tarifpartner zu einer Einigung kommen und ob dies m i t oder ohne Streik geschieht, hängt nach K ü l p entscheidend davon ab, inwieweit die Gewerkschaft die „kritische Lohnhöhe" der 24 25

Ebd., S. 152. Ebd.

192

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs von T a r i f Verhandlungen

Arbeitgeber richtig einschätzt: Entweder sie schätzt sie richtig ein, dann werden sich die Tarifpartner genau auf die kritische Lohnhöhe einigen — oder sie schätzt die kritische Lohnhöhe zu hoch ein, dann w i r d es zum Streik kommen, da die Arbeitgeber schon bei einem Punkt nicht mehr zu Lohnerhöhungen bereit sind, an dem die Gewerkschaft noch m i t Zugeständnissen rechnet und deshalb m i t Streik droht. Es bleibt noch die dritte Möglichkeit, daß die Gewerkschaft allzu pessimistisch ist und die kritische Lohnhöhe zu niedrig einschätzt. Der A b schluß w i r d dann geringer als das sein, was die Arbeitgeber zu konzedieren bereit gewesen wären 2 6 . c) Andere

Autoren

Andere Autoren als Ross und K ü l p haben versucht, ähnlich wie bei den ökonomisch bestimmten Theorien, einzelne klar umrissene und teilweise sogar quantifizierbare Faktoren der Organisationsstruktur für die Bestimmung der Verhandlungsergebnisse heranzuziehen. So gibt es mehrere, vor allem amerikanische Autoren, die dem Organisationsgrad eine erhebliche Bedeutung für die Lohnerhöhung beimessen. Sowohl Hines 2 7 als auch Ashenfelter und Pencavel 28 stützten sich vorwiegend auf die Ergebnisse empirischer Arbeiten. Der Einfluß der Verhandlungsebene auf das Ergebnis von Tarifverhandlungen w i r d i n der Literatur unterschiedlich beurteilt 2 9 . Eine Reihe von vorwiegend angelsächsischen Arbeiten kommt zu dem Ergebnis, daß eine zunehmende Betriebskonzentration zur Zentralisierung der Verhandlungsebene durch die Gewerkschaften und damit zum Aushandeln höherer Löhne geführt habe, denen die schwachen Bezirke und Betriebe hätten folgen müssen 30 . I n der auf Deutschland bezogenen Literatur dominiert hingegen die Annahme, daß die Zentralisierung der Verhandlungen zu einer Nivellierung der Löhne führe, da die Gewerkschaften sich notwendigerweise an den produktivitäts- bzw. ertragsschwächsten Unternehmen und Grenzbetrieben orientieren müßten und es deshalb zu entsprechend hohen, nicht abgeschöpften, intramarginalen Gewinnen der produktivitätsstärkeren käme 3 1 . 26

Ebd., S. 153. A . G. Hines, Trade Unions and Wage Inflation i n the United K i n g d o m 1893 - 1961, i n : Review of Economic Studies, Vol. 31, 1964. 28 Vgl. O. Ashenfelter / J. H. Pencavel, American Trade U n i o n G r o w t h 1900 - 1960, i n : Quarterly Journal of Economics, Bd. 83,1969. 29 Vgl. Β . K ü l p , Determinanten, S. 293 ff. 30 Vgl. N. Chamberlain, The Structure of Bargaining Units i n the United States. 31 Vgl. B. K ü l p , Determinanten, S. 294. 27

I I . Organisationspolitisch bestimmte Theorien

193

2. Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung der theoretischen Ansätze auf die Wirklichkeit

