Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige im klassischen römischen Recht. 3428027568, 3428027566, 9783428027569

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Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige im klassischen römischen Recht.
 3428027568, 3428027566, 9783428027569

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Einleitung
Erster Teil: Die Begründungen für den Besitzerwerb durch Gewaltabhängige und die Grenzen seiner Anerkennung
§ 2 Der Stand der Lehre
§ 3 Erwerb animo domini, corpore filii vel servi
§ 4 Die potestas an dem Abhängigen als Erklärung für den Besitzerwerb des Gewalthabers
§ 5 Versagung des Besitzerwerbes des Gewalthabers wegen mangelnder possessio an dem Abhängigen
§ 6 Besitzerwerb des Gewalthabers trotz mangelnder possessio an dem Abhängigen
§ 7 Versagung des Besitzerwerbs des Gewalthabers trotz possessio an dem Abhängigen
§ 8 Besitz des Abhängigen nach der Meinung Labeos?
§ 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen
§ 10 Erfordernis des Willens des Abhängigen, den Besitz für den Gewalthaber zu ergreifen?
§ 11 „Possidere“, ausgesagt vom Gewaltabhängigen
§ 12 „Besitzunfähigkeit“ des Haussohns und des Sklaven
§ 13 „Besitzunfähigkeit“ des homo liber bona fide serviens
§ 14 „Besitzunfähigkeit“ des captivus
§ 15 Ergebnisse des ersten Teils
Zweiter Teil: Erwerb mit Wissen des Gewalthabers oder für das Pekulium
§ 16 Der Stand der Lehre
§ 17 Erfordernis der Kenntnis des Gewalthabers
§ 18 Allgemein gefaßte Juristenaussprüche zum Erwerb peculiari nomine
§ 19 Die Rückkehr der gestohlenen Sache
§ 20 Besitzerwerb für die hereditas iacens
§ 21 Besitzerwerb und Besitzbewahrung für den captivus
§ 22 Besitzerwerb für die municipes
§ 23 Besitzerwerb durch den servus fugitivus
§ 24 Erwerb mit Wissen des Gewalthabers oder für das Pekulium als stillschweigende Voraussetzung in den Quellen
§ 25 Praktikabilität der Beschränkung des Besitzerwerbes auf die domino sciente oder peculiari nomine erlangten Sachen
§ 26 Die Tatbestände der possessio
§ 27 Die nachklassische Entwicklung
Quellenregister
Sachregister

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HANS-PETERBENOHR

Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige im klassischen römischen Recht

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 3

Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige im klassischen römischen Recht

Von

Dr. Hans·Peter Benöhr

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Harnburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten

@ 1972 Dunelter & Humblot, Berlln 41

Gedruckt 1972 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed 1n Germany ISBN 3 428 02756 8

Vorwort Die vorgelegte Untersuchung erfuhr die ständige und förderliche Anteilnahme meines verehrten Lehrers, Professor Kaser, dem ich auch an dieser Stelle herzlich dafür danke. Dank schulde ich auch dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg, der mir die Möglichkeit bot, mich in die Anfangsgründe der Rechtsgeschichte einzuarbeiten, und der die Abhandlung im Sommersemester 1972 als Habilitationsschrift angenommen hat. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses, Herrn Ministerialrat a . D. Dr. Broermann für die Aufnahme der Arbeit in sein Verlagsprogramm und der Druckerei für die Herstellung dieser Schrift verbunden. Hamburg, im Oktober 1972

Hans-Peter Benöhr

Inhaltsverzeichnis 11

§ 1 Einleitung Erster Teil

Die Begründungen für den Besitzerwerb durdl Gewaltabhängige und die Grenzen seiner Anerkennung § 2 Der Stand der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

§ 3 Erwerb animo domini, corpore filii vel servi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

§ 4 Die potestas an dem Abhängigen als Erklärung für den Besitzerwerb

des Gewalthabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 5 Versagung des Besitzerwerbes des Gewalthabers wegen mangelnder

possessio an dem Abhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 6 Besitzerwerb des Gewalthabers trotz mangelnder possessio an dem

Abhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 7 Versagung des Besitzerwerbs des Gewalthabers trotz possessio an

25 30 35

dem Abhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

§ 8 Besitz des Abhängigen nach der Meinung Labeos? . . . . . . . . . . . . . . . .

44

§ 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

§ 10 Erfordernis des Willens des Abhängigen, den Besitz für den Gewalt-

haber zu ergreifen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

§ 11 "Possidere", ausgesagt vom Gewaltabhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

§ 12 "Besitzunfähigkeit" des Haussohns und des Sklaven . . . . . . . . . . . . . .

64

§ 13 "Besitzunfähigkeit" des homo liber bona fide serviens . . . . . . . . . . • .

67

§ 14 "Besitzunfähigkeit" des captivus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

§ 15 Ergebnisse des ersten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Zweiter Teil

Erwerb mit Wissen des Gewalthabers oder für das Pekulium § 16 Der Stand der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

§ 17 Erfordernis der Kenntnis des Gewalthabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Inhaltsverzeichnis

8

§ 18 Allgemein gefaßte Juristenaussprüche zum Erwerb peculiari nomine

91

§ 19 Die Rückkehr der gestohlenen Sache

96

§ 20 Besitzerwerb für die hereditas iacens

102

§ 21 Besitzerwerb und Besitzbewahrung für den

captivus . . . . . . . . . . . . . . 110

§ 22 Besitzerwerb für die municipes

122

§ 23 Besitzerwerb durch den servus fugitivus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 § 24 Erwerb mit Wissen des Gewalthabers oder für das Pekulium als stillschweigende Voraussetzung in den Quellen .................... 135 § 25 Praktikabilität der Beschränkung des Besitzerwerbes auf die domino

sciente oder peculiari nomine erlangten Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

§ 26 Die Tatbestände der possessio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 § 27 Die nachklassische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Quellenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Sachregister ................................... ... .............. . ..... 160

Abkürzungsverzeichnis Beseler Bonfante Buckland Burdese

Beseler, Beiträge zur Kritik der röm. Rechtsquellen IV (1920) Bonfante, Corso III, Dir. reali (1933) Buckland, The Roman Law of Slavery (1908) Burdese, In tema di animus possidendi, St. Biondi I (1965)

Cuiacius De Francisci

Cuiacius, Opera, zit. nach der Ausgabe Prati 1836---1844 De Francisci, Sull'acquisto del possesso per mezzo dello

De Zulueta

Di Lella

Fuenteseca Gordon Kaser I Kaser 11 Kaser, RZ Lauria Leptien Micolier Nicosia Riccobono Rotondi Salkowski Solazzi Watson Wieacker

517 ff.

schiavo, RIL 40 (1907) 1002 ff. De Zulueta, Digest 41, 1 & 2 (1950) Di Lella, Sull'acquisto del possesso domino ignoranti, Mnem. Solazzi (1964) 432 ff. Fuenteseca, Possessio domino ignoranti, AHDE 24 (1954) 559 ff. Gordon, Acquisition of Ownership by traditio and Acquisition of Possession, RIDA3 12 (1965) 279 ff. Kaser, Das röm. Privatrecht I, Das altröm., das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl. (1971) Kaser, Das röm. Privatrecht II, Die nachklassischen Entwicklungen (1959) Kaser, Das röm. Zivilprozeßrecht (1966) Lauria, Possessiones, Eta repubblicana, 2. Aufl. (1957) Leptien, Utilitatis causa, Freiburg. Diss. (1967) Micolier, Pecule et Capacite Patriomoniale (1932) Nicosia, L'acquisto del possesso mediante i potestati subiecti (1960) Riccobono, Zur Terminologie der Besitzverhältnisse, SZ 31 (1910) 321 ff. Rotondi, Possessio quae animo retinetur, Bull. 30 (1921) 1 ff. = Scr. III (1922) 94 ff. (zitiert nach den Scritti) Salkowski, Zur Lehre vom Sklavenerwerb (1891) Solazzi, Di aleuni punti controversi nella dottrina romana dell'acquisto del possesso per mezzo di rappresentanti, Mem. Mod. 11 (1911) = Scr. I (1955) 295 ff. (zitiert nach den Scritti) Watson, Acquisition of possession and usucapion per servos et filios, LQR 78 (1962) 205 ff. Wieacker, Rez. Nicosia, L'acquisto del possesso, Iura 12 (1961) 371 ff.

Die römische Zahl bezeichnet den Band, die arabische im allgemeinen die Seite. Weiterhin werden die üblichen und die von Kaser I verwandten Abkürzungen benutzt.

§ 1 Einleitung I. Hauskinder und Sklaven waren eigener Vermögensrechte nicht fähig; das war ein feststehender Grundsatz des römischen Rechts1 • Doch waren ihre Erwerbsakte nicht gänzlich wirkungslos, sondern wurden ihrem paterfamilias zugerechnet2 ; und dies galt sogar dann, wenn er von dem Erwerb nichts wußte3 • Diese Erwerbsakte führten zum Erwerb des Gewalthabers, auch wenn die Gewaltabhängigen gegen seinen Willen handelten. Auf ihre Willensrichtung, den Gewalthaber zu berechtigen, kam es nicht an. Sie hatten auch nicht die Möglichkeit, statt seiner einen Dritten zum Rechtsinhaber zu machen. Diese Rechtslage läßt sich vielleicht damit erklären, daß die Hauskinder und Sklaven als beseelte Werkzeuge oder Erwerbsorgane des paterfamilias angesehen wurden4 • Jedenfalls erstreckte sich die potestas des paterfamilias wie auf die Gewaltabhängigen selbst, so auch auf die von ihnen erworbenen Rechte. Der Gewaltabhängige konnte für seinen Herrn aber nicht nur Rechte, vor allem Eigentum, begründen. Er konnte auch mit Willen des Gewalthabers über dessen Sachen verfügen5• Es war ihm ferner möglich, im Rahmen der vom Prätor geschaffenen adjektizischen Klagen durch Rechtsgeschäfte den Gewalthaber zu verpflichten6• Damit war der Gewaltabhängige in der Lage, mit Wirkung für und gegen den Gewalthaber Käufe und Verkäufe durchzuführen, Geld zu Zinsen zu verleihen und Forderungen (außergerichtlich) einzuziehen, Grundstücke oder bewegliche Sachen zu mieten und zu vermieten. Mit alldem befriedigten die Römer in weitem Umfang das Bedürfnis nach der ihrem Recht noch unbekannten direkten Stellvertretung. II. Der Erwerb durch die Gewaltunterworfenen hätte aber den Zwecken des Gewalthabers nur unvollkommen gedient, wenn die erworbenen Sachen nicht auch der Ersitzung unterlegen und nicht den 1

Gai. 2, 87: ipse enim, qui in potestate nostra est, nihil suum habere

potest.

Gai. 2, 86 ff.; dazu Kaser I 64, 114, 262 f., 286 f. Ausnahmsweise wird das iussum des Gewalthabers für den Erbschaftsantritt durch den Abhängigen verlangt, Gai. 2, 87. 4 Dazu insbesondere Kaser, Romanitas 9 (1971) 333 ff.; zur "Organschaft" des filiusfamilias und des servus dort 343 ff. 6 Kaser I 267. Einer besonderen Einwilligung bedurfte es nicht, wenn der Gewaltunterworfene über Gegenstände seines Pekuliums verfügte. 6 Kaser I 264. 605 ff. 2

8

12

§ 1 Einleitung

Schutz durch die actio Publiciana und die Interdikte genossen hätten. Die Ersitzung und die actio Publiciana setzten, ebenso wie die Interdikte, den Besitz an der Sache voraus. Deswegen wuchs mit der zunehmenden Beteiligung der Gewaltabhängigen am Wirtschaftsverkehr die Notwendigkeit, dem Gewalthaber den Besitz an dem Sacherwerb des Abhängigen zuzuerkennen. Dieses Bedürfnis hat die Rechtsordnung befriedigt. Nachdem Paulus erklärt hatte D. 41, 2, 1, 2 (Paul. 54 ed.): Apiscimur autem possessionem per nosmet ipsos, sagt er in D. 41, 2, 1, 5 (Paul. 54 ed.): Item adquirimus possessionem per servum aut filium, qui in potestate est ... Doch konnte der Besitzerwerb durch Abhängige nicht ohne weiteres dem Rechtserwerb gleichbehandelt werden, weil gerade die Unterscheidung von Recht und Besitz zu den Grundlagen des römischen Rechts gehört7 • III. Dem Eigentum als der rechtlichen Vollherrschaft über eine Sache steht der Besitz als die tatsächliche Gewalt gegenüber8 • So erklärt D. 41, 2, 12, 1 (Ulp. 70 ed.): Nihil commune habet proprietas cum possessione ... Die römischen Juristen betonen mehrmals, daß der Besitz dem Bereich des Tatsächlichen, nicht des Rechtlichen angehöre8 • Dem entspricht es, daß der Besitz durch tatsächliches, von einem Herrschaftswillen begleitetes Ergreifen der Sache begründet wird. Für den Besitzerwerb sind die körperliche Bemächtigung und der sich in diesem Vorgang äußernde Bemächtigungswille erforderlich. Der Besitz wird, wie die Juristen sagen, corpore et animo begründet1°. Unter welchen Umständen aber das corpus und damit die faktische Gewalt an einem bestimmten Gegenstand angenommen wird, richtet sich im römischen Recht11, nicht anders als noch im geltenden12, nach der Lebensanschauung, der Verkehrsauffassung und dem allgemeinen Be7 Bonfante 267; Kaser EB, insbesondere 239 ff.; Kaser I 121 und 384; Nicosia 21 f.; Levy, VL, insbes. 19 ff.

8 Ulp. D. 41, 2, 12, 1; D. 43, 17, 1, 2; Paul. D. 44, 2, 14, 3. • Vgl. Pap. D. 4, 6, 19 (dazu unten § 14 II 2); Paul. D. 41, 2, 1, 3/4; Ulp. D. 41, 2, 29; D. 45, 1, 38, 6; D. 47, 4, 1,15; Tryph. D. 49, 15, 12,2 (dazu unten § 21

VII).

Insbesondere Paul. D. 41, 2, 3, 1; dazu Kaser I 391 ff. Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts I/2 (1868) 1233 geht aus von der "vernünftigen Lebenssitte". Last, JherJb. 62 (1913) 6 begreift den Besitz als eine "Verkehrserscheinung". Grimm, St. Riccobono IV 173ff. spricht von den "sociologischen Grundlagen des römischen Besitzrechts". Perozzi I 825 f. beschreibt den Besitz als ein "fenomeno sociale". Bonfante 224 macht den Besitzerwerb abhängig von dem "giudizio sociale". Kahler, JherJb. 17 (1879) 10

11

326 betont den "wirthschaftlichen Connex" des Besitzers zu der Sache. 12 Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl. (1957) 25; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. (1966, Nachdruck 1969) 58 f.

§ 1 Einleitung

13

wußtsein. Auf diese Weise ist es zu erklären, daß nicht nur die unmittelbare, tatsächliche, körperliche Innehabung einer Sache, sondern auch eine äußerlich gelockerte Beziehung zu ihr als Besitz gelten kann. Die Verkehrsauffassung sieht es für den Besitzübergang schon als genügend an, wenn etwa der Vorbesitzer dem Erwerber die Grenzen des veräußerten Grundstücks von einem benachbarten Turm aus zeigt13 , wenn sich die Parteien mit der Schlüsselübergabe vor dem Gebäude, in dem die zu übergebenden Waren lagern, zufrieden geben14 oder wenn der neue Besitzer die von ihm gekauften Balken mit seinem Zeichen15 versieht. Namentlich bei abgeleitetem Erwerb begnügt man sich häufig mit solchen bloßen Indizien für die Herstellung der Sachbeherrschung18• Auch bei der Fortdauer des Besitzes werden die Anforderungen, der Lebensanschauung entsprechend, vielfach gelockert. Eine solche Fortdauer wird auch bejaht, wenn die tatsächliche Herrschaft des Besitzers über seinen Gegenstand nachläßt, wenn er etwa die Sache vermietet, verliehen oder hinterlegt hat17, wenn er seine Sommer- oder Winterweiden verlassen hat18 oder wenn sein Sklave geflohen ist19• IV. Neben den rein tatsächlichen gewährt jedoch der Besitz nach Ansicht der römischen Juristen auch rechtliche Aspekte. Papinian deutet diesen Befund schon mit den vorsichtigen Worten an, daß der Besitz nur plurimum facti habet20 , und sagt in D. 41, 2, 49 pr. (Pap. 2 defin.): ... et plurimum ex iure possessio mutuetur21.

Auf die rechtlichen Aspekte des Besitzes kommt der Jurist auch in dem folgenden Paragraphen zurück: 1a Cels. D. 41, 2, 18, 2. Pap. D. 18, 1, 74; Gai. D. 41, 1, 9, 6; Paul. D. 41, 2, 1, 21. 16 Paul. D. 18, 6, 15 (14), 1. 18 Zu den soeben erwähnten Fällen der sogenannten longa manu traditio: Riccobono, SZ 33 (1912) 259 ff.; Schulz, Prinz. 66 ff.; Voci, Modi 114 ff.; Kaden, SZ 70 (1953) 462 ff.; Alzon, Problemes relatifs a la location des entrepöts (1965) bei N. 506, 525, 527, 530, 533, 807; Metro, L'obbligazione di custodire (1966) 48 ff.; Gordon, Studies in the Transfer of Property (1970) 44 ff. 17 Vgl. Kaser I 394 f. 18 Paul. D. 41, 2, 3, 11; Proc. D. 41, 2, 27; Pap. D. 41, 2, 44, 2; Ulp. D. 43, 16, 1, 25; dazu Möhler, SZ 77 (1960) 57 ff.; Cannata, SD 27 (1961) 86; MacCormack, SZ 86 (1969) 110 ff.; Krampe, Proculi Epistulae (1970) 79. 19 Paul. D. 41, 2, 1, 14 (dazu unten §§ 7 III und 23 I) ; Ulp. D. 47, 2, 17, 3; zum Besitz über den geflohenen Sklaven zuletzt insbesondere Pringsheim II 152 ff. (Fs. Schulz I 279 ff.) und Nicosia 397 ff. 20 Pap. D. 4, 6, 19 (dazu unten § 14 II 2). Georgescu, Scr. Ferrini Mil. III 147 versteht allerdings die Worte so, daß keine andere Institution mehr factum enthielte als die possessio. Zu der Antinomie von factum und ius s. besonders Vassalli III 1, 383 ff. (APer. 12, 1914, 3 ff.). 21 Albertario II 177 ff. und 331 meint, die römischen Juristen hätten den Besitz ausschließlich als ein factum aufgefaßt, deswegen seien derartige Äußerungen wie in D. 41, 2, 49 pr. unecht. Eine Begründung für dieses von ihm als klassisch bezeichnete Prinzip fehlt. - Erhebliche Bedenken gegen 14

14

§ 1 Einleitung

D. 41, 2, 49, 1 (Pap. 2 defin.): ... quia possessio non tantum corporis, sed et iuris est22•

Die nachklassische Doktrin hat, vielleicht unter dem Einfluß des Vulgarrechts, darauf hingewirkt, den Rechtscharakter des Besitzes zu verstärken23 • Doch sind die rechtlichen Aspekte des Besitzes von Anfang an im Besitzbegriff enthalten; das zeigt ein kurzer Blick auf seine vermutbare Entwicklung. V. 1. Der Begriff des Besitzes, der possessio, hat sich im römischen Recht wahrscheinlich aus zwei Wurzeln entwickelt24• Die eine Wurzel liegt bei der Ersitzung, der usucapio. Die usucapio geht aus von der Verteidigung des Beklagten im Vindikationsprozeß des altrömischen Spruchformelverfahrens. Der Beklagte hatte eine unangreifbare Position, wenn er den umstrittenen Gegenstand ein Jahr oder, wenn es sich um ein Grundstück handelte, zwei Jahre lang im ununterbrochenen Besitz hatte und sich für seinen Besitz - entsprechend den im Laufe der Republik herausgebildeten Erfordernissen - außer auf seine bona fides auf einen nach ius civile anerkannten Erwerbsgrund berufen konnte. Als eine derartige, die Ersitzung rechtfertigende causa waren etwa Kauf, Schenkung oder Erbfolge anerkannt. Noch im klassischen Recht wird nur die Sachgewalt, die durch eine nach ius civile anerkannte causa qualifiziert ist, als possessio civilis angesehen. Daß auch die Römer selbst diesen qualifizierten Besitz als die Vorstufe eines Rechts25 aufgefaßt haben, zeigt sich deutlich darin, daß sie den Satz auch bei Vassalli III 1, 407 ff. (APer.12, 1914, 35); Rotondi 2073 ; Kunkel, Symb. Lenel 502 ; Kaser, EB 33730 und 33938; Biondi, Ist. 237; Sotazzi IV 667 (Bull. 49/50, 1947, 373); Wesener, RE 9 A 1163 sv. usus fructus und Wieacker 372. - Keine Bedenken äußern Bonfante, Scr. III 539, 554, 5742 (Riv. it. 16, 1894, 161 ff.); Riccobono 339; Hägerström I 197 N.; Maschi, La concezione naturalistica (1937) 115; Lauria, St. Solazzi 789 und Poss. 115; De Zutueta 40 und 110; Pringsheim I 340 und 354 (St. Solazzi 604 f. und 623); Grosso, Usufr. 206 und 222; Nicosia 36 ff.; MacCormack, SZ 84 (1967) 57; eher für Echtheit jetzt auch Kaser I 3842 und II 18428; ders., Iura 13 (1962) 236.- Ausführlich zu dem ganzen Fragment unten § 6 I 2. 22 VassaHi (vorige Anm.); Albertario I 2454 (AG 106,1931, 434 ), II 1362 (Bull. 40, 1932, 382 = TR 12, 1933, 261), II 177; Koschaker, SZ 63 (1943) 441; Solazzi (vor. Anm.); Levy, VL 2749 ; Kaser, EB 36279 ; Kaser II 18322 ; Spadari, St. Biondi IV 454 schreiben den Satz der nachklassischen Schule zu, die den Besitz als ein Recht angesehen habe. In dem Fragment wird aber nicht etwa gesagt, daß die possessio ein ius ist, auch wird nicht etwa von einem ius possessionis gesprochen. - Keine Bedenken bei Riccobono 3391 ; Hägerström I 1931 , 197 ; Biondi, Scr. Ferrini Pav. 244; Kaser I 3842 ; Lauria 110 m. 18 ; Nicosia 37 m.4s. 23 Zu den nachklassischen Entwicklungen insbesondere Levy, VL 19 ff. und Kaser II 181 ff. 24 Zur Entwicklung der possessio insbesondere Bonfante, Scr. III 516 ff. und 534 ff.; Riccobono, SZ 31 (1910) 321 ff.; Albertario, Studi II pass.; Kunkel, Symb. Lenel 40 ff.; Kaser (oben Anm. 7). Ausführliche Bibliographie zur possessio bei Cannata, NNDI 13 (1966) 323 f. sv. possesso. 25 Oder sogar als eine Art Recht.

§ 1 Einleitung

15

den Ersitzungsbesitz mit einer der rei vindieatio nachgestalteten petitorischen Klage, der aetio Publieiana, gesichert haben26 • 2. Von dieser possessio eivilis unterscheidet das klassische Recht den Interdiktenbesitz. Er hat seine Wurzel vermutlich in der faktischen Gewalt, die der einzelne am ager publieus hat. Diese Sachgewalt, später auch die Sachgewalt an privaten Grundstücken und schließlich auch an beweglichen Sachen, wurde durch Interdikte geschützt, die auf der Amtsgewalt des Prätors beruhen27• Namentlich das interdieturn uti possidetis, das wahrscheinlich das älteste der Besitzinterdikte ist28, weist in manchen Beziehungen eine ähnliche Struktur und Funktion wie die rei vindicatio des älteren römischen Rechts auf29 • Im älteren römischen Recht ermöglichen beide Verfahren dem besser Berechtigten das ungestörte Innehaben einer Sache; das interdieturn uti possidetis schützt den Besitz am ager publieus, die rei vindicatio den am ager privatus. In beiden Verfahren wird über die entgegengesetzten Rechtsbehauptungen der Streitteile entschieden, so daß hier wie dort jeweils derjenige obsiegt, der an der Sache das bessere Recht hat30• Beide Verfahren beginnen ferner damit, daß Kläger wie Beklagter für den Fall des Unterliegens eine Strafsumme erbringen oder zumindest versprechen31 • In beiden Fällen erläßt der Prätor ein Friedensgebot an die streitenden Parteien32, dem je28 Gai. 4, 36; dazu Kaser I 438.- Diese prätorisehe Klage hat vielleicht bereits einen Vorläufer in der alten vindicatio: Indem bei der legis actio sacramento in rem jede Streitpartei ein "meum esse" behauptete, konnte in diesem Verfahren auch geschützt werden, wer zwar noch nicht die ein- oder zweijährige Usukapionsirist vollendet hatte, aber besser an der Sache berechtigt war als der konkrete Gegner.- So vor allem Kaser, EB 6 ff.; SZ 68 (1951) 186 ff.; Deutsche Landesreferate zum VI. Internat. Kongreß für Rechtsvergleichung Harnburg (1962) 22 ff.; RZ 71; RP I 124 mit weit. Lit. für und gegen die Annahme eines ursprünglich relativen Eigentumsbegriffes. - Zu diesem Problem letzthin Santoro, APal. 30 (1967) 103 ff. 27 Gai. 4, 138 ff.; dazu Kaser I 396 ff. und RZ 317 ff. 2s Kaser, EB 248 ff. 29 Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl. (1865) 197 ff.; Dernburg, Entwicklung und Begriff des juristischen Besitzes des römischen Rechts (1883) 15 ff. und ders., Pand. I, 7. Aufl. (1902) § 171 S. 398 ff.; Kaser, EB 256 ff. -Dagegen insbesondere Bekker, SZ 5 (1884) 145 ff. und Jhering, Der Besitzwille (1889) 1241• 30 Darauf weisen bei dem interd. uti possidetis der Ausdruck ab altero in der Formel und das an beide Parteien gerichtete Gewaltverbot hin; es gilt daher als interdictum duplex, Gai. 4, 160. - Bei der rei vindicatio behauptet jede der beiden Parteien: "Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio", Gai. 4, 16. An beide Parteien richtet der Prätor das Friedensgebot:

"Mittite ambo hominem". 31 Spansiones und restipulationes bei dem Interdikt; sacramenta oder sponsiones bei der rei vindicatio. 32 Vim fieri veto bei dem Interdikt; mittite ambo hominem bei der rei vindicatio. Hierzu zuletzt Labruna, Vim fieri veto (1971) pass.

