Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung 9783666536083, 9783525536087, 9783647536088

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Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung
 9783666536083, 9783525536087, 9783647536088

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De Septuaginta Investigationes (DSI) Edited by Anneli Aejmelaeus, Kristin De Troyer, Wolfgang Kraus, Emanuel Tov In Co-operation with Kai Brodersen (Erfurt, Germany), Cécile Dogniez (Paris, France), Peter Gentry (Louisville, USA), Anna Kharanauli (Tbilisi, Georgia), Armin Lange (Wien, Austria), Alison Salvesen (Oxford, UK), David Andrew Teeter (Cambridge, USA), Julio Trebolle (Madrid, Spain), Florian Wilk (Göttingen, Germany)

Volume 4

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Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung Herausgegeben von Siegfried Kreuzer und Marcus Sigismund

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Vorwort

Der vorliegende Sammelband umfasst Beiträge der vom „Institut für Septuaginta und biblische Textforschung“ der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel veranstalteten internationalen Fachtagung: „Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner vielfachen Bezeugung und Bedeutung“, welche am 1. und 2. Juli 2011 in Wuppertal stattfand und Teil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojektes „Formen des Septuagintatextes der alttestamentlichen Geschichtsbücher (mit Schwerpunkt 2Samuel)“ ist. So sehr sich die Bedeutung des Antiochenischen Textes durch zahlreiche Untersuchungen der vergangenen Jahre immer deutlicher herauskristallisiert, so umstritten sind immer noch die textgeschichtliche Position und die Relevanz für die Rekonstruktion der ursprünglichen Septuaginta / der sog. Old Greek. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob die bei 1–4Reg erarbeiteten und so deutlich hervortretenden Gegebenheiten des Antiochenischen Textes auch auf andere biblische Texte zutreffen, oder ob dort andere Kriterien in Anschlag zu bringen sind. Im Kern geht es um die Frage, wo der sog. Lukianische bzw. Antiochenische Text historisch und damit in der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Septuaginta einzuordnen ist. Die Ergebnisse des Projektes zu präsentieren und unterschiedliche Positionen offen zu diskutieren, war nicht nur Ziel der Tagung. Vielmehr möchte auch der vorliegende Sammelband einladen, sich näher mit dem Antiochenischen Text zu befassen und die alttestamentliche Textgeschichte auf mögliche Konsequenzen hin zu befragen. Es war nicht eigens so geplant, aber es ist doch eine interessante Fügung, dass die hier dokumentierte Tagung 100 Jahre nach Alfred Rahlfs’ Studie zum lukianischen Text der Königebücher (1911) stattfand, und dass der Tagungsband im Jahr 2013, d.h. 50 Jahre nach Dominique Barthélemys „Les Devanciers d’Aquila“ (1963) mit seiner Entdeckung der kaigeRezension und seiner neuen Einordnung des Lukianischen Textes erscheinen wird. Siegfried Kreuzer und Marcus Sigismund

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Inhalt

Vorwort ...................................................................................................

5

Einführung............................................................................................... Introduction .............................................................................................

9 15

I

Grundfragen und Grundlagen 1.1 Siegfried Kreuzer

1.2

1.3

Der Antiochenische Text der Septuaginta Forschungsgeschichte und eine neue Perspektive ...........

23

Natalio Fernández Marcos The Antiochene Edition in the Text History of the Greek Bible ............................................................................

57

Victoria Spottorno Díaz-Caro The status of the Antiochene Text in the first century A.D. – Josephus and New Testament .......................

74

II Der Antiochenische Text in der alttestamentlichen Überlieferung 2.1

2.2

2.3

Felix Albrecht Die lukianische Rezension und ihre Bezeugung im Zwölfprophetenbuch ..............................................................

87

Philippe Hugo Die antiochenische Mischung: L zwischen Altem und Neuem in 2Sam ...................................................................... 109 Thomas Kraus Der lukianische bzw. Antiochenische Text der Psalmen in Papyri und Inschriften. Eine Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen? ....................................................................... 133

III Der Antiochenische Text in Bezug zur neutestamentlichen Überlieferung 3.1 Jong-Hoon Kim Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate aus dem Zwölfprophetenbuch...................................... 163

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Inhalt

3.2

Martin Meiser Antiochenische Textformen in neutestamentlichen Psalmzitaten in der Rezeption der christlichen Antike – eine textkritische Spurensuche............................................... 179

IV Der Antiochenische Text in den Versionen 4.1 Adrian Schenker Der Platz der altlateinischen Randlesarten des Kodex von León und der Valvanera-Bibel in der biblischen Textgeschichte (1–4 Kgt) .............................................................. 199 4.2 Marcus Sigismund Die gotischen Nehemia-Fragmente........................................ 211 Register.................................................................................................... 267

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Einführung

Die folgende Einleitung will nicht die einzelnen Beiträge vorweg zusammenfassen oder kommentieren, sondern den forschungsgeschichtlichen Kontext aufzeigen, in dem dieser Band steht, und damit auch deutlich machen, auf welchem Hintergrund die Beiträge zueinander in Beziehung stehen, einander ergänzen oder voneinander divergieren. Während der Antiochenische Text der Septuaginta durch die Schriftzitate der Antiochenischen Kirchenväter und insbesondere die Kommentare des Theodoret von Cyrrhus (ca. 60km nnw von Aleppo)1 seit langem bekannt war, wurden entsprechende Handschriften erst im 19. Jh. durch ihre Aufnahme in die Edition von Holmes und Parsons bekannt und 1863 durch Antonio M. Ceriani als antiochenisch identifiziert.2 Von Anfang an gab es dabei ein spannungsvolles Nebeneinander der Zuordnung dieser Textform zu Lukian von Antiochien († 312 n.Chr.)3 bzw. in die Zeit um 300 n.Chr. und andererseits der Beobachtung, dass diese Textform schon in Neuen Testament und in der im 2. Jh. entstandenen altlateinischen Übersetzung (Vetus Latina) und nicht zuletzt beim jüdischen Schriftsteller Josephus schon für das 1. Jh. bezeugt ist. Während Paul de Lagarde seine Editionsarbeit an der Septuaginta mit dem Lukianischen Text beginnen wollte,4 er diesen Text also (wie auch Julius Wellhausen)5 offensichtlich für sehr alt und bedeutsam hielt, ging Alfred Rahlfs den gegenteiligen Weg: In zwei großen Beiträgen zu den Psalmen6 und zu den Königebüchern7 erklärte er fast alle Übereinstimmun————— 1

Für eine neuere kritische Ausgabe siehe: N. Fernández Marcos/A. Sáenz-Badillos, Theodoreti Cyrensis quaestiones in reges et paralipomena (TECC 32; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1984). 2 A.M. Monumenta sacra et profana II/1 (Mailand: Bibliotheca Ambrosiana, 1863). Zur Forschungsgeschichte siehe J.H. Kim, Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuelund Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9 (BZAW 394; Berlin: de Gruyter, 2009) 4–11. 3 Zu Person und Werk Lucians (Martyrium 7.1.312) und auch zur schwierigen Quellenlage siehe H.C. Brennecke, ‚Lucian von Antiochien‘, TRE 21 (1991), 474–479. Lukian stammt zwar offensichtlich auch aus Samosata (am Euphrat, heute in der Türkei) wie der Satiriker Lukian von Samosata (ca. 120 bis nach 180), zur Unterscheidung wird er aber in der Regel nach seinem hauptsächlichen Wirkungsort als Lukian von Antiochien bezeichnet. 4 P. de Lagarde, Librorum Veteris Testamenti Canonicorum Pars Prior Graece (Göttingen: Dieterich, 1883). 5 J. Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1871) 221–224. 6 A. Rahlfs, Der Text des LXX-Psalters, Septuaginta-Studien II (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1907).

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Einführung

gen mit den oben genannten Zeugen des 1. und 2. Jahrhunderts als sekundäre Einflüsse und zwar einerseits aus dem Neuen Testament in die lukianischen Handschriften und andererseits aus dem lukianischen Text in die Überlieferung des Josephustextes und in die Vetus Latina. Da gleichzeitig im Wesentlichen der Kodex Vaticanus als ältester und bester Zeuge des Septuagintatextes betrachtet wurde, ergab sich die Annahme, dass die Differenzen das Ergebnis der Bearbeitung durch Lukian seien. Diese lukianische Redaktion habe vor allem das Griechische verbessert, etwa durch Verwendung geläufigerer griechischer Wörter, durch freiere Wortstellung und durch Hinzufügung des Artikels oder erklärender Wörter, insbesondere des Namens der jeweils handelnden Personen. Allerdings war diese Aktivität Lukians inkonsequent, oft habe er auch den Artikel oder erklärende Wörter gestrichen.8 Dieses Bild von der lukianischen Rezension nahm scheinbar auch die bekannte Aussage des Hieronymus von der trifaria varietas des Septuagintatextes auf, derzufolge in Ägypten der Hesychianische Text, in Antiochien bzw. Syrien der Lukianische Text und in Palästina der Text des Origenes gelesen wurde.9 Allerdings wurde dabei die Rede von Textformen in der Forschung unter der Hand zur Rede von Textbearbeitungen bzw. Rezensionen. Das Bild von der lukianischen Rezension um 300 n.Chr. mit ihrem aktualisierenden aber doch auch uneinheitlichen Charakter wurde für lange Zeit und weithin bis heute eine selbstverständliche Voraussetzung der Septuagintaforschung und nicht zuletzt auch – und besonders folgenreich – der Editionsarbeit bis in jüngste Zeit. Allerdings blieb immer auch das Problem der Bezeugung des Lukianischen Textes schon vor Lukian. Selbst Rahlfs hatte einen wenn auch geringen protolukianischen Textanteil zugestanden.10 Insbesondere die Untersuchungen zum Text des Josephus zeigten, dass dieser Anteil nicht zu gering veranschlagt werden durfte.11 —————

7 A. Rahlfs, Lucians Recension der Königebücher, Septuagintastudien III (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1911). 8 „Denn der Hauptcharacterzug dieser Rezension ist das Fehlen eines klaren Prinzips“, Rahlfs, Lucians Rezension, 293. Ähnlich J. Ziegler, Beiträge zur Jeremias-Septuaginta (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1958) 162: „Konsequenz war nicht seine Stärke.“ (zum Lukianischen Text des Jeremiabuches). 9 „Alexandria et Aegyptus in Septuaginta suis Hesychium laudat auctorem, Constantinopolis usque Antiochiam Luciani martyris exemplaria probat, mediae inter has provinciae palestinos codices legunt, quos ab Origene elaboratos Eusebius et Pamphilius vulgaverunt, totusque orbis hac inter se trifaria varietate conpugnat.“ Hieronymus, „Vorwort zur Chronik“, in: R. Weber/R. Gryson, Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2007) 546. 10 Rahlfs, Lucians Rezension, 291f. 11 Die erste Untersuchung zur Thematik war jene von A. Mez, Die Bibel des Josephus, untersucht für die Bücher V–VII der Archäologie (Basel: Jaeger & Kober, 1895). Seine Beobachtungen wie auch die Verlässlichkeit des Textes wurden in der Untersuchung von H.St.J. Thackeray, Josephus: The Man and the Historian (New York: Jewish Institute of Religion Press, 1929) im Wesentlichen bestätigt.

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Einführung

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Die Situation änderte sich durch die Entdeckung der Qumrantexte, d.h. durch die dort gefundenen biblischen Texte. Hier zeigte insbesondere die erste Samuelrolle, 4QSama, große Übereinstimmungen mit dem Lukianischen Text bzw. dessen anzunehmender hebräischer Vorlage. Diese Übereinstimmungen konnten nun nicht mehr als sekundäre Beeinflussung beiseitegeschoben werden, weil ja diese Texte seit fast 2000 Jahren in ihren Höhlen gelegen hatten. Damit verschärfte sich die Frage nach dem protolukianischen Text und, wenn auch seltener und weniger deutlich gestellt, die Frage nach der Relevanz der oben genannten Quellen des 1. und 2. Jahrhunderts. In der Regel blieb allerdings die Annahme einer lukianischen Redaktion unhinterfragt und wurde lediglich ein höherer Anteil des protolukianischen Textes zugestanden (meistens nur dort, wo ein Qumranfragment vorlag) bzw. es wurden verschiedene Kompromissmodelle entwickelt. Die Qumrantexte bzw. die Texte aus der Wüste Juda führten auch noch zu einer anderen Entdeckung, die zunächst scheinbar nichts mit dem Lukianischen Text zu tun hatte, nämlich die Entdeckung der später so genannten kaige-Rezension durch Dominique Barthélemy. Bei seiner Untersuchung der Zwölf-Propheten-Rolle aus Naμal „ever identifizierte er eine stark formalistische hebraisierende Bearbeitung des Septuagintatextes, die den älteren Septuagintatext nicht nur semantisch sondern auch grammatisch und in der Wortfolge möglichst isomorph an die hebräische Vorlage anpasste. Diese sog. kaige-Rezension war faktisch ein früher und innerjüdischer Vorläufer der in dieser Hinsicht noch extremeren Übersetzung des Aquila, daher auch der Titel des Buches: „Les Devanciers d’Aquila“.12 Barthélemy identifizierte diese kaige-Bearbeitung auch in den Samuelbüchern, und zwar konkret in jenem ¹º-Teil (2Sam 11 – 1Kön 2), für den Henry St. John Thackeray13 eine eigene, ebenfalls stark formal hebraisierende Textform festgestellt hatte, wobei diese Ǽinteilung der Samuelbücher wie auch diese Textform nur für den Kodex Vaticanus zutrifft. Barthélemy knüpfte daran eine weitere Überlegung: Wenn der Text des Kodex Vaticanus – jedenfalls in diesen Passagen – nicht wie bisher angenommen der älteste ist, sondern sekundär, dann stellt sich die Frage, welcher Text die Grundlage dieser Bearbeitung bildete und ob jener ältere Text noch erhalten ist. Bei seiner weiteren Untersuchung kam Barthélemy zu dem Ergebnis, dass der kaige-Text [Barthélemy sprach noch vom palästinischen Text] eng mit dem antiochenischen Text zusammenhängt, dass der —————

12 D. Barthélemy, Les Devanciers d’Aquila: Première Publication intégrale du text des fragments du Dodécaprophéton trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du Rabbinat palestinien (VT.S 10; Leiden: Brill, 1963). 13 H.St.J. Thackeray, „The Greek Translators of the Four Books of Kings“, JTS 8 (1907) 262– 266; ders., The Septuagint and Jewish Worship (London: Cambridge Scholars Publishing, 1921).

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Einführung

Antiochenische Text aber nicht aus dem kaige-Text hervorgegangen sein kann, sondern dass der Antiochenische Text die Grundlage für den kaigeText gebildet habe.14 Dementsprechend kam Barthélemy zu der Konsequenz, dass der Antiochenische bzw. Lukianische Text praktisch die ursprüngliche Septuaginta repräsentiere, wenn auch mit Textverderbnissen und Veränderungen im Zuge der Überlieferung.15 Mit dieser Einsicht war zugleich praktisch die Annahme einer lukianischen Rezension aufgegeben. Während die Entdeckung der kaige-Rezension und die neue Einordnung des Antiochenischen Textes für Barthélemy zwei Seiten einer Medaille bildeten, wurden in der Folgezeit beide Seiten auseinander gerissen. Auf Grund einer unglücklichen Diskussionslage in den 1960er-Jahren16 und wohl auch weil die in Französisch geschriebene Arbeit Barthélemys nicht immer vollständig zur Kenntnis genommen wurde, wurde zwar die Entdeckung der kaigeRezension in der Septuagintaforschung praktisch überall akzeptiert, seine Neueinordung des antiochenischen Textes aber abgelehnt bzw. vergessen. Unter der selbstverständlichen Annahme einer lukianischen Rezension stellte sich angesichts der Qumranfunde und der Quellen des 1. und 2. Jh.s n.Chr. umso dringender die Frage nach dem protolukianischen Text. – Schon 1964 hatte John W. Wevers festgestellt: „All in all, the so-called proto-Lucianic text is to my mind the most difficult problem in modern Septuagint work.“17 Im Zusammenhang seiner Mitarbeit bei Septuaginta-Deutsch beschäftige sich Siegfried Kreuzer mit der kaige-Rezension und ihren Charakteristika. Dabei fiel ihm auf, dass diese hebraisierende Bearbeitung hebraistisch gesehen fehlerhaft war, und zwar bei der Setzung des griechischen Artikels. Im kaige-Text steht ein Artikel nur, wenn auch im hebräischen Text ein Artikel zu sehen ist. Genitivverbindungen, die durch Eigennamen oder Suffixe determiniert sind, haben – entgegen der hebräischen Grammatik – keinen Artikel. Dagegen hat der Antiochenische Text eine der hebräischen Grammatik entsprechende Artikelsetzung im Griechischen. ————— 14

Die entsprechenden Kapitelüberschriften lauten: „Identité de base entre la forme antiochienne et la forme palestinienne du texte grec.“ (92) und „La forme antiochienne ne peut être issue de la forme palestinienne par abâtardissement.“ (110) 15 Der Antiochenische Text ist „la vielle septante, plus ou moins corrompue et abatardie“; Barthélemy, Devanciers, 127. 16 Wirksam wurde der auf einen Vortrag von 1965 zurückgehende kleine Beitrag von S.P. Brock, „Lucian Redivivus. Some Reflections on Barthélemy’s Les Devanciers d’Aquila“, in: F.L. Cross, Studia Evangelica, Vol. V: Papers presented to the Third International Congress on New Testament Studies held at Christ Church, Oxford 1965 (TU 103; Berlin: Akademie-Verlag, 1968) 176–181. Für eine erstmalige Überprüfung der Beispiele und Argumente siehe S. Kreuzer, „‚Lukian redivivus‘ or Barthélemy and beyond?“, in: M. Peters (Hg.), Congress Volume Helsinki 2010 (SBL.SCS 59; Atlanta: Scholars Press, 2012 [im Druck]).. 17 J.W. Wevers, „Proto-Septuagint Studies“, in: W.S. McCullough (Hg.), The Seed of Wisdom, Essays in honor of T.J. Meek (Toronto: University of Toronto Press, 1964) 58–77: 69.

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Einführung

Für sich alleine können diese beiden Beobachtungen durchaus im traditionellen Schema erklärt werden: Die kaige-Rezension hat offensichtlich nicht nur hebraisierend inhaltlich angepasst, sondern streng isomorph, noch strenger als es bisher gesehen wurde. Dass der Antiochenische Text syntaktisch korrekter ist, setzt eben nicht nur gutes Griechisch sondern auch gewisse Hebräischkenntnisse voraus oder, wenn man diese Lukian nicht zutraut, die Benutzung einer entsprechenden, wenn auch uns unbekannten, guten Übersetzung. Der entscheidende Punkt ist aber die von allen Autoren bzw. Editoren festgestellte Unregelmäßigkeit der Arbeit Lukians. Lukian hat, wie oben erwähnt, nicht nur den Artikel und erklärende Wörter hinzugesetzt, sondern oft auch gestrichen. Wenn man dagegen die Reihenfolge probeweise umkehrt, also vom Antiochenischen Text ausgeht, erhält man eine konsistente Erklärung. Dann hat man als Grundlage den Antiochenischen Text, der die hebräische Grammatik korrekt und in relativ gutem Griechisch wiedergibt, und man hat die kaige-Bearbeitung, die den griechischen Text gemäß dem zeitgenössischen Schriftverständnis streng formal an ihren normativen hebräischen Bezugstext anpasst. – Dieser neue textanalytische Zugang ist unabhängig von Barthélemy gewonnen und konvergiert zugleich mit seiner oben referierten Entdeckung, nämlich dass der Antiochenische Text und der kaige-Text voneinander abhängig sind, und dass die Richtung der Veränderung vom Antiochenischen Text zum kaige-Text geht. Damit ist ein methodischer Zugang gewonnen, der zwar in seiner Anwendung unabhängig von äußeren Textzeugen ist, der aber zugleich mit den Beobachtungen an den Qumrantexten, an Josephus, an neutestamentlichen Zitaten und an der Vetus Latina konvergiert. – Dass dieser neue methodische Zugang ebenso wie bei Barthélemy die Annahme einer lukianischen Redaktion (jedenfalls einer weitreichenden Redaktion) erübrigt und wie die Bemerkung des Hieronymus über die trifaria varietas alternativ erklärt werden kann, braucht hier in der Einleitung nicht vorweggenommen zu werden. Siegfried Kreuzer

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Einführung

Literatur Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila: Première Publication intégrale du text des fragments du Dodécaprophéton trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du Rabbinat palestinien (VT.S 10; Leiden: Brill, 1963). Brennecke, H.C., ‚Lucian von Antiochien‘, TRE 21 (1991). Brock, S.P., „Lucian Redivivus. Some Reflections on Barthélemy’s Les Devanciers d’Aquila“, in: F.L. Cross, Studia Evangelica, Vol. V: Papers presented to the Third International Congress on New Testament Studies held at Christ Church, Oxford 1965 (TU 103; Berlin: AkademieVerlag, 1968). Ceriani, A.M., Monumenta sacra et profana II/1 (Mailand: Bibliotheca Ambrosiana, 1863). Fernández Marcos, N./Sáenz-Badillos, A., Theodoreti Cyrensis quaestiones in reges et paralipomena (TECC 32; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., Departamento de Filología Bíblica y de Oriente Antiguo, 1984). Hieronymus, „Vorwort zur Chronik“, in: R. Weber/R. Gryson, Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2007). Kim, J.H., Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9 (BZAW 394; Berlin: de Gruyter, 2009) 4–11. Kreuzer, S., „‚Lukian redivivus‘ or Barthélemy and beyond?“, in: M. Peters (Hg.), Congress Volume Helsinki 2010 (SBL.SCS 59; Atlanta: Scholars Press, 2012 [im Druck]).. Lagarde, P. de, Librorum Veteris Testamenti Canonicorum Pars Prior Graece (Göttingen: Dieterich, 1883). Mez, A., Die Bibel des Josephus, untersucht für die Bücher V–VII der Archäologie (Basel: Jaeger & Kober, 1895). Rahlfs, A., Der Text des LXX-Psalters. Septuaginta-Studien II (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1907). - Lucians Recension der Königebücher. Septuaginta-Studien III (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1911). Thackeray, H.St.J., „The Greek Translators of the Four Books of Kings“, JTS 8 (1907). - The Septuagint and Jewish Worship (London: Cambridge Scholars Publishing, 1921). - Josephus: The Man and the Historian (New York: Jewish Institute of Religion Press, 1929). Wellhausen, J., Der Text der Bücher Samuelis (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1871). Wevers, J.W., „Proto-Septuagint Studies“, in: McCullough, W.S. (Hg.), The Seed of Wisdom, Essays in honor of T.J. Meek (Toronto: University of Toronto Press, 1964). Ziegler, J., Beiträge zur Jeremias-Septuaginta (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1958).

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Introduction

The following introduction seeks not to summarize or comment upon the individual essays, but rather to present this volume within the context of the history of research and, thereby, to illuminate the background of the different contributions and how they relate to one another, complement one another, or diverge from one another. The Antiochene text of the Septuagint has been known for ages from scriptural citations of the Antiochene Church Fathers, especially from the commentaries of Theodoret of Cyrrhus (ca. 60 km north by northwest of Aleppo).18 Yet the manuscripts first became known in the 19th Century through their admission into the edition of Holmes and Parson. Antonio M. Ceriani identified them as Antiochene in 1863.19 From the outset the association of this text-form with Lucian of Antioch († 312 CE)20 or at least with the period around 300 CE existed in tension with the observation that this text-form is attested already in the New Testament, by the secondcentury Old Latin translation (Vetus Latina), and not least importantly by the Jewish author Josephus in the first century CE. Whereas Paul de Lagarde wanted to begin his work on the Septuagint with the Lucianic text21 – that is, he apparently regarded this text as very old and important (just like Julius Wellhausen22) – Alfred Rahlfs went in the opposite direction. In two extensive essays about Psalms23 and Kings24 Rahlfs explained almost all of —————

18 For a recent critical edition, cf. N. Fernández Marcos/A. Sáenz-Badillos, Theodoreti Cyrensis quaestiones in reges et paralipomena (TECC 32; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1984). 19 A.M. Ceriani, Monumenta sacra et profana II/1 (Mailand: Bibliotheca Ambrosiana, 1863). For the history of research, cf. J.H. Kim, Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9 (BZAW 394; Berlin: de Gruyter, 2009) 4–11. 20 To the person and work of Lucian, as well as to the problematic state of sources, cf. H.C. Brennecke, ‘Lucian von Antiochien’ (Martyrium 7.1.312), TRE 21 (1991) 474–479. Lucian apparently came from Samosata (on the Euphrates, currently in Turkey) just like the satirist Lucian of Samosata (ca. 120–180); in order to differentiate the two, he is generally identified according to the location where he did most of his work: Lucian of Antioch. 21 P. de Lagarde, Librorum Veteris Testamenti Canonicorum Pars Prior Graece, Göttingen: Dieterich, 1883). 22 J. Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1871) 221–224. 23 A. Rahlfs, Der Text des LXX-Psalters, Septuaginta-Studien II (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1907). 24 A. Rahlfs, Lucians Recension der Königebücher, Septuagintastudien III (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1911).

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Introduction

the agreements with the aforementioned first and second-century witnesses as secondary influences, on the one hand from the New Testament into the Lucianic manuscripts and on the other hand from the Lucianic text into the tradition of the Josephus text and into the Vetus Latina. At the same time, Codex Vaticanus was generally regarded as the oldest and best witness to the text of the Septuagint. This regard for Vaticanus led to the assumption that the differences in the traditions were the result of Lucian’s recensional undertakings. This Lucianic redaction supposedly – and most importantly – improved the translational Greek, e.g., by using more well-known Greek terms, through freer word order, and by the addition of the definite article or explanatory words, especially the names of the acting characters. However Lucian’s work was inconsistent: he often appeared to have removed the definite article or explanatory words.25 This image of the Lucianic recension apparently accepted the wellknown comment of Jerome about the trifaria varietas of the text of the Septuagint, which implied that the Hesychianic text was read in Egypt, the Lucianic text was read in Antioch / Syria, and the text of Origen was read in Palestine.26 Yet, in the academic discussion Jerome’s statement about textforms was perceived as a statement about redactions or recensions of the text. The idea of a Lucianic recension around 300 CE, with its updating yet heterogeneous character, became a self-evident presupposition within Septuagint research lasting even into the present, and not least of all, heavily influencing the scholarly editions. However, there always remained the problem of the attestations of the Lucianic text from the period before Lucian. Even Rahlfs allowed for an although small portion of protolucianic text.27 Studies regarding the text of Josephus demonstrated that this portion of text could not be estimated as having been insignificant.28 The situation changed with the discovery of the texts from Qumran, i.e. with the biblical texts that were found there. Among these texts, the first Samuel scroll, 4QSama, especially demonstrated extensive concordance ————— 25

“Denn der Hauptcharacterzug dieser Rezension ist das Fehlen eines klaren Prinzips”, Rahlfs, Lucians Rezension, 293. Similarly: J. Ziegler, Beiträge zur Jeremias-Septuaginta (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1958) 162: “Konsequenz war nicht seine Stärke.” (regarding the Lucianic text of the book of Jeremiah). 26 “Alexandria et Aegyptus in Septuaginta suis Hesychium laudat auctorem, Constantinopolis usque Antiochiam Luciani martyris exemplaria probat, mediae inter has provinciae palestinos codices legunt, quos ab Origene elaboratos Eusebius et Pamphilius vulgaverunt, totusque orbis hac inter se trifaria varietate conpugnat.” Hieronymus, “Vorwort zur Chronik”, in: R. Weber/R. Gryson, Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2007) 546. 27 Rahlfs, Lucians Rezension, 291f. 28 The first study addressing this topic was A. Mez, Die Bibel des Josephus, untersucht für die Bücher V–VII der Archäologie (Basel: Jaeger & Kober, 1895). His observations and the reliability of the text were largely substantiated in H.St.J. Thackeray, Josephus: The Man and the Historian (New York: Jewish Institute of Religion Press, 1929).

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with the Lucianic text, or rather its presumed Hebrew Vorlage. These agreements cannot be pushed aside as having been secondarily influenced since these texts had been lying in a cave for some 2000 years. Thus the question of the proto-Lucianic text was exacerbated, as was the question of the relevance of the aforementioned sources from the 1st and 2nd centuries, even if this question was less frequently and explicitly asked. In spite of these new facts, the existence of a Lucianic redaction remained generally unquestioned, although now a greater proportion of proto-Lucianic material was accepted (mostly only where an attesting fragment from Qumran had been identified) and/or various compromise models were developed. The Qumran texts and the other texts from the Judean Desert led to yet another discovery that initially did not appear to have anything to do with the Lucianic text, namely Barthélemy’s discovery of the kaige-recension, as it has since become known. While studying the scroll of the Twelve Prophets from Naμal „ever, he identified a strongly formalistic, Hebraizing re-working of the Septuagintal text, which isomorphically adapted the older text of the Septuagint towards its Hebrew Vorlage not only semantically, but also grammatically and syntactically. This so-called kaige-recension was actually an early and inner-Jewish predecessor of the translation by Aquila, which is even more extreme in this regard; thus, the title of Barthélemy’s book: Les Devanciers d’Aquila.29 Barthélemy also identified this kaige-redaction within the books of Samuel, most specifically in the ¹º portion (2Sam 11 – 1Kgs 2) for which Henry St. John Thackeray had identified an independent, strongly formal Hebraizing text form.30 However, Thackeray’s division of the books of Samuel, just like this text form, applies only to Codex Vaticanus. Barthélemy suggested another inquiry: if the text of Codex Vaticanus – at least in these passages – is not the oldest, as had previously been accepted, but is secondary, then one must ask what text served as the basis of this recension and whether it still exists. In the course of his further studies, Barthélemy arrived at the conclusion that the kaige-text (Barthélemy still spoke of the “Palastinian Text”) was distinctly related to the Antiochene text, but that the Antiochene text could not stem from the kaige-text. Rather, the Antiochene text must have been the basis for the kaige-text.31 Thus, Barthélemy drew the conclusion that the Antiochene or Lucianic text ————— 29 D. Barthélemy, Les Devanciers d’Aquila. Première Publication intégrale du text des fragments du Dodécaprophéton trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du Rabbinat palestinien (VT.S 10; Leiden: Brill, 1963). 30 H.St.J. Thackeray, “The Greek Translators of the Four Books of Kings”, JTS 8 (1907) 262– 266; ders., The Septuagint and Jewish Worship (London: Cambridge Scholars Publishing, 1921). 31 The referenced chapters are entitled: “Identité de base entre la forme antiochienne et la forme palestinienne du texte grec.” (92) and “La forme antiochienne ne peut être issue de la forme palestinienne par abâtardissement.” (110)

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practically represents the original Septuagint, even though it may contain textual corruptions and variants from the course of transmission.32 With this insight the postulation of a Lucianic recension was practically rejected. Whereas the discovery of the kaige-recension and the re-evaluation of the Antiochene text represented two sides of the same coin for Barthélemy, these two sides were torn apart during the time that followed. Due to an unfortunate state of discourse in the 1960’s33 and probably also because Barthélemy’s French work was not always fully appreciated, the discovery of the kaige-recension was accepted almost everywhere in Septuagint research, but the reevaluation of the Antiochene text was rejected or forgotten. Regarding the unquestioned acceptance of a Lucianic recension, the question of the proto-Lucianic text became much more important due to the finds from Qumran and the sources from the 1st and 2nd centuries CE. Already in 1964, John W. Wevers noted: “All in all, the so-called protoLucianic text is to my mind the most difficult problem in modern Septuagint work.”34 In the course of his work on the Septuaginta-Deutsch, Siegfried Kreuzer engaged the kaige-recension and its characteristics. He noticed that the Hebraizing reworking was inaccurate in terms of the Hebrew, especially regarding the use of the article. There is an article in the kaige text only when there is an article in the Hebrew text. Definite genitive phrases that are determined due to the use of a proper noun or a suffix have – contrary to Hebrew grammar – no definite article. On the other hand, the Antiochene text contains an article, complimentary to Hebrew grammar. Taken alone, each of these observations can readily be explained in the traditional scheme: the kaige-recension apparently not only corrected the content towards the Hebrew, but rather strictly isomorphically – even stricter than had been seen thus far. That the Antiochene text is syntactically more correct presumes not only good Greek, but also a certain knowledge of Hebrew or – should one not believe Lucian capable of that – the use of an equivalent, good translation, even if it is no longer known. —————

32 The Antiochene text is “la vielle septante, plus ou moins corrompue et abatardie”; Barthélemy, Devanciers, 127. 33 The brief article from S.P. Brock, “Lucian Redivivus. Some Reflections on Barthélemy’s Les Devanciers d’Aquila”, in: F.L. Cross, Studia Evangelica, Vol. V, Papers presented to the Third International Congress on New Testament Studies held at Christ Church, Oxford, 1965 (TU 103; Berlin: Akademie-Verlag, 1968) 176–181, based on a lecture held in 1965 became quite influential. The earliest testing of his examples and arguments can be found in S. Kreuzer, “‘Lukian redivivus’ or Barthélemy and beyond?”, in: M. Peters (Hg.), Congress Volume Helsinki 2010 (SBL.SCS 59; Atlanta: Scholars Press, 2012 [im Druck]). 34 J.W. Wevers, “Proto-Septuagint Studies”, in: W.S. McCullough (ed.), The Seed of Wisdom, Essays in honor of T.J. Meek (Toronto: University of Toronto Press, 1964) 58–77: 69.

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The decisive point is the irregularity of Lucian’s work, as has been postulated by all authors and editors. Lucian – as mentioned above – not only added the article and explanatory words, but often also removed them. If, however, one hypothetically reverses the order, that is, one proceeds from the Antiochene text, one arrives at a consistent explanation. Then one has the Antiochene text as a basis that reflects proper Hebrew grammar and proffers a text in relatively good Greek. And one arrives at the kaigerecension, which adapted the Greek text towards its normative Hebrew reference text according to its contemporary understanding of scripture. This new text-analytical approach was won independently from Barthélemy and at the same time converges with his aforementioned discovery, namely that the Antiochene text and the kaige text are dependent on each other and that the direction of change is from the Antiochene text to the kaige text. Thus a methodological approach has been won that simultaneously converges with the Qumran texts, Josephus, New Testament quotations and the Vetus Latina. That this new methodical approach makes a Lucianic redaction (at least a broad redaction) superfluous – just as Barthélemy postulated – and how Jerome’s comment about the trifaria varietas can alternatively be explained do not need to be addressed in advance in this introduction.

Literatur Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila: Première Publication intégrale du text des fragments du Dodécaprophéton trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du Rabbinat palestinien (VT.S 10; Leiden: Brill, 1963). Brennecke, H.C., ‘Lucian von Antiochien’, TRE 21 (1991). Brock, S.P., “Lucian Redivivus. Some Reflections on Barthélemy’s Les Devanciers d’Aquila”, in: F.L. Cross, Studia Evangelica, Vol. V: Papers presented to the Third International Congress on New Testament Studies held at Christ Church, Oxford 1965 (TU 103; Berlin: AkademieVerlag, 1968). Ceriani, A.M., Monumenta sacra et profana II/1 (Mailand: Bibliotheca Ambrosiana, 1863). Fernández Marcos, N./Sáenz-Badillos, A., Theodoreti Cyrensis quaestiones in reges et paralipomena (TECC 32; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., Departamento de Filología Bíblica y de Oriente Antiguo, 1984). Hieronymus, “Vorwort zur Chronik”, in: R. Weber/R. Gryson, Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2007). Kim, J.H., Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9 (BZAW 394; Berlin: de Gruyter, 2009) 4–11. Kreuzer, S., “‘Lukian redivivus’ or Barthélemy and beyond?”, in: M. Peters (ed.), Congress Volume Helsinki 2010 (SBL.SCS 59; Atlanta: Scholars Press, 2012 [im Druck]). Lagarde, P. de, Librorum Veteris Testamenti Canonicorum Pars Prior Graece (Göttingen: Dieterich, 1883). Mez, A., Die Bibel des Josephus, untersucht für die Bücher V–VII der Archäologie (Basel: Jaeger & Kober, 1895).

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Rahlfs, A., Der Text des LXX-Psalters. Septuaginta-Studien II (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1907). – Lucians Recension der Königebücher. Septuaginta-Studien III (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1911). Thackeray, H.St.J., “The Greek Translators of the Four Books of Kings”, JTS 8 (1907). – The Septuagint and Jewish Worship (London: Cambridge Scholars Publishing, 1921). – Josephus: The Man and the Historian (New York: Jewish Institute of Religion Press, 1929). Wellhausen, J., Der Text der Bücher Samuelis (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1871). Wevers, J.W., “Proto-Septuagint Studies”, in: McCullough, W.S. (ed.), The Seed of Wisdom, Essays in honor of T.J. Meek (Toronto: University of Toronto Press, 1964). Ziegler, J., Beiträge zur Jeremias-Septuaginta (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1958).

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Grundfragen und Grundlagen

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Siegfried Kreuzer

Der Antiochenische Text der Septuaginta Forschungsgeschichte und eine neue Perspektive

Die Erforschung der Septuaginta umfasst ein breites Spektrum von Fragestellungen, angefangen von Fragen der eigentlichen Übersetzung über die Textgeschichte bis hin zu den Editionen. Die unterschiedlichen Fragestellungen sind naturgemäß geprägt von ihrer Forschungsgeschichte. Wie in anderen Wissenschaften gibt es auch in der Septuagintaforschung nicht nur neue Beobachtungen, sondern auch traditionelle Perspektiven und Positionen, die die Forschung prägen. Dabei gibt es beides: Erkenntnisse, die nicht wirklich widerlegt, sondern nur vergessen wurden, aber auch Positionen, die unhinterfragt zu selbstverständlichen Voraussetzungen und geradezu zu Axiomen avancierten. Diese Beobachtung gilt insbesondere auch für den sogenannten Antiochenischen bzw. Lukianischen Text und die weithin als selbstverständlich angenommene lukianische Rezension. Insofern ist es angemessen, mit einem Überblick auf die Forschungsgeschichte einzusteigen und von da zum aktuellen Stand und zu neuen Perspektiven weiter zu gehen.

1. Septuagintaforschung im Spiegel der Texteditionen: Die Dominanz des Kodex Vaticanus Ein wesentlicher Teil der Septuagintaforschung ist die Geschichte der Editionen. In den Editionen spiegelt sich das Textverständnis der jeweiligen Herausgeber und andererseits haben die konkreten Editionen einen enormen Einfluss auf die Forschung. Blicken wir auf die Editionen der Septuaginta seit der Einführung des Buchdrucks, so ist eine erste Beobachtung, dass der Kodex Vaticanus von früh an eine enorme Bedeutung hatte. Die wichtigsten sozusagen „vor-vaticanischen“ Editionen der Septuaginta waren die Aldina von 1518 und die Complutensische Polyglotte, deren Bände von 1514 bis 1517 gedruckt und dann ab 1520 publiziert wurden. Die Geschichte dieser Polyglotte braucht hier nicht im Detail dargestellt zu werden. Sie wurde in wesentlichen schon im 19. Jh. von Franz Delitzsch erhellt.1 Die Ergebnisse —————

1 F. Delitzsch, Studien zur Entstehungsgeschichte der Polyglottenbibel des Cardinals Ximenes (Leipzig: Edelmann, 1871), und ders., Fortgesetzte Studien zur Entstehungsgeschichte der Complutensischen Polyglotte (Leipzig: Edelmann, 1886).

