Die traditionelle Bankbetriebslehre sieht grundsätzlich keine Probleme bei der Bewältigung des inländischen Geldwertrisi
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German Pages 440 [442] Year 2012
Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. EINLEITUNG
2. DER HISTORISCHE BEZUGSRAHMEN
3. DER BANKBETRIEB IM KRIEG – DIE GESCHÄFTLICHE ENTWICKLUNG DER DREI GROSSBANKEN WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGS
4. DER BANKBETRIEB IN DER INFLATION – DIE GESCHÄFTLICHE ENTWICKLUNG DER DREI GROSSBANKEN NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG BIS ZUR STABILISIERUNG
5. VERSUCH EINER SYSTEMATISIERUNG DER URSACHEN FÜR DIE SUBSTANZVERLUSTE DER DREI GROSSBANKEN IN DER INFLATIONSZEIT
6. ZUSAMMENFASSUNG
7. GLOSSAR
8. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
9. VERZEICHNIS DER TABELLEN IM TEXT
10. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
11. ANHANG
Winfried Lampe Der Bankbetrieb in Krieg und Inflation
Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. ---------------------------------Herausgeber: Der Wissenschaftliche Beirat des Instituts für bankhistorische Forschung e.V.
Band 24
Winfried Lampe
Der Bankbetrieb in Krieg und Inflation Deutsche Großbanken in den Jahren 1914 bis 1923
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Interessengemeinschaft Frankfurter Kreditinstitute GmbH.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10100-4 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2012 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
1.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
1.1 1.2
13
1.3 1.3.1 1.3.2 2.
Der historische Bezugsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2
3.
Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung Quellen Literaturlage, Aussagefähigkeit des Quellenmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandlungen . . . . . Kapitalerhaltung und Substanzverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der politische Hintergrund – Eine Skizze der politischen Ereignisse der Jahre 1914 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund – Wichtige wirtschaftsund währungspolitische Entwicklungen, insbesondere gesetzgeberische Maßnahmen der Jahre 1914 bis 1923 . . . . . . . . . . Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . Die wirtschafts- und währungspolitische Gesetzgebung . . . . Der bankbetriebliche Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Struktur des deutschen Bankwesens vor dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lage der drei Großbanken vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Bankbetrieb im Krieg – Die geschäftliche Entwicklung der drei Großbanken während des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1
Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit . . . . . Die Ausganglage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Run auf die Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hilfe der Reichsbank für die Kreditbanken . . . . . . . . . . . Der Zusammenbruch der Effektenkurse und die Schließung der Börse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gründung von Reichsdarlehnskassen, Kriegskreditbanken und anderen Hilfskreditinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung von Passivgeschäften und Passivbeständen und deren Einƀussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 29 29 31 34 34 37 38 43 51 51 56 59 59 59 59 63 65 67 70 70
6
Inhaltsverzeichnis
3.2.1.1 Das Eigenkapital in Papiermark und Goldmark . . . . . . . . . . . 3.2.1.2 Das Fremdkapital in Papiermark und Goldmark . . . . . . . . . . 3.2.1.2.1 Die quantitative Entwicklung des Einlagenbestandes und dessen Einƀussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2.2 Die Qualität des Einlagenbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2.3 Akzepte und Schecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2.4 Nostroverpƀichtungen und Guthaben deutscher Banken und Bankſrmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die Entwicklung von Aktivgeschäften und Aktivbeständen und deren Einƀussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Liquide Mittel und Liquiditätsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Wechsel und unverzinsliche Schatzanweisungen (Schatzwechsel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 Nostroguthaben bei Banken und Bankſrmen . . . . . . . . . . . . 3.2.2.4 Reports und Lombards gegen börsengängige Wertpapiere . . 3.2.2.5 Vorschüsse auf Waren und Warenverschiffungen . . . . . . . . . 3.2.2.6 Eigene Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.7 Konsortialbeteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.8 Dauernde Beteiligungen bei anderen Banken und Bankſrmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.9 Debitoren in laufender Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.10 Bankgebäude und sonstige Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Entwicklung des Dienstleistungsbereichs . . . . . . . . . . . . 3.2.3.1 Das Effektengeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.2 Das Devisengeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.3 Der Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Die Gewinn- und Verlustrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.1 Zinsaufwendungen und Zinserträge, Zinsergebnis, Zinsertragsbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.2 Provisionen und Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.3 Gewinn auf Wertpapiere und Konsortialgeschäfte . . . . . . . . 3.2.4.4 Erträge aus dauernden Beteiligungen bei anderen Banken und Bankſrmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.5 Unkosten, insbesondere Personalaufwendungen . . . . . . . . . . 3.2.4.6 Steuern und Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.7 Abschreibungen auf Bankgebäude und Inventar . . . . . . . . . . 3.2.5 Die Rentabilitäts-, Liquiditäts- und Sicherheitslage der Großbanken während der Kriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.1 Rentabilitätslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.1.1 Eigenkapitalrentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.1.2 Mögliche Verluste aufgrund der Verletzung des „Prinzips der Wertgleichheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.2 Liquiditätslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.3 Sicherheitslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70 74 76 83 90 92 93 93 96 100 102 105 106 107 114 119 123 125 125 129 133 139 141 149 152 154 155 159 160 161 162 162 170 174 177 183
Inhaltsverzeichnis
4.
Der Bankbetrieb in der Inflation – Die geschäftliche Entwicklung der drei Großbanken nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Stabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3 4.2.1.4 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.1.1 4.2.2.1.2 4.2.2.1.3 4.2.2.2 4.2.2.2.1 4.2.2.2.2 4.2.2.2.3 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.1.4 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.2.3.1 4.3.2.3.2 4.3.2.3.3 4.3.2.4 4.4 4.4.1 4.4.1.1
Aussagefähigkeit des Datenmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung von Passivgeschäften und Passivbeständen und deren Einƀussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Eigenkapital in Papiermark und Goldmark . . . . . . . . . . . Die quantitative Entwicklung des Eigenkapitals und seiner Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen zur Substanzerhaltung des Eigenkapitals . . . . . Das Eigenkapital der Großbanken – Nominalwert oder Realwert? Die Bewertung der drei Großbanken an der Börse . . . . . . . . Das Fremdkapital in Papiermark und Goldmark . . . . . . . . . . Die quantitative Entwicklung der Einlagen und deren Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Finanzierung der Reichsausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verzinsung der Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verlust des Vertrauens in die Mark . . . . . . . . . . . . . . . . . Die qualitative Entwicklung der Einlagen und deren Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturverschiebungen zwischen den Einlagearten . . . . . . . Die Fristigkeitsstruktur der Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis von Inlands- und Auslandseinlagen . . . . . . . . Sonstige Passivpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung von Aktivgeschäften und Aktivbeständen und deren Einƀussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Real- oder Sachwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundstücke, Gebäude, Betriebs- und Geschäftsausstattung Dauernde Beteiligungen an anderen Kreditinstituten, Übernahmen, Filialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtbankbeteiligungen, Aktien, Konsortialbeteiligungen . . Devisen, Guthaben in fremder Währung, Sorten, sonstige wertbeständige Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nominalwerte – Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liquide Mittel und Liquiditätsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechsel, Schecks, unverzinsliche Schatzanweisungen . . . . . Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Debitoren in laufender Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reports und Lombards, Vorschüsse auf Waren und Warenverschiffungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verluste aus der Geldentwertung im Kreditgeschäft? . . . . . . Eigene festverzinsliche Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Dienstleistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wertpapiergeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Emissions- und Konsortialgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
189 189 189 189 189 193 196 197 199 201 202 204 207 208 208 209 211 214 216 216 216 217 220 223 225 225 228 233 233 244 246 247 249 249 249
8
Inhaltsverzeichnis
4.4.1.2 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.8 5.
Das Effektenkommissions- und -eigenhandelsgeschäft . . . . . Devisengeschäfte und Zahlungsverkehr mit dem Ausland . . Der Zahlungsverkehr im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gewinn- und Verlustrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zinsaufwendungen und Zinserträge, Zinsergebnis, Zinsertragsbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Provisionen und Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unkosten, insbesondere Personalaufwendungen . . . . . . . . . . Steuern und Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rentabilitäts-, Liquiditäts- und Sicherheitslage der drei Großbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentabilitätslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liquiditätslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheitslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verluste der drei Großbanken in der Inƀationszeit? . . . . . . . Aussagen in den Geschäftsberichten der drei Großbanken . . Kommentierungen in Fachzeitschriften und Wirtschaftspresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisse aus den Goldmarkeröffnungsbilanzen zum 1. Januar 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Versuch einer Systematisierung der Ursachen für die Substanzverluste der drei Großbanken in der Inflationszeit . . . . . . . . . . . . . 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1
253 256 263 273 274 283 289 292 295 295 304 312 318 318 319 325 332 338
Gesamtwirtschaftliche Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Integration der Banken in die Gesamtwirtschaft . . . . . . . Funktionsminderung und Funktionsverlust der Mark . . . . . . Kreditvalorisierung und Stabilisierung der Mark . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zusammenwirken von liquiditätsmäßig-ſnanziellem Bereich und technisch-organisatorischem Bereich bei der Leistungserstellung im Bankbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des realen Outputs beider Bereiche im Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse von Wertbereich und Betriebsbereich, Produktivitätsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verluste aufgrund der Verletzung des „Prinzips der Wertgleichheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
338 338 341 346 349
6.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
7.
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
375
5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3
349 350 352 358 362
Inhaltsverzeichnis
8.
9
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
384
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . Statistiken ofſzieller Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monograſen, Aufsätze und sonstige Schriften . . . . . . . . . . . Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
384 384 385 386 397
Verzeichnis der Tabellen im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
398
10. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
401
11. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
403
9.
A-1 A-1.1 A.1.2 A.1-3 A.1.4 A.1.5 A.1.6 A-2 A-2.1 A.2.2 A-2.3 A-3 A-3.1 A.3.2 A-3.3 A-4 A-4.1 A-4.2 A.4.3 A-5 A.5-1 A.5-2 A.5-3 A-6 A-6.1 A-6.2
Entwicklung der Bilanzpositionen in den Jahren 1913 bis 1923 Deutsche Bank – Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Bank – Passiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dresdner Bank – Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dresdner Bank – Passiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Commerzbank – Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Commerzbank – Passiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung in den Jahren 1913 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Bank – Aufwendungen und Erträge . . . . . . . . . . . . Dresdner Bank – Aufwendungen und Erträge . . . . . . . . . . . . Commerzbank – Aufwendungen und Erträge . . . . . . . . . . . . Vereinfachte Zinsertragsbilanzen 1913 bis 1921 . . . . . . . . . . Deutsche Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dresdner Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Commerzbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanzen 1913 und 1923 sowie Goldmarkeröffnungsbilanz zum 1. Januar 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dresdner Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Commerzbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . US-Dollar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . US-Dollar – Devisenmittelkurse am Jahresende 1913 bis 1923 US-Dollar – Devisenmittelkurse im Jahresdurchschnitt in den Jahren 1913 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monats- und Jahresdurchschnittswerte für den US-DollarWechselkurs und die Großhandelspreise 1914 bis 1923 in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bargeldumlauf und Fremdkapital bei den drei Großbanken in den Jahren 1913 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bargeldumlauf und Fremdkapital bei den drei Großbanken in den Jahren 1913 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graſk: Bargeldumlauf und Fremdkapital 1913 bis 1923 . . . .
403 403 405 407 409 411 413 415 415 417 419 421 421 424 427 430 430 432 434 436 436 436 437 439 439 440
VORWORT Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner im Jahre 2010 vom Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität in Frankfurt am Main angenommenen Dissertation. Die Anregung zur Bearbeitung des Themas geht auf eine Diskrepanz zwischen theoretischem Ansatz und praktischer Erfahrung zurück: Die traditionelle und auch noch die heutige Bankbetriebslehre schätzt das Inƀationsrisiko für Kreditinstitute als im Grunde nicht existent oder allenfalls als gering ein. Sofern eine Bank das von Fritz Schmidt im Rahmen seiner organischen Bilanztheorie in der Inƀationszeit nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte „Prinzip der Wertgleichheit“ konsequent einhalte, nämlich permanent für ein Gleichgewicht zwischen Geldforderungen und Geldverbindlichkeiten beziehungsweise Realwerten und Eigenkapital sorge, sei sie gegenüber einer Geldwertverschlechterung immun. Die „Untersuchung des Bankwesens“ aus dem Jahr 1933 stellte dagegen unter anderem fest, dass in der Inƀationszeit unter allen Branchen gerade die Kreditinstitute die größten Eigenkapitalverluste erlitten haben. Die Ursachen für diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis an konkreten Fällen herauszuſnden, ist ein Erkenntnisziel dieser Arbeit. Ein weiteres Motiv für die hier vorgelegte historisch-betriebswirtschaftliche Untersuchung ergab sich aus der Tatsache, dass die inzwischen reiche Literatur über die große deutsche Inƀation sich sehr weitgehend mit makroökonomischen Fragestellungen beschäftigt. Arbeiten über einzelne Unternehmen mit primär betriebswirtschaftlicher Fragestellung gehören dagegen zu den Ausnahmen. Insofern möchte diese Untersuchung auch einen Beitrag zur Schließung der von der Historischen Kommission zu Berlin 1982 im Rahmen des großen Forschungsprojekts „Die deutsche Inƀation“ identiſzierten Forschungslücke hinsichtlich der Beschreibung und Analyse der Entwicklung von einzelnen Branchen beziehungsweise auch Unternehmen in der Inƀationszeit leisten. Wohl kaum ein Zeitabschnitt als dieser ist besser geeignet, die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der Geldentwertung in ihren verschiedenen Phasen auf Kreditinstitute – hier drei Großbanken – zu untersuchen. Doch muss man einschränkend anmerken, dass die schlechte Qualität inƀationär aufgeblähter beziehungsweise verzerrter Zahlen zumindest exakten quantitativen Untersuchungen enge Grenzen setzt. Die bereits vor vielen Jahren begonnene Arbeit wäre nicht fertiggestellt worden, wenn nicht Herr Prof. Dr. Werner Plumpe, Frankfurt am Main, und Herr Prof. Dr. Dieter Lindenlaub, Leipzig, bereit gewesen wären, die Arbeit zu betreuen. Für ihre immer wohlwollende Unterstützung mit Rat und Tat möchte ich mich auch an dieser Stelle sehr herzlich bedanken. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Historischen Archiven der Deutschen Bundesbank, der Commerzbank, der Deutschen Bank und der früheren Dresdner Bank sowie im Bundesarchiv in Berlin, die mir bei der Suche nach geeigneten Quellen sehr behilƀich waren. Zu großem Dank verpƀichtet bin ich ebenso dem Institut für bankhistorische Forschung
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Vorwort
e.V. (IBF) in Frankfurt am Main und der Interessengemeinschaft Frankfurter Kreditinstitute GmbH (IFK) in Frankfurt am Main, die die Herstellung dieses Buches durch die Zuerkennung des Förderpreises des IBF bzw. die Übernahme der Satzkosten unterstützt haben. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie, die mit großer Toleranz und moralischer Unterstützung die doch recht zeitaufwendige Anfertigung der Arbeit begleitete. Die Erwartungen an einen frisch gebackenen Ruheständler gehen ja nicht selten in eine andere Richtung. In diesem Sinne widme ich die Arbeit meiner Frau Christa und unseren gemeinsamen Kindern Eva und Ulrich. Frankfurt am Main, im April 2012
Winfried Lampe
1. EINLEITUNG 1.1 Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung Kriege und Inƀationen sind wesentliche Erscheinungen in der Geschichte der Menschheit seit Jahrtausenden und nicht selten1 haben Kriege Inƀationen nach sich gezogen, denn zur Führung eines Krieges benötigt man nach den Worten des italienischfranzösischen Feldherrn Trivulzio drei Dinge: Geld, Geld und nochmals Geld!2 Da in vielen Fällen die benötigten Gelder aus ordentlichen Staatseinnahmen, Steuern oder Anleihen nicht zu beschaffen waren oder erst gar nicht der Versuch unternommen wurde, auf eine solche Weise die Kriegskosten zu decken, wurde der Weg einer Erhöhung der Staatsschulden und der Vermehrung der umlaufenden Geldzeichen gewählt. Die von staatlichen Institutionen ohne große Kosten beschafften und in den Verkehr gebrachten zusätzlichen Anrechtsscheine auf das Sozialprodukt erhöhen die monetäre Gesamtnachfrage und führen bei gegebenem Güterangebot und Vorliegen marktwirtschaftlicher Bedingungen zu Preissteigerungen auf den Gütermärkten.3 Korrespondierend sinkt die Kaufkraft des einzelnen Geldzeichens. Durch die Erhöhung der Geldmenge gelingt es dem Staat, einen Teil des Gütervorrats ohne reale Gegenleistung quasi im Wege einer Steuer in seine Hände zu bringen. Die Anforderungen des Krieges verursachen zudem regelmäßig eine Verminderung des kaufbaren Güterangebots für die privaten Wirtschaftssubjekte zugunsten des Staatsverbrauchs, sodass Veränderungen der Güterseite das durch die Geldmengenvergrößerung entstandene wirtschaftliche Ungleichgewicht noch verstärken und zu noch größeren Preissteigerungen für die Güter des privaten Verbrauchs führen. Erhöhungen der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes – vor allem in den Endphasen einer galoppierenden Inƀation – wirken verstärkend in dieselbe Richtung. Kriegsfolgekosten im eigenen Land und hohe Kriegsentschädigungen, die der Besiegte an den Sieger in Form von Sachgütern oder werthaltigem Geld zu erbringen hat, bedeu1
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Gaettens, Richard: Geschichte der Inƀationen. Vom Altertum bis zur Gegenwart, autorisierter Nachdruck der 2. Auƀ. 1957. München 1982, passim (im Folgenden Gaettens: Geschichte); Schmölders, Günter: Geldpolitik, 2. neubearbeitete Auƀ. Tübingen/Zürich 1968, S. 336–348 (im Folgenden Schmölders: Geldpolitik); Bernholz, Peter: Monetary Regimes and Inƀation. History, Economic and Political Relationships. Cheltenham/Northampton 2003, S. 8 f., S. 64–113 (im Folgenden Bernholz: Monetary Regimes). Nach Bernholz führen hohe Kriegsausgaben nicht zwangsläuſg zu Hyperinƀation. Wohl aber besteht empirisch ein ausnahmsloser Zusammenhang zwischen sehr hohen Staatsdeſziten – mehr als 40 Prozent der Staatsausgaben beziehungsweise 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – und Hyperinƀation (vgl. ebd., S. 69–74). Guttmann, William/Meehan, Patricia: The Great Inƀation. Germany 1919–23. Westmead 1975, S. 3 (im Folgenden Guttmann/Meehan: Great Inƀation). Die Preise müssen nicht im gleichen Ausmaß steigen, in dem die Geldvermehrung vor sich geht (naive Quantitätstheorie). Andere wesentliche Faktoren sorgen in der Regel für abweichende Entwicklungen. Vgl. zum Beispiel die sozialpsychologische Theorie der Inƀation bei Schmölders: Geldpolitik, S. 361.
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1. Einleitung
ten, wenn ihr Umfang die wirtschaftlichen Möglichkeiten des besiegten Landes übersteigt, eine Eskalation des Prozesses der Geldentwertung mit einer vollkommenen Zerstörung der Währung. Die deutsche Inƀation der Jahre 1914 bis 1923 ist eine der großen, wenn nicht gar die größte Inƀation der Geschichte.4 Ihr gesamtwirtschaftlicher Ablauf ist in zahlreichen Veröffentlichungen beschrieben worden.5 Hierbei wurden auch in vielen Fällen nicht-wirtschaftliche politische und soziale Veränderungen während und nach dieser Zeit einbezogen.6 Die wirtschaftlichen Wirkungen der Inƀation auf einzelne Unternehmen – insbesondere Kreditinstitute – und deren geschäftspolitische Reaktionen auf ein hoch inƀationäres Umfeld sind dagegen bisher, soweit bekannt, nur wenig untersucht worden.7 Dieses mag damit zu tun haben, dass die Inƀation – vor allem in der Form der Hyperinƀation – die Aussagekraft der der Geldentwertung unterworfenen Zah-
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Gemessen nur an der Geschwindigkeit der Geldentwertung waren die Hyperinƀationen in Ungarn (1945/46) und Serbien (1992–94) noch stärker. Vgl. Bernholz: Monetary Regimes, S. 65. Vgl. zum Beispiel Bresciani-Turroni, Costantino: The Economics of Inƀation. A Study of Currency Depreciation in Post-War Germany, 1914–1923, 2. Auƀ. London 1953 (im Folgenden Bresciani-Turroni: Economics of Inƀation); Büsch, Otto/Feldman, Gerald, D. (Hrsg.): Historische Prozesse der deutschen Inƀation 1914 bis 1924. Ein Tagungsbericht. Berlin 1978 (im Folgenden Büsch/Feldman: Historische Prozesse); Czada, Peter: Ursachen und Folgen der großen Inƀation, in: Winkel, Harald (Hrsg.): Finanz- und wirtschaftspolitische Fragen der Zwischenkriegszeit (Schriften des Vereins für Socialpolitik N.F. 73). Berlin 1973, S. 9–43; Elster, Karl: Von der Mark zur Reichsmark. Die Geschichte der deutschen Währung in den Jahren 1914 bis 1924. Jena 1928 (im Folgenden Elster: Mark); Feldman, Gerald D.: The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inƀation, 1914–1924. New York/Oxford 1993 (im Folgenden Feldman: Great Disorder); Hesse, Friedrich: Die deutsche Wirtschaftslage von 1914 bis 1923. Krieg, Geldblähe und Wechsellagen. Jena 1938; Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inƀation 1914–1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive. Berlin/New York 1980 (im Folgenden Holtfrerich: Deutsche Inƀation); Laursen, Karsten/Pedersen, Jörgen: The German Inƀation 1918–1923. Amsterdam 1964 (im Folgenden Laursen/Pedersen: German Inƀation); Webb, Steven B.: Hyperinƀation and Stabilization in Weimar Germany. New York/ Oxford 1989 (im Folgenden Webb: Hyperinƀation); für die Zeit ab 1918 auch Balderston, Theo: Economics and Politics in the Weimar Republic. Cambridge 2002 (im Folgenden Balderston: Economics); für die Zeit ab 1920 Graham, Frank D.: Exchange, Prices, and Production in HyperInƀation Germany 1920–1923. Neuauƀage New York 1967 (im Folgenden Graham: Exchange). Dieses gilt vor allem für die zahlreichen Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin im Rahmen des Forschungsprojekts „Inƀation und Wiederaufbau in Deutschland und Europa 1914 bis 1924“. Vgl. Feldman, Gerald D. et al. (Hrsg.): Die deutsche Inƀation. Eine Zwischenbilanz. Berlin/New York 1982, S. 1–21 (im Folgenden Feldman et al.: Deutsche Inƀation). Wichtige Ausnahmen stellen die Untersuchungen dar von Goldschmidt, Raimund W.: Das deutsche Großbankkapital in seiner neueren Entwicklung. Berlin 1928 (im Folgenden Goldschmidt, Großbankkapital); Whale, P. Barrett: Joint Stock Banking in Germany. A Study of German Creditbanks Before and After the War. London 1930 (im Folgenden Whale: Joint Stock Banking); Lindenlaub, Dieter: Maschinenbauunternehmen in der Inƀation 1919–1923: Unternehmenshistorische Untersuchungen zu einigen Inƀationstheorien. Berlin/New York 1985 (im Folgenden Lindenlaub: Maschinenbauunternehmen).
1.1 Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
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len erheblich beeinträchtigt und letztlich sogar zunichte macht.8 Born bemerkt zu diesen Schwierigkeiten: „Ein Haupthindernis möchte ich gleich vorweg nennen, das ist die Wertlosigkeit und Undurchschaubarkeit der Bilanzen und Geschäftsberichte und der dazu gehörigen Unterlagen aus den Jahren der Inƀationszeit. Das ist ein ganz formidables Forschungshindernis. Man wird dort immer schier unübersteigliche Hindernisse haben, um zu einigermaßen brauchbaren quantitativen Feststellungen zu kommen.“9
Trotz dieser grundsätzlichen Problematik soll mit dieser Arbeit versucht werden, einen Beitrag zur Schließung der noch bestehenden Forschungslücke zu leisten.10 Über Deskription und Kausalitätsforschung der historisch-betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten hinaus, können bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber einer Generalisierung einige Hinweise auf ein allgemeines Inƀationsrisiko der Kreditinstitute und eine entsprechende Inƀationsrisikopolitik gegeben werden. Zu der Frage, ob Kreditinstitute dem inländischen Geldwertrisiko unterliegen, inƀationäre Tendenzen, die sich in einer Geldwertverschlechterung niederschlagen, Gefahren für die dauerhafte Existenz der Kreditinstitute, für die bankbetriebliche Leistungserstellung und für die angenommenen Ziele Rentabilität, Liquidität und Sicherheit bedeuten, ſndet sich in der bankbetrieblichen Literatur,11 soweit sie auf die Thematik – vermutlich wegen nur relativ geringer Geldentwertungsraten in den letzten Jahren12 – überhaupt (noch) eingeht, eine kurze und eindeutige Stellungnahme: 8
Vielfach wird in einschlägigen Statistiken auf die Angabe von Zahlen zumindest für die Zeit der Hochinƀation überhaupt verzichtet. Vgl. zum Beispiel Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975. Frankfurt am Main 1976 (im Folgenden Bundesbank: Deutsches Geld- und Bankwesen); Hoffmann, Walther G./Müller, J. H.: Das deutsche Volkseinkommen 1851–1957. Tübingen 1959, S. 40; Hoffmann, Walther G.: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Berlin/Heidelberg/New York 1965, S. 4 (im Folgenden Hoffmann: Wachstum). 9 Born, Karl Erich: Diskussionsbeitrag zum Referat von Pohl, Manfred: Die Situation der Banken in der Inƀationszeit, in: Büsch/Feldman: Historische Prozesse, S. 83–95, 115.126, hier: S. 122 (im Folgenden Pohl: Situation der Banken). 10 Feldman et al.: Deutsche Inƀation, S. 17; Wixforth, Harald: Die Banken und der Kollaps der Mark. Zur Lage des Bankwesens in der Inƀation von 1918 bis 1923, in: Köhler, Manfred/Ulrich, Keith (Hrsg.): Banken, Konjunktur und Politik. Beiträge zur Geschichte deutscher Banken im 19. und 20. Jahrhundert. Essen 1995, S. 55–73, hier: S. 73 (im Folgenden Wixforth, Banken) 11 Vgl. unter anderem Apfelthaler, Siegfried: Das Risikoproblem im Bankbetrieb. Wien 1939, S. 86; Fischer, Otfrid: Bankbilanzanalyse. Meisenheim/Glan 1956, S. 116 f.; Hagenmüller, Karl-Friedrich: Der Bankbetrieb, Bd. III, 4., überarb. Auƀ. Wiesbaden 1977, S. 427; Hartmann, Bernhard: Bankbetriebsanalyse. Freiburg 1962, S. 32; eher aus der Sicht des Praktikers Schacht, Hjalmar: Magie des Geldes. Düsseldorf/Wien 1966, S. 30; Schmidt-Wilke, Hans-Jürgen: Risikoproblematik und Risikopolitik im internationalen Bankgeschäft. Diss. Hamburg 1969, S. 190 f.; Schulz, Wolfgang: Bankbetrieb und Geldwertschwankungen. Diss. Freiburg 1929, S. 29 f. (im Folgenden Schulz: Bankbetrieb); ferner allgemein Wöhe, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 14., überarbeitete Auƀ. München 1981, S. 1072 (im Folgenden Wöhe: Einführung). 12 Goldschmidt, Großbankkapital, S. 113, hatte schon 1925 mit Blick auf die stabilen Verhältnisse vor 1913 festgestellt: „Die Sorge um die Aequivariabilität konnte also mit Recht ganz hinter
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1. Einleitung
Bankbetriebe unterliegen nur dann dem inländischen Geldwertrisiko, wenn sie das „Prinzip der Wertgleichheit“ verletzen. Dieses von Schmidt13 im Rahmen seiner organischen Bilanztheorie entwickelte und für Betriebswirtschaften aller Art formulierte Handlungsprinzip besagt, dass sich („geldwertbedingte“) Geldwerte (nominalgebundene Aktiva wie Bargeld, Forderungen, Rentenpapiere) und („geldwertbedingte“) Geldschulden (nominal gebundene Passiva wie Verbindlichkeiten, Einlagen, Anleihen) wertmäßig jederzeit im Gleichgewicht beſnden sollen. Daraus ergibt sich als Konsequenz auch das wertmäßige Gleichgewicht zwischen „marktbedingten“ Realwerten (wie zum Beispiel Grundstücke, Gebäude, Anlagen, Industrieaktien) und Eigenkapital. Kommt es im Zuge einer inƀationären Entwicklung zu einer Minderung des Geldwertes, so sorgt die ständige Einhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ für eine Immunisierung des Unternehmens gegenüber der Geldentwertung. Die Verluste, die das Unternehmen an der realen Wertminderung seiner nominal gebundenen Aktiva erleidet, werden ausgeglichen durch die reale Wertminderung seiner nominal gebundenen Passiva. Für den eher seltenen Fall der Geldwertsteigerung gilt der umgekehrte Zusammenhang. Vorbedingung für die Wirkung des „Prinzips der Wertgleichheit“ ist selbstverständlich, dass es sich um nominal gebundene Aktiva und Passiva in der selben Währung handelt und sich Aktiva und Passiva in ihren anderen wesentlichen Charakteristika (wie zum Beispiel Verzinsung, Befristung, Bonität) nicht allzu sehr unterscheiden. Die realen Aktiva werden durch die Geldentwertung grundsätzlich nicht getroffen. Im Durchschnitt steigt der nominale Wert der Realgüter entsprechend der Geldwertverschlechterung: „Die Bewegung des Geldwertes ist das Spiegelbild der Realwertveränderung, im Grunde also das gleiche.“14 Der reale Wert des Eigenkapitals bleibt erhalten. Schmidt räumt allerdings ein, dass die Einhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ – gerade was die adäquate Zusammensetzung der Realwerte mit Blick auf deren durchaus unterschiedliche Wertentwicklung im Einzelnen betrifft – in der Praxis nicht einfach ist und auch spekulative Elemente mit entsprechenden Gewinn- und Verlustmöglichkeiten mit sich bringt.15 Die Nichteinhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ führt bei Geldwertveränderungen – abhängig vom Ausmaß des Ungleichgewichts in der Bilanz und der Stärke der Geldwertveränderung – unter Umständen zu sehr hohen, Existenz gefährdenden Verlusten, aber auch Gewinnen. Dieser Zusammenhang sei für den Fall der Geldwertminderung um 50 Prozent an einem einfachen Beispiel demonstriert (Bewertung in stabiler Währung): dem Problem der Aequiliquidität zurücktreten.“ und ergänzt: „Je größer die Preisschwankungen der Volkswirtschaft im allgemeinen und die der Bankwerte im besonderen, desto wichtiger ist die Gestalt des Vermögensaufbaus und der Aequivariabilität. Also wird diese Aequivariabilität erst und besonders für Zeiten starker Geldwertschwankungen wichtig und ist deshalb auch in der Bankliteratur gar nicht behandelt worden, eben weil sie in normalen Jahren kaum deutlich als Problem sichtbar wird.“ 13 Vgl. Schmidt, Fritz: Die organische Tageswertbilanz, 3., durchges. u. erw. Auƀ. Leipzig 1929, S. 32 f., 119–122 (im Folgenden Schmidt: Tageswertbilanz). Die erste Auƀage ist in der Inƀationszeit (1921) erschienen. 14 Ebd., S. 120. 15 Ebd.
1.1 Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
17
Ausgangssituation Reale Aktiva
100
Eigenkapital
200
Nominale Aktiva
900
Nominale Passiva
800
Bilanzsumme
1.000
1.000
Endsituation Reale Aktiva
100
Eigenkapital
150
Nominale Aktiva
450
Nominale Passiva
400
Bilanzsumme
550
550
Der Überschuss der nominalen Aktiva über die nominalen Passiva von 100 (= zehn Prozent der Bilanzsumme) in der Ausgangssituation führt am Ende zu einem Eigenkapitalverlust von 50, das heißt 25 Prozent des ursprünglich vorhandenen Eigenkapitals sind verloren gegangen. Die Eigenkapitalquote steigt allerdings durch die Wertstabilität der realen Aktiva von 20 Prozent auf 27,3 Prozent. Im Bankbetrieb schlagen sich die geschäftlichen Aktivitäten bilanziell gesehen zu einem sehr überwiegenden Teil in Geldforderungen und Geldverbindlichkeiten nieder. Realwerte nehmen im Gegensatz zu den Nominalwerten nur einen geringen Raum ein. Daher scheint die Anwendbarkeit und Anwendung des „Prinzips der Wertgleichheit“ für den Bankbetrieb von besonderer Tragweite zu sein. Schmidt bemerkt dazu: „Solange also Geldbestand und Geldguthaben den Geldschulden gleich sind, heben sich Vorund Nachteile der Geldwertänderung auf. Deshalb haben ja auch die Banken ihren wirtschaftlichen Funktionen trotz Inƀation gerecht werden können, denn die Aktiven und Passiven bestehen fast ausschließlich aus Geldwerten.“16
Auf die hohen Eigenkapitalverluste der meisten Banken in der Kriegs- und Inƀationszeit geht Schmidt trotz unmittelbarer zeitlicher Nähe nicht ein. Das „Prinzip der Wertgleichheit“ lässt sich ableiten aus der von Hübner entwickelten „Goldenen Bankregel“: „Der Credit, welchen eine Bank geben kann, ohne Gefahr zu laufen, ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllen zu können, muss nicht nur im Betrage, sondern auch in der Qualität dem Credite entsprechen, welchen sie genießt.“17
Quantität und vor allem die im Wesentlichen durch die Fristigkeiten bestimmte Qualität der Einlagen und Ausleihungen müssen übereinstimmen. Bezieht man diese – umstrittene18 – bankbetriebliche Dispositionsregel auf materielle – also tatsächlich eintretende – Fristigkeiten, dann realisiert der Bankbetrieb mit der Verwirklichung 16 Ebd., S. 32 f. 17 Hübner, Otto: Die Banken. Leipzig 1854, S. 28. 18 Bühler, Wilhelm: Die Kreditdisposition der Banken. Wien/New York 1970, S. 60–65 und die dort genannte Literatur.
18
1. Einleitung
der so interpretierten „Goldenen Bankregel“ auch das „Prinzip der Wertgleichheit“. Liquiditätssicherung und Sicherung vor Verlusten aus Geldwertveränderungen würden durch die Befolgung einer Regel erreicht. Theoretisch scheint daher der Bankbetrieb gegen die Auswirkungen einer Inƀation gewappnet zu sein, wenn er sich nur an die Grundregel hält.19 Von daher ist es überraschend, dass in der deutschen Inƀation der Jahre 1914 bis 1923 während und nach dem Ersten Weltkrieg die Aktienkreditbanken unter allen Wirtschaftsunternehmen die größten Verluste erlitten haben: „Immerhin lässt sich feststellen, dass bei 3347 Aktiengesellschaften, die schon in der Vorkriegszeit bestanden haben, gesamtdurchschnittlich das Eigenkapital auf 94,8%, das Fremdkapital auf 20,8 % und der Betrag der gesamten arbeitenden Mittel auf 44,9 % der Vorkriegszeit gesunken ist. Gegenüber diesem Gesamtdurchschnitt sind die Veränderungen in den einzelnen Gewerbegruppen durchaus verschieden. Die stärksten Einbußen hat das Bankgewerbe erlitten, dessen eingezahltes Aktienkapital sich auf 35,9 % und dessen echte Reserven sich auf 31,3 % des Vorkriegsstandes verminderten, und das von dem Kreditorenbestand der Vorkriegszeit durchschnittlich nur rund ein Fünftel hinüberretten konnte.“20
Die konkreten Ursachen dieser aus einer Bankenstatistik errechneten summarischen Verluste sind bis heute nicht systematisch erforscht und eindeutig geklärt worden, wenn man die allgemeine Verarmung21 der deutschen Wirtschaft in jener Zeit als allzu generelle Aussage zu möglichen Ursachen zunächst eliminiert. Ungeklärt ist auch, ob diese auf aggregierter Basis ermittelten Zahlen beziehungsweise Einschätzungen die Aktienbanken ziemlich gleichmäßig betrafen, oder ob einzelne Banken Krieg und Inƀation ohne Verluste überstanden oder sogar Gewinne gemacht haben. Einheitlich waren die Verhältnisse zumindest nicht. Immerhin gibt die „Untersuchung des Bankwesens 1933“ (Bankenenquete 1933) mit den Beiträgen von Grüger22 und Speer23 einen guten Überblick über die Entwicklung des Bankgewerbes, der einzelnen Bankengruppen und der wesentlichen Bankgeschäfte in der Kriegs- und Inƀationszeit. Grüger erklärt die hohen Eigenkapitalverluste der Banken insgesamt mit Verlusten aus der Kreditgewährung an den Staat und auch an die Privatwirtschaft: „Diese ständigen Verluste gingen naturgemäß nicht 19 Lampe, Winfried: Die Anwendbarkeit des Prinzips der Wertgleichheit auf den Bankbetrieb, in: Österreichisches Bank-Archiv, 23. Jg. (1975), S. 535–552. 20 Tewaag, Carl: Die Zerrüttung des Geld- und Kapitalmarktes, in: Untersuchung des Bankwesens 1933, I. Teil, 1. Bd. Berlin 1933, S. 539–576, hier: S. 546; ferner Wirtschaft und Statistik, 5. Jg. (1925), H. 23, S. 771, 773; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft (Hrsg.): Der Bankkredit. Berlin 1930, S. 4 ff. (im Folgenden Ausschuß: Bankkredit); Bresciani-Turroni: Economics of Inƀation, S. 280: „Even the banks suffered heavy losses of capital through the war [...]. But in all probability the most serious losses were, in general, caused by the inƀation“. 21 Prion, Willi: Kreditpolitik. Aufsätze und Reden. Berlin 1926, S. 111 (im Folgenden Prion: Kreditpolitik). 22 Grüger, Franz: Wirkungen des Krieges und der Kriegsfolgen auf das deutsche Bankwesen mit einem Rückblick auf die Vorkriegszeit, in: Untersuchung des Bankwesens 1933, I. Teil, 1. Bd. Berlin 1933, S. 23–55 (im Folgenden Grüger: Wirkungen des Krieges). 23 Speer, Alfred: Die Inƀationszeit, in: Untersuchung des Bankwesens 1933, I. Teil, 2. Bd. Berlin 1933, S. 159–186 (im Folgenden Speer: Inƀationszeit).
1.1 Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
19
nur zu Lasten der fremden Gelder der Banken, sondern auch der Eigenkapitalien.“24 Ferner verweist er auf den starken Rückgang der Kreditoren und deren zunehmende Kurzfristigkeit.25 Einen Teil ihres Eigenkapitals hätten die Banken dadurch erhalten können, dass sie in Immobilien, werthaltige Wertpapiere, Beteiligungen und Nostroguthaben investiert hätten.26 Durch die starke Konzentration im Kreditbankensektor und das Vordringen der öffentlichen Banken und Sparkassen sei es zu dauerhaften Änderungen in der deutschen Bankenstruktur gekommen.27 Speer verweist in seiner primär geldpolitischen Betrachtung ebenfalls auf die Strukturwandlungen im Bankgewerbe. Zur Geschäftspolitik der Banken merkt er an, dass die Banken – anders als ihre Kunden – teilweise bis Frühjahr 1923 die Möglichkeit von Geldentwertungsgewinnen aus Kreditaufnahmen nicht so früh erkannt hätten wie ihre Kunden. „Wenn die Banken in der Inƀationszeit schließlich ihre eigenen und fremden Mittel immer mehr dahinschwinden und sich von ihrer Kundschaft durch hemmungslose Spekulation auf immer weitere Geldentwertung ausgenutzt sahen, so fanden sie doch – ähnlich wie die Reichsbank – kein wirksames Mittel, von sich aus dagegen einzuschreiten.“28
Auch die Konditionenpolitik sei der Geldentwertung nicht angemessen gewesen, weil die Banken sich über die wahren Kosten, zum Beispiel des Zahlungsverkehrs, täuschten.29 Angaben zu einzelnen Banken gibt es weder bei Grüger noch bei Speer. In den genannten Standardwerken über die deutsche Inƀation ſnden sich so gut wie keine Hinweise über die betriebswirtschaftliche Situation der Banken in der Kriegs- und Inƀationszeit. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung monetärer Aggregate, zum Beispiel die Entwicklung von Quantität und Qualität der Bankeinlagen bei den einzelnen Bankengruppen.30 Bresciani-Turroni bringt ohne eigene Untersuchungen unter Berufung auf die Goldmarkeröffnungsbilanzen zum 1. Januar 1924 Einschätzungen über die Verluste der Berliner Großbanken in Krieg und Inƀation. Die Verluste in der eigentlichen Inƀationszeit schätzt er höher als die in der Kriegszeit. Hypothekenbanken hätten aufgrund ihres langfristig ausgerichteten Geschäfts höhere Verluste als die Kreditbanken erlitten. Zu den vermutlichen Verlustursachen beziehungsweise Verlustphasen referiert er die divergierenden Meinungen in der deutschen Wirtschaftspresse. Im Standardwerk „Deutsche Bankengeschichte“ gibt Born unter anderem einen Überblick über die Entwicklung der Geschäftsbanken in der Inƀationszeit. Zu den dauerhaften und damit Struktur verändernden Einwirkungen der Inƀation zählt er unter anderem die fortschreitende Konzentration der Bankgeschäfte auf die Großbanken, die Entwicklung der Sparkassen zu Universalbanken, die qualitative Veränderung der Bankdepositen und das Auftreten sozialpolitischer Spannungen in den Banken. Die Banken rechnet er auf der Grundlage aggregierter 24 25 26 27 28 29 30
Grüger, Wirkungen des Krieges, S. 33. Ebd., S. 35 f. Ebd., S. 44, 46 f., 49, 51. Ebd., S. 52–55. Speer, Inƀationszeit, S. 179. Ebd., S. 179 f. Holtfrerich: Deutsche Inƀation, S. 47–61.
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1. Einleitung
Zahlen insgesamt zu den „Verlierern der Inƀation“, wobei die Großbanken noch relativ am besten abgeschnitten hätten. Auf die Ursachen der Verluste geht Born nicht ein.31 In einem weiteren Standardwerk „Europäische Bankgeschichte“ ſnden sich im von Häuser verfassten Länderkapitel „Deutschland“ ähnliche Ausführungen. Im Gegensatz zum Krieg habe die Inƀation tief greifende Wirkungen allgemeiner und struktureller Art für das Bankgewerbe mit sich gebracht. Die Banken hätten während der Zeit der Hyperinƀation kaum noch Möglichkeiten zur Fristentransformation gehabt. Die Einlagenbildung sei zurückgegangen, das Eigenkapital habe nicht rechtzeitig angepasst werden können und die Arbeitsbelastung sei stark gestiegen. Als Hauptverlierer sieht er die Institute des langfristigen Geschäfts, während die anderen Banken, insbesondere die Großbanken, glimpƀicher davongekommen seien.32 Einen guten Überblick über die Entwicklung der Banken in der Inƀationszeit gibt Kiehling in seinem Aufsatz „Banking in der Inƀation“.33 Er skizziert die Einstellung der Banken zur Inƀation und ihren Einƀuss auf Politik und Reichsbank. Aus dem engen Verhältnis der Großbanken zur Reichsbank erklärt er das Zögern der Banken, sich in ihrer Geschäftspolitik stärker an die besonderen Verhältnisse der Inƀation anzupassen, insbesondere auf wertbeständige Rechnung überzugehen.34 Die Sprunghaftigkeit der Geldwertveränderung habe eine vorausschauende Geschäftspolitik sehr erschwert. Wie andere Autoren auch betont er die Schrumpfung des realen Einlagevolumens, die zunehmende Kurzfristigkeit der Einlagen und die Bedeutung der Auslandseinlagen. Die „Auszehrung bei Forderungen und Verbindlichkeiten“ habe zu Substanzverzehr bei den Banken geführt.35 Die Ertragsentwicklung der Banken in der Inƀationszeit könne man kaum verlässlich einschätzen. Die wachsende Zahl der Konten, die Vermehrung des Personals und die besonderen Umstände der Inƀation hätten die Banken stark belastet. Auf der anderen Seite stellt Kiehling fest: „Die publizierten Gewinne scheinen jedoch seit 1921 nicht generell gesunken zu sein.“36 Kiehling liefert eine Fülle von Einzelangaben aus den einzelnen Bankengruppen beziehungsweise Bankgeschäften, letztlich aber keine in sich völlig konsistente Darstellung. Die Frage nach den Verlusten beziehungsweise konkreten Verlustursachen bei den Banken bleibt – mit Ausnahme bei den Realkreditinstituten – weitgehend offen. Wixforth kommt in seinem Aufsatz „Die Banken und der Kollaps der Mark“37 zu einem vergleichsweise sehr positiven Urteil über die Großbanken in der eigentlichen Inƀationszeit. Die sich aus der – problematischen – Gegenüberstellung von Jahresbilanz 1913 und der Goldmarkeröffnungsbilanz zum 1. Januar 1924 ergebenden Verluste seien nicht in der Zeit der Hyperinƀation, sondern zum 31 Born, Karl Erich: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Weimarer Republik (1914–1933), in: Aschhoff, Gunther et al. (Hrsg.): Deutsche Bankengeschichte, Bd. 3. Frankfurt am Main 1983, S. 17–146, hier: S. 48 f., 76 f. 32 Häuser, Karl: Länderkapitel Deutschland, in: Pohl, Hans (Hrsg.) Europäische Bankengeschichte. Frankfurt am Main 1993, S. 394–414, hier: S. 394–399. 33 Kiehling, Hartmut: Banking in der Inƀation, in: Scripta Mercaturae, 29. Jg. (1995), H. 2, S. 14–64. 34 Ebd. S. 16 f. 35 Ebd. S. 48 f. 36 Ebd., S. 53. 37 Wixforth: Banken, S. 67–73.