16

§ 1 Einleitung

doch bei dem Interdikt eine stilisierte Gewaltanwendung beider Parteien nachfolgt33, während bei der rei vindicatio die Andeutung einer stilisierten Gewaltanwendung dem Friedensgebot des Prätors zeitlich vorangeht34. Stets hat der Prätor einer der beiden Parteien den Besitz an der umstrittenen Sache für die Dauer des Verfahrens zuzuweisen35. Die in diesen Punkten vorhandene Übereinstimmung zwischen dem interdieturn uti possidetis und der rei vindicatio36 macht es augenscheinlich, daß in älterer Zeit Besitz und Eigentum nicht so scharf wie im klassischen Recht voneinander getrennt waren. Die rechtliche Funktion des Interdiktenbesitzes zeigt sich auch in klassischer Zeit noch darin, daß, jedenfalls nach der Meinung einiger Klassiker, der Interdiktenbesitz auch für die Beklagtenrolle bei der rei vindicatio des Formularprozesses bestimmend war87 • Als Regelfall des Interdiktenbesitzes wurde in klassischer Zeit der Eigenbesitz angesehen. Insofern stimmen Interdiktenbesitz und possessio civilis überein. Der Eigenbesitz setzt voraus, daß der Inhaber die Sache für sich selbst haben und an niemanden herausgeben will. Eigenbesitzer in diesem Sinne ist derjenige, der sich, sei es zu Recht, sei es aus Irrtum, für den Eigentümer der Sache hält, aber auch derjenige, der seine Nichtberechtigung kennt und trotzdem die Sache behalten will. Doch hat man den Interdiktenbesitz, anders als die possessio civilis, auch auf bestimmte Fälle des Fremdbesitzes erstreckt: den Besitz des Erbpächters, des Prekaristen, des Pfandgläubigers und des Sequesters38. 3. Neben der possessio civilis und dem Interdiktenbesitz stehen andere Tatbestände faktischer Sachgewalt, die weder als Grundlage für die usucapio dienen, noch den Schutz durch die regelmäßigen Besitzinterdikte rechtfertigen. Diese Tatbestände werden in den Quellen bisweilen als possessio oder possidere bezeichnet39, häufiger als possessio naturalis (im Gegensatz zur possessio civilis) 40 oder als in possessione esse, in possessionem ireoder mittere41•

Vis ex conventu. Manus conserere. u Auf Grund der fructus licitatio bei dem Interdikt; vindicias dicere nach freiem Ermessen des Gerichtsherrn bei der rei vindicatio. 36 Zu den Einzelheiten des interd. uti possidetis und der rei vindicatio: Kaser I 126, 397 f. und 432 ff.; ders., RZ 66, 325 ff. Dort auch jeweils neuere Lit.; dazu noch Labruna (o. Anm. 32). 38 84

a1 Peg.-Ulp. D. 6, 1, 9. Kaser I 388 f. mit weiteren Nachweisen. 88 Vgl. Paul. D. 41, 2, 3, 23; Ulp. D. 42, 4, 7, 1; Cic. pro Caec. 32, 94. Vgl. Pap. D. 10, 2, 35 = vat. 258; Ulp. D. 10, 4, 3, 15; Paul. D. 22, 1, 38, 10; D. 41, 2, 1 pr./1; D. 41, 2, 3, 3/13; Iav. D. 41, 2, 23 pr.; Pap. D. 41, 2, 49 pr. (dazu oben IV und unten § 6 I 2); Iul. D. 41, 5, 2, 1/2; Ven. D. 43, 26, 22, 1. - Zur naturalis possessio zuletzt vor allem MacCormack, SZ 84 (1967) 47 ff. 41 Vgl. Ulp. D.12, 2, 3, 3; D. 39, 2, 7 pr.; D. 39, 2, 15, 11 ff. as

•o

§ 1 Einleitung

17

Eine umfassendere Bedeutung hat der Besitzbegriff, der die Passivlegitimation zur actio ad exhibendum bestimmt. Diese Klage, die die Einlassung auf eine actio in rem sichern soll, richtet sich gegen den, der die Sache possidet (dolove malo fecit quo minus possideret)42• Hier wird unter dem possidere jegliche tatsächliche Gewalt verstanden, die eine Möglichkeit zum exhibere (und restituere) bietet, auch wenn diese Gewalt weder zur Ersitzung führt noch mit Interdiktenschutz ausgestattet ist43 • Daher wird auch die Frage, ob der Gewalthaber als possessor aus der actio ad exhibendum haftet, wenn sein Gewaltunterworfener eine Sache ergriffen hat, anhangsweise erörtert werden44 • VI. Die römischen Juristen haben sich vor allem mit dem Problem auseinandergesetzt, ob außer den eigenen Haussöhnen und Sklaven noch weitere Personen fähig sind, für den Gewalthaber den Ersitzungs- und den Interdiktenbesitz zu begründen. Ferner war es für sie fraglich, ob auch Gewalthaber, die persönlich zum Besitzerwerb nicht in der Lage sind, wie der infans oder der captivus, durch die Handlungen ihrer Gewaltabhängigen Besitz erlangen können. Diese Fragen wurden in einer umstrittenen Kasuistik behandelt. In der heutigen Forschung geht es vor allem um das Problem, wie die römischen Juristen den Besitzerwerb durch Abhängige dogmatisch erfaßt und begründet haben. Dieses Problem soll im ersten Teil der Untersuchung erörtert werden. Die Lösung ergibt sich in erster Linie aus einem Vergleich der Fälle, in denen die römischen Juristen den Besitzerwerb bejaht haben, mit denen, in denen die Klassiker den Erwerb verneint oder in Frage gestellt haben. Deswegen sind im ersten Teil der Arbeit auch die Grenzen der Anerkennung des Besitzerwerbes durch Abhängige zu behandeln. Im zweiten Teil der Untersuchung soll Antwort auf die Frage gesucht werden, an welche Voraussetzungen die römischen Juristen den Besitzerwerb durch Gewaltabhängige gebunden haben. Nach einigen der uns überlieferten Fragmente ist es erforderlich, daß der Abhängige die Sache entweder mit Wissen des Gewalthabers oder für sein Pekulium ergreift, während in anderen Stellen eine derartige Voraussetzung nicht genannt wird. 42 über die hiermit verbundenen Zweifelsfragen zuletzt Marrone, APal. 26 (1957) 285 ff.; Kaser, Labeo 5 (1959) 218 ff. ; d ers., RIDA 14 (1967) 263 ff.; Talamanca, Iura 10 (1959) 268 ff.; Burillo, SD 26 (1960) 190 ff.; Sachers, RE, Suppl. 10 (1965) 191 ff. sv. exhibere. 43 Insbesondere Ulp. D. 10, 4, 3, 15; Iul.-Ulp. D. 10, 4, 5, 1; Paul. D.13, 6, 2; Pomp. D. 33, 5, 8, 3; zum Besitzbegriff bei der actio ad exhibendum ausführlich Marrone 285 ff. ; Kaser, Labeo 5, 222 f. und RIDA 14, 296; Burillo 254 ff.; Sachers 205 ff. (alle vorige Anm.). u Unten § 26 III.

2 Benöh r

Erster Teil

Die Begründungen für den Besitzerwerb durch Gewaltabhängige und die Grenzen seiner Anerkennung § 2 Der Stand der Lehre

Für den Zweck unserer Untersuchung mag es genügen, einleitend einige markante Auffassungen zu unserem Problem vorzutragen; auf die Einzelheiten wird in der folgenden Darstellung näher einzugehen sein.

Savigny meinte, der Herr erwerbe vor allemkraftseiner juristischen Gewalt über den Repräsentanten das Recht des Besitzes, weil alle Rechte überhaupt durch das Handeln der Hauskinder und Sklaven erworben werden könnten. Doch müsse der Eigentümer, der durch einen Sklaven Besitz erlangen wolle, zugleich den Besitz des Sklaven haben1 • Jhering hingegen sieht es als Folge der juristischen Symmetrie an, daß die Hauskinder und Sklaven, die der Gewalthaber im Besitz hat, für ihn Besitz begründen: "Recht erzeugt Recht, Besitz Besitz" 2 • Bonfante erklärt den Besitzerwerb durch den Sklaven damit, daß die von ihm ergriffene Sache gewissermaßen ein Zubehör des Sklaven werde, so daß sich der Besitz an dem Sklaven ohne weiteres auch auf die Sache erstreckes. Eine vermittelnde Stellung zwischen Savigny und Jhering nimmt Salkowski ein. Er begründet den Besitzerwerb des Hausvaters mit 1 Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl. (1865) 308, trotz der zuvor auf S. 44 gegebenen Erklärung: "Da nämlich der Besitz ursprünglich ein Factum ist, so ist seine Existenz von allen den Regeln unabhängig, welche das Civilrecht oder auch das jus gentium über den Erwerb und den Verlust von Rechten aufgestellt haben." -Die potestas wird als Grundlage für den Besitzerwerb ferner angenommen von Karlowa, Röm. Rechtsgeschichte li (1901) 2366 ; Solazzi, Per il XIV cent. 395; Fuenteseca, AHDE 24 (1954) 560 und 734; Arangio-Ruiz, TR 29 (1961) 100; Santoro, APal. 30 (1967) 213 f. 2 Jhering, Der Besitzwille (1889) 114; ähnlich schon vorher Kniep, Vacua possessio (1886) 248; ders., Gai. Inst. II 1 (1912) 264 ff.; außerdem Rotondi III 148 f.; Bonfante, Corso 111, Dir. reali (1933) 268 ff. und 273 ff.; Voci, Modi 69; Nicosia 19; Wieacker 371 f. 3 Bonfante (vor. Anm.) 269: un ampliamento, un appendice, un aderenzaunter Hinweis auf Paul. D. 41, 2, 1, 6 (dazu u. §§ 5 I 2, 7 I 2, 13 111 2); Ulp. D. 43, 16, 1, 46; D. 50, 17, 118 (dazu u. § 13 III 3).

§ 2 Der Stand der Lehre

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seiner potestas über den Haussohn, den Erwerb des dominus mit seiner possessio an dem Sklaven4 •

Mandry geht bei seiner Deutung nicht von der Natur des Besitzes, sondern von dem Wesen des Pekuliums aus5 • Er sieht das Pekulium als das tatsächliche Vermögen des Gewaltunterworfenen an. Der Gewaltunterworfene kann es ohne Kenntnis oder gar Mitwirkung des Herrn vermehren. Die Vermehrung durch Besitzerwerb trifft jedoch auf die Schwierigkeit, daß für den Erwerb des Besitzes der animus rem sibi habendi des künftigen Besitzers vonnöten ist. Wenn Besitzer im Rechtssinne der Gewalthaber werden soll, wäre für jeden einzelnen Erwerbsakt dessen animus und damit dessen Kenntnis erforderlich. Das aber würde dem Wesen des Pekuliums widersprechen. Wenn man den animus des Gewaltunterworfenen genügen ließe, käme man nicht darum herum, den Gewaltunterworfenen als Besitzer anzusehen, obwohl er zu eigenen Rechten unfähig ist, der Besitz aber eine rechtsähnliche Natur hat. Dieses Ergebnis ließe sich nicht mit dem Grundsatz der Vermögensunfähigkeit der Gewaltunterworfenen vereinbaren. In der rechtsähnlichen Natur des Besitzes, die dem Besitzerwerb des Abhängigen für sich selbst entgegensteht, liegt aber auch der Ausweg, um den Besitzerwerb für den Gewalthaber zu ermöglichen. So wie für den Rechtserwerb die Voraussetzungen in der Person des handelnden Gewaltunterworfenen zutreffen müssen, so auch für den Besitzerwerb. Deswegen sind animus und corpus des Gewaltunterworfenen erheblich, ohne daß er selbst Besitzer im Rechtssinne würde. Auf diese Weise wird der Zweck erreicht, daß der Gewaltabhängige ohne Mitwirkung des Gewalthabers Besitz für sein Pekulium erwerben kann. Wo dieser Zweck fehlt, weil der Gewaltabhängige nicht ex causa peculiari handelt, verlangt die faktische Natur des Besitzes den animus und damit die Kenntnis des Herrn. Wie Mandry den doppelten Aspekt des Besitzes, so betont Sokolowski die Doppelnatur des Sklaven, der zugleich Objekt und vernunftbegabtes Subjekt ist6 • Deswegen genügen der animus und das corpus des Sklaven, um für den Herrn Besitz zu begründen. Es reicht aus, wenn der Herr allgemein die Vermögensmasse des Pekuliums von seinem Willen umfaßt hat. Die Einzelobjekte des Pekuliums braucht er nicht wahrzunehmen, wenn nur der Sklave diese in ihrem Wesen erfaßt. 4 Salkowski, Zur Lehre vom Sklavenerwerb (1891) 165 ff.; ebenso Lauria, Poss., 2. Aufl. (1957) 108 ff. und schon früher Ruggieri, Il possesso I (1880) 348 ff. 5 Mandry, über Begriff und Wesen des Peculium, Fg. Wächter (1869) 46 ff.; ders., Das gemeine Familiengüterrecht I (1871) 75 ff.; II (1876) 127 ff.; ebenso Windscheid-Kipp, Pand. I, 9. Aufl. (1906) 78211 und von Lübtow, St. Grosso II

589. 6

a•

Sokolowski,

Die Philosophie im Privatrecht II, Der Besitz (1907) 155 ff.

20

1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Pernice1 vermutet, daß nach Labeos Auffassung der Gewaltabhängige den Besitz als eine res facti für sich selbst erwerbe, daß aber die an den Besitz geknüpften Vorteile dem Herrn zugute kämen. Nicosia hält dieses für die Meinung aller klassischer Juristen8 und meint, erst die Kompilatoren hätten mit dieser Vorstellung gebrochen9• Die Richtigkeit dieser Meinungen soll im folgenden überprüft werden. Dabei ist mit der Erklärung Paulus', daß der Herr deswegen ohne eigene Kenntnis den Besitz an den Pekuliarsachen erhalte, weil er mit der Einräumung des Pekuliums eine entsprechende "voluntas" kundgetan habe10, zu beginnen. § 3 Erwerb animo domini, corpore filii vel servi I. Paulus leitet seine Ausführungen über den Besitzerwerb durch Abhängige mit den folgenden Worten ein: D. 41, 2, 1, 5 (Faul. 54 ed.): Item adquirimus possessionem per servum aut filium, qui in potestate est, et quidem earum rerum, quas peculiariter tenent, etiam ignorantes, sicut Sabino et Cassio et Iuliano placuit, quia nostra voluntate intellegantur possidere, qui eis peculium habere permiserimus. igitur ex causa peculiari et infans et furiosus adquirunt possessionem et usucapiunt, et heres, si hereditarius servus emat.

Der Besitzerwerb erfordert grundsätzlich, wie Paulus stillschweigend voraussetzt, Kenntnis des Erwerbers. Seine Kenntnis ist entbehrlich, wenn sein Gewaltabhängiger die Sache für das Pekulium erwirbt1 • Daß der Herr den Besitz an den Pekuliarsachen auch ohne eigene Kenntnis erwirbt, begründet Paulus damit, daß die Gewaltunterworfenen mit dem Willen des Gewalthabers besitzen, weil dieser ihnen erlaubt habe, das Pekulium zu haben2 • Voluntas bedeutet hier nicht einen Pernice, Labeo I (1873) 400; li 1, 2. Aufl. (1895) 417 f. Nicosia 22 ff., 90 ff. 9 Nicosia 111. to Faul. D. 41, 2, 1, 5. 1 Nicosia 212 mit 7- 9 streicht et quidem tenent. Beseler 63 und Schutz, CRL 440 verdächtigen earum rerum - tenent. Nicosia bemerkt zu Recht, daß die Basiliken das Fekulium nicht erwähnen (B. 50, 2, 1 = Hb. V 46 = Sch. A VI 2331), übersieht aber, daß ihre Überlieferung im ganzen knapper ist. Der schon von Beseler als Itp.-Indiz genannte Ausdruck et quidem vermag den Verdacht nicht zu erhärten. - Ohne Begründung ist der Vorschlag von Watson 209 f.: et quidem eas res, quas peculiariter tenent, etiam ignorantes usucapimus. 2 Beseler IV 63 und TR 10 (1930) 168: quia rell. itp. Schulz 440; Nicosia 212 f.; v. Lübtow, St. Grosso II 588; G. Longo, Et. Macqueron (1970) 452: quia - permiserimus sei itp. Faulus habe die Beweisführung mit den drei Juristen abgeschlossen, entsprechend seiner Übung, die Autoritäten zum Schluß eines Gedankenganges zu präsentieren. Jedoch mag die Zusammenfassung in der Mitte des Textes der Überrest eines später gekürzten Litera7

8

§ 3 Erwerb animo domini, corpore filii vel servi

21

verdeckten inneren Willen, sondern die nach außen in Erscheinung getretene Willensbetätigung. Den Willen, die Sache des Sklaven zu besitzen, hat der Herr betätigt, indem er dem Sklaven das Pekulium eingeräumt hat. Die voluntas betrifft nur den Pekuliarerwerb. Dem Herrn könnte zwar der innere Wunsch zugeschrieben werden, alle Sachen zu besitzen, die irgendeiner seiner Sklaven auf irgendeine Weise, auch außerhalb des Pekuliums, erwirbt. Dieser Wunsch ist aber, da nach außen nicht in Erscheinung getreten, nicht als seine voluntas anerkannt und daher unbeachtlich. Die Begründung erstreckt sich ausdrücklich auch auf die Fälle des Erwerbes für einen infans, furiosus oder heres, obwohl diese Personen dem Sklaven kein Pekulium eingeräumt haben können und auch zur Äußerung einer rechtlich erheblichen voluntas nicht in der Lage sind3 • Paulus geht offenbar davon aus, daß die Bewilligung des Pekuliums durch den Vater des infans, durch den furiosus selbst vor seiner Umnachtung und durch den Erblasser vor seinem Hinscheiden als Einwilligung in den Besitzerwerb durch den Sklaven für seinen Herrn gilt4. Die voluntas des Gewalthabers, von der Paulus spricht, wird dem animus possidendi gleichzuhalten sein5• Der animus ist zwar nicht auf

eine bestimmte einzelne Sache gerichtet, wie üblicherweise beim Besitzerwerb, sondern umfaßt alle Gegenstände insgesamt, die der Gewaltabhängige in sein Pekulium einbringt. Es handelt sich also um eine Art generellen Beherrschungswillens des Gewalthabers6•

Bei seinen Erörterungen zitiert Paulus die Juristen Sabinus, Cassius und Julian. Warum die Anrufung dieser Autoritäten geboten ist, bleibt unklar. Die Zitierung könnte darauf hinweisen, daß der Besitzerwerb durch Abhängige ohne eigene Kenntnis des Gewalthabers umstritten war. Aber für eine derartige Kontroverse gibt es keine weiteren Spuren in den Digesten7 • Eher wäre denkbar, daß die genannten Juristen zu der turberichtes sein, dessen letztes Argument, die Gestattung des Gewalthabers, noch erhalten wurde. Auch die Formen intellegantuT und nostra voZuntate qui beweisen noch nichts für inhaltliche Veränderungen durch die Kompilatoren, vgl. Wieacker 376 mit20 . - Im übrigen zur Textkritik u. § 9 IV 2. a Mandry, über Begriff und Wesen des Peculium, Fg. Wächter (1869) 45 und 50; Jhering, Der Besitzwille (1889) 278; Cornil, Traite de la possession (1905) 170; Windscheid-Kipp, Pand. I, 9. Aufl. (1906) 78211 ; BuckZand 2572 und MicoZier 55644 • - Nicosia 214 sieht hierin einen weiteren Grund für seinen Argwohn gegenüber der überlieferten Erklärung; ebenso v. Lilbtow, St. Grosso II 588 ff. 4 Vgl. Ulp. D. 15, 1, 7, 1; ähnlich Micolier 565 ff. und v. Lilbtow 59038 d. 5 Siber 141 11 ; s. auch Cannata, SD 26 (1960) 89 und 100 f . 8 Keine Bedenken gegen diesen Inhalt der Aussage bei De Francisci 1004; Bonfante 271 und 281; Siber 14P1 ; Hägerström I 103; Kaser I 393; Cannata 100 f.; Wieacker 376 und 386; Burdese 524 und Gordon 296 f. 7 Watson 209.

22

1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

von Paulus vorgetragenen Begründung beigetragen haben8 , quia permiserimus. Doch spricht gegen diese Annahme, daß Paulus zuerst die Juristen nennt und danach die Begründung gibt. Vielleicht wollte Paulus an diesem entscheidenden Punkt seiner Darlegungen dem Leser nur vor Augen führen, daß er sich auf dem sicheren Boden allgemein anerkannter Grundsätze bewegt.

II. Auch Papinian zieht die Lehre vom Besitzerwerb corpore et animo heran, um die Besitzbegründung durch Abhängige zu erklären: D. 41, 2, 44, 1 (Pap. 23 quaest.): Quaesitum est, cur ex peculii causa per servum ignorantibus possessio quaereretur. dixi ... nec tarnen eo pertinere speciem istam, ut animo videatur adquiri possessio: nam si non ex causa peculiari quaeratur aliquid, scientiam quidem domini esse necessariam, sed corpore servi quaeri possessionem. Der Besitzerwerb durch Abhängige erschien den Juristen problematisch. Das zeigt schon die Aufnahme der Frage in Papinians Quaestionent und die weitläufige Antwort, zu der sich der Jurist verpflichtet fühlt1°. Er erklärt11 : Obwohl der Herr ohne eigene Kenntnis den Besitz an den Pekuliarsachen erlange, gehöre dieser Fall12 nicht zu denen, in denen der Besitz durch den animus als erworben gilt; denn wenn eine Sache ohne Bezug auf das Pekulium ergriffen werde, sei zwar die Kenntnis des Herrn erforderlich, aber der Besitzerwerb erfolge durch das corpus des Sklaven. 8 Cannata 100 f. und Di Lella 44545 wegen des nachfolgenden Konjunktivs; ebenso v. Lübtow (o. Anm. 2).- Micolier 55644, 565 ff. und Gordon 296 f. mit48 jedoch unter der weiteren Einschränkung, daß sich Paulus die von den drei Juristen angebotene Begründung nicht zu eigen gemacht habe. 9 In B. 50, 2, 44, 1 bei Hb. V 53 = B. 50, 2, 43, 1 bei Sch. A VI 2339 ist die Frage-Antwort-Form weggefallen. - Beseler V 12 streicht das ganze Fragment denn "cur = warum" sei meistens unecht. Das Argument ist um so weniger glaubwürdig, als es ein Fragment aus einer Quaestionen-Sammlung betrifft. - Schulz, AHDO-RIDA 1 (1952) 557 ff. rechtfertigt gerade "das quare und die Rationalisierung der römischen Rechtswissenschaft" im Rahmen der von ihm angekündigten "Papinianstudien". 1o Beseler III 135 streicht nec tarnen rell. als "Paraphrastenarbeit"; in IV 65 streicht er ohne weitere Begründung auch den davor stehenden, hier nicht abgedruckten Satz; in V 12 erklärt er das ganze Fragment für unecht (dazu vor. Anm.). - Für Unechtheit ab nec tarnen auch Seligsohn, Justa possessio (1927) 44161• - G. Longo (o. Anm. 2) 451 eliminiert die Beziehung auf die Lehre von anirnus und corpus, nec tarnen - nam und sed corpore rell. 11 Zu der in dem hier nicht abgedruckten Satz gegebenen Begründung unten §§ 17 I und 18 II. 12 istarn zeige die Itp. an: so Beseler III 135; weitere Nachweise zu diesem Wort bei Guarneri Citati, Indice (1927) 49 f. Es ist richtig, daß das Wort in interpolierten Sätzen erscheint. Aber ebenso sicher ist es klassisches Latein und auch in unverfälschten Sätzen anzutreffen, wie Beseler selbst einräumt. - Beseler IV 65 und SZ 66 (1948) 365 sowie Siber 141 halten species in der Bedeutung von "Rechtsfall" für unecht; weitere Nachweise bei Guarneri Citati 83. Dieses Argument ist ebenso zweifelhaft wie das vorhergehende. Von Lübtow (o. Anm. 2) 591 ersetzt speciern istarn durch hoc.

§ 3 Erwerb animo dom.ini, corpore filii vel servi

23

Gewiß enthält dieser Teil nur noch Ruinen des ursprünglichen, auf animus und corpus aufgerichteten Denkgebäudes. Der Hinweis auf den animus ist wegen seiner Unvollständigkeit rätselhaft13 • Papinian wird gemeint haben, daß der Erwerb mit Hilfe des Sklaven nicht als Erwerb solo animo, sondern als Besitzbegründung mit den Elementen von animus und corpus anzusehen sei. Diese Auslegung ist angesichts des letzten Satzes über das corpus und im Hinblick auf die Ausführungen im § 2 über den Verlust des Besitzes, den wir corpore nostro oder servi vel etiam coloni corpore innehaben, sowie über die Winter- und Sommerweiden am wahrscheinlichsten. Aber Papinian könnte auch gesagt haben, daß der Erwerb nicht animo servi, sondern animo domini erfolge14• Oder Papinians Gedanke kann der gewesen sein, daß der Erwerb ausnahmsweise nicht von dem animus domini abhänge15 • Welche die Ansicht des Juristen war, bleibt trotz unserer Vermutung im Dunkeln, zumal der Text nur die negative Bestimmung (nec tarnen), nicht aber die wahrscheinlich danebenstehende positive Erklärung Papinians aufbewahrt. Auch wenn die Überlieferung lückenhaft ist, läßt sich doch der Sinn der letzten Worte nam si non ex causa peculiari rell. klar erkennen16• Papinian vergleicht die beiden Erwerbsformen des Handeins auf Befehl des Herrn und des Handeins für das Pekulium, indem er zuerst den Unterschied und dann das Gemeinsame herausstellt. Der Unterschied besteht darin, daß beim Ergreifen der Sache auf Befehl des Herrn - ohne Bezug auf das Pekulium - dessen Kenntnis für den Besitzerwerb erforderlich sei. Bei dem Erwerb für das Pekulium bedarf es hingegen seiner Kenntnis nicht, wie dem Fragesteller bekannt ist und deswegen nicht noch einmal betont zu werden braucht. Die Kenntnis des Herrn wird gewissermaßen durch das Pekuliarhandeln ersetzt. Dieses ist der einzige Unterschied zwischen dem Erwerb auf Befehl des Herrn und dem Erwerb ex causa peculiari. Die beiden Erwerbsformen unterscheiden sich nicht etwa dadurch, daß in dem einen Fall der Herr den Besitz animo et corpore und in dem 13 Beseter III 135; De Zutueta 108; Watson 212 nehmen schon deswegen erhebliche Eingriffe in den Text an. - Von Lübtow (o. Anm. 2) 591 streicht animo und schreibt stattdessen per servum. - Vgl. auch G. Longo (o. Anm. 2)

451.

14 Ankum, Symb. David I 11 f. Siber 141 erwägt: nec tarnen eo hoc pertinere, ut omnimodo animo servi videatur adquiri possessio. 15 Burdese 52316: nec ... animo domini videatur adquiri possessio. Nicosia 205 f. kommt zu einer ähnlichen Aussage, indem er den Schlußteil lauten läßt: nam corpore et animo servi quaeri possessionem. 16 si non ex causa pecutiari sed itp. nach Nicosia 207 wegen Erwähnung des Pekuliums und wegen Störung des Gedankenganges. Dazu unten §§ 17 I und 18 II.

24

1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

anderen solo animo erlangte. Im Gegenteil: Papinian betont als das Gemeinsame beider Erwerbsformen, daß sie sich corpore servi vollziehen. Damit widerlegt Papinian den möglichen Einwand, daß es am corpus fehle 17, der Besitzerwerb des Herrn also entweder ausgeschlossen oder nur solo animo anerkannt sein könnte. Der Gedankengang mag in den Digesten verkürzt überliefert sein. Die Wiedergabe in den Basiliken18 ist noch knapper und beschränkt sich auf die beiden Ergebnisse, daß der Herr alle Pekuliarsachen besitze, daß er aber an anderen Sachen nur nach eigener Kenntnis und nach körperlicher Bemächtigung durch den Sklaven Besitz erlange. Die Fälle, in denen die Juristen das Erfordernis des corpus fallenlassen, und auf die Papinian anspielt, unterscheiden sich deutlich von denen des Sklavenerwerbs. Entweder wird dort die Sache wegen ihrer Beschaffenheit überhaupt nicht bewegt19 ; oder die Sache wird zwar bewegt, aber auf seiten des Erwerbers fehlt es an einem tätigen Handeln, das als Besitzergreifung corpore gekennzeichnet zu werden verdient - so, wenn der Verkäufer die Sache vor den Augen des Käufers niederlegt20 oder in dessen Haus abgibt21 oder wenn derErwerbernur einen Wächter bei der überlassenen Ware aufstellt22 • Um Besitz animo solo handelt es sich schließlich bei den oft behandelten und auch im folgenden Paragraphen von Papinian erwähnten Sommer- und Winterweiden. Damit ist es klar, daß der Erwerb durch Sklaven corpore servi erfolgt. Wahrscheinlich aber gab es Juristen, die diesen Fall zu der Gruppe des Besitzes solo animo rechnen wollten. Die Begründung des Besitzerwerbes mit der voluntas des Herrn und dem corpus des Abhängigen23 , wie sie sich aus einer Zusammenschau der Erklärungen von Paulus und Papinian ergibt, vermag noch nicht endgültig zu befriedigen. Zunächst bleibt bei dieser Begründung offen, warum es, wie andere Fragmente zeigen24 , bei dem Besitzerwerb auch 17 Gerade diese Frage halten die in Anm. 10 und 13 Genannten für töricht. -Zum Erwerb solo animo in unserem Fall vgl. zuletzt Cannata 89; Burdese 533 f. und Gordon 298 f. 18 S. o. Anm. 9. 19 Vgl. die Beispiele oben § 1 bei Anm. 13 bis 16 zur sogenannten longa manu traditio. 20 Iav. D. 46, 3, 79; Literatur zu dieser Stelle und den beiden folgenden Fragmenten oben§ 1 Anm. 16. 21 Cels. D. 41, 2, 18, 2. 22 Iav. D. 41, 2, 51. 23 Auch an anderen Stellen verwenden die Juristen den Ausdruck, der Herr besitze etwas durch das corpus des Sklaven: Pap. D. 41, 2, 44, 2: "quod servi ... corpore possidetur"; Pap. D. 41, 2, 47: "cuius corpore ceteras quoque res possumus possidere"; PS. 5, 2, 1 (dazu u. §§ 9 I 2 und 17 III). 24 Unten§ 9.

§ 4 Die potestas an dem Abhängigen

25

auf die Vorstellungen des Gewaltabhängigen ankommt. Außerdem erklären die Juristen nicht, auf welche Weise die Ergreifungshandlung des Abhängigen dem Gewalthaber zugerechnet wird, warum also der Gewalthaber corpore servi aut filii Besitz erwerben kann25 • Es bleibt auch unklar, warum nur ein Gewaltabhängiger für den Gewalthaber, nicht auch ein Gewaltfreier für einen anderen Gewaltfreien Besitz zu begründen imstande ist. § 4 Die potestas an dem Abhängigen als Erklärung für den Besitzerwerb des Gewalthabers I. 1. Paul. D. 41, 2, 1, 5 erkennt nur den Besitzerwerb per servum aut filium, qui in potestate1 est, an2 • Die potestas über den Haussohn be-

deutet die väterliche Gewalt, die über den Sklaven das Eigentum3 •

2. Die Abhängigkeit des Besitzerwerbes von der potestas des Gewalthabers zeigt sich auch bei Gai. 2, 89: Non solum autem proprietas per eos quos in potestate habemus adquiritur nobis, sed etiam possessio; cuius enim rei possessionem adepti fuerint, id nos possidere videmur; unde etiam per eos usucapio procedit'. Die der potestas des Hausvaters Unterworfenen begründen für diesen nicht nur Eigentum, sondern auch Besitz. Die von ihnen ergriffenen Sachen werden dem Besitz des Gewalthabers zugerechnet; daher kann er die Sachen auch ersitzen5 • 3. Der Besitzerwerb des Vaters wird sogar dann bejaht, wenn er von seiner potestas über den Sohn nichts weiß: D. 41, 2, 4 (Ulp. 67 ed.): Quidquid filius peculiari nomine adprehenderit, id statim pater eius possidet, quamvis ignoret in sua potestate filium. amplius etiam si filius ab alio tamquam servus possideatur, idem erit probandum. Die ignorantia des Vaters6 kann sich damit erklären, daß er eine vorgenommene Adoption an einen anderen Gewaltfreien irrtümlich 25 Rotondi 108 f. sieht den Gewaltunterworfenen als etwas ähnliches wie die longa manus des Gewalthabers an. 1 Im allgemeinen wird ergänzt: in potestate (nostra). 2 Zu Paul. D. 41, 2, 1, 5 s. schon oben §§ 1 II und 3 I, unten §§ 8 II, 9 IV 2, 18 I und 20 111. 3 Gai. 1, 52 und 54. ' Inhaltlich übereinstimmend Gai. D. 41, 1, 10, 2 und I. 2, 9, 3; zu den Unterschieden unten § 27 IV 1. 6 Im übrigen zu Gai. 2, 89 auch noch § 24 111 2. 6 Micolier 557'8 und Reggi, Liber homo (1958) 413 f. behaupten die Unechtheit von quamvis rell. Gegen diese Behauptung zu Recht Nicosia 27321 ; Watson 210 und Di Lella 459: erstens gibt es keine formalen ltp.-Indizien, und zweitens wäre die Feststellung bis eius possidet, der Vater sei Besitzer der (Pekuliar-)Sachen des Sohnes, zu banal.

