Der Beibringungsgrundsatz: Seine Struktur und Geltung im deutschen Zivilprozeßrecht [1 ed.] 9783428439324, 9783428039326

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Der Beibringungsgrundsatz: Seine Struktur und Geltung im deutschen Zivilprozeßrecht [1 ed.]
 9783428439324, 9783428039326

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Günther Zettel/ Der Beibringungsgrundsatz

Schriften zum Prozessrecht

Band 53

Der Beibringungsgrundsatz Seine Struktur und Geltung im deuteeben Zivilprozeurecht

Von

Dr. Günther Zettel

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Zettel, Günther Der Beibringungsgrundsatz: seine Struktur u. Geltung im dt. Zivilprozessrecht. - 1. Aufl. Berlin: Duncker und Humblot, 1977. (Schriften zum Prozessrecht; Bd. 53) ISBN 3-428-03932-7

Alle Rechte vorbehalten 101977 Duncker & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03932 7

Meiner Mutter

Vorwort Die Arbeit hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Jahre 1976 als Dissertation vorgelegen. Sie wurde vor Drucklegung der Neufassung der ZPO, die ab 1. 7. 1977 gilt, angepaßt. Für die Anregung zu diesem Thema und seine verständnisvolle Betreuung gilt mein besonderer Dank meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Maximilian Ronke. Meiner Frau danke ich für ihre Geduld mit meiner Inanspruchnahme durch die Arbeit und ihre Anteilnahme am Fortgang des Werkes. Würzburg, im Juni 1977 Günther Zettel

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Bestandsaufnahme I. Kapitel Begr iff des BeibringungsgrundsatzesAbgrenzung von anderen Begriffen

1. Die Dispositionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

18

2. Der sog. Verhandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

3. Der Beibringungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

4. Das sog. Prinzip der formellen Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

5. Der Grundsatz der materiellen Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

6. Die Inquisitionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

7. Die sog. Prüfung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

11. Kapitel

Die Verteilung der Aufgaben der Sachverhaltsaufklärung zwischen Gericht und Parteien im Laufe der Geschichte

46

1. Das römische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

2. Der Prozeß vom germanischen Recht bis zum Spätmittelalter . . . . . . . . .

47

3. Der italienisch-kanonische Zivilprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

4. Der Kammergerichtsprozeß und der sächsische Prozeß . . . . . . . . . . . . . . .

50

5. Der sog. Gemeine Prozeß

50

6. DiepreußischeProzeßreform . .... . .. . .. .. . ... ...... . .. .... ...... . ..

51

10

Inhaltsverzeichnis

7. Sonstige territoriale Prozeßordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

8. Die Gönnersehe Maximenschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

9. Die Rechtsentwicklung seit der Schaffung der ZPO von 1877 . . . . . . . .

54

111. Kapitel Rechtsvergleichung

59

1. Der anglo-amerikanische Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

2. Der Rechtskreis der sozialistischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

3. Die westlichen kontinentaleuropäischen Rechtssysteme . . . . . . . . . . . . . . a) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Skandinavien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Griedlenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 65 65 66 66 66

f) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

IV. Kapitel

Die Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes im heutigen deutschen Zivitprozeßrecht

69

1. Die von Amts wegen erfolgende Anordnung der Urkundenvorlegung, § 142 ZPO, sowie der Aktenvorlegung, § 143 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

a) Die amtswegige Anordnung der Urkundenvorlegung, § 142 ZPO . . b) Die amtswegige Anordnung der Aktenvorlegung, § 143 ZPO . . . . . .

69 73

2. Die amtswegige Anordnung eines Augenscheins und eines Sachverständigengutachtens, § 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Die Anordnung eines Augenscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Die von Amts wegen angeordnete Begutachtung durch Sachverständige, § 144 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Der Beweis durch Parteivernehmung auf Anordnung des Gerichts, § 448 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Die sog. Prüfung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Inhaltsverzeichnis 5. Der sog. Freibeweis

11

95

6. Die Ermittlung fremden Rechts, Gewohnheitsrechts und des Inhalts von Satzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 7. Die Verwertung sog. Erfahrungssätze von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . .

99

8. Die gesetzliche Vermutung von Tatsachen und gesetzliche Rechtsvermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Die gesetzliche Vermutung von Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Gesetzliche Rechtsvermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 9. Was bedeutet es, daß Tatsachen, die bei Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen, § 291 ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Allgemeinkundige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Gerichtskundige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 10. Der Einfluß der sog. Wahrheitspflicht des § 138 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . 111 11. Die Bedeutung der richterlichen Frage- und Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 12. § 396 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 13. Die amtliche Auskunft und die dienstliche Äußerung (§§ 118 a Abs. 1 Satz 3, 273 Abs. 2 Nr. 2 und 437 Abs. 2 ZPO) .. . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . 135 14. Die Parteianhörung nach § 141 ZPO ....... . ................ . ..... .. 138 15. Der Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 16. Die Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes im geltenden Zivilprozeßrecht (Zusammenfassung) ....... . .. ...... ............. . ...... 140

Zweiter Teil

tJberlegungen zu einer Reform - Soll der Beibringunpgrundsatz in seiner jetzigen Form beibehalten werden?

V. Kapitel Mögliche Ziele, Zwecke und Aufgaben eines Zivilprozesses

143

1. Die Ablehnung einer Frage nach dem Prozeßzweck überhaupt . . . . . . 143

2. Der Prozeßzweck nach Wach, Niese und Goldschmidt ..... . . . ... . .... 144

12

Inhaltsverzeichnis

3. Der Prozeßzweck aus der Sicht von Luhmann

145

4. Prozeßzwecke nach der modernen zivilprozeßrechtlichen Literatur . . 147 a) b) c) d) e) f)

Der Schutz des einzelnen in seiner Rechtsstellung .............. Die Herstellung und Erhaltung von Rechtsfrieden ........... . .. Die Wahrung der Rechtsordnung ............ . ................. .. Der Zweck des Zivilprozesses nach Pawlowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Herstellung von Rechtsgewißheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfortbildung ..................... . ...................... . .

147 147 148 149 150 150

5. Die Rangfolge der verschiedenen Prozeßzwecke ................. ... 151

VI. Kapitel

Die Regelung der Tatsachenermittlung in anderen Prozeßarten

154

1. Das arbeitsgerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

2. Der Strafprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß ........ .. ...... a) Der Verwaltungsgerichtsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Finanzgerichtsprozeß ....... ....... . ......... ... .... . ...... c) Der Sozialgerichtsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156 156 160 161

4. Das bundesverfassungsgerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5. Das Verfahren in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6. Zusammenfassung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

VII. Kapitel Abwägung der Argumente für und gegen die Beibehaltung des Beibringungsgrundsatzes in seiner jetzigen Form

164

1. Ein Vergleich zwischen ZPO und FGG ..... ........ .. ... ..... ... .. . . 164

2. Bedenken wegen pönaler Elemente in der Schadensersatzrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Auseinandersetzung mit den traditionellen Begründungen des Beibringungsgrundsatzes ... ... ........ . .. . .... . ....... . . . ..... .. ...... 174 4. Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Kommission zur Reform der Zivilgerichtsbarkeit von 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Inhaltsverzeichnis

13

VIII. Kapitel Vorschlag zur Gesetzgebung unter Berücksichtigung seiner möglichen Auswirkungen auf die ZPO und ihre Dogmatik

188

1. Vorschlag zur Gesetzgebung . ............ ... . . . ............ . . . ..... 188

2. Mögliche Auswirkungen auf die ZPO und ihre Dogmatik . . . . . . . . . . 190

3. Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Abkürzungsverzeichnis aA AcP aE a.F. AGO AkZ

Anh. AöR AP ArbGG BAG BAGE BayObLG BayVBl BayVerfGH BayVGE BGB BGBI. BGH BGHSt BGHZ BSG BSGE BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE

c. cap., Cap. Clem. DDRZPO ders. Dig. Diss. DNotZ DöV

anderer Ansicht Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte(r) Fassung Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Anhang Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts (Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte) Arbeitsgerichtsgesetz Bundesarbeitsgericht amtliche Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Oberstes Landesgericht und Entscheidungen des BayObLG in Zivilsachen Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof amtliche Entscheidungssammlung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof in Strafsachen und amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Bundesgerichtshof in Zivilsachen und amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundessozialgericht amtliche Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts Bundesverfassungsgericht amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts caput Capitulum Clementina Zivilprozeßordnung der DDR derselbe Digesta Dissertation Deutsche Notarzeitschrift Die öffentliche Verwaltung

Abkürzungsverzeichnis DR DRiZ DVBl. DVO FamRZ FGG FGO GG Gruch Grundz. GrZS HansRGZ Hdb. HGB h.L. Hlbbd. h . M. HRR HS iVm JuS JW JZ KG KTS

1. LG LM Mat. MDR mNw(e) mwNw(e) n.F. nF NJ NJW Nr. NS-Zeit Nw o. J . o.O. ÖZPO OGHZ OLG pr. PrVBl. Rdn. Recht

15

Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Familienrechtszeitschrift Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gruchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts Grundzüge Großer Senat in Zivilsachen Hanseatische Rechts- und Gerichts-Zeitschrift (vormals Hanseatische Rechts-Zeitschrift/Hanseatische Gerichts-Zeitung) Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Lehre Halbband herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Halbsatz in Verbindung mit Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Zeitschrift für das Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen liber Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, begründet von Lindenmaier und Möhring Materialien Monatsschrift für Deutsches Recht mit Nachweisen mit weiteren Nachweisen neue Folge neue(r) Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus Nachweis ohne Jahresangabe ohne Ortsangabe Zivilprozeßordnung Österreichs Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen Oberlandesgericht principium Preußisches Verwaltungsblatt Randnummer Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenstand

16 RG RGSt RGZ RGBl. RheinZ Rpfl SchlHOLG SchlHA SeuffArch SGG

SJZ

SozR StGB StPO VersR VerwArch VGH vgl. Vhdlg. VRS VwGO Warn. WEG WM Ziff. ZPO ZRP zust. ZZP

Abkürzungsverzeichnis Reichsgericht Reichsgericht in Strafsachen und amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsgericht in Zivilsachen und amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichsgesetzblatt Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht des In- und Auslandes Der Deutsche Rechtspfleger OLG des Landes Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Seufferts Archiv für Entscheidungen oberster Gerichte Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung Sozialrecht, Rechtsprechung und Schrifttum Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verhandlungen Verkehrsrechtssammlung Verwaltungsgerichtsordnung Warneyer, HG-Rechtsprechung Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Wertpapier-Mitteilungen Ziffer Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend(e, r, s) Zeitschrift für Zivilprozeßrecht

Es wurden im übrigen nur allgemein gebräuchliche Abkürzungen verwendet.

Wieweit gilt heute noch der Beibringungsgrundsatz im Zivilprozeßrecht? Erster Teil

Bestandsaufnahme I. Kapitel

Begriff des Beibringungsgrundsatzes Abgrenzung von anderen Begriffen Die Prozeßmaximen sind von der Zivilprozeßrechtswissenschaft erst im Laufe einer längeren geschichtlichen Entwicklung in ihrer heutigen Form herausgearbeitet worden. Die Verhandlungs- und die Untersuchungsmaxime entstanden überhaupt erst als Frucht vernunftrechtlicher Prozessualistik durch Nikolaus Thaddäus von Gönner (1764 bis 1827)1. Lange Zeit blieben sie selbst unreflektiert. Ihr Verhältnis zu anderen Prozeßgrundsätzen war unklar. So erwähnt z. B. noch Engelmann 1901 lediglich die Dispositionsmaxime als Prozeßgrundsatz2 • Hellwig unterscheidet zwar 1907 zwischen den Funktionen "Anrufen des Gerichts" und "Stellung der geeigneten Anträge", sowie der Unterbreitung des Prozeßstoffs3 • Er gliedert jedoch noch nicht systematisch begrifflich auf. Erst 1912 arbeitet er mit dem Begriff der Verhandlungsmaxime\ wenn auch nicht in seiner heutigen Bedeutung. Später verwendet man bereits mehr Begriffe. Ihr richtiges Verhältnis zueinander wird aber häufig noch nicht gesehen. Kniesch faßt beispielsweise 1954 den Verhandlungsgrundsatz als Oberbegriff auf, für alles was wir heute unter den Begriffen Dispositionsmaxime, Verhandlungsgrundsatz und Beibringungsgrundsatz verstehen5 • 1951 wird der Beibringungsgrundsatz von Müller als dem Verhandlungsgrundsatz, 1 Das hat Bomsdorf in "Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit" dargestellt, dort insbesondere auf den Seiten 121 ff. 2 "Der Deutsche Civilprozeß", S. 56. s "Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts" Bd. Il, § 69 II 1. 4 "System des Deutschen Zivilprozeßrechts" Erster Teil, § 143 I. 5 "Grundriß des Gerichtsverfahrensrechts", S. 22.

2 Zettel

18

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

ja sogar der Dispositionsmaxime synonym erachtet-6. Der letztere Fehler wird auch noch von anderen Autoren begangen7. Die heutige Bedeutung der Dispositionsmaxime und ihr Unterschied zu anderen Begriffen des Zivilprozeßrechts lassen sich jedoch klar herausarbeiten. 1. Die Dispositionsmaxime

Sie wird auch Dispositions- oder Verfügungsgrundsatz genannt. Auch die Bezeichnung "Verhandlungsgrundsatz im weiteren Sinne" wird verwendet!. Es wird sich aber noch zeigen, daß diese letztere Bezeichnung - weil unsystematisch - nicht benutzt werden sollte. Eine Trennung der Begriffe Verhandlungs- und Dispositionsmaxime führt zu einer klareren Abgrenzung der Parteibefugnisse2 , wodurch das Verständnis des geltenden Zivilprozeßrechts erleichtert wird. Man versteht unter der Dispositionsmaxime die Parteiherrschaft über den materiellrechtlichen Anspruch auch im Prozeß3 . Anders ausgedrückt handelt es sich bei diesem Grundsatz um die Regelung der Herrschaft über den Streitgegenstand4. Die Dispositionsmaxime ist die zivilprozessuale Ausprägung des Grundsatzes der Privatautonomie5. Dieser wiederum geht letzten Endes auf das Prinzip der Selbstbestimmung des Menschen zurück6 • Deshalb ist es gerechtfertigt, den Dispositionsgrundsatz als das zentrale Prinzip der Zivilprozeßordnung anzusehen. Er verlangt, daß die vom sachlichen Recht den Parteien gewährte Freiheit der Verfügung auch im Verfahren beachtet wird7. Im einzelnen hat er folgende Auswirkungen: Die Parteien bestimmen, ob ein Verfahren in Gang kommt, und ob es weitergehen soll. Weiterhin bestimmen sie durch ihre Anträge den Umfang der Entscheidung (ne eat iudex ultra petita partium). Ausgeprägt haben sich diese Grundsätze in den §§ 253, 338, 485, 518, 553, 578 und 920 (ne procedat iudex ex officio). Weitere Ausprägungen sind die §§ 308, 525, 559 sowie die Möglichkeit der Klageänderung (§ 263) oder der Rücknahme s "Zivilprozeß Erkenntnisverfahren", S. 39. z. B. von Fülster "Zivilprozeßrecht", § 33 I 1; Jaeger "Leitfaden zur Vorlesung über Zivilprozeß", § 5 I 1; Fischer setzt in "Lehrbuch des deutschen Zivilprozeß- und Konkursrechts" beide Begriffe laut Sachverzeichnis gleich. t Von de Boor I Erkel "Zivilprozeßrecht", § 10 I 1. 2 So schon 1938 Schmidt S. 10 unten. s Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Grundzüge 3 B vor § 128. 4 Rosenberg I Schwab § 79 II. 7

6

6 1

Lent I Jauernig § 24 I. Flume "Das Rechtsgeschäft", § 11. Müller S . 40.

1. Die Dispositionsmaxime

19

des Rechtsschutzbegehrens (§§ 269, 515, 566, auch 596). Aus der Dispositionsbefugnis fließt ferner das Recht der Partei über den Streitgegenstand zu verfügen, mittels Anerkenntnis (§ 307), Verzicht (§ 306), Vergleich (arg. § 160 Abs. 3 Nr. 1), Erledigungserklärung (arg. § 91 a), Rechtsmittelverzicht (§§ 514, 566). Eine weitere Konsequenz der Dispositionsmaxime ist die Befugnis der Parteien, das Ruhen des Verfahrens herbeizuführen (§ 251 Abs. 1), aber auch die erneute Aufnahme betreiben zu können (§§ 239 ff., 251 Abs. 2). Es liegt ferner in der Hand der Partei, ob sie verzichtbare prozessuale Rügen erheben will oder nicht. Dies ergibt sich aus § 295 ZPO. Nach dessen Abs. 1 kann jede Partei auf die Befolgung einer Vorschrift verzichten, die das Verfahren, insbesondere die Form einer Prozeßhandlung betrifft. Damit verliert die Partei das ihr sonst zukommende Recht, die Verletzung dieser Vorschrift zu rügen. Diesen Verzicht kann sie ausdrücklich erklären. Sie kann es auch konkludent tun8 • Am häufigsten wird es sein, daß die Partei einfach den Fehler übergeht und weiter zur Sache verhandelt. Dann greift die zweite Alternative des § 295 Abs. 1 ZPO ein, wonach sie ihr Rügerecht auch verliert, "wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein mußte". Im letzteren Fall ist die Heilung des Verstoßes so zu erklären, daß man wohl unterstellen kann, wer sich nicht um seinen Prozeß kümmert, habe kein Interesse daran. Dann soll ihm auch nicht alle Arbeit durch das Gericht abgenommen werden. Dies kann um so mehr vertreten werden, als die Mängel, die nach § 295 Abs. 1 ZPO geheilt werden können, nie materiellrechtlicher Art sind. Eine materiellrechtlich falsche Entscheidung kann über § 295 ZPO also nicht herbeigeführt werden. Ganz in diesem Sinne läßt die Rechtsprechung die Wirkung des § 295 Abs. 1 ZPO eintreten, ohne daß es eines Verzichtswillens der an sich rügeberechtigten Partei bedürfte9 . In den meisten Fällen - besonders bei anwaltlicher Vertretung - wird aber die Partei wissen, daß sie eine Rüge erheben könnte, nur sieht sie keinen prozessualen Sinn darin. Das wird beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Einlassungsfrist z. B. des§ 274 Abs. 3 ZPO nicht gewahrt wurde, die Partei aber rechtzeitig Kenntnis erhielt und genug Zeit zur Vorbereitung hatte. In diesem Fall ist auch das Weiterverhandeln eine konkludente Verzichtserklärung. Der Verzicht kann aber in jedem Fall erst nach dem Verstoß wirksam erklärt werden10• Das ergibt sich schon daraus, daß die Einhaltung der s Thomas I Putzo Anm. 2 a zu § 295.

e z. B. BGHZ 25, 71. to RGZ 135, S. 119.

2.

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

20

Verfahrensvorschriften nach Aufbau und Struktur unseres Zivilprozesses im wesentlichen, mindestens aber im grundsätzlichen, nicht der Parteidisposition unterliegen. Dieser Fall ist vielmehr die Ausnahme. Schon aus § 295 ZPO selbst ergibt sich, daß es auch Verletzungen von Verfahrensvorschriften gibt, die auch durch Nichtrüge seitens der Parteien nicht heilbar sind. Aus § 295 Abs. 2 ZPO ergibt sich ganz deutlich, daß auch Vorschriften verletzt sein können, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann. Man kann hier allerdings nicht von unverzichtbaren prozessualen Rügen sprechen, da dieser Ausdruck leicht eine Pflicht der Partei zur Rügeerhebung vermuten ließe. Eine solche gibt es allerdings nicht. Es ist eben lediglich auch durch Nichtrüge der Mangel nicht geheilt. Die Heilungsmöglichkeit durch Rügeverzicht oder rügelose Verhandlung zur Sache beruht auf dem Gedanken der Parteiherrschaft. Diese rechtfertigt sich letztlich aus der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Parteien11 • Hingegen ist für die Unverzichtbarkeit auf die Befolgung mancher Vorschriften das öffentliche Interesse an deren Einhaltung entscheidend. Damit einher geht es, daß die Vorschriften, auf deren Befolgung nicht wirksam verzichtet werden kann, regelmäßig von Amts wegen zu beachten sind12• Es handelt sich also bei den Fällen, die § 295 Abs. 2 ZPO unterfallen, um Verstöße gegen zwingende öffentliche Vorschriften 13• Was im einzelnen als unverzichtbare Norm in diesem Sinne anzusehen ist, das erschließt sich anhand einer mittlerweile umfangreichen Kasuistik. Als Beispiel seien nur genannt: die ausschließliche Zuständigkeit, die Regeln der Wiedereinsetzung, Verstöße gegen Grundprinzipien des Prozeßrechts, z. B. gegen das Grundrecht des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG, § 16 GVG) u. a. 14 • Die Dispositionsmaxime - so läßt sie sich letzten Endes definieren stellt es in das Belieben der Parteien, ob es zu einer Prozeßhandlung kommt, und ob es schließlich bei derselben bleibt. Rosenberg I Schwab allerdings verwendet für die Ingangsetzung eines Verfahrens und für seinen Fortgang den Begriff des "Prozeßbetriebs" 15• Hier wird also noch stärker begrifflich unterteilt. Ob dem zu folgen ist, kann aber für unsere Themastellung offen bleiben.

So bedeutsam auch die Dispositionsmaxime ist, so läßt sie jedenfalls das Problem der Stoffsammlung im Prozeß ungeregelt1 6 • Sie kann daHagen in JZ 1972, S. 509. Lent I J auernig § 30 li 3. 13 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 3 A zu § 295. 14 Beispiele bei ZöHer Anm. 3 a zu § 295 und Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. li 3 zu § 295. 15 § 77 I und § 79 I 2. 16 Thomas I Putzo Einl. I 1; Rosenb erg I Schwab § 79 I 3. 11

12

2. Der sogenannte Verhandlungsgrundsatz

21

her im weiteren für unsere Betrachtung weitgehend unberücksichtigt bleiben. 2. Der sogenannte Verhandlungsgrundsatz Dieser Begriff baut auf einem anderen zentralen Begriff des Zivilprozeßrechts auf, dem der Verhandlung bzw. des Verhandelns. Es gibt auch in der Umgangssprache diesen Ausdruck. Man sagt etwa, Kaufleute verhandeln miteinander über eine Vertragsgestaltung usw. In einem solchen Falle versteht man unter "verhandeln" das miteinander und gegeneinander Reden und Argumentieren zweier Rechtssubjekte bezogen auf ein bestimmtes Thema mit dem Ziel der Herbeiführung einer Einigung. Substantiviert gebraucht man z. B. den Ausdruck Tarifverhandlung. Im letzteren Fall bedeutet Verhandlung schon eine zeitliche und eine räumlich bestimmte Veranstaltung, in der zwar im obigen Sinne verhandelt wird, aber bereits unter Beachtung eines mehr oder minder vorgegebenen Verfahrens, das beispielsweise auf Satzung, Tradition, aber auch auf vorheriger Übereinkunft beruhen kann. Grundsätzlich anders werden beide Begriffe im Zivilprozeßrecht auch nicht verstanden. Jedoch haben sie hier eine speziellere Bedeutung. Im Urteil vom 17. Oktober 1883 hatte das Reichsgericht erstmals Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Nachdem es feststellt, daß die Zivilprozeßordnung keine Definition des Begriffes "verhandeln" enthält, definiert es selbst wie folgt 1 : "Unter Berücksichtigung der Bestimmungen in §§ 128, 129 Abs. 1 und des Sprachgebrauchs, (Nwe), wird unter verhandeln diejenige Thätigkeit der Parteien zu verstehen sein, in welcher sie untereinander vor dem Richter einen unter ihnen vorwaltenden Rechtsstreit von entgegengesetztem Standpunkte aus erörtern und ... diejenigen thatsächlichen Umstände, rechtlichen Ausführungen und Anträge vorbringt, durch welche sie eine ihren Absichten entsprechende Entscheidung des Richters herbeiführen will." Dieser Definition ist auch heute nicht viel hinzuzufügen. Zur Verdeutlichung sei noch darauf hingewiesen, daß die Parteien nicht nur dann im Sinne der ZPO verhandeln, wenn sie sich materiellrechtlich zur Sache äußern. Sie verhandeln nach inzwischen wohl einhelliger Meinung auch dann, wenn sie prozessuale Probleme, die auf die Sachentscheidung Einfluß haben können, wie etwa das Bestehen oder Nichtbestehen prozeßbehindernder Einreden, beispielsweise erörtern2 • Das ersieht man z. B. aus § 280 ZPO. Dort wird der Begriff der abgesonderten Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage verwendet. Umschlösse der Begriff Verhandlung t 2

RGZ 10, S. 386 ff. (388 f.). Stein I Jonas I Schumann I

Ansichten in Fußnote 3.

Leipold Anm. I zu § 333 mNwe abweichender

22

I. Kap.:

Begriff des Beibringungsgrundsatzes

immer nur das Erörtern der Hauptsache, also mit anderen Worten des Streitgegenstandes, so wäre er hier fehl am Platze. Nicht ausreichend ist allerdings eine bloße Erörterung des zweckmäßigsten Fortgangs des Verfahrens, also etwa eine Auseinandersetzung um Trennung, Verbindung oder Aussetzung der Verhandlung nach §§ 145 ff. ZP03 oder die bloße Stellung eines Ablehnungsantrages4 • So ist es zwar nicht falsch, aber doch nicht genau genug, wenn Wieczorek definiert: "Verhandeln heißt Anträge stellen und sich sonst zum Streitgegenstand oder zum Verfahren erklären:S." Die Stellung von Anträgen genügt nämlich nur dann zur Annahme des Verhandelns, wenn der Antrag über das Parteibegehren hinaus schon begründendes oder erläuterndes Vorbringen enthält8 • Es muß also im Antrag bereits ein tatsächliches oder rechtliches Eingehen auf das gegnerische Vorbringen enthalten sein7 • Regelmäßig wird das nur beim Klageabweisungsantrag des Beklagten der Fall sein8 • Kein Verhandeln ist hingegen beispielsweise ein bloßer Vertagungsantrag9 • Nachdem solchermaßen der Begriff des Verhandeins geklärt ist, bleibt nur eines nachzutragen. Nicht notwendig erfordert der Begriff des Verhandeins das miteinander Reden der Parteien. Das hat ebenfalls bereits das Reichsgericht erkannt und auf das Versäumnisverfahren verwiesen10, wo ja tatsächlich nur die erschienene Partei verhandelt. Etwas unklarer scheint auf den ersten Blick der Begriff der Verhandlung zu sein. Das liegt daran, daß er in der ZPO nicht einheitlich gebraucht wird11 • Verschiedentlich versteht die ZPO darunter den einzelnen Verhandlungstermin, so z. B. in § 160 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wonach das Protokoll Ort und Tag der Verhandlung enthalten muß. Ebensolche Bedeutung hat der Begriff Verhandlung in Abs. 2 dieser Vorschrift, welcher bestimmt, daß die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung in das Protokoll aufzunehmen sind. Auch § 343 ZPO verwendet den Begriff in diesem Sinne. An anderer Stelle wiederum spricht das Gesetz es deutlich aus, wenn es den einzelnen Verhandlungstermin meint, so z. B. in den §§ 215, 330, 331, 331 a, 341 a ZPO. In den §§ 214, 333, 334, 335 Abs. 2, 336 Abs. 1 Satz 2, 337 Satz 2 ZPO schließlich wird nur von Termin gesprochen, gar nicht mehr vom Termin zur mündlichen Verhand3 4

Ders. in Anm. I zu § 333. RGZ 29, S. 340 f.

Anm. B I zu § 333. 6 RGZ 10, S. 386 ff. (392); Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. I zu § 333. 1 Baumbach I Lauterbach I Albers· I Hartmann Anm. 2 zu § 333. s So schon Wach Vorträge S. 152 f. o Baumbach I Lauterbach I Atbers I Hartmann Anm. 2 zu § 333. 10 RGZ 10, S. 386 ff. (389). 5

u Schönke I Kuchinke §52.

2. Der sogenannte Verhandlungsgrundsatz

23

lung. Weiterhin gibt es den Begriff der Verhandlung im Sinne der Summe bzw. Einheit aller Termine eines Prozesses12• In diesem Sinne benutzen den Begrüf z. B. die §§ 136 und 332 ZPO. Will man sich Klarheit über den Verhandlungsbegriff verschaffen, so ist grundsätzlich von § 128 Abs. 1 ZPO auszugehen. Dieser bestimmt: "Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich." Wenn wir demzufolge als erstes den Regelfall der mündlichen Verhandlung betrachten, so stellen wir fest: mündliche Verhandlung und Rechtsstreit sind keineswegs identisch. Vielmehr wird ja gerade über den Rechtsstreit verhandelt. Rechtsstreit wiederum darf nicht mit einem ganz ähnlich klingenden Begriff verwechselt werden, dem der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit. Dieser kommt in § 13 GVG vor, wo u. a. bestimmt ist, daß die ordentlichen Gerichte für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig sind. Eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit ihrerseits ist ein Streit über Rechtsfolgen des privaten Rechts13, oder wie Thomas I Putzo formulieren: Eine solche liegt vor, "wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Rechtsfolge des Zivilrechts ist" 14 • Hieraus ersieht man schon eines: Der Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit ist materiellrechtlich zu verstehen, da er der Abgrenzung der sachlichen Rechtswegeabgrenzung der Gerichte dient15• Anders ist der Begriff des Rechtsstreits in der ZPO aufzufassen. Hier ist Rechtsstreit der umfassende Begriff, der sowohl die Rechtsstreitigkeit als auch den wegen ihr geführten Prozeß, bzw. das gerichtliche Verfahren umfaßt. In dieser Bedeutung wird der Begrüf z. B. in § 68 ZPO verwendet. Prozeß hingegen steht - etwa in § 63 ZPO- für das Verfahren. Den Begriff Verfahren verwendet die ZPO allerdings auch, so beispielsweise in § 62 Abs. 2. Er bedeutet dann aber dasselbe wie Prozeß. Prozeß, das zeigt schon die Wortetymologie aus processus von procedere = vorwärts schreiten, beschreibt das Gegenteil eines Zustands18• Er bezeichnet das auf geregelte Weise Fortschreiten zu dem Ziel der gerichtlichen Entscheidung der Streitsache hin. Das Verfahren nun stellt sich als eine Verhandlung dar, wenn mindestens eine Partei sich daran beteiligt, indem sie sich sach- und entscheidungserheblich einläßt. Daß es genügt, wenn dies eine Partei tut, ergibt sich wie bereits erwähnt aus der Ausgestaltung des Versäumnisurteils. Den Unterschied zwischen dem bloßen Verfahren und der Verhandlung ersieht man aus verschiedenen Bestimmungen der ZPO, z. B. aus Ders. § 52. 1a ZöUer Anm. 111 2 d zu § 13 GVG. 14 Anm. 4 zu § 13 GVG. 15 ZöUer Anm. 111 1 zu § 13 GVG. 16 Hagen S . 15.

12

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I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

§ 37017. Dieser unterscheidet zwischen Beweisaufnahme und Verhandlung, wenn er festlegt, daß bei Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht der Termin, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt ist. Die mündliche Verhandlung kann mehrere Verhandlungstermine umfassen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sog. Einheit der mündlichen Verhandlung18. Damit folgt die ZPO dem Vorbild des französischen Prozesses19. Im einzelnen ersieht man dieses Prinzip aus dem Wortlaut des § 286 ZPO, der bestimmt, daß das Gericht unter Berücksichtigung "des gesamten Inhalts der Verhandlungen" entscheidet. Dabei gebraucht die ZPO den Begriff Verhandlung hier wieder im Sinne von Verhandlungstermin. Die Einheit der mündlichen Verhandlung hat nun vor allem zwei Konsequenzen. Einmal kann eine Partei alle Angriffs- und Verteidigungsmittel bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung, d. h. des Verhandlungstermins, auf den das Urteil ergeht, geltend machen. Das ergibt ein Umkehrschluß aus § 296 a ZPO. Das bedeutet die Abkehr von der früher geltenden Eventualmaxime, nach der eine Partei bei Vermeidung des Ausschlusses mit ihrem späteren Vorbringen alles ihr in einem bestimmten Zeitpunkt Bekannte vorbringen mußte, selbst dasjenige an Tatsachen und Beweismitteln, das sie nur eventuell, also hilfsweise bei Versagen ihres Hauptvorbringens, vortragen wollte20 • Diese Auswirkungen des Grundsatzes der Einheit der mündlichen Verhandlung nennt Rosenberg I Schwab den Grundsatz der Einheitlichkeit!1. Ferner bedeutet die Einheit der mündlichen Verhandlung aber auch, daß zwischen verschiedenen Verhandlungsterminen kein Rangverhältnis besteht. Hieran hat auch die Novellierung der ZPO nichts geändert. Zwar spricht das Gesetz jetzt von dem einen Haupttermin, in dem möglichst der Rechtsstreit erledigt werden soll (§ 272 Abs. 1 ZPO). Jedoch schließt das weder einen vorhergehenden sog. frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung aus(§§ 272 Abs. 2, 275 ZPO), noch einen darauffolgenden weiteren Termin (§ 278 Abs. 4 ZPO). Weiterhin ist zwischen dem Vortrag in den verschiedenen Terminen kein qualitativer Unterschied. Die einzelnen Termine sind weiterhin alle gleichwertig22, d. h. einmal in einem Termin Gesagtes braucht normalerweise von der Partei nicht wiederholt zu werden. Eine Ausnahme stellt nur der Fall dar, daß etwa ein Richter nach Schluß der mündlichen Verhandlung und vor Verkündung einer Entscheidung verstirbt. Dann muß 17 Schänke I Kuchinke §52. 18 Ders. §52; Rosenberg I Schwab § 81 IV; Bruns § 16 VIII. 10 2o 21

22

Blomey,e r § 23 II. Lent I Jauernig § 28 II. § 81 IV 1. Für die ZPO vor dem 1. 1. 77 Rosenberg I Schwab § 81 IV 2.

2. Der sogenannte Verhandlungsgrundsatz

25

die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wieder eröffnet werden, um der Vorschrift des§ 309 ZPO Genüge zu tun, wonach das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann. welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. In dem dann erfolgenden Termin müssen die Parteien allerdings das vorher Gesagte wiederholen, wobei allerdings eine Bezugnahme darauf ausreicht. Neben der regelmäßigen mündlichen Verhandlung gibt es nun auch das sog. schriftliche Verfahren. Dieses wird von § 128 Abs. 2 ZPO dann zugelassen, wenn beide Parteien damit einverstanden sind. Auch in diesem findet eine Verhandlung statt23• Lediglich erfolgen die Einlassungen der Parteien eben schriftlich24 • Das verwundert auch nicht. Schließlich müssen auch im schriftlichen Verfahren der ZPO dieselben rechtsstaatliehen Grundsätze gelten wie im mündlichen Verfahrenz5 • Der Verhandlungsgrundsatz ist dabei einer der wichtigsten davon, wie wir noch sehen werden. Vom Reichsgericht wurde der Verhandlungsgrundsatz als "oberster Grundsatz der Prozeßordnung" bezeichnet26 • Allerdings hat in diesem Fall das Reichsgericht Verhandlungs- und Dispositionsmaxime nicht scharf genug unterschieden27 •

De Boor I ErkeL nennt das Prinzip, das die Verantwortung für die Stoffsammlung regelt, den "Verhandlungsgrundsatz im engeren Sinne"28• Der Begriff Verhandlungsgrundsatz wird teilweise auch ausdrücklich als Synonym für Beibringungsgrundsatz benutzt29 • Der herrschenden Meinung in der Literatur, aber auch der Rechtsprechung zufolge, regelt er nur, wie die Stoffsammlung zu erfolgen hatw. Der Verhandlungsgrundsatz betrifft also nach herrschender Meinung die Regelung dreier Problemkreise: Er regelt grundsätzlich was an Tatsachenstoff von wem vorzutragen ist, um verwertbar zu sein, wie es zu verwerten ist und wann. Wir werden noch zeigen, daß diese Problematik eine solche des Beibringungsgrundsatzes ist und der Begriff Verhandlungsgrundsatz in diesem Zusammenhang wenn nicht falsch, so mindestens irreführend ist. 23

Baumbach I Lauterbach I Atbers I Hartmann

heim WM 74, 62. 24

2s

Stein I Jonas I Pohle Anm. li zu § 43. Späth S. 10 f.; Burchardt S. 24.

Anm. 2 B zu § 43; LG Mann-

RGZ 151, 93 ff. (97 f.). So schon Lent in ZZP 63, 36. 28 § 102. 29 So z. B . von Rosenberg I Schwab § 78; Baumbach S. 10; Bergerfurth Rdn. 212; Hoche S. 196; Sauer § 6 I 1. ao Typisch dafür z. B. Schönke I Kuchinke § 8 1 I; Nikisch §50 li; Bernhardt § 23 I; Schwarz I Blume§ 36; Walsmann § 171 ; Fischer§ 23; Blomeyer § 14 li 1. 26

21

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

26

Im einzelnen bedeutet das Prinzip nach h. M.: Das Gericht darf seiner Entscheidung nur Tatsachen zugrundelegen, die von mindestens einer Partei im Prozeß vorgetragen worden, das heißt, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind. Dabei ist es gleichgültig, ob der Gegner auf sie eingegangen ist oder nicht. Für das Gericht bedeutet der Grundsatz das Verbot, Tatsachen zu ergänzen, die die Parteien nicht vorgetragen haben. Es darf nicht von sich aus die Wahrheit erforschen (iudex iudicare debet secundum maxime allegata et probata a partibus). Diese Sperrfunktion der Verhandlungsmaxime betont besonders Brüggemann31 • Die Parteien tragen konsequenterweise die alleinige Verantwortung für die Einführung von Tatsachen in den Prozeß und - falls erforderlich - für deren Beweis, also deren Feststellung32• Dies aber kann man besser begrifflich erfassen, wenn man es als Folge des Beibringungsgrundsatzes versteht. Das Verständnis des Zivilprozeßrechts wird erleichtert, wenn man seine Grundprinzipien klar trennt33 • Freilich läßt es sich dann nicht vermeiden, daß es gewisse Überschneidungen gibt. Das sei näher erklärt: Angenommen eine Partei trägt klagebegründende Tatsachen vor. Das kann z. B. so geschehen, daß sie nur auf einen Schriftsatz, in dem sie stehen, Bezug nimmt. Mit diesem Verhalten wird drei Grundsätzen unseres Prozeßrechts gleichzeitig Rechnung getragen, nämlich zum ersten dem Beibringungsgrundsatz, aber auch der Verhandlungsmaxime und dem Mündlichkeitsgrundsatz. Ein anderes Beispiel ist das, daß eine Partei für die klagebegründenden Tatsachen in der mündlichen Verhandlung Beweis anbietet. Damit entspricht sie dem Beibringungs- und dem Mündlichkeitsgrundsatz. Schließlich sei daran gedacht, daß Beweis erhoben worden ist. Das Ergebnis der Beweisaufnahme muß dann zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung werden, was wiederum den Grundsätzen der Verhandlungsmaxime, der Mündlichkeit und des rechtlichen Gehörs Rechnung trägt. Im Protokoll steht dann der Vermerk: Die Parteien verhandelten zum Ergebnis der Beweisaufnahme. Haben sie dies nicht getan, so muß wenigstens deutlich gemacht werden, daß ihnen hierzu seitens des Gerichts Gelegenheit gegeben worden war, etwa durch die Formulierung: Die Parteien hatten Gelegenheit, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Diese Beispiele zeigen, daß eine Prozeßhandlung mitunter gleichzeitig verschiedenen Prozeßgrundsätzen Rechnung trägt. Die Prozeßgrundsätze überschneiden sich eben zum Teil. 31 32

s. 118.

So definieren beispielsweise Rosenberg I Schwab § 78 li und Stein I

Jonas I PohLe Vorb. VII 1 vor § 128.

33 Eine solche klare Trennung findet sich wohl lediglich bei Wieczorek Anm. B III a zu § 128.

2. Der sogenannte Verhandlungsgrundsatz

27

Von daher besteht allerdings kein Bedürfnis nach einer extensiven Fassung des Verhandlungsgrundsatzes. Wollte man ihn so verstehen, daß nach ihm die Parteien die alleinige Verantwortung für die Einführung von Tatsachen in den Prozeß und gegebenenfalls deren Beweis trügen, so erschiene seine Benennung willkürlich und nicht sehr geglückt. So wird er zwar - wie bereits ausgeführt - überwiegend aufgefaßt, aber hierbei wird einseitig nur die eine Erscheinung betont, daß das Gericht nur berücksichtigen darf, was in der Verhandlung vorgebracht wird. Hieraus wird der Name für viel mehr und wesensmäßig nicht Zusammengehöriges abgeleitet. Diese Herkunft des Namens bezeugen schon die Ausführungen seines Schöpfers Gönner, der ausgeführt hatte: " ... welche man die Verhandlungsmaxime nennen kann, weil alles von dem Vorbringen der Parteien oder von ihren Verhandlungen abhängt" 34 • Dabei kann noch nicht einmal gesagt werden, daß es gerade diese eine Erscheinung sei, die dem Zivilprozeß sein eigentümliches Gepräge gebe. Schließlich darf auch im Strafprozeßrecht das Gericht bei der Urteilsfindung nur solche Gesichtspunkte berücksichtigen, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden. Insofern könnte man auch hier von einem Verhandlungsgrundsatz sprechen. Tatsächlich kennt die Strafprozeßrechtswissenschaft einen solchen aber nicht. Im Strafprozeß gilt - wie in jedem Verfahren zum einen, daß vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat (Art. 103 Abs. 1 GG). Außerdem gilt der Mündlichkeitsgrundsatz35• Dieser besagt, daß das Strafgericht bei der Urteilsfindung nur solche Gesichtspunkte berücksichtigen darf, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden. Das heißt, er schließt im Strafprozeßrecht ein schriftliches Verfahren aus. In der ZPO ist ebenfalls der Grundsatz der Mündlichkeit ausdrücklich normiert in § 128 Abs. 1. Er ist im Zivilprozeßrecht deswegen so wichtig, weil grundsätzlich ja ein Gespräch die beste Möglichkeit bietet, um ohne große Umwege und mit einem Minimum an Arbeitsaufwand eine verworrene Angelegenheit zu klären. Im Gespräch lassen sich Mißverständnisse sofort aufklären. Unklarheiten können durch unmittelbare Rückfragen beseitigt werden. Auch wird es in der Regel leichter sein, sich beispielsweise zu vergleichen. Demgegenüber krankt ein schriftliches Verfahren an größerer Unbeweglichkeit. Das wird schon allein dadurch bewirkt, daß ja jeder Schriftsatz erst wieder der Gegenseite zugestellt werden muß, deren Stellungnahme dann wieder abzuwarten ist. Auch die durch Arbeitsüberlastung und schleppende Information durch die Parteien häufig 34 Hdb. I, 2, S. 122 f. as Kleinknecht Anm. 2 B zu § 261 StPO; KMR S. 708; Löwe I Rosenberg 8.152.

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I. Kap.:

Begriff des Beibringungsgrundsatzes

auftretende Erscheinung, daß die Beantwortung von Schriftsätzen durch die Rechtsanwaltskanzleien lange Zeit in Anspruch nimmt, bewirkt eine gewisse Schwerfälligkeit des schriftlichen Verfahrens. Im Gegensatz dazu hat die idealtypische mündliche Verhandlung noch den Vorteil, daß allein sie das von § 139 ZPO geforderte Sachund Rechtsgespräch zwischen Gericht und Parteien unmittelbar ermöglicht und den Argumenten durch die Lebendigkeit und Spontanität des Vortrags eine Anschaulichkeit verleiht, hinter der die, der oft lakonischen schriftsätzlichen Ausführungen weit zurückbleibt. Nicht umsonst hat man in jüngster Zeit versucht, mit dem sog. "Stuttgarter Modell" 36, dem Grundsatz der Mündlichkeit wieder größere Geltung zu verschaffen. Der Gesetzgeber hat die dort praktizierte Verfahrensweise mittlerweile in den §§ 272 ff. ZPO zur allgemeinen, verpflichtenden Norm erhoben. Daß eine solche Verfahrensweise allerdings Beteiligte voraussetzt, die wissen, worum es bei dem betreffenden Rechtsstreit geht, ist angesichts des heute leider weit verbreiteten "Sitzungsvertreterunwesens" keine überflüssige Feststellung. Der Mündlichkeitsgrundsatz ist nach alldem eine bedeutsame Verfahrensvorschrift. Seine Verletzung ist ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZP037 • Allerdings ist dieser Verfahrensmangel nur auf Rüge hin zu berücksichtigen38 • Das ist die Konsequenz daraus, daß die Parteien ja auf die mündliche Verhandlung auch verzichten können, § 128 Abs. 2 ZPO. Daher ist auch § 295 ZPO in diesem Zusammenhang anwendbar, d. h. durch u. U. stillschweigenden Verzicht auf die Befolgung des § 128 Abs. l ZPO geht das Rügerecht verloren und zwar auch für die Berufungsinstanz, § 531 ZPO. Ebenso ist die Verletzung des Mündlichkeitsgrundsatzes aueh kein absoluter Revisionsgrund, sondern es muß dargetan werden, daß das Urteil auf dieser Verletzung beruht, § 549 Abs. 1 ZP039 • Der Mündlichkeitsgrundsatz ist es schließlich auch, der die Gewähr für die Öffentlichkeit der gesamten Verhandlung bietet4°. Diese wird ja von§ 169 GVG gefordert, dessen Verletzung einen absoluten Revisionsgrund darstellt, § 551 Ziffer 6 ZPO. Der Grund dieser Bedeutung ist der, daß durch das Öffentlichkeitsprinzip eine Geheimjustiz verhindert werden soll und die Tätigkeit, insbesondere die Entscheidungstätigkeit der Gerichte für den Staatsbürger überprüfbar gemacht wird. Die se Das sog. "Stuttgarter Modell" beschreibt Bender in "Die Hauptverhandlung in Zivilsachen", DRiZ 1968, S. 163 ff. 37 Stein I Jonas I Pohle Anm. VI zu § 128 und Stein I Jonas I Grunsky Anm. 1 I zu § 539; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 E zu § 128. 38 Wieczorek Rdn. H III zu § 128. su Stein I Jonas I Pohle Anm. VI aE zu § 128. 40 Ders. Anm. I zu § 128.

2. Der sogenannte Verhandlungsgrundsatz

29

Öffentlichkeit der Verhandlung wird daher auch als "Leitgedanke der Prozeßgesetze" bezeichnet41 • Gleichwohl kennt- anders als der Strafprozeß - der Zivilprozeß anrh ein schriftliches Verfahren. Das ergibt sich aus § 128 Abs. 2 ZPO. Es ist praktisch allerdings nicht häufig. Von den Absichten des Gesetzgebers her soll es die Ausnahme sein, die in Fällen angewendet wird, bei denen der Streit um bloße Rechtsfragen geht, die keine Beweisaufnahme usw. erfordern. Dem Verfahren mit mündlicher Verhandlung gab der Gesetzgeber eindeutig den Vorzug. Daher ist das schriftliche Verfahren auch nur bei Einwilligung beider Parteien zulässig, wie § 128 Abs. 2 ZPO ausdrücklich bestimmt. Der Sonderfall des § 128 Abs. 3 ZPO kann mangels größerer Bedeutung hier außer Acht gelassen werden. Aus der Tatsache, daß es einen rein schriftlichen Zivilprozeß gibt, folgt bereits, daß der Mündlichkeits- und der Verhandlungsgrundsatz nicht identisch sind. Sie überschneiden sich nur im regelmäßig mündlichen Zivilprozeß. Im schriftlichen Zivilprozeß gilt dann von den beiden Grundsätzen nur noch die Verhandlungsmaxime. Deren Inhalt ist eben lediglich, daß nichts für die Urteilsfindung verwertet werden darf, wozu nicht die Parteien Gelegenheit hatten, in der Verhandlung Stellung zu nehmen. Der Verhandlungsgrundsatz würde praktisch die zivilprozessuale Gewährleistung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bedeuten, ohne allerdings damit identisch zu sein. Er wäre vielmehr dessen geeignete zivilprozessuale Erscheinungsform. In jeder Verfahrensart wird aber das Recht auf rechtliches Gehör in irgend einer Form verwirklicht. Zum Verständnis der Eigenarten des Zivilprozeßrechts wäre der Verhandlungsgrundsatz demnach nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Hierfür bietet sich viel kennzeichnender und treffender der Beibringungsgrundsatz an. Er macht bereits vom Wort her deutlich, worum es geht42 • Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Gesetzgeber im § 356 ZPO hinsichtlich der Frist, bis zu deren Ablauf ein Beweis noch erbracht werden kann, von Beibringungsfrist spricht. Wer anders definiert- wie ein großer Teil der Literatur- müßte erst einmal den Nachweis dafür erbringen, daß es notwendig oder auch nur sinnvoll ist, zwei vom Wortsinn her so eindeutige Begriffe synonym zu gebrauchen. Er müßte weiter auch zeigen, warum es zum Beispiel eine Durchbrechung des Verhandlungsgrundsatzes sein soll, wenn das Gericht die Von Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Üb. 2 vor § 169 GVG. So auch Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Grundzüge 3 B vor § 128 und Brüggemann S. 107. 41

42

30

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

Möglichkeit hat, die Vorlage einer Urkunde, auf die sich eine Partei bezogen hat, anzuordnen (§ 142 Abs. 1 ZPO). In diesem Fall liegt aber nur eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes vor. Die Trennung zwischen Verhandlungsmaxime und Beibringungsgrundsatz ermöglicht hier eine weit trefflichere Einordnung dieser Beweiserhebungsmöglichkeiten von Amts wegen. Kennzeichnend ist auch, daß häufig in der Literatur der Verhandlungsgrundsatz nur durch die Verantwortlichkeit der Parteien für die Stoffsammlung charakterisiert wird43 • Dann ist allerdings sein Name nur noch historisch verständlich. Es muß dann verwundern, daß diese mißverständliche Bezeichnung niemals korrigiert wurde. Auf viel unbedeutenderen Gebieten haben sich Autoren in der Schöpfung neuer Bezeichnungen für alte Sachverhalte gegenseitig übertroffen. Hier hat man einen undeutlichen Begriff ständig kritiklos weiterverwendet. Im weiteren soll statt des Begriffes Verhandlungsgrundsatz derjenige des Beibringungsgrundsatzes verwendet werden. Der Verhandlungsgrundsatz soll nur die Bedeutung haben, daß das Gericht seiner Überzeugungsbildung nur solche Tatsachen zugrundelegen darf, die in der- regelmäßig mündlichen- Verhandlung vorgebracht wurden.

3. Der Beibringungsgrundsatz Er ist nach dem bereits ausgeführten das eigentlich kennzeichnende Prinzip des Zivilprozesses, welches diesen von anderen Verfahrensarten deutlich unterscheidet. Der Beibringungsgrundsatz kann im Gegensatz zur Verhandlungsmaxime nur in Verbindung mit der Dispositionsmaxime sinnvoll gedacht werden, weil er letztere voraussetztl. Durch ihn wird den Parteien die Verantwortung für die Stoffsammlung übertragen. Er hat zwei Seiten. Zum einen obliegt den Parteien die Einführung von Tatsachen in den Prozeß. Außerdem müssen sie diese im Bestreitensfalle beweisen. Sie sind also sowohl für deren Behauptung als auch deren Feststellung durch Beweis verantwortlich. Demgemäß kennt das Zivilprozeßrecht auch eine Behauptungs- oder Darlegungslast und andererseits eine Beweisführungslast Letztere ist zu unterscheiden von der bloßen Beweislast, die Rosenberg Feststellungslast nennt2 • Die Unterscheidung machte bereits das Reichsgericht3 • Die Beweislast besagt lediglich, daß die Partei, der ein Rechtssatz 43 So bei Dahm "Deutsches Recht" § 61 IV 2; Rosenberg I Schwab § 78 II; Bernhardt §23I; Walsmann §171; De Boor!Erkel §1911; Thomas' !Putzo Einl. I 1; Hoche S. 196. t So bereits Zu Dohna 1911 in "Leitsätze zu Vorlesungen über Deutschen

Civilprozeß", § 171. 2 In "Die Beweislast", § 3 IV 1. 3 RGZ 128, 124 zitiert bei Rosenberg in "Die Beweislast", § 3 IV 1.

3. Der Beibringungsgrundsatz

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günstig wäre, den Nachteil zu tragen hat, wenn sich der Nachweis der Voraussetzungen dieses Rechtssatzes nicht führen läßt. Dabei kann dies auch in der Unmöglichkeit der Führung des Nachweises durch das Gericht begründet sein. Später wird noch gezeigt werden, daß besonders der Strafprozeß, aber auch fast alle anderen Verfahrensarten außer dem Zivilprozeß dem Untersuchungsgrundsatz unterstehen. Dieser bedeutet, daß das Gericht den Sachverhalt selbst ermittelt. Es ist dabei nicht an Anträge und Erklärungen der Prozeßbeteiligten gebunden4 • Auch in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz gibt es nach dem oben Gesagten eine Beweislast5. Im Gegensatz dazu ist die Beweisführungslast, die auch oft subjektive Beweislast im Gegensatz zur objektiven Beweislast genannt wird6 , eine Folge des Beibringungsgrundsatzes. Die Partei, die entgegen ihrer Behauptungslast Tatsachen, auf die es ankommt, nicht vorträgt, macht ihre Klage unschlüssig. Die Partei, die nicht zu beweisen vermag, obwohl sie die Beweisführungslast trifft, bleibt beweisfällig. Sie verliert unter Umständen dadurch den Prozeß. Es obliegt eben grundsätzlich den Parteien, über bestrittene Tatsachen Beweis anzutreten, § 282 ZPO. Wegen des Beibringungsgrundsatzes darf das Gericht Tatsachen bei der Urteilsfindung auch nur berücksichtigen, wenn sie von mindestens einer Partei im Prozeß vorgetragen wurden. Soweit der Beibringungsgrundsatz noch uneingeschränkt gilt, verbietet er auch dem Gericht, von sich aus die Wahrheit zu ermitteln (Sperrfunktion). Es darf dann weder Tatsachen noch Beweismittel von Amts wegen in den Prozeß einführen. Daher sind Tatsachen, die zugestanden sind (§ 288 Abs. 1 ZPO) oder nicht bestritten werden (§ 138 Abs. 3 ZPO) nicht beweisbedürftig. Über sie darf das Gericht überhaupt nicht mehr Beweis erheben7 • Dieser Umstand hat zu dem für das zivilprozussuale Verfahren ebenfalls kennzeichnenden Begriff der sog. formellen Wahrheit geführt, der unter 4. noch behandelt werden wird. Man glaubt nun zwar übereinstimmend ohne große Schwierigkeiten bestimmen und definieren zu können, was der Beibringungsgrundsatz bedeutet und was seine Auswirkungen auf den Prozeß sind. Schwierig ist aber zuweilen der Nachweis, daß die ZPO unter der Geltung dieses Begriffes konzipiert wurde. Die ZPO kennt ja den Begriff des Bei4

5

Kern I Roxin § 15 A.

So auch Leipold in "Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen",

§ 102 (S. 128) und für den Verwaltungsprozeß z. B. Eyermann I Fröhler Rdn. 5 zu § 86 und Lüke JZ 1966, S. 589. 6 Besonders im Österreichischen Rechtskreis, Rosenberg § 3 II (S. 17) mNw. 1 Thomas I Putzo Anm. 3 a zu § 288; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. II 1 zu § 288.

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I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

bringungs- oder Verhandlungsgrundsatzes nicht. Sie nennt überhaupt keine Prozeßmaximen expressis verbis. Im folgenden wird versucht zu zeigen, wie die bisher herrschende Meinung den Beibringungsgrundsatz in der ZPO nachzuweisen versucht. Dabei muß immer beachtet werden, daß sie die Erscheinung, die wir Beibringungsgrundsatz nennen, überwiegend als Verhandlungsgrundsatz bezeichnet. Unabhängig von diesem terminologischen Unterschied wird aber dieselbe prozessuale Maxime gemeint. Gönner hat den Begrif Verhandlungsgrundsatz ja als erster entwickelt. Er leitet den Begriff so her, daß er ihn aus einer Reihe von Einzelvorschriften sozusagen als deren übergeordnetes gedankliches Prinzip herausarbeitet. Bomsdorf hat nun bereits gezeigt8 , wie sehr Gönner in seinem Denken als Vernunftrechler befangen war, das heißt, mit welchen vorgefaßten Ideen er an die Prozeßgesetze herantrat. Deutlich wird das, wenn Gönner ausführt: " ... auch die Ordnung des gerichtlichen Verfahrens muß auf einem allgemeinen Grundsatz ruhen und dieser allgemeine Grundsatz muß mit reinen Vernunftsätzen übereinstimmen"9 (Hervorhebungen vom Verf.). Zwar gab es Erscheinungen des damals geltenden Rechts, des gemeinen Prozesses oder des preußischen Prozesses nach der AGO, die zu seinem jeweils angenommenen Grundsatz im ersten Fall der Verhandlungsmaxime, im zweiten Fall dem Untersuchungsgrundsatz nicht paßten. Diese stellte Gönner dann aber dem Grundsatz zuliebe als Ausnahmen von der Regel dar. Er begründete dabei nicht, warum das Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht ebensogut umgekehrt hätte sein können. Er sagte einfach: "Es kömmt auf diese Nebenpunkte gar nicht an, sondern man muß in den Geist eines Verfahrens im Ganzen eindringen und hernach bestimmen, auf welcher von beiden Maximen derselbe ruhe, welche von beiden also in dem gerichtlichen Verfahren die hersehende sey10 ." Es ist also bereits die theoretische Begründung des Beibringungsgrundsatzes nicht frei von Willkür gewesen11 • Es wird in dieser Arbeit noch gezeigt werden, wie weit seine Beibehaltung es ist. Zuvor soll aber noch dargestellt werden, in welchen Institutionen des geltenden Zivilprozeßrechts man heute noch den Beibringungsgrundsatz manifestiert finden kann. Der Nachweis der Fehlerhaftigkeit seiner begrifflichen Deduktion aus dem Prozeßrecht vor der ZPO vermöchte ihn für sich allein genommen ja noch nicht unbedingt zu erschüttern. Rechtssystematische Begriffe entwickeln - einmal geprägt - nur zu schnell ein Eigenleben. Auch der

s Drittes Kapitel, Abschnitt II, besonders Ill. 9 Hdb. I, 2, S. 176 f. 1o Hdb. I, 2, S. 193. 11 Bezüglich weiterer Einzelheiten hierzu sei auf die ausführliche und diese Thematik erschöpfende Arbeit von Bornsdorf hingewiesen.

3. Der Beibringungsgrundsatz

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Beibringungsgrundsatz hat Wandlungen durchgemacht bis zu seinem heutigen Verständnis. Es fragt sich also nun, ob er sich in seiner jetzigen Bedeutung in der ZPO nachweisen läßt. Wir haben bereits gezeigt, daß dem Beibringungsgrundsatz eine Beweisführungslast entspricht. Eine solche gibt es in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz nicht. Wenn sich also nachweisen ließe, daß die ZPO eine Beweisführungslast kennt, könnte man schließen, daß sie zumindest stillschweigend von der Geltung des Beibringungsgrundsatzes ausgeht. Man könnte nun vermuten, daß die ZPO die Beweisführungslast voraussetze, wenn sie in den §§ 445, 597 Abs. 2, 598 ZPO jeweils von dem einer Partei "obliegenden Beweis" redet. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß der Formulierung gerade in diesen drei Paragraphen eine solche Bedeutung zukommt. Eher ist anzunehmen, daß man diese Vorschriften ihrerseits wieder ganz im Sinne des Beibringungsgrundsatzes dahingehend interpretiert hat12 • Einen anderen Hinweis auf die Geltung des Beibringungsgrundsatzes könnte man den Vorschriften über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§§ 296, 296 a, 356, 528, 529 ZPO) entnehmen wollen. Diese lassen sich ja eigentlich nur erklären - sollte man jedenfalls meinen - mit der Herrschaft der Parteien über den Streitstoff. Denn wenn sie keine Obliegenheit zum Vortrag träfe, könnten sie auch nicht ungünstige Folgen für die Nachlässigkeit diesbezüglich zu erleiden gezwungen sein. Jedoch ist auch dem Prozeß, der gemeinhin als der Prozeß mit Untersuchungsgrundsatz schlechthin dargestellt wird, dem Strafprozeß, die Zurückweisung von Beweisanträgen wegen Prozeßverschleppung bekannt(§§ 244 Abs. 3 S. 2, 245 Abs. 1 S. 1 StP0)13 • Es wird sich später zeigen, daß z. B. das Österreichische Zivilprozeßrecht diese Erscheinung viel besser erklären kann als unsere Dogmatik. Offenbar gibt aber die bei uns mögliche Zurückweisung verspäteten Vorbringens auch keinen sicheren Nachweis des Beibringungsgrundsatzes ab. Auch dem von Brüggemann noch angeführten Institut der Nebenint~rvention14 steht im Bereich der VwGO das der Beiladung an der Seite. Das heißt, auch hieraus sind keine Argumente für die Geltung des Beibringungsgrundsatzes zu gewinnen. Beweiskräftiger scheint auf den ersten Blick ein Umkehrschluß aus § 293 S. 2 ZPO zu sein. Beim Ermitteln fremden Rechts, von Gewohnheitsrecht und von Satzungen ist der Richter nicht auf die von den Parteien eingebrachten Nachweise beschränkt. Weil dies besonders 12 So auch Brüggemann S. 109. 1s Ders. S . 112. 14 s. 113.

3 Zettel

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

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betont wird, müßte man daraus schließen, daß er in anderen Fällen eben auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise beschränkt sei. Dieser Schluß ist aber nicht zulässig. § 293 S. 2 ZPO regelt ja gar keine Materie, die den Parteien auch nur anheimgestellt sein könnte. Die Ermittlung von Rechtsnormen - sofern ausnahmsweise unbekannt - ist stets Sache des Gerichts. "Iura novit curia" und "da mihi facta, dabo tibi ius", diese beiden Parömien drücken das seit altersher aus. Die Vorschrift des § 293 S. 2 ZPO ist daher auch nicht so zu interpretieren, daß sie dem Gericht eine ihm bislang verschlossene Möglichkeit, amtswegig zu ermitteln, neu eröffnet. Vielmehr bringt sie zum Ausdruck, daß ausnahmsweise auch in diesem Bereich das Gericht eine Mitwirkung der Parteien verlangen kann15• Sie formuliert also eine Ausnahme in umgekehrter Zielrichtung. § 139 ZPO kann ebenfalls nicht als Beleg für die Existenz des Beibringungsgrundsatzes im Text der ZPO angeführt werden. Außerdem gibt es in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz solche Vorschriften ebenfalls. In der VwGO ist dies § 86 Abs. 2, im SGG § 106 Abs. 1, in der FGO § 76 Abs. 2. Sie bezwecken nur, den Parteien bei der Substantiierung ihres Vorbringens Hilfestellung durch das Gericht zu gewähren. Es hieße etwas in diese Vorschrift hineininterpretieren, wollte man in ihr eine grundsätzliche Aussage über eine Prozeßmaxime sehen.

Weiterhin überzeugt nicht der Hinweis auf § 288 ZPO. Es ist zum einen der Geltungsbereich des § 288 ZPO bereits stark eingeschränkt worden. Außerdem ist diese Vorschrift eher der Dispositionsmaxime zuzuschreiben als dem Beibringungsgrundsatz18• Der Beibringungsgrundsatz könnte aus einem Gegenschluß aus den §§ 616, 617, 640, 653 ZPO folgern. § 617 ZPO beschränkt aber eindeutig nur die Dispositionsmaxime. Das heißt, er gibt für unsere Betrachtung kein Argument ab. Unbezweifelbar normieren aber die §§ 616, 640, 653 ZPO für den Ehe- und Kindschaftsprozeß, sowie für Entmündigungssachen den Untersuchungsgrundsatz. Dies allerdings kann nur mehr so verstanden werden, daß der Gesetzgeber eben davon ausging, in der übrigen ZPO herrsche dieser Grundsatz nicht17• Dieses Argument gewinnt man auch aus § 952 Abs. 3 ZPO für das Aufgebotsverfahren. Brüggemann argumentiert gegen diese Schlußfolgerung18• Er verweist auf Fallgestaltungen, in denen auch im "normalen" Zivilprozeß ein öffentliches Interesse besteht. Beispielhaft nennt er einen Prozeß um 15 18

11 18

BGHZ 57, 72 ff. (78). BriLggemann S. 115. Damrau § 5 (S. 21). s. 114 f.