1.1 Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
21
allergrößten Teil bis Ende 1919 eingetreten.38 Den Großbanken sei es gelungen, ihre Substanz durch Anlage in wertbeständige Aktiva zum großen Teil zu erhalten. Zwar erwähnt Wixforth allgemein den Wertverlust, der bei Anlage von Eigenkapital in Papiermarkkrediten zwangsläuſg eintreten musste, weist aber zugleich darauf hin, dass die Banken ab 1921 verstärkt auch Kundengelder in wertbeständige Anlagen investiert hätten. Man könne „vielen Banken und ihren Direktoren während der Nachkriegsinƀation rationales Verhalten sowie eine marktkonforme Geschäftspolitik attestieren.“39 Zu einer erheblich anderen Einschätzung kommt M. Pohl. Er ist der Auffassung, dass die Großbanken hohe Verluste erlitten hätten und bei konsequenter Abschreibung in der Goldmarkeröffnungsbilanz zum 1. Januar 1924 einen Überschuss der Schuldverpƀichtungen über die Aktiva – und damit eine Unterbilanz – hätten ausweisen müssen.40 Ausschließlich die Großbanken betreffend, ſnden sich einige Ausführungen bei Goldschmidt und Whale. Goldschmidt stellt unter Bezug auf seine 1925 in Berlin geschriebene – leider nicht mehr vorhandene – Diplomarbeit „Die Substanzverluste der Berliner Großbanken“ zusammenfassend fest, dass in den Jahren 1914 bis 1923 im Schnitt 71 Prozent des Eigenkapitals der Großbanken verloren gegangen sei, davon 22 Prozent im Krieg und 78 Prozent in der eigentlichen Inƀationszeit. Als Gründe nennt er die Entwertung des Besitzes an deutschen Anleihen, die Wertminderung des Aktienbestandes und der Beteiligungen sowie die Anlage eines Teils des Eigenkapitals in Papierwerten.41 Auf die Ertragsentwicklung bei den Banken geht er nur ƀüchtig ein. Whale verweist als Verlustursachen auf die real schrumpfenden Bilanzen, die starken Kostensteigerungen bei unzureichenden Erträgen und Fehlinvestitionen in Bankgebäude. Die Geldentwertung habe den Bankleitungen den Überblick über die tatsächliche Entwicklung und den Status des eigenen Hauses verschleiert. Erst die Goldmarkeröffnungsbilanzen zum 1. Januar 1924 hätten diese Verluste, die wahrscheinlich überwiegend in der eigentlichen Inƀationszeit entstanden seien, offen gelegt.42 Eigene Berechnungen ſnden sich bei Whale nicht. Als einschlägige Literatur zur betriebswirtschaftlich-historischen Entwicklung einzelner Banken sind zunächst die Monograſen von Hook43 zur Deutschen Bank, von Bähr44 zur Dresdner Bank und von Zimmermann45 zur Commerzbank zu nennen.
38 Ebd., S. 68. Auf die zugrunde liegende – m. E. problematische – Rechnung wird später eingegangen. 39 Ebd., S. 73. 40 Pohl: Situation der Banken, S. 90. 41 Goldschmidt: Großbankkapital, S. 107 f. 42 Whale: Joint Stock Banking, S. 235, 242 f. 43 Hook, Walter: Die wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen Deutschen Bank im Spiegel ihrer Bilanzen. Heidelberg 1954 (im Folgenden Hook: Entwicklung Deutsche Bank). 44 Bähr, Karl: Die wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen Dresdner Bank im Spiegel ihrer Bilanzen. Diss. Mannheim 1951 (im Folgenden Bähr: Entwicklung Dresdner Bank). 45 Zimmermann, Nicolai: Die veröffentlichen Bilanzen der Commerzbank 1870–1944. Eine Bilanzanalyse unter Einbeziehung der Bilanzdaten von Deutscher Bank und Dresdner Bank. Berlin 2005 (im Folgenden Zimmermann: Bilanzen). Zimmermann verzichtet leider auf die Einbeziehung der Gewinn- und Verlustrechnung.
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1. Einleitung
In allen drei Fällen wird die Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Bank anhand ihrer Jahresabschlüsse beschrieben und mehr oder minder tief gehend auch analysiert. Die Kriegs- und Inƀationsjahre werden nur kurz abgehandelt. Eine umfassendere Darstellung der Entwicklung der Commerzbank seit Gründung 1870 bis in die Jahre 1920/23 – fallweise auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten – liefert Krause.46 Allen vier Autoren ist gemeinsam, dass sie für die Kriegs- und Inƀationszeit zwar von „Substanzverlusten“ und „Schrumpfung des Eigenkapitals“ bei der von ihnen untersuchten Bank jeweils unter Verweis auf den Vergleich des ausgewiesenen Eigenkapitals in den Bilanzen Ende 1913 beziehungsweise zum 1. Januar 1924 (Goldmarkeröffnungsbilanzen) sprechen, mögliche Gründe hierfür aber nicht nennen beziehungsweise nicht näher untersuchen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es bisher keine umfassende Darstellung und systematische Analyse der betriebswirtschaftlichen Entwicklung der Berliner Großbanken in den Jahren 1914 bis 1924 gibt. Dieses ist aber Voraussetzung dafür, die mehrheitlich angenommenen Eigenkapitalverluste der Großbanken, die konkreten Ursachen für diese Verluste und die Zeiträume, in denen diese Verluste vermutlich entstanden sind, überhaupt ermitteln zu können. Ein einfacher Vergleich der Bilanzwerte von Ende 1913 und Anfang 1924 (Goldmarkeröffnungsbilanz), wie er regelmäßig vorgenommen wird, ist hierfür nicht ausreichend. Die Erkenntnisziele der Arbeit sind in den folgenden Fragestellungen beschrieben: Ŗ
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9GNEJGDGVTKGDUYKTVUEJCHVNKEJG'PVYKEMNWPIJCDGPFKG)TQ²DCPMGPY¼JTGPF der Kriegs- und Inƀationsjahre genommen? Wie entwickelten sich Rentabilitäts-, Liquiditäts- und Sicherheitslage in diesen beiden Zeitabschnitten? Welche Strukturwandlungen in Organisation und Geschäftstätigkeit können festgestellt werden? 9GNEJGUYCTGPFKGYGUGPVNKEJGP'KPƀussfaktoren in der Kriegs- beziehungsweise der eigentlichen Inƀationszeit für die Geschäftspolitik der Großbanken und die einzelnen Geschäftsfelder? Haben die Großbanken, zum Beispiel durch ihre teilweise engen Kontakte zum Reich und zur Reichsbank, diese Einƀussfaktoren in ihrem Sinne mitgestalten können? 9KGJCDGPUKEJFKG)TQ²DCPMGPCWHFKGDGUQPFGTGP$GFKPIWPIGPFGU-TKGIGU und eines zunehmend inƀationären Umfeldes mit heftigen Geldwertschwankungen eingestellt? Hatten die Großbanken angesichts der besonderen Rahmenbedingungen überhaupt Handlungsspielräume für eine eigenständige Geschäftspolitik? 9GNEJGUUKPFFKGYCJTUEJGKPNKEJGP7TUCEJGPFGT OGJTJGKVNKEJCPIGPQOOGPGP Substanzverluste der Kreditinstitute während der Kriegs- und Inƀationsjahre 1914 bis 1923? Sind die Verluste – wie verschiedentlich vermutet wird – am ehesten in der Kriegszeit angefallen und haben es die Großbanken in der eigentlichen Inƀationszeit von 1919 bis 1923 geschafft, durch geschickte Anlagepo-
46 Krause, Detlef: Die Commerz- und Disconto-Bank 1870–1920/23. Bankgeschichte als Systemgeschichte. Stuttgart 2004 (im Folgenden Krause: Commerz- und Disconto-Bank).
1.1 Problemstellung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
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litik ihre Substanz weitgehend zu erhalten?47 Sind die Eigenkapitalverluste aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung unvermeidlich gewesen oder hätten die Banken durch eine geschickte Geschäftspolitik diese Verluste vermeiden oder zumindest in engeren Grenzen halten können? *CDGPFKGKPFKGUGT#TDGKVWPVGTUWEJVGP)TQ²DCPMGPFCUœ2TKP\KRFGT9GTV gleichheit“ möglicherweise nicht eingehalten beziehungsweise in der Praxis gar nicht einhalten können? Bietet die Einhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ den Banken Schutz auch in Zeiten der Hyperinƀation oder verliert es dann seine immunisierende Wirkung?
Den im letzten Punkt genannten Fragestellungen soll im Kontext der Gesamtuntersuchung besonderer Stellenwert beigelegt werden. Die Menge möglicher Erkenntnisobjekte macht – auch wegen der gebotenen Genauigkeit der Analyse – eine Beschränkung und damit auch Auswahl möglicher Untersuchungsobjekte erforderlich. Erkenntnisobjekte der Untersuchung sollen drei Großbanken sein: Die Deutsche Bank AG, die Dresdner Bank AG und die Commerzund Disconto-Bank AG beziehungsweise Commerz- und Privat-Bank AG.48 Die Auswahl dieser Institute sollte grundsätzlich der Bedingung genügen, „daß jeweils eine größere Zahl von Erscheinungen denselben Typus vertritt.“49 Für die Auswahl dieser drei Institute aus der damaligen Gruppe der acht Berliner Großbanken war entscheidend, dass diese Institute in etwa repräsentativ sind für eine Gruppe von Instituten, die einen Großteil des deutschen Bankwesens ausmachten, dass diese Institute von ihrer universalen Geschäftsstruktur her geeignet sind, den Einƀuss der Geldentwertung auf unterschiedliche Bankgeschäfte nachzuweisen, dass Vergleiche zwischen diesen drei Großbanken wegen annähernd gleichartiger formeller und vermutlich auch materieller Bilanzierungsweise möglich sind, dass die Auswirkungen möglicherweise unterschiedlicher Geschäftspolitik herausgearbeitet werden können, dass die Quellenlage für die Problemstellung ausreicht, dass diese Institute auch heute noch unter ihren alten Firmen aktiv sind50 und dass das Interesse an der Entwicklung dieser Banken wahrscheinlich größer ist als bei nicht mehr existierenden Instituten.
47 Vgl Neisser, Fritz: Das deutsche Bankgewerbe – und seine Bedeutung für den Wiederaufbau der Wirtschaft –. Berlin 1924, S. 80 unter Bezug auf einen Artikel in der FZ v. 16. Juni 1924 [tatsächlich 15. Juni 1924] (im Folgenden Neisser: Bankgewerbe); Wixforth: Banken, S. 67–73; Holtfrerich, Carl-Ludwig: Auswirkungen der Inƀation auf die Banken, in: Feldman, Gerald D. (Hrsg.): Die Nachwirkungen der Inƀation auf die deutsche Geschichte 1924–1933. München 1985, S. 187–209, hier: S. 198, Anm. 17 (im Folgenden Holtfrerich: Auswirkungen); ferner die Diskussionsbeiträge von Otto Pƀeiderer und Stephen A. Schuker zu Pohl: Situation der Banken, S. 117–121. 48 Die Commerz- und Disconto-Bank hatte nach der Aufnahme der Mitteldeutschen Privat-Bank im Jahr 1920 ihre Firma in Commerz- und Privat-Bank Aktiengesellschaft geändert. Aus Vereinfachungsgründen wird in der Arbeit nur der Begriff „Commerzbank“ verwendet. 49 Beutin, Ludwig/Kellenbenz, Hermann: Grundlagen des Studiums der Wirtschaftsgeschichte. Köln/Wien 1973, S. 51 (im Folgenden Beutin/Kellenbenz: Grundlagen). 50 Die Dresdner Bank ist allerdings im Mai 2009 auf die Commerzbank verschmolzen worden.
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1. Einleitung
Die Arbeit umfasst sechs Kapitel. Auf die Problemstellung, die Übersicht über den Forschungsstand, die Formulierung der Erkenntnisziele sowie die Ausführungen zur Quellen- und Literaturlage, zur Aussagefähigkeit des Quellenmaterials und zu einigen wichtigen Begriffen folgt im zweiten Kapitel ein knapper Überblick über den politischen, gesamtwirtschaftlichen und bankbetrieblichen Hintergrund. Wegen der primär betriebswirtschaftlich ausgerichteten Untersuchung orientiert sich die anschließende Darstellung der Geschäftsentwicklung in den Jahren 1914 bis 1918 beziehungsweise 1919 bis 1923 (drittes und viertes Kapitel) im Prinzip an den von den Jahresabschlüssen der Großbanken vorgegebenen Gliederungsschemata für die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung. Die wesentlichen Einƀussfaktoren für die Entwicklung von Aktiva und Passiva sowie Aufwendungen und Erträgen werden herausgearbeitet und analysiert. Zur Erfassung der realen Entwicklung werden die nominalen Zahlen von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung über den Dollarkurs ergänzend in „reale“ Größen umgerechnet. Um die für die Thematik besonders wichtige Ertragslage der drei Großbanken besser einschätzen zu können, werden – soweit möglich und sinnvoll – Zinsertragsbilanzen berechnet. Anhand der Bilanzdaten wird ermittelt, ob und inwieweit die Großbanken das „Prinzip der Wertgleichheit“ verletzt haben und welche Verluste daraus entstanden sind. Im vierten Kapitel wird außerdem auf die Selbsteinschätzung der wirtschaftlichen Lage der Großbanken in der Inƀationszeit, auf die Einschätzung durch zeitgenössische Fachzeitschriften und die Wirtschaftspresse und auf die Goldmarkeröffnungsbilanzen zum 1. Januar 1924, die hohe Eigenkapitalverluste offenbarten, eingegangen. Im fünften Kapitel wird versucht, die möglichen Ursachen für die Verluste der drei Großbanken in der eigentlichen Inƀationszeit zu systematisieren und zu bewerten. Zu diesem Zweck wird unter anderem die Entwicklung der bankbetrieblichen Leistungserstellung im Wert- beziehungsweise Betriebsbereich detailliert dargestellt und analysiert. Die Einhaltung beziehungsweise Verletzung des „Prinzips der Wertgleichheit“ durch die drei Banken wird im Rahmen des Möglichen überprüft und die Konsequenzen aus bilanziellen Ungleichgewichten werden beschrieben. Kritisch wird hinterfragt, ob die Einhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ auch in Zeiten der Hyperinƀation den Banken den versprochenen Schutz bieten kann. Im sechsten Kapitel werden mit Blick auf die Problemstellung und die im ersten Kapitel genannten Erkenntnisziele die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. 1.2 Quellen- und Literaturlage, Aussagefähigkeit des Quellenmaterials Die betriebswirtschaftliche Entwicklung der drei Großbanken im Untersuchungszeitraum 1914 bis 1923 lässt sich im Wesentlichen nur aus den veröffentlichten handelsrechtlichen Jahresabschlüssen rekonstruieren.51 Die Jahresabschlüsse erfüllen 51 Steuerbilanzen würden möglicherweise wegen der realitätsnäheren Bewertung eine bessere Basis bieten. Eine gesetzliche Pƀicht zur Aufstellung von eigentlichen Steuerbilanzen gibt es in Deutschland aber erst seit 1925. Vgl. Spoerer, Mark: „Wahre Bilanzen!“ Die Steuerbilanz als unternehmenshistorische Quelle, in: ZUG, 40. Jg. (1995), S. 158–179, hier: S. 162 f.
1.2 Quellen- und Literaturlage, Aussagefähigkeit des Quellenmaterials
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die Voraussetzungen, die an eine primäre Quelle zu stellen sind: „Primäre Quellen sind solche, die unmittelbar dem Wirtschaftsleben entstammen und dazu dienen, solche Vorgänge festzulegen.“52 Feldman bemerkt zu den Bilanzen der Deutschen Bank in den Jahren 1914 bis 1933 primär aus Sicht des Historikers: „So problematisch Bankbilanzen sein mögen, erschöpfen sie sich doch nie gänzlich darin, die sorgfältig entworfenen Selbstdarstellungen eines Finanzinstituts zu sein. Es lassen sich aus ihnen vielmehr die enttäuschten Hoffnungen und traumatischen Katastrophen ablesen und herausdeuten, durch die Deutschland in diesen unheilvollen Zeiten gehen mußte; zugleich müssen sie auch als Zeugnisse tiefgreifender Veränderungen im Bankgeschäft, des Wandels in der industriellen Welt, sowie ökonomischer und sozialer Modernisierungsprozesse gelesen werden, die sich im selben Zeitraum vollzogen.“53
Neben den Jahresabschlüssen (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Geschäftsbericht im engeren Sinn) stehen andere (unveröffentlichte) primäre Quellen, zum Beispiel zur internen Rechnungslegung oder zur Formulierung der Geschäftspolitik, für die Untersuchung nur in relativ begrenztem Umfang zur Verfügung, da die Archive der hier untersuchten Großbanken durch die Einwirkungen des Zweiten Weltkriegs weitgehend vernichtet wurden. Im Falle der Deutschen Bank (Historisches Institut beziehungsweise Historisches Archiv) ist die Quellenlage noch am besten: Hier war es möglich, unter anderem die vollständige interne Bilanz und das Inventar nach dem Stand vom 31. Dezember 1913 im Original einzusehen und einen Eindruck von den damals gerade im Bankgewerbe verbreiteten bilanzpolitischen Maßnahmen zur Ergebnissteuerung zu gewinnen. Als sehr wertvolles Material erwiesen sich auch die fast vollständig erhaltenen Schreiben des Filialbüros der Deutschen Bank an die Direktionen der Filialen und Zweigstellen mit einer Fülle von Einzelregelungen zur Geschäftspolitik und zur Geschäftstätigkeit. Insbesondere wurden mit diesen Schreiben die Vereinbarungen der Vereinigung von Berliner Banken und Bankiers, der Stempelvereinigung, zur Festlegung von Zinsen, Provisionen und Gebühren in die Praxis umgesetzt. Im Historischen Archiv der Dresdner Bank fand sich nur sehr wenig Material aus den Jahren 1913 bis 1924. Die erst 2008 in der Tschechischen Republik entdeckten Aufsichtsratsprotokolle aus dieser Zeit enthalten fast ausnahmslos nur Beschlüsse, Anordnungen und Informationen zu personellen und organisatorischen Fragen. Für das Thema von einiger Bedeutung ist allerdings das „Protokoll über die Revision der Goldbilanz per 1. Januar 1924“, das dem Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 13. November 1924 beigefügt ist und Informationen zu Kriegsverlusten, Wertansätzen und stillen Reserven enthält. Sehr interessantes Quellenmaterial fand sich im Historischen Archiv der Commerzbank. Die Aufsichtsratsprotokolle der Jahre 1913 bis 1924 sind fast vollständig erhalten. Ihr inhaltlicher Schwerpunkt liegt zwar auch bei Beschlüssen unter anderem zu personellen und organisatorischen Fragen sowie bei der Behandlung von Kre52 Beutin/Kellenbenz: Grundlagen, S. 9. 53 Feldman, Gerald D.: Die Deutsche Bank vom Ersten Weltkrieg bis zur Weltwirtschaftskrise 1914–1933, in: Gall, Lothar et al.: Die Deutsche Bank 1870–1995. München 1995, S.137–314, hier: S. 138 (im Folgenden Feldman: Deutsche Bank; Gall et al., Deutsche Bank).
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1. Einleitung
ditangelegenheiten, doch wurden fallweise auch grundsätzliche geschäftspolitische Themen erörtert. In unregelmäßigen Abständen gab es detaillierte Informationen zur unterjährigen Ertragslage, zur Zusammensetzung und Wertentwicklung des Wertpapierbestandes, zur Bildung und Höhe stiller Reserven und zu den Konditionen von Einzelgeschäften (Kredite, Emissionen). Von größter Bedeutung für das Thema sind die Niederschriften über die Verhandlungen der Vereinigung von Berliner Banken und Bankiers, die gerade für die Zeit der Hochinƀation fast vollständig erhalten sind, und einen sehr guten Einblick in die geschäftspolitischen Überlegungen und Entscheidungen der beteiligten Banken, namentlich der damaligen Großbanken, geben. Hinzu kommt ergänzender Schriftverkehr (insbesondere der Mitteldeutschen Creditbank – 1929 fusioniert mit der Commerzbank) mit der Stempelvereinigung und der Frankfurter Bankenvereinigung. Im Bundesarchiv in Berlin ſndet sich umfangreiches Material aus der Reichsbank und auch zu deren Beziehungen zu den Großbanken. Das Historische Archiv der Deutschen Bundesbank verfügt über eine annähernd vollständige Sammlung von Verfügungen und Schreiben der Reichsbank aus dem Untersuchungszeitraum, die vielfach direkt oder indirekt auch die Banken betreffen. Von großem Nutzen waren auch die veröffentlichten Akten der Reichskanzlei aus der Zeit der Weimarer Republik, auch wenn sie nur in wenigen Fällen unmittelbar mit der eigentlichen Thematik zu tun haben. Als sehr hilfreiche Ergänzung für die Untersuchung erwiesen sich einschlägige Berichte und Analysen zu den drei Banken, aber zum Beispiel auch zur Situation am Geld- und Kapitalmarkt, in zeitgenössischen Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Insgesamt gesehen ist die Quellen- und Literaturlage zur betriebswirtschaftlichen Entwicklung der Großbanken in der Kriegs- und Inƀationszeit nicht befriedigend, aber für die Bearbeitung des Themas ausreichend. Die Veränderungen der in Geld bewerteten Aktiv- und Passivposten der Bilanz und der Aufwands- und Ertragsposten in der Gewinn- und Verlustrechnung im Zeitablauf sind in Zeiten stabilen Geldwerts und wenn die Aufstellung der Jahresabschlüsse den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in formeller und materieller Hinsicht entspricht, Resultat der realen Entwicklung der Unternehmung. Geldwertschwankungen und Verstöße – auch gesetzlich erlaubte – gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in formeller und materieller Hinsicht verfälschen allerdings die Jahresabschlüsse und lassen kaum sichere Erkenntnisse über die Entwicklung der Unternehmung aus dieser Quelle zu. Auch in Zeiten stabilen Geldwerts wären die der Untersuchung zugrunde liegenden Jahresabschlüsse nur bedingt geeignet, aus der Analyse eines einzigen isolierten Jahresabschlusses die reale Situation der einzelnen Banken zu erkennen. Gesetzlich zulässige54 Unterbewertungen der Aktiva – vor allem im Sachanlagevermögen, bei dauernden Beteiligungen, Wertpapieren und Debitoren – und Überbewertungen der Passiva – vor allem bei den
54 Vgl. dazu die Vorschriften der §§ 40, 261 HGB – lex specialis für die Aktiengesellschaften – und die Anmerkungen zu diesen Paragrafen in Staubs Kommentar zum HGB, Bd. I, 12. Auƀ. Berlin/ Leipzig 1926; Bd. II., Auƀ. Berlin/Leipzig 1926.
1.2 Quellen- und Literaturlage, Aussagefähigkeit des Quellenmaterials
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Rückstellungen – ermöglichen die Legung stiller Reserven55 in Gewinn bringenden Jahren und die Auƀösung dieser Reserven, wenn die geschäftliche Lage es erfordert. Hinzu kommt, dass die Bilanz nur die Momentaufnahme eines Stichtages darstellt und durch „window dressing“56 regelmäßig vor allem eine bessere Liquiditätssituation als tatsächlich vorhanden gezeigt wird. Reihen von Jahresabschlüssen im Zeitablauf und ein Vergleich mit den Jahresabschlüssen vergleichbarer Banken können die Qualität der Ergebnisse allerdings deutlich verbessern. Kalveram sagt dazu: „Die einzelne Bilanzziffer ist für die Kritik wertlos. Aber die aus gleichartigen Zahlenreihen sich ergebenden Entwicklungs- und Wandlungstendenzen bieten eine brauchbare Grundlage zum tiefer e n E i n d r i n g e n i n d a s K r e d i t b a n k p r o b l e m . “ 57
Eine Analyse der Quellen des Erfolges auf der Grundlage der Gewinn- und Verlustrechnungen der Banken begegnet noch größeren Schwierigkeiten, da die Banken im Laufe der Zeit wegen des Fehlens jeglicher bindender Vorschriften58 die Gewinnund Verlustrechnung zu einem „Monstrum an Unvollständigkeit“59 werden ließen und die Gewinn- und Verlustrechnung oftmals nur eine Zweckrechnung war, die von rückwärts aufgebaut war und zeigen sollte, wie der Reingewinn, der gerade ausreicht, um die geplante Dividende zahlen zu können, zustande kommt.60 Erläuterungen in dem nach dem damaligen § 260 HGB vorgeschriebenen Geschäftsbericht können nur begrenzt die skizzierten formellen und materiellen Mängel von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung kompensieren. Im Berichtszeitraum konzentrierten sich die Banken in ihren Kommentierungen vorwiegend auf den Krieg, später auf die Staatsſnanzen und die Geldentwertung und deren Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und weniger auf konkrete betriebswirtschaftliche Angelegenheiten. Eine quantitative Analyse kann daher nur den Anschein der Genauigkeit erwecken, grundsätzlich aber nicht mehr bieten als Aussagen über bestimmte Tendenzen in der Entwicklung. Das Heranziehen sekundärer Quellen – zum Beispiel Kommentare zu den Jahresabschlüssen und zu anderen bedeutenden Entwicklungen bei den einzelnen Banken in Fachzeitschriften und Zeitungen, Ausführungen auf Hauptversammlungen – kann allerdings in etlichen Punkten eine größere Genauig55 „Es galt früher als Bankregel, dass das Eigenkapital in gleicher Höhe nochmals als stille Reserve vorhanden sein müsse.“ Peckolt, Horst: Strukturverschiebungen im deutschen Bankwesen. Stuttgart 1937, S.15. 56 Kalveram, Wilhelm: Bankbilanzen, I. Teil, Die Bilanzen der Kreditbanken. Leipzig 1922, S. 10 (im Folgenden Kalveram: Bankbilanzen). 57 Sperrsatz im Original. – Vgl. ebd., S. 12. 58 Ausführlichkeit, Einheitlichkeit und Kontinuität der Bilanzen der Großbanken wurden durch die Einführung eines spezialisierten Einheitsschemas für die Erstellung der Bankbilanzen hergestellt. (Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 30. Juli 1911, Deutscher Reichsanzeiger vom 5. August 1911). 59 Schmidt, Fritz: Die verkrüppelte Erfolgsrechnung, in: ZfB, 5. Jg. (1928), S. 81–99, hier: S. 81. – Die Erfolgsrechnung der Deutschen Bank für 1914 enthält auf der Ertragsseite noch acht Positionen, für 1923 dagegen nur noch eine Position. 60 Eisfeld, Curt: Die Gewinn- und Verlustrechnung der Kreditbanken, in: ZfB, 33. Jg. (1963), S. 54–56, hier: S. 54.
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1. Einleitung
keit der Analyse gewährleisten und insgesamt zu einem einigermaßen realitätsnahen Bild der Verhältnisse führen. Eine sinnvolle exakte quantitative Analyse der Ziffern der Jahresabschlüsse wird aber fast zur Unmöglichkeit, wenn starke inƀationäre Tendenzen die Identität der Zahlen im Zeitablauf verwischen und Berechnungen auf der Basis dieser Zahlen an sich nichts anderes als einen „Wertunsinn“61 ergeben können. Doch scheinen die Jahresabschlüsse der Banken bei einer Auswertung einen gewissen Vorzug vor den Jahresabschlüssen – insbesondere den Bilanzen – von anlageintensiven Industrieunternehmen zu haben. In dem Ausmaß, in dem nicht abnutzbare oder langfristig abnutzbare Wirtschaftsgüter vorhanden sind und in dem Maße, in dem die Geldentwertung fortschreitet, sinkt bei nominaler Rechnung, bei Geltung des Anschaffungswertprinzips und keiner Möglichkeit zur Aufwertung der Realwerte die Aussagefähigkeit der Bilanz einer Unternehmung. Die Vermögenssituation wird als zu schlecht ausgewiesen, die Gewinn- und Verlustrechnung weist dagegen – vor allem wegen zu gering bemessener Abschreibungen und daraus folgend Scheingewinnen – regelmäßig ein zu gutes Ergebnis aus. Bankbetriebe sind nicht anlageintensiv, sondern verfügen bilanziell gesehen über einen sehr hohen Anteil von Geldwerten. Da den Geldforderungen und -verbindlichkeiten überwiegend reale Transaktionen der Wirtschaftssubjekte zugrunde liegen, die bei Geldentwertung zu steigenden Preisen abgewickelt werden, passen sich die Bilanzen – vor allem die Summe, weniger die Struktur – der im kurzfristigen Einlagen- und Kreditgeschäft tätigen Banken je nach Schnelligkeit des Umschlagprozesses auf Aktiv- beziehungsweise Passivseite relativ schnell dem gestiegenen Preisniveau an. Die Bereinigung inƀationär aufgeblähter Bilanzsummen mit Hilfe eines allgemeinen Preisindex62 oder durch Umrechnung auf eine stabile Währungseinheit (wie zum Beispiel die Goldmark63 oder den US-Dollar) vermag daher trotz ihrer Undifferenziertheit einen gewissen Eindruck von der realen, in Kaufkrafteinheiten ausgedrückten Entwicklung eines Bankbetriebes im liquiditätsmäßig-ſnanziellen Bereich zu geben. Die Stromgrößen der Gewinn- und Verlustrechnungen und der Umsatz auf den Hauptbuchkonten dürften für eine solche Bereinigung – zweckmäßig mit jahresdurchschnittlichen Werten – grundsätzlich ebenfalls in Frage kommen.
61 Walb, Ernst: Rothschilds Taschenbuch für Kauƀeute, 2. Buch, 60. Auƀ. Berlin 1927, S. 123. 62 Dieses Verfahren wendet auch Hoffmann, Wachstum, S.430–433, insbesondere für die Umsätze der Banken an. Vgl. auch Busse von Colbe, Walter: Eliminierung von Preis- und Geldwertschwankungen, in: HdB, 3. Auƀ. Stuttgart 1960, Sp. 4423–4438, hier: Sp. 4424 f. 63 Bei der „Goldmark“ handelte es sich nicht um eine real existierende sondern nur um eine ſktive Währung beziehungsweise Währungs- oder Recheneinheit, die an den Goldwert der Mark vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfte.
1.3 Begriffe
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1.3 Begriffe 1.3.1 Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandlungen Der Begriff der wirtschaftlichen Entwicklung wird nicht einheitlich gebraucht.64 Allgemein bedeutet Entwicklung in formaler Hinsicht Veränderung einer Erscheinung in der Zeit. Wie und auf welche Objekte man den Begriff Entwicklung auch anwendet, Zeit und Veränderung sind die konstitutiven Merkmale. Die Entwicklung der Unternehmung ergibt sich nicht aus einer einzigen Veränderung, sondern aus einer Folge von kontinuierlich oder diskontinuierlich verlaufenden Veränderungen, die zu einem neuen Zustand führen. Insofern betrachtet man nicht die ganz kurzfristigen oder einmaligen Veränderungen. Schumpeter bezeichnet „die Tatsache der steten Veränderung historischer Zustände, die eben dadurch zu historischen Individuen in der historischen Zeit werden“65, als Entwicklung. Er versteht als gesamtwirtschaftliche Entwicklung allerdings nur solche Veränderungen im Kreislauf des Wirtschaftslebens, „die die Wirtschaft aus sich heraus zeugt“66 und die zu qualitativ neuen Erscheinungen im Wirtschaftsleben führen. Anpassungen an Veränderungen gesamtwirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Daten würden in diesem eng deſnierten Sinn nicht als Entwicklung gelten. Überträgt man diese Gedanken auf ein einzelnes Wirtschaftsunternehmen, so würde als Entwicklung auch wieder nur die Folge von Veränderungen gemeint sein, die die Unternehmung aus sich selbst heraus ohne Anpassung – die auch Veränderung hervorruft – generiert. Eine strenge Trennung der Veränderungen nach den jeweiligen Ursachen – ob Anpassung oder Handeln aus sich, scheint nur theoretisch, praktisch jedoch nur annähernd möglich zu sein. Die historische Entwicklung eines Unternehmens wird in dieser Arbeit als ein dynamischer Prozess verstanden, in dem sich Umweltbedingungen permanent ändern, das Unternehmen in Ungleichgewichte gerät und sich diesen Veränderungen im Rahmen seiner Entscheidungsmöglichkeiten anpasst oder sie eben auch mitgestaltet.67 Die Aufgabenstellung der Arbeit ist nicht so eng gefasst, als dass ihr eine historisch-deskriptive Darstellung der Entwicklung der drei Großbanken in den Jahren 1914 bis 1923 genügen könnte. Notwendig ist die Einbeziehung der entwicklungsbestimmenden Faktoren und deren Analyse. Hook68 unterscheidet Kräfte und Bedingungen. Während die Kräfte aus den Ideen und Entscheidungen der die Unternehmung 64 Hook: Entwicklung Deutsche Bank, S. 10–13. 65 Schumpeter, Joseph A.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung: Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, 9. Auƀ., unveränderter Nachdruck der 1934 erschienenen 4. Auƀ. Berlin 1997, S. 89. 66 Ebd, S. 95. 67 Plumpe, Werner: Die Unwahrscheinlichkeit des Jubiläums – oder: warum Unternehmen nur historisch erklärt werden können, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2003/1, S. 143–156, hier: S. 150; Dahlem, Markus: Die Professionalisierung des Bankbetriebs. Studien zur institutionellen Struktur deutscher Banken im Kaiserreich 1871–1914. Essen 2009, S. 20. Weder die reine Anpassung an äußere Gegebenheiten noch die völlige Gestaltungsfreiheit ſnden sich in der Realität. Die Gestaltungsfreiheit wird vor allem auch durch die „Pfadabhängigkeit“ begrenzt. 68 Hook: Entwicklung Deutsche Bank, S. 13 f.
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1. Einleitung
leitenden Menschen erwachsen, geben die Bedingungen, das heißt die Umstände, Möglichkeiten und Gegebenheiten, denen sich die Unternehmer bei der Verfolgung ihrer Ziele gegenübersehen, den Rahmen der Unternehmertätigkeit ab. Die Bedingungen können sowohl von außen gesetzt als auch durch die inneren Verhältnisse der Unternehmung selbst bestimmt sein. Sie können im Untersuchungszeitraum unverändert bleiben oder sich verändern. Die Bedingungen können den zielorientierten Kräften, die sich in der Unternehmenspolitik zeigen, gegenüber förderlich, neutral oder hinderlich sein. Die Unternehmenspolitik kann auf eine Anpassung oder – falls möglich – Umgehung der herrschenden Bedingungen gerichtet sein, sie kann andererseits auch versuchen, die Bedingungen in ihrem Sinn zu beeinƀussen. Im ersten Fall treibt die Unternehmung in der allgemeinen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit. Ihr Schicksal wird sich mehr oder weniger zwangsläuſg aus dem Schicksal der Gesamtwirtschaft ergeben. Im zweiten Fall können sich aus den Entscheidungen der Betriebs- und Geschäftsleitung als dem dispositiven Faktor im System der Produktionsfaktoren Gutenbergs69 solche Kräfte und Impulse ergeben, dass es dem Unternehmen gelingt, auch unter schwierigen Bedingungen eine günstige Entwicklung zu durchlaufen, in einer Zeit zu wachsen, in der andere Unternehmen schrumpfen oder gar zugrunde gehen. In der Realität wird es – je nach Umweltbedingungen und Stärke des Unternehmens – immer unterschiedliche Mischformen von Anpassung und Gestaltung geben.70 Kriegs- und Inƀationsbedingungen sind häuſg Bedingungen solcher Intensität, dass es fraglich ist, ob unternehmerische Kräfte überhaupt mit Aussicht auf Erfolg sich diesen Bedingungen entziehen oder gar selbst auf diese Bedingungen einwirken können. Zumindest induzieren solche Bedingungen Restriktionen im innerbetrieblichen Entscheidungsprozess und beschränken Freiheit und Autonomie bei der Formulierung und Realisierung von Unternehmenszielen.71 Strukturwandlungen ergeben sich aus ungleichgewichtigen Entwicklungen der die Struktur konstituierenden Elemente. „Hierbei verschieben sich durch Schwerpunktverlagerungen die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Wirtschaftselemente (zum Beispiel des Umsatzes, der Erfolgskomponenten, des Vermögens, des Kapitals).“72 Die Bewegung eines Teils der Strukturelemente wird begleitet von einer Stagnation oder gegenläuſgen Bewegung eines anderen Teils der Strukturelemente. Die Ursachen einer solchen ungleichgewichtigen diskontinuierlichen Entwicklung, die zu Strukturveränderungen führen, liegen in den entwicklungsbestimmenden Faktoren, den Kräften und Bedingungen. Bähr73 nennt als Beispiele für Entwicklungsvorgänge, die zu Strukturveränderungen führen, die Änderung in der Zusam-
69 Gutenberg, Erich: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1: Die Produktion, 18., neu überarb. Auƀ. Berlin/Heidelberg/New York 1971, S. 8, 131. 70 Scharpinet, Franz: Konjunktur und Bankbilanz. Diss. Frankfurt am Main 1930, S. 8 f. (im Folgenden Scharpinet: Konjunktur). 71 Büschgen, Hans E./Börner, Christoph J.: Bankbetriebslehre, 4., neu bearb. u. erw. Auƀ. Stuttgart 2003, S. 43 (im Folgenden Büschgen/Börner: Bankbetriebslehre). 72 Bähr: Entwicklung Dresdner Bank, S. 5. 73 Ebd., S. 5 f.
1.3 Begriffe
31
mensetzung eines Vermögenspostens, die veränderte Bedeutung einer Position innerhalb einer Gruppe, den Wandel im Verhältnis zweier verschiedener Strukturelemente, das Einführen neuer oder die Aufgabe bisheriger Geschäftszweige und als die Folge solcher betriebsinterner Strukturveränderungen, die Veränderung der volkswirtschaftlichen Bedeutung einer Unternehmung für die Struktur der Gesamtwirtschaft oder eines Teilbereiches der Wirtschaft oder auch einen Wandel im Unternehmenscharakter. 1.3.2 Kapitalerhaltung und Substanzverlust Unternehmungen in marktwirtschaftlichen Ordnungen haben gemeinhin das Ziel, durch Realisierung ihres Sachziels74 bei Wahrung ihrer Zahlungsfähigkeit das Eigenkapital der Unternehmung zumindest zu erhalten und darüber hinaus Gewinne zu erzielen. Die Kontrolle der Zielerreichung erfolgt durch die Buchhaltung (Bilanz und zugrunde liegendes Inventar), die auf dem Nominalwert basiert, oder aber in Zeiten schwankenden Geldwerts und Gültigkeit des Anschaffungswertprinzips durch geeignete Nebenrechnungen. Die Ermittlung der Höhe des Periodengewinns schließt die Kontrolle der Kapitalerhaltung ein. Das nominale Kapital einer Unternehmung bleibt erhalten, wenn am Ende einer Periode das Kapital – im engeren Sinne das Eigenkapital – nicht unter dem Wert am Beginn der Periode liegt. Vermögensgegenstände und Schulden werden dabei mit ihren nominalen Werten angesetzt. Bei der realen Kapitalerhaltung geht es darum, das Reinvermögen eines Unternehmens in seiner realen Kaufkraft zu erhalten und dabei Scheingewinne aufgrund inƀationsbedingter nominaler Wertsteigerung zu eliminieren.75 Im Modell einer stationären Wirtschaft mit stabilem Preis- und Lohnniveau, unveränderlichem Zins, gleicher Produktionstechnik, gleicher Angebots- und Nachfragestruktur und anderem mehr würde die Kontrolle der Eigenkapitalerhaltung keine besonderen Probleme aufwerfen. Anders stellt sich die Situation in einer dynamischen Wirtschaft dar, in der sich die Unternehmung einer Fülle variabler volks- und betriebswirtschaftlicher Daten gegenübersieht und verschiedene Maßgrößen zur Messung des Eigenkapitals und seiner Veränderungen im Zeitablauf verwandt werden können beziehungsweise müssen. Für die hier vorgenommene Untersuchung kommt weder die Feststellung des Barwerts der künftigen Erfolge des Unternehmens (Erfolgskapital) oder die Feststellung des im Unternehmen vorhandenen rein mengenmäßigen Reinvermögens als Substanz des Betriebes (Sachkapital) am Anfang und am Schluss des Untersuchungszeitraums in Betracht, sondern nur die Ermittlung der vergleichbar gemachten Geldkapitalien, des in Geld bewerteten Reinvermögens zu Beginn und zum Schluss des Untersuchungszeitraums. In Zeiten stabilen Geldwerts würde die nominale Geldkapitalerhaltung mit der realen, kaufkraftmäßigen Kapitalerhaltung überein74 Wöhe: Einführung, S. 78. 75 Rogler, Silvia: Inƀation, in: Küpper, Hans-Ulrich/Wagenhofer, Alfred (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensrechnung und Controlling, 4., völlig neu gestaltete Auƀ. Stuttgart 2002, Sp. 713–722, hier: Sp. 716.
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1. Einleitung
stimmen. Das ausgewiesene Eigenkapital erreicht in beiden Fällen die gleiche Höhe. Inƀationäre Tendenzen bewirken – je nach ihrer Stärke – ein mehr oder minder deutliches Auseinanderklaffen von nominalem und realem Eigenkapital. Will ein Unternehmen sein reales Eigenkapital erhalten, so müssen entsprechende offene oder stille Rücklagen gebildet werden. Unter Substanzverlust wird in dieser Arbeit die negative Differenz zwischen dem in Geld gleicher Kaufkraft bewerteten Reinvermögen zu Beginn und zum Schluss des Untersuchungszeitraums verstanden. Dabei wird eine Bewertung der Vermögenswerte nach vergleichbaren Bewertungsgrundsätzen vorausgesetzt. Einlagen beziehungsweise Entnahmen von Nominal- beziehungsweise Realgütern müssen bei der rechnerischen Ermittlung mit ihrem realen Wert zum Zeitpunkt der Einlage beziehungsweise Entnahme bewertet und entsprechend bei der Ermittlung des realen Eigenkapitals berücksichtigt werden. Dieser theoretisch richtigen Ermittlungsmethode sind ganz offensichtlich – insbesondere von der Bewertung her76 – Grenzen gesetzt. Gilt diese Einschränkung bereits für denjenigen Personenkreis, der Inventar und Bilanz der Unternehmung erstellt, so wird eine genaue quantitative Feststellung etwaiger Substanzverluste für den externen Beobachter wegen der materiellen und formellen Mängel der Bilanz und den sehr starken Geldwertschwankungen während des Untersuchungszeitraums vollends unmöglich. Die Gegenüberstellung der Bilanzen der drei Banken zum 31. Dezember 1913 mit den Goldmarkeröffnungsbilanzen zum 1. Januar 1924 auf einer hinreichend stabilen Geldwertbasis ist nur sehr bedingt für den Nachweis von Substanzverlusten geeignet. Während die Bilanzen von 1913 sich weitgehend organisch aus einer langen Reihe vorhergehender Bilanzen ableiteten, fehlt es bei den Goldmarkeröffnungsbilanzen an jeder zahlenmäßigen Kontinuität. Die völlige Neubewertung aller Aktiva und Passiva orientierte sich primär nicht an den realen Werten, sondern an der gewünschten Eigenkapital- (insbesondere Aktienkapital-) Ausstattung mit Blick auf die künftige Gewinnausschüttung, den erwarteten Geschäftsumfang, eine gewünschte Kreditinanspruchnahme oder auch die Besteuerung. Ein exakter quantitativer Nachweis echter Substanzverluste ist daher aus externer Sicht praktisch ausgeschlossen. Wohl aber erscheint es möglich, auf der Grundlage der Jahresabschlüsse und zahlreicher ergänzender Informationen zumindest für den Zeitraum 1914 bis 1921 festzustellen, ob und aufgrund welcher Entwicklungen Substanzverluste (Eigenkapitalminderungen) eingetreten sind. Die Jahre der Hochinƀation entziehen sich allerdings jeder genaueren quantitativen Analyse. Beschrieben werden können nur – allerdings auch unter Einbeziehung quantitativer Daten – bestimmte Entwicklungen beziehungsweise Verhaltensweisen der drei Banken, die zu Substanzverlusten führten beziehungsweise zur Substanzerhaltung oder -vermehrung beitrugen. Ergänzend zum eng deſnierten Begriff der Substanz im Sinne von Reinvermögen beziehungsweise abstrakt Eigenkapital soll in dieser Arbeit auch der Begriff der 76 Schweitzer, Marcell: Kapitalerhaltung, in: Bea, Franz X./Helm, Roland/Schweitzer, Marcell: BWL-Lexikon. Stuttgart 2009, S. 178 f.; Zeillinger, Erich: Das Problem der Substanzerhaltung in der Finanzierungsrechnung, in: Österreichisches Bank-Archiv, 22. Jg. (1974), S. 396–413, hier: S. 399 f.
1.3 Begriffe
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Substanz im weiteren Sinne verwendet werden. Die Substanz im weiteren Sinn besteht bei Kreditinstituten im Wesentlichen aus Einlagen (Kreditoren – Verbindlichkeiten) und Krediten (Debitoren – Forderungen). Verliert eine Bank diese Passiva beziehungsweise Aktiva, so verliert sie ihre wesentliche Geschäftsgrundlage und ihr Ertragspotenzial. Die Erosion der Geschäftsgrundlage und der Substanzverlust im weiteren Sinn – gemessen zum Beispiel auch an der Entwicklung der realen Bilanzsumme – beginnt in der Regel auf der Passivseite bei den Kreditoren mit entsprechenden Konsequenzen für die Aktivseite. Gerade die Zeiten starker Geldentwertung zeigen, dass es für die dauerhafte Existenz einer Bank nicht nur auf den Erhalt des realen Reinvermögens (Eigenkapital), sondern auch auf den Erhalt der realen Geschäftsgrundlage in Form von werthaltigen Passiva und Aktiva ankommt. Weit mehr noch als in bilanziellen Ungleichgewichten liegt das eigentliche Inƀationsrisiko der Kreditinstitute in der Erosion der geschäftlichen Basis.
2. DER HISTORISCHE BEZUGSRAHMEN 2.1 Der politische Hintergrund – Eine Skizze der politischen Ereignisse der Jahre 1914 bis 1923 Seit der Einigung der deutschen Staaten zum Deutschen Reich durch Bismarck im Jahr 1871 war Deutschland immer mehr in die auch selbst erstrebte Rolle einer Weltmacht hineingewachsen. Es war die stärkste militärische und wirtschaftliche Macht auf dem europäischen Kontinent geworden und musste durch seine eindeutig auf das britische Empire gerichtete Flottenpolitik (Tirpitz)1 immer mehr nicht nur als Rivale, sondern auch als Bedrohung Englands, das notgedrungen mit Frankreich befreundet war,2 angesehen werden. Diese Rivalität bestand sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf politischem und militärischem Gebiet. „Besonders das Deutsche Reich, der jüngste unter den Großstaaten, erzeugte mit seiner Wirtschaftsmacht und Aufrüstung zunehmend Bedrohung, erlitt darum bei den internationalen Kompromissen besonders viele Schlappen und fühlte sich entsprechend selber zunehmend bedroht.“3
Der Ermordung des österreich-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 war bereits in den vorhergehenden Jahren eine Anzahl kriegerischer Auseinandersetzungen auf dem Balkan vorausgegangen. Parallel zu diesen Ereignissen und einigen anderen internationalen Krisen bemühten sich die damaligen Großmächte, einen weltweiten Krieg, der sich fast zwangsläuſg aus komplizierten Bündnisverpƀichtungen und Interessenlagen ergeben musste, zu vermeiden. Diese Bemühungen waren nicht zuletzt wegen Fehleinschätzungen und Ungeschicklichkeiten der deutschen Diplomatie und dem Drängen führender Militärs auf einen schnellen Kriegsbeginn nicht erfolgreich.4 So waren die Schüsse von Sarajewo und die an sich begrenzte Auseinandersetzung zwischen Österreich-Ungarn und Serbien nur Anlass, nicht aber Ursache des weltweiten Krieges. Aus dem Balkankonƀikt entstand folgerichtig der deutsch-russische Streit, aus diesem wiederum die deutsche Kriegserklärung an Frankreich, und da Deutschland zur Realisierung des Schlief1
2 3 4
Fischer, Fritz: Deutschland und der Ausbruch des Weltkrieges. In Erwartung des Blitzkrieges, in: Schieder, Wolfgang (Hrsg.): Erster Weltkrieg. Köln/Berlin 1969, S. 29–70, hier: S. 29. In der modernen Forschung wird kaum noch bestritten, dass das Deutsche Reich die „initiierende Verantwortung“ für die Entfesselung des Ersten Weltkriegs trägt. Vgl. Hildebrand, Klaus: Deutsche Außenpolitik 1871–1918. München 1989, S. 41. Valentin, Veit: Weltgeschichte, Bd. II. München/Zürich 1963, S. 1070 (im Folgenden Valentin: Weltgeschichte). Schulin, Ernst: Die Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung – Wahrnehmung – Analyse. München 1994, S. 3–27, hier: S. 4. Mommsen, Wolfgang J.: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914–1918, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10., völlig neu bearb. Auƀ., Bd. 17. Stuttgart 2002, S. 22–34 (im Folgenden Mommsen: Urkatastrophe).
