Der Dawkins-Diskurs in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften 9783666570261, 9783525570265, 9783647570266

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Der Dawkins-Diskurs in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften
 9783666570261, 9783525570265, 9783647570266

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570265 — ISBN E-Book: 9783647570266

Religion, Theologie und Naturwissenschaft/ Religion, Theology, and Natural Science

Herausgegeben von Christina Aus der Au, Willem B. Drees, Antje Jackeln und Ted Peters Band 28

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Katharina Peetz

Der Dawkins-Diskurs in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften

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Für meinen Vater

Mit 9 Abbildungen Umschlagabbildung:  Jon Worth / British Humanist Association http://www.atheistbus.org.uk/highreslaunch3.jpg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-57026-5 ISBN 978-3-647-57026-6 (E-Book)  2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einem der populärsten Religionskritiker der Gegenwart: Richard Dawkins. Der ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Wissenschaftsverständnis an der Universität Oxford gilt als Vorreiter des Neuen Atheismus und als „einflussreichster Biologe seiner Zeit“ (Spiegel). Für Dawkins erklärt nicht Gott, sondern das Zusammenspiel von natürlicher Selektion und zufälliger Mutation die Existenz von komplexen Lebewesen. Religion ist für Dawkins (vor allem seit dem 11. September 2001) „die Wurzel alles Bösen“, der Gottesglaube höchstens noch eine nützliche Illusion. Gerade letztere These erinnert an die klassischen Religionskritiker des 19. und 20. Jahrhunderts – allen voran Sigmund Freud. Zahlreiche Theologen haben auf diese Ähnlichkeit hingewiesen. Doch der Versuch, Dawkins’ Religionskritik vollständig auf frühere Vorbilder zu reduzieren, scheitert. So fordert Dawkins die Theologie dazu heraus, angesichts von Geltungs- und Wahrheitsansprüchen der Naturwissenschaften, über die prinzipielle Wahrheitsfähigkeit der Aussage von Gott als Schöpfer nachzudenken. Die bleibende Bedeutung von Dawkins’ Religionskritik besteht damit darin, dass er die Theologie auf ihre genuine Aufgabe einer rationalen Verantwortung des Glaubens verweist. Zugleich führt der Dawkins-Diskurs mitten hinein in die Kontroversen um Willensfreiheit und genetische Determination, um das Wesen des Menschen und die Begründung von Normen. Dabei wird deutlich, dass Theologie und Naturwissenschaften von einem Dialog mehr profitieren als von Konfrontation oder Abgrenzung. Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2011/12 auf Grundlage des Kooperationsvertrags zwischen der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Universität des Saarlandes von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität in Tübingen als Dissertation angenommen. Die mündliche Dissertationsprüfung erfolgte im Mai 2012. Für die Publikation wurde die Arbeit geringfügig überarbeitet. Ich möchte an dieser Stelle vor allem Frau Prof. Dr. Lucia Scherzberg und Herrn Prof. Dr. Bernd Jochen Hilberath für die Unterstützung und Solidarität danken, die sie mich in der Entstehungsphase dieser Arbeit erfahren ließen. Ihre Anregungen und konstruktive Kritik haben die Arbeit in vielem verbessert. Den Herausgebern, allen voran PD Dr. Christina Aus der Au, die zahlreiche wertvolle Hinweise und Verbesserungsvorschläge geliefert hat, danke ich für die Aufnahme in die Reihe Religion, Theologie und Naturwissenschaft. Für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses geht mein herzlicher Dank an das Bistum Trier sowie an das Bischöfliche Ordinariat Speyer. Meinen Korrekturlesern Karin Garve, Elisabeth Junk, Dr. Anna Peetz, Georg Seiler, Rainer Thomas

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Vorwort

sowie meiner wiss. Hilfskraft Stephanie Weiland möchte ich ebenfalls für ihr großes Engagement danken. Schließlich danke ich meiner Familie. Ohne eure Liebe, Unterstützung und Geduld hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Ich widme diese Arbeit in liebevoller Erinnerung meinem Vater Johannes Peetz (1955 – 2012). Saarbrücken, im Februar 2013

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Katharina Peetz

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . 2. Erhebung des Forschungsstandes 3. Methodik . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Auswahl der Quellen . . . .

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Dawkins’ Weltsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dawkins’ darwinistischer Erklärungsrahmen . . . . . . . 2. Dawkins’ Atheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dawkins’ Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dawkins’ Verteidigung des Reduktionismus . . . . . . . 5. Dawkins’ Zurückweisung des genetischen Determinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Dawkins’ Zurückweisung des perfektionistischen Adaptionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Dawkins’ liberale Position . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Dawkins’ Wissenschaftsverständnis . . . . . . . . . 3. Kapitel: Dawkins’ Religionserklärung und Religionskritik . . 1. Dawkins’ Religionserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dawkins’ Religionskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Dawkins’ Umgang mit der Gotteshypothese und sein Gottesbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen als Grundlage für sein Evolutionsverständnis . . . . . . . . . . . . 6. Kapitel: Dawkins’ Verständnis der Evolution . . . . . . . . . 1. Warum ist die Evolutionstheorie eine „Tatsache“? . . . . 2. Warum ist die Evolution ein wertneutraler Prozess? . . . 3. Die Rolle des Fortschritts in der Evolution . . . . . . . . 4. Die Rolle des Zufalls in der Evolution . . . . . . . . . . . 5. Die Evolutionstheorie als notwendiger Erklärungsfaktor . 6. Die Entstehung und Entwicklung des Lebens im Kontext der Evolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die natürliche Selektion als entscheidende Triebkraft der Evolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wie funktioniert die natürliche Selektion? . . . . . . . .

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I. Hauptteil

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Inhalt

Das Gen als entscheidende Einheit der natürlichen Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 10. Zur Wirksamkeit der kumulativen Selektion bei der Entstehung von komplexen Lebewesen . . . . . . . . . . 76 11. Warum entstehen im Kontext der natürlichen Selektion keine perfekten Lebewesen? . . . . . . . . . . . . . . . . 80 12. Warum erweckt die Arbeit der natürlichen Selektion den Eindruck, die Natur sei gestaltet? . . . . . . . . . . . . . 81 7. Kapitel: Dawkins’ Bild des Menschen und anderer lebendiger Organismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Gehirns. 83 2. Der Mensch ist nicht das Ziel der Evolution . . . . . . . . 84 3. Lebewesen als Roboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Vom gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen . . . . . . 85 5. Wer war der gemeinsame Vorfahre aller Menschen? . . . 86 6. Von der Problematik, Lebewesen zu klassifizieren . . . . 87 7. Wem „nutzen“ lebende Organismen? . . . . . . . . . . . 87 8. Warum sind Körper für lebende Organismen wichtig? . . 88 9. Wie entwickeln sich lebende Organismen? . . . . . . . . 89 10. Die Rolle des individuellen Organismus bei Dawkins . . 89 11. Zum Begriff der Lebensgemeinschaft bei Dawkins . . . . 90 8. Kapitel: Dawkins’ Mem-Konzept als Theorie der kulturellen Evolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 9. Kapitel: Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis . . . . . 94 1. Die evolutionären Wurzeln der menschlichen Moral . . . 94 2. Warum sollte Moral nicht religiös begründet werden? . . 95 3. Dawkins’ alternative Moralbegründung . . . . . . . . . . 98 4. Wie wirkt sich Dawkins’ moralische Haltung konkret aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5. Dawkins’ moralische Maxime . . . . . . . . . . . . . . . 101 9.

Zusammenfassung des ersten Hauptteils . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Hauptteil Analyse des Dawkins-Diskurses 1. Kapitel: Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dawkins’ Weltsicht im Spiegel der Wissenschaften . . . 2. Dawkins’ Wissenschaftsverständnis im Spiegel der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dawkins’ Religionserklärung und Religionskritik im Spiegel der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dawkins’ Gottesbild und sein Umgang mit der Gotteshypothese im Spiegel der Wissenschaften . . . .

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Inhalt

Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen im Spiegel der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Dawkins’ Verständnis der Evolution im Spiegel der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Dawkins’ Mem-Konzept im Spiegel der Wissenschaften . 8. Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis im Spiegel der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Die Diskursstrategien im Vergleich . . . . . . . . . . 1. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Weltsicht . . . . . . . . 2. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Wissenschaftsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Religionserklärung und -kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Gottesbild und Umgang mit der Gotteshypothese . . . . . . . . . . . . . 5. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Evolutionsverständnis . 7. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Mem-Konzept . . . . . 8. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Moralverständnis . . . 3. Kapitel: Disziplinspezifische Aspekte im Umgang der Wissenschaften mit Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Umgang der Theologie mit Dawkins . . . . . . . . . 2. Der Umgang der Philosophie mit Dawkins . . . . . . . . 3. Der Umgang der Naturwissenschaften mit Dawkins . . . 4. Einflüsse zwischen den Wissenschaften im Umgang mit Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Zeitliche und räumliche Aspekte des Umgangs der Wissenschaften mit Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der zeitliche Rahmen und Verlauf des Dawkins-Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anwendung der Diskursstrategien im Verlauf des Dawkins-Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitspezifische Aspekte des Umgangs der Wissenschaften mit Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Verortung des Dawkins-Diskurses im deutsch- und englischsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Verortung der Diskursstrategien im deutsch- und englischsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Raumspezifische Aspekte des Umgangs der Wissenschaften mit Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

III. Hauptteil Bewertung des Dawkins-Diskurses 1. Kapitel: Zur Bewertung ausgewählter Argumente und Diskursstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgewählte unangemessene Argumente und Diskursstrategien bei Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgewählte unangemessene Argumente und Diskursstrategien bei den Diskurs-Akteuren . . . . . . . 3. Ausgewählte angemessene Argumente und Diskursstrategien bei Dawkins . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausgewählte gute Argumente und Diskursstrategien der Diskurs-Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Die weiterführenden Implikationen des Dawkins-Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rolle der Gottesbilder im Diskurs . . . . . . . . . . . 2. „Gott hat das Universum erschaffen“ – Eine wahrheitsfähige Behauptung, die kognitiv sinnvoll ist? . . 3. Theologie und Naturwissenschaft – Wie ist ein Dialog möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Was tragen Dawkins und der Diskurs zum Menschenbild bei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Beitrag Dawkins’ und des Diskurses zur Frage der menschlichen Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des 3. Hauptteils . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese 2. Bedingungen für einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trans-evolutionäre Strukturen bei Dawkins und im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Offene Fragen im Hinblick auf die Begründung von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtfazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

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Einleitung Kaum ein anderer Naturwissenschaftler wird in der breiten Öffentlichkeit, den Medien, den Kirchen und in den Wissenschaften so kontrovers diskutiert wie der ehemalige Inhaber des Oxforder Lehrstuhls für öffentliches Wissenschaftsverständnis Richard Dawkins. In der Öffentlichkeit ist Dawkins vor allem durch sein Buch Der Gotteswahn und seine Beteiligung an der atheistischen Buskampagne bekannt, in deren Kontext im Jahr 2008 auf Londoner Bussen der Slogan „There’s probably no god. Now stop worrying and enjoy your life“1 zu lesen war. In deutschen (Die Zeit, Der Spiegel, Die Welt, FAZ, tageszeitung und Süddeutsche Zeitung) oder amerikanischen Medien (New York Times) ist nicht nur Dawkins’ Spezialgebiet der Soziobiologie, sondern auch seine Religionskritik immer wieder präsent.2 Vor allem seit der Veröffentlichung von Der Gotteswahn häufen sich die Artikel über Dawkins’ Ansicht, dass es höchstwahrscheinlich keinen Gott gibt.3 Innerhalb der Kirchen äußern sich viele Geistliche in ihren sonntäglichen Predigten über Dawkins’ Thesen. Prominentes Beispiel hierfür ist die Allerheiligen-Predigt des Kölner Kardinals Joachim Meisner.4 Im wissenschaftlichen Kontext werden Dawkins’ Thesen nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in der Theologie, der Philosophie, der Pädagogik5, der Literaturwissenschaft6 oder der Medizin7 diskutiert. Der Diskurs, der um die Thesen und die Person Richard Dawkins’ geführt wird, erweist sich in diesen vier Bereichen als uneinheitlich. So findet sich im Diskurs einerseits das Bild von Dawkins als großartigem Wissenschaftler und brillantem Vermittler von wissenschaftlichen Inhalten. Viele Menschen – vor allem in Ostdeutschland8 – können sich mit Dawkins’ Thesen identifizieren. Im Bereich der Medien bezeichnet z. B. Der Spiegel Dawkins als „einflussreichsten Biologen seiner Zeit“9. Der Bischof von Oxford, Richard Harries, 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Koydl, Atheisten-Kampagne in London. Vgl. Linke, Darwins Erben in den Medien, 73 – 74 sowie 227 – 32. Vgl. z. B. Blech, Kulturkampf, 188 ff. Vgl. Spiegel-Online vom 01. 11. 2009. Vgl. z. B. Poole, Philosophy and Theology of Richard Dawkins, 41 – 59. Vgl. z. B. Eagleton, Reason, Faith and Revolution. Einschlägig sind die Publikationen Joachim Bauers, der sowohl Internist als auch Molekularbiologe ist. Vgl. z. B. Bauer, Das kooperative Gen. 8 Vgl. Evers, Gotteswahn? Religionsbeschimpfung im Kleid der Wissenschaft, 59 – 74. 9 Vgl. Blech, Kulturkampf, 188 ff. Siehe auch das Buch Der aufgeklärte Gott des Journalisten Alexander Kissler, der sich dezidiert kritisch über Dawkins äußert. Allerdings können vor allem seine Versuche, Dawkins antisemitische Äußerungen nachzuweisen, nicht überzeugen. Vgl. Kissler, Der aufgeklärte Gott.

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Einleitung

befürwortet Dawkins’ wissenschaftliche Arbeit. So charakterisiert Dawkins seiner Meinung nach den Menschen als moralisches Wesen, das in der Lage ist, Gutes von Bösem zu unterscheiden und seinen Egoismus in Akten der Großzügigkeit und des Altruismus transzendieren kann. Dawkins zeige so, dass der Mensch den Kräften der Evolution nicht hilflos ausgeliefert sei.10 Wissenschaftskollegen sprechen davon, dass Dawkins schon seit der Veröffentlichung seines Erstlingswerks The Selfish Gene – dem besten populärwissenschaftlichem Werk, das je geschrieben wurde11 – in der Lage sei, wissenschaftliche Inhalte brillant zu popularisieren. Er sei damit der prominenteste und versierteste wissenschaftliche Schreiber der Gegenwart12 und habe durch seine innovativen Thesen die Evolutionsbiologie entscheidend vorangebracht.13 Dawkins’ Fähigkeiten beschränken sich nach Meinung vieler seiner Wissenschaftskollegen dabei nicht nur auf den Bereich der Wissensvermittlung, sondern er gilt auch als Schöpfer genuin neuen Wissens.14 So habe er wie kein zweiter die wissenschaftliche Welt durch einen einzigen populären Bestseller verändert.15 Andererseits gibt es in allen Bereichen auch das Bild von Dawkins als fundamentalistischem Atheisten, der mit platten Thesen eine harsche Religionskritik betreibt16. Den Kritikern steht dabei zumeist das Buch The God Delusion vor Augen, zu dem sich andere Provokationen Dawkins’ gesellen.17 In der Öffentlichkeit nehmen vor allem Gläubige Anstoß an Dawkins’ Beteiligung an der atheistischen Buskampagne.18 Der Tagesspiegel beschreibt Dawkins als „apokalyptischen Reiter“, der mit seinen „Mitreitern“ Daniel Dennett, Christopher Hitchens und Sam Harris polemisch für einen „Neuen Atheismus“ streite19. In seiner Allerheiligen-Predigt verglich Kardinal Meisner Dawkins’ Weltbild mit dem der Nationalsozialisten: „Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als ,Verpackung der allein wichtigen Gene‘, deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei.“20 10 Vgl. Harries, A Fellow Humanist, 240 – 41. Harries bezieht sich hier auf Dawkins’ These, dass der Mensch sich gegen seine egoistischen Gene auflehnen kann. 11 Vgl. Orr, A Mission to Convert. 12 Vgl. Nagel, The Fear of Religion. 13 Grafen/Ridley (Hg.), Richard Dawkins, xii. 14 Vgl. Krebs John, Richard Dawkins. Intellectual Plumber – and More, 28. 15 Vgl. Ridley, Richard Dawkins and the Golden Pen, 269. 16 Vgl. Novak, Einsame Atheisten, 617 – 638. 17 So trat Dawkins z. B. 2010 aus Protest gegen den Umgang des Papstes mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche sogar für eine Verhaftung Benedikts XVI. ein. Vgl. SpiegelOnline vom 11. 04. 2010. 18 Vgl. Koydl, Atheisten-Kampagne in London. 19 Vgl. Wewetzer, Neuer Atheismus, Tagespiegel-Online vom 24. 6. 2010. 20 Kardinal Joachim Meisner, nach Spiegel-Online vom 01. 11. 2009.

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Fragestellung

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Auch in den Wissenschaften wird Dawkins’ Atheismus, aber auch seine Evolutionsbiologie mitunter negativ bewertet. So wendet sich z. B. der Theologe Alister McGrath gegen Dawkins, weil er dessen Atheismus als fundamentalistisch einstuft.21 Schon der obige kursorische Überblick zeigt, dass der mediale, öffentliche, kirchliche und wissenschaftliche Diskurs um Richard Dawkins kontrovers geführt wird und nicht auf einen Themenbereich beschränkt bleibt. Dawkins’ Thesen polarisieren also. Dies wiederum führt dazu, dass sich in Öffentlichkeit, Medien, Kirchen und Wissenschaft unterschiedliche Umgangsweisen, Reaktionsmuster und Strategien auf Dawkins’ Thesen herausbilden.

1. Fragestellung Der Dawkins-Diskurs22 setzte seit der Veröffentlichung des Buches The Selfish Gene im Jahr 1976 ein und kreist in unterschiedlicher Intensität hauptsächlich um Fragen, die sich aus Dawkins’ evolutionstheoretischen Überlegungen und seiner Religionskritik ergeben. Daneben spielen aber auch noch andere inhaltliche Gesichtspunkte – wie z. B. die Frage nach Dawkins’ Weltsicht – eine wichtige Rolle. Während zu Beginn des Diskurses eher die evolutionsbiologischen Thesen Dawkins’ und seine innovative Theorie vom egoistischen Gen im Fokus der Naturwissenschaften und im Hinblick auf deren Implikationen auch im Fokus der Philosophie (weniger der Theologie) standen, wurden Dawkins’ religionskritische Thesen verstärkt nach der Veröffentlichung von The Blind Watchmaker im Jahr 198623 und dann vor allem im Rahmen der Theologie und Philosophie diskutiert. Dass die Auseinandersetzung mit den religionskritischen Thesen Dawkins’ nicht erst mit dem Erscheinen von The God Delusion einsetzte, zeigt z. B. das Buch God, Chance and Necessity von Keith Ward aus dem Jahr 1996. Die Diskussion der religionskritischen Dawkins-Thesen wurde durch die Veröffentlichung der Bücher A Devil’s Chaplain (2003) und The God Delusion (2006) intensiviert. Vor allem im Bereich der Theologie explodierten die Repliken und kritischen Auseinandersetzungen mit Dawkins förmlich, was mit der starken Provokation zu erklären ist, die vor allem Der Gotteswahn für die Theologie als Wissenschaft darstellt. Die vorliegende Arbeit fragt vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen nach dem Diskurs, der in Theologie, Philosophie und Naturwissen21 Vgl. McGrath, Der Atheismuswahn. Eine Antwort auf Richard Dawkins und den atheistischen Fundamentalismus. 22 Der Begriff „Dawkins-Diskurs“ kann im Kontext der vorliegenden Arbeit definiert werden als der Gedanken- und Argumentaustausch, der zwischen Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftlern bezüglich der Thesen und des Werkes von Richard Dawkins stattfindet. 23 Dies sehen genauso Karl Giberson und Mariano Artigas. Vgl. Giberson/Artigas, Oracles of Science, 30.

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Einleitung

schaften um die Thesen Richard Dawkins’ geführt wird. Herausgearbeitet werden soll in einem ersten Schritt der je spezifische Umgang der Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft mit den Thesen Dawkins’. Um diesen Umgang der Disziplinen angemessen darstellen zu können, werden in der Arbeit zunächst die für Dawkins’ Werk zentralen Monographien und Aufsätze als Grundlage des Diskurses vorgestellt. Danach folgt eine Darstellung der einzelnen thematischen Stränge des Dawkins-Diskurses in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften. Die damit einhergehende Analyse des Dawkins-Diskurses im Hinblick auf inhaltliche Schwerpunkte und angewendete Diskursstrategien erlaubt die Beantwortung der Frage, inwieweit von einem spezifischen Umgang der Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften mit Dawkins zu sprechen ist und was dessen Charakteristika sind. Fragt man konkret nach dem Umgang einer Disziplin mit Dawkins stehen m. E. vor allem folgende erkenntnisleitende Fragen im Vordergrund: – Welche Einflussfaktoren (Disziplin, Zeitpunkt und Ort der Auseinandersetzung) spielen im konkreten Umgang der Wissenschaftler mit Dawkins eine Rolle? – Welche Argumente gegen oder für Dawkins’ Thesen sind im Kontext des Diskurses überhaupt relevant? – Gibt es Argumente, die ausschließlich in einer Disziplin eine Rolle spielen? Inwiefern spielen Argumente in unterschiedlichen Disziplinen eine Rolle? – Gibt es im Hinblick auf die Verwendung von bestimmten Diskursstrategien Unterschiede in den einzelnen Disziplinen? Die Analyse des Umgangs der Disziplinen mit Richard Dawkins kann m. E. für die Frage des Dialogs zwischen den Disziplinen weiterführend sein, da seine Thesen ein Feld sind, in dem Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler gemeinsam diskutieren. Die Arbeit kann beispielsweise beleuchten, ob und wie ein Argumentaustausch zwischen den Disziplinen stattfindet und inwiefern bei bestimmten Themen eine gemeinsame Argumentationsbasis vorliegt. In einem letzten Schritt soll in der Arbeit der Dawkins-Diskurs in Rückbindung an die Darstellung von Dawkins’ zentralen Gedanken kritisch gewürdigt werden. In diesem Kontext werden an Hand von Beispielen Kriterien für „angemessene“ und „unangemessene“ Argumente entwickelt. Darüber hinaus wird nach der Funktion von Aussagen oder Argumenten im Diskurs gefragt – so z. B. nach der Funktion des Sprechens von Dawkins’ genetischem Determinismus. In diesem Kontext sollen auch die weiterführenden Implikationen des Dawkins-Diskurses herausgearbeitet werden.

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Erhebung des Forschungsstandes

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2. Erhebung des Forschungsstandes Dawkins’ Werk stellt mit seinen vielfältigen Themenkomplexen nicht nur eine Herausforderung für die Theologie, sondern auch für die Philosophie und die Naturwissenschaften dar. Herausgefordert ist die Theologie von Dawkins, weil er ihren Wissenschaftscharakter in Frage stellt, ihren Daseinsgrund Gott negiert und ein zu ihr konträres Menschenbild vertritt. Als Theorie der nichtmenschlichen Handlungsfähigkeit24 fordert die Theorie vom egoistischen Gen die Philosophie heraus, die ein nicht-naturalistisches Verständnis der Person und des Bewusstseins vertritt. Eine Herausforderung für die Naturwissenschaften ist Dawkins, weil er mit seiner Theorie vom egoistischen Gen ein Deutungsmonopol über den Prozess der Evolution beansprucht und so die alles entscheidende Theorie der Naturbetrachtung vorgibt. Sie ist weiterhin herausgefordert, weil Dawkins ebenso großen Wert auf seine Kriterien „guter“ Wissenschaft legt, die seiner Meinung nach nur die Naturwissenschaften erfüllen können. Wie groß die Herausforderung der Thesen Dawkins’ für die Theologie ist, dürfte spätestens seit Andreas Knapps Studie zum Verhältnis von Soziobiologie und Moraltheologie klar sein. Knapps Anliegen bestand darin, die bisherigen Diskussionen um die Soziobiologie für die Moraltheologie fruchtbar zu machen.25 Die Aufgabe der Theologie bestimmt Knapp in diesem Kontext dahingehend, dass sie die impliziten philosophischen Voraussetzungen und Grenzüberschreitungen der Soziobiologie verdeutlichen soll.26 Dabei argumentiert die Theologie nach Knapp von einer philosophischen Ebene, die seiner Meinung nach für den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften von zentraler Bedeutung ist.27 Die Tendenz, Dawkins im Kontext eines größeren Phänomens abzuhandeln, ist für die Theologie nicht untypisch. Neben Knapp gibt es weitere Theologen, die Dawkins vor allem im Spiegel der Soziobiologie rezipieren. In diesem Kontext arbeiten sie z. B. die Folgen der Thesen Dawkins’ für den Diskurs der evolutionären Theodizee28 heraus oder hinterfragen die naturalistischen Selbstbeschreibungen Dawkins’ und der Soziobiologie29. Neben der engen Verknüpfung der Rezeption Dawkins’ mit der Rezeption der Soziobiologie ist für die theologische Forschung auch die Verknüpfung der Rezeption Dawkins’ mit der Rezeption des sog. 24 25 26 27 28 29

Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge? Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 183. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 29. Vgl. Moritz, Evolutionary Evil, 187. Vgl. Heinrich, Die Naturalisierung der Menschenrechte als Herausforderung für die theologische Ethik, 197 u. 206 – 08. Vgl. dazu auch Heinrichs Überlegungen zur Publikumswirksamkeit von Naturalisierungs-Strategien in den Magazinen Die Zeit und Der Spiegel: Heinrich, After Gene-Egoism. Naturalistic Self-Description in the General Public, 151 – 160.

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Einleitung

neuen Atheismus30 kennzeichnend. In diesem Kontext geht es vielen Theologen vor allem darum, die Nichtstichhaltigkeit von Dawkins’ religionskritischen Argumenten aufzuzeigen. Inspirierend für die eingangs entwickelte Fragestellung sind auch solche Arbeiten, die die Relevanz der Auseinandersetzung der Theologie mit Dawkins bewerten. Das Bewertungsspektrum reicht dabei von der Annahme, eine Auseinandersetzung mit Dawkins sei für die Theologie unumgänglich, bis zur Einschätzung, dass das Niveau von Dawkins’ Thesen kaum eine intensive Auseinandersetzung erfordere. Sind Theologen davon überzeugt, dass die Theologie sich mit Dawkins befassen sollte, so argumentieren sie häufig mit der Tatsache, dass Dawkins’ Form des Atheismus den liberalen Zeitgeist eingefangen habe.31 Daneben wird Dawkins’ Erfolg auch auf den Streit um den Kreationismus zurückgeführt.32 Angesprochen werde dadurch auch die Theologie als wissenschaftliche Disziplin, die Dawkins’ Thesen kritisch reflektieren soll. In diesem Kontext spielt beispielsweise der Verweis auf die theologische Verantwortung für den Gottesbegriff eine wichtige Rolle oder auch die Betonung der Notwendigkeit, auf atheistische Anfragen apologetisch zu antworten. Dawkins’ atheistische Anfrage wird hierbei auch als notwendige Provokation bestimmt, die das Problemniveau einer heute möglichen Gottesrede angeben kann.33 Sind Theologen davon überzeugt, dass Dawkins für die Theologie wenig herausfordernd ist, verweisen sie zumindest auf die Schwäche seiner Argumentation und die Vorgänger, die Dawkins’ Thesen bereits besser, niveauvoller und herausfordernder geäußert hätten. In diesem Sinne ist z. B. John F. 30 Alternativ werden zur Bezeichnung des aus den USA nach Europa gekommenen Phänomens die Begriffe „gegenwärtiger Atheismus“, „moderner Atheismus“, „militanter Atheismus“ oder „kämpferischer Atheismus“ verwendet, da der Grad der tatsächlichen Neuheit dieses Phänomens nicht nur in der deutschen Theologie umstritten ist. So wendete sich z. B. auch der Atheist Michael Schmidt-Salomon 2009 in einem Vortrag in der Evangelischen Stadtakademie München gegen die Verwendung des Begriffs Neuer Atheismus. Vgl. Schmidt-Salomon, Der sog. „neue Atheismus“. Als „neue“ Atheisten werden neben Dawkins auf Grundlage ihrer religionskritischen Publikationen in der Regel Daniel Dennett, Sam Harris und Christopher Hitchens bezeichnet. Vgl. Dennett, Den Bann brechen; Harris, Das Ende des Glaubens. sowie Hitchens, Der Herr ist kein Hirte. 31 Vgl. Beattie, The New Atheists, 4. Vgl. in diesem Kontext auch Striet (Hg.), Wiederkehr des Atheismus, 9. Siehe ebenso Langthaler/Appel (Hg.), Dawkins’ Gotteswahn, 9. Langthalers und Appels Einsicht wird von den am Sammelband beteiligten Theologen unterstützt. Vgl. dazu z. B. die Ausführungen von Deibl, Der Gotteswahn. und der Umgang mit der Bibel, 199: „Mit Ironie, Zynismus und Geringschätzung kann der offensichtlichen Plausibilität der Dawkins’schen Argumente nicht begegnet werden.“ Dawkins müsse ernst genommen werden, da er das „gesellschaftliche Bewusstsein seiner Zeit sehr genau getroffen habe“. Dawkins als unwissenschaftlich und unqualifiziert zu diskreditieren, zeuge von Hochmut und Verkennung der Lage. Vgl. auch Lohfink, Welche Argumente, 11. 32 Vgl. Russmann Heinz, Warum hat der neue Atheismus von Richard Dawkins einen solchen Erfolg?, 273 – 74. 33 Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 7.

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Erhebung des Forschungsstandes

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Haughts Aussage zu verstehen, dass der neue Atheismus theologisch nicht herausfordernd sei. Nichtsdestoweniger spielt auch für Haught das Moment der Information und Aufklärung über den neuen Atheismus und Dawkins’ Thesen eine Rolle. So bestimmt er das Ziel seiner eigenen Publikation dahingehend, dass er für Leser ohne fundierten theologischen Hintergrund eine theologische Antwort auf den neuen Atheismus geben möchte.34 Wichtig sind Kritiker wie Dawkins nach Haught also nicht, weil sie ernst zu nehmende Argumente liefern, sondern weil sie anzeigen, was passiert, wenn sich Religionen zu wichtig nehmen und sich an die Stelle des unendlichen Geheimnisses (Gott) setzen.35 Systematisiert man den bisherigen Umgang der Philosophie mit Dawkins, zeigt sich, dass teilweise ähnliche Fragen wie in der Theologie gestellt werden, die bisherige philosophische Auseinandersetzung mit Dawkins aber auch über das Spektrum der Theologie hinausgeht. So stellt sich für Philosophen vor allem die Frage danach, wie die Philosophie und auch die Theologie mit Dawkins umgehen sollten.36 Ob Dawkins als Soziobiologe oder neuer Atheist verstanden werden sollte, ist für sie zunächst weniger relevant. Bezogen auf die Theologie wird von der Philosophie im Hinblick auf Dawkins’ Gotteskritik deren Verantwortung für das christliche Gottesbild betont.37 Die Beschäftigung mit Dawkins wird zumeist als unumgänglich verstanden. So zielt Strasser in diese Richtung, wenn er Dawkins’ Buch als Teil einer weltweiten Atmosphäre der Immanenzverblendung und des Transzendenzwahnsinns38 interpretiert. Aus Dawkins’ Anfragen leiten einige Philosophen das Ergebnis ab, dass der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften in Zukunft anders geführt werden muss.39 Daneben werden – stärker als in der Theologie – Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen und seine Beziehung zu anderen Evolutionsbiologen in den Blick genommen. So findet sich z. B. in der Philosophie eine Meta-Analyse der Kontroverse zwischen Dawkins und dem Paläontologen Stephen Jay Gould40, der als einer seiner schärfsten Kritiker gelten kann. Neben den metatheoretischen Analysen der Beziehungen zwischen einzelnen Evolutionsbiologen spielen die Debatten um die Frage nach der Ebene der Selektion, der Selektionseinheit oder nach dem Problem des Adaptionismus für Philosophen eine Rolle. Bei der Aufarbeitung der innerbio34 Haught, God and the New Atheism, xi. 35 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 76. 36 Vgl. Müller, Atheismus als Gegenreligion, 48 – 49. Siehe zu diesem Punkt auch: Müller, Neuer Atheismus? Alte Klischees, 56 – 57. Vgl. Mutschler, Die Konfrontation suchen, 9. 37 Vgl. Müller, Atheismus als Gegenreligion, 48 – 49 sowie Müller, Neuer Atheismus? Alte Klischees, 556 – 57. 38 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 36. 39 Vgl. Mutschler, Die Konfrontation suchen, 6 – 9. 40 Vgl. Shanahan, Methodological and Contextual Factors in the Dawkins/Gould Dispute Over Evolutionary Progress, 127 – 151.

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Einleitung

logischen Kontroversen werden Dawkins’ Thesen oft kritisch beleuchtet. Die Aufarbeitung wird zudem in der Regel von solchen Philosophen vorgenommen, die zugleich auch eine biologische Ausbildung aufweisen. Auch in den Naturwissenschaften, vor allem in der Biologie, wird darauf hingewiesen, dass eine Auseinandersetzung mit Dawkins unerlässlich ist.41 Der Einfluss von The Selfish Gene wird dabei insgesamt als ambivalent eingeschätzt.42 Der ambivalente Umgang mit Dawkins’ Buch in der Biologie zeigt sich z. B. für Ullica Segerstrle in den großen Auseinandersetzungen zwischen Dawkins und anderen Biologen wie z. B. Steven Rose oder Stephen Jay Gould. Obgleich Dawkins sich zunächst nicht als Soziobiologe betrachtet habe und dezidierte inhaltliche Unterschiede zwischen The Selfish Gene und Sociobiology – The New Synthesis von Edward O. Wilson bestanden hätten, seien beide Forscher von ihren Kritikern über einen Kamm geschoren worden. Zum Hauptverfechter der Soziobiologie sei Dawkins erst mit der Veröffentlichung des Buches Not In Our Genes von Leon J. Kamin, Steven Rose und Richard C. Lewontin geworden, wobei ihn die konstante Kritik an der Soziobiologie zu Präzisierungen veranlasst habe.43 Andere Biologen wie z. B. Thomas P. Weber ordnen Dawkins in den größeren Kontext der Soziobiologie ein und bewerten seine Theorie des egoistischen Gens als zentral für Entwicklung, Geschichte und Verständnis dieser Disziplin.44 Auch wenn der Einfluss von Dawkins innerhalb der Biologie insgesamt als ambivalent eingeschätzt wird, bleiben doch seine große Bedeutung für die Herausbildung der Soziobiologie und seine Verdienste um die Evolutionsbiologie unbestritten. Es zeigt sich, dass die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit den Thesen Dawkins’ in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften gleichermaßen betont wird. Ausgehend von dieser Erkenntnis möchte die vorliegende Arbeit einen breit angelegten Zugang zu den Thesen Dawkins’ und ihrer Rezeption in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften bieten. Sie geht dabei über die bisherigen Publikationen zu Dawkins’ Thesen hinaus, weil sie sich nicht auf die Dawkins-Rezeption in einer Wissenschaft beschränkt, sondern mit Hilfe einer vergleichenden Diskursanalyse zu differenzierten Aussagen bezüglich des spezifischen Umgangs der Theologie, der Philosophie und der Naturwissenschaften mit Dawkins kommt. Darüber hinaus ist diese Arbeit weiterführend, weil sie die Perspektive des Gesamtdiskurses nutzen kann, sowohl um Dawkins’ Anfragen an die (Systematische) Theologie herauszuarbeiten als auch gute Argumente gegen Dawkins aufzuzeigen.

41 Vgl. z. B. Rose, Darwins gefährliche Erben, 11. 42 Vgl. Read, Ballooning Parrots and Semi-Lunar Germs, 11. Siehe dazu auch De Chadarevian, The Selfish Gene at 30, 31 – 38. Ebenso Grafen, The Intellectual Contribution of The Selfish Gene. to Evolutionary Theory, 71. 43 Vgl. Segerstrle, An Eye on the Core. Dawkins and Sociobiology, 89. 44 Vgl. Weber, Soziobiologie, 5 – 9.

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Methodik

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3. Methodik Der Begriff „Dawkins-Diskurs“ bezeichnet im Kontext der vorliegenden Arbeit den Gedanken- und Argumentaustausch, der zwischen Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftlern bezüglich der Thesen und des Werkes von Richard Dawkins’ stattfindet. Allgemeiner kann der Begriff DawkinsDiskurs definiert werden als der Gedanken- und Argumentaustausch, der in Medien, Öffentlichkeit, Kirche und Wissenschaft bezüglich der Person, des Werks und der Thesen Richard Dawkins’ existiert. Damit erscheint der Dawkins-Diskurs als Fluss „von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit…“45, der aus der Vergangenheit kommend die Gegenwart bestimmt und in der Zukunft (evtl. in modifizierter Form) weiter fließen wird.46 Der erste Hauptteil der Arbeit stellt die Basis für die nachfolgende Analyse des im obigen Sinne definierten Diskurses dar. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Zusammenfassung von Dawkins’ zentralen Thesen nicht chronologisch, sondern inhaltlich-systematisch. Dadurch lassen sich beispielsweise die Rezeptionsmuster von Dawkins’ Thesen und deren Intensität besser nachvollziehen. Der zweite Teil der Arbeit stellt die Analyse des Dawkins-Diskurses dar. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf die wissenschaftliche Diskursebene. Andere Diskursebenen wie z. B. die Ebene der Politik, der Medien, der Öffentlichkeit oder der Kirchen werden also ausgeblendet.47 Die wissenschaftliche Diskursebene ist in sich stark verflochten, so dass sich die Arbeit auf ein Thema – Dawkins’ Thesen seit 1976 bis heute – und die Herausarbeitung von thematischen Diskurssträngen innerhalb der wissenschaftlichen Spezialdiskurse von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften im deutschen und englischsprachigen Raum beschränken muss. Nicht berücksichtigt wird deshalb z. B. die Auseinandersetzung der Pädagogik oder Medizin mit den Thesen Dawkins’. Zur Herausarbeitung der relevanten Diskursstränge werden in der Arbeit in Anlehnung an das Konzept der kritischen Diskursanalyse von Siegfried Jäger Diskursfragmente von Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftlern vorgestellt und thematisch zu Diskurssträngen gebündelt. Diskursfragmente können definiert werden als Texte oder Textteile, die ein bestimmtes Thema behandeln.48 Die Herausarbeitung von Diskurssträngen durch die Analyse von Diskursfragmenten beruht grundsätzlich auf folgenden Analyseschritten:

45 46 47 48

Jäger, Kritische Diskursanalyse, 158. Vgl. Jäger, Kritische Diskursanalyse, 158 und 169. Vgl. Jäger, Kritische Diskursanalyse,131 – 32 und 163. Vgl. Jäger, Kritische Diskursanalyse, 131 – 32 und 164. Jägers Konzept der Kritischen Diskursanalyse ist ein Analyse-Verfahren, das sich an Michel Foucaults Diskurstheorie orientiert. Vgl. Jäger, Kritische Diskursanalyse, 158.

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Einleitung

– Berücksichtigung des Kontextes bzw. des institutionellen Rahmens eines Diskursfragmentes. Wer ist der Autor des Diskursfragmentes? Gibt es einen konkreten Anlass für das Verfassen des Textes? – Berücksichtigung der Text-Oberfläche. Welche Sinneinheiten bietet der Text, welche Themen werden angesprochen? – Analyse der Argumente, Argumentationsstrategien und sprachlich-rhetorischen Mittel. Wie gestaltet und strukturiert ein Autor seine Texte? Welche Argumentationsstrategien, Implikationen, Anspielungen, Metaphern verwenden die Autoren? Welche innere Logik und Komposition weisen die verwendeten Argumentationsfiguren auf ? – Analyse der inhaltlich-ideologischen Aussagen: Welche Aussagen treffen die Autoren im Hinblick auf Gottes-, Menschen- und Gesellschaftsbild sowie im Hinblick auf Zukunfts- oder Fortschritts- oder Technikvorstellungen? Nach Abschluss der Vorarbeiten unter 1. bis 4. kann 5. die systematische Darstellung des ausgewählten Diskursfragmentes erfolgen, wobei mehrere thematisch gleiche Diskursfragmente zu einem Diskursstrang gebündelt werden.49 Eine Besonderheit dieser Arbeit ist, dass sie die Spezifika des Umgangs der Theologie, Philosophie und der Naturwissenschaften mit den Thesen Dawkins’ herausarbeiten möchte. Deshalb werden die für die wissenschaftliche Diskursebene relevanten thematischen Diskursstränge für Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften gesondert aufgeführt. Dadurch können Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Umgangs der Theologie, der Philosophie und der Naturwissenschaft mit Richard Dawkins’ Thesen am besten herausgearbeitet werden. Hierfür relevant ist auch die Herausarbeitung von Argumentationsstrategien, die den Umgang von Wissenschaftlern mit Dawkins prägen. So stellt sich z. B. die Frage, inwieweit bestimmte Argumentationsstrategien an bestimmte Disziplinen gebunden sind. Ebenso relevant ist auch die Frage nach dem zeitlichen Rahmen und Verlauf des Dawkins-Diskurses sowie nach der Verortung des Dawkins-Diskurses im deutsch- und englischsprachigen Raum. Im dritten Teil der Arbeit erfolgt dann der Wechsel auf die Metaebene. Es geht nun nicht mehr um die Analyse des „Dawkins-Diskurses“, sondern um dessen Bewertung und Auswertung. Dabei sollen vor allem zwei Fragen beantwortet werden. 1. Welche Kriterien für angemessene und unangemessene Argumentation lassen sich anhand von ausgewählten Argumentationsbeispielen aus dem „Dawkins-Diskurs“ aufstellen? 2. Welche weiterführenden Implikationen bietet der „Dawkins-Diskurs“ für die Systematische Theologie? Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen wurden für die Arbeit folgende Forschungshypothesen aufgestellt: 49 Vgl. Jäger, Kritische Diskursanalyse, 175.

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Zur Auswahl der Quellen

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– Auf der wissenschaftlichen Diskursebene sind im Hinblick auf die Thesen Dawkins’ verschiedene inhaltliche Diskursstränge zu unterscheiden, die als Dawkins’ Weltsicht, sein Wissenschaftsverständnis, seine Religionskritik, sein Gottesbild, seine Theorie vom egoistischen Gen, sein Evolutionsverständnis, sein Mem-Konzept und sein Moralverständnis bezeichnet werden können. – Die Diskursstränge werden von den verschiedenen Disziplinen in unterschiedlichem Grad „bespielt“, d. h. sie sind für die Disziplinen unterschiedlich wichtig. – Die für die einzelnen Diskursstränge relevanten Argumentationsfiguren und Argumentationsstrategien sind im Hinblick auf die unterschiedlichen Disziplinen nicht homogen. Sie können zugleich von den jeweiligen Akteuren mit unterschiedlichen Intentionen eingesetzt werden. – Durch den unterschiedlichen Einsatz von relevanten Argumentationsfiguren und -strategien ergibt sich ein je spezifischer Umgang der Theologie, Philosophie und der Naturwissenschaften mit Richard Dawkins. – Im Diskurs werden mehr oder weniger angemessene Argumente gegen Dawkins verwendet, ebenso verwendet Dawkins mehr oder weniger angemessene Argumente, wenn er religionskritisch oder evolutionsbiologisch argumentiert. Mit Hilfe der Analyse von ausgewählten Beispielen lassen sich für die Qualität dieser Argumente bestimmte Kriterien aufstellen. – Die Gesamtbetrachtung des „Dawkins-Diskurses“ ermöglicht es, weiterführende Implikationen für den Bereich der Systematischen Theologie herauszuarbeiten.

4. Zur Auswahl der Quellen Da Dawkins’ Werk die Ausgangsbasis für die Auseinandersetzung mit seinen Thesen darstellt, wurden für die Arbeit zunächst seine sämtlichen Monographien und wichtigsten Aufsätze herangezogen und analysiert. Die daraus resultierende Darstellung zu Beginn der Arbeit zeigt auf, welche Diskursstränge in den wissenschaftlichen Spezialdiskursen um die Thesen Dawkins’ vorkommen (können). Weil der Diskurs um die Thesen Dawkins’ vor allem im angloamerikanischen Bereich verortet ist, stammen die meisten der in der Arbeit behandelten Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler aus Amerika oder Großbritannien bzw. lehren und forschen dort. Allerdings wird der Diskurs um Dawkins’ Thesen auch über diesen Kernbereich hinaus geführt. Als ein Beispiel für den Diskurs außerhalb Amerikas und Großbritanniens wurde der deutsche Sprachraum (D, A) gewählt. Autoren aus anderen europäischen Ländern wurden für die Arbeit nicht berücksichtigt, auch wenn z. B. in Frankreich eine ausführliche Debatte über Dawkins stattfindet. Die konkrete Auswahl der Autoren erfolgte nach den Kriterien „Dauer der

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Einleitung

Beschäftigung mit Dawkins“ und „Umfang der Arbeiten zu Dawkins“. Daneben sollten Einseitigkeiten vermieden werden, so dass sich die Auswahl auch an der Herkunft der Autoren orientiert sowie der Frage, ob sie Dawkins positiv oder kritisch rezipieren. Diese Auswahl war notwendig, da es aufgrund der großen Materialfülle unmöglich war, alle am Diskurs beteiligten Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler heranzuziehen. Gerechtfertigt erscheint die Auswahl, da sich die vorgestellten Personen für die Analyse des Diskurses um Dawkins’ Thesen als besonders relevant erwiesen haben. Im Bereich der Theologie wurden vor diesem Hintergrund folgende Autoren ausgewählt: 1. 2. 3.

4. 5. 6.

7.

8. 9.

10.

11. 12. 13.

DDr. Kurt Appel ist Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien (A). Ph.D. Tina Beattie50 ist Direktorin des Digby Stuart Research Centre for Catholic Studies an der Roehampton University, London (UK). Ph.D. Philip Clayton ist Professor für Philosophie und Religion an der Claremont Graduate Universität (USA) und Inhaber des Ingraham Chair of Theology an der Claremont School of Theology, Claremont/CA (USA). Dr. Jakob Deibl ist Assistent am Institut für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien (A). DDr. Friedrich Wilhelm Graf ist Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät München (D). Ph.D. John F. Haught ist Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Georgetown University, Georgetown, Washington D.C (USA). Dr. Axel Heinrich ist wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Katholische Theologie unter besonderer Berücksichtigung der Sozialwissenschaften und der Sozialethik an der Universität der Bundeswehr, Hamburg (D). Dr. Gregor Maria Hoff ist Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie und Ökumene an der Universität Salzburg (A). Dr. Andreas Knapp verfasste seine Doktorarbeit Soziobiologie und Moraltheologie. Kritik der ethischen Folgerungen moderner Biologie an der theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Dr. Ullrich H. Körtner ist Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theo logie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien (A). Dr. Gerhard Lohfink ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Neues Tes tament an der Eberhard Karls Universität Tübingen (D). Ph.D. Alister McGrath ist Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte und Dogmatik am King’s College in London (UK). Ph.D. Joshua Moritz ist Promovend der Graduate Theological Union in

50 Dass nur wenige Theologinnen, Philosophinnen und Naturwissenschaftlerinnen in der Arbeit diskutiert werden, spiegelt die realen Diskurs-Verhältnisse wider. In der Tat beteiligen sich mehr Männer als Frauen am Dawkins-Diskurs.

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Zur Auswahl der Quellen

14. 15.

16. 17.

18. 19.

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Berkeley/CA, (USA). Er ist außerdem Redakteur des Online-Journals Theology and Science. Ph.D. Ted Peters ist Professor für Systematische Theologie am Pacific Lut heran Theological Seminary, Berkley/ CA, (USA). Dr. Richard Schröder war Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie in Verbindung mit Systematischer Theologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin und ist Mitglied des Nationalen Ethikrates (D). Dr. Ludger Schwienhort-Schönberger ist Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien (A). Dr. Martin Stowasser ist Ao. Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien (A). Dr. Magnus Striet ist Inhaber des Lehrstuhls Fundamentaltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. (D). DDr. Keith Ward51 war Regius Professor of Divinity an der Theologischen Fakultät der Universität Oxford (UK).

Für die Philosophie wurden unter Einbeziehung der obigen Kriterien folgende Autoren ausgewählt: 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Ph.D. Daniel Dennett ist Professor für Philosophie und Direktor des Zentrums für Kognitionswissenschaft an der Tufts University, Medford/ MA (USA). Ph.D. John Dupr ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie und Wissen schaftstheorie an der University of Exeter (UK). Ph.D. Peter Godfrey-Smith ist Professor für Philosophie am City University of New York Graduate Center (USA). Dr. Hajo Greif ist AssProf. am Interuniversitären Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur in Graz (A). Dr. Heinz-Dieter Heckmann ist Professor für Philosophie des Geistes und Kulturphilosophie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken (D). Ph.D. David Hull war Professor für Philosophie an der Northwestern University in Evanston and Chicago/IL (USA). Dr.Christian Illies ist Professor für Philosophie an der Universität Bamberg. Ph. D. Philip Kitcher ist John-Dewey-Professor für Philosophie an der Columbia University in New York City/NY (USA). Dr. Rudolf Langthaler ist Professor für Christliche Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien (A).

51 Zu beachten ist, dass Keith Ward sowohl eine philosophische als auch theologische Ausbildung erhalten hat. Da Ward momentan einen theologischen Lehrstuhl innehat, habe ich ihn im Bereich der Theologie aufgeführt.

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Einleitung

10. Dr. Christopher Meiller ist Assistent am Institut für Christliche Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien (A). 11. Mary Midgley war Senior Lecturer in Philosophie an der Universität von Newcastle (UK). 12. Ph. D. Lenny Moss ist Associate Professor für Philosophie an der University of Exeter (UK). 13. DDr. Klaus Müller ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (D). 14. Ph. D. Samir Okasha ist Inhaber des Lehrstuhls für Wissenschaftsphilosophie an der Universität von Bristol (UK). 15. Susan Oyama war Professorin für Wissenschaftsphilosophie und Psychologie am John Jay College und CUNY Graduate Center in New York City/NY (USA). 16. Ph. D. Michael Ruse ist Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Florida State University, Florida/FL (USA). 17. Dr. Marianne Schark (Diplom in Biologie, Dissertation in Philosophie) war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wissenschaft und Ethik an der Universität Bonn (D). 18. Ph. D. Elliott Sober ist Hans-Reichenbach-Professor und William-F.-VilasForschungs-Professor in der Fakultät für Philosophie der University of Wis consin (USA). 19. Ph. D. Kim Sterelny ist Professor für Philosophie an der Research School of Social Sciences an der Australian National University und der Victoria Uni versity of Wellington (AUS) 20. Dr. Ullrich Stegmann ist promovierter Philosoph und zurzeit Lecturer am Department of Philosophy der Universität Aberdeen (UK). 21. Dr. Peter Strasser ist Ao. Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Graz (A). Aus dem Bereich der Naturwissenschaften werden in der Arbeit folgende Autoren vorgestellt: 1.

2. 3. 4. 5. 6.

Ph. D. Ian G. Barbour ist ehemaliger Inhaber des Winifred and Atherton Bean-Lehrstuhls für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft am Carleton College in Northfield/MI (USA). Ph. D. Patrick Bateson ist Professor für Verhaltensbiologie an der Universi tät Cambridge (UK). M.D. Francis S. Collins ist Direktor der National Institutes of Health in Bethesda/MD (USA). Ph. D. Niles Eldredge ist außerordentlicher Professor für Geo- und Umweltwissenschaften an der City University of New York, NY (USA). Ph. D. Stephen Jay Gould war Professor für Geologie an der Harvard University in Cambridge/MA (USA). Dr. Hansjörg Hemminger ist habilitierter Biologe und Beauftragter für

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Zur Auswahl der Quellen

7. 8. 9. 10.

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

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Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (D). Dr. Ulrich Kattmann war Professor für Biologie an der Universität Oldenburg (D). Ph. D. Richard C. Lewontin war Alexander Agassiz Research Professor an der Harvard University in Cambridge/MA (USA). Dr. Ernst Mayr war Professor für Biologie an der Harvard University in Cambridge/MA (USA). Dr. Eva-Maria Neumann-Held arbeitete als Post-doc am Carlsberg Institute in Kopenhagen (Dänemark) und an der A & M University in TX (USA). Ph. D. Denis Noble war Inhaber des Burdon-Sanderson-Lehrstuhls für kar diovaskuläre Physiologie an der Universität Oxford (UK). Dr. Herbert Pietschmann war Professor für Theoretische Physik an der Universität Wien (A). Ph. D. Mark Ridley ist Professor für Zoologie an der Universität Oxford (UK). Ph. D. Steven Rose war Professor für Biologie und Neurobiologie an der Open University und der University of London, London (UK). Ph. D. James A. Shapiro ist Professor am Department of Biochemistry and Molecular Biology an der University of Chicago, IL (USA). Dr. Friedrich Schaller war Professor für Zoologie an der Universität Wien (A). Dr. Walter Thirring ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Physik an der Universität Wien (A). Ph. D. George C. Williams war Professor für Ökologie und Evolution der State University of New York in Stony Brook, NY (USA). Ph. D. David Sloan Wilson ist Professor für Biologie und Anthropologie an der Binghamton University, Binghamton, NY (USA).

Wenn im Folgenden die unterschiedlichen Diskursstränge in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften herausgearbeitet werden, werden vor allem die oben genannten Autoren im Vordergrund stehen. Allerdings sei vorab darauf verwiesen, dass auch Autoren herangezogen werden, die nicht in der obigen Liste auftauchen. Diese Autoren sind in der Regel weniger intensiv am Dawkins-Diskurs beteiligt, bieten aber wichtige Argumente, so dass es bedauernswert gewesen wäre, sie nicht in diese Arbeit zu integrieren.

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I. Hauptteil

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses Die vorliegende Darstellung orientiert sich an den zentralen inhaltlichen Gesichtspunkten der Monographien Dawkins’1. Neben seiner facettenreichen, teilweise verdeckt, teilweise offen zutage tretenden Weltsicht, zeugen Dawkins’ Bücher vor allem von seiner Beschäftigung mit folgenden Fragen: ‘ – Was macht gute Wissenschaft aus? – Wie lässt sich Religion erklären bzw. kritisieren? – Welches Bild vom Menschen können wir auf Grundlage der Evolutionstheorie haben? – Ist die Vorstellung von einem Schöpfergott mit der Evolutionstheorie vereinbar? – Wie lässt sich die Evolutionstheorie angemessen darstellen? – Warum ist die Theorie vom egoistischen Gen eine hilfreiche und richtige Darstellung der Evolutionstheorie? – Inwiefern kann die Memtheorie die Existenz von kultureller Evolution angemessen erklären? – Wie ist Moral entstanden und wie ist sie zu begründen? – Wie sind komplexe Lebewesen, das Leben und das Universum entstanden?

1 Zu beachten ist, dass sich die folgende Darstellung hauptsächlich auf die Monographien Dawkins’ stützt, während seine Aufsätze und andere Schriften nur dann herangezogen werden, wenn sie im Vergleich zu den Monographien neue inhaltliche Gesichtspunkte bieten. Von einer vollständigen Durchsicht der Homepage Richard Dawkins’ wurde abgesehen.

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses

1. Kapitel: Dawkins’ Weltsicht Dawkins’ Weltsicht tritt in seinen Büchern einerseits offen zu Tage, so z. B. in seiner Selbstbeschreibung als Atheist, andererseits wird sie dem Leser auch verdeckter vermittelt, so z. B. in seiner Zurückweisung des genetischen Determinismus als Mythos. Ohne direkt auszusagen, dass er selbst kein genetischer Determinist ist, macht Dawkins hier doch deutlich, dass seine Kritiker Unrecht haben, ihn als solchen zu bezeichnen.

1. Dawkins’ darwinistischer Erklärungsrahmen Als Dawkins’ Erklärungsrahmen kann der Darwinismus (im Sinne von Darwins Evolutionstheorie) bezeichnet werden, der seiner Meinung nach „…nicht nur zufällig richtig ist, sondern … die einzig bekannte Theorie ist, die das Geheimnis unserer Existenz überhaupt lösen konnte.“2 Gelöst wurde das „Rätsel“ bzw. „Geheimnis unserer Existenz“3 durch die bahnbrechenden evolutionstheoretischen Erkenntnisse von Charles Darwin und Alfred Russel Wallace4. Der Kern des Darwinismus besteht nach Dawkins in der Idee, dass nichtzufällige Reproduktion weit reichende Konsequenzen nach sich ziehen kann, sofern zwei Bedingungen – das Vorhandensein von genetischer Variation und genug Zeit – erfüllt sind.5 Für Dawkins ist der Darwinismus universell und zeitlos. Die Frage nach ihrer Entstehung sei eine Herausforderung für alle komplexen, lebendigen Dinge überall im Universum zu jedem Zeitpunkt und deswegen universell. Weniger offensichtlich ist es nach Dawkins, dass auch die Antwort Darwins – die kumulative Selektion schaffte durch das nichtzufällige Überleben von zufälligen6 genetischen Veränderungen komplexe Lebewesen, d. h. der Darwinismus – universell ist.7 Zwar könne man nicht ausschließen, dass neue Fakten auftreten könnten, 2 Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 8. 3 Mit den Begriffen „Geheimnis unsere Existenz“ bzw. „Rätsel unserer Existenz“ umschreibt Dawkins die Frage „Wie sind wir entstanden?“. Es handelt sich dabei seiner Meinung nach um eine Frage, die sich alle komplexen, lebendigen Dinge überall im Universum zu jedem Zeitpunkt stellen müssen. 4 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 7. 5 Genetische Variation muss als Voraussetzung für die natürliche Selektion. als entscheidendes Evolutionsprinzip vorhanden sein. Ein genügend langer Zeitraum ist nach Dawkins zudem die Voraussetzung dafür, dass die Selektion kumulativ ablaufen kann. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 9. 6 Im Kontext des Darwinismus. definiert Dawkins solche Ereignisse als zufällig, die nicht zielgerichtet sind und keine innewohnende Tendenz in Richtung Verbesserung aufweisen. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 353. 7 Vgl. Dawkins, Darwin Triumphant, 92.

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die dazu zwängen, den Darwinismus aufzugeben oder ihn stark zu modifizieren. Nichtsdestoweniger ist Dawkins davon überzeugt, dass es einen essentiellen Kern des Darwinismus gibt, der für immer jeder faktischen Widerlegung entzogen bleiben wird. Dieser Kern lautet nach Dawkins, dass Evolution durch das nichtzufällige Überleben von kleinen zufälligen genetischen Veränderungen in adaptive, nichtzufällige Richtungen gelenkt wird.8 Damit ist der Darwinismus für Dawkins gerade keine Theorie des Zufalls9, sondern erklärt, wie sich komplexe Lebewesen durch das Zusammenspiel von kumulativer Selektion und zufälliger Mutation entwickelten. „…only gradualistic, inch-by-inch walking through the genetic landscape is compatible with the sort of cumulative evolution that can build up complex and detailed adaptation.“10

2. Dawkins’ Atheismus Vor allem in Der Gotteswahn betont Dawkins, dass „…Atheist zu sein ein realistisches Ziel ist, noch dazu ein tapferes, großartiges Ziel. Man kann als Atheist glücklich, ausgeglichen, moralisch und geistig ausgefüllt sein.“11 Eine atheistische Grundüberzeugung bewertet Dawkins zudem als ein Zeichen für ein gesundes Maß an geistiger Unabhängigkeit.12 Dawkins entfaltet ein Spektrum von Wahrscheinlichkeiten, in denen menschliche Aussagen über die Existenz Gottes eingeordnet werden können. In diesem Kontext wird die Frage nach Gott als wissenschaftliche Hypothese behandelt. Dawkins’ Spektrum reicht in sieben Kategorien von dem sicheren Wissen, dass es Gott gibt (stark theistisch) bis zu dem sicheren Wissen, dass es keinen Gott gibt (stark atheistisch). Dawkins beschreibt sich selbst als „de facto atheistisch“ mit einem starken Hang zu der Kategorie „stark atheistisch“. De facto atheistische Menschen können nicht sicher wissen, dass Gott nicht existiert, halten dies aber für sehr wahrscheinlich und führen ihr Leben unter der Prämisse, dass es 8 Vgl. Dawkins, Darwin Triumphant, 94 – 95. Der Begriff adaptiv verweist nicht darauf, dass jeder evolutionäre Wandel adaptiv sein muss, d. h. es gibt für Dawkins auch nicht-adaptiven evolutionären Wandel, der aber seiner Meinung nach nicht sehr interessant ist. 9 Der Behauptung, dass der Darwinismus eine Theorie des Zufalls ist, weist Dawkins dezidiert zurück: „…reiner, nackter Zufall bedeutet, daß geordnete Planung in einem einzigen Sprung aus dem Nichts entsteht. Es wäre ungebändigter Zufall, wenn es zu einem Zeitpunkt kein Auge gäbe, und dann plötzlich im Augenblick einer Generation, wäre ein Auge da, völlig ausgebildet, perfekt und ganz. Das ist möglich, aber die Wahrscheinlichkeit dagegen wird uns bis zum Ende aller Zeiten mit Nullenschreiben beschäftigen. […] Den Zufall zu ,bändigen‘ bedeutet, das sehr Unwahrscheinliche in weniger unwahrscheinliche kleine Komponenten zu zerlegen, die in Serien angeordnet sind.“ Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 365. 10 Vgl. Dawkins, Darwin Triumphant, 102. 11 Dawkins, Der Gotteswahn, 11. 12 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 15.

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Gott nicht gibt.13 Seine de facto atheistische Einstellung begründet Dawkins dadurch, dass es bessere Gründe gegen die wissenschaftliche Hypothese Gott gibt als für sie. Gott existiert für Dawkins dementsprechend „mit ziemlicher Sicherheit“ nicht.14 3. Dawkins’ Naturalismus Dawkins unterscheidet grundsätzlich zwischen einem von Natur und Kosmos inspirierten Naturalismus, den er auch als Einstein’sche Religion bezeichnet und der übernatürlichen Religion, die das menschliche Gefühl des Staunens in den letzten Jahrhunderten monopolisiert hat.15 Im Gegensatz zu Supernaturalisten gehen Naturalisten nach Dawkins davon aus, dass es außerhalb der physikalischen Welt nichts gibt: „…keine übernatürliche kreative Intelligenz, die hinter dem beobachtbaren Universum lauert, keine Seele, die den Körper überdauert, und keine Wunder außer in dem Sinn, dass es Naturphänomene gibt, die wir noch nicht verstehen.“16 Dawkins’ These lautet vor diesem Hintergrund, dass alle großen Naturwissenschaftler, wenn überhaupt, nur auf eine sehr spezifische Weise religiös sind.17 Von dieser Einstein’schen Religion müsse der Theismus abgegrenzt werden. Theisten glauben nach Dawkins an eine übernatürliche Intelligenz (Gott), die das Universum schuf, die dessen weiteres Schicksal beeinflusst und zumeist in die Angelegenheiten der Gläubigen eingebunden ist.18 Abzugrenzen sei auch der Deismus. So glauben Deisten nach Dawkins auch an eine übernatürliche Intelligenz, deren Tätigkeit sich aber auf das Aufstellen von Gesetzen beschränkt, denen das Universum unterliegt.19 Pantheisten glauben nach Dawkins dagegen nicht an einen übernatürlichen Gott, sondern verwenden den Begriff Gott als Synonym für die Natur, das Universum oder die ihm zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten. Pantheismus sei dementsprechend „aufgepeppter“ Atheismus, während der Deismus als „verwässerter“ Theismus bezeichnet werden könne.20 Nach Dawkins verwenden Wissenschaftler wie Albert Einstein das Wort Gott oder andere religiöse Metaphern lediglich in einem rein metaphorischen, pantheistischen Sinne. Der Kernpunkt der Einstein’schen Religion wurde nach Dawkins von Einstein selbst prägnant zusammengefasst: Wahre Religiosität ist demnach gekennzeichnet durch das „…Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 72 – 73. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 155. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 23. Dawkins, Der Gotteswahn, 25 – 26. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 27. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 31. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 31. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 32.

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sind …“21 Auch Dawkins ist in diesem Sinne religiös, betont aber, dass das, was der menschlichen Vernunft nach Einstein nicht zugänglich ist, ihr in der Zukunft durchaus zugänglich werden könnte. Es gibt für Dawkins also nichts, das der menschlichen Vernunft prinzipiell auf ewig unzugänglich bleiben muss.22

4. Dawkins’ Verteidigung des Reduktionismus Dawkins’ Haltung zum Reduktionismus erklärt sich aus seinem Verständnis der Funktions- und Verhaltensweise von lebenden Körpern. So ist der Körper eines Tieres nach Dawkins z. B. ein komplexes, zusammengesetztes Gebilde mit spezifischem Verhalten. Um dieses Verhalten zu verstehen, dürfe man nicht auf das Ganze schauen, sondern muss die physikalischen Gesetze auf die einzelnen Bestandteile anwenden, aus denen sich ein Körper zusammensetzt. „Das Verhalten des ganzen Körpers wird sich dann als Konsequenz der Wechselwirkung der Bestandteile ergeben.“23 Dementsprechend kann ein unbekanntes komplexes Objekt über seine bereits bekannten einfacheren Teile verstanden werden.24 Dawkins bezeichnet den von ihm angewandten Erklärungsmechanismus für Funktions- und Verhaltensweisen von komplexen Objekten als hierarchischen Reduktionismus. In diesem Kontext kann nach Dawkins jedes komplexe Objekt auf jeder beliebigen Ebene in der Organisationshierarchie anhand von Objekten erklärt werden, die wiederum so komplex sind, dass sie eine weitere Reduktion auf ihre eigenen Bestandteile benötigen. Während die Analyse theoretisch bis zur Ebene der Elementarteilchen und Quarks oder sogar darüber hinaus fortgesetzt werden kann, ist es in der Praxis zumeist ausreichend, von der Startschicht aus ein bis zwei Schichten in der Hierarchie hinabzusteigen, um zufrieden stellende Erklärungen zu erhalten. Allerdings sind die Arten von Erklärungen, die für hohe Hierarchieebenen geeignet sind, völlig andere als die Erklärungsarten, die auf niedrigeren Ebenen passen. Von dieser hierarchischen Form des Reduktionismus ist nach Dawkins eine mythische Form des Reduktionismus abzugrenzen, in deren Kontext versucht werde, komplizierte Dinge direkt anhand ihrer kleinsten Teile oder direkt anhand der Summe ihrer Teile zu erklären.25

21 22 23 24 25

Albert Einstein, zitiert nach Dawkins, Der Gotteswahn, 32. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 33. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 24. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 25. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 27.

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5. Dawkins’ Zurückweisung des genetischen Determinismus In The Extended Phenotype weist Dawkins die Vorstellung eines genetischen Determinismus, der durch die Aussage, „die Existenz eines Genes für X impliziert, dass X unausweichlich ist“, charakterisiert werden kann, als Mythos zurück.26 So könne man grundsätzlich entweder Determinist oder Indeterminist sein. Da für Deterministen Handlungen durch physikalische Ursachen in der Vergangenheit prädeterminiert seien, sei es nicht entscheidend, ob einige dieser physikalischen Ursachen genetisch seien oder nicht27: “The only point I wish to make is that, whatever view one takes to the question of determinism, the insertion of the word ‘genetic’ is not going to make any difference. If you are a full-blooded determinist you will believe that all your actions are predetermined by physical causes in the past, and you may or may not also believe that you therefore cannot be held responsible for your sexual infidelities. But, be that as it may, what difference can it possibly make whether some of those physical causes are genetic?”28

Dennoch halte sich die falsche Vorstellung, dass genetische Ursachen im Vergleich zu umweltlichen Ursachen super-deterministisch seien, hartnäckig.29 Dawkins betont, dass es manchmal notwendig ist, eine Sprache zu verwenden, die als genetischer Determinismus missverstanden werden kann.30 Vor diesem Hintergrund legt er z. B. genauer dar, was die Aussage „ein Gen verursacht einen Phänotyp“ eigentlich bedeutet. Kausalität sei immer ein statistisches Konzept, da operational nie gezeigt werden könne, dass ein bestimmtes beobachtetes Ereignis C ein spezielles Resultat R verursacht hat. In der Praxis gehe es vielmehr um die statistische Ermittlung, dass Ereignisse der Klasse R zuverlässig Ereignissen der Klasse C folgen31.Wenn man nun annimmt, dass der Besitz eines Y-Chromosoms einen kausalen Einfluss auf die musikalischen Fähigkeiten ausübt, bedeutet dies nach Dawkins, dass in einer speziellen Population und in spezieller Umgebung ein Beobachter mit der Kenntnis über das Geschlecht eines Individuums statistisch zutreffendere Voraussagen über die musikalischen Fähigkeiten des Individuums treffen 26 27 28 29 30 31

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 10. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 9. Auch wenn R-Ereignisse zuverlässig C-Ereignissen folgen, ist es nach Dawkins trotzdem nur eine Arbeitshypothese, dass C-Ereignisse R-Ereignisse verursachen. Diese Hypothese werde im Rahmen der statistischen Methode bestätigt, wenn C-Ereignisse durch ein Experiment geliefert und immer noch zuverlässig von R-Ereignissen gefolgt würden. Allerdings muss nach Dawkins nicht jedem C ein R folgen und nicht jedem R muss ein C vorangehen. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11 – 12.

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kann als ein Beobachter ohne diese Kenntnis. Dies gelte aber nur, wenn alle anderen Voraussetzungen gleich seien. Wenn der Beobachter neue Informationen erhalte, z. B. über Erziehung des Individuums, könne sich seine auf Basis des Geschlechts getroffene Vorhersage ändern oder ins Gegenteil verkehren.32 Genetische Einflüsse seien deswegen nicht prinzipiell unveränderlicher oder unumkehrbarer als umweltliche Einflüsse.33 Dementsprechend haben Gene nach Dawkins genau zwei Effekte auf die Welt – die Herstellung von eigenen Kopien und die Beeinflussung von Phänotypen – „…the first is inflexible apart from the rare possibility of mutation; the second may be exceedingly flexible.“34 Dawkins kritisiert auch, dass Gen-Selektionismus als eine Möglichkeit, über Evolution und den ihr zugrunde liegenden Faktor der natürlichen Selektion zu sprechen, häufig verwechselt werde mit genetischem Determinismus als einer Möglichkeit, Entwicklung zu betrachten.35 Wenn es nun darum geht, über die Möglichkeit der Evolution eines Verhaltensmusters durch die natürliche Selektion zu diskutieren, muss eine genetische Variation hinsichtlich der Fähigkeit, dieses Verhaltensmuster auszuführen, vorausgesetzt werden.36 Solange keine genetische Variation vorliegt, an der die natürliche Selektion ansetzen kann, kann keine evolutionäre Veränderung stattfinden37. Umgekehrt muss, wenn eine Darwin’sche Anpassung auftritt, zu irgendeinem Zeitpunkt eine genetische Variation vorgelegen haben.38 In diesem Kontext ist es nach Dawkins legitim, von einem „genetischen Beitrag zur Variation in X“ zu sprechen und dies mit der Formel „Gen oder Gene für X“ abzukürzen.39 Entscheidend sei hierbei das Kriterium des Unterschieds, wie das Beispiel der Fruchtfliege Drosophila zeige: Die Aussage, es gebe ein Gen „für“ rote Augen bei Drosophila meint, dass bei dieser Population grundsätzlich eine Variation in der Augenfarbe existiert und dass, wenn alle anderen Voraussetzungen gleich sind, eine Fliege mit diesem Gen eher rote Augen haben wird als eine Fliege ohne dieses Gen.40 32 33 34 35 36

37 38 39 40

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 12. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 13. Dawkins, The Extended Phenotype, 14. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 18. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 18 – 19. Damit sagt Dawkins nicht, dass es eine genetische Variation für ein solches Verhaltensmuster tatsächlich gibt, sondern nur, dass es eine solche Variation in der Vergangenheit gegeben haben muss, wenn das Verhaltensmuster als eine Anpassung im Darwin’schen Sinne, d. h. produziert durch die natürliche Selektion., verstanden werden soll. Vgl. Natürliche Selektion setzt also immer am unterschiedlichen Überleben von Genen an und deshalb sind Gene für Dawkins so zentral. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 20. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 21. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 21. Auch in dem Essay Genes Aren’t Us finden sich die aus The Extended Phenotype bekannten Argumente gegen den Mythos des genetischen Determinismus. Vgl. Dawkins, Genes Aren’t Us, 123 – 126. Die Aussage, es gebe ein Gen „für“ rote Augen bei Drosophila ist also wiederum eine statistische Aussage.

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Ist Dawkins nach eigenem Ermessen also ein genetischer Determinist? Zumindest nicht in dem pejorativen Sinne einer unausweichlichen genetischen Determination, in dem der Begriff häufig gebraucht wird. Wohl aber ist Dawkins nach eigenen Angaben Determinist, da er an eine rein physikalische, materielle Basis für menschliche Handlungen glaubt.41 Ob im Kontext dieser physikalischen Basis auch genetische Ursachen eine Rolle spielen, kann nach Dawkins die Beantwortung der Frage Determinismus versus freier Wille nicht beeinflussen42

6. Dawkins’ Zurückweisung des perfektionistischen Adaptionismus Auch hier setzt sich Dawkins wieder mit einem Kernthema der Evolutionsbiologie auseinander, das um die Frage kreist, welchen Stellenwert das Phänomen der Anpassung innerhalb der Evolutionsgeschichte einnimmt. Dawkins betont zunächst, dass ein an funktionalen Erklärungen interessierter Biologe oftmals dem Vorwurf ausgesetzt sei, er glaube daran, dass alle Tiere perfekt seien, d. h. dem Vorwurf des Adaptionismus. Als Adaptionismus werde in der Biologie die Annahme bezeichnet, alle Aspekte der Morphologie, Physiologie und des Verhaltens von Organismen seien adaptive, optimale Lösungen von Problemen.43 Dawkins geht allerdings nicht davon aus, dass irgendein Biologe in diesem radikalen Sinne Adaptionist ist – also auch er selbst nicht. Der Kern der Diskussion um den Adaptionismus liegt nach Dawkins in der Frage, „… whether, given that we are dealing with a phenotypic effect big enough to see and ask questions about, we should assume that it is the product of natural selection.“44 Dawkins argumentiert bei seiner Zurückweisung des radikalen Adaptionismus mit den Grenzen der Perfektion. Grundsätzlich stelle sich immer die Frage, ob ein beobachteter phänotypischer Effekt überhaupt als Produkt der natürlichen Selektion betrachtet werden könne. Darüber hinaus sei die phänotypische Wirkung eines Gens im Vergleich zu seinem Allel nicht nur eine 41 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. 42 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 18. Dawkins’ Position zur Existenz des freien Willens ist in seinen Schriften nicht eindeutig. Einerseits verweist er auf die hohe Komplexität menschlicher Nervensysteme, die es erlaube, in der Praxis den Determinismus zu ignorieren und sich so zu verhalten, als habe man einen freien Willen. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. Andererseits schließt Dawkins nicht aus, dass eine nicht-übernatürliche Erklärung des menschlichen Gehirns, der menschlichen Emotionen, Gefühle und des scheinbar vorhandenen freien Willens möglich ist, wenn das Gehirn als Äquivalent zu einer programmierten, kybernetischen Maschine bzw. einem Computer begriffen wird. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 17 – 18. 43 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 30. Dawkins bezieht sich hier auf eine kritische Definition des Adaptionismus durch Lewontin und Gould. Vgl. Gould/ Lewontin, The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm, 581 – 598. 44 Dawkins, The Extended Phenotype, 32.

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Eigenschaft des Gens selbst, sondern auch abhängig vom embryologischen Kontext, in dem das Gen agiere.45 Perfekt können morphologische, physiologische oder verhaltenstechnische Anpassungen nicht sein, weil die Tiere, die wir heute sehen, nach Dawkins veraltet sind. Sie wurden von Genen gebaut, die selektiert wurden, als die Umstände noch anders waren als heute. Deswegen kann es nach Dawkins anachronistische Anpassungen geben, beispielsweise das Zusammenrollen eines Igels beim Herannahen eines Autos.46 Im Hinblick auf die phänotypischen Effekte gibt es noch eine andere Möglichkeit – die des „Nachhinkens“: So kann ein Gen „für“ eine spezifische Verhaltensweise in einer anderen Umgebung und Zeit ein Gen „für“ eine ganz andere Verhaltensweise gewesen sein. „It may be that the phenotype which we are trying to explain did not even exist in some earlier environment, even though the gene did then exist.“47 Darüber hinaus verhindert auch die Tatsache, dass die natürliche Selektion lokale Optima fördert, eine Entwicklung in Richtung ultimativer, globaler Optima.48 Die Evolution einer Spezies schlägt nach Dawkins demnach immer den Weg des geringsten Widerstands ein. Sobald sich die Spezies in eine Richtung zu entwickeln begonnen hat, werden so Möglichkeiten verschlossen, die früher erreichbar waren und so werde das Erreichen eines globalen Optimums verhindert. “My point is that lack of available variation does not have to be absolute in order to become a significant constraint on perfection. It need only be a quantitative brake to have dramatic qualitative effects.”49

Der neodarwinistische Adaptionist insistiert nach Dawkins darauf, dass er die genaue Natur des Selektionsprozesses kennt, der zur Evolution einer mutmaßlichen Anpassung geführt habe und besteht auf einer präzisen Sprache im Hinblick auf das Level, auf dem die natürliche Selektion agiert haben soll. So könne ein System von einem populationsspezifischen Blickwinkel extrem unökonomisch sein, von einem Gen-Blickwinkel aus betrachtet aber gleichwohl optimal.50 7. Dawkins’ liberale Position Dass die Arbeiten der Natur notwendigerweise schwerfällig, ungeschickt und verschwenderisch sein müssen, liegt nach Dawkins am Charakter der natürlichen Selektion als ungeplantem Versuch-Irrtum-Prozess. Grausamkeit ist aber nach Dawkins kein inhärenter Faktor der natürlichen Selektion – sie ist 45 46 47 48 49 50

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 31 – 32. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 35 – 36. Dawkins, The Extended Phenotype, 38. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 39 – 40. Dawkins, The Extended Phenotype, 45. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 51.

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vielmehr indifferent gegenüber allem Leiden.51 Auf die augenscheinliche Gleichgültigkeit der natürlichen Selektion reagieren Menschen unterschiedlich. So kann es sein, dass sie den Darwinismus als Ganzes aufgrund seiner moralischen Implikationen ablehnten oder über die Gleichgültigkeit der natürlichen Selektion frohlockten, wie dies z. B. die Sozialdarwinisten getan hätten. Eine andere Form der Reaktion bestehe in dem Versuch eine Ethik auf den vermeintlich fortschrittlichen Aspekten der Evolution aufzubauen.52 Nach Dawkins sind alle diese drei Reaktionsformen allerdings abzulehnen53, vielmehr müsse man als Mensch gegen die Konsequenzen des Darwinismus ankämpfen. Während er als Wissenschaftler den Darwinismus unterstützt, ist er leidenschaftlich anti-darwinistisch, wenn es um Politik oder Moral geht.54 Zwar kann die Entstehung des Menschen nach Dawkins nur durch den schwerfälligen und verschwenderischen Prozess der natürlichen Selektion erklärt werden, der aber gleichzeitig auch die Emanzipation des Menschen von seinen Wurzeln ermöglicht hat. “…you have the biggest gift of all: the gift of understanding the ruthlessly cruel process that gave us all existence; the gift of revulsion against its implications; the gift of foresight -something utterly foreign to the blundering short-term ways of natural selection – and the gift of internalizing the very cosmos.”55

Zugleich sei mit dieser Einsicht auch der Verlust eines beruhigenden Wahns – der Glaube an die Unsterblichkeit – verbunden: “To set against that risk, you stand to gain ‘growth and happiness’; the joy of knowing that you have grown up, faced up to what existence means, to the fact that it is temporary and all the more precious for it.”56

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Vgl. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 10 – 11. Vgl. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 11 – 12. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 12. Vgl. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 13. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 15. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 16.

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Dawkins’ Wissenschaftsverständnis

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2. Kapitel: Dawkins’ Wissenschaftsverständnis In Der entzauberte Regenbogen lautet Dawkins These, dass gute Naturwissenschaft keineswegs das Leben unlebenswert macht, sondern ein „Gefühl des ehrfürchtigen Staunens“ vermittelt, das zu „den erhabensten Erlebnissen [gehört, K.P.], deren die menschliche Seele fähig ist“.1 Täuschungen, Illusionen, Aberglauben und Parapsychologie missbrauchen demgegenüber das legitime menschliche Gefühl des Staunens im Angesicht des unermesslichen Kosmos. Die Wissenschaft selbst impliziert nach Dawkins dichterische Möglichkeiten, da sie das menschliche Denken über die Welt als Ganzes verändert.2 Naturwissenschaftler können deswegen die gleiche Haltung des ehrfürchtigen Staunens beanspruchen, die auch Mystiker wie z. B. William Blake bewegte.3 Demnach ist Wissenschaft für Dawkins also nicht nur die einzige gute Methode, um die Fragen nach unserer Herkunft zu beantworten, sondern hat auch noch einen kulturellen und ästhetischen Wert.4 Das Gefühl des Staunens wird aber nicht nur durch die pseudowissenschaftliche Zweckentfremdung der Wissenschaft, sondern auch durch eine zunehmende „populistische Verdummung“ und die Theorie des kulturellen Relativismus gefährdet. Nach Dawkins „…ist es zurzeit eine beliebte Marotte, in der Naturwissenschaft nur einen von vielen kulturellen Mythen zu sehen, mit nicht mehr Wahrheitsgehalt oder Gültigkeit als die Mythen jeder anderen Kultur.“5 Im Kontext dieses extremen kulturellen Relativismus werde z. B. folgendermaßen argumentiert: „Fundamentally, your belief in evolution comes down to faith, and therefore it’s no better than somebody else’s belief in the Garden of Eden.“6 Eine weniger extreme Form des kulturellen Relativismus gehe davon aus, dass man eine fremde Kultur nur verstehen könne, wenn man deren Glaubensvorstellungen in Begriffe der eigenen Kultur übersetze. Dawkins billigt nur die letztere Form des Relativismus und hält die Annahme, es gebe keine absolute Wahrheit, so dass die wissenschaftliche Methode nicht als privilegierte Straße in Richtung Wahrheit verstanden werden kann, für einen unbegründeten Glaubensakt.7 Für die Tatsache, dass wissenschaftliche Wahrheit nicht nur eine Wahrheit unter vielen ist, spricht nach Dawkins zunächst einmal, dass es in der Wissenschaft überprüfbare Resultate gibt.“Science boots its claim to truth by its spectacular ability to make matter and energy jump through hoops on com-

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Dawkins, Der entzauberte Regenbogen,10. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 37. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 38. Dawkins, Science, Genetics and Ethics: Memo for Tony Blair, 31. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 38. Dawkins, River Out of Eden, 37. Vgl. Dawkins, What is True?, 17.

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mand, and to predict what will happen and when.“8 Unter den vielen möglichen Wahrheiten sei die wissenschaftliche zudem die einzige, die regelmäßig Menschen von ihrer Überlegenheit überzeuge.9 Auch mit der These Karl Poppers und Thomas Kuhns, wonach wissenschaftliche Wahrheiten bloße Hypothesen sind, die bis jetzt noch nicht falsifiziert wurden und die dazu bestimmt sind, irgendwann verdrängt zu werden, setzt sich Dawkins auseinander. Nach der nächsten wissenschaftlichen Revolution so betonten Popper und Kuhn würden die heutigen „Wahrheiten“ absurd erscheinen, wenn sie sich nicht sogar als falsch erwiesen hätten. Das Beste, auf das Wissenschaftler setzen könnten, sei eine Reihe von Annäherungen, die mögliche Fehler immer weiter reduziere, sie aber niemals ganz eliminieren könne. Diesen Einwänden begegnet Dawkins mit der Unterscheidung zwischen zwei Wahrheitskonzepten: wissenschaftlicher Wahrheit und Commonsense. Jeder Mensch hat nach Dawkins ein alltägliches Konzept davon, was es heißt, dass etwas wahr ist.10 Dazu gehören Aussagen wie „Die Sonne ist heißer als die Erde“ oder „Der Schreibtisch, an dem ich arbeite, besteht aus Holz“. „These are not hypotheses awaiting falsification; not temporary approximations to an ever-elusive truth; not local truths that might be denied in another culture.“11 Dasselbe gilt nach Dawkins nun auch für wissenschaftliche Wahrheiten, selbst wenn wir diese Wahrheiten nicht mit eigenen Augen sehen können. Es ist nach Dawkins ganz einfach wahr, dass die DNA die Form einer Doppelhelix hat oder dass man, wenn man seine Vorfahren weit genug zurückverfolgt, irgendwann einen gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen finden wird. Zwar mag es sich hier im strengen Sinne um Hypothesen handeln, aber nach Dawkins sind diese Aussagen im gleichen Sinne wahr wie die Aussage, dass jemand einen Kopf hat.12 Problematisch ist es nach Dawkins, dass Wissenschaft nicht das gleiche wie Commonsense ist bzw. dass die Schlussfolgerungen der Wissenschaft kontraintuitiv sein können. Jedoch muss dieser Umstand nach Dawkins kein Hindernis darstellen. Zwar ist es wahrscheinlich, dass niemand die Quantentheorie in all ihren Feinheiten versteht, aber viele Voraussagen auf Basis der Quantentheorie erweisen sich bei experimenteller Überprüfung als richtig.13 Zwar ähneln sich nach Dawkins Wissenschaft und Religion in dem Anspruch, Fragen nach dem Ursprung und der Entstehung von Leben und Kosmos beantworten zu können, jedoch sei dies die einzige Ähnlichkeit. Während nach Dawkins wissenschaftliche Glaubensvorstellungen durch Beweise gestützt werden, zu überprüfbaren Resultaten führen und durch das

8 9 10 11 12 13

Dawkins, What is True?, 18. Vgl. Dawkins, What is True?, 18. Vgl. Dawkins, What is True?, 20. Vgl. Dawkins, What is True?, 21. Vgl. Dawkins, What is True?, 21. Vgl. Dawkins, What is True?, 22.

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Dawkins’ Wissenschaftsverständnis

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menschliche Alltagsempfinden gestützt werden14, werden Mythen und Glauben nicht durch Beweise gestützt und führen zu keinen Ergebnissen.15 Ein weiteres Kennzeichen der Naturwissenschaft (im Gegensatz zur Religion) ist deren spezifischer Umgang mit Fehlern, die eingestanden und nicht vertuscht werden. Zum innersten Kern der Naturwissenschaft gehört zudem das Wissen um das, was man nicht weiß.16 Vor diesem Hintergrund wendet sich Dawkins explizit gegen die Vorstellung, dass Wissenschaft und Religion sich einander annähern oder gar ineinander aufgehen.17 Nur wenn Religion bzw. Gott als Synonym für die unergründlichsten physikalischen Gesetze bzw. für das, was wir nicht verstehen, benutzt wird, kann man nach Dawkins davon ausgehen, dass Religion und Wissenschaft miteinander in Beziehung stehen.18 Vor diesem Hintergrund beurteilt Dawkins die Entwicklung, die nach der Anerkennung der Evolutionstheorie durch den Papst einsetzte und zur These zweier unterschiedlicher sich nicht überlappender Magisteria von Wissenschaft und Religion führte19, kritisch: “Responses to the Pope’s message exhibited liberal intellectuals at their worst, falling over themselves in their agnostic eagerness to concede to religion its own ‘magisterium’, of equal importance to that of science, but not opposed to it, not even overlapping it. Such agnostic conciliation is, once again, easy to mistake for genuine convergence, a true meeting of the minds.”20

In Wahrheit handle es sich lediglich um naive, nicht weiterführende Appeasement-Politik, wenn behauptet werde, Religion beantworte die Warum-Fragen und Wissenschaft die Wie-Fragen. Diese Behauptung enthalte die unausgesprochene, aber niemals gerechtfertigte Implikation, dass, wenn Naturwissenschaft die Warum-Frage nicht beantworten kann, es eine andere Disziplin geben muss, die qualifiziert dazu ist, sie zu beantworten.21 Eine der schlimmsten Auswirkungen der Religion ist es nach Dawkins, dass sie die Gläubigen dazu verleitet, sich mit Nichtwissen zufrieden zu geben. In dieser Hinsicht stehen die Naturwissenschaften nach Dawkins mit klugen Theologen wie Dietrich Bonhoeffer im Kampf gegen gemeinsame Feinde wie z. B. eine naive, populistische Theologie oder die Lückentheologie des Intelligent Design.22 14 15 16 17 18 19

20 21 22

Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 41. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 37. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 54. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 173 – 179. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 174. In Der Gotteswahn spricht Dawkins in diesem Kontext dann von Einstein’scher Religion. Der Vorstellung, dass Religion und Naturwissenschaft nicht in Konflikt geraten, weil ihre Magisteria sich nicht überschneiden, geht auf Stephen Jay Gould zurück. Vgl. Gould, Nonoverlapping Magisteria, 16 – 22. Dawkins, The Great Convergence, 176. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 113. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 177.

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Dass die von Stephen Jay Gould geprägte NOMA-Theorie23 überhaupt von so vielen Naturwissenschaftlern vertreten wird, erklärt Dawkins mit den spezifisch amerikanischen Verhältnissen. Da die Evolutionstheorie durch kreationistische Propaganda in Frage gestellt werde, versuchten Naturwissenschaftler über die NOMA-Theorie eine Allianz mit nicht-fundamentalistischen Kirchenvertretern einzugehen.24 Der entscheidende Konflikt findet nach Dawkins aber nicht zwischen Evolutionsanhängern und Kreationisten statt, sondern zwischen Rationalismus und Aberglauben. So ist Naturwissenschaft nach Dawkins eine Form des Rationalismus und Religion die am weitesten verbreitete Form des Aberglaubens.25 Nach Dawkins müssen Theologen eine Wahl treffen: Entweder sie reklamieren ein ernstzunehmendes, von der Wissenschaft getrenntes Magisterium, dann müssen sie aber auf die Annahme, Wunder seien real, verzichten, oder sie erklären Wunder für real und verzichten damit auf ein ernstzunehmendes, eigenständiges Magisterium.26 Im Hinblick auf die Ethik hat die Wissenschaft nach Dawkins zwar keine Methoden dafür zu entscheiden, was richtig oder falsch ist, aber sie kann Menschen bei ihren ethischen Entscheidungen unterstützen. Wissenschaft kann demnach keine Aussagen darüber treffen, ob eine Abtreibung falsch ist, aber sie kann darauf hinweisen, dass das embryologische Kontinuum, das einen empfindungsunfähigen Fötus mit einem empfindungsfähigen Erwachsenen verbindet, analog zu dem evolutionären Kontinuum ist, das Menschen mit anderen Spezies verbindet. Wenn das embryologische Kontinuum übergangsloser erscheint, dann nur weil das evolutionäre Kontinuum durch Aussterbephänomene unterbrochen wurde. Ethische Prinzipien sollten nach Dawkins aber nicht von solchen Zufälligkeiten des Aussterbens abhängen. Damit kann Wissenschaft auf mögliche Inkonsistenzen hinsichtlich ethischer Entscheidungen oder Überlegungen hinweisen. Wenn man nach Dawkins Abtreibung als Mord bezeichnet, dann wäre es inkonsistent anzunehmen, dass das Töten von Schimpansen kein Mord ist.27

23 24 25 26 27

Vgl. Gould, Nonoverlapping Magisteria, 16 – 22. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 96. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 97 – 98. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 178. Vgl. Dawkins, Science, Genetics and Ethics, 39.

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Dawkins’ Religionserklärung und Religionskritik

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3. Kapitel: Dawkins’ Religionserklärung und Religionskritik 1. Dawkins’ Religionserklärung Dawkins setzt sich mit den evolutionären Wurzeln von Religion auseinander. Dabei konzentriert er sich zunächst darauf, ob Religion in der Evolution für das Überleben und den Fortpflanzungserfolg von Individuen nützlich war.1 Religion könnte nach Dawkins als ein Nebenprodukt von einer anderen nützlichen Eigenschaft entstanden sein. Dass Dawkins sich auf die Frage des Nutzens konzentriert, liegt daran, dass Religion als allgemeine Eigenschaft der Spezies Mensch seiner Meinung nach eine darwinistische Erklärung verlangt, die wiederum grundsätzlich am Prinzip des Nutzens orientiert ist.2 Ob etwas nützlich ist oder nicht, werde hierbei zumeist daran gemessen, ob sich die Überlebensaussichten für die Gene eines Individuums durch den Besitz dieses „etwas“ verbessern. Jedoch müsse Nutzen im darwinistischen Sinne nicht nur auf die Gene in einem Individuum beschränkt sein. So zeigt die Theorie vom erweiterten Phänotyp nach Dawkins, dass das Verhalten eines Organismus in der Regel auf den bestmöglichen Überlebenserfolg der Gene „für“ dieses Verhalten ausgerichtet ist – unabhängig davon, ob diese Gene zum Körper des Organismus gehören, welcher das Verhalten zeigt oder nicht.3 Auch mit Hilfe des Mem-Konzepts lässt sich die Frage nach der Nützlichkeit von Religion beantworten. So könne Religion theoretisch auch überhaupt nicht für irgendwelche Gene nützlich gewesen sein, sondern könne genauso gut den religiösen Überzeugungen gedient haben, die als Replikatoren der religiösen Inhalte fungierten.4 Ein entscheidender Vorteil von darwinistischen Religionserklärungen im Vergleich zu anderen Erklärungsformen liegt nach Dawkins daran, dass es sich bei ersteren um letztgültige Erklärungen handelt.5 Religion kann nach Dawkins beispielsweise als Nebenprodukt der Kindererziehung interpretiert werden, wobei natürlich auch andere Interpretationen möglich sind.6 Dawkins kommt zu dieser Interpretation, weil die menschliche Spezies mehr als jede andere zum Überleben auf die Erfahrungen früherer Generationen setzt. Diese Erfahrungen gibt der Mensch an seine Nachkommen weiter, um deren Schutz und Wohlergehen zu garantieren. In diesem Kontext stellt die Aussage, „Glaube alles, was die Erwachsenen dir sagen, ohne weiter nachzufragen“, einen Selektionsvorteil dar.7 Problematisch 1 2 3 4 5 6

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 228. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 230. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 229. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 229. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 234. Daniel Dennett interpretiert die Religion beispielsweise als Nebenprodukt des Verliebtseins. Vgl. auch Dawkins, Der Gotteswahn, 259 – 263. 7 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 243.

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ist nach Dawkins, dass die Kehrseite dieses vertrauensvollen Gehorsams sklavische Leichtgläubigkeit bzw. die Anfälligkeit für eine Infektion mit geistigen Viren ist.8 So könne ein Kind, das vertraut, nicht zwischen guten und schlechten Ratschlägen unterscheiden, so dass seine Eltern ihm sowohl sinnvolle als auch nicht sinnvolle Aussagen über die Welt, den Kosmos, die Moral und das Wesen der Menschen vermitteln könnten. Mit diesen Aussagen werden die Kinder nach Dawkins gewissermaßen infiziert und geben sie wiederum an ihren eigenen Nachwuchs weiter.9 In der Evolution haben sich nach Dawkins beim Menschen auch dualistische Instinkte herausgebildet, d. h. er geht davon aus, dass zwischen Materie und Geist ein grundlegender Unterschied besteht. Jedoch ist nach Dawkins eine monistische Grundhaltung vernünftiger, die darauf basiert, dass der Geist eine Ausdrucksform der Materie ist, d. h. ohne Materie nicht existieren kann.10 Allerdings sei der Monismus kontraintuitiv : „Der Gedanke, dass hinter meinen Augen ein Ich steckt, das zumindest im Roman in einen anderen Kopf wandern kann, ist in mir und jedem anderen Menschen tief verwurzelt – ganz gleich, wie stark wir intellektuell den Monismus bevorzugen.“11

Kinder neigen nach Dawkins nun sehr viel stärker zum Dualismus und zur Teleologie als Erwachsene. So bereite ihr angeborener Dualismus sie darauf vor, an eine „Seele“ zu glauben, die kein untrennbarer Bestandteil des menschlichen Körpers sei, sondern nur in ihr wohne.12 Die Ich-Perspektive hat nach Dawkins dabei einen darwinistischen Vorteil, der darin besteht, „… dass der intentionale Standpunkt als Gehirnmechanismus einen Überlebensvorteil bietet: Er beschleunigt Entscheidungsprozesse in gefährlichen Augenblicken und entscheidenden zwischenmenschlichen Situationen.“13 Hinter dem intentionalen Standpunkt wiederum steht vermutlich eine Art Theorie über den Geist anderer Menschen, die dualistisch ist. Da der Mensch biologisch darauf programmiert ist, für ihn wichtigen Gebilden Absicht zu unterstellen, kann er auch Agenten sehen, wo eigentlich keine sind.14 Da viele Aspekte der Religion sich gut dafür eignen, dass die Religion selbst im Durcheinander der menschlichen Kulturen überleben kann, wurde sie nach Dawkins vermutlich sowohl durch die natürliche Selektion als auch durch „intelligente Gestaltung“ angeregt.15 Zwar könnte die herkömmliche darwinistische Selektion der Gene nach Dawkins gewisse psychologische Neigungen begünstigt haben, die als Nebenprodukt Religionen hervorbrin8 9 10 11 12 13 14 15

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 246. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 246. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 250. Dawkins, Der Gotteswahn, 252. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 252. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 255. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 255 – 56. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 266.

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gen, es sei aber unwahrscheinlich, dass sie alle Details geprägt habe.16 Viel eher wurden die Details nach Dawkins auch noch durch Meme transportiert, die wie Gene als echte Replikatoren wirken. Meme, die die unterschiedlichen Details einer Religion transportierten, konnten sich nach Dawkins in einem Memplex bündeln, wobei dieser Zusammenschluss die Überlebensfähigkeit der einzelnen Meme erhöhe.17 Zwei unterschiedliche Religionen können nach Dawkins als zwei unterschiedliche Memplexe betrachtet werden.18 Die Komplexe Katholizismus und Islam entstanden nach Dawkins durch Ansammlungen von unterschiedlichen Memen in Memplexen, wobei die eigentliche Religionsorganisation durch Menschen erfolgte.19 Am Beispiel der CargoKulte im Südpazifikraum verdeutlicht Dawkins schließlich vier allgemeine Lehren über den Ursprung von Religion: – Religionen breiten sich in der Regel sehr schnell aus. – Die Spuren der Entstehungsgeschichte einer Religion verlieren sich sehr schnell. – Ähnliche Kulte können voneinander unabhängig an verschiedenen Orten entstehen. – Neu entstandene Religionen oder Kulte ähneln nicht nur geographisch entfernten, zeitgleichen Kulten und Religionen, sondern auch älteren Religionen.20 2. Dawkins’ Religionskritik Dawkins konzentriert seine religionskritische Darstellung auf das Judentum, das Christentum und den Islam, wobei er betont, dass seine Argumente grundsätzlich für alle Formen des Supernaturalismus gelten.21 Das Judentum interpretiert Dawkins als ursprünglichen Stammeskult „…um einen einzigen, äußerst unangenehmen Gott, voller krankhafter Versessenheit auf sexuelle Beschränkungen, mit dem Geruch des verbrannten Fleisches, mit einem Überlegenheitsgefühl gegenüber Konkurrenzgöttern und mit der Exklusivität des auserwählten Wüstenstammes.“22

Das Christentum versteht er als eine weniger kompromisslos monotheistische, aber auch weniger exklusive Sekte des Judentums, wohingegen der Islam zum kompromisslosen Monotheismus des Judentums, nicht aber zu dessen Exklusivität zurückkehrte. Obwohl sich Dawkins der Unterschiede zwischen den 16 17 18 19 20 21 22

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 267. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 278. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 281. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 281. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 288 – 89. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 52. Dawkins, Der Gotteswahn, 54.

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drei abrahamitischen Religionen bewusst ist, spielen für seine Analyse die Ähnlichkeiten zwischen ihnen eine größere Rolle.23

2.1 Wunderkritik Dawkins lehnt die Vorstellung ab, dass es das Wunder der Erscheinung der Mutter Gottes in Fatima und andere Wunder wirklich gegeben hat und orientiert sich hierbei an David Humes Wunderkritik. In dem Fall, dass sich die Sonne in Fatima tatsächlich von ihrem Platz bewegt hätte24, müsste man nach Dawkins noch ein größeres Wunder annehmen und zwar die Illusion der Bewegungslosigkeit der Sonne, die die vielen Millionen Menschen, die nicht in Fatima waren, erlebten. Somit bleibt nach Dawkins nur die Wahl, sich für die am wenigsten wundersame Alternative zu entscheiden und gegen die offizielle vatikanische Lehre zu behaupten, dass das Wunder von Fatima nie stattgefunden hat.25 Auch die Frage nach der Existenz von Wundern gehört für Dawkins also in die Kategorie „wissenschaftlich überprüfbare Hypothesen“.26

2.2 Religion als „schlechte Poesie“ Nach Dawkins ist „gute“ Poesie durch den Gebrauch von Metaphern und Analogien geprägt, die die menschliche Phantasie anregen und im menschlichen Geist Assoziationen hervorrufen, die über die reine Notwendigkeit des Verstehens hinausgehen. Demgegenüber sei „schlechte“ Poesie gekennzeichnet durch den übermäßig-schwelgerischen Gebrauch poetischer Allegorien sowie durch die inflationäre Verwendung von bedeutungslosen Vergleichen.27 Als Musterbeispiel für schlechte naturwissenschaftliche Poesie bezeichnete Dawkins das Buch Der Mensch im Kosmos von Teilhard de Chardin: „Teilhards Buch gibt sich zwar als naturwissenschaftliches Werk aus, aber seine ,Seelentemperatur‘ und seine ,Kalorien‘ sind ebenso bedeutungsleer wie die planetaren Energien der Astrologie.“28

Nichtsdestoweniger ist für Dawkins völlig klar, dass „schlechte“ Poesie vor allem ein wesentliches Merkmal vieler Sitten von Religion und Magie ist. Er kritisiert z. B. das Motiv des Sündenbocks und die Vorstellung, das Wasser dazu genutzt werden kann, um Sünden abzuwaschen als „schlechte“ Poesie. 23 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 54 – 55. 24 Dies war der Eindruck, den 70.000 Menschen im Rahmen einer Marienerscheinung hatten. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 181. 25 Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 181 – 82. 26 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 88. 27 Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 239 – 40 28 Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 245.

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Beide Motive fänden sich in vielen Religionen und auch im christlichen Kontext: „Das Wasser der Taufe ,wäscht‘ die Sünden ab. Jesus selbst steht mit seiner Kreuzigung stellvertretend für die ganze Menschheit (in manchen Versionen auf dem Umweg über einen symbolischen Ersatz für Adam), und damit büßt er homöopathisch für unsere Sünden.“29

Auch symbolische Deutungen beispielsweise von Schöpfung oder Auferstehung hält Dawkins für Beispiele „schlechter“ Poesie30 : „Es ist, als würde man eines Tages beweisen, dass das Doppelhelixmodell der DNA falsch ist, und die Naturwissenschaftler könnten dann nicht hinnehmen, dass sie Unrecht hatten, und suchten stattdessen verzweifelt nach einer tieferen symbolischen Bedeutung, die über die faktische Wirklichkeit hinausgeht.“31

2.3 Religion als geistiger Virus Für Dawkins ist die Tatsache, dass die Mehrheit aller Kinder der Religion ihrer Eltern folgt, ein Beispiel für eine memetische, virusähnliche Infektion. Die typischen Merkmale einer Infektion des Geistes sehen nach Dawkins wie folgt aus: Der „Patient“ sei fest davon überzeugt, dass etwas wahr, richtig oder moralisch ist, d. h. er glaube etwas ohne Belege oder Vernunftgründe. Dass der eigene Glaube trotz mangelnder Beweise stark und unerschütterlich sei, werde als positives Zeichen bewertet. Dazu könne sich auch die Überzeugung gesellen, dass Geheimnisse per se eine gute Sache sind. Der Versuch, Geheimnisse aufzudecken, werde nicht als Tugend bewertet, sondern man erfreue sich an ihrer Unlösbarkeit. Der „Patient“ verhalte sich zudem intolerant gegenüber Menschen, die seinen Glauben nicht teilten, sondern fremden Glaubenssystemen anhingen. Auch könne er intolerant gegenüber Apostaten oder Häretikern bzw. gegenüber anderen Denkarten sein, so z. B. gegenüber der wissenschaftlichen Methode. Dem „Patienten“ könne auffallen, dass seine spezifischen Überzeugungen von seinen Eltern und Großeltern geteilt werden. Falls der „Patient“ in dieser Hinsicht eine Ausnahme darstellt, war er nach Dawkins vermutlich einem besonders infektiösen Glaubenssystem ausgesetzt. Die inneren Gefühle des „Patienten“ bezüglich seines Glaubens können nach Dawkins stark den Gefühlen ähneln, die normalerweise mit sexueller Liebe assoziiert werden.32 29 30 31 32

Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 241 – 42. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 242. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 242. Vgl. Dawkins, Viruses of the Mind, 162 – 63.

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2.4 Vom Gewaltpotential der Religion In dem kurz nach dem 11. September 2001 geschriebenen Essay Time to Stand Up stellt Dawkins die These vor, dass Religion der gefährlichste und hauptsächlichste Ort ist, an dem zwischen Fremd- und Eigengruppe unterschieden wird und von daher ein Ort der Motivation für Gewalt und Krieg ist.33 Durch Religion werde die menschliche Veranlagung, Fehden über Generationen hinweg auszutragen und die Tendenz Menschen mit Gruppen-Etiketten zu behängen, anstatt sie als Individuen zu sehen, verstärkt.34 Religion ist vor diesem Hintergrund für Dawkins eine spaltende Kraft bzw. ein Etikett für Feindseligkeiten und Blutrache. Zwar stehen in einer Gesellschaft auch andere Etiketten wie Hautfarbe, Sprache oder Lieblings-Fußballmannschaft zur Verfügung, aber auf Religion kann immer dann zurückgegriffen werden, wenn keine anderen Etiketten infrage kommen.35 Die Neigung, zwischen Fremdund Eigengruppe zu unterscheiden, wäre nach Dawkins vermutlich auch ohne Religion vorhanden, aber innerhalb der Religion wird diese Neigung durch die Etikettierung von Kindern, durch konfessionelle Schulen und die Tabuisierung von „Mischehen“ in dreifacher Hinsicht verstärkt.36 „Selbst wenn die Religion als solche keinen anderen Schaden anrichten würde, schon ihre sorgfältig geförderten Spaltungstendenzen – ihre absichtliche, gezielte Unterstützung der natürlichen Neigung der Menschen, Gruppenangehörige zu begünstigen und andere Gruppen auszuschließen, – würden ausreichen, um sie zu einer bedeutsamen Kraft des Bösen in der Welt zu machen.“37

An gemäßigten Religionsformen kritisiert Dawkins, dass sie zu einem Glaubensklima beitragen, in dem Extremismus und Fundamentalismus gedeihen können.38 Da Terroristen tatsächlich an das glauben, was sie sagen, sollte man nach Dawkins die Religion selbst und nicht den religiösen Extremismus im Sinne einer „entsetzlichen Perversion einer anständigen Religion“ für terroristische Glaubensinhalte verantwortlich machen.39 Solange der grundlegende Respekt vor dem Gesamtphänomen Religion und dem religiösen Glauben nicht abgelegt wird, ist es nach Dawkins kaum möglich, den Respekt gegenüber dem Glauben eines Osama bin Laden oder eines Selbstmordattentäters abzulegen. Dawkins fordert deswegen seine Leser dazu auf, das Prinzip des automatischen Respekts für den religiösen Glauben aufzu33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Dawkins Richard, Time to Stand Up, 187. Vgl. Dawkins, Time to Stand Up, 189. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 359 – 60. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 360 – 61. Dawkins, Der Gotteswahn, 364. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 422. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 426.

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geben.40 Jedweder religiöse Glaube ist für Dawkins „…genau deshalb bösartig, weil er keine Rechtfertigung braucht und keine Diskussion duldet.“41

2.5 Religiöse Erziehung als Kindesmissbrauch Dawkins hält das Ausüben einer religiösen Erziehung für Kindesmisshandlung.42 Grundsätzlich stellt er in Abrede, dass Kinder, die noch nicht im reflektionsfähigen Alter sind, überhaupt eine Religion haben können.43 Kinder sollen nach Dawkins nicht indoktriniert oder mit religiösen Etiketten versehen werden. So wie es keine konservativen oder liberalen Kinder gibt, gibt es auch keine katholischen, jüdischen oder protestantischen Kinder, lediglich Kinder katholischer, jüdischer oder protestantischer Eltern.44 Zudem kann die psychische Misshandlung von Kindern in einer religiösen Erziehung zumindest in einigen Fällen nach Dawkins schwerer wiegen als eine körperliche bzw. sexuelle Misshandlung.45 „Nach meiner Überzeugung ist der Ausdruck ,Kindesmisshandlung‘ keine Übertreibung für das, was Lehrer und Priester einem Kind antun, wenn sie es beispielsweise in dem Glauben erziehen, ungebeichtete Todsünden würden mit dem ewigen Höllenfeuer bestraft.“46

Dawkins ist dagegen davon überzeugt, dass man Kindern nicht beibringen soll, was sie denken, sondern wie sie denken.47 Die Verwendung der Bibel im Religionsunterricht hält Dawkins für zulässig, da eine atheistische Weltanschauung keine Rechtfertigung dafür sein kann, kulturelle und literarische Traditionen beispielsweise des Judentums, der anglikanischen Religion oder des Islams aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Atheisten können nach Dawkins „…den Glauben an Gott aufgeben, ohne den Kontakt zu einem wertvollen kulturellen Erbe zu verlieren.“48

2.6 Zur Funktion der Religion für den Menschen Dawkins wendet sich auch der Frage zu, ob der Mensch ein psychologisches Bedürfnis nach Gott bzw. nach einem großen Bruder oder imaginären Freund 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 427. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 429. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 431. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn., 431. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 472. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 441. Dawkins, Der Gotteswahn, 442. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 454. Dawkins, Der Gotteswahn, 478.

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hat, das durch die Religion befriedigt werden muss, ganz gleich ob Gott in Wirklichkeit existiert oder nicht.49 Religion spendet in diesem Kontext Trost und Inspiration, bietet Erklärungen und Ermahnungen. Eine der wichtigsten Funktionen Gottes ist nach Dawkins der Trost. „[Gott, K.P.]…tröstet uns, und wenn er nicht existieren sollte, stehen wir vor der humanitären Herausforderung, etwas anderes an seine Stelle setzen zu müssen.“50 Menschen könnten nach Dawkins durchaus ein emotionales oder psychologisches Bedürfnis nach einem Gott haben, aber das macht die Religion nicht wahrer bzw. entscheidet nicht die Frage der Existenz Gottes. Der schlüssige Nachweis eines solchen Bedürfnisses, könnte nach Dawkins allerhöchstens ein Beleg dafür sein, „…dass es wünschenswert ist, sich selbst von der Existenz Gottes zu überzeugen, obwohl er nicht existiert.“51 Dabei stellt Dawkins fest, dass sehr vielen Menschen der Unterschied zwischen „X ist wahr“ und „Es ist wünschenswert, dass die Menschen X für wahr halten“ nicht klar ist.52 Dawkins beantwortet die Frage, ob es einen stichhaltigen Grund gibt, sich deprimiert zu fühlen, wenn man ohne Gott lebt. Grundsätzlich können Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, niemals desillusioniert werden, was einen gewissen Vorteil darstellt.53 Dennoch haben viele religiöse Menschen Angst vor dem Tod. Dies könnte nach Dawkins darauf zurückzuführen sein, dass sie sich vor dem Vorgang des Sterbens fürchten. Für Dawkins ist nun „… tot zu sein nichts anderes, als wäre man gar nicht geboren … und das ist nichts, wovor man Angst haben müsste.“54 Seiner Meinung nach ist das Leben nicht leer oder sinnlos, bloß weil es aller Voraussicht nach keinen Gott gibt. Das Wissen, dass wir nur ein Leben haben, mache dieses Leben umso kostbarer. Entsprechend lebensbejahend und das Lebenswerk kräftigend ist die atheistische Weltanschauung für Dawkins.55

49 50 51 52 53 54 55

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 479. Dawkins, Der Gotteswahn, 487. Dawkins, Der Gotteswahn, 487 – 88. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 488 – 89. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 493. Dawkins, Der Gotteswahn, 494. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 501.