3. Der Beibringungsgrundsatz

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die Auswertung von Lizenzen, an denen die Landesverteidigung beteiligt ist, oder einen - inhaltlichen - "Status"prozeß einer juristischen Person. Ihm ist aber nicht zuzustimmen, wenn er meint, hier werde das argurnenturn e contrario aus § 616 ZPO brüchig. Was er anstellt, sind rein rechtspolitische Überlegungen. Brüggemann kritisiert die in der ZPO getroffene Regelung, weil sie bei besonderem öffentlichen Interesse den Untersuchungsgrundsatz einführt, aber nicht alle Fälle, in denen öffentliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits möglich erscheint, erfaßt. Damit weist er aber nicht nach, daß es die Regeln so nicht gibt. Auch erscheint mir seine weitere Argumentation diesen Punkt betreffend nicht zulässig zu sein. Er meint nämlich, sollte einmal das Verfahren eines sog. Familiengerichts aus der ZPO ausgegliedert werden, so entfiele damit das Argument des Gegenschlusses aus§ 61619 ZPO. Das kann aber nicht richtig sein. Mit einer bloßen Ausgliederung einer - sowieso einen Sonderfall darstellenden - Prozeßart aus der ZPO kann nicht eine ihrer grundsätzlichen Maximen plötzlich nicht mehr vorhanden sein. Hat man sie vorher festgestellt, so muß man es weiterhin tun. Nur erhält die Argumentation eben einen historischen Bezug. Im übrigen hat sich das Argument von selbst erledigt, nachdem eine solche Ausgliederung nicht erfolgt ist. Der Beibringungsgrundsatz folgte aber auch aus § 313 Abs. 1 Nr. 3 a. F. ZP020• Der Tatbestand des Urteils war nach dieser Vorschrift die "Darstellung des Sach- und Streitstandes auf Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien". Die entsprechenden Vorschriften anderer Prozeßordnungen sprechen lediglich vom "Tatbestand". So ist es z. B. bei § 117 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, § 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG, § 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO. Die Vorschrift der ZPO zeigte also, daß im Zivilprozeß ausschließlich das Parteivorbringen zur Urteilsgrundlage gemacht werden soll. Heute ist allerdings § 313 ZPO im Zuge der sog. "Vereinfachungsnovelle" auch redaktionell geändert worden und spricht ebenfalls nur vom "Tatbestand", § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. An keiner Stelle der Materialien zur Vereinfachungsnovelle findet sich jedoch ein Hinweis, daß damit etwas Grundsätzliches ausgesagt werden sollte. BuH weist darauf hin, daß auch § 285 Abs. 2 ZPO ein starkes Indiz für die Verhandlungsmaxime darstelltn. Nach dieser Vorschrift müssen die Parteien das Ergebnis einer nicht vor dem Prozeßgericht erfolgten Beweisaufnahme diesem vortragen. Dabei ist es doch gerade das Prozeßgericht, das als erstes Kenntnis von diesem Ergebnis bekommt, denn ihm werden doch die Akten mit dem Vernehmungsprotokoll von dem 19

2o 21 3*

s. 115. Brilggemann S.117; Damrau S. 22. In "Prozeßkunst" S. 157.

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

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auswärtigen Gericht übersandt! Auch daß der ZPO eine Vorschrift wie§ 12 FGG fehlt, spricht für den Verhandlungsgrundsatz22. Eine umfangreiche Übersicht über Vorschriften der ZPO, die zwar nicht einzeln, aber in ihrer Gesamtschau mit dem Untersuchungsgrundsatz in der ZPO unvereinbar wären, gibt Damrau. Er nennt im einzelnen23: § 130 ZPO besagt, daß vorbereitende Schriftsätze die zur Begründung der Anträge dienenden tatsächlichen Verhältnisse angeben sollen (Nr. 3) und geht davon aus, daß auch der Gegner tatsächliche Angaben macht (Nr. 4). Beide Parteien sollen danach Beweismittel bezeichnen (Nr. 5). § 138 ZPO geht davon aus, daß sich die Parteien über tatsächliche Umstände erklären. Auch § 264 Nr. 1 ZPO geht hiervon aus. § 282 Abs. 2 ZPO sieht es als Sache der Parteien an, tatsächliche Behauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen. § 288 ZPO normiert die Verbindlichkeit eines gerichtlichen Geständnisses, die bei Geltung der Untersuchungsmaxime undenkbar wäre. Nach § 286 ZPO hat das Gericht nur den Inhalt der Verhandlungen und tatsächlichen Behauptungen seinem Urteil zugrunde zu legen. Auch ein Versäumnisurteil allein auf Grund des schlüssigen Klägervortrags (§ 331 ZPO) könnte in einem Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz nicht ohne Systemwidrigkeit ergehen. § 335 Abs. 1 Nr. 1 ZPO spricht wieder deutlich aus, daß es Sache der Parteien ist, Nachweise zu führen, selbst bei von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen. § 359 Nr. 3 ZPO setzt voraus, daß sich eine Partei auf ein Beweismittel berufen hat. Von Bezugnahmen auf Urkunden zum Zwecke der Beweisführung spricht § 423 ZPO. § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO legt dem Berufungskläger die Pflicht auf, Tatsachen und Beweismittel rechtzeitig, d. h. schon in der Berufungsbegründungsschrift zu benennen. Dasselbe regelt § 522 a Abs. 3 ZPO für die Anschlußberufung. Auch § 528 ZPO geht davon aus, daß die Parteien neue Tatsachen und Beweismittel in der Berufungsverhandlung vorbringen. Zutreffend leitet Damrau aus der Fassung des § 128 Abs. 1 a. F. ZPO ebenfalls ab, daß die ZPO unter dem Gesichtspunkt der Geltung des Beibringungsgrundsatzes konzipiert wurde24 . Dort hieß es: "Die Verhandlung der Parteien über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht ist eine mündliche" (Hervorhebungen vom Verf.). Hier wird deutlich, daß man bei Schaffung der ZPO davon ausging, daß die Parteien unter Aufstellung von Behauptungen und Beweisführungen den Rechtsstreit gewissermaßen vor dem Gericht darstellen, welches dann nur noch rechtlich entscheidet ("da mihi facta dabo tibi ius"). Die 22 BuH, in "Prozeßkunst", S. 157. 23 § 5 (S. 21 ff.). Soweit die bei Damrau angeführten Vorschriften nunmehr neue Nummern tragen, wurden diese benutzt. !4

§ 5 (S. 22).

3. Der Beibringungsgrundsatz

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Neufassung des § 128 Abs. 1 ZPO bedeutet keine sachliche Änderung, wenn es dort heißt: "Die Parteien verhandeln vor dem erkennenden Gericht mündlich" (Hervorhebung vom Verf.). Diese Art von Prozeßsystem treffen wir ja noch heute im angloamerikanischen Rechtskreis, besonders in England und Nordamerika an. Eine solche Formulierung finden wir auch in Verfahrensordnungen mit Untersuchungsgrundsatz nicht wieder. In§ 101 Abs. 1 VwGO heißt es beispielsweise: "Das Gericht entscheidet ... auf Grund mündlicher Verhandlung." Entsprechend ist der Wortlaut von § 90 Abs. 1 FGO und § 123 Abs. 1 SGG. Zutreffend weist Damrau selbst darauf hin, daß durch die bisher aufgeführten Vorschriften noch nichts darüber ausgesagt ist, ob denn nicht das Gericht auch von sich aus Tatsachen oder Beweise in den Prozeß einführen kann25 • Schließlich wäre das nicht undenkbar, wie ein Blick auf den Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß zeigt. Dort legt § 86 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwGO den Parteien die Pflicht auf, selbst an der Tatsachenermittlung mitzuwirken. § 82 Abs. 1 VwGO verlangt, daß die Parteien im Sachvortrag für streitige Behauptungen Beweis antreten sollen. Das entsprechende gilt für den Finanzgerichtsprozeß, §§ 76 Abs. 1 S. 2, 65 Abs. 1 S. 2 FGO. Auch im Sozialgerichtsverfahren ist es nicht anders, §§ 103 S. 1 HS 2, 92 S. 2 SGG. Gleichwohl unterstehen alle drei Verfahren dem Untersuchungsgrundsatz, d. h. ist es dem Gericht nicht verwehrt, darüber hinaus Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, wenn es diese noch für nötig hält. Das ergibt sich aus § 86 Abs. 1 S. 1 HS 1 VwGO für den Verwaltungsgerichts-, § 76 Abs. 1 S. 1 FGO für den Finanzgerichts- und § 103 S. 1 HS 1 SGG für den Sozialgerichtsprozeß. Ausall dem folgt: Überzeugend dartun, daß der Zivilprozeß als Verfahrensordnung mit Beibringungsgrundsatz entwickelt wurde, kann man erst dann, wenn man über das bisher Gesagte hinaus Vorschriften aufzeigt, die dem Gericht Sachverhaltsermittlungen von sich aus untersagen. Damrau hat dieses Problem gesehen und solche Vorschriften zusammengestellt26 : Über Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, ist kein Beweis zu erheben. Sie sind vielmehr als zugestanden anzusehen, § 138 Abs. 3 ZPO. Überhaupt bedürfen vom Gegner zugestandene Tatsachen keines Beweises mehr, § 288 Abs. 1 ZPO. § 399 ZPO bestimmt, daß eine Partei auf einen von ihr vorgeschlagenen Zeugen verzichten kann. Verzichtet auch der Gegner, so kann nicht einmal der erschienene Zeuge von Amts wegen vernommen werden. Dasselbe gilt für bereits vorgelegte Urkunden, § 436 ZPO. Bei nicht erschienenem Beklagten ist, wenn der Kläger Versäumnisurteil beantragt, das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden anzuneh2s 28

§ 5 (S. 22). § 5 (S. 22 f.).

I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

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men, § 331 Abs. 1 S. 1 ZPO. Eine Beweisaufnahme hierüber findet nicht statt. Dasselbe gilt im Berufungsverfahren, § 542 Abs. 2 ZPO. Die bisherige Argumentation wird noch dadurch verstärkt, daß im Eheverfahren, wo ja nach § 616 ZPO die Untersuchungsmaxime gilt, die bisher genannten Rechte der Parteien ausdrücklich aufgehoben werden27• So bestimmt § 617 ZPO, daß "die Vorschriften . . . über die Folgen der unterbliebenen oder verweigerten Erklärung über Tatsachen oder über die Echtheit von Urkunden, die Vorschriften über den Verzicht der Partei auf die Beeidigung der Gegenpartei (das ist § 452 Abs. 3 ZPO) oder von Zeugen und Sachverständigen (das sind die §§ 391, 402, 410 ZPO) und die Vorschriften über die Wirkung eines gerichtlichen Geständnisses" nicht anzuwenden sind. Ferner bestimmt § 613 Abs.1 ZPO, daß das Gericht das persönliche Erscheinen einer Partei anordnen kann und sie anhören soll. Das Gericht kann nach dieser Vorschrift die Ehegatten auch als Parteien vernehmen. Welche Bedeutung § 619 Abs.1 a. F. ZPO hatte, war allerdings umstritten: Nach einer Meinung war er ein Sonderfall des § 141 ZP028 • Jedoch wurde es überwiegend für zulässig gehalten, daß das Gericht die Partei zu Beweiszwecken vernahm. In diesem Fall aber stellte § 619 Abs. 1 a. F. ZPO einen Fall der §§ 445 ff. ZPO dar29 • Zutreffend war es wohl, § 619 Abs. 1 a. F. ZPO als eine Vorschrift zu betrachten, die eben beide Möglichkeiten eröffnete. Dem Gericht oblag es dann, im Protokoll festzuhalten, worum es sich gehandelt hat, ob um eine Anhörung oder um eine Vernehmung im eigentlichen Sinm'!30• Das wird man auch für die Neufassung der Vorschrift so beibehalten können. Die Feststellung im Protokoll, worum es sich gehandelt hat, ist notwendig, weil im letzteren Fall die Formen der Beweisaufnahme gewahrt werden müssen. Nur dann können die Ausführungen der Partei zur Urteilgrundlage gemacht werden. Kostenrechtlich stellte sich die Frage auch. Bisher war es so, daß § 25 Abs. 1 Ziffer 2 GKG und § 31 Ziffer 3 BRAGO immer eine Beweisgebühr für die Vernehmung nach § 619 Abs.1 a. F . ZPO bestimmten. Inzwischen ist die Regelung sachlich unverändert noch in § 31 Ziffer 3 BRAGO enthalten. Man kann aber nicht diese kostenrechtliche Regelung so würdigen, als stellte sie etwa definitiv die Regelung der ZPO klar31 • Diese Bedeutung kommt einer bloßen Kostenregelung nicht zu. Damrau § 5 (S. 23). Gaedeke JW 1934, S. 656 f .; BGH FamRZ 1964, 32. 20 OLG Düsseldorf NJW 1949, 833; OLG Hamm NJW 1952, 1102; OLG Hamburg MDR 1952, 659; BGH LM Nr. 2 zu § 619 a. F. ZPO; BGHZ 40, 84; 21

28

BGH FamRZ 1963, 174. so BGH in FamRZ 1969, S. 82. 31

Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 zu § 619 a. F. ZPO.

3. Der Beibringungsgrundsatz

39

Vielmehr übt umgekehrt das Verfahrensrecht der ZPO Einfluß auf die kostenrechtliche Regelung aus, und so war die Beweisgebühr auch nur zu entrichten, wenn das persönliche Erscheinen nach § 619 Abs. 1 a. F. ZPO zum Zwecke der Vernehmung und nicht der bloßen Anhörung angeordnet wurde32 • Das dürfte, falls die Gebührenordnung für Rechtsanwälte nicht geändert wird, auch hinsichtlich des künftigen § 613 Abs. 1 ZPO gelten. Das besondere an der Regelung des § 613 Abs. 1 ZPO für unsere Betrachtung ist folgendes. Zwar kann auch im "normalen" Zivilprozeß das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden, §§ 141 Abs. 1, 273 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Jedoch kann das Gericht das wohl zur Führung eines Sach- und Rechtsgesprächs im Sinne von § 139 ZPO tun. Es kann aber nicht eine Partei von sich aus zum Zwecke des Beweises vernehmen. Auch die Mitwirkung des Staatsanwaltes - wenn sie im Zivilprozeß auch nur in der Theorie besteht - ist eine Form der Möglichkeit, Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, § 634 ZPO. Beim Entmündigungsverfahren ist es ebenfalls so, daß der Gegensatz zur Verhandlungsmaxime in § 670 Abs. 1 ZPO, der auf die §§ 616 Abs. 1, 617 ZPO verweist, noch besonders betont wird. Auch hat das Gericht den zu Entmündigenden immer zu vernehmen, § 654 Abs. 1 S. 1 ZPO. Ferner muß es von Gesetzes wegen mindestens einen Sachverständigen über den Geisteszustand des zu Entmündigenden hören, § 655 ZPO. Auch hier hat der Staatsanwalt eine Möglichkeit, von Amts wegen die Sachverhaltsermittlung zu betreiben, § 652 ZPO. Es gibt nun noch eine Reihe von Vorschriften, die zwar nicht die Verteilung der Pflichten bzw. Berechtigung zur Sachverhaltsermittlung zwischen Gericht und Parteien unmittelbar regeln. Gleichwohl geben sie hinsichtlich vorhandener Beweismittel Rechte, die die Überzeugungsbildung des Gerichts sehr wohl zu beeinflussen vermögen. Das sind folgende Vorschriften33 : § 391 ZPO bestimmt, daß die Beeidigung eines Zeugen zu unterbleiben hat, wenn die Parteien darauf verzichten. Nachdem das Gericht bei einem solchen Einverständnis der Parteien wohl nach aller Lebenserfahrung davon ausgehen kann, daß keine Partei diese Aussage für schlechthin falsch hält, haben die Parteien hiermit ein Instrument in der Hand, dem Gericht einen bestimmten Sachverhalt nahezulegen. Der Verzicht der Parteien auf Beeidigung eines Zeugen bindet das Gericht. Es wird dann im Protokoll 32 So auch ausdrücklich und ausführlich Gerotd I Schmidt Rdn. 105 zu § 31 BRAGO. 33 Damrau weist auf diese Gruppe von ZPO-Vorschriften in § 5 (S. 27) hin. Auch hinsichtlich dieser Vorschriften wurden- wenn nötig- die künftigen neuen Paragraphennummern benutzt.

I. Kap.:

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Begriff des Beibringungsgrundsatzes

dementsprechend auch nur noch festgestellt: Die Parteien verzichten auf die Beeidigung des Zeugen. Nicht heißt es, daß der Zeuge unbeeidigt bleibt. Denn eine solche Formulierung ließe einen diesbezüglichen Gerichtsbeschluß vermuten. Ein solcher wird aber nicht mehr getroffen. Anders ist es allerdings, wenn die Parteien lediglich keinen Antrag zur Beeidigung des Zeugen stellen. Dann muß noch ein Gerichtsbeschluß ergehen. Während diese Regelung den Parteien Einfluß auf die Überzeugungsbildung des Gerichts einräumt, ist es bei der Vorschrift des § 395 Abs. 2 S. 2 ZPO ganz anders. Danach kann das Gericht dem Zeugen Fragen vorlegen, über Umstände, die seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Beziehungen zu den Parteien. Dieselbe Tendenz hat § 396 Abs. 2 ZPO, wonach das Gericht dem Zeugen Fragen stellen kann, um den Grund, auf dem die Wissenschaft des Zeugen beruht, zu ermitteln. Andererseits können sich wiederum die Parteien auf eine bestimmte Person als Sachverständigen einigen. Das Gericht ist dann daran gebunden (§ 404 Abs. 4 HS 1 ZPO). Es kann lediglich die Wahl der Parteien auf eine bestimmte Anzahl beschränken (§ 404 Abs. 4 HS 2 ZPO). Auch für die Beeidigung des Sachverständigen gilt, daß sie zu unterbleiben hat, wenn die Parteien auf sie verzichten, da nach § 402 ZPO § 391 ZPO auch für die Sachverständigenaussage gilt34 • § 437 Abs. 2 ZPO gibt wiederum dem Gericht die Möglichkeit, wenn es die Echtheit inländischer öffentlicher Urkunden für zweifelhaft hält, "von Amts wegen die Behörde oder die Person, von der die Urkunde errichtet sein soll, zu einer Erklärung über die Echtheit zu veranlassen". Eine Urkunde ist in der Terminologie der ZPO eine in Schriftzeichen verkörperte Gedankenerklärung, deren Gedankeninhalt der Beweisgegenstand ist35 • Eine öffentliche Urkunde nun ist nach der Legaldefinition des § 415 Abs. 1 ZPO eine Urkunde, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen worden ist. Hand in Hand damit, daß das Gericht bei Zweifeln an der Echtheit einer solchen Urkunde hierüber selbst von Amts wegen Ermittlungen anstellen kann, geht es, daß das Gericht bezüglich dieser Frage an das Parteiverhalten nicht gebunden ist, das heißt, die Partei kann nicht durch Anerkennen oder Bestreiten der Echtheit die Meinungsbildung des Gerichts abschließend bestimmen36• 34 35

36

Thomas I Putzo Anm. 1

Ders. Vorb. 1 vor§ 415.

zu § 410.

Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. II 2

zu § 437.

4. Das sogenannte Prinzip der formellen Wahrheit

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Anders ist es wiederum bei einer Privaturkunde. Das sind alle Urkunden, die keine öffentlichen Urkunden sind37 • Bei der Frage nach ihrer Echtheit stehen keine öffentlichen Interessen auf dem Spiel. Daher können die Parteien die Echtheit einer Privaturkunde nach Belieben anerkennen oder nicht. Ja, das Gesetz betrachtet sogar die Urkunde als anerkannt, wenn keine Erklärung über ihre Echtheit abgegeben wird und auch nicht die Absicht, die Echtheit bestreiten zu wollen, aus übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht, § 439 Abs. 3 ZPO. Alle diese Vorschriften zusammen erklären sich wie folgt: Am nähesten liegt wohl die Annahme, daß verschiedentlich öffentliche Interessen eine Rolle spielen. So z. B. bei der Frage der Echtheit öffentlicher Urkunden. Im übrigen scheint der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse verneint zu haben. Er überläßt es dann weitgehend den Parteien, die Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Wie bereits gezeigt, können diese sogar diesbezügliche Schranken für das Gericht errichten. Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Aus dem Gegenschluß aus den §§ 616, 640, 640 d, 653 und 952 Abs. 3 ZPO und aus der Gesamtschau einer Reihe von Einzelvorschriften der ZPO ersieht man also, daß die ZPO als vom Beibringungsgrundsatz beherrscht konzipiert wurde. Später wird dargestellt werden, ob dies heute noch der Wirklichkeit entspricht oder nicht.

4. Das sogenannte Prinzip der formellen Wahrheit Es wird auch als der Grundsatz der relativen Wahrheit bezeichnet!. Ebenso findet sich der Ausdruck "Grundsatz der formellen oder relativen Wahrheitserforschung" 2 • Letzterer ist kennzeichnender. Er deutet eher darauf hin, daß mit diesem Grundsatz nicht eine besondere Art der Wahrheit bezeichnet wird. Diese gäbe es schließlich nicht. Der Grundsatz bezeichnet lediglich eine bestimmte Methode der Wahrheitsermittlung3. Verschiedentlich erfolgt auch eine - unsystematische - Gleichsetzung mit dem Begriff des Verhandlungsgrundsatzes4• Dieser dient offenbar als Sammelbegriff für eine Vielzahl zivilprozessualer Er37

1

Thomas I Putzo Thomas I Putzo

Anm. 1 zu § 416. Anm. 3 a zu § 288; Stein I Jonas I Schumann I Leipold

Anm. II 1 zu § 288. 2 Von Zu Dohna S. l8. 3 So auch Sauer "Allgemeine Prozeßrechtslehre", § 6 I 2. 4 So von Bernhardt § 23 I; Schwarz I Blume S. 36 unten rechnet das Prinzip der formellen Wahrheit unter die Verhandlungsmaxime. Auch Rosenberg I Schwab § 78 I 4 weisen auf diese Gleichsetzung hin.

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Begriff des Beibringungsgrundsatzes

scheinungen. Vor einer Begriffsverwischung durch eine zu weite Fassung ihrer Inhalte warnt im übrigen auch Sauer5 • Mit dem Prinzip der formellen Wahrheitsermittlung beschreibt man die dem Zivilprozeß eigentümliche Art der Sachverhaltsaufklärung. Diese beruht nach h. M. auf dem Beibringungsgrundsatz. Bomsdorf hat darauf hingewiesen, daß der Begriff der formellen Wahrheit bei Gönner bereits auftauchte6 • Allerdings sah dieser auch bei der Untersuchungsmaxime im Zivilprozeß nicht die Erforschung materieller Wahrheit als Ziel an. Nach überkommener Lehre bedeutet der Grundsatz der formellen Wahrheitserforschung folgendes: Der Beibringungsgrundsatz gestattet den Parteien den Umfang und die Beweisbedürftigkeit des dem Gericht vorliegenden Tatsachenstoffes zu bestimmen. Daher ermittelt das Gericht nicht unter allen Umständen die Wahrheit. Alles was die Parteien als unstreitig darstellen, muß es als wahr behandeln. Die Wahrheit ermittelt es also nur, soweit es die Parteien wünschen, selbst dann, wenn es etwa die Unwahrheit positiv kennt. Dieser Grundsatz kann demzufolge dazu führen, daß Urteilsgrundlage ein falscher - nicht der historische - Sachverhalt wird, ohne daß das Urteil fehlerhaft, prozeßordnungswidrig oder sonstwie unzulänglich zustande kam. Anders ist dies bei der Geltung des folgenden Prinzips. 5. Der Grundsatz der materiellen Wahrheit Er besagt, daß das Gericht die Wahrheit schlechthin, also das wirkliche historische Geschehen zu ermitteln hat. Seine deutlichste Ausprägung hat er im Strafprozeß gefunden, in § 244 Abs. 2 StPO. Naturgemäß schließt er eine Bindung des Gerichts etwa an einverständliches Vorbringen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft aus. Für ein Zugestehen mit bindender Wirkung ist kein Raum, auch nicht für dahingehende Fiktionen. So ist das Gericht nicht einmal an ein Geständnis des Angeklagten gebunden. Verfahren, welche die Wahrheitsermittlung als Prozeßziel anerkennen, können nicht dem Beibringungsgrundsatz in seiner jetzigen Ausprägung unterworfen sein. Für sie gilt ein anderes Prinzip. 6. Die Inquisitionsmaxime Für sie finden sich auch die Begriffe "Untersuchungs- oder Amtsermittlungsgrundsatz", sowie "Ermittlungsgrundsatz" oder "Instruktionsprinzip"1. s "Allgemeine Prozeßrechtslehre", § 6 I 1 am Ende. 8

s. 129.

1 z. B. bei Kern I Roxin "Strafverfahrensrecht", § 15 A.

7. Die sogenannte Prüfung von Amts wegen

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Sie ist das dem Beibringungsgrundsatz gerade entgegengesetzte Prinzip. Es beherrscht den Strafprozeß (§ 244 Abs. 2 StPO) und den Verwaltungsprozeß (§ 86 Abs. 1 VwGO). Man findet es im Sozialgerichtsprozeß (§ 103 SGG), ebenso wie im Finanzgerichtsprozeß (§ 76 Abs. 1 S. 1 FGO). Auch im FGG-Verfahren (§ 12 FGG) tritt es auf, sowie im Zivilprozeß in Ehe- und Kindschaftssachen und in Entmündigungssachen (§§ 617, 622 Abs. 1, 640 Abs. 1, 653 ZPO). Man begegnet ihm also vorwiegend dort, wo neben privatem auch öffentliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht, wie es im Strafprozeß etwa am sinnfälligsten wird. Über den Inhalt dieser Maxime herrscht kein Streit. Sie besagt, daß das Gericht von sich aus alle Tatsachen zu ermitteln und alle Beweismittel aufzuspüren hat. Ihm obliegt auch deren Einführung in den Prozeß.

7. Die sogenannte Prüfung von Amts wegen Sie nimmt eine Mittelstellung zwischen Beibringungsgrundsatz und Inquisitionsmaxime ein. In der ZPO ist sie in den §§ 56, 88 Abs. 2, 341, 519 b, 554 a vorgeschrieben. Darüber hinaus ist ihr Anwendungsbereich nicht unumstritten. Nach herrschender Meinung gilt sie für die Prüfung aller Prozeßvoraussetzungen1. Prozeßvoraussetzungen sind "die prozeßrechtlichen Bedingungen der Zulässigkeit des Verfahrens im Hinblick auf ein Sachurteil" 2 • Sie sind von Zulässigkeitsvoraussetzungen einzelner Prozeßhandlungen oder Prozeßabschnitte zu unterscheiden3 • Die Prozeßvoraussetzungen sind nicht Voraussetzungen der Existenz eines Prozesses, so daß ohne sie kein Prozeßrechtsverhältnis entstünde, sondern nur der Zulässigkeit eines Prozesses4 • Man unterscheidet herkömmlicherweise noch innerhalb der Prozeßvoraussetzungen wie folgt: Es gibt sog. echte Prozeßvoraussetzungen oder Prozeßvoraussetzungen im engeren Sinne. Bei deren Fehlen kommt es allerdings ausnahmsweise gar nicht zu einem Prozeß. Weder wird die Klageschrift dem Beklagten zugestellt (§§ 253 Abs. 1, 271 Abs. 1 ZPO), noch wird überhaupt Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt (§§ 272 Abs. 2, 275 ZPO). Es gibt nur zwei solcher echter Prozeßvoraussetzungen: Die wirksame Klageeinreichung ist eine davon. Die andere ist das Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit5 • Das Reichsgericht sprach hinsichtlich der 1 Thomas I Putzo Anm. 1 zu §56; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Vorb. III 5 vor § 253. 2 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Grundz. 3 A vor § 253. a Ros'enberg I Schwab § 97 I 2. ' Ders. § 97 I 2; Lent I Jauernig § 33 II. s Thomas I Putzo Anm. 4 a zu § 253; Bernhardt § 3 1.

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I. Kap.: Begriff des Beibringungsgrundsatzes

Unterworfenheit des Beklagten unter die deutsche Gerichtsbarkeit von einer "selbständigen Prozeßvoraussetzung" 6 • Nach dieser äußersten Stufe gibt es eine weitere Reihe von Prozeßvoraussetzungen, deren Fehler zwar nicht die Terminanberaumung hindert, wohl aber eine Sachentscheidung. Daher spricht man diesbezüglich besser von Sachurteilsvoraussetzungen7 • Ganz treffend ist diese Bezeichnung aber auch nicht, denn wenn die Unzulässigkeit des Verfahrens feststeht, ist bereits jede Verhandlung und Beweisaufnahme zur Hauptsache unzulässig. Daher verwendet Jauernig die Bezeichnung Sachverhandlungsvoraussetzungen für sie8 • Am unproblematischsten ist von den Prozeßvoraussetzungen die kleine Gruppe echter prozeßhindernder Einreden. Diese werden - wie bereits ihr Name sagt - nur auf Einrede der Parteien hin vom Gericht berücksichtigt9 • Mißverständlich war es, daß § 274 ZPO generell von prozeßhindernden Einreden sprach. Von den in ihm angesprochenen Prozeßvoraussetzungen waren jedoch nur drei echte prozeßhindernde Einreden. Das waren die Einrede, daß der Rechtsstreit durch Schiedsrichter zu entscheiden sei(§ 274 Abs. 2 Nr. 3 a. F . ZPO), die Einrede der mangelnden Sicherheit für Prozeßkosten (§ 274 Abs. 2 Nr. 5 a. F. ZPO) und die Einrede, daß die zur Erneuerung des Rechtsstreits erforderliche Erstattung der Kosten des früheren Verfahrens noch nicht erfolgt sei (§ 274 Abs. 2 Nr. 6 a. F. ZP0) 1o. Hinsichtlich des Vorliegens oder Fehlens der übrigen Prozeßvoraussetzungen aber gilt die Prüfung von Amts wegen. Diese bedeutet nach überwiegender Meinung nicht, daß das Gericht von Amts wegen ermitteln muß. Es wird lediglich die Dispositionsfreiheit der Parteien bei Prüfung der Prozeßvoraussetzungen ausgeschaltet. Das heißt, die Parteien können nicht mit für das Gericht bindender Wirkung eine Behauptung der Gegenpartei zugestehen. Bei Nichtbestreiten entfällt die Wirkung des § 138 Abs. 3 ZPO. Eine Rügeunterlassung nach § 295 ZPO ist hier bedeutungslos11 • Jedoch obliegt die Tatsacheneinführung in den Prozeß und der Beweisantritt auch weiterhin den Parteien12 • Eine Mindermeinung differenRGZ 157, 394. z. B. Btomeyer § 39 II. s Lent I Jauernig § 33 III aE. 9 Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 274. to Ders. Anm. 1 zu § 274, unstr.

6

7

u Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. II 2 zu §56. 12 Rosenberg I Schwab § 78 V 2 a; Blomeyer § 1 4 IV; Bernhardt § 23 13; Lent I Jauernig § 25 X; Schönke I Kuchinke § 8 I 5; Thomas I Putzo vor § 253

III A; BAG in NJW 58, 1699 im Leitsatz.

7. Die sogenannte Prüfung von Amts wegen

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ziert allerdings wie folgt: Tatsachen, die eine Zulässigkeit begründen, soll das Gericht nicht, Tatsachen, die für Unzulässigkeit sprechen, soll es von sich aus einführen dürfen13• Dieser Mindermeinung dürfte zu folgen sein. Man denke nur an das Beispiel, daß über den Streitgegenstand bereits eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Die Parteien meinen dies aber nicht, weil sie - im Gegensatz zum Gericht - die Identität des Streitgegenstandes verneinen. Es muß aber dann doch dem Gericht möglich sein, diese Tatsache des Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung in den Prozeß einzuführen. Als Rechtsgrundlage hierfür wird es § 139 ZPO heranziehen. Wir haben also hier den bislang einzigen Fall vor uns, in dem das Gericht auch Tatsachen von sich aus in den Prozeß einführen kann. Im einzelnen wird auf die Prüfung von Amts wegen noch im vierten Kapitel dieser Arbeit zurückzukommen sein.

18

So Stein I Jonas I Schumann I Leipold VII 3 b vor § 128.

11. Kapitel

Die Verteilung der Aufgaben der Sachverhaltsaufklärung zwischen Gericht und Parteien im Laufe der Geschichte Will man diesen Teilaspekt der Privatrechtsgeschichte skizzieren, so muß man sich dabei immer vor Augen halten, daß die Begriffe "Untersuchungs-" und "Beibringungsgrundsatz" erst im Jahre 1801 von Gönner geschaffen wurden1 • D. h., wenn im folgenden teilweise sehr alte Prozeßformen erwähnt werden, so muß man berücksichtigen, daß diese Verfahren dabei mit historisch späteren Begriffen gemessen werden. Hierbei gelingt es unter Umständen nicht immer, ihren Eigenarten völlig gerecht zu werden. 1. Das römische Recht Im römischen Recht gab es ursprünglich keine Ermittlung von Amts wegen2 • Die Verhandlungsmaxime beherrschte sowohl das Legisaktionsverfahren als auch den Formularprozeß3• Zwar könnte eine Ulpianstelle die entgegengesetzte Praxis vermuten lassen. In Dig. XI, 1, 21 heißt es: "Ubicumque iudicem aequitas moverit, aeque oportere fieri interrogationem dubium non est." Jedoch ist einmal die Echtheit dieser Stelle nicht unbestritten•. Auch Wenger verneint eine damalige Ermittlung von Amts wegen5 • Er begründet es damit, daß es unwahrscheinlich sei, anzunehmen, die Parteien hätten dem Geschworenen soviel Machtbefugnis einräumen wollen. Im übrigen kann in der Antike sowieso im allgemeinen angenommen werden, daß die Parteien die Sachverhaltsaufklärung besorgten (Dig. XVII, 2, 7)6 • Auch Kaser nennt als eines der Prozeßprinzipien des römischen Verfahrensrechts die Herr-. schaft der Parteien über das Prozeßgeschehen7• Im sogenannten Kognitionsverfahren wurde allerdings der gesamte Prozeß viel mehr der Herrschaft eines beamteten Richters unterstellt. t 2

3 4

~> 8 7

Fußnote 1 dieser Arbeit.

Rosenberg I Schwab § 4 I 1 b.

Musielak S. 196; Wefeld S. 3 und S. 13. Seidl Rdn. 402. "Institutionen des Römischen Zivilprozeßrechts", S. 193. Seidl Rdn. 402. "Römisches Privatrecht", § 80 I 2.

2. Der Prozeß vom germanischen Recht bis zum Spätmittelalter

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Da wurde dann auch die Beweisaufnahme mehr zu einer richterlichen Untersuchung (cognitio)8 • Das räumt auch Wenger ein8 • 2. Der Prozeß vom germanischen Recht bis zum Spätmittelalter In ältester germanischer Zeit tagte das Gericht nicht ständig. Es war verglichen mit heutigen Gerichten eher eine Art Schiedsgericht. Sein Tätigwerden setzte voraus, daß die Parteien sich ihm durch ein sog. "Streitgedinge" unterwarfen1 • Es existierte noch keine Trennung in Straf- und Zivilprozeß. Der Prozeß trug aber stärkere Züge eines Strafals eines Zivilprozesses. Z. B. mußte der Kläger immer den Vorwurf eines Rechtsbruches erheben. Die Art des Zustandekoromens des Gerichts durch Unterwerfung unter seine Spruchgewalt seitens beider Parteien prägte natürlich auch das Rollenverständnis der Richter ("Urteiler") und den Gang des Verfahrens. Als Schiedsrichter gewissermaßen wachten die Richter über den Kampf der Parteien ums Recht. Dabei achteten sie allerdings nur auf die Einhaltung der sehr formalen Kampfesregeln. Der Ausgang dieses Kampfes, der oft die Formen eines wirklichen Zweikampfes annehmen konnte, wurde als eine Art Gottesurteil angesehen. Daher ist es verständlich, daß das Gericht sich strikt jedes Eingriffs enthielt. Für unsere Fragestellung bedeutet das, daß die Sachverhaltsaufklärung den Parteien oblag!. Um so mehr muß man das annehmen, als von Beweiserhebung in unserem heutigen Sinne sowieso nicht gesprochen werden konnte. Ziel des Beweises war es nicht, die Wahrheit einzelner Behauptungen zu erhärten oder einzelne Tatsachen festzustellen, sondern die Ehre des Beklagten wiederherzustellen3. So beschworen die sog. Eideshelfer ja auch nicht die Wahrheit irgendwelcher Tatsachen, sondern daß der Beklagte ein Ehrenmann sei. Auch das Gottesurteil war nicht als Beweis für Tatsachen gedacht, sondern zeigte ebenfalls wieder, daß der dadurch gereinigte Beklagte ehrenhaft war und der Vorwurf gegen ihn zu Unrecht erhoben worden war. Traten im germanischen Rechtsgang Zeugen auf, so waren auch das keine im heutigen Sinne. Es handelte sich bei ihnen ausschließlich um Personen, die zu dem beweisbedürftigen Rechtsakt bewußt zugezogen worden waren. Diese Leute waren also zugleich Garanten der bestrittenen Rechtspflicht4 • Später im fränkischen Reich wurde vor dem Königsgericht - jedenfalls zuerst nur vor diesem - ein amtliches s Rosenberg I Schwab § 4 I 2. e § 4 I 2. 1 Mitteis I Lieberich Kap. 10 I 1. 2 Ders. Kap. 10 li; Conrad Bd. I, S. 29; Bernhardt § 2 ; Plani t z I Eckhardt § 15 li 2. s Mitteis I Lieberi ch Kap. 10 III. 4 Mitteis I Lieberich Kap. 10 III 4.

II. Kap.: Geschichte der Sachverhaltsaufklärung

48

Frageverfahren eingeführt5. Nach Meinung von Bernhardt setzte sich in dieser Zeit die Ansicht durch, der Staat sei verpflichtet, dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen.6 • Ein erstarkender Staatsgedanke erkannte jedenfalls ein stärkeres öffentliches Interesse an der Rechtsverwirklichung7. Von einer amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit war man jedoch noch weit entfernt. Das ergibt sich schon daraus, daß die amtliche Zeugenbefragung, die sog. "discussio testium", nur die Glaubwürdigkeit des Zeugen erforschte8 und nicht die Wahrheit oder Unwahrheit von Tatsachen. Zwar war der Kreis der Angelegenheiten, die vor das Königsgericht kamen, noch beschränkt. Der König konnte aber jede Sache, die vor das Volksgericht gehörte, an sich ziehen (sog. Evokation). Dies ging selbst dann, wenn sie schon vor dem Volksgericht anhängig war. Auch hatten bevorzugte Parteien, z. B. der Fiskus oder die Kirche, das Recht, ihre Sachen durch Reklamation an das Königsgericht zu bringen. Daher ging vom Königsgericht ein nicht unerheblicher Einfluß auf die Volksgerichte aus. In der Karolingerzeit wurde im Königsgericht teilweise inquisitorisch ermittelt9 • Damit wollte man auch die materielle Wahrheit erforschen10• Dieses Verfahren, wobei man die Zeugen von Amts wegen auswählte, lud und vernahm, sollte auch die Rechte des Staates, insbesondere des Fiskus sichern. Der König konnte gestatten, daß sich auch andere dieses Verfahrens bedienten. Vor allem Kirchen und Klöster wurden mit diesem Recht beliehen11 • Insgesamt wurde häufig von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Bei alledem darf aber nicht übersehen werden, daß auch in dieser Zeit die Grenzen zwischen Straf- und Zivilprozeß noch nicht gezogen waren. Es wäre daher falsch, etwa hier von einem inquisitorischen Zivilprozeß zu sprechen. In späterer Zeit ging viel Justizgewalt auf die Gerichtsbarkeit der Grund- und Landesherren über12• Eine Reform des gerichtlichen Verfahrens, die uns interessieren könnte, war damit nicht verbunden. Allgemein kann in dieser Zeit von einer Zersplitterung und einem Niedergang des Gerichtswesens gesprochen werden. In der folgenden Zeit bildete sich für den Strafprozeß immer stärker das Inquisitionsverfahren aus. Das führte auf der anderen Seite dazu, Conrad Bd. I, S. 149. o § 2 II. 7 Planitz I Eckhardt § 32 I 3 a. s Mitteis I Lieberich Kap. 19 II 2 b. 9 Fehr § 16 4 am Ende; Sehröder I von Kilnßberg S. 416. 10 Musielak S. 229. 11 Fehr § 16 4 am Ende. 12 Bernhardt § 2 II am Ende. 5

3. Der italienisch-kanonische Zivilprozeß

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daß eine Entwicklung der Herausbildung eines eigenständigen Zivilprozesses in Gang kamta. In diesem war es zwar weiterhin Sache der Parteien, den Sachverhalt aufzuklären. Die Beweislast verschob sich aber vom Beklagten auf den Kläger. Die Gottesurteile fielen weg. Der Urkundenbeweis wurde verstärkt zugelassen. Es zeigt sich überhaupt in der Geschichte des Zivilprozeßrechts des Hoch- und Spätmittelalters eine Entwicklung weg von irrationalen Beweismitteln, hin zu einem System von Möglichkeiten materieller Wahrheitsfindung14•

3. Der italienisch-kanonische Zivilprozeß Ein bedeutsamer Einschnitt in der deutschen Rechtsgeschichte ist die Rezeption des römischen Rechts. Die Hauptrezeption oder die sog. praktische Rezeption begann schon im 14. Jahrhundert1 . Ein genaues Ende läßt sich schwer datieren, denn die Rezeption war ein dauernder Prozeß. Allerdings gab es im 17. Jahrhundert bereits wieder eine Gegenbewegung in Gestalt des Naturrechts2. Daraus kann man schließen, daß die Rezeption im 16. Jahrhundert im wesentlichen abgeschlossen war. Andererseits kam es noch im 19. Jahrhundert zu einer Nachrezeption, die von Savignys Historischer Rechtsschule veranlaßt worden war. Es ist im Rahmen dieser Arbeit unmöglich, auf das vielschichtige Phänomen der Rezeption näher einzugehen. Für uns ist an ihr folgendes interessant: Die Rezeption brachte nicht nur ein anderes materielles Recht nach Deutschland, sondern auch eine bislang unbekannte Prozeßform, den italienisch-kanonischen Prozeß4 • Dieser war dadurch gekennzeichnet, daß er in lauter einzelne, streng voneinander unterschiedene Stationen eingeteilt war5. Dieses System war zwar sehr logisch und begrifflich klar, hatte aber andere Nachteile. Was nämlich in einer Station hätte vorgebracht werden können, konnte in einer späteren nicht mehr in den Prozeß eingeführt werden. Um Rechtsnachteile für die Parteien zu vermeiden, die ja unter Umständen am Anfang noch gar nicht wissen können, was im weiteren Prozeßverlauf alles erheblich sein wird, verfuhr man nach der Eventualmaxime .. Darunter versteht man das Prinzip, daß jede Partei alles ihr Bekannte, selbst das, was sie nur hUfsweise, nur eventuell vortragen will, bei Vermeidung der Präklusion Fehr § 39 2. Musielak S. 235. 1 Mitteis I Lieberich Kap. 40 I 4. 2 Ders. Kap. 40 I 4 f. 3 Ders. Kap. 40 I 4 f . 4 Bernhar dt § 2 III. s Lent I J auernig § 99 II. 13

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4 Zettel

li. Kap.: Geschichte der Sachverhaltsaufklärung

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sofort und auf einmal vorbringen muß6 • Die Partei ist also genötigt, Klagegrund, Einreden, Repliken, Beweismittel usw. alles auf einmal vorzutragen. Kurz gesagt bedeutet die Eventualmaxime: Alles, was die Partei vorbringen kann und will, ist sofort und auf einmal vorzubringen. Das Verfahren des italienisch-kanonischen Prozesses war außerdem sehr langwierig, und dadurch wurde es auch notwendigerweise schriftlich. Sonst hätte der Verhandlungsinhalt unmöglich dem Gericht bei der Urteilstindung noch lückenlos gegenwärtig kein können. Es galt der Grundsatz: Quod non est in actis non est in mundo7 • Im italienseh-kanonischen Prozeß galt die Verhandlungsmaxime, der Prozeß lag weitgehend in Händen der Parteien8 • 4. Der Kammergerichtsprozeß und der sächsische Prozeß Ein Einschnitt vollzog sich, als 1495 das Reichskammergericht errichtet wurde. Dieses übernahm in der Kammergerichtsordnung vom 7. August 1495 den italienisch-kanonischen Prozeß aus Italien1 • In diesem oblag es- wie bereits ausgeführt - grundsätzlich den Parteien, den Sachverhalt aufzuklären2 • Die Parteien waren überhaupt Herren des Verfahrens. Das führte aber zu einem äußerst schleppenden Prozeßgang. Daher wurde der Verhandlungsgang durch Beweisakte, die neben dem Verfahren einhergingen, unterbrochen3 • Jedoch waren diese Beweisakte nicht charakteristisch für den Kammergerichtsprozeß. Sie vermochten auch nicht, ihn zu beschleunigen. Neben dem Kammergerichtsprozeß galt in Sachsen der sächsische Prozeß4 • Er beruhte auf den sog. sächsischen Konstitutionen des Kurfürsten August I. und der Kursächsischen Gerichtsordnung von 16225 • In diesem Prozeß war es ebenfalls Sache der Parteien, den Sachverhalt aufzuklären. 5. Der sogenannte Gemeine Prozeß Er galt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts subsidiär neben den territorialen Prozeßordnungen in Süddeutschland, Sachsen, den sächsischen Fürstentümern, beiden Mecklenburg, Schleswig-Holstein, BraunRosenberg I Schwab § 4111. Ders. § 4 II am Ende. s Lent I Jauernig § 99 111. 1 Blomeyer § 2 I 1 a; Bernhardt § 2 IV; Mitteis· I Lieberich Kap. 43 I 1. 2 Molitor I Schlosser S. 28. s Fehr §53 2 a. 4 Lent I Jauernig § 100 II. 5 Rosenberg I Schwab § 4 IV 2. 6

1

6. Die preußische Prozeßreform

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schweig, Oldenburg, Hannover, Kurhessen, Nassau, Hessen-Darmstadt rechtsrheinisch und in den freien Städten1 • Auch im gemeinen Prozeß herrschte die Verhandlungsmaxime. So wurde und wird gelehrt2 • Die Richtigkeit dieser Meinung hat allerdings Bomsdorf wenn nicht widerlegt, so mindestens stark relativiert3. Er führt aus4, daß auch im gemeinen Prozeß dem Gericht eine ganze Reihe von Befugnissen zur Sachverhaltsermittlung zustand. Insbesondere vor den Untergerichten, im vielfach so genannten "summarischen Prozeß", habe das Gericht nahezu amtswegig ermitteln können. Der summarische Prozeß war als Reaktion auf die Schwerfälligkeit und lange Dauer des italienisch-kanonischen Prozesses schon 1306 durch die sog. Clementina saepe eingeführt worden5 • Die Clementina saepe war ein Dekretale Clemens V., das nach seinem Anfangswort (c. 2 Clem,. 5, 11) benannt wird. Der summarische Prozeß bedeutet kurz gesagt ein vereinfachtes Verfahren, das sich nicht so stark an den strengen Regeln des Prozeßrechts orientierte, sondern beschleunigt (summariter) und vorwiegend mündlich war6 • Er fand ursprünglich allein vor den Untergerichten, den sog. Niedergerichten statF. Aus den Bedürfnissen gerade dieser Gerichte war er hervorgegangen. Dort suchte hauptsächlich der einfache Mann sein Recht, ohne von Rechtsanwälten dabei unterstützt zu werden. Später wurde das summarische Verfahren auch von den Obergerichten angewandt, wenn der Rechtsstreit nach seiner Art oder der der Parteien den Rechtstreitigkeiten vor den Untergerichten glich, also meist sachlich nicht zu kompliziert warB. Insgesamt sei - meint Bornsdorf - das Verfahren des gemeinen Prozesses mehr von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt gewesen als von Maximen. 6. Die preußische Prozeßreform Ernsthaft in Frage gestellt wurde die Herrschaft der Parteien, als in Preußen eine grundlegende Prozeßreform einsetzte. Sie war angeregt t

2

Rosenberg I Schwab § 4 IV 4. z. B. von Bernhardt § 2 VII (S. 18); Rosenberg I Schwab § 4 IV 4; Molitor I

Schlosser S. 31.

3 In seinem Buch "Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit", 1. Kapitel (Zusammenfassung auf den S. 62 ff.). • "Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit", S. 62 ff. 5 Rosenberg I Schwab § 4 III am Ende; Briegleb Kap. 1 - 3 (S. 1 ff.). 6 Bornsdorf S. 30. 7 Bornsdorf S. 30. s Ders. S. 30. 9 s. 62 ff.

4.

II. Kap.: Geschichte der Sachverhaltsaufklärung

52

worden von Friedrich Wilhelm I. Unter Friedrich dem Großen wurde sie begonnen. Es erschien das erste Buch des sog. Corpus Iuris Fridericianum am 26. 4. 1781. Die Begründer dieser Prozeßreform waren Carl Gottlieb Svarez (17 46-1798) und der Großkanzler J ohann Heinrich Casimir von Carmer (1721-1801). In der vorhergehenden Zeit hatten sich Mängel des Verfahrens gezeigt, die zu teilweise unerträglichen Zuständen geführt hatten. Die Parteien waren ja Herren des Verfahrens gewesen, und zwar in viel Weitergehenderem Maße als etwa heute. Sie hatten z. B. die Macht über den gesamten Prozeßbetrieb, das heißt über Fortgang oder Stillstand des Verfahrens. Eine böswillige Partei konnte daher sanktionslos einen Prozeß über Jahre hinweg verschleppen. Die preußische Reform ist nur als Reaktion auf diese Mißstände verständlich. Dabei verfiel man- wie so häufig- sogleich wieder in das andere Extrem. Man schloß die Anwälte als Parteivertreter aus. Ganz ohne jemanden, der die Aufgaben übernahm, die sie bisher wahrgenommen hatten, ging es nun aber auch nicht. Also setzte man beamtete Justizkommissare an ihre Stelle. Das Corpus Iuris Fridericianum, in dem die Reform ihren ersten gesetzgeberischenNiederschlag gefunden hatte, ging später auf in der "Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten" von 17931• Dort wurden das Recht und die Pflicht des Richters normiert, auch von sich aus zu ermitteln, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. So bestimmte die Einleitung 5.: "In jedem Prozesse muß also vor allen Dingen untersucht werden: was für Thatsachen dabey zum Grunde liegen und wie sich dieselben nach der Wahrheit verhalten." Einleitung 6. fährt fort: "Der ... Richter ... hat die nächste Pflicht, folglich auch das nächste Recht, sich von der wahren und eigentlichen Bewandniß dieser Thatsachen zu versichern." Schließlich wird diese Darstellung von Prozeßzweck, Finden der Wahrheit (Einl. 5.) und Aufgabe des Richters, sich von dieser zu überzeugen (Einl. 6.), noch durch eine Befugnis des Richters ergänzt: "Der Richter ist also schuldig und befugt, den Grund oder Ungrund der in einem Prozesse vorkommenden Thatsachen selbst und unmittelbar zu untersuchen, und so weit es zur richtigen Anwendung der Gesetze auf den vorliegenden Fall erforderlich ist, ins Licht zu setzen" (Einl. 7.). Diese allgemeinen Grundsätze des preußischen Verfahrens wurden dann noch näher konkretisiert. Der zehnte Titel befaßte sich mit der "Instruktion der Sache" und regelte im einzelnen, wie der Sachverhalt aufzuklären war. Jedoch auch dieses Verfahren war kein reines Inquisitionsverfahren. Darauf hat Bomsdorf bereits hingewiesen2 • So hatten die Parteien verschiedene Möglichkeiten, die Ermittlung des wahren Sachverhalts zu verhindern. § 82 AGO ließ zum Beispiel Geständnisse zu. Diese bewirkten, daß das von 1

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Rosenberg I Schwab § 4 V 1. s. 94 ff.

8. Die Gönnersehe Maximenschöpfung

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den Parteien Zugestandene für das Gericht feststand und nicht mehr Gegenstand eines Beweises war. Das erklärt sich daraus, daß das eigentliche Ziel dieser Reformbestrebungen weniger eine bestmögliche Sachverhaltsaufklärung war, als vielmehr die größtmögliche Beschleunigung und Förderung des Verfahrens an sich. Deswegen beseitigte man auch die Eventualmaxime. Das preußische Verfahren war nicht nur von absolutistischer Staatsauffassung geprägt. Es trug auch starke Züge eines rechtfürsorgerischen Wohlfahrtsstaates. Dem preußischen Verfahren war aber kein Erfolg beschieden. Verordnungen von 1833 und 1846 beseitigten alle Besonderheiten des preußischen Prozesses. Insbesondere verschwand die im Verhältnis zu anderen damaligen Prozeßordnungen gesteigerte Möglichkeit der Amtsermittlung wieder aus dem Verfahren. Als Grund hierfür wird angesehen, daß die Gerichte durch die ihnen zugedachten Aufgaben überlastet wurden und daran scheiterten3. Auch krankte das preußische System an inneren Widersprüchen, da man die formelle Beweistheorie beibehalten hatte, was für eine echte Sachverhaltsaufklärung hinderlich war'. Schließlich hatten die Parteien zu den beamteten Justizkommissaren und zu den ex officio ermittelnden Richtern kein Vertrauen5 •

7. Sonstige territoriale Prozeßordnungen Im linksrheinischen Gebiet galt der französische code de procedure civile von 1806. Bei ihm waren die Parteien im wesentlichen Herren des Verfahrens. Der Einfluß dieser Prozeßordnung war groß, denn sie war die Grundlage für die Prozeßordnungen von Hannover und Braunschweig (1850), Oldenburg (1857), Lübeck (1862). Baden (1864) und Württemberg (1868) sowie für die bayerische Prozeßordnung vom 24. 4. 1869.

8. Die Gönnersehe Maximenschöpfung Im Jahre 1801 schuf Gönner, angeregt durch einen Vergleich des gemeinen Prozesses mit dem reformierten preußischen Prozeß, seine Begriffe "Verhandlungs-" und "Untersuchungsgrundsatz". Ausführliche und begründete Kritik an dieser Maximenschöpfung findet sich bei Bomsdorfl, auf dessen rechtshistorische Arbeit hier verwiesen wird. Im Ergebnis sah Gönner den Verhandlungsgrundsatz als das Prinzip des "Nichts von Amts wegen" und den Untersuchungsgrundsatz als das des "Alles von Amts wegen". a Btomeyer § 2 I 1 b (S. 8). 4 B.ernhardt § 2 VII. 5 Ros'enberg I Schwab § 4 V 1. 1 Im dritten Kapitel seines Buches, insbesondere auf den Seiten 146 ff.

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II. Kap.: Geschichte der Sachverhaltsaufklärung

Im folgenden führten diese beiden Begriffe bald ein Eigenleben. Sie wurden zwar vereinzelt kritisiert. Dabei wurzelte die Kritik im Pragmatismus. Dieser ließ es unvernünftig erscheinen, eine Prozeßordnung so von starren Maximen beherrscht zu sehen. Bereits damals wies man nach, daß die Prozeßordnungen praktisch weder strikt dem einen noch dem anderen Grundsatz folgten2 • Die überwiegende Mehrheit aller Prozessualisten benutzte die beiden Maximen aber doch. Man begann sie in ein Netz anderer Begriffe zu verweben, wie z. B. den der formellen und materiellen Wahrheit u. a. Wenn man die Begriffe Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz zur Beschreibung von Idealtypen gerichtlicher Verfahren auch zur Verdeutlichung im Zivilprozeßrecht gut benutzen kann, so muß' man sich doch vor einem hüten: Man darf nicht der Gefahr erliegen, die Begriffe nicht mehr an der Wirklichkeit zu messen, sondern diese an den Begriffen. Dieser Gefahr scheinen aber viele bereits erlegen zu sein, wie die Tatsache zeigt, daß immer noch die Geltung des Beibringungsgrundsatzes als unumstößliche Tatsache verkündet wird3 • 9. Die Rechtsentwicklung seit der Schaffung der ZPO von 1877

Diese Zeitepoche hat erst kürzlich eine umfangreiche Darstellung in der Mainzer Habilitationsschrift von Damrau1 gefunden. So soll hier nur skizzenhaft die Entwicklung des Beibringungsgrundsatzes in jener Zeit nachgezeichnet werden. Die ZPO - "Schöpfung aus dem liberalen Geist der Epoche der Reichsgründung"2 - räumte den Parteien eine dominierende Stellung ein. Sie brachte die Dispositionsmaxime und nach Ansicht ihrer Interpreten und wohl auch ihrer Schöpfer den Verhandlungs- bzw. Beibringungsgrundsatz nunmehr reichseinheitlich zur Geltung. Allerdings setzte schon bald eine Novellengesetzgebung ein, deren Tendenz zu einer fortlaufenden Stärkung der Richtermacht unverkennbar war. Einen ersten Schritt in dieser Richtung bedeutete die sog. Amtsgerichtsnovelle vom 1. 6. 1909. Wesentlich wichtiger war aber die Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. 2. 1924. Sie brachte die Einschränkung der Parteiherrschaft durch die §§ 224 Abs. 1, 227 Abs. 1, 251 Abs. 1, 139 Abs. 1, 272 b a. F. ZP03 • Es wurde die Konzentrationsmaxime eingeführt (§§ 278 Abs. 2, So z. B. Morstadt Nr. XIX, S. 89 (92) und besonders Puchta S. 66. z. B. von Rosenberg I Schwab § 78 II; Lent I Jauernig § 25 IV; Schänke I Kuchinke § 8 I 2; Blomeyer § 14 II; Hoche S. 196 u. a. 1 "Die Entwicklung einzelner Prozeßmaximen seit der Reichszivilprozeßordnung von 1877", Faderborn 1975. 2 Lent I Jauernig § 102. 3 Die Darstellung folgt hier Rosenberg I Schwab § 5 III. 2

3

9. Rechtsentwicklung seit 1877

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279, 283, 529 ZPO a. F.). Ferner gab es nun die Möglichkeit der Aktenlageentscheidung (§§ 251 a, 331 a a. F. ZPO) u . a. Ihren Höhepunkt erreichte die Novellengesetzgebung in der Einführung der Wahrheitspflicht 1933, die jedoch schon bald ihrerseits als durch den Beibringungsgrundsatz abgemildert betrachtet wurde. Zweierlei ist hinsichtlich dieser Zeit noch der besonderen Erwähnung wert: Immer dann, wenn der Gesetzgeber neue, teilweise als vorübergehend gedachte Rechtsgebiete schuf, deren gerichtliche Betreuung er sich möglichst schnell, effektiv und unbürokratisch wünschte, unterstellte er sie nicht dem Zivilprozeß, sondern schuf für sie Sonderregelungen verfahrensrechtlicher Art. In diesen war durchwegs der Bei.,. bringungsgrundsatz durch den Untersuchungsgrundsatz ersetzt. Die beiden Weltkriege sowie die sozialen Erschütterungen durch Inflationen brachten leider eine Fülle von Beispielen hierfür hervor4. Es seien dazu genannt das Gesetz vom 8. Juni 1915 (RGBL S. 327), das § 57 Zwangsverwaltungsgesetz durch§ 57b ersetzte. Dessen Absatz 1 regelte, daß ein die Zwangsversteigerung oder -Verwaltung. betreibender Gläubiger beantragen konnte, das Gericht sollte Ermittlungen zur Feststellung der Mieter oder Pächter eines Grundstückes veranlassen. Nach § 7 der Anordnung für das Verfahren vor den Amtsgerichten in Mieteinigungssachen vom 5. 9. 1917 (RGBI. S. 834) mußte das Amtsgericht den Untersuchungsgrundsatz anwenden. Zwar trat hier das Amtsgericht nach Landesrecht an die Stelle sog. Einigungsämter, übte also mehr verwaltende Tätigkeit aus5• Gleichwohl gilt das nicht uneingeschränkt, denn die Entscheidung etwa über die Wirksamkeit einer Kündigung ist ja eine typisch urteilende, also rechtsprechende Tätigkeit. Ein weiteres Beispiel für diese besonderen Rechtsgebiete und ihre Verfahrensregeln geben die Schiedsgerichte, etwa das Reichsschiedsgericht für den Kriegsbedarf, das 1915 geschaffen wurde oder die Schiedsgerichte für die Strickwaren- und Schuhindustrie u.a.6 • Diese Beispiele sind aber in der heutigen Diskussion um Wert oder Unwert des Beibringungsgrundsatzes nur sehr bedingt aussagekräftig. Sie sind wohl durchwegs zu sehr kriegsbedingt. Es ist sofort einleuchtend, wenn es um Streitfragen im Zusamenhang mit Enteignungen zu Rüstungszwecken oder um Preisgestaltung kriegsbewirtschafteter Waren ging, bestand ein so starkes öffentliches Interesse am Rechtsstreit, daß eben die Beschaffung .des Tatsachenstoffes nicht mehr allein Sache der Parteien sein konnte. Außerdem waren hier häufig, wie etwa 4 Diese sind bei Damrau S. 298 ff. erwähnt, dem hier weitgehend gefolgt wird.

5 6

Damrau S. 299. Nwe bei Damrau S. 301 unten.

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II. Kap.: Geschichte der Sachverhaltsaufklärung

in Enteignungssachen, sogar staatliche Behörden direkt beteiligt. Es mag auch während der Kriegszeit die Ermittlungstätigkeit des Bürgers, der darauf angewiesen war, die für ihn günstigen Tatsachen selbst herauszufinden, durch vielerlei äußere Umstände so behindert gewesen sein, daß man sie ihm nicht unter allen Umständen aufbürden wollte. Diese Einschränkung, nicht unter allen Umständen, ist notwendig, denn schließlich gab es neben allen besonderen Verfahren immer noch den normalen Zivilprozeß, der nach wie vor dem Beibringungsgrundsatz unterstand. Das spricht eben doch dafür, daß der Hauptgrund für diese Sonderregelungen das öffentliche Interesse an den zugrunde liegenden Rechtsmaterien war. Neben der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes war ein weiteres Merkmal dieser besonderen Verfahren, daß sie auf ein Mindestmaß rechtsstaatliehen Verfahrensablaufes reduziert waren. Alles das war eben ein Ausdruck des Bestrebens, in Kriegszeiten besonders ökonomisch mit den verfügbaren Mitteln umzugehen, wozu ja auch der Justizapparat gehörte. Nach dem ersten Weltkrieg setzte sich die in ihm angegangene Tendenz zu weniger stark fonnalisierten Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz zunächst fort. Hierbei handelte es sich aber weitgehend um Gesetzgebungswerke, die dem Schutz sozial schwacher Schichten bzw. derer, die von der Geldentwertung besonders hart getroffen waren, bezweckten. Es handelte sich um Mieterschutz, Kleingartenpacht, Landpacht, Schiedsgerichte, die über inflationsbedingte Preiserhöhungen zu entscheiden hatten, usw. 7 Hier war offenbar durch den Zwang der Verhältnisse das in der Gesellschaft grundsätzlich ja immer vorhandene Ungleichgewicht potentieller Prozeßparteien so kraß und offensichtlich geworden, daß man ohne das Korrektiv der Untersuchungsmaxime nicht mehr auszukommen glaubte. Auch hier muß aber zusätzlich noch bedacht werden, daß das Verfahren in den angesprochenen Fällen wesentlich vereinfachter war, als der traditionelle Zivilprozeß. So diente alles zusammen dazu, diese Rechtsstreitigkeiten der sozial schwächeren Bevölkerungskreise schnell zu erledigen. Das entsprach einem Gebot der Zeit, verhinderte es doch die Anhäufung noch mehr sozialen Sprengstoffes. 1925 wurde zur Entscheidung über Streitigkeiten aus dem inflationsbedingten Aufwertungsgesetz das Amtsgericht bestimmt, das im FGGVerfahren zu entscheiden hatte8 • Hier beginnt eine Entwicklung weg vom Zivilprozeß, hin zum FGG, die später den Ausspruch von einem "Siegeszug" der Freiwilligen Gerichtsbarkeit hervorrief9. 1

Damrau S . 304 ff.

s Ders. S. 382. u

Von Habscheid § 3 II 4.