2.1 Der politische Hintergrund
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fenplans die belgische Neutralität verletzt hatte, die Kriegserklärung Englands an das Deutsche Reich. Die führenden Politiker und Militärs in Deutschland rechneten vor dem Krieg mit einer schnellen Entscheidung im Westen, einem länger anhaltenden, insgesamt aber nicht zu stark belastenden Krieg im Osten und dementsprechend mit relativ geringen Opfern an Menschen und Material. Dieser Einschätzung der Situation entsprachen die insgesamt geringen bewussten Vorbereitungen für den Kriegsfall.5 Deutschland hatte jedoch in einer langen Friedenszeit „gewaltige Reserven moralischer und materieller Natur“6 angesammelt und konnte vier Jahre einer immer stärker werdenden Übermacht standhalten. Politisch-diplomatisch gesehen war der Krieg wohl bereits im August 1914 verloren, militärisch brachte die erste Marneschlacht Anfang September 1914 die Vorentscheidung und wirtschaftlich war die Entscheidung mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika im April 1917 in den Krieg gefallen. Der erfolgreiche Ausgang des Krieges im Osten mit dem Frieden von Brest-Litowsk im März 1918 konnte die für Deutschland ungünstige Entwicklung zwar vorübergehend aufhalten, aber nicht grundlegend ändern. Die im Innern als notwendig erkannten Reformvorhaben wurden während der Kriegszeit nicht realisiert.7 Damit wollte man bis zur glücklichen Beendigung des Krieges warten. Als gegen Ende des Krieges das demokratische Reformwerk begonnen wurde, musste es eher als Verzweiƀungstat vor dem endgültigen Zusammenbruch, denn als wohl überlegte Erneuerung gewertet werden. Weimarer Verfassung und Weimarer Nationalversammlung standen unter einem unglücklichen Stern, denn die Namen ihrer Schöpfer und Mitglieder wurden geschichtlich mit der Unterzeichnung des von den Siegern diktierten Friedensvertrages von Versailles (1919) belastet. Der am 28. Juni 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag stellte Deutschland als allein schuldig am Krieg hin und kennzeichnete es als Ganzes und seine bisherigen Führer als moralisch, wirtschaftlich und sogar strafrechtlich verantwortlich.8 Deutschland verlor alle Grundlagen seiner, wenn auch beschränkten Stellung als Weltmacht. Der gesamte überseeische Besitz ging verloren, dazu die entsprechenden wirtschaftlichen Verbindungen, Belange und Interessensphären. Die Flotte musste fast vollständig ausgeliefert werden, die Rüstung wurde beschränkt. Elsass-Lothringen und weitere wichtige Gebiete mit erheblicher Bevölkerungszahl und von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung mussten abgetreten werden. Dem durch den Krieg und Bevölkerungs-, Gebiets- und Materialverluste bereits sehr geschwächten Reich wurden zudem Wiedergutmachungsverpƀichtungen in zunächst unbestimmter Höhe9 auferlegt. 5
6 7 8 9
Kerkhof, Stefanie van de: Krieg als Unternehmenskrise? Wahrnehmung und Verhalten schwerindustrieller Unternehmer und Manager im Ersten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2006/2, S. 31–61, hier: S. 31 f. Auch die meisten Unternehmen waren auf einen Krieg nicht vorbereitet. Valentin: Weltgeschichte, S. 1078. Mommsen: Urkatastrophe, S. 18. Vgl. Art. 231 – Der Friedensvertrag von Versailles, Amtliche Ausgabe, Berlin 1920. Erst 1921 wurden die Reparationen auf 132 Mrd. GM festgelegt. (Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921, Art. II). Vgl. Crusen, Georg (Hrsg.): Waffenstillstandsvertrag, Friedensvertrag und
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2. Der historische Bezugsrahmen „Diese [...] Unbestimmtheit wurde die Ursache für unendliche Zänkereien, für Schiebungen und Ausƀüchte, für Schikanen und Erpressungen – die Ruhrbesetzung der Franzosen 1923 und die deutsche Flucht in die Inƀation, die Verarmung des deutschen Mittelstandes und alle ihre unliebsamen Folgeerscheinungen sind die Früchte des unseligen Versäumnisses.“10
Deutschland hatte den Krieg im Gegensatz zu England fast ganz über Kriegsanleihen und nicht – unter anderem wegen des inefſzienten und wenig reagiblen föderalistischen Steuersystems – über vermehrte Steuern ſnanziert. Gegen Ende des Krieges versagte die Finanzierung über die Auƀegung von Kriegsanleihen immer mehr.11 Nach dem Krieg belasteten die Kosten der Demobilmachung, die Umstellung auf Friedenswirtschaft, die Kosten für umfangreiche soziale Maßnahmen unterschiedlichster Art und die nach dem Versailler Vertrag zu erbringenden Reparationsleistungen den Haushalt des Reiches zusätzlich und vergrößerten die aus der Kriegszeit stammende unfundierte Schuld des Reiches. Die Reichsregierung war gezwungen, in immer stärkerem Ausmaß die Hilfe der dem Reichskanzler unterstellten Reichsbank in Anspruch zu nehmen. Die schwebende Schuld des Reiches und der nominale Geldumlauf – auch ohne Einbeziehung des Notgeldes und verschiedener Geldsurrogate – stiegen bis zur Stabilisierung der Mark im November 1923 mit wenigen Unterbrechungen steil an und erreichten 1923 astronomische Größenordnungen. Das inländische Preisniveau, die Devisenkurse der Goldwährungsländer und die Preise für importierte Güter folgten, wenn auch nicht immer im selben Rhythmus.12 Politische und wirtschaftliche Unsicherheit, Kriminalität in wachsendem Ausmaß,13 Not Rheinlandabkommen. Berlin 1923, S. 107. 10 Valentin: Weltgeschichte, S. 1089; Haller, Heinz: Die Rolle der Staatsſnanzen für den Inƀationsprozeß, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876–1975. Frankfurt am Main 1976, S. 115–155, hier: S. 141 (im Folgenden Haller: Staatsſnanzen). Auch einige alliierte Sachverständige – so Keynes – hatten davor gewarnt, die Gesamtverpƀichtung zunächst offen zu lassen. Vgl. Keynes, John M. Keynes: Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages. München 1920, S. 105 f. 11 Gegen Ende des Krieges betrug die schwebende Schuld des Reiches ungefähr 50 Mrd. M. Die gesamten Kriegskosten beliefen sich Ende 1918 auf 147,3 Mrd. M, darunter waren durch Anleihen nur 89 Mrd. M aufgebracht worden, durch unverzinsliche Schatzanweisungen dagegen 55 Mrd. M. Vgl. die Zusammenstellung bei Bente, Hermann: Die deutsche Währungspolitik von 1914–1924, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 23. Bd. (1926), I (Chronik und Archivarien), S. 117–191, hier: S. 123 f. (im Folgenden Bente: Währungspolitik). Der Steueranteil an der Finanzierung der Kriegskosten betrug nach Schätzungen nur zwischen null bis sechs Prozent. Vgl. Holtfrerich: Deutsche Inƀation, S. 101. 12 Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Zahlen zur Geldentwertung in Deutschland 1914 bis 1923. Sonderhefte zu „Wirtschaft und Statistik“, H. 5. Berlin 1925, S. 6, 16 f. (im Folgenden Zahlen zur Geldentwertung); ferner Bresciani-Turroni: Economics of Inƀation, S. 23–41; für die Zeit von August 1922 bis November 1923 Cagan, Phillip: The Monetary Dynamics of Hyperinƀation, in: Friedman, Milton (Hrsg.): Studies in the Quantity Theory of Money. Chicago 1956, S. 25–91, hier: S. 26. Während des Krieges und bis März 1919 lag der Anstieg des Dollar-Wechselkurses unter dem Anstieg des Großhandelspreisindex. Danach war es umgekehrt. S. auch Tabelle A-5.3 „Monats- und Jahresdurchschnittswerte für den US-Dollar-Wechselkurs und die Großhandelspreise 1914 bis 1923 in Deutschland“ im Anhang. 13 Ostwald, Hans: Sittengeschichte der Inƀation. Berlin 1931, S. 7; Heinemann, Klaus: Grundzüge einer Soziologie des Geldes. Stuttgart 1969, S. 141–146 (im Folgenden Heinemann: Grundzüge).
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
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und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten standen am Ende einer sich selbst überschlagenden Inƀation. Krieg und Inƀation beendeten den Aufstieg Deutschlands zu einer großen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht und reduzierten seine Stellung auf die einer mittleren Macht. Krieg, Friedensvertrag und die nicht allein auf das Ökonomische beschränkten Auswirkungen der Inƀation legten wesentliche Grundlagen für die Wirtschaftskrise 1929, die Bankenkrise 1931, die Machtergreifung Hitlers und den Zweiten Weltkrieg.14 2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund – Wichtige wirtschafts- und währungspolitische Entwicklungen, insbesondere gesetzgeberische Maßnahmen der Jahre 1914 bis 192315 Die Darstellung des volkswirtschaftlich-historischen Hintergrundes muss einen breiteren Raum einnehmen als die nur skizzenhafte Übersicht über die wichtigsten politischen und militärischen Ereignisse der Jahre 1914 bis 1923. Die Begründung hierfür liegt in dem engen Verbund, der zwischen der Entwicklung der nationalen Wirtschaft und der Entwicklung der Banken einer Volkswirtschaft besteht.16 Kaum ein Wirtschaftszweig einer entwickelten Volkswirtschaft ist so eng mit dem Ablauf der Gesamtwirtschaft verbunden wie die Kreditwirtschaft und jedes nationale Bankensystem ist ein Produkt der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Volkswirtschaft, in der es entstanden ist. Die wirtschaftlichen Dispositionen der Nichtbanken werden zum großen Teil durch das Bankensystem abgewickelt und schlagen sich in den Bilanzen nieder. Konjunkturschwankungen lassen sich aus den Bankbilanzziffern erkennen.17 Wenn sich schon Schwankungen relativ kleiner Größenordnungen 14 Guttmann/Meehan: Great Inƀation, S. 233–239. 15 Für eine umfassende Übersicht vgl. Bresciani-Turroni: Economics of Inƀation, passim; Bente: Währungspolitik, passim. Letzterer vor allem für die Darstellung der währungspolitischen Gesetzgebung. 16 Hoffmann: Wachstum, S. 12, 430–438. Die Entwicklung des Nettosozialprodukts und des Produktionsvolumens der Kreditbanken laufen nach den Schätzungen von Hoffmann etwa ab 1900 annähernd parallel. Für die Zeit von 1913 bis 1924 liegen keine Angaben vor. Vgl. für die neuere Zeit Hasenkamp, Karl Peter: Wachstum und Eigenkapitalentwicklung der Kreditinstitute bei Geldentwertung, in: Betriebswirtschaftliche Blätter, 23. Jg. (1974) H. 1, S. 14–18, hier: S. 15 (im Folgenden Hasenkamp: Wachstum). Nach Hasenkamp entwickelten sich in der Bundesrepublik Deutschland das Bruttosozialprodukt und die Bilanzsummen der Kreditinstitute auf die Dauer annähernd gleich. 17 Dietzel, Hans: Konjunkturbewegungen des letzten Jahrzehnts im deutschen privaten Bankgewerbe (1914–1924). Stuttgart 1925, S. 7 (im Folgenden Dietzel: Konjunkturbewegungen); Hahn, L. Albert: Zur Frage des volkswirtschaftlichen Erkenntnisinhalts der Bankbilanzziffern, in: Geld und Kredit. Gesammelte Aufsätze. N.F. Tübingen 1929, S. 149–183; Deutsch, Paul: Konjunktur und Unternehmung: die Konjunkturprobleme vom Standpunkt der betriebswirtschaftlichen Forschung und der Wirtschaftspraxis. Berlin 1928, S. 181; Scharpinet: Konjunktur , S.93–96; Schrom, Fritz: Die Wesensbestimmung der bankbetrieblichen Liquidität und die Liquiditätsnormen im KWG. Diss. München 1963, S. 6; Fischer, Otto Christian: Das deutsche Bankwesen. Strukturwandlungen und Neubau, in: Probleme des deutschen Wirtschaftlebens. Berlin/Leipzig 1937, S. 83–162, hier: S. 97 f.
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2. Der historische Bezugsrahmen
deutlich in der Kreditwirtschaft auswirken, so muss das erst recht für so außerordentliche Erscheinungen wie Krieg und Inƀation gelten, zumal während des Krieges und der Inƀation das gesamte Bankensystem in starkem Maße zur Kriegsſnanzierung und später zur Finanzierung der Auswirkungen des Krieges herangezogen wurde. Will man also die Entwicklung des Bankensystems oder einzelner Kreditbanken verstehen, muss man den gesamtwirtschaftlichen Rahmen beachten und bedenken, dass sich in der Entwicklung des Bankwesens die wirtschaftlichen Strukturwandlungen eines Landes widerspiegeln und durch diese Änderungen die Kreditinstitute primär getroffen werden. Besonderes Augenmerk soll ferner auf die wirtschafts- und währungspolitische Gesetzgebung gelegt werden. In überwiegend marktwirtschaftlichen, horizontaldezentral strukturierten Systemen, die durch Geld und Kredit gesteuert werden,18 kann sich der Staat solcher Institutionen bedienen, deren Aufgabe und Funktion in der geschäftsmäßigen Kreditnahme und Kredithergabe besteht und deren Leistungen daher steuernd wirken. Der Staat kann damit die Dispositionen auch der Nichtbanken indirekt über das Bankensystem beeinƀussen. Gesetze und Reglementierungen ökonomischen Inhalts haben daher sehr häuſg das Bankensystem und/oder einzelne Kreditinstitute als Adressaten. Die daraus resultierenden Maßnahmen der Banken sollen anschließend die Nichtbanken treffen beziehungsweise fördern. Die Exekutive bedient sich also bei der Realisierung ihres durch den Gesetzgeber vorgegebenen Willens häuſg der Transmissionstätigkeit des Bankensystems zur Beeinƀussung der Dispositionen auch der Nichtbanken. 2.2.1 Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges war Deutschland die wirtschaftlich führende Macht in Europa. Eine lang andauernde Aufschwungphase verbunden mit einer starken Industrialisierung und einem erheblichen Anwachsen der Bevölkerung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten es in diese Position gebracht. Bei Kriegsausbruch hatte Deutschland 65 Millionen Einwohner auf 541.000 Quadratkilometern; durch den Krieg büßte es 2,75 Mio. durch Kriegseinwirkung Gestorbene, 750.000 Verhungerte und 6,5 Mio. durch Gebietsabtretungen von ihrer Heimat Getrennte ein. Der Gesamtverlust belief sich auf 8,8 Prozent der Gesamtbevölkerung.19 Die Abtretung der industriell und landwirtschaftlich gleichermaßen bedeutenden Gebiete Elsass-Lothringens und Oberschlesiens und anderer Gebiete im Osten und Norden und die auf 15 Jahre befristete Abtrennung des Saarlandes bedeuteten einen Verlust in Höhe von 12,2 Prozent des Wirtschaftsraumes mit einem Drittel der Kohlevorkommen, vier Fünftel der Eisenerzlager und den wichtigsten Blei-, Zink- und Kupferlagerstätten. Die Industrieproduktion Deutschlands wurde durch den Krieg sowohl absolut als auch im Vergleich zu den übrigen Industrieländern stark zurückgeworfen. 18 Heinemann: Grundzüge, S. 30; vgl. zur Charakterisierung der Wirtschaftsordnung vor dem Ersten Weltkrieg Stucken, Rudolf: Deutsche Geld- und Kreditpolitik 1914–1963, 3. Auƀ. Tübingen 1964, S. 12 (im Folgenden Stucken: Kreditpolitik). 19 Treue, Wilhelm: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Bd. II, 3. Auƀ. Stuttgart 1973, S. 39 f.
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
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Zwar gelang es, in der Zeit von 1919 bis 1924 einen Teil des Produktionsrückganges wieder aufzuholen, aber zum Zeitpunkt der Stabilisierung war der Vorkriegsstand noch nicht wieder erreicht. Durch den Kriegsausbruch erfuhren die Produktionsbedingungen in der Industrie zunächst eine erhebliche Verschlechterung, denn während Maßnahmen für die Finanzierung eines möglichen Krieges zumindest in Ansätzen vorhanden waren, gab es keinerlei Pläne für die Umrüstung der Industrieproduktion von der Friedenswirtschaft auf die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft. Die Einberufung qualiſzierter Arbeitskräfte und das Stocken der Rohstoffeinfuhr führten zu Betriebsstilllegungen und Kurzarbeit.20 Während des Krieges wurden die industriellen Anlagen aller Art soweit möglich auf die Kriegsmaterialproduktion umgestellt, über ihre normale Leistungsfähigkeit hinaus genutzt und nicht im notwendigen Umfang erneuert. Die Vernachlässigung der Erneuerung und Instandhaltung des Produktionsapparates, das Fehlen der qualiſziertesten Arbeitskräfte, die kaum ausreichende Ernährung der arbeitenden Bevölkerung und die Substitution guter Rohstoffe durch weniger brauchbare Ersatzstoffe führten zu einer erheblich verringerten Produktivität und reduzierten die Industrieproduktion des Jahres 1918 auf 55 bis 60 Prozent des Volumens von 1913.21 Besonders stark ging dabei die Erzeugung der Güter des privaten Bedarfs zurück, da die Rüstungsproduktion absoluten Vorrang hatte.22 Die zunehmende Isolierung von den Auslandsmärkten wegen der steigenden Zahl der gegen Deutschland in den Krieg eintretenden Mächte und die wirksame Blockade erschwerten die Güterversorgung Deutschlands und führten zu immer schärferen Formen der Bewirtschaftung (Hindenburgprogramm 1916/17) mit starker Annäherung an „Formen einer Zentralverwaltungswirtschaft“.23 Der Rückgang der Produktion wäre sicherlich noch stärker ausgefallen, wenn nicht die hohen Kriegsgewinne der Unternehmen und die kontinuierliche Steigerung der vor allem nominalen Löhne – beides Folgen der Geldschöpfung und der dadurch ermöglichten großzügigen Zahlungsweise des Staates als größtem Auftraggeber – Anreize geboten hätten, die verfügbaren Kräfte aufs äußerste auszunutzen.24 Die Beendigung des Krieges bedeutete für die industriellen Unternehmungen eine Wiederholung der bei Kriegsausbruch auftretenden Probleme mit umgekehrten Vorzeichen. Die Eingliederung der entlassenen Soldaten und Kriegsgefangenen und der ehemals in den Kriegsindustrien Beschäftigten bereitete erhebliche Schwierigkeiten und erforderte die Hilfe des Staates. In kürzester Frist mussten die Betriebe 20 Bechtel, Heinrich: Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. München 1967, S. 412. 21 Wagenführ, Rolf: Die Industriewirtschaft (Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, Sonderheft 31). Berlin 1933, S. 22 (im Folgenden: Wagenführ: Industriewirtschaft); Mendershausen, Horst: Two Postwar Recoveries of German Economy. Amsterdam 1955, S. 33 (im Folgenden Mendershausen: Recoveries). Mendershausen kommt zu dem nicht ganz vergleichbaren Ergebnis für 1919: „Using the index of industrial production for 1919 as a guide, one may put the real national income of that time at about 42 % of 1913.“ 22 Holtfrerich: Deutsche Inƀation, S. 196 f. 23 Lütge, Friedrich: Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Auƀ. Berlin/Heidelberg/New York 1966, S. 536. 24 Mommsen, Wolfgang J.: Deutschland, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn et al. 2003, S. 15–30, hier: S. 23.
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2. Der historische Bezugsrahmen
von Kriegs- auf Friedensproduktion umgestellt werden. Der technische Apparat musste erneuert und nach Möglichkeit auf einen höheren technologischen Stand gebracht werden, damit die Produktion auf dem Weltmarkt qualitativ und von der Preisgestaltung her konkurrenzfähig sein konnte. Der während des Krieges stark angestaute Bedarf der Bevölkerung an Konsumgütern musste befriedigt und die Lager wieder aufgefüllt werden. Von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche Erholung Deutschlands wäre jedoch die Wiedergewinnung des Anschlusses an den Welthandel gewesen. Deutsche Waren mussten ausgeführt werden, um mit deren Erlös lebenswichtige Einfuhren bezahlen zu können. Die Mark war im Ausland als Zahlungsmittel weniger begehrt denn als Objekt der Spekulation. Von 1920 bis 1922 nahm die industrielle Produktion einen relativ günstigen Verlauf, wenn auch erst 71 Prozent des Vorkriegsstandes erreicht werden konnten.25 Mit der Übersteigerung der Inƀation, die im Herbst 1922 einsetzte, wurde die durch die ständige Geldmengenvermehrung angeheizte Konjunktur von einer krisenhaften Entwicklung mit Produktionsrückgängen abgelöst. Die Besetzung des Ruhrgebiets hatte zur Folge, dass das Produktionsvolumen in 1923 im Vergleich zu 1922 um rund ein Drittel zurückging. Die sich überstürzende Inƀation hatte die Basis rationaler Investitionsrechnungen zerstört. Viele Produktionsanlagen, die in der Inƀation aufgebaut wurden, stellten sich später als Fehlinvestition heraus. Der natürliche Ausleseprozess26 in der Wirtschaft war unterbunden worden und die Erneuerung der Produktionsanlagen weitgehend unterblieben. Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion während des Krieges lief mit der Entwicklung der Industrie parallel. Fehlende Arbeitskräfte, mangelhaftes Saatgut, unzureichende Düngung, der Ausfall der Futtermitteleinfuhr und verschiedene andere Faktoren führten zu einem kontinuierlichen Rückgang der Erträge. Diese Situation änderte sich auch während der Nachkriegsjahre bis zur Stabilisierung nicht. Zudem sorgten in dieser Zeit die relativ hohen Preise für landwirtschaftliche Produkte dafür, dass der Zwang zu intensiver Arbeit wegſel.27 Bis zum Ausbruch des Krieges hatte Deutschland Auslandsguthaben in Höhe von etwa 25 Mrd. M angesammelt, denen Auslandsverpƀichtungen von nur zehn Milliarden Mark gegenüberstanden. Die deutsche Leistungsbilanz war insgesamt – vor allem, wenn man die so genannten unsichtbaren Posten der Leistungsbilanz (Einkünfte aus Kapitalvermögen und Einkünfte aus Schifffahrt und Transport) einbezieht – leicht positiv. Krieg und Inƀation änderten diese Situation von Grund auf. Von August 1914 bis Ende 1918 war das Passivum auf rund 15 Mrd. GM angestiegen.28 Das Deſzit wurde durch Goldverkäufe, Veräußerung von im Inland beſndlichen ausländischen Wertpapieren und durch Kreditaufnahme im Ausland in Mark oder Auslandswährung ausgeglichen. Der Versailler Vertrag und die Handelspolitik der Sieger führten zusammen mit der Inƀation und der Abwertung der Mark zu einer 25 26 27 28
Wagenführ: Die Industriewirtschaft, S. 25. Bresciani-Turroni, Economics of Inƀation, S. 219 f. Grüger: Wirkungen des Krieges, S. 29. Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Deutschlands Wirtschaftslage unter den Nachwirkungen des Weltkrieges. Berlin 1923, S. 22 (später zitiert: Deutschlands Wirtschaftslage).
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
41
beständigen Verschlechterung der realen Außenhandelsposition und der Leistungsbilanz. Die Abtretung beziehungsweise Abtrennung industriell und landwirtschaftlich wertvoller Gebiete sorgte für Einfuhrbedarf auch bei solchen Gütern, die zuvor hatten ausgeführt werden können. Deutschlands Einfuhr belief sich in den Jahren 1919 bis 1922 im Jahresdurchschnitt dennoch nur auf ungefähr 6,4 Mrd. GM und damit auf rund 60 Prozent der Vorkriegszeit.29 Der an sich vorhandene gewaltige Importbedarf der Nachkriegszeit konnte wegen des sich durch die Inƀation noch verstärkenden Devisenmangels nicht gedeckt werden und führte zu Stockungen beim Wiederaufbau. Die Ausfuhr, die während des Krieges fast lahm gelegt war, konnte andererseits wegen des Mangels an Rohstoffen im Inland und der daraus resultierenden geringen Produktion für den Export sowie wegen der protektionistischen Maßnahmen des Auslandes gegen das angebliche Valuta-Dumping30 nicht im notwendigen Maß gesteigert werden. Die Ausfuhr betrug dem Wert nach 1919 nicht einmal zehn Prozent, 1920 25 Prozent und 1922 rund 20 Prozent der Ausfuhr von 1913. Aus alledem ergab sich ein kumuliertes Leistungsbilanzdeſzit von elf Milliarden Goldmark. Nimmt man die Zahlungen aufgrund des Versailler Vertrages hinzu, dann errechnet sich für den Zeitraum 1919 bis 1922 ein Passivum von etwa 14 Mrd. GM,31 das ebenfalls durch eine Verminderung des Kapitalvermögens beziehungsweise eine Erhöhung der Auslandsschuld gedeckt werden musste. Grüger32 schätzt das Gesamtpassivum der Jahre 1914 bis 1923 auf 30 Mrd. GM und die zusätzlich aufgebrachten Reparationsleistungen bis Ende 1922 auf mehr als 40 Mrd. GM. In den Jahren 1919 bis 1923 wurde die Währungsfrage zum zentralen Problem nicht nur für die deutsche Wirtschaft, sondern für die gesamte Bevölkerung. Die Grundursachen des weiteren Währungsverfalls waren politischer und allgemein wirtschaftlicher Natur. Der verlorene Krieg, die Last der Reparationen, die Revolution mit Streiks und der Lockerung von Ordnung und Sitte, die sinkende Produktivität in der Wirtschaft, die Kosten der Demobilmachung, die Umstellung der Produktion auf die Verhältnisse der Friedenszeit und die Verhältnisse im Außenhandel sind die wesentlichen entwicklungsbestimmenden Faktoren.33 Mit der ständigen Erhöhung bestehender Steuern, der Einführung einer großen Anzahl weiterer Steuerarten und einer umfassenden Finanzreform (unter Erzberger 1920) versuchte die Reichsregierung, den Haushalt auszugleichen.34 Die außerordentliche Höhe der aufgrund der Reparationsbestimmungen zu leistenden Zahlungen – hieraus ergab sich ein Aufbringungs- und Übertragungsproblem – die nicht zuletzt durch die Geldentwertung ständig notwendige Aufstockung der Staatsausgaben im Inland und die wegen der Entwertung zwischen Veranlagung und Zahlung der Steuern relativ zurückbleibenden Einnahmen machten den Ausgleich des Reichshaushalts oder gar
29 30 31 32 33 34
Ebd., S. 22 f. Dalberg, Rudolf: Valuta-Dumping. Berlin 1921. Deutschlands Wirtschaftslage, S. 23. Grüger: Wirkungen des Krieges., S. 28. Bente: Währungspolitik, S. 132. Vgl. zu den Einzelheiten Elster: Mark, S. 100–211.
42
2. Der historische Bezugsrahmen
die Tilgung der Reichsschulden zu einem, unter den gegebenen politischen Verhältnissen, faktisch unlösbaren Problem.35 „Diese Schulden aus ordentlichen – sei es einmaligen oder laufenden – Steuereinnahmen über ihre Verzinsung hinaus sogar zu tilgen, hätte – wenn das Anziehen der Steuerschraube nicht alle Grenzen der Steuermoral und der Verwaltungstechnik gesprengt hätte – eine Deƀation und Depression unvorstellbaren Ausmaßes erzeugen müssen, die keine Regierung, aber auch nicht die eben erst entstandene Staatsform der Republik hätte überleben können.“36
Anleihen waren in der Bevölkerung wegen der gesunkenen Sparfähigkeit – vor allem Sparwilligkeit – und dem allgemeinen Vertrauensverlust in den Staat nicht mehr im notwendigen Ausmaß unterzubringen. Das Reich musste mit immer höheren Beträgen über die Diskontierung von Schatzwechseln und Schatzanweisungen die Hilfe der Reichsbank in Anspruch nehmen. Ein immer geringerer Teil dieser Emissionen konnte im Laufe der Jahre außerhalb der Reichsbank, insbesondere im Bankensystem, untergebracht werden. Entsprechend stieg der Papiergeldumlauf – die notwendige Voraussetzung, nicht die Ursache der Inƀation – fast ununterbrochen stark an. Die schwebende Schuld des Reiches an diskontierten Schatzanweisungen erhöhte sich von Januar 1919 bis zum 15. November 1923 von 58,6 Mrd. M auf 191,6 Trillionen M.37 In der gleichen Zeit stieg der Geldumlauf von 34,5 Mrd. M auf 400,3 Trillionen M an.38 Die Entwertung der Mark zeigt sich bei der Umrechnung dieser Zahlen über den Dollarkurs in Goldmark. Der Geldumlauf ging danach real in dieser Zeit von 17,7 Mrd. GM – der höchste Stand der Kriegs- und Nachkriegszeit – auf 0,4 Mrd. GM zurück. Schließlich gelang es der Reichsregierung wegen der sich immer mehr beschleunigenden Preissteigerungen, nur noch circa zehn Prozent der Reichsausgaben durch ordentliche Einnahmen zu decken. Verschlechterung der Valuta und Preissteigerungen im Inland befanden sich in wechselseitigem Abhängigkeitsverhältnis. Die Phasen der Stabilisierung beziehungsweise Erholung des Wechselkurses der Mark gegenüber dem US-Dollar – so zum Beispiel von März 1920 bis August 1920 oder von Mitte Januar 1921 bis Mitte Juni 1921 – weckten zwar immer wieder Hoffnungen auf nachhaltige Besserung, blieben aber unter dem Einƀuss der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen letztlich nur
35 Nach den Berechnungen von Haller: Staatsſnanzen, S. 137–141, wäre für einen ausgeglichenen Haushalt (ohne Neuverschuldung) eine Steuerquote von 35 Prozent erforderlich gewesen. Eine so hohe Steuerquote sei angesichts der instabilen politischen Verhältnisse nicht durchsetzbar gewesen. Vgl. auch Ambrosius, Gerold: Von Kriegswirtschaft zur Kriegswirtschaft, in: North, Michael (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick. München 2005, S. 287–355, hier: S. 310 f. (im Folgenden Ambrosius: Kriegswirtschaft). 36 Holtfrerich: Deutsche Inƀation, S. 127. 37 Deutschlands Wirtschaft, Währung und Finanzen. Im Auftrage der Reichsregierung den von der Reparationskommission eingesetzten Sachverständigenausschüssen übergeben. Berlin 1924, S. 62 (im Folgenden Deutschlands Wirtschaft). 38 Zahlen zur Geldentwertung, S. 46 f. – Notgeld und wertbeständige Zahlungsmittel sind hierin nicht enthalten. Schacht schätzt den Umlauf an Notgeld auf 400 bis 500 Trillionen Mark. Vgl. Schacht, Hjalmar: Die Stabilisierung der Mark. Stuttgart/Berlin/Leipzig, 1927. S. 76 (im Folgenden Schacht: Stabilisierung).
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
43
Episoden in einer abwärts gerichteten Entwicklung. Den letzten Anstoß zum völligen Zusammenbruch der Währung brachte die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien und der dagegen inszenierte passive Widerstand der Bevölkerung, der wiederum durch die Reichsbank ſnanziert wurde. Vom Mai 1923 an überstürzte sich die Inƀation und mit ihr stiegen Preise, Löhne, Devisenkurse und die Staatsschulden weiter rasant an. Die Mark entwertete sich in atemberaubendem Tempo, sodass anstelle der Papiermark der Dollar, die Goldmark, andere wertbeständige Zahlungsmittel oder Sachwerte die Rolle des Wertmessers einnahmen.39 Am 20. November 1923 war die Mark gerade noch den billionsten Teil einer Goldmark wert. Die Schaffung der Rentenmark brachte die Rettung aus der Währungs- und Finanzkatastrophe, die Deutschland an den Rand des Chaos geführt hatte. In Anlehnung an einen Plan Helfferichs wurde am 15. Oktober 1923 die „Deutsche Rentenbank“ gegründet. Vom 15. November 1923 an brachte die Rentenbank über die Reichsbank neue, auf Rentenmark lautende Noten in den Verkehr. Die Rentenbankscheine waren zwar keine gesetzlichen Zahlungsmittel, sondern nur Geldzeichen, die ihren Wert dadurch erhielten, dass sie jederzeit gegen auf Goldwert lautende Rentenbriefe umgetauscht werden konnten. Die Rentenbriefe waren ihrerseits durch Hypotheken auf den landwirtschaftlichen und gewerblichen Grundbesitz gedeckt. Entscheidend für das Gelingen der Stabilisierung war aber nicht so sehr die Deckung des neuen Geldes durch die Hypothekenforderungen – ein Faktor von erheblicher psychologischer Bedeutung – sondern die Begrenzung des Notenumlaufs auf 3,2 Mrd. Rentenmark, die Beendigung des Schatzanweisungsdiskonts des Reiches bei der Reichsbank und in einer späteren Phase (April 1924) die konsequent durchgeführte Kreditkontingentierung.40 Durch das Bankgesetz vom 30. August 1924 wurde schließlich eine neue, auf Reichsmark lautende Währung eingeführt, die die Papiermark und die Rentenmark ablöste. 2.2.2 Die wirtschafts- und währungspolitische Gesetzgebung „Für ein einziges Gebiet der Wirtschaft hatte Deutschland etwas wie einen Plan, nach dem man im Kriegsfall vom ersten Tag an vorgehen konnte: für das Geld- und Kreditwesen und die Staatsſnanzen.“41 Nachdem am Nachmittag des 31. Juli 1914 für das Gebiet des Deutschen Reiches der Zustand der drohenden Kriegsgefahr erklärt worden war, stellte die Reichsbank unmittelbar danach von sich aus die Einlösung der Reichsbanknoten in Gold ein. In der Woche vom 23. Juli bis zum 31. Juli 1914 hatte die Reichsbank mehr als 100 Mio. M in Gold abgeben müssen. Vier Tage später am 4. August 1914 sanktionierte die Reichsregierung die Verweigerung der Goldeinlösung durch die Reichsbank und stellte durch eine Anzahl 39 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 3. 40 Schacht: Stabilisierung, S. 117–122. 41 Stolper, Gustav/Häuser, Karl/Borchardt, Knut: Deutsche Wirtschaft seit 1870, 2. Auƀ. Tübingen 1966, S. 64. Vgl. auch Plenge, Johann: Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt. Berlin 1913, S. 285–288 (im Folgenden Plenge: Diskontpolitik).
44
2. Der historische Bezugsrahmen
gesetzlicher Bestimmungen das Währungsrecht auf die Erfordernisse des Krieges um („ſnanzielle Mobilmachung“). Das Gesetz betreffend die Reichskassenscheine und die Banknoten42 und das Gesetz betreffend die Änderung des Münzgesetzes43 waren auf die Erhaltung des Goldbestandes der Reichsbank gerichtet (Aufhebung der Goldeinlösungspƀicht). Das Deutsche Reich war damit materiell aus dem Kreis der Goldwährungsländer ausgeschieden.44 Der Stabilität des Goldpreises und der Wechselkurse, die bisher nur innerhalb der Goldpunkte schwankten, war die Grundlage entzogen. Das Gesetz betreffend die Änderung des Bankgesetzes45 hob die Bestimmungen über die Verpƀichtung zur Entrichtung der Notensteuer durch die Reichsbank auf. Wechsel des Reiches, die innerhalb von drei Monaten fällig waren, durften von der Reichsbank diskontiert und neben den Handelswechseln als sekundäre Notendeckung verwendet werden. Eine weitere primäre Deckung für die Noten der Reichsbank – und auch der Privatnotenbanken – wurde durch das Darlehnskassengesetz46 zugelassen. Die Darlehnskassen hatten die Aufgabe, insbesondere zur Befriedigung der Kreditbedürfnisse der privaten Wirtschaft, Darlehn gegen Sicherheit – Waren, verschiedene Wertpapiere und Schuldbuchforderungen – zu vergeben. Die Darlehn wurden in Form der Darlehnskassenscheine, die nichts anderes als ein zusätzliches in den Verkehr gebrachtes Zahlungsmittel – mit Kassenkurs, aber ohne Zwangskurs – darstellten, gewährt. Damit war auch die Annahme im privaten Geldverkehr gesichert. Dieses Zahlungsmittel musste von allen öffentlichen Kassen zum Nennbetrag in Zahlung genommen werden. Gelangten die Darlehnskassenscheine in die Kasse der Reichsbank, dann durften sie dem Barvorrat zugerechnet und damit in die primäre Deckung der von der Reichsbank ausgegebenen Noten einbezogen werden. „Durch diese bescheidene Hintertür schlüpfte schon im August 1914 die Inƀation in das deutsche Währungsgebäude hinein, denn nun war die Basis für die Notenausgabe unbegrenzt erweiterungsfähig.“47
Der Gesamtbetrag der Darlehnskassenscheine wurde zunächst auf 1.500 Mio. M festgelegt und später nach Bedarf laufend erhöht. Das Gesetz betreffend die Änderung des Bankgesetzes und das Darlehnskassengesetz ermöglichten im Zusammenwirken eine weit über die Bedürfnisse der Friedenszeit hinausgehende Banknotenausgabe. Wechseln und Schuldverschreibungen des Reiches wurde Deckungsfähigkeit (Sekundärdeckung) verliehen, aber nur bis zur Höhe von zwei Dritteln des ausgegebenen Notenbetrages, da ein Drittel durch den Barvorrat abzudecken war. Die Einbeziehung der Darlehnskassenscheine in den Barvorrat erweiterte den Rahmen der Banknotenausgabe in entscheidender Weise. 42 RGBl. 1914, S. 347. 43 RGBl. 1914, S. 326. 44 Formell blieb die deutsche Markwährung bis zum Erlass der Reichsgesetze vom 30. August 1924 gültig. 45 RGBl. 1914, S. 327. 46 RGBl. 1914, S. 340–345. 47 Bente: Währungspolitik, S. 118.
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
45
Durch die beiden letztgenannten Gesetze erfolgte eine Abkehr von dem im Frieden gültigen und praktizierten Grundsatz, „demzufolge eine Geldschöpfung nur im Zusammenhang mit der Warenerzeugung erfolgen konnte.“48 Die Währungsgesetze vom 4. August 1914 sicherten den Erhalt des Goldbestandes der Reichsbank – eine zwar auf das Volk beruhigend wirkende, währungspolitisch aber vergleichsweise unbedeutende Maßnahme – und eine Banknotenemission in de facto unbegrenzter Höhe – eine Maßnahme, die zunächst nur von wenigen in ihrer eminenten währungspolitischen Tragweite erkannt wurde. Die unbegrenzte Banknotenemission schuf die monetäre Voraussetzung für die Verschlechterung und endgültige Zerstörung der Währung. Die Notenpresse war die einfach zu handhabende Hilfsquelle für die Kreditbedürfnisse des Staates und auch der privaten Wirtschaft geworden. „Im Sinne der monetären Ursachen für Preisinƀation war die Währung des Krieges eine reine Inƀationswährung, da der Finanzbedarf einer kriegführenden Nation keine Grenzen kennt.“49
Die aus der Diskontierung von Reichsschatzanweisungen stammende kurzfristige unfundierte Kreditaufnahme des Reiches wollte man später durch Kriegsanleihen konsolidieren. Vor 1916 gab es keinerlei Absichten, die Kriegsausgaben, wenn auch nur zum Teil, im Wege der Besteuerung zu decken. Die Last der Kriegskosten sollten den besiegten Gegnern auferlegt werden.50 Die Kriegskosten des Reiches beliefen sich auf über 164 Mrd. M und unter Berücksichtigung der während des Krieges beginnenden Geldentwertung auf reichlich 100 Mrd. GM. Etwa 60 Prozent der Kriegskosten konnten durch die halbjährlich aufgelegten insgesamt neun Kriegsanleihen gedeckt werden, der Rest wurde durch Steuererhöhungen,51 vor allem aber durch Verschuldung bei der Reichsbank und bei den privaten Kreditbanken aufgebracht. Ende Dezember 1918 erreichte die schwebende Schuld des Reiches den Betrag von 55 Mrd. M, die fundierte Kriegsanleiheschuld betrug 89 Mrd. M. Nachstehend wird eine buchungsmäßige Übersicht über das ideelle System der Kriegsſnanzierung Deutschlands gegeben (ohne Berücksichtigung von Zinszahlungen und Steuern): Reichsregierung diskontiert unverzinsliche Schatzanweisungen (Schatzwechsel) bei der Reichsbank 1a. Notenbankguthaben an Wechselverbindlichkeiten 1b. Schatzwechsel an Giroverbindlichkeiten/Notenumlauf Reichsregierung verfügt bar oder giral über den Reichsbankkredit zur Zahlung an die Kriegslieferanten unter anderem 2a. Kriegsgüter an Notenbankguthaben/Notenumlauf 2d. Notenbankguthaben/Bargeld an Kriegsgüter
48 Elster: Mark, S. 58. – Auf die diesen Grundsatz stützende „Banking-Theorie“ kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 49 Kerstingjohänner, Helmut: Die deutsche Inƀation 1919–1923. Politik und Ökonomie. Frankfurt am Main 2004, S. 30 (im Folgenden Kerstingjohänner: Inƀation). 50 Schacht: Stabilisierung, S. 6. 51 Vgl. zu den Einzelheiten Elster: Mark, S. 86–100.
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2. Der historische Bezugsrahmen
Die Gewinne oder Ersparnisse der Nichtbanken sammeln sich bei den Kreditinstituten 3c. Bargeldzugang an Einlagen 3d. Bankguthaben an Bargeldabgang Die Reichsbank bringt die Schatzwechsel bei Kreditinstituten und Nichtbanken im Wege des Rediskont unter 4b. Notenzugang an Verminderung Schatzwechsel 4c. Schatzwechsel an Verminderung Bargeld/Notenbankguthaben 4d. Schatzwechsel an Verminderung Bargeld/Notenbankguthaben Die Reichsregierung legt Kriegsanleihen auf, die bei Kreditinstituten und Nichtbanken untergebracht werden gegen bar, Bankguthaben oder Schatzwechsel 5a. Bankguthaben/Bargeld/Schatzwechsel an Kriegsanleihen 5c. Kriegsanleihen an Bankguthaben/Bargeld/Schatzwechsel 5d. Kriegsanleihen an Bankguthaben/Bargeld/Schatzwechsel Die Reichsregierung deckt den kurzfristigen Kredit bei der Reichsbank durch Einlösung der Schatzwechsel aus dem Erlös der Kriegsanleihen ab 6a. Einlösung Schatzwechsel an Notenbankguthaben 6b. Notenzugang (Abbau des Notenumlaufs) an Verminderung Schatzwechsel 6c. Noten-/Bargeldzugang an Verminderung Schatzwechsel 6d. Notenbankguthaben/Bargeldzugang an Verminderung Schatzwechsel In Kontoform ergibt sich folgendes Bild: Tabelle 1: Kontenmäßige Darstellung des Schemas der Kriegsſnanzierung Deutschlands im Ersten Weltkrieg
a) Reichshaushalt Einnahmen/Vermögen
Ausgaben/Schulden
1a. Notenbankguthaben
1a. Schatzwechsel
2a. Kriegsgüter
2a. Verminderung Notenbankguthaben
5a. Schatzwechseleinlösung
5a. Kriegsanleihen
6a. Schatzwechseleinlösung
6a. Verminderung Notenbankguthaben
Ergebnis: Kriegsgüter (vernichtet)
Kriegsanleihen
b) Reichsbank Aktiva
Passiva
1b. Schatzwechsel
1b. Giroverbindlichkeiten/Notenumlauf
4b. Notenzugang (Umlaufverminderung)
4b. Einlösung der Schatzwechsel
6b. Notenzugang (Umlaufverminderung)
6b. Einlösung der Schatzwechsel
Ergebnis: Kein Bestand
Kein Bestand
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
47
c) Kreditinstitute Aktiva
Passiva
3c. Bargeldzugang
3c. Einlagenzugang
4c. Schatzwechsel
4c. Bargeldabgang/Einlagenabgang
5c. Kriegsanleihen
5c. Verminderung Schatzwechsel u.a.
6c. Bargeldzugang/Notenbankguthaben
6c. Verminderung Schatzwechsel
Ergebnis: Kriegsanleihen
Bargeldabzug/Einlagenabzug
d) Nichtbanken (ohne Staat) Einnahmen/Vermögen
Ausgaben/Schulden
2d. Notenbankguthaben u.a.
2d. Kriegsgüter
3d. Bankguthaben/
3d. Bargeldabzug
4d Schatzwechsel
4d. Verminderung Bankguthaben
5d. Kriegsanleihen
5d. Schatzwechselhergabe u.a.
6d. Notenzugang
6d. Verminderung Schatzwechsel
Ergebnis: Kriegsanleihen
Bargeldabzug/Minderung Bankguthaben
Bei dieser ideellen Art der Kriegsſnanzierung52 verbleibt keine schwebende Schuld, sondern nur die fundierte Schuld aufgrund der Kriegsanleihen. Die Kriegsanleihen ſnden sich in Händen der Kreditinstitute und der Nichtbanken. Die vorübergehende Geldmengenerhöhung wegen der Vorſnanzierung der Kriegsausgaben über Schatzwechsel wird durch die Auƀegung der Kriegsanleihen rückgängig gemacht. Bei rein quantitätstheoretischer Betrachtung kann eine solche Methode der Kriegsſnanzierung ceteris paribus nur vorübergehend inƀationäre Entwicklungen verursachen. Tatsächlich aber musste die Reichsbank einen immer größeren Teil der Schatzwechsel im eigenen Bestand behalten.53 Aus den vorstehenden Ausführungen lassen sich die gesetzlichen Grundlagen, Wesen, Umfang und Auswirkungen der Kriegsſnanzierung Deutschlands im Ersten Weltkrieg klar erkennen: „Es war ein System regelmäßiger Anleihebegebungen, ermöglicht durch eine ausgiebige Vorſnanzierung des Kriegsbedarfs mittels rediskontfähiger, in anteilsmäßig stark schwankendem Umfang von der Reichsbank aufgenommener Schatzwechsel, oder anders formuliert, ein System der Schatzwechselinƀation, gemildert, vorübergehend sogar beinahe kompensiert durch regelmäßige und umfassende Konsolidationsaktionen.“54 52 Die theoretische Grundkonzeption der Kriegsſnanzierung wurde von Plenge entworfen. Vgl. Plenge: Diskontpolitik, S. 283–288. 53 Eine Übersicht über die Entwicklung der schwebenden Schuld des Reiches – der Schuld aus diskontierten Schatzanweisungen (Schatzwechsel) – und über die Unterbringung von Schatzwechseln außerhalb der Reichsbank ſndet sich in: Deutschlands Wirtschaft, S. 62. 54 Krämer, Carl: Die Kriegsſnanzierung und die Banken, in: Sparkasse, 57. Jg. (1937), H. 14, S. 225–231. hier: S. 226; ferner: Plenge: Diskontpolitik, S. 285–288.