Die organisationspolitisch bestimmten Theorien ergeben wesentlich mehr Anknüpfungspunkte zu der vorliegenden Arbeit, als dies bei den ökonomisch bestimmten Theorien der Fall ist. So ist Ross* Annahmen i m Prinzip völlig zuzustimmen: Gerade i n der Metalltarifrunde 1978 wurde deutlich, daß die rein ökonomischen Interessen beider Seiten nur einen sehr begrenzten Einfluß auf die Tarifrunde ausübten. I m Hinblick auf die Lohnerhöhungen scheint jedoch Ross' These, daß wirtschaftliche Faktoren nur insoweit i n das politische Feld der Tarifverhandlungen eindringen, wie sie politischen Charakter annehmen, übertrieben. Wie mehrfach gezeigt wurde, bilden die wirtschaftlichen Faktoren die Basis, auf der die (organisations- und verhandlungs)politischen Verhaltensweisen aufbauen. Die wirtschaftlichen Faktoren nur als formale Begründungen abzutun, w i r d deshalb ihrer Bedeutung für das Handeln der I G Metall nicht gerecht. Nicht eindeutig ist allerdings, welchem institutionellen Zweck hier der Vorrang vor dem Formalzweck eingeräumt wurde. Es deuten jedoch einige Anzeichen darauf hin, daß es persönliche Gründe des gewerkschaftlichen Verhandlungsführers waren, die das Handeln der I G Metall i n Nordwürttemberg-Nordbaden prägten 3 2 . Auch Külps Modelle lassen sich zu einem erheblichen Teil direkt auf die 1978er Tarifrunde übertragen. So war i n dieser Tarifauseinandersetzung sicher ein autonomes Konfliktpotential Κ vorhanden, das durch wirtschaftliche Größen beeinflußt wurde. Auch der, als Voraussetzung für entsprechende Militanz notwendige Organisationsgrad Ο war gegeben. Die von den I G Metallmitgliedern i n der Urabstimmung geäußerte Miltanz MA war außergewöhnlich hoch. Auch der Grad der Nutzung α dieser Militanz durch de Verhandlungskommission war hoch, da ja an der Militanz der Gewerkschaftsorganisation, wie sie sich den Arbeitgebern i m Arbeitskampf offenbarte, kein Zweifel bestehen konnte. Hier endet jedoch die Möglichkeit der direkten Übertragung der realen Ereignisse auf das Modell und vice versa. Die zur Erzielung der Militanz Mg notwendige Militanz Ma bezog sich offenbar wesentlich stärker auf die Forderung nach Lohnerhöhung als auf die Absicherungsforderung. Trotzdem wurde MG den Arbeitgebern gegenüber zur Erreichung von Zielen i m Bereich des Absicherungsvertrages „miß32

Vgl. hierzu Abschnitt D. I I . 1. b).

13 S c h i l l i n g

194

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tariferhandlungen

braucht". Wie die Reaktion der Gewerkschaftsbasis zeigte, war diese m i t dem Gebrauch der Militanz ganz offensichtlich unzufrieden. Es wäre sicherlich reizvoll zu untersuchen, wie sich der „Mißbrauch" des Konfliktpotentials langfristig auswirkt; dies muß jedoch anderen Arbeiten überlassen bleiben. Külps andere Theorie über den Prozeß, der innerhalb der Arbeitgeberseite stattfindet, müßte nur geringfügig modifiziert werden, um für 1978 Anwendung finden zu können. So wäre es notwendig die LohnVerärgerungsfunktion i n eine „AbsicherungsVertrags-Verärgerungsfunktion" umzuwandeln. Dies wäre jedoch nicht nur auf Grund der mangelnden quantitativen Bewertbarkeit einer solchen Funktion problematisch. Die Kurve dürfte dann nicht kontinuierlich verlaufen, sondern müßte an einem bestimmten Punkt, der Gewährung der kollektiven Absicherung, einen Knick haben und fast senkrecht verlaufen, da kein Arbeitgeber bereit war, dieser Forderung nachzugeben. D. h. sämtliche Arbeitgeber wären bei der Durchsetzung dieser Forderung i m Külpschen Sinne „verärgert" gewesen. Auch die andere Funktion, die Streik-Verärgerungsfunktion, müßte modifiziert werden. Es würde sich i n diesem Fall u m eine „Arbeitskampf-Verärgerungsfunktion" handeln. Die Arbeitgeber beschlossen noch vor Beginn des Streiks, auf diesen m i t Aussperrung zu antworten und somit die Zahl der bestreikten Betriebe erheblich auszuweiten. Dies geschah i n der Absicht durch Vergrößerung der finanziellen Belastung für die Gewerkschaften die Dauer des Arbeitskampfes zu vermindern. Der Entschluß der I G Metall, ihre Streiks noch auszuweiten, hatte deshalb keine signifikante Bedeutung mehr. Die Arbeitskampf-Verärgerungsfunktion war somit für die Gewerkschaften praktisch nur noch durch die Dauer und kaum mehr durch den Umfang des Arbeitskampfes beeinflußbar. Als echter Verhandlungsbereich blieb deshalb nur der Teil der Kurve unterhalb des Punktes P, an dem die Kurve senkrecht nach oben abknickt, übrig. Külps Schlußfolgerungen hinsichtlich der kritischen Lohnhöhe der Arbeitgeber und ihrer Einschätzung durch die Gewerkschaft müssen ebenfalls ein wenig modifiziert werden, u m auf die Tarif runde 1978 zuzutreffen. Es ist kaum anzunehmen, daß die I G Metall die kritische Lohnhöhe tatsächlich zu hoch einschätzte. Dazu war von vornherein zu deutlich geworden, daß die Gewährung der kollektiven Absicherung nicht zu erwarten war. Der Ausbruch des Arbeitskampfes kann deshalb nicht als ein Ergebnis falscher Einschätzung seitens der Gewerkschaften gesehen