9. Rechtsentwicklung seit 1877

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Die Entwicklung im und nach dem Ersten Weltkrieg kann genauso für den Zweiten Weltkrieg nachgewiesen werden10. Hier ist jedoch noch eine Besonderheit zu vermerken. Gefördert durch die nationalsozialistische Weltanschauung erlebten die Tendenzen zur Untersuchungsmaxime ganz allgemein bereits seit 1933 einen starken Aufschwung. So kam es auch zu einem stärkeren literarischen Engagement gegen die Verhandlungsmaxime11 . Sicher mußte einem totalitären Staatsverständnis das Rollenbild von Richtern und Parteien des in liberaler Zeit konzipierten Zivilprozesses mit Beibringungsgrundsatz unerträglich sein. Schließich stellte man in dieser Zeit die Belange der Allgemeinheit - was immer man dafür ausgab - vor die des Individuums. Dann konnte man es aber grundsätzlich nicht zulassen, daß der einzelne etwa einem Gericht vorschreiben konnte, wie weit es bei der Sachverhaltserforschung gehen durfte. Die Parallele finden wir heute in den sozialistischen Staaten. Die dort herrschende Weltanschauung, der Marxismus-Leninismus, bestimmt auch den Vorrang der Gesellschaft vor dem einzelnen. Entsprechend gibt es in ihrem Rechtskreis keine Prozeßordnung mit Beibringungsgrundsatz. Vielleicht auch als Gegenreaktion, weil der Nationalsozialismus die Diskussion um den Beibringungsgrundsatz so ideologisch befrachtet hatte, sah man nach 1945 von einem weiteren Schritt zur Untersuchungsmaxime hin ab. Allerdings wies Fischer schon 1947 darauf hin12, daß die Nationalsozialisten vieles ja nur als ihr Gedankengut ausgegeben hatten, was auch ohne sie eingeführt worden wäre und was vorher durchaus frei von ihrer Ideologie entwickelt worden war. Bezüglich der Wahrheitspflicht wird das beispielsweise von Staab nachgewiesen. Er führt aus, daß der Entwurf einer ZPO des Reichsjustizministeriums bereits 1931 eine solche Bestimmung, die dem heutigen § 138 Abs. 1 ZPO entsprach, vorsah13• Es war damit mehr Zufall, daß die Kodifikation erst 1933 erfolgte14• Ein weiteres Verdienst Damraus ist es, gezeigt zu haben, daß die literarische Diskussion um den Beibringungsgrundsatz seit der Schaffung der ZPO andauerte und teilweise erhebliche Ausmaße erreichte, wobei auch stets die Verhältnisse anderer Staaten, insbesondere Österreichs15, rechtsvergleichend herangezogen wurden. to Diesen Nachweis führt 11 12 13 14

Damrau S. 408 ff.

Damrau S. 433 ff.

s. 200.

s. 11. Staab S. 11.

15 Zur heutigen Situation dort vgl. das III. Kapitel, 3. f dieser Arbeit.

58

li. Kap.: Geschichte der Sachverhaltsaufklärung

Es sei noch eine weitere Erscheinung besonders erwähnt. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Zug zur Freiwilligen Gerichtsbarkeit fort. Darauf wird noch einmal zurückzukommen sein. Gerade jetzt hat die ZPO ihre wohl größte Umgestaltung erfahren. Die sog. Vereinfachungsnovelle gestaltete sie in vielfacher Weise um. Herausgegriffen seien nur zwei Erscheinungen. Die Hauptverhandlung nach dem sog. Stuttgarter Modell ist künftig die dem Gesetzgeber grundsätzlich vorschwebende Form überhaupt. Außerdem werden die Präklusionsvorschriften verschärft. Alle Änderungen dienen einer Straffung und Beschleunigung des Verfahrens. Für uns stellt sich die Frage, ob die so häufig novellierte ZPO denn faktisch überhaupt noch dem Beibringungsgrundsatz unterliegt. Das wird der hauptsächliche Gegenstand dieser Arbeit sein.

III. Kapitel

Rechtsvergleichung Betrachtet man die einzelnen nationalen Rechtsordnungen unter dem Gesichtspunkt, wie sie es mit dem Beibringungsgrundsatz halten, so fällt auf, daß nahezu alle Variationen vertreten sind. 1. Der anglo-amerikanische Rechtskreis

In diesem Rechtskreis ist der Beibringungsgrundsatz - anders als bei uns - rein durchgeführt. Damit zusammen hängt auch die dort ungleich wichtigere Rolle der Anwälte, in deren Händen zum Beispiel fast ausschließlich das amerikanische Erforschungsverfahren liegt1 • Aus England wird sogar berichtet, daß Urteile manchmal von den Berufungsgerichten deshalb aufgehoben werden, weil die Richter durch zu vieles Fragen einen geordneten Prozeßverlauf verhindert haben2 • Ob dieses System aber auch die Rechte des sozial Schwächeren ausreichend wahrt, erscheint sehr fraglich. Die liberale Ansicht, jeder werde schon ausreichend für sich selbst sorgen können, ist hier durch keinerlei soziale Gesichtspunkte modifiziert worden. In diesem System dürfte das Prozeßschicksal wohl häufig von der Anwaltswahl durch die Parteien abhängen. Jacoby empfiehlt zwar sogar das amerikanische Verfahren als Modell für eine Reform des deutschen ZivilprozesseS'. Dabei geht er aber von einer anderen Fragestellung aus als wir. Er nimmt seinen Ausgang vom allerdings oft zu Recht bestehenden Informationsinteresse der Parteien. Er stellt fest, daß dieses im deutschen Zivilprozeßrecht häufig nicht befriedigt wird, insbesondere durch das Verbot des sog. Ausforschungsbeweises. Gerade in den Fällen wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten (Warenzeichen-, Wettbewerbs-, Kartellrecht) aber hält er Klagen des Bürgers deswegen mangels Beweismöglichkeiten für aussichtslos. Selbst wenn man ihm hier zustimmt, muß man jedoch nicht seine Folgerung teilen, deshalb empfehle sich das amerikanische Erforschungsverfahren als auch im deutschen Zivilprozeßrecht nütz1 Jacoby "Das Erforschungsverfahren im amerikanischen Zivilprozeß", ZZP 74, S. 145 ff. 2 Schmitthoff "Der Zivilprozeß als Schlüssel zum englischen Rechtsdenken", JZ 1972, S. 39 ff. (41). 3 ZZP 74, S. 160.

60

III. Kap.: Rechtsvergleichung

liches Vorverfahren. Den von ihm geschilderten Übeln kann man mit vermehrten materiellrechtlich begründeten Auskunftspflichten, sowie etwa mit Beweislastumkehrungen (Beispiel der Produzentenhaftung!) begegnen. Meines Erachtens wäre die Einführung des amerikanischen Erforschungsverfahrens dem deutschen Zivilprozeßrecht systemwidrig und würde daher mehr schaden als nützen. Dabei soll ganz davon geschwiegen werden, daß es vermutlich die Prozesse im Durchschnitt nur verlängern würde. Denn die Zahl der Anwälte, die zu seiner sachgerechten Handhabung in der Lage wären, wäre sicherlich nicht allzu groß. Schließlich wäre doch auch für ihr Rollenverständnis ein vollkommenes Umdenken erforderlich.

2. Der Rechtskreis der sozialistischen Staaten Diese gehen einen völlig anderen Weg. Zwar behaupten ihre Prozessualisten, es herrsche nach wie vor im Zivilprozeß Parteiverfahren1 . Darunter verstehen sie jedoch etwas anderes als wir, weil sie von einem anderen Zweck des Zivilprozesses ausgehen. W engerek formuliert dies deutlich, wenn er sagt, vom Zivilprozeß als einer nur dem Schutz privater Interessen dienender Einrichtung sei man abgekommen2 • Der neue Zivilprozeß dient dort vielmehr der Verwirklichung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Ausgehend hiervon beherrscht in allen sozialistischen Ländern der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung das Zivilprozeßrecht. So nennt ihn W engerek den "obersten Grundsatz, dem alle anderen Grundsätze untergeordnet wurden"3 . Das ist der Grund, warum die Gerichte der sozialistischen Länder mit dem Recht Ermittlungen von Amts wegen anzustellen betraut sind 4• Dabei ist die Regel die, daß sie nur dazu berechtigt sind, d. h. daß sie - solange der Sachverhalt von den Parteien genügend aufgeklärt wird - auch praktisch nicht eingreifen. Ausdrücklich abgelehnt wird sogar von den sozialistischen Prozessualisten etwa die Vorstellung eines inquisitorischen Zivilprozesses5 • Ihren Vorstellungen am nächsten kommt das Bild eines gewollten und zielgerichteten Zusammenwirkeng von Gericht, Staatsanwaltschaft, sozialen Organisationen des arbeitenden Volkes und Parteien, um die Wahrheit zu ermitteln und darauf beruhend an der Verwirklichung der sozialistischen Gesetzlichkeit mitzuwirken6 • Die sehr komplexe Frage, wann und in welchem Umfange die Staatsanwaltschaft So Gurwitsch in Neue Justiz 1962, S. 604. ZZP 72, 148. 3 ZZP 72, 148. 4 Für Ungarn formuliert dies z. B. Nevai in ZZP 84, 376. s z. B. von W engerek in JZ 68, 649. 6 Wünsche "Aufgaben bei der Neugestaltung d es gerichtlichen Verfahrens in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtssachen", Neue Justiz 1970, S. 161 ff. (161). t

2

2. Der Rechtskreis der sozialistischen Staaten

61

in sozialistischen Ländern zur Mitwirkung in Zivilverfahren berufen ist, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden. Für das Rechtssystem der DDR hat dies erst jüngst Hückel dargestellt7, der dabei allerdings nicht das inzwischen in Kraft getretene neue Zivilverfahrensrecht der DDR berücksichtigen konnte. Gleichwohl sind seine Ausführungen sehr interessant. Sie zeigen nämlich eines: Auch bereits zu einer Zeit, als noch das Zivil- und Zivilverfahrensrecht der DDR mit unserem weitgehend wörtlich übereinstimmte, gab es in der DDR schon die Möglichkeit der Amtsermittlung auch im Zivilprozeß. Die DDR besaß - gefördert durch ihre Rechtsprechung und Rechtslehre mittlerweile genau so ein Rechtssystem - jedenfalls was die Grundstrukturen und Hauptmaximen betraf - wie alle anderen sozialistischen Länder. Das hatte man nicht durch Gesetzesänderungen, sondern allein im Wege der Interpretation erreicht. Dies hat 1971 Kellner in einem grundlegenden Referat auf der II. Internationalen Konferenz zu Fragen des Zivilverfahrens und des Zivilverfahrensrechts, die vom 2. bis 4. November 1971 an der Humboldt-Universität in Ostberlin stattfand, deutlich zum Ausdruck gebracht8 • Nach seiner Meinung kommt den Prozeßprinzipien als "grundlegenden leitenden Rechtsanschauungen der herrschenden Klasse" 9, welche die Arbeiterklasse ist, eine große Bedeutung zu. Strikt verneint er eine Kontinuität zwischen bürgerlichen und sozialistischen Prozeßprinzipien, die man eigentlich damals wegen des fast unveränderten Wortlauts der ZPO hätte vermuten können. Denn während erstere vermeintlich mit überzeitlichem Anspruch und angeblich losgelöst von jedem sozialen Hintergrund vertreten würden, seien letztere aus der Befassung mit realen gesellschaftlichen Verhältnissen heraus entwickelt worden. Zugleich spiegele sich in ihnen die ständige Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Machtverhältnissen und der bürgerlichen Ideologie, kurz gesagt, das Ergebnis der Klassenkämpfe. Seine "Abrechnung" mit dem Zivilprozeßrecht der Bundesrepublik führt Kellner anhand zweier Schwerpunkte. Bezeichnenderweise sind dies die "Überwindung der bürgerlichen Verhandlungsmaxime" und "die Entwicklung und Durchsetzung des Prinzips der Erforschung der objektiven Wahrheit" 10 • Kellner lehnt das westliche Recht als seinem Wesen nach entwicklungsfeindlich und konterrevolutionär ab, wobei er als ideologische Grundlage einer solchen Haltung der Leugnung objektiver Gesetzmäßigkeiten in der gesellschaftlichen Entwicklung die Naturrechtstheorien und den Rechtsposi7 s. 75 ff. s Eine überarbeitete Fassung dieses Referates ist abgedruckt in Neue Justiz 1972, S. 185- 189 und 217-220. Ihr sind die nachfolgend wiedergegebenen Gedanken und Ansichten K etlners entnommen. 9 s. 185. to Neue Justiz 1972, S. 186.

III. Kap.: Rechtsvergleichung

62

tivismus zu erkennen glaubt. Er stellt dem das sozialistische Recht "als Ausdrucksform des Bewußtmacheus der gesellschaftlichen Notwendigkeit" gegenüber11 • Das heißt, durch die Anwendung des sozialistischen Rechts sollen die Menschen lernen, "die Gesetze ihres eigenen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden" 12, zu erkennen. Von diesem geistigen Standpunkt aus überrascht es dann nicht mehr, wenn Kellner das Prinzip der Erforschung der objektiven Wahrheit schlechthin als Bestandteil des Wesens des sozialistischen Rechts auffaßt. Die Verhandlungsmaxime ist für ihn der "scheinheilige Ausdruck bürgerlichen Klasseninteresses und bourgeoiser Parteilichkeit"13• Ausgehend von der These der Parteilichkeit des Gesetzgebers als eines Instruments der herrschenden Klasse, sieht Kellner in der formalen Unparteilichkeit des Richters - grundsätzlich ausgedrückt in der Verhandlungsmaxime die Parteilichkeit des Gesetzgebers in Wirklichkeit fortgeführt, da dadurch die Bildung einer Gegenkraft vermieden wird. Er wirft den Verfechtern der Verhandlungsmaxime vor, die tatsächliche Ungleichheit in der sozialen und wirtschaftlichen Stellung der Prozeßbeteiligten mit dem Ausdruck "Parteien" nur zu verschleiern und so eine Gleichheit zu unterstellen, die es nicht gibt. So habe die Verhandlungsmaxime "dem ökonomisch Stärkeren auch im Kampf der Kapitalisten untereinander die Überlegenheit im Zivilprozeß" gesichert14• Das Prinzip der formellen Wahrheit sei deshalb "der theoretische Ausdruck des Desinteresses der Bourgeoisie, die antagonistischen Widersprüche, die den Rechtskonflikten zugrunde lagen, aufzudecken" 15• Demgegenüber mußte sich die Rechtsprechung und Rechtswissenschaft der DDR aus ihrem Selbstverständnis heraus veranlaßt sehen, neue - diesmal sozialistische - Prozeßprinzipien zu entwickeln. Führend hierin war die Rechtsprechung des Obersten Gerichts. Dabei bedurfte es keiner neuen ZPO. Ausgehend von § 139 ZPO erklärte das Oberste Gericht die Pflicht zur Feststellung der objektiven Wahrheit zu einem "der wichtigsten Grundsätze unseres (der DDR) demokratischen Prozeßverfahrens" 16• Dem entsprach es auch, wenn einmal als mögliche Zeugen im Prozeß benannte Personen vom Gericht unabhängig vom künftigen Parteiverhalten vernommen werden konnten17• u Haney I Wagner S . 17 zitiert bei Kellner Neue Justiz 1972, S . 188. Engels Anti-Dühring, Marx I Engels Werke Bd. 20, Berlin 1962, S. 264, zitiert bei K ellner Neue Justiz 1972, S. 188. 13 Neue Justiz S. 188. 14 "Das Zivilprozeßrecht der DDR", 1. Bd., S. 25. 1s Kellner Neue Justiz 1972, S . 189. 16 OGZ Bd. 2, S. 122; Bd. 4, S. 115; zitiert bei Kellner Neue Justiz 1972, S . 217 Fußnote 16. 17 OGZ Bd. 6, S. 235 ; zitiert bei Kellner Neue Justiz 1972, S. 217 Fußnote 20. 12

2. Der Rechtskreis der sozialistischen Staaten

63

Es räumte allerdigs auch Kellner ein, daß das Ziel nun nicht ein um jeden Preis inquisitorischer Zivilprozeß war18• Die Parteien hatten nach wie vor ihre Ansprüche geltend zu machen und mußten an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken. Nur wurden ihre Bemühungen gegebenenfalls vom Gericht ergänzt. Inzwischen ist am 1. Januar 1976 das neue Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtssachen - Zivilprozeßordnung - vom 19. Juni 1975 (GBL I Nr. 29 S. 533) in Kraft getreten. In einer Rede des Ministers der Justiz Heusinger zur Begründung der DDRZPO heißt es: "Mit dem vorliegenden Verfahrensgesetz erreicht das sozialistische Zivilprozeßrecht der Deutschen Demokratischen Republik eine höhere Qualität und eine neue Entwicklungsstufe ... Damit wird eine wichtige Etappe der sozialistischen Umgestaltung des Prozeßrechts abgeschlossen und ein durchgehend auf sozialistischen Grundlagen und Prinzipien beruhendes Zivilprozeßrecht für die DDR geschaffen. Dieses Gesetz überträgt den Gerichten bei der Durchführung von Verfahren die Aufgabe, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu schützen und zu festigen, auf die bewußte Einhaltung und Verwirklichung des sozialistischen Rechts aktiv (Hervorhebungen und die folgenden vom Verf.) Einfluß zu nehmen und die sozialistischen Beziehungen zwischen den Bürgern zu fördern . . . Die Tätigkeit der Gerichte ist Bestandteil des einheitlichen Wirkens der sozialistischen Staatsmacht ... Die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung bringen die n eue Stellung der Bürger und Betriebe im gerichtlichen Verfahren sichtbar zum Ausdruck. Sie wird ... durch die grundsä.ztliche Obereinstimmung ihrer Interessen in der sozialistischen Gesellschaft bestimmt. Die neue Zivilprozeßordnung verpflichtet die Gerichte, im Zusammenwirken mit den Prozeßparteien die objektive Wahrheit festzustellen, auf ihrer Grundlage eine den Realitäten entsprechende Entscheidung zu treffen und im Rahmen ihrer Aufgaben auf die Überwindung der Ursachen des Rechtsstreits Einfluß zu nehmen"19. Bezeichnend für das Verständnis sozialistischer Zivilprozessualisten vom Umfang der Tatsachenermittlung im Zivilprozeß ist das von Kietz I Mühlmann gebrachte Beispiel: In einem Unterhaltsprozeß zwischen einem nichtehelichen Kind und seinem vermeintlichen Vater soll die objektive Wahrheit nicht schon dann ermittelt sein, wenn feststeht, ob er tatsächlich der Vater ist. Vielmehr soll die objektive Wahrheit erst dann gefunden sein, "wenn das Gericht so tief in das gesellschaftliche Verhältnis eindringt, daß es im konkreten Fall die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, ihr moralisches Verhalten sowie die BeNeue Justiz 1972, S. 217. Das sozialistische Zivilrecht der DDR, Materialien der 15. Tagung der Volkskammer der DDR am 19. Juni 1975, S. 52 f. 18

1o

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III. Kap.: Rechtsvergleichung

weggründe herausarbeiten kann, die den verklagten Mann veranlassen, die Anerkennung der Vaterschaft zu verweigern. Das wird dem Gericht aber nur möglich sein, wenn es das Verhalten der in Frage kommenden Personen zum Gegenstand der ideologischen Auseinandersetzung macht" 20 • Daß es sich bei dem vom Gericht festzustellenden Sachverhalt um mehr handelt, als um das, was wir darunter verstehen, wird auch von Schuster bekräftigt21 • Die "erzieherische, persönlichkeitsformende Kraft der sozialistischen Menschengemeinschaft und ihres Rechts" loben er22 und Püschel23 • Es wird daraus hinreichend deutlich, daß so ein Begriff wie der der formellen Wahrheit in einem Rechtssystem wie dem der DDR logisch nicht denkbar ist. Schließlich bestimmt auch § 2 Abs. 1 der neuen ZPO ausdrücklich: "Die Gerichte haben die Aufgabe, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu schützen, gesetzlich garantierte Rechte und Interessen zu wahren und durchzusetzen ... " Nicht zufällig wird hier das gesamtgesellschaftliche Interesse, die Wahrung der objektiven Rechtsordnung an erster Stelle vor dem Zweck der Durchsetzung subjektiver Rechte einzelner genannt. Konsequenterweise normiert die neue ZPO der DDR dann auch eine Sachverhaltsermittlungspflicht des Gerichts. In § 2 Abs. 2 Satz 1 heißt es: "Die Gerichte sind verpflichtet, in einem konzentrierten und zügigen Verfahren die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen aufzuklären, wahrheitsgemäß festzustellen und nach den Rechtsvorschriften zu entscheiden." § 45 Abs. 3 bestimmt, daß ein Rechtsstreit erst entschieden werden darf, "wenn das Gericht den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt geklärt und festgestellt hat". §54 Abs. 1 Satz 2 regelt ausdrücklich, daß das Gericht auch über solche Tatsachen Beweis erheben kann, die von den Prozeßparteien nir.ht vorgebrar.ht worden sind. Allerdings sollen damit Entscheidungen nach Beweislastgrundsätzen nicht völlig ausgeschlossen werden. Für den Fall, daß der Sachverhalt schlechthin nicht mehr aufgeklärt werden kann, hält sie Kellner für zulässig24 • In der Sache übereinstimmend, spricht sich aber Schuster gegen die Anwendung des Begriffes der "Beweislast" aus, da dieser so eng mit der bürgerlichen Verhandlungsmaxime verbunden sei, daß von seiner Anwendung weitere "ideologische Infektion" zu befürchten sei25 • Eine weitere Ausprägung sozialistischer Prozeßauffassung ist § 46 Abs. 1 Satz 1 der neuen ZPO. Diese Vorschrift läßt eine gerichtliche Einigung, was unserem Vergleich entspricht, nur zu, sofern sie mit den 20

21 22 23 24 ~•

s. 66.

Neue Neue Neue Neue Neue

Justiz Justiz Justiz Justiz Justiz

1971, 1971, 1970, 1972. 1971,

S. 107. S. 107. S . 165. S. 220. S. 107.

3. Die westlichen kontinentaleuropäischen Rechtssysteme

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Grundsätzen des sozialistischen Rechts im Einklang steht. Andernfalls ist die Protokollierung einer solchen Einigung abzulehnen und das Verfahren fortzusetzen, § 46 Abs. 2 DDRZPO. Mit der Einführung eines neuen Verfahrensgesetzes unterscheidet sich die DDR nun auf einem weiteren Rechtsgebiet deutlich von der Bundesrepublik, nachdem sie bereits ein neues Zivilgesetzbuch und eine neue Verfassung geschaffen hat. 3. Die westlichen kontinentaleuropäischen Rechtssysteme Hier finden sich völlig unterschiedliche Regelungen. a) Schweiz

Dort ist das Prozeßrecht kantonal verschieden. Zwar kennen die meisten Prozeßordnungen keine Amtsermittlung1 • Vielmehr gilt der Sache nach auch der Beibringungsgrundsatz. Jedoch ist Amtsermittlung vorgesehen in der ZPO von Friborg (1894) in § 295, von Bern durch Dekret seit 1911, von Zürich (1912/13) in§ 1662 • In letzterer Vorschrift ist allerdings ausdrücklich gesagt, daß die Beweiserhebung von Amts wegen die Ausnahme sein soll. Sie soll nur stattfinden, sofern sich aus den Akten Anhaltspunkte für ihre Notwendigkeit ergeben. Es gibt zwar auch ein Bundesgesetz über den Bundeszivilprozeß vom 4. 12. 19473, das aber gegenüber den kantonalen Prozeßordnungen subsidiär ist4. Demnach kann zwar die gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen gegründet werden, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Auf vollständigen Sachvortrag und Angabe aller Beweismittel soll allerdings das Gericht hinwirken (Art. 3 Abs. 2). Es ist jedoch anders als in Deutschland nicht an die von den Parteien angebotenen Beweismittel gebunden und kann auch nicht von den Parteien angebotene Beweismittel benutzen (Art. 37). Auch wenn sich eine Partei nicht über eine Behauptung des Gegners erklärt, ist diese nicht wie in Deutschland als zugestanden anzusehen, vielmehr ist über diese Behauptung trotzdem noch Beweis zu erheben, wenn an ihrer Richtigkeit begründet gezweifelt wird (Art. 12 Abs. 3). b) Frankreich

Der französische Zivilprozeß hat ebenfalls Formen angenommen, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ihn weiterhin als von der VerhandFritzsche S. 41. Zitiert nach Brügg,e mann S. 331. a Sammlung der eidgenössischen Gesetze, Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen 1948, S. 485. 4 Staab S. 13. 1

2

5 Zettel

III. Kap.: Rechtsvergleichung

66

lungsmaxime beherrscht anzusehen. Das Gericht ist dort befugt, amtliche Urkunden jederzeit von Amts wegen beizuziehen. Es ist nicht einmal erforderlich, daß die Tatsachen, die durch sie belegt werden sollen, vorher im Prozeß vorgetragen wurden5 • Dies ermöglicht also sogar eine Tatsacheneinführung durch das Gericht. Insofern stellt es eine Seltenheit in westlichen Prozeßordnungen dar. Das Gericht kann darüber hinaus auch alle Arten von Beweisen erheben (Art. 252, 264). Findet es im Prozeßverlauf Anhaltspunkte für weitere Beweismöglichkeiten, so kann es diesen nachgehen.

c) Italien Im italienischen codice di procedura civile von 1942 wird der Verhandlungsgrundsatz mehrfach durchbrachen. Diese Durchbrechungen hat Brüggemann zusammengestellt6 • Insbesondere handelt es sich darum, daß der sog. giudice istruttore bei Ortsbesichtigungen jeden beliebigen Zeugen informatorisch vernehmen darf (art. 262). Es dürfen sogar Zeugen von Amts wegen vernommen werden, deren Existenz anläßlich der Vernehmung eines anderen Zeugen bekannt wurde (art. 257 Abs. 1). Die Parteien haben es in Italien nicht einmal in der Hand, die Vernehmung eines Zeugen zu verhindern. Selbst wenn eine Partei mit Zustimmung der Gegenpartei einen Beweisantrag über einen Zeugen zurücknimmt, so kann dieser dennoch von Amts wegen vernommen werden (art. 245).

d) Skandinavien Im skandinavischen Rechtskreis herrscht grundsätzlich der Beibringungsgrundsatz7. Er wird aber dort durch ein richterliches Fragerecht abgemildert8 •

e) Griechenland Die Regelung dort stimmt im wesentlichen mit der skandinavischen überein. Sie wird im einzelnen von Rammos näher dargelegt9 • f) Österreich

Dort ist die Beibringung der tatsächlichen Entscheidugsgrundlagen grundsätzlich zwar Sache der Parteien. Allerdings ist - wie in den so6 8

Brüggemann S. 331 mNw. s. 330.

7 Munch-Petersen S. 62; Wrede S. 43. s Wrede S. 43. 9 In ZZP 78, S. 253.

4. Zusammenfassung

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zialistischen Ländern - das Gericht gehalten, den wahren Sachverhalt zu ermitteln. Zu diesem Zweck kann es durch Fragen oder Hinweise auf eine genauere Sachverhaltsaufklärung hinwirken. Insofern ist die Regelung wie im deutschen Zivilprozeß. Jedoch kann das Österreichische Zivilgericht nach § 183 ÖZPO auch Beweise von Amts wegen erheben und zwar alle. Das ist weitergehender als bei uns. Das Gericht darf also - gestützt auf diese Befugnis gegebenenfalls die Bemühungen der Parteien um Sachverhaltsaufklärung ergänzen. Eine Einschränkung ergibt sich nur dann, wenn beide Parteien der Urkundenvorlegung oder einer Zeugeneinvernahme widersprechen, § 183 Satz 2 ÖZPO. Für das Österreichische System taucht in der dortigen Literatur die Bezeichnung "Sammelmaxime" auf10 • Teilweise spricht man auch von einer "gemischten Verhandlungsmaxime" 11 •

4. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die verschiedenen Staaten die Beibringung von Tatsachen und Beweisen im Zivilprozeßrecht auf alle denkbaren Weisen regeln. Eine Abhängigkeit dieser Regelungen von der jeweiligen Staatsideologie besteht allerdings nur teilweise. Sie äußert sich in der Form, daß Staaten mit totalitärem Staatsverständnis, wie z. B. die sozialistischen Staaten aufgrund ihrer marxistisch-leninistischen Ideologie, die einen Vorrang des Staates, bzw. der Gesellschaft vor dem einzelnen annehmen, allesamt zumindest die Möglichkeit der Amtsermittlung vorsehen. Auch der aus anderen Wurzeln heraus totalitäre nationalsozialistische Staat hatte ja den Zivilprozeß in diesem Sinne reformieren wollen. Der umgekehrte Schluß ist aber nicht zulässig. Es ist nicht zwangsläufig so, daß der Zivilprozeß eines liberalen Landes unbedingt vom Beibringungsgrundsatz beherrscht werden muß. Das kann so sein, wie in England. Daß es nicht so sein muß, zeigt beispielsweise die Schweiz. Es besteht aber immer ein unlösbarer Zusammenhang zwischen der Aufgabenverteilung hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung und dem, was die Zivilprozeßrechtslehre des jeweiligen Landes als das oder die obersten Ziele des zivilprozessualen Verfahrens ansieht. Wird dieses Ziel in der Ermittlung der objektiven Wahrheit allein gesehen, so kann man den Beibringungsgrundsatz nicht gutheißen. Das zeigen die Prozeßordnungen der sozialistischen Staaten sehr deutlich. Auch wenn die Wahrheitsermittlung nur eines von mehreren Zielen des Zivilprozesses ist, aber jedenfalls kein untergeordnetes, so kann der 10 11

s•

Holzhammer S. 104. Petschek S. 227.

68

III. Kap.: Rechtsvergleichung

reine Beibringungsgrundsatz nicht uneingeschränkt gelten, wie das Beispiel Österreichs zeigt. Ist das Ziel des Zivilprozesses aber mehr eine bloße Befriedigung, also reine Streitentscheidung im Sinne von Streitschlichtung, was wohl den liberalen anglo-amerikanischen Vorstellungen am nächsten kommt, so wird der Beibringungsgrundsatz regelmäßig bevorzugt und ist häufig noch reiner durchgeführt als bei uns.

IV. Kapitel

Die Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes im heutigen deutschen Zivilproze.f3recht Bei unseren gesamten folgenden Betrachtungen wird auf eines zu achten sein. Man muß zwei Fälle unterscheiden: Die Beibringung kann sich einmal auf Tatsachen und zum anderen auf Beweismittel beziehen. Die Einführung von Tatsachen in den Prozeß erfolgt entweder durch deren mündlichen Vortrag in der Verhandlung oder durch ihre Erwähnung in einem Schriftsatz, auf den Bezug genommen wird (§ 137 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich der Beweisbeibringung ist folgendes zu sagen: Der Beweis an sich bezweckt, die volle Überzeugung des Richters von dem Vorhandensein der tatsächlichen Umstände zu begründen, an die die Rechtsordnung die begehrte Rechtsfolge geknüpft hat. Volle Überzeugung bedeutet dabei - angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit- die Herstellung eines so hohen Grades von Wahrscheinlichkeit, daß vernünftigerweise kein Zweifel mehr an dem Vorliegen der bewiesenen Tatsache bestehen kann1 . Die Beweismittel sind nun jene Mittel, mit deren Hilfe diese Überzeugung des Richters herbeigeführt werden soll. Wir kennen davon eine ganze Reihe, die im Anschluß näher behandelt werden wird. Inwieweit in bezug auf sie das Gericht befugt ist, sie von Amts wegen einzusetzen, wird nun zu erörtern sein. Klar davon zu unterscheiden ist die Frage, ob das Gericht auch Tatsachen von sich aus beibringen, d. h. in den Prozeß einführen darf. Auch das wird zu überprüfen sein. 1. Die von Amts wegen erfolgende Anordnung der Urkundenvorlegung, § 142 ZPO, sowie der Aktenvorlegung, § 143 ZPO

a) Die amtswegige Anordnung der Urkundenvorlegung, § 142 ZPO Die Vorschrift des § 142 ZPO ist sehr alt. Sie entspricht nämlich dem § 127 des Entwurfs der Civilprozeßordnung von 18771 • In der Begründung dieses Entwurfs wird die Vermutung ausgedrückt, daß das Fragerecht nicht ausreichen könne, das Sachverhältnis klarzustellen. 1

t

Rosenberg I Schwab § 113 II 1. Materialien S. 215/16.

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

70

Daher sei es erforderlich, den Gerichten weitere Befugnisse zu geben, die ebenso wie das Fragerecht darauf abzielen, die für die Entscheidung notwendige Grundlage zu verschaffen. Es wird ferner darauf hingewiesen, daß solche Befugnisse auch in den (damals) neueren Prozeßgesetzen oder Gesetzentwürfen der einzelnen deutschen Länder vorgesehen waren. Die Begründung nennt Art. 204, 205 des württembergischen, Art. 396, 433 des bayerischen Prozeßgesetzes, sowie die §§ 260, 266, 499, 507 des preußischen, §§ 140, 141 des hannoverschen, §§ 314, 315 des norddeutschen Entwurfs2 • In der ersten Fassung der CPO war diese Regelung dann im § 133 enthalten, der entsprechend dem § 142 ZPO lautete und genauso begründet wurde. Merkwürdig ist dabei eines. Hätten sich die Schöpfer der Zivilprozeßordnung den Zivilprozeß wirklich so von Maximen beherrscht vorgestellt, wie oft angenommen zu werden scheint, so hätte es nahegelegen, hier eingehend zu begründen, warum man in diesem Punkt vom Beibringungsgrundsatz abweicht. Die Berufung auf all die Vorläufer in anderen Prozeßordnungen läßt aber darauf schließen, daß man die Vorschrift der Sache nach für so selbstverständlich und gleichzeitig nach den Erfahrungen der Praxis für so nützlich und zweckmäßig hielt, daß man ihr Vorhandensein nicht mehr gesondert begründen zu müssen glaubte. Denn es hieße gewiß den Verfassern der CPO etwas unterstellen, wollte man umgekehrt hierin zum Ausdruck gebracht sehen, daß die CPO nicht vom Beibringungsgrundsatz beherrscht sei. Anzunehmen ist vielmehr, daß es sich so verhielt, daß die Verfasser ganz einfach praktisch dachten und daher eine vielfach bewährte Vorschrift übernehmen wollten. Demgegenüber hielten sie eine dogmatisch überzeugende und widerspruchsfreie Begründung für weniger notwendig. Nach dem jetzt gültigen§ 142 ZPO, der 1927 in dieser Form eingefügt wurde, kann das Gericht die Vorlegung von Urkunden, Stammbäumen, Plänen, Rissen oder sonstigen Zeichnungen verlangen. Urkunden sind hierbei schriftlich festgehaltene Gedankenerklärungen, wobei der Gedankeninhalt Beweisgegenstand ist3• Unter Urkunden sind nach einer Mindermeinung auch urkundenstellvertretende Tonbänder oder Lichtbilder (Fotokopien) zu verstehen4• Die ganz herrschende Meinung hält sie aber für Augenscheinsobjekte, weil sie - wenn sie auch einen Gedankeninhalt vermitteln mögen - dies doch nicht schriftlich tun5 • Außerdem kommt einem Tonband beispielsweise nicht die Zuverlässigkeit eines Schriftstückes zu6 • Die Parteien haben keinen Anspruch da2 3

4

Begründung S. 134. Thomas I Putzo Vorb. 1 vor § 415. Brüggemann S. 397.

s Stein I Jonas I Schumann I Leipold I 1 vor 6 Rosenb.erg I Schwab § 113 III 1 a.

§ 415

und II 3 vor § 371.

1. §§ 142, 143 ZPO

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rauf, daß das Gericht die Vorlegung von Amts wegen anordnet7. Ein diesbezüglicher Antrag durch eine Partei wäre nur als Anregung an das Gericht zu verstehen8 • Die Anordnung der Vorlegung erfolgt in der mündlichen Verhandlung durch Beschluß, ansonsten durch Verfügung. Auch der beauftragte Richter darf sie treffen. Bei den Urkunden ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 142 ZPO Voraussetzung einer solchen Vorlegungsanordnung, daß sie sich in Händen einer Partei befinden. Eine weitere Voraussetzung war ursprünglich, daß sich dieselbe Partei, die die Urkunde in Händen hatte, auch auf sie bezogen hatte. Insofern drückte die Vorschrift eigentlich nur etwas Selbstverständliches aus, indem sie die Partei an ihrem eigenen Verhalten festhielt und Konsequenz von ihr fo~derte. Heute hingegen ist das Erfordernis, daß sich eine Partei auf die Urkunde bezogen haben muß, wegen § 273 Abs. 2 Nr.1 ZPO nicht mehr anzunehmen9. Hieran zeigt sich gleichzeitig, daß § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO den § 142 ZPO praktisch erweitert, indem er dessen Befugnisse auch dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Prozeßgerichts gibt. Ferner ist es eine Erweiterung, daß diese Befugnisse auch schon vor der ersten mündlichen Verhandlung ausgeübt werden können. Neuerdings wird diese Anordnungen häufig der Einzelrichter treffen, der nach § 348 ZPO sowieso, solange der Rechtsstreit vor ihm anhängig ist, das Gericht schlechthin verkörpert. Nachdem das Erfordernis der Bezugnahme hinsichtlich von Urkunden entfallen ist, liegt also nunmehr auf jeden Fall eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes vor, insoweit als das Gericht keinen Beweisantritt einer Partei mehr abwarten muß. Stammbäume, Pläne, Risse und sonstige Zeichnungen kann das Gericht von einer Partei selbst dann fordern, wenn sie sich weder darauf bezogen, noch sie überhaupt in Händen hat10• Es ist also in diesem Falle möglich, daß eine Partei die Unterlagen erst anfertigen lassen muß, z. B. einen Stammbaum erst entwickeln lassen muß 11 • Der Beibringungsgrundsatz wird hier wiederum insoweit durchbrachen, als Beweisantritte der Parteien unnötig sind. Anordnen wird das Gericht eine Vorlegung von sich aus aber nur, wenn Parteibehauptungen existieren, die anband solcher Unterlagen mutmaßlich verdeutlicht oder überprüft werden können. Die Gerichte haben bislang § 142 ZPO noch nie als Rechtsgrundlage freier amts7

Schmitz S.17.

s Ders. S. 17.

e Stein I Jonas I Pohle Anm. I zu § 142; Zöller Anm. 1 zu § 142; Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 142. 10 Ders. Anm. 1 zu § 142. 11 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 zu § 142.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

wegiger Nachforschungen benutzt. Also stellt § 142 ZPO nur eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes hinsichtlich der Beibringung von Beweismitteln, nicht auch hinsichtlich der Beibringung von Tatsachen dar. Allerdings ist der Fall denkbar, daß sich aus einer amtswegig beigezogenen Urkunde Tatsachen ergeben, die zwar von den Parteien nicht vorgetragen werden, die aber für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich sind. Diese Tatsachen muß das Gericht dann gestützt auf § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO zur Ergänzung lückenhaften Vortrags von sich aus in den Prozeß einführen können. Bei Handelsbüchern treffen die §§ 45, 47 HGB eine Sonderregelung12 • Handelsbücher, die von Handelsbriefen wohl zu unterscheiden sind13 , kann das Gericht sich immer - auch ohne Bezugnahme durch eine der Parteien - vorlegen lassen. Das regelt § 45 HGB. Einschränkend bestimmt § 46 HGB - was eigentlich selbstverständlich ist, daß das Gericht nur soweit Einsicht nehmen soll, als es den Streitpunkt betrifft. Bei Vermögensauseinandersetzungen kann das Gericht aber wiederum vom ganzen Inhalt Kenntnis nehmen,§ 47 HGB. Diese Regelungen zeigen die öffentliche Bedeutung dieser Bücher14 • Handelsmäklertagebücher kann sich das Gericht selbst dann vorlegen lassen, wenn der Handelsmäkler gar nicht Partei des Rechtsstreits ist15• Allerdings enthält die Vorschrift schon in sich selbst eine Beschränkung, indem die Vorlegung nur ermöglichen soll, das Tagebuch "mit der Schlußnote, den Auszügen oder anderen Beweismitteln zu vergleichen". Nur wenn es das beabsichtigt, wird das Gericht auch die Vorlegung verlangen können. Im übrigen ist die Beschränkung des § 46 HGB auch hier entsprechend anzuwenden16• Hier wird wiederum nur der Beweisantritt durch eine Partei ersetzt. Gerade die im Gesetz selbst genannten Grenzen zeigen deutlich, daß diese Vorschriften keine Befugnisse zu genereller Amtsermittlung darstellen. Verschiedene Stimmen in der Literatur sehen die Vorschrift des § 142 ZPO als einen Anwendungsfall des§ 139 ZPO an17• Auch das macht deutlich, wie wenig eigentlich diese Vorschrift das Gericht zu amtswegiger Sachverhaltsaufklärung ermächtigt. Man sieht im Vorgehen nach § 142 ZPO eine gerichtliche Hilfe für die Parteien, eine Möglichkeit Stein I Jonas I Pohle Anm. I zu § 142. ts Baumbach I Duden Anm. B zu§§ 45-47 a.

12

u Ders. Anm. B zu §§ 45-47 a. Baumbach I Duden Anm. 2 zu §§ 100 - 103. 1& Ders. Anm. 2 zu §§ 100- 103. 17 z. B. Zötler Anm. 1 zu § 142.

15

1. §§ 142, 143 ZPO

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zur Ergänzung und Verdeutlichung ihres Vorbringens. Das ist nur die Konsequenz. Wenn man den § 142 ZPO als einen Unterfall des § 139 ZPO ansieht, kann man ihn auch nur im Rahmen des § 139 ZPO zur Anwendung kommen lassen. Die Vorlegung nach § 142 ZPO durch die Partei kann allerdings nicht erzwungen werden, ebensowenig die nach § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO angeordnete. Dem Gericht steht aber ein indirektes Zwangsmittel dadurch zur Verfügung, daß die Nichtvorlegung von ihm nach § 286 ZPO frei zu würdigen ist18 • Wenn jemand eine in seinem Besitz befindliche Urkunde nicht vorlegt, ohne dies durch einsehbare Gründe entschuldigen zu können, so wird das darauf zurückzuführen sein, daß ihm die Urkunde nachteilig ist. Dieser Gedanke liegt nahe. Auch die Partei weiß oder muß wissen, daß das Gericht solche Überlegungen anstellen wird. Das Gericht kann und wird sich auch an der Vorschrift des § 427 ZPO orientieren. Diese drückt den allgemeinen Grundsatz aus, daß die Beweisführung dem Gegner nicht arglistig erschwert werden darf19 • Eine solche Erschwerung stellt es aber dar, wenn eine Partei ein nur für sie verfügbares Beweismittel, das dem Gegner günstig wäre, zurückhält. Das Gericht kann dann entsprechend § 427 ZPO entweder eine von dem Prozeßgegner beigebrachte Abschrift der Urkunde für richtig ansehen oder die Behauptungen des Beweisführers über die Beschaffenheit und den Inhalt der fraglichen Urkunde als bewiesen ansehen. b) Die amtswegige Anordnung der Aktenvor~egung, § 143 ZPO

Die Vorschrift, die dem früheren § 128 ZPO entspricht20 , bezieht sich nur auf Akten in Händen einer Partei. Die Vorlegung von Akten irgendwelcher Behörden regelt sich nach den §§ 273 Abs. 2 Nr. 2, 432 ZPO. Voraussetzung der Vorlegungsanordnung nach § 143 ZPO ist, daß die Akten aus Schriftstücken bestehen, die Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits betreffen. § 143 ZPO zwingt aber eine Partei nicht dazu, ihre Privatgeheimnisse zu offenbaren, etwa Vorkorrespondenz offenzulegen21 • Dazu ist sie allenfalls verpflichtet, wenn sie Kostenerstattungsansprüche darauf gründen will. Auch hier kann bei Nichtvorlage nur eine freie Würdigung dieses Verhaltens erfolgen (§ 286 ZPO). Eine Bezugnahme - wie beispielsweise nach § 137 Abs. 3 ZPO- erfordert diese Anordnung nicht22 • Die ts Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. III zu § 272 b. Dieselben Anm. II zu § 142; Zöller Anm. zu § 427. 20 Materialien S. 19. 21 Stein I Jonas I Pohle Anm. 1 zu § 143. 22 ZöHer Anm. zu § 143. 19

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes .

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Existenz des § 143 ZPO ist nur so zu verstehen, daß er früher den § 142 ZPO erweiterte, als dieser noch eine Bezugnahme auf die vorzulegenden Urkunden forderte, was bei § 143 ZPO von Anfang an nicht der Fall war23 • Heute ist dieses Verständnis des § 142 ZPO ja überholt, so daß § 143 ZPO nun nurmehr ein -überflüssigerweise - gesetzlich besonders genannter Unterfall des § 142 ZPO ist. Das heißt dann auch, daß er im gleichen Umfang eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes darstellt wie dieser.

2. Die amtswegige Anordnung eines Augensrheins und eines Sachverständigengutachtens, § 144 ZPO

a) Die Anordnung eines Augenscheins Die Einnahme eines Augenscheins - deutschrechtlich die sog. "leibliche Beweisung" bedeutet, daß sich das Gericht im Wege unmittelbarer Sinneswahrnehmung ein Urteil über die Wahrheit einer tatsächlichen Parteibehauptung beschafft1 • Diese Wahrnehmung kann über alle Sinne geschehen, z. B. über Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl. Insofern ist also der Name Augenschein nur andeutend. Beispiele für Augenscheinseinnahmen sind etwa die Feststellung von Imissionen (Verkehrslärm, Geruchsbelästigung), die Besichtigung einer Unfallstelle u. a. Auch das Abspielen von Tonträgern (Schallplatten, Tonbänder, Cassetten) ist nach herrschender Meinung Augenschein2• Das Gericht informiert sich also im Wege der unmittelbaren Sinneswahrnehmung über körperliche Eigenschaften, bzw. Zustände von Personen und Sachen oder über Äußerungen, die in einer Schallaufnahme festgehalten sind3 • Die Augenscheinsgegenstände sind dabei Beweismittel, die Einnahme des Augenscheins ist Beweisaufnahme4 • Durch § 144 ZPO erhält das Gericht die Befugnis, eine Augenscheinseinnahme von Amts wegen anzuordnen. Im vorbereitenden Prozeßstadium ergibt sich diese Befugnis aus§ 358 a Nr. 5 ZPO. Das Recht des Gerichts, einen Augenschein von Amts wegen anzuordnen, hat eine lange Tradition. Wir kennen es im römischen Recht5 und aus dem kanonischen Prozeß6 • Auch beim Verfahren nach der Kammergerichtsordnung in ihrer letzten gesetzlichen Fassung von 1555 und dem 23

1

Wieczorek Anm. A zu § 143. Stein I Jonas I Schumann I Leipold

I 1 vor § 371.

2

Dieselben II 3 vor § 371.

4

Stein I Jonas I Schumann I Leipold I 1

a Rosenberg I Schwab § 121 I.

s Wefeld S. 6 unten, S. 8 und S. 11. u Ders. S. 19.

vor § 371.

2. § 144 ZPO

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Jüngsten Reichsabschied von 1654 war die Zulassung der amtswegigen gerichtlichen Augenscheinseinnahme anerkannt7. Die Prozeßrechtstheoretiker des gemeinen Prozesses ließen sie überwiegend zu8• Auch in den Partikulargesetzgebungen war die Augenscheinseinnahme von Amts wegen möglich, wie z. B. aus Cap. XII § 3 des Codex Iuris Bavarici Iudiciarii von 1753 hervorgeht. Man sieht also, daß die Möglichkeit, von Amts wegen eine Augenscheinseinnahme anzuordnen, ein von jeher geschätztes Mittel zur Sachverhaltsaufklärung war. Man benutzte es allerdings, ohne es dogmatisch irgendwie rechtfertigen zu wollen. Offenbar hielt man es wegen seiner überzeugenden Beweiskraft für unentbehrlich. Heute ist das Gericht bei der Anordnung einer Augenscheinseinnahme von Amts wegen nicht gezwungen, den Beweisantritt einer Partei abzuwarten. Allerdings besteht auch keine Verpflichtung des Gerichts, von seiner Befugnis wirklich Gebrauch zu machen9 • Das Gericht handelt insoweit nach freiem, nicht nachprüfbarem Ermessen10• Dem entspricht es, daß die Nichtanordnung der Einnahme eines Augenscheins keine Revision begründen kann. Dies wurde sogar für den Fall entschieden, daß eine Partei eine Augenscheinseinnahme angeregt hatte. Allerdings sollte diese im gegebenen Fall ohne Angabe des AugenScheinsobjekts oder der zu beweisenden Tatsache nur bezwecken, dem Gericht einen allgemein unterrichtenden Überblick über die örtlichen Verhältnisse zu geben11 • Das Gericht kann auch vorhandene Protokolle aus anderen Akten über stattgehabte Augenscheinseinnahmen verwerten. Jedoch müssen diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden. Schließlich darf Urteilsgrundlage nur werden, wozu die Parteien Gelegenheit hatten, Stellung zu nehmen. Das verlangt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Wenn Augenscheinsobjekte nicht beigebracht werden, so hat das Gericht keinerlei direkte Zwangsmittel zur Hand. Allerdings kann es, sofern sich die Augenscheinsobjekte in den Händen oder im Verfügungsbereich einer Partei befinden, dadurch indirekten Zwang ausüben, daß es die Weigerung, die Augenscheinsobjekte zugänglich zu machen oder vorzulegen nach § 286 ZPO frei würdigt. Das heißt, in diesem Fall darf das Gericht zuungunsten der den Augenschein vereitelnden Partei seine Schlüsse ziehen. Insofern ist die Rechtslage dieselbe wie in den Fällen der §§ 142, 143 ZPO. Die Frage nach den zu ziehenden Konse7 Ders. S. 39. a Ders. S. 40 ff.

o BGHZ 5, 302 ff. (307). Thomas I Putzo Anm. zu § 144. 11 Im Fall RGZ 170, 264.

10

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

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quenzen stellt sich aber dann erneut, wenn sich die Augenscheinsobjekte in der Hand eines nicht zur Herausgabe bereiten Dritten befinden. Dann kann ja der Partei wegen der Nichtherausgabe kein Vorwurf gemacht werden. Anders ist es wiederum, wenn sie einen Rechtsanspruch gegen den Dritten auf Vorlegung hat und ihn nicht geltend macht, obwohl ihr dies zurnutbar ist. Wenn diese zuletzt genannten Umstände aber nicht vorliegen, wird das Gericht seine Überzeugung so zu bilden haben, als existierte das Augenscheinsobjekt gar nicht. Wenn aber der Dritte mit einer Partei zusammenwirkt oder ihr besonders nahesteht, kann wieder eine Berücksichtigung aller dieser Umstände im Wege der freien Beweiswürdigung, möglicherweise zuungunsten der dem Dritten nahestehenden Partei erfolgen12• Ein Augenscheinsgehilfe tritt dann auf, wenn die Augenscheinseinnahme dem Richter nicht möglich ist, oder ihre Vornahme durch ihn nicht tunlieh ist. Man denke etwa an den Fall, daß bestimmte Merkmale eines gesunkenen Schiffes festgestellt werden sollen. Dann wird hierzu ein Taucher als Augenscheinsgehilfe eingesetzt werden. Ein weiteres Beispiel ist das, daß bestimmte körperliche Merkmale einer Frau festgestellt werden sollen. Dies wird durch einen Arzt erfolgen. Der Augenscheinsgehilfe ist nicht notwendig ein Sachverständiger, obwohl er es häufig gleichzeitig sein wird, so in unserem zweiten Beispiel, wo die Augenscheinseinnahme häufig mit einer Untersuchung verbunden sein wird, die nur ein Arzt vornehmen kann. Stets nimmt der Augenscheinsgehilfe in ersetzbarer Weise an Stelle des Gerichts den gegenwärtigen Zustand einer Person oder Sache wahr. Einer besonderen Sachkunde bedarf er dabei nicht immer13, wie wir bereits gesehen haben. Ein Vertreter des Richters ist der Augenscheinsgehilfe jedoch nicht14 • Das kann er ja auch schon deshalb nicht sein, weil dies gegen das Verbot verstieße, jemanden seinem gesetzlichen Richter zu entziehen, Art. 103 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 86 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Verfassung. Es gibt keine gesetzliche Regelung über den Augenscheinsgehilfen. Daher sind die Regeln über die Augenscheinseinnahme auch auf ihn zu erstrecken. Da seine Eindrücke dem Gericht zur Kenntnis gebracht werden müssen, muß der Augenscheinsgehilfe vernommen werden wie ein Zeuge. Gleichwohl ist er aber keiner, sonst würde ja auch seine Vernehmung einen Beweisantritt einer Partei voraussetzen. 12 13

14

Stein I Jonas I Schumann I Leipold V 3 c vor § 371. Ros'enberg I Schwab § 121 IV; Schmidhäuser ZZP 72, 365 ff. {402). RG in JW 1937, S. 3325 zu 2.

2. § 144 ZPO

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Bei der amtswegigen Anordnung eines Augenscheins erfolgt eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes im selben Maße wie in den Fällen der§§ 142, 143 ZPO. So wird auch hier lediglich der Beweisantritt einer Partei entbehrlich. Neue Tatsachen darf das Gericht aufgrund dieser Vorschrift nicht von sich aus in den Prozeß einführen. Die Anordnung einer Augenscheinseinnahme von Amts wegen kann nach h. M. nicht erfolgen, ohne daß zuvor eine Behauptung einer der Parteien aufgestellt wurde, die der Erhärtung durch den Augenschein bedarf. Brüggemann spricht zutreffend davon, daß dem Richter auch hier keineswegs "freies Recherchieren" gestattet sei1 5 • Die gegenteilige Ansicht, die eine Behauptungspflicht der Parteien hier verneint16, findet im Gesetz, insbesondere im Wortlaut des § 144 ZPO keine Stütze. Sie ist auch vereinzelt geblieben und bereits bei ihrem erstmaligen Vorbringen lediglich damit begründet worden, § 144 ZPO stelle eine Ausnahme von der Regel dar und enthalte daher eine Einschränkung des Beibringungsgrundsatzes. Dabei wurden aber die verschiedenen Seiten des Beibringungsgrundsatzes überhaupt nicht gesehen. Daher prüfte man auch nicht, ob sich die Ausnahme denn auch auf alle oder etwa nur auf bestimmte Aspekte dieses Grundsatzes erstreckt. Man glaubte so unbesehen, es liege eine totale Ausnahme vor. Lediglich in einem Fall können über die Anordnung eines Augenscheins durch das Gericht Tatsachen in den Prozeß eingeführt werden. Das ist dann der Fall, wenn durch den Augenschein sich Tatsachen ergeben, die eine Ergänzung lückenhaften Vorbringens darstellen. Diese führt das Gericht dann gestützt auf § 139 ZPO in den Prozeß ein. In der Zeit der Einführung der ZPO bezeichnete man den damaligen § 135 CPO allerdings als "erhebliche Beimischung von Offizialcharakter"17 oder als "Einschränkung der Verhandlungsmaxime" 18. Das hatte zur Folge, daß die heutigen Einschränkungen der Möglichkeiten amtswegiger Beweisaufnahme damals nicht so stark betont wurden. So konnte der Richter mit Hilfe einer amtswegigen Augenscheinseinnahme schlechthin von sich aus bestrittene Sachverhaltsfragen aufklären19 . Auch die amtlich angeordnete Sachverständigenbegutachtung konnte die Ermittlung bisher noch nicht festgestellter Tatsachen zum Ziele haben20 • Allerdings regte sich damals bereits die Kritik an dieser gesetzlichen Regelung. Diese Kritik maß die gesetzliche Regelung ihrerseits wieder 15

S. 355 unten.

t9

Schneider S. 146 ff. Gaupp I Stein § 144 Anm.

16 Riedel in NJW 1956, S. 7 ff. 17 Endemann 1. Bd., S. 480 f. 18 Gaupp I Stein § 144 Anm. 20

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an der Verhandlungsmaxime, die man schon als das eigentlich den Zivilprozeß beherrschende Prinzip ansah. So gab es eine Ansicht, die die Möglichkeit der richterlich angeordneten Augenscheinseinnahme auf die Möglichkeit der Einnahme eines bloßen "Informationsaugenscheins" reduzierte21 • Andere wieder, so z. B. Wach tadelten die Ausübung dieser Befugnisse als ein "Verfälschen des Civilprozesses mit inquisitorischen Elementen"2!. Heute wird anerkannt, daß § 144 ZPO eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes darstellt23 , allerdings nur in dem oben geschilderten Ausmaß. Eine von Prozeßmaximen und hier besonders vom Beibringungsgrundsatz ausgehende Lehre mußte versuchen, dessen Durchbrechungen irgendwie zu rechtfertigen. So ist auch die Rechtfertigung der Möglichkeit amtswegiger ,Augenscheinseinnahme zwar immer wieder, jedoch nicht überzeugend versucht worden. Bereits in der Begründung der ZPO wird argumentiert, Augenschein und Sachverständigeneinvernahme gehörten zu den richterlichen Amtspflichten bei der Aufklärung des Sachverhalts, denn es gehöre zu den Obliegenheiten des Richters, sich die für eine Entscheidung notwendigen Grundlagen zu verschaffen24 • Diese Argumentation vermag allerdings die Sonderstellung der Augenscheinseinnahme und des Sachverständigengutachtens nicht überzeugend zu begründen. Denn wenn es stets die Obliegenheit des Richters wäre, sich die für eine Entscheidung notwendigen Grundlagen zu verschaffen, so müßte er gegebenenfalls alle Beweise von Amts wegen heranziehen können. Das aber wollte man damit nicht ausdrücken. Heusler meint, die Einnahme des Augenscheins sei kein Akt der Beweisaufnahme25. Dem Richter werde schließlich der Beweis nicht durch einen Beiweisführer vermittelt. Diese Argumentation stellt aber einen Zirkelschluß dar. Immerhin wird dem Richter jedenfalls Beweis vermittelt. Es ist soweit ersichtlich für den Begriff der Beweisaufnahme aber noch nie die Vermittlung durch einen Beweisführer gefordert worden. Für eine solchermaßen einschränkende Definition besteht auch kein Bedürfnis. Vielmehr ist Akt der Beweisaufnahme jede Tätigkeit des Gerichts oder der Parteien, die darauf abzielt, dem Gericht die

Der Ausdruck stammt von SchneiderS. 146 ff. Vorträge S. 57. 2s Zö!ter Anm. 1 zu § 144; Stein I Jonas I Pohle Anm. II zu § 144; Thomas I Putzo Anm. zu § 144; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 zu 21 22

§ 144; Schönke I Kuchinke § 8 I 3 c u. a. 24 Begründung S. 1134. 25 AcP 62, S. 257.

2. § 144 ZPO

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Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung zu verschaffen26 • Wer anders definiert und einen Beweis nur bei solcher Tätigkeit eines Beweisführers annehmen will, der kann allerdings dann ganz zwanglos vertreten, daß die Möglichkeit amtswegiger Augenscheinseinnahme keine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz darstellt. Aber auch er wird Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes feststellen müssen, z. B. bei dem Beweis durch Parteivernehmung auf Anordnung des Gerichts, § 448 ZPO. Die vielen Ausnahmen vom Beibringungsgrundsatz lassen sich eben sinnvoll nur bewältigen, wenn man sie ganz ungezwungen als Folgen von Zweckmäßigkeitserwägungen begreift. Auch Brüggemann sieht allerdings den Grund für die bei der Augenscheinseinnahme mögliche amtswegige Anordnung in der besonderen Art des Beweismittels27 • Es gehe auf die unmittelbare Aneignung des Streitstoffes mit den Sinnen des Richters und sei daher ebenso seines Amtes wie die gedankliche Wahrnehmung durch Studium des Parteivortrags. Dieses Argument für sich genommen überzeugt aber auch nicht. Denn schließlich läuft es auf dasselbe hinaus wie die Meinung Heuslers. Letzten Endes muß ja der Richter alles selbst aufnehmen, damit er es als Urteilsgrundlage verwerten kann. Nur nimmt er es hier ohne Zwischenschaltung einer anderen Person auf. Selbst das ist aber nur die Regel. In der Person des bereits erwähnten Augenscheinsgehilfen gibt es auch davon eine Ausnahme. Bomsdorf hat die Ansichten der gemeinrechtlichen Zivilprozessualisten über den Augenschein überprüft28. Dabei hat er festgestellt, daß diesen die Möglichkeit der Einnahme eines Augenscheins von Amts wegen bereits so selbstverständlich war, daß sie sie nicht mehr besonders begründeten. Allerdings hielten sie wohl die amtswegige Augenscheinseinnahme für ein Mittel der Tatsachenermittlung von Amts wegen29 • Das heißt, damals bestand noch nicht einmal das Verbot, über den amtlich angeordneten Augenschein etwa neue Tatsachen in den Prozeß einzuführen. Diese Beschränkung ist erst später im Laufe der immer mehr sich verfestigenden theoretischen Geltung des Beibringungsgrundsatzes aufgetaucht. Von ihr gibt es nur die eine Ausnahme, die wir oben dargestellt haben, den Fall nämlich, daß über eine amtswegig angeordnete Augenscheinseinnahme Tatsachen bekannt werden, die eine Ergänzung lückenhaften Vorbringens darstellen und vom Gericht dann über § 139 ZPO in den Prozeß eingeführt werden. Wir haben bereits gesehen, daß dieser Fall 26 Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 282; Lent I Jauernig § 49 I; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Einf. 1 vor §§ 282 - 294. 27 s. 356. 28 s. 58 f. 20 Bornsdorf S. 59 mNw.

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auch bei der amtswegigen Urkundenvorlegung vorkommen kann. Es ist sogar so, daß dieser Fall schlechthin bei jeder amtswegig angeordneten Beweisaufnahme auftreten kann. Er ist immer im erörterten Sinne zu behandeln. Das heißt, in allen diesen Fällen kann eine Tatsacheneinführung durch das Gericht gestützt auf § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO erfolgen. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Warum gerade der Augenschein von Amts wegen angeordnet werden kann, läßt sich nicht überzeugend begründen, es sei denn, man stellte rein auf Zweckmäßigkeitserwägungen ab. Davor allerdings haben manche Zivilprozessualisten bislang Scheu. Diese Scheu ist aber unangebracht. Gerade Verfahrensrecht ist sehr stark von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten beherrscht. Keinen anderen als Zweckmäßigkeitserwägungen entspringt doch auch die so häufige Berufung auf die Prozeßökonomie, die vor allem in der Rechtsprechung oft zur Begründung bestimmter prozessualer Verfahrensweisen herangezogen wird. So spricht das Bundesarbeitsgericht von der Prozeßökonomie als einem "tragenden Grundsatz des Prozeßrechts" 30 . Der BGH hat bereits 1951 für den speziellen Fall der möglichen eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts bei Sachdienlichkeit grundsätzlich ausgeführt: " ... läßt die neu eingeführte Bestimmung des § 540 ZPO erkennen, daß nach der Auffassung des Gesetzgebers gegenüber den entscheidenden Gesichtspunkten der Prozeßwirtschaftlichkeit und der Vermeidung jeglicher Prozeßverschleppung für die besondere Berücksichtigung eines etwaigen Interesses einer Partei an den zwei Tatsacheninstanzen kein Raum ist31 ." Auch die Literatur hat sich erst in jüngster Zeit verstärkt mit der Prozeßökonomie befaßt32 . Die Prozeßökonomie dient beispielsweise auch zur Begründung der Zulässigkeit einer Klageänderung33 . Auf Erwägungen der Prozeßwirtschaftlichkeit beruhen letztlich auch die Institute der objektiven Klagehäufung34, der Streitgenossenschaft35, sowie der Streitverkündung u. a. 36 . 30 MDR 1962, S. 165. 31 BGHZ 1, 73. 32 Nähere Ausführungen zur Prozeßökonomie machen von Mettenheim "Der Grundsatz der Prozeßökonomie im Zivilprozeß", Berlin 1970, Hütten "Die Prozeßökonomie als rechtserheblicher Entscheidungsgesichtspunkt", Würzburger Dissertation 1975, sowie Schmidt "Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie", Tübingen 1973. Letzterer spricht sogar vom Grundsatz der Prozeßökonomie als einer "Maxime der Praxis" (S. 7). 33 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 4 B zu § 264. 34

Ksoll S. 89.

