«… denn das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.» Beiträge aus der Ägyptologie, der Geschichtswissenschaft, der Koptologie, der Kunstgeschichte, der Linguistik, der Medizin und ihrer Geschichte, der Musikwissenschaft, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Provenienzforschung und der Rechtsgeschichte zu Ehren Alfred Grimms anläßlich seines 65. Geburtstags 3447109599, 9783447109598

Geschichte wird vom Menschen gemacht – und so spielen Einzelschicksale eine mindestens ebenso große Rolle wie allgemeine

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«… denn das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.» Beiträge aus der Ägyptologie, der Geschichtswissenschaft, der Koptologie, der Kunstgeschichte, der Linguistik, der Medizin und ihrer Geschichte, der Musikwissenschaft, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Provenienzforschung und der Rechtsgeschichte zu Ehren Alfred Grimms anläßlich seines 65. Geburtstags
 3447109599, 9783447109598

Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Barbara Magen: Vorwort
Alfred Grimm: Schriftenverzeichnis (zusammengestellt von isabel grimm-stadelmann)
Edith Bernhauer: Ägypten leuchtet - Einblicke in die Anfänge der Postkartenindustrie
Günter Burkard: Ostrakon Berlin P 10667 AS und Ostrakon Deir el Medine 1650: Fragment eines Liebeslieds?
Florian Ebeling: Erzählen in der tradition des ägyptischen Homer
Hans-Dieter Eberhard: Versuch über die Freiheit des Geistes oder warum Gehirne keine Sonaten schreiben
Hans-Joachim Hecker: Ein Münchner Anwaltsschicksal – Justizrat Dr. Otto Kahn (1876-1925)
Jean-Marcel Humbert: l’Égypte éphémère des parcs d’attractions (1818-2018)
Heinz Irrgeher: Joseph Haydn – op. 50/1–6: Die Preußischen
Kamal S. Kolta: Eine Spurensuche – Zur Hygiene und Körperpflege bei den Altägyptern und den Kopten
Thomas Kübler: Beutegut. Dresdner Archivalien in Russischen Sonderarchiven
Katja Lembke: Ein weiblicher Antinoos? Heroisierung in Tuna el-Gebel
Nicolas Lippert: Gerechtigkeit im Einzelfall: Provenienz forschung als politische Aufgabe
Anton Löffelmeier und Michael Stephan: Das Firmen- und Familienarchiv Jacques Rosenthal im Stadtarchiv München
Wolfgang Gerhard Locher und Isabel Grimm-Stadelmann: Der Arzt Johann Nepomuk von Ringseis (1785–1880) auf Öl/leinwand – eine Spurensuche zu einem Porträtgemälde von Moritz von Schwind im Besitz des Ärztlichen Vereins München
Oswald Panagl: Was der Tag mir zutrug – a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden. (H.C. Artmann)
Gabriele Pieke: «Lass deinen Namen hervorkommen» – Zur Appropriation von Einzelmotiven der Grabdekoration in Sakkara
Gerd Plewig: Edward Jenner. An Inquiry
Hermann A. Schlögl und Regine Buxtorf: Amulettskarabäen mit Aufschriften aus der Sammlung des Münchner Ägyptologen Hanns Stock (1908-1966)
Harald Schulze: «Wind». Eine expressionistische Majolika-Figur von Marie Hermine Janssen
Matthias Weniger: Die Stammreihen der Wittelsbacher. Kunst und Propaganda im Dienst der bayerischen Teilherzogtümer
Ilse von zur Mühlen: Eine Madonna aus Österreich und eine (nicht nur) Münchner Geschichte - Ein Beispiel aus der Provenienzforschung, dem neuesten Forschungsfeld des Gefeierten
Tabula Gratulatoria
Farbtafeln

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der Band vereint Beiträge aus der Ägyptologie, der geschichtswissenschaft, der Koptologie, der Kunstgeschichte, der linguistik, der medizin und ihrer geschichte, der musikwissenschaft, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Provenienzforschung und der rechtsgeschichte zu ehren alfred grimms anläßlich seines 65. geburtstags.

isBn 978-3-447-10959-8

«… denn das eigentlicHe studium der menscHHeit ist der menscH.»

Umschlag_Alfred_416x275mm.qxp_Umschlag Grimm 15.01.18 19:57 Seite 1

Harrassowitz

«… denn das eigentlicHe studium der menscHHeit ist der menscH.» Festschrift für alfred grimm herausgegeben von Barbara magen

Harrassowitz Verlag

«… d e n n d a s e i g e n t l i c h e studium der menschheit i s t d e r m e n s c h.»

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

«… denn das eigentliche studium der menschheit ist der mensch.»

Beiträge aus der Ägyptologie, der geschichtswissenschaft, der Koptologie, der Kunstgeschichte, der linguistik, der medizin und ihrer geschichte, der musikwissenschaft, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Provenienzforschung und der rechtsgeschichte zu ehren alfred grimms anläßlich seines 65. geburtstags

herausgegeben von Barbara magen

harrassowitz-Verlag © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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impressum

bibliografische information der deutschen nationalbibliothek die deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen nationalbibliografie; detaillierte bibliografische daten sind im internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. bibliographic information published by the deutsche nationalbibliothek the deutsche nationalbibliothek lists this publication in the deutsche nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.dnb.de. die vorliegende Publikation wurde ermöglicht durch die großzügigen spenden folgender stiftungen: Franz-und-eva-rutzen-stiftung bayerische einigung e.V. bayerische Volksstiftung dr. esther schlossberg stiftung

Bayerische Einigung e.V. Bayerische Volksstiftung informationen zum Verlagsprogramm finden sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto harrassowitz gmbh & co. Kg, Wiesbaden 2018 das Werk einschließlich aller seiner teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen grenzen des urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder art, Übersetzungen, mikroverfilmungen und für die einspeicherung in elektronische systeme. Für den inhalt der einzelnen beiträge sind die jeweils benannten autoren verantwortlich. die einholung von nutzungsrechten für abbildungen liegt in der Verantwortung der einzelnen autoren. © umschlagbilder: Friedericke Werner · münchen gedruckt auf alterungsbeständigem Papier gestaltung und satz: typography_design · manfred märz druck und Verarbeitung: memminger mediencentrum ag Printed in germany isbn 978-3-447-10959-8 e-isbn PdF 978-3-447-19726-7 © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

inhalt

das studium der menschheit

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Inhaltsverzeichnis

008

Barbara Magen · Vorwort

012

Alfred Grimm · Schriftenverzeichnis (zusammengestellt von isabel grimm-stadelmann)

036

Edith Bernhauer · Ägypten leuchtet – einblicke in die anfänge der Postkartenindustrie

060

Günter Burkard · Ostrakon Berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i: Fragment eines liebeslieds?

073

Florian Ebeling · erzählen in der tradition des ägyptischen homer

087

Hans-Dieter Eberhard · Versuch über die Freiheit des geistes oder warum gehirne keine sonaten schreiben

105

Hans-Joachim Hecker · ein münchner anwaltsschicksal – Justizrat dr. Otto Kahn (1876–1925)

122

Jean-Marcel Humbert · l’Égypte éphémère des parcs d’attractions (1818–2018)

141

Heinz Irrgeher · Joseph haydn – op. 50/1–6: die Preußischen

152

Kamal S. Kolta · eine spurensuche – Zur hygiene und Körperpflege bei den altägyptern und den Kopten

173

Thomas Kübler · Beutegut. dresdner archivalien in russischen sonderarchiven © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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inhalt

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Katja Lembke · ein weiblicher antinoos? heroisierung in tuna el-gebel

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Nicolas Lippert · gerechtigkeit im einzelfall: Provenienzforschung als politische aufgabe

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Anton Löffelmeier und Michael Stephan · das Firmen- und Familienarchiv Jacques rosenthal im stadtarchiv münchen

226

Wolfgang Gerhard Locher und Isabel Grimm-Stadelmann · der arzt Johann nepomuk von ringseis (1785–1880) auf Öl/leinwand – eine spurensuche zu einem Porträtgemälde von moritz von schwind im Besitz des Ärztlichen Vereins münchen

245

Oswald Panagl · Was der tag mir zutrug – a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden. (h.c. artmann)

274

Gabriele Pieke · «lass deinen namen hervorkommen» – Zur appropriation von einzelmotiven der grabdekoration in sakkara

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Gerd Plewig · edward Jenner. an inquiry

318

Hermann A. Schlögl und Regine Buxtorf · amulettskarabäen mit aufschriften aus der sammlung des münchner Ägyptologen hanns stock (1908–1966)

338

Harald Schulze · «Wind». eine expressionistische majolika-Figur von marie hermine Janssen

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Matthias Weniger · die stammreihen der Wittelsbacher. Kunst und Propaganda im dienst der bayerischen teilherzogtümer © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

inhalt

das studium der menschheit

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Ilse von zur Mühlen · eine madonna aus Österreich und eine (nicht nur) münchner geschichte – ein Beispiel aus der Provenienzforschung, dem neuesten Forschungsfeld des gefeierten

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Tabula Gratulatoria

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Farbtafeln

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Barbara magen

Vorwort

Vorwort «Dem einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht; aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.» mit diesen Worten Ottiliens aus den Wahlverwandtschaften, die für den titel des vorliegenden Bandes entliehen wurden, sind zwei wesentliche grundsätze der Forschung alfred grimms umrissen: sich zum einem dem zuzuwenden, was im Bereich der eigenen möglichkeiten liegt und interessiert – unabhängig von herrschenden moden, zeitgenössischen Fragen oder gar vermeidlichen notwendigkeiten. auf der anderen seite die Feststellung des kleinsten gemeinsamen nenners in einer digitalisierten und enthumanisierten Welt: die erkenntnis, daß das Objekt der Forschung (oder zumindest der geisteswissenschaftlichen Forschung) noch immer der mensch ist. diese sichtweise ist unbeliebt geworden, scheint es doch so, als ob zu diesem thema in Jahrhunderte andauernder Forschung bereits alles gesagt sein muß. aber nichts ist ein so wankelmütig’ ding wie der mensch – und es wird sich auch weiterhin lohnen, die Vertreter des «edlen Kleinviehs» vor immer neuen hintergründen zu betrachten. Bei der aufnahme meines studiums der Ägyptologie an der universität münchen hatte ich das glück, noch einige semester lang in den genuß von seminaren zu gelangen, die alfred grimm gehalten hat. diese Veranstaltungen waren immer geprägt von unendlichen Weiten und möglichkeiten: ein kleiner, unscheinbarer gegenstand führte auf einmal zu den großen Fragen der menschheitsgeschichte – immer gesteuert von dem manchmal unendlich erscheinenden und fachübergreifenden Wissen alfred grimms. Von ihm habe ich gelernt, daß auch die Beobachtung eines blühenden Baumes oder die Betrachtung einer holzmaserung wesentlich für ägyptologische erkenntnisse sein kann. ganz zu schweigen davon, daß Wissen über literatur, musik, geschichte und vieles mehr nicht nur zur allgemeinen Bildung eines menschen gehören kann, sondern auch fachliche interessen vielfach unterstützt. so war alfred grimm einer der wenigen, die Wissenschaftsund rezeptionsgeschichte in der Ägyptologie betrieben haben, lange bevor diese themen fachintern salonfähig geworden sind. in Zeiten, in denen es wieder mehr und mehr eine rolle spielt, stellung zu Überzeugungen, nationalität und religion zu beziehen, ist es ein© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Vorwort

das studium der menschheit

mal mehr von eminenter Wichtigkeit, daß es menschen gibt, die bereit und fähig sind, über den tellerrand hinauszublicken, die in der lage sind, vorurteilsfrei und mit freiem geist nach verbindenden und nicht nach trennenden Kriterien zu suchen – menschen wie alfred grimm. harriet Vane, die heroine der lord-Peter-Wimsey-romane von dorothy sayers, schildert in Gaudy Night, wie wichtig es sei, das zu tun, was man gut zu tun in der lage sei – unabhängig davon, ob es einen gemeinhin als gesellschaftlich akzeptierten Wert habe: Wer gute Kriminalromane schreiben könne, solle dies tun, und das Pflügen denen überlassen, die zu dieser aufgabe berufen seien. in einer Zeit, in denen gerade die geisteswissenschaften immer wieder in erklärungsnöte geraten, scheint gerade diese einsicht eine wesentliche zu sein. sie prägt das schaffen und arbeiten von alfred grimm. in vielen Jahren der Zusammenarbeit – wenn ich dies als langjährige angehörige des Führungsteams des Ägyptischen museums münchen, als Werkstudentin und hilfskraft so bezeichnen darf – habe ich neben mannigfaltigen fachrelevanten dingen aber noch einiges mehr von alfred grimm gelernt: die notwendigkeit der neutralität, die Fähigkeit zuzugestehen, daß Fehler nicht nur anderen passieren, sondern man auch selbst nicht davor gefeit ist. daß es immer verbindende elemente gibt, auch wenn es unter der Oberfläche sprudelt und kocht – kurz: das Wahren von Professionalität und einem gewissen «noblesse oblige». hier also schließt sich der Kreis: denn diese einstellung kann nur der gewinnen, der die menschen zu allen Zeiten, in allen Kulturen und über viele verschiedene medien hinweg studiert. Über die Zeit ist aus der Zusammenarbeit eine Form von lehrer-schüler-Verhältnis entstanden, wie es bis vor kurzem in akademischen Kreisen üblich war – das für ein museumes-universitäts-Verhältnis jedoch nicht selbstverständlich ist. so war ich stolz darauf, als alfred grimm einmal zu mir sagte, daß er qua seines amtes ja eigentlich keine schüler habe, er mich aber als schülerin betrachten würde. diesem gefühl bin ich in der Widmung meiner doktorarbeit nachgekommen. und es ist auch dieses gefühl, das mich dazu bewogen hat, einer guten, akademischen tradition nachzukommen: der herausgabe einer Festschrift zum 65. geburtstag des Jubilars. erklärtes Ziel war, auch hier die Vielfältigkeit der möglichkeiten abzubilden: fachlich – so haben sich Beiträger und Beiträgerinnen aus unterschiedlichsten Bereichen gefunden –, formal, inhaltlich, sprachlich und nicht zuletzt bezüglich der neuen rechtschreibung. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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barbara magen

Vorwort

allen beiträgerinnen und beiträgern sei an dieser stelle herzlichst gedankt: nicht nur dafür, sich mit einem artikel zu beteiligen, sondern auch für ihre geduld mit der herausgeberin. die beiträge decken ein großes spektrum ab und reichen von der Ägyptologie bis zur Provenienzforschung – dem alpha und dem Omega von alfred grimms tätigkeit – über die Kunstgeschichte, die linguistik, die medizin und ihre geschichte, die musik- und Politikwissenschaft sowie die Philosophie. Viele Kollegen und Wegbegleiter wollten sich beteiligen, um ihre Verbundenheit zum Jubilar auszudrücken. nicht immer geben dies die umstände her. deshalb haben viele auf die möglichkeit eines eintrages in die tabula gratulatoria zurückgegriffen. außerdem sind zwei beiträge besonders hervorzuheben, die nicht im inhaltsverzeichnis erscheinen, aber wesentlich zu der Vielfältigkeit des bandes beigetragen, ihn zu einer gabe mit besonderer qualität gemacht haben: das layout wurde von manfred märz erstellt, der in langjähriger Zusammenarbeit mit alfred grimm zahlreiche Publikationen realisiert hat. Für seine geduld und stets gleichbleibende Freundlichkeit auch in schwierigen Phasen der umsetzung sowie die idee, seine Freundschaft zum Jubilar auf diese Weise zu manifestieren, sei manfred märz an dieser stelle herzlichst gedankt. der zweite, etwas ungewöhnliche beitrag für eine Festschrift, ist die Überlassung von bildmaterial eines der Kunstwerke von Friederike Werner für das buchcover. als Ägyptologin und freischaffende Künstlerin hat sie sich auch in ihrem künstlerischen Werk mit den hinterlassenschaften des nillandes auseinandergesetzt – ein ägyptenrezeptionistischer beitrag der besonderen art! auch in bezug auf die Finanzierung gilt es vielfältigen dank auszusprechen. dieser geht an die folgenden drei stiftungen, die finanzielle mittel für den druck zur Verfügung gestellt haben: die Franz-und-eva-rutzen-stiftung, die bayerische Volksstiftung sowie die dr. esther schlossberg stiftung. Für die tatkräftige unterstützung beim einwerben der mittel der letztgenannten stiftung gilt ein besonderer dank silvia rabehl und abi Pitum. auch isabel grimm-stadelmann sei an dieser stelle auf das herzlichste gedankt: von anfang an war sie Verbündete in der causa «geheimprojekt Festschrift» und hat das entstehen des bandes mit nimmermüder geduld und Konspirationsbereitschaft begleitet. ihr verdanke ich auch die Zusammenstellung der bibliographie alfred grimms. sollte diese beim stichdatum des druckes nicht mehr aktuell sein, so ist dies in keinster Weise einer unaufmerksamkeit geschuldet, sondern nur und ausschließlich der kreativen arbeitswut des Jubilars, der stetig weiterpubliziert. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Vorwort

das studium der menschheit

Zu guter letzt gilt mein dank dem harrassowitz-Verlag: Barbara Krauss und reinhard Friedrich, die wie stets kollegial und unbürokratisch den Band in ihr Verlagsprogramm aufgenommen haben, sowie Jens Fetkenheuer, der die physische entstehung des Bandes mit bekannter geduld begleitet hat. nun bleibt zum schluss noch ein Wort an den Jubilar selbst zu richten: auch im namen aller autorinnen und autoren sowie unterzeichnenden der tabula gratulatoria möchte ich meine herzlichsten glückwünsche aussprechen – möge die Zukunft nur gutes, glück sowie gesundheit bereithalten und der vorliegende Band viel Freude bereiten – als Zeichen von Verbundenheit auch über holprige Wegstrecken hinweg! Barbara magen

celle, im Oktober 2017

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alfred grimm

schriftenverzeichnis

schriftenverzeichnis alfred grimms

zusammengestellt von isabel grimm-stadelmann

HerausgeberscHaften Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern. tätigkeitsbericht 2016/2017. Passau 2017 [im druck]. Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern. tätigkeitsbericht 2015/2016. Passau 2016. schwarze sehnsucht. nubische liebeslieder. gesammelt und übertragen von hermann Junker und heinrich schäfer. ausgewählt und herausgegeben von a. grimm. Veröffentlichung anläßlich «merOË 2000» – ninth international conferenc for meroitic studies/neunte internationale tagung für meroitistische Forschungen, münchen 24.–27. august 2000, münchen 2000. theatrum hieroglyphicum. Ägyptisierende Bildwerke des Barock. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 1995, münchen 1995. georg steindorff/uvo hölscher, die mastabas westlich der cheopspyramide nach den ergebnissen der in den Jahren 1903–1907 im auftrag der universität leipzig und des hildesheimer Pelizaeus-museums unternommenen grabungen in giza. 2 Bände (münchener Ägyptologische untersuchungen 2), münchen 1990. gemeinsam mit Andrea Bambi, Christiane Kuller, Irene Netta, Bernhard Purin und Wolfgang Stäbler (Redaktion): Jan schleusener, raub von Kulturgut. der Zugriff des ns-staats auf jüdischen Kunstbesitz in münchen und seine nachgeschichte (Bayerische studien zur museumsgeschichte 3), Berlin/münchen 2016. gemeinsam mit Günter Burkard, Sylvia Schoske und Alexandra Verbovsek: Kon-texte. akten des symposions «spurensuche – altägypten im spiegel seiner texte», münchen 2. bis 4. mai 2003 (Ägypten und altes testament 60), Wiesbaden 2004.