195

I I . Organisationspolitisch bestimmte Theorien

Verärgerung in Stimmen

Anzahl der Mitglieder

AbsicherungsvertragsVerärgerungsfunktion

j l Verhandlungsbereich

Arbeitskampfstärke in erwarteten Geldeinheiten

Erwartete Arbeitskampfstärke

Lohnhöhe

werden. Eine Fehleinschätzung der I G Metall scheint jedoch beim Ergebnis vorgelegen zu haben. Nach der Aussage eines führenden Arbeitgebervertreters schätzte die Gewerkschaft die Festigkeit und damit die Position der Arbeitgeberseite offenbar stärker ein, als diese tatsächlich war. Alle drei dargestellten Theorien bieten sehr gute Anhaltspunkte für die Erklärung entscheidender Faktoren des Einigungsprozesses nicht nur i n dieser einen Tarifrunde, sondern auch i n Tarifrunden m i t andersartigen Verhandlungsgegenständen. Die unmittelbare Anwendbarkeit ist dabei sicherlich am ausgeprägtesten i n reinen Lohn- und Gehaltsverhandlungen, wo keine Zusatzforderungen die Quantifizierbarkeit erschweren. Der Einfluß des Organisationsgrades kann i m Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden, da hierfür längerfristige Untersuchungen, m i t Organisationsgraden unterschiedlicher Höhe angestellt werden müßten. Hinsichtlich der Bedeutung der Verhandlungsebene kann allenfalls eine tendenzielle Bewertung vorgenommen werden. So gelang es zwar i n dieser Tarifrunde einer regionalen Gewerkschaftsgruppierung ihre weitergehenden Vorstellungen gegenüber dem eigentlich ausschließlich entscheidungsbefugten Vorstand durchzusetzen 33 . Es ist jedoch anzunehmen, daß die Verwirklichung der Vorstellungen des Vorstandes ein größeres w i r t schaftliches Belastungsvolumen i m Austausch für den Verzicht auf den Absicherungsvertrag gebracht hätte. Insofern könnte die These der auf Deutschland bezogenen Literatur nur bestätigt werden, wenn man sie umformulierte: die regionale Gewerkschaftsgruppierung war wesentlich eher bereit und bestrebt für 33

13

Vgl. hierzu D. I I . 1. b).

196

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tarif Verhandlungen

die Verwirklichung ihrer Vorstellungen einen Arbeitskampf zu führen, als dies beim I G Metall-Vorstand der Fall war, der stark bestrebt war, den Arbeitskampf zu vermeiden oder abzukürzen. Ein unmittelbarer Bezug zur wirtschaftlichen Belastung ergibt sich hieraus jedoch nicht. Ein Hauptaspekt, der i n den vorliegenden Theorien fast durchweg vernachlässigt wird, sind die innerorganisatorischen Beziehungen. K ü l p geht i n seiner Untersuchung zwar auf die Unterschiede und Beziehungen zwischen haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionären ein 3 4 , behandelt jedoch keine Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen hauptamtlichen Funktionärsgruppen. Auch die Bedeutung, die K ü l p der geäußerten Militanz der Gewerkschaft für die Arbeitgeber beimißt ist prinzipiell sicher korrekt, wichtiger war diese Militanz i n diesem Fall für den innergewerkschaftlichen Entscheidungsprozeß. Sein Arbeitgebermodell 3 5 geht ebenfalls nur auf die Beziehung zwischen „Basis" und Arbeitgebervertretern ein, während auch hier die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Arbeitgeberorganisationen für Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen von großer Bedeutung waren. Der i n dieser Hinsicht auf beiden Seiten stattgefundene „politische Prozeß" ist i n der auf das Tarifgeschehen bezogenen Literatur noch nicht befriedigend erfaßt.