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Dawkins’ Umgang mit der Gotteshypothese und sein Gottesbild

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4. Kapitel: Dawkins’ Umgang mit der Gotteshypothese und sein Gottesbild Dawkins möchte die Gotteshypothese nicht aufgrund ihrer konkreten Verkörperungen wie z. B. Jahwe oder Jesus falsifizieren oder verifizieren – zumal die konkreten Verkörperungen von ihm sehr negativ bewertet werden. So ist der Gott des Alten Testamentes für Dawkins beispielsweise „…die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur : Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker ; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“1 Stattdessen geht es Dawkins um die wissenschaftliche Analyse der Gotteshypothese, die diesen konkreten Ausformungen zugrunde liegt. Diese Hypothese kann folgendermaßen definiert werden: „Es gibt eine übermenschliche, übernatürliche Intelligenz, die das Universum und alles, was darin ist, einschließlich unserer selbst, absichtlich gestaltet und erschaffen hat.“2 Darüber hinaus muss die oben formulierte Gotteshypothese um den Gedanken eines persönlichen Gottes erweitert werden, da Dawkins den Fokus auf das Juden- und Christentum sowie den Islam richtet.3 Dass die Gotteshypothese sich nicht prinzipiell der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit entzieht, liegt nach Dawkins vor allem an der Tatsache, dass ein Universum mit einem intelligenten, übernatürlichen Schöpfer etwas fundamental anderes ist als ein Universum ohne diesen Schöpfer.4 So „…ist die Gegenwart oder Abwesenheit einer schöpferischen Überintelligenz eindeutig eine wissenschaftliche Frage, auch wenn sie in der Praxis nicht – oder noch nicht – entschieden ist.“5 Ebenso fehlerhaft ist nach Dawkins die Überzeugung, dass aus der Tatsache, dass Gott weder bewiesen noch widerlegt werden kann, folgt, dass beide Optionen (Gott existiert bzw. Gott existiert nicht) die gleiche Aufmerksamkeit verdienen.6 Auch Russells Theorie einer fliegenden Teekanne im All ist weder zu belegen noch zu widerlegen, aber das heißt nach Dawkins nicht, dass die Annahme der Existenz dieser Teekanne sich auf demselben Level von Bedingungen befindet wie die Annahme ihrer Nichtexistenz. Vor diesem Hintergrund hält Dawkins eine prinzipiell permanente agnostische Haltung im Hinblick auf die Gottesfrage für nicht zulässig. Grundsätzlich kann nach Dawkins zwischen einem vorübergehenden pragmatischen (VPA) 1 2 3 4 5 6

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 45. Dawkins, Der Gotteswahn, 46. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 55. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 84 – 85. Dawkins, Der Gotteswahn, 85. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 177.

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses

und einem prinzipiellen permanenten Agnostizismus (PPA) unterschieden werden. Erstere Variante sei das legitime Abwarten, ob es zukünftig nicht doch eine eindeutige Antwort für Fragen gibt, die bislang aufgrund mangelnder Belege nicht vollständig bzw. überhaupt nicht gelöst werden konnten. Dagegen eigne sich letztere Variante für Fragen, die außerhalb des für Beweise zugänglichen Bereichs liegen.7 Während Dawkins z. B. die Frage, ob ein Mensch die Farbe Rot genauso sieht wie ein anderer oder ob es außerirdisches Leben gibt, in die PPA-Kategorie einordnet, gehört die Frage nach Gott für Dawkins in die VPA-Kategorie, kann also wissenschaftlich behandelt werden.8 Im Zuge seiner wissenschaftlichen Untersuchung der Gotteshypothese wendet sich Dawkins zunächst den Argumenten zu, die für die Existenz Gottes sprechen, wobei er in jedem Fall auch immer gleich seine Gegenargumente mitliefert. So behandelt er die klassischen Gottesbeweise (kosmologisches, teleologisches und ontologisches Argument) und deren Widerlegungen9 und wendet sich dann dem Argument der Schönheit zu. Im Rahmen dieses Argumentes lautet die Standardfrage, wie Genies wie William Shakespeare oder Ludwig van Beethoven erklärt werden sollen, wenn es keinen Gott gibt.10 Dawkins stellt dagegen in Abrede, dass es ein zwingend logisches Argument gibt, das die Existenz großer Kunstwerke an die Existenz Gottes bindet.11 Viele Menschen glauben nach Dawkins auch aufgrund eines persönlichen Erlebnisses an Gott. Dazu meint Dawkins, dass sich religiöse Erlebnisse nur in dem Punkt von Vorstellungen unterscheiden, die Menschen in psychiatrischen Kliniken haben, dass viele Menschen behaupten, sie hätten sie gehabt.12 Dawkins verweist in diesem Kontext auf die leistungsfähige Simulationssoftware im menschlichen Gehirn, die sowohl Visionen als Erscheinungen von höchster Überzeugungskraft konstruieren kann.13 Auch die Existenz einer Heiligen Schrift ist nach Dawkins kein Argument für die Existenz Gottes, da sich zahlreiche Widersprüche in den alt- und neutestamentlichen Texten fänden. Darüber hinaus seien die Texte für den kirchlichen Kanon mehr oder weniger willkürlich ausgewählt worden.14 Ebenso die Tatsache, dass einige Wissenschaftler religiös sind, vermag Dawkins nicht von der Existenz Gottes zu überzeugen. So verdeutliche eine Studie der Zeitschrift Nature aus dem Jahr 1998, dass nur sieben Prozent der als hoch qualifiziert geltenden Wissenschaftler an einen persönlichen Gott glauben, während in der amerikanischen Gesamtbevölkerung über 90 % an irgendein

7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 68. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 69. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 108 – 117. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 120. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 122. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 124. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 126. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 135.

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Dawkins’ Umgang mit der Gotteshypothese und sein Gottesbild

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übernatürliches Wesen glauben.15 Verschiedene Studien belegen nach Meinung von Dawkins zudem, dass zwischen Religiosität und Bildung eine negative Korrelation besteht – gebildete Menschen sind also deutlich seltener religiös. Ebenso besteht nach Dawkins ein negativer Zusammenhang zwischen Religiosität und dem Interesse an Naturwissenschaft oder (deutlich) liberalen politischen Einstellungen.16 Die sog. Pascalsche Wette17 ist nach Dawkins nicht weiterführend, da man seiner Meinung nach über den Glauben nicht wie über eine taktische Frage entscheiden kann.18 Somit kann die Pascalsche Wette höchstens ein Argument dafür sein, dass ein Mensch vortäuscht zu glauben. Darüber hinaus bringt die schiere Zahl der potentiellen Götter, auf die der Mensch wetten kann, nach Dawkins die Pascalsche Logik zum Einsturz.19 Dawkins setzt sich auch mit dem Argument der Feinabstimmung auseinander, d. h. mit der Annahme, dass die physikalischen Grundkonstanten und Gesetze von einem intelligenten Schöpfer (Einsteller) gezielt eingestellt wurden. Diese Annahme zieht nach Dawkins zwangsläufig die Frage nach sich, wie ein solcher ebenso fein abgestimmter und unwahrscheinlicher Einsteller erklärt werden soll.20 Dawkins betont zudem, dass die Idee der Feinabstimmung auch von vielen Physikern abgelehnt wird, die die statistische Unwahrscheinlichkeit der Existenz von Leben durch Multiversumstheorien minimieren. Dazu zählt beispielsweise die Vorstellung, dass Universen eine Evolution durchmachen und aufgrund des 15 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 142. 16 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 145. 17 Der Begriff Pascalsche Wette geht auf den französischen Philosophen Blaise Pascal (1623 – 1662) zurück. Pascal geht davon aus, dass die menschliche Vernunft die Frage nach der Existenz Gottes. nicht beantworten kann. Dennoch sei sicher, dass Gott entweder existiert oder nicht existiert. Vor diesem Hintergrund sei der Mensch gezwungen zu wählen, ob er an Gott glaubt oder nicht. Pascal führt in Verbindung mit der Vorstellung einer notwendigen Wahl die Vorstellung der Wette auf die Existenz Gottes. ein. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es vorteilhafter ist auf die Existenz Gottes. zu „wetten“ als auf seine Nichtexistenz. Auf die Existenz Gottes. zu „wetten“ sei deswegen die bessere Option, weil der Gewinn (ewige Seligkeit) viel größer sei als der Verlust (irdisches Leben im Glauben. an Gott, ohne dass sich Hoffnung auf ewige Seeligkeit nach dem Tod bewahrheitet) im Falle der Nichtexistenz Gottes. Vgl. Mackie, John Leslie, Das Wunder des Theismus, 316 – 319. 18 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 147. 19 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 148. Auch der Versuch Stephen Unwins das Bayes-Theorem für den Nachweis der Existenz Gottes. einzusetzen, scheitert nach Dawkins. Beim Bayes-Theorem handelt es sich um „…ein mathematisches Verfahren, bei dem man viele verschiedene Wahrscheinlichkeiten in Betracht ziehen und am Ende zu einem abschließenden Urteil gelangen kann, dass eine eigene quantitative Wahrscheinlichkeitsabschätzung in sich trägt. Natürlich kann diese letzte Schätzung aber nur so gut sein wie die Zahlen, die ursprünglich in sie eingeflossen sind.“ Dawkins, Der Gotteswahn, 150. Dawkins kritisiert vor diesem Hintergrund, dass die von Unwin zum Nachweis der Existenz Gottes eingesetzten Wahrscheinlichkeiten keine Messwerte sind, sondern lediglich persönliche Beurteilungen, 150 – 152. Das Theodizee-Problem spricht nach Dawkins dagegen nicht zwangsläufig gegen die Existenz Gottes, sondern nur gegen die Existenz eines gütigen Gottes, 153. 20 Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 15.

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kosmischen Darwinismus immer stärker zu Universen des Typs werden, auf denen Leben möglich ist.21 Dawkins bietet neben der Überprüfung der Argumente, die für die Existenz Gottes sprechen, auch eine kritische Untersuchung der Gotteshypothese. Da für Dawkins der scheinbar zwangsläufige Zusammenhang von schöpferischer Planung und Komplexität einer der wichtigsten Gründe dafür ist, warum die Mehrheit aller Menschen an einen transzendentalen Gott glaubt oder geglaubt hat22, ist die Erklärung der schöpferischen Planung ohne Gott für Dawkins ein wichtiges Element in seiner Zurückweisung der Gotteshypothese. Um zu verdeutlichen, warum er keinen Schöpfer als Ursache für die scheinbar zweckorientierten, komplexen Organismen annimmt, führt Dawkins den Begriff Nutzenfunktion (utility function) ein. Der ökonomische Begriff Nutzenfunktion umschreibt das, was maximiert wird. Dawkins’ These lautet, dass man, wenn man das Verhalten von Individuen oder anderen Objekten über ihr ganzes Leben beobachtet, über reverses Engineering deren Nutzenfunktion herausfinden kann. Reverses Engineering bedeutet, dass Objekte zerlegt und analysiert werden, um herauszufinden, welches Problem das Objekt gut lösen kann.23 Die Vorstellung, dass alle lebenden Kreaturen von einem göttlichen Ingenieur konstruiert wurden, zieht nach Dawkins automatisch die Frage nach sich, was der Ingenieur maximieren wollte, d. h. was Gottes Nutzenfunktion war. Einerseits könnte man sagen, dass Leoparden dafür geschaffen zu sein scheinen, Antilopen zu töten. Ihre scharfen Zähne und Krallen sind genau das, was man erwarten würde, wenn Gottes Absicht bei der Schaffung von Leoparden darin besteht, den Tod von Antilopen zu maximieren. Umgekehrt scheinen aber Antilopen dafür geschaffen zu sein zu überleben. Ihre schnellen Beine sind das, was man erwarten würde, wenn Gottes Absicht darin besteht, das Überleben von Antilopen zu maximieren. Wenn nur ein Gott beide Tiere geschaffen hat, dann wollte er zwei widersprüchliche Dinge maximieren: das Überleben und den Tod der Antilopen. Nach Dawkins ist vor diesem Hintergrund wahrscheinlicher, dass es nur eine einzige Nutzenfunktion des Lebens gibt, die nicht von einem Designer herrührt. Die wahre Nutzenfunktion des Lebens, d. h. das, was in der natürlichen Welt maximiert wird, ist das Überleben von in Körpern eingeschlossener DNA. DNA-Sequenzen in Leopardenkörpern maximieren ihr Überleben, indem sie diese Körper veranlassen, Antilopen zu töten.24 “The great universal Utility Function, the quantity that is being diligently maximized in every cranny of the living world is, in every case, the survival of the DNA responsible for the feature you are trying to explain.”25 21 22 23 24 25

Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 17. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 26. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 121 – 22. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 122 – 24. Dawkins, River Out of Eden, 140.

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Für die wissenschaftliche Analyse der Gotteshypothese operiert Dawkins auch mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit. Sofern die Existenz von etwas weder beweisbar noch widerlegbar sei, folgt nach Dawkins daraus nicht zwangsläufig, dass die Existenz oder Nichtexistenz dieses Etwas auf derselben Wahrscheinlichkeitsstufe stehen.26 Dawkins entfaltet zur Erläuterung dieses Punktes ein Wahrscheinlichkeitsspektrum, in dem menschliche Aussagen über die Existenz Gottes eingeordnet werden können. Dieses Spektrum reicht in sieben Kategorien von dem sicheren Wissen, dass es Gott gibt (stark theistisch) bis zu dem sicheren Wissen, dass es keinen Gott gibt (stark atheistisch).27 Während sich der VPA gut in die Mitte des Spektrums einordnen lässt, ist eine solche Einordnung des PPA nach Dawkins nicht möglich, da die Frage nach Gott hier als prinzipiell nicht beantwortbar gilt.28 Dennoch wird dieser Fehler nach Dawkins immer wieder begangen: „Von der Voraussetzung, dass die Frage nach der Existenz Gottes prinzipiell nicht zu beantworten ist, vollziehen wir den Sprung zu der Schlussfolgerung, seine Existenz und Nichtexistenz seien gleichermaßen wahrscheinlich.“29

Dieser Sprung ist nach Dawkins also methodisch unzulässig: „Das fliegende Spagettimonster“, „die Zahnfee“, „das unsichtbare, unberührbare, unhörbare Einhörnchen“ oder „die himmlische Teekanne“ sind für Dawkins nur einige weitere Beispiele für Phänomene, die sich weder beweisen noch widerlegen lassen. Dennoch glaubt seiner Meinung nach niemand, „…die Hypothese ihrer Existenz stehe auf der gleichen Stufe wie die Hypothese ihrer Nichtexistenz.“30 Vor diesem Hintergrund kommt Dawkins zu dem Schluss, dass es nicht entscheidend ist, ob die Gotteshypothese widerlegbar ist, sondern ob sie wahrscheinlich ist.31 Ist die Gotteshypothese für Dawkins wahrscheinlich? Zur Beantwortung dieser Frage entwickelt Dawkins einen Gedankengang, der richtig angewendet „…einem Beweis, dass Gott nicht existiert, sehr nahe…“32 kommt. Der Kern seines sog. Unwahrscheinlichkeitsargumentes ist nach Dawkins, dass die Annahme eines intelligenten Schöpfers von strukturierter Komplexität zwangsläufig die Frage nach sich zieht, wer diesen intelligenten Schöpfer geplant hat. „Strukturierte Komplexität ist mit einem gestaltenden Gott nicht zu erklären, denn jeder Gott, der etwas gestaltet, müsste so komplex sein, dass er für sich selbst wie-

26 27 28 29 30 31 32

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 71. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 72 – 73. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 74. Dawkins, Der Gotteswahn, 74. Dawkins, Der Gotteswahn, 76. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 77 – 78. Dawkins, Der Gotteswahn, 155.

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derum die gleiche Erklärung verlangt. Gott stellt einen unendlichen Regress dar und kann uns nicht helfen, daraus zu entkommen.“33

Damit ist Gott für Dawkins letztendlich die höchste Form der Boeing 747.34 Nach dem Unwahrscheinlichkeitsargument können komplizierte Dinge nicht durch Zufall entstanden sein. Gestaltung ist allerdings nicht die einzige Alternative zu Zufall, sondern mit der natürlichen Selektion, die auf dem nichtzufälligen Überleben zufälliger genetischer Variationen beruht, findet sich eine weitere. Die Theorie der natürlichen Selektion zerstört „… in der Biologie die Illusion der gezielten Gestaltung und [lehrt] uns, auch in der Physik und Kosmologie gegenüber jeder Gestaltungshypothese misstrauisch zu sein.“35 Die Annahme, die natürliche Selektion sei die Methode Gottes, seine Schöpfung zu bewerkstelligen, ist nach Dawkins überflüssig, da die natürliche Selektion auch ohne Gott funktioniert.36 Die natürliche Selektion stellt nach Dawkins eine viel bessere Alternative als schöpferische Gestaltung oder Zufall dar, weil sie als additiver Prozess das Problem der Unwahrscheinlichkeit in viele kleine Teile zergliedert (kumulative Selektion).37 Nur wenn man echte, nicht reduzierbare Komplexität tatsächlich irgendwo stichhaltig nachweisen würde, müsste die Darwinsche Evolutionstheorie überdacht werden.38 Dass dies irgendwann möglich sein sollte, hält Dawkins für sehr unwahrscheinlich. Für fehlerhaft hält Dawkins die kreationistische „Unart“, scheinbare Lücken im Fossilienbestand oder zwischen zwei Tierarten mit Gott auszufüllen.39 Dass die Evolution nicht geplant worden sein kann, lässt sich nach Dawkins auch an den aufschlussreichen Schwachpunkten erkennen, die die durch die natürliche Selektion entstandenen komplexen Organe und Organismen aufweisen. So sind diese Schwachpunkte genau das, was man erwarten sollte, wenn sie eine Entwicklungsgeschichte hinter sich haben, und dass man nicht erwarten würde, wenn sie jemand gezielt gestaltet hätte.40 Auch die Tatsache des evolutionären Wettrüstens spricht gegen Gott als Gestalter der Evolution. „Raubtiere sind wunderschön so ,gestaltet‘, dass sie Beutetiere fangen können, und die Beutetiere sind ebenso schön dazu ,gestaltet‘, ihnen davonzulaufen. Auf welcher Seite steht nun Gott?“41 Wenn „Lückentheologen“ eingesehen haben, dass sie Gott nicht innerhalb der Evolution unterbringen können, knüpfen sie ihre letzte Hoffnung nach Dawkins entweder an den Ursprung des Lebens oder an die Entstehung des Universums. 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Dawkins, Der Gotteswahn, 154. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 157. Dawkins, Der Gotteswahn, 163. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 163 – 64. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 168. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 173. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 174. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 187 – 88. Dawkins, Der Gotteswahn, 188.

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Das anthropische Prinzip besagt, dass sich der Mensch auf der Erde befindet und dass deswegen die Erde ein Planet sein muss, der den Menschen hervorbringen und am Leben erhalten konnte. Dies gilt auch, wenn die Erde damit ein sehr einzigartiger und ungewöhnlicher Planet wäre.42 Für die besondere Lebensfreundlichkeit der Erde sind nach Dawkins allerdings unterschiedliche Erklärungen möglich. Man könne einerseits so argumentieren, dass Gott die Welt so geschaffen hat, dass sie sich in einer Goldilocks-Zone43 befindet und von daher lebensfreundlich ist. Man könne andererseits aber auch argumentieren, dass die Planeten im Universum sich mehrheitlich nicht in einer Goldilocks-Zone befinden und sich deswegen nicht für die Entstehung von Leben eignen. Wie klein vor diesem Hintergrund die Minderheit der Planeten auch sein mag, auf denen die Entstehung von Leben möglich ist, wir Menschen müssen uns nach Dawkins zwangsläufig auf einem von diesen Planeten befinden, da wir existieren und über unsere Entstehung nachdenken können.44 Somit ist das anthropische Prinzip nach Dawkins wie auch die natürliche Selektion eine Alternative zur Gestaltungshypothese. Dass es sich um eine echte Alternative handele, zeige ein Blick auf die Statistik: „In unserer Galaxis gibt es nach Schätzungen zwischen einer Milliarde und 30 Milliarden Planeten, und das Universum enthält 100 Milliarden Galaxien. […] Nehmen wir nun an, die Entstehung des Lebens, das heißt die spontane Entstehung einer Entsprechung zur DNA, sei wirklich ein unglaublich unwahrscheinliches Ereignis. Angenommen, es ist so unwahrscheinlich, dass es sich nur auf einem unter einer Milliarde Planeten ereignet. […] selbst bei einer derart absurd geringen Wahrscheinlichkeit wäre immer noch auf einer Milliarde Planeten Leben entstanden – und einer davon ist natürlich die Erde.“45

Dawkins meint vor diesem Hintergrund begründet annehmen zu können, dass das notwendige Einschritts-Zufalls-Ereignis, das zur Entstehung des Lebens führte, nicht völlig unwahrscheinlich war. Wie sieht es aber mit der These der Gottesbefürworter aus, wonach wir Menschen nicht nur auf einem lebensfreundlichen Planeten, sondern in einem lebensfreundlichen Universum leben?46 Auch hier gibt es zwei nach Dawkins wieder unterschiedliche Möglichkeiten, das sog. Phänomen der Feinabstimmung zu erklären. Die theistische Alternative besage, dass Gott die physikalischen Konstanten so einrichtete, dass sie Leben ermöglichten. Jedoch ist 42 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 188 – 89. 43 Goldilocks-Zone nennt Dawkins die „lebensfreundliche“ Zone rund um einen Stern, in der es nicht zu kalt und nicht zu heiß für die Existenz von flüssigem Wasser ist. Die Goldilocks-Zone ist in der Regel schmal. Sie wird von „lebensunfreundlichen“ Zonen begrenzt, die entweder zu nahe am Stern sind, sodass alles dort Wasser verdampft oder zu weit vom Stern entfernt sind, sodass dort alles Wasser gefriert. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 189 – 90. 44 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 191. 45 Dawkins, Der Gotteswahn, 193. 46 Dawkins, Der Gotteswahn, 199.

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diese Antwort nach Dawkins unbefriedigend, weil sie die Existenz Gottes unerklärt lässt.47 Die anthropische Alternative erkläre, dass die Frage der Feinabstimmung überhaupt nur in einem Universum behandelt werden könne, das den Menschen hervorbringen konnte. Damit bedingt die menschliche Existenz nach Dawkins, dass die physikalischen Grundkonstanten innerhalb der Goldilocks-Zone liegen müssen. Dies beruhe auf der Annahme, dass das Universum auf nur eine einzige Art und Weise funktionieren könne.48 Daneben gebe es auch Physiker, die mit Hilfe von Multiversumstheorien die Unwahrscheinlichkeit der Feinabstimmung verringerten.49

47 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 201. 48 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 202 – 203. 49 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 203 – 207.

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Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen

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5. Kapitel: Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen als Grundlage für sein Evolutionsverständnis Grundsätzlich ist zu beachten, dass nach Dawkins das Bild der egoistischen Gene ein metaphorisches Bild ist, das in die Irre führen kann, wenn man die Metapher der Personifizierung nicht richtig begreift.1 Von Genen so zu sprechen, als würden sie den Körper eines Individuums steuern, damit er die Zahl zukünftiger Kopien derselben Gene steigert, ist für Dawkins immer nur eine sprachliche Vereinfachung. „Gene sind schlicht und einfach DNA-Moleküle. Man muss schon völlig verrückt sein, um zu glauben, dass ,egoistische‘ Gene wirklich eine gezielte Überlebensabsicht haben!“2 Verzichte man auf diese Vereinfachung, gelange man zu einer unmissverständlichen Version der Theorie des egoistischen Gens: Die Welt fülle sich mit Genen, die in der Vergangenheit überlebt haben. Da die Umweltbedingungen nach Dawkins tendenziell konstant bleiben, können diejenigen Gene, die in der Vergangenheit überlebt haben, zumeist auch in einer zukünftigen Welt gut überleben. Das entscheidende Kriterium des Genüberlebens sei die Fähigkeit, Körper gut zum Überleben und Fortpflanzen zu programmieren. Das Individuum werde so zum Vehikel für das Überleben der Gene.3 Im Kontext der Theorie vom egoistischen Gen werden Menschen und alle sonstigen Tiere dementsprechend als von ihren Genen geschaffene Maschinen bezeichnet. Da Gene versuchen, durch ihre Maschinen in einer Welt des intensiven Existenzkampfes zu überleben, müssen sie grundsätzlich über einen „skrupellosen Egoismus“ verfügen. Allerdings können sie ihr Überleben in bestimmten Fällen besser durch die Förderung eines „begrenzten Altruismus“ auf der Ebene des Individuums sichern.4 Altruistisch handelt dabei jeder Organismus, der „…sich so verhält, daß er das Wohlergehen eines anderen, gleichartigen Organismus auf Kosten seines eigenen Wohlergehens steigert. Egoistisches Verhalten hat genau die entgegengesetzte Wirkung.“5 Es ist dabei zu beachten, dass Dawkins’ Altruismus- und Egoismusdefinition am von außen beobachtbaren („objektiven“) Verhalten orientiert ist und Intentionen außen vor lässt. Dawkins geht es auch nicht darum, eine Ethik auf Grundlage der Evolution zu vertreten.6 Um zu verstehen, warum Gene als die entscheidende Selektionseinheit betrachtet und warum sie als egoistisch bezeichnet werden können, führt Dawkins den Replikator-Begriff ein. Dazu schlägt er den Bogen zurück bis 1 2 3 4 5 6

Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 304. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 77. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 77. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 37. Dawkins, Das egoistische Gen, 40. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 37.

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zum Ursprung des Lebens. Dieser Ursprung ist zwar spekulativ, aber fest steht, dass das Leben irgendwann entstanden ist und sich danach entwickelte. Zur Illustration der Entwicklung des Lebens wählt Dawkins das Beispiel der sog. Ursuppe.7 Irgendwann entstand in dieser Ursuppe zufällig ein besonders bemerkenswertes Molekül mit der Eigenschaft, Kopien seiner selbst produzieren zu können – der Replikator.8 Durch zahlreiche Replikationsvorgänge entstanden große Populationen von identischen Kopien. Da bei den Replikationsvorgängen nach Dawkins aber auch Fehler auftraten, weitete sich das Populationsspektrum in der Ursuppe. Unterschiedliche Populationen aus Varianten sich replizierender Moleküle, die alle von den gleichen „Vorfahren“ herstammten, bildeten sich heraus. Dabei setzten sich nach Dawkins solche Replikator-Varianten durch, die sich durch Stabilität auszeichneten, d. h. die langlebiger oder fruchtbarer oder kopiergenauer waren als ihre „Konkurrenten“.9 Da zu einem bestimmten Zeitpunkt die Ressourcen in der Ursuppe knapper wurden, entwickelte sich nach Dawkins ein „Kampf ums Dasein“, bei dem weniger erfolgreiche Replikatoren ausstarben. Gleichzeitig förderte dieser „Kampf ums Dasein“ die Entwicklung von „Überlebens-Strategien“. Diese Strategien konnten z. B. in der Bewahrung und Vervielfältigung jedes Kopierfehlers bestehen, was ein höheres Stabilitätsniveau bedeutete. Daneben war beispielsweise auch die Entwicklung eines Schutzes vor „Konkurrenten“ durch die Konstruktion einer Proteinwand eine mögliche Überlebensstrategie. Gerade diese Strategie hält Dawkins für entscheidend und geht davon aus, dass so die ersten lebenden Zellen entstanden. Das Überleben der Replikatoren war fortan abhängig von der Fähigkeit, immer aufwendigere Überlebensmaschinen zu konstruieren. Aus dieser Sicht der Lebensentwicklung erklärt sich auch Dawkins’ Bild vom Menschen10 : Denn in der Gegenwart befinden sich seiner Meinung nach die Replikatoren „…im Innern gigantischer, schwerfälliger Roboter, hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt; sie verständigen sich mit ihr auf gewundenen, indirekten Wegen, manipulieren sie durch Fernsteuerung. Sie sind in dir und in mir, sie schufen uns, Körper und Geist, und ihr Fortbestehen ist der letzte Grund unserer Existenz. Sie haben einen weiten Weg hinter sich, diese Replikatoren. Heute tragen sie den Namen Gene, und wir sind ihre Überlebensmaschinen.“11 7 Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 55. Dawkins sagt nicht, dass das Leben zwangsläufig in der Ursuppe entstanden sein muss. So gibt es eine Reihe von rivalisierenden Theorien über die Entstehung des Lebens. 8 Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 56. 9 Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 56 – 61. 10 Dawkins betont vor dem Hintergrund der scharfen Kritik an seinem Bild des Menschen, dass zwischen einem egoistischen Gen und einem egoistischen Menschen kein engerer Zusammenhang besteht als zwischen einem Stein und einer Regenwolke. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 275. 11 Dawkins, Das egoistische Gen, 63.

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Dawkins definiert mit George C. Williams den für seine Theorie zentralen Begriff Gen als „…jedes beliebige Stück Chromosomenmaterial, welches potentiell so viele Generationen überdauert, daß es als Einheit der natürlichen Auslese dienen kann.“12 Gene im Sinne Dawkins’ sind Replikatoren, deren Langlebigkeit aus einer hohen Kopiergenauigkeit und einer geringen Länge resultiert. Denn je kopiergenauer und je kürzer eine genetische Einheit ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Replikatoren im Crossingover aufgespaltet werden.13 Dawkins’ Gene sind also genetische Einheiten, die klein genug sind, um „…eine Vielzahl von Generationen zu überdauern und in Form vieler Kopien überall verbreitet zu sein.“14 Daran zeigt sich, dass Dawkins’ Gen-Definition sehr flexibel ist: auch Cistrons können als Gene fungieren, sofern sie über ausreichende Langlebigkeit verfügen. Mit Hilfe der Definition der natürlichen Selektion als „unterschiedlichem Überlebenserfolg von Gebilden“ verdeutlicht Dawkins im weiteren Verlauf ausführlich, warum allein das Gen die entscheidende Einheit der Selektion sein kann. So kann der selektive Tod von Gebilden nur dann einen Einfluss auf die Welt haben, wenn von diesen Gebilden zahlreiche Kopien existieren und zumindest einige der Gebilde potentiell in Gestalt von Kopien einen signifikanten Evolutionszeitraum überleben können. Während Gene genau diese Eigenschaften (potentielle Fast-Unsterblichkeit, Fruchtbarkeit, Kopiergenauigkeit) besitzen, haben Arten, Gruppen und Individuen diese nicht.15 Um als entscheidende Einheit der natürlichen Selektion zu fungieren, müssen Gene nach Dawkins zudem egoistisch sein: „Gene kämpfen mit ihren Allelen unmittelbar ums Dasein, da ihre Allele im Genpool Rivalen für ihren Genort auf den Chromosomen zukünftiger Generationen sind. Jedes Gen, welches sich so verhält, dass es seine eigenen Überlebenschancen im Genpool auf Kosten seiner Allele vergrößert, wird definitionsgemäß dazu neigen zu überleben. […] Das Gen ist die Grundeinheit des Eigennutzes.“16

Jedoch ist Egoismus nicht die einzige Eigenschaft, die die Langlebigkeit der Gene fördert. So existieren zwischen Genen sowie zwischen den Genen und ihrer äußeren Umwelt komplexe Wechselbeziehungen. Während das Allel der Erzrivale eines Genes ist, sind andere Gene lediglich Teil seiner Umwelt, beeinflussen seine Wirkung und arbeiten mit ihm bei Aufgaben, wie z. B. dem Wachsenlassen eines Beines und nicht etwa eines Tentakels, zusammen.

12 13 14 15 16

Dawkins, Das egoistische Gen, 75. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 75 – 76. Dawkins, Das egoistische Gen, 81. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 82 – 83. Dawkins, Das egoistische Gen, 87.

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„Ein Gen, das mit den meisten anderen Genen, die es in aufeinanderfolgenden Körpern wahrscheinlich treffen wird, das heißt mit anderen Genen im Genpool, gut zusammenarbeitet, wird gewöhnlich im Vorteil sein.“17

Dass Individuen, Arten oder Gruppen nicht als Einheit der natürlichen Selektion betrachtet werden können, liegt nach Dawkins vor allem an ihrer Vergänglichkeit. So ist das Individuum für Dawkins lediglich „…eine von einem kurzlebigen Verband langlebiger Gene gebaute Überlebensmaschine…“18 und eine vorübergehende Genkombination. Unmittelbare Äußerungen der natürlichen Selektion zeigen sich nach Dawkins fast immer auf der Ebene des Individuums. Demgegenüber manifestieren sich die langfristigen Konsequenzen des nicht-zufälligen Todes und Fortpflanzungserfolgs des Individuums nach Dawkins in Form von sich ändernden Genhäufigkeiten im Genpool. Evolution ist vor diesem Hintergrund ein Vorgang, durch den einige Gene im Genpool zahlreicher, andere seltener werden. Dawkins klärt auch die Frage, in welchem Sinne die Gene das Verhalten ihrer Überlebensmaschinen steuern. Grundsätzlich scheinen diese das „Ziel“ zu haben, die Zahl ihrer Gene in zukünftigen Generationen zu erhöhen.19 Hierbei verhalten sie sich so, als ob sie einen bewussten Zweck, d. i. die Erhöhung der eigenen Gene in zukünftigen Generationen, verfolgen. Dawkins lässt offen, ob die Überlebensmaschinen lediglich so tun, als ob sie das Ziel verfolgen, oder ob sie sich tatsächlich bewusst verhalten.20 Um diesen Punkt zu verdeutlichen, beleuchtet Dawkins den Trugschluss, Computer seien nicht in der Lage, wirklich Schach zu spielen, weil sie nur das könnten, was ein Programmierer ihnen sage. Demgegenüber vergleicht Dawkins die Rolle eines Programmierers mit der eines Vaters, der seiner Tochter das Schachspielen beibringt.21 Hierbei werden nur die wesentlichen Regeln vermittelt, nicht jede mögliche Variante des Spiels. Sobald Tochter oder Computer selbst spielten, seien sie sich selbst überlassen. Der Programmierer muss den Computer nach Dawkins also vorher mit einem guten Programm versorgen, das sowohl spezifische Kenntnisse als auch Ratschläge bezüglich Taktik und Strategie beinhaltet. „Auch die Gene steuern das Verhalten ihrer Überlebensmaschinen nicht unmittelbar mit den Fingern an der Marionettenschnur, sondern mittelbar wie der Programmierer des Computers. Sie können nicht mehr tun, als die Überlebensmaschine gut auszustatten; dann ist sie sich selbst überlassen, und die Gene können sich in ihr lediglich passiv verhalten.“22

17 18 19 20 21 22

Dawkins, Das egoistische Gen, 91. Dawkins, Das egoistische Gen, 98. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 103. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 108. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 110. Dawkins, Das egoistische Gen, 112.

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Unmittelbar können Gene aus Gründen der Zeitverzögerung das Verhalten ihrer Überlebensmaschinen also nicht direkt oder unmittelbar kontrollieren. So verfügen sie nur über sehr langsame Steuerungsmechanismen (Eiweiß-Synthese), wohingegen es beim Verhalten um Bruchteile von Sekunden geht. Gene haben deswegen die Aufgabe, ein Gehirn im Voraus „…so zu programmieren, daß es im Durchschnitt Entscheidungen trifft, die sich auszahlen.“23 Das Problem, dass sie Voraussagen für eine ziemlich unvorhersehbare Umwelt treffen müssen, können Gene dadurch lösen, dass sie bei ihren Überlebensmaschinen Lernfähigkeit oder Simulationsfähigkeit einbauen. Nach Dawkins hat die Evolution der Fähigkeit zur Simulation ihren Höhepunkt erreicht, als sich das subjektive Bewusstsein des Menschen herausbildete. Mittelbar unterliegt das Verhalten der Überlebensmaschinen der Kontrolle der Gene, weil sie diktieren, wie die Konstruktion der Überlebensmaschinen und deren Nervensysteme erfolgt und so die Taktik vorgeben. Dadurch, dass das Gehirn einen immer höheren Entwicklungsstand erreichte, setzte nach Dawkins zugleich ein Trend zur Emanzipation der Überlebensmaschinen ein. Diese Emanzipation verlieh dem menschlichen Gehirn die Möglichkeit, gegen die Macht der Gene zu rebellieren – beispielsweise durch Empfängnisverhütung.24 Wenn man die phänotypische Äußerung eines Gens nicht physiologisch definiert, sondern als die Macht für seine eigene Bewahrung, die es über seine Umgebung ausübt, gelangt man nach Dawkins auch zu einer erweiterten Vorstellung des Begriffs Phänotyp. Alle Replikatoren, so auch Gene, manipulieren ihre Umwelt zu ihrem eigenen Vorteil. Da Gene im Kontext des erweiterten Phänotyps auch andere Organismen manipulieren, können diese nicht mehr von vornherein als Maximierer ihrer inklusiven Fitness oder als Interessenvertreter ihrer eigenen Gene interpretiert werden.25 Als Verdeutlichung der Idee vom erweiterten Phänotyp kann nach Dawkins das Beispiel der Köcherfliegenlarve dienen. Diese bilden ihren Köcher aus vom Flussgrund aufgesammelten Steinen oder Zweigen, wobei die Köcherform vom Verhalten der Larve bestimmt wird. Postuliert man nun eine genetische Basis des gezeigten Verhaltens, kann man ohne weiteres die von der Proteinsynthese ausgehende Kette des Geneinflusses über die Grenze des individuellen Organismus ausdehnen.26 In diesem Fall ist u. a. die beim Bauen gewählte Steinform ein erweiterter phänotypischer Effekt der Köcherfliegengene. Die erweiterten phänotypischen Effekte von Genen können sich also auf Objekte außerhalb des eigenen Körpers beziehen, die entweder unbelebt oder lebendig (andere Organismen) sind.27 Ein postulierter phänotypischer Effekt – z. B. blaue Augen – ist dabei allerdings nie eine isolierte Wirkung eines einzelnen Gens, sondern 23 24 25 26 27

Dawkins, Das egoistische Gen, 116 – 17. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 118 – 123. Vgl. Dawkins, Replicator Selection, 70. Vgl. Dawkins, Replicator Selection, 71. Dawkins, Replicator Selection, 72.

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immer eine Aussage über die Beziehung zwischen einem Paar von Genen (G 1, G 2) und einem Paar von unterscheidbaren Phänotypen (P 1, P 2) in einer Umwelt, die in nicht systematischer Weise entweder konstant oder variabel ist. Somit werden nicht Phänotypen durch Gene verursacht, sondern nur phänotypische Unterschiede durch genetische.28 In diesem Kontext ist die natürliche Selektion der Prozess, in dem einige Gene mit Hilfe ihrer unterschiedlichen phänotypischen Effekte ihre Allele überflügeln.29 Für Dawkins zeigt sich am Beispiel des Biberdamms, dass die erweiterten phänotypischen Effekte von Genen auch über große Distanzen hinweg wirksam sein können.30 Dawkins kennt ebenso erweiterte Phänotypen, die gemeinsam von Genen manipuliert werden, die in entfernt verwandten Individuen oder sogar in Individuen unterschiedlicher Spezies sitzen.31 Diese Manipulationen müssen nicht kooperativ erfolgen, wie das Beispiel von parasitären Saugwürmern und ihren Schnecken-Wirten zeigt. Der Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Parasiten-Gene bestimmte phänotypische Äußerungen hervorrufen können, die den Körper oder das Verhalten ihres Wirtes betreffen. Für Schnecken sind mitteldicke Schalen optimal, da sie einerseits genügend Schutz vor Feinden bieten, andererseits nicht zu viele Ressourcen in den Schalenbau investiert werden müssen, die dann nicht mehr für die Reproduktion verwendet werden können.32 Schnecken, die von parasitären Saugwürmern befallen sind, haben dickere Schalen als nicht befallene Schnecken. Dass Schneckengene für die Verdickung verantwortlich sind, ist nicht sehr wahrscheinlich, da diese den Überlebenserfolg aller Gene im Schneckenkörper negativ beeinflussen und man davon ausgehen kann, dass Gene mit solchen phänotypischen Wirkungen nicht im Genpool prosperieren. Wahrscheinlicher ist es nach Dawkins, dass die Saugwurmgene die Bildung einer dickeren Schale hervorrufen.33 Hierbei kommt ein zweites Optimum ins Spiel: Für die Saugwurmgene ist eine sehr dicke Schale optimal, da sie nicht an der Reproduktion, sondern an der Langlebigkeit ihres Wirts interessiert sind. Deswegen kann der Schneckenphänotyp als geteilter Phänotyp verstanden werden, der sowohl durch Schneckengene als auch durch Saugwurmgene beeinflusst wird. Die zwei Optima im Hinblick auf die Schalendicke, das relativ dicke Saugwurmoptimum und das dünnere Schneckenoptimum stehen sich gegenüber. Als Resultat weisen die Schnecken eine verdickte Schale auf, die zwar dicker als das Schneckenoptimum, aber dünner als das Saugwurmoptimum ist.34 Falsch verstanden wäre das Schneckenbeispiel nach Dawkins, wenn man sich rivalisierende Unionen von Schneckengenen und Saugwurmgenen vorstellt, die 28 29 30 31 32 33 34

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 195. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 196. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 200. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 208. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 210. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 211. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 210 – 13.

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Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen

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um eine optimale Schalendicke „kämpfen“. So kämpft jedes Gen immer nur gegen seine Allele, die den gleichen Locus beanspruchen. Theoretisch könnte sich also ein Saugwurmgen im Kampf gegen seine Allele sowohl mit andern Saugwurmgenen als auch mit Schneckengenen verbinden. Dass in der Praxis ein Schneckengen eher mit anderen Schneckengenen zusammenarbeitet und ein Saugwurmgen eher mit anderen Saugwurmgenen, liegt an der unterschiedlichen Reproduktionspraxis von Schnecken- und Saugwurmgenen und damit an ihrem unterschiedlichen Weg in die Zukunft. Wo Gene sich einen Weg in die Zukunft teilen, z. B. den Weg über die sexuelle Reproduktion, sind nach Dawkins eher Kooperationen und Symbiose als Konflikte zu erwarten.35

35 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 224 – 25.

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6. Kapitel: Dawkins’ Verständnis der Evolution In der Evolution wirken für Dawkins spezifische Gesetzmäßigkeiten. Dass dies so ist, liegt an dem universalen Prinzip des Darwinismus, d. h. an der großen einheitlichen Theorie, die Biologen – in verschiedenen Variationen und Interpretationen – akzeptieren.1

1. Warum ist die Evolutionstheorie eine „Tatsache“? Um zu begründen, in welchem Sinne die Evolutions-Theorie eine Tatsache ist, führt Dawkins die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Hypothese“ und „Theorum“ ein. Ein Theorum ist eine Theorie, die auf Grundlage von Beobachtungen oder Experimenten aufgestellt oder bestätigt und als Erklärung für eine Gruppe von Tatsachen vorgeschlagen oder akzeptiert wurde. Es ist zugleich eine Aussage darüber, was die generellen Gesetze, Prinzipien oder Ursachen von etwas Bekanntem oder Beobachtetem sind. Ein wissenschaftliches Theorum kann zwar nicht in der gleichen Weise bewiesen werden wie ein mathematisches Theorem, wird aber vom Common Sense im gleichen Sinn als eine Tatsache behandelt wie die Aussage „Die Erde ist eine Kugel, keine Scheibe“.2 Dagegen bezeichnet der Hypothese-Begriff eine individuelle Ansicht, die noch der Bestätigung (bzw. Falsifikation) bedarf.3 Den Begriff Tatsache definiert Dawkins als etwas, das sich wirklich ereignet hat bzw. als eine spezifische Wahrheit, die durch aktuelle Beobachtung oder authentisches Zeugnis belegt ist und sich dadurch von bloßen Schlussfolgerungen unterscheidet. Da allerdings die Erfahrung zeige, dass Beobachtungen und Zeugnisse fehlbar sind, besitze eine Tatsache nicht den rigorosen Status eines bewiesenen mathematischen Theorems, das unausweichlich aus einem Satz von Axiomen folge.4 Darüber hinaus seien Beobachtungen und Zeugnisse nicht zwangsläufig reliabler als indirekte Schlussfolgerungen.5 Jedes wissenschaftliche Theorum beginnt nach Dawkins als Hypothese und durchläuft einen schrittweisen Prozess, bis es den Status eines Theorums erreicht hat. Diesen Prozess hat die Darwin’sche Evolutionstheorie bereits durchlaufen.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 14. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 13. Vgl. Dawkins, The Greatest Shnichtsow, 10 – 11. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 14. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 15. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 17.

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2. Warum ist die Evolution ein wertneutraler Prozess? Evolution ist nach Dawkins deswegen ein wertneutraler Prozess, weil es im Kontext der natürlichen Selektion nicht um die Perfektionierung oder Optimierung von Lebewesen geht. So erzeuge die natürliche Selektion Langlebigkeit nicht um ihrer selbst willen, sondern versuche Langlebigkeit zu gewährleisten, damit Reproduktion möglich sei.7 Solange DNA weitergegeben werde, sei es demnach egal, wer oder was in diesem Prozess verletzt werde.8 Die Natur ist nach Dawkins weder freundlich noch unfreundlich. Sie sei weder für noch gegen das Leid, es sei denn, es beeinflusse das Überleben von DNA. In einer Zurückweisung der Relevanz des Theodizee-Problems merkt Dawkins an, dass sinnlose Tragödien und Busunglücke ebenso wie unwahrscheinliche Glücksfälle genau das sind, was man erwarten sollte, wenn das Universum nur aus Elektronen und egoistischen Genen besteht. In einem Universum von blinden physikalischen Kräften und genetischer Replikation werden einige Leute nach Dawkins verletzt werden, andere Leute werden Glück haben und man wird darin keinen Rhythmus, keinen Grund und keine Gerechtigkeit finden. Das Universum, das wir beobachten, sei dasselbe, das wir erwarten müssen, wenn es kein intelligentes Design, keine Planung, keinen Zweck, keine Absicht, kein Böse und Gut gäbe, sondern nur blinde, mitleidslose Gleichgültigkeit und Indifferenz: „DNA neither knows nor cares. DNA just is. And we dance to its music.“9

3. Die Rolle des Fortschritts in der Evolution Dawkins hält es für berechtigt, in der Evolution von „Fortschritt“ zu sprechen, da vor allem der additive Aufbau komplexer Anpassungen (z. B. Auge) nach Dawkins auf eine Art Fortschritt schließen lässt. Dabei kann Fortschritt nach Dawkins einerseits in einem minimalistischen Sinne definiert werden und bedeutet dann die vorhersagbare Fortsetzung von vergangenen Entwicklungen in die Zukunft. Andererseits gebe es auch wertende Fortschrittsdefinitionen, bei denen als „fortschrittlich“ solche politischen oder gesellschaftlichen Angelegenheiten definiert würden, die man selbst für wünschenswert halte.10 Die Evolution ist nun für Dawkins nicht nur in einem wertneutralen Sinne fortschrittlich: „Es gibt [in der Evolution, K.P.] Episoden des Fortschritts, die zumindest nach manchen völlig plausiblen Wertesystemen mit 7 8 9 10

Dawkins, River Out of Eden, 148. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 153. Dawkins, River Out of Eden, 155. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 834 – 35.

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Werten beladen sind.“11 Hierzu zählt seiner Meinung nach z. B. der Rüstungswettlauf zwischen Räuber und Beute. Allerdings stellen die Verbesserungen, die man im Rüstungswettlauf der Tiere erkennt, nach Dawkins nur eine Verbesserung der Ausrüstung zum Überleben dar, nicht aber generell eine Verbesserung des Überlebens selbst.12

4. Die Rolle des Zufalls in der Evolution Die Stereotypisierung der Evolution als Zufall13 findet sich nach Dawkins sehr oft im theologischen, aber auch im naturwissenschaftlichen Kontext. Im Hinblick auf die Symbiose von Wespen und Ziegen-Feigenbäumen betonte beispielsweise ein Chemiker, dass dies alles einen genauen Zeitplan erforderte „…und das heißt, daß es von Gott gelenkt wird… Zu glauben, dieser ganze exakte Ablauf sei ein Zufall der Evolution, ist absurd.“14 Auch für Dawkins ist es absurd zu glauben, dass die Entstehung der Smyrnafeige ein Zufall der Evolution ist: So liegt es „…sonnenklar, eindeutig und unmissverständlich auf der Hand, daß der Darwinismus, wäre er wirklich eine Theorie des Zufalls, nicht funktionieren könnte […] Die astronomische Unwahrscheinlichkeit der Augen und Knie, Enzyme und Ellenbogengelenke, sowie alle anderen Wunder des Lebendigen ist genau die Frage, die jede Theorie des Lebens beantworten muß, und nur der Darwinismus beantwortet sie tatsächlich.“15

Abgesehen von einer fehlerhaften Bestimmung der Evolution als Zufall, macht die Aussage „Wenn es nicht Evolution gewesen sein kann, war es Gott gewesen“ nach Dawkins eine falsche Alternative auf. Denn ein Gott, der als Gestalter auftreten könnte, müsste intelligent und komplex sein, um komplexe Objekte erzeugen zu können. Komplex zu sein ist nun aber eine unwahrscheinliche Eigenschaft, die nach Dawkins einer Erklärung bedarf. Wenn Gott also fähig sein soll, die Welt zu gestalten und all die anderen göttlichen Dinge zu tun, dann aber brauchen wir auch eine Erklärung für ihn. Eine solche befriedigende Erklärung für Gott wurde nach Dawkins bisher aber nicht geliefert.16 Dass der Darwinismus häufig als Theorie des Zufalls missverstanden wird, könnte nach Dawkins auch damit zusammenhängen, dass Mutationen eine 11 Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 837. 12 Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 839. 13 Die Vorstellung, dass der Darwinismus. eine Theorie des Zufalls ist, impliziert nach Dawkins die Vorstellung, dass für einzelne Ereignisse in der Evolution oder das Zusammentreffen von mehreren Evolutionsereignissen keine kausale Erklärung möglich ist. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 365. 14 Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 87. 15 Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 89. 16 Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 89 – 90.

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wichtige Rolle im Evolutionsprozess einnehmen.17 Allerdings sind Mutationen in mehrfacher Hinsicht gerade nicht zufällig, weil sie beispielsweise spezifische physikalische Ursachen wie z. B. Röntgenstrahlen haben. Mutationen treten zudem nicht nur in manchen Genen häufiger auf als in anderen, sondern es gibt auch sog. Hotspots auf den Chromosomen, in denen verstärkt Mutationen auftreten. Nichtsdestoweniger sind Mutationen nach Dawkins auch zufällig, sofern man unter zufällig solche Vorgänge versteht, die nicht zielgerichtet sind und denen keine allgemeine Tendenz in Richtung auf Verbesserung innewohnt18. Zwar könnte man sich theoretisch vorstellen, dass sich Mutationen bevorzugt in Richtung von Verbesserungen ereignen, aber diese Art von Nichtzufälligkeit hat nach Dawkins mit ziemlicher Sicherheit keine reale Grundlage.19 Das Auftreten von antizipierenden Mutationen würde die Darwinistische Theorie aber auch nicht gefährden. „Die Selektion wirkt immer, ob die Mutation nun gerichtet verläuft oder nicht. Wenn wir betonen, daß Mutationen zufällig sein können, lenken wir damit die Aufmerksamkeit nur auf die entscheidende Tatsache, daß Selektion ihrem Wesen nach überhaupt nicht zufällig ist.“20

In der Praxis ist demnach die nichtzufällige Selektion völlig ausreichend, da sie zufällige Mutationen zulässt. Während die natürliche Selektion als nichtzufällige Kraft in Richtung Verbesserung drängt, müssen Mutationen dies nicht tun: „Jede Verbesserung ist also zunächst einmal vom Glück bestimmt, und deshalb halten viele Menschen den Darwinismus fälschlicherweise für eine Theorie des Zufalls.“21

5. Die Evolutionstheorie als notwendiger Erklärungsfaktor Dawkins lehnt alle vermeintlichen Alternativen des Darwinismus (Lamarckismus, Neutralismus/Mutationismus und Kreationismus) ab, da sie sich entweder als falsch erweisen oder sich in die neodarwinistische Synthese integrieren lassen. Seine Grundthese lautet dabei, dass allein die Darwin’sche Evolutionstheorie die Entstehung des Lebens und das Auftreten adaptiver Komplexität angemessen erklären kann. Auch wenn nach Dawkins die im Kontext des Lamarckismus zentrale Vererbung von erworbenen Eigenschaften theoretisch möglich ist, hält er dies für sehr unwahrscheinlich. So müsste hierzu das erfolgreichste Prinzip der Embryonalentwicklung umgestürzt werden, wonach Gene ähnlich wie die An17 18 19 20 21

Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 92. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 353. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 93 – 94. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 93. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 99.

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weisungen in einem Rezept als Satz von Instruktionen zum Bau eines Körpers fungieren. Zudem sei der Lamarckismus unfähig, komplexe Adaptationen zu erklären.22 Der Neutralismus betont, dass ein Großteil der evolutionären Veränderungen neutral ist, d. h. de facto zufällig und nicht durch natürliche Selektion bedingt. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob der Neutralismus eine Alternative zur Erklärung der adaptiven Evolution sein kann. Nach Dawkins ist das gerade nicht der Fall, weil sich adaptive Anpassungen nur durch das Prinzip der kumulativen Selektion erklären lassen. Denn wenn man sich auf der Ebene von Armen oder Flügeln bewegt, sind neutrale Mutationen gar keine Mutationen. So wird auch ein Kuchen gleich schmecken, egal ob die Worte im Rezept kursiv oder fett gedruckt sind. Neutrale Evolution kann nicht zu adaptiver Verbesserung führen, weil sie per definitionem beliebig ist, wohingegen adaptive Verbesserung per definitionem nicht beliebig ist.23 Die als Mutationismus bezeichnete Vorstellung, dass Artenentstehung durch einzelne Mutationsereignisse hervorgerufen wird und dass allein Mutationen ohne Selektion die treibende Evolutionskraft sind, ist nach Dawkins abzulehnen. Es bleibe nämlich die Frage, in welcher Weise Mutationen in der Evolution zum Besseren tendieren sollten. Für Mutationisten sind Mutationen nicht zufällig, da sie glauben, der Körper besäße eine eingebaute Tendenz, sich eher in Richtung Verbesserung zu verändern als sich zu verschlechtern. Woher der Körper wissen soll, welche Veränderungen sich für ihn zukünftig auszahlen, lassen die Mutationisten aber offen.24 Demgegenüber betont Dawkins, dass im Kontext der neodarwinistischen Synthese Mutationen zufällig sind, insofern ihnen „keine allgemeine Tendenz in Richtung auf körperliche Verbesserung innewohnt“25. Zugleich seien Mutationen aber auch nichtzufällig, da sie „…nur existierenden Vorgängen der Embryonalentwicklung Veränderungen aufdrücken können“26. Nichtzufällig sind Mutationen auch, weil sie von physikalischen Ereignissen wie z. B. Röntgenstrahlen verursacht werden und weil verschiedene Gene verschiedene Mutationsraten aufweisen.27 Die Theorie, dass Leben von einem bewussten Baumeister geschaffen wurde bzw. dass die Evolution von einem überlegenen Geist geplant wurde oder gelenkt wird, ist nach Dawkins ebenfalls falsch. Während die Vorstellung einer unmittelbaren Schöpfung von modernen Theologen nicht mehr vertreten werde, bedeutete die kreationistische Vorstellung einer gelenkten Evolution das „Einschmuggeln“ Gottes durch die Hintertür.28 In diesem Kontext hat Gott die Überwacherrolle in der Evolutionsge22 23 24 25 26 27 28

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 347. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 347 – 49. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 350 – 51. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 350 – 51. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 358. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 350 – 58. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 69.

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schichte inne und beeinflusst diese an entscheidenden Stellen bzw. greift in die Prozesse ein, die den evolutionären Wandel bedingen. Dawkins betont, dass er solche Überzeugungen nicht als falsch erweisen kann. Dies sei besonders dann der Fall, wenn Kreationisten annähmen, dass Gottes Eingriffe genau das produzierten, was im Prozess der Evolution durch natürliche Auslese ohnehin zu erwarten gewesen wäre.29 Im Falle einer Anerkennung des Evolutionsprozesses seitens der Kreationisten, wird nach Dawkins die Möglichkeit von evolutionären Zwischenstufen abgelehnt.30 Dawkins spricht sich demgegenüber für evolutionäre Zwischenstufen und gegen die Vorstellung aus, dass komplizierte Vorrichtungen perfekt sein müssen, um zu funktionieren. Dies gelte beispielsweise für Mimikry-Phänomene. Denn wie gut auch immer die Augen eines Räubers sein mögen, es gibt immer Konditionen, die für das Sehen nicht optimal sind und unter denen auch ein nicht-perfektes Mimikry das Überleben sichert.31 Auch ein halbes Auge kann nützlich sein, wenn es ein Kontinuum von Aufgaben gibt, für die ein Auge benutzt wird. Je schlechter ein Auge ist, desto weniger Aufgaben kann es erfüllen, aber es ist nicht vollkommen nutzlos.32 Darüber hinaus hatte die Evolution genug Zeit, um aus bloßer Materie komplizierte Organismen zu erzeugen. Die Zeit beispielsweise, die für die Evolution des Auges benötigt wird, ist nach Dawkins nur ein geologischer Augenblick.33

6. Die Entstehung und Entwicklung des Lebens im Kontext der Evolution Wenn alle Lebewesen UPVA-Roboter34 sind, stellt sich für Dawkins die Frage, wie das Leben überhaupt entstehen konnte.35 Die Annahme, dass die Entstehung des Lebens durch eine immaterielle Substanz oder durch einen Schöpfer gewährleistet wurde, weist Dawkins – wie oben gezeigt – zurück. Vielmehr ist für Dawkins das Leben aus toter Materie entstanden. Die Hauptbedingung für diese Entstehung war eine Eigenschaft – die Eigenschaft zur Selbstreplikation. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Entstehung von Leben aus toter Materie möglich war, ist für Dawkins die Tatsache, dass der genetische Code digital aufgebaut ist: „…this digital revolution at the very core of life has dealt the 29 30 31 32 33 34

Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 363. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 69. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 85. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 89 – 90. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 97. Ein UPVA-Roboter ist nach Dawkins ein Roboter, der mit einem „umfassenden Programm für die Vervielfältigung von Anweisungen“ (kurz UPVA) ausgestattet ist. Lebewesen sind für Dawkins UPVA-Roboter, weil sie durch die Embryonalentwicklung zusammengefügt wurden. Jene Embryonalentwicklung wurde wiederum von Genen gesteuert, die durch den Prozess der natürlichen Selektion entstanden sind. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 305, 309. 35 Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 311.

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final, killing blow to vitalism -the belief that living material is deeply distinct from nonliving material.“36 Der Vorteil von digitalen (nicht von analogen) Informationen besteht darin, dass sie sehr kopiergenau, jedoch genügend anfällig für zufällige Fehler sind, um Varianz zu ermöglichen.37 Dieser Vorteil spielt auch für Dawkins’ ReplikatorIdee eine wichtige Rolle.38 Der erste Replikator nimmt in Dawkins Konzept vom Ursprung des Lebens eine Sonderstellung ein, da er aus sich selbst heraus (ab initio) nur mit Hilfe der normalen Gesetze der Chemie funktionierte. Ihm stand nichts zur Verfügung, was erst durch Evolution, Bildung oder Konstruktion noch entstehen musste.39 Nach der zufälligen Entstehung des ersten sich selbstverdoppelnden, sehr einfachen Gebildes, das einerseits kopiergetreu, andererseits auch für Fehler anfällig war und somit Varianz ermöglichte, konnte die Evolution Dawkins zufolge schnell fortschreiten.40 So gab es ab dem Zeitpunkt, an dem selbst replizierende Chemikalien auftraten, nach Dawkins eine automatische Tendenz zur Häufigkeitssteigerung von erfolgreichen ReplikatorVarianten auf Kosten von weniger erfolgreichen Varianten. Eine rudimentäre Form der natürlichen Selektion habe unter den Replikatoren eingesetzt.41 Nach der Entstehung der ersten Replikationsapparate sei also das Einsetzen der kumulativen Selektion und die Herausbildung komplizierter Organismen so gut wie unvermeidlich gewesen.42 Diese Annahme verbindet Dawkins mit der Idee, dass überall im Universum die gleichen Kriterien für die Entstehung von Leben gelten. Er arbeitet zur Illustration dieses Gedankens verschiedene grundsätzliche Schwellen heraus, die seiner Meinung nach bei der Entwicklung des Lebens und der Herausbildung komplexer Organismen auf jedem geeigneten Planeten im Universum überwunden werden müssen.43 Dass der erste Schritt des Lebens durch ein Ein-Schritt-Zufalls-Ereignis beginnen musste, ist nach Dawkins auf den ersten Blick problematisch, da heutige Replikationsvorgänge (z. B. DNS) sehr kompliziert ablaufen, die einzige bekannte Art und Weise Kompliziertes zu erzeugen, aber die kumulative Selektion ist.44 Dieses Paradoxon werde theologischerseits bisweilen als der entscheidende Makel der Theorie des blinden Uhrmachers und als Beweis für einen planenden Schöpfergott gesehen, der die erste Maschinerie der Selbstreplikation schuf und so die Evolution erst ermöglichte. Dawkins weist diese Interpretation zurück, da der Ursprung des 36 37 38 39 40 41 42

Dawkins, River Out of Eden, 20. Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 22. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 314. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 785. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 314. Dawkins, River Out of Eden, 186. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 171. Aufgrund dieser quasi Unvermeidlichkeit ist die kumulative Selektion. für Dawkins eine Antithese von Zufall. 43 Dazu zählen nach Dawkins z. B. die „Replikator-Schwelle“, die „Viele-Zellen-Schwelle“ oder die „Bewusstseinsschwelle. Vgl. Dawkins, River out of Eden, 176 – 86. 44 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 165.

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organisierte Komplexität schaffenden komplexen Baumeisters ungeklärt bleibt. Die Aussage „Gott war immer da“ sei eine Ausflucht, da genauso gut behauptet werden könne „DNS als Maschinerie zur Replikation war immer da“.45 Die Frage, wie komplizierte Replikationsapparate auftreten konnten, ohne dass bereits eine kumulative Selektion eingesetzt hatte, beantwortet Dawkins mit der Theorie des Hyperzyklus. Dieser basiert auf der Idee, dass die codierte Information in Untereinheiten zerlegt wird, die so klein sind, dass sie unterhalb der Schwelle für eine Fehlerkatastrophe liegen.46 Damit ist jede Untereinheit ein selbstständiger Replikator, die bei wichtigen größeren Funktionen aber zusammenwirken. Dadurch fallen sie nicht der Fehlerquote zum Opfer, wie das der Fall wäre, wenn die Funktion von einer einzigen großen Substanz katalysiert würde. Zudem gedeihe jede Untereinheit in Gegenwart der anderen: „Die Produktion jeder Untereinheit wird durch eine andere katalysiert, so dass sich ein Kreislauf von Abhängigkeiten – ein ,Hyperzyklus‘ – ergibt. Damit wird automatisch verhindert, dass ein Element allen anderen vorauseilt. Es ist dazu nicht in der Lage, weil es auf seinen Vorgänger im Hyperzyklus angewiesen ist.“47

Die Rolle des Katalysators am Beginn der Entwicklung des Lebens übernahm nach Dawkins höchstwahrscheinlich die RNA.48 Eine weitere Strategie, das oben skizzierte Paradoxon aufzulösen, liegt nach Dawkins in der Beantwortung der Frage, wie viel Glücksfall bei der Entstehung des Lebens vorausgesetzt werden darf. Dawkins’ Antwort lautet, dass es ein gewisses festes Quantum an Glückszufall gibt, das in einer Theorie über die Entstehung des Lebens vorausgesetzt werden kann. Die Obergrenze dieses Quantums ist die Zahl der Planeten, die im Universum als Träger von Leben in Frage kommen.49 Jedoch ist Dawkins davon überzeugt, dass zur Erklärung des Lebens nur ein kleiner Bruchteil dieses Quantums nötig ist. Mit der Theorie der organischen Ursuppe und der Theorie vom anorganischen Mineral (Graham CarinsSmith) bringt Dawkins dann zwei relativ wahrscheinliche Wege vor, wie die kumulative Selektion begonnen haben könnte.50 Zwar handelt es sich hierbei nur um Spekulationen, aber das Fehlen einer allgemeingültig akzeptierten Darstellung der Entstehung des Lebens ist nach Dawkins kein Hindernis für die Darwin’sche Weltsicht.51

45 46 47 48 49 50 51

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 166. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 800. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 801. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 801 – 808. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 166 – 171. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrnichtsmacher, 173. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 196.

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7. Die natürliche Selektion als entscheidende Triebkraft der Evolution Dawkins bezeichnet die natürliche Selektion als eine der wichtigsten Triebkräfte der Evolution, weil sie als einzige Triebkraft die adaptive Evolution erklären könne.52 Die Macht der natürlichen Auslese als schöpferische Kraft ist daran erkennbar, dass viele Beispiele existieren, bei denen unabhängige Entwicklungslinien zu ähnlichen Endpunkten geführt haben (Konvergente Evolution). Dies ist beispielsweise bei der Echoortung der Fledermäuse der Fall, die sich auch bei zwei getrennten Vogelgruppen sowie bei Delphinen, Zahn- und Pottwalen entwickelt hat.53 Dawkins wendet sich auch gegen die These, dass die natürliche Auslese nur eine zerstörende, keine aufbauende Kraft ist. Seiner Meinung nach kann die natürliche Selektion auf zwei verschiedenen Wegen (koadaptierte Genotypen; evolutionäres Wettrüsten) konstruktiv wirksam sein. Das Phänomen der koadaptierten Genotypen betrifft die Kooperation zwischen Genen innerhalb von Arten. Grundsätzlich müssen Gene als egoistische Einheiten betrachtet werden, die sich für ihre eigene Verbreitung im Art-Genpool einsetzen. Da ihre Umwelt aber so stark von anderen Genen geprägt ist, die im selben Genpool selektiert werden, haben die Gene einen Vorteil, die erfolgreich mit den übrigen Genen im Genpool kooperieren. Diese Kooperation ist auch der Grund dafür, warum mehrzellige Körper existieren und nicht nur einzelne Replikatoren.54 „Körper entwickeln eine integrierte und kohärente Zweckmäßigkeit, weil Gene in einer Umwelt selektiert werden, die aus anderen Genen innerhalb derselben Art besteht.“55 Evolutionäres Wettrüsten entsteht, weil Gene auch in einer Umwelt selektiert werden, die aus anderen Genen in verschiedenen Arten zusammengesetzt sind. Dieses Wettrüsten ist eine treibende Kraft, die die Evolution in Richtungen lenkt, die für uns den Anschein progressiver, komplexer Entwürfe haben. Ein innewohnendes Element des Wettrüstens ist Instabilität bzw. Unaufhaltsamkeit. „Es veranlaßt beide Seiten, in die Zukunft zu preschen, und zwar auf eine Weise, die in gewissem Sinne nutzlos und umsonst, in einem anderen Sinne progressiv ist und für uns als Beobachter unendlich faszinierend.“56

52 53 54 55 56

Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 18. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 116. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 225. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 225 – 26. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 226.

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8. Wie funktioniert die natürliche Selektion? Abgesehen von der Tatsache, dass nicht der Mensch, sondern die Natur die auswählende Instanz darstellt, läuft der Prozess der natürlichen Selektion nach Dawkins genauso ab wie der der künstlichen Selektion. Zu beachten ist nach Dawkins, dass Züchter nicht den Körper, sondern den Genpool ihrer Zuchtobjekte verändern. Die Gene im Genpool werden im Laufe der Generationen durch den durch sexuelle Reproduktion hervorgerufenen Übergang von einem Körper zum nächsten gemischt, aber sie vermischen sich niemals gegenseitig. Evolution bedeutet in diesem Kontext die systematische Zu- oder Abnahme der Häufigkeit eines Gens im Genpool. Mutationen führen nach Dawkins zu zufälligen Veränderungen von Genen, die das Ausgangsmaterial für eine Evolution durch nichtzufällige Selektion darstellen.57 Als künstlicher Selektionsagent wähle ein Mensch z. B. eine attraktive rote Rose zur Zucht aus und bewahre dadurch die Gene, die die gewünschten Eigenschaften der Rose hervorrufen. Pfauenhennen wählen nach Dawkins analog dazu im Kontext der sexuellen Selektion (höchstwahrscheinlich) unbewusst attraktive Pfauen zur Züchtung aus und erhalten dadurch die Gene, die attraktive Pfaueigenschaften verursachen. Dies kann nach Dawkins nun als natürliche Selektion bezeichnet werden.58 Darwin habe als erster erkannt, dass in der Evolution kein auswählender Agent benötigt wird, da die Auswahl auch automatisch erfolgen könne und zwar über den Faktor Überlebenserfolg oder -misserfolg. Überleben zähle, da nur Überlebende sich reproduzieren und Gene weitergeben könnten. “Without any kind of choosing agent, those individuals that are ‘chosen’ by the fact that they happen to possess superior equipment to survive are the most likely to reproduce, and therefore to pass on the genes for possessing superior equipment.”59

Deswegen tendiert jeder Genpool in jeder Spezies nach Dawkins dazu, mit Genen „für“ das Herstellen einer überlegenen Ausrüstung für Überleben und Reproduktion besetzt zu werden. Dieser Vorgang wird verursacht durch das nichtzufällige Überleben von zufälligen genetischen Variationen.60 9. Das Gen als entscheidende Einheit der natürlichen Selektion Für Dawkins sind eindeutig Replikatoren, näherhin Gene, die fundamentale Selektionseinheit.61 Allerdings ist für ihn Replikator nicht gleich Replikator. So 57 58 59 60 61

Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 32 – 35. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 61 – 62. Dawkins, The Greatest Show, 63. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 64. Steven Jay Goulds Idee, nach der die Hierarchielevels in der Organisation des Lebens vergleichbar mit einer Leiter sind, auf deren unterster Sprosse Genselektionisten, auf deren mitt-

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gibt es nach Dawkins aktive und passive Keimbahn- und Sackgassenreplikatoren. Während ein aktiver Replikator die Wahrscheinlichkeit, kopiert zu werden, beeinflussen kann, kann dies ein passiver Replikator nicht. Während ein Keimbahnreplikator der Vorfahre einer potentiell unendlichen Linie von nachkommenden Replikatoren sein kann, wird ein Sackgassenreplikator nur eine endliche Anzahl von Malen kopiert. Aktive Keimbahnreplikatoren bilden die Einheit im Organismus, zu deren Gunsten Anpassungen herausgebildet werden. Sie sind damit die Basis für die natürliche Selektion im Universum und damit die Basis für Evolution. Seine Angaben, wie groß eine genetische Einheit sein muss, um als Replikator bezeichnet zu werden, konkretisiert Dawkins in einem Punkt: Da ein einziges Nukleotid keine phänotypischen Effekte im Kontext anderer Nukleotide hat, kann es kein Replikator sein. So ist es nach Dawkins sinnlos, von einem phänotypischen Effekt von Adenin zu sprechen, wohingegen das Sprechen von den phänotypischen Effekten des Ersetzens von Adenin durch Cytosin an einem bestimmten Ort im Cistron sinnvoll ist. Ein Cistron kann somit durchaus als Replikator fungieren. Analog dazu lehnt Dawkins die Eignung des Organismus als Replikator ab.62

10. Zur Wirksamkeit der kumulativen Selektion bei der Entstehung von komplexen Lebewesen Um als komplex bezeichnet zu werden, muss ein Objekt nach Dawkins heterogen sein und die Anordnung seiner Einzelbestandteile muss so beschaffen sein, dass sie wahrscheinlich nicht allein durch Zufall entstehen konnte. Ein weiteres Definitionskriterium von Komplexität liegt in der Festlegung von Eigenschaften „im voraus“. Dawkins’ versucht dies am Beispiel eines Fahrradschlosses zu erläutern. Ein Fahrradschloss hat 4096 gleich unwahrscheinliche Kombinationen. Eine der 4096 Rädchenpositionen – nämlich die Position 1207- ist im Vergleich zu den anderen Positionen einzigartig, da sie das Schloss öffnet. Die Einzigartigkeit der Zahl 1207 wurde dabei im voraus vom Schlosshersteller bestimmt. Ebenso ist die Fähigkeit zu fliegen ein im voraus geplantes Merkmal eines Flugzeugs. „Die Chancen für ein aufs Geraleren Sprosse Individualselektionisten und auf deren oberster Sprosse Gruppenselektionisten stehen, lehnt Dawkins von daher ab. Zwar akzeptiert Dawkins, dass es unterschiedliche Ebenen der biologischen Organisation gibt, aber der Konflikt zwischen Gruppen- und Individualselektion gehört für ihn in eine andere Kategorie als der Konflikt zwischen Individual- und Genselektion. Während Gruppen- und Individualselektionisten nicht um die Einheit der natürlichen Selektion, sondern um zwei verschiedene Vehikeltypen konkurrieren, kreisen Individual- und Genselektionisten um die Frage, ob beim Sprechen von der fundamentalen Selektionseinheit. ein ganzes Vehikel oder ein Replikator gemeint ist. 62 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 97 – 117.

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tewohl zusammengeworfenes fliegendes Gebilde [sind, K.P.] nahezu Null“.63 Ein fliegendes Fluggerät ist nach Dawkins demnach etwas Komplexes, während der Berg, den wir Montblanc nennen, nicht komplex ist: „Jeder Berg, der aus einer Vielzahl von Arten, Steine zusammenzuwerfen entsteht, würde als Berg bezeichnet werden und hätte Montblanc genannt werden können. Es nichts Besonderes an dem speziellen Montblanc, den wir kennen, nichts im voraus Bestimmtes, nichts was dem Start des Flugzeugs entspricht…“64

Komplexe Dinge haben demnach eine im voraus spezifizierte Beschaffenheit, von der es höchst unwahrscheinlich ist, dass sie allein durch Zufall erworben wurde. Wie sieht es nun im Hinblick auf die Komplexität von Lebewesen aus? Hier zeigt sich nach Dawkins zunächst, dass Forscher eine Milliarde Jahre lang immer wieder Zellen willkürlich zusammenwerfen könnten, ohne dass sie einziges Mal ein Konglomerat erhalten würden, das fliegt oder überhaupt etwas tut. Lebewesen sind nach Dawkins ein Produkt des Zusammenspiels von natürlicher Selektion und zufälliger Mutation und weisen zugleich eine Eigenschaft auf, die dem Fliegen des Flugzeugs entspricht: Schwalben fliegen und Wale schwimmen und diese Eigenschaften haben sie nicht allein durch willkürlichen Zufall erworben. Allgemeiner formuliert haben Lebewesen die im voraus spezifizierte Eigenschaft, „tüchtig“ bzw. „leistungsfähig“ zu sein.65 Die Leistungsfähigkeit eines Lebewesens äußert sich nach Dawkins also auf allgemeiner Ebene als Fähigkeit, bei der Fortpflanzung Gene weiterzugeben oder den Tod abzuwehren, auf spezieller Ebene z. B. als Flug- oder Schwimmfähigkeit. Alle Tiere unternehmen nach Dawkins Anstrengungen, wie z. B. die Angleichung ihrer Körpertemperatur an die Außentemperatur, um den eigenen Tod abzuwehren. Nichtlebende Objekte – mit Ausnahme von Artefakten, die Menschen geschaffen haben – unternehmen solche Anstrengungen nicht.66 Komplizierte Dinge, wie z. B. Löwenzahn, Hunde, Menschen oder die Bewohner fremder Galaxien, benötigen im Gegensatz zu einfachen Dingen, wie z. B. Wolken oder Felsen, nach Dawkins nun eine besondere Art von Erklärung. Das Unterscheidungskriterium zwischen einfachen und komplizierten Dingen liegt in der Komplexität ihres Bauplans. Biologie ist in diesem Kontext die Untersuchung von komplizierten Dingen, die so aussehen, als seien sie zu einem bestimmten Zweck entworfen worden.67 In diesem Kontext weist Dawkins William Paleys berühmtes Uhrmacherbeispiel als Erklärung für die augenscheinliche Komplexität von Lebewesen zurück. Während ein echter Uhrmacher plane und dabei auf einen künftigen Zweck ziele, sei die natürliche Selektion ein blinder, unbewusster, automatischer Vorgang, durch den kom63 64 65 66 67

Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 21. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 21. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 20 – 23. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 23. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 13.

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plizierte Dinge und deren scheinbare Zweckmäßigkeit entstehen. Die Selektion ist für Dawkins also ein blinder Uhrmacher.68Dass komplizierte Dinge überhaupt entstanden sind, ist nach Dawkins keine Selbstverständlichkeit.69 Die Evolution komplexer Dinge geht nach Dawkins auf sehr einfache Einheiten zurück, obwohl Tiere so wirken, „…als seien sie von einem theoretisch hochbegabten und praktisch genialen Physiker oder Ingenieur…“70 entworfen worden. Der Gedanke, dass Fledermäuse über Echoortung verfügen, sei für Menschen beispielsweise kontraintuitiv, da es sich hierbei um keine menschliche Eigenschaft handele.71 Dass aus einfachen Einheiten komplexe Dinge entstehen konnten, erklärt Dawkins mit Hilfe des Prinzips der kumulativen Selektion. So sind komplexe Dinge seiner Meinung nach nicht durch Zufall entstanden, sondern durch die schrittweise, kumulative Veränderung von Ausgangsprodukten, die einfach genug waren, um zufällig72 zu entstehen. Jede weitere Veränderung der Produkte war ebenfalls so einfach, dass sie zufällig entstehen konnte. Wenn man allerdings die Komplexität des Endproduktes mit dem ursprünglichen Ausgangsprodukt vergleicht, ist die Gesamtfolge kumulativer Schritte nach Dawkins alles andere als zufällig. Nicht zufällig ist diese Gesamtfolge, weil sie durch das nichtzufällige Überleben von Replikatoren im Prozess der natürlichen Selektion gelenkt wird.73 Von dieser kumulativen Selektion sei der Gedanke der einschrittigen Selektion abzugrenzen. Während kumulative Selektion darauf basiere, dass ausgelesene Einheiten reproduziert werden, bestehe Einschritt-Selektion in der einmaligen Auslese von Einheiten, die nicht reproduziert werden.74 Dass kumulative Selektion deutlich wirkungsvoller als Einschritt-Selektion ist, illustriert Dawkins mit der Hilfe der folgenden Aufgabenstellung: Ein Affe soll durch zufälliges Herumtippen auf einer Schreibmaschine das HamletZitat „Methinks it is like a weasel“ hervorbringen. Löst man diese Aufgabe im Sinne der Einschritt-Selektion, so müsste der Affe einen einmaligen aus 28 Anschlägen bestehenden Anlauf unternehmen, den obigen Satz richtig zu tippen.75 Wird der richtige Satz beim ersten Versuch getroffen, ist die Aufgabe gelöst. Wird der Satz nicht getroffen, muss ein neuer Anlauf unternommen werden, den richtigen Satz zu produzieren. 68 69 70 71 72

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 18. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 28. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 52. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 53. Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass Dawkins unter „zufällig“ im Kontext der Evolution solche Ereignisse versteht, die nicht zielgerichtet sind und die keine innewohnende Tendenz in Richtung Verbesserung aufweisen. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 353. 73 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 58. 74 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 60. 75 Es ist zu beachten, dass aus Gründen der Praktikabilität ein Computerprogramm die Rolle des Affen übernimmt und die Kombinationen zufällig generiert.

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Die Wahrscheinlichkeit bei einem einmaligen Anlauf aus 28 Buchstaben den richtigen Satz zu treffen, liegt allerdings gerade mal bei 1 zu 1040. Löst man die Aufgabe im Sinne der kumulativen Selektion, sieht die Sache schon anders aus: Ein Computerprogramm kopiert zunächst eine zufällig getippte Ausgangssequenz mit einem gewissen Spielraum für zufällige Mutationen. In einem zweiten Schritt findet die Überprüfung der durch Mutation veränderten Nachkommen des Ausgangssatzes statt, wobei der Computer zur weiteren Kopie diejenigen Satznachkommen auswählt, die der Zielsequenz „Methinks it is like a weasel“ am ähnlichsten sind. Der richtige Satz wird durch diese Vorgehensweise bereits nach wenigen Satzgenerationen erreicht.76 Die aus dem Ursprungssatz durch Mutation hervorgegangenen Satznachkommen wurden von Dawkins in jeder Generation selektiver Züchtung nach ihrer Ähnlichkeit mit einem entfernten Idealziel ausgewählt. Im Gegensatz dazu kenne die reale Evolution kein Langzeitziel, das als Kriterium der natürlichen Selektion dienen könnte. „In der Realität ist das Kriterium der Auslese immer kurzfristig, entweder einfaches Überleben, oder häufiger, Fortpflanzungserfolg.“77 Evolutionäre Veränderungen finden statt, weil in der Embryonalentwicklung aufeinander folgender Generationen winzige Unterschiede auftreten, die durch Mutationen in den Genen entstehen, die die Entwicklung kontrollieren. Die Vorstellung vom Land der Biomorphe78 verdeutlicht nach Dawkins im besonderen Maße, warum die Evolution ein schrittweiser, kumulativer Prozess sein muss. So ist das Analogon zu dem neundimensionalen Raum der Biomorphe aus dem Computerspiel EVOLUTION nach Dawkins der reale, genetische Raum, der mit Lebewesen aus Fleisch und Blut angefüllt ist. So sei die Gesamtheit aller Tiere, die jemals auf der Erde gelebt hat, nur ein winziger Ausschnitt der theoretisch möglichen Tiere. Diese Gesamtheit sei zudem nur das Ergebnis einer kleinen Minderheit von Evolutionsbahnen durch den genetischen Raum. Die große Mehrheit der Evolutionsbahnen durch den genetischen Raum bringt nach Dawkins unmögliche Monster hervor. Deswegen gebe es im genetischen Raum auch deutlich mehr Art und Weisen des Totseins als des Lebendigseins. Die Chance, dass ein großer Mutationssprung im genetischen Raum erfolgreich verläuft, ist für Dawkins vor diesem Hintergrund nicht sehr wahrscheinlich.79 Während für Dawkins vor diesem Hintergrund die Entstehung des menschlichen Auges aus überhaupt keinem Auge unwahrscheinlich ist, da hierfür ein sehr großer Mutationssprung benötigt wird, der dazu im genetischen Raum aller möglichen Strukturen sehr riskant ist, so ist die Entstehung des Auges aus einem Objekt x, das nur geringfügig von ihm verschieden ist, deutlich wahrscheinlicher. Wahrscheinlicher sei die Entstehung, wenn sich 76 77 78 79

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 62 – 65. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 67. Vgl. dazu Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 271 – 274. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 92.

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beide Größen im genetischen Raum aller möglichen Strukturen genügend dicht nebeneinander befinden und so nur einen kleinen Mutationssprung erfordern. Die Entstehung von x geht nach Dawkins wiederum auf ein Objekt x1 zurück, das nur geringfügig von ihm verschieden ist und im genetischen Raum dicht bei x liegt usw. Wenn die Reihe von Xen genügend lang ist, können wir schließlich das Auge von etwas ableiten, das nicht nur geringfügig, sondern sehr verschieden von ihm ist. Dawkins beantwortet nun die Frage, ob es plausibel ist anzunehmen, dass jedes Glied der Kette von Xen, die ein Auge mit einem augenlosem Zustand in Verbindung setzt, gut genug ist, um dem betreffenden Organismus Vorteile im Hinblick auf Überleben und Fortpflanzung zu bringen. Dabei lehnt er die These, ein Auge funktioniere nur als Ganzes oder gar nicht, als falsch ab. Dies zeigen schon menschliche Brillenträger, deren Augen nicht zu 100 % funktionieren, die jedoch auch ohne Brille sehen können. Augen ohne Linsen sind ebenfalls nicht völlig nutzlos: Lebewesen mit linsenlosen Augen haben in einer primitiven Welt gegenüber Lebewesen ohne Augen deutliche Überlebensvorteile (schnelleres Erkennen von Räubern bzw. von Beute etc.). Kurz gesagt: ein Sehvermögen von 5 % ist außerordentlich besitzenswert verglichen mit gar keinem Sehvermögen, 1 % Sehvermögen ist besser als völlige Blindheit. Können wir aber wirklich annehmen, dass Dung nachahmende Insekten Vorteile davon haben, zu 5 % wie Dung auszusehen? Durchaus! Denn egal, wie gut das Sehvermögen eines Räubers nach Dawkins ist, der diese Insekten frisst, kann es unter bestimmten Umständen (Nebel, Dämmerung, große Entfernung zwischen Beute und Räuber) so schlecht sein, dass eine 5 %ige Dungähnlichkeit zum Überleben der Beute ausreicht.80 Sollte also wirklich ein komplexes Organ existieren, das nicht durch eine Reihe von aufeinander folgenden vorteilhaften Modifikationen erklärt werden kann, würde diese eine Widerlegung des Darwinismus darstellen.

11. Warum entstehen im Kontext der natürlichen Selektion keine perfekten Lebewesen? Da sie ein blinder, ohne Vorsicht agierender Prozess ist, verhindert die natürliche Selektion nach Dawkins eine Evolution in Richtung globaler Optima.81 Dieser Umstand ist eine wichtige Erklärung für die Unvollkommenheit tierischer und pflanzlicher Baupläne. Eine weitere Einschränkung oder Grenze der Perfektion erklärt sich nach Dawkins aus der Menge der verfügbaren genetischen Variation. Wie stark ein potentieller Selektionsdruck auch immer sein mag, es wird keine Evolution geben, ohne dass eine ausreichende 80 Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 111. 81 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 39 – 40.

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Menge genetischer Variation zur Verfügung steht, an der sie ansetzen kann.82 Die Perfektion von Organismen werde weiterhin durch die Kosten und das Material für ihre Produktion eingeschränkt. So sei die Effizienz eines Tierteils (z. B. Flügel) nur durch Kosten erreichbar, die sich in der Gesamtwirtschaft des Tieres bemerkbar machen. Anpassende Organisation ist nach Dawkins deswegen ein Wirrwarr von Kompromissen.83 Nicht-Perfektion kann nach Meinung von Dawkins auch eine Sache der Interpretation sein. Das was ein Anhänger der Gruppenselektion als Unvollkommenheit betrachte, könne durch einen Anhänger der Individualselektion gleichwohl als Anpassung interpretiert werden. Betrachte man die Selektion aus der Perspektive des Gens, erkenne man wiederum augenscheinliche Unvollkommenheiten auf der Ebene des Individuums.84 Darüber hinaus trägt die umweltliche Unvorhersagbarkeit nach Dawkins zur Nicht-Perfektion von Tieren bei, da diese immer dazu programmiert sein können, sich in einer überschaubaren Anzahl von generellen Zufallsklassen angemessen zu bewegen.85 Auch wenn man also davon ausgehen kann, dass Organismen dazu ausgestattet sind, gut zu überleben, kann man nicht erwarten, dass sie in jeder Hinsicht perfekt sind. Vielmehr sind Organismen ein Netzwerk von Kompromissen.86

12. Warum erweckt die Arbeit der natürlichen Selektion den Eindruck, die Natur sei gestaltet? Dawkins entwickelt das Bild vom Gipfel des Unwahrscheinlichkeitsgebirges, um zu erklären, wie die scheinbare Gestaltung in der Natur zustande kommt, in welchem Zusammenhang sie mit dem Zufall steht und wie sie im Vergleich mit wirklicher, menschlicher Gestaltung zu bewerten ist.87 Dawkins’ Unwahrscheinlichkeitsgebirge erhebt sich aus der Ebene und hat einen schwindelerregend höchsten Gipfel, der auf seiner Vorderseite durch senkrechte Klippen und tiefe Schluchten, auf seiner Rückseite durch sanft ansteigende Wiesen gekennzeichnet ist. Dawkins’ These lautet nun, dass man, um den Gipfel zu erklimmen, nur den Weg mit den geringsten Steigungen auswählen muss. Die Rückseite des Unwahrscheinlichkeitsgebirges entspricht nach Dawkins der Evolution, d. h. dem langsamen, schrittweisen, kumulativen, nichtzufälligen Überleben von Zufallsvarianten im Prozess der natürlichen

82 83 84 85 86 87

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 42 – 43. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 47. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 50 – 53. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 53 – 54. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 70. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 85 – 123.

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Selektion. Somit ist die Evolution kein Zufall, was einem Erklimmen des Gipfels in einem Sprung entspräche.88 Zur Illustration seines Bildes führt Dawkins das Begriffspaar Zufall und Design sowie die Kategorie „gestaltoid“ ein. Lebewesen und deren Produkte fallen für Dawkins in letztere Kategorie. Gestaltoide Objekte sind nach Dawkins Resultate der natürlichen Selektion, die als nicht zufälliger Prozess eine fast perfekte Illusion von Gestaltung hervorbringt.89 Demgegenüber werden menschengemachte Gefäße oder Objekte nach Dawkins im Zuge eines kreativen Vorgangs erdacht oder geplant oder durch zweckgerichtete Nachahmung erstellt. Sowohl echte Gestaltung als auch gestaltoide Pseudogestaltung sind für Dawkins Vorgänge, die sich dadurch auszeichnen, dass ihre Resultate anderen Gegenständen ähneln. Während echte Gestaltung sich nicht der Methode des Findens bediene, sondern beispielsweise geeignete Materialien baue und damit eine bestimmte nützliche Form hervorbringe, würden gestaltoide Gegenstände entweder durch den Menschen (künstliche Selektion) oder die Natur (natürliche Selektion) kumulativ „gefunden“. Ohne das Moment der Vererbung wiederum könnten zufällige Veränderungen, die die natürliche oder künstliche Selektion in jeder Generation „findet“, nicht über viele Generationen hinweg akkumulieren. Nach und nach entstehe so im Laufe vieler Generationen des kumulativen Findens ein gestaltoides Objekt, das vollkommen aussehe, aber nicht durch Gestaltung, sondern durch den Prozess der kumulativen Selektion entstanden sei.90 Neben der Charakterisierung der Evolution als nichtzufällige Selektion in Verbindung mit Mutationen zeigt die Parabel vom Unwahrscheinlichkeitsgebirge, erstens, dass eine plötzliche Zunahme von geordneter Komplexität in der Evolution nicht möglich ist. Der Grund, warum Makromutationen im Evolutionsprozess keine große Rolle spielen, besteht darin, dass Lebewesen sehr komplizierte, fein abgestimmte Mechanismen sind, die durch große zufällige Eingriffe mit größerer Wahrscheinlichkeit verschlechtert werden als durch kleinere Eingriffe.91 Zweitens ist es in der Evolution auch nicht möglich, dass Arten sich um eines größeren Vorteils willen zunächst verschlechtern. Da die natürliche Selektion keine Voraussicht kennt, werden Arten sich zuerst auch verschlechtern können, um dann später besser zu werden. Drittens kann es im Unwahrscheinlichkeitsgebirge mehrere Gipfel geben, d. h. es kann mehrere Lösungswege für gleiche Probleme geben, die sich in der Welt durchsetzen.92 Dies zeigt beispielsweise die unabhängige Entwicklung von langen Nasen bei Tapiren, Rüsselspringern, Nasenaffen und Elefantenrobben.93 88 89 90 91 92 93

Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 85. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 14. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 36. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 113. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 105. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 106 – 110.

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7. Kapitel: Dawkins’ Bild des Menschen und anderer lebendiger Organismen 1. Die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Gehirns Für Dawkins ist der Mensch grundsätzlich ein in der Evolution entstandenes Lebewesen, das von seiner Evolutionsgeschichte maßgeblich geprägt ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt, wenn man auf die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Gehirns blickt. Dawkins entfaltet im Kontext der Frage, wie das menschliche Gehirn in der Evolution entstanden sein kann, die Vorstellung, dass das Gehirn von der DNA mit der Zeit die Aufgabe übernommen hat, Aufzeichnungen über die Außenwelten anzufertigen. Diese Aufzeichnungen seien dann nützlich, wenn sie Voraussagen über die Zukunft erleichterten. „Der Körper eines Tieres stellt eine Art Voraussage dar, dass die Zukunft in ihren groben Umrissen der Vergangenheit seiner Vorfahren ähneln wird.“1 Je richtiger sich diese generellen Voraussagen nach Dawkins erweisen, desto eher wird ein Tier überleben. Jedoch muss sich ein Tier in seiner konkreten Umwelt auch auf veränderliche Bedingungen und Gefahren einstellen. Deswegen statten die Gene „…das Tier mit der Nerven-Hardware und der Software für virtuelle Realität aus, sodass Voraussagen ständig aktualisiert, revidiert und an schnell veränderliche Dinge angepasst werden können. Es ist, als würden die Gene sagen: ,Wir bauen ein Basismodell der Umwelt für die Dinge, die sich über Generationen hinweg nicht ändern. Die schnellen Veränderungen sind deine Sache, Gehirn‘.“2 Dawkins interpretiert das Gehirn aufgrund seiner Funktionsweise und aufgrund der Funktionen, die es im Tierleben ausübt (z. B. Simulation der Welt mit einer Art Software) als Bordcomputer.3 Er betont, dass die Evolution zum menschlichen Gehirn für Evolutionsverhältnisse ziemlich schnell verlaufen ist und dass die Gehirngröße bei unseren Vorfahren zwangsläufig einer genetischen Steuerung unterlegen haben muss, da sonst die natürliche Selektion keinen Angriffspunkt gehabt hätte.4 Darüber hinaus war die Evolution des menschlichen Gehirns nach Dawkins ein explosiver, selbst laufender Vorgang.5 Eine solche kritische Masse könnte nach Dawkins durch Neuerungen in der Gehirn-Software wie z. B. Sprachfähigkeit, die Fähigkeit zum Lesen von Landkarten, die Fähigkeit, ballistische Berechnungen im voraus anzustellen oder durch Meme erreicht worden sein.6 Da das menschliche Gehirn im Evolutionsprozess entstanden ist, sieht es die Welt auf 1 2 3 4 5 6

Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 366. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 366 – 67. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 369. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 372. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 375. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 375 f.

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eine bestimmte Art und Weise; einige Dinge begreift der Mensch nach Dawkins leicht, andere Dinge dagegen nur schwer.7 Dawkins hält es allerdings für möglich, dass sich der Mensch irgendwann aus diesem begrenzten Wahrnehmungsbereich („weder besonders groß, noch besonders klein“) emanzipieren kann: „…ich finde es spannend, in einer Zeit zu leben, in der die Menschheit an die Grenzen ihrer Verständnisfähigkeit klopft. Und was noch besser ist: Vielleicht entdecken wir am Ende, dass es keine Grenzen gibt.“8

Dawkins verweist zudem auf die Fähigkeit zu vorausschauendem Denken, die der Mensch im Gegensatz zu seinen egoistischen Genen besitzt. Während man von diesen Replikatoren nicht erwarten kann, dass sie auf kurzfristig erreichbare egoistische Vorteile verzichten, glaubt Dawkins, dass dies beim Menschen möglich ist. In diesem Fall wäre der Mensch zu echtem, uneigennützigem und aufrichtigem Altruismus fähig. Mit dem vorausschauenden Denken besitzt der Mensch für Dawkins das geistige Rüstzeug, seine langfristig egoistischen Interessen zu fördern: „Wir sind als Genmaschinen gebaut und werden als Memmaschinen erzogen, aber wir haben die Macht, uns unseren Schöpfern entgegenzustellen. Als einzige Lebewesen auf der Erde können wir uns gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen.“9

2. Der Mensch ist nicht das Ziel der Evolution Es ist für Dawkins offensichtlich, dass die Evolution nicht auf den Menschen zielt. Weder sei der Mensch am Ende einer Reihe von gebückten Affenvorfahren das letzte Wort der Evolution, noch seien die Grundkonstanten des Universums so berechnet und eingestellt, dass letzten Endes die Menschheit die Weltbühne betreten konnte. Für Dawkins bedeutet die anthropische Vorstellung lediglich, dass „…wir da sind, und in einem Universum, das uns nicht hervorbringen könnte, wären wir eben nicht da.“10 Die Evolution könne zudem nicht auf den Menschen zielen, weil sie keine bevorzugte Abstammungslinie und kein vorher bestimmtes Ende kenne. Sie habe vielmehr schon Millionen vorläufiger Endpunkte erreicht – die Zahl der überlebenden Arten zum Beobachtungszeitpunkt.11

7 8 9 10 11

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 511. Dawkins, Der Gotteswahn, 521. Dawkins, Das egoistische Gen, 334. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 14. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 17 – 18.

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3. Lebewesen als Roboter Auch Dawkins’ Sprechen von anderen Lebewesen ist im Hinblick darauf, wie Dawkins den Menschen versteht, erhellend. Lebewesen können nach Dawkins als Roboter mit einem umfassenden Programm für die Vervielfältigung von Anweisungen (UPVA-Roboter) bezeichnet werden.12 Lebewesen werden nach Dawkins grundsätzlich nicht von einem Schöpfer konstruiert. Vielmehr entwickeln sich Lebewesen durch Vorgänge der Embryonalentwicklung, die von Genen gesteuert wird, die wiederum durch natürliche Selektion entstanden. Für problematisch hält es Dawkins, dass viele Menschen einen Roboter mit einem plumpen, stumpfsinnigen Ungeheuer gleichsetzen, das keine Feinsteuerung, keine Intelligenz und keine Flexibilität besitzt. Demgegenüber betont Dawkins, dass die Bezeichnung eines Chamäleons, einer Stabheuschrecke oder eines Menschen als UPVA-Roboter nichts darüber aussage, wie intelligent der jeweilige Organismus ist. „Jeder Mechanismus, wie kompliziert und intelligent er auch ist, der im voraus zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe konstruiert wurde, ist ein Roboter. Der UPVARoboter hat die Aufgabe, Kopien seines eigenen Programms in der Umwelt zu verbreiten, und zwar zusammen mit der Apparatur, die zur Ausführung des Programms notwendig ist.“13

4. Vom gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen In einer rückwärtsgerichteten Chronologie des Lebens müssen sich nach Dawkins zu irgendeinem Zeitpunkt der Erdgeschichte die Vorfahren jeder Artengruppe treffen. Der Ort dieser Begegnung wird durch den letzten Vorfahren bestimmt, der allen Artengruppen gemeinsam ist. Dieser letzte Vorfahre kann nach Dawkins als Concestor (Mitfahre) bezeichnet werden. „Der älteste Mitfahre ist der Urahn aller noch existierenden Lebensformen.“14 Dawkins nimmt damit für alle Lebensformen einen gemeinsamen Urahn bzw. Vorfahren an. Darüber hinaus ist es nach Dawkins ein Qualitätsmerkmal jedes Organismus Vorfahre gewesen zu sein, was bedeutet, dass er bis zum fortpflanzungsfähigen Alter überlebt und sich fortgepflanzt hat. Die Welt tendiere dazu, sich mit Organismen zu füllen, die das Zeug zum Vorfahren haben, weil jede neue Generation als „Gensieb“ fungiere. Durch dessen „Löcher“ gelangten tendenziell eher gute Gene, während schlechte Gene aussortiert würden. Gene können ihren Weg durch das „Sieb“ auch dadurch „erkaufen“, dass sie nicht ihren eigenen Körper dazu ausrüsten, Vorfahre zu werden, 12 Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 305. 13 Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 310. 14 Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 22.

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sondern den Körper eines Verwandten. Dies zeigt das Beispiel der Arbeiter bei Ameisen, Bienen oder Wespen.15

5. Wer war der gemeinsame Vorfahre aller Menschen? Als eine wissenschaftliche Hypothese über die Vorfahren des Menschen präsentiert Dawkins die Geschichte von der afrikanischen oder mitochondrialen Eva, die er mit der legendären Eva des Gartens Eden kontrastiert.16 Mitochondrien sind kleine, rautenförmige Gebilde, die zu Tausenden in jeder Zelle des menschlichen Körpers umher schwimmen. Wichtig ist nun, dass Mitochondrien ihre eigene DNA aufweisen und sich durch einfaches Teilen reproduzieren. So wird ihre DNA nicht durch sexuelle Reproduktion vermischt, wohl aber kann sie durch Mutationen verändert werden. Menschen erhalten ihre Mitochondrien nur von ihrer Mutter, da das Spermium zu klein ist, um Mitochondrien zu enthalten. „There will be a few differences between your mitochondrial DNA and mine, and the number of differences will be a measure of how far back our ancestors diverged.“17 Eine Studie mit den mitochondrialen Sequenzen 135 lebender Frauen aus allen Erdteilen untersuchte, in welchen Buchstaben sich die einzelnen Sequenzen unterschieden. Das Ziel bestand darin, einen gemeinsamen Stammbaum der Frauen zu entwickeln, wobei dieser Stammbaum eine möglichst geringe Zahl von zufälligen Übereinstimmungen in sich tragen sollte.18 Es stellte sich heraus, dass der am wenigsten zufällige Stammbaum in Afrika wurzelt, wobei einige Afrikaner mit anderen Afrikanern entfernter verwandt sind als mit dem Rest der Welt: [einige Afrikaner [andere Afrikaner [noch andere Afrikaner [noch andere Afrikaner und alle anderen]]]]. Mit Hilfe der Mitochondrien lässt sich nach Dawkins auch nachweisen, dass eine Frau existiert hat, die er als mitochondriale Eva bezeichnet und die der rezenteste gemeinsame Vorfahre aller modernen Menschen über die weibliche Linie ist. Diese Eva lebte vermutlich zwischen 100/150.000 und 250.000 Jahre vor heute und am ehesten in Afrika. Natürlich gibt es auch einen Vorfahren, der der rezenteste gemeinsame Vorfahre aller modernen Menschen über alle Linien ist. Auch wenn es möglich ist, dass Eva und dieser Vorfahre dasselbe sind, ist es ziemlich unwahrscheinlich. Der rezenteste Vorfahre aller modernen Menschen war wahrscheinlich eher ein Mann.19

15 16 17 18 19

Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 4. Vgl. Dakwins, River Out of Eden, 38. Dakwins, River Out of Eden, 54. Vgl. Dakwins, River Out of Eden, 58. Dawkins, River Out of Eden, 58.

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6. Von der Problematik, Lebewesen zu klassifizieren Dawkins betont, dass man unter evolutionären Gesichtspunkten mit einem kontinuierlichen Spektrum von Zwischenformen rechnen muss, so dass scharfe Abgrenzungen zwischen Arten eigentlich schwierig seien.20 Deswegen wird sich nach Dawkins irgendwann herausstellen, „…dass viele fossile Arten, die wir heute für unsere Vorfahren halten, in Wirklichkeit unsere Vettern waren.“21 Dass es überhaupt Klassifikationen geben kann, liegt nach Dawkins an der Tatsache, dass heute viele Zwischenstufen ausgestorben sind.22 Im Hinblick auf die Evolution des Menschen zeigt sich nach Dawkins (entgegen kreationistischer Aussagen), dass von fehlenden Zwischenstufen keine Rede sein kann. So stellt der Homo erectus, von dem viele fossile Exemplare vorhanden sind, seiner Meinung nach eine überzeugende Verbindung zwischen dem heutigen Homo sapiens und dem Homo habilis dar, der vor zwei Millionen Jahren lebte. Der Homo habilis wiederum ist ein Verbindungsglied zur Gattung Australopithecus, der, wie das Fossil Lucy zeigt, vor drei Millionen Jahren lebte und als eine Art aufrecht gehender Schimpanse beschrieben werden kann. Die Lücke zwischen Homo erectus und Homo sapiens lässt sich durch die Funde von Homo heidelbergensis, Homo rhodesiensis und Homo neanderthalensis schließen.23 Dass einige dieser Fossilien wie z. B. „Twiggy“ von einigen Forschern der Gattung Australopithecus und von anderen der Gattung Homo zugewiesen werden, ist nach Dawkins kein Hindernis für die Glaubwürdigkeit der Evolutionsforschung. Beunruhigend wäre es nach Dawkins viel mehr, wenn so nahe an der Gattungsgrenze keine schwierig zu klassifizierende Zwischenstufen vorhanden wären.24

7. Wem „nutzen“ lebende Organismen? Lebende Organismen nutzen nach Dawkins ihrer sich selbst vervielfältigenden DNA.25 Das Vervielfältigungsprogramm jeder Pflanzen- und Tier-DNA enthält nach Dawkins einen eingebauten Umweg. Dieser Umweg sei das Tier oder die Pflanze selbst, so dass das Programm eigentlich lautet: „Vervielfältige mich auf dem Umweg, einen Tierkörper oder eine Pflanze zu konstruieren“.26 Derselbe Grundsatz gelte auch für Teile von Lebewesen. So ist ein Pfauenschnabel nach Dawkins als Instrument zur Nahrungsaufnahme, die das Überleben sichert, ein 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 102. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 136. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 194. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 197. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 194. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 295. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 301.

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indirektes Hilfsmittel für die Verbreitung von Anweisungen zur Konstruktion von Pfauenschnäbeln. Zu beachten ist, dass Tiere oder Pflanzen für „DNA“ genauso Wirte sein können wie für ihre „eigene“ DNA. So kann z. B. ein Elefantenkörper nicht erkennen, ob er sich um die Verbreitung seiner eigenen DNA oder einer Virus-DNA bemüht, ebenso wenig realisieren die Flügel einer Biene, ob sie Bienen-DNA oder Blumen-DNA transportieren.27

8. Warum sind Körper für lebende Organismen wichtig? Dass es in der Evolution zu der Entwicklung von Körpern kam, hält Dawkins für wichtig28, da sie eine vielschichtige Komplexität aufweisen. Auf einer ersten Ebene bestehe ein Körper aus präzise geformten Organen, die auf einer zweiten Ebene Gebilde aus bestimmten Geweben seien. Die Bausteine der Gewebe seien wiederum Zellen (dritte Ebene). In diesen Zellen können nach Dawkins mehrere verschiedene chemische Reaktionen auf der Oberfläche von unterschiedlichen Enzymmolekülen ablaufen (vierte Ebene). Jedes Enzymmolekül und dessen spezifische Form stehe zudem unter dem deterministischen Einfluss eines bestimmten Gens (fünfte Ebene). Die in einer Zelle tatsächlich ablaufenden chemischen Reaktionen sind nach Dawkins abhängig davon, welche Gene aktiviert sind. Bestimmend für die Aktivierung von Genen in einer Zelle sind die Chemikalien, die sich schon in der Zelle befinden. Was sich zunächst wie ein klassisches Ei/Henne-Paradox liest, ist nach Dawkins mit der Vorstellung des Bootstrapping29 einfach zu lösen. Der Blick auf die Embryologie zeigt nach Dawkins, dass die befruchtete Eizelle durch eine Polarität in ihrer internen Chemie gekennzeichnet ist (Existenz eines Oben und Unten, Links und Rechts). Wenn sich das Ei in 32 Zellen geteilt hat, werden einige dieser 32 Zellen nach Dawkins mehr oben liegende Chemikalien abbekommen haben, andere mehr untenliegende Chemikalien. Diese Unterschiede führen dazu, dass in den Zellen unterschiedliche Genkombinationen aktiviert werden. Damit seien unterschiedliche Enzymkombinationen in den verschiedenen Teilen des frühen Embryos präsent. Dies führe dazu, dass wieder andere Genkombinationen in unterschiedlichen Zellen aktiviert würden usw. 27 Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 304. 28 Vgl. Dawkins, River Out of Eden, 23. 29 Bootstrapping wird im Kontext der Informatik verstanden als ein Prozess, mit dessen Hilfe auf einem einfachen System ein komplexeres System aktiviert werden kann. „In modern computers, the equivalent of the bootstrap loader is hardwired into the machine, but in those early days you had to begin by toggling switches in a ritually patterned sequence. This sequence told the computer how to begin to read the first part of the bootstrap-loader tape. The first part of the bootstrap-loader tape then told a bit more about how to read the next part oft the bootstraploader tape and so on.“, Dawkins River Out of Eden, 27 – 28.

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Dawkins’ Bild des Menschen

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“To the extent that differences between individuals are due to genes (which may be a large extent or a small one), natural selection can favor some quirks of embryological origami or embryological chemistry and disfavor others.”30

9. Wie entwickeln sich lebende Organismen? Da der meiste Teil des evolutionären Wandels auf Veränderungen der Rate zurückzuführen ist, in der Körperteile im Verhältnis zu anderen Körperteilen wachsen, befasst sich Dawkins näher mit dem Prozess der Embryonalentwicklung. Dieser Prozess zeige deutlich, dass sich die Form jedes Tieres einer jeden Spezies während seiner embryonalen Entwicklung sehr viel dramatischer verändere als die Form der erwachsenen Speziesmitglieder im Laufe der Generationen.31 Die Embryonalentwicklung basiert auf einer – im Prozess der natürlichen Selektion – herausgebildeten Instruktion zur Konstruktion von komplizierten Körpern.32 Die Entwicklung eines Organismus kann somit als fortschrittliche Spezifizierung eines ursprünglich unspezifizierten Ganzen betrachtet werden (Epigenese) und funktioniert von daher im Wesentlichen wie das Backen eines Kuchens nach Rezept.33 Da die Embryonalentwicklung ein Bottom-up-Prozess ist, sind Organisation und Struktur Nebenprodukte von Regeln, die wiederholt lokal befolgt werden.34 Die Rolle der natürlichen Selektion besteht in diesem Kontext darin, das Überleben der Gene im Genpool zu begünstigen, die entscheidende Veränderungen im Embryo hervorrufen. Wenn Gene als Konsequenz ihres Einflusses auf lokale Entitäten wie Zellen oder Membrane und deren Verhalten überleben oder nicht überleben, wird die natürliche Selektion von erfolgreichen Genen und damit das Auftreten von erfolgreichen Gen-Produkten zwangsläufig einsetzen.35

10. Die Rolle des individuellen Organismus bei Dawkins Während Dawkins in Das egoistische Gen und über weite Strecken von The Extended Phenotype die Bedeutung des individuellen Organismus im Evolutionsprozess herunterspielt, bemüht er sich im Schlusskapitel um eine „Wiederentdeckung“ des individuellen Organismus. Die Tatsache, dass es individuelle Organismen gibt, ist zwar keineswegs selbstverständlich, aber für die Evolution ein Glücksfall. Dies wird deutlich, wenn man die fundamentale 30 31 32 33 34 35

Dawkins, River Out of Eden, 32. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 207. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 212. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 216. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 220. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 250.