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

schriftenverzeichnis

das studium der menschheit

gemeinsam mit Sylvia Schoske: isisblut & steinbockhorn. amulett und talisman in altägypten und im alpenraum. ausstellungskatalog münchen 2010 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 11), münchen 2010. Winckelmann und Ägypten. die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert. ausstellungskatalog münchen 2005, münchen 2005. stimmen vom nil. altägypten im spiegel seiner texte. ausstellungskatalog münchen 2002, münchen 2002. das geheimnis des goldenen sarges. echnaton und das ende der amarnazeit. ausstellungskatalog münchen 2001 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 10), münchen 2001. Wolfgang helck (†), das grab nr. 55 im Königsgräbertal. sein inhalt und seine historische Bedeutung (deutsches archäologisches institut, abteilung Kairo, sonderschrift 29), mainz 2001. am Beginn der Zeit. Ägypten in der Vor- und Frühzeit. ausstellungskatalog münchen 2000 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 9), münchen 2000. hatschepsut. Königin Ägyptens. ausstellungskatalog münchen 1999 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 8), münchen 1999. im Zeichen des mondes. Ägypten zu Beginn des neuen reiches. ausstellungskatalog münchen 1999 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 7), münchen 1999. recherchen zu aegyptiaca in münchen – studien zur erwerbungsgeschichte der sammlung 1ff., münchen 1995ff. gejagt und vergöttlicht. das tier im alten Ägypten. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 1990, münchen 1990. gemeinsam mit Sylvia Schoske und Barbara Kreißl: schönheit – abglanz der göttlichkeit. Kosmetik im alten Ägypten. ausstellungskatalog ingolstadt 1990 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 5), münchen 1990. gemeinsam mit Sylvia Schoske und Dietrich Wildung: Pharao. Kunst und herrschaft im alten Ägypten. ausstellungskatalog Kaufbeuren 1997, münchen 1997.

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alfred grimm

schriftenverzeichnis

gemeinsam mit G. A. Mina Zeni: Winckelmann e l’egitto. la riscoperta dell’arte egizia nel XViii secolo. ausstellungskatalog ligornetto 2004 (cataloghi del museo Vela 2), Bern 2004.

monograpHien Vom nil an den main – aus nubien nach Franken. der «Banzer stein» vom tempel von dendûr. Begleitpublikation zur ausstellung im museum Kloster Banz, Passau 2017. West-östlicher Bildersaal. auf grand tour mit herzog maximilian in Bayern. malerische ansichten aus europa und dem Orient von carl theodor von Buseck. Begleitpublikation zur ausstellung im museum Kloster Banz, münchen 2015. Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing: Ägyptologe – mäzen – sammler (mit Katalogtexten von s. schoske). ausstellungskatalog münchen 2010 (recherchen zu aegyptiaca in münchen – studien zur erwerbungsgeschichte der sammlung 5), münchen 2010. im Banne der hieroglyphen oder auf der suche nach der verlorenen sprache. Friedrich von schlichtegroll und die sammlung Ägyptischer altertümer der Königlich Bayerischen akademie der Wissenschaften zu münchen. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 2008 (recherchen zu aegyptiaca in münchen – studien zur erwerbungsgeschichte der sammlung 4), münchen 2008. münchens Barberinischer «Osiris». metamorphosen einer götterfigur. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 2001 (recherchen zu aegyptiaca in münchen – studien zur erwerbungsgeschichte der sammlung 3), münchen 2001. schwarze sehnsucht. nubische liebeslieder. gesammelt und übertragen von hermann Junker und heinrich schäfer. ausgewählt und herausgegeben von a. grimm. Veröffentlichung anläßlich «merOË 2000» – ninth international conferenc for meroitic studies/neunte internationale tagung für meroitistische Forschungen, münchen 24.–27. august 2000, münchen 2000. rilke und Ägypten, münchen 1997. Wilhelm spiegelberg als sammler (mit Katalogtexten von s. schoske). Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 1995 (recherchen zu aegyptiaca in münchen – studien zur erwerbungsgeschichte der sammlung 1), münchen 1995. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

schriftenverzeichnis

das studium der menschheit

Joseph et akhenaton – thomas mann et l’Égypte. Begleitpublikation zur sonderausstellung ligornetto 1994, Bern 1994. la dinastia del sole. capolavori dell’arte di amarna del museo egizio di Berlino nel linguag gio di thomas mann. Begleitpublikation zur sonderausstellung ligornetto 1994, Bern 1994. die altägyptischen Festkalender in den tempeln der griechisch-römischen epoche (Ägypten und altes testament 15), münchen 1994. Joseph et akhenaton – thomas mann et l’Égypte. Begleitpublikation zur sonderausstellung Bern 1993, Bern 1993. das sonnengeschlecht. Berliner meisterwerke der amarna-Kunst in der sprache von thomas mann. ausgewählt und eingeleitet von a. grimm. Begleitpublikation zur sonderausstellung Berlin 1993, mainz 1993. Joseph und echnaton. thomas mann und Ägypten. Zweite, erweiterte und überarbeitete auflage. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 1993, mainz 1993. Joseph und echnaton. thomas mann und Ägypten. Begleitpublikation zur sonderausstellung lübeck 1992, mainz 1992. das tätowierte herz. nubische liebeslieder, Frankfurt a. m./new York 1985. die altägyptischen Bücherkataloge der ptolemäischen tempelinschriften von edfu und el-tôd. untersuchung zur textüberlieferung altägyptischer religiöser texte (unveröffentlichte magisterarbeit), münchen 1982. Ägypten. die photographische entdeckung im 19. Jahrhundert, münchen 1980. neubearbeitung von: g. Posener/J. Yoyotte/s. sauneron/i. e. s. edwards (hrsg.), Knaurs lexikon der ägyptischen Kultur, münchen 1978. gemeinsam mit Isabel Grimm-Stadelmann: das erwachen der sphinx. meisterwerke altägyptischer und ägyptisierender Kunst im dialog. Begleitpublikation zur ausstellung im Knauf-museum iphofen 2013 (Ponte Fra le culture. schriften des Knauf-museums iphofen 5), dettelbach 2013. altägyptische Kunstwerke. uschebtis aus der sammlung resandro, münchen 2013. altägyptische Kunstwerke. glasobjekte aus der sammlung resandro, münchen 2013. Fürsten und Pharaonen – Ägypten in Bayern, münchen 2011.

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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alfred grimm

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theatrum hieroglyphicum. Ägyptisierende Bildwerke im geiste des Barock. Begleitpublikation zur ausstellung im Knauf-museum iphofen 2011 (Ponte Fra le culture. schriften des Knauf-museums iphofen 4), dettelbach 2011. eine Zitherpartie auf dem nil. die Orientreise von herzog maximilian in Bayern und seine Orientalische sammlung. Bestandskatalog der Orientalischen sammlung in Kloster Banz, münchen 2009. O isis und Osiris – welche Wonne! alt-Ägypten im musiktheater, münchen 2009. gemeinsam mit Hermann A. Schlögl: das thebanische grab nr. 136 und der Beginn der amarnazeit, Wiesbaden 2005. gemeinsam mit Dietrich Wildung: institut für Ägyptologie der universität münchen: neue Zeiten für alt-Ägypten. anwendungsbrief über die dokumentation altägyptischer Objekte mit hilfe des computers. ein studienprojekt der universität münchen und der iBm deutschland gmbh, münchen 1989.

artikel Vorwort und einleitung, in: a. grimm (hrsg.), Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern. tätigkeitsbericht 2016/2017, Passau 2017 [im druck]. ich träume oft von meiner heimath (…). identität und schicksal der von herzog maximilian in Bayern freigekauften afrikanischen sklaven, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 3/2017, s. 11–15. ein souvenir aus hitler’s «eagle’s nest». restitution einer flämischen tapisserie an den Freistaat Bayern, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 1/2017, s. 49. Vorwort, in: a. grimm (hrsg.), Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern. tätigkeitsbericht 2015/2016, Passau 2016, s. 8/9.

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

schriftenverzeichnis

das studium der menschheit

«ich freue mich unsagbar, meine nymphenburger geliebten Freunde wiederzusehen.» Zum schicksal der von der gestapo in münchen beschlagnahmten Porzellansammlung von Bruno und antonie levi, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 4/2016, s. 46–48. neue Forschungsstelle Provenienzrecherche, in: r. eikelmann (hrsg.), Jahresbericht Bayerisches nationalmuseum münchen 2014–2015, münchen 2016, s. 100–102. «dass ich eine solche rolle besitze, offen gesprochen, wusste ich nicht.» in Vergessenheit geratene totenbuchpapyri aus der sammlung von Bernardino drovetti, in: münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 66 (2015), s. 7–22. ein schmetterling kehrt zurück! in der ddr entzogen – vom Freistaat Bayern zurückgegeben: das Bayerische nationalmuseum restituiert ein «schloßbergungsobjekt», in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 1/2016, s. 44–47. der fränkische canaletto. carl theodor von Buseck: malerische ansichten aus europa und dem Orient im museum Kloster Banz, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 4/2015, s. 48/49. lost in art. Von «carinhall» nach münchen – Kunsttrophäen des reichsmarschalls im Bayerischen nationalmuseum, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 1/2015, s. 40–45. der entthronte triton und schillers «glocke» im relief. ns-raubkunst par excellence: zwei Fallbeispiele aus dem Bayerischen nationalmuseum, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 3/2015, s. 18–23. antikenrezeption und Bibeltext, in: g. gafus/st. Wimmer (hrsg.), «Vom leben umfangen». Ägypten, das alte testament und das gespräch der religionen. gedenkschrift für manfred görg (Ägypten und altes testament 80), münster 2014, s. 219–224. dichterische metamorphosen – altägypten als weltanschauliche und ästhetische Projektionsfläche bei thomas mann und rainer maria rilke, in: h. Biedermann/a. dehmer/h. Karge (hrsg.), imagination und anschauung. Ägyptenrezeption und Ägyptenreisen in der ersten hälfte des 20. Jahrhunderts, dresden 2014, s. 16–21. erwerbung und kriegsbedingte Verluste von ehemals in der münchner glyptothek befindlichen orientalischen altertümern des Freistaates Bayern und deren Wiedergewinnung, in: münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 64 (2013), s. 7–37. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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preface, in: i. grimm-stadelmann (hrsg.), aesthetic glimpses. masterpieces of ancient egyptian art – the resandro collection, münchen 2012, s. 5. in neuem glanz, in: akademie aktuell. Zeitschrift der Bayerischen akademie der Wissenschaften 4/2010, s. 5. Kostbare gaben und Käufe. die ältesten Bestände des staatlichen museums Ägyptischer Kunst stammen aus der akademie. eine ausstellung präsentiert stelen, särge, skulpturen und Kleinkunst, die seit 1807 erworben wurden, in: akademie aktuell. Zeitschrift der Bayerischen akademie der Wissenschaften 1/2009, s. 31. eine bibliophile rarität für die Bibliothek des staatlichen museums Ägyptischer Kunst münchen, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 42 (2009), s. 32–35. «… da der sammler ein Bayer …»: die sammlung ägyptischer altertümer der Königlich Bayerischen akademie der Wissenschaften im staatlichen museum Ägyptischer Kunst münchen, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 40 (2009), s. 34–39. diesseits und Jenseits der unsterblichkeit. Prolog zu einem abendländischen mumiographicon, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 01/2009, s. 18–23. Friedrich von schlichtegroll oder Von steinen und menschen, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 38 (2008), s. 34–39. den hieroglyphen auf der spur, in: akademie aktuell. Zeitschrift der Bayerischen akademie der Wissenschaften 01/2008, s. 51–55. Fix & Foxi in Ägypten: eine lustige schenkung an das staatliche museum Ägyptischer Kunst münchen, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 37 (2008), s. 50–53. ideogrammatik und ikonoplastik. Konzept und Form anthropomorpher darstellungen aus der formativen Phase der ägyptischen Kunst, in: abstracts zu dem Workshop «Vorspann oder formative Phase? Ägypten und der Vordere Orient 3500–2700 v. chr.» (leipzig 07.09.–08.09.2007), leipzig 2007, s. 18/19. PPP: Papyrus-Patenschaft-Projekt – restaurierung von Papyri durch spendengelder, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 33 (2007), s. 14–18.

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Osiris, König der etrusker. giovanni nanni da Viterbos «tabula Osiriana aegyptia» als Beitrag zur Querelle des anciens et des modernes, in: th. glück/l. morenz (hrsg.), exotisch, Weisheitlich und uralt. europäische Konstruktionen altägyptens (geschichte 73), hamburg 2007, s. 81–116. ludwig van Beethoven und altägypten oder der Komponist zu Besuch in einer Ägyptischen sammlung, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 34 (2007), s. 20–27. grenzüberschreitungen oder von der Bekehrung zur toleranz. Franziskus von assisi und der sultan von Ägypten – und gotthold ephraim lessing: eine spurensuche, in: reisen in den Orient vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (schriften der Winckelmann-gesellschaft 26), stendal 2007, s. 59–75. Wege – Werke – Wirkungen: anfänge und Kritik ägyptologischer Forschung im 19. Jahrhundert, in: B. u. schipper (hrsg.), Ägyptologie als Wissenschaft. adolf erman (1854– 1937) in seiner Zeit, Berlin/new York 2006, s. 65–89. Zu den ufern des nil: die photographische entdeckung Ägyptens im 19. Jahrhundert, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 27 (2006), s. 22–25. gottesschau und spiritualität, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern, 3/2005, s. 48–51. imagines aegypti – Varia ikonologica. ein mykerinos-Bildnis in Privatbesitz, in: Zeitschrift für ägyptische sprache und altertumskunde 132 (2005), s. 12–34. hieroglyphen – entwicklung, geschichte, entdeckung, in: d. Wildung/m. Wullen (hrsg.), hieroglyphen! der mythos der Bilderschrift von nofretete bis andy Warhol. Begleitpublikation zur sonderausstellung Berlin 2005, Berlin 2005, s. 19–29. himmelsaufstieg und höllenfahrt. texte und Bilder altägyptischer totenbücher begleiten den Verstorbenen, in: antike Welt 1/2005, s. 37–42. gastspiel im tessin: «Winckelmann und Ägypten» im museo vela, ligornetto, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 22 (2004), s. 20/21. Verpaßte chance – georg steindorffs giza-grabung ohne bayerische Beteiligung, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 22 (2004), s. 12/13. Winckelmann und Ägypten. die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert, in: Vernissage. die Zeitschrift zur ausstellung 26/04 (2004), s. 25–27.

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Frühe totenbücher, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 21 (2004), s. 20–23. Winckelmann und Ägypten – die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 20 (2004), s. 32–35. Zimmer mit aussicht oder Wir entziffern nicht mehr, wir lesen. eine wissenschaftsgeschichtliche collage zur entzifferungsgeschichte der hieroglyphen 1800–1850, in: g. Burkard/a. grimm/s. schoske/a. Verbovsek (hrsg.), Kon-texte. akten des symposions «spurensuche – altägypten im spiegel seiner texte», münchen 2. bis 4. mai 2003 (Ägypten und altes testament 60), Wiesbaden 2004, s. 7–35. Zimmer mit aussicht – ein münchner symposium zur altägyptischen literatur, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 18 (2003), s. 31–37. das geheimnis des goldsarges aus dem grab nr. 55 im tal der Könige, in: der radiologe 42, heft 12 (2002), s. 1026–1031. der altägyptische Patient. Bilder keiner ausstellung, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 2 (2002), s. 44–47. Work in Progress: Patient goldsarg, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 13 (2002), s. 8–13. das geheimnis des goldenen sarges: Kolloquium zur ausstellung, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 12 (2002), s. 14/15. 31 theorien. das geheimnis des goldenen sarges, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 12 (2002), s. 10–13. die dritte Kanope: die rückkehr des verlorenen schatzes, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 11 (2001), s. 36–38. die dritte Kanope. ein schatz kehrt zurück, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern (2001), s. 34–37. das geheimnis des goldsarges oder Wem gehörte der sarg aus dem grab nr. 55 im tal der Könige und wer war darin bestattet?, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 4 (2001), s. 46–50. der münchner horus, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 9 (2001), s. 26–29.

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ein seleukide in Ägypten, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 7 (2000), s. 24/25. Königsgrab 55–3: das grab der Fragezeichen, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 4 (2000), s. 15–17. Königsgrab 55–2: Pseudo-archäologe theodore m. davis, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 4 (2000), s. 12–14. der münchner Porträtkopf gl. 30. erwerbungs- und sammlungsgeschichte, in: h. meyer (hrsg.), ein seleukide in Ägypten. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 2000 (recherchen zu aegyptiaca in münchen. studien zur erwerbungsgeschichte der sammlung 2), münchen 2000, s. 1–8. Opfertisch und seelenwaage – totenkult und Jenseitsvorstellungen, in: Vernissage. die Zeitschrift zur ausstellung 12/00 (2000), s. 16–23. «albanische antiken»: Ägyptisches und Ägyptisierendes. die skulpturen der Villa albani im staatlichen museum Ägyptischer Kunst münchen, in: münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 51 (2000), s. 7–86. münchens Barberinischer «Osiris». metamorphosen einer götterfigur, in: münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 50 (1999), s. 7–46. eine statuette der Frühzeit (im Blickpunkt 28), münchen 1998. götterdämmerung an der elbe. ein Beitrag zur Ägyptenromantik der goethezeit, in: a. grimm (hrsg.), theatrum hieroglyphicum. Ägyptisierende Bildwerke des Barock. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 1995, münchen 1995, s. 95–108. «Werke ausgesuchter schönheit will ich erwerben». 350 Jahre sammlungsgeschichte, in: s. schoske (hrsg.), staatliche sammlung Ägyptischer Kunst münchen (sonderband antike Welt), münchen/mainz 1995, s. 11–34. Kmjt-texte. Zwei Ostraca littéraires d’un type particulier der staatlichen sammlung Ägyptischer Kunst münchen, in: d. Kessler/r. schulz (hrsg.), gedenkschrift für Winfried Barta. ḥtp dj n ḥzj (münchener Ägyptologische untersuchungen 4), münchen 1995, s. 165–177. Zur kalendarischen Fixierung des jhhj-(Freuden-)Festes nach dem Festkalender des Königs amenophis i. aus Karnak, in: göttinger miszellen 143 (1994), s. 73–76. aegyptiaca aus dem Königlichen antiquarium. ein Beitrag zur Ägyptophilie des Barock, in: münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 45 (1994), s. 7–64. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der torso des antinoos (im Blickpunkt 18), münchen 1994. die inschriften des antinoosobelisken. Übersetzung und Kommentar, in: a. grimm/d. Kessler/h. meyer (hrsg.), der Obelisk des antinoos. eine kommentierte edition, münchen 1994, s. 25–88. Osarsiph. Joseph-metamorphosen con variationi, in: e. heftrich/h. Wysling (hrsg.), thomas mann Jahrbuch 6 (1993), s. 235–244. graphischer thesaurus, in: 1. iBm hochschulforum ddr. Perspektiven der informationsverarbeitung in lehre und Forschung (Kooperation mit hochschulen), 19.–21. Juni 1990, Berlin (ddr), Berlin 1990, s. 271/272. das Königsornat mit dem sonnenvogel. Zu s(j)3t und db3 als Bezeichnungen königlicher trachtelemente, in: göttinger miszellen 115 (1990), s. 33–44. Ägyptisch-deutscher Wortindex, in: s. schott (hrsg.), Bücher und Bibliotheken im alten Ägypten. Verzeichnis der Buch- und spruchtitel und der termini technici. aus dem nachlaß niedergeschrieben von e. schott, Wiesbaden 1990, s. 419–538. computer-dokumentation altägyptischer Objekte an der staatlichen sammlung Ägyptischer Kunst münchen, in: museumskunde 55, 2 (1990), s. 129–135. aelians Krähe des Königs mares. Berichte antiker autoren über den raben im lichte altägyptischer Quellen, in: r. schulz/m. görg (hrsg.), lingua restituta Orientalis: Festschrift J. aßfalg (Ägypten und altes testament 20), münchen 1990, s. 135–154. Königsstatuen und hieroglyphen. integrierte dokumentation altägyptischer Objekte und texte, in: hochschulkongress ‘89. informationsverarbeitung in hochschule, Forschung und industrie, Berlin 26.–28. april 1989. dokumentation, Band 2: Vorführungen, münchen 1989, Vorführung 5. altägyptische tempelliteratur. Zur gliederung und Funktion der Bücherkataloge von edfu und el-tôd, in: s. schoske (hrsg.), akten des Vierten internationalen Ägyptologenkongresses, Band 3, münchen 1985, s. 159–169. der tod im Wasser. rituelle Feindvernichtung und hinrichtung durch ertränken, in: studien zur altägyptischen Kultur 16 (1989), s. 113–119. calembour, trommelwettstreit oder Kampf auf leben und tod in der autobiographischen steleninschrift des emhab?, in: the Journal of egyptian archaeology 75 (1989), s. 220–224.