Ders. S. 116. Die Pflicht der Prozeßbeteiligten zu einem prozeßökonomischen Verhalten ganz allgemein wird betont von Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Einl. 111 3 A und Grundz. 2 vor § 128. 35

36

2. § 144 ZPO

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Schließlich stellte der Gesetzgeber bei der Zuweisung sog. privatrechtlicher Streitsachen an die Freiwillige Gerichtsbarkeit auch vorwiegend auf Zweckmäßigkeitserwägungen ab37 •

b) Die von Amts wegen angeordnete Begutachtung durch Sachverständige,§ 144 Abs. 1 ZPO Sehr häufig setzt die Beurteilung eines Lebenssachverhaltes ein bestimmtes Spezialwissen voraus. Man denke nur an die Beurteilung einer Bilanz in Verbindung mit der Gewinn- und Verlustrechnung beim Streit beispielsweise um die Gewinnverteilung in einer Handelsgesellschaft oder an die Feststellung der Fehlerursache einer technischen Einrichtung in einem Schadensersatzprozeß. Der Richter verfügt naturgemäß nicht immer über die hierzu nötigen besonderen Fachkenntnisse. Er kann sich aber auch in solchen Fällen der Entscheidung des Falles nicht entziehen. Der Richter darf seinen Rechtsspruch nicht verweigern. Eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen, weil der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden konnte, ist zwar möglich, setzt aber das restlose vorherige Ausschöpfen aller Erkenntnisquellen voraus und hinterläßt selbst dann oft ein unbefriedigendes Gefühl38 • Um die fehlende besondere Sachkunde des Richters zu ersetzen, gibt es daher in allen modernen Prozeßordnungen den Sachverständigenbeweis. Aufgabe eines Sachverständigen ist es, die Kenntnis von Erfahrungssätzen zu vermitteln, mit Hilfe solcher Erfahrungssätze aus einem Sachverhalt Schlußfolgerungen zu ziehen oder bestimmte Tatsachen festzustellen, die nur bei entsprechender Sachkenntnis feststellbar sind, bzw. diese Tatsachen aufgrund von ihm bekannten Erfahrungssätzen seines Wissensgebietes zu beurteilen39• Gegenstand der Aussage des Sachverständigen, die er wie ein Zeuge macht, ist nicht, ob sich eine von einer Partei behauptete Tatsache ereignet hat oder wie sie sich ereignet hat. So wäre es bei einem Zeugen. Wohl aber kann Gegenstand der Aussage eines Sachverständigen sein, ob sich eine Tatsache so, wie sie von einer Partei behauptet wird, überhaupt abgespielt haben kann oder nicht. Immer wird seine Einschaltung erforderlich, weil der Richter, bzw. die Richter bei einem Kollegium, nicht selbst über das nötige fachliche Wissen oder die fachlichen Fertigkeiten verfügen. Ist dies hingegen der Fall, so unterbleibt die Zuziehung eines Sachverständigen. Bei Kollegialgerichten wird man es mit dem BGH für ausreichend halten müssen, wenn eines der Mitglieder die erforderliche besondere Sachkunde 37

38 3D

Habscheid § 4 li 4. Kerameus S. 1 f. Rosenberg I Schwab § 124 I; Jessnitzer S. 21.

6 Zettel

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besitzt40 • Die Gegenansicht dazu vertritt Pieper. Er fordert, daß mindestens die Mehrheit des Kollegiums über die erforderliche besondere Sachkunde verfügen muß, wenn die Zuziehung eines Sachverständigen unterbleiben soll41 • Dabei läßt er wohl außer Acht, daß ja das sachkundige Gerichtsmitglied seine Sachkenntnis den anderen Mitgliedern des Kollegiums vermitteln kann. Das kann diese ebenso gut in die Lage versetzen, den Sachverhalt zu beurteilen, wie eine Sachverständigenaussage. Das Gericht muß allerdings die Parteien über diese Situation informieren42 . Das ist erforderlich, damit sich die Parteien darüber klar werden können, ob sie sich damit zufrieden geben, oder ob sie die Zuziehung eines Sachverständigen weiterhin für nötig halten. Unterbleibt die Zuziehung eines Sachverständigen wegen eigener Sachkunde eines Richters, so muß letztere im Urteil in den Gründen ausgeführt werden, um die Entscheidung des Gerichts auch in diesem Punkt überprüfbar zu machen43 • Nach den bisherigen Ausführungen zur Stellung und Funktion des Sachverständigen im Zivilprozeß ist es nur konsequent, daß der Richter bei genügender eigener Sachkunde nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag der Parteien nach § 403 ZPO zu entsprechen44. Die Zuziehung von Sachverständigen steht demnach im Ermessen des Gerichts. Während das Berufungsgericht dieses Ermessen selbst ausüben kann, ist das Revisionsgericht auf die Nachprüfung der Frage beschränkt, ob die Grenzen des richterlichen Ermessens eingehalten wurden4s. Die Funktion des Sachverständigen kann man damit beschreiben, daß man ihn als Richtergehilfen bezeichnet46 . Das würde auch erklären, warum der Sachverständige aus denselben Gründen wie ein Richter abgelehnt werden kann, § 406 ZPO. B1·emer weist allerdings darauf hin, daß der Ausdruck Richtergehilfe zu Mißdeutungen Anlaß geben kann47 • Er darf einen nicht glauben machen, der Sachverständige sei etwa neben dem Richter ebenfalls mit einem - wenn auch geringeren Teil - richterlicher Verantwortung belastet. Der Sachverständige hat ja vielmehr nach der Systematik unserer Zivilprozeßordnung nur den Rang eines Beweismittels unter anderen~8 • Daß die Tätigkeit des Sachverständigen faktisch ein hohes Maß an Verantwortung mit sich MDR 1961, 784. ZZP 84, 17 f. 42 BGH in JZ 1968, 670. 43 BGH VersR 1958, 545; KG VRS 11, 27. 44 Rosenberg I Schwab § 124 I 2 b; Stein I Jonas I Schumann I Leipold III 2 vor § 402. 46 Ders. III 3 vor § 402. 46 Rosenberg I Schwab § 124 I ; RGSt 57, 158; BGHSt 9, 292. 47 s. 21. 48 Ders. S. 21. 40 41

2. § 144 ZPO

83

bringt, soll damit nicht geleugnet werden. Nur ist es nicht so, daß dadurch die Verantwortung des Richters geringer würde. Der Richter kann seine Verantwortung eben nicht auf einen Sachverständigen abwälzen. Nicht übersehen werden darf, daß die Bezeichnung des Sachverständigen als Richtergehilfen recht verstanden den Vorzug hat, schon rein sprachlich aus sich heraus zu erklären, warum die Zuziehung eines Sachverständigen von Amts wegen angeordnet werden kann. Schließlich muß der Richter am ehesten wissen, wann er einen Gehilfen benötigt und wann nicht49 • Der Ausdruck Richtergehilfe schließt außerdem nicht aus, den Sachverständigen als Beweismittel zu betrachten50 • Seine Sonderstellung hinsichtlich der Anordnung der Beweisaufnahme von Amts wegen rechtfertigt sich auch dann damit, daß er eben eine Tätigkeit verrichtet, die bei genügender eigener Sachkunde auch der Richter selbst leisten kann51 • Wir wollen uns so entscheiden, daß wir ohne die im Grunde rein terminologische Frage überzubewerten, den Ausdruck Richtergehilfe weiter verwenden. Er erscheint uns immer noch am aussagekräftigsten, und die Gefahr seiner Mißdeutung dürfte nicht das Gewicht haben, das ihr Bremer beimißt. Bei dem, was der Sachverständige vermitteln soll, handelt es sich um Wissen oder um die Anwendung von Fähigkeiten, das bzw. die auch andere Personen bei entsprechener Aus- und Weiterbildung besitzen können und in der Regel auch besitzen. Praktisch mag gleichwohl die Zahl der auf bestimmten hochspezialisierten und -komplizierten wissenschaftlichen Teilbereichen als Sachverständige in Frage kommenden Personen sehr gering sein, ja manchmal bis auf eine Person zusammenschrumpfen. Das ändert nichts an der Richtigkeit der grundsätzlichen Feststellung: Der Sachverständige ist von seiner Funktion her austauschbar52 • Schließlich wäre es dem Gericht ja auch nicht verwehrt, sich die erforderliche Sachkunde im Laufe des Prozesses selbst, etwa durch Lektüre anzueignen53 • Zusammenfassend kann man sagen: Der Sachverständige ist ein austauschbarer Richtergehilfe. Es ist dann nur logisch, daß er auch vom Gericht bestellt werden kann, ohne daß die Parteien gefragt werden müssen, § 404 Abs. 1 ZPO. Voraussetzung der amtswegigen Zuziehung ist nur, daß das Gericht seine eigene Sachkunde nicht für ausreichend hält54 • Ferner liegt es ebenfalls nahe, es zuzulassen, daß Gutachten 49

5o

Kerameus S. 4. Rosenberg I Schwab nennen den Sachverständigen z. B. Richtergehilfen

(§ 124 I) und Beweismittel (§ 124 111 2). st Rosenberg I Schwab § 52

ss Müller S. 35. Bremer S. 117.

M

6'

124 111 2.

Schmidhäuser ZZP 72, S. 387 ff.; Lent S. 27 ff.

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

84

aus anderen Verfahren beigezogen werden, sofern sie nur als Gutachten im bereits erwähnten Sinne dienen sollen55 • Ihre Verwertung erfolgt dann im Wege des Urkundenbeweises. Sie ist sogar gegen den Willen der Parteien zulässig. Nur dann können die Parteien dem Gericht einen Gutachter aufzwingen, wenn sie einverständlich die Benennung eines bestimmten Sachverständigen verlangen und zwar schon vor Erlaß eines Beweisbeschlusses56• Jedoch ist es auch in diesem Fall dem Gericht nicht verwehrt, einen weiteren (Obergutachter) oder weitere Gutachter zu hören, wenn es dies für nötig hält, § 412 ZPO. Nötig wird das vor allem bei erkennbaren Mängeln bereits vorhandener Gutachten sein57• Aus der Stellung des Sachverständigen als eines Richtergehilfen, der dem Gericht die fehlende Sachkenntnis ersetzt; kann auch eine Pflicht des Gerichts resultieren, einen solchen zu bestellen. Diese Pflicht hat es jedenfalls immer dann, wenn es ihm an eigener Sachkunde mangelt, und es nicht ersichtlich ist, daß die Parteien den Mangel selbst beseitigen können. Letzteres wäre etwa der Fall, wenn die Parteien von sich aus keinen Gutachter- sog. Parteigutachter- benennen können. Nach alldem war es die logische Konsequenz, so zu entscheiden, wie es das Reichsgericht tat58 : Hat das Gericht die Zuziehung eines Sachverständigen angeordnet oder ist dessen Zuziehung auch ohne den Beweisantritt du;t"ch eine Partei nötig, so dad seine Vernehmung nicht von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig gemacht werden. Auch von anderen Gerichten und von verschiedenen Autoren wird es für richtig, zumindest aber für zweckmäßig gehalten, daß das Gericht dann, wenn es die Zuziehung und Vernehmung eines Sachverständigen nach § 144 ZPO angeordnet hat, keinen Auslagenvorschuß erhebt59 • Der BGH hat dies inzwischen ausdrücklich ausgesprochen60 • Pieper war dafür, auf die Anwendung des § 379 ZPO in seiner alten Fassung im Bereich des Sachverständigenbeweises ganz zu verzichten61 • Dabei berief er sich auf den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung62, der § 379 ZPO zu einer bloßen Kann-Vorschrift umgestalten wollte. Letzten Endes soll damit ein Scheitern der angemessenen Sachaufklärung an der Kostenangst der Parteien verhindert werden. Mittlerweile ist § 379 ZPO in dieser Weise umgestaltet, so daß der Befolgung dieses Vorschlages nichts mehr im Wege steht. RG in JW 1931, 1477 = SeuffArch 85, 119 und RG in HRR 1937, 868. Thomas I Putzo Anm. b zu§ 404; RG in DR 1942, 905 und JW 1937, 2226. 57 BGHZ 53, 258159. 58 RGZ 109, 66 ff. 59 OLG Harnburg HRR 1930, 6; Rosenberg I Schwab § 124 V; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. I zu § 402. eo FamRZ 1969, S. 477 f. mNw; zustimmend Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 379. 61 ZZP 84, 1 ff. (20). a2 Bundesrats-Drucksache 82170 S. 8. 55

56

3. § 448 ZPO

85

Im Fall der amtswegigen Anordnung eines Sachverständigenbeweises liegt wiederum eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes vor, insoweit als kein Beweisantritt einer Partei mehr erforderlich ist. Neue Tatsachen darf das Gericht aber auch hier nicht von sich aus in den Prozeß einführen. Werden anläßlich einer von Amts wegen angeordneten Sachverständigeneinvernahme neue Tatsachen bekannt, die eine Ergänzung lückenhaften Parteivortrags darstellen, so führt sie zwar das Gericht u. U. in den Prozeß ein. Die Rechtsgrundlage dafür ist dann aber § 139 ZPO und nicht § 144 ZPO. 3. Der Beweis durch Parteivernehmung auf Anordnung des Gerichts, § 448 ZPO Der Beweis durch Parteivernehmung wurde nach dem Entwurf von

1931 durch die Novelle vom 27. 10. 1933 in dieser Form eingeführt. Er

ersetzte den bis dahin bestehenden Parteieid1• Nachgebildet ist diese Beweismöglichkeit der Regelung der §§ 371 ff. der Österreichischen ZPO. Die Parteivernehmung ist ein vollwertiges Beweismittel. Es ist daher auch eidliche Vernehmung der Partei möglich, § 452 ZPO.

Unzulässig ist eine Parteivernehmung zum Beweis des Gegenteils einer bereits vom Gericht für erwiesen gehaltenen Tatsache, § 445 ZPO. Ein indirekter Gegenbeweis kann aber geführt werden. Der Beweis des Gegenteils einer widerlegliehen Vermutung ist hingegen Hauptbeweis2. Er muß die volle Überzeugung des Gerichts von der Unwahrheit der vermuteten Tatsache begründen. Er kann deshalb auch durch Parteivernehmung geführt werden, § 292 Satz 2 ZPO. Die Parteivernehmung auf Initiative der Parteien selbst wird selten vorkommen. Sie setzt ja voraus, daß eine Partei, die Vernehmung der beweisbelasteten Partei beantragt. Das bereits wird nur geschehen, wenn die beantragende Partei zugleich die beweisbelastete ist. Weiter ist aber erforderlich, daß die andere Partei dieser Vernehmung zustimmt, § 447 ZPO. Die Parteivernehmung genießt aber sowieso im Vergleich zu einer Zeugenaussage oder gar zu anderen Beweismitteln eine schwächere Glaubwürdigkeit. Schließlich ist die Partei selbst am stärksten am Ausgang des Prozesses interessiert. Ihr fehlt die Objektivität, die ein neutraler Zeuge hat. Selbst wenn sie gar nicht bewußt ihre Aussage falsch machen will, stellt eine Partei ein .Geschehen häufig so dar, daß die Darstellung im Vergleich zum objektiven Geschehen ein falsches Bild ergibt. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Partei alles in ihrem Sinne interpretiert, und diese Interpretation - oft unbewußt und. unDix § 8 (S. 34). Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. III 1 zu § 445 und Anm. II 2 zu§ 292. 1

2

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

86

beabsichtigt - in ihre Aussage einfließt. Aus all diesen Gründen wird die Parteivernehmung sowieso nur angeregt werden, wenn keine anderen Beweismittel mehr zur Verfügung stehen. Dann wird aber die Verweigerung der Zustimmung oft bedeuten, daß die Gegenpartei beweisfällig bleibt. Die Zustimmung wird also nicht oft gegeben werden. Das Gericht hat nun aber die Möglichkeit, ausnahmsweise auch von sich aus die Vernehmung einer Partei anzuordnen, § 448 ZPO. Diese Möglichkeit steht ihm aber erst nach Ausschöpfung etwaiger anderer Beweismittel zur Verfügung und nur dann, wenn es für die Richtigkeit einer Behauptung bereits gewisse Anhaltspunkte gibt. Es muß schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit einer Parteibehauptung bestehen3 • Ist dies nicht so, sondern steht eine Parteibehauptung völlig beweislos zur Debatte, darf amtswegige Parteivernehmung nicht angeordnet werden4• Die beweispfiichtige Partei muß sich vorher bemüht haben, den Sachverhalt auf andere Weise zu klären5 • Das Gericht soll also von sich aus Beweisführungen nicht völlig ersetzen, sondern lediglich ergänzen6. Glücklich verlangt, daß wenigstens bereits ein Teilergebnis hinsichtlich der streitigen Tatsache vorliegen muß7 • Er begründet dies überzeugend historisch mit der Entstehung des § 448 ZPO aus dem früheren § 475 ZPO. Daher sind die bei § 475 a. F. ZPO verlangten Voraussetzungen auch bei § 448 ZPO zu fordern8 • Er begründet es ferner zutreffend mit dem Verhältnis von § 447 ZPO zu § 448 ZPO. Wenn nämlich - so führt er aus9 - § 448 ZPO dem Gericht die Möglichkeit gäbe, ohne weitere Voraussetzungen jederzeit die Vernehmung einer Partei zu beschließen, wäre § 447 ZPO völlig überflüssig. Wenn sich das Gericht nach stattgehabter Beweisaufnahme, die noch kein abschließendes Urteil erlaubt, von der Vernehmung einer Partei einen Wert für die Urteilstindung verspricht, was Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 448 ZPO ist1°, kann es diese nun ohne Rücksicht auf die Beweislast vornehmen. Die Parteivernehmung ist stets durch Beweisbeschluß anzuordnen, § 450 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dabei bedarf es eines solchen auch bei Anwesenheit der zu vernehmenden BGH in JZ 1976, S. 214; BAG in AP Nr. 2 zu § 195 BGB. BGH in MDR 1965, 287; BGH in VersR 1969, 220 ; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 zu § 448. 5 OLG Harnburg MDR 1970, 58. 6 Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 448. 8

4

7

s. 137.

S.136. S. 141 mNw in Fußnote 18. 1o BGH in WM 68, 406; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. II 2 zu § 448. 8

9

3. § 448 ZPO

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Partei. Es wird also eine Ausnahme von dem Grundsatz gemacht, daß die Verwertung präsenter Beweismittel keines formellen Beweisbeschlusses bedarf, § 358 ZP0 11 • Bei Anwesenheit der zu vernehmenden Partei ist der formelle Beweisbeschluß zu protokollieren, bei Abwesenheit ist er ihr mit der Ladung von Amts wegen zuzustellen, § 450 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Die Parteivernehmung ist ein reines Beweismittel. Sie kann also nicht beispielsweise ein Geständnis enthalten12• Obwohl der Partei kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht13, gibt es keinen Aussage- oder Eideszwang. Das Gericht kann mithin die Parteivernehmung nicht erzwingen. Weigert sich die Partei, sich vernehmen zu lassen, über bestimmte Dinge auszusagen oder einen Eid zu leisten, dann liegt es lediglich in der Hand des Gerichts, daraus seine Schlüsse zu ziehen. Es entscheidet nach freier Würdigung der Beweisaufnahme und des Ergebnisses der Verhandlung,§§ 446, 453, 454 Abs. 1 ZPO. In aller Regel wird das Gericht dann zuungunsten der die Aussage oder die Eidesleistung verweigernden Partei schlußfolgern14 • Die Parteivernehmung nach § 619 Abs. 1 ZPO kann ebenfalls ein Fall der Parteivernehmung von Amts wegen sein, nur mit dem Unterschied, daß sie nicht subsidiär ist, wie die Parteivernehmung nach § 445 ff. ZPO. Auch hat das Gericht in diesem Fall gemäß § 619 Abs. 3 ZPO gegen nicht erschienene Parteien die Zwangsmittel wie gegen Zeugen, wobei es aber nicht auf Ordnungshaft erkennen darf. Brüggemann hat dargelegt, aus welchen Gründen eine Parteieinvernahme von Amts wegen möglich ist16• Begibt sich eine Partei vor Gericht, stellt dort Behauptungen auf und bietet Beweise an, so unterliegt sie immer der Wahrheitspflicht des § 138 ZPO. Darüber hinaus muß sie aber auch konsequent handeln. Der Grundsatz der Konsequenz ist ja ein allgemeiner, das ganze Rechtsleben durchziehender Grundsatz. Dieser Grundsatz der Folgerichtigkeit des Handeins (Wer A sagt, muß auch B sagen) besagt, daß man bereit sein muß, einen einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Das spätere Verhalten muß immer mit dem früheren vereinbar sein. Zutreffend führt Mitteis I Lieberich den Grundsatz der Konsequenz letztlich "auf die Treue zu sich selbst, den Kern der Persönlichkeit" zurück16 • Aus dem Grundsatz der Konsequenz folgert nun Brüggemann, eine der Wahrheit verpflichtete Partei, die Behauptungen aufstelle, müsse konsequenterweise auch stets bereit sein, diese durch ihre eigene Aussage zu bekräftigen bzw. sich Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 450. Anders in § 380 Abs. 1 der Österreichischen ZPO. ta Rosenberg I Schwab S. 656. u Thomas I Putzo Anm. zu § 446. 15 s. 359. 11

12

16

Kapitel 7 111 3.

88

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

über die Wahrheit oder Unwahrheit gegnerischer Behauptungen, zu denen sie sich ja erklären muß (§ 138 Abs. 2 ZPO), vernehmen zu lassen17• Wiederum wird durch die von Amts wegen erfolgende Parteivernehmung der Beibringungsgrundsatz insoweit durchbrochen, als das Gericht nicht mehr Beweisanträge einer Partei abwarten muß 18• Die Einführung neuer Tatsachen ist ihm über dieses Rechtsinstitut grundsätzlich verwehrt. Nur einen Ausnahmefall können wir auch hier feststellen. Es können anläßlich einer amtswegig angeordneten Parteivernehmung Tatsachen angesprochen werden, die bislang nicht vorgetragen wurden, aber eine Ergänzung lückenhaften Vorbringens darstellen. Man könnte daran denken, daß es hier einer Möglichkeit des Gerichts, Tatsachen von sich aus einzuführen, nicht bedürfe, da es doch gerade eine Partei ist, die hier die Tatsachen vorbringt. Im Amtsgerichtsprozeß mag das zutreffen. Im Verfahren vor dem Landgericht sind die Parteien jedoch nicht postulationsfähig (§ 78 ZPO). Wenn hier der jeweilige Anwalt diese Tatsachen nicht zum Gegenstand seines Vortrags macht, so sind sie - obwohl von der Partei geäußert, nicht von ihr vorgetragen. Auch hier hat dann das Gericht die Möglichkeit, solche Tatsachen gestützt auf § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO selbst in den Prozeß einzuführen. Es fragt sich nun noch, ob denn nun der Befugnis des Gerichts, von Amts wegen eine Partei zu vernehmen, auch gegebenenfalls eine Pflicht hierzu entspricht. Nach wohl herrschender Meinung steht das Anordnen einer Parteivernehmung von Amts wegen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts19 • Dies ist auch die Ansicht des BGH20• Allerdings ist damit noch nicht viel ausgesagt. Es kann jedoch wohl nicht bedeuten, daß es dem Gericht in dieser Frage völlig freigestellt ist, wie es sich entscheidet. Dies meint aber offenbar Wieczorek~:1 • Jedoch widerspräche eine solche Auffassung elementaren rechtsstaatliehen Prinzipien. Sie brächte auch die Gefahr der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Parteien vor Gericht. Sachgerechter erscheint es hier schon, eine Pflicht des Gerichts zur Anordnung amtswegiger Parteivernehmung immer dann anzunehmen, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen und nicht besondere Gründe bestehen, sich von vornherein von ihr keine Aufklärung zu versprechenft. Dem entspricht es auch, daß

s. 359. Baumbach I Lauterbach I Atbers I Hartmann Anm. 1 B zu § 448. 1e Stein I Jonas I Schumann I Leipotd Anm. li 3 zu § 448; Thomas I Putzo Anm. 2 zu § 448. 2o LM Nr. 2 zu § 448 ZPO; BGH in JZ 1976, S. 215. 21 Anm. B I zu § 448. 22 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 A zu § 448. 17

18

3. § 448 ZPO

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es ein revisibler Verfahrensfehler ist, nach anderweitiger Beweiserhebung eine Partei für beweisfähig zu erklären, ohne bei Vorliegen seiner Voraussetzungen von § 448 ZPO Gebrauch zu machent3 • Das Revisionsgericht kann dabei aber nur nachprüfen, ob der Tatrichter die Grenzen seines Ermessens verkannt oder einen rechtsfehlerhaften Gebrauch von seinem Ermessen gemacht hatt4 • Die Verpflichtung des Gerichts, gegebenenfalls von § 448 ZPO Gebrauch zu machen, betont auch Brüggemann, nach dessen Ansicht diese Pflicht des Gerichts aus dessen obersten Pflicht zur Wahrheitsermittlung resultiert%~>. Allerdings setzt er sich dabei gar nicht mit der Frage auseinander, ob es denn eine solche oberste Pflicht zur Wahrheitsermittlung in dieser Strenge überhaupt gibt. Gäbe es sie in dieser allgemeinen Form, wäre doch der ganze Beibringungsgrundsatz ein Widerspruch dazu. Überzeugender ist eine Begründung aus dem Gedanken der Konsequenz und der Pflicht staatlicher Organe, die Bürger gleich zu behandeln (Art. 3 GG). Das heißt, der Staat hat eine Rechtseinrichtung geschaffen. Nun verpflichtet seine Organe, die Gerichte in diesem Fall, der Gedanke der Konsequenz, davon auch Gebrauch zu machen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet ihn, siE~ allen betroffenen Bürgern gegenüber in gleicher Weise einzusetzen. Das kann aber nur so geschehen, daß immer, wenn die Voraussetzungen vorliegen, eine Pflicht zur Anwendung des § 448 ZPO durch die Gerichte bejaht wird. Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die, ob die Parteien durch einverständliche Erklärungen, sog. Beweisvereinbarungen, eine von Gesetzes wegen mögliche amtswegige Beweisaufnahme verhindern können. Soweit das Problem überhaupt angesprochen wird, wird dies von der herrschenden Lehre verneint26• Eingehender behandelt wird das Problem von Schlosser27• Er bezweifelt, daß es die Absicht des Gesetzgebers war, durch die Möglichkeiten amtswegiger Beweiserhebung die Dispositionsfreiheit der Parteien über die Beweismittel auszuschalten und beruft sich dabei auf Wach28• Es ist aber fraglich, was diese Vorschriften dann noch für einen Sinn haben sollen. Die Frage stellt sich in aller Schärfe, wenn eine beabsichtigte amtswegige Beweisaufnahme dem einvernehmlichen Parteiwillen widerspricht. Hier nun meint Schlosser könne das staatliche Interesse daran, gegen den gemeinsamen Parteiwillen zu handeln, nur entweder 2s Zöller Anm. 1 zu § 448 mit Nw aus der Rechtsprechung; BGH in JZ 1976, s. 215. 24 25

26 27 28

BGH in JZ 1976, S. 215.

s. 450.

Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. 3 zu § 448. s. 24 ff.

Vorträge S. 77 und 199 ff. Anm.

90

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

auf Gründen der Prozeßbeschleunigung oder der Ökonomie staatlichen Arbeitsaufwandes beruhen29 • Das erkennt er aber auch als überzeugende Gründe an und hält deshalb zwar grundsätzlich Beweisverträge, die bestimmte Beweismittel von vornherein ausscheiden, für zulässig. Jedoch gibt er dem Gericht dann trotzdem die Möglichkeit zur Amtsermittlung, wenn nämlich die Parteien durch ihre Beweisvereinbarung das Gericht zwingen würden, an Stelle eines schnell durchzuführenden und billigen Beweisverfahrens ein teuereres, länger dauerndes, u. U. komplizierteres vorzunehmen. Brüggemann lehnt es hingegen überhaupt ab, Beweisverträgen einen Einfluß auch auf die Möglichkeit amtswegiger Beweisaufnahme zu geben30• Er begründet seine Ansicht überzeugend damit, daß die Parteien untereinander nur sich selbst verpflichten können. Sie können vereinbaren, von bestimmten, ihnen an sich zustehenden Rechten, keinen Gebrauch machen zu wollen. Es ist aber nicht ersichtlich und in der Literatur bislang auch nicht versucht worden zu begründen, wie es ihnen rechtskonstruktiv überhaupt möglich sein sollte, das Gericht an der Ausübung eines seiner Rechte zu hindern. Diese Überlegung muß für alle Fälle der Möglichkeiten amtswegiger Beweisaufnahmen gelten. Das heißt, diese können die Parteien niemals verhindern31 • Die Parteivernehmung ist von der bloßen Parteibefragung wohl zu unterscheiden32• Letztere stützt sich auf § 141 Abs. 1 HS 1 ZPO. Diese Vorschrift bestimmt, daß das Gericht das persönliche Erscheinen beider Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts anordnen soll. Diese Vorschrift ist im Grunde so alt wie die ZPO. Damals regelte § 132 CPO dasselbe. Ursprünglich in dem Entwurf einer CPO war eine solche Vorschrift zwar nicht vorgesehen33• Jedoch die Reichsjustizkommission war auf Antrag mit Mehrheit bereit, eine solche Ermächtigung des Gerichts in die CPO aufzunehmen. Als Grund hierfür führte man an, daß man dem Richter die Möglichkeit geben müsse, Parteien selbst zu hören, um die Wahrheit zu ermitteln, sofern er es für nötig halte. In der Praxis könne es unter Umständen zur Wahrheitsermittlung nötig sein, daß die Parteien persönlich erscheinen. Dabei scheint man sich keine Bedenken, wegen des doch den Zivilprozeß - zumindest nach Ansicht der Rechtslehre - beherrschenden Beibringungsgrundsatzes gemacht zu haben. Es ist wiederum genauso, wie schon bei der Schaffung der Möglichkeit, von Amts wegen einen Augenschein anzuordnen. Die Schöpfer der CPO dachten vorwiegend praktisch. An dogmatischen Problemen zeigten sich dann erst wieder die Prozeß29 30 31

s. 25. s. 407.

So auch Rosenberg I Schwab § 113 VI 3.

a2 Jansen § 6 (S. 25).

aa Bornsdorf S. 248.

4. Prüfung von Amts wegen

91

rechtswissenschaftler interessiert. So beschränkte Planck die Möglichkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens unter dem Einfluß der Verhandlungsmaxime. Nach ihm durfte eine solche Anordnung nur erfolgen, um das näher aufzuklären, was die Partei bereits vorgebracht hatte34 • Das sieht auch Jansen als das allein mögliche Ziel einer informatorischen Parteibefragung an35• Jedoch ist eine solche Beschränkung der Vorschrift des § 141 Abs. 1 HS 1 ZPO nicht zu entnehmen. Sie wird auch von der Praxis nicht geübt. Ein Gegenargument gegen diese Beschränkung ergibt sich auch mittlerweile aus § 273 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Diese Vorschrift gibt dem Gericht die Möglichkeit, schon vor der mündlichen Verhandlung das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen. Diese Vorschrift ergänzt den§ 141 ZP036 • Sie enthält aber keinerlei Beschränkung der Befugnis des Gerichts.

Thomas I Putzo sehen die Möglichkeit der amtswegigen Anordnung des persönlichen Erscheinens als ein Mittel des Gerichts, seiner Pflicht aus § 139 ZPO nachzukommen37 • Dann ist die Anordnung nach § 141 Abs. 1 1. HS ZPO natürlich auch nur im Rahmen des § 139 ZPO zulässig38. Diese Ansicht wird allerdings von ihren Vertretern nicht näher begründet. Aus dem Gesetz ergibt sich nichts für sie. Auch aus der Systematik der ZPO kann sie nicht ohne weiteres gefolgert werden. Unstreitig ist, daß das Gericht seinen gesamten Eindruck von der Partei seiner Überzeugungsbildung zugrunde legen darf39 • Es kann daher wohl zu Recht davon gesprochen werden, daß hier unter Umständen die Partei zum Beweismittel wird40 • Ein Nichterscheinen der Partei trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens und ohne genügende Entschuldigung würdigt das Gericht frei nach § 286 ZPO. 4. Die sogenannte Prüfung von Amts wegen Was sie umfaßt, ist teilweise streitig. In der ZPO ist an verschiedenen Stellen von ihr die Rede, z. B. in § 139 Abs. 2 ZPO. Dort ist die Pflicht des Gerichts festgelegt, bei Bedenken auf die von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte im Rahmen des richterlichen Fragerechts hinzuweisen. § 335 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO bestimmt, daß ein Versäumnisurteil nicht ergehen darf, wenn ein von Amts wegen zu beachtender Umstand von der erschienenen Partei nicht nachgewiesen werden kann. 34

35

Lehrbuch I, S. 353. § 6 (S. 26) mNw.

36 Thomas I Putzo Anm. 2 zu § 272 b. a1 Anm. 1 zu § 141. ss Dieselben Anm. 2 zu § 141. 39 So schon Levin S. 131, ihm folgend Bornsdorf S. 249. 40 Ders. S. 249.

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

92

Im einzelnen findet eine Prüfung von Amts wegen in folgenden Fällen statt:§ 56 Abs. 1 ZPO sieht sie vor, bei Prüfung des Mangels der Parteifähigkeit, Prozeßfähigkeit, Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozeßführung. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend. Vielmehr findet nach h . M. eine Prüfung von Amts wegen wegen aller Prozeßvoraussetzungen statt!, z. B. auch wegen des rechtlichen Interesses2 oder wegen der Prozeßführungsbefugnis3. Diese Prüfung erfolgt in jeder Lage des Verfahrens, auch noch im Betragsverfahren, sofern es im Verfahren über den Anspruchsgrund versäumt wurde, darauf einzugehen4• Sie erfolgt sogar noch in der Revisionsinstanz5 • Wir haben bereits erwähnt, daß auf diese Weise sogar das Prozeßhindernis der Rechtskraft (res iudicata) als von Amts wegen zu berücksichtigende Tatsache in den Prozeß eingeführt wird6 • Lediglich das Vorliegen der sog. prozeßhindernden Einreden, das sind die in§ 274 Abs. 2 Nr. 3, 5 und 6 a. F. ZPO genannten, nämlich die Einrede, daß der Rechtsstreit durch Schiedsrichter zu entscheiden sei, die Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten, die Einrede, daß die zur Erneuerung des Rechtsstreits erforderliche Erstattung der Kosten des früheren Verfahrens noch nicht erfolgt sei, wird nicht von Amts wegen geprüft. Weiter aber von Amts wegen zu berücksichtigen ist der Mangel der Vollmacht, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt, § 88 Abs. 2 ZPO. Schließlich muß das Gericht auch von Amts wegen prüfen, ob ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden ist, § 341 Abs. 1 S. 1 ZPO. Dasselbe gilt bei Rechtsmitteln. § 519 b Abs. 1 S. 1 ZPO regelt das für die Berufung, § 554 a Abs. 1 S. 1 ZPO für die Revision. Auch bei der Beschwerde ist die Regelung so,§ 574 S.1 ZPO, ebenso bei der Wiederaufnahmeklage, § 589 Abs. 1 S. 1 ZPO. Grundsätzlich wird eine Prüfung von Amts wegen vorgenommen. weil ein öffentliches Interesse an der Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen besteht bzw. die Rechtspflege dieser Einhaltung bedarf. Die Folge dieses Grundsatzes ist, daß die echten prozeßhindernden Einreden nicht der Prüfung von Amts wegen unterliegen. Es unterliegen ihr weiterhin nicht solche Prozeßvoraussetzungen, deren Mangel die Parteien durch Vereinbarung etwa gemäß § 38 ZPO beheben können oder durch Einwilligung des Gegners, § 263 ZPO. Auch die Fälle t

Thomas I Putzo Anm. 1 zu §56; Rosenberg I Schwab § 97 V I Schumann I Leipold Anm. IV 6 zu § 256. Ders. Anm. II 1 vor § 50. Darauf weisen Rosenberg I Schwab § 97 V 2 hin. Zöller Anm. 1 a zu § 56. I. Kapitel, 7. am Ende.

2 Stein I Jonas

s 4 5

6

2.

4. Prüfung von Amts wegen

93

der Heilung durch rügelose Einlassung nach Maßgabe der §§ 39, 267 ZPO fallen nicht darunter7 • Schließlich ist eine amtswegige Prüfung nicht veranlaßt, bei allen Mängeln, auf deren Rüge die Parteien verzichten können, § 295 ZPO. Bei der Frage, ob ein rechtliches Interesse vorliegt, erfolgt grundsätzlich eine Prüfung von Amts wegen. Der Beklagte kann sie weder durch Einverständnis noch durch Nichtrüge überflüssig machen8 • Soweit Stein I Jonas I Schumann I Leipold anführen, bei Anerkenntnis, Verzicht oder Versäumnisurteil sei das Interesse nicht zu prüfen9 , berührt das nicht unseren Problemkreis, da es sich nur auf die rechtliche Prüfung beziehtl0 • Prüfung von Amts wegen bedeutet nun nicht Untersuchungsgrundsatz11. Das Gericht hat auch bei diesen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht von Amts wegen zu ermitteln12• Es darf allerdings von sich aus ihm bekannte Tatsachen, die eine Unzulässigkeit der Klage bewirken, in den Prozeß einführen. Man denke an das Beispiel, daß über den Streitgegenstand bereits einmal rechtskräftig entschieden wurde. Wenn die Parteien dies nicht glauben, weil sie über den Umfang des Streitgegenstandes anderer Ansicht sind als das Gericht, so ist es Sache des Gerichts, diese Tatsache in den Prozeß einzuführen. Eingeführt in den Prozeß muß die Tatsache ja werden, damit die Parteien Gelegenheit bekommen, dazu Stellung zu nehmen. Sonst ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Wir sehen hier also den seltenen Fall, daß das Gericht von sich aus Tatsachen in den Prozeß einführen darf. Auch Stein I J onas I Pohle vertritt die Ansicht, daß es dem Gericht gestattet ist, Tatsachen einzuführen, die für eine Unzulässigkeit der Klage sprechen13• Er argumentiert zutreffend wie folgt: Wenn ein Gericht auf Bedenken hinweist, macht es nicht lediglich auf Rechtssätze oder Tatbestandsmerkmale, sondern auch auf Tatsachen, Hilfstatsachen und Indizien aufmerksam, die eine Unzulässigkeit der Klage ergeben könnten. Damit aber seien diese Umstände als mögliche Tatsachen Prozeßstoff geworden und in den Prozeß eingeführt. Dem entspreche es auch, daß bei fehlgeschlagenem Beweisversuch durch eine Partei das Gericht die Klage abweisen müsse, weil die Möglichkeit des Bestehens dieser Tatsache nicht widerlegt sei. Damit ist aber diese Tatsache Grundlage der Entscheidung. 7 Stein I Jonas I Pohle VII 3 a vor § 128. s Ders. Anm. IV 6 zu § 256; OGHZ 4, 15. 9 Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. IV 6 zu § 256. 10 Dieselben Anm. IV 6 zu § 256. u Thomas I Putzo III A vor § 253; Rosenberg I Schwab § 78 V 2; Baumbach I Lauterbach I Alb.ers I Hartmann Grundzüge 3 H vor § 128. 12 RGZ 160, 346 ff. (347 f.); BAG NJW 1958, 1699. 13 VII 3 b vor § 128.

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

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Diese Argumentation wird von Weber noch verstärktl 4 • Er geht von der unbestrittenen Tatsache aus, daß die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Prozesses der Parteibestimmung in aller Regel entzogen sind. Grundsätzlich sei daher hier der Untersuchungsgrundsatz das dem System der Rechtsordnung angemessene Mittel. Wenn die h. M. gleichwohl eigene Ermittlungen des Gerichts für unzulässig halte, so sei das eine zu begründende Ausnahme. Eine Begründung lasse sich aber nur so geben: Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, daß die Gerichte nicht von den Parteien zu gerichtsfremden Zwecken mißbraucht würden. Das wäre aber dann der Fall, könnten die Parteien sich über die Zulässigkeitsvoraussetzungen hinwegsetzen. Dies könne man aber nicht umkehren, dahingehend, daß auch ein öffentliches Interesse daran bestehe, Parteien, die die Gerichte nicht in Anspruch nehmen wollten, vor sie zu zwingen, indem man auch bei Passivität ihrerseits im Wege einer vom Gericht veranlaßten Untersuchung die Zulässigkeitsvoraussetzungen ihres Prozesses feststelle. Daraus ergebe sich, daß die Ausnahme vom Untersuchungsgrundsatz sich aber auch nur auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen erstrecken könne. So sei es überdies auch bei Statusprozessen. Die Gleichheit der Lage rechtfertige die analoge Anwendung der dortigen Bestimmungen. Das Gericht, so kann man also feststellen, ist nur verpflichtet, auch ohne Rüge durch eine der Parteien auf das Vorliegen der von Amts wegen zu prüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen zu achten. Hat es Zweifel, so fordert es die beweisbelastete Partei auf, den Beweis anzutreten. Beweisbelastet ist in der Regel hierfür der Kläger. Anders ist es nur beim Versäumnis- und Verzichtsurteil gegen den Kläger, §§ 330, 335 Abs. 1 Nr. 1, 306 ZPO. Vom Gelingen oder Mißlingen dieses Beweises hängt dann der weitere Prozeßverlauf ab. Insofern wird der Beibringungsgrundsatz hinsichtlich der Beibringung der Beweismittel durch die Prüfung von Amts wegen nicht durchbrachen. Diesbezüglich bleiben die Parteien nach wie vor Herren auch des prozessualen Prozeßstoffes15. Das Gericht ist auch bei der Prüfung von Amts wegen zu berücksichtigender Tatsachen nicht zu Beweiserhebungen den Parteien gegenüber verpflichtet16. Rechtspolitisch befürwortet Lent I Jauernig die Befugnis des Gerichts, Fragen, deren Beantwortung im Interesse der Rechtspflege liegt, von sich aus zu klären und darauf bezügliche Tatsachen einzuführen und festzustellen 17. Dabei nennt er als Beispiel die Feststellung der Prozeßfähigkeit der Parteien1s. 14

ZZP 57, 91 ff. (95).

1s Rimmelspacher S. 147 und 150; Rosenberg I Schwab § 78 V 2 a . 16 BAGE 6, 76 = BAG in NJW 1958, 1699; RGZ 160, 347. 17 § 25 X.

5. Freibeweis

95

Die Untersuchungsmaxime gilt bereits bei der Prüfung der Exterritorialität und bei der Prüfung der Voraussetzungen des Zurückweisens ungeeigneter Vertreter19. Unbestritten unterliegen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die der Prüfung von Amts wegen unterfallen, nicht mehr der Parteidisposition20 • Letzteres ist die eine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes durch die Prüfung von Amts wegen21 • Sie setzt die Sperrfunktion des Beibringungsgrundsatzes im Hinblick auf solche Tatsachen außer Kraft. Wie wir gesehen haben, ist die andere Durchbrechung die Möglichkeit, Tatsachen, welche für eine Unzulässigkeit der Klage sprechen, durch das Gericht in den Prozeß einzuführen. Nach h. M. können Prozeßvoraussetzungen, die von Amts wegen zu berücksichtigen sind, im Wege des sog. Freibeweises festgestellt werden22. Diese Ansicht ist allerdings nicht unbestritten. Wegen der Bedeutung der Prozeßvoraussetzungen wird sie beispielsweise abgelehnt von Rosenberg I Schwab 23, welche auch für sie die Regeln des Strengbeweises anwenden wollen. Um die Berechtigung einer solchen Ablehnung prüfen zu können, muß man sich klarmachen, was der sog. Freibeweis ist. 5. Der sogenannte Freibeweis Die ZPO kennt ihn gar nicht ausdrücklich. Jedoch hat er sich in der Praxis in Anlehnung an das Strafprozeßrecht herausgebildet. Er ist nicht den Verfahrensgarantien des Strengbeweises, wie er in den§§ 355 bis 494 ZPO geregelt ist, unterworfen und kann auch mit anderen Beweismitteln als nur denen des Strengbeweises, nämlich Parteivernehmung, Augenschein, Urkundenbeweis, Sachverständigen- und Zeugenbeweis geführt werden1• Zum Beispiel kann das Gericht amtliche Auskünfte einholen (§§ 118 a Abs. 1 S. 3, 273 Abs. 2 Nr. 2, 437 Abs. 2 ZP0)2 oder schriftliche Äußerungen eines Privatmannes oder Akten aus anderen Verfahren3 usw. Das 1s § 25 X.

Blomeyer § 14 IV; Weber S . 95; Rosenberg I Schwab § 19 II 1. Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Grundzüge 3 H vor § 128; Stein I Jonas I Pohle VII 3 vor § 128. 21 Schönke I Kuchinke § 8 I 5. 22 BGH JZ 1951, 238; RGZ 160, 338 ff. (346); Rosenberg I Schwab § 78 V 2; Blomeyer § 14 IV. 2s Rosenberg I Schwab § 78 V 2; auch Rimmelspacher § 171 ff. und Peters S . 133 lehnen es ab. I Blomeyer § 66 II 3. 2 Bernhardt § 34 XI. s Stein I Jonas I Schumann I Leipold lU 1 vor§ 355. 19

20

IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

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Gericht ist auch - anders als sonst beschlusses verpflichtet4 •

nicht zum Erlaß eines Beweis-

Rosenberg I Schwab vertreten allerdings die Ansicht, der Freibeweis könne stets von Amts wegen angeordnet werden5 • Diese Ansicht stützen sie auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen vom 12. 1. 19518 • Dort hatte der BGH es zugelassen, daß das Ergebnis eines für ein anderes Verfahren beantragten Beweissicherungsverfahrens im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird. Die Zulässigkeit und Notwendigkeit eines so weitgehenden Freibeweisverfahreng wird aber bestritten7 • Von Peters wird es überhaupt abgelehnt, für alle Tatsachen, deren Feststellung die Endentscheidung beeinflussen kann8 • Eine gesetzliche Andeutung dafür, daß das Freibeweisverfahren zulässig ist, fand sich ohnehin nur in einem Falle. Im Schiedsurteilsverfahren des§ 510c ZPO a. F. bestimmte das Amtsgericht sein Verfahren selbst. Daher konnte es sich auch des Freibeweisverfahrens bedienen9 • Das Freibeweisverfahren soll femer im Armenrechtsbewilligungsverfahren des § 118 a ZPO zulässig sein10• Hier, wo Glaubhaftmachung genügt, ist aber ein Bedürfnis zu weitergehender Prüfung des Sachverhalts im Freibeweisverfahren nicht erkennbar. Das Freibeweisverfahren soll nach h. M. schließlich für Tatsachen gelten, die von Amts wegen zu prüfen sind11 • Hier widersprechen sich Rosenberg I Schwab innerhalb ihres Lehrbuchs. Einmal führen sie aus, der Freibeweis setze keinen Beweisantritt einer Partei voraus12• An anderer Stelle verneinen sie, daß bei der Prüfung von Amts wegen eine Untersuchung des Vorhandenseins der zur Prüfung erforderlichen tatsächlichen Umstände von Amts wegen stattfinde1:t. Die Prüfung von Amts wegen würde dann allerdings lediglich bedeuten, daß das Gericht zur Prüfung etwa einer Prozeßvoraussetzung nicht abwarten müßte, ob die Parteien eine Einrede erheben. Eine so geringe Bedeutung kann dieser Begriff aber nicht haben. • Zölter Anm. 1 s § 113 II 3.

zu § 56.

Abgedruckt in NJW 51, 441 f . Stein I Jonas I Schumann I Leipold III 2 vor § 355; Bruns JZ 57, 492; Scheuerle JZ 64, 631. 8 s. 133 ff. (135). 9 Ros'enberg I Schwab § 113 II 3. 10 KG JW 38, 334. 11 BGH JZ 1951, 238; Baumbach I Lauterbach I ALbers I Hartmann Einf. 2 B c vor§ 282. 12 § 113 II 3. 1s § 78 V 2 a. G

1

5. Freibeweis

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Die überwiegende, ja fast einhellige Meinung in Literatur und Rechtsprechung geht im Verfahren der Prüfung von Amts wegen davon aus, daß das Gericht einen Beweisantritt einer Partei nicht ersetzen dürfe14 • Dann beschränkt sich die Bedeutung des Freibeweisverfahrens hier lediglich darauf, an das Beweisverfahren zum Nachweis einer Prozeßvoraussetzung weniger strenge Anforderungen zu stellen als an das zur Feststellung von Tatsachen, die für die materiellrechtliche Beurteilung des Streitgegenstandes erheblich sind. Eine solche Ungleichbehandlung prozessualer Voraussetzungen gegenüber den materiellrechtlichen Sachentscheidungsvoraussetzungen ist aber nicht gerechtfertigt15. Wenn man argumentiert, hier sei es im Interesse des Staates notwendig, eine gründlichere Wahrheitsermittlung vorzunehmen als im materiellrechtlichen Bereich16, indem man alle Möglichkeiten der Beweiserhebung ausschöpft, so erscheint dies unter heutigen sozialstaatlichen Gesichtspunkten nicht mehr vertretbar. Der Bürger hat ein Recht darauf, daß in dem Bereich, in dem es um den Bestand seines materiellen Rechtes geht, genauso sorgfältig die tatsächlichen Urteilsgrundlagen ermittelt werden, wie im prozessualen Bereich, d. h. daß auch hier der Strengbeweis Anwendung findet. Der Bürger ist ohnehin durch den Beibringungsgrundsatz mit dem Risiko des Mißlingens der Tatsachenaufklärung belastet. Auch Rosenberg I Schwab vertreten diese Ansicht17• Sie halten den Freibeweis für wesentlich unsicherer als den Strengbeweis. Daher fordern sie schlechthin den Strengbeweis für die Feststellung aller Tatsachen, die die Endentscheidung des Gerichts beeinflussen können, also auch für die prozessualen Voraussetzungen eines Urteils, weil diese nicht weniger wichtig seien als dessen materiellrechtliche18• Nach Baumbach I Lauterbach I Albersl I Hartmann soll das Freibeweisverfahren außerdem Anwendung finden in Verfahrensabschnitten ohne mündliche Verhandlung19 • Dies erscheint jedoch als eine nicht unbeträchtliche Verkürzung der Parteirechte, würden doch damit die Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Parteiöffentlichkeit außer acht gelassen. Richtiger dürfte daher die Ansicht von Stein I Jonas I Pohle sein, wonach in Verfahren ohne mündliche Verhandlung das Freibeweisverfahren nur dann zulässig sein soll, wenn es auch sonst zulässig wäre2o. 14

15 16

17 18 19 2o

Rosenberg I Schwab § 78 V 2 a; Lent I Jauernig § 12 I; Blomeyer § 14 IV. So auch Rosenberg I Schwab § 78 V 2 c.

So Weber S. 97. § 78 V 2 c. § 113 II 3. Einf. 2 B c vor § 282; KG JW 1931, 3365; RG JW 98, 352. Anm. V 4 zu§ 128.

7 Zettel

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Schließlich soll das Freibeweisverfahren auch bei der sog. amtlichen Auskunft Verwendung finden 21 • Warum man aber bei diesem vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Rechtsinstitut (§§ 273, 437 Abs. 2 ZPO) die Konstruktion des neben dem Gesetz entwickelten Freibeweises bemüht, bleibt unklar. Jedenfalls stellt der Freibeweis nach den bisherigen Ausführungen keine selbständige Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes dar. Er ist nur eine bestimmte Art der Beweiserhebung. Die Literatur verwendet allerdings den Begrüf Freibeweis noch ausgedehnter, z. B. wendet sie ihn auch in den folgenden Fällen an.

6. Die Ermittlung fremden Rechts, Gewohnheitsrechts und des Inhalts von Satzungen Hierüber trifft § 293 ZPO eine ausdrückliche Regelung. Sofern solche Normen bei Gericht unbekannt sind, sind sie Beweisgegenstand1• Allerdings untersteht die Beweiserhebung in diesem Fall dem UntersuchungsgrundsatzZ und ist weiter ausdrücklich in § 293 S. 2 HS 2 ZPO bestimmt, daß das Gericht auch andere Erkenntnisquellen als die des Strengbeweises benutzen darf. Diese Erscheinung wird wiederum von einem großen Teil der Literatur und Rechtsprechung dahingehend formuliert, es sei Freibeweisverfahren erlaubt3 • Dagegen bestehen aber Bedenken, die schon Peters 1962 formuliert hat4. Es ist- obwohl der Gesetzeswortlaut es nahelegt - irreführend, in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Beweisverfahren zu sprechen. So führen auch Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann aus, daß ein Beweisverfahren ja gar nicht möglich sei, weil Rechtssätze keinem Beweis unterlägen5. § 293 ZPO muß vor dem Hintergrund des Satzes "iura novit curia" gesehen werden. Das Gericht kennt das Recht. Wenn es sich um ein ausländisches Recht oder auch Gewohnheitsrecht oder Satzungsrecht (z. B. Tarifnormen) handelt, so wird diese Kenntnis allerdings nicht mehr schlechthin gefordert. Es wird aber weiterhin gefordert, daß das Gericht sich dann die notwendige Kenntnis verschafft. Es ist eben in 2t RGZ 44, 149; BGH LM Nr. 1 zu § 147 BGB ; Blomeyer § 66 II B; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Übersicht 5 zu § 373. t Thomas I Putzo Anm. 2 a zu § 293; Rosenberg I Schwab § 16 III. 2 Blomeyer § 67 II; RG DR 40, 587; BGH MDR 57, 31 ff. (33); BGH in LM

Nr. 2 zu § 293 ZPO. 3 BGH NJW 1961, 410; BGH NJW 1966, 296; Thomas I Putzo Anm. 2 a zu § 293; ZöHer Anm. 2 zu § 293. 4 5

s. 181.

Anm. 2 zu § 293.

7. Erfahrungssätze

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erster Linie seine Aufgabe, dies zu tun, wenn es auch die Parteien zur Mitwirkung dabei anhalten kann. z. B. kann sich das Gericht die Kenntnes ausländischen Rechts durch Lektüre aneignen, also außerhalb des eigentlichen Prozeßgeschehens. Dem entspricht es auch, daß es eine Beweislast hierfür nicht gibt6 • Auch das Mißlingen eines Beweisantritts einer Partei enthebt das Gericht nicht :>einer Pflicht, selbst das anzuwendende Recht herauszufinden7. Schließlich kann auch eine Klage nicht abgewiesen werden, weil sich ein Rechtssatz nicht habe ermitteln lassen, also wegen Beweisfälligkeit der klagenden Partei gewissermaßen. Es ist vielmehr, sofern sich nicht einschlägiges Recht findet, deutsches Recht, nach anderer Ansicht das dem an sich einschlägigen Recht am nächsten verwandte ausländische Recht anzuwenden8 • Daraus ergibt sich, daß § 293 ZPO im Grunde keine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes darstellt. Er bezieht sich weder auf Tatsachen, noch regelt er eine Beweisbeibringungspflicht der Parteien. Vielmehr stellt er lediglich das Recht und die Pflicht des Gerichtes klar, sich auf jede Weise über fragliches Recht zu informieren und gibt Hinweise für das Verfahren hierbei. Daß das Gericht dabei sich auch des Verfahrens des Strengbeweises bedienen kann, etwa des Sachverständigenbeweises, wenn es ein Gutachten eines Universitätslehrers beispielsweise einholt, ergibt sich aus dem bereits Gesagten.

7. Die Verwertung sogenannter Erfahrungssätze von Amts wegen Erfahrungssätze nennt man Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung oder auch besonderer Sach- und Fachkunde!, die man auf Grund gewisser gleichartiger Erfahrungen aufgestellt hat. Ergeben muß sich der Erfahrungssatz aus einem typischen Geschehensablauf. Außerdem muß er dem neuesten Stand der Erfahrung, beispielsweise auf wissenschaftlichem Gebiet, entsprechen. Er muß eindeutig und jederzeit auf seine Richtigkeit hin überprüfbar sein2 • Erfahrungssätze sind an sich ohne Beziehung zum konkreten Rechtsstreit. Vielmehr dienen sie stets nur als Obersätze für die Beurteilung von Tatsachen3 • Ihre prozessuale "Erscheinungsform" ist regelmäßig ihre Verwendung im Rahmen der freien Beweiswürdigung {§ 286 ZPO) anläßlich des sog. prima-facie- oder Anscheinsbeweises4 • o Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. IV 2 zu § 293. 7 Dieselben Anm. IV 2 zu § 293. s Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 aE zu § 293 mwNw. 1 Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. IV 2 zu § 293. 2 Rosenberg I Schwab § 114 1. a Stein I Jonas I Schumann I Lei pold Anm. II 3 zu § 282. ~· '

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Dieser Anscheinsbeweis ist nur im Zusammenhang mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der in § 286 ZPO normiert ist, erklärlich. Er erlaubt dem Richter nämlich aus einer festgestellten Tatsache auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen weiterer an sich noch unbewiesener Tatsachen zu schließen5 • Das Bindeglied zwischen der Feststellung der Ausgangstatsache und dem Schluß auf das daraus Resultieren der Folgetatsache ist die allgemeine Lebenserfahrung6 • Diese hat sich in den uns interessierenden Fällen allerdings dann schon zu einem Erfahrungssatz verdichtet, also gewissermaßen objektiviert. Aus diesen Voraussetzungen des Anscheinsbeweises folgt auch seine Begrenzung. Er ist auf die Feststellung der Fahrlässigkeit und des Kausalzusammenhanges beschränkt7. Schließlich können etwa über Kausalzusammenhänge wohl Erfahrungssätze sich entwickeln. Dies ist andererseits aber nicht möglich bei der Würdigung individueller Willensmomente, wie z. B. bei der Frage ob jemand arglistig getäuscht wurde8 • Das Reichsgericht hat z. B. den Erfahrungssatz aufgestellt, daß es, beruhend auf dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb, im allgemeinen nicht anzunehmen sei, daß sich ein Mensch freiwillig körperliche Verletzungen zufüge oder sogar den Tod gebe9 • Weiter ist etwa beim Versinken eines Nichtschwimmers in einer Badeanstalt an einer Stelle, die gefährlich tief ist, anzunehmen, daß die Tiefe für den eingetretenen Tod kausal war10• Die Domäne solcher Erfahrungssätze - meist auf dem Gebiet des Kausalzusammenhanges - ist das Verkehrsrecht. So spricht beispielsweise ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Fahrers, wenn er über den Grünstreifen der Autobahn gerät und ein technisches Versagen dafür als Ursache ausscheidet11 • Erfahrungssätze kann das Gericht selbst einführen. Für sie gilt der Untersuchungsgrundsatz12• Dementsprechend gibt es keine Beweislast für Erfahrungssätze13• Der Grund hierfür ist die Ähnlichkeit der Erfahrungssätze mit Rechtsnormen. Wie Rechtsnormen beziehen sich 4

5

6 1

Rosenberg I Schwab § 114 1. Stein I Jonas I Schumann I Leipotd Anm. IV 7 a zu § 282. Baumbach I Lauterbach I Atbers I Hartmann Anm. 3 B zu Ros'enberg I Schwab § 114 2.

§ 282.

s BGH in NJW 1968, 2139. 9 RGZ 157, 83. 1o BGH LM Nr.17 zu§ 286 (C) ZPO. 11 BGH LM Nr. 33 zu § 286 (C) ZPO; BGH VersR 1969, 636; weitere Beispiele bei Rosenberg I Schwab § 114 2. 12 Thomas I Putzo Anm. 4 b zu § 282. ts Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Einf. 4 D vor § 282.

8. Gesetzliche Vermutungen

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Erfahrungssätze lediglich auf die Verwertung und Beurteilung von Tatsachen, sind aber selbst keine14• Sie unterliegen daher auch wie Rechtsnormen der Nachprüfung in der Revisionsinstanz15• Weil sich also die Verwertung sog. Erfahrungssätze von Amts wegen gar nicht auf die Beschaffung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen bezieht, stellt ihre Beschaffung von Amts wegen keine echte Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes dar. 8. Die gesetzliche Vermutung von Tatsachen und gesetzliche Rechtsvermutungen

a) Die gesetzliche Vermutung von Tatsachen Hierüber findet sich eine Regelung in § 292 ZPO. In diesem Fall obliegt es einer Partei zwar regelmäßig schon, Tatsachen zu behaupten und gegebenenfalls zu beweisen. Dabei handelt es sich um Tatsachen, die die sog. Vermutungsbasis begründen1• Das Gesetz knüpft dann an diese Vermutungsbasis die- regelmäßig widerlegliehe (§ 292 ZPO) - Vermutung einer weiteren Tatsache, so daß über letztere kein Beweis mehr erhoben zu werden braucht. Über sie müssen nicht einmal Behauptungen aufgestellt zu werden2 • Z. B. schließt das Gesetz aus der Tatsache des Besitzes eines Hypothekenbriefes auch auf seine Übergabe,§ 1117 Abs. 3 BGB. Die Partei, der die gesetzliche Tatsachenvermutung im gegebenen Fall zugute kommt, hat eine geringere Beweislast als sie sie üblicherweise hätte3 • Der Beibringungsgrundsatz wird also insoweit modifiziert, als bestimmte Behauptungen nicht aufgestellt und nicht bewiesen zu werden brauchen.

b) Gesetzliche Rechtsvermutungen Neben Tatsachenvermutungen gibt es noch sog. Rechts- oder auch Rechtszustandsvermutungen. Sie beziehen sich auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses. Auch sie sind widerlegbar, sofem nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Auch durch sie wird der Beweis erleichtert, weil die durch sie begün14

Loeber S. 8 f.

u Zöller Anm. 1 zu § 550. 1 Der Ausdruck stammt von Rosenberg I Schwab § 118 II 4. 2 Thomas I Putzo Anm. 2 a zu § 292. s Für den Charakter des § 292 ZPO als einer Beweislastnorm sind auch Rosenberg I Schwab § 118 II 4 und Leipold "Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen", S. 96 ff.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

stigte Partei sich überhaupt nicht zum Entstehungs- oder Untergangstatbestand äußern muß.. Sie braucht hierüber weder Behauptungen aufzustellen noch Beweis anzutreten. Ein Beispiel neben vielen anderen ist die Vermutung, daß der Besitzer auch Eigentümer sei, § 1006 BGB. In diesem Fall des§ 1006 Abs. 1 S. 1 BGB obliegt es einer Partei nur, zu beweisen, daß sie eine bewegliche Sache im Eigenbesitz hat4• Das Gesetz selbst zieht dann aus dieser Tatsache den Schluß, daß die Partei auch Eigentümer der Sache sei, sofern nicht eine der Voraussetzungen des Satzes 2 des§ 1006 Abs. 1 BGB vorliegt. Dasselbe gilt für denjenigen, der früheren Besitz nachweist. Zu seinen Gunsten wird vermutet, daß er während der Dauer seines Besitzes Eigentümer der Sache war (§ 1006 Abs. 2 BGB). Die von der Vermutung begünstigte Partei braucht also keine Behauptungen über den Entstehungstatbestand aufzustellen. Sie braucht auch keinen Beweis dafür anzutreten. Dasselbe gilt hinsichtlich des Weiterbestehens ihres Rechtes. Es ist vielmehr Sache der Gegenpartei, wenn sie die Vermutung widerlegen will, was ihr grundsätzlich möglich ist, alle Behauptungen vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen die Unrichtigkeit der Vermutung folgen soll. Auch hier wird also der Beibringungsgrundsatz durchbrochen, und zwar durch Regelungen, die größtenteils verstreut in vielen materiellrechtlichen Gesetzen stehen. Nicht geändert wird zwar von ihnen die Beweislastverteilung. Aber der Beweisführer braucht bei Eingreifen einer gesetzlichen Vermutung wie wir gesehen haben nur eine Ausgangstatsache, die Vermutungbasis, zu beweisen. Den Schluß auf eine Folge davon zieht dann das Gesetz. Der Umfang seiner Beweislast ist also geringer. 9. Was bedeutet. es, daß Tatsachen, die bei Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen, § 291 ZPO?

Unter den Begriff der bei Gericht offenkundigen (notorischen) Tatsachen fallen zwei Arten, allgemein- und gerichtskundige.

a) Allgemeinkundige Tatsachen Das sind solche Tatsachen, die gewisse, meist weitere Kreise der Bevölkerung für feststehend halten, an deren Bestehen auch vernünftigerweise nicht gezweifelt werden kann. Hierunter fallen z. B. größere weltgeschichtliche Ereignisse, wie ein Krieg, eine Krönung usw. Es fallen aber auch kleinere örtlich begrenzte Ereignisse darunter, wie z. B. die Explosion einer Fabrik. Diese Tatsache ist dann eben an diesem 4

Soerget I Siebert I Müht Rdn. 4 zu § 1006.