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Unterscheidung zwischen Reproduktion und Wachstum beachtet.36 Während die in vielzelligen Organismen mögliche Keimbahn-Reproduktion nach Dawkins Veränderungen in den Körpern möglich macht, die die egoistischen Gene durchlaufen, können im Falle des Wachstums Veränderungen nur auf Zellebene stattfinden. Für die Entstehung komplexer multizellulärer Organe ist daher nach Dawkins eine komplexe Entwicklungssequenz notwendig, die aus früheren, ein bisschen weniger komplexen Entwicklungssequenzen entstanden ist. Wenn es darum gehe, neue Komplexität zu erreichen, z. B. ein funktionstüchtigeres Herz, werde ein neuer Entwicklungszyklus benötigt.37 Replikatoren, die sich in vielzelligen Organismen zusammenschließen, erreichen nach Dawkins eine reguläre, sich regenerierende Lebensgeschichte, die komplexe Anpassungen ermöglicht, die wiederum dem Erhalt der Replikatoren dienen, wenn sie durch die evolutionäre Zeit fortschreiten. Der Organismus ist für Dawkins dabei eine Einheit mit Lebenszyklus, der die essentiellen Charakteristika früherer Lebenszyklen wiederholt und eine Verbesserung im Vergleich zu früheren Lebenszyklen sein kann.38 Dies ermöglicht die Evolution von komplexen Organen. Da jeder Organismus als Lebenszyklus mit einer einzigen Zelle beginnt, können Mutationen starken evolutionären Wandel hervorrufen. Sie kehren nach Dawkins zum Zeichenbrett des „embryological engineering“ zurück.39

11. Zum Begriff der Lebensgemeinschaft bei Dawkins Eine Ansammlung biologischer Arten, die sich in der Evolutionsgeschichte so entwickelt haben, dass sie in der Gegenwart der jeweils anderen prosperieren, nennt Dawkins Lebensgemeinschaft.40 In einer solchen Lebensgemeinschaft gibt es bestimmte Schlüsselarten wie z. B. Putzerfische, ohne die die Lebensgemeinschaft zusammenbrechen würde.41 „Das Prinzip der Gemeinschaft, in der Einheiten einer niedrigeren Ebene in Gegenwart der jeweils anderen Einheiten gedeihen, zieht sich durch die gesamte Welt des Lebendigen. Es gilt sogar innerhalb einer einzelnen Zelle.“42

Diese Vorstellung darf nach Dawkins nicht mit der sog. Gaia-Hypothese oder anderen Ideen eines Super-Organismus verwechselt werden. So ist die Le36 37 38 39 40 41 42

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 254 – 58. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 258. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 262. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 264. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 665. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 667. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 668.

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bensgemeinschaft nicht das Primärziel der natürlichen Selektion, sondern lediglich die Konsequenz einer Selektion auf niedrigerer Ebene.43

43 Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 668.

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8. Kapitel: Dawkins’ Mem-Konzept als Theorie der kulturellen Evolution Dawkins entwickelt das Konzept der Meme als Einheiten der kulturellen Evolution. Da der Darwinismus als Theorie für Dawkins zu gewaltig ist, um auf das Gebiet der Gene begrenzt zu werden, postuliert er die Existenz von alternativen Replikatoren.1 Innerhalb der menschlichen Kultur übernehmen die Meme die Rolle der Gene.2 Die Monopolstellung der Gene als Replikatoren wurde im Evolutionsprozess nach Dawkins dadurch eingeschränkt, dass mit dem Gehirn eine neue „Ursuppe“ geliefert wurde, in der rasch die ersten Meme entstanden, die eine sehr viel schnellere Art von Evolution in Gang setzten.3 Meme können beispielsweise Melodien, Gedanken, Schlagworte, Kleidermoden oder ein Plan zur Topfherstellung sein. Auch die Idee „Gott“ ist für Dawkins ein Mem, das sich durch geschriebenes und gesprochenes Wort, durch Musik und Kunst repliziert. Die Idee „Gott“ ist nach Dawkins aufgrund ihrer psychologischen Anziehungskraft im Mempool beständig und wirksam. So biete das Gott-Mem eine einleuchtende Antwort für das menschliche Dasein, einen Ausgleich von Gerechtigkeit im Jenseits und Halt im Angesicht menschlicher Unzulänglichkeit und werde deswegen von aufeinander folgenden Generationen individueller Gehirne kopiert.4 Erfolgreiche Meme wie das Gott-Mem zeichnen sich durch Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Wiedergabetreue aus, wobei Fruchtbarkeit für Meme besonders entscheidend ist.5 Meme können sich zu einem Mempool zusammenschließen und sich so gegenseitig verstärken. Mit dem Gott-Mem verknüpft sich nach Dawkins z. B. die Fegefeuer-Vorstellung oder die Vorstellung von Glauben als blindem Vertrauen. Es gibt neben vielen Ähnlichkeiten auch einen Unterschied zwischen Genen und Memen: Während eine spezifische Genkombination in einer Überlebensmaschine vergänglich ist, können die von einer Überlebensmaschine produzierten Meme nach deren Tod noch lange weiter bestehen.6 Vor dem Hintergrund, dass die Idee sich selbst replizierender, virenähnlich von Geist zu Geist springenden Informationseinheiten, unabhängig von dem Begriff Mem, ernst genommen werden muss, präsentiert Dawkins mit dem Origami-Falten eine Möglichkeit, wie Meme als selbst-normalisierende Einheiten relativ zuverlässig weitergegeben werden könnten. Dies steht vor dem Hintergrund der kritischen Anfrage, ob die Gen-Mem-Analogie nicht an der

1 2 3 4 5 6

Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 319. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 321. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 323. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 322. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 324. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 329 – 32.

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Dawkins’ Mem-Konzept

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mangelnden Wiedergabe der Meme scheitern muss.7 Daneben präsentiert er die These, dass das menschliche Gehirn eine virusfreundliche Umgebung darstellt. Es ist zwar nicht so kopiergetreu wie Zellen oder Computer, aber immer noch ziemlich gut. Diese Eigenschaft bereitet nach Dawkins den Boden für die Meme, die von Geist zu Geist fortgepflanzt werden.“What matters is that minds are friendly environments to parasitic, self-replicating ideas or information, and that minds are typically massively infected.“8 Die Tatsache, dass die Mehrheit aller Kinder der Religion ihrer Eltern folgt, ist nach Dawkins ein Beispiel für eine solche Infektion. Der Geist des Menschen ist für Dawkins ein durch sexuelle Auslese herausgebildeter mentaler „Pfauenschwanz“.9 Die Einwände gegen die Memtheorie, wie z. B. der Vorwurf, durch die ungenaue Verdoppelung der Meme sei ihr Charakter als darwinistische Replikatoren gefährdet, hält Dawkins für übertrieben.10 Dies verdeutlicht er an dem Unterschied zwischen Falten und Malen. Während Malen eine analoge Tätigkeit ist, besteht das Falten aus einer Reihe von „selbstnormalisierenden“, d. h. digitalen Einzelschritten. „Die Tatsache, dass Meme durch solche selbstnormalisierende Vorgänge manchmal sehr originalgetreu weitergegeben werden, ist eine ausreichende Antwort auf die häufigsten Einwände gegen die Analogie von Genen und Memen.“11

Darüber hinaus betont Dawkins, dass die Memtheorie in ihrem jetzigen frühen Entwicklungsstadium noch keine umfassende Erklärung für die menschliche Kultur liefern möchte.12 Ursprünglich habe er die Idee der Meme entwickelt, weil er dem Eindruck entgegenwirken wollte, dass das Gen das einzig relevante darwinistische Phänomen sei.13

7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Dawkins, Chinese Junk and Chinese Whispers, 140 – 150. Dawkins, Viruses of the Mind, 162. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 390 – 93. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 268. Dawkins, Der Gotteswahn, 274. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 274 – 75. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 275.

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9. Kapitel: Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis 1. Die evolutionären Wurzeln der menschlichen Moral Dawkins untersucht ebenfalls, ob sich die Moral des Menschen aus seiner darwinistischen Vergangenheit ableiten lässt.1 Dass die Theorie vom egoistischen Gen näherhin die natürliche Selektion als Triebkraft der Evolution Phänomene wie Hunger, sexuelle Begierde oder Angst erklären kann, ist nach Dawkins einleuchtend, da diese Phänomene unmittelbar zum menschlichen Überleben beitragen. Dagegen scheint eine Eigenschaft wie Güte auf den ersten Blick unvereinbar mit der Theorie der egoistischen Gene. Jedoch besteht diese Unvereinbarkeit seiner Meinung nach nur scheinbar, da egoistische Gene nicht zwangsläufig egoistische Organismen nach sich ziehen. Darüber hinaus bedeutet egoistisch nach Dawkins in diesem Kontext ganz einfach, dass Einheiten in der Hierarchie des Lebendigen nur auf Kosten ihrer auf der gleichen Hierarchieebene befindlichen Rivalen überleben können. Die zentralen Einheiten in der Hierarchie des Lebendigen sind nach Dawkins die Gene, nicht das Individuum, die Gruppe oder die Spezies.2 Egoistische Gene sorgen nach Dawkins am besten für ihr eigenes Wohlergehen, indem sie den Organismus so programmieren, dass er sich unter bestimmten Voraussetzungen egoistisch, unter anderen Voraussetzungen aber altruistisch verhält. Altruistisches Verhalten des Organismus werde begünstigt, wenn es nahen Verwandten nutze oder dafür eine Gegenleistung erwartet werden könne (verwandtschaftlicher bzw. reziproker Altruismus). Nützlich sei altruistisches Verhalten auch, weil der Organismus dadurch den Ruf erwerbe, großzügig und freundlich zu sein und für sich selbst Werbung machen könne (Altruismus zum Ruferwerb oder zur Selbstreklame). Dawkins’ These lautet nun, dass während des größten Teils der menschlichen Vorgeschichte die Evolution dieser vier Formen des Altruismus durch das Leben des Menschen in kleinen, stabilen Gruppen und dörflichen Strukturen gefördert wurde.3 Dass wir trotz der veränderten Lebensbedingungen auch heute noch altruistisch sind, erklärt er folgendermaßen: „In alter Zeit, als wir wie Paviane in kleinen, stabilen Gruppen lebten, programmierte die natürliche Selektion in unser Gehirn einen Drang zum Altruismus ein; es war ein Trieb wie der Sexualtrieb, der Fresstrieb, die Fremdenfeindlichkeit und so weiter.“4 Durch diesen Drang empfindet auch der heutige mit einem nicht verwandten, weinenden Menschen Mitleid, genauso wie er sich auch zu einem 1 2 3 4

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 291. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 298. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 305. Dawkins, Der Gotteswahn, 306 – 07.

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Angehörigen des anderen Geschlechts hingezogen fühlt, selbst wenn dieser vielleicht unfruchtbar ist. Beide Empfindungen sind nach Dawkins „Fehlfunktionen, darwinistische Fehler – segensreiche, kostbare Fehler.“5 Wichtig ist es nach Dawkins festzuhalten, dass diese Faustregeln des Altruismus den Menschen nicht auf eine deterministische Weise beeinflussen, sondern durch Kultivierungswirkungen von Literatur und Sitten, Gesetzen und Traditionen sowie durch die Religion gefiltert werden.6 Wenn das menschliche Moralgefühl in der darwinistischen Vergangenheit des Menschen verwurzelt ist, sollte es nach Dawkins möglich sein, einige allgemeine ethische Regeln aufzuspüren, die über geographische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg gültig sind.7

2. Warum sollte Moral nicht religiös begründet werden? Da Studien mit ethischen Dilemmata verdeutlichen, dass zwischen religiös und atheistisch eingestellten Menschen hinsichtlich ethischer Entscheidungen keine signifikanten Unterschiede bestehen, ist Gott für Dawkins keine notwendige Voraussetzung für ethisches Handeln.8 Vielmehr meint Dawkins, dass jeder Mensch, der meint, er würde ohne Gott unmoralisch handeln, sich selbst als unmoralischen Menschen entlarvt.9 Prinzipien wie die goldene Regel lassen sich nach Dawkins auch aus nicht-religiösen Kontexten ableiten.10 Religiös gestützte ethische Prinzipien sind nach Dawkins zumeist absolutistisch. Eine absolute Ethik anders als religiös zu begründen, hält Dawkins für schwierig.11 Ethische Normen auf Grundlage der Bibel zu begründen, hält Dawkins für unzulässig, da die Bibel ein widersprüchliches, mitunter groteskes Buch sei.12 Dabei hält Dawkins vor allem die Tatsache für problematisch, dass sich Gläubige aussuchen, welche Bibelstellen sie wortwörtlich glauben und welche sie symbolisch bzw. allegorisch deuten, ohne für ihre Auswahl verlässliche, schriftunabhängige Kriterien zu haben.13 Als abstoßend empfindet Dawkins die Moral, die z. B. die alttestamentliche Geschichte von der Opferung Isaaks durch Abraham (Gen 22,1 ff.) ausdrückt.14 Zwischen dem Alten Testament und der modernen, „zivilisierten“ Moral besteht nach Dawkins demnach eine Kluft.15 Zwar ist das Neue Testament für Dawkins „…gegenüber dem grau5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Dawkins, Der Gotteswahn, 307. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 308. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 309. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 314. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 315. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 322. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 322 – 324. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 327. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 328. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 335. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 340.

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samen Ungeheuer aus dem alten Testament ein großer Fortschritt“, aber auch Jesus vertrat – beispielsweise in Sachen Familie – Standpunkte, die Dawkins für fragwürdig hält.16 Darüber hinaus machen sich Christen nach Dawkins nur sehr selten klar, dass die moralischen Vorschriften des Alten und des Neuen Testamentes ursprünglich nur für eine begrenzte Gruppe bestimmt waren. So bedeutete der Satz „Liebe deinen Nächsten“ nach Dawkins ursprünglich nur „Liebe einen anderen Juden“. Der Satz „Du sollst nicht töten“ habe ursprünglich nichts anderes bedeutet als „Du sollst keine Juden töten“. Jesus habe ebenso die Gruppe der Erretteten nur auf die Juden begrenzt.17 „Jesus war ein Anhänger der gleichen Gruppenmoral – in Verbindung mit Feindseligkeit gegenüber Außenstehenden – die im Alten Testament als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Jesus war ein loyaler Jude. Die Idee, den jüdischen Gott auch den Ungläubigen nahe zu bringen, wurde erst von Paulus erfunden.“18

Gegen die Möglichkeit Moral religiös zu begründen, spricht nach Dawkins auch der in religiösen Begründungssystemen von Moral implizite Speziesismus. Grundsätzlich können Organismen nach Dawkins niemals nicht miteinander verwandt sein, da das Leben auf der Erde nur einmal entstanden ist. Die Evolution der lebenden Organismen kann zudem als ein Baum dargestellt werden, dessen Zweige sich stets nur gabeln und niemals wieder zusammenkommen. Baut man seine Taxonomie kladistisch auf, dann stehen alle Säugetiere, wie z. B. Menschen, Wale und Schnabeltiere, den Fischen genau gleich nahe. Eine Verortung des Menschen an der Spitze der Säugetiere wird damit hinfällig. Zu beachten ist, dass die kladistische Taxonomie maßgeblich von der Tatsache profitiert, dass Zwischenstadien, die zum gemeinsamen Vorfahren zurückführen, heute nicht mehr leben. Würden alle Tiere in die Klassifikation einbezogen, die jemals gelebt haben, ergäbe sich eine kontinuierliche Serie von Übergangsformen, die taxonomische Unterscheidungen erschweren würde bzw. unmöglich machte. Die Unterscheidung zwischen Vögeln und Nichtvögeln könnte beispielsweise hinfällig werden. Auch die menschliche Ethik und die Menschenrechte werden nach Dawkins durch die Nichtexistenz von Zwischenstufen gerettet, da sie fundamental artgebunden sind. Während ein Schimpanse Eigentum eines Zoos sein und ungestraft beseitigt werden kann, sollen Menschen kein Eigentum von irgendjemand sein und sollen nicht getötet werden. Dawkins hält dies für Diskriminierung und Artegoismus, der christlich inspiriert ist. So wird die Abtreibung einer einzigen menschlichen Zygote als schwerwiegender betrachtet als die Vivisektion beliebig vieler intelligenter Schimpansen, die erwachsen sind. „Wir können mit einem solchen doppelten Wertmaßstab nur deswegen ruhig leben, 16 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 346 – 50. 17 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 351 – 53. 18 Dawkins, Der Gotteswahn, 357.

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Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis

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weil alle Zwischenstufen zwischen Mensch und Schimpanse tot sind“.19 Dawkins sagt nicht, dass man anstatt von Kindern Menschenaffen retten sollte, aber er möchte darauf aufmerksam machen, dass für beide Rettungsaktionen gute Argumente gefunden werden könnten und der Rettung der Kinder nicht automatisch der Vorzug zu geben ist. So meint Dawkins, dass man sich durchaus die Frage stellen kann, was so Besonderes am Menschen ist, dass er immer Priorität vor den Menschenaffen haben sollte.20 Diese diskontinuierliche Sichtweise sei durch die Evolutionsgeschichte in keiner Weise gerechtfertigt. So widerspricht nach Dawkins die menschliche Klassifizierung der Tiere in abgeschlossene Spezies der evolutionären Sicht des Lebens, weil Zwischenstufen zwischen den Spezies angenommen werden müssen. Zweckdienlich für die menschliche Einteilung sei, dass in der Regel alle Zwischenformen zwischen zwei Spezies ausgestorben sind. Dass dies allerdings keineswegs immer der Fall sein muss, zeigt das Beispiel zweier Möwenarten (Herring Gull, d. i. Spezies A und Lesser Black-backed Gull, d. i. Spezies B). In Großbritannien lassen sich Spezies A und B aufgrund ihrer unterschiedlichen Färbung gut unterscheiden. Folgt man nun Populationen der Spezies A westwärts in Richtung Nordpol, nach Nordamerika und von dort über Alaska in Richtung Europa, stellt man fest, dass die Individuen der Spezies A mit der Zeit Individuen der Spezies B immer ähnlicher sehen. Folgt man dem Populationsring der Spezies A bis nach Europa weiter, stellt sich heraus, dass Spezies B an dessen Ende steht. In Europa paaren sich Spezies A und B niemals miteinander, obwohl sie durch einen kontinuierlichen Ring von sich kreuzenden Zwischenstufen verbunden sind.21 Vor diesem Hintergrund vertritt Dawkins die These, dass es für die Moral unerheblich sein müsste, dass Zwischenstufen ausgestorben sind.22 Würde irgendwo auf der Welt ein Menschenaffe-Mensch-Hybrid existieren, müsste dies unsere Moralvorstellungen und -begründungen nach Dawkins ins Wanken bringen.23 Unsere heutigen moralischen Haltungen beruhen nach Dawkins auf dem Imperativ der diskontinuierlichen Speziesisten.24 Blickt man auf alle Tiere, die je gelebt haben, dann zeigt uns die Evolutionsgeschichte nach Dawkins, „…dass buchstäblich jede Spezies über eine Linie des allmählichen kontinuierlichen Übergangs mit jeder anderen verbunden ist.“25 In diesem Fall ist jede Diskontinuität also immer nur scheinbar. Streng getrennte Arten sind nach

19 Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 304. Vgl. zu diesem Punkt auch Dawkins, Gaps in the Mind, 23 – 30. 20 Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 24. 21 Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 25. 22 Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 28. 23 Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 29. 24 Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 30. 25 Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 441.

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Dawkins „…in der Welt der Evolution nicht mehr als eine bequeme Fiktion, ein Zugeständnis an unsere eigene Begrenztheit.“26

3. Dawkins’ alternative Moralbegründung Da eine religiöse Moralbegründung nach Dawkins absolutistisch ist und das Problem der Zwischenstufen nicht genügend berücksichtigt, setzt sich Dawkins für eine konsequentialistische Moralbegründung ein. In deren Kontext werde die ethische Richtigkeit oder Falschheit einer Handlung nach deren Folgen beurteilt.27 Als Basis für seine konsequentialistische Moralbegründung führt Dawkins an, dass zumindest eine Mehrheit von Menschen das gleiche weit gefasste, liberale Spektrum ethischer Prinzipien für wünschenswert hält: z. B. einem anderen kein Leid zufügen, freie Meinungsäußerung, kein Inzest oder kein Betrug. Die menschliche Ethik habe sich seit der biblischen Zeit erheblich weiterentwickelt und verändere sich auch heute noch.28 Die Verbesserung des ethischen Zeitgeistes gründet nach Dawkins auf der Existenz einer besseren Bildung, auf herausragenden Gestalten, die ihrer Zeit voraus sind oder auf der wachsenden Erkenntnis, dass jeder sein Menschsein mit den Angehörigen aller Rassen und beider Geschlechter gemeinsam hat.29 Zugleich erkennt Dawkins aber auch an, dass der Zeitgeist keine Einbahnstraße in Richtung Verbesserung ist, sondern ein Zick-Zackkurs mit „einigen widerwärtigen Gegenbewegungen“, die namentlich z. B. mit Hitler oder Stalin verbunden sind.30 In diesem Kontext ist die interessante Frage nicht, „…ob einzelne böse (oder gute) Menschen Religionsanhänger oder Atheisten waren, […] sondern ob der Atheismus die Menschen systematisch dazu veranlasst, schlimme Dinge zu tun. Und dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt.“31

Während Atheisten scheußliche Dinge tun können, aber nicht im Namen des Atheismus, werden Religionskriege nach Dawkins tatsächlich im Namen der Religion geführt.32 Problematisch ist nach Dawkins nun, dass der religiöse Absolutismus dem Wandel des ethischen Zeitgeistes entgegensteht. Dies zeige sich z. B. an der Hinrichtung von Homosexuellen im Afghanistan der Taliban oder an der Bezeichnung von AIDS als Strafe Gottes oder an der Aussage, Abtreibung sei Mord.33 Ein Konsequentialist oder Utilitarist würde nach Dawkins die Abtreibungsfrage wahrscheinlich offener angehen und versu26 27 28 29 30 31 32 33

Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 445. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 322 – 324. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 365 – 67. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 375 – 77. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 378. Dawkins, Der Gotteswahn, 379. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 387. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 401 – 405.

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Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis

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chen, das Leiden der Beteiligten gegeneinander abzuwägen.34 Damit sei nicht ausgeschlossen, dass ein Konsequentialist gute Gründe haben könnte, eine Abtreibung abzulehnen, beispielsweise indem er argumentiert, dass eine Kultur, die die Tötung eines menschlichen Lebens hinnehme, leicht Gefahr laufe, instabil zu werden. Darüber hinaus mag der Absolutismus, wenn auch aus den falschen Gründen, in einer nicht idealen Welt bessere Folgen haben als ein naiver Konsequentialismus.35

4. Wie wirkt sich Dawkins’ moralische Haltung konkret aus? Dawkins betont vor dem Hintergrund seiner Kritik am Speziesismus, dass Embryonen im Frühstadium ihrer Entwicklung kein Nervensystem haben und deswegen im Fall eines Abbruchs höchstwahrscheinlich nicht leiden. Zudem gibt es keinen vernünftigen Grund, warum ein menschlicher Embryo zu irgendeinem Zeitpunkt mehr leiden sollte als ein Rinder- oder Schaf-embryo im gleichen Entwicklungsstadium. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass alle tierischen und menschlichen Embryonen weit weniger leiden als ausgewachsene Kühe und Schafe im Schlachthaus.36 Die Argumentation, dass es nicht um die Leidensfähig- oder -unfähigkeit eines menschlichen Embryos, sondern um dessen Potenzial geht, hält Dawkins für „irrsinnig“37 Als problematisch stuft Dawkins ein, dass Abtreibungsgegner zwar eigentlich das Leben schützen wollen, damit aber ausschließlich menschliches Leben meinen. Dass menschliches Leben im Vergleich zu anderen Lebensformen eine Sonderstellung einnehmen soll, ist nach Dawkins unvereinbar mit der Tatsache der Evolution. So stünden Menschen in einer ununterbrochenen entwicklungsgeschichtlichen Beziehung zu den Schimpansen und allen anderen biologischen Arten auf der Erde. Während es Dawkins als Konsequentialist im Hinblick auf die Zulässigkeit von Abtreibung nicht beeinflussen würde, wenn man Zwischenstufen fände, stünden Absolutisten vor dem Problem, wie man mit dieser Zwischenart umgehen sollte.38 Selbst wenn man beispielsweise im Hinblick auf den „Australopithecus“ als Absolutist noch eine eindeutige Antwort geben könnte, wird es nach Dawkins „… irgendwo eine Zwischenform geben, die so dicht an der ,Grenze‘ liegt, dass das ethische Prinzip verschwimmt und seine Absolutheit verliert.“39 In der Evolution finden sich jedenfalls keine natürlichen Grenzlinien zwischen den

34 35 36 37 38 39

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 407. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 408. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 414 – 15. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 418 – 19. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 420. Dawkins, Der Gotteswahn, 420.

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses

Arten, so dass absolutistische ethische Unterscheidungen nach Dawkins hinfällig werden.40 Auch im Hinblick auf das Phänomen des Rassismus hilft nach Dawkins ein Blick in die Evolutionsgeschichte. Während sich unterschiedliche Arten niemals kreuzen, können dies unterschiedliche Rassen sehr wohl. Daraus folgt, dass wir im Gegensatz zur Frage der Zugehörigkeit zu einer Art, die Frage der Rassenzugehörigkeit anhand objektiver Kriterien (wie z. B. dem Kreuzungskriterium) nicht beurteilen können und ebenso wenig entscheiden können, wie viele Rassen es gibt.41 Nichtsdestoweniger haben Menschen nach Dawkins einen eigenartigen Widerwillen dagegen, den trennenden Sprachgebrauch aufzugeben und tendieren dazu, gemischtrassige Menschen konsequent entweder der einen oder der anderen Rasse zuzuweisen.42 Darüber hinaus ist zwar die schwarze Hautfarbe „…keine genetisch dominante Eigenschaft wie die glatte Form der Erbsen. Aber in der gesellschaftlichen Wahrnehmung verhält sie sich, als wäre sie dominant.“43 Mit Lionel Tiger führt Dawkins dies auf eine rassistische „Verschmutzungsmetapher“ in der Kultur der Weißen zurück. Interessant sei, dass im Hinblick auf die Rasseneinteilung eine große Übereinstimmung zwischen verschiedenen Beobachtern bestehe. „Wir wissen vielleicht nicht, wie die Menschen entscheiden, ob jemand ,schwarz‘ oder ,weiß‘ ist (wobei ich hoffentlich gerade nachgewiesen habe, dass die tatsächliche Hautfarbe dabei kaum eine Rolle spielt), aber dahinter muss irgendein zuverlässiges Kriterium stehen, wenn zwei zufällig ausgewählte Personen zum selben Ergebnis kommen.“44

Demgegenüber und gegen die oberflächlichen Erscheinungsbilder sei die menschliche Spezies aus Sicht der heutigen Genetiker sehr einheitlich. Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses bedeutet die Rasse einer Person nach Dawkins herzlich wenig.45 Dawkins betont, dass die Rasseneinteilung der Menschen keinen gesellschaftlichen Wert hat und auf gesellschaftliche und zwischenmenschliche Beziehungen zerstörerisch wirken kann. Jedoch müsse man deswegen nicht den Rassenbegriff aufgeben. Auch wenn der rassenspezifische Anteil an der Gesamtvariationsbreite noch so klein sei, korrelierten diese Rassenmerkmale eng mit anderen Rassenmerkmalen, so dass sie definitionsgemäß informativ und von systematischer Bedeutung seien.46 So verringert die Aussage „Colin ist schwarz“, tatsächlich die frühere Unsicherheit über Colin.47

40 41 42 43 44 45 46 47

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 420. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 559 – 60. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 562. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 563. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 564. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 566. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 570. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 572.

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Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis

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„Jemandem ein Rassenetikett anzuheften ist informativ in dem Sinn, dass wir mehrere Dinge über diese Person erfahren. Es vermindert vielleicht unsere Unsicherheiten in Bezug auf die Haarfarbe, die Hautfarbe, die Glätte der Haare, die Augenform, die Form der Nase und die Körpergröße. Es besteht aber kein Grund zu der Annahme, es würde irgendetwas über die Qualifikation für einen Arbeitsplatz aussagen.“48

Nach Dawkins ist eine Diskriminierung von einzelnen Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe immer falsch.49 So hält es Dawkins für sehr problematisch, wenn in Sätzen Verschiebungen von der Mehrzahl zur Einzahl vorgenommen werden. „,Der Jude‘ … anstelle von ,Juden‘. … Menschen sind Individuen. Sie sind individuell unterschiedlich, und die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gruppe sind größer als die zwischen verschiedenen Gruppen.“50

5. Dawkins’ moralische Maxime Dawkins betont, dass die Existenz eines Organismus ein Glücksfall ist.51 Die Wahrscheinlichkeit, ein geborener Organismus zu werden, ist nach Dawkins von zahlreichen Faktoren wie dem Vorhandensein eines lebensfreundlichen Planeten, der Existenz von Vorfahren und der Embryonalentwicklung abhängig.52 Dabei liegt die Chance, dass ein zufällig gewählter Planet lebensfreundliche Eigenschaften besitzt, gerade mal bei eins zu einer Million. Wenn das eigene Leben schon ein solcher Glücksfall ist, darf es nach Dawkins in seinem Verlauf nicht nur um die Verhinderung des Sterbens gehen. „Zumindest ein Teil unseres Lebens muss dazu dienen, dieses Leben auch zu führen und nicht nur sein Ende zu verhindern.“53 Diese Notwendigkeit der Lebensführung begründet Museen, Kunst, Musik oder die Erhaltung schöner Bauwerke. In diesem Kontext ist für Dawkins auch Naturwissenschaft sinnvoll, die dabei hilft, die „Betäubungswirkung des Vertrauten“ und die „Beruhigungseffekte des Normalen“ aufzuheben, die das Wunder des Daseins verschleiern.54 „Ist es nicht eine edle, erleuchtete Art, unsere kurze Zeit unter der Sonne zu verbringen, wenn wir zu verstehen streben, was das Universum ist und wie es kommt, dass wir darin erwacht sind?“55 48 49 50 51 52 53 54 55

Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 573. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 574. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 574. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 17. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 18 – 20. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 22 – 23. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 24. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 23.

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses

Zusammenfassung des ersten Hauptteils Die obige Darstellung zeigt, dass Dawkins’ Werk inhaltlich hauptsächlich von der Frage bestimmt ist, wie die Entstehung und die Entwicklung des Lebens erklärt werden können. Dawkins geht bei der Beantwortung dieser Frage von verschiedenen Voraussetzungen aus. So ist Dawkins zunächst einmal davon überzeugt, dass das Geheimnis unserer Existenz – also die Beantwortung der Frage, warum wir existieren – überhaupt lösbar ist. Die einzige Methode zur Lösung dieses Geheimnisses ist für Dawkins die Wissenschaft. Gute Wissenschaft versteht Dawkins als Naturwissenschaft, die sich durch einen zumindest methodischen Naturalismus und Reduktionismus auszeichnet, für die Beweise zentral sind und die somit eine privilegierte „Straße“ in Richtung Wahrheit darstellt. Eine so verstandene Wissenschaft hat nach Dawkins keine Methoden, um zu entscheiden, was richtig und was falsch ist, kann aber durch ihre Forschungsergebnisse ethische Entscheidungen des Menschen erleichtern. Unter allen guten wissenschaftlichen Theorien, ist nach Dawkins der Darwinismus die bislang einzige Theorie, die das Geheimnis der menschlichen Existenz auch tatsächlich gelöst hat. In Dawkins’ Werk findet sich vor diesem Hintergrund eine enge Verknüpfung des Darwinismus bzw. der darwinistischen Evolutionstheorie mit der für Dawkins zentralen Theorie vom egoistischen Gen. Sein darwinistisches Evolutionsverständnis ist dementsprechend nur vor dem Hintergrund, der in der Theorie vom egoistischen Gen eingeführten Begrifflichkeiten (Replikator, Vehikel…) verständlich. Gene sind in diesem Kontext die zentralen Einheiten der natürlichen Selektion. Die Entwicklung des Lebens ist geprägt durch das Zusammenspiel von langsamer, kumulativer Selektion und zufälliger Mutation. Besonders gut kann dieses Zusammenspiel die Entstehung von komplexen Lebewesen erklären. Grundsätzlich ist der Evolutionsprozess für Dawkins wertneutral, in adaptiver Hinsicht fortschrittlich, aber nicht perfektionistisch, weder zufällig noch willkürlich. Da nach Dawkins rein natürliche Phänomene unsere Existenz und Herkunft erklären können, ist die Annahme eines Schöpfers, der die Evolution lenkt und das Universum erschaffen hat, überflüssig und kontraproduktiv. Sein Evolutionsverständnis und seine Theorie vom egoistischen Gen prägen darüber hinaus auch seine Sicht der Lebewesen, der Religion, der Moral und der Kultur. Lebewesen sind für Dawkins Produkte der Evolution. Dawkins’ Bezeichnung des Menschen als Genmaschine bzw. Überlebensmaschine der eigenen Gene steht vordergründig einem Verständnis des Menschen gegenüber, das ihn als intentionales, selbständig handelndes und freies Lebewesen versteht. Nichtsdestoweniger gibt es bei Dawkins das Motiv der Emanzipation des Menschen von evolutionären Wurzeln. Religion erscheint bei Dawkins ebenfalls als Produkt der Evolution und wird in seinem Werk negativ bewertet. Davon zeugt Dawkins’ radikale Religionskritik. Demge-

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Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis

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genüber ist Dawkins’ Einschätzung der menschlichen Moral positiv, obgleich auch Moral seiner Meinung nach evolutionäre Wurzeln aufweist. Dawkins’ Kulturverständnis ist eng an sein Evolutionsverständnis angelehnt. Dawkins zufolge funktioniert Kultur nach evolutionären Mustern, und so entwickelt er den Begriff des Mems als kulturelle Analogie zu den im Evolutionsprozess zentralen Genen. Dawkins’ Weltsicht leitet sich einerseits aus seinen Voraussetzungen, andererseits aus seiner grundlegenden Sicht der Evolution ab, die er im Sinne seiner Theorie vom egoistischen Gen interpretiert. De facto atheistisch ist Dawkins zum Beispiel, weil er davon überzeugt ist, dass die besseren Argumente gegen Gott sprechen. Naturalist ist er, weil seiner Meinung nach „gute Wissenschaft“ gezeigt hat, dass es außerhalb des Universums weder einen Gott noch eine unsterbliche Seele gibt. Implizit lässt sich Dawkins’ Weltsicht auch mit Hilfe seiner Reaktionen auf Kritikpunkte, die gegen seine Thesen geäußert wurden, ableiten. In diesem Kontext verteidigt Dawkins seine Form des Reduktionismus, weist die Vorstellung zurück, Anpassungen in der Evolution seien perfekt und wendet sich gegen die Einschätzung, er selbst sei genetischer Determinist. Zugleich zeugen diese Reaktionen davon, dass Dawkins’ Werk nicht nur den Ausgangspunkt des Dawkins-Diskurses darstellt, sondern auch von diesem beeinflusst wird. Maßgeblich ist Dawkins’ Werk auch von der moralischen Maxime geprägt, dass der Mensch aufgrund der Unwahrscheinlichkeit seiner Existenz zu einer gelungenen Lebensführung aufgerufen ist, in deren Kontext es nicht nur um die Verhinderung des eigenen Todes gehen darf.

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Dawkins’ Werk als Grundlage des Diskurses

Abb. 1: Aufbau von Dawkins’ Werk

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II. Hauptteil Analyse des Dawkins-Diskurses

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Analyse des Dawkins-Diskurses

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Im Folgenden sollen die Argumente, inhaltlichen Schwerpunkte und Diskursstrategien im Vergleich vorgestellt werden, die von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften im Umgang mit Dawkins diskutiert und angewendet werden. Dabei geht es darum, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Umgangs der Disziplinen mit Dawkins’ Thesen herauszuarbeiten. Um herauszufinden, ob dieser Umgang tatsächlich disziplinspezifisch ist, soll in einem weiteren Schritt überprüft werden, inwiefern auch zeitliche oder räumliche Aspekte bei der Beschäftigung mit Dawkins eine Rolle spielen.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

1. Kapitel: Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte im Vergleich Die von Dawkins in seinem Werk behandelten zentralen Themen werden von allen Wissenschaften aufgegriffen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Während Dawkins’ Religionskritik im Bereich der Theologie eine deutlich größere Rolle einnimmt als im Bereich der Philosophie oder der Naturwissenschaften, wird seine Theorie vom egoistischen Gen in den Naturwissenschaften und in der Philosophie stärker diskutiert. Diesen Umstand bestätigt der genaue Vergleich der Behandlung der folgenden Gesichtspunkte durch Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften: – – – – – – – –

Dawkins’ Weltsicht Dawkins’ Wissenschaftsverständnis Dawkins’ Religionskritik Dawkins’ Gottesbild Dawkins’ Sicht der Evolution Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen Dawkins’ Mem-Konzept Dawkins’ Moralverständnis

1. Dawkins’ Weltsicht im Spiegel der Wissenschaften Dawkins’ Weltsicht ist eines der am breitesten verhandelten und kontroversesten Themenfelder des gesamten Diskurses. Betrachtet man zunächst die am Diskurs beteiligten Theologen, ergibt sich ein facettenreiches Bild der Weltsicht Dawkins’, die von Gerhard Lohfink zunächst als philosophischer Materialismus bezeichnet wird1, während John F. Haught, Keith Ward und Gregor Hoff sie als ontologischen Naturalismus einstufen.2 Für Hoff stellt dabei Dawkins’ umfassende Naturalisierung aller Bedeutungsfragen zugleich einen konsequenten Reduktionismus dar.3 Den Reduktionismus Dawkins’ kritisiert auch Knapp, der negiert, dass die Reduktion menschlicher Phänomene wie Selbstbewusstsein, Kultur und Ethik auf die Ebene biologischer Gesetzmäßigkeiten dem menschlichen Selbstverständnis nicht gerecht werden kann.4 1 Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 15. 2 Vgl. Haught, God and the New Atheism, xiv. Siehe auch Ward, God, Chance and Necessity, 11 – 14. sowie Hoff, Die neuen Atheismen, 49 – 50, 69 – 71. Knapp spricht in diesem Kontext von einem pessimistischen Naturalismus. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 167. 3 Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 70. Intensiv mit Dawkins’ Naturalismus befasst sich auch Heinrich. Vgl. Heinrich, Die Soziobiologie als kulturevolutionäres Programm, z. B. 58 – 59. 4 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 166. Siehe auch Clayton, Die Frage nach der Freiheit, 84 – 85.

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Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte

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Ted Peters bestimmt Dawkins eindeutig als genetischen Deterministen fatalistischer Prägung, während Dawkins nach Axel Heinrich gezielt die Frage offen hält, ob seine Theorien und Vorstellungen von einem biologischen Determinismus bestimmt sind.5 Die Behauptung Dawkins’, in der Soziobiologie gehe es lediglich um probabilistische Aussagen, kann nach Heinrich allerdings das „Gespenst des genetischen Determinismus“ nicht vertreiben.6 Knapp kritisiert vor allem Dawkins’ Versuch, den Egoismus radikal zum Überlebensprinzip zu erklären, wobei sich der Egoismus des Gens im Egoismus des Verhaltens niederschlage und so ein Zusammenhang zwischen der Ebene des beobachteten Verhaltens und der Genebene behauptet werde.7 Nach Philip Clayton liest sich Das egoistische Gen überwiegend wie ein Argument für den genetischen Determinismus, wohingegen Dawkins’ Idee der möglichen Auflehnung des Menschen gegen seine egoistischen Gene dem widerspreche. „… if genes are the only real actor, then any sense we might have of being able to guide our own fate will have to be interpreted as illusion. You can’t have it both ways.“8 Magnus Striet und Martin Stowasser bezeichnen Dawkins’ Weltbild als biologistisch.9 Auch Heinrich spricht davon, dass soziobiologische Äußerungen sich stabil in Richtung eines ethischen und anthropologischen Biologismus bewegen.10 Alister McGrath, Gerhard Lohfink und Richard Schröder charakterisieren Dawkins’ Weltsicht als fundamentalistischen oder propagandistischen Atheismus11. McGrath hält es in diesem Kontext für wahrscheinlich, dass moralische Überlegungen den Ausgangspunkt für Dawkins’ Atheismus darstellen. „What if Dawkins’ atheism is actually grounded in moral considerations, and then read back into his scientific enterprise?“12 Ward bringt Dawkins’ extremen Darwinismus explizit mit dem Thema Sozialdarwinismus in Verbindung13, während Knapp in seiner Kritik von Dawkins’ Darwinismus (und dem der übrigen Soziobiologen) auf den paradigmatischen Charakter der Evolutionstheorie verweist. In Anlehnung an Robert Spaemann, Reinhard Löw sowie Thomas Kuhn und Wolfgang Stegmüller betont Knapp, dass der Darwinismus keine zur Überprüfung anstehende Hypothese ist, sondern ein wissenschaftliches Paradigma. Als Paradigma beruhe der Darwinismus zugleich häufig auf Glaubensentscheidun-

5 6 7 8

9 10 11 12 13

Vgl. Peters, Playing God?, 6 sowie Heinrich, Gesellschaft ,am langen Band der Gene‘, 67. Vgl. Heinrich, Die Naturalisierung der Menschenrechte, 205. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 42. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 302. Nach Clayton zeugt Dawkins’ Werk insgesamt von einer philosophischen bzw. metaphysischen Voreingenommenheit des Autors. Vgl. Clayton, Emergenz und Bewusstsein, 98, Anm. 32. Vgl. Striet, Sorgen mit dem lieben Gott, 104 sowie Stowasser, Si tacuisses, 243 – 244. Heinrich, Gesellschaft ,am langen Band der Gene‘, 68. Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 8. Siehe dazu auch: Lohfink, Welche Argumente, 11, und Schröder, Abschaffung der Religion?, 13 – 17. McGrath, Dawkins’ God, 12. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 173 – 78.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

gen.14 Graf macht antijudaistische Begleittöne in Dawkins’ Werk aus.15 Schröder sieht in Dawkins’ Sicht der Welt als Schlachtfeld, auf dem nur die Stärkeren – also die Gene – überleben, Ähnlichkeiten mit nationalsozialistischem-biologistischem und kommunistischem Gedankengut. In der Philosophie werden im Vergleich zur Theologie teils dieselben, teils neue Facetten der Weltsicht Dawkins’ diskutiert. Während Strasser Dawkins’ Weltsicht als religionsfeindlichen Materialismus und evolutionären Naturalismus bezeichnet16, ist für Müller Dawkins’ atheistische Weltsicht eine Religion.17 Demgegenüber begrüßt John Dupr Dawkins’ Naturalismus.18 Gray stellt die originelle These auf, dass Dawkins’ säkularer Humanismus bzw. sein Atheismus letztendlich in christlichen Ideen gründet.19 Greif und Ruse charakterisieren Dawkins’ Weltsicht als universellen Darwinismus bzw UltraDarwinismus.20 In diesem Kontext werde die Evolutionstheorie bei Dawkins zu mehr als einer wissenschaftlichen Theorie:“In the face of such strong emotions, who can deny that evolution functions more than just a scientific theory in Richard Dawkins’s worldview?“21 Mary Midgley hält Dawkins’ Weltsicht für fatalistisch und kritisiert ihre negativen Implikationen.22 Zugleich weist Midgley auch Dawkins’ Reduktionismus zurück, der gerade nicht bloß auf einfache Erklärungen abziele, sondern Teil einer Propagandakampagne und damit nicht wertfrei sei.23 Dagegen verteidigt Daniel Dennett Dawkins’ Form des Reduktionismus als nicht-ontologisch.24 Susan Oyama wiederum hält Dawkins zumindest für einen latenten genetischen Deterministen25, während Michael Ruse Dawkins’ Idee des absoluten Fortschritts kritisiert.26 Ullrich Stegmann problematisiert den Stellenwert von Dawkins’ explanatorischem Adaptionismus27 für Dawkins’ Weltsicht, wohingegen Dennett Dawkins’ Adaptionismus verteidigt.28 Greif bewertet Dawkins’ Weltsicht als maßgeblich durch sein instrumentalistisches Theorieverständnis beeinflusst. So betrachte Dawkins Theorien als Werkzeuge zur Produktion testbarer Hypothesen und bewerte eine neuartige Darstellung von 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 50. Vgl. Graf, Der ,liebe Gott‘ als blutrünstiges Ungeheuer, 23. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 20 – 25. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 48. Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 42 – 43, sowie 55 – 62. Vgl. Gray, Politik der Apokalypse, 290 – 92. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 110 – 114 sowie Ruse, Can a Darwinian Be a Christian?, 29. Ruse, The Evolution-Creation-Struggle, 208. Vgl. Midgley, Evolution as a Religion, 143 – 46. Siehe auch Midgley, Selfish Genes and Social Darwinism, 371 – 72. Vgl. Midgley, The Myths We Live By, 32. Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 6, 81 – 83. Oyama, The Ontogeny of Information, 128. Vgl. Ruse, Dawkins and the Problem of Progress, 145 – 163. Vgl. Stegmann, Die Adaptationismus-Debatte, 287 – 303. Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 238, 241, 247, 249, 261, 278.

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Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte

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Theorien als Möglichkeit zur Herstellung eines anderen Blickwinkels und somit besserer Hypothesen. Mit Hilfe dieses instrumentalistischen Verständnisses rechtfertige Dawkins die Tatsache, dass er ein teleologisches Vokabular in die Biologie einführe, die in ihren Erklärungen der Entwicklung des Lebens teleologische Eigenschaften der belebten Welt gerade nicht voraussetzen wolle. Im Gegensatz zur historischen Herangehensweise an das Phänomen Evolution eines Stephen Jay Gould, Richard Lewontin oder Niles Eldredge wähle Dawkins eine kausale Herangehensweise, die vor allem auf mathematischen Modellen und hypothetischen Beispielen beruhe und kaum historisch operiere. Dabei ist nach Greif keiner dieser Ansätze per se auszuschließen, da die Evolutionsgeschichte einerseits nicht kontingent sei, es andererseits aber faktisch nicht möglich sei, die interferierenden Ursachen aus einem reduktionistischen Bild der Evolution herauszurechnen.29 Sterelny weist schließlich die Einstufung von Dawkins als genetischen Deterministen zurück.30 Im Vergleich mit der Theologie zeigt sich, dass in der Philosophie die Charakterisierung seiner Weltsicht als latent antisemitisch oder sozialdarwinistisch fehlt. Die Einschätzung von Dawkins’ Thesen als biologistisch findet sich dagegen auch in der Philosophie, und zwar bei Müller, der von einer biologistischen Semantik oder biologistischen Analogismen bei Dawkins spricht.31 Midgleys Aussagen über Dawkins’ Fatalismus sind mit denen Peters’ über Dawkins’ genetischen Determinismus vergleichbar. Völlig neu ist Grays Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen Dawkins’ säkularem Humanismus und christlichen Ideen sowie die Diskussion von Dawkins’ Adaptionismus und seinem Theorieverständnis und deren Stellenwert im Kontext seiner Weltsicht. Auch die Einstufung von Dawkins’ Weltsicht als fortschrittsgläubig ist im Vergleich zur Theologie neu. Im Unterschied zu den Theologen lehnen zudem nicht alle Philosophen Dawkins’ Thesen ab. Blickt man auf die Diskussion in den Naturwissenschaften, zeigt sich, dass die Einstufungen von Dawkins’ Weltsicht als religionsfeindlicher oder evolutionärer Materialismus, ontologischer Naturalismus und ontologischer Reduktionismus eng verbunden sind. So spricht Hans-Jörg Hemminger von Dawkins’ religionsfeindlichem Materialismus, der mit einer naturalistischen Anthropologie verbunden sei.32 Nach Barbour verknüpft Dawkins seinen evolutionären Materialismus mit einer Philosophie des Naturalismus und des Reduktionismus.33 Für Kattmann ist Dawkins’ ontologischer Naturalismus mit einem ontologischen Reduktionismus verbunden, den auch Pietschmann

29 30 31 32

Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 77 – 87. Vgl. Sterelny, Dawkins vs. Gould, 170 – 78. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 48. Vgl. Hemminger, Soziobiologie des Menschen, 76. Siehe auch Hemminge, Und Gott schuf Darwins Welt, 170. u. Anm. 145. 33 Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 27 – 28. Vgl. hierzu auch: Barbour, Wissenschaft und Glaube, 118 – 19.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

zurückweist.34 Rose kritisiert wiederum vor allem Dawkins’ ontologischen Reduktionismus.35 Lewontin, Rose und Kamin stufen Dawkins’ Weltsicht als biologischen Determinismus ein, wobei Dawkins als „liberal gesinnter“ Determinist versuche, der Starrheit seines in der Theorie vom Egoistischen Gen grundgelegten Menschenbildes zu entkommen und sich dadurch in einen kulturellen Determinismus flüchte.36 Rose sowie Giberson und Artigas bezeichnen Dawkins’ Weltsicht als universellen Darwinismus.37 Auch Niles Eldredge bezeichnet Dawkins, neben John Maynard-Smith und George Williams als Ultradarwinisten – jedoch in einem deutlich weniger polemischen Sinne als Rose.38 Gegen Dawkins’ Adaptionismus und den anderer Ultradarwinisten betont Eldredge, dass die natürliche Selektion Anpassungsveränderungen vorwiegend in Verbindung mit echter Artbildung hervorbringt.39 Analog dazu lehnt auch Gould Dawkins’ Weltsicht als anpassungs- und fortschrittsfixiert ab.40 Hemminger konstatiert, dass die Dawkins’sche Aussage „Du bist nichts – deine Gene sind alles“ verblüffend der Parole ähnele, die im Dritten Reich den Vorrang des beständigen Volkskörpers vor dem vergänglichen Einzelnen hervorhob: „Du bist nichts – dein Volk ist alles“. Der Zusammenklang ist nach Hemminger keineswegs zufällig, da der Faschismus nationalsozialistischer Prägung schon in seiner formativen Phase vom damaligen Sozialdarwinismus inspiriert war.41 Kattmann konstatiert, dass Dawkins’ Atheismus nichts anderes als eine Religion ist.42 Außerdem präsentiert er wie auch Schaller den Agnostizismus als bessere Alternative zu Dawkins’ Atheismus.43 Verglichen mit den Charakterisierungen aus Theologie und Philosophie finden sich in den Naturwissenschaften zwar keine neuen Facetten, wohl aber neue Akzentuierungen. Dies zeigt sich beispielsweise an der Zusammenbindung der Vorwürfe Materialismus – Naturalismus oder Naturalismus – Reduktionismus. Wie auch in der Theologie wird in den Naturwissenschaften Dawkins’ Weltsicht als (latent) sozialdarwinistisch charakterisiert, wobei dieser Vorwurf in jeder Disziplin nur von einem Forscher geäußert wurde. In 34 Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 332. Sieh auch: Pietschmann, Der Quantifizierungs-Wahn, 344. 35 Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 104 – 5, 111 und 314. 36 Vgl. Lewontin/Rose/Kamin (Hg.), Die Gene sind es nicht, 3 – 5, 48, 144, 233 – 34, 237. 37 Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 104 – 105, siehe auch 220, 226 – 32, 314. Vgl. auch Giberson/Artigas, Oracles of Science, 29 und 49. 38 Eldredge, Ein Kampf der Worte, 166. 39 Vgl. Eldredge, Ein Kampf der Worte, 170 – 71. 40 Vgl. z. B. Gould, Das Grundmuster in der Geschichte des Lebens, 64 und 74 – 75. Vgl. in diesem Kontext auch Gould/Lewontin, The Spandrels of San Marco, 581 – 598. 41 Hemminger, Soziobiologie des Menschen, 76. Die Aussage findet sich so nicht bei Dawkins. Hemminger gibt hierfür auch keine konkrete Belegstelle an. 42 Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 337 – 38. 43 Vgl. Schaller, Dawkins’ Gotteswahn aus Sicht eines Biologen, 317 – 320. Siehe auch: Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 333.

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Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte

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Philosophie und in den Naturwissenschaften finden sich Analysen zum Thema Anpassung und die Einstufung von Dawkins’ Weltsicht als anpassungsfixiert. Neu ist in den Naturwissenschaften die Einstufung von Dawkins’ Weltsicht als deterministisch und liberal zugleich. Zusammenfassend kann man sagen, dass es in allen analysierten Wissenschaften einen Standardkatalog an Einstufungen der Weltsicht Dawkins’ gibt: Materialismus – Naturalismus -Reduktionismus – Determinismus – universeller Darwinismus – Fortschrittsgläubigkeit – Atheismus. Daneben finden sich Einstufungen, die nur in zwei der drei Disziplinen wirksam werden. In Theologie und Philosophie wird Dawkins’ Weltsicht als biologistisch, in Theologie und Naturwissenschaften als (latent) sozialdarwinistisch bezeichnet und in Philosophie sowie Naturwissenschaften als anpassungsfixiert. Gewisse Einstufungen bleiben auf eine Wissenschaft beschränkt. Dawkins’ Weltsicht wird nur von dem Philosophen Gray als in christlichen Thesen wurzelnd interpretiert und sein instrumentalistisches Theorieverständnis wird nur von dem Philosophen Greif als für seine Vorgehensweise und Weltsicht maßgeblich bewertet. Als liberal wird Dawkins’ Weltsicht nur im Kontext der Naturwissenschaften bezeichnet (Lewontin, Rose und Kamin). Zu berücksichtigen ist auch, dass, während zwar kein Theologe oder Naturwissenschaftler Dawkins’ facettenreiche Weltsicht explizit verteidigt, es mit Dennett und Dupr zwei Philosophen gibt, die dies sehr wohl tun. Daneben verteidigt Sterelny als Philosoph Dawkins gegen den Vorwurf des genetischen Determinismus.

Abb. 2: Dawkins’ Weltbild im Spiegel der Wissenschaften

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2. Dawkins’ Wissenschaftsverständnis im Spiegel der Wissenschaften Dawkins’ Wissenschaftsverständnis wird z. B. von den meisten Theologen zunächst als einseitig, naiv und szientistisch charakterisiert.44 Viele Theologen lehnen auch Dawkins’ Umgang mit dem Konzept des wissenschaftlichen Beweises im Sinne eines naturwissenschaftlich objektivierten Beweises ab. Sie argumentieren dabei z. B. mit dem vernünftigen Charakter religiöser Aussagen, mit der Selbstwidersprüchlichkeit des naturwissenschaftlichen Postulates der Objektivität, mit der Tatsache, dass jeder Mensch eine Weltsicht hat oder mit der Unmöglichkeit der wissenschaftlichen Überprüfung der Überzeugung, dass mein Partner mich liebt.45 Haught bemängelt z. B. auch das Fehlen einer konkreten Definition des Begriffs „evidence“ durch Dawkins. Lediglich aus dem Kontext werde klar, dass Dawkins unter Beweis das verstehe, was „… scientifically testable, empirically available, or publicly observable“46 sei. Genauso wie Haught betont auch Schröder, dass neben wissenschaftlichen Erklärungen noch andere Erklärungsformen möglich sind.47Letzterer moniert zudem, dass Dawkins’ Bild der Wissenschaft nichts anderes als eine Weltanschauung sei: „Wenn er [Dawkins, K.P.] ,Wissenschaft‘ sagt, ist ein zur Weltanschauung erweiterter Darwinismus gemeint. Der Biologe hat sich zur Allerklärungskompetenz verstiegen.“48 Dies sieht auch Knapp so, der zu dem Ergebnis kommt, dass die von Dawkins propagierte Form der Wissenschaft (Soziobiologie) nichts anderes als eine moderne Form von Aberglauben sei.49 Während Dawkins und die Soziobiologie für ihre eigenen Voraussetzungen blind seien, habe die moderne Wissenschaftstheorie längst gezeigt, dass eine voraussetzungsfreie Wissenschaft nicht möglich ist. Philosophische, epistemologische, ideologische, soziale, politische, kulturelle und anthropologische Voraussetzungen fließen nach Knapp in den Erkenntnisprozess jedes Forschers ein, dessen Erkenntnisse wiederum seine Voraussetzungen beeinflussten.50 Einige Theologen nutzen auch metatheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften als Möglichkeit zur Relativierung und Infragestellung von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis.51 So 44 Vgl. Lütz, Missionarischer Atheismus, in: Welt-Online vom 13. Oktober 2007. Siehe auch Haught, God and the New Atheism, 17, 38 – 39, 63 sowie McGrath, Atheismuswahn, 47. Hierzu auch Peters , Anticipating Omega, 159 – 61. 45 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 5, 11, 45 – 47 sowie Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 105. Siehe auch McGrath, Dawkins’ God, 83, 94. 46 Haught, God and the New Atheism, 5, 84 – 87. Vgl. hierzu auch Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 65 – 66. 47 Haught, God and the New Atheism, 84. 48 Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 26. 49 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 173. 50 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 184. 51 Vgl. Clayton, Is it Really Biology versus Religion?, 299 – 313, Haught, God and the New Atheism, 48 – 49; McGrath, Atheismuswahn, 42 und 58.

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kritisiert z. B. Clayton, dass Dawkins bei seiner Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Religion und Naturwissenschaft mit Schwarz-Weiß-Gegensätzen arbeitet: „Science works by purely rational means; but religion stands for every-thing that is irrational, backward-looking, obscurantist – in short: evil.“52 Diese Schwarz-Weiß-Malerei verbinde er zudem mit einem Strohmann-Trugschluss, in dem Dawkins die real existierenden subtilen, vielfältigen Beziehungen zwischen Wissenschaftlern, Philosophen und Theologen zugunsten eines unrealistischen Verhältnisses von Naturwissenschaft und Religion, d. i. die Konvergenz der Disziplinen, ausblende.53 In der Philosophie kritisieren viele Forscher Dawkins’ unreflektierte, szientistische Wissenschaftsgläubigkeit.54 Demgegenüber befürwortet Dupr Dawkins’ Charakterisierung des Verhältnisses von Religion und Wissenschaft55 : “… Darwinism undermines the only remotely plausible reason for believing in the existence of God. […] Consequently and contrary to the orthodox philosophical view of the matter, I believe that Christians – not merely fundamentalist Christians – are quite right to try to undermine Darwinism, and Richard Dawkins is quite right that, since their attempts to do this are wholly unsuccessful, there is nothing worthwhile left of the argument from design. More contentiously, I want to insist that without the argument from design there is nothing very credible left of theism generally, and Christianity in particular.”56

Damit lehnt Dupr nicht nur Ruses Argumentation für die Kompatibilität von Darwinismus und Christentum ab57, sondern zeigt deutlich, dass für ihn die Existenz des Darwinismus eine atheistische Position (fast) zwangsläufig macht. In den Naturwissenschaften stufen die meisten Forscher, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, Dawkins’ Wissenschaftsverständnis als einseitig und szientistisch ein. So kritisieren z. B. Giberson und Artigas, dass Dawkins in szientistischer Manier die Wissenschaft als ultimativen Richter über die Wahrheit stilisieren will.58 Daneben gibt es auch Wissenschaftler, die den Weltanschauungscharakter oder Religionscharakter von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis ablehnen.59 Zusammenfassend fällt ins Auge, dass der Gesichtspunkt Wissenschaftsverständnis im Vergleich zum Punkt Weltsicht weniger facettenreich ist. So herrscht in Theologie, Philosophie und Natur52 Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 299. 53 Vgl. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 299 – 301. 54 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 58 und 63. Vgl. auch Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 75 – 77; zu Dawkins’ Verhältnis zur Wissenschaft, vgl. 121 – 24. 55 Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 55 – 56. 56 Dupr, Darwin’s Legacy, 56. 57 Vgl. Ruse, Can a Darwinian Be a Christian, z. B. 217 – 219. 58 Vgl. Giberson und Artigas, Oracles of Science, 4, 7 – 11, 37 – 42. Siehe auch Pietschmann, Der Quantifizierungs-Wahn, 346 – 46 und 352 sowie Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 28. 59 Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 323 – 325. Siehe auch Collins, Gott und die Gene, 136.

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wissenschaften große Einigkeit darüber, dass Dawkins’ Wissenschaftsverständnis als szientistisch abzulehnen ist. Allerdings gibt es wie auch im Bereich der Weltsicht Dawkins’ mit Dupr einen Philosophen, der dessen Aussagen über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft befürwortet. Am differenziertesten fällt die Beschäftigung mit Dawkins’ Wissenschaftsverständnis in der Theologie aus, da neben den Punkten Szientismus und Wissenschaft als Religion auch Dawkins’ Umgang mit den Begriffen wissenschaftlicher Beweis und wissenschaftliche Erklärung diskutiert werden sowie Aussagen über das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften dazu dienen, Dawkins’ Thesen in dieser Hinsicht zu relativieren.

Abb. 3: Dawkins’ Wissenschaftsverständnis im Spiegel der Wissenschaften

3. Dawkins’ Religionserklärung und Religionskritik im Spiegel der Wissenschaften Die Ausführung und der Inhalt von Dawkins’ Religionskritik werden, wie zu erwarten, von den Theologen am stärksten diskutiert. Während Haught bezüglich der Ausführung von Dawkins’ Religionskritik vor allem dessen unzulässige Generalisierungen und mangelnde Herausforderung kritisiert60, bezeichnet Beattie sie als zwar teilweise gerechtfertigt, größtenteils aber un-

60 Haught, God and the New Atheism, xi.

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informiert und ignorant.61 McGrath wiederum moniert Dawkins’ aggressive Sprache und die mangelnde Qualität seiner Thesen, die von Halbwahrheiten, Ausblendungen, Verzerrungen und losen Aneinanderreihungen gestützt würden.62 Auch im deutschen Sprachraum wird Dawkins’ Religionskritik zurückgewiesen: So sprechen z. B. Langthaler und Appel von einer bislang unüberbotenen Wucht der Polemik, die sich in Dawkins’ Der Gotteswahn finde.63 Einige Theologen betonen schließlich auch, dass Dawkins’ Religionskritik lediglich die „alten Argumente neu aufwärme und sie mit Evolutions-Biologie garniere“.64 Bezüglich der Inhalte von Dawkins’ Religionskritik betont z. B. Schröder, dass die Abschaffung jeder Religion nicht zwangsläufig alles zum Guten wenden würde. Zudem finde sich bei Dawkins’ Behandlung des Themas Religion ein zu starres Freund-Feind-Denken, das durch Schwarz-Weiß-Gegensätze gespeist werde.65 Ward betont, dass Dawkins’ Aussagen über den Gefährlichkeitsgrad von Religion problematisch sind, da der Begriff Religion nicht eindeutig definiert sei. Darüber hinaus sei zumeist die Schwäche der menschlichen Natur, nicht eine bestimmte Religion, die Quelle von Gewalt und Intoleranz. So ist Religion nach Ward eine der Haupttriebkräfte in Richtung Weisheit und Mitgefühl in einer Welt, die ohne sie freudlos und grausam wäre.66 Religion ist für McGrath und Körtner dementsprechend nicht die einzige Wurzel des Bösen und führt nicht zwangsläufig zu Gewalt.67 Gegen Dawkins’ Bindung des Religionsphänomens an Gewalt und Krieg setzt Ward das Friedenspotential von Religionen. Das Religionsphänomen sei zudem eng mit Liberalismus und Pluralismus verbunden.68 Viele Theologen bemängeln, dass Dawkins den historischen Kontext der Bibel bei deren Interpretation nicht berücksichtigt und rufen zu einer kontextsensiblen Bibelinterpretation auf.69 So konstatiert z. B. Lohfink einen un61 62 63 64

65 66 67 68 69

Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 112. Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 62. Vgl. Langthaler/Appel, Dawkins’ Gotteswahn, 7. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 11. Nach Haught gibt es Theologen und vor allem klassische Atheisten, die eine deutlich vernichtendere Kritik der dämonischen und barbarischen Aspekte der menschlichen Religiosität geliefert haben als Dawkins. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 16 – 22. Für Hoff stellen die neuen Atheisten im Vergleich zu ihren Vorgängern demgegenüber einen Übergang dar, da sie das Weltbild religiöser Fundamentalisten bestätigen würden. Vgl. Hoff, Es gibt keinen Gott und wir sind seine Propheten, 385 – 86. Schröder verweist im Hinblick auf Dawkins’ Religionskritik auf die grundsätzliche Pluralität von Religionskritiken, die sich mitunter gegenseitig widersprechen. Dawkins’ Gotteswahn sei von daher nur eine von vielen möglichen Religionskritiken Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 55. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 64. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 7 – 10, 26, 43 – 48, 66, 102. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 114; ders., Atheismuswahn, 103. Siehe dazu auch Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 256 – 257. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 102. Vgl. z. B. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 141, 156. Siehe zu Dawkins’ selektiver Bibelauslegung auch Beattie, The Twilight of Reason, 82 – 83, sowie Deibel, Der Gotteswahn. und

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auflöslichen Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament, wobei ersteres aber erst durch letzteres seine maßgebende Sinnschicht erhalte.70 So gebe es auch schon im Alten Testament eine immer stärker werdende Gewaltkritik.71 Zudem habe auch „…schon das Alte Testament … die ungeheuerliche Revolution des Denkens zur Gewaltlosigkeit hin vollzogen“.72 McGrath wiederum verweist auf Dawkins’ Fehlinterpretation des Gebotes der Nächstenliebe, da es Jesus um die Ausweitung des alttestamentlichen Gebots der Nächstenliebe auf die Feindesliebe gegangen sei und er Randgruppen und Outgroups rückhaltlos angenommen habe. Zudem ignoriere Dawkins die innerreligiöse Religionskritik als Mittel zur Reform und Erneuerung einer Religion. Jesu Leben stellt nach McGrath das externe Kriterium dar, nach dem Bibeltexte beurteilt werden können.73 Dazu gesellt sich bei einigen Theologen das Argument, dass – entgegen Dawkins – religiöse Überzeugungen positive Auswirkungen für das menschliche Wohlbefinden haben können. So verweist z. B. Ward auf eine vergleichende Analyse von über 200 Sozialstudien von Smith, McCullough und Poll, die darauf hindeute, dass eine hohe Religiosität (wenigstens zweimal wöchentlicher Kirchen- oder Synagogenbesuch) ein deutlich geringeres Risiko für Depressionen, Selbstmordversuche oder Drogenmissbrauch erwarten lasse. Religion habe also positive Effekte im persönlichen Leben der Gläubigen und zwar im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit, ihr Sozialverhalten und ihren Altruismus.74In diesem Kontext kritisiert Schröder, dass Dawkins Umgang mit Statistiken durch eine ausgeprägte Neigung zu Vermutungen bestimmt sei. So gehe Dawkins z. B. davon aus, dass Atheisten gebildeter, intelligenter und nachdenklicher als Gläubige seien. In Wirklichkeit handle es sich hier um statistische Mutmaßungen über Häufigkeiten. Selbst wenn diese Mutmaßungen korrekt seien, sei nicht ausgeschlossen, dass „… er und ich jeweils zur untypischen Minderheit zählen.“75 Ein weiteres Argument zielt auf die Negierung eines direkten Zusammenhangs zwischen religiösen Überzeugungen und Geisteskrankheiten und findet sich z. B. bei Ward.76 Während McGrath vor allem Dawkins’ Glaubensbegriff kritisiert77, konzentriert sich Appel eher auf die Zurückweisung des Religionsbegriffs von

70 71 72 73 74 75 76 77

der Umgang mit der Bibel, 203 – 204, 210. Haught betont, dass Dawkins’ wörtliches Bibelverständnis ihn in die Nähe fundamentalistischer Christen rücke. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 33 – 35. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 93 und 105. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 98. Lohfink, Welche Argumente, 105. Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 107 – 112. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 192 – 197, siehe auch 221. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 20. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 205 – 215. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 86. Siehe hierzu Haught, God and the New Atheism, 5, 13, 61, sowie Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 296.

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Dawkins.78 Auch das Argument einer nicht adäquaten Erklärung des Phänomens Religion durch Dawkins findet sich bei vielen Theologen. So hält z. B. McGrath Dawkins’ Erklärung der Religion als zufälliges Nebenprodukt der Evolution deswegen für fragwürdig, weil sie nicht zu seiner darwinistischen Weltanschauung passe, in deren Rahmen alles zufällig sei.79 Dawkins’ Argumentation sei auch zirkulär, da seine Erklärung für Gott völlig auf der angenommenen Voraussetzung der Nichtexistenz Gottes basiere. Dawkins’ Vorstellung einer natürlichen Entwicklung vom Polytheismus zum Monotheismus zum Atheismus ist nach McGrath abzulehnen, da die Religionsgeschichte nicht von Progression, sondern durch Diversifikation geprägt sei. Dawkins’ Theorien über die Herkunft von Religion fehle zudem jedwede Grundlage systematisch-empirischer Forschung und sei von fragwürdigen Verallgemeinerungen über das Wesen der Religion geprägt.80 Ohne sich dessen bewusst zu werden, rücke Dawkins in Der Gotteswahn Belege in den Vordergrund, die seine eigene Meinung stützen, wohingegen er Gegenbeweise verwerfe oder verfälsche. Dawkins unterlasse letztendlich auch eine kritische Unterscheidung zwischen Religion und Gottglauben. Damit blende er die Frage der Kompatibilität seiner Thesen der Religionsentstehung mit nichttheistischen Religionen aus. Der Versuch, den Ursprung der Religion darwinistisch zu erklären, scheitere insgesamt am Nichtvorhandensein einer vertretbaren Definition von Religion bei Dawkins.81 Für die meisten Theologen stellt die Tatsache, dass es falsch ist, Kinder im Glauben zu indoktrinieren, keinen Beweis dafür dar, dass bestimmte Glaubensinhalte falsch sind.82 Schröder betont zudem, dass es problematisch sei, Kinder „im Status eines religiös unbeschriebenen Blattes“ zu lassen, da sie in diesem Fall bei der Wahl ihrer Weltanschauung eingeschränkt würden.83 Im Bereich der Philosophie stellt Müller Dawkins’ Religionskritik auf dieselbe Stufe mit provozierend-polemischen Äußerungen eines Fundamentalistenpredigers.84 Der Autor des Gotteswahns ergehe sich so in einer ungebremsten Polemik, wobei er sich der Uraltklischees der Vulgäraufklärung bediene und darauf ziele, seine religiöse Leserschaft zu provozieren.85 Nach Meiller stilisiert sich Dawkins als religionskritisches Universalgenie, dessen Ziel in einer atheistischen Bewusstseinserweiterung besteht.86 Bezüglich des Inhalts der Religionskritik Dawkins’ betonen Philosophen wie z. B. Strasser, dass dessen Glaubensbegriff mangelhaft sei. So könne nur derjenige, der 78 79 80 81 82 83 84 85 86

Vgl. Appel, Ursprung und Defizite von Dawkins’ Religionsbegriff, 161 – 195. McGrath, Atheismuswahn, 68. McGrath, Atheismuswahn, 74. Vgl. z. B. McGrath, Atheismuswahn, 72 – 73. Ähnlich Haught, God and the New Atheism, 58 – 59. Vgl. McGrath, Dawkins God, 88, siehe auch McGrath, Atheismuswahn 24. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 24. Dazu auch Lohfink, Welche Argumente, 113. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 48. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 34 und 39. Vgl. Meiller, Worte des Wahns, 375 – 76.

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glaubt, durch die Praktizierung seines Glaubens wirklich wissen, was es heißt zu glauben, und nur wer weiß, was es heißt zu glauben, versteht, was ein Gläubiger meint, wenn er von Gottes Existenz spricht. Dawkins kann in diesem Sinne als „Glaubensblinder“ verstanden werden.87 Meiller leitet aus der Religionskritik Dawkins’ vier Dawkinssche Kommunikations- und Popularisierungsstrategien ab. Dabei ist das prägende Element der Religionskritik Dawkins’ die forcierte Vermittlung wissenschaftlichen Denkens zwischen fachinterner Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeit, die zu einer Popularisierung wissenschaftlichen Argumentierens und argumentativ fundierter Erkenntnis in religiösen Dingen führe.88 Aus dieser Vorgehensweise Dawkins’ lässt sich nach Meiller auch etwas für die DawkinsKritik von Seiten der Philosophie und Theologie lernen: So besteht die aus dem Gotteswahn ableitbare „heilsame Provokation“ nach Meiller darin, „…jedem, der in dawkins’schem Gefolge auch (religions-) kritisch und mit scharfer Klinge nach unserer Hoffnung fragt, argumentativ fundierte Antwort zu erteilen und dies – mehr noch und auch über den dawkins’schem Anlassfall hinaus, – in (je) seiner, d. i. in der Regel: nicht akademisch verbildeter Sprache, in attraktiver, pointierter, wenn nicht provozierende Rede, unter bedachter Anwendung jener ,Vermittlungsstrategien‘, die wissenschaftskommunikative Reflexion an die Hand gibt, in der Sprache nicht zuletzt der Webblogs und Online-Foren.“89

Im Bereich der Naturwissenschaften kritisieren Giberson und Artigas Dawkins’ Religionskritik als pseudowissenschaftlich, dogmatisch und viel zu oberflächlich.90 In inhaltlicher Hinsicht kritisiert Pietschmann Dawkins’ Umgang mit der Bibel als kreationistisch und betont gegen den Evolutionsbiologen, dass das Gebot der Nächstenliebe nicht nur auf Juden beschränkt war.91 Während Giberson und Artigas Dawkins’ Umgang mit religiösen Behauptungen zurückweisen92, findet Collins Dawkins’ Glaubensdefinition wenig plausibel, da sie weder den Glauben in der Geschichte noch den Glauben 87 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 8 – 9. 88 Vgl. Meiller, Worte des Wahns, 387. Eine erste Strategie bei Dawkins zielt nach Meiller auf die popularisierende Vereinfachung wissenschaftlicher Information durch Auslassung der Detailbereiche des zu vermittelnden Wissens, die zwar für Fachwissenschaftler durchaus relevant, für die eigentliche Argumentation aber vernachlässigbar sind. Eine zweite Strategie speist sich nach Meiller aus der Entfaltung der Gehalte, die nach der Kürzung der Informationsfülle noch übrig sind. Dabei werde diese Entfaltung nun breiter ausgestaltet, illustriert, geklärt und kontextualisiert. Eine dritte Strategie zielt nach Meiller auf Popularisierung durch Erklärung von Fachwörtern. Die vierte Strategie erreicht Popularisierung durch Erzählung. Vgl. Meiller, Worte des Wahns, 387 – 395. 89 Meiller, Worte des Wahns, 397 – 98. 90 Giberson und Artigas, Oracles of Science, 39, 50. 91 Pietschmann, Der Quantifizierungs-Wahn, 359. 92 Giberson/Artigas, Oracles of Science, 46 – 47. Dawkins untersucht nach Giberson und Artigas nicht die Wahrheit von religiösen Behauptungen, sondern setzte deren Falschheit als gegeben voraus, da sie nicht die Standards empirischer Wissenschaft erfüllen.

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in seinem persönlichen Umfeld treffend beschreibe.93 Collins bestreitet zudem nicht, dass Dawkins zu Recht auf die im Namen der Religion begangenen Gewalt- und Unrechtstaten hinweist. Jedoch schmälert für ihn das Unrecht, das im Namen der Religion begangen wird, nicht die Wahrheit des Glaubens. Vielmehr ziehe dieses Unrecht die menschliche Natur in Zweifel.94 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auseinandersetzung mit Dawkins’ Religionskritik im Diskurs hauptsächlich in den Händen der Theologie liegt und sich diese auf die Zurückweisung der zentralen religionskritischen Thesen Dawkins’ konzentriert. Gegen Dawkins’ Annahme, die Religion sei die Wurzel des Bösen schlechthin, setzen Theologen z. B. ein plurales Bild der Entstehung von Gewalt, des Bösen oder des Terrorismus. Für alle diese Phänomene kommen – neben der Religion – auch andere Wurzeln in Frage, so z. B. die menschliche Natur oder politische Umstände. Daneben kontextualisieren viele der Theologen Dawkins’ Religionskritik, indem sie auf seinen fehlerhaften Glaubens- oder Religionsbegriff verweisen. Sie setzen dabei also nicht bei Dawkins’ konkreten Argumenten an, sondern an den Voraussetzungen seiner Religionskritik. Dieselbe Vorgehensweise findet sich auch bei dem Philosophen Strasser und dem Naturwissenschaftler Collins. Einen gänzlich neuen Aspekt bietet der Philosoph Meiller, der weiterführende Implikationen von Dawkins’ Religionskritik auslotet und sich damit stark von den übrigen Diskursteilnehmern abhebt, die das Potential der zurückgewiesenen Religionskritik als sehr gering einstufen. In diesem Kontext wird Dawkins’ Religionskritik z. B. als ignorant, oberflächlich oder unoriginell bezeichnet.

4. Dawkins’ Gottesbild und sein Umgang mit der Gotteshypothese im Spiegel der Wissenschaften Breit diskutiert wird innerhalb der Theologie auch Dawkins’ Gottesbild, wobei es den Theologen vor allem darum geht, Mängel in seinem Gottesverständnis aufzuweisen.Als einer dieser Mängel wird z. B. die Einseitigkeit von Dawkins’ Gottesbild bezeichnet.95 Viele der Theologen argumentieren zudem, dass die Vorstellung, Gott sei einfach, eher der Realität entspricht als die Vorstellung Dawkins’, Gott sei kompliziert.96 Daneben gibt es auch Theologen, die beto93 94 95 96

Vgl. Collins, Gott und die Gene, 135. Vgl. Collins, Gott und die Gene, 135. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 91 – 92. Siehe auch Hoff, Die neuen Atheismen, 53. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 84 – 85, 111 – 112. Siehe auch Ward, Doubting Dawkins, 48 – 53, 99 – 100. Ward unterscheidet in diesem Kontext Dawkins’ Konzept der exklusiven Einfachheit von einem Konzept der inklusiven Einfachheit. Gleichzeitig betont Ward, dass die Existenz von einfachen Dingen nicht zwangsläufig wahrscheinlicher ist als die von komplexen Dingen. Der Hinweis auf Dawkins’ fehlerhaften Umgang mit dem Konzept der Einfachheit findet sich auch bei Beattie. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 109.

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Abb. 4: Dawkins’ Religionskritik im Spiegel der Wissenschaften

nen, dass die Idee der Wahrscheinlichkeit nicht auf Gott angewendet werden kann. So hält z. B. Clayton es auf Grund von Abwägungsproblemen für unmöglich, quantitative Urteile über die Wahrscheinlichkeit Gottes zu treffen.97 Ein weiteres Argument der behandelten Theologen gegen Dawkins stellt die These dar, dass die Gottes-Hypothese nicht als wissenschaftliche Hypothese betrachtet werden darf. So kann nach Haught die Wissenschaft die Gottesfrage nicht entscheiden, weil die wissenschaftliche Methode per Definition nichts über Gott, Sinn, Absichten und Werte aussagen kann.98 Wenn Gott existiere, so seien interpersonale Erfahrungen und nicht die unpersönliche Objektivität der Wissenschaften für das Wissen um Gott notwendig.99 Da Gott dem Strenggläubigen mehr bedeute als alles andere, könne er Gott nur kennenlernen, indem er einen tiefen persönlichen Wandel erlebe, der analog zu der 97 Vgl. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 306 und 314. Für Ward ist das Konzept der Wahrscheinlichkeit nicht auf die Idee Gottes anwendbar, weil Gott entweder notwendig oder unmöglich ist. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 114 – 16. Nach McGrath besteht das zentrale Problem nicht darin, ob Gottes Existenz wahrscheinlich ist, sondern ob Gott real ist. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 92 – 95. Schröder betont, dass Dawkins’ Wahrscheinlichkeitsaussagen im Hinblick auf die Frage, ob Gott existiert, an die Voraussetzung gebunden ist, dass Gott ein Teil der Welt ist. Dies sei eine falsche Gottesvorstellung. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 179. 98 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 18. 99 Haught, God and the New Atheism, 46.

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Erkenntnis verlaufe, dass eine andere Person einen liebt, der aber noch dramatischer sei.100 Darüber hinaus verenge Dawkins unzulässigerweise die Idee der Göttlichkeit auf die Vorstellung eines Gesetzgebers, kosmischen Engineeres oder intelligenten Designers. Dadurch werde das unendliche göttliche Geheimnis fehlerhaft auf eine endliche wissenschaftliche Ursache reduziert.101 In der Theologie findet sich auch der Hinweis, dass Dawkins’ Gottesbild auf einem falschen theologischen Grundmodell basiert bzw. dass das von ihm kritisierte Gottesbild nicht maßgeblich für die christliche Tradition ist. So bezeichnet McGrath das von Dawkins kritisierte Bild von Gott als Uhrmacher als nicht typisch für die christliche Tradition, so dass ein Großteil der Dawkins’schen Kritik das eigentliche Gottesbild der christlichen Tradition verfehle.102 Die Theologie sei nicht auf Paleys Art, über Schöpfung nachzudenken, limitiert.103 Haught wiederum betrachtet Dawkins’ Gottesbild als identisch mit dem Gottesbild des Intelligent Design. Hierfür spreche vor allem Dawkins’ perfektionistisches Schöpfungsverständnis.104 “An initially perfect design, which is what Dawkins asks for – otherwise he would not be so cynical about God’s failure as an engineer – would mean the end of evolution before it even began. And perfectionism, both moral and scientific, would mean the end of hope. Perfectionism is a sure way to close off the future and prevent the world and our lives from ever becoming new.”105

Daneben findet sich auch das Argument, dass Dawkins ein unreflektiertes Verständnis von Transzendenz habe. So kritisiert beispielsweise Deibl, dass Dawkins Immanenz und Transzendenz streng kontrastiert, wogegen er eine lange philosophische und theologische Tradition stellt, die von diesem unbiblischen Verständnis einer Trennung zweier Welten absehe.106 Nachdem sie Dawkins’ Gottesbild mit verschiedenen Mitteln zurückgewiesen haben, präsentieren viele der analysierten Theologen ein zu Dawkins alternatives Gottesbild, das sie als richtiger einstufen. Deibl plädiert in diesem 100 Haught, God and the New Atheism, 46. Dawkins’ Verständnis des Theismus ist nach Ward fehlerhaft, da er nicht klar zwischen wissenschaftlichen und metaphysischen bzw. philosophischen Überzeugungen unterscheidet. Zwar seien Beobachtungen und Experimente relevant, wenn es um die Frage der Wahrheit oder der Plausibilität von metaphysischen Hypothesen gehe, die Frage nach Gott sei aber trotzdem keine wissenschaftliche Frage. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 28 – 30. Da für Körtner der Gottglaube auf einer Ebene transzendentaler Gewissheiten liegt, die sich auf einen von der naturwissenschaftlichen Empirie zu unterscheidenden Erfahrungstypus – die religiöse Erfahrung – stützt, kann die Frage der Existenz Gottes. für ihn keine empirisch gemeinte Hypothese sein. Vgl. Körtner, Evolution, Ethik. und Religion, 249 – 250. 101 Haught, God and the New Atheism, 43. 102 Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 71. 103 Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 92 – 95. 104 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 90. 105 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 107. Siehe auch 90 – 91, 105 – 107. 106 So z. B. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 211 – 212.

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Kontext für eine grundsätzliche Offenheit der Welt und betont, dass Gott eine Chiffre für diese Offenheit und das notwendige Offenhalten der Welt vor allem Sich-Schließen in der Totalität eines Systems sei. Dieses notwendige Offenhalten der Welt werde durch die christliche Rede von Gott als Person, mithin als Freiheit symbolisiert.107 Demgegenüber bietet Ward eine irreduzible persönliche Erklärung für die Existenz des Universums an: Gott verstanden als ewiger kosmischer Geist.108 McGrath wiederum hält sich nicht lange mit der Formulierung eines alternativen Gotteskonzeptes auf, sondern stellt in Frage, dass Gott überhaupt erklärt werden muss.109 Beattie spricht von Gott als kreativem Genius, der bereit sei, zugunsten eines höheren Ziels Fehler zu machen. Da es keine große kreative Arbeit gebe, die ohne Leiden auskomme, sei die Existenz von Leid in der Schöpfung unvermeidbar.110 Für Hoff manifestiert sich Gott in der Schöpfung, ohne in ihr aufzugehen. Dabei sei von der Offenbarung Gottes, von seiner Ansprechbarkeit und Gegenwart nur im Modus seiner bleibenden Verborgenheit zu sprechen. Für Hoff ist also Gottes bleibende Verborgenheit bzw. sein Geheimnischarakter zentral.111 Haught betont, dass der Theismus die Idee eines personalen Gottes auf keinen Fall optional machen darf. So könne die ultimative Realität, die tiefste Dimension des Seins, nichts weniger als personal sein, da sie sonst keine persönlichen Wesen anziehen könne.112 Für Lohfink ist Gott verborgen und in sich reiner Gedanke. Nichtsdestoweniger gebe es eine Geschichte der menschlichen Gotteserkenntnis und eine Geschichte der Gottesbegegnung, die mit Jesus an ihr Ziel gekommen sei. In Jesus habe sich Gott endgültig zu erkennen gegeben, so dass Jesus die Definition Gottes sei.113 SchwienhorstSchönberger präsentiert kein alternatives Gottesbild114, sondern hält es für sinnvoll, an der religiösen Grundstruktur bei Dawkins anzuknüpfen. So werde Dawkins durch seine Kritik am oberflächlichen Gottglauben wider Willen quasi selbst zum Theologen, der darauf hinweise, dass zwischen den menschlichen Vorstellungen von Gott und Gott selbst ein Unterschied besteht. Für Schwienhorst-Schönberger steht der Glaube Dawkins’ an den „Gott Einsteins“ einem Deutungstypus nahe, der erkannt habe, dass Gott mehr ist als eine die Welt von außen steuernde Intelligenz und für den Gott in allen Dingen sei und ihnen näher sei als sich selbst.115 Darüber hinaus gibt es auch Theologen, die sich darum bemühen, durch 107 108 109 110 111 112 113 114

Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 211 – 12. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 18 – 25, 99 – 100. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 94. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 168. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 53. Haught, God and the New Atheism, 79 – 88, 97 – 99. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 26 – 29. Die in diesem Abschnitt knapp angerissenen Gottesbilder sollen im dritten Hauptteil noch ausführlicher besprochen werden. 115 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ein atheistisches Buch?, 225 – 232.

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grundsätzliche Aussagen über das Verhältnis von Gott und Evolution, die Anfragen Dawkins’ an das Gottesbild der Theologie zu relativieren. So sei Gott für die Erklärung des Universums, der Evolution und der Entstehung des Menschen gerade nicht überflüssig. Für viele Theologen schließen zudem die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie Gott als Erklärungsfaktor nicht notwendig aus. Angesichts der augenscheinlichen Feinabstimmung des Universums ist es z. B. nach Clayton immer noch möglich anzunehmen, dass die Evolution auf ein Ziel hinauslaufe.116 McGrath anerkennt demgegenüber, dass Gott nicht als Erklärungskraft innerhalb des evolutionären Prozesses herangezogen werden muss. Jedoch sei diese Erkenntnis kompatibel mit atheistischen, agnostischen und christlichen Weltverständnissen.117 Ein weiteres Argument der Theologen zielt auf die Unmöglichkeit der Entstehung des menschlichen Bewusstseins und anderer Schwellenwerte in der Evolution durch bloßen Zufall. Vielmehr setzten diese Ereignisse die Existenz Gottes voraus, da er eine zuverlässige Erklärung für ihre Entstehung sei.118 “God is superfluous to car mechanics. But … God actually provides a better explanation of the facts uncovered by science than materialism does. This is still not a scientific explanation. It is a metaphysical one.”119

Ward geht noch einen Schritt weiter und argumentiert, dass der Evolutionsprozess durch göttliche Vorsehung gelenkt wird. Gott greife kontinuierlich und kausal in die zielgerichtete Evolution ein. So hat Gott für Ward ein evolutionäres System geschaffen, um eine spezifische Sorte von Gutheit bzw. ein Set von in sich werthaften Zuständen zu aktualisieren, wobei die menschliche Freiheit ein Beispiel für einen solchen in sich werthaften Zustand ist. Wenn nun nach Ward die Existenz von Leid eine notwendige Bedingung für die Realisierung eines wünschenswerten Ziels ist, kann selbst Gott als allmächtiger Schöpfer dieses Leid nicht verhindern. Für Ward rechtfertigen also wünschenswerte Ziele wie die menschliche Freiheit das Ausmaß des Leides. Dazu kommt bei ihm die Vorstellung, dass Gott mit seiner Schöpfung leidet.120 Auch in der Philosophie überwiegt die Kritik an Dawkins’ Umgang mit dem Thema Gott. Langthaler kritisiert Dawkins’ Behandlung der traditionellen Gottesbeweise als intellektuell fahrlässig und wenig kenntnisreich. Diese mangelhafte Behandlung resultiere vor allem aus Dawkins’ fehlerhaftem Gottesbild.121 Langthaler weist zudem die Vorstellung Dawkins’ zurück, Gott sei eine wissenschaftliche Hypothese. So gehöre die Frage nach der Existenz 116 117 118 119 120

Vgl. Clayton, Is it really biology versus religion, 296 – 97, 304. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 52 – 53. Vgl. z. B. Ward, God, Chance and Necessity, 105. Ward, God, Chance and Necessity, 103. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 63, 68, 79 – 83, 103 – 05, 132 – 40, 207. Siehe auch Ward, Doubting Dawkins, 37. 121 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 100 – 101, 110, 114 – 15.

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Gottes nach Kant definitionsgemäß nicht zu den „Meinungssachen“, so dass sie prinzipiell kein Gegenstand des – auf das raum-zeitlich Gegebene begrenzten – naturwissenschaftlichen Erfahrungswissens sein kann. Sie kann deswegen nicht als wissenschaftliche Hypothese aufgefasst werden.122 Demgegenüber verteidigt Dennett Dawkins’ Einstufung der Gottes-Hypothese als wissenschaftliche Hypothese mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer rationalen Glaubensbegründung.123 Für Strasser ist Dawkins’ Vorstellung, ein Schöpfer müsse mindestens so komplex sein wie das von ihm Geschaffene, unklar. So sei nicht ersichtlich, von was für einer Art Komplexität Dawkins spreche. Strasser ist nun davon überzeugt, dass Dawkins’ Sprechen über Komplexität im Sinne einer Komplexitätspotentialität der Ersten Ursache zu verstehen ist, das damit „die physikalische Möglichkeit…“ beinhaltet, „…eine späterhin real existierende Komplexität hervorzubringen.“124 Der Ausdruck „späterhin“ bezeichne dabei die Tatsache, dass die Potentialität zur Entstehung von Komplexität eine Möglichkeit ist, die erst zeitlich verwirklicht werden kann. Dies wiederum sei für Dawkins’ Argumentation problematisch, da es im Anfang noch keine Zeit und keinen Raum gegeben habe, so dass die Vorstellung einer Komplexitätspotentialität innerhalb von Raum und Zeit hier nicht gedacht werden könne.125 Daneben gibt es auch Philosophen, die betonen, dass die Idee der Wahrscheinlichkeit prinzipiell nicht auf Gott anwendbar ist.126 Heckmann kritisiert darüber hinaus Dawkins’ Selbstwidersprüchlichkeit, da dieser zum Nachweis der Nichtexistenz Gottes auf die von ihm als unbrauchbar zurückgewiesene Methode des a priori-Arguments zurückgreife.127 Ebenso wie in der Theologie wird auch in der Philosophie die Ähnlichkeit des Dawkinsschen Gottesbildes mit neofundamentalistischen Gottesbildern hervorgehoben. So kritisieren Heckmann und Strasser, dass Dawkins’ eigenes Gottesbild zu stark in den Begriffen Weltbaumeister und Weltdesigner verortet ist, wobei letzterer betont, dass Dawkins das neofundamentalistische 122 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 76. Siehe hierzu auch Mutschler, Die Konfrontation suchen, in: Herder Korrespondenz Spezial, 7: Für Hans-Dieter Mutschler steht die Frage nach Gott als Frage nach einer Totalität auf einer Stufe mit der Frage nach der Totalität des materiell Existierenden. Vor diesem Hintergrund könne die Gottesfrage keine empirische Frage sein. In diesem Sinne z. B. auch Grigg, Beyond The God Delusion., 36. 123 Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 152 – 155. 124 Strasser, Warum überhaupt Religion?, 28. 125 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 28. 126 Vgl. z. B. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 29. Wie Ward hebt auch Strasser auf die notwendige oder unmögliche Existenz Gottes. ab. So sei Gott nur unter der Voraussetzung, dass er „notwendig“ existiert, ein Erklärungsgrund. Auch Langthaler weist Dawkins’ Anwendung der Idee der Wahrscheinlichkeit auf die Gotteshypothese. mit Hinweis auf Kant zurück. Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 76 – 81. 127 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube., 199.

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Gottesbild von Gott als rauschebärtigem Übervater zu Recht kritisiert.128 Einige Philosophen präsentieren darüber hinaus zu Dawkins alternative Gottesbilder. Für Strasser ist Gott eine Metapher für das Mysterium der Schöpfung, das sich im Grunde nicht ausdrücken lässt. Im Gegensatz zu den meisten behandelten Theologen darf dieses Mysterium bzw. Gott nach Strasser nicht personal gedacht werden, sondern sein universalisierter Gott ist streng transzendent, er verlangt nichts, was der menschlichen Vernunft widerspricht oder den menschlichen Prinzipien zuwiderläuft.129 Für Langthaler kann der Gottesgedanke verstanden werden im Sinne der Existenz einer absoluten, einzigen Substanz, die aus sich selbst heraus und um ihrer selbst willen existiert und nicht anders als daseiend begriffen werden kann. Im Gegensatz zu Strasser bedeutet dies für Langthaler nun nicht die Aufgabe der Personalität Gottes, da die im Absoluten gedachte Einheit ermöglichen soll, dieses als in sich differenziertes, selbstbezügliches-geistiges „Eines“ zu begreifen. Dieses Denkschema birgt nach Langthaler einen Zugang dazu, was die christliche Tradition unter dem Gedanken des „dreifaltigen Gottes“ fasst.130 Im Bereich der Naturwissenschaften wird die Frage, wie Dawkins’ Gottesbild beschaffen ist, kaum rezipiert. So weist lediglich Kattmann die Idee zurück, Gott sei eine wissenschaftliche Hypothese und hält Dawkins’ Ausführungen zu Gott für unwissenschaftlich.131 Darüber hinaus halten Giberson und Artigas Dawkins’ Gottesbild für uniformiert.132 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Diskurs um Dawkins’ Gottesbild in Theologie und Philosophie deutlich differenzierter geführt wird als in den Naturwissenschaften. Dabei ähneln sich die Argumente in Theologie und Philosophie größtenteils, lediglich einzelne Argumente wie z. B. Heckmanns Hinweis auf Dawkins’ Selbstwidersprüchlichkeit bleiben auf eine Disziplin beschränkt. Besonders spannend ist m. E. die Präsentation von alternativen Gottesbildern als Reaktion auf Dawkins’ Gottesbild. Hier zeigt sich innerhalb der analysierten Theologen und Philosophen eine gegensätzliche Tendenz. Während einige Forscher im Angesicht von Dawkins’ Anfechtungen an der Personalität Gottes festhalten, geben andere Forscher den Gedanken der Personalität Gottes auf. Ein Alleinstellungsmerkmal für die Theologie ist die Einbeziehung des Verhältnisses von Gott und Evolution unter dem Stichwort Dawkins’ Gottesbild. Dies zeigt sich z. B. an Clayton, der betont, dass die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie Gott als Erklärungsfaktor nicht notwendig ausschließen. Die

128 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube., 207 – 211. Siehe auch Strasser, Warum überhaupt Religion?, 83 – 84, und Strasser, Verletzte Gefühle und helle Köpfe, 17. 129 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 9,17 – 18, 46 – 57, 78 – 79, 98 -_ 100. Siehe auch ders., Verletzte Gefühle und helle Köpfe, 28 – 29. 130 Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 118. 131 Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 328 – 29, 337. 132 Vgl. Giberson/Artigas, Oracles of Science, 45.

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Vor- und Nachteile dieser unterschiedlichen Reaktionen auf Dawkins’ Aussagen sollen im dritten Teil näher beleuchtet werden.

Abb. 4.1: Dawkins’ Gottesbild im Spiegel der Wissenschaften

5. Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen im Spiegel der Wissenschaften Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen spielt in der Theologie im Vergleich zu Philosophie und Naturwissenschaften eher eine untergeordnete Rolle. Clayton verweist auf die Inkonsistenz der Argumentation Dawkins’, die einerseits genetisch deterministisch erscheine, andererseits die Auflehnung des Menschen gegen seine egoistischen Gene erlaube.133 Daneben findet sich bei Theologen die Argumentation, dass Organismen genauso real, grundlegend und irreduzibel wie ihre Moleküle sind, so dass beide Ebenen bei der Interpretation des Evolutionsgeschehens berücksichtigt werden müssen.134 133 Vgl. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 301. 134 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 136. Auch Heinrich betont, dass die Annahme Dawkins’, die Gene. seien die alleinigen Zielobjekte der Selektion., in der Biologie kontrovers diskutiert und oft als Engführung bezeichnet wird. So sprächen starke Evidenzen dafür, dass die Selektion. am Individuum ansetzt. Vgl. Heinrich, Ist Nächstenliebe eine Frage der Gene.?, 51. In die gleiche Richtung zielt McGrath, der darauf hinweist, dass es neue Forschungsergebnisse aus den Naturwissenschaften gibt, die die Geltung der Theorie vom egoistischen Gen in Frage stellen. Dazu zählen nach McGrath beispielsweise neue genetische Forschungser-

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Gleichzeitig zeigt der Entwicklungsprozess eines Körpers nach Ward, dass Gene eigentlich unegoistisch seien, da sie bei seiner Herstellung kooperierten.135 Einige Theologen kritisieren auch Dawkins’ Definition des Begriffs Gen. So bewertet z. B. McGrath Dawkins’ auf Williams zurückgehende funktionale Gendefinition als partiell zirkulär.136 Knapp stellt den einheitlichen Genbegriff der Genetik gegen Dawkins’ Definition.137 Insgesamt herrscht bei den Theologen Einigkeit darüber, dass Gene nicht die alleinigen Zielobjekte der Selektion sein können und es Forschungsergebnisse aus den Naturwissenschaften gibt, die die Gültigkeit der Theorie vom egoistischen Gen in Frage stellen. Als paradigmatisch für die Zurückweisung von Dawkins’ exklusiv genselektionistischem Ansatz in der Theologie kann Moritz herangezogen werden, der es für problematisch hält, dass Dawkins in seiner Theorie den entwicklungsbiologischen Kontext ausblendet.138 Daneben verweist vor allem Knapp auch auf die innerbiologische Kritik an der Vorstellung, das Gen sei die entscheidende Einheit der Selektion.139 Des Weiteren kritisieren Theologen vor allem das von Dawkins’ vertretene Menschenbild als widersprüchlich zum menschlichen Selbstbild und insgesamt fragwürdig.140 Als inkonsistent erweise sich Dawkins’ Menschenbild nach Schröder vor allem, wenn er dem Menschen am Ende von Das egoistische Gen die Fähigkeit zuspreche sich gegen seine egoistischen Gene aufzulehnen. „Woher wir diese wunderbare Macht haben, erklärt er uns nicht. Das bleibt eine Behauptung ohne Kontext. Und das ist ein Perspektivenwechsel von der technizistisch-objektivistischen Perspektive zur interpersonalen.“141

Als fragwürdig erweist sich Dawkins’ Menschenbild nach Knapp, weil es darauf baue, dass der Mensch in all seinen Phänomenen wissenschaftlich beschrieben werden könne. Im Zuge von Dawkins’ materialistisch-mechanistischem Ansatz erscheine der Mensch lediglich als blind programmierter

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gebnisse, die auf die Existenz und eine relative Häufigkeit horizontaler Genvererbungen zwischen Organismen hinweisen. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 41. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 140. McGrath, Dawkins’ God, 39. Schröder merkt an, dass Dawkins’ Aussage, es gebe keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs Gen, nicht richtig ist. Es sei möglich, das Gen über seine Funktion oder Wirkung zu definieren, weil es nur über seine Wirkungen auf (in) Individuen experimentell erforscht werden könne. Dazu gesellt sich für Schröder auch ein grundsätzliches Problem mit Dawkins’ Definition des Genbegriffs: Wenn man wie Dawkins das Gen allein nach seiner Dauer über Generationen hinweg definiere, könne man immer nur im Rückblick wissen, wie lange ein beliebiges Stück auf einem Chromosom in der Generationsfolge kopiert wurde, d. h. wie lange es ein Gen gegeben hat.Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 138 – 39. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 56. Vgl. Moritz, Evolutionary Evil, 143 – 188. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 51. Vgl. z. B. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 14. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 76.

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Roboter oder Überlebensmaschine seiner egoistischen Gene. Dies habe zur Folge, dass Menschenrechte, Menschenwürde und die Heiligkeit des menschlichen Lebens von Dawkins als Art-Chauvinismus bezeichnet würden. Nichtsdestoweniger fordere Dawkins den Menschen dazu auf, seinen Kindern altruistisches Handeln beizubringen.142 Auch Dawkins’ metaphorische Sprache wird von den Theologen zurückgewiesen. Sie stellen dabei hauptsächlich in Abrede, dass Dawkins alles, was er in „bildhafter Sprache“ formuliert habe, in die „Sprache der Realität“ übersetzen könne.143 Knapp betont, dass Dawkins durch seine Übertragung der Sprache bewusster Motive auf die Gene große Verwirrung stiftet. Diese Verwirrung resultiere aus der Tatsache, dass Dawkins’ Begriffe wie Egoismus in einem zu ihrer eigentlichen Bedeutung völlig fremden Sinne verwende, da Genen letztendlich weder Motivation noch Bewusstsein zugesprochen werden könnten.144 Innerhalb der Philosophie weisen Strasser und Midgley Dawkins’ metaphorische Sprache dezidiert zurück145, wohingegen Greif differenziert darstellt, unter welchen Voraussetzungen sich Dawkins’ Metapher als fruchtbar erweisen kann. In diesem Kontext betont Greif, dass Dawkins nicht über eine explizite Theorie der Metapher verfügt. Metaphern seien für ihn schlicht Möglichkeiten der Vereinfachung, wobei entscheidend sei, „… daß sich solch ein vereinfachter, nachlässiger Sprachgebrauch stets in ein ordentliches, nomologisches, naturwissenschaftliches Vokabular zurückübersetzen lasse.“146 Dawkins setzt nach Greif voraus, dass eine solche Rückübersetzung immer möglich sei, ohne diese tatsächlich zu leisten. Dawkins’ Metaphernverständnis zielt nach Greif deswegen auf die Verdeutlichung von relevanten Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlich erscheinenden oder disparaten Gegenständen. Für Dawkins sind nach Greif „Gene und egoistische Individuen … zwar keineswegs dasselbe, aber wir können etwas interessantes Neues über Gene erfahren, wenn wir sie mit solchen Individuen vergleichen.“147 Dabei sei die Frage, ob Dawkins’ Metapher angemessen sei, nicht ideologisch, sondern nur 142 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 92 – 93, 88. 143 Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 42. Siehe auch Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 116 – 119. 144 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 109. 145 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 104. Midgley , Gene.-Juggling, 439 – 40. Siehe auch Midgley, Selfish Genes, 369 – 370. Weniger kritisch als Midgley fasst z. B. Ruse Dawkins’ metaphorische Sprache auf: „But, of course, this is a metaphor. Genes are not really selfish, even though it may be convenient or arresting to speak this way. It is human beings who are selfish or not… It is certainly allowed by sociobiology that the genes may give rise to selfishness, of hypocrisy, or other unpleasant behavioural traits; but then again,…, the genes may well give rise to altruistic behaviour.“ Ruse, Sociobiology. Sense or Nonsense, 87. Ruse kritisiert allerdings auch die Vorstellung, dass ein zumindest partiell von Genen. verursachter Altruismus von einem „wahren“ Altruisums unterschieden werden könnte. Seiner Meinung nach sind Handlungen auch dann noch als altruistisch zu bezeichnen, wenn wir mit ihnen bestimmte Ziele verfolgen oder sie bestimmte Ursachen haben. Vgl. ebd. 146 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 103. 147 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 104.

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empirisch zu entscheiden – gerade weil es Dawkins auch um die Entwicklung von neuen Sichtweisen auf die Evolution gehe.148 Darüber hinaus finden sich Philosophen, die Dawkins’ Gendefinition kritisieren. So hält Midgley Dawkins’ genetische Ansichten, vor allem seine Definition des Gens als handlungsfähig, für nicht anwendbar und bemängelt deren fehlende empirische Überprüfbarkeit.149 Dazu kommt mit Dupr auch ein Philosoph, der z. B. im Hinblick auf die Charakterisierung des Verhältnisses von Religion und Naturwissenschaften durchaus noch auf Dawkins’ Seite stand. So kritisiert Dupr im Kontext seiner Darstellung der Theorie der Entwicklungssysteme, die die Trennung zwischen Evolution und Entwicklung aufhebt, die Doppeldeutigkeit von Dawkins’ Genbegriff und seine mangelnde Beachtung des Phänomens der Entwicklung.150 Dawkins schließe durch seine Gendefinition das Phänomen der Entwicklung in eine „black box“ ein.151 Auch Dawkins’ Behandlung des Themas Altruismus wird von Philosophen kritisch beleuchtet.152 Darüber hinaus gibt es Philosophen, die alternative Sichtweisen der Evolution präsentieren, die die Deutungshoheit der Theorie vom egoistischen Gen in Frage stellen. So gelingt nach Lenny Moss ein Festhalten an der Deutungshoheit des Dawkinsschen Gen-Selektionismus nur durch Dawkins’ gezwungene Ignoranz und Ausblendung molekularbiologischer Erkenntnisse.153 Andere Philosophen wiederum ordnen Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen kritisch in einen größeren methodologischen Kontext ein.154 Dazu zählt auch der Wissenschaftsphilosoph Samir Okasha, der sich mit den empirischen, konzeptuellen und methodologischen Fragen befasst, die die evoluti148 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 107. 149 Vgl. Midgley, Gene-Juggling, 439. Der Hinweis auf die fehlende Empirie bei Dawkins steht vor dem Hintergrund, dass die Evolutionstheorie als Ganzes keine Theorie ist, die empirisch überprüfbar ist. Dawkins’ Sprechen vom Gen als ,real agent‘ weist Midgley z. B. in ihrem Buch The Myths We Live By zurück: „Once the concept of activity of agency – is removed from its normal use, it should surely vanish altogether.“ Siehe Midgely, The Myths We Live By, 48. Zu der weiteren Argumentation siehe Midgley, Gene-Juggling, 446 – 451. 150 Dupr, Darwin’s Legacy, 24. 151 Dupr, Darwin’s Legacy, 24 – 25. 152 Vgl. Midgley, Gene-Juggling, 444 – 45. 153 Moss, What Genes Can’t Do, 194. Susan Oyama führt ihre Systems Developmental Theory als Herausforderung für Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen an. Diese basiert auf der Annahme, dass in der Evolution nicht Körper oder Verhaltensweisen bzw. Pläne für Körper oder Verhaltensweisen vererbt werden, sondern das grundlegende Vermögen sich zu entwickeln. Vgl. Susan Oyama, The Ontogeny of Information, 128 – 131. Siehe auch Oyama/Griffiths/Gray (Hg.), Cycles of Contingency, 1 – 4. Für eine gruppenselektionistische Perspektive als Gegenbild zu Dawkins’ Gen-Selektionismus plädiert darüber hinaus z. B. Elliott Sober. Vgl. Sober, The Nature of Natural Selection, 103. Da es nach Peter Godfrey-Smith mit Organismen noch andere potentielle Replikatoren gibt, ist Dawkins’ Genselektionismus für ihn fragwürdig. Vgl. Godfrey-Smith, Darwinian Populations and Natural Selection, 33 – 36, 161. 154 Vgl. hierzu Hull, Science and Selection, 13 – 32. In diesem Kontext z. B. auch Hull, Individuality and Selection, 311 – 332.

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onsbiologische Diskussion um die maßgebliche Ebene der Selektion nach sich zieht.155 Dabei bestimmt er die Theorie der Multi-Level-Selektion als eine mögliche Alternative zu Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen.156 Mit Dennett sowie Sterelny und Kitcher finden sich schließlich Philosophen, die Dawkins’ Theorie verteidigen. Ersterer hält es z. B. für möglich, von GenIntentionen zu sprechen157, letztere weisen z. B. Sobers gruppenselektionistische Sichtweise der Evolution zurück.158 Weitere Philosophen bemühen sich schließlich darum aufzuzeigen, wie einige der stark diskutierten Aussagen Dawkins’ in Das egoistische Gen richtig zu verstehen sind. So darf z. B. Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen nach Greif nicht als Versuch, in der Lesart der natürlichen Selektion als Naturgesetz die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine adaptive Evolution zu benennen, missverstanden werden.159 Daneben gibt es Philosophen, die die Relevanz von Dawkins’ Theorie für neuere Forschungsansätze betonen.160 Im Kontext der Naturwissenschaften kritisiert z. B. Neumann-Held, dass die Theorie vom egoistischen Gen die These vom Genzentrismus als ideologischen Überbau aufweist. Im Kontext dieses Weltbildes würden die Gene aufgrund ihrer einzigartigen kausalen Kräfte als die wichtigste Erklärung für Evolution und Individualentwicklung interpretiert.161 Daneben findet sich wie auch schon in Theologie und Philosophie eine dezidierte Kritik an Dawkins’ metaphorischer Sprache.162 Allerdings gibt es mit Gould auch einen Naturwissenschaftler, der Dawkins’ Metaphorik für zulässig hält, da er Gene nicht in der Realität als wissentliche Agenten ihrer eigenen Selbsterhaltung verstehe. Wenn Dawkins etwa schreibe, dass Gene danach streben, Repliken von sich selbst herzustellen, so heiße das eigentlich: Die Selektion lief so ab, dass Gene begünstigt wurden, die zufällig so variierten, dass zusätzliche Kopien ihrer selbst in den nachfolgenden Generationen vorhanden waren.163 Mit Rose gibt es einen Naturwissenschaftler, der Dawkins’ Menschenbild im Kontext der Theorie vom egoistischen Gen ablehnt. Nach Rose ist der 155 Vgl. Okasha, The Levels of Selection Debate, 1 – 12. 156 Zur Theorie der Multi-Level-Selektion vgl. Williams, Natural Selection; Maynard-Smith/ Szathmary (Hg.), The Major Transitions in Evolution; Sober/Wilson D.S., Unto Others sowie Gould, The Structure of Evolutionary Theory. Dabei ist zu beachten, dass diese Autoren zum Teil zu einem früheren Zeitpunkt der Idee der Multi-Level-Selektion oder der Selektion auf höheren Ebenen sehr kritisch gegenüberstanden. 157 Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 261. Siehe auch Ders. The Selfish Gene, 107 – 09. 158 Vgl. Kitcher/Sterelny, The Return of the Gene, 339 – 361. 159 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 90. Darüber hinaus bemüht sich auch Schark um eine klärende Einordnung der Dawkins’schen Bezeichnung des Menschen als Maschine. Vgl. Schark, Organismus – Maschine: Analogie oder Gegensatz?, 430 – 432. 160 Vgl. Sterelny, The Perverse Primate, 214. Siehe auch Cronin, The Battle of Sexes Revisited, 14. Vgl. dazu auch Cronin, The Ant and the Peacock. 161 Vgl. Neumann-Held, Jenseits des ,genetischen Weltbildes‘, 263. 162 Vgl. Noble, The Music of Life, 7 – 18. Siehe hierzu auch Bateson, Behavioral Development and Darwinian Evolution, 161. 163 Vgl. Gould, Der Daumen des Panda, 94.