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sonnenlauf und Vogelflug. das motiv der schwalbe mit der sonnenscheibe, in: Zeitschrift für ägyptische sprache und altertumskunde 116 (1989), s. 138–142. Feind-Bilder und Bilderverbrennung. ein Brandopfer zur rituellen Feindvernichtung in einer Festdarstellung der «chapelle rouge», in: Varia aegyptiaca 4 (1988), s. 207–213. ein altägyptisches Bronzeherz aus tall durdara, in: mitteilungen der deutschen Orientgesellschaft 120 (1988), s. 93–96. t3-nbw «goldland» und «nubien». Zu den inschriften auf dem listenfragment aus dem totentempel des djedkare, in: göttinger miszellen 106 (1988), s. 23–28. the West Field of the giza-necropolis: steindorff cemetery, in: abstracts of Papers of the Fifth international congress of egyptology, Kairo 1988, s. 116/117. Osiris als «gott, herrscher und herr». eine anonyme Opferformel als titel der Opferliste, in: Bulletin de la société d’Égyptologie genève 11 (1987), s. 63–70. ein Käfig für einen gefangenen in einem ritual zur Vernichtung von Feinden, in: the Journal of egyptian archaeology 73 (1987), s. 202–206. w3d shbt=w3d rhjt. Zur richtigen lesung von Wb i, 264.4, in: Varia aegyptiaca 2 (1986), ˘ s. 43–45. nubische lieder, in: h.-J. heinrichs (hrsg.), afrika. Bilder, die von der realität ausgehen, aber darüber die Kraft des Vergangenen und Zukünftigen in sich tragen, Frankfurt a. m./new York 1986, s. 212/213. titel und Vermerke in den Pyramidentexten, in: studien zur altägyptischen Kultur 13 (1986), s. 99–106. ein zweites sedfest des Königs adjib, in: Varia aegyptiaca 1 (1985), s. 91–98. das Fragment einer liste fremdländischer tiere, Pflanzen und städte aus dem totentempel des Königs djedkare-asosi. Zu drei bisher unbekannten afrikanischen toponymen, in: studien zur altägyptischen Kultur 12 (1985), s. 29–41. Funktion und gliederung der Bücherkataloge von edfu und el-tôd, in: s. schoske (hrsg.), abstracts of Papers of the Fourth international congress of egyptology, münchen 1985, s. 77. König hakoris als sonnenpriester. ein Porträt aus el-tôd im Ägyptischen museum zu Kairo, in: Bulletin de la société d’Égyptologie genève 9–10 (1984–1985, gedenkschrift für h. Wild), s. 109–112.

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ein statuentorso des hakoris aus ahnas el-medineh im Ägyptischen museum zu Kairo, in: göttinger miszellen 77 (1984), s. 13–17. = 60. ein Beleg für das Zahlwort «sechzig» aus der ptolemäisch-römischen epoche, in: göttinger miszellen 71 (1984), s. 27–35. Zu einer getilgten darstellung der hatschepsut im tempel von deir el-Bahari, in: göttinger miszellen 68 (1983), s. 93/94. ein Porträt der hatschepsut als gottesfrau und Königin, in: göttinger miszellen 65 (1983), s. 33–38. aufnahmen vom heqaib-heiligtum auf elephantine, in: göttinger miszellen 65 (1983), s. 25–31. Zur tradition des spruchtitels nj sw3d wdh..w.w. ein Fragment aus der Pyramide des Königs teti mit dem ritualvermerk eines unbekannten Opferrituals der mundöffnungszeremonien, in: studien zur altägyptischen Kultur 10 (1983), s. 185–203. Zu einer kryptographischen (änigmatischen) schreibung des substantivums kkw «Finster nis» im höhlenbuch (livre des Quererts): livre des Quererts (3), in: göttinger miszellen 32 (1979), s. 23–26. ein Zitat aus den Pyramidentexten in einem ptolemäischen ritualtext des horus-tempels von edfu: edfou iii, 130. 14–15 = Pyr. 376b (spr. 269). Zur tradition altägyptischer texte. Voruntersuchung einer theorie der gattungen, in: göttinger miszellen 31 (1979), s. 35–46. dwn-h.3t und rs-h.r als namen eines torwächters in der unterwelt. Zu zwei Beinamen des sobek und zur Bezeichnung krokodilköpfiger gottheiten, in: göttinger miszellen 31 (1979), s. 27–34. gemeinsam mit A. Denker: Bestimmung des inhalts eines ägyptischen Flakons mit hochenergetischen Protonen, in: archäometrie und denkmalpflege 2007. Jahrestagung in der Fachhochschule Potsdam, 19.–22. september 2007, Potsdam 2007, s. 18–20.

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gemeinsam mit Hans-Werner Fischer-Elfert: autobiographie und apotheose. die statue des ZS(S)n [email protected]@rw im staatlichen museum Ägyptischer Kunst münchen, in: Zeitschrift für ägyptische sprache und altertumskunde 130 (2003), s. 60–80. gemeinsam mit C. Freiherr, F. Eder, S. Merchel, Munnik, Chr. Neelmeijer und A. D. Renno: analyse leichter elemente mittels Kernreaktionsanalyse an der ionenstrahlmikrosonde. Posterpräsentation auf der deutschen tagung für Forschung mit synchronstrahlung, neutronen und ionenstrahlen an großgeräten, Bonn 2014. gemeinsam mit R. Gebhard, E. Blumenau, J. Brünner, E. Emmerling, P. Dietemann, G. Grundmann, S. Gussmann, E. Höfle, K. Holl, B. Jändl, M. Pfanner, A. Rommel, M. Schaich, R. Snethlage, M. Sonnenwald, J. Stolz, H. Stege, L. Thiemann und N. Wagner: the Polychromy of neoassyrian Bas-reliefs from the northwest Palace of ashurnasirpal ii at nimrud. First report from the munich study, in: Wen bo, relics and museology 2009/6 (2011), s. 332–341. gemeinsam mit Isabel Grimm Stadelmann: O isis und Osiris – welche Wonne! alt-Ägypten im musiktheater: ein außergewöhnlicher Konzertabend im staatlichen museum Ägyptischer Kunst münchen, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 43 (2010), s. 20–25. Weiß und Blau wie der nil. Zur neupräsentation der Orientalischen sammlung von herzog maximilian in Bayern im museum Kloster Banz, in: amun. magazin für die Freunde der Ägyptischen museen 42 (2009), s. 24–31. hierogrammatismus oder die Welt als hieroglyphe. eine kosmologische allegorese des athanasius Kircher, in: W. seipel (hrsg.), Ägyptomanie. europäische Ägyptenimagination von der antike bis heute (schriften des Kunsthistorischen museums 3), Wien 2000, s. 193–211. gemeinsam mit Isabel Grimm-Stadelmann und Wolfgang Locher: «ein vollkommenes Jahr» – geschützt vor Krankheit und bösem Blick, in: münchner Ärztliche anzeigen 1 (2012), s. 11. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gemeinsam mit A. Loerbroks, F. Hoffmann und C. Kirschbaum: stressful ancient egypt? assessing cortisol concentrations in a mummy’s hair, in: release from american Psychosomatic society meeting, san antonio/texas, san antonio 2011. gemeinsam mit Ilse von zur Mühlen: einträge zum Bayerischen nationalmuseum, in: a. grimm (hrsg.), Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern. tätigkeitsbericht 2016/2017, Passau 2017 [im druck]. einträge zum Bayerischen nationalmuseum, in: a. grimm (hrsg.), Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern. tätigkeitsbericht 2015/2016, Passau 2016. gemeinsam mit Hermann A. Schlögl: das verschollene grab. Zur geschichte einer prominenten Bauleiter- und Bildhauerfamilie der 18. dynastie, in: K. Zibelius-chen/h.-W. Fischer-elfert (hrsg.), «Von reichlich ägyptischem Verstande»: Festschrift für W. guglielmi (Philippika. marburger altertumskundliche abhandlungen 11), Wiesbaden 2006, s. 43–65. gemeinsam mit Sylvia Schoske: die stele des Kaha (im Blickpunkt 20), münchen 1995. eine stele des mittleren reiches (im Blickpunkt 2), münchen 1991. gemeinsam mit Erika Schott: siegfried schott (1897–1971): Verzeichnis seiner schriften, in: göttinger miszellen 57 (1982), s. 79–87. index zu schott, s., mythe und mythenbildung im alten Ägypten, ugaÄ 15 (leipzig 1945), in: göttinger miszellen 32 (1979), s. 75–91. gemeinsam mit Dietrich Wildung: das münchner iBm-Projekt, in: informatique et Égyptologie 7 (1990), s. 45–49.

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das studium der menschheit

HandbucH- und lexikoneinträge Ägypten, in: m. engel (hrsg.), rilke-handbuch. leben – Werk – Wirkung, stuttgart/Weimar 2013, s. 27–33. Bernhard Wilhelm von Bothmer, in: a. aurnhammer/W. Braungart/st. Breuer/u. Oelmann (hrsg.), stefan george und sein Kreis. ein handbuch. Band 3, Berlin/Boston 2012, s. 1304–1307. dietrich Felix von Bothmer, in: a. aurnhammer/W. Braungart/st. Breuer/u. Oelmann (hrsg.), stefan george und sein Kreis. ein handbuch. Band 3, Berlin/Boston 2012, s. 1307–1309. Kurt heinrich sethe, in: neue deutsche Biographie 24, Berlin 2010, s. 274–276. gustav seyffarth, in: neue deutsche Biographie 24, Berlin 2010, s. 296/297. Wilhelm spiegelberg, in: neue deutsche Biographie 24, Berlin 2010, s. 682–684. siegfried schott, in: neue deutsche Biographie 23, Berlin 2007, s. 496–497. Ägypten, in: m. engel (hrsg.), rilke-handbuch. leben – Werk – Wirkung, stuttgart/Weimar 2004, s. 27–33. hans Wolfgang müller, in: neue deutsche Biographie 18, Berlin 1997, s. 401–403.

katalogbeiträge V. Brinkmann (hrsg.), sahure. tod und leben eines großen Pharao. ausstellungskatalog der liebieghaus skulpturensammlung Frankfurt a. m. 2010, Frankfurt a. m. 2010, s. 324 (nr. 61). den hieroglyphen auf der spur. särge, stelen und gelehrte – und ludwig van Beethoven, in: d. Willoweit (hrsg.), Wissenswelten. die Bayerische akademie der Wissenschaften und die wissenschaftlichen sammlungen Bayerns. ausstellungen zum 250-jährigen Jubiläum der Bayerischen akademie der Wissenschaften, münchen 2009, s. 232–244. ch. Ziegler (hrsg.), Queens of egypt from hetepheres to cleopatra. ausstellungskatalog monaco 2008, monaco/Paris 2008, s. 286/287 (nr. 102). ch. Ziegler (hrsg.), reines d’Égypte d’hétephérès à cléopâtre. ausstellungskatalog monaco 2008, monaco/Paris 2008, s. 286/287 (nr. 102).