9. § 291 ZPO

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Ort allgemeinkundig. Für die Offenkundigkeit ist also nicht die Zahl der die betreffenden Tatsachen kennenden Menschen maßgeblich, ebensowenig die Art der Kenntniserlangung 1• Die Kenntnis davon kann . durch Selbsterleben, Zeitungslektüre, Rundfunkempfang oder auf noch andere Weise erlangt worden sein. b) Gerichtskundige Tatsachen

Damit sind Tatsachen gemeint, die das Gericht von seiner amtlichen Tätigkeit her kennt2 , z. B. die Aussage einer Partei in einem anderen Prozeß. Es muß sich dabei aber um Tatsachen handeln, die dem Gericht noch gegenwärtig sind, ohne daß es etwa auf die Akten anderer Verfahren zurückgreifen muß. Nach einer Ansicht muß eine Tatsache auch bei Gerichtskundigkeit oder Allgemeinkundigkeit behauptet werden, also von den Parteien in den Rechtsstreit eingeführt werden3 . Lediglich ein Beweisantritt über sie ist nicht erforderlich4• Das BVerfG hat allerdings in einem obiter dieturn ausgesprochen, daß das Gericht eine gerichtskundige Tatsache, wenn es sie verwerten will, in den Prozeß einführen darf5• Hier sei wieder das Beispiel angeführt, daß dem Gericht bekannt ist, daß das Prozeßhindernis der res iudicata besteht. Für diesen Fall wäre auch nach der Ansicht von Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann die amtswegige Einführung dieser Tatsache in den Prozeß möglich. Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann halten die amtswegige Einführung von Tatsachen generell für möglich bei von Amts wegen zu beachtenden Tatsachen und bei solchen Erklärungen, deren Vortrag der Vorsitzende nach§ 139 ZPO zu veranlassen hat6 . Bestreiten oder ein Geständnis sind in bezug auf bei Gericht offenkundige Tatsachen sowieso ohne Belang1 . Begründet wird letztere Meinung bei Stein8 • Früher wurde sie bestritten9 • Ein Gegenbeweis, das heißt, der Versuch der Widerlegung des Bestehens der gerichtskundigen Tatsache, kann allerdings stets geführt werden10• Apfelbaum S. 22. Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. I 2 zu § 291. 3 SchlH OLG in SchlHA 1974, 168. 4 Weismann I, 114; Schänke I Sehröder I Niese S . 257; Wieczorek Anm. AI a zu § 291; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. I li zu § 291; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 B zu § 291; RG JW 1889, 452 Nr. 4; 1899, 485 Nr. ll; RG Warn. 1916, Nr. 92; Recht 1917, Nr. 660; RGZ 143, 175 ff. (183); BayObLG n. F. 1, 108 ff. (110). s JZ 1960, 124. e Anm. 2 B zu § 291. 7 Thomas I Putzo Anm. 2 zu § 291. s "Privates Wissen" S. 167. u Pollak Gerichtliches Geständnis, S . 88. to Thomas I Putzo Anm. 1 c zu § 291. 1

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Die Begründung für die herrschende Meinung, wonach auch offenkundige Tatsachen von den Parteien behauptet werden müssen, wenn sie verwertet werden sollen, und es dem Gericht verwehrt ist, Tatsachen auch ohne Parteibehauptung von sich aus in den Prozeß einzuführen, liefert allein die Verhandlungsmaxime. Zu Unrecht hatte man eine Zeitlang auf einen anderen Gesichtspunkt abgestellt. Weismann z. B. hatte diese Ansicht so begründet, sie allein gewährleiste, daß nicht Dinge der Entscheidungstindung zugrunde gelegt würden, die mit den Parteien nicht erörtert wurden11 • Teilweise lehnte man dieses Argument zugleich mit der Verneinung der Behauptungsbedürftigkeit auch als nicht zwingend ab1: . Heute geht es am Problem vorbei. Ob das Gericht Tatsachen von Amts wegen einführen darf oder nicht, ist das Problem. Nicht zweifelhaft ist aber heute, daß auch amtswegig eingeführte Tatsachen nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor der Entscheidung stets mit den Parteien erörtert werden1:t. Das folgt schon aus Art. 103 Abs. 1 GG und der Rechtsprechung des BVerfG dazu14 • Art. 103 Abs. 1 GG kommt eine große Bedeutung zu. Schließlich verlangt es bereits die Würde der Person, die nach Art. 1 GG an der Spitze unserer Wertskala steht, daß über die Rechte von Personen nicht einfach ohne deren Anhörung obrigkeitlich verfügt wird15• Das heißt, letztlich ist das Grundrecht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs auf das umfassendere Gebot der jederzeitigen und allseitigen Achtung der Menschenwürde zurückzuführen. Demnach bleibt die Berufung auf den Verhandlungsgrundsatz heute die alleinige Rechtfertigung der herrschenden Meinung. Der Beibringungsgrundsatz oder - wie er häufig mißverständlich auch bezeichnet wird - Verhandlungsgrundsatz beinhaltet ja nach durchaus einhelliger Ansicht seiner gesamten Vertreter zweierlei. Den Parteien obliegt die Einführung von Tatsachen in den Prozeß, deren Behauptung also und im Zweifelsfalle deren Feststellung als richtig, also deren Beweis. Wenn nun § 291 ZPO besagt, daß Tatsachen, die bei Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen, so hätte der Gesetzgeber es ja zum Ausdruck bringen können, wenn er gemeint hätte sie bedürften auch keiner Behauptung. Hellwig vertrat zur Frage der Behauptungsbedürftigkeit notorischer Tatsachen eine differenzierte Meinung. Bei rechtserzeugenden Tatsachen bejahte er sie, bei rechtshindernden und rechtsvernichtenden 11

12

Weismann I, 114 Fn. 20; RGZ 143, 183. Schultzenstein ZZP 43, 322; RG Gruch 36, 1131 ff.

SchlH OLG in SchlHA 1974, 168. BVerfGE 5, 24; 6, 14; 7, 57, 240, 278, 341; 8, 185, 208; 9, 267, 304 f. ; 10, 182; 13, 145; 16, 285; 17, 95, 143, 196; 18, 150, 404 u. a. 15 Leibholz I Rinck Anm. I 1 zu § 103 GG. 13 14

9. § 291 ZPO

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Tatsachen verneinte er sie16• Er begründete seine Meinung wie folgt: Dafür, daß fehlender Sachvortrag rechtserzeugender Tatsachen nicht durch deren Allgemein- oder Gerichtskundigkeit ersetzt werden kann, gab er keine Begründung. Daß es bei rechtshindernden oder -vernichtenden Tatsachen anders sein soll, resultierte für ihn aus folgendem: Bei der Geltendmachung eines Rechts liege in der u. U. stillschweigenden Behauptung dieses Recht bestehe jetzt, mindestens implicite die Behauptung, rechtshindernde oder -vernichtende Tatsachen existierten keine17• Hellwig ging also grundsätzlich auch hier von einer Behauptungspflicht der Parteien aus. Nur kam er dann zu seinem Ergebnis, indem er schlechthin bei jedem Parteivortrag eine solche Behauptung als stillschweigend mit darin enthalten unterstellte. Ein gewisser Widerspruch ist es aber dann, wenn er fortfährt, eine solche stillschweigende Behauptung erscheine, wenn rechtshindernde oder -vernichtende Tatsachen gerichtskundig seien, als unrichtig widerlegt. Daher bedürfe es keines dahingehenden Sachvortrags des Antragstellers. Diese Ansicht läßt sich wohl nicht mit der von der h. L. vertretenen Behauptungslast in Einklang bringen. Nach dieser obliegt der Vortrag rechtshindernder oder -vernichtender Tatsachen der beklagten Partei. Wenn man generell auf den Begriff der Behauptungsbedürftigkeit nicht "verzichten möchte, wie Hellwig, dann muß man aber besondere Gründe anführen, warum gleichwohl in diesem Fall einmal eine Behauptung stillschweigend unterstellt wird, im anderen Fall nicht. Dies tat Hellwig jedoch nicht. Man könnte denken, in der Leugnung des Klägerbegehrens durch den Beklagten wiederum die stillschweigende Behauptung des Bestehens rechtshindernder oder -vernichtender Tatsachen zu sehen. Dagegen spricht aber, daß - im Gegensatz zu der Unterstellung deren Fehlens - hier eine solche Behauptung jeder Bestimmtheit ermangelt. Auch die Zulassung solcher unbestimmter Behauptungen wäre ein Bruch im derzeitigen Prozeßsystem. Es zeigt sich also, daß die Hellwigsche Theorie, die ohne Bruch mit dem derzeit geltenden System auszukommen scheint, dies doch nicht schafft. Sogar in mehreren Punkten mußte Hellwig Systemwidrigkeiten annehmen, um seine Theorie halten zu können. Nicht überzeugend wirkt allerdings der gegen Hellwigs Theorie vorgebrachte Vorwurf, den Hrüggemann erhebt, sie unterstelle dem Anspruchsträger eine Vollständigkeit des Sachvortrags, die noch über die Vollständigkeitspflicht des§ 138 ZPO hinausgehe18• Denn es wurde ja von Hellwig den Parteien gerade keine Pflicht auferlegt. Die Erscheinung, daß Parteien mehr tun als das, wozu sie verpflichtet sind, weil dieses 16 11

18

System I , 414. System I, 414. S. 340 Fn. 834.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Mehr in ihrem Interesse liegt, ist ja gerade keine seltene Erscheinung. Eine Pflicht normiert ja manchmal nur ein unabdingbares Minimum. Brüggemann selbst neigt ebenfalls zu einer differenzierenden Lösung. Nach seiner Ansicht ist das Aberkennen eines Anspruchs, obwohl einige seiner Voraussetzungen allgemein oder gerichtsbekannt gegeben sind, nie so gravierend, wie das Zuerkennen eines notorisch nicht gegebenen Anspruchs. Letzteres allein erfüllt nach seiner Ansicht das Merkmal des Absurden 19 • Ob dieses Kriterium aber überhaupt tauglich ist, kann man schon bezweifeln. Über das, was absurd ist, gehen die Meinungen ja leicht auseinander. Jedenfalls wird man einem Nichtjuristen nicht erklären können, warum ein Anspruch, dessen Voraussetzungen allgemein oder gerichtsbekannt sind, aberkannt wird. Vermag man aber solches nicht, so ist das stets bereits ein Zeichen der Schwäche der juristischen Logik. Es bleibt auch unklar, was Brüggemann damit sagen will, wenn er zur Rechtfertigung einer eventuellen Ablehnung eines notorisch bestehenden Anspruchs schreibt, eine solche Ablehnung könne ja auch zahlreiche andere Gründe gehabt haben20 • Entweder hatte sie sie oder nicht. Jedenfalls kann man ein an sich aus einem bestimmten Gesichtspunkt heraus nicht begründbares Ergebnis nicht am Ende doch damit begründen wollen, mit dem Hintergedanken, es sei ja in anderer Weise irgendwie gerechtfertigt. Brüggemann hat jedoch die hier interessierende Frage noch genauer untersucht. Dabei geht er von der Fallgestaltung aus, daß jeweils ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen soll, weil allein in dieser Situation sich unser Problem praktisch stellt. Er unterstellt erst einmal, daß es sich bei der Gruppe der gerichtsbekannten rechtserzeugenden Tatsachen, die nicht vorgetragen worden sind, praktisch nur um Auffangtatsachen zu einem von dem Anspruchsträger behaupteten, aber nicht zutreffenden oder nicht beweisbaren Sachverhalt handelt21. Dabei versteht er unter Auffangtatsachen solche, die einen ursprünglich auf Grund anderer Tatsachen nicht bestehenden Anspruch bei ihrem Vorliegen auch zu begründen vermögen. Die Rechtfertigung dieser Unterstellung weist er allerdings nicht nach.

Dann differenziert er innerhalb dieser Tatsachengruppe noch weiter. Er unterscheidet zwischen solchen Auffangtatsachen, die nur eine sachverhaltsmäßige Variante darstellen, innerhalb des gesetzlichen Tatbestandes, und solchen, die entweder einen konkurrierenden oder einen subsidiären Anspruchsgrund zu begründen vermögen22• 19

20

21 22

s. 340.

s. 340.

s. 340. s. 340 f .

9. § 291 ZPO

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Für den Fall, daß die Auffangtatsache nur eine sachverhaltsmäßige Variante innerhalb eines gesetzlichen Tatbestandes ist, bringt Brüggemann folgendes Beispiel23 : Jemand sei geschädigt, könne aber seinen erwarteten künftigen Schaden nicht beweisen. Jedoch eine andere als die von ihm angenommene schädliche Auswirkung sei ihm zwar unbekannt, weil sie als örtlich bedingte, ihm als Ortsfremden nicht so einfach erkennbar ist, dem ortskundigen Gericht aber gerichtsbekannt24 • Nun argumentiert in diesem Fall Brüggemann ähnlich wie Hellwig. Der Anspruchsträger wolle, wenn er ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal behauptet, das auf verschiedene Weisen verwirklicht werden kann, im Zweifel alle diese Verwirklichungsmöglichkeiten von seiner Behauptung umfaßt wissen25 • So sei also die Konsequenz die: Versäumt der mit einer negativen Feststellungsklage Überzogene den Termin und bestreitet der Kläger den vom Beklagten behaupteten Schadenseintritt, so kann gleichwohl kein Versäumnisurteil ergehen, wenn ein Schadenseintritt in anderer Weise gerichtskundig ist. Wegen der Notorietät des Gegenteils verliere das fingierte Geständnis des § 331 ZPO seine Kraft und damit die gesetzliche Versäumnisfolge ihre Grundlage26. Anders ist es im Falle, daß Auffangtatsachen einen besonderen konkurrierenden oder subsidiären Anspruchsgrund darstellen. Hierfür bringt Rrüggemann zwei Beispiele: Es wird ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Der deliktische Schädiger beruft sich auf § 827 BGB, weil er im Schädigungszeitpunkt unzurechnungsfähig gewesen sei. Es gelingt ihm auch, dies zu beweisen. Der Geschädigte, vielleicht ein Ortsfremder, weiß nicht, daß der Schädiger ein sehr vermögender Mann ist. Dies weiß jedoch der erkennende Amtsrichter aus seiner Tätigkeit als Vormundschaftsrichter etwa27 • Diese Tatsache würde für einen Schadensersatzanspruch aus § 829 BGB ausreichen, wenn wir unterstellen, daß dessen sonstige Voraussetzungen ebenfalls vorliegen. Ein weiteres Beispiel sei noch angeführt28. Ein Bauunternehmer läßt einen halb angefangenen Bau liegen. Der Auftraggeber setzt ihm eine Frist nach den §§ 636 Abs. 1 Satz 2, 326 Abs. 1 BGB und erklärt, daß er nach Fristablauf Schadensersatz verlangen werde. Als darauf keine Reaktion erfolgt, kommt es zum Prozeß. Der Zugang des Fristsetzungsschreibens wird streitig. Davon hängt aber die Schadensersatzberechtigung für einen besonderen, in der Zeit zwischen der angeblichen Nachfristsetzung und ihrer Geltend23 24 25

26

21

s. 340.

s. 340 f. s. 341.

s. 341. s. 341.

28 s. 341 f.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

machung im Prozeß enstandenen Nichterfüllungsschaden ab. Ein Beweis für den Zugang in dem behaupteten Zeitpunkt mißlingt. Es ist wiederum dem Geschädigten als Ortsfremden unbekannt, ansonsten aber allgemeinkundig, daß der Vertragsbruch erfolgte, weil der Bauunternehmer einen Großauftrag übernahm, der seine gesamte Kapazität auf Monate hinaus in Anspruch nahm. Damit wäre ein Anspruch aus § 326 Abs. 2 BGB zu begründen. In diesen Fällen hält es Brüggemann für unzulässig, dem potentiellen Anspruchsträger ohne seinen Willen den Reserveanspruchsgrund gewissermaßen über die Einführung neuer gerichtskundiger Tatsachen von Amts wegen zu "unterschieben"29 • Das aber erscheint zweifelhaft. Der Kläger behauptet zwar mit seiner Klage in jedem Fall bestimmte Tatsachen, aus denen ein Recht auf das Begehrte folgen soll. In aller Regel ist es ihm aber nicht nur gleichgültig, ob ihm der begehrte Anspruch auf Grund anderer Tatsachen zuerkannt wird, sondern es ist ihm im Gegenteil hoch erwünscht, wenn ihm andernfalls der Anspruch versagt werden müßte. Daß das Verwerten gerichtskundiger Tatsachen in den hier interessierenden Fällen in Aktivprozessen eine Klageänderung bedeuten würde, was Brüggemann als Gegenargument anführt30 , kann nicht dagegen sprechen. In aller Regel wünscht doch der Kläger z. B. 1 000,- DM mit seiner Klage zu erhalten. Muß er um sein Ziel zu erreichen, seinen Tatsachenvortrag ergänzen oder umstellen, ist er hierzu bereit. Für einen diesbezüglichen Hinweis nach § 139 ZPO, dessen Zulässigkeit einmal unterstellt, ist er in der Regel dankbar. Auch wenn der Beklagte dem Klägerbegehren die Berechtigung bestreitet, so ist sein Verhalten üblicherweise so zu verstehen, daß es auch ihm gleichgültig ist, aus welchen tatsächlichen Gründen der Kläger scheitert. Brüggemann meint jedoch, auch dem Anspruchsträger auf der Beklagtenseite (Aufrechnung, negative Feststellungsklage} müsse es ebenso überlassen bleiben, ob er seine Verteidigung durch Vortrag anderer Tatsachen auf den Reserveanspruchsgrund umstellen wolle. Kläger und auch Beklagter könnten Gründe haben die Umstellung nicht zu wollen31 • So sei es etwa - um an die oben genannten Beispiele anzuknüpfen - mit manchen Unwägbarkeiten verbunden, ob man eine Billigkeitshaftung in Anspruch nehmen wolle. In dem Beispielsfall des vertragsbrüchigen Bauunternehmers könne es dem Geschädigten vielleicht aus geschäftlichen Rücksichten unlieb sein, daß das Abstellen auf die Tatsache, daß er durch den Großauftraggeber gewissermaßen aus der Kapazität des Bauunternehmers herausgedrängt wurde, auf den ersteren ein schiefes Licht werfen könne32 • 29

so 31

s. 342. s. 342. s. 342.

9. § 291 ZPO

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Diese Ausführungen von Brüggemann sind zwar an sich richtig. Nicht gefolgt werden kann aber seinen Schlußfolgerungen. Die Parteien können wohl das Gericht nicht auf die Prüfung eines oder einiger Ansprüche beschränken. Wenn jedoch die Parteien eine Umstellung ihres Vorbringens nicht wünschen, können sie dies auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen. Der Kläger kann z. B. seine Klage zurücknehmen, § 269 ZPO. Der Rechtsstreit kann für erledigt erklärt werden, § 91 a ZPO usw. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum den Parteien zur Erreichung ihres Zieles wieder die Möglichkeit der Sachverhaltsmanipulation dienen muß. Außerdem hat diese Theorie die Schwäche, daß sie vom atypischen Fall her entwickelt ist und zwar diesen meistert, aber dafür eine Regelung trifft, die die bei der Mehrzahl aller Fälle vorhandenen Interessen nicht berücksichtigt. Eine andere Unterscheidung trifft Brüggemann hinsichtlich der rechtshindernden und -vernichtenden Tatsachen. Hier will er darauf abstellen, ob die notorische Tatsache derart ist, daß ihre Nichtberücksichtigung den gerichtlichen Ausspruch in den "tenorierten Widersinn" führt oder nicht33 • Ersteres nimmt er an, wenn ein Urteil auf eine unmögliche Leistung ergehen müßte. Dann soll die notorische Tatsache berücksichtigt werden, aber nicht wegen ihrer Notorietät, sondern wegen der Absurdität des sonst ergehenden Urteils. Brüggemann nennt als Beispiel den Fall, daß die Klage auf Einräumung des Besitzes an einer Wohnung geht. Das Haus ist aber am Tage vor der mündlichen Verhandlung stadtbekanntermaßen abgebrannt34 • Dann könne doch nicht, falls der Beklagte nicht im Termin erscheint, gegen ihn Versäumnisurteil nach Klageantrag ergehen. Das Rechtsschutzinteresse könne man dem Kläger zwar nicht versagen, denn dem stünde § 283 BGB entgegen. So helfe nur noch die Berücksichtigung der notorischen Tatsache zugunsten des Beklagten von Amts wegen35• Dem können wir zustimmen. Anders ist es im folgenden. Wenn statt Allgemeinkundigkeit nur Gerichtskundigkeit vorliegt, was nach Brüggemann häufig bei rechtshindernden Tatsachen im Gegensatz zu rechtsvernichtenden Tatsachen der Fall sein wird36, so soll ein die notorische Tatsache nicht berücksichtigendes Urteil nicht absurd sein. Brüggemann bildet folgendes Beispiel in Anlehnung an Hellwig 37 : Der Kläger behauptet einen Vertragsschluß mit dem Rechtsvorgänger des 32

33 34

35 36 37

S. 342 in Fn. 835.

s. 342. s. 342.

s. 342. s. 343.

s. 343.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Beklagten. War der Rechtsvorgänger im Zeitpunkt des fraglichen Vertragsabschlusses schon gestorben, so soll es an einem für das Gericht schlüssigen Klagevortrag fehlen. Diese Schlüssigkeit soll nicht fehlen, wenn der Rechtsvorgänger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gerichtskundig entmündigt war. Eine dennoch ergehende Verurteilung zur Leistung soll nicht absurd sein, denn ihre Unvollziehbarkeit soll nicht im greifbar Tatsächlichen, sondern im abstrakt Rechtlichen liegen. Dieser Argumentation eignet ein gewisser Zynismus. Eine nur dem Gericht bekannte Absurdität kann sich ja ruhig ereignen. Sobald diese aber allgemein bekannt würde, wäre sie zu unterlassen. Wenn es im Falle der bloßen Gerichtskundigkeit dem durch die notorische Tatsache an sich Begünstigten obliegen soll, die ihm günstige Tatsache zu behaupten, im Falle der Allgemeinkundigkeit aber nicht, so wird schließlich dadurch auch der Gleichheitssatz des Art. 3 GG verletzt. Praktisch wird es in dem letzten hier angesprochenen Fall sowieso folgendermaßen sein. Das Gericht macht die fragliche Tatsache, gleichgültig ob allgemein- oder gerichtskundig, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung, gestützt auf § 139 ZPO. Die Parteien werden sich dann dazu äußern. Das läßt sich zwanglos als ein Tatsacheneinführen durch die Parteien verstehen. Allerdings wäre der wohl mehr theoretische Fall denkbar, daß sie schwiegen. In diesem Fall müßte das Gericht die Tatsache von sich aus in den Prozeß einführen. Es könnte sie dann auch für seine Entscheidung verwerten. Denn es reicht aus, daß die Parteien Gelegenheit zur Äußerung hatten. Bereits damit ist ihrem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs Genüge getan. Im übrigen greift auch hier der Einwand durch, daß Brüggemann seine Theorie an ausgesprochenen Ausnahmefällen entwickelt. Er bildet zum Beispiel folgenden Fall: Ein Erbe eines Entmündigten bekämpft einen nun gegen ihn als Rechtsnachfolger gerichteten Anspruch aus anderen Gründen als dem der Entmündigung. Falls diese anderen Gründe nicht durchgreifen, widerspräche es seinem Pietätsempfinden, den Anspruch unter Berufung auf die Tatsache der Entmündigung zu Fall zu bringen. Lieber würde er anerkennen38 • Falsch wäre es dann nach Brüggemann, wenn das Gericht gegen des Erben Willen, die gerichtskundige Tatsache von Amts wegen berücksichtigen würde39• Brüggemann bleibt allerdings die Antwort auf die Frage schuldig, warum es nicht ausreichen soll, daß der Erbe für diesen - wohl sowieso etwas realitätsfernen - Fall die Möglichkeit des Anerkenntnisses hat. Nach allem bisher Erörterten ist also auch die Differenzierung

Brüggemanns nicht sehr überzeugend. Seine Theorie trifft genauso der 38 Brüggemann S. 343. 39 s. 343.

10. § 138 ZPO

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Vorwurf, den er gegen die Ansichten Hellwigs erhebt, daß ihnen eine gewisse Künstlichkeit anhaftet. Demgegenüber erscheint es wesentlich besser, an:llunehmen, daß allgemeinkundige und gerichtskundige Tatsachen vom Gericht immer von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Diese Ansicht hat zuerst Bernhardt entwickelt40 • Er hat sie folgendermaßen begründet: Er geht davon aus, daß die Parteien den Richter vom Sachverhalt unterrichten, weil er regelmäßig nicht über ihn unterrichtet sein wird. Eine solche Unterrichtung sei aber dann überflüssig, wenn und soweit der Richter schon vom Sachverhalt unterrichtet ist. Diese Argumentation wird noch dadurch unterstrichen, daß vielfach der Beibringungsgrundsatz gerade damit begründet wird, daß man sagt, den Parteien obliege die Sachverhaltsaufklärung, weil sie als unmittelbar Betroffene am besten dazu geeignet seien. Wenn der Grundgedanke des Beibringungsgrundsatzes doch der ist, daß die Parteien auf Grund ihres Interessengegensatzes schon gemeinsam zur Aufhellung des Sachverhalts jede nach Kräften beitragen werden, so ist eine Aufhellung ja aber gar nicht notwendig, wo bereits etwas offenkundig ist. Was allgemein- bzw. zur Überzeugung der zur Entscheidung berufenen Personen bereits feststeht, muß nur noch in den Prozeß eingeführt werden, um zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht zu werden, damit dem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs Genüge getan ist. Solche Tatsachen können aber nicht von den Parteien durch Schweigen negiert werden. Rosenberg I Schwab folgt Bernhardt hierin41 • Beide stützen sich überdies auf die Praxis schon des Reichsgerichts42 • Auch wir schließen uns dieser überzeugenden Meinung an. Was dem Gericht bekannt ist, weil es allgemein- oder gerichtskundig ist, kann es - selbstverständlich zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nach Einführung in den Prozeß - auch ohne Einführung durch die Parteien zur Urteilsgrundlage machen. Sonst zwingt man unter Umständen das Gericht dazu, sehenden Auges ein materiellrechtlich falsches Urteil zu fällen. Das aber kann niemand wollen. 10. Der Einfluß der sogenannten Wahrheitspflicht des§ 138 ZPO Die ZPO von 1877 kannte ursprünglich gar keine Wahrheitspflicht, obwohl eine solche bereits im römischen Recht und auch in späteren Prozeßordnungen bestand'. Im römischen Recht hatte die sog. calumnia Festschrift für Rosenberg, S. 22 ff. § 117 3. 42 RG in JW 1899, 71 ff. (73) = SeuffArch 54 Nr. 252; RG Gruch 36, 1131 ff. Die Entscheidung RG in JW 1933, 1655 ff. ist nicht einschlägig. 1 Staab S. 8 ff. (10). 40

41

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

das Ziel, die Parteien zu wahrheitsgemäßen Erklärungen zu bewegen. Die calumnia wurde verwirklicht von wissentlich unwahren Behauptungen, bewußt rechtswidrigen Klagebegehren und vorsätzlicher Verwendung wahrer oder sonst erlaubter Parteierklärungen zur Erschwerung des Prozesses, wobei bei allem das Bewußtsein der Widerrechtlichkeit des Handeins hinzu kommen mußte2 • Die Wahrheitspflicht der Parteien im römischen Prozeß war eine Rechtspflicht, denn wer die calumnia verwirklichte, konnte mit einem Strafverfahren deshalb überzogen werden3 • Auch konnte gegen den calumniator eine Klage auf das Vierfache erhoben werden4 • Im germanischen Prozeß hatte der Kläger die Wahrheit seines Klagebegehrens zu erklären und mußte diese u. U. eidlich bekräftigen. Dasselbe galt für den Beklagten. Also war auch hier die Ermittlung der Wahrheit das Ziel des Prozesses. Das zeigt sich auch daran, daß der germanische Rechtsgang noch eine Reihe anderer Mittel kannte, die das Ziel verfolgten, die Wahrheit herauszufinden, z. B. den Zweikampf, das Orakel, die Tortur und das Gottesurteil5 • Für uns erscheinen diese Mittel als Mittel der Wahrheitsermittlung befremdlich. Wir müssen uns jedoch vergegenwärtigen, daß nach damaliger Überzeugung Gott der gerechten, d. h. der wahren Sache zum Siege verhelfen würde. Durch göttliche Fügung würde also der Zweikampf von dem gewonnen werden, der im Recht war. Das Gottesurteil war ja eine direkte Anrufung Gottes in seiner Allwissenheit und Weisheit. Dem entsprach es, daß die Prozeßlüge, wenn sie eidlich bekräftigt worden war, nicht bloß ein Rechtsbruch war, sondern eine religiöse Freveltat6 , schwur man doch unter Anrufung Gottes. Im kanonischen Prozeß wurden die Calumnieneide wieder ausgebildet, mit denen man mutwilliges Prozessieren und unredliches Verhalten im Prozeß verhindern wollte7 • Über den kanonischen Prozeß gelangten die Calumnieneide in den gemeinen Zivilprozeß. Im Kammergerichtsprozeß drückte sich das im sog. Gefährdeeid aus. Er sollte wiederum verhindern, daß sich die Parteien unwahr einließen8 • Im folgenden Zeitraum einer gewissen Rechtszersplitterung auch auf dem Gebiet des Prozeßrechts haben doch die meisten Prozeßordnungen 2

Nelte S. 2.

s Seidl Rdn. 408. 4 Kaser Das Römische Privatrecht, S. 629. 5 Diese verschiedenen Formen der Wahrheitsermittlung im germanischen Rechtsgang sind im einzelnen von Schimmels'chulze S. 6 ff. näher beschrieben. e Eisele S. 8. Wildermuth S. 9. s Nelte S. 4.

1

10. § 138 ZPO

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Maßnahmen vorgesehen, die die Wahrheitsermittlung sichern sollten. So war es im Hannoverschen Prozeß, der u. a. Verweise, Geldbußen und Gefängnisstrafen gegen arglistige Prozeßparteien und gegen Personen vorsah, die erhebliche Tatsachen wahrheitswidrig ableugneten•. Ausdrücklich verankert war die Wahrheitspflicht in der Prozeßordnung Badens von 1864 in den §§ 249, 250 und in der württembergischen Prozeßordnung von 1868 in§ 567, sowie in der preußischen AG010• Man ersieht aus diesen Beispielen auch, daß obwohl der Prozeß nach der AGO der einzige war, der dem Inquisitionsprinzip folgte, er nicht der einzige war, der die Wahrheitsermittlung vorsah. Das heißt, die Existenz einer Wahrheitspflicht ist zwar unerläßlich, wenn ein Prozeß dem Inquisitionsprinzip untersteht. Sie ist aber nicht ausgeschlossen bei Prozessen, die den Verhandlungsgrundsatz kennen. Keineswegs verbietet sich für sie eine Wahrheitspflicht. Als die ZPO geschaffen wurde, kannte sie keine ausdrückliche Wahrheitspflicht. Gleichwohl diskutierte die Rechtswissenschaft die Frage, ob eine solche etwa stillschweigend anzunehmen sei. Dabei erkannte die überwiegende Literatur eine Wahrheitspflicht als Rechtspflicht nicht an11 • Von den zeitgenössischen Prozessualisten war es vor allem Wach, der die Wahrheitspflicht als mit den Grundsätzen der Verhandlungsmaxime unvereinbar erachtete. Von seinem "Grundsatz der staatlichen Interesselosigkeit an der Streitsache" 12 ausgehend, hielt er eine Wahrheitspflicht für dem Wesen des Zivilprozesses als einer Privatangelegenheit der beteiligten Parteien widersprechend. Von ihm stammen ja die vielzitierten Worte: "Die Feststellung der Wahrheit ist nicht das Ziel des Zivilprozesses. Sie ist sein zufälliges Resultat!11" Es wurden allerdings auch bereits damals in der Literatur Stimmen laut, die die Einführung einer Wahrheitspflicht oder die Anerkennung einer ungeschrieben bestehenden forderten. Diese konnten sich jedoch damals nicht durchsetzen. Noch 1927 kam hingegen SpindZer zu dem Ergebnis, daß die uneidliche bewußt wahrheitswidrige Aussage einer Partei in der ZPO nicht von Rechts wegen verboten seP'. Obwohl auch das RG anerkannte, daß eine ausdrückliche Wahrheitspflicht nicht in der ZPO zu finden sei, meinte es gleichwohl, daß die Mißbilligung der bewußten Unwahrheit, der Lüge, aus dem Prozeßzweck folge und dem Gerold S. 10. Nelte S. 4 f. u Ders. S. 6 ff. mit Nachweisen des zeitgenössischen Schrifttums. 1! Vorträge S. 53. 1s Vorträge 8.149. 1

10

u 8.73.

8 Zettel

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entspreche15. Ein Gesetzentwurf zur Novellierung der ZPO von 1931 sah dann eine Wahrheitspflicht vor. Er wurde aber nicht Gesetz. In der Erläuterung zu diesem Entwurf heißt es zur Begründung einer Wahrheitspflicht: "Auf allen anderen Gebieten unseres öffentlichen Lebens hat man inzwischen den Grundsatz des laisser faire, laisser aller längst verlassen und erkannt, daß der Staat berechtigt und verpflichtet ist, insoweit, als es das allgemeine Wohl erfordert, der freien Betätigung des Einzelegoismus Schranken zu setzen"16. Erst durch das Gesetz vom 27. Oktober 1933 wurde - allerdings in Anlehnung an den Entwurf von 1931 - § 138 ZPO in seiner neuen Form eingefügt. Die Einführung der Wahrheitspflicht gerade 1933 war zweifellos eine zivilprozessuale Auswirkung der nationalsozialistischen Machtergreifung. Das erhellt auch daraus, daß damals Francke ausführte: "Eine grundsätzliche Abkehr von dieser ablehnenden Haltung gegenüber einer gesetzlichen Wahrheitspflicht war vielmehr durch eine Änderung der weltanschaulichen Grundhaltung überhaupt bedingt, die in der Machtergreifung des Nationalsozialismus im Jahre 1933 ihren Ausdruck fand. Erst damit wurde den Belangen des Volksganzen der ihnen gebührende Rang vor den Interessen des einzelnen vorbehaltlos eingeräumt, indem man die Masse der Rechtsstreitigkeiten in ihrer Gesamtheit betrachtete und davon absah, die Verfahrensgrundsätze nur nach Einzelbedürfnissen zu gestalten. Jetzt erst konnte und mußte von jedem einzelnen Rechtsschutzsuchenden mit Fug und Recht verlangt werden, sein Verhalten vor dem Richter so zu gestalten, daß es mit den Interessen der Volksgesamtheit übereinstimmt. Damit war der Weg für ein gesetzliches Lügenverbot frei, wie es durch die Novelle von 1933 verwirklicht wurde17." Müller sprach gar davon, daß die Wahrheitspflicht des § 138 ZPO die "Haupteinfallspforte" nationalsozialistischen Gedankenguts in die alte sonst wenig veränderte Zivilprozeßordnung geworden sei18. Auch von G. Müller wird der nationalsozialistische Gehalt der Novellierung betont19• Trotzdem wäre es falsch, nun die Wahrheitspflicht einfach als nationalsozialistisches Gedankengut abzutun. Das zeigt schon ein Blick auf ihre Geschichte. Außerdem wäre sie dann auch nicht im Nachkriegsdeutschland so schnell von den Zivilprozessualisten akzeptiert worden. 1s RGZ 95, 313. 1e S. 286 der Erläuterungen zu dem Entwurf einer ZPO von 1931, der in § 288 Abs. 3 eine Wahrheitspflicht vorsah, zitiert nach Nette S. 9. 17

18 19

S.l6f. s. 33. s. 1 ff.

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Denn es darf nicht vergessen werden, daß damals als Reaktion auf die Pervertierungen der NS-Zeit eine Rückbesinnung auf altes liberales Gedankengut stattfand. Eine nur dem nationalsozialistischen Ideengut zuzuordnende Wahrheitspflicht hätte da vor den kritischen Blicken keinen Bestand gehabt. Außerdem spricht ein drittes dagegen: Auch ausländische Rechte kennen kodifiziert oder nicht eine Wahrheitspflicht, z. B. Österreich in § 178 ÖZP020, der Kanton Zürich in den §§ 90 und 128 seiner ZP021 • In England ist die Wahrheitspflicht nicht kodifiziert. Sie wird jedoch dort als selbstverständlich vorausgesetzt22• Im einzelnen hat dies Staab in seiner rechtsvergleichenden Arbeit, auf die hier verwiesen sei, näher dargestellt. Das Reichsgericht hielt § 138 ZPO in seiner neuen Form nach der Novelle von 1933 nun für den "wichtigsten Grundsatz des bürgerlichen Streitverfahrens"23• Pohle wiederum nennt sie eine Vorschrift von grundsätzlicher Bedeutung, aber geringen unmittelbaren prozessualen Auswirkungen24 • Das ist eine Aussage, die zur Überprüfung reizt. § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet die Parteien dazu, Erklärungen über Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß abzugeben. Im Vorspruch zur sog. Wahrheitsnovelle hieß es: " ... Dem Rechtsschutz, auf den jeder Anrecht hat, entspricht die Pflicht, durch redliche Prozeßführung dem Richter die Findung des Rechts zu erleichtern25." Das läßt darauf schließen, daß man damals die Wahrheitspflicht als öffentlichrechtliche Pflicht aufgefaßt hat. Diese Ansicht ist auch heute noch die herrschende26• Anderer Ansicht ist Wieczorek21. Er meint, im Prozeßrecht gäbe es überhaupt keine Parteipflichten, sondern nur Lasten28 • Dabei argumentiert er wie folgt: Niemand werde zur Erhebung von Ansprüchen oder zur Verteidigung gegen unrechtmäßig erhobene Ansprüche gezwungen. Das Gericht dürfe keine über das Parteibegehren hinausgehenden Entscheidungen treffen. Die §§ 446, 553 Abs. 2 ZPO zeigten, daß es jeder Partei überlassen bleibe, sich zu erklären oder zu schweigen. Daraus ersehe man, daß es für die Parteien keine Erklärungspflichten und keine Beweismittelbeibringungspflichten gäbe. Daher hätten Nichterklären und Nichtbeibringen von Beweismitteln keine Sanktionen zur Folge. Den Parteien entstünden dadurch lediglich prozessuale Nachteile. Staab S . 12. Ders. S. 14 f. 22 Ders. S. 19. 23 RG in AkZ 1937, 536 mit zust. Anm. von Bernhardt. 24 Stein I Jonas I Pohle Anm. I 1 a zu § 138. 25 RGBl. 1933, I, 780. 26 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 A zu § 138; Schänke I Kuchinke § 2; Rosenberg I Schwab § 65 VIII; ZöUer Anm. I zu § 138. 27 Anm. A zu § 138. 28 Anm. A II zu § 138. 20 21

a•

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Daher spreche man ja auch von Erklärungs- und Beweislast28 a. Wenn es aber keine Erklärungspflicht gebe, so folgert Wieczorek, könne es auch keine Wahrheitspflicht geben, sondern ebenfalls nur eine Wahrheitslast28,30.

Staab wies schon darauf hin, daß die Frage, ob§ 138 ZPO eine Wahrheitspflicht oder eine Wahrheitslast normiert, nicht als bloße terminologische Frage offen bleiben könne31, wie Grunsky meinte32• Der Grund dafür ist, daß bei Nichterfüllung einer echten Pflicht ein unerlaubtes Verhalten vorliegen kann, während bei Verletzung einer Last lediglich prozessuale Nachteile eintreten33• Ferner ist bei Annahme einer Wahrheitspflicht als Rechtspflicht zu beachten, daß diese schon dann eingreift, wenn die Parteien durch irgendwelche Handlungen staatlichen Rechtsschutz begehren und nicht erst, wenn sie formell in ein rechtshängiges Verfahren eingetreten sind34 • Wir wollen uns an dieser Stelle für die Wahrheitspflicht als echte öffentlichrechtliche Pflicht entscheiden. Die Argumentation von Wieczorek überzeugt nicht, denn schließlich kann die Verletzung der Wahrheitspflicht wohl Sanktionen nach sich ziehen. Um welche es sich dabei im einzelnen handelt, wird später noch zu erörtern sein. Daß es nicht gegen eine Pflicht spricht, wenn es an der Erzwingbarkeit fehlt, sei nur beiläufig erwähnt35• Das ersieht man schon aus den in § 888 Abs. 2 ZPO erwähnten Fällen. Wenn auch die Verurteilung zur Eingebung einer Ehe, die zur Herstellung des ehelichen Lebens und die zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag nicht durch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung vollzogen werden kann, so wurde doch verurteilt, weil es sich um echte zugrundeliegende Rechtpflichten handelte. Die Nichtbefolgung eines solchen Urteils zieht denn auch Sanktionen, regelmäßig in der Form der Schadensersatzleistung, nach sich. § 138 Abs. 1 ZPO wird heute weitgehend als spezielle zivilprozessuale Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben gesehen311• DemAnm. A II a zu § 138. zu § 138. so Weitere frühere Literaturnachweise zur Frage, ob § 138 ZPO eine Wahrheitspflicht oder -last beinhaltet, allerdings ohne grundsätzlich andere Argumente, finden sich bei Staab S. 33 f. zitiert. lll 5.34. 12 § 19 V. n Staab S. 34. u Trawny S. 29. 35 Darauf weist Jauernig hin, Lent I Jauernig § 26 I. ae Bernhardt § 23 III 1; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 D zu§ 138. !8a 28

Anm. A II b

10. § 138 ZPO

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zufolge soll er arglistiges Handeln untersagen37• Teilweise hält man die Wahrheitspflicht der Parteien für eine Ergänzung der richterlichen Fragepflicht38• Genauer wird auf diese Frage bei der Darstellung des Verhältnisses der Wahrheitspflicht zu Geständnissen noch einzugehen sein. Die Wahrheitspflicht besteht nach h. M. sowohl der anderen Prozenpartei gegenüber als auch dem Gericht gegenüberll9 • Die Wahrheitspflicht obliegt auch Anwälten, sonstigen Prozenvertretern und Beiständen40. Der Umfang der Wahrheitspflicht im einzelnen ist folgender: So weit, wie man nach ihrem Wortlaut vermuten könnte, geht sie nicht. Das hat seinen Grund im System unseres Zivilprozesses. Er folgt im Beweisrecht ganz anderen Grundsätzen als etwa der Strafprozeß. Im letzteren kann ein Sachverhalt erst im Laufe des Prozesses aufgeklärt werden, ohne daß Staatsanwaltschaft oder Verteidigung ihn vorher als in einer bestimmten Weise feststehend behaupten. Im Zivilprozeß ist dies nicht möglich. Der sog. Ausforschungsbeweis ist unstreitig unzulässig41• Um ihr Begehren schlüssig zu machen, muß daher eine Partei auch Tatsachen behaupten, die sie nur vermutet. So muß sie beispielsweise einen inneren Vorgang wie die Arglist im Sinne des § 123 BGB behaupten. Sie kann sich nicht darauf beschränken, vorzutragen, eine solche sei wahrscheinlich anzunehmen. Die Partei muß also auch Behauptungen vortragen, von deren Richtigkeit sie nicht objektiv Gewißheit haben kann, die sie vielmehr lediglich subjektiv für richtig hält. Die Partei darf eben nur nichts wider besseres Wissen behaupten, also nicht lügen. Als Verstoß gegen die Wahrheitspflicht wird es demzufolge auch nicht angesehen, wenn eine Partei mehrere sich widersprechende Vorbringen in der Form von Haupt- und Hilfsantrag geltend macht42'. Auch die Aufstellung mehrerer Behauptungen in Wahlform ist erlaubt48• Zum Beispiel kann ein Beklagter Zahlung behaupten, wenn nicht sei aber jedenfalls Stundung erfolgt. Ebenfalls kein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht liegt in dem folgenden Fall vor: Die Partei z. B. als Kläger stützt ihre Klage in erster Linie natürlich auf ihren eigenen Vortrag. 37

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Rosenberg I Schwab § 65 VIII 4. Hahn Mat. I, 215 für § 445 des Entwurfs.

so Staab S. 46 mNwe. 40 Thomas I Putzo Anm. I 1 a zu § 138. 41 Thomas I Putzo Anm. 4 a zu § 282; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. III 1 zu § 282 ; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 zu § 282; ZöHer Anm. III 1 zu § 282. 42 Thomas I Putzo Anm. 2 c zu § 260. 43 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 B zu § 138.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Hilfsweise macht sie sich jedoch den gegenteiligen Sachvortrag der beklagten Partei zu eigen, obwohl sie diesen für unrichtig hält. Der Grund liegt darin, daß letzterer auch Schlüssigkeit der Klage ergäbe. Hier, so argumentiert der Bundesgerichtshof«, wäre es widersprüchlich, wenn das Gericht etwa das klägerische Hauptvorbringen als nicht bewiesen behandeln wolle. Später müßte es dieses aber wieder als wahr unterstellen. Dies wäre nämlich in dem Augenblick denknotwendig erforderlich, in dem das Gericht das vom Kläger als HUfsvorbringen vom Beklagten übernommene Vorbringen wegen Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht nicht beachtete. Letztlich stellt das Gericht verbindlich fest, welcher Sachverhalt als wahr anzunehmen ist. Daher ist dieser Rechtsprechung45 auch zu folgen-«~. In der Literatur ist dagegen vereinzelt Widerspruch laut geworden. Blomeyer zum Beispiel wendet sich dagegen47• Er tut dies zwar nicht im Ergebnis, wohl aber in der Begründung. Insoweit schließt er sich der Lehre vom sog. gleichwertigen (= aequipollenten) Parteivorbringen anta. Diese Lehre besagt folgendes: Es ist der Fall denkbar, daß bei einer Klage das schlüssige Klägervorbringen vom Beklagten bestritten wird. Das Beklagtenvorbringen ist seinerseits aber auch schlüssig zur Rechtfertigung des Klagebegehrens. Rosenberg I Schwab bringen hierfür das Beispiel, daß der Kläger Schadensersatz wegen fahrlässiger Eigentumsverletzung begehrt und ihm nach dem Beklagtenvorbringen Schadensersatz aus aggressivem Notstand zusteht49 • Bei Schänke I Kuchinke findet sich das Beispiel, daß der Kläger nach Anfechtung eines Kaufvertrages Herausgabe des geleisteten Gegenstandes verlangt. Der Beklagte bestreitet zwar das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes. Aus seinem Vorbringen ergibt sich aber, daß der Vertrag wegen Wuchers nichtig is~0• In solchen Fällen soll nach der Lehre vom gleichwertigen Parteivorbringen das Gericht der Klage ohne Beweisaufnahme stattgeben. Dabei soll es gleichgültig sein, ob der Kläger der Darstellung des Beklagten widersprach oder sie sich, in der Regel wohl eventuell, also hilfsweise, 44 In BGHZ 19, 387 ff. (391); Johannsen stimmt dem zu in LM Anm.1 zu § 138. 45 So auch BGH in MDR 69, 995; BGH in DRiZ 1968, 422; BGH in MDR 56, 10. 46 Ihr stimmen zu: Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 B zu § 138; Zöller Anm. I 1 zu § 138; Stein I Jonas I Pohle Anm. I 1 d zu § 138; Thomas I Putzo Anm. I 2 c zu § 138; Rosenberg I Schwab § 65 VIII 4. 47 § 1411 1 a. 48 Diese wird vertreten von Habscheid "Streitgegenstand", S. 217; Bernhardt in Festgabe für Rosenberg, S. 43; Mühl JuS 64, 359; Blomeyer S. 67; Brauer JZ 56, 710; A. Schmidt JZ 56, 559; E. Schneider in MDR 70, 201 und einmal vom BGH in BGHZ 14, 363. 49 § 134 I 3 a r. so § 8 I 2 (S. 25).

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zu eigen gemacht hat'H. Das heißt, nach dieser Lehre kann eine Klage mit einer Anspruchsgrundlage in der Klägerstation schlüssig und mit einer anderen in der Beklagtenstation begründet sein.

Lent I Jauernig kommen zu denselben Ergebnissen wie die Lehre vom sog. aequipollenten Parteivorbringen. Sie argumentieren aber anders. Sie meinen, entscheidend könne es immer nur darauf ankommen, ob sich der Beklagte erheblich einlasse~. Wenn er sich in einem Falle, in dem der Kläger Tatsachen vorträgt, die einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB begründen würden, so verteidigt, daß sich zwar nicht dieser Anspruch, wohl aber einer aus § 904 S. 2 BGB gegen ihn ergibt, so sei seine Einlassung wohl gegenüber dem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB erheblich. Seine Schilderung ergebe aber ja bei unverändertem Streitgegenstand einen Anspruch aus § 904 S. 2 BGB gegen ihn. Seine Verteidigung gegen die Klage sei insgesamt daher unerheblich. Als Folge gewinne der Kläger den Prozeß auf Grund seines Vortrages53. Der BGH folgt- wie bereits angedeutet- keiner der beiden Meinungen, sondern verlangt, daß sich der Kläger das Beklagtenvorbringen hUfsweise zu eigen gemacht hat. Sonst soll es nicht berücksichtigt werden dürfen54• Dieser Meinung kann man um so eher folgen, als ja der Kläger regelmäßig vom Gericht im Rahmen des § 139 ZPO, auf den wir noch näher eingehen werden, gefragt werden wird, ob er sich dieses Vorbringen zu eigen machen will. Daher wird ihm kein unerwarteter Nachteil widerfahren, wenn er dies nicht tut, etwa weil er es für falsch hält, und deshalb den Prozeß verliert. Die Wahrheitspflicht beinhaltet nun nicht bloß eine Pflicht zur subjektiv wahrhaftigen Aussage. Man kann ja auch ohne zu lügen eine falsche Darstellung geben, indem man bewußt Dinge verschweigt. Daher verbietet die Wahrheitspflicht auch den bewußt unvollständigen Sachvortrag. § 138 Abs. 1 ZPO verlangt ausdrücklich vollständige Erklärung. Die Vorschrüt normiert eine Vollständigkeitspflicht. Das Lügenverbot wird ergänzt durch das Lückenverbot55. Die Vollständigkeitspflicht ist keine selbständige Pflicht neben der Wahrheitspflicht, vielmehr ein Teil derselben56• Sie besteht unabhängig von Fragen der Behauptungsund Beweislast57• Vollständigkeit kann aber nur verlangt werden, sost Rosenberg I Schwab § 134 I 3 a "(. 52 § 25 VI 4. 53§ 25 VI 4. 54 BGHZ 19, 387 ff. und BGH in MDR 1969, 995; ebenso Schönke I Kuchinke § 8 I 2 (S. 25) Fn. 1. 55 Der Ausdruck stammt von Bernhardt, Festgabe für Rosenberg, S . 27. 56 Staab S. 42 mNw. 57 Bernhardt § 23 III 2.

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weit die Partei bestimmte Kenntnis von Tatsachen hat. Die Verschweigung von Umständen, die sie nur für möglich oder wahrscheinlich hält, würde man ihr nicht vorwerfen können158• Hier stellt sich für uns die Frage, ob das Gericht eine unter Verletzung der Vollständigkeitspflicht nicht gebrachte Behauptung von sich aus einführen kann. Von Bremen-Kühne bejaht dag59. Brüggemann lehnt es ab60• Er begründet seine Ablehnung im wesentlichen damit, daß er es der streitigen Hauptverhandlung überlassen will, die Vollständigkeit des Parteivortrages zu erzielen, nicht zuletzt durch das Sach- und Rechtsgespräch nach § 139 ZPO. Man wird ihn so verstehen dürfen, daß er diese Möglichkeit der Herbeiführung von Vollständigkeit für völlig ausreichend hält. Das ist sie nun aber gerade nicht, wie die von ihm vorher angeführten Beispiele aus dem Versäumnisverfahren selbst zeigen. Brüggemann bringt das Beispiel61 , daß im Termin der Beklagte ausbleibt, gleichwohl aber bereits ein Schriftstück von ihm zu den Akten gegeben wurde, aus dem sich ergibt, daß den Kläger ein Mitverschulden trifft und der Kläger das auch selbst dem Beklagten gegenüber eingeräumt hat. Das soll nicht berücksichtigt werden dürfen. Ebenso wird das Beispiel behandelt, daß der Beklagte z. B. eine Quittung zu den Akten gebracht hat, aus der sich Erfüllung ergibt. Die Nichtberücksichtigung solcher nur schriftlich zu den Akten gegebener Behauptungen ist allerdings vollkommen herrschende Meinung und nahezu unstreitig. Trotzdem fragt es sich, ob das Ergebnis gerechtfertigt ist. Die Parallele zum vorigen Fall der wahrheitswidrigen Behauptung ist doch zu deutlich. Wenn der Kläger beispielsweise die Tatsache der Erfüllung vergessen hätte, so träfe ihn kein Vorwurf. Umgekehrt aber schon, wenn er sie einfach bewußt verschwiegen hat. Im ersteren Fall könnte die Tatsache nicht strafweise vom Gericht eingeführt werden, im zweiten Fall schon. Mindestens müßte man vom Kläger eine Erklärung zu den schriftlichen Äußerungen des Beklagten fordern kön. nen. Die Rechtsgrundlage hierfür bietet § 139 ZPO. Dann aber könnte man über die Verletzung oder Einhaltung der Wahrheitspflicht zu Ergebnissen kommen, die der materiellen Rechtslage entsprechen. Hätte der Kläger wahrheitsgemäß Stellung bezogen und die Beklagtenäußerung dabei widerlegt, so erginge eine Entscheidung zu seinen Gunsten. Hätte er sich damit selbst widerlegt, so fiele die Entscheidung zwar zu seinen Ungunsten aus, entspräche aber der materiellen Rechtslage. Im Falle des Verstoßes gegen § 138 ZPO wäre das Ergebnis dasselbe. Auf diese Weise würde allerdings der Kläger gezwungen, notfalls gegen ss Rosenberg in ZZP 58, 287. 59 s. 115, 137. 60 s. 349. 61 s. 350.

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sich selber auszusagen. Diesem Zwang unterliegt er aber auch schon jetzt, z. B. bei der Parteivernehmung, falls er nicht von seinem Aussageverweigerungsrecht des § 446 ZPO Gebrauch macht. Die Wahrheitspflicht gilt nach ganz h. M. für alle Teile der ZPO einschließlich des Mahn- und Vollstreckungsverfahreng62. Im Säumnisund Schiedsverfahren ist allerdings ihre Geltung streitig. Dabei ließ der BGH diese Frage bisher offen63• Ob die Wahrheitspflicht im Schiedsverfahren gilt, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher untersucht werden64 • Über die Geltung der Wahrheitspflicht im Säumnisverfahren soll später im Zusammenhang mit deren Verhältnis zu Geständnissen gehandelt werden. Unbedeutsam für die Frage, ob eine Partei eine Wahrheitspflicht trifft, ist das Vorliegen einer materiellrechtlichen Offenbarungspflicht gegenüber dem Prozeßgegner etwa nach den §§ 660, 2027 BGB und anderen65• Die Wahrheitspflicht besteht unabhängig davon. Es gibt aber auch Grenzen der Wahrheitspflicht. Eine davon ist ihre Zumutbarkeit für die Parteien66 • Zum Beispiel brauchen klagende Parteien keine Tatsachen vorzutragen, die eine Einrede ausfüllen67 • Streitig ist, ob dies auch für Einwendungen gilt. Hier wird man aber mit Staab eine Pflicht zum Vortrag der Tatsachen annehmen müssen. Dieser argumentiert wie folgt68 : Einreden geltend zu machen, sei der einzelnen Partei überlassen. Einwendungen betreffen aber im Gegensatz dazu unmittelbar den Bestand des Rechts. Die Wahrheitspflicht solle aber gerade verhindern, daß die Gerichte als Werkzeug zur Durchsetzung nicht bestehender Rechte verwendet werden. Dem ist voll zuzustimmen. Die Parteien können auch den Vortrag von Tatsachen unterlassen, die der Gegenpartei Anspruchsgrundlage, Anlaß einer Widerklage oder eines Mitschuldantrages im Scheidungsverfahren sein können69• Ferner haben die Parteien die Möglichkeit, dann nicht auszusagen, wenn es ein Zeuge ebenfalls nicht zu tun braucht70• Dieser Fallläge etwa vor, wenn eine Aussage zur Unehre gereichen oder die Gefahr einer Strafverfole2 Staab S . 52

mNwe.

In BGHZ 23, 198. 84 Bejahend hierzu äußert sich Habscheid in KTS 1955, 33 ff. &5 Zur Hausen S. 52. 86 Zöller Anm. I 1 zu § 138. 67 Grunsky § 19 V 2. 88 s. 43 f. 89 RGZ 156, 269; Stein I Jonas I Pohle Anm. I 2 a zu § 138; RGSt 72, 22; OLG Kassel JW 1937, 2768. 70 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 c zu § 138. 83

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

gung hervorrufen würde. In diesen Fällen muß sich aber wiederum die Partei darauf beschränken zu schweigen. Zu lügen ist ihr niemals erlaubt. Die Parteien sind nicht nur beim Behaupten, sondern auch beim Bestreiten an die Wahrheitspflicht gebunden. Sie dürfen also nicht wider besseres Wissen bestreiten71 • Sie dürfen auch nicht gegen besseres Wissen eine gegnerische Tatsachenbehauptung zugestehen72 • Diese Wirkung erzielt auch das Nichtbestreiten, § 138 Abs. 3 ZPO. Daher ist dieses genau so zu behandeln. Allerdings ist es nicht unbestritten, daß gegen besseres Wissen nicht zugestanden werden darf. Ein solches Verbot wird teilweise unter Berufung auf die Parteiherrschaft über den Zivilprozeß abgelehnt73• Zur Unterstützung unserer Ansicht eignet sich auch ein Blick auf§ 139 ZPO. Denn die Tragweite des§ 138 ZPO ist ohne die Betrachtung auch dieser Vorschrift nicht erkennbar. Nach § 139 ZPO muß der Richter Zweifel an der Wahrheit und Ernstlichkeit von Tatsachenbehauptungen beheben und bemüht sein, Widersprüche zu klären74 • Das gerichtliche Geständnis als Prozeßhandlung einer Partei nimmt dem Gericht die Prüfung der Wahrheit einer Behauptung ab. Es ist ja die Erklärung der Partei, eine von der Gegenpartei behauptete ihr ungünstige Tatsache sei wahr76• Diese Geständniswirkung tritt auch dann ein, wenn das Gericht auf Grund einer bisherigen Beweisaufnahme eigentlich vom Gegenteil des Zugestandenen überzeugt ist76 • Das Geständnis beinhaltet nicht auch die vom Gegner behauptete Rechtsfolge. Hierzu bedürfte es eines Anerkenntnisses, § 307 ZPO. Das Verhältnis von Geständnissen zur Wahrheitspflicht hängt wesentlich davon ab, ob man die der Partei ungünstige Lüge zuläßt oder nicht. Teilweise betrachtet man § 138 ZPO als ausschließlich dem Schutz des Prozeßgegners dienend. Daher soll die falsche Angabe von Tatsachen, die dem Behauptenden ungünstig sind, trotzdem zulässig sein77•

Nikisch folgert dies aus dem Wesen des Zivilprozesses78 , wonach es den Parteien völlig freigestellt sei, welchen Sachverhalt sie der Entscheidung zugrunde legen wollen. ZöHer Anm. I 1 zu § 138. Bernhardt in Festgabe für Rosenberg, S. 32 und in JZ 63, 245; Wieczorek Anm. A I b 2 zu § 288. 73 Von Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. III 2 zu § 288 und Thomas I Putzo Anm. 2 d aa zu § 138. 74 Thomas I Putzo Anm. 2 a zu § 139. 75 Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. I 1 zu § 288. 78 RG Recht 1913, Nr. 2131; Sobernheim S. 36. 11 So Blomeyer § 30 VII 1 c und Rosenberg § 61 VII 5; Thomas I Putzo Anm. I 2 d zu§ 138; Stein I Jonas I Pohle Anm. I 1 d zu § 138. 78 §53 IV 2. 71

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Lent wiederum schließt das aus der Dispositionsbefugnis der Parteien im Zivilprozeß79 • Ihm zufolge sei es ein und dasselbe, ob die Parteien zum Beispiel auf einen Anspruch verzichten oder einfach einen Teil des Entstehungstatbestandes nicht vortragen, so daß die Klage abgewiesen wird. Diese Ansicht ist nicht unwidersprochen geblieben. Sie wird abgelehnt mit dem Argument, daß die Wahrheitspflicht eine öffentlichrechtliche Pflicht dem Gericht und dem Gegner gegenüber im Interesse und als Voraussetzung einer geordneten Rechtspflege sei80 • Auch Bernhardt wendet sich dagegen81 und sieht gerade in der jederzeit bestehenden Dispositionsfreiheit einen Grund für die mangelnde Notwendigkeit, den Parteien die Erzielung verfügungsähnlicher Wirkungen auf dem Weg eines falschen Vortrags des Sachverhalts zu ermöglichen. Die Wahrheitspflicht ist schließlich undenkbar ohne eine Instanz, die ihre Beachtung an objektiven Maßstäben verbindlich prüft. Sonst wäre die Wahrheitslpflicht keine Rechtspflicht, sondern nur eine moralische. Diese Prüfungsinstanz muß aber der Zivilrichter sein. Sonst bestünde eine Inkonsequenz im System unseres Zivilprozeßrechts. Es wäre dann sinnlos, daß der Zivilrichter das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen kann und sie auch befragen kann. Letzten Endes hängt die Stellungnahme zu dieser Frage von der grundsätzlichen Einschätzung der Aufgaben und Ziele eines Zivilprozesses ab. Darauf wird deshalb an anderer Stelle noch eingegangen werden. Einigkeit besteht lediglich soweit, daß unbeachtlich sind Geständnisse unmöglicher Tatsachens2 und Geständnisse offenkundig unwahrer Tatsachen. Den letzteren müssen ja andererseits offenkundig wahre Tatsachen entsprechen, und diese bedürfen nach § 291 ZPO keines Beweises. Die herrschende Meinung, die das einer Partei ungünstige Geständnis zuläßt, stützt sich auch auf § 290 ZPO. Dieser hält eine Partei an einem bewußt unwahren Geständnis fest. Dieses .Ergebnis billigt auch die Rechtsprechung83. Sie argumentiert so: § 290 ZPO enthalte mit der Bindung an bewußt unwahre Geständnisse eine Sanktion für Verletzungen der Wahrheitspflicht. Er diene also im Grunde der Wahrheitspflicht, anstatt ihr entgegenzuwirken, wie es von einem Teil der Literatur vertreten wird84 • Während diese Mindermeinung eine ÄndeIn ZZP 63, S. 46 f . Zöller Anm. I zu § 138 und Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 D zu § 138. 81 § 23 III 4. 8% Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 3 B d zu § 288. 83 BGH in LM Nr. 1 zu § 290 mit zust. Anmerkung von Johannsen. 84 Wieczorek Anm. A II zu § 290; Bernhardt in Festgabe für Rosenberg, s. 9 ff. (32). 79

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rung mancher zivilprozeßrechtlicher Bestimmungen durch den 1933 eingeführten § 138 ZPO annimmt, nimmt die herrschende Meinung und Rechtsprechung eine Modifizierung des § 138 ZPO durch den Beibringungsgrundsatz an8s. Es zeigt sich hier bereits, daß die Frage nach dem Umfang des § 138 Abs.1 ZPO sich nicht beantworten läßt, ohne die grundsätzliche Bedeutung der zivilprozessualen Prinzipien herauszuarbeiten und zu ihnen wertend Stellung zu nehmen. Dies jedoch setzt eine Besinnung auf Ziel und Zweck des Zivilprozesses voraus. So wird auf diese Frage noch im zweiten Teil der Arbeit genauer zurückzukommen sein. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht kann verschiedene Konsequenzen haben. Die Kernfrage lautet dabei: Wenn eine Verletzung feststeht, welche Folgerungen dürfen hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts daraus gezogen werden? Ein Nachforschungsrecht von Amts wegen hat für solche Fälle von Bremen-Kühne vertreten88• Einem solchen Recht müßte ja aber eigentlich aus Gründen der Gleichbehandlung der Parteien auch eine damit korrespondierende Pflicht entsprechen. Es fehlt aber an einer solchen. Daher wird diese Ansicht auch ganz überwiegend nicht geteilt. Für geradezu indiskutabel hält sie Brüggemann81• Der Zivilrichter ist nach seiner Ansicht nur dazu da, Tatsachen festzustellen, bzw. festzustellen, ob Parteibehauptungen soweit ·glaubhaft sind, daß man ihnen folgen kann. Würde inquisitorisch die Wahrheit von Parteibehauptungen ermittelt werden können, würde das den Zivilprozeß sicher wesentlich verteuern und verlangsamen88• Anders ist die Lage, wenn die Unwahrheit einer Parteibehauptung offensichtlich ist. Das kann vorliegen, wenn etwa das Gegenteil des Behaupteten allgemein- oder gerichtskundig ist. Ein ähnlicher Fall ist wohl auch anzunehmen, wenn das Beweisergebnis so ist, daß die Partei die Unrichtigkeit ihrer Behauptung schon immer gekannt haben muß und sich jetzt gegen bessere Einsicht noch immer dagegen wehrt, ihre Behauptung fallen zu lassen. In solchen Fällen ist die der Wahrheit nicht entsprechende Behauptung nicht zu berücksichtigen. Keinesfalls wird eine als unwahr erkannte Behauptung vom Gericht seiner Urteilstindung zugrunde gelegt89• Allerdings ist dies nicht primär als Reaktion auf die Verletzung der Wahrheitspflicht aufzufassen, sondern entspricht dem Grundsatz, daß das Gericht seiner Entscheidung keine als unwahr ss So ausdrücklich Johannsen in Anm. zu BGH in LM Nr.l zu§ 290. 88 87

s. 118 ff. s. 346.