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wurden von Seamus O’Connell weitergeführt, dessen Buch mit dem Titel „From most ancient sources“ 2006 erschien.2 Für die Frage nach dem antiochenischen bzw. lukianischen Text ist hier nur interessant, dass für diese Polyglotte in den Geschichtsbüchern offensichtlich jene Handschrift benutzt wurde, die später die Nummer 108 erhielt und die ein wichtiger Zeuge des lukianischen Textes ist. Die praktisch parallel zu Complutense erarbeitete Aldina erschien 1518 in Venedig in der Druckerei des Aldinus und basierte auf in Venedig vorhandenen Handschriften, vor allem auf der Handschrift 68. Schon die vom (späteren) Papst Sixtus V. 1578 veranlasste und herausgegebene, 1587 erschienene Sixtina verwendete aber den Kodex Vaticanus. Wie schon Lagarde feststellte und Rahlfs bestätigte, ist die Sixtina im Wesentlichen eine Weiterführung der Aldina, deren Text vom Kodex Vaticanus her korrigiert wurde. Die Bedeutung des Kodex Vaticanus wurde im Zuge der Vorbereitungen für die Sixtina erkannt. Swete schrieb dazu: „Search was made in the libraries of Italy as well as in the Vatican for MSS. of the LXX., but the result of these enquiries satisfied the editors of the superiority of the great Vatican Codex (B = cod. Vat. gr. 1209) over all other known codices, and it was accordingly taken as the basis of the new edition.“3

Diese Wertschätzung des Kodex Vaticanus blieb über die folgenden Jahrhunderte erhalten. Praktisch alle Septuagintaausgaben der Neuzeit gaben direkt oder indirekt über die Sixtina den Text des Kodex Vaticanus im Obertext wieder. Der wesentliche Unterschied war nur, dass der textkritische Apparat durch Hinzuziehung weiterer Handschriften zunehmend anwuchs. Auch die großen Editionen des 19. und des 20. Jh., Holmes-Parsons 1798–18274 und Brooke-McLean 1906–19405 ebenso wie die Handausgabe von Swete 1887– 18946 waren im Wesentlichen diplomatische Editionen, wenn auch mit einem immer umfangreicher werdenden Apparat. Die einzige Ausnahme in dieser langen Geschichte war die Edition von Johannes Ernestus Grabe, der seiner 1709–1720 erschienenen Ausgabe den Kodex Alexandrinus zu Grunde legte.7 —————

2 S. O’Connell, From Most Ancient Sources. The Nature and Text-Critical Use of the Greek Old Testament Text of the Complutensian Polyglot Bible (OBO 215; Fribourg: Academic Press / Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006). 3 H.B. Swete, An Introduction to the Old Testament in Greek (Cambridge: Cambridge University Press, 1900) 181. 4 R. Holmes/J. Parsons, Vetus Testamentum Graecum cum variis lectionibus (Oxford: Clarendon Press, 1798–1827). 5 A.E Brooke/N. McLean/H.S.J. Thackeray, The Old Testament in Greek According to the Text of Codex Vaticanus (Cambridge: Cambridge University Press, 1906–1940). 6 H.B. Swete, The Old Testament in Greek according to the Septuagint (Cambridge: Cambridge University Press, 1887–1894). 7 Grabe hatte 1705 die Priorität des Kodex Alexandrinus für das Richterbuch vertreten: J.E. Grabe, Epistola Ad Clarissimum Virum, Dn. Joannem Millium, ... Qua Ostenditur, Libri Judicum

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Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und Bedeutung 25

Die Dominanz des Kodex Vaticanus setzte sich aber auch in den kritischen Editionen weiter fort. Bekanntlich legte Rahlfs seiner sog. Handausgabe die Kodices B, S8 und A zu Grunde, wobei er weit überwiegend dem Vaticanus folgte. Dasselbe gilt im Wesentlichen auch für die Göttinger Ausgabe, angefangen von der Rahlfs’schen Psalmenausgabe von 1931 bis hin zur Bearbeitung des Buches Ruth durch Udo Quast 2006. Nur gelegentlich gab es Zweifel an dieser Priorität des Vaticanus. So plädierte Albert Pietersma vor allem auf Grund des damals neu zugänglich gewordenen Papyrus Bodmer XXIV für eine andere Bewertung der Textzeugen in den Psalmen.9 Auch von John William Wevers gibt es eine interessante Äußerung. Bekanntlich publizierte Wevers in seinen Notes zu den Büchern des Pentateuch eine Liste von Stellen, wo er anders entscheiden würde, als er es zuvor bei der Textedition gemacht hatte. Wiederholt begründet Wevers seine neue Entscheidung mit früherer Überschätzung des Kodex Vaticanus. Rückfragen hatten sich allerdings auch schon im Zusammenhang der Identifikation antiochenischer bzw. lukianischer Handschriften in den 1860er-Jahren ergeben und insbesondere im 20. Jh. im Zuge der Entdeckung der Qumranschriften und die Auswertung der Naμal „ever-Rolle durch Dominique Barthélemy.

2. Die Identifikation des lukianischen/antiochenischen Textes in den Handschriften und seine Bewertung Vom lukianischen Text hat bekanntlich Hieronymus zum ersten Mal gesprochen. Die wichtigste Stelle findet sich im Prolog zum Buch der Chronik. Sie ist in jeder Vulgata-Ausgabe bequem zugänglich. Hieronymus spricht von der trifaria varietas, von einer dreifachen Varietät der Septuaginta, die in unterschiedlichen Regionen des damaligen griechischen Sprachraumes verbreitet sei. Dabei verbindet er den ägyptischen Text mit Hesychius, den in Palästina verbreiteten Text mit Origines und den im Kirchengebiet von Antiochien bis hin zur Reichshauptstadt Byzanz gebräuchlichen Text verbindet er mit dem Märtyrer Lukian, wobei er schreibt: „Constantinopolis usque Antiochiam Luciani martyris exemplaria probat“. ————— Genuinam LXX. Interpretum Versionem eam esse, quam Ms. codex Alexandrinus exhibet (Oxford: Sheldonianus, 1705). Darauf geht die Hervorhebung des Alexandrinus-Textes in Brooke-McLean und in weiterer Folge die Rekonstruktion eines A-Textes gegenüber dem B-Text in der Handausgabe von Rahlfs, 1935, zurück. 8 Dadurch, dass Codex Sinaiticus im Alten Testament erhebliche Lücken hat, bleiben für weite Teile, gerade auch für die Geschichtsbücher, im Wesentlichen B und A. 9 A. Pietersma, Two Manuscripts of the Greek Psalter in the Chester Beatty Library Dublin (AnBib 77; Rom: Biblical Institute Press, 1978) 16–37; siehe jetzt ders., The Present State of the Critical Text of the Greek Psalter (MSU XXIV; (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000) 21.28f.

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Von da her ergibt sich die Bezeichnung als lukianischer bzw. antiochenischer Text. Die moderne Forschung hat diese Zuordnung und diese Bezeichnung aufgenommen. Es lohnt sich aber, sich einen kleinen jedoch wichtigen Unterschied bewusst zu machen: Hieronymus sprach von Textformen und ihrer Verbreitung. Die moderne Forschung dagegen spricht von Rezensionen. Das liegt in der Logik der Sache, denn irgendwie müssen die Unterschiede ja entstanden sein, und gewiss war dabei auch das Bild von der Rezensionsarbeit des Origenes von Einfluss. Aber trotzdem ergibt sich mit dieser Rede von Rezension eine neue Dynamik, die bei Hieronymus noch nicht vorlag.10 Der lukianische bzw. antiochenische Text war jener Text, den die antiochenischen Väter in ihren Kommentaren zitierten oder den sie ihren Predigten zu Grund legten. Insofern war dieser Text über die Jahrhunderte hinweg nicht unbekannt. Dennoch ergab sich im 19. Jh. eine neue Situation, als die ersten Handschriften des lukianischen Textes identifiziert werden konnten. Dies wurde durch die Ausgabe von Holmes-Parsons möglich und geschah 1863 durch Antonio Ceriani, der die Übereinstimmung der Handschriften 19, 82, 93 und 108 untereinander und mit dem Text der antiochenischen Autoren Chrysostomus (344/349–407 n.Chr.) und Theodoret von Cyrrhos (ca. 393–466 n.Chr.) feststellte.11 Hier ist eine interessante Notiz von Julius Wellhausen am Ende seiner grundlegenden Untersuchung zum Text der Samuelbücher von 1871 zu nennen. Darin erwähnt Wellhausen, dass er auf die Handschriften des lukianischen Textes hingewiesen worden war. Mit verständlicher Begeisterung berichtet er davon, dass die vier lukianischen Handschriften häufig seine Konjekturen bestätigten, und er schlug vor, diese vier Handschriften separat herauszugeben.12 Bekanntlich hat Paul de Lagarde genau das versucht, wobei allerdings seine Ausgabe von 1883 insofern ein Fehlschlag war, als sie mit problematischen Prämissen und vor allem übereilt erfolgte. Zudem enthielt seine Ausgabe keinen kritischen Apparat, sodass die Entscheidungen nicht nachprüfbar waren. Es lohnt sich aber trotzdem, sich das Konzept von Lagarde bewusst zu machen. Für die Herstellung des Urtextes der Septuaginta ging er praktisch von der oben erwähnten Bemerkung des Hieronymus über die dreifache Textgestalt aus. Lagarde wollte zunächst diese drei —————

10 Zurückhaltend gegenüber der Rede von Rezension war H. Dörrie, in seinem Beitrag „Zur Geschichte der Septuaginta im Jahrhundert Konstantins“, ZNW 39 (1940) 57–110. Dort diskutierte er ausführlich die vier einschlägigen, untereinander nicht ganz kompatiblen Bemerkungen des Hieronymus zu Lukian und kam zu dem Ergebnis, dass der lukianische Text nicht „eine beabsichtigte Rezension, sondern eine geschichtlich gewordene, in sich uneinheitliche Textform“ darstellt (S. 105). 11 Zur Forschungsgeschichte siehe J.-H. Kim, Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19 (BZAW 394; Berlin: de Gruyter, 2009) 7–11. 12 J. Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1871).

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Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und Bedeutung 27

Textformen rekonstruieren und von da aus zur ursprünglichen Septuaginta zurückkommen. Es ist wohl kein Zufall, sondern drückt wahrscheinlich seine Erwartungen aus, dass er seine Arbeit mit dem lukianischen Text begann. Ganz anders optierte Lagarde’s Schüler und Nachfolger Alfred Rahlfs. Von grundlegender Bedeutung wurden seine beiden Untersuchungen zu den Psalmen und zum Text der Königebücher, die 1907 bzw. 1911 erschienen.13 Diese beiden Untersuchungen prägten die Septuagintaforschung für etwa 50 Jahre fast vollständig und weithin auch noch heute. In „Lucians Recension der Königebücher“ von 1911 untersucht Rahlfs zunächst sehr detailliert 1Kön 1 und betrachtet dann die weiteren Kapitel eher in großen Zügen. Nach heutiger Begrifflichkeit begann er damit seine Untersuchung mit einem kaige-Text und hatte er im Weiteren einen nicht-kaigeText und ab 1Kön 22 bis 2Kön 25 wieder einen kaige-Text vor sich. Rahlfs analysierte die Übersetzungsweise, die er vor allem im Blick auf 2Kön, also den kaige-Text, als manchmal geradezu „stumpfsinnig genau“ bezeichnete.14 Rahlfs folgte den zeitgenössischen Voraussetzungen, nämlich dass er vom Kodex Vaticanus als dem ältesten Text ausging und die Differenzen als – wie auch der Titel der Beitrags lautet – Lucians Recension betrachtete. Rahlfs untersuchte aber auch die weiteren Textzeugen, d.h. die Vetus Latina und Autoren aus der vorlukianischen Zeit, d.h. aus der Zeit vor 300 n.Chr., die den lateinischen Text zitierten. Rahlfs kannte auch die Untersuchung von Adolf Mez von 1896, der den griechischen Text der Antiquitates von Josephus mit dem Text der Samuelbücher verglichen hatte.15 Sowohl der Text der Antiquitates als auch die Vetus Latina stimmten an vielen Stellen mit dem lukianischen Text überein. Diese Übereinstimmung bedeutete eigentlich, dass der lukianische Text weithin vorlukianisch sein muss. Offensichtlich wollte Rahlfs dieses Ergebnis aber nicht wahrhaben. Nach Kräften schob er die Evidenz aus Josephus und der Vetus Latina beiseite. Das wichtigste Argument war die Annahme einer sekundären Beeinflussung der Überlieferung. D.h. Rahlfs erklärte die Übereinstimmungen mit der Annahme, dass der lukianische Text die Überlieferung der Vetus Latina, aber auch die Überlieferung des Josephustextes geprägt habe. Übereinstimmungen des lukianischen Textes mit Septuagintazitaten im NT erklärte er dagegen als Rückwirkung aus dem Neuen Testament in die Septuagintaüberlieferung. Mit dieser zweifachen Argumentation gelingt es Rahlfs, fast alle Evidenz für einen protolukianischen Text beiseite zu schieben. So bleiben z.B. von den Übereinstimmungen mit Josephus praktisch nur einige spezielle Na————— 13 A. Rahlfs, Septuagintastudien I–III (darin: II. Der Text des Septuaginta-Psalters [1907]; III. Lucians Rezension der Königsbücher [1911]) (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 21965). 14 Rahlfs, Lucians Rezension, 293: Das Buch 2Kön ist „oft stumpfsinnig genau übersetzt“. 15 A. Mez, Die Bibel des Josephus, untersucht für Buch V bis VII der Archäologie (Basel: Jaeger & Kober, 1895).

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mensformen. Allerdings bleibt festzuhalten, dass auch Rahlfs von einem wenn auch kleinen protolukianischen Anteil im lukianischen Text spricht. Das Entscheidende ist aber die lukianische Rezension. Welche Kennzeichen hat nun diese Rezension? Rahlfs benennt im Wesentlichen zwei Elemente, die bis heute anerkannt sind. Diese sind die Hinzufügung des Artikels und die Hinzufügung erklärender und identifizierender Wörter. Letzteres bedeutet etwa, dass an Stelle der Personalpronomina die Namen der entsprechenden Personen genannt werden. Diese beiden von Rahlfs herausgearbeiteten Kennzeichen der lukianische Rezension wurden von vielen anderen übernommen bzw. auch in anderen Texten entdeckt. So stellte z.B. Josef Ziegler bei seiner Bearbeitung des Jeremiabuches und der anderen prophetischen Bücher genau dasselbe fest: Hinzufügung des Artikels und Hinzufügung erklärender Wörter.16 Ebenfalls zu diesem Ergebnis kam Sebastian P. Brock bei seiner 1966 abgeschlossenen Untersuchung von 1Sam. Brock erklärte diese Änderungen nicht nur wie Rahlfs aus dem Bemühen, die Gräzität des Textes zu verbessern, sondern dahingehend, dass damit ein zum Vorlesen geeigneter Text hergestellt werden sollte.17 Bei diesen Interpretationen ist immer vorausgesetzt, dass der lukianische Text der jüngste Text ist, während insbesondere Kodex Vaticanus aber auch der hexaplarische Text des Origenes älter sind.18 Demzufolge sind alle Besonderheiten des lukianischen Textes Kennzeichen der lukianischen Rezension. Nun gibt es freilich ein Problem: Beim Lukianischen Text gibt es nicht nur die Hinzufügung des Artikels und erklärender Wörter, sondern häufig ist es auch umgekehrt, dass der Artikel oder ein erklärendes Wort gestrichen wird. Dieses Problem fiel natürlich auch schon Rahlfs auf. Er verstand es aber nicht als Anfrage an seine Analyse, sondern er machte daraus ein weiteres Kennzeichen der lukianischen Rezension, nämlich als Inkonsequenz bei seiner Bearbeitung; mit den Worten von Rahlfs: „Denn der Hauptcharakterzug dieser Rezension ist das Fehlen eines klaren Prinzips.“19 Auch diese Charakteristik wurde in die Forschung übernommen. Ziegler sagt beim Jeremiabuch über Lukian kurz und bündig: „Konsequenz war nicht seine Stärke.“20 ————— 16

J. Ziegler, Beiträge zur Jeremias-Septuaginta (MSU VI; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1958) insbes. 114–69 = Kap. 4: „Der Artikel in der Ier.-LXX“. 17 S.P. Brock, The Recensions of the Septuagint version of 1 Samuel (unpublished PhD Diss. Oxford 1966 / Torino: Zamorani, 1996). 18 Bezüglich der Hexapla wurde und wird auch gerne mit den Übereinstimmungen mit Symmachus argumentiert: Wenn Lukian und Symmachus (exklusiv) übereinstimmen, so habe Lukian dies aus der Hexapla übernommen. Z.B. F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel und alten Testament. Eine Einführung in die Septuaginta (MJS 9; Münster: LIT-Verlag, 2001) 89f. – Die alternative Erklärungsmöglichkeit, nämlich dass solche – auch exklusiven – Übereinstimmungen auf die ursprüngliche Septuaginta zurückgehen können, wird praktisch nie erwogen. 19 Rahlfs, Lucians Rezension, 293. 20 Ziegler, Jeremias-Septuaginta, 162.

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Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und Bedeutung 29

Auf eigenwillige Art löste Brock das Problem der Unregelmäßigkeiten: Er interpretierte nur die „recurrent variants“, d.h. jene Belege, die eine konsistente Revision aufweisen, während er die „non recurrent variants“, also jene Varianten, die nicht ins Schema passen, einfach beiseite ließ.21 Brock hatte offensichtlich realisiert, dass die angebliche Inkonsequenz Lukians, die noch dazu praktisch durchwegs zu finden ist („… are found over the whole of ms tradition“!), eine kritische Anfrage an die traditionelle Analyse bedeutet. Die gegenläufige Evidenz aber einfach zu streichen, und so den Text „consistent or nearly consistent“ zu machen, ist keine wissenschaftlich akzeptable Vorgangsweise. Die bisher besprochenen Phänomene sind am folgenden Text aus 2Sam 15 sehr gut zu erkennen: In V. 2, Z. 8 zeigt der Antiochenische Text mit ÌľÅÎÍÂľÅÌÇı`Êɸü die bekannte Ergänzung des Artikels, ebenso V. 5, Z. 2: ÌġÅÓŻɸ, ebenso V. 6, Z. 7 ÌľÅÒÅ»ÉľÅÌÇı`ÊɸŢ und V. 10, Z. 3 ÌÛËÎÍÂÛËÌÇı`ÊɸüÂ. Allerdings gibt es in V. 10 auch das Gegenteil, in Z. 6 sind offensichtlich die im Text von B ÌüÅÎÑÅüÅÌýËÁ¼É¸ÌĕÅ¾Ë vorhandenen Artikel getilgt: ÎÑÅûÅÊŠÂÈÀººÇË. In V. 2, Z. 5f. scheint das – allerdings sehr an hebräische Ausdrucksweise anklingende – Á¸Ė ÒȼÁÉţŸÌÇ ĝ ÒÅûÉ gegen MT hinzugefügt zu sein, während in V. 10, Z. 9 ¹¸ÊÀ¼İË getilgt ist.

Textsynopse 1: 2Sam 15, 2.5f.1022 MT

KR (Rahlfs bzw. B)

Ant (Madrider Edition)

:{ š 9’ –Q ™# 2 Á¸Ėë¹Ġ¾Ê¼Å Á¸ĖëÁŠÂ¼À ÈÉġ˸ĤÌġŹ¼ÊʸÂÑÄ ¸ĤÌġŹ¼ÊÊ¸ÂĽÄ #'{ +š — -L …+fš ’ ™ ; —————

21 Brock, Recensions, 254: „The features which have been discussed do not of course by any means cover the whole range of this type of variant, but it is hoped that all cases where L shows evidence of consistent, or nearly consistent, revision, have been included.“ Ähnlich Seite 255: „Of the less consistent variants of this type in L, it has only been possible for reasons of space, to give a selection. Non-recurrent variants like these are found over the whole of the ms tradition and present less interest.“ 22 Hier und in den folgenden Synopsen beruhen die unterschiedlichen Schreibungen (¼À-À) bei den Namen und beim beweglichen Ny nicht auf den Handschriften sondern auf den editorischen Konventionen der Madrider Edition des Ant. Insbesondere die einem Kodex noch sehr nahe stehende Handschrift 127 lässt annehmen, dass die Orthographie des Ant derjenigen von B (und meist auch A) sehr nahe stand (vgl. dazu Kim, Textformen, 89–94 an Hand des beweglichen Ny). Der MT ist bewusst mit Vokalisation wiedergegeben, um darauf hinzuweisen, dass der Text auch in der Antike mit einer Lesetradition verbunden war, und andererseits, um daran zu erinnern, dass wir – bei aller Kontinuität zum protomasoretischen Text – nur den MT in seiner mittelalterlichen Gestalt haben.

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30

Siegfried Kreuzer

:/ ˜ œ Qy ™# !kš v™ :' { 4– !O† ˜ /¡' –   —  :/ ˜ œ Qw ™# %† ™ ™ /— +x — :š g’ –'¡'&  — ’ f– ªUG  ˜ ’ 4™

Á¸Ė켺¼Å¸ĤÌŊ ëÁÈÇĕ¸ËÈĠ¼ÑËÊİ¼č  Á¸Ė¼čȼÅ֙ĝÒÅûÉ‫א‬Ӣ֚ ëÁÄÀÜË ÎÍÂľÅ Êɸ¾Â ĝ»ÇıÂĠËÊÇÍ

!{ š'!š ’# 5 Á¸ĖëºñżÌÇ f'¡ v– :š 9’ C– ëÅÌŊ뺺ĕ½¼ÀÅÓŻɸ L r+ = xL%” k™ f’ !– +’ . ÌÇıÈÉÇÊÁÍÅýʸÀ¸ĤÌŊ L} š'¡=˜ %+ˆ ™ fš ’# Á¸ĖëÆñ̼ÀżÅÌüÅϼėɸ ¸ĤÌÇı Á¸Ėëȼ¸ĹÚżÌǸĤÌÇı L x+ 9'$† – %“ !˜ ’# ªL+  9f™ 1† š ’#> Á¸ĖÁ¸Ì¼Îĕ¾ʼŸĤÌĠÅ -L+~ fš ’ ™ g4™ {™Q ™# 6 Á¸ĖëÈÇĕ¾Ê¼Å ¹¼ÊʸÂÑÄ ‘!{ ˜O!™ :… š Gš V™ Á¸ÌÛÌġģýĸÌÇıÌÇ ȸÅÌĖ Êɸ¾Â +v— :š g’ –'¡+)š +’ Kœ† š'¡:f˜ ” ÌÇėËȸɸºÀÅÇÄñÅÇÀ˼ĊË ÁÉĕÊÀÅÈÉġËÌġŹ¸ÊÀÂñ¸ &ax š f’ ]– +™ T+˜ ]r ˜ !¡+ ™ ˜ -L+v fš ’ ™ { —^ ™ ’' ™# Á¸ĖĊ»ÀÇÈÇÀ¼ėÌÇ ¹¼ÊʸÂÑÄ 'f† — ’1™ +¡= x — ˜ ÌüÅÁ¸É»ĕ¸Å ÒÅ»ÉľÅ Êɸ¾Â ª+  — :š g’ –' ; -L+ { fš ’ ™ %+… ™ f’ –Q ™# 10 Á¸ĖÒÈñÊ̼À¼Å ¹¼ÊʸÂÑÄ -'+– v ’E:™ /’ Á¸Ì¸ÊÁĠÈÇÍË +x — :š g’ –' '&† — ’ f¡+ – )š C’ . ëÅÈÚʸÀËÎ͸ėË Êɸ¾Â :/ œ r +— ÂñºÑÅ -{ )˜ 4” /’ fš V’ ëÅÌŊÒÁÇıʸÀĨÄÜË :6œš v i!™ +L9¡= „ ˜ ÌüÅÎÑÅüÅÌýË Á¼É¸ÌĕžË -k˜w :’ /™ ” ™# Á¸Ėëɼė̼ T+† ™ /š ¹¼¹¸Êĕ¼ÍÁ¼Å¹¸ÊÀ¼İË ¹¼ÊʸÂÑÄ -L x+fš ’ ™ ; ª0L:  ’ %˜ C’ ëż¹ÉÑÅ

Á¸Ė켺¼Å¸ĤÌŊ 63, wobei eine gewisse Unsicherheit in der Lesung des Pe (Beth?) besteht.53 »¸ÄŠÂ¼ÀË:

=L:a. š Barthélemy vermutet zu Recht, dass sich hinter dem griechischen »¸ÄŠÂ¼ÀË das hebräische =L:aš verbirgt.54 Man vergleiche nur 4QXIIc, Frgm. 12: =#:#6.

-!' ˜ =— 6š :’ Cš .55 Hier ist anzunehmen, dass anstelle der PräposiëÈĖ ̸ėË ÎŠÌŸÀË ¸ĤÌľÅ: tion  (hier: ëÈĕ) die Präposition 0/ (hier: ÒÈĠ) verwendet wurde; dies liegt aus folgendem Grund nahe: der Konsonantenbestand des Wortes -!'=6:/ lässt vermuten, dass das (sinnlose) / als verschriebenes 0/ zu lesen ist. Als eine Reminiszenz an das 0/ wäre demnach die diese Herleitung stützende lukianische Lesart ÒÈĠ zu werten (s.u.).

Der hebräische Urtext wurde in den masoretischen Text, wie er uns heute vorliegt, verlesen: -!'=6:/ =%= =#:6 # 247–376 L 509 134 ȁ ÈŠÅÌÑÅÌľÅëÏ¿ÉľÅ@ ȸÅÌÇ˼ÏÌÉÇÍ 242 ȁ ÈŠÅÌÑÅ@ ¸È¸ÅÌÑÅ 247–376; ÌÑÅ 134; > V 489 ȁ ÷ÄľÅ@ ¸ÍÌÇÍ 93 ȁ ëÉÉŧʸÌÇ A L 121 68’@ ¼Æ¼À¼ÌÇ CII -242 d -68’ s 55c–554; ¼ÆÀ¸ʸÌÇV; ¼Æ¼À¸ÌÇ B M CI rel ȁ ϼÀÉŦË@ ÌÑÅ 64’; ȸÅÌÑÅ ÌÑÅ 158; + ÌÑÅ L 530 ȁ ÒÂÂÇÎŧÂÑÅ@ -ÎÍÂÇÍ 707 ȁom ÒÈŦ 2° – Á¸ţ 4° 242 ȁ ÒÈŦ 2°@ ¸Å¾É460 ȁ om Á¸ţ3° 460 ȁ om ¸ĤÌÇı 158 ȁ ÒÈġ¹¼ÊʸÂŪÄ B O L 64’ 554@ > rel ȁ ÒÈŦ 3°@ pr Á¸ÀB 19–108; > 82* 10 om Á¸Ė¹¼ÊʸÂŪÄ B 247–376 19–93–108 ȁ ¹¼ÊʸÂŪÄ@ ¸¹¼Ê¸ÂÑÄ 376 46’ 74’–610 130 158c; ¸Í¼Ê¸ÂÑÄ 158*; ¸¸¹. 242* (|) ȁ ëÏÉţʸļÅ@ ¼ÏÉէ ¾Ê¸Ä¼¿¸ 82; ¼ÏÉÀʸŠM 243* CII a b d f s-64* 381 29–55–245–318–372–707; ¼ÏÉÀʼŠ44–107*–610 130 ȁ¼Î‫¸ @ה‬Î 527 55; > 93 ȁ ë¸ÍÌÇİË L-93@ ¼¸ÍÌÇÀË 93 554mg; ¾Ä¸Ë CII d -68’ 246 s-64’ 489 554txt; ¾ÄÑÅrel ȁ ¼Ċ˹¸ÊÀš¸ L-93 554mg@ ¹¸ÊÀ¼¸ 93; > rel = mȁ Ìš¿Å¾Á¼Å L-82*@ ̼¿¾Á¼Å 82*; Á¸À¸È¼¿¸Å¼Å 247–376; ¸È¼¿¸Å¼Å rel ȁ ÊÀÑÈÜ̼ L 554c@ ÁÇÍμͼ̸À 245; ÁÑμÍ̼ rel ȁ ĨļėË L@ > 246; tr ante ÊÀÑÈÜ̼ rel = m; ¾Ä¼ÀË 93 379 610* (cprm) 527* 158 ȁ ëÈÀÊÌÉšէ иÀ@ ¼ÈÀÊÌɼи̼ 93; pr ÌÇÍ B M V O C’ rel ȁ ÈÉġË A B L-83 509 158–554@ > rel = mȁom 3° – (11) ¹¸ÊÀš¸527 homiotel ȁ Á¸ţ 3° – ¹¸ÊÀš¸@et concilium totius Israhel uenit ad regem LatSW; sub ÷ 127; ε 44’ 488txt = m (homoiotel ?) ȁ om Ìġ V ȁ `ÊɸûÂ@ ÌÇ͸ÇÍ 328 ȁ ö¿¼Å@ »À¾Â¿¼Å 707c 11 Á¸Ėĝ@ Á¸ÀÅÍÅÇ 71; Ç»¼ L ȁ ÒÈšÊ̼À¼Å@ ¸È¼Ê̼¾Â¸À 376; ¼Æ¸È¼Ê̼À¼ŠL; > A ȁ ¸»ļÁ@ ¸»ÑÁ 106–107; ʸ»ÑÏ M 158; ʸ»»ÇÍÁ L ȁ om ÈÉŦË 2° O CII 125 489 29–244 ȁ ÌÇİËĎ¼É¼ėË@ ÌÇÍ˸ÉÏÀ¼É¼ÀË 376 71 Jos (-¼¸Ë) ; ÌÇŸÉÏÀէ ¼É¼¸ 158 ȁ¼ĊËëÊÏŠÌÇÍË L 554mg@ ¼ÊϸÌÇÀ rel ȁ ëÈÀÊÌɚиÀ@ + ÈÉÇË A B 342 ; ut reducerent eum LatW; pervenerat ad regem ut reducerent eum LatS ȁ ÌŦÅ 1°@ > 120 (|); bis scr 488* (|) ȁ ¹¸ÊÀš¸@ ¹¸ÊÀ¼¸Å 488* ȁ om ÌŦÅ 2° 82 ȁ ¸ĤÌÇı – (12) ¸ĤÌÇı 247–376 318 (homoit?) ȁ ¸ĤÌÇı@ + Á¸À (+ Ç b 68’ 246) ÂǺÇËȸÅÌÇË(ȸÅÌÀ A) Êɸ¾Â¾Â¿¼ÅÈÉÇËÌÇŹ¸ÊÀ¼¸ (+ ¼ÀËÌÇÅÇÀÁÇŸÍÌÇÍ 64–381) A B M V a b 68’ f 64’–489 29–55–71–158–342–372–460–707 = m; + quia dixerat rex haec dicitis ad populum LatSW

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Philippe Hugo

12 ÄÇÍ@ ÄÇÀ B ȁ ĨļėË@ ¾Ä¼ÀË 158; + İÊ̼ L 554 ȁ ĚÊÌÜ ÄÇÍ@ bis scr 92; ÇÊÌÇÍÅÄÇÍ L; ossa mea Latcod 91–94 ȁ ÊŠÉÁ¼Ë@ ʸÉÆ L 242 ȁ ÄÇÍ 2°@ > 71; + ÍļÀË B M V O C’ a b d -125 56 s 29–55–71–158–244–245–318–342–372– 460–554–707 = mȁ om Á¸ţ 2° – (13) ÄÇÍ 2° 246 ȁ om Á¸ţ 2° – ¸ĤÌÇı 44’ 245 ȁ om Á¸ţ 2° A B 509 64’ ȁ ‘ ďŸ Ìţ 127 ȁ ¼ĊË ÌÇİË ëÊÏŠÌÇÍË L-93@ ¼ÀË ¼ÊиÌÇÍË 93 554mg; ¼ÊϸÌÇÀ rel ȁ ëÈÀÊÌɚиÀ@ ¼ÈÀÊÌɼμ 707; ¸ÈÇÊÌɼиÀ 799 ȁom ÌŦÅ 2° a-527 ȁ ÌġÅÇčÁÇÅ@ ̾ÅÈÇÂÀÅ 509 ȁ ¸ĤÌÇı@ + Á¸ÀÂǺÇËȸÅÌÇË Êɸ¾Â¾Â¿¼ÅÈÉÇËÌÇŹ¸ÊÀ¼¸ L (127 sub u) 509

2.1. Textkritische Analyse Vers 9 Der Vers wird in L mit der merkwürdigen Form ºÇººŧ½ÇÅ̼Ë, „murmelnd“ eröffnet. Es ist die einzige Okkurrenz des Verbs ºÇººŧ½Ñ (oder »À¸ºÇººŧ½Ñ) in Sam-Kön. Dieses Verb kommt in Pentateuch mehrmals vor und übersetzt normalerweise 0#+ (Ex 16,7; Num 14,27) oder 0: (Dtn 1,27, K …1 ’:š k— ™# -)' ˜ +— !• š ’ , Á¸À»À¼ºÇººŧʸ̼ëÅ̸ėËÊÁ¾Å¸ėËĨÄľÅ). B mit ÁÉÀÅŦļÅÇË übersetzt den MT 0L š1 sehr wörtlich, obwohl dieses Partizip Nifal Singular von 0' ein Hapax ist (GK § 51d). Daher ist B vermutlich die Á¸ţº¼, während L die ursprüngliche LXX ist. Der nächste Satz in B ist für unsere Frage sehr interessant: ĝ ¹¸ÊÀ¼İË ¸Í¼Ė»ëÉŧʸÌÇ÷ÄÜËëÁϼÀÉġËÒÈġÈŠÅÌÑÅÌľÅëÏ¿ÉľÅ÷ÄľÅ. Zunächst hat die Á¸ţº¼ (B mit A 509) das Verb ëƸÀÉšÑim Perfekt durch den Aorist von ģŧÇĸÀ ersetzt. Das Perfekt ist ein Merkmal der ältesten LXX, während der Aorist eines von Á¸ţº¼ ist; die Äquivalenz der Verben ģŧÇĸÀ und +81, die man mehrmals in der Á¸ţº¼ findet,26 stammt möglicherweise aus der Psalterübersetzung, wo diese Äquivalenz häufig ist.27 Dann bezeugt B, zusammen mit A, eine Doppellesart: ëÁϼÀÉŦËwas dem MT 5V™ /– entspricht, und ÒÈġÈŠÅÌÑÅ, das vermutlich +V™ /– übersetzt. Es ist zweifellos die Zusammenfügung der ursprünglichen Lesart (ÒÈġÈŠÅÌÑÅ) und der Rezension. So hat auch Rahlfs rekonstruiert.28 L und die hexaplarischen Zeugen 247–376 und auch 509 134 haben die Dublette ebenfalls geerbt, aber mit einer weiteren Änderung: Da diese Form keinen Sinn macht, wurde die Präposition ÒÈŦ —————

26 Wenn ģŧÇĸÀ auch manchmal das Verb +81 (B = L) in der Á¸ţº¼ Sektion übersetzt (z.B. 2Kön 18,33; 19,11), findet man sechsmal diese rezensionelle Änderung: 2Sam 12,7; 14,16; 22,18.49; 2Kön 18,32; 19,11. 27 Für die Frage des Einflusses des Psalters über die Á¸ţº¼ in den Königtümer, siehe O. Munnich, Études lexicographiques du Psautier des Septante (PhD. Diss.; Paris: Université des Paris-Sorbonne, 1982) 449–469. 28 A. Rahlfs/R. Hanhart (Hg.), Septuaginta, Editio Altera (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 22006). Siehe auch McLean, The Greek Kaige Version, 262.

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Die antiochenische „Mischung“: L zwischen Altem und Neuem in 2Samuel 119

gestrichen: ëÁϼÀÉġËÈŠÅÌÑÅÌľÅëÏ¿ÉľÅ÷ÄľÅ. Es ist hier ein gutes Beispiel, in dem die wichtigsten Zeugen B O L (und 509 134) mehrstufig rezensiert wurden, während die Mehrheit der Zeugen die älteste Lesung – ohne Doppellesart – immer noch bezeugen: M V C’ a 121 d -134 f s rel (alle ungruppierten Hss.).29 Ein solcher Fall ist zwar erstaunlich, aber nicht so selten. In dem nächsten Satz ist es schwierig zwischen ëÉÉŧʸÌÇ (A L 121 68’) und ëƼţ¸ÌÇ (B M CI ++) zu entscheiden, wie so oft mit den rein lexikalischen Varianten. Ich neige dazu zu denken, dass die erste Form (L) ursprünglich ist, weil sie möglicherweise vom MT abweicht und ein anderes hebräisches Verb wiedergibt (entweder 3f' oder &+6).30 Dies bleibt aber unsicher. Am Ende des Verses bezeugen alle griechischen Zeugen das „Plus“ Á¸Ė ÒÈġ ÌýË ¹¸ÊÀ¼ţ¸Ë ¸ĤÌÇı, das vermutlich das Hebräische Lk)’ +™ /’ /™ 0/K – (oder #=)+///#) übersetzt.31 In diesem Vers bezeugt L noch zwei zusätzliche Artikel. Ob der Gebrauch der Artikel in L ein Merkmal der originalen Übersetzungsweise ist, wie es durch Siegfried Kreuzer bewertet wird,32 lasse ich jedoch offen. Vers 10 Der Anfang des Verses Á¸Ė¹¼ÊʸÂŪÄist in B, in 247–376 und sogar in mehreren Zeugen des antiochenischen Textes (19–93–108) vermutlich durch Haplographie ausgefallen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass L eine rezensierte Form von der hexaplarischen Tradition übernommen hat, da sie den gleichen Wortlaut wie A in V. 9 und wie die ganze O-Gruppe am Ende von V. 9 aufweist. Die ungewöhnliche Syntax von B in V. 9b–10a ist in der Tat entweder das Zeichen einer Korruptstelle oder lectio difficilior. Die Stelle bleibt unsicher. L bezeugt danach einen vollständigeren Ausdruck der Salbung Absaloms: Á¸Ė¹¼ÊÊ¸ÂĽÄğÅëÏÉţʸļÅëÎ‫ה‬î¸ÍÌÇİ˼Ċ˹¸ÊÀš¸. Zunächst kann das Reflexivpronomen der dritten Person Plural î¸ÍÌÇŧË eine erste Person Plural ersetzen, wenn es mit einem Verb der ersten Person gebildet ist. ————— 29

Vgl. Law/Kauhanen, „Methodological Remarks“, 77. In der Tat wird &+/ normalerweise nicht mit ģŧÇĸÀ sondern mit Êň½Ñ oder »À¸ÊňÊÑ übersetzt (z.B. 1Sam 19,10.11; 2Sam 1,3). Doch vier Verse davor, in 2Sam 19,6, übersetzen B und die Mehrheit der LXX &+/ mit ëƸÀÉšÑ – L hingegen mit »À¸Êň½Ñ. Der Á¸ţº¼-Revisor hat möglicherweise diese Verben harmonisiert. Die so rekonstruierte LXX hat entweder 3f' wie L in 2Kön 16,7 und 19,19 (während die Mehrheit der LXX Êň½Ñ bietet) oder &+6 (2Sam 22,44 – aber die antiochenische Hs. 127 hat ëƸÀÉšÑ) gelesen. In diesem Fall ist eine Verwirrung zwischen &+/ und &+6 möglicherweise der Anlass des Unterschieds. 31 O. Thenius, Die Bücher Samuels (KEH 4; Leipzig: Hirzel, 21864) 239. Die Überreste des Verses im Fragment von 4QSama sind nicht identifizierbar, vgl. Hugo, „King’s Return“, 103– 104. 32 Siehe in diesem Band Kreuzer, Der Antiochenische Text, und Fn. 18. 30

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Philippe Hugo

Solche Fälle findet man in 1Sam 14,9, in Gen 11,4 (und 2Kor 7,1) sowie in Papyri des 2. Jh. v.Chr., (so Liddell-Scott).33 Diese Form dürfte wohl ursprünglich sein, während die wörtliche Übersetzung ëÎ‫÷ה‬ÄľÅdie Á¸ţº¼ auf Korrektur beruht. Das „Plus“ ¼Ċ˹¸ÊÀš¸ ist nur durch L bezeugt. Eventuell handelt es sich um eine explizierende Ergänzung des antiochenischen Editors.34 Jedoch findet man ansonsten keine Tendenz einer Präzisierung der Salbungsformulierungen in L.35 Ich sehe im Gegenteil keinen Hinderungsgrund, L als die unrezensierte LXX zu betrachten. Danach sind mehrere Merkmale der Á¸ţº¼ Rezension zu erkennen: der Aorist ÒÈš¿¸Å¼Åersetzt das Perfekt Ìš¿Å¾Á¼Å, und das Verb ÊÀÑÈŠÑist gegen Á¸ŧμÍÑ ausgetauscht, um f:% zu übersetzen,36 schließlich wird ÌÇı vor der Infinitivform ëÈÀÊÌɚиÀeingeführt. Am Ende des Verses bieten fast alle griechischen Zeugen (mit Ausnahme von 527), die Vetus Latina und vermutlich Josephus37 – wahrscheinlich auch 4QSama38 – den Satz Á¸Ė Ìġ ģýĸ ȸÅÌġË `Êɸü ö¿¼ ÈÉġË ÌġÅ ¹¸ÊÀš¸, ™ ˜ C† š +v— :š g’ –'¡+Vš :{ ™ K’ . während der MT ihn am Ende von V. 12 hat: T+˜ ]x ˜ !¡+ Das Substantiv ģýĸ mit Artikel zeigt, dass es wahrscheinlich die älteste LXX ist.39 Der Satz taucht aber in V. 11 auch in vielen Zeugen (A B etc.) wieder auf: Es ist bestimmt eine Rezension, wie auch das Wort Á¸Ė ÂŦºÇË zeigt. Merkwürdig ist, dass dieser Satz mit dem gleichen Wortlaut auch in L 509 bezeugt wird, aber am Ende von V. 12: Es ist sehr wahrscheinlich die Interpolation der rezensierten Form, die aber wegen des identischen Wort—————

33 1Sam 14,9: ¸ĖÊ̾ÊŦļ¿¸ëÎ‫ה‬î¸ÍÌÇėË@ ¼Î¼¸ÍÌÇÍËM V 554 ++; Á¸¿¼¸ÍÌÇÍËL; ¼ÈÀÌÇÈÇÍ ¾ÄÑÅ 108c 92mg. Vgl. H.G. Liddell/R. Scott/H.S. Jones, A Greek-English Lexicon (Oxford: Clarendon Press, 91940). 34 E. Dhorme, Les livres de Samuel (EB; Paris: Lecoffre, 1910) 404; P.K. McCarter, II Samuel (AB 9; New York: Doubleday, 1984) 415; H.J. Stoebe, Das zweite Buch Samuelis (KAT 8.2; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1994) 416. 35 Cf. 1Sam 16,3.12.13; 1Kön 1,39. In 2Kön 11,12 und 23,30 gibt es kein Substantiv sondern das Verb (+/ Hifil (MT = LXX): in 11,12 L ist die Reihenfolge von MT und den anderen griechischen Zeugen unterschiedlich: Á¸ĖìÏÉÀʼŸĤÌġÅÁ¸Ė빸Êţ¼ÍʼÅ. Es ist wohl möglich, dass der antiochenische Editor eine logischere Reihenfolge gesucht hat. 36 Das Verb f:% kommt fünfmal in Sam-Kön vor. In der Á¸ţº¼ Sektion (2Sam 13,20; 19,11; 2Kön 18,36) wird es dreimal durch Á¸ŧμÍÑin B (und die Mehrheit der LXX) und durch ÊÀÑÈŠÑ in L wiedergegeben; in 1Sam 7,8 findet man das Verb ȸɸÊÀÑÈŠÑin der ganzen griechischen Überlieferung, und in 1Sam 10,27 fehlt der ganze Satz in B, aber L und einige andere Zeugen fügen ihn mit dem Verb Á¸ŧμÍÑwieder ein. Die Á¸ţº¼korrigiert wahrscheinlich das Verb mit ÊÀÑÈŠÑ, um !f% wörtlicher zu übersetzen (1Kön 22,3; 2Kön 2,3.5; 7,9). Vgl. Shenkel, Chronology, 114–115. 37 In Ant. 6.260 wird Israels Absicht an den König berichtet, bevor dieser zu Zadok und Abiatar seine Botschaft schickt. 38 So E.D. Herbert, Reconstructing Biblical Dead Sea Scrolls. A New Method Applied to the Reconstruction of 4QSama (STDJ 22; Leiden: Brill, 1997) 174; E. Ulrich, The Qumran Text of Samuel and Josephus (HSM 19; Missoula: Scholars Press, 1978) 89. 39 Vgl. Barthélemy, Devanciers, 123.