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Mensch nicht reduzierbar auf „nichts als“ eine Maschine zur Replikation seiner DNA, sondern er ist das Produkt der konstanten Dialektik zwischen dem „Biologischen“ und dem „Sozialen“. Im Spannungsfeld dieser beiden Größen habe sich die menschliche Evolution abgespielt, sei Geschichte gemacht worden und hätte sich der Mensch als Individuum entwickelt.164 Außerdem gibt es viele Naturwissenschaftler, die Dawkins’ Definition des Begriffs Gen als nicht einheitlich und nicht als einzig mögliche kritisieren. In diesem Kontext hält es z. B. Williams für problematisch, dass Dawkins im Kontext seiner Theorie vom egoistischen Gen die grundlegende Trennung zwischen Objekt und Information nicht dezidiert vorgenommen habe.165 Der Molekularbiologe G. S. Stent hält Dawkins’ Gendefinition für inkompatibel mit der für die Molekularbiologie verbindlichen Definition und kritisiert, dass Dawkins Genen Eigenschaften zuschreibe, die sie in Wahrheit nicht besäßen. Die Dawkins’sche Interpretation der Gene als unsterblich bezeichnet Stent sogar als metaphysikverdächtig.166 Einige Naturwissenschaftler betonen zudem, dass das Gen nicht die einzige Einheit der Selektion ist und die natürliche Selektion nicht nur auf der Ebene der Gene agiert.167 Wilson präsentiert in diesem Kontext neuere gruppenselektionistische Ansätze, die die Theorie vom egoistischen Gen in Frage stellen sollen.168 In gleicher Absicht 164 Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 20. 165 Vgl. Williams Ein Informationspaket, 51. Siehe hierzu auch Rose, Darwins gefährliche Erben, 118 – 119, 128 – 133, 233. Bateson betont, dass Dawkins sich bewusst ist, dass er unterschiedliche Definitionen des Begriffs Gen verwendet. Er sehe diesen Umstand jedoch nicht als Hindernis an, da er davon ausgehe, dass sich seine verschiedenen Genbegriffe exakt aufeinander abbilden lassen. Siehe Bateson, The Nest’s Tale, 170. Vgl. zur Frage des Übersetzungsproblems auch: Bateson, Behavioral Development and Darwinian Evolution, 160 – 162. Neumann-Held wiederum unterscheidet bei Dawkins zwei unterschiedliche Genbegriffe und stellt in Frage, dass diese sich exakt aufeinander abbilden lassen. Vgl. Neumann-Held, Jenseits des ,genetischen Weltbildes‘, 265 – 68. Auf eine mögliche Inkonsistenz des Genbegriffs Dawkins’ wies Martin Daly bereits 1980 hin. So kritisiert Daly, dass Dawkins zwei inkongruente Genkonzepte (population genetical gene bzw. causal developmental gene) verwendet, wenn er davon spricht, das Gen sei eine ,Determinante‘ des (menschlichen) Verhaltens: „The population genetical sense is essentially one of variance partitioning: a proportion of phenotypic variance is ‘attributable’ to correlated genotypic variance, quite irrespective of the causes of that correlation. ‘Genetic determination’ can also refer to gene action in development, a causal meaning that cannot be translated into the population genetical meaning. […] The causal developmental gene and the population genetical gene are two incongruent concepts that have converged at the same bit of DNA. That Dawkins’s genes perform this double duty seems to me a profound theoretical problem.“ Siehe: Daly, Contentious Genes, 80 – 81. Auch der Zoologe Thomas Weber konstatiert, dass der Unterschied zwischen „molekularen“ und „evolutionären“ Genen. in Diskussionen beispielsweise um die Folgen und Möglichkeiten der modernen Gentechnologie zu wenig berücksichtigt wird. Stattdessen stünden sich verschiedene Bestimmungen des Begriffs „Gen“ stillschweigend gegenüber. Vgl. Weber, Darwin und die Anstifter, 241 – 242. In ähnlichem Sinne auch Haig, The Gene Meme, 56 – 57. 166 Vgl. Stent, Altruismus ohne Ethik, 6 – 8. 167 Vgl. Bateson, The Nest’s Tale, 164 – 175. Siehe auch Rose, Darwins gefährliche Erben, 243. Dazu auch Noble, The Music of Life, x-xi. 168 Vgl. Wilson D.S./Sober, Reintroducing Group Selection to the Human Behavioural Sciences,

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präsentiert Gould seine Idee der Multi-Level-Selektion.169, Gilbert die Idee der Developmental Genes170 und Shapiro seine These von Evolution als Systementwicklung.171 Darüber hinaus lehnt Mayr in einem eher methodologischen Kontext die These Dawkins’ ab, nach der das Gen die entscheidende Ebene für die natürliche Selektion darstellt.172 Gegen die obigen Naturwissenschaftler betont Ridley, der Dawkins’ Theorie positiv gegenübersteht, dass der Gedanke der Kooperation zwischen Genen kompatibel mit der Theorie vom egoistischen Gen ist.173 Andere Naturwissenschaftler betonen zudem die Wichtigkeit der Theorie für neue Forschungsstrategien und -ergebnisse.174 Insgesamt argumentieren Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler im Hinblick auf die Theorie vom egoistischen Gen überwiegend kritisch und verwenden dazu ähnliche Argumente. Neben der Infragestellung von Dawkins’ Gendefinition oder seiner Sicht der Evolution, wird vor allem seine metaphorische Sprache kritisiert. Jedoch zeichnen sich auch unterschiedliche Schwerpunkte ab. So sind die Implikationen der Theorie vom egoistischen Gen für Theologen wichtiger, wohingegen Naturwissenschaftler stärker über Dawkins’ Genkonzept und seine Gendefinition verhandeln. Dies erscheint nicht verwunderlich, ist doch das Wort Gen für viele Bereiche der Biologie ein zentraler Begriff. Während Dawkins’ metaphorische Sprache von allen Wissenschaften kritisiert wird, ist die Entscheidung zwischen Dawkins’ implizitem und explizitem Genkonzept nur im Kontext der Naturwissenschaften relevant. Auf Seiten der Philosophen und Naturwissenschaftler gibt

169

170 171 172 173

174

585 – 654. Siehe auch DIES., A Critical Review of Philosophical Work on the Units of Selection Problem, 534 – 555. Dazu auch DIES., Unto Others, 34, 90 – 92, 124 – 25. Wilson D.S., Levels of Selection, 143 – 154, v. a. 143. DERS., Darwin’s Cathedral. Evolution, Religion and the Nature of Society, v. a. 237. Wilson E. O./Wilson D. S., Rethinking the Theoretical Foundation of Sociobiology, 327 – 348. Vgl. Gould, Der Daumen des Panda, 94 – 96. Dazu Gould, The Structure of Evolutionary Theory, 613 – 623, 628 – 31, 640 – 41. Ders., Das Grundmuster des Lebens, 79. Gould, The Confusion over Evolution, 47 – 54. Vgl. Gilbert, Genes Classical and Genes Developmental, 178 – 82. Vgl. Shapiro, A third way. Vgl. Mayr, The Objects of Selection, 2091 – 2094. Vgl. Ridley, The Evolution of Cooperation, viii. Auch im Hinblick auf die notwendigen Bedingungen für das Einsetzen der natürlichen Selektion ist Ridley mit Dawkins vergleichbar : „Natural selection acts whenever three conditions are met. There has to be variation: that is, more than one kind of individual in the species. The varieties have to differ in how well they survive and reproduce. And the offspring have to resemble their parents.“, 7. Zudem kann die natürliche Selektion nach Ridley an allem ansetzen, das sich selbst replizieren kann (Dawkins’ Replikatorvorstellung), 8. Auch Ridleys Aussagen im Hinblick auf die Entstehung von Leben ähneln denen von Dawkins. Vgl. ebd. 83 ff. Vgl. z. B. Krebs, Richard Dawkins. Intellectual Plumber And More, 28 – 29. Siehe auch Jones, Warum gibt es eine so große genetische Vielfalt?, 151, 160 – 61. Wuketits, Was ist Soziobiologie, 73 – 75. Wuketits, Evolution: die Entwicklung des Lebens, 59. Margulis, Gaia ist ein zähes Weibsstück, 177 – 202, hier 197. Smolin, Eine Theorie des ganzen Universums, 409 – 410.

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es im Unterschied zu den Theologen auch Wissenschaftler, die die Theorie vom egoistischen Gen unterstützen.

Abb. 5: Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen im Spiegel der Wissenschaften

6. Dawkins’ Verständnis der Evolution im Spiegel der Wissenschaften Dawkins’ Sicht der Evolutionstheorie wird nur von wenigen Theologen behandelt, die vor allem mit der mangelnden Erklärungskraft der natürlichen Selektion für den Evolutionsprozess, der Irreduzibilität des menschlichen Bewusstseins oder der Abhängigkeit des Evolutionsprozesses von Gott argumentieren. Knapp kritisiert, dass Dawkins die Evolution fraglos als „Faktum“ darstellt und seine Erklärungen zu stark auf die Faktoren Mutation und Selektion stützt. Er lehnt also den Absolutheitsanspruch ab, mit dem Dawkins beide Faktoren zur Erklärung der evolutionären Phänomene verwendet.175 Zwar gestehe auch Dawkins zu, dass die natürliche Selektion nicht der einzige Faktor in der Evolution sei, aber er verdränge diese Einsicht systematisch, wenn er fast jedes Verhalten als Darwin’sche Anpassung erkläre und alternative Erklärungsmöglichkeiten (Migration, genetischer Drift, Isolation) ausblende. Gegen die Erklärungswirksamkeit der natürlichen Selektion hinsichtlich der Optimierung von Anpassungen spricht nach Knapp auch die 175 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 48.

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Tatsache, dass Merkmale auch durch neutrale Mutationen zustande kommen können und die Entwicklung des Phänotyps durch so viele Zufallsmomente geprägt ist, dass dessen Entstehung nicht streng durch Geno- und Phänotyp determiniert ist.176 Dawkins’ Aussage, dass der Darwinismus das Rätsel unserer Existenz vollständig lösen kann, ist nach Knapp ideologisch177: „Die Evolutionstheorie als Totaltheorie vom Urknall bis zum modernen Menschen und seiner Gesellschaft ist keine wissenschaftliche Theorie mehr, sondern ein Epos, eine Mythologie.“178 Im Kontext seines Gedankens von Gottes kausalem Eingreifen in die Evolution179 bietet z. B. Ward Kritikpunkte, die sich konkret auf Dawkins’ biologische Thesen beziehen. So garantiere die natürliche Selektion die Emergenz von komplexen bewussten Lebensformen nicht, da sie zu viele Fehlerquellen beinhalte. So könnten z. B. Mutationen zu groß sein, um lebensfähige komple XE Organismen zu generieren. Auch Faktoren wie das Verschwinden einer Nahrungsquelle oder der Verlust aller Nachkommen in einer Naturkatastrophe zeugten davon, dass es in der natürlichen Selektion keine Garantie für ein Ansteigen der Komplexität gebe.180 Die natürliche Selektion mache die Entstehung solcher Organismen darüber hinaus noch nicht einmal wahrscheinlich, da sie keinen evolutionären Pfad wahrscheinlicher als einen anderen mache.181 Für problematisch hält es Ward, dass sich im Kontext der natürlichen Selektion nicht vorhersagen lässt, welche Lebewesen letztendlich überleben.182 Dieser Mangel an akkurater Vorhersage lasse daran zweifeln, dass das Prinzip der natürlichen Selektion alle Geheimnisse der Evolution erklären könne.183 Für Ward ist also insgesamt sehr unwahrscheinlich, dass bewusste Lebensformen das Resultat einer wiederholten Anwendung eines vollständig blinden und nicht-zielgerichteten Prozesses von organischer Mutation und Replikation sein sollten.184 Darüber hinaus verschiebe Dawkins’ kumulatives Prozessargument lediglich das Problem der spontanen Generierung von komplexen und hoch erwünschten Ergebnissen, auf das Problem der spontanen Existenz einer effizienten Regel, die mit der Zeit die gewünschten Ergebnisse produziert.185 Die Interpretation von Bewusstsein, Gefühl, Intention und Evaluation als Nebenprodukte eines mechanischen Prozesses ohne kausale Effektivität in

176 177 178 179 180 181 182 183 184 185

Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 53. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 50. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 173. Vgl. z. B. Ward, God, Chance and Necessity, 80. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 66. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 69. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 69. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 74. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 76. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 105.

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einem grundsätzlich physikalistischen Universums lehnt Ward ab.186 Die theistische Hypothese habe in dieser Hinsicht schlicht ein größeres Erklärungspotential.187 So werde der von Gott eingeleitete Prozess der Bewusstseinsentstehung durch die Annahme verständlich, dass er auf die Genese von unterschiedlichen phänomenalen Erfahrungen einer objektiven physikalischen Welt ausgerichtet ist, die wiederum nur von einem hoch strukturierten zentralen Nervensystem geleistet werden können.188 In diesem Sinne ist die Evolution für Ward zielgerichtet. Wie auch schon im Hinblick auf Dawkins’ Gottesbild spielt es bei der Behandlung von Dawkins’ Sicht der Evolutionstheorie für Ward eine Rolle, dass einfache Dinge nicht wahrscheinlicher sind als komple XE Dinge. Dementsprechend ist es für Ward ein Trugschluss anzunehmen, dass alles entstehen kann, wenn man nur genug Zeit für diese Entstehung ansetzt.189 Ward kritisiert zudem die Biomorph-Programme, die Dawkins zur Illustration seiner Sicht der Evolution verwendet. Deren Erfolg liege daran, dass der Geist des menschlichen Operators die Auswahl der Biomorphe übernommen hat und zwar mit einem bestimmten Ziel im Kopf. Dies wiederum spreche gegen die These der Nichtzielgerichtetheit der Evolution.190 Während Ward den Menschen als mögliches Ziel der Evolution bezeichnet, betont Appel, dass der Evolutionsprozess, naturwissenschaftlich betrachtet, nicht zielgerichtet ist. Jedoch sei die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise nicht die einzig zulässige. So erlaube ein geschichtsphilosophischer Blick die Aussage, dass die Natur ihr Ziel im Menschen hat.191 Daneben kritisieren Theologen wiederum Dawkins metaphorische, den wissenschaftlich beschreibenden Bereich verlassende Sprache192 und lehnen seine Suche nach letztgültigen darwinistischen Erklärungen ab, da sie an der absoluten Grenze darwinistischer Erklärungen scheitern müsse.193 Die meisten Philosophen, die sich mit Dawkins beschäftigen, betonen, dass die Theorie der natürlichen Selektion weder die Komplexität von Lebewesen noch die Komplexität der Welt ausreichend erklären kann. So stehen z. B. nach Strasser alle Versuche, die Komplexität der Welt und ihrer Ordnung mit rein wissenschaftlichen Mitteln zu erklären, vor einem grundsätzlichen Problem. Dieses Problem gründet nach Strasser darin, „…dass es keinerlei physikalischen Anhaltspunkt dafür gibt, wie aus ,toter‘ Natur jemals Leben entstehen 186 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 149. 187 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 149. 188 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 159. Schröder kritisiert vor allem Dawkins’ Strategie, im Zug seines Evolutionsverständnisses das menschliche Bewusstsein mit dem Gehirn zu identifizieren. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 37. 189 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 117. 190 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 126. 191 Vgl. Appel, Ursprung und Defizite von Dawkins’ Religionsbegriff, 188 – 90. 192 Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 198. 193 Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 73 – 76.

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könnte.“194 Analog dazu kritisiert Heckmann, dass der Versuch, die Entstehung des komplexen Lebendigen ohne Rekurs auf einen Designer-Gott und ohne Zuhilfenahme von irgendwelchen teleologischen Annahmen zu erklären, die Konsequenz nach sich zieht, dass sich der Mensch als intentionales und zwecksetzendes Wesen nicht mehr ernst nehmen kann.195 Des Weiteren gibt es Philosophen, die Dawkins’ Operieren mit dem Wahrscheinlichkeitsprinzip ablehnen. Problematisch ist es beispielsweise für Strasser, dass Dawkins die gewählte Wahrscheinlichkeit von ,eins zu einer Milliarde‘ nicht begründet oder mit statistischen Argumenten einführt, sondern völlig beliebig festsetzt. Die Wahrscheinlichkeit könnte gleichwohl deutlich höher sein, so dass „…der Rückgriff auf ein von Gott gewirktes ,Wunder‘ geradezu unausweichlich wäre, falls man überhaupt nach einer Erklärung suchen wollte.“196 Auch findet sich in der Philosophie das Argument, dass die jeden Menschen betreffende Forderung nach objektiver Wahrheit in Spannung zu den Annahmen der Evolutionstheorie über das menschliche Bewusstsein steht.197 Für Strasser ist deswegen eine transevolutionäre Erklärung des menschlichen Bewusstseins notwendig: In der Evolution „…werden nur geistige Konzepte herausselektiert, deren Bedeutung wir adäquat nur erfassen, wenn wir sie nicht ihrerseits wieder in Begriffen der evolutionären Nützlichkeit analysieren. Die Evolution des Geistes führt also zu Konsequenzen, deren Bedeutung … trans-evolutionär ist.“198 Ein solches trans-evolutionäres Konzept ist für Strasser das der Wahrheit oder auch das der Moral. Um zu einer allgemeinen menschlichen Ethik zu gelangen, müsse man die evolutionäre Ethik transzendieren. Nur in trans-evolutionären Begriffen seien die Menschenrechte oder der Sozialstaat zu rechtfertigen.199 Mutschler wiederum kritisiert, dass Dawkins’ BiomorphProgramm gerade nicht frei von jeder Teleologie ist und er ist davon überzeugt, dass es innerhalb der Evolution Raum für naturphilosophische Betrachtungsweisen – wie die der inneren Zweckmäßigkeit – gibt.200 Innerhalb der Naturwissenschaften argumentiert z. B. Thirring dafür, dass die biologische Evolution nicht allein durch Mutation und Selektion erklärbar ist.201 Für einige Naturwissenschaftler wie z. B. Giberson und Artigas ist zudem die Vorstellung der Evolution mit dem Gottesgedanken vereinbar.202 Andere Naturwissenschaftler wie Barbour betonen im Hinblick auf Dawkins’ Biomorph-Programm, dass Zufall und Selektion mit dem intelligenten Design

194 195 196 197 198 199 200 201 202

Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 31. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 206. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 32. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 88. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89 – 90. Vgl. Mutschler, Naturphilosophie, 131 – 32. Vgl. Thirring, Bemerkungen zu dem Buch ‘The God Delusion’ von Richard Dawkins, 367 – 373. Giberson/ Artigas, Oracles of Science, 36. So auch Collins, Gott und die Gene, 134.

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eines zielgeleiteten Agenten verträglich seien.203 Rose wiederum wendet sich gegen Dawkins’ starke Betonung der Rolle der natürlichen Selektion und merkt an, dass es alternative Triebkräfte gibt, die den Evolutionsprozess steuern oder beeinflussen.204 Darüber hinaus ist für Rose Dawkins’ Theorie von der Entstehung und Entwicklung des Lebens nicht die einzig vorstellbare: „Die kooperative Symbiogenese, durch die Leben, wie wir es heute kennen, in der Evolution entstanden sein muß, bietet eine wichtige alternative Perspektive zu der unbarmherzig individualistischen, wettbewerbsorientierten Metapher, wie sie der ultradarwinistischen, replikatororientierten Sichtweise der Welt zugrunde liegt.“205

Resümierend lässt sich festhalten, dass Dawkins’ Sicht der Evolution verglichen mit Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen weniger stark diskutiert wird. Da letzteres Thema aber ein Spezialfall des ersteren Themas ist, bedeutet dies nur, dass sich der Diskurs in diesem Bereich vor allem auf das ureigene Dawkins-Thema konzentriert. Diskutiert werden im Hinblick auf Dawkins’ Sicht der Evolution in allen Wissenschaften durchaus ähnliche Punkte, die von der Frage der Komplexität, über die Entstehung des Lebens, der Rolle und Tragweite der natürlichen Selektion in der Evolution, der Frage der Zielgerichtetheit (Teleologie) der Evolution bis zur Rolle von Mutation und Zufall in der Evolution reichen. Allerdings gibt es auch immer Argumente, die nur aus einer Disziplin stammen – so z. B. Schröders These von der absoluten Grenze darwinistischer Erklärungen oder Heckmanns kritischer Hinweis auf die Konsequenzen der Dawkinsschen Sicht der Evolution.

7. Dawkins’ Mem-Konzept im Spiegel der Wissenschaften Die analysierten Theologen stehen Dawkins’ Memtheorie im Wesentlichen sehr kritisch gegenüber. McGrath lehnt Dawkins’ Ungleichbehandlung religiöser Ideen (virusähnlich) und wissenschaftlicher Ideen (nicht virusähnlich) ab. Darüber hinaus gebe es keinen Grund anzunehmen, dass die kulturelle Evolution der Darwin’schen Evolution entspricht oder dass die Evolutionsbiologie irgendeinen besonderen Wert in Bezug auf die Erklärung der Entwicklung von Ideen hat. Außer der zweifelhaften Analogie zwischen Memen und Genen gebe es keine Hinweise oder direkten Beweise für die Existenz von 203 Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 111 – 12. 204 Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 249 – 251, 256 – 60. Gegen die ultradarwinistische Vorstellung eines inhärent passiven Organismus, der „der gnadenlos siebenden Gewalt der natürlichen Selektion“ hilflos ausgesetzt ist, stellt Rose die Vorstellung, dass Organismen als aktive Gestalter ihres eigenen Geschicks interpretiert werden können. Roses Anliegen ist es dabei, die Rolle der einzelnen Organismen in der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft zu betonen und Dawkins’ Akzent auf die Wichtigkeit der natürlichen Selektion im Evolutionsprozess. zu relativieren. 205 Rose, Darwins gefährliche Erben, 285.

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Abb. 6: Dawkins’ Evolutionsverständnis im Spiegel der Wissenschaften

Memen. Letztlich sei auch kein Grund für die Annahme der Existenz von Memen als notwendiges Erklärungskonstrukt vorhanden.206 Heinrich kritisiert die deterministischen Züge von Dawkins’ Mem-Konzept. Deterministisch sei das Konzept, weil der Mensch in ihm nicht als Akteur, sondern lediglich als Wirtsorganismus vorkomme und der Wahrheitsbezug der menschlichen Geistesleistungen negiert werde. Dadurch erweise sich das Mem-Konzept gleichzeitig als Naturalisierungs-Strategie, deren Anwendung die Soziobiologie allerdings in einen pragmatischen Selbstwiderspruch manövriere. Gleichzeitig müssen nach Heinrich Ideen nicht nur nach ihrem memetischen Replikationserfolg oder ihrem psychologischen Anreiz beurteilt werden, sondern auch nach ihrem Wahrheitsgehalt.207 Appel wiederum lehnt das Dawkins’sche Mem-Konzept als Pseudoerklärung ab. Dawkins versuche hiermit der Tatsache zu entkommen, dass biologische Gesetze nicht unmittelbar auf den Menschen übertragen werden können.208 Schröders Ablehnung der Memtheorie zielt in die gleiche Richtung, da er die Idee einer naturwissenschaftlichen Kulturwissenschaft ablehnt. Kultur lasse sich prinzipiell nicht naturwissenschaftlich verstehen.209 Knapp kritisiert analog dazu den tauto-

206 207 208 209

Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 124 – 38. Vgl. Heinrich, Ist Nächstenliebe eine Frage der Gene?, 52. Appel, Ursprung und Defizite von Dawkins’ Religionsbegriff, 170 – 171. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 29 – 37.

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logischen Charakter von Dawkins’ Mem-Konzept, da das untersuchte Phänomen mit sich selbst erklärt werde.210 Für die Philosophie kritisiert Midgley, dass der Versuch, den Bereich der Kultur oder des Denkens durch Meme zu erklären, die dieselben Eigenschaften wie Gene haben, scheitern muss.211 So seien Kultur oder Denken keine starren, sondern sich bewegende und entwickelnde Muster im menschlichen Verhalten.212 Vor diesem Hintergrund stellt Dawkins’ Mem-Konzept für sie keine wissenschaftliche Theorie dar. Dawkins spreche aus moralischen Gründen von Memen, näherhin aus der Annahme, es sei heilsam, derartig über Kultur zu denken.213 Müller versteht Dawkins’ Mem-Konzept als Teil einer umfassenden Naturalisierungsstrategie.214 Demgegenüber befürwortet Dennett Dawkins’ Mem-Konzept. Allerdings formuliert er den Kerngedanken der Memtheorie Dawkins’ vorsichtiger : „Die kulturelle Transmission kann manchmal die genetische imitieren, indem sie zuläßt, daß konkurrierende Varianten unterschiedlich stark kopiert werden, was bei den betreffenden Kulturelementen zu graduellen Merkmalsveränderungen führt, für die es keinen bewußten, vorausschauenden Urheber gibt.“215

Grundsätzlich schließt Dennett also nicht aus, dass eine kulturelle Transmission z. B. auf einer absichtlichen Verbesserung durch Individuen beruht.216 Für Dennett existieren Meme, weil Wörter existieren und Wörter Meme sind, die man aussprechen könne.217 Neben Wörtern seien Informationspakete oder Rezepte für andere Tätigkeiten als das Aussprechen Meme, so z. B. Verhaltensweisen wie das Händeschütteln oder das Fahren auf der rechten Straßenseite.218 Dass es im Gegensatz zu dem Vier-Elemente-Code der DNA keinen proprietären Code gibt, an dem man die Memidentität feststellen kann, macht nach Dennett einen graduellen Unterschied zwischen Genen und Memen aus.219 Dass zwischen Genen und Memen mehr als eine oberflächliche Ähn-

210 211 212 213

214 215 216 217 218 219

Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 123. Vgl. Midgley, The Myths We Live By, 57. Vgl. Midgley, The Myths We Live By, 57. Vgl. Midgley, The Myths We Live By, 68. Auch Greif stellt die Tragfähigkeit der Memtheorie in Frage, die bis heute keine etablierte Wissenschaft sei. Für problematisch hält er, dass es nicht logisch zwangsläufig ist, dass ein genetischer Selektionsprozess Effekte hervorbringt, die in gleichartige, in denselben Begriffen zu beschreibende Selektionsprozesse eingehen. Deswegen versteht Greif Dawkins’ Mem-Konzept weniger als wissenschaftliche Theorie im strengen Sinn, denn als Instrument zum Perspektivenwechsel bzw. als Exempel für die Reichweite evolutionärer Erklärungsmodelle. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 115 – 116. Vgl. Müller, Gottes Dasein denken, 122 – 23. Dennett, Den Bann brechen, 109. Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 111. Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 112. Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 112 – 113. Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 426 – 27.

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lichkeit besteht, liegt nach Dennett an der Tatsache, dass sowohl Gene als auch Meme Informationen kopieren und übermitteln.220 Problematisch ist für Dennett also nicht die Existenz von Memen, sondern die Frage, wo die Grenzen eines Mems liegen bzw. wie groß oder wie klein ein Mem sein muss. Allerdings stelle sich dieses Problem auch bei Genen und Wörtern.221 Im Hinblick auf die Frage, ob die gesamte menschliche Kultur darwinistisch erklärbar ist, betont Dennett, dass, selbst wenn die darwinistische Perspektive nur eine relativ triviale Vereinheitlichung des Phänomens der kulturellen Evolution darstellt, die kulturelle Evolution darwinistischen Prinzipien zumindest in dem moderaten Sinne folgt, dass nichts, was in ihr geschieht, der Evolutionstheorie widerspricht.222 Zugleich kann nach Dennett unsere Existenz als „wir selbst“ nicht unabhängig von unseren Memen sein. Unter den Memen, die uns nach Meinung von Dennett konstituieren, spielen Meme, die normative Konzepte für Sollen, Gutheit, Wahrheit oder Schönheit enthalten, eine entscheidende Rolle. Das transzendente – weil von Genen und Memen vollkommen unabhängige -Wir, von dem in dem Zitat über die Möglichkeit der Auflehnung gegen unsere Gene die Rede sei, ist nach Dennett dagegen ein Mythos.223 Im Bereich der Naturwissenschaften äußern sich von den analysierten Forschern einzig Schaller und Kattmann zu Dawkins’ Memtheorie. Ersterer bewertet diese als ein Produkt des Glaubens an das Vorhandensein von Replikationseinheiten kultureller Evolution.224 Auch Kattmann kritisiert Dawkins’ Memtheorie, bei der die materielle gedachte Einheit „Gen“ Pate für eine Idee stehe, die sich durch nichts belegen lasse.225 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die am Diskurs beteiligten Theologen der Memtheorie Dawkins’ mehr Raum einräumen als die beteiligten Philosophen und Naturwissenschaftler. Die in allen drei Disziplinen verwendeten Argumente unterscheiden sich nur bedingt voneinander, wenn es um die Ablehnung des Konzepts geht. Einzelne Forscher setzten jedoch spezifische Akzente. Dennett wiederum steht mit seiner Befürwortung des Mem-Konzepts im Diskurs weitgehend isoliert da.

8. Dawkins’ Moralerklärung und -verständnis im Spiegel der Wissenschaften Innerhalb der Theologie wird auch das Thema von Dawkins’ Moralbegründung und Moralerklärung relativ breit verhandelt. Für einige Theologen wie 220 Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 112 – 113. 221 Dennett, Den Bann brechen, 429. 222 Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 430 – 32. Zu Dennetts Befürwortung der Mem-Idee siehe auch: Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 335 – 360. 223 Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 366. 224 Schaller, Dawkins’ Gotteswahn aus Sicht eines Biologen, 316. 225 Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 325.

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Abb. 7: Dawkins’ Mem-Konzept im Spiegel der Wissenschaften

z. B. Haught besteht Dawkins’ Ziel darin, den Theismus zu falsifizieren, indem er aufzuzeigen versuche, dass die Moral eine rein natürliche Erklärung aufweise.226 Allerdings scheitere Dawkins’ Versuch, die Moral vollständig naturalistisch zu erklären.227 Wenn es um die Weitergabe von moralischen Werten von einer Generation zur nächsten gehe, seien zwar durchaus die biologischen Gesetze der genetischen Vererbung an der Arbeit, da diese Organismen formten, die zu moralischem Handeln fähig seien. Aber der eigentliche Inhalt unserer moralischen Reflexionen und Entscheidungen liege – wenn Dawkins mit seiner These über die Darwin’schen Fehlzündungen recht habe – außerhalb des Geltungsbereichs der Darwin’schen Erklärung. Dazu komme, dass, wenn sowohl Religion als auch Moral für Dawkins lediglich Darwin’sche Fehlzündungen seien, er vor der Herausforderung stehe, Kriterien aufzuführen, warum eine dieser Fehlzündungen besser sein sollte als die andere.228 Auch Körtner hält Dawkins’ evolutionstheoretische Überlegungen zu den Wurzeln der Religion und den Wurzeln der Moral in mehrfacher Hinsicht für höchst zweifelhaft. Nicht nur sei es problematisch, von „der“ Religion zu sprechen, sondern der Versuch „letztgültige darwinistische Erklärungen“ zu bieten, sei schlechte Metaphysik. Dawkins kontrastiere allzu plakativ eine mehr oder weniger religiös fundierte „absolute Moral“ mit einer relativen 226 Haught, God and the New Atheism, 67. 227 Haught, God and the New Atheism, 71. 228 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 71 – 72.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

Moral, die auf den Gesetzen der Evolutionstheorie beruhe. Dawkins’ utilitaristische Moralvorstellung gerät nach Körtner zudem zwangsläufig in Aporien. Dies zeige sich an dem von Dawkins behaupteten und propagierten moralischen Fortschritt der Menschheitsgeschichte. Hierbei handle es sich um ein normatives Werturteil, dessen Kriterien nicht biologisch definiert werden könnten.229 Recht gibt Körtner Dawkins allerdings bei dessen Behauptung, die heutige Ethik von Christen sei nicht unmittelbar der Bibel entnommen. Denn kein Text – ob Dekalog oder Bergpredigt -dürfe unmittelbar mit dem aktuellen Willen Gottes identifiziert werden.230 Auch Schröder lehnt Dawkins’ utilitaristische bzw. konsequentialistische Position, die auf dem Grundsatz basiert, dass alle ethischen Fragen nach dem Prinzip des Nutzens entschieden werden können, ab.231 So sei es unmöglich, Wirkungen von Handlungen exakt vorherzusagen.232 Lohfink hält Dawkins’ Versuch, das Sittliche als bloßes Nebenprodukt der Evolution zu erklären, für zu einseitig und inkonsistent.233 Knapp kritisiert, dass Dawkins den Gedanken der Menschenwürde und der Menschenrechte als Artegoismus ablehnt.234 Neben der entschiedenen Zurückweisung von Dawkins’ Aussagen zu Moralbegründung und Moralerklärung findet sich bei einigen Theologen auch die Präsentation von alternativen Moralbegründungen. Da Haught eine naturalistische Erklärung der Moral prinzipiell nicht für möglich hält, ist seiner Meinung nach die Gottesidee für unsere Moral unverzichtbar.235 Ward befürwortet die Basierung von Moral auf Religion, weil seiner Meinung nach die objektive Existenz eines höchsten Wesens, das definiert, was Gutsein ist, die stabilste rationale Begründung der Moral ist. „Zu diesem Verständnis fügt der Glaube einen hartnäckigen moralischen Anspruch hinzu, eine Verantwortung, sich der Welt anzunehmen, die Gott erschaffen hat.“236 Nach Meinung des Philosophen Illies kann Dawkins’ Moralverständnis mit Hilfe einer Erklärungs-, einer Kompatibilitäts-, einer Geltungs-, einer Illusions-, einer Motivations- und einer Humanismusthese umfassend charakterisiert werden.237 Illies kritisiert in diesem Kontext Dawkins’ Aussagen, nach denen die Moral keine absolute Grundlegung haben kann, weil es keinen Gott gibt und somit niemanden, der eine solche absolute Grundlegung bieten könnte. Damit stelle er den Leser vor eine falsche Alternative: entweder eine naturwissenschaftliche Grundlegung der Moral oder ein Glaubensfundament

229 230 231 232 233 234 235 236 237

Vgl. Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 253 – 55. Vgl. Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 263. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 62. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 85. Vgl. Lohfink, Welche Argumente hat der neue Atheismus?, 61 – 67. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 289. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 26 – 27, 73 – 75. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 172. Vgl. Illies, Moral und Gene, 272 – 273.

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Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte

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der Moral.238 Mit Dawkins betont Illies, dass nur eine stabile Grundlage von Geltungsansprüchen der Moral Autorität geben kann. Dawkins’ Illusionsthese der Moral steht und fällt nach Illies mit der Zurückweisung einer Begründung moralischer Geltungsansprüche. Dabei müssen sich Funktionalität und Geltung nach Illies nicht zwangsläufig ausschließen.239 Die Moral ist nach Illies also keine Illusion, wenn ihre Forderungen begründet sind. Ob die Forderungen der Moral begründet sind, kann seiner Meinung nach allein eine philosophische Untersuchung dieser Begründungen erweisen. Dawkins’ Illusionsthese sei nicht zu halten, weil er eine solche philosophische Untersuchung nicht vorgelegt habe.240 Dawkins’ Motivationsthese, d. h. die Annahme, dass das biologische Erbe hinreichend für die Motivation zum moralischen Verhalten ist, lehnt Illies als mangelhaft begründet ab. Die von Dawkins aufgeführten Ursache-WirkungsBeziehungen könnten nach Illies genau entgegengesetzt zu seinen Annahmen sein. Dawkins’ Hinweis, dass es in den USA in Gegenden mit vielen Anhängern der Republikaner, die in der Regel konservative Christen seien, zu zahlreichen Gewaltverbrechen komme, sei keineswegs ein Hinweis darauf, dass Atheisten moralischer bzw. genauso moralisch wie Gläubige handeln.241 Darüber hinaus gebe es gegen Dawkins’ These auch viele Studien, die darauf hindeuteten, dass Religiöse stärker zum Guten motiviert scheinen als Atheisten. Auch Dawkins Aussage, dass Atheisten sogar moralischer sein könnten als Gläubige, hält Illies für abwegig und mangelhaft begründet.242 Dawkins’ Einwand, religiöse Menschen handelten letztlich nur gut, um der himmlischen Strafe zu entgehen und dies sei kein wirkliches moralisches Handeln, erweist sich nach Illies zwar als stichhaltig und werde deshalb auch innerhalb der theologischen Ethik schon seit langem bedacht, aber zur Verteidigung seiner Annahme, dass (atheistische) Humanisten moralischer sind als Gläubige, könne er diese These nicht heranziehen.243 Langthaler setzt bei seiner Kritik an Dawkins’ Aussagen zur Moral wiederum bei Kant an. So habe Kant auch den Nachweis erbracht, dass die Moral des Menschen unumgänglich zur Religion führt. Im Zuge seiner Abhandlungen über die „höchsten Zwecke der menschlichen Vernunft“ und der Frage nach einer vernünftig begründeten „Rangordnung der Zwecke des menschlichen Daseins“ kam Kant nach Langthaler zu dem Schluss, dass nicht aus dem Interesse der naturwissenschaftlichen Welterklärung, sondern „… aus dem moralischen Gesetz, welches uns [freilich] unsere eigene Vernunft [!] vorschreibt, nur der Begriff von Gott hervor[geht], welchen uns selbst zu machen

238 239 240 241 242 243

Vgl. Illies, Moral und Gene, 280. Vgl. Illies, Moral und Gene, 283. Vgl. Illies, Moral und Gene, 284. Vgl. Illies, Moral und Gene, 286. Vgl. Illies, Moral und Gene, 289. Vgl. Illies, Moral und Gene, 291.

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die praktische reine Vernunft nötigt.“244 Diese Feststellung sei ausdrücklich gegen jedwede Vorstellungen gerichtet, die Gott als einen aus der Theorie der Natur hervorgehenden Begriff interpretierten.245 Dawkins’ Moralerklärung löst nach Strasser nicht das Problem der moralischen Geltung. Die Menschenrechte, also die Vorstellung, dass alle Menschen prinzipiell bzw. absolut gleich sind, mache evolutionstheoretisch keinen Sinn und könne nur in trans-evolutionären Begriffen gerechtfertigt werden. „Es mag stimmen, dass – ebenso wie der Glaube an Gott – unsere Menschheitsmoral ,an evolutionary accident‘ ist, ein vom Standpunkt des egoistischen Gens aus nutzloses oder sogar schädliches ,by-product‘ der Evolution … [Aber, K.P.] jeder Versuch, unsere Menschheitsmoral auf die ,Strategie‘ unserer Gene zu stützen, endet stets bei einer Form des Sozialdarwinismus, der den Gleichheitsgrundsatz und damit eben jene Moral vom Ansatz her negiert.“246

Im Bereich der Naturwissenschaften äußerte sich keiner der analysierten Forscher über Dawkins’ Sicht der Moral. Resümierend zeigt sich, dass Dawkins’ Moralverständnis vor allem für die Theologie und die Philosophie eine Rolle spielt, wobei die kritische Rezeption desselben überwiegt. Im Zuge der kritischen Rezeption spielen vor allem alternative Moralbegründungen zu Dawkins’ Ansatz eine wichtige Rolle.

244 Kant zitiert nach Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 88. 245 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 87. Nach Langthaler vertritt z. B. Daniel Dennett die These, dass Gott eine aus der Theorie der Natur hervorgehender Begriff sei. 246 Strasser, Warum überhaupt Religion?, 90.

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Die inhaltlichen Argumente und Schwerpunkte

Abb. 8: Dawkins’ Moralverständnis im Spiegel der Wissenschaften

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2. Kapitel: Die Diskursstrategien im Vergleich Im Kontext der Analyse des Dawkins-Diskurses in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften lassen sich verschiedene Strategien herausarbeiten, die von den Wissenschaftlern teils ähnlich teils unterschiedlich dazu verwendet werden, mit den Thesen Dawkins’ umzugehen. Sie bilden neben den inhaltlichen Gesichtspunkten einen wichtigen Baustein für die Herausarbeitung des spezifischen Umgangs der einzelnen Wissenschaften mit Dawkins. So stellt sich z. B. die Frage, inwieweit bestimmte Argumentationsstrategien an bestimmte Disziplinen gebunden sind. Überblick über die im Dawkins-Diskurs angewendeten Diskursstrategien: Diskursstrategie Inhalt Strategie 1

deskriptive Beschreibung der Thesen Dawkins’

Strategie 2a

argumentative Zurückweisung der Thesen Dawkins’

Strategie 2b

argumentative Befürwortung der Thesen Dawkins’

Strategie 3

Herausarbeitung von ethischen, sozialen oder politischen Implikationen der Thesen Dawkins’

Strategie 4

Relativierung der Thesen Dawkins’ durch metatheoretische Überlegungen

Strategie 5

Relativierung der Thesen Dawkins’ durch (historische, geographische…) Kontextualisierung

Strategie 6

Relativierung der Thesen Dawkins’ durch methodologische Überlegungen

Strategie 7

Präsentation von Alternativen zu Dawkins’ Thesen (zwecks Relativierung)

Strategie 8

Ausräumung von Missverständnissen im Hinblick auf Dawkins’ Thesen

Strategie 9

(affirmative) Weiterführungen von Forschungen auf Basis der Thesen Dawkins’

Strategie 10

Verteidigung Dawkins’ gegen argumentative Zurückweisungen

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Die Diskursstrategien im Vergleich

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1. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Weltsicht Bezogen auf Dawkins’ Weltsicht kommt zunächst Strategie 1 vor, die darauf abzielt, Dawkins eine bestimmte Weltsicht deskriptiv zuzuschreiben. Ein Beispiel hierfür ist der Theologe Haught, der sieben Kriterien aufstellt, um die naturalistische Weltanschauung Dawkins’ zu kennzeichnen. Eines dieser Kriterien umfasst die Dawkins’sche Annahme, dass das Universum und das Leben selbstständig ohne einen Schöpfungsakt Gottes entstanden sind.1 Da Strategie 1 die im Diskurs insgesamt am meisten angewendete Strategie ist, soll darauf verzichtet werden, im Einzelnen nachzuzeichnen, wer sie verwendet. Sie ist in allen drei Disziplinen gleichermaßen zu finden. Daneben verwenden die Wissenschaftler auch die bewertende Strategie 2a, in deren Kontext sie vor allem die Inkonsistenz der unterschiedlichen Facetten von Dawkins’ Weltsicht aufzeigen wollen. Beispiele für die Anwendung von Strategie 2a finden sich durch alle Disziplinen, so z. B. bei dem Philosophen Langthaler. Langthaler hält dabei zunächst das von Dawkins postulierte transzendente Staunen mit seiner naturalistischen Position für unvereinbar.2 So zeige sich Dawkins als „Metaphysiker im naturalistischen Gewande“, wenn er von „Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit“ spreche, die der menschlichen Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich seien.3 Mit seiner quasi-religiösen Orientierung am „Wahren, Schönen und Guten“ gerate Dawkins gar in die Nähe von traditionellen Argumenten, die er eigentlich zurückweise. So stellten das Wahre, das Vollkommene und das Gute z. B. den Ausgangspunkt für den vierten Weg des Thomas von Aquin dar.4 Auch der Theologe Hoff hält Dawkins’ Naturalismus für inkonsequent. So beziehe sich Dawkins bei der Formulierung seiner naturalistischen Weltsicht zumindest ex negativo auf ein Außerhalb. Darin äußere sich gerade der nicht zu umgehende Bezug auf ein Außerhalb bzw. auf eine formale Transzendenz, was ein Charakteristikum des Menschen sei.5 An den vielfältigen Interpretationen der Tatsache, dass sich der Mensch aus dem Gegebenen heraushebt, zeigt sich nach Hoff die Unausweichlichkeit, sich im Weltverstehen über sich selbst hinaus zu entwerfen. Verstehen konstruiere grundsätzlich unterschiedliche Sinn-Horizonte bzw. Sichtweisen.6 Dawkins selbst nehme – ohne 1 Vgl. Haught, God and the New Atheism, xiv. 2 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 124. 3 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 126. 4 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 128 – 133. 5 Hoff, Die neuen Atheismen, 50. 6 Hoff, Die neuen Atheismen, 50.

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dies zu reflektieren – in Der Gotteswahn einen solchen „Gottesstandpunkt“ ein, indem er Sinn-Horizonte formuliere, aber gleichzeitig darauf verzichte, sie konsequent zu naturalisieren. Ein Beispiel für einen Dawkins’schen SinnHorizont sei die Aussage, dass Atheist zu sein ein realistisches und großartiges Ziel ist und dass man als Atheist glücklich, ausgeglichen, moralisch und geistig ausgefüllt sein kann.7 Letztendlich ist für Hoff Dawkins’ Naturalismus inkonsistent, weil Dawkins ohne (formalen) Transzendenzbezug in seiner Weltsicht nicht auskommt, wobei Dawkins diesen Bezug aber „verschleiere“8. Es gibt nach Hoff auch noch weitere Punkte, die den Naturalismus als Weltsicht inkonsistent werden lassen. So führen die grundlegenden naturalistischen Einsichten nach Hoff zunächst zu einem Belief-System, das wiederum im Zuge naturwissenschaftlicher Erkenntnisse bestätigt werde. Dies sei nicht unproblematisch, da die Interpretation der Wirklichkeit als „ausschließlich naturalistisch erschließbar“, eine Deutungskategorie einführe, die ihrerseits nur naturalistisch erschlossen werden, gleichzeitig aber als Deutung nicht mehr mit naturwissenschaftlichen Mitteln gewonnen und kritisiert werden könne.9 Der Mensch kann also nicht im Modus der naturalen Unmittelbarkeit operieren, sondern es gibt einen unüberbrückbaren Abstand zwischen Erkenntnis und Natur. Die naturwissenschaftlichen Methoden bestimmen nach Hoff jenen Abstand, der in folgenden Punkten sichtbar wird: – Der Begriff „Natur“ lässt sich nicht zweifelsfrei klären. – Sprachformen und ihre zwangsläufigen Metaphorisierungs-Strategien transportieren bereits Weltbilder, die keinen Anspruch auf totale Identität oder Vollständigkeit erheben können. – Die auf naturwissenschaftliche Objektivität zielenden Wissensformen sind historisch kontingent. – Das Ideal der Naturwahrheit ist eine Metaerzählung der Gesamtwirklichkeit, die in einer Pluralität von Wissensgeschichten verortet ist. – Naturale Prozesse lassen sich unterschiedlich interpretieren.10 Für Hoff stellt der Versuch der umfassenden Naturalisierung aller Bedeutungsfragen einen konsequenten Reduktionismus dar, der dann scheitert, wenn er sich auf eine Deutungsarbeit einlässt, die Natur nicht als etwas Gegebenes, sondern als eine Konstruktion interpretiert.11 „Gerade weil sich zumindest die formale Transzendenz des Nachdenkens über die Bedeutung der eigenen Existenz und der Welt nicht abschaffen lässt, sie vielmehr gerade vom naturalistischen Paradigma bestätigt wird, bleibt auch der Raum religionsphilosophischen und theologischen Nachdenkens offen.“12 7 8 9 10 11 12

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 11. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 50. Hoff, Die neuen Atheismen, 69. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 69. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 70. Siehe dazu auch Hoff, Es gibt keinen Gott, 383 – 384. Hoff, Die neuen Atheismen, 71.

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Die Diskursstrategien im Vergleich

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Theologen oder Naturwissenschaftler, die Dawkins’ Weltsicht im Sinne von Strategie 2b befürworten, finden sich nicht. Demgegenüber ist der Philosoph Dennett ein Beispiel für einen Vertreter der Strategie 2b. Dennett hält die von Dawkins getroffene Unterscheidung zwischen einem hierarchischen bzw. graduellen Reduktionismus und einem Steilhang-Reduktionismus für notwendig und richtig.13 So sei Darwins gefährliche Idee, d. h. die Annahme, dass Design aus bloßen Anweisungen mittels eines algorithmischen Prozesses auftreten kann, der auf keinen präexistenten Geist Bezug nimmt, geradezu „fleischgewordener“ Reduktionismus, da sie verspreche, alles in einer einzigartigen Vision zu vereinigen und zu erklären. Die Angst vieler Theologen und Philosophen, dass durch eine solche reduktionistische Sicht der Evolutionstheorie Phänomene wie Geist, Absicht oder Sinn wegerklärt werden könnten, ist nach Dennett unbegründet: “… a proper reductionistic explanation of these phenomena would leave them still standing but just demystified, unified, placed on more secure foundations… unless our valuing these things was based all along on confusion or mistaken identity, how could increased understanding of them diminish their values in our eyes?”14

Für begründeter und realistischer hält Dennett dagegen die Angst, dass ein „gefräßiger Missbrauch“ der Darwin’schen Ideen zur Negierung von realen Erklärungslevels, realer Komplexität und realen Phänomenen führt.15 Der Theologe Peters verwendet ebenso wie die Philosophin Midgley oder der Biologe Rose Strategie 3, wenn er auf die negativen ethischen Implikationen einer fatalistischen Weltsicht verweist.16 Die sich bei Dawkins äußernde fatalistische Haltung hält Peters für nicht ungefährlich. Oftmals sei nämlich mit einer fatalistischen Haltung die Annahme verbunden, die individuelle, menschliche Freiheit sei nur eine Illusion.17 Aus der Annahme der menschlichen Freiheit als Illusion werde dann von einigen Forschern auf ethischer Ebene der Schluss gezogen, dass der Mensch nicht mehr als verantwortlich für seine Handlungen eingestuft werde könne, was nach Peters für die Moralfrage erhebliche Konsequenzen hat. Bei Dawkins sei nun das Verhältnis zwischen Genotyp und menschlicher Autonomie unklar. Einerseits definiere Dawkins die menschlichen Gene als egoistisch und determinierend, während er andererseits aussage, dass Menschen in der Lage seien, Ziele zu verfolgen, die völlig unabhängig von genetischen Imperativen sind.18 Unabhängig von der Frage, ob Dawkins im Hinblick auf das menschliche Selbst eine fatalistische Haltung unterstellt werden kann, hält Peters jene Haltung für inkonsistent. So 13 14 15 16

Vgl. Daniel Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 81 – 82. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 82. Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 83. Vgl. Peters, Playing God?, 6 – 7. Siehe auch Midgley, Selfish Genes, 371 – 72 sowie Rose, Darwins gefährliche Erben, 315 – 316. 17 Vgl. Peters, Playing God?, 6 – 7. ˇ uplinskas/Newen, Genetischer Determinismus, 43. 18 Vgl. C

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Analyse des Dawkins-Diskurses

werde das Selbst auch bei einer solchen Betrachtungsweise nicht aufgegeben, da in allen fatalistischen Positionen immer auch eine Entscheidungen treffende Entität mit kritischem Abstand zu ihrem genetischen Make-up implizit vorausgesetzt werde. Dementsprechend könne diese Entität nicht vollständig auf ihre genetischen Determinanten reduziert werden.19 Der Theologe Ward verwendet auch Strategie 4 und bemüht sich darum, Dawkins’ „verabsolutierende“ Weltsicht durch metatheoretische Überlegungen zu relativieren.20 So existieren z. B. für Ward klare Rationalitätskriterien sowie vernünftige Prozeduren, mittels derer Weltansichten entworfen und verteidigt werden können. Bei solchen Prozeduren ist nach Ward darauf zu achten, dass 1. die zur Weltansicht gehörigen Glaubensüberzeugungen klar und präzise formuliert und in einem logischen Zusammenhang dargestellt werden, dass 2. Alternativen zu bestehenden Weltansichten aufgezeigt und Vergleiche mit ihnen vorgenommen werden und dass 3. die Angemessenheit der jeweiligen Weltansicht in Bezug auf eine möglichst breite Datenbasis beurteilt wird. Diesen Prozeduren inhärent sei zudem das nicht eliminierbare Element der persönlichen Einschätzung einer Weltanschauung.21 Religiöse Weltanschauungen seien vor diesem Hintergrund nicht deshalb rational, weil sie unschlagbare Beweise für ihre Richtigkeit erbrächten, sondern weil sie auf kritische und durchdachte Weise systematisiert und aufgearbeitet worden seien, wofür man sich an rationale Kriterien gehalten habe und für unterschiedliche Interpretationen offen bleibe.22 Etwas anders argumentiert Gregor Hoff, der das Verhältnis von theistischen und atheistischen Argumentationsfiguren grundsätzlich als zirkulär bestimmt. Während die religionskritischen Argumentationsfiguren beispielsweise eines Dawkins nach einer Auflösung des theistischen Überzeugungsrahmens auf Basis naturalistischer, funktionalistischer oder sprachanalytischer Zugangsweisen suchten, versuche die theistische Gegenkritik sich an einer Problematisierung oder Zurückweisung der kritischen Einwände. Dies geschehe z. B. mit dem Verweis auf den Unterschied zwischen Genesis und Geltung einer Überzeugung oder auch mit Hinweis auf den Weltbildcharakter des szientifischen Naturalismus. Übersehen werde dabei oft der Weltbildcharakter, der Kritik wie Gegenkritik einbette und die Frage nach Gott erkenntnistheoretisch offen halte.23 Auch der Naturwissenschaftler Barbour wendet Strategie 4 an, wenn er gegen Dawkins zu dem Ergebnis kommt, dass der Theismus nicht mit den Naturwissenschaften, sondern nur mit der materialistischen Metaphysik in Konflikt 19 Vgl. Peters, Playing God?, 6 – 7. 20 Zur Vereinbarkeit von Theismus und Naturwissenschaft und zur Unvereinbarkeit von Theismus und Materialismus vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 100. Zu dem Argument, dass das Spektrum möglicher Weltsichten nicht eingeschränkt werden darf, vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 104 – 113. Siehe auch Ward, Doubting Dawkins, 14 – 17. 21 Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 121. 22 Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 119 – 121. 23 Hoff, Die neuen Atheismen, 147.

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steht.24 Zwischen Theismus und Naturwissenschaften ist nach Barbour – gegen Dawkins – also eine Beziehung möglich. Analog dazu versucht der Theologe Lohfink, Dawkins’ Weltsicht durch historische Kontextualisierung zu relativieren, indem er die historischen Wurzeln von dessen Materialismus aufdeckt.25 Dies stellt ein Beispiel für Strategie 5 dar. Im Gegensatz zu den Theologen wendet nun keiner der analysierten Philosophen im Hinblick auf Dawkins’ Weltsicht die Strategien 4 oder 5 an. Im Kontext der Naturwissenschaften fehlt Strategie 5 bei der Beschäftigung mit Dawkins’ Weltsicht. Die Naturwissenschaftler Kattmann und Schaller verwenden explizit Strategie 7, wenn sie eine agnostische Weltsicht dezidiert als bessere Alternative zu Dawkins’ Atheismus präsentieren. Gegen Dawkins’ Abwertung der agnostischen Position betont z. B. Schaller, dass ein Agnostiker gerade kein Taktiker zwischen Glauben und Wissen ist, sondern ein Rationalist, der das gesamte Weltall-Wissen aus Geistes- und Naturwissenschaften nüchtern bedenke und dabei zu dem einfachen Ergebnis komme, dass es in Zeit und Raum (dimensional) sowie begrifflich (kategorial) „Dinge“ gibt, für die prinzipiell keine kausalanalytisch oder ontologisch gesicherten „Erklärungen“ möglich sind. Zu diesen „Dingen“ zählen nach Schaller die Begriffe Seele, Geist, Lust oder Krieg. Darüber hinaus entdecke man allein durch die Betrachtung seiner Mitmenschen die Widersprüchlichkeit des menschlichen denkenden Ichs und komme auch so -ohne alle „Religionen“ – zu Seinsfragen, die kausalanalytisch noch nicht beantwortbar seien.26 Auch Kattmann kommt zu dem Ergebnis, dass, wenn man die methodischen Grenzen des naturwissenschaftlichen Vorgehens beachte, der bewusste Agnostizismus einem Atheismus, wie ihn Dawkins vertrete, vorzuziehen sei.27 Allerdings schwingt Strategie 7 letztendlich bei allen analysierten Theologen und einigen Philosophen mit, da es ihnen um die Verteidigung bzw. Rechtfertigung des Theismus gegen Dawkins’ Naturalismus, Materialismus und Atheismus geht. Der Philosoph Sterelny wendet darüber hinaus Strategie 10 an, wenn er Dawkins gegen den Vorwurf des genetischen Determinismus verteidigt. Dabei geht es Sterelny nicht um eine Befürwortung des genetischen Determinismus Dawkins’ wie dies z. B. bei Dennetts Befürwortung von Dawkins’ Reduktionismus der Fall war. Vielmehr lehnt Sterelny selbst den genetischen Determinismus ab und verteidigt zugleich Dawkins gegen den Verdacht, er sei ein genetischer Determinist. Während es Dennett also in erster Linie um eine Rechtfertigung des Reduktionismus und in zweiter Linie um Dawkins selbst geht, geht es für Sterelny in erster Linie darum, die Fehleinschätzungen anderer Forscher gegenüber Dakwins zu korrigieren. Sterelny betont, dass es ein Fehler ist anzunehmen, 24 25 26 27

Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 29. Vgl. Lohfink, Welche Argumente?, 15 – 16. Vgl. Schaller, Dawkins’ Gotteswahn aus Sicht eines Biologen, 317 – 320. Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 333.

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Dawkins’ genselektionistische Perspektive beruhe stillschweigend auf Reduktionismus oder genetischem Determinismus.28 So befürworteten Genselektionisten gerade die Kontextabhängigkeit von Genäußerungen, gingen aber auch davon aus, dass es eine reguläre, einigermaßen stabile Beziehung zwischen der Präsenz eines spezifischen Gens im Genotyp eines Organismus und einem Aspekt des Phänotyps dieses Organismus gebe. Dass man von dieser Beziehung sprechen könne, belege auch die entwicklungs-biologische Annahme, dass, insofern Kontexteigenschaften immer wieder auftreten, Genäußerungen relativ systematisch ablaufen.29 Die Strategien 6, 8 und 9 finden, zumindest was die Frage nach Dawkins’ Weltsicht betrifft, in keiner der Disziplinen eine Anwendung.

2. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Wissenschaftsverständnis Wie auch in inhaltlicher Hinsicht ist der Gesichtspunkt von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis im Hinblick auf die verwendeten Diskursstrategien weniger differenziert als der Bereich von Dawkins’ Weltsicht. In Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften finden vor allem Strategie 1 und 2a ihre Anwendung. Am Beispiel des Wissenschaftsverständnisses zeigt sich, dass der Übergang von den Strategien 1 und 2a fließend ist. So ist die Charakterisierung von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis durch Lütz zwar deskriptiv, dem Leser wird aber das Moment der Wertung durch die Auswahl von eher negativ besetzten Adjektiven wie „naiv“ oder Ausdrücken wie „offensichtlich nicht einmal bekannt“ bzw. „unfreiwillig komisch“ zumindest implizit vermittelt: „Dawkins zeigt ein naives Wissenschaftsverständnis. Wissenschaft ist für ihn nur Naturwissenschaft. Die Prinzipien und Methoden der Geisteswissenschaften sind ihm offensichtlich nicht einmal bekannt. So ist für ihn Erkenntnis eigentlich nur naturwissenschaftliches ,Erklären‘ und nicht geisteswissenschaftliches ,Verstehen‘. Unfreiwillig komisch ist daher der Untertitel auf dem Einband: ,Ich bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen.‘ Denn Dawkins bemüht sich jedenfalls nicht, die Welt zu verstehen, er sucht sie zu erklären, was auch ein legitimes Anliegen ist, aber natürlich nur ein begrenzter Zugang zur Welt.“30

Blickt man auf die anderen herausgearbeiteten Strategien, zeigt sich, dass sich mit Dupr nur ein Philosoph dezidiert positiv über Dawkins’ Wissenschaftsverständnis äußert (Strategie 2b). So betont Dupr mit Dawkins, dass der Darwinismus die Annahme intelligenter Planung in der Welt untergrabe, so dass nur noch wenig überzeugende Argumente für den Theismus und speziell 28 Kim Sterelny, Dawkins vs. Gould, 170. 29 Vgl. Sterelny, Dawkins vs. Gould, 170 – 172. 30 Lütz, Missionarischer Atheismus, Welt-Online vom 13. Oktober 2007.

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Die Diskursstrategien im Vergleich

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das Christentum übrig blieben.31 Die Existenz des Darwinismus ist für Dupr damit eine gute Begründung für eine atheistische Weltsicht.32 Überwiegend im Bereich der Theologie finden sich darüber hinaus metatheoretische Aussagen zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften, die dazu dienen sollen, Dawkins’ Wissenschaftsverständnis zu relativieren (Strategie 4). In diese Kategorie fällt beispielsweise Haughts Argument, dass neben der Kategorie der wissenschaftlichen Erklärung noch andere Erklärungstypen möglich sind. So konstatiert Haught, dass bei der Erklärung ein und derselben Sache multiple Schichten von Erklärungen oder von Verständnissen existieren können.33 Bloß weil Religion und Moralität eine natürliche, neurologische, psychologische oder evolutionäre Erklärung aufweisen, heiße das nicht, dass ihre theologische Erklärung überflüssig ist.34 Demgegenüber bevorzugten die neuen Atheisten fälschlicherweise einen Erklärungs-Monismus. Allerdings trifft nach Haught Occams Rasiermesser gerade auf die unterschiedlichen Erklärungsarten (evolutionär, theologisch…) nicht zu, da sie sich auf unterschiedlichen Levels bewegen.35 Die gleiche Strategie verfolgt Schröder, wenn er von einer naturwissenschaftlichen Erkenntnishaltung eine interpersonale Erkenntnishaltung ableitet, in deren Kontext sich Menschen miteinander über etwas oder jemanden verständigen.36

3. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Religionserklärung und -kritik Ein ähnliches Bild wie im Bereich von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis ergibt sich, wenn man den Bereich der Religionskritik Dawkins’ analysiert. Wiederum sehr häufig ist die Anwendung der Strategien 1 und 2a, in deren Kontext sowohl die Ausführung als auch der Inhalt von Dawkins’ Religionskritik bewertet werden. Gerade beim Thema Religionskritik sind beide Strategien in der Regel eng verknüpft. Insgesamt halten sich die Diskursteilnehmer weniger mit der sachlichen Beschreibung der Ausführung und des Inhalts der Religionskritik Dawkins’ auf, da es ihnen in erster Linie um deren Zurückweisung geht. So beschreibt z. B. Beattie Dawkins’ Religionskritik als teilweise gerechtfertigt, größtenteils aber uninformiert, ignorant und ober31 32 33 34 35 36

Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 56. Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 55 – 62. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 84. Haught, God and the New Atheism, 85. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 86 – 87. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 65 – 66. Einer der behandelten Naturwissenschaftler, der sich um die Auslotung des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften bemüht, ist z. B. Barbour, der betont, dass naturwissenschaftliche Erklärungen immer nur selektiv sein können, da die Naturwissenschaft selbst grundsätzlich selektiv verfahre. Die Naturwissenschaft liefere dadurch immer nur ein selektives Bild der Wirklichkeit. Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 28.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

flächlich.37Analog dazu bewertet der Philosoph Müller den Gotteswahn als „Manifest eines Atheismus-Evangelisten“, in dem Dawkins in Fundamentalistenprediger-Manier frei von Selbstzweifeln einzig um seinen atheistischen Glauben besorgt sei.38 Auch Giberson und Artigas sind sich einig, dass Dawkins im Großen und Ganzen pseudowissenschaftlich, dogmatisch und viel zu oberflächlich argumentiert.39 Davon abzugrenzen ist der Philosoph Meiller, der Strategie 3 anwendet und die weiterführenden Implikationen von Dawkins’ Religionskritik herausarbeitet.40 In Theologie und Philosophie operieren die untersuchten Wissenschaftler zudem mit Strategie 4 und versuchen die Schärfe und die inhaltlichen Stärken von Dawkins’ Religionskritik mit dem Verweis auf religionskritische Vorbilder zu relativieren. Als Beispiele hierfür können z. B. Lohfinks Verweis auf die Neuaufwärmung alter Argumente41 und Schröders Hinweis auf die grundsätzliche Pluralität von Religionskritiken42 herangezogen werden. Auch der Philosoph Müller wendet diese Strategie an, wenn er auf die Vorgänger-Publikationen von Der Gotteswahn verweist43.

4. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Gottesbild und Umgang mit der Gotteshypothese Im Hinblick auf Dawkins’ Gottesbild ergab die Analyse im Vergleich zu den vorherigen Punkten ein erweitertes Spektrum an Diskursstrategien. In allen drei Disziplinen herrschen wiederum die Strategien 1 und 2a vor. In diesem Kontext wird Dawkins’ Gottesbild z. B. von Langthaler als fehlerhaft44 und von Giberson/ Artigas als uninformiert bestimmt: “Dawkins, proudly confirming his total lack of familiarity with theology, seems unaware that the God of the Abrahamic faiths has always been conceived as a being whose existence does not depend on other beings. God, by these lights, is the source of all created beings. Paul Tillich’s immortal phrase for this aspect of God was that God is the Ground of Being.”45

Die Strategie 2a kommt z. B. zur Anwendung, wenn Theologen und Philosophen konstatieren, dass die Idee der Wahrscheinlichkeit nicht auf die Gotteshypothese angewendet werden kann, die zugleich keine wissenschaftliche 37 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. Beattie, The Twilight of Reason, 112. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 48. Vgl. Giberson/Artigas, Oracles of Science, 39. Meiller, Worte des Wahns, 397 – 98. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 11. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 55. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 34 – 39. Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 100 – 101. 45 Giberson/Artigas, Oracles of Science, 45.

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Hypothese ist. In Theologie und Philosophie werden Strategie 1 und 2a darüber hinaus um die Strategie 7 ergänzt, die auf der Formulierung von Alternativen zu Dawkins’ Gottesbild beruht. Hierbei präsentiert z. B. Hoff ein alternatives Gottesbild zu Dawkins. Nach Hoff darf Gott nicht als Totalisator eines Welterklärungsprogramms verstanden werden. Gott offenbare sich in der Geschichte und im Menschen als seine innerste Ausrichtung. Er manifestiere sich in der Schöpfung, ohne in ihr aufzugehen. Dies zeige sich schon im Glaubensbekenntnis von Chalkedon, das auf dem Zusammenhang und Zueinander des „unvermischt“ und „ungetrennt“ in der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi beharre. Damit erschließe die Trinitätstheologie eine komplexe Grammatik der Wirklichkeit und bestimme Relation bzw. Beziehung als deren Grundprinzip. Dieser Umstand verlangt nach Hoff von jeder Gottesbestimmung eine notwendige Komplizierung. Von der Offenbarung Gottes, von seiner Ansprechbarkeit und Gegenwart dürfe nur im Modus seiner bleibenden Verborgenheit gesprochen werden.46 Gott als das, was der menschlichen Wirklichkeit Grund gibt, sei welthaltig, zugleich aber kein Aspekt der Welt.47 Der Philosoph Strasser spricht demgegenüber von einem universalisierten Gott.48 Vor allem in der Theologie kommt beim Gottes-Thema auch wieder Strategie 4 und 5 zum Tragen. Während Dawkins annimmt, dass die Evolution komplexer Lebensformen mehr oder weniger unvermeidlich wird, wenn die Naturgesetze gegeben sind, und Gott in diesem Prozess für überflüssig hält, ist Gott nach Ward gerade nicht überflüssig, wenn er erklärt, warum die Naturgesetze so lebensförderlich und fein abgestimmt sind, wie sie sind.49 Ward verwendet also das Argument der göttlichen Verursachung (Feinabstimmung), um im Kontext seiner metatheoretischen Überlegungen ein notwendiges Verhältnis zwischen Gott und Evolution zu etablieren. Dies entspricht der Strategie 4. McGrath wiederum wendet Strategie 5 an und betont, dass Dawkins letztendlich nur die Verwundbarkeit eines historisch kontingenten Zugangs zur Schöpfungslehre aufzeige, die auch schon von führenden Theologen des 18. Jahrhunderts als inadäquat zurückgewiesen wurde. Zwar kritisiere Dawkins’ Sicht der Evolutionstheorie das Gottesbild William Paleys als intelligentem Designer, aber ein Theologe könne genauso gut argumentieren, dass Gott eine Umwelt schuf, in der unglaublich komplexe Entitäten sich entwickeln konnten durch einfache Vorgänge aus einfachen Strukturen. Die Theologie sei nicht auf Paleys Art, über Schöpfung nachzudenken, limitiert.50 In der Theologie findet sich neben Strategie 4 und 5 interessanterweise bei Schwienhorst-Schönberger auch der Versuch, affirmativ an die religiöse 46 47 48 49 50

Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 53. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 53. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 52. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 37. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 93.

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Substanz bei Dawkins’ anzuknüpfen (Strategie 9). Dieser hebt hervor, dass Dawkins den primitiven Glauben an den Gott „der Umgangssprache“ widerlegt. Unter Gott verstehe Dawkins das, was die Menschen im Allgemeinen unter Gott verstünden. Einen solchen Gott lehne Dawkins ab. Damit betreibe Dawkins allerdings (wider Willen) das Kerngeschäft der Theologie, die schon immer darauf hingewiesen habe, dass zwischen den menschlichen Vorstellungen von Gott und Gott selbst ein Unterschied besteht.51 SchwienhorstSchönberger hält es vor diesem Hintergrund für weiterführend, bei dem anzuknüpfen, was an religiöser Substanz bei Dawkins selbst vorhanden sei. Dawkins bezeichne sich selbst als „deeply religious non-believer“. Dieser Deutungstyp versteht nach Schwienhorst-Schönberger die Erfahrung als unvereinbar mit dem (bisher gelebten) Gottesglauben. Demgegenüber finde sich ein zweiter Deutungstyp, der auf dem Wissen basiere, dass es einen Gott gibt. Betrachte man nun beide Deutungstypen in theologischer Perspektive, so zeige sich, dass ihr Gegensatz lediglich ein Scheingegensatz sei: „Der erste Deutungstyp hat zu Recht erkannt, das Gott mehr ist als eine die Welt von außen steuernde Intelligenz. Gott ist in allen Dingen, er ist ihnen näher als sich selbst, … Der von Dawkins beschworene ,Gott Einsteins‘ steht diesem Typus nahe.“52

Viele Theologen hielten die oben skizzierte Glaubensform im Hinblick auf das christliche, biblische Offenbarungsverständnis für defizitär oder für widersprüchlich zum personalen Gott der Bibel. Wer hier zu schnell und voreilig die personale Gotteskeule schwinge, ersticke das vielleicht erstmals entfachte Feuer einer persönlichen Gott-Suche, die z. B. bei der Erfahrung der kosmischen Dimension des Göttlichen oder der göttlichen Dimension alles Seienden ansetzte.53 Im Bereich der Philosophie befürwortet Dennett schließlich Dawkins’ Charakterisierung der Gotteshypothese als wissenschaftliche Hypothese (Strategie 2b).54

5. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen Blickt man auf Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen, zeigt sich ebenso wieder ein breiteres Strategienspektrum. In Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften werden die Strategien 1 und 2a angewendet, die wiederum eng verknüpft sind. Hierbei verweisen die Forscher z. B. auf die Unmöglichkeit, Gene als alleinige Zielobjekte der Evolution zu bestimmen sowie auf Fehler und Unstimmigkeiten in Dawkins’ Gendefinitionen. Während die Theologen auf diese Strategien beschränkt bleiben, werden in Philosophie und Naturwissen51 52 53 54

Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ein atheistisches Buch?, 226. Schwienhorst-Schönberger, Ein atheistisches Buch?, 231. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ein atheistisches Buch?, 232. Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 152 – 155.

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schaften auch die Strategien 6 und 7 angewendet. Methodologische Überlegungen zur Relativierung der Thesen Dawkins’ (Strategie 6) stellt z. B. der Philosoph Hull auf, der grundlegend zwischen Replikation und Interaktion unterscheidet. Allen Genselektionisten ist nach Hull allerdings zu Eigen, dass die Evolution letztendlich vollständig in den Begriffen der Replikation erklärt werden kann. Dem widersprächen Anhänger der Individualselektion wie z. B. Richard Lewontin, die eine eigenständige Rolle der Interaktoren bei der kausalen Erklärung der Evolution betonten.55 In Bezug auf Dawkins merkt Hull an, dass dieser den Begriff Interaktor durch den Begriff Vehikel ersetzt habe und diesem durchaus eine wichtige Rolle in der Evolution zugestanden habe. Allerdings kritisiert Hull, dass für Dawkins nur Organismen Vehikel bzw. Interaktoren sein können.56 In Ausnahmefällen können nach Hull auch Organismen Replikatoren sein. Hull zieht schlussendlich den Begriff Interaktor dem des Vehikels vor, weil letzterer Begriff negativ konnotiert sei: “Although Dawkins explicitly assigns an evolutionary role to both replicators and vehicles, his terminology is likely to mislead on into treating vehicles as passive tools in the hands of all-powerful replicators.”57

Auch der Biologe Mayr wendet Strategie 6 an, wenn er im Kontext eines methodologischen Aufsatzes über das Verhältnis der Fragen nach Einheit und Ebene der Selektion Dawkins’ These, dass das Gen die entscheidende Ebene für die natürliche Selektion darstellt, ablehnt. So seien Gene, da sie keine unabhängigen Objekte seien, für die Selektion nicht direkt sichtbar und könnten von daher auch nicht direkt ausgelesen werden. Darüber hinaus könne dasselbe Gen – je nachdem in welchem Genotyp es sich befinde – positive oder negative Auswirkungen haben (z. B. das Sichelzellen-Gen).58 Auch Gruppen können für Mayr in bestimmten Fällen Selektionsgegenstand sein. Die beschreibende und zugleich wertende Strategie 7, bei der es um die Präsentation von alternativen Ansätzen zu Dawkins’ Theorie geht, findet sich z. B. bei der Philosophin Susan Oyama, die ihre Developmental Systems Theory als Gegenbild zu Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen betrachtet. Oyamas Kritik an Dawkins’ genzentrierter Perspektive steht vor dem Hintergrund ihres Evolutionsverständnisses auf Basis der Developmental Systems Theory. Ein wesentliches Kennzeichen der Theorie der Entwicklungssysteme ist die Aufhebung der die Biologie als wissenschaftliche Disziplin prägenden Dichotomien wie z. B. Natur vs. Kultur, Gene vs. Entwicklung oder Biologie vs. 55 Vgl. Hull, Science and Selection, 25 – 26. Ein wichtiger methodologischer Aufsatz, der Dawkins’ Thesen, Terminologie und Kontext mit dem von Stephen Jay Gould vergleicht, stammt z. B. auch von Shanahan. Vgl. Shanahan, Methodological and Contextual Factors, 127 – 151. 56 Vgl. Hull, Science and Selection, 27. 57 Hull, Science and Selection, 32. 58 Vgl. Mayr, The Objects of Selection, 2092. Zu diesem Gedanken siehe auch: MAYR Ernst, Evolution und die Vielfalt des Lebens, Berlin 1979, 42.

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Kultur.59 So wird das oftmals vorherrschende Verständnis von Natur und Kultur als zwei alternative Gründe für die Entwicklung im Rahmen der Theorie der Entwicklungssysteme aufgehoben: “If the ecological embeddedness of development and inheritance is constructed as the (false!) truism that both nature and nurture are necessary for development, I will not have made my point, which is that all developed form and functions, all ‘nature’(whether we consider it as normal, healthy, adaptive or not) is a function of that embeddeness and that nature and nurture are not alternative causes but product and process. Nature is not an a priori world in which reality is cast. What exists is nature, and living nature exists by virtue of its nurture, both constant and variable, both internal and external.”60

Sowohl Entwicklung als auch Evolution werden im Rahmen der Theorie der Entwicklungssysteme definiert als Prozess von Konstruktion und Rekonstruktion. In diesem Prozess wird eine heterogene Menge von Entwicklungsressourcen, von denen Gene nur einen kleinen Teil stellen, mehr oder weniger verlässlich in jedem Lebenszyklus versammelt. Der Begriff Lebenszyklus verweist auf den für die Theorie der Entwicklungssysteme maßgeblichen Ausschluss jedweder Trennung zwischen Organismus und Umwelt. So entwickeln sich nach Oyama nicht Organismen an sich, sondern es sind Organismus-Umwelt-Systeme, die sich entwickeln und deren voller Lebenszyklus (cycle of contingency) die maßgebliche Einheit der Selektion darstellt. Zentrale Ressourcen der Entwicklung sind für Oyama Chromosome, Nährstoffe, Außentemperatur, Kinderfürsorge, Chromatinmarker, die die Genexpression regulieren, zytoplasmische chemische Gradienten etc. Da keine dieser Entwicklungsressourcen den Entwicklungsprozess allein kontrolliert, ist es nach Oyama nicht sinnvoll, Gene als die wichtigste oder einzige Selektionseinheit zu betrachten.61 Auch Stephen Jay Gould formuliert mit seiner Idee der Multi-Level-Selektion eine Alternative zu Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen (Strategie 7). Gould beantwortet die Frage nach der Einheit der Selektion insgesamt nicht so eindeutig wie Dawkins und betont gegen dessen genselektionistische Perspektive, dass die natürliche Selektion auf verschiedenen hierarchischen Levels (Gene, Organismen, Populationen, Spezies…) gleichzeitig operieren kann. Auf diesen verschiedenen Levels ist die Selektion zwar sehr effektiv, aber ihr Endresultat ist nach Gould keineswegs immer eine Anpassung.62 Innerhalb der Philosophie konnten darüber hinaus die Verwendung der Strategien 8, 9 und 10 nachgewiesen werden, in den Naturwissenschaften die Verwendung der Strategie 9. Strategie 8, die darauf abzielt, darzulegen, wie 59 60 61 62

Vgl. Oyama/Griffiths/Gray, Cycles of Contingency, 1. Oyama, The Ontogeny of Information, 131. Vgl. Oyama/Griffiths/Gray, Cycles of Contingency, 1 – 4. Vgl. Gould, The Structure of Evolutionary Theory, 613.

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Dawkins’ Thesen richtig verstanden werden sollten, wird z. B. von Greif angewendet. So betont Greif, dass die Theorie vom egoistischen Gen kein Versuch Dawkins’ sei, in der Lesart der natürlichen Selektion als Naturgesetz die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine adaptive Evolution zu benennen.63 So sei nach Dawkins eine Evolution möglich, die andere Mechanismen als die der natürlichen Selektion kenne, aber es gebe keine Adaption, die nicht über die natürliche Selektion verlaufe. Andere Phänomene verlangen nach Greif eine eigenständige Erklärung jenseits der eigentlichen Evolutionsmechanismen. Diese seien aber nicht Gegenstand des Dawkins’schen Forschungsprogramms. Ein zweites Missverständnis gegenüber Dawkins’ Theorie beruht nach Greif auf der falschen Annahme, die Theorie wolle über die Evolutionsgeschichte etwas Empirisches sagen, das über die Identifizierung und Deutung allgemeiner Ablaufsschemata von unterschiedlichen evolutionären Prozessen hinausginge.64 Im Kontext von Strategie 9 stellen Wissenschaftler affirmative Darstellungen weiterführender Überlegungen und neuer Forschungsergebnisse vor, die auf der Theorie vom egoistischen Gen aufbauen. Die Methode im Zuge eines Gedankenexperimentes, Genen Strategien, Absichten und Pläne zuzuschreiben, wie Dawkins es in Das egoistische Gen getan habe, hält z. B. Helena Cronin für weiterführend und fruchtbar. Im Gegensatz zu anderen Gedankenexperimenten handele es sich hierbei nicht nur um eine Lösung für ein spezifisches Problem, sondern um eine ganzheitliche Wahrnehmung der Welt des Lebendigen mit großem Potential: “It has immense explanatory power – not surprisingly, for it precisely captures the logic of natural’s selection’s problem-solving; and thus it can generate testable hypotheses. It has remarkable predictive power, prising out telling but otherwise unappreciated evidence. It transforms our view of the familiar, turning into questions what had unthinkingly been regarded as answers. It reveals worlds undreamed of, alerting us to counterintuitive realms. And it dispels confusions, even the tenacious and wilful.”65

Gleichzeitig wurde auch der Naturwissenschaftler Lee Smolin von Dawkins’ Theorie der egoistischen Gene beeinflusst, als er seine Theorie des ganzen Universums entwickelte, die auf der Annahme basiert, dass das Universum als selbstorganisiertes System verstanden werden kann. Nur die natürliche Selektion kann nach Smolin den hohen Organisationsgrad des Universums erklären. Es stellte sich für ihn die Frage, ob es irgendeinen Mechanismus gab, durch den die natürliche Selektion im Maßstab des gesamten Universums wirksam werden konnte. Smolin kommt zu folgender Antwort: „Wenn ich … Universen statt Tiere und Eigenschaften der Elementarteilchen statt Gene nahm, hatte ich einen Mechanismus, durch den die natürliche Selektion Universen hervorbringen würde, mit Parametern, die geeignet wären, zur Produktion möglichst 63 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 90. 64 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 91. 65 Cronin, The Battle of Sexes Revisited, 14.

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vieler schwarzer Löcher zu führen, denn die schwarzen Löcher sind das Mittel, durch das ein Universum sich fortpflanzt – das heißt, neue Universen erzeugt.“66

Strategie 10, die in der Verteidigung der Theorie vom egoistischen Gen gegen inhaltliche Vorwürfe besteht, findet sich bei Dennett. Die Theorie vom egoistischen Gen ist nach Dennett „reductionistic in the good sense“, da sie auf Erklärungen, die „Himmelshaken“ benötigen würden, verzichtet. Als Reduktionismus werde allerdings auch oft die Annahme bezeichnet, dass man alle Wissenschaft oder alle Erklärungen auf ein unterstes Erklärungslevel (atomares oder subatomares Level) reduzieren müsse. Wende man dieses Verständnis von Reduktionismus auf den von Dawkins vertretenen Genzentrismus an, so erweise sich dieser als konsequent anti-reduktionistisch: “What could be less reductionistic (in that sense of term) than explaining the presence of say, a particular amino-acid molecule in a particular location in a particular body by citing, not some other molecular-level facts, but rather, the fact that the body in question was a female in a species that provides prolonged care for its young?”67

Die genzentrierte Sichtweise der Evolution basiert nach Dennett demnach auf Erklärungen, die aus Interaktionen zwischen langfristigen, groß angelegten ökologischen Fakten, langfristigen geschichtlichen Fakten und lokalen, molekularen Fakten resultierten.68 6. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Evolutionsverständnis Im Hinblick auf Dawkins’ Evolutionsverständnis werden im Vergleich zu dem spezifischeren Thema seiner Theorie vom egoistischen Gen weniger vielfältige Diskursstrategien angewendet. Dies liegt zum Teil daran, dass viele Forscher vor allem Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen zum Anlass nehmen, sein Evolutionsverständnis in Frage zu stellen. So wird z. B. die Theorie der MultiLevel-Selektion grundsätzlich als Gegenbild zu Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen verstanden, ist in diesem Kontext aber natürlich auch eine Kritik an seinem genzentristischen Gesamtbild der Evolution. Daneben finden sich bei Gould ebenso Anfragen an Dawkins’ Vorstellung einer kumulativen Selektion. Da es den Theologen vor allem um eine Zurückweisung des Dawkins’schen Evolutionsverständnisses geht, das ohne Gott auskommt, werden von ihnen hauptsächlich die Strategien 1 und 2a angewendet. Dabei finden sich vor allem die Annahmen, dass Dawkins’ Verständnis der Evolution den Ursprung des Lebens, die Komplexität der Organismen und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins nicht angemessen erklären kann. Wards Vorstellung eines kausalen Eingreifens Gottes in die Evolution entspricht al66 Smolin, Eine Theorie des ganzen Universums, 409 – 410. 67 Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 326. 68 Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 326 – 27.

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lerdings auch Strategie 7, da er eine alternative Erklärung des Evolutionsprozesses im Vergleich zu Dawkins anbietet.69 Auch in der Philosophie finden vor allem die Strategien 1 und 2a ihre Anwendung, wie z. B. Strassers Vorstellung der Entwicklung von trans-evolutionären Strukturen innerhalb der Evolution zeigt.70 Dasselbe gilt für die Naturwissenschaften, in deren Kontext Giberson und Artigas betonen, dass die Existenz einer natürlichen Selektion Gott nicht zwangsläufig vom Prozess der Evolution ausschließt.71

7. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Mem-Konzept Wenn es um Dawkins’ Mem-Konzept geht, findet in allen Wissenschaften hauptsächlich Strategie 2a ihre Anwendung, die von Strategie 1 ergänzt wird. Dieser Bereich erscheint also im Hinblick auf den Gesamtdiskurs wenig differenziert. Ein Beispiel für die Anwendung für Strategie 1 ist z. B. Axel Heinrich, der auf die deterministischen Züge des Dawkins’schen Mem-Konzeptes verweist. Deterministisch sei das Konzept, weil der Mensch in ihm nicht als Akteur auftrete und der Wahrheitsbezug der menschlichen Geistesleistungen negiert werde.72 Ein Beispiel für Strategie 2a ist dagegen Schallers dezidierte Zurückweisung des Mem-Konzepts, bei dessen Erstellung sich Dawkins in das von ihm verachtete „fantasiereiche Reich der Glaubenden“ begeben habe.73 Allerdings gibt es mit Dennett auch wieder einen Forscher, der bezogen auf Dawkins’ MemKonzept Strategie 2b anwendet. So existieren für Dennett z. B. Meme, weil Wörter existieren und Wörter Meme sind, die man aussprechen könne.74 8. Strategien in Bezug auf Dawkins’ Moralverständnis Dawkins’ Moralverständnis wird von Theologie und Philosophie im Kontext der Strategien 1 und 2a verhandelt. Allerdings gesellt sich dazu im Bereich der Theologie noch Strategie 7. So hält z. B. Haught eine naturalistische Erklärung der Moral prinzipiell nicht für möglich, da unklar sei, wie ein blinder, indifferenter und amoralischer natürlicher Prozess erklären könne, dass Gerechtigkeit, Liebe und das Streben nach Wahrheit heutzutage unbedingt bindende Werte seien. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Haught in Bezug auf Dawkins und die anderen neuen Atheisten die Frage nach der Basis ihrer moralischen Rechtschaffenheit.75 In seiner negativen Beurteilung des Bösen in der Religion 69 70 71 72 73 74 75

Vgl. z. B. Ward, God, Chance and Necessity, 80. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89 – 90. Vgl. Giberson/ Artigas, Oracles of Science, 36. Vgl. Heinrich, Ist Nächstenliebe eine Frage der Gene?, 52. Vgl. Schaller, Dawkins’ Gotteswahn aus Sicht eines Biologen, 316. Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 112. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 26.

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nehme Dawkins einen Gutheitsstandard an, der so zeitlos und absolut sei, das er gottgegeben erscheine. Zufällige Mutationen und natürliche Selektion können für Haught gerade diese Absolutheit nicht erklären, die Dawkins den Werten zuschreibt, die seine Intoleranz in Bezug auf Glauben begründen.76 Wie kann also ein Atheist ohne Bezug auf Gott eine solide Rechtfertigung ethischer Werte erreichen? Die Annahmen, dass es sich bei ethischen Werten um einen sozialen, kulturellen oder historischen Konsens handelt bzw. dass die natürliche Selektion eine ausreichende Rechtfertigung für die moralische Absolutheit der neuen Atheisten im Hinblick auf ihre Verurteilung der Religion böse ist, lehnt Haught ab. So habe z. B. auch der Nationalsozialismus seine Autorität von einem sozialen Kontext bezogen, zudem sei unklar, wie der amoralische Prozess der natürlichen Selektion eine Quelle für Moral sein könne.77 Versuche man den Verstand als oberste Quelle ethischer Werte zu definieren, stehe man vor dem Problem, auf eine andere Weise als durch biologische Mittel zu begründen, warum man einer kognitiven Fähigkeit vertraut, die im Zuge der natürlichen Selektion entstanden sein soll.78 Haught kommt deswegen zu dem Ergebnis, dass wir unserem Gefühl der Empörung vertrauen können, wenn wir Bösem begegnen, weil wir schon von einer Gutheit erfasst worden sind, die nicht von uns selbst oder unseren Genen geschaffen wurde, sondern die stillschweigendes Ziel unseres moralischen Strebens ist.79 Im Bereich der Philosophie findet sich bei einigen noch die Strategie 2b, die in diesem Kontext eine teilweise Zustimmung zu Dawkins’ Aussagen zur Moral des Menschen umfasst. So bemerkt Dawkins nach Langthaler zu Recht, dass ein Verhalten, das aus Angst vor Strafe oder Aussicht auf himmlische Belohnung erfolgt, nicht moralisch genannt werden darf. Dawkins weise zudem richtigerweise die Vorstellung zurück, dass Gott nötig sei, um gut zu sein. Dies habe allerdings schon Kant aufgezeigt.80 Innerhalb der Naturwissenschaften spielt Dawkins’ Moralverständnis im Diskurs bei den analysierten Wissenschaftlern keine Rolle. Zusammenfassend lassen sich folgende Ergebnisse hinsichtlich der Anwendung der Diskursstrategien in den verschiedenen Wissenschaften festhalten: Die beschreibende Strategie 1 ist in allen drei Disziplinen gleichermaßen zu finden und ist zugleich die im Diskurs am meisten angewendete Strategie. Was die zurückweisende Strategie 2a betrifft, so wird sie häufiger in der Theologie als in der Philosophie und in den Naturwissenschaften angewendet. So gibt es keinen Theologen, der die Thesen Dawkins’ – von inhaltlicher Zustimmung in wenigen Einzelpunkten abgesehen – in größerem Umfang zustimmend rezipiert. Der Übergang von Strategie 1 zu Strategie 2a 76 77 78 79 80

Vgl. Haught, God and the New Atheism, 26 – 27. Haught, God and the New Atheism, 73. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 74. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 75. Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 86 Anm. 34.

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ist oftmals fließend, da Beschreibungen mit wertenden Aussagen verknüpft sein können. Auch im Bereich der Philosophie überwiegt die ablehnende Rezeption Dawkins’, wobei mit Dennett, Dupr, Sterelny, Kitcher und Greif durchaus Vertreter der Strategie 2b zu finden sind. Strategie 3 wird im Diskurs eher selten angewendet und ist vornehmlich auf den Bereich von Dawkins’ Weltsicht beschränkt. Dabei geht es Wissenschaftlern aller Disziplinen darum, die negativen Implikationen von Dawkins’ Weltsicht aufzuzeigen. Die Strategien 4 und 5, die auf eine Relativierung der Thesen Dawkins’ durch metatheoretische Überlegungen und historische Kontextualisierungen zielen, sind überwiegend im Bereich der Theologie verortet. Dabei kommen diese Strategien vor allem bei den Themen Weltsicht und Gottesbild zum Einsatz. Demgegenüber werden methodologische Überlegungen zu den biologischen Thesen Dawkins’ (Strategie 6) vornehmlich in der Philosophie und vereinzelt in den Naturwissenschaften angestellt. Strategie 7 ist im Diskurs wiederum in allen Wissenschaften zu finden. So wird im Bereich der Naturwissenschaften eine agnostische Weltsicht dezidiert als bessere Alternative zu Dawkins’ Atheismus bewertet. Strategie 7 schwingt im Bereich der Weltsicht letztendlich bei allen analysierten Theologen und einigen Philosophen mit, da es ihnen um die Verteidigung bzw. Rechtfertigung des Theismus gegen Dawkins’ Naturalismus, Materialismus und Atheismus geht. Ganz dezidiert wird die Strategie 7 in Theologie und Philosophie angewendet, wenn es um die Formulierung von alternativen Gottesbildern geht sowie um die Formulierung des „richtigen“ Verhältnisses von Gott und Evolution und alternativen Moralbegründungen. Demgegenüber wird Strategie 7 von den Naturwissenschaftlern vor allem dann angewendet, wenn es um die Formulierung von alternativen Evolutionsverständnissen geht. Die Strategie 8, die darauf zielt, mögliche Missverständnisse gegen Dawkins’ Thesen aufzuzeigen, wird im Diskurs nur von dem Philosophen Greif angewendet. Demgegenüber findet sich das Motiv der affirmativen Anknüpfung an Dawkins’ Thesen (Strategie 9) erstaunlicherweise in allen drei Wissenschaften. So findet sich z. B. bei dem Theologen Schwienhorst-Schönberger die Idee, dass man an die religiöse Substanz Dawkins’ anknüpfen könne. Affirmative Anknüpfungen an das Forschungsprogramm Dawkins’ finden sich in Naturwissenschaften und Philosophie. Strategie 10 ist wie Strategie 8 auf den Bereich der Philosophie beschränkt.

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3. Kapitel: Disziplinspezifische Aspekte im Umgang der Wissenschaften mit Dawkins Der Vergleich zeigte, dass es im Diskurs inhaltliche Gebiete gibt, die kontroverser und differenzierter diskutiert werden als andere. Während z. B. der Bereich von Dawkins’ Weltsicht bisweilen sogar widersprüchlich dargestellt wird, herrscht bei Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftlern de facto Einigkeit darüber, dass Dawkins’ Wissenschaftsverständnis szientistisch ist (einzige Ausnahmen: Dennett und Dupr). Gleichzeitig zeichnet sich ein je spezifisch theologischer, philosophischer und naturwissenschaftlicher Umgang mit Dawkins ab, der nicht nur in inhaltlichen Gesichtspunkten, sondern auch im unterschiedlichen Einsatz von Diskursstrategien festzumachen ist.

1. Der Umgang der Theologie mit Dawkins Die Theologen, die sich mit Dawkins beschäftigen, sind in erster Linie an einer argumentativen Zurückweisung der Religionskritik Dawkins’ interessiert. Sie bieten in diesem Bereich die größte Argumentfülle und beschreiben die Ausführung von Dawkins’ Religionskritik zugleich mit sehr negativen Begriffen. So sei Dawkins’ Religionskritik wenig herausfordernd, generalisierend und uninformiert. Sie zeichne sich weiterhin durch eine aggressive Sprache, mangelnde Qualität und starre Schwarz-Weiß-Gegensätze aus. Daneben spielen auch die Zurückweisungen von Dawkins’ Gottesbild und seiner Weltsicht für die Theologie eine wichtige Rolle. Im Hinblick auf den ersteren Themenkomplex ist für die Theologie die Bildung von alternativen Gottesbildern prägend. Diese Gottesbilder nehmen zugleich eine Schlüsselfunktion für die inhaltliche Argumentationsausrichtung gegen Dawkins ein. Darüber hinaus zeigt sich, dass die theologischen Reflexionen über das Verhältnis von Gott und Evolution stark an die Auseinandersetzung mit Dawkins’ Gottesbild geknüpft sind. Auffällig ist, dass die Antworten auf Dawkins’ Religionskritik, die von Theologen aller Fächergruppen zumeist als oberflächlich und wenig gehaltvoll eingestuft wird, recht ähnlich sind, wohingegen die Antworten auf Dawkins’ Behandlung des Gottesthemas sehr disparat sind. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Herausforderung, die Dawkins darstellt, eher im Bereich seiner Evolutionstheorie und seiner daraus abgeleiteten Kritik der christlichen Schöpfungslehre und des christlichen Gottesbildes liegt als in seiner Religionskritik. Betrachtet man letzteren Themenkomplex so zeigt sich, dass es in der theologischen Dawkins-Rezeption zu einer Häufung von negativ aufgeladenen Einschätzungen kommt, die in den anderen Wissenschaften fehlt. So bezeichnen Theologen Dawkins’ Weltsicht nicht nur als fundamentalistischen Atheis-

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mus, sondern auch als latent sozialdarwinistisch, latent antisemitisch sowie biologistisch. Diese Einschätzungen sollen m. E. dem Leser ein spezifisches Bild von Dawkins vermitteln, das seinem Bild als brillantem Wissensvermittler gegenübersteht. Die Bedeutung der Punkte Weltsicht und Gottesbild für die Theologie lässt sich auch daran erkennen, dass in deren Kontext das größte Spektrum von Diskursstrategien durch Theologen angewendet wird. Im Hinblick auf Dawkins’ Wissenschaftsverständnis ist es eine Eigenart der Theologen, nachdrücklich auf die Pluralität von Realitätserfahrung, Wahrheitsfindung, Beweisarten, Erkenntnissen und Erklärungen zu verweisen sowie auf die methodischen Grenzen der Naturwissenschaft. Ähnliche Gedanken finden sich zum Teil zwar auch in der Philosophie, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß. Dawkins’ Moralverständnis nehmen Theologen ähnlich wie die am Diskurs beteiligten Philosophen in den Blick. Einig sind sich die Vertreter beider Disziplinen darüber, dass Moral als trans-evolutionäres Produkt verstanden werden muss, dass naturalistische Moralerklärungen scheitern müssen und dass deshalb alternative Moralerklärungen vonnöten sind. Was die alternativen Moralbegründungen betrifft, so gehen Theologen tendenziell eher von einer notwendigen religiösen Fundierung der Moral aus als die Philosophen. Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen spielt zwar für die Theologen eine Rolle, jedoch setzen sie sich im Vergleich mit den Philosophen und Naturwissenschaftlern deutlich weniger intensiv mit dieser Theorie auseinander. Dabei geht es den Theologen nicht so sehr um eine Aushebelung von Dawkins’ Argumenten auf naturwissenschaftlicher Ebene, sondern um eine Ausweitung der Perspektive und zwar dahingehend, dass eine rein naturwissenschaftliche Erklärung des Evolutionsprozesses unmöglich ist. In diesem Sinne ist auch der Umgang der Theologen mit Dawkins’ Evolutionsverständnis zu verstehen. Ausgehend von einer als notwendig erachteten theologischen Perspektive im Hinblick auf die Entstehung des Lebens, wenn nicht sogar im Hinblick auf den gesamten Evolutionsprozess, verweisen die Theologen darauf, dass darwinistische Erklärungen nie letztgültig sein können, die Evolution zielgerichtet und das menschliche Bewusstsein irreduzibel ist. Auch Dawkins’ Mem-Konzept steht nicht im primären Fokus der Theologen. Dies ist vor allem damit zu erklären, dass der wissenschaftliche Wert des Mem-Konzeptes nicht nur von den Theologen, sondern auch von den meisten Philosophen und Naturwissenschaftlern als sehr gering eingeschätzt wird. So gibt es für Theologen zahlreiche Theorien, die das Verhältnis von Natur und Kultur deutlich besser erklären als Dawkins’ Mem-Konzept. Zu beachten ist, dass es den Theologen, die sich mit Dawkins auseinandersetzen, in der Regel um eine Verteidigung ihrer Disziplin und ihres Glaubens gegen die Angriffe Dawkins’ geht. Dies ist nicht immer unproblematisch, da das apologetische Motiv gerade bei Theologen zu Verzerrungen und Fehleinschätzungen beispielsweise der Weltsicht Dawkins’ führt. Hier können Argumente eine Diskreditierungsfunktion einnehmen. Es gibt dementsprechend

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keinen Theologen, der sich voll und ganz auf die Seite Dawkins’ stellen würde. Von Ausnahmen abgesehen, bei denen Theologen Dawkins in Teilpunkten recht geben (so z. B. Körtner, der Dawkins’ Behauptung zustimmt, dass die heutige Ethik von Christen nicht unmittelbar der Bibel entnommen sei1), weisen alle am Diskurs beteiligten Theologen Dawkins’ Argumente dezidiert zurück. Sie tun dies, indem sie Dawkins’ Thesen relativieren, in größere Zusammenhänge einordnen oder metaperspektivisch kontextualisieren. Charakteristisch für das Verhalten von Theologen im Diskurs ist also die Anwendung der Strategien 4 und 5. In diesem Kontext spielt zugleich oft die Frage eine Rolle, was die Herausforderung der Dawkinsschen Thesen für die Theologie eigentlich ausmacht.

2. Der Umgang der Philosophie mit Dawkins Dawkins’ Weltsicht ist für die analysierten Philosophen ein wichtiges Thema, wobei sie stärker in dem oben herausgearbeiteten Grundkatalog der Einschätzungen verhaftet bleiben als die Theologen. Im Vergleich zur Theologie finden sich daher weniger symbolträchtige negative Einschätzungen. Eine Ausnahme stellt die Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als biologistisch dar. Im Unterschied zu den Theologen findet sich mit Dennett ein Philosoph, der die Weltsicht Dawkins’ explizit verteidigt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Philosophen im Hinblick auf Dawkins’ Weltsicht stärker als die Theologie in Richtung der Naturwissenschaften offen sind. Dawkins’ Adaptionismus ist z. B. ein Thema, das vor allem in den Naturwissenschaften verortet ist, aber dennoch auch von Philosophen diskutiert wird. Im Unterschied zu den Theologen gibt es mit Dupr einen Philosophen, der Dawkins’ Wissenschaftsverständnis teilt. Nichtsdestoweniger ähnelt die philosophische Argumentation bei diesem Punkt der theologischen – beispielsweise wenn es um das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften geht. Während die Philosophen sich weniger stark als die Theologen für das Thema der Religionskritik Dawkins’ interessieren, aber dennoch weiterführende Implikationen dieser Kritik bedenken, ähneln ihre Argumente denen der Theologen, wenn es um Dawkins’ Gottesbild geht. So ist für Theologen und Philosophen Gott nicht kompliziert, sondern einfach, und die Idee der Wahrscheinlichkeit ist nicht auf die Gotteshypothese anwendbar. Die Gotteshypothese wird zudem als nicht wissenschaftlich eingestuft. Es sind also lediglich einzelne Argumente, wie z. B. der Hinweis auf Dawkins’ methodische Fehler bei seiner Zurückweisung des theistischen Gottes, die sich nur innerhalb der Philosophie finden. Die für die Theologen prägende Verbindung der Themen Gottesbild und Verhältnis von Gott und Evolution findet sich bei den Philosophen nicht. Für den philosophischen Umgang mit Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen ist im Vergleich zu dem theologischen und naturwissenschaftlichen dessen re1 Körtner, Evolution, Ethik. und Religion, 263.

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flexiver Charakter prägend. Während der Umgang mit Dawkins im Kontext der Naturwissenschaften eher auf eine direkte inhaltliche Abgrenzung oder Verteidigung hinausläuft, geht es den Philosophen stärker um eine Reflexion z. B. des wissenschaftstheoretischen Anspruchs seiner Theorie vom egoistischen Gen (Greif). Daneben sind Systematisierungen von naturwissenschaftlichen Fragen wie der nach der Ebene oder Einheit der Selektion für die Philosophie charakteristisch. Mit den Naturwissenschaften verbindet die Philosophie die starke Verwendung solcher Strategien, die auf die Affirmation, Befürwortung oder Verteidigung von Dawkins’ Thesen zielen. Demgegenüber ähnelt die philosophische Argumentation im Hinblick auf Dawkins’ Evolutionsverständnis wieder stärker der theologischen. So ist es auch für die philosophische Argumentation kennzeichnend, dass Dawkins’ Erklärungen der Entstehung des Lebens und der Herausbildung des menschlichen Bewusstseins als nicht ausreichend interpretiert werden. Allerdings findet sich deutlich weniger die Tendenz, dieses Nichtausreichen mit theologischen Überlegungen zu kompensieren. Dawkins’ Mem-Konzept steht – wie auch bei den Theologen – nicht im primären Fokus der Philosophen. Dennett ist jedoch ein Befürworter von Dawkins’ Mem-Konzept. Abgesehen von dieser Ausnahme wird der wissenschaftliche Wert des Mem-Konzeptes auch von Philosophen gering eingestuft. Einig sind sich die Philosophen mit den Theologen darüber, dass Dawkins’ Moralerklärung und Moralverständnis abzulehnen ist. Analysiert man die Entfaltung des Diskurses in der Philosophie, zeigt sich, dass die Philosophen im Diskurs zumeist eine Scharnierfunktion einnehmen. So findet sich bei den analysierten Philosophen einerseits die größte Themenvielfalt und andererseits verwenden sie die größte Bandbreite von Strategien, wenn sie die Thesen Dawkins’ diskutieren. Viele Philosophen sind darüber hinaus sowohl in Richtung Theologie als auch in Richtung Naturwissenschaften argumentativ offen. So gibt es Philosophen, die das Verhältnis von Gott und Evolution thematisieren, genauso wie Philosophen, die die biologischen Fragen nach Einheit und Ebene der Selektion in metatheoretischer Perspektive ausloten. Im Gegensatz zu der Ablehnung, die Dawkins von Seiten der Theologen entgegenschlägt, finden sich durchaus Philosophen, die sich ernsthaft auf Dawkins’ Denken einlassen oder es sogar (apologetisch) verteidigen.

3. Der Umgang der Naturwissenschaften mit Dawkins Für die am Diskurs beteiligten Naturwissenschaftler ist es in erster Linie die Theorie vom egoistischen Gen, die den Anlass für die Auseinandersetzung mit Dawkins’ Thesen darstellt. Spezifisch naturwissenschaftlich ist hierbei die vornehmlich direkte inhaltliche Auseinandersetzung mit Dawkins’ Thesen. So werden viele inhaltliche Gegenmodelle, aber auch Verteidigungen seines Evolutionsverständnisses entwickelt, während die Reflexion des Einflusses und der Implikationen seiner Thesen schwächer ausgeprägt ist. Insgesamt

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verwenden Naturwissenschaftler im Hinblick auf Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen sowohl Strategien, die auf die Affirmation, Befürwortung oder Verteidigung von Dawkins’ Thesen als auch Strategien, die auf Zurückweisung seiner Thesen zielen. Dazu passt, dass z. B. Dawkins’ Moralverständnis von keinem der analysierten Naturwissenschaftler behandelt wird. Dass eine solche Reflexion auch im Bereich der Naturwissenschaften stattfindet, zeigt demgegenüber der Sammelband Richard Dawkins – How a Scientist Changed the Way We Think, dessen Autoren versuchen, den Einfluss Dawkins’ und die Bedeutung seines Werkes innerhalb der (naturwissenschaftlichen) scientific community und der Öffentlichkeit auszuloten. Auch im Bereich von Dawkins’ Evolutionsverständnis geht es den Naturwissenschaftlern vor allem um eine direkte inhaltliche Auseinandersetzung. Hierbei teilen die meisten Naturwissenschaftler die Annahme, dass Dawkins’ Konzentration auf das Phänomen der natürlichen Selektion als Erklärungsfaktor für die Entstehung und Entwicklung des Lebens nicht ausreicht. Dass theologische Überlegungen für die am Diskurs beteiligten Naturwissenschaftler durchaus eine Rolle spielen können, zeigt sich z. B. an Aussagen, die auf die grundsätzliche Vereinbarkeit der Evolution mit der Existenz Gottes abzielen. Dies muss jedoch nicht immer der Fall sein, wie das Beispiel Steven Roses zeigt. Rose anerkennt Dawkins’ Versuch, die Entstehung und Entwicklung des Lebens rein natürlich zu erklären, kritisiert aber Dawkins’ Erklärungsansatz an sich. Dawkins’ Religionskritik ist für die meisten Naturwissenschaftler uninteressant. Die wenigen Forscher, die sich mit ihr auseinandersetzten, bieten keine originär aus der Naturwissenschaft abgeleiteten Argumente. Sie verweisen vielmehr auf die mangelhafte Ausführung der Religionskritik (dogmatisch, pseudowissenschaftlich, oberflächlich), befürworten wie Theologen und Philosophen eine kontextsensible Bibelinterpretation und weisen ebenso Dawkins’ Glaubensbegriff zurück. Auch Dawkins’ Gottesbild steht kaum im Fokus der analysierten Naturwissenschaftler. Sie bieten lediglich das schon bekannte Argument, dass die Gotteshypothese nicht als wissenschaftliche Hypothese verstanden werden darf. Dass keiner der beteiligten Naturwissenschaftler ein alternatives Gottesbild zu Dawkins entwickelt, ist damit zu erklären, dass sich die naturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Dawkins hauptsächlich auf den innerwissenschaftlichen Bereich konzentriert und den weltanschaulichen Bereich eher ausblendet. Dass dieser Bereich im naturwissenschaftlichen Diskurs auch eine Rolle spielt, wird vor allem im Hinblick auf Dawkins’ Weltsicht deutlich. So ziehen z. B. Kattmann und Schaller eine agnostische Weltsicht klar dem von Dawkins vertretenen Atheismus vor. Darüber hinaus findet sich nur im Bereich der Naturwissenschaften die Einschätzung von Dawkins’ Weltsicht als zumindest teilweise liberal. Die Auseinandersetzung mit Dawkins’ Mem-Konzept in den Naturwissenschaften entspricht der Auseinandersetzung der anderen Wissenschaften mit diesem Konzept.

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4. Einflüsse zwischen den Wissenschaften im Umgang mit Dawkins Fragt man danach, wie sich die behandelten Wissenschaftler gegenseitig beeinflussen, kann man dies z. B. an der Kritik festmachen, die gegen Dawkins’ metaphorische Sprache geäußert wurde. Diese Kritik wurde zuerst von der Philosophin Mary Midgley aufgestellt und dann von Theologen wie McGrath, Heinrich2 oder Naturwissenschaftlern wie Neumann-Held übernommen. Grundsätzlich fällt ins Auge, dass der Diskurs vor allem durch diejenigen Wissenschaftler bereichert wird, die nicht nur in einer Disziplin zu Hause sind, sondern in zwei oder gar drei. Einseitiger argumentieren solche Autoren, deren Beteiligung am Diskurs durch ein dezidiert apologetisches Motiv bestimmt ist. Zu beachten ist schließlich, dass im Kontext dieser Arbeit keine vollständige Materialsammlung erhoben werden konnte, so dass im Hinblick auf den Umgang von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften mit Dawkins nur Trends aufgezeigt werden können.

2 Vgl. z. B. Heinrich, Soziobiologie, 93.

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4. Kapitel: Zeitliche und räumliche Aspekte des Umgangs der Wissenschaften mit Dawkins Wie gezeigt wurde, spielt die Frage der Disziplinzugehörigkeit der am Diskurs beteiligten Wissenschaftler vor allem bei der Auswahl bestimmter Strategien, dem generellen Diskursverhalten, aber auch einigen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und spezifischen Argumentationssträngen eine wichtige Rolle. Jedoch ist zu vermuten, dass die Argument- und Strategienwahl auch durch andere Einflussfaktoren bestimmt wird. Hierbei kommen m. E. in erster Linie zeitliche und räumliche Einflussfaktoren in Betracht. Der Umgang der Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften mit Richard Dawkins ist – so meine These – also auch von zeitlichen und räumlichen Faktoren geprägt.

1. Der zeitliche Rahmen und Verlauf des Dawkins-Diskurses Schon kurz nach der Veröffentlichung von Dawkins’ erstem erfolgreichen Buch im Jahr 1976 setzte ein heftiger Diskurs ein, der sich vor allem an seiner Perspektive der egoistischen Gene entzündete.1 Seitdem hat der DawkinsDiskurs einige Transformationen durchlaufen, die es nahelegen, ihn in drei Phasen zu untergliedern.2 In seiner ersten Phase, die von 1976 bis in die Mitte der 1990er Jahren reicht, weist der Dawkins-Diskurs vor allem folgende Charakteristika auf: Die Tatsache, dass Dawkins’ Schreibfokus im Laufe dieses Zeitraums voll und ganz auf die Evolutionsbiologie konzentriert ist, wirkt sich auch auf die Rezeption seiner Thesen aus. So geht es Dawkins in seinen ersten beiden Büchern vor allem um die Entwicklung, Bündelung und Vermittlung einer neuen Sicht der Evolution – die Perspektive des egoistischen Gens -, während sein Blick sich in Der blinde Uhrmacher stärker auf die Vermittlung der Darwin’schen Evolutionstheorie als Ganzer richtet. Dabei hat Dawkins das Ziel, mögliche Verständnisprobleme seiner Leser im Hinblick auf die Bedeutung und den Ablauf der Evolution aufzuheben. Analog dazu steht im Mittelpunkt der ersten Diskursphase klar die Auseinandersetzung mit Dawkins’ Idee des egoistischen Gens und seinem Evolutionsverständnis. Dawkins’ Religionskritik, die in Der 1 Heinrich führt die Popularität der Dawkins’schen Rede von den egoistischen Genen auf zwei Gründe zurück. Erstens sei Dawkins mit seinem Buch eine Synthese gelungen, die verschiedene Theorieansätze der Ethnologie aufgegriffen und zu einem Paradigma gebündelt habe. Zweitens habe Dawkins durch sein Buch das Forschungsprogramm der Soziobiologie entscheidend mitgeprägt. Vgl. Heinrich, Soziobiologie, 89. 2 Im Folgenden werden nicht alle Teilnehmer des Diskurses nochmals mit ihren inhaltlichen Kritikpunkten und Diskursstrategien aufgelistet, um Redundanzen zu vermeiden. Vielmehr werden exemplarisch einige der Teilnehmer aufgeführt, um die Charakteristika der jeweiligen Diskursphasen zu unterstreichen.