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

für wirksam hält7. Es kann auch die Manzipation zum Zwecke der noxae deditio oder die Emanzipation an einem Formfehler gescheitert sein8 • Oder der Großvater, in dessen potestas sich bislang Vater und Sohn befunden hatten, kann gestorben sein9 oder eine capitis deminutio erlitten haben. Es ist auch denkbar, daß der Vater seinen Sohn irrtümlich für tot hält10• In all diesen Fällen ist es möglich, daß der Sohn, der sich ohne Kenntnis des Vaters in dessen patria potestas befindet, Sachen für sein Pekulium beschafft, und daß der Vater ohne weiteres, statim, Besitzer der Sachen wird11 • Statim deutet an, daß es der Kenntnis des Vaters von der Besitzergreifung nicht bedarf. Dasselbe soll sogar dann gelten, wenn der Sohn von einem anderen wie ein Sklave gehalten wird12 • Nach diesen Worten kommt es nicht darauf an, ob der andere Herr bös- oder gutgläubig ist, ob der Sohn die Sache auf Weisung des anderen Herrn oder für das von dem anderen bestellte Pekulium erwirbt. Alle diese Fragen, die bei dem Besitzerwerb des "Scheinherrn" durch einen "Scheinsklaven", einen servus alienus oder einen homo liber bona fide serviens, erheblich sind13, werden hier beiseitegelassen. Es ist nicht zu erkennen, ob Ulpian in seinem Originaltext diese Einzelheiten genannt hat und die Kompilatoren sie zum Zwecke der Abkürzung weggelassen haben; oder ob Ulpian jeglichen Erwerb des filiusfamilias, der in dessen Pekulium fiel, dem Besitz des wirklichen paterfamilias zurechnen wollte, weil er die Interessen der Familie und die potestas des paterfamilias für schutzwürdiger hielt als die Interessen und den Wirtschaftsverband des anderen dominus. Angesichts der sogleich zu besprechenden Äußerung Papinians hat die zweite Alternative eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich. II. 1. Papinian behandelt den Erwerb durch jemanden, der zu Unrecht als Haussohn eines anderen angesehen wird: D. 41, 3, 44 pr. (Pap. 23 quaest.) : Iusto errore ductus Titium filium meum et in mea potestate esse existimavi, cum adrogatio non iure intervenisset: eum ex re mea quaerere mihi non existimo .. .U. 7 Einen derartigen Fall behandeln Herrn. D. 41, 2, 50 pr. und Pap. D. 41, 3, 44 pr.- dazu sogleich im Text. s Wieacker 38028; dagegen Watson 210. 9 Bonfante 281. 10 Vgl. Salkowski 16912 und Di Lella 45880 • 11 Solazzi 352; Hägerström I 90 (104) 3 ; Bonfante 281; Fuenteseca 575; Wieacker 380; Di Lella 458 f.- Dagegen wird peculiari nomine für unecht gehalten von Beseler 64; Micolier 55748 ; Schulz 440; Nicosia 272; Watson 210. 12 Buckland 347; De Zulueta 91 und Nicosia 27321 haben Bedenken wegen des zweiten Satzes, amplius etiam rell. Beseler 64 hält in diesem Fall ein väterliches Pekulium · für wenig wahrscheinlich, denkt aber offenbar nicht an die Möglichkeit eines mit dem ihm anvertrauten Gut verschleppten und verkauften Haussohns. 1a Dazu unten §§ 5 I und 13. 14 Zum Fortgang der Stelle unten § 13 IV 2.

§ 4 Die potestas an dem Abhängigen

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Ein Gewaltfreier15 sollte durch Adrogation an Kindes Statt angenommen werden. Die Adrogation ist aber wegen eines Formfehlers oder sonstigen rechtlichen Mangels fehlgeschlagen. Die Beteiligten wissen jedoch nichts von dem Mangel. Der "neue Haussohn" lebt bei seinem "neuen Hausvater". Es ist fraglich, ob die von dem angeblichen Haussohn erworbenen Sachen dem scheinbaren Hausvater zukommen. Die Antwort war zweifelhaft. Es war zu bedenken, daß der neue Hausvater gutgläubig war und der Haussohn den Erwerb aus dessen Mitteln bewirkt hat, daß insbesondere der Erwerb durch den "Scheinsklaven" allgemein Anerkennung gefunden hat. Papinian aber "glaubt", der Haussohn könne seinem neuen Hausvater nichts erwerben. Ausgeschlossen ist auch der Erwerb des im 23. Buch der Quaestionen behandelten Ersitzungs besitzes16. 2. Zu demselben Ergebnis kommt - vielleicht nach der Vorlage Papinians17 D. 41, 2, 50 pr. (Hermog. 5 iuris epit.): Per euro, quem iusto duetus errore filium meum et in mea potestate esse existimo, neque possessie neque dominium nee quiequam aliud ex re mea mihi quaeritur. Hermogenian erklärt ausdrücklich, daß der fremde Haussohn seinem scheinbaren Hausvater auch keinen Besitz erwerben kann. III. Über die Besitzverhältnisse in dem Fall, daß der Haussohn gewaltfrei geworden ist, sagt D. 41, 3, 44, 4 (Pap. 23 quaest.): Filius familias emptor alienae rei, euro patrem familias se faetum ignoret, eoepit rem sibi traditam possidere: eur non eapiat usu, euro bona fides initio possessionis adsit, quamvis euro se per errorem esse arbitretur, qui rem ex eausa peeuliari quaesitam nee possidere possit? ... Der Haussohn hat eine Sache ex causa peculiari erworben. Dabei befand er sich in einem doppelten Irrtum. Erstens wußte er nicht, daß er selbst inzwischen gewaltfrei geworden war. Dieser Fall konnte eintreten, wenn sein Vater gestorben war und er davon nichts erfahren hatte. Zweitens war ihm nicht bekannt, daß die Sache nicht dem Veräußerer gehörte. Dennoch meint Papinian, daß er die Sache besitze und daß er sie ersitzen könne. 15 Da in dem Abschnitt von der adrogatio die Rede ist, muß es sich um einen Gewaltfreien handeln, vgl. Kaser I 347. Bei dieser Auslegung besteht kein Grund, mit Bergman, Beitr. zum röm. Adoptionsrecht (1912) 115 f. die Worte et in mea potestate zu streichen und adrogationem durch adoptionem zu ersetzen: Peters, SZ 33 (1912) 586; Liebs, Hermogenians Iuris Epitomae (1964) 83. 16 Vgl. Lenel, Pal. I 862 = Pap. Nr. 307. 17 Liebs (o. Anm. 15) mit weiteren Nachweisen.

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1. TeH: Besitzerwerb -Begründungen und Grenzen

Papinian ist der Ansicht, daß der Irrtum über die eigene Besitzfähigkeit18 unerheblich ist19 • Entscheidend ist die wirkliche Besitzfähigkeit20. Diese wurde begründet, sobald der frühere Haussohn gewaltfrei wurde. Damit übereinstimmend erklärt Papinian wenig später21 , daß der Haussohn die von ihm erworbene Sache ersitze, falls der Hausvater in der Kriegsgefangenschaft stirbt. Für unsere spätere Untersuchung ist auch erheblich, daß, wie ausdrücklich gesagt wird, der frühere Haussohn die Sache ex causa pecuZiari erworben hat22 • Dieses Detail wird andeuten, daß in der Regel nur Pekuliarsachen als Besitzerwerb für den Hausvater in Frage kommen. Die Äußerung, daß der Sohn, solange er in der patria potestas steht, eine aus dem Pekulium bezahlte Sache nicht besitzen kann, darf nicht etwa zu dem Gegenschluß verleiten, daß er andere, nicht dem Pekulium zuzurechnende Sachen in Besitz haben könne. IV. Der Zusammenhang zwischen der potestas über eine Person und dem Besitzerwerb durch diese ergibt sich auch aus D. 41, 2, 23, 2 (Iav.1 ep.): ... neque enim rerum natura recipit, ut per eum aliquid possidere possimus, quem civiliter in mea potestate non habeo. Mit diesen Worten verneint Javolen - wie an späterer Stelle ausführlich zu erläutern ist23 - den Besitzerwerb desjenigen, der einen anderen Freien gewaltsam festhält, an dessen Sachen. Es widerspreche der Natur der Sache, daß wir durch eine Person, die ich von Rechts wegen24 nicht in meiner potestas habe, etwas besitzen25 • 18 Anders aber Voci, Modi 230 und v. Lübtow, Fs. 41. Juristentag Berlin (1955) 161: es fehle dem früheren Haussohn der animus, die Sache für sich zu erwerben. Doch offenbar kommt es nach Papinians Meinung auf einen derart spezialisierten animus nicht an. Das gleiche Problem behandelt Papinian noch einmal in § 7 desselben fr. mit dem gleichen Ergebnis, dazu u. § 21 IV. - Zum animus possidendi s. zuletzt insbes. Burdese, St. Biondi I 517 ff. und MacCormack, SZ 86 (1969) 105 ff., ferner Cannata, SD 26, 71 ff. 19 Hausmaninger, Die bona fides des Ersitzungsbesitzers (1964) 75: Entscheidung nach dem Grundsatz plus est in re quam in existimatione. 20 Alibrandi, Opp. 229; Beseler II 90; V 11; St. Bonfante II 81; SZ 45 (1925) 227; Voci, L'errore (1937) 174 und Modi 230; v. Lübtow (o. Anm. 18) halten die Entscheidung für itp. - Zu den formalen Anstößen noch zuletzt - abwägend - Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem (1962) 82. - Anders als von Papinian überliefert, hat zwar Nerat. D. 47,19, 6 entschieden, aber die Fälle sind nicht ganz identisch, außerdem mag eine Kontroverse zwischen den beiden Juristen vorliegen. Für inhaltliche Echtheit von fr. 44, 4 auch Mayer-Maly a.a.O. 21 Pap. D. 41, 3, 44, 7 -dazu unten § 21 IV. 22 Ohne Begründung verdächtigt von Beseler, SZ 45 (1925) 227. Insofern aber keine Beanstandung bei Beseler II 90. 23 Unten § 5 II. u Riccobono 33!3; Bonfante, Scr. III 539d ersetzen civiliter durch iure civili. Doch war der Sprachgebrauch der Juristen weniger verfestigt, als Riccobono und Bonfante annehmen. Inhaltliche Bedenken werden insoweit nicht erhoben.

§ 4 Die potestas an dem Abhängigen

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V. Die bisherigen Äußerungen haben ergeben, daß der Besitzerwerb von der potestas des Gewalthabers über denjenigen, der die Sache ergreift, abhängt26 • Fehlt es an der potestas, so ist der Besitzerwerb ausgeschlossen27 • Ist die handelnde Person gewaltfrei, so ist sie selbst Besitzer der von ihr ergriffenen Sachen28 • Wäre der Besitzerwerb von der patria potestas über den Haussohn und vom Eigentum an dem Sklaven unabhängig gewesen, dann hätten der Haussohn und der Sklave den Besitz auch für einen Dritten erwerben können; einen Satz dieses Inhalts hat es aber nicht gegeben. Auch wäre dann der Besitzerwerb durch einen Gewaltfreien unproblematisch und bis zur späten Klassik nicht auf den Erwerb durch einen Prokurator oder Tutor beschränkt gewesen. In bestimmten Fällen, wie dem Erwerb durch den bona fide serviens29 und den Nießbrauchssklaven30, wird jedoch von dem Erfordernis der potestas an der Hilfsperson abgesehen. Die potestas ist auch nicht- wie es insbesondere Savigny formuliert hat31 - der wesentliche Grund für den Besitzerwerb des Herrn. Sie ist lediglich eine, wenn auch besonders wichtige, Voraussetzung für die Anerkennung seines Besitzes. Keiner der Juristen stellt einen Zusammenhang her zwischen den allgemeinen Erfordernissen des Besitzerwerbes, insbesondere der tatsächlichen Gewalt über die Sache, und der potestas. Wäre die potestas die wesentliche Grundlage für den Besitzerwerb, so würde nicht nur der Erwerb durch den bona fide serviens und den Nießbrauchssklaven unerklärbar sein. Es wäre auch unerfindlich, warum der Besitzerwerb durch den verpfändeten32 , geflohenen33 oder der Stadtgemeinde gehörenden34 Sklaven umstritten war oder sogar unzweifelhaft der Ablehnung verfiel, obwohl die Gewalthaber diese Sklaven in ihrer potestas hatten. Wenn die potestas 25 Vor allem wegen des Wechsels von der 1. Pers. Plural zur 1. Pers. Singular und wegen der rerum natura ist der Satz suspekt seit Bremer, Iurisprud. antehadr. II 2 (1901) 467; Albertario VI 198 (Filang. 1911, 516 ff.); Rotondi 1491 ; Hägerström I 204; Beseler V 74; Perozzi I 8542 ; Reggi (oben Anm. 6) 200; vgl. auch Nicosia 32. - Zweifelnd an den Verdächtigungen Lauria 122. - Für Echtheit Solazzi 297~. 26 Paul. D. 41, 2, 1, 5; Ulp. D. 41, 2, 4; Gai. 2, 89. Der Besitzerwerb des Hausvaters durch den Haussohn ergibt sich auch aus Paul. D. 41, 2, 1, 8 (unten § 6 I 3); aus Paul. D. 41, 3, 4, 1 (unten § 12 II 3) und aus Pap. D. 41, 3, 44, 7 (unten § 21 IV). Maec. D. 50, 17, 93 erklärt, daß der Haussohn zu eigenem Besitz unfähig ist, und erlaubt damit den Rückschluß, daß die von ihm ergriffenen Sachen in den Besitz des Vaters fallen. 27 lav. D. 41, 2, 23, 2; Herrn. D . 41, 2, 50 pr.; Pap. D. 41, 3, 44 pr. 28 Pap. D. 41, 3, 44, 4. 29 Ausführlich in den §§ 5 I und 13. 30 Unten § 6 I. 31 Dazu oben § 2 Anm. 1. 32 Unten § 7 II. 33 Unten § 23. 34 Unten § 22.

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

der wesentliche Grund für den Besitzerwerb wäre, dann wäre nicht zu begründen, warum der Haussohn oder Sklave - wie einige Stellen sagen35 - für sein Pekulium handeln muß, um dem Gewalthaber den Besitz zu verschaffen. Nach alledem ist die vorhin gewonnene Erkenntnis, daß im Regelfall der Besitzerwerb des Gewalthabers seine potestas voraussetzt, nicht so zu verstehen, daß stets die potestas den Besitzerwerb zur Folge gehabt hätte. Diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, daß die potestas des Gewalthabers nicht der entscheidende Grund für seinen Besitzerwerb ist. Die römischen Juristen bringen den Besitzerwerb durch einen Sklaven nicht in Verbindung mit der potestas, die der Herr über den Sklaven ausübt. Sondern sie setzen eher die possessio des Herrn an dem Sklaven in Verbindung mit der possessio an den von dem Sklaven ergriffenen Sachen. Auf diese Äußerungen ist im folgenden einzugehen. § 5 Versagung des Besitzerwerbes des Gewalthabers wegen mangelnder possessio an dem Abhängigen I. Nach häufigen Bemerkungen in den Quellen entsteht der Eindruck, daß für den Besitzerwerb des Gewalthabers an den von dem Gewaltunterworfenen erlangten Sachen der Besitz an dem Gewaltunterworfenen entscheidend sei. 1. Auf eine derartige Verknüpfung weisen Pomponius und der von ihm zitierte Proculus bei der Beantwortung der Frage hin, ob der dominus Besitzer der Sachen ist, die sein servus, der sich in den Händen eines bonae fidei possessor befindet, erlangt. Sie verneinen die Frage mit der Begründung D. 41, 1, 21 pr. (Pomp.ll Sab.) : ... quia servum non possideam ...1•

2. Die Frage nach dem Besitzerwerb des wahren dominus stellt sich auch, wenn der Sklave von einem anderen mala fide besessen wird:

D. 41, 2, 1, 6 (Paul. 54 ed.): .. . si mala fide eum possideamus ... nec vero domino ... adquiret, qui ab alio possidetur.

Wieder wird der Besitzerwerb des verus dominus verneint, weil er keinen Besitz an dem Sklaven hat2 • 3. Dasselbe Argument verwendet Pomponius3 in

D. 41, 1, 54,4 ((Pomp.) [Mod.] 31 Quint. Muc.): ... sed nec per servum alieDazu in dem zweiten Hauptteil der Untersuchung, §§ 16 ff. Im übrigen zu der Stelle unten § 13 II. 2 Zu Paul. D. 41, 2, 1, 6 unten §§ 7 I 2 und 13 111 2. s Die überlieferte Inskription verweist auf Modestin. Von Modestin sind aber keine Bücher ad Quint. Muc. bekannt. Statt von ihm stammt das Fragment nach allgemeiner Ansicht von Pomponius, der 39 Bücher ad Quint. Muc. verfaßt hat: Lenel, Pal. II 753 = Pomp. Nr. 308. 35 1

§ 5 Versagung des Besitzerwerbs

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num, quem nos bona fide possidemus, dominus peculiari nomine ignorans usucapere poterit, sicuti ne per fugitivum quidem, quem non possidet4 • In der Regel kann der dominus auch ohne eigene Kenntnis von dem Erwerb eine Sache ersitzen, die sein Sklave peculiari nomine ergriffen hat5 • Das gilt aber nicht, wenn der Sklave bei einem anderen dient6 • Denn auch durch einen flüchtigen Sklaven erwirbt der dominus keinen Besitz, weil er ihn nicht mehr besitzt7. II. Von der Annahme, daß der Besitz an einer Person den Besitz an ihren Sachen nach sich zieht, geht auch Javolen in dem folgenden Bescheid aus: D. 41, 2, 23, 2 (Iav. 1 epist.): Item quaero, si vinxero liberum hominem ita, ut eum possideam, an omnia, quae is possidebat, ego possideam per illum. respondit: si vinxeris hominem liberum, eum te possidere non puto: quod cum ita se habeat, multo minus per illum res eius a te possidebuntur: ...8 • Der Anfragende hält einen Freien gewaltsam fest9 und möchte wissen, ob er jetzt Besitzer von dessen Sachen ist10• Freiheitsberaubung war in Rom ein Verbrechen11 • Daß jemand ein Verbrechen beging und sich anschließend von einem Juristen den Besitz an den Sachen des Unglücklichen bestätigen ließ, wäre seltsam. Die Lösung des Rätsels wird darin liegen, daß der Anfragende der Gläubiger dessen ist, Zum Anfang des Fragments unten §§ 13 III 1 und 25 II. Beseter, SZ 50 (1930) 20 f.; Dukkeit, Erblasserwille (1934) 35; Nicosia 179 ff. und Maschi, DR 510 halten pecuHari nomine ignorans für unecht, weil diese Worte den Gedankengang störten und in B. 50, 1, 53,4 = Hb. V 45 = Sch. A VI 2328 fehlten. Zweifelnd Watson 218 f. Für Echtheit aber noch Beseler IV 63 und jetzt Wieacker 378. e Beseter, SZ 50, 20 f . und Dutckeit (vor. Anm.) streichen die Beziehung auf den servus alienus. Nicosia 170 ff. und 176 ff. meint ausdrücklich, daß Pomponius hier nur den Hber homo bona fide serviens gemeint habe. Dagegen zu Recht Watson 218 f. 7 quem non possidet ist hier kausal, nicht einschränkend gemeint: Rotondi 152 und 156; Albertario II 276 f.; G. Longo, Ric. 462 (AMac. 25, 1961, 1 ff.); Nicosia 412 und Maschi, DR 511. Das ergibt sich aus dem Vergleich mit D. 6, 2, 15 (zu dieser Stelle unten § 23 II), wo der Besitzerwerb durch einen fugitivus einschränkungslos verneint wird, und läßt sich vielleicht auch damit begründen, daß in den Bas. (o. Anm. 5) dieser Passus fehlt. - Anders schon Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl. (1865) 309, und in neuerer Zeit Rabet, St. Riccobono IV 221; Dukkeit (Anm. 5) und Pringsheim I 350: nur der Erwerb durch einen fugitivus, welcher bereits durch einen anderen in Besitz genommen worden sei, sei ausgeschlossen. - Perozzi 8501 ; Dulckeit 36; Carcaterra, AG 120 (1938) 180 halten - ohne stichhaltige Begründung diese Worte für unecht. 8 Der hier folgende Schlußsatz neque enim rell. wurde schon in dem vorangehenden Paragraphen (§ 4 IV) behandelt. 9 Zu vinctus s. Wenger, SZ 61 (1941) 355 ff. 10 Zur Emendation omnia quae is possidebat statt si possidebat: Pescani, St. Betti III 625. 11 Leges PoeteHa, Fabia, IuHa de vi. 4

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

den er nun durch eine Art Beugehaft zur Zahlung seiner Schulden zwingen will. Entweder begeht der Gläubiger Selbstjustiz auf eigene Faust12 ; auch Callistratus rechnet zu denjenigen, die in vinculis sind, die durch potentiores Festgehaltenen13• Oder der Gläubiger vollstreckt an dem Unglücklichen mit magistratischer Genehmigung die Personalexekution14. Zu diesem Zweck durfte er den Schuldner bei sich in Fesseln legen. Ulpian erklärt in anderem Zusammenhang, daß jemand als Gefangener eines Privatmanns, in privata vincula ductus, bei einer .Gerichtsverhandlung zugegen ist15• Das ist praktisch nur möglich, wenn der Gefangene zu Recht von dem Privaten festgehalten wurde. Handelte es sich nun um Gläubiger und Schuldner, so erscheint auch das Interesse des Anfragenden an dem Besitz des Festgehaltenen nicht mehr als völlig abwegig16, sondern als durchaus verständlich17 • Javolen muß aber den Anfragenden enttäuschen. Er hält schon dessen Ausgangspunkt für falsch18• Der Anfragende besitze den Festgehaltenen nicht. Zum Besitz an einem Gewaltfreien genügt also nicht die physische Überwältigung. Im Gegenteil: Die Fesselung zeigt, daß der Anfragende von dem Festgehaltenen keinen Gehorsam erwartet. Der Festgehaltene würde nicht den Befehlen des Anfragenden folgen und würde nicht freiwillig in dem Hausbereich des Anfragenden bleiben. Nur durch körperliche Gewalt ist es möglich, sich den Festgehaltenen zu sichern. An dem äußerlichen Herrschaftsverhältnis, das für den Besitz erforderlich ist, fehlt es um so mehr, als der Festgehaltene ein freier Mann ist. Selbst ein der Personalexekution ausgelieferter addictus bleibt personenrechtlich frei1 9 • Dadurch unterscheidet sich der Festgehaltene etwa von einem widerspenstigen Sklaven, den der Herr nur durch Ketten am Ausbrechen hindern könnte. Es kommt hinzu, daß sich Anfragender und Festgehaltener der Freiheit des letzteren bewußt sind, anders als im Falle des homo liber bona fide serviens. Insofern könnte es auch zu rechtfertigen sein, wenn in einem anderen Fall überliefert wird, es fehle zum Besitz über den Freien am possidendi animus20. Auch das Edikt unterscheidet zwischen denen, die sich in serviEin Beispiel bei v. Woeß, SZ 43 (1922) 485 ff. Call. D. 4, 6, 9 - Echtheitsbedenken bei Wenger (Anm. 9) 371; s. auch Call. D. 48, 19, 28, 7. 14 Zur Personalexekution v. Woeß (Anm. 12); Wenger (Anm. 9) und Kaser, RZ 94 ff. und 300. Zu "Private Prisons" s. 0. Robinson, RIDA 15 (1968) 389 ff. 1s Ulp. D. 4, 6, 23 pr. 16 So aber anscheinend, mala fides voraussetzend, Reggi, Liber homo (1958) 199 ff. 17 Gordon 291 hingegen hält den Anfragenden für einen Schüler Javolens. 18 Damit erklärt sich der von Reggi (Anm. 16) behauptete Widerspruch zwischen dem Anfang possideam und dem Fortgang te possidere non puto. 19 Kaser, RZ 101. 20 Iul.-Afr. D. 12, 1, 41- über den Itp.-Verdacht s. Reggi 194 f. 12 13

§ 5 Versagung des Besitzerwerbs

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tute befinden, und denen, die in vinculis gehalten werden21 • Vielleicht

folgt Javolen allgemeinem Empfinden, dem die Vorstellung bewußten Besitzes über einen freien Bürger zuwider ist22 • Da also der Anfragende den Festgehaltenen nicht in seinem Besitz hat, fährt Javolen fort, besitze er auch nicht dessen Sachen23 • III. Noch in einem weiteren Fall wird der Besitzerwerb deswegen in Frage gestellt, weil es an dem Besitz über den Gewaltabhängigen fehlt. So berichtet Gaius über den Erwerb durch die Ehefrau in manu und den fremden Haussohn in mancipio: Gai. 2, 90: ... an autem possessio adquiratur, quaeri solet, quia ipsas non possidemus.

Die Ehefrau in manu ist gerade wegen ihres sozialen Ansehens aus der potestas24 und erst recht aus der possessio25 ihres Ehemannes herausgehoben. Die durch die coemptio begründete manus-Gewalt liefert die Ehefrau, wie Gaius betont, nicht der servilis condicio aus28 • Dasselbe wird für die durch usus und erst recht für die durch confarreatio in die manus-Gewalt geführte Ehefrau gelten. Sie hat nicht die Aufgabe, wie ein Hauskind oder Sklave dem Gewalthaber zu dienen. Auch der fremde Haussohn27 in mancipio ist nicht vollständig und endgültig der Herrschaftsgewalt des neuen Gewalthabers unterworfen. 21 22

D. 4, 6, 1, 1.

Javolen verneint auch in D. 45, 3, 34 den bewußten Besitz an- einem Freien. Dieselbe Meinung findet sich bei Afr. D. 12, 1, 41 und D. 41, 1, 40, ebenso bei Paul. D. 41, 2, 30, 1. Wenn Paulus in D. 41, 2, 1, 6 von mala fide possidere in Hinsicht auf einen Gewaltfreien spricht, so kann possidere eine unschädliche untechnische Ausdrucksweise sein. Hingegen vermutet Reggi (Anm. 16) pass., die klassischen Juristen hätten den Besitz an einem Gewaltfreien angenommen, erst die Kompilatoren hätten diese Vorstellung abgelehnt. Dementsprechend hält Reggi 199 f. die Antwort Javolens für verfälscht. Angesichts der zahlreichen Quellenzeugnisse, die von bona fide servire und nicht von bona fide possideri sprechen, bleibt die Ausgangsthese Reggis und damit auch sein Itp.-Verdacht ungesichert. Kritisch gegenüber Reggi auch Medicus, SZ 77 (1960) 452 f. Doch ist ein Meinungsstreit der Juristen nicht auszuschließen, vgl. Medicus 453 1• Lauria, St. Solazzi 788 und Poss. 122 f. denkt an eine Sondermeinung Javolens. Für eine Kontroverse spricht auch Javolens vorsichtiges puto. 23 Der Festgehaltene bleibt also Besitzer seiner Sachen. Dem entspricht es, wenn das Edikt von der Möglichkeit ausgeht, daß der in vinculis Gehaltene sogar eine Sache ersitzen kann, Ulp. D. 4, 6, 23 pr. 24 Vgl. Kaser I 57; Arangio-Ruiz, TR 29 (1961) 100. 26 Hingegen meint Perozzi I 4264, daß der Ehemann die Ehefrau in manu nicht besitze, sei erst eine jüngere Ableitung aus dem Satz, daß sie nur filiae loco stehe, aber in Wirklichkeit keine filia sei. Einen Beweis für den von Perozzi angenommenen Schluß gibt es nicht. 26 Gaudemet, AHDO-RIDA 2 (1953) 339: Die Personen in manu mancipiove seien von dem Gewalthaber weniger abhängig als die Personen in potestate. Ähnlich schon Karlowa II 2368. 27 Zum eigenen Haussohn o. § 4; s. auch u. § 6 I 3. 3 Benöhr

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Er bleibt persönlich frei, so daß er in vollgültiger Ehe leben und eheliche Kinder haben kann28 • Er ist vor Beleidigungen durch den neuen Gewalthaber geschützt29• Er kann gegen den Willen des neuen Gewalthabers die Freiheit erlangen, wenn er in die Bürgerliste eingetragen wird30• Die Freilassung beim census ist zwar nicht möglich, wenn er dem neuen Gewalthaber in noxam gegeben wurde31 ; in diesem Fall ist er aber - wenigstens nach spätklassischem Recht - freizulassen, wenn er seine Schuld abgearbeitet hat32 • Da nach alledem die Gewalt des neuen Hausvaters über ihn funktional und zeitlich begrenzt ist, fehlt es an dem Besitz über ihn, obwohl er servi loco habetur33• Gaius beschränkt sich darauf, das Problem darzustellen, das sich daraus ergibt, daß der paterfamilias an der Ehefrau in manu und dem fremden Haussohn in mancipio keinen Besitz hat. Ob Gaius trotzdem den Besitzerwerb durch diese Personen zugelassen hat, ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. IV. In einer letzten Fallgruppe geht es um den Besitzerwerb durch die Munizipalsklaven für die Stadtgemeinde34 • Paulus erklärt, die Stadtgemeinde könne "per se" nichts besitzen35• Nerva findet den Ausweg, daß für die Stadtgemeinde die Munizipalsklaven Besitz begründen können. Dazu berichtet Paulus: D. 41, 2, 1, 22 (Faul. 54 ed.): . .. sed quidam contra putant, quoniam ipsos servos non possideant. Die in dem Fragment erwähnten "quidam" versperren den von Nerva entdeckten Ausweg und lehnen den Besitzerwerb der municipes mittels Sklaven ab. Wer diese Gegner waren, ist unbekannt. Man könnte sie für Sabinianer halten36, wenn in den übrigen Fällen des Sklavenbesitzes zwischen ihnen und den Prokulianern Uneinigkeit herrschte. Aber ein solcher Schulenstreit ist nicht nachweisbar. Man könnte in den quidam ferner die Anhänger der herrschenden Meinung sehen37, wenn nicht noch Ulpian dieselbe Meinung wie Nerva verträte und den Besitzerwerb zuließe38• Eher denkbar ist vielmehr, daß es sich um die letzten Anhänger einer inzwischen überwundenen älteren Auf28

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30 31 32 33

34 35 36 37 38

Vgl. Gai. 1, 135. Gai. 1, 140 f. Gai. 1, 140. Gai.l. c. Pap. coll. 2, 3, 1; dazu Kaser I 302. Gai. 1, 138. Im übrigen zu dem Problemkreis unten § 22. Zu dem folgenden Fragment ausführlich unten § 22 I. Nicosia 42. Nicosia 42 f.