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Die antiochenische „Mischung“: L zwischen Altem und Neuem in 2Samuel 121

lauts der V. 11b und 12b (¼ĊËÌġÅÇčÁÇŸĤÌÇı) an der falschen Stelle eingefügt worden ist.40 Vers 11 Der Vers fängt in L mit ĝ »ò ¹¸ÊÀ¼ŧË anstatt mit Á¸Ė ĝ ¹¸ÊÀ¼ŧË an. Man könnte annehmen, dass B hier eine Á¸ţº¼ Änderung bezeugt, welche wörtlicher als die antiochenische Tradition ist. Allerdings neigt, wie S. Brock dargelegt hat,41 L auch außerhalb der Á¸ţº¼Sektion dazu, die Partikel »š zu benützen, wo die ursprüngliche Übersetzung die Konjunktion # mit Á¸ţ übersetzt. In 2Sam 3,39 werden wir aber genau das Gegenteil finden. Die Verben ÒÈÇÊÌšÂÂÑ und ëƸÈÇÊÌšÂÂÑ geben beide sehr häufig %+f wieder, sowohl in B als auch in L. Es scheint mir aber wahrscheinlich, dass die erweiterte Form sekundär ist: man findet genau die gleiche Konstellation außerhalb der Á¸ţº¼ Sektionen in 1Sam 6,2 und 2Sam 2,21, und auch in 1Kön 21,6.42 Neben diesen vermutlich ursprünglichen Formen bezeugt aber B gleichzeitig Á¸ţº¼ Änderungen. Der Ausdruck ºţżʿ¼¼ĊËëÊÏŠÌÇÍËwurde in B zu ºţżʿ¼ìÊϸÌÇÀ, um wörtlich -' –1œ :%” ™ K'!’ =– zu übersetzen. Wie im klassischen Griechisch ist auch in der LXX das Verb ºţÅÇĸÀmanchmal mit ¼ĊË für die Präposition + gebaut (vgl. 2Sam 19,23; 2Chr 10,7; Jer 25[32],38).43 Die ursprüngliche LXX benutzt diese bekannte Formulierung, aber scheinbar ohne hebräische Entsprechung.44 Schließlich bezeugen A B und 342 die erweiterte Form, ëÈÀÊÌɚиÀÈÉġË ÌġŹ¸ÊÀš¸. Ich vermute, dass ÈÉŦËhier durch Anpassung mit dem V. 10 (LXX) eingefügt wurde. Vers 12 In V. 12 enthält L wieder einen teilweise korrigierten und harmonisierten Wortlaut. Zunächst scheint mir das Verb ìÊ̼ sekundär zu sein. Natürlich könnte man annehmen, dass der Übersetzer seine Vorlage wörtlich mit Kopula wiedergegeben hätte, und dass die Á¸ţº¼ danach noch wörtlicher das Verb gestrichen hätte.45 Aber das gleiche Phänomen kommt mehrmals außerhalb der Á¸ţº¼ Sektion vor: Ich vermute eher, dass L dazu tendiert, die ————— 40

Vgl. Barthélemy, Devanciers, 123. Brock, Recensions, 244. 42 Vgl. Brock, Recensions, 272. 43 Siehe auch 1Sam 4,9; 10,12; 24,16; 25,42; 2Sam 2,7; 2,25; 7,24; 8,2; 8,6; 11,27; 13,23; 23,19; 1Kön 1,52. 44 Man findet nur dreimal das Adjektiv 0œ :%” ™ mit + gebildet: Num 2,31 und Koh 1,11 (zweimal). 45 So z.B. Sigismund, „Zwischen Kreti und Plethi“, 59, für die gleiche Situation in 2Sam 20,23. Auf S. 62 rekonstruiert er das „Old Greek“ mit Kopula, schwankt aber in der Fn. 41 zwischen Ursprünglichkeit der kopulalosen Version und ihrem nachträglichen revidierten Charakter. 41

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Philippe Hugo

Nominalsätze mit Prädikat zu ergänzen. Wir werden in 2Sam 3 ein weiteres Beispiel sehen. Schließlich bewerte ich den Ausdruck ĚÊÌÜÄÇÍÁ¸ĖÊŠÉÁ¼ËÄÇÍin B als ursprünglich. Dafür sehe ich drei Argumente: 1. Die Vetus Latina (Latcod 91–95)46 enthält gegen L den Plural ossa mea. 2. Die Singularform von L ĚÊÌÜ ÄÇÍ Á¸ĖÊŠÉÆ ÄÇÍ entspricht dem MT: L wurde entweder an den MT assimiliert oder 3. an den gleichen Ausdruck im folgenden V. 14 (13) angepasst: in V. 14 (13) haben tatsächlich alle Zeugen den Singular. Unmittelbar danach bezeugt B aber die Á¸ţº¼ Einfügung des Pronomens ĨļėË, der das massoretische -k˜ ™ übersetzt. Am Ende des Verses bezeugen alle Handschriften ein „Plus“: ¼ĊË ÌġÅ ÇčÁÇŸĤÌÇı. Dies ist m.E. eine Assimilierung mit V. 11 LXX.

2.2. Zwischenergebnis Obwohl die antiochenische Tradition innerhalb der sog. Á¸ţº¼ Sektion meistens die ursprüngliche LXX bezeugt, beweisen diese Verse eindeutig, dass auch sie teilweise einer stilistischen und sprachlichen Revision unterworfen war.

3. Beispiele außerhalb der sog. Á¸ţº¼ Sektion (2Sam 3) 3.1

2Sam 3,8

MT B  œ ~ /’ : {—1’ ™ +’ Š:%™ –Q ™# Á¸Ėë¿ÍÄŪ¿¾ ÊÎŦ»É¸¹¼ÅÅüÉ =f˜ œCy ¡f'  – ':„ — ’ G¡+ – 4™ ȼÉĖÌÇıÂŦºÇͼÄÎÀ¹Ŧէ Ê¿¼  :{ / ˜ œ Q{ ™# Á¸Ė¼čȼŹ¼ÅÅüÉÈÉġË ¸ĤÌŦÅ z')– œ 1‰ š +˜ V† ˜ fœ :{ !” ÄüÁ¼Î¸ÂüÁÍÅġËëºŪ¼ĊÄÀ ! t K!' š +  – :f „ ˜ ”   

L Á¸Ėë¿ÍÄŪ¿¾ ¹¼ÅÅüÉÊÎŦ»É¸ ȼÉĖÌÇıÂŦºÇÍÌÇŧÌÇÍÌŊ ¼ÄÎÀ¹ŦÊ¿¼  Á¸Ė¼čȼŸĤÌŊ¹¼ÅÅüÉ  Á¼Î¸ÂüÁÍÅġ˼ĊÄÀëºŪ  ëĸÍÌŊÊŢļÉÇÅëÈÇţ¾Ê¸ ÈŠÅ̸̸ı̸

————— 46

Vgl. Anhang (Latcod 91–95). Über die Natur dieser lateinischen Zeugen siehe A. Schenker, Der Platz der altlateinischen Randlesarten des Kodex von León und der Valvanera-Bible in der biblischen Textgeschichte (1–4 Kgt), in diesem Band.

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Die antiochenische „Mischung“: L zwischen Altem und Neuem in 2Samuel 123

2˜ %¡! ~˜ g˜ 4“   ˜ -LQ! { ™ ëÈÇţʸì¼ÇËÊŢļÉÇÅ U'y– š +K„ fš £='C¡„ — 4– ļÌÛÌÇıÇċÁÇ͸ÇİÂÌÇı ȸÌÉŦËÊÇÍ K!4— v :— /¡+ „ — ˜ ’# #'{ %š ¡+ ˜ ˜ Á¸ĖȼÉĖÒ»¼ÂÎľÅÁ¸Ė ºÅÑÉţÄÑÅ #r G¡ – š ™'C’ U=' x – 8– /’ !– œ +† ’# Á¸ĖÇĤÁ¾ĤÌÇÄŦ¾ʸ¼ĊËÌġÅ ÇčÁÇŸͼţ» '+} ™ 4š œ9† 6’ k– ™# Á¸ĖëÈÀ½¾Ì¼ėËëÈ‫ה‬ëÄò ª-L  Q!™ !ix š – !š 0 †L4” ĨÈòÉÒ»ÀÁţ¸ËºÍŸÀÁġË ÊŢļÉÇÅ

Á¸ĖëÈÇţ¾Ê¸ì¼ÇÅ ļÌÛÌÇıÇċÁÇ͸ÇİÂÌÇı ȸÌÉŦËÊÇÍ Á¸ĖȼÉĖÒ»¼ÂÎľÅÁ¸ĖȼÉĖ ºÅÑÉţÄÑŸĤÌÇı Á¸ĖÇĤÁ¾ĤÌÇÄŦ¾ʸ¼ĊËÌġÅ ÇčÁÇŸÍţ» Á¸ĖëÈÀ½¾Ì¼ėËÊİ ȼÉĖÒ»ÀÁţ¸ËºÍŸÀÁġË ÊŢļÉÇÅ

2Reg 3,8 8

Á¸Ė ë¿ÍÄŪ¿¾ ÊÎŦ»É¸ ¹¼ÅÅüÉ ȼÉĖ ÌÇı ÂŦºÇÍ ¼ÄÎÀ¹ŦÊ¿¼ Á¸Ė ¼čȼÅ ¹¼ÅÅüÉÈÉġ˸ĤÌŦÅÁ¼Î¸ÂüÁÍÅġ˼ĊÄÀëºŪëĸÍÌŊÊŢļÉÇÅëÈÇţ¾Ê¸ÈŠÅ̸ ̸ı̸ļÌÛÌÇıÇċÁÇ͸ÇİÂÌÇıȸÌÉŦËÊÇÍÁ¸ĖȼÉĖÒ»¼ÂÎľÅÁ¸ĖºÅÑÉţÄÑÅ Á¸Ė ÇĤÁ ¾ĤÌÇÄŦ¾ʸ ¼ĊË ÌġÅ ÇčÁÇÅ ¸Íţ» Á¸Ė ëÈÀ½¾Ì¼ėË Êİ ȼÉĖ Ò»ÀÁţ¸Ë ºÍŸÀÁġËÊŢļÉÇÅ 8 om Á¸ţ1°– ¼ÄÎÀ¹ŦÊ¿¼Atxt ȁ ÊÎŦ»É¸ ¹¼ÅÅŢÉ@ ¹¼ÅžÉÊÎǻɸ247– 376 L = m ȁ om ȼÉţ 1° – ¼ÄÎÀ¹ŦÊ¿¼ 125 71 ȁ ¹¼ÅÅüÉ 1° ˆ 2° 488 ȁ ÂŦºÇÍ@ + ÌÇÍÌÇÍÌÑV L C’ 799 d -68’ 56 s 29 55 71 318 554; + ÌÑ 119; + ÌÇÍ 527 246 ȁ ¼ÄÎÀ¹ŦÊ¿¼B 247–376 L b 68’@ ¼¹ÇÍÊ¿¼CI -379 CII -46 313 a 134 246 245; ¼¹ÇÊ¿¸À489 342 460 707; ¼¹ÇÊ¿¼ rel; ΪÌÇÍÌÇÍ527 ȁ¹¼ÅÅŢÉ2° – ¸ĤÌŦÅ@ ¸ÍÌѹ¼ÅžÉL; > 509 ȁ ¹¼ÅÅŢÉ2°@ > 44’ = m ȁ ¸ĤÌŦÅ@ ¼¹ÇÍÊ¿¼ 125 ȁ Á¼Î¸ÂŢ L@ pr ľ rel = m ȁ ¼ĊÄÀ ëºŪ L @ ¼ºÑ ¼ÀÄÀ rel = m ȁ ëĸÍÌŊ ÊŢļÉÇÅ ëÈÇţʸ ÈŠÅ̸ ̸ı̸ (̸ı̸ ÈŠÅ̸ 19’) L@ + Á¸À ¼ÈÇÀ¾Ê¸ ¼Â¼ÇÅ L; (Á¸À 247–376) ʾļÉÇÅ ¼ÈÇÀ¾Ê¸ ¼Â¼ÇË O = m; Á¸À ¼ÈÇÀ¾Ê¸ ¼Â¼ÇË 530; ¼ÈÇÀ¾Ê¸¼Â¼ÇËCI; ¼ÈÇÀ¾Ê¸ʾļÉÇż¼ÇË64’; ¼ÈÇÀ¾Ê¸¼Â¼ÇËʾļÉÇÅrel; ipse mihi feci haec LatW; ipse mihi feci haec omnia qui feci misericordiam Latcod 91–95 ȁom ÌÇı1° 530 ȁ ļ̊– ºÅÑÉţÄÑÅ@ cum domo Saul patris tui et cum fratribus tuis et cum amicis patris tui Latcod 91–95 ȁ om ¸ÇįÂ121 68’ 246 245 ȁ Ò»¼ÂÎľÅ@ ¸»¼ÂÎÑ488 ȁ om Á¸ţ 3° 44 ȁ ºÅÑÉţÄÑÅ@ pr ȼÉÀBc M V L C’ a b d -44 107 125 610 f s-64’ 488 29 158 245 554 707 = m; + ¸ÍÌÇÍL 554 = m ȁ ¾ĤÌÇÄŦ¾ʸ@ ¸ÍÌÇÄǾʸ370s ȁ ¼ĊË@ ÈÉÇËa ȁ Á¸ţ 3° – ¸Íţ»@ et non transtuli me in domo David Latcod 91–95 ȁ Á¸ţ 4° – ÊŢļÉÇÅ@ hab Latcod 91–95 ȁ ëÈÀ½¾Ì¼ėË@ ¼ÈÀ½¾Ì¾Ë245; ¼È¼½¾Ì¼ÀË376* 530* 509; ȼÉÀ½¾Ì¼ÀË19; ¼½¾Ì¾Ë318 ȁÊŧL@ pr ¼È¼Ä¼M V C’a d -44 68’ f s 29 55 71 158 244 318 342 554 707; + ¼È¼Ä¼46c; + Íȼɼļ46*; + ¼Ä¼52; ¼À˼ļ460; ¼È¼Ä¼rel = m; a me tu Lat cod 91–95ȁ ĨȚɺ͟ÀÁŦË@ tr post ʾļÉÇÅ93 ȁ ȼÉţL 121 68’@ÍȼÉrel ȁ om ºÍŸÀÁŦË236c–242–328–530

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Dieser Vers enthält mehrere wesentliche Unterschiede zwischen dem MT und der LXX. Zwei sind textkritisch interessant, aber für unser heutiges Thema wenig relevant, da die griechischen Zeugen übereinstimmen. Der eine ist das „Plus“ des MT: „Bin ich ein Hundskopf, der zu Juda (gehört) (!K!' š +  – :f „ ˜ ” )?“47 Die andere betrifft die Selbstrechtfertigung Abners: im š ™'C’ U=' x – 8– /’ !– œ +† ’# „Ich habe dich (Ischboschet) nicht in die MT sagt er #r –G¡ Hand Davids geraten lassen“, während er laut der LXX und Latcod 91–95 bestreitet, ein Deserteur zu sein: Á¸ĖÇĤÁ¾ĤÌÇÄŦ¾ʸ¼ĊËÌġÅÇčÁÇŸͼţ», et non transtuli me in domo David, „Ich bin nicht zum Haus Davids geflohen.“ Ich möchte aber mit dem „Plus“ des antiochenischen Textes (L) meine Suche nach der ursprünglichen LXX anfangen: ëĸÍÌŊ ÊŢļÉÇÅ ëÈÇţ¾Ê¸ ÈŠÅ̸̸ı̸, das durch mehrere Zeugen der Vetus Latina auch bezeugt ist: d.h. die Randnoten der spanischen Vulgata (Latcod 91–95) samt anderen von Weber gesammelten Randnoten (LatW, in der Vulgata Edition registriert). Diese Lesart befindet sich auch in einer Randnote der Hs. 243: Diese Handschrift ist für ihre hexaplarischen Randnoten bekannt, aber an dieser Textstelle ist die Randnote nicht mit einer von den hexaplarischen Versionen identifiziert. Sie zeigt aber, dass die Lesart auch durch die hexaplarische Tradition überliefert wurde.48 Aber neben diesem „Plus“ bezeugen L und die Vetus Latina auch den mit dem MT übereinstimmenden Satz: U'y– š +K„ fš ='C¡„ — 4– 2˜ %¡! ~˜ g˜ 4“   ˜ -LQ! { ™ , ëÈÇţ¾Ê¸ì¼ÇËÊŢļÉÇÅ,qui feci misericordiam. Das „Plus“ des antiochenischen Textes ist daher möglicherweise eine Doppellesart. Die Mehrheit der griechischen Handschriften bezeugt – mit kleinen inneren Unterschieden – nur den zweiten mit dem MT übereinstimmenden Satz: ëÈÇţ¾Ê¸ì¼ÇËÊŢļÉÇÅ. Fraglich ist, ob diese Doppellesart eine „antiochenische“ Glosse,49 insgesamt die ursprüngliche LXX50 oder die Zusammenführung von zwei Lesarten ist.51 Die Antwort hängt davon ab, wie man den antiochenischen Satz versteht und strukturiert. Ich sehe zwei Interpunktionsmöglichkeiten. ————— 47

Die Mehrheit der Exegeten denkt, dass es sich um eine nachträgliche Glosse handelt, die möglicherweise aufgrund eines Missverständnisses bzw. einer Verwirrung von +˜ V˜ fœ: und +— Vš fœ: „Fürst von Kaleb“ aufgetaucht ist. Vgl. A.A. Anderson, 2Samuel (WBC 11; Nashville: Thomas Nelson, 1989) 53; A. Caquot/P. de Robert, Les livres de Samuel (Commentaire de l’Ancien Testament 6; Genève: Labor et fides, 1994), 388; Dhorme, Samuel, 292; McCarter, II Samuel, 106; H.P. Smith, The Books of Samuel (ICC; Edinburg: T&T Clark International, 1899) 276. 48 Vgl. F. Field, Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum Fragmenta (Bd. 1; Oxford: Clarendonianus, 1875) 551. 49 So R.W. Nysse, A Study of Relationships between Greek and Hebrew Witnesses of the Text of 2Samuel 1–9 (Ph.D. Diss.; Harvard: Harvard University, 1984) 312. 50 So McCarter, II Samuel, 106. Er denkt, dass der MT das Ergebnis einer Haplographie ist. 51 So J. Trebolle Barrera, Centena in Libros Samuelis et Regum. Variantes textuales y composición literaria en los Libros de Samuel y Reyes (TECC 47; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1989) 94–95.

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Die antiochenische „Mischung“: L zwischen Altem und Neuem in 2Samuel 125

1. Á¼Î¸Âü ÁÍÅġË ¼Ċļ ëºÑ [Komma oder Fragezeichen] ëĸÍÌŊ ÊŢļÉÇÅ ëÈÇţ¾Ê¸ÈŠÅ̸̸ı̸Á¸ĖëÈÇţ¾Ê¸ì¼ÇÅ. So lesen Fernández Marcos/Busto Saiz.52 In diesem Fall sind die zwei Sätze inhaltlich widersprüchlich: „Für sich selbst handeln“ und „jemandem Gnade (bzw. Verbundenheit) erweisen“ sind zwei gegensätzliche Handlungen. Eine reine Glosse und gar die gleichzeitige Ursprünglichkeit der beiden Sätze sind daher ausgeschlossen. Die beiden Sätze spiegeln vielmehr zwei alternative Lesarten wider. Auf Hebräisch wäre dies möglich: !X˜ ¡+ — V™ =— !g˜ 4“ ˜ -LQ!™ '+– . Diese syntaktische Konstruktion mit dem Dativexponent zu Beginn des Satzes ist nicht verwunderlich, obwohl relativ selten.53 2. Á¼Î¸Âü ÁÍÅġË ¼ĊÄÀ ëºÑ ëĸÍÌŊ ÊŢļÉÇÅ [Komma oder Fragezeichen] ëÈÇţ¾Ê¸ÈŠÅ̸̸ı̸Á¸ĖëÈÇţ¾Ê¸ì¼ÇÅ. So trennt Lagarde in seiner Edition (1883).54 In diesem Fall gäbe es zwei getrennte „Plus“: Zunächst die Selbstbeurteilung Abners: „So ein Hundskopf bin ich heute!“ Auf Hebräisch ist eine emphatische Formulierung eines Personalpronomens mit Präposition und Pronomensuffix durchaus denkbar: -LQ!™ '+– ')œ– 1š +˜ V˜ fœ: (GK § 135 g; 2Chr 28,1055, 1Sam 12,2356). Dieser Ausdruck passt zum Fehlen des Fragewortes ÄŢ: es ist m.E. – trotz der Interpunktion von Lagarde und Fernández Marcos/Busto Saiz – keine Frage, sondern ein Selbstvorwurf: „Ich bin so dumm, mich gegenüber Dir so verhalten zu haben!“ Erst danach kommt die Doppellesart mit zwei parallelen Prädikaten ëÈÇţ¾Ê¸, die redaktionell mit Á¸ţ verbunden sind. Da der Ausdruck ëÈÇţ¾Ê¸ÈŠÅ̸̸ı̸ allgemein und undefiniert ist, ist er auch keine Erläuterung von ëÈÇţ¾Ê¸ì¼ÇÅ. Im Gegenteil erscheint die zweite Formulierung als Erweiterung und Präzisierung der ersten. Diese zwei Sätze sind daher alternative Lesarten. Es ist daher zu schließen, dass L an dieser Stelle ursprüngliche Lesarten gleichzeitig neben einer eingefügten rezensierten Form in der Gestalt einer Doppellesart bezeugt. Man kann hier m.E. die gemischte Natur von L erahnen. Weiter unten lenkt die Lesart Á¸Ė ëÈÀ½¾Ì¼ėË Êŧ die Aufmerksamkeit auf sich. Nur L hat Êŧallein. Aber sehr viele Zeugen enthalten das Pronomen Êŧ zusammen mit der konkurrierenden Lesart von B O b (und 44–68’ 245 460 ————— 52

N. Fernández Marcos/J.R. Buso Saiz, El Texto Antioqueno de la Biblia Griega. I. 1– 2Samuel (TECC 50; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1989). 53 Man findet fast die gleiche syntaktische Konstruktion (Dativexponent – Bestimmung der Zeit – verbales Prädikat) in 1Sam 9,9: !œ˜ :!š -' –16š +’ :— dš –' -LQ!™ '– š^+™ 'V– , ĞÌÀÌġÅÈÉÇÎŢ̾ÅëÁŠÂ¼Àĝ ¸ġËìÄÈÉÇÊ¿¼Åĝ¹ÂšÈÑÅ. Mit dem Suffix der ersten Person siehe: Ps 119,95: ' –1— C’ ™ +’ -'4– fš :’ KK9– '+– 0 š1LC=’ ˜ U'=œ˜ 4— (ëÄòĨȚļÀŸÅ); Ps 139,17: +— U'4˜ :— K:9’ šQ¡!/™ '+– ’# (ëÄÇĖ»òÂţ¸ÅëÌÀÄŢ¿¾Ê¸ÅÇĎÎţÂÇÀ ÊÇÍĝ¿¼ŦË). Man findet auch die Partikel + plus Akkusativexponent zu Beginn des Satzes in Ijob š +– (ëÄÇıÒÁÇŧʸÅ̼ËÈÉÇÊšÊÏÇÅ). 29,21: KX%— –' ’# K3/’ f¡' 54 P. de Lagarde, Librorum veteris testamenti canonicorum. Pars prior (Göttingen: Dieterich, 1883) 298. 55 -)˜ ]š 4– -k˜ ¡9 ™ :™ œ+!” . 56

'X– !+'š +– %š ')œ–y 1š - ™E.

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Philippe Hugo

707) ëÈ‫ה‬ëÄš:ÊÍÍȼɼļ46*; Êͼļ52; ëÈ‫ה‬ëļÊÍM V C’a d -44 68’ f s 29 55 71 158 244 318 342 554 707; a me tu Latcod 91–95. Vermutlich ist daraus zu schließen, dass diese Zeugen die Zusammenfügung der rezensierten und unrezensierten Form bezeugen. Á¸Ė ëÈÀ½¾Ì¼ėË Êİ ȼÉĖ Ò»ÀÁţ¸Ë ist daher ursprünglich und übersetzt wahrscheinlich das Hebräische 0L4” !kš ™ œ96’ k– ™#. Neben diesen ursprünglichen Lesarten enthält L andere Varianten, die vermutlich sekundär sind. Zunächst ist ganz am Anfang des Verses die Reihenfolge Á¸Ė ë¿ÍÄŪ¿¾ ¹¼ÅÅüÉ ÊÎŦ»É¸ offensichtlich eine Rezension, die nicht im Zuge der antiochenischen Edition entstanden ist, sondern von der hexaplarischen Rezension übernommen wurde, wie die Übereinstimmung mit 247–376 zeigt. Unmittelbar danach in ȼÉĖÌÇıÂŦºÇÍÌÇŧÌÇÍÌŊ ¼ÄÎÀ¹ŦÊ¿¼ scheinen das Demonstrativpronomen und der Artikel stilistische Erklärungen zu sein. Schließlich bleibt das „Plus“ der LXX mit explizitem Subjekt und Objekt unentschieden: Á¸Ė¼čȼŹ¼ÅÅüÉÈÉġ˸ĤÌŦÅbzw. Á¸Ė¼čȼŸĤÌŊ¹¼ÅÅŢÉ. Beide Formen können ursprünglich sein und die Vorlage widerspiegeln. Trotz einiger Unsicherheiten in der Rekonstruktion der ältesten LXX, zeigt dieses Beispiel m.E. deutlich, wie L gleichzeitig die ursprüngliche LXX und die rezensierte Form zusammengefügt hat, besonders in der Dublette. 3.2

2Sam 3,39a

Ein letztes Beispiel finden wir im ersten Teil von V. 39. Zur besseren Verständlichkeit der folgenden Ausführungen gebe ich zunächst den Vers im kritischen Text und Apparat der LXX: MT -L †Q!™ ')œ– { 1š ’# ´K™ f„ /K š T{ :™ T+˜ /˜v !X˜ } — !š -'f† – š1” !š ’# !x'K: š 8’ '†1— C’ ' –^]r ˜ /– -'f„ – 9š

B Á¸ĖĞÌÀëºŪ¼ĊÄÀÊŢļÉÇÅ Êͺº¼ÅüËÁ¸ĖÁ¸¿¼Ê̸ĚÅÇË ĨÈġ¹¸ÊÀšÑË ÇĎ»òÓŻɼËÇīÌÇÀ ÍĎÇĖ¸ÉÇÍţ¸Ë ÊÁ¾ÉŦ̼ÉÇţÄÇŧ¼ĊÊÀÅ 39

L Á¸ĖĞÌÀÊŢļÉÇÅ Êͺº¼ÅüËÁ¸ĖÁ¸¿¼Ê̸ĚÅÇË ĨÈġÌÇı¹¸ÊÀšÑËÈšÈÌÑÁ¼ Á¸ĖÇĎÓŻɼËÇīÌÇÀ ÍĎÇÀ¸ÉÇÍţ¸ ÊÁ¾ÉŦ̼ÉÇţÄÇŧ¼ĊÊÀÅ 39

2Reg 3,38–39a 38

Á¸Ė ¼čȼÅ ĝ ¹¸ÊÀ¼İË ÈÉġË ÌÇİË ȸė»¸Ë ¸ĤÌÇı ÇĤÁ Çċ»¸Ì¼ ĞÌÀ ÷ºÇŧļÅÇË Äšº¸ËÈšÈÌÑÁ¼ÅëÅÌĉ÷ÄšÉß̸ŧÌþëÅÌŊ`ÊɸŢÂ39Á¸ĖĞÌÀÊŢļÉÇÅÊͺº¼ÅüË Á¸Ė Á¸¿¼Ê̸ĚÅÇË ĨÈġ ¹¸ÊÀšÑË Á¸Ė ÇĎ ÓŻɼË ÇīÌÇÀ ÍĎÇÀ ¸ÉÇÍţ¸Ë ÊÁ¾ÉŦ̼ÉÇţÄÇŧ¼ĊÊÀÅ

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Die antiochenische „Mischung“: L zwischen Altem und Neuem in 2Samuel 127

38 om ĝ¹¸ÊÀ¼ŧË121 ȁ om ĝ 44–125 ȁ ¹¸ÊÀ¼ŧË@ »¸ÍÀ» 44’-107* ȁ om ÈÉġË– (39) ¼ĊÊÀÅ 44’ ȁ ÇĤÁ@ pr ¼ºÑÅ 509 ȁ ÷ºÇŧļÅÇË@ pr Ç 82 68’ ȁ Äšº¸Ë@ pr Á¸ÀM L CI a 29 55 71 158 342 372 = m; pr Á¸À ¸ÉÏÑÅ V; post ȼÈÌÑÁ¼Å 64’ ȁ ÈšÈÌÑÁ¼Å@ + ʾļÉÇÅ249 ȁ ëÅ 1° – ̸ŧÌþ@ ʾļÉÇÅ460 ȁ om ëÅ2° A 707 39 Á¸ţ 1° – ¹¸ÊÀšÑË@ et quoniam hodie cognitus et consitutus fuit sub rege Latcod 91–95; et quia hodie cognitus et consitutus sub rege fui LatW ȁ om Á¸ţ 1° – ÊŢļÉÇÅ245 ȁ om Á¸ţ 1° 314 ȁ ĞÌÀ@ + ¼ºÑ¼ÀÄÀ B O 121 68’ 372 707 = m; + ¼ÀÄÀ¼ºÑ 509 ȁ ÊŢļÉÇÅÊͺº¼ÅŢË@ Êͺº¼Å¾ËʾļÉÇÅ 121 68’ ȁ ÊŢļÉÇÅ@ Ñ˾ļɸ¸Í̾460; > 242’ ȁ Êͺº¼ÅŢË@ ÊÍź¼Å¾ËV*; ÊÍÅÁ¼Å¾Ë376 158 ȁ om Á¸ţ 2° 19’ ȁ Á¸¿¼Ê̸ĚÅÇË@ Á¸¿ÀÊ̸ļÅÇËV 19’ 379 242’–530 f 55 342 460 554; Á¸Ì¼Ê̸ÂļÅÇË 46–52* 245; Á¸Ì¼ÊȸÊļÅÇË 247; Á¸Ì¼È¸ÊļÅÇË376; Á¸¿¼Ê̾ÁÑË 381 ȁ ¹¸ÊÀšÑË@ pr ÌÇÍ247–376 L CII 509 d -68’ f s 244 342 372 460 554; + ȼÈÌÑÁ¼Å L 554 ȁ Á¸ĖÇĎL@ ÇÀ»¼ÅV*; ÇÀ»¼ rel ȁ ÍĎÇţ@ ÇÀ 88* (|); pr ÇÀ 247 19’ 381–489 460 ȁ ÊÁ¾ÉŦ̼ÉÇţÄÇŧ@ ÊÁ¾ÉÇÀ ÄÇÀM V a 56 74’-370 64’–130 29 55 71 158 244 318 342; Á¾ÉÇļÅÇÀ256*; Á¾ÉÇÍļÅÇÀ 246c ȁ ÊÁ¾ÉŦ̼ÉÇÀ@ ÊÁ¾ÉÇÀ 106–370 554 707 ȁ ÄÇŧ@ ÄÇÀ 98– 379 CII -242 92–314–489–762 245 372 460 In seiner Trauerrede über Abner erwähnt David seine Königswürde und vergleicht sich selbst mit Joab und Abischaï, die Abner getötet haben. In der LXX ist nicht von Königswürde die Rede sondern von einem Verwandten, Êͺº¼ÅŢË (wahrscheinlich œ ) und durch einen König Eingesetzten, Á¸¿¼Ê̸ĚÅÇË ĨÈġ ÌÇı ¹¸ÊÀšÑË (T+˜ ]˜ (+™ ) cš –1 / 9š 6’ /ž / '9– aK š ). Allerdings besteht die erste Schwierigkeit darin, die älteste LXX zu rekonstruieren, weil die wichtigsten Zeugen teilweise rezensiert oder korrigiert worden sind.57 B und die O Gruppe bezeugen eine partielle Rezension und Angleichung an den MT, indem sie ëºŪ¼ĊÄÀeingeführt haben, um an ')œ– 1š anzupassen.58 In diesen Zeugen spricht daher David von sich selbst, wie im MT. In L und in der Vetus Latina (Latcod 91–94) ist dagegen von Abner die Rede, gleichwohl sind die lateinischen Zeugen nicht einheitlich: einige Randnoten lesen das Verb in der ersten Person fui (LatW, anstatt fuit in Latcod 91– 94), d.h. David. Vermutlich wurden diese Randnoten an die Vulgata angepasst.59 Ich denke aber, dass L hier auch teilweise eine revidierte Form ————— 57

Ich korrigiere mein früheres Urteil und die damalige Rekonstruktion der LXX in: P. Hugo, „Abner der Königsmacher versus David den gesalbten König (2Sam 3). Die Charakterisierung Abners und Davids als Merkmale der literarischen Abweichung zwischen dem massoretischen Text und der Septuaginta“, in: M. Karrer/W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta: Texte, Theologien und Einflüsse (WUNT 252; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010) 499–500. Ich habe damals L insgesamt als ursprünglich erachtet: Á¸Ė ĞÌÀ ÊŢļÉÇÅ Êͺº¼ÅüË Á¸Ė Á¸¿¼Ê̸ĚÅÇË ĨÈġ ÌÇı ¹¸ÊÀšÑË ÈšÈÌÑÁ¼Å. Siehe die folgende Argumentation. 58 Vgl. P. Walters, The Text of the Septuagint. Its Corruptions and Their Emendation (Cambridge: Cambridge University Press, 1973) 270–271; Trebolle Barrera, Centena, 96. 59 Vgl. Walters, The Text, 271.

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Philippe Hugo

bezeugt: der antiochenische Editor hat m.E. das Fehlen des Verbs bzw. die implizierte Kopula mit dem von V. 38 übernommenen Prädikat ÈšÈÌÑÁ¼Å ausgeglichen.60 Der Parallelismus der beiden Sätze mit dem gleichen Verb und mit Abner als Subjekt ist sehr wahrscheinlich eine nachträgliche Harmonisierung. Die Mehrheit der griechischen Handschriften (M V [L] C’ a d -68’ f s 29 55 71 158 244 245 318 342 460 554) bieten einen Nominalsatz mit einem implizierten Subjekt der dritten Person, das sich auf Abner bezieht. So lesen auch die Latcod 91–94 – et quoniam hodie cognitus et consitutus fuit sub rege – und die durch Brooke-McLean-Thackeray kollationierte armenische Version (Arm)61 – hic consanguinem est hodie. Die so rekonstruierte ursprüngliche LXX von V. 39a ist daher ein Relativsatz, der die in V. 38 angefangene Rede bezüglich Abner verlängert, wie die Satzkonstruktion deutlich zeigt: ÇĤÁ Çċ»¸Ì¼ ĞÌÀ ÷ºÇŧļÅÇË Äšº¸Ë ÈšÈÌÑÁ¼Å ëÅ Ìĉ ÷ÄšÉß ̸ŧÌþ ëÅ ÌŊ `ÊɸŢ Á¸Ė ĞÌÀ ÊŢļÉÇÅ Êͺº¼ÅüË Á¸Ė Á¸¿¼Ê̸ĚÅÇË ĨÈġ ¹¸ÊÀšÑË, „Erkennt ihr nicht, dass an diesem Tag ein Oberster und Großer in Israel gefallen ist, und dass (er) heute ein Verwandter und ein durch einen König Eingesetzter (ist)?“ Einige Unklarheiten bleiben dennoch bestehen. Muss zunächst das allein durch Arm bezeugte Subjekt (hic = ĝ, Ğ»¼oder ÇīÌÇË? K!) expliziert werden oder nicht? Dann ist die adverbiale Bestimmung der Zeit (ÊŢļÉÇÅ) für die Deutung des Satzes unnötig bzw. problematisch: Man kann sich fragen, ob es sich auch um ein rezensiertes Element (-LQ!™ ) handelt. Seine Abwesenheit in 242’ und die Umstellung in 121 68’ und Arm von ÊŢļÉÇÅ bzw. hodie und Êͺº¼ÅŢË bzw. consanguinem könnten Argumente dafür sein, da ein rezensiertes Element manchmal unterschiedlich platziert wird. Diese Frage bleibt aber unsicher, und ich lasse daher das Adverb im rekonstruierten Text. Eine letzte Bemerkung betrifft den Anfang des zweiten Satzes in V. 39a: Ich nehme hier an, dass der durch L bezeugte Ausdruck Á¸ţursprünglich ist, und dass ÇĎ »ò ÓÅ»É¼Ë – durch die übrigen Textzeugen geboten – eine stilistische Revision ist. Es gibt zwei Argumente hierfür: Dies entspricht zunächst der Gewohnheit des Übersetzers; darüber hinaus hat – wie bereits erwähnt – L im Gegenteil die Tendenz, »š mehr zu benutzen als Á¸ţ.62 Die gegensätzliche Situation spricht daher für die Ursprünglichkeit. L bezeugt wiederum die ursprüngliche LXX, aber mit nachträglichen editorischen Merkmalen. ————— 60

Pace Trebolle Barrera, Centena, 96. In meiner vorläufigen Ausgabe wurde Arm bislang weder kollationiert noch eingeführt. Es ist zu beachten, dass die Übereinstimmung von L mit Lat und Arm in der Tat ein Indiz des hohen Alters einer Lesart ist, vgl. Piquer Otero/Torijano Morales/Trebolle Barrera, Septuagint Versions, bes. 257–259. 62 Brock, Recensions, 244. 61

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4. Ergebnis Solche Beispiele können vermehrt auftreten. Sie zeigen m.E. eindeutig, dass B und L die besseren Zeugen der ursprünglichen LXX sind, jedoch keiner von ihnen in reiner Form. B enthält nicht nur in, sondern auch außerhalb von den Á¸ţº¼ Sektionen rezensierte Lesarten, und L ist eindeutig ein gemischter Zeuge: er enthält viele ursprüngliche Lesarten, aber bezeugt gleichzeitig rezensierte Formen, die durch den Einfluss der hexaplarischen Rezension eingetragen wurden, sowie eine ziemlich breite stilistische Revision. L hat dagegen sicherlich kein hebräisches Muster gehabt. Diese Beispiele unterstreichen den Wert des antiochenischen Textes, aber auch seine Komplexität und die Notwendigkeit äußerster Vorsicht bei seiner Verwendung.