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blinde Uhrmacher schon recht deutlich aufscheint, spielt also nur eine untergeordnete Rolle. Am Beginn des Diskurses rezipieren vor allem Philosophen (z. B. Mary Midgley, David Hull, Elliott Sober, Daniel Dennett, Philip Kitcher, Kim Sterelny) und Naturwissenschaftler (z. B. Martin Daly, Richard Lewontin, Steven Rose, Stephen Jay Gould) Dawkins’ Thesen. Die im Diskurs verhandelten Argumente reichen auf philosophischer Seite von dem Hinweis auf die fragwürdigen philosophischen Implikationen der Theorie vom egoistischen Gen und einer Kritik an seiner metaphorischen Sprache3 bis zu einer inhaltlichen Ausdifferenzierung von Dawkins’ Terminologie4, der Infragestellung der kausalen genetischen Phänotyp-Verursachung5 und der Entwicklung von Alternativtheorien6. Daneben finden sich auch befürwortende Argumente, wie z. B. Dennetts Hinweis auf die Möglichkeit, von Genintentionen zu sprechen7, oder Sterelnys und Kitchers Verteidigung von Dawkins’ genselektionistischer Perspektive.8 Auf naturwissenschaftlicher Seite erstreckt sich das Argumentspektrum von der Betonung der Inkonsistenz des Dawkins’schen Genbegriffs9 über die Zurückweisung seines biologischen Determinismus10, seines (latenten) Sozialdarwinismus11 und seines Adaptionismus12 sowie der 3 Vgl. Midgley, Gene.-Juggling, 439 – 458, sowie Midgley, Selfish Genes, 365 – 377. 4 Daneben finden sich in diesem Zeitraum auch wichtige methodologische Arbeiten, die auf dem Buch Das egoistische Gen aufbauen. Dazu gehört beispielsweise Hulls Unterscheidung zwischen dem Replikator- und dem Interaktor-Begriff, die er erstmals 1980 traf. Vgl. Hull, Individuality and Selection, 311 – 332. 5 Ein früher Dawkins-Kritiker ist z. B. auch Elliott Sober, der das Phänomen der Kontextabhängigkeit von Genen anführt, um die These Dawkins’ in Frage zu stellen, dass Gene Phänotypen kausal verursachen können. Vgl. Sober, The Nature of Natural Selection, 231. Vgl in diesem Kontext Sober, Conceptual Issues in Evolutionary Biology ; ders., Philosophy of Biology, sowie ders., From a Biological Point of View. 6 Vgl. Oyama, The Ontogeny of Information. Oyamas Buch kann neben Goulds Idee der MultiLevel-Selektion die er besonders prägnant in The Structure of Evolutionary Theory aus dem Jahr 2002 darstellte, als eine der wichtigsten Alternativen zu Dawkins genselektionistischer Perspektive betrachtet werden. 7 Vgl. Dennett, Elbow Room, 45. Es ist zu beachten, dass Dawkins bereits 1981 einen Aufsatz unter dem Titel Selfish Genes and Selfish Memes in dem u. a. vom Dennett herausgegebenen Sammelband The Mind’s I: Fantasies and Reflections on Self and Soul veröffentlicht hatte. Vgl. Dawkins, Selfish Genes and Selfish Memes,124 – 146. Allerdings fällt Dennetts Beschäftigung mit Dawkins’ Thesen weniger intensiv aus als in den 1990er Jahren. 8 Vgl. Kitcher/Sterelny, The Return of the Gene, 340. 9 Der Biologe Daly wies bereits 1980 auf eine Inkonsistenz des Genbegriffs Dawkins’ hin. Vgl. Daly, Contentious Genes, 80 – 81. 10 Vgl. Lewontin/Rose/Kamin, Die Gene sind es nicht, 237. Zu beachten ist hierbei, dass das englischsprachige Original dieses Titels bereits 1984 erschien. Vgl. Lewontin/Rose/Kamin, Not in Our Genes. Die Autoren weisen vor allem Dawkins’ biologischen Determinismus zurück. Vgl. ebd. 8. 11 Vgl. Hansjörg Hemminger, Soziobiologie des Menschen, 76. 12 Vgl. Gould/Lewontin, The Spandrels of San Marco, 581 – 598. Gould wendet sich hier gegen Dawkins’ Überbetonung des Adaptionismus. Darüber hinaus kritisiert Gould vor allem Dawkins’ genetischen Atomismus und die fehlende Sichtbarkeit der Gene für die natürliche Selek-

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Entwicklung von alternativen Ansätzen13. Im Bereich der Theologie erfolgt in den 1970er und 1980er Jahren kaum eine intensivere Beschäftigung mit Dawkins’ Thesen. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Andreas Knapps Buch Soziobiologie und Moraltheologie aus dem Jahr 1989 dar14, in dem er sich z. B. vor allem gegen Dawkins’ „mechanistisches“ Menschenbild wendet.15 Die zweite abgrenzbare Phase des Dawkins-Diskurses reicht von der Mitte der 1990er Jahre bis ins Jahr 2003. Sie ist geprägt durch Dawkins’ Veröffentlichungen von A River out of Eden (1995), von Climbing Mount Improbable (1996) und von Unweaving the Rainbow (1998). Während Dawkins in den ersten beiden Büchern noch seinen evolutionsbiologischen und evolutionstheoretischen Fokus beibehält, ist sein Blickwinkel in Unweaving the Rainbow ungleich weiter. So nimmt Dawkins nicht mehr nur eine spezifische Theorie einer Naturwissenschaft, d. h. der Biologie, in den Blick, sondern er macht sich die Schönheit und methodische Überlegenheit der Naturwissenschaft als Wissenschaft zu Eigen, die er gegen die Phänomene Aberglauben und Religion scharf abgrenzt. Diese Ausweitung von Dawkins’ Schreibthemen hat auch eine verstärkte Wahrnehmung Dawkins’ in der Theologie zur Folge. Dementsprechend mischen sich ab Mitte der 1990er Jahre verstärkt vor allem englischsprachige Theologen in den Diskurs ein. Sie sind weniger an einer Einordnung und Verortung Dawkins’ im Phänomen der Soziobiologie und seinen evolutionsbiologischen Thesen interessiert, sondern fokussieren stärker auf seine religionskritischen Thesen. Dies führt zu einer inhaltlichen Weitung der Diskurs-Landschaft, da jetzt beispielsweise auch Dawkins’ Gottesbild in den Blick genommen wird. Hervorzuheben ist in diesem Kontext Keith Wards Buch God, Chance and Necessity aus dem Jahr 1996.16 Neben Ward setzt sich z. B. auch der Theologe Peters mit Dawkins auseinander.17 Ebenso zeichnet sich in der Philosophie eine intensivierte Beschäftigung mit den Thesen Dawkins’ ab (Vgl. z. B. Sober, Oyama, Midgley, Hull, Ruse). Gegen Dawkins’ Thesen werden z. B. die gruppenselektionistische Perspektive18 und

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tion, die Dawkins’ Konzeption in Frage stelle. Im Gegensatz zu Midgley hält Gould allerdings Dawkins’ Sprechen von Genintentionen für zulässig, da er Gene nicht als wissentliche Agenten ihrer eigenen Selbsterhaltung verstehe. Vgl. auch Gould, The Panda’s Thumb, 86 sowie 89 – 91. Einer dieser Ansätze ist z. B. Goulds Theorie der Multi-Level-Selektion. Vgl. in diesem Kontext z. B. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie. Daneben gibt es weitere theologische Publikationen, die sich am Rande mit Dawkins befassen. Siehe z. B. Isak, Evolution ohne Ziel? Isak bezeichnet z. B. Dawkins’ Weltsicht als evolutionären Nihilismus, vgl. ebd. 27. Eine Einschätzung, die Dawkins’ Weltsicht aus meiner Perspektive nicht gerecht wird. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 176 – 178. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, z.B 96 – 118. Vgl. Ted Peters, Playing God?, 1997. Sober behält seine Dawkins-kritische Haltung aus der ersten Diskursphase bei und betont, dass die Idee der Gruppenselektion durch Dawkins’ genselektionistische Perspektive nicht obsolet werde. In diesem Zusammenhang ist das wichtige Buch Unto Others zu nennen, das er zusammen mit D.S. Wilson veröffentlichte.

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die Developmental Systems Theory19 bekräftigt. Zurückgewiesen wird sein Wissenschaftsverständnis20 sowie die Dawkinssche These nur Gene, nicht aber Organismen seien Interaktoren21. Kritisiert wird darüber hinaus auch Dawkins’ Darwinismus-Konzept22. Hauptbefürworter der Thesen Dawkins’ ist weiterhin Dennett, der seine Argumente zugunsten Dawkins’ ausbaut.23 Auch im Bereich der Naturwissenschaften verläuft die Auseinandersetzung mit Dawkins in der zweiten Diskursphase hauptsächlich kritisch (z. B. Neumann-Held, Weber, Mayr, Gould, Bateson sowie Rose). Die Argumente kreisen dabei um die Inkonsistenz von Dawkins’ Genbegriff24, seine mangelnde Berücksichtigung anderer biologischer Disziplinen25, seine Konzentration auf eine einzige Selektionsebene26, die Möglichkeit alternativer Sichtweisen der Evolution27, seine metaphorische Sprache28, und sein falsches, ultradarwinistisches Verständnis des Darwinismus29. Auffällig ist, dass die Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als ultradarwinistisch nach der Veröffentlichung von Dennetts Buch Darwins Dangerous Idea im Jahr 1995 verstärkt auftritt. In diesem Kontext wird die von Rose wahrgenommene Nähe zwischen 19 Oyama baut in der zweiten Phase ihre Developmental Systems Theory als Herausforderung gegenüber Dawkins’ genselektionistischer Sicht der Evolution aus. Vgl. in diesem Kontext Oyama/Griffiths/Gray, Cycles of Contingency, 1. 20 Auch bei Midgley ist weiterhin eine Dawkins-kritische Haltung zu verzeichnen, wobei neben ihre aus der ersten Diskursphase bekannten Argumente auch eine dezidierte Kritik an Dawkins’ Wissenschaftsverständnis tritt. Vgl. Midgley, Science as Salvation, 7. 21 Hull wiederum meldet sich mit einer methodologischen Arbeit gegen Dawkins zu Wort, in der er auf der Basis seiner Unterscheidung zwischen Replikator und Interaktor kritisiert, dass für Dawkins nur Organismen, nicht aber Gene Interaktoren sein können. Vgl. Hull, Science and Selection, 27. 22 Ruse kritisiert vor allem Dawkins’ Ultradarwinismus und argumentiert für die Kompatibilität von Darwinismus. und Christentum. Vgl. Ruse, Can a Darwinian Be a Christian?, 29 sowie 10. 23 Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 81 – 82; 238 – 249; 278. 24 Vgl. Neumann-Held, Jenseits des „genetischen Weltbildes“, 261 – 64. 25 Vgl. Weber, Darwin und die Anstifter, 241. 26 Vgl. Mayr, The objects of selection, 2092. 27 Gould wiederum kritisiert in der zweiten Diskursphase Dawkins vor allem mit Hilfe seiner Theorie der Multi-Level-Selektion. Vgl. Gould, The Structure of Evolutionary Theory, 613. 28 Patrick Bateson greift den schon bekannten Gedanken der Kritik an Dawkins’ Metapherngebrauch auf und konstatiert, dass dessen metaphorische Sprache nicht ohne Weiteres in die kausale Sprache der Populationsgenetiker übersetzt werden kann, auch wenn offensichtlich über dieselben Inhalte gesprochen werde. Vgl. Bateson, Behavioral Development and Darwinian Evolution, 161. 29 So betont Rose gegen Dawkins, dass nicht das Gen, sondern die Beziehung zwischen Genotypen und Phänotypen als fundamentale Selektionseinheit bezeichnet werden muss. Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 247. Darüber hinaus kritisiert Rose Dawkins’ Versuch, seinen ontologischen Reduktionismus als partiellen Reduktionismus zu verkaufen. Vgl. ebd. 104. Ebenso kritisch bewertet Rose Dawkins’ Ultradarwinismus, da er auf der metaphysischen Vorstellung beruhe, dass der Zweck jedes Lebens in der Reproduktion seiner eigenen Gene liege. Vgl. ebd. 226. Ähnlich wie Rose schätzt auch Eldredge Dawkins ein und betont, dass ultradarwinistische Wissenschaftler den Drang, möglichst viele Gene zu hinterlassen, als die grundlegende Triebkraft aller Lebewesen auffassen. Vgl. Eldredge, Ein Kampf der Worte, 166.

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Dawkins und Dennett auch außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs sichtbar. Dies zeigt sich z. B. daran, dass Roses Buch, dessen deutscher Titel Darwins gefährliche Erben eine direkte Anspielung auf Dennetts Buch Darwins Dangerous Idea darstellt, von Hoffmann und Campe in Deutschland 1997 unter dem Titel Darwins gefährliches Erbe vermarktet wurde. Eine erste von einer zweiten Phase der Rezeption von Dawkins’ Thesen abzugrenzen, erscheint vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen aus folgenden Gründen gerechtfertigt: – Seit Mitte der 1990er Jahre ist eine Ausweitung des Schreibfokus Dawkins’ zu verzeichnen. Von den rein evolutionsbiologisch/evolutionstheoretisch ausgerichteten Büchern richtet Dawkins seinen Blick auf den Gegensatz zwischen Naturwissenschaft und Religion bzw. Aberglauben. – Seit Mitte der 1990er Jahren setzen sich verstärkt auch Theologen in monographischer Form mit den spezifischen Thesen Dawkins’ auseinander (z. B. Ward). – Seit Mitte der 1990er Jahre kommt es zu einer inhaltlichen Anreicherung des Diskurses, da nun verstärkt auch Dawkins’ Religionskritik und sein Gottesbild in den Blick genommen werden. – Einzelne inhaltliche Akzentuierungen, so z. B. die Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als ultradarwinistisch als Reaktion auf Dennetts Buch Darwins Dangerous Idea, häufen sich ab Mitte der 1990er Jahre. Die dritte Phase des Dawkins-Diskurses beginnt mit der Veröffentlichung von A Devil’s Chaplain im Jahr 2003 und dauert bis heute an. In diesen Zeitraum fallen die Veröffentlichungen von The Ancestor’s Tale. A Pilgrimage to the Dawn of Evolution (2004), The God Delusion (2006) und The Greatest Show on Earth. The Evidence for Evolution (2009). In Dawkins’ Werk ergeben sich in der dritten Diskursphase erneute Veränderungen. So tritt eine neue Buchkategorie auf, in deren Kontext sich Dawkins polemisch-religionskritisch äußert und diese Religionskritik dezidiert aus seiner Sicht der Evolution ableitet. Zu dieser Kategorie zählen A Devil’s Chaplain und The God Delusion. Fragt man nach dem Grund für diese Radikalisierung in Dawkins’ Büchern, kommen m. E. die Nachwirkungen des 11. September 2001 in Betracht, den Dawkins als wichtigen Anstoß für seine Religionskritik einschätzt.30 Auch die Tatsache, dass durch den Tod Goulds im Jahr 2002 ein scharfer Kritiker Dawkins’ aus dem Diskurs ausschied, dürfte nicht unwesentlich zu der Radikalisierung der Dawkins’schen Thesen beigetragen haben. Demgegenüber ist The Greatest Show on Earth ein Buch, in dem sich Dawkins wieder auf den Bereich der Evolutionstheorie beschränkt und versucht, seine Leser von der Richtigkeit seiner Ansichten über die Evolution zu überzeugen. Eine Sonderstellung in Dawkins’ Werk nimmt The Ancestor’s Tale

30 Vgl. Dawkins, Religion’s Misguided Missiles, in: Guardian.co.uk am 15. September 2001.

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ein31, das eine Bündelung aller bisherigen Erkenntnisse Dawkins’ über die Evolution darstellt und das zugleich Dawkins’ große Vision über das Leben enthält: Wenn das eigene Leben schon ein solcher Glücksfall ist, darf es nach Dawkins in seinem Verlauf nicht nur um die Verhinderung des Sterbens gehen. „Zumindest ein Teil unseres Lebens muss dazu dienen, dieses Leben auch zu führen.“32 Gerade die vielfältigen Reaktionen in Öffentlichkeit, Kirchen, Medien und Wissenschaft auf Dawkins’ religionskritisch-polemische Bücher machen das Spezifikum der dritten Diskursphase aus. Vor allem im Bereich der Theologie explodierte die Zahl der Dawkins-kritischen Veröffentlichungen seit A Devil’s Chaplain und vor allem seit The God delusion. Damit verbunden ist eine erneute inhaltliche Ausweitung der an Dawkins gerichteten Vorwürfe und Kritikpunkte. Keith Ward ließ seinem Buch God, Chance and Necessity aus dem Jahr 1996 noch zwei weitere Dawkins-kritische Bücher folgen. Wards 2006 erschienenes Buch Is religion dangerous? nimmt beispielsweise gleich zu Beginn Bezug auf die von Dawkins verfasste und präsentierte Fernsehserie Root of all evil? Ward wies die darin auftauchenden und sich auch in The God Delusion befindlichen religionskritischen Argumente Dawkins’ dezidiert zurück. Weder sei Religion die Wurzel alles Bösen noch seien religiöse Überzeugungen irrational oder unmoralisch. Religion nütze zudem mehr als sie schade sowohl im persönlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich. 2008 verlieh er seiner Kritik an Dawkins’ Thesen in dem Buch Doubting Dawkins nochmals Nachdruck.33 Andere Theologen wie z. B. Striet bieten mit ihrer Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als biologistisch neue Aspekte.34 Ohnehin ist auffällig, dass gerade die negativ aufgeladenen Einschätzungen der Weltsicht Dawkins’ (Biologismus, latenter Antisemitismus, latenter Sozialdarwinismus, fundamentalistischer Atheismus) in der dritten Diskursphase gehäuft auftreten. 31 Ich danke Prof. Niko Strobach für seine fruchtbaren Anregungen in dieser Hinsicht. 32 Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 22 – 23. 33 Vgl. Ward, Doubting Dawkins, z. B. 14 – 17. Ein weiterer Theologe, der sich schon vor dem Erscheinen von The God Delusion mit Dawkins’ Werk und seinen Thesen auseinandersetzte, ist z. B. Alister McGrath. In seinem bereits 2004 veröffentlichten Buch Dawkins’ God. Genes, Memes and the Meaning of life wies McGrath auf problematische Aspekte der Thesen Dawkins’ hin. 2007 folgte mit The Dawkins Delusion: Atheist Fundamentalism and the Denial of the Divine eine direkte Replik auf die Veröffentlichung von The God Delusion. Schon in Dawkins’ God kritisiert McGrath den weltbildförmigen Charakter von Dawkins’ Atheismus, dessen Wurzeln sich außerhalb der Naturwissenschaft befänden. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 12. Auch im deutschen Sprachraum beschäftigte sich der Theologe Axel Heinrich schon vor dem Erscheinen von The God Delusion mit Dawkins’ Thesen. In einem 2004 erschienenen Aufsatz behandelte Heinrich Dawkins hauptsächlich im Kontext der Soziobiologie und richtete seinen Fokus vor allem auf dessen erstes Buch. Bezogen auf die Theorie vom egoistischen Gen betont Heinrich wie McGrath, dass Gene nicht die alleinigen Zielobjekte der Selektion sind und es Forschungsergebnisse aus den Naturwissenschaften gibt, die die Gültigkeit der Theorie in Frage stellen. Vgl. Heinrich, Gesellschaft am langen Band der Gene, 67 – 68. 34 Vgl. Striet, Sorgen mit dem lieben Gott, 104.

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Auch innerhalb der Philosophie weitete sich das Spektrum der am Diskurs beteiligten Wissenschaftler seit 2003. So treten neben langjährigen DawkinsKritikern wie Mary Midgley auch neue Diskursteilnehmer auf (z. B. Peter Strasser35). Inhaltlich wird der Diskurs aus dem Bereich der Philosophie vor allem durch Greif bereichert, der 2005 Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen als eine Theorie der nichtmenschlichen Handlungsfähigkeit interpretierte. Dabei bestehe die Handlungsfähigkeit von Dawkins’ Genen, d. h. das, was sie als egoistisch auszeichne, in ihrer Fähigkeit zur autokatalytischen Replikation sowie in den semantischen Beziehungen, die sie zwischen Genound Phänotyp einrichten.36 Auch Schark ist in der dritten Diskursphase darum bemüht, mögliche Missverständnisse gegenüber Dawkins auszuloten und aufzuheben. So betont sie, dass Dawkins’ Beschreibung des Organismus als „… a machine that work[s] to keep itself in being, and to reproduce its kind“37 die von ihm verwendete Metapher „sprengt“, da der Bildspender, also die menschengemachte Maschine, das beschriebene Können gerade nicht besitzt.38 Dawkins’ oben zitierte Behauptung sollte nach Schark vor diesem Hintergrund besser verstanden werden als Ausdruck der Überzeugung, dass sich auch die Entstehungsweise und die Fähigkeiten von lebendigen Organismen, mittels derer sie sich von Maschinen unterscheiden, mechanistisch erklären lassen (werden). 35 Midgley wiederholt mit ihrem Buch The Myths We Live By aus dem Jahr 2003 ihre Kritik an Dawkins’ Reduktionismus und seinem Mem-Konzept. Peter Strasser kritisiert nun Dawkins’ reduktionistische Weltsicht, die zugleich naturalistisch sei. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 25. Gleichzeitig sieht er eine Notwendigkeit, sich argumentativ mit Dawkins’ Anfragen an den christlichen Gott zu befassen. Vgl. ebd. 28. Einen neuen Akzent bietet Strasser hierbei durch sein eigenes Gottesbild. und seine detaillierte Zurückweisung der Wahrscheinlichkeitswerte, mit denen Dawkins operiert. Vgl. ebd. 32. Auch in der dritten Diskursphase finden sich innerhalb der Philosophie Kritiken an Dawkins’ Genkonzept, die inhaltlich eng mit den vorangehenden Phasen verknüpft sind. So konstatiert beispielsweise Moss 2003, dass die Deutungshoheit des Gen-Selektionismus innerhalb der Biologie sich vornehmlich durch Ignoranz und Ausblendung molekularbiologischer Erkenntnisse erkläre. Vgl. Moss, What Genes Can’t Do, 194. Diesen Schwachpunkt von Dawkins’ Genzentrismus konstatierte auch schon Neumann-Held Mitte der 1990er Jahre. Auch Dupr kritisiert im Kontext seiner Darstellung der Theorie der Entwicklungssysteme die Doppeldeutigkeit von Dawkins’ Genbegriff, fokussiert aber anders als Moss eher auf die mangelnde Beachtung des Phänomens der Entwicklung anstatt auf die mangelnde Beachtung der molekularbiologischen Erkenntnisse. Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 24. Demgegenüber befürwortet Dupr Dawkins’ Charakterisierung des Verhältnisses von Religion und Wissenschaft. Dupr wendet sich also nicht nur gegen Ruses Argumentation für die Kompatibilität von Darwinismus und Christentum, sondern zeigt deutlich, dass für ihn die Existenz des Darwinismus eine atheistische Position (fast) zwangsläufig macht. Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 55 – 62. Dupr stellt im Gesamtdiskurs in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar. Auch deutschsprachige Philosophen wie z. B. Heckmann wenden sich gegen Dawkins’ Argumentation und näherhin seine Gottesvorstellung. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 211. 36 Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 100. 37 Vgl. Dawkins, Universal Darwinism, 17. 38 Vgl. Schark, Organismus – Maschine: Analogie oder Gegensatz?, 430 – 432.

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Im Kontext der Naturwissenschaften wird in der dritten Diskursphase das Spektrum der möglichen Alternativen zu Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen ausgeweitet. So führt z. B. Shapiro als weitere Alternative neben Goulds Theorie der Multi-Level-Selektion oder Oyamas Developmental Systems Theory die Interpretation des Evolutionsprozesses im Sinne der Entwicklung von Systemen ein.39 Daneben finden sich viele Naturwissenschaftler, die sich kritisch zu einzelnen Punkten wie z. B. zu der Weltsicht Dawkins’ äußern. Dazu zählen u. a. Collins40, Hemminger41, Kattmann42, Pietschmann43 und Schaller44. Neben Publikationen, die auf die inhaltliche Zurückweisung oder methodologische Einordnung von Dawkins zielen, gibt es in der dritten Diskursphase im Bereich der Naturwissenschaften auch Publikationen, die versuchen, den Einfluss Dawkins’ und die Bedeutung seines Werkes innerhalb der (naturwissenschaftlichen) scientific community und der Öffentlichkeit auszuloten. Ein Beispiel hierfür ist der von dem Ethologen und Evolutionsbiologen Alan Grafen und dem Zoologen Mark Ridley im Jahr 2006 herausgegebene Sammelband Richard Dawkins. How a scientist changed the way we think, in dem sich affirmative Beiträge der Biologen David Haig, Ridley und John Krebs sowie des Physikers Lee Smolin finden. Dass dieses Buch von zwei Naturwissenschaftlern und nicht etwa zwei Philosophen herausgegeben wurde, ist an sich schon ein Hinweis auf die ungemeine Breitenwirkung von Dawkins’ Thesen in der Biologie. Auch Schallers, Pietschmanns und Kattmanns Beiträge zur Weltsicht Dawkins’ erschienen in dem von dem Philosophen Langthaler und dem Theologen Appel herausgegebenen Sammelband Dawkins’ Gotteswahn. 15 kritische Antworten auf seine atheistische Mission. Dass mit dem Erscheinen von Dawkins’ A Devil’s Chaplain im Jahr 2003 eine neue Phase im Dawkins-Diskurs einsetzt, machen vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen vor allem folgende Punkte deutlich: – Dawkins’ Bücher, in denen er offen religionskritisch argumentiert, lösen eine breite Rezeptionswelle seiner Thesen in allen drei Wissenschaften aus. – Symbolisch aufgeladene Einschätzungen wie z. B. die Vorstellung Dawkins’ Sprache sei biologistisch, treten nach 2003 im Diskurs gehäuft auf. – Nach dem Tod Goulds 2002 und dem Beginn der dritten Diskursphase setzt m. E. ein stärkerer Reflexionsprozess der Thesen Dawkins’ auch in den Naturwissenschaften ein. – Auch der Versuch, Dawkins’ Werk gegen Missverständnisse zu verteidigen ist vor allem an die dritte Diskursphase gebunden. 39 Vgl. Shapiro, A Third Way. Andere Naturwissenschaftler wie Denis Noble knüpfen an der Kritik an Dawkins’ genzentristischer Perspektive an. Vgl. Noble, The Music of Life, 11. 40 Collins, Gott und die Gene, 136. 41 Vgl. Hemminger, Und Gott schuf Darwins Welt, 170 u. Anm. 145. 42 Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 331 ff. 43 Vgl. Pietschmann, Der Quantifizierungs-Wahn, 344. 44 Vgl. Schaller, Dawkins’ Gotteswahn aus Sicht eines Biologen, 317 – 320.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

2. Die Anwendung der Diskursstrategien im Verlauf des Dawkins-Diskurses Nachdem der Verlauf des Dawkins-Diskurses in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften grob skizziert wurde, soll im Folgenden analysiert werden, ob die Verwendung bestimmter Diskursstrategien an bestimmte Diskursphasen geknüpft ist. Im Hinblick auf die deskriptive Strategie 1 zeigt sich zunächst, dass sie in allen Phasen des Diskurses quer durch alle Disziplinen angewendet wird. Dasselbe gilt für die zurückweisenden, respektive befürwortenden Strategien 2a und 2b, wobei letztere verstärkt in der dritten Diskursphase von Dennett, Sterelny, Greif u. a. angewendet wird. Auch der Hinweis auf mögliche negative ethische, soziale, politische oder auch weiterführende Implikationen der Thesen Dawkins’ – näherhin Strategie 3 – findet sich in allen Diskursphasen. Betrachtet man die Strategien 4 und 5, die auf die Relativierung von Dawkins’ Thesen durch den Wechsel auf eine metatheoretische Ebene oder durch historische Kontextualisierung zielen, fällt auf, dass diese vor allem in der zweiten und dritten Diskursphase Anwendung finden. Da diese Strategien zugleich hauptsächlich im Bereich der Theologie eingesetzt werden, u. a. von Haught, Ward oder Hoff, kann dies ein Indiz dafür sein, dass sich mit dem verstärkten Eintritt der Theologie in den Diskurs im Hinblick auf das verwendete Strategiespektrum etwas ändert. Die Strategie 6, die darin besteht, Dawkins’ Thesen im Kontext methodologischer Überlegungen zu relativieren oder zu kritisieren, läuft zwar durch alle Diskursphasen durch, ist aber überwiegend in der Philosophie verortet. Nur vereinzelt wenden auch Biologen (z. B. Mayr) Strategie 6 an. Die auf die beschreibende und zugleich wertende Aufstellung von Alternativen zu Dawkins’ Thesen zielende Strategie 7 ist in allen Disziplinen am stärksten in der dritten Diskursphase vertreten, in schwächerem Ausmaß wird sie auch in der ersten und zweiten Diskursphase angewendet. Die Strategien 8 und 9 ließen sich auf Basis der behandelten Quellen nur im Bereich der Philosophie nachweisen, wobei deren Anwendung sich auf die dritte Diskursphase konzentriert. Strategie 10 schließlich ist ebenfalls überwiegend in der dritten Diskursphase verortet, findet sich aber sowohl in der Philosophie als auch in den Naturwissenschaften.

3. Zeitspezifische Aspekte des Umgangs der Wissenschaften mit Dawkins Es zeigt sich, dass im Verlauf der drei Phasen des Dawkins-Diskurses sich die inhaltliche Fülle der Argumente für oder gegen Dawkins’ Thesen immer stärker ausweitet und sich immer mehr Forscher am Diskurs beteiligen. Betrachtet man die Überlegungen zur zeitlichen Verteilung der Diskursstrategien, wird deutlich, dass die Strategien 4 und 5 ab Mitte der 1990er Jahre vor

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allem von Theologen verwendet werden. Dabei intensiviert sich der Gebrauch dieser Strategien noch in der dritten Diskursphase. In die dritte Phase fällt auch der Großteil an symbolisch negativ aufgeladenen Einschätzungen der Weltsicht Dawkins’. Strategie 6 tritt bis auf kleinere Ausnahmen nur in der Philosophie auf, wird aber gleichzeitig in allen Diskursphasen angewendet. Sie ist also wie auch die Strategien 4 und 5 stark disziplingebunden. Daneben gibt es Strategien, die verstärkt in der dritten Diskursphase angewandt werden, ohne zwangsläufig auf eine Disziplin beschränkt zu sein. Es handelt sich hierbei vor allem um Strategien, die auf die Affirmation, Befürwortung oder Verteidigung von Dawkins’ Thesen zielen. Dass solche Strategien ausschließlich im Bereich Philosophie und Naturwissenschaften angewendet werden und hier vor allem in der dritten Diskursphase, könnte als Reaktion auf die vermehrten Dawkins-kritischen Stimmen aus der Theologie gedeutet werden. Allerdings ist zu beachten, dass der Anteil der Wissenschaftler, die sich positiv, unterstützend oder affirmativ über Dawkins äußern, auch in Philosophie und Naturwissenschaften die Minderheit der behandelten Forscher ausmacht. Die verstärkte Anwendung von Strategie 7 durch Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften in der dritten Diskursphase könnte darüber hinaus als Reaktion auf die starke öffentliche Wirkung der religionskritischen Bücher Dawkins’ gedeutet werden, da es hier um die Formulierung von öffentlichkeitswirksamen Alternativen zu Dawkins’ Sichtweise gerade in den Punkten Religionskritik, Weltsicht und Gottesbild geht. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass die Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Betrachtungen zu Dawkins Naturwissenschaftler vor allem in der dritten Diskursphase dazu anregt, über das Weltsichtthema nachzudenken, das im Vergleich zu Theologie und Philosophie in den Naturwissenschaften weniger stark bespielt wird. Dies zeigt sich m. E. exemplarisch auch an dem Buch Naturwissenschaft trifft Religion, Gegner, Fremde, Partner? des Physikers Barbour.45

4. Die Verortung des Dawkins-Diskurses im deutsch- und englischsprachigen Raum Nachdem der Einfluss des Faktors Zeit auf den Dawkins-Diskurs herausgearbeitet wurde, soll nun im Folgenden beschrieben werden, inwieweit der Faktor Raum bei der Auseinandersetzung mit Dawkins eine Rolle spielt.46 Blickt man zunächst auf den englischsprachigen Raum, zeigt sich, dass die Rezeption von Dawkins’ Thesen und Begriffen fast unmittelbar nach dem 45 Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 27 – 28. 46 Auch bei der Frage nach der räumlichen Verortung des Dawkins-Diskurses wurden nicht alle Diskursteilnehmer in die Darstellung miteinbezogen, sondern es wurde eine begründete Auswahl getroffen, um Redundanzen zu vermeiden.

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Analyse des Dawkins-Diskurses

Erscheinen von The Selfish Gene im Jahr 1976 einsetzte. So tragen z. B. einige Artikel, die am Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre in der Zeitschrift Nature erschienen, Dawkins’sche Schlüsselbegriffe wie Selfish Genes oder Selfish DNA bereits im Titel.47 Dabei ging es den Verfassern zumeist um eine kritische Würdigung der von Dawkins entwickelten Gedankengänge, die für die Biologie fruchtbar gemacht werden sollten. Vereinzelt kam es auch in der Philosophie zu einer befürwortenden Rezeption der Dawkins’schen Ideen.48 Nichtsdestoweniger mehrten sich innerhalb der Biologie und Philosophie bald kritische Stimmen, die Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen auf mehreren Ebenen in Frage stellten. Was die konkreten Inhalte betrifft, wurden zunächst Argumente entwickelt, die Dawkins’ metaphorische Sprache und die philosophischen Implikationen seines Fatalismus49, seinen biologischen Determinismus50 und genetischen Atomismus51, seine Überbetonung des adaptionistischen Prinzips in der Evolution52, sein Gen-53 und Mem-Konzept54 sowie seine ausschließlich genselektionistische Behandlung der Frage nach Einheit und Ebene der Selektion55 in Frage stellten. Dazu kamen metatheoretische Überlegungen auf Basis der Theorie vom egoistischen Gen, die auf eine Ausdifferenzierung der Dawkins’schen Grundbegriffe Replikator und Vehikel zielten.56 Im Kontext der kritischen Dawkins-Rezeption kam es schließlich auch zu der Entwicklung von Alternativtheorien zu Dawkins’ genselektionistischer Perspektive.57 In der zweiten Diskursphase wurden ab der Mitte der 1990er Jahre von den Diskurs-Akteuren im englischsprachigen Raum dieselben oder ähnliche Kritikpunkte gegen Dawkins geäußert, die ggf. um einzelne Aspekte ergänzt wurden. So behielt z. B. Sober seine Argumente gegen Dawkins bei, betonte aber zusammen mit David Sloan Wilson verstärkt die Rolle der Gruppense47 Vgl. z. B. Orgel/ Crick, Selfish DNA, 604 – 607. Siehe auch Doolittle/Sapienza, Selfish Genes, 601 – 603. 48 Vgl. z.B Dennett, Elbow Room, 45. 49 Vgl. z. B. Midgley, Gene-Juggling, 439 – 458. 50 Vgl. z. B. Lewontin/Rose/Kamin, Not in Our Genes, 8. 51 Vgl. Gould, The Panda’s Thumb, 91 – 92. 52 Vgl. Gould/Lewontin, The Spandrels of San Marco, 581 – 598. 53 Vgl. z. B. Daly, Contentious Genes, 77 – 81. Siehe auch Midgley, Gene-Juggling, 439 – 458, sowie Midgley, Selfish Genes, 365 – 377. Midgleys Aufsätze provozierten eine Gegenreaktion von Dawkins: Vgl. Dawkins In Defence of Selfish Genes, 556 – 573. 54 Vgl. z. B. Midgley, The Myths We Live By, 57; 68. 55 Vgl. Sober, The Nature of Natural Selection. So sieht Sober bei Dawkins z. B. im Hinblick auf die Frage nach der Einheit der Replikation zwei unterschiedliche Vorstellungen durchscheinen: „The idea that a replicator must be relatively permanent leads us to view smaller genetic units rather than larger ones as the units of replication. The idea of phenotypic power, on the other hand, is manifestly a causal requirement.“ Ebd. 254. Dass Dawkins das Verhältnis dieser beiden gegensätzlichen Kriterien (Langlebigkeit und kausale Vernetzung) nicht klärt, ist nach Sober problematisch. 56 Vgl. Hull, Individuality and Selection, 311 – 332. 57 Vgl. z. B. Oyama, The Ontogeny of Information, 128.

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lektion als potentiellen Falsifikator der genselektionistischen Perspektive Dawkins’.58 Rose wiederum bot mit seiner Einschätzung von Dawkins’ Weltsicht als Ultradarwinismus und ontologischen Reduktionismus einen für den Diskurs eher neuen Aspekt.59 Daneben äußerten sich in der zweiten Diskursphase einige englischsprachige Autoren erstmals zu Dawkins’ Thesen, es treten also neue Diskurs-Akteure auf. Dabei griffen sie einerseits die schon bekannten Argumente auf, führten aber auch neue Argumente in den Diskurs ein. So kommt es aufgrund der vereinzelten Rezeption der Dawkinsschen Thesen durch englischsprachige Theologen zu einer inhaltlichen Ausweitung der für den Diskurs relevanten Gesichtspunkte. Neben der Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als ontologischem Naturalismus60, extremem Darwinismus61 oder Fatalismus62 wird von den englischsprachigen Theologen vor allem Dawkins’ Gottesbild entschieden zurückgewiesen63. Darüber hinaus finden sich im Diskurs nun auch metatheoretische Überlegungen, z. B. hinsichtlich des gegensätzlichen Charakters von Theismus und Materialismus. Diese Überlegungen dienen theologischerseits dazu, Dawkins’ materialistische Weltsicht zu relativieren.64 Im Vergleich zur ersten Diskursphase meldeten sich darüber hinaus mehr Wissenschaftler zu Wort, die Dawkins verteidigten. So wurde philosophischerseits die Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als ontologischer Reduktionismus65 zurückgewiesen oder Dawkins’ Genselektionismus mit gewissen Einschränkungen befürwortet66. In der dritten Diskursphase, die mit der Veröffentlichung der polemischreligionskritischen Bücher Dawkins’ einsetzt und bis heute andauert, zeichnet sich vor allem in der englischsprachigen Theologie ein starker Rezeptionsanstieg von Dawkins’ Thesen ab. Dies führt zu einer erneuten inhaltlichen Ausweitung der Vorwürfe und Kritikpunkte an Dawkins. So ergänzt z. B. Ward seine bereits geäußerten Kritikpunkte an Dawkins’ Weltsicht und Gottesbild um eine dezidierte Zurückweisung der vier großen religionskritischen Thesen Dawkins’.67 Auch in der Philosophie werden teils bekannte Argumente gegen oder für Dawkins weitergeführt, teils werden neue Argumente in den Diskurs eingeführt. Während z. B. die philosophischen Kritiken an Dawkins’ Gen-

58 Vgl. Wilson/Sober, Reintroducing Group Selection to the Human Behavioural Sciences, 585 – 654. 59 Vgl. z. B. Rose, Darwins gefährliche Erben, 233. Siehe hierzu auch Eldredge, Ein Kampf der Worte, 168 – 69. 60 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 11 – 14. 61 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 178. 62 Vgl. Peters, Playing God?, 6 – 7. 63 Vgl. z. B. Ward, God, Chance and Necessity, 85 sowie 93, 109 und 112. 64 Vgl. z. B. Ward, God, Chance and Necessity, 100. 65 Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 82. 66 Vgl. Sterelny/Kitcher, The Return of the Gene, 358 – 59. 67 Vgl. z. B. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich, 26 sowie 43 – 48, 66, 102, 141, 156 oder 205 – 215.

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konzept inhaltlich eng mit den vorangehenden Phasen verknüpft sind68, ist Duprs Verteidigung von Dawkins’ Sicht des Verhältnisses von Religion und Naturwissenschaft im Gesamtdiskurs eine Ausnahme69. Originell ist auch Grays Aussage, Dawkins’ Humanismus und Atheismus gründe letztendlich in christlichen Ideen.70 Im Bereich der Naturwissenschaften werden die bekannten Alternativen zu Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen weiter verteidigt und um neue Ansätze ergänzt71, so dass sowohl von einem Fortführen der bereits bekannten Argumente als auch von dem Aufgreifen neuer Argumente gesprochen werden kann. Neben Publikationen, die auf die inhaltliche Zurückweisung Dawkins’ zielen, gibt es in der dritten Diskursphase im englischsprachigen Bereich naturwissenschaftliche Publikationen, die versuchen, den Einfluss Dawkins’ und die Bedeutung seines Werkes innerhalb der scientific community und der Öffentlichkeit darzustellen.72 Im Vergleich zum englischsprachigen Raum wurden Dawkins’ Thesen im deutschen Sprachraum zeitverzögert aufgegriffen und diskutiert. Dies hat zur Folge, dass von einer nennenswerten Rezeption der Dawkinsschen Thesen im deutschsprachigen Raum erst ab der zweiten Diskursphase gesprochen werden kann. Nichtsdestoweniger meldeten sich in der zweiten Hälfte der ersten Diskursphase bereits einzelne Wissenschaftler zu Dawkins’ Thesen zu Wort. Hierzu zählten beispielsweise der Theologe Knapp, der Dawkins’ Menschenbild ablehnt73, sowie der Naturwissenschaftler Hemminger, der, wie auch schon Ward, Dawkins ein materialistisch-naturalistisches Weltbild attestiert, seine Thesen aber auch dezidiert mit der Ideologie des Nationalsozialismus in Verbindung brachte.74 Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass die deutschsprachigen Wissenschaftler teils im Diskurs schon geäußerte Charakterisierungen aufgriffen, teils aber auch neue Akzente setzten. Teilweise beziehen sich deutschsprachige Forscher explizit oder implizit auf ihre englischsprachigen Kollegen. So lehnt z. B. Mayr auf methodologischer Ebene Dawkins’ Vorstellung, das Gen sei die entscheidende Selektionsebene, ab und zwar mit Bezug zu Goulds Argument der fehlenden Sichtbarkeit der Gene für die natürliche Selektion.75 Wuketits wiederum ist ein Beispiel dafür, dass die Thesen Dawkins’ in der zweiten Diskursphase von deutschen Biologen auch affirmativ rezipiert wurden.76 Wie im englischen Sprachraum steigert sich die Intensität der theologi68 Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 24 – 25. Siehe auch Moss, What Genes Can’t Do, 194 und weitere Kritiker. 69 Vgl. Dupr, Darwin’s Legacy, 55 – 62. 70 Vgl. Gray, Politik der Apokalypse, 290 – 92. 71 Vgl. Shapiro, A 21st Century View of Evolution, 91 – 100. 72 Vgl. Grafen/Ridley, Richard Dawkins. 73 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 176 – 178. 74 Vgl. Hemminger, Soziobiologie des Menschen, 76. 75 Vgl. Mayr, The Objects of Selection, 2092. 76 Vgl. Wuketits, Was ist Soziobiologie?, 73.

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schen Rezeption von Dawkins’ Thesen in der dritten Diskursphase auch im deutschen Sprachraum deutlich. Neben schon bekannten Charakterisierungen der Weltsicht Dawkins’ als genetischer Determinismus77 oder Materialismus78 finden sich in der dritten Diskursphase im theologischen Bereich neue Akzentuierungen – so die Bezeichnung von Dawkins’ Weltsicht als biologistisch79 oder latent antisemitisch80. Die Aufforderung des Theologen Schwienhorst-Schönberger, an der religiösen Grundstruktur des „Atheisten“ Dawkins anzuknüpfen, ist im Diskurs als originell einzustufen.81 Auch im Bereich der Philosophie finden sich in der dritten Diskursphase im deutschsprachigen Raum sowohl bekannte als auch neue Argumente. Bereits aus der zweiten Diskursphase bekannt sind z. B. die Einstufungen von Dawkins’ Weltsicht als naturalistisch82 oder der Vorwurf, Dawkins zeichne sich durch eine unreflektierte Wissenschaftsgläubigkeit aus83. Demgegenüber bietet Strasser einen neuen Akzent, wenn er die Wahrscheinlichkeitswerte, mit denen Dawkins operiert, dezidiert zurückweist.84 Inhaltlich wird der Diskurs im philosophischen Kontext in der dritten Diskursphase vor allem durch Greif bereichert, der 2005 Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen als eine Theorie der nichtmenschlichen Handlungsfähigkeit interpretierte und Dawkins gegen verschiedene Missverständnisse verteidigte.85 Im Bereich der Naturwissenschaften äußern sich im deutschsprachigen Raum die Diskurs-Akteure in der dritten Diskursphase verstärkt über Dawkins’ Weltsicht. Dies stellt im Vergleich zur zweiten Phase eine Veränderung dar.86 Gleichzeitig scheint die Beschäftigung mit Dawkins’ Weltsicht naturwissenschaftlicherseits vor allem dann aufzutreten, wenn Naturwissenschaftler an interdisziplinären Forschungsprojekten interessiert sind oder in interdisziplinären Sammelbänden veröffentlichen.87

77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Vgl. Heinrich, Gesellschaft am langen Band der Gene, 67. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 15 – 16, 24. Vgl. Striet, Sorgen mit dem lieben Gott, 104. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 17 – 18. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ein atheistisches Buch?, 226 – 231. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 20 – 25. Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, 58 – 63. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 31 – 32. Vgl. z. B. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 90 – 91. So bezeichnet z. B. Hemminger Dawkins’ Weltsicht als materialistisch. Vgl. Hemminger, Und Gott schuf Darwins Welt, 184. Ein Beispiel hierfür ist der Sammelband, in dem Kattmann, Pietschmann und Schaller ihre Beiträge veröffentlichen. Vgl. Langthaler/Appel, Dawkins’ Gotteswahn.

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5. Die Verortung der Diskursstrategien im deutsch- und englischsprachigen Raum Im Hinblick auf die verwendeten Diskursstrategien lassen sich zwischen beiden Räumen nur geringe Unterschiede feststellen. Die deskriptive Strategie 1 wird durch alle Diskursphasen hindurch sowohl im englisch- als auch im deutschsprachigen Raum angewendet. Dasselbe gilt für die bewertende Strategie 2a, wohingegen die Anwendung der befürwortenden Strategie 2 b sich etwas häufiger im englischsprachigen Raum findet (Dennett, Dupr, Kitcher, Sterelny vs. Greif, Wuketits). Auch der Hinweis auf mögliche negative ethische, soziale, politische oder auch weiterführende Implikationen der Thesen Dawkins’ findet sich eher im englisch- als im deutschsprachigen Raum. So wenden vor allem Midgley, Peters oder Rose diese Strategie an. Die Strategien 4 und 5, die auf die Relativierung von Dawkins’ Thesen durch den Wechsel auf eine metatheoretische Ebene oder durch die historische Kontextualisierung zielen, finden sich z. B. bei den englischsprachigen Wissenschaftlern Haught und Ward oder bei den deutschsprachigen Wissenschaftlern Lohfink und Hoff. Dawkins’ Thesen im Kontext methodologischer Überlegungen zu relativieren oder zu kritisieren, ist ebenfalls eine Strategie, die sich in beiden Sprachräumen findet. So wenden z. B. Mayr oder Hull diese Strategie 6 an. Strategie 7, die auf die beschreibende und zugleich wertende Aufstellung von Alternativen zu Dawkins’ Thesen zielt, wird ebenfalls von englischsprachigen und deutschsprachigen Wissenschaftlern (z. B. Haught, Ward vs. Hoff, Strasser) angewendet. Die Strategie 8 ließ sich auf Basis der behandelten Quellen nur im deutschsprachigen Raum (z. B. Greif oder Schark) nachweisen. Dagegen wird Strategie 9 sowohl im englisch- als auch im deutschsprachigen Raum angewendet, so z. B. von Greif oder Cronin. Dasselbe gilt für die auf eine explizite Verteidigung von Dawkins’ Thesen zielende Strategie 10 (z. B. Dennett, Sterelny, Ridley vs. Greif).

6. Raumspezifische Aspekte des Umgangs der Wissenschaften mit Dawkins Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen im Hinblick auf den theologischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Umgang mit Dawkins können nach Abschluss der Analyse folgende Ergebnisse festgehalten werden: Bezogen auf die räumliche Verortung des Dawkins-Diskurses wurde deutlich, dass sich die inhaltlichen Schwerpunkte und angewendeten Diskursstrategien im englischsprachigen und deutschsprachigen Raum kaum unterscheiden. Eine Ausnahme stellt hierbei der Bereich von Dawkins’ Gottesbild dar. So wird die Frage nach möglichen Alternativen zu Dawkins’ Gottesbild im englisch- und deutschsprachigen Raum unterschiedlich beantwortet. Die nähere Analyse zeigt aber, dass die Unterschiede nicht auf die Verortung von Wis-

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senschaftlern in unterschiedlichen Sprachräumen und Wissenschaftskulturen zurückzuführen sind, sondern eher auf die je individuellen Schwerpunkte und Hintergründe der jeweiligen Wissenschaftler. So ist es z. B. nicht der Fall, dass im deutschsprachigen Raum ein personales Gottesbild als homogene Antwort auf Dawkins’ „falsches“ Gottesbild entwickelt wird und im englischsprachigen Raum ein apersonales Gottesbild, sondern es werden in beiden Sprachräumen sowohl personale als auch apersonale Gottesbilder als Antwort entwickelt. Zugleich herrschen zwischen englisch- und deutschsprachigem Diskursraum bis auf kleinere Ausnahmen große Übereinstimmungen im Hinblick auf die verwendeten Diskursstrategien. Somit erweist sich deren Anwendung als nicht primär davon abhängig, aus welchem Sprachraum der sich mit Dawkins’ Thesen befassende Wissenschaftler stammt. Zusammenfassung des zweiten Hauptteils Die Diskurs-Analyse zeigt, dass von einem spezifisch theologischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Umgang mit den Thesen Richard Dawkins’ gesprochen werden kann. Der Umgang mit Dawkins wird dabei durch die Verwendung von unterschiedlichen Argumenten, Schwerpunkten und Diskursstrategien bestimmt. Die Theologen sind in erster Linie an einer argumentativen Zurückweisung der Religionskritik Dawkins’, seines Gottesbildes und seiner Weltsicht interessiert. Im Bereich der Religionskritik ist für die Theologie das Aufbieten der meisten zurückweisenden Argumente charakteristisch. Im Bereich der Weltsicht werden von den Theologen am häufigsten negativ aufgeladene Einschätzungen (z. B. Dawkins’ Weltsicht ist biologistisch) transportiert, und im Bereich des Gottesbildes ist für die Theologie die Entwicklung von alternativen Gottesbildern prägend. Auffällig ist, dass die Antworten auf Dawkins’ Religionskritik, die von Theologen aller Fächergruppen zumeist als oberflächlich und wenig gehaltvoll eingestuft wird, recht ähnlich sind, wohingegen die Antworten auf Dawkins’ Behandlung des Gottesthemas sehr disparat ausfallen. Damit scheint die Herausforderung, die Dawkins’ für die Theologie darstellt, eher im Bereich seiner Evolutionstheorie und seiner daraus abgeleiteten Kritik der christlichen Schöpfungslehre und des christlichen Gottesbildes zu liegen als in seiner Religionskritik. Eine weitere Eigenart der Theologen ist es, Dawkins’ Wissenschaftsverständnis vor allem mit dem Hinweis auf eine Pluralität der Realitätserfahrung, von Wahrheitsfindung, von Beweisarten sowie von Erkenntnissen und Erklärungen zurückzuweisen. Ähnliche Gedanken finden sich nur in deutlich geringerem Ausmaß auch in der Philosophie. Hinsichtlich der Theorie vom egoistischen Gen bemühen sich die Theologen kaum um eine Zurückweisung von Dawkins’ Argumenten auf naturwissenschaftlicher Ebene. Vielmehr setzten sie gegen Dawkins die (theologische) Auffassung, dass eine rein naturwissenschaftliche Erklärung des Evolutionsprozesses unmöglich ist. Dass Dawkins’ Mem-Konzept nicht im

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Analyse des Dawkins-Diskurses

primären Fokus der Theologen liegt, ist damit zu erklären, dass dessen wissenschaftlicher Wert von den meisten Diskurs-Akteuren als sehr gering eingeschätzt wird. Was die gegen Dawkins gerichteten alternativen Moralbegründungen betrifft, so gehen Theologen tendenziell eher von einer notwendigen religiösen Fundierung der Moral aus als die Philosophen. Oftmals wird die theologische Auseinandersetzung mit Dawkins’ Thesen auch durch ein apologetisches Motiv bestimmt. Charakteristisch für das Verhalten von Theologen im Diskurs ist zudem die Anwendung der Strategien 4 und 5, die auf eine Relativierung der Thesen Dawkins’ zielen. Die Philosophen sind hinsichtlich der Weltsicht Dawkins’ stärker als die Theologen in Richtung der Naturwissenschaften offen. Diese Offenheit in Richtung Naturwissenschaften ist für das Diskurs-Verhalten der Philosophie insgesamt prägend, wobei sich auch eine große Offenheit in Richtung Theologie findet. Damit nehmen die Philosophen im Diskurs eine Scharnierfunktion ein. Die philosophische Argumentation ähnelt der theologischen im Hinblick auf Dawkins’ Wissenschaftsverständnis (einzige Ausnahme: Dupr) Während die Philosophen sich weniger intensiv mit dem Thema der Dawkinsschen Religionskritik befassen, aber dennoch weiterführende Implikationen dieser Kritik bedenken, ähneln ihre Argumente denen der Theologen, wenn es um Dawkins’ Gottesbild geht. Was Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen betrifft, so ist der philosophische Umgang stärker reflexiv ausgerichtet als der theologische oder naturwissenschaftliche. Dies zeigt sich z. B. an philosophischen Systematisierungen von naturwissenschaftlichen Fragen wie der nach der Ebene oder Einheit der Selektion. Mit den Naturwissenschaften verbindet die Philosophie die starke Verwendung solcher Strategien, die auf die Affirmation, Befürwortung oder Verteidigung von Dawkins’ Thesen zielen. Mit der Theologie verbindet die Philosophie eine starke Kritik an Dawkins’ Evolutionsverständnis. Allerdings findet sich deutlich weniger die Tendenz, die „Lücken“ oder „Fehler“ in Dawkins’ Erklärungen mit theologischen Überlegungen zu füllen. Die Naturwissenschaftler nehmen in erster Linie Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen zum Anlass, sich auf einer direkten inhaltlichen Ebene mit seinen Thesen zu befassen. Die Reflexion des Einflusses und der Implikationen seiner Thesen ist im Vergleich zur Philosophie schwächer ausgeprägt. Zu dieser Erkenntnis passt, dass z. B. Dawkins’ Moralverständnis von keinem der analysierten Naturwissenschaftler behandelt wird. Dass auch theologische Überlegungen für die am Diskurs beteiligten Naturwissenschaftler eine Rolle spielen können, zeigt sich z. B. an Aussagen, die auf die grundsätzliche Vereinbarkeit der Evolution mit der Existenz Gottes abzielen. Was Dawkins’ Religionskritik betrifft – d. h. ein Kerngebiet der Theologie – bieten die wenigen naturwissenschaftlichen Forscher, die sich mit ihr auseinandersetzten, keine originär aus der Naturwissenschaft abgeleiteteten Argumente. Sie übernehmen vielmehr die theologischen Bewertungen der Dawkins’schen Religionskritik. Dass keiner der beteiligten Naturwissenschaftler ein alternatives Gottesbild zu Dawkins entwi-

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Zeitliche und räumliche Aspekte

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ckelt, ist damit zu erklären, dass sich die naturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Dawkins hauptsächlich auf den innerwissenschaftlichen Bereich konzentriert und den weltanschaulichen Bereich eher ausblendet. Argumentativ wirksam wird der weltanschauliche Bereich vor allem dann, wenn sich die Naturwissenschaftler mit Dawkins’ Weltsicht befassen. Die nachfolgenden Analysen des zeitlichen Verlaufs und der räumlichen Verortung des Dawkins-Diskurses machen deutlich, dass die Verwendung der Argumente und Diskursstrategien am stärksten von der betreffenden Disziplin eines Wissenschaftlers beeinflusst ist. Sie ermöglichten nichtsdestoweniger weiterführende Aussagen über den Dawkins-Diskurs. Dazu gehört die Erkenntnis, dass sich der Diskurs in drei Phasen unterteilen lässt. In der ersten Diskursphase (1976 – Mitte der 1990er Jahre) ist Dawkins’ Schreibfokus auf die Entwicklung, Bündelung und Vermittlung einer neuen Sicht der Evolution – der Perspektive der egoistischen Gene – gerichtet. Dementsprechend ist auch die philosophische und naturwissenschaftliche Rezeption der ersten Phase vor allem durch Dawkins’ Idee des egoistischen Gens und sein Evolutionsverständnis geprägt. Dawkins’ Religionskritik wird erst mit Beginn der zweiten Diskursphase (Mitte der 1990er Jahre – 2003) stärker thematisiert. Dawkins’ Schreibfokus weitet sich in dieser Phase deutlich aus. Die Theologie tritt als Gesprächspartner verstärkt in den Diskurs ein, wobei für ihre Auseinandersetzung mit Dawkins die Strategien 4 und 5 typisch sind. Dies kann – zusätzlich zu oben angeführten Charakteristika – als Indiz dafür gewertet werden, dass der Umgang mit Dawkins vor allem disziplinspezifisch ist. Die zunehmende Anwendung der Strategie 7 durch Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften in der dritten Diskursphase könnte eine Reaktion auf die breite öffentliche Wirkung der religionskritischen Bücher Dawkins’ darstellen. Insgesamt intensiviert sich die Auseinandersetzung um Dawkins’ Thesen in der dritten Diskursphase (2003 – 2011). In diesen Zeitraum fallen sehr öffentlichkeitswirksame Bücher Dawkins’ (Der Gotteswahn, A Devil’s Chaplain), die von einer zunehmenden Radikalisierung seiner Thesen zeugen. Theologen und Philosophen reagieren darauf mit symbolisch aufgeladenen Einschätzungen wie z. B. die Vorstellung, Dawkins’ Atheismus sei fundamentalistisch. Philosophischerseits geht damit der Versuch einher, Dawkins’ Werk gegen Missverständnisse zu verteidigen. In den Naturwissenschaften setzt in der dritten Diskursphase zunehmend ein Prozess der Reflexion über die Bedeutung und Auswirkungen der Thesen Dawkins’ ein. Es zeigt sich, dass sich im Verlauf der drei Phasen des Dawkins-Diskurses die inhaltliche Fülle der Argumente für oder gegen Dawkins’ Thesen immer stärker ausweitet und sich immer mehr Forscher am Diskurs beteiligen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass im Vergleich zum englischsprachigen Raum Dawkins’ Thesen im deutschen Sprachraum zeitverzögert aufgegriffen und diskutiert wurden. Nichtsdestoweniger unterscheiden sich in beiden Gebieten die inhaltlichen Schwerpunkte und angewendeten Diskursstrategien kaum. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass der Umgang mit Dawkins vor allem disziplinspezifisch ist.

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III. Hauptteil Bewertung des Dawkins-Diskurses

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Bewertung des Dawkins-Diskurses

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Nach dem Abschluss der Analyse des Diskurses soll nun zunächst vorgestellt werden, wie ausgewählte Argumente Dawkins’ und der Diskursakteure beurteilt werden können. Wo es sich anbietet soll zudem nach dem Stellenwert der im Diskurs angewendeten Strategien gefragt werden. Nach dieser kritischen Würdigung der Argumente und Diskursstrategien sollen vier weiterführende Implikationen des Dawkins-Diskurses näher erläutert werden.

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Bewertung des Dawkins-Diskurses

1. Kapitel: Zur Bewertung ausgewählter Argumente und Diskursstrategien Der Diskurs ist einerseits durch einen unangemessenen, andererseits durch einen angemessenen Umgang mit Argumenten, Charakterisierungen und Diskursstrategien geprägt. Dabei zeigt sich ganz grundsätzlich, dass unangemessene Argumente Dawkins’ vor allem in den Kerngebieten der theologischen bzw. philosophischen Diskurs-Akteure auftreten, wohingegen Dawkins in seinem eigenen Kerngebiet angemessen argumentiert. Ebenso wenden auch die theologischen und philosophischen Diskurs-Akteure unangemessene Argumente vor allem in Dawkins’ Kerngebiet an, während sie in ihren eigenen Kerngebieten überzeugend argumentieren. Während Dawkins also beispielsweise überzeugend darlegt, dass alle Lebewesen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, aber religionskritisch zu undifferenziert argumentiert, machen die Diskurs-Akteure zwar überzeugend die unterschiedlichen philosophischen Vorannahmen deutlich, die Dawkins’ Weltsicht prägen, gehen aber auch davon aus, dass Dawkins Gene ausschließlich als egoistisch definiert. Was die Diskursstrategien betrifft, so zeichnet sich ab, dass einige Strategien funktionalisiert werden, um den Diskurs zu emotionalisieren oder Gegner zu diskreditieren. Dies kann den Blick auf die ernstzunehmenden Argumente Dawkins’ und der Diskurs-Akteure verstellen.

1. Ausgewählte unangemessene Argumente und Diskursstrategien bei Dawkins Vor allem mangelnde Kenntnisse, fehlende Auseinandersetzungsbereitschaft oder oberflächliche Rezeption führen Dawkins zu unangemessenen Aussagen. Dies gilt im Besonderen für seine Religionskritik, aus deren Bereich die ausgewählten Beispiele für unangemessene Argumente und Diskursstrategien stammen. Natürlich argumentiert Dawkins auch in anderen theologischen Kernbereichen unangemessen, was sich auf methodischer Ebene an einer mangelnden Reflexion seiner philosophischen Vorannahmen zeigt und auf thematischer Ebene an Dawkins’ Gottesbegriff, seinem Umgang mit der Gotteshypothese, seinem Wissenschaftsverständnis oder seiner Erklärung der menschlichen Moral. Jedoch sollen Dawkins’ Ausführungen zu diesen Themen erst im Rahmen der Frage nach den weiterführenden Implikationen des Dawkins-Diskurses ausführlich behandelt werden.

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Zur Bewertung ausgewählter Argumente

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1.1 Ist Religion naturalistisch als Nebenprodukt der Evolution erklärbar? Nach Dawkins gibt es zwar unterschiedliche Erklärungen für das Phänomen der Religion, aber nur darwinistische Erklärungen können LetztgültigkeitsCharakter für sich beanspruchen.1 Die angemessene darwinistische Erklärung ist nach Dawkins die Erklärung der Religion als evolutionäres Nebenprodukt.2 So könnte es sich mit Religion wie mit dem Lichtkompass der Motte verhalten, der für die Orientierung einerseits hilfreich ist, andererseits Motten dazu veranlasst, in Kerzenflammen zu fliegen.3 Religiöses Verhalten ist für Dawkins somit eine Fehlfunktion oder ein Nebenprodukt einer grundlegenden psychologischen Neigung des Menschen, die unter anderen Umständen nützlich war oder in anderen Kontexten nützlich sein kann. Die grundlegende psychologische Neigung, die nebenbei auch das Entstehen von religiösem Verhalten bedingte, könnte nach Dawkins z. B. das ausgeprägte Vertrauen sein, das Kinder gegenüber älteren Menschen haben.4 Dawkins betont, dass die von ihm vertretene Grundthese, wonach Religion ein Nebenprodukt ist, in ihren Einzelheiten vielgestaltig, kompliziert und diskussionsbedürftig ist.5 Er bleibt aber dabei, dass es möglich ist, eine natürliche Erklärung dafür zu finden, warum Menschen religiös sind. Dass Dawkins’ Religionserklärung möglich, aber nicht die einzig mögliche ist, wird auch im Diskurs immer wieder betont. Dawkins scheint auch gar nicht die Absicht zu haben, seine Erklärung der Religion als einzig mögliche durchzusetzen – immerhin nimmt er verschiedene Varianten der Nebenprodukttheorien in den Blick – wie z. B. die Ansätze von Paul Bloom, John Smythies oder Robert Trivers.6 Was Dawkins aber ausschließt bzw. ausblendet, ist die Möglichkeit einer nicht-naturalistischen Religionserklärung. Während es nun sehr wohl möglich ist, Religion auch als Nebenprodukt der Evolution zu erklären, ist im Diskurs m. E. zu Recht umstritten, ob Dawkins eine vollständige natürliche bzw. naturalistische Erklärung der Religion gelingt. Dafür, dass es Dawkins nicht überzeugend gelingt, das Religionsphänomen vollständig naturalistisch zu erklären, sprechen folgende Gründe: Dawkins’ implizite Voraussetzungen lassen seinen Versuch, das Religionsphänomen naturalistisch zu erklären, zirkulär werden. So liefert er eine naturalistische Erklärung für die Existenz Gottes in unserem Inneren, die auf der Voraussetzung basiert, dass Gott außerhalb unseres Selbst nicht existiert. Die Voraussetzung der Nichtexistenz Gottes wird nicht argumentativ einge-

1 2 3 4 5 6

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 235. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 228. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 242. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 243. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 263. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 250 – 63.

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holt, sondern steht stillschweigend am Beginn des Versuches, das Religionsphänomen naturalistisch zu erklären.7 Kritisiert werden kann auch, dass Dawkins’ Theorien über die Herkunft von Religion nicht auf systematischen, empirischen Forschungen beruhen, sondern eher auf fragwürdigen Verallgemeinerungen über das Wesen „der“ Religion.8 Der Versuch, den Ursprung der Religion naturalistisch zu erklären, scheitert auch am Nichtvorhandensein einer vertretbaren Definition von Religion bei Dawkins.9 Schröder betont im Diskurs analog dazu, dass hinter dem Singular „die Religion“, in der Realität ein sehr unübersichtliches Feld von verschiedenen Religionsauffassungen steht.10 Dawkins’ Religionserklärung stützt sich zudem auf eine Religionsdefinition, die nicht kritisch zwischen „Religion“ und „Gottglauben“ unterscheidet. Somit blendet Dawkins die Frage aus, wie es zu der Entstehung von nichttheistischen Religionen kommen konnte. Darüber hinaus muss auch in Abrede gestellt werden, dass allein darwinistische Erklärungen „letztgültig“ sein können. Dawkins bestimmt als erstes Kriterium für letztgültige Erklärungen deren umfassenden Charakter. Zweitens sind letztgültige Erklärungen nach Dawkins zwangsläufig darwinistisch. Letztgültige Erklärungen haben nach Dawkins drittens mit dem Zweck zu tun, den ein Gegenstand, ein Lebewesen oder ein Phänomen erfüllen soll.11 Dass nicht allein darwinistische Erklärungen letztgültig sein können, liegt m. E. an der Zirkularität der Argumentation Dawkins’. So sind für ihn einerseits nur darwinistische Erklärungen letztgültig, andererseits stellt es ein Kriterium der Letztgültigkeit dar, dass eine Erklärung darwinistisch ist. Die anderen beiden Kriterien (umfassende Erklärung und Erklärung, die auf den Zweck abzielt), könnten genauso gut von einer theistischen Religionserklärung erfüllt werden. Letztendlich stellt sich auch die Frage, warum Dawkins sowohl Religion als auch Moral als evolutionäre Nebenprodukte oder Fehlfunktionen kennzeichnet, die eine Fehlfunktion aber abschaffen möchte und für schädlich hält, die andere jedoch durchweg positiv beurteilt. Dawkins scheint also hier mit zweierlei Maß zu messen.12 In einem Argumentationsgang „mit zweierlei Maß“ zu messen, kann vor diesem Hintergrund als erstes Beurteilungskriterium für die Frage nach der Unangemessenheit von Argumenten festgehalten werden. Als problematisch erweist sich ebenso die fehlende Reflexion von philosophischen Vorannahmen, die fehlende Definition von zentralen Begriffen sowie die Zirkularität des Argumentationsganges. Dawkins’ Strategie, Religion gegen Moral auszuspielen, ist damit fragwürdig. 7 8 9 10 11 12

Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 68 – 70. McGrath, Atheismuswahn, 74. Vgl. z. B. McGrath, Atheismuswahn, 72 – 73. Ähnlich: Haught, God and the New Atheism, 58 – 59. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 22. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 233 – 35. Vgl. zu diesem Gedankengang: S. Schröder , Zweierlei Maß?

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1.2 Ist Religion schädlich? Nach Dawkins gibt es zwar gewisse Anzeichen dafür, dass religiöser Glaube vor stressbedingten Krankheiten schützt, aber die Belege hierfür sind seiner Meinung nach nicht sehr stichhaltig.13 So habe z. B. Russell Stannards großes Gebetsexperiment gezeigt, dass zwischen den Patienten, für die gebetet wurde, und denen, für die nicht gebetet wurde, im Hinblick auf ihren Gesundungsprozess kein Unterschied festzustellen war. Wussten die Patienten, dass für sie gebetet wurde, litten sie sogar signifikant häufiger an Komplikationen als die unwissenden Patienten. Dies könnte nach Dawkins durch den zusätzlichen Stress erklärbar sein, den das Wissen um die Gebete ausgelöst habe.14 Im Diskurs kritisiert nun Schröder, dass Dawkins’ Umgang mit Statistiken grundsätzlich durch eine ausgeprägte Neigung zu Vermutungen bestimmt sei. Bei vielen von Dawkins’ Aussagen handle es sich um statistische Mutmaßungen über Häufigkeiten, die auch anders interpretiert werden können.15 Gegen Dawkins weist Ward darüber hinaus darauf hin, dass religiöse Überzeugungen positive Auswirkungen für das menschliche Wohlbefinden haben können und dass dies sogar in Studien belegt ist. Die vergleichende Analyse von über 200 Sozialstudien, die von Timothy B. Smith, Michael E. McCullough und Justin Poll durchgeführt wurde, deutet nach Ward darauf hin, dass eine hohe Religiosität (wenigstens zweimal wöchentlicher Kirchen- oder Synagogenbesuch) ein deutlich geringeres Risiko für Depressionen, Selbstmordversuche oder Drogenmissbrauch erwarten lasse. Religion habe also positive Effekte im persönlichen Leben der Gläubigen und zwar im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit, ihr Sozialverhalten und ihren Altruismus.16 Es zeigt sich, dass die Frage nach der Schädlichkeit von Religion im Diskurs vor allem an der Frage nach körperlicher und geistiger Gesundheit festgemacht wird. Diese Frage ist nun ein Gegenstand zahlreicher Forschungen, die auf eine deutlich breitere Basis an Studien und Untersuchungen zurückgreifen als Dawkins (Stannards Gebetsexperiment) und Ward (Meta-Studie von Smith, McCullough und Poll) dies tun. Nimmt man z. B. die Untersuchungen und Befunde in den Blick, die Constantin Klein und Cornelia Albani in ihrem Artikel Die Bedeutung von Religion für die psychische Befindlichkeit: Mögliche Erklärungsansätze und allgemeines Wirkmodell auswerten, ergibt sich im Hinblick auf die Frage nach dem Einfluss von Religiosität folgendes Bild: Religiosität stellt vor allem dann eine gesundheitliche Ressource dar, wenn Gläubige „hochreligiös“ sind oder an einen wohlwollenden und gütigen Gott glauben. Demgegenüber scheint es aber auch eine kleinere Gruppe von Gläubigen zu 13 14 15 16

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 231. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 89 – 92. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 20. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 192 – 197, siehe auch 221.

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geben, deren Gottesvorstellungen und religiöse Praxis eher zu vermehrter psychischer Belastung beitragen.17 Religion könne ebenso Trost, Kraft und Vertrauen spenden wie auch Ängste hervorrufen oder Druck erzeugen. „Religiosität kann, wie die Befundübersicht gezeigt hat, im Hinblick auf das gesundheitliche Befinden Vieles, auch sehr Unterschiedliches, bedeuten. Eines aber ist sie ganz sicher nicht: irrelevant.“18

Die Quantität und Qualität der für die Argumentation herangezogenen Studien, Untersuchungen oder Quellen erweist sich damit als weiteres Kriterium für die Beurteilung von Argumenten. Im vorliegenden Fall verweisen Dawkins und Ward zur Stützung ihrer Argumentation nur auf eine Studie, was die Aussagekraft ihrer Argumente erheblich einschränkt. Daneben muss immer auch kritisch gefragt werden, ob der Gegenstand des Argumentes – in diesem Fall die Frage nach der Schädlichkeit von Religion – im Argumentationsgang zu einseitig oder nicht umfassend genug behandelt wird. So kann man durchaus anzweifeln, dass die Frage nach der Schädlichkeit von Religion ausschließlich an der Beurteilung der körperlichen und geistigen Gesundheit von Gläubigen oder Ungläubigen festgemacht werden muss. 1.3 Ist Religion eine bedeutsame Kraft des Bösen? Zwar ist Religion nach Dawkins nicht aus sich selbst heraus die Motivation für Gewalt und Krieg, da sie aber der gefährlichste und hauptsächlichste Ort ist, an dem zwischen Fremd- und Eigengruppe unterschieden wird, sei sie eine bedeutsame Kraft des Bösen.19 So habe die stereotype Unterscheidung zwischen Fremd- und Eigengruppe zur Konsequenz, dass die menschliche Veranlagung, Fehden über Generationen hinweg auszutragen, und die Tendenz, Menschen mit Gruppen-Etiketten zu behängen, verstärkt werde.20 Religion ist vor diesem Hintergrund für Dawkins eine spaltende Kraft bzw. ein Etikett für Feindseligkeiten und Blutrache. Zudem werde auf Religion immer dann zurückgegriffen, wenn keine anderen Etiketten infrage kommen.21 Dawkins’ Stilisierung der Religion als bedeutsame Kraft des Bösen ist schon allein deswegen abzulehnen, weil Urteile über den Gefährlichkeitsgrad von „Religion“ problematisch sind, Solange das Phänomen nicht eindeutig definiert wurde.22 Zwar geht auch Dawkins nicht so weit, die von ihm nicht exakt bestimmte Religion als alleinige Gewaltquelle zu bezeichnen, alternative Quellen für Gewalt werden von ihm aber zugunsten der einseitigen Betonung 17 18 19 20 21 22

Vgl. Klein/ Albani, Die Bedeutung von Religion für die psychische Befindlichkeit. Klein/ Albani, Die Bedeutung von Religion für die psychische Befindlichkeit, 36. Dawkins, Time to Stand Up, 187. Dawkins, Time to Stand Up, 189. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 359 – 60. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 7 – 10.

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des Gewaltpotentials der Religion ausgeblendet.23 Mit Ward24, Schröder25, McGrath26 und Collins27 ist auf das Friedenspotential und die humanitären Leistungen der Religion hinzuweisen sowie auf die Tatsache, dass Religion ein Ort ist, an dem die anthropologische Realität von Gewalt und Aggression bearbeitet wird28. Grundsätzlich ist mit Körtner festzuhalten, dass pauschale Diffamierungen von Religion ebenso problematisch sind wie ein einseitiges positives Konstrukt „der Religion“.29 Insofern Gewalt auch religiöse Ursachen hat, lautet mit Ward die entscheidende Frage nicht, „Ist Religion gefährlich?“, sondern „Ist diese partikuläre Religion in diesem Stadium ihrer Entwicklung, in diesem gesellschaftlichen Kontext gefährlich?“30 bzw. führt sie unter den gegebenen Voraussetzungen in diesem gesellschaftlichen Kontext zu Gewalt? Wie schon oben hervorgehoben ist es für Dawkins’ Argumentationsgang von Nachteil, dass er den für ihn zentralen Begriff der Religion nicht hinreichend definiert. Durch die Überbetonung des Gewaltpotentials von Religion gerät Dawkins’ Argumentation zudem zu einseitig. Diese Überbetonung korrespondiert zugleich mit der Strategie Dawkins’, das Phänomen der Religion als Ganzes zu diffamieren. Jedoch scheitert auch diese Strategie aus den oben genannten Gründen. 1.4 Ist religiöse Erziehung Kindesmissbrauch? Dawkins hält eine religiöse Erziehung nicht zuletzt auch für Kindesmisshandlung.31 Grundsätzlich stellt er in Abrede, dass Kinder, die noch nicht im reflektionsfähigen Alter sind, überhaupt eine Religion haben können.32 Kinder sollen nach Dawkins nicht indoktriniert oder mit religiösen Etiketten versehen werden.33 Die Bibel im Religionsunterricht hält Dawkins allerdings für zulässig, da eine atheistische Weltanschauung keine Rechtfertigung dafür sein kann, religiöse, kulturelle und literarische Traditionen aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Atheisten können nach Dawkins „…den Glauben an Gott aufgeben, ohne den Kontakt zu einem wertvollen kulturellen Erbe zu verlieren.“34 Was Dawkins’ Kennzeichnung der religiösen Kindeserziehung betrifft, so überzeugt mich nicht so sehr der Hinweis auf ähnliche atheistische In23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

McGrath, Dawkins’ God, 88. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 43, 102, 192 – 197 und 221. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 20. McGrath, Atheismuswahn, 105 – 06. Vgl. Collins, Gott und die Gene, 135. Vgl. Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 256 – 257. Vgl. Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 256 – 257. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 66. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 431. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 431. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 472. Dawkins, Der Gotteswahn, 478.

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doktrinationen35 oder das Argument, es sei problematisch, Kinder „im Status eines religiös unbeschriebenen Blattes“ zu lassen36 als vielmehr die grundsätzlichere Annahme, dass es eine Illusion ist zu glauben, eine weltanschaulich neutrale Erziehung sei möglich.37 Davon abgesehen ist Dawkins’ Verurteilung von religiös-fundamentalistischen Erziehungsmethoden ernst zu nehmen. Dawkins Argumentation ist in diesem Punkt unangemessen, weil er seine Vorannahmen nicht ausreichend reflektiert. Eine dieser Vorannahmen besteht darin, dass eine wertneutrale Erziehung prinzipiell möglich ist, eine andere darin, dass problematische Erziehungsmaßnahmen vornehmlich auf den religiösen Bereich beschränkt sind.

2. Ausgewählte unangemessene Argumente und Diskursstrategien bei den Diskurs-Akteuren Auf Seiten der Diskurs-Akteure findet sich vor allem im Bereich von Dawkins’ Weltsicht die Tendenz, auf Argumente zu verzichten. Stattdessen werden Einschätzungen mit Label-Charakter vorgebracht, um Dawkins’ Weltsicht zu charakterisieren, ohne dass diese überzeugend an Dawkins’ Werk rückgebunden würden. Dies zeigt sich z. B. an den Einschätzungen von Dawkins’ Weltsicht als biologistisch oder latent antisemitisch. Damit einher geht eine Funktionalisierung von Diskursstrategien, da Dawkins’ Weltsicht nur vordergründig argumentativ zurückgewiesen werden soll, während es tatsächlich um eine Diffamierung derselben geht. Beispiele für unangemessene Argumente stammen vor allem aus Dawkins’ Kerngebiet, d. h. aus dem Bereich der Theorie vom egoistischen Gen und seiner Sicht der Evolutionstheorie. Auch im Hinblick auf die Diskurs-Akteure können im Folgenden nicht alle unangemessenen Argumente angesprochen werden. Dazu gehören z. B. die Vorstellungen, dass Dawkins’ Determinismus als genetisch und fatalistisch bezeichnet werden kann, dass Dawkins die Menschenwürde ablehnt oder dass Dawkins’ Sicht der Evolution die Entstehung von komplexen Lebewesen nicht vollständig erklären kann. Diese Vorstellungen werden aber in den nächsten Kapiteln ausführlich behandelt, wenn es um die tieferliegenden Anfragen und Implikationen des Dawkins-Diskurses geht.

2.1 Dawkins’ biologistische Weltsicht? Die Einstufung von Dawkins’ Weltsicht als biologistisch wird nicht weiter argumentativ begründet, sondern dogmatisch festgestellt. Es fehlen eine konkrete 35 McGrath, Dawkins’ God, 88. 36 Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 24. 37 Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 113 – 14.

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Rückbindung dieser Einstufung an Dawkins’ Werk und der Nachweis, dass Dawkins’ Sprache tatsächlich biologistisch ist. Die sachgemäße Anwendung der Diskursstrategie 2a ist also in Abrede zu stellen. Der Theologe Magnus Striet spricht nur sehr kursorisch von Dawkins’ biologistischem Weltbild, „in dem alles Geistige rein materialistisch-reduktionistisch verklärt“ werde.38 Dasselbe gilt auch für Martin Stowasser, der Dawkins’ Zukunftsgläubigkeit ablehnt, da diese biologistisch gespeist sei.39 Was das biologistische Moment in Dawkins’ Weltsicht konkret ausmachen soll, wird für mich aus der Lektüre der jeweiligen Aufsätze allerdings nicht deutlich. Auch wenn das apologetische Motiv solcher stereotypen Einordnungen durchaus berechtigt sein kann, ist für mich die Charakterisierung von Dawkins’ Weltbild als „biologistisch“, ohne dass sich dazu nähere Ausführungen fänden, fragwürdig und zwar unabhängig von der Frage, ob der Vorwurf gerechtfertigt ist oder nicht.

2.2 Dawkins’ latent antisemitische Weltsicht? Als unseriös ist Hemmingers Einordnung von Dawkins’ Weltsicht als vergleichbar mit der des Nationalsozialismus zu bezeichnen. So konstatiert Hemminger, dass die Dawkins’sche Aussage „Du bist nichts – deine Gene sind alles“ verblüffend der Parole ähnele, mit der im Dritten Reich der Vorrang des beständigen Volkskörpers vor dem vergänglichen Einzelnen bestätigt wurde: „Du bist nichts – dein Volk ist alles“. Der Zusammenklang ist nach Hemminger keineswegs zufällig, da der Faschismus nationalsozialistischer Prägung schon in seiner formativen Phase vom damaligen Sozialdarwinismus inspiriert war.40 Keineswegs findet sich allerdings die Aussage „Du bist nichts – deine Gene sind alles“ in irgendeinem Text von Dawkins. Hemminger begeht also den Fehler, Dawkins einen Satz zuzuschreiben, den dieser nie so geschrieben hat. Im Hinblick auf die antijüdischen Begleittöne, die Graf in Der Gotteswahn ausmacht, wäre eine nähere Ausführung wünschenswert gewesen.41 Auch hier fehlt wieder die Rückbindung des geäußerten Vorwurfs an Dawkins’ Werk. Fragwürdig ist Schröders Behauptung, Dawkins sehe die Welt als „Schlachtfeld, auf dem nur der Stärkere – also die Gene – überlebt“. Auch solche Aussagen finden sich m. E. weder direkt noch indirekt in Dawkins’ Werk. Um die Schwachheit seiner Zuschreibung zu verdecken, bemüht Schröder dann nicht nur die Keule des Nationalsozialismus, sondern auch die des Kommunismus, um seinen unsachgemäßen Umgang mit Dawkins’ Thesen auf die Spitze zu treiben: 38 39 40 41

Vgl. Striet, Sorgen mit dem lieben Gott, 104. Vgl. Stowasser, Si tacuisses, 243 – 244. Hemminger, Soziobiologie des Menschen, 76. Graf, Der ,liebe Gott‘, 23.

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„Ähnliches haben die Nazis mit biologistischen Argumenten behauptet und Rassenfeinde bekämpft. Die Kommunisten haben das aufgrund historischer Gesetzmäßigkeiten behauptet und den Klassenfeind bekämpft.“42

Dawkins’ Weltsicht als latent antisemitisch zu bezeichnen, ist im Diskurs ein schlechtes Argument, weil es keine inhaltliche Substanz aufweist. Fehlende inhaltliche Substanz oder Unsachgemäßheit ist damit ein Kriterium für die Beurteilung eines Argumentes als unangemessen. Darüber hinaus ist mit Julia Knop festzustellen, dass der Antisemitismusvorwurf gegen Dawkins schon allein deshalb angreifbar ist, weil es ihm nicht um die Diffamierung einer Ethnie geht, sondern um die polemische Kritik an drei monotheistischen Religionen.43 2.3 Dawkins’ fundamentalistischer Atheismus? Im Hinblick auf die Charakterisierung von Dawkins’ Weltsicht als fundamentalistischer Atheismus sieht die Situation anders aus als bei den bereits erwähnten Einstufungen. So bemühen sich die Diskurs-Akteure darum, ihre Einschätzung argumentativ zu begründen. Problematisch ist hierbei allerdings, dass die argumentativen Begründungen der Einschätzung von Dawkins’ Weltsicht als fundamentalistisch im Diskurs sehr disparat ausfallen. Dies führt zu einer Unklarheit darüber, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um eine Weltsicht als fundamentalistisch zu kennzeichnen. Alister McGrath konstatiert zunächst einen Bruch im Schreibstil Dawkins’. Während dieser zunächst ein brillanter Popularisierer komplexer biologischer Sachverhalte gewesen sei, erweise er sich spätestens seit der Veröffentlichung von A Devil’s Chaplain als fundamentalistisch. Kennzeichen von Dawkins’ Wandel zum fundamentalistischen Polemiker sind nach McGrath folgende Gesichtspunkte: – – – – – – – –

schriller Atheismus aggressive Sprache niveaulose Argumente zerstörerische Religionskritik Verspottung und Verteufelung konkurrierender Weltanschauungen selektive Tatsachen-Verdrehung (d. h. Aufgeben akademischer Grundsätze) Übertreibung von Halbwahrheiten Schein-Verknüpfung unverbundener Aussagen durch lose Aneinanderreihungen – aufgeladene Rhetorik

Dawkins steht nach McGrath auch deswegen auf einer Stufe mit religiösen Fundamentalisten, weil er unhinterfragbar und unbedingt darauf beharre, im 42 Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 17 – 18. 43 Vgl. Knop, Gotteswahn im Kinderzimmer, 177.

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Recht zu sein.44 Auch Richard Schröder argumentiert mit Dawkins’ Absolutheitsanspruch, wenn er ihn als fundamentalistisch bezeichnet. Der Anspruch, die Wissenschaft könne alles erklären, ist für Schröder „die Zumutung der Entmündigung“.45 Daneben spielen nach Schröder auch die folgenden Punkte eine Rolle, wenn es um die Einordnung Dawkins’ als Fundamentalist geht: – Reduktion des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses durch technizistische und biologistische Sprache – missionarische Atheismus-Religion – inkonsequentes und inkonsistentes Wissenschaftsbild – Geschichtsblindheit – quasi kreationistische Bibellesart – quasi kreationistisches Religionsverständnis46 Der Philosoph Klaus Müller spricht knapper von Dawkins’ Fundamentalistenprediger-Manier, die sich darin äußere, dass sich der Autor in einer ungebremsten Polemik ergehe, die kein Klischee auslasse und darauf ziele, seine religiöse Leserschaft zu provozieren.47 Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, welche Kriterien eigentlich erfüllt sein müssen, damit man eine Sprache oder eine Weltsicht – unabhängig davon, ob sie gleichzeitig atheistisch ist -, als fundamentalistisch bezeichnen kann. Einigkeit scheint unter den Wissenschaftlern darüber jedenfalls nicht zu herrschen. Es fehlen darüber hinaus zumeist die notwendigen Vergleichsmaßstäbe. Um beispielsweise den intuitiven Eindruck einer aggressiven Sprache zu belegen, wäre es zunächst einmal nötig, folgende Fragen zu beantworten: Wie lässt sich der Grad der Aggressivität einer Sprache messen? Wie „aggressiv“ wäre dann Dawkins’ Sprache im Vergleich zu anderen Autoren, beispielsweise Friedrich Nietzsche? Beantwortet man diese Fragen nicht, so ist die Bewertung von Dawkins’ Sprache als aggressiv nichtssagend. Weiterführend wäre auch über das Verhältnis von aggressiver Sprache und Fundamentalismus nachzudenken. Ist eine aggressive Sprache ein notwendiges oder ein hinreichendes Kriterium für Fundamentalismus? Ist es nicht auch möglich, eine aggressive Sprache zu führen, ohne Fundamentalist zu sein? Und wenn ja, wie sieht es dann mit den anderen Kriterien wie z. B. dem der selektiven Tatsachenverdrehung oder dem des Absolutheitsanspruches aus? Ob Dawkins’ Atheismus als fundamentalistisch bezeichnet werden kann, ist m. E. vor diesem Hintergrund zumindest unklar. Nimmt man die Dawkins’sche Aussage ernst, dass er sich durch Beweise immer überzeugen lassen

44 45 46 47

Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 12 – 15. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 17. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 80 – 85. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 34.

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würde48, spricht dies m. E. gegen die Vermutung, er sei nicht nur Atheist, sondern fundamentalistischer Atheist.

2.4 Ist der Verweis auf die religionskritischen Vorgänger Dawkins’ ausreichend? Der Verweis auf Dawkins’ religionskritische Vorgänger und die daraus resultierende mangelnde Originalität seiner Religionskritik findet sich im Diskurs als Gedanke häufig. So betont Haught, dass es sowohl Theologen als auch klassische Atheisten gab, die eine vernichtendere Kritik der dämonischen und barbarischen Aspekte der menschlichen Religiosität geliefert haben als Dawkins.49 Hoff50 und Lohfink51 betonen vor allem die Verbindung zwischen der Religionskritik der klassischen Atheisten und der Dawkins’. Mit Schröder ist zudem auf die grundsätzliche Pluralität von Religionskritiken hinzuweisen, die sich mitunter gegenseitig widersprechen.52 Auch der Philosoph Müller betont, dass Dawkins The God Delusion im nicht angelsächsischen Bereich Europas längst Vorgänger hatte.53 Der neue Aspekt in Dawkins’ Religionskritik wird vor diesem Hintergrund eher in deren öffentlicher Wirksamkeit und medialer Verbreitung gesehen. Dies zeigt sich exemplarisch an Meiller, der weiterführende Implikationen der Religionskritik Dawkins’ herausarbeitet. So ziele diese auf eine forcierte Vermittlung zwischen wissenschaftlichem Denken sowie komplizierter, fachinterner Wissenschaftskommunikation und der Öffentlichkeit und führe so zu einer Popularisierung wissenschaftlichen Argumentierens und argumentativ fundierter Erkenntnis in religiösen Dingen.54 Problematisch an dieser Argumentation ist die implizite Voraussetzung, dass die argumentative Zurückweisung der religionskritischen Vorgänger Dawkins’ zwangsläufig auch Dawkins’ Religionskritik schon argumentativ widerlegt, ohne dass diese Zurückweisung tatsächlich argumentativ geleistet würde. Wenn also die Kontextualisierung von Dawkins’ Religionskritik tatsächlich dazu dienen soll, seine Argumentation zu entkräften, dann muss aufgezeigt werden, welche konkreten Gegenargumente die Theologen gegen Dawkins’ Vorgänger aufboten, inwiefern diese Argumente stichhaltig sind und inwiefern sie auch Dawkins’ Kritik treffen. Insgesamt sollte also noch stärker die sachorientierte Auseinandersetzung mit Dawkins’ Religionskritik im Vordergrund stehen. Sachorientiert ist die Auseinandersetzung, wenn der Kern von Dawkins’ Religionskritik – bei Vermeidung von aufgeladener Rhe48 49 50 51 52 53 54

Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 54. Haught, God and the New Atheism, 16. Vgl. Hoff, Es gibt keinen Gott, 385. Vgl. Lohfink, Welche Argumente, 11 und 13 – 16. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 55. Vgl. Müller, Theismus unter Dauerbeschuss, 39. Vgl. Meiller, Worte des Wahns, 387.

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torik – argumentativ nachvollzogen, begründet bewertet und ggf. durch sachgerechte Gegenargumente entkräftet wird. Ein zweiter problematischer Aspekt betrifft die Tatsache, dass Dawkins’ Religionskritik heute relevant ist und nicht zur Zeit Feuerbachs, Nietzsches oder Freuds. Sie wird von Dawkins in einer bestimmten Zeit geäußert, die von der Zeit der klassischen Religionskritiker zu unterscheiden ist und erfordert von daher wieder neue Antworten – gerade wenn man mit Meiller davon ausgeht, dass sie zu einer Popularisierung wissenschaftlichen Argumentierens und argumentativ fundierter Erkenntnis in religiösen Dingen führt. Die nicht ausreichende Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Gegenstand (in diesem Fall die Religionskritik Dawkins’) ist damit ein Kriterium für die Beurteilung eines Argumentes als unangemessen.

2.5 Ist Dawkins’ metaphorisches Sprechen von Genen unzulässig? Dawkins’ metaphorische Sprache wird im Diskurs von vielen Teilnehmern zurückgewiesen. Sie stellen dabei hauptsächlich in Abrede, dass Dawkins alles, was er in „bildhafter Sprache“ formuliert habe, in die „Sprache der Realität“ übersetzen könne.55 Demgegenüber stellt Greif differenziert dar, unter welchen Voraussetzungen sich Dawkins’ Metapher als fruchtbar erweisen kann. Dawkins’ Metaphernverständnis zielt nach Greif grundsätzlich auf die Verdeutlichung von relevanten Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlich erscheinenden oder disparaten Gegenständen. Für Dawkins sind nach Greif „…Gene und egoistische Individuen … zwar keineswegs dasselbe, aber wir können etwas interessantes Neues über Gene erfahren, wenn wir sie mit solchen Individuen vergleichen.“56 Dabei sei die Frage, ob Dawkins’ Metapher angemessen sei, nicht ideologisch, sondern nur empirisch zu entscheiden – gerade weil es Dawkins auch um die Entwicklung von neuen Sichtweisen auf die Evolution gehe.57 Selbst der große Dawkins-Kritiker Gould hält Dawkins’ Metaphorik für zulässig, da dieser Gene in der Realität nicht als wissentliche Agenten ihrer eigenen Selbsterhaltung verstehe.Wenn Dawkins etwa schreibe, dass Gene danach streben, Repliken von sich selbst herzustellen, so heiße das eigentlich: Die Selektion lief so ab, dass Gene begünstigt wurden, die zufällig so variierten, dass zusätzliche Kopien ihrer selbst in den nachfolgenden Generationen vorhanden waren.58 Dawkins’ Aussage, dass er nicht ernsthaft davon ausgeht, dass Gene handelnde Agenten sein können, ist in dieser Hinsicht ernst zu nehmen.59 Gegen die Mehrheit der Diskursteilnehmer 55 56 57 58 59

Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 42. Sieh auch Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 116 – 119. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 104. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 107. Vgl. Gould, Der Daumen des Panda, 94. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 77.

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möchte ich mit Greif betonen, dass Dawkins Gene und handelnde Agenten nicht miteinander identifiziert, wohl aber davon ausgeht, dass er etwas interessantes Neues über Gene erfahren kann, wenn er sie mit solchen Individuen vergleicht60 und dass er etwas interessantes Neues über den Evolutionsprozess erfahren kann, wenn er ihn unter dem Blickwinkel seiner „egoistischen“ Gene interpretiert. Bei der Zurückweisung eines Gedankenganges nicht auf dessen weiteren Kontext zu achten oder diesen bewusst auszublenden, ist vor diesem Hintergrund ein weiteres Kriterium, das für die Beurteilung eines Argumentes als unangemessen herangezogen werden kann.

2.6 Inwiefern spricht Dawkins ausschließlich von „egoistischen“ Genen? Wenn Ward gegen die Vorstellung der egoistischen Gene mit dem Hinweis auf den Entwicklungsprozess eines Körpers argumentiert, dessen Gene eigentlich unegoistisch seien, da sie bei seiner Herstellung kooperierten61, zeugt dies von einer einseitigen Rezeption Dawkins’. So macht Dawkins in Das egoistische Gen deutlich, dass Gene ihr „Überleben“ in bestimmten Fällen besser durch die Förderung eines „begrenzten Altruismus“ auf der Ebene des Individuums sichern können62, es sich also keineswegs für Gene auszahlt, nur „egoistisch“ zu handeln. So existieren zwischen Genen sowie zwischen den Genen und ihrer äußeren Umwelt komple XE Wechselbeziehungen. Während das Allel der Erzrivale eines Genes ist, sind andere Gene lediglich Teil seiner Umwelt, beeinflussen seine Wirkung und arbeiten mit ihm bei Aufgaben, wie z. B. der Produktion von Körperteilen zusammen: „Ein Gen, das mit den meisten anderen Genen, die es in aufeinanderfolgenden Körpern wahrscheinlich treffen wird, das heißt mit anderen Genen im Genpool, gut zusammenarbeitet, wird gewöhnlich im Vorteil sein.“63

Das eigene Argument auf eine einseitige Rezeption des Gegners aufzubauen, ist unangemessen und funktionalisiert die Diskursstrategie der argumentativen Zurückweisung für eine ungerechtfertigte Stärkung der eigenen Diskursposition.

2.7 Das Phänomen der Anpassung als einzig relevantes Evolutionsphänomen? Dawkins wird im Kontext des Diskurses sehr oft eine extreme Überbetonung des Themas Adaptionismus vorgeworfen. So unterscheidet z. B. Stegmann bei 60 61 62 63

Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 104. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 140. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 37. Dawkins, Das egoistische Gen, 91.

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seiner Analyse der Adaptionismus-Debatte in der Biologie zwischen einem empirischen, einem methodologischen und einem explanatorischen Adaptationismus64. Der empirische Adaptationismus versteht nach Stegmann die Adaptionismus-These als empirische These über die Wirkkraft der natürlichen Selektion und interpretiert diese als hinreichende Erklärung für die Evolution der meisten Merkmale in den meisten Populationen.65 Der methodologische Adaptationismus vertrete dagegen die Maxime, dass biologische Systeme am besten verstanden und untersucht werden können, wenn man sich auf die Bereiche Adaptionismus und gutes Design konzentriert.66 Der von Richard Dawkins vertretene explanatorische Adaptationismus basiert nach Stegmann demgegenüber auf den Annahmen, dass die Erklärung des komplexen Designs biologischer Merkmale und ihre Angepasstheit an die Umwelt das zentrale Problem der Evolutionstheorie darstellen und als Lösung für dieses Problem die natürliche Selektion verstanden werden kann, da sie die Evolution von Adaptionen erklärt.67 Stegmann selbst hält den explanatorischen Adaptationismus für wenig überzeugend und betont, dass die Bevorzugung von Design und Angepasstheit als wichtigstes und interessantestes Evolutionsphänomen mehr über den Forscher selbst als über die Natur aussagen. Es sei schwer, in dieser Bevorzugung mehr als den Ausdruck einer persönlichen Präferenz für bestimmte Fragestellungen zu sehen.68 Gould versucht darzulegen, welche Fehler die adaptionistische Lehre Dawkins’ enthält. Er hält es für problematisch, dass der Begriff Anpassung sowohl für eine Struktur, die gut funktioniert, als auch für den Vorgang, in dem die besagte Struktur entsteht, verwendet wird. So kann man nach Gould eine Struktur vor sich haben, die gut funktioniert, ohne dass sie von der natürlichen Selektion für ihren jetzigen Zweck gestaltet wurde. Dies zeige das Beispiel der Gewölbezwickel von San Marco. „Die Zwickel sind architektonische Nebenprodukte. Sie wurden nicht von der natürlichen Selektion gebaut, aber sie wurden in wunderbarer Weise genutzt – um die Evangelisten zu beherbergen. Aber man kann nicht sagen, man habe sie dazu angepasst, Evangelisten zu zeigen.“69

Auch Dennett hält es für wichtig, zwischen einem guten und einem schlechten Adaptionismus zu unterscheiden, wobei er im Hinblick auf Dawkins’ Behandlung des Themas zu einem anderen Ergebnis kommt als Stegmann oder 64 Es ist zu beachten, dass Stegmann nicht von Adaptionismus, sondern von Adaptationismus spricht. Beide Begriffe bezeichnen aber dasselbe Phänomen. 65 Vgl. Stegmann, Die Adaptationismus-Debatte, 290 – 91. 66 Vgl. Stegmann, Die Adaptationismus-Debatte, 296. 67 Vgl. Stegmann, Die Adaptationismus-Debatte, 289. 68 Vgl. Stegmann, Die Adaptationismus-Debatte, 289. 69 Gould, Das Grundmuster des Lebens, 75. Vgl. in diesem Kontext auch Gould, The Spandrels of San Marco, 581 – 598.

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Gould. Grundsätzlich zeichnet sich ein sachgerechter Umgang mit dem Thema Adaptionismus nach Dennett durch folgende Merkmale aus: – Adaptionen sollten nicht als Erklärungsfaktor herangezogen werden, wenn Erklärungen auf einer niedrigeren Ebene (z. B. Physik) möglich sind. – Sie sollen nicht herangezogen werden, wenn eine Eigenschaft das Ergebnis einer generellen Entwicklungsanforderung ist. – Sie sollen nicht eingesetzt werden, wenn eine Eigenschaft ein Nebenprodukt einer anderen Anpassung ist.70 Dawkins berücksichtigt nach Dennett diese Merkmale, so dass sein Umgang mit dem Anpassungsphänomen in der Evolution als angemessen zu interpretieren ist.71 Falsch verstanden wird Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen nach Greif, wenn sie als Versuch interpretiert wird, durch die Interpretation der natürlichen Selektion als Naturgesetz die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine adaptive Evolution zu benennen. Dawkins anerkenne vielmehr einen empirischen Pluralismus bezüglich der Faktoren der Evolution, wobei er den Mechanismen von Selektion und Adaption systematisch Vorrang einräume. So sei nach Dawkins eine Evolution möglich, die andere Mechanismen als die der natürlichen Selektion kenne, aber es gebe keine Adaptation, die nicht auch über die natürliche Selektion verlaufe. Andere Phänomene verlangen nach Greif eine eigenständige Erklärung jenseits der eigentlichen Evolutionsmechanismen. Diese seien aber nicht Gegenstand des Dawkinsschen Forschungsprogramms.72 Bei näherem Hinsehen kreisen die Kritiken an Dawkins’ Adaptionismus-Konzept vor allem um die Frage, ob die natürliche Selektion als alleiniger Faktor für die Verursachung von Anpassungen verstanden werden darf oder nicht. Bei den Diskussionen um den Adaptionismus stehe auch nach Dawkins die Frage im Mittelpunkt, ob ein phänotypischer Effekt, der groß genug sei, um beobachtet werden zu können, überhaupt als Produkt der natürlichen Selektion verstanden werden sollte oder nicht.73 Genauso wie Stegmann oder Greif ist auch Dawkins davon überzeugt, dass man im Hinblick auf die Rolle der Anpassung in der Evolution unterschiedliche Auffassungen haben kann. Er unterscheidet dabei einen naiven Perfektionismus bzw. perfektionistischen Adaptionismus74 von einem neodarwinistischen Adaptionismus. Als „neodarwinistischer Adaptionist“ insistiert Dawkins darauf, dass er die genaue Natur des Selektionsprozesses kennt, der zur Evolution einer mutmaßlichen Anpassung geführt hat. Zugleich betont er die Wichtigkeit einer präzisen Sprache im Hinblick auf das Level, auf dem die natürliche Selektion 70 71 72 73 74

Vgl. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 247. Dennett, Darwin’s Dangerous Idea, 249. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 90. Dawkins, The Extended Phenotype, 32. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 31 – 32.

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agiert haben soll. So könne ein System von einem populationsspezifischen Blickwinkel extrem unökonomisch sein, von Blickwinkel eines Gens aus betrachtet aber optimal.75 Wichtig ist nach Dawkins die Erkenntnis, dass der neodarwinistische Adaptionismus kein „catch-all, blanket faith in all being for the best“76 sei. Dawkins ist also keineswegs davon überzeugt, dass alles in der Evolution irgendeine (optimale) Anpassung ist, besteht allerdings auf einer genauen Bestimmung des Levels, auf dem die natürliche Selektion agiert haben soll.77 In diesem Kontext geht es Dawkins m. E. nicht so sehr um die Absolutsetzung seiner genselektionistischen Perspektive und damit eines Gen-Levels als ausschließlichem Ort der Anpassung, sondern um den Hinweis, dass eine präzise Sprache bei der Bestimmung des Levels notwendig ist. Dennetts Verteidigung von Dawkins’ Adaptionismuskonzept gegen argumentative Zurückweisungen anderer Diskurs-Akteure (Strategie 10) und Greifs Versuch, Missverständnisse im Hinblick auf Dawkins’ Thesen auszuräumen (Strategie 8) sind angemessen, weil sie Dawkins’ eigene Position differenziert wiedergeben. Blickt man zudem auf die unterschiedlichen Adaptionismus-Konzepte Stegmanns, so zeigt sich, dass die Grenzen zwischen seinem methodologischen und explanatorischen Adaptationismus nicht sehr scharf sind. So könnte man auch als methodologischer Adaptionist davon überzeugt sein, dass die natürliche Selektion als alleiniger Erklärungsfaktor für das Vorliegen von Anpassungen in Frage kommt, nachdem man alle Alternativen analysiert hat. Was nun Dawkins selbst betrifft, so ist er sowohl davon überzeugt, dass biologische Systeme am besten verstanden und untersucht werden können, wenn man sich auf die Bereiche Adaptionismus und gutes Design konzentriert (d. i. Stegmanns methodologischer Adaptationismus), als auch davon, dass die Erklärung des komplexen Designs biologischer Merkmale und ihre Angepasstheit an die Umwelt das zentrale Problem der Evolutionstheorie darstellt (Stegmanns explanatorischer Adaptationismus). Allerdings geht Dawkins nicht so weit zu sagen, dass nur die natürliche Selektion als Lösung für das Problem der Anpassung in Frage kommt78, so dass er hier aus dem Rahmen von Stegmanns explanatorischem Adaptionismus fällt. Der Versuch einer Relativierung der Position Dawkins’ durch methodologische Überlegungen (Strategie 6) scheitert dementsprechend. Insgesamt zielt Dawkins’ starke Betonung der natürlichen Selektion mit Greif darauf, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine adaptive Evolution herauszuarbeiten. Während es nach Dawkins also keine Adaptionen gibt, die nicht über die natürliche Selektion verlaufen, ist für ihn die Frage, ob und wenn ja, welche anderen Evolutionsfaktoren bei diesem 75 76 77 78

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 51. Dawkins, The Extended Phenotype, 51. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 51. Vgl. Stegmann, Die Adaptationismus-Debatte, 289.

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Prozess beteiligt sind, offen. Diese Offenheit ist m. E. auch Kern des Gouldschen Hinweises auf die Gewölbezwickel von San Marco.79 Falls es Anpassungen geben sollte, die nicht zumindest teilweise auch das Resultat der natürlichen Selektion sind, müsste Dawkins seine Konzentration auf die natürliche Selektion bei der Erklärung von Anpassungen in der Evolution überdenken. Ob Goulds Argument der Gewölbezwickel in dieser Hinsicht wirksam ist, kann ich als Nicht-Biologin nicht beurteilen. Gegen Gould und Lewontin ist festzuhalten, dass Dawkins durchaus über die Grenzen des adaptionistischen Ansatzes reflektiert – dies zeigt seine Zurückweisung des naiven, perfektionistischen Adaptionismus und sein Hinweis auf die Notwendigkeit einer präzisen Sprache bei der Bestimmung des Selektionslevels, auf dem Anpassungen stattfinden.

2.8 Kann ohne Gott nichts „Neues“ im Evolutionsprozess entstehen? Knapp betont, dass Dawkins’ naturwissenschaftliche Aussage über das Zusammenspiel von kumulativer Selektion und zufälliger Mutation die Entstehung des Neuen in der Evolution (Leben und Bewusstsein) nicht vollständig erklären kann. So kommt es nach Knapp innerhalb des Evolutionsprozesses zu plötzlich auftauchenden neuen Eigenschaften und Qualitäten, von denen das Leben und das Bewusstsein die herausragenden sind. Während die rein empirische Evolutionstheorie hierfür das Postulat der Sprünge benötige, könne die Schöpfungstheologie das Entstehen von wirklich und förmlich Neuem erklären. „Die Theologie kann dazu aus ihrer höheren Sicht erklären, ohne ein einziges naturwissenschaftliches Faktum zu entwerten, dass es sich hier um eine creatio continua handelt, die freilich nicht nur Bestehendes erhält, sondern an ihm auch Neues ansetzt bzw. es zum Neuen umschafft.“80

Während die darwinistische Evolutionstheorie die realen Bedingungen erforschen kann, unter denen das Neue in der Evolution auftritt, da die frühere Lebensform für eine spätere konditional ist, kann es das Neue dennoch nicht erklären, da die Bedingungen das Bedingte noch nicht hervortreiben. Vielmehr ist es, wenn etwas Neues auftritt, nach Knapp der Schöpfer, der den neuen actus essendi an das Geschöpfliche mitteilt, ohne jedoch etwas kausal zu verändern oder in etwas einzugreifen. Schöpfung versteht Knapp damit als Weiterschaffen am schon Geschaffenen, in deren Kontext die ändernden Einzelkonstellationen in zeitlicher Abfolge in neue Formen einrücken, die essentiell neue Eigenschaften aufweisen. Der göttliche Schaffensakt müsse in der Evolution immer dann berufen werden, wenn in der Evolution neue Arten 79 Vgl. Gould, Das Grundmuster des Lebens, 75 sowie, Gould, The Spandrels of San Marco, 581 – 598. 80 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 279.

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auftreten, vor allem bei der Entstehung des Lebendigen oder der Entstehung des Einzelmenschen.81 Bei diesem Argument vermischt Knapp m. E. unterschiedliche Argumentationsebenen. So erfolgt der Nachweis, dass Dawkins die Entstehung von Neuem in der Evolution nicht erklären kann, nicht auf naturwissenschaftlicher Ebene (außer dem unklaren Verweis auf das Postulat der Sprünge), sondern auf theologischer Ebene. Dies erscheint wiederum als dogmatische Setzung. Dawkins’ naturwissenschaftliche Argumentation, dass die natürliche Selektion im Zusammenspiel mit zufälligen Mutationen für die Entstehung von komplexen, neuen Lebewesen verantwortlich ist, wird dadurch nicht wirklich ausgehebelt.

2.9 Gibt es in der Evolution eine innewohnende Tendenz zur körperlichen Verbesserung? Ward postuliert die Existenz einer grundsätzlichen innewohnenden Tendenz zur körperlichen Verbesserung im Bereich des genetischen Wandels.82 Dieser Trend ist für Ward die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung von Komplexität. Die Entstehung des menschlichen Auges, die z. B. eine lichtempfindliche Linse voraussetzt, die wiederum auf anderen Komponenten basiert, weist nach Ward auf ein hohes Niveau anfänglicher Organisation in der Geschichte der Augenentwicklung hin. Ohne dieses hohe Anfangsniveau sei die Augenentwicklung nicht möglich gewesen. Dementsprechend ist für Ward das ganze System der physischen Natur „zusammengebastelt“, um gewünschte Resultate wie das menschliche Auge zu produzieren. Dieses Zusammenbasteln kann für ihn nur von einer großen Intelligenz und Macht vollbracht worden sein.83 Wards Argumentation erinnert allerdings an das gängige Intelligent-Design-Argument, nach dem die Dinge der Natur zu komplex sind, als dass sie allein durch den Prozess der kumulativen Selektion entstehen konnten. Demgegenüber hat Dawkins allerdings mit seinem Bild des Unwahrscheinlichkeitsgebirges schlüssig aufgezeigt, dass sich das menschliche Auge im Evolutionsprozess durch die Arbeit der kumulativen Selektion herausbilden konnte, ohne dass dafür ein hohes Niveau anfänglicher Organisation nötig gewesen wäre. Für Dawkins ist in diesem Kontext die Entstehung des menschlichen Auges aus überhaupt keinem Auge unwahrscheinlich, da hierfür ein sehr großer Mutationssprung benötigt wird, der dazu im genetischen Raum aller möglichen Strukturen sehr riskant ist. Demgegenüber sei die Entstehung des Auges aus einem Objekt x, das nur geringfügig vom Auge 81 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 280. 82 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 120. 83 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 120.