(123).

So auch Brüggemann S. 346. RG in JW 1936, 2135; OLG Kiel in SchlHA 1946, 269; Rosenberg S. 291; Lent Teilkommentar S. 50; von Bremen-KühneS. 115. 88

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festgestellten Behauptungen zugrunde legen dar:f90, weil es bei streitiger Verhandlung auf Grund des festgestellten wahren Sachverhalts entscheiden muß. Diese Ausführungen beziehen sich aber nur auf die streitige Verhandlung. Im Fall des Versäumnisverfahrens griffe an sich bei Säumnis des Beklagten die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 ZPO ein. Diese Geständniswirkung tritt auch dann ein, wenn das Gericht auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme eigentlich vom Gegenteil des Zugestandenen überzeugt ist91 • Eine Beweisaufnahme im Versäumnisverfahren ist ja in jedem Falle ausgeschlossen. Wenn man als Grund für diese Regelung aber anführt, der Richter solle nicht klüger sein wollen als die Parteien, so ist dies eine Forderung, aber keine Begründung. Bei der Urteilstindung und auch sonst soll er es ja wohl sein. In Wirklichkeit ist es so, daß man lediglich der Allgemeinkundigkeit stärkere Wirkungen einräumt als einem Geständnis92• Auch ein Geständnis, das einen Dritten, etwa einen Bürgen benachteiligt, soll unwirksam sein93• Meines Erachtens ist es auch richtig, wenn man der Wahrheit zuwiderlaufende Geständnisse nicht zuläßt. Jedoch handelt es sich dabei um eine Mindermeinung. Bernhardt kommt zu der Überzeugung9', daß die §§ 288 ff. ZPO davon ausgehen, die Parteien hätten ein Recht, über den Prozeßstoff zu verfügen. Das sei aber schon grundsätzlich nicht möglich. Nachdem 1933 mit der Einführung der Wahrheitspflicht in den Zivilprozeß nicht zugleich die übrige ZPO mit der Wahrheitspflicht abgestimmt worden sei, sei es jetzt Aufgabe des Richters, gewissermaßen die Einzelvorschriften der ZPO im Einklang mit der grundsätzlich dominierenden Wahrheitspflicht auszulegen95 • Außerdem sei die Wahrheitspflicht eine ganzheitliche Pflicht, womit es unvereinbar sei, das Verbot der Prozeßlüge in ein solches zugunsten der Partei - wo es gelte - und in ein solches zuungunsten der Partei, das es in Wirklichkeit gar nicht gebe, aufzuspalten96 • Der Ansicht Bernhardts stimmt auch Staab im Ergebnis zu97 • Es wird daher die Unbeachtlichkeit von der Wahrheit zuwiderlaufenden Geständnissen teilweise auch ausdrücklich für Geständnisfiktionen angenommen98• Dem tritt jedoch E. Schneider entgegen, der in der Schlüssigkeitsprüfung die Grundlage des Zivil90 91

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Stein I J onas I Pohle Anm. I 3 a zu § 138. RG Recht 1913, Nr. 2131; Sobernheim S. 36. Stein S. 167. von Hippel S. 73 ff.; Lent ZZP 63, 50. JZ 1963, 245 ff. s. 246. JZ 1963, S. 247. s. 52.

Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 F zu § 138.

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prozesses sieht, die zerstört würde, würde sie mit der Wahrheitsermittlung verknüpft99 • Auch Wieczorek betrachtet es als unmöglich, daß bei strikter Beachtung der Wahrheitspflicht ein Versäumnisverfahren geltender Struktur durchgeführt werden könne100 • Diese Frage werden wir später noch einmal aufgreifen. Soviel aber sei hier gesagt: Die von E. Schneider und Wieczorek geäußerten Bedenken aus der Struktur unseres Zivilprozesses erscheinen schon berechtigt. Es ist aber der Überlegung wert, worauf wir noch eingehen werden, ob denn das Versäumnisverfahren in seiner jetzigen Form unbedingt bleiben muß. Daß gegen seine jetzige Erscheinungsform schon verfassungsrechtliche Bedenken geäußert wurden, sei nur am Rande erwähnt. Von Hippel hält es für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, daß der nicht erschienene Kläger immer abgewiesen wird, dem erschienenen Kläger aber immer - auch entgegen einer bereits stattgehabten Beweisaufnahme - gefolgt werde101 • Gegen die noch herrschende Meinung weist allerdings auch Brüggemann auf folgendes hin102 : Würde eine Partei im Versäumnistermin offen- im Vertrauen auf die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 ZPO - eine unwahre Behauptung aufrechterhalten, so wäre das ein Mißbrauch der Gerichtsbarkeit. Man müßte die Partei als Folge ihren Rechtsschutzanspruch verlieren lassen. Nach h. M. soll aber der Kläger, der gut vorspiegeln kann, selbst an die Wahrheit seiner Behauptung zu glauben, sein Ziel erreichen, obwohl und wenn das Gericht die Unwahrheit seiner Behauptung durchschaut hat. Diese Besserstellung ist durch nichts gerechtfertigt, es sei denn, es sollten schauspielerische Leistungen belohnt werden. Verschiedentlich wird eine strafrechtliche Lösung dieses Problems für ausreichend gehalten. Eine Lüge im Prozeß, die Erfolg hatte und ein entsprechendes Urteil bewirkte, kann als Prozeßbetrug strafbar sein, gemäß § 263 StGB1os. Jedoch will es nicht überzeugen, daß es unmöglich sein soll, für eine zivilprozessuale Fragestellung eine zivilprozeßrechtliche Lösung zu finden. Ferner weist Brüggemann auf den im Versäumnisverfahren mehr instrumentalen Charakter des fingierten Geständnisses hin104, das mehr eine Hilfskonstruktion zur begrifflichen Rechtfertigung der Säumnisfolge ist als echtes Geständnis. DRiZ 1963, S. 343. 100 Anm. A 11 zu § 138. 101 s. 417 ff. 102 Fußnote 851 auf Seite 347.

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tos B ernhardt § 23 II 8 ; Brinkmann S. 91 oben; Titze S. 182; Ch. Müller S. 43. s. 348f.

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Im einzelnen kann die Verletzung der Wahrheitspflicht folgende Konsequenzen haben: Ein Lüge im Prozeß, die Erfolg hatte und ein entsprechendes Urteil bewirkte, kann - wie bereits ausgeführt - als Prozeßbetrug strafbar sein, gemäß § 263 StGB. Hatte die Lüge keinen Erfolg, liegt immerhin noch ein versuchter Prozeßbetrug vor. Im Fall, daß eine erfolgreiche Lüge ein entsprechendes Urteil bewirkte, also Prozeßbetrug vorliegt, kann seitens der durch die Lüge unterlegenen Partei eine Restitutionsklage aus § 580 Ziffer 4 ZPO erhoben werden105• Materiellrechtliche Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und § 826 BGB kommen ebenfalls in Betracht106 • Die Literatur befürwortet auch einen Ersatzanspruch wegen Verletzung des Prozeßrechtsverhältnisses zwischen den Parteien107 • Dieser ist ein schuldrechtlicher Anspruch. Auf ihn findet daher sowohl § 278 BGB bezüglich der Haftung für Gehilfen als auch§ 195 BGB bezüglich der Verjährung Anwendung108 • Einstweilen kann festgestellt werden, die Wahrheitspflicht führt nicht zum Untersuchungsgrundsatz, etwa derart, daß das Gericht Prozeßstoff berücksichtigen könnte, der von keiner Partei vorgebracht worden istl09 • Sie schränkt aber den Beibringungsgrundsatz dahingehend ein, daß keine lügnerischen Behauptungen aufgestellt werden dürfen und daß nicht wider besseres Wissen zugestanden werden darf. Davon macht die herrschende Meinung eine Einschränkung für solches Behaupten oder Zugestehen, das der behauptenden oder zugestehenden Partei ungünstig ist. Die Wahrheitspflicht bedeutet also eine inhaltliche Beschränkung des von den Parteien in den Prozeß einzuführenden Tatsachenstoffes110• F. Brüggemann formuliert zutreffend: "Die Verhandlungsmaxime regelt die technische Seite der Parteitätigkeit, die Wahrheitspflicht die Geisteshaltung der Partei bei ihrer Tätigkeit111 ." Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann nennen die Wahrheitspflicht sehr plastisch "ein Gegengewicht gegen den Beibringungsgrundsatz"m. G. Müller S. 130. Zöller Anm. I 2 zu § 138. 101 Blomeyer § 30 VII 1 c. 1os Ros.enberg I Schwab § 65 VIII 7 c. 101 Stein I Jonas I Pohle Anm. I 1 c zu § 138. uo So auch Staab S. 39. 111 s. 20. m Anm. 1 A zu § 138. 1o5

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Eine der dogmatischen Konsequenzen der Wahrheitspflicht ist § 448 ZP0113, wonach das Gericht auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast bei nicht ausreichender bisheriger Beweisführung die Vernehmung einer oder auch beider Parteien über bestimmte Tatsachen anordnen kann. Richtig klar wird die Bedeutung der Wahrheitspflicht aber erst in der Zusammenschau mit der richterlichen Frage- und Aufklärungspflicht des§ 139 ZPO. Ihr wollen wir uns daher im folgenden zuwenden. 11. Die Bedeutung der ricllterlichen Frage- und Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO)

Diese Vorschrift wird oft die "Magna Charta des Zivilprozesses" genannt1. Sie ist eine Ausprägung des sozialen Rechtsstaates! und keineswegs selbstverständlich, wie das Beispiel des englischen Zivilprozesses zeigt, der eine entsprechende Regelung nicht kennt. Darauf weist zutreffend Blomeyer hin,. Nach § 139 Abs. 1 ZPO hat der Vorsitzende "dahin zu wirken, daß die Parteien über alle erheblichen Tatsachen sich vollständig erklären und die sachdienlichen Anträge stellen, insbesondere auch ungenügende Angaben der geltend gemachten Tatsachen ergänzen und die Beweismittel bezeichnen. Er hat zu diesem Zwecke, soweit erforderlich, das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien nach der tatsächlichen und der rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen." Nach dieser Norm obliegt dem Vorsitzenden also eine Frage- und Aufklärungspflicht den Parteien gegenüber. Kuchinke verwendet dafür den Ausdruck "vorbereitende richterliche Sachaufklärung (Hinweispfl.icht}" 4 • Man muß zugeben, daß der Ausdruck "Hinweispflicht" seine Berechtigung in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz, wie im VwGO-, SGGund FGO-Verfahren, hat. Dort wahrt er die nötige sachliche Distanz zur Aufklärungstätigkeit des Gerichts, die der Untersuchungsmaxime entspringt~~. Daher verwendet ihn auch Baur&. Der Ausdruck "vorbereitende richterliche Sachaufklärung" sollte aber vermieden werden, weil er die Verwechslung mit den Aufgaben aus § 273 ZPO nahelegt7 • Durch die Frage- und Aufklärungspflicht wird das Gericht mitverantua Brüggemann S. 359.

Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 A zu § 139. Rosenberg I Schwab § 78 III 1. 3 § 19 II. 4 In "Freiheit und Bindung", S. 19 und JuS 1967, S. 295. s Spohr S. 6. e In "Rechtsschutz im Sozialrecht", S. 35. 1 So auch Spohr S. 7.

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11. § 139 ZPO

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wortlieh für den Ausgang des Prozesses8 • Darin drückt sich schon ein Teil der Schwierigkeiten im Umgang mit § 139 ZPO aus. Denn die richterliche Frage- und Aufklärungspflicht überbürdet dem Gericht einen Teil jener Verantwortung für das Prozeßergebnis, die nach der reinen Verhandlungs- und Dispositionsmaxime allein den Parteien obläge'. Eine andere Schwierigkeit ist die generalklauselartig weite Fassung des § 139 ZPO, die eine Konkretisierung des von ihm jeweils geforderten oder verbotenen richterlichen Verhaltens erschwert. Mit Recht weist Spohr unter Hinweis auf den § 242 BGB darauf hin, daß auch solche Vorschriften einer Konkretisierung im Wege der Fallgruppenbildung, vorwiegend durch die Rechtsprechung, zugänglich sind10• Die Frage- und Aufklärungspflicht des Vorsitzenden, der ein ebensolches Recht der Beisitzer entspricht11, kann sich im Einzelfall in vielfältigen Formen konkretisieren. Einmal kann der Vorsitzende nach Lage der Dinge Veranlassung sehen, eine Ergänzung des tatsächlichen Vorbringens anzuregen. Ein anderes Mal weist er vielleicht auf genauere Substantiierung hin. Oder es muß die Klärung von Widersprüchen veranlaßt werden usw. Die Pflicht des Vorsitzenden kann verschiedenes Gewicht haben, je nachdem, ob eine Partei anwaltlieh vertreten ist oder nicht. Im ersteren Fall ist weniger gerichtliche Aufklärung angezeigt als im zweiten12• Im einzelnen ist der jeweilige Umfang der Aufklärungspflicht sehr schwierig zu bestimmen. Man kommt um eine Klärung des Anwendungsbereiches von § 139 ZPO aber nicht herum. Erfüllt nämlich das Gericht eine objektiv bestehende Aufklärungspflicht nicht, weil es ihr Bestehen zu Unrecht verneint, so begründet dies die Revision13• Allerdings muß die Partei gemäߧ 554 Abs. 3 Nr. 3b ZPO in der Lage sein, anzugeben, was sie auf eine diesbezügliche Frage oder auf einen entsprechenden Hinweis hin vorgebracht hätte14• Allein hieraus ersieht man bereits, daß die Vorschrift des § 139 ZPO eine gewisse Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes beinhalten muß. Verbliebe es trotzdem bei der vollen und alleinigen Verantwortung der Parteien für den Vortrag und die Beschaffung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen, so dürfte ein diesbezügliches Versäumnis des Gerichts keine Folgen nach sich ziehen, könnte insbesondere die Partei nicht entlasten15• Inwies Stein I Jonas I Pohle Anm. I 1 zu § 139. 9 Spohr S. 5. 10 s. 5 f. 11 Rosenberg I Schwab § 78 III 1. 12 Blomeyer § 19 I; RGZ 165, 226 (233 ff.); BGHZ 3, 213. 13 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 B zu § 139. u Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 B zu § 139. 15 Spohr S. 41. 9 Zettel

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

weit der Beibringungsgrundsatz nun genau durchbrachen wird, darauf wird noch zurückzukommen sein. Im entgegengesetzten Fall überschritte das Gericht seine Grenzen, wenn es Partei ergriffe, etwa einer Partei einen Rat erteilte16• Es kann auch das Gericht durch zu weitgehende Unterstützung einer Partei den Eindruck der Parteilichkeit nur erwecken. Es könnte aber dann von der jeweils anderen Partei wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, § 42 Abs. 2 ZPQ17. Bei dem Versuch, den Anwendungsbereich des § 139 ZPO genauer zu erfassen, ist Spohr am weitesten gekommen18• Im folgenden greifen wir auf seine Erkenntnisse zurück. Er unterscheidet drei Funktionskreise des § 139 ZPO, die sog. Klarstellungsfunktion, die Transformationsfunktion und die sog. Verständigungsfunktion. Das sei näher erklärt: Relativ einfach kann man die Klarstellungsfunktion definieren. Schon der Name läßt erkennen, daß sie darauf abzielt, den genauen Erklärungswert von Parteiäußerungen, also z. B. von Anträgen, von Sachverhaltsvortrag usw. festzustellen19• Der Sinn eines ursprünglich mehrdeutigen Prozeßverhaltens wird damit geklärt. Hierunter fällt z. B. auch die Anregung zu allgemein gehaltenes Vorbringen zu präzisieren oder die Aufklärung von Differenzen zwischen dem Vorgetragenen und dem schriftlich Angekündigten20 • Verschiedene Beispiele verdeutlichen das. Wenn der Kläger begehrt, den Beklagten zur Anerkennung zu verurteilen, daß er berechtigt sei, einen bestimmten Namen zu führen, so kann das mehreres bedeuten. Einmal kann die Beseitigung einer Beeinträchtigung des Namensgebrauches gemäß § 12 Satz 1 BGB gewünscht sein. Es kann aber auch die Unterlassungsklage des § 12 Satz 2 BGB erhoben sein. Schließlich kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO im Sinn gehabt haben21 • Will ein Kläger einen bestimmten Geldbetrag, der sich z. B. aus einem Schmerzensgeldanspruch und einem Anspruch auf Zahlung eines Rentenrückstandes ergibt, so muß er die Verteilung beider Ansprüche auf den Gesamtbetrag darlegen22 • Darauf hat das Gericht hinzuwirken•. 16 Thomas I Putzo Anm. 2 b aE zu § 139; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 B zu § 139 ; Bernhardt § 23 I 1. 11 Spohr S. 4. 18 In seiner Dissertation "Die richterliche Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO)

im Zivilprozeß". 19 2o

21 22 2s

Spohr S. 57. Stein I Jonas' I Pohle Anm. II 1 a zu § 139. Spohr S . 57 f. bildet dieses Beispiel in Anlehnung an RGZ 147, 253 ff. (255). BGH in NJW 1958, 1590. Spohr S. 59.

11. § 139 ZPO

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Eine Klarstellung muß auch gerichtlich angeregt werden, wenn die Möglichkeit naheliegt, daß ein bestimmtes prozessuales Verhalten einem Versehen entspringt24. Hat eine Partei ein Beweismittel falsch benannt (falsa demonstratio) und ist dies dem Gericht erkennbar, so hat es aufzuklären und Klarstellung anzuregen25• Auch der Fall wurde einmal vom Reichsgericht entschieden, daß ein Kläger mehrere Personen als zur Sachaufklärung geeignet bezeichnet hatte, sie jedoch nicht eigentlich als Zeugen benannteM. Das Gericht hätte aufklären müssen, ob er dies wünschte. Das gleiche gilt für Fälle, in denen es ein Versehen der Partei sein kann, einen bestimmten Beweisantritt zu unterlassen27. Auch hier muß das Gericht dafür sorgen, daß der Wille der Partei unzweideutig festgestellt wird. In diesen letzteren Fällen kommt man einer amtswegigen Beweismitteleinführung durch das Gericht schon sehr nahe. Jedoch ist es im Falle des Zeugenbeweises, der ja als einziger nicht von Amts wegen erhoben werden kann, so, daß das Gericht nur fragen kann, ob denn die Partei ihn .nicht führen wolle. Lehnt die Partei dies dann ab, so bleibt dieses Beiweismittel dem Gericht unerreichbar. Der Regelfall wird aber sicherlich der sein, daß die Partei dann den Beweis antritt. Hätte sie es vorher aus Unkenntnis oder Versehen unterlassen, so ist die tatsächliche Auswirkung der Ausübung der richterlichen Frage- und Aufklärungspflicht allerdings dieselbe, wie bei einer amtswegigen Beweismitteleinführung, aber - das sei nochmals betont - nur tatsächlich, nicht rechtlich. Mit der Transformationsfunktion des § 139 ZPO meint Spohr jenen Bereich, in dem § 139 ZPO als Grundlage dafür dient, den Parteiwillen "aus der Laiensphäre in die Prozeßsphäre"28 durch richterliche Antragshilfe zu transformieren. Das beschreibt das Gesetz selbst mit den Worten, das Gericht habe darauf hinzuwirken, daß die Parteien sachdienliche Anträge stellten. Hier ist die Gefahr besonders groß, daß durch richterliche Hilfe eine Partei einen Vorteil erlangt und die richterliche Unabhängigkeit nicht mehr gewahrt ist. Bei der Frage, was es rechtfertigen könnte, daß das Gericht Anregungen in bezug auf die Stellung der Anträge gibt, wird vielfach die Prozeßökonomie genannt. 24 RGZ 8, 371 (372); OLG Bamberg in NJW 1949, 29/30; OLG Kassel in NJW 1949, 232; BAG in AP Nr.1 u. 2 zu§ 139 ZPO; BGH VersR 1961, 610 (611). 25 RGZ 109, 295 ff. (298 f.). 28 RG in ZZP 62 (1941), 269. 21 Spohr S. 67 f. 2s S. 78 Überschrift.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Schneider befürwortet demzufolge die Anregung von Anträgen gemäß § 139 ZPO, die das Ziel hat, den Rechtsstreit umfassend und abschließend zu beenden29 • Auch der BGH hat diese Ansicht vertreten30 • Spohr lehnt sie ab31 • Er folgt Kuchinke, BLomeyer, Wieczorek und PohLe und beschränkt die Anregung des sachdienlichen Antrages durch das Gericht auf die Fälle, in denen eine Partei ihr Ziel zwar im Prozeß zum Ausdruck gebracht hat, aber auf prozessual falschem Wege32 • Wir neigen ebenfalls der letzteren Auffassung zu, wollen aber die Frage letztlich offen lassen. Die sog. Transformationsfunktion des § 139 ZPO durchbricht jedenfalls den Beibringungsgrundsatz nicht, denn sie spielt sich im Bereich rechtlicher Würdigungen, nicht im Bereich der Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln ab. Es bleibt als letzte der von Spohr unterschiedenen Funktionen die Verständigungsfunktion des § 139 ZPO. Darunter versteht Spohr die Pflicht des Gerichts, mit den Parteien das Sach- und Streitverhältnis nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen, soweit nicht die Klarstellungs- oder Transformationsfunktion dieses Verhalten schon beschreibt33• Auswirken kann sich die Verständigung von Gericht und Parteien darüber, was erheblich ist unter anderem im Bereich des tatsächlichen Vorbringens, bei der Beweisführung und der Antragstellung3'. Schließlich werden doch z. B. Tatsachen im Prozeß immer unter einem bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt vorgetragen. Daher ist es nützlich, wenn sich Parteien und Gericht möglichst frühzeitig darüber verständigen, was im konkreten Rechtsstreit nun rechtlich erheblich ist und was nicht. Die Verständigungsfunktion soll -um es mit einem plastischen Wort auszudrücken - sog. "Überraschungsentscheidungen" unmöglich machen. Das sind solche Entscheidungen, die die Parteien überraschen, weil sie nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung den Eindruck haben mußten, das Gericht betone ganz andere Gesichtspunkte. Heute wird das Verbot solcher "Überraschungsentscheidungen" durch § 278 Abs. 3 ZPO noch verstärkt. Als Ausfluß dieser Verständigungsfunktion erscheinen folgende Fallgruppen: Die Klage ist unschlüssig. Dies scheint aber auf einem Versehen, etwa aus Nachlässigkeit herrührender mangelnder Substantiierung des Vortrags, zu beruhen. In solchen Fällen muß das 29 MDR 1968, 721 ff. (724); ebenso Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2 C zu § 139 und Thomas I Putzo Anm. 2 b zu § 139 iVm Anm. 2 b zu§ 264. so In BGHZ 3, 206 (213) und LM Nr. 2 .zu § 2325 BGB. 31 s. 77. s2 Nwe deren Meinungen bei Spohr auf S . 78 f. 33 s. 152 f. 34 Spohr S. 159.

11. § 139 ZPO

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Gericht darauf aufmerksam machen35 • Auch die Substantiierung bei zu allgemeinen Beweisantritten muß vom Gericht angeregt werden38• Es bleibt die Frage, was geschieht, wenn die Parteien eine Anregung des Gerichts nicht aufgreifen, etwa bestimmte Tatsachen nicht vortragen oder trotz Hinweises auf die Beweisbedürftigkeit irgendwelcher Tatsachen hierfür keinen Beweis antreten. In diesen Fällen kann das Gericht weder selbst die Tatsachen einführen noch den Beweis von sich aus erheben, von den bereits besprochenen Möglichkeiten der amtswegigen Beweiserhebung einmal abgesehen. Dieses Verhalten der Partei wird sich aber in der Regel für sie nachteilig auswirken. Sei es, daß sie beweisfällig bleibt, sei es, daß das Gericht aus ihrem Schweigen nach der Lebenserfahrung den Schluß zieht, daß ihr wahres Äußern für sie nachteilig gewesen wäre37• Jedenfalls soll das Gericht lediglich auf die Beibringung der erforderlichen Tatsachen und Beweismittel für eine richtige Entscheidung durch die Parteien hinwirken3B. Es darf diese gestützt auf § 139 ZPO nicht selbst beibringen. Die richterliche Aufklärungspflicht bewirkt damit aber eine Abschwächung der unter Umständen harten Konsequenzen des Beibringungsgrundsatzes. Sie verhindert es ja, daß die Parteien durch Nachlässigkeit oder etwa Unkenntnis Tatsachen oder Beweismittel, auf die es ankommt, nicht beibringen. In einem Prozeß, in dem das Gericht seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist, wird daher nur das Material von den Parteien nicht beigebracht werden, das sie nicht beibringen können oder wollen. Das Verhältnis von § 139 ZPO zum Beibringungsgrundsatz nach herrschender Meinung und Praxis kann also so beschrieben werden: Der Beibringungsgrundsatz wird nicht geradezu durch die richterliche Frage- und Aufklärungspflicht des § 139 ZPO durchbrochen, wohl aber abgemildert. Nur einen Fall können wir als echte Durchbrechung bezeichnen. Wenn das Gericht an der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung einer Partei zweifelt und diese Zweifel im Rahmen des § 139 ZPO zur Klärung mit den Parteien erörtert, muß es ja die Tatsachen, die seine Zweifel begründen, in den Prozeß einführen. Denn diese Tatsachen können sehr wohl einmal solche sein, die von noch keiner Partei vorgebracht wurden. Hier haben wir also den seltenen Fall, daß das Gericht befugt ist, von sich aus neue Tatsachen in den Prozeß einzuführen. n RGZ 36, 349 (350); 145, 322 (324); BGHZ 7, 208 (212); 23, 207 (211); 249, 209 (212 f.); st. Rspr. 38 z. B. RGZ 30, 366 (367 f.); 78, 385 (387 f.); 97, 206 (210); BGHZ 27, 208 (212);

st. Rspr. 37 Honecker S. 30. ss Zöller Anm. I zu § 139.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

12. § 396 ZPO Romsdorf hat den § 396 (früher § 361) ZPO, der es in Absatz 2 dem Gericht gestattet, "zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage sowie zur Erforschung des Grundes, auf dem die Wissenschaft des Zeugen beruht", nötigenfalls weitere Fragen zu stellen, auch als Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes angesehen1 • Er hat diese Einordnung geschichtlich begründet. Früher war es lediglich Sache des Gerichts, die Zeugen über von den Parteien übergebene sog. Artikel abzuhören2 • Vereinzelte Stimmen in der damaligen Literatur kritisierten die Gewohnheit mancher Gerichte, die Zeugen gezielt über den Sachverhalt zu vernehmen, als dem Verhandlungsgrundsatz widersprechend3.

Nach heutiger Ansicht verlangt der Beibringungsgrundsatz, daß die Parteien Tatsachen behaupten und gegebenenfalls beweisen. Die nähere Durchführung des Beweises wird vom Beibringungsgrundsatz jedoch nicht geregelt. Wird ein Zeuge vernommen, so wird sich diese Vernehmung im Rahmen des üblicherweise im Beweisbeschluß (§ 358 ZPO) formulierten Beweisthemas halten. Das Gericht ist sicher nach geltendem Recht nicht befugt, "ins Blaue hinein" zu recherchieren. Erwähnt der Zeuge bei seiner Vernehmung neue Tatsachen, so kann das Gericht allenfalls die Partei, der diese Tatsachen günstig wären, im Rahmen des § 139 ZPO fragen, ob sie diese Tatsachen in ihren Sachvortrag übernehmen will. Behauptet nun die Partei auch diese Tatsachen, so kann sie das Gericht berücksichtigen. Lehnt die Partei es ab, diese Tatsachen zu behaupten, muß das Gericht sie unberücksichtigt lassen. Daher kann die Vorschrift des § 396 ZPO, die lediglich die Art der Durchführung der Beweisaufnahme regelt, nicht als Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes angesehen werden. Auch § 285 Abs. 1 ZPO, der bestimmt, daß die Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln haben, ist eine solche Vorschrift, die nur die Durchführung der Beweiserhebung regelt. Sie sichert das rechtliche Gehör für diesen Verfahrensabschnitt. Aber sie enthält keine Aussage über die Verteilung der Pflichten zur Sachverhaltsaufklärung zwischen Gericht und Parteien.

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s. 252. Mittermai er AcP 5 (1822), S. 177 ff. (184 f.). Ost erloh "Ordentlicher sächsischer Prozeß" II, § 249. S. 391 ff. (397).

13. Amtliche Auskunft und dienstliche Äußerung

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13. Die amtliche Auskunft und die dienstliche Äußerung

(§§ 118 a Abs. 1 Satz 3, 273 Abs. 2 Nr. 2 und 437 Abs. 2 ZPO)

Beide Möglichkeiten der Sachverhaltserforschung stehen einander gleich1• Es fragt sich aber, ob man sie als eigene Beweismittel neben den sog. klassischen Beweismitteln, Sachverständigenbeweis, Augenschein, Parteivernehmung, Urkundenbeweis, Zeugenvernehmung, ansehen soll oder muß. Hellwig hat sie so gesehen2 • Ihm folgt heute noch Brüggemann, der aber differenziert. Überhaupt wird heute - soweit diese Problematik erörtert wird - differenziert. Man betrachtet die amtliche Auskunft oder dienstliche Äußerung nicht isoliert von ihrem Inhalt. Vielmehr beantwortet man die Frage nach ihrer jeweiligen Zulässigkeit gerade an Hand ihres Inhalts. So sieht man beispielsweise die dienstliche Äußerung eines Gerichtsvollziehers in Erinnerungsfällen als Bericht über eine Augenscheinseinnahme an und den Gerichtsvollzieher als Augenscheinsmittler. Jedenfalls geht man heute grundsätzlich davon aus, daß die amtliche Auskunft nicht dazu dienen darf, die beweisrechtlichen Vorschriften der ZPO zu umgehen. Das prüft man beispielsweise an Hand von § 377 Abs. 3 ZP04 • Das heißt, ist die amtliche Auskunft sachlich eine schriftliche Zeugenaussage, so ist sie nur unter den Voraussetzungen des § 377 Abs. 3 ZPO zulässig. Lediglich die eidesstattliche Versicherung entfällt wegen der aus den besonderen Amtspflichten resultierenden erhöhten Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson5. Die amtliche Auskunft ist sicherlich kein Urkundenbeweis, obwohl sie häufig in der äußeren Form von Urkunden abgegeben wird. Dem entspricht es auch, daß amtliche Auszüge, die jedermann erhalten kann, wie etwa Registerauszüge, Geburtsbescheinigungen usw. - anders als z. B. ein Bundeszentralregisterauszug - nicht durch Ersuchen um amtliche Auskunft seitens des Gerichts beigebracht werden. In diesen Fällen wird vielmehr regelmäßig den Parteien vom Gericht aufgegeben, die fragliche Urkunde selbst zu beschaffen6 • Ein weiteres Argument ist, daß die Beweiskraft der amtlichen Auskunft sich nicht nach den §§ 418, 437 ZPO richtet, was aber bei ihrer Urkundsqualität notwendig sein müßte. Legt ein Beweisführer eine Urkunde über eine amtliche Auskunft vor, so handelt es sich allerdings um Urkundenbeweis (§ 420 ZPO). § 432 BGH NJW 1957, 1440; Stein I Jonas I Schumann I Leipold VII vor § 373. System, S. 672 (§ 204 II 30). 3 So Bruns JZ 1957, S. 490 ff. (492 f .). 4 Stein I Jonas I Schum ann I L eipold VII vor § 373. s So schon Bruns JZ 1957, S. 490 ff. (493). o Brüggemann S. 374.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

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Abs. 2 ZPO ordnet hierunter alle amtlichen Auskünfte ein, die eine Partei ohne Mitwirkung des Gerichts beschaffen kann. Erst Informationen, die die Behörde üblicherweise dem Bürger nicht zugänglich macht, sind die typischen Gegenstände, der vom Gericht anzufordernden amtlichen Auskunft. Eine andere Abgrenzung hat Peters versucht7. Er hält die amtliche Auskunft immer für ein ErsatzbeweismitteL Werde sie erholt, so ersetze sie lediglich eines der klassischen fünf Beweismittel. Er schließt allerdings aus dieser Funktion im Ergebnis wie Stein I Jonas I Schumann I Leipold, daß auch die amtliche Auskunft dem sog. Strengbeweis unterfällt. Das müßte dann die Konsequenz haben, daß die amtliche Auskunft, wenn sie z. B. einen Zeugenbeweis ersetzt, nur nach Beweisantritt einer Partei erfolgen könnte. Dagegen hat sich Brüggemann gewandt8 • Er räumt ein, daß es zwar praktisch häufig sei, daß die amtliche Auskunft als Ersatzbeweismittel erscheine. Die Regel sei das jedoch nicht. Er ordnet - wie bereits gesagt - die amtliche Auskunft als eigenes Beweismittel ein und zieht eine Parallele von der Behördenkundigkeit einer Tatsache zur Gerichtskundigkeit9. Das erläutert er an dem Beispiel des Gerichtsvollziehers, der aus seinem Amt ausscheidet und seine dienstlichen Akten seinem Nachfolger überläßt. Erteilt dieser eine Auskunft an Hand der Akten, so könne nicht mehr von einer schriftlichen Zeugenaussage oder von Augenschein gesprochen werden. Vielmehr werde hier besonders deutlich, daß eine bei einem behördlichen Organ amtsbekannte aktenkundige Tatsache verwertet werde. Daher sei die amtliche Auskunft als eigenes Beweismittel neben den anderen anzusehen, wie es Hellwig schon getan habe. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, wie weit durch die Möglichkeit, eine amtliche Auskunft zu erholen, der Beibringungsgrundsatz durchbrachen wird, ist es, genau abzugrenzen, wie weit die diesbezüglichen Befugnisse des Gerichts reichen. Einigkeit besteht darüber, daß das Gericht durch § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht ermächtigt wird, frei zu recherchieren, also inquisitorisch vorzugehen10• Behauptungen der Parteien müssen auch hier vorliegen. Nur Beweis muß nicht mehr angetreten werden11• Hierbei stellt sich aber noch ein Problem. Die amtliche Auskunft muß zwar nicht, sie kann aber andere Beweismittel ersetzen und tut dies auch häufig. Will man mit der herrschenden Lehre den Beibrin7

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S.123.

s. 374. s. 374.

to Brilggemann S. 376.

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Ders. S. 377; KG JW 1936, 3331 ff. (3332).

13. Amtliche Auskunft und dienstliche Äußerung

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gungsgrundsatz beibehalten und lediglich einige Einschränkungen bei ihm anerkennen, so liegt folgende Überlegung nahe: Kann das Gericht das eigentliche Beweismittel von Amts wegen heranziehen, so muß es ihm in diesen Fällen auch möglich sein, ersatzweise zum selben Beweisthema eine amtliche Auskunft zu erholen. Kann es den eigentlichen Beweis nicht aus eigener Machtvollkommenheit erheben, so ist ihm auch der dazu führende Weg über die amtliche Auskunft ohne oder gegen den Willen der Parteien verschlossen. Das heißt, jedesmal wenn die amtliche Auskunft einen eigentlich veranlaßten Zeugenbeweis ersetzen würde, ist sie ohne oder gegen den Willen der Parteien unzulässig. Einen Zeugenbeweis ersetzt die amtliche Auskunft nach Brüggemann, der diese Frage als erster näher untersuchte, immer dann, wenn sie nicht über allgemeinkundige Tatsachen erfolgt1z. Die amtliche Auskunft in schriftlicher Form wird also immer dann für zulässig gehalten, wenn sie nur bereits schriftlich festgehaltene Gedankenäußerungen wiederholt, also bereits vorliegende Aufzeichnungen, gleich welcher Art, verwertet. Anderenfalls ist die amtliche Auskunft unzulässig, vielmehr hat die Vernehmung der Amtsperson als Zeuge oder Sachverständiger zu erfolgen13 • Wenn eben die amtliche Auskunft ihrem Inhalt nach ein Zeugen- oder Sachverständigenbeweis ist, unterliegt sie auch den für diese Beweismöglichkeiten geltenden Regeln14 • Die amtliche Auskunft schlechthin kann eine Zeugenvernehmung nach Wieczorek nicht ersetzen15• Brüggemann hält - abweichend hiervor - die amtliche Auskunft als Ersatz für zeugenschaftliehe Vernehmung schon dann für zulässig, wenn sie zwar nicht über bereits schriftlich festgehaltene Gedankenäußerungen erfolgt, aber über Vorgänge, die innerhalb eines förmlichen Verfahrens erfolgten16• Zur Begründung führt er an: In einem solchen Verfahren würden die Tatsachen üblicherweise aktenkundig gemacht oder könnten es zumindest werden und damit müßten die Parteien auch rechnen. Jedoch soll auch hier ein Beweisantritt entsprechend § 373 ZPO nötig sein. Denn es soll der Partei nicht unter Umständen ein "Zeuge" gewissermaßen aufgedrängt werden können, dem sie vielleicht mißtraut. Daher soll es ihr überlassen bleiben, ob sie nicht etwa den Beweis anders führen will. Ganz anders als die Literatur sieht der BGH die amtliche Auskunft. Er scheint sie auch, wenn sie eine Zeugenvernehmung ersetzt, stets und 1!

s. 379.

13

Stein I Jonas I Schumann I Leipold VII

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s. 378.

u Dieselben VII vor § 373. 15 c li b zu § 272 b.

vor § 373.

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

sogar ohne oder gegen den Willen der Parteien für zulässig zu halten1i. So muß es verstanden werden, wenn er ausführt, die Parteien könnten der Verwertung solcher Auskünfte nicht widersprechen18 • Außerdem hat bereits 1957 der BGH einmal deutlich ausgesprochen, die amtliche Auskunft sei ein "überall zulässiges selbständiges Beiweismittel, das dem Freibeweis unterliegt und für das deshalb die Vorschriften über den Zeugenbeweis und, sofern es ein Gutachten zum Gegenstand hat, die Vorschriften über den Sachverständigenbeweis nicht gelten" 19• Demnach kann die amtliche Auskunft sowohl eine Zeugenvernehmung als auch ein Sachverständigengutachten ersetzen. Es muß offenbleiben, ob der BGH hinsichtlich der Zulässigkeit der jederzeitigen amtlichen Auskunft an seiner - von ihm nicht näher begründeten - Ansicht auch heute noch festhalten würde, wenn ihm die Frage erneut vorläge. Er steht damit jedenfalls im Gegensatz zur überwiegenden Meinung in der Literatur. Lediglich Baumbach I Lauterbach I AZbers I Hartmann und wohl auch Thomas I Putzo haben sich - jedoch auch ohne nähere Begründung- ihm angeschlossen20 • Sonach ist zwar nach Meinung der Literatur die amtliche Auskunft keine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes. Nach Meinung des BGH durchbricht sie ihn aber, soweit sie einen Zeugenbeweis ersetzt, insofern als es zu ihrer Einführung in den Prozeß einer Mitwirkung der Parteien in keiner Weise mehr bedarf. Eine gewisse Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes ist es auch, daß das Gericht, wenn es die Echtheit inländischer öffentlicher Urkunden für zweifelhaft hält, auch von Amts wegen die Behörde oder die Person von der die Urkunde errichtet sein soll, zu einer Erklärung über die Echtheit veranlassen kann, § 437 Abs. 2 ZPO. Normalerweise wäre es ja Sache der Partei, welcher die Urkunde ungünstig ist, deren mangelnde Echtheit nachzuweisen. Erklärbar ist die Befugnis des Gerichts zur a,mtswegigen Beweiserhebung in diesem speziellen Fall aus der Wichtigkeit des öffentlichen Beurkundungswesens. Diese Bedeutung gebietet es, Zweifeln an der Echtheit einer inländischen öffentlichen Urkunde von Amts wegen nachzugehen. 14. Die Parteianhörung nacll § 141 ZPO § 141 a. F. ZPO gab dem Gericht die Möglichkeit, das persönliche Erscheinen einer oder beider Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts 11 18 19

MDR 64, 223. MDR 64, 223. LM Nr. 4 zu § 272 b Abs. 2 Ziffer 2 ZPO.

Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Übersicht 5 vor ·§ 373; Thomas I Putzo Anm. 2 zu § 272 b Nr. 2. 2o

15. Der Zeugenbeweis

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anzuordnen. Nach der ab 1. 7.1977 geltenden Neufassung des§ 141 ZPO soll das Gericht das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn das zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Diese Möglichkeit ist von der der amtlich angeordneten Parteivernehmung des § 448 ZPO strikt zu unterscheiden1 • Die Parteianhörung nach § 141 ZPO, die man zur besseren Unterscheidung und Verdeutlichung in der Praxis auch als informatorische bezeichnet, ist nach einhelliger Ansicht kein eigentliches Beweismittel2 • Sie ist ein weiteres Hilfsmittel im Rahmen des § 139 ZP03• Demzufolge ist ihr Umfang auch ziemlich deutlich umgrenzt. Sie ist dazu da, den Sach- und Streitstand festzustellen. Auf diese Weise läßt sich schnell und sicher klären, ob bestimmte Behauptungen der Gegenseite bestritten werden oder nicht. Unklarheiten, Lücken, eventuelle Widersprüche im schriftsätzlichen Vortrag können so ausgeräumt werden. Nicht dient die informatorische Befragung der Beweiserhebung, wie bereits festgestellt. So ist es nur konsequent, wenn Pohle fordert, schon sobald es nur darum gehe, den persönlichen Eindruck von einer Partei zur Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit zu gewinnen, sei Parteivernehmung statt der Anhörung nach § 141 ZPO geboten4 • Die Parteianhörung nach § 141 ZPO ist demnach keine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes, da sie mit der eigentlichen Beweiserhebung nach unbestrittener Ansicht nichts zu tun hat. 15. Der Zeugenbeweis

Er ist in den §§ 373 - 401 ZPO geregelt. Wegen der allgemeinen menschlichen Unzulänglichkeiten (Erinnerungsvermögen, unbewußte Verdrängungen usw.) gilt er als das schlechteste BeweismitteP. Durch ihn werden die Wahrnehmungen des Zeugen über vergangene Tatsachen oder Zustände dem G€richt vermittelt. Da gerade die konkreten Beobachtungen dieses bestimmten Zeugen festgestellt werden sollen, ist der Zeuge nicht ersetzbar, wie etwa der Sachverständige. Für den Zeugenbeweis ist stets ein Beweisantrag durch eine der Parteien nötig (§ 373 ZP0)11• Beim Zeugenbeweis gilt also noch der Beibringungsgrundsatz in der Form, daß es allein den Parteien obliegt, Zum Verhältnis von § 141 zu § 619 a. F. vgl. I. Kapitel, 3. Thomas I Putzo Vorb. 1 vor § 445; Stein I Jonas I Pohle Anm. 1 zu § 141. a Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 1 zu § 141; Thomas I Putzo Anm. 1 zu § 141. 4 Stein I Jonas/ Pohle Anm. 1 zu § 141. 1 Blomeyer § 78 VI (S. 392); Stein I Jonas· I Schumann I Leipold IV vor § 373. 2 Stein I Jonas I Schumann I Leipold V vor § 373; Thomas I Putzo Vorb. 2 a zu § 373. 1

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IV. Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

einen Zeugen in den Prozeß einzuführen. Sie allein sind auch dazu berechtigt. Für diesen Fall wird der Beibringungsgrundsatz auch nicht durch den § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO durchbrachen. Begründet wird diese Sonderstellung des Zeugenbeweises nirgends. Man könnte wohl allenfalls argumentieren, daß gerade ein Zeuge wegen der eventuellen Subjektivität seiner Aussage den Parteien nicht aufgezwungen werden soll. Es ist aber nicht einzusehen, daß dies schwerer wiegt als wenn sich die Parteien mit anderen Beweismitteln abfinden müssen, die sie eigentlich nicht wollen, beispielsweise mit einem Sachverständigen, dem sie mißtrauen oder mit einer Urkunde, deren Echtheit sie bezweifeln, ohne den Nachweis der Fälschung führen zu können. Jedoch wenn man den Beibringungsgrundsatz dahingehend verstünde, daß er es allein den Parteien überlasse, den Sachverhalt zu ermitteln und dem Gericht hierbei völlige Enthaltsamkeit auferlegte, so würde er auch beim Zeugenbeweis noch durchbrochen, und zwar durch die §§ 395 Abs. 1 und 396 Abs. 2 und 3 ZPO. Diese Vorschriften normieren eine Wahrheitspflicht für den Zeugen (§ 395 Abs. 1 ZPO) und gestatten dem Gericht, seine Glaubwürdigkeit genauer zu überprüfen (§ 396 Abs. 2 ZPO).

16. Die Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes im geltenden Zivilprozeßrecht (Zusammenfassung) Die bisherigen Betrachtungen haben eine Vielzahl von Erscheinungen gezeigt, die sich mit dem Beibringungsgrundsatz nicht vereinbaren lassen. Es hat sich aber gleichwohl erwiesen, daß es weder stimmt zu sagen, daß die Spannung zwischen Untersuchungsmaxime und Verhandlungsgrundsatz von § 139 ZPO überbrückt wird, noch daß es den Beibringungsgrundsatz nrur noch beim Zeugenbeweis gibt. Die Situation ist vielmehr differenzierter. Allerdings ist der Beibringungsgrundsatz so häufig durchbrochen, daß es sinnvoll erscheint, nicht seine ganzen Durchbrechungen noch einmal aufzuzählen, sondern umgekehrt, festzustellen, in welchen Fällen er rein gilt. Der Beibringungsgrundsatz gilt am weitestgehenden noch bei der Einführung neuer Tatsachen in den Prozeß. Auch dabei gibt es aber gewisse Grenzen für die Parteiwillkür durch die Wahrheitspflicht des § 138 ZPO, also durch das sog. Lügen- und Lückenverbot1• Ferner erfolgt eine starke Abmilderung der Konsequenzen des Beibringungsgrundsatzes durch die richterliche Frage- und Aufklärungspflicht des § 139 ZPO. Im Falle der Klärung von Zweifeln an der Wahrheit von t

Ausdruck von Bernhardt in Festgabe für Rosenberg, S. 27.

16. Zusammenfassung

141

Parteibehauptungen kann es sogar - wie wir gesehen haben - einmal zur Einführung von Tatsachen in den Prozeß durch das Gericht kommen. Hinsichtlich der Beibringung von Beweisen ergibt sich folgende Lage: Der Beibringungsgrundsatz gilt nur uneingeschränkt, wenn ein Zeuge vernommen werden soll, wobei ein sachverständiger Zeuge ebenfalls hierunter fällt, gemäß § 414 ZPO. Das Erfordernis eines Beweisantritts einer Partei ergibt sich dabei ganz klar aus § 373 ZPO. Dieses Erfordernis wird aber wiederum durchbrachen durch die Möglichkeit seitens des Gerichts, eine amtliche Auskunft nach § 273 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO zu fordern, soweit diese amtliche Auskunft der Vernehmung eines Beamten als Zeuge gleichzusetzen is~. Das wird regelmäßig der Fall sein. Nach Ansicht von Bruns kann allerdings das Gericht eine schriftliche Auskunft eines Beamten nur von sich aus anfordern, wenn sie sich im wesentlichen in der Wiedergabe bereits irgendwo schriftlich fixierter Vorgänge erschöpft3 • In allen anderen Fällen soll zur Verhinderung einer Umgehung des Beweisrechts der ZPO eine schriftliche Auskunft eines Beamten unzulässig und dessen Ladung als Zeuge dann aber nur auf Antrag einer Partei geboten sein4• Die Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes in diesem Fall geht wesentlich weiter nach Ansicht des BGH, der die amtliche Auskunft stets zuläßt, ohne die Unterscheidungen der Literatur zu treffen'. Ein weiterer Fall, in dem stets ein Beweisantritt einer Partei erforderlich ist, ist der der Urkundenvorlegung durch Dritte, §§ 428- 432 ZP06• Durchbrachen wird diese Regelung allerdings auch wieder durch den § 273 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO, wonach das Gericht bei Behörden auch ohne diesbezüglichen Parteiantrag die Vorlage von Urkunden verlangen darf. Ferner ist in § 102 HGB an versteckter Stelle vorgesehen, daß dem Gericht die Befugnis zusteht, die Vorlegung des Tagebuchs eines Handelsmäklers von sich aus anzuordnen. Abgeschwächt wird aber die Durchbrechung des Grundsatzes wieder ihrerseits dadurch, daß dem Gericht keine Möglichkeiten gegeben sind, die Behörde oder den Handelsmäkler zur Vorlage zu zwingen, falls sie nicht freiwillig erfolgt. Dies zu tun, ist wiederum Sache der Parteien, wenn es ihnen möglich ist7. 2 Wieczorek Anm. C II b zu § 282. a § 35 IV 2 ß und JZ 57, 493. " So auch Stein I Jonas I Schumann I Leipold VII vor § 373. ' LM Nr. 4 zu § 272 b Abs. 2 Ziffer 2 ZPO. 8 Zöller Anm. 1 zu § 428; RGZ 135, 131. 7 Stein I Jonas I Seimmann I Leipold Anm. li 2 zu § 432 iVm Anm. III 1 Nr. 2 zu § 272 b; DilTingeT I Hachenburg I Hoeniger Anm. zu § 102 HGB.

142

IV.

Kap.: Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes

Bei allen anderen Beweismitteln hat also das Gericht die Möglichkeit, sie von Amts wegen zu erheben. Auch die beiden - man ist versucht zu sagen - Relikte des Beibringungsgrundsatzes sind ihrerseits noch abgeschwächt durch die richterliche Frage- und Aufklärungspflicht des § 139 ZPO. Außerdem sind sie eingeschränkt durch die Wahrheitspfticht der Parteien, die ja auch vollständigen Vortrag verlangt, § 138 Abs. 1 ZPO. Es erscheint hiernach fast unangebracht, heute noch vo:Q einer grundsätzlichen Geltung des Beibringungsgrundsatzes zu sprechen. Schließlich drängt sich auch die Frage auf, ob es für seine Beibehaltung im Falle des Zeugenbeweises und der Urkundenvorlegung durch Dritte sachliche Gründe gibt, oder ob er auch diesbezüglich abgewandelt oder etwa abgeschafft werden sollte. Um diese Fragen beantworten zu können und sich darüber klar zu werden, in welcher Weise eine Modifizierung geschehen sollte, ist es wegen der Stellung des Beibringungsgrundsatzes in der Systematik des deutschen Zivilprozeßrechts nötig, sich erst einmal Klarheit über die grundsätzlichen Ziele des deutschen Zivilprozesses zu verschaffen. Dann wird es sich zeigen, ob zu deren Erfüllung bestimmte Maximen besonders geeignet sind und wenn ja, welche das sind, ob es der Beibringungsgrundsatz in jetziger oder vielleicht in modifizierter Form ist.

Zweiter Teil

Überlegungen zu einer Reform Soll der Beibringungsgrundsatz in seiner jetzigen Form beibehalten werden? V. Kapitel

Mögliche Ziele, Zwecke und Aufgaben eines Zivilprozesses In den älteren Lehrbüchern finden sich in der Regel nur spärliche oder gar keine Angaben über Zwecke und Aufgaben des Zivilprozesses1, während die modernen Lehrbücher hierüber häufig ein eigenes Kapitel enthalten oder zumindest darüber ausführlichere Aussagen treffen2 • 1. Die Ablehnung einer Frage nach dem Prozeßzweck überhaupt Sie erfolgte in krasser Form durch von Hippel, welcher meinte, nachdem dem Prozeß Subjektseigenschaft fehle, könnten ihm keine Eigenschaften und Zielstrebigkeiten, also Zwecke zugeschrieben werden3• Dabei hat er wohl verkannt, daß sich der Zweck des Zivilprozesses natürlich nicht aus diesem selbst heraus ergibt, sondern eben lediglich derjenige ist, der ihm von der Rechtsgemeinschaft, um deren Zivilprozeß es sich handelt, überwiegend als Ziel gesetzt wird. Ferner ist es unrichtig, zu glauben, eine Antwort auf diese Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses müsse stets eine Einheitsparole sein, wie von Hippel meint4 • Es ist im Gegenteil ja gerade eine häufige Erscheinung, daß mit einer Handlung, einem Verfahren usw. mehrere Zwecke gleichzeitig, oft auch in einer bestimmten Rangfolge zueinander stehend verfolgt werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum dies beim Zivilprozeß anders sein sollte. 1 So bei Wetzen System des ordentlichen Zivilprozesses; Goldschmidt Zivilprozeßrecht; Oertmann Grundriß des deutschen Zivilprozeßrechts. 2 Beispielsweise Schänke I Kuchinke § 1 li; Blomeyer § 1 I; Rosenberg I Schwab § 1 II und IV und andere. s S.170ff. 4 s. 173.

144

V. Kap.: Ziele, Zwecke, Aufgaben des Zivilprozesses

Die hier wiedergegebene Meinung von Hippels ist daher auch vereinzelt geblieben. Bevor die Antworten der heutigen Zivilprozeßrechtswissenschaft auf die Frage nach dem Prozeßzweck im Zivilprozeß skizziert werden, sollen noch einige Antworten früherer Zeiten vorgestellt werden, deren eine bereits 1885 gegeben wurde. 2. Der Prozeßzweck nach Wach, Niese und Goldschmidt

Wach definierte, der Prozeßzweck sei "die Wahrung der Gerechtigkeit durch Übung der Gerichtsbarkeit" 1• Es verwundert nicht, daß der Gegner jeder Definition des Prozeßzwecks, Fritz von Hippel, diesen Definitionsversuch wegen seiner Inhaltslosigkeit verwirft2• Diese Definition ist ja auch dadurch höchst problematisch, daß sie ihren Inhalt erst durch den Begriff der Gerechtigkeit erhält, eines Begriffes, der selbst bislang allen Versuchen einer erschöpfenden und umfassenden inhaltlichen Definition unzugänglich blieb. So beschreibt z. B. Zippelius den Begriff der Gerechtigkeit auf fünfundfünfzig Seiten3 ! Außerdem bleibt bei dieser Definition die Frage nach materiell unrichtigen Urteilen, also letztlich das Verhältnis von Gerechtigkeit zur Rechtssicherheit, die durch das Institut der Rechtskraft verwirklicht werden soll, ungelöst. Derselbe Vorwurf, der mindestens teilweisen Inhaltslosigkeit muß auch Niese treffen, wenn er als Prozeßzwecke Wahrheit und Gerechtigkeit nennt4 • Weiterhin stellt er nicht dar, wie sich denn mit seinem Prozeßzweck Wahrheit die Einrichtung des Beibringungsgrundsatzes verträgt. Goldschmidt glaubte, Prozeßzweck sei lediglich die "Herbeiführung von Rechtskraft" 1• Dabei blieb er allerdings eine Erklärung dafür schuldig, was es rechtfertigen soll, hierin den einzigen Prozeßzweck zu sehen. Hätte er dies zu erklären versucht, wäre er darauf gestoßen, daß die Herbeiführung von Rechtskraft letztlich um der Rechtssicherheit willen geschieht, und somit das erstere ja auch nur das Mittel eines weiteren Zweckes ist. Außerdem ist diese Definition nicht in der Lage, zu erklären, warum im Zivilprozeß die Verwirklichung des materiellen Rechts angestrebt wird und nicht einfach eine willkürliche Entscheidung getroffen wird. Mit Rechtskraft könnte ja eine solche auch ausgestattet sein. 1 2 3 4 1

In Handbuch Des Deutschen Civilprozessrechts, § 1 li (S. 5). S. 172 in der Anmerkung. In Das Wesen Des Rechts, Kapitel IV. In Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 16 und 19. Der Prozeß als Rechtslage, S. 151.

3. Prozeßzweck nach Luhmann

145

Die Ausführungen der neueren zivilprozessualen Literatur zur Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses zeigen in keinem Fall mehr die lapidare Kürze, die Wach, Niese und Goldschmidt glaubten verwenden zu können. Ein moderner Prozeßtheoretiker macht allerdings Ausführungen, die an Goldschmidts Aussagen erinnern.

3. Der Prozeßzweck aus der Sicht von Luhmann

Luhmann betrachtet den Zivilprozeß aus der Sicht des soziologischen Systemtheoretikers. Von daher lautet seine These: Ein System kann entweder die Entscheidung aller Probleme gewährleisten oder die Richtigkeit aller seiner Entscheidungen. Es sei aber nicht möglich, daß ein System wie der Zivilprozeß, das ja garantieren müsse, alle Fälle zu entscheiden, zugleich für die Richtigkeit aller seiner Entscheidungen garantieren könne!. Luhmann folgert daraus auch, daß der Prozeß weder der materiellen Wahrheitsfindung noch der Gerechtigkeit oder dem Rechtsschutz diene3 • Der Prozeß gewinne seine Legitimation durch das Verfahren, also durch seine Form. So drückt es bereits der Titel des Luhmannschen Werkes aus'. Der formalisierte Weg der Entscheidungsfindung versachliche den in jedem Rechtsstreit zu sehenden Konflikt und neutralisiere ihn damit zugleich. Es findet nach Luhmann eine Konfliktsabsorption statt5• Durch diese allein rechtfertige sich die Institution Zivilprozeß. Eine weitere Konsequenz Luhmanns ist es, daß er Wahrheit lediglich als "Übertragung reduzierter Komplexität" definiert6 • Das bedeutet, Wahrheit ist danach das, was am Ende eines Verfahrens als dessen Ergebnis für die Beteiligten zu gelten hat, weil es so entschieden wurde. Luhmann führt aus: "Was not tut, ist eine Theorie, die das Wahrheitsproblem, wie es in Verfahren auftritt, hinterfragen kann und nicht a priori schon annimmt, daß Verfahren der Wahrheit dienen. Eine solche Theorie kann die Soziologie aufbauen, indem sie die Wahrheit nicht länger nur als Wert, sondern genauer als einen sozialen Mechanismus begreift, der Bestimmtes leistet, der eine angehbare Funktion erfüllt und unter dem Gesichtspunkt dieser Funktion mit anderen Mechanismen verglichen werden kann7 ." Weiter vertritt er: "Der Positivierung des Rechts, d. h. der These, daß alles Recht durch Entscheidung gesetzt 2 S. 55 und 136. s S. 55 und 136. 4 Legitimation durch Verfahren. 5 s. 23. 8

1

8.23.

s. 23.

10 Zettel

146

V. Kap.: Ziele, Zwecke, Aufgaben des Zivilprozesses

ist, entspricht es, den Legitimitätsbegriff auf die Anerkennung von Entscheidungen als verbindlich festzulegen8 ." Es ist klar, daß eine solche Auffassung des Zivilprozesses keinerlei Verständnisschwierigkeiten mit dem Beibringungsgrundsatz hat. Er ist ja die einem System, demes-jedenfalls primär- nicht auf materielle Wahrheitsfindung ankommt, angemessenste Form der Sachverhaltsaufklärung. Die Theorie Luhmanns ist aber bereits vielfach stark kritisiert worden9. Sie kann ja im Grunde nicht überzeugend begreiflich machen, warum im Prozeß so sehr um die Entscheidung mit materiellrechtlichen Argumenten gerungen wird und warum nicht gleich - um es zugespitzt zu formulieren - die Entscheidung durch das Los getroffen wird. Auch dann würde sie ja in einem formalisierten und ritualisierten Verfahrensgang gefunden werden. Auf die Akzeptierung der richterlichen Entscheidung aus Überzeugung verzichtet Luhmann sowieso. Er schreibt: "Es kommt daher weniger auf motivierte Überzeugungen als vielmehr auf ein motivfreies ... Akzeptieren ... an ...10." Luhmann versteht die Rolle des Bürgers im Zivilprozeß so, daß dieser als einziger der am Zivilprozeß Beteiligten einem Lernprozeß unterworfen ist, d. h. dessen Ergebnis hinnehmen muß. Dabei ist es gleichgültig, wie es ihm gelingt, die Entscheidung hinzunehmen, ob er dadurch psychisch gebrochen wird, weil er sie gegen seine innere Überzeugung akzeptieren muß, oder nicht, das ist gewissermaßen seine Privatsache, nicht Sache der staatlichen Rechtspflegeorgane. Eine solche Theorie ist wegen des ihr zugrunde liegenden Verständnisses von der Rolle des Staatsbürgers mit dem Grundgesetz unvereinbar. Sie mißachtet nämlich die Menschenwürde, die Art. 1 GG als höchsten Wert der grundgesetzliehen Wertordnung bestimmt. Dieser Art. 1 GG verbietet es, den Menschen als bloßes Objekt staatlichen Handeins anzusehen11 • Etwas anderes geschieht aber in Luhmanns Theorie nicht. SiP. P.rinnert mit ihrer Sterilität und praktischen Nutzlosigkeit stark an die reine Rechtslehre Kelsens, die ja auch nur noch im historischen akademischen Unterricht eine Heimat hat. Luhmanns Theorie wird daher im folgenden außer Acht gelassen.

8 9 10

s. 31.

Esser S. 202 ff. und Schmidt S. 18 ff.

s. 31.

u Maunz I Dürig I Herzog Rdn. 28

zu Art. 1.

4. Moderne Literaturstimmen

147

4. Prozeßzwecke nach der modernen zivilprozeßrechtlichen Literatur Versucht man sie darzustellen, sieht man sich erst einmal vielen voneinander abweichenden Ansichten gegenüber. Jauernig spricht von einem "schier uferlosen Streit"1 • Dennoch lassen sich gewisse Zwecke herausstellen, die auch bei sonst gegensätzlich argumentierenden Autoren immer wieder genannt werden.

a) Der Schutz des einzelnen in seiner Rechtsstellung Dies ist wohl der Zweck, den am augenfälligsten jedermann dem Zivilprozeß zuzuschreiben geneigt ist. Er soll der Feststellung oder Durchsetzung subjektiver Rechte dienen2 • Zu diesem Zweck mußte der Staat ja eine Einrichtung schaffen, sobald er allmählich erstarkend die Selbsthilfe seiner Bürger verbot. Dem Bürger steht auch ein entsprechender Justizgewährungsanspruch auf solchen Rechtsschutz zu3• Aus der Tatsache, daß dies gewissermaßen der natürliche Prozeßzweck ist, folgt auch, daß er von allen noch zu erörternden Zwecken den Zivilprozeß am stärksten geprägt hat. Weil es eben in erster Linie um die Verwirklichung der subjektiven Rechte des einzelnen geht, schuf man aus dem liberalen Geist der Epoche heraus, in welcher die ZPO entstand, die Dispositionsmaxime. Nach Ansicht eines Teils der Literatur scheint auch der Beibringungsgrundsatz hieraus folgen zu müssen4 • Ob dies allerdings zutrifft, wird noch zu untersuchen sein. Unbestritten ist aber heute, daß der Zivilprozeß auch anderen Zwecken als nur diesem einen dient.

b) Die Herstellung und Erhaltung

von

Rechtsfrieden

Fragt man, was es für einen Grund für den Staat geben kann, die Rechtsstellung des einzelnen zu schützen, so war die Antwort bereits die, daß dies erforderlich war, nachdem der Staat die Selbsthilfe verboten hatte. Dieses Verbot aber hatte er um des allgemeinen Friedens willen - genauer gesagt des Rechtsfriedens willen - ausgesprochen. Diesen konnte er nur dadurch gewährleisten, daß er eine Institution schuf, die die Streitfälle zwischen seinen Bürgern klärte und zwar verbindlich. Diese Institution ist im Bereich des Privatrechts das Zivil1

JuS 1971, 329.