Ulp. D. 6, 2, 9, 6; D. 10, 4, 7, 3; D. 41, 2, 2 - dazu unten§ 22.

§6

Erwerb trotzmangelnder possessio an dem Abhängi.gen

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fassung handelt39, deren scharfsinniges Argument Paulus der Aufbewahrung für wert hielt. Auf welche Weise Nerva und die ihm folgenden Juristen dieses Argument überwanden, ist nicht überliefert. V. In den bisher mitgeteilten Fällen wird der Besitzerwerb des Gewalthabers mit der Begründung abgelehnt oder in Frage gestellt, daß er an seinem bei einem anderen dienenden Sklaven40 , an dem von ihm gewaltsam festgehaltenen Freien41 und an der Ehefrau in manu oder dem fremden Haussohn in mancipio42 keinen Besitz habe. Mit demselben Argument verneinen einige, nicht ihrem Namen nach bezeichnete Juristen den Besitzerwerb der Stadtgemeinden durch die Munizipalsklaven43 . Diese übereinstimmenden Begründungen sprechen für die Annahme, daß im allgemeinen der Besitz über eine Person als Voraussetzung dafür angesehen wurde, daß diese Person für ihren Gewalthaber den Besitz erwerben könnte44. § 6 Besitzerwerb des Gewalthabers trotz mangelnder possessio an dem Abhängigen I. Entgegen den Feststellungen des§ 5 verzichten die Juristen in einer großen Anzahl weiterer Texte bewußt auf die Verknüpfung des Besitzes an dem Gewaltabhängigen mit dem Besitzerwerb durch diesen. Sie bejahen den Besitzerwerb, obwohl sie ausdrücklich einräumen, daß der Gewalthaber im Einzelfall an dem Abhängigen keinen Besitz hat.

1. Das Problem zeigt sich vor allem bei dem Besitzerwerb durch den Nießbrauchssklaven: Gai. 2, 94: De illo quaeritur, an per eum servum, in qua usumfructum habemus, possidere aliquam rem et usucapere possimus1, quia ipsum non possidemus ...2 •

Es ist kontrovers, quaeritur, ob der Nießbraucher die von dem Nießbrauchssklaven erworbenen Sachen besitzt und ersitzt, da der Nießbraucher den Sklaven selbst nicht im Besitz hat3 • Gaius berichtet hier 39 Mitteis, RPR I (1908) 38632 ; Perozzi I 851; Schnorr von Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person I (1933, Neudruck 1969) 2333; Philipsborn, SZ 71 (1954) 59; Wieacker 372. 40 Proc.-Pomp. D. 41, 1, 21 pr.; (Pomp.)[Mod.] D. 41, 1, 54, 4; Paul. D. 41, 2, 1, 6. 41 Iav. D. 41, 2, 23, 2. 42 Gai. 2, 90. 43 "Quidam" bei Paul. D. 41, 2, 1, 22. 44 S. auch Iul.-Paul. D. 41, 2, 1, 15 (dazu u. § 7 II 2). 1 David-Nelson, Kommentar 307 adhl. bevorzugen den Konjunktiv possimus vor dem überlieferten Indikativ possumus. 2 Weiter zu Gai. 2, 94 unten § 13 I 1. 3 Ulp. D. 43, 26, 6, 2; Gai. 2, 93; vat. 90 dazu Grosso, Usufr. 333; Marrone, APal. 28 (1961) 471 ; Wesener, RE 9 A 1162 sv. usus fructus; Bretone, La nozione romana di usufrutto I (1962) 18394 •

a•

36

1. Teil: BesitzeTWerb-Begründungen und Grenzen

von demselben Meinungsgegensatz, der auch die Ehefrau in manu und den fremden Haussohn in mancipio betrifft4 • Nachdem er dieses Bedenken angeführt hat, erklärt sich Gaius jedoch nicht ausdrücklich, sondern begnügt sich für den Besitzerwerb des Nießbrauchers mit einigen Hinweisen6 • 2. Papinian erklärt zu derselben Frage: D. 41, 2, 49 pr. (Pap. 2 defin.): Possessio quoque per servum, cuius usus fructus meus est, ex re mea vel ex operis servi adquiritur mihi, cum et naturaliter a fructuario teneatur et plurimum ex iure possessio mutuetur. Er bejaht den Besitzerwerb mit der doppelten Begründung: erstens übe der Nießbraucher die tatsächliche Gewalt über den Sklaven aus 6 und zweitens enthalte der Besitz auch starke rechtliche Elemente7 • Gai. 2, 90 - dazu oben § 5 III. Er behandelt den Nießbrauchssklaven von § 92 bis § 94 in einem Zug mit dem "Scheinsklaven" (zu diesem unten § 13). Da der Besitzerwerb durch letzteren nach Gaius' eigenen Worten in § 94 "sine dubio" feststeht, wird auch der Besitzerwerb durch den Nießbrauchssklaven anerkannt worden sein. Außerdem sagt Gaius für den Nießbrauchs- wie für den Scheinsklaven (in utrisque personis), daß der Besitzerwerb nur die Sachen ergreift, die mit den Mitteln des Herrn oder aus der Tätigkeit des Abhängigen beschafft wurden. Damit räumt Gaius die grundsätzliche Möglichkeit des Besitzerwerbs durch den Nießbrauchssklaven ein. Schließlich greift Gaius mit der definitio quam proxume exposuimus auf seine Ausführungen zum Eigentumsund sonstigen Rechtserwerb durch den Nießbrauchssklaven zurück. Daß der Ausdruck definitio hier nicht gaianisch wäre (so Solazzi, Scr. Ferrini Pav. 176), ist nicht anzunehmen: Kaser, SZ 70 (1953) 133; Martini, Le definizioni (1966) 64 f., 73. - Justinian hat in I. 2, 9, 4 den Besitzerwerb über alle Zweifel gestellt: ... non solum autem proprietas per eos servos, in quibus usum fructum habetis ..., adquiritur vobis, sed etiam possessio. 8 et naturaliter teneatur et wird häufig verdächtigt. Als formale Indizien werden genannt: die Tautologie naturatiter tenere, die sich nur daraus erkläre, daß in der griechischen Sprache für possessio und detentio dieselben Ausdrücke, xo:roxij und vof.tiJ, verwandt werden (dazu insbesondere Albertario II 159 ff.), ferner der plötzliche Übergang von mihi auf fructuarius, das Fehlen eines Subjekts zu t eneatur und schließlich das et vor naturaliter. Im allgemeinen wird angenommen, die klassischen Juristen hätten naturaUs nur als Gegensatz zu civilis gebraucht, mit einer civilis possessio jedoch habe das Fragment nichts zu tun. - Diese Bedenken sind nicht gerechtfertigt. Mit naturaliter tenere wird die tatsächliche Gewalt, die der Nießbraucher über den Nießbrauchssklaven ausübt, besonders betont. Vielleicht gehört die Wortverbindung zu Papinians persönlichem Stil; er verwendet sie auch in D. 10, 2, 35. Der Übergang von mihi auf fructuarius ließe sich damit erklären, daß der Jurist eine generalisierende Betrachtung einschiebt. et vor naturaliter leitet die erste Begründung ein und ist mit dem et vor plurimum ex iure, in der zweiten Begründung, zu verbinden. - Für den Itp.-Verdacht haben sich ausgesprochen: Kunkel, Symb. Lenel 50; Peterlongo, APer. 50 (1938) 196; Albertario II 177 und 331; Kaser, EB 33730 und 33938 ; Sargenti, Scr. Ferrini Mil. II 2353 ; Solazzi IV 667 (Bull. 49-50, 1947, 372); ders., La tutela e il possesso delle servitu prediali (1949) 101; Pringsheim I 340 und 354 (St. Solazzi 604 f. und 623); Marrone (oben Anm. 3) 51 ff.; Wieacker 372; W esener (oben Anm. 3) 1163. - Keine Bedenken bei Bonfante, Scr. III 539, 554; Riccobono 339; VassaHi III 1, 408 f .; Hägerström I 197 N.; Maschi, La 4

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§ 6 Erwerb trotzmangelnder possessio an dem Abhängigen

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Papinian läßt also statt des Besitzes im technischen Sinne, der am Nießbrauchssklaven fehlt, die tatsächliche Gewalt über den Abhängigen für den Besitzerwerb durch ihn genügen. Die Erwähnung der im Besitz enthaltenen rechtlichen Elemente will andeuten, daß der Nießbraucher durch den Sklaven die mit dem Besitz verbundenen Rechtspositionen ebenso wie Rechte erwerben kann. 3. Vom Besitzerwerb durch Nießbrauchssklaven handelt auch D. 41, 2, 1, 8 (Paul. 54 ed.): Per eum, in quo usum fructum habemus, possidere possumus, sicut ex operis suis adquirere nobis solet: nec ad rem pertinet, quod ipsum non possidemus: nam nec filium.

Auch Paulus zieht den Vergleich zwischen dem Besitzerwerb einerseits und dem sonstigen Erwerb andererseits heran. Den Einwand, daß der Nießbraucher den Sklaven nicht besitze, tut er mit der Bemerkung ab, Besitzerwerb an den Sachen und Besitz an dem Sklaven selbst hätten nichts miteinander zu tun8 • Er fügt noch hinzu: auch der Vater besitze seinen Sohn nicht und erwerbe dennoch den Besitz durch diesen9 • II. Die Frage nach dem Besitzerwerb des Gewalthabers stellt sich auch, wenn über den status der Person, die er bisher als Sklave gehalten hat, ein Prozeß anhängig ist und der Prozeß mit der Feststellung der Unfreiheit endet. Diesen Fall behandelt D. 40, 12, 25, 2 (Gai. ed. praet. urb. tit. de lib. causa): ... tantum de possessione videbimus, cum ipsum post litem ordinatam desinat dominus possidere: sed magis est, ut adquirat, Iicet ab eo non possideatur. et cum placuit per fugitivum quoque nos possessionem adquirere posse, quid mirum etiam per hunc, de quo quaeramus, adquiri? Die Entscheidung, ob der Gewalthaber Besitzer der Sachen wird, die der Gewaltabhängige während der Dauer seines Prozesses erworben hat, ist problematisch: videbimus ... sed magis est ... cum placuit. Gaius räumt ein, daß sich der Sklave während des Verfahrens nicht im Besitz des Herrn befindet, licet ab eo non possideatur. Dennoch bejaht der Jurist den Besitzerwerb10 mit der Begründung, daß der dominus concezione naturalistica (1937) 115 und DR 443; Lauria, St. Solazzi 789 und Poss. 115; De Zulueta 110; Grosso (oben Anm. 3) 206 und 222; Nicosia 36 ff.; MacCormack, SZ 84 (1967) 57; eher für Echtheit jetzt auch Kaser I 3842 und II 18428 ; ders., Iura 13 (1962) 236. 7 Zu diesem Satz, et plurimum rell., oben § 1 IV. 8 Ohne Grund verdächtigt Nicosia 55 f. nec ad rem pertinet rell. Die Überlieferung läßt sich gut halten: Wieacker 372. 9 Im übrigen zum Besitzerwerb durch den Haussohn oben § 4. 10 Hiergegen Ruggieri, 11 possesso I (1880) 474 f.; Albertario II 288 ff.; Micolier 55!54 ; Carcaterra, AG 120 (1938) 181 f .; G. Longo, Ric. 452; Pringsheim I 352; Nicosia 79 ff. und 428 ff. Zweifel auch bei Rotondi 154 ff. und Wieacker 373. - Nicosia 81 ff. beanstandet vor allem sed magis est, quid

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

auch Besitzer der Sachen werde, die sein Sklave während seiner Flucht erlange11 • III. Die Juristen setzen sich auch über den Einwand der von Paulus in D. 41, 2, 1, 22 nicht näher bezeichneten quidam hinweg und lassen den Besitzerwerb durch die Munizipalsklaven zu, obwohl die municipes die Sklaven selbst nicht im Besitz haben können12• IV. Die soeben erörterten Stellen zeigen, daß die römischen Juristen zwar einen Grundsatz, nach dem der Besitzerwerb durch eine Person den Besitz an ihr voraussetzt, kennen. In den überlieferten Fragmenten zum Besitzerwerb des Nießbrauchers13 und des dominus, über dessen Sklaven ein Freiheitsprozeß anhängig war14, geben sie aber den Grundsatz ausdrücklich auf. Sie verlassen ihn ebenfalls bei der Anerkennung des Besitzerwerbes der municipes15• In allen diesen Fällen hätte die Anwendung eines derartigen Prinzips zu unangemessenen Ergebnissen geführt. Sowohl bei dem Einsatz eines Nießbrauchssklaven als auch bei der Tätigkeit eines Munizipalsklaven war es einer der wichtigsten Zwecke, durch diese Sklaven am Rechts- und Wirtschaftsverkehr teilzunehmen und durch sie Rechte und Besitz zu erwerben. Papinian überwindet das Prinzip dadurch, daß er dem Besitz über den Abhängigen die tatsächliche Gewalt gleichstellt16• Paulus bestreitet überhaupt die Geltung eines derartigen Prinzips17. Die Geltung eines derartigen Grundsatzes ist auch schon deswegen zweifelhaft, weil wir nicht wissen, ob jemals der Hausvater als Besitzer seiner Hauskinder, die doch zum Besitzerwerb für ihn fähig sind18, angesehen wurde19• Eine solche Maxime versagt ebenfalls bei mirum, kausales cum mit Indikativ. Diese Mängel mögen auf einer kompilatorischen Zusammenfassung des gaianischen Gedankenganges beruhen. Die Gedankenfolge selbst ist einleuchtend. Ebenso einleuchtend ist die Parallele zum fugitivus; dazu die folgende Anm. - Beseler III 63 strich zwar wegen dieser Mängel et cum rell., änderte aber seine Meinung in IV 199, indem er statt et cum schrieb nam, und lediglich die entbehrlichen letzten Worte quid mirum rell. entfernte. 11 Die Parallele liegt darin, daß in beiden Fällen überhaupt nur der Herr als Besitzer der Sachen in Betracht kommt, doch beidemal seine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit gemindert ist. Darauf, ob der Herr die possessio an dem flüchtigen Sklaven ebenso verloren hat wie an dem Sklaven während des Freiheitsprozesses, kommt es nicht an. Der Vergleich ist in jedem Fall anschaulich genug. - Im übrigen zum Besitzerwerb durch einen flüchtigen Sklaven unten § 23. 12 Dazu oben § 5 IV und unten § 22 I. 13 Paul. D. 41, 2, 1, 8; Pap. D. 41, 2, 49 pr. und Gai. 2, 94. 14 Gai. D. 40, 12, 25, 2. 15 Paul. D. 41, 2, 1, 22. 1e Pap. D. 41, 2, 49 pr. 17 Paul. D. 41, 2, 1, 8. 18 Oben§ 4. 19 Für Besitz des paterfamilias an seinen Hauskindern, insbesondere in

§

7 Versagung desErwerbestrotz possessio an dem Abhängigen

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dem Erwerb für einen Kriegsgefangenen, denn dieser ist zu keinerlei Besitz, also auch nicht zum Besitz über seinen Sklaven, fähig, erlangt oder bewahrt aber dennoch den Besitz durch die Hände seiner Sklaven und Haussöhne, wie noch an anderer Stelle dieser Untersuchung ausgeführt wird20 • Das Dogma erklärt auch nicht den Besitzerwerb für die ruhende Erbschaft oder den Erben vor dem Erbschaftsantritt21 • In allen diesen Fällen wird die Maxime, daß der Besitz an den Sachen, die der Gewaltunterworfene erlangt hat, von dem Besitz an dem Gewaltunterworfenen selbst abhängt, mit keinem Wort erwähnt, sondern mit Stillschweigen übergangen. § 7 Versagung des Besitzerwerbs des Gewalthabers trotz possessio an dem Abhängigen I. In einer weiteren Anzahl von Stellen wird dem Gewaltfreien der Besitzerwerb versagt, obschon er den Gewaltabhängigen, der eine Sache erlangt hat, besitzt. 1. Ulpian lehnt in D. 41, 2, 4 den Erwerb desjenigen, der einen fremden Haussohn wie einen Sklaven besitzt, ab und begünstigt statt des Besitzers den wahren Hausvater1 • 2. Paulus erklärt zum Besitzerwerb des Gewaltfreien, der einen anderen Freien oder einen fremden Sklaven besitzt: D. 41, 2, 1, 6 (Faul. 54 ed.): ... si mala fide eum possideamus, non puto adquiri nobis possessionem per eum ...2 •

Paulus "meint", daß der bösgläubige Besitzer nicht den Besitz erwirbt. Warum, sagt er nicht. Der malae fidei possessor gilt offenbar nicht als schutzwürdig. Er durfte von vornherein nicht mit den Diensten des "Scheinsklaven" rechnen. Der "Scheinherr" machte sich durch die wissentliche Freiheitsberaubung an einem Freien sogar strafbar3• Gegen den Besitzerwerb spricht ferner, daß man auch an den Sachen eines freien Mannes, den man mit Gewalt festhält, keinen Besitz hat4 • Hinter alter Zeit: Jhering, Der Besitzwille (1889) 113 ff.; Kniep, Der Besitz (1900) 20; ders., Gai Inst. II (1912) 264 f.; Bonfante 269; Lauria, St. Solazzi 783 und Foss. 106, 120; Nicosia 27 ff., 52 ff.; Maschi, DR 466 ff.; Santoro, AFal. 30 (1967) 2146 , 416; s. auch Wieacker 372 f. 20 Unten §§ 14 und 21. 21 Unten § 20. 1 D. 41, 2, 4 (Ulp. 67 ed.): Quidquid fiZius peculiari nomine adprehenderit, id statim pater eius possidet ... amplius etiam si fiZius ab alio tamquam servus possideatur, idem erit probandum. - Im übrigen zu der Stelle oben § 4 I 3. 2 Weiter zu Faul. D. 41, 2, 1, 6 oben § 5 I 2 und unten § 13 III 2. 3 4

Leges Poetelia, Fabia, Iulia de vi. Iav. D. 41, 2, 23, 2 -oben §§ 4 IV und 5 II.

1. Teil: Besitzerwerb -Begründungen und Grenzen

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der Entscheidung mag schließlich der Gedanke stehen, daß der Besitzerwerb nicht weiter gehen solle als der Rechtserwerb6 , der aber allein dem bonae fidei possessor zugute kommt6 • II. 1. Auf die Frage, ob ein zum Faustpfand gegebener Sklave für den Verpfänder oder für den Pfandgläubiger Besitz erwirbt, antwortet Julian: D. 41, 1, 37 pr. (Iul. 44 dig.): Per servum, qui pignori datus est, creditori nec possessio adquiritur, quia nec stipulatione nec [traditione] (mancipatione)7 nec ullo alio modo per eum servum quicquam ei adquiritur, quamvis possessio penes eum sit. Der Pfandsklave erwerbe den Besitz nicht für den Pfandgläubiger. Denn auch der Eigentums- und sonstige Rechtserwerb8 gehe nicht an den Gläubiger. Da der Gläubiger an den Sachen, die der Pfandsklave anschafft, weder das Eigentum noch das Pfandrecht noch irgendwelche sonstigen Befugnisse hat, bedarf er nicht des Interdiktenschutzes und folglich nicht der Anerkennung des Interdiktenbesitzes. Ebensowenig wie dem Pfandgläubiger ein Recht an diesen Sachen zusteht, ist ihm die Anwartschaft darauf, der Ersitzungsbesitz, zuzubilligen'. Die Ablehnung liegt um so näher, als der Gläubiger auch den Pfandsklaven selbst nicht ersitzt10, "weil er sich nicht für den Eigentümer des ihm verpfändeten Sklaven halten kann" 11 • Doch hat der Gläubiger den Interdiktenbesitz an dem Sklaven12• Damit erklärt sich das im letzten Satzteil angedeutete Bedenken13 . 2. Es hat sich soeben gezeigt, daß der Gläubiger keinen Besitz an den Sachen des Pfandsklaven hat. Aus anderen Stellen ist bekannt, daß der Schuldner den von ihm zum Pfand gegebenen Sklaven zu ersitzen fortfährt1 4 • Zu beiden Erscheinungen würde es sich fügen, wenn der Vgl. Pernice II 1, 376. Vgl. Ulp. D. 41, 1, 22; Iul. D. 45, 3, 14; Gai. 2, 95. 7 Lenel, Pal. I 435 4 = Iul. Nr. 608; s. auch Ind. 8 Zu der stereotypen Zusammenstellung von Forderungserwerb durch stipulatio und Eigentumserwerb durch mancipatio: Mitteis, SZ 32 (1911) 1 f. 9 Salkowski 136 f.; Buckland 284; Nicosia 33 ff. 10 Gai. D. 6, 2, 13, 1; Paul. D. 9, 4, 22, 1; D. 41, 3, 13 pr.; Iav. D. 41, 3, 16- s. auch Nicosia 85 und 37787. 11 Gaius und Paulus, wie soeben zitiert. 12 Besitz des Pfandgläubigers an der Pfandsache: Gai. D. 6, 2, 13, 1; Paul. D. 9, 4, 22, 1; Florent. D.13, 7, 35, 1; Paul. D. 13, 7, 37; Iav. D. 41, 3, 16; abweichend Macer. D. 2, 8, 15, 2 - dazu Kaser I 389. 18 Heumann-Seckel 415 argwöhnen, daß possessio hier für servus itp. sei. Dagegen zu Recht Seligsohn, Justa possessio (1927) 2695 unter Hinweis auf Iul.-Paul. D. 41, 2, 1, 15 - dazu sogleich unter II 2. 14 Iul. D. 41, 2, 36; Iav. D. 41, 3, 16; Iul. D. 41, 3, 33, 4; dazu Rotondi 1452 ; Lauria 223. - Bedenken nur bei Stintzing, AcP 109 (1912) 36338. Der auf die Ersitzung bezügliche Klammersatz in D. 41, 2, 1, 15 kann auf Julian zurückgehen, Seligsohn (vorige Anm.) 27. 5

1

§ 7 Versagung des Erwerbes trotzpossessio an dem Abhängigen

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Pfandschuldner Besitzer der Sachen wird, die der Pfandsklave anschafft. Diese Lösung lehnt aber Julian ab, wie Paulus berichtet: D. 41, 2, 1, 15 (Paul. 54 ed.): Per servum corporaliter pignori datum non adquirere nos possessionem Iulianus ait (ad unam enim tantum causam videri eum a debitore possideri, ad usucapionem), nec creditori, quia nec stipulatione nec ullo alio modo per eum adquirat, quamvis eum possideat. Der Pfandschuldner erlangt durch den zum Faustpfand gegebenen15 Sklaven keinen Besitz16• Denn der Pfandschuldner hat den tatsächlichen Besitz an dem Sklaven aufgegeben17• Nur in einer einzigen Hinsicht gilt der Verpfänder noch als Besitzer des Sklaven: zur Fortsetzung der Ersitzung. Auch der Pfandgläubiger wird aus den bereits bekannten Gründen nicht Besitzer des Sklavenerwerbes. Julian und Paulus nehmen also in Kauf, daß der Pfandsklave weder für den creditor18 noch für den debitor Besitz begründen kannt 9 • Doch mag diese Meinung umstritten gewesen sein20 •

III. Die Kongruenz des Besitzes an dem Sklaven und des Besitzerwerbes durch ihn wird außerdem in Frage gestellt durch D. 41, 2, 1, 14 (Paul. 54 ed.): Per servum, qui in fuga sit, nihil posse nos possidere Nerva filius ait, licet respondeatur, quamdiu ab alio non possideatur, a nobis eum possideri ideoque interim etiam usucapi ... Nerva21 soll den Besitzerwerb durch den flüchtigen Sklaven abgelehnt, gleichzeitig aber die Fortdauer des Besitzes an dem Sklaven selbst bejaht haben22 • Es ist denkbar, daß der Jurist den Besitz des 15 Corporaliter bringt die tatsächliche Übergabe der Pfandsache im Gegensatz zur Bestellung eines besitzlosen Pfandes zum Ausdruck und ist nicht itp.: Riccobono 3252 und Kaser II 1827 • - Für Itp. aber außer den im Ind. Genannten: Albertario II 1684 ; Beseler, St. Bonfante II 79; Kaser, EB 35452 ; Pringsheim I 354101 ; Nicosia 333 3; zögernd Rotondi 1851 • 18 Der Text ist schlecht überliefert: non adquirere nos possessionem paßt schlecht zu creditori. Mommsen adhl. und Dig. Mil. verbessern adquiri nobis für adquirere nos. Scialoja und De Zulueta 85 verbessern creditorem für

creditori. 17

284.

Vgl. Paul. D. 13, 7, 37 - Dernburg, Das Pfandrecht II (1864) 60; Buckland

18 Die Begründung dafür, daß auch der creditor keinen Besitz erwirbt, stimmt mit der in D. 41, 1, 37 pr. gegebenen überein. Vielleicht ist hier hinter stipulatione zu ergänzen nec mancipatione; so Lenel, Pal. I 10642 = Paul. Nr. 657. 19 In keinem Text findet jener Pfandsklave Erwähnung, an dem der Gläubiger ein besitzloses Pfand hat, an dem der Schuldner also den unmittelbaren Besitz behält. Dem Besitzerwerb des Schuldners durch diesen Sklaven stünde wohl nichts im Wege- so gl. per servum adhl. 20 Salkowski 13759, 1679 • u Vielleicht in seinen libri de usucapionibus: Rotondi 150; Arno, St. Perozzi 265. 22 Meistens wird angenommen, daß Nerva nicht nur den Besitz an den Sklavensachen, sondern auch an dem Sklaven selbst ausgeschlossen habe; so

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Herrn an dem fugitivus selbst fortdauern ließ, weil an die Fortdauer des Besitzes, wie eingangs gezeigt wurde23 , geringere Anforderungen gestellt werden als an den Neuerwerb24 • Der Jurist kann infolgedessen schon Buckland 272.- Nicosia 45 und 407; Leptien 84 ff. und Maschi, DR 513 (aber mit Bedenken gegen die Form) beziehen den Satz licet respondeatur - a nobis eum possideri nicht auf Nerva, sondern auf andere Juristen mit dem Ergebnis, daß Nerva selbst sich zu dem Besitz über den Sklaven nicht geäußert hätte. Doch wird die Verwunderung des Paulus, die sich in diesem Bericht äußert, am ehesten verständlich, wenn Nerva einerseits den Besitz an dem Sklaven bejahte, andererseits den Besitzerwerb durch ihn verneinte. So auch Bonfante 337; Perozzi I 8501 ; Carcaterra, AG 120 (1938) 170; Wieacker 3725• - Gegen die Ansicht, daß der Besitz an dem Sklaven fortdauere, wird zweitens vorgebracht, daß der Sklave keinen Rückkehrwillen habe und sich dadurch der possessio des Herrn entziehe. Dennoch konnte man bei sozialer Betrachtung den Fortbestand einer, wenn auch geschwächten tatsächlichen Gewalt des Herrn über den Sklaven annehmen. Nerva behauptet den Besitz an solchen Sklaven, die nicht unter der Obhut und zur jederzeitigen tatsächlichen Verfügung des Herrn stehen (bei Paul. D. 41, 2, 3, 13 und bei Pap. D. 41, 2, 47), ohne in diesen Äußerungen die flüchtigen Sklaven auszunehmen; so bereits Donellus I (Florentiae 1840) 1048, Deiure civili V, cap. XII nr. XXIII; Leptien 85 ff. - Drittens wird unterstellt, daß sich die Nichtanerkennung des Besitzerwerbes durch den flüchtigen Sklaven nur damit erklären lasse, daß es dem Herrn an dem Besitz über den Sklaven fehlte. Aber dieser Umkehrschluß ist angesichts der zahlreichen Zeugnisse, nach denen der Besitz an dem Sklaven und der Besitz an dessen Sachen nicht übereinstimmen, unzutreffend. - Kniep, Vacua possessio (1886) 145 f.; Albertario II 278 und 283; Dulckeit, Erblasserwille (1934) 32; Rabel, St. Riccobono IV 220 f.; Pringsheim I 346; G. Longo, Ric. 448 (AMac. 20, 1956, 111 ff.); Liebs, Hermogenians Iuris Epitomae (1964) 51 streichen als gl. oder itp. den ganzen Satz licet respondeatur - etiam usucapi. - Beseler, SZ 45 (1925) 479 verdächtigt hier nur ideoque- etiam usucapi. - Zweifelnd Bonfante 337.- Formale, aber nicht inhaltliche Bedenken bei Maschi, DR 505 ff. - Mayer-Maly, SZ 82 (1965) 442 stellt es als möglich hin, ,.daß ein Editor sich nicht entschließen konnte, von zwei ihm vorliegenden Varianten eine wegzulassen"; gemeint sind der Satz licet - etiam usucapi und die sich daran anschließenden, oben nicht abgedruckten Ausführungen, set utilitatis causa receptum est, ut impleatur usucapio, quandiu nemo nactus sit eius possessionem. - Ohne Bedenken gegen den Satz licet - usucapi aber Perozzi I 854; Carcaterra; Nicosia 44 und 408; Leptien 8348 und 90; Wieacker 3725 • 23 Oben § 1 III. 24 Paulus erklärt in dem folgenden Satz, daß der Besitz am fugitivus selbst aus Zweckmäßigkeitsgründen anerkannt worden sei, um die Ersitzung an ihm vollenden zu lassen; sed utilitatis causa receptum est, ut impleatur usucapio, quamdiu nemo nactus sit eius possessionem. Auch diese Äußerung ist umstritten. Beseler, nachdem er die allgemeine Unechtheit von ideoque behauptet hatte, streicht quamdiu nemo - eius possessionem. - Carcaterra; G. Longo sowie Nicosia 44 ff. und 450 ff. beseitigen sed utilitatis causa eius possessionem vor allem wegen der Andeutung einer Ersitzung ohne Besitz. - Dulckeit 33; Pringsheim und Liebs (alle oben Anm. 22) halten indessen gerade an diesen Worten fest, weil die Juristen den Besitz am Sklaven ausschließlich zum Zwecke der Vollendung der Ersitzung angenommen hätten. In diesem Sinne ergänzt auch Dulckeit 35 N. nach Nerva filius ait, statt licet - usucapi die Worte cum eum non possideamus. - Eine weitere Begründung als den Hinweis auf die Zweckmäßigkeit brauchte Paulus nicht zu geben. Insbesondere vermeidet er eine Diskussion um den Besitz des Herrn solo animo: Rotondi 150; Bonfante 337; Dulckeit 32. Man sollte ihm diese Begründung auch nicht unterschieben, anders aber Guarino, Ord. 517 (Ann. dir. comp. 18, 1946, 47); Ankttm, RIDA 15 (1968) 129 sowie Symb. David I 13.