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umetnost starega egipta – ponovno rojstvo in odkritje, in: F. tiradritti (hrsg.), Faraonska renesansa. arhaizem in pomen zgodovine v starem egiptu. ausstellungskatalog ljubljana 2008, ljubljana 2008, s. 141. the art of ancient egypt – rebirth and rediscovery, in: F. tiradritti (hrsg.), Pharaonic renaissance. archaism and the sense of history. ausstellungskatalog ljubljana 2008, ljubljana 2008, s. 147–159. F. tiradritti (hrsg.), Faraonska renesansa. arhaizem in pomen zgodovine v starem egiptu. ausstellungskatalog ljubljana 2008, ljubljana 2008, s. 168 (nr. 28), 201 (nr. 138/139). F. tiradritti (hrsg.), Pharaonic renaissance. archaism and the sense of history. ausstellungskatalog ljubljana 2008, ljubljana 2008, s. 175 (nr. 28), 210 (nr. 138/139). scala die: la pirámide; el sol en el inframundo – ritual y culto – sacerdotes – dioses lunares – Vitzliputzi y Osiris. Quimeras occidentales sobre el méxico precolombino y el antiguo egipto en el siglo XVii, in: Faraón. el culto al sol en el antiguo egipto. ausstellungskatalog mexiko-stadt 2005, mexiko 2005, s. 79, 87, 135, 147–148, 161, 213–235. Faraón. el culto al sol en el antiguo egipto. ausstellungskatalog mexiko-stadt 2005, mexiko 2005, s. 80–96 (nr. 48–60), 140 (nr. 95/96), 159 (nr. 107), 162–169 (nr. 109–116). aegyptiaca in europa; die Privatsammlungen des comte de caylus und des Kardinals melchior de Polignac in Paris – aegyptiaca in Wien und münchen – antiquarische studien und hieroglyphenkunde der renaissance und des Barock: europäische Ägyptenimaginationen vor Johann Joachim Winckelmann – «Komme und siehe» oder: «erkennen heißt, mit den augen essen». Johann Joachim Winckelmann als Begründer der Kunstgeschichte Ägyptens – Johann Joachim Winckelmann und die ägyptische götterwelt – das münchener ensemble ägyptisierender götterdarstellungen aus dem Klassizismus – im schatten Winckelmanns. Vom Pantheon in Wörlitz zur münchener glyptothek König ludwigs i., in: a. grimm/s. schoske (hrsg.), Winckelmann und Ägypten. die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert, ausstellungskatalog münchen 2005, münchen 2005, s. 52/53, 70/71, 77/78, 83–90, 138–158, 161–168, 177, 182–187. a. grimm/s. schoske (hrsg.), Winckelmann und Ägypten. die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert. ausstellungskatalog münchen 2005, münchen 2005, s. 22 (nr. 7), 29/30 (nr. 10 [und m. Kunze]–13), 35 (nr. 16), 49/50 (nr. 26/27), 54–69 © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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(nr. 30–48), 72–76 (nr. 50–57), 80–82 (nr. 59–61), 90–92 (nr. 62/63), 95 (nr. 68), 127– 137 (nr. 104–110), 169–174 (nr. 111–114), 178–181 (nr. 116–122), 187–191 (nr. 123– 128). antichità egizie in europa – le collezioni private del conte di caylus e del cardinale melchior de Polignac a Parigi – antichità egizie a Vienna e a monaco di Baviera – studi sulle antichità e sui geroglifici in epoca rinascimentale e barocca: l’egitto nell’ immaginario europeo prima di Johann Joachima Winckelmann – «Vieni e Vedi» ovvero: «conoscere significa mangiare con gli occhi». Johann Joachim Winckelmann come fondatore della storia dell’arte egizia – Johann Joachim Winckelmann e il pantheon egizio – monaco di Baviera: la serie delle figure egittizzanti di divinità risalente al classicismo – all’ombra di Winckelmann. dal Pantheon di Wörlitz alla gliptoteca di re ludovico i a monaco di Baviera, in: a. grimm/g. a. mina Zeni (hrsg.), Winckelmann e l’egitto. la riscoperta dell’arte egizia nel XViii secolo, ausstellungskatalog ligornetto 2004 (cataloghi del museo Vela 2), Bern 2004, s. 54/55, 72/73, 79/80, 85–92, 85–92, 140–158, 161–168, 177, 182–187. a. grimm/g. a. mina Zeni (hrsg.), Winckelmann e l’egitto. la riscoperta dell’arte egizia nel XViii secolo. ausstellungskatalog ligornetto 2004 (cataloghi del museo Vela 2), Bern 2004, s. 24 (nr. 7), 31/32 (nr. 10 [und m. Kunze]–13), 37 (nr. 16), 48 (nr. 23 [und m. Kunze]), 51 (nr. 26), 52 (nr. 27), 56–71 (nr. 30–48), 78 (nr. 57), 82–84 (nr. 59–61), 92–94 (nr. 62/63), 97 (nr. 68), 129–139 (nr. 104–110), 169–174 (nr. 111–114), 178– 181 (nr. 116–122), 187–191 (nr. 123–128). aegyptiaca in europa – antiquarische studien und hieroglyphenkunde der renaissance und des Barock – «Komme und siehe» oder «erkennen heißt, mit den augen essen»: Winckelmann als Begründer der Kunstgeschichte Ägyptens – Johann Joachim Winckelmann und die ägyptische götterwelt – das münchner ensemble ägyptisierender götterdarstellungen aus dem Klassizismus – im schatten Winckelmanns, in: m. Kunze (hrsg.), Winckelmann und Ägypten. die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert, ausstellungskatalog stendal 2003, stendal 2003, s. 45–64, 65–70, 108–118, 119–125, 132, 137–141. m. Kunze (hrsg.), Winckelmann und Ägypten. die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert. ausstellungskatalog stendal 2003, stendal 2003, s. 24/25 (nr. i.B.3–i.B.5), 29/30 (nr. i.B.8), 47–50 (nr. i.d.3–i.d.8), 52–55 (nr. i.d.10–i.d.16), 56/57 © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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(nr. i.d.18–i.d.20), 60 (nr. i.d.29), 64 (nr. i.d.31), 70–73 (nr. i.e.1–i.e.2), 96–106 (nr. ii.d.1–ii.d.7), 125–131 (nr. iii.1–iii.4), 132–137 (nr. iV.a.1–iV.a.8), 141–143 (nr. iV.B.1– iV.B.6). m. Kunze (hrsg.), die sieben Weltwunder der antike. Wege der Wiedergewinnung aus sechs Jahrhunderten. ausstellungskatalog stendal 2003, stendal/mainz 2003, s. 16 (nr. i.2a), 51–56 (nr. ii.1–ii.7). ch. Ziegler (hrsg.), i Faraoni. ausstellungskatalog Venedig 2002, mailand 2002, s. 410 (nr. 58). ch. Ziegler (hrsg.), the Pharaohs. ausstellungskatalog Venedig 2002, mailand 2002, s. 443 (nr. 140). a. grimm/s. schoske (hrsg.), stimmen vom nil. altägypten im spiegel seiner texte. Begleitpublikation zur sonderausstellung münchen 2002, münchen 2002, s. 2–68 (nr. 1–47). l. Wamser/r. gebhard (hrsg.), gold: magie, mythos, macht. gold der alten und neuen Welt. ausstellungskatalog münchen 2001, stuttgart 2001, s. 217/218 (nr. 17/18). a. grimm/s. schoske (hrsg.), das geheimnis des goldenen sarges. echnaton und das ende der amarnazeit. ausstellungskatalog münchen 2001 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 10), münchen 2001, s. 142 (nr. 25), 149–152 (nr. 58–73). Von amarna ins tal der Könige – das münchner Konvolut aus «KV 55» – goldsarg ohne geheimnis – das geheimnis des anonymen sarges – Ägyptologisches Kaleidoskop, in: a. grimm/s. schoske (hrsg.), das geheimnis des goldenen sarges. echnaton und das ende der amarnazeit, ausstellungskatalog münchen 2001 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 10), münchen 2001, s. 51–56, 64–79, 101–114, 115–120, 121–136. Papyrus (in Zusammenarbeit mit e. arnold), in: schrift-stücke. informationsträger aus fünf Jahrtausenden. eine ausstellung der Bayerischen staatsbibliothek und des Bayerischen hauptstaatsarchivs, münchen, 19. Juli–20. september 2000, münchen 2000, s. 100/101. schrift-stücke. informationsträger aus fünf Jahrtausenden. eine ausstellung der Bayerischen staatsbibliothek und des Bayerischen hauptstaatsarchivs, münchen, 19. Juli– 20. september 2000, münchen 2000, s. 84 (nr. 51), 86 (nr. 53), 101 (nr. 70), 102 (nr. 72). a. grimm/s. schoske (hrsg.), am Beginn der Zeit. Ägypten in der Vor- und Frühzeit. ausstellungskatalog münchen 2000 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 9), mün© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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chen 2000, s. 18–24 (nr. 1–17), 25 (nr. 21), 26 (nr. 22), 27 (nr. 24), 29 (nr. 29), 33 (nr. 39/40), 35 (nr. 44), 36–38 (nr. 46–51), 54–56 (nr. 97–102), 70–77 (nr. 147–165). macht des schicksals: Königtum zwischen selbstreflexion und selbstrepräsentation, in: d. Wildung (hrsg.), Ägypten 2000 v. chr. die geburt des individuums, ausstellungskatalog Würzburg 2000, münchen 2000, s. 25–40. F. tiradritti (hrsg.), il cammino di harwa. l’uomo di fronte al mistero: l’egitto. ausstellungskatalog mailand 1999, mailand 1999, s. 160 (nr. 2, 6), 161 (nr. 10), 162 (nr. 24), 163 (nr. 36). hatschepsut – Pharao von gottes gnaden, in: a. grimm/s. schoske (hrsg.), hatschepsut. Königin Ägyptens, ausstellungskatalog münchen 1999 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 8), münchen 1999, s. 2–32. a. grimm/s. schoske (hrsg.), hatschepsut. Königin Ägyptens. ausstellungskatalog münchen 1999 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 8), münchen 1999, s. 52 (nr. 2/3), 55 (nr. 12), 58/59 (nr. 16–18). Wiedergeburt einer Königin – im Zeichen des mondes – Ägypten im spannungsfeld dreier Kulturen, in: a. grimm/s. schoske (hrsg.), im Zeichen des mondes. Ägypten zu Beginn des neuen reiches, ausstellungskatalog münchen 1999 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 7), münchen 1999, s. 2–33, 35–48, 51–69. a. grimm/s. schoske (hrsg.), im Zeichen des mondes. Ägypten zu Beginn des neuen reiches. ausstellungskatalog münchen 1999 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 7), münchen 1999, s. 94/95 (nr. 8–10), 96–99 (nr. 15–22), 105 (nr. 39/40), 106/107 (nr. 43–47), 112 (nr. 60), 113/114 (nr. 63/64). a. m. donadoni roveri/F. tiradritti (hrsg.), Kemet: alle sorgenti del tempo. l’antico egitto dalla preistoria alle piramidi. ausstellungskatalog ravenna 1998, mailand 1998, s. 226/227 (nr. 187), 269 (nr. 253–256). Égypte romaine, l’autre Égypte. ausstellungskatalog marseille 1997, marseille 1997, s. 168 (nr. 196), 204 (nr. 206), 209 (nr. 216). iside imperiale. aspetti storico-culturali del culto isiaco al tempo degli imperatori romani – Frammenti di statue ritrovati nel tevere conservati a monaco; gruppo di die in stile egittizzante di epoca barocca conservato a monaco, in: e. a. arslan/F. tiradritti/m. a. Brida/a. magni (hrsg.), iside. il mito, il mistero, la magia, ausstellungskatalog mailand 1997, mailand 1997, s. 120–133, 174, 638. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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e. a. arslan/F. tiradritti/m. a. Brida/a. magni (hrsg.), iside. il mito, il mistero, la magia. ausstellungskatalog mailand 1997, mailand 1997, s. 97/98 (nr. iii.3/4), 162 (nr. iV.4), 167 (nr. iV.13/14), 170 (nr. iV.20), 171 (nr. iV.22), 174–179 (nr. iV.24–34), 635 (nr. X.2), 638–640 (nr. X.6–11). Pharaos einziger Freund. Beamtenschaft und Königshof – lebendes abbild gottes. Königtum zwischen mensch und gott – Von re gezeugt, von isis gesäugt. Pharao im schutz der götter, in: a. grimm/s. schoske/d. Wildung, Pharao. Kunst und herrschaft im alten Ägypten, ausstellungskatalog Kaufbeuren 1997, münchen 1997, s. 37–39, 102–104, 141–143. a. grimm/s. schoske/d. Wildung, Pharao. Kunst und herrschaft im alten Ägypten. ausstellungskatalog Kaufbeuren 1997, münchen 1997, s. 45 (nr. 31), 118/119 (nr. 90), 160/161 (nr. 118). Ägypten. schätze aus dem Wüstensand. Kunst und Kultur der Kopten am nil. ausstellungskatalog hamm 1996, Wiesbaden 1996, s. 197 (nr. 195), 197/198 (nr. 196), 198 (nr. 197), 208 (nr. 211). «Berauscht vom tiefen Zeitentrunke». adolf Friedrich von schacks Orientreise des Jahres 1872 an der seite von heinrich Brugsch, in: chr. lenz (hrsg.), adolf Friedrich graf von schack. Kunstsammler, literat und reisender, ausstellungskatalog münchen 1994, heidelberg 1994, s. 110–134. chr. lenz (hrsg.), adolf Friedrich graf von schack. Kunstsammler, literat und reisender. ausstellungskatalog münchen 1994, heidelberg 1994, s. 180–182 (nr. 92–102). schrift und sprache, in: s. schoske/a. grimm/i. Bacher-göttfried/g. Wenzel, Ägyptische Keramik. Begleitmaterial für den schulunterricht in der Ägyptischen abteilung im internationalen Keramikmuseum Weiden, münchen 1990, suo loco. salbenkammern und laboratorien – gründungsbeigaben – spiegel; Festduft für menschen und götter, in: s. schoske/a. grimm/B. Kreißl, schönheit – abglanz der göttlichkeit. Kosmetik im alten Ägypten, ausstellungskatalog ingolstadt 1990 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 5), münchen 1990, s. 10–12, 13, 27/28, 32–39. tier und König – tier und nahrung – tier und schrift, in: s. schoske/a. grimm, gejagt und vergöttlicht. das tier im alten Ägypten. Begleitpublikation zur sonderausstellung in münchen 1990, münchen 1990, suo loco.

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gemeinsam mit Isabel Grimm-Stadelmann: Primadonna assoluta: Kleopatras nachleben im musiktheater, in: e. Bronfen/a. lulinska (hrsg.), Kleopatra. die ewige diva. ausstellungskatalog Kunst- und ausstellungshalle der Bundesrepublik deutschland, Bonn, 28.06.–06.10.2013, Bonn 2013, s. 105–115. Zauberhaftes alt-Ägypten. schwarze und weiße magie an den ufern des nils, in: a. grimm/s. schoske (hrsg.), isisblut & steinbockhorn. amulett und talisman in altägypten und im alpenraum, ausstellungskatalog münchen 2010 (schriften aus der Ägyptischen sammlung 11), münchen 2010, s. 34–75.

rezensionen Jan schleusener, raub von Kulturgut. der Zugriff des ns-staats auf jüdischen Kunstbesitz in münchen und seine nachgeschichte (Bayerische studien zur museumsgeschichte 3), Berlin/münchen 2016, in: museum heute 51 (Juni 2017), s. 83/84.

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«… denn das eigentliche studium der menschheit ist der mensch.»

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A l’entrée d’un village arabe./Le Caire Dhahabiyes au bord du Nil. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt, gelaufen in Österreich am 28.04.1898, W. hagelberg, Berlin

«cairo, hotel ‹house of mercantil, 28./4.1898›» «sehr geehrte Familie Berta, soeben 8h abends mit dem dampfschiff ‹trockenwasser› in cairo angekommen. ich beabsichtige eine kleine nilexkursion zu unternehmen. Pastner ist mein Begleiter. er wundert sich sehr, daß es in egypten auch ansichtskarten gibt; er glaubte hier schreibe man nur auf Papyrusrollen oder auf Ziegelsteinkarten. man hat von cairo aus einen hübschen Überblick über afrika, asien, europa samt den angrenzenden dörfern. Wirklich ganz fidele gegend! ich werde mir erlauben, von jeder etappenstation über land, leute und thiere zu berichten. herzliche handküsse W. Pastner, Jos. Klein»

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ägypten leuchtet edith bernhauer · münchen

einblicke in die anfänge der postkartenindustrie

im mittelpunkt der folgenden ausführung1 stehen vier Postkartenmotive2 aus Ägypten, deren entstehungszeit vor 1897, aber auch nicht früher als 1895 zu suchen ist. der schwerpunkt ihrer laufzeit ist zwischen 1898 und 1903 anzusiedeln. die vorzustellenden Postkarten zählen noch zu der Frühphase der Postkartenindustrie, die in Ägypten ab den 1893er Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. hergestellt wurden sie im Farbdruck von der Firma W. hagelberg3 in Berlin. die als chromolithographie bezeichnete technik hat ab circa 1895 eingang in den druck von Postkarten gefunden. W. hagelberg besaß zu jener Zeit im deutschen reich die größte Firma für luxuspapier, wozu auch Postkarten gehörten. die damalige Bedeutung der Firma läßt sich bis heute an den zusätzlichen niederlassungen in london (seit 1885) und new York (seit 1889) erkennen. die Produktpalette umfaßte insgesamt 170 Positionen. es wurden u. a. Plakate, reklame- und gratulationskarten, halskrägen für hemden, lampenschirme, spitzenpapier, lampions oder Briefbögen u. s. w. produziert. Bei der luxuspapierfabrikation standen vor allem die techniken des Bedruckens, des Prägens, des ausstanzens, des Bemalens von Papier und 1 grundlagen für diesen Beitrag bilden folgende artikel von c. Brand, reisen nach Ägypten und reiseziele im delta sowie Postkarten, in: c. Brand/e. Bernhauer (hrsg.), egypt to mail. Bd. i: untertägypten, Fotographie und archäologie 3, Vaterstetten 2015, s. 9–13, s. 23–33. hilfreich beim entziffern der nicht leicht lesbaren texte auf den Postkarten waren g. Bernhauer, m. Floßmann-schütze und g. Jaculi. ihnen allen möchte ich meinen dank aussprechen. die maße der Postkarten werden nicht detailiert angegeben. sie schwanken zwischen 8,7–9,1x13,8–14,0 cm. 2 unter Postkarte wird hier eine mit darstellungen und schreibfläche sowie adressfeld versehene Karte verstanden. 3 h. schmidt-Bachem, Beiträge zur industriegeschichte der Papier-, Pappe- und Folienverarbeitung in deutschland, düren 2009, s. 263–266. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Pappe und Veredelns im Vordergrund. der Postkartenbereich war zumindest für Ägypten, im gegensatz zu deutschland, ein kleiner nebenerwerb. Jene vier motive4 scheinen den Beginn der Postkartenproduktion von W. hagelberg in Ägypten darzustellen. im laufe der Zeit, allerdings nur bis spätestens 1907, hat W. hagelberg noch weitere Ägyptenmotive5 produziert. sie umfaßten neben Kairo auch das delta. neben städten wie alexandria und Port said als ankunfts- oder abreiseorte gehörten auch ismailia und der suezkanal zu den weiteren reisezielen der touristen. dies spiegelt sich im Postkartensortiment auch bei W. hagelberg wieder. Vereinzelt fanden gleichfalls Fotos in die ägyptische Postkartenreihe dieser Firma eingang. mindestens 25 verschiedene – häufig das leben und die stadt zeigende – motive6 sind heute noch zu finden. selten standen antike sehenswürdigkeiten – viele waren noch gar nicht ausgegraben – im mittelpunkt des interesses von reisenden. eher waren es land und leute, wie auch die Postkartenmotive zu erkennen geben. den ausgangspunkt der serie bilden zwei Postkarten mit je zwei motiven (abb. 1, 9, tafel 1). dabei ist das kaufmännische talent von W. hagelberg nicht zu übersehen. aus jeweils einer dieser Postkarten entstehen weitere acht Karten, so dass von den vier motiven schließlich insgesamt 18 Postkarten vorliegen. Wie sich zeigen wird, ergeben sich noch weitere möglichkeiten, nämlich als reklameträger für Zigaretten und als mond- bzw. morgenrötekarten. Zu sehen sind insgesamt auf den zwei ausgangspostkarten (abb. 1, 9, taf. 1 und 2) vier motive, deren gemeinsamkeiten Palmen, Wasser und men4 Zu großem dank bin ich c. Brand verpflichtet, die mir aus ihrer sammlung zur abrundung des gesamtbildes ihre Postkarten zur Verfügung gestellte hat. außerdem danke ich ihr für die konstruktiven Beiträge zu einem noch kaum bearbeiteten Forschungsgebiet. 5 die Firma W. hagelberg stellt für den deutschen markt besonders die «haltgegen-das-licht» Karten her. 6 Z. B. www.elia.og.gr (hellenic literary and historical archive) und m. Karkégi/ r. solé, l’Égypte d’hier, o. O. 2008, s. 172 (Port said, dess. 12l), s. 176 (Port said/suezkanal, dess. 26). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schen sind: das erste motiv «dhahabiya»7 (abb. 1, taf. 1) zeigt ein segelboot sowie Boote auf dem Wasser/nil und menschen in die landschaft gesetzt; das zweite motiv «village arabe» (abb. 1, taf. 1) gibt einen verträumten Ort mit häusern, moscheen, menschen, Palmen und kleinen segelbooten am Wasser wieder; das dritte motiv «les Pyramides» (abb. 9, taf. 2) ist durch die Pyramiden von giza (cheops und chefren von rechts) im hintergrund und mit natur, Kamel, esel und menschen im Vordergrund sowie Wasser dazwischen gekennzeichnet; das vierte motiv schließlich «Kafr» (abb. 9, taf. 2) besitzt die namensgleichheit mit einem größeren Ort bei den Pyramiden von giza. es läßt im hintergrund wieder zwei Pyramiden (cheops und chefren) und im Vordergrund mehrere häuser an einem Wasser mit gänsen und einem schaduf sowie Personen erkennen. «grüße aus afrika» (abb. 7) oder langatmigere texte wie «Bevor ich den rückweg (Ägypten) antrete, schicke ich ihnen nochmals alle meine Küsse, meine liebe mama. Vier monate sind schnell vergangen» (abb. 6) gehörten zur gängigen Korrespondenz auf diesen hier ausgewählten Postkarten der Zeit vom ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. eher eine ausnahme von länge und inhalt stellt jener text dar: «so wandere ich durchs land, einsam, still und alleine, bei tag u. bei mondenscheine, ein Fremdling, unerkannt und zieh ich hin und her, seh’ überall dein Bild, so schön, so engelmild. O, wenn ich bei dir doch wär!» (abb. 4). der Bürger jener Zeit – egal ob im eigenen land oder auf einer reise –, wobei das Bild mehr im mittelpunkt stand als der text, verwendete jenes medium. da das Postwesen gut funktionierte, selbst von Ägypten benötigte die Post nach europa nur eine Woche, heute mit viel glück zwei Wochen, häufig aber länger, war dies kein Problem. das damals neue medium in seiner intensiven Benutzung vergleichbar dem heutigen handy oder i-Phone, erlebte seinen siegeszug ab den 1890er Jahren. teilweise wurde täglich, nicht unbedingt inhaltsreich wie die Beispiele zeigen, geschrieben und verschickt. 7 die motive werden nicht mit ihrem gesamttitel angesprochen, sondern ein schlagwort für die ansprache wird ausgewählt. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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um eine Vorstellung zu entwickeln wie viele ansichtskarten8 versendet wurden, seien folgende Beispiele genannt. 1904 waren es weltweit 4 milliarden, in deutschland in der Zeit um 1900 10 millionen.9 in Ägypten – hier werden Briefe und Postkarten zusammengezählt – waren es 1890 über 6 millionen, 1900 um die 11 millionen, schließlich hatte sich 1910 die anzahl auf 26 millionen erhöht. die Zahl der sendungen von Ägypten ins ausland steigerte sich in dem entsprechenden Zeitraum von 1,5 auf 2,75 und schließlich 9 millionen. die Faszination für das alte Ägypten erfuhr während des 19. Jahrhunderts einen enormen aufschwung. anstöße hierzu gaben zunächst in Verbindung mit der Besetzung Ägyptens durch napoleon Bonaparte 1798–1801 das Werk «description de l’egypte», das bereits 1809 veröffentlicht worden war. hinzu kam die entzifferung der hieroglyphen durch J.-F. champollion an hand des steins von rosette im Jahr 1822. nicht unbedeutend war auch die preußische expedition von 1842–1845 unter leitung des Ägyptologen r. lepsius nach Ägypten. als ergebnis dieser reise kam ein zwölfbändiges Werk mit dem titel «denkmäler aus Ägypten und Äthiopien» heraus.10 außerdem soll nicht unerwähnt bleiben, dass mit mehemed ali (reg. 1805– 1849) ein herrscher11 in Ägypten an die macht kam, der sich um eine intensive modernisierung des landes bemühte. als Folge machten sich interessierte und betuchte, häufig dem adel entstammende Personen wie herzog maximilian in Bayern im Jahr 183812 per schiff von europa auf den Weg. Zumeist führte die reise nach alexandria oder später auch Port said, um dann nach Kairo und richtung süden weiterzugehen. eine Fülle von Büchern13 und illustrationen zu diesen reisen 8 ansichtskarte ist der gleichwertige Postkartenbegriff. Bei dieser statistik werden auch die unbebilderten Karten mitgezählt. 9 schmidt-Bachem, Beiträge zur industriegeschichte, s. 39. 10 c.-r. lepsius, denkmäler aus Ägypten und Äthiopien, 12 Bde., Berlin 1849–1859. 11 in jener Zeit gehörte Ägypten noch zum Osmanischen reich und mehemed ali war in Ägypten als Vizekönig eingesetzt. 12 herzog maximilian in Bayern bereiste das heilige land und Ägypten. 13 siehe hierzu z. B. heinrich von mayr, malerische ansichten aus dem Orient gesammelt auf der reise sr. hoheit des herrn herzog maximillian in Bayern im Jahr mdcccXXXViii, münchen [u. a.] 1839–1840. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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folgten. d. roberts, ein architekturmaler, bereiste 1838–1839 Ägypten, in Folge der reisen entstand ein dreibändiges illustriertes Werk. die europäische malerei, so z. B. zu sehen bei l.-c. müller oder c.-r. huber, nahm in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts freudig orientalische themen wie «der markt in Kairo» oder «sachmetstatuen im muttempel in Karnak» auf.14 die Fotographie nutzte ab circa 1850 Ägypten als experimentierfeld für eine neue erst am anfang befindliche technik. hier wären u. a. Fotographen wie m. du camp (1822–1894), F. Frith (1822–1896), J.-a. lorent (1813–1884) und W. hammerschmidt (aktiv 1858–1870) zu nennen.15 in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Ägypten durch die eisenbahn, erstes teilstück von alexandria nach suez 1858 fertiggestellt, den suezkanal, eröffnet 1869, und die dampferkonzession an thomas cook in den 1870er Jahren, immer mehr für den tourismus erschlossen. so nahm die anzahl der reisenden nach Ägypten, zunächst zumeist bis Kairo, aus breiten Bevölkerungsschichten bis zur Jahrhundertwende und darüber hinaus drastisch zu. das Bedürfnis nach bildlicher und schriftlicher Kommunikation war dadurch gegeben. der ursprung der Postkarte, die auch als ansichtskarte bezeichnet wird, ist die Korrespondenzkarte. es war eine offen lesbare Karte, die in Österreich 1869 zum ersten mal in umlauf gebracht wurde. Zunächst einseitig (circa 1893–1895), später zweiseitig bedruckt, wird die Postkarte mit einer größe von circa 9x14cm durch ein adressfeld, die sogenannte Vorderseite und ihre rückseite gekennzeichnet. die rückseite ist am Beginn der Postkartenentwicklung durch zumeist mehrere darstellungen (collagen teilweise mit haupt- und nebenmotiv) und einen gewissen Freiraum für den text gekennzeichnet. dieser kann sich u. a. seitlich rechts oder links, aber auch unterhalb des oder der motive(s) befinden. die collagetechnik verliert sich schrittweise 14 m. haja, die geschichte der sphinx, aspekte der Ägyptomanen malerei im 19. Jahrhundert, in: W. seipel (hrsg.), Ägyptomanie, schriften des Kunsthistorischen museums Bd.3, Wien 2000, s. 135–157. 15 c.-B. arnst, grandiose ruinen, stimmungsvolles licht. historische Fotographien aus Ägypten, in: m. Kunze (hrsg.), erinnerungen Ägypten, rupolding/mainz 2010, s. 11–22. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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A l’entrée d’un village arabe./Le Caire; Dhahabiyes au bord du Nil. Souvenir du Caire (© c. Brand), ungeteilt, gelaufen wohl als Briefpostkarte, W. hagelberg, akt. ges. Berlin