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verschieden ist, deutlich wahrscheinlicher. Wahrscheinlicher sei die Entstehung, da sich beide Größen im genetischen Raum aller möglichen Strukturen genügend dicht nebeneinander befinden und so nur einen kleinen Mutationssprung erfordern. Die Entstehung von x geht nach Dawkins wiederum auf ein Objekt x1 zurück, das nur geringfügig von ihm verschieden ist und im genetischen Raum dicht bei x liegt usw. Wenn die Reihe der aufeinanderfolgenden Objekte (x, x1, x2…xn) genügend lang ist, können wir schließlich das Auge von etwas ableiten, das nicht nur geringfügig, sondern sehr verschieden von ihm ist. Dawkins lehnt damit die These ab, wonach ein Auge nur als Ganzes oder gar nicht funktioniert. So könnten menschliche Brillenträger mit einer Sehfähigkeitseinschränkung nichtsdestoweniger auch ohne Brille sehen. Auch Augen ohne Linsen seien nicht völlig nutzlos: Lebewesen mit linsenlosen Augen haben nach Dawkins in einer primitiven Welt gegenüber Lebewesen ohne Augen deutliche Überlebensvorteile, da sie z. B. Räuber schneller erkennen. Ein Sehvermögen von 5 % sei also außerordentlich besitzenswert verglichen mit einem nicht vorhandenen Sehvermögen.84 Ward versucht insgesamt diese – im naturwissenschaftlichen Rahmen verlaufende Erklärung Dawkins’ – mit dem Hinweis auf die hohe Komplexität der lebenden Organismen und den hierfür notwendigen intelligenten Planer – zurückzuweisen, anstatt mit naturwissenschaftlichen Argumenten aufzuzeigen, warum Dawkins’ Erklärung der Augenentstehung im Prozess der kumulativen Selektion fehlgeht. Argumentiert man so, wird man allerdings der naturwissenschaftlichen Qualität, die Dawkins’ Sicht der Evolution – unabhängig von jedem Weltanschauungscharakter – auch hat, nicht gerecht. Ergebnisse Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Dawkins vor allem im Bereich seiner Religionskritik zu undifferenziert argumentiert. Dies provoziert wiederum auf Seiten der Diskurs-Akteure undifferenzierte Antworten, wie die Einstufungen von Dawkins’ Weltsicht als latent antisemitisch und biologistisch zeigen. Diese Undifferenziertheit führt insgesamt zu einer Emotionalisierung des Diskurses, in deren Kontext Diskursstrategien funktionalisiert werden, um die jeweils eigene Position auch ohne überzeugende Argumente zu stärken. Während es bei Dawkins zu einer Diffamierung des Phänomens der Religion kommt (z. B. im Hinblick auf deren Gewaltpotential), kommt es bei den Diskurs-Akteuren zu einer Diskreditierung der Weltsicht Dawkins’, ohne dass hierfür eine überzeugende argumentative Begründung geliefert würde. Auch im Bereich der Theorie vom egoistischen Gen argumentieren die Diskurs-Akteure mitunter zu undifferenziert, was teilweise auf eine einseitige Lesart der Dawkins’schen Texte zurückzuführen ist. Bei anderen Themen wie z. B. hinsichtlich der Frage nach der Schädlichkeit 84 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 110 – 111.

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von Religion lassen sich sowohl auf Seiten von Dawkins als auch auf Seiten der Diskurs-Akteure Anfragen an die Quellenauswahl stellen. So kann man ohne eine intensivere Bearbeitung der vorliegenden Studien gegen Dawkins und auch gegen Ward nur zu der Erkenntnis kommen, dass Religion als eine Ressource verstanden werden kann, die ebenso Trost, Kraft und Vertrauen spenden, wie auch Ängste hervorrufen oder Druck erzeugen kann. Undifferenziertheit war jedoch nicht das einzige Kriterium, das bei der oben vorgestellten Einstufung von Argumenten, Argumentzurückweisungen oder Diskursstrategien als unangemessen relevant war. Die entscheidenden Kriterien in dieser Hinsicht seien noch einmal im Überblick vorgestellt: – Argumente sind nicht sachgemäß (d. h. ihre Begründung ist falsch), nicht konsistent oder zirkulär.85 – Aussagen und Charakterisierungen werden nicht argumentativ begründet, sondern „dogmatisch“ gesetzt.86 – Für den Argumentationsgang zentrale Begriffe werden nicht definiert.87 – In einem Argumentationsgang wird „mit zweierlei Maß“ gemessen.88 – Zurückzuweisende Argumente werden eindimensional dargestellt bzw. der weitere Kontext eines Argumentes wird nicht berücksichtigt (z. B. einseitige Zitatauswahl).89 – Eigentlich separat zu behandelnde Aussagen oder Argumente werden zusammengefasst, um deren Zurückweisung insgesamt zu erleichtern.90 – Argumentationsebenen werden vermischt (z. B. schöpfungstheologische Aussagen werden dazu herangezogen, um naturwissenschaftliche Aussagen zu falsifizieren).91

85 In diesem Fall wird die für gute Argumente geltende Mindestanforderung der logischen Gültigkeit nicht erfüllt. Vgl. z. B. Damschen/ Schönecker, In dubio pro embryone, 257. Siehe hierzu auch Tetens, Philosophisches Argumentieren, 22 – 66. 86 Vgl. zu diesem Gedankengang z. B. Wetzel, Praktisch-Politische Philosophie, v. a. 137 – 139. 87 Dies erscheint wichtig, da z. B. ein Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften nach Knapp die Klärung von wichtigen Begriffen voraussetzt. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 29. Allgemeiner formuliert bedeutet dies, dass ein gelungenes Gespräch die Definition von Zentralbegriffen voraussetzt. 88 Dass es sich hierbei um einen (Argumentations-) Fehler handelt, wird in zahlreichen Publikationen angesprochen. Vgl. z. B. Lichtenberger, Neue Probleme beim Recht auf rechtliches Gehör?, 121 – 22. 89 Dieses Kriterium bezieht sich vor allem auf die Frage, inwiefern eine Argumentwiderlegung als angemessen eingestuft werden kann. Torsten Steinhoff bemerkt hierzu, dass wissenschaftliches Argumentieren vor allem dann wirkungsvoll ist, wenn die Gegenposition fair dargestellt und mit Gegenargumenten widerlegt wird. Vgl. Steinhoff, Wissenschaftliche Textkompetenz, 124. 90 In ähnlichem Sinne McGrath, Atheismuswahn, 12 – 15. McGrath beschränkt sich allerdings auf die Aussage, dass die Konstruktion eines stimmigen Arguments durch die lose Aneinanderreihung von eigentlich unverbundenen Aussagen scheitern muss. 91 Eine solche Vermischung wird im Diskurs z. B. von Knapp kritisiert, Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 22 – 23.

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– Spekulative Aussagen werden im Verlauf des Arguments zu feststehenden Tatsachen (es ist möglich => es ist notwendigerweise so).92 – In einem Argumentationsgang werden mögliche alternative Argumente und Aussagen bzw. alternative Studien oder Quellen nicht in den Blick genommen.93 – Vorannahmen werden nicht reflektiert oder nicht sichtbar gemacht.94 – Diskursstrategien werden dazu verwendet, um den Diskurs zu emotionalisieren. – Diskursstrategien werden dazu verwendet, um den Argumentationsgegner zu diskreditieren.

3. Ausgewählte angemessene Argumente und Diskursstrategien bei Dawkins Die im Folgenden vorgestellten angemessenen Argumente Dawkins’ bilden wieder nur einen kleinen Ausschnitt seiner Gesamtargumentation. Sie stammen aus dem Bereich von Dawkins’ evolutionstheoretischen Forschungen. Dazu gehören z. B. Überlegungen Dawkins’ in welchem Sinne die Evolutionstheorie als „Tatsache“ verstanden werden könnte oder warum davon auszugehen ist, dass alle Lebewesen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen.

3.1 Die Rolle der Naturwissenschaft hinsichtlich ethischer Entscheidungen Insgesamt ist Dawkins, was die Moral des Menschen betrifft, durchaus dialogorientiert. So betont er klar, dass die Naturwissenschaft keine Methoden dafür hat zu entscheiden, was richtig oder falsch ist. Nichtsdestoweniger kann sie Menschen bei ihren ethischen Entscheidungen unterstützen, da sie auf mögliche Inkonsistenzen dieser Entscheidungen hinweisen kann.95 Die Wis92 Vgl. hierzu auch McGrath, Dawkins’ God, 96. 93 Wie wichtig die angemessene Berücksichtigung von Alternativen in einem Argumentationsgang ist, macht z. B. Martin Wellenreuther deutlich. So kann die Bewertung einer Hypothese nach Wellenreuther nur auf der Grundlage der Zusammenstellung aller Argumente erfolgen, die für oder gegen sie sprechen. Würden einige dieser Argumente durch empirische Ergebnisse gestützt, müsse zusätzlich überprüft werden, ob alternative Erklärungen im Rahmen der relevanten Untersuchungen berücksichtigt wurden oder nicht. Vgl. Wellenreuther, Quantitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, 96 – 97. Im Diskurs zeigt sich der Nachteil, der beim Ausblenden von Alternativen entstehen kann, beispielsweise im Kontext der Frage, ob Religion schädlich ist. 94 Nach Matthias Gatzemeier stellen sich folgende Mindestanforderungen an wissenschaftliches Argumentieren: „(1.) Transparenz der Ausgangspunkte, der Voraussetzungen, (2.) Verständlichkeit aller für die Argumentation wichtigen Ausdrücke und (3.) durchgängige Lückenlosigkeit und Fehlerfreiheit der Argumentation.“ Gatzemeier, Philosophie als Theorie der Rationalität, 128. 95 Dawkins, A Devil’s Chaplain, 39.

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senschaft kann demnach keine Aussagen darüber treffen, ob eine Abtreibung falsch ist, aber sie kann darauf hinweisen, dass das embryologische Kontinuum, das einen empfindungsunfähigen Fötus mit einem empfindungsfähigen Erwachsenen verbindet, analog zu dem evolutionären Kontinuum ist, dass den Menschen mit allen anderen Lebewesen der Evolutionsgeschichte verbindet. Die Rolle seiner eigenen Wissenschaft interpretiert Dawkins in diesem Sinne als Korrektivfunktion für die moralischen Entscheidungen von Menschen. Damit einher geht die implizite Anerkennung, dass der moralische Bereich des Menschen, d. h. der Raum für ethische Entscheidungen, ein vom wissenschaftlichen Bereich unterschiedener Bereich ist. Angemessen ist Dawkins’ Argumentation, weil er auf aktuelle Forschungsergebnisse seiner Disziplin verweist, die für einen als eigenständig anerkannten ethischen Entscheidungsbereich relevant sein könnten. Die Bestimmung der Naturwissenschaft als Korrektiv für ethische Entscheidungen setzt dabei voraus, dass Dawkins die leitenden Interessen seiner eigenen Disziplinen und deren Grenzen reflektiert. Diese Reflexionsarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil gelungener Argumentation.

3.2 In welchem Sinne ist die Evolutionstheorie eine „Tatsache“? Die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Hypothese“ und „Theorum“ führt Dawkins ein, um zu begründen, im welchem Sinne die EvolutionsTheorie für ihn eine „Tatsache“ ist. Ein Theorum ist nach Dawkins eine Theorie, die auf der Basis von Beobachtungen oder Experimenten aufgestellt oder bestätigt und als Erklärung für eine Gruppe von Tatsachen vorgeschlagen oder akzeptiert wurde. Es beinhalte zugleich, was die generellen Gesetze, Prinzipien oder Ursachen von etwas Bekanntem oder Beobachteten seien. Während ein wissenschaftliches Theorum im gleichen Sinn als eine Tatsache behandelt werden kann wie die Aussage „Die Erde ist eine Kugel, keine Scheibe“96, bezeichnet der Hypothese-Begriff nach Dawkins eine individuelle Ansicht, die noch der Bestätigung (bzw. Falsifikation) bedürfe.97 Der Begriff „Tatsache“ bezeichnet nach Dawkins etwas, das sich wirklich ereignet hat. Eine Tatsache sei eine spezifische Wahrheit, die durch aktuelle Beobachtung oder authentisches Zeugnis belegt werde. Sie unterscheide sich dadurch von bloßen Schlussfolgerungen. Da Beobachtungen und Zeugnisse allerdings fehlbar seien, besitze eine „Tatsache“ nicht den gleichen Status wie ein mathematisches Theorems.98 Zudem seien Beobachtungen und Zeugnisse nicht zwangsläufig reliabler als indirekte Schlussfolgerungen.99 Alle wissen96 97 98 99

Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 13. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 10 – 11. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 14. Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 15.

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schaftlichen Theorums beginnen nach Dawkins als Hypothese und durchlaufen einen schrittweisen Prozess, bis sie den Status eines Theorums erreicht haben. Die Darwin’sche Evolutionstheorie habe diesen Prozess bereits durchlaufen.100 Für Dawkins ist die Evolutionstheorie also deswegen eine „Tatsache“, weil sie zumindest in einem alltäglichen Sinne wahr ist und einen intersubjektiven Bewährungsprozess durchlaufen hat. Auch wenn man im einzelnen Anfragen an Dawkins’ Theorieverständnis haben kann, zeugt seine Argumentation auch in diesem Punkt von philosophischer Reflexion der methodischen Grenzen und Möglichkeiten der eigenen Disziplin.

3.3 Eine evolutionäre Sonderstellung des Menschen? Dawkins wendet sich gegen die Vorstellung einer evolutionären Sonderstellung des Menschen. Grundsätzlich ist der Mensch für Dawkins maßgeblich durch seine Evolutionsgeschichte geprägt. Dies zeigt sich u. a., wenn man die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Gehirns betrachtet.101 Es ist für Dawkins offensichtlich, dass die Evolution nicht auf den Menschen zielt. Die Evolution könne nicht auf den Menschen zielen, weil sie keine bevorzugte Abstammungslinie und kein vorher bestimmtes Ende kenne, sondern von der ohne Voraussicht und blind agierenden natürlichen Selektion beeinflusst werde. Die Evolution habe so schon Millionen vorläufiger Endpunkte erreicht – die Zahl der überlebenden Arten zum Beobachtungszeitpunkt.102 Damit liefert Dawkins eine sachgemäße und konsistente Begründung dafür, warum es im naturwissenschaftlichen Bereich schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, von einer evolutionären Sonderstellung des Menschen zu sprechen.

3.4 Die Notwendigkeit, in Politik und Gesellschaft antidarwinistisch zu handeln Analysiert man Dawkins’ Werk, so findet man immer wieder Stellen, die auf eine liberale und lebensbejahende Geisteshaltung hinweisen und die Dawkins auch in Gegensatz zu dem von ihm als universal geltend gedachten Darwinismus bringt. Zu nennen ist hier Dawkins’ Forderung, dass man als Mensch gegen die Konsequenzen des Darwinismus ankämpfen muss. Während man als Wissenschaftler den Darwinismus im Sinne der Darwin’schen Evolutionstheorie unterstützen sollte, sollte man als Mensch anti-darwinistisch handeln103 und sich von seinen evolutionären Wurzeln emanzipieren. Diese 100 101 102 103

Vgl. Dawkins, The Greatest Show, 17. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 366. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 17 – 18. Dawkins, A Devil’s Chaplain, 13.

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Emanzipation gelingt dem Menschen, weil sich in der Evolution seine Fähigkeit zum vorausdenkenden Handeln herausbildete.104 Diese Argumentation Dawkins’ passt zu der vorgestellten Anerkennung eines eigenständigen ethischen Handlungsbereiches des Menschen und zeugt somit ebenfalls von dem Versuch, die Grenzen der eigenen Disziplin auszuloten.

4. Ausgewählte gute Argumente und Diskursstrategien der Diskurs-Akteure Im Hinblick auf die guten Argumente und Diskursstrategien der DiskursAkteure musste wiederum eine Auswahl vorgenommen werden, da einige Punkte erst in den nächsten Kapiteln erläutert werden sollen. Grundsätzlich finden sich in fast allen Diskurs-Bereichen gute Argumente der Akteure, so dass im Folgenden Überlegungen zu Dawkins’ Weltsicht, seinem Wissenschaftsverständnis, seiner Theorie vom egoistischen Gen sowie seinem MemKonzept vorgestellt werden können.

4.1 Dawkins’ weltanschaulicher Atheismus Dass die Anfragen der Diskurs-Akteure an Dawkins’ Atheismus tiefer gehen als die Stilisierung desselben als fundamentalistisch, zeigt m. E. deren Strategie, Dawkins’ Atheismus von seinem Wissenschaftsverständnis aus zu kritisieren. Auffällig ist zugleich die enge Zusammenbindung von Atheismus und Naturalismus. So wird Dawkins’ Weltsicht zumeist als „atheistisch-naturalistische“ bezeichnet – beispielsweise von Heckmann. Fragt man danach, warum Dawkins’ Atheismus als weltanschaulich zu kennzeichnen ist, kommen vor allem folgende Punkte in Betracht: Blickt man auf die Begründung, die Dawkins für seinen Atheismus liefert, so zeigt sich, dass dieser nur auf die Richtigkeit des Naturalismus verweist. Dawkins’ Naturalismus nimmt also im Hinblick auf seine Atheismus-Konzeption eine petitio principii ein.105 Allerdings führt die explizite Begründung seines Atheismus (a. Formulierung der Gotteshypothese, b. mangelhafte Gründe für die Gotteshypothese, c. gute Gründe gegen die Gotteshypothese, d. h. Gott existiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht106) Dawkins dann wieder zu der Annahme, die naturalistische Position sei wahr. Dawkins’ Atheismus und Naturalismus stehen damit in einem gegenseitigen Begründungsverhältnis, ohne dass für eine der beiden Ansichten Gründe geliefert würden, die nicht schon wieder eine der Ansichten als wahr vor104 Dawkins, A Devil’s Chaplain, 15. 105 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 191 – 212. 106 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 191 – 212.

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aussetzen. Im Diskurs wird an dieser Stelle deutlich auf die impliziten Voraussetzungen Dawkins’ hingewiesen. Dawkins’ Versuch, eine über die bloße Annahme der Richtigkeit des Naturalismus hinausgehende Begründung für seinen Atheismus zu liefern, scheitert. So kann Dawkins immer nur zu dem Ergebnis kommen, dass „Gott mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht existiert“, d. h. er kann die Nichtexistenz Gottes nicht nachweisen. Diese Tatsache stellt einen potentiellen Falsifikator für die Wahrheit seines Atheismus dar. Darüber hinaus schlägt auch Dawkins’ Versuch fehl, seinen Atheismus als zwangsläufigen Ausfluss naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu begründen. Letztendlich besteht die von Dawkins angenommene Zwangsläufigkeit der Verbindung zwischen Evolutionstheorie und Atheismus nicht bzw. sie wird von ihm nicht ausreichend begründet.107 Ein weiteres Indiz für den Weltanschauungscharakter von Dawkins’ Atheismus besteht in dessen Ähnlichkeit mit dem Religionsphänomen. So teilen Religionen und Dawkins’ Atheismus viele Merkmale wie z. B. den Missionsgedanken oder Heilsversprechen.108 Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass Dawkins’ Atheismus durch seine Charakterisierung als weltanschaulich in seinem Absolutheitsanspruch eingeschränkt wird. So kann Dawkins’ Atheismus nicht die einzig mögliche Weltanschauung, sondern nur eine von vielen möglichen Weltsichten darstellen.109 Insgesamt zeigt sich, dass die Frage nach dem zwangsläufigen Resultieren von Dawkins’ Atheismus aus der Evolutionstheorie mit der Frage nach der Richtigkeit einer naturalistischen Weltsicht verknüpft wird. Sie ist ebenso mit der Frage vernetzt, ob die Evolutionstheorie Gott als Erklärung für die Entstehung der Welt und der Lebewesen überflüssig macht. Im Hinblick auf diese Punkte zeigt sich im Diskurs mehrheitlich die Tendenz, die Richtigkeit einer naturalistischen Weltsicht zu bestreiten. Gerade auf theologischer und auch auf philosophischer Seite wird zudem auf die Notwendigkeit der Gottesidee für die Erklärung der Entstehung des Lebens verwiesen. Diese Verflechtung von inhaltlichen Themen ist für den Diskurs typisch, zumal einzelne Argumente an verschiedener Stelle eingesetzt werden (können). Darüber hinaus kann der Mangel an Reflexion der eigenen Vorannahmen als wichtiges Gütekriterium für Argumente festgehalten werden.

4.2 Dawkins’ ontologischer Naturalismus Dawkins’ Annahme, dass es außerhalb der physikalischen Welt nichts gibt, d. h. keine übernatürliche kreative Intelligenz und keine den Körper über107 Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 11 – 13. 108 Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 338. 109 Vgl. zu diesem Gedankengang: Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 64.

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dauernde Seele und keine Wunder110, verweist klar auf eine naturalistische Position. Dass die Annahme der Wahrheit des Naturalismus für Dawkins’ Atheismus-Begründung eine zentrale Rolle darstellt, wurde bereits dargelegt. Es stellt sich nun die Frage, ob Dawkins’ Naturalismus als gut begründet verstanden werden kann und ob er als Weltanschauung im Sinne eines ontologischen Naturalismus zu verstehen ist. Hierfür ist wieder das Verhältnis von Dawkins’ naturwissenschaftlichen Ergebnissen und Erkenntnissen und seinem Naturalismus entscheidend. Es gibt nun folgende Punkte, die für eine Charakterisierung von Dawkins’ Naturalismus als weltanschaulicher Naturalismus sprechen: Dawkins leitet seinen Naturalismus vorgeblich aus Natur- und Kosmosbeobachtung ab und damit aus seinen wissenschaftlichen Beobachtungen. Deswegen ist der Naturalismus für Dawkins keine Weltsicht, sondern Ausfluss der Anwendung der wissenschaftlichen Methode, die allerdings übernatürliche Erklärungen per se ausschließt.111 Was Dawkins hier übersieht und nicht reflektiert (darauf weist z. B. Heckmann112 hin), ist, dass sein Naturalismus in dieser Konzeption tatsächlich die Rolle einer petitio principii einnimmt. Dawkins’ Naturalismus ist also eine seiner apriorischen philosophischen Voraussetzungen und nicht etwa nur der aposteriorische Ausfluss aus seinen wissenschaftlichen Ergebnissen. Dawkins’ Naturalismusbegründung ist damit zirkulär und sein Naturalismus kann als ontologisch eingestuft werden. Zugleich ist Dawkins’ ontologischer Naturalismus in sich selbst widersprüchlich. So erweist sich die Wissensbehauptung des ontologischen Naturalismus über einen geschlossenen Naturzusammenhang nach Kattmann in methodologischer Reflexion als Artefakt des wissenschaftlichen Vorgehens. Der geschlossene Naturzusammenhang könne nicht das Ergebnis der naturwissenschaftlichen Forschung sein, weil er bereits als methodische Forderung vorausgesetzt werde.113 Die Interpretation der Wirklichkeit als rein naturalistisch erschließbar führt also eine Deutungskategorie ein, die ihrerseits nur naturalistisch erschlossen werden kann, während sie gleichzeitig als Deutung nicht mehr mit naturwissenschaftlichen Mitteln gewonnen und kritisiert werden kann.114 Selbstwidersprüchlich ist Dawkins’ ontologischer Naturalismus auch, weil er sich bei der Formulierung seiner naturalistischen Weltsicht zumindest ex negativo auf ein Außerhalb beziehen muss. Der nicht zu umgehende Bezug auf eine formale Transzendenz ist nach Hoff wiederum ein Charakteristikum des Menschen.115 Dass der unumgängliche Bezug auf eine formale Transzendenz Raum für theologisches und religionsphilosophisches Nachdenken offen hält, 110 111 112 113 114 115

Dawkins, Der Gotteswahn, 25 – 26. Dawkins, What is True?, 18. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 191 – 212. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 332. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 69. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 50.

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wird zumindest von Hoff betont.116 Problematisch ist Dawkins’ ontologischer Naturalismus, weil Dawkins seinen Standpunkt nicht als einen unter vielen möglichen einschätzt, sondern als den einzig möglichen. Dass die Einstufung von Dawkins’ Naturalismus als ontologisch im Diskurs Dawkins’ Aussagen angemessen wiedergibt, zeigt ein Blick auf sein Werk. Hierbei wird offensichtlich, dass sich alle von Haught als zentral für eine ontologisch-naturalistische Weltanschauung herausgearbeiteten Thesen auch bei Dawkins finden. Dazu gehört z. B. die Überzeugung, dass das Universum und das Leben selbstständig ohne einen Schöpfungsakt Gottes entstanden.117 Der obige Hinweis auf nötige Widerspruchsfreiheit eines Argumentes verweist auf ein weiteres Gütekriterium für Argumente.

4.3 Hat Dawkins die rationalere Weltsicht? Im Diskurs machen sich einige Theologen Gedanken darüber, inwiefern ihre theistische Weltsicht gegen die Weltsicht Dawkins’ verteidigt werden kann. Sie argumentieren dazu entweder mit der Idee, dass es für Weltsichten klare Rationalitätskriterien gibt, an denen sich die theistische Weltsicht orientiert oder damit, dass der weltanschauliche Charakter von theistischen und atheistischen Argumentationsfiguren die Frage nach Gott erkenntnistheoretisch offen hält: Alle Menschen haben nach Ward eine Art grundsätzlicher Weltsicht. Eine dieser möglichen Weltsichten ist für Ward der „gesunde Menschenverstand“ (Common Sense). Davon unterscheidet er eine materialistische Weltsicht, eine idealistische Weltsicht und eine christlich-theistische Weltsicht. Während in den Naturwissenschaften der Materialismus als Weltsicht vorherrsche, neigten religiöse Sichtweisen zum Idealismus. Viele Religionskritiken beruhten auf der Annahme, dass der Idealismus falsch sei, d. h. keine spirituelle Dimension der Wirklichkeit existiert. Problematisch werde es in diesem Kontext, wenn Forscher wie Richard Dawkins behaupteten, ihre materialistische Weltsicht beruhe auf sorgfältiger Forschung und rationalem Denken, während religiöse Aussagen lediglich auf „blindem Glauben“ basierten. Nach Ward ist dies eine unzulässige Verengung des breiten Spektrums von möglichen Weltsichten. Zumal habe bislang keine Weltsicht bzw. kein metaphysisches System in der professionellen Philosophie einhellig Zustimmung gefunden.118 Aus der Erkenntnis, dass es unterschiedliche Weltsichten gibt, leitet sich für Ward die Frage ab, inwieweit die theistische Weltanschauung gegen Dawkins als rational verteidigt werden kann. Ward operiert hierzu mit der Idee, dass es für Weltsichten klare Rationalitätskriterien gibt sowie vernünftige Prozedu116 Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 71. 117 Vgl. Haught, God and the New Atheism, xiv. 118 Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 104 – 113.

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ren, mittels derer Weltansichten entworfen und verteidigt werden können. Bei solchen Prozeduren ist nach Ward auf Folgendes zu achten: – Die zur Weltansicht gehörigen Glaubensüberzeugungen sollten klar und präzise formuliert und in einem logischen Zusammenhang dargestellt werden. – Alternativen zu bestehenden Weltansichten sollten aufgezeigt und Vergleiche mit ihnen vorgenommen werden. – Die Angemessenheit der jeweiligen Weltansicht sollte in Bezug auf eine möglichst breite Datenbasis beurteilt werden. Diesen Prozeduren inhärent ist nach Ward zudem das nicht eliminierbare Element der persönlichen Einschätzung einer Weltanschauung.119Religiöse Weltanschauungen seien vor diesem Hintergrund nicht deshalb rational, weil sie unschlagbare Beweise für ihre Richtigkeit erbrächten, sondern weil sie auf kritische und durchdachte Weise systematisiert und aufgearbeitet worden seien, wofür man sich an rationale Kriterien gehalten habe und für unterschiedliche Interpretationen offen bleibe.120 Knapp wiederum hält das Kriterium der inneren Konsistenz von Weltbildern für entscheidend, wenn es um deren Rationalität geht. Er betont zudem, dass im Falle von konkurrierenden Weltbildern zu prüfen ist, welches Weltbild dem Phänomen besser gerecht wird. Weltbilder sind für Knapp unterlegen, wenn sie viele Erfahrungsbereiche verleugnen oder diese als illusionär abtun. Dies ist nicht zuletzt mit dem Umstand zu begründen, dass Weltbilder nicht nur eine theoretische Erklärung der Welt, sondern auch die praktische Lebensgestaltung im Blick haben.121 Knapp hält gerade Dawkins’ Weltbild in dieser Hinsicht für unterlegen. Hoff betont, dass das Verhältnis von theistischen und atheistischen Argumentationsfiguren grundsätzlich zirkulär ist. Während die religionskritischen Argumentationsfiguren beispielsweise eines Dawkins nach einer Auflösung des theistischen Überzeugungsrahmens auf Basis naturalistischer, funktionalistischer oder sprachanalytischer Zugangsweisen suchten, versuche die theistische Gegenkritik sich an einer Problematisierung oder Zurückweisung der kritischen Einwände. Dies geschehe z. B. mit dem Verweis auf den Unterschied zwischen Genesis und Geltung einer Überzeugung oder auch mit Hinweis auf den Weltbildcharakter des szientifischen Naturalismus. Übersehen werde dabei oft der Weltbildcharakter, der Kritik wie Gegenkritik einbette und die Frage nach Gott erkenntnistheoretisch offen halte.122 Betrachtet man die oben aufgeführten Kriterien für „rationale“ Weltsichten, so wird klar, dass Dawkins’ Weltsicht nicht ohne weiteres als rationaler 119 120 121 122

Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 121. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 119 – 121. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 275. Hoff, Die neuen Atheismen, 147.

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eingestuft werden kann als andere Weltsichten. So bemühen sich die obigen Forscher darum aufzuzeigen, inwiefern auch eine theistische Weltsicht als rational verstanden werden kann. Dabei überzeugen mich vor allem Wards Kriterien für die Systematisierung und Darstellung von Weltsichten. Sein Versuch, die Thesen Dawkins’ durch metatheoretische Überlegungen zu relativieren (Strategie 4), kann damit als erfolgreich bewertet werden.

4.4 Dawkins’ szientistisches Wissenschaftsverständnis Bereits ein summarischer Überblick über Dawkins’ Charakterisierungen „guter Wissenschaft“ lässt erkennen, warum die meisten Diskurs-Akteure zu einer einheitlichen Einschätzung von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis kommen. Dawkins’ Verständnis guter Wissenschaft umfasst folgende Vorstellungen: – Gute Wissenschaft ist die einzig gute Methode, um die Fragen nach unserer Herkunft zu beantworten.123 – Unter der Voraussetzung, dass es absolute Wahrheit gibt, ist die wissenschaftliche Methode eine privilegierte Straße in Richtung dieser Wahrheit.124 – Gute Wissenschaft wird durch Beweise und das menschliche Alltagsempfinden gestützt.125 – Gute Wissenschaft zeichnet sich durch überprüfbare Resultate aus.126 – Gute Wissenschaft überzeugt Menschen von ihren Wahrheitsansprüchen.127 – Wissenschaftliche Wahrheiten sind in genau demselben Ausmaß wahr wie die Wahrheiten, die wir aus unserem alltäglichen Wahrheitskonzept ableiten, auch wenn sie im strengen Sinn Hypothesen sind.128 – Gute Wissenschaft macht Fortschritte, indem sie ihre Fehler eingesteht.129 – Gute Wissenschaft weiß, um das, was sie nicht weiß.130 Wissenschaftliche Glaubensaussagen unterscheiden sich von religiösen Glaubensaussagen, weil sie mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode gewonnen werden. Diese Methode zeichnet sich nach Dawkins durch folgende Vorteile aus, die im religiösen Glaubensbereich fehlten: Testbarkeit, Beweisqualität, Präzision, Quantifizierbarkeit, Konsistenz, Intersubjektivität, Wiederholbarkeit, Universalität, Fortschrittlichkeit und Unabhängigkeit von 123 124 125 126 127 128 129 130

Dawkins, Science, Genetics and Ethics, 31. Vgl. Dawkins, What is True?, 17. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 41. Dawkins, What is True?, 18. Vgl. Dawkins, What is True?, 18. Vgl. Dawkins, What is True?, 20. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 54. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 54.

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kulturellen Milieus.131 Die wissenschaftliche Methode ist für Dawkins in diesem Sinne objektiv. Dass ein solches Wissenschaftsverständnis problematisch ist, machen die folgenden Überlegungen sichtbar : Wenn Dawkins den Begriff des Beweises auf das reduziert, was den Naturwissenschaften zugänglich ist, und die Realität darauf, was durch die Naturwissenschaft erkannt werden kann132, so vertritt er ein spezifisches Realitäts- und ein spezifisches Beweiskonzept. Sein Realitätskonzept basiert auf der Annahme, dass der Wissenschaftler die Natur selbst und nicht nur Erscheinungen der Natur (Kant) erkennen kann. Im Kontext seines Beweiskonzepts versteht Dawkins nur das als Beweis, was wissenschaftlich testbar, empirisch vorhanden oder öffentlich beobachtbar133 ist. Problematisch ist nun der Schluss, dass diese spezifischen Konzepte die einzig möglichen Realitäts- und Beweiskonzepte sind. Im Kontext wissenschaftstheoretischer Überlegungen ist demgegenüber von einer Pluralität der Realitätskonzepte und einer Pluralität dessen auszugehen, was unter einem Beweis verstanden wird. Mit Greif muss hervorgehoben werden, dass Dawkins’ Ablehnung relativistischer und sozial-konstruktivistischer Theorien zwar explizit ist, diese aber weder differenzierend ist noch konsequent in einen systematischen erkenntnistheoretischen Rahmen eingebunden wird.134 Dies passt zu der Erkenntnis, dass für Dawkins nur eine Betrachtung der Realität und nur eine Art von Beweis möglich ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob nur das als rational gelten darf, was mit der Methodik der modernen Einzelwissenschaften identifiziert werden kann.135 Dass Dawkins als vernünftig nur diejenigen Argumente einstuft, die aus den Naturwissenschaften stammen, verweist nach Langthaler auf einen „szientistischen Zirkel“.136 Dieser Zirkel erklärt sich daraus, dass Dawkins’ Postulat der Objektivität der naturwissenschaftlichen Methode sich nicht mittels Beobachtung und Experiment beweisen lässt, so dass es letztendlich nichts anderes als ein Glaubenssatz bzw. Dawkins’ implizite Voraussetzung ist.137 In diesem Sinne ist Dawkins’ Wissenschaftsverständnis szientistisch.Ganz unabhängig von der Frage, ob die naturwissenschaftliche Methode tatsächlich die einzige Möglichkeit der Realitätsbetrachtung ist, stellt sich die Frage, ob Dawkins’ Kriterien für die wissenschaftliche Methode überzeugen. So ist es kaum vorstellbar, dass sich 131 132 133 134 135

Vgl. Dawkins, Viruses of the Mind, 171. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 38 – 39. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 5. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 121. Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, in: Dawkins’ Gotteswahn, 58. 136 Vgl. Langthaler, Warum Dawkins’ „Gotteswahn“ die Gottesthematik in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt, in: Dawkins’ Gotteswahn, 58. 137 Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 105. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 5 sowie 11.

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Dawkins’ Idealvorstellung der Unabhängigkeit von kulturellen Milieus in der Praxis durchhalten lässt. Im Diskurs werden gegen Dawkins’ einseitige Konzepte zu Recht Alternativen gesetzt. Haughts Hinweis auf die Gültigkeit von theologischen Erklärungsformen138, Schröders Formulierung einer interpersonalen Erkenntnishaltung139 und eines Wissenschaftspluralismus140, Claytons Hinweis auf drei unterschiedliche Erklärungslevels141 und Barbours Hinweis auf das selektive Arbeiten der Naturwissenschaften142 zeigen die Spielräume an, neben Dawkins’ Perspektive noch andere Perspektiven, Erklärungen, Realitätskonzepte und Beweisarten zuzulassen. Der Einstufung von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis als szientistisch ist vor diesem Hintergrund insgesamt zuzustimmen. Lediglich Dawkins’ Bekenntnis zu den poetischen Aspekten der Naturwissenschaft und seine Verwendung freier, narrativer, literarischer Techniken in der Darstellung wissenschaftlicher Theorien stehen im Gegensatz zu dem, was im Diskurs unter Szientismus verstanden wird. Dies weist nach Greif darauf hin, dass es für Dawkins keine Wechselwirkungen zwischen Aussagen über Dinge und der Natur der Dinge gibt.143 Allerdings ist auch die Annahme fehlender Wechselwirkungen schon wieder Ausfluss von Dawkins’ Realitätskonzept. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Argumentation der am Diskurs beteiligten Wissenschaftler davon beeinflusst wird, welches Konzept des Verhältnisses von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften sie vertreten. Dass sich gerade viele Philosophen zu diesem Punkt äußern, liegt daran, dass Dawkins’ Bild der Wissenschaft gerade nicht nur die Theologie, sondern auch die Philosophie in Frage stellt. Darüber hinaus operieren die meisten Wissenschaftler, unabhängig welcher Disziplin sie angehören, bei der Zurückweisung von Dawkins’ Wissenschaftsverständnis vor allem mit den methodischen Grenzen der Naturwissenschaft. Gegen Dawkins’ Bild der Naturwissenschaft als einziger Methode, die Realität zu erfassen, und seine Absolutsetzung des wissenschaftlichen Beweises, der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und Erklärung wird insgesamt ein Pluralismus der Realitätserfassung, der Wahrheitsfindung, der Beweise, Erkenntnisse und Erklärungen gesetzt. Diese Pluralität der Realitätsbetrachtung ist m. E. zielführender als Dawkins’ einseitige Realitätsbetrachtung, weil sie um ihre impliziten Voraussetzungen weiß und Alternativen in den Blick nimmt.

138 139 140 141 142 143

Vgl. Haught, God and the New Atheism, 84. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 65 – 66. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 57. Vgl. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 313. Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 28. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 121 – 22.

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4.5 Welche Faktoren sprechen gegen einen möglichen Alleinerklärungsanspruch der Theorie vom egoistischen Gen? Im Diskurs wurden unterschiedliche Faktoren sichtbar, die die Deutungshoheit und den Absolutheitsanspruch von Dawkins’ Theorie einschränken. Zunächst einmal wurde auf die implizite Voraussetzung der Theorie hingewiesen, die einem sehr spezifischen, nicht verallgemeinerbaren und kaum akzeptiertem Genbegriff verpflichtet ist. Dabei unterscheiden sich die Argumente, die Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler einsetzen, um Dawkins’ Genbegriff zu problematisieren, voneinander. Während McGrath Dawkins’ funktionale Gendefinition als partiell zirkulär einstuft144, verweist Knapp auf den einheitlichen Genbegriff der Genetik145, dem Dawkins’ Genbegriff entgegenstehe. Midgley hält Dawkins’ Definition des Gens als handlungsfähig für nicht anwendbar und bemängelt deren fehlende empirische Überprüfbarkeit.146 Dupr wiederum verweist auf eine Doppeldeutigkeit von Dawkins’ Genbegriff147, während Williams kritisiert, dass Dawkins in seiner Gendefinition die grundlegende Trennung zwischen Objekt und Information nicht dezidiert vorgenommen habe.148 Stent hält Dawkins’ Gendefinition für inkompatibel mit der für die Molekularbiologie verbindlichen Definition und kritisiert, dass Dawkins Genen Eigenschaften zuschreibe, die sie in Wahrheit nicht besäßen.149 Diese vielfältige und facettenreiche Kritik an Dawkins’ Genbegriff zeigt m. E. zweierlei: Dawkins steht vor der Herausforderung, seine Theorie auf einem Begriff aufzubauen, der in der Biologie bis heute nicht verbindlich definiert werden konnte. Jede biologische Disziplin verwendet in der Regel ihre eigene Gendefinition. Dieser Umstand kann teilweise die Kritik an Dawkins’ Genkonzept erklären, die vor allem aus der Entwicklungs- und Molekularbiologie kommt. Da Dawkins aber für sich beansprucht, eine sehr weitreichende Interpretation des Evolutionsprozesses geliefert zu haben, wäre es wünschenswert gewesen, dass er die Problematik der unterschiedlichen in der Biologie wirksamen Genkonzepte stärker berücksichtigt hätte. Trotz dieses Mangels ist es im Diskurs weitestgehend unbestritten, dass Dawkins’ Genperspektive eine wichtige Interpretationsmöglichkeit des Evo144 Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 39. 145 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 56. 146 Vgl. Midgley, Gene.-Juggling, 439. Der Hinweis auf die fehlende Empirie bei Dawkins steht vor dem Hintergrund, dass die Evolutionstheorie als Ganzes keine Theorie ist, die empirisch überprüfbar ist. Dawkins’ Sprechen vom Gen als ‘real agent’ weist Midgley z. B. in ihrem Buch The Myths We Live By, 48 zurück: „Once the concept of activity of agency – is removed from its normal use, it should surely vanish altogether.“ Zu der weiteren Argumentation siehe Midgley, Gene-Juggling, 446 – 451. 147 Dupr, Darwin’s Legacy, 24. 148 Vgl. Williams, Ein Informationspaket, 51. 149 Vgl. Stent, Altruismus ohne Ethik, 6 – 8.

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lutionsprozesses eröffnet hat. Abgelehnt wird vehement nur die Annahme, diese Perspektive sei die einzig zulässige. So kann nach Moritz Dawkins’ genselektionistische Perspektive schon allein deshalb nicht die einzig mögliche Perspektive sein, weil Dawkins in seiner Theorie den entwicklungsbiologischen Kontext ausblendet.150 Nach Dupr schließt Dawkins das Phänomen der Entwicklung in eine „Blackbox“ ein.151 Nach Moss kann ein Festhalten an der Deutungshoheit des Gen-Selektionismus nur gelingen, wenn man molekularbiologische Erkenntnisse ausblendet.152 Auch die zahlreichen Versuche alternativer Interpretationen des Evolutionsprozesses (Diskursstrategie 7) stellen die Ausschließlichkeit von Dawkins’ Gen-Selektionismus in Frage, ohne sie als eine mögliche Perspektive abzulehnen.

4.6 Kann es letztgültige darwinistische Erklärungen geben? Schröder lehnt Dawkins’ Suche nach letztgültigen darwinistischen Erklärungen ab, da sie an der absoluten Grenze darwinistischer Erklärungen scheitern müsse. Die absolute Grenze darwinistischer Erklärungen besteht nach Schröder darin, dass sie nicht auf sich selbst anwendbar sind.153 Vor diesem Hintergrund entzieht sich z. B. das Phänomen Wissenschaft nach Schröder einer darwinistischen Erklärung. So sei Wissenschaft nicht (allein) das Resultat von natürlicher Selektion und Mutationen, sondern verdankt sich intensiver Forschungsarbeit und vor allem der menschlichen Fähigkeit, ein Verhältnis zu seinen Verhältnissen zu haben.154 Es gebe also mit dem forschenden Darwinisten mindestens einen „Gegenstand“, auf den der Darwinismus nicht umstandslos anwendbar sei.155 Die Probleme der Annahme, darwinistische Erklärungen könnten letztgültig sein, stellt Schröder überzeugend dar. Auch hier spielt also wieder das Kriterium der Widerspruchsfreiheit eine Rolle, wenn es darum geht, Schröders Kritik an Dawkins zu befürworten.

4.7 Das Mem-Konzept als eine gute Erklärung für das Phänomen der menschlichen Kultur? Dawkins kommt auf die menschliche Kultur zu sprechen, wenn er danach fragt, ob es gute Gründe für die Vermutung gibt, dass unsere Spezies einzig150 151 152 153 154 155

Vgl. Moritz, Evolutionary Evil, 143 – 188. Dupr, Darwin’s Legacy, 24 – 25. Moss, What Genes Can’t Do, 194. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 73. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 74 – 75. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 76.

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artig ist.156 Wenn wir unserer Evolutionsgeschichte nach auch Tiere sind, unterscheiden wir uns durch die Art unserer Kultur in qualitativer Hinsicht von Tieren. Um zu erklären, wie die menschliche Kultur als Produkt unserer Evolutionsgeschichte verstanden werden kann, entwickelt Dawkins sein MemKonzept. Auch wenn die Tatsache unbestritten ist, dass unsere Kultur evolutionäre Wurzeln aufweist, kann Dawkins’ Mem-Konzept aus verschiedenen Gründen nicht als gute Erklärung der menschlichen Kultur aufgefasst werden: Bei der Entwicklung seiner Memtheorie nimmt Dawkins keine alternativen Kulturbegründungen in den Blick, so dass diese nicht argumentativ zurückgewiesen werden. Dies hat zur Folge, dass das Erklärungspotential der Memtheorie zwangsläufig spekulativ bleiben muss, bis nicht ihr Verhältnis zu anderen Kulturbegründungstheorien geklärt ist. Dies weiß auch Dawkins, der betont, dass die Memtheorie in ihrem jetzigen frühen Entwicklungsstadium noch keine umfassende Erklärung für die menschliche Kultur liefern möchte.157 Da das Verhältnis zwischen Memtheorie und anderen Kultur-Theorien nicht geklärt ist, stellt sich zugleich die Frage, inwieweit Meme als notwendiges Erklärungskonstrukt verstanden werden müssen.158 Unabhängig von ihrem Stellenwert im Kontext anderer Kultur-Theorien wird das Erklärungspotential der Memtheorie dadurch eingeschränkt, dass Dawkins die Existenz seiner Meme per Analogieschluss setzt und nicht argumentativ begründet. Exemplarisch für diese Einsicht steht Greif, der betont, dass es nicht logisch zwangsläufig ist, dass ein genetischer Selektionsprozess Effekte hervorbringt, die in gleichartige, in denselben Begriffen zu beschreibende Selektionsprozesse münden.159 Selbst wenn man mit Dennett zugesteht, dass zwischen Genen und Memen mehr als eine oberflächliche Ähnlichkeit besteht, weil sowohl Gene als auch Meme Informationen kopieren und übermitteln160, stellt sich immer noch die Frage, wo die Grenzen eines Mems liegen.161 Dass diese Frage bisher nicht befriedigend geklärt werden konnte, zeugt m. E. nicht nur von einer Unschärfe in Dawkins’ Mem-Konzept, sondern von einem grundsätzlichen Problem des Versuchs, kulturelle „Replikatoren“ zu definieren. Unabhängig von der Frage, ob Meme tatsächlich existieren oder nicht und wo ihre Grenzen liegen, muss auf eine Inkonsistenz in Dawkins’ konkreter Argumentation hingewiesen werden. Während Dawkins z. B. religiöse Ideen oder Meme als virusähnlich bezeichnet, sind für ihn wissenschaftliche Ideen oder Meme nicht virusähnlich, ohne dass er für diese Unterscheidung überzeugende Kriterien entwickeln würde. Auf diesen Punkt verweist z. B. McGrath.162 156 157 158 159 160 161 162

Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 316. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 274 – 75. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 124 – 38. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 115. Vgl. Dennett, Den Bann brechen, 112 – 113. Dennett, Den Bann brechen, 429. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 124 – 38.

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Um eine angemessene Erklärung für das Phänomen Kultur darzustellen, müsste die Memtheorie in kritischer Auseinandersetzung mit alternativen bestehenden Kultur-Theorien reformuliert werden, Inkonsistenzen in der Beurteilung und Argumentation (religiöse vs. wissenschaftliche Ideen) müssten aufgehoben werden und die Fragen nach der Existenz und Grenzen von Memen müssten besser geklärt werden. Ergebnisse Die oben vorgestellten Argumente Dawkins’ sind vor allem deswegen als angemessen einzustufen, weil er sich in diesen Bereichen durchaus mit den Grenzen und Vorannahmen seiner eigenen Disziplin auseinandersetzt. Ein Umstand, der bei Dawkins in anderen Argumentationsgängen oftmals nur ungenügend ausgeprägt ist. Im Hinblick auf die angemessenen Argumente der Diskurs-Akteure zeigt sich insgesamt eine enge Verflechtung der Frage nach dem zwangsläufigen Resultieren von Dawkins’ Atheismus aus der Evolutionstheorie mit der Frage nach der Richtigkeit einer naturalistischen Weltsicht und der Frage, ob die Evolutionstheorie Gott als Erklärung für die Entstehung der Welt und der Lebewesen überflüssig macht. Dawkins’ ontologischer Naturalismus wird dabei im Diskurs zu Recht als selbstwidersprüchlich bewertet. Problematisch ist Dawkins’ ontologischer Naturalismus auch, weil Dawkins seinen Standpunkt nicht reflektiert. Die Kritik der Diskurs-Akteure an Dawkins’ Szientismus wird vor allem davon beeinflusst, welches Konzept des Verhältnisses von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften sie vertreten. Die von den Diskurs-Akteuren argumentativ verteidigte Pluralität der Realitätsbetrachtung ist m. E. zielführender als Dawkins’ einseitige Realitätsbetrachtung, weil sie um ihre impliziten Voraussetzungen weiß und Alternativen in den Blick nimmt. Gegen Dawkins’ Annahme, eine theistische Weltanschauung sei zwangsläufig irrational, können Wards Kriterien für rationale Weltsichten eingesetzt werden.163 Während die Relevanz von Dawkins’ Perspektive des egoistischen Gens im Diskurs unbestritten ist, wird deren Verabsolutierung richtigerweise abgelehnt. Dawkins’ Mem-Konzept müsste reformuliert werden, um eine angemessene Erklärung für das Phänomen Kultur darzustellen. Die leitenden Kriterien, die zu einer Einteilung von Argumenten und Diskursstrategien als angemessen führten, seien im Folgenden nochmals im Überblick dargestellt: – Argumente sind sachgemäß, widerspruchsfrei und konsistent.164 163 Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 119 – 121. 164 Die Mindestanforderung für gute Argumente ist deren formallogische Korrektheit und deren Widerspruchsfreiheit, d.i. ihre logische Gültigkeit. Wahrheit ist demgegenüber keine notwendige Bedingung für gute Argumente. „Wir beurteilen ein Argument als ,gut‘ oder ,plausibel‘, ohne damit zwingenderweise über seine Wahrheit zu urteilen. Es kann also sein, …, daß wir nichts über die Wahrheit eines Argumentes wissen, oder daß wir ein Argument tatsächlich

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– Zurückzuweisende Argumente werden differenziert dargestellt bzw. der weitere Kontext des zurückzuweisenden Argumentes wird berücksichtigt.165 – Aussagen oder Argumente werden nicht unsachgemäß zusammengebunden. – Argumentationsebenen werden nicht vermischt.166 – Mögliche alternative Argumente, Aussagen oder Theorien werden in den Blick genommen.167 – Implizite Voraussetzungen und leitende Interessen der eigenen/ der anderen Disziplinen oder Forscher werden sichtbar gemacht.168 – Diskursstrategien dienen nicht dazu, den Diskurs zu emotionalisieren. – Diskursstrategien werden nicht zur Diskreditierung von Argumentationsgegnern verwendet.

165

166 167 168

für falsch halten, oder daß wir sogar tatsächlich im Nachhinein feststellen, ein Argument ist falsch – ohne daß all dies uns davon abhalten würde, ein Argument für ,gut‘ zu halten.“ Damschen/ Schönecker, In dubio pro embryone, 257 – 58. Die nachfolgenden Kriterien wurden auf Grundlage der Einsicht entwickelt, dass die Beurteilung von Argumenten mehr heißt als bloß die Frage nach ihrer Gültigkeit zu stellen. Vgl. Gmeiner-Jahn, Deduktivismus: eine gute Empfehlung?, hier 149. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 22 – 23. Vgl. Steinhoff, Wissenschaftliche Textkompetenz, 124. Vgl. Gatzemeier, Philosophie als Theorie der Rationalität, 128.

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2. Kapitel: Die weiterführenden Implikationen des Dawkins-Diskurses Der Dawkins-Diskurs bietet für die Systematische Theologie vor allem vier weiterführende Implikationen, die im Folgenden entfaltet werden sollen. In fundamentaltheologischer Perspektive ist zunächst relevant, was Dawkins und der Diskurs zu der Frage beitragen, ob die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ eine wahrheitsfähige Behauptung ist, die kognitiv Geltung hat. Ebenso stellt sich die fundamentaltheologisch relevante Frage nach dem Beitrag Dawkins’ und des Diskurses zum Verhältnis und Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Aus sozialethischer Perspektive kann die Frage geklärt werden, welchen Beitrag der Diskurs und Dawkins im Hinblick auf die Entstehung von Moral und die Begründung von Normen leisten. Dogmatischerseits kann nach dem Beitrag Dawkins’ und des Diskurses zum Menschenbild gefragt werden. Bevor ich näher auf diese vier entscheidenden Implikationen des Diskurses für die Systematische Theologie eingehe, möchte ich noch die Rolle der Gottesbilder im Diskurs beleuchten.

1. Die Rolle der Gottesbilder im Diskurs Im Folgenden möchte ich die theologischen und philosophischen DiskursAkteure vorstellen, die in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Dawkins explizit ein eigenes Gottesbild formulieren. Es zeigt sich, dass die Formulierung eines – wie auch immer gearteten – Gottesbildes die Argumentation der Diskurs-Akteure in nachhaltiger Weise beeinflusst1. a. Bei Deibl findet sich z. B. die Vorstellung, dass Gott kein konkreter räumlicher Ort zugewiesen werden darf, weder in einer jenseitigen Welt noch im Einbruch in diese Welt noch im menschlichen Bewusstsein. Gott hat also die Eigenschaft, nicht räumlich-konkret verortbar zu sein. Gott hat für Deibl vielmehr die Eigenschaft, eine Chiffre dafür zu sein, dass die Welt nicht in der Totalität eines Systems, einer Antwort, einer Ideologie oder einer Formel abgeschlossen werden darf und kann. Zugleich ist Gott für Deibl in diesem Kontext personal, da er als Chiffre für das Offenhalten der Welt auch die menschliche Freiheit bedingt.2 Allerdings versteht Deibl das Personsein Gottes in einem spezifischen Sinne. So bedeutet die Rede von einem persönlichen 1 Damit zeigt sich auch, dass längst nicht alle Theologen in der Auseinandersetzung mit Dawkins ein explizites Gottesbild formulieren. Gleichwohl sind viele der theologischen Argumentationen von einem impliziten Gottesverständnis her geprägt – z.B. wenn Knapp betont, dass der Schöpfer seinen Geschöpfen ihren neuen actus essendi mitteilen kann, ohne etwas kausal zu verändern oder in etwas einzugreifen. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 280. 2 Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 211 – 212.

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Die weiterführenden Implikationen

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Gott für ihn nicht, dass man von einem höchsten himmlischen, konkret verortbaren Wesen spricht, das in die Gesetzmäßigkeiten der Welt willkürlich ein- oder eben nicht eingreift. Gott als Person zu bezeichnen, ist für Deibl vielmehr Sinnbild dafür, dass die Welt letzten Endes weder einem blinden Schicksal unterstellt ist, noch irgendwelchen angeblich letzten Motiven, sei es das Überleben der Stärkeren oder der Gewinn. Weltbetrachtung sei vielmehr nur unter dem von Gott bedingten Aspekt der Freiheit möglich, der die Welt in ihrer fundamentalen Offenheit gerade nicht unterlaufe. „Die Frage, ob Gott dann innerweltlich oder in einem Jenseits verortet wäre, hebt sich dadurch auf, weil jede Geschlossenheit der Welt als solche zerbricht. Es wird möglich, der Welt in ihrer Offenheit zu begegnen und sie in dieser anzuerkennen.“3

Die von Deibl ausgesagte Offenheit der Welt gegen naturalistisches Abschotten der Welt weist auf einen transzendenten Bereich hin. Gott ist für Deibl demnach weder rein immanent noch radikal transzendent. Durch seine These der grundsätzlichen Offenheit der Welt nimmt er m. E. aber letztendlich doch eine – wenn auch nicht konkrete – räumliche Verortung Gottes vor und zwar gerade im Kontext dieser Offenheit, in der die Welt als immanente und zugleich auf die Transzendenz hin offene Größe erscheint. Gott ist für Deibl eine „Person“, weil wir ihn in einer grundsätzlich offenen Welt aufgrund unserer freiheitlichen Veranlagung nicht anders als personal betrachten können, während Gott zugleich die Quelle unserer Freiheit ist. Gott Person zu nennen, ist für Deibl gleichzeitig Ausdruck der Hoffnung, dass die Welt keinem blinden Schicksal unterstellt ist. Charakteristisch für Deibls Gottesbild sind die Begriffe „Chiffre“, „Unabgeschlossenheit bzw. Offenheit der Welt“ sowie „Freiheit“. Analog dazu bestimmt Deibl eine Aufgabe der Religion als „Anschärfen und Offenhalten von Fragen“.4 Biblische Religion ist für Deibl kein fertiges, geschlossenes Ganzes, sondern von einer prozesshaften Entwicklung geprägt.5 Den Menschen beschreibt Deibl als offenes und fragendes Wesen schlechthin, das zugleich aus dem „Entzug seiner Mitte“ lebe.6 Menschliches Leben ist für Deibl darüber hinaus nicht in einem Horizont des Scheiterns oder des Bösen zu denken, sondern in einem offenen Horizont der Freiheit und Verantwortung.7 An Dawkins’ Umgang mit der Bibel kritisiert Deibl u. a. dessen unreflektiertes Transzendenzverständnis, in dessen Kontext zwischen einem Bereich der Welt als des Natürlichen (Immanenz) und einem Bereich des Übernatürlichen (Transzendenz) unterschieden werde. Diese Unterscheidung ist nach Deibl unbiblisch.8 Eine Aufhebung der strikten Trennung zwischen Immanenz und Transzendenz ist dementsprechend maßgeblich für das von 3 4 5 6 7 8

Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 212. Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 201. Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 213. Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 204 – 05. Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 207. Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 210 – 11.

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Deibl präsentierte Gottesbild. Die Bibel ist nach Deibl in diesem Sinne keine übernatürliche Mitteilung, die irgendwie in die menschliche Welt einbricht, sondern sie denkt radikal vom Menschen her. Dadurch nehme sie den Menschen als Interpreten unaufgebbar in ihre Geschichten mit hinein. Kriterium der Interpretation, das keine Deutung mehr unterschreiten dürfe, sei dabei die Erfahrung eines befreienden Gottes. Gleichzeitig muss nach Deibl, Solange es die Bibel gibt, die Frage nach ihrer Interpretation und Bedeutung offengehalten werden. Bibel und Religion zielen für Deibl insgesamt auf die Erschließung eines neuen Horizonts von Fragen und haben dadurch aufklärerisches Potential.9 b. Ausgehend von dem Gedanken, dass Dawkins ein „falsches theologisches Grundmodell“ vertritt, in dem Gott als Totalisator eines Welterklärungsprogramms verstanden wird und so als Vertragspartner der menschlichen Vernunft erscheint, entwickelt Hoff seinen alternativen Gottesbegriff. Gott offenbart sich nach Hoff als innerste Ausrichtung des Menschen und tritt insofern in Beziehung mit ihm. Gott manifestiert sich in seiner Schöpfung, ohne in ihr aufzugehen. Er kann in die Immanenz der Welt eingreifen, ohne einer ihrer Teilaspekte zu sein oder in ihr aufzugehen. Versteht man Beziehung vor diesem Hintergrund als Grundprinzip der Wirklichkeit – wie sich dies auch trinitätstheologisch anbietet – so unterzieht man nach Hoff jede Gottesbestimmung der für sie notwendigen Komplizierung. Notwendig ist die Komplizierung der Gottesbestimmung nach Hoff, weil von der Offenbarung Gottes, seiner Ansprechbarkeit und seiner Gegenwart nur im Modus seiner bleibenden Verborgenheit gesprochen werden kann.10 Die von der Trinitätstheologie ausgehende Vorstellung, dass Beziehung als Grundprinzip der Wirklichkeit zu bestimmen ist, lässt m. E. die Frage nach dem Charakter dieser Beziehung aufkommen. Für Hoff scheint Gott dabei einerseits vor dem Hintergrund der Trinitätstheologie personal gedacht werden zu müssen (als Gott der Beziehung11), andererseits muss die Rede von Gott verkompliziert werden, da sich Gott zugleich im Modus der nicht aufhebbaren Verborgenheit befindet. Passend zu seiner Gottesvorstellung ist der Mensch nach Hoff auf letzte Gründe verwiesen, die sich mit menschlichen Mitteln nicht völlig aufdecken lassen. Dies zeigt für Hoff eine grundlegende Spannung der menschlichen Existenz an, die darin besteht, auf etwas Unabschließbares bzw. Unendliches ausgerichtet zu sein. Diese Spannung lässt sich nach Hoff sowohl theologisch als auch evolutionsbiologisch funktional ausdeuten.12 Theistische Überzeugungen sind nach Hoff grundsätzlich als existentielle Interpretationen zu verstehen, die auf eine grundsätzliche Lebensbedeutung zielen.13 Damit geht 9 10 11 12 13

Vgl. Deibl, Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel, 221 – 23. Hoff, Die neuen Atheismen, 53. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 158. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 147. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 149.

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es für Hoff darum, religiöse Sätze nicht als Darstellung von Sachverhalten, sondern als Interpretation von existentiellen Erfahrungen zu deuten, deren metaphysische Implikationen gleichwohl für eine eschatologische Verifikation offen bleiben.14 Wenn Hoff religiöse Sätze grundsätzlich nicht als Tatsachenbehauptungen deutet, sondern als Interpretation von existentiellen Erfahrungen, dann zeugt dies von einer eher nonkognitivistischen als kognitivistischen Position. „In der Spannung menschlicher Existenz, die das Unendliche als Frage, damit aber zugleich als das notwendig zu Denkende und unmöglich Einzuholende in sich austrägt, entsteht die Hoffnung auf das, was noch dieser ans Absurde grenzenden, aporetisch auslaufenden Diastase als solcher eine Bedeutung gibt.“15 Allerdings – und darin liegt nach Hoff die Stärke der atheistischen Anfragen – weist die menschliche Wirklichkeit wenig Gottesrealität auf. Wolle man an Gott glauben, so scheine er auf Entzug zu existieren. Dies fordere zu einer Umstellung der Gottesrede heraus, die zu einer Deutungsgröße gerade der Erfahrungen werden müsse, die Anlass böten, auf Gott zu verzichten.16 Hoffs Kritik an Dawkins ist stark von seinem Gottes- und Menschenbild geprägt. Neben dem Verweis auf Dawkins’ falsches theologisches Grundmodell ist Hoff vor allem um den Nachweis bemüht, dass Dawkins’ szientistischer Naturalismus selbstwidersprüchlich ist. Dazu bedient sich Hoff der auch für sein Gottesbild relevanten These, dass es ein Grundcharakteristikum des Menschen ist, über sich selbst hinaus verwiesen zu sein und sich aus dem Gegebenen herauszuheben. Da sich der Mensch zumindest ex negativo zwangsläufig auf ein Außerhalb beziehe, sei von einem unumgänglichen (formalen) Transzendenzbezug auszugehen.17 c. Für Beattie ist Gott am besten als kreativer Genius zu verstehen.18 Dieses Verständnis hat ihrer Meinung nach den Vorteil, dass es dem Versuch- und Irrtumprozess der Evolution gerechter werde als die Vorstellung eines Designer-Gottes. Während Design einen funktionalen und kontrollierten Planungsprozess impliziert, der letztendlich Mittel zum Zweck ist, ist Kreativität für Beattie Selbstzweck. Je größer ein kreatives Unternehmen ist, desto größer ist nach Beattie auch das Risiko des Scheiterns, da Kreativität ohne Risikobereitschaft nicht möglich ist. Von daher gebe es keine größere kreative Arbeit, die nicht auch Leiden einschließe. Der Mensch ist für Beattie ein Charakter in der Schöpfung des kreativen Genius. Gott trete sogar selbst in seine „Geschichte“ ein und werde zu einem ihrer Charaktere.19 Die Wahl der Begrifflichkeit „kreativer Genius“ zeigt an, dass Beatties Gottesbild eher personal 14 15 16 17 18 19

Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 146. Hoff, Die neuen Atheismen, 150. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 153 – 54. Vgl. Hoff, Die neuen Atheismen, 49 – 50. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 161. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 167 – 69.

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zu sein scheint. Ansatzpunkt für eine Begegnung zwischen Mensch und Gott ist jedenfalls der Moment der Inkarnation, in dem der kreative Genius selbst in seine Geschichte eintritt. Passend zu ihrer Vorstellung von Gott als kreativem Genius findet sich bei ihr auch die Idee, dass die Wahrhaftigkeit der christlichen Überzeugungen über die Natur und Offenbarung Gottes von ihrer Kohärenz im Kontext des christlichen Glaubens und seinen Traditionen abhängt. So könne man die Existenz Gottes nie durch den Anruf von externen Fakten oder objektiven Beweisen „beweisen“, sondern nur die Glaubwürdigkeit der christlichen „Erzählung“ im Kontext der Argumente und Überzeugen der Menschen überprüfen, die diese Erzählung „bewohnen“.20 Damit erweist sich auch Beatties Position im Hinblick auf die Frage nach der Existenz Gottes als nonkognitivistisch. Da Beattie zudem ihr Gottesbild entwickelt, indem sie es von der Vorstellung eines Designer-Gottes entschieden abgrenzt, ist es nur natürlich, dass ihre Dawkins-Kritik auch an dieser falschen Gottesvorstellung ansetzt.21 Darüber hinaus passt z. B. Beatties Charakterisierung von Dawkins’ Atheismus als (Glaubens-)Überzeugung22 zu ihrem Ansatz, nach dem sich die Glaubwürdigkeit einer „Erzählung“ (in diesem Fall der atheistischen Erzählung) nur mit Hilfe der Argumente und Vorstellungen derjenigen Menschen überprüfen lässt, die Teil dieser Erzählung sind.23 d. Nach Ward kann Geist grundsätzlich ohne Materie existieren, und der letztgültige Charakter des Universums ist Geist, während die Materie die Manifestation oder Schöpfung eines kosmischen Geistes ist.24 Für die Existenz des Universums gibt es seiner Meinung nach eine irreduzible persönliche Erklärung, in deren Kontext Gott als ewiger kosmischer Geist verstanden wird.25 Als reiner Geist benötigt Gott eine andere Art der Erklärung als komplexe physische Organismen. Diese Erklärung Gottes kann nicht in Begriffen von Wahrscheinlichkeit geführt werden. Gott ist für Ward also nicht nur ein kosmischer Geist, sondern auch eine personale Realität, weil er Teil einer persönlichen Erklärung für das Universum ist, die bewusste Personen vornehmen.26 Für Ward scheint dabei vor allem die These eines kontinuierlichen göttlichen Einflusses auf das physikalische Universum der Anlass dafür zu sein, das personalistische Verständnis der Beziehung Gott-Mensch auf die Beziehung Gott-Universum auszudehnen. Wenn Gott im Kontext eines personalistischen Modells nach Ward als ein Wesen interpretiert wird, dessen Intentionen auf eine interaktive Beziehung zu endlichen geschaffenen Personen zielen, so ziehe dies zwangsläufig die Annahme von Kausalbeziehungen zwischen dem 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 154 – 155. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 167. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 4. Vgl. Beattie, Twilight of Reason, 154 – 155. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 18 – 19. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 24 – 25. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 104.

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Die weiterführenden Implikationen

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göttlichen Wesen und den geschaffenen Personen und umgekehrt nach sich.27 In seinem Buch Gott – ein Kursbuch für Zweifler expliziert Ward seine Vorstellung von der personalen Realität Gottes, in dem er die Frage stellt, ob Gott Person oder persönlich ist. Grundsätzlich ist Gott für Ward ein vollkommen persönliches Wesen: „Und auch wenn dieser Gott eine ,unkörperliche Person‘ genannt wurde heißt das noch nicht, wie es vielleicht meist scheint, daß da eine fortgesetzte geistige Substanz ist, die schlussfolgert, fühlt, ableitet und gegenüber anderen Menschen zu agieren und reagieren lernt. Es ist eher in einem ,analogen Sinn‘ gemeint, den Swinburne so definiert, daß Gott eher wie eine Person ist als etwas anderes, das eben keine Person ist.“28

Gott könnte nach Ward demnach immer noch ganz anders sein als die Personen, die der Mensch durch eigene Erfahrungen kennt. In diesem Sinne ist es für Ward möglich, von Gott als reinem Geist und personaler Realität, d. h. als „unkörperliche Person“ zu sprechen. Ward betont, dass es unumgänglich ist, im Kontext der Gottesrede Begriffe zu gebrauchen, die auf die endliche Welt Bezug nehmen – vor der Analogie gebe es kein Entkommen. Es stelle sich aber die Frage, wie weit man in seiner Analogie gehen wolle. Für Ward ist nun das (zwangsläufig analogische) Sprechen von Gott als Person zu weitgehend, da es Gott zu sehr zu einem endlichen Wesen mache. Gott mit Tillich als den persönlichen Grund des Seins zu bezeichnen, hält Ward demgegenüber für sehr wohl möglich. Spreche man so von Gott, weise man darauf hin, dass Gott als letzte Quelle aller Existenz etwas an sich habe, das eher wie Bewusstsein wirke und eher absichtsvoll als unbewusst und zufällig sei. Jedoch könne man auch nicht ausschließen, dass Gott stärker nicht-persönlichen Dingen ähnelt als persönlichen.29 Betrachte man den Menschen, der Gott suche, müsse Gott allerdings eine mehr persönliche Form annehmen und zur Person, zum Anderen, zum Gegenüber werden. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass das Unendliche, d. h. Gott, nur für den Menschen und wegen des Menschen als Person erscheint. So sei das Unendliche nicht wirklich eine Person, die denkt oder fühlt und plant, das Universum zu erschaffen, sondern verbinde sich mit dem Menschen auf persönliche Weise, damit der Mensch und alle anderen Geschöpfe zu moralischer und intellektueller Reife befähigt werde.30 Wards Gott ist damit ein Gott, der intrinsische Gutheit wünscht, von der Leid eine notwendige Bedingung oder Konsequenz ist, der wünscht, dass es ein Universum gibt, in dem freie und rationale Kreaturen existieren, deren Dasein zwangsläufig die Möglichkeit von Leid einschließt und der seine göttliche Natur in Form von Beziehungen aus-

27 28 29 30

Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 82. Vgl. Keith Ward, Gott, 220. Vgl. Ward, Gott, 220 – 22. Vgl. Ward, Gott, 222 – 225.

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drückt, die über Leid und Konflikt zu Versöhnung und Erfüllung gelangen.31 Wards Gottesbild prägt seine Kritik an Dawkins’ Thesen maßgeblich. Wenn Ward beispielsweise betont, dass hinter den vorgeblich neutralen Beschreibungen des Darwinismus ein dezidiertes Wertungsnetz im Hinblick auf die menschliche Natur und die menschlichen Handlungen liegt32, dann steht dies vor dem Hintergrund seiner eigenen Definition der menschlichen Natur und der menschlichen Handlungen. Dabei versteht Ward den Menschen als Geschöpf, mit dem sich Gott auf persönliche Weise verbindet, damit es zur moralischen und intellektuellen Reife gelangen kann.33 Dementsprechend ist nach Ward die objektive Existenz eines höchsten Wesens, das definiert, was Gutsein ist, die stabilste rationale Begründung der Moral des Menschen.34 Der Prozess der moralischen und intellektuellen Reifung wird bei Ward im Prozess der Evolution realisiert, auf den Gott kontinuierlich einwirkt35 und den er auf die Generierung von Bewusstseinsformen ausgerichtet hat, die sich selbst an Werten wie Wahrheit, Schönheit und Gutheit orientieren können.36 Der Evolutionsprozess ist nach Ward insgesamt zu gut strukturiert, um als bloßer Unfall bezeichnet werden zu können, wenn es auch eine bessere Erklärung für seine Strukturiertheit (Gott) gebe.37 In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz kommt Ward zu dem gegen Dawkins gerichteten (fragwürdigen) Ergebnis, dass es in der Evolution eine innewohnende Tendenz zur körperlichen Verbesserung im Bereich des genetischen Wandels gibt.38 Ausgehend von diesem Grundsatz moniert Ward z. B. auch, dass die natürliche Selektion die Emergenz von komplexen bewussten Lebensformen nicht garantiert39, ohne dass seine argumentative Begründung in dieser Hinsicht überzeugen könnte. Zu Wards Gedanken, dass es eine irreduzible persönliche Erklärung für die Entstehung des Universums gibt (Gott)40, passt z. B. sein Sprechen von einer irreduziblen Existenz des Bewusstseins.41 So basieren z. B. bewusste Zustände nach Ward zwar auf komplexen physikalischen Strukturen, sind mit diesen aber nicht identisch, so dass sie nicht rein physikalisch erklärt werden können, sondern nur in den Begriffen der bewussten Zustände, die sie zu produzieren scheinen.42 Dawkins’ Gotteskritik trifft nach Ward nicht die richtige Gottesvorstellung, sondern nur einen „…naively imagined, anthropomorphic God,

31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 203. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 178. Vgl. Ward, Gott, 222 – 225. Vgl. Ward, Religion – gefährlich oder nützlich?, 172. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 82. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 185. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 105. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 120. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 66. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 24 – 25. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 23. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 148.

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who is unreasonably, irrationally and blindly flattered and obeyed.“43 Schon diese wenigen Auszüge aus der Argumentation Wards zeigen m. E., dass sein Gottesbild den Ausgangspunkt seiner Kritik an Dawkins darstellt. e. Haught setzt sich sehr differenziert mit der Annahme eines personalen Gottes auseinander, die für wissenschaftlich gebildete Menschen heutzutage eines der Haupthindernisse für den Glauben darstelle. So erscheine ein Schöpfer nicht als Person an seiner Schöpfung interessiert zu sein.44 Der Theismus darf nach Haught allerdings die Idee eines personalen Gottes auf keinen Fall optional machen. Die ultimative Realität, die tiefste Dimension des Seins, kann nach Haught nichts weniger als personal sein, wenn es unsere Ehrerbietung und Verehrung verlangt. Eine notwendige Bedingung der Begegnung mit Gott sei die natürliche Erfahrung des zwischenmenschlichen Lebens. Erfahre man die höchste Realität als unpersönlich, so bliebe der Gläubige psychisch, sozial und religiös unbefriedigt.45 Glaube man an die Inkarnation, sei Gott nicht von der Welt getrennt, sondern absolut mit ihr verwandt. Diese Verwandtschaft könne religiösen Menschen nicht über ein unpersönliches Gottesbild vermittelt werden.46 Im Kontext der Inkarnation resultiere die Perfektion Gottes nicht aus einer Selbst-Reinigung von der Zwiespältigkeit in der Evolution der Natur, sondern aus einer unvergleichlichen Intimität Gottes mit der Welt und all ihren Kämpfen und Freveln. Das Ziel dieser Intimität sei das Anheben oder die Vergöttlichung der Welt, wobei der Startpunkt dieses Unternehmens ein unfertiges und nicht perfektes Universum sei.47 Da allerdings kein spezifisches Bild die Fülle und Tiefe des unerschöpflichen Geheimnisses Gott fassen könne, sei die menschliche religiöse Suche – eingeschlossen die Suche des Christentums – niemals schlüssig.48 Dass Haughts Argumentation gegen Dawkins von seinem Gottesbild geprägt ist, zeigt z. B. seine Bewertung des wissenschaftlichen Naturalismus, der die subjektive Seite der Natur ignoriere und gerade dadurch den Aspekt der Personalität Gottes von seiner Schöpfung trenne.49 Wie auch Ward betont Haught vor allem den weltanschaulichen Charakter von Dawkins’ Naturalismus50, der den Eindruck verstärke, dass Gott nicht als Person an seiner Schöpfung interessiert sei.51 Auch Haughts Betonung von unterschiedlichen Erklärungsebenen (persönliche, wissenschaftliche…) ist m. E. auf sein Festhalten an einem personalen Gott zurückzuführen. So konstatiert Haught, dass man auf der Suche nach einer Erklärung für die Entstehung des Lebens oder 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Ward, God, Chance and Necessity, 203. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 79. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 87 – 88. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 97. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 98. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 98. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 83. Vgl. Haught, God and the New Atheism, xiv. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 79.

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des Bewusstseins genauso wenig zwischen Evolution und göttlicher Inspiration wählen muss, wie man zwischen Druckerpresse und der Intention des Autors wählen muss, wenn man die Entstehung der Seite erklären wolle, die man gerade lese.52 Der Begriff Vertrauen, den Haught wählt, um das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaften zu charakterisieren, passt m. E. zu seinem Gedanken, dass die Bedingung der Begegnung mit Gott die Erfahrung des zwischenmenschlichen Lebens ist53, in dessen Kontext natürlich auch die Eigenschaft zu vertrauen eine Rolle spielt. Vertrauen steht nach Haught ebenso am Anfang der menschlichen Erforschung des Universums.54 Glauben ist für Haught im Sinne dieses Vertrauens die Selbstüberantwortung des ganzen menschlichen Wesens an Gott55, der nicht nur ein Baumeister von Komplexität ist, sondern der letzte Grund dafür, warum es überhaupt die Möglichkeit von Komplexität gibt.56 Evolution kann im theologischen Kontext nach Haught verstanden werden als Geschichte der graduellen Emergenz der Welt aus anfänglichem Chaos und ihre (von Gott initiierte) Suche nach stärker elaborierten Seinsweisen.57 f. McGrath entwickelt in den Büchern, die er explizit gegen Dawkins’ geschrieben hat, nur in Ansätzen ein eigenes Gottesbild. Es ist aber davon auszugehen, dass sein Gottesbild, das er z. B. in dem Buch Der Weg der christlichen Theologie ausführt, im Hintergrund seiner Kritik an Dawkins’ Thesen steht. Nach McGrath wirft die Annahme, dass die Vorstellung eines persönlichen Gottes integraler Bestandteil der christlichen Rede von Gott ist, so dass es möglich sei, von Gott in personalen Begriffen zu sprechen, Schwierigkeiten auf. So kann nach McGrath das Sprechen von Gott als Person zu dem Missverständnis führen, dass Gott letztendlich doch eine Art menschliches Wesen sei. Gott würde dadurch also auf die menschliche Ebene herabgezogen. Mit Tillich verweist McGrath auf die schwierige Standortbestimmung im Kontext der personalen Gottesrede. Dagegen kann man nach McGrath geltend machen, dass die Rede von Gott als Person analogischen Charakter hat. Wenn man davon spreche, dass Gott wie eine Person sei, so entspreche dies dann der Annahme, dass Gott die Fähigkeit und den Willen habe, sich zu anderen in Beziehung zu setzen. „Der Grundgedanke, der durch die Vorstellung eines ,persönlichen Gottes‘ zur Sprache kommt, bezieht sich demnach auf einen Gott, zu dem wir in einer Beziehung stehen können, die sich analog zu der Beziehung einer anderen menschlichen Person verhält.“58 52 53 54 55 56 57 58

Vgl. Haught, God and the New Atheism, 85. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 87 – 88. Haught, God and the New Atheism, 48. Haught, God and the New Atheism, 5 u. 13. Haught, God and the New Atheism, 90. Haught, God and the New Atheism, 107. McGrath, Der Weg der christlichen Theologie, 252.

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Die Vorstellung eines „unpersönlichen Gottes“ impliziert nach McGrath demgegenüber einen fernen, unnahbaren Gott, der ohne Rücksicht auf die menschliche Individualität an der Menschheit handelt – falls er dies überhaupt tue. McGrath zieht also insgesamt das Sprechen von einem „persönlichen Gott“ vor und leitet seinen dahinterstehenden Personenbegriff maßgeblich aus dem „dialogischen Personalismus“ des jüdischen Philosophen Martin Bubers ab.59 Für McGrath hilft der philosophische Ansatz Bubers, die Vorstellung Gott sei eine Person näher zu verstehen. Die Rede von Gott als dem „absoluten Du“ im Sinne Bubers zeigt nach McGrath, dass es unmöglich ist, Gott auf eine saubere Formulierung oder ein bestimmtes Konzept zu reduzieren. Gott ist nach McGrath ein Wesen, das sich allen Objektivierungsversuchen entzieht und jede Beschreibung transzendiert.60 Seine Kritik an Dawkins’ Thesen rekurriert z. B. auf die oben beschriebene Gottesvorstellung, wenn McGrath kritisiert, dass Dawkins sich nicht nur um eine Beschreibung, sondern um eine umfassende Erklärung der Wirklichkeit bemüht. Eine solche umfassende Erklärung der Wirklichkeit ist nach McGrath mit naturwissenschaftlichen Methoden grundsätzlich nicht möglich.61 Umfassend kann eine solche Erklärung im Sinne McGraths nur sein, wenn sie sich auf das „absolute Du“ bezieht, wobei sich Gott paradoxerweise allen Objektivierungsversuchen entzieht und jede Beschreibung transzendiert.62 Eine umfassende Erklärung der Wirklichkeit ist damit nach McGrath (im Diesseits) unmöglich. Eine zumindest ansatzhafte Erklärung der Wirklichkeit kann nur unter Berufung auf einen Gott geschehen, zu dem wir Menschen in einer persönlichen Beziehung stehen können.63 Dass Dawkins’ Atheismus nicht den Status einer umfassenden Erklärung beanspruchen kann, zeigt nach McGrath auch sein Weltanschauungscharakter. So kann die Natur nach McGrath auf atheistische und auf religiöse Weise erschlossen werden. Beide Optionen seien aus wissenschaftlicher Perspektive gleichermaßen akzeptabel. Auf jeder Ebene des menschlichen Weltverstehens seien zudem konkurrierende Erklärungsansätze vorhanden. Daraus folge, dass die großen Fragen des Lebens nicht mit Sicherheit beantwortet werden könnten. Die Frage, welches Entscheidungskriterium anzuwenden sei, wenn zwei verschiedene Theorien empirisch gleich wahrscheinlich sind, sei bis heute nicht beantwortet.64 Sein Gottesbild setzt McGrath darüber hinaus auch ein, um die Vollständigkeit der Gotteskritik Dawkins’ zu hinterfragen. Zwar kritisiert Dawkins’ Sicht der Evolutionstheorie nach McGrath durchaus das Gottesbild eines William Paley, aber ein Theologe könne genauso gut argumentieren, dass Gott eine Umwelt schuf, in der unglaublich komplexe Entitäten sich entwickeln konnten durch 59 60 61 62 63 64

Vgl. McGrath, Der Weg der christlichen Theologie, 250 – 254. Vgl. McGrath, Der Weg der christlichen Theologie, 254 – 56. Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 47 – 48. Vgl. McGrath, Der Weg der christlichen Theologie, 254 – 56. Vgl. McGrath, Der Weg der christlichen Theologie, 252. McGrath, Atheismuswahn, 42.

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einfache Vorgänge aus einfachen Strukturen.65 McGrath setzt also seinen eigenen Gottesbegriff ein, um Dawkins’ Gotteskritik zu relativieren. g. Strasser stellt gegen Dawkins’ Gottesbild eine alternative Gottesvorstellung, die eng mit seiner These von der religiösen Haltung des Menschen verbunden ist, die für ihn zum menschlichen Weltbezug primär und unhintergehbar dazugehört.66 Die religiöse Haltung des Menschen ergibt sich nach Strasser aus der Tatsache, dass in allen menschlichen Erfahrungen semantische, ontologische bzw. metaphysische Überschüsse enthalten sind. Während ein semantischer Überschuss für Strasser definiert werden kann als „Etwas, das mehr meint, als es bedeutet“, bedeutet metaphysischer Überschuss für ihn „Etwas bedeutet mehr, als es meinen kann“. Verschärfend meint ontologischer Überschuss für Strasser „Das, was bedeutet wird, ist das unausdrückbare Ideal dessen, was gemeint ist“. Der Begriff „unausdrückbares Ideal“ könne dabei auch durch den Begriff „regulative Idee“ (z. B. Gott, Freiheit, Seele) ersetzt werden.67 Gleichzeitig sei sich der Mensch immer einer Grenze seiner Erkenntnis bewusst, wobei die entscheidende Frage laute, wie der Mensch als endliches Wesen an die Grenzen seines Denkens und Erfahrens stoße. Der größte Teil des reflektierten religiösen Denkens basiere auf dem Versuch, die Grenzen unseres Wissens und Verstehens gegenüber dem Absoluten bzw. dem Göttlichen auszukundschaften.68 Strasser betont in seiner Gottesvorstellung vor dem Hintergrund der von ihm festgestellten semantischen und ontologischen Überschüsse in unserer Realitätswahrnehmung69 stärker das apersonale Moment. Für ihn scheint zunächst die Existenz Gottes bzw. des Göttlichen unbestreitbar und evident, da etwas existiere und nicht vielmehr nichts.70 Der Mensch erfahre sich im Kleinen als Schöpfer, da er in der Lage sei, etwas in der Welt letztinstanzlich und autonom herbeizuführen, falls er absichtlich und frei handle. Da auch die Welt im Großen existiere, könne der Mensch nicht anders, als ihre Existenz mit einem Grund und Anfang in Verbindung zu bringen, der eine Analogie zum Menschen als Person herstellt, insofern er zu freiem und absichtlichem Handeln fähig ist.71 „…das, was die Welt ins Sein bringt und im Sein erhält, ist ein Mysterium, das Mysterium der Schöpfung, in das der endliche Geist von Anfang an begriffslos miteinbezogen ist… Es ist dem menschlichen Geist zuinnerst mitgegeben, sich seines begriffslosen Mitbezogenseins in das Mysterium bewusst zu werden und über eben diese

65 66 67 68 69 70 71

Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 92 – 94. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 9. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 17. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 18. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 17. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 46. Vgl. Strasser, Verletzte Gefühle, 28.

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seine Begriffslosigkeit nachzudenken – als ob er, will er sich nicht selbst verleugnen, blindseherisch einen schwindelerregenden Abgrund überschreiten müsse.“72

Gott ist für Strasser in diesem Sinne eine Metapher für das Mysterium der Schöpfung, das sich im Grunde nicht ausdrücken lässt.73 Allerdings – und das ist zentral für Strasser – darf dieses Mysterium bzw. Gott nicht einfach personal gedacht werden. Grundsätzlich sei die Gottesvorstellung eine grundlegend andere, je nachdem, ob sie im Rahmen eines mythologischen Weltbildes formuliert werde oder nicht. Eine – von Strasser bevorzugte – aufgeklärte Gottesvorstellung sei notwendig postmythologisch. Sie lege auf die Transzendenz Gottes das größte Gewicht.74 Dass es inadäquat ist, Gott als Person zu denken, begründet Strasser folgendermaßen: Der Mensch selbst habe keinen anderen Begriff der Person als denjenigen, den er von sich selbst, d. h. der menschlichen Person, ableite. Personen seien im Hinblick auf ihre Individualisierung allerdings zwangsläufig auf einen Körper angewiesen bzw. ein Körperanalogon (z. B. ruach). Erst durch den Besitz eines Körpers werde die Identifizierung einer Person in Zeit und Raum möglich. Zwar werde im Christentum das Problem des Personseins Gottes für den Gläubigen entschärft, indem Jesus als Gottes Sohn mit dem Vater eins sein soll, jedoch der Preis hierfür seien die Mysterien der Trinität.75 Falls Gott als Person gedacht würde, würde er nach Strasser zwangsläufig durch die Übel der Welt korrumpiert. Die Annahme eines von der Welt getrennten Gottes, die das Personenmodell nahe lege, widerspreche der ontologischen Bedingung, dass, auch wenn Gott als Grund der Welt gedacht werde, er zugleich auch die Welt sein muss, da Gott sonst etwas außer sich hätte, das seinem absoluten Sein substantiell gegenüber steht.76 Strasser zieht vor diesem Hintergrund das Sprechen von einem universalisierten Gott aller Menschen vor, der drei begriffliche Merkmale aufweist: – Gott ist streng transzendent, d. h. kein möglicher Gegenstand der menschlichen Erfahrung. – Gott verlangt nichts, was der menschlichen Vernunft widerspricht. – Gott verlangt weder etwas noch tut er etwas, das den menschlichen ethischen Prinzipien zuwiderläuft.77 Damit sei der universalisierte Gott aller Menschen im Hinblick auf ihre Sinnund Erlösungsbedürfnisse schwach.78 Zwar komme keine Religionsphilosophie darum herum, Gott als eine Art Wesenheit zu denken, die im Falle einer 72 73 74 75 76 77 78

Strasser, Warum überhaupt Religion?, 46. Vgl. Strasser, Verletzte Gefühle, 29. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 48 – 49. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 56 – 57. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 98 – 99. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 50. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 52.

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Projektion ihrer Merkmale auf den menschlichen Bereich personal und selbstbewusst zu denken wäre, aber gleichzeitig ergibt sich aus dieser Voraussetzung nach Strasser eine metaphysische Blockade: „Die Projektion des Absoluten auf die Sphäre des Endlichen und Bedingten ist unzulässig.“79 Aufgrund dieser metaphysischen Blockade kann der Mensch nach Strasser nicht zu einem widerspruchslosen Konzept der Schöpfung und ihres Grundes gelangen.80 Strasser sieht allerdings gute Gründe dafür, dass im Kontext der postmythologisch religiösen Einstellung die menschliche Beziehung zu Gott als eine gedacht werden kann, die sich indirekt über zwischenmenschliche Beziehungen entfaltet.81 Einerseits können wir Gott nach Strasser also nicht widerspruchsfrei als Person denken, andererseits erfordert der menschliche Begriff des Göttlichen einen personalistischen Zug.82 Auch heute ist für Strasser die Beschäftigung mit dem Gottesbegriff und seinen Ableitungen wichtig, da nur so die metaphysischen Überschüsse in der menschlichen Erfahrung nicht bloß wegerklärt und abgedrängt würden, sondern ihr unverzichtbarer Beitrag zum Verstehen der Welt und der Struktur des Rätsels, das die Welt sei, ernst genommen würden.83 Strassers Kritik an Dawkins orientiert sich an seiner Gottesvorstellung, wenn er die von ihm konstatierten metaphysischen Überschüsse in der menschlichen Erfahrung84 dazu einsetzt, um Dawkins’ Naturalismus als inkonsequent und selbstwidersprüchlich zu kennzeichnen. So ist Dawkins als Naturalist nach Strasser in einer Immanenzverblendung verhaftet, da er im Namen einer hermetisch abgeriegelten Endlichkeit „…das Mysterium und seine Ableitungen: „Gott, das Absolute, die Transzendenz; endlich auch alles Transzendenzhafte – ,Transzendentale‘ – ob die objektive Realität, das objektive Ich oder den objektiven Wert…“85 verbiete. Dieses Verbot von Grenzdingen ist nach Strasser allerdings nicht logisch zwingend, da über ihre Existenz oder Nichtexistenz keine Subjektivität mehr entscheiden könne, „…auch nicht die des nach strenger Objektivität strebenden Wissenschaftlers.“86 Gegen seinen eigenen Gottesbegriff grenzt Strasser Dawkins’ Gottesbegriff ab, den er in den Bereich des Mythos einordnet.87 Dementsprechend sind nach Strasser „… die Argumente in dem Kapitel, das davon handelt, warum es ,fast sicher‘ ist, dass kein Gott existiert,… nur auf den Mythos anwendbar.“88 Ausgehend von dem Gedanken notwendiger Überschüsse in der menschlichen Erfahrung, kriti79 80 81 82 83 84 85 86 87 88

Strasser, Warum überhaupt Religion?, 57. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 99. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 57. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 100. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 100. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 100. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 46 – 47. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 47. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 83 – 84. Vgl. Strasser, Verletzte Gefühle, 17.

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siert Strasser auch Dawkins’ Vorstellung, es sei möglich, die Entstehung des Lebens auf rein wissenschaftlichem Weg zu erklären. So gebe es keinerlei physikalischen Anhaltspunkt dafür, wie aus „toter“ Natur jemals Leben entstanden sein könnte.89 Zu seinem Plädoyer für die Existenz von Grenzdingen, unter die auch Gott fällt, passt auch Strassers Argumentation hinsichtlich der Entstehung von trans-evolutionären Strukturen in der Evolution.90 Auch wenn die obigen Ausführungen die zentrale Stellung der Gottesbilder vor allem für die Argumentation der Theologen deutlich gemacht haben, stellt sich doch die Frage nach der Konsequenz, die man aus dieser Beobachtung ziehen sollte. Falsch verstanden wäre die Relevanz von Dawkins‘ Thesen für die Theologie, wenn man davon ausginge, dass sich der Diskurs im Streit um das „richtige“ Gottesbild erschöpft oder ein solcher Streit weiterführend sein könnte. Die Kritik an Dawkins greift genau dann zu kurz, wenn sie nur an seinem „falschen“ Gottesbild oder seiner „platten“ Religionskritik ansetzt. Dawkins’ Anfragen an die Theologie gehen nämlich tiefer und eruieren die Möglichkeit, die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ als wahrheitsfähige Hypothese zu verstehen, die kognitiv sinnvoll ist. Während die dargestellten Gottesbilder letzten Endes nicht mehr kognitiv ausdrückbar sind, weil sie sich auf eine transzendente Wirklichkeit beziehen und damit nur schwerlich ein Thema des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften werden können, kann die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit und kognitiven Geltung der Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ sehr wohl von Theologen und Naturwissenschaftlern gestellt werden. Dawkins erweist sich in diesem Kontext als ein Verfechter der These, dass die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ wahrheitsfähig ist. So versteht er Gott als wissenschaftliche Hypothese und versucht dann die Annahme, Gott habe das Universum erschaffen, durch seine evolutionstheoretischen Überlegungen zur Entstehung des Lebens und der Entwicklung von komplexen Lebewesen zu widerlegen.

2. „Gott hat das Universum erschaffen“ – Eine wahrheitsfähige Behauptung, die kognitiv sinnvoll ist? Die religiöse Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ bezieht sich sowohl auf Gott, der als Schöpfer des Universums verstanden wird, als auch auf das Universum, dessen Existenz als von Gott abhängig interpretiert wird. Da Gott nach christlichem Verständnis eine transzendente Wirklichkeit ist, die von aller endlichen Wirklichkeit unterschieden ist, stellt sich die Frage, wie angemessen die Rede von Gott als dem Schöpfer des Universums ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Aussage „Gott hat das Universum er89 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 31. 90 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89.

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schaffen“ eine kognitiv sinnvolle Tatsachenbehauptung ist oder eine Aussage, deren Sinn auf einer nonkognitiven Ebene liegt. Wählt man eine kognitivistische Position, so geht man davon aus, dass die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ als Tatsachenbehauptung mit Wahrheitsanspruch verstanden werden kann und neben ihren nonkognitiven Elementen auch kognitiv sinnvoll ist. Vertritt man eine nonkognitivistische Position, so hält man die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ nicht für eine Tatsachenbehauptung, sondern nur auf einer nonkognitiven Ebene für sinnvoll.91 Blickt man nun darauf, wie Dawkins und der Diskurs sich zur Frage der Kognitivität oder Nonkognitivtät der Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ verhalten, ergeben sich deutliche Unterschiede.

2.1 Dawkins’ kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese Dawkins’ Position ist dahingehend zu charakterisieren, dass er die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ für eine wissenschaftliche Hypothese hält. Als solche ist die Gotteshypothese für ihn eine wahrheitsfähige, kognitiv sinnvolle Tatsachenbehauptung. So sind Dawkins’ Aussagen zum Verhältnis von guter Wissenschaft und Wahrheit nicht nur darauf gerichtet, den wissenschaftlichen Weg zur Wahrheit unter den vielen möglichen Wegen zu privilegieren, sondern auch einen Mindeststandard dafür aufzustellen, in welchem Sinne wissenschaftliche Aussagen als wahr bezeichnet werden können. Dawkins hält an einer absoluten Wahrheit fest, die vom Menschen erreicht werden kann. Dabei ist die naturwissenschaftliche Methode für ihn ein privilegierter Zugang zu dieser absoluten Wahrheit und zwar aus folgenden Gründen: Wissenschaft kann für Dawkins ganz klar mehr Ansprüche auf die Wahrheit erheben als beispielsweise Stammesmythen oder abergläubische Aussagen92, weil es in der Wissenschaft überprüfbare Resultate gibt.93 Die mit Hilfe der Wissenschaft erreichte Wahrheit sei die einzige, die regelmäßig Menschen von ihrer Überlegenheit überzeuge.94 Sie sei als Weg zur Wahrheit deswegen überzeugend, weil sie begangene Fehler eingestehe und nicht vertusche.95 Sie sei ebenso überzeugend, weil sie transparent mache, was sie noch nicht wisse.96 Dawkins geht also nicht so weit zu sagen, der (natur-)wissenschaftliche Weg sei der einzige Weg zur Wahrheit, sondern nur, dass er aufgrund bestimmter Kriterien der beste Weg zur Wahrheit sei. Explizit gesteht Dawkins neben der (natur-)wissenschaftlichen Wahrheitssuche auch die alltägliche Wahrheitssuche jedes Menschen zu, implizit bietet er Raum auch für 91 92 93 94 95 96

Vgl. Schmidt-Leukel: Grundkurs Fundamentaltheologie, 53 – 54. Dawkins, River Out of Eden, 37. Dawkins, What is True?, 18. Vgl. Dawkins, What is True?, 18. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 54. Vgl. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 54.

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andere Wege zur Wahrheit. Was Dawkins von alternativen Wegen zur Wahrheit fordert, ist das Offenlegen der Kriterien, die sie als guten Weg zur Wahrheit ausweisen. Wissenschaftliche Wahrheiten sind nach Dawkins also nicht nur Hypothesen im Sinne Poppers oder Kuhns, die bis jetzt noch nicht falsifiziert wurden und die dazu bestimmt sind, irgendwann verdrängt zu werden, sondern sie sind im gleichen Sinne wahr, wie die alltägliche Aussage, dass der Schreibtisch, an dem ich schreibe, aus Holz ist. Damit stellt Dawkins eine Verbindung zwischen dem alltäglichen Wahrheitskonzept jedes Menschen und dem Konzept der wissenschaftlichen Wahrheit her. Es ist nach Dawkins in diesem Sinne ganz einfach wahr, dass man, wenn man seine Vorfahren weit genug zurückverfolgt, irgendwann einen gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen finden wird. Natürlich ist die Aussage über den gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen im strengen Sinn auch eine Hypothese, sie ist nach Dawkins aber in dem gleichen Sinne wahr, wie die alltägliche Aussage, dass jemand einen Kopf hat.97 Die Aussage, die wissenschaftliche Methode sei keine privilegierte „Straße“ in Richtung Wahrheit, ist für Dawkins aufgrund der vorgebrachten Argumente lediglich ein persönlicher Glaubensakt.98 Wissenschaftliche Aussagen haben für Dawkins damit einerseits Hypothesen-Charakter, andererseits können sie für sich einen Wahrheitsanspruch behaupten, der auf einer Stufe mit unserem alltäglichen Verständnis steht, was wahre Aussagen sind. Die Strategie, wissenschaftliche Aussagen als bloße Hypothese zu relativieren, stellt nach Dawkins also auch unser alltägliches Wahrheitsverständnis in Frage. Nachdem geklärt ist, was die Charakterisierung der Gotteshypothese als wissenschaftliche Hypothese impliziert (wahrheitsfähige und kognitiv sinnvolle Tatsachenbehauptung), stellt sich nun die Frage, warum Dawkins die Gotteshypothese überhaupt für eine wissenschaftliche Hypothese hält. Gott ist für Dawkins eine wissenschaftliche Hypothese, weil ein Universum mit einem übernatürlichen, intelligenten Schöpfer etwas ganz anderes ist als ein Universum ohne ihn. Der Unterschied zwischen den in Frage kommenden Universen könnte kaum größer sein, auch wenn er sich in der Praxis nicht ohne weiteres überprüfen lasse.99 Weil ein Universum mit einem Schöpfergott sich von einem Universum ohne einen Schöpfergott grundlegend unterscheidet, ist die Gegenwart oder Abwesenheit einer schöpferischen Überintelligenz eine wissenschaftliche Frage, auch wenn sie in der Praxis nicht bzw. noch nicht entschieden ist.100 Dawkins’ Argument des Unterschieds kann als entscheidend angesehen werden, wenn man auch selbst einen kognitivistischen Ansatz verfolgen möchte. 97 98 99 100

Vgl. Dawkins, What is True?, 21. Vgl. Dawkins, What is True?, 17. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 85. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 85.

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2.2 Welche Argumente sprechen nach Dawkins gegen die Gotteshypothese? Da die Feststellung des Unterschieds zwischen einem Universum mit und einem Universum ohne Gott nach Dawkins in der Praxis nicht ohne weiteres möglich ist, ist es für ihn nicht entscheidend, ob die Existenz Gottes be- oder widerlegbar ist, sondern ob die Gotteshypothese wahrscheinlich ist.101 Dass die wissenschaftliche Hypothese Gott für ihn höchst unwahrscheinlich ist, begründet er mit verschiedenen Argumenten, die einerseits am Gottesbegriff ansetzen, andererseits die Vorstellung kritisieren, dass die Welt von einem Schöpfer abhängig sein sollte. Bezogen auf den Gottesbegriff kommt Dawkins zu dem Ergebnis, dass die klassischen Gottesattribute – wie Allmacht und Allwissenheit – unvereinbar sind.102 Im Hinblick auf die Abhängigkeit des Universums von Gott stellt Dawkins die These auf, dass die Gotteshypothese unwahrscheinlich ist, weil die Annahme eines intelligenten Schöpfers von strukturierter Komplexität zwangsläufig die Frage nach sich zieht, wer diesen intelligenten Schöpfer geplant hat.103 Auch das Argument der Feinabstimmung kann Dawkins nicht überzeugen, da auch dieses die Existenz Gottes unerklärt lasse.104 Warum die physikalischen Grundkonstanten „fein abgestimmt“ sind, kann nach Dawkins auch ohne Rückgriff auf Gott beantwortet werden. Eine Erklärungsvariante geht davon aus, dass unser Universum nicht das einzige Universum ist. Nach der sog. Multiversumstheorie gibt es viele Universen, die parallel existieren und zusammen ein Multiversum oder Megaversum bilden. Der Vorteil einer solchen Theorie besteht nach Dawkins darin, dass die Unwahrscheinlichkeit unserer fein abgestimmten Konstanten dadurch minimiert wird, dass von einer Fülle von Universen mit unterschiedlichen Konstanten auszugehen ist. Unter diesen Universen wird es dann auch solche geben, deren Gesetze zufällig die Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens und eine spätere Evolution ermöglichten und damit das Nachdenken über das Problem der Feinabstimmung.105 Eine andere Alternative geht davon aus, dass Universen nicht parallel existieren, sondern aufeinander folgen. Im Kontext dieser seriellen Form der Multiversumstheorie machen Universen eine Evolution durch und werden aufgrund eines „kosmischen Darwinismus“ immer stärker zu Universen des Typs, in denen Leben möglich ist.106 Dafür, dass eine parallele oder serielle Multiversumstheorie bei weitem der These vorzuziehen ist, dass Gott die physikalischen Konstanten fein abgestimmt hat, spricht nach Dawkins die Einfachheit der ersteren Theorien. So sei jedes Universum des (seriellen oder 101 102 103 104 105 106

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 77 – 78. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 109. Dawkins, Der Gotteswahn, 154. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 201. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 204. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 17.

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parallelen) Multiversums einfach, wohingegen ein Gott, der Berechnungen vornimmt und Entscheidungen trifft, nach Dawkins unwahrscheinlich und komplex, d. h. erklärungsbedürftig ist.107 Unabhängig davon, ob man die Theorien Dawkins’ für überzeugend hält, machen seine Ausführungen klar, dass das Argument der Feinabstimmung im Rahmen eines kognitivistischen Ansatzes nicht weiterführt. Natürlich bleibt eine theistische Interpretation der Feinabstimmung immer möglich, Solange die Entstehung des Universums noch Rätsel aufgibt. Allerdings unterscheidet sich ein Universum, das von Gott fein abgestimmt wurde, in der Praxis nicht von einem Universum, dessen Feinabstimmung ohne Gott erklärt werden kann. Neben der Möglichkeit, die Entstehung des Universums ohne Gott zu erklären, gibt es nach Dawkins auch Ideen, die die Entstehung von komplexen Lebeweben und des Lebens ohne Gott erklären bzw. möglich machen. Bei der Entstehung und Entwicklung des Lebens werde Gott durch das Zusammenspiel von natürlicher Selektion und (bedingt) zufälliger Mutation überflüssig.108 Dass die Argumentation Dawkins’ in dieser Hinsicht eine Herausforderung für die Theologie darstellt, liegt an der Einsicht, dass es für die Plausibilität und Wahrheitsfähigkeit der Gotteshypothese gut ist, wenn es wissenschaftlich beschreibbare Ereignisse gibt, die vernünftigerweise auf die Präsenz Gottes hinweisen.109 Dies gilt vor allem, wenn man im Hinblick auf die Gotteshypothese einen kognitivistischen Ansatz vertreten möchte. Für Dawkins ist zunächst einmal klar, dass das Leben aus toter Materie entstanden ist und dass die Hauptbedingung für diese Entstehung die Fähigkeit zur Selbstreplikation war.110 Der erste Replikator bzw. die Eigenschaft der Replikation musste nach Dawkins durch ein Ein-Schritt-Zufallsereignis entstehen.111 Der erste Replikator nimmt in Dawkins’ Konzept vom Ursprung des Lebens also eine Sonderstellung ein, da er aus sich selbst heraus nur mit Hilfe der normalen Gesetze der Chemie entstand. Ihm stand nichts zur Verfügung, was erst durch Evolution, Bildung oder Konstruktion noch entstehen musste.112 Nach der spontan ablaufenden Entstehung des ersten sich selbstverdoppelnden, sehr einfachen Gebildes, das einerseits kopiergetreu, andererseits auch für Fehler anfällig war und somit Varianz ermöglichte, konnte die Evolution nach Dawkins schnell fortschreiten.113 Nach der Entstehung der ersten Replikationsapparate sei also das Einsetzen der kumulativen Selektion und die Herausbildung komplizierter Organismen (fast) unvermeidlich ge-

107 108 109 110 111 112 113

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 207. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 163 – 64. Ward, Doubting Dawkins, 30. Dawkins, River Out of Eden, 20. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 314. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 785. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 314.

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wesen.114 Dass der erste Schritt des Lebens durch ein Ein-Schritt-Zufallsereignis beginnen musste, ist nach Dawkins auf den ersten Blick problematisch, da heutige Replikationsvorgänge (z. B. DNS) sehr kompliziert ablaufen, die einzige bekannte Art und Weise, Kompliziertes zu erzeugen, aber die kumulative Selektion ist.115 Dieses Paradoxon werde theologischerseits bisweilen als der entscheidende Makel der Theorie des blinden Uhrmachers und als Beweis für einen planenden Schöpfergott gesehen, der die erste Maschinerie der Selbstreplikation schuf und so die Evolution erst ermöglichte. Die Aussage „Gott war immer da“ sei allerdings eine Ausflucht, da genauso gut behauptet werden könne „DNS als Maschinerie zur Replikation war immer da“.116 Die Frage, wie komplizierte Replikationsapparate auftreten konnten, ohne dass bereits eine kumulative Selektion eingesetzt hatte, beantwortet Dawkins mit der Theorie des Hyperzyklus. Dieser basiert auf der Idee, dass die codierte Information in Untereinheiten zerlegt wird, die so klein sind, dass sie unterhalb der Schwelle für eine Fehlerkatastrophe liegen.117 Damit ist jede Untereinheit ein selbstständiger Replikator, die bei wichtigen größeren Funktionen aber zusammenwirken. Dadurch fallen sie nicht der Fehlerquote zum Opfer, wie das der Fall wäre, wenn die Funktion von einer einzigen großen Substanz katalysiert würde. Zudem gedeihe jede Untereinheit in Gegenwart der anderen.118 Die Rolle des Katalysators am Beginn der Entwicklung des Lebens übernahm nach Dawkins höchstwahrscheinlich die RNA.119 Dass die Annahme, dass der erste Replikator in einem Ein-Schritts-Zufallsereignis entstanden ist, nicht unbegründet ist, zeigt nach Dawkins ein Blick auf die Statistik. So stellt sich für ihn die Frage, wie viel Glücksfall bei der Entstehung des Lebens vorausgesetzt werden darf. Dawkins’ Antwort lautet, dass es ein gewisses festes Quantum an Glückszufall gibt, das in einer Theorie über die Entstehung des Lebens vorausgesetzt werden kann. Die Obergrenze dieses Quantums ergibt sich aus der Zahl der Planeten, die im Universum als Träger von Leben in Frage kommen.120 Jedoch ist Dawkins davon überzeugt, dass zur Erklärung des Lebens nur ein kleiner Bruchteil dieses Quantums nötig ist. Mit der Theorie der organischen Ursuppe und der Theorie vom anorganischen Mineral (Graham Carins-Smith) bringt Dawkins dann zwei relativ wahrscheinliche Wege vor, wie die kumulative Selektion begonnen haben könnte.121 Zwar handelt es sich hierbei nur um Spekulationen, aber das Fehlen einer allgemeingültig akzeptierten Darstellung der Entstehung des Lebens ist nach Dawkins kein Hindernis für seine Überle114 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 171. Aufgrund dieser quasi Unvermeidlichkeit ist die kumulative Selektion. für Dawkins eine Antithese von Zufall. 115 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 165. 116 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 166. 117 Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 800. 118 Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 801. 119 Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 801 – 808. 120 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 166 – 171. 121 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 173.