I I I . Verhandlungspolitisch bestimmte Theorien 1. DarsteUungen

a) F. Zeuthen Diese Theorien gehen, wie die ökonomischen Theorien, wiederum von 2-Personen-Spielen aus, d.h. innerorganisatorische Prozesse werden vernachlässigt. ökonomische Faktoren werden teilweise berücksichtigt. So versucht Zeuthen m i t seiner Theorie nachzuweisen, daß die Lohnerhöhung nicht wie sonst beim bilateralen Monopol angenommen, innerhalb gewisser Grenzen unbestimmbar ist, sondern durch die Berücksichtigung einer „Konfliktwahrscheinlichkeitsfunktion" bestimmbar w i r d 3 6 . Der Einigungslohnsatz ist für i h n „not economically indeterminate" 8 7 . 84

Vgl. Β . K ü l p , Determinanten, S. 337 ff. Vgl. B. K ü l p , Lohnbildung, S. 149 ff. 36 Vgl. B. Keller, Theorien der K o l l e k t i w e r h a n d h i n g e n , S. 37. 87 F. Zeuthen, Problems of Monopoly and Economic Warfare, London 1930, S. 106. 85

II.

r a n n s p o l i t i s c h bestimmte Theorien

197

β

/

Ρη uT ρ y

Ρη-Ρ

Κ

Β 1 I I 1 1 1 1 •1

lo

ιΡ

ιm

Lohnsatz

Bei jedem Lohnsatz l besteht die Möglichkeit ζ. B. für die Gewerkschaft, diesen anzunehmen, oder bei Ablehnung einen Konflikt einzukalkulieren. Die Entscheidung für eine Möglichkeit richtet sich dabei nach dem jeweils erwarteten relativen Vorteil. Unterhalb des Mindestlohnsatzes l 0 (Strecke 0 l 0 ) liegen alle Lohnsätze, bei denen die Gewerkschaft wegen des zu geringen relativen Vorteils den Streik vorziehen w i r d 3 9 . Erreicht die Gewerkschaft höhere Lohnsätze ohne Konflikt, so bedeuten diese einen höheren Vorteil als eine Durchsetzung m i t Hilfe des Streiks, unter der Voraussetzung, daß die erwarteten Vorteile proportional zum_Lohnsatz ansteigen. Dadurch erhält man die Bereitschaftslinie Β Β der Gewerkschaften. Werden die bei Konfliktfällen erwarteten Ergebnisse als bei jedem Lohnsatz konstant angesehen, so ergibt sich die zur cc-Achse parallel laufende „Konfliktlinie" Κ Κ . Der Einigungslohnsatz läßt sich m i t Hilfe der Konfliktwahrscheinlichkeitsfunktion bestimmen. Wenn ζ. B. der Lohnsatz l v (Strecke 0 l p) zur Verhandlung stünde und die Unternehmer hierzu bereits ihre Einwilligung gegeben hätten, so würde sich die Gewerkschaft überlegen, trotzdem bei i h r eine grundsätzliche Ubereinkommensbereitschaft zu diesem Lohnsatz besteht, ob nicht doch ein Zurückweisen des Unternehmerangebotes i n Verbindung m i t einer Streikdrohung zu einem höheren Lohnsatz l p n (Strecke 0 l p n ) führen könnte. Die Gewerkschaft w i r d die Alternative m i t Hilfe der 38 Vgl. J. Zerche, Lohnfindung durch Tarifverhandlungen — neue Ansätze i n der Collective-Bargaining-Forschung, Tübingen 1970, S. 45. 89 Ebd., S. 44.

198

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tariferhandlungen

Konfliktwahrscheinlichkeit abschätzen. Erwartet sie m i t der Wahrscheinlichkeit c einen Konflikt, so steht der Betrag Ρ — KG auf dem Spiel, da das Nettoergebnis i m Konfliktfalle nur noch Kg betragen kann. Die Wahrscheinlichkeit für ein Ubereinkommen zum Lohnsatz l p n betrüge dann 1 — c. M i t dieser Wahrscheinlichkeit w i r d der zusätzliche Vorteil P n — Ρ erwartet. Die Gewerkschaft entscheidet sich für die Zurückweisung von l p solange gilt:

c (P — K G ) < (I — c) (P n — P).