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Philippe Hugo

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Philippe Hugo

Anhang: Handschriften Regnorum II (Samuelis II) Codices: (A) B M V Fragmente: 625 (22,38–23,10) 846 (1,1.6–7.17–18; 1,26–2,4) 934 (Pap. 15,34–16,5)

Unzialen/Minuskeln und Gruppen (Siegel nach Brooke-McLean-Thackeray) A O B M V

Gruppierung ad experimentum O = A–247–376 L = 19–82–93–108–127 19’ = 19–108 CI = 98–243–379–731 CII = 46–52–236–242–313–328–530 46’ = 46–52 242’ = 242–328 a = 119–527–799 b = 121–509 d = 44–68–74–106–107–120–122– 125–134–370–610 44’ = 44–107–125–610 74’ = 74–120–134–370 68’ = 68–122 f = 56–246 s = 64–92–130–314–381–488–489– 762 64’ = 64–381 92’ = 92–130–314–488–489–762 488’ = 488–489–762 Nicht gruppiert (codices mixti): 29 55 71 158 244 245 318 342 372 (ab 3,24) 460 554 700 (15,25– 18,19) 707

19 29 44 46 52 55 56 64 68 71 74 82 92 93 98 106 107 108 119 120 121 122 125 127 130 134 158 236 242

L nicht gruppiert d CII und 46’ CII und 46’ nicht gruppiert f s und 64’ d und 68’ nicht gruppiert d und 74’ L s und 64’ (m) L CI d d und 44’ L a d und 74’ b d und 68’ d und 44’ L s d und 74’ nicht gruppiert CII CII et 242’

(b’) (b2) (e) (h) (i)

(o)

(e2) (p) (d) (b) (n) (q) (y)

(c2) (s) (t) (g)

243 244 245 246 247 313 314 318 328 342 370 372 376 379 381 460 488 489 509 527 530 554 610 700 707 731 762 799

CI nicht gruppiert nicht gruppiert f O CII s nicht gruppiert CII et 242’ nicht gruppiert d und 74’ nicht gruppiert O CI s und 64’ nicht gruppiert s und 488’ s und 488’ b a CII nicht gruppiert d und 44’ nicht gruppiert nicht gruppiert CI s und 488’ a

(j) (v) (x) (w)

(l) (u) (c)

(f) (a2) (z) (r) (a)

Vetus Latina Lat

cod 91–95 C. Morano Rodríguez, Glosas marginales de Vetus Latina en las Biblias Vulgatas españolas. 1–2Samuel (TECC 48), Madrid 1989. LatW R. Weber, Les interpolations du live de Samuel dans les manuscrits de la Vulgate, in Miscellanea Giovani Mercati, Bd. 1 (Studi e testi 121), Vatican 1966, 19–39. P. Sabatier, Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae, seu vetus italica, et LatS caeterae quaecunque in codicibus mss. & antiquorum libris reperiri potuerunt, Bd. 1, Reims 1743 (repr. Turnhout: Brepols 1981).

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Thomas J. Kraus

Der lukianische bzw. antiochenische Text der Psalmen in Papyri und Inschriften Eine Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen?1 1. Zur Hinführung Einem glücklichen Umstand war es dereinst zu verdanken, dass ich überhaupt zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Septuaginta gelangte: Ich erfuhr über Umwege, dass in der Gruppe Psalmen des Projekts „Septuaginta Deutsch“ noch die Mitarbeit eines weiteren Übersetzers möglich sei. Ursprünglich wollte ich dann nur einige wenige, maximal acht Psalmen bearbeiten. Es wurden dann aber derer sechsunddreißig. Das allein verdeutlicht die Faszination von Septuaginta und Psalmen, die mich in ihren Bann zogen. Doch geht diese für mich nicht allein von der Sprache, den Verbindungen zwischen dem Griechisch der Septuaginta und den anderen Versionen des Alten Testaments aus. Vielmehr erschließt sie sich mir noch mehr anhand von im Laufe der Übersetzungs- und Kommentierungsarbeit bzw. auch beiläufig angefertigten Randnotizen und Beobachtungen, auf denen auch dieser Beitrag nicht unwesentlich basiert. Wenn ich mich hier und heute mit dem Thema „Der lukianische bzw. antiochenische Text der Psalmen in Papyri und Inschriften“ beschäftige, dann tue ich das nicht als Alttestamentler. Denn das bin ich nicht. Auch nicht als Neutestamentler. Das bin ich – rein formal gesehen aufgrund von Dissertation und früherer Lehrtätigkeit – zwar schon, doch richtete ich bald den Blick weg von Textdiskussion und Hermeneutik und hin auf das faktisch-haptisch Erhaltene: Anfänglich waren Papyrus- und Pergamentfragmente mit potenziellen apokryphen Evangelienabschnitten im Fokus meines Interesses sowie das Verlangen danach, endlich im Original zu sehen, was etwa in den Apparaten kritischer Ausgaben des Neuen Testaments nur mehr als Buchstaben, Zahlen und Sigla vorkommt. Dann umfasste mein Interesse schließlich alle möglichen Papyri und Pergamentstücke, darüber hinaus noch weitere Schrift—————

1 Die Abkürzung von Papyri und anderen Handschriften folgt den anerkannten und bewährten Konventionen in: J.F. Oates u.a. [Hg.], Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic and Coptic Papyri, Ostraca and Tablets. Web edition (http://scriptorium.lib.duke.edu/papyrus/texts/ clist.html; last updated June 1, 2011; last accessed 17.10.2011). Ansonsten wird die jeweilige editio princeps bzw. einschlägige Literatur angeführt.

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träger, dabei diverses Inschriftliche. Durch diese archäologischen Zeugnisse – denn das sind solche Fundstücke letztlich – fühlte ich mich den konkreten Menschen, manchmal sogar einem Individuum der Abfassungszeit besonders nah. So ergeben sich Fenster in die Zeit der Vergangenheit. Das ist umso mehr der Fall, wenn in Briefen, Verträgen, Urkunden und dergleichen die Alltagswelt eines bestimmten Orts zu einer bestimmten Zeit für eine ganz konkrete Person erschlossen werden kann. Und so ist meine Herangehensweise stets orientiert an möglichen Erkenntnissen über Leben, Denken und auch Glauben der Menschen, die hinter archäologischen (Text-)Zeugnissen stehen. So ist auch das Nachfolgende zu verstehen und gedacht. Bis vor Kurzem war der lukianische bzw. antiochenische Text für mich wie für viele andere auch ein zu vernachlässigendes Randprodukt der Textüberlieferung. Mir war noch im Gedächtnis, von dessen Minderwertigkeit und Bedeutungslosigkeit für die Erstellung einer kritischen Textausgabe und von Verschlimmbesserungen des ursprünglichen Texts durch einen gewissen Lukian gehört und gelesen zu haben. Doch dieser Umgang mit der Leistung Lukians einerseits und die falsche Dichotomie zwischen einem guten Urtext einerseits und mangelhaften, da verfälschenden Bearbeitungen und Überlieferungen andererseits verbietet sich angesichts der Tatsachen, dass so (a) oftmals unkritisch eine eklektisch erstellte Textgestalt als gegebene, unumstößliche Größe veranschlagt wird und (b) grundsätzlich jedes archäologische Textzeugnis oder aber jede Textrezension auch als Ausdruck einer bestimmten Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte eine eigene Wertschätzung verdient. Der lukianische und antiochenische Text erhält eine solche Wertschätzung mittlerweile. Dies kommt beispielsweise zum Ausdruck in der dreibändigen kritischen Edition der Samuel- und Königebücher durch Natalio Fernandez Marcos und José Busto Saiz von 1989 bis 19962 sowie der zweibändigen Arbeit von Bernhard Taylor über den lukianischen Text des ersten Königebuchs von 1992 und 1993.3 Beispielhaft für Detailuntersuchungen steht die von JongHoon Kim 2007 eingereichte und 2009 veröffentlichte Doktorarbeit4 und die grundsätzlichen und diesbezüglichen Arbeiten von Siegfried Kreuzer.5 Und —————

2 N. Fernández Marcos/J.R. Busto Saiz, El texto antioqueno de la biblia griega, I: 1–2 Samuel (TECC 50; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1989); II: 1–2 Reyes (TECC 53; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1992); III: 1–2 Crónicas (TECC 60; Madrid: Instituto de Filología, C.S.I.C., 1996). 3 B.A. Taylor, The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns. Volume 1: Majority Text (HSM 50; Atlanta: Scholars Press, 1989); Volume 2: Analysis (HSM 51; Atlanta: Scholars Press, 1992). 4 J.-H. Kim, Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9 (BZAW 394; Berlin/New York: de Gruyter, 2009). Vgl. hier auch dessen Forschungsbericht (3–32). 5 So beispielsweise S. Kreuzer, „Towards the Old Greek. New Criteria for the Evaluation of the Recensions of the Septuagint (especially the Antiochene/Lucianic Text and the Kaige-

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natürlich ist die internationale Fachtagung in Wuppertal selbst Beweis genug für die Wahrnehmung, die dem lukianischen bzw. antiochenischen Text zuteil wird. Dennoch gerät – wie sich noch bei Durchsicht ausgewählter archäologischer Zeugnisse zeigen wird – die Suche nach dem lukianischen bzw. antiochenischen Text im griechischen Psalter zur Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

2. Lukianischer bzw. antiochenischer Text und die Psalmen – Arbeitshypothesen Für das Folgende steht weniger die Forschungsgeschichte mit ihren Bewertungen des antiochenischen bzw. lukianischen bzw. byzantinischen bzw. Koine- bzw. Reichstexts und auch nicht die Bewertung des antiochenischen Texts und der Leistung des Lukian an sich im Vordergrund.6 Auch muss hier weniger der Charakter des lukianischen bzw. antiochenischen Texts diskutiert oder dessen landläufige Kennzeichen problematisiert werden, wie dies Siegfried Kreuzer mustergültig getan und auch in Frage gestellt hat.7 Diese Kennzeichen werden hier aber dennoch veranschlagt, da sie – in Ermangelung einer Textedition des antiochenischen Textes der Psalmen – für eine potenzielle Identifizierung nach wie vor als einzige Erkennungszeichen sprachlicher Phänomene als lukianisch bzw. antiochenisch vorhanden sind. Im Einzelnen handelt es sich dabei um das Hinzufügen des Artikels, die Ergänzung von erklärenden Wörtern, generelle Änderungen in der Wortwahl, d.h. die Tendenz, den veralteten Wortschatz durch in jener Zeit aktu————— Recension)“, in: M.K.H. Peters (Hg.), XIII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Lubljana 2007 (SBL.SCS 55; Atlanta, GA: Society of Biblical Literature, 2008) 239–253; ders., „Das frühjüdische Textverständnis und die Septuaginta-Versionen der Samuelbücher. Ein Beitrag zur textgeschichtlichen und übersetzungstechnischen Bewertung des Antiochenischen Textes und der Kaige-Rezension an Hand von 2Sam 15,1–12“, in:: W. Kraus/O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrine (OBO 238; Fribourg: Academic Press Fribourg / Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 2009) 3–28; ders., „Translation and Recensions: Old Greek, Kaige, and Antiochene Text in Samuel and Reigns“, BIOSCS 43 (2009) 34–51; ders., „Die Bedeutung des Antiochenischen Textes für die älteste Septuaginta (Old Greek) und für das Neue Testament“, in: M. Karrer/S. Kreuzer/M. Sigismund (Hg.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen, (ANTF 43; Berlin/New York: de Gruyter, 2010) 13–38. 6 Vgl. hierzu exemplarisch Kreuzer, Die Bedeutung, 13–18. 7 Vgl. Kreuzer, Das frühjüdische Textverständnis, 13–14 und 28; ders., Die Bedeutung, 16– 21. In dieser Hinsicht auch die Vorbehalte von Taylor, The Lucianic Manuscripts. Vol. 2, 4: „Although various lists of the characteristics of the Lucianic text exist, I do not believe it wise or prudent to accept this evidence at this stage, as tempting as this is, because the sources for the criteria are too widely drawn.“ Ferner die problembewusste Diskussion potentieller Identifizierungskritierien für den lukianischen bzw. antiochenischen Text bei Fernández Marcos/Busto Saiz, El texto antioqueno I (1–2 Samuel), xxviii–xxxii.

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ellen zu ersetzen. Die oftmals attestierte Unregelmäßigkeit, mit der Lukian in diesen Feldern zudem zu Werke gegangen sein soll, macht die Aufgabe nicht einfacher, sondern verlangt nach einem konsequenten Hinterfragen moderner Einschätzungen. Doch letzteres kann hier nicht geleistet werden.8 Die Wahl der Psalmen als Textkorpus lässt sich einfach erklären. In erster Linie liegt diese in meiner schon angesprochenen Beteiligung am Projekt „Septuaginta Deutsch“ in der Arbeitsgruppe „Psalmen“ sowie meinen Publikationen über den apotropäischen Gebrauch von Septuaginta-Psalm 90 auf diversen Materialien sowie anderen Untersuchungen von philologischen Besonderheiten in den griechischen Psalmen begründet.9 Darüber hinaus sind es gerade die Psalmen, die, aufgrund ihres Charakters auch verständlich, am Häufigsten durch Papyri10 und auf weiteren archäologischen Objekten zu finden sind.11 Dabei ist der griechische Psalm 90 sogar noch häufiger belegt als das Vaterunser.12 —————

8 Vgl. Kreuzer, Die Bedeutung, 18. Summarisch ders., Das frühjüdische Textverständnis, 28: „Auch wenn die Untersuchung gezeigt hat, dass zwei der bekanntesten Kennzeichen der lukianischen Rezension nicht lukianisch sind, sondern zur ursprünglichen Septuaginta (oder zum protolukianischen Text) gehören, bleibt trotzdem die Frage nach den Kennzeichen der eigentlichen lukianischen Rezension. Dazu bedarf es nicht zuletzt differenzierter gräzistischer Untersuchungen im Blick auf die Entwicklung der Grammatik und der Semantik, um auch auf diese Weise bestimmte grammatische und semantische Phänomene zeitlich einordnen zu können. Dabei muss allerdings die Frage, welche Gegebenheiten auf die ‚lukianische‘ Rezension und andere Einflüsse zurückgehen, unvoreingenommen untersucht und auf das Ergebnis hin offen gehalten werden.“ 9 Vgl. T.J. Kraus, „Septuaginta-Psalm 90 in apotropäischer Verwendung: Vorüberlegungen für eine kritische Edition und (bisheriges) Datenmaterial“, BN 125 (2005) 39–73; ders., „Psalm 90 der Septuagtinta in apotropäischer Verwendung – erste Anmerkungen und Datenmaterial“, in: J. Frösén/T. Purola/E. Salmenkivi (Hg.), Proceedings of the 24th International Congress of Papyrology, Helsinki, 1st–7th of August 2004. Vol. I, Commentationes Humanarum Litterarum (Helsinki: Societas Scientiarum Fennica 2007) 497–514; ders., „Ein byzantinisches Amulett-Armband im British Museum (London) mit Septuaginta-Psalm 90 und der Huldigung der Magier“, JAC 48/49 (2005/2006) 114–127 und Tafeln 2–3; ders., „ÇÍË, ¸ÀÅÏÑÑÏ und Septuaginta-Psalm 90? Überlegungen zu den so genannten ‚Bous‘-Amuletten und dem beliebtesten Bibeltext für apotropäische Zwecke“, Zeitschrift für Antikes Christentum 11 (2008) 479–491; ders., „‚He that Dwelleth in the Help of the Highest‘: Septuagint Psalm 90 and the Iconographic Program on Byzantine Armbands“, in: C.A. Evans/H.D. Zacharias (Hg.), Jewish and Christian Scripture as Artifact and Canon (Studies in Scripture in Early Judaism and Christianity 13; Continuum International Publishing Group: London/New York, 2009) 137–147. 10 Die Papyrologie beschäftigt sich nicht nur mit archäologischen Stücken aus dem Beschreibstoff Papyrus, sondern auch mit Pergamenten, Täfelchen (Holz, Blei, Silber etc.) oder diversen anderen. Entsprechend wird der Begriff „Papyri“ oftmals auch für diese verwandt. Hierzu T.J. Kraus, „‚Pergament oder Papyrus?‘: Anmerkungen zur Signifikanz des Beschreibstoffes bei der Behandlung von Manuskripten“, NTS 49 (2003) 425–432 [= auf Englisch, mit Addenda, ders., „‚Parchment or Papyrus?‘: Some Remarks about the Significance of Writing Material when Assessing Manuscripts“, in: Ders., Ad Fontes: Original Manuscripts and Their Significance for Studying Early Christianity (Texts and Editions for New Testament Study 3; Leiden: Brill, 2007) 13–24. 11 So nehmen die Psalmen in Joseph van Haelsts Catalogues immerhin die Nummern 83 bis 240 ein, was angesichts 323 Nummern für das gesamte Alte Testament durchaus beeindruckt. Vgl. J. van Haelst, Catalogues des papyrus littéraires juifs et chrétiens (Université de Paris IV Paris-

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Generell lassen sich aus dem bisher Dargestelltem einige wenige arbeitshypothetische Annahmen ableiten, die für die nachfolgende Beschäftigung mit dem lukianischen bzw. antiochenischen Text und den Papyri und Inschriften maßgeblich sind: (a) Wenn Lukian eine Rezension – ganz gleich welcher Art – erstellt hat, müssten sich doch Reste davon auf Papyrusfragmenten (also nicht in den weit bekannten, umfangreichen Kodizes), in Inschriften und anderen archäologischen Zeugnissen finden lassen? (b) Wenn gerade der Psalter so zahlreich in Papyri, Inschriften etc. belegt ist, müssten diese doch Aufschluss über den lukianischen bzw. antiochenischen Text ermöglichen? (c) Da Lukian mit Antiochien und der dortigen Gelehrsamkeit in enger Verbindung steht, sollten gerade die archäologischen Zeugnisse von Interesse sein, die geographisch mit Antiochien in Verbindung gebracht werden können (z.B. Syrien, Palästina, aber auch – unentbehrlich – Ägypten) und die zeitlich nach Lukian entstanden sind. (d) Wenn der lukianische bzw. antiochenische Text weitere Verbreitung gefunden haben mag (vgl. u.a. die Schriftzitate bei Johannes Chrysostomos und Theodoret von Kyros) so sollte er doch nicht nur in den archäologischen Textzeugnissen Niederschlag gefunden haben, sondern auch heute noch identifiziert werden können.

3. Papyri, Inschriften und andere archäologische Objekte 3.1 Anmerkungen zur Datenlage: Was gibt es alles? Mit diesen Vorannahmen im Gepäck geht die Suche nach dem lukianischen bzw. antiochenischen Text aber noch nicht los. Vorab ist zu klären, was es denn alles als Datenmaterial gibt. Die Häufigkeit der Belege für Psalmen in Papyri und Inschriftlichem ist schon angesprochen worden. Dazu kommt noch die Unübersichtlichkeit dieser Belege, da sie sich auf verschiedene ————— Sorbonne. Série „Papyrologie“ 1; Paris: Université de Paris-Sorbonne, 1976). Die Anzahl der Papyruszeugnisse mit Psalmen hat sich seit der Veröffentlichung des Catalogue vervielfacht, wie dies mit Hilfe der Leuven Database of Ancient Books (www.trismegistos.org/ldab; letzter Zugriff am 16.7.2011) und deren 544 Treffern rasch vor Augen geführt werden kann. 12 So u.a. S. Eitrem/A. Fridrichsen, Ein christliches Amulett auf Papyrus (Videnskapsselskapets Forhandlinger 1921,1; Kristiana: J. Dybvad, 1921) 25; S. Eitrem, Die Versuchung Christi (Oslo: Grandahl & Sons, 1924) 11–12, 36; P. Collart, „Un papyrus Reinach inédit“, Aeg. 13 (1933) 208– 212, hier 210; C. Préaux, „Une amulette chrétienne aux Musées Royaux d’Art et d’Histoire de Bruxelles“, CdE 10 (1935) 361–370, hier 365. Besonders L. Amundsen, „Christian Papyri from the Oslo Collection“, SO 24 (1945) 121–147, hier 144–145; Kraus, „Septuaginta-Psalm 90“, 42.

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wissenschaftliche Disziplinen verteilen. So haben wir es bei den Papyri zu tun mit sehr kleinen Fragmenten bis hin zu umfangreicheren Codices (Catenae in Psalmos + Odes mit 383 Folios13) – das meint jedoch nicht im Umfang vergleichbar etwa mit einem Vaticanus, Alexandrinus oder Sinaiticus –, von Miniaturbüchern (vgl. P.Vindob.G 29274 = MPER NS IV 2414) bis hin zu durchaus größeren Einzelblättern (vgl. P.Rain.Cent. 2415), von professionell angefertigten Manuskripten bis hin zu Amuletten in der ungelenken Handschrift eines Wenig- oder Langsamschreibers. Die Datenlage im großen Bereich der Epigraphik ist noch diffuser: Die meisten von uns werden bei Inschriften an mehr oder minder ausführliche Texte in Stein denken, die uns auf Reisen in bestimmte Länder und/oder Museen unterkommen. Psalmentexte finden sich so auch, sicherlich, einfach auf eine Wand einer Kapelle geschrieben, auf einem Sarkophag, in einer Grabkammer, auf Türstürzen oder dergleichen. Daneben sind Psalmenverse aber auch auf Armbändern, Ringen, Anhängern, Medaillons, auf Brustkreuzen und sogenannten ÇÍË-Täfelchen und so weiter sehr beliebt, welche nicht viel Platz bieten. Es überrascht auch nicht, dass die Mehrzahl der Objekte nur einige Worte, einen Vers oder wenige Versfragmente tragen, betrachtet man vor allem etliche der Zwecke, zu denen sie überhaupt geschrieben wurden.16 Eine wichtige Aufgabe ist, das umfangreiche Datenmaterial beherrschbar zu machen. Einerseits könnte die Arbeit mit der Erforschung eines spezifischen Manuskripts beginnen, das durchaus einiges an Psalmentext erhalten hat (z.B. P.Vindob.G 26228B aus dem 7. Jahrhundert mit LXX-Psalm 92). Andererseits löst sich das Problem der Beherrschbarkeit der vielen Belegstücke dadurch nicht von selbst in Luft auf. Der hier gewählte Weg ist ein anderer: Exemplarisch ausgewählte Stücke unterschiedlicher Kategorien werden kurz vorgestellt, um dann der Frage nach ihrem Wert für die Erforschung des lukianischen bzw. antiochenischen Texts in den Psalmen nachzugehen. Dabei wird es auch zu methodischen Überlegungen kommen müssen, etwa dahingehend, ob wirklich eine Beobachtung in einem überlie————— 13

Vgl. W.O.E. Oesterley, „A Lost Uncial Codex of the Psalm“, ET 17 (1905/06) 353–358. Vgl. J. Henner, „Der Unterricht im christlichen Ägypten“, in: Dies./H. Förster/U. Horak, Christliches mit Feder und Faden. Christliches in Texten, Textilien und Alltagsgegenständen aus Ägypten (Nilus 3; Wien: Österreichische V.-G., 1999) 52–53 (Nr. 42). Generell zu Miniaturbüchern in der (Spät-)Antike vgl. T.J. Kraus, „Die Welt der Miniaturbücher in der Antike und Spätantike. Prolegomena und erste methodische Annäherungen für eine Datensammlung“, SNTU 35 (2010) 79–109, zu diesem Schulheft 92 u. 97. 15 Vgl. K. Treu, „LXX, Psalm 9, 12–25 auf Einzelblatt (P.Rain.Cent. 24), in: Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek: Papyrus Erzherzog Rainer (P. Rainer Cent.) (Wien: Hollinek, 1983) 268 (no. 24 u. Tafel 47). Ferner T.J. Kraus, „Reconstructing Fragmentary Manuscripts – Chances and Limitations“, in: Ders./T. Nicklas (Hg.), Early Christian Manuscripts. Examples of Applied Method and Approach (Texts and Editions for New Testament Study 5; Leiden: Brill, 2010) 1–38, hier 16–20. 16 Vgl. die Auflistung für LXX-Psalm 90 bei Kraus, „Septuaginta-Psalm 90“, 49–59. 14

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ferten Textstück auf einem Objekt auf die antiochenische Rezension zurückzuführen ist oder ob es nicht andere, zufriedenstellende Erklärungen gibt. Wenn sich dabei die Auswahl auf archäologische Stücke mit Versen des griechischen Psalms 90 konzentriert, so bitte ich mir das nachzusehen. Es ist nicht einer Eitelkeit entsprungen, sondern der Tatsache, dass ich mir in dieser Hinsicht eine gute Übersicht zutraue und mich auch auf meine eigene Publikationen und Daten stützen kann.17 3.2 ‚Verfügbar‘, ‚relevant‘ / ‚nicht relevant‘ bzw. ‚ausgewählt‘: Methodische Anmerkungen Noch kurz ein paar Worte zu den Charakterisierungen von Material, das für die gestellte Thematik von Relevanz ist: Die Verfügbarkeit erstreckt sich zunächst einmal auf alles bekannte Material. Verfügbar ist es deshalb noch lange nicht. Einerseits sind Objekte so verstreut und manchmal auch in einer Zeit veröffentlicht, bevor die heute allgemein akzeptieren Vorgehensweisen entwickelt und anerkannt waren, andererseits gibt es auch Hinweise auf Objekte, die noch ihrer Edition harren oder für die eine Reedition dringend notwendig ist. Als relevant wird alles Material eingestuft, für das eine Verbindung mit dem Thema attestiert werden kann. In anderen Worten, es wird abgelehnt, dass etwa Papyri deshalb weniger Wert seien, weil sie als Amulette Verwendung fanden, also nicht die Orthodoxie repräsentierten und somit Ausdruck eines oftmals als primitiv bezeichneten Volksglaubens seien.18 Diese und ähnliche ideologische Vorannahmen führen zum Ausschluss von wichtigen archäologischen Zeugnissen, ohne die eine Rekonstruktion der Welt in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung noch fragmentarischer ausfallen würde. Relevant meint aber ebenso, dass die Objekte irgendwie zeitlich und geographisch mit dem antiochenischen Text in Verbindung gebracht werden können. Allerdings stellt sich hier bereits ein ganzes Feld methodischer Probleme: Sofern keine konkrete Datierung auf einem Objekt genannt ist, wird meist aufgrund von Fundumständen, paläographischen und historischen Daten datiert. Entsprechend sind solche Datierungen stets hinterfragbar. Zudem muss ein in Oxyrhynchus gefundenes Papyrusstück nicht zugleich in Oxyrhynchus angefertigt oder dort allein verwendet worden sein. Auch ist zu bedenken, inwieweit die in Ägypten (meist Oberägypten) ausgegrabenen Papyri überhaupt repräsentativ für andere geographische Räume sein können. Wenigstens liegt uns diese große Fülle an Textzeugnissen vor, ohne die unser Wissen über die ————— 17

Vgl. die Literatur in Fn. 9. So T.J. Kraus, „Amulette als wichtige Zeugnisse für das frühe Christentum – einige grundsätzliche Anmerkungen“, ASE 24 (2007) 423–435. 18

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Antike und Spätantike deutlich unvollständiger wäre. Eine weitere Einschränkung ergibt sich hinsichtlich der geographischen Verbindung zwischen dem lukianischen bzw. antiochenischen Text und den als relevant zu bezeichnenden Objekten. Mit der Zeit kann sich der lukianische bzw. antiochenische Text doch auch in einem weiteren Umfeld niedergeschlagen haben, etwa auch bis und über Ägypten hinaus.19 Eine Auswahl ist jedoch unerlässlich, droht sonst die Unbeherrschbarkeit dieser Materialfülle alles Streben bereits im Keim zu ersticken. Eben deshalb soll ein repräsentatives Objekt aus bestimmten Kategorien von archäologischen Objekten dazu beitragen, die Möglichkeiten, Grenzen und Probleme der Erforschung des antiochenischen Textes auf Basis der Papyri, Inschriften und weiterer archäologischer Objekte vor Augen zu führen.

4. Inschriftliches: Stichproben aus einigen Kategorien archäologischer Objekte 4.1 Zwei Sarkophage aus Me÷eleyya, Obersyrien 4.1.1 IGLS IV 1488 Im Südosten der Ruinen von Me÷eleyya, (Apamene/Obersyrien), wurde auf Höhe der letzten Häuser ein vollständig erhaltener Sarkophag mit einer in verschiedener Hinsicht interessanten Inschrift aufgefunden (IGLS IV 1488).20 Der Sarkophag trägt in der vierten Zeile eine Datierung, die umgerechnet das Jahr 463 n.Chr. bezeichnet. Von Relevanz für den hier vorliegenden Kontext ist die eine Längsseite des Sarkophags, auf der oben in vier Zeilen eine Inschrift in 4–6 cm hohen, unregelmäßigen Buchstaben steht. Ein und derselbe Buchstabe weist an die drei verschiedene Formen auf. Die ————— 19

Wenn Ende des vierten Jahrhunderts eine Pilgerin namens Egeria vor dem TheklaSanctorium in Seleucia in Isaurien aus den „Akten der Heiligen Thekla“ liest, so ist das stimmig und passt geographisch in die sonstige Verehrung der Heiligen. Allerdings hatte sich der Kult soweit ausgebreitet, dass auch in anderen Gebieten bis hin zu Ägypten Verehrungsstätten errichtet wurden. So erstaunt es nicht, dass – möglicherweise auf einer Pilgerschaft mitgeführt – zwei Pergamentfragmente von Miniaturbüchern mit Abschnitten aus dem im zweiten Jahrhundert verfassten apokryphen Text, datiert auf das 4. Jahrhundert (P.Ant. I 13) und 5. Jahrhundert (P.Oxy. I 6), in Antinoopolis und Oxyrhynchus ausgegraben wurden. Das Erstaunliche ist die beeindruckende Qualität von Material und Schreiberhand insbesondere von P.Ant. I 13. 20 Weiterführende Angaben in Kraus, „Septuaginta-Psalm 90“, 53 (Nr. 32). Vgl. besonders W.K. Prentice, Greek and Latin Inscriptions (Part III of the Publications of an American Archaeological Expedition to Syria in 1899–1900 3) (New York: The Century Company, 1908); L. Jalabert, „Citations bibliques dans l’ épigraphie grecque“, in: F. Cabrol/H. Leclercq (Hg.), Dictionnaire d’Archéologique Chrétienne et de Liturgie (vol. III 2; Paris: Letouzey et Ané, 1948), 1731–1756, hier 1733 Nr. 31; D. Feissel, „Notes d’ Épigraphie Chrétienne (VII)“, BCH 108 (1984) 545–579, hier 577 und 579.

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erste Zeile ist immerhin 2,06 m lang. Darunter befindet sich in der Mitte ein Rad mit acht Speichen bzw., anders betrachtet, ein Kreuz mit insgesamt acht Balken. Die Platte ist von einem äußeren, hervorstehenden Rand umrahmt, auf dem auch die ersten drei Zeilen des Textes stehen, während das Meiste der rechteckigen Platte mit vierter Zeile und Rad bzw. Kreuz vertieft ist. Immerhin ist wenigstens eine Zeichnung eben jener Längsseite des Objekts im Maßstab von 1:20 erhalten, so dass dadurch immerhin ein gewisser visueller Eindruck ermöglicht wird.21 1 o֙Á¸ÌÇÀÁľÅë֚ĹǾ¿ţßÌÇıuÐţÊÌÇÍեŤ@ÊŦ՜Å՝ļÁ¸ÌÛÌġÄšº¸ÊÇÍ      ì¼ÇË 2 đË¿¼ġË֙ĝ¹֚Ǿ¿ÇɅÅÌÇıºÉŠÐ¸ÅÌ֕ÇË֖Á¸ĖÌÇıÒŸºÅŦ֙Ê֚ÁÇÅ֕ÌÇË֖ե 3 =ÌÇÍË»ÇÐ՝ÄžĖ¼ÉÀÌţÇ͹՝ëÁ¸Ì¼ÊÌŠ¿ÀÌġÄÅ֙¾֚Ä֕¼ėÇÅ֖ 4 ĊÅ»֕ÀÁÌÀľÅÇË֖¸՝ l.1 lies ëÅ; Å von 뚍ÊÇÅ über der Zeile nachgetragen; ì¼ÇË unter ÊÇÍ, da Zeile zu Ende; l.2 ¹Ç¾¿ÇɅÅ mit Gen. zwar unüblich, aber nicht unüblich in Gegenden, in denen semitischer Einfluss vorhanden war; eventuell jedoch als ĝ ¹Ç¾¿ŦË zu lesen (Prentice, 185); l.3 ëÁ¸Ì¼ÊÌŠ¿À doppeltes Augment, lies Á¸Ì¼ÊÌŠ¿¾. Der Sarkophag bietet als archäologisches Objekt viel Interessantes: Die Buchstaben sind zwar unregelmäßig, so doch durchaus mit einiger Sorgfalt ausgeführt. Die erste Zeile musste über die Zeile hinaus mit einem Wort unter dem Zeilenende und in der Umrandung vervollständigt werden. Die Zeilen sind zentriert untereinander angeordnet. Die Zusammenstellung der einzelnen Textstücke (Septuaginta-Psalm 90,1; Bitte um Erbarmen; die đË ¿¼ŦËFormel etc.) fordert ebenso zu weiterem Nachdenken heraus wie das Rad- bzw. Kreuzsymbol. Textlich aber bietet der Sarkophag im Hinblick auf unser Thema nichts Außergewöhnliches: Der gerade einmal erhaltene Psalm 90,1a birgt keinerlei Auffälligkeiten hinsichtlich eines lukianischen bzw. antiochenischen Texts. 4.1.2 IGLS IV 1483 (= Waddington 2654) Der zweite Sarkophag ist ohne konkrete Datierung.22 Wiederum geht es um die Längsseite, auf der im Relief ein Kreuzzeichen erhalten ist. Der Sarkophag ist beschädigt, wohl erst nach der Untersuchung durch Vogüe und —————

21 Zu finden in Prentice, Greek and Latin Inscriptions, 184 (Nr. 207), auch abgedruckt bei Jalabert, „Citations bibliques“, Abb. (fig.) 2984. 22 Hierzu Prentice, Greek and Latin Inscriptions, 185 (Nr. 208); Jalabert, „Citations bibliques“, 1734 Nr. 47; Feissel, „Notes (VII)“, 579.

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Waddington.23 Bei Blick auf die relevante Längsseite ist das obere rechte Eck abgebrochen. Der Text selbst, oberhalb des Kreuzes, steht innerhalb der vertieften und durch einen hervorstehenden Rand umrahmten, rechteckigen Feld. Ein Schwarzweißfoto liegt immerhin vor, wodurch sowohl Transkription als auch der eigentliche Zustand des Sarkophags festgehalten ist.24 1  3 4

ġÅwÐÀÊÌÇÅì¿ÇÍÁ¸Ì¸ÎͺŢÅÊÇէ Í˙ÇĤÈÉÇʼ¼ŧʼ̸ÀÈÉġËÊ֥ò֦Á¸է ÁÛÁ¸ĖÄŠÊÌÀÆÇĤÁëźÀėëÅÌէ ŊÊÁ¾ÅŪĸÌţÊÇÍ

l.2 liesÈÉÇʼ¼ŧʼ̸À; l.3 liesëźÀ¼ė. Doch auch die erhaltenen Verse 9–10 des griechischen Psalm 90 weisen keine auffälligen Abweichungen von der in Rahlfs Göttinger PsalmenAusgabe erstellten Textgestalt, obgleich damit wiederum ein sehr interessanter Textzeuge eines spezifischen Bibeltextes vorliegt, der über dessen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Aufschlüsse ermöglicht. 4.2 Ein Anhänger mit dem Anfang des griechischen Psalms 90 Es handelt sich um einen gerade einmal 4,3 x 2 cm großen Anhänger aus Bronze mit Befestigungsöse (Newell 45 = Bonner D319).25 Der Anhänger ist augen- bzw. mandelförmig. Über Herkunft und Datierung lässt sich allenfalls spekulieren, bietet doch das Objekt nichts Charakteristisches in dieser Hinsicht. Auf der Vorderseite ist der Reiterheilige eingeritzt, der nach rechts reitet und gleichzeitig eine undeutliche Figur mit dem Speer attackiert. Der obere Teil des Speers ist kreuzförmig gestaltet; Unterhalb des Reiterheiligen mit Mandorla ist etwas Augen- bzw. Mandelförmiges erhalten, das wohl den bösen Blick (the evil eye) symbolisiert. Wie so oft sollen die Diagonallinien in der Form das Auge durchstreichen. Auf der Rückseite sind ein Kreuzzeichen und die beiden ersten Worte von Septuaginta-Psalm 90 bewahrt: —————

23 Vgl. mit der erhaltenen Photographie (Fn. 24) die Angaben in M. de Vogüe, Syrie centrale. Inscriptions sémitiques. Bd. 1 (Paris: Baudry, 1868–1877), 112 und Tafel 87,1 sowie W.H. Waddington, Inscriptions grecques et latines de Syrie recueillies et expliquées (Paris: Didot, 1870), 2654. 24 Zu finden in Prentice, Greek and Latin Inscriptions, 185 (Nr. 208); H. Leclercq, „Antioche“, in: F. Cabrol/H. Leclercq (Hg.), Dictionnaire d’Archéologique Chrétienne et de Liturgie (vol. I; Paris: Letouzey et Ané, 1924) 2359–2427, hier 2431 Abb. (fig.) 813. 25 Weiterführende Angaben in Kraus, „Septuaginta-Psalm 90“, 54 (Nr. 47). Zudem vgl. C. Bonner, Studies in Magical Amulets chiefly Graeco-Egyptian (Ann Arbor/London: Universitary of Michigan Press, 1950) 218–219, 306 und Tafel XVI (Nr. D319).