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gungen im Hinblick auf die Entstehung von komplexen Lebewesen.122 Fragt man nach der Entstehung und Entwicklung von komplexen Dingen und Lebewesen, ist nach Dawkins vor diesem Hintergrund Gestaltung nicht die einzige Alternative zu Zufall, sondern mit der natürlichen Selektion, die auf dem nichtzufälligen Überleben zufälliger genetischer Variationen beruht, liegt eine weitere vor. Für die These, dass die natürliche Selektion in Verbindung mit stärker zufälligen Mutationen die Entstehung von komplexen Lebewesen erklären kann und dass Zufall oder Gestaltung als Erklärungsalternativen ausscheiden, bietet Dawkins folgende Argumente: In der Evolution entstanden komplexe Organe und Organismen, die nicht perfekt sind, sondern charakteristische Schwachpunkte aufweisen. Geht man davon aus, dass die komplexen Organismen gezielt gestaltet wurden, so stellt sich die Frage, warum sie überhaupt Fehler aufweisen. Demgegenüber sind diese Schwachpunkte genau das, was man erwarten sollte, wenn die komplexen Lebewesen eine Entwicklungsgeschichte hinter sich haben.123 Diese Entwicklungsgeschichte lässt sich nach Dawkins beschreiben als Zusammenspiel von kumulativer Selektion und zufälliger Mutation. Da die natürliche Selektion ein blinder ohne Vorsicht agierender Prozess ist, verhindert sie in der Regel eine Evolution in Richtung globaler Optima und somit die Entstehung von perfekten Lebewesen.124 In der Evolution ist es also nicht möglich, dass Arten sich um eines größeren Vorteils willen zunächst verschlechtern. Die Perfektion der komplexen Lebewesen werde zudem auch durch die Varianz der zur Verfügung stehenden genetischen Variationen, durch Produktions- und Materialkosten (z. B. bei der Herstellung eines Zwei-KammernHerzens) und umweltliche Unvorhersagbarkeit eingeschränkt. Die in der Evolution auftretende anpassende Organisation ist nach Dawkins deswegen immer ein Wirrwarr von Kompromissen.125 Komplizierte Dinge und Lebewesen unterscheiden sich von einfachen Dingen und Lebewesen durch die Komplexität ihres Bauplans und ihrer Eigenschaft.126 Daher ist es nach Dawkins extrem unwahrscheinlich, dass sie allein durch willkürlichen Zufall erworben wurden.127 So musste nur der erste Replikator bzw. die Eigenschaft zur Replikation nach Dawkins durch ein Ein-Schritt-Zufallsereignis entstehen.128 Ihm kommt damit in Dawkins’ Erklärung eine Sonderstellung ein. Die natürliche Selektion ist eine bessere Alternative zu Zufall und Gestaltung, weil sie die Entstehung von komplexen, nicht perfekten Lebewesen wahrscheinlich macht. Sie macht diese Entstehung wahrscheinlich, weil sie eine schrittweise, kumulative Veränderung von Ausgangsprodukten ermöglicht, die 122 123 124 125 126 127 128

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 196. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 187 – 88. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 39 – 40. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 47, 50 – 53. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 13. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 23. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 314.

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einfach genug waren, um zufällig zu entstehen. Jede weitere Veränderung der Produkte war ebenfalls so einfach, dass sie durch Zufall entstehen konnte. Der Grund, warum Makromutationen im Evolutionsprozess keine große Rolle spielen, besteht darin, dass Lebewesen sehr komplizierte, fein abgestimmte Mechanismen sind, die durch starke, rein zufällige Eingriffe mit größerer Wahrscheinlichkeit verschlechtert werden als durch kleinere Eingriffe.129 Wenn man die Komplexität des Endproduktes mit dem ursprünglichen Ausgangsprodukt vergleicht, ist die Gesamtfolge kumulativer Schritte nach Dawkins allerdings alles andere als zufällig. Nichtzufällig ist diese Gesamtfolge, weil sie durch das nichtzufällige Überleben von Replikatoren im Prozess der natürlichen Selektion gelenkt wird.130 Andere naturwissenschaftliche Theorien, die die Entwicklung von komplexen Organismen erklären wollen, scheiden nach Dawkins ebenfalls aus, weil sie Erklärungslücken aufweisen, die die Evolutionstheorie neodarwinistischer Prägung (d. i. der Darwinismus131) schließen kann oder die sich in die neodarwinistische Synthese integrieren lassen: Der Lamarckismus kann die Entstehung des Lebens und das Auftreten adaptiver Komplexität nicht angemessen erklären, weil die in diesem Kontext zentrale Vererbung von erworbenen Eigenschaften sehr unwahrscheinlich ist. Sehr unwahrscheinlich ist die Vererbung von erworbenen Eigenschaften nach Dawkins, weil hierzu das erfolgreichste Prinzip der Embryonalentwicklung umgestürzt werden müsste – die Theorie der Epigenese („Rezepttheorie“). In der epigenetischen Embryonalentwicklung agieren die Gene als Satz von Instruktionen zum Bau eines Körpers. Während die lamarckistische „Blaupausentheorie“ die Umkehrbarkeit eines Resultats impliziert, kann es bei der „Rezepttheorie“ keine Umkehrbarkeit des Ergebnisses geben. Somit findet die Vererbung erworbener Merkmale nach Dawkins nicht nur nicht statt, sondern sie könnte in einer Lebensform, deren Embryonalentwicklung epigenetisch und nicht präformistisch ist, prinzipiell nicht stattfinden.132 Problematisch ist im Hinblick auf den Lamarckismus auch, dass erworbene Merkmale nicht immer Verbesserungen sind. Wenn eine unterschiedslose Vererbung erworbener Merkmale vorliegt, wird die Evolution tendenziell nicht in Richtung adaptiver Verbesserungen verlaufen. Da die Evolution dies aber gerade tut, braucht es notwendigerweise einen Mechanismus, der zwischen nützlichen und schädlichen erworbenen Merkmalen unterscheidet. Dieser Mechanismus kann aber nur die natürliche Selektion sein.133 Der Neutralismus ist nach Dawkins keine ernsthafte Alternative, weil er das Vorhandensein von adaptiven Anpassungen nicht erklären kann. So seien auf der Ebene von Armen oder Flügeln neutrale Mutationen gar keine Mutatio129 Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 113. 130 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 58. 131 Zu beachten ist, dass Dawkins hier den Begriff im Sinne der Darwin’schen Evolutionstheorie gebraucht und nicht im Sinne einer umfassenden Weltanschauung. 132 Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 324. 133 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 347.

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nen. Neutrale Evolution kann nicht zu adaptiver Verbesserung führen, weil sie per definitionem beliebig ist, wohingegen adaptive Verbesserung per definitionem nicht beliebig ist. Blickt man allerdings auf andere Aspekte der Evolution als auf komplexe Anpassungen wie z. B. Evolutionsraten, haben neutrale Mutationen jedoch Auswirkungen. Sie sind für die Erklärung des Gesamtphänomens der Evolution nach Dawkins also sehr wohl nützlich – nur nicht im Hinblick auf die Frage, wie komplexe Lebewesen entstehen konnten.134 Dies kann nur die kumulative Selektion angemessen erklären. Der Mutationismus scheitert nach Dawkins, weil nicht klar ist, in welcher Weise Mutationen in der Evolution zum Besseren tendieren sollten. So seien für Mutationisten Mutationen nicht zufällig, da sie glauben, der Körper besäße eine eingebaute Tendenz, sich eher in Richtung Verbesserung zu verändern, als sich zu verschlechtern. Jedoch werde nicht klar, woher ein Körper wissen solle, welche Veränderungen sich für ihn zukünftig auszahlten.135 Dawkins stellt also die Möglichkeit einer eingebauten Voraussicht der Körper im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen in Frage. Im Kontext der neodarwinistischen Synthese sind Mutationen nach Dawkins nur in einer bestimmten Weise zufällig, da sie nicht spontan auftreten, sondern z. B. durch Röntgenstrahlung, kosmische Strahlung, radioaktive Substanzen oder Mutatorgene hervorgerufen werden.136 Nur wenn man „zufällig“ definiert als „keine allgemeine Tendenz in Richtung auf körperliche Verbesserung“, sind Mutationen echt zufällig.137 Die Annahme, die natürliche Selektion sei die Methode eines planenden Gottes, seine Schöpfung zu gestalten, ist nach Dawkins überflüssig, da die natürliche Selektion auch ohne Gott funktioniert.138 Sie funktioniert nach Dawkins ohne Gott, weil das Zusammenspiel von natürlicher Selektion und zufälligen, d. h. nicht in Richtung körperlicher Verbesserung programmierter Mutationen die Entwicklung von komplexen Lebewesen erklären kann. Gegen die Annahme eines gestaltenden Gottes, der seine Schöpfung über den Prozess der Evolution auf ein bestimmtes Ziel richtet, spricht nach Dawkins auch die Tatsache, dass die Evolution selbst nicht-teleologisch ist. Auch die Annahme, dass Gott die Evolutionsgeschichte an entscheidenden Stellen beeinflusst oder in die Prozesse eingreift, die den evolutionären Wandel bedingen, lehnt Dawkins im Sinne von Ockhams Rasiermesser als überflüssig ab.139 Für die wissenschaftliche Hypothese „Gott“ sprechen nach Dawkins kaum Argumente, weil Gott nicht nur für die Entwicklung von komplexen Lebewesen überflüssig ist, sondern auch die Entstehung des Lebens und die Entstehung des Universums (Multiversumstheorie) ohne Rückgriff auf einen Schöpfergott erklärt werden können. Für Dawkins kann Gott nicht „an seinen 134 135 136 137 138 139

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 350 – 51. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 350 – 51. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 358. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 350 – 51. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 163 – 64. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 363.

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Werken“ erkannt werden, so dass es für ihn sehr unwahrscheinlich ist, dass Gott existiert. Verfolgt man einen kognitivistischen Ansatz, so sind diese Ergebnisse Dawkins’ ernst zu nehmen. Sie machen einen kognitivistischen Ansatz zwar nicht unmöglich, erschweren es aber im Hinblick auf die Frage nach Gott und die Interpretation Gottes als Schöpfer einen kognitivistischen Ansatz zu vertreten.

2.3 Die nonkognitivistische Interpretation der Gotteshypothese im Diskurs Die Position einiger Diskurs-Akteure bezüglich der Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ ist dahingehend zu bestimmen, dass Dawkins bereits einen Fehler begeht, wenn er Gott als (wissenschaftliche) Hypothese bezeichnet. So kann die Gotteshypothese nach Meinung vieler Diskurs-Akteure nicht als wissenschaftliche Hypothese verstanden werden, weil die naturwissenschaftliche Methode per definitionem einem methodologischen Atheismus verpflichtet ist.140 Da die Gotteshypothese nicht widerlegbar ist, erfüllt sie zudem nicht das zentrale Kriterium des naturwissenschaftlichen Vorgehens, nach dem Hypothesen und Prognosen widerlegbar sein müssen. Urteile über die Wahr- oder Falschheit von nicht widerlegbaren „Pseudohypothesen“ zu fällen, ist der empirisch-rationalen Naturwissenschaft prinzipiell nicht möglich.141 Die Gotteshypothese ist also insgesamt keine wissenschaftliche, sondern eine metaphysische Hypothese. Allerdings spielen für die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit oder Plausibilität dieser Hypothese wissenschaftliche Beobachtungen und Experimente eine Rolle. Sollte es keine Ereignisse geben, die vernünftigerweise auf die Präsenz Gottes hinweisen, wird die Gotteshypothese weniger wahrscheinlich.142 Gott muss letztendlich als unendliches Geheimnis verstanden werden, das nicht auf eine endliche wissenschaftliche Ursache reduziert werden darf.143 Eng verbunden mit der Charakterisierung der Gotteshypothese als nichtwissenschaftliche, metaphysische Hypothese kann im Diskurs der Hinweis sein, dass der Gottesglaube sich von der religiösen Erfahrung her begründet. So liegt der Glaube an Gott jedes einzelnen Menschen nach Körtner auf der Ebene transzendentaler Gewissheiten, die sich von religiösen Erfahrungen her begründen. Religiöse Erfahrungen sind ein von der naturwissenschaftlichen Empirie zu unterscheidender Erfahrungstypus, der auf den Grund des Seins (Gott) rekurriert. Da der Grund des Seins empirisch nicht fassbar ist, kann die Frage nach Gott keine empirisch gemeinte Hypothese sein.144 140 141 142 143 144

Vgl. Haught, God and the New Atheism, 18. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 328. Ward, Doubting Dawkins, 30. Haught, God and the New Atheism, 43. Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 249.

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Damit wird klar, dass auf Seiten der Diskurs-Akteure Dawkins’ kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese kritisiert wird. Für sie kann Gott keine wissenschaftliche Hypothese und damit auch keine Tatsachenbehauptung mit Wahrheitsanspruch sein. Damit hat die Rede von Gott als Schöpfer des Universums für die Diskurs-Akteure nicht im Kontext einer wissenschaftlichen Tatsachenbehauptung Sinn, sondern als nonkognitivistisch verstandene Aussage. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die Gottesbilder der Diskurs-Akteure mit berücksichtigt, die mehrheitlich ebenfalls von einem nonkognitivistischen Verständnis geprägt sind. Als Nonkognitivist erweist sich z. B. Haught, wenn er betont, dass Gott auch dann nicht vollkommen außerhalb des Bereichs des menschlichen Geistes steht, wenn die Naturwissenschaft keine klaren Spuren des Göttlichen auffinden kann.145 Von einer nonkognitivistischen Einstellung zeugt ebenso die Annahme, dass für das Wissen um Gott vor allem interpersonale Erfahrungen relevant sind. Da Gott dem Strenggläubigen mehr bedeute als alles andere, könne er Gott nur kennenlernen, indem er einen tiefen persönlichen Wandel durchlaufe, der analog zu der Erkenntnis der Liebe einer anderen Person verlaufe, aber noch tiefgreifender sei.146 Diese Interpretation passt auch zu der Kritik an Dawkins’ Bestimmung des Glaubens als blindes Vertrauen. So wird kritisiert, dass Dawkins nicht die Wahrheit von glaubensbasierten Behauptungen untersucht, sondern ihre Falschheit als gegeben voraussetzt, da sie nicht die Standards empirischer Wissenschaft erfüllen.147 Allerdings kann nach Meinung einiger Diskurs-Akteure nur unter der impliziten Voraussetzung, dass als „Beweis“ allein das wissenschaftlich Überprüfbare, empirisch Verfügbare oder öffentlich Beobachtbare verstanden wird, der religiöse Glaube als „Überzeugung ohne Beweise“ bzw. „blindes Vertrauen“ gelten. So stützen religiöse Menschen ihren Glauben auf Beweise, die den naturwissenschaftlichen Beweistypen nicht genügen. Dies sei wiederum kompatibel mit der menschlichen Alltagserfahrung.148 Als alternativer „Beweis“ für den Glauben kommt im Diskurs die religiöse Erfahrung in Betracht, die ein von wissenschaftlichen Beobachtungen zu unterscheidender Erfahrungstypus ist.149 Haught beschreibt dementsprechend Glauben als „Zustand der Selbst-Übergabe, in deren Kontext das ganze menschliche Wesen zu einer Dimension der Tiefe (Gott) gezogen wird“.150 „Faith is the state of being drawn toward or being grasped by something of utmost importance, by what Tillich calls ,ul-

145 146 147 148 149

Haught, God and the New Atheism, 50 – 51. Haught, God and the New Atheism, 46. Vgl. Giberson/Artigas, Oracles of Science, 46. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 296. Vgl. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 296. Siehe hierzu auch: Giberson/Artigas, Oracles of Science, 47. 150 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 5 u. 13.

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timate concern‘.“151 Im Alltag entspricht der religiösen Erfahrung die Erfahrung der Liebe einer anderen Person. Kognitivistische Ansätze zeigen sich demgegenüber bei McGrath, der kritisiert, dass Dawkins seine eigene Glaubensdefinition nicht gegen alternative Definitionen der Begriffe „Glauben“ oder „religiöse Überzeugung“ abwägt. So weist McGrath mit Augustinus, Thomas von Aquin oder C.S. Lewis darauf hin, dass für die christliche Tradition schon immer Fragen nach der Beweisbasis, der inneren Konsistenz oder Angemessenheit des Glaubens zentral waren.152 Religiöser Glaube könne nicht ohne argumentative Begründung als irrational eingestuft werden, weil die Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft eines der zentralen Themen der christlichen Theologie ist. So sind z. B. die Gottesbeweise ein anti-irrationalistisches Element in der Theologie, da sie nicht primär dazu dienen, die Existenz Gottes zu beweisen, sondern die innere Folgerichtigkeit des Gottglaubens aufzuweisen. Dementsprechend betont McGrath, dass Dawkins die Darstellung der Folgerichtigkeit des Glaubens a posteriori als Beweis des Glaubens a priori missversteht.153 Allerdings lehnt auch McGrath die Bestimmung der Gotteshypothese als wissenschaftliche Hypothese ab.

2.4 Konsequenzen der nonkognitivistischen Interpretation der Gotteshypothese für die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Evolution Auch wenn die Diskurs-Akteure die Gotteshypothese in der Regel nonkognitivistisch interpretieren, ist ihr Bild der Beziehung zwischen Gott und Evolution keineswegs einheitlich. Vielmehr lassen sich zwei Interpretationsmodelle des Verhältnisses von Gott und Evolution unterscheiden. Im Kontext des ersten Interpretationsmodells wird unabhängig von der Notwendigkeit des schöpferischen Handelns Gottes bei der Entstehung des Universums auch das Hineinwirken Gottes in die Evolution für notwendig erachtet. Im Kontext des zweiten Modells wird Dawkins zugestanden, dass Gott im Evolutionsprozess nicht notwendigerweise wirken muss. Nichtsdestoweniger wird die Notwendigkeit des schöpferischen Handeln Gottes bei der Entstehung des Universums behauptet. Das erste Interpretationsmodell findet sich im Diskurs z. B. bei Ward, der zunächst das Argument der Feinabstimmung verwendet, um zu erklären, warum die Naturgesetze den Evolutionsprozess so sehr fördern. Die Existenz eines Schöpfers mache zudem die Wahrscheinlichkeit, dass der Evolutionsprozess zu intelligentem Leben führe, sehr viel größer.154 Gott ist also für Ward ein besserer Erklärungsfaktor für die von der Evolutionsbiologie aufgedeckten 151 152 153 154

Haught, God and the New Atheism, 61. Vgl. McGrath, Dawkins’ God, 86. Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 29 – 30. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 37.

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Fakten als naturalistische Erklärungen.155 Da der Evolutionsprozess so gut strukturiert ist, kann er kein reiner Zufall sein. So verstärken sich nach Ward die wissenschaftliche evolutionäre Erzählung und der religiöse Glaube an eine leitende kreative Kraft in der Evolution gegenseitig.156 “Theists are thinking of a universe that is continually kept in existence by a God whose nature inevitably and continuously affects and guides all the processes within it, so that in their own proper nature they express the divine purpose of creation.”157

Gott ist für Ward also eine Existenz, die die Welt kontinuierlich im Dasein erhält und deren Natur unweigerlich und kontinuierlich die Prozesse in der Welt beeinflusst und lenkt. Er nutzt hier mit Arthur Peacocke die Idee, dass die Natur eines komplexen Ganzen die Natur seiner Teile beeinflusst.158 Die Determination der generellen Natur des Universums durch Gott kann dabei sowohl als aktiver als auch als passiver Vorgang gedacht werden.159 Damit einher gehe eine Top-down-Kausalität, die von Gott zu allen Teilen des Universums mit spezifischen Fähigkeiten führe und die mit Whitehead am besten als „Verlockung zu größerer Entwicklung“ oder „Erfüllung von positiven Potentialen“ verstanden werden könne. Dabei schalte die göttliche Kausalität die Fähigkeiten der endlichen Objekte nicht aus, sondern kooperiere mit ihnen, um sie zur Erfüllung des göttlichen Zieles zu leiten.160 Der Maximaleinfluss Gottes im Hinblick auf das Gute ist nach Ward kompatibel mit der relativen Autonomie der Natur und ihrer probabilistischen Gesetze sowie der Freiheit der endlichen Agenten. Gottes Kausalität ist nach Ward keine quantifizierbare Größe, die mit physi155 156 157 158

Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 103. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 63. Ward, God, Chance and Necessity, 68. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 79. Peacockes Idee der Top-Down-Kausalität basiert auf der Annahme, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist und in einer spezifischen Beziehung zu seinen Teilen steht. Demnach hat das Ganze einen kausalen Einfluss auf seine konstitutiven Elemente, ohne mit den kausalen Interaktionen zwischen den Teilen identisch zu sein. Problematisch an der Übertragung dieser Idee auf die Frage, wie Gottes Handeln in der Welt vorzustellen ist, ist nun die Tatsache, dass der kausale Einfluss eines Ganzen auf seine Teile in unserer Welt ohne den Austausch von Information nicht vorstellbar ist. Informationsaustausch wiederum funktioniert in unserer Welt nicht ohne die Übertragung von geringen Mengen an Energie oder Materie, d. h. Information muss immer auch physikalisch realisiert werden. Wenn die Idee der Top-Down-Kausalität valide auf das Handeln Gottes übertragen werden soll, kommt man nicht umhin, Gott einen Körper oder eine körperliche Qualität zuzuschreiben. Dies stellt für den Gottesbegriff ein gravierendes Problem dar. Vgl. Grigg, Beyond the God Delusion, 16 – 21. Auch Peacocke räumt ein, dass es in unserer Welt keinen Informationsaustausch ohne den Austausch von Materie oder Energie gibt. Wenn man trotzdem von Gott spricht, als „informiere“ er die Welt als Ganzes ohne den Input von Energie oder Materie, und dadurch das Problem der körperlichen Präsenz Gottes in der Welt umgeht, akzeptiert man nach Peacocke die unüberbrückbare Lücke, die zwischen der göttlichen Natur und seiner Schöpfung besteht. Vgl. Peacoke, God’s Interaction with the World, 286. Siehe hierzu auch: Peacoke, Gottes Wirken in der Welt. 159 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 79. 160 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 80.

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kalischen Methoden aufzuspüren wäre. Sie ist vielmehr ein ultimativer Parameter bzw. eine ultimative Beschränkung, die jeden Teil des Universums abhängig von dem Grad und dem Inhalt seiner organisierten Komplexität auf unterschiedliche Art und Weise beeinflusst.161 So übt Gott nach Ward beispielsweise einen konstanten Top-down-Einfluss auf den Prozess der Mutation und natürlichen Selektion aus und leitet so diese Prozesse zur Generierung von Bewusstsein und dem Verständnis von Werthaltigkeit162 : „Deshalb kann das Universum mit Recht als absichtsvoll gelten, als Verwirklichung der Absicht eines persönlichen Gottes. Die Wissenschaft zwingt uns nicht, es als zufällig und absichtslos zu sehen. Was wir aber sehen könnten, ist eine einfache Ansammlung verständlicher Gesetze, die durch wahrscheinliche Prozesse zu lohnenden Zielen führen.“163

Auch wenn Ward die Sicht des Kosmos als Ort, der für die Entwicklung der geschaffenen Mächte da ist, die wiederum im Prozess der Evolution Wert, Zweck, Begehren und Absicht entstehen lassen, für richtig hält, betont er, dass alternative Sichtweisen des Kosmos möglich sind. So könne dieser Kosmos theoretisch auch das Produkt einer blinden Notwendigkeit sein, in deren Kontext das menschliche Leben als bloßes Aufflackern erscheine und im Vergessen enden müsse, da in Milliarden von Jahren die für den Erhalt des Kosmos notwendige Energie unvermeidlich verschwunden sei.164 Demgegenüber verwendet Haught eher das zweite Interpretationsmodell, wenn er Evolution im theologischen Kontext definiert als Geschichte der graduellen Emergenz der unfertigen, unperfekten Welt aus anfänglichem Chaos und ihrer abenteuerlichen Suche nach stärker elaborierten Seinsweisen.165 Gott ist für Haught der Anstoß für diese Entwicklung, aber er muss sie nicht mehr direkt kontrollieren. Dies erinnert an Heckmanns Einspruch, dass Gott der Natur bei der Entstehung des ersten Replikators ihren Lauf lassen konnte.166 Auch für McGrath ist die Verstehbarkeit des Universums am besten durch die Annahme der Existenz eines Schöpfers zu erklären167, ohne dass man ein Eingreifen Gottes in die Evolution annehmen muss. Auch für Collins ist die Tatsache, dass die Evolution für die Vielfalt des Lebens und die Ursprünge der Menschheit verantwortlich ist, vereinbar mit der Idee, dass Gott seinen Schöpfungsplan mit den Mitteln der Evolution ausführte.168 161 Hier wäre Ward allerdings zu fragen, wie die Natur der unterschiedlichen Beeinflussung der Teile des Universums abhängig von dem Grad und dem Inhalt seiner organisierten Komplexität konkret aussehen soll. 162 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 83. 163 Ward, Gott , 241. 164 Vgl. Ward, Gott, 240 – 42. 165 Haught, God and the New Atheism, 107. 166 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 207. 167 Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 37. 168 Collins, Gott und die Gene, 134.

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2.5 Mit welchen Argumenten wird Dawkins’ Umgang mit der Gotteshypothese zurückgewiesen? Neben der durchgängigen Zurückweisung der Interpretation der Gotteshypothese als wissenschaftlicher Hypothese finden sich im Kontext der Zurückweisung von Dawkins’ „Anti-Gottes-Beweis“ auch Kritiken an seinem Gottesbegriff. Wenn Dawkins die göttlichen Eigenschaften Allwissenheit und Allmacht für unvereinbar erklärt, so operiert er nach Heckmann mit der von ihm eigentlich als unbrauchbar zurückgewiesenen Methode des A-priori-Arguments. So setze diese These z. B. die Annahme voraus, dass Gott Vorauswissen über seine künftigen Entscheidungen habe, dieses Vorauswissen aber zugleich seine künftige Entscheidungsfreiheit unmöglich mache oder einschränke. Da schon diese implizite Annahme von Dawkins umstritten sei, sei sie nicht geeignet, die Gotteshypothese als inkohärent zu erweisen.169 Gegen Dawkins’ Bild von Gott als intelligentem Gestalter oder Baumeister der Welt betonen die Diskurs-Akteure, dass Gott besser als Weltschöpfer bzw. als letzte Ursache der Welt170 zu verstehen ist. Versteht man Gott als letzte Ursache der Welt, so kann er nicht von Bedingungen abhängen171 und über ihn können keine empirischen Daten erhoben werden.172 Gott ist so verstanden auch nicht erklärungsbedürftig, sondern er existiert entweder notwendig oder überhaupt nicht.173 Das Konzept der Wahrscheinlichkeit ist für diese Idee Gottes also unbrauchbar.174 Gegen Dawkins’ Annahme, Gott sei komplex, wird darüber hinaus die Vorstellung gesetzt, er sei einfach. Dabei bewegt sich Wards Hinweis auf Gottes Einfachheit m. E. grundsätzlich auf einer Stufe mit Dawkins’ Vorstellung, Gott sei kompliziert, da in beiden Fällen konkrete Aussagen über das Wesen Gottes getroffen werden. Jedoch ist Wards Konzept der inklusiven Einfachheit deutlich breiter als Dawkins’ Komplexitätsbegriff. So ist Gott für Ward im Sinne einer „inklusiven Einfachheit“ einfach, die Komplexität und Werte in eine grundlegende Einheit der uranfänglichen Fülle integriert.175 Komplexität und Einfachheit sind bei Ward also sich ergänzende Vorstellungen, während sie sich bei Dawkins gegenseitig ausschließen.176 Dawkins’ Gottesbild entspricht nach Haught letztendlich dem der Intelligent-Design-Vertreter177, weil er ein perfektionistisches Modell der göttlichen Schöpfung vertrete. Auch für Heckmann

169 170 171 172 173 174 175 176 177

Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 199. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 29. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 28 – 29. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 305. Vgl. Ward, Doubting Dawkins, 48 – 50. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 116. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 85. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 112. Haught, God and the New Atheism, 90.

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hat Dawkins ein falsches Modell von Gott und von Schöpfung.178 Die Kritik der Diskurs-Akteure an Dawkins’ Gottesbild überzeugt, weil sein Gottesbild in der Tat stark an das Gottesbild des Intelligent-Design erinnert. Ein solches Gottesbild ist für mich deswegen problematisch, weil ein Gott, der nur ein Weltbaumeister ist, nicht die Heilsversprechen garantieren könnte, die der gläubige Mensch mit dem christlichen Gott verbindet. Über ihre Kritik an Dawkins’ Gottesbild hinaus betonen die Diskurs-Akteure, dass Dawkins es nicht schafft, Gott als letzte Ursache des Universums auszuschließen oder die Entstehung des Lebens und die Entwicklung von komplexen Lebewesen ohne Gott zu erklären.179 So setzt z. B. Ward gegen Dawkins’ Interpretation des Zusammenspiels von kumulativer Selektion und bedingt zufälligen Mutationen als Erklärung für die Entstehung von komplexen, bewussten Organismen, die Vorstellung, dass die natürliche Selektion die Emergenz von komplexen bewussten Lebensformen nicht garantiert, da sie zu viele Fehlerquellen beinhaltet.180 So könnten z. B. Mutationen zu groß sein, um lebensfähige komplexe Organismen zu generieren. Auch Faktoren wie das Verschwinden einer Nahrungsquelle oder der Verlust aller Nachkommen in einer Naturkatastrophe zeugten davon, dass es in der natürlichen Selektion keine Garantie für ein Ansteigen der Komplexität gebe.181 Die natürliche Selektion mache die Entstehung von komplexen Organismen noch nicht einmal wahrscheinlich, da sie keinen evolutionären Pfad wahrscheinlicher als einen anderen mache.182 Für problematisch hält Ward zudem, dass die natürliche Selektion keine Voraussagen zulässt, welche Lebewesen letztendlich überleben.183 Blickt man auf Dawkins’ Definition der Komplexität, so zeigt sich, dass Wards Argumentation nicht den Kern von Dawkins’ Darstellung trifft. Komplex ist nach Dawkins ein Lebewesen, wenn es heterogen ist, (wahrscheinlich) nicht durch Zufall entstehen konnte und eine spezifizierbare Eigenschaft aufweist, die als Leistungsfähigkeit oder Tüchtigkeit (Fitness) bezeichnet werden kann.184 Die natürliche Selektion „garantiert“ nun insofern die Entstehung solcher komplexer Lebewesen, weil sie ein kumulativer Prozess ist, der den Weg des geringsten Widerstands wählt und dessen Auslesekriterium im einfachen Überleben oder Fortpflanzungserfolg besteht: „In der Realität ist

178 Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 211. 179 Die folgenden Ausführungen geben nur einen groben Überblick über die Argumentation gegen Dawkins’ „Anti-Gottes-Beweis“. Weitere Argumente und deren Bewertung finden sich im 1. Kapitel des 3. Hauptteils. 180 Vgl. z. B. Ward, God, Chance and Necessity, 80. 181 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 66. 182 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 69. 183 Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 69. 184 Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 20 – 22.

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das Kriterium der Auslese immer kurzfristig, entweder einfaches Überleben, oder häufiger, Fortpflanzungserfolg.“185 Ihre Eigenschaft, kumulativ zu sein und mit dem Bild des „Unwahrscheinlichkeitsgebirges“ gesprochen den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, ist die Voraussetzung dafür, dass die von Ward aufgeführten Fehlerquellen gerade kein Hindernis für eine fortschreitende, kumulative Selektion sind und damit im Sinne von Dawkins’ Definition auch kein Hindernis für die Entstehung von komplexen Lebewesen. Nach Dawkins ist es darüber hinaus auch nicht entscheidend, welche komplexen Lebewesen im Prozess der schrittweisen, kumulativen Selektion entstehen. So ist die Gesamtheit aller Tiere, die jemals auf der Erde gelebt hat, nach Dawkins nur ein winziger Ausschnitt der im Evolutionsprozess theoretisch möglichen Tiere. Diese Gesamtheit ist zudem nur das Ergebnis einer kleinen Minderheit von Evolutionsbahnen durch den genetischen Raum. Die große Mehrheit der Evolutionsbahnen durch diesen Raum bringt unmögliche, nicht lebensfähige Monster hervor. Deswegen gibt es in ihm auch deutlich mehr Möglichkeiten des Totseins als des Lebendigseins. Die Chance, dass ein großer Mutationssprung in ihm erfolgreich verläuft, ist vor diesem Hintergrund nicht sehr wahrscheinlich. Je kleiner dieser Sprung aber sei, umso weniger wahrscheinlich ist nach Dawkins der Tod, und umso wahrscheinlicher ist es, dass der Mutationssprung zu einer Verbesserung (zu einem Anstieg der Komplexität) führt.186 Festzuhalten ist gegen Ward also folgende Einsicht Dawkins’: Im Evolutionsprozess kommt es nicht darauf an, welche komplexen Lebewesen entstehen, sondern es ist nur entscheidend, dass eine schrittweise, kumulative Selektion im Verlauf des Evolutionsprozesses die Entstehung von irgendwelchen komplexen Lebewesen ermöglicht und deren Entwicklung vorantreibt, indem sie ihren Fortpflanzungserfolg als Auslesekriterium heranzieht und dabei auch noch den Weg des geringsten Widerstands geht. Die Gesamtfolge kumulativer Schritte ist nach Dawkins im Rückblick damit alles andere als zufällig, weil sie durch das nichtzufällige Überleben von Replikatoren im Prozess der natürlichen Selektion gelenkt wird.187 Wenn es darüber hinaus nicht entscheidend ist, welche komplexen Lebewesen im Evolutionsprozess entstehen, ist es auch nebensächlich, dass große Mutationssprünge die Entstehung von einigen komplexen Lebewesen verhindern, dass Nahrungsquellen für einige komplexe Lebewesen verschwinden können oder dass eine Naturkatastrophe zum Verlust aller Nachkommen eines komplexen Lebewesens führen kann. Auch Wards Argument, dass die natürliche Selektion die Entstehung von komplexen Organismen noch nicht einmal wahrscheinlich macht, da kein evolutionärer Pfad wahrscheinlicher ist als ein anderer188, zeugt von der im185 186 187 188

Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 67. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 92. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 58. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 69.

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pliziten Annahme, dass im Evolutionsprozess bestimmte komplexe Lebewesen, nämlich die heute auf der Erde vorhandenen, entstehen mussten. Tatsächlich erklärt sich das konkrete Spektrum an vorhandenen Evolutionsbahnen durch den genetischen Raum so, dass die natürliche Selektion den Weg des geringsten Widerstands geht. Dass die kumulative Selektion keine Vorhersagen erlaubt, welche Lebewesen letztendlich überleben189, ist ebenfalls nur problematisch, wenn die Evolution auf bestimmte komplexe Lebewesen hinauslaufen soll. Des Weiteren argumentieren Diskurs-Akteure wie z. B. Ward in der Regel mit dem fundamentalen Unterschied zwischen der Entstehung des Lebens selbst und der Entstehung und Entwicklung von komplexen Lebewesen, um Dawkins die Wirksamkeit seines „kumulativen Prozessargumentes“ abzusprechen, da er es nicht schaffe, auch die Entstehung des Lebens zu erklären. Ward und andere wie z. B. Strasser sprechen hierbei von einem Erklärungsnotstand, den Dawkins aus dem Evolutionsprozess selbst nach hinten verlagere.190 Dabei hebt beispielsweise Ward darauf ab, dass Dawkins das Problem der spontanen Generierung von komplexen und hocherwünschten Ergebnissen auf das Problem der spontanen Existenz einer effizienten Regel, die mit der Zeit die gewünschten Ergebnisse produziert191, verlagert. Wards Argumentation geht m. E. an Dawkins’ Argument vorbei, da dieser sich sehr wohl der Problematik bewusst ist, dass zwischen der Entstehung und Entwicklung von komplexen Lebewesen im Kontext der kumulativen Selektion und der Entstehung des Lebens selbst – zumindest was die Erklärungsmittel betrifft – zu unterscheiden ist.192 Dass die Evolutionstheorie das Auftauchen des ersten Replikators und damit die Entstehung des Lebens nicht aus sich selbst heraus erklären kann193, wird auch von Dawkins so gesehen.194 Dawkins geht aber – gegen Ward – ebensowenig davon aus, dass die effiziente Regel, die mit der Zeit die komplexen Ergebnisse hervorbringt, spontan entstanden ist. So ist Dawkins nicht der Meinung, dass die komplizierte DNA-Replikation spontan entstand, sondern nur der erste Replikator musste durch ein EinSchritt-Zufallsereignis entstehen.195 Dass dies eine Schwierigkeit für seine Theorie der Lebensentstehung darstellt, macht Dawkins deutlich: Dem ersten Replikator stand nichts zur Verfügung, was erst durch Evolution, Bildung oder Konstruktion noch entstehen musste.196 Dass komplizierte Replikationsapparate dennoch auftreten konnten, ohne dass bereits eine kumulative Selek-

189 190 191 192 193 194 195 196

Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 69. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 206. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 105. Vgl. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 165. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 206. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 196. Vgl. Dawkins, Der Gipfel des Unwahrscheinlichen, 314. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 785.

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tion eingesetzt hatte, erklärt Dawkins mit der Theorie des Hyperzyklus.197 Dass Dawkins eine Lösung anbietet, ist für mich Zeichen seines Problembewusstseins. Natürlich kann man diskutieren, ob Dawkins’ Auflösung des Paradoxon mit Hilfe der Theorie des Hyperzyklus überzeugen kann. Es ist zu bedauern, dass diese Diskussion im Diskurs (bis jetzt) nicht stattfindet. Dawkins’ Kritik an der Möglichkeit einer theistischen Interpretation des Arguments der Feinabstimmung und seine Erklärung der Entstehung des Universums mit Hilfe einer Multiversumstheorie werden im Diskurs mehrheitlich zurückgewiesen. Dass Gott für die Entstehung des Universums nicht überflüssig ist, wird im Diskurs z. B. durch Heckmann begründet. So unterläuft Dawkins nach Heckmann die eigentlich relevante Frage nach dem Grund unserer Existenz, wenn er das anthropische Prinzip zur Beantwortung dieser Frage heranzieht. „Wenn ich die Frage stelle ,Warum gibt es mich überhaupt?‘, dann will ich als Antwort sicherlich etwas anderes hören als ,Gäbe es dich nicht, hättest du die Frage gar nicht stellen können.‘“198

Diese Einsicht passt zu der Erkenntnis, dass das anthropische Prinzip als tautologisch bewertet werden kann.199 Theorien des Mega- oder Multiversums, die Dawkins vertritt, sind nach Heckmann zudem spekulativ, da es für sie keine empirischen Anhaltspunkte gibt.200 Ein weiterer Fehler Dawkins’ liegt nach Meinung von Heckmann in seinem Gottesbegriff. So beruhe Dawkins’ Vorstellung eines „Tuner-Gottes“ auf dem falschen Eindruck des Bastelund Baumeistergottes. Gott dürfe nicht als überdimensionierter Baumeister der Welt betrachtet werden, sondern als Schöpfer, der die Konstanten und Gesetze allererst festlegt und erlässt und so macht, dass überhaupt etwas Kontingentes ist – und nicht vielmehr nichts.201 Dawkins’ Argumentation ist vor diesem Hintergrund nicht besser, rationaler oder akzeptabler als die Gotteshypothese202, sondern – wenn überhaupt – gleichermaßen gültig. Durch seine Argumentation macht Heckmann zwar eine theistische Interpretation des Arguments der Feinabstimmung möglich, jedoch handelt es sich hierbei nicht um ein Ergebnis, das für eine kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese herangezogen werden könnte. Dawkins’ Argument des notwendigen Unterschieds zwischen einem Universum ohne Gott und einem Universum mit Gott wird von dem Argument der Feinabstimmung nicht tangiert. So ist ein Universum, das von einem Gott abgestimmt wurde, in der Praxis nicht von einem Universum zu unterscheiden, dessen Feinabstimmung auf andere Gründe zurückzuführen ist. 197 198 199 200 201 202

Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 800. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 210. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 33. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 210. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 210 – 12. Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 211.

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2.6 Schlussfolgerung Vor allem Dawkins’ These, dass Gott eine wissenschaftliche Hypothese ist und in diesem Sinne eine kognitiv sinnvolle wahrheitsfähige Tatsachenbehauptung sein könnte, hat den Widerspruch der Diskurs-Akteure herausgefordert. Auch wenn die geäußerten Einwände gegen die Annahme, Gott sei eine wissenschaftliche Hypothese, gewichtig sind, möchte ich im Hinblick auf die Relevanz einer kognitivistischen Interpretation der Gotteshypothese und der Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ Folgendes zu bedenken geben: Da die Prämisse von Dawkins’ Argument (ein Universum mit einem Schöpfergott ist grundlegend anders als ein Universum ohne diesen Schöpfergott) von keinem der Diskurs-Akteure bestritten wird, möchte ich im Folgenden nur Dawkins’ Konklusion prüfen. Dabei zeigt sich, dass Dawkins’ Argument in seiner ursprünglichen starken Version (Die Gotteshypothese kann prinzipiell naturwissenschaftlich überprüft werden) nicht gültig ist. Nur wenn man davon ausgeht, dass die Natur die Gesamtheit der Realität ist und deshalb die naturwissenschaftliche Methode die universelle und vor allen anderen Methoden ausgezeichnete Erkenntnismethode ist, kann Dawkins seine Konklusion rechtfertigen. An diesen weiteren Voraussetzungen zeigt sich zugleich, dass Dawkins’ Wahrheitskonzept der Korrespondenztheorie der Wahrheit entspricht, nach der eine Aussage wahr ist, wenn sie mit der Realität übereinstimmt. Schwächt man Dawkins’ Konklusion allerdings ab (Die Gotteshypothese kann prinzipiell überprüft werden), so ist sie m. E. sehr wohl gültig. Denn wenn es wahr wäre, dass ein Universum ohne Schöpfergott ein fundamental anderes ist als ein Universum mit Schöpfergott, dann muss dieser Unterschied feststellbar sein. Schwierigkeiten ergeben sich dann aber bei der Frage, wie dieser Unterschied konkret feststellbar sein soll. Die oben angezeigten Argumente gegen die Einschätzung der Gotteshypothese als wissenschaftlich werden dieser Einsicht insofern gerecht, als auch sie bei der Formulierung der Gotteshypothese als metaphysische Hypothese zumindest hinsichtlich der Wahrheitsfähigkeit oder Plausibilität dieser Hypothese wissenschaftliche Beobachtungen und Experimente für relevant halten.203 Vielleicht will Dawkins ganz grundlegend nichts anderes sagen, als dass es für die Wahrheitsfähigkeit und Plausibilität der Gotteshypothese wichtig ist, dass wissenschaftliche Beobachtungen und Experimente in ihre Überprüfung miteinbezogen werden. Im Hinblick auf die Frage nach der Möglichkeit der Unterschiedsfeststellung wird m. E. die nonkognitivistisch orientierte These der DiskursAkteure relevant, dass sich der Glaube an Gott von religiösen Erfahrungen her begründet und dass für das Wissen des Gläubigen um Gott interpersonale Erfahrungen entscheidend sind. Allerdings stellt sich die Frage, ob die sub203 Ward, Doubting Dawkins, 30.

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jektive Unterschiedsfeststellung des Gläubigen – wie begründet sie auch immer sein mag – ausreicht, um die Gotteshypothese plausibel zu machen. Die Vorstellung, dass der Unterschied zwischen einem Universum ohne Gott und einem Universum mit Gott nur auf einer subjektiven, nonkognitiven Ebene festgemacht werden kann, lässt nämlich die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit einer solchen Unterschiedsfeststellung aufkommen. Während es ein entscheidender Vorteil der kognitivistischen Interpretation der Gotteshypothese ist, dass die religiöse Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ als wahrheitsfähige Behauptung verstanden werden kann, die kognitiv Geltung hat204, fällt dieser Vorteil bei einer nonkognitivistischen Interpretation der Gotteshypothese weg. So sagt der Satz „Gott hat das Universum erschaffen“ im Rahmen eines nonkognitivistischen Ansatzes in letzter Konsequenz nichts über die Welt aus, sondern ist lediglich eine nicht-kognitive Auffassung desjenigen, der diese (Schein-)Aussagen tätigt. Damit drückt die religiöse Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ zwar ein grundlegendes Weltvertrauen aus, aber ob diese Aussage wahr oder falsch ist, kann nicht beurteilt werden. Im Kontext dieses nonkognitiven Fideismus ist das „Ja“ des Menschen zu Gott nach Heckmann Ausdruck einer prinzipiellen Lebensentscheidung. Ein „Nein“ zu Gott (wie im Falle von Dawkins) stünde dazu nicht im kognitiven Widerspruch, sondern wäre lediglich Ausdruck einer anderen prinzipiellen Lebensentscheidung. Ist die nonkognitivistische Interpretation von religiösen Aussagen die richtige, folgt daraus nach Heckmann, dass Religionen keine kognitiven Geltungsansprüche hinsichtlich der „meta-physischen“ Beschaffenheit der Welt haben, sondern sich nur im Leben derjenigen, die sie als Angebot annehmen, bewähren und dadurch bewahrheiten können. Die Gefahr einer solchen Interpretation religiöser Aussagen liegt mit Heckmann allerdings unmittelbar auf der Hand und setzt an den Heilsversprechen der Religionen an. Religiöse Heilsversprechen sind nach Heckmann an das Bestehen spezifischer objektiver Wahrheiten geknüpft. Objektiv sind diese Wahrheiten, weil sie nicht erst dadurch wahr werden, dass ein Mensch sie für wahr hält, sondern weil sie unabhängig von diesem Fürwahrhalten schon immer wahr sind. Die Aussicht auf eine eschatologische Erfüllung und ein ewiges Leben sei dann eine bloße Schimäre, wenn die christliche Schöpfungsmetaphysik nicht objektiv wahr ist.205 Ebenso wie Heckmann lehnt auch Perry Schmidt-Leukel eine nonkognitivistische Interpretation der Gotteshypothese ab. So kritisiert er die Abkoppelung der positiven und sinnstiftenden Seiten des religiösen Lebens (beispielsweise der Überzeugung, dass Gott das Universum erschaffen hat) von dem Wahrheitsgehalt der religiösen Aussagen. Diese Abkoppelung liefere

204 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 196. 205 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 196 – 97.

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die Religion letztendlich dem Irrationalismus aus und habe für die eschatologische Hoffnung der Gläubigen erhebliche Konsequenzen206 : „Die im Leben vieler Religionen kultivierte Hoffnung über den Tod hinaus hängt an der Überzeugung, daß es tatsächlich ein Weiterleben nach dem Tod gibt. Der nonkognitivistische Versuch, den Sinn der eschatologischen Aussagen ausschließlich auf die Artikulation einer besonderen Lebensweise im Hier und Jetzt zu beschränken, macht die religiöse Hoffnung zunichte.“207 Nimmt man dazu an, dass die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ für viele Gläubige eng mit der Vorstellung verbunden ist, dass die Welt ein Ziel hat, so wird die Brisanz des Zitates von Schmidt-Leukel auch für den Bereich der Schöpfungslehre deutlich. Nach Schmidt-Leukel muss darüber hinaus eine vollständig nonkognitivistische Interpretation religiöser Aussagen scheitern, weil sie sich in letzter Konsequenz nicht mehr von einer atheistischen Position unterscheidet. „Nicht wenige Nonkognitivisten wehren sich gegen den Vorwurf des Atheismus unter anderem mit dem Hinweis auf die Tradition der ,Negativen Theologie‘, derzufolge es unmöglich ist, über Gott irgendwelche positiven, im wörtlichen Sinne zutreffende Behauptungen aufzustellen. Andererseits gelingt es ihnen aber nicht, zu verdeutlichen, worin sich ihre Position in theoretischer Hinsicht von Atheismus unterscheidet. Allein die unterschiedliche Bewertung des religiösen Verhaltens reicht hierzu nicht aus.“208

Eine andere Möglichkeit, den von Dawkins geforderten Unterschied zwischen einem „Universum mit Gott“ und einem „Universum ohne Gott“ festzustellen, bietet z. B. John Hicks Modell der eschatologischen Verifikation religiöser Aussagen. Genauso wie bei Dawkins’ Argument des Unterschiedes zwischen einem Universum ohne und einem Universum mit Gott, spielt in Hicks Konzeption der prinzipiell erfahrbare Unterschied der Existenz oder Nichtexistenz Gottes eine entscheidende Rolle. Die Existenz Gottes ist für Hick wie auch für Dawkins nicht unmittelbar verifizierbar, so dass die Gotteshypothese zunächst weder be- noch widerlegbar ist. In einem nächsten Schritt betont Hick, dass die Aussage „Gott existiert“ in der Regel eine Teilaussage einer umfassenderen Aussage über die Welt als Ganze bzw. über ihren Verlauf und ihr Ziel ist. Untersucht man die Frage nach der Existenz Gottes in ihrer Relevanz für das Verständnis der Welt, so macht es nach Hick einen prinzipiell erfahrbaren Unterschied, ob Gott existiert oder nicht, wobei dieser Unterschied völlig unabhängig von der Frage nach dem transzendenten Sein Gottes ist. Die Aussage „Gott hat die Welt erschaffen und führt den Weltprozess zu einem guten Ausgang für jeden Menschen“ wird somit zu einer verifizierbaren Tatsachenbehauptung. Anders als Dawkins, der vor allem den Weltverlauf im 206 Vgl. Schmidt-Leukel, Grundkurs Fundamentaltheologie, 57 – 58. 207 Schmidt-Leukel, Grundkurs Fundamentaltheologie, 58. 208 Schmidt-Leukel, Grundkurs Fundamentaltheologie, 57.

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Blick hat, wenn er im Evolutionsprozess oder am Beginn des Lebens bzw. des Universums nach Verifikations- bzw. Falsifikationsmöglichkeiten für die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ sucht, nimmt Hick das Ziel der Welt in den Blick.209 Seine These lautet dabei, dass sich der Unterschied zwischen einem Universum mit und einem Universum ohne Gott vom Menschen im Diesseits nicht feststellen lässt. Das eigene Leben an Gott auszurichten, ist aber gerechtfertigt, weil sich die Wahr- oder Falschheit dieser Ausrichtung im Nachhinein (im Jenseits) verifiziert oder falsifiziert. Dies verdeutlicht Hick z. B. mit Hilfe der Allegorie von der Suche nach der himmlischen Stadt.210 Hick geht es hier nicht darum, die Frage der Beweisbarkeit Gottes auf das Eschaton zu verlagern, sondern er hat das Ziel, religiöse Aussagen als kognitiv sinnvolle Tatsachenbehauptungen aufzuweisen. Denn wenn sich religiöse Aussagen prinzipiell im Eschaton verifizieren lassen, dann können sie schon jetzt als kognitiv sinnvolle Aussagen verstanden werden.211 Pannenbergs Versuch, Gott als „Feld“ zu interpretieren, teilt mit Hicks Modell der eschatologischen Verifikation das Anliegen, auf eine rein nonkognitivistische Interpretation religiöser Aussagen zu verzichten. Er setzt hierbei am Gottesbegriff sowie der Vorstellung an, dass Gott Schöpfer der Welt ist. Grundsätzlich bezieht sich die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ nicht nur auf den Anfang der Welt, sondern auf die Welt im ganzen Umfang ihrer zeitlichen und räumlichen Erstreckung. Dadurch kann der Schöpfungsgedanke mit dem Geschichtshandeln Gottes verbunden werden.212 Das Verhältnis des göttlichen Geistes zu seiner Schöpfung beschreibt Pannenberg mit dem Begriff „Feld“.213 Dieser aus der Physik stammende Begriff kann grundsätzlich definiert werden als die Gesamtheit der physikalischen Werte, die den Punkten eines Raumes zugeordnet werden.214 Pannenberg verwendet den Begriff „Feld“ nach eigenen Angaben nicht in einem physikalischen, sondern in einen verallgemeinerten Sprachgebrauch. Dies liegt daran, dass die Wirkungen des göttlichen Geistes nicht direkt mit einer physikalischen Feldgröße identifiziert werden können.215 Die Anwendung des Feldbegriffs auf das Verständnis des göttlichen Geistes erscheint damit auf den ersten Blick als Metapher bzw. als übertragener Sprachgebrauch.216 Demgegenüber geht Pannenberg trotz der Nichtidentifizierbarkeit des göttlichen Geistes mit einem bekannten physikalischen Feldbegriff davon aus, dass die Beschreibung

209 Vgl. Schmidt-Leukel, Grundkurs Fundamentaltheologie, 59. 210 Vgl. Hick, Faith and Knowledge, 177 – 178. Siehe auch Hick, Philosophy of Religion, 82 – 89, 135 – 36. 211 Vgl. Schmidt-Leukel, Grundkurs Fundamentaltheologie, 59 – 60. 212 Vgl. Pannenberg, Gott als Schöpfer der Welt, 86 – 87. 213 Vgl. Pannenberg, Gott als Schöpfer der Welt, 91. 214 Vgl. Lebkücher, Theologie der Natur, 67 – 68. 215 Vgl. Pannenberg, Gott als Schöpfer der Welt, 91 – 92. 216 Vgl. Pannenberg, Geist als Feld, 64.

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des göttlichen Geistes als Feld mehr als eine bloße Metapher ist.217 Das Sprechen von Gott als Feld ist für Pannenberg also mehr als ein nonkognitivistisches Bekenntnis zu dieser Art der Gottesrede. Pannenberg begründet dieses „mehr“ mit dem Hinweis darauf, dass die „…Beschreibung des Geistes als Feld in einer ausweisbaren Beziehung zu den Begriffen von Raum und Zeit steht.“218 Die angesprochene ausweisbare Beziehung zwischen Gott als Geist und der „Raumzeit“ beschreibt Pannenberg folgendermaßen: Die göttliche Unermesslichkeit und Ewigkeit sind die „…Bedingungen der Möglichkeit unseres aus Teilen bestehenden geometrischen Raumes und des Nacheinanders von Zeit…“ und damit „…Ursprung und Basis unserer kreatürlichen Raumzeit…“.219 Umgekehrt setzt Pannenberg auch am Feldbegriff selbst an, der in seiner Verallgemeinerung mit den Begriffen der Raumzeit verbunden bleiben muss. Wäre diese Verbundenheit nicht gegeben, würde der Feldbegriff nach Pannenberg jeden Inhalt verlieren, der seinen verallgemeinerten Gebrauch mit einem physikalischen Sprachgebrauch oder einem alltäglichen Sprachgebrauch verbindet.220 Pannenberg betont, dass die verallgemeinerte Anwendung des Feldbegriffes durch philosophische Reflexion gerechtfertigt werden muss, vor allem dann, wenn sie zu einer mehr als metaphorischen Beschreibung des göttlichen Geistes dienen soll. Es müsse somit aufgezeigt werden, dass der verallgemeinerte und somit philosophische Feldbegriff als Bedingung der Möglichkeit des physikalischen Feldbegriffs denknotwendig sei. Im Zuge seiner philosophischen Reflexion betont Pannenberg, dass die „Anschauungen des Raumes und der Zeit als eines unendlichen Ganzen“ die Voraussetzung der quantifizierbaren Raumzeit sind. Für die Theologie wird diese Beziehung interessant, weil ihr Gottesverständnis auf das Verständnis der Welt bezogen sein muss. Während Kant die theologische Dimension des Gedankens der Vorordnung des Ganzen von Raum und Zeit vor allen quantifizierbaren Raum- und Zeitgrößen durch eine anthropologische Reduktion (Zeit und Raum als bloße Anschauungsformen der menschlichen Subjektivität) negiert habe, sei diese Dimension gerechtfertigt, weil auch die Subjektivität des endlichen Menschen selbst in der Unendlichkeit verortet sei. Dies wiederum stelle eine Vermittlung zur Vorstellung des göttlichen Geistes als Feld her221: „Wenn nun anders als in Einsteins Sicht jede geometrische Beschreibung der Raumzeit schon das ungeteilte Ganze des Raumes und so die von der geometrischen Raumzeit unterschiedene göttliche Unermeßlichkeit zur Bedingung hat, sowie die Ewigkeit als das ungeteilte Ganze des in der Zeit Getrennten, dann sollte auch das ,Feld‘ der göttlichen Unermeßlichkeit und Ewigkeit Bedingung der Möglichkeit 217 218 219 220 221

Vgl. Pannenberg, Gott als Schöpfer der Welt, 91 – 92. Pannenberg, Gott als Schöpfer der Welt, 91. Pannenberg, Gott als Schöpfer. der Welt, 91. Vgl. Pannenberg, Geist als Feld, 65. Vgl. Pannenberg, Geist als Feld 65 – 66.

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physikalischer Felder sein, sei es im Blick auf das Gesamtfeld der geometrisch beschriebenen Raumzeit oder auch auf die in ihr auftretenden besonderen Kraft- oder Materiefelder.“222

Ob es Pannenberg gelingt, das „mehr als metaphorische“ Sprechen von Gott als Feld zu rechtfertigen, ist allerdings umstritten223. So kritisiert z. B. Anja Lebkücher, dass in Pannenbergs Konzeption nicht ausreichend geklärt sei, wie sich sein theologischer Gebrauch des Begriffs „Feld“ zu dessen physikalischer Bedeutung verhalten soll. Pannenberg insistiere einerseits darauf, dass es sich bei dem Begriff „Feld“ um einen physikalischen Begriff handelt, andererseits behaupte er, sein theologischer Gebrauch des Feldbegriffs unterscheide sich vom physikalischen. Beide Aussagen würden aber nicht in Deckung gebracht. Darüber hinaus präzisiere Pannenberg sein Sprechen von der „Verallgemeinerung“ des Feldbegriffes nicht und lasse unklar, auf welche Art von physikalischen Feldern seine Aussagen sich beziehen. Darüber hinaus wird nach Lebkücher auch nicht klar, worin die genaue Ähnlichkeit zwischen Gott und physikalischem Feld liegen soll. Lebkücher kommt zu dem Ergebnis, dass Pannenbergs Bemühungen, ein „Mehr“ gegenüber einer Metapher auszuweisen, nicht stimmig sind. „Zum einen wird nicht deutlich, worin das „Mehr“ bestehen soll, was also die Anwendung des Feldbegriffs auf Gott über eine Metapher hinaus ist. Zum anderen ist nicht ersichtlich, inwiefern begriffsgeschichtliche Verwandtschaft zwischen bildlichem und eigentlichem Ausdruck einer Metapher etwas hinzufügen sollte.“

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es für die Theologie Vorteile mit sich bringt, die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ als eine grundsätzlich wahrheitsfähige und kognitiv sinnvolle Aussage zu verstehen. Gleichzeitig birgt diese Annahme auch Risiken, weil die Gotteshypothese weniger wahrscheinlich wird, wenn es keine Ereignisse gibt, die vernünftigerweise auf die Präsenz Gottes hinweisen. Dawkins’ Überlegungen zur Überflüssigkeit der Annahme, dass Gott in der Evolution wirkt, scheinen die Gotteshypothese dementsprechend weniger wahrscheinlich zu machen. Allerdings kann mit Hick ein alternatives Konzept der Verifikationsmöglichkeit religiöser Aussagen aufgestellt werden und die Systematische Theologie ist aufgerufen, Dawkins in dieser Hinsicht mit weiteren Modellen entgegenzutreten. Pannenbergs Versuch der nichtmetaphorischen Deutung Gottes als „Feld“ muss in dieser Hinsicht allerdings als problematisch betrachtet werden.224 222 Pannenberg, Geist als Feld, 66. 223 Vgl. hierzu: Mutschler Hans Dieter, Schöpfungstheologie und physikalischer Feldbegriff bei Wolfhart Pannenberg, 543 – 558 sowie Lebkücher, Theologie der Natur, 82 – 88. 224 Jürgen Audretsch betont, dass eine „…naturwissenschaftliche Argumentation nicht durch einen etwas verschwommen gehaltenen Zwischenbereich hindurch nahtlos in Theologie übergehen…“ darf. Der Versuch, etwas von dem Wahrheitsgehalt der Naturwissenschaften in die theologische Argumentation hinüberzuziehen scheitere und mache aus den theologischen Begründungsbemühungen Pseudobegründungen. Vgl. Audretsch, Blick auf das Ganze, 27 – 28.

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Reagiert man auf diese Problematik mit einer nonkognitivistischen Deutung der Gotteshypothese, die keine wissenschaftliche Hypothese sein kann, weicht man der kognitivistischen Herausforderung durch Dawkins aus. Dies hat natürlich einerseits den Vorteil, dass Dawkins’ Aussagen über die Entwicklung der komplexen Lebewesen und der Entstehung des Lebens von vorneherein nichts zu der Frage beitragen können, ob Gott als Schöpfer des Universums verstanden werden kann. Gott als Schöpfer des Universums zu verstehen, ist vielmehr Ausdruck einer transzendentalen Gewissheit oder Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls. Die Gefahr einer solchen Interpretation religiöser Aussagen liegt mit Heckmann allerdings unmittelbar auf der Hand und setzt am Heilsversprechen der christlichen Religion an.225 Mit Schmidt-Leukel ist zudem die Frage nach der prinzipiellen Unterscheidbarkeit einer nonkognitivistischen von einer atheistischen Position zu stellen.226 3. Theologie und Naturwissenschaft – Wie ist ein Dialog möglich? Hinsichtlich des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften lassen sich mit Barbour grundsätzlich vier verschiedene Positionen unterscheiden: Konflikt, Unabhängigkeit, Integration oder Dialog. Vertritt man ein Konfliktmodell zwischen Theologie und Naturwissenschaften, geht man davon aus, dass ein gleichzeitiger Glaube an Gott und an bestimmte naturwissenschaftliche Erkenntnisse wie z. B. die Evolution nicht möglich ist. Theologie und Naturwissenschaften sind dementsprechend Gegner, die sich um die richtige Sicht der Wirklichkeit streiten. Eine alternative Sichtweise beruht darauf, dass Theologie und Naturwissenschaften Fremde sind, die koexistieren können, sofern sie einen „Sicherheitsabstand“ voneinander einhalten. Die Annahme, Naturwissenschaft und Theologie seien voneinander unabhängig, wird zumeist damit begründet, dass sie sich auf unterschiedliche Lebensbereiche beziehen und unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit in den Blick nehmen. Sowohl Theologie als auch Naturwissenschaft haben im Kontext des Unabhängigkeitsmodells also ein eigenes Magisterium. Im Kontext eines Integrationsmodells, zwischen Theologie und Naturwissenschaften wird die Mit Blick auf die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ fordert Audretsch von Theologen eine genauere Auskunft über ihre Bedeutung und Implikationen. So müsste nach Audretsch in diesem Kontext beispielsweise begründet werden, warum der Rückgriff auf die Weltentstehung für die christliche Weltdeutung und den Glauben. unverzichtbar ist und warum keine alternativen Zugänge zur Welt möglich sind. Audretsch hinterfragt, dass die Weltentstehung für das Sprechen von Gott als Schöpfer wirklich zentral ist: „Das Reden von Gott als dem Schöpfer sollte daher in der Argumentation nicht von der Weltentstehung ausgehen. Es kann nur vom einzelnen Menschen ausgehen und muß mit der Frage beginnen: „Was wollen mir die Dinge, die Natur, die anderen Menschen und meine Erfahrungen mit ihnen sagen?‘“. Ebd. 46. 225 Vgl. Heckmann, Denkwürdiger Glaube, 196 – 97. 226 Schmidt-Leukel, Grundkurs Fundamentaltheologie, 57.

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Vorstellung streng getrennter Magisteria zugunsten sich überschneidender Magisteria aufgegeben. Diese Aufgabe ist der Einsicht geschuldet, dass Theologie und Naturwissenschaften über dieselbe Wirklichkeit sprechen. Ähnlich wie das Integrationsmodell verfolgt das Dialogmodell einen Vergleich zwischen Methoden, die auch dann gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, wenn man die Unterschiede zwischen Theologie und Naturwissenschaften anerkennt. Vergleichbar sei z. B. die theologische und naturwissenschaftliche Methode, begriffliche Analogien und Modelle zu bilden, um das vorstellbar zu machen, was nicht unmittelbar zu beobachten ist (z. B. Gott oder subatomare Teilchen). Stärker als beim Integrationsmodell wird beim Dialogmodell die Geschlossenheit des jeweils anderen Bereichs respektiert.227

3.1 Dawkins’ konfliktorientierte Position bezüglich des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaft Dawkins’ Haltung im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Religion und Wissenschaft kann als konfliktorientiert beschrieben werden. Vor allem in A Devil’s Chaplain wendet sich Dawkins gegen die Vorstellung, dass Wissenschaft und Religion sich einander annähern oder gar ineinander aufgehen.228 Gegen die Vorstellung einer Annäherung spricht nach Dawkins vor allem die Tatsache, dass die aus dem Staunen vor der Majestät des Universums und der Komplexität des Lebens resultierenden „religiösen“ Ansichten einer Ursula Goodenough oder eines Paul Davies letztendlich mit „atheistischen“ Ansichten identisch sind. Bezeichne man diese Ansichten nun als „religiös“, verwende man eine so elastische Definition des Begriffs Religion, dass für die „reale“ Religion kein Platz mehr bleibe. Gott als Synonym für die tiefsten Prinzipien der Physik zu verstehen, ist für Dawkins sehr gut möglich. Allerdings sei dieses Verständnis eher atheistisch, da damit der klassische Gottesbegriff aufgegeben werde.229 Auch von einer Annäherung zwischen moderner Physik und östlicher Mystik kann nach Dawkins nicht gesprochen werden.230 Aber nicht nur die Annäherung zwischen Religion und Wissenschaft scheitert nach Dawkins, sondern auch der Versuch einer „säuberlichen Trennung“ der Zuständigkeiten. Nach Dawkins wird der Theologie gerne ein eigener Zuständigkeitsbereich zugewiesen, ohne dass diese Zuweisung näher begründet werde. So ist es für Dawkins keineswegs offensichtlich, dass die Religion die „Warum-Fragen“, die Naturwissenschaft dagegen besser die „Wie-Fragen“ beantwortet.231 227 228 229 230 231

Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 15 – 17. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 173. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 174. Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 174. Dawkins, River Out of Eden, 113 – 14.

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Dawkins’ Kritik liegt die Annahme zugrunde, dass Wissenschaft und Religion über dieselbe Wirklichkeit sprechen. Diese Einsicht hat nach Dawkins für die Theologie erhebliche Konsequenzen, auf die sie mit zwei Strategien reagieren könne. In einer ersten Strategie kann die Theologie an einem eigenen Zuständigkeitsbereich, d. h. Magisterium festhalten. Sie steht aber in diesem Fall vor der Aufgabe, dieses Festhalten wirklich zu begründen. Darüber hinaus muss sie nach Dawkins in diesem Fall auch auf die Annahme verzichten, dass religiöse Aussagen tatsächlich etwas über die Wirklichkeit aussagen und damit wahrheitsfähig sind. Für Dawkins ist das Festhalten an einem eigenen Zuständigkeitsbereich der Theologie also zwangsläufig mit einem nonkognitivistischen Ansatz verbunden. Der Glaube an Wunder kann in diesem Fall also nicht mehr als Aussage über einen realen Sachverhalt bewertet werden, sondern nur als Ausdruck eines Lebensgefühls. Die zweite Strategie wird nach Dawkins von denjenigen Theologen verfolgt, die sich einen echten Austausch zwischen Theologie und Naturwissenschaften wünschen. In diesem Kontext wird die Aussage „Wunder existieren“ als kognitiv sinnvolle Tatsachenbehauptung verstanden, was bedeutet, dass sie falsifiziert werden kann. Theologen und Naturwissenschaftler sprechen also über dieselbe Wirklichkeit. Nach Dawkins finden sich nun naturwissenschaftlich betrachtet keine Hinweise auf die Existenz von Wundern, so dass er die Aussage „Wunder sind real“ für falsifiziert hält.232

3.2 Kritik der konfliktorientierten Position Dawkins’ Dawkins’ Versuch der Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Naturwissenschaft ist maßgeblich von seinem Realitätskonzept beeinflusst. Für Dawkins ist genau das real, was mit naturwissenschaftlichen Mitteln erkannt werden kann. Aus dieser Voraussetzung heraus erklärt sich die Annahme, dass die Realität von Wundern nur dann behauptet werden kann, wenn sich die Theologie auf ein eigenständiges, ernstzunehmendes Magisterium zurückzieht. Sobald Wunder außerhalb des religiösen Bereiches für real erklärt werden, fallen sie nach Dawkins unter die Kategorie „wissenschaftlich überprüfbare Tatsachenbehauptung“, wobei sie sich bei dieser wissenschaftlichen Überprüfung als nicht real erweisen. Dass dem tatsächlich so ist, kann Dawkins allerdings nur im Kontext seines spezifischen Realitätskonzeptes behaupten. Eine weitere implizite Voraussetzung bei Dawkins’ Verhältnisbestimmung von Religion und Naturwissenschaft ist die Annahme, dass die naturwissenschaftliche Methode allen anderen Erkenntnismethoden überlegen ist. Diese Überzeugung wird von Dawkins allerdings nur mit dem Hinweis auf die Überlegenheit der naturwissenschaftlichen Methode begründet233, 232 Vgl. Dawkins, The Great Convergence, 178. 233 Dawkins, The Virus of Faith, 171.

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ohne dass weitere gute Gründe genannt würden, warum anstelle eines Erkenntnispluralismus nur eine einzige Erkenntnismethode möglich ist. Inwiefern die von Dawkins genannten Kriterien guter Wissenschaft tatsächlich nur auf die Naturwissenschaft zutreffen, ist dabei genauso umstritten wie die Frage, ob Dawkins die naturwissenschaftliche Methode überhaupt angemessen charakterisiert. Zu Recht wurde Dawkins’ Wissenschaftskonzept im Diskurs als szientistisch gekennzeichnet. Dawkins’ Sicht des Verhältnisses zwischen Theologie und Naturwissenschaften ist zugleich durch seinen Darwinismus geprägt, der den zentralen Erklärungsrahmen seines Werkes darstellt. Dies ist nicht unproblematisch, weil Dawkins’ Darwinismus zumindest partiell als weltanschaulich einzustufen ist und er diesen Umstand nicht reflektiert. So geht Dawkins davon aus, dass sein „Darwinismus“ nicht nur „zufällig wahr“ ist, sondern wahr in dem Sinne, dass er sich nahtlos aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ableiten lässt. Dass seine metaphysischen Hintergrundannahmen und methodischen Grenzen Konsequenzen für den Geltungscharakter seiner Forderungen haben, erkennt Dawkins dementsprechend nicht. Bei Dawkins’ Verhältnisbestimmung tritt darüber hinaus das Problem auf, dass Dawkins nicht zwischen naturwissenschaftlichen und philosophischen Aussagen unterscheidet.234 Inwieweit er selbst auch (implizite) philosophische Aussagen tätigt, die mit religiös-philosophischen Aussagen in Konflikt stehen, reflektiert Dawkins also nicht. Dawkins zieht aus der Tatsache, dass seine Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Naturwissenschaften von impliziten Voraussetzungen bestimmt ist, nicht die Konsequenz, seine eigenen Überzeugungen zu reflektieren. Er wägt beispielsweise seine Konzeption der Naturwissenschaft nicht gegen andere Konzeptionen der Naturwissenschaft ab. Darüber hinaus setzt er sich auch nicht mit Modellen auseinander, die die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu begründen versuchen.

3.3 Die nicht konfliktorientierten Positionen der Diskurs-Akteure In Abgrenzung zu Dawkins’ konfliktorientierter Position werden im Diskurs alternative Verhältnisbestimmungen zwischen Theologie und Naturwissenschaften diskutiert. So hält Haught gegen Dawkins an einem eigenständigen religiös-theologischen Bereich (Magisterium) fest. Davon ausgehend argumentiert er mit dem Begriff Vertrauen, um das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaften näher zu bestimmen. Vertrauen (trust) als Alternativbegriff für Glauben (faith) stehe am Anfang der menschlichen Erforschung des Universums und des unendlichen Geheimnisses Gott. Das Universum zu erforschen erfordere beispielsweise den Glauben, dass die reale Welt rational, die Wahrheit ein wichtiges Gut und der eigene Geist so intakt ist, 234 Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 27 – 28.

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dass er Sinn erfassen und valide Wahrheitsbehauptungen aufstellen kann.235 Die Theologie sei von daher nicht die Antwort auf naturwissenschaftliche Fragen, sondern antworte auf die Frage, ob das spontane Vertrauen, das jede Nachforschung stütze, gerechtfertigt ist. Die Naturwissenschaft wiederum könne diese Rechtfertigung nicht liefern, da sie bereits annehme, dass die Suche nach Verständnis und Wahrheit erstrebenswert sei.236 Der spezifische Beitrag, den die Theologie im Gespräch mit den Naturwissenschaften liefern kann, besteht nach Haught also in der Auseinandersetzung mit deren impliziten Voraussetzungen (z. B. „die Suche nach Verständnis und Wahrheit ist erstrebenswert“). Haughts Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Naturwissenschaft ist von einem nonkognitivistischen Grundansatz geprägt, weil er an einem eigenständigen Bereich der Theologie festhalten möchte. Nach Barbour kann Dawkins als wissenschaftlicher Materialist bezeichnet werden, der nicht zwischen naturwissenschaftlichen und philosophischen Fragen unterscheidet. Dadurch mache Dawkins zwischen Naturwissenschaft und Religion ein Konfliktverhältnis aus, das in der Realität nicht bestehe237, und zwar deshalb nicht, weil religiöse Überzeugungen nur auf einer weltanschaulichen Ebene mit naturwissenschaftlichen Überzeugungen in Konflikt geraten können. Der eigentliche Konflikt bestehe also nicht zwischen Religion und Naturwissenschaften, sondern zwischen Theismus und materialistischer Metaphysik.238 Ähnlich sieht dies auch Ward, der betont, dass Dawkins die fehlerhafte Gleichsetzung von Wissenschaft und Metaphysik (Materialismus) verwende, um seine Leser zu überzeugen, dass Wissenschaft und Theismus inkompatibel seien. In Wahrheit seien aber nur Materialismus und Theismus inkompatibel.239 Für Barbour und Ward stehen Religion und Naturwissenschaften also nicht in einem Konfliktverhältnis. Barbour lehnt auch die Vorstellung ab, dass Religion und Naturwissenschaft voneinander unabhängige Bereiche sein können. Vertritt man ein Unabhängigkeitsmodell, hat dies nach Barbour nämlich Konsequenzen für die Gültigkeit von religiösen Überzeugungen. So setzten eine religiöse Lebensweise und religiöse Überzeugungen konkrete Vorstellungen über die Natur der Wirklichkeit voraus, die prinzipiell überprüfbar sein müssen. Für religiöse Aussagen ist es nach Barbour dabei entscheidend, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen, weil sie sonst an Glaubwürdigkeit verlieren.240 Er erweist sich damit als Vertreter einer kognitivistischen Position und hält religiöse Aussagen für kognitiv sinnvolle, wahrheitsfähige Tatsachenbehauptungen. Ein nonkognitivistisch orientiertes Unabhängigkeitsmodell im Sinne Haughts würde Barbour also ablehnen. 235 236 237 238 239 240

Haught, God and the New Atheism, 48. Haught, God and the New Atheism, 49. Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 27 – 28. Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 29. Vgl. Ward, God, Chance and Necessity, 100. Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 52.

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Hans-Dieter Mutschler wiederum betont, dass es der Theologie nichts bringt, den Gotteswahn als „Bestseller für die breite Masse“ abzutun, da Dawkins einen neuralgischen Punkt getroffen habe. Der „Neue Atheismus“ sei insgesamt ein Alarmzeichen dafür, dass der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften in Zukunft anders geführt werden müsse. „Ein Dialog bloß nach innen ist eigentlich gar keiner.“241 Er fordert von der Theologie also eine Öffnung in Richtung Naturwissenschaften. An anderer Stelle betont Mutschler, dass sich der „garstige Graben“ zwischen Religion und Physik nur über ein vermittelndes, philosophisches Bindeglied – die Metaphysik – überbrücken lässt.242 Den Versuch, die Inhalte von Theologie und Physik unmittelbar zu vergleichen, lehnt Mutschler demgegenüber dezidiert ab.243 Metaphysik definiert Mutschler mit Polkinghorne als „die Reflexion auf praktische und theoretische Grundfragen“. Sie beruhe im besten Fall auf dem besseren Argument, führe aber in keinem Fall zu unwiderlegbaren Apriori-Wahrheiten.244 Auch wenn man die Metaphysik als Bindeglied zwischen Physik und Theologie bestimmt, bleibt nach Mutschler die Frage, ob diese als „metaphysica specialis“ oder als „metaphysica generalis“ verstanden werden soll. Sowohl den Versuch im Sinne einer metaphysica specialis, die Metaphysik der Physik direkt auf Gott zu beziehen, als auch den Versuch, das moderne physikalische Denken in eine metaphysica generalis zu integrieren, hält Mutschler für schwierig. Seine eigene Position neigt eher einer metaphysica specialis zu, da Mutschler in seinem Buch immer wieder konkrete Inhalte aus dem Spannungsfeld zwischen Physik und Religion in den Blick nimmt, so z. B. die punktuelle metaphysische Frage nach der Formbestimmtheit der Materie. Da er die Inhalte in den Blick nimmt, kann für Mutschler eine rein methodologische Reflexion des Verhältnisses von Religion und Physik nicht hinreichend sein.245 Clayton weist in der konkreten Auseinandersetzung mit Dawkins auf die vielfältigen Beziehungen zwischen Naturwissenschaftlern, Philosophen und Theologen hin, die es in der Praxis bereits gebe.246 In einem anderen Buch betont Clayton, dass es zunächst einmal die Methodenfragen und nicht zuerst die Frage nach den Inhalten ist, die im Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft weiterführt.247 Für den Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaften spricht nach Barbour die Tatsache, dass hierdurch konstruktivere Beziehungen zwischen den Wissenschaften ermöglicht werden. Ein Dialog kann nach Barbour gelingen, wenn beide Seiten die Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen und des theologischen Unternehmens betrachten, die jeweiligen Methoden 241 242 243 244 245 246 247

Mutschler, Die Konfrontation suchen, 9. Vgl. Mutschler, Physik und Religion, 254. Vgl. Mutschler, Physik und Religion, 268. Vgl. Mutschler, Physik und Religion, 256. Vgl. Mutschler, Physik und Religion, 269 – 70 Vgl. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 299 – 301. Vgl. z. B. Clayton, Rationalität und Religion, 219.

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analysieren und dadurch Ähnlichkeiten in den Voraussetzungen, Methoden und Begriffen erkennen.248 Knapp macht sich für ein dialogisches Modell des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften auf der Basis philosophischer Überlegungen stark.249 Seiner Meinung nach ist gerade die Theologie verstärkt aufgerufen, das Gespräch mit der Philosophie und den Naturwissenschaften zu suchen. Theologie und Naturwissenschaften sind für Knapp grundsätzlich durch einen je eigenen methodologischen Ansatz gekennzeichnet, sprechen aber zugleich vom gleichen materialen Gegenstand (Welt und Mensch), so dass sie aufeinander verwiesen sind. Knapp geht also nicht von zwei getrennten Magisteria aus, sondern von einem Magisterium, über den Theologie und Naturwissenschaften aber gleichermaßen berechtigt sprechen, da sie unterschiedliche methodologische Ansätze verfolgen. Ein Dialog zwischen den beiden Wissenschaften ist für Knapp deswegen wichtig, weil weder Naturwissenschaft noch Theologie (oder Philosophie) die Wirklichkeit komplett erfassen können, sondern lediglich Teilausschnitte der Wirklichkeit250. Gegen Dawkins’ Konzept, dass mit Hilfe der Naturwissenschaft die Realität als Ganze erkannt werden kann, setzt Knapp also die Vorstellung, dass keine Wissenschaft die Wirklichkeit komplett erfassen kann. Ähnlich ist die Antwort McGraths auf Dawkins’ Anfragen. Gegen Dawkins’ Annahme, die empirisch fassbare Realität sei das einzig mögliche Magisterium, setzt er die Vorstellung von sich teilweise überschneidenden Magisteria von Theologie/Philosophie und Naturwissenschaften.251 Ziel des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften ist nach Knapp dementsprechend die möglichst vollständige Erfassung der Wirklichkeit.252 Bezieht man die Philosophie als Disziplin in den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften mit ein, zeigt sich nach Knapp, dass das naturwissenschaftliche, theologische und philosophische Welt- und Menschenbild im Dialog der Wissenschaften zum Gegenstand der philosophischen Reflexion wird. Damit einher geht die Erkenntnis, dass die gemeinsame Basis des Dialogs zwischen Naturwissenschaftlern, Theologen und Philosophen eine philosophische ist. Die unterschiedlichen Disziplinen treten in den Dialog, indem sie sich über ihr jeweiliges Bild des Menschen und der Welt austauschen.253

248 Vgl. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion, 37. 249 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 29 – 32. 250 Die von Knapp formulierte These kann als kritischer Realismus bezeichnet werden, nach dem sowohl Theologie als auch Naturwissenschaften nur partielle, vorläufige Blicke auf die Wirklichkeit bieten. Vgl. Murphy, Theologie und Naturwissenschaft in der Postmoderne, 83. 251 Vgl. McGrath, Atheismuswahn, 58. 252 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 22 – 23. 253 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 22 – 23. In diesem Sinne bestimmt auch Kropacˇ die Philosophie als einen Ort des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Gespräche zwischen Theologie und Naturwissenschaften können nach Kropacˇ letztendlich nicht interdisziplinär, sondern nur „überdisziplinär“, d. h. auf einer Meta-Ebene fruchtbar verlaufen. Vgl. Kropacˇ, Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, 339 – 42.

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Knapp zeigt vor diesem Hintergrund folgende Kriterien für einen gelungen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften auf: – Anerkennung der Komplexität der Wirklichkeit – Anerkennung methodologisch unterschiedlicher Zugänge zur Wirklichkeit – Anerkennung der Unmöglichkeit, voraussetzungsfreie Wissenschaft zu treiben – Anerkennung der philosophischen Ebene als angemessene Sprachebene des Dialogs – Keine willkürliche oder blinde Rezeption naturwissenschaftlicher Ergebnisse – Keine Vermischung der Argumentationsebenen (z. B. keine Argumentation gegen die Evolutionstheorie mit Bibelstellen)254 Knapp betont, dass der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften nur auf philosophischer Ebene geführt werden kann. Er ruft vor diesem Hintergrund dazu auf, dass philosophierende Theologen und philosophierende Naturwissenschaftler miteinander in Dialog treten, da beide Wissenschaften bereits implizite philosophische Voraussetzungen mitbringen, die es zu reflektieren gilt. Beide Wissenschaften treiben seiner Meinung nach schon längst Philosophie, wenn sie über die Grenzen der eigenen Disziplin und ihre Methoden nachdenken.255 Es zeigt sich, dass die Diskurs-Akteure auf Dawkins’ konfliktorientierte Bestimmung des Verhältnisses von Theologie bzw. Religion und Naturwissenschaften kritisch reagieren. Dabei zeichnet sich bei den dialogorientierten Forschern eine Übereinstimmung dahingehend ab, dass der Versuch, die Inhalte von Theologie und Physik unmittelbar zu vergleichen, zum Scheitern verurteilt ist. Diese Sicht teilt letztendlich auch Haught, der daraus aber eine Unabhängigkeit von Theologie und Naturwissenschaften ableitet. Während Clayton und Barbour vor diesem Hintergrund vor allem einen Vergleich der Methoden, zentralen Begriffe und Vorannahmen für relevant halten, ziehen Mutschler und Knapp die Zwischenschaltung einer Vermittlungsinstanz vor, da sie auch an bestimmten Inhalten wie z. B. der Frage nach dem Menschen orientiert sind. Diese Vermittlungsinstanz wird von Knapp als „philosophische Ebene“, von Mutschler als „philosophische Reflexion auf praktische und theoretische Grundfragen“ (Metaphysik) bezeichnet. Während Theologie und Naturwissenschaften nach Knapp inhaltlich in Dialog treten, indem sie sich über ihr jeweiliges Bild des Menschen und der Welt austauschen, treten sie nach Mutschler über bestimmte metaphysische Einzelfragen, z. B. die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele, in Dialog. Der Versuch Theologie und Naturwissenschaften zu integrieren spielt in den Überlegungen der DiskursAkteure keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Mutschler gibt explizit zu 254 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 20 – 25 sowie 29 – 32 und 184 – 92. 255 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 29.

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bedenken, dass alle bisherigen Versuche, Naturwissenschaften und Religion im Sinne einer metaphysica generalis zu integrieren, mit schwerwiegenden Problemen behaftet seien. Das gelte z. B. sowohl für die Prozessphilosophie eines Alfred North Whitehead als auch für die philosophischen Ansätze eines Charles Sanders Peirce.256

3.4 Schlussfolgerung Im Diskurs wird gegen Dawkins’ konfliktorientierte Beschreibung des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften sowohl mit dem Unabhängigkeitsmodell (Haught) als auch dem Dialogmodell (Knapp, Mutschler, Clayton…) argumentiert. Da die These einer gegenseitigen Unabhängigkeit von Theologie und Naturwissenschaften m. E. vor allem aufgrund ihrer nonkognitivistischen Grundausrichtung nicht weiterführt257, soll im Folgenden die Möglichkeit eines Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften in den Blick genommen werden.258 Dabei schließe ich mich der vor allem von Mutschler und Knapp vertretenen Position an, dass ein rein an den Methodenfragen orientierter Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften zu kurz greift. Ich halte es – auch gerade im Hinblick auf einen kognitivistischen Grundansatz – für entscheidend, dass im Dialog nach bestimmten Inhalten (z. B. nach dem Schöpfersein Gottes) gefragt wird259. Bezüglich der Voraussetzungen und Kennzeichen eines gelingenden Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften, kann man dementsprechend folgende Überlegungen aus dem Dawkins-Diskurs ableiten: 1. Ein gelungener Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften darf nicht nur die Methodenfragen berücksichtigen, sondern muss auch die Inhalte in den Blick nehmen. Nichtsdestoweniger ist die Frage nach den Gemeinsamkeiten in den Methoden, Begriffen und Vorannahmen eine notwendige Vorbedingung des Dialogs.260 In diesem Kontext könnte z. B. 256 Vgl. Mutschler, Physik und Religion, 269 – 70 257 In diesem Sinne auch Audretsch, Der Blick auf das Ganze, 30: „Von der physikalischen Kosmologie gehen für die Schöpfungstheologie Anregungen aus, die diese berücksichtigen muß, wenn sie nicht nur ihr Sprachspiel spielen, sondern auch die Menschen erreichen will, die nicht schon fest überzeugte Mitspieler sind.“ 258 Zu den Möglichkeiten und Grenzen eines Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften, Vgl. auch: Becker/Diewald (Hg.), Zukunftsperspektiven im theologisch-naturwissenschaftlichen Dialog. 259 Zu beachten ist hierbei, dass nicht alle theologischen Inhalte „Tatsachenbehauptungen“ sind. Die göttliche Trinität wäre dementsprechend kein Inhalt des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften. 260 Vgl. hierzu auch: Barbour Wissenschaft und Glaube, 137. Auch Barbour betont in diesem Zusammenhang, dass methodologische Erwägungen den eigentlichen Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft nur vorbereiten.

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diskutiert werden, inwiefern der auf einer philosophischen Ebene bestehende Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus auch den von Ward und Barbour verfochtenen Gegensatz zwischen Materialismus und Theismus impliziert. 2. Damit die relevanten Inhalte in den Blick genommen werden können, ist es entscheidend, dass eine Vermittlungsinstanz in den Dialog eingeschaltet wird. Das interdisziplinäre Gespräch zwischen den Partnern muss also primär ein überdisziplinäres sein, d. h. der Austausch muss vornehmlich auf einer philosophischen Meta-Ebene stattfinden.261 Überlegungen, wie diese Ebene genau zu bestimmen ist, finden sich im Diskurs mit Knapp (philosophische Ebene) und Mutschler (metaphysische Ebene). Analog zu der Feststellung einer notwendigen Vermittlungsinstanz hat die in dieser Arbeit vorgenommene Diskurs-Analyse gezeigt, dass von einer Schlüsselund Scharnierfunktion der Philosophie bzw. der philosophischen Akteure im Diskurs ausgegangen werden kann. Da die philosophischen DiskursAkteure das größte Themenspektrum abdecken und die größte Bandbreite von Strategien verwenden, nehmen sie zwangsläufig eine zentrale Funktion im Dialog zwischen den drei Disziplinen ein. 3. Die Vermittlungsinstanz kann im Dialog zwei Funktionen einnehmen, die der von Mutschler getroffenen Unterscheidung zwischen einer metaphysica specialis und einer metaphysica generalis entsprechen. So kann es in einem Dialog auf der philosophischen Ebene einerseits darum gehen, allen Wissensbereichen ein übergreifendes metaphysisches Rahmengerüst zu geben. Dies wird u. a. im Rahmen der Prozessphilosophie von Whitehead angestrebt. Andererseits können auf einer philosophischen Ebene auch für beide Seiten akzeptable Definitionen der Begriffe und Konzepte geliefert werden, die Theologie und Naturwissenschaften gemeinsam haben (z. B. Gesetz oder Zufall)262. In diesem Kontext werden zudem eher konkrete metaphysische Einzelfragen diskutiert. 4. Darüber hinaus ist auch der in dieser Arbeit verteidigte Versuch der kognitivistischen Interpretation religiöser Aussagen für den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften wichtig. So ist es mit Kropacˇ entscheidend, dass sowohl Theologen als auch Naturwissenschaftler Interpretationsmuster entwickeln, die sich auf empirisch vielfach bestätigte und theoretisch gut begründete Forschungsergebnisse stützen. Dabei versteht Kropacˇ den Bezug der Interpretationsmuster auf die konkreten Fakten dahingehend, dass „…zumindest ein Teil der auf der metatheoretischen Ebene formulierten Aussagen durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder erfahrungsbewährte Theorien kritisierbar und korrigier-

261 Vgl. Kropacˇ, Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, 339. Siehe hierzu auch: Murphy, Theologie und Naturwissenschaft in der Postmoderne, 75. 262 Vgl. Russell/Wegter-McNelly, Die Verzahnung von Naturwissenschaft und Theologie, 63.

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bar…“ sein muss.263 Vor allem die Theologie steht für Kropacˇ dabei in der Verpflichtung, philosophische Modelle zu entwickeln, die sich im Diskurs bewähren müssen und deren Überzeugungskraft vornehmlich von ihrem Erklärungspotential abhängt.264 Jeder einzelne Theologe muss nach Kropacˇ in diesem Kontext philosophisch-theologische Modelle entwickeln, die einerseits auf seinem Bekenntnis basieren, es andererseits auch ermöglichen, Beziehungen zu den wichtigsten naturwissenschaftlichen Resultaten herzustellen.265 Letzteres setzt m. E. einen kognitivistischen Grundansatz voraus. Dies ist umso entscheidender, wenn die Suche nach Wahrheit sowohl für die Theologie als auch für die Naturwissenschaften als zentral verstanden werden kann.266 5. Ein Dialog sollte nicht dazu führen, dass die Theologie ihr Proprium aufgibt und ihr Gottesbild auf eine Art nicht interventionistisches Minimum zusammenschrumpft.267 Genauso wenig sollte ein Dialogversuch dazu führen, dass die Naturwissenschaften ihr Proprium aufgeben. Der Verzicht darauf, den Dialogpartner auf methodischer oder inhaltlicher Ebene zu vereinnahmen, ist also eine weitere Voraussetzung für einen gelungenen Dialog.268 6. Als Ziel eines Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften kann die möglichst vollständige Erfassung der Wirklichkeit bestimmt werden.269 Dieses Ziel ist sinnvoll, insofern Theologie und Naturwissenschaften jeweils nur einen Teilausschnitt der Wirklichkeit erkennen können und ggf. unterschiedliche methodologische Zugänge zu dieser Wirklichkeit haben. Mit Dirk Evers können folgende Themen und philosophischen Fragen als relevant für den Dialog eingestuft werden: Im Bereich der Kosmologie kann z. B. die Frage nach dem Stellenwert des anthropischen Prinzips und dem Verhältnis von Kosmos und Lebensentstehung gestellt werden. 1. In anthropologischer Perspektive können die Variablen und Konstanten des menschlichen Lebens hinsichtlich seiner natürlichen Ausstattung in den Blick genommen werden. Dabei spielt z. B. die Frage eine Rolle, ob die Religiosität des Menschen ein natürlich angeborener Gottesinstinkt oder das Epiphänomen Kropacˇ, Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, 339. Vgl. Kropacˇ, Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, 342. Vgl. Kropacˇ, Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, 342. Vgl. Russell/Wegter-McNelly, Die Verzahnung von Naturwissenschaft und Theologie, 69 – 70. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 87 – 88. Diese Voraussetzung orientiert sich an der von Gaymon Bennett beschriebenen „hypothetischen Konsonanz“ zwischen Theologie und Naturwissenschaften. In deren Kontext geht es nicht darum, die Feststellungen der jeweils anderen Seite zu bestätigen oder zu entkräften bzw. die naturwissenschaftlichen oder religiösen intellektuellen Leistungen in Frage zu stellen. Vgl. Bennett/Gaymon, Einleitung, 26 – 27. 269 Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 22 – 23. So auch schon Hübner Jürgen, Der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften, 2. In diesem Sinne auch Lüke, Das Säugetier von Gottes Gnaden, 52.

263 264 265 266 267 268

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einer in der Evolution nützlichen Illusion ist. 2. In der Bioethik ist nach Evers die Frage nach der Begründung von Normen und Werten zentral. 3. Die Hirnforschung regt den Austausch zwischen Theologie und Naturwissenschaften um die Frage an, was das Bewusstsein ist.270 Die angeführten Fragen sind metaphysische Einzelfragen, die nach Evers in der Frage nach der Hermeneutik unseres Welt- und Lebensverständnisses zusammenlaufen. In diesem Kontext wird die Frage nach der Natur der Wirklichkeit relevant und die Frage nach der Möglichkeit ihrer Erkenntnis. Ebenso die Frage nach dem Verhältnis von Faktenwissen, Lebensgewissheit und Glaubensüberzeugungen, von Vernunft und Weisheit sowie von Erklären und Verstehen.271 Sucht man nach den Themen und Fragen, die auf Grundlage des Dawkins-Diskurses für einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften relevant werden können, fällt in anthropologischer Perspektive vor allem Strassers Idee der transevolutionären Strukturen ins Auge. So könnte diese Idee zum Gegenstand eines Gesprächs mit Dawkins werden.272 Ebenso könnte z. B. gefragt werden, in welchem Verhältnis Strassers Idee zu der von Philip Clayton entwickelten Vorstellung der Emergenz des menschlichen Bewusstseins steht.273 Die Notwendigkeit, einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften zu führen, erweist sich dementsprechend als eine weitere Implikation des Dawkins-Diskurses für die Systematische Theologie.

4. Was tragen Dawkins und der Diskurs zum Menschenbild bei? Die Frage nach dem Menschenbild kann als eine der zentralen Fragen des Diskurses verstanden werden. Dawkins’ Menschenbild und sein Determinismus werfen im Diskurs einerseits kritische Fragen auf: Suggeriert die Theorie vom egoistischen Gen ein fragwürdiges Menschenbild? Verhindert Dawkins’ (vermeintlicher) genetischer und fatalistischer Determinismus, von einem freien Willen des Menschen zu sprechen? Reduziert Dawkins den menschlichen Geist vollständig auf die Materie? Andererseits möchte ich auch nach den positiven und weiterführenden Aspekten des Dawkins’schen Menschenbildes fragen sowie nach der Relevanz von Strassers Konzeption der transevolutionären Strukturen für Dawkins’ Argumentation.

270 Vgl. Evers, Vom Gegeneinander zum Miteinander, 45 – 47. 271 Vgl. Evers, Vom Gegeneinander zum Miteinander, 45 – 47. Vgl. auch Audretsch, Wie und worüber sollten Theologen und Naturwissenschaftler einen Dialog führen?, 67 – 74. 272 Warum dies möglich sein sollte, möchte ich in dem Kapitel Was tragen Dawkins und der Diskurs zum Menschenbild. bei? ausführen, das sich weiter unten findet. 273 Vgl. hierzu z. B. Clayton, Die Frage nach der Freiheit, hier vor allem 145 – 162 sowie 170 – 73. Siehe auch: Clayton, Neurowissenschaft, Mensch und Gott, 182 – 84.

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Bewertung des Dawkins-Diskurses

4.1 Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen als Theorie des Menschen? Im Diskurs wird immer wieder Dawkins’ Menschenbild angegriffen, das vor allem aus seiner Theorie vom egoistischen Gen folgen soll. Es gilt z. B. nach Schröder als fragwürdig, weil es im Widerspruch zum menschlichen Selbstbild stehe.274 Nach Rose ist der Mensch nicht reduzierbar auf „nichts als“ eine Maschine zur Replikation seiner DNA, sondern er ist das Produkt der konstanten Dialektik zwischen dem „Biologischen“ und dem „Sozialen“.275 Man kann sich allerdings fragen, ob die Theorie vom egoistischen Gen zwangsläufig als Theorie des Menschen bewertet werden muss und ob ihr Erklärungsanspruch absolut ist. Im Hinblick auf die These der Fragwürdigkeit des Dawkins’schen Menschenbildes kann zunächst darauf verwiesen werden, dass die Theorie vom egoistischen Gen im Diskurs auch als Theorie der nichtmenschlichen Handlungsfähigkeit interpretiert wurde. Als solche fragt die Theorie aus meiner Perspektive nicht eigentlich nach dem Menschen, sondern nach der Möglichkeit von nichtmenschlichen Akteuren. Dementsprechend betont Greif, dass Dawkins erst auf der Ebene von intentionalen Lebewesen auf echte Wünsche und Überzeugungen Bezug nimmt und Dawkins’ Bild der Gen-Akteure mit dem Bild menschlicher Akteure Gemeinsamkeiten aufweist, aber nicht deckungsgleich ist. Zugleich unterwandere Dawkins mit seinem Sprechen von Gen-Akteuren aber auch die an das Kriterium der Handlungsfähigkeit gebundene Grenzziehung zwischen Natur und Gesellschaft. Damit einher geht nach Greif die Verneinung der menschlichen Handlungsfähigkeit – zumindest im Erklärungskontext der Theorie vom egoistischen Gen.276 Ob nun das von Dawkins in einem spezifischen Erklärungskontext vorgenommene Absprechen menschlicher Handlungsfähigkeit von ihm auch außerhalb desselben vorgenommen wird, kann unterschiedlich bewertet werden: Die Mehrheit der Diskurs-Akteure ist dieser Meinung. So wird die Herausforderung, die seine Theorie für das moderne Selbstverständnis des Menschen, der sich als handlungsfähig, selbstbestimmt und frei erlebt, bedeutet, an den vielfältigen Kritiken an Dawkins’ Metaphorik, an seinem Menschenbild, an der Frage nach seinem genetischen Determinismus und an seiner Einstellung zur menschlichen Freiheit deutlich. Im Gegensatz dazu interpretiere ich Dawkins dahingehend, dass er die menschliche Handlungsfähigkeit außerhalb des Erklärungskontextes seiner Theorie nicht in Frage stellt. So können sich Menschen nach Dawkins gegen ihre egoistischen Gene auflehnen und sind seiner Meinung nach zu uneigennützigem Altruismus fähig.277 Hierzu passt 274 275 276 277

Vgl. z. B. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 14. Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 20. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 135. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 333. Vor diesem Hintergrund ist Küng zu widersprechen, der behauptet, dass es nach Dawkins genetisch begründet ist, wenn der Mensch sich egoistisch

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auch, dass Dawkins’ in The Extended Phenotype sich wieder stärker mit der Rolle des individuellen Organismus in der Evolution beschäftigt.278 Nicht zuletzt zielt auch Scharks Hinweis, dass Dawkins Menschen nicht wirklich für Maschinen (im alltäglichen Sinne) hält, in diese Richtung.279 Vielmehr sei Dawkins’ Metapher vom Menschen als Maschine Ausdruck der Überzeugung, dass sich auch die Entstehungsweise und die Fähigkeiten von lebendigen Organismen, mittels derer sie sich von Maschinen unterscheiden, mechanistisch erklären lassen (werden). Darüber hinaus muss betont werden, dass der Erklärungsanspruch der Theorie vom egoistischen Gen auf den ersten Blick absolut wirkt, ein Umstand, der die obige Einschätzung der Diskurs-Akteure durchaus beeinflusst haben mag. Allerdings schwächte Dawkins diesen Anspruch bereits im Übergang von Das egoistische Gen zu The Extended Phenotype deutlich ab, da er die Rolle des Organismus für die Evolution aus dem Blickwinkel seiner Theorie vom egoistischen Gen überdachte. Dawkins selbst spricht in diesem Kontext von einer „Wiederentdeckung des Organismus“. Dabei macht er deutlich, dass die Tatsache, dass es individuelle Organismen gibt, keineswegs selbstverständlich ist und für die Evolution einen Glücksfall bedeutete. Ein Glücksfall sind individuelle Organismen für Dawkins deshalb, weil sie Keimbahnreplikatoren sind und so Veränderungen in den Körpern möglich machen, die die egoistischen Gene durchlaufen.280 Der Organismus ist für Dawkins dabei eine Einheit mit einem Lebenszyklus, der die essentiellen Charakteristika früherer Lebenszyklen wiederholt und eine Verbesserung im Vergleich zu früheren Lebenszyklen sein kann.281 Jeder Organismus ist damit für Dawkins einzigartig, wenn auch nicht sehr langlebig. Da jeder Organismus zudem als Lebenszyklus mit einer Zelle beginnt, können Mutationen starken evolutionären Wandel hervorrufen.282 Daneben finden sich in Dawkins’ Werk auch Gedanken wie den der Evolution der Evolutionsfähigkeit, durch den sich Dawkins von seiner streng genselektionistischen Sichtweise der Evolution entfernt. So wird es nach Dawkins im Laufe der Evolution größere Ereignisse geben, durch die Veränderungen im Wesen der Evolution selbst hervorgerufen werden, die eine Art Verbesserung gegenüber der Evolution früherer Phasen darstellen.283 Die Evolution der Evolutionsfähigkeit wird dabei durch Artse-

278 279 280 281 282 283

verhält und sich immer nur selbst der Nächste sein will sowie auch jeglicher Altruismus des Menschen von Dawkins als Illusion verstanden werde. Vgl. Küng, Anständig wirtschaften. Warum Ökonomie Moral braucht, München u. a. 2010, 218 – 19. Vgl. Gould, The Structure of Evolutionary Theory, 640 – 41. Vgl. Schark, Organismus – Maschine: Analogie oder Gegensatz?, 430 – 432. Da eine besonders muskuläre Hand nicht vererbt wird, spricht Dawkins in diesem Fall von einer Sackgasse. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 262. Dawkins, The Extended Phenotype, 264. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 847 – 48.

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lektion auf höherer Ebene begünstigt.284 Damit zeigt sich, dass auch schon Dawkins selbst die Ausschließlichkeit einer streng genselektionistischen Perspektive in seinem Werk in Frage stellt. Vor allem Greif hat sich im Diskurs darum bemüht, Dawkins’ veränderter Einstellung gerecht zu werden. So betont er, dass Dawkins im Kontext seiner Theorie vom egoistischen Gen mit der natürlichen Selektion gerade nicht die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine adaptive Evolution benennen wollte.285 Der Versuch, Dawkins’ Theorie mit einem nicht pluralistischen, exklusiven Anspruch zu belegen, ist auch mit Sterelny und Kitcher abzulehnen286. Ergänzt man hierzu noch die Einsicht Greifs, dass Dawkins mit seiner Theorie nichts Empirisches über die Evolutionsgeschichte aussagen möchte, was über die Identifizierung und Deutung allgemeiner Ablaufsschemata von unterschiedlichen evolutionären Prozessen hinausgeht287, so reduziert sich der Grad des Anspruches von Dawkins’ Theorie weiter.

4.2 Verhindert Dawkins’ genetischer und fatalistischer Determinismus das Sprechen vom freien Willen? Diese Frage wird in der obigen Form eigentlich nur von bestimmten DiskursAkteuren gestellt. Richtiger müsste sie lauten: Macht es Dawkins’ Determinismus unmöglich, von einer menschlichen Freiheit zur Auflehnung gegen die eigenen egoistischen Gene zu sprechen? Diese Differenzierung ist notwendig, da im Diskurs die fehlerhafte Kennzeichnung von Dawkins’ Determinismus als genetisch und fatalistisch288 an die Frage geknüpft wird, ob sein Determinismus das Sprechen von der Auflehnung des Menschen gegen die „Tyrannei der egoistischen“ Gene unmöglich macht. Damit wird eine fehlerhafte Charakterisierung Ausgangspunkt der Beantwortung einer Frage, die besser unabhängig von ihr beantwortet werden sollte. Fehlerhaft ist die Charakterisierung von Dawkins’ Determinismus als genetisch und fatalistisch aus folgenden Gründen: 1. Dawkins kann klar als Determinist bezeichnet werden, da für ihn Handlungen durch physikalische Ursachen prädeterminiert sind. Allerdings ist es nach Dawkins nicht entscheidend, ob einige dieser physikalischen Ursachen genetisch sind oder nicht.289 Dennoch wird die falsche Vorstellung,

284 285 286 287 288 289

Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 850 – 51. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 90. Vgl. Sterelny/Kitcher, The Return of the Gene, 358 – 59. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 91. Vgl. hierzu 4.2.1. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11.

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dass genetische Ursachen im Vergleich zu umweltlichen Ursachen superdeterministisch seien, hartnäckig vertreten.290 2. Wenn Rose, Lewontin und Kamin Dawkins’ Weltsicht dennoch als biologischen Determinismus bezeichnen, zeugt dies von einer unzureichenden Rezeption seiner Texte. So wird bei Dawkins keineswegs das gesamte menschliche Verhalten über eine Determinationskette gesteuert, die vom Gen über das einzelne Individuum bis zur Summe des Verhaltens aller Individuen reicht. Auch beschwört Dawkins nicht die genetische Ausstattung eines Individuums als „unveränderlich“.291 Wenn überhaupt, ist das Verhalten bei Dawkins durch eine Determinationskette gesteuert, die sowohl von genetischen als auch von umweltlichen Bedingungen abhängt. Darüber hinaus können seiner Meinung nach anerzogene Eigenschaften genauso schwer oder leicht umzukehren sein wie die genetische Ausstattung des Menschen.292 Dies spricht gegen Midgleys These, dass die inoffizielle Botschaft von Das egoistische Gen lautet, dass der Mensch seinem physikalischen Erbe hilflos ausgeliefert ist und sich deswegen nicht mehr anstrengen muss, weil er eine universelle Entschuldigung hat.293 3. Dementsprechend kann man bei Dawkins von einem Zwei-Faktoren-Determinismus sprechen, in dessen Kontext sowohl die Gene als auch die kulturelle Umwelt als determinierende Faktoren betrachtet werden. Sterelny betont darüber hinaus, dass Dawkins’ genselektionistische Perspektive überhaupt nicht auf einem genetischen Determinismus beruht.294 Dawkins ist also kein genetischer und fatalistischer Determinist, vertritt aber gleichwohl eine deterministische Weltsicht. Damit rückt das Verhältnis von Determinismus und menschlicher Freiheit in den Fokus. Hierbei ist zunächst zu unterscheiden, ob nach der Möglichkeit oder nach der Wirklichkeit von Freiheit gefragt wird. Fragt man nach der Möglichkeit von Freiheit, kann man folgende Positionen vertreten295 : – Kompatibilisten behaupten, dass Freiheit und Determinismus miteinander vereinbar sind. – Deterministische Kompatibilisten halten Freiheit nur unter der Bedingung für möglich, dass die Determinismus-These wahr ist. – Einfache Kompatibilisten sind davon überzeugt, dass Freiheit sowohl mit Determinismus als auch mit Indeterminismus kompatibel ist. – Inkompatibilisten halten Freiheit und Determinismus für unvereinbar. – Libertinarier behaupten, dass Freiheit dann möglich ist, wenn die Indeterminiertheit in der richtigen Weise an der richtigen Stelle auftritt. 290 291 292 293 294 295

Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. Vgl. Lewontin/Rose/Kamin, Die Gene sind es nicht, 3 – 5 und 48. Vgl. Dawkins, Genes Aren’t Us, 125. Vgl. Midgley, Selfish Genes, 372. Vgl. Sterelny, Dawkins vs. Gould, 170. Vgl. Guckes, Ist Freiheit eine Illusion?, 22 – 25.

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– Impossibilisten halten die Bedingungen, an die Freiheit geknüpft ist, für nicht erfüllbar und zwar unabhängig davon, ob Determinismus oder Indeterminismus vorherrscht.296 Nimmt man demgegenüber die Wirklichkeit von Freiheit in den Blick, so legt man sich bereits auf bestimmte ontologische Voraussetzungen fest (z. B. „Wir leben in einer deterministischen Welt“): – Weiche Deterministen sind zugleich Kompatibilisten und halten Freiheit für möglich, obwohl eine deterministische Welt existiert. – Harte Deterministen sind demgegenüber Inkompatibilisten und behaupten, dass der Mensch deshalb nicht frei ist, weil er in einer deterministischen Welt lebt. – Weiche Indeterministen (in der Praxis mit den oben genannten Libertinariern deckungsgleich) sind davon überzeugt, dass es Freiheit wirklich gibt, weil sie in einer indeterminierten Welt möglich ist. – Harte Indeterministen gehen von einer indeterministischen Welt aus, in der keine Freiheit möglich ist, weil für Freiheit Determinismus erforderlich sei.297 Wie ist nun vor diesem Hintergrund die Position der Diskurs-Akteure zu bestimmen? Für diese Bestimmung ist vor allem der Hinweis auf die Inkonsistenz der Dawkins’schen Position relevant, der sich bei vielen Diskurs-Akteuren findet. Sie betonen nämlich, dass Dawkins in Das egoistische Gen einerseits genetisch-deterministische Argumentationsstränge verwende, andererseits aber von der Freiheit des Menschen zur Auflehnung gegen seine Gene spreche. Nach Heinrich entwirft Dawkins in Das egoistische Gen ein deterministisches Bild des Menschen als Überlebensmaschine, zu der sich die Gene im Laufe der Evolution aufrüstend formierten. Aber dieses Bild werde gebrochen, wenn Dawkins schreibe, dass sich der Mensch, obgleich als Genmaschine gebaut und als Memmaschine erzogen, gegen seine egoistischen Gene auflehnen könne. „Diese Aussage zieht den im selben Werk entfalteten Ansatz in Zweifel, der an keiner Stelle einen Ort für die Möglichkeiten menschlicher Freiheit lässt…“298 Auch Clayton sieht einen Widerspruch zwischen dem genetischen Determinismus in Das egoistische Gen und Dawkins’ Idee der möglichen Auflehnung des Menschen gegen seine egoistischen Gene. „… if genes are the only real actor, then any sense we might have of being able to guide our own fate will have to be interpreted as illusion. You can’t have it both ways.“299 Als inkonsistent erweist sich Dawkins’ Menschenbild nach Schröder, wenn er dem Menschen die Fähigkeit zuspreche, sich gegen seine egoistischen Gene auf296 297 298 299

Vgl. Guckes, Ist Freiheit eine Illusion?, 22 – 24. Vgl. Guckes, Ist Freiheit eine Illusion?, 23 – 25. Heinrich, Gesellschaft „am langen Band der Gene“, 67. Clayton, Is It Really Biology versus Religion?, 302.