48
2. Der historische Bezugsrahmen
Mit der Inanspruchnahme der Notenbank wuchs auch die Geldmenge. Anfang 1914 betrug der Gesamtbetrag des im deutschen Zahlungsverkehr beſndlichen Handgeldes (Reichsbanknoten, Reichskassenscheine, Privatbanknoten und Münzen) etwa sechs Milliarden Mark. Ende Dezember 1918 hatte sich der Betrag auf über 33 Mrd. M erhöht, darunter über zehn Milliarden Mark Darlehnskassenscheine.55 Diese Geldmengenvermehrung – wobei die Giralgeldvermehrung nicht einmal berücksichtigt ist – verbunden mit einer Verringerung des Güterangebots führte trotz scharfer Preisregulierungen zu Preissteigerungen.56 Der Wert der Mark war am Ende des Krieges gegenüber dem Dollar auf 55 Prozent des Wertes zu Kriegsbeginn gefallen. Der Großhandelsindex stand im November 1918 auf 2,34 (1913 = 1).57 Im Schleichhandel war die Preissteigerung erheblich stärker. Die in den ersten Kriegsjahren vielleicht noch einigermaßen begründete Hoffnung, den Krieg zu gewinnen und die Kriegskosten den unterlegenen Gegnern aufzubürden zu können, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Die Verzinsung und Tilgung der Kriegsschulden, die Kosten der Demobilisierung, des Wiederaufbaus und der Hinterbliebenenversorgung, vor allem aber die Aufbringung der geforderten hohen Reparationsleistungen58 machten bei unzureichenden Steuereinnahmen den Ausgleich des Reichshaushalts zur schieren Unmöglichkeit.59 Auch die wiederholte Erhöhung bestehender Steuern und die Einführung zahlreicher neuer Steuern sowie eine umfassende Finanzreform zur Stärkung der Reichsſnanzen konnten angesichts der unzureichenden Leistungsfähigkeit und Leistungsmöglichkeiten60 der deutschen Volkswirtschaft keine Lösung bringen. So blieb im Grunde nur der Rückgriff des Reiches auf die Reichsbank über den Diskont von Schatzwechseln und Schatzanweisungen übrig mit der Folge rapide steigenden Geldumlaufs und letztlich der völligen Zerstörung des Geldwerts und der Währungsordnung.61
55 Zahlen zur Geldentwertung, S. 45 ff. 56 “The monetary imbalance (i.e., the growth in currency supply per unit of real national income over the war years) may be put roughly at 14 to 1 shortly after war I“. Vgl. Mendershausen: Recoveries, S. 33. Als Basis gilt 1913 = 1. 57 Zahlen zur Geldentwertung, S. 16. 58 Der Londoner Zahlungsplan – Teil des Londoner Schuldenultimatums der Alliierten vom 5. Mai 1921 – legte schließlich die Gesamtschuld Deutschlands auf 132 Mrd. GM fest. Jährlich sollten geleistet werden: 1. Ein fester Betrag von zwei Milliarden Goldmark. 2. Eine Zahlung in Höhe von insgesamt 26 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr. Vgl. Erklärung der Alliierten Regierungen vom 5. Mai 1921, in: Verhandlungen des Reichstages, Bd. 367, Aktenstück Nr. 1979 v. 6. Mai 1921, S. 1712–1717, hier: S. 1713–1716. 59 Holtfrerich: Deutsche Inƀation, S. 127. 60 Unter anderem Erschwerung der deutschen Ausfuhr durch gezielte Maßnahmen der Siegermächte, Abtretung der deutschen Handelsƀotte, Abtretung wirtschaftlich wichtiger Gebiete. 61 Die Deckungsvorschriften für die Banknoten wurden im Mai 1921 auch formal, befristet bis zum 31. Dezember 1923, aufgehoben (Gesetz, betreffend Änderung des Bankgesetzes vom 14. März 1875, vom 9. Mai 1921, RGBl. 1921 I, S. 508). Die Befristung wurde durch „Verordnung zur Abänderung des Bankgesetzes vom 14. März 1875“ vom 26. Oktober 1923, RGBl. 1923 II, S. 403 f. bis zum 31. Dezember 1925 ausgedehnt.
2.2 Der gesamtwirtschaftliche Hintergrund
49
Der von den Alliierten als Antwort auf ein Moratoriumsgesuch der deutschen Reichsregierung geforderte62 und von der deutschen Regierung vorgelegte „Reformund Garantieplan betreffend des deutschen Budgets und des deutschen Papiergeldumlaufs“ beinhaltete auch die gesetzliche Verankerung der Unabhängigkeit der Reichsbank. Mit dem „Gesetz über die Autonomie der Reichsbank“ vom 26. Mai 192263 wurde diese Forderung der Alliierten grundsätzlich erfüllt. Die Reichsbank stand nun nicht mehr unter der Leitung des Reiches beziehungsweise des Reichskanzlers, sondern ausschließlich unter der Leitung des Reichsbankdirektoriums (§ 26). Doch anders als unter den Bedingungen der Goldwährung beziehungsweise dem Bankgesetz von 1875 ergab sich aus dem Autonomiegesetz von 1922 weder eine direkte noch eine indirekte Beschränkung der Kreditgewährung an staatliche Stellen, noch eine des Notenumlaufs.64 Insofern brachte dieses Gesetz zwar die formal-rechtliche Unabhängigkeit der Reichsbank von der Reichsregierung, bedeutete aber nicht zwangsläuſg das Ende der fortlaufenden Geldvermehrung und des sich beschleunigenden Geldwertverfalls. Die Reichsbank sah es – wie schon während der Kriegsjahre – trotz aller Bedenken und Mahnungen an die Reichsregierung als ihre patriotische Pƀicht an, die Zahlungsfähigkeit des Staates und der Volkswirtschaft zu gewährleisten und die dafür erforderlichen Kredite beziehungsweise Zahlungsmittel bereit zu stellen. Im Verlauf des Krieges gestaltete sich die Beschaffung von Devisen für die Einfuhr lebens- und kriegswichtiger Güter immer schwieriger. Zugleich nahmen Spekulation und Devisenarbitrage zu Lasten der Mark zu. Reichregierung und Reichsbank entschlossen sich daher zu einer Zentralisierung des Devisenhandels bei der Reichsbank und ausgewählten Banken („Devisenbanken“), darunter auch die Berliner Großbanken,65 und schrittweise zu einer stärkeren Reglementierung und Kontrolle von Devisentransaktionen und -beständen.66 Nach dem verlorenen Krieg verschlechterte sich die außenwirtschaftliche Lage des Reiches immer mehr. Mit einer ganzen Reihe von Gesetzen und Verordnungen versuchte die Reichsregierung der primär aus innenpolitischen Gründen zunehmenden Kapitalflucht entgegenzuwirken,67 die Devisennachfrage zu beschränken und das Devisenaufkommen – zum Beispiel durch den Ankauf von Ausfuhrtratten, den Zugriff auf auslän62 Beschluß der Reparationskommission. Die Konferenz von Cannes v. 13. Januar 1922. Abgedruckt in Michaelis, Herbert/Schraepler, Ernst (Hrsg.): Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Die Weimarer Republik, Vertragserfüllung und innere Bedrohung 1919/1922. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte, Bd. 4, Dokument 972c. Berlin 1962, S. 380 f. 63 RGBl. II 1922, S. 135 f. 64 Die zunächst von den Alliierten geforderte konkrete Begrenzung der Kreditgewährung an das Reich und des Notenumlaufs wurde im Laufe der Verhandlungen mit der Reichsregierung fallen gelassen. Vgl. hierzu Reinhardt, Simone: Die Reichsbank in der Weimarer Republik. Frankfurt am Main 2000, S. 85–90, 97 f. 65 Bekanntmachung über den Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln v. 20. Januar 1916, RGBl. 1916, S. 49 f. 66 Vgl. unter anderem Bekanntmachung über den Zahlungsverkehr mit dem Ausland v. 8. Februar 1917, RGBl. 1917, S. 105–108. 67 Vgl. zum Beispiel das Gesetz gegen die Kapitalƀucht v. 8. September 1919, RGBl. 1919, S. 1540–1542 mit etlichen Erweiterungen in den Folgejahren.
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2. Der historische Bezugsrahmen
dische Wertpapiere in inländischem Besitz oder die Ablieferung von Ausfuhrerlösen – zu steigern. Der Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln, der durch die Aufhebung der Devisenordnung vom 8. Februar 191768 weitgehend liberalisiert worden war, wurde nun wieder bei der Reichsbank und einem größeren Kreis ausgewählter Banken konzentriert und überwacht.69 Diese und viele weitere rechtliche Regelungen70 und Maßnahmen, die ihren Höhepunkt in der Bestellung eines mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten Devisenkommissars fanden,71 waren angesichts faktisch offener Grenzen nur bedingt erfolgreich. „Vor allem vermochten die seinerzeitigen Regelungen, die in Anordnungen für den Devisenverkehr als solchen und in Vorschriften gegen die Kapitalƀucht aufgesplittert waren und von verschiedenen Stellen wahrgenommen wurden, gegenüber der unaufhaltsam fortschreitenden Inƀation keinen aufschiebenden Einƀuß auszuüben.“72
Die eigenen Transaktionen der Banken waren von den zahlreichen Vorschriften zur Kapitalverkehrs- und Devisenkontrolle in der Regel zwar nicht direkt betroffen. Auf den Banken lag aber die Hauptlast zur administrativen Umsetzung der vielen, sich häuſg ändernden und zum Teil auch widersprüchlichen Regelungen gegenüber ihrer Kundschaft. Die zur Drosselung des stark steigenden Banknotenumlaufs und zur Durchsetzung des verschärften Steueranspruchs des Staates eingeführten Maßnahmen – wie zum Beispiel die Aufhebung des Bankgeheimnisses73 und die Einführung des Depotzwanges74 – belasteten zusammen mit einer Vielzahl von Kontroll- und Informationspƀichten das Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kunden und motivierten die Kunden zu verstärkter Bargeldhaltung und zur Kapitalƀucht (Bargeld, Wertpapiere) in das Ausland. 2.3 Der bankbetriebliche Hintergrund 2.3.1 Die Struktur des deutschen Bankwesens vor dem Ersten Weltkrieg Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs hatten sich in Deutschland in überwiegend organischer Weise drei große Gruppen von Kreditinstituten herausgebildet:75 68 Bekanntmachung wegen Aufhebung der Verordnung über den Zahlungsverkehr mit dem Ausland v. 23. Juli 1919, RGBl. 1919, S. 1539. 69 Vgl. Gesetz über den Verkehr mit ausländischen Zahlungsmitteln v. 3. Februar 1922, RGBl. 1922 I, S. 195–197. 70 Vgl. die Übersicht über die Devisengesetzgebung der Jahre 1922 und 1923 in: Deutschlands Wirtschaft, S. 70. 71 Verordnung des Reichspräsidenten über Devisenerfassung v. 7. September 1923, RGBl. 1923 I, S. 865. 72 Kühne, Rudolf: Die Devisenzwangswirtschaft im Deutschen Reich während der Jahre 1916 bis 1926 – eine währungsgeschichtliche Reminiszenz –. Frankfurt am Main 1970, S. 2 [unveröffentlichtes Manuskript] (im Folgenden Kühne: Devisenzwangswirtschaft). 73 § 189 der Reichsabgabenordnung v. 13. Dezember 1919, RGBl. 1919, S. 1993–2100. 74 Verordnung über Maßnahmen gegen die Kapitalƀucht v. 24. Oktober 1919, RGBl. 1919, S. 1820–1823. 75 Vgl. die Übersichten bei Lüke, Rolf E.: Von der Stabilisierung zur Krise. Zürich 1958, S. 192 f., 196–199 (im Folgenden Lüke: Stabilisierung). Auf die Hypothekenbanken als Spezialinstitute wird hier nicht gesondert eingegangen.
2.3 Der bankbetriebliche Hintergrund
51
(1) Private Kreditbanken76 (mit den Berliner Großbanken an führender Stelle), (2) genossenschaftliche Banken, (3) öffentlich-rechtliche Kreditanstalten (vor allem Sparkassen). Diese drei Gruppen unterschieden sich hinsichtlich der durchschnittlichen Größe, des Kundenkreises und der Geschäftstätigkeit ihrer Mitglieder deutlich voneinander, sodass man für diese Zeit von einer „klaren Arbeitsteilung“77 im deutschen Bankensystem sprechen kann. Im Unterschied zu den englischen Banken waren die deutschen Kreditbanken „Kinder der Industrialisierung und nicht des Handels“,78 obwohl sie sich – allerdings weniger stark – auch an der Finanzierung des Handels beteiligten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der gemischten deutschen Bank oder auch Universalbank79 mit den Berliner Großbanken an der Spitze lag in der Gewährung von direkten, zumeist kurzfristigen, teils gesicherten, teils ungesicherten Krediten an Industrie- und Handelsunternehmen und in der Mitwirkung bei Unternehmensgründungen oder Kapitalerhöhungen. Gründungen oder Kapitalerhöhungen wurden von einzelnen Banken oder bei Emissionen größeren Umfangs auch von einem Bankenkonsortium durchgeführt, zumeist in der Weise, dass die zu emittierenden Papiere zu festen Konditionen von den Banken übernommen wurden, um sie nach und nach im Publikum zu platzieren. Aus dieser Tätigkeit im Bereich des „irregulären“80 Bankgeschäfts ergaben sich besonders hohe Risiken vor allem hinsichtlich der Liquidität in ihrer begrifflichen Ausprägung als dauernde Zahlungsbereitschaft. Unerwartete Schwächen des Kapitalmarktes verhinderten bisweilen eine schnelle Unterbringung der Emissionen und damit eine Konsolidierung der gegebenen Investitionskredite. Insgesamt gesehen war der deutsche Kapitalmarkt der Beanspruchung durch Unternehmensſnanzierungen mit Schwankungen gewachsen, denn „Deutschland verfügte in der Vorkriegszeit über einen organisch gewachsenen Kapitalmarkt von großer Funktionsfähigkeit, dessen Volumen die intensive Spartätigkeit zweier Generationen verkörperte.“81
Da vor allem die Berliner Großbanken – anders als manche der Provinzbanken – nicht über ausreichend langfristige Kreditoren (Depositen) verfügten, war für sie eine entsprechend hohe Eigenkapitalausstattung und auch Liquiditätshaltung erforderlich. Anders hätten sie die hohen Risiken aus dem „irregulären“ Bankgeschäft nicht tragen können. Durch die Art der Geschäftstätigkeit der Banken ergab sich zwangsläuſg ein enger Verbund zwischen den Industrieunternehmen und den Banken.82 Die ver76 77 78 79
Hinzu kommen zahlreiche – teilweise – bedeutende Privatbankiers. Holtfrerich: Auswirkungen, S. 189. Lüke: Stabilisierung, S. 190. Pohl, Manfred: Entstehung und Entwicklung des Universalbanksystems. Konzentration und Krise als wichtige Faktoren. Frankfurt am Main 1986. 80 Weber, Adolf: Depositenbanken und Spekulationsbanken, 4., völlig neubearbeitete Auƀ. München/Leipzig 1938, S. 3, 219–278. 81 Grüger: Wirkungen des Krieges, S. 25. 82 Riesser, Jacob: Die deutschen Großbanken und ihre Konzentration im Zusammenhang mit der Entwicklung der Gesamtwirtschaft in Deutschland, 4., verb. u. verm. Auƀ. Jena 1912, S. 182 f.
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2. Der historische Bezugsrahmen
besserte Technologie, die immer größeren und teureren Anlagen vergrößerten den Kapitalbedarf der Industrie und verschafften den Banken, die durch Konzentration und Expansion ihre Kapitalbasis vergrößerten, als Kapitalgeber und durch die Vertretung im Aufsichtsrat erheblichen Einƀuss in den Industriegesellschaften. Hinzu kam das wichtige Depotstimmrecht.83 Die Konzentration im Bankwesen – zur Aufbringung immer größerer Kapitalien – und die Konzentration in der Industrie – zur Nutzung der Technologie, aber auch zur Bildung von Monopolen – bedingten sich in dieser Zeit wechselseitig und führten zur Bildung eigenkapitalstarker Großbetriebe.84 Die Berliner Großbanken des Jahres 1913 waren, wie man anhand der Firmengeschichten85 im Einzelnen erkennen kann, herausragende Initiatoren beziehungsweise Ergebnis dieser Entwicklung.86 Die vor allem als Selbsthilfereinrichtungen entstandenen, in der Regel kleinen und nur lokal tätigen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften hatten ihren Kundenkreis vor allem im kleinen und mittleren Gewerbe und in der Landwirtschaft. Der Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit bestand in der Sammlung von Spargeldern und in der Gewährung von Personalkrediten überschaubarer Größenordnung an ihre Mitglieder. Unter den öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten hatten die Sparkassen – zumeist getragen von Gebietskörperschaften als Gewährträgern – zahlenmäßig die bei weitem größte Bedeutung. Ihr Hauptzweck bestand darin, dem breiten Publikum die sichere (mündelsichere) Anlage seiner wachsenden Ersparnisse zu ermöglichen. Diese – zumeist langfristigen – Ersparnisse legten die Sparkassen in der Vorkriegszeit entsprechend gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben zum allergrößten Teil in Hypotheken, Kommunaldarlehn und mündelsicheren Wertpapieren am Kapitalmarkt an.87 (im Folgenden Riesser: Großbanken). 83 „The mainstay of their power, however, was the trust vote ('HSRWVWLPPUHFKW).” Vgl. Hardach, Gerd: Banking in Germany, 1918–1939, in: Feinstein, Charles H. (Hrsg.): Banking, Currency, and Finance in Europe Between the Wars. Oxford 1995, S. 269–295, hier: S. 271. 84 Jeidels, Otto: Das Verhältnis der deutschen Großbanken zur Industrie unter besonderer Berücksichtigung der Eisenindustrie. Leipzig 1905, S. 2; Strauß, Willy: Die Konzentration im deutschen Bankgewerbe. Berlin/Leipzig 1928, S. 61 f. (im Folgenden Strauß: Konzentration); Wandel, Eckhard: Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert. München 1998, S. 18–21. 85 Seidenzahl, Fritz: 100 Jahre Deutsche Bank 1870–1970. Frankfurt am Main 1970; Gall et al.: Deutsche Bank; Muthesius, Volkmar, et al.: 100 Jahre Commerzbank. Düsseldorf 1970; Krause: Commerz- und Disconto-Bank; Commerzbank AG (Hrsg.): Die Bank – Dienstleister im Wandel. 125 Jahre Commerzbank. Frankfurt am Main 1995; Hunscha, Kurt/Müller, Gerhard: Aus der Geschichte der Dresdner Bank 1872–1969. Frankfurt am Main 1969; Meyen, Hans G.: 120 Jahre Dresdner Bank. Unternehmens-Chronik 1872 bis 1992. Frankfurt am Main 1992 (im Folgenden Meyen: Dresdner Bank). 86 Riesser: Großbanken, S. 385–392 (Deutsche Bank), S. 398–402 (Dresdner Bank). Riesser rechnete die Commerzbank damals noch nicht zu den Großbanken; Pohl, Manfred: Bankensystem und Bankenkonzentration von den 1850er Jahren bis 1918. Länderkapitel Deutschland, in: Pohl, Hans (Hrsg.): Europäische Bankengeschichte. Frankfurt am Main 1995, S. 263–278, hier: S. 267 f. 87 „Die deutschen Banken 1924 bis 1926.“ Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reichs, Nr. 3, Berlin 1927, S. 56; ferner Materialien zur Vorbereitung der Banken-Enquete 1933.
2.3 Der bankbetriebliche Hintergrund
53
Hinsichtlich der Zahl der Kreditinstitute dominierten die oftmals sehr kleinen Genossenschaftsbanken (18.557) und die Sparkassen (3.133) gegenüber den im Schnitt viel größeren privaten Kreditbanken (352). Mit Blick auf die Eigenkapitalstärke ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die Kapitalkraft der privaten Kreditbanken war mit 4.441 Mio. M erheblich größer als die der Genossenschaftsbanken (615 Mio. M) und die der öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten (1.196 Mio. M). Allein die neun Berliner Großbanken verfügten Ende 1913 zusammen über 1.635 Mio. M ausgewiesene eigene Mittel. Erhebliche Unterschiede zeigen sich bei den Eigenkapitalquoten (in Prozent der Bilanzsumme):88 Private Kreditbanken darunter Berliner Großbanken Genossenschaftliche Banken Öffentlich-rechtliche Banken darunter Sparkassen
21,8 19,5 11,8 4,9 4,6
Diese deutlichen Unterschiede erklären sich aus dem unterschiedlichen Geschäftskreis mit unterschiedlichen Risiken, vor allem aber auch aus der unterschiedlichen rechtlichen Situation (unter anderem Gewährträgerhaftung bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten). Bei den Sparkassen sammelte sich ein Großteil der Einlagen an. Insgesamt verfügten die Sparkassen Ende 1913 über 19,8 Mrd. M an fremden Mitteln (ganz überwiegend Spareinlagen); das entspricht einem Anteil von rund 46 Prozent an den gesamten fremden Mitteln der erfassten Kreditinstitute. Die privaten Kreditbanken – und hier vor allem die Berliner Großbanken – erhielten die überwiegend kurzfristigen Einlagen von Handel und Industrie. Mit 15,5 Mrd. M kamen sie auf einen Anteil von rund 36 Prozent an den gesamten fremden Mitteln. Die Großbanken allein hatten mit 6,6 Mrd. M einen Anteil von rund 15 Prozent. Die Genossenschaftsbanken, bei denen die kurzfristigen Einlagen überwogen, verfügten mit Einlagen von 4,4 Mrd. M über einen Anteil von rund zehn Prozent. Wie erwähnt legten die Sparkassen die ihnen ziemlich kontinuierlich zuƀießenden Spargelder fast ausschließlich langfristig an, während die privaten Kreditbanken aufgrund ihres Kundenkreises und ihrer Einlagenstruktur die kurzfristige Anlage in Wechseln und Debitoren bevorzugten. So machten Ende 1913 bei den privaten Kreditbanken die Wechselbestände 18,2 Prozent und die Debitoren 37,9 Prozent der Bilanzsumme aus. Für die Berliner Großbanken allein lauten die Werte 22,4 Prozent und ebenfalls 37,9 Prozent.89 Die hohen Anteile des Eigenkapitals und der kurzfristigen Kreditoren auf der Passivseite sowie der Wechsel und Debitoren auf der Aktivseite sind typisch für die Bilanzen der privaten Kreditbanken und insbesondere der Großbanken in dieser Zeit. Mit ihrer hohen Eigenkapitalausstattung und den formal kurzZusammengestellt und überreicht vom Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes (e.V.), S. 214. 88 Berechnet nach den Zahlen bei Lüke: Stabilisierung, S. 192 f. 89 Berechnet nach ebd., S. 196 f.
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2. Der historische Bezugsrahmen
fristigen, durch Substitution und Prolongation materiell aber oft langfristigen Einlagen ſnanzierten die privaten Kreditbanken Handel und Industrie. Die Finanzierung des Handels vollzog sich weitgehend über den „sich selbst liquidierenden“ Wechsel in seinen verschiedenen Ausprägungen. Investitionskredite wurden dagegen von den privaten Kreditbanken grundsätzlich nur vorſnanziert und sollten möglichst bald durch die Platzierung von Obligationen und/oder Aktien abgelöst werden. Aus der besonderen Geschäftsstruktur der privaten Kreditbanken folgte das enge Verhältnis zur Reichsbank als Bank der Banken (Finanzierung über Wechselkreditdiskont und lender of last resort), das Problem einer ausreichenden Liquiditätshaltung90 und die erhebliche Abhängigkeit von Konjunkturschwankungen und der jeweiligen Situation am Kapitalmarkt. Bis zum Beginn der Expansions- und Konzentrationsprozesse der deutschen Großbanken etwa in den Jahren 1880 bis 1890 konnte man im nationalen und internationalen Gründungs- und Emissionsgeschäft, im irregulären wie regulären Bankgeschäft Schwerpunkte der bankgeschäftlichen Tätigkeit einzelner Großbanken nach Ländern, Gebieten, Branchen und Unternehmen feststellen und diese Besonderheiten in der Geschäftsstruktur tendenziell auch aus den Geschäftsberichten im weiteren Sinne (Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnung, erläuternder Text) erkennen. Expansion und Konzentration verwischten die früher vorhandenen strukturellen Unterschiede der geschäftlichen Interessen „und zwischen 1880 und 1908 konvergierten die Geschäftsbanken zu dem einheitlichen Modell der Universalbank“.91 Diese Aussage gilt insbesondere für die drei zu untersuchenden Großbanken, weniger dagegen für die Berliner Handelsgesellschaft, die keine Filialen und Depositenkassen gründete und damit eine organisatorische Sonderstellung unter den Berliner Großbanken einnahm. Ein Vergleich der Strukturbilanzen der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Commerzbank für das Jahr 1913 zeigt sowohl auf der Passivseite als auch auf der Aktivseite weitgehende Übereinstimmung, aber nach wie vor auch einige Besonderheiten. Die Deutsche Bank verfügte über den höchsten Anteil an Kreditoren, darunter auch ein wachsender Anteil an Depositen mit Spareinlagencharakter. Mehr als andere Großbanken achtete sie auf einen besonders hohen Liquiditätsgrad in ihrer Bilanz. Dresdner Bank und Commerzbank pƀegten besonders das Kontokorrentgeschäft mit gewerblichen Kunden aus Handel und Industrie. Die Commerzbank hatte von ihrer Entstehungsgeschichte her traditionell eine besonders starke Stellung in der Außenhandelsſnanzierung. Im überdurchschnittlichen Umfang gab sie auch Börsenkredite.
90 Das Liquiditätsproblem war Gegenstand der Bankenenquete des Jahres 1908. Vgl. auch Lindenlaub, Dieter: Auf der Suche nach einem Instrumentarium zur Kontrolle der Geldschöpfung. Notenbank und Banken in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Bankhistorisches Archiv, 26. Jg. (2000), S. 117–151, hier: S. 123 f., 133, 145, 148 (im Folgenden Lindenlaub: Instrumentarium). 91 Hardach, Gerd: Zwischen Markt und Macht: Die deutschen Banken 1908–1934, in: Feldenkirchen, Wilfried/Schönert-Röhlk, Frauke/Schulz, Günther (Hrsg.): Wirtschaft, Gesellschaft, Unternehmen. Festschrift für Hans Pohl. Stuttgart 1995, S. 914–938, hier: S. 921.
55
2.3 Der bankbetriebliche Hintergrund Tabelle 2: Anteil ausgewählter Bilanzpositionen an der Bilanzsumme 1913 (in Prozent) Deutsche Bank
Dresdner Bank
Commerzbank
Eigenkapital
13,9
17,0
19,5
Kreditoren darunter kurzfristige (bis 7 Tage)
70,3 41,9
62,3 33,1
62,2 31,5
Akzepte und Schecks
13,4
18,7
16,4
Wechsel und Schatzanweisungen
28,5
24,4
14,9
Reports und Lombards
10,4
7,7
17,0
Debitoren in laufender Rechnung
28,4
40,6
39,0
Quelle: Geschäftsberichte des Jahres 1913; eigene Berechnungen.
Diese Übersicht über die Bilanzstruktur bestätigt grundsätzlich den Universalbankcharakter92 der Großbanken bei immer noch bestehenden gewissen Schwerpunkten ihrer Geschäftstätigkeit. Sie lässt aber auch deutliche Übereinstimmung mit den Strukturmerkmalen erkennen, die sich bei der Untersuchung der Gesamtheit aller privaten Kreditbanken ergeben. Krieg und Inƀation hatten erhebliche Auswirkungen auf die bis dahin klaren Strukturen und die gewachsene Arbeitsteilung im deutschen Bankensystem.93 Die Zentralisierung der Kriegswirtschaft in Berlin begünstigte die Berliner Großbanken und die Übernahme zahlreicher Provinzbanken und Privatbankiers durch die Großbanken. Die schon länger bestehenden Konzentrationstendenzen wurden verstärkt. In der eigentlichen Inƀationszeit litten vor allem die Kreditinstitute mit dem Schwerpunkt im langfristigen Geschäft (öffentliche und private Hypothekenbanken, Sparkassen, aber auch die Kreditgenossenschaften), während die Großbanken ihre Marktanteile im primär kurzfristigen Einlagengeschäft steigern konnten. Aus der weitgehenden Konzentration des Devisengeschäfts und dem in der Inƀationszeit prosperierenden Wertpapier- und Konsortialgeschäft zogen die Großbanken besondere Vorteile. Sparkassen und andere öffentliche Banken proſtierten von – auch 92 „Das deutsche Bankwesen konnte seine großen volkswirtschaftlichen Aufgaben nur mit Hilfe einer besonderen Organisationsform erfüllen. Die enge Verbindung mit der Industrie forderte die unmittelbare Ergänzung des kurzfristigen Kreditgeschäfts durch das Konsortial- und Effektengeschäft. Dieser Banktyp, der als Universalbank der deutschen Kreditwirtschaft wesenseigen ist, betreibt demnach sämtliche Bankgeschäfte, mit Ausnahme des Noten- und Hypothekengeschäfts. Im Kontokorrentverkehr geben die Banken direkte kurzfristige Kredite, sie gewähren ferner durch Bürgschaftsübernahme und Akzepthergabe indirekte Kredite und erledigen schließlich auch die Kassen- und Börsengeschäfte ihrer Kunden. Daneben pƀegen sie – das kennzeichnet die Eigenart dieser Banken – Gründungs-, Emissions- und Beteiligungsgeschäfte durch die Übernahme von Aktien und Obligationen und durch die Unterbringung dieser Wertpapiere an der Börse oder im freien Verkehr.“ Reinhart, Fritz: Die Privatbanken, in: Die deutsche Bankwirtschaft, II. Bd., Die Banken in der Volkswirtschaft. Berlin 1935–1938, S. 85–100, hier: S. 96. 93 Eine Unterscheidung zwischen säkularen und speziell durch Krieg und Inƀation herbeigeführten Strukturveränderungen ist im Einzelfall schwierig. Vgl. Holtfrerich: Auswirkungen, S. 187– 189, 208.
56
2. Der historische Bezugsrahmen
durch die Geldentwertung quasi notwendig gewordenen – gesetzlichen Änderungen zu ihren Gunsten (unter anderem Hereinnahme kurzfristiger Einlagen, Kontokorrentkredite, Aufnahme Wertpapier- und Depotgeschäft).94 Im Ergebnis entwickelten sich Aktienkreditbanken (darunter die Großbanken), Sparkassen und Kreditgenossenschaften immer mehr zu Universalbanken.95 2.3.2 Die Lage der drei Großbanken vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Die Gründung der großen Institute des privaten Bankgewerbes vor dem Ersten Weltkrieg vollzog sich in zwei Aufschwungphasen der Industrie in den frühen Fünfziger- und Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts. In der zweiten Gründungsphase, die unter sehr günstigen äußeren Bedingungen stand (Gründung des Deutschen Reiches, Einheit der Wirtschaft, der Währung und des Rechts und Aufhebung der Konzessionspƀicht für Banken in der Rechtsform der Aktiengesellschaft), wurde 1870 in Berlin die Deutsche Bank, in Hamburg die Commerzbank und 1872 in Dresden die Dresdner Bank gegründet.96 Die noch jungen Institute, die der Initiative von Privatbankiers und Großkauƀeuten ihre Existenz verdankten, überstanden die Gründerkrisen der nachfolgenden Jahre und erlebten bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Einklang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dieser Zeit eine durch Krisenerscheinungen nur kurzfristig unterbrochene, stete Aufwärtsbewegung. Expansion und Konzentration waren herausragende Entwicklungstendenzen in der zweiten Hälfte des Zeitraums von der Gründung bis zum Kriegsausbruch.97 Expansion und Konzentration reichten jedoch nicht aus, um die Kreditgewährung an Handel und Industrie nur aus eigenen Mitteln vornehmen zu können. Die ursprüngliche Abneigung der Aktienbanken gegen die bewusste Hereinnahme fremder Mittel98 verwandelte sich bald in eine Suche nach Depositen.
94 Bente, Hermann: Das Eindringen des Staates und der Kommunen in das Bankwesen, in: Untersuchung des Bankwesens 1933, I. Teil, 1. Bd. Berlin 1933, S. 361–405, hier: S. 377–381; Neumann, Erich: Die deutschen Sparkassen, in: ebd., S. 333–359, hier: S. 337–339. 95 Borchardt, Knut: „Das hat historische Gründe.“ – Zu Determinanten der Struktur des deutschen Kreditwesens unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Sparkassen, in: Henning, Hansjoachim/Lindenlaub, Dieter/Wandel, Eckhard (Hrsg.): Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschungen und Probleme. Festschrift für Karl Erich Born. St. Katharinen (1987), S. 270–287, hier: 271–275. 96 Burhop, Carsten: Die Kreditbanken in der Gründerzeit. Stuttgart 2004, S. 92–96, 104 ff. 97 Als Beginn der eigentlichen Expansion (ohne Filial- und Depositenkassengründung und ohne die Übernahme liquidierender Institute) kann man bei der Deutschen Bank die Angliederung („Interessengemeinschaft“) der Bergisch Märkischen Bank und des Schlesischen Bankvereins (1897), bei der Dresdner Bank die Fusion mit der Niedersächsischen Bank (1899) und bei der Commerzbank die Fusion mit der Berliner Bank ansehen (1904/5). 98 So hieß es 1856 im Geschäftsbericht des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins: „Wir erachten es im Interesse vollkommener Sicherheit unseres Instituts nicht für zweckmäßig, durch erleichternde Bedingungen auf eine Steigerung der Depositen hinzuwirken, da wir es vorziehen, den Betrieb der Geschäfte, soweit als dies bei der Natur des Bankverkehrs möglich und mit dem Interesse der Korrespondenten vereinbar, nur mit eigenen Mittel zu bewirken.“ Zitiert nach
2.3 Der bankbetriebliche Hintergrund
57
Vor allem die Deutsche Bank, die auch auf anderen Gebieten der Banktätigkeit neue Wege beschritt und von vornherein eine von den übrigen Großbanken abweichende Geschäftstätigkeit anstrebte (Vorrang des laufenden – regulären – Bankgeschäfts und der Außenhandelsſnanzierung, nur geringes Emissions- und Gründungsgeschäft, Steigerung der Depositen, bewusste regionale und branchenmäßige Streuung der Aktivkredite), ging bei der Gründung von Filialen und Depositenkassen (Dezentralisation der Betriebe) voran.99 Sie verschaffte sich auf diese Weise eine so starke Fremdkapitalbasis, dass sie in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts verstärkt das risikoreiche industrielle Emissions- und Gründungsgeschäft aufnehmen konnte, ohne in Krisensituationen ihre Existenz zu gefährden. Die Vielseitigkeit der bankbetrieblichen Betätigung unter Bevorzugung des regulären Bankgeschäfts führte die Deutsche Bank mit einer Bilanzsumme von 2.246 Mio. M (Ende 1913) an die Spitze der Berliner Großbanken. „Es gibt […] kein Institut auf der Welt, das gleichzeitig über so viele eigene und fremde Mittel verfügen kann und darüber hinaus noch so weit verzweigte Geschäfte auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens und in fast allen Ländern der Welt pƀegt.“100
Dresdner Bank und Commerzbank gehören zu den Instituten, die erst in den späteren Jahren den Weg aus der lokalen Gebundenheit Dresdens und Hamburgs heraus nach Berlin fanden.101 Die Dresdner Bank102 kam den Wünschen ihrer sächsischen Kundschaft entgegen, die an Verbindungen zur Berliner Industrie und zur Börse interessiert war, als sie 1881 eine Filiale in Berlin begründete. Diese Filialgründung brachte der Bank einen solchen Aufschwung, dass sie im Jahr 1886 mit ihrem Kundengeschäft bereits an dritter Stelle unter allen deutschen Banken stand. Schon im ersten Jahr ihrer Geschäftstätigkeit in Berlin war der Umsatz der dortigen Filiale größer als der der Zentrale in Dresden. Ebenso wie die Deutsche Bank – wenn auch vorsichtiger – baute sie nach und nach ihre Auslandsaktivitäten aus (unter anderem eine Filiale in London).103 Im Kontokorrent-, Emissions- und Konsortialgeschäft sowie im Effektenkommissionsgeschäft hatte sie eine besonders starke Stellung erreicht. Ende 1913 verfügte sie bereits über 50 Filialen und lag damit vor der Deutschen Bank (15) und der Commerzbank (8). Hinzu kamen – wie bei den beiden anderen Großbanken auch – zahlreiche Depositenkassen. Mit den Kreditgenossenschaften war sie durch eigene Genossenschaftsabteilungen eng verbunden (Kredit-
99 100 101 102 103
Huth, Walter: Die Entwicklung der deutschen und französischen Großbanken im Zusammenhang mit der Entwicklung der Nationalwirtschaft. Berlin 1918, S. 15. Vgl Dahlem: Professionalisierung, S. 50 ff.; Reitmayer, Morten: Führungsstile und Unternehmensstrategien deutscher Großbanken vor 1914, in: ZUG, 46. Jg. (2001), S. 160–181, hier: S. 177. FZ v. 3. März 1914; Deutsche Bank-Prospekt v. Mai 1914, zitiert nach Feldman: Deutsche Bank, S. 137. Die Commerzbank hatte sich an der Gründung der Nationalbank für Deutschland beteiligt (1881) und war so zunächst nur mittelbar in Berlin vertreten. Eine Filiale errichtete sie dort erst 1920. Model, Paul/Loeb, Ernst: Die großen Berliner Effektenbanken. Jena 1896, S. 129, charakterisieren die Dresdner Bank als Bank, der eine „eigentliche Originalität und Spezialität“ fehle. Meyen: Dresdner Bank, S. 39–44.
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2. Der historische Bezugsrahmen
gewährung, Zahlungsverkehr und anderem mehr). Im Jahr 1913 lag die Dresdner Bank nach ihrer Bilanzsumme (1.538 Mio. M) sowie nach Kreditoren und Debitoren hinter der Deutschen Bank an zweiter Stelle unter den Berliner Großbanken. Krisenerscheinungen im Handel Hamburgs mit Mittel- und Südamerika hatten die Commerzbank veranlasst, die einseitige Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit auf Hamburg und den Überseehandel aufzugeben und ihre Aktivität auf den immer mehr in den Vordergrund tretenden Berliner Platz auszudehnen. Dieses geschah vornehmlich durch die Fusion mit der Berliner Bank (1904/05), die in Berlin über 17 Depositenkassen verfügte und von ihrer Geschäftstätigkeit her eine gute Ergänzung der bisherigen Niederlassung der Commerzbank in Berlin bot. Während Deutsche Bank und Dresdner Bank in allen Teilen Deutschlands vertreten waren, hatte die Commerzbank ihren Schwerpunkt in Nord- und Mitteldeutschland. Im Ausland war sie nur mit einer Minderheitsbeteiligung an der London and Hanseatic Bank (London) vertreten. Schwerpunkte ihrer Geschäftstätigkeit waren die Außenhandelsſnanzierung, das Kontokorrentgeschäft und Börsenkredite. 1913 nahm die Commerzbank mit einer Bilanzsumme von 508 Mio. M die siebente Stelle unter den Berliner Großbanken ein.
3. DER BANKBETRIEB IM KRIEG – DIE GESCHÄFTLICHE ENTWICKLUNG DER DREI GROSSBANKEN WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGS 3.1 Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit 3.1.1 Die Ausganglage Bei Kriegsausbruch befanden sich die Berliner Großbanken durchweg in einem gesunden und leistungsfähigen Zustand.1 Die eigenen Erfahrungen der Großbanken in einigen kurz vorher erlebten Krisen,2 die öffentlichen Diskussionen in der Presse und bei den Treffen der Standesorganisationen des Kreditgewerbes3 um die ſnanzielle Kriegsbereitschaft, die beständigen Mahnungen vonseiten der Reichsbankleitung und die sich immer mehr zuspitzende internationale Lage hatten die Großbanken veranlasst, ihre Barreserven und den Bestand an sonstigen, schnell und ohne große Kosten zu liquidierenden Aktiva zu erhöhen und sich unter anderem durch die Repatriierung möglicherweise gefährdeter Auslandsanlagen4 gegenüber dem Ausland eine begrenzte Nettogläubigerposition zu verschaffen. Den Bemühungen der Banken, ihre Barreserven zu vergrößern und auf die Hereinnahme von Auslandsgeldern zu verzichten, kam die konjunkturelle Lage entgegen. Deutschland befand sich bei Kriegsausbruch in der Schlussphase einer milden Depression. Die Kreditnachfrage war nur mäßig, der Geldmarkt leicht, Export-Überschüsse sorgten für eine zunehmende Liquidität des gesamten Bankensystems. Allenfalls bereitete die Konsolidierung der Investitionskredite wegen der relativ schlechten Situation des Kapitalmarktes und der Schwierigkeit, Emissionen vorzunehmen, den Großbanken einige Sorgen. 3.1.2 Der Run auf die Einlagen Nach Überreichung der österreichischen Note an Serbien begann ein Verkauf von Effekten an allen Börsen der Welt. Der Ausbruch des Krieges zwischen Österreich 1 2
3 4
Deumer, Robert: Der private Kriegskredit und seine Organisation. München/Leipzig 1916, S. 33 (im Folgenden Deumer: Kriegskredit). 1901 – Zusammenbruch von Banken in Dresden und Leipzig wegen des Ausfalls großer Debitoren; 1907 – Gold- und Devisenabƀüsse wegen des Abzugs englischer und französischer Gelder; 1911 – Marokko-Krise, Abzug französischer Gelder. Vgl. Stucken, Rudolf: Liquidität der Banken. Berlin 1940, S. 46–59 (im Folgenden Stucken: Liquidität). Zum Beispiel der Münchner Bankiertag von 1911. Barth, Boris: Die deutsche Hochſnanz und die Imperialismen. Banken und Außenpolitik vor 1914. Stuttgart, S. 450. Zur Haltung der deutschen Hochſnanz – auch der Großbanken – schreibt Barth: „Der Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde von ihr keineswegs begeistert begrüßt. Im Gegenteil – besonders die britische Kriegserklärung empfand sie durchweg als Katastrophe.“ (ebd., S. 462).
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3. Der Bankbetrieb im Krieg
und Serbien steigerte den Verkaufsandrang und beunruhigte die Geldmärkte der einzelnen Länder. Das breite Publikum ahnte die dann später tatsächlich eintretenden weiteren Entwicklungen, die zum allgemeinen Krieg führen sollten, und stürzte von Angst getrieben zu den Kreditinstituten, um die Rückzahlung der Guthaben, seien sie fällig oder nicht, zu verlangen. Die Angstabhebungen des breiten Sparkassen- und Bankenpublikums setzten am 24. Juli, dem Tag des österreichischen Ultimatums an Serbien ein, erreichten eine erste Spitze am 27. Juli mit dem Ausbruch des österreichisch-serbischen Krieges, ließen dann mit der Hoffnung auf eine mögliche Begrenzung des Krieges vorübergehend nach, um dann am 31. Juli mit der Erklärung des Zustandes der drohenden Kriegsgefahr einen Höhepunkt zu erreichen. Die tatsächliche Mobilmachung und die folgenden Kriegserklärungen lösten aber bemerkenswerter Weise keine neue Abhebungswelle mehr aus, vielmehr gingen die Abhebungen bis zum 4. August wieder auf ein Viertel des Höchststandes vom 31. Juli zurück und bereits am 8. August war wieder der Normalzustand erreicht. „Die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Kriegsausbruchs rief also stärkere Erschütterungen hervor als später die vollzogene Tatsache“.5 Die Abhebungen verteilten sich sehr ungleichmäßig über die einzelnen Landesteile. Nach den Angaben im Geschäftsbericht der Disconto-Gesellschaft für 1914 war es vor allem das Berliner Privatpublikum, dass sich von der Panik mitreißen ließ. Von den Berliner Privatguthaben wurden bei diesem Institut in der zweiten Julihälfte nicht weniger als 50 Prozent und bis zum 15. August weitere sieben Prozent abgehoben. Die Abzüge von Stückgeld, die ihren Grund in Unsicherheit, Erregung, Furcht vor einem allgemeinen Moratorium und Angst hatten, wurden vor allem vorgenommen, um Bargeld für irgendwelche, noch im Dunkel liegende Verwendungszwecke bereit zu haben: „Bares Geld wurde in großen Mengen aus dem Verkehr gezogen und in Kisten und Kellern verpackt und in sonstigen heimlichen Verließen in Sicherheit gebracht.“6 Andererseits lässt sich ein Teil der Stückgeldabzüge rational begründen. Die Mobilmachung vergrößerte den Bedarf der Streitkräfte an klein gestückeltem Bargeld. Preissteigerungen für lebensnotwendige Güter, Änderungen in den Zahlungssitten von Industrie und Handel – Ablehnung von Wechsel und Überweisung,7 zum Teil sogar von Banknoten, als Zahlungsmittel, Vorauszahlungen und weitgehender Übergang zur Barzahlung – verstärkten den Mangel an Bargeld und sorgten wegen der Zerstörung vieler, sonst üblicher Kreditbeziehungen außerhalb des Bankensystems für verstärkte, vielfach durchaus begründete Bargeld- und Kreditnachfrage bei den Banken. Rückzahlungen aufgrund von Einlagenabzügen und Auszahlungen aufgrund von früher zugesagten Krediten addierten sich zu einem Liquiditätsabzug in Höhe von durchschnittlich etwa 20 Prozent der Höhe der Depositen bei den Berliner Großbanken.8 Der Liquiditätsbelastung sind außerdem die von den Kunden nicht 5 6 7 8
Keiser, Günter: Die Erschütterung der Kreditwirtschaft zu Beginn des Krieges 1914/1918, in: Bank-Archiv, 39. Jg. (1939), S. 501–505, hier: S. 501 (im Folgenden Keiser: Erschütterung). Baecker, Willy: Die deutschen Banken im Jahre 1914, in: Der Deutsche Oekonomist, Sonderbeilage, 33. Jg. (1915), S. 2. Deumer: Kriegskredit, S. 29. Lansburgh, Alfred: Die Berliner Grossbanken im Kriegsjahr 1914, in: Die Bank (1915), S. 293– 311, hier: S. 300 (im Folgenden Lansburgh: Grossbanken 1914). Hier wird eine Schwankungs-
61
3.1 Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit
mehr rechtzeitig eingelösten Akzepte, die den Strom der Einzahlungen verstärkt hätten, und das „Einfrieren“ der meisten Auslandsforderungen hinzuzurechnen. Auszahlungen beziehungsweise Liquiditätsbelastungen dieser Größenordnung waren die Banken nicht gewachsen, wie die folgende, aus den Zahlen der Zwischenbilanzen zum 30. Juni 19149 zusammengestellte Übersicht zeigt: Tabelle 3: Liquiditätssituation der drei Großbanken am 30. Juni 1914
Kreditoren – innerhalb von sieben Tagen fällig (in Mio. M) Guthaben von Banken
Einlagen auf prov. freie Rechnung
sonstige Kreditoren
Summe
Deutsche Bank
116,8
656,8
486,1
1.259,7
Dresdner Bank
84,2
203,6
310,0
597,8
Commerzbank
29,9
70,0
87,1
187,0
Barreserve (in Mio. M – sofern nicht anders angegeben) Kasse u. a.