§ 7 Versagung desErwerbestrotz possessio an dem Abhängigen

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die für den Besitz vorausgesetzte tatsächliche Beziehung zwischen dem Herrn und dem fugitivus angenommen, aber zwischen dem Herrn und den von dem fugitivus ergriffenen Sachen abgelehnt haben, zumal da der Herr von dem Erwerb dieser Sachen nichts weiß und den Sklaven hierzu nicht angewiesen hat25• IV. In diesem Fall zeigt sich ebenso wie in den voranstehend betrachteten Fällen des als Sklaven gehaltenen fremden Haussohns26 , des bösgläubig besessenen "Scheinsklaven"27 und des Pfandsklaven28, daß der Besitz an dem Gewaltunterworfenen keineswegs zwangsläufig den Besitz an den von ihm erlangten Sachen nach sich zieht. Die Digesten sind reich an klassischen Äußerungen, nach denen der Besitz an dem Gewaltabhängigen und an den von ihm erworbenen Sachen auseinanderfällt. Das angebliche "Besitzdogma", wonach der Besitzerwerb durch den Abhängigen den Besitz seiner Person voraussetzen soll, zeigt sich in den Quellen kaum jemals von seiner positiven Seite, um den Besitzerwerb zu begründen29 , sondern fast immer unter negativen Aspekten. So wird dem Herrn mit der Begründung, daß er die Hilfsperson nicht besitze, der Erwerb mit ihrer Hilfe versperrt30• Oder der Erwerb wird dem Herrn zuerkannt, obwohl es an seinem Besitz über die Hilfsperson fehlt31 • Oder die Besitzbegründung für den Herrn wird abgelehnt, obwohl er den Sklaven besitzt32• An anderer Stelle erklärt Paulus kurzerhand, daß Besitzerwerb an den Sachen des Sklaven und Besitz an dem Sklaven selbst nichts miteinander zu tun hätten33, das Besitzprinzip also irrelevant sei. Das Prinzip kann nur eine vordergründige Rolle gespielt haben, obwohl es von Sabinianern wie von Prokulianern34 herangezogen wird. Es tritt uns in einer ganz äußerlichen, formalen Weise entgegen. Von archaischen Symmetrievorstellungen, auf denen es beruhen könnte35 , Zum Fortgang der Stelle u. § 23 I. Ulp. D. 41, 2, 4. 21 Paul. D. 41, 2, 1, 6. 2B Iul. D. 41,1, 37 pr.; Iul.-Paul. D. 41, 2, 1, 15. 29 Allenfalls bei Herrn. D. 41, 2, 50, 1 (dazu unten § 23 VI): Besitzerwerb durch einen flüchtenden Sklaven, wenn er nicht von einem anderen in Besitz genommen wird oder er sich nicht für gewaltfrei hält. 30 Oben § 5: Procul.-Pomp. D. 41,1, 21 pr.; (Pomp.) [Mod.] D. 41, 1, 54, 4; Paul. D. 41, 2, 1, 6; "quidam" bei Paul. D. 41, 2, 1, 22; Iav. D. 41, 2, 23, 2; Gai. 2, 90; dazu noch Iul.-Paul. D. 41, 2, 1, 15. 31 Oben§ 6: Gai. D. 40, 12, 25, 2; Paul. D. 41, 2, 1, 8; D. 41, 2, 1, 22; Pap. D. 41, 2, 49 pr.; Gai. 2, 94. 32 Vgl. die in diesem Paragraphen geprüften Stellen: Iul. D. 41, 1, 37 pr.; Paul. D. 41, 2, 1, 6; Paul. D. 41, 2, 1, 14; Iul.-Paul. D. 41, 2, 1, 15; Ulp. D. 41, 2, 4. 33 Paul. D. 41, 2, 1, 8. 34 Denen Wieacker 372 die Entdeckung des Prinzips zuschreibt. 35 So aber das von Jhering formulierte Symmetrieprinzip: "Recht erzeugt Recht, Besitz Besitz": Jhering, Der Besitzwille (1889) 113 f.; ähnlich schon 25 26

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

ist nichts zu erkennen36 • Es sei außerdem darauf hingewiesen, daß dieses Prinzip nicht erklären könnte, warum nach der Aussage einiger Quellen der Gewaltunterworfene für sein Pekulium handeln muß, um dem Gewalthaber ohne dessen Wissen Besitz an einer Sache zu begründen37. § 8 Besitz des Abhängigen nach der Meinung Labeos? I. Pernice1 meint, Labeo hätte dem Gewalthaber nur die Ersitzung, dem Gewaltabhängigen selbst aber den Besitz an den von ihm erworbenen Sachen zugestanden, und beruft sich für diese Meinung auf D. 41, 3, 8 pr. (Paul.12 ed.): Labeo Neratius responderunt ea, quae servi peculiariter nancti sunt, usucapi posse, quia haec etiam ignorantes domini usucapiunt: idem Iulianus scribit.

Weil Labeo nur im Zusammenhang mit der Ersitzung genannt wird, vermutet Pernice, daß er den Besitz des Herrn an den Sachen, die der Sklave peculiariter erworben hat, nicht befürwortet habe. Dieselbe Behauptung würde auch auf den in D. 41, 3, 8 pr. genannten Neratius zutreffen. Pernices Gegenschluß kann schon deswegen kaum überzeugen, weil der ebenfalls zitierte Julian den Besitz des Herrn an den Sklavensachen bejaht hat2 • Vor allem aber läßt die Stelle nichts davon erkennen, daß Labeo (und die anderen zitierten Juristen) einen Besitz des Gewaltabhängigen angenommen hätten. Vielmehr kommt es in dieser Stelle überhaupt nicht auf die Frage des Besitzes, sondern nur auf die Ersitzung an. Paulus konnte mithin die Besitzfrage als nicht problematisch beiseite lassen. Die Stelle stammt aus dem Kommentar zur in integrum restitutio der maiores viginti quinque annis3• Die restitutio wurde u. a. gegen denjenigen gewährt, der eine Sache ersessen hatte, während der bisherige Eigentümer nicht in der Lage war, die Sache von ihm herausvorher Kniep, Vacua possessio (1886) 248; ders., Gai. Inst. li 1 (1912) 264 ff.; Salkowski 1652 ; Lauria 108 ff.; Nicosia 19 ff.; Wieacker 371 f.; s. auch Bonfante 268 ff. ae Gegen eine weitere angebliche Ausprägung des Symmetriegedankens, das Konträraktsprinzip, s. Liebs, Symp. Wieacker 111 f. und Knütel, SZ 88 (1971) 67 ff.; weniger skeptisch Schmidlin, Die röm. Rechtsregeln (1970) 74 ff. 37 Zu diesem Problemkreis im zweiten Hauptteil der Untersuchung, §§ 16 ff. 1 Pernice I 400: "Nicht der Besitz als solcher vielmehr, sondern der civilrechtlich gewährte Usus sollte seiner vermögensrechtlichen Folgen wegen dem Herrn zu Gute kommen. Labeos Standpunkt ist also etwa der: den Besitz als eine res facti erwirbt der Sklave für sich ohne Wissen und Wollen des Herrn; dagegen die an den Besitz geknüpften Rechtsfolgen kommen dem Herrn als wahrem Inhaber des Peculiums ohne Weiteres zu gute." 2 Insbes. Iul. D. 44, 7, 16 (dazu § 20 I) und Iul.-Tryph. D. 49, 15, 12, 2 (dazu § 21 VII). 3 Lenel Pal. I 987 = Paul. Nr. 232.

§ 8 Besitz des Abhängigen nach der Meinung Labeos?

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zuverlangen4 • Paulus und die anderen Juristen stellen heraus, daß diese Situation auch eintreten kann, wenn die Sklaven Sachen für ihr Pekulium erwerben5 und dadurch ihre Gewalthaber zu Besitzern der Sachen machen, eine Klage gegen die Gewalthaber aber zeitweilig ausgeschlossen ist. Insbesondere können die Juristen hier den Fall des Kriegsgefangenen gemeint haben, der zwar trotz seiner Gefangenschaft durch seinen Sklaven Besitz erwerben und eine Sache ersitzen6 , aber nicht auf Herausgabe in Anspruch genommen werden kann7 • Hier besteht ein Bedürfnis für die Restitutionsklage gegen den Herrn, um die Ersitzung rückgängig zu machen. Diesem Bedürfnis sind die Juristen nachgekommen. Auf den Besitz des Herrn brauchten sie nicht einzugehen. II. Um seine Ansicht zu stützen, daß Labeo den Besitzerwerb des Herrn nicht anerkannt habe, zieht Pernice außerdem die folgende Stelle heran: D. 41, 2, 1, 5 (Faul. 54 ed.): Item adquirimus possessionem per servum aut filium ... sicut Sabino et Cassio et Iuliano placuit, quia nostra voluntate intellegantur possidere, qui eis peculium habere permiserimus ...8 • In dieser Stelle, in der es in erster Linie um den Besitz geht, wird Labeo nicht genannt. Um so weniger ist der Umkehrschluß erlaubt, daß Labeo den Besitz des Herrn verneint habe. Vor allem istes-wie bereits ausgeführt wurde9 - höchst ungewiß, warum Paulus die anderen Autoritäten zitiert. Da am Anfang gesagt wird, daß der Gewalthaber den Besitz erwerbe, item adquirimus possessionem, kann auch mit den Worten nostra voluntate intellegantur possidere nicht gemeint sein, daß die Gewaltabhängigen Besitz im technischen Sinne hätten; possidere bedeutet an dieser Stelle nur die faktische Sachbeherrschung. Vgl. Ulp. D. 4, 6, 1, 1; Lenel, EP 120 ff. peculiariter gestrichen von Nicosia 223, weil dieser Lieblingsausdruck der Kompilatoren auch bei Faul. D. 41, 2, 1, 5 unecht sei. Gegen den Verdacht zu Recht Wieacker 379; Watson 217 und Di Lella 44650• e Dazu u. § 21 I. 7 Cuiacius I 1010, Observat. XXII cap. XVII; Lenel, EP, 1. Aufl. (1893) 96 19 • Lenel, Pal. I 9877 = Faul. Nr. 232: gemeint sei die Restitution gegen einen, der sich in servitute befunden habe. Um die Aussage zu verallgemeinern, kann später der Bezug auf den captivus gestrichen worden sein. -Weniger überzeugend, da nicht durch die Palingenesie abgesichert, ist die Annahme, Paulus hätte ursprünglich nicht vom captivus, sondern vom infans oder furiosus geschrieben. So aber Mommsen adhl. und die überwiegende Meinung, zuletzt Fuenteseca 562 mit 4 ; Nicosia 223; Di Lella 44854 ; v. Lübtow, St. Grosso II 591 und Horak 248.- Zweifel bei Beseler 66 : ,.Vielleicht irrte sich Mo und ist quia- usucapiunt Glosse." s Zu Faul. D. 41, 2, 1, 5 außerdem oben §§ 1 II, 3 I, 4 I 1 und unten §§ 9 IV 2, 18 I, 20 III. 8 Oben§ 3 I. 4

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Aus D. 41, 2, 1, 5 läßt sich also ebensowenig wie aus D. 41, 3, 8 pr. herleiten, daß Labeo dem Herrn die Ersitzung, dem Sklaven jedoch den Besitz zusprechen wollte. § 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen Für den eigenen Besitz des Gewaltabhängigen könnte es immerhin sprechen, daß die römischen Juristen die Besitzbegründung von seinem animus possidendi (dazu unten 1.) und seiner Einsichtsfähigkeit (dazu li. und 111.) abhängig machen und gleichzeitig den Vorstellungen und Geisteskräften des Gewalthabers eine geringere Bedeutung zumessen (IV.)l. I. 1. Paulus erklärt zum Besitzerwerb durch Abhängige: D. 41, 2, 3, 12 (Paul. 54 ed.): Ceterum animo nostro, corpore etiam alieno possidemus, sicut diximus per colonum et servum, nec movere nos debet, quod quasdam etiam ignorantes possidemus, id est quas servi peculiariter paraverunt: nam videmur eas eorundem et animo et corpore possidere.

Man könne, sagt Paulus, eine Sache mit eigenem animus, aber fremdem corpus besitzen2 , wie er bereits vorher für den Besitz mittels Pächters oder Sklaven ausgeführt habe3• Dem Besitzerwerb durch eigenen animus, aber fremdes corpus stehe es nicht entgegen\ daß man die Sachen, die die Sklaven peculiariter5 1 Die Frage, ob für die usucapio die bona oder mala fides des Gewaltabhängigen oder des Gewalthabers maßgebend ist, betrifft unmittelbar kein Besitz-, sondern ein Ersitzungsproblem und bleibt deswegen einer besonderen Untersuchung vorbehalten. Die scharfe Trennung von Besitz und Ersitzung spricht Paulus unmißverständlich aus in D. 41, 4, 2, 1: Separata est causa possessionis et usucapionis. Zu dieser Scheidung grundsätzlich Rotondi III 104 f. Zur Frage der bona fides beim Besitzerwerb durch Abhängige näher: De Francisci 1005; Schulz, SZ 33 (1912) 62 ff.; Beseler IV 67 f.; Nicosia 137 ff.; Wieacker 376 f. Nicosia meint: da jedenfalls die bona fides des Abhängigen erforderlich sei, verwirkliche sich der gesamte Besitztatbestand in seiner Person. Dabei übergeht Nicosia die scharfe, von den Klassikern gezogene Trennung zwischen Besitz und Ersitzung und beachtet außerdem zu wenig, daß die mala fides auch des Gewalthabers die Ersitzung hindert. 2 animo nostro, corpore etiam alieno: Hierzu Rotondi 186: "E lecito dubitare se questa massima - come in genere tutte queste formulazioni generali - riproduca fedelmente il regime positivo vigente in diritto classico: e poi certo ehe l'applicazione di essa non e altrettanto chiara in tutte le fattispecie." - Echtheitsbedenken bei Seligsohn, Justa possessio (1927) 40.- Für Echtheit jedoch Riccobono 358 mitl; Bonfante 282; wohl auch Siber 141 mit9- 11 ; Mähler, SZ 77 (1960) 95 und Nicosia 219 mit2 9 • 3 per colonum et servum (nos possidere) nach Beseler 63 und von Lübtow, St. Grosso II 589. 4 nec movere quod itp. nach Beseler IV 63; ders., SZ 57 (1937) 44; Ratti, Riv. it. 2 (1927) 53 ff., 74; Micolier 556; Nicosia 219 f. und v. Lübtow (vor. Anm.). Bedenken gegen nec movere auch bei Pringsheim I 398 (Fschr. Lenel, 1921, 215). Die Wendung ist aber gerade hier, innerhalb eines theoretischen Traktates, am Platze. 5 Beseler IV 64; Schulz 440 und Nicosia 219 ff. wenden sich gegen peculia-

§ 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen

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erwürben6, auch ohne eigene Kenntnis besitze. Mit diesem Satz will Paulus wahrscheinlich den Angriff abwehren, daß es in diesen Fällen überhaupt an einem dieser Elemente fehle. Denn der Besitzer würde so angesehen, als erlange er diese Gegenstände mit dem animus und corpus des Sklaven, nam videmur eas eorundem et animo et corpore possidere7 • 2. Der Anfang des vorangehenden Fragments D. 41, 2, 3, 12 ist in nachklassischer Form außerhalb der justinianischen Kompilation erhalten in PS. 5, 2, 1: Possessionern adquirimus et animo et corpore: animo utique nostro, corpore vel nostro vel alieno. Sed nudo animo adipisci quidem possessionem non possumus, retinere tarnen nudo animo possumus, sicut in saltibus hibernis aestivisque contingit. 2: Per liberas personas, quae in potestate nostra non sunt, adquiri nobis nihil potest. Sed per procuratorem adquiri nobis possessionem posse utilitatis causa receptum est. Absente autem domino comparata non aliter ei, quam si rata sit, quaeritur. Für den Besitzerwerb sind animus und corpus des Erwerbers vonnöten. Während der Verfasser am Erfordernis des animus festhält, erwägt er zwei Lockerungen, die das corpus betreffen. Zunächst läßt er es genügen, wenn das corpus durch einen Dritten hergestellt wird8 • Als Dritte kommen Gewaltabhängige und der Prokurator in Betracht9 , riter. Die vorgebrachten Argumente sind aber nicht überzeugend. Gewiß fehlt id est - paraverunt in B. 50, 2, 2, 12 = Hb. V 48 = Sch. A VI 2333; doch sind die Basiliken an dieser Stelle knapper als die Digesten. Daß peculiariter ein Lieblingswort der Kompilatoren sei, ist kaum zu beweisen. Die Übereinstimmung mit dem Satz quia nostra voluntate - permiserimus in D. 41, 2, 1, 5 würde höchstens den ltp.-Verdacht tragen können, wenn die Unechtheit von D. 41, 2, 1, 5 sicher wäre. - Zweifel gegenüber der Verdächtigung von peculiariter auch bei Wieacker 379 und Watson 217. 6 quod quasdam paraverunt unecht zufolge N i cosia 219 f.; quasdam sei ohne Beziehungswort, id est kompilatorisch, der ganze Satz gewunden. Vielleicht ist der Text verkürzt; sein Inhalt ist jedoch nicht zu beanstanden. 7 Von der Glosse adhl. bis zu v. Lübtow (Anm. 3) bezieht man eorundem (i. e. servorum) auf et animo et corpore und meint, "wir besitzen diese Sachen gewissermaßen mit dem animus und corpus der Sklaven". - Nur Schilling Sintenis - Otto, Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt IV (1832) 281 lesen, "es wird angenommen, daß man deren Sachen sowohl durch den Willen als die körperliche Einwirkung besitze"; hier wird also eorundem (i. e. servorum) mit eas (i. e. res) verbunden. - Zum Besitzerwerb corpore et animo servi s. auch L ewald, SZ 34 (1913) 454; Rotondi 186; Fuenteseca 561 f.; Cannata 90 und 92; Mähler (Anm. 2) 78 mit 128 ; Nicosia 219 ff. und Burdese 524.- Zweifelnd Siber 14111 • 8 Daß sich der Hinweis auf das corpus alienum lediglich auf die Bewahrung des Besitzes beziehe - so Beseler 64 - ist nicht zu erweisen. Sein Anderungsvorschlag, adquirimus animo et corpore nostris, retinemus animo utique nostro, corpore vel nostro vel alieno, wird auch von Bonfante 268 und Nicosia 9719 abgelehnt. 9 Neuere Lit. zum Besitzerwerb durch Gewaltfreie : Schulz, Einf. 74 ff.; Beseler IV 51 ff.; Rotondi III 211 ff.; Hägerström I 90 ff.; Bonfante III 287 ff.;

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

denn der Erwerb durch Gewaltfreie - ausgenommen durch einen Prokurator - wird von dem Sentenzenverfasser nicht anerkannt. Sodann diskutiert er die Möglichkeit, auf das corpus sogar ganz zu verzichten; er verwirft diese für den Erwerb, bejaht sie aber für die Bewahrung des Besitzes. Das "bequeme kleine Handbuch" 10 sagt zwar, daß der Besitzerwerb durch eine gewaltunterworfene Person oder einen Prokurator möglich ist, erklärt aber nicht, ob in diesen Fällen stets animus des Herrn11 und corpus der Erwerbsperson anzunehmen ist. Die Sentenzen schweigen auch über die Zulässigkeit, die Voraussetzungen und die dogmatische Begründung des Besitzerwerbes, den ein Sklave ohne Kenntnis des Herrn durchführt12• Der letzte Satz des § 2 scheint in jedem Fall die Kenntnis des Herrn zu erfordern. So ist die Äußerung in PS. 5, 2, 1 und 2 nur insofern wertvoll, als sie den Beginn des Fragments D. 41, 2, 3, 12 und die geringeren Anforderungen an die Besitzbewahrung, verglichen mit denen der Besitzbegründung, bestätigt13• 3. In diesen Zusammenhang gehört vielleicht auch D. 41, 4, 2, 12 (Paul. 54 ed.): Pomponius quoque in his, quae nomine domini possideantur, domini potius quam servi voluntatem spectandam ait: quod si peculiari, tune mentem servi quaerendam ...14• Paulus zitiert als Ausspruch des Pomponius15, daß es, wenn eine Sache nomine domini besessen wird, eher auf die voluntas des Herrn ankomme16 ; daß aber die mens des Sklaven zu beachten sei, falls die Sache peculiari nomine 17 in Besitz gehalten werde. Meylan, Fs. Lewald 105 ff.; Bretone, Labeo 1 (1955) 280 ff.; Pugliese, Referat

auf der XXIIe Session Internat. de la SociE'~te d'histoire des droits de l'Antiquite, s. Jaubert, RIDA3 5 (1958) 646; Berneisen, RIDA3 6 (1959) 249 ff.; Watson, TR 29 (1961) 22 ff. und SD 33 (1967) 189 ff.; Cannata, NNDI 13 (1966) 327 sv. possesso; Ankum, Symb. David I 12 und RIDA3 15 (1968) 126; Leptien 21 ff. 10 Schulz, Geschichte 214 (History 176) mit weiteren Ausführungen zur Charakterisierung und Geschichte der Sentenzen. 11 Burdese 524 meint, der Erwerb alieno nomine werde hier nicht ausgeschlossen. Rotondi 1864 sieht gerade den animus des Prokurators als erheblich an. Auch Nicosia 99 will den animus des Prokurators und den des Sklaven bejahen. Wieacker 374 f. wiederum neigt dazu, den animus possidendi in beiden Fällen zu negieren. 12 Vgl. Wieacker 382 gegenüber Nicosia, insbes. 18451 • 13 Denselben Unterschied betont, mit weiteren Beispielen, Gai. 4, 153 = I. 4, 15, 5; vgl. auch die klass. Ausführungen zu den Winter- und Sommerweiden sowie die oben in § 1 bei Anm. 17 bis 19 erwähnten Fälle. 14 Im Fortgang der Stelle, et si rell., wird erklärt, daß die mala fides des Sklaven dem Herrn zugerechnet wird und seine Ersitzung hindert. 15 Es ist fraglich, worauf sich quoque am Beginn der Stelle bezieht, in welchem Punkt also Übereinstimmung zwischen den Juristen herrscht. 18 Beseler 68 erwägt die Streichung der ersten Alternative, derzufolge beim Erwerb nomine domini gilt, daß domini potius quam servi voluntatem spec-

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9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen

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Die Äußerung ist nicht ganz klar. Es läßt sich nicht befriedigend erklären, was mit voluntas und mens gemeint ist18• Wahrscheinlich meint voluntas den natürlichen Willen, die Sachgewalt auszuüben. Diesen muß der Herr haben, wenn der Sklave in seinem Namen eine Sache ergreift. Anders, wenn der Sklave verhältnismäßig selbständig, nämlich für sein Pekulium handelt; dann ist der konkrete Besitzwille des Herrn entbehrlich. Der Sklave hingegen muß stets das Bewußtsein des Sacherwerbs haben, gleich, ob er auf Weisung seines Herrn oder zugunsten seines Pekuliums tätig wird. Das ist offensichtlich, wenn er selbst die Entscheidung über den Erwerb trifft, wenn er also ohne Wissen des Herrn für sein Pekulium handelt. Das ist aber auch anzunehmen, wenn er die für den Besitz seines Herrn erforderliche tatsächliche Beziehung zwischen der Sache und seinem Herrn herstellen soll. Eine solche Beziehung ist nicht anzunehmen, wenn der Sklave die Bedeutung seines Tuns nicht erkennt. Dann kann es nicht anders angesehen werden, als ob der Herr niemanden angewiesen hätte, die Sache zu ergreifen. Daß das Bewußtsein des Sklaven erheblich ist, wenn er auf Weisung seines Herrn handelt, ergibt sich aus dem Adjektiv potius. Gewiß sind die Vorstellungen des Herrn, dahinter aber auch die des Sklaven zu berücksichtigen. II. Die Annahme, daß ein geisteskranker Sklave zum Besitzerwerb für den Herrn nicht in der Lage ist, liegt nahe, weil auch ein geisteskranker Freier für sich selbst nichts in Besitz nehmen kann19• Man könnte aber auch meinen, daß es auf die persönlichen Eigenschaften des Sklaven nicht ankommt, weil er ein bloßes Erwerbsinstrument ist. tandam. Nicosia 228 f. beseitigt die in dem Text getroffene Unterscheidung, indem er zunächst nomine domini und domini potius quam eliminiert. Für Nicosia ist die Prämisse entscheidend, daß der Erwerb peculiari nomine und damit auch die Unterscheidung zum Erwerb domini nomine nachklassische Erfindung sei. Daß diese Prämisse äußerst zweifelhaft ist, soll im zweiten Teil der Untersuchung dargestellt werden. - Auf die von Beseler und Nicosia empfohlene Einfügung der Wörter a servo vor possideantur kommt es nicht an. 17 Ohne Grund streicht Nicosia auch die zweite Alternative und den hier nicht wiedergegebenen Rest des Fragments, quod si rell. - Die von Beseler vorgeschlagene Ergänzung nomine servus possideat nach peculiari ist nicht erforderlich. ts Beseler IV 68 und Nicosia 229 beziehen diese Ausdrücke auf Kenntnis oder Unkenntnis des Umstandes, daß die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Nach der ersten Alternative seien eher die Kenntnis oder Unkenntnis des Herrn erheblich, nach der zweiten Alternative seien die Vorstellungen des Sklaven für die Ersitzung des Herrn entscheidend. Für diese Auslegung könnte auch die sich anschließende Erklärung des Paulus zur mala fides des Sklaven sprechen. Es ist aber nichts für die Gleichstellung von voluntas und mens mit mala oder bona fides, scientia oder ignorantia zu erkennen. Auch Beseler und Nicosia beanstanden die "Verwechslung von Wollen und Wissen". 19 Paul. D. 41, 2, 1, 3; Cels. D. 41, 2, 18, 1; dazu Kaser I 392. 4 Benöhr

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

1. Paulus entscheidet sich für die erste Alternative in D. 41, 2, 1, 9 (Paul. 54 ed.): Ceterum et ille, per quem volumus possidere, talis esse debet, ut habeat intelleeturn possidendi. Derjenige, durch den wir etwas besitzen wollen, müsse den intellec-

tus possidendi haben20 •

2. Was mit dem intellectus possidendi gemeint ist, zeigt sogleich: D. 41, 2, 1, 10 (Paul. 54 ed.): Et ideo si furiosum servum miseris, ut possideas, nequaquam videris adprehendisse possessionem. Dem geisteskranken Sklaven fehlt der intellectus possidendi21 ebenso, wie dem geisteskranken Gewaltfreien die affectio tenendi abgeht22 • Der Jurist meint das natürliche Bewußtsein des Handelnden, daß er die Sache an sich nimmt23 • Dieses Bewußtsein fehlt bei dem Geisteskranken, ob frei oder unfrei, ebenso wie bei dem Schlafenden. Diesem und dem vorangehenden Paragraphen läßt sich nicht entnehmen, daß der Sklave die Besitzbegründung für seinen Herrn in seinen Willen aufnehmen muß. Schon gar nicht ist die Rede von dem animus possidendi im Sinne des rem sibi habendi24• 3. Das Bewußtsein des Erwerbes fehlt wahrscheinlich - Quellen hierzu gibt es nicht - auch dem Sklaven, der noch im Alter des infans ist. Hingegen läßt Paulus den Erwerb durch einen Sklaven, der schon zu Verstand gelangt, aber noch nicht geschlechtsreif ist, zu25 : D. 41, 2, 1, 11 (Paul. 54 ed.): Quod si impuberem miseris ad possidendum, incipies possidere, sicut pupillus, maxime tutore auctore, adquirit possessionem. Paulus vergleicht den Sklaven, der von seinem Herrn geschickt wird, mit dem pupiUus, der mit der auctoritas seines Tutors den Besitz ergreift26 • 20 Paraphrastenhand sieht hier Beseter, SZ 45 (1925) 479. Auf den Besitzwillen des Gewalthabers komme nichts an. Von dem Besitzwillen des Herrn ist aber an dieser Stelle auch nicht die Rede. 21 Auch hier sieht Beseter (vor. Anm.) die Paraphrastenhand. 22 Paul. D. 41, 2, 1, 3. 23 Capable of understanding the nature of this act (Bucktand 132); capacita di ordine psichico (Burdese 523); ähnlich Tondo, St. Betti IV 36912• 24 Burdese (vor. Anm.); vgl. auch Wieacker 374 f. 25 Vgl. Lewatd, SZ 34 (1913) 450; Burdese, AG 150 (1956) 14; Tondo (Anm.