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Der lukianische bzw. antiochenische Text der Psalmen

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†ÇÁ¸ÌÇÀÁÇЂ  lies ĝÁ¸ÌÇÀÁľÅ Das archäologische Objekt trägt wiederum seinen Teil zur Erforschung des Psalms und christlicher Praktiken bei. Allerdings liefert es nichts textlich Relevantes und Zielführendes. 4.3 Ein Armband mit dem Anfang des griechischen Psalms 90 und Ikonographie Das Bronzearmband (Mich. 26198 = Bonner D321)26 gehört zu einer ganzen Gruppe gleichartiger Armbänder, die entweder die gleichen oder ähnliche Symbole, Zeichen und Text- und Bildelemente teilen oder aufgrund ihrer Machart zu einer eigenen Kategorie zusammengefasst werden können.27 Dieses Armband stammt aus Syrien, wohl aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert, und misst im Durchmesser 7,5 cm. Es ist vollständig erhalten, so dass vier Medaillons mit Inschriftenelementen und ein leeres Verschlussmedaillon vorhanden sind. Die Medaillons zeigen im Einzelnen die Huldigung der ȝȐȖȠȚ (Jungfrau mit Kind und ein ȝȐȖȠȢ), die Frauen am Grab oder aber die Auferweckung des Lazarus, den Reiterheiligen sowie den griechischen Ps 90,1 in vier Zeilen. Der Reif weist neben jedem Medaillon die Darstellung des bösen Blicks (the evil eye) auf, wieder ein eingeritztes augen- bzw. mandelförmiges Element mit Diagonallinien. Eine Farbabbildung ist im Internet verfügbar.28 ÇÁ¸օÌÇÀÁÇօżŹÇօ¾¿À¸ lies ĝÁ¸ÌÇÀÁľÅëŹǾ¿¼ţß Der Zugewinn ist minimal bis nicht vorhanden, ganz gleich welche Facetten sich in anderer Hinsicht aus solchen Objekten ableiten lassen. Damit sind aber nicht alle Armbänder dieser Machart – ich selbst behandelte 34 Stück bei der Edition eines Exemplars des British Museums – von geringer Bedeutung für die Suche nach dem lukianischen bzw. antiochenischen Text: Einige wenige von ihnen tragen immerhin Ps 90,1–3 oder sogar 90,1–4. —————

26 Hierzu C. Bonner, „Two Studies in Syncretistic Amulets“, PAPS 85 (1942) 466–471; ders., Studies, 219, 306 (Nr. D321); Kraus, „Septuaginta-Psalm 90“, 54 (Nr. 44). 27 Ausführlich Kraus, „Ein byzantinisches Amulett-Armband“, 114–127 mit Tafeln 2–3, hier 121 (Nr. 8). 28 Vgl. die Ausstellung Traditions of Magic in Late Antiquity der University of Michigan (by Gideon Bohak; www.lib.umich.edu/traditions-magic-late-antiquity/def1.display.html; letzter Zugriff vom 17.6.2011) Nr. 33.

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Allerdings entspricht der Text jeweils dem, was wir auch bei Rahlfs in seiner Göttinger Ausgabe haben, abgesehen von einigen Itazismen oder orthographischen Besonderheiten, die für jene Zeit und diese Art von Textzeugnis üblich sind. 4.4 Ein Medaillon (IGLS V 2061) Das Medaillon (IGLS V 2061 = Mich. [= Kelsey Museum] 26119)29 ist aus Bronze und stammt aus Hama, Syrien, aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert. Das Stück misst 5,4 cm im Durchmesser und ist 1 cm dick, wobei der Rand perforiert ist, allerdings so gearbeitet, dass die Marginalinschrift nicht beschädigt wurde. Oben befindet sich ein kleines Loch für eine Schnur zum Umhängen. Auf der Vorderseite ist gut zu sehen: Der Reiterheilige mit Nimbus galoppiert nach rechts, spießt ein am Boden liegendes Wesen mit Frauenkopf und Löwenkörper auf. Rechts davor ist ein Engel mit Nimbus und nach oben weisendem Flügel. Der Speer des Reiters zeigt die Kreuzform und trägt einen Wimpel. Über dem Kopf des Engels steht ein Stern. In einem Feld links oben ist die đËէ¿¼ŦËFormel, in der Umrandung dann Ps 90,1 und drei Worte des zweiten Verses. Auf der Rückseite thront Christus (oberer Bereich) in einem ovalen Rahmen. Links davon sind Engel (Mt) und Ochse (Lk), rechts davon Adler (Lk) und Löwe (Mk) für die Evangelien bzw. Evangelisten zu erkennen. Darunter steht quer die #ºÀÇËAnrufung und wieder darunter sechs Ringzeichen, dann noch eine Reihe von Symbolen und kleineren Ringzeichen. Ganz unten ist ein brüllender Löwe zu sehen, der nach rechts läuft, vor ihm Krabbe und Skorpion, die vielleicht alle durch die Tiere in Ps 90 motiviert sind. Farbabbildungen beider Seiten sind im Internet verfügbar.30 Vorderseite A (im Feld): B (Rand): Rückseite C (im Feld): D (Rand):

đË¿֕¼ġ֖ËĝÅÀÁÇɅÅÌÛÁ¸ÁŠ †oÁ¸ÌÇÀÁÇɅÅëŹǾ¿ţßÌÇıuÐţÊÌÇÍëÅÊÁšÈþÌÇı¿֕¼Ç֖ı ÌÇıÇĤɸÅÇı¸ĤÂÀÊ¿ţʼ̸À˙ëÉėÌġ ֕ÍÉţ֖Ŀօ #ºÀÇË׺ÀÇË׺ÀÇËÁ֕ŧÉÀÇ֖Ëʸ¹¸Ū¿ †ÎɸºĖË¿֕¼Ç֖ı½ÇɅÅÌÇËբÎŧ¸ÆÇÅÒÈġȸÅÌġËÁ¸ÁÇıÌġÅ ÎÇÉÇıÅ̸ÌġÎ͸ÁÌŢÉÀÇÅÌÇı֙ÌÇ֚

—————

29 Vgl. Bonner, „Two Studies“, 467–471; ders. Studies, 219–220, 307 (Nr. D324); E. Dauterman Maguire/H.P. Maguire/M.J. Duncan-Flowers, Art and Holy Powers in the Early Christian House (Illinois Byzantine Studies 2; Urbana: Universitary of Illionois Press, 1989) 214–215 (Nr. 134); Kraus, „Septuaginta-Psalm 90“, 54–65. 30 Vgl. die Ausstellung Traditions of Magic in Late Antiquity, Nr. 32.

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Der lukianische bzw. antiochenische Text der Psalmen

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A: Medaillon șc ¯¯; lies ÅÀÁľÅ; B: lies Á¸ÌÇÀÁľÅ; lies ¹Ç¾¿¼ţß; Medaillon șȣ ¯¯; lies ¸ĤÂÀÊ¿Ţʼ̸À; lies ëɼė; lies ÌŊ; Medaillon ¯¯; țȣ C: Medaillon șȣ ¯¯ Und wieder sind die Einzelheiten aus unterschiedlicher Sicht interessant, führen in die faszinierende Vorstellungswelt der spätantiken bzw. byzantinischen Magie ein, in der es, wie für die Menschen damals einfach selbstverständlich, zu einer Vermischung unterschiedlichster Elemente aus verschiedenen Bereichen kam. Es finden sich hier ähnliche Details wie auf den bisherigen Objekten: Orthographische Eigenheiten und Itazismen sind anzutreffen, Ps 90 ist wieder als reiner Gebrauchstext eingesetzt und dient als Schutz für den Tragenden im Wechsel- und Zusammenspiel mit den weiteren Textelementen und bildlich-symbolischen Darstellungen, die mindestens gleichbedeutend sind. Alles steht im Kontext von zur Tradition und Konvention gewordenen Arrangements von Text, Bild und Symbol. Allerdings ergeben sich für die Frage nach dem lukianischen bzw. antiochenischen Text auch hier keine wirklichen Erkenntnisse. 4.5 Ein sogenanntes ÇÍË-Amulett Als Beispiel für eine Gruppe ähnlicher Objekte ist hier ein Holztäfelchen von 3 x 3,8 cm mit Aufhängeöse vorgestellt, das aus Ägypten stammt und irgendwann im Zeitraum sechstes bis achtes Jahrhundert beschrieben wurde (SB I 970 = PGM T2b).31 Das Täfelchen ist mit einem Rand oben und unten für die dazwischenliegende Beschriftung versehen. Immerhin existiert eine Strichzeichnung.32 Seite A Seite B

¹ÇÍ˹Çօ͸À¹Çօ¸¹ÇÍËօÑÁ¸Ì ÁÇÅÏÀօÐÀÊÌ֙ÇÍ֚օ¸ÂÂ֙եեե֚

Das Holztäfelchen, aufgrund seiner Form fälschlich anfangs als Mumientafeln aufgefasst, gehört zu einer Gruppe von insgesamt zwölf, die sich durch das Wort ¹ÇÍËName einer Dekangottheit im Skorpion, verbinden. Darüber hinaus bezeugen drei Täfelchen Ps 90,1 und andere drei ¸ÀÅÏÑÑÏ bzw. ¸ÀÅÏÑÑÑÏ, eine der dreifach mächtigen Gottheiten, die auch in Pistis Sophia 137 bzw. 147 genannt werden. Die beiden voces magicae ¹ÇÍË und —————

31 Zu diesem, den anderen Bous-Täfelchen sowie dem Zusammenhang zwischen den drei Textelementen vgl. Kraus, „ÇÍË,¸ÀÅÏÑÑÏ und Septuaginta-Psalm 90?“, 479–491, besonders 483 (Nr. 12). 32 Vgl. J.G. Milne, Catalogue général des Antiquités égyptiennes du Musée du Caire: Nos 9201–9400, 26001–26123, 33001–33037. Greek Inscriptions (Kairo 1905 / Nachdruck: Osnabrück: Otto Zeller Verlag, 1977) 133 (Nr. 33019).

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¸ÀÅÏÑÑÏbzw.ǺĮȚȞȤȦȦȦȤ stehen demnach in engem Zusammenhang mit Ps 90,1, der deutlich den Schutz des Höchsten herbeiruft, entweder vor diesen beiden ägyptischen Gottheiten oder aber eben gerade im Sinne dieser beiden vor anderen Unheilsmächten.33 Leider bringen auch diese Täfelchen wenig für das vorgestellte Thema, sondern in erster Linie Interessantes für die Rezeptionsgeschichte und Verzweckung dieses Psalms und des Psalters insgesamt. 4.6 Christliche Grabkammerinschriften 4.6.1 Eine christliche Grabkammer in der Nekropole von Gabbari In der Nekropole von Gabbari im westlichen Alexandria entdeckte der Trierer Archäologe Günter Grimm bei Grabungen eine pagane, christlich wiederverwendete Grabkammer, über die Heinz Heinen 1982 informierte.34 Die christliche Nutzung des für uns interessanten Teils der Grabanlage beginnt im vierten und endet irgendwann im sechsten Jahrhundert, vielleicht auch etwas später. Die Grabkammer, in der sich die hier relevante Inschrift mit Ps 90 befindet, weist etliche Loculi, viereckige Nischen, auf und trägt auf der Decke die rotbraune Inschrift `֕¾ÊÇı֖Ë֕ÉÀÊÌġ֖ËÅÀÁê die – in jeweils paarweiser Anordnung der Buchstaben, d.h. ÅÀ und Áê, um ein Kreuz herum platziert ist. Auf der Rückwand einer Grabnische ist dann ein weiteres derartiges Kreuz mit der Inschrift ÇÁ¸ÌÍÁÇżŹǾ¿À¸ÌÇÍÍÐÊÌÇÍ, also Ps 90,1b ĝÁ¸ÌÇÀÁĽÅëŹǾ¿¼ţ¸ÌÇıĨÐţÊÌÇÍ  darüber und rechts seitlich davon geschrieben, sowie ÌÇıÌÇauf der linken undÅÀÁÜ auf der rechten Seite des Kreuzes. Des Weiteren folgt eine dreigliedrige Akklamation „Christus, unser Gott, Ehre sei dir! Christus siegt, Christus herrscht“, weitere Kreuzzeichen und wiederum ein Kreuz mit „Jesus Christus siegt“. Leider ist von Ps 90 nicht mehr als dies wenige erhalten, obgleich doch Platz genug für mehr gewesen wäre. Die Textgestalt ist also abermals ohne Aussagekraft für den Nachweis eines lukianischen bzw. antiochenischen Texts. 4.6.2 Eine christliche Grabkammer in Kertsch, Südrussland Das verhält sich mit der in einem Vorort der Stadt Kertsch auf der Halbinsel Krim gefundenen christlichen Grabkammer mit dem fest überlieferten Da—————

33 Näheres zu den ÇÍË-Amuletten und deren Hintergrund bei Kraus, „ÇÍË,¸ÀÅÏÑÑÏ und Septuaginta-Psalm 90?“, 479–491. 34 Grundlage für das Folgende bildet H. Heinzen, „Eine neue alexandrinische Inschrift und die mittelalterlichen laudes regia: Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat“, in: G. Wirth (Hg.), Romanitas – Christianitas. Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit (Berlin/New York: de Gruyter, 1982) 675–701.

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tum 491 dann aber endlich anders. Im Frühjahr 1890 war dort schon zufällig eine vorchristliche Grabanlage gefunden und anschließend ausgegraben worden. Julian Kulakowsky gelang dann wenige Jahre später der faszinierende Fund, über den er 1894 publizierte.35 Die einzelnen Inschriften sind in dunkelroter Farbe auf den Lehm aufgetragen und verteilen sich auf drei Nischen und die Eingangswand. Jede Nische ist auf der oberen, linken, rechten und Rückwand beschriftet. In der linken Nische steht ein Vers von Ps 26 auf der oberen Wand, an der Rückwand die Datierung und an der rechten Wand ein Gebet. In der mittleren Nische steht oben ein Vers eines Psalms, was aber nicht deutlich identifizierbar ist, beginnt auf der linken Wand Ps 90, der sich bis Vers 12 über die Rückwand zur rechten Wand erstreckt, bevor dort ein Lobgesang mit zwei ägyptisch klingenden Namen, Sauagan und Faeispartan (¸ÍŠº¸ÅÁ¸Ė¸¼ÀÊÈŠÉ̸Å) folgt. In der rechten Nische wird der Psalm über die linke, mittlere und rechte Wand fortgeführt. Darüber steht wieder ein Vers von Ps 26. Die Eingangswand zieren die typischen Verse von Ps 120, eben Vv. 7–8, die häufig auf Türstürzen angebracht wurden und damit als eine Art Haussegen („Eingang“ und „Ausgang“) dienten.36 Ps 90 ist damit vollständig, so dass hier die Textgestalt genauer betrachtet werden kann. Dabei umläuft der Text die drei Wände, d.h. Zeile 1 der linken Wand geht auf der mittleren und dann der rechten Wand weiter und findet Fortführung in Zeile 2 der linken Wand usw.37 In Zeile 2 der linken und mittleren Wand ist für Ps 90,2b zu lesen ĝ¿¼ŦË ÄÇÍբ ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ Á¸Ė ëÂÈÀľëÈЏ ¸ĤÌŦÅ. Also belegt die Inschrift mit ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ eine Lesart, die nach Rahlfs Göttinger Psalmen-Ausgabe (Gö) in wenigen lukianischen Handschriften (Lpau) und in einem Teil der TheodoretHandschriften (Thtp) belegt ist. Auch das zusätzliche Á¸ţ weist, nach Rahlfs Gö, in diese Richtung (La´’ 1219 2031 2048). Darüber hinaus steht in V.6a, d.h. in Zeile 6 der linken und mittleren Wand,ëÅÊÁŦÌÀ»À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ, das von der lukianischen Rezension (L´’) sowie 1219 und 2020 belegt ist. Rahlfs Göttinger Ausgabe hat »À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ ëÅ ÊÁŦ̼À. Hat damit die Inschrift in Kertsch am Schwarzen Meer im Süden Russlands einen Beleg für den lukianischen bzw. antiochenischen Text erbracht? Wir werden sehen, inwieweit dies ein singuläres Phänomen ist oder ob sich diese Lesarten noch in weiteren der hier relevanten und ausgewählten archäologischen Objekte finden lassen. Und genau das führt zu den Papyri als weitere eminent wichtige Textzeugen der antiken und spätantiken Welt. —————

35 Die Ausführungen beruhen auf J. Kulakowsky, „Eine altchristliche Grabkammer in Kertsch aus dem Jahre 491“, RQ 8 (1894) 49–87 und 309–327. 36 Zu Psalm 120,8 vgl. T.J. Kraus, „‚Der Herr wird deinen Eingang und deinen Ausgang bewahren‘: Über Herkunft und Fortleben von LXX Psalm cxx 8a“, VT 56 (2006) 58–75. 37 Vgl. die Zeichnungen von Kulakowsky, „Eine altchristliche Grabkammer“, Tafel A (56– 57) u. Tafel B (zw. 64–65).

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5. Papyrus-Amulette mit Septuaginta-Psalm 90 5.1 P.Duk.inv. 778 mit griechischem Psalm 90, Psalm 91 (incipit), Vaterunser und Doxologie Bei P.Duk.inv. 778 (Rahlfs 219938) handelt es sich um einen Papyrus, der aus mehreren Stücken zusammengefügt wurde und nun 11,5 x 26,8 cm misst, mit Beschriftung entlang der Fasern auf dem Rekto und dem Verso (transversa charta) aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert. Die genaue Herkunft ist unbekannt. Der Papyrus wurde achtmal vertikal und einmal horizontal zu einem kleinen Bündelchen gefaltet. Dementsprechend sind dann auch lacunae vorhanden. Wahrscheinlich wurde die Seite mit den Psalmen zuerst geschrieben, da sie vollständig beschriftet und mit einem Kreuz am Anfang versehen ist. Ein weiteres Kreuz steht am Ende auf dem Verso nach der Doxologie. Die Textfolge lautet wie folgt: LXX-Psalm 90, Psalm 91 (Incipit), Vaterunser und Doxologie. Für uns von Interesse ist natürlich der Text, genau gesagt die Textfassung von Psalm 90 und 91, wie sie sich auf dem Papyrus darstellt. Einige Beobachtungen sollen hier nur kurz vorgestellt werden: * Kreuzzeichen; Ps 90,1–16; Ps 91,1 * Fehlende Überschrift von Ps 90 * Itazismen, viele orthographische Fehler, Auslassungen (Vv.7c.9a), Vertauschung (ĞÌÀ ìºÅÑ Ìġ ěÅÇÄŠ ÊÇÍ statt in V.14b auf dem Papyrus zwischen V.15 und V.16), Wortstellung (V.16a), zusätzliches ÄÇÍ (l.1 ÌÇı ÁÍÉţÇÍÄÇÍfür V.2aÌŊÁÍÉţĿ), zusätzliches Á¸ţ (Vv. 2b.5b.14b) usw.39 Die Schlüsselstelle ist Ps 90,2b: ĝ ¿֕¼Ŧ֖Ë ÄÇÍ ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ Á¸Ė ëÂÈÀľ ëÈχ ¸ĤÌŦÅե'LH/HVDUW¹Ç¾¿ŦËÄÇÍ findet sich, wie schon für die Grabkammerinschrift von Kertsch konstatiert, Rahlfs Psalmenausgabe (Gö) zufolge in wenigen lukianischen Handschriften (Lpau) und in einem Teil der Theodoret-Handschriften (Thtp). Der mögliche Einfluss von Ps 17,3b (ĝ ¿¼ŦË ÄÇÍ ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ Á¸Ė ëÂÈÀľ ëÈχ ¸ĤÌŦÅ  auf unsere Stelle ist zu berücksichtigen. —————

38 Die in Klammern angeführten Verweise auf Rahlfs-Nummern bezeichnen Manuskripte, die von Rahlfs für seine Göttinger-Ausgabe der Psalmen noch nicht veranschlagt wurden oder werden konnten. Vgl. A. Rahlfs/D. Fraenkel, Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments. Bd. I,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004). Für von Rahlfs bereits berücksichtige Manuskripte findet sich ein expliziter Hinweis mit Nummer im fortlaufenden Text. 39 Für Details sei verwiesen auf den ausführlichen Apparat von C. La’da/A. Papathomas, „A Greek Papyrus Amulet from the Duke Collection with Biblical Excerpts“, BASP 41 (2004) 99. Farbabbildungen und eine kurze Beschreibung des Papyrus sind frei zugänglich auf den Seiten des Duke Papyrus Archive (http://library.duke.edu/rubenstein/scriptorium/papyrus/records/778.html; letzter Zugriff 30.9.2011).

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Allerdings sind auf P.Duk.inv. 778 nur Ps 90 vollständig und die Überschrift von Ps 91 vorhanden, weshalb der direkte Einfluss von Ps 17,3b allenfalls für die potenzielle Vorlage für den Papyrus in Frage kommt, wie immer das aber dann ausgesehen haben mag. Dort ist auch das zusätzliche Á¸ţ vorhanden. Leider steht Ps 90 ohne Überschrift auf dem Papyrus. Ansonsten hätte sich vielleicht ein weiterer Anhaltspunkt ergeben: In lukianischen Handschriften und bei Hesychius (Ld´He) folgt nach čÅÇË ŀ»ýË ÌŊ ¸ÍÀ» noch ÒżÈţºÉ¸ÎÇË ȸÉχ î¹É¸ÀÇėË. Auch fehlt leider für Ps 90,2b die mögliche Variante ëÈн¸ĤÌŊwie sie in Lpau und T (Stadtbibliothek Zürich, C. 84, Purpurhandschrift aus dem 7. Jahrhundert) vorkommt (vgl. Ps 9,11 und LaG in te). Nimmt man aber Ps 91,1 hinzu, der sich auf dem Papyrus als ¸ÂÄġËÌŊ ¸Í¼ÀÌ ¼ĊË÷ĚɸÅ ÌÇı ʸ¹¹ŠÌÇÍÓÂÂÇÍË ի darstellt (vgl. dagegen Gö mit ¸ÂÄġËŀ»ý˼ĊËÌüÅ÷ĚɸÅÌÇıʸ¹¹ŠÌÇÍ; vgl. zudem ÌŊ¸ÍÀ»LQ*¸ für Ps 90,1a), belegt durch Lb, dann könnte dies sehr wohl ein weiteres Indiz für eine mögliche Verortung der Vorlage bzw. des Papyrus selbst als lukianisch bzw. antiochenisch beeinflusst darstellen und auch Ps 90,2b in diese Richtung rücken. Weitere Papyrusfragmente helfen, das Bild noch deutlicher werden zu lassen. 5.2 P.Laur. IV 141 mit Psalm 90,1–6, Brieffragmenten und Vertrag Ein Papyrusblatt der Biblioteca Medica Laurenziana in Florenz (P.Laur. IV 141; Rahlfs 2166) aus dem ausgehenden 5. Jahrhundert mit unbekannter Herkunft weist Ps 90,1–6 auf, anschließend zwei Zeilen eines Briefes und auf der anderen Seite einen Vertrag mit Datierungsformular, weshalb der Papyrus möglicherweise auf 485 datiert werden kann. Wieder fehlt die Psalmen-Überschrift. Der Text beginnt mit einem Kreuzzeichen. Zusätzliche Á¸ţ (V.5a) und ÄÇÍ (V.2a ëɼė ÌŊ ÁÍÉţĿ ÄÇÍ) müssen nicht unbedingt viel bedeuten, müssen aber bei einer systematischen Untersuchung aller in Frage kommenden Papyri (und Inschriften) dennoch erfasst werden, gerade weil sie als Hinweise auf lukianischen Einfluss diskutiert werden. Wichtiger ist für das hier gesetzte Ziel wieder Ps 90,2b. Dort findet man: ĝ ¿¼ŦË ÄÇÍ ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ Á¸Ė ëÂÈÀľ ëÈχ ¸ĤÌŦÅ (Papyrus, Zeilen 3–4) wie auf P.Duk.inv. 778r (l.2). Darüber hinaus steht für Ps 90,6a in den Zeilen 10–11 ëÅÊÁÇÌÀ¸ (lies ÊÁŦ̼À) »À¸օÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ, eben jene Wortfolge, die von L´’ 1219 2020 belegt ist (Gö hat »À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍëÅÊÁŦ̼À).

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5.3 P.Oxy. XVII 2065 mit griechischem Psalm 90,5b–10 Das Gleiche trifft auch für das 4 x 5,7 cm kleine Pergamentblatt eines Miniaturkodex (P.Oxy. XVII 2065; ohne Rahlfs-Nummer) aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert zu, der in Oxyrhynchus gefunden wurde. In den Zeilen 5–7 findet sich ebenfalls die Wortfolge, die auch der Florentiner und der Wiener Papyrus für Ps 90,6a belegen (ëÅ ÊÁŦ̼À »À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ). Ansonsten weist der Papyrus aber keine weiteren Auffälligkeiten auf. Leider beginnt der erhaltene Text erst mitten mit Ps 90,5b (Zeile 1: ¹šօÂÇÍËȼÌÇ , so dass über V.2b oder andere interessante Phänomene in den ersten viereinhalb Versen keinerlei Aussagen getroffen werden können. Der restliche Text (Ps 90,5b–10) ist im Vergleich zu Rahlfs Gö unauffällig.40 5.4 P.Ryl. I 3 mit LXX-Psalm 90,5–16 In dieselbe Richtung verweist das nur 10,4 x 10 cm große Papyrusfragment P.Ryl. I 3 aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert unbekannter Herkunft, das in Zeilen 3–4 auch diese Wortfolge für Ps 90,6a (ëÅ ÊÁŦ̼À »À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ) belegt. Jedoch setzt der Text auf dem Papyrus erst mit V.5 unseres Psalms ein. Dieser Papyrus ist als Rahlfs 2020 in Gö berücksichtigt. 5.5 P.Oxy. XVI 1928vo mit vollständigem Psalm 90,1–16 und Evangelienliste Der Papyrus P.Oxy. XVI 1928 (Rahlfs 2106) aus dem fünften bzw. frühen sechsten Jahrhundert ist der nächste Zeuge für die Lesart ĝ¿¼ŦËÄÇ͹Ǿ¿ŦË ÄÇÍ Á¸Ė ëÂÈÀľ ¼Èн¸ĤÌŦÅ (Zeile 2), das sich hier als ¼ÂÈÀ»Ñ¼È ¸ÍÌÑÅ liest. Der vollständige Ps 90 mit einer Liste der vier Evangelien ist auf die Rückseite eines Protokolls (SB XXII 15581 = P.Oxy. XVI 1928ro), also dessen Verso, geschrieben. Es sind Abbildungen beider Seiten (rekto und verso) verfügbar, so dass ein Eindruck von Erhaltungszustand und Größe des Papyrus möglich sind.41

—————

40 Farbphotographien beider Seiten des Papyrus sind verfügbar auf den Seiten POxy: Oxyhrynchus Online (www.papyrology.ox.ac.uk/POxy; letzter Zugriff 30.9.2011). 41 Farbphotographien beider Seiten des Papyrus – Protokoll und Psalm mit Evangelienliste – sind verfügbar auf den Seiten POxy: Oxyhrynchus Online (www.papyrology.ox.ac.uk/POxy; letzter Zugriff 30.9.2011).

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5.6 P.Vindob.G 348 mit Evangelienanfängen und vollständigem Psalm 90 P.Vindob.G 348 (Rahlfs 2179),42 ein christliches Amulett auf Papyrus unbekannter Herkunft aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert mit den Dimensionen 12 x 7,5 cm. Auf ihm sind die Anfänge der vier Evangelien in ihrer kanonischen Reihenfolge und dann der vollständige Ps 90 erhalten. Der Papyrus liest in Zeile 7 – wiederum ohne kritische Transkription – ĝ ¿¼ŦËÄÇ͹Ǿ¿ŦËÄÇÍÁ¸ĖëÂÈÀŊ(für Zeile 8 wird rekonstruiert >ëÈχ ¸ĤÌŦÅ@). Der Herausgeber des Papyrus, Robert W. Daniel, nennt dafür vorsichtig und beiläufig im Hinblick auf ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ und Á¸ţ GDVV VLH „may indicate the influence of traditions within the Lucianic mss. [manuscripts; Anm. d. Verf.].“43 Ansonsten bezeugt der Papyrus noch für Ps 90,2a die Variante ëɼėÌŊ¿¼Ŋ (B´ R´ Thtp 1219) statt ëɼėÌŊÁÍÉÀŊ (Gö). 5.7 P.Vindob.G 2312 (= Stud.Pal. XX 294) mit Ps 90,1–2, Röm 12,1.2, Joh 2,1–2 Der Papyrus P.Vindob.G 231244 aus dem sechsten Jahrhundert misst 6 x 14,9 cm und diente als Amulett für Frischverliebte bzw. für Jungverheiratete. Er überliefert Ps 90,1–2, Röm 12,1.2 und Joh 2,1.2, alle mit einigen Variante. Wie von Rahlfs in seiner Göttinger Ausgabe auch im Apparat unter der Rahlfs-Nummer 2031 angeführt, liest der Papyrus für V.2b ¿¼ġË ¹Ç¾¿ŦËÄÇÍ, also eine Kurzfassung der Variante ohne Á¸ţ. 5.8 PSI VII 759 mit Ps 90,1–4 Nach einer Homilie auf der Vorderseite folgt Ps 90,1–4 auf dem Verso von PSI VII 759 (Rahlfs 2074), einem Papyrus unbekannter Herkunft aus dem fünften Jahrhundert. Auch hier ist die Variante ¿¼ġ˹Ǿ¿ŦËÄÇÍ für Ps 90,2b zu finden. Wie P.Vindob.G 348 hat er für Ps 90,2a die Variante ëɼėÌŊ¿¼Ŋ (B´ R´ Thtp 1219) statt ëɼėÌŊÁÍÉÀŊ (Gö) bewahrt. —————

42 Editio princeps von R.W. Daniel, „A Christian Amulet on Papyrus“, VigChr 37 (1983) 400–404. 43 Daniel, „A Christian Amulet“, 401. 44 Editio princeps von C.F.G. Heinrici, Die Leipziger Papyrusfragmente der Psalmen (Beiträge zur Geschichte und Erklärung des Neuen Testaments 4; Leipzig: Dürr, 1903) 30–32. Ferner H. Förster, „38. Schutz für Jungverheiratete“, in: J. Henner/H. Förster/U. Horak, Christliches mit Feder und Faden. Christliches in Texten, Textilien und Alltagsgegenständen aus Ägypten (Nilus 3; Wien: Österreichische V.-G., 1999) 48–49.

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5.9 P.Princ. II 107: Ps 90,1–2 und diverse andere Texte Ein Papyrus-Amulett gegen Fieber (P.Princ. II 107 = Suppl.Mag. I 29) aus dem vierten bzw. fünften Jahrhundert, dessen Herkunft unbekannt ist, überliefert Ps 90,1–2 ein Gebet an den Erzengel Michael, Ps 90,1–2, Elemente des Vaterunsers und das Sanctus. In den Zeilen 11–12 liest der Papyrus: ëÉė OLHV ëɼė  ÌÇı ¿ ¼Ç ı Á¸Ė Á¸Ì¸ÎͺŢ ÄÇÍ Á¸Ė ¹Ç¾¿ŪË OLHV ¹Ç¾¿ŦË  ÄÇÍ, und damit eine recht freie Wiedergabe des Psalmenverses an sich. Zu beachten ist auch die unregelmäßige, unstete und unerfahrene Schreiberhand.45 5.10 Pap.Lugd.Bat. XXV 10 (= P.Leid.Inst. 10) mit Ps 90,1–4b.7b–9 Bei Pap.Lugd.Bat. XXV 10 (= P.Leid.Inst. 10; Rahlfs 2124) handelt es sich um zwei Doppelblätter (bifolia) eines Miniaturkodex aus Pergament aus dem fünften Jahrhundert, der in Leiden aufbewahrt wird und dessen Herkunft ungewiss ist. Die bifolia überliefern Ps 90,1–4b.7b–9, dabei auf der Haarseite von Folio 2 (= Seite 3), Zeilen 2–5 für Ps 90,2b ĝ ¿֕¼Ŧ֖Ë ÄÇÍբ ¹Ç¾օ֙¿ŦË֚ ÄÇÍբ Á¸Ė ëÂÈÀŊ օ ëÈχ ¸ĤÌŦÅ. Wie schon für P.Vindob.G 348 gibt der Herausgeber, Robert W. Daniel, einen Hinweis auf den lukianischen bzw. antiochenischen Text als potentiellen Hintergrund. Interessanterweise wird ein Teil von V.2 auf der Fleischseite von Folio 1 (= Seite 9) in den Zeilen 1–3 wiederholt: Á¸Ì֙¸ÎͺŢÅ֚ օ ÄÇÍ ĝ ¿֕¼Ŧ֖Ë ֙ÄÇÍբ֚ օ ¹Ç¾¿֙ŦË ÄÇÍ֚ Danach wird der Rest auf Seite 9 leider unleserlich. Ob das Fehlende (Vv.4c–7a) auf einem eingelegten Einzelblatt oder einem Doppelblatt stand, das jeweils verloren ging, oder der Schreiber in Zeilen 4–6 auf Seite 9 noch den Rest von V.2 geschrieben hatte, bleibt offen. 5.11 P.Osl.inv. 1644 mit Ps 90,1–4b Als nächstes ist P.Osl. inv. 1644 (Rahlfs 2115) zu nennen, ein christliches Papyrusamulett des vierten bzw. fünften Jahrhunderts unbekannter Herkunft. Ein weiteres Fragment konnte als zugehörig erkannt und als Ergänzung zugefügt werden (Sammlung Schøyen MS 244/4).46 In Zeile 10 des —————

45 Hierzu ausführlich Kraus, „Manuscripts with the Lord’s Prayer“, 254–266; ders., „Angels in the Magical Papyri. The Classic Example of Michael, the Archangel“, in: F.V. Reiterer/T. Nicklas/K. Schöpflin (Hg.), Angels. The Concept of Celestial Beings – Origins, Development and Reception, Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook 2007 (Berlin/ NewYork: de Gruyter 2007) 611–627, besonders 622–623. 46 Vgl. die editio princeps von Amundsen, „Christian Papyri“, 141–147, sowie zu P.Schøyen I 16. R. Pintaudi, „16. Amuleto cristiano: LXX, Ps 90.4–13 (MS 244/4)“, in: ders.,

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Osloer Fragments findet sich ĝ ¿֕¼Ŧ֖Ë ÄÇÍ ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍբ ë֙ÂÈÀľ ëÈχ ¸ĤÌŦÅ֚, damit die Lesart ohne Á¸ţ vor ëÂÈÀľ. 5.12 BKT VIII 13 mit vollständigem Ps 90 in 46 Zeilen Zudem sei der Blick auf BKT VIII 13 (Rahlfs 2062) gerichtet, einem Papyrus-Einzelblatt mit Ps 90 in 46 Zeilen aus dem siebten bzw. achten Jahrhundert. Dieses Blatt bewahrt für V.2b ¿¼ŦËÁ¸Ėë¼ÈÀľ OLHVëÂÈÀľ . 5.13 P.Gen. I 6 mit Ps 90,1–7.10–13 Zu guter Letzt erscheint noch die rechteckige, gewachste Buchenholztafel P.Gen. I 6, Herkunft ungewiss, aus dem sechsten Jahrhundert mit einer Rechnung von Interesse. Dort findet sich nach einer Auflistung von Alltagsgegenständen dann Ps 90,1–7.10–13, wo aber ¹Ç¾ÌŦË in V.2 gar nicht vorkommt. In Zeile 3 aber steht Á¸Ė Á¸Ì¸ÎͺŢ ÄÇÍ ĝ ¿֕¼Ŧ֖Ë ÄÇÍ Á¸ĖëÂÈÀľ ëÈχ ¸ĤÌŦÅ, damit also nur ein zusätzliches Á¸ţ im Vergleich zu Rahlfs (Gö), wo sie auch unter der Rahlfs-Nummer 2048 berücksichtigt ist. Zusammen mit BKT VIII 13 soll diese Tafel verdeutlichen, dass nicht alle Textzeugen der Art, wie sie hier vorgestellt wurden, eine Variante mit ¹Ç¾¿ŦË bezeugen und so dem lukianischen bzw. antiochenischen Text nahe stehen.

6. Ergebnisse und Schlussfolgerungen Die tour de force durch einige Papyri mit längeren Abschnitten des griechischen Ps 90 sowie durch Inschriften und andere archäologische Objekte mit Rekursen auf denselben Psalm ließ leider auch viele faszinierende Details links liegen. So eröffnen beispielsweise die Art und Weise der Beschriftung, die Kompilation verschiedener Texte und Textgattungen sowie die potentiellen Zwecke der einzelnen Objekte durchaus weitere Facetten, welche die Lebens- und Glaubenswelt der Menschen damals zu erhellen helfen. Dennoch lässt sich für unsere Suche nach Anhaltspunkten als allgemeines Ergebnis festhalten: Der lukianische und antiochenische Text scheint für spezielle Manuskripte und Inschriften gebräuchlich gewesen zu sein, auch wenn das nur mit Hilfe von Ps 90 und insbesondere von zwei ————— Greek Papyri. Volume I, Manuscripts in the Schøyen Collection 4 (Florenz: Gonelli, 2004) 55–56. Ferner die Beschreibung von Kraus, „Manuscripts with the Lord’s Prayer“, 236–237 (Nr. 3).

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Lesarten für V.2b und V.6a untersucht wurde. Darüber hinaus legen die Papyri und die Inschrift in Kertsch nahe, dass der lukianische bzw. antiochenische Text eine durchaus beachtliche Verbreitung gefunden hat, deren erste Spuren hier in beachtlicher Zeit ab dem vierten Jahrhundert nachgegangen werden konnten. Ps 90,2b Rahlfs (Gö) ĝ¿¼ŦËÄÇÍբëÂÈÀľëÈχ¸ĤÌŦÅ֚ LpauThtp ĝ¿¼ŦËÄÇÍբ¹Ç¾¿ŦËÄÇÍÁ¸ĖëÂÈÀľëÈχ¸ĤÌŦÅ P.Duk.inv. 778; P.Laur. IV 141; P.Vindob.G 348; P.Oxy. XVI 1928; PSI VII 759; P.Princ. II 107 (= Suppl.Mag. I 29); Pap.Lugd.Bat. XXV 10 (= P.Leid.Inst. 10)  ĝ¿¼ŦËÄÇÍբ¹Ç¾¿ŦËÄÇÍëÂÈÀľëÈχ¸ĤÌŦÅ P.Osl.inv. 1644 ¿¼ġ˹Ǿ¿ŦËÄÇÍ P.Vindob.G 2312 (Rahlfs 2031)  ¼ŦËÁ¸Ėë¼ÈÀľ(lies ëÂÈÀľ) BKT VIII 13 ĝ¿¼ġËÄÇÍÁ¸ĖëÂÈÀľëÈχ¸ĤÌŦÅ P.Gen. I 6 (Rahlfs 2048) Ps 90,6a Rahlfs (Gö) »À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍëÅÊÁŦ̼À(so auch in P.Gen. I 6 [Rahlfs 2048]) L´’ 1219 2020 ëÅÊÁŦ̼À»À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ P.Duk.inv. 778; P.Oxy. XVII 2065; P.Ryl. I 3 (Rahlfs 2020); P.Oxy. XVI 1928 BHS (+!' +6 Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass eben genau die Folge ëÅ ÊÁŦ̼À »À¸ÈÇɼÍÇÄšÅÇÍ, die sich in allen vier eben genannten Textzeugen findet, jener des Masoretischen Texts (BHS) entspricht. Die eingangs aufgestellten arbeitshypothetischen Aussagen lassen sich grundsätzlich alle bejahen: (a) Reste der lukianischen Rezension sind auf Papyrusfragmenten und in der Inschrift von Kertsch vorhanden. (b) Gerade die in Papyri, Inschriften etc. so zahlreich belegten Psalmen geben Aufschluss über den lukianischen bzw. antiochenischen Text, d.h. was bereits anhand des griechischen Ps 90 und einigen ausgewählten Textzeugnissen allein gefunden werden konnte, verspricht noch weitere Aufschlüsse über den lukianischen bzw. antiochenischen Text in den Psalmen, gerade hinsichtlich spezifischer Lesarten, der Verzweckung dieser Rezension und auch deren Verbreitung. (c) Die oben angesprochenen Papyri und inschrift-

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lichen Objekte lassen sich geographisch mit Antiochien in Verbindung bringen, zumal sie alle zeitlich nach der vermeintlichen Abfassung des lukianischen Texts entstanden sind. (d) Die Lesarten für Ps 90,2b.6a, die auf den lukianischen bzw. antiochenischen Text verweisen, sind bereits Beleg genug dafür, dass auch heute noch diese Rezension identifizierbar ist. Im Einzelnen sehen die weiteren Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der Untersuchung ausgewählter Papyri, Inschriften und anderer archäologischer Objekte wie folgt aus: i.

ii.

iii.

iv.

v.