Guthaben bei Noten-/ Abrechnungsbanken
in Prozent der innerhalb von 7 Tagen fälligen Kreditoren
Deutsche Bank
105,2
39,3
11,5
Dresdner Bank
41,6
20,5
10,4
Commerzbank
9,0
10,6
10,5
Zentralbankfähige Aktiva der drei Großbanken (in Mio. M – sofern nicht anders angegeben) Wechsel
Effekten
Summe
in Prozent der innerhalb von 7 Tagen fälligen Kreditoren
Deutsche Bank
699,1
127,9
827,0
65,7
Dresdner Bank
374,1
29,4
403,5
67,5
Commerzbank
66,5
6,4
72,9
39,0
Quelle: Veröffentlichte Zwischenbilanzen zum 30. Juni 1914; eigene Berechnungen.
Wie allen aus Bilanzen – hier zudem noch einer Bilanz zu einem abweichenden Stichtag – errechneten Kennzahlen und Liquiditätsgraden kommt auch diesen Relationen nur beschränkte Aussagefähigkeit, vor allem in qualitativer Hinsicht, zu.
9
breite von 15 bis 30 Prozent für das Maximum der Abhebungen genannt. Vgl. auch Mering, Otto v.: Die Liquidität der deutschen Kreditbanken mit Berücksichtigung der gegenwärtigen durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse. Jena 1916. S. 68 f. Die Bank (1914), S. 775.
62
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Die Großbanken traten dem Existenz bedrohenden Ansturm mit verschiedenen Maßnahmen entgegen: Kreditgesuche selbst kreditwürdiger Bewerber wurden abgelehnt, bereits bewilligte Kredite gesperrt, Kreditlinien gekürzt, Guthaben zunächst nur teilweise ausgezahlt, Lombardierungen verweigert, Wechsel und Schecks nur zum Einzug übernommen und die Diskontierung nicht reichsbankfähiger Wechsel abgelehnt.10 Zinserhöhungen – auch als Folge der Diskonterhöhungen – sollten potenzielle Kreditnehmer abschrecken und andererseits die Einleger zum Stillhalten oder zur Neuanlage veranlassen. Die Großbanken selbst berichten nur in eher allgemein gehaltenen Formulierungen über die an sie gestellten Anforderungen bei Kriegsausbruch: Deutsche Bank: In die zweite Hälfte des Geschäftsjahres ſel „die schwerste Probe, welche die Kraft der Deutschen Bank seit ihrer Begründung zu bestehen gehabt hat. [...] Unsererseits sind wir den bedeutenden Kredit- und Geldanforderungen unserer Kundschaft in weitgehendem Masse entgegengekommen [...]. Unsere Filialen haben sich in der schweren Zeit allen Erwartungen entsprechend bewährt und konnten aus eigener Kraft jeder Anforderung ihrer Kundschaft gerecht werden.“11 Dresdner Bank: „Der Ausbruch des Krieges löste im ersten Augenblick allgemeine Bestürzung aus. [… D]as Publikum nahm starke Abhebungen vor, welche teils zur Befriedigung der durch den Kriegsausbruch hervorgerufenen Bedürfnisse dienten, zum Teil aber auch in der ersten Angst über die kriegerische Entwicklung thesauriert wurden.“12 Commerzbank: „An den Geldmärkten trat vorübergehend eine Unruhe hervor. Für kurze Zeit fand eine lebhafte Abhebung von Geldern an den Kassen der Banken und Sparkassen statt.“13
Die Deutsche Bank deutet an, dass sie nicht allen Anforderungen der Kundschaft entsprechen konnte oder wollte. Die beiden anderen Banken gehen auf ihre konkrete Situation nicht ein. Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, dass ohne die schnelle und großzügige Hilfe der Reichsbank und einiger anderer neu in die Kreditorganisation aufgenommenen Institutionen die Großbanken – zumindest in Berlin – ihre Schalter hätten schließen müssen. Weber meint dazu mit Blick auf die Kritik am Verhalten der Banken allgemein: „Glaubt jemand, daß es möglich gewesen wäre, in den ersten Wochen der Erregung auch nur den geringeren Teil der Aktiven anders als mit Hilfe der Notenbank zu realisieren? Die Börsen waren geschlossen, Wertpapiere also nicht zu verkaufen, ausländische Guthaben nicht realisierbar, soweit sie in den bekanntermaßen nicht geringen Beträgen in Russland und den anderen Staaten, oder aber auch in Österreich-Ungarn, Italien und den Balkanstaaten angelegt waren. Die Kassenbestände bei den Banken reichten nicht entfernt aus, um allen in der ersten Angst gestellten Ansprüchen zu genügen. Um das zu können, hätten sie eine Höhe haben müssen, die nicht allein irrationell im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit der Banken, sondern auch mit Rücksicht auf die Allgemeinwirtschaft gewesen wäre.“14 10 Fett im Original. – Vgl. zur Kritik an der Verhaltensweise der Berliner Großbanken und zur Berechtigung dieser Kritik Prion, Willi: Die deutschen Kreditbanken im Kriege und nachher. Stuttgart 1917, S. 18 f. (im Folgenden Prion: Kreditbanken); Deumer, Kriegskredit, S. 33–38; Nicklisch, Heinrich: Der Zahlungsverkehr während des Krieges, in: ZfHH, 7. Jg. (1915), S. 297–307, hier: S. 303. 11 Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 7 ff. 12 Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 7. 13 Commerzbank, Geschäftsbericht 1914 [o. S.]. 14 Weber, August: Krieg und Banken (Krieg und Volkswirtschaft, H. 7). Berlin 1915, S. 13.
3.1 Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit
63
3.1.3 Die Hilfe der Reichsbank für die Kreditbanken Die Absicht und die Notwendigkeit, ausreichende Gewinne zu erzielen, verbietet es den Kreditinstituten in marktwirtschaftlichen Systemen, unverzinsliche Barreserven in einem solchen Ausmaß zu halten, dass innerhalb kürzester Frist beliebig hohe Einlagenabzüge in liquider Form bis zur Höhe des gesamten Einlagenbestandes verkraftet werden können. Während ein einzelnes Kreditinstitut einem Run dieses Ausmaßes eventuell noch durch die schnelle Hilfe anderer Kreditinstitute begegnen kann, trifft ein allgemeiner Run, bei dem alle Kreditinstitute erhöhten Zahlungsmittelbedarf haben und die Hilfe anderer Institute derselben Stufe des Bankensystems ausbleiben muss, die Kreditinstitute in ihrer Existenz. „Der Moment, in dem der Ansturm der Gläubiger mit der Schließung der Schalter beantwortet werden muß, kommt, wenn der Staat nicht hilft, bei der einen Bank etwas früher, bei der anderen etwas später, aber er kommt unvermeidlich.“15
Die Abforderung eines erheblichen Teils der Einlagen und der zugesagten, aber noch nicht ausgenutzten Kredite brachte einen Großteil der deutschen Kreditbanken – unter diesen besonders wegen der Stärke der Abzüge in Berlin die Berliner Großbanken – in eine sehr bedrohliche Situation. Um den Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern, hatte der Staat beziehungsweise die staatlich gelenkte Notenbank zwei Handlungsmöglichkeiten verfügbar: Der Staat beziehungsweise sein Organ konnte den Ansturm auf die Kreditinstitute entweder von Grund auf begegnen und die Banken durch Erlass eines Moratoriums16 von der Verpƀichtung zur sofortigen Zahlung befreien oder aber die Wirkung des Ansturms dadurch aufheben, dass über die Notenbank Kredite in solcher Höhe gewährt wurden, dass alle Ansprüche der Bankkundschaft befriedigt werden konnten. In Deutschland verzichtete man im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auf den Erlass eines allgemeinen Moratoriums und schlug den Weg großzügiger Kreditierung an Staat, Banken und Nichtbanken über die Notenbank und etwas später über die neu gegründeten Darlehnskassen ein. Die Reichsbank stellte dazu fest: „Da die übrigen Kreditquellen teils zur Gewährung neuer Kredite nur selten imstande waren, teils gänzlich versagten, mußte der allgemeine und dringende Kreditbedarf seine Befriedigung bei der Reichsbank als der letzten Kreditquelle des Landes suchen.“17
15 Lansburgh: Grossbanken 1914, S. 294. 16 Krümmel meint allgemein: „Das Moratorium ist nur dann eine geeignete Abwehrmaßnahme, wenn wahrscheinlich ist, daß während seiner Dauer der Anlaß des Runs wirksam bekämpft werden kann. Mit dem Anlaß fällt der Run dahin, fast so als sei er vermieden.“ Krümmel, HansJacob: Liquiditätssicherung im Bankbetrieb, 1. Teil, in: Kredit und Kapital, 1. Jg. (1968), H. 3, S. 247–307, hier: S. 280, Anm. 22. Ein bis Mitte August 1914 befristetes Moratorium hätte sicherlich wegen der militärischen Anfangserfolge und der Vermehrung der Zahlungsmittelmenge – Beseitigung der Zahlungsmittelkrise – durch Kreditgewährung der Reichsbank an den Staat und Verausgabung der Kredite zum Großteil in bar Erfolg gehabt. 17 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1914, S. 5. Lansburgh kommentiert: „Wohin wir auch blicken, stets stoßen wir auf die Reichsbank, […und] ueberall da, wo das Füllhorn der Bank nicht hinreicht, sehen wir Kreditnot, Zahlungsunfähigkeit, Geschäftsstockung und Arbeitslosigkeit“. Vgl.
64
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Über die Rediskontierung von Wechseln, deren Bestand durch Debitorenziehungen kurzfristig erhöht werden konnte, und die Lombardierung von Wertpapieren konnten sich die Kreditinstitute kurzfristig liquide Mittel als Kassenbestände oder als Giroguthaben verschaffen. Der unbeschränkten Diskontierung von Wechseln und der Lombardierung von Effekten durch die Reichsbank standen bis zur Verabschiedung der Finanzgesetze vom 4. August 1914 statuten- und deckungsmäßige Vorschriften entgegen, die jedoch von der Reichsbank in Erwartung dieser Gesetze übergangen wurden. Somit bildete die Höhe der Wechsel- beziehungsweise Effektenbestände der einzelnen Kreditinstitute prinzipiell die einzige Restriktion bei der Inanspruchnahme der Reichsbank beziehungsweise der Darlehnskassen. Besondere quantitative und qualitative Krediteinschränkungen wurden von der Reichsbank in keiner Phase der übermäßigen Belastung der Kreditbanken vorgenommen, im Gegenteil, die Reichsbank verstand sich nicht nur zu „williger Diskontierung von Wechseln, sondern sie erleichterte auch die Aufnahme von Lombard-Darlehen, in dem sie den Kreis der beleihbaren Wertpapiere erweiterte.“18 Die quantitative Beanspruchung der Reichsbank in den kritischen Tagen durch die einzelnen Großbanken lässt sich nicht ermitteln, sondern nur indirekt und global nach den Bestandsveränderungen im Ausweis der Reichsbank in der kritischen Zeit erahnen. Sie ergibt sich aus folgenden Zahlen:19 Tabelle 4: Inanspruchnahme der Reichsbank Ende Juli/Anfang August 1914 Reichsbank Zunahme (+)/Abnahme (-) in Mio. M des Bestandes an Wechseln 23.7.-31.7. Durchschnitt der Jahre 1911 bis 1913 1914
+26 +1.330
31.7.-7.8. -63 +1.656
des Bestandes an Lombardforderungen 23.7.-31.7. +40 +152
31.7.-7.8. -30 +24
des Bestandes umlaufender Noten 23.7.-31.7. +105 +1.019
31.7.-7.8. -50 +988
Der Wechselbestand am 7. August 1914 besteht aus Wechseln, Schecks und diskontierten Schatzanweisungen. Quelle: Verwaltungsberichte der Reichsbank 1911-14 (Wochenübersichten); eigene Berechnungen.
Lansburgh, Alfred: Wirtschaftliche Kriegsbereitschaft, in: Die Bank (1914), S. 819–828, hier: S. 821. 18 Sperrsatz im Original. – Bendix, Ludwig: Krieg und Geldmarkt, in: Volkswirtschaftliche Zeitfragen, H. 289, Krieg und Volkswirtschaft, Sonderheft 6, Berlin 1915, S. 5–32, hier: S.14. Lombardkredite konnten nur so lange gegeben werden, wie die Dritteldeckung (Ist) über dem Soll lag. Lombardkredite konnten in Noten also bis zur dreifachen Höhe der Differenz Soll-Ist von der Reichsbank gewährt werden. 19 Stucken: Liquidität, S.62.
3.1 Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit
65
In den Berichten der drei Großbanken ſnden sich nur allgemeine Bemerkungen, aber keine Hinweise auf die Inanspruchnahme der Reichsbank durch das eigene Institut. Die Deutsche Bank schreibt: „Namentlich aber hat die R e i c h s b a n k das deutsche Wirtschaftsleben vor den schlimmsten Stockungen bewahrt“.20 Die Dresdner Bank berichtet: „Nicht zum wenigsten ist die im Wirtschaftsleben eingetretene Beruhigung der großzügigen Unterstützung zu verdanken, welche Handel, Industrie und Bankwelt bei der Reichsbank fanden, sowie dem entschiedenen Eintreten der letzteren und der maßgebenden Wirtschaftskreise gegen den Erlaß eines Moratoriums.“ 21 Die Commerzbank bemerkt: „Für kurze Zeit fand eine lebhafte Abhebung von Geldern an den Kassen der Banken und Sparkassen statt, doch gelang es dank der hervorragenden Leitung unserer Reichsbank, […] bald dieser Störungen Herr zu werden.“ 22
3.1.4 Der Zusammenbruch der Effektenkurse und die Schließung der Börse An den Börsen der Welt begann um die Mitte des Juli 1914 unter dem Eindruck der sich zuspitzenden internationalen Lage ein sich stetig beschleunigender Kursrückgang, der sich kurz vor Kriegsbeginn zu Kurszusammenbrüchen steigerte.23 Die Bemühungen des Publikums, sich liquide Mittel zu verschaffen, die zur Kreditkrise führende mangelnde Kreditvergabefähigkeit beziehungsweise Kreditbereitschaft der Banken und auch der Nichtbanken, die durch die Kriegspanik ausgelösten unlimitierten Angstverkäufe breiter Anlegerkreise und eine sich stetig verstärkende Baissespekulation waren die Ursachen dieser Entwicklung. Dazu kam als weiterer bedeutender Faktor, dass mit dem Auftauchen der Kriegsgefahr der größte Teil aller Positionen ausländischer Anleger, die vor dem Krieg infolge der engen Verƀechtung des internationalen Börsengeschäfts eine große Rolle spielten, innerhalb kürzester Frist aufgelöst wurde. Der Berliner Börsenvorstand und die Großbanken versuchten mit ihren jeweiligen Mitteln der Panik Herr zu werden. Der Börsenvorstand beschloss bereits am 26. Juli, als mit dem Ausbruch des österreichisch-serbischen Krieges die Kurse sehr stark ſelen, dass die Liquidationskurse für die Ultimo-Abrechnung auf der Basis der Anfangskurse vom 25. Juli, die noch einigermaßen gehalten waren, festgesetzt werden sollten. Am 27. Juli wurde von der Notierung stärkerer Kurseinbußen an den Maklertafeln abgesehen. Die Berliner Stempelvereinigung beschloss am gleichen Tage, um das Privatpublikum vor einem Verschleudern seiner Werte zu bewahren, von der Einforderung von Nachschüssen solange abzusehen, wie der Kurswert den
20 21 22 23
Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 8. Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 7. Commerzbank, Geschäftsbericht 1914 [o. S.]. „Die Kursbewegung lässt die Bezeichnung einer deroutierten Börse vollkommen gerechtfertigt erscheinen.“ FZ v. 26. Juli 1914. – In der Zeit vom 18. Juli bis zum 30. Juli 1914 ſelen Deutsche Bank von 231,6 auf 218, Dresdner Bank von 145,1 auf 138 und Commerzbank von 106 auf 101. Der vergleichsweise – gegenüber Industrieaktien und vor allem Auslandsaktien – geringe Rückgang hängt mit Stützungskäufen der Banken zusammen.
66
3. Der Bankbetrieb im Krieg
eingeräumten Kredit nicht unterschritt. Am 29. Juli wurde der Terminhandel eingestellt. Am 30. Juli wurden die Kurse, die nach den Vorschriften mit Minuszeichen an den Maklertafeln auszuweisen waren, gestrichen. Am 31. Juli endlich, als der Zustand der drohenden Kriegsgefahr verkündet wurde, wurde die Börse zwar noch eröffnet, musste aber vor Festsetzung der Kurse geschlossen werden. Die Berliner Großbanken versuchten in dieser kritischen Zeit beruhigend auf ihre Kunden einzuwirken24 und von unlimitierten Verkaufsaufträgen abzuhalten. Zulässige Effektenexekutionen wurden nicht vorgenommen. Einzelne Großbanken haben in dieser Zeit keine Kurs stützenden Interventionskäufe durchgeführt,25 sondern nur im Rahmen des Selbsteintritts die Papiere ihrer Kunden aufgenommen. Um größere Kursschwankungen zu verhindern, wurden jedoch gezielt Wertpapiere auf gemeinsame Rechnung durch ein von den Großbanken zu diesem Zweck gebildetes Konsortium gekauft.26 Eine marktbreite Effektenbörse stellt für die Kreditinstitute in Zeiten normaler wirtschaftlicher Entwicklung ein wichtiges Finanzierungs- und Anlagemedium dar, das es erlaubt, die liquiden Mittel kontinuierlich auf einem der Geschäftspolitik entsprechenden Stand zu halten. Die Schließung der Börsen veränderte den Liquiditätscharakter – als Merkmal der Umwandelbarkeit in Geld – der eigenen Effekten und der Konsortialbeteiligungen der Kreditinstitute. Die Wertpapiere – auch die ausländischen – wurden unverkäuƀich und konnten nur für die Lombardierung bei der Notenbank und später den Darlehnskassen verwandt werden. Die Verwertung von Effekten aus noch nicht abgeschlossenen Emissionen wurde unmöglich und an Neuemissionen war überhaupt nicht zu denken. Die Sicherheit der „gedeckten Debitoren“ nahm in dem Maße ab, in dem die Verwertung der Deckung, die überwiegend aus Börsenpapieren bestand, zweifelhaft wurde. Reports und Lombards, die von den Großbanken wegen des kurzfristigen, planbaren Rückƀusses und der Sicherheitenstellung gern und in großem Umfang als Spekulationskredite gegeben wurden, wurden wegen der Aussetzung der Ultimoregulierung ebenfalls illiquide. Die Fälligkeit für Ultimogeschäfte wurde zunächst auf Ultimo August hinausgeschoben und entsprechend verschoben sich auch die Zahltage für gegebene und genommene Ultimogelder zunächst um einen Monat. Alle Börsenlombards sollten unverändert weiter laufen. Rentabilitätsnachteile sind den Banken aus dieser Entwicklung direkt nicht erwachsen, da die Zinssätze für die zwangsweise prolongierten Kredite den Diskonterhöhungen folgend entsprechend heraufgesetzt wurden. Die Schließung der Börse verhinderte andererseits einen weiteren Verfall der Kurse und daraus folgend den Ausweis von Verlusten. Nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht über den Umfang der durch die Börsenschließung und die Ultimoaussetzung wesentlich 24 Die Dresdner Bank hielt es allerdings im Hinblick auf ihre Informationen für geboten, den Kunden von einer Konservierung ihrer Wertpapieranlage abzuraten. Vgl. FZ v. 20. Juli 1914. 25 FZ v. 26. Juli 1914; ferner die Börsenberichte dieser Zeit; dagegen schreibt die Dresdner Bank: „Die Erhöhung der Positionen […] erklärt sich durch Stützungskäufe, welche in den letzten Tagen vor Ausbruch des Krieges im Interesse des Marktes vorgenommen worden sind.“ Vgl. Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 11. 26 Nach den Angaben bei Klebba, Walter: Börse und Effektenhandel im Kriege unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Börse. Berlin 1920, S. 4 (im Folgenden Klebba: Börse), machten die Stützungskäufe rund 20 Mio. M aus.
67
3.1 Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit
betroffenen Positionen. Die Angaben sind den Zwischenbilanzen zum 30. Juni 1914 entnommen und können daher nur ein ungefähres Bild der bei Kriegsausbruch tatsächlich vorhandenen Bestände geben. Tabelle 5: Von Börsenschließung und Ultimoaussetzung betroffene Positionen (in Mio. M; Stand: Ende Juni 1914) Deutsche Bank
Dresdner Bank
Commerzbank
Reports und Lombards
195,4
115,8
75,2
Eigene Effekten
151,9
49,2
30,3
47,3
61,3
22,2
Gedeckte Debitoren
722,5
449,9
154,6
Bankkreditoren
116,8
84,2
29,9
Konsortialbeteiligungen
Quelle: Veröffentlichte Zwischenbilanzen zum 30. Juni 1914.
3.1.5 Die Gründung von Reichsdarlehnskassen, Kriegskreditbanken und anderen Hilfskreditinstituten Denjenigen Wirtschaftssubjekten, die über reichsbankfähiges Wechselmaterial verfügten und über Wertpapiere, die für die qualitativ und quantitativ sehr stark eingeschränkte Lombardierung bei der Reichsbank verwendbar waren, stellte sich die Reichsbank in der kritischen Zeit um den Kriegsausbruch herum in großzügiger Weise zur Verfügung. Bestimmte Wirtschaftskreise von Handel und Gewerbe, die die nicht bankmäßige Kreditierung von Kunden beziehungsweise Lieferanten gewöhnt und darauf angewiesen waren oder ihre Geschäfte durch Barzahlung abwickelten, sahen sich wegen der durch den Kriegsausbruch eingetretenen Stockungen beim Absatz ihrer Waren und dem allgemeinen Streben nach Auseinandersetzung der Gefahr der Illiquidität ausgesetzt. „Eine Mobilisierung der Güter durch Bevorschussung bei den regulären Kreditinstituten durfte und konnte wegen deren Struktur nicht erwartet werden; sie mussten für die Erfüllung ihrer eigenen, regulären Aufgaben geschont werden; ihre schon stark gesteigerte Inanspruchnahme durfte nicht noch mit dem abseits liegenden Geschäftszweige der Warenlombardierung belastet werden.“27
Die Schließung der Börsen im In- und Ausland machte außerdem die Vermögenswerte der Effektenbesitzer illiquide. Da die Reichsbank und die privaten Kreditbanken direkt keinen Beitrag zur Liquidisierung der illiquide gewordenen Waren und Wertpapiere leisten wollten beziehungsweise konnten, mussten Kreditmöglichkeiten komplementären Charakters geschaffen werden. Anknüpfend an die Erfahrungen früherer Kriege wurden sehr rasch nach Kriegsausbruch an über 100 Plätzen Dar-
27 Deumer: Kriegskredit, S. 161.
68
3. Der Bankbetrieb im Krieg
lehnskassen28 gegründet, die gegen Verpfändung von Waren oder Effekten kurzfristigen, unter Umständen jedoch revolvierenden Kredit gewährten. Die Darlehnskassen waren öffentliche Kreditanstalten, die der Organisation der Reichsbank angeschlossen waren und die die Reichsbank von dem nach damaliger Auffassung für eine Zentralnotenbank grundsätzlich ungeeigneten Lombardkreditgeschäft entlasten sollten. „Da eine außerordentliche Steigerung des Bedürfnisses nach Lombardkredit sich voraussehen ließ, die Lombardanlage für die Reichsbank aber als bankmäßige Deckung nicht gilt, die Reichsbank mithin zur Erteilung von Lombarddarlehn nur innerhalb gewisser Grenzen in der Lage ist, war die Schaffung einer solchen neuen, die Reichsbank unterstützenden Kreditquelle geboten.“29
Ihrer Funktion nach waren die Darlehnskassen Notenbanken „zweiter Kategorie“, die in der Lage waren, zwar unter Kontrolle der Reichsbank, aber weitgehend frei in ihrer Tätigkeit, Kredit zu schöpfen und „zusätzlichen“ Kredit30 als Realkredit zu gewähren. Außer den öffentlichen Darlehnskassen wurden als Organisationen der privaten Selbsthilfe durch Initiative oder unter Mitwirkung der Banken31 und der Wirtschaft Kriegskreditbanken gegründet, die Kredite in den Fällen geben sollten, in denen die Banken selbst aus Gründen der eigenen Liquidität oder wegen mangelnder Sicherheitenstellung nicht in der Lage oder nicht bereit waren, als Kreditgeber aufzutreten. Deumer führt die Gründung besonderer Kriegskreditbanken hauptsächlich auf die Verhaltensweise der privaten Banken in der kritischen Zeit um den Kriegsausbruch herum zurück.32 Das Grundkapital der Kriegskreditbanken, die im Wesentlichen Personalkredit als Akzeptkredit gaben und die als Kreditvermittler zwischen Reichsbank und Kreditnehmer anzusehen sind, wurde von den lokalen Banken aufgebracht und im allgemeinen nur zu einem Bruchteil eingezahlt. Zusätzlich standen als Basis der Geschäftstätigkeit Ausfallgarantien der Gründerkreise und Rediskontzusagen der Reichsbank in vier- bis fünffacher Höhe des Gründungs- oder Garantiekapitals zur Verfügung.33 Die Kredit- und Zahlungsmittelkrise der ersten Kriegswochen war, wenn auch nicht ohne realen Hintergrund, überwiegend auf Angst und Panik zurückzuführen. 28 Bereits am 5. August 1914 waren 99 Darlehnskassen und 96 Hilfsstellen in Betrieb. Vgl. Feuchtwanger, Leo: Die Darlehnskassen des Deutschen Reiches mit Berücksichtigung der entsprechenden Kreditorganisation des Auslands. Stuttgart/Berlin 1918, S. 73 (im Folgenden Feuchtwanger: Darlehnskassen). 29 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1914, S. 4. 30 Forstmann, Albrecht: Geld und Kredit, Erster Teil. Göttingen 1952, S. 261. 31 In Berlin wurde zum Beispiel am 15. August 1914 die „Kriegskreditbank für Groß-Berlin A.G.“ mit einem Kapital von 18 Mio. M gegründet, wovon ein Drittel von den Berliner Banken gezeichnet wurde. Die Deutsche Bank berichtet, dass sie an der Errichtung von zwölf Kriegskreditbanken mit einem Nominalbetrag von zusammen 2.290.000 M beteiligt gewesen sei. Vgl. Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 8. Dresdner Bank und Commerzbank waren ebenfalls an derartigen Gründungen beteiligt. 32 Deumer: Kriegskredit, S. 106 ff. Vgl. insbesondere die Auskünfte der einzelnen Kriegskreditbanken. 33 Eisfeld, Curt: Die Kriegskreditbanken, in: Plutus (1915), S. 338 f., hier: S. 338.
3.1 Die drei Großbanken während der Mobilmachungszeit
69
Der tatsächlich vorhandene Kreditbedarf wurde zunächst wegen der allgemeinen Ungewissheit weit überschätzt. Die Funktion der Darlehnskassen, der Kriegskreditbanken und der übrigen Kreditinstitute zur Deckung des durch den Krieg zusätzlich auftretenden oder erwarteten Kreditbedarfs bestand hauptsächlich in einer Beruhigung der um ihren Kredit besorgten Kreise von Handel und Gewerbe. Die Kriegskreditbanken wurden nur sehr wenig in Anspruch genommen und auch die Beanspruchung der Darlehnskassen hielt sich in dieser Zeit in engen Grenzen.34 Diese Tatsache mag auf die verspätete Gründung dieser Institute, die erst nach Abklingen der ersten Panik ihre Tätigkeit aufnahmen, zurückzuführen sein. Die unmittelbare Hilfe von Darlehnskassen und Kriegskreditinstituten ist materiell nur als gering einzuschätzen, bedeutsamer war der psychologische Effekt, dass das breite Publikum annehmen konnte, dass Kredit in irgendeiner Form für jedermann verfügbar sei. In einer späteren Phase änderte sich die kreditäre Funktion der Darlehnskassen. Sie wurden zu Instituten, deren wesentliche Tätigkeit in der Vorſnanzierung der Kriegsanleihen und der Kreditgewährung an die Kommunen bestand. Die Zinssätze für die Darlehn lagen zwischen dem Diskont- und Lombardsatz der Reichsbank, um potenzielle Kreditnehmer zu veranlassen, nach Möglichkeit eher den Wechselkredit – der Wechsel kam für die ordentliche Deckung bei der Reichsbank bevorzugt in Frage – zu nutzen und andererseits nicht die (grundsätzlich unerwünschte) Lombardierung bei der Reichsbank, sondern die Lombardierung bei den Darlehnskassen in Anspruch zu nehmen. Die Darlehnskassen zahlten ihre Darlehn formal in Darlehnskassenscheinen über die Reichsbankkassen aus. Allerdings gelangten ganz überwiegend nur Darlehnskassenscheine kleiner Stückelungen in den Verkehr, während die großen Abschnitte von der Reichsbank einbehalten und von ihr als durch Gesetz legitimiertes neues Deckungsobjekt für den Notenumlauf verwandt wurden.35 Auf diese Weise wurde dem zu Beginn des Krieges auftretenden empſndlichen Zahlungsmittelmangel von zwei Seiten aus begegnet. Durch die Beleihbarkeit von Effekten bei den Darlehnskassen erhielten nicht nur Handel und Gewerbe eine neue Kreditmöglichkeit, sondern vor allem den Kreditinstituten36 wurde die Möglichkeit gegeben, durch die Lombardierung von Effekten ihre Barbestände kurzfristig zu erhöhen, um damit den Auszahlungsansprüchen ihrer Kreditoren nachkommen zu können und sich zugleich neuen Spielraum bei der Kreditvergabe zu verschaffen. Lombards und Reports – die Berliner Stempelverei34 Vgl. „Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlass des Krieges“, Drucksachen des Reichstages Nr. 26/1914 – Vierter Nachtrag Nr. 74/1915. Die Reichsbank hatte den damals bestehenden 34 Kriegskreditinstituten Kredit von 560,5 Mio. M in Aussicht gestellt, wovon am 7. April 1915 nur 8,1 Mio. M in Anspruch genommen waren. Für die Darlehnskassen vgl. die Tabelle „Inanspruchnahme der Darlehnskassen und Umlauf an Darlehnskassenscheinen“ bei Feuchtwanger: Darlehnskassen, S. 242. 35 Auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Währung wurde oben eingegangen. Hier interessieren nur die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen. 36 Banken, Bankiers und Kreditgenossenschaften waren an der Gesamtinanspruchnahme der Darlehnskassen im Jahre 1914 mit einem Anteil von 19,3 Prozent beteiligt. Die Berliner Großbanken haben die Kassen zumindest in der Krisenzeit allerdings wohl nicht in Anspruch genommen. Vgl. Feuchtwanger: Darlehnskassen, S. 94, 120.
70
3. Der Bankbetrieb im Krieg
nigung hatte sich ausdrücklich von ihrer Kundschaft das Recht der Weiterverpfändung einräumen lassen37 – eigene Wertpapiere, gedeckte Vorschüsse auf Waren und Warenverschiffungen, in Aktien verkörperte Konsortialbeteiligungen, dauernde Beteiligung bei anderen Banken und Bankſrmen und durch börsengängige Wertpapiere gedeckte Debitoren ließen sich im Wege der Lombardierung kurzfristig in liquide Mittel umwandeln. Die Möglichkeit, sich jederzeit liquide Mittel verschaffen zu können, war von erheblichem Einƀuss auf die Kreditpolitik der Banken, die ohne den fast immer möglichen Rückgriff auf die Darlehnskassen eine langfristige Kreditgewährung nur ungern vorgenommen und die Anlage in Handelswechseln und kurzfristigen Staatspapieren vorgezogen hätten, um etwaigen durch Krisenangst verursachten Auszahlungsbegehren des Publikums nachkommen zu können. 3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Aufgrund der primär betriebswirtschaftlich-historisch ausgerichteten Untersuchung wird im Folgenden die Entwicklung der Großbanken entsprechend den wesentlichen Positionen von Bilanz beziehungsweise Gewinn- und Verlustrechnung in den Jahren 1914 bis 1918 dargestellt und anhand der wesentlichen politischen, makro- und mikroökonomischen Einƀussfaktoren analysiert. Zu Vergleichszwecken ist es erforderlich, regelmäßig auch auf die letzte Vorkriegsbilanz beziehungsweise Gewinn- und Verlustrechnung zum 31. Dezember 1913 einzugehen.38 3.2.1 Die Entwicklung von Passivgeschäften und Passivbeständen und deren Einƀussfaktoren 3.2.1.1 Das Eigenkapital in Papiermark und Goldmark Dem Eigenkapital der Kreditinstitute wird eine Vielzahl von Funktionen zugeordnet:39 Die Errichtungsgrundlage, die Funktion der Begrenzung des Geschäftsvolumens, die Garantie- und Haftungsfunktion, die Finanzierungsfunktion, die Funktion des intertemporären Gewinn- und Verlustausgleichs, die Funktion der Gewinnverteilungsbasis und die Funktion der Schaffung von Vertrauen und Prestige. Nicht alle 37 Vossische Zeitung v. 6. August 1914. 38 Die Tabellen im Anhang A-1: Entwicklung der Bilanzpositionen in den Jahren 1913 bis 1923 und A-2: Entwicklung der Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung in den Jahren 1913 bis 1923 (jeweils für die einzelnen Banken und Jahre) geben einen Gesamtüberblick über die Entwicklung sowohl in absoluten Zahlen als auch in Prozentwerten. Die Zahlen zu den einzelnen Positionen sind den Geschäftsberichten der drei Banken entnommen und gegebenenfalls gerundet. 39 Hagenmüller; Karl-Friedrich/Jacob, Adolf-Friedrich: Der Bankbetrieb. Bd. I, 5., völlig überarb. Auƀ. Wiesbaden 1987, S. 93; Köppen, Joachim v.: Das Eigenkapital der Kreditinstitute. Wiesbaden 1966, S. 121–124 (im Folgenden Köppen: Eigenkapital); le Coutre, Walter: Grundzüge der Bilanzkunde, Teil 1, 4. Auƀ. Wolfenbüttel 1949, S. 209.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
71
diese – sich teilweise überschneidenden – Funktionen werden zu jeder Zeit und von jedem einzelnen Eigenkapitalanteil (Aktienkapital, offene Rücklagen, stille Rücklagen, Teile der Rückstellungen und Teile des Jahresüberschusses) überhaupt oder in gleicher Weise wahrgenommen. Vor allem fehlende oder variierende gesetzliche Vorschriften führen zu abweichenden Auslegungen und Betonungen bestimmter rechtlich bedeutsamer Eigenkapitalfunktionen, während die betriebswirtschaftlichen Funktionen des Eigenkapitals größere Beständigkeit zeigen, da sie sich weitgehend zwangsläuſg aus dem Geschäftsablauf ergeben. Während des Ersten Weltkriegs wurden von den drei Großbanken nur zwei Kapitalerhöhungen durchgeführt, obwohl die Bilanzsummen sehr stark anstiegen. Im Jahre 1917 erhöhte zunächst die Deutsche Bank ihr Aktienkapital von 250 Mio. M auf 275 Mio. M im Zusammenhang mit der Fusion mit dem Schlesischen Bankverein, Breslau und der Norddeutschen Bank, Königsberg. Im Zuge der durch Aktientausch durchgeführten Fusionen entstand ein beträchtlicher Fusionsgewinn, der um Vorwegabschreibungen vermindert mit 45 Mio. M in die Reserven eingestellt wurde. Durch diese Transaktion gelangte die Deutsche Bank nach der Höhe ihres Eigenkapitals gemessen wieder an die Spitze aller deutschen Großbanken. Ebenfalls im Jahre 1917 erhöhte die Dresdner Bank anlässlich der Fusionen mit der RheinischWestfälischen Disconto-Gesellschaft, Aachen und der Märkischen Bank, Bochum ihr Aktienkapital von 200 Mio. M auf 260 Mio. M und verstärkte ihre offenen Reserven aus dem Fusionsgewinn um 19 Mio. M. Die Zurückhaltung der Banken bei Kapitalerhöhungen war die Folge der durch die wechselnde Kriegslage hervorgerufenen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit, der Beschränkung des Zugangs zum Kapitalmarkt, der primär der Finanzierung der Kriegsausgaben dienen sollte, und der nachlassenden Konzentrationstendenzen. Versucht man die Gründe der vorgenommenen Kapitalerhöhungen den Eigenkapitalfunktionen zuzuordnen, so überwiegt bei der Dresdner Bank das Finanzierungsmotiv das Prestigemotiv, während bei der Deutschen Bank, die erst im April 1914 anlässlich der Fusion mit der Bergisch Märkischen Bank40 ihr Eigenkapital beträchtlich erhöht hatte, eher das Prestigemotiv im Vordergrund stand.41 Kapitalerhöhungen zum Zwecke der Kapitalverwässerung wurden in dieser Zeit nicht vorgenommen, da die ausgewiesenen Gewinne – vorab wurden ganz erhebliche Thesaurierungen vorgenommen – die Dividendensätze im optisch erträglichen, gewohnten Rahmen hielten. Die Fortsetzung des säkularen Trends42 ständig sinkender Eigenkapitalquoten wegen des sich aus einem geänderten Selbstverständnis und geschäftspolitischer Neuorientierung ergebenden wachsenden Geschäftsumfangs
40 [o. V.]: Zentralisation im Großbankgewerbe, in: Die Bank (1914), S. 298–300, hier: S. 300. 41 Lansburgh, Alfred: Zur Kapitalserhöhung der Deutschen Bank, in: Die Bank (1917), S.185–196, hier: S. 190 (im Folgenden Lansburgh: Kapitalserhöhung Deutsche Bank); Feldman: Deutsche Bank, S. 145. Nach der Kapitalerhöhung lag das Eigenkapital der Deutschen Bank um 80 Mio. M höher als das ihrer „großen Konkurrentin“, der Disconto-Gesellschaft. 42 Köppen: Eigenkapital S. 139 f.; Eisfeld, Curt: Probleme um das Eigenkapital der Kreditinstitute, in: Die Unternehmung im Markt. Festschrift für Wilhelm Rieger. Stuttgart/Köln 1953, S. 103– 121, hier: S. 105.
72
3. Der Bankbetrieb im Krieg
der Banken wurde unterstützt durch das nominelle Ansteigen von Aktiv- und Passivkrediten im Verlauf der inƀationären Kriegsſnanzierung. In der Zusammensetzung des Eigenkapitals zeigen sich keine gravierenden Änderungen. Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank realisierten ein Verhältnis von offenen Rücklagen zu Aktienkapital von annähernd zwei Dritteln zu eins, einem Drittel zu eins beziehungsweise einem Sechstel zu eins und auch der Anteil des nur bedingt als Eigenkapital zu bezeichnenden Reingewinns am Eigenkapital änderte sich nicht entscheidend. Offene Zuführungen zu den Reserven wurden unregelmäßig in geringem Umfang aus dem Jahresergebnis vorgenommen, während die buchmäßigen Agios aus den Kapitalerhöhungen bei Fusionen beträchtliche Rücklagenverstärkungen möglich machten. Tabelle 6: Entwicklung des Eigenkapitals in den Jahren 1913 bis 1918 (in Mio. M/Prozent der Bilanzsumme)
Deutsche Bank 1913
1914
1915
1916
1917
1918
Aktienkapital
200,0
8,9 250,0
9,3 250,0
7,9 250,0
6,1 275,0
4,4 275,0
3,5
Rücklagen
112,5
5,0 178,5
6,6 178,5
5,7 180,0
4,4 225,0
3,6 230,0
2,9
Reingewinn
35,7
1,6
1,5
1,6
1,2
1,0
49,6
0,6 7,0
41,1
49,6
50,0
62,3
Gesamt
348,2
15,5 469,6
17,4 478,1
15,2 480,0
11,7 562,3
9,0 554,6
in Goldmark
348,2
430,8
382,5
363,6
464,7
290,4
Dresdner Bank 1913 Aktienkapital
200,0
1914
13,0 200,0
1915
14,4 200,0
1916
12,7 200,0
1917
1918
9,4 260,0
7,6 260,0
5,7
Rücklagen
61,0
4,0
61,0
4,4
61,0
3,9
61,0
2,9
80,0
2,3
80,0
1,7
Reingewinn
26,3
1,7
24,0
1,7
25,0
1,6
30,8
1,4
36,1
1,0
34,2
0,7 8,1
Gesamt
287,3
18,7 285,0
20,5 286,0
18,2 291,8
13,7 376,1
10,9 374,2
in Goldmark
287,3
261,5
228,8
221,1
310,8
195,9
Commerzbank 1913
1914
1915
1916
1917
1918
Aktienkapital
85,0
16,7
85,0
17,5
85,0
15,4
85,0
11,3
85,0
7,7
85,0
5,7
Rücklagen
14,0
2,8
14,5
3,0
15,0
2,7
15,5
2,1
15,6
1,4
17,0
1,1
Reingewinn
7,5
1,5
6,6
1,4
6,9
1,3
8,2
1,1
10,1
1,0
9,3
0,6 7,4
Gesamt
106,5
21,0 106,1
21,9 106,9
19,4 108,7
14,5 110,7
10,1 111,3
in Goldmark
106,5
97,3
85,5
82,3
91,5
58,3
Quelle: Geschäftsberichte 1913 bis 1918; eigene Berechnungen.
73
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
Die nicht unproblematische Umrechnung von Papiermark in Goldmark – über den Dollarmittelkurs des jeweiligen Bilanzstichtags – vermittelt einen ungefähren Eindruck von der Diskrepanz zwischen realer und nominaler Veränderung des Eigenkapitals. Hieraus Substanzverluste ersehen zu wollen, ist wegen der grundsätzlichen bilanziellen Bewertungsproblematik (unter anderem Anschaffungswertprinzip) allerdings nicht zulässig. Die Bewertung der Aktien der Großbanken im Freiverkehr beziehungsweise an der Börse bewegte sich trotz unruhiger Zeiten in vergleichsweise engem Rahmen. Die niedrigsten Ultimokurse waren bei der Deutschen Bank 1918, bei den beiden anderen Banken in 1915 zu verzeichnen. Ende 1917 gab es sowohl die höchsten Ultimokurse für alle drei Banken als auch die höchste Bewertung der Gesamtunternehmen in Goldmark im Berichtszeitraum. Hier spielte sicherlich die Hoffnung auf einen günstigen Kriegsausgang eine wichtige Rolle. Bei der Deutschen Bank und der Dresdner Bank sind zwei beziehungsweise eine Kapitalerhöhung zu berücksichtigen. Nachfolgend wird eine Gesamtübersicht gegeben: Tabelle 7: Bewertung der drei Großbanken an der Börse beziehungsweise im Freiverkehr in den Jahren 1913 bis 1918
Deutsche Bank 1913
1914
1915
1916
1917
1918
Ultimokurs
248
218
230
244
263,25
205
Bewertung in Mio. M
496
545
575
610
724
564
Bewertung in Mio. GM
496
500
460
462
598
295
Dresdner Bank 1913 Ultimokurs
1914
1915
1916
1917
1918
150,9
138
136
151
172,60
140,37
Bewertung in Mio. M
302
276
272
302
449
365
Bewertung in Mio. GM
302
253
218
229
371
191
Commerzbank 1913 Ultimokurs
1914
1915
1916
1917
1918
107,25
101
97
105
132,50
117
Bewertung in Mio. M
91
86
82
89
113
99
Bewertung in Mio. GM
91
79
66
67
93
52
Quelle: Die Kurse sind entnommen Neumann’s Kurs-Tabellen, 29. Jg. (1920). Berlin / Leipzig 1921, S. 155 ff.; ferner Die Bank; eigene Berechnungen.