Rosenberg I Schwab § 1 III 1; Blomeyer § 1 II 1 und 2, sowie 3; Schänke I Kuchinke § 1 II; Bernhardt § 11; Zäller Einl. 1; Lent I Jauernig § 1; Stein I Jonas I Pohle Einl. CI; BGHZ 10, 350 ff. (359). a Blomeyer § 1 III 1; Rosenberg I Schwab § 3 I. 4 Thomas· I Putzo Einl. I 1; offenbar auch Schänke I Kuchinke § 1 II. 2

10°

148

V. Kap.: Ziele, Zwecke, Aufgaben des Zivilprozesses

gerichtund sein Verfahren dient dem Zweck der Erzielung von Rechtsfrieden mittels des Instituts der Rechtskraft. So kann man wohl die Erzielung von Rechtsfrieden als einen - allerdings nicht den eigentlichen - Zweck des Zivilprozesses ansehen5 • Man muß sich aber dabei immer vor Augen halten, daß die Erzielung von Rechtsfrieden nur eine Folge der Verwirklichung subjektiver Rechte ist und daher nicht der alleinige Prozeßzweck sein kann. Zutreffend spricht Mettenheim davon, daß Rechtsfrieden für sich allein betrachtet auch "Friedhofsruhe" bedeuten könnte6 • Anderer Ansicht sind Rosenberg I Schwab 7 • Weil sie - ebenso wie Grunsky8 - die Erzielung von Rechtsfrieden nur für eine Folge der Verwirklichung subjektiver Rechte halten, sprechen sie ihr überhaupt die Qualität eines Prozeßzwecks ab. Diese Ansicht hat sich aber nicht durchsetzen können und wird insbesondere von der Rechtsprechung auch nicht geteilt, denn der BGH sieht die Erzielung von Rechtsfrieden als einen Prozeßzweck an9 •

c) Die Wahrung der Rechtsordnung In der Anwendung des Rechts auf den Einzelfall "aktualisiert" sich jeweils auch die objektive Privatrechtsordnung10• Man könnte das als bloßen Nebeneffekt betrachten, der sich zwangsläufig mit ergibt. So sieht es Grunsky11 • Diese Sicht resultiert aus seiner Annahme eines Ausschließlichkeitsverhältnisses zwischen den möglichen Zwecken Wahrung der Rechtsordnung und Schutz subjektiver Rechte. Er argumentiert, wenn man ·das letztere als Prozeßzweck ansehe, könne es ja das erstere nicht mehr sein. Es ist aber nicht einzusehen, warum es nicht möglich sein soll, mit dem Zivilprozeß mehrere Zwecke gleichzeitig verwirklichen zu wollen. Auch muß der Zweck, den ein Rechtssubjekt mit ihm verfolgt, nicht der sein, den ein anderes damit bezweckt. Daher kann man wohl sagen: Während für den einzelnen der Schutz seiner subjektiven Rechte der hauptsächliche Zweck des Prozesses ist, ist es für die Rechtsgemeinschaft neben der Rechtsarbeit auch die Wahrung der objektiven Rechtsordnung12• s So auch Ber nhardt § 1 I; Schänke I Kuchinke § 1 II; Stein I Jonas I Pohle Ein!. C II; v . Mettenheim S. 19 ff. 6 s. 20. 7 § 1 II 3. s § 1 II (S. 4). 9 BGHZ 46, 300 ff. (302). 10 Schänke I Kuchinke § 1 II. 11 § 1 II (S. 5). 12 So auch Bernhardt § 1; L ent I Jauernig § 1 II; Blomeyer §I 14; Bruns § 1 II 4.

4.

Moderne Literaturstimmen

Eine ähnliche Position vertritt gumentation- auch Pawtowski.

149

allerdings mit eigenwilliger Ar-

d) Der Zweck des Zivilprozesses nach Pawtowski Pawtowski sieht den Zweck des Zivilprozesses darin, festzustellen, was heute im konkreten Falle Recht. ist13• Diese Feststellung sei erforderlich, weil vorher das Recht nur unbestimmt und lediglich subjektiv bewußt sei. Dem entspreche eine vorherige objektive Unbewußtheit. Schließlich sei das Recht nicht feststehend, sondern im Zeitverlauf wandelbar. Was gestern Recht war, kann es heute nicht mehr sein. Was heute Unrecht ist, kann morgen Recht sein, sei es durch Änderungen der Gesetze, der Rechtsprechung (!) oder auch des allgemeinen Rechtsempfindens. Daher sei eine auf den Zeitpunkt bezogene Festlegung des Rechts für den jeweiligen Einzelfall erforderlich. Demzufolge ergäbe sich auch eine Beziehung zwischen materiellem und formellem Recht. Letzteres lege das erstere erst fest. Der Zivilprozeß als geordnetes Verfahren, das der Rechtsfindung für den Einzelfall im jeweiligen Zeitpunkt diene, verwirkliche mit der Befriedigung des Strebens des einzelnen nach der Erlangung "seines" subjektiv empfundenen Rechts auch das Interesse der Allgemeinheit an der Wahrung der objektiven Rechtsordnung. Dies eben darum, weil letztere sich nur in der Rechtsfortbildung im zeitfixierten jeweiligen Einzelfall darstellen könne. Pawlowski versteht man erst dann richtig, wenn man erkannt hat, daß er die Interessen des einzelnen und der Allgemeinheit im Prozeß als identisch ansieht14• Das ist aber eine These, die ohne nähere Begründung nicht einfach akzeptiert werden kann. Gegen sie spricht auch, daß das geltende Recht in Verfahren, bei denen der Gesetzgeber auch in Zivilsachen ein gewisses Interesse der Allgemeinheit vermutet, der Staatsanwaltschaft eine Möglichkeit der Mitwirkung einräumte. Diese Regelung des § 607 Abs. 1 ZPO a. F. für Ehesachen und der §§ 646 Abs. 2, 652, 679 Abs. 2 ZPO für Entmündigungssachen zeigt ja, daß der Gesetzgeber davon ausging, die Interessen des einzelnen und der Allgemeinheit im Zivilprozeß seien keineswegs immer identisch. Das allein entspricht ja auch der Lebenserfahrung. Eine dogmatische Schwäche der Konstruktion Pawtowskis ist es, daß es ihm auf Grund seiner Ausgangsthese nicht mehr möglich ist, zwischen einem Hauptziel und untergeordneten Nebenzwecken des Prozesses zu unterscheiden15• ta ZZP 80, 345 ff. (368). 14 15

ZZP 80, 356 ff. Darauf weist Grunsky § 1 li Fußnote 22 zutreffend hin.

150

V. Kap.: Ziele, Zwecke, Aufgaben des Zivilprozesses

e) Die Herstellung von Rechtsgewißheit

So nennen andere das, was PawLowski als die einzige Form der Rechtsfeststellung überhaupt ansieht. Nach dieser Meinung stellt der verbindliche Spruch des Gerichts zwischen den Parteien lediglich klar, was als rechtens zu gelten hat. Die Unklarheit darüber ist häufig in der Tat unvermeidlich. Man denke nur an Generalklauseln wie § 242 BGB. Schönke I Kuchinke weisen zutreffend darauf hin, daß die Begriffe der Rechtssätze die Wirklichkeit nur typisiert erfassen und somit eine gerichtliche Konkretisierung zwangsläufig erfolgen muß16• Eine Reihe von Autoren sieht das als eigenen Prozeßzweck an17• Jedoch ist die Herstellung von Rechtsgewißheit wohl nur eine Nebenfolge der primären Prozeßzwecke Schutz des einzelnen in seiner Rechtsstellung und Durchsetzung von Rechtsfrieden. Überhaupt zeigt es sich, daß der Zivilprozeß gleichsam nebenbei ja auch noch eine andere Aufgabe erfüllt, die ihm auch nicht als ursprüngliches Ziel vorgegeben war. f) Rechtsfortbildung

Die zivilprozeßrechtlichen Urteile äußern mit ihrer Herstellung von Rechtsgewißheit zugleich aber auch oft die weitergehende Wirkung der Rechtsfortbildung18. Beispielhaft seien hier nur Institute erwähnt, wie die sog. Drittschadensliquidation oder die sog. positive Vertragsverletzung, die erst von der Rechtsprechung - wenn auch nach Anregungen aus der Wissenschaft - so ausgeprägt wurden. Eine solche Rechtsfortbildung erweist sich besonders bei Gesetzeslücken als notwendig. Sie wird auch vom Gesetzgeber als legitim anerkannt, wie § 137 GVG zeigt. Die Rechtsfortbildung ist aber kein ursprünglicher Zweck des Zivilprozesses, vielmehr ebenfalls die Folge seiner Hauptzwecke. Das zeigt schon die historische Entwicklung des Zivilprozesses als eines Befriedungsinstruments, das die private Rechtsverfolgung überflüssig machen sollte. Als Instrument der Rechtsfortbildung verstanden sich ursprünglich hauptsächlich die gelehrten Juristenfakultäten. Erst allmählich verlief die Entwicklung so, daß immer stärkere Anstöße zur Rechtsfortbildung von den Gerichten ausgingen. Man kann auch nicht allein aus der Ausgestaltung des Revisionsverfahrens etwa schließen, daß der Zivilprozeß nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte diene, weil das Revisionsverfahren - wie bereits § 1 II. z. B. Blomeyer § 1 I 4 und auch Schönke I Kuchinke § 1 II. 1s Lent I Jauernig § 1 II. 16

17

5. Rangfolge der Prozeßzwecke

151

ausgeführt- der Rechtsfortbildung und der Wahrung der Rechtseinheit dient. Das Revisionsverfahren ist ja nur ein Teil des Zivilprozesses als Gesamtheit und somit kann von seiner Aufgabe allein nicht auf del' Zweck des gesamten Verfahrens zurückgeschlossen werden. Außerdem gibt es Streitsachen, die beim Amtsgericht beginnen und niemals eine Revisionsinstanz erreichen19 • Das ist ein weiteres Gegenargument dagegen, die Aufgaben des Revisionsverfahrens mit denen des Zivilprozesses schlechthin gleichzusetzen. Auch aus weiteren einzelnen Ausgestaltungen des Prozesses läßt sich ein Schluß gegen den Zweck des Prozesses, subjektive Rechte durchzusetzen, nicht ziehen. Pawlowski hat geglaubt, das aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgern zu können, da dieser eine Verfahrensregelung enthalte, die nicht den "möglichst zweckmäßigen" Schutz der Rechte des einzelnen bezwecke20• Diese Ansicht kann aber nicht unwidersprochen bleiben. Erstens ist es tatsächlich unerheblich, wie der einem bestimmten Ziel dienende Prozeß im einzelnen ausgestaltet ist. Von Einzelheiten dieser Ausgestaltung kann nicht auf das Ziel geschlossen werden, das der Institution Zivilprozeß als solcher gesetzt ist. Nebenbei bemerkt, kann Pawlowski aber auch schon nicht darin gefolgt werden, daß die Anhörung der Parteien die Rechtsverfolgung behindere. Ein letztes Gegenargument ist häufig das, daß das Prozeßrecht doch auch Schranken enthalte, die der Verwirklichung subjektiver Rechte entgegenstünden, wie z. B. die Zurückweisung verspäteten Vorbringens, §§ 296, 296 a, 528, 529 ZPQ21 • Aber niemand hat- wie Grunsky gegen diese Argumentation einwendet22 - jemals behauptet, daß die subjektiven Rechte um jeden Preis verwirklicht werden sollen. In unserer Rechtsordnung gibt es weder schrankenlose Rechte, sogar das Eigentum oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind keine solchen, noch eine schrankenlose Rechtsverwirklichung. 5. Die Rangfolge der verschiedenen Prozeßzwecke Von der Feststellung des Prozeßzweckes gehen vielfältige Auswirkungen auf die Verfahrensgestaltung im einzelnen aus. Dann ist es aber nicht gleichgültig, in welcher Rangfolge die bisher genannten Prozeßzwecke zueinander stehen. Wenn beispielsweise die Wahrung der Rechtsordnung das hauptsächliche Prozeßziel ist, kann es nicht dem Belieben der Parteien anheim gegeben sein, ob das dem Gericht unter19

2o

21 22

Darauf weist Grunsky § 1 II (S. 6) hin, mit Nw der Gegenmeinung. ZZP 80, 358. Henckel S. 58 f.

§ 1 II (S. 6).

152

V. Kap.: Ziele, Zwecke, Aufgaben des Zivilprozesses

breitete Tatsachenmaterial ein wahres Bild des Sachverhalts widerspiegelt. Anders könnte man denken, wenn man den Schutz des einzelnen in seiner Rechtsstellung für allein maßgeblich erachtet. Gleichwohl wäre es unangebracht, nun eine grundsätzliche Auseinandersetzung darüber zu führen, wer den Vorrang verdiene, der einzelne oder die Gemeinschaft. Für unsere zivilprozeßrechtliche Fragestellung wird sich dies nämlich als unnötig erweisen. Es ist deshalb verkehrt, zwischen den Zwecken Schutz des einzelnen in seiner Rechtsstellung und Wahrung der Rechtsordnung eine Rangfolge anzunehmen, weil beide Zwecke ja solche aus teilweise verschiedenen Blickwinkeln sind. Den einen Zweck verfolgt der einzelne Bürger mit seinem Prozeß. Neben diesem Zweck verfolgt die Rechtsgemeinschaft aller Staatsbürger aber auch den Zweck, ihre objektive Privatrechtsordnung zu bewähren und im einzelnen Rechtsstreit zu aktualisieren. Man kann nicht einem der beiden Zwecke den Vorrang einräumen, ohne den anderen über Gebühr hintanzustellen. Schließlich ist nicht gesagt, daß ein Prozeß, der dem Schutz subjektiver Rechtsstellungen dient, nicht auch die Erzielung der Wahrheit bei der Beschaffung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen fordern kann. Dies zeigen die Beispiele des Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozesses. Diese Prozeßordnungen stehen alle unter dem Gebot der Wahrheitsforschung, wie wir noch zeigen werden. Hingewiesen werden soll nur noch auf die historische Entwicklung. Bei Schaffung der ZPO betonte man ganz eindeutig den Zweck des Schutzes subjektiver Rechte. Die Folge war, daß sich der Prozeß so gestaltete, "als ob die Parteien ohne soziale Verbundenheit mit den übrigen Rechtssuchenden für sich allein stünden" 1• Die Parteien konnten den Prozeß nach Gutdünken verschleppen. Sie konnten unwahre Tatsachen ihrem Vortrag zugrunde legen und das Gericht zwingen, diese seinem Urteil ebenfalls zugrunde zu legen. Der Richter war mehr ein Schiedsrichter, dessen Aufgabe die Überwachung der Einhaltung nur sehr formaler Regeln war, als ein nach Recht und Gesetz auf Grund eines als wahr feststehenden Lebenssachverhalts urteilender Diener der Gerechtigkeit. Eine solche Prozeßordnung entsprach mit ihrer oft formellen Wahrheit nicht dem Verlangen der überwiegenden Mehrheit der sich an die Gerichte wendenden Staatsbürger. Diese verlangten materiell richtige Entscheidungen. Außerdem begünstigte diese Prozeßordnung in hohem Maße die taktisch geschickte Partei, ohne daß die Gerichte hier hätten ausgleichend wirken können. Nicht zuletzt verursachte eine solche ZPO hohe volkswirtschaftliche Kosten. Sie nahm die Arbeitskraft einer Vielzahl von Richtern und Staatsbeamten in An1

So der Entwurf einer ZPO von 1931, S. 256.

5. Rangfolge der Prozeßzwecke

153

spruch und zwar stärker als es eine auf zügiges Prozedieren angelegte ZPO getan hätte. Die Zeit, die so von Parteien, welche ihre Prozesse verschleppten, in Anspruch genommen wurde, fehlte indessen für andere Rechtsschutzbegehren. Daher ist es kein Wunder, daß eine Entwicklung der Änderung der ZPO einsetzte. Diese führte über viele Einzeländerungen bis heute zu einer stärkeren Betonung der sozialen Prozeßzwecke. Die Entwicklung erreichte während des Nationalsozialismus einen gewissen Höhepunkt. In dieser Zeit triumphierte ja auf Grund der nationalsozialistischen Staatsauffassung die Staatsraison über jeden Parteiwillen. Man denke nur an die Schlagworte "Du bist nichts, dein Staat ist alles" und andere, in denen sich der Geist dieser Epoche ausdrückte. In diese Zeit fällt auch die Einführung der Wahrheitspflicht, die man wohl als bisher stärkste grundsätzliche Abschwächung des Beibringungsgrundsatzes ansehen kann. Daß sie von der herrschenden Meinung in der Folgezeit abgeschwächt wurde, ändert nichts an ihrer grundsätzlichen Zielrichtung. Heute ist es bereits ein grundgesetzliches Gebot, auch den Zivilprozeß sozialer zu gestalten. Das ergibt sich aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG. Dieses Gebot bedeutet bei allem Streit um Einzelheiten jedenfalls, daß das gesamte Recht eine soziale Tendenz haben soll2 • Soziale Prozeßziele erfordern aber von ihrer Natur aus schon viel stärker die Ermittlung der materiellen Wahrheit im Prozeß als lediglich subjektive Prozeßziele. Es spielt ja dabei auch das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Rechtsprechung eine Rolle. Mit der Vorstellung dieser Rechtsgemeinschaft von einem Richter ist aber ein Urteilen auf falscher tatsächlicher Urteilsgrundlage nach wie vor unvereinbar. Um zu sehen, wie weit Beibringungsgrundsatz und Prozeßzweck überhaupt theoretisch miteinander verknüpft sein müssen, sei noch ein Vergleich mit anderen Prozeßarten angestellt.

2

BVerfGE 5, 198.

VI. Kapitel

Die Regelung der Tatsachenermittlung in anderen Prozeliarten Bei dieser Betrachtung erfolgt eine Beschränkung auf die Verfahrensordnungen, die sich durch die Zahl der in ihnen abgewickelten Prozesse als die praktisch wichtigsten erwiesen haben. Nicht eingegangen wird beispielsweise auf das Verfahren vor dem Bundespatentgeriebt oder den Disziplinar- oder Berufsgerichten. Soweit diese Verfahren vor besonderen Verwaltungsgerichten stattfinden1, gilt das zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu sagende sowieso für sie entsprechend. Andererseits sind wiederum manche Verfahrensarten, etwa ehrengerichtliche Verfahren, zu speziell, als daß von ihnen Aufschlüsse allgemeiner Art für unser Thema zu erwarten wären. 1. Das arbeitsgerichtliche Verfahren

Bei diesem ist zwischen Urteils- und Beschlußverfahren zu unterscheiden. Das in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 4-6 ArbGG stattfindende Beschlußverfahren ist in den §§ 80-100 ArbGG geregelt. Es hat zum Inhalt "Streitigkeiten auf dem Gebiete der sozialen Selbstverwaltung im betrieblichen und tariflichen Aufgabenbereich" 2 • Das heißt, bei ihm werden fast immer öffentliche Interessen, mindestens aber immer die Interessen von Personenmehrheiten berührt sein. Deshalb gilt im Beschlußverfahren, dessen Ähnlichkeit mit dem FGG-Verfahren übrigens Rewolle betont3 , Amtsbetrieb und ist die objektive Wahrheit zu erforschen4. Anders ist es im Urteilsverfahren. Dieses kommt in den Fällen des§ 2 Abs.l Nr.l-3 und des§ 3 ArbGG zur Anwendung. Bei ihm streiten wie im Zivilprozeß mindestens zwei Parteien mit entgegengesetzter Interessenlage um ihre Rechte. Das Urteilsverfahren dient der Durchsetzung ihrer subjektiven Rechte. Dem entspricht es, die Arbeitsgerichte als besondere Zivilgerichte anzusehen5 • Konsequenterweise wird auch das Verhältnis der ArbeitsDazu Eyermann I Fröhle.r Rdn. 99 zu § 40 VwGO. Rohlfing I Rewolle Anm. 1 zu § 80. a Anm. 1 zu § 80. 4 Ders. Anm. 1 zu § 80. t

2

s Schaub § 1.

2. Der Strafprozeß

155

gerichte zu den ordentlichen Zivilgerichten als eine Frage sachlicher Zuständigkeit und nicht als Rechtswegfrage behandelt6 • Historisch erklärbar ist das Entstehen der Arbeitsgerichtsbarkeit aus der ordentlichen Ziviljustiz mit der parallellaufenden Entwicklung der Ausgliederung des Arbeitsrechts aus dem allgemeinen Zivilrecht. Das Urteilsverfahren der Arbeitsgerichtsbarkeit ist daher auf der Grundlage der Zivilprozeßordnung aufgebaut7. Es finden die Vorschriften der ZPO Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist,§§ 46 Abs. 2 Satz 1, 64 Abs. 2 Satz 1, 72 Abs. 3, 78 Abs. 1 Satz 1, 79 ArbGG. Es gilt somit auch der Verhandlungs-, d. h. der Beibringungsgrundsatz8 • Ganz anders ist es bei der folgenden Prozeßart.

2. Der Strafprozeß Sein Ziel ist es, die Beachtung des materiellen Strafrechts zu erzwingen1 und dadurch den gestörten Rechtsfrieden wieder herzustellen2. Dem dient er, indem er den staatlichen Strafanspruch durchsetzt. Niemals - das systemwidrige Adhäsionsverfahren der §§ 403 ff. StPO, das praktisch sowieso nicht vorkommt3, außer acht gelassen - verfolgt der Staat mit dem Strafprozeß das Ziel, subjektive Rechte einzelner durchzusetzen. Früher sahen die Vorschriften der§§ 188 und 231 StGB zwar die Möglichkeit vor, den Angeklagten zu einer an den Verletzten zu zahlenden Geldbuße zu verurteilen. Davon wurde aber, weil damit gleichzeitig die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches ausgeschlossen wurde, wenig Gebrauch gemacht4 • Inzwischen ist diese Möglichkeit weggefallen. Es ist als Ergebnis somit festzustellen, das Strafverfahrensrecht dient der Bewahrung der Rechtsordnung;. Allein hieraus wird teilweise schon die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes und des Prinzips der materiellen Wahrheitsermittlung für das Strafprozeßrecht gefolgert6 • Die Regelung des § 244 Abs. 2 StPO erklärt sich darüber hinaus aber noch aus einer Reihe weiterer Umstände. Im materiellen Stafrecht gibt es ebenso wie im Strafverfahrensrecht grundsätzlich kein dispositives Recht, wie es etwa das BGB kennt, Dietz I N i kisch Rdn. 18 zu§ 1 und Rdn. 23 zu § 2. DerschI Volkmar Einl. 2 d. s Schaub § 2; Grunsky ArbGG Rdn. 9 zu § 46; BAG in AP Nr. 66 zu § 611 BGB und AP Nr. 1 zu § 542 ZPO. 1 Eb. Schmidt Lehrkomm. Teil1, S. 31 Nr. 16; Schmidhäuser in Festschrift 6

7

für Eb. Schmidt S. 511. 2 Kleinknecht Einl. 1 A. a Baumann Strafprozeßrecht Kap. 1 I 2 a. 4 Baumann Zivilprozeßrecht, S. 14. s Peters § 3 II 1. 6 Ders. § 3 II 1.

156

VI. Kap.: Tatsachenermittlung in anderen Prozeßarten

von wenigen Ausnahmen der geringfügigen Verletzung rein persönlicher Rechtsgüter abgesehen. Daher treten im Strafprozeß keine Parteien auf, die über Rechte prozessieren, welche ihrer Verfügungsbefugnis unterliegen7 • Wer aber schon nicht über Rechte verfügen kann, dem kann es schon gar nicht erlaubt sein, über die Sachverhaltsaufklärung das Maß der Rechtsverwirklichung zu steuern8 • Schließlich ist auch allein die Verpflichtung des Strafgerichts zur materiellen Wahrheitserforschung "eine Garantie für die Bewährung des materiellrechtlichen Schuldprinzips" 9 • Aus allen diesen Gründen untersteht der Strafprozeß dem Untersuchungsgrundsatz in ungemilderter Form. 3. Der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß

Diese drei Prozeßarten können zusammengeiaßt behandelt werden, weil es sich bei den Finanz- und Sozialgerichten nur um besondere Verwaltungsgerichte handeJtl, also die Grundstruktur aller drei Prozesse die gleiche ist.

a) Der Verwaltungsgerichtsprozeß Zu ihm gibt es zwei verschiedene Grundeinstellungen. Die eine Meinung sieht die Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit darin, die Rechtmäßigkeit der Verwaltung zu sichern, d. h. die Einhaltung objektiven Rechts zu überwachen. Diese Auffassung rührt von dem früheren preußischen System her, nach dem die Verwaltungs"gerichte" ursprünglich gar keine solchen waren, sondern doch im Grunde verwaltungsinterne Einrichtungen2• Trotzdem dieses System heute nicht mehr existiert, gibt es auch jetzt noch vereinzelte Stimmen, die nur in der Bewährung der Rechtsordnung das Ziel des Verwaltungsprozesses sehen. Der klagende Bürger ist für diese Autoren nur "Sachwalter der Allgemeinheit"3. Die ganz herrschende Meinung teilt diese Ansicht aber nicht. Für sie ist auch für den Verwaltungsgerichtsprozeß oberstes Ziel der Schutz der subjektiven Rechte der Staatsbürger\ wie es schon immer der sog. süddeutschen Lehre entsprach. ' Löwe I Rosenberg Einl. Kap. 6 1 a. s So für den Arbeitsgerichtsprozeß Grunsky ArbGG Rdn. 9 zu § 46. 9 KMR Müller I Sax Einl. 9 b. 1 Eyermann I Fröhler Rdn. 100 zu § 40; Tschira I Schmitt Glaeser S. 43. 2 UZe§ 1 II 2. s Niese JZ 1952, S. 353 ff. (356).

3. Der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß

157

Diese Sicht des Verwaltungsgerichtsverfahrens ist die einzige, die dem geltenden Recht entspricht. Schließlich will mit Leistungs-, Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage (§§ 42, 43 VwGO) der Bürger Rechtsschutz gegen Verletzung seiner Individualrechte erlangen. Ja es ist sogar so, daß er nur einen solchen bekommt.§ 42 Abs. 2 VwGO soll gerade die Popularklage verhindern5 • So ergibt sich bereits aus der näheren Ausgestaltung des Verwaltungsgerichtsverfahrens, daß es der Durchsetzung subjektiver Rechte dient. Ein weiteres Argument hierfür ist dem Grundgesetz zu entnehmen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird von Art. 95 Abs. 1 GG eindeutig als Teil der Rechtsprechung gesehen. Dann muß für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aber natürlich auch die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs. 4 GG gelten, d. h. die Verwaltungsgerichtsbarkeit muß die Erfordernisse eines Gerichtsweges erfüllen6 • Es ist also so, daß der Hauptzweck des Verwaltungprozesses mit dem des Zivilprozesses übereinstimmt, Gewährung von Rechtsschutz für subjektive Rechte7. Auch das besonders ausgestaltete Normenkontrollverfahren des § 47 VwGO spricht nicht dagegen. Schließlich dient es auch zumindest mit dem Schutz subjektiver Rechte und nicht allein der Bewahrung äer objektiven Rechtsordnung8 • Das folgt schon aus der Vorschrift des § 47 Satz 2 VwGO. Diese beschränkt das Antragsrecht auf diejenigen, die durch die Anwendung der zu prüfenden Norm einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten haben. Nicht überzeugend sind dagegen die von Grunsky vorgebrachten Einwände, das Normenkontrollverfahren diene nicht primär dem Rechtsschutz des einzelnen, weil es dafür schon zu unvollkommen sei und § 47 Satz 2 VwGO solle lediglich eine zu stärkere Belastung der Gerichte mit Normenkontrollverfahren verhindern9 • Es kann nicht so allgemein gesagt werden, nur diejenigen Einrichtungen dienten dem Rechtsschutz des Bürgers, die diesen auch bis ins letzte effektiv und in jeder Hinsicht verwirklichen können. Vielmehr ist es dem Gesetzgeber überlassen, wie er den Rechtsschutz ausformt. Er brauchte dies beim 4 Ule § 1 II 2; Liike JuS 1967, 1; Menger Die Grundrechte Bd. III 2. Halbband, S. 727 ff. ~ BVerwGE 19, 269; Eyermann I Fröhler Rdn. 85 zu § 42. 6 Ule § 1 III 2. 7 Grunsky § 1 III 1 b (S. 8). s h.M.; VGH Mannheim DöV 63, 760; VGH Kassel NJW 67, 266 und NJW 73, 1765; VGH München BayVBl 71, 27; Redeker I von Oertzen Rdn.1 zu§ 47; Kopp Nr. 1 zu § 47; Meyer-Hentschel DöV 59, 923; aA Renck DöV 64, 1 und Grunsky § 1 III 1 (S. 9). 9 § 1 III 1 (S. 9).

VI. Kap.: Tatsachenermittlung in anderen Prozeßarten

158

Normenkontrollverfahren umso weniger weitgehend zu tun, als ja daneben das "normale" Verwaltungsgerichtsverfahren existiert, das vom Normenkontrollverfahren nur ergänzt wird. Hätte der Gesetzgeber mit § 47 Satz 2 VwGO nur die Zahl der Normenkontrollverfahren als Verfahren zur Bewährung der objektiven Rechtsordnung beschränken wollen, hätte es näher gelegen, das in der Form zu tun, daß nur Sachen von grundsätzlicher Bedeutung von den Gerichten zur Entscheidung im Normenkontrollverfahren angenommen werden, ähnlich der teilweisen Ausgestaltung des Revisionsrechts, statt an subjektive Rechtsgutsverletzungen anzuknüpfen. Schließlich gibt es ein letztes Argument dafür, daß es auch im Verwaltungsgerichtsverfahren um Rechtsschutz für den einzelnen geht. Im Verwaltungsgerichtsprozeß gilt die Dispositionsmaxime10. Wenn es aber die Parteien in ihrer Hand haben, ob das Gericht überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang über die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme entscheidet, so ist das mit einem Verfahren, das vorwiegend der Wahrung der Rechtsordnung dient, unvereinbar11 • Somit bleibt es dabei, das Verwaltungsgerichtsverfahren insgesamt dient ebenso wie der Zivilprozeß in erster Linie dem Schutz subjektiver Rechte. Gleichwohl normiert § 86 Abs.l S.l HS 1 VwGO für den Verwaltungsgerichtsprozeß den Untersuchungsgrundsatz. Hierfür muß es eine Erklärung geben. Ule meint, diese liege allein in der historischen Entwicklung, und zwar folge der Untersuchungsgrundsatz aus dem früherenZusammenhangzwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß12. Heute sei er theoretisch nur dadurch zu rechtfertigen, "daß die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, die Verpflichtung der Verwaltung zu einer Leistung, das Bestehen eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses nichtverfassungsrechtlicher Art, ... nicht der Willkür der Prozeßparteien überlassen bleiben können" 13• Damit soll wohl zum Ausdruck gebracht werden, daß eben in den meisten, wenn nicht in allen Verwaltungsprozessen öffentliche Interessen berührt sind, wodurch es untunlich erscheint, den Parteien die Verfügung über den Tatsachenstoff zu überlassen14• Es gibt darüber hinaus aber noch einen zweiten Grund für den Untersuchungsgrundsatz gerade im Verwaltungsgerichtsverfahren. Der Bürger kennt üblicherweise weder die Verwaltungsorganisation noch die vielfältigen Einzelheiten des öffentlichen Rechts. Er steht im Verwaltungsgerichtsprozeß dem Staat oder 10 Redeker I von Oertzen Rdn. 4 zu § 86; UZe § 1 III 2. 1 III 2.

u UZe § 12 13 14

§ 1 III 2. Ule § 1 III 2. Menger in Staatsbürger und Staatsgewalt Bd. II, S. 434; Lii.ke JuS 1961,

s. 43.

3. Der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß

159

einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts gegenüber. D. h. dem nicht selten auch hinsichtlich seines gerichtlichen Auftretens, man denke etwa an die Fähigkeit der richtigen Formulierung von Anträgen usw., ungewandten Bürger steht ein hochkomplexer Behördenapparat mit geschulten und spezialisierten Sachbearbeitern gegenüber. Schließlich verfügt die öffentliche Körperschaft auch regelmäßig über sehr große finanzielle Reserven, die etwa beim Staat geradezu unbegrenzt sind. Aus diesen Gründen und weil es das Institut der Amtshilfe gibt (Art. 35 Abs. 1 GG), wäre eine öffentlichrechtliche Körperschaft dem Bürger bei der Tatsachenermittlung in aller Regel überlegen. Sonach kann im Verwaltungsgerichtsprozeß nicht von einer "Waffengleichheit" der Parteien gesprochen werden15. Obwohl nun aus diesen Gründen der Verwaltungsgerichtsprozeß dem Untersuchungsgrundsatz unterstellt ist, kann trotzdem nicht gesagt werden, für ihn gelte bezüglich der Sachverhaltsermittlung dasselbe wie für den Strafprozeß. Das preußische OVG hielt es bereits Ende des vorigen Jahrhunderts für "weit außerhalb der Grenzen jener Aufgaben, die die Untersuchungsmaxime auferlegt, die Basis, auf welche der vorgetragene Anspruch von der Partei selbst aufgebaut ist, völlig zu verschieben, gewissermaßen in der Stellung eines Vormundes der anderweit zu begründenden neuen herbeizuführen" 16. Im geltenden Recht selbst finden sich gewisse Einschränkungen des Partei den Ersatz eines fundamental schiefen Anspruchs durch einen Untersuchungsgrundsatzes17• So legt§ 86 Abs. 1 Satz 1 HS 2 VwGO den Parteien die Verpflichtung auf, bei der Tatsachenermittlung mitzuwirken18. Die Parteien sollen außerdem im Sachvortrag für streitige Behauptungen Beweis antreten, § 82 Abs. 1 VwGO. Das heißt, die Parteien haben auch im Verwaltungsgerichtsprozeß die Pflicht, Tatsachen und Beweismittel beizubringen. Sie können aber keine rechtlichen Schranken hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung für das Gericht errichten. Das BVerwG hat einmal sogar den Satz aufgestellt, die Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltserforschung ende da, wo die Mitwirkungspflicht der Parteien einsetze19• Unabhängig von der Frage, ob dieser Satz so allgemein Geltung beanspruchen kann20, sieht man daraus schon, welches Gewicht das BVerwG der Mitwirkungspflicht beimißt. 16 Lilke JuS 1961, S. 43. 18 PrVBl. 1892/93, S. 174. 11 Koehler Anm. II 1 a zu § 86. 1s BVerwGE 19, 87 ff. (94); BVerwG in NJW 73, 773. 18 NJW 1964, 786. 2o Das wird etwa von Eyermann I Fröhler Rdn. 3 zu § 86 bestritten.

160

VI. Kap.: Tatsachenermittlung in anderen Prozeßarten

Die überwiegende Literatur folgt auch dem BVerwG und verneint eine Pflicht des Verwaltungsgerichts, umfangreiche Sachverhaltsermittlungen ohne jeden Hinweis der Beteiligten anzustellen21 • Im Ergebnis ist also festzustellen, daß der Verwaltungsgerichtsprozeß einem Untersuchungsgrundsatz untersteht, der durch Mitwirkungspflichten der Beteiligten stark abgemildert wirdu. Damit haben sich auch die Bedenken, daß der Verwaltungsrichter durch die Untersuchungsmaxime überfordert sein könnte, die von Turreg geäußert hat23, erledigt. Es besteht also nicht nur vom Prozeßzweck, sondern auch von der Art und Weise der Sachverhaltsermittlung im Prozeß eine weit stärkere Ähnlichkeit mit dem Zivilprozeß als mit dem Strafprozeß2 ', um so mehr als ja auch der Zivilprozeß einem hinsichtlich der Beibringung von Beweismitteln fast völlig durchbrochenem Beibringungsgrundsatz unterliegt. Nach allem Gesagten ist es allerdings auch nur konsequent, daß das Verwaltungsgerichtsverfahren keine Behauptungslast und keine subjektive Beweislast, also keine Beweisführungslast kennt211• Allerdings tritt auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Frage auf, wer die Folgen zu tragen hat, wenn sich etwas nicht ermitteln läßt. Dieses Problem der sog. materiellen Beweislast besteht natürlich auch hier!&. Es hat aber mit unserer Frage, wem es obliegt, den Sachverhalt aufzuklären, nichts zu tun. b) Der Finanzgerichtsprozeß

Auch er dient dem Rechtsschutz des Steuerpflichtigen27 • Gleichwohl gilt auch für ihn der Untersuchungsgrundsatz, wie § 76 Abs. 1 S. 1 FGO bestimmt. Aber auch hier sind die Parteien zur Mitwirkung heranzuziehen (§§ 76 Abs. 1 S. 2, 65 Abs. 1 S. 2 FGO). Die Regelung entspricht also nahezu voll der des Verwaltungsgerichtsverfahrens.

21 22

fest.

Redeker I von Oertzen Rdn. 11 zu § 86; Lang VerwArch 1961, 186 u. a. Das stellt auch Redeker in Staatsbürger und Staatsgewalt Bd. II, S. 475 ff.

In Festschrift für Heinrich Lehmann, S. 848 ff. (855). Lang VerwArch 1961, S. 186 und S. 195. 25 Schunck I DeClerck Erl. 1 c zu § 86; Redeker I von Oertzen Rdn. 11 zu § 108; Eyermann I Fröhler Rdn. 5 zu § 86; Ule §50 I 2. 26 Schunck I DeClerck Erl. 1 c zu § 86; Redeker I von Oertzen Rdn. 11 zu § 108; Eyermann I Fröhler Rdn. 5 zu § 86; Ule §50 II. 21 Paulick § 9 I; Ziemer I Birkholz Einl. II 2 a (Rdn. 39) ; Kühn I Kutter Vorb. 23

24

II A vor § 1 FGO.

4. Das bundesverfassungsgerichtliche Verfahren

161

c) Der Sozialgerichtsprozeß

Sein Hauptzweck ist ebenso wie im Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozeß die Sicherung der Durchsetzung subjektiver Rechte28 • Auch für ihn ist der Untersuchungsgrundsatz in § 103 S. 1 HS 1 SGG festgelegt. Jedoch bereits seit jeher galt er nicht schrankenlos29 • Eine Novelle im Jahre 1974 glich dann den Wortlaut des§ 103 SGG an denjenigen von§ 86 VwGO insofern an, als§ 103 S.1 HS 2 SGG nun auch ausdrücklich bestimmt: " ... die Beteiligten sind hierbei heranzuziehen." § 92 S. 2 SGG legt entsprechend § 82 VwGO fest, daß die Klage auch Beweismittel bezeichnen soll. Es ist wiederum nur konsequent, daß es eine Behauptungs- und subjektive Beweislast nicht gibt3°, wohl aber eine objektive oder materielle Beweislast31. Als Ergebnis zeigt sich, für das Sozialgerichtsverfahren gilt in jeder Hinsicht dasselbe wie für das Verwaltungsgerichtsverfahren. 4. Das bundesverfassungsgerichtliche Verfahren Es dient ebenfalls der Durchsetzung subjektiver Rechte, jedenfalls vorwiegend. Das ergibt sich aus Art. 93 GG und§ 90 BVerfGG. Eine Sonderstellung dürfte die sog. abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs.1 Nr. 2 GG einnehmen. Sie dient wohl überwiegend der Wahrung der objektiven Rechtsordnung. Das sog. Vorlageverfahren nach Art. 100 GG erfordert, daß es bei der Entscheidung in einem Rechtsstreit auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Normen ankommt. Es ist daher zulässig, zu sagen, das Vorlageverfahren diene stets demselben Zweck wie das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht1. Es ist aber in dieser Allgemeinheit unzutreffend, wenn Grunsky meint2 , also diene das Vorlageverfahren auch in jedem Fall der Durchsetzung subjektiver Rechte. Das wird zwar meistens der Fall sein, aber nicht immer, denn schließlich ist eine Richtervorlage auch im Strafprozeß möglich. Das zeigt ja die Richtervorlage, mit der die Verfassungswidrigkeit der lebenslänglichen Freiheitsstrafe für Mord geltend gemacht wurdeS. Hierbei ist aber das Prozeßziel schon des Strafprozesses nicht die Durchsetzung subjektiver Rechte. 28 Sauerborn Geleitwort zum SGG-Rechtsprechungskommentar von Schratt; Plagemann NJW 1975, S. 1392 ff. (1394). 29 BSG SozR § 103 SGG Bl. Da I Nr. 3, Nr. 7; BSGE 9, 277 ff. (280 f.). 30 Dapprich Die Sozialgerichtsbarkeit, S. 257 ff. (262). 31 Menger in Rechtsschutz im Sozialrecht, S. 146 ff.; BSGE 6, 70.

1 2

Grunsky S. 10. 8.10.

s Vorlagebeschluß des LG Verden vom 5. 3.1976, abgedruckt in NJW 1976,

s. 980 ff. 11 Zettel

162

VI. Kap.: Tatsachenermittlung in anderen Prozeßarten

Das bundesverfassungsgerichtliche Verfahren verfolgt also in der Mehrzahl seiner Fälle den Zweck, subjektive Rechte einzelner Personen durchzusetzen. Gleichwohl gilt der Untersuchungsgrundsatz und wird die objektive Wahrheit ermittelt, wie § 26 Abs. 1 S. 1 BVerfGG eindeutig aussagt.

5. Das Verfahren in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Die Freiwillige Gerichtsbarkeit, das "Experimentierfeld des Gesetzgebers"1, steht zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichtsprozeß!. Ihr sind viele nicht unbedingt stets in einem Zusammenhang miteinander stehende Aufgaben zugewiesen worden3 • Es ergeben sich daher nicht nur Schwierigkeiten, den Begriff der Freiwilligen Gerichtsbarkeit materiell zu definieren'. Dieses Unterfangen ist vielmehr von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es dem Belieben des Gesetzgebers überlassen ist, eine Materie der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuweisen. Aus diesem Grund fallen völlig heterogene Angelegenheiten in den Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Unabhängig von diesen terminologischen Schwierigkeiten wird jedoch der Zweck dieses Verfahrens, jedenfalls soweit es die sog. privatrechtliehen Streitsachen betrifft, auch im Schutze privater Rechtsverhältnisse, also in der Durchsetzung subjektiver Rechte der Beteiligten gesehen11. Gleichwohl ist in § 12 FGG bestimmt, daß das Gericht von Amts wegen ermitteln und Beweis erheben muß. Dem Gericht obliegt es also, sich die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen vollständig zu beschaffen6. Dem entsprechend gibt es im FGG-Verfahren keine Beweisführungslast7. Nach Ansicht eines Teils der Literatur haben zwar die Beteiligten trotzdem an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken8 • In der Praxis werden auch die Beteiligten dies tun. Erzwungen werden kann ihre Mitwirkung wegen des klaren Gesetzeswortlauts aber wohl nicht9 • 1 Ausdruck von Habscheid § 1 I (S. 2). 2 Ders. § 1 II 15. a KoUhosser spricht von einer "auffallenden Vorliebe" des Gesetzgebers für die Freiwillige Gerichtsbarkeit (S. 3). • So Keide~ I Wink~er Rdn. 1 zu § 1 mwNwe. 6

Habscheid § 7 I 2.

Keide~ I Wink~er Rdn. 2 a zu § 12. Baur § 16 II; Pikart I Henn S. 76. s Jans.en Anm. 6 zu § 12; Keidel I Winkler Rdn. 2 a zu § 12 und KoUhosser 8.113.

o 7

u

Die ganz h. M. verneint eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten, z. B.

Habscheid § 19 IV 4 und § 21 I 1; Pikart I Henn S. 77; SchlegelbergeT § 12 Rdn. 3, 4; OLG Hamm DNotZ 1950, 43; OLG CeUe FamRZ 1959, 33 f.

6. Zusammenfassung

163

Das Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit kennt keine gesetzlich nonnierte W ahrheitspflicht, wie sie der Zivilprozeß in § 138 Abs. 1 ZPO kennt. Eine solche ist jedoch auch für diese Verfahrensart aus allgemeinen Grundsätzen zu folgern10• 6. Zusammenfassung

Die. Betrachtung der verschiedenen Prozeßarten ergibt, daß diese überwiegend der Durchsetzung subjektiver Rechte dienen. Gleichwohl gilt umgekehrt überwiegend der Untersuchungsgrundsatz als oberster Grundsatz der Sachverhaltsermittlung, wenn auch zum Teil abgeschwächt. Das heißt, zwischen dem Prozeßzweck Durchsetzung subjektiver Rechte und der Verhandlungsmaxime besteht keine notwendige Verbindung. Weiterhin gilt auch in anderen Verfahrensordnungen bis auf den Strafprozeß die Dispositionsmaxime. Daß diese, etwa beim Verwaltungsgerichtsprozeß, eingeschränkt wird, sofern ihr öffentliche Interessen entgegenstehen, spricht nicht dagegen. Das ist schließlich im Zivilprozeß auch nicht anders, etwa in Familien- oder Ehesachen. Das heißt, auch zwischen der Dispositionsmaxime und dem Verhandlungsgrundsatz besteht keine notwendige Verbindung1 •

10 1

u•

Habscheid § 19 IV 3. So auch Wolf DVBI. 1966, S. 886.

VII. Kapitel

Abwägung der Argumente für und gegen die Beibehaltung des Beibringungsgrundsatzes in seiner jetzigen Form Bei den bisherigen Betrachtungen ist zweierlei aufgefallen. Zum einen sind der Zivilprozeß und seine Spielart der Arbeitsgerichtsprozeß die einzigen Prozeßordnungen, die dem reinen Beibringungsgrundsatz unterliegen. Zum anderen gelingt es nicht, diese Sonderstellung überzeugend zu begründen.

1. Ein Vergleich zwischen ZPO und FGG Insbesondere bei einem Vergleich des Zivilprozesses mit dem Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit wird das deutlich. Nirgendwo sind schließlich die Interessen gleichgelagerter als in zivilprozessualen Verfahren und den sog. Regelungsstreitigkeiten1 oder sog. echten Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. In letzterer stehen sich auch zwei oder mehrere Personen mit widerstreitenden Interessen gegenüber . Solche sog. echte Streitsachen oder privatrechtliche Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit2 sind beispielsweise die Fälle der § 1246 Abs. 2 BGB iVm § 166 Abs. 1 FGG, § 1357 Abs. 2 Satz 1 HS 2 BGB iVm § 45 Abs. 1 FGG, § 2227 Abs. 1 BGB iVm § 72 FGG, §§ 147, 166 Abs. 3, 338 Abs. 3 HGB iVm § 145 FGG, des Gesetzes über die richterliche Vertragshilfe vom 26. 3. 1952 (BGBl. I S.198), des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht vom 15.3.1951 (BGBl. I S.175) und des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen vom 21. 7. 1956 (BGBl. I S. 677), sowie der 6. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, der Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats nach der Ehescheidung vom 21. 10. 1944 (RGBl. I S. 256). Wenn einer von mehreren Wohnungseigentümern mit den anderen einen Rechtsstreit führen muß, der aus den gemeinsamen Rechten entspringt, so muß er sich gemäߧ 43 Abs. 1 Nr.1 WEG an das Gericht der Freiwilligen Gerichtsbarkeit wenden. Ein Mitglied einer Erbengemeinschaft etwa, die gemeinsam ein Haus besitzt, muß sich wegen einer t

2

Ausdruck von Bötticher in Festschrift für Lent , S. 89 ff. So der Ausdruck von Habscheid § 7.

1. ZPO

und FGG

165

ähnlichen Streitigkeit an das ordentliche Zivilgericht wenden, das im Verfahren der ZPO entscheidet. Im ersteren Fall wird der Sachverhalt nach dem Untersuchungsgrundsatz ermittelt. Im zweiten Fall erfolgt die Sachverhaltsaufklärung nach der Verhandlungsmaxime bzw. dem Beibringungsgrundsatz. Ansonsten bestehen keine wesentlichen Verfahrensunterschiede. Die Stellung der Beteiligten entspricht hier der von Parteien eines Zivilprozesses. Es muß ein Antrag gestellt werden, mit dem das Verfahren wie der Zivilprozeß mit einer Klage in Gang gebracht wird. Ebenso wie eine Klage, kann der Antrag zurückgenommen werden. Auch können sich die Beteiligten über den Streitgegenstand vergleichen oder eine Schiedsahrede treffen. Alles das ist möglich3. Warum weist nun unsere Rechtsordnung den Rechtssuchenden einmal den Weg der ZPO und das andere Mal den des FGG? Generell ist eine Prozeßordnung mit Untersuchungsgrundsatz für den Bürger vorteilhafter als eine mit Beibringungsgrundsatz, denn erstere belastet ihn mit weniger Pflichten. Zwar haben wir gesehen, daß außer im Strafprozeß auch in Verfahrensordnungen mit Untersuchungsgrundsatz die Parteien eine Mitwirkungspflicht trifft. Sie ist jedoch nicht so stark ausgebildet wie im Zivilprozeß. In letzterem haben allein die Parteien grundsätzlich die Pflicht zur Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln. In den anderen angesprochenen Prozeßarten trifft sie die Pflicht nur neben dem Gericht. Die Last der Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln ruht nicht allein auf ihren Schultern. Außerdem unterliegt das FGG-Verfahren keinem so strengen Formzwang wie der Zivilprozeß etwa in seinen Vorschriften über die Klageerhebung, § 253 ZPO, den Inhalt von Schriftsätzen,§ 130 ZPO usw. Schließlich gibt es im FGG-Verfahren kein Versäumnisurteil4 und von Ausnahmen abgesehen keinen Anwaltszwangs. Das Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ist außerdem nach aller Erfahrung zügiger als das Verfahren des ordentlichen Zivilprozesses. Das erklärt sich aus der geringeren Formenstrenge, die eine vereinfachte Verfahrensgestaltung entsprechend den Anforderungen des Einzelfalles ermöglicht. Dem könnte man als Nachteil die weniger starke Ausgestaltung des FGG-Verfahrens mit Rechtsschutzgarantien verfahrensrechtlicher Art entgegenhalten. Davon konnte man in der Tat früher sprechen6• Ob das aber heute noch zutrifft, ist mehr als fraglich. So muß z. B. auch in 3 4

5 6

Habscheid § 7 I 1 mwNw. Ders. § 7 III aE. Keidel I Winkler Rdn. 10 zu § 13. z. B. Habscheid in Rpfi 57, S. 168 ff.

(168).

166

VII. Kap.: Abwägung

der Freiwilligen Gerichtsbarkeit rechtliches Gehör gewährt werden7• Außerdem haben unter Berufung auf die gleiche Wesensart von Zivilprozeß und privatrechtliehen Streitverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Rechtsprechung und Literatur echte Lücken im Recht der privatrechtlichen Streitverfahren durch die analoge Anwendung zivilprozessualer Vorschriften geschlossen8• Demnach muß also das FGG-Verfahren als das für den Bürger vorteilhaftere Verfahren angesehen werden. Die fehlende Öffentlichkeit in weiten Bereichen des FGG-Verfahrens werden gewiß auch nicht wenige Beteiligte als einen Vorteil empfinden, nachdem sowieso gerade in Zivilsachen die Öffentlichkeit als Möglichkeit demokratischer Kontrolle der Justiz keineswegs die Rolle spielt, wie sie es im Strafprozeß tut. Weil also das FGG-Verfahren für den Bürger vorteilhafter ist als das zivilprozessuale Verfahren, könnte die Zuweisung echter privatrechtlieber Streitsachen an die Freiwillige Gerichtsbarkeit gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, es sei denn, für diese Zuweisung ließen sich sachliche Gründe finden. Diese Gründe müßten allerdings gewichtig sein, denn der Unterschied zwischen Beibringungsund Untersuchungsgrundsatz ist u. U. erheblich. Ansonsten hat man bisher eher viel Mühe darauf verwandt, die gleiche Wesensart von Zivilprozeß und privatrechtliehen Streitverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu betonen. Dies zeigt sich ja schon an der analogen Anwendung zivilprozessualer Vorschriften, die - wie oben bereits erwähnt - unter Berufung auf diese Wesensgleichheit vorgenommen wird. Man könnte daran denken, daß der Richter bei den Regelungsstreitigkeiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit einen gewissen Ermessensspielraum besitzen müsse, um seine Regelung überhaupt sinnvoll vornehmen zu können. Das erklärt allerdings nicht, warum das den Untersuchungsgrundsatz erfordern soll. Schließlich könnte es hierfür ja gleichgültig sein, ob der zugrunde liegenden Sachverhalt materiell oder nur "formell" der Wahrheit entspricht. Abgesehen davon weist aber schon Habscheid darauf hin, daß auch in den vergleichbaren Fällen des Zivilprozesses der Richter eine nicht unerhebliche Gestaltungsfreiheit hat9 • Solche Fälle sind etwa die richterliche Herabsetzung einer Vertragsstrafe, § 343 BGB 10• Ferner ist im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach herrschender Lehre und Rechtsprechung · zuerst 1 Ders. § 20. s Ders. § 7 III mit umfangreichen Nachweisen. e § 7 I 2; so auch OLG Frankfurt NJW 1953, 8.1713.

to Habscheid § 7 I 2.

1. ZPO

und FGG

167

zu versuchen, den Vertrag an die neuen Umstände anzupassen11 • Nichts anderes als ein Spezialfall des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist aber die Regelung des Vertragshilfegesetzes1:. Auch bei einstweiligen Verfügungen und Arresten hat das Gericht einen Gestaltungsraum. Warum im einen Fall Beibringungsgrundsatz und im anderen Untersuchungsgrundsatz gilt, kann also mit dem Argument, in den Fällen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit müsse der Richter einen gewissen Entscheidungsspielraum besitzen, nicht erklärt werden. Erklärbar ist die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes zwar schon für die alten Bereiche der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, das sind Vormundschafts-, Nachlaß-, Registersachen, Beurkundungstätigkeit (diese wegen des Beurkundungsgesetzes mittlerweile eine Domäne der Notare) und verschiedene Hilfstätigkeiten für die ordentliche Gerichtsbarkeit. Diese Tätigkeiten weisen wegen ihres besonderen Charakters gegenüber den Streitsachen der ZPO Besonderheiten auf. Häufig haben sie mehr rechtsfürsorgerischen Charakter13, wobei die Tätigkeiten nicht selten auch verwaltender Art sind14, obgleich mit Besonderheiten, die sie von der Verwaltungstätigkeit reiner Verwaltungsbehörden abheben. Wenn diese Verwaltungsakte der Klarstellung und Fortbildung privater Rechte dienen, so wird ersichtlich, daß durch sie Rechtspflege ausgeübt wird. Daher verwendet man auch für sie üblicherweise die Bezeichnung "Rechtspfl.egeakte" 15• Es ist zwar so, daß auch in solchen klassischen Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Streit zwischen Personen mit entgegengesetzten Interessen herrschen kann. So ist es beispielsweise, wenn mehrere einen Erbschein für sich beantragen, und jeder das Erbrecht für sich beansprucht. Die Regel ist diese Kampfsituation, wie sie für den Zivilprozeß typisch ist, aber für die klassischen Bereiche des FGG nicht. Wohl aber ist sie es ausschließlich für die privatrechtliehen Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Daher stellt sich immer unabweisbarer die Frage nach der Berechtigung der Zuweisung von Streitsachen einmal in den Zivilprozeß und einmal in das FGG-Verfahren. Die Antwort hierauf ist in der Regel sehr pauschal. Es seien reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ausschlaggebend gewesen16. Das kann aber als Antwort nicht ausreichen, und es wird auch weiter differenziert. 11 BGH in NJW 51, 837; 53, 1585; 58, 785; BGHZ 47, 52; unstr. 12 Darauf weist Habscheid § 49 li 1 hin. 13 Ders. § 6.

14

Habscheid § 6 III.

15 Ders. § 4 IV 2. 16 BGHZ 6, 248 ff. (254); Bärmann AcP 154, 374 ff. und 412 ff.; Habscheid Rpfll957, 168ff.; ders. ZZP 66, 191; Bosch AcP 149, 41; OLG FrankfuTt NJW 1953, 1713; BGH in NJW 1952, 742.

168

VII. Kap.: Abwägung

Hierbei zeigt sich eine Schwierigkeit, die bei jeder Befassung mit der Freiwilligen Gerichtsbarkeit auftritt: Es muß berücksichtigt werden, daß sie ein Konglomerat von zum Teil äußerst verschiedenartigen Gegenständen ist. Daher können generelle Aussagen leicht zur Mißachtung von Besonderheiten einzelner Rechtsgebiete führen, oder sie laufen Gefahr, zu nichtssagend zu sein. Es scheint häufig so, als hätte der Gesetzgeber selbst sich nicht immer klare Rechenschaft darüber gegeben, warum er eine Materie der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zuwies und eine andere ähnliche nicht. Die Literatur hat sich hier um Klärung bemüht. Habscheid meint beispielsweise, bezüglich der Streitfälle um die Entziehung der Schlüsselgewalt habe der Gesetzgeber geglaubt, daß der Streit "besser in der stillen Kammer des Vormundschaftsrichters entschieden würde als vor dem forum publicum des bürgerlichen Rechtsstreits" 17• Dasselbe gelte für Streitigkeiten um die Entlassung eines Testamentsvollstreckers (§ 2227 BGB) und den Streit um die außerordentliche Informationsbefugnis von Kommanditist und stillen Gesellschafter (§§ 166 Abs. 3, 338 Abs. 3 HGB). Damit ist aber noch nicht erklärt, warum der Gesetzgeber nicht diese Materien trotzdem dem Zivilprozeß zugewiesen und nur dessen Öffentlichkeit ausgeschlossen hat. Sicherlich unzutreffend ist allerdings die Argumentation von Schlegelherger gewesen, die Zuweisung sei wegen des öffentlichen Interesses an der Richtigkeit der Entscheidung erfolgt18 • Mit Recht fordert Habscheid, wenn dies stimmte, daß das FGG-Verfahren eine größere Richtigkeitsgewähr biete als der Zivilprozeß, letzteren gänzlich abzuschaffen19• Ferner weist er darauf hin, daß auch das öffentliche Interesse keine Rolle spielen könne. Schließlich sei nicht einzusehen, warum bezüglich der Geltendmachung eines außerordentlichen Informationsrechtes von Kommanditist und stillen Gesellschafter der Staat ein öffentliches Interesse haben solle, während dies hinsichtlich des ordentlichen Informationsrechts des § 166 Abs. 1 HGB fehle20• Das OLG Frankfurt spricht einmal aus, es möge "der Gedanke maßgebend gewesen sein, daß der dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eigene Grundsatz der Amtsaufklärung und des Amtsbetriebs (§ 12 FGG) ohne Anwaltszwang eine schnellere und billigere Abwicklung der Verfahren ermögliche" 21 • Hier ging also auch das OLG Frankfurt davon aus, daß das FGG-Verfahren den Bürger insgesamt gesehen begünstigt. Dann bleibt nach wie vor die Frage, Rpfl 57, 168. Rdn. 8 zu § 16. 1s Rpfl 57, 168. 2o Streitgegenstand, S. 91. 21 NJW 1953, S. 1713 f. 11

18

1. ZPO und FGG

169

warum diese Begünstigung Bürgern, die bezüglich bestimmter Rechtsmaterien streiten, vorbehalten bleibt und anderen versagt ist. Verschiedentlich gibt es allerdings ganz besondere Gründe für Zuweisungen, z. B. hinsichtlich des Umstellungsverfahrens nach § 6 der 40. DVO zum Umstellungsgesetz hat 1952 der BGH ausgeführt: "Da das Umstellungsverfahren . . . nicht nur auf die Klärung des Rechtsverhältnisses zwischen den unmittelbar Beteiligten abzielt, ist eine objektive, mit Wirkung gegen alle Beteiligten ausgestattete Entscheidung und ein diesem Ziel entsprechendes Verfahren angebracht. Diese Möglichkeiten werden durch einen ordentlichen Rechtsstreit wegen der darin bestehenden Dispositionsbefugnis der Parteien und der Beschränkung der Rechtskraft (§ 322 ZPO) auf die Parteien des Rechtsstreits nicht in ausreichendem Maße geboten22." Eine Rechtskraftwirkung nicht nur zwischen den Parteien, sondern "für und gegen alle", kennt aber auch der Zivilprozeß in solchen Angelegenheiten, an denen ein stärkeres öffentliches Interesse vorhanden ist. Man denke an Gestaltungsurteile, wie Ehescheidungsurteile, die Kraft ihrer Natur Rechtskraft inter omnes bewirken. Das Urteil in einer Ehenichtigkeitsfeststellungsklage wirkt gemäß § 638 S. 2 ZPO, wenn es zu Lebzeiten beider Parteien rechtskräftig geworden ist, für und gegen alle. Ebenso ist es bei Urteilen in Kindschaftssachen, § 640 h S. 1 ZPO. Aus diesen Beispielen ersieht man, daß es auch möglich gewesen wäre, das Umstellungsverfahren etwa dem Zivilprozeß zuzuweisen, und nur festzulegen, daß Urteilen in solchen Verfahren Rechtskraftwirkung für und gegen alle zukommt. Allerdings ist zuzugeben, daß es gesetzestechnisch einfacher ist, eine Materie insgesamt einem bestimmten Verfahrenszweig zuzuweisen, der unverändert bleiben kann, wie in unserem Beispiel das FGG-Verfahren, als einem Verfahrenszweig, dessen Vorschriften verschiedentlich abgeändert werden müßten, um den Besonderheiten der Matel'ie in diesen Fällen gerecht zu werden. Letzteres aber wäre ja beim Zivilprozeß der Fall gewesen. Man sieht also, es gibt schon verschiedentlich spezielle Zuweisungsgründe. Teilweise werden solche aber auch nicht überzeugend aufgezeigt. Etwa bei Streitigkeiten von Wohnungseigentümern kann die getroffene Regelung nicht überzeugen. Die Bedenken ·gegen die diesbezügliche "Verworrenheit" des Verfahrensrechts hat schon 1943 Bosch geäußert23 • Heute erscheint die willkürlich anmutende Zuweisung von Sachen einmal in den Zivilprozeß und einmal in die Freiwillige Gerichtsbarkeit zwar nicht verfassungswidrig, denn der Gesetzgeber hat trotz des Art. 3 GG noch weitgehende Gestaltungsfreiheit24 • 2!

23 24

NJW 1952, S. 742 f.

AcP 149, S. 32 ff. (55). Leibholz I Rinck Rdn. 10 zu Art. 3 mwNw.

170

VII. Kap.: Abwägung

Gewisse verfassungsrechtliche Bedenken aber bleiben. Die Abschwächung des Beibringungsgrundsatzes würde diese weitgehend zerstreuen können. Für eine solche Abschwächung gibt es aber noch eine Reihe weiterer Argumente. Auch Brüggemann vergleicht die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit mit der Freiwilligen Gerichtsbarkeit25. Er weist nach, daß heute verschiedentlich der Prozeßrichter wie ein Richter der Freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig wird, nämlich immer dann, wenn er in bestehende privatrechtliche Rechtsbeziehungen "umschaffend und neuschöpfend eingreift"26. Daß er dies tut, wird im einzelnen von ihm aufgezeigt, u. a. am Beispiel der Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, des § 2048 Satz 3 BGB, § 1382 Abs. 5 BGB, § 556 a Abs. 3 BGB, § 556 b BGB iVm § 308 a ZPO. Grundsätzlich wird man zwar sagen können, daß im Laufe der Zeit ein Zuwachs an Gestaltungsbefugnis des Prozeßrichters erfolgte. Auch seine Tätigkeit ist heute teilweise nicht mehr nur rein entscheidend, sondern auch gestaltend. Gleichwohl sind diese Fälle praktisch doch selten, im Verhältnis zur Vielzahl der sonstigen Entscheidung. Trotzdem nimmt Brüggemann die Tatsache der gelegentlichen Gestaltungsbefugnis des Zivilrichters zum Anlaß, um die Ablösung des Beibringungsgrundsatzes in seiner reinen Form zu erwägenZ7, wobei er an vereinzelte frühere Literaturstimmen anknüpft28 • Er stellt zunächst fest, daß ja bei einer Gestaltung durch den Prozeßrichter eine Gesamtschau des jeweiligen Rechtsverhältnisses zu erfolgen hat. Dann seien alle Belange der Betroffenen gegeneinander abzuwägen, und unter Ausgleich ihrer berechtigten Interessen sei eine Gestaltung zu finden, die Rechte und Pflichten der Parteien in ein ausgewogenes Verhältnis setzt. Das aber sei die Arbeitsweise des Richters der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Warum - fragt Brüggemann - hat dann aber der gestaltende Prozeßrichter nicht auch die Möglichkeit der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen29? Er müßte sie ihm zufolge eigentlich haben, weil eine Gestaltung u. U. ohne Kenntnis des ganzen zugrundeliegenden Sachverhalts unvollkommen bleiben muß, vielleicht sogar nur eine Quelle neuen Streites wäre. Auch sei es dem Richter unzumutbar, eine Gestaltung zu verantworten, die auf vielleicht unzutreffender tatsächlicher Grundlage beruht. Aus allen diesen Überlegungen heraus liegt es nahe, den Untersuchungsgrundsatz für den gestaltenden Richter zu fordern. Jedoch 25

26 27

s. 191 ff. s. 191. s. 297.