Das maximale Risiko ergibt sich bei Gleichheit von Vor- und Nachteilen der Entscheidung m i t : P P C ^max r- P "—- Kr, n

Zeuthen n i m m t nun an, daß die Konfliktwahrscheinlichkeitsfunktion der Gewerkschaft cg — cg (l) eine abnehmende Funktion des Lohnsatzes l ist 4 0 . Für die Unternehmer ergibt sich ihre Konfliktwahrscheinlichkeitsfunktion cu = cu (l) als zunehmende Funktion des Lohnsatzes.

r

Lohnsatz

Der Schnittpunkt beider Konfliktwahrscheinlichkeitskurven hat nach Zeuthen als Abszissenwert den Gleichgewichtslohnsatz. Bei Lohnsätzen, die (links davon) darunter liegen, ist die Konfliktwahrscheinlichkeit der 40 41

J. Zerche, S. 45 f. Ebd., S. 46.

II.

r a n n s p o l i t i s c h bestimmte Theorien

Gewerkschaft größer als die der Unternehmer, bei Lohnsätzen, (rechts davon) darüber liegen, ist es umgekehrt. Dies gilt unter Voraussetzung, daß auf beiden Seiten rationales Verhalten und gegenseitige Wissen um die Lage des Verhandlungspartners bei Verhandlungsparteien vorausgesetzt werden kann 4 2 .

199

die der das den

b) G. L. S. Shackle Während Zeuthen die verschiedenen Einigungspunkte und Möglichkeiten alle auf einer kontinuierlichen Linie sieht, geht Shackle 43 i n seiner Verhandlungstheorie von vier verschiedenen Preisen aus: m — der absolute Minimalpreis m i t dessen Annahme ein Verhandelnder weder besser noch schlechter gestellt wäre als bei einem Verhandlungsabbruch 44 . g — Der gambit price, d. h. der Preis, den der Verhandelnde zu A n fang fordert. j — Sein effektiver Minimalpreis, d. h. das Minimum, das seine von i h m gewählte Politik ihn akzeptieren läßt. ν — Der Einigungspreis, der den Verhandelnden bis zur eventuellen Einigung unbekannt bleibt 4 5 . Außerdem verwendet Shackle noch folgende Größen: χ — Der Gewinn des Verhandelnden, der i n einfachen Fällen υ — m sein wird. s — Der Abstieg (Descent) des Verhandelnden = g — ν. Jeder der Verhandlungspartner hat nach Shackle drei mögliche Stragien: Bei der möglichen Abbruchstrategie w i r d man i n den Verhandlungen dem Gegner keinesfalls soweit entgegen kommen, daß es das eigene Verhandlungsprestige i n zukünftigen Verhandlungen schmälern könnte. D. h. g und j werden so gewählt, daß der Betreffende selbst dann nicht an Gesicht verliert, wenn er die gesamte Differenz zwischen diesen beiden Werten konzidiert. Bei der Politik des möglichen Gesichtsverlustes steigt der Betreffende von dem gambit price g soweit ab, wie es erforderlich ist, u m eine Ubereinkunft zu erzielen. Dies geschieht, so groß die Differenz g — ν sein mag, sie darf dabei jedoch nicht größer als g — m werden. 42

Ebd. G. L . S. Shackle, Expectation i n Economics, Kap. V I : A Theory of the Bargaining Process. 44 Ebd., S. 103. 45 G. L . S. Shackle, Die Wirkungsweise des Verhandlungsprozesses, i n : A r beitsökonomik, S. 254. 43