74
3. Der Bankbetrieb im Krieg
3.2.1.2 Das Fremdkapital in Papiermark und Goldmark Eine wesentliche Funktion der Kreditinstitute ist die Hereinnahme von eigenen und fremden Mitteln und die Hergabe dieser Mittel überwiegend im Wege des Kredits an Dritte. Dabei kommt dem Fremdkapital im historischen Ablauf wachsende Bedeutung zu. Denn: „Die schmale Basis eigenen Kapitals gestattet den Banken keine ausgedehnte Vermittlung im Zahlungs- und Kreditverkehr. Das eigentliche Fundament ihrer Geschäftstätigkeit bildet das Fremdkapital. Von seiner Größe hängt die Leistungsfähigkeit der Kreditbanken vor allem ab.“43
Doch abhängig vom so genannten internen Verrechnungsfaktor – dem Anteil der bargeldlos im eigenen Haus durchzuführenden Transaktionen, einer gegebenenfalls zu unterhaltenden Mindestreserve und der Bargeldabzugsquote – sind die Kreditinstitute in der Lage, die ihnen zugeƀossenen beziehungsweise die aufgenommenen Mittel durch Kreditschöpfung zu erhöhen. Der Anteil der eigenen Mittel an der Kreditvergabe wie auch an der Bilanzsumme der Banken ist in einem quasi säkularen Trend zunächst ständig gesunken und dieser Trend ist im Grunde erst durch einschlägige bankaufsichtliche Regelungen zur Sicherung von Solvenz und Liquidität der Kreditinstitute gestoppt worden. Komplementär zur sinkenden Eigenkapitalquote ist die Fremdkapitalquote angestiegen. Diese Entwicklung zeigt sich auch bei den drei zu untersuchenden Banken. Entsprechend ihren Funktionen sind die Kreditinstitute in ihrer Gesamtheit wesentlicher Teil entwickelter Volkswirtschaften. Ihre Geschäftstätigkeit vollzieht sich nicht unabhängig von der Entwicklung der Volkswirtschaft, in der sie tätig sind. Die Kreditinstitute sind dabei sowohl aktive Gestalter als auch sich an bestimmte Entwicklungen anpassende Wirtschaftssubjekte. Je größer ein Kreditinstitut ist, zum Beispiel gemessen an der Bilanzsumme, und je vielseitiger seine Geschäftstätigkeit, desto stärker ist es in die Gesamtwirtschaft eingebunden und desto geringer ist die Chance einer von den volkswirtschaftlichen – insbesondere monetären – Daten unabhängigen Entwicklung. Während das Wachstum des absoluten Eigenkapitals im Regelfall von den diskretionären Entscheidungen der Leitungsorgane beziehungsweise den Eigentümern eines Kreditinstituts bestimmt wird, steht die Entwicklung des Fremdkapitals unter normalen Bedingungen zumindest mittel- und langfristig unter dem dominierenden Einƀuss der volkswirtschaftlichen Entwicklung und der wesentlichen monetären Aggregate. „Banken sind Mittler zwischen den in der Volkswirtschaft auftauchenden Finanzierungsdeſziten und Finanzierungsüberschüssen, die sich als Annahme von Kapital (Passivseite) und Vergabe von Kapital (Aktivseite) simultan in den Bilanzen niederschlagen. Angesichts der engen Interdependenzen zwischen den gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten und den Kapitalströmen einer Volkswirtschaft liegt daher die Vermutung nahe, daß eine relativ enge quantitative Verknüpfung zwischen dem Bruttosozialprodukt (als Ausdruck der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten) und
43 Gesperrt im Original. – Kalveram: Bankbilanzen, S. 35.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
75
der Veränderung der Kreditinstitutsbilanzen (als Ausdruck für einen wesentlichen Teil der in einem Zeitraum geƀossenen Kapitalströme) besteht.“ 44
Vergleicht man das Wachstum des Fremdkapitals bei Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank mit dem Wachstum des Bargeldumlaufs in den Jahren 1914 bis 1918, so ist festzustellen, dass vor allem bei der Deutschen Bank als dem größten der drei Kreditinstitute ein weitgehender Gleichlauf zwischen Bargeldumlauf und dem Wachstum des Fremdkapitals besteht.45 So stieg der nominale Bargeldumlauf von 1913 = 100 auf 1918 = 502 und das nominale Fremdkapital bei der Deutschen Bank von 1913 = 100 auf 1918 = 386. In den Zwischenjahren war der Zusammenhang sogar noch enger. Bei der Dresdner Bank und der Commerzbank ist der beschriebene Zusammenhang zunächst lockerer, doch wird er ab 1916 stärker. Dass der Zuwachs des Fremdkapitals – wie auch der Bilanzsumme – bei den Banken tendenziell unterhalb des Wachstums des Bargeldumlaufs liegt, lässt sich unter anderem damit erklären, dass in den Kriegsjahren vor allem zu Beginn größere Bargeldmengen aus Sicherheitsgründen gehortet wurden, dass das Verbreitungsgebiet der Mark durch den Krieg wuchs, dass Banknoten teilweise spekulativ ins Ausland ƀossen und dass im Verlauf verstärkt Bargeld für die Schattenwirtschaft benötigt wurde. Der durch die Aktivitäten insbesondere der Reichsbank und anderer staatlicher Stellen stark wachsende bargeldlose Zahlungsverkehr bot kein ausreichendes Gegengewicht. In absoluten Zahlen stieg das Fremdkapital bei der Deutschen Bank von rund 1,9 Mrd. M Ende 1913 auf rund 7,3 Mrd. M Ende 1918 an.46 Dabei erhöhte sich das Fremdkapital in jedem Jahr, wobei allerdings 1914 der Zuwachs etwa zur Hälfte auf die Fusion mit der Bergisch Märkischen Bank zurückzuführen ist. Berechnet über den Dollar-Mittelkurs am jeweiligen Bilanzstichtag – also in Goldmark (GM) gerechnet – fällt die Steigerung des Fremdkapitals bescheidener aus. Doch wies die Deutsche Bank Ende 1918 mit umgerechnet rund 3,8 Mrd. GM immer noch etwa das Doppelte des Ausgangswerts von 1913 auf. Die Dresdner Bank steigerte ihr Fremdkapital von rund 1,3 Mrd. M (Ende 1913) auf rund 4,2 Mrd. M (Ende 1918). Dabei fällt auf, dass anders als bei der Deutschen Bank das Fremdkapital von 1913 auf 1914 deutlich zurückging. Ursächlich hierfür war ein Rückgang bei den „Kreditoren in provisionsfreier Rechnung“ – den eigentlichen Depositen – und bei den Akzepten. Das Wachstum anderer Fremdkapitalpositionen bot keinen ausreichenden Ausgleich. In realer Rechnung stieg das Fremdkapital der Dresdner Bank bis Ende 1918 um 177 Prozent auf rund 2,2 Mrd. M. Bei der wesentlich kleineren Commerzbank stieg das Fremdkapital von rund 400 Mio. M (Ende 1913) auf rund 1,4 Mrd. M (Ende 1918). Ebenso 44 Hasenkamp: Wachstum, S. 14. 45 Vgl. Tabelle A-6.1 – Bargeldumlauf und Fremdkapital bei den drei Großbanken in den Jahren 1913 bis 1923 – sowie die Graſk A-6.2 – Bargeldumlauf und Fremdkapital 1913 bis 1923 – im Anhang. 46 Hierin enthalten sind 432,3 Mio. M für Rechnung des Reiches und der Reichsbank übernommene Bürgschaftsverpƀichtungen in ausländischer Währung. Ein Ausweis außerhalb der eigentlichen Bilanz als Eventualverbindlichkeit wäre sachgerechter gewesen.
76
3. Der Bankbetrieb im Krieg
wie bei der Dresdner Bank ergab sich auch bei dieser Bank 1914 ein – allerdings weniger ausgeprägter – Rückgang der Bilanzsumme. Die Ursachen waren ähnlich wie bei der Dresdner Bank. In realer Rechnung stieg das Fremdkapital etwa ebenso stark wie bei der Dresdner Bank um 180 Prozent auf rund 700 Mio. GM an. 3.2.1.2.1 Die quantitative Entwicklung des Einlagenbestandes und dessen Einƀussfaktoren Unter den Komponenten des Fremdkapitals kommt bei Universalbanken den Einlagen (Kreditoren) der verschiedenen Kategorien die größte Bedeutung zu. Dieses gilt in der Ausgangssituation des Jahres 1913 auch für die drei Großbanken. Der Anteil der Kreditoren am gesamten Fremdkapital betrug Ende 1913 bei der Deutschen Bank 83 Prozent, bei der Dresdner Bank 81 Prozent und bei der Commerzbank 79 Prozent. Ganz überwiegend handelte es sich um Einlagen von Nichtbanken. Vor allem wegen des starken Rückgangs des überwiegend in der Außenhandelsſnanzierung eingesetzten Akzeptkredits stieg der Anteil der Kreditoren am Fremdkapital bis Ende 1918 bei der Deutschen Bank auf 93 Prozent, bei der Dresdner Bank auf 98 Prozent und bei der Commerzbank auf 96 Prozent. Die drei Großbanken waren damit mehr denn je zu „Kreditoren-Banken“ geworden. In absoluten Beträgen entwickelten sich die Kreditoren nominal (in Mark) beziehungsweise real (in Goldmark) gerechnet über den Dollar-Mittelkurs des jeweiligen Bilanzstichtags wie folgt: Tabelle 8: Entwicklung der Kreditoren (1913–18) in nominaler und realer Rechnung (in Mio. M/ GM-Index (1913 = 100)) 1913
1918
1918
Index
Index
(M = GM)
(M)
(GM)
(M)
(GM)
Deutsche Bank
1.580
6.740
3.529
427
223
Dresdner Bank
959
4.151
2.173
433
227
Commerzbank
316
1.318
691
417
219
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1913 und 1918; eigene Berechnungen.
Die Summe der Kreditoren stieg also bei den drei Banken während der Kriegsjahre in nominaler Rechnung jeweils um mehr als das Vierfache, in realer Rechnung immerhin noch um mehr als das Doppelte. Die weitgehende Einheitlichkeit der Entwicklung mag auf den ersten Blick überraschen, da Deutsche Bank und Dresdner Bank mit einigen größeren Provinzbanken fusionierten, während die Commerzbank sich mit einigen kleineren Übernahmen begnügte und mehr auf originäres Wachstum setzte. Die Stärke der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die wachsende Überliquidisierung der Volkswirtschaft durch die Kriegsſnanzierung, überlagerte die unterschiedliche Geschäftspolitik der einzelnen Banken.47 Nachste47 Bei den einzelnen Bankengruppen war die Entwicklung bis Ende 1918 allerdings sehr unterschiedlich (Index nominal 1913 = 100: Berliner Großbanken 383, Provinzbanken 229, Sparkas-
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
77
hend wird auf die wesentlichen Bestimmungsfaktoren der Einlagenentwicklung im Einzelnen eingegangen. Die Phase der Regeneration nach dem Run Die Zeit der starken Nachfrage nach Zahlungsmitteln und nach Bankkrediten – auch bei den Darlehnskassen, weniger bei den Kriegskreditbanken – ging verhältnismäßig schnell vorüber.48 Schon am Ende der ersten Augustwoche, in die der Höhepunkt der Kredit- und Zahlungsmittelkrise ſel, wurden wieder Einzahlungen aus den Kreisen geleistet, die zuvor ihre Guthaben aus Angst vor den Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen abgezogen hatten. Vom Rückƀuss dieser Angstabhebungen und -hortungen proſtierten zunächst in starkem Maße wegen ihrer Mündelsicherheit die Sparkassen. Von Mitte August an wurde der Rückstrom der Zahlungsmittel in das Bankensystem breiter und allgemeiner. Der Einlagenbestand stieg langsam wieder an und auch das Kreditgeschäft normalisierte sich seinem Umfang nach. Genaue zahlenmäßige Angaben für diese Phase des Runs auf die Banken und der Regeneration des Einlagenbestandes sind in den Geschäftsberichten der Großbanken nicht enthalten. Die Disconto-Gesellschaft berichtet jedoch von folgender Entwicklung ihres Einlagenbestandes bei den Berliner Depositenkassen und Wechselstuben:49 15. Juli 1914 31. Juli 1914 15. August 1914 31. August 1914 15. September 1914
100 Prozent 95 Prozent 88 Prozent 95 Prozent 107 Prozent
Geht man davon aus, dass gerade die Disconto-Gesellschaft in Berlin über eine „notorisch solide und besonnene“50 Kundschaft verfügte, dann kann man annehmen, dass die Einlagenabzüge bei den anderen Großbanken, vielleicht mit Ausnahme der von ihrer Struktur her ähnlichen Deutschen Bank, stärker ausſelen und dass die Regenerationsphase bei diesen Instituten sich vermutlich bis Ende September hingezogen hat. Die Gründe, die die Wirtschaftssubjekte zur Wiedereinzahlung ihrer Abhebungen beziehungsweise zu Neueinzahlungen veranlassten, sind im Verhalten der Reichsbank und der Darlehnskassen, die rasch für die notwendigen Zahlungsmittel und Kredite sorgten, in der relativ schnellen Anpassung relevanter Gesetze an den
sen 162, Genossenschaftsbanken 218). Die Großbanken haben also ihren Marktanteil erheblich vergrößert. Vgl. Deutsche Bundesbank: Geld und Bankwesen, S. 16. 48 Keiser: Erschütterung, S. 501, gibt als Höhepunkt der Zahlungsmittel- und Kreditkrise den 31. Juli 1914 an. Am 8. August 1914 sei bereits wieder der Normalzustand erreicht worden. 49 Disconto-Gesellschaft, Geschäftsbericht 1914, S. VIII. Von größerem Erkenntniswert wäre eine Übersicht über die einzelnen Tage der Periode und eine Aufschlüsselung nach den Komponenten – Ein- und Auszahlungen – der Salden. 50 Lansburgh: Grossbanken 1914, S. 300.
78
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Kriegszustand, im Nicht-Erlass eines Moratoriums, im vorläuſgen Verzicht auf Steuererhöhungen, vor allem aber in den ersten Siegesmeldungen des Heeres und in den positiven Nachrichten aus der sich auf die Kriegswirtschaft erfolgreich umstellenden Industrie zu sehen.51 Die zunehmende Verƀüssigung des Geld- und Kapitalmarktes durch das System der Kriegsſnanzierung Nimmt man an,52 dass Mitte 1914 die im Deutschen Reich vorhandene Geldmenge gerade ausreichte, um bei annähernd stabilen Preisen die Transaktionen in der Wirtschaft zu bewältigen, dann musste bei unveränderter Geldmenge (Bargeld und Giralgeld) ceteris paribus ein Rückgang dieser Transaktionen zu steigenden Preisen und/oder – wenn das Geld nicht genutzt wird – zu großer Geldƀüssigkeit im Sinne von Geldüberschüssen im Kreditbankensektor führen. Wenn der Staat in einer solchen Situation die Kriegsſnanzierung auch noch fast ausschließlich über die kurzfristige Verschuldung durch Schatzwechseldiskont bei der Notenbank vornimmt und die Konsolidierung der ständig anwachsenden kurzfristigen Schuld durch Anleihen und/oder Steuern nicht oder nur zum Teil gelingt, ist damit eine dauerhafte Vergrößerung des Notenumlaufs und der Giralgeldguthaben verbunden, die nicht ohne Auswirkungen auf die Preise – sofern diese nicht durch staatliche Anordnung gebunden sind – des kriegsbedingt ohnehin verringerten Güterangebots bleiben kann. Während in den Jahren 1914 bis 1916 noch eine weitgehende Abdeckung der von der Reichsbank vorſnanzierten Kriegsausgaben durch Anleiheerlöse möglich war, so änderte sich das Bild in den Jahren 1917 und 1918 deutlich. Die bis dahin wohl noch vertretbare Differenz zwischen Kriegsausgaben und Anleiheerlösen stieg von Ende 1916 bis Ende 1918 von elf Milliarden Mark auf 42,9 Mrd. M.53 Die schwebende Schuld des Reiches (primär in Gestalt von bei der Reichsbank diskontierten Schatzanweisungen) erhöhte sich in dieser Zeit von 12,6 Mrd. M (Ende 1916) auf 55,2 Mrd. M (Ende 1918).54 Nur etwa die Hälfte dieses Betrages befand sich Ende 1918 außerhalb der Reichsbank,55 vor allem bei den Großbanken und bei Großunternehmen. In der kontinuierlichen Vergrößerung der Geldmenge durch die Kriegsſnanzierung ist die primäre und entscheidende Ursache56 für die Flüssigkeit des Geld- und Kapitalmarktes der Kriegszeit zu sehen. Hierin liegt auch die wesentliche Ursache für das Wachstum der Bankbilanzen in dieser Zeit. Die Erweiterung des Währungsgebietes, die Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit des Bargelds 51 Dietzel: Konjunkturbewegungen, S. 9. 52 Diese Annahme ist wegen des reibungslosen Funktionierens des Goldautomatismus zu dieser Zeit berechtigt. 53 Berechnet nach den Zahlenangaben im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich, 38. Jg. (1917), S. 97 und 42. Jg. (1921/22), S. 360. 54 Deutschlands Wirtschaft, S. 62. 55 Ebd. 56 Ruedorffer, Robert Axel v.: Reichsbank und Darlehnskassen in der Kriegsſnanzierung 1914– 1918. Diss. Köln 1968, S. 96.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
79
im Heer und auch zunächst in Handel und Gewerbe57 sowie die Notenhortung im In- und Ausland wirkten vorübergehend dämpfend auf den Preis steigernden Effekt der Geldmengenvergrößerung und die Flüssigkeit von Geld- und Kapitalmarkt ein. Neben die Geldmengenvergrößerung aus kurzfristiger Verschuldung der öffentlichen Haushalte bei der Reichsbank und den Darlehnskassen trat eine Reihe anderer liquiditätsfördernder sekundärer Ursachen. Die rasche und großzügige Zahlungsweise des Staates, der seinen Kriegsbedarf zu jedem Preis zu decken versuchte, sorgte für schnellen Lagerabbau (Kapitalfreisetzung) und steigende Gewinne bei den Kriegslieferanten. Die in liquider Form über die Preise zugeƀossenen Abschreibungsgegenwerte wurden wegen der Zurückhaltung bei Vorrats- und Lagerinvestitionen58 nicht wieder verausgabt, sondern zur Abdeckung von Bankkrediten oder zum Aufbau von Bankguthaben verwandt. Ein Teil des zu ſnanzierenden volkswirtschaftlichen Kreislaufs war damit stillgelegt. Auch ein großer Teil des sonst für den Außenhandel benötigten Kapitals wurde frei. Der teilweise Rücktransfer von Auslandsguthaben erhöhte die zirkulierende Geldmenge. Wegen der Warenknappheit und der insgesamt steigenden Preise verlagerten sich große Beträge aus den Händen der Konsumenten in die Hände der Produzenten (über Zwangssparprozesse59), die gewöhnlich ihre geschäftlichen Transaktionen mithilfe der Banken abzuwickeln pƀegten. Auch die marginale und die durchschnittliche Sparquote60 scheinen sich durch die Verschiebung der Einkommen von den Konsumenten zu den Produzenten erhöht zu haben. Die intensive Förderung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs durch die Reichsbank führte zu einer langsamen Veränderung der Zahlungssitten und zu erhöhten Einlagenbeständen bei den Banken. Die Banken wiederum sahen sich in der Lage, bei vorhandener Kreditnachfrage in steigendem Umfang Kredit zu schöpfen. Kurzfristige Gelder wurden zu mäßigen Sätzen auf dem Geldmarkt ständig angeboten, sodass es möglich war, den Kapitalmarkt fast ausschließlich für die Auƀegung der Kriegsanleihen in Anspruch zu nehmen und die Kreditwünsche von Ländern und Kommunen sowie der Wirtschaft auf den Geldmarkt, die Darlehnskassen oder die Kreditinstitute abzuleiten.
57 „Infolge dieser Zurückhaltung von Investitionen, von Anlageinvestitionen ebenso wie von Vorratsinvestitionen, kam es zu Absatzstockungen und zu Beschäftigungsmangel in großen Teilen des Wirtschaftslebens, und große Geldbeträge, die vereinnahmt wurden, wurden nicht wieder verausgabt, sondern wurden verwandt, um früher genommene Bank- und sonstige Kredite zurückzuzahlen, oder sie blieben auf dem Bankkonto stehen.“ Vgl. Stucken: Kreditpolitik, S. 22. 58 Wagenführ: Industriewirtschaft, S. 23. 59 Voigt, Fritz: Der volkswirtschaftliche Sparprozeß. Berlin 1950, S. 69–79. Inwieweit es sich dabei um leere Ersparnisse – eine zahlenmäßige Aufblähung von Gläubiger-Schuldner-Verhältnissen ohne realen Hintergrund – oder um echte Ersparnisse, denen eine volkswirtschaftliche Leistungsreserve gegenübersteht, handelt, kann hier nicht beurteilt werden. 60 Lansburgh, Alfred: Die Berliner Großbanken im Kriegsjahr 1915, in: Die Bank (1916), S. 277– 294, hier: S. 279: „weil die Produzenten […] gewohnt sind, Ueberschüsse aufzusparen und in Kapital zu verwandeln, im Gegensatz zum Nichts-als-Verbraucher […], der mehr zum zusätzlichen Verbrauch neigt.“
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3. Der Bankbetrieb im Krieg
Zinsen und Gebühren als mögliche Regulative des Einlagenbestandes Der Erfolg einer zielgerichteten Zins- und Gebührenpolitik im passivischen Wertleistungs- und Dienstleistungsbereich der Kreditinstitute kann nur eintreten, wenn in Kreisen der Einleger, der Depositeneinleger und sonstigen Kreditoren, eine entsprechende Reagibilität auf Zins- und Gebührenänderungen besteht. Die Einleger müssen über andere Möglichkeiten der Geld- und Kapitalanlage und der Abwicklung des Zahlungsverkehrs verfügen, um gegebenenfalls zu anderen Instituten, die für sie günstigere Konditionen anbieten, abwandern zu können. Die Zins- und Gebührenänderungen müssen ferner ein solches Ausmaß erreichen, dass der durch Präferenzen,61 Bankloyalität62 und mangelnde Markttransparenz der Bankkunden gegebene preispolitische Freiheitsbereich der Banken verlassen wird und die Kunden reagieren. Den Einlagenabzügen während der Zahlungsmittel- und Kreditkrise kurz vor und nach Kriegsausbruch versuchten die im Berliner Konditionenkartell zusammengeschlossenen Banken und Bankiers (Stempelvereinigung) durch eine einheitlich vorgenommene Verdreifachung63 des Zinssatzes für täglich kündbares Geld auf 4,5 Prozent pro anno ab 4. August 1914 entgegenzuwirken. Ob mit dieser Zinserhöhung ein Abƀuss von Einlagen verhindert oder dadurch neue Kreditoren gewonnen werden konnten, kann nicht überprüft werden. Doch werden in der überwiegenden Zahl der Fälle die politischen und kriegerischen Ereignisse und nicht das verbesserte Zinsangebot die Verhaltensweisen der Bankkunden bestimmt haben. Bereits am 14. August 1914 wurden die Depositenzinsen wieder auf 3,5 Prozent gesenkt. Unter dem Druck des ständig zunehmenden Einlagenzuƀusses und der Gestaltung der Geldmarktsätze ging der Zinssatz ab 2. Dezember 1914 auf drei Prozent und mit Beginn des Jahres 1915 auf zwei Prozent zurück. Im weiteren Verlauf der Kriegsjahre zahlten die Banken für Depositen (Kreditoren in provisionsfreier Rechnung) nur mehr 1,5 Prozent. Dieser Satz wurde nur bewilligt, weil die Banken diejenigen Kunden, die nicht nur als Einleger auftraten, sondern auch andere, für die Banken lukrativere Geschäfte abwickelten, nicht verlieren wollten und andererseits die Provinzbanken sowie vor allem die Sparkassen höhere Zinsen boten. So waren den Bestrebungen der Berliner Stempelvereinigung, die Depositenzinsen weiter zu senken, um den Zustrom der bereits im Übermaß vorhandenen fremden Gelder, für die eine Anlage gefunden werden musste, zu bremsen, enge Grenzen gesetzt. Die Einlagen in laufender Rechnung wurden, da sich die Zinsen in der Regel nach dem Reichsbankdiskont richteten, höher verzinst. Die Berliner Großbanken zahlten im Durchschnitt etwa drei Prozent für die täglich fälligen Kontokorrentguthaben. Der Zinsertrag für die Einleger wurde jedoch durch die übliche Berechnung einer Umsatzprovision gemindert. Eine gewisse Zinsreagibilität der Einleger lässt sich daraus 61 Hagenmüller, Karl-Friedrich: Bestimmungsfaktoren preispolitischer Autonomie bei Kreditinstituten, in: Büschgen, Hans E. (Hrsg.): Geld, Kredit und Kapital. Festschrift für Heinrich Rittershausen. Stuttgart 1968, S. 158–170. 62 Süchting, Joachim: Die Bankloyaliltät als Grundlage zum Verständnis der Absatzbeziehungen von Kreditinstituten, in: Kredit und Kapital, 5. Jg. (1972), H. 3, S. 269–300. 63 Disconto-Gesellschaft, Geschäftsbericht 1914, S. VIII.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
81
erkennen, dass ein Großteil der den Banken zuƀießenden Gelder für längere Fristen angelegt wurde und in solchen Fällen Zinsen von 3,5 bis 4,5 Prozent gezahlt wurden. In keinem Fall reichten jedoch die Zinsen (abzüglich Gebühren) aus, um den Einlegern eine hinreichende Entschädigung für die sich verstärkende Geldentwertung zu geben. Die Verhaltensweisen von Banken und Einlegern wurden in dieser Zeit noch nicht von Geldwertüberlegungen beeinƀusst. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Bankkonditionen – mit einer kurzen Unterbrechung in den ersten Kriegsmonaten – nur wenig von den vor dem Krieg üblichen Zinsen und Gebührensätzen abwichen, dass der Wettbewerb unter den Kreditbanken durch die Aktivitäten der Stempelvereinigung in Berlin und der lokalen Bankenvereinigungen gering war und dass Zinsen und Gebühren in der Kriegszeit – mit Ausnahme der Mobilmachungsphase – insgesamt betrachtet nicht als bewusste und wirksame Regulative des Einlagengeschäfts angesehen werden können. Die politischen und gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen begünstigten die Berliner Großbanken ohnehin, sodass eine besondere Werbung um Einlagen weder nötig noch sinnvoll war. Der Einƀuss der Zeichnung von Kriegsanleihen auf den Einlagenbestand Ein Kernstück der Kriegsſnanzierung im Ersten Weltkrieg war die Vorſnanzierung der Kriegsausgaben durch die Diskontierung von Schatzwechseln des Reiches bei der Reichsbank, die diese Papiere in die Notendeckung einbeziehen konnte. Ein stark schwankender Teil der Schatzwechsel blieb bis zur Fälligkeit (überwiegend drei Monate, aber auch kürzere Laufzeiten) bei der Reichsbank, während ein anderer Teil bei Banken und Nichtbanken im Wege des Rediskonts untergebracht wurde. Die dauerhafte Finanzierung der Kriegsausgaben sollte dagegen über die Begebung von Kriegsanleihen stattſnden. Praktisch alle Kreditinstitute waren in mehr oder minder starkem Ausmaß an der Unterbringung der insgesamt neun Kriegsanleihen mit einem Gesamtvolumen von 98,2 Mrd. M64 auf eigene Rechnung und/oder für Rechnung ihrer Kunden beteiligt. In den Geschäftsberichten von Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank für die Jahre 1914 bis 1919 – die letzte Einzahlung für die IX. Kriegsanleihe war bis zum 6. Februar 1919 zu leisten – ſnden sich keine detaillierten Angaben zu den Zeichnungen für eigene Rechnung und/oder für Rechnung der Kunden. Doch wird einhellig betont, dass sehr erhebliche Beträge für eigene beziehungsweise fremde Rechnung gezeichnet wurden. Die Dresdner Bank berichtet: „Von den Zeichnungen der gewerblichen Stände und des Privatpublikums auf die deutschen Kriegsanleihen hat sich ein sehr erheblicher Teil bei unserer Bank mit ihren zahlreichen Filialen, Wechselstuben und den beiden Genossenschaftsabteilungen konzentriert, so dass wir in der Lage waren, auf die bis jetzt untergebrachten drei Kriegsanleihen des Reiches Zeichnungen im Gesamtbetrage von 1,4 Milliarden Mark bei der Reichsbank anzumelden.“65
64 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1918, S. 11. 65 Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1915, S. 8.
82
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Dieser Betrag machte 5,5 Prozent der bis dahin begebenen drei Kriegsanleihen aus. Mit Bezug auf die bis dahin sieben Kriegsanleihen schreibt die Dresdner Bank im Geschäftsbericht für 1917, dass sie für über vier Milliarden Mark Zeichnungen vermittelt habe.66 Die Deutsche Bank gibt im Geschäftsbericht für 1916 die Information, dass sie bei den Zeichnungen für die ersten fünf Kriegsanleihen mit über drei Milliarden Mark beteiligt war.67 Das waren 6,4 Prozent der bis zu diesem Zeitpunkt aufgelegten Kriegsanleihen. In Relation zur Bilanzsumme beziehungsweise zum Kreditorenbestand wies die Dresdner Bank damit ein in etwa doppelt so hohes Engagement wie die Deutsche Bank auf. Für 1917 berichtet die Deutsche Bank, dass sie bis Ende 1917 mit rund fünf Milliarden Mark an der Zeichnung der bis dahin aufgelegten Kriegsanleihen beteiligt war.68 Insgesamt hat die Deutsche Bank 6,49 Mrd. M an Kriegsanleihen – und zwar ganz überwiegend als Vermittler – gezeichnet.69 Das waren 6,6 Prozent des Gesamtvolumens.70 Die Commerzbank nennt keine Beträge. Der Abƀuss der recht erheblichen Beträge für die Bezahlung der Kriegsanleihen (wie auch für die in weniger großen Beträgen begebenen Reichschatzanweisungen) hatte entsprechenden Einƀuss auf die Bilanzen beziehungsweise die Liquidität der Kreditinstitute. Doch bedeutete dies insbesondere für die Großbanken mit ihrem primär kurzfristigen Geschäft und dem nur geringen Bestand an langfristigen Depositen kein besonderes Problem. Zum einen konnten die Einzahlungen für die Kriegsanleihen in mehreren Raten – in der Regel vier – über etwa vier Monate verteilt geleistet werden, zum anderen konnten bestimmte Schatzwechsel in Zahlung gegeben werden. Die relativ hoch rentierliche Zwischenanlage in kurzfristigen Schatzwechseln erleichterte den Ansparprozess für den Kauf der Kriegsanleihen sowohl bei den Banken als auch bei den Nichtbanken. Die zunächst in den Eigenbestand genommenen Kriegsanleihebeträge wurden zudem bei überwiegend günstiger Marktlage sukzessive und zumeist mit Gewinn verkauft, sodass an den Bilanzstichtagen die drei Großbanken in der Regel nur noch geringe Bestände an Kriegsanleihen aufwiesen. Die hier kurz skizzierten Modalitäten der Bezahlung von Kriegsanleihen und die umgehende Verausgabung der Anleiheerlöse durch das Reich für die Bestreitung der Kriegsausgaben sorgten für eine schnelle Wiederauffüllung des Einlagenbestandes innerhalb weniger Monate nach der Bezahlung der Raten für die Kriegsanleihen.71 Dabei ist bemerkenswert, dass sich der Wiederauffüllungsprozess im 66 67 68 69 70
Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1917, S. 8. Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1916, S. 14. Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1917, S. 17. Schreiben Deutsche Bank an Reichshauptbank für Wertpapiere v. 1. Juli 1919. HADB, S. 2682. Zum Vergleich: Die deutschen Sparkassen zeichneten 23,5 Mrd. M an Kriegsanleihe. Vgl. Plumpe, Werner: Die Sparkassen in Weltkrieg und Inƀation, in: Wissenschaftsförderung der Sparkassenorganisation e.V. (Hrsg.): Der Einƀuß von Konjunktur und Krisen auf die Sparkassenentwicklung in Europa vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Stuttgart 1999, S. 27–40, hier: S. 30. 71 Vgl. die Aufstellung über die Entwicklung der Guthaben bei den Berliner Wechselstuben und Zweigstellen der Disconto-Gesellschaft bei Baecker, Willy: Die deutschen Banken im Jahr 1918, in: Der Deutsche Oekonomist, Sonderbeilage, 37. Jg. (1919), S. 3 f.; Prion: Kreditbanken, S. 46,
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
83
Laufe der Kriegsjahre immer mehr beschleunigte – auch dieses eine Folge der progressiven Geldvermehrung. 3.2.1.2.2 Die Qualität des Einlagenbestandes72 Die Qualität einer Einlage – wie auch als Gesamtbetrachtung des Einlagenbestands – bestimmt sich in erster Linie nach der Befristung, mit der sie dem Kreditinstitut überlassen wird. Die Befristung ist isoliert betrachtet grundsätzlich die maßgebende Eigenschaft für die Verwendung einer Einlage im Aktivgeschäft. Für den Einlagenbestand als Ganzes gilt diese Aussage nur bedingt. Die Erfahrung zeigt, dass zumindest ein Teil der Einlagen entgegen der vereinbarten Befristung beziehungsweise Fälligkeit einem Kreditinstitut nicht entzogen wird (Prolongation)73 oder dass Einlagen durch andere Einlagen ersetzt werden (Substitution). Am deutlichsten wird letzterer Effekt bei Verwendung von Einlagen zur Überweisung auf ein anderes, bei dem selben Kreditinstitut geführtes Konto. Aus alledem ergibt sich ein so genannter Bodensatz von Einlagen, der einem Kreditinstitut dauerhaft zur Verfügung steht, und entsprechend genutzt werden kann. Neben der Befristung von Einlagen als grundsätzlich wichtigster Eigenschaft kann man als weitere Eigenschaften die Verzinsungsverhältnisse, die Herkunft der Einlagen beziehungsweise des Einlegers, ihre Denominierung (Währung), ihre voraussichtlichen Verwendungszwecke und – hier primär bezogen auf den Gesamtbestand – auch ihre Größenstruktur nennen.74 Die Fristigkeit beziehungsweise Fälligkeit der Einlagen Der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit von Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank lag auf der Passivseite historisch gesehen im kurzfristigen Einlagengeschäft. Diese Banken – wie auch die anderen Berliner Großbanken und die größeren Provinzbanken – waren die Hausbanken von Industrie, Handel und Gewerbe. Die Unternehmen unterhielten bei den oftmals durch Aktiv- oder Passivbeteiligung mit einer Graſk betreffend die Depositenbestände von Dresdner Bank und Disconto-Gesellschaft für die Zeit von Ende Juli 1914 bis Ende März 1917. Die Kurven verlaufen bei beiden Banken sehr ähnlich. 72 Der Begriff „Einlagen“ wird hier zunächst allgemein für „Kreditoren“, „Depositen“ und „aufgenommene Gelder“ verwendet. Im Text wird – je nach Sachlage – differenziert. 73 Selbstverständlich kann auch der Fall eintreten, dass eine Einlage früher als vereinbart zurück verlangt wird. Das war bei Kriegsausbruch häuſger der Fall und auch bei der Zeichnung von Kriegsanleihe, bei der die Kreditinstitute aus übergeordneten Gesichtspunkten auf die Einhaltung der Kündigungsfristen verzichteten. Vgl. Prion: Kreditbanken, S. 48. 74 Nur die Dresdner Bank gibt in den Geschäftsberichten 1914 bis 1916 einige Informationen. Bei den Einlagen in provisionsfreier Rechnung betrugen (jeweils am Jahresende) die Durchschnittsbeträge auf den Konten bei Fälligkeit innerhalb von sieben Tagen rund 2.200 M, bei Fälligkeit von acht Tagen bis drei Monate rund 5.700 M und bei Fälligkeit über drei Monate ebenfalls 5.700 M bei über die Jahre steigender Tendenz. Die Durchschnittsguthaben bei den „Sonstigen Gläubigern“ dürften erheblich höher gewesen sein. Doch werden die Konten dieser Kreditoren (vor allem Unternehmen) mit den für deutsche Banken und Bankſrmen geführten Konten zusammengefasst, sodass eine Durchschnittsermittlung keinen Sinn macht.
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3. Der Bankbetrieb im Krieg
verbundenen Banken ihre Arbeitsguthaben („working balances“), aber auch die vorübergehend nicht benötigten ƀüssigen Mittel. Entsprechend dem seit dem Abschluss für 1911 verwendeten detaillierterem Gliederungsschema für die Bilanz wird bei den „Kreditoren“ zunächst einmal unterschieden zwischen den „Einlagen auf provisionsfreier Rechnung“ und den „Sonstigen Kreditoren“. Nach den Intentionen der Urheber des neuen Bilanzschemas sollten unter die „Einlagen in provisionsfreier Rechnung“ die eigentlichen „Depositen“ verbucht werden, Gelder, die von den Gläubigern aus eigener Initiative der Bank überlassen werden und zwar auf Konten, die in der Regel im Kredit bleiben und nicht ins Debet übergehen werden.75 Unter den „Sonstigen Kreditoren“ ſnden sich schwerpunktmäßig die Kontokorrentguthaben, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen und unter anderem im Zuge der konjunkturellen Entwicklung stark schwanken können. Zum Charakter des Kontokorrentgeschäfts gehört, dass über die entsprechenden Konten eine Vielzahl von Geschäften abgewickelt wird und sie in der Regel nicht nur ausschließlich auf Guthabenbasis geführt werden, sondern auch der kurzfristigen Kreditinanspruchnahme dienen. Für diese in laufender Rechnung geführten Konten berechneten die Banken regelmäßig eine am Umsatz oder an der Kreditinanspruchnahme orientierte Provision. Bei einem Vergleich der Bilanzstrukturen von Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank für die Jahre 1913 bis 1918 fällt auf, dass die Deutsche Bank einen erheblich höheren Anteil an Einlagen (in provisionsfreier Rechnung) als die beiden anderen Banken aufweist und sich dieser Anteil im Laufe des Krieges noch deutlich erhöht (bis auf rund 64 Prozent der Kreditoren). Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Deutsche Bank in den Kriegsjahren in wachsendem Umfang auch echte Ersparnisse an sich zog. Bei der Dresdner Bank ging der ohnehin schon niedrige Anteil der Einlagen an den Kreditoren fast ununterbrochen zurück und erreichte Ende 1918 nur mehr rund 33 Prozent. Dieser Wert ist insofern überraschend als die Dresdner Bank über ein ähnlich umfangreiches Netz an Filialen und Depositenkassen wie die Deutsche Bank verfügte. Die Dresdner Bank sah ihren besonderen Schwerpunkt aber traditionell in der Pƀege des Kontokorrentgeschäfts.76 Die Commerzbank liegt bei Anteil und Entwicklung ihres Einlagenbestandes im Mittelfeld zwischen Deutscher Bank und Dresdner Bank. Der Anteil der Einlagen an den gesamten Kreditoren ging von 46 Prozent (1913) auf 43 Prozent (1918) zurück. Nachstehend wird eine Übersicht über die Entwicklung des Anteils von Depositen und „Sonstigen Kreditoren“ an den gesamten Kreditoren gegeben:
75 Kalveram: Bankbilanzen, S. 41. 76 „Wir verdanken daher das ausgewiesene Geschäftsergebnis in erster Linie unserem laufenden Konto-Korrent-Geschäft, in dessen sorgfältiger Pƀege wir die besondere Stärke unseres Betriebes suchen.“ Vgl. Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1913, S. 5.
85
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
Tabelle 9: Prozentuale Anteile der Depositen und „Sonstigen Kreditoren“ an den Kreditoren in den Jahren 1913 bis 1918 (Summe Kreditoren = 100 Prozent) 1913
1914
1915
1916
1917
1918
Deutsche Bank
57/35
57/35
56/36
58/34
64/30
64/32
Dresdner Bank
42/50
39/52
35/58
34/60
35/57
33/60
Commerzbank
46/41
44/46
42/48
42/46
41/43
43/48
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1913 bis 1918; eigene Berechnungen.
Unter dem Einƀuss wachsender politischer Spannungen und letztlich dem Kriegsausbruch wurden den Banken nicht nur (zum großen Teil allerdings nur für kurze Zeit) erhebliche Mittel in bar entzogen, sondern die Kunden tendierten aus Vorsichtsgründen allgemein zu einer höheren Liquiditätspräferenz. Sowohl bei den Einlagen als auch bei den „Sonstigen Kreditoren“ stieg der Anteil der innerhalb von sieben Tagen fälligen Gelder von Ende 1913 auf Ende 1914 zum Teil drastisch an. Besonders deutlich wird diese Verkürzung der formalen Befristung bei der Deutschen Bank. Ende 1914 machten die sehr kurzfristig fälligen „Sonstigen Kreditoren“ 81 Prozent – Ende 1915 sogar 84 Prozent – dieser Bilanzposition aus. Im weiteren Verlauf des Krieges mit einer zunehmenden Anpassung an die neuen Verhältnisse setzte eine wachsende Tendenz zur Fristenverlängerung ein mit dem Schwerpunkt bei den „Sonstigen Kreditoren“ mit Befristung bis zu drei Monaten. Eine Ausnahme bildet die Deutsche Bank, bei der der Anteil der „Sonstigen Kreditoren“ mit Fälligkeit über drei Monate hinaus bis zu einem Viertel des Gesamtbestandes ausmachte. Mit der wachsenden Unsicherheit über den Kriegsausgang, die Folgen des verlorenen Krieges und den politischen Unruhen sowie der beginnenden Umstellung auf die Friedenswirtschaft mit ihrem erhöhten Mittelbedarf ging in 1918 die Befristungsdauer vor allem bei den „Sonstigen Kreditoren“ wieder zurück. Obwohl die Geldentwertung bereits in den Kriegsjahren ein ziemlich großes Ausmaß angenommen hatte – so erreichte der Verbraucherpreisindex 1918 310 Prozent (1913 = 100) und die Mark ſel gegenüber dem US-Dollar auf 71 Prozent des Wertes von Ende 1913 (jeweils Jahresdurchschnitte)77 –, spielte sie für die Entscheidung über die Befristung eines Bankguthabens allem Anschein nach keine Rolle. Nachstehend wird eine Übersicht über die Entwicklung der Fristigkeitsstruktur – getrennt nach Depositen und „Sonstigen Kreditoren“ – bei den drei Großbanken gegeben:
77 Bundesbank: Geld- und Bankwesen, S. 3, 6.
86
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Tabelle 10: Fristigkeitsstruktur der Depositen in den Jahren 1913 bis 1918 (Summe Depositen = 100 Prozent; fällig innerhalb von sieben Tagen/bis zu drei Monaten/nach drei Monaten) 1913
1914
1915
1916
1917
1918
Deutsche Bank
70/20/10
74/14/12
66/21/13
58/29/13
58/29/13
58/29/13
Dresdner Bank
52/31/17
63/23/14
62/25/13
51/32/17
45/31/24
45/31/24
Commerzbank
49/42/9
61/31/8
57/38/5
52/41/7
50/39/11
54/40/6
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1913 bis 1918; eigene Berechnungen. Tabelle 11: Fristigkeitsstruktur der „Sonstigen Kreditoren“ in den Jahren 1913 bis 1918 (Summe „Sonstige Kreditoren“ = 100 Prozent; fällig innerhalb von sieben Tagen/bis zu drei Monaten/nach drei Monaten) 1913
1914
1915
1916
1917
1918
Deutsche Bank
57/18/25
81/12/7
84/7/9
73/7/20
72/5/23
75/1/24
Dresdner Bank
62/33/5
68/29/3
62/33/5
52/39/9
53/36/11
58/37/5
Commerzbank
68/31/1
74/23/3
66/27/7
58/27/15
48/38/14
70/24/6
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1913 bis 1918; eigene Berechnungen.
Über die materiellen, das heißt die tatsächlichen Fristen von Einlagen und „Sonstigen Kreditoren“, gibt es keinerlei Statistiken und Informationen, nicht einmal Andeutungen in den Geschäftsberichten der Kreditinstitute. Doch ist davon auszugehen, dass durch Prolongation und Substitution beide Bilanzpositionen – nur unterbrochen durch die ratenweise Einzahlung auf die Kriegsanleihen – ziemlich kontinuierlich wuchsen und den Banken faktisch dauerhaft zur Verfügung standen. Das sich mit zunehmender Intensität bewegende Schwungrad der Kriegsſnanzierung als alles dominierender Faktor führte den drei Banken – wie auch der gesamten Volkswirtschaft – Liquidität in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zu. Die Verzinsungsverhältnisse der Einlagen Die auch von der Reichsbank im Interesse der Stabilität des Bankensystems (insbesondere auch einer höheren Liquiditätshaltung) mit einiger Sympathie78 begleiteten Bemühungen der Berliner Stempelvereinigung, Zinsen, Kreditbedingungen und Provisionen möglichst weitgehend zu vereinheitlichen („Allgemeine Abmachungen“ (AA) – Konditionenkartell) waren bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs nur in Teilbereichen erfolgreich. In der Praxis gab es aber durchaus ein breit abgestimmtes,
78 Otto, Fritz: Die Organisation des privaten deutschen Bankgewerbes in Bankenverbänden und Bankenvereinigungen. Greifswald 1930, S. 49 f. (im Folgenden Otto: Organisation); Döring, Franz: Rückblick auf die Zeit vor dem Kriege und im Kriege, in: Untersuchung des Bankwesens 1933, I. Teil, 2. Bd., Berlin 1933, S. 137–158, hier: S. 149.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
87
gleichmäßiges Verhalten der Kreditbanken unter Führung der Stempelvereinigung.79 Prinzipiell anknüpfend an den jeweiligen Reichsbank-Diskontsatz wurde für die Debitoren ein Mindestzins, für die Einlagen in laufender Rechnung ein Höchstzins vorgegeben und überwiegend auch angewendet. Der Zinswettbewerb im Einlagengeschäft erstreckte sich grundsätzlich nur auf Einlagen mit einer Befristung von mehr als 30 Tagen. Hierfür gab es keine Vorgabe der Stempelvereinigung, allenfalls Absprachen beziehungsweise abgestimmte Verhaltensweisen auf lokaler Ebene.80 Die von der Stempelvereinigung vereinbarten Zinssätze wurden in aller Regel von den lokalen Bankenvereinigungen, denen allerdings Sparkassen und Kreditgenossenschaften nicht angehörten, übernommen. Als Mitglieder der aus zwölf Banken beziehungsweise Bankiers bestehenden Stempelvereinigung hielten sich Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank grundsätzlich an die von ihnen mit beschlossenen Konditionen. Nachdem die Kreditbanken zur Abwehr von Einlagenabzügen bei Kriegsausbruch ihre Habenzinsen für täglich fällige Einlagen in zwei Schritten bis auf 4½ Prozent angehoben hatten – eine Maßnahme, die ihren Zweck allerdings kaum erfüllte – senkten sie für diese Art von Einlagen den Zinssatz ab Dezember 1914 zunächst wieder bis auf drei Prozent.81 Die Banken verhielten sich damit ähnlich wie die Reichsbank, die den Diskontsatz nach vorübergehender Anhebung bis auf sechs Prozent am 23. Dezember 1914 auf fünf Prozent ermäßigte und während des gesamten Krieges daran festhielt. Mit dem zunehmenden Zuƀuss an Einlagen gingen die Berliner Großbanken mit der Verzinsung der täglich fälligen Einlagen in provisionsfreier Rechnung (Scheckkonten) im Verlauf des Jahres 1915 bis auf 1½ Prozent zurück und blieben bis Kriegsende bei diesem Satz. Für die „Sonstigen Kreditoren“ wurden je nach Befristung höhere Sätze bewilligt. Traditionell orientierten sich die Zinsen für täglich fällige Guthaben in laufender Rechnung am Diskontsatz der Reichsbank abzüglich zwei Prozentpunkten, im Berichtszeitraum überwiegend drei Prozent.82 Für längere Laufzeiten wurden zum Teil deutlich höhere Zinssätze bewilligt, galt es doch der in diesem Bereich spürbaren Konkurrenz der Sparkassen und Kreditgenossenschaften entgegenzutreten und zu starke Umschichtungen von Einlagen der Nichtbanken in die Schatzwechsel des Reiches zu verhindern. Immerhin bot das Reich im Verlauf des Krieges bis zu 49/16 Prozent bei etwa drei Monaten Laufzeit für Schatzwechsel, die für die spätere Bezahlung von Kriegsanleihen gedacht waren. Über die Reichsbank verkaufte das Reich Schatzwechsel an Banken und Nichtban79 In einem vertraulichen Schreiben der Direktion der Disconto-Gesellschaft (Federführer der Berliner Bankenvereinigung) vom 8. Februar 1913 an den Präsidenten der Handelskammer Frankfurt am Main, Andreae, geht es zum Beispiel um die Frage „in welchem Umfange die Niederlassungen der Mitglieder […] künftig an die vereinbarten Sätze auch an den Plätzen, an denen noch keine Bankenvereinigungen bestehen, gebunden sein sollen. Es herrscht das Bestreben, diese Bindung soweit als möglich auszudehnen.“ HAC-3/160. 80 Ausschuß: Bankkredit, S. 26 ff. 81 Diese und die folgenden Zinsinformationen sind entnommen den Niederschriften über die Verhandlungen bzw. Schreiben der Stempelvereinigung. Vgl. HADB, Band 379. 82 Der Zinsertrag wurde allerdings durch die übliche Berechnung einer Umsatzprovision im Ergebnis deutlich gemindert (etwa um 30 Prozent bis 50 Prozent).