Das hier dargebotene Vorgehen eröffnet einen Weg, die Datenfülle für die Psalmen in Papyri, Inschriften und weiteren archäologischen Objekten beherrschbar zu machen. Grundsätzlich erweisen sich Textzeugnisse, die mehr als nur einen Psalmenvers – oftmals auch nur einen Teil davon – aufweisen als weniger bedeutend für die Erforschung des lukianischen bzw. antiochenischen Texts als umfangreichere. Dennoch könnte gerade dieser eine unberücksichtigte Textzeuge dann eine interessante Lesart beinhalten, die trotz aller Fehlerhaftigkeit und der Freiheit der textlichen Gestaltung von Psalmenversen durch die Schreiber und Kopisten als antiochenisch gelten mag. Eine konsequente Kategorisierung des Datenmaterials ist notwendig, so dass anhand von ausgewählten Beispielen die Kategorien selbst hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für die Erforschung des lukianischen bzw. antiochenischen Texts in den Psalmen bewertet werden kann. Entsprechend werden, beispielsweise um auf eine vorhin angesprochene Gruppe zu rekurrieren, die Armbänder wenig zu diesem Zweck beitragen. Für eine eingehende Orientierung über die Erforschung des lukianischen bzw. antiochenischen Texts sei empfohlen, dass die Arbeit mit den Objekten beginnt, die zusammenhängende Textpassagen überliefern. Mit dem so erworbenen Einblicken und Erkenntnissen fällt die Suche nach lukianischen Elementen in fragmentarischen Objekten und Einzelversen leichter. Die Sammlung der verfügbaren Daten über Papyri und Inschriften selbst stellt durchaus eine Aufgabe dar: Natürlich bilden dabei RahlfsFraenkel und van Haelst einen sehr wichtigen Ausgangspunkt für eine erste Orientierung. Gerade die in dieser Studie vorgestellte Art von Textzeugnis, eben ohne die umfangreichen und meist gut bekannten Kodizes, verlangt eine Durchsicht von weiteren Hilfsmitteln, wie etwa der Leuven Database of Ancient Books, und letztendlich der Editionen von Papyri, Inschriften und anderen archäologischen Objekten selbst. Bei allem Optimismus bedarf es bei einer Betrachtung von Textzeugen wie der hier vorgestellten zu Ps 90 immer auch der Anerkennung von

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objektiven Grenzen bzw. von alternativen Erklärungsmustern: So sind manche Lesarten und Varianten eher der individuellen Befähigung und Sorgfalt eines Schreibers und Kopisten zu verdanken, als dass sie einer konkreten Rezension zuzuweisen sind. Für fragmentarische Papyri und Inschriften gänzlich rekonstruierte Wörter und Passagen müssen stets als solche behandelt werden, sind sie doch Geschöpfe des Editors und faktisch nicht auf dem Objekt vorhanden. Auch kann eine als vermeintlich lukianisch bzw. antiochenisch identifizierte Lesart durchaus schon älter und damit anderen Ursprungs sein.47 Zudem sind Psalmen auch Einzeltexte für sich mit einer jeweils ganz individuellen Textgeschichte, was die Betrachtung des Psalters als Ganzheit für diese Themenstellung nicht gerade erleichtert. vi. Die zuvor für V.2b und V.6a von Ps 90 herausgestellten Lesarten sind sehr wohl als Spuren des lukianischen bzw. antiochenischen Texts zu begreifen,48 so dass durchaus die Papyri und die Inschrift von Kertsch als Textbelege für diese Lesarten zu gelten haben. Die Wankelmütigkeit hinsichtlich der Verwendung von Á¸ţ muss noch eingehender und anhand von weiteren Manuskripten und Objekten beobachtet werden. Auffälligkeiten hinsichtlich einer eigenwilligen Verwendung des griechischen Artikels waren bislang nicht zu beobachten.49 vii. Die im vorliegenden Fall beleuchteten Papyri und Inschriften stehen für eine beachtliche geographische Stratifikation von bestimmten Elementen, die dem lukianischen bzw. antiochenischen Text zuzuordnen sind. Näheres ergibt sich erst bei genauerer Erforschung des weiteren Datenmaterials. viii. Um konkret einzelne Aspekte des lukianischen bzw. antiochenischen Texts aufspüren und identifizieren zu können, bedarf es einer methodisch sachgerechten Kriteriologie, die auch im komplexen Geflecht von Textversionen und Textrezensionen Bestand haben wird. Welche Charakteristika machen letztendlich den lukianischen bzw. antiochenischen Text aus? Wie ist eine Lesart / eine Variante definitiv als lukianisch bzw. antiochenisch zu erweisen? Ab wann gilt eine ganze Passage bzw. ————— 47

Vgl. die Beispiele bei Kreuzer, „Die Bedeutung“, 19–31. Vgl. Fn. 42. Daniel, „A Christian Amulet on Papyrus“, 401: „The only significant variants are the additions of ¹Ç¾¿ŦË ÄÇÍ and of Á¸ţ in vs. 22, which may indicate the influence of traditions within the Lucianic mss.“ Ders., „LXX Psalm 90,1–4 and 7–9“, in: F.A.J. Hoogendijk/P. van Minnen (Hg.), Papyri, Ostrace, Parchments and Waxed Tablets in the Leiden Papyrological Institute (PLB 25; Leiden: Brill, 1991) 26–29 und Tafel IV, hier 27: „The only signifcant variants are the additions of ¹Ç¾¿ŦËÄÇÍ and of Á¸ţ in vs. 22. Both of these variants occur in most papyri, and both may indicate the influence of the Lucianic textual tradition.“ 49 Vgl. die grundsätzlichen Überlegungen zum Gebrauch des Artikels von T.J. Kraus, „Der Artikel im Griechischen: Nutzen einer systematischen Beschäftigung anhand von ausgewählten Syntagmata (Hab 1,12; Jud 17; Joh 6,32)“, RB 106 (2000) 100–112. 48

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der komplette Text eines Textzeugen als lukianisch bzw. antiochenisch? Wenngleich nicht viel und nichts Bahnbrechendes aufscheint, so hat sich die Arbeit an ausgewählten epigraphischen und papyrologischen Zeugnissen gelohnt, zumal sich dadurch die textliche Tradition der konkreten Menschen der damaligen Textwelt eingrenzen lassen wird. So ist der lukianische bzw. antiochenische Text, zumindest wenn man die Situation der Lesarten für Ps 90,2b.6a auf den gesamten Psalter übertragt, gerade dort verbreitet, wo und wann man die einzelnen Textzeugen letztlich verortet. Genauere Nachweise und Zusammenhänge können aber erst ein größeres Projekt in dieser Hinsicht sowie die grundsätzliche Erforschung des lukianischen bzw. antiochenischen Texts der Psalmen erbringen.

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Der lukianische bzw. antiochenische Text der Psalmen

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Kreuzer, S., „Das frühjüdische Textverständnis und die Septuaginta-Versionen der Samuelbücher. Ein Beitrag zur textgeschichtlichen und übersetzungstechnischen Bewertung des Antiochenischen Textes und der Kaige-Rezension an Hand von 2Sam 15,1–12“, in: W. Kraus/O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’ Alexandrine (OBO 238; Fribourg: Academic Press Fribourg / Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 2009) 3–28. – „Die Bedeutung des Antiochenischen Textes für die älteste Septuaginta (Old Greek) und für das Neue Testament“, in: K. Martin/S. Kreuzer/M. Sigismund (Hg.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen (ANTF 43; Berlin/New York: de Gruyter, 2010) 13–38. – „Towards the Old Greek. New Criteria for the Evaluation of the Recensions of the Septuagint (especially the Antiochene/Lucianic Text and the Kaige-Recension)“, in: M.K.H. Peters (Hg.), XIII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Lubljana 2007 (SBL.SCS 55; Atlanta, GA: Society of Biblical Literature, 2008) 239–253. – „Translation and Recensions: Old Greek, Kaige, and Antiochene Text in Samuel and Reigns“, BIOSCS 43 (2009) 34–51. Kulakowsky, J., „Eine altchristliche Grabkammer in Kertsch aus dem Jahre 491“, RQ 8 (1894) 49– 87, 309–327. La’da, C./Papathomas, A., „A Greek Papyrus Amulet from the Duke Collection with Biblical Excerpts“, BASP 41 (2004) 93–113. Leclercq, H., „Antioche“, in: Cabrol, F./Leclercq, H. (Hg.), Dictionnaire d’Archéologique Chrétienne et de Liturgie (vol. I; Paris: Letouzey et Ané, 1924) 2359–2427. Milne, J.G., Catalogue général des Antiquités égyptiennes du Musée du Caire: Nos 9201–9400, 26001–26123, 33001–33037. Greek Inscriptions (Kairo 1905 / Nachdruck: Osnabrück: Otto Zeller Verlag, 1977). Oesterley, W.O.E., „A Lost Uncial Codex of the Psalm“, ET 17 (1905/06) 353–358. Pintaudi, R., „16. Amuleto cristiano: LXX, Ps 90.4–13 (MS 244/4)“, in: ders., Greek Papyri. Volume I, Manuscripts in the Schøyen Collection 4 (Florenz: Gonelli, 2004) 55–56. Préaux, C., „Une amulette chrétienne aux Musées Royaux d'Art et d'Histoire de Bruxelles“, CdE 10 (1935) 361–370. Prentice, W.K., Greek and Latin Inscriptions (Part III of the Publications of an American Archaeological Expedition to Syria in 1899–1900 3) (New York: The Century Company, 1908). Rahlfs, A./Fraenkel, D., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments. Bd. I,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004). Taylor, B.A., The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns. Volume 1: Majority Text (HSM 50; Atlanta: Scholars Press, 1989). – The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns. Volume 2: Analysis (HSM 51; Atlanta: Scholars Press, 1992). Traditions of Magic in Late Antiquity, University of Michigan (by Gideon Bohak; www.lib.umich. edu/traditions-magic-late-antiquity/def1.display.html; letzter Zugriff vom 17.6.2011). Treu, K., „LXX, Psalm 9, 12–25 auf Einzelblatt (P.Rain.Cent. 24)“, in: Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek: Papyrus Erzherzog Rainer (P. Rainer Cent.) (Wien: Hollinek, 1983) 268 (no. 24 u. Tafel 47). Vogüe, M. de, Syrie centrale. Inscriptions sémitiques. Bd. 1 (Paris: Baudry, 1868–1877). Waddington, W.H., Inscriptions grecques et latines de Syrie recueillies et expliquées (Paris: Didot, 1870).

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III Der Antiochenische Text in Bezug zur neutestamentlichen Überlieferung

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Jong-Hoon Kim

Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate aus dem Zwölfprophetenbuch1 1. Einleitung Das Neue Testament ist ohne die Grundlage des Alten Testaments nicht zu verstehen. Dieser Sachverhalt manifestiert sich auch in den neutestamentlichen Zitaten aus dem Alten Testament, und zwar aus seiner griechischen Gestalt, d.h. aus der Septuaginta. In diesem Sinne hatte Jellicoe recht, als er formulierte: „He who would read the New Testament must know Koiné; but he who would understand the New Testament must know the Septuagint.“2 Wenn man sich näher mit den Zitaten im Neuen Testament beschäftigt, stellt sich allerdings alsbald die Frage nach der Textform, und zwar nicht nur im Blick auf das Verhältnis zum hebräischen oder zum griechischen Text,3 sondern auch und noch mehr im Blick auf Unterschiede zwischen den griechischen Textformen. Bis jetzt orientieren sich die Forschungen vor allem daran, ob die neutestamentlichen Zitate direkt aus einem Manuskript stammten, oder aus dem Gedächtnis der neutestamentlichen Autoren und ob bzw. wieweit die Zitate dabei frei rekonstruiert oder auch der Intention des Autors angepasst wurden. In neuerer Zeit wurde, insbesondere auf Grund der biblischen Texte aus Qumran, zunehmend deutlich, dass der Text des AT um die Zeitenwende noch nicht fixiert, sondern flexibel und auch vielgestaltig war.4 Diese Pluri—————

1 Der vorliegende Beitrag wurde gefördert von der „National Research Foundation of Korea“ der koreanischen Regierung (NRF-2010-332-A00048). 2 S. Jellicoe, „Septuagint Studies in the Current Century“, JBL 88 (1969) 191–199, bes. 199. 3 Nach N. Fernández-Marcos, The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Version of the Bible (Leiden/Boston/Köln: Brill, 2000) 324, weichen die wörtlichen Zitate in 212 Fällen vom MT ab, während nur in 185 Fällen ein Unterschied zur LXX besteht. – Allerdings sind solche statistischen Zahlen, insofern sie von einer modernen Edition ausgehen, die keineswegs mit den Texten identisch sein müssen, die der jeweilige Autor zur Verfügung hatte, problematisch. Darüber hinaus ist praktisch nicht unterscheidbar, ob ein Autor wirklich einen hebräischen, (proto)masoretischen Text verwendete, oder einen auch formal eng an das Hebräische angepassten Text, wie ihn die Kaige-Rezension repräsentiert. 4 Zu diesem Thema siehe: S. Kreuzer, „Von der Vielfalt zur Einheitlichkeit – Wie kam es zur Vorherrschaft des Masoretischen Textes?“, in: A. Vonach u.a. (Hg.), Horizonte biblischer Texte – FS für Josef M. Oesch zum 60. Geburtstag (OBO 196; Fribourg: Academic Press Fribourg, 2003) 117–129. Um die Zeitenwende gab es, wie Tov darstellte, zumindest fünf deutlich voneinander unterscheidbare hebräische Textformen: (1) In der qumranischen Schreiberpraxis geschriebene Texte, (2) Protomasoretische (oder: protorabbinische) Texte, (3) Präsamaritanische Texte, (4)

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formität des hebräischen Textes beeinflusste auch die Textgestalt der Septuaginta, und zwar gerade auch zu der Zeit, als die neutestamentlichen Autoren daran gingen, ihre Schriften abzufassen. Von daher stellt sich die Frage, welche Form des alttestamentlichen Textes von den neutestamentlichen Autoren zitiert wurde. Dabei ist es wahrscheinlich, dass ein Zitat aus einer der uns bekannten Texttraditionen stammt oder ihr zumindest erkennbar nahe steht. Aber um welche Textform handelt es sich? Sind die neutestamentlichen Zitate auf die ursprüngliche Septuaginta, die sog. Old Greek, zurückzuführen, oder sind sie aus einer Rezension wie etwa der Kaige-Rezension zitiert? Es ist auch wichtig zu fragen, ob sie mit dem antiochenischen Text etwas zu tun haben. Wenn sich eine Beziehung der neutestamentlichen Zitate mit dem antiochenischen Text bestätigt, dann ist auch umgekehrt das Neue Testament für den antiochenischen Text von Bedeutung und zwar neben dem qumranischen Text und neben der von Josephus bezeugten Textform. Diese Frage ist von hohem Interesse, wurde aber bisher – nicht zuletzt auch auf Grund des Verdiktes von Rahlfs – noch wenig erforscht.5 In diesem Sinne geht es beim vorliegendem Beitrag um die Frage: In welcher Form waren die alttestamentlichen Texte den neutestamentlichen Verfassern zugänglich? Dabei beschränken sich die Erörterungen dieses Vortrags auf das Zwölfprophetenbuch. Außerdem werden im Wesentlichen nur die konkreten Zitate aufgenommen, nicht aber die in der Ausgabe Nestle-Aland (NA 27)6 ebenfalls aufgelisteten Anspielungen. Denn es ist oft kompliziert und auch unsicher, mit den Anspielungen eine bestimmte Textform zu verbinden. ————— Texte, die der zu rekonstruierenden Vorlage der LXX nahestehen, (5) Unabhängige Texte; siehe dazu: E. Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible (Minneapolis, MN: Fortress Press, 22001) 114–117; S. Kreuzer, „Text, Textgeschichte und Textkritik des Alten Testaments. Zum Stand der Forschung an der Wende des Jahrhunderts“, ThLZ 127 (2002) 127–156, bes. 132–135. Die Textformen der LXX waren damals ebenfalls vielfältig: Die Ur-LXX, der antiochenische Text, die Kaige-Rezension usw. Siehe zur Diskussion um die vielfältigen Textformen der LXX im Bereich von 2Sam: J.-H. Kim, Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9 (BZAW 394; Berlin/New York: de Gruyter, 2009) bes. 402–416. 5 Hier spielt nach wie vor die Meinung von A. Rahlfs eine große Rolle, der in seiner Untersuchung zu den Psalmen (1907) und zu den Königebüchern (1911) Übereinstimmungen des Antiochenischen Text mit Josephus und dem Neuen Testament als sekundäre Beeinflussungen erklärte und beiseite schob: A. Rahlfs, Der Text des Septuaginta-Psalters, nebst einem Anhang: Griechische Psalterfragmente aus Oberägypten nach Abschrift von W.E. Crum (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1907); ders., Lucians Rezension der Königsbücher (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1911). 6 E. Nestle/K. Aland, Novum Testamentum Graece (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 27 2006) 27.

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Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate

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In der Liste der Zitate und Anspielungen in NA 27 werden die Zwölfpropheten in NT insgesamt 46 Mal kursiv gekennzeichnet, d.h. als direkte Zitate angegeben.7 Viele dieser Stellen bieten keine besonderen Varianten zwischen den Textzeugen. Darüber hinaus ist bei manchen Stellen eine Zitation aus dem Gedächtnis gut möglich. In diesem Sinne werden hier nur solche Beispiele vorgestellt, wo sich Besonderheiten der Textformen bzw. der Textgeschichte gut erkennen lassen.

2. Hos 11,1//Mt 2,15: Eine Aquila-Form bei Matthäus Die Beziehung zwischen einer der jüngeren jüdischen Übersetzungen, wie sie in der Hexapla bezeugt sind, und dem neutestamentlichen Zitat ist zwar selten erkennbar, aber sicher beachtenswert. Direkt vor der Erzählung vom Kindermord des Herodes in Mt 2,16–18, und zwar im Kontext der Flucht Jesu nach Ägypten, wird Hos 11,1 zitiert. In Mt 2,15 steht „ëÆĊºįÈÌÇÍëÁÚ¼ʸÌġÅÍĎĠÅÄÇÍ“ (Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen). Die neutestamentliche Textüberlieferung lässt hier keine Abweichungen erkennen. Das Zitat im Matthäusevangelium stimmt wesentlich mit dem Masoretischen Tex (MT) überein (' 1– ’ +– '= – :† š 9š -–':x ™ 8’ ]– /K – ). Allerdings bietet die Septuaginta an dieser Stelle einen anderen Text. Sie übersetzte mit „Á¸ĖëÆĊºįÈÌÇÍļ̼ÁÚ¼ʸÌÛÌñÁŸ¸ĤÌÇı“ (Aus Ägypten habe ich seine Kinder gerufen), was ein gegenüber dem MT anderes Suffix #'1+ '=:9 -':8//# als Vorlage voraussetzt. Dabei ist wohl, sozusagen exegetisch, mit Israel an Jakob = Israel gedacht, den Jahweh nach Mal 1,2f. liebte, und an seine Nachkommen, die dann aus Ägypten gerufen, d.h. herausgeführt wurden. Im Allgemeinen wird zu diesem Fall angenommen, dass der Evangelist gemäß dem MT zu dem für ihn besser passenden Singular korrigierte.8 In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Minuskelhandschrift 86 aus dem 9.–10. Jh. zu Hos 11,1 einen fünfspaltigen hexaplarischen Text bietet, nämlich die Transkription des hebräischen Textes; Aquila; Symmachus; LXX und Theodotion.9 ————— 7

Siehe die betreffenden kursivierten Stellen, NA27, 798–800. Z.B. D.A. Hagner, Matthew 1–13 (World Biblical Commentary 33A; Dallas: Word Books, 1993) 36; Archer-Chirichigno sortierten dieses Zitat zu ihrer Gruppe E, d.h. zu den Stellen, die den Eindruck erwecken, dass der NT-Verfasser im Licht des Kontextes den AT-Text frei modifizierte. Siehe dazu: G.L. Archer/G. Chirichigno, Old Testament Quotations in the New Testament (Eugene: Wipf & Stock, 1983) xxviii u. 146f. 9 Siehe dazu die Wiedergabe der Handschrift bei F. Field, Origenis Hexaplorum Fragmenta quae supersunt; sive Veterum Interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum Fragmenta, Bd. II (Oxford: Clarendonianus, 1874) 957; wie auch bei J. Ziegler (Hg.), Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum. Autoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum XIII (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1984) 172. 8

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166 (1) (2) (3) (4) (5)

Jong-Hoon Kim

ÇÍļÄÄÀÊɸÀÄ . Á¸Ė¸А ÈÇÀАºŧÈÌÇÍ Ȉ. ëÆÀАºŧÈÌÇÍ ȅȚޫ ȅǯ. Á¸ĖëÆÀАºŧÈÌÇÍ Ĭ.

Á¸É¸¿À ¼АÁŠÂ¼Ê¸ ÁšÁ¾̸À ļ̼ÁŠÂ¼Ê¸ ¼АÁŠÂ¼Ê¸

¸¹¸ÅÀ(=MT) ÌġÅÍĎŦÅÄÇÍ ÍĎŦËÄÇÍ ÌÛÌšÁŸ¸ĤÌÇı ¸ĤÌġÅÍĎŦÅÄÇÍ

Hier kann man zunächst erkennen, dass alle jüngeren Übersetzungen die Wiedergabe von 0C— mit ÍĎŦË bieten. D.h. sie waren mit der Wiedergabe in der Septuaginta nicht mehr einverstanden. Insbesondere gibt Aquila das Wort 0C— kaum mitÌšÁÅÇÅ wieder, sondern fast immer mit ÍĎŦË.10 Diese Tendenz passt gut zu seiner stark formal hebraisierenden und konkordanten Übersetzungstechnik. Der Aquila-Text entspricht am genauesten dem MT, während Symmachus passiv formuliert und Theodotion offensichtlich den Satz verkürzt und das Objekt „(ich gewann) ihn (lieb)“ jetzt vor „meinen Sohn“ steht, wodurch dies zur Apposition wird. Nach diesen Textzeugen steht Aquila dem Zitat im Matthäus-Evangelium am nächsten. In der Hs 86 ist an dieser Stelle noch eine Scholie hinzugefügt: „ÇŧÌĿ ëÏÉŢʸÌÇ ĝ ¸Ì¿¸ėÇËբ ĸË ĞÍÌÑË ìÏÇÅÌÇË »¾ÂÇÅŦÌÀ ÌÇı ?¹É¸ŤÁÇı ĸËÁ¸Ė ĝ ե ÷ÉÄŢżÍʼ“ (Das verwendete Matthäus, was im Hebräischen offenbar so steht, wie Aquila auch so wiedergab).11 Diese Textform ist auch bereits bei Eusebius bezeugt.12 Der Verfasser dieser Scholie kannte somit auch die Nähe des Matthäuszitates zum Aquilatext, wobei er zugleich auf die Entsprechung zum hebräischen Text hinwies. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Aquila durch das Matthäus-Evangelium beeinflusst wurde. Dagegen kann man an dieser Stelle vermuten, dass das Zitat im Matthäus-Evangelium aus einem gemäß dem MT hebraisierten griechischen Text stammt, der nun in der Übersetzung von Aquila am klarsten erkennbar ist, der aber älter ist und vielleicht auf die Kaige-Tradition zurückgeht.

3. Joel 3,1–5//Apg 2,17–21: Zitate aus der Kaige-Gruppe13? In Apg 2,17–21 wird das Orakel von Jo 3,1–5a zitiert. Das ist eines der berühmtesten neutestamentlichen Zitate. Joel weissagt eigentlich die Geist—————

10 Nach den Aquila-Fragmenten ist die Wiedergabe ÌšÁÅÇÅ für 0C— nur zweimal zu erkennen. Ps 2,7 und Prov 31,28 (dort mit dem Siglum von ÇĎÂй). Vgl. dazu J. Reider, An Index to Aquila (VT.S 21; Leiden: Brill, 1966) 235 und 242–243. 11 Field, Origenis Hexaplorum Fragmenta II, 958; wie auch Ziegler, LXX-Gö XIII, 172. 12 Vgl. Euseb., Eclog. Prophet., 112; Field, Origenis Hexaplorum Fragmenta II, 958. 13 In Anlehnung an Barthélemy verwende ich hier den Begriff Kaige-Gruppe, um zu signalisieren, dass es bei der Kaige-Rezension eine gewisse Bandbreite in der konkreten Umsetzung des Grundanliegens geht. Siehe dazu: D. Barthélemy, Les Devanciers d’Aquila (VT.S 10; Leiden: Brill 1963) 31–47.

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Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate

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gießung an alle Menschen, die am Tag Jahwes geschehen wird. Bei der Pfingstpredigt des Petrus in der Apostelgeschichte wird aber dieses Orakel zitiert, um das Pfingstenwunder in Apg 2,1–11 zu interpretieren. Im Großen und Ganzen stellt das Zitat die wortgetreue Wiedergabe der schriftlichen griechischen Grundlage dar. Das bestätigt die wörtliche Übereinstimmung zwischen Jo 3,5a LXX, Apg 2,21 und Röm 10,13. Im längeren Zitat der Apostelgeschichte gibt es allerdings gegenüber dem hebräischen und griechischen AT-Text auch einige Abweichungen, die nicht unbedeutend sind. 3.1 Joel 3,1//Apg 2,17 Zunächst ist der Unterschied zwischen Á¸Ė ìÊ̸À ļÌÛ ̸ı̸ im Joel-Text und Á¸ĖìÊ̸ÀëÅ̸ėËëÊÏÚ̸ÀË÷ÄñɸÀË14 im Zitat zu betrachten. Die Wiedergabe von Joel ist eine übliche Übersetzung des hebräischen Textes, der mit —y :— %”   ™ !„'š !š ’#) identisch war.15 Dagegen setzt das Zitat in der dem MT (0)¡' Apostelgeschichte eine andere Vorlage voraus. In Jes 2,2 lässt sich dieselbe griechische Wendung erkennen wie in der Apostelgeschichte. Jes 2,2 LXX: Jes 2,2 MT:

ĞÌÀìÊ̸ÀëÅ̸ėËëÊÏÚ̸ÀË÷ÄñɸÀË -'/– šQ!™ =':– %” ™ C’ ! š'!š ’#

Das Zitat in der Apostelgeschichte ist eigentlich identisch mit Jes 2,2. Somit stellt sich die Frage, ob der Verfasser der Apostelgeschichte diesen Teil auf Grund seiner eschatologischen Intention von Jesaja heranzog,16 oder ob die Grundlage des Verfassers schon anders als die Septuaginta war. Aber wenn man die sonstige Wortwörtlichkeit des Zitats in Betracht zieht, dann kann man nicht ausschließen, dass die griechische und vermutlich auch schon die hebräische Textform des Zitats tatsächlich von der Septuaginta und dem MT abgewichen war. Das ist auch insofern wahrscheinlich, als sich die Formel Âñº¼Àĝ¿¼ĠË, die vielleicht !#!' -ž ’117 voraussetzt, nur in der Apostelgeschichte findet. Jedenfalls spiegelt sich hier eine weitere, aus dem Hebräischen übersetzte, griechische Textform wider. ————— 14

ļÌÛ̸ı̸ in Cod. B wurde vermutlich gemäß dem AT-Text korrigiert. Zur Wiedergabe mitļÌÛ ̸ı̸ für 0)¡' —y :— %”   ™ , siehe: Kim, Die hebräischen und griechischen Textformen, 74. 16 M. Menken/S. Moyise (Hg.), The Minor Prophets in the New Testament (Library of New Testament Studies 377; New York: T&T Clark International, 2009) 63. Vgl. G.J. Steyn, Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum (Kampen: Kok Pharos, 1995) 86–88. Hier schreibt Steyn die Änderung zu Lukas zu. 17 Vgl. Jes 41,14. Tatsächlich haben Kod. D (5. Jh. n.Chr.) und E (6. Jh. n.Chr.) ÁŧÉÀÇË anstelle von ¿¼ĠË. 15

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In der Septuaginta finden sich zwei weitere Varianten: Zunächst das Verbum ëÁ޼ľmit oder ohne vorangestelltem Á¸ţ. Die Kodizes B-S und die antiochenische Texttradition (L) lesen mit Á¸ţ, dagegen fehlt es im Kod. W wie auch im Zitat der Apostelgeschichte. Der hebräische Ausdruck ! š'!š ’# 0)¡' — :— %”   ™ , also im futurischen Sinne, ist im MT nur an unserer Stelle bestä— :— %” ™ '!– ’'Û#  ™ noch öfter vor, nämlich im Imperfectigt. Im MT kommt aber 0)¡' tum consecutivum in Bezug auf die Vergangenheit.18 In diesen Fällen wird das finite Verb ohne Ausnahme mit Waw nachgestellt. Wenn aber 0)¡' — :— %” ™ allein verwendet wird, kommt das finite Verb ohne Waw.19 An unserer Stelle darf dann das nachgestellte Verbum mit Waw-copulativum erwartet werden, weil mit ! š'!š ’# eine Tempusangabe vorangeht, auch wenn diese hier futurisch ist. In diesem Sinne ist das vorangestelle Waw in den Kodizes B-S wie auch im antiochenischen Text (L) zu verstehen. Gegenüber der RahlfsAusgabe wurde diese Variante in der Göttinger Edition als sekundär aufgefasst, stattdessen wurde der Text aus dem Kodex W aufgenommen, der gemäß dem MT und dem hebräischen Text aus Wadi Murabba‘at den Text ohne Kopula bietet. Auch wenn die Ursprünglichkeit schwer zu entscheiden ist, spiegelt das Zitat in Apg auf jeden Fall die dem Proto-MT nahestehende Tradition wider. Auch von da her ist die in B, S und L bezeugte Textform wahrscheinlich die ältere. Weiter lässt sich eine unterschiedliche Anordnung der Sätze erkennen (MT/LXX: Söhne/Töchter-weissagen[A]//Alten-Träume[B]//Jünglinge-Gesichte[C]; Apg: A// C//B). Die Anordnung des neutestamentlichen Zitats könnte, wie Steyn meinte,20 nach dem Alter hierarchisch umsortiert sein. Das wird richtig sein, aber meiner Meinung nach war diese Umstellung schon in der Vorlage der Apostelgeschichte durchgeführt. Denn es gibt keinen kontextlichen Grund für die Änderung in der Petrus-Predigt. 3.2 Joel 3,2//Apg 2,18 Am Anfang des Verses ist hier ein im NT ganz selten vorkommender Ausdruck, nämlich Á¸Ė º¼ zu lesen. Diese Form kommt im NT nur zweimal vor, nämlich an unserer Stelle und noch in Apg 17,27, wo aber kein Zitat sondern vermutlich eine durch eine hebraisierende griechische Version beeinflusste Redewendung vorliegt. Diese Á¸Ė º¼ wurde aber in einigen Handschriften zu den im Griechischen üblichen Ausdruck Á¸ţÌÇÀ21 oder Á¸ţÌÇÀ ————— 18 Ri 16,4; 1Sam 24,6; 2Sam 2,1; 8,1; 10,1; 13,1; 21,18; 1Chr 18,1; 19,1. Vgl. 0)—v ':— %” ™ /— '!– ’'Û#  ™ in 2Sam 15,1. 19 Ex 11,1; 1Sam 9,13; 2Sam 24,10; Jes 1,26; Hi 3,1. 20 Steyn, Septuagint Quotations, 88. 21 P74 (7. Jh.) A (5. Jh.) E (8. Jh.) 945 (11. Jh.) 1891 (10. Jh.).

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Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate

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º¼22 korrigiert. Denn im Griechischen soll zwischen Á¸ţ und º¼ ein Wort eingefügt werden.23 Zudem, wie bereits bekannt, ist dieser Ausdruck eine der berühmten Besonderheiten der Kaige-Rezension.24 Dementsprechend steht an unserer Stelle im hebräischen Bezugstext - ™ ’#, was auch im Text aus dem Wadi Murabba‘at gut erkennbar ist. D.h. - ™ ’# ist zweifellos der ursprüngliche Text. In der Septuaginta steht aber nur Á¸Ė. Diese Wiedergabe verweist in die Phase vor der Kaige-Rezension, d.h. zur ursprünglichen Septuaginta. Diese Wiedergabe haben die Kodizes W B S und der antiochenische Text (L). Die übrigen Handschriften lesen Á¸Ė º¼ wie im Zitat der Apostelgeschichte. Jedenfalls lassen sich hier zwei Textformen klar erkennen: Die ursprüngliche Septuaginta nur mit Á¸Ė und eine Variante mit Á¸Ė º¼, die sehr wahrscheinlich vom Sprachgebrauch der Kaige-Rezension beeinflusst ist. Bei der nächsten Variante des Verses hat das Zitat gegenüber dem MT und der Septuaginta zusätzlich das Possessivpronomen ÄÇÍ: LXX: MT: Apg-Zitat:

ëÈĖÌÇİË»ÇįÂÇÍËÁ¸ĖëÈĖÌÛË»ÇįÂ¸Ë =L%r 6š i’ !¡+ ™ 4™ ’# -'x – š 4” !¡+   š 4™ ëÈĖÌÇİË»ÇįÂÇÍËÄÇÍÁ¸ĖëÈĖÌÛË»Çį¸ËÄÇÍ

Wie Steyn meinte,25 könnte diese Variante eine Interpretation sein. Aber es ist nicht klar, wem die Interpretation zuzuschreiben ist, nämlich entweder dem Verfasser der Apostelgeschichte oder der Septuaginta. Ferner findet sich ein Zusatz im Zitat, nämlich Á¸ĖÈÉÇξ̼įÊÇÍÊÀÅ. Nach dem vorangestellten Vers ist das die Wiedergabe von KC’ –1 ’#. Wenn der hebräische Text so wäre, würde er mit dem vorangestellten Vers einen guten Parallelismus bilden: ëÁϼľÒÈġÌÇıÈżįĸÌĠËÄÇÍեեեÁ¸ĖÈÉÇξ̼įÊÇÍÊÀÅ (Apg 2,17) ... ëÁϼľÒÈġÌÇıÈżįĸÌĠËÄÇÍբÁ¸ĖÈÉÇξ̼įÊÇÍÊÀÅ (Apg 2,18) Leider ist außerhalb des NT kein Textzeuge dafür vorhanden, um die Textform zu bestimmen. Andererseits gibt es aber auch keinen befriedigenden ————— 22

(4. Jh.) 323(12. Jh.) 1739(10. Jh.). Siehe dazu BDR §439,2; LSJ 340. 24 Zu den Besonderheiten der Kaige-Rezension: Z.B. P. Katz, „Frühe hebraisierende Rezensionen der LXX“, ZAW 69 (1957) 77–84; K.G. O'Connell, „Greek Version (Minor)“, IDBS (1962) 377–381; M. Smith, „Another Criterion for the kai,ge Recension“, Bib 48 (1967) 443–445; J.A. Grindel, „Another Characteristic of the Kaige Recension: xcn/nikoj“, CBQ 31 (1969) 499–513; S. Jellicoe, „Some Reflections on the Kaige-Recension“, VT 23 (1973) 362–365; H. Avalos, „Deu/ro/deu/te and the Imperatives of $lh. New Criteria for the ‚Kaige‘ Recension of Reigns“, Estudios Bíblicos 47 (1989) 165–176. 25 Steyn, Septuagint Quotations, 81–82. 23

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Grund dafür, diesen Ausdruck für die Hinzufügung des Verfassers der Apostelgeschichte zu halten. Immerhin fällt auf, dass im Kontext von Apg 2 nicht auf das Prophezeien Bezug genommen wird. Jene, auf die der Geist gefallen war, predigen (V. 4). Von Prophetie ist nur bei den Worten Davids aus Ps 16 die Rede (V. 30). 3.3 Joel 3,3//Apg 2,19 In diesem Vers hat das Zitat wieder Zusätze gegenüber dem MT und der Septuaginta. Im Zitat steht Á¸Ė »ļÊÑ Ìñɸ̸ëÅ ÌŊ ÇĤɸÅŊ ÓÅÑ Á¸Ė ʾļė¸ ëÈĖÌý˺ýËÁÚÌÑ, wovon das gegenüberstellende ÓÅÑ– ÁÚÌÑ und das Wort ʾļė¸ sowohl im MT als auch in der Septuaginta fehlen. Das Wortpaar ÌñɸË//ʾļėÇÅ steht in der Septuaginta hauptsächlich für =6L/ — //=L.26 Allerdings ist die Ordnung der Wörter immer umgekehrt, nämlich ʾļėÇÅ//ÌñɸË. D.h. ʾļė¸ im NT-Zitat setzt vermutlich keine hebräische Vorlage voraus, stattdessen wurde es in der griechischen Tradition parallel zu Ìñɸ̸hinzugefügt. Die nächste Variante ëÅÌŊÇĤɸÅŊÓÅÑ... ëÈĖÌý˺ýËÁÚÌÑsetzt eigentš 4™ ’# +4™ ]™ /– -–'/™ iš C™ voraus.27 Dieser Ausdruck lich im Hebräischen =%™ kš /– 7:˜ š !¡+ bildet noch einen besseren Parallelismus. Ein Korrektor des Kod. S schrieb in den Joel-Text nachträglichÓÅÑ interlinear hinein. Diese Korrektur wurde scheinbar durch das Zitat der Apostelgeschichte beeinflusst. Allerdings ist noch fraglich, warum er nur ÓÅÑ hineinschrieb, obwohl sein NT-Text nicht nur ÓÅÑ sondern auch ÁÚÌÑvorhanden war. Zudem ist interessanter Weise im Kod. W nur ÁÚÌÑ vorhanden. Das besagt vermutlich, dass der Text an dieser Stelle bis zum 2. Jh. n.Chr. nicht fixiert war, und dass es damals sicherlich neben dem Proto-MT und der Ur-LXX weitere griechische Traditionen gab. In der Apostelgeschichte wurde dann der längere Text zitiert. Insgesamt ergibt sich somit: Das Zitat von Joel 3,3 in Apg 2,19 ist zwar nicht eindeutig der Kaige-Rezension zuzuordnen, aber es zeigt ein entsprechendes sprachliches Charakteristikum („kaige“) und insbesondere auch die typischen Merkmale der genauen Anpasssung an den (Proto-)Masoretischen Text. Leider fehlt dieser Vers in der Naμal „ever Rolle. Die Erweiterungen zeigen eine Parallelisierung (Wunder – Zeichen) und Vervollständigung (oben – unten). Diese könnten durch den neutestamentlichen Autor erfolgt und von da aus in die Handschriften eingedrungen sein. Allerdings gibt es keine kontextspezifischen Gründe für eine Änderung und liegen die Differenzen im Prinzip jenseits des jeweiligen Anliegens. Insofern und auf dem ————— 26 27

Ex 7,3; Dtn 4,34; 7,19; 26,8; 29,3(2); 34,11; Ps 77(78),43; 104(105),27; Jer 39(32),20. Ex 20,4; Dtn 4,39; 5,8; Jos 2,11; 1Kön 8,23.

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Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate

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Hintergrund der erkennbaren Textgeschichte ist es wahrscheinlicher, dass diese Erweiterungen schon in dem vom neutestamentlichen Autor verwendeten Septuagintatext bzw. in dessen hebräischer Vorlage vorhanden waren.