200

E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tariferhandlungen

Die kombinierte Politik beruht auf der Hinnahme der Möglichkeit eines gewissen Gesichtsverlustes bei gleichzeitiger Festsetzung von j > m als Grenze des Abstieges des Betreffenden. Die Kombination von zwei der genannten Werte g und j w i r d Verhandlungsplan genannt 4 6 . Der „Gewinnbrennpunkt" ist jener hypothetische Wert, für den die potentielle Überraschung geringer als das absolute Maximum ist. g muß hierbei natürlich so gewählt werden, daß es m mindestens u m die Gewinnhöhe übersteigt 47 . Bei der möglichen Abbruchstrategie bestehen die Opportunitätskosten i m Verzicht auf die beste Hoffnung, die der Betreffende bei der möglichen Gesichtsverluststrategie hätte erzielen können. Der mögliche Verlust ist hierbei gleich für alle g. Die hierfür relevanten Hypothesen sind jene, die sich nicht auf den Bruttogewinn s = ν — m, sondern auf den Nettogewinn χ = s — ζ beziehen, wobei ζ für den vom Verhandlungspartner geschätzten diskontierten Geldwert des Schadens steht, den der Verhandelnde bei zukünftigen Verhandlungen wegen des jetzigen Gesichtsverlustes erleiden wird. D. h., daß jeder Plan der möglichen Gesichtsverluststrategie zwei χ-Werte hat; einen der den primären Gewinnbrennpunkt dieses Planes beinhaltet und einen anderen, der seinen primären Verlustbrennpunkt wiedergibt 4 8 . Der letzte Schritt für die Auswahl zwischen den Verhandlungsplänen besteht in der Konstruktion einer Indifferenzkarte des Spiels für jeden Plan auf deren Abszisse die standardisierten „focus gains" und auf deren Ordinate, die „focus losses" der einzelnen Pläne abgetragen werden. Durchgeführt w i r d derjenige Plan, dessen Ergebnis weiter links und auf einer höheren, der nach rechts steigenden Indifferenzkurve liegt 4 9 . c) C. M. Stevens 50

Stevens konzentriert sich wiederum stärker als Shackle auf die rein ökonomischen Überlegungen der Verhandlungspartner. Er sieht beide Verhandlungspartner vor der grundsätzlichen Wahl zwischen zwei, unerwünschten Strategien. Die Arbeitgeber z. B. können entweder die gewerkschaftliche Forderung gewähren, was Geld kostet, oder einen Streik i n Kauf nehmen, was 46

Vgl. G. L . S. Shackle, Expectation i n Economics, Kap. V I , S. 104. Vgl. G. L . S. Shackle, Wirkungsweise des Verhandlungsprozesses, S. 255. 48 Ebd. 49 Vgl. B. Keller, Theorien der K o l l e k t i w e r h a n d l u n g e n , S. 51. 50 Vgl. C. M . Stevens, Strategy and Collective Bargaining Negotiation, N e w York, San Francisco, Toronto, London 1963; ders., O n the Theory of Negotiation, i n : Quarterly Journal of Economics, Vol. 72, 1958, S. 80 ff., zit. nach: Β . Keller, Theorien, S. 75 ff. 47

II.

r a n n s p o l i t i s c h bestimmte Theorien

201

ebenfalls Geld kostet. Da die Arbeitgeber beide Wahlmöglichkeiten ablehnen, werden sie versuchen, eine dritte Strategie anzuwenden, nämlich zu verhandeln, um das kleinste Übel, den Kompromiß, zu suchen. Annahmegemäß soll das gleiche auch für die Gewerkschaft gelten, da auch diese normalerweise einen Streik ablehnt, wenn sie nicht weiß, ob sie dadurch ein Ergebnis erzielen wird. Für beide Organisationen ist demnach der Streik die stärker zu vermeidende Alternative, die sie schließlich zum Kompromiß bringt. Die Vermeidungsstärke, die die Abneigung gegen eine der Möglichkeiten ausdrückt, ist eine abnehmende Funktion der Entfernung vom betreffenden Ziel. A n irgendeinem Punkt, d. h. i n diesem Fall bei einer bestimmten Lohnerhöhung, entsprechen sich die Vermeidungsstärken beider Möglichkeiten und es w i r d für die betreffende Partei ein stabiles Gleichgewicht erreicht. Das gleiche gilt ebenso für die Gewerkschaft, die auch einen bestimmten stabilen Gleichgewichtspunkt m i t einer entsprechenden Lohnhöhe erreicht. Durch den gegenseitigen Informationsaustausch w i r d nun ζ. B. die Gewerkschaft den Versuch unternehmen, die Vermeidungsfunktion der Arbeitgeber so zu beeinflussen, daß sich deren Gleichgewichtspunkt i n eine, für die Gewerkschaft günstige Richtung verschiebt. Z w e i A r t e n von Verhandlungstaktiken stehen der Gewerkschaft hierfür zur Verfügung. 1. Solche, die den Vermeidungsgradienten der Arbeitgeber für das Ziel des Bestehens auf der eigenen Position erhöhen; der Gegner soll überzeugt werden, daß diese Hartnäckigkeit für ihn unvorteilhafter ist, als er bisher annahm. 2. Solche Taktiken, die den Vermeidungsgradienten der Arbeitgeber für die Alternative des Abschlusses zu den Bedingungen der Gewerkschaft senken; der Gegner soll überzeugt werden, daß die gewerkschaftliche Position für i h n vorteilhafter ist, als er bisher annahm. Die ersten Taktiken können dabei als Zwangstaktiken (Tactics of Coercion), die zweiten als Überzeugungstaktiken (Tactics of Persuasion) charakterisiert werden 5 1 . A n Beispielen erläutert, könnte dies bedeuten, daß i m Fall 1 die gewerkschaftliche Verhandlungsführung den Arbeitgebern deutlich macht, daß sie die Basis nur m i t Mühe von Streiks abhalten kann und i m Fall 2, daß die geforderte Erhöhung der Tariflöhne wegen der hohen übertariflichen Spanne zu fast keiner effektiven Belastung führt. Die Erreichung dieses Gleichgewichtspunktes 51