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3. Der Bankbetrieb im Krieg
ken mit Stückelungen ab 1.000 Mark und mit unterschiedlichen Laufzeiten. Im Zuge der sich verstärkenden Konkurrenz um die ƀüssigen Mittel von Unternehmen und Privaten forderte die Reichsbank sogar ihre zahlreichen Bankanstalten dezidiert zu aktivem Verkauf der Schatzwechsel auf: „Es muß im vaterländischen Interesse mit aller Bestimmtheit erwartet werden, daß die Bankanstalten nunmehr ausnahmslos aus der ihnen sonst im Effektengeschäft auferlegten Zurückhaltung heraustreten und das für die Kriegsſnanzierung des Reiches überaus wichtige Schatzanweisungsgeschäft mit allen Kräften zu fördern suchen.“83
Man kann sich leicht vorstellen, dass die Banken über diese Art von Wettbewerb durch Reich und Reichsbank nicht gerade erfreut waren, auch wenn sie sich dazu nicht offen äußerten. Die Herkunft der Einlagen Die wachsende Inanspruchnahme volkswirtschaftlicher Ressourcen für die Kriegswirtschaft mit einem fortschreitendem Abbau der Läger und unzureichenden Investitionen in vielen Bereichen sowie die starke Einschränkung von Außenhandel und Kapitalexport führten zu einer erheblichen Mittelfreisetzung in weiten Bereichen von Industrie, Handel und Gewerbe.84 Hinzu kamen häuſg sehr hohe Gewinne (in zunehmenden Maße auch Scheingewinne) der Kriegslieferanten. Staatlichen Stellen blieb bei im Verlauf des Krieges stark schrumpfendem Angebot oftmals keine Wahl, als die geforderten Preise zu bewilligen. Die liquiden Überschüsse der Unternehmen schlugen sich primär bei den Großbanken als in der Regel kurzfristige Einlagen nieder: „Den größeren Teil ihrer liquiden Mittel wollten sie sich kurzfristig zur Verfügung halten, um bei Kriegsende sofort darüber disponieren zu können.“85 Doch nicht nur die unmittelbaren industriellen Kriegslieferanten proſtierten. Vor allem auch im Einzelhandel müssen die Gewinnspannen trotz zahlreicher Preis regulierender Vorschriften86 und Bewirtschaftungsmaßnahmen sehr hoch gewesen sein. Dieser Schluss lässt sich aus dem erheblichen Auseinanderklaffen von Großhandelsund Verbraucherpreisindex ziehen. So stieg der Großhandelspreisindex (Jahresdurchschnitt) von 1913 = 100 auf 217 in 1918, der Verbraucherpreisindex im selben Zeitraum dagegen weit stärker auf 310.87 Aus dem Primat der Politik, den Krieg mit allen Mitteln zu gewinnen, ergab sich die Konsequenz, dass ſnanz- und währungspolitische Überlegungen und Bedenken wegen der sich kumulierenden staatlichen
83 RvRbkDir No. 19843 v. 29. Juni 1916. HABBk. Rbk-1-Drs.1/1916. 84 Die Industrieproduktion sank von 1913 = 100 auf 57 Ende 1918. Vgl. Bundesbank: Geld- und Bankwesen, S. 6. 85 Roesler, Konrad: Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Berlin 1967, S. 141 (im Folgenden Roesler: Finanzpolitik). 86 Zum Beispiel das „Gesetz, betreffend Höchstpreise“ v. 4. August 1914, RGBl. 1914, S. 339 f. mit einer Fülle späterer Konkretisierungen. 87 Bundesbank: Geld- und Bankwesen, S. 6.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
89
Deſzite, der stark wachsenden Geldmenge und der steigenden Preise hinten an stehen mussten. Die Zentralisierung der Kriegswirtschaft in Berlin mit der Etablierung zahlreicher Kriegswirtschaftsgesellschaften, die Konten nicht nur bei der Reichsbank, sondern auch bei den Berliner Großbanken unterhielten, führte den Großbanken zusätzliche Kunden und Einlagen zu. Ihr Marktanteil stieg.88 Die Bedeutung des breiten Publikums für die Einlagenentwicklung bei den Berliner Großbanken – wohl mit Ausnahme der Deutschen Bank89 – war vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht sehr groß. Sie dürfte während des Krieges sogar noch abgenommen haben. Vor allem die Einkommen der abhängig Beschäftigten gingen während des Krieges unter Berücksichtigung der erheblichen Preissteigerungen teilweise drastisch zurück und gestatteten trotz sinkenden Konsums keine umfangreiche Ersparnisbildung mehr. Über die Größenordnung der Einlagen von Ausländern beziehungsweise in ausländischer Währung geben die Geschäftsberichte der drei Banken keine Auskunft.90 Man kann nur annehmen, dass bei sich zuspitzender politischer Entwicklung ein Teil der Einlagen noch vor Kriegsausbruch abgezogen wurde.91 Die bei Kriegsausbruch noch vorhandenen Einlagen von „feindlichen“ Ausländern wurden durch staatliche Anordnung sequestriert und auf mit zunächst drei Prozent pro anno verzinsliche Sperrkonten übertragen. Guthaben aus der ausnahmsweisen Einlösung von Wechseln mit „feindlichem“ Giro sollten auf ein separates, mit vier Prozent verzinsliches Konto gestellt werden. Voraussetzung war, dass der Gläubiger sich während des Krieges der Verfügung über das Guthaben enthielt.92 Im weiteren Verlauf des Krieges wurde für künftige Gutschriften von Wechseln die Verzinsung aufgehoben. Über die Frage der Verzinsung von Ausländerguthaben sollte nach Friedensschluss entschieden werden.93
88 „Von den Ende 1918 von allen Banken insgesamt nachgewiesenen Depositen entſelen 70,2 Prozent gegen 65,8 Prozent Ende 1917, gegen 60,0 Prozent Ende 1916, 57,5 Prozent Ende 1915, Ende 1914 52,5 Prozent, Ende 1913 51,3 Prozent, […] auf die Berliner Banken.“ Vgl. Baecker, Willy: Die deutschen Banken im Jahre 1918, in: Der Deutsche Oekonomist, Sonderbeilage, 37 Jg. (1919), S. 8. 89 Vgl. hierzu die sehr detaillierte Untersuchung Motschmann, Gustav: Das Depositengeschäft der Berliner Großbanken. München/Leipzig 1915. Zur Situation in Berlin siehe insbesondere S. 393, 401 f. (im Folgenden Motschmann: Depositengeschäft). 90 Ebd., S. 516. Motschmann schätzt den Zuƀuss von Depositen und anderen Geldern aus dem Ausland als „im allgemeinen nicht sehr bedeutend“ ein. Bekannt ist allerdings, dass ausländische Unternehmen und Notenbanken teilweise recht hohe Beträge bei den Großbanken unterhielten (zum Beispiel zur Anlage am Geldmarkt oder im Vorfeld von Zinszahlungen und Tilgungen). 91 Die Deutsche Bank gibt im Geschäftsbericht für 1918 die Information: „haben wir […] noch Ende Juli unmittelbar vor Verkündigung der russischen Mobilmachung größere, an Kündigung geknüpfte Guthaben der Russischen Staatsbank auf deren Ansuchen ausbezahlt.“ Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1918, S. 12. 92 RvRbkDir No. 17092 v. 30. August 1914 mit einem Schreiben der Direktion der DiscontoGesellschaft v. 27. August 1914 als Federführer der Vereinigung von Berliner Banken und Bankiers. HABBk.Rbk-1-Drs.1/1914. 93 RvRbkDir No, 21488 v. 19. Oktober 1914 mit einem Schreiben der Direktion der DiscontoGesellschaft v. 17. Oktober 1914 als Federführer der Vereinigung von Berliner Banken und Bankiers. HABBk.Rbk-1-Drs.1/1914.
90
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Die Verwendungszwecke der Einlagen Nachdem noch bis in das Jahr 1915 von den Gläubigern der Kreditbanken in größerem Umfang Vorsichtskasse gehalten wurde, dominierten im weiteren Verlauf die Kriegswirtschaft und ihre Finanzierung die Verwendungszwecke der Einlagen. Aus den im vorhergehenden Abschnitt genannten Gründen wuchsen – nach Tilgung ihrer Bankverbindlichkeiten – die Überschüsse der zahlreichen an Kriegslieferungen beteiligten Unternehmen und Unternehmer aus Industrie, Handel und Gewerbe. Sie benötigten zwar zur Abwicklung der Aufträge – auch bedingt durch die zunehmenden Preissteigerungen – in steigendem Umfang Arbeitsguthaben, doch blieb ein wachsender Teil frei für andere Verwendungen. Neben länger laufenden Termingeldern bot sich vor allem die Anlage in den kurz laufenden Schatzwechseln des Reiches an, die einen höheren Ertrag als die Einlagezinsen bei den Großbanken brachten und zudem jederzeit zum Diskontsatz von – allerdings fünf Prozent – an die Reichsbank zurückgegeben werden konnten.94 Die Banken mussten also ständig mit einer Umwandlung von Einlagen der Nichtbanken in Schatzwechsel rechnen. Doch war dieses nicht allzu problematisch, weil durch die in der Regel prompte Bezahlung der Kriegslieferungen durch staatliche Stellen und die Tilgung der nur kurz laufenden Schatzwechsel (Laufzeit in der Regel zwischen ein und drei Monaten, fallweise sogar kürzer) die abdisponierten Mittel schnell wieder in das Bankensystem zurückƀossen. Anders verhielt es sich allerdings mit den Schatzwechseln, die als Zwischenanlage erworben wurden, um damit neue Kriegsanleihen zu bezahlen. Faktisch handelte es sich dabei um den vorgezogenen Kauf von noch zu begebenden Kriegsanleihen. Während die Anlage in Schatzwechseln (nicht zum Erwerb von Kriegsanleihen) als wichtiges Instrument der kurzfristigen Liquiditätsdisposition anzusehen ist, waren die im Verlauf zunehmenden Anlagen in Kriegsanleihen Teil einer langfristigen Anlagepolitik. Die wachsenden Überschussguthaben, für die auch mittelfristig keine Verwendung im Unternehmen selbst bestand (zum Beispiel für Investitionen in Sachanlagen), eigneten sich für die Anlage in Kriegsanleihen (Grundlaufzeit zehn Jahre) oder verzinslichen Schatzanweisungen (Tilgung in Serien per Auslosung) mit Renditen von deutlich über fünf Prozent.95 Auch diese Mittel ƀossen kurzfristig auf den bekannten Wegen in die Wirtschaft beziehungsweise in das Bankensystem zurück. Doch fehlte es hier – im Unterschied zu den Schatzwechseln – an der kurzfristigen Tilgung und damit unmittelbaren Regeneration der Einlagen. 3.2.1.2.3 Akzepte und Schecks Vor dem Ersten Weltkrieg wurde der deutsche Außenhandel – teilweise auch der russische und österreichische – zum weitaus größten Teil durch das Akzept deutscher 94 Beispielsweise wurden im Januar 1915 Schatzwechsel mit sechs bis zwölf Wochen Laufzeit und Diskontierungssätzen von 3¾ Prozent bis 37/8 Prozent verkauft. RvRbkDir No. 2130 v. 19. Januar 1915. HABBk.Rbk-1-Drs.1/1915. 95 Effektivrendite der ersten Kriegsanleihe auf zehn Jahre gerechnet 5,38 Prozent, der ersten Reichsschatzanweisung auf fünf Jahre gerechnet 5,63 Prozent.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
91
Banken, vornehmlich der Berliner Großbanken, ſnanziert. Ausländische Importeure zogen zur Kaufpreisſnanzierung auf deutsche Banken erster Bonität und verschafften sich liquide Mittel durch Verkauf dieser Bankakzepte am Privatdiskontmarkt oder diskontierten sie. Deutsche Exporteure, insbesondere in Hamburg, setzten ebenfalls das Bankakzept als Finanzierungsmittel ein. Um die niedrigeren Geldmarktsätze in London96 nutzen zu können, wurden dem deutschen Außenhandel die Akzepte nicht nur in Mark, sondern auch in Pfund Sterling zur Verfügung gestellt.97 Zahlbar waren diese Akzepte (Domizilakzepte) bei den Londoner Clearingbanken. Ein weiterer Teil des Außenhandels wurde durch Ziehungen in Pfund Sterling auf Filialen deutscher Großbanken in London – so der Deutschen Bank und der Dresdner Bank – ſnanziert. Mit Ausbruch des Krieges gingen der deutsche Außenhandel und die damit verbundenen Finanzierungen – überwiegend unter Einsatz des Bankakzepts – drastisch zurück. Die Londoner Filialen von Deutscher Bank und Dresdner Bank mussten ihre werbende Tätigkeit einstellen und wurden von einem public trustee nach und nach abgewickelt.98 Bankakzepte dienten allerdings nicht nur dem Außenhandel, sondern wurden auch zur günstigen Betriebsmittelbeschaffung oder als reine Finanzakzepte (vor allem als Bank-auf-Bank-Ziehungen) eingesetzt.99 Bei der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der in der Außenhandelsſnanzierung traditionell besonders starken Commerzbank dürften die so genannte Warenakzepte den Großteil der 1913 bilanzierten Akzeptverbindlichkeiten ausgemacht haben. Nur so lässt sich der dramatische Rückgang in den Jahren 1914 bis 1916 erklären. Die Bestände der Bilanzposition „Akzepte und Schecks“ – sie enthielt ganz überwiegend Akzepte – gingen bei der Deutschen Bank auf 23 Prozent, bei der Dresdner Bank auf 24 Prozent und bei der Commerzbank auf 33 Prozent des Wertes von Ende 1913 zurück. Erst ab 1917 trat eine gewisse Stabilisierung beziehungsweise Erholung des Bestandes ein – bei der stark handelsorientierten Commerzbank am stärksten. Lansburgh, einer der besten Bankenkenner der damaligen Zeit, begründete den weiter geringen Umfang des Akzeptgeschäfts im Inland im Jahr 1918 mit der „hochgradigen Unlust der Banken, anderen Industriellen als den allergrößten und eng mit ihnen liierten Konzernen – bei denen kein Geldbedürfnis geherrscht hat – Kredit auch in dieser bequemen und einträglichen Form zu gewähren.“100
Der Kontokorrentkredit brachte ungleich höhere Erträge.
96 Die Differenz betrug 1913 beim Bankdiskont 1,12 Prozentpunkte und beim Privatdiskont 0,59 Prozentpunkte. Vgl. Ausschuß: Bankkredit, S. 93. 97 Im geringeren Umfang wurden Akzepte auch in Schweizer Franken, zahlbar bei den Schweizer Großbanken, ausgestellt. Vgl. ebd., S. 89. 98 Bei der Filiale der Deutschen Bank in London machten die Akzepte Ende 1913 mit 125 Mio. M rund 57 Prozent der dortigen Bilanzsumme aus. Vgl. Deutsche Bank-Bilanz, Inventar zum 31. Dezember 1913. HADB. 99 Kalveram: Bankbilanzen, S. 46 f. 100 Lansburgh, Alfred: Die Berliner Großbanken im Jahr 1918, in: Die Bank 1919, S. 361–370, hier: S. 365 (im Folgenden Lansburgh: Großbanken 1918).
92
3. Der Bankbetrieb im Krieg
3.2.1.2.4 Nostroverpƀichtungen und Guthaben deutscher Banken und Bankſrmen Unter diesen beiden Bilanzpositionen ſnden sich die Verbindlichkeiten gegenüber deutschen Kreditinstituten.101 Die zugrunde liegenden Transaktionen sind dem Geldmarkt zuzurechnen, auf dem die Banken als Nehmer und Geber kurzfristige Kredite zur Liquiditätssteuerung oder auch zu Arbitragezwecken handeln. Bei den Nostroverpƀichtungen handelt es sich in der Regel um bei anderen Kreditinstituten aufgenommene Gelder mit kurzer Laufzeit, während die Guthaben deutscher Banken und Bankſrmen auf die Initiative der jeweiligen Geber zurückzuführen sind. Als Spitzeninstitute mit Sitz in Berlin – und damit im Zentrum des Geldmarktes und am Sitz der wichtigsten Börse – erhielten Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank von den mit ihnen auf verschiedene Weise verbundenen Instituten in der Provinz große Teile von deren Liquiditätsreserven als täglich fällige oder befristete Gelder. Traditionell nahmen dabei die so genannten Ultimogelder eine größere Rolle ein. Es handelte sich hierbei um Monatsgeld, das immer wieder verlängert wurde, wenn es nicht gekündigt wurde. Auch wenn diese Gelder oftmals nicht zur Finanzierung von Börsengeschäften verwendet wurden, so wurden sie doch usancemäßig wie Börsengelder – und damit vergleichsweise hoch – verzinst. Die Orientierung an Börsenusancen hatte zur Folge, dass das am 14. August 1914 vom Berliner Börsenvorstand für die Ende August 1914 fälligen Report- und Ultimogelder erlassene Moratorium auch die entsprechenden Guthaben der Provinzbanken unter anderem bei den Berliner Großbanken einschloss. Die Liquiditätssituation mancher Provinzbank wurde dadurch beeinträchtigt. Doch gaben die verbundenen Großbanken oftmals Hilfestellung.102 Die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten unterliegen im Jahresverlauf erfahrungsgemäß starken Schwankungen. Hierbei spielt die Situation am Geldmarkt eine große Rolle, aber auch Motive des so genannten window dressing, der Bilanzverschönerung, zum Beispiel am Jahresende. Die in den Jahresabschlüssen ausgewiesenen Werte sind daher nicht immer repräsentativ für die Entwicklung während eines Jahres. Die Nostroverpƀichtungen machten bei Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank in den Abschlüssen 1914 bis 1918 ganz überwiegend weniger als ein Prozent der jeweiligen Bilanzsumme aus. Eine Ausnahme ergab sich im Abschluss 1917 für die Commerzbank mit 5,1 Prozent der Bilanzsumme beziehungsweise 57 Mio. M. Erklärungen für diesen relativ hohen Wert enthält der Geschäftsbericht nicht. Möglicherweise wollte die Commerzbank eine höhere Liquidität ausweisen, oder es handelte sich um Arbitragegeschäfte am Geldmarkt. Größere Bedeutung haben die Guthaben deutscher Banken und Bankſrmen. Sie erreichen Werte zwischen 4,1 Prozent und 6,4 Prozent der Bilanzsumme. Eine Ausnahme stellt wiederum der Wert für die Commerzbank mit 8,6 Prozent (Abschluss 1917) dar. Auch hierfür wird im Geschäftsbericht keine Erklärung geliefert.
101 Die Guthaben ausländischer Banken sind – unabhängig von der Währung – in der Regel in den „Sonstigen Kreditoren“ enthalten. 102 Prion: Kreditbanken, S. 31.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
93
3.2.2 Die Entwicklung von Aktivgeschäften und Aktivbeständen und deren Einƀussfaktoren 3.2.2.1 Liquide Mittel und Liquiditätsquoten Die Aufrechterhaltung der jederzeitigen Zahlungsbereitschaft ist die unerlässliche Nebenbedingung für die Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen, insbesondere Kreditinstituten. Die Frage, wie die jederzeitige Zahlungsbereitschaft bei den deutschen Kreditinstituten am besten beziehungsweise am zweckmäßigsten gewährleistet werden könne, wurde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kontrovers diskutiert. Die Mehrheit der Sachverständigen sprach sich in der Bankenenquete 1908/09 gegen normative Bestimmungen – wie zum Beispiel das obligatorische Halten einer bestimmten Mindestreserve bei der Reichsbank – aus, unter anderem, weil man den sehr unterschiedlichen Verhältnissen bei den einzelnen Kreditinstituten und Kreditinstitutsgruppen damit nicht Rechnung tragen würde. Einschlägige Beispiele aus dem Ausland zeigten zudem, dass Vorschriften dieser Art Konkurse von Banken nicht verhindert hatten.103 Die Reichsbank hatte dagegen immer wieder die Notwendigkeit betont, über eine Erhöhung der Barreserven der Kreditinstitute die Stabilität des Geld- und Kreditsystems zu verbessern. Sie wollte damit auch erreichen, dass die Kreditinstitute zunächst einmal selbst mögliche Belastungen bewältigen und nicht sofort Zuƀucht bei der Reichsbank nehmen mit entsprechenden Folgen für die Deckungsrelationen.104 Um den Liquiditätsstatus zeitnah überwachen und möglicherweise auch öffentlichen Druck bewirken zu können, forderte die Reichsbank die freiwillige Veröffentlichung von Zwischenbilanzen, die viele Banken seit dem 1. Januar 1912 auch tatsächlich aufstellten und im Reichsanzeiger veröffentlichten.105 Wohl auch unter dem Aspekt der Herstellung der „ſnanziellen Kriegsbereitschaft“ legte Reichsbankpräsident Havenstein den Leitern der Berliner Großbanken am 18. Juni 1914 nochmals die Notwendigkeit dar, die Barreserven zu erhöhen und zehn Prozent der Summe der Kontokorrent-Kreditoren und Depositen im Jahresdurchschnitt als Barbestand oder Guthaben bei Noten- und Abrechnungsbanken zu unterhalten. Dieses Ziel sollte innerhalb von zwei Jahren erreicht werden.106 Gemessen am Bilanzstichtag 1913 – wie auch nach den Zwischenbilanzen für Ende Juni 1914 – waren die drei Großbanken noch unterschiedlich weit von den Vorstellungen des Reichsbankpräsidenten entfernt. Hierbei ist aber zu berücksich-
103 Bankenenquete 1908/1909. Materialien zur Frage des Depositenwesens. Berlin 1910, S. 39–45. 104 Nordhoff, Karl: Die Maßnahmen der Reichsbank zur Verbesserung der Publizität, Liquidität und Solidarität der Banken, in: Untersuchung des Bankwesens 1933, I. Teil, 2. Bd. Berlin 1933, S. 243–268; Lindenlaub: Instrumentarium, S. 133 f. 105 Das Schema für die Zwischenbilanzen wurde vorgegeben durch Bekanntmachung des Reichskanzlers v. 30. Juli 1911. Deutscher Reichsanzeiger v. 5. August 1911. 106 Kalveram: Bankbilanzen, S. 62 f.; Zilch, Reinhold: Die Reichsbank und die ſnanzielle Kriegsvorbereitung von 1907 bis 1914. Berlin 1987, S. 79–82 (im Folgenden Zilch: Reichsbank). Bei dem Treffen am 18. Juni 1914 waren auch die Deutsche Bank (Gwinner), die Dresdner Bank (Nathan) und die Commerzbank (Pilster) vertreten (vgl. ebd., S. 80, Anm. 78).
94
3. Der Bankbetrieb im Krieg
tigen, dass die Barreserve nicht an allen Arbeitstagen, sondern nur an sechs Stichtagen gehalten werden sollte.107 Tabelle 12: Liquide Mittel (Barreserve) und Liquiditätsquoten Ende 1913 und Ende Juni 1914 (in Mio. M / Prozent der Depositen und „Sonstigen Kreditoren“) Ende 1913 Liquide Mittel
Ende Juni 1914
Liquiditätsquote
Liquide Mittel
Liquiditätsquote
Deutsche Bank
127,4
8,8
144,5
8,7
Dresdner Bank
68,6
7,8
62,1
6,9
Commerzbank
17,4
6,3
19,6
7,1
Quelle: Geschäftsberichte 1913; veröffentlichte Zwischenbilanzen zum 30. Juni 1914; eigene Berechnungen.
Die deutlichen Unterschiede zwischen den drei Banken dürften sich zum einen aus der Größe des Filialnetzes – ein höherer Grad an Dezentralisierung bedeutet ceteris paribus wegen des geringeren In-sich-Ausgleichs einen höheren Liquiditätsbedarf – und unterschiedlicher Risikopolitik, zum anderen aber wohl auch aus der unterschiedlichen „politischen“ Nähe zur Reichsbank und dem Verständnis für deren Vorstellungen erklären.108 Allerdings hätte selbst eine Barreserve von zehn Prozent nicht ausgereicht, um den Auszahlungsanforderungen der Bankkunden Ende Juli/Anfang August 1914 in vollem Umfang nachkommen zu können. Immerhin wurden den Großbanken schätzungsweise 15 bis 20 Prozent ihrer fremden Gelder innerhalb weniger Tage entzogen.109 Der schnelle Rückgriff auf die Reichsbank als lender of last resort war unumgänglich und wurde so auch vorausgesetzt beziehungsweise erwartet. Die der Reichsbank vorgeschalteten Darlehnskassen wurden von den drei Großbanken – soweit ersichtlich – nicht beansprucht, boten aber durch den weit gezogenen Kreis der beleihbaren Pfänder einen wichtigen Rückhalt für mögliche extreme Belastungen. 107 Lansburgh, Alfred: Die Erziehung zur Liquidität, in: Die Bank (1914), S. 623–635, hier: S. 629. 108 Als symptomatisch hierfür mag eine Äußerung von Gwinner (Vorstandsmitglied der Deutschen Bank) in der Besprechung von Bankenvertretern am 18. Juni 1914 mit dem Reichsbankpräsidenten gelten: „Wir, die Großbanken, kontrollieren heute schon über 60 Prozent der Depositen Deutschlands. Unsere Macht ist groß, und wenn wir uns für etwas einsetzen, können wir ziemlich viel erreichen. Wer sich einem einstimmigen Beschluß widersetzt, würde den ernstlichen Schaden in der Veränderung seiner Kreditfähigkeit am eigenen Leibe zu spüren haben.“ Gwinner unterstützte damit die Vorstellungen des Reichsbankpräsidenten nach einer „freien Vereinbarung“ für eine höhere Liquiditätshaltung der Banken. Zitiert nach Zilch: Reichsbank, S. 80 f. Deutsche Bank und Dresdner Bank – waren anders als die Commerzbank – auch im Zentralausschuss der Reichsbank vertreten. Schon die Gründungsgeschichte der Deutschen Bank zeigt eine starke politische Orientierung und die Verbindung nationaler mit geschäftspolitischen Interessen. Vgl. Dahlem: Professionalisierung, S. 33 f., und die dort genannten Quellen; ferner Gall, Lothar: Die Deutsche Bank von ihrer Gründung bis zum Ersten Weltkrieg 1870–1914, in: ders. et al.: Deutsche Bank, S. 83–107. 109 Prion: Kreditbanken, S. 22.
95
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
Trotz dieser günstigen Bedingungen für eine schnelle und umfangreiche Liquiditätsbeschaffung verstärkten die drei Großbanken unter dem Eindruck der Geschehnisse um den Kriegsausbruch herum im Verlauf des Jahres 1914 ihre liquiden Mittel beziehungsweise ihre Liquiditätsquoten. Ende 1914 erreichten die Liquiditätsquoten bei den Banken deutlich höhere Werte als Ende 1913 (in Prozent der Depositen und „Sonstigen Kreditoren): Deutsche Bank Dresdner Bank Commerzbank
15,2 11,4 8,3
Die Commerzbank, die als einzige im Geschäftsbericht auf das Thema „Liquidität“ eingeht, begründet den Anstieg der liquiden Mittel mit offensichtlich erhöhter Vorsicht: „Wir sahen uns durch die Verhältnisse veranlasst, einen größeren Bestand an ƀüssigen Mitteln bereit zu halten.“110 Nachdem die Kriegsſnanzierung in Gang gekommen war, gab es für die Großbanken grundsätzlich kein Liquiditätsproblem mehr. Nur unterbrochen von den – vorher bekannten – Zahlungen für die Kriegsanleihen stiegen die Einlagen kontinuierlich an. Das Geschäft mit privaten Debitoren ging dagegen zurück. Die Großbanken standen damit eher vor dem Problem zu hoher als zu niedriger Liquidität. Sie beklagen in ihren Geschäftsberichten häuſger, dass eine nutzbringende Anlage der ihnen reichlich zuƀießenden Mittel nicht immer leicht gewesen sei. Die immer mehr anwachsende, fast notgedrungene Anlage in Schatzwechseln des Reiches verbesserte die strukturelle Liquidität der Großbanken, da Schatzwechsel jederzeit bei der Reichsbank in Banknoten oder Giroguthaben umgewandelt werden konnten. Die liquiden Mittel im eigentlichen Sinn (Kasse und Giroguthaben bei Noten- und Abrechnungsbanken) konnten daher prinzipiell relativ niedrig liegen, wenngleich die unsichere politische und wirtschaftliche Lage – vor allem nach dem Eintritt der USA in den Krieg – immer wieder zur Vorsicht mahnte. Deutsche Bank und Dresdner Bank hielten ihre liquiden Mittel beziehungsweise Liquiditätsquoten bis Kriegsende auf vergleichsweise hohem Niveau, während die Commerzbank schon Ende 1915 den Stand von Ende 1913 unterschritt. Die Liquiditätsquoten entwickelten sich wie folgt: Tabelle 13: Entwicklung der Liquiditätsquoten in den Jahren 1915 bis 1918 (Barreserve in Prozent der Depositen und „sonstigen Kreditoren“) 1915
1916
1917
1918
Deutsche Bank
12,9
9,3
9,3
7,3
Dresdner Bank
12,6
12,5
11,1
10,1
Commerzbank
4,5
3,5
3,0
2,2
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1915 bis 1918; eigene Berechnungen. 110 Commerzbank, Geschäftsbericht 1914 [o. S.].
96
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Die sehr niedrigen Werte bei der Commerzbank lassen sich – neben den bereits genannten Faktoren kleineres Filialnetz, größere „politische“ Distanz zur Reichsbank – möglicherweise auch mit efſzienterem Liquiditätsmanagement, stärkerem Rentabilitätsdenken, höherer Risikobereitschaft und engerer Zusammenarbeit mit befreundeten Banken erklären (höchster Anteil an Nostroguthaben). Äußerungen hierzu ſnden sich weder in den Geschäftsberichten noch in den Aufsichtsratsprotokollen. Hinweise auf irgendwelche Liquiditätsengpässe gibt es – soweit ersichtlich – weder in den Quellen noch in der Literatur. 3.2.2.2 Wechsel und unverzinsliche Schatzanweisungen (Schatzwechsel) Wechsel waren in der Vorkriegszeit ein verbreitetes Zahlungs-, Finanzierungs- und Anlageinstrument im nationalen und internationalen Geschäftsverkehr: „Der Wechsel war das Papiergeld des Kaufmanns.“111 Für die Banken stellten Wechsel höchster Bonität ein Aktivum dar, das wie kaum ein anderes den Anforderungen an Liquidität, Sicherheit und Rentabilität gleichermaßen genügte. Wechsel mit Akzept oder Giro erster Bankadressen oder mit der Unterschrift deutscher Industrieſrmen mit absoluter Kreditwürdigkeit wurden auf dem Privatdiskontmarkt zu Vorzugssätzen unterhalb des Reichsbankdiskontsatzes gehandelt. Die Reichsbank selbst kaufte Wechsel, welche eine Verfallzeit von höchstens drei Monaten hatten und aus welchen in der Regel drei, mindestens aber zwei als zahlungsfähig bekannte Verpƀichtete hafteten, im Wege des (Re)diskonts zum Diskontsatz an (§ 13 Nr. 2 Bankgesetz von 1875). Die so diskontierten Wechsel waren für die Deckung des Notenumlaufs nach Erreichung der Bardeckung von mindestens einem Drittel des Notenumlaufs geeignet (§ 17). In dieser Regelung drückte sich die so genannte Banking-Theorie aus, die eine vorübergehende Erhöhung des Geldumlaufs für die Absatzſnanzierung für legitim und für währungspolitisch unbedenklich hielt.112 Krieg, Kriegswirtschaft und Kriegsſnanzierung hatten entscheidenden Einƀuss auf das Wechselgeschäft der Großbanken und in der Folge auf die Anlage in Schatzwechseln des Reiches und der Bundesstaaten sowie auch in Kommunalwechseln von Gemeinden und Gemeindeverbänden. Nachdem um den Kriegsbeginn herum die Banken zunächst noch in großem Stil Wechsel auf ihre Debitoren zogen und diese Wechsel umgehend bei der Reichsbank diskontierten,113 stellten sich die Verhältnisse bald ganz anders dar. Die gewohnten Zahlungssitten in weiten Bevölkerungskreisen änderten sich im Verlauf des Krieges fundamental: „An die Stelle des kunstvoll geƀochtenen Kreditsystems trat allgemein die Gewohnheit der Barzahlung und Vorauszahlung.“114 Warenbeschaffung, -bevorratung und -verteilung wurden 111 Kalveram: Bankbilanzen, S. 68. 112 Bendixen, Friedrich: Vom Wesen des Geldes, 4. Auƀ. mit Anmerkungen u. Ergänzungen. München/Leipzig 1926, S. 26–30; Elster: Mark, S. 30–35; Köhler, Claus: Geldwirtschaft. Erster Band: Geldversorgung und Kreditpolitik, 2., veränd. Auƀ. Berlin 1977, S. 75 f. 113 Der Wechselbestand der Reichsbank stieg vom 23. Juli bis zum 31. Juli 1914 um 1.330 Mio. M. Vgl. Reichsbank, Verwaltungsbericht 1914, S. 9. 114 Kalveram: Bankbilanzen, S. 68.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
97
im Laufe des Krieges immer mehr dem privaten Handel entzogen und bei staatlichen Stellen und Kriegsgesellschaften konzentriert. Auch die drei Großbanken waren hieran beteiligt.115 Im Unterschied zu privaten Unternehmen bezahlten diese Stellen ihre Lieferanten nicht mit Wechseln, sondern in der Regel in bar oder mit (Reichsbank-) Überweisung. Die Inanspruchnahme von Wechselkredit war für staatliche Stellen unüblich und angesichts der zügigen Bereitstellung von Mitteln durch das Reich auch gar nicht nötig. Geld war reichlich vorhanden. Die zunehmende Liquidisierung in der Gesamtwirtschaft mit vielfach hohen Unternehmensgewinnen machte die zusätzliche Beschaffung von Liquidität über den Wechselkredit unnötig. Vorhandene Wechsel wurden von den Nichtbanken häuſg nicht diskontiert, sondern als gut rentierliche Anlage bis zur Fälligkeit im Bestand gehalten.116 Hinzu kam eine Präferenz für die Barzahlung – nicht nur im eigentlichen Schleichhandel, um die zahlreichen staatlichen Vorschriften, insbesondere Höchstpreisvorschriften, für immer mehr Waren unbemerkt unterlaufen zu können. Der weitgehende Wegfall der internationalen Handelsbeziehungen, die starke Einbindung staatlicher Stellen in den noch verbleibenden Handel und die nicht mehr mögliche Einschaltung (Akzept) der Londoner Filialen der deutschen Großbanken (so der Deutschen Bank und der Dresdner Bank) bedeuteten auch den Niedergang der für Finanzierung und Anlage gleichermaßen beliebten Primabankakzepte (Privatdiskontmarkt). Durch das Gesetz betreffend die Änderung des Bankgesetzes vom 4. August 1914117 wurde in § 2 bestimmt, dass auch solche Wechsel, die das Reich verpƀichteten und nach spätestens drei Monaten fällig waren, von der Reichsbank diskontiert und als sekundäre Notendeckung verwendet werden durften. Diese Wechsel wurden damit den für den Ankauf geeigneten Handelswechseln gleichgestellt, obwohl der materielle Hintergrund und letztlich auch die monetären Auswirkungen völlig anders geartet waren. Die nun als Notendeckung zugelassenen Schatzwechsel des Reiches wurden ab dem 7. August 1914 zusammen mit den Wechseln (und Schecks) als „Bestand an Wechseln, Schecks und diskontierten Schuldverschreibungen des Reichs“ auf einem gemeinsamen Konto verbucht,118 so wie es im ofſziellen Gliederungsschema für die Bankbilanzen vorgesehen war und von den Banken auch gehandhabt wurde. Die Schatzwechsel des Reiches stellten ebenso wie die guten Handelswechsel ein Anlageinstrument dar, das den wesentlichen Zielen des Bankbetriebs – Liquidität, Sicherheit und Rentabilität – in ausgewogener Weise entsprach. Schatzwechsel konnten anders als die rediskontfähigen Handelswechsel, für die es Kontingente gab, jederzeit und betragsmäßig unbegrenzt bei der Reichsbank diskontiert oder auch am freien Markt verkauft werden. Hinzu kam die – allerdings wegen des höheren 115 Vgl. zum Beispiel Deutsche Bank, Geschäftsberichte 1914, S. 10; 1915, S. 11; 1916, S. 11. Die Bank berichtet, dass sie die Geschäfte für zahlreiche Kriegsausschüsse und Abrechnungsstellen besorgt habe. 116 Prion: Kreditbanken, S. 80. 117 RGBl. 1914, S. 327. 118 Hinzu kamen noch die so genannten Zoll-Kriegswechsel zur Mobilisierung gestundeter Zölle und Reichssteuern. Bis Ende 1914 wurden solche Wechsel im Wert von 329 Mio. M von der Reichshauptkasse bei der Reichsbank diskontiert. Vgl. Reichsbank, Verwaltungsbericht 1914, S. 10.
98
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Zinses kaum interessante – mögliche Lombardierung bei den Reichsdarlehnskassen. Solange die Kreditwürdigkeit des Reiches über jeden Zweifel erhaben war, war die Sicherheit der Schatzwechsel sogar höher als die der Handelswechsel einzuschätzen. Die Verzinsung der Handelswechsel war im Schnitt wohl ein Prozentpunkt höher als die der Schatzwechsel mit je nach Laufzeit rund vier bis 4,5 Prozent pro anno. Doch wurde dieser Renditenachteil durch die höhere Liquidität, die einfachere Bearbeitung (standardisierte Laufzeiten und Stückelungen, keine Bonitätsprüfung) und bessere Handelbarkeit aufgewogen. Durch den zunehmenden Mangel an Handelswechseln (und Debitoren) blieb den Großbanken allerdings kaum eine echte Wahl zwischen Wechseln und Schatzwechseln. Die Auffassung Lansburghs hinsichtlich des Erwerbs von Schatzwechseln geht sicherlich zu weit: „Die Banken sind es dem Reich schlechterdings schuldig, diese Art von Kriegshilfe zu leisten, schon aus Erkenntlichkeit dafür, daß bisher weder ein direkter noch ein mittelbarer Zwang auf sie ausgeübt worden ist, Kriegsanleihe für eigene Rechnung zu übernehmen.“119
Zeitgenössische Statistiken über die Begebung von Wechseln gibt es nicht. Doch lassen sich aus dem Aufkommen an Wechselstempelsteuer, aus der Anzahl der Wechselprozesse und dem Wechselbestand bei der Reichsbank einige Schlüsse ziehen: Ŗ 9GEJUGNUVGORGNUVGWGTCWHMQOOGP Das Wechselstempelsteueraufkommen nahm von 1913 bis 1918 folgende Entwicklung (in Mio. M):120
Ŗ
1913
1914
1915
1916
1917
1918
20,5
16,4
12,2
12,8
13,6
11,0
Hierbei ist noch die Geldentwertung und eine – geringe – Erhöhung des Wechselstempels ab dem 1. August 1918 zu berücksichtigen. 9GEJUGNRTQ\GUUG Nach den Angaben im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich ging die Anzahl der Wechselprozesse von 1913 bis 1918 drastisch zurück:121 1913
1914
1915
1916
1917
1918
365.417
345.293
136.654
17.651
11.305
8.901
Selbst wenn man aufgrund der wachsenden Liquidität und Rentabilität in der Wirtschaft ohnehin einen deutlichen Rückgang nicht bezahlter Wechsel erwarten kann, so dürfte der weitgehende Übergang von der Wechselzahlung zur Barzahlung und Überweisung doch entscheidend gewesen sein.
119 Lansburgh, Alfred: Die Berliner Großbanken im Kriegsjahr 1917, in: Die Bank 1918, S. 327–336, hier: S. 330 (im Folgenden Lansburgh: Großbanken 1917). 120 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 40. Jg. (1919), S. 259. 121 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 41. Jg. (1920), S. 157.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
Ŗ
99
9GEJUGNKO$GUVCPFFGT4GKEJUDCPM Durch die Zusammenfassung von Wechseln, Schecks und Schatzwechseln in einer Position ist der Bestand an diskontierten Handelswechseln nicht ohne weiteres ersichtlich. Die Subtraktion der bei der Reichsbank beſndlichen Schatzwechsel ergibt aber annähernd den eigentlichen Wechselbestand der Reichsbank (jeweils am Jahresende in Mrd. M):122 1913
1914
1915
1916
1917
1918
1,5
1,2
0,6
0,7
0,4
0,3
Der Bestand an Schatzwechseln bei der Reichsbank wuchs dagegen unter starken Schwankungen drastisch an, weil es im Zeitablauf nicht mehr gelang, diese Papiere außerhalb der Reichsbank unterzubringen beziehungsweise die „schwebende Schuld“ durch Kriegsanleihen zu konsolidieren (Bestand am Jahresende in Mrd. M):123 1914
1915
1916
1917
1918
2,7
5,2
8,9
14,2
27,2
Außerhalb der Reichsbank – primär im Bankensystem – befanden sich an Schatzwechseln (Bestand am Jahresende in Mrd. M):124 1914
1915
1916
1917
1918
0,2
0,5
3,7
14,4
28,0
Spätestens ab Mitte 1916 vollzog sich in den Bilanzen der Banken eine sich immer mehr beschleunigende Metamorphose vom eigentlichen Wechselkredit hin zum Staatskredit in Gestalt der Schatzwechsel. Die Analyse der Bilanzposition „Wechsel und unverzinsliche Schatzanweisungen“ bei den Großbanken wird dadurch wesentlich erschwert, dass in der eigentlichen Bilanz entsprechend dem vorgegebenen Gliederungsschema keine Unterscheidung zwischen den Wechseln der Privatwirtschaft und denen staatlicher Stellen (insbesondere des Reiches) vorgesehen ist. Ebenso fehlt es an einer Unterscheidung nach inländischer und ausländischer Währung. Die Geschäftsberichte von Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank für die Jahre 1913 bis 1918 enthalten auf freiwilliger Grundlage nur wenige ergänzende Informationen, die von Bank zu Bank unterschiedlich ausfallen, und im Laufe der Kriegsjahre immer weniger werden. So berichtet die Deutsche Bank im Geschäftsbericht für 1913, dass bei der Zentrale 4.256.969 Stück Wechsel im Gesamtbetrag von 18,3 Mrd. M ein- und ausgegangen sind, somit ein Abschnitt im Durchschnitt rund 4.300 M betragen habe.125 Für die Folgejahre fehlen solche Angaben. Aus Bilanz und Inventar ergibt sich, dass vom gesamten Wechselbestand von 649,4 Mio. M Ende 1913 34,3 Mio. M (Gegenwert) Valuta-Wechsel waren (allein 22,6 Mio. M in 122 123 124 125
Deutschlands Wirtschaft, S. 62 f. Ebd. Ebd. Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1913, S. 9.
100
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Pfund Sterling).126 Die Commerzbank nennt die Umsätze (Ein- und Ausgang) auf ihrem Wechselkonto (ganz offensichtlich inklusive der Schatzwechsel; in Mrd. M): 1913
1914
1915
1916
1917
1918
8,7
7,6
5,7
9,3
13,8
17,3
Die Zahlen zeigen den Einbruch im eigentlichen Wechselgeschäft und danach das starke Wachstum der Geschäfte in Schatzwechseln. Die Dresdner Bank gibt Informationen anderer Art, die eher eine Einschätzung der Entwicklung des Wechselgeschäfts erlauben und sogar Angaben zu Valuta-Wechseln enthalten. Ab dem Geschäftsbericht für 1917 entfallen leider die vorgenannten Informationen. Tabelle 14: Wechsel im Bestand bei der Dresdner Bank in den Jahren 1913 bis 1916 Anzahl
Betrag (in Mio. M)
darunter Valutawechsel (in Mio. M)
1913
83.150
375,9
55,6
1914
46.666
330,0
11,9
1915
26.425
353,1
10,2
1916
21.936
708,0
10,0
Quelle: Dresdner Bank, Geschäftsberichte 1913–16.
Auch bei der Dresdner Bank ist das eigentliche Wechselgeschäft sehr stark zurückgegangen. Ende 1916 machte die Anzahl der Wechsel gegenüber der Vorkriegszeit nur noch rund ein Viertel aus. Da die im Wechselbestand enthaltenen Schatzwechsel in der Regel in großen Stückelungen gekauft wurden, dürften sie für die Entwicklung der Anzahl der Wechsel insgesamt – anders als bei den Beträgen – keine wesentliche Bedeutung gehabt haben. Der Bestand an Valuta-Wechseln ging von 1913 auf 1914 kriegsbedingt drastisch von 55,6 Mio. M auf 11,9 Mio. M zurück und blieb bis Ende 1916 auf diesem Niveau. Ein großer Teil dieses Wechselbestandes dürfte, da im feindlichen Ausland zahlbar, vorläuſg uneinbringlich geworden sein. Bei allen drei Banken dürfte der Anteil der Handelswechsel Ende 1918 – ausgehend von den obigen Informationen und Zahlen – schätzungsweise deutlich weniger als zehn Prozent der Bilanzsumme betragen haben. Dieses bedeutet, dass der Anteil der Schatzwechsel bei der Deutschen Bank mindestens 50 Prozent und bei den beiden anderen Banken Ende 1918 mindestens 40 Prozent der Bilanzsumme ausgemacht haben muss. 3.2.2.3 Nostroguthaben bei Banken und Bankſrmen In dieser Bilanzposition sind nicht nur die auf Initiative des bilanzierenden Kreditinstituts gehaltenen Guthaben bei anderen Banken, sondern auch die zum Beispiel aufgrund von Kreditgewährung oder auch Kontoüberziehung entstandenen Forde126 Bilanz, Inventar zum 31. Dezember 1913. HADB; für die Folgejahre sind keine Unterlagen mehr vorhanden.
101
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
rungen gegenüber anderen Banken enthalten. Im Unterschied zur Passivposition „Guthaben deutscher Banken und Bankſrmen“ umfasst die Aktivposition „Nostroguthaben bei Banken und Bankſrmen“ auch die Guthaben bei Auslandsbanken, und zwar in der Regel in Auslandswährung. Bedauerlicherweise ſndet sich in den Bilanzen weder auf der Aktiv- noch auf der Passivseite (bei den Nostroverpƀichtungen) eine Aufteilung in Mark beziehungsweise Fremdwährung – ein Informationsdeſzit, das in Zeiten sehr unterschiedlicher Geldwertentwicklung besonders bedauerlich ist. Am Bilanzstichtag 1913 beziehungsweise am Tag der Zwischenbilanz zum 30. Juni 1914 machten die „Nostroguthaben bei Banken und Bankſrmen“ bei den drei Großbanken folgende Beträge beziehungsweise Anteile an der Bilanzsumme aus: Tabelle 15: Nostroguthaben bei Banken und Bankſrmen Ende 1913 und Ende Juni 1914 Ende 1913 Mio. M
Ende Juni 1914 Prozent
Mio. M
Prozent
Deutsche Bank
61,7
2,7
90,4
3,5
Dresdner Bank
61,4
4,1
65,5
4,3
Commerzbank
40,1
7,9
51,4
9,9
Quelle: Geschäftsberichte für das Jahr 1913; veröffentlichte Zwischenbilanzen zum 30. Juni 1914.