4. Der antiochenische Text in den neutestamentlichen Zitaten 4.1 Hos 2,1b//Röm 9,26 In Röm 9,25–26 werden Hos 2,23 (LXX = 2,25 MT); 2,1b nacheinander zitiert. Im Römerbrief wurden die beiden Verse abgesehen von den jeweiligen alttestamentlichen Kontexten durch jene Vorstellung verbunden, dass „ĝÇĤ¸ĠËÄÇÍ“ zu „ĝ¸ĠËÄÇÍ“ wird. Das Umbenennungsthema von Hosea wurde im Licht der Völkerheilszusage interpretiert. Insbesondere Röm 9,26 ist interessant in Bezug auf die Texttradition. Das Zitat lässt in den Textzeugen einige Abweichungen erkennen. Zunächst kann man erkennen, dass das Zitat näher zur griechischen Texttradition als zum hebräischen Text steht. Denn -!˜ +š :/… — š —' im MT wie auch in 4QXIId ([-!]+) ist im Griechischen sinngemäß mit Á¾¿ûÊÇÅ̸À wiedergegeben. Im hebräischen Impersonale kann das indirekte Objekt des passivischen Verbums mit der Präposition + verdeutlicht werden.28 Der unpersönliche Ausdruck des hebräischen Textes wurde in der griechischen Übersetzung mit dem pluralischen Passivfutur des transitiven Verbums Á¸ÂšÑ wiedergegeben. Deswegen darf dann im Griechischen keine Wiedergabe für -!˜ +š stehen. Die wortwörtliche Wiedergabe des hebräischen Textes findet sich im vorangestellten Satz desselben Verses: ëÉÉñ¿¾ ¸ĤÌÇėË. Somit kann man gut vermuten, dass die Grundlage des Zitats eine griechische Version war. Es gibt aber auch noch eine andere Abweichung vom griechischen Text der Göttinger Edition.

-k˜v ™ ']„ – 4¡ ™ œ +  -{ !˜ +š :/… — š —'¡:f˜ ” -L9€ /’ C– ! š'!š #‚   ’ MT: LXX-Gö: Á¸ĖìÊ̸ÀëÅÌŊÌĠÈĿÇīëÉÉñ¿¾¸ĤÌÇėËÇĤ¸ĠËÄÇÍĨļėË Röm: Á¸ĖìÊ̸ÀëÅÌŊÌĠÈĿÇīëÉÉñ¿¾¸ĤÌÇėË֒ÇĤ¸ĠËÄÇÍĨļėËëÁ¼ė ӶԉԌԆӻԁӿӾӿԍӺԃԎӻԎԍդ-= '/3¡+ -!+ :/'¡:f -#9/ !'!# -f Das Zitat im Römerbrief hat gegenüber dem MT, dem qumranischen Textzeugen (4QXIId) und der Göttinger Edition zusätzlich ëÁ¼ė. Die Göttinger Edition folgt hier den Kodizes W B S. Dagegen steht ëÁ¼ė in den Kodizes A V wie auch in den antiochenischen Textzeugen. In seiner Ausgabe ließ Rahlfs diesen Text als den Haupttext stehen. ————— 28

Vgl. Jes 4,3; 19,18; 32,5; 61,6; 62,4.

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Die Frage ist, woher dieser Zusatz kam, und worauf er sich bezieht. Zunächst besprechen wir die letztere Frage. Im Griechischen muss das Bezugswort von ëÁ¼ėdas nachgestellte Á¾¿ûÊÇÅ̸À sein, damit es sinngemäß im Satz stehen darf. Auf diese Weise verstanden sowohl Nestle-Aland 27 als auch die Göttinger Edition den Text, denn die beiden Ausgaben machten einen Absatz vor ëÁ¼ė. Dann lauten die Sätze: „Und es wird geschehen: Am Ort, wo ihnen gesagt wurde: Ihr seid Nicht-Mein-Volk. Dort werden sie gerufen ...“ In diesem Verständnis bildet ëÁ¼ė mit vorangestelltem ëÅÌŊÌĠÈĿeinen Parallelismus. Dieses Verständnis ist aber von der hebräischen Syntax her zu hinterfragen. Das hängt mit der oben gestellten ersten Frage, nämlich nach der Herkunft dieses Zusatzes zusammen. Ist das Wort ëÁ¼ė als die Wiedergabe des hebräischen Äquivalents zu betrachten, oder als ein Einschub im Griechischen? Die zu erwartende Vorlage von ëÁ¼ė ist gewiss -fš . Dann ist aber die Syntax vom Hebräischen her anders zu erklären. Im Hebräischen kann dieser Ortsbegriff auf das Relativum zurück verweisen.29 In der Septuaginta wird das Relativum mit dem rückverweisenden -fš auch mit ĞÈÇÍ... ëÁ¼ė wiedergegeben, z.B. Ri 18,10 LXX-B; Ruth 3,4; Koh 9,10 [!/f]. Dieser Ausdruck ist auch im NT (Apk 12,6. 14) zu finden und als ein Septuagintismus erkennbar.30 Für uns ist insbesondere der Fall von Ri 18,10 interessant. Wie oben erwähnt, ist die Wiedergabe nur im Kod. B und in einer dadurch beeinflussten Minuskelhandschrift (Brooke-McLean: q; bei Rahlfs; Ms. Nr. 120; Venedig, Bibl. Marc., Gr. 4; 11. Jh.) belegt, dagegen geben die übrigen Handschriften (Ra: LXX-A) ÇīեեեëÁ¼ė wieder. Es ist hier klar, dass diese beiden Wiedergaben Alternativen darstellen. Dieses Beispiel bestätigt dann deutlich, dass sich das Wort ëÁ¼ė in Röm 9,26 nicht auf Á¾¿ûÊÇÅ̸À bezieht, sondern auf das Çī, und dass es gut auf eine hebräische Grundlage zurückgeführt werden kann. In diesem Sinne stammt ëÁ¼ė im griechischen Text aus einer gegenüber dem MT und der Septuaginta unterschiedlichen hebräischen Vorlage, in der dementsprechend -fš vorhanden war. In dieser Vorlage fungierte dann das Wort -fš als Rückverweis auf das Relativum. Allerdings könnten sowohl der antiochenische Text als auch die Grundlage des neutestamentlichen Zitats das Wort an unserer Stelle als den Parallelismus zu -#9/ aufgefasst haben. Deshalb beließen sie die WiedergabeëÁ¼ė, die eigentlich im Griechischen pleonastisch ist. Demgegenüber wurde das betreffende Wort im Proto-MT und in der darauf hin bearbeiteten Septuaginta weggelassen. Möglicherweise wurde die Ortsangabe im Proto-MT weggelassen, um die Heilsankündigung nicht lokal (Nordreich/Samaria) gebunden zu sehen. ————— 29 30

Siehe dazu: GK §138 c; JM §158j; BroS §152b; HALAT 1430. Z.B. Gen 13,3; 2Sam 15,21. Vgl. BDR §2972.

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Meines Erachtens ist die ältere Textform von Hos 2,1b im antiochenischen Text bezeugt und auch im neutestamentlichen Zitat erkennbar. Die konkrete Textgestalt weist darauf hin, dass ein vom MT abweichender hebräischer Text die Vorlage bildete. 4.2 Am 5,25–27a//Apg 7,42–43 In Apg 7,42–43 bei der Rede des Stephanus ist Am 5,25–27a zitiert. Bei Amos wird zunächst davon gesprochen, dass die Israeliten in der Wüste 40 Jahre keine Opfer darbrachten, worauf unmittelbar die Kritik folgt, dass sie andere Götter bzw. deren Symbole verehrten, nämlich Sakkut und Kewan. In der Geschichtsrekapitulation von Apg 7 wird im Anschluss an die Erzählung vom Goldenen Kalb die Amosstelle zur Konkretisierung der folgenden Strafe herangezogen. In der handschriftlichen Überlieferung sind einige unterschiedliche Textformen erkennbar. Zunächst schauen wir die Textzeugen an: MT: ª+:g' =' !1f -'3: :/ '+¡-=f! !%1/# -'%$! C B A B-V(LXX-Ra): ÄüÊÎÚºÀ¸Á¸Ė¿ÍÊĕ¸ËÈÉÇʾÅñºÁ¸ÌñÄÇÀëÅÌĉëÉûÄĿ̼ÊʸÉÚÁÇÅ̸ì̾ÇčÁÇË Êɸ¾Â A B C W (LXX-Gö): ÄüÊÎÚºÀ¸Á¸Ė¿ÍÊĕ¸ËÈÉÇʾÅñºÁ¸ÌñÄÇÀ̼ÊʸÉÚÁÇÅ̸ì̾ÇčÁÇË Êɸ¾Â B C A:  ÄüÊÎÚºÀ¸Á¸Ė¿ÍÊĕ¸ËÈÉÇʾÅñºÁ¸ÌñÄÇÀëÅÌĉëÉûÄĿÇčÁÇË Êɸ¾Â̼ÊʸÉÚÁÇÅ̸ì̾ A C B Ant(L): ÄüÊÎÚºÀ¸Á¸Ė¿ÍÊĕ¸ËÈÉÇʾÅñºÁ¸ÌñÄÇÀ̼ÊʼÉÚÁÇÅ̸ì̾ëÅÌĉëÉûÄĿբÇčÁÇË`Êɸû B A C Apg: ÄüÊÎÚºÀ¸Á¸Ė¿ÍÊĕ¸ËÈÉÇʾÅñºÁ¸ÌñÄÇÀì̼̾ÊʼÉÚÁÇÅ̸ëÅÌĉëÉûÄĿբÇčÁÇË`Êɸû B' A C

Die Göttinger Edition bietet gemäß dem Kod. W den Text ohne den Teil-A, während die Kodizes B-V den MT vertreten. Außerdem ist die Reihenfolge sowohl im Kod. A als auch im antiochenischen Text wie auch im neutestamentlichen Zitat gegenüber dem MT umgestellt, wobei der antiochenische Text dem neutestamentlichen Zitat am nächsten steht bzw. diesem genau entspricht. Die Fortsetzung in Am 5,26 bzw. Apg 7,43 macht klar, dass das Zitat nicht aus der hebräischen sondern der griechischen Grundlage stammt.

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MT LXX-Gö -= ˜y gš ’1K Á¸ĖÒżÂÚ¹¼Ì¼ -)˜v V’ ’+/™ =KV„ 2– =| — ÌüÅÊÁ¾ÅüÅÌÇıÇÂÇÏ -r)'˜ /— +’ 8™ 0K „QV– =x — ’# -)' ˜v !— „Y“ { )LV ™ Á¸ĖÌġÓÊÌÉÇÅÌÇı¿¼Çı ĨÄľÅ ¸ÀθÅÌÇİËÌįÈÇÍË ¸ĤÌľÅ -=' x ˜ g– 4” :f† ˜ ” ÇĪËëÈÇÀûʸ̼

ª-)  ˜ +š î¸ÍÌÇėË

Apg Á¸ĖÒżÂÚ¹¼Ì¼ ÌüÅÊÁ¾ÅüÅÌÇıĠÂÇÏ Á¸ĖÌġÓÊÌÉÇÅÌÇı¿¼Çı ֙ĨÄľÅ֚31 t¸ÀÎÚÅբÌÇİËÌįÈÇÍË ÇĪËëÈÇÀûʸ̼ ÈÉÇÊÁÍżėÅ ¸ĤÌÇėË

Hier fällt zunächst auf, dass LXX und Apg gegenüber dem MT gemeinsam vom Zelt des Moloch sprechen. Die Bedeutung der masoretischen Vokalisierung von =KV2– ist nicht eindeutig.32 Gewiss sollte es vom Kontext her der Name einer heidnischen Gottheit sein, die in Israel verehrt wurde. Die Septuaginta las aber den Konsonantentext vermutlich auf Grund einer Meta™ (= ÊÁ¾ÅŢ), was in der Apostelgeschichte direkt aufgenomthesis als =VK2 men wurde. Interessanterweise wird diese Lesung in der qumranischen Tradition bestätigt. In der Damaskuschrift (CD VII,14–16) wird unsere Stelle ebenfalls zitiert und interpretiert.33 Hier findet sich derselbe Konsonantentext wie die zu erwartende Vorlage der Septuaginta. Andererseits las die Septuaginta anstelle -)˜ V’ +’ /™ (euer König) des MT den Namen einer heidnischen Gottheit, nämlich ÇÂÇÏ. Die griechische Wiedergabe setzt wahrscheinlich T+œ˜ / voraus, wie es auch in 2Kön 23,10; Jer 39(32),35 bestätigt wird. Die Vorlage der Septuaginta wie auch des ™ gegenüber -)˜ V’ +’ /™ =KV2– im MT. Zitats ist dann T+œ˜ / =VK2 Im folgenden Satz liegt eine gegeneinander umgekehrte Reihenfolge der Götternamen vor. Gegenüber der Reihenfolge )LV ™ (B) – 0KQV– (A) im MT steht ÌġÓÊÌÉÇÅ֕Ӣ֖ֈt¸ÀÎÚÅ֕ӡ֖ in der Septuaginta. Die genaue Bedeutung sowohl 0KQV– als auch t¸ÀÎÚÅ bleibt immer noch dunkel,34 und war es vermutlich auch für den Verfasser der Apostelgeschichte. Trotzdem übernahm er diesen LXX-Text. ————— 31

֙ĨÄľÅ֚fehlt in Kodd. B D. Zur Diskussion über dieses Wort, siehe F.I. Anderson/D.N. Freedman, Amos. A New Translation with Introduction and Commentary (AB 24A; New York/London: Doubleday, 1989) 204. 33 Der hebräische Text und die deutsche Übersetzung von E. Lohse, Die Texte aus Qumran (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964) 80–81: (+˜ ]˜ !™ 16 =VK2 ™ -!— !:Lk š !™ ':— 6’ 2– 9g˜ ]  š š '+— !• š /— -)' ˜ /— +’ 8™ 0K'V– =— ’# 15 -)˜ V’ +’ /™ =KV2– =— '=' – +— ’!– ’# … 14 14 ... Und ich will verbannen Sikkut, euren König, 15 und Kijjun, euer Bild, fort über die Zelte von Damaskus hinaus. Die Bücher des Gesetzes, sie sind die Hütte, 16 des Königs. 34 F.F. Bruce, The Acts of the Apostles. The Greek text with introduction and commentary (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 31990) 204. 32

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An dieser Stelle findet sich eine weitere Variante, nämlich bei den Personalsuffixen. Im MT stehen die Suffixe einheitlich in 2.m.pl. Dagegen bricht ¸ÀθÅÌÇİËÌįÈÇÍ˸ĤÌľÅ in der Septuaginta die Kasuskongruenz, wodurch der Sinn des Satzes gemeinsam mit dem weiteren Unterschied zwischen -)˜ +š und î¸ÍÌÇėË anders geworden ist. Während im MT alle genannten heidnischen Gottheiten von Israel verehrt werden, werden sie aber in der Septuaginta auf ihre heidnische Herkunft fokussiert. Dieser Unterschied ist vermutlich keine Sache der hebräischen Vorlage sondern eine sinngemäße Änderung des Übersetzers. Das Personalpronomen ¸ĤÌľÅ ist im Kod. W vorhanden. Dagegen fehlt es sowohl im Kod. A als auch im antiochenischen Text. Auch hier entspricht das NT-Zitat wieder dem antiochenischen Text. 4.3 Hab 2,3b–4//Hebr 10,37–38 (Gal 3,11; Röm 1,17) Hab 2,3b–435 wird in Hebr 10,37–38 zitiert, wobei die Reihenfolge der beiden Sätze von Hab 2,4 in Hebr 10,38 umgestellt ist. Diese umgestellte Reihenfolge wurde vermutlich vom Verfasser des Hebr verursacht. Seine Grundlage war sicher ein gegenüber dem MT auf eine unterschiedliche Vorlage zurückgehender griechischer Text, denn die Wiedergabe ĨÈÇÊ̼ĕ¾̸À („sich zurückziehen“) in V. 4a setzt nicht !+š a’ 4ž („aufgeblasen sein“) wie im MT voraus sondern, wie man denkt,36 ein durch eine Metathesis verursachtes !6š X’ 4ž .37 Darüber hinaus ist ¼Ĥ»ÇÁ¼ė kein Äquivalent für !:š f’ š' im MT, sondern eher für !8› :š .38 In diesem Sinne soll das Zitat nicht mit dem ProtoMT sondern mit der Septuaginta etwas zu tun haben. Trotzdem ist es wenig wahrscheinlich, dass seine Grundlage gegenüber dem hebräischen Text schon die Reihenfolge umgestellt wäre. Stattdessen müsste der Verfasser wegen seines Kontextes die Reihenfolge geändert haben, denn der folgende Vers (39) wird durch das umgestellte Zitat begründet, indem die beiden Verse einen Chiasmus bilden. In der Übersetzung der Lutherbibel lautet die Stelle folgendermaßen: A–38 Der Gerechte aber wird des Glaubens leben (Hab 2,4b), —————

35 Für eine neuere Diskussion dieser Stelle und ihrer neutestamentlichen Aufnahmen siehe W. Kraus, „Hab 2,3–4 in der hebräischen und griechischen Texttradition mit einem Ausblick auf das Neue Testament“, in: Th.C. Caulley/H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum / The Septuagint and Christian origins (WUNT 277; Tübingen: Mohr Siebeck, 2011) 153–173, der allerdings bezüglich der Variaten von etwas anderen Voraussetzungen ausgeht. 36 Vgl. Menken/Moyise, Minor Prophets, 118. 37 Hier spiegelt der griechische Text aus Naμal„ever (8„evXIIgr) noch eine weitere hebräische Tradition wider. In dieser Rolle ist mit ÊÁÇÌţ¸(„Finsternis“) wiedergegeben, was keinesfalls auf eine mit MT identische Vorlage sondern ziemlich sicher auf !+š 6— ” zurückzuführen ist. So ist in Dtn 28,29; Jes 8,22; 58,10. Vgl. in Ijob 3,6; 10,21(22); 23,17; Ps 90(91),6; Jes 29,18 steht ÊÁÇÌţ¸ für +6œ˜ . 38 Vgl. HR 569a–b.

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B– Wer aber weichen wird, an dem wird meine Seele keinen Gefallen haben (Hab 2,4a). 39 B'– Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, A'– sondern von denen, die da glauben und die Seele erretten. Weiter ist Hab 2,4b auch in Gal 3,11 und noch in Röm 1,17 zitiert. Diese beiden paulinischen Zitate sind faktisch identisch. In diesem kurzen Satz kann man folgende unterschiedlichen Textformen erkennen: MT 8„evXIIgr LXX-Gö(W) AL Hebr 10,38 Röm 1,17 Gal 3,11

! '˜ %’ –' L=† š1K/“ C˜ 9'Gx – 8™ ’# ĝ»ò»ĕÁ¸ÀÇËëÅÈĕÊ̼À¸ÍА ÌÇı½ûʼ̸À ĝ»ò»ĕÁ¸ÀÇËëÁÈĕÊ̼ļËÄÇͽûʼ̸À ĝ»ò»ĕÁ¸ÀÇËÄÇÍëÁÈĕÊ̼ļ˽ûʼ̸À ĝ»ò»ĕÁ¸ÀÇËÄÇÍëÁÈĕÊ̼ļ˽ûʼ̸À ĝ»ò»ĕÁ¸ÀÇËëÁÈĕÊ̼ļ˽ûʼ̸À ĝ»ĕÁ¸ÀÇËëÁÈĕÊ̼ļ˽ûʼ̸À

= MT !'%' '=1#/ 9'8# !'%' !1#/ '9'8# =L !'%' !1#/ 9'8# !'%' !1#/ 9'8#

Der Text aus Naμal „ever (8„evXIIgr) entspricht der protomasoretischen Tradition, die mit der Kaige-Rezension im Zusammenhang stehen sollte. Demgegenüber besteht im Kodex W ein kleiner Unterschied in Bezug auf die um die Zeitenwende in der Schreibung kaum unterscheidbaren Konsonanten Waw und Jod. Eine weitere Textform erkennt man im antiochenischen Text (L), der sich in diesem Fall auch im Kod. A widerspiegelt. Das Zitat im Hebräerbrief entspricht genau dieser Form. Im Vergleich mit den oben genannten beiden Textformen ist ein Konsonant in diesem Fall nach vorne bewegt. Die kürzeste Form in den paulischen Zitaten stellt eine weitere Tradition dar, die vermutlich auf die hebräische Vorlage zurückgeführt werden kann. Aufgrund zwei unterschiedlicher Zitate ist anzunehmen, dass all diese Textformen in der neutestamentlichen Zeit vorhanden waren. Interessanter Weise lassen sich die Unterschiede der Textformen durch die sehr ähnlichen Konsonanten Waw und Jod erklären. Solche Varianten finden sich auch in den qumranischen Texten, die zeitlich nicht weit vom NT entfernt sind.39 Jedenfalls ist bei diesem Zitat klar, dass dem Verfasser des Hebräerbriefs die antiochenische Textform zugänglich war.

5. Zusammenfassung Die neutestamentlichen Autoren lebten in jener Zeit, als der Text des Alten Testaments noch nicht fixiert war, sondern noch verschiedene Textformen —————

39 Z.B. in 1QpHab. Siehe zu diesem Thema: J.-H. Kim, „Intentionale Varianten der Habakukzitate im Pesher Habakuk – rezeptions-ästhetisch untersucht“, Bib 88 (2007) 23–37.

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überliefert wurden. Die Unterschiedlichkeit spiegelt sich, wie die vorliegende Untersuchung zeigte, dementsprechend auch in den neutestamentlichen Zitaten. Zwischen dem 2. Jh. v.Chr. und dem 1. Jh. n.Chr. kam es in der hebräischen Textüberlieferung zu einer Entwicklung von einer gewissen Pluriformität des Textes zur Konstituierung und zunehmenden Dominanz des Proto-Masoretischen Textes. Parallel dazu kam es auch zu einer Bearbeitung des Septuagintatextes, der dabei in der sog. Kaige-Rezension inhaltlich und formal an den hebräischen Bezugstext angepasst wurde. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt durch die Entdeckung der Naμal „ever Rolle gerade auch für das Zwölfprophetenbuch anschaulich geworden.40 In der neutestamentlichen Zeit war beides vorhanden, einerseits noch der Text der ursprünglichen Septuaginta, der besonders durch den antiochenischen Text aber auch durch zeitgenössische Zitate (Josephus, Neues Testament) bezeugt ist, andererseits die Kaige-Rezension, die stark hebraisiert war.41 Insgesamt waren den neutestamentlichen Verfassern beide Texttypen und dazu wohl auch der Proto-MT zugänglich. Zumindest ist klar, dass alle genannten relevanten Textformen in den neutestamentlichen Zitaten erkennbar sind. Ob dies auch für die einzelnen Autoren zutrifft, ist eine interessante Frage. Die untersuchten Belege aus dem Zwölfprophetenbuch zeigen, dass Paulus und dem Verfasser des Hebräerbriefes der antiochenische Text bzw. die ursprüngliche Septuaginta zur Verfügung stand, während der Verfasser der Apg Kaige bzw. Kaige-artige Text verwendete. Sowohl im Blick auf die Frage, welche Textformen vorhanden waren und benützt werden konnten, als auch im Blick auf die spezifische Verwendung bzw. Kenntnis bestimmter Textformen durch die einzelnen neutestamentlichen Autoren ist es wünschenswert, die Untersuchung auf das ganze Alte Testament bzw. alle Septuagintazitate im Neuen Testament zu erweitern.

Literatur Anderson. F.I./Freedman. D.N., Amos. A New Translation with Introduction and Commentary (AB 24A; New York/London: Doubleday, 1989). Archer, G.L./Chirichigno, G., Old Testament Quotations in the New Testament (Eugene: Wipf & Stock, 1983). Avalos, H., „Deu/ro/deu/te and the Imperatives of $lh. New Criteria for the ‚Kaige‘ Recension of Reigns“, Estudios Bíblicos 47 (1989) 165–176. Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila (VT.S 10; Leiden: Brill 1963).

————— 40

Vor allem durch Barthélemy, Les Devanciers. Siehe dazu u.a. S. Kreuzer, „Die Bedeutung des antiochenischen Textes für die älteste Septuaginta (Old Greek) und für das Neue Testament“, in: M. Karrer/S. Kreuzer/M. Sigismund (Hg.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament (ANTF 43; Berlin: de Gruyter, 2010) 13–38, und den einleitenden Beitrag in diesem Band. 41

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Antiochenische Textformen in neutestamentlichen Psalmzitaten in der Rezeption der christlichen Antike – eine textkritische Spurensuche

Der umständliche erste Teil des Titels spiegelt die sehr spezielle Fragestellung: Werden antiochenische Textformen bei den altkirchlichen Schriftstellern zitiert, wenn sie neutestamentliche Psalmzitate aufgreifen? Dieser mehrfache Filter bedingt denn auch den kürzeren zweiten Teil der Überschrift, der auf die überschaubare Menge der in Frage kommenden Fälle verweist. Diese Fälle bieten divergierende textkritische Gemengelagen, so dass ein kleines, gewiss unvollständiges Panoptikum dessen entsteht, was alles als Zitierverhalten möglich ist. Allerdings sind die insgesamt 14 hier vorzuführenden Texte von reichlich geringer Aussagekraft, so dass nach einer methodologischen Einleitung zunächst nach antiochenischen Psalterlesarten ohne neutestamentliche Bezugstexte in altkirchlicher Rezeption gefragt wird. Alfred Rahlfs hat bei einer Identität (von Teilen) der Septuagintalesarten mit dem neutestamentlichen Text auf die prägende Wirkung des letzteren verwiesen und zudem den lukianischen Text als reichlich jung beurteilt. Letzteres hat Siegfried Kreuzer mittlerweile mehrfach in Frage gestellt und forschungsgeschichtlich daran erinnert, dass in der Zeit vor Rahlfs diese Einschätzung keineswegs Konsens gewesen war; die sprachlichen Verbesserungen seien ebenso gut zur Zeit der Erstübersetzung wie zur Zeit des Märtyrers Lukian möglich; eine größere Nähe einer Lesart zum Masoretischen Text könne stets auch als Resultat einer sekundären Anpassung an den sich mittlerweile durchsetzenden Standardtext betrachtet werden.1 Für ersteres ist daran zu erinnern, dass es neben dieser Tendenz auch die umgekehrte Tendenz gibt, dass nämlich der alttestamentliche Text die Weitergabe des neutestamentlichen Textes beeinflusst. —————

1 S. Kreuzer, Das frühjüdische Textverständnis und die Septuaginta-Versionen der Samuelbücher, in: W. Kraus/O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France / Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie (OBO 238; Fribourg: Editions Universitaire Fribourg / Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009) 3–28, hier 11f. So hatte etwa A. Mez, Die Bibel des Josephus: untersucht für Buch V–VII der Archäologie (Basel: Jaeger & Kober, 1895), auf das mögliche hohe Alter des antiochenischen Textes in den Samuelbüchern vor allem für den Fall der Übereinstimmung mit Josephus verwiesen.

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Das Nebeneinander der beiden genannten Tendenzen impliziert methodisch, dass der Antiochenische Text Altes wie Neues nebeneinander enthalten kann. Deshalb muss m.E. die Erforschung einzelner Problemstellen der Erstellung eines Gesamtbildes voranstehen. Damit sind dann aber auch gewisse Schwierigkeiten mitgesetzt, denn bestimmte Textlesarten werden oft nicht nur ausschließlich von Ant geboten, und Tendenzen der Behandlung bestimmter Probleme einer hebräischen Vorlage werden nicht immer konsistent durchgeführt. In dieser Lage legt sich eine Besinnung auf die Kriterien zur Beurteilung von Verbreitung, Alter und Genese antiochenischer Handschriften nahe. Folgende, größtenteils bekannte Erwägungen können sich nahelegen. 1. Eine Lesart kann dann alt sein, wenn sie nicht nur vom Neuen Testament, sondern auch von Philo, Flavius Josephus und der Vetus Latina sowie in der frühen Patristik bezeugt wird. Die ersten drei genannten Punkte sind selbstverständlich, wenngleich für den Bereich der Psalmen zumeist gegenstandslos, die Bezeugung in der frühen Patristik muss in ihrem Aussagewert kritisch reflektiert werden. Lesarten, die nur im Lemma bezeugt sind, können sich sekundärer Angleichung seitens späterer großer christlicher Skriptorien verdanken; umgekehrt verweist die Divergenz zwischen Lemma und Kommentar keineswegs zwingend darauf, dass der betreffende altkirchliche Autor zwei verschiedene Texttraditionen kennt; es ist stets die paraphrasierende Eigenart so mancher altkirchlicher Literatur in Rechnung zu stellen. 2. Für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte sprachliche Veränderungen schon dem Old Greek oder erst der Zeit um 300 n.Chr. zuzutrauen sind, würde sich der Verweis auf zeittypische sprachliche Erscheinungen nahelegen. Hier ist die Altphilologie mit den Möglichkeiten der zeitlich differenzierenden Wortforschung gefordert. Einen Anhaltspunkt können Beobachtungen zum Verhalten der Korrektoren in den großen Codices ergeben. Hier ist mit Tendenzen der sprachlichen Verbesserung wie der Angleichung an andere Handschriften zu rechnen. 3. Altkirchliche Kommentatoren kommen gelegentlich auch auf die Qualität bestimmter Lesarten zu sprechen. Man muss jedoch auch diese Ausführungen kritisch lesen; so gibt es z.B. bei Hieronymus bestimmte allgemeine Vorgaben der Zielsetzung antiker Textkritik wie im speziellen seines textgeschichtlichen Bildes, die uns heutigen eine Aufnahme seiner Beobachtungen, aber ihre umgekehrte Wertung nahe legen.2 Die folgende Darbietung enthält eine Steigerung von relativer Unwirksamkeit bis relativer Wirksamkeit antiochenischer Lesarten; die zuletzt Vorzuführenden können auch im Verhältnis zum Masoretischen Text ge—————

2 Vgl. dazu M. Meiser, „Hieronymus als Textkritiker“, in: W. Kraus/M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Theologien, Einflüsse (WUNT 252; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010) 256–271.

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Antiochenische Textformen in neutestamentlichen Psalmzitaten

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würdigt werden. Es werden Variantenbildungen betrachtet, die theologisch schlichtweg unbedeutend sind. Doch gerade solche Varianten bieten bekanntlich am ehesten die Gewähr, dass nicht die Interessen alter und neuer Ausleger darüber finden, was der jeweilige biblische Autor eigentlich geschrieben, dieser oder jener altkirchliche Exeget als Vorlage gehabt hat. Sie sind deshalb wertvoll für die Aufgabe der Beschreibung dessen, wann sich welche Lesarten wie verbreitet haben.

1. Antiochenische Lesarten ohne Einfluss auf die Weitergabe des Psalmtextes 1.1 Ps 31,1a / Röm 4,7a Ps 31,1a B S 2013 1220 R ȂĮțȐȡȚȠȚ ĻÅ ÒΚ¿¾Ê¸Å ¸ĎÒÅÇÄţ¸À

Röm 4,7a; 1Clem 50,6

S Lpau ȂĮțȐȡȚȠȚ ĻÅ

U ȂĮțȐȡȚȠȚ ĻÅ

ȂĮțȐȡȚȠȚ ĻÅ

Òμţ¿¾Ê¸Å

Óο¼ÀʸÅ

ÒΚ¿¾Ê¸Å

¸ĎÒÅÇÄţ¸À

¸ĎÒÅÇÄţ¸À

¸ĎÒÅÇÄţ¸À

In Ps 31,1a.b ist die Textüberlieferung gespalten. In V. 1a lesen die Handschriften B S aus Unterägypten, 2013 (IV), 1220 (IV?) aus Oberägypten und R aus Verona (VI), die Textgruppe L' sowie die Handschriften Codex Alexandrinus, 1219 und 55 ÒΚ¿¾Ê¸Å, wie es auch in Röm 4,7a und in 1Clem 50,6 begegnet; wenige Handschriften des antiochenischen Textes lesen Òμţ¿¾Ê¸Å, der Kodex U aus Oberägypten (7. Jhdt.) liest Óο¼ÀʸÅ. Es erstaunt nicht, dass die Lesart Òμţ¿¾Ê¸Å in altkirchlicher Schriftauslegung und -rezeption3 keine Rolle spielt, auch nicht bei den antiochenischen Exegeten. Ähnlich unwirksam blieb der antiochenische Seitenzweig in der unmittelbaren Fortsetzung der Stelle. 1.2 Ps 31,1b und Röm 4,7b Ps 31,1b Ra U Lpau Rc Á¸ĖĻÅëȼÁ¸Âŧο¾Ê¸Å Á¸ĖĻÅÒȼÁ¸Âŧο¸Å ¸ĎÖĸÉÌţ¸À ¸ĎÖĸÉÌţ¸À

Röm 4,7b; 1Clem 50,6 Röm 4,7b Á¸ĖĻÅëȼÁ¸Âŧο¸Å ¸ĎÖĸÉÌţ¸À

————— 3

Auch Clemens von Alexandria, str. II 65,2, GCS 52, 148, bietet ÒΚ¿¾Ê¸Å.

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Die meisten Septuaginta-Handschriften bieten wie Röm 4,7 und 1Clem 50,6 ëȼÁ¸Âŧο¾Ê¸Å, der oberägyptische Codex U (VII), wenige antiochenische Handschriften und der Kodex R in einer Korrektur bieten ÒȼÁ¸Âŧο¾Ê¸Å. Auch diese an zweiter Stelle genannte Lesart habe ich in den Psalmkommentaren nicht gefunden, ebensowenig bei Johannes Chrysostomus und Theodoret im Römerbriefkommentar. Die Lesart ist vermutlich zu spät und zu gering bezeugt, um in der Exegese rezipiert zu werden.

2. Antiochenische Lesarten ohne weiteren Einfluss auf die Weitergabe des neutestamentlichen Textes 2.1 Ps 8,5 und Hebr 2,6 In Ps 8,5 ist das erste Wort im MT wie in 5/6„evPsalms !/,4 im Hauptstrom der Septuaginta-Überlieferung die neutrische Lesart Ìţ, ähnlich wie in manchen Kommentaren zu Ps 85 und zu Hebr 2 geboten.6 Sie ist Gert J. Steyn zufolge auch in Hebr 2,6 ursprünglicher. Doch wie ist die Lesart ÌţË entstanden, wie sie zu Ps 8,5 von wenigen Zeugen der antiochenischen Textform und vom Codex Alexandrinus, zu Hebr 2,6 von Pap. 46 geboten wird und im Psalmenkommentar des Apollinaris von Laodicea erscheint, damit also in Ägypten und der Asia minor belegt ist?7 Gert J. Steyn listet verschiedene Möglichkeiten auf: Entweder verdankt sie sich einer im Hebräerbrief vorliegenden christologischen Auslegung von Psalm 8, die dann auch in die Textüberlieferung des Septuagintatextes zurückwirkt,8 oder es liegt eine Angleichung des Hebräertextes an den Text des Codex Alexandrinus vor,9 oder es ist damit zu rechnen, dass das nachfolgende  von ————— 4

G.J. Steyn, „Two New Testament Papyri on the Quotations in Hebrews and their possible value in the reconstruction of LXX texts“, in: W. Kraus/M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Theologien, Geschichte (WUNT 252; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010) 238–255, hier 250f. 5 Origenes, selecta in Ps., PG 12, 1185 A; Athanasius, exp. Ps., PG 27, 81 C; Diodor von Tarsus, Ps., CC.SG 6, 47 (im Lemma), Johannes Chrysostomus, exp. in Ps., PG 55, 116; ferner Caesarius von Nazianz, Dial. III 136.160, PG 38, 1041. 1120; Augustinus, en. Ps. 8,10, CC.SL 38, 53; Cassiodor, in psalm., CC.SL 97, 92. Vgl. ferner Eusebius von Caesarea, theophan. I 46.74, GCS 11/2, 62.75. 6 Johannes Chrysostomus, hom. in Hebr. 4,1, PG 63, 37 (im Lemma); Theodoret von Kyros, in Hebr., PG 82, 689 D (im Lemma), sowie PG 82, 692 A (im Kommentar). 7 Apollinaris von Laodicea, Ps., PG 33, 1321 A. 8 K.J. Thomas, „The Old Testament Citations in Hebrews“, NTS 11 (1964/65) 303–325, hier 323; E. Gräßer, An die Hebräer. 1. Teilband (Hebr. 1–6) (EKK 17/1; Zürich/Braunschweig/ Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1990) 116. 9 H.W. Attridge, The Epistle to the Hebrews (Hermeneia; Philadelphia: Fortress Press, 1989) 71; H.-F. Weiß, Der Brief an die Hebräer (KEK 13; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,

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Antiochenische Textformen in neutestamentlichen Psalmzitaten

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  doppelt geschrieben, und zwar das erste Mal als  geschrieben wurde.10 2.2 Ps 30,6 und Lk 23,46 Zu Ps 30,6 bieten die meisten Handschriften das Futur ȸɸ¿ŢÊÇĸÀ; einige wenige antiochenische Handschriften das Präsens ȸɸÌţ¿¾ÄÀ. Zu Lk 23,46 bieten alte wichtige Zeugen die ebenfalls präsentische Form ȸɸÌţ¿¼Ä¸À11, die in der Forschung teilweise als bewusste Umsetzung des Zitates durch Lukas gilt12; hingegen lesen der Codex D, die f1-Gruppe und die wichtigen Handschriften 892 2542 al. ȸɸÌţ¿¾ÄÀ, während das Futur ȸɸ¿ŢÊÇĸÀ, offenbar als Korrektur in Richtung der überwiegenden Septuaginta-Handschriftentradition aufzufassen13, von der f13-Gruppe und vom Codex L 019 geboten wird und sich als Koinetext durchgesetzt hat. Die Differenz zwischen ȸɸÌţ¿¾ÄÀ und ȸɸÌţ¿¼Ä¸À legt den Schluss nahe, dass sich in der Frühzeit der neutestamentliche Text und die antiochenische Textform des Psalmtextes nicht gegenseitig beeinflusst haben. Der Standardtext zu Ps 30,6 mit dem Futur ȸɸ¿ŢÊÇĸÀ wird auch von den meisten altkirchlichen Auslegern im Lemma geboten14; erscheint im Kommentar ein Präsens, ist das m.E. kaum ein Hinweis auf die Bekanntschaft mit der antiochenischen Variante, sondern verdankt sich der paraphrasierenden Eigenart der jeweiligen Kommentierung. Bemerkenswert ist eher, dass vor allem im Westen die präsentische Lesart commendo15 Einfluss von Lk 23,46 zeigt, dass umgekehrt im Osten in den Lemmata der Septuagintatext sein Eigenrecht gegenüber dem neutestamentlichen Text bewahren konnte. Zu beachten ist aber generell, dass auch die lukanische präsentische Fassung nicht unbedingt erst durch Lukas geschaffen wurde, so dass in Lk 23,46 nicht von einem Zitat, sondern nur von einer Anspielung die Rede sein könne; Eberhard Bons rechnet mit ————— 1991) 194; M. Karrer, Der Brief an die Hebräer. Bd. I. Kapitel 1,1–5,10 (ÖTK 20/1; Gütersloh: Güterloher Verlagshaus, 2002) 168. 10 G.J. Steyn, „Some observations about the ‚Vorlage‘ of Ps 8:5–7 in Heb 2:6–8“, Verbum et Ecclesia 24 (2003) 493–514, hier 502f. (Lit!). 11 Pap. 75  A B C K P Q... 12 M. Müller, „Die Hinrichtung des Geistträgers. Zur Deutung des Todes Jesu im lukanischen Doppelwerk“, in: R. Gebauer u.a. (Hg.), Die bleibende Gegenwart des Evangeliums. FS O. Merk (MThSt 76; Marburg: Elwert, 2003) 45–61, hier 57. 13 F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 4. Teilband Lk 19,28–24,53 EKK 3/4; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag / Düsseldorf: Patmos, 2009) 491 Anm. 43. 14 Eusebius von Caesarea, Ps., PG 23, 65 C; Diodor von Tarsus, Ps., CC.SG 6, 174; Kyrill von Alexandria, Ps., PG 69, 860 A; Theodoret von Kyros, Ps., PG 80, 1080 A. Eine gewisse Ausnahme ist Apollinaris von Laodicea, Ps., PG 33, 1349 D (ȸɸ¿¼ţ¾Å). 15 Augustinus, en. Ps. 30 II s. 1,11, CC.SL 38, 199; en. Ps. 30 I, 6, CC.SL 38, 187.

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einer „uneinheitlichen Überlieferung der LXX“16 schon im 1. Jh. auch zu dieser Stelle.