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zulehnen.300 So können nach Schröder nur Personen, d. h. Individuen, nicht aber Maschinen von Auflehnung, Befreiung und Selbstbefreiung sprechen.301 Inkonsistent seien Dawkins’ Thesen auch, weil er – wenn auch verdeckt – zwischen „Materie“ und Bewusstsein unterscheide.302 Die Position der Diskurs-Akteure erweist sich damit mehrheitlich als inkompatibilistisch. Klare inkompatibilistische Aussagen finden sich bei Clayton („you can’t have it both ways“), Heinrich („kein Platz für menschliche Freiheit in Das egoistisch Gen“) oder z. B. Greif („Dawkins’ Aussagen zur menschlichen Freiheit sind entweder unbegründet oder es gibt den genetischen Determinismus nicht“303). Problematisch ist hieran nicht die inkompatibilistische Position an sich, sondern die Tatsache, dass sie von keinem der Diskurs-Akteure näher begründet wird.304 Vielmehr setzen die Diskurs-Akteure die Richtigkeit des Inkompatibilismus voraus, ohne dass diese Richtigkeit aber zwangsläufig erwiesen wurde. Letztendlich bleibt damit die Frage offen, ob Dawkins’ Aussagen zur freiheitlichen Auflehnung des Menschen gegen seine egoistischen Gene tatsächlich inkonsistent sind. Nur unter der Voraussetzung, dass die inkompatibilistische Haltung auch tatsächlich wahr ist, sind Dawkins’ Aussagen zur freiheitlichen Auflehnung des Menschen gegen seine egoistischen Gene inkonsistent. Dass der Inkompatibilismus nicht wahr sein muss, wird z. B. von John Perry verfochten. Er geht davon aus, dass eine Handlung sowohl frei als auch durch vorherige Ereignisse und die Naturgesetze determiniert sein kann. Seinen Kompatibilismus verteidigt er mit Hilfe einer schwachen Fähigkeitstheorie. Diese beruht auf der Unterscheidung zwischen dem konkreten Handeln einer Person, das von Wünschen und den Naturgesetzen determiniert wird und ihren Fähigkeiten. Wenn Person x Handlung a nicht ausführen kann, wird sie sie auch nicht ausführen. Aber aus der Tatsache, dass Person x Handlung a zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht ausführt, folgt nicht automatisch, dass sie nicht die Fähigkeit hat, sie auszuführen: “On this account of ability, it does not follow from the fact that the (strong) laws of nature plus Elwood’s beliefs and desires settle that he will not raise his hand at t, that he does not have the ability to raise it at t”.305

Nach Perry besteht die Strategie der Inkompatibilisten darin, den Unterschied zwischen „fähig sein, etwas zu tun“ (can) und „etwas tun“ (does) zu verwischen. Dasselbe gelte für den Unterschied zwischen „etwas nicht tun“ Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 76. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 77. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 78 – 80. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 135. An anderer Stelle wird aber z. B. Clayton ausführlicher, wenn es um seine Ablehnung des Kompatibilismus geht: „Der den kantischen Dualismus ablehnende Kompatibilismus bleibt … für eine empirische Falsifizierung durch die Neurowissenschaften… anfällig.“ (Clayton, Die Frage nach der Freiheit, 147). 305 Perry, Compatibilist Options, 245.

300 301 302 303 304

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(doesn’t) und „nicht fähig sein etwas zu tun“ (can’t). Dabei werde die Tatsache, dass Person x zum Zeitpunkt t ihre Hand nicht hebt, gleichgesetzt mit der Vorstellung, dass Person x nicht in der Lage ist, zum Zeitpunkt t ihre Hand zu erheben. Demgegenüber betont Perry, dass diese Gleichsetzung keineswegs zwangsläufig ist. Seine Argumentation ist folgende: Angenommen, dass Person x ihren Arm zum Zeitpunkt t heben kann, sich aber dafür entscheidet, es nicht zu tun. In diesem Fall ist es wahr, dass Person x ihren Arm nicht zum Zeitpunkt t hebt. Allerdings enthalte diese Aussage sich selbst (,This proposition entails itself‘). Daraus folgt, dass Person x ihren Arm zum Zeitpunkt t heben kann, auch wenn es eine Aussage gibt, die enthält, dass es wahr ist, dass sie ihren Arm zum Zeitpunkt t nicht hebt. Angenommen, Person x ist in der Lage, ihren Arm zum Zeitpunkt t nicht zu heben, hebt ihn aber dennoch. Dann ist es wahr, dass Person x ihren Arm zum Zeitpunkt t hebt. Auch diese Aussage enthalte sich selbst. Daraus folgt, dass Person x in der Lage ist, ihren Arm zum Zeitpunkt t nicht zu heben, auch wenn es eine Aussage gibt, die enthält, dass es wahr ist, dass sie ihren Arm zum Zeitpunkt t hebt: “Suppose one can do something that would render P true. This does not imply that no proposition that entails the falsity of P is true. […] Suppose one can do something that would render P false. This does not imply that no proposition that entails P is true.”306

Vertritt man eine schwache Fähigkeitstheorie, geht man also insgesamt davon aus, dass eine Person die Wahl hat, etwas zu tun. „Wahl“ bedeutet in diesem Kontext, dass eine Person die Fähigkeit hat, etwas zu tun oder etwas zu unterlassen, auch wenn dieses „etwas“ durch Naturgesetze und bereits wahr gemachte Tatsachen (,facts that are already made true‘) determiniert ist.307 Sicherlich sind Anfragen an Perrys schwache Fähigkeitstheorie möglich, z. B. ob diese Theorie unserem Alltagsverständnis von „Fähigkeit“ gerecht werden kann. Nichtsdestoweniger zeigt Perry auf, wie eine kompatibilistische Position verteidigt werden könnte, sofern man davon ausgeht, dass man in einer deterministischen Welt lebt und sofern man sich auf seinen Fähigkeitsbegriff einlässt. Wie steht nun Dawkins selbst zur Frage der Vereinbarkeit von Determinismus und menschlicher Freiheit? Es zeigt sich, dass anders als bei den Diskurs-Akteuren bei Dawkins eine eindeutige Positionsbestimmung zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus schwierig ist. So deutet die Dawkinssche Aussage „determinism versus free will“ in The Extended Phenotype an, dass sich für Dawkins Freiheit und Determinismus ausschließen, so dass er hier als Inkompatibilist erscheint.308 Im Gegensatz dazu wird die Frage 306 Perry, Compatibilist Options, 248. 307 Vgl. Perry, Compatibilist Options, 251. 308 Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 18.

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Die weiterführenden Implikationen

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der Vereinbarkeit von Determinismus und freiem Willen von Dawkins in Das egoistische Gen nicht angesprochen. Vielmehr stehen deterministische Aussagen neben Aussagen, die auf die Existenz einer menschlichen Willensfreiheit abzielen. Da er an keiner Stelle in Das egoistische Gen seine deterministische Position verwendet, um den freien Willen des Menschen auszuschließen, erweist er sich zumindest implizit als Kompatibilist. Dies zeigt sich z. B., wenn Dawkins die Frage beantwortet, in welchem Sinn man davon sprechen kann, dass Gene das Verhalten ihrer Überlebensmaschinen steuern. Dawkins lässt zunächst offen, ob die Überlebensmaschinen lediglich so tun, als ob sie ein Ziel verfolgen oder ob sie sich tatsächlich bewusst verhalten.309 Bezogen auf die Gene konstatiert Dawkins, dass sie das Verhalten ihrer Überlebensmaschinen nicht unmittelbar steuern, sondern mittelbar wie der Programmierer des Computers. Gene seien also nur in der Lage, ihre Überlebensmaschinen gut auszustatten. Danach seien sie sich selbst überlassen und könnten sich in den Überlebensmaschinen lediglich passiv verhalten.310 Dass Gene das Verhalten ihrer Überlebensmaschinen nicht unmittelbar steuern können, liegt nach Dawkins daran, dass sie nur über sehr langsame Steuerungsmechanismen (Eiweiß-Synthese) verfügen, wohingegen es beim Verhalten um sehr rasche Entscheidungen geht. Darüber hinaus sind die phänotypischen Eigenschaften eines Organismus fast nie die isolierte Wirkung eines einzelnen Gens. Vielmehr kann immer nur eine statistische Aussage über die Beziehung zwischen einem Satz von Genen (G 1, G 2, G 3…) und einer Menge von unterscheidbaren Phänotypen (P 1, P 2, P 3…) in einer Umwelt, die in nicht systematischer Weise entweder konstant oder variabel ist, getroffen werden. Somit werden nicht Phänotypen durch Gene verursacht, sondern nur phänotypische Unterschiede durch genetische.311 Gene haben vor diesem Hintergrund die „Aufgabe“, ein Gehirn im Voraus „…so zu programmieren, dass es im Durchschnitt Entscheidungen trifft, die sich auszahlen.“312 Lernfähigkeit oder Simulationsfähigkeit sind nach Dawkins wichtige Fähigkeiten der Überlebensmaschine, um auf sich verändernde umweltliche Bedingungen reagieren zu können. Die Evolution der Fähigkeit zur Simulation habe ihren Höhepunkt erreicht, als sich das subjektive Bewusstsein des Menschen herausbildete. Mittelbar kann von einer Steuerung des Verhaltens durch die Gene gesprochen werden, da die Gene diktieren, wie die Konstruktion der Überlebensmaschinen und ihrer Nervensysteme in der Embryonalentwicklung erfolgen soll. Allerdings setzte durch den Prozess der immer besseren Entwicklung nach Dawkins ein Trend zur Emanzipation der Überlebensmaschinen ein. Diese Emanzipation verlieh dem menschlichen

309 310 311 312

Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 108. Dawkins, Das egoistische Gen, 112. Vgl. Dawkins, The Extended Phenotype, 195. Dawkins, Das egoistische Gen, 116 – 17.

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Gehirn die Möglichkeit, gegen die Macht der Gene zu rebellieren – beispielsweise durch Empfängnisverhütung.313 Dawkins’ Verweis auf die hohe Komplexität menschlicher Nervensysteme, die es erlaube, in der Praxis den Determinismus zu ignorieren und sich so zu verhalten, als habe man einen freien Willen, weist wiederum eher in Richtung eines Inkompatibilismus.314 Nimmt man demgegenüber hinzu, dass Dawkins zwischen seiner Forschung als Wissenschaftler und seinem Handeln als Mensch, das von einer anti-darwinistischen Haltung bestimmt ist, klar unterscheidet, zeigt sich, dass Dawkins’ Selbstaussagen eher vom Bild eines frei handelnden Menschen mit freiem Willen geprägt sind. Dies wird auch deutlich, wenn Dawkins dem Menschen eine vom naturwissenschaftlichen Kontext unabhängige ethische Entscheidungskompetenz zubilligt, gleichwohl der Naturwissenschaft eine Korrektivfunktion hinsichtlich ethischer Entscheidungen zugesteht und an den evolutionären Wurzeln der menschlichen Moral festhält. Die festgestellte Uneindeutigkeit der Dawkins’schen Position zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus weist darauf hin, dass die DiskursAkteure den weiteren Kontext von Dawkins’ Aussage zur Freiheit des Menschen gegenüber seinen Genen nur ungenügend berücksichtigt haben. Unabhängig von der Frage ihrer Konsistenz ist m. E. grundsätzlich auf den praktischen Wert der Aussage Dawkins’ über die Rebellion des Menschen gegen seine egoistischen Gene hinzuweisen, da er mit ihr seine zweifache Existenz als Mensch zunächst als Produkt der Evolution und dann als sich von der Evolution emanzipierendes, gegen seine Gene handelndes Wesen postuliert.

4.3 Ist der menschliche Geist nichts anderes als Materie? Dass der menschliche Geist eine materielle Basis braucht, liegt seit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung nahe. Ob er aber tatsächlich nichts anderes als Materie ist, ist Gegenstand kontroverser philosophischer Diskussionen315. Wie stehen nun Dawkins und der Diskurs zu dieser Thematik? Dawkins nimmt im Hinblick auf das Verhältnis von Materie und Geist eine monistische Grundhaltung ein, die darauf basiert, dass der Geist eine Ausdrucksform der Materie ist, d. h. ohne Materie nicht existieren kann.316 Diese Haltung ist nach Dawkins allerdings kontraintuitiv, weil der Mensch in der Evolution mit dualistischen Instinkten ausgestattet wurde. In der dualistischen Vorstellung werde die menschliche Seele oder der menschliche Geist als körperloses Gebilde interpretiert, das den menschlichen Körper bewohnt, ihn wieder verlässt und außerhalb von ihm weiterexistieren kann. Kinder neigen 313 314 315 316

Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 118 – 123. Dawkins, The Extended Phenotype, 11. Vgl. z. B. Heckmann, Der gläserne Geist, 48 – 56. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 250.

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nach Dawkins sehr viel stärker zum Dualismus als Erwachsene, weil der Dualismus angeboren ist. Sie glaubten von daher an eine „Seele“, die kein untrennbarer Bestandteil des Körpers sei, sondern nur in ihm wohne.317 Unsere dualistischen Instinkte führen uns nach Dawkins außerdem zu Annahmen über den Geist anderer Menschen, die selbst wieder dualistisch sind. Diese leiten uns dann zu einem intentionalen Standpunkt, von dem aus wir anderen Menschen und Tieren bestimmte Absichten unterstellen. „Der Gedanke, dass hinter meinen Augen ein Ich steckt, dass zumindest im Roman in einen anderen Kopf wandern kann, ist in mir und jedem anderen Menschen tief verwurzelt – ganz gleich, wie stark wir intellektuell den Monismus bevorzugen.“318

Der intentionale Standpunkt hatte in der Evolutionsgeschichte des Menschen einen darwinistischen Vorteil, der darin besteht, „…dass der intentionale Standpunkt als Gehirnmechanismus einen Überlebensvorteil bietet: Er beschleunigt Entscheidungsprozesse in gefährlichen Augenblicken und entscheidenden zwischenmenschlichen Situationen.“319 Auch wenn die Verknüpfung zwischen intentionalem Standpunkt und dualistischem Denken sehr eng ist, ist sie nach Dawkins nicht zwangsläufig. Eine monistische Grundhaltung und ein intentionaler Standpunkt sind für Dawkins also vereinbar. Als Zwischenergebnis ist zunächst festzuhalten, dass Dawkins ein dualistisches Modell des Verhältnisses von Geist und Materie ablehnt und eine monistische Verhältnisbestimmung vorzieht. Damit ist für Dawkins zunächst die Frage nach der Herkunft des Geistes als „eine Ausdrucksform der Materie“ geklärt. Noch nicht geklärt ist damit allerdings die Frage, ob für Dawkins der Geist vollständig auf diese Materie reduziert werden kann und ob er daraus folgert, dass geistige Ereignisse nichts anderes als neurobiologische Ereignisse sind. Dawkins äußert sich nicht direkt zu diesen weiterführenden Fragen. Indirekt sind seine Antworten (zumindest teilweise) von seinem Reduktionismuskonzept ableitbar. Dawkins’ Reduktionismuskonzept erklärt sich grundsätzlich aus seinem Verständnis der Funktions- und Verhaltensweisen von lebenden Körpern. Lebende Körper definiert Dawkins als komplexe zusammengesetzte Gebilde mit spezifischem Verhalten. Zum Verständnis dieses Verhaltens müssen die physikalischen Gesetze auf die einzelnen Hierarchieebenen des Körpers angewendet werden.320 Dementsprechend kann jedes unbekannte komplexe Objekt auf jeder beliebigen Ebene in der Organisationshierarchie anhand von Objekten erklärt werden, die wiederum komplex sein können, so dass sie eine weitere Reduktion auf ihre eigenen Bestandteile benötigen. Dabei reicht es in der Praxis aus, von der obersten Ebene aus ein bis zwei Schichten in der Hierarchie hinabzusteigen, um zufriedenstellende Er317 318 319 320

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 252. Dawkins, Der Gotteswahn, 252. Dawkins, Der Gotteswahn, 255. Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 24.

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klärungen für Funktions- und Verhaltensweisen zu erhalten. „Es ist zweifellos richtig, daß letzten Endes das Verhalten eines Autos mit den Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen erklärt werden muß.“321 Versucht man nun Dawkins’ Reduktionismuskonzept auf das Verhältnis von Materie und Geist anzuwenden, so ergibt sich m. E. folgendes Bild. Der menschliche Geist lässt sich als komplexes Objekt anhand von Objekten erklären, die wiederum so komplex sind, dass sie auf ihre Bestandteile reduziert werden müssen. Steigt man lange genug in den Erklärungsebenen hinab, langt man letztendlich bei den Elementarteilchen als letzter Ebene an. Ich interpretiere Dawkins in diesem Kontext dahingehend, dass sich seiner Meinung nach der menschliche Geist auf eine materielle Basis reduzieren lässt. Ob Dawkins aber geistige Eigenschaften für identisch mit neurobiologischen Eigenschaften hält, muss offen bleiben, da der Blick auf sein Reduktionismuskonzept an dieser Stelle nicht weiterführt. Auch an anderer Stelle äußert sich Dawkins nicht explizit zu dieser Frage. Im Diskurs wird die Möglichkeit, dass der menschliche Geist nichts anderes sein soll als Materie, klar bestritten. Die Diskurs-Akteure beschränken sich dabei mehrheitlich auf eine Kritik der fragwürdigen Voraussetzungen, Implikationen und Brüche von Dawkins’ Reduktionismuskonzept. Sie versuchen sich demgegenüber nicht an dem Nachweis, dass geistige und neurobiologische Prozesse im Allgemeinen nicht identisch sind.322 Nach Clayton lässt Dawkins nur naturwissenschaftliche Erklärungen gelten.323 Demgegenüber können mindestens drei unterschiedliche Erklärungsebenen (kulturelle Erklärung; auf bewusste Intentionen basierende Erklärungen; aus Alltagssituationen abgeleitete philosophische Erklärungen) herausgearbeitet werden, die nicht auf biologische Erklärungen reduzierbar sind und die über die Biologie hinausgehen.324 Aus der Vorannahme eines Physikalismus leitet Dawkins nach Greif einen Erklärungsreduktionismus ab, d. h. die Annahme, dass alle Dinge und Ereignisse prinzipiell auf der physikalischen, untersten Ebene erklärbar sein müssen.325 „Komplexe Phänomene fügen der naturwissenschaftlich erklärbaren Welt ontologisch nichts hinzu, sondern verlangen allenfalls komplexe, höherstufige Erklärungsstrategien, die allein der Welt Methoden und Systematisierungen hinzufügen – und zwar nur und genau dort, wo dies nötig ist.“326 Nach Kattmann basiert Dawkins’ Reduktionismuskonzept auf einem ontologischen Naturalismus. Dieser besagt, dass es über den naturwissenschaftlich ermittelten Zusammenhang hinaus keine Realität gibt und natur-

321 322 323 324 325 326

Dawkins, Der blinde Uhrmacher, 26. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Heckmann dar. Vgl. Clayton, Is it Really Biology versus Religion?, 307 – 8. Vgl. Clayton, Is it Really Biology versus Religion?, 313. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 75 – 77. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 77.

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wissenschaftliche Aussagen der Seinsgrund aller Phänomene sind.327 Die Wissensbehauptung des ontologischen Naturalismus über einen geschlossenen Naturzusammenhang erweise sich in methodologischer Reflexion allerdings als Artefakt des wissenschaftlichen Vorgehens. So werde der lückenlose Kausalzusammenhang in der Naturwissenschaft als methodische Forderung vorausgesetzt, und zwar unabhängig von der speziellen Natur eines Prozesses oder Gegenstandes. Damit könne der geschlossene Naturzusammenhang aber nicht das Ergebnis der naturwissenschaftlichen Forschung sein. Es lasse sich auch keine naturwissenschaftliche Erkenntnis daraus ableiten, dass es keine Ergebnisse gibt, die zu einem geschlossenen Zusammenhang der Natur in Widerspruch stehen, da diese Tatsache methodisch vorgegeben sei. Dies zeige sich z. B. im Hinblick auf die Annahme, Ich-Bewusstsein, freier Wille oder Wirken Gottes seien nur Illusionen des Menschen.328 Die Annahme des ontologischen Reduktionismus, dass Phänomene übergeordneter Ebenen mit Hilfe der darunterliegenden Ebenen erklärbar seien, lehnt auch Rose ab. Zu dieser Aussage komme der ontologische Reduktionismus nur über eine fehlerhafte Kaskade aus Verdinglichung, willkürlicher Agglomeration, deplatzierter Quantifizierung, dem Glauben an die Macht der Statistik, falscher Ursachen-Wirkungsbezüge (fehlerhafte Lokalisation) und der ständigen Verwechslung von Homologien und Metaphern. Rose betont demgegenüber, dass für die evolutionären und entwicklungsbiologischen Prozesse in der Biologie Teile im Vergleich zum Ganzen eine untergeordnete Rolle spielen.329 Er geht vielmehr davon aus, dass jede Ebene der Organisation des Universums ihre eigenen Bedeutungen hat, die auf den darunterliegenden Ebenen verloren gehen.330 Dawkins’ Bestreben, alle Wissenschaft in der Physik aufgehen zu lassen, lehnt Rose aufgrund des hierfür notwendigen Reduktionsprozesses ab. So hält Rose erkenntnistheoretische Pluralität in den Wissenschaften und vor allem in der Biologie für unerlässlich. „… wir sollten keine Bedenken haben, uns von der reduktionistischen Behauptung zu lösen, es gäbe nur eine einzige Erkenntnistheorie, nur eine Art, die Welt zu erforschen und zu verstehen, nur eine Wissenschaft, deren Name Physik laute.“331 Darüber hinaus wird im Diskurs auch auf die Brüche in Dawkins’ Versuch der Reduktion des Geistigen auf seine materielle Basis hingewiesen. So formuliert Dawkins nach Greif gerade deswegen seine Memtheorie, weil er ein theoretisches Modell für die Erklärung der gesamten menschlichen Lebenswelt erstellen möchte.332 Greif hinterfragt allerdings die Tragfähigkeit der Memhypothese, die bis heute keine etablierte Theorie sei. Für problematisch 327 328 329 330 331 332

Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 331. Vgl. Kattmann, Wenn Wissenschaft zur Religion wird, 332. Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 110 – 111. Vgl. Rose, Darwins gefährliche Erben, 104 – 104 u. 314. Rose, Darwins gefährliche Erben, 24. Vgl. Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 114.

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hält er, dass es nicht logisch zwangsläufig ist, dass ein genetischer Selektionsprozess Effekte hervorbringt, die in gleichartige, in denselben Begriffen zu beschreibende Selektionsprozesse eingehen. „Eine solche Übertragung ist keine Implikation des Reduktionismus, denn dieser verlangt allein die Übersetzbarkeit von Gesetzen in einer Theorie in die Gesetze einer anderen – und nicht deren Abbildung aufeinander.“333 Ich selbst sehe Dawkins’ Reduktionismus deswegen kritisch, weil er auf hinterfragbaren Vorannahmen fußt. Darüber hinaus wendet Dawkins seine reduktionistische Vorgehensweise nicht konsequent an. Dies zeigt vor allem sein Mem-Konzept. So wird mit der kulturellen Evolution der Meme ein Bereich erreicht, in dem Dawkins nur noch mit Analogien operiert. Eine schlüssige Rückführung der Meme als Einheiten der kulturellen Selektion auf eine biologische Ebene hat Dawkins bisher nicht geleistet. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass, auch wenn Dawkins die Abhängigkeit des Geistigen von einer materiellen Basis zu Recht betont, daraus nicht folgt, dass er auf diese Ereignisse reduziert werden kann. Aus dieser Einsicht heraus gelangt Heckmann zu einem erfolgversprechenden Ansatz, der auf der Unterscheidung zwischen neurobiologischen und geistigen Ereignissen beruht. So sei es zwar richtig, dass man das Konzept eines immateriellen Geistes bzw. einer immateriellen Seele aufgeben muss. Dies führe aber nicht zwangsläufig zu der Annahme, dass der Mensch keine mentalen Attribute habe.334„Den immateriellen Geist zu leugnen heißt keineswegs, das Geistige zu leugnen. Wir sind keine immateriellen Geister, aber natürlich sind wir geistige Wesen.“335 Spreche man davon, dass das Gehirn und nicht der Mensch Erkenntnissubjekt sei, begehe man den Fehler anzunehmen, dass eine geistige Eigenschaft des Ganzen einem seiner Teile zukommen könne. Menschen seien zweiseitige Einzelwesen, d. h. zugleich körperliche und physische Wesen336. Zugleich muss man nach Heckmann die Vorstellung aufgeben, dass es rein mentale Ereignisse und Zustände geben könne. Gedanken seien immer Ereignisse, die auch physische Attribute besitzen337, ohne mit ihnen identisch zu sein. Das Zusammenfallen eines Gedankens mit einem neurobiologischen Ereignis impliziert nach Heckmann also nicht, dass beide identisch sind. „Mentale Ereignisse und Zustände können mit physischen Zuständen identisch sein, selbst wenn mentale Ereignis- und Zustandstypen nicht mit physischen Ereignisund Zustandstypen zusammenfallen. Selbst wenn wir rein mentale Ereignisse und

333 334 335 336

Greif, Wer spricht im Parlament der Dinge?, 115. Vgl. Heckmann, Der gläserne Geist, 48 – 56. Heckmann, Der gläserne Geist, 50. Im Gegensatz dazu versteht der cartesianische Dualismus nach Heckmann den Menschen als aus zwei einseitigen Wesen bestehendes Doppelwesen. Vgl. Heckmann, Der gläserne Geist, 50. 337 Diese Einsicht könnte z. B. für Wards Vorstellung von Gott als reinem Geist problematisch sein.

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Zustände verabschiedet haben, können wir immer noch Ereignis- und Zustandstypen für irreduzibel halten,…“338

Vor diesem Hintergrund lehnt Heckmann solche Positionen ab, die zwischen mentalen und neurobiologischen Ereignis- und Zustandstypen eine Identität behaupten. „Ein einzelner geistiger Vorgang ist gar nichts anderes als ein physikochemischer Vorgang, aber dieser eine Vorgang hat zwei unterschiedliche Beschreibungen, eine geistige und eine physikochemische, und folglich zwei voneinander verschiedene Attribute, er gehört gleichzeitig zu zwei unterschiedlichen Ereignistypen.“339

Ausgehend von diesem doppelten Zugang kommt Heckmann zu dem Ergebnis, dass ein „minimaler Dualismus“ wahr sein muss (ein sog. Typendualismus). Mentale Ereignisse und Zustände fallen also zwar mit physischen Zuständen und Ereignissen zusammen, haben aber zugleich irreduzible mentale Attribute, die wiederum zu solchen geistigen Ereignis- und Zustandstypen gehören, die nicht mit den erwähnten physischen Ereignis- und Zufallstypen zusammenfallen. Das Verhältnis zwischen Geistigem und Materiellen ist im Kontext des Typendualismus im Sinne der Supervenienz zu bestimmen. Mentale Eigenschaften supervenieren über physische Eigenschaften, d. h. im Bereich des Geistigen kann sich nur dann etwas ändern, wenn sich im Bereich des Materiellen etwas ändert.340 „Jedesmal wenn ich denke, dass 1+1=2, muss dem etwas in meiner Physis entsprechen, aber es muss nicht jedesmal dasselbe sein. […] Die Eigenschaft, zu denken, dass 1+1=2, ist wie man auch sagt, multipel realisierbar, sie kann durch unterschiedliche physische Eigenschaften verkörpert oder implementiert werden.“341

Darüber hinaus werde das Geistige durch das Physische determiniert. So liegt nach Heckmann jedem Denkvorgang eine physische Realisierung zugrunde, die das Denken determiniert. Diese Determination sei allerdings nicht kausal, sondern akausal bzw. synchron. Das eigene Denken sei auf der Ebene der Instantiierung gewissermaßen seine eigene physische Realisierung, obwohl es auf der Ebene der Eigenschaften nicht mit dieser Realisierung zusammenfalle.342 Mit diesem Typendualismus bietet Heckmann ein Modell an, in dessen Kontext der menschliche Geist und seine Operationen mehr als seine Materie sind.

338 339 340 341 342

Heckmann, Der gläserne Geist, 50. Heckmann, Der gläserne Geist, 51. Vgl. Heckmann, Der gläserne Geist, 51. Heckmann, Der gläserne Geist, 51. Vgl. Heckmann, Der gläserne Geist, 51 – 52.

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4.4 Positive Aspekte in Dawkins’ Menschenbild Dawkins’ Haltung zu lebendigen Organismen ist sehr gut geeignet, alle Formen des Speziesismus, aber auch des Rassismus zu widerlegen. In diesem Kontext lehnt er die Vorstellung einer evolutionären Sonderstellung des Menschen ab sowie die Möglichkeit einer absoluten Begründung des Konzepts der Menschenwürde. Nichtsdestoweniger kann sich der Mensch als einziges Lebewesen von seinen evolutionären Wurzeln emanzipieren, so dass er auch für Dawkins in einer spezifischen Weise ausgezeichnet ist. Der Versuch, die menschliche Spezies dezidiert von anderen Spezies abzugrenzen, muss nach Dawkins scheitern, da unter evolutionären Gesichtspunkten mit einem kontinuierlichen Spektrum von Zwischenformen zu rechnen ist343, das auf die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen zurückzuführen ist.344 Aber nicht nur diese Abgrenzung ist nach Dawkins unmöglich, sondern auch der Versuch, die menschliche Spezies mit einer evolutionären Sonderstellung zu versehen. Einerseits sei der Mensch maßgeblich durch seine Evolutionsgeschichte geprägt, was sich z. B. an der evolutionären Entwicklung des menschlichen Gehirns zeige.345 Andererseits habe die Evolution kein Ziel, da sie keine bevorzugte Abstammungslinie und kein vorher bestimmtes Ende kenne, sondern von der ohne Voraussicht und blind agierenden natürlichen Selektion beeinflusst werde. Der Mensch könne deswegen kein Ziel der Evolution sein. Höchstens könne jede der Millionen rezenten Spezies als ein (vorläufiger) Zielpunkt der Evolution bezeichnet werden.346 Dawkins’ klare antirassistische Äußerungen verstärken den Eindruck, dass die Einschätzung seiner Weltsicht als latent antisemitisch unangemessen ist. In diesem Kontext konstatiert Dawkins, dass die Rasseneinteilung der Menschen keinen gesellschaftlichen Wert hat und auf gesellschaftliche und zwischenmenschliche Beziehungen zerstörerisch wirken kann.347 Nach Dawkins ist eine Diskriminierung von einzelnen Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe zudem immer falsch.348 Falsch ist Knapps Einschätzung, nach der Dawkins „…den Gedanken der Menschenwürde oder der Menschenrechte als ,Artegoismus‘ ab[lehnt, K.P.], der einer christlich inspirierten Einstellung entspringt.“349 Vermutlich bezieht sich Knapp bei seiner Interpretation auf folgenden Gedankengang Dawkins’: Dawkins betont, dass der Rassismus zur Zeit Darwins ebenso wenig in Frage stand, „…wie unsere art-chauvinistischen Annahmen der Menschenrechte, 343 344 345 346 347 348 349

Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 102. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 22. Dawkins, Der entzauberte Regenbogen, 366. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 17 – 18. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 570. Vgl. Dawkins, Geschichten vom Ursprung des Lebens, 574. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 289.

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Menschenwürde und der Heiligkeit des menschlichen Lebens heute.“ Die Menschenrechte, die Menschenwürde und die Heiligkeit des menschlichen Lebens in Frage zu stellen, ist etwas anderes, als sie tatsächlich abzulehnen. Dawkins fragt an dieser Stelle nach den Kriterien für das Sprechen von Menschenwürde. Versteht man Menschenwürde im Sinne einer Gattungswürde und schreibt so der menschlichen Gattung qua Gattung Würde zu, so blendet man nach Dawkins die evolutionäre Vergangenheit der menschlichen Gattung aus. So beruht die heute sichtbare Grenze zwischen Mensch und Tier darauf, dass das evolutionäre Kontinuum, das den Menschen mit anderen Spezies verbindet, durch Aussterbephänomene unterbrochen wurde. Für Dawkins sind deswegen Menschenrechte, Menschenwürde und Heiligkeit des menschlichen Lebens nicht absolute, sondern relative und argumentativ zu begründende Konzepte, für die es aus seiner Perspektive aber durchaus gute Gründe geben kann. Letztendlich ist der Mensch für Dawkins zumindest seiner Evolutionsgeschichte nach ein Tier, wenn auch ein Tier mit besonderen Fähigkeiten. Er unterscheidet sich damit zumindest in gewisser Hinsicht von anderen Tieren. Zu den besonderen Fähigkeiten des Menschen gehört unter anderen die Fähigkeit, sich gegen die eigenen egoistischen Gene aufzulehnen. Nicht zuletzt finden sich in Dawkins’ Werk immer wieder Stellen, die auf eine liberale Geisteshaltung hinweisen. Zu nennen ist hier Dawkins’ Forderung, dass man als Mensch gegen die Konsequenzen des Darwinismus ankämpfen muss. Während man als Wissenschaftler den Darwinismus im Sinne der Darwin’schen Evolutionstheorie unterstützen sollte, sollte man als Mensch anti-darwinistisch handeln350 und sich von seinen evolutionären Wurzeln emanzipieren.

4.5 Zur Entstehung von trans-evolutionären Phänomenen Ausgehend von der These, dass das jedem Menschen eigene Bedürfnis nach objektiver Wahrheit in Spannung zu den Annahmen der Evolutionstheorie über das menschliche Bewusstsein steht351, kommt Strasser zu seinem Konzept der trans-evolutionären Phänomene. So werden nach Strasser in der Evolution paradoxerweise gerade die geistigen Konzepte herausselektiert, deren Bedeutung der Mensch nur adäquat erfassen kann, wenn er sie ihrerseits nicht wieder in Begriffen der evolutionären Nützlichkeit analysiert. Die Herausbildung des Geistes im Evolutionsprozess führe demnach zu Konsequenzen, deren Bedeutung trans-evolutionär sei.352 Ein solches trans-evolutionäres Konzept ist für Strasser das der Wahrheit oder auch das der Moral. Um zu 350 Dawkins, A Devil’s Chaplain, 13. 351 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 88. 352 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89. Für Clayton ist der Mensch eindeutig das sich am radikalsten selbsttranszendierende Wesen. Vgl. Clayton, Die Frage nach der Freiheit, 153.

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einer allgemeinen menschlichen Ethik zu gelangen, müsse man die evolutionäre Ethik transzendieren. Zugleich seien solche Konzepte wie das der Menschenrechte oder des Sozialstaats nur in trans-evolutionären Begriffen zu rechtfertigen.353 Unser Selbstbewusstsein und unsere Intentionalitätskonzepte könnten ebenfalls solche trans-evolutionären Konzepte sein. Dawkins’ Forderung, dass man als Mensch gegen die Konsequenzen des Darwinismus ankämpfen muss und seine Einsicht, dass der Mensch sich von seinen evolutionären Wurzeln emanzipieren kann, werden von ihm durch die Entwicklung der Fähigkeit zum vorausdenkenden Handeln erklärt. Auch wenn Dawkins’ konkreter Erklärung nicht zugestimmt werden muss, ist der tiefergehenden Erkenntnis Dawkins’ gleichwohl zuzustimmen. Diese Erkenntnis wird von ihm allerdings selbst nicht formuliert. Demnach emanzipiert sich der Mensch (auf eine bestimmte Weise) von seiner Evolutionsgeschichte, transzendiert sich so von seinen evolutionsgeschichtlichen Wurzeln und wird zum selbstbestimmt Handelnden. Denkt man diese These Dawkins’ weiter, so wird deutlich, dass sie große Ähnlichkeiten mit Strassers Vorstellung aufweist, wonach im Prozess der Evolution Dinge entstehen, die die Evolution selbst transzendieren und die damit nicht mehr vollständig durch die Evolution erklärt werden können.354 Offen bleibt dabei die Frage nach der Bewertung der transevolutionären Strukturen und die Emanzipation des Menschen von seinen evolutionären Wurzeln: So könnte man die biologisch herausgebildete Fähigkeit zur Emanzipation oder Selbsttranszendierung als ein bloßes Nebenprodukt von anderen sinnvollen kognitiven Fähigkeiten verstehen. Aber auch in diesem Fall bleibt es m. E. unbestreitbar, dass die Fähigkeit zur Selbstranszendierung schließlich in einen Bereich hineinwächst, in dem nicht mehr biologische Erklärungen ausreichen, sondern nur noch philosophische, die dann auch zu einem tiefer gehenden Verständnis führen.

4.6 Schlussfolgerung Offen bleibt die Frage, ob sich trotz Determination von menschlicher Freiheit sprechen lässt. Zwar gibt es viele Theologen und Philosophen, die sich zu dieser Frage Gedanken gemacht haben, aber sie wird im Diskurs selbst erstaunlicherweise nicht direkt thematisiert. Vielmehr wird die ungerechtfertigte Charakterisierung von Dawkins’ Determinismus als genetisch und fatalistisch dazu verwendet, zugleich die Unvereinbarkeit von Determination und Freiheit zu postulieren, ohne dass diese Annahme argumentativ eingeholt würde. Es stellt sich also auch am Ende dieser Arbeit die Frage, warum Dawkins’ Determinismus eine Emanzipation des Menschen von seinen Genen 353 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89 – 90. 354 Vgl. zu diesem Gedankengang: Clayton, Die Frage nach der Freiheit, 155.

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unmöglich machen sollte. Was Dawkins’ Modell des Verhältnisses von Geist und Materie betrifft, so ist es dahingehend festgelegt, dass für Dawkins die Frage nach der Herkunft des Geistes als „eine Ausdrucksform der Materie“ geklärt ist. Offen bleibt, ob Dawkins davon ausgeht, dass geistige Ereignisse nichts anderes als neurobiologische Ereignisse sind. Unabhängig davon ist Dawkins’ Reduktionismus kritisch zu sehen, weil er auf fragwürdigen Voraussetzungen beruht und Brüche aufweist. Zudem kann mit Heckmann betont werden, dass geistige und neurobiologische Ereignisse keineswegs immer zusammenfallen. Was Dawkins’ Haltung zur Frage der Menschenrechte, Menschenwürde und Heiligkeit des menschlichen Lebens betrifft, so bleibt festzuhalten, dass er sie nicht als absolute, sondern relative und argumentativ zu begründende Konzepte versteht. Dies ist m. E. nicht gleichzusetzen mit einer Ablehnung dieser Konzepte. Zugleich wird die Theologie durch Dawkins herausgefordert zu begründen, warum es notwendig ist, an einer Sonderstellung des Menschen festzuhalten, die im naturwissenschaftlichen Bereich nicht ausweisbar ist. Dawkins ist es darüber hinaus bislang nicht gelungen, seine Behauptung, die Entstehung und Entwicklung von komplexen und bewussten Organismen ließe sich ohne Bezug auf eine zumindest formale Transzendenz erklären, argumentativ überzeugend zu begründen. Während Dawkins es also durchaus gelingt, theologische Annahmen für den Evolutionsprozess entbehrlich zu machen, spielen philosophische Annahmen – etwa der Gedanke der Entwicklung von trans-evolutionären Strukturen (sichtbar an Dawkins’ These von der Rebellion des Menschen gegen seine egoistischen Gene) – auch in seinem eigenen Konzept eine Rolle. Damit wird auch an Dawkins selbst sichtbar, dass die philosophische Ebene im Diskurs die entscheidende Ebene ist.

5. Der Beitrag Dawkins’ und des Diskurses zur Frage der menschlichen Moral Eng verknüpft mit der Diskussion um das Menschenbild ist im Diskurs vor allem das Thema der menschlichen Moral. Dabei stehen vor allem zwei Fragen im Vordergrund: 1. Lässt sich das Moralgefühl des Menschen vollständig durch einen Rückgriff auf seine darwinistische Vergangenheit erklären? 2. Sollten ethische Normen besser absolut oder relativ begründet werden? 5.1 Die Wurzeln des menschlichen Moralgefühls nach Dawkins Nach Dawkins kann die Frage, warum wir zwischen richtigem und falschem Handeln unterscheiden können, durch einen Blick in unsere evolutionäre Vergangenheit beantwortet werden.355 Fähigkeiten wie Güte, Mitleid, Anstand 355 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 291.

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oder Mitgefühl scheinen zunächst mit der Theorie vom egoistischen Gen unvereinbar zu sein. Jedoch besteht diese Unvereinbarkeit nach Dawkins nicht wirklich, weil egoistische Gene nicht zwangsläufig egoistische Organismen nach sich ziehen, da Menschen sich von ihren egoistischen Genen emanzipieren können. Im Kontext der Theorie bedeutet egoistisch nach Dawkins zudem lediglich, dass Einheiten in der Hierarchie des Lebendigen nur auf Kosten ihrer auf der gleichen Hierarchieebene befindlichen Rivalen überleben können.356 Egoistische Gene sorgen nach Dawkins am besten für ihr eigenes Wohlergehen, indem sie den Organismus so programmieren, dass er sich unter bestimmten Voraussetzungen egoistisch, unter anderen Voraussetzungen aber altruistisch verhält. Altruistisches Verhalten des Organismus werde begünstigt, wenn es nahen Verwandten nutze oder dafür eine Gegenleistung erwartet werden könne (verwandtschaftlicher bzw. reziproker Altruismus). Nützlich sei altruistisches Verhalten auch, weil der Organismus dadurch den Ruf erwerbe, großzügig und freundlich zu sein und für sich selbst Werbung machen könne (Altruismus zum Ruferwerb oder zur Selbstreklame). Wichtig ist es für Dawkins festzuhalten, dass diese Faustregeln des Altruismus den Menschen nicht auf eine deterministische Weise beeinflussen, sondern durch Kultivierungswirkungen von Literatur und Sitten, Gesetzen und Traditionen sowie durch die Religion gefiltert werden.357 Dementsprechend hält Dawkins es für prinzipiell möglich, dass der Mensch uneigennützig-altruistisch handelt.358 Dawkins’ These lautet nun, dass während des größten Teils der menschlichen Vorgeschichte die Evolution die verschiedenen Formen des Altruismus durch das Leben des Menschen in kleinen, stabilen Gruppen und dörflichen Strukturen förderte.359 In dieser Zeit habe die natürliche Selektion in das menschliche Gehirn einen Drang zum Altruismus einprogrammiert, der bis heute wirksam sei. Als Nebeneffekt dieses Drangs empfinde der heutige Mensch auch mit einem nicht verwandten weinenden Artgenossen Mitleid, genauso wie er sich auch zu einem Angehörigen des anderen Geschlechts hingezogen fühlen kann, selbst wenn dieser unfruchtbar ist. Beide Empfindungen sind nach Dawkins „Fehlfunktionen, darwinistische Fehler – segensreiche, kostbare Fehler.“360 Die Verwurzelung des Moralgefühls in der darwinistischen Vergangenheit des Menschen ermöglicht nach Dawkins das Auffinden einiger universeller ethischer Regeln, die über geographische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg gültig sind.361 Zwischen atheistischen und religiösen Menschen besteht im Hinblick auf diese allgemeinen ethischen Regeln nach Dawkins kein signifikanter Unterschied.362 Um gut zu sein, 356 357 358 359 360 361 362

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 298. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 308. Vgl. Dawkins, Das egoistische Gen, 333 Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 305. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 307. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 309. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn., 314.

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braucht man nach Dawkins keinen Gott, der die Richtschnur für richtiges oder falsches Handeln liefert. Wenn Menschen sich nur deshalb bemühten, gut zu sein, weil sie Gottes Strafe fürchteten oder seine Zustimmung erringen wollten, sei dies keine Moral, sondern nur Opportunismus.363 Ethische Prinzipien müssen nach Dawkins nicht absolut sein und auch Moral ist für Dawkins keine absolute, sondern nur eine relative Größe.364

5.2 Kritik an Dawkins’ Aussagen zur Herkunft der menschlichen Moral Problematisch ist an Dawkins’ Versuch, die menschliche Moral als Nebenprodukt des Zusammenlebens in Kleingruppen zu erklären, die Ungleichbehandlung der Moral, die zum kostbaren Fehler stilisiert wird, und der Religion, die von Dawkins abgelehnt wird. Wenn sowohl Moral als auch Religion für Dawkins lediglich Darwin’sche Fehlzündungen sind, steht er vor der Herausforderung, Kriterien aufzuführen, warum eine dieser Fehlzündungen besser sein sollte als die andere.365 Da Dawkins diese Kriterien schuldig bleibt, wirkt seine unterschiedliche Beurteilung von Moral und Religion willkürlich. Dawkins hat dahingehend Recht, dass von einer Vorgeschichte der Moral in der Natur ausgegangen werden muss.366 Allerdings muss auch zwischen der Voraussetzung zu moralischem Handeln und dem eigentlichen Inhalt der moralischen Reflexion unterschieden werden. Solange es um die Weitergabe von moralischen Werten von einer Generation zur nächsten geht, sind mit Illies zwar durchaus die biologischen Gesetze der genetischen Vererbung wirksam, da diese die Organismen formten, die zu moralischem Handeln fähig seien. Aber der eigentliche Inhalt unserer moralischen Reflexionen und Entscheidungen liege außerhalb des Geltungsbereichs einer darwinistischen Erklärung.367 Problematisch ist also nicht die Frage nach den darwinistischen Wurzeln der menschlichen Moral, sondern Dawkins’ Versuch, die menschliche Moral auf einen „segensreichen Fehler“ zu reduzieren. Illies’ Argumentation hat dabei Anklänge an Schröders Überlegung, wonach darwinistische Erklärungen eine absolute Grenze aufweisen, da sie nicht auf sich selbst anwendbar sind368, sowie an die von Strasser postulierte Entstehung von trans-evolutionären Phänomenen in der Evolution, zu der auch die menschliche Moral zähle.369

363 364 365 366 367 368 369

Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 315. Vgl. Dawkins, Der Gotteswahn, 322 – 23. Vgl. Haught, God and the New Atheism, 71 – 72. Vgl. Körtner, Evolution, Ethik und Religion, 252. Haught, God and the New Atheism, 71. Vgl. Schröder, Wissenschaftlicher Fanatismus, 73. Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 89 – 90.

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5.3 Relative oder absolute Normenbegründung? Auch wenn im Diskurs die Probleme von Dawkins’ Darstellung der Wurzeln der menschlichen Moral schlüssig aufgezeigt wurden, ergeben sich aus Dawkins’ weiterer Behandlung des Themas interessante Einsichten in die Frage nach einer möglichen Begründung von Normen370. Die Aufgabe der Normenbegründung kann definiert werden als bestmögliche Begründung der Handlungen, die – unter Einbeziehung aller Kenntnisse über die Wirklichkeit und die Folgen dieser Handlungen – die Realisierung eines gemeinsamen Willens ermöglichen.371 Die Rolle der Naturwissenschaften in diesem Begründungsprozess beschreibt Dawkins wiederum als Korrektivfunktion.372 Die Naturwissenschaft kann selbst nicht entscheiden, welche Handlungsoption ethisch richtig oder falsch ist, aber sie kann Entscheidungsprozesse durch ihre Erkenntnisse unterstützen. So kann die Naturwissenschaft beispielsweise nicht entscheiden, ob eine Abtreibung falsch ist, aber sie kann darauf hinweisen, dass das ontogenetische Kontinuum, das einen empfindungsunfähigen Embryo mit einem empfindungsfähigen Erwachsenen verbindet, analog zu dem evolutionären Kontinuum ist, das den Menschen mit allen seinen Vorfahren verbindet.373 Versucht man in Philosophie oder Theologie zu begründen, warum das Verbot der Abtreibung eine ethische Norm sein sollte, kann man nach Dawkins nicht mit der Sonderstellung des Menschen argumentieren, weil diese – wie oben dargelegt – in der Evolution nicht ausweisbar ist. Auch die Konzepte der Menschenwürde und der Heiligkeit des (menschlichen) Lebens können nach Dawkins nicht ohne weiteres begründen, warum Abtreibung falsch ist, da sie selbst zunächst argumentativ begründet werden müssen374. Provokant 370 Unmittelbar hiermit verbunden ist mit Lübbe auch die Frage nach der möglichen Durchsetzung von Normen, da zwischen einer kognitiven Geltung einer Norm und ihrer sozialen Geltung zu differenzieren ist. Vgl. z. B. Lübbe, Pragmatismus oder die Kunst der Diskursbegrenzung, 198 – 199, 204. 371 Vgl. Ahmann, Was bleibt vom menschlichen Leben unantastbar?, 334 – 335. 372 Dawkins, A Devil’s Chaplain, 39. 373 Dawkins, A Devil’s Chaplain, 39. 374 In der Tat sind beide Konzepte Gegenstand einer umfangreichen Forschungsdiskussion in Theologie und Philosophie. Was den Ausdruck Unantastbarkeit des (menschlichen) Lebens betrifft, so kann zunächst unterschieden werden, ob er umfassend (alles Leben) oder nicht umfassend (nur menschliches Lebens) gebraucht wird. Im Kontext des nicht umfassenden Begriffsverständnisses kann entweder die menschliche Gattung (Spezies) oder das einzelne Individuum in den Blick genommen werden. Sofern das individuelle menschliche Leben im Zentrum steht, kann die Frage gestellt werden, ob das körperliche, psychische, biologische oder mentale Leben gemeint ist. Auch können die Begriffe Qualität und Quantität des menschlichen Lebens für die Begriffsbestimmung eine Rolle spielen. Ebenso ist die Frage relevant, ob das Konzept als selbstevident bezeichnet wird oder ob es mit dem Hinweis auf das Personensein und die daraus abgeleiteten Rechte jedes Menschen begründet wird. Auch der Begriff Menschenwürde ist in seiner Bedeutung keineswegs eindeutig. Hierbei kann zunächst

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Die weiterführenden Implikationen

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stellt Dawkins vor diesem Hintergrund die Frage, warum es verbotener sein sollte, einen menschlichen Embryo abzutreiben als einen ausgewachsenen Menschenaffen zu töten. Damit zeigt sich Dawkins von Peter Singer inspiriert, der dafür plädierte, „…die menschliche Behandlung auf alle biologischen Arten aus[zu]weiten, die es aufgrund der Leistungsfähigkeit ihres Gehirns zu schätzen wissen.“375 Naturwissenschaftliche Erkenntnisse wie z. B. die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen von einem Vorfahren müssen nach Dawkins also Konsequenzen für die Frage der Normbegründung haben. Eine dieser Konsequenz besteht darin, dass es für die Frage nach der Begründung von ethischen Normen eigentlich unerheblich sein müsste, dass alle Zwischenstufen zwischen dem Menschen und seinen evolutionären Vorfahren ausgestorben sind.376 Würde irgendwo auf der Welt ein MenschenaffeMensch-Hybrid existieren, würden dadurch vor allem traditionelle, religiöse Moralvorstellungen und -begründungen ins Wanken gebracht und dadurch in ihrem absoluten Geltungsanspruch hinterfragt.377 Selbst wenn man als „Absolutist“ im Hinblick auf eine bestimmte ethische Norm noch eine eindeutige Antwort geben könnte, wenn man den Australopithecus betrachtet, wird es nach Dawkins „… irgendwo eine Zwischenform geben, die so dicht an der ,Grenze’ liegt, dass das ethische Prinzip verschwimmt und seine Absolutheit verliert.“378 Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Dawkins unternommene Einbindung seiner Forschungsergebnisse hinsichtlich der Frage nach einer möglichen Moralbegründung als eine weiterführende Implikation des Dawkins-Diskurses. Dies erscheint umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass sich Normierungsprobleme besonders dann zuspitzen, wenn die Grenzfragen des menschlichen Lebens im Fokus stehen.379

5.4 Schlussfolgerung Theologie und Philosophie sind vor diesem Hintergrund dazu aufgerufen, Ansätze der Normenbegründung vorzustellen, die Dawkins’ Forderung des

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zwischen inhärenten und kontingenten Menschenwürdekonzeptionen unterschieden werden. Darüber hinaus muss geklärt werden, in welchem Verhältnis Menschenwürdekonzeptionen zum Personenbegriff stehen. Wird z. B. zwischen Menschen und Personen unterschieden, oder werden Menschsein und Personsein in eins gedacht? Vgl. hierzu Ahmann, Was bleibt vom menschlichen Leben unantastbar?, 263 – 270; 303 – 05. Dawkins, Der Gotteswahn, 377. Vgl. hierzu z. B. Singer, Die Befreiung der Tiere. Singers ethischen Ansatz weisen viele Theologen und Philosophen als problematisch zurück. Vgl. hierzu exemplarisch: Härle, Menschsein in Beziehungen. Härle entwickelt z. B. gegen Singers Unterscheidung zwischen Mensch und Person ein relationsontologisches Menschenbild., das auf der Unterscheidung zwischen Bezogenheit und Beziehung basiert. Vgl. ebd. 328 – 333. Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 28. Vgl. Dawkins, Gaps in the Mind, 29. Dawkins, Der Gotteswahn, 420. Vgl. Ahmann, Was bleibt vom menschlichen Leben unantastbar?, 350.

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Bewertung des Dawkins-Diskurses

Einbezugs der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gerecht werden.380 In diesem Kontext werden m. E. folgende Punkte relevant: – Welche Normbegründungsansätze gibt es, die mit Dawkins’ Erkenntnissen kompatibel sind? Hier wäre m. E. besonders nach dem Stellenwert der autonomen Moral oder der Diskursethik zu fragen. – Welche Vor- und Nachteile hätten diese Normbegründungsansätze?381 – Welche Rolle könnte die durch Dawkins fraglich gewordene Sonderstellung des Menschen im Normbegründungsprozess spielen? Warum sollte also z. B. das Leben eines Menschen immer mehr wert sein als das Leben aller lebenden Schimpansen? – Inwiefern kann die Sonderstellung des Menschen nur in trans-evolutionären Begriffen gerechtfertigt werden? – Welche Rolle könnte im Prozess einer absoluten oder relativen Normbegründung das Konzept der Menschenwürde oder der Heiligkeit des (menschlichen) Lebens spielen? – Inwiefern können auch diese Konzepte nur in trans-evolutionären Begriffen gerechtfertigt werden?382 Ich möchte im Folgenden einerseits John F. Haughts Kritik an Dawkins’ Moralverständnis und andererseits Martha Nussbaums relativistische Würdekonzeption vorstellen, um aufzuzeigen, zwischen welchen Polen sich ein Versuch der Beantwortung der obigen Fragen in der aktuellen Forschungslandschaft bewegt. Haughts Grundfrage lautet, ob Atheisten eine solide Rechtfertigung ethischer Werte ohne Bezug auf Gott erreichen können.383 Grundsätzlich spiele die Vorstellung von absoluten Werten auch bei Dawkins eine Rolle, etwa wenn er das Böse in der Religion negativ beurteile. Demgegenüber könne das Zusammenspiel von zufälligen Mutationen und natürlicher Selektion die Absolutheit, die Dawkins bestimmten Werten zuschreibe, nicht erklären. Zudem sei unklar, wie der amoralische Prozess der natürlichen Selektion eine Quelle für Moral sein könne.384 Auch die Annahme, dass es sich bei ethischen Werten um einen sozialen, kulturellen oder historischen Konsens handelt, ist nach Haught problematisch, weil beispielsweise der Nationalsozialismus seine Autorität von einem sozialen Konsens bezogen habe.385 380 Dabei ist es entscheidend, ob die von Dawkins herausgearbeiteten Erkenntnisse eine grundsätzliche Korrektur von bisher bestehenden Normen erfordert oder nur ihre bisherige argumentative Begründung in Frage stellt. Vgl. Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie, 29. 381 In diesem Kontext könnten z. B. konsequentialistische oder deontologische Normbegründungsansätze gegeneinander abgewägt werden. Des Weiteren könnten z. B. das Konzept der autonomen Moral, die Diskursethik oder die Verantwortungsethik im Hinblick auf ihre Anschlussfähigkeit an die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse Dawkins’ befragt werden. 382 Vgl. Strasser, Warum überhaupt Religion?, 90. 383 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 26. 384 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 26 – 27. 385 Haught, God and the New Atheism, 73.

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Die weiterführenden Implikationen

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Versuche der Atheist schließlich den Verstand als Quelle ethischer Werte zu definieren, stehe er vor dem Problem, anders als durch biologische Argumente zu begründen, warum man einer kognitiven Fähigkeit vertrauen sollte, die im Zuge der natürlichen Selektion entstanden ist.386 Haught betont deswegen, dass wir unserem Gefühl der Empörung vertrauen können, wenn wir Bösem begegnen, weil wir schon von einer Gutheit erfasst worden sind, die nicht von uns selbst oder unseren Genen geschaffen wurde, sondern die das stillschweigende Ziel unseres moralischen Strebens ist.387 Es zeigt sich, dass Haught gegen Dawkins an einer absoluten Normbegründung festhalten möchte. Nach Haught können wir zwischen Richtig und Falsch entscheiden, weil wir durch Gott, der den Maßstab des Guten darstellt, geschaffen wurden. Haught begründet die Richtigkeit dieser These damit, dass alle alternativen Versuche einer Moralbegründung scheitern. Aber scheitern diese wirklich? Haught stellt zunächst in Frage, dass die natürliche Selektion eine Quelle für Moral sein kann, weil sie ein amoralischer Prozess ist. Ich meine jedoch, dass der Prozess der natürlichen Selektion zumindest indirekt eine „Quelle“ von Moral ist, da er die Entwicklung der komplexen Lebewesen und des Menschen – als dem moralischen Subjekt – ermöglicht. Die natürliche Selektion hat die Voraussetzungen für die Entstehung der menschlichen Moral geliefert, kann sie aber nicht vollständig erklären. So liegen unsere moralischen Reflexionen und Entscheidungen außerhalb des Erklärungsbereichs der natürlichen Selektion. Dies scheint Haught zu meinen, wenn er den Prozess der natürlichen Selektion als Quelle von Werten ablehnt. Haughts Einwand hinsichtlich der Legitimierung des Nationalsozialismus und eine konsensorientierte Normbegründung ist berechtigt. Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage, ob diese Legitimierung als ein Konsens im Sinne eines Jürgen Habermas zu bestimmen wäre. So beruht Habermas’ diskursethische Position auf der Überzeugung, dass sich Normen nicht in der Entscheidung einer Mehrheit begründen, sondern darin, dass die Normen die Zustimmung aller Betroffenen finden.388 Dieses Kriterium war im Fall des Nationalsozialismus sicherlich nicht erfüllt, da die betroffenen jüdischen Mitbürger vom „Norm-Geneseprozess“ auf Grundlage einer rassistischen Ideologie von vorneherein ausgeschlossen wurden. Zwar ist die Diskursethik eher eine relative als eine absolute Normbegründungsposition, aber ihre Gültigkeit lässt sich m. E. allein durch Haughts Kritik nicht ausräumen. Definiert man den Verstand als Quelle von Werten, steht man in der Perspektive Dawkins’ natürlich vor der Herausforderung zu begründen, warum man einer kognitiven Fähigkeit vertrauen sollte, die im Zuge der natürlichen Selektion entstanden ist. Dass dies nicht mit naturwissenschaftlichen Argumenten begründet werden kann, ist einleuchtend. Allerdings sind natürlich derartige 386 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 74. 387 Vgl. Haught, God and the New Atheism, 75. 388 Vgl. Habermas, Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, 103.

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Bewertung des Dawkins-Diskurses

Begründungen philosophischer Art durchaus denkbar und auch Dawkins geht nicht so weit, den Prozess der Normbegründung zu einer Aufgabe der Naturwissenschaften zu erklären. Ob die Tatsache, dass der menschliche Verstand im Prozess der natürlichen Selektion entstand, ihn als Quelle für ethische Normen diskreditiert, kann mit Kant bezweifelt werden. Da an Haughts Zurückweisung alternativer Quellen von ethischen Normen Kritik geübt werden kann, steht er vor der Herausforderung, seinen eigenen Ansatz noch stärker argumentativ zu begründen. Die Philosophin Martha Nussbaum vertritt wie Dawkins eine relative Konzeption des Würde-Begriffs. Zwar unterscheidet sich ihr Ansatz stark von Dawkins’ Thesen, doch auch Nussbaum hält im Hinblick auf den Würdebegriff nicht ohne weiteres an einer Sonderstellung des Menschen fest. Dabei stützt Nussbaum ihre Würdekonzeption auf die Formulierung von zehn Grundfähigkeiten, die ihrer Meinung nach ein würdegemäßes Leben ermöglichen, wobei die Fähigkeit zur Rationalität anderen Fähigkeiten (wie z. B. der Sprachfähigkeit) nicht vorgeordnet wird. „Andere, nichtmenschliche Tiere besitzen aus demselben Grund Würde, aus dem Menschen Würde besitzen. Sie sind vielseitig lebendige und empfindungsfähige Wesen, ausgestattet mit Fähigkeiten zur Aktivität und zum Streben. Es scheint mir moralisch inakzeptabel zu sein, ständig über die Wichtigkeit der Menschenwürde zu reden und diese Würde zugleich anderen Tieren zu verweigern.“389

Insgesamt gibt es für Nussbaum also in der Welt viele verschiedene Formen von Würde, von denen manche menschlich sind und manche zu anderen Arten gehören. Nach Nussbaum darf der Begriff Würde nicht exklusiv auf den Menschen angewendet werden. Dass es gute Gründe geben kann, eher menschliche Embryonen als Schimpansen zu schützen, begründet Nussbaum mit einem anderen Sonderstellungs-Konzept. So geht der Vergleich zwischen Menschen mit Behinderungen und Schimpansen nach Nussbaum deswegen fehl, weil jedes lebendige Wesen in den meisten seiner zentralen Betätigungen im Leben vor allem als Mitglied seiner Artgemeinschaft lebt. Während also Sprache für die menschliche Gemeinschaft eine zentrale Fähigkeit darstellt, ist Sprache in der Gemeinschaft der Schimpansen eher nebensächlich, auch wenn Schimpansen in der Lage sind, diese Fähigkeit zu erlernen.390 Mit Nussbaum könnte also gegen Dawkins das Potenzial, in einer Artgemeinschaft aufzuwachsen, zur Begründung verwendet werden, warum menschliche Embryonen schützenswerter sein sollen als ausgewachsene Schimpansen, ohne dass man so weit geht, diesen Schimpansen jegliche Würde abzusprechen.

389 Nussbaum, Menschenwürde und politische Ansprüche, 96. 390 Vgl. Nussbaum, Menschenwürde und politische Ansprüche, 94 – 95.

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Zusammenfassung des 3. Hauptteils

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Zusammenfassung des 3. Hauptteils Im dritten Hauptteil konnte anhand von ausgewählten Beispielen gezeigt werden, dass im Diskurs vor allem solche Argumente angemessen sind, die von Fachexpertise und einem ernsthaften Einlassen auf den zu behandelnden Gegenstand zeugen. Dies ist bei Dawkins vor allem in den Bereichen der Theorie vom egoistischen Gen der Fall, bei den Diskurs-Akteuren vor allem im Bereich der Religionskritik. Zu den Kriterien für gute Argumente zählen die Trennung von Argumentationsebenen oder die philosophische Reflexion der eigenen Vorannahmen. Demgegenüber ist es z. B. ein Kennzeichen einer unangemessenen Argumentation, wenn Argumentationsebenen vermischt werden. Hinsichtlich der Diskursstrategien konnte nachgewiesen werden, dass einige Strategien funktionalisiert werden, um Gegner zu diskreditieren oder den Diskurs zu emotionalisieren. Dies kann den Blick auf die weiterführenden Implikationen des Dawkins-Diskurses verstellen. Sucht man gezielt nach weiterführenden Implikationen, so werden folgende Gesichtspunkte relevant: 1. Eine kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese Vor allem Dawkins’ kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese kann als Herausforderung für die Theologie verstanden werden. Verzichtet die Theologie darauf, Gott als wissenschaftliche Hypothese zu verstehen, so verzichtet sie auch darauf, die Aussage „Gott hat das Universum erschaffen“ als wahrheitsfähig und kognitiv sinnvoll zu verstehen. Akzeptiert sie den Wissenschaftscharakter der Gotteshypothese, muss sie auf die guten Argumente Dawkins’ reagieren, die dafür sprechen, dass theistische Vorannahmen für die Fragen nach der Entstehung des Universums, nach der Entstehung des Lebens und nach der Entwicklung von komplexen und bewussten Lebewesen entbehrlich sind. Eine angemessene Reaktion besteht dabei nicht im Rückzug auf eine nonkognitivistische Position, sondern in der Verteidigung einer kognitivistischen Interpretation religiöser Aussagen – zum Beispiel mit Hilfe von Hicks Konzept der eschatologischen Verifikation. Zu dieser Verteidigung ist die Systematische Theologie auch über den Dawkins-Diskurs aufgerufen. 2. Bedingungen für einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften Die kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese hat auch Konsequenzen für das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften. Dieses darf nicht im Sinne einer Unabhängigkeit oder Abgrenzung interpretiert werden, sondern ist als Dialog zu verstehen. Dieser Dialog darf nicht nur die

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Zusammenfassung des 3. Hauptteils

Methodenfragen in den Blick nehmen, sondern muss auch die Inhalte berücksichtigen. Die entscheidende Voraussetzung dafür, dass im Dialog nach Inhalten gefragt werden kann, ist die Einschaltung einer Vermittlungsinstanz. Diese Vermittlungsinstanz muss die Philosophie sein. Der Dialog kann also nur auf metatheoretischer bzw. philosophischer Ebene geführt werden, was auch die in dieser Arbeit vorgenommene Diskurs-Analyse bestätigen konnte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint es darüber hinaus weiterführender zu sein, den Dialog an philosophischen und metaphysischen Einzelfragen entlang zu führen. Versuche, dem Dialog ein übergreifendes metaphysisches Rahmengerüst zu geben, sind bis dato nur in Ansätzen erfolgreich. Des Weiteren ist es entscheidend, dass sowohl Theologen als auch Naturwissenschaftler Interpretationsmodelle entwickeln, die sich auf empirisch vielfach bestätigte und theoretisch gut fundierte Forschungsergebnisse stützen und die (zumindest prinzipiell) kriti-sier-, korrigier- und verifizierbar sind. Zudem sollte darauf verzichtet werden, den Dialogpartner auf methodischer oder inhaltlicher Ebene zu vereinnahmen. Gemäß der Überzeugung, dass jede Wissenschaft die Wirklichkeit nur teilweise erfassen kann, kann als Ziel eines Dialogs die möglichst vollständige Erfassung der Wirklichkeit genannt werden. Die Natur dieser Wirklichkeit und ihre Erkennbarkeit, ist damit die Grundfrage des Dialogs. Davon leiten sich andere Gesprächsmöglichkeiten ab wie z. B. die Frage nach der Bedeutung der Idee der trans-evolutionären Strukturen im Dawkins-Diskurs.

3. Trans-evolutionäre Strukturen bei Dawkins und im Diskurs Es zeigt sich nun, dass die Idee der trans-evolutionären Strukturen sowohl bei Dawkins als auch bei Strasser eine Rolle spielt. Während es Dawkins gelingt, theologische Annahmen für den Evolutionsprozess entbehrlich erscheinen zu lassen, spielen philosophische Annahmen hierin gleich wohl eine Rolle. So kann auch Dawkins die Entstehung und Entwicklung von bewussten Organismen nicht ohne Bezug auf eine zumindest formale Transzendenz erklären. Gerade die Entstehung des Bewusstseins ist mit Strasser gesprochen ein Moment, in dem die Evolution sich selbst transzendiert. Ein die Evolution übersteigendes Konzept ist auch die menschliche Moral. Dawkins spricht zwar nicht selbst von trans-evolutionären Strukturen, aber davon, dass der Mensch der „Tyrannei“ seiner egoistischen Gene entkommen kann. Die Voraussetzung für diese Befreiung ist die Fähigkeit zum vorausdenkenden Handeln, die die Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln einschließt. Dass die philosophische Ebene im Diskurs die entscheidende ist, kann man also auch an Dawkins selbst erkennen.

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Zusammenfassung des 3. Hauptteils

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4. Offene Fragen im Hinblick auf die Begründung von Normen Geht man wie Körtner von einer Vorgeschichte der Moral in der Evolution aus, so steht man gleichzeitig vor der Herausforderung, diese Vorgeschichte in (beispielsweise religiösen) Normbegründungskonzepten angemessen zu berücksichtigen. Die Rolle der Naturwissenschaften ist in dieser Hinsicht als Korrektiv zu bestimmen. Theologen und Philosophen sind durch Dawkins aufgefordert, ihre guten Gründe für die Vorteile einer absoluten oder relativen Normbegründung zu nennen. Sie müssen ihre guten Gründe zudem öffentlichkeitswirksam verteidigen. In diesem Kontext ist für mich Martha Nussbaum weiterführend, weil sie Dawkins’ Forderung nach der Bezugnahme auf die neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnisse erfüllt. In diesem Kontext wird z. B. die Frage virulent, inwiefern es angebracht ist, zumindest in einem gewissen Umfang, von einer „Tierwürde“ zu sprechen.

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Gesamtfazit und Ausblick

Gesamtfazit und Ausblick Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildete eine ausführliche Analyse der zentralen Gedanken und Thesen Richard Dawkins’ auf Basis seiner Monographien und wichtigsten Aufsätze. Dabei konnten die Fragen nach der Entstehung und Entwicklung von komplexen Lebewesen, der Entstehung des Lebens selbst und des Universums im ersten Hauptteil als zentral herauskristallisiert werden. Die genannten Fragen beantwortet Dawkins im Rahmen seiner darwinistischen Weltsicht, die er mit einem spezifischen Wissenschaftsverständnis verbindet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Annahme eines Gottes weder für die Entstehung des Universums noch für die Entstehung des Lebens oder die Entstehung von komplexen und bewussten Lebewesen notwendig ist. Gott existiert für Dawkins „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht. Durch seine pointierten Antworten löste Dawkins eine heftige Debatte in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften aus, die im zweiten Hauptteil der Arbeit analysiert wurde. Der daran anknüpfende Diskurs kann in drei Phasen unterteilt werden. In der ersten Diskursphase (1976 – Mitte der 1990er Jahre) beschränkt sich Dawkins’ Schreibfokus auf die Entwicklung, Bündelung und Vermittlung einer neuen Sicht der Evolution – der Perspektive der egoistischen Gene. Dementsprechend stehen im Mittelpunkt der philosophischen und naturwissenschaftlichen Rezeption der ersten Phase vor allem Dawkins’ Idee des egoistischen Gens und sein Evolutionsverständnis. Dawkins’ Religionskritik, die sich in Der blinde Uhrmacher schon recht deutlich abzeichnet, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das ändert sich mit dem Beginn der zweiten Diskursphase (Mitte der 1990er Jahre – 2003), als sich Dawkins’ Schreibfokus deutlich ausweitet und mit der Theologie ein neuer Gesprächspartner verstärkt in den Diskurs eintritt. Es ist Dawkins’ zunehmende Religionskritik, die seine Thesen in den Fokus der theologischen Diskursakteure rücken lässt. Der Diskurs intensiviert und polemisiert sich in der dritten Diskursphase (2003 – 2011). In diesen Zeitraum fallen sehr öffentlichkeitswirksame Bücher Dawkins’ (Der Gotteswahn, A Devil’s Chaplain), die von einer zunehmenden Radikalisierung seiner Thesen zeugen. Theologen und Philosophen reagieren auf diese Radikalisierung mit negativ konnotierten Einschätzungen wie z. B. der Vorstellung, Dawkins’ Sprache sei biologistisch. Damit geht auch der Versuch einiger Philosophen einher, Dawkins’ Werk gegen Missverständnisse zu verteidigen. In den Naturwissenschaften setzt in der dritten Diskursphase zunehmend ein Prozess der Reflexion über die Bedeutung und Auswirkungen der Thesen Dawkins’ für die Evolutionsbiologie und die gesamten Naturwissenschaften ein. Überblickt man den gesamten Diskurs, wird deutlich, dass Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler unterschiedliche inhaltliche Aspekte an Dawkins kritisieren und unterschiedliche Strategien anwenden, um ihre

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Gesamtfazit und Ausblick

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Befürwortung oder Ablehnung seiner Thesen zu begründen. Dies führt im Diskurs zu einem unterschiedlichen Umgang der Theologie, der Philosophie und der Naturwissenschaften mit Dawkins, der stärker disziplin- als zeit- oder ortsgebunden ist. Theologischerseits bezieht sich die argumentative Zurückweisung vor allem auf die Gebiete Religionskritik, Gottesbild und Weltsicht Dawkins’. Für die Theologie ist in dieser Hinsicht die Entwicklung von alternativen Gottesbildern kennzeichnend, die wiederum eine Schlüsselfunktion in der Argumentation gegen Dawkins einnehmen. Prägend ist auch die Häufung von negativ aufgeladenen Einschätzungen der Weltsicht Dawkins’, die in den anderen Wissenschaften fehlt. Zugleich wenden die Theologen in den Gebieten Weltsicht und Gottesbild das größte Spektrum von Diskursstrategien an. Für die theologische Auseinandersetzung mit Dawkins spielen auch Begriffe wie die Pluralität von Realitätserfahrung, Wahrheitsfindung, Beweisarten, Erkenntnisse und Erklärungen eine Rolle. Theologen postulieren in der Auseinandersetzung mit Dawkins’ Moralverständnis deutlich häufiger als andere Diskurs-Akteure eine notwendig religiöse Fundierung der Moral. Gegen Dawkins’ Aussage, dass weder für die Entstehung des Universums noch für die Entstehung des Lebens oder die Entstehung von komplexen und bewussten Lebewesen die Annahme eines Gottes notwendig ist, setzen die Theologen eine unaufgebbare theologische Perspektive im Hinblick auf die Entstehung des Universums und des Lebens oder auch das notwendige Eingreifen Gottes in den gesamten Evolutionsprozess und verweisen darauf, dass darwinistische Erklärungen nie letztgültig sein können. Von Ausnahmen abgesehen, bei denen sie Dawkins in Teilpunkten recht geben, weisen alle am Diskurs beteiligten Theologen Dawkins’ Argumente dezidiert zurück. Charakteristisch für das Verhalten von Theologen im Diskurs ist dabei die Anwendung der Strategien 4 und 5, die auf die Relativierung von Dawkins’ Thesen durch metatheoretische Überlegungen und durch (historische, geographische…) Kontextualisierungen zielen. Die Herausforderung der Dawkins’schen Thesen für die Theologie liegt aber nicht so sehr in Dawkins’ Religionskritik als in seiner Evolutionstheorie und seiner daraus abgeleiteten Kritik an der Vorstellung eines Eingreifen Gottes in die Evolution. Der philosophische Umgang mit den Thesen Dawkins’ ist grundsätzlich von Offenheit in Richtung von Theologie und Naturwissenschaften bestimmt. Die Philosophie nimmt damit eine Scharnierfunktion im Diskurs ein. Im Gegensatz zur Theologie gibt es auch Philosophen, die Dawkins’ Thesen befürworten. Allerdings macht sowohl in der Philosophie als auch in den Naturwissenschaften der Anteil der Wissenschaftler, die sich positiv, unterstützend oder zustimmend über Dawkins äußern, nur eine Minderheit aus. Auch die Philosophen weisen Dawkins’ Gottesbild nachdrücklich zurück. Dabei unterscheidet sich die philosophische von der theologischen Argumentation nur in einzelnen Akzentuierungen. Die für die Theologen kennzeichnende Verbindung der Themen Gottesbild und Verhältnis von Gott und Evolution findet

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Gesamtfazit und Ausblick

sich bei den Philosophen nicht so ausgeprägt. Für den philosophischen Umgang mit Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen ist dessen reflexiver Charakter prägend. Mit den Naturwissenschaften teilt die Philosophie die Verwendung solcher Strategien, die auf die Affirmation, Befürwortung oder Verteidigung vieler Thesen Dawkins’ zielen. Mit der Theologie teilt die Philosophie die Zurückweisung von Dawkins’ naturalistischer Erklärung der Lebensentstehung. Allerdings tendieren die philosophischen Diskurs-Akteure weniger dazu, das Scheitern der naturalistischen Erklärung mit theologischen Überlegungen zu kompensieren. Die naturwissenschaftlichen Diskurs-Akteure sind in erster Linie an Dawkins’ Kernthema, d. h. der Theorie vom egoistischen Gen, interessiert. Spezifisch naturwissenschaftlich ist die direkte inhaltliche Auseinandersetzung mit Dawkins’ Thesen. Die Reflexion der Implikationen von Dawkins’ Thesen ist schwächer ausgeprägt. Dass eine solche Reflexion auch im Bereich der Naturwissenschaften stattfindet, zeigt sich an Grafens und Ridleys Versuch, den Einfluss Dawkins’ und die Bedeutung seines Werkes innerhalb der (naturwissenschaftlichen) scientific community und der Öffentlichkeit auszuloten. Dass theologische Überlegungen für die am Diskurs beteiligten Naturwissenschaftler durchaus eine Rolle spielen, zeigt sich z. B. an Aussagen, die auf die grundsätzliche Vereinbarkeit der Evolution mit der Existenz Gottes abheben. Dagegen stehen die theologischen Kernthemen (Dawkins’ Religionskritik, Dawkins’ Gottesbild) kaum im Fokus der Naturwissenschaftler. Blickt man insgesamt auf den Umgang der Diskurs-Akteure mit Dawkins, konnte diese Arbeit zeigen, dass der Diskurs vor allem durch diejenigen Wissenschaftler bereichert wird, die in zwei oder gar drei Disziplinen arbeiten und forschen. Einseitiger argumentieren Autoren, deren Beteiligung am Diskurs durch ein dezidiert apologetisches Motiv bestimmt ist. Dies ist gleichzeitig ein erster Hinweis darauf, wo die Bewertung der im Diskurs relevanten Argumente ansetzen sollte. Im dritten Hauptteil der Arbeit wurden anhand von Beispielen Kriterien für unangemessene und angemessene Aussagen und Argumente entwickelt sowie für die angemessene Anwendung von Diskursstrategien. Unangemessen sind solche Argumente und Aussagen, die nicht argumentativ begründet werden, die nicht sachgemäß sind oder die Argumentationsebenen vermischen, Alternativen nicht in den Blick nehmen oder spekulative Überlegungen als feststehende Tatsachen hinstellen. Daneben wurde in der Arbeit auch negativ bewertet, wenn die zu widerlegenden Argumente eindimensional dargestellt wurden, der weitere Kontext eines Arguments nicht berücksichtigt wurde oder separat zu behandelnde Aussagen oder Argumente unsachgemäß zusammengefasst wurden, um deren Zurückweisung insgesamt zu erleichtern. Als Gründe für den Einsatz von unangemessenen Argumenten können bei Dawkins und im Diskurs mangelnde Kenntnisse, fehlende Auseinandersetzungsbereitschaft oder oberflächliche Rezeptionen angeführt werden. Dies zeigt sich besonders an Dawkins’ Religionskritik oder an der Kritik der Diskurs-

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Akteure an Dawkins’ Theorie vom egoistischen Gen. Als problematisch erwies sich auch, dass die Diskursstrategien bisweilen für die Emotionalisierung des Diskurses eingesetzt oder für Eigeninteressen funktionalisiert wurden. Gut sind im Diskurs Argumente und Aussagen, wenn sie argumentativ begründet werden, sachgemäß und konsistent sind, wenn mögliche alternative Argumente in den Blick genommen werden, wenn Argumentationsebenen nicht vermischt oder separat zu behandelnde Argumente nicht unsachgemäß zusammengebunden werden. Als weitere Kriterien für die Güte von Argumenten wurden in der Arbeit die differenzierte Darstellung der kritisierten Argumente, die Berücksichtigung des weiteren Kontexts von Argumenten sowie das Sichtbarmachen von impliziten Voraussetzungen und leitenden Interessen der eigenen bzw. der anderen Disziplinen herangezogen. Vor allem das vertiefte Einlassen auf Argumente und eine ausgeprägte Fachexpertise führen im Diskurs zu guten Argumenten. Beispiele hierfür sind Dawkins’ Evolutionsverständnis oder die theologisch-philosophische Kritik an seinem „Anti-Gottes-Beweis“. Fragt man darüber hinaus nach den weiterführenden Implikationen des Dawkins-Diskurses, so können vor allem vier Gesichtspunkte benannt werden. Dawkins’ kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese stellt eine Herausforderung dar, weil sie im Diskurs aus nonkognitivistischen Positionen heraus zurückgewiesen wird. Dies hat wiederum problematische Konsequenzen für die Wahrheitsfähigkeit von religiösen Aussagen und die christliche Hoffnung. Damit fordert der Dawkins-Diskurs zur Verteidigung einer kognitivistischen Interpretation religiöser Aussagen auf. Die Verpflichtung auf eine kognitivistische Interpretation der Gotteshypothese hat Konsequenzen für das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften. So ist dieses Verhältnis nicht als Abhängigkeit oder Abgrenzung, sondern als Dialog zu bestimmen, der auf einen Austausch über Inhalte zielt und deswegen auf einer philosophischen Ebene stattfindet. Wie zentral die philosophische Ebene im Dawkins-Diskurs ist, macht der Blick auf das Menschenbild klar. Sowohl Dawkins als auch die Diskurs-Akteure verstehen den Menschen als selbstbestimmt Handelnden, der dem Diktat seiner egoistischen Gene entkommen kann. Philosophische Konzepte sind damit auch für Dawkins’ Interpretation des Evolutionsprozesses entscheidend, die große Ähnlichkeiten mit Strassers Idee der trans-evolutionären Strukturen aufweist. Die von Dawkins nachhaltig verdeutlichte Vorgeschichte der menschlichen Moral in der Evolution muss gerade in Normbegründungskonzepten angemessen berücksichtigt werden. Dies gilt im Besondern für den Versuch, Normen auf einer religiösen, absoluten Basis zu begründen. Theologen und Philosophen sind durch Dawkins aufgefordert ihre guten Gründe für einen bestimmten Normenbegründungsansatz zu nennen, diesen an Dawkins’ naturwissenschaftliche Erkenntnisse zum Menschenbild rückzubinden und öffentlichkeitswirksam zu verteidigen.

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Personenregister

Ahmann, Martina 300f. Albani, Cornelia 197f. Appel, Kurt 16, 22, 117–119, 137, 140, 179, 185 Artigas, Mariano 13, 112, 115, 120, 127, 138, 156, 163, 253 Audretsch, Jürgen 267f., 276, 279 Barbour, Ian G. 24, 111, 115, 138f., 152f., 155, 181, 224, 268f., 271–277 Bateson, Patrick 24, 132f., 175 Bauer, Joachim 11 Beattie, Tina 16, 22, 116f., 121, 124, 155f., 233f. Becker, Patrick 276 Bennett, Gaymon 278 Blech, Jörg 11 Bloom, Paul 195 Carins-Smith, Graham 73, 248 Clayton, Philip 22, 108f., 114f., 118, 122, 125, 127f., 224, 253, 257, 273, 275f., 279, 284f., 290, 295f. Collins, Francis S. 24, 115, 120f., 138, 179, 199, 256 Crick, Francis H. C. 182 Cronin, Helena 132, 161, 186 Daly, Martin 133, 173, 182 Damschen, Gregor 213, 229 Deibl, Jakob 16, 22, 123f., 137, 230–232 Dennett, Daniel C. 12, 16, 23, 43, 110, 113, 126, 132, 141f., 146, 151, 153, 158, 162f., 165f., 168f., 173, 175f., 180, 182f., 186, 207–209, 227 Diewald, Ursula 276

Doolittle, Ford W. 182 Dupr, John 23, 110, 113, 115f., 131, 154f., 165f., 168, 178, 184, 186, 188, 225f. Eagleton, Terry 11 Einstein, Albert 32f. Eldredge, Niles 24, 111f., 175, 183 Evers, Dirk 11, 278f. Feuerbach, Luwig 205 Freud, Sigmund 205 Gatzemeier, Matthias 214 Giberson, Karl 13, 112, 115, 120, 127, 138, 156, 163, 253 Gilbert, Scott F. 134 Gmeiner-Jahn, Dorothea 229 Godfrey-Smith, Peter 23, 131 Gould, Stephen Jay 17f., 24, 36, 41f., 75, 111f., 132, 134, 154, 159f., 162, 173–176, 179, 182, 184, 205, 207f., 210, 281, 283 Graf, Friedrich Wilhelm 22, 110, 201 Grafen, Alan 12, 18, 179, 184, 310 Greif, Hajo 15, 23, 110f., 113, 115, 130–132, 141, 161, 165, 169, 178, 180, 185f., 205f., 208f., 223f., 227, 280, 282, 285, 290–292 Griffiths, Paul E. 160, 175 Grigg, Richard 126 Guckes, Barbara 283 Habermas, Jürgen 303 Haig, David 133, 179 Härle, Wilfried 301

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Personenregister

Harries, Richard – Bischof von Oxford 11f. Harris, Sam 12, 16 Haught, John F. 17, 22, 108, 114, 116–119, 122–124, 143f., 149, 155, 163f., 180, 186, 196, 204, 220, 223f., 237f., 252–254, 256f., 271f., 275f., 299, 302–304 Heckmann, Heinz-Dieter 23, 126f., 138f., 178, 217, 219, 256–258, 260f., 263, 268, 288, 290, 292f., 297 Heinrich, Axel 15, 22, 108f., 128, 140, 163, 171f., 177, 185, 284f. Hemminger, Hansjörg 24, 111f., 173, 179, 184f., 201 Hick, John H. 264f., 267, 305 Hitchens, Christopher 12, 16 Hitler, Adolf 98 Hoff, Gregor Maria 16, 22, 108, 117, 121, 124, 149f., 152, 157, 180, 186, 204, 219–221, 232f. Hübner, Jürgen 278 Hull, David L. 23, 131, 159, 173–175, 186

Knop, Julia 202 Körtner, Ulrich H. 22, 117, 123, 143f., 168, 199, 252, 299, 307 Koydl, Wolfgang 11f. Krebs, John 12, 134, 179 Kropacˇ, Ulrich 274 Kuhn, Thomas 40, 109, 245 Küng, Hans 280f.

Illies, Christian 23, 144f., 299 Isak, Rainer 174

Mackie, John Leslie 53 Margulis, Lynn 134 Maynard-Smith, John 112, 132 Mayr, Ernst 25, 134, 159, 175, 180, 184, 186 McCullough, Michael E. 118, 197 McGrath, Alister E. 13, 22, 157, 171, 177, 196, 199f., 202f., 205, 213f., 218, 225, 227, 238–240, 254, 256, 274 McGrath, Alister E. 109, 114, 117–119, 121–125, 128–130, 139f. Meiller, Christopher 24, 119–121, 156, 204f. Meisner, Joachim – Kardinal 11–13 Midgley, Mary 24, 110f., 130f., 141, 151, 171, 173–175, 178, 182, 186, 225, 283 Moritz, Joshua 15, 22, 129, 226

Jäger, Siegfried 19f. Jesus 47, 51, 96, 118, 124, 241 Jones, Steve 134 Kamin, Leon J. 18, 112f., 173, 182, 283 Kattmann, Ulrich 25, 111f., 115, 127, 142, 153, 170, 179, 185, 218f., 252, 290f. Kissler, Alexander 11 Kitcher, Philip 23, 132, 165, 173, 183, 186, 282 Klein, Constantin 197f. Knapp, Andreas 15, 22, 108–110, 114, 129f., 135f., 140f., 144, 174, 184, 210f., 213, 221, 225, 229f., 274–278, 294, 302

Langthaler, Rudolf 16, 23, 115, 117, 125–127, 145f., 149, 156, 164, 179, 185, 223 Lebkücher, Anja 265, 267 Lewontin, Richard C. 18, 25, 36, 111–113, 159, 173, 182, 210, 283 Lichtenberger, Gustav 213 Linke, Sebastian 11 Lohfink, Gerhard 16, 22, 108f., 117–119, 124, 144, 153, 156, 185f., 200, 204 Löw, Reinhard 109 Lübbe, Hermann 300 Lüke, Ulrich 278 Lütz, Manfred 114

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Personenregister Moss, Lenny 24, 131, 178, 184, 226 Müller, Klaus 17, 24, 110f., 119, 141, 156, 203f. Multi-Level-Selektion\f 160 Murphy, Nancey 274 Mutschler, Hans-Dieter 17, 126, 138, 267, 273, 275–277 Nagel, Thomas 12 Neumann-Held, Eva-Maria 25, 132f., 171, 175, 178 Nietzsche, Friedrich 203, 205 Noble, Denis 25, 132f., 179 Novak, Michael 12 Nussbaum, Martha 302, 304, 307 Okasha, Samir 24, 131f. Orgel, Leslie E. 182 Orr, Allen H. 12 Oyama, Susan 24, 110, 131, 159f., 173–175, 179, 182 Paley, William 77, 123, 157, 239 Pannenberg, Wolfhart 265–267 Peacoke, Arthur R. 255 Peirce, Charles Sanders 276 Perry, John 263, 285f. Peters, Ted 23, 109, 111, 114, 151f., 174, 183, 186 Pietschmann, Herbert 25, 111f., 115, 120, 179, 185 Poll, Justin E. 118, 197 Poole, Michael 11 Popper, Karl 40 Read, Andrew F. 18 Ridley, Mark 12, 25, 134, 179, 184, 186, 310 Ridley, Matt 12 Rose, Steven 18, 25, 75, 112f., 132f., 139, 151, 170, 173, 175f., 182f., 186, 280, 283, 291 Ruse, Michael 24, 110, 115, 130, 174f., 178

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Russell, Robert John 277 Russmann, Heinz 16 Sapienza, Carmen 182 Schaller, Friedrich 25, 112, 142, 153, 163, 170, 179, 185 Schark, Marianne 24, 132, 178, 186, 281 Schmidt-Leukel, Perry 244, 263–265, 268 Schönecker, Dieter 213, 229 Schröder, Richard 23, 109f., 114, 117–119, 122, 129f., 137, 140, 144, 155f., 185, 196f., 199–205, 218, 224, 226, 280, 284f., 299 Schröder, Sina 196 Schwienhorst-Schönberger, Ludger 124, 157f., 165, 185 Segerstrle, Ullica 18 Shakespeare, William 52 Shanahan, Timothy 17, 159 Shapiro, James A. 25, 134, 179, 184 Singer, Peter 301 Smith, Timothy B. 118, 131, 197 Smolin, Lee 134, 161f., 179 Smythies, John 195 Sober, Elliott 24, 131–133, 173f., 182f. Spaemann, Robert 109 Stalin, Joseph 98 Stannard, Russell 197 Stegmann, Ulrich 24, 110, 206–209 Stegmüller, Wolfgang 109 Stent, Gunther S. 133 Sterelny, Kim 24, 111, 113, 132, 153f., 165, 173, 180, 183, 186, 282f. Stowasser, Martin 23, 109, 201 Strasser, Peter 17, 24, 110, 119–121, 126f., 130, 137f., 146, 157, 163, 178, 185f., 240–243, 257, 260f., 279, 295f., 299, 302, 306, 311 Striet, Magnus 16, 23, 109, 177, 185, 201 Swinburne, Richard 235 Teilhard de Chardin, Pierre 46 Thirring, Walter 25, 138

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Personenregister

Tillich, Paul 156, 235, 238, 253 Trivers, Robert 195 Unwin, Stephen 53 Van Beethoven, Ludwig 52 Ward, Keith 13, 23, 108f., 114, 117f., 121–126, 128f., 136f., 144, 152, 157, 162f., 174, 176f., 180, 183f., 186, 197–199, 206, 211–213, 220–223, 228, 234–237, 247, 252, 254–260, 262, 272, 277, 292

Weber, Thomas P. 18, 133 Wegter-NcNelly, Kirk 277 Wellenreuther, Martin 214 Wetzel, Manfred 213 Wewetzer, Hartmut 12 Whitehead, Alfred North 255, 276f. Williams, George C. 25, 61, 112, 129, 132f., 225 Wilson, David Sloan 25, 132–134, 174, 182f. Wilson, Edward O. 18, 134 Wuketits, Franz M. 184, 186

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Sachregister

A Devil’s Chaplain 13, 176f., 179, 189, 202, 269, 308 Aberglaube 39, 42, 114, 174, 176 Adaptationismus – -empirischer 207 – -explanatorischer 207, 209 – -methodologischer 207, 209 Adaptionismus 17, 36, 111f., 168, 173, 206f. – -explanatorischer 110 – -konzept 208f. – -perfektionistischer 36, 208, 210 Agnostizismus (agnostisch) 51f., 112, 125, 153, 165, 170 Allel 36, 61, 64f., 206 Altruismus (altruistisch) 12, 59, 84, 94f., 118, 130f., 197, 206, 225, 280, 298 anthropisches Prinzip 57, 261, 278 Antisemitismus (antisemitisch) 111, 167, 177, 185, 200–202, 212, 294 Art-Chauvinismus 130 Artegoismus 96, 144, 294 Atheismus (atheistisch) – -fundamentalistischer 12f., 109, 167, 177, 189, 202–204, 217 – -weltanschaulicher 217 Bewusstsein 15f., 63, 125, 130, 135–138, 162, 167, 169, 210, 230, 235f., 238, 256, 279, 285, 287, 295, 306 Biologismus (biologistisch) 109–111, 113, 167f., 177, 179, 185, 187, 200–203, 212, 308 Biomorphe 79, 137

Blaupausentheorie 250 Buskampagne, atheistische 11f. Christentum 45, 51, 115, 155, 237, 241 Concestor 85 Darwinismus (darwinistisch) 30f., 38, 43f., 68f., 80, 92f., 95, 102, 109, 114f., 119, 136, 142f., 154f., 167, 183, 195f., 210, 216, 226, 236, 250, 271, 295–299, 309 – -als Erklärungsrahmen 30, 271 – -als Theorie des Zufalls? 68f. – -anti-darwinistisch 38, 216, 295 – -extremer 109 – -konzept 175 – -kosmischer 54, 246 – -universeller 30, 66, 110, 112f., 216 darwinistische Fehlfunktion 95, 195f., 298 Darwin’sche Anpassung 35, 135 Das egoistische Gen (The Selfish Gene) 12f., 18, 89, 109, 129, 132, 161, 182, 206, 281, 283–285, 287 Dawkins’ Weltsicht 13, 21, 30, 103, 108–113, 149, 151, 153f., 165f., 168, 170, 175–177, 183, 185, 187, 189, 194, 200–202, 212, 217, 221, 283 Deismus 32 Der blinde Uhrmacher (The Blind Watchmaker) 13, 172f., 308 Der entzauberte Regenbogen (Unweawing the Rainbow) 39, 174 Der Gipfel des Unwahrscheinlichen (Climbing Mount Improbable) 174 Der Gotteswahn (The God Delusion)

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Sachregister

11–13, 31, 117, 119, 150, 156, 176f., 189, 201, 204, 308 Determinismus 36, 113, 140, 279, 282–284, 286–288, 296 – -biologischer 109, 112, 173, 182, 283 – -fatalistischer 109, 200, 279, 282f., 296 – -genetischer 14, 30, 34–36, 103, 109–111, 113, 128, 153f., 185, 200, 279f., 282–285, 296 – -harter 284 – -kultureller 112 – -weicher 284 – -Zwei-Faktoren- 283 Developmental Systems Theory 159, 175, 179 Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften 15, 17, 213, 230, 243, 268, 273–279, 305 Diskurs – -analyse 18f. – -ebene 19–21 – -fragmente 19f. – -position 206 – -stränge 19–21, 25 – -strategien 14, 107, 148, 154, 156, 162, 164, 166f., 180, 186f., 189, 193f., 200, 212–214, 217, 228f., 305, 309–311 Doppelhelix 40, 47 Drosophila 35 Dualismus (dualistisch) 44, 285, 288f., 292f. Egoismus (egoistisch) 12, 59, 61, 109, 130 Einstein’sche Religion 32 Emanzipation, des Menschen von seinen evolutionären Wurzeln 38, 63, 102, 217, 287, 296 Embryonalentwicklung 69–71, 79, 85, 89, 101, 250, 287 Emergenz 136, 236, 238, 256, 258, 279 Entstehung des Lebens 57, 60, 69, 71,

73, 139, 167, 169, 218, 237, 243, 246, 248, 250f., 258, 260, 268, 305, 308f. Entstehung des Universums 56, 236, 247, 251, 254, 261, 305, 308f. Erbgut 12 Erfahrung – -existentielle 233 – -interpersonale 122, 253, 262 – -menschliche 241f. – -religiöse 123, 126, 252f., 262 eschatologische Verifikation (Hick) 233, 264f., 305 Ethik 38, 42, 59, 95f., 98, 108, 138, 144f., 168, 296 Evolution(s) – -als Systementwicklung 134 – -bahnen 79, 259f. – -fähigkeit 281 – -geschichte 36, 71, 83, 90, 97, 100, 111, 161, 215f., 227, 251, 282, 289, 294–296 – -kulturelle 92, 139, 142, 292 – -mechanismus 161, 208 – -nicht zielgerichtet 136f. – -prozess 69, 71, 82f., 89, 92, 102f., 125, 135, 137, 139, 163, 167, 179, 187, 206, 210f., 225f., 236, 250, 254f., 259f., 265, 295, 297, 306, 309, 311 – -rate 251 – -theorie 29f., 41f., 56, 66, 69, 102, 109f., 135–138, 142, 144, 151, 157, 166, 172, 176, 187, 200, 207, 209f., 214–216, 218, 228, 239, 250, 260, 275, 295, 309 – -verständnis 21, 59, 102f., 137, 159, 162, 167, 169f., 172, 188f., 308, 311 – -zielgerichtet 125, 137, 139, 167 evolutionäre Nützlichkeit 138, 295 evolutionäre Zwischenstufen 71, 87, 96–99, 301 evolutionärer Pfad 136, 258f. evolutionäres Wettrüsten 56, 74 Evolutionsbiologie (evolutionsbiologisch) 12f., 17f., 21, 36, 120, 125,

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Sachregister 127, 132, 139, 172, 174, 176, 179, 232, 254, 308 Fatalismus 111, 182f. Fatima, Wunder von 46 Feinabstimmung 53, 57f., 125, 157, 246f., 254, 261 Fideismus 263 Fitness 63, 258 Fortpflanzungserfolg als Auslesekriterium 62, 79, 258f. freier Wille 36, 279, 287f., 291 Freiheit des Menschen 284–286, 288, 296 Gaia-Hypothese 90 Geheimnis unserer Existenz 30, 98, 102 Gen (Gene) 12, 34f., 37, 43–45, 59–64, 69f., 74f., 77, 79, 83, 85, 88f., 92–94, 102f., 110, 112, 129f., 132–134, 139, 141f., 146, 151, 158–161, 164, 175, 178, 184, 194, 201, 205f., 209, 225, 227, 250, 282–284, 287f., 296, 303 – -Akteure 280 – -als entscheidende Einheit der Selektion 59, 61, 75, 129, 134, 159, 184 – -begriff 129, 131, 175, 225 – -Definition 61, 129, 133 – -egoistisch 59, 61, 67, 84, 90, 94, 109, 128–130, 146, 172, 189, 206, 228, 280–282, 284f., 288, 295, 297f., 306, 308, 311 – -Intention 132 – -kombination 62, 88, 92 – -Kooperation 62, 65, 206 – -Level 209 – -Pool 61f., 64, 74f., 89, 206 – -Selektionismus 35, 129, 131, 154, 160, 173, 182f., 209, 226, 281–283 – -Zentrismus 132, 162 Gen-Mem-Analogie 92 genetischer Atomismus 173, 182 Geschichten vom Ursprung des Lebens (The Ancestor’s Tale) 176

331

Gewölbezwickel von San Marco (Gould) 207, 210 Glauben(s) 38, 41, 43, 47–49, 53, 92, 119–121, 124, 142, 144, 146, 153, 156, 158, 164, 167, 197, 199, 220, 234, 237f., 252–255, 262, 268, 270f., 291 – -akt 39, 245 – -aussage 222 – -begriff 118f., 170 – -bekenntnis 157 – -definition 120, 254 – -inhalte 48, 119 Goldilocks-Zone 57f. Gott(es) – -als Feld (Pannenberg) 266f. – -als Gestalter 56, 68, 257 – -als intelligenter Designer 54, 123, 126, 138, 157, 212, 233f. – -als kosmischer Geist (Ward) 124, 234 – -als Schöpfer 29, 51, 53–55, 71f., 85, 125f., 210, 237, 240, 243, 245f., 248, 251–253, 261f., 265, 268, 276 – -als Uhrmacher 123 – -als unendliches Geheimnis 17, 123f., 237, 252, 271 – -begriff 16, 194, 232, 240, 242, 246, 255, 257, 261, 265, 269 – -beweise 52, 125, 254 – -bild 17, 21, 51, 108, 121, 123–127, 137, 156f., 165–168, 170, 174, 176, 181, 183, 186–188, 230–234, 236–240, 243, 253, 257f., 278, 309f. – -Existenz 31, 50, 52, 54f., 58, 120, 125f., 170, 188, 195, 234, 240, 246, 254, 264, 310 – -glaube 119, 123f., 196, 254 – -hypothese 51f., 54f., 121f., 156, 158, 168, 170, 194, 217, 244–247, 252–254, 257, 261–264, 267f., 305, 311 – -idee 144, 218 – -kritik 17, 236, 239f.

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Sachregister

– -Nichtexistenz 55, 119, 126, 195, 218, 264 – -Nutzenfunktion 54 – -Offenbarung 124, 157f., 232, 234 – -Personsein 230 – -rede 16, 233, 235, 238, 266 – -und Evolution 125, 127, 157, 165f., 168f., 254, 309 – -universalisiert (Strasser) 127 – -verständnis 121, 230, 266 Gott-Mem 92 Gruppenselektion 132f., 174, 183 Handlungsfähigkeit, nichtmenschliche 15, 178, 185, 280 Hyperzyklus 73, 248, 261 Ich-Bewusstsein 291 Immanenz 17, 123, 231f., 242 Implikationen 20, 41, 134, 169, 188, 200, 230, 279, 290, 292, 310 – -metaphysische 233 – -moralische 38 – -negative 110, 148, 151, 165 – -philosophische 173, 182 – -weiterführende 13f., 20f., 121, 156, 168, 180, 186, 188, 193f., 204, 230, 301, 305, 311 Indeterminismus 283f. Individualselektion 76, 81, 159 Individuum 34f., 43, 48, 54, 59, 61f., 64, 81, 94, 97, 101, 130, 133, 141, 205f., 283, 285 inklusive Einfachheit (Ward) 121, 257 Inkompatibilismus 283–286, 288 Intelligent Design 41, 67, 82, 115, 123, 138, 211, 257f. intentionaler Standpunkt 44, 289 Interaktor 159, 173, 175 Irreduzibilität (irreduzibel) 124, 128, 135, 167, 234, 236, 293 Islam 45, 49, 51 Judentum (Jude) 45, 49, 51, 96, 101, 120

Kindesmissbrauch 49, 199 kognitiv sinnvoll 243f., 305 kognitivistische Position 233, 244, 253, 261, 272, 305, 311 Kompatibilismus 283–286, 288 komplexe Lebewesen 29–31, 76, 102, 200, 243, 249, 251, 258–260, 268, 303, 308 komplexe Organismen 54, 136, 249f., 258f. Komplexität 69 Komplexität(s) 54, 73, 77f., 82, 88, 90, 126, 136f., 139, 151, 162, 211f., 238, 249f., 256–258, 269, 275 – -anstieg 259 – -definition 76, 258 – -der Welt 137 – -menschlicher Nervensysteme 288 – -nicht reduzierbare 56 – -strukturierte 55, 246 – -von Lebewesen 77, 137 Kontinuum 71 – -embryologisches 42, 215 – -evolutionäres 42, 295, 300 – -ontogenetisches 300 Korrektivfunktion der Naturwissenschaft 215, 288, 300 Kreationismus 16, 69 Kultur 39, 92f., 99f., 102, 108, 140–142, 159, 167, 226–228 kultureller Relativismus 39 kumulatives Prozessargument 136, 260 Lamarckismus 69f., 250 Lebenszyklus 90, 160, 281 Magisterium (Magisteria) 41f., 268–271, 274 Makromutation 82, 250 Materialismus (materialistisch) 108, 110–113, 129, 152f., 165, 183–185, 201, 220, 272, 277 Megaversum 246 Mem (Meme) 21, 43, 45, 83, 92f., 108,

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Sachregister 139–142, 163, 167, 169f., 182, 187, 217, 226–228, 292 – -als Einheiten der kulturellen Evolution 92, 103, 292 – -hypothese 291 – -Konzept 21, 43, 92, 108, 139–142, 163, 167, 169f., 182, 187, 217, 226–228, 292 – -maschine 84, 284 – -plexe 45 – -pool 92 – -theorie 29, 93, 139–142, 227, 291 Mensch(en) – -als Geschöpf 54, 235f. – -als Roboter 60, 130 – -als Überlebensmaschine 59f., 130, 133, 281, 284 – -als Ziel der Evolution? 84, 137, 294 – -bild 15, 60, 83, 112, 129, 132, 174, 184, 230, 233, 274f., 279f., 284, 294, 297, 311 – -evolutionäre Sonderstellung? 216, 294, 302 – -rechte 96, 130, 138, 144, 146, 294–297 – -würde 130, 144, 200, 294f., 297, 300, 302, 304 metaphorische Sprache 130, 134, 171, 175, 182, 205 mitochondriale Eva 86 Mitochondrien 86 Molekularbiologie (molekularbiologisch) 131, 133, 178, 225f. Monismus (monistisch) 44, 288f. Monotheismus 45, 119 Moral 29, 38, 44, 94–97, 102, 138, 143–146, 163f., 188, 194, 196, 214, 230, 236, 288, 295, 297, 299f., 302f., 306f., 309, 311 – -als bloßes Nebenprodukt der Evolution 144 – -als Nebenprodukt der Evolution 196, 299

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– -als trans-evolutionäres Produkt 167 – -autonome 302 – -begründung 98, 142, 144, 301, 303 – -erklärung 142 – -verständnis 21, 108, 144, 146, 163f., 167, 169f., 188, 302, 309 Moraltheologie 15, 22, 174 Multi-Level-Selektion 132, 134, 179 Multiversumstheorie 53, 58, 246, 251, 261 Mutation(s) 31, 68–70, 75, 77, 79, 82, 86, 90, 102, 135f., 138f., 164, 210f., 226, 247, 249, 251, 256, 258, 281, 302 – -neutrale 70, 136, 250f. – -rate 70 – -sprung 79f., 211f., 259 Mutationismus 69f., 251 Nationalsozialismus (nationalsozialistisch) 12, 110, 112, 164, 184, 201, 302f. Naturalismus 32, 103, 110, 112f., 149f., 153, 165, 217–219, 237, 242 – -evolutionärer 110 – -methodischer 102 – -ontologischer 108, 111, 183, 218–220, 228, 290 – -philosophischer 111 – -szientifischer 152, 221, 233 – -weltanschaulicher 219 neodarwinistisch 37, 69f., 208f., 250f. Neuer Atheismus 12, 16f. Neutralismus 69f., 250 nichtzufällige Reproduktion 30 nichtzufälliges Überleben 30f., 75, 78, 250, 259 NOMA-Theorie 42 nonkognitivistische Position 233f., 244, 252–254, 262–265, 268, 270, 272, 276, 305, 311 Normbegründung 301–304, 307, 311 Nutzenfunktion 54

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Sachregister

Ockhams Rasiermesser 251 Optima 64 – -globale 37, 80, 249 – -lokale 37 Pantheismus (pantheistisch) 32 Pascalsche Wette 53 Phänotyp 34f., 64, 136, 154, 173, 175, 178, 287 – -erweiterter 43, 63f. – -genetischer 173 – -geteilter 64 phänotypische Effekte 37, 63f., 76 Plausibilität 16, 123, 247, 252, 262 Population 34f., 60, 97, 160, 207 Quantentheorie 40 Rasse(n) 12, 98, 100 – -begriff 100 – -einteilung 100, 294 – -etikett 101 – -merkmale 100 – -zugehörigkeit 100 Rassismus 100, 294 Raum, genetischer 79f., 211f., 259f. Reduktionismus 33, 103, 108, 110, 112f., 150, 153, 162, 292, 297 – -hierarchischer 33, 151 – -methodischer 102 – -ontologischer 111, 183, 291 Religion(s) – -als Kraft des Bösen 48, 198 – -als Nebenprodukt 43f., 119, 195 – -begriff 118, 121 – -definition 196 – -erklärung 43, 116, 155, 195f. – -Gewaltpotential von 48, 199, 212 – -phänomen 117, 195f., 218 – -philosophie 241 – -Wurzeln 143 Religionskritik (religionskritisch) 11–13, 16, 21, 43, 45, 102, 108, 116–121, 152, 156, 166, 168, 170, 172,

174, 176f., 179, 181, 183, 187–189, 194, 202, 204f., 212, 220f., 243, 305, 308–310 Replikator 43, 45, 60f., 63, 72–76, 78, 84, 90, 92f., 102, 131, 159, 182, 227, 247–250, 259f. – -begriff 59 – -idee 72 – -Keimbahn- 76, 281 – -Langlebigkeit 60f. – -Sackgassen- 76 – -varianten 60, 72 reverses Engineering 54 River out of Eden 174 Roboter 71, 85 Schöpfung 47, 56, 70, 123–125, 127, 157, 210, 232–234, 237, 240–242, 251, 255, 257, 265 Schöpfungslehre 157, 166, 187, 210, 264 schwache Fähigkeitstheorie (Perry) 286 Seele 32, 39, 44, 103, 153, 219, 240, 275, 288, 292 Selbsttranszendierung 296 Selektion(s) 44, 69f., 81, 91, 129, 132, 135, 138, 159, 205, 208 – -als blinder Uhrmacher 78 – -druck 80 – -ebene 17, 132, 169, 175, 182, 184 – -einheit 17, 59, 61, 75, 129, 133, 160, 169, 188 – -Einschritt- 78 – -kulturelle 292 – -kumulative 30f., 56, 70, 72f., 76–79, 82, 102, 162, 210–212, 226, 247–249, 251, 258–261, 302 – -künstliche 75, 82 – -level 160 – -natürliche 35–38, 44, 56f., 61f., 64, 67, 69f., 72, 74–83, 85, 89, 91, 94, 102, 112, 132–137, 139, 159–161, 163f., 170, 184, 207–211, 216, 236, 249–251, 256, 258–260, 282, 294, 298, 302–304

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Sachregister – -nichtzufällige 69, 75, 82 – -sexuelle 75 – -vorteil 43 Sichelzellen-Gen 159 Sozialdarwinismus (sozialdarwinistisch) 109, 111–113, 146, 167, 173, 177, 201 Soziobiologie (soziobiologisch) 11, 15, 18, 22, 109, 112, 114, 140f., 144, 171f., 174, 177, 184, 201, 213, 225, 230 Speziesismus 96f., 99, 294 Supernaturalismus 32, 45 Szientismus (szientistisch) 114–116, 166, 222–224, 228, 233, 271 Tatsachenbehauptung 233, 244f., 253, 262, 264f., 270, 272, 276 Teleologie (teleologisch) 44, 52, 111, 138f. The Greatest Show on Earth 176 Theismus 32, 124, 143, 152–154, 165, 183, 232, 237, 247, 261, 272, 277, 305 Theodizee 15, 67 Theorie vom egoistischen Gen 13, 15, 17f., 21, 29, 59, 94, 102f., 108, 112, 128f., 131–134, 139, 158–162, 167–169, 173, 178f., 182, 184f., 187f., 200, 208, 212, 217, 225, 279–282, 298, 305, 310f. trans-evolutionäre Strukturen 163, 243, 279, 297, 306 trans-evolutionäres Konzept (Strasser) 138, 295f. transzendentale Gewissheit 123, 252, 268 Transzendenz 17, 54, 123, 127, 142, 149f., 219, 231, 233, 241–243, 252, 264, 268, 297, 306 Typendualismus 293

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Überleben(s) – -absicht 59 – -als Auslesekriterium 79, 258 – -erfolg 43, 61, 64, 75 – -strategie 60 Überlebensmaschine 60, 62f., 92, 102, 287 Ultra-Darwinismus (ultradarwinistisch) 110, 112, 139, 175f., 183 Unwahrscheinlichkeitsgebirge 81f., 211, 259 Urknall 136 Ursuppe 60, 73, 92, 248 Variation 30, 35, 56, 66, 75, 80f., 249 Vehikel 59, 76, 102, 159, 182 Verhältnis Geist und Materie 44, 288–293, 297 Vernunft (vernünftig) 32, 44, 99, 114, 127, 145, 149, 152, 220, 223, 232, 241, 254, 279 Vorfahre 40, 60, 76, 83, 87, 301 – -gemeinsamer 40, 85f., 96, 101, 194, 214, 245, 300f. Wahrheitsfähigkeit (wahrheitsfähig) 230, 243–245, 247, 252, 262f., 267, 270, 272, 305, 311 Wahrheitskonzept 40, 222, 245, 262 Wunder 32, 42, 46, 68, 101, 138, 219, 270 Zeitgeist 16, 98 Zufall 31, 56f., 68f., 72, 76–78, 81f., 125, 138f., 248f., 255, 258, 277 Zwischenformen zwischen Spezies – -Herring Gull und Lesser Black-bakked Gull 97

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