«Borrdeaux 11 heures du soir» «chère nénette,

liebe nénette,

J’ai recu de vos nouvelles hier au soir et je m’empresse d’y répondre comme vous me le dites sur votre lettre Je vois que vous aurez (?) vous aussi des malades J’ai mon frère aussi qui est très enrhumé. Bordeaux 11 uhr am abend»

ich habe ihre neuigkeiten gestern abend erhalten und ich beeile mich zu antworten wie sie mir in ihrem Brief sagen. ich sehe, daß sie auch Kranke haben werden (?).

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Le Caire; Dhahabiyes au bord du Nil. Souvenir de (© c. Brand), ungeteilt, gelaufen in Österreich am 29.04.1898, W. hagelberg, Berlin

«fiel – sand – shh – ihh am nil, 29./4.1898» «1. in dem land der Pharaonen thun gar seltsam thiere wohnen 2. da ist zuerst das Krokodil das weint, wenn man es streicheln will 3. das nilpferd aber ist erbost schimpft man es frech rhinoceros. 4. ganz eigen benimmt sich auch der strauß – kommt man zu ihm, so reißt er aus. 5. Oder er steckt seinen dämlichen Kopp in einen leeren suppentopp 6. dann kann man ohne sich viel zu genieren mit seinen Federn den hut gleich garnieren 7. so gibt es hier thiere allerhand theils mit u. auch theils ohne Verstand 8. ich berichte darüber das nächste mal und sende ihnen grüße ohne Zahl

W. Pastner» (Bleistift/linke ecke)

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A l’entrée d’un village arabe. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt, gelaufen in Österreich am 07.05.1898, W. hagelberg, Berlin

«6./5/98» «so wandere ich durchs land einsam, still und alleine Bei tag u. bei mondenscheine ein Fremdling, unerkannt und zieh ich hin und her seh’ überall dein Bild so schön, so engelmild. O, wenn ich bei dir doch wär! (melodie mikado-Walzer) herzinnigste grüße Pepi herzliche handküsse u. grüße an ihre lieben»

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Le Caire; Dhahabiyes au bord du Nil. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt, nicht gelaufen, W. hagelberg, Berlin 35980 dess. 4

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Le Caire; Dhahabiyes au bord du Nil. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt, gelaufen von Ägypten am 13.11.1898 nach Frankreich, W. hagelberg, Berlin 35980 dess. 8

«avant de prendre la route de retour je vous envoie encore tous mes baisers, ma chère maman. Quatre mois sont vitre passés. georgs»

Bevor ich den rückweg antrete, schicke ich ihnen nochmals alle meine Küsse, meine liebe mama. Vier monate sind schnell vergangen. georgs

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A l’entrée d’un village arabe. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt, gelaufen von Ägypten am 30.01.1899 nach Österreich, W. hagelberg, Berlin 35980 dess. 6

«Portsaid 30./1.1899 Beste grüße aus afrika. stephan»

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A l’entrée d’un village arabe. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt, gelaufen von Ägypten am 31.05.1899 nach deutschland 7.06.1899, W. hagelberg, Berlin 35980 dess. 1

«caire de 28.5.99 die freundlichen grüße vom 22. (?) aus dem höllenthal erwidert aufs herzlichste und mit bestem dank albert v. Funk schönste grüße an die werthen ihrigen.»

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Le Caire Kafr près les Pyramides de Sakkara. [richtig: giza], Les Pyramides de Gizeh. Souvenir de (© c. Brand), ungeteilt, gelaufen von Ägypten am 27.09.1898 nach deutschland 02.10.1898, Änderung der anschrift am 21.10.1998, W. hagelberg, Berlin

«Port said. 26.9.98 Besten gruß major harnich»

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Les Pyramides de Gizeh. Souvenir de (© edith Bernhauer), ungeteilt gelaufen in Österreich am 01.05.1898, W. hagelberg, Berlin

«gizeh, 30./4.1898»

« 1. ich komme soeben von den Pyramiden. dort war mir eine große entdeckung beschieden. 2. zwei mumien sah ich in einem schrein, die eine groß, die andere ganz klein. 3. die große ist ‹ramses ii.› benannt, die Kleine aber noch unbekannt. 4. ich machte mich daher sofort daran und stellte eine untersuchung an. 5. und kam sehr bald zu dem unbringlichem schluß daß die Kleine auch ramses ii. sein muß. 6. nur war er halt damals noch ein Kind und Kinder immer ‹kleinlich› sind. 7. der große stammt aus einem späteren Jahr als ramses schon gewachsen war. 8. so sprach ich ernst, so sprach ich weise zu dem mich umstehenden gelehrtenkreise. 9. die starrten mich an vor Bewunderung der Pastner weinte vor aufregung 10. dann riefen sie begeister: ‹Ja, so ist es wahr.› ich aber stieg schnell auf mein dromedar!

herzlichsten gruß und handkuß Jos. Klein»

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Le Caire Kafr près les Pyramides de Sakkara [richtig: giza]. Souvenir de (© c. Brand), ungeteilt, gelaufen in Österreich am 04.05.1898, W. hagelberg, Berlin

«herzliche grüße Yours Jos. Klein» «3./5.98» «am nil weit unten hat sich gefunden im grünen Palmenhain die Firma: dr. schinner, trummer u. Klein» (mit unterschrift von schinner und Otto trummer)

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um die Jahrhundertwende, so dass das einzelne motiv immer mehr an dominanz gewinnt und der zu beschreibende Platz geringer wird bzw. sich verliert. mit den Bestimmungen des Weltkongresses der Post von 1907 wanderte der text mit auf die adresseite. auf der rechten seite steht nun die anschrift und auf der linken ist das textfeld. das adressfeld kann, muß aber nicht in ahnlehnung an die Korrespondenzkarte eine rahmung besitzen. das innere der rahmung besteht aus einem wellen- oder winkelartigen Band. der aufdruck erfolgt in den Farben rot, grün, braun oder schwarz. mittig oberhalb des vierzeiligen adressfeldes steht: uniOn POstale uniVerselle, die namensgebung der internationalen Postvereinigung und egYPte, carte POstale. links daneben wird dies auf arabisch ausgeführt, rechts außen befindet sich das Briefmarkenfeld. um die Jahrhundertwende waren insgesamt fünf Briefmarken im umlauf. sie zeigen die sphinx vor einer Pyramide, haben die Farben braun, grün, gelb, rot oder pink und ihr Wert reicht von 1 bis 5 milliemes. das Porto von Ägypten ins ausland konnte maximal 5 milliemes betragen. Briefmarken auf die ansichtsseite zu kleben, war in den anfängen des sendens durchaus üblich. hin und wieder läßt sich in den anfangsjahren der Postkartenindustrie in Ägypten der hauptbeschriftungszug «souvenir» beobachten. neben «souvenir de», «souvenir» und «souvenir du caire» wie hier lassen sich noch andere Variationen finden. so wird u. a. von «souvenir d’egypt», «souvenir de caire», «souvenir du canal de suez» oder «souvenir de ras-el-Bar» gesprochen.16 andere möglichkeiten wie z. B. «salut du nil» waren ebenso gebräuchlich wie blumig ausgeschmückte Ortsangaben. diese zunächst nur in französisch beschrifteten Postkarten entsprachen dem Zeitgeist. nicht englisch, sondern französisch war die modesprache jener epoche. die mehrsprachigkeit auf den Postkarten setzte sich erst langsam nach der Jahrhundertwende durch. 16 Karkégi/solé, l’Égypte, s. 66, 174, 175, 202, 225. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Le Caire, près Kafr les Pyramides de Sakkarah. [richtig: giza] Souvenir (© edith Bernhauer), ungeteilt, gelaufen von Ägypten nach Frankreich am 24.03.1903, W. hagelberg, akt. ges. Berlin 35980 dess. 28

«dis moi si adrienne est toujours dans le midi pour que je puisse lui envoyer quelques cartes. b…? qui t’aime a.?»

sag mir, ob adrienne immer noch im midi ist, damit ich ihr einige Karten senden kann.? der dich liebt. a.?

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im Folgenden ist es das Ziel, das erscheinen der 18 Postkarten17 zeitlich zu ordnen. an hand der Verwendung oder nichtverwendung von «aktiengesellschaft» auf den Postkartenaufdruck, der Beschriftung «souvenir de» bzw. «souvenir» und dem adressfeld mit seiner druckfarbe rot oder grün kann eine chronologische Ordnung18 erstellt werden. im detail heißt das: die umwandlung der Firma hagelberg in eine aktiengesellschaft19 im Jahr 1897 bedeutet eine Beschriftungserweiterung mit «akt. ges.» so sind die Postkarten nur mit dem Beschriftungszug «W. hagelberg Berlin» zwischen circa 1895 und 1897 anzusetzen. hinzu kommen in zeitlicher reihenfolge die druckfarben rot und später grün für das adressfeld. Zu beachten gilt auch, dass aus dem Beschriftungsgebrauch «souvenir de» schließlich «souvenir» wird. es ist auch nicht unbedeutend, dass alle Postkarten ausschließlich ein einseitiges, die ganze seite füllendes adressfeld aufweisen, also spätestens 1907 gedruckt wurden. somit hat die Firma W. hagelberg nur in einer kurzen Zeitspanne Postkarten nach Ägypten geliefert. als erstes wurden die beiden Postkarten vom typ 1 (abb. 1, 9, taf. 1 und 2) mit dem zweifachen motiv (collagetechnik) zusammengesetzt aus zwei querformatigen einzelbildern und umrahmt von Palmblättern hergestellt. daraus gehen vier, allerdings nicht seitenfüllende, querformatige einzelmotive mit Pflanzenornamentik als rahmenzierde für Postkartentyp 2 (abb. 3, 4, 10, 11) hervor. die aufteilung des Bildfeldes für beide Postkartenvarianten ist so, dass rechts und unterhalb des motivs geschrieben werden kann. die hauptbeschriftung lautet «souvenir de», die herstellerbeschriftung am linken seitlichen unteren rand «W. hagelberg Berlin» und die adresseite weist einen roten aufdruck auf. die hier aufgelisteten Postkarten typ 1 und 2 sind alle 1898 gelaufen20, gedruckt frühestens 1895 oder spätestens 1897.

17 11 von den 18 Postkarten sowie eine sonderform sind im Katalog aufgelistet. ihre Zielorte von Ägypten aus sind deutschland, Österreich und Frankreich. 18 Ohne die recherche im internet wäre diese auswertung nicht möglich gewesen. 19 nach dem tod von W. hagelberg im Jahr 1896 findet die umwandlung der Firma in eine aktiengesellschaft statt. 20 Fachausdruck für abgeschickte Post. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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nicht ganz unbekannt ist die Postkarte typ 1 auch als Werbeträger für Zigaretten21. dies trifft auf der ansichtseite mit der darstellung des Zigarettengebäudes und der aufschrift «Fabrique de cigarettes leopold engelhard» (abb. 2) sowie auf der adresseite mit einem erweiterten aufdruck zu. dort ist neben der üblichen aufschrift zu lesen: «egyptian cigarette manufactory, simon arzt, Port said» (abb. 9, taf. 2). die Postkarte mit der engelhardreklame22 gehört noch zur ersten Produktionsstaffel, dagegen ist die Postkarte mit der simon-arzt-reklame auf grund der Beschriftung mit dem Zusatz aktiengesellschaft und dem grünen aufdruck für die adresse um einiges später anzusetzen. l. engelhard zählte zur damaligen Zeit zu den 100 größten Zigarettenherstellern deutschlands. er wurde kurz nach der Jahrhundertwende im Baedecker-reiseführer für Ägypten23 mit einer Verkaufsstelle im hotel continental und einem geschäft am Opernplatz in Kairo genannt. simon arzt hingegen hatte in Port said, alexandria aber auch Kairo niederlassungen. als nächster schritt folgen acht hochformatige Postkarten vom typ 3 (abb. 5–8), die durch die senkrechte halbierung der einzelmotive entstanden sind. die Bildausschnitte werden vergrößert wiedergegeben. geringfügige Bildüberschneidungen sind festzustellen. sie weisen jetzt unterhalb des motivs das Beschriftungsfeld auf.24 der Übergang kann fließend oder deutlich abgegrenzt werden. dabei stechen zwei Varianten der herstellerbeschriftung, nämlich «W. hagelberg Berlin 35980 dess. 1–8»25 oder «W. hagelberg akt. ges. Berlin 3598026 dess. 1–8» ins auge. 21 ein weiteres Beispiel ist u. a. mit einem Zusatzaufdruck auf der motivseite, die heliopolis zeigt, zu finden. cigarettes Égyptiennes supérieures, dimitrino §. cie., ismail Pacha (gros module). Karkégi und solé, l’Égypte, s. 117. 22 statt «souvenir de» befindet sich die Beschriftung «souvenir du caire» auf der Postkarte. 23 r. Baedecker, Ägypten und der sudan, leipzig 61906, s. 33. 24 einige vergleichende Beispiele sind zu finden bei: Karkégi/solé, l’Égypte, s. 162, 223, 231, 232. 25 hier werden die nummern der Postkarten zusammengefaßt. Jedes einzelne motiv hat eine seriennummer, z. B. dess. 1. die Vergabe dieser nummern folgt keinem logischen Prinzip. ein halbiertes motiv erhält nicht die nummer dess. 1 und 2. 26 Kennungsnummer des landes, die mit der seriennummer auf der Postkarte eingeführt wurde. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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insgesamt fallen vier druckversionen in entsprechender zeitlicher reihenfolge auf, nämlich: die adresseite ist rot (abb. 14) bei der Beschriftung «W. hagelberg Berlin 35980 dess. 1–8», «souvenir de», rot später grün bei «W. hagelberg akt. ges. Berlin 35980 dess. 1–8», «souvenir de» und nur noch grün bei «W. hagelberg akt. ges. Berlin 35980 dess. 1–8», «souvenir». insgesamt kann man an hand der Postkarten im internet27 und aus einer Publikation28 einen laufzeitschwerpunkt von 1898–1903 ausmachen. hier liegen die Postkarten der ersten druckphase, gelaufen 1898 und 1899, wie bei typ 1 und typ 2 vor. schließlich wird jeweils eins der vier querformatigen eingangsmotive von typ 4 (abb. 12) auf einer ganzen Postkartenseite verwendet, so dass kein Platz mehr zum schreiben eines textes übrigbleibt. der ausschnitt des motivs von den beiden ersten Postkarten (typ 1) ist beschnitten und gleichzeitig vergrößert wiedergegeben. es gibt nur die Beschriftungskombination «W. hagelberg akt. ges. Berlin dess. X (z. B. 27, 28)» und «souvenir» mit grünem aufdruck auf der adresseite. hieraus ergibt sich die letzte drucklegung dieser motivreihe. als Beispiel sei das motiv «Kafr» (abb. 12) angeführt, das mit der seriennummer 28, die 1903 gelaufen ist. dieser typ 4 wird auch als morgenröte- oder mondscheinkarte – hier nicht belegt –, sehr beliebt um 1900, verwendet. entsprechend dem thema erhält die Postkarte eine rötliche oder bläuliche einfärbung. Bisher ist die morgenröte nur beim motiv «dhahabiya» (dess. 19) nachweisbar. Weitere Verwendung29 läßt sich auch bei einem etwas umgestalteten motiv (dess. 31) ähnlich der «Kafr-Postkarte» und einer Kairo-Postkarte «le caire, mosquée mohamed ali» (dess. 10) mit und ohne mondsichel beobachten. Bei dem Versuch, die vier motive einzuordnen, sind direkte Vorlagen aus malerei und Fotographie nicht zu finden. Bei den motiven «dhaha27 nach der eingabe «W. hagelberg Berlin» bzw. «W. hagelberg akt. ges. Berlin 35980» wird man verschiedene Beispiele finden. 28 einzige mir bisher bekannte Publikation zu farbigen Postkarten in Ägypten. Karkégi/solé, l’Égypte, s. 162, 223, 231, 232. 29 mondscheinkarte. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