28 de Boor Auflockerung, S. 68; Wieacker AöR n. F. 29, 10; Sieg NJW 1951, 507; Lar.e nz S . 118; Geiger S. 96; Bosch HansRGZ 1940, 134. 28 s. 298.

1.

ZPO und FGG

171

kann man hierbei nicht stehenbleiben. Die Gestaltung durch den Richter erfolgt ja in den hier interessierenden Fällen im Zivilprozeß als ein Teil desselben. Dem Zivilprozeß insgesamt liegt dann ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde. Es wäre nun eine theoretische Schizophrenie, zu fordern, soweit es die Gestaltung erfordere nach Untersuchungsgrundsatz zu ermitteln, ansonsten aber es beim Beibringungsgrundsatz zu belassen. Das würde ja in letzter Konsequenz in bestimmten Fallgestaltungen dazu führen können, daß ein Richter bei seinem Urteil, soweit es nicht gestaltend wäre, einen Sachverhalt nicht berücksichtigen dürfte, den er vorher bei der Gestaltung berücksichtigen mußte. Außerdem ist die von Brüggemann geschilderte Arbeitsweise des Prozeßrichters soweit er Rechtsverhältnisse gestaltet ja weitgehend dieselbe, die er auch in anderen Fällen anwendet. Der Zivilrichter ist in Zivilprozessen, in denen er nicht gestaltet, ebenso bemüht, das leidende Rechtsverhältnis in seiner Gesamtheit in den Blick zu bekommen und die gegenseitigen Interessen - natürlich im Rahmen des gesetzlichen Spielraumes hierzu - sorgfältig abzuwägen. Dann läßt aber die Verwandtschaft und teilweise Identität der Arbeitsmethode des Zivilrichters und des Richters der Freiwilligen Gerichtsbarkeit die Gegensätzlichkeit der Grundsätze über die Beibringung von Tatsachen und Beweisen, einmal Untersuchungs-, das andere Mal Beibringungsgrundsatz um so unverständlicher erscheinen. Es sei hier nicht verkannt, daß dieses Problem in der Praxis durch den segensreichen § 139 ZPO weitgehend entschärft ist. Gleichwohl ist es eine Aufgabe der exakten theoretischen Grundlegung, es zu klären. Brüggemann will allerdings dieses Problem sehr differenziert lösen. Er will den Beibringungsgrund-" satz nach verschiedenen Kriterien einschränken, etwa danach, ob es allein der anhängige Prozeß ist, der für eine richterliche Gestaltung zur Verfügung steht, oder ob sich die Parteien daneben eines Verfahrens der Freiwilligen Gerichtsbarkeit bedienen können30 • Im letzteren Fall sei es der Partei zumutbar, wenn sie schon den Weg der ZPO gehe, "die Risiken der Darlegungslast und der Beweisfälligkeit nach der Verhandlungsmaxime auf sich zu nehmen"31 • So sei es etwa bei Vertragshilfe nach dem Vertragshilfegesetz. Anders sei es aber bei Vertragshilfe auf Stundung des Zugewinnausgleichs nach § 1382 Abs. 5 BGB. Hier müsse der Schuldner sich ausschließlich an den Prozeßrichter wenden. Daher und aus dem bereits erwähnten allgemeinen Grund der Gleichheit der Arbeitsweise und der Interessenlage der Parteien sei in diesem Falle dem Richter eine Amtsermittlungsbefugnis zuzubilligen, 30 31

s. 299. s. 303.

VII. Kap.: Abwägung

172

ebenso wie dem Vormundschaftsrichter beim Tätigwerden nach § 1382 Abs. 1, 4 BGB3!. Weiter soll es einen Unterschied machen, ob Parteivereinbarungen lediglich abgeändert werden, oder ob der Richter ganz neue ursprüngliche Rechtsbeziehungen gestaltend schafft, bzw. ob vom Richter neue Ordnungen aufgestellt werden oder bestehende nur abgeändert werden33. Der Fall der Schaffung einer richterlich zu gestaltenden neuen Ordnung sei etwa der des § 2048 Satz 3 BGB oder auch der des § 556 a oder § 556 b BGBS4. Brüggeman will ferner danach unterscheiden, "ob die richterliche Gestaltung inhaltlich unvertretbare, an die Individualität der Lebensverhältnisse der Parteien gebundene Rechte und Pflichten auferlegt, oder ob sie sich insoweit in den Bahnen vertretbarer Handlungen und Leistungen bewegt"35 und "ob der richterliche Ausspruch auf einer voraufgegangenen resolutiven Gestaltung fußt, oder ob er bestehende Rechtsbeziehungen unter Wahrung und zwecks Wahrung ihres Bestandes fortentwickelt" 36.

Seine Hauptdifferenzierung orientiert sich aber an folgendem:

Brüggemann sieht den Richter auf dem Weg zur Gestaltung drei Stufen

durchlaufen37 • Die erste Stufe ist die Feststellung des Gestaltungsgegenstandes (= der Gestaltungsbasis). Ihr folgt als zweite Stufe die Untersuchung der Voraussetzungen der Gestaltung (= des Gestaltungsgrundes), bis sich schließlich als dritte Stufe die Feststellung des Gestaltungsinhaltes anschließt.

Je nach dem, welcher Fallgruppe der Rechtsstreit angehört, und auf welcher der drei Stufen er sich befindet, beantwortet sich nach Brüggemann die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Notwendigkeit der Amtsermittlung durch den Richter in verschiedener Weise. Am Beispiel der richterlichen Bestimmung der Auseinandersetzung nach § 2048 Satz 3 BGB sei Brüggemanns kompliziertes Vorgehen verdeutlicht: Hier ist die Voraussetzung der richterlichen Auseinandersetzung entweder, daß ein bestimmungsberechtigter Dritter die ihm aufgetragene Bestimmung nicht treffen kann oder will, oder, daß die von ihm getroffene Bestimmung offenbar unbillig ist. Hierfür hat auch nach Brüggemann der Kläger die Behauptungs- und Beweislast gemäß dem Ver-

33

s. 305. s. 299.

35

s. 299.

32

34 Brüggemann S. 306. 36 37

s. 299. s. 299 f.

2. Bedenken wegen pönaler Elemente

173

handlungsgrundsatz38• Anders soll es auf der dritten Stufe, in der die Feststellung des Gestaltungsinhaltes erfolgt, sein. Hierzu führt Brüggemann aus: "Der Inhalt der Gestaltung ist demgegenüber etwas, das seiner Natur nach ein Eindringen in eine Fülle höchst individueller Umstände verlangt und dessen innere Gerechtigkeit sich nicht anders als aus einer umfassenden Kenntnis aller dieser Umstände erschließt. Auf diesem Felde nun ist die Verhandlungsmaxime recht eigentlich ungeeignet, den Anforderungen zu genügen, unter denen die Beschaffung des Entscheidungsstoffes sich vollziehen muß 39 ." Im Falle des § 2048 Satz 3 BGB kommt überdies noch eine Besonderheit hinzu. Diese Vorschrift enthält keine materielle Beweislastverteilung. Damit sei aber der Verhandlungsmaxime der Boden entzogen, meint Brüggemann4o. An diesem Beispiel ist klar geworden, daß Brüggemanns Anschauungen in diesem Punkt eine weitere Komplizierung des Prozeßrechts bedeuten würden. Sie ließen sich daher auch nur sehr schwer praktisch anwenden. Der Richter, der sowieso oft in der schwierigen Lage ist, die nicht selten fließenden Grenzen des § 139 ZPO ausloten zu müssen, müßte bei Gestaltungen immer eine Vielzahl von Überlegungen anstellen, um das Ausmaß seiner jetzt gerade erlaubten Amtsermittlungstätigkeit bestimmen zu können. Gerade Prozeßrecht muß aber praktikables Recht sein. Brüggemann ist allerdings zu seinen Differenzierungen genötigt, weil er den Beibringungsgrundsatz nicht grundsätzlich in Frage stellt. Seine These lautet: "Nicht das Nicht-wollen, nur das Nicht-können der Parteien ruft nach der ergänzenden Aufklärung durch den Richter41 ." Hierin kann ihm aber nicht gefolgt werden, aus Gründen, die später noch ausgeführt werden. 2. Bedenken wegen pönaler Elemente in der Schadensersatzrechtsprechung Schließlich kennt die Literatur einen weiteren Fall, wo der Beibringungsgrundsatz im Zivilprozeß Bedenken erweckt. Bei der Entscheidung über Schadensersatzansprüche aus Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt die Rechtsprechung zunehmend auf die Genugtuungsfunktion ab1 • Auch bei der Schmerzensgeldbemessung spielt sie eine große Rolle. Das heißt pönale Elemente bestimmen die Höhe des Schadensersatzes für immaterielle Schäden und die Höhe von 38 38 40

41 1

s. 306. s. 307. s. 307. s. 305.

BGHZ (GrZS) 18, 149.

174

VII. Kap.: Abwägung

Schmerzensgeldern in nicht unerheblichem Umfang2 • Daß dies so ist wird auch daraus deutlich, daß eine strafgerichtliche Verurteilung des Schädigers zu einer Geldstrafe auf das Schmerzensgeld in der Genugtuungsfunktion anzurechnen ist3 • Hier setzt die Kritik von Hirsch ein4 • Er sieht in der Genugtuungsfunktion des Schadensersatzes für immaterielle Schäden einen Ersatz für die nicht mehr vorhandene Privatstrafe und eine Umgehung der besonderen strafrechtlichen Rechtsgarantien5 • Auf Bedenken Hirschs, die im Rahmen des materiellen Rechts angesiedelt sind, etwa die fehlende Tatbestandsbestimmtheit (nulla poena sine lege!)6 , soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Prozessual jedoch sieht Hirsch für diesen Fall den Untersuchungsgrundsatz als unerläßlich an, denn nur dieser gewährleiste, daß die Strafe nicht gegen einen Unschuldigen verhängt wird7 • Außerdem sei eine Darlegungs-und Beweislast des Täters undenkbar~'. Gewiß stellen diese Bedenken im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Zivilprozesses ein Spezialproblem dar und sind nicht geeignet, für sich allein den Ruf nach einer Abschaffung oder Modifizierung des Beibringungsgrundsatzes zu rechtfertigen. Jedoch bleibt festzuhalten, daß jedenfalls die prozessualen Bedenken Hirschs weitgehend gegenstandslos würden, würde man im Zivilprozeß den Beibringungsgrundsatz noch weiter modifizieren. Hauptsächlich rechtfertigt sich dies allerdings aus anderen, allgemein gewichtigeren Gründen.

3. Auseinandersetzung mit den traditionellen Begründungen des Beibringungsgrundsatzes Eines der am häufigsten vorgetragenen Argumente für die Beibehaltung des Beibringungsgrundsatzes ist das, er sei zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im System unseres Zivilprozesses notwendig1. Solange nämlich die Parteien materiellrechtlich über Rechte verfügen könnten, solange und soweit müsse ihnen auch das Recht zustehen, diesen Erfolg auf dem Wege des Tatsachenvortrags zu erreichen. Dem entspreche es, wenn bislang der Beibringungsgrundsatz auch lediglich für Rechtsbereiche entfalle, die der materiellrechtlichen Ver""fügungsfreiheit entzogen seien, wie es zum Beispiel beim Eheschei2

Baumann Zivilprozeßrecht, S. 14.

3 . OLG

Celle JZ 70, S. 548. Festschrift für Engisch, Festschrift für Engisch, Festschrift für Engisch, Festschrüt für Engisch, Festschrift für Engisch, Grunsky § 3 II (S. 21).

In 5 In o In 7 In s In 4

1

S. 324 f. S. 324. S. 326. S. 325. S. 324.

3. Traditionelle Begründungen

175

dungsprozeß der ~all ist. Dieses Argument überzeugt aber nicht. Logisch ist es nicht zwingend, daß die Parteien, wenn sie Verfügungsfreiheit im Prozeß genießen, auch die Last der Tatsachen- und Beweisbeibringung tragen müssen. Das zeigen die Beispiele des Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozesses sehr deutlich. Es ist ja auch ein gerade umgekehrter Schluß möglich. Wenn die Parteien die Möglichkeiten haben, über ein Recht zu verfügen, so besteht überhaupt keine Notwendigkeit, ihnen noch die Möglichkeit einzuräumen, darüber auch im Wege eines manipulierten Tatsachenvortrages zu "verfügen". Bernhardt weist zutreffend auf folgende hin2 : Eine Meinung, die darin, daß eine Partei ein unrichtiges Urteil gegen sich ergehen läßt, eine Verfügung über den Prozeßgegenstand erblickt, ist nur atavistisch· zu erklären. Man kannte im römischen Recht die "in iure cessio". Sie diente der Übertragung von Rechten in der Form eines Scheinprozesses. Der Erwerber behauptete beispielsweise vor dem Prätor mit der für die Vindikation vorgeschriebenen Formel, daß eine bestimmte Sache sein Eigentum sei, z. B. bei einem Sklaven: "Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio3 ." Der bisherige Eigentümer widersprach nicht. Auf Grund dieses Geständnisses mußte der Prätor dem Erwerber das Eigentum zuerkennen'. Im römischen Recht gab es also Prozesse, die Mittel rechtsgeschäftlicher Verfügung waren. Gerade das aber kennen wir heute unstreitig nicht mehr. Schließlich ist es auch ein Trugschluß, anzunehmen, es mache bezüglich des Ausmaßes der Parteifreiheit keinen Unterschied, ob die Parteien im außergerichtlichen Rechtsleben miteinander verkehren, oder ob sie sich in einem Prozeßrechtsverhältnis befinden. Im letzteren Fall vertrauen sie ihren Streit der staatlichen Gerichtsbarkeit an. Dann ist es nicht ungerechtfertigt, sie zu gewissen Rücksichten auf jene, deren Fürsorge und Hilfe sie beanspruchen, zu verpflichten. Das heißt für unsere Fragestellung, von ihnen den Gerichten gegenüber Offenheit, Vollständigkeit und Wahrheit hinsichtlich ihres Sachvortrages und der Benennung der Beweismittel zu verlangen. Dann können sie auch keine berechtigten Einwände dagegen haben, daß das Gericht etwa von sich aus noch Beweismittel in den Prozeß einführt, um die Wahrheit zu finden. Im Gegenteil, sie müßten diese Hilfe begrüßen. Müssen sich die Gerichte mit Prozessen befassen, denen "frisierte" Sachverhalte zugrundeliegen, so kann das von seiten der Parteien verschiedenen Motiven entspringen. Diese sollen hier näher untersucht werden, inwieweit sie rechtlich beachtlich sein können. 2

Festgabe für Rosenberg, S. 31.

s Kaser § 7 II 1. ' Kaser § 7 li 1.

176

VII. Kap.: Abwägung

Es kann sein, daß die Parteien auf diese Weise Verfügungswirkungen erzielen wollen, die ihnen nach materiellem Recht verschlossen sind. Man denke hierbei nur an die sog. Konventionalscheidungen, bei denen die Parteien nach vorheriger Vereinbarung dem Gericht übereinstimmend einen beschränkten Sachverhalt vortrugen, der dem Gericht die Scheidung ermöglichte. Daß diese Konventionalscheidungen von den Gerichten stillschweigend geduldet wurden, war allenfalls ein Argument für die Neugestaltung des materiellen Scheidungsrechts. Mit dem geltenden Recht war diese Praxis schwerlich in Einklang zu bringen5• Für unsere Fragestellung gab diese Haltung der Gerichte kein Argument ab. Vielmehr ist daran festzuhalten: Wenn die Parteien über einen unrichtigen, das heißt unwahren oder unvollständigen Sachvortrag an sich materiellrechtlich nicht mögliche Verfügungswirkungen erzielen wollen, liegt ein Mißbrauch der Rechtspflege vor. Diesen ermöglicht aber erst eigentlich die Sperrfunktion der Verhandlungsmaxime, die es dem Gericht verbietet, von sich aus etwa bekannte Tatsachen oder Beweismittel in den Prozeß einzuführen. Die Parteien können mit einem unrichtigen Sachvortrag aber auch Verfügungswirkungen bezwecken, die sie auch erzielen könnten, indem sie einfach die betreffende Verfügung treffen würden. Dann fehlt aber für die Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte das Rechtsschutzbedürfnis. Ein Gericht darf nicht zu gerichtsfremden Zwecken in Anspruch genommen werden. Die Aufgabe der Zivilgerichte ist es nicht, Handlungen vorzunehmen oder Wirkungen zu erzielen, die den Parteien selbst möglich sind. Dann sollte es den Parteien gar nicht durch die Sperrfunktion der Verhandlungsmaxime ermöglicht werden, das Gericht zur Wahrnehmung einer solchen an sich gerichtsfremden Aufgabe zu zwingen. Befürworter des Beibringungsgrundsatzes stellen manchmal auch auf die Befriedungsfunktion des Zivilprozesses ab. Sie führen dann aus, es sei hierfür nicht entscheidend, ob die Entscheidung des Gerichts materiellrechtlich stimme, oder ob sie eben lediglich kraft ihrer Eigenschaft als Richterspruch Verbindlichkeit beanspruche8 • Richtig ist es zwar, daß die Befriedungsfunktion des Prozesses hiervon nicht grundsätzlich abhängt. Jedoch ist der Unterschied zwischen einem materiellrechtlich richtigen Urteil und einem materiellrechtlich falschen, wenn beide verbindlich, d. h. in diesem Zusammenhang rechtskräftig sind, genau der, zwischen Überzeugung und bloßem Zwang. Welchem Befriedigungsmittel hiervon der Vorzug zu geben ist, kann wohl nicht zweifelhaft sein. Schließlich wird der lediglich gezwungene, nicht überzeugte s So auch Papsthart in DRiZ 1963, S. 108. • Typisch dafür Schänke I Sehröder I Niese § 7 V

(S. 48).

3. Traditionelle Begründungen

177

Bürger eher dazu neigen, sich auch mit einem rechtskräftigen Urteil nicht abzufinden, sich etwa gegen dessen Vollstreckung aufzulehnen, ganz zu schweigen von seinem Vertrauensverlust in die Justiz. Denn es dürfte wohl nicht gelingen, ihm den materiellrechtlich gesehenen richterlich herbeigeführten Verlust seiner Rechte als notwendiges Opfer einer ausgefeilten prozessualen Systematik schmackhaft zu machen. Ein überzeugendes materiellrechtlich richtiges Urteil, das der Privatordnung entspricht, muß sich aber auf den wirklichen Lebenssachverhalt gründen. Den Sonderfall, daß beide Parteien ein Urteil wünschen, das auf einem unzutreffenden Sachverhalt beruht, haben wir bereits angesprochen. Das ist aus den oben angeführten Gründen entweder Gesetzesumgehung oder wegen Mißbrauchs der Rechtspflege unzulässig. Der Beibringungsgrundsatz ist nur aus seiner Entstehungszeit heraus richtig verständlich. Jonas weist mit Recht darauf hin, daß diese liberale Zeit den Prozeß als Kampf widerstreitender Parteien ansah, dem lediglich Spielregeln vorzuschreiben waren7 • Dabei nahm man in Kauf, daß der Erfolg auch einmal und wohl tatsächlich auch nicht selten, den besseren "Waffen", z. B. dem besseren Anwalt, dem größeren taktischen Geschick oder anderen Vorteilen einer Partei zu verdanken war. Kisch nennt das System der ZPO den auf das Gerichtsverfahren übertragenen "manchesterlichen Gedanken des freien Spiels der Kräfte" 8 • Daß dies heute nicht mehr befriedigen kann, liegt auf der Hand. Heute fordert hingegen das Grundgesetz, das unseren Staat in Art. 20 als einen Sozialstaat versteht, zwingend, diese Faktoren eines Prozeßerfolges möglichst auszuschalten, zumindest, ihren bestimmenden Einfluß so gering wie möglich zu halten. Wenn die Gerichte ihre Aufgabe im Dienst der Gerechtigkeit, orientiert an der Wertordnung des Grundgesetzes, erfüllen wollen, müssen sie sich von der Vorstellung lösen, daß im Zivilprozeß stets Gleiche um ihr Recht kämpfen. Ist erst einmal erkannt, daß die Gleichheit der Prozeßparteien nur eine fiktive ist, so wird es auch psychologisch leichter fallen, den Schwächeren Hilfestellung zu geben. Auch Bender sieht hierin ein wichtiges künftiges Anliegen der Gerichtsbarkeit9 • Die Tatsache, daß die vor Gericht erscheinenden Parteien faktisch häufig sehr ungleiche Ausgangsbedingungen haben, was die Möglichkeiten ihrer Rechtsdurchsetzung angeht, dürfte heute wohl nicht mehr ernstlich bestritten werden. Man denke etwa an einen Prozeß zwischen einem Versicherungskonzern und dem einzelnen Versicherungsnehmer, den Rechtsstreit einer Wohnungsbaugesellschaft mit einem ihrer Mieter. Bender illustriert diese Situation, wenn er sagt: "Institutionen, die häufig vor Gericht auftreten (z. B. In "Gedanken zur Prozeßreform", DR 1941, S. 1697 ff. (1698). s Judicium 1928/29, S. 1 ff.

1

9

ZRP 74, S. 236.

12 Zettel

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VII. Kap.: Abwägung

Versicherungsgesellschaften, Kaufhauskonzerne u. a.), für die also das Agieren vor Gericht eine professionelle Routineangelegenheit wird, tun sich aus vielen Gründen leichter ( man denke nur an ihre Rechtsabteilungen, ihre Verbindungen zu spezialisierten Rechtsanwälten, an den Ausgleich des Prozeßkostenrisikos durch die Vielzahl der zu führenden Prozesse) ...10." In diesen Fällen erscheint das Verhältnis der Parteien im Zivilprozeß von ihren tatsächlichen Ausgangsbedingungen her ähnlich dem von Bürger und Staat, bzw öffentlichrechtlicher Körperschaft im Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgerichtsprozeß. Dieses Verhältnis war aber einer der Gründe, in jenen Prozeßarten den wenn auch abgemilderten- Untersuchungsgrundsatz einzuführen. Auch bei Prozessen etwa zwischen Angehörigen verschiedener sozialer Schichten kann allgemeine geschäftliche Ungewandtheit, können Sprachbarrieren eine verhängnisvolle Rolle spielen11 • Eine Folge der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten sind ja auch die sog. Schwellenängste bestimmter sozial schwacher Schichten schon vor dem Gang zum Rechtsanwalt. Diese versucht man jetzt durch eine Vielzahl von in Erprobung befindlichen Modellen abzubauen1z. Man erprobt etwa die Ausgabe von Gutscheinen für eine kostenlose Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt oder behördlich institutionalisierte Rechtsberatung usw. Es muß in diesem Zusammenhang zweierlei betont werden. Die Richter haben in der Praxis in ihrer überwiegenden Mehrzahl diese Probleme wohl erkannt und bemühen sich seit jeher, mit den ihnen zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln, etwa § 139 ZPO, hier zu helfen. An ihnen liegt es nicht, wenn noch stellenweise die Rechtslage nicht befriedigt. Gerade von ihnen kommen auch die häufigsten Anregungen zu Verbesserungen. Noch ein weiteres sei betont: Diese Argumentation versteht sich ohne klassenkämpferischen Bezug. Denn wer jeweils der Schwächere ist, ist nur und ausschließlich aus der jeweiligen Prozeßsituation heraus zu beurteilen. Zutreffend bringt Bender hierzu das Beispiel des Prozesses einer kleinen Firma gegen einen Industriegiganten13 • Schließlich erscheint es nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß hier nicht zu einer sachlichen Parteilichkeit der Gerichte aufgerufen werden soll. Nicht beabsichtigt ist eine verschwommene BilligkeitsrechtspreZRP 1974, S. 236. Darauf weist Menne hin, in "Sprachbarrieren und Rationalisierung im Zivilprozeß", ZZP 88, S. 263 ff. 12 Blankenburg "Rechtsberatung als Hilfe und als Barriere auf dem Weg zum Recht" in ZRP 1976, S. 93 ff. stellt diese verschiedenen Modelle im einzelnen dar. 13 ZRP 1974, S. 236. 1o 11

3. Traditionelle Begründungen

179

chung in allen Fällen zugunsten des jeweils Schwächeren. Es soll ja unser Rechtssystem nicht im Sinne einer Kadijustiz überwunden werden. Es soll im Gegenteil verbessert werden. Das heißt, die Gerichte sollen lediglich ein Mittel in die Hand bekommen, um zu verhindern, daß sich die ungleichen tatsächlichen Ausgangsbasen der Parteien dahingehend auswirken können, daß eine von ihnen den Sachverhalt manipuliert. Was gemeint ist, wird auch deutlich durch die Ausführungen Mennes anläßlich eines ähnlichen Problems: "Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes ist vom Sozialstaatsprinzip her zu konkretisieren auf mehr als formale Gleichbehandlung, auf Chancengleichheit - auch im Zivilprozeß14." Das Gericht muß daher in die Lage versetzt werden, während des Verfahrens sich ergebende taktische Vor- und Nachteile der Parteien möglichst auszugleichen. Das Ziel muß es sein, daß der "siegt", der Recht hat. Hierüber sollte ein Streit ausgeschlossen sein. Diesem Ziel gegenüber wirkt die Beibehaltung des Beibringungsgrundsatzes allein im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozeß in ungemilderter Form wie ein Relikt Sozialdarwinismus. Dieses findet sich noch dazu an einer Stelle, wo man es am wenigsten vermuten sollte, nämlich dort, wo der Bürger den staatlichen Organen, in diesem Falle den Gerichten, nahezu ausgeliefert ist. Es sind ja sie allein, die zuletzt nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel verbindlich und unangreifbar das, was der Bürger als sein Recht begehrt, gewähren oder versagen können. Die Konsequenz einer Abschaffung oder Modifizierung des Beibringungsgrundsatzes sieht auch Bender, wenn er fordert: "So müßte die ,Parteimaxime' im Zivilprozeß neu überdacht werden. Die Parteimaxime geht von der Fiktion aus, jede Partei habe die gleichen Möglichkeiten, diejenigen Fakten, Beweismittel usw. ,beizubringen', die am ehesten geeignet sind, zu ihrem Prozeßsieg beizutragen. Ist dieser ,Selbstregulierungsmechanismus' einmal als Fiktion erkannt, so gewinnt die gerichtliche Aufklärungspflicht einen ganz neuen Stellenwert15." Grunsky, der wohl eine gegenteilige Ansicht als die hier geäußerte vertritt, meint, man solle nicht den Bürger auf dem Gebiet des Verfahrensrechts mehr betreuen wollen, "ihn dagegen im materiellen Recht nach wie vor frei schalten und walten lassen" 16• Das mag vielleicht einmal so gewesen sein. Jetzt ist es bestimmt nicht mehr so. Man denke nur an die Rechtsprechung hinsichtlich Allgemeiner Geschäftsbedingungen und andere Erscheinungen des materiellen Rechts17• Diese Überlegungen bekommen noch mehr Gewicht durch die Tatsache, daß die Parteien in fast allen praktischen 14 16

16 17

12°

ZZP 88, S. 263 ff. (285).

ZRP 1974, S. 237. § 18 III aE. Dazu Weitnauer "Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht".

180

VII. Kap.: Abwägung

Fällen ihrer ganz natürlichen Interessenlage zufolge überhaupt keine irgendwie geartete Beschränkung des Tatsachenvortrags oder der Anzahl und Auswahl der Beweismittel wünschen18• Sie unterbreiten dem Gericht den Sachverhalt, den sie für entscheidungserheblich halten, und von dem sie meinen, er rechtfertige ihr Klagebegehren oder ihren Antrag auf Klageabweisung. Auch bieten sie die Beweismittel dafür an, die sie kennen, besitzen und für nötig halten. Jede Partei wünscht aber, daß das Gericht, falls es weitergehende Tatsachen wissen oder weitere Beweise geführt haben will, dies kundtut. Schließlich ist es ja das Gericht, welches letztlich bestimmt, was entscheidungserheblich ist und was nicht. Zur Zeit geschieht das auch ständig seitens der Gerichte. Der Weg dazu ist die Ausschöpfung der Möglichkeiten des § 139 ZPO. Das geschieht dann so, daß das Gericht in einem Termin die nach seiner Meinung noch notwendigen Tatsachen und Beweise andeutet und auch ein Rechtsgespräch mit den Parteien führt. Auch die Klärung zweifelhafter Tatsachenbehauptungen wird hier versucht, gestützt auf die §§ 138, 139 ZPO. Dann wartet das Gericht ab, ob die Parteien seine Anregungen aufgreifen. Dieses Verfahren erscheint aber manchmal als ein Umweg. In den Fällen ist es umständlich, in denen bei einer Zeugenvernehmung z. B. neue bisher nicht eingeführte Tatsachen geäußert wurden, und eine Partei sie nicht zum Gegenstand ihres Vortrags macht. Das kann die Partei etwa aus Unwissenheit unterlassen. Eine ähnliche Fallgestaltung ist beispielsweise die, daß sich aus einer Beweisaufnahme die Existenz eines weiteren Zeugen ergibt, dessen Benennung die Partei, zu deren Gunsten er vermutlich aussagen würde, ebenfalls unterläßt. Es handelt sich hier also um alle Fälle, in denen das Gericht auf irgendeine andere Weise als durch den Vortrag einer Partei von neuen Tatsachen oder der Existenz weiterer Beweismittel Kenntnis erhalten hat. Hiervon ausgenommen sind lediglich die Fälle, in denen ein Richter seine Kenntnis als Zeuge erlangt hat. Niemand kann Zeuge und Richter in derselben Sache sein. Davon abgesehen aber, ist es auch nicht prozeßökonomisch, diese neuen Tatsachen und Beweismittel nun erst nach Anregung des Gerichts im Rahmen eines Sach- und Rechtsgespräches durch die Parteien nun erneut, nunmehr "offiziell" in den Prozeß einzuführen. Daß den Parteien das rechtliche Gehör dadurch nicht versagt werden darf, sei angemerkt. Bedenkt man, daß das oben geschilderte herkömmliche Vorgehen der Gerichte auch häufig einen eigenen Termin erfordern wird, so könnte die Abschaffung des Beibringungsgrundsatzes in seiner reinen Form vielleicht sogar ein wenig zur Prozeßbeschleunigung beitragen, die man ja so oft anstrebt und so selten erreicht. Die Literatur zur Frage der Zivilprozeßbeschleuni18

Darauf weist auch Jonas hin, in DR 1941, S. 1702.

3. Traditionelle Begründungen

181

gung ist mittlerweile fast unübersehbar19. Die Abschwächung des Beibringungsgrundsatzes ist dabei - soweit ersichtlich - aber noch nicht als ein Mittel hierzu vorgeschlagen worden. Nachdem geklagt wird, daß durch die AuslagenvorschuBpflicht des § 379 ZPO beim Zeugenbeweis Prozeßverzögerung eintritt20 , wäre die Möglichkeit amtswegiger Anordnung der Erhebung von Beweismitteln sogar sicherlich ein Mittel zur Prozeßbeschleunigung, denn bei amtswegiger Anordnung nach § 273 ZPO wird kein Auslagenvorschuß erhoben oder jedenfalls die Zeugenladung nicht von der Zahlung eines solchen abhängig gemacht. Die Frage, ob sich dieses Problem jetzt dadurch löst, daß § 379 ZPO zu einer bloßen Kannvorschrift umgestaltet wurde, muß hier offen bleiben. Allerdings beklagt Kalthoener die ungenügende Ausnutzung des § 273 ZPO als einen der Gründe für die heute häufig zu lange Prozeßdauer1. Auch Kollhosser weist darauf hin. Er vermutet den Grund dafür in der bisherigen Ausbildung der Juristen. "Dem Juristen wird in seiner theoretischen und praktischen Ausbildung von vornherein ein Bild von den Sachaufklärungsmethoden im Zivilprozeß geboten und eingeprägt, in dem die umfangreichen richterlichen Pflichten (und es handelt sich um Pflichten- allenfalls mit einem Beurteilungsspielraum) nur schwach gezeichnet sind. Vielleicht liegt hier eine (psychologische) Wurzel dafür, daß viele Zivilrichter- vom Schlagwort der ,Verhandlungsmaxime' in ihrer Denkweise geprägt - von ihren richterlichen Pflichten, die Sachaufklärung zu fördern, immer noch nicht den vom Gesetzgeber erwarteten Gebrauch machen22 ." Dem ist nichts hinzuzufügen. Für unsere These spricht auch, daß die Kammern nach dem sog. Stuttgarter Modell weitgehend mit § 272 b ZPO a. F. gearbeitet und so den Prozeß beschleunigt haben23 • Außerdem spricht für den Beschleunigungseffekt die Tatsache, daß in Österreich z. B. die Möglichkeit Zeugen von Amts wegen zu vernehmen 1921 durch die sog. III. Gerichtsentlastungsnovelle eingeführt wurde24 • Auch dies ist ein Indiz, daß man sich davon eine Beschleunigung des zivilprozessualen Rechtsganges versprach. 19 Einen guten Überblick über die Literatur zu dieser Frage gibt Baumgärtet in JZ 1971, 441 ff. 20 z. B. von Baumann I Fezer ZRP 1970, S. 127 ff. (128); Baumgärtet I Mes

s. 257.

DRiZ 1975, S. 201 ff. (202). JZ 1973, S. 8 ff. (11). 23 Bender beschreibt dieses Verfahren in DRiZ 1968, S. 163 ff. und weist auf S. 165 insbesondere darauf hin, daß die zeitraubende Kostenvorschußpflicht (§ 379 ZPO) entfällt, weil die Zeugenladungen und die Aufträge an die Sachverständigen gemäß § 272 b ZPO erfolgen. 24 Bettetheim S. 394. 21

22

VII. Kap.: Abwägung

182

Dabei soll nicht verkannt werden, daß die Prozeßbeschleunigung allenfalls ein Nebeneffekt wäre, allerdings wohl kein unerwünschter. Schließlich ergibt auch die bisher schon geltende Rechtslage ein Argument für die Modifizierung des Beibringungsgrundsatzes im Zivilprozeßrecht. Der Zeugenbeweis ist ja der einzige noch praktisch bedeutsame Fall, in dem dem Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen versagt ist. Nagel führt aus, daß man infolge seiner ganzen Durchbrechungen den Beibringungsgrundsatz mittlerweile geradezu als Ausnahme, denn als Regel bezeichnen kann25. Das stimmt jedenfalls hinsichtlich der Beibringung von Beweismitteln. Nagel weist auch mit Recht darauf hin, daß es inkonsequent ist, die Möglichkeit einer Beweiserhebung von Amts wegen von der Wahl des Beweismittels abhängig zu machen26• Dafür, daß beim Zeugenbeweis die amtswegige Anordnung unzulässig sein soll, gibt es keine sachlichen Gründe. Soweit ersichtlich ist in der Literatur auch bisher nicht versucht worden, solche anzuführen. Für die Aufrechterhaltung des Beibringungsgrundsatzes wird immer angeführt, er rechtfertige sich durch seine Zweckmäßigkeit. Infolge ihrer Interessengegensätze trügen die Parteien alles vor, je nach Parteirolle aus dieser oder jener Sicht. Ihr Interesse am Ausgang des Rechtsstreits sei sonach ein unentbehrliches Mittel zur Wahrheitsfindung27• Demgegenüber bemerkt Grunsky zutreffend, daß das ja genauso gut für den Verwaltungsgerichtsprozeß gelten müsse28 • Dieser aber untersteht dem Untersuchungsgrundsatz, wenngleich in abgemilderter Form. Außerdem müßte dieser Gesichtspunkt auch im Finanz- und Sozialgerichtsprozeß gelten. Dort hat man die Einführung des Beibringungsgrundsatzes aber nie erwogen. Es ist ferner ein Trugschluß, anzunehmen, eine Partei würde sich, wäre der Beibringungsgrundsatz nur einmal abgeschafft, nur noch auf das Gericht verlassen. Dies widerspräche aller praktischen Erfahrung. Die Parteien bemühten sich im Gegensatz dazu auch dann, alles, was ihnen günstig und erfolgversprechend erschiene, an Tatsachen und Beweisen vorzutragen und dem Gericht anzubieten. Sogar im Strafprozeß, dem klassischen Prozeß mit Untersuchungsgrundsatz in reiner Form, nimmt die Verteidigung solche Aufgaben wahr. Völlig zu Recht sagt Kollhosser: "Ein vom traditionellen Maximendenken gelöster Strukturvergleich der Rechtsregelung und der Rechtspraxis der einzelnen Verfahrensordnungen zeigt nämlich insoweit weitgehende Gleichheit des Sachaufklärungsvorgangs. In allen Verfahrensordnungen ist es in erster Linie Sache der Verfahrensbetei25 28

21

28

In "Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozeß", S. 423.

s. 423. Zeiss S. 72.

§ 3 II (S. 21).

4. Vorstellungen der ZPO-Reformkommission

183

ligten, den einschlägigen Sachverhalt vorzutragen und die erforderlichen Beweise zu benennen, auch in den Verfahren mit sogenannter Untersuchungsmaxime. Nur soweit ihr Vortrag noch Lücken enthält, an deren Ausfüllung noch ein öffentliches (Fürsorge-) Interesse besteht, stellt sich die Frage nach ergänzender richterlicher Tätigkeit von Amts wegen. Auch insoweit läßt sich noch Übereinstimmung in allen Verfahrensordnungen feststellen, als diese ergänzende Tätigkeit in erster Linie in Anhörung der Verfahrensbeteiligten zur Ergänzung ihres Vortrags besteht29." Daher wäre durch eine Modifizierung des Beibringungsgrundsatzes im gesamten Zivilprozeß weder eine Mehrbelastung der Gerichte zu befürchten, wie Zeiss meinf;30, noch eine Ausweitung der Gerichtsbehörden, etwa durch Ermittlungsbeamte vergleichbar der Staatsanwaltschaft. Im Finanz- und Sozialgerichtsprozeß kommen die Gerichte schließlich auch ohne solche Ermittlungsbehörden aus. Die oft beklagte lange Dauer der Verwaltungsgerichtsprozesse ist wohl mehr auf einen Mangel an Verwaltungsrichterplanstellen als auf den dort herrschenden Untersuchungsgrundsatz zurückzuführen31 . Das heißt, würde man den Beibringungsgrundsatz noch weiter abschwächen, wären die Auswirgen auf die alltägliche Gerichtspraxis vermutlich gar nicht besonders groß. In der Dogmatik, im System unseres deutschen Zivilprozesses wäre aber eine Ungereimtheit beseitigt. Unser Zivilprozeß würde damit dem Auftrag des Grundgesetzes nach Sozialstaatlichkeit gerechter als er ihm heute wird. Schließlich wäre es ein weiterer Schritt zur Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen, die ja auch die Begründung zum Entwurf der sog. Vereinfachungsnovelle als erstrebenswert kennzeichnet32. 4. Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Kommission zur Reform der Zivilgerichtsbarkeit von 1967 Von der Kommission zur Reform der Zivilgerichtsbarkeit wird eingangs ihrer Überlegungen zur Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Gericht und Parteien angeführt, daß die Zivilprozeßordnung und das Arbeitsgerichtsgesetz, das ja weitgehend auf die ZPO verweist, mit dem Beibringungsgrundsatz unter allen Prozeßordnungen alleinstehen1. Diese Sonderstellung hält man aber für sachlich angemessen. Dabei wird von dem Zivilprozeßzweck der Durchsetzung subjektiver 29

30

JZ 1973, S. 8 ff. (11).

s. 72.

31 Diesen Mangel dokumentiert der Bund Deutscher Verwaltungsrichter in DVBl. 1966, S. 545 f. Inzwischen ist die Situation nicht besser geworden. 32 Juristische Praxis Heft 191 (1974), S. 9. 1 Kommissionsbericht S. 175.

VII. Kap.: Abwägung

184

Rechte ausgegangen und die auch in der Literatur anzutreffende! Folgerung gezogen, dann müßten die Parteien auch Herrschaft über den Tatsachenstoff innehaben, denn über ihre Rechte können sie verfügen. Daß dies nicht zwingend ist, wurde bereits gezeigt. Es wird ferner vorgebracht, es sei denkbar, daß die Parteien zuweilen gute Gründe hätten, dem Gericht nur eine Auswahl aus den Tatsachengrundlagen ihres Streits darzubieten und nur auf dieser Basis eine Entscheidung zu erbitten. Hierfür hätte man sich aber einmal einige Beispiele gewünscht. Bis zum Beweis des Gegenteils können diese Gründe aber nur von zweierlei Art sein. Es kann sein, wie bereits ausgeführt, daß Gesetzesumgehung bezweckt wird, oder aber es wird ein Erfolg bezweckt, den die Partei auch durch eine "normale" Verfügung hätte erzielen können. Ersteres ist unzulässig. Für das zweite Bestreben fehlt ein Bedürfnis zur Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte, wäre dieses vielmehr ein Mißbrauch der Rechtspflege. Die Kommission bringt noch die Einwände vor, der Beibringungsgrundsatz sei zweckmäßig. Bei Amtsermittlung bestehe dagegen die Gefahr, daß das Vertrauen der Parteien in die richterliche Objektivität leide3 • Dieses Argument träfe aber auch auf alle anderen Gerichtszweige zu. Es entspricht jedoch nicht der Wirklichkeit, daß etwa die Gerichte der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit von den Bürgern für parteilich gehalten werden. Warum das dann im Zivilprozeß mit Untersuchungsgrundsatz so sein würde, wird nicht gesagt. Außerdem wird auch in Scheidungssachen beispielsweise die Unparteilichkeit des Zivilrichters nicht in Zweifel gezogen. Dieses Argument überzeugt also nicht. Die Kommission schlägt folgenden Grundsatz vor': "Bei der Verteilung der ,Verantwortlichkeit zwischen Gericht und Parteien' ist es Sache der Parteien, den Prozeßgegenstand zu bestimmen und die Tatsachengrundlagen des Prozesses beizubringen." Merkwürdigerweise überlegt die Kommission eine Modifikation des Beibringungsgrundsatzes, ohne das in dieser grundsätzlichen Form auszudrücken, im Abschnitt über die Beweisaufnahme!'. Dort erwägt sie, bei sämtlichen Beweismitteln eine Beweiserhebung von Amts wegen zuzulassen. Es kann aber wohl nicht bestritten werden, daß es im höchsten Maße inkonsequent wäre, wollte man bei sämtlichen Beweismitteln eine Beweiserhebung von Amts wegen zulassen und gleichzeitig so tun, als berühre dies den Beibringungsgrundsatz nicht unz. B. bei Grunsky § 3 Il. s S. 175 unten. 4 8.176.

2

5

s. 238 ff.

4. Vorstellungen der ZPO-Reformkommission

185

mittelbar. Sicherlich kann man gleichwohl noch von Beibringungsgrundsatz sprechen, wenn und weil es nach wie vor kein Recht des Gerichts zur Einführung neuer Tatsachen in den Prozeß - von den erörterten Ausnahmen hiervon abgesehen - gäbe. Jedoch wären einige grundsätzliche klärende Ausführungen hierzu vonnöten. Die Kommission erkennt im Laufe ihrer weiteren Überlegungen an, daß es im System unserers Zivilprozesses konsequenter wäre, es würde der Wahrheitspflicht der Parteien eine Befugnis des Gerichts, die Wahrheit mit allen ihm bekannten Beweismitteln zu erforschen, entsprechen. Auch scheint sich die Kommission im klaren darüber gewesen zu sein, daß ein solches Verfahren unter Umständen zu gerechteren Urteilen führen kann. Nach Ansicht der Kommission würde aber "das Recht zur Auswahl unter den möglichen und bekannten Beweismitteln" dazu führen, daß das Gericht Beweisanträge in weiterem Umfange als bisher übergehen könnte6 • Sicherlich wäre eine solche Entwicklung nicht wünschenswert. Es ist durchaus zutreffend, daß eine Partei, deren angebotene Beweismittel nicht ausgeschöpft wurden, sich schwer mit einem ihr ungünstigen Urteil abfinden dürfte. Kürzeren Beweisaufnahmen entspräche dann ein größeres Unbehagen des Bürgers an seiner Justiz. Der Vorschlag dieser Arbeit zielt jedoch gar nicht auf diese Möglichkeit. Er bezweckt vielmehr statt weniger mehr, zusätzliche Beweiserhebungen durch das Recht des Gerichts, solche falls nötig von sich aus anzuordnen. Andererseits bliebe es auch dabei, daß Beweise ja nur über erhebliches Vorbringen zu erheben sind. Dies bliebe ja nach wie vor der Filter, der vor allzu extensiven Beweiserhebungen schützt. Die bisher entwickelten Grundsätze zur Ablehnung von Beweisanträgen werden in keiner Weise verändert oder irgendwie beschnitten. Diesbezüglich bliebe alles beim alten. Jedoch meint die Kommission, auch dann gebe es für eine solche Gesetzesänderung kein ausreichendes Bedürfnis7• Sie habe ja ohnehin nur noch für den Zeugenbeweis Bedeutung. Ähnlich argumentiert Pohle8 • Wer so argumentiert, muß sich aber eine umgekehrte Frage stellen lassen. Wenn die Einführung nur für den Zeugenbeweis abgelehnt wird, muß es dann nicht gerade hierfür besondere Gründe geben? Ist es nicht eine Inkonsequenz, ohne solche Gründe eine Gesetzesänderung abzulehnen? Solche Gründe trägt man aber nicht vor. Schließlich befürchtet man noch, aus der Befugnis des Gerichts zur Beweiserhebung werde eine diesbezügliche Pflicht resultieren. Deren Verletzung - so wird angenommen - eröffne dann zwangsläufig eine 6 7

s. 239. s. 240.

s Stein I Jonas I Pohle VII 1 g vor § 128.

VII. Kap.: Abwägung

186

Reihe neuer Anfechtungsmöglichkeiten. Dagegen ist folgendes vorzubringen: Einmal muß die die Aufklärungsrüge erhebende Partei detailliert angeben können, was das Gericht zu unternehmen unterlassen hat, obwohl es darauf hätte kommen müssen. Das wird schon die Zahl möglicher Rechtsmittel mit dieser Begründung in Grenzen halten. Außerdem trifft dieses Argument auf sämtliche bisher existierende Beweiserhebungsmöglichkeiten von Amts wegen zu. Soweit ersichtlich, ist es aber noch von keiner Seite dagegen vorgebracht worden. Die Literatur hat durchwegs keine Bedenken gegen diese Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes erhoben. Nicht einmal dessen grundsätzliche Befürworter haben das getan. Gegen die Einführung der Möglichkeit den Zeugenbeweis auch von Amts wegen anzuordnen wird weiter vorgebracht9, dann müsse das Gericht stets alle Beweismittel in möglichst großem Ausmaß benutzen. Dies aber habe eine Mehrbelastung der Gerichte und eine Verlängerung der Prozeßdauer zur Folge. Die hier vorgenommene Unterstellung, die größtmögliche Benutzung aller Beweismittel würden die Zivilgerichte bisher unterlassen, ist wohl unzutreffend. Ist ein Beweismittel nötig, um eine erhebliche Tatsache zur Überzeugung des Gerichts festzustellen, so wird es benutzt. Ist aber ein Beweismittel nicht entscheidungsförderlich., weil von seiner Verwertung schlechterdings keine Einflüsse auf den Prozeßausgang zu erwarten sind, so bleibt es dem Gericht auch nach unserem Vorschlag unbenommen, dieses Beweismittel unberücksichtigt zu lassen. Wir haben außerdem nachgewiesen, daß durch den Wegfall der Auslagenvorschußpfticht womöglich sogar eine prozeßbeschleunigende Wirkung eintreten dürfte. Von einer möglichst umfassenden Benutzung aller Beweismittel sei keine wesentliche Förderung der Wahrheitsermittlung zu erwarten, meint die Kommission ebenfalls10• Hierfür trägt aber sie die "Beweislast" und ohne, daß sie ihre Behauptung näher untermauert, kann ihr darin keinesfalls gefolgt werden. Man hat wohl eine zu pessimistische Meinung vom deutschen Zivilrichter, wenn man ihm nicht zuzutrauen scheint, Wesentliches vom Unwesentlichen unterscheiden zu können. Es wird schließlich befürchtet, die Parteien würden bei amtswegiger Anordnung einer Beweiserhebung Zweifel an der Objektivität des Gerichts bekommen. Solche Zweifel bekäme der Bürger allerdings eher, wenn Gerichte sehenden Auges Urteile auf der Grundlage der "formellen Wahrheit" fällen würden. Außerdem ist dagegen zu sagen, daß dieses Bedenken auch hinsichtlich der bisherigen Möglichkeiten der amtswegigen Beweiserhebung bestehen müßte. Noch niemand hat aber 9 10

s. 240. s. 240.

4.

Vorstellungen der ZPO-Reformkommission

187

bisher mit dieser Begründung Zweifel an der Objektivität der Zivilgerichte geäußert. Weiterhin ist es ja nach wie vor unerläßlich, alles, was später Urteilsgrundlage werden könnte, vorher mit den Parteien zu erörtern, schon um ihnen rechtliches Gehör nicht zu versagen. Insofern würde keine Partei mit einer amtswegigen Beweiserhebung "überfahren". Andere Einwände gegen dieses Argument wurden schon erwähnt, z. B. daß diese Befürchtungen gegenüber den Gerichten anderer Zweige der Gerichtsbarkeit trotz des dortigen Untersuchungsgrundsatzes nicht bestehen. Im Gegenteil, dem Richter, der von sich aus alles tut, um den fraglichen Sachverhalt aufzuklären, wird die Partei vielleicht ein größeres Vertrauen entgegenbringen als bisher. Letzten Endes muß zusammenfassend gesagt werden, daß. die von der Kommission zur Reform der Zivilgerichtsbarkeit 1967 erhobenen Einwände gegen unseren Vorschlag nicht stichhaltig sind.

VIII. Kapitel

Vorschlag zur Gesetzgebung unter Berücksichtigung seiner möglichen Auswirkungen auf die ZPO und ihre Dogmatik 1. Vorschlag zur Gesetzgebung

Es wird vorgeschlagen, die Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln in der ZPO folgendermaßen zu regeln: Grundsätzlich soll es auch weiterhin Sache der Parteien sein, die der Entscheidung zugrundezulegenden Tatsachen und die ihr dienlichen Beweismittel beizubringen. Es muß aber dem Gericht gestattet sein, auch von sich aus gleiches zu tun. Hierzu nähere Erläuterungen werden verdeutlichen, worum es uns geht: Man sollte auch wenn man den Beibringungsgrundsatz in seiner reinen Form kritisiert hat, wie in dieser Arbeit geschehen, nun nicht sofort wieder in das andere Extrem verfallen und den reinen Untersuchungsgrundsatz im Zivilprozeß einführen wollen. Es ist wohl besser, lediglich die sich in den ganzen Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes andeutende Entwicklung konsequent zu Ende zu führen. Daher zielt unser Vorschlag darauf ab, dem Gericht generell die Möglichkeit einzuräumen, neue Tatsachen und Beweise von Amts wegen in den Prozeß einzuführen, letztere auch ohne Beweisantrag einer Partei. Eine solche Regelung enthält zum Beispiel die Zivilprozeßordnung Österreichs in ihrem § 183 Satz 1. Es ist bereits erwähnt worden, daß in der Österreichischen Literatur hierfür die Bezeichnung "Sammelmaxime" auftaucht. Darunter kann man sich recht plastisch eine Sammlung aller Kräfte auf die Ermittlung des Sachverhalts hin vorstellen. Mari kann damit aber auch die Vorstellung verbinden, daß der Prozeßstoff gesammelt wird, egal woher er kommt. Die Österreichische ZPO enthält allerdings in Satz 2 des zitierten Paragraphen eine Einschränkung. Die Anordnung einer Urkundenvorlegung oder einer Zeugeneinvernahme gegen den erklärten Willen beider Parteien ist nicht zulässig. Diese Einschränkung kann nach unseren bisherigen Ausführungen nicht übernommen werden. Parteien, die diese Beweismittel nicht wünschen, weil sie ihre Zuverlässigkeit aus irgendeinem Grund bezweifeln, können ihre Bedenken äußern, wenn sie zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung nehmen. Äußern beide Parteien begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Beweismittels, so wird sich das Gericht nicht leichtfertig darüber hinwegsetzen. Wollen die

1.

Vorschlag zur Gesetzgebung

189

Parteien ein Beweismittel aber aus anderen Gründen nicht, so kann dies wie bereits ausgeführt nicht beachtet werden. Auch bei einer Modifizierung des Beibringungsgrundsatzes wie sie uns vorschwebt, werden die Parteien ja nach wie vor bestrebt sein, alles ihnen günstig und erheblich erscheinende vorzubringen und soviel Beweise wie möglich anzubieten. Es erschiene daher falsch, sie als Quellen und Förderer der Sachverhaltsermittlung in irgendeiner Form zu beschränken. Darum sollte auch nicht der Eindruck erweckt werden, als sei ihre Mitwirkung jetzt weniger wichtig. Das ist schon aus "erzieherischen" Gründen angebracht, weil sonst zu befürchten wäre, daß die Parteien oder deren Prozeßvertreter sich zu sehr auf das Gericht verlassen. Der Eindruck, daß die Mitwirkung der Parteien jetzt weniger wichtig wäre, könnte aber entstehen, wenn dem Gericht nun eine Pflicht auferlegt würde, in jedem Falle den Sachverhalt von sich aus zu ermitteln, etwa wie im Strafprozeß. Dieser Pflicht müßte dann ja auch die Folge entsprechen, daß ihre Verletzung die Revision begründete. Sehr leicht könnte dies eine Revisionsvermehrung und insgesamt erhöhte gerichtliche Arbeitsbelastung bedeuten. Daher sollte vielmehr dem Gericht lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, von Amts wegen neue Tatsachen und Beweise beizubringen und dies auch nur in den Fällen, in denen es bereits auf irgendeine Weise, sei es durch beiläufige Parteiäußerungen in Schriftsätzen, durch eine aus anderem Anlaß stattgefundene Beweisaufnahme, aus Urkunden oder sonst wie auch immer, im Prozeß konkrete Anhaltspunkte dafür erhalten hat1 • Eine entsprechende Vorschrift könnte dann lauten: (1) Die Parteien bestimmen durch ihre Anträge den Prozeßgegenstand. (2) Der Vortrag der Tatsachen und die Benennung und Beibringung

der Beweismittel ist grundsätzlich Aufgabe der Parteien.

(3) Das Gericht kann von Amts wegen neue Tatsachen und Beweis-

mittel in den Prozeß einführen, wenn es im Laufe des Prozesses von ihnen Kenntnis erlangt hat und sie entscheidungserheblich sind.

Diese Befugnis des Gerichts kann nicht durch Parteivereinbarung beschränkt werden. Eine solche Regelung findet sich sinngemäß zum Beispiel in der ZPO Ungarnst. Schlechte Erfahrungen hiermit sind nicht bekanntgeworden. Zu untersuchen bleibt nur noch, welche Auswirkungen sich im System des deutschen Zivilprozeßrechts ergeben könnten, falls der Beibringungsgrundsatz in der vorgeschlagenen Weise modifiziert würde. 1

2

So schon 1956 Schänke I Sehröder I Niese § Schänke I Sehröder I Niese § 7 VI (S. 48).

7 VI (S. 48).

190

VIII. Kap.: Gesetzgebungsvorschlag 2. Mögliche Auswirkungen auf die ZPO und ihre Dogmatik

Nach unserem Vorschlag bestimmten nach wie vor die Parteien den Prozeßgegenstand durch ihre Anträge und die sie begründenden Lebenssachverhalte. Dies kann ja im Zivilprozeß nicht anders sein. Schließlich wird auch die Dispositionsfreiheit von der uns vorgeschlagenen Neuregelung nicht berührt. Neuerungen ergäben sich erst dann, wenn im Verlauf des Prozesses dem Gericht erhebliche neue Tatsachen oder Beweise bekannt würden, die bislang keine Partei in den Prozeß eingeführt hat. Weil dieser Fall aber die Ausnahme sein wird, gäbe es für die Mehrzahl aller Fälle weiterhin wie bisher die Behauptungs- und Beweisführungslast. Unverändert würde die objektive oder materielle Beweislast in non-liquetFällen über den Rechtsstreit entscheiden. Zwar gäbe es keine formelle Wahrheit mehr. Ihr sollte man aber auch keine Träne nachweinen. Da wir den Beibringungsgrundsatz nicht grundsätzlich abschaffen wollen, ergäben sich aus unserem Vorschlag keine Konsequenzen hinsichtlich des Streitgegenstandsbegriffes1 • Die sog. Prüfung von Amts wegen könnte als eigenes Rechtsinstitut in der ZPO entfallen, redaktionell am besten einfach durch die jeweilige Streichung der Worte "von Amts wegen". Auch in § 448 ZPO wären die Worte "Auch ohne Antrag einer Partei" und in § 437 Abs. 2 ZPO der Passus "auch von Amts wegen" nunmehr überflüssig. Eine Änderung der§§ 399 und 436 ZPO wäre nicht nötig. Nach diesen Vorschriften kann eine Partei auf Zeugen und Urkunden verzichten. Nach Einführung der neuen grundsätzlichen Vorschrift über die Sachverhaltsermittlung im Zivilprozeß wäre der Inhalt dieser beiden Paragraphen dahingehend modifiziert, daß durch den Verzicht auf Zeugen oder Urkunden nicht stets deren völlige Ausschaltung aus dem Prozeß erreicht werden könnte. Dem Gericht stünde es nunmehr nach wie vor frei, von sich aus dieses Beweismittel zu benutzen. Eine Änderung am Recht des Versäumnisurteils wäre aber unerläßlich. Es wäre nun systematisch inkonsequent, wollte man dem Gericht bei einem Versäumnisurteil in einem späteren als dem ersten Termin die Berücksichtigung einer schon stattgehabten Beweisaufnahme untersagen!. § 313 Abs. 1 I Auf das Problem des Verhältnisses von Verhandlungs-, bzw. Beibringungsgrundsatz zum Streitgegenstandsbegriff soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Es sei diesbezüglich auf Jauernig "Verhandlungsmaxime, Inquisitionsmaxime und Streitgegenstand" und auf Habscheid "Streitgegenstand", S. 289 f., 291 ff. und 306 verwiesen, die teilweise entgegengesetzte Standpunkte vertreten. 2 Dies wurde sowieso bereits früher schon kritisiert, z. B. von Nikisch § 76 II 4; sowie von Lent § 68 III 3. Auch Bernhardt wendet sich dagegen, § 44 IV und in Festgabe für Rosenberg, S. 33 f. Die h. M . beharrt jedoch auf ihrer Ansicht, so Blomeyer § 54 III 2 1, Rosenberg I Schwab § 108 V 1, Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann Anm. 2

3. Schlußbetrachtung

191

Nr. 3 ZPO spricht mittlerweile nur noch von "Tatbestand". Diese Vorschrift braucht nicht geändert zu werden. 3. Schlußbetrachtung Die Ansehung der seit Bestehen der ZPO mehr oder weniger stark - von der juristischen Öffentlichkeit allerdings weitgehend unbeachtet - andauernden Diskussion um den Beibringungsgrundsatz läßt wenig Hoffnung auf eine Verwirklichung des hier gemachten Vorschlags. Allzu schnell ist man nämlich geneigt, sich auf den Beibringungsgrundsatz wie auf ein Dogma zurückzuziehen. Baumann spricht davon, daß die Verhandlungsmaxime wie ein "Fetisch" gehätschelt werde1 • Außerdem krankt die Diskussion seit jeher an einem Hang zu Übertreibungen. Es werden sich häufig zwei Zerrbilder gegenübergestellt. Zum einen malt man das abstoßende Bild des Zivilrichters als Inquisitor, der rücksichtslos in die Privatsphäre der Parteien eindringt und ihre privatesten Angelegenheiten vor die Schranken des Gerichts zerrt. Dem stellen andere das erschreckende Bild eines edelwollenden Richters gegenüber, der gleichsam mit gefesselten Händen einen von tückischen Parteien unterbreiteten verschiedentlich fingierten Sachverhalt entscheiden muß, im Widerspruch zur eigentlichen materiellen Rechtslage. Es ist klar, daß keines dieser Zerrbilder der Wirklichkeit ähnelt, weder der des Zivilprozesses mit Beibringungsgrundsatz noch der des Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgerichtsprozesses mit Untersuchungsgrundsatz. Sie sind auch einer sachlichen Diskussion nicht dienlich. Es ist auch nicht hilfreich, stets auf weltanschauliche Grundpositionen zurückzugehen und etwa immer gleich die Frage aufzuwerfen, was Vorrang habe, der einzelne oder die Gemeinschaft. Im ersteren Fall als gedankliche Konsequenz die Verhandlungsmaxime, im zweiten Fall den Untersuchungsgrundsatz zu fordern, zeugt von einer gewissen Verengung des Blickfelds auf ideologische Gegensätze. Unser Staat ist als liberaler Sozialstaat konzipiert. Das heißt, unter größtmöglicher Beachtung des Freiheitsraumes des einzelnen hat gleichwohl der Staat fürsorgend für ihn tätig zu werden, was nicht gleichzusetzen ist mit Bevormundung. Dem entspricht ein Modell des Zivilprozesses mit abgemildertem Beibringungsgrundsatz. Er beachtet einerseits die Freiheit des einzelnen über seine Rechte zu verfügen. Andererseits wird es dem Gericht auch ermöglicht, dem jeweils Schwächeren bei der Sachverzu § 322; Zöller Anm. 1 zu § 322; Stein I Jonas I Schumann I Leipold Anm. I zu § 322, RG JW 03, 66. 1

s. 31.

192

VIII. Kap.: Gesetzgebungsvorschlag

haltsaufklärung zu helfen. Dadurch wird die soziale Komponente des Zivilprozesses betont. Schließlich wäre mit dieser Änderung auch die dogmatische Konsequenz aus der Tätigkeit des Gesetzgebers seit Bestehen der ZPO gezogen. Dieser hat ja - wohl aus ähnlichen Erwägungen wie sie hier angestellt wurden - den Beibringungsgrundsatz durch eine ununterbrochene Kette von Durchbrechungen so ausgehöhlt, daß er im geltenden Zivilprozeßrecht - wie gezeigt wurde - mindestens auf dem Gebiet der Beweismittelbeibringung nur noch fragmentarisch nachzuweisen ist. Geprägt wird unsere ZPO hier sowieso schon von den Durchbreahungen des Beibringungsgrundsatzes. Dann hat es auch dogmatisch keine Berechtigung ihn unverändert beizubehalten. Nach der hier vorgeschlagenen Änderung ergäbe sich schließlich für die vergleichende Betrachtung der verschiedenen Prozeßarten folgendes in sich logisches Bild: Vom Strafprozeß über den Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß, das FGG-Verfahren bis hin zum Zivilprozeß gäbe es eine Linie abnehmenden Gewichtes des öffentlichen Interesses einhergehend mit einer Zunahme des Gewichts der rein privaten Interessen. Dem korrespondierte die Verteilung der Sachverhaltsaufklärungspflichten. Im Strafprozeß herrscht reiner Untersuchungsgrundsatz ohne Mitwirkungspflicht des Angeklagten. Dieser Untersuchungsgrundsatz wird abgeschwächt durch eine Mitwirkungspflicht der Parteien im Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozeß sowie nach einer oben angeführten Mindermeinung im FGG-Verfahren. In dem Verfahren, das auch heute noch und in Zukunft am meisten eine "Privatsache" der Parteien ist, gäbe es hingegen weiterhin den Beibringungsgrundsatz, der aber seinerseits abgemildert wäre und dem Gericht größere Möglichkeiten der Aktivität eröffnete, um der sozialstaatlichen Komponente des Zivilprozesses besser zu entsprechen.

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