Vgl. B. Keller, Theorien, S. 77 f.

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E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs v o n Tariferhandlungen

genügt jedoch nicht. Darüber hinaus müssen sich beide Parteien über die Gleichartigkeit ihrer Gleichgewichtspositionen informieren, um die notwendige Zufriedenheit zu erreichen 52 . M i t Hilfe dieser Doppelfunktion des Informationsaustausches w i r d die Lohnerhöhung gefunden, die die Positionen beider Verhandlungspartner ins Gleichgewicht bringt. d) R. L. Bishop Bishop 5 3 kritisiert zu Beginn seines Artikels, daß weder Zeuthen noch Harsanyi dem Zeitaspekt der ausgehandelten Einigung oder des möglichen Konfliktes irgendwelche Aufmerksamkeit widmeten 5 4 . I n seiner Verbindung von Hicks und Zeuthens Theorien geht Bishop davon aus, daß die Dauer eines Streiks sowohl von dem Ergebnis, welches der eine Verhandlungspartner gerade vorschlägt, als auch dem Ergebnis, das zu akzeptieren der andere Verhandlungspartner gerade gewillt ist, abhängt. Die Parteien verhandeln über einen Vertrag, der eine Laufzeit von t Zeiteinheiten haben soll, wenn sie sich sofort einigen; dessen Laufzeit bei einem Streik aber nur t — s Zeiteinheiten beträgt, wobei s die Dauer des Streiks darstellt. Dazu w i r d außerdem angenommen, daß die Daten, die der Nutzengrenze beider Parteien zu Grunde liegen, i m Zeitablauf unverändert bleiben. Wenn beide Parteien einen Diskontierungsfaktor von 0 haben, steht der erste Verhandlungspartner vor der Wahl, entweder den Nutzen t u\2 durch sofortiges Akzeptieren des gegnerischen Angebotes oder den Nutzen (t — si) u n durch Durchsetzen seiner eigenen Forderung nach einem Streik m i t si Periodendauer zu erhalten. Wenn diese Größen gleichgesetzt werden, ergibt sich für Verhandlungspartner Nr. 1 _ t (u n - u12) Si un und für Verhandlungspartner Nr. 2 _t(U 2

22-

Ugj)

M

"22

Ab diesem Punkt verläuft Bishops Argumentation analog zu der Zeuthens. Der erste Verhandelnde macht eine Konzession, wenn si < $2 52

Vgl. C. M . Stevens, Strategy, S. 23. R. L. Bishop, A Zeuthen / Hicks Theory of Bargaining, i n : Econometrica Nr. 32, 1964. 54 Ebd., S. 410. Ebd., S. 1 . 53

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ist (d. h., wenn er nicht gewillt ist, einen längeren Streik als der Gegner zu riskieren), oder wenn u n wi2 ^ U21 U22 ist. Dies setzt sich solange fort, bis eine Einigung an dem Punkt erzielt wird, an dem si = sg = 0, u n = U12, U21 — U22 und u n U21 = U12 U22 ein Maximum ist. Das gleiche, m i t Zeuthen identische Ergebnis ergibt sich, wenn beide Parteien eine gleiche positive Diskontierungsrate haben. Haben sie jedoch unterschiedliche Diskontierungsraten, r i und 1*2 ergibt sich für die erste Seite ein Gegenwartswert des Verhandlungsergebnisses bei sou i2 fortigem Nachgeben von — — u n d ein entsprechender Gegenwartswert nach einer Streikdauer si von r