einblicke in die anfänge der Postkartenindustrie

biya»30, «les Pyramides» und «Kafr» sind ähnliche Kompositionen mit etwas anderen Blickwinkeln aus der Fotographie bekannt. Zu «Kafr» (abb. 12) lassen sich auch ähnlich gemalte Bilder31 heranziehen. auf dem einen der Vergleichsbilder ist entsprechend der Postkarte ein schaduf (Wasserschöpfgerät) und eine Frau mit einem Wasserkrug am Kopf zu erkennen.32 das malerischste der vier motive «village arabe» (abb. 4) scheint der menschlichen Phantasie entsprungen zu sein. nicht uninteressant ist, dass bei den motiven mit assoziationsketten gespielt wurde wie Palmen, Wasser oder menschen, die in Pastellfarben getaucht wurden. abschließend sollen noch fünf der Postkarten (abb. 1, taf. 1, abb. 3, 4, 10, 11) näher betrachtet werden, die wegen ihrer Frankierung und ihren längeren texten auffallen. alle zeigen dieselbe Briefmarke, nämlich den letzten österreichischen Kaiser Franz Josef; der Wert der Briefmarke ist zwei Kreuzer. die Überlegungen, dass diese Post in Ägypten losgeschickt wurde, lassen sich an hand von zwei Faktoren ausschließen: so wurde die österreichische Post in Ägypten bereits 1889 geschlossen. die Ortsangaben cairo, den 28.4.1898 mit dem stempel von graz am selben tag sowie gizeh, den 30.04.1898 mit dem stempel von graz am 1.05.1889 beantworten die Frage nach dem absendeort von selbst. Offen muß dabei bleiben, ob diese Postkarten in Österreich zu kaufen waren oder ob es sich um ein Ägyptenmitbringsel handelt. letzteres scheint wahrscheinlicher. es handelt sich ausschließlich um Postkarten vom typ 1 (abb. 1, taf. 1) und typ 2 (abb. 3, 4, 10, 11). die ersten drei tage der Postkartensendungen lassen sich an hand der datierung vom 28.4.–30.4.1898 (abb. 1, taf. 1, abb. 3, 10) und ihrer numerierung von eins bis drei verfolgen, außerdem sind noch die tage 3.5. (abb. 11) und 6.5.1898 (abb. 4) vorhanden. somit dürften maximal weitere vier Postkarten bis zum 6.5.1898, wenn täglich geschrieben 30 Z. B. r. r. solé/m. Walter, legendäre reisen in Ägypten, münchen 2004, s. 86, 115. 31 Z. B. e. Körner, sonnenuntergang bei den Pyramiden, 70er Jahre des 19. Jh., in: seipel (hrsg.), Ägyptomanie, s. 152. 32 Z. B. J. d. Woodward, die Pyramiden von giza, 1882, in: Kunze (hrsg.) erinnerungen Ägypten, s. 62. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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edith Bernhauer

Ägypten leuchtet

wurde, fehlen. Bei den Kartenschreibern handelt es sich um zwei Personen, allerdings mit gleicher handschrift und den namen W. Pastner sowie Jos. Klein. als unterschreibende sind sie zunächst zusammen, dann einzeln belegt. die letzten drei Postkarten wurden von Jos. Klein33, der schließlich mit Pepi unterzeichnete, geschrieben. spannend ist, dass Jos. Klein einen Ägyptenaufenthalt mit einer kleinen reisegruppe inszeniert hat. an einem der Besuchstage wurde giza aufgesucht. es werden teilweise in reimen detailiert die täglichen erlebnisse geschildert. Begriffe wie dampfschiff «trockenwasser» (abb. 1, taf. 1) lassen einen gewissen humor erkennen. dieser spiegelt sich auch in den inhalten wieder, wie das ausgeführte Beispiel zeigen soll: «das nilpferd aber ist erbost, schimpft man es frech rhinoceros.» (abb. 3). aus ägyptologischer sicht verwundert die erwähnung einer mumie ramses’ ii., die doch in thebenWest gefunden wurde. das erste anschreiben ging zur Familie «to Family» Berta, graz, gwarzberggasse 33/2 stock. die folgenden nur mehr an anni Berta34, wobei die zeitgemäßen ansprachen «hochwohlgeborenes Fräulein bzw. madmoiselle» waren. die ersten drei Postkarten geben vor, vom ausland geschickt worden zu sein mit dem Vermerk «austria – styria –» oder «europa – austriche –». dies wurde bei den letzten beiden Karten weggelassen, obwohl die texte weiter vorgeben, in Ägypten entstanden zu sein. das Ziel dieses «ganzen treibens» löst sich schließlich in der fünften Postkarte auf. Pepi, Josef Klein, outet sich als schmachtender liebhaber von Fräulein anni Berta (abb. 4).

33 es sind keine weiteren angaben zur Person bekannt. 34 Über die Person läßt sich nichts weiteres herausfinden. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Ostrakon Berlin P 10667 as, © smB Ägyptisches museum und Papyrussammlung

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ostrakon berlin p 10667 as und ostrakon deir el medine 1650i günter burkard · Würzburg/münchen

fragment eines liebeslieds?

im rahmen der arbeiten an den nichtliterarischen Ostraka aus deir el medine, die seit 2002 im internet unter dem titel «deir el medine online»1 veröffentlicht sind, fanden sich in den Beständen des Ägyptischen museums Berlin immer wieder noch unpublizierte literarische, religiöse oder auch magische texte bzw. textfragmente.2 sofern sie auf der Vorder- oder rückseite von nichtliterarischen und somit in «deir el medine online» veröffentlichten stücken stehen, ist das in der Beschreibung des betreffenden Ostrakons vermerkt, verbunden mit dem hinweis, daß sie im dortigen Zusammenhang nicht weiter berücksichtigt wurden. Vielfach enthalten sie Passagen aus gut bekannten texten wie etwa der Kemit, verschiedener lebenslehren, der geschichte des sinuhe oder aus dem umfeld der late egyptian miscellanies. außerdem fanden sich, meist wieder nur in Bruchstücken, hymnen an verschiedene götter, (muster-)Briefe und auch stücke mit nicht sicher bestimmbarem inhalt. ein besonderer und auch besonders rätselhafter text aus der letztgenannten Kategorie sei im folgenden dem Jubilar gewidmet, in erinnnerung an die stets gute Zusammenarbeit mit ihm während meiner tätigkeit am münchner institut von 1995-2009. es sei vorweg genommen, daß das rätsel auch am ende dieser Bearbeitung nicht zweifelsfrei gelöst sein wird. Wie in «deir el medine online» steht am Beginn die allgemeine Beschreibung des stückes, die hier lediglich fortlaufend, d. h. ohne die dort vorgenommene numerierung erfolgt. es folgen transliteration, transkription und Übersetzung. anmerkungen wurden an entsprechender stelle als Fuß1 http://dem-online.gwi.uni-muenchen.de. 2 die Berliner Ostraka wurden gemeinsam mit maren goecke-Bauer und stefan Wimmer bearbeitet. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Ostrakon Berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i

noten aufgenommen. anders als in «deir el medine online» wurde bei der datierung bevorzugt auf Band ii der Paläographie von georg möller zurückgegriffen, da der text in literarischem duktus geschrieben ist.3 der inrede stehende text ist auf der außenseite (as) von Ostrakon Berlin P 10667 (im weiteren oBerlin 10667, abb. 1, taf. 3) erhalten, das zunächst für sich betrachtet werden soll, bevor die erheblich umfangreichere Parallele auf dem Ostrakon deir el medine 1650i (im Weiteren odem 1650i) mit herangezogen wird. das Ostrakon oBerlin 10667 ist auf der as und der innenseite (is) beschriftet, wahrscheinlich mit zwei texten unterschiedlichen inhalts. die is bleibt im folgenden außer bei der folgenden allgemeinen Beschreibung des stückes unberücksichtigt, ihre Veröffentlichung wird an anderer stelle erfolgen. der text auf der as bzw. dessen – bisher einzig bekannter – Parallelbeleg auf odem 1650i wurde und wird in der Fachliteratur gelegentlich als liebeslied eingestuft, was allerdings aus verschiedenen gründen zumindest nicht als gesichert angesehen werden kann.4 dieser noch immer bestehenden unsicherheit wegen bleibt die Zuweisung hier mit Fragezeichen versehen. Beschreibung: Keramik, 11 : 14 cm (Breite : höhe). auf beiden seiten beschriftet, horizontal (↔) gewendet. auf der as wahrscheinlich oben und links, auf der is oben und rechts komplett. auf der as leichter, auf der is stärkerer schriftabrieb. auf beiden seiten 7 Zeilen, Z. 6 und 7 der is enthalten rubren. auf der as in Z. 1–5 geübter und recht sorgfältiger duktus, in Z. 6–7 deutlich kursivere und flüchtigere schrift, möglicherweise von anderer hand als Z. 1–5. die schrift auf der is ist deutlich kursiver und weniger sorgfältig als die der as (Z. 1–5) und stammt vermutlich von nochmals anderer hand. damit waren u. u. insgesamt drei verschiedene schreiber am Werk. das Ostrakon wurde in deir el Bahri von sethe erworben. die herkunft aus deir el medine ist zumindest wahrscheinlich. 3 Zu den verschiedenen schreibstilen speziell in deir el medine s. ausführlich hansWerner Fischer-elfert, deir el-medina. hieratic Palaeography – literary and documentary, in: dimitri laboury/Vanessa davies (hrsg.), Oxford handbook of egyptian epigraphy and Palaeography, new York (im druck). 4 s. dazu ausführlich weiter unten. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Fragment eines liebeslieds?

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datierung: wohl 20. dynastie, wie die folgenden Zeichenformen nahelegen:5 Z. 3, vgl. möller ii nr. 223 Z. 3, vgl. möller ii nr. 30 Z. 4, vgl. möller ii nr. 300 Z. 4, vgl. möller ii nr. 254 Z. 5, vgl. möller ii nr. 456 Z. 5, vgl. möller ii nr. 122 Z. 5, vgl. möller ii nr. 178 oBerlin 10667 AS: Transliteration

Transkription 16

[...] nAj=sn7 fnD smn=f

2

[...o]ps8 jnj=f sx.t srwd.tj m

5 nach Bernard mathieu, la poésie amoureuse de l’Égypte ancienne: recherches sur un genre littéraire au nouvel empire, le caire 1996 (Bibliothèque d’Études 115), s. 119 sind alle Ostraka mit liebesliedern in die 19.–20. dynastie zu datieren. 6 das Zeichen des sitzenden mannes mit der hand am mund ist offenbar über der Zeile nachgetragen und bildet keinen eigenen Zeilenrest. die Bedeutung im Kontext von Z. 1 ist allerdings unklar. die auf dem Foto sichtbare schwarze linie davor ist kein Zeichenrest, sondern der schatten einer kleinen Bruchkante. 7 =sn steht sicher für die 3. f. sg. = s(t), s. dazu unten die fortlaufende Übersetzung von odem 1650i und oBerlin 10667. 8 das determinativ sieht eher wie aus, ist aber mit odem 1650i rto. 3 zu lesen. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Ostrakon Berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i

3

[...o]mAw xjj Hna sDmj bw

4

[...] -?-.w jnj=f p.t jw jnm9 [...]

5

[...]=f jnj sA(?) bw(?) mdw=s(?) Hna rd.wj

6

[...] j]t=f(? =j?) jw.tw jj sd.t(? smd.t?)10 -?- [...]

7

[...] jm tw m(?) pA a(?) [...] Übersetzung11

1

[...] ihre nase. er möge fest machen

2

[...] ops-tier(?). er möge bringen ein Feld, das bepflanzt ist mit [...]

3

[...] geschaffen hat(?) der Knabe, zusammen mit dem hörenden(?). nicht(?)

4

[...] -?-. er möge den himmel bringen, während(?) ihre(?) Farbe [...]

5

[...] er [...] hat gebracht den rücken(??). nicht möge sie sprechen mit einem (einzelnen) Bein(?).

6

[...] sein(? mein?) Vater(?), man kommt -?- [...]

7

[...] gib(?) dich(?) in den -?-[...]

der text ist eine Parallele zu einem ebenfalls fragmentarischen, aber erheblich umfangreicheren, auf beiden seiten von odem 1650i und 1650ii erhaltenen text, der von Posener erstmals publiziert und von ihm als liebeslied eingestuft wurde.12 das im Berliner Ostrakon erhaltene textfragment entspricht der Passage odem 1650i rto. Z. 2–6 (= oBerlin 10667 Z. 1–5; für die Zeilen 6–7 bietet odem 1650i keine Parallele). unter Berücksichtigung der 9 Versehentlich mit (K3) anstelle von (K1) geschrieben. 10 eine sinnvolle ergänzung bzw. lesung (sd.t? smd.t?) ist mir nicht gelungen. Oder ob sT.t «Krug für Bier» Wb 4, 346,12? dazu würde das determinativ – falls richtig gelesen – passen; aber der sinnzusammenhang erschließt sich nicht. das gilt auch für eine lesung sr.t «eine art Krankheit» (s. dazu rainer hannig, großes handwörterbuch Ägyptisch-deutsch, mainz 1995, s. 727); dagegen sprechen sowohl das determinativ wie der sinnzusammenhang. 11 Zu den anmerkungen zur Übersetzung s. u. die fortlaufende Übersetzung von odem 1650i und oBerlin 10667. 12 s. georges Posener, catalogue des Ostraca hiératiques littéraires de deir el médineh, tome iii (documents de fouilles de l’institut français d’archéologie orientale du caire XX), le caire 1977–1980, s. 93, taf. 72 und 72a. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Fragment eines liebeslieds?

oben erwähnten Beobachtung, daß diese beiden Zeilen von anderer hand stammen, ist nicht auszuschließen, daß sie einem ganz anderen, nicht mehr zu bestimmenden Zusammenhang angehören. die Bestimmung der textgattung durch Posener ist nicht ganz unproblematisch, weil sich in keinem der bislang bekannten liebeslieder überzeugende Parallelen fanden, von wenigen einzelnen Wörtern oder allenfalls halbsätzen abgesehen. dennoch wurde Poseners interpretation im allgemeinen übernommen, so etwa von mathieu, der allerdings außer einer Wiedergabe der transliteration Poseners als «Übersetzung» von odem 1650i rto. nur teile der Zeilen 6–7 wiedergibt. Z. 6: «J’ai trouvé la sœur [...]»; Z. 7: «[...] aux boeufs avec [...]».13 den vorausgehenden text der Zeilen 1–6 berücksichtigt mathieu nicht; möglicherweise hat er also diese Passage trotz der einleitung mit gm.n=j sn.t «ich fand die schwester», die in Z. 1 und 2 nur bruchstückhaft erhalten, aber zweifelsfrei zu rekonstruieren ist, nicht als liebeslied gesehen.14 tatsächlich ist diese einleitung, die der klarste hinweis auf die Klassifizierung als liebeslied ist, erst in Z. 6 komplett erhalten. ein weiteres mal findet sich gm.n=j sn.t noch auf odem 1650ii rto. x+4. Vorsichtiger hatte sich zuvor Fox ausgedrückt. unter der Überschrift «untranslated songs» führte er eine reihe von Ostraka auf, darunter auch odem 1650, und bemerkte dazu, daß diese texte von den jeweiligen Bearbeitern als liebeslieder identifiziert worden seien, aber: «the identification is sometimes quite uncertain»; im übrigen seien sie «too fragmentary to translate even for the purpose of identifying motifs».15 eine transkription und Übersetzung beider teile von odem 1650 wurde 1999 von Kitchen veröffentlicht.16 er nahm den text unter der rubrik «love 13 s. mathieu, la poésie amoureuse, s. 119. 14 so vermutet auch Popko, tla (s. dazu unten anm. 22). interessanterweise merkt Popko in diesem Zusammenhang an, daß «die erhaltenen Phrasen der ersten beiden strophen weniger nach einem liebestext als eher nach einem juristischen dokument und/oder einem gebet» klingen würden; auch er hat somit Zweifel an der einstufung als liebeslied. 15 s. michael V. Fox, the song of songs and the ancient egyptian love songs, madison 1985, s. 6/7. 16 s. Kenneth a. Kitchen, Poetry of ancient egypt (aegyptiaca 1), Jonsered 1999, s. 408–412. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Ostrakon Berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i

Poetry» auf, ohne dies näher zu begründen. seine Übersetzung ist allerdings in mancher hinsicht problematisch, s. im folgenden. das odem 1650 wird auch in der jüngsten umfassenden untersuchung zu den liebesliedern von r. landgráfová und h. navrátilová17 zu den nicht sicher identifizierten («unidentified») stücken gerechnet.18 die beiden autorinnen bemerken dazu: «songs 83–95 are very fragmentary and little can be said about them beyond that they indeed appear to be love songs. [...] the recurrence of some of these phrases in several love songs and the apparent introduction of some new themes is very interesting. until some joins or parallels to these texts are discovered, a more detailed study is impossible. this has already been attested for odm 1650, for which hans Werner Fischer-elfert has been able to identify direct joins (personal communication). thus even in the case of this text, which is in a slightly better condition than the rest of the love songs discussed in this section, we must limit ourselves by listing only the identifiable phrases and postpone any attempts at interpretation [...] until new fragments become available.»19 sie erwähnen a. a. O. auch die Übersetzung Kitchens, die sie zurückhaltend als «a different translation» bezeichnen. die von r. landgráfová in einem früheren Beitrag angestellte Überlegung, odem 1650 könnte die Parodie eines liebesliedes sein,20 wird ebenfalls a. a. O. als «a now outdated attempt» bezeichnet und damit zurückgenommen. schließlich ist odem 1650 auch im thesaurus linguae aegyptiae (tla)21 als liebeslied klassifiziert. diese Bearbeitung durch l. Popko und die genannten Bemerkungen von landgráfová/navrátilová dürfen als die substantiells-

17 s. renata landgráfová/hana navrátilová, sex and the golden goddess. ancient egyptian love songs in context, Prague 2009. 18 s. landgráfová/navrátilová, sex, s. 214–216 (songs 83–86). 19 s. landgráfová/navrátilová, sex, s. 214. 20 s. renata landgráfová, Breaches of cooperative rules: metaphors and Parody in ancient egyptian love songs, in: c. graves-Brown (hrsg.), «don Your Wig for a Joyful hour» – sex and gender in ancient egypt, swansea 2008, s. 71–82. 21 url: aaew2.bbaw.de/tla/. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Fragment eines liebeslieds?

ten Veröffentlichungen zu diesem text gelten, auf sie vor allem wird im folgenden immer wieder Bezug zu nehmen sein.22 die erwähnten Vorbehalte bezüglich der inhaltlichen Zuweisung sind m. e. auch bei Berücksichtigung der arbeiten von landgráfová/navrátilová und von Popko nicht vollständig widerlegt. ich bleibe daher bei dem oben genannten Fragezeichen, zumindest solange die von landgráfová/navrátilová geforderten neuen Fragmente noch immer ein desiderat bleiben. die von ihnen erwähnten und von Fischer-elfert identifizierten «direct joins» bestehen bislang nur aus oBerlin 10667.23 Zwar ist die wiederholt belegte Passage gm.n=j sn.t ein nicht unbedeutendes Kriterium, doch ist wie erwähnt der sonstige Kontext einigermaßen untypisch für die textgattung «liebeslied». die folgende gesamt-transliteration, transkription und Übersetzung von odem 1650i rto. + oBerlin 10667 as berücksichtigt von odem 1650i nur das recto, da allein diese seite Parallelen zum Berliner Ostrakon enthält und die übrigen teile dieses Ostrakons einen zu fragmentarischen text enthalten, der eine sinnvolle Übersetzung nicht erlaubt; das zeigen auch die oben zitierten Bemerkungen von landgráfová/navrátilová. gegenüber den Bearbeitungen von landgráfová/navrátilová und Popko hat sich durch das Berliner Ostrakon für odem 1650i Z. 2 ende und Z. 3 anfang eine deutliche Verkürzung des (dort teilrekonstruierten) textes ergeben, da nunmehr die Komplettierung dieser Passage möglich ist, s. die entsprechenden anmerkungen zu transkription und Übersetzung. eine gesicherte (und überzeugende) sinnvolle Übersetzung und damit eine klare inhaltliche Zuweisung müssen, wie schon gesagt, leider weiterhin offen bleiben.