3. Gespaltene NT-Texttradition und das Weiterwirken antiochenischer Textformen 3.1 Ps 31,2 und Röm 4,8 MT

':;A; ?C;H;;C;@L;GD?L;yEy OH>D?LyFyD;B;Hì;L 

14)

Á¸ţº¼39 ÒÈġÌýË ÷ÄñɸËբ úËëż̼ĕ¸ÌĠÄÇÀ¼čŸÀ ¼ĊËÓÉÏÇÅ̸¸ĤÌľÅ

14)

ëÅÌĉ`ÇÍ»¸ţßբ40ÒÈġ ìÌÇÍ˼ĊÁÇÊÌÇıïÑË ìÌÇÍË41ÌÉÀ¸ÁÇÊÌÇıÁ¸Ė »¼ÍÌñÉÇÍ

ëźĉ`ÇÍ»ŠբÒÈġìÌÇÍË ¼ĊÁÇÊÌÇıÁ¸Ė42ïÑËìÌÇÍË ÌÉÀ¸ÁÇÊÌÇıÁ¸Ė »¼ÍÌñÉÇÍ

ÒÈġÌýË÷ÄñɸËբ  úËëż̼ĕ¸ÌĠÄÇÀ¼čŸÀ ¼ĊËÓÉÏÇÅ̸¸ĤÌľÅ

————— 35

Langner: „Ja, so soll es sein“ Langner add. „(im Lobgesange)“. 37 Vgl. dazu ausführlich Langner, Nehemia, 22. @L;OD;H kann auch für »¼ÊÈŦÌ¾Ë (Lk 2,29; 1Tim 6,1.2; 2Tim 2,21) oder ¿¼ŦË (1Tim 6,1) verwendet werden. 38 Got. D;B könnte durchaus auch Á¸Àº¼ entsprechen; vgl. Langner, Nehemia, 16. Streitberg, Wörterbuch, führt diese Möglichkeit s.v. indes nicht auf. 39 Pr. Sc1 (restituit Sc2) L Compl (cf. MT); pr. et Aeth-B Arm Got. 40 ¼Å̾ ÇÍ»¸À¸ V L 55 Got. 41 Om. Á¸À¼Ñ˼ÌÇÍË 19. 42 Om. V 121-130-236-314-762 44 VL123 Got. 36

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Die gotischen Nehemia-Fragmente

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LN;EM;CLEM;OM43 É̸ƚÉÆÇÍ44ÌÇı ÌŊÉ¿¸Ê¸Ê¿Šբ ìCO>;HCM ¹¸ÊÀšÑËբ45   yCOG ÄÇÍ47ÇĤÁëθºŦļÅ48ж 14) 14) Und von dem Tag an, an welVon dem Tage an, an dem er mir 49 chem er mir befahl, ihr Vorsteher befohlen hatte, ihr Statthalter zu sein in Judäa zu sein, vom Jahr 20 bis im Lande Juda, vom 20. bis zum 32. zum Jahr 32 des Königs Artaxerxes (Regierungsjahr) des Arthasastha, – 12 Jahre (lang) – da aßen wir – (also) zwölf Jahre lang lebten ich ich und meine Brüder – nicht das und meine Brüder nicht von der Brot meiner Statthalterschaft. (persischen) Statthalterschaft. Anm. zum gr. (insb. antiochen.) Text: om. vonÁ¸ţ (bei: Á¸ĖïÑËìÌÇÍË֖ in 121 VL und Got] Da die Hälfte der AntHss. hier das Á¸ţ bieten, könnte man geneigt sein, diese Lesart als die ursprünglich antiochenische anzusehen (zumal 19 die komplette Phrase auslässt). Jedoch bietet die älteste Hs., 121 das Á¸ţ eben nicht und unterstützt so die kürzere gotische Lesart. Die Tatsache, dass auch VL123 diese kurze Lesart bietet, erweist die Lesart als alt und praelukianisch. Die Tatsache, dass auch weitere gr. Hs. dieser kurzen Lesart bieten, könnte ein Indiz sein, dass diese Lesart OG entspricht. Die anderen Ant-Hss. zeigen sich daher als sekundär an die Mehrheitslesart angepasst. längere Lesart É̸ƚÉÆÇÍÌÇı¹¸ÊÀšÑË in Ant] Hier trifft sich nun die AntHauptgruppe ohne 121 mit VL und Got. Das Zusammentreffen von VL und L spricht auch hier für eine praelukianische Textstufe. 121 schert aus —————

43 Conj. M. Snædal, On Uppströms version of Nehemiah 7:8–45 (Gotica Minora III; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004) (wie schon Bernhardt in der ed. 1884), vgl. Streitberg, Wörterbuch: „Arta[r]ksairksaus“. Die Hs. liest LN;LEM;CLEM;OM. 44 artaxersae VL : artaxesi Arm. Der Name ist in der gr. Überlieferung in vielen Varianten überliefert. Siehe hierzu LXXGÖ-App. 45 L VL123 Arm Got (cf. 4,7; 7,7); add. ÌÑ ¹¸ÊÀ¼À Sc Compl = MT. 46 L VL123 Got (XII annis VL; ib Got); ¼ÌÀ 93. 47 L´ VL123 (om. ÄÇÍ = MT) Got Compl = MT. 48 L´ 248 Aeth Arm Got Compl. 49 Langner übersetzt „Statthalter“ und setzt „(Vorsteher)“ als Erläuterung dahinter. Ich übersetze hier @;OL;G;ìF?CM konkordant zum folgenden Vers mit „Vorsteher“ um den Eindruck zu vermeiden, hier baue das Gotische terminologisch einen Gegensatz zwischen der Führerschaft Nehemias und seiner Vorgänger auf. Alternativ könnte man in beiden Versen „Statthalter“ übersetzen. Jedoch nennt Vers 17 eine größere Zahl von @;OL;G;ìFDIM, bei denen es sich unmöglich um Statthalter handeln kann. Die Frage, ob es vor Nehemia schon Statthalter gab und Juda eine eigenständige Provinz darstellte, ist in diesem Kontext unerheblich. Vgl. aber zu dieser Frage K.D. Schunk, Nehemia (BKAT XXIII/2; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2009) 161–164.

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Marcus Sigismund

der Ant-Gruppe auch in der folgenden Lesart aus und scheint daher hier von einer anderen Textform beeinflusst. ÓÉÌÇÅÌýË÷º¼ÄÇÅţ¸ËÄÇÍ in Ant] Hier ist der Fall offenkundig. Got bezeugt mit allen Ant-Hss. und VL den praelukianischen Text, der interessanterweise hier näher an MT ist als andere Textformen, was sich durch verschiedene hebr. (Korrektur-)Vorlagen der jeweiligen gr. Textformen erklären lässt. ëθºŦļŠin Ant] Da Got mit L´ geht, ist die Lesart sicherlich als antiochenisch zu qualifizieren. Da eine Unterstützung durch VL zu fehlen scheint, ist jedoch fraglich, ob es sich um eine alte, praelukianische Lesart handelt. Hanhart (LXXGö z.St.) vermutet hier einen Einfluss durch die Vg. Das ist denkbar. Jedoch darf hervorgehoben werden, dass in Ablehnung älterer Forschungsmeinungen der Vg-Einfluss nicht in der gotischen Überlieferung zu verorten ist, sondern bereits in der griechischen Tradition, und offenkundig in einer recht frühen Stufe der Textgeschichte geschehen sein müsste, da die komplette Ant-Tradition und die beiden Versionen Aeth und Arm hiervon mit betroffen sind. Ebenso gut möglich scheint es mir, dass die antiochenische Tradition und die davon abhängigen Versionen das hebr. 'k– +’ )  ™ š (1. Sg. qal perf.) inhaltlich ganz richtig auf Nehemia und seine Brüder bezog und inhaltlich dann korrekt mit dem Plural übersetzte. Nicht ungewöhnlich ist es beispielsweise, dass das Verbum im Hebr. am Satzanfang im Singular steht, obgleich mehrere Subjekte folgen.50 Möglicherweise vermutete der Übersetzer hier eine ähnliche Technik. Anm. zu Differenzen Ant/ Got und LXXGö: in Judäa vs. im Lande Juda] Die griechische Mehrheitslesart imitiert hier offenkundig das hebr. !K! š ’' 7:˜ „ ˜ C’ . Ant/ Got formuliert so, wie man es auch in der griechischen Historiographie erwarten könnte. Es ist dies ein typisches Beispiel der Grundentscheidung: bot OG ein noch stark vom hebr. Original beeinflusstes Griechisch, das nachträglich von Lukian u.a. verbessert wurde, oder hat OG im Sinne eines guten, literarischen Griechisch formuliert und wurde nachträglich (wie wir es von der Á¸Àº¼Rezension, Aquila und Theodotion her kennen) an das Hebr. angepasst?

—————

50 Vgl. hierzu A.B. Ernst, Kurze Grammatik des Biblischen Hebräisch (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2008) § 53g.

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Die gotischen Nehemia-Fragmente 15)

Cì51@;OL;G;ìFDIM ì;C?CQ?CMOH@;OL;GCM E;OLC>?>OHìIG; H;A?CH D;BH?GOH ;NCG BF;COHìCT;CG;H;A ?CH CìCEHCN;QC>;MQ; @;OL;;H>Q;CLìD; ;ACMCMAO>CM 15)

15)

ÇĎ»òÓÉÏÇÅ̼ËÇĎ ìÄÈÉÇÊ¿šÅ52ÄÇÍ 빊ÉÍŸÅÁÂÇÀġÅëÈĖ ÌġŸġÅ53  Á¸Ė츹ÇÅ54 È¸ÉЏ¸ĤÌľÅ55 ÓÉÌÇÍËÁ¸ĖÇċÅÇÅ56 Á¸Ė57ìÊϸÌÇÅ ÒɺįÉÀÇÍ58բÊţÁÂÇÍË59 ̼ÊʸÉÚÁÇÅ̸բ Á¸ţº¼ÌÛȸÀ»ŠÉÀ¸ ¸ĤÌľÅëÁÍÉţ¼ÍʸÅ60ëÈĖ ÌġŸŦÅж ëºĽ»ò61ÇĤÁëÈÇĕ¾Ê¸ ÇĩÌÑËÒÈġÈÉÇÊļÈÇÍ ÎĠ¹ÇÍ¿¼Çıե

(Wohl) aber hatten die Vorsteher, die vor mir da waren, das Volk bedrückt und ihm Brote und Wein und sogar an Silber noch 40 Schekel genommen, und ihre Knechte hatten sich aufgespielt als die Herren des Volkes; ich aber tat nicht so aus Furcht vor Gott.

223

15)

Á¸ĖÌÛ˹ĕ¸ËÌÛË ÈÉļ̸ËբØËÈÉġëÄÇı ë¹ÚÉÍŸÅëÈЏ¸ĤÌÇİË  Á¸ĖëÂÚ¹ÇʸÅ È¸ÉЏ¸ĤÌľÅ ëÅÓÉÌÇÀËÁ¸ĖëÅÇċÅĿ ìÊϸÌÇÅÒɺįÉÀÇÅբ »ĕ»É¸Ïĸ ̼ÊʸÉÚÁÇÅ̸բ Á¸ĖÇĎëÁ̼ÌÀŸºÄñÅÇÀ ¸ĤÌľÅëÆÇÍÊÀÚ½ÇÅ̸À ëÈĖÌġŸĠÅբ Á¸ĖëºĽÇĤÁëÈÇĕ¾Ê¸ ÇĩÌÑËÒÈġÈÉÇÊļÈÇÍ ÎĠ¹ÇÍ¿¼Çıե

15)

Doch die ersten Statthalterschaften, die vor mir (waren), hatte man zu einer Last für sie werden lassen und hatte ihnen für Brot und Wein einen äußerst hohen Preis abverlangt, nämlich 40 Doppeldrachmen, und die auf ihrer Seite stehenden Verbannten waren gewalttätig mit dem Volk umgesprungen, ich aber handelte nicht so aus Furcht vor Gott.

Anm. zum gr. (insb. antiochen.) Text: init - Á¸ţ in Ant] Auch hier geht die komplette antiochenische Überlieferung inkl. Got mit VL konform. Es handelt sich also um eine praelukianische, recht alte Lesart. ————— 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Cì = »ò, es fehlt also der Artikel. ¼ÄÈÉÇÊ¿¼ 19. L´ VL123 AethA Arm Got Compl; cf. MT. Für ÁÂÇÀġÅ hat VL furcas; Got und Compl om. S* L 248 Compl. ¸ÍÌÇÍË 19. S* Aeth (beide ¸ÉÌÇÅ) L´ Got. Pr. Á¸À L´ Aeth Got. Cf. Vg. So L´ 71 Got. L´ VL123 (siclis) Got. Cf. Vg. L VL123 Aetha Got Compl; cf. MT. VL: Á¸ţº¼ = nam et; ëÁÍÉţ¼ÍʸŠ= dominabuntur. L VL123 Got : Á¸À¼ºÑ B´ S 46: Á¸ºÑ rell.

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224

Marcus Sigismund

ÓÉÌÇÍË Á¸Ė ÇċÅÇÅզ (Ant)] Da von L´ und Got gemeinsam getragen, entspricht diese Lesart eindeutig dem antiochenische Text, der hier jedoch nicht mit VL geht und daher wohl eher nicht praelukianisch ist. Á¸Ė (ìÊϸÌÇÅ֖] Eine kleine, aber insofern typische Stelle, als hier durch LXXGö (z.St. im App.) ein Einfluss der Vg vermutet wird. Wenn, dann müsste dieser Einfluss recht früh in der griechischen Tradition verortet werden. ÊţÁÂÇÍË (Ant/ cf. Got vs. »ĕ»É¸Ïĸ֖֚ Wenn LXXGö hier auf Vg verweist, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, da die Lesart auch schon durch die VL bezeugt wird und man fragen darf, was der Verweis auf Vg dann darüber hinaus bezeugen soll. Die Lesart ist in dieser Zeugenkombination definitiv praelukianisch. Ob sie deshalb auch OG entspricht, ist diskutabel. Denn da sie MT entspricht, könnte auch eine sehr frühe Anpassung an den hebr. Text vorliegen (wie sie in VL123 häufiger zu beobachten ist). Alternativ könnte man die Lesart auch als lectio difficilior verstehen, die vom Mehrheitstext in Richtung der allgemein bekannten Währung hin verbessert wurde. Á¸ţº¼ ÌÛ ȸÀ»ŠÉÀ¸ ¸ĤÌľÅ ëÁÍÉţ¼ÍʸÅ] Praelukianisch, auch wenn 121 ausschert. Anm. zu Differenzen Ant/ Got und LXXGö: init] Weitaus stärker als in der Mehrheitslesart wird in der antiochenischen Fassung auf die Personen bzw. auf das Amt des Archons abgezielt und diese bzw. deren Amtsführung als schuldig charakterisiert. Gleichwohl bleibt Ant damit offener als die Mehrheitslesart, da der Archon eine Führungspersönlichkeit der Fremdherrschaft, als auch die eigenen Führer bezeichnen kann. Wie 2Esdr 15,17 zeigt, denkt zumindest der gotische Text an die jüdische Führungsschicht, die ihren eigenen Leute Lasten auflegt. Im Übrigen deutet im Gotischen auch der Begriff auf diese Interpretation. Zwar kann, wie der Bedeutungsumfang in Vers 15,14 belegt, @;OL;G;ìF?CM inhaltlich für das Bedeutungsfeld der ÷º¼ÄÇÅţ¸ stehen. Jedoch ist diese Verwendung eher ungewöhnlich,62 und wie schon Langner in seinem Kommentar hervorhebt, ist @;OL;G;ìF?CM etymologisch betrachtet weder mit ÓÉÏÇÅ noch mit !%š a˜ in Deckung zu bringen, sondern trägt die Wortbedeutung „Wortführer, Redner“.63 Langner denkt an ein Versehen des Übersetzers, der hier von der vorangegangenen Szene der —————

62 Evtl. hier sogar ein Versehen, denn an der einzigen Stelle im NT (Lk 3,1), an der ÷º¼ÄÇÅţ¸ im Sinne von Statthalterschaft vorkommt, übersetzt das Gotische mit ìCO>CH;MMOM. Die Belegstellen von ÷º¼ÄŪÅ sind leider sämtlich nicht erhalten oder folgen einer Textform ohne ÷º¼ÄŪÅ. 63 Langner, Nehemia, 29f. Vgl. auch den Eintrag Streitbergs in seinem Wörterbuch s.v. Er vermerkt dort mit Verweis auf Lk 8,49 @;OL;G;ìF?CMMQH;AIA?CM als Synagogenleiter.

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Die gotischen Nehemia-Fragmente

225

durch Nehemia einberufenen Versammlung beeinflusst worden sei.64 Jedoch spricht der inhaltliche Zusammenhang von 2Esdr 15,17 gegen eine Fehlübersetzung. Vielmehr gibt Got die Interpretation des Ant getreu wieder. Dies würde freilich auch das Selbstverständnis des Nehemia in 2Esdr 15,14 betreffen, der sich dann nicht als Statthalter, sondern als Volksführer verstehen würde. Knechte (Ant) vs. Verbannte (LXXGö)] Ant bindet die Knechte an die Führer, und zielt auf das Verhalten ab, das nicht ihrem Stande entsprach. Der Mehrheitstext (d.h. LXXGö) interpretiert diese Personengruppe als Juden, die sich mit der Fremdherrschaft arrangiert hatten und ihr gutes Verhältnis zum Statthalter offenkundig ausnutzten. 16)

16) 16) D;BQ;OLMNQìCTIM Á¸ĖëÅìɺĿÌÇı Á¸ĖëÅìɺĿÌÇı >D;OMCHM ̼ĕÏÇÍËÌÇįÌÇÍ65 ̼ĕÏÇÍËÌÇįÌÑÅÇĤÁ70 ëÁÉÚ̾ʸբ QCHìC>; Á¸ÌţÊÏÍʸ66բ D;Bì;OLJHC Á¸Ė67ÒºÉġÅÇĤÁ ÒºÉġÅÇĤÁ A;MN;CMN;F> ëÁ̾ÊÚľÅж ëÁ̾ÊÚľÅж D;BìCQIMG?CH;C Á¸ĖÌÛȸÀ»ŠÉÀŠ68ÄÇÍ  D;B;FF;Cì;CA;FCM;H Á¸ĖÈÚÅ̼ËÇĎ Á¸ĖÈÚÅ̼ËÇĎ >;HM>Oì;GG; ÊÍžºÄñÅÇÀëÁ¼ė69ëÈĖÌġ ÊÍžºÄñÅÇÀëÁ¼ėëÈĖÌġ ìɺÇÅե ìɺÇÅե Q;OLMNQ; 16) 16) Und ich machte stark das Werk Und auch bei der Arbeit an der dieser Stadtmauer; und Land71 Mauer übte ich keinen Zwang geerwarb ich mir nicht; auch meine gen sie aus, ich erwarb mir auch Diener (nicht) und alle, die zu diekein Feld, und (ebenso handelten) sem Werk72 versammelt waren. alle diejenigen, die sich dort zur Arbeit versammelt hatten.

Anm. zum gr. (insb. antiochen.) Text: Á¸ÌţÊÏÍʸփëÁÉÚ̾ʸ] Unbedeutende Variation. Á¸ţ 2° (Ant)] VL erweist die von L und Got gebotene Lesart als praelukianisch. ————— 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Vgl. Langner, Nehemia, 29f. L 58 VL123 (illius VL) Got (cf. MT); pr. illius AethA (vid). So L Got(vid) : obtinui VL123. Pr. Á¸À L VL123 Aeth Got = MT. Den längeren Zusatz bieten L AethA Got (allerdings ohne Artikel). Om. Got = Vg : in illo VL123. Om. L Got Compl = MT. Langner add. „(Feld)“. Langner: „zum Werke“.

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Marcus Sigismund

Anm. zum Got: CHMQCHìC>;] Die in älteren Editionen des Codex Ambr. verzeichnete Lesart HC MQCHìC>; konnte durch die Neukollations Brauns korrigiert werden, wobei die Konjektur Ohrloffs (CHMQCHìC>;), der schon Kauffmann73 folgte, bestätigt wurde. Die letzte Edition von Streitberg ist dem aufgrund der Neukollation gefolgt, so dass die noch von Langner formulierte Unsicherheit inzwischen unnötig ist.74 Die Omission des ÇĤÁ erweist Got einmal mehr als Vertreter des Ant. Q;OLMNQಹCHMQCHìC>;] Die Phrase gibt den Sinn der griechischen Vorlage gut wieder, ist aber nur bedingt wörtlich, da waurstw der grammatischen Form nach in diesem Kontext Akk. Sg. ist, was eine logische Konsequenz des Verbes CHMQCHìD;H sein dürfte. ì;OLJ] Der Terminus ist nur hier bezeugt.75 Langner verweist darauf, dass eigentlich B;CìC der übliche Terminus für ÒºÉŦË ist.76 ìCQIMG?CH;C] Das Gotische verwendet hier ein Possessivpronomen für den possessiven Genitiv im Griechischen.77 Der Terminus þius dient dazu, das Verhältnis der bezeichnenden Person klar hervorzuheben. Es handelt sich nicht um einen Sklaven und Leibeigenen, sondern Diener im weniger abhängigem Verhältnis (also eher Diener). Got unterscheidet hier sehr genau und verwendet in seiner Übersetzung für die gleichen griechischen Ausgangswörter je nach Situation ganz unterschiedliche Begriffe.78 ëÁ¼ė in Ant und LXXGö] Ein analoges Wort hierfür fehlt im got. Text. Ob daraus ein Einfluss der Vg gefolgert werden kann, wo ebenfalls ein analoges Wort fehlt, ist kontrovers diskutabel.79 Auffällig ist, dass VL123 mit in illo eine Got (ì;GG;) recht ähnliche Lesart bietet. Möglicherweise liegt beiden eine anderweitig verlorengegangenen gr. Lesart zugrunde. >O] Hier >O cum Dat. zur Bezeichnung des Zweckes, analog zum gr. ëÈţ + Akk.

————— 73

Kauffmann, Beiträge, XXIX, 322. Vgl. aber Langner, Nehemia, 39. 75 Vgl. M. Snædal, A Concordance to Biblical Gothic, vol. II: Concordance (Reykjavíc: University of Iceland Press, 1998) s.v. (p. 1066). 76 Langner, Nehemia, 42. 77 Zum unbetonten casus obl. vgl. F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 121965 u.ö.), § 162. Zum Gotischen vgl. W. Streitberg, Gotisches Elementarbuch (Heidelberg: Winter, 1897 u.ö.) § 268f.; Langner, Nehemia, 32f. 78 Vgl. hierzu ausführlich Langner, Nehemia, 36–38. 79 Einen Einfluss nimmt unter anderem Ohrloff an (Bruchstücke, 274), dagegen spricht sich Langner aus (Nehemia, 42). 74

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Die gotischen Nehemia-Fragmente

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Anm. zu Differenzen Ant/ Got und LXXGö: Á¸ĖÌÛȸÀ»ŠÉÀŠÄÇÍ֚Die im Vergleich zu LXXGö längere Lesart ist, wie das Zusammengehen von L und Got belegt, klarer Bestand der antiochenischen Tradition. Ein praelukianischen Charakter kann diskutiert werden, es fehlen freilich – sieht man von AethA ab – Ant-unterstützende Indizien in der weiteren Überlieferung. 17)

D;B#O>;C?CMD;Bì;C @;OL;G;ìFDIMyLyD;ByHy AOG;H? D;Bì;CKCG;H>;HM;N OHMCMOMìCO>IGì;CG HOG;H;CQ?CMOH 17)

17)

Á¸ĖÇĎ ÇÍ»¸ėÇÀÁ¸ĖÇĎ ÓÉÏÇÅ̼Ë80բîÁ¸ÌġÅÁ¸Ė ȼÅÌûÁÇÅ̸81ÓŻɼËբ Á¸ĖÇĎëÉÏĠļÅÇÀÈÉġË ÷ÄÜËÒÈġÌľÅë¿ÅľÅ ÌľÅÁįÁÂĿ÷ÄľÅëÈĖ ÌüÅ82ÌÉÚȼ½ÚÅÄÇÍ ëƼÅţ½ÇÅÌÇ83ե

Und die Juden, sowohl die Vorsteher – 150 Mann, wie auch die, welche von den Heiden rings um uns herum zu uns kamen, wurden an meinem Tisch (gastfreundlich) aufgenommen.

17)

Á¸ĖÇĎ ÇÍ»¸ėÇÀբ îÁ¸ÌġÅȼÅÌûÁÇÅ̸ ÓŻɼËբ Á¸ĖÇĎëÉÏĠļÅÇÀÈÉġË ÷ÄÜËÒÈġÌľÅë¿ÅľÅ ÌľÅÁįÁÂĿ÷ÄľÅëÈĖ ÌÉÚȼ½ÚÅÄÇÍե

17)

Und es waren 150 Judäer, (die) zu meinem Tisch (kamen), dazu noch diejenigen, die von den uns umgebenden Völkerschaften zu uns kamen.

Anm. zum gr. (insb. antiochen.) Text: Á¸ĖÇĎÓÉÏÇÅ̼Ë] Wenngleich VL123 bereits Angleichungen an MT aufweist, so steht hier doch zu vermuten, dass diese Lesart als praelukianisch einzuschätzen ist. Denn sie erschwert das Verständnis eher, wie das Gotische (s.u.) zeigt, und ist somit als lectio difficilior zu bevorzugen. Anm. zum Got: #O>;C?CM] Eigennamen stehen üblicherweise ohne Artikel.84 D;B ì;C @;OL;G;ìFDIM] Es existieren zwei Gruppen: die Vornehmen der Juden und die aus der Diaspora heimkehrenden Juden.85 Das Gotische wird hier im Vergleich zum Griechischen etwas undeutlich. ;N] ;N cum Dativ entspricht ÈÉŦË cum Akk.86 ————— 80 81

VL123.

So L VL123 AethA (lib) Got Compl = MT. So B´ L 58 Aeth Got Sixt LXXR-H = MT (gegen 107-10-130-134-236-314-726 98 52); CL

82 So add. L´ 107. Das Gotische widerspricht dem nicht, da IM wirklich ein Gegensatz von Heiden und Christen meint, verdeutlicht die Übersetzung von Röm 9,24.87 ;H; ; G?CH;GG;] Die Nuance der Bewegung, die im ëÈţ cum Akk. mitschwingt, wird von Got nicht miterfaßt. Got fixiert sich mit ;H; cum Dat. auf den Ort selbst.88 ;H>HOG;H;CQ?CMOH] Q;M umschreibt hier wie üblich das im Gotischen nicht vorhandene Impf. Pass.89 18)

18֖ D;BQ;M@L;KOG;H Á¸ĖöźÀÅĠļŸ91¼ĊË >;ACMɹCTOBMNCOLy߰y ÷ÄñɸÅÄĕ¸ÅÄĠÊÏÇ˼đËբ   F;G;yKyD;B ÈÉĠ¹¸Ì¸ëÁ¼ÁÌÛðÆ92 A;CNM5y;y7 A;G;HQC>; Á¸ĖÏĕĸÉÇËëºĕżÌĠ93 Q;MGCM ÄÇÀ D;B;A;HMA;@ Á¸Ė»ÀÛ94»ñÁ¸÷Ä¼ÉľÅ Q?CH;FF;CìCT;C@CFOMH;C ÇčÅÇÅȸÅÌĖÌŊÈÂû¿¼À D;B;FF;CìCT;CG;H;A?CH ȸÅÌĖÌŊ¸Ŋ95ж Á¸ĖÈÉġË96ÌÇįÌÇÀË D;B;H;ìI;FF;BF;C@ @;OL;G;ìF?CMG?CHCM ÓÉÌÇÅ97 ÌýË÷º¼ÄÇÅţ¸Ë ÄÇÍ98  ÇĤÁë½Ţ̾ʸ99բ HCMIEC>; CHìCM?CHCE;OLC>?>D;O ĞÌÀ빸ÉŧÅ¿¾ÌġìɺÇÅ100 ìIG;H;A?CHCHì;CG ëÈĖÌġŸġÅÌÇıÌÇÅ101ե Q;OLMNQ;G […]. —————

18)

Á¸ĖöźÀÅĠļÅÇżĊË ÷ÄñɸÅÄĕ¸ÅÄĠÊÏÇ˼đËբ Á¸Ė102 ÈÉĠ¹¸Ì¸ðÆëÁ¼ÁÌÛ Á¸ĖÏĕĸÉÇËëºĕÅÇÅÌĠ ÄÇÀ Á¸ĖÒÅÛÄñÊÇÅÌľÅ103 »ñÁ¸÷Ä¼ÉľÅëÅÈÜÊÀÅ ÇčÅÇËÌŊÈÂû¿¼Àж Á¸ĖÊİÅÌÇįÌÇÀËÓÉÌÇÍË Ìý˹ĕ¸Ë ÇĤÁë½û̾ʸբ ĞÌÀ¹¸É¼ė¸÷»Çͼĕ¸ ëÈĖÌġŸġÅÌÇıÌÇÅե

86

Vgl. Langner, Nehemia, 44. Vgl. so schon Langner, Nehemia, 44. 88 Vgl. Langner, Nehemia, 45. 89 Vgl. hierzu Langner, Nehemia, 45; Streitberg, Elementarbuch, 137. 90 Ms. D: A;CNM; (vgl. so Streitberg, Wörterbuch). Die Streitberg zugrundeliegende Kollation vermerkt (s. App. z.St.), dass keine Punkte zur Markierung der Zahl vorhanden sind. Dennoch scheint hier eine Zahl zwingend. Das Fehlen der Punkte muss durch den schlechten Zustand des Manuskripts oder einem Schreibfehler erklärt werden. 91 So L. 92 So tr. L VL123 AethA Got. 93 L (¼º¼Å¼ÌÇ 93) Aeth Got : ¼º¼ÅÇÅÌÇ 121 mit 71-236 58. 94 L Got (vid) : inter VL123 = Vg. 95 ÇÀÅÇÅ (pr. dedi Got) ȸÅÌÀ ÌÑ È¾¿¼À (+ et Got) ȸÅÌÀ ÌÑ Â¸Ñ L Got; universae multitudine et populi dabatur VL123 : sine parsimonia dedi vinum ad bibendum omnibus Arm. 96 So L (ÌÇÀË 108*) 119 Got. 97 So L b (= 46-64-98-243-248-381-728-731) Arm Got Ald Compl: ¸ÉÌÇË rell. 98 So L VL123 Got Compl. : cf. MT (VL omitiert mit MT das Pendant zu ÄÇÍ). 99 ÇÍÁ ¼Î¸ºÇÅ 93. 100 So L. grave est opus istius servitutis VL123. 101 ÌÇÍÌÇ 19. 102 Om. L 71-107 VL123 Got = MT. 103 Om. B´ S L Sixt LXXR-H = MT. 87

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Die gotischen Nehemia-Fragmente 18)

Und täglich wurde ein Stier verzehrt, (sowie) sechs auserlesene Lämmer und für mich wurde eine Ziege zubereitet; und (immer) nach Verlauf von zehn Tagen gab ich der ganzen Masse Wein und (überhaupt) dem ganzen Volke. Und bei alledem beanspruchte ich nicht das ganze Brot meines Amtes, um das Volk bei dem Werk104 nicht (noch mehr) zu bedrücken.

229

18)

Und was dazu aufgebracht werden musste, war täglich ein Stier, auch sechs auserlesene Schafe und ein Ziegenbock wurden von mir aufgebracht und alle zehn Tage zu allem noch Wein in Fülle; doch bei alledem trachtete ich nicht nach dem Brot der Statthalterschaft, weil der Dienst (alleine schon) schwer (genug) auf diesem Volke (lastete).

Anm. zum gr. (insb. antiochen.) Text: ÇčÅÇÅȸÅÌĖÌŊÈÂû¿¼ÀȸÅÌĖÌŊ¸Ŋ֚VL erweist die längere Lesart des Ant (trotz Abweichung im Wortlaut) als wahrscheinlich praelukianisch. Die vorangegangenen Varianten sind inhaltlich bedeutungslos. ÓÉÌÇÅ֚ Die Lesart bleibt nicht auf Ant beschränkt. Anm. zum Got:

OH ÇĐöʸÅÎǹ¼Éĕ½ÇÅÌñË GCE ļե ļե 14) 14) […] der Propheten, die mich […] die übrigen Propheten, die mahnten108. mir Angst einflößen wollten.

5JL;O@?7N?

14)

Anm. zum gotischen und gr. (insb. antiochen.) Text: ìL;@MNC>?>OH] Das Zusammentreffen von Ant, Got und VL erweisen diese Lesart als praelukianisch. Eine Streichungen der gotischen Vokabel (so geschehen laut Langner [p. 49] bei Massmann) oder die Annahme einer willkürlichen Veränderung des Abschreibers, „der an dem Îǹ¼Éţ½¼ÀÅ der Propheten so lebhaft Anstoß nahm“ (Bernhardt bei Langner, p. 49) sind daher unnötig. Zur Übersetzung bzw. lexikographischem Inhalt des Wortes vgl. Fußnote 108. Ant überliefert daher die historische Ausgangssituation mit einer etwas anderen Nuance. Zwar darf man auch das Mahnen der Propheten als Nehemia-kritisches Moment deuten, und wie in MT und LXXrell deutet nichts darauf hin, dass die Propheten sich auf Seiten des Nehemia befun————— 106

So L : ÈÉÇξ̸À 19. So L VL123 (qui me corripiebant) VL125 (qui terrebant me = MT) Got. 108 Langner, ad loc: „mir Trost zusprachen“. M.E. wirft diese Übersetzung unnötig interpretatorische Probleme auf. Die vorliegende Stelle ist die einzig erhaltene Passage, an der Got eine Form von ìL;@MND;H für ÅÇÍ¿¼ÌšÑ setzt. Langner geht in seiner Übersetzung vom ntl. Gebrauch der anderen griechischen Begriffe aus, die mit ìL;@MND;H wiedergegeben werden, nämlich ȸɸÄÍ¿¼ėÊ¿¸À und ȸɸÁ¸Â¼ėÅե Diese können im klassischen Griechisch zwar das positive Moment der Tröstung beinhalten, gleichwohl auch die (erzieherische) Mahnung ausdrücken. ÅÇÍ¿¼ÌšÑ dagegen trägt eindeutig eine mahnende und zurechtweisende Nuance. Es steht zu vermuten, dass ìL;@MND;H beide Begriffsnunancen ausdrücken kann. Vgl. u.a. den mahnenden Charakter von ìL;@MND;H in Lk 3,18 und 1Thess 5,14 (fürȸɸÁ¸Â¼ėÅ). Eine analoge Beobachtung läßt sich zudem im Altenglishcen Machen, wenngleich die etymologische Identität beider Worte nicht gänzlich gesichert ist. Vgl. hierzu: T.N. Toller (Hg.), An Anglo-Saxon Dictionary, based on the manuscript collections of the late Joseph Bosworth (Oxford: Clarendon Press, 1898 / online version: www.utexas.edu/cola/centers/ lrc/books/asd/ [Abruf: 2.11.2011]): „þrafian; p. ode. I. to urge, press :-- Ic ðrafige urgeo, Ælfc. Gr. 26, 3; Zup. 155, 12. Gif ic míne heorde tó swíðe þrafige on gancge and swence hig ealle hig sweltaþ ánes dæges si greges meos plus in ambulando fecero laborare, morientur cuncti una die, R. Ben. 120, 20. Mec mín freá þrafaþ on þýstrum, hætst on enge, Exon. Th. 383, 1; Rä. 4, 4. Se biscop sceal þrafian ða mæssepreóstas mid lufe ge mid láþe, ðæt hié healdan Godes Ǚwe on riht, Blickl. Homl. 45, 8. II. to reprove, rebuke, correct. v. þrafung :-- Se HǙlend on manegum wísum ðrafode and áfandode his gingran, and geedlǙhte ðæt ðæt hé Ǚr tǙhte tó fulre láre, Homl. Th. ii. 296, 22. Drihten, ne þreá ðú me ne ne þrafa on ðínum yrre Domine, ne in ira tua arguas me, Ps. Th. 37, 1. Hwílum líðelíce tó ðreátianne, hwílum suíðlíce and stræclíce tó ðrafianne aliquando leniter arguenda, aliquando vehementer increpanda, Past. 21; Swt. 151, 12. [Cf. (?) Goth. þrafstjan to exhort, encourage, comfort.] v. (?) þræft.“ 107

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Die gotischen Nehemia-Fragmente

231

den hätten. Gleichwohl folgt Ant hier keineswegs der Erzählstrategie des MT, die Nehemia entgegenstehenden Propheten durch die unterstellte Ausübung von Ängstigung massiv zu diskreditieren. Während fraglich wäre, warum eine Rezension diese Erzählstrategie abmildern sollte, lässt sich die mehrheitliche Lesart der LXX (= hier LXXGö) als Anpassung an MT verstehen. Ant wird demzufolge hier OG bewahrt haben. In der hebräischen Erzählung wurde die Nehemiakritik im Zuge der Überlieferung weiter verschärft, und in dieser Form dann seitens der LXX rezensional übernommen. 15)

D;BOMN;OB;H;Q;Lì 15) Á¸ĖÊÍż̼ÂñÊ¿¾111 Ìġ 15) Á¸Ėë̼ÂñÊ¿¾Ìġ MI>DOMy?y ̼ėÏÇËÈñÄÈÌþ ̼ėÏÇËÈñÄÈÌþ D;ByEy>;A;109 Á¸Ė¼ĊÁÚ»ÀÌÇıľÅŦË Á¸Ė¼ĊÁÚ»ÀÌÇıÂÇÍ G?HIìCMFOFCM110 ÂÇİÂ112ëÅ113ȼÅÌûÁÇÅ̸ ľÅŦË115¼ĊËȼÅÌûÁÇÅ̸ yHy>;A?D;ByDOM] >DOM bezeichnet dementsprechend die Stadtmauer (̼ėÏÇË). OMN;OB;H;] OMNCOB;H kann sowohl für ̼¼ėÊ¿¸À als auch für ÊÍÅ̼¼ėÊ¿¸À (und weitere Komposita dieses Verbs) stehen. Dennoch fällt die Verwendung eines Kompositums sowohl im gr. Ant als auch im Got auf.118 >;A;] Die gegenüber LXX längere Lesart lässt sich bereits in der VL aufweisen und ist daher möglicherweise praelukianisch.119 Ob die gr. AntÜberlieferung diese Lesart verlor, Got seitens der VL beeinflusst wurde, oder das Gotische hier schlicht die grammatische Notwendigkeit zur Erweiterung sah, ist nicht zu klären. Es handelt sich um einen Dativ der Zeit. Das folgende >;A? ist als genitivus part. aufzufassen.120 16)

D;BQ;LìMQ?B;O 16) Á¸ĖëºñżÌÇ÷ÅĕÁ¸ MC>?>OH@C;H>MOHM;L;C ôÁÇÍʸÅÇĎëÏ¿ÉÇĖ ÷ÄľÅ122 ÈÚÅ̼Ëբ ;FF;C D;BIBN?>OH;FFIMìCO Á¸ĖëÎǹû¿¾123ÈÚÅ̸ÌÛ >IMìIML;OM;ACMCH ;OAIH;121 CT?;OH ;FFIM ìCO>IM ìIM IM] ìCO>; muss nicht zwangsläufig mit „Heide“ übersetzt werden, sondern kann auch das Volk bezeichnen. Streitberg listet in seinem Wörterbuch (1910) aber vier Übersetzungsoptionen auf, von denen drei „Heide“ bedeuten. Vgl. auch oben zu 2Esdr 16,17. Got = LXX = MT. ;OAIH; / Langner: ;OMIH;] Da die griechischen Textformen hier eindeutig sind, ist mit Braun ein Schreiberfehler zu vermuten (;OAIH;133 >;OMIH;) und der gotische Text zu emendieren. Eine willkürliche Änderung lässt sich nicht wahrscheinlich machen.134 Vgl. hierzu auch ausführlich Langner, Nehemia, 51f. AO>;] AOì steht hier wie immer135 ohne Artikel. 17)

D;BCH>;A;G D;CH;CG G;H;A;CQ?CMOHìCT? L?CED;H?#O>;C? ì;C?CM;H>C>?>OH ;CJCMNOF;HM >O.I