23) 371.

26 Die Erwähnung des Tutors ist seit langem suspekt. Die verschiedensten Vermutungen werden geäußert. Erstens ist denkbar, daß jeder pupillus stets für den Besitzerwerb des Vollwortes seines Tutors bedurft hätte, vgl. Kunket, Symb. Lenel 583 • Dann wäre maxime überflüssig; so Riccobono 364 und Bonfante 260. - Zweitens wird behauptet, daß kein pupillus jemals beim Besitzerwerb von der Zustimmung des Tutors abhängig gewesen und daß

§ 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen

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4. In einer weiteren Stelle bestätigt Paulus, daß es nicht darauf ankommt, ob der Sklave bei dem Besitzerwerb schon geschlechtsreif ist oder nicht: D. 41, 2, 1, 13 (Paul. 54 ed.): Pupillus per servum sive puberem sive impuberem adquirit possessionem ...27 •

III. 1. An die Besitzbewahrung werden geringere Anforderungen als an die Besitzbegründung gestellt28. Ein Gewaltfreier, der eine Sache in Besitz hat, verliert den Besitz nicht, wenn er in Geisteskrankheit verfällt29, wiewohl er in diesem Zustand zum Neuerwerb nicht mehr imstande wäre30• Ebenso ist es beim Sklaven: D. 41, 2, 25, 1 (Pomp. 23 Quint. Muc.): Et per colonos et inquilinos aut servos nostros possidemus: et si moriantur aut furere incipiant aut alii locent, intellegimur nos retinere possessionem. Wir besitzen durch den gewaltfreien Pächter und Mieter, ebenso durch unsere Sklaven31• Selbst wenn diese Personen sterben oder geisteskrank werden oder die Sache weiter vermieten, gelten wir noch als Besitzer. 2. Dementsprechend erklärt Pomponius in D. 41, 3, 31, 3 ((Pomp.) [Paul.] 32 Sab.) 32 : Si servus meus vel filius peculiari infolgedessen maxime tutore auctore unecht wäre, so im Ergebnis Krüger adhl.; G. Longo, Ric. 437 (Bull. 42, 1934, 471, 487); Albertario li 242; Burdese, AG 150 (1956) 21; Lauria 87, 93 f. Burdese will maxime tutore auctore ersetzen durch etiam sine tutoris auctoritate. - Drittens wird die Meinung vertreten, daß nur der infans und nicht der pupillus infantia maior die auctoritas einzuholen gehabt hätte, so Perozzi I 86!3; Lewald und Tondo (beide oben Anm. 25). Zufolge dieser Meinung hätten der in fr. 1, 11 genannte servus impubes und der gewaltfreie pupillus nicht dasselbe Alter; so Solazzi I 306 und Rotondi 220 2 • Solazzi streicht deswegen sicut pupillus rell. Rotondi beseitigt nur maxime tutore auctore. - Die Kontroversen heutzutage werden nur ein Spiegelbild der Gegensätzlichkelten in klassischer Zeit sein. Diesen Streit brauchte Paulus an dieser Stelle weder darzustellen noch zu entscheiden. Es genügte, wenn er ihn kurz erwähnte. Dabei kann der kurze Hinweis aus seiner Feder von den Kompilatoren noch weiter gekürzt worden sein. - Keine Bedenken bei Siber, SZ 29 (1908) 55. Aber die Paraphrastenhand vermutet wieder Beseler, SZ 45 (1925) 479. 27 Zu der ganzen Stelle noch einmal, im Zusammenhang mit der Einsichtsfähigkeit des Gewalthabers, in diesem Paragraphen unter IV 4. 2s S. schon o. bei Anm. 13. 29 Paul. D. 41, 3, 4, 3; (Pomp.) [Paul.] D. 41, 3, 31, 4. ao Oben Anm. 19. 31 B. 50, 2, 24 = Hb. V 51 = Sch. A VI 2336 nennt ebenfalls den Sklaven. Auch deswegen sind die Bedenken, die seit Mommsen adhl.; Lenel, Pal.II 725 = Pomp. Nr. 286; Kniep, Vacua possessio (1886) 43; Rotondi 1874 ; Beseler 71; Micolier 56257 und zuletzt noch Mähler (o. Anm. 2) 74111 gegen aut servos nostros vorgebracht werden, nicht recht stichhaltig. Die beanstandete Verknüpfung mit aut erklärt sich aus dem Unterschied zwischen freien Pächtern und Mietern einerseits sowie unfreien Sklaven andererseits. - "Spuren der Überarbeitung" meint auch Seligsohn, Justa possessie (1927) 46181, zu erkennen. 32 Paulus wird allgemein durch Pomponius ersetzt, weil von Paulus nur

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

vel etiam meo nomine quid tenet, ut ego per eum ignorans possideam vel etiam usucapiam: si is furere coeperit, donec in eadem causa res fuerit, intellegendum est et possessionem apud me remanere et usucapionem procedere, sicuti per donnientes quoque eos idem nobis contingeret ... Es sei so anzusehen, als ob Besitz und Ersitzung des Gewalthabers fortdauerten, wenn der Gewaltunterworfene, der die Sache in Händen hält, geisteskrank wird. Es sei ebenso, wie wenn Haussohn oder Sklave in Schlaf fielen; auch dadurch werde der Besitz des Vaters oder Herrn nicht unterbrochen. Dasselbe gilt hier wie schon nach D. 41, 2, 25, 1 für den Besitz mittels des Pächters oder Mieters33 • Fragestellung und Antwort erlauben den Umkehrschluß, daß bei dem Neuerwerb des Besitzes die Geisteskrankheit des Gewaltunterworfenen sowohl dann, wenn er peculiari, als auch dann, wenn er domini nomine handelt, schädlich wäre. Damit stimmt die Auslegung, die wir für D. 41, 4, 2, 12 gefunden hatten, überein. Nach dem ersten Satz des Fragments scheint der Gewalthaber in beiden Fällen, also beim Handeln des Gewaltunterworfenen peculiari wie auch domini nomine, trotz eigener Unkenntnis Besitz erworben zu haben. Richtiges Verständnis jedoch bezieht die Unkenntnis des Herrn allein auf die erste Alternative, nach der der Gewaltunterworfene etwas im Namen des Pekuliums innehat34• In der zweiten Alternative, derzufolge der Gewaltunterworfene eine Sache im Namen des Herrn hat, wird hingegen die Kenntnis des Herrn erforderlich gewesen sein, um ihm den Besitz zu verschaffen. Die heutige Fassung des Fragments mag den Kompilatoren zu verdanken sein. Sie können mehrere Äußerungen desselben Juristen in eines gefügt und dadurch die auffälligen drei Gegensatzpaare servus meus vel filius 35 , peculiari vel etiam meo nomine36 und possideam vel 16 Bücher ad Sabinum überliefert sind, von Pomponius aber 35 oder 36, und weil Paulus den Besitz im 15., Pomponius aber im 32. Buch ad Sabinum behandelt: Lenel, Pal. II 1403 = Pomp. Nr. 760; dagegen Appleton, NRH 34 (1910) 7322 und Fitting, Alter und Folge der Schriften römischer Juristen, 2. Aufl. (1908) 35 N. f., weil das Fragment zwischen mehreren PomponiusFragmenten ad Sabinum steht und das folgende Fragment sogar ebenfalls dem 32. Buch ad Sabinum zugeschrieben ist, ohne daß die Inskription "Idem" als Juristen nennt, und weil in § 6 desselben Fragments Julian zitiert wird,

der sonst nie bei Pomponius, aber oft bei Paulus angerufen wird. 33 Zum Fortgang der Stelle, idemque in colono et inquilino, per quos possidemus, dicendum est, s. Möhler (o. Anm. 2) 77. 34 GI. possideam und gl. usucapiam adhl.; Cuiacius V 1119, In lib. LIV Pauli ad ed. ad § Item adquirimus. 35 vel filius gestrichen von De Martino, Vel etiam nelle fonti (1938) 44;

Fuenteseca 57828 ; Nicosia 167 f. 38 vel etiam meo gestrichen von De Francisci 1011; Riccobono 3583 ; Pringsheim, Der Kauf mit fremdem Geld (1916) 1491; Pringsheim I 145121 (SZ 42, 1921, 6592); Micolier 560 ff.; Bonfante 283 f.; De Martino (vorige Anm.) 44;

§ 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen

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etiam usucapiam31 in den Text gebracht haben. Inhaltliche Bedenken bestehen aber gegen die in D. 41, 3, 31, 3 überlieferte Meinung nicht. Wir können als Pomponius' Meinung festhalten, daß der Besitzerwerb Kenntnis des Herrn oder Pekuliarhandeln des Sklaven und außerdem stets die Einsichtsfähigkeit des Sklaven erfordert, daß der Verlust des Besitzes hingegen nicht schon bei Geisteskrankheit des Sklaven eintritt. IV. 1. Wenn für den Besitzerwerb die Einsichtsfähigkeit des Sklaven erforderlich ist, kann vermutet werden, daß nicht außerdem die des Herrn verlangt wird. Das bestätigt D. 41, 3, 28 (Pomp. 17 Sab.): Si servo furiosi vel infantis res tradita sit, usu per eum eas personas capere posse constat. Es steht fest, schreibt Pomponius im Zusammenhang mit der Tutel38 , daß infans und furiosus durch ihren Sklaven ersitzen, wenn ihm eine Sache übergeben worden ist. Ob jedes Handeln des Sklaven ausreicht oder ob der Bezug auf das Pekulium erforderlich ist, wird nicht gesagt39 • Offenbar kommt es dem Juristen an dieser Stelle auf diese Einzelheit nicht an. Der Zusammenhang innerhalb des Sabinus-Kommentars erlaubt die Vermutung, daß Pomponius bei der Darstellung des Besitzerwerbes durch den Tutor der Vollständigkeit halber auf die Möglichkeit des Erwerbes durch den Sklaven aufmerksam machen und bei diesem Exkurs nicht alle Einzelheiten aufzählen wollte40 • 2. In einem schon mehrfach erwähnten Fragment41 erklärt Paulus D. 41, 2, 1, 5 (Paul. 54 ed.): ... igitur ex causa peculiari et infans et furiosus adquirunt possessionem et usucapiunt ... Lepri, Scr. Ferrini li 1011; Fuenteseca 57828 ; Wieacker 378. - Nicosia 167 f. beseitigt nur etiam. 37 De Martino (Anm. 35) streicht ut ego usucapiam, weil die Alternative von Besitz und Ersitzung zweifelhaft sei. Das ist kaum überzeugend, weil auch De Martino selbst im folgenden Satz possessionem und usucapionem unangetastet läßt. as Lenel, Pal. II 124 = Pomp. Nr. 646. 39 De Francisci 1009 f.; Riccobono 3583 ; Beseler 66 und Albertario II 235 halten eine Kürzung der Kompilatoren, die etwa peculii nomine vor tradita sit beseitigt haben könnten, für wahrscheinlich. Konkrete Indizien fehlen. Für Echtheit insbesondere Nicosia 165 und Watson 225. - Wieacker 378 erklärt zu Recht, Pomponius habe hier, bei einer Inzidentbemerkung, den Erwerb ex causa peculiari vorausgesetzt. 40 Watson 225 meint, daß der Sklave im Vergleich mit dem Tutor oder auch im Gegensatz zu dem Tutor genannt wurde, oder daß der Sklave tutore auctore handelnd vorgestellt wurde. Im ersten Fall sei der Erwerb ohne Bezug auf das Pekulium anzunehmen; aber diese Auslegung ist keineswegs zwingend, weil der Besitzerwerb durch den Tutor den Bezug auf das Mündelvermögen selbstverständlich voraussetzt. Jedenfalls ist damit zu rechnen, daß der Jurist den Exkurs nicht in allen Details ausführen und sämtliche Voraussetzungen aufzählen wollte. 41 §§ 1 II, 3 I, 4 I 1, 8 II; dazu noch unten §§ 18 I und 20 111.

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1. Teil: Besitzerwerb -Begründungen und Grenzen

Zu Beginn des Fragments hatte Paulus erklärt, daß der Gewalthaber auch ohne sein Wissen Besitz an den Sachen erlange, die der Gewaltunterworfene für sein Pekulium erwerbe. Jetzt wendet er den Satz auf den Fall an, daß der Gewalthaber ein infans oder furiosus ist. Auch dieser könne mittels eines Gewaltunterworfenen42 , der ex causa peculiari handelt43, eine Sache besitzen und ersitzen. Damit ist die in dem kurzen Abschnitt zuvor von Pomponius offengelassene Frage beantwortet. 3. In seinem Sabinus-Kommentar beschäftigt sich Paulus mit dem Problem, unter welchen Umständen infans und pupillus persönlich den Besitz begründen können, und schließt44 mit den Worten: D. 41, 2, 32, 2 (Paul. 15 Sab.): ... item infans peculiari nomine per servum possidere potest. Der infans könne ohne unmittelbare Beteiligung des Tutors eine Sache "besitzen", wenn für ihn ein Sklave im Namen des Pekuliums handelt45 • Dabei wird der infans nicht nur den Besitz bewahren, sondern sogar erwerben können, denn zuvor ist in diesem Paragraphen von possessionem incipere, accipere und nancisci die Rede46 • 4. Wenn der Sklave nicht für sein Pekulium, sondern auf Weisung des Herrn handelt, so fragt es sich, ob der Herr für diese Weisung der auctoritas des Vormundes bedarf. Diese Frage bejaht D. 41, 2, 1, 13 (Paul. 54 ed.): Pupillus per servum sive puberem sive impuberem adquirit possessionem, si tutore auctore iusserit eum ire in possessionem47.

Der pupillus wird Besitzer, wenn er mit dem Vollwort des Tutors den Sklaven zum Erwerb beauftragt hat; auf das Alter des Sklaven 42 Beseler 63; Micolier 55644 und Nicosia 21620 vermissen in dem Text per servum. Daß es sich um den Erwerb mit Hilfe eines Gewaltunterworfenen handelt (der im Falle des furiosus auch ein Haussohn sein kann), ergibt sich jedoch schon aus dem ersten, mit igitur in Bezug genommenen Satz. Beseler und ihm folgend Micolier kritisieren ferner das vorangestellte igitur. Gegen dieses Argument aber Lenel, SZ 45 (1925) 262 mit Hinweisen auf Gaius und die fragmenta Vaticana, auf Cicero und Sallust. 43 Beseler, Schulz 440 und Nicosia 216 streichen diese Voraussetzung ohne Angabe von Gründen. 44 Zum Beginn der Stelle zuletzt Nicosia 221 ff.; Tondo, St. Betti IV 373 f., 394 ff.; Ankum, Symb. David I 10 f.; Leptien, Ut. causa 157 ff.; ders., SD 35

(1969) 60.

45 Itp.-Anzeichen enthält der Satz nicht. Trotzdem glauben Beseler 64 und Nicosia 222, peculiari nomine sei unecht. Nicosia 22339 stellt sogar den ganzen, oben wiedergegebenen Satz in Frage, weil auch die voraufgehenden Ausführungen stark verderbt seien.- Hiergegen Watson 223.- Keine Bedenken insoweit bei Tondo, Ankum, Leptien (alle vor. Anm.) und G. Longo, Et. Macqueron (1970) 452. 48 Vgl. Bonfante 258; Nicosia 222 und Ankum 10 f. 47 Zu dieser Stelle schon oben in diesem Paragraphen II 4, im Zusammenhang mit dem intellectus possidendi des Sklaven.

§ 9 Animus possidendi des Gewaltabhängigen

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kommt es nicht an. Die Antwort ist folgerichtig, wenn der pupillus auch durch seine eigenen Hände den Besitz nicht ohne vormundschaftliche auctoritas begründen konnte. Das aber ist bis heute zweifelhaft; die Quellen legen die Annahme einer klassischen Kontroverse nahe48 • Wir neigen dazu, jedenfalls den Besitzerwerb des infans, bediene er sich nun eines Sklaven oder nicht, von der auctoritas tutoris abhängig zu machen und zumindest in Bezug auf den infans die Stelle als echt zu erachten49 • Altersgrenzen des Sklaven werden in D. 41, 2, 1, 13 als unerheblich bezeichnet. Dazu steht es nicht in Widerspruch, daß der intellectus possidendi, die Einsichtsfähigkeit des Sklaven, stets für erforderlich gehalten wirdso. V. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Offenbar unterscheiden die römischen Juristen danach, ob der Gewaltunterworfene eine Sache auf ausdrückliche Weisung des Gewalthabers oder- ohne eine solche konkrete Weisung - für sein Pekulium erwirbt. In mehreren Stellen wird diese Unterscheidung ausdrücklich ausgesprochen51• In der ersten Alternative hängt der Besitzerwerb von dem konkreten animus possidendi des Gewalthabers ab52 • Der animus possidendi setzt voraus, daß der Herr kein infans oder furiosus ist. Doch wird die Weisung des infans wirksam und damit sein Besitzerwerb mit Hilfe eines Sklaven möglich, wenn der Tutor hierzu sein Vollwort erteilt53• In der zweiten Alternative, wenn der Gewaltabhängige ohne konkrete Weisung des Gewalthabers eine Sache für sein Pekulium erwirbt, ist der auf einen bestimmten Gegenstand gerichtete animus possidendi des Gewalthabers entbehrlich. Infolgedessen ist es auch unerheblich, ob der Gewalthaber ein infans oder furiosus ist54• In diesem Fall kommt es jedoch auf den animus possidendi des Gewaltabhängigen an55 • Er muß also die Absicht haben, die tatsächliche Gewalt über den ergriffenen Gegenstand auszuüben5 s. 48 S.o. Anm. 26. Vgl. auch Paul. D. 41, 2, 1, 3 und D. 41, 2, 32, 2; Dec. 7, 32, 3; Const. CTh. 8, 12,2 = C. 8, 53,26 (dazu unten § 27 I und IV). - Aus der neueren Lit.: Kaser I 392; Tondo (Anm. 44) 361 ff. und Burdese 528. 49 Für Echtheit auch Bonfante 261 und Tondo 372. Die noch überwiegende Meinung hält jedoch tutore auctore für itp.: Lewald, SZ 34 (1913) 451; G. Longo, Ric. 438 (Bull. 42, 1934, 488); Albertario II 243; Solazzi I 307. 50 Pomp.-Paul. D. 41, 4, 2, 12 und die oben unter II. Genannten. 51 Paul. D. 41, 2, 1, 5; D. 41, 2, 3, 12; D. 41, 2, 32, 2; (Pomp.) [Paul.] D. 41, 3, 31, 3; Pomp.-Paul. D. 41, 4, 2, 12. 52 Paul. D. 41, 2, 3, 12; Pomp.-Paul. D. 41, 4, 2, 12; PS. 5, 2, 1. 53 Paul. D. 41, 2, 1, 13. 54 Paul. D. 41, 2, 1, 5; D. 41, 2, 32, 2; Pomp. D. 41, 3, 28. 55 Paul. D. 41, 2, 3, 12; Pomp.-Paul. D. 41, 4, 2, 12. 58 Zum animus possidendi in diesem Sinne: MacCormack, SZ 86 (1969) 144; s. aber auch Wieacker 375.

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

In jedem Fall - ob der Gewaltabhängige auf Weisung des Herrn oder aus eigenem Entschluß tätig wird - ist es notwendig, daß der Gewaltabhängige die Bedeutung seines Tuns erkennt, daß er, nach den Worten des Juristen Paulus, über den intellectus possidendi verfügt57• Wenn die subjektiven Elemente in der Person des Gewaltabhängigen in so hohem Maße erheblich sind, würde es naheliegen, den Gewaltabhängigen selbst zum Besitzer der Sachen, die er ergriffen hat, zu erklären. Diesen Schritt haben die römischen Juristen aber - soweit ersichtlich - nicht vollzogen. In keinem der bisher besprochenen Fragmente haben sie den Schluß gezogen, daß der Gewaltabhängige den Besitz an den Sachen habe, die er mit seinem corpus und animus erworben hat. § 10 Erfordernis des Willens des Abhängigen, den Besitz für den Gewalthaber zu ergreifen?

In vier Stellen wird der Besitzerwerb des Gewalthabers davon abhängig gemacht, daß der Gewaltunterworfene den Gewalthaber zum Besitzer machen will. Es ist zu prüfen, ob diese Voraussetzung klassischem Recht entspricht, gegebenenfalls, ob sie für alle Fälle oder nur für Ausnahmefälle des Besitzerwerbes durch Dritte gilt. I. Die beiden ersten Stellen betreffen den Besitzerwerb durch einen Miteigentumssklaven. 1. D. 41, 2, 1, 7 {Paul. 54 ed.): Per communem sicut per proprium adquirimus, etiam singuli in solidum, si hoc agat servus, ut uni adquirat, sicut in dominio adquirendo.

Der Herr erlangt den Besitz1 durch einen Sklaven, an dem er nur das Miteigentum hat, ebenso wie durch einen Sklaven, den er in seinem Alleineigentum hat. Dabei ist es sogar möglich, daß auch ein Miteigentümer Alleinbesitz an der ganzen Sache erhält, adquirimus etiam singuli in solidum2 • Das setzt aber voraus, daß sich der Miteigentumssklave entsprechend verhält, si hoc agat servus, ut uni adquirat. Wie sich der Sklave zu verhalten hat, wird mit den letzten Worten des Abschnitts beschrieben: sicut in dominio adquirendo3 • Er muß also 57 Paul. D. 41, 2, 1, 9/10; vgl. auch Paul. D. 41, 2, 25, 1 und (Pomp.) [Paul.] D. 41, 3, 31, 3. 1 Beseler 57 will der Deutlichkeit halber einfügen: servum nach communem und possessionem vor adquirimus. Das ist in diesem Zusammenhang, in dem ohnehin von dem Besitzerwerb durch Sklaven die Rede ist, nicht erforderlich. 2 etiam singuZi in soZidum wird zwar verdächtigt von Bonfante, Scr. III 45!2 {RIL 46, 1913, 831 ff.). Es besteht aber kein Grund für die Annahme, der Sklave sei unfähig, für einen der domini Alleinbesitz zu begründen. 3 Auf dieses dergestalt bestimmte Verfahren kommt es an. Dennoch gilt

§ 10 Erfordernis des Besitzergreifungswillens für den Gewalthaber?

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ähnlich wie bei dem Erwerb des Eigentums für einen einzigen seiner Miteigentümer vorgehen4 • Entweder muß er beim Ergreifen der Sache zum Ausdruck bringen, daß er für einen bestimmten seiner Herrn handelt, nominatim5• Oder er muß- nach Meinung der Sabinianer- auf iussum des interessierten Miteigentümers tätig werden8 • Die Worte si hoc agat servus meinen also das Verhalten des Sklaven in der besonderen Situation, daß er nur für einen seiner Miteigentümer Alleinbesitz begründen will. Sie meinen also keineswegs, daß stets der Besitzerwerb des Herrn oder der Herren von einem entsprechenden Willensentschluß des Sklaven abhängt7. Der Umkehrschluß aus D . 41, 2, 1, 7 macht vielmehr wahrscheinlich, daß alle Miteigentümer Mitbesitz erhalten, wenn der Sklave nicht in der Weise handelt, ut uni adquirat. Die betätigte Willensrichtung des Sklaven ist mithin nur dann erheblich, wenn der Besitz nicht allen, sondern nur einem bestimmten Miteigentümer erworben werden soll. 2. Der servus communis kann also auf iussum oder mit nominatio eines seiner Herren für diesen Alleinbesitz begründen. Zu einem Konsicut in dominio adquirendo als unecht für Salkowski 53; Beseler 57 und SZ 44 (1924) 376 sowie SZ 54 (1934) 325; De Francisci, I1 trasferimento della proprieta (1924) 238. Beseler hält dominium adquirere für "wahrscheinlich immer unecht"; De Francisci beanstandet die Vorliebe der Byzantiner für abstrakte Ausdrücke wiedominiumund proprietas. Doch vermögen derartige

Indizien den Itp.-Verdacht an dieser Stelle nicht zu tragen. 4 Buckland 386; Perozzi I 8563 ; zweifelnd De Zulueta 84 adhl. über die Parallele zwischen Mitbesitz und Miteigentum s. Bonfante 220 f. 5 Vgl. für den Forderungserwerb durch stipulatio und den Eigentumserwerb durch mancipatio Bretone, Servus communis (1958) 91 ff.: Iul. D. 41, 1, 37, 3; Ulp. D. 45, 3, 5; Paul. D. 45, 3, 29; Gai. 3, 167. - GI. in dominio adhl. bezeichnet durch die Verweisung auf D. 41, 1, 37,3 nur diese Alternative. Perozzi (vor. Anm.) schließt ohne Grund gerade diese Möglichkeit aus. 6 Vgl. für den Forderungs- und Eigentumserwerb Bretone (vor. Anm.) 85 ff.: Pomp. D. 45, 3, 6; Gai. 3, 167 a. 7 Der Text wird jedoch häufig so verstanden, als mache er den Besitzerwerb vom Willen des Sklaven abhängig; so insbes. Schloßmann, GrünhZ 8 (1881) 444. Salkowski 52 ff. meint sogar, die Absicht des Sklaven, für den einen oder den anderen zu erwerben, brauche nicht schon beim Erwerbsakt selbst hervorzutreten, sondern könne sich auch aus dem späteren Verhalten des Sklaven ergeben. Gegen dieses so verstandene "Willensdogma" wandte sich schon früh die Itp.-Kritik und eliminierte si hoc - adquirat: Gradenwitz, Interpolationen in den Pandekten (1887) 220; Salkowski 53; Buckland, Slavery 387 (anders später in RH 4, 1925, 374); Bonfante (oben Anm. 2); Guarneri Citati, Bull. 33 (1923) 219 (220)1 ; Beseler, SZ 44 (1924) 376 (anders noch IV 57); Perozzi I 8563 ; Bretone (Anm. 5) 2721. - Zweifelnd Lenel, Pal. I 10634 = Paul. Nr. 657; Solazzi 349 (350) 20 1• - Doch der Text spricht gar nicht vom Willensentschluß des Sklaven. Der Sklave faßt zwar den Entschluß, bevor er sich so verhält, daß er für einen bestimmten seiner Herren Alleinbesitz begründet. Aber nicht der Entschluß ist entscheidend, sondern das Verhalten, id quod actum est, das oben in dem folgenden Satzteil mit den Worten sicut in dominio adquirendo von Paulus noch näher umschrieben wird. Richtig schreibt auch die Glosse nichts von mens oder voluntas; Placentinus sagt vielmehr in gl. adhl.: si hoc egerit.

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

flikt kommt es, wenn der Sklave den einen seiner Herren benannt, aber auf iussum des anderen seine Tätigkeit entfaltet hat. Diesen Konflikt erörtert D. 41, 2, 1, 19 (Paul. 54 ed.): Haec, quae de servis diximus, ita se habent, si et ipsi velint nobis adquirere possessionem: nam si iubeas servum tuum possidere et is eo animo intret in possessionem, ut nolit tibi, sed potius Titio adquirere, non est tibi adquisita possessio. Der Text spricht de servis allgemein. Er meint aber den servus communis. Das ergibt sich aus dem vorangehenden § 18, dessen Gedankengang hier fortgesetzt wird8 • Dafür spricht ferner das Verb iubere, das mit der nominatio beim Erwerb durch einen servus communis kon-

trastiert. Damit erklärt sich schließlich9 , daß der Sklave überhaupt auf den Gedanken kommen kann, statt für den Tu für den Titius zu handeln10. Übrigens ist der Konflikt zwischen dem einen Miteigentümer, der das iussum erteilt hat, und dem anderen Miteigentümer, der bei der Erwerbshandlung des Sklaven benannt wird, auch aus anderem Zusammenhang, nämlich dem des Eigentums-11 und des Forderungserwerbs 12 bekannt. Die Lösung war unter den Juristen streitig. An dieser Stelle meint Paulus: wenn der Miteigentümer Tu dem Sklaven den Erwerb befiehlt, der Sklave aber den Miteigentümer Titius begünstigen will, ist der Besitzerwerb des Tu ausgeschlossen. Ob stattdessen Titius Alleinbesitz erlangt13 , ob überhaupt der Ver8 Zu dem vorhergehenden § 18 s. die Literatur über die Regel non posse nos p eT seTvum heTeditaTium adquiTeTe, quod sit eiusdem hereditatis zuletzt Watson, TR 31 (1963) 73 ff.; Stein, Regulae iuris (1966) 98 und Schmidlin, Rechtsreg. 39 ff. § 18 betrifft die Auswirkung dieser Regel auf den Fall, daß ein servus communis im Miteigentum des Erblassers und des

Erben stand. 9 Eine weitere Stütze findet sich darin, daß der nachfolgende § 20 unter anderem den Prokurator erwähnt, während in ähnlichen Fällen auch die Fragmente Ulp. D. 39, 5, 13 und Iul. D. 41, 1, 37, 6 servus communis und Prokurator nebeneinander erörtern. 10 Allgemein nimmt man aber an, § 19 handele von dem Sklaven eines einzigen Herrn; so schon Jhering, Der Besitzwille (1889) 286. Infolgedessen gilt dieser ganze Paragraph als itp. seit Gradenwitz (oben Anm. 7): FerTini II 525 (AG 40, 1888, 163 ff.); Lenel, Pal. I 1064 = Paul. Nr. 657; Buckland, Slavery 133 (anders RH 4, 1925, 370ff.); Solazzi 349201 ; BeseleT IV 57 und 69; ders., SZ 44 (1924) 376 und TR 10 (1930) 177; Perozzi I 8562 und 3 ; Nicosia 9414 und 112; Wieacker 374; wohl auch Burdese 520. Perozzi I 8562 und 3 nimmt ebenfalls Itp. an, obwohl er die Stelle auf einen Miteigentumssklaven bezieht. - Für Echtheit im Hinblick auf den Sklaven eines einzigen Herrn: Buckland, RH 4 (1925) 370 ff. und Buckland - Stei n, Textbook, 3. Aufl. (1963) 201. - Daß hier ein servus communis gemeint ist, wurde jedoch schon von Bekker, Das Recht des Besitzes (1880) 2151, vermutet und auch von Salkowski 9413 erwogen. Last, JherJb. 62 (1913) 694 hat von diesem Ausgangspunkt aus die Itp.-Verdächtigungen bekämpft. 11 Ulp. D. 39, 5, 13; Iul. D. 41, 1, 37, 6; hierzu Bretone (o. Anm. 5) 60 7• 12 Iust. C. 4, 27, 2- dazu SchindZer 329 ff. 13 Salkowski 94 13 • Die Frage könnte analog zu den Entscheidungen in den übereignungsfällen D. 39, 5, 13 und D. 41, 1, 37, 6 eher zu verneinen sein.