22 die Bearbeitung durch Popko im tla wird im folgenden als Popko, tla zitiert. Zur Benutzung des tla s. neben der online-einführung auch das handbuch zur Benutzung des Thesaurus Linguae Agyptiae (tla), erarbeitet von stephan J. seidlmayer, überarbeitet und zusammengestellt von ingelore hafemann, Berlin 2011 (als pdfdatei verfügbar). 23 Persönliche mitteilung von hans Werner Fischer-elfert 2011. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Ostrakon Berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i

Gesamt-Transliteration von oDeM 1650I rto. + oBerlin 10667 AS24

Transkription25 gm[n=j sn.t(?) ...] anx.wj [...] nxp(?) HD[... Hw].t snh mSa gm[...] Gb jrj=f manA nAj=sn26 fnD27 smn=f nAj=sn a.wj28 rA.wj [...] pAj=st ops jnj=f sx.t 24 in der transliteration ist odem 1650 mit der sigle «d», oBerlin 10667 mit «B» gekennzeichnet. 25 die beiden texte weisen innerhalb ihrer parallelen Überlieferung so gut wie keine Varianten auf, so daß die transkription ebenso wie die folgende Übersetzung auf der Kombination beider Versionen basiert. die zerstörten Passagen sind jeweils ohne Berücksichtigung ihres tatsächlichen umfangs einheitlich durch […] wiedergegeben. 26 =sn steht hier und im folgenden sicher für die 3. f. sg. =s(t), bezogen auf die sn.t. so auch Popko, tla. 27 diese textabfolge steht nunmehr durch das Berliner Ostrakon fest. die transliteration von landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 ist insofern irreführend, als dort zwischen Z. 2 ende und Z. 3 anfang von odem 1650i keine lücke markiert ist (entgegen der transliteration Poseners, catalogue iii, taf. 72). Popko, tla markiert dagegen die lücke korrekt, ergänzt allerdings nach manA nAj=(sn) in der Übersetzung zu «er möge ihre [Beine und arme] binden(?)» und versteht im Zusammenhang eines liebesliedes darunter: «er möge sie am Weglaufen hindern». s. a. unten die anm. zur Übersetzung dieser stelle. 28 ergänzung mit Popko, tla. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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srwd.tj m Hnj.w jw=f HwA.w n Hnw.t=j(?) jnj=f mH.t omA.w xj Hna sDmj bw [...] r ww(?) s.t pr Hna nxb.w wnw.w(?) jnj=f p.t jw jnm=s [... jrj(?)]=f jnj sA bw md.t=s Hna rd wa29 30 [...j]t=f (? =j?) jw.tw jj sd.t (? smd.t(?) [...] jmj tw(?) m pA a[...] Übersetzung [ich(?)] fand [die schwester(?) …] beide Ohren […] glänzende(?)32 locken(?)33 31

[…] musterstätte des heeres(?)34. [ich]35 fand [die schwester(?) …] geb. er möge festhalten(?)36 ihre nase. er möge fest machen ihre beiden arme an den 29 nach wa steht in odem 1650i ein grH-Zeichen, mit dem folgenden gm.n=j sn.t beginnt eine neue strophe. – wa nur in odem 1650i. in B steht am Zeilenende rd, ein wa wäre am Beginn von Z. 6 verlorengegangen. 30 die in stehende Passage ist nur in odem 1650i belegt. 31 ergänzt nach d Z. 6. diese ergänzung darf als gesichert gelten. die Passage ist ein für liebeslieder typischer strophenbeginn. in odem 1650i liegt hier der textbeginn vor, da diese Zeile eindeutig die erste Zeile des textes ist; der obere rand des Ostrakons ist teilweise erhalten. die erste erhaltene Zeile gehört offensichtlich zu einer Passage, in der die äußere erscheinung der geliebten gepriesen wird; das entspricht mit landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 dem typus der wasf-dichtung, von ihnen so benannt nach einem häufig belegten typ der arabischen lyrik, der auch im alten Orient geläufig war. 32 so mit landgráfová/navrátilová, sex, s. 215, n. 327. Posener, catalogue iii, taf. 72 las statt nur . 33 so wurde nxp von Kitchen, Poetry, s. 409 übersetzt («tresses»). landgráfová/navrátilová, sex, s. 215, n. 326 verweisen darauf, daß dieses Wort sonst nirgends belegt ist. Popko, tla denkt an eine mögliche Verschreibung aus nAp «locke o. ä.», Wb ii, 200, s. 11; das erscheint paläographisch möglich, allerdings ist nAp bislang nur in den Pyramidentexten belegt. 34 nach panastasi iii, rto. 7, 5–6, s. den hinweis Poseners, catalogue iii, taf. 72 z. st. – Für ein liebeslied erscheint ein solcher Zusammenhang zunächst überraschend, wie auch landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 anmerken («rather intriguing»). doch weist jetzt Popko, tla darauf hin, daß ein militärischer Kontext in liebesliedern durchaus nicht ungewöhnlich ist; er nennt hierzu pharris 500 rto., Z. 5,9 (lied 15) und pchester Beatty i vso., Z. c 2,4–2,9 (lied 33). – Kitchen, Poetry, s. 409 übersetzt bzw. ergänzt hier: «[*i found her in] the place of mustering the soldiery.» Zuvor ergänzt er noch: «[* i sought for her, .......]», doch ist das reine hypothese. – ein «militärischer Kontext» ist im übrigen ganz sicher ein kultur- und epochenübergreifendes Phänomen, es sei nur an das bekannte lied «lili marleen» erinnert. 35 ergänzt nach d Z. 6. 36 die Bedeutung «verdrehen, herumgewunden sein» von manA (s. tla lemmanr. 68790, s. a. Wb ii, s. 47, 7: mann; led i, s. 216: mn «to be twisted») wurde von Popko, tla hier wegen seiner ergänzung zu «[Beine und arme]» mit «binden» übersetzt. im © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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günter Burkard

Ostrakon Berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i

beiden türen37 […] ihr ops-tier(?)38. er möge bringen ein Feld,39 das bepflanzt ist(?) mit der Hnj-Pflanze(?)40, indem es(?) unangenehm ist(?), für meine gebieterin(?)41. er möge bringen den norden(? Kranz?), den(?) geschaffen hat der Knabe, zusammen mit dem hörenden(?)42. nicht(?) […] zum gebiet(?)43 der stelle meines hauses(?) zusammen mit dem neuland für(?) Blumen(?)44. jetzt feststehenden Zusammenhang mit der nase ergibt das allerdings wenig sinn. Kitchen, Poetry, s. 409 übersetzt «beautify», (s. Wb ii, s. 47, 5: man «verschönern») und ergänzt anschließend Snww «hair». aufgrund des determinativs ist allerdings die lesung manA wahrscheinlicher. Ob «verdrehen» ähnlich wie das folgende smn «fest machen» im sinne von «festhalten» o. ä. zu verstehen ist? 37 Popko, tla: «er möge ihre beiden arme (erwartungsvoll?) die tür legen (?)». das ist nicht unmöglich, aber auch nicht sicher. 38 ops ist ein hapax legomenon; hannig, handwörterbuch, s. 855: «e. *tier». die determinierung mit dem tierfell in beiden Quellen legt in der tat nahe, daß es sich um ein nicht näher zu bestimmendes tier handelt. so auch Popko, tla. 39 diese Passage ist nur im oBerlin 10667 erhalten. Popko, tla ergänzt seine Übersetzung des odem 1650i unter hinweis auf das Berliner Ostrakon. er merkt dazu noch an: «Ob das m am ende der Zeile [sc. von B, anm. Burkard] mit dem Beginn von odem 1650, rto. 4 identisch ist, oder ob die lücke länger ist, ist unsicher.» – die transliteration von landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 ist auch hier irreführend, weil zwischen Z. 3 ende und Z. 4 anfang von odem 1650i keine lücke markiert ist (entgegen der transliteration Poseners, catalogue iii, taf. 72). – Zu jnj sx.t als handlung des Königs gegenüber den göttern verweist Popko auf eine reihe von Parallelen anhand von dZa-nummern. 40 im Wb iii, s. 100, 1–9 noch unbestimmt; hannig, handwörterbuch, s. 535: «*Fuchsschwänziges Zyperngras». in dimitri meeks, année léxicographique iii, Paris 1982, s. 194, nr. 79.1983 wird u. a. auf r. germer, untersuchung über arzneimittelpflanzen im alten Ägypten, hamburg 1979, s. 369 (Hnw) und 371 (Hnj) verwiesen. germer führt dort nur die indikationen auf, macht aber keinen Übersetzungsvorschlag. Popko, tla übersetzt mit «Zyperngras». 41 die Übersetzung ist sehr fraglich, ein zu einem liebeslied passender Kontext ist nicht zu erkennen. die lesungen sind jedenfalls nicht zu bezweifeln. Popko, tla übersetzt: «[er] möge zu meiner Fürstin (ein) mit Zyperngras [bepflanztes Feld] bringen, wobei es faulig ist» und betont ebenfalls die Fraglichkeit der Übersetzung, einschließlich der von ihm vorausgesetzten weiten trennung des indirekten Objekts «meiner Fürstin» ganz am satzende. auch landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 verweisen darauf, daß diese Passage sehr ungewöhnlich ist, da liebeslieder (mit ausnahme der schilderung von liebeskrankheit) üblicherweise nur angenehme situationen schildern. ihre Übersetzung von HwA.w: «being unpleasant» wird hier zugrundegelegt; so würde auch das n Hnw.t=j vom direkt davorstehenden HwA.w abhängen und nicht so weit von einem Bezugswort entfernt sein wie im Übersetzungsvorschlag Popkos. 42 ebenfalls sehr unsichere Übersetzung dieser nur im oBerlin 10667 überlieferten Passage. auch Popko, tla vermerkt dazu: «eine Übersetzung der stelle ist nicht möglich.» 43 die Überlegung von Popko, tla, an eine sonst nur ptolemäisch belegte schreibung für jw «insel» zu denken, erscheint im Kontext weniger einleuchtend. 44 ein Wort wn.w in dieser schreibung ist m. W. bislang nicht bekannt. es ist daher plausibel, mit Popko, tla zu wnb «Blume; Blüte; schößling» Wb i, s. 319, 1 zu emen© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Fragment eines liebeslieds?

er möge den himmel bringen45, während(?) ihre(?) Farbe46 [… er möge (?)] bringen den rücken(?). nicht möge sie sprechen mit einem (einzelnen) Bein(?).47 51 […] sein(? mein?) Vater(?) und man kommt -?-52 [...] gib(?) dich(?)53 in den -?-[...] Wie schon gesagt, muß auch nach diesem Versuch einer Bearbeitung das ganze rätselhaft bleiben, hinsichtlich des gesamtsinns ebenso wie hinsichtlich der «Übersetzung» dieren. Zuvor ist mit Popko, tla an nxb «neuland» zu denken (er übersetzt «das zugewiesene landstück (für) )(?) Blumen». landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 denken an nxb «lotus», doch ist das wegen des folgenden wnw.w weniger wahrscheinlich. 45 Oder auch, mit landgráfová/navrátilová, sex, s. 215: «erreichen». 46 Kitchen, Poetry, s. 409 übersetzt «may he bring a sky, whose colour [is ...]», doch ist die obige Zuordnung der Farbe an die (hautfarbe der) «schwester» mit landgráfová/navrátilová, sex, s. 215, die dabei an die Wiederaufnahme des wasf vom anfang denken, plausibler. 47 auch diese Übersetzung ist außerordentlich fraglich. Popko, tla übersetzt den in odem 1650i erhaltenen text: «[…] ihn/ihm ihre rede, und ein einzelnes Bein», was ebenfalls keinen überzeugenden sinn ergibt. allerdings geht er von der transliteration Poseners aus, der vor md.=s ein =f liest. aufgrund der besser erhaltenen stelle in B ist aber wie oben sicher zu bw zu ergänzen. – nach wa steht , das grH-Zeichen für ein strophenende. die Zeilen odem 1650i 7 und 8 sind wie oben schon vermerkt im oBerlin 10667 nicht belegt, die Zeilen oBerlin Z. 6–7 nicht im odem 1650i. in der transliteration von landgráfová/navrátilová, sex, s. 215 schließt sich odem 1650ii rto. direkt an die Zeile 8 von odem 1650i rto. an. es ist nicht klar, aufgrund welcher indizien dies geschah. Zumindest die durchzeichnungen Poseners bieten keinen hinweis auf einen solchen Zusammenhang der beiden Fragmente, es können auch eine oder mehrere Zeilen zwischen ihnen fehlen. landgráfová, Breaches of cooperative rules, s. 74 gesteht zumindest eine kleine lücke zwischen den beiden teilen zu («there appears to have been only quite a small space between them»). da der Kontext in oBerlin 10667 Z. 6–7 offensichtlich ein völlig anderer ist, wird die transliteration von landgráfová/navrátilová hier nicht weiter berücksichtigt. 48 Popko, tla ergänzt die zerstörte stelle zu xpn.t «mastgeflügel»; das erscheint möglich, ist aber sehr unsicher. 49 ergänzung zu xnr mit Popko, tla in anlehnung an Kitchen, Poetry, s. 410. 50 Ob ms.w «erzeugnisse des ackers»? so auch Popko, tla: «erzeugnisse». 51 die in stehende Passage ist nur in odem 1650i belegt. die folgenden textreste stehen nur in oBerlin 10667, s. dazu oben die einzelübersetzung dieses Ostrakons. 52 das letzte fragmentarische Wort in dieser Zeile: sd.t? smd.t? ist nicht sinnvoll zu lesen bzw. zu ergänzen, s. dazu oben anm. 10. 53 Wegen des folgenden m wahrscheinlicher als nur jmj tw «gib». © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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erzählen in der tradition des ägyptischen Homer florian ebeling · Heidelberg

es ist eines der Verdienste alfred grimms, in seinen wertvollen studien zur geschichte der Ägyptenrezeption auch darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass diese nicht nur eine motivische signifikanz, sondern auch eine stilistische relevanz besitzt.1 in diesem sinne möchte ich einen text würdigen, der wegen seiner motivik schon immer Beachtung gefunden hat, dessen stil bislang jedoch nicht als charakteristisch für das Ägyptenbild galt. Betrachtet man jedoch die dem text eingeschriebene hermeneutik, so kann dieser griechische roman auch als eine ägyptische rätselschrift verstanden werden. heliodors Aithiopika ist der umfangreichste der antiken griechischen romane, stammt vermutlich aus dem dritten oder vierten Jahrhundert und spielt weitgehend in Ägypten.2 diese schrift berichtet, wie sich zwei junge und schöne menschen ineinander verlieben, zeitweise getrennt werden und zahlreiche abenteuer, gefahren und Versuchungen zu bestehen haben, in 1 alfred grimm pflegt nicht nur selbst einen hervorragenden stil, der sich von der trockenen und ungelenken Wissenschaftsprosa, in der auch dieser Beitrag abgefasst ist, wohltuend unterscheidet; er hat sich auch immer wieder der literarischen Form gewidmet, so z. B. wenn er rainer maria rilkes und thomas manns unterschiedliche literarische auseinandersetzung mit dem alten Ägypten beleuchtet: alfred grimm, dichterische metamorphosen – altägypten als weltanschauliche und ästhetische Projektionsfläche bei thomas mann und rainer maria rilke, in: heike Biedermann/andreas dehmer/henrik Karge (hrsg.), imagination und anschauung: Ägyptenrezeption und Ägyptenreisen in der ersten hälfte des 20. Jahrhunderts, dresden 2015, s. 16–21. 2 es ist schon häufig darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Begriff «roman» für diese texte anachronistisch ist. als eingeführter Begriff wird er im Folgenden verwandt. Vgl.: niklas holzberg, der antike roman, darmstadt 2006, s. 19/20, 38/39. Zur handlung, datierung und einem Überblick über die Forschung, ebd., s. 130–138. eine gute interpretation, die weiter in die angelsächsische Forschung einführt, bietet: tim Whitmarsh, narrative and identity in the ancient greek novel, cambridge 2011, s. 108–135. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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denen sie sich als mutig und tugendhaft erweisen und schließlich als Paar vereint werden. diese fiktionale erzählung bietet zahlreiche informationen über Ägypten, gilt gleichwohl nicht als schlüsselschrift für das abendländische Ägyptenbild, wie etwa Plutarchs traktat Über Isis und Osiris oder das elfte Buch von apuleius’ Metamorphosen. heliodors roman ist, trotz seiner lebendigen rezeptionsgeschichte,3 eher als steinbruch für Zitate und Belegstellen verwendet worden. es gibt nicht die eine idee zum Verständnis des alten Ägypten, mit der dieser roman assoziiert wurde, und seine stilistischen eigenschaften werden in den literaturwissenschaften, aber nicht im Zusammenhang der geschichte der Ägyptenrezeption besprochen. Betrachte man die erzähltechnik der Aithiopika als teil des Ägyptenbildes jedoch etwas genauer, so wird ein für ägyptisch gehaltener stil erkennbar. der schlüssel dabei ist die Bedeutung homers für diesen roman: homer wird explizit wegen seines dunklen, rätselhaften stils als Ägypter bezeichnet. da dieser roman nun seinerseits als rätselschrift gestaltet, von homerzitaten durchzogen ist und in der Odyssee seine wichtigste literarische Vorlage hat,4 kann er selbst als schrift im dunklen, rätselhaften ägyptisch-homerischen stile verstanden werden. Zum expliziten Ägyptenbild des romans neun der zehn Bücher der Aithiopika spielen in Ägypten, das zehnte in Äthiopien. nur in erzählerischen rückblicken ist delphi noch ein wichtiger handlungsort. so prominent Ägypten in diesem Buch auch ist, so problematisch ist das Ägyptenbild. in der eingangsszene begegnet dem leser nicht ein