l

er

i Sl

Daraus ergibt sich eine maximal tolerable Streikdauer von Si = 1

und entsprechend

log un - log u i 2

*Ί log ugg - log u 2 1

82

56

ü Auch i n diesem Fall w i r d der erste Verhandelnde dann eine Konzession machen, wenn si = 52 oder wenn u n U21 = U12 U22 und dementsprechend Nr. 2 wenn S2 — si. Beide Seiten werden also solange Konzessionen machen, bis u n = U12 — ui und U21 = U22 = U2 ist. A n diesem Punkt erreicht u i U2 sein Maximum und es kommt zum Vertragsabschluß 57 . e) J. G. Cross 58

Cross berücksichtigt ebenfalls i n seiner Arbeit ein Zeitelement. Obgleich auch er m i t einer Abzinsungsfunktion operiert, mißt er doch dem Diskontierungsfaktor nicht die gleiche zentrale Bedeutung bei wie Bishop, vielmehr versucht er, i m Gegensatz ziu Zeuthen, Bishop und anderen eine dynamische Theorie aufzubauen, u m der Prozeßhaftigkeit der Einigung gerecht zu werden. Er geht dabei von folgenden Voraussetzungen aus: Die Verhandlungspartner verhandeln nicht über Nutzengrößen „ d u nimmst zwei Nutzen und ich nehme drei" 5 9 , sondern über physische Auszahlungen. Ein Kon56

Ebd., S. 414. Ebd., S. 416. 58 J. G. Cross, A Theory of the Bargaining Process, i n : American Economic Review Nr. 55, 1965, 1, S. 67 ff. 59 Ebd., S. 71. 57

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E. Theoretische Erklärungsansätze des Ablaufs von Tarif Verhandlungen

flikt entsteht also immer dann, wenn die Summe der Forderungen qa der Spieler j die insgesamt verfügbare Menge M des Gutes i überschreitet. D. h., wenn Σ q*,· > M* 6 0 . i Der Zeitablauf kann nach Cross auf drei Arten das Ergebnis beeinflussen. 1. Durch eine Abzinsungsfunktion, m i t der die Spieler zukünftige Vorteile abzinsen. 2. Kann sich der Nutzen einer Einigung selber i m Laufe der Zeit ändern. 3. Gibt es fixe Verhandlungskosten, die i n jeder Zeitperiode wieder anfallen. Da all diese Kosten vom Einigungspunkt nicht betroffen werden, wurden sie auch nicht i n der Nutzenfunktion berücksichtigt. Weil der Gegenwartswert jedes für möglich gehaltenen Ergebnisses durch den Zeitpunkt seiner Erzielung beeinflußt wird, muß jeder Spieler den notwendigen Zeitraum bis dahin abschätzen. Dieser Zeitraum hängt offenbar von der Forderung des Spielers ab. Die erwartete Zeit ist demnach für Spieler 1 qt + q 2 - M w = wobei qi und q% die Forderungen der beiden Spieler, M das zur Verfügung stehende Volumen Τ 2 die Konzessionsrate des Spielers 2 ist. Um die Zeitabhängigkeit für den Gegenwartswert der Forderung zu berücksichtigen, w i r d von einer Exponentialfunktion ausgegangen: / (Qi) e-q™ Die Gesamtverhandlungskosten Ζ ergeben sich aus der Gleichung: Ζ = Cie—a -f cte—2a + ... + Cte— wobei Ci die Fixkosten des Spielers 1 und α die Perioden sind. Bei kontinuierlicher Betrachtung W Ci Ζ = Ci / e—*xdx = — L (1 - e-«"") ο α

wenn die Exponentialfunktion und die fixen Kosten berücksichtigt und Nutzwertänderungen i m Zeitablauf vernachlässigt werden, ergibt sich für Spieler 1 beim Bestehen auf Forderung qi ein Gesamtnutzenwert von: C C U'i = f (q{) e—aw + —- e-™ 60

Ebd., S. 71 f.

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Spieler 1 w i r d nun dasjenige qi wählen, das den Gegenwartswert des Nutzens U [ maximiert. Die Bedingung für ein M a x i m u m ist, daß die erste Ableitung = 0 und die zweite Ableitung kleiner als 0 ist. Unter Berücksichtigung von ^d = — erhält man: ql α f Q l )

f toi)

-r

2

a