§ 10

Erfordernis des Besitzergreifungswillens für den Gewalthabea-?

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äußerer seinen Besitz verliert, wird nicht gesagt. Die für Tu nachteilige Folge knüpft nicht an einen verdeckt gebliebenen Willen seines Sklaven an. Mit velle meint der Jurist ein Verhalten, das er schon in § 7 desselben Fragments bezeichnet hat: die Bezeichnung des begünstigten Miteigentümers bei der Erwerbshandlung des Sklaven14• II. 1. Auf den Willen des Sklaven, eine bestimmte Person zum Besitzer zu machen, wird auch in den folgenden beiden Fragmenten abgestellt. D. 41, 2, 34,2 (Ulp. 17 disp.): Servus quoque meus ignoranti mihi adquiret possessionem. nam et servus alienus, ut Celsus scribit, sive a me sive a nemine possideatur, potest mihi adquirere possessionem, si nomine meo eam adipiscatur: quod et ipsum admittendum est.

Ulpian bestätigt die Möglichkeit, daß der dominus, ohne davon zu wissen, durch seinen servus Besitz erwerben kann. Damit knüpft der Jurist an seine Erklärung im vorigen Paragraphen an, daß der Geschäftsherr durch seinen Prokurator ohne eigene Kenntnis zum Besitzer einer Sache gemacht werden kann. Mit diesem Hinweis wiederum hat er seine Meinung abgesichert, daß der Geschäftsherr, auch wenn er in einem Irrtum befangen ist, mit Hilfe eines Prokurators, der diesen Irrtum nicht teilt, Besitz zu begründen vermag15 • In diesem Zusammenhang ist es erheblich, daß der Herr durch Dritte, und zwar auch bei eigener Unkenntnis, Besitz erwerben kann. Die Einzelheiten des Besitzerwerbes durch Dritte sind hier unwichtig. Deswegen bleibt es unerwähnt, daß der Erwerb mittels Sklaven von dessen Handeln für sein Pekulium abhängt16. Im Anschluß an die Erörterung, die ihren Ausgang bei dem Prokurator nahm und sodann den eigenen Sklaven berührte, kommt Ulpian auf den fremden Sklaven zu sprechen. Er beantwortet die Frage, ob der Besitzerwerb auch mit dessen Hilfe möglich sei, durch ein CelsusÄhnlich schon Bekker 2151 und Buckland, RH 4 (1925) 373 ff. 15 Ulp. D. 41, 2, 34, 1: et cum placeat ignoranti adquiri, poterit et erranti. Echt nach Rotondi 2151 ; Beseler 58; Betti, Esercit. (1930) 83; Nicosia 28658 und Di Lella 460 mit 93. - Ohne Grund wurde dieser Satz früher verdächtigt von Alibrandi I 275; Ferrini, Pand., 4. Aufl. (1953) 2523 ; De Francisci 1013; Solazzi 351 (352)2°2 ; Schulz, SZ 33 (1912) 78 und Hägerström I 94 f. 16 Buckland 1329 und 2001; Fuenteseca 57828• - Andere Bearbeiter halten stattdessen auch die Streichung eines ausdrücklichen Hinweises auf das Pekulium für möglich: De Zulueta 104 adhl. und Di Lella 460 f.- Nur an die 14

zuletzt genannte Möglichkeit der Kürzung durch die Kompilatoren glauben De Francisci 1012 f. und Riccobono 3583. - Jegliche Beziehung auf das Pekulium leugnen Beseler 64; Schulz 440; Nicosia 285 ff. und Watson 211. Zwischen diesen Meinungen schwanken Solazzi 349 und 353; Bonfante 271 und 285. -Vollständige Itp. des ganzen Paragraphen behauptet Wesenberg, St. Albertario II 57.

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Zitat17 • Nach dem Zitat in seiner überlieferten Form erwirbt man den Besitz auch durch einen fremden Sklaven, ohne Rücksicht auf den Besitz an dem Sklaven selbst, sofern der Sklave die Sache im Namen des Erwerbers ergreift. In seiner überlieferten Form widerspricht das Fragment allen sonst bekannten Äußerungen der klassischen Juristen18• Alle bisherigen Äußerungen setzen ein bestehendes oder wenigstens scheinbares Recht an dem Sklaven voraus. Gai. 2, 95 verneint ausdrücklich den Erwerb durch einen fremden Sklaven, an dem nicht ein Nießbrauch oder eine iusta possessio besteht. An einem fremden Sklaven ist - abgesehen von dem verpfändeten Sklaven und dem, sei es gutgläubig, sei es bösgläubig besessenen "Scheinsklaven" - Besitz nicht denkbar, wiewohl das überlieferte Fragment das als möglich voraussetzt. Der Hinweis auf den Besitz an dem Sklaven macht wahrscheinlich, daß Ulpian und Celsus, in Übereinstimmung mit anderen klassischen Juristen, zunächst den Besitzerwerb durch einen gutgläubig besessenen Scheinsklaven bejaht haben19• Auf diesen würden die Worte servus alienus ... a me ... possideatur passen. Es ist nicht zu erkennen, ob sie sich auch über die Besitzbegründung durch den Pfandsklaven, die von Julian und Paulus abgelehnt wurde20 , geäußert haben. Es ist auch nicht ersichtlich, ob sie die Einzelheiten des Erwerbes erläutert haben. Dagegen spricht, daß die Einzelheiten auch im ersten Satz, in dem es um den Erwerb durch den eigenen Sklaven ging, fehlen, und daß die Beschränkung auf die Sachen, die aus der eigenen Tätigkeit des Sklaven oder den Mitteln des Herrn beschafft werden21 , übergangen wird. Der Text überliefert stattdessen die Bedingung, si nomine meo eam adipiscatur22 • Diese Bedingung wird aber allenfalls die zweite Alternative betreffen, in welcher von dem Sklaven die Rede ist, der a

nemine possideatur.

17 Beseler 64 streicht nam et. Aber diese Verbindung zeigt nur, daß die nun folgenden Ausführungen die vorhergehenden noch übertreffen und dadurch absichern: vgl. Watson 211. 18 Der Satz gilt allgemein als verderbt: De Francisci 1012 f.; Riccobono 3583 ; Solazzi 349; Schulz, SZ 33 (1912) 79; ders., CRL 440; Rotondi 1482 ; Perozzi I 856 (857) 4 ; Micolier 559~2 ; Bonfante 271 und 285; Wesenberg (Anm. 16); Di Lella 459 ff. - Beseler 64; Pringsheim I 359m und Watson 212 streichen sive a me sive a nemine possideatur. 19 Beseler 64; De Zulueta 104 adhl.; Nicosia 11354 und 285. Ablehnend Di Lella 460 ff. zo Iul. D. 41, 1, 37 pr. und Iul.-Paul. D. 41, 2, 1, 15- oben § 7 II. 21 Oben § 5 I, unten § 13 zu den Voraussetzungen des Besitzerwerbes durch einen "Scheinsklaven". 2z Diese Worte werden auch von denen, die nicht den pauschalen Verdacht gegen den Satz nam et rell. teilen, für itp. erachtet: Beseler 65; Nicosia 113~4 und 285; Wieacker 374; Burdese, Labeo 8 (1962) 411; ders., St. Biondi I 520.

§ 10

Erfordernis des Besitzergreifungswillens für den Gewalthaber?

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In dem zweiten Fall glauben wir erst recht nicht, daß Celsus der Meinung seiner Zeit so weit vorausgeeilt wäre, daß er den von niemandem besessenen fremden Sklaven ganz allgemein als Erwerbsperson anerkannt hätte. Eine Erfindung Tribonians würden wir aber erst annehmen, wenn im klassischen Recht keine Umstände denkbar wären, in welchen ein fremder, besitzloser Sklave für den Besitzerwerb in Frage kommt. Derartige Umstände ergeben sich, wenn der Sklave als ein Gewaltfreier für einen anderen als Prokurator tätig ist23 • Da er in seinem wirklichen status als Sklave und in seinem angenommenen status als Gewaltfreier zum Besitzerwerb geeignet wäre, konnte man ihm die Fähigkeit zuerkennen, wie ein gewaltfreier Prokurator für seinen Geschäftsherrn Besitz zu begründen. Die Besitzbegründung konnte nicht von dem Handeln für sein Pekulium abhängig gemacht werden, weil man nicht daran denken konnte, einem angeblich Gewaltfreien ein solches zu bestellen, sondern von dem Tätigwerden für den Geschäftsbereich seines Herrn. Die Beziehung zu den Angelegenheiten des Geschäftsherrn mochten die klassischen oder - zum Zwecke der Verallgemeinerung - die justinianischen Juristen mit den Worten si nomine meo eam adipiscatur bezeichnet haben. Diese Erklärungen haben gewiß nur einen Wahrscheinlichkeitswert. Sie passen aber mit den übrigen Kenntnissen, die wir vom Besitzerwerb durch Dritte haben, zusammen. Sie sind auch einleuchtend in dem Gang der ulpianischen Disputation: vom Prokurator über den Sklaven zu dem Sklaven, der wie ein Prokurator auftritt. Die Erklärungen brauchen keinen Teil des uns überlieferten Fragments als völlig unecht zu verwerfen, sondern können sich mit der Annahme einer zusammenfassenden und generalisierenden Kürzung durch die Kompilatoren begnügen. Die Kompilatoren werden dann ihr Werk mit den Worten quod et ipsum admittendum est selbst gelobt haben24 • Nach alledem ist die Auslegung von D. 41, 2, 34,2 erheblich mit mehreren Unsicherheitsfaktoren belastet: wir halten es für denkbar, daß Celsus und Ulpian den Besitzerwerb durch einen Scheinsklaven anerkannt haben, ohne auf die weiteren Voraussetzungen einzugehen. Es ist ferner möglich, daß die Juristen auch den Erwerb durch einen fremden Sklaven, der sich als gewaltfreier Prokurator betätigt, zugelassen haben. 23 Buckland 132 f.; vgl. auch Salkowski 1666 • Ob in klassischer Zeit noch unfreie Prokuratoren vorkamen, kann hier offenbleiben. Wenn es einen solchen unfreien Prokurator noch gegeben haben sollte, so wird ihn der Jurist nicht als einen servus, der a nemine possideatur, bezeichnet haben. 24 Gegen die Schlußworte, die vielleicht eine längere klassische Kontroverse oder Erläuterung ersetzen, schon Beseler IV 65 und Nicosia 28970 •

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

2. Eine ähnliche Lösung mag auch die Schwierigkeiten des folgenden Abschnitts beseitigen:

D. 41, 3, 31,2 ((Pomp.) [Paul.] 32 Sab.) 25 : Servus licet in libertate moretur, nihil possidet nec per eum alius. atquin si nomine alicuius, dum in libertate moratur, nactus fuerit possessionem, adquiret ei, cuius nomine nactus fuerit.

Der Sklave, der wie ein Gewaltfreier lebt, ist zu eigenem Besitz nicht fähig. In Übereinstimmung mit Pomponius' ablehnender Haltung gegenüber dem Erwerb durch einen Sklaven, der geflohen ist oder bei einem anderen gutgläubig dient28 , wird auch der Erwerb des wirklichen Herrn durch den in tatsächlicher Freiheit lebenden Sklaven verneint. Statt des wirklichen Herrn kommt hier auch kein "Scheinherr" als Besitzer der von dem Sklaven erlangten Sachen in Betracht, weil der Sklave bei niemandem als Gewaltunterworfener dient. Pomponius geht ausdrücklich davon aus, daß sich der Sklave in libertate befinde. Die Besitzbegründung müßte aber hier auch soweit möglich sein, wie sie durch einen Freien zulässig ist. Wieder bietet sich die Lösung an, den Sklaven zum Besitzerwerb zuzulassen, wenn er als Prokurator handelt27. Dafür mögen wiederum die Worte sprechen, daß er nomine seines Gewalthabers zu handeln habe28 • III. Cels.- Ulp. D. 41, 2, 34, 2 und (Pomp.)[Paul.] D. 41, 3, 31, 2 verlangen zwar, daß der Sklave die Sache im Namen dessen ergreift, der Besitzer der Sache werden soll. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein Erfordernis, das allgemein für alle Fälle des Besitzerwerbes durch einen Sklaven gilt, sondern um eine Voraussetzung, die nur in dem besonderen Fall besteht, daß der Sklave wie ein gewaltfreier Prokurator auftritt. Gemäß Paul. D. 41, 2, 1, 7 und 19 ist diese Voraussetzung außerdem dann erheblich, wenn bei dem Erwerb durch einen Miteigentumssklaven nicht, wie es die Regel ist, alle Miteigentümer den Mitbesitz, sondern nur einer von ihnen den Alleinbesitz an der Sache erhalten soll. Daß es aber im allgemeinen nicht darauf ankommt, ob der Gewaltabhängige seinen Gewalthaber zum Besitzer machen will, zeigt sich vor allem in zwei Fallgruppen. Erstens erlangt nach einer weit verbreiteten Meinung auch der Herr des Sklaven, der geflohen ist, den Besitz an den von ihm ergriffenen Gegenständen29. Zweitens wird Zur Ersetzung des Paulus durch Pomponius s. § 9 Anm. 32. Pomp. D. 41, 1, 21 pr. - dazu § 5 I 1 und § 13 II; ( Pomp.) [Mod.] D. 41, 1, 54, 4 - dazu §§ 5 I 3, 13 III 1 und 25 II. 27 Buckland 133, aber mit Itp.-Verdacht. 28 Im allgemeinen gilt atquin rell. als itp.: Buckland (vor. Anm.); Solazzi 349201 ; Beseler IV 188; Kübler, SZ 42 (1921) 536; Rotondi 1482 ; Perozzi I 8551 ; Pringsheim I 359128 ; Nicosia 113; Wieacker 374; Burdese, St. Biondi I 520. 29 Darauf weisen schon Bekker (o. Anm. 10), Gradenwitz (o. Anm. 7), Perozzi I 8553 und noch Wieacker 374 hin. - Zum Besitzerwerb durch einen servus fugitivus unten § 23. 25

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§ 11 "Possidere", ausgesagt vom Gewaltabhängigen

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der paterfamiLias auch Besitzer der Sachen, die sein Sohn erwirbt, wenn der Sohn nicht weiß, daß er sich in der patria potestas befindet30 • Umgekehrt wird der Sohn Besitzer der Sachen, die er in der irrigen Meinung erworben hat, er unterstehe noch der väterlichen Gewalt31 • In allen diesen Fällen denkt der Sklave oder Sohn nicht an die Person, die als Besitzer der von ihm erworbenen Gegenstände angesehen wird. Er kann also gar nicht den Willen gehabt haben, diese Person zum Besitzer zu machen. Auf einen derartigen Willen kommt es also offenbar nicht an. Daher ist es mißverständlich, dem Sklaven den animus rem alieno nomine tenendi32 oder possidendi33 zuzuschreiben. § 11 "Possidere", ausgesagt vom Gewaltabhängigen In einigen Quellen wird possidere in Bezug auf einen Gewaltabhängigen gebraucht1• Nirgends wird aber zum Ausdruck gebracht, daß der Gewaltabhängige den Ersitzungs- oder Interdiktenbesitz innehabe. Nur an einer Stelle werden an das ihm zugeschriebene possidere rechtliche Folgerungen geknüpft: D. 45, 1, 38, 7 (Ulp. 49 Sab.): Haec quoque stipulatio: ,possidere mihi licere spondes?' utilis est: quam stipulationem servus an possit utiliter in suam personam concipere, videamus. sed quamvis civili iure servus non possideat, tarnen ad possessionem naturalem hoc referendum est, et ideo dubitari non oportet, quin et servus recte ita stipuletur. Ulpian erörtert die den Kaufvertrag begleitenden Stipulationen, mit denen sich der Käufer von dem Verkäufer den ungestörten Besitz der Sache zusichern läßt2 • Ob der Sklave, der einen Gegenstand kaufte, zu seinen eigenen Gunsten, in suam personam, das possidere licere stipulieren konnte, war zweifelhaft. Der Zweifel bestand deshalb, weil ein Gewaltabhängiger eine Sache nicht civiLi iure besitzen kann. Der Ausdruck bezeichnet hier wahrscheinlich nicht die possessio civiHs, den Ersitzungsbesitz, sondern allgemein die von der Rechtsordnung anerkannte possessio, also neben dem Ersitzungs- auch den Interdiktenbesitz. Den Schutz dieses Besitzes kann sich der Sklave von dem Ver30 Vgl. Ulp. D. 41, 2, 4 (dort aber Unkenntnis des Vaters von seiner potestas über den Sohn) -oben §§ 4 I 3 und 7 I 1, unten § 26 II. 31 Pap. D. 41, 3, 44, 4 - oben § 4 111, unten § 12 II 1. 32 Burdese 524. 33 Nicosia 91 ff. im Anschluß an Lauria 99 ff. 1 Paul. D. 41, 2, 1, 5 (dazu §§ 1 II, 3 I, 4 I 1, 8 II, 9 IV 2, 18 I, 20 111); Iav. D. 41, 2, 24 (dazu §§ 12 I 2, 17 II 3, 18 111); Pap. D. 41, 3, 44, 7 (dazu § 21 IV); Pomp.-Paul. D. 41, 4, 2, 12 (dazu § 9 I 3); Iul. D. 49, 15, 22, 3 (dazu § 21 V); Paul. D. 49, 15, 29 (dazu §§ 14 I 1, 20 II, 21 II); vgl. auch Paul. D. 41, 2, 1, 19 (§ 10 I 2) und Cels.-Paul. D. 41, 4, 2, 11 (§ 17 II 1). 2 Dazu Kaser I 555 f.; Coudert, Recherehes sur les stipulations et les promesses pour autrui (1957) 75 ff., zu dieser Stelle 8325 •

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

käufer nicht für sich selbst versprechen lassen, weil er nicht als Besitzer im Rechtssinne anerkannt ist. Aber possidere ist hier, so meint Ulpian, auf die naturalis possessio zu beziehen. Die Gewährung dieser natürlichen Innehabung kann auch ein Sklave von seinem Kontrahenten für sich selbst verlangen3 • Schon aus diesen Erörterungen folgt, daß der Gewaltabhängige nur zur natürlichen Innehabung, nicht zum rechtlich anerkannten Besitz zugelassen ist.

§ 12 "Besitzunfähigkeit" des Haussohns und des Sklaven I. 1. In dem soeben erörterten Fragment Ulp. D. 45, 1, 38, 7 wurde an die tatsächliche Innehabung, die der Sklave ausübt, die rechtliche Folge geknüpft, daß die Stipulation des possidere licere zugunsten des Sklaven selbst gültig ist. Dabei wurde ausdrücklich erklärt, er sei zum possidere im Rechtssinne nicht fähig.

2. Ähnlich sagt D. 41, 2, 24 (Iav.14 ep.) : ... et peculium, quod servus civiliter quidem possidere non posset, sed naturaliter tenet, dominus creditur possidere . .. Wieder heißt es ausdrücklich, daß der Sklave eine Sache nicht im Rechtssinne, civiliter, besitzen, sondern nur tatsächlich, naturaliter, innehaben könne1 • Als Besitzer wird der dominus angesehen2 • 3 Beseler, SZ 45 (1925) 483; Albertario II 1263 und 223 f.; Kaser, EB 3291 , 33627, 33730 halten sed quamvis rell. für itp. Für Unechtheit auch Scherillo, St. Bonfante IV 223 ff. und 235. Scherillo beanstandet vor allem, daß schon im ersten Satz unklar ist, in welcher Beziehung die Stipulation utilis ist. Er meint weiter, daß die überlieferten Zweifel und die Ulpian zugeschriebene Entscheidung ausführlicher hätten begründet werden müssen. Als Itp.Indizien werden ferner genannt quamvis . .. tarnen sowie et ideo. - Segre, Riv. dir. com. 12 (1914) 1064 streicht lediglich et ideo rell. - Perozzi I 869 N. und Nicosia 3947 halten nur civili iure für unecht. - Für Echtheit indessen Riccobono 334 und 361; Hägerström I 204; Kunkel, Symb. Lenel 44 und 50; Maschi, La concezione naturalistica (1937) 116 f.; MacCormack, SZ 84 (1967) 64. In der Tat vermögen die beigebrachten formalen Indizien den Verdacht nicht zu tragen. Possidere civili iure und possessio naturalis ergeben hier einen guten Sinn. Die Entscheidung Ulpians, die Gültigkeit der Stipulation, läßt sich kaum in Zweifel ziehen. Wenn die Frage in klassischer Zeit überhaupt streitig war, wofür videamus spricht, dann kann die bejahende Antwort nicht als unklassisch verworfen werden. Hätten erst die Kompilatoren die aufgeworfene Frage bejahen wollen, so hätten sie einfacher den überlieferten Text ab utilis est ganz beseitigen oder in dem auf utilis folgenden Satz an sowie videamus streichen und possit in potest verwandeln können. 1 Dieser Satz gilt jedoch vielen als unecht: Riccobono 356 ff.; Vassalli III 1, 409 (APer. 12, 1914, 36); Beseler IV 64 und V 74; Rotondi 1851,237, 240; Kunkel, Symb. Lenel 471 ; Maschi, La concezione naturalistica (1937) 1131 ; Albertario II 223 und 297 ff.; Kaser, EB 3291 und 33730 ; De Zulueta 100 adhl.; Fuenteseca 5722 • Allgemeine Bedenken gegenüber der ganzen Stelle äußern ferner Micolier 55748 ; Niederländer, SZ 69 (1952) 22662 ; Nicosia 301 ff.; Wieacker 381. - An formalen Indizien wird insbesondere angeführt, daß in diesem Satz vom dominus gesprochen wird, während der erste Satz von Tu redet, daß

§ 12 "Besitzunfähigkeit" des Haussohns und des Sklaven

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3. Eine andere, schon besprochene Stelle3 erklärt: D. 41, 3, 31,2 ((Pomp.) [Paul.] 32 Sab.): Servus, licet in libertate moretur, nihil possidet ... Selbst, wenn der Sklave wie ein Gewaltfreier lebt, wird ihm die Anerkennung als Besitzer versagt. 4. In diesen Zusammenhang scheint auch zu gehören: D. 41, 3, 4, 4 (Paul. 54 ed.): Servus pro berede possidere non potest. Nach den drei vorher wiedergegebenen klassischen Äußerungen ist es nahezu selbstverständlich, daß der Sklave eine Sache nicht für sich besitzen und ersitzen kann. Es wäre daher überflüssig zu betonen, daß er auch nicht zum Besitz pro herede zugelassen ist. Paulus versagt dem Sklaven den Besitz pro herede einschränkungslos. Es ist daher anzunehmen, daß der Sklave die Sache nicht einmal für seinen Herrn in Besitz nehmen kann. Deswegen wird der Satz im allgemeinen aus den besonderen Verhältnissen bei der Ersitzung pro herede erklärt4 und nicht auf den Sklavenbesitz in sonstigen Fällen bezogen. II. 1. Daß auch der Haussohn, solange er unter der patria potestas steht, nicht selbst Besitzer der von ihm ergriffenen Sachen wird, ergibt D. 41, 3, 44,4 (Pap. 23 quaest.): .. . qui rem ex causa peculiari quaesitam nec possidere possit .. .s. 2. Das gleiche erklärt D. 50, 17,93 (Maec.l fideicomm.): Filius familias neque retinere neque reciperare neque apisci possessionem rei peculiaris videtur. außerdem posset statt des zutreffenden potest steht. Beseler beanstandet civiZiter als meistens unecht. Außerdem wird bemerkt, daß dieser Satz in B. 50, 2, 23 = Hb. V 51 = Sch. A VI 2336 fehlt. Wir halten diese Anzeichen nicht für sichere Beweisgründe. Der beanstandete Wechsel von Tu zu dominus mag sich damit erklären, daß dieser Begründungssatz von allgemeinerer Bedeutung ist. Posset statt potest mag auf einem Diktierfehler oder Kopierversehen beruhen. Die Echtheit von civiliter possidere im Sinne von rechtlich anerkanntem Besitzen wird wohl angesichts der noch in Bewegung befindlichen Besitzterminologie der Römer nicht generell bestritten werden können. - Keine Bedenken in Hinsicht auf diesen Satz bei Bonfante, Scr. III 539; Gordon 29!29 und MacCormack, SZ 84 (1967) 54. z Im übrigen zu der Stelle unten§§ 17 II 3 und 18 Ill. 3 Zu D. 41, 3, 31, 2 schon oben § 10 II 2. 4 Insoweit besteht seit der Glosse adhl. Einigkeit: Cuiacius V 1162, In lib. LIV Pauli ad ed. l. IV § Furiosus; H. Krüger, SZ 54 (1934) 80; Gandolfi, Bull. 61 (1958) 282 ff.; Mayer-Maly, RE 9 A (1961) 1130 sv. usucapio; Franciosi, Usucapio pro berede (1965) 1116 erklären den Satz damit, daß der Sklave nicht Erbe sein kann. - Vielleicht läßt sich der Satz auch mit der vielfach überlieferten Regel der veteres, daß ein in der Erbschaft befindlicher Sklave diese Erbschaft nicht für einen anderen besitzen kann, erklären. Zu dieser Regel - aber ohne Hinweis auf unsere Stelle - s. die o. § 10 Anm. 8 Genannten. 6 Zu dieser Stelle schon oben § 4 Ill. 5 Benöhr

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Maecian verwirft den eigenen Besitz des Haussohns. Da der Satz im Zusammenhang mit dem peculium castrense steht6 , wird der Jurist den eigenen Besitz der in dem peculium castrense befindlichen Sachen bejaht haben7 • 3. Den eigenen Besitz des Haussohns an den Sachen seines peculium castrense, den Besitz des Hausvaters an den übrigen Gegenständen

bejaht auch D. 41, 3, 4, 1 (Paul. 54 ed.): Usucapere potest scilicet pater familias. filius familias et maxime miles in castris adquisitum usucapiet.

Die Verallgemeinerung et maxime, die dem Haussohn an allen Gegenständen den eigenen Besitz zusprechen will, ist ein späterer Einschubs. III. Von allen Gewaltunterworfenen spricht D. 41, 2, 49, 1 (Pap. 2 defin.): Qui in aliena potestate sunt, rem peculiarem tenere possunt, habere possidere non possunt, quia possessio non tantum corporis, sed et iuris est. Papinian grenzt das tatsächliche tenere von dem rechtlich anerkannten habere possidere ab. Nur das tatsächliche tenere, nicht das habere possidere steht den Gewaltunterworfenen zu. Papinian gibt auch eine einleuchtende Begründung: der Besitz enthalte nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche Elemente9 • Wegen dieser rechtlichen Elemente komme er einer vermögens- oder sogar rechtsunfähigen Person nicht zu. In allen diesen Stellen wird also unmißverständlich die juristisch relevante possessio, der Ersitzungs- ebenso wie der Interdiktenbesitz, dem Gewaltabhängigen versagt10• Die einzige Ausnahme besteht zugunsten des Haussohns an den Sachen seines peculium castrense.