3 so hat er vom 16. bis ins 18. Jahrhundert viel aufsehen erregt und maßgeblich zur entwicklung des galanten romans in dieser Zeit beigetragen: Wilhelm Voßkamp, «dichtender geschichtsschreiber des menschlichen herzens.» heliodor und der galante roman in deutschland, in: dietrich Boschung/erich Kleinschmidt (hrsg.): lesbarkeiten. antikenrezeption zwischen Barock und aufklärung, Würzburg 2010, s. 137–152. 4 Zu homer als Vorlage: reinhard Babel, translationsfiktionen, Zur hermeneutik, Poetik und ethik des Übersetzens, Bielefeld 2015, s. 37/38. Zum Verständnis der Aithiopika als Prosimetrum: ulrich Johannes Beil, die hybride gattung. Poesie und Prosa im europäischen roman von heliodor bis goethe, Würzburg 2010, s. 43–78. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Ägypten altehrwürdiger Weisheit, sondern eine mischung aus Orgie und schlachtfeld, bewohnt von räuberbanden und nicht von Priestern: «das Bild, das sich den ägyptischen räubern bot, umfaßte auf engem raum ein scheußliches gemisch aus Wein und Blut, mahl und Kampf, trunklust und mordgier».5 Offensichtlich ist dieses Ägypten nicht das Vorbild der griechischen Kultur, sondern deren Kontrastfolie, barbarisch und unzivilisiert. dieser gegensatz wird auch noch dadurch betont, dass der Blick der ägyptischen räuber in der anfangsszene von der grauenvollen ägyptischen handlungsbühne auf ein «junges mädchen von wunderbarer schönheit» fällt. Wegen ihrer schönheit wird sie von den Ägyptern zunächst für eine göttin gehalten. sie und ihr gleichfalls überaus schöner geliebter theagenes sind offensichtlich keine Ägypter, denn sie können sich mit den Ägyptern nicht verständigen: die räuber sprechen nur ägyptisch, die schönen liebenden nur griechisch (14–15). Wie fremd die Ägypter den griechisch sprechenden Protagonisten sind, wird deutlich, wenn ihnen die Begegnung mit einem landsmann, der ihnen als Übersetzer dient, geradezu als ein Versprechen auf erlösung erscheint: «ein grieche? götter! du bist ein grieche? natürlich! er ist grieche von geburt und sprache. Vielleicht hat unsre not nun ein ende.» (18–19). dieses sehr düstere Bild eines barbarischen Ägypten wird in der Folge jedoch gebrochen.6 heliodor berichtet nicht nur von der lebensweise der ägyptischen räuber, ihren häusern im Feuchtland, wie ihre Kinder davor bewahrt werden, von den hausbooten zu fallen. Wir erfahren auch etwas von traumorakeln, in denen isis dem schlafenden erscheint (31), über die amtsnachfolge ägyptischer Priester (32), über die Kampftechniker, über die geographischen charakteristika Ägyptens und die reisedauer. heliodor schildert, wie ägyptischen und griechischen göttern gemeinsam geopfert wurde (64) und die ägyptischen Priester von den hellenen wegen ihrer askese bewun5 heliodor, die abenteuer der schönen chariklea, übersetzt von rudolf reymer, münchen 1990, s. 12. alle Zitate aus den Aithiopika sind nach dieser ausgabe wiedergegeben und die entsprechenden seiten sind in Klammern vermerkt. 6 niklas holzberg, egypt in the greek novel, in: antike und abendland 59 (2013), s. 112–125. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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dert wurden.7 der leser erfährt etwas über die prophetischen Fähigkeiten der Priester (67), über das große interesse der griechen an Ägypten (70) und über den exklusiven Zugang der ägyptischen Priester zu den «heiligen schriften», die nicht nur zu theologischen Fragen auskunft geben, sondern auch angaben zur Quelle des nil enthalten (70–71). Wir hören vom unterschied zwischen niederer und höherer magie bei den Ägyptern (94–95), über ihren liebeszauber (77) und die details eines rituals zur Prophetie durch eine totenerweckung (175–178). der text berichtet ferner von der Ähnlichkeit äthiopischer schriftzeichen mit ägyptischen hieroglyphen (108), von der eingeweideschau im hermestempel (136), von den Festungsanlagen von memphis und von einem Zweikampf um das amt des Orakelpriesters (182–186). der leser hört von der herrschaft der Perser über Ägypten (7. Buch, passim), von trauerritualen nach dem tod des Opferpriesters (191– 192), von sklaven (207), von der militärischen auseinandersetzung zwischen Ägypten und Äthiopien um Philae und die smaragd-minen (215) und auch von einem mordprozesse und der todesstrafe auf dem scheiterhaufen (228– 229). heliodor schildert ein «nilfest» (251–252), die Polarität von typhon bzw. seth und Osiris und von der Verschwiegenheit über die geheimnisse der göttlichen mysterien (251–252). Wir hören vom Frieden zwischen den Ägypten beherrschenden Persern und den Äthiopiern (268–269) und wir erleben im letzten Buch Äthiopien und nicht etwa Ägypten als das land der Weisheit und höheren Zivilisation. Ägypten ist in den Aithiopika ein land, das von asketischen Priestern wie von unkultivierten räubern bewohnt wird. es ist ein fremder und gefährlicher lebensraum für die Protagonisten, ein land, das von den Persern beherrscht wird und zugleich ab und an dennoch als hort von Weisheit und hoher Zivilisation erscheint.

7 sie leben vegetarisch und verzichten auf alkohol (65, 91). es ist an zahlreichen stellen angemerkt worden, dass der ägyptische Priester Kalasiris, von dem hier die rede ist, trotz seiner vermeintlich vorbildlichen lebenspraxis ein etwas undurchsichtiger charakter ist, der nicht immer die Wahrheit sagt und in der literatur bisweilen gar als Betrüger und scharlatan interpretiert wird, vgl.: Übersicht bei gerlinde Bretzigheimer, die Persinna geschichte – eine erfindung des Kalasiris?, in: Wiener studien 111 (1998), s. 93. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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dies und zahlreiche weitere auskünfte sind teile eines fiktionalen textes, sie lassen sich also nicht ungebrochen als dokumentarische Berichte verstehen. selbst wenn sie zu erstaunlich weiten teilen mit dem korrespondieren, was die Ägyptologie über Ägypten weiß, ist dieser text nicht in erster linie mit einer informationsabsicht geschrieben worden, sondern, um den leser zu unterhalten. das muss jedoch für die rezeptionsgeschichte nicht bedeuten, dass eine fiktionale erzählung nicht wie ein sachtext gelesen werden konnte.8 im Folgenden soll es jedoch nicht um diese sachinformationen über Ägypten selbst gehen, sondern darum, was aus zweien dieser motive für das selbstverständnis des textes zu entnehmen ist. dies ist die schilderung der problematischen Kommunikation zwischen griechen und Ägyptern einerseits und die Behauptung, homer sei ein Ägypter, andererseits. die problematische oder auch scheiternde Verständigung zwischen Ägyptern und griechen ist ein besonders hervorstechendes thema des romans:9 theagenes und chariklea, die beiden Protagonisten des romans, sprechen griechisch; zu Beginn des romans verstehen sie kein Ägyptisch und sind auf die hilfe von dolmetschern angewiesen oder aber darauf, den sinn der ägyptischen Worte aus dem Zusammenhang zu erschließen.10 auch die ägyptischen räuber verstehen kaum oder kein griechisch und bedienen sich daher eines dolmetschers.11 der erste Übersetzer in diesem roman ist Knemon, ein junger grieche, der sich schon länger in Ägypten befindet (17, 31). Wenn die ägyptischen räuber auch kaum griechisch verstehen, so ist dies bei den gebildeten Ägyptern etwas anders. der ägyptische Priester 8 so diente etwa Jean terrassons roman Sethos den Freimaurern als wichtigste Vorlage einer ägyptischen mysterienweihe, vgl.: Jan assmann/Florian ebeling, Ägyptische mysterien: unterweltsreisen in aufklärung und romantik, münchen 2011, s. 48–65. 9 John J. Winkler, the mendacity of Kalasiris, in: Yale classical studies, XXVii, later greek literature, cambridge/mass. 1982, s. 104/105 meint, dass heliodors Aithiopika, wie kein anderer griechischer roman, die schwierigkeiten der Übersetzung thematisiert. Zum Übersetzungsproblem vgl. auch: stockhammer, afrikanische Philologie, Berlin 2016, s. 82–87. 10 «sie verstanden zwar seine sprache nicht, doch begriffen sie den sinn seiner Worte.» (14). 11 «[…] doch konnten die männer, die der griechischen sprache nicht mächtig waren, kein Wort verstehen.» (14). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Kalasiris hat sich länger in delphi aufgehalten und wird im Verlauf des romans zum wichtigsten Vermittler zwischen der ägyptischen und der griechischen Kultur. gleichwohl ist das nicht-Verstehen-Können zwischen Ägyptern und griechen ein wichtiges thema des Buches, das durch das hinzutreten der Perser als Fremdherrscher über Ägypten und der Äthiopier noch verschärft wird. die Problematik des gegenseitigen Verstehens wird immer wieder zum gegenstand der erzählung, so etwa, wenn die Äthiopier sich eines dolmetschers bedienen, um mit den Ägyptern und Persern zu kommunizieren (240), und theagenes im laufe seines aufenthaltes in Ägypten zumindest in ansätzen die landessprache gelernt hat und so selbst als Übersetzer dienen kann. dieser Übersetzungsproblematik unterliegt zunächst einmal eine grundsätzliche dichotomie: hier die griechisch sprechenden Protagonisten, dort die Ägypter, Barbaren soweit sie kein griechisch sprechen oder doch kultivierte gesprächspartner in dem maße, in dem sie des griechischen mächtig sind.12 so wie zu Beginn des romans die scheiternde Verständigung thematisiert wird, so wird im laufe des romans die gelingende Kommunikation immer mehr zum thema. Zwischen dem Ägypter Kalasiris und dem griechen Knemon funktioniert das gespräch hervorragend,13 theagenes lernt, wie oben schon erwähnt, in ansätzen Ägyptisch. die pointierteste these zur gelingenden Kommunikation zwischen griechen und Ägyptern ist jedoch diejenige, homer sei ein Ägypter. homer, diese ikone griechischer literatur und kulturellen selbstverständnisses als einen Ägypter zu verstehen, ist eine nicht geringe relativierung des anspruches des griechentums auf kulturelle hegemonie und eine kaum zu überschätzende Verbindung zwischen Ägypten und griechenland. diese Bemerkung zu homer wird heutzutage im Zusammenhang der Übersetzungsproblematik erörtert oder als eine skurrile Bemerkung hingenommen. Betrachtet man diesen text jedoch als teil der geschichte der Ägyptenrezeption und wirft den Blick auf den erzählstil des Bu12 Zu diesem Zusammenhang vgl.: stockhammer, afrikanische Philologie, s. 79–95. 13 dazu muss auch noch der weitgereiste ägyptische Kaufmann nausikles gezählt werden, der die beiden bei sich beherbergt. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ches, so scheint es sich um eine schlüsselstelle für das Ägyptenbild und vielleicht auch für das poetologische selbstverständnis des textes zu handeln. Homer der Ägypter Bereits im zweiten Buch behauptet der ägyptische Priester Kalasiris beiläufig, dass homer ein Ägypter sei.14 War dies noch eine lapidare Bemerkung, so wird sie im dritten Buch im Zusammenhang mit der interpretation eines homerzitats aufgenommen und detaillierter zur sprache gebracht. Kalasiris berichtet, wie ihm apollon und artemis gegen mitternacht erschienen seien, und meint erkannt zu haben, dass dies kein traum war, sondern Wirklichkeit (91). hierfür beruft er sich auf eine «dunkle andeutung» durch homer: «denn von hinten erkannt ich […] die Füße und Waden des gottes, als er hinweg sich wandte – denn leicht zu erkennen sind götter.» es handelt sich hierbei um eine Paraphrase von ilias 13, 71–72, aus der nach Kalasiris hervorgeht, dass die Ägypter sinnvollerweise ihre götterbilder mit geschlossen gestellten Beinen darstellen und nicht wie die griechen es tun mit standbein und spielbein.15 Bemerkenswert ist die literarische darstellungsform, die homer hier zugeschrieben wird: seine als schwer verständlich und symbolisch angesehene sprache wird als das bezeichnende charakteristikum seiner Poesie aufgefasst. homer habe es verstanden, anzudeuten ohne wörtlich auszusprechen, das rätselhafte sei sein metier: «[…] wie der weise homer es dunkel andeutet. […] ich verstehe [sagt der gesprächspartner des Kalasiris], nach dem Wortlaut, wohl den allgemeinen sinn der stelle [ilias 13, 71– 72], aber die tiefere religiöse Bedeutung bleibt mir verschlossen.» heliodor folgend gibt es bei homer einen literalsinn und einen religiösen sinn, der sich nicht auf der textoberfläche offenbart. Knemon bestätigt, dass es hier einen grundsätzlichen unterschied im Verstehen und erkennen des göttlichen, wie des homerischen textes gebe: «den uneingeweihten freilich bleiben sie darum unerkannt. doch der Wissende lässt sich nicht täuschen.» derjenige, der in das Wissen um die erscheinung der götter eingeweiht sei, 14 «denn der ägyptische dichter homer berichtet uns […]» (78). 15 Vgl.: Beil, hybride gattung, s. 49/50. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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könne sie auch erkennen. «das alles wusste homer als Ägypter und Kenner unserer heiligen lehren und hat es für die Verstehenden in seinen Werken symbolisch zum ausdruck gebracht, […]» (92–93). homer habe seinem text, als in die mysterien der Ägypter eingeweihter, eine tiefere religiöse Bedeutung geben wollen und ihn nur buchstäblich in einfach zu verstehende Worte gekleidet. homer als Ägypter zu verstehen bedeute, seine schriften so zu interpretieren, dass die religiöse Bedeutung erkennbar wird. die allegorese homerischer texte ist an sich nichts neues und auch nicht auf den Ägyptenbezug beschränkt. seit der sophistik finden sich solche allegoresen und sie gehören auch später zum Kernbestand der antiken homerlektüre.16 im zweiten bis fünften Jahrhundert, der Zeit zu der heliodor die Aithiopika verfasst hat, gab es insbesondere in der stoa eine ausgeprägte allegorische interpretation der Klassiker, in der auch davon ausgegangen wurde, dass die dichter über ein exklusives Offenbarungswissen verfügt haben. Knemon, der gesprächspartner des Kalasiris, stellt die these, dass homer ein Ägypter sei, als vollkommen neu dar: «du hast aber wiederholt homer als Ägypter bezeichnet, wovon bis auf den heutigen tag wohl noch niemand etwas gehört hat.» (93). das mag in der literarischen Fiktion für die Figur des Kalasiris stimmen, in der literatur der antike finden sich durchaus solche Bemerkungen, etwas bei lukian oder clemens alexandrinus.17 heliodor berichtet im Folgenden von der geburt des homer als Kind des gottes hermes und der Frau eines ägyptischen Priesters. Kalasiris zeigt sich von der Wahrheit dieses Berichts überzeugt und begründet das mit der Form der Poesie homers: «wenn ich an das rätselhafte und gleichzeitig unendlich reizvolle seiner dichtung denke, typisch ägyptische eigenschaften, 16 heinrich dörrie, spätantike symbolik und allegorese, in ders.: Platonica minora, münchen 1976, s. 112–123. dörrie macht auch darauf aufmerksam, dass das Orakel in delphi, das neben anderen Orakeln und Prophetien auch in diesem roman eine wichtige rolle als textform spielt, die eine interpretation eines zweiten, tieferen sinns fordert. 17 Beide stellen sind aber recht allgemein gehalten und haben keine so zentrale Funktion für das textverständnis, wie diese stelle bei heliodor. dass heliodor als Ägypter bezeichnet wird, wird in einigen schriften erwähnt. einen der ersten Überblicke über diese stellen findet sich bei Jacob Bryant, a dissertation concerning the War of troy, london 1797, s. 57–62; im Folgenden geht er der these in der literatur nach, © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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[…]» (94). Was aber homer «dunkel andeutet», «die tiefe religiöse Bedeutung» könne nur der eingeweihte verstehen, während der uneingeweihte sich mit dem literalsinn des homerischen textes begnügen muss. diese mysterien mit ihren einweihungen gelten in den Aithiopika als eine Voraussetzung für die verstehende homer-lektüre. und diese einweihungen sind in heliodors roman, in Übereinstimmung mit einer Vielzahl anderer schriften, ein charakteristikum der ägyptischen Kultur und seiner Priester.18 homer ist zwar nicht als Priester, wohl aber als dichter teil dieser tradition ägyptischer mysterien und seine epen können als poetische theologie verstanden werden. erst in der verstehenden lektüre vermag der angemessen vorbereitete leser in die verborgene tiefe des textes zu dringen. die geschichte der Ägyptenrezeption ist zu weiten teilen von diesem mysterienmotiv und der idee der lesemysterien geprägt.19 diese Vorstellung der ägyptischen mysterien, die in der stoa gepflegte allegorese homers und die im mittelplatonismus ausgearbeitete idee von Ägypten als land der symbolsemiose gehören alle zu diesem von heliodor geschildertem Bild homers als Ägypter. heliodors roman selbst orientiert sich zu weiten teilen an homers Odyssee, und die homerzitate im text sind für den aufbau des Buches zentral.20 dass troja in Ägypten gelegen habe (es handelt sich ja um eine Zeit, in der schliemann troja noch nicht entdeckt hatte). einen sehr guten Überblick über homer als Ägypter und inwiefern dies in ägyptischen Priesterkreisen thematisiert wurde, bietet: Joachim Friedrich Quack, gibt es eine ägyptische homer-rezeption?, in: a. luther (hrsg.), Odyssee-rezeptionen, Frankfurt 2005, s. 55–72. 18 «Für das Volk genügte diese erklärung. Für die eingeweihten aber lehren sie, […] Ägyptische Weise, die in den Wissenschaften von der natur und von gott bewandert sind, werden wohl kaum einem die tiefere Bedeutung dieser dinge enthüllen, sondern nur in gestalt eines mythos mitteilen, während sie den in die göttlichen mysterien eingeweihten die geheimnisse im hellen licht der Wahrheit offenbaren.» (251). hier muss aber auch festgestellt werden, dass in diesem roman der Ort der abschließenden vollkommenen einweihungen nicht Ägypten, sondern Äthiopien ist. Wie in der griechischen tradition die Weisen nach Ägypten reisten, um sich einweihen zu lassen, so reisen chariklea und theagenes nach Äthiopien, um dort in das Priesteramt eingeweiht und als Paar vereint zu werden. Vgl.: Whitmarsh, narrative, s. 122. 19 es findet