Die Zahlen der Zwischenbilanzen sind ein wenig überraschend. Die Banken hatten wegen der unsicheren politischen Lage sicherlich ihre Guthaben bei Banken im (später) feindlichen Ausland zurückgeführt – so wie es die Auslandsbanken gegenüber deutschen Banken taten, andererseits aber offensichtlich die Guthaben bei deutschen Banken stärker erhöht. Bei Kriegsausbruch verloren die deutschen Banken die Verfügungsgewalt nicht nur über ihre Filialen (so Deutsche Bank und Dresdner Bank in London), sondern auch über ihre (Valuta)- Guthaben bei Banken im feindlichen Ausland, und zwar für die gesamte Kriegszeit. Die Guthaben feindlicher Auslandsbanken bei deutschen Banken wurden analog behandelt (Übertrag auf zunächst noch verzinsliche, später unverzinsliche Sperrkonten). Während des Krieges stiegen die Nostroguthaben der Großbanken bei Banken in den neutralen Ländern (vor allem Niederlande) an, weil die Großbanken an dem durch den Staat geregelten Zahlungsverkehr zur Finanzierung der kriegswichtigen Einfuhr teilnehmen durften.127 Da eine kreditſnanzierte Einfuhr angesichts der allgemein unsicheren Verhältnisse kaum mehr möglich war, mussten die beteiligten deutschen Banken für die oft nötige Vorauszahlung, zumindest aber Zahlung Zug um Zug, hohe Währungsguthaben unterhalten. Konkrete Angaben zum Umfang dieser wahrscheinlich stark schwankenden Guthaben waren nicht zu ſnden. Auch im innerdeutschen Bankensystem stiegen die Nostroguthaben – sowohl in absoluten Beträgen als auch in Relation zur Bilanzsumme – bis 1917 tendenziell an. Hierin spiegelt sich nicht nur die erhebliche Geldentwertung mit der Erhöhung
127 Kalveram: Bankbilanzen, S. 77.
102
3. Der Bankbetrieb im Krieg
aller nominalen Werte, sondern wohl auch ein erhöhtes Liquiditätsrisikobewusstsein angesichts des starken Wachstums der kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten wider. Der Rückgang 1918 mag mit dem erhöhten Liquiditätsbedarf, möglicherweise aber auch angesichts der noch unklaren Konsequenzen des verlorenen Krieges mit wachsender Zurückhaltung gegenüber zu umfangreichen Interbank-Krediten zu tun haben. Im Einzelnen nahmen die Nostroguthaben der drei Großbanken im Krieg folgende Entwicklung : Tabelle 16: Entwicklung der Nostroguthaben in den Jahren 1914 bis 1918 1914 Mio. M
1915
Prozent
Mio. M
1916
Prozent
Mio. M
1917
Prozent
Mio. M
1918
Prozent
Mio. M
Prozent
Deutsche Bank
73,7
2,7 105,6
3,3 198,4
5,0 509,6
7,9 282,7
3,6
Dresdner Bank
62,4
4,6
65,9
4,2
86,6
4,0 230,1
6,8 104,4
2,3
Commerzbank
31,6
6,5
36,4
6,5
51,8
6,9
7,3
4,3
81,2
63,6
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1914 bis 1918; eigene Berechnungen.
Ob und in welchem Umfang Valuta-Guthaben in den Beträgen enthalten sind beziehungsweise die Höherbewertung dieser Guthaben (gerechnet in Mark) diese Entwicklung mitbestimmt hat, ist aus dem Quellenmaterial nicht ersichtlich. 3.2.2.4 Reports und Lombards gegen börsengängige Wertpapiere128 Bei Kriegsausbruch wurden in Deutschland – wie auch in vielen anderen Ländern – die Wertpapier- und Warenbörsen geschlossen.129 Nachdem es schon in den letzten Julitagen angesichts der drohenden Kriegsgefahr zu kräftigen Kursrückgängen gekommen war, sollte die Börsenschließung (weitere) Panikverkäufe verhindern. Die Schließung der Börsen bedeutete für die deutschen Banken das (vorläuſge) Ende des Effektenkommissionsgeschäfts, das ihnen, wenn auch konjunkturabhängig, recht hohe Erträge gebracht hatte. Doch bald entwickelte sich ein Handel unter den Banken von Büro zu Büro und etwa ab Ende 1914 eine Art Freiverkehr in den Räumlichkeiten der Börse. Dieser Freiverkehr blieb zunächst im Wesentlichen den Pri128 Beim Lombardkredit handelt es um einen Kredit gegen Verpfändung von Wertpapieren. Das Reportgeschäft gehört in den Bereich des Börsentermingeschäfts. Beim Haussegeschäft übernimmt die Bank am Ultimo eines Monats die auf Termin gekauften Wertpapiere gegen Zahlung des Liquidationskurses unter der Verpƀichtung, sie an den Hereingeber der Papiere nach einem Monat gegen Rückzahlung der um die Reportzinsen erhöhten Summe wieder auszuliefern, während der Baissespekulant die Bank um Herausgabe der Papiere, die er zu liefern gezwungen ist, deren endgültigen Kauf er aber in Erwartung einer Kurssenkung hinausschieben möchte, gegen Zahlung des Liquidationskurses ersucht. Diese Geschäfte werden als „Kostgeschäfte“ bezeichnet. Vgl. Kalveram: Bankbilanzen: S. 79. 129 Einstellung des Terminhandels an der Berliner Börse am 29. Juli 1914. Verkäufe nur noch gegen Aushändigung der Stücke. Schließung der Börsen am 31. Juli 1914.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
103
vatbankiers vorbehalten, weil die Großbanken sich auf „höheren Wunsch“130 nicht beteiligten. Erst Anfang Juni 1915 nahmen die Großbanken am Freiverkehr teil. Ab dem 3. Dezember 1917 gab es wieder – wenn auch eingeschränkt – einen Börsenverkehr mit amtlicher Kursfeststellung. Die im Zusammenhang mit dem Effektenkommissionsgeschäft von den Großbanken häuſg gegebenen, in der Regel durch börsengängige Wertpapiere gedeckten Spekulationskredite wurden durch die Schließung der Börsen uneinbringlich und belasteten die in den ersten Kriegstagen ohnehin angespannte Liquiditätslage der Banken. Gemessen an der Bilanzsumme handelte es sich um recht hohe Beträge. „Reports und Lombards gegen börsengängige Wertpapiere“ machten Ende 1913 bei der Deutschen Bank mit 233,2 Mio. M 10,4 Prozent, bei der Dresdner Bank mit 119,1 Mio. M 7,7 Prozent und bei der Commerzbank mit 86,1 Mio. 17,0 Prozent der Bilanzsumme aus. Im weiteren Verlauf der Jahre 1914 und 1915 gelang es den Großbanken, die aus zurückliegenden Börsentermingeschäften resultierenden Kredite stark abzubauen. Die Schuldner nutzten die Möglichkeiten des Freiverkehrs, verkauften ihre Wertpapiere mit Einwilligung der Kredit gebenden Bank im Direktgeschäft oder tilgten die Kredite aus anderen Mitteln. Die Abwicklung schwebender Engagements wurde wesentlich erleichtert durch steigende Kurse bei der großen Mehrheit der Dividendenwerte (insbesondere der Lieferanten kriegswichtiger Güter).131 So konnte die Deutsche Bank schon für 1914 berichten, dass sich die gegen börsengängige Wertpapiere bewilligten Reports und Lombardvorschüsse bedeutend verringert hätten und für 1915 schreibt sie: „In Folge der durchgeführten Abwicklung aller vor dem Kriege schwebenden Börsentermingeschäfte haben sich die Report- und Lombardvorschüsse im Uebrigen auf einen bescheidenen Bruchteil ihrer früheren Höhe ermäßigt.“132
Mit Blick auf die Situation bei den Kriegsgegnern England und Frankreich bemerkt sie mit Stolz: „In Deutschland allein sind alle Börsengeschäfte abgewickelt. Ein unter unserer Führung gebildetes Konsortium Berliner Banken und Firmen war bereit, bei der Ende November erfolgten Erledigung der in Folge des Krieges schwebend gebliebenen Zeitgeschäfte an der hiesigen Effektenbörse etwa unversorgte Positionen zu versorgen: das Konsortium hatte überhaupt nicht nötig, helfend einzugreifen.“133
Daraus kann man den Schluss ziehen, dass die involvierten Großbanken bei der Abwicklung der schwebenden Börsenkredite keine oder zumindest keine nennenswerten Verluste erlitten haben. Die insgesamt steigenden Effektenkurse erleichterten die Abwicklung. Auch mag den Großbanken die unfreiwillige Prolongation der Börsenkredite angesichts der wachsenden Einlagen, des zunehmenden Mangels an 130 Grüger: Wirkungen des Krieges, S. 44. 131 Kronenberger, Fritz: Die Preisbewegung der Effekten in Deutschland während des Krieges. Berlin 1920, Tabellenanhang (im Folgenden Kronenberger: Preisbewegung). 132 Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1915, S. 9. 133 Ebd.
104
3. Der Bankbetrieb im Krieg
nicht-staatlichen Schuldnern und der relativ hohen Zinssätze gar nicht so unlieb gewesen sein. Im weiteren Verlauf änderte sich der materielle Charakter der Bilanzposition „Reports und Lombards gegen börsengängige Wertpapiere“ fast vollständig. Nach einem Rundschreiben der Berliner Stempelvereinigung an die Bankkunden verpƀichteten sich die Banken, in Verbindung mit dem provisorischen Börsenverkehr keine Darlehn mehr zu gewähren und Kaufaufträge nur gegen Barzahlung auszuführen.134 Die Banken entsprachen damit dem Wunsch von Reich und Reichsbank über die Einschränkung des Börsenverkehrs, insbesondere für die Geschäfte spekulativer Art, „den Geldmarkt nach Möglichkeit für die Kriegsſnanzierung des Reiches frei zu halten.“135 Der Posten „Reports und Lombards“ beinhaltete nun in wachsendem Umfang Vorschüsse für den Erwerb von Kriegsanleihen, Vorauszahlungen der Banken für Rechnung ihrer Kunden beim Kauf von Kriegsanleihen sowie Vorschüsse und Darlehn an Kommunen, Sparkassen und öffentliche Verbände gegen die Verpfändung von börsengängigen, in der Regel mündelsicheren Wertpapieren. Das Reich war daran interessiert, das langfristige Kapitalangebot möglichst ausschließlich für die Kriegsanleihen zu nutzen. Die Reichsbankverwaltung verwies aus diesem Grund andere staatliche und private Stellen auf die Kreditgewährung bei den Banken und Darlehnskassen.136 Die Deutsche Bank weist in der Bilanz (nach dem alten Gliederungsschema) in einem Unterposten die Kreditgewährung an Kommunen und Kommunalverbände aus. Dieser Anteil stieg von 31 Prozent (1914), über 63 Prozent (1915) auf etwa 83 Prozent in den drei folgenden Jahren. In den Geschäftsberichten von Dresdner Bank und Commerzbank ſnden sich dagegen keine konkreten Angaben über die Zusammensetzung des Mischpostens „Reports und Lombards“. Doch ist wegen der Einschränkungen des Börsenverkehrs anzunehmen, dass der Staatskredit auch hier im Zeitablauf immer größere Bedeutung erlangte.137 Die Position „Reports und Lombards gegen börsengängige Wertpapiere“ zeigt in den Kriegsjahren bei den drei Großbanken in absoluten Zahlen steigende Tendenz.138 In Relation zur Bilanzsumme sind die Verhältnisse bei den einzelnen Banken und über die Jahre unterschiedlich. Auffällig ist der im Durchschnitt erheblich höhere Anteil bei der Commerzbank – mit bis zu rund 20 Prozent (Ende 1915). Denkbar ist, dass diese Bank, die durch den weitgehenden Wegfall der bei ihr traditionell bedeutsamen Außenhandelsſnanzierung und der Börsenkredite erhebliche freie Mittel hatte, diese nun bevorzugt für Kredite an staatliche Stellen einsetzte. Einen entsprechenden Hinweis gibt der Geschäftsbericht über das Jahr 1915: „Den Anforderungen staatlicher und kommunaler Körperschaf134 135 136 137
Prion: Kreditbanken, S. 62. Reichsbank (Hrsg.): Die Reichsbank 1901–1925, Berlin [o. J.], S. 79. (im Folgenden Reichsbank). Ebd., S. 79 f. Prion schätzt für Ende 1916 für einen Kreis von 16 Banken (darunter die Berliner Großbanken) den Anteil der Vorschüsse auf Kriegsanleihe auf rund 44 Prozent und den der Kommunaldarlehn auf 39 Prozent, sodass für das eigentliche Report- und Lombardgeschäft nur 17 Prozent bleiben. Vgl. Prion: Kreditbanken, S. 72. 138 Einzige Ausnahme: Commerzbank von Ende 1917 auf Ende 1918 mit einem Rückgang von rund 25 Mio. M auf 160 Mio. M.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
105
ten zur Hergabe größerer Darlehen haben wir gerne Folge gegeben.“139 Diese Darlehn ſnden sich allerdings nicht nur bei „Reports und Lombards“, sondern – falls unbesichert – auch bei den Debitoren. 3.2.2.5 Vorschüsse auf Waren und Warenverschiffungen In dieser Bilanzposition schlagen sich primär die durch Pfand oder Pfand vertretende Urkunden – zumeist Waren, Fracht- oder Lagerscheine – gesicherten Kredite zur Bevorschussung von Warenimporten und Warenverschiffungen sowie zur Überbrückung der Verarbeitungszeit von Rohstoffen nieder. Der Kriegsausbruch beendete den Handel mit dem nun feindlichen Ausland. Auch der Außenhandel mit den verbündeten und neutralen Staaten wurde durch die englischen Blockademaßnahmen stark beeinträchtigt. Im Zuge des Übergangs von der Friedens- auf die Kriegswirtschaft übernahmen staatliche Stellen und Kriegsgesellschaften immer mehr die Rolle privater Handelsunternehmen sowohl im Außen- als auch im Binnenhandel. Die Commerzbank, die sich aufgrund ihrer Geschichte und geschäftlichen Schwerpunkte dem Handel (vor allem Außenhandel – Filiale Hamburg) immer besonders verbunden fühlte, beklagt diese Entwicklung in deutlichen Worten: „Der Handel, der im Frieden unter andern die wichtige Aufgabe erfüllte, die Güter nach Bedarf im Lande zu verteilen und Preisunterschiede auszugleichen, wurde durch die behördlichen Organisationen nach und nach zum großen Teil ausgeschaltet; auch der Verkehr bot ihm kein Feld der Betätigung mehr, da dieser in Form des Warenaustausches ebenfalls von den Behörden vermittelt wurde. Es ist sehr zu wünschen, daß der Handelsstand, der sich um den Aufbau unseres Wirtschaftslebens und um die Schaffung unserer angesehenen Stellung im Weltverkehr so große Verdienste erworben hat, bald wieder in seine alten Rechte eingesetzt werden kann.“140
Tatsächlich hatte die Commerzbank nach den Bilanzzahlen am stärksten unter den Einschränkungen des Handels zu leiden. Das Volumen von „Vorschüssen auf Waren und Warenverschiffungen“ ging von 21,6 Mio. M (= 4,3 Prozent der Bilanzsumme) auf 2,7 Mio. M (= 0,2 Prozent der Bilanzsumme) Ende 1918 zurück. Ähnlich drastisch ſel der Rückgang bei der Dresdner Bank aus: Sie weist im Abschluss 1913 116,6 Mio. M (= 7,6 Prozent der Bilanzsumme) Warenvorschüsse aus, Ende 1918 nur noch 13,4 Mio. M (= 0,3 Prozent der Bilanzsumme). Sie geht auf diese negative Entwicklung in den Geschäftsberichten aber nicht ein. Eine Sonderentwicklung gab es dagegen bei der Deutschen Bank. Das Volumen der Warenvorschüsse unter anderem ging von 1913 auf 1914 von 216,8 Mio. M (= 9,7 Prozent der Bilanzsumme) auf 101,1 Mio. M (= 3,8 Prozent der Bilanzsumme) zurück. Doch in den Jahren 1915 und 1916 stiegen die Warenvorschüsse wieder fast auf das Vorkriegsniveau an. Mehr noch als die beiden anderen Banken war die Deutsche Bank maßgeblich an der Finanzierung der Handelsgeschäfte der zahlreichen Kriegsrohstoffgesellschaften beteiligt. In den Jahren 1917/18 ging der Kreditbedarf dieser Gesellschaften zurück, „weil viele der Kriegsgesellschaften, denen die Bewirtschaftung der deutschen
139 Commerzbank, Geschäftsbericht 1915 [o. S.]. 140 Commerzbank, Geschäftsbericht 1916 [o. S.].
106
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Warenvorräte untersteht, allmählich ihren Geldbedarf aus Rücklagen selbst befriedigen konnten.“141 3.2.2.6 Eigene Wertpapiere Das Gliederungsschema für die Bankbilanz sah für die „Eigenen Wertpapiere“ eine überraschend tiefe Untergliederung vor: (1.) Anleihen und verzinsliche Schatzanweisungen des Reiches und der Bundesstaaten (2.) Sonstige bei der Reichsbank und anderen Zentralnotenbanken beleihbare Wertpapiere (3.) Sonstige börsengängige Wertpapiere (4.) Sonstige Wertpapiere Die Untergliederung differenziert nach der Bonität (dem Emittenten), der Zentralbankfähigkeit (Lombardfähigkeit) und der Handelbarkeit an der Börse. Vergleicht man die Ausgangssituation von Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank vor dem Krieg nach den Abschlüssen für 1913, so fällt auf, dass die Deutsche Bank über den höchsten Anteil an „Eigenen Wertpapieren“ an der Bilanzsumme verfügte (7,2 Prozent) und es sich hierbei zum allergrößten Teil um Anleihen und verzinsliche Schatzanweisungen des Reiches und der Bundesstaaten handelte (5,9 Prozent der Bilanzsumme). Bei den beiden anderen Banken ist der Anteil der „Eigenen Wertpapiere“ an der Bilanzsumme deutlich – und was die Anlage in Staatsanleihen angeht, erheblich niedriger (Dresdner Bank 1,1 Prozent und Commerzbank 1,0 Prozent der Bilanzsumme). In diesen Unterschieden mag man ein Indiz für die auf Sicherheit und Liquidität besonders stark ausgerichtete Geschäftspolitik der Deutschen Bank sehen. Bei der Dresdner Bank und mehr noch bei der Commerzbank machen die „Sonstigen börsengängigen Wertpapiere“ den größten Teil der „Eigenen Wertpapiere“ aus. Bei dieser Unterposition handelt es sich um eine große Anzahl unterschiedlicher Gattungen von Aktien und Obligationen, die als Handelsbestand die Grundlage für das Effektengeschäft im Wege des Selbsteintritts bilden. Die Deutsche Bank – nur diese liefert entsprechende Informationen – berichtet für das Jahr 1913,142 dass sie Staats- und Kommunalpapiere sowie deutsche Pfandbriefe in 112 Gattungen, Eisenbahn- und industrielle Obligationen in 86 Gattungen und Eisenbahn-, Bank- und Industrie-Aktien in 178 Gattungen im Bestand habe. Gemessen an der relativen Bedeutung der „Sonstigen börsengängigen Wertpapiere“ müsste die Dresdner Bank – mehr aber noch die Commerzbank – ein vergleichsweise stärkeres Effektenhandelsgeschäft als die Deutsche Bank gehabt haben. Doch zeigt die Bilanz nur eine Momentaufnahme. Krieg, Kriegswirtschaft und auch die Einschränkungen im börslichen Effektenhandel sorgten für eine gewisse Nivellierung der Strukturen. Der Bestand an Staatsan141 Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1917, S. 12. 142 Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1913, S. 13.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
107
leihen nahm bei der Dresdner Bank und der Commerzbank in 1915 deutlich zu, doch handelte es sich nur um eine vorübergehende Entwicklung. Kriegsanleihen wurden in den Bestand genommen, um sie später bei steigenden Kursen nach und nach Gewinn bringend zu verkaufen. Auffällig ist die Entwicklung im Jahre 1918. Während die Deutsche Bank ihren Bestand an Staatsanleihen leicht reduzierte, stiegen die Bestände bei der Dresdner Bank von 47,4 Mio. M auf 112,1 Mio. M und bei der Commerzbank relativ noch viel stärker von 6,8 Mio. M auf 48,5 Mio. M an. Die Deutsche Bank hatte bereits in 1917 die Laufzeiten ihres Portfolios an Staatstiteln deutlich verkürzt und sich in 1918 auch von Kriegsanleihen weitgehend getrennt. Möglicherweise ahnte die Deutsche Bank, gestützt auf ihr zugehende Informationen und Einschätzungen vor allem aus dem Ausland,143 die drohende deutsche Niederlage und verkaufte bewusst die lang laufenden Kriegsanleihen, die nicht nur besonders hohe Kurs-, sondern vor allem längerfristig auch erhebliche Bonitätsrisiken beinhalteten. Die Bestände an „Sonstigen börsengängigen Wertpapieren“ (Aktien und Industrieobligationen) stiegen in 1918 bei allen drei Banken kräftig an. Wesentliche Ursache dürften die Stützungskäufe im Zusammenhang mit dem Kriegsende und der Revolution gewesen sein. Um einen völligen Kurszusammenbruch zu verhindern, hatten – als das Waffenstillstandsangebot erfolgte – die Banken und großen Bankſrmen in Berlin eine Aufnahmegemeinschaft gebildet. Die Deutsche Bank erläutert hierzu: „Unser Anteil ist auf Effekten-Konto verbucht; er wird demnächst von der ausgegründeten Bank für industrielle Börsenwerte übernommen werden.“144 Ebenso wie bei den Konsortialbeteiligungen muss man die Wertansätze bei den „Eigenen Wertpapieren“ mit einigem Vorbehalt sehen. Die Geschäftsberichte weisen fast regelmäßig darauf hin, dass im erheblichen Umfang Vorwegabschreibungen auf die Bestände vorgenommen wurden, das heißt Werterhöhungen oder Veräußerungsgewinne wurden nicht oder nur zum geringen Teil in der Gewinn- und Verlustrechnung gezeigt. Gewinne wurden ganz überwiegend zur Bestandsabwertung genutzt. Durch diese bilanzpolitischen Maßnahmen im Vorfeld wurden stille Reserven gebildet. Die hohe Umschlagsgeschwindigkeit bei den „Eigenen Wertpapieren“ – vor allem den börsengehandelten – und die laufenden Kursänderungen sorgten für einen ständigen Prozess der Bildung und Auƀösung stiller Reserven. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der stillen Reserven durch den Kurssturz gegen Ende September 1918 verloren gegangen ist. Die Deutsche Bank, die ihr Portfolio schon recht frühzeitig auf kurz laufende Staatstitel ausgerichtet hatte, dürfte hierbei vergleichsweise glimpƀich davongekommen sein. 3.2.2.7 Konsortialbeteiligungen Eine sich weiter abschwächende Konjunktur und sinkende Geldmarkt- und Kapitalmarktzinsen begünstigten etwa bis zur Jahresmitte 1914 den Absatz der von den drei Großbanken zur Platzierung übernommenen festverzinslichen Emissionen öffentlicher und privater Emittenten. Auch Restbeträge von Emissionen aus den Vorjahren 143 Feldman: Deutsche Bank, S. 173 f. 144 Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1918, S. 12.
108
3. Der Bankbetrieb im Krieg
konnten zum großen Teil bei steigenden Kursen verkauft werden. Anders verlief die Entwicklung bei den Aktienemissionen. Die schwächere Konjunktur und die sich immer mehr zuspitzende politische Lage sorgten für überwiegend fallende Kurse am Aktienmarkt und schleppenden Absatz der anstehenden zahlreichen Emissionen. Mit der Börsenschließung beziehungsweise dem Kriegsausbruch endete das eigentliche Emissionsgeschäft der Banken (festverzinsliche Wertpapiere, Platzierung von Aktien und Kuxen bei Gründungen und Kapitalerhöhungen). Bis dahin nicht untergebrachte Wertpapiere „froren ein“, verblieben bis auf weiteres in den Büchern der Banken und belasteten die Liquidität. Dabei dürfte es sich – entsprechend der vorhergehenden Marktlage – überwiegend um Aktien gehandelt haben. Die Commerzbank, deren Emissionsgeschäft in 1914 allerdings nur vergleichsweise geringe Bedeutung hatte, bemerkt im Geschäftsbericht für 1914 aber speziell zu Konsortialgeschäften in festverzinslichen Werten: „Es harren noch einige Geschäfte ihrer Abwicklung.“145 Es entsprach den Intentionen von Reich und Reichsbank, den Geldmarkt und den Kapitalmarkt in allererster Linie für die Kriegsſnanzierung über Schatzwechsel beziehungsweise Anleihen frei zu halten und konkurrierende Ansprüche anderer Kreditnehmer abzuwehren oder auf andere Quellen zu verweisen.146 Durch die Einstellung des Börsenterminhandels und die Schließung der Börse sollte die Nachfrage nach kurzfristigen (Geldmarkt-) Krediten vor allem für Spekulationszwecke wesentlich reduziert werden. Der langfristige Kapitalbedarf staatlicher Stellen (mit Ausnahme des Reiches), der Banken und privater Unternehmen sollte durch den Rückgriff auf die Reichsdarlehnskassen (vor allem über Lombardierung von Waren und Wertpapieren), die Kriegskreditbanken und Kreditinstitute, die zur langfristigen Kreditgewährung bereit und in der Lage waren, gedeckt werden. Dieses Ziel wurde auch zunächst durch eine entsprechende Absprache von Reich, Reichsbank, Banken, Handel und Industrie auf freiwilliger Basis weitgehend erreicht. Das noch im ersten Halbjahr 1914 lebhafte Emissionsgeschäft ging nach Kriegsausbruch drastisch zurück. Der Rentenmarkt blieb während des gesamten Krieges fast ausschließlich den deutschen Kriegsanleihen und Reichsschatzanweisungen vorbehalten. Emissionen anderer staatlicher Stellen aus dem Inland und verbündetem Ausland sowie von (inländischen) Unternehmen gehörten zu den Ausnahmen. Gegenüber den großvolumigen Kriegsanleihen und Reichsschatzanweisungen waren sie – auch für die drei Großbanken – kaum von Bedeutung. Die anhaltende Kriegskonjunktur und die immer stärker spürbare Teuerung steigerten trotz in der Regel hoher nominaler Proſtabilität den Bedarf an Eigenkapital und langfristigem Fremdkapital bei zahlreichen Unternehmen, vor allem der Kriegsindustrie. Die Unternehmen und die oftmals mit ihnen über Kreditgewährung, Anteilsbesitz und Aufsichtsratsmandate verbundenen Großbanken waren immer 145 Commerzbank, Geschäftsbericht 1914 [o. S.]. 146 Kerstingjohänner sieht hierin einen wesentlichen Teil des „Kriegs-Finanz-Systems“, bestehend aus den Währungsgesetzen vom August 1914, dem Freihalten des Kapitalmarktes für die Kriegsanleihen und der Zwangswirtschaft mit ihren Höchstpreisvorschriften. Vgl. Kerstingjohänner: Inƀation, S. 27.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
109
weniger geneigt, auf die Kapitalmarktſnanzierung zu verzichten und die oben erwähnte freiwillige Absprache, die von der Reichsbank überwacht wurde, einzuhalten. In dieser Situation griff der Gesetzgeber zu Methoden der Kapitalrationierung und Kapitallenkung, um den Primat der Deckung des staatlichen Kreditbedarfs durchzusetzen. Die Ausgabe von Teilschuldverschreibungen und Vorzugsaktien147 sowie die Errichtung von Aktiengesellschaften usw.148 wurden unter staatlichen Genehmigungsvorbehalt gestellt. Genehmigende Stellen waren die Landeszentralbehörden der Bundesstaaten und letztlich die Reichsbank, an deren Einvernehmen die jeweilige Landeszentralbehörde bei Zustimmung gebunden war. Wesentlicher Gesichtspunkt war, ob die Lage des Kapitalmarktes und die Rücksicht auf die Kriegsſnanzierung beziehungsweise Kriegswirtschaft Gründungen oder Kapitalerhöhungen zuließen. Die Reichsbank gab den Leitungen ihrer Filialen recht detaillierte Vorgaben für die Genehmigungspraxis: „Eine möglichst freie Betätigung und Entfaltung der Kräfte des deutschen Wirtschaftslebens soll bei der Handhabung der Verordnung als leitender Gesichtspunkt gelten. Demgemäß wird bis auf weiteres all denjenigen Neugründungen von Gesellschaften, welche volkswirtschaftlich wichtig sind, zuzustimmen sein und es werden ebenso die im volkswirtschaftlichen Interesse notwendigen Kapitalerhöhungen gutgeheißen werden müssen“.149
Und weiter: „Auf der anderen Seite werden alle volkswirtschaftlich wertlosen Kapitalansprüche ohne weiteres zurückzuweisen sein. Insbesondere gilt dies für Kapitalerhöhungen, welche auf die Verwässerung des Kapitals und die Senkung der Dividende abzielen. Hierher gehören auch die lediglich der Bereicherung der Aktionäre dienenden Kapitalerhöhungen durch Ausgabe von Gratisaktien und Genußscheinen aus dem Geschäftsgewinn oder den Reserven, und zwar umsomehr, als durch diese Emissionen neue bewegliche Werte geschaffen werden, die im Falle der Veräußerung zur Belastung des Kapitalmarktes führen müssten.“150
Es folgen zahlreiche Hinweise insbesondere für die Prüfung der Liquidität eines Unternehmens und die Verhinderung des möglicherweise drohenden Verkaufs von Kriegsanleihen durch das Kapital begehrende Unternehmen bei Ablehnung. Nach späterer eigener Einschätzung der Reichsbank wurden die einschlägigen Bestimmungen „milde gehandhabt“.151 Die Commerzbank beklagt allerdings im Geschäftsbericht für 1918, dass bei den Kapitalerhöhungen für die Telephon-Fabrik vormals J. Berliner und bei der C. Lorenz Aktiengesellschaft die Behörden zu hohe Emissionskurse für die neuen Aktien verlangt hätten und daher Verluste für die Aktionäre
147 Bekanntmachung über die staatliche Genehmigung zur Ausgabe von Teilschuldverschreibungen und Vorzugsaktien v. 8. März 1917, RGBl. 1917, S. 220 f. 148 Bekanntmachung über die staatliche Genehmigung zur Errichtung von Aktiengesellschaften usw. v. 2. November 1917, RGBl. 1917, S. 987 f. 149 RvRbkDir Nr. 30126 v. 16. November 1917. HABBk.Rbk-1-Drs.1/1917. 150 Ebd. Die Reichsbank verkennt hierbei interessanterweise völlig den wirtschaftlichen Charakter von Gratisaktien (Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln), die dem Aktionär überhaupt keinen Vermögenszuwachs bringen. 151 Reichsbank, S. 81.
110
3. Der Bankbetrieb im Krieg
eingetreten seien.152 Unabhängig von solchen strittigen Einzelfällen bedeuteten die Vorschriften für alle Beteiligten, damit auch für die an den Emissionen beteiligten Banken, eine Fülle zusätzlicher Arbeiten. Nach dem starken Einbruch im zweiten Halbjahr 1914 und im Jahr 1915 nahm die Emissionstätigkeit in Aktien, Kuxen und GmbH-Anteilen trotz der oben beschriebenen Restriktionen schon im Jahr 1916 wieder deutlich zu, lag bei den drei Großbanken aber noch erheblich unter dem Vorkriegsniveau. Die Jahre 1917 und 1918 (bis kurz vor Kriegsende) brachten bei tendenziell steigenden Börsenkursen eine sehr bedeutende Zunahme des Emissionsgeschäfts. Die Zahl der Transaktionen lag wohl unter dem Vorkriegsniveau, da kaum Rentenwerte emittiert wurden. Die Volumina (inklusive Kriegsanleihen) waren aber ganz sicher erheblich höher. Die Geschäftsberichte enthalten hierzu (außer zu Kriegsanleihen) zwar keine konkreten Angaben, doch deuten die zusammengefassten Umsätze im Effekten- und Konsortialgeschäft bei der Deutschen Bank und der Commerzbank auf eine entsprechende Entwicklung hin. Selbstverständlich relativiert die zunehmende Geldentwertung die nominal beeindruckenden Umsatzsteigerungen. Über das Prozedere bei den einzelnen Emissionen (Alleinemission, Konsortium, Konsortialführung, Konsortialquoten und anderem mehr) geben die Geschäftsberichte allenfalls – und nur fallweise – rudimentäre Auskunft. Doch kann man davon ausgehen, dass die Führung bei einem Konsortium und die höchste Konsortialquote regelmäßig bei der Großbank lag, mit der ein Unternehmen schon längere Zeit über eine Aktiv- und/oder Passivbeteiligung und/oder Kreditgewährung verbunden war. Insgesamt hatten sich aber schon in der Vorkriegszeit die traditionellen Beziehungen zwischen bestimmten (Groß)-Unternehmen und Banken gelockert.153 In der Kriegszeit nahm diese Tendenz angesichts der oft sehr guten Ertrags- und Liquiditätslage vieler Unternehmen zu, sodass die Unternehmen den Wettbewerb unter den führenden Banken nutzten unter anderem mit der Folge wechselnder Konsortialbeziehungen.154 Den Banken selber war oft auch daran gelegen, über Konsortien die Risiken besser zu streuen. Dennoch gibt es auch etliche Beispiele für noch bestehende traditionelle Verbindungen beziehungsweise aus dem Gründungsgeschäft: Ŗ
&GWVUEJG$CPM#)H×T#PKNKPHCDTKMCVKQP#NNIGOGKPG'NGMVTKEKV¼VU)GUGNNUEJCHV Badische Anilin- und Sodafabrik, Bayerischer Lloyd, Bayerische Stickstoffwerke, Deutsche Petroleum-Aktiengesellschaft, Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co., Farbwerke vorm. Meister, Lucius & Brüning, Philipp Holzmann, Mannesmannröhren-Werke, Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg A.-G., Steaua Romana A.-G. für Petroleum-Industrie, Siemens-Konzern, Universum-Film A.-G. und andere.
152 Commerzbank, Geschäftsbericht 1918 [o. S.]. 153 Whale: Joint Stock Banking S. 55 f.; Wellhöner, Volker: Großbanken und Großindustrie im Kaiserreich. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 85. Göttingen 1989 mit einer sehr detaillierten Untersuchung bei acht Unternehmen der Schwer- und Elektroindustrie. 154 Kalveram, Wilhelm: Bankbetriebslehre, 2. Auƀ. Berlin/Wien 1943, S. 183.
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
Ŗ
Ŗ
111
&TGUFPGT$CPM#).CWEJJCOOGT'NGEVTKEKV¼VU#)XQTO9.CJOG[GT Lingner-Werke A.-G., Löwe-Gruppe, Munitionsmaterial- und Metallwerke Hindrichs-Auffermann A.-G., Sächsische Gußstahlfabrik, Sächsische Maschinenfabrik vorm. Richard Hartmann, Sächsische Waggonfabrik Werdau, Wallendorfer Kohlenwerke und andere. %QOOGT\DCPM$CTQRGT9CN\YGTM$TGOGP$GUKIJGKOGT1GNHCDTKMGP%QPVK nental-Caoutchouc und Gutta-Percha-Compagnie, Hackethal Draht- und Kabelwerke, Hamburgische Electricitäts-Werke, Hamburg-Amerika Linie, Hannoversche Gummiwerke „Excelsior“ Aktiengesellschaft, Rudolph Karstadt A.-G., C. Lorenz Aktiengesellschaft, Leipziger Werkzeugmaschinenfabrik vormals W. von Pittler, Telephon-Fabrik vorm. J. Berliner und andere.
Aus den Auƀistungen der zahlreichen Transaktionen in den Geschäftsberichten lässt sich erkennen, dass es nicht selten auch zur engen Zusammenarbeit zumindest von zwei der hier untersuchten Großbanken kam. Das gilt vor allem für die Deutsche Bank und die Dresdner Bank (Beispiele: Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft, Bayerischer Lloyd, Kattowitzer A.-G. für Bergbau und Eisenhüttenbetrieb, Gründung der „Mitropa“ Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen A.-G., RheinischWestfälische Elektricitätswerke A.-G., Rheinische Stahlwerke, Sächsische Gussstahlfabrik, Gründung der Universum-Film A.-G.). Doch gibt es auch einige Beispiele für die Zusammenarbeit der damals wesentlich kleineren Commerzbank mit der Deutschen Bank (Baroper Walzwerk A.-G., Görlitzer A.-G. für Fabrikation von Eisenbahnmaterial, Howaldtswerke, Linke-Hofmann-Werke A.-G.) und der Dresdner Bank (Bremen-Besigheimer Oelfabriken, Munitionsmaterial- und Metallwerke Hindrichs-Auffermann A.-G., Sächsische Maschinenfabrik vorm. Richard Hartmann). Von besonderer – auch gesamtwirtschaftlicher und politisch-strategischer Bedeutung – waren die Gründung und Weiterentwicklung der Bayerischen Stickstoffwerke, des Bayerischen Lloyd und der Ungarischen Erdgas-Aktien-Gesellschaft (Budapest) durch die Deutsche Bank, die durch letztere ihre Öl- und Gasinteressen in Rumänien (Steaua Romana A.-G für Petroleum-Industrie, Bukarest) ergänzte. Das starke Wachstum des Emissionsgeschäfts (Eigenkapitaltitel) in den Jahren 1917 und 1918 schlägt sich zwar in den Umsätzen auf dem Effekten- und Konsortialkonto der untersuchten Banken nieder, doch ging die Bilanzposition „Konsortialbeteiligungen“ tendenziell zurück. Das gilt insbesondere für die Deutsche Bank, bei der diese Position von 54,9 Mio. M (1914) auf 23,8 Mio. M (1918) sank. Die entsprechenden Werte für die Dresdner Bank waren: 63,6 Mio. M zu 56,5 Mio. M; für die Commerzbank: 22,5 Mio. M zu 20,8 Mio. M. Der Anteil der „Konsortialbeteiligungen“ an den stark steigenden Bilanzsummen ging bei der Deutschen Bank von 2,0 Prozent (1914) auf nur noch 0,3 Prozent (1918) zurück. Bei der Dresdner Bank lauten die Werte 4,6 Prozent beziehungsweise 1,2 Prozent und bei der Commerzbank 4,6 Prozent beziehungsweise 1,4 Prozent. Nachstehend wird eine zusammenfassende Übersicht über das Konsortialgeschäft der drei Großbanken in den Jahren 1914 bis 1918 gegeben:
112
3. Der Bankbetrieb im Krieg
Tabelle 17: Anzahl der Konsortialgeschäfte, Bilanzposition „Konsortialbeteiligungen“ und Umsätze im Effekten- und Konsortialgeschäft in den Jahren 1914 bis 1918
Deutsche Bank Rentenwerte inländische öffentliche
ausländische
Aktien u.a.
Konsortialbeteiligungen Anzahl
private
Betrag (Mio. M)
Umsatz (Mrd. M)
1914
17
9
3
19
349
55
3,9
1915
3
1
1
5
342
50
3,2
1916
2
1
1
18
321
41
3,3
1917
3
1
0
35
332
28
6,2
1918
3
1
0
40
k. A.
24
7,6
Konsortialbeteiligungen
Umsatz (Mrd. M)
Dresdner Bank Rentenwerte inländische öffentliche
ausländische
Aktien u.a.
Anzahl
private
Betrag (Mio. M)
1914
22
9
6
44
134
64
k. A.
1915
3
0
2
9
114
60
k. A.
1916
2
0
2
13
107
55
k. A.
1917
2
0
0
30
119
55
k. A.
1918
3
0
0
27
111
57
k. A.
Konsortialbeteiligungen
Umsatz (Mrd. M)
Commerzbank Rentenwerte inländische öffentliche
ausländische
Aktien u.a.
Anzahl
private
Betrag (Mio. M)
1914
8
0
3
5
k. A.
23
1,3
1915
3
0
0
3
k. A.
17
0,8
1916
2
0
0
3
k. A.
16
1,0
1917
2
1
0
16
k. A.
15
2,0
1918
3
0
0
7
k. A.
21
3,2
Quelle: Geschäftsberichte der Jahre 1914 bis 1918; eigene Berechnungen nach den – allerdings teilweise unvollständigen oder nur summarischen – Angaben in den Geschäftsberichten. Restabwicklungen aus Vorjahren sind nicht enthalten. Zu den Aktienemissionen und Beteiligungen rechnen auch die Beteiligungen an Kriegskreditbanken (Deutsche Bank: 12, Dresdner Bank: 16, Commerzbank: 4).
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
113
Die angesichts der Bedeutung des Emissionsgeschäfts und der sehr hohen Anzahl der Konsortialbeteiligungen überraschend niedrigen Werte für die Konsortialbestände erklären sich wesentlich aus einer erheblichen Unterbewertung der Konsortialbeteiligungen. Die damaligen einschlägigen handelsrechtlichen Vorschriften für Aktiengesellschaften (insbesondere § 261 HGB) legten zwar Höchstwerte für den Bilanzansatz fest, erlaubten aber eine Bewertung der Aktiva unter den Anschaffungs- beziehungsweise Herstellkosten (unter Berücksichtigung von Abschreibungen) oder unter Tageswert. Der Legung stiller Reserven waren damit grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Kalveram bemerkt dazu: „Die bei den meisten Unternehmungen übliche Unterbewertung von Aktiven zum Zwecke der Schaffung von stillen Reserven ist auch bei den Banken über den Rahmen der Vorschriften des § 261 HGB hinaus sehr gebräuchlich.“155
Die Geschäftsberichte der drei Großbanken für 1914 betonen nachdrücklich, dass der Kriegssituation, der Börsenschließung und der schwierigen Lage in einzelnen Branchen (zum Beispiel Terraingesellschaften, Baugewerbe, Textilindustrie) durch besonders hohe offene oder verdeckte Abschreibungen Rechnung getragen wurde. Die Dresdner Bank zum Beispiel sagt hierzu: „Hierdurch ergeben sich erhebliche Minderbewertungen gegenüber den Kursen vom 24. Juli 1914. Wir glauben erwarten zu dürfen, dass ein Teil dieser Abschreibungen späteren Abschlüssen zugute kommen wird.“156
Auch in den Jahren 1915 bis 1917 wurden offene oder verdeckte Reserven durch Sonderabschreibungen oder direkte Verrechnung von Gewinnen gebildet. Der Kurssturz kurz vor und bei Kriegsende zehrte sicherlich einen großen Teil der stillen Reserven auf. Verglichen mit den spekulativ überhöhten Kursen von Ende 1917 bis Anfang September 1918 ergaben sich nicht selten Kursverluste von über 50 Prozent. Bei den Rüstungs- und Montanwerten ſelen sie noch viel drastischer aus.157 Der Vergleich mit den letzten Kursen vor Kriegsbeginn zeigt ein erheblich günstigeres Bild, zumal bei einem korrekten Vergleich auch zwischenzeitliche Kapitalerhöhungen (oft „Kapitalverwässerungen“ durch niedrige Emissionskurse) zu berücksichtigen wären. Die Deutsche Bank hatte sich offenbar im Sinne einer strategischen Grundsatzentscheidung ab 1916 zum forcierten Verkauf eines größeren Teils ihrer Konsortialbeteiligungen entschlossen, wobei der Schwerpunkt bei den Aktien von Banken, Eisenbahnen und anderen Transportunternehmen sowie festverzinslichen Werten lag. So konnte sie im Geschäftsbericht für 1918 beruhigt feststellen:
155 Kalveram: Bankbilanzen, S. 10. 156 Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1914, S. 8. 157 Kronenberger: Preisbewegung, Tabellenanhang.
114
3. Der Bankbetrieb im Krieg „Der katastrophale Rückgang der meisten B ö r s e n k u r s e hat uns wenig getroffen, da wir andere Wertpapiere als kurzbefristete Schatzscheine […] nur in bescheidenem Maße besitzen.“158
Die Dresdner Bank159 berichtet dagegen vom Erfordernis umfangreicher Abschreibungen und besonders vorsichtiger Bewertung, und die Commerzbank schreibt, dass sie sich genötigt sah, „auf unsere Bestände an Wertpapieren größere Abschreibungen vorzunehmen.“160 Von entscheidender Bedeutung für Gewinn oder Verlust aus den Konsortialbeteiligungen in 1917 und noch mehr in 1918 war, ob es den Banken gelang, die teilweise zu hohen Kursen herein genommenen Konsortialbeteiligungen noch in die Hausse hinein (bis September 1918) zu verkaufen, oder ob diese Bestände durch die oft dramatischen Kursverluste im Oktober/November 1918 drastisch im Wert reduziert wurden. Das externe Rechenwerk gibt hierzu keine konkreten Informationen. Ob und inwieweit die drei Banken Umbuchungen von „Konsortialbeteiligungen“ in „Eigene Wertpapiere“ und umgekehrt vorgenommen haben oder Beteiligungen auf andere Unternehmen verlagerten, ist ebenfalls aus den Geschäftsberichten nicht ersichtlich. 3.2.2.8 Dauernde Beteiligungen bei anderen Banken und Bankſrmen Unter dieser Bilanzposition werden subsumiert die in Aktien verkörperten Beteiligungen bei anderen Banken sowie die Kommanditeinlagen bei solchen Privatbankiers, die nicht in der Rechtsform der Aktiengesellschaft geführt werden. Die Beteiligung bei anderen Banken und Bankſrmen ist regelmäßig auf Dauer angelegt und Teil der geschäftspolitischen Strategie. Es ist bemerkenswert, dass die Großbanken über ihren Beteiligungsbesitz an anderen Banken – im Gegensatz zur Berichterstattung über andere Bilanzpositionen – vergleichsweise detailliert berichten, allerdings keine Informationen über den Prozentsatz ihrer Beteiligung geben. Die Motive für den Beteiligungserwerb waren vielgestaltig:161 Ŗ 7PVGTOCWGTWPIGKPGTUEJQPN¼PIGTDGUVGJGPFGPHTGWPFUEJCHVNKEJGP)GUEJ¼HVUXGT bindung (zum Beispiel gemeinsame Kreditgewährung, Zusammenarbeit im Konsortial- und Emissionsgeschäft, Durchführung des Zahlungsverkehrs, Börsenvertretung, Liquiditätshaltung). Bei Kriegsausbruch erwies sich zum Beispiel der Liquiditätsverbund innerhalb der Bankengruppen als sehr hilfreich.162
158 Gesperrt im Original. – Deutsche Bank, Geschäftsbericht 1918, S. 12. Möglicherweise bezieht sich diese Aussage aber auch auf die eigenen Effekten oder auf Konsortialbeteiligungen und eigene Effekten. Ähnliche Unklarheit herrscht auch bei den beiden anderen Banken. 159 Dresdner Bank, Geschäftsbericht 1918, S. 7. 160 Commerzbank, Geschäftsbericht 1918 [o. S.]. 161 Kalveram: Bankbilanzen, S. 100 f. 162 „Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das durch die Konzentrationsbewegung der letzten 20 Jahre entstandene System von Verschmelzungen, Interessengemeinschaften und Konzernen, in den kritischen Juli-August-Tagen wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Banken im ganzen ihren Verpƀichtungen nachkommen konnten. Eine grosse Zahl selbständiger, dann auch
3.2 Die Großbanken in der Zeit nach der Mobilmachung
Ŗ Ŗ Ŗ Ŗ Ŗ Ŗ Ŗ Ŗ Ŗ
115
'KPƀussnahme auf ein Institut durch Vertretung in dessen Leitungs- und Entscheidungsgremien. 7OYCPFNWPIIGIGPUGKVKIGT-QPMWTTGP\KPGKPGHTKGFNKEJG