Lenel, Pal. I 575 = Maec. Nr. 2. Damit würde es übereinstimmen, daß Maecian in D. 49, 17, 18,4 die actio ad exhibendum wegen Sachen, die sich im peculium castrense des Haussohns befinden, nicht gegen den Hausvater gewährt- Näheres § 26 111 3. 8 Cuiacius VI 620, Ad tit. de usurpationibus, 1. sequitur § 4; Albertario I 160 (Bull. 39, 1931, 7); La Rosa, Peculii speciali (1953) 22 ff. - Ungerechtfertigt ist aber der Verdacht gegen das ganze Fragment, geäußert von Alibrandi I 299 und 314; Bonfante I 105~; ders., Ist., 10. Aufl. (1959) 3631 • 9 Zu diesem Satz schon oben § 1 IV. 10 De Francisci 1003 führt zu Recht dieses Ergebnis auf die Struktur und die vermögensmäßige Einheit der römischen Familie zurück. 8

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§ 13 "Besitzunfähigkeit" des homo liber bona fide serviens

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§ 13 "Besitzunfähigkeit" des homo liber bona fide serviens I. 1. Über den Besitzerwerb durch den homo libeT bona fide seTviens1 unterrichtet zunächst Gai. 2, 94: ... Per eum vero, quem bona fide possidemus, sine dubio et possidere et usucapere possumus. Loquimur autem in utrisque personis secundum definitionem, quam proxume exposuimus; id est si quid ex re nostra vel ex operis suis adquirant, id nobis adquiritur2• Der "Scheinherr" erlangt den Besitz an den Sachen, die der "Scheinsklave" entweder mit den Mitteln des Scheinherrn erlangt oder durch eigene Arbeit schafft3 • Gaius macht keinen Unterschied danach, ob der Scheinsklave ein homo ZibeT bona fide seTviens oder ein seTvus alienus ist. 2. Den Besitzerwerb des Scheinherrn mittels eines Scheinsklaven bestätigt D. 41, 4, 7, 8 (Iul. 44 dig.): Liber homo, qui bona fide nobis servit, isdem modis ex re nostra adquirit nobis, quibus per servum nostrum adquirere solemus: quare sicut [traditione] (mancipatione)4, ita usucapione rem nostram faciemus interveniente libera persona, et si peculii nomine, quod ~os sequi debet, emptio contracta fuerit, etiam ignorantes usucapiemus. Julian stellt den Erwerb mittels eines homo ZibeT bona fide seTviens dem Erwerb mittels eines eigenen Sklaven vollkommen gleich, vorausgesetzt, daß der homo ZibeT mit Mitteln des Scheinherrn handelt. Aus der Gleichstellung ergibt sich für den Juristen, daß der Scheinherr durch die Manzipation oder Usukapion des Scheinsklaven5 erwirbt6, 1 Zum homo ZibeT bona fide serviens: Dulckeit, Erblasserwille und Erwerbswille (1934) 9 ff.; Ciulei, Homo liber bona fide serviens (1941) pass.; Reggi, Liber homo bona fide serviens (1958) pass. 2 Zu dieser Lesart David-Nelson, Kommentar 307 adhl.- id nobis adquiritur fehlt in I. 2, 9, 4 und wird ein Glossem sein; David-Nelson 309 f. 3 Solazzi, Per il XIV cent. 398 verdächtigt zu Unrecht per eum vero rell. Die Zusammenstellung des Nießbrauchssklaven, von dem im Anfang des Paragraphen die Rede war, und des "Scheinsklaven" findet sich weiter bei Gai. 2, 86, 92 und 93. Solazzi beanstandet auch ohne Grund die Voraussetzung, daß der Scheinsklave ex re nostra vel ex operis suis die Sache zu beschaffen habe. Dieselbe Einschränkung findet sich auch in den folgenden Fragmenten. - Beseler, SZ 53 (1933) 11 verdächtigt sine dubio; Kaser, SZ 70 (1953) 133 verteidigt hingegen dubitatio bei Gaius. Arangio-Ruiz, St. Riccobono IV 394; Reggi 13422 und Nicosia 2519 halten sine dubio an dieser Stelle für echt. In der Tat wird mit diesem Einschub der Vergleich zu der angeblich fragwürdigen Rechtslage des Nießbrauchers, in dem Paragraphen eingeleitet mit quaeritur, klar akzentuiert. 4 Lenel, Pal. I 439 5 = Iul. Nr. 618. 5 Bonfante 276 beanstandet die grammatikalische Konstruktion und den Ausdruck libera persona. Beseler 68 und SZ 45 (1925) 451 meint: "InteTveniente libera persona statt per liberam personam ist undeutlich", und streicht sicut traditione - libera persona, et. Nicosia 313 setzt ohne Grund an die Stelle von sicut traditione - nos sequi debet die Worte si ab eo ex

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

und daß für den Usukapionserwerb die Kenntnis des Herrn entbehrlich ist, falls der homo liber für das Pekulium handelt7. 3. Daß der Gewaltfreie keinen Besitz durch einen Freien erlangt, den er aus Arglist oder mit Gewalt festhält, wurde bereits in anderem Zusammenhang erörtert8 • II. Wenn der Scheinsklave einen Gegenstand erlangt, ohne dafür Mittel des Scheinherrn oder seine eigene Arbeitskraft eingesetzt zu haben, wenn also die Voraussetzungen für den Besitzerwerb des Scheinherrn nicht erfüllt sind, fragt es sich, ob der liber homo selbst Besitzer der Sache wird: D. 41, 1, 21 pr. (Pomp. 11 Sab.): Si servus meus tibi bona fide serviret et rem .emisset traditaque ei esset, Proculus nec meam fieri, quia servum non .possideam, nec tuam, si non ex re tua sit parata. sed si liber bona fide tibi lserviens emerit, ipsius fieri. In dem ersten der beiden Fälle kauft der Sklave des Ego, der dem Tu bona fide dient, eine Sache und erhält sie übergeben. Diese Sache gelangt nicht in das Eigentum des Ego, weil er den Sklaven nicht besitzt, und nicht in das Eigentum des Tu, wenn es sich um den Erwerb extra duas causas - also nicht aus der Arbeit des Scheinsklaven oder aus den hier allein genannten Mitteln des Scheinherrn- handelt9 • In dem zweiten der beiden Fälle ist der Scheinsklave, der dem Tu bona fide dient, ein liber homo. Auch er kauft eine Sache. Die weiteren Einzelheiten werden nicht mitgeteilt und werden daher denen des

re nostra. - Hingegen charakterisiert Watson 216 Verb und Verbform zu Recht als gutes Latein. 8 rem nostram faciemus erklärt also die rechtliche Zuordnung des Erwerbsvorganges zum Scheinherrn. Außerdem begreift diese Form den Eigentumserwerb sowohl durch Manzipation als auch durch Usukapion in sich. Die Wendung ist also nicht so "seltsam", wie Beseler, SZ 45 (1925) 451, und Nicosia 313 meinen. Daß wir nicht stets, sondern nur "unter Umständen" Eigentümer werden (Beseler a.a.O.), ist für den klassischen Juristen selbstverständlich und bedarf nicht noch der Hervorhebung, Watson 216. 7 Entgegen Beseler und Nicosia 313 ist et si eine logische Gedankenverknüpfung, denn zunächst hatte der Jurist grundsätzlich den Erwerb mittels eines homo liber bejaht, und jetzt - veranlaßt durch die Erwähnung der usucapio - behandelt er den Sonderfall, daß der homo liber eine Sache namens des Pekuliums und ohne Wissen des Herrn erwirbt; vgl. Watson 216.- Das nun genannte Pekulium ist kein Beispiel für die vorher erwähnte res nostra; so aber Beseler und Nicosia. s Kein Besitzerwerb des malae fidei possessor nach Paul. D. 41, 2, 1, 6 (dazu oben §§ 5 I 2 und 7 I 2, außerdem sogleich in diesem§ 13 III 2); kein Erwerb durch den gewaltsam Festgehaltenen nach Iav. D. 41, 2, 23, 2 (oben §§ 4 IV und 5 Il).

9 Da der Besitzerwerb des Ego und des Tu schon aus den soeben oben dargelegten Gründen fehlschlägt, kommt es nicht darauf an, ob für den erfolgreichen Erwerb noch weitere Voraussetzungen, vor allem das Handeln mit Wissen des Scheinherrn oder für das Pekulium, gegeben sein müßten; vgl. Wieacker 375.

§ 13 "Besitzunfähigkeit" des homo liber bona fide serviens

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ersten Falles gleichen: Der Scheinsklave erhält die Sache übergeben; als Eigentumsübertragungsform wird die traditio vollzogen10 ; der Erwerb liegt extra duas causas. Aber die Lösung der beiden Fälle ist verschieden: dort erwarb niemand Eigentum, hier erwirbt der liber homo Eigentum11 • Er hat also Anerkennung als Besitzer gefunden12 ; für Eigentumserwerb ohne Besitzerwerb ist nichts zu erkennen. Proculus Pomponius setzen die beiden Fälle des bona fide serviens durch sed klar voneinander ab. Die unterschiedliche Lösung ist zuverlässig zu begründen und nicht etwa, wie einige Neuere meinen, inkonsequent und unlogisch13 • Der Besitzerwerb des liber homo läßt sich zwanglos mit seiner äußerlichen Sachherrschaft über den Gegenstand erklären14• Diese äußerliche Sachherrschaft an dem in Frage stehenden Gegenstand ist auch nicht rechtlich beschränkt, weil dem Scheinherrn der Besitz und das Eigentum extra duas causas nicht zusteht.

III. 1. An einer anderen Stelle erklärt Pomponius jedoch , D. 41, 1, 54,4 ((Pomp.) [Mod.] 31 Quint. Muc.) 15 : Quidquid tarnen liber homo .vel alienus quive bona fide nobis servit non adquirit nobis, id vel sibi liber vel alienus servus domino suo adquiret: excepto eo quod vix est, ut liber homo possidendo usucapere possit, quia nec possidere intellegitur, qui ipse .possideretur ... Pomponius handelt hier vom liber homo bona fide serviens und vom Sklaven, der gutgläubig einem fremden Herrn dient. Im ersten Satz spricht er vom Rechtserwerb18, im zweiten17 und dritten18 vom Erwerb des Ersitzungsbesitzes. Im ersten Satz geht Pomponius stillschweigend davon aus, daß der Eigentums- und sonstige Rechtserwerb mit Mitteln des Scheinherrn 10 Daß hier die traditio gemeint ist, ergibt sich aus dem nachfolgenden § 1, ebenfalls den Traditionserwerb betreffend. Das ganze Fragment enthält keinerlei Anzeichen dafür, daß man den Juristen selbst oder den Kompilatoren einen inhaltlichen Bruch anlasten dürfte, der die traditio von der mancipatio schiede. 11 Der bequeme Ausweg, den zweiten Fall als Glossem oder Interpolation zu tilgen, kann nicht überzeugen. Dies aber versucht Reggi 408; dagegen Nicosia 127. 12 So schon Jhering, Der Besitzwille (1889) 343; auch Dulckeit (Anm. 1) 38; Reggi 407 (aber mit Echtheitsbedenken); Nicosia 129 ff. - Gegen Besitztrotz Eigentumserwerb des homo liber: C. Appleton, Histoire de la propriete pretorienne I (1889) 14!3; Salkowski 36 und 19218 ; Cornil, Traite de la possession (1905) 43 (44)2 und Buckland 341. -Unklar Gordon 288. 13 Salkowski 19218 ; Buckland 341; Reggi 407. u Ähnlich Nicosia 130 f. 1s Lenel, Pal. II 75 mita = Pomp. Nr. 308; oben§ 5 Anm. 3. 18 Bis domino suo adquiret. 17 Bis ipse possideretur. 18 Zu dem letzten, an dieser Stelle nicht abgedruckten Teil, sed nec rell., s. oben § 5 I 3.

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1. Teil: Besitzerwerb- Begründungen und Grenzen

oder aus der Arbeit des Scheinsklaven dem Scheinherrn gehört19• Pomponius ergänzt die Regel ausdrücklich durch den Satz, daß der Erwerb außerhalb der beiden Voraussetzungen dem Scheinsklaven zukommt, falls er in Wirklichkeit gewaltfrei ist, oder dem wirklichen Herrn, falls er gewaltabhängig ist2o. Diese Erklärung präzisiert Pomponius im zweiten Satz hinsichtlich des Ersitzungserwerbes durch einen Scheinsklaven, der in Wirklichkeit gewaltfrei ist, excepto eo - possideretur21 • Pomponius kommt sogleich der Schlußfolgerung zuvor, die man vielleicht aus seiner Äußerung im ersten Satz ziehen könnte. Der dem Scheinherrn vorenthaltene Ersitzungsbesitz - der also nicht auf die Arbeit des Freien oder das Vermögen des Scheinherrn zurückgeführt werden kann - kommt nun nicht dem Freien zugute, wie man denken könnte, sondern ist überhaupt ausgeschlossen. Diese überraschende Lösung ergänzt also die im ersten Satz aufgezeigte Alternative, daß jeglicher Erwerb entweder an den Scheinherrn oder an den Freien fällt. Der Freie selbst kann eine Sache nicht ersitzen, weil er sie nicht im Besitz hat. Er habe sie nicht in Besitz, weil er selbst von dem Scheinherrn besessen werde22 • Den Besitz des Scheinherrn an dem liber homo bezeugen mehrere Stellen23 • Hier wirkt sich die tatsächliche Anschau19 Vgl. Procul.-Pomp. D. 41, 1, 21 pr.; Iul. D. 41, 4, 7, 8; Gai. 2, 94 dazu Reggi 365 ff. 20 Beseler, SZ 50 (1930) 20 f.; Dulckeit 35 und Nicosia 170 ff. halten in diesem ersten Satz den Bezug auf den servus alienus für unecht. Erstens handelten die vorhergehenden Paragraphen allein vom liber homo, ohne etwas über den Sklaven zu bemerken. Das aber schließt den Vergleich mit dem fremden Sklaven nicht aus. - Zweitens sei alienus quive zu beanstanden, e.benso Reggi 26. Diese Beanstandung mag zwar wegen der Unbestimmtheit der beiden Wörter berechtigt sein, genügt aber nicht als Unechtheitsbeweis. - Drittens sei bei der Interpolation die Inversion verursacht worden: vel sibi liber vel alienus servus domino suo. Die Inversion mag ungewöhnlich sein, bringt aber die Betonung auf die richtigen Wörter. - Viertens widerspreche der erste Satz der Äußerung von Proculus-Pomponius in D. 41, 1, 21 pr. (zu dieser Stelle soeben unter li). In fr. 21 pr. wird der Traditionserwerb des wirklichen Herrn verneint. Im ersten Satz des fr. 54, 4 ist aber von dem Traditionserwerb nicht die Rede, nur der sonstige Rechtserwerb extra duas causas wird dem wirklichen Herrn zugewiesen. Der Besitzerwerb des wirklichen Herrn wird im letzten Satz des fr. 54, 4 ebenso verneint wie in fr. 21 pr. - Damit bricht auch die letzte Stütze für Nicosias Behauptung zusammen, der Bezug auf den Sklaven in fr. 54, 4 sei unecht. 21 Es ist zuzugeben, daß excepto eo quod vix est ut "geschraubt und verworren" ist (Dulckeit 34f. ; Nicosia 174 mit31) . - Trotzdem braucht nicht der ganze Satz bis possideretur ein Glossem zu sein; so aber Beseler, SZ 50 (1930) 21; Wolff, TR 17 (1941) 1743 und Nicosia 174 ff. - Eher ist an eine formale Überarbeitung ohne inhaltliche Veränderung zu denken. 22 possideretur verstößt gegen die consecutio temporum, Nicosia 174 mit weit. Literatur, kann aber auf einem Abschreibversehen beruhen, Watson 218 mit82• 23 Iul.-Afr. D. 41, 1, 40; Paul. D. 41, 2, 1, 6; Iul.-Paul. D. 45, 3, 33 pr. vgl. Reggi 127 ff., 133, 138, 405.

§ 13 "Besitzunfähigkeit" des homo liber bona fide serviens

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ung des Besitzes aus. Tatsächlich steht der Freie in einem faktischen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Scheinherrn, ebenso wie der wirkliche Sklave zu seinem wirklichen Herrn. Er ist denselben Befehlen unterworfen und leistet dieselbe Arbeit24 • In D. 41, 1, 21 pr. hatte Pomponius zwar geschrieben, nach Meinung des Proculus könne ein Ziber homo bona fide serviens eine Sache zu Besitz erwerben25 • Auch die Meinung des Proculus läßt sich- wie ausgeführt - mit der tatsächlichen Natur des Besitzes erklären. Die Diskrepanz zwischen der Äußerung des Pomponius in fr. 21 pr. und in fr. 54, 4 wird ihren Grund darin haben, daß Pomponius in dem ersten Fragment die Meinung des Proculus lediglich wiedergegeben, sich ihr aber nicht angeschlossen hat, und daß er seine eigene Ansicht in fr. 54, 4 ausgesprochen hat28 • 2. Dieselbe Entscheidung und Begründung wie soeben Pomponius gibt Paulus in dem uns schon bekannten Fragment27 , D. 41, 2, 1, 6 (Faul. 54 ed.): . . . sed nec . .. sibi adquiret, qui ab alio possi.detur. Der arglistigerweise als Sklave gehaltene Gewaltfreie erwirbt nicht für sich selbst Besitz, weil er selbst im Besitz eines anderen steht. 3. Daß derjenige, der von einem anderen als Sklave gehalten wird28, nicht besitzen und deswegen nicht ersitzen kann, sagt noch einmal ausdrücklich D. 50, 17, 118 (Ulp.12 ed.): Qui in servitute est, usucapere non potest: nam euro possideatur, possidere non videtur. IV. 1. Abschließend ist festzuhalten, daß Proculus, wie Pomponius berichtet, noch keine Bedenken hatte, den Ziber homo bona fide serviens als Besitzer anzusehen29 • Seit Pomponius wurde der Besitz aber mit der Begründung abgelehnt, daß derjenige, der von einem anderen besessen wird, nicht selbst Besitzer einer Sache sein könne30• Die Begründung selbst ist fragwürdig. Warum derjenige, der von einem an24 Für zumindest inhaltliche Echtheit des Satzes 2: Dulckeit 38; Lauria, St. Solazzi 788; Pringsheim I 349 f.; Reggi 1308 und 406151 ; Watson 21862 • Dagegen vor allem Nicosia 174 ff. 25 Oben II. 26 Salkowski 36; Dulckeit 38 mit2 • Nicosia hingegen hält Satz 2 für unecht und fr. 21 pr. für echt. - Umgekehrt verteidigt Reggi 407 f. die Echtheit von Satz 2 und die Unechtheit von fr. 21 pr. 27 Dazu oben §§ 5 I 2 und 7 I 2. 28 Baron, JherJb. 29 (1890) 199; Salkowski 16811 ; Reggi 131 und 405 f. beziehen das folgende Fragment auf den homo liber bona fide serviens. 29 Proc.-Pomp. D. 41, 1, 21 pr.- dazu oben Il. 30 ( Pomp.) [Mod.] D. 41, 1, 54,4 (dazu §§ 5 I 3, 13 III 1, 25 Il); Faul. D. 41, 2, 1, 6 (§§ 5 I 2, 7 I 2, 13 III 2); Ulp. D. 50, 17, 118 (soeben§ 13 III 3).

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

deren besessen wird, zu eigenem Besitz unfähig ist, wird nirgends gesagt und leuchtet auch nicht ohne weiteres ein. Die Begründung sieht wie eine Umkehrung des Satzes aus, daß der Herr nur durch eine Person, die er besitzt, Besitz an anderen Gegenständen erlangen kanns 1• Als Begründung für den Ausschluß des Besitzes käme allenfalls in Betracht, daß es an der tatsächlichen Beziehung des Scheinsklaven zu der von ihm ergriffenen Sache fehlt. Tatsächlich kann derjenige, der als Sklave gehalten wird, mit den ihm zugeordneten Sachen nicht nach seinem freien Belieben verfahren. Er hat keine vollständige und selbständige Sachherrschaft über die Dinge. Seine Handlungen hängen von den Anordnungen des Gewalthabers ab. Diesen Anordnungen ist auch der Scheinsklave, solange er seine tatsächliche Freiheit nicht wiedererlangt hat, ebenso wie ein Sklave unterworfen. Doch berufen sich die Juristen nicht darauf, daß der Scheinsklave ebenso wie ein Sklave zum Besitz unfähig wäre. Sie führen auch nicht das Argument an, mit dem sie den eigenen Besitz des Sklaven ausgeschlossen hatten, daß nämlich der Besitz auch rechtliche Elemente enthalte32. Dieses Argument würde beim liber homo bona fide serviens nicht zutreffen, weil dieser extra duas causas Eigentümer und Träger anderer Rechte werden kann33• 2. Mit der "Besitzunfähigkeit" des liber homo bona fide serviens korrespondiert die Möglichkeit des Besitzerwerbs des Scheinherrn an den Sachen, die der Scheinsklave mit dessen Mitteln oder aus eigener Tätigkeit hervorgebracht hat34. Der Besitzerwerb war anerkannt, um den guten Glauben des Scheinherrn zu schützen, der aus Unwissenheit einen Freien erhalten hat, obwohl er einen Sklaven kaufen wollte. Papinian erklärt hierzu, nachdem er den Besitzerwerb des Scheinvaters durch einen Scheinsohn abgelehnt hat35 : D. 41, 3, 44 pr. (Pap. 23 quaest.): ... non enim constitutum est in hoc, quod in homine Iibero qui bona fide servit placuit: ibi propter adsiduam et cottidianam comparationem servorum ita constitui publice interfuit, nam frequenter ignorantia Iiberos emimus, non autem tarn facilis frequens adoptio vel adrogatio filiorum est.

Der Besitzerwerb durch den homo liber entspreche einem allgemeinen Interesse. Denn wegen des umfangreichen Handels mit Sklaven ereigne es sich leicht, daß man einen Freien statt eines Sklaven kaufe. Dieselben Erwägungen gelten aber nicht für die fehlgeschlagene Adoption oder Adrogation36• st Dazu oben§§ 5 bis 7. 32 Pap. D. 41, 2, 49, 1 (oben §§ 1 IV und 12 III). 33 (Pomp.) [Mod.] D. 41, 1, 54, 4. 34 Proc.-Pomp. D. 41, 1, 21 pr.; (Pomp.) [Mod.] D. 41, 1, 54, 4; Paul. D. 41, 2, 1, 6; Iul. D. 41, 4, 7, 8 (dazu oben I 2); Gai. 2, 94 (dazu oben I 1). 35 Oben § 4 II 1.

§ 14 "Besitzunfähigkeit" des captivus

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§ 14 "Besitzunfähigkeit" des captivus I. Mehrere Stellen ergeben, daß ein römischer Bürger, wenn er in Kriegsgefangenschaft geriet, den Besitz an seinen Sachen verlor1 • 1. D. 49, 15, 29 (Labeo 6 pith. a Paulo epit.): Si postliminio redisti, nihil, dum in hostium potestate fuisti, usucapere potuisti ...

Mit dem Besitzverlust endet auch die Ersitzung zugunsten des Kriegsgefangenen2 • 2. Paulus schließt ebenso wie den Besitz eines Sklaven für sich selbst den Besitz eines captivus mit Hilfe eines Sklaven aus3 : D. 41, 3, 11 (Paul. 19 ed.): Neque servus neque per servum dominus, qui apud hostes est, possidet.

3. Den Besitzverlust und die Unterbrechung der Ersitzung bestätigt D. 4, 6, 23, 1 (Ulp. 12 ed.): Is autem, qui apud hostes est, nihil per usum sibi adquirere potest nec coeptam possessionem poterit implere, dum est apud hostes: hoc amplius nec postliminio reversus reciperabit per usum dominii adquisitionem. Während der Dauer der Kriegsgefangenschaft' kann man durch Ersitzung6 nichts hinzuerwerben. Wenn der captivus zurückkehrt, kommt ihm auch nicht das ius postliminii zugute6 • Das ius postliminii bewirkt zwar, daß der Heimkehrer als Inhaber aller Rechte, die während seiner 38 ibi propter rell. entspricht durchaus den auf die Praxis bezogenen Argumenten Papinians (vgl. insbes. D. 41, 2, 44, 1) und ist nicht zu verdächtigen. Für Itp. aber Beseler V 83 (Hauptindiz comparatio) und Bonfante 270. 1 Insbesondere Ratti, AMac. 1 (1926) 57 ff.; Albertario, SD 6 (1940) 384 ff.; Amirante, Captivitas e postliminium (1950) 141 ff. - Weitere Literatur bei Kaser I 290 f. ; im folgenden und in § 21 Anm. 38. 2 Zum Fortgang des Fragments unten §§ 20 II und 21 II. 3 Im Zusammenhang mit der actio Publiciana: Lenel, Pal. I 999 = Paul. Nr. 297. 4 Albertario (Anm. 1) 3877 verdächtigt dum est apud hostes als nachklassisches Glossem, weil mit diesen Worten die nachklassische Angleichung des Besitzes an ein Recht vorbereitet werde. Doch kann den verdächtigten Worten diese Bedeutung schwerlich beigelegt werden. 5 Ulpian meint nicht nur den Besitz, sondern, wie vor allem implere anzeigt, die Ersitzung. Ohne Not ändert Schulz, SZ 34 (1913) 83:, possessionem in usucapionem um. 8 Beseler, SZ 52 (1932) 42 meint, mit den Worten nec coeptam rell. wolle Justinian hervorheben, daß sich die erst von ihm eingeführte Rückwirkung des ius postliminii nicht auf den Besitz erstrecke; nec coeptam rell. sei daher itp. Dagegen ist zu bedenken, daß sich schon die klassischen Juristen mit der Anwendung des ius postliminii auf den zur Zeit der Gefangennahme vorhandenen Besitz befaßt haben, wie außer dieser Stelle auch die folgenden und die unten in § 21 zu behandelnden Fragmente zeigen.

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1. Teil: Besitzerwerb-Begründungen und Grenzen

Gefangenschaft als nichtbestehend behandelt wurden, angesehen wird, es läßt aber den Besitz, den er durch seine Gefangennahme endgültig verloren hat, nicht wieder aufleben. 4. Der endgültige Besitzverlust des captivus ergibt sich auch aus den später zu besprechenden Stellen7 , die- abweichend von Paul. D. 41, 3, 11- eine Ausnahme für den Fall der Besitzbewahrung mittels Gewaltabhängiger feststellen: Ulp. D. 4, 6, 23, 3; Paul. D. 41, 3, 8 pr. I 1; Pap. D. 41, 3, 44, 7; Iul. D. 49, 15, 22, 3. II. 1. Javolen erklärt zu unserem Problem: D. 41, 2, 23, 1 (Iav. 1 ep.): In his, qui in hostium potestatem pervenerunt, in retinendo iura rerum suarum singulare ius est: corporalitertarnen possessionem amittunt: neque enim possunt videri aliquid possidere, cum ipsi ab alio possideantur: sequitur ergo, ut reversis his nova possessione opus sit, etiamsi nemo medio tempore res eorum possederit8 •

J avolen geht davon aus, daß der Bürger bei seiner Gefangennahme alle seine Rechte eingebüßt hat, und bezeichnet es als ein ius singulare9 , daß er vermöge des ius postliminii bei seiner Rückkehr wieder in den Genuß seiner Rechte gelangt1°. Im Gegensatz zu den Rechten lebt der Besitz bei seiner Rückkehr nicht wieder auf 11 • Corporaliter wird in diesem Zusammenhang andeuten, daß die possessio als eine körperliche Beziehung sich von den Unten§ 21. Die Stelle gilt allgemein als inhaltlich stark verfälscht - wohl zu Unrecht. Kritik vor allem bei den im Ind. Genannten, insbesondere Rotondi Ill 51, 184 und 2731 sowie Beseter, SZ 45 (1925) 205. Seitdem s. Ratti (o. Anm. I) 58 mit der Streichung der Worte in retinendo iura- corporaHter tamen; Beseter, St. Bonfante II 79 ; Ambrosino, SD 5 (1939) 203 ff.; Guarino SZ 61 (1941) 58 ff.; ders., Ord. 495 (An. dir. comp. 18, 1946, 1 ff.); Wolff, TR 17 (1941) 1733 ; Sotazzi IV 577 f. (Scr. Ferrini Mil. II 299 f.); Amirante (o. Anm. 1) 142 f., 182 f., 188 und 196; Gioffredi, SD 16 (1950) 48 ff.; G. Longo, Ric. 488 f. (Iura 8, 1957, 30 f.) und Et. Macqueron (1970) 453; Kaser II 1827• - Keine Bedenken bei Riccobono 3252 und Lauria, St. Solazzi 784. 9 Hiergegen insbesondere Ratti, Guarino und G. Longo (alle vor. Anm.). Für Echtheit insbesondere Orestano, Bull. 47 (1940) 274361 • Keine Bedenken bei Scaduto, APal. 8 (1921) 59. 10 Auf Grund der verschiedenen modernen Erklärungsversuche des ius postliminii ist der Ausdruck retinere iura vielfach angegriffen worden. Doch kann hier auf die umstrittene Frage nach der Pendenz und der Rückwirkung in den Fällen des postliminium nicht eingegangen werden. Eine solche Untersuchung ist an dieser Stelle um so eher entbehrlich, als sich die Streitfragen nur auf den Verlust von Rechten beziehen, nicht aber auf den des Besitzes. Es ist auch die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß Javolen in D. 41, 2, 23, 1 den Ausdruck aus der in seiner epistuta beantworteten Frage übernommen und ganz untechnisch gebraucht hat. 11 Zu mißtrauisch ist wohl Wolff (Anm. 8), wenn er vermutet, daß die Kompilatoren an dieser Stelle den Besitz als ein quasi-Recht behandelt hätten. 7

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§ 14 "Besitzunfähigkeit" des captivus

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iura unterscheidet12• Das Wiederaufleben einer tatsächlichen Beziehung, die einmal unterbrochen ist, war für die römischen Juristen unvorstellbar. Als weitere Erklärung für den Besitzverlust führt J avolen den bereits mehrfach beobachteten Satz an, daß derjenige, der sich im Besitz eines anderen befindet, nicht selbst eine Sache besitzen könne. Es bleibt jedoch dem reversus unbenommen, den Besitz an der Sache wieder neu zu begründen. 2. Die bei Javolen nur angedeutete Erklärung, daß der Besitz deswegen nicht durch das ius postliminii wiederhergestellt werden könne, weil er eine körperliche und keine rechtliche Beziehung zu einem Gegenstand darstelle, taucht wieder auf in D. 4, 6, 19 (Pap. 3 quaest.): Denique si emptor, priusquam per usum sibi adquireret, ab hostibus captus sit, placet interruptam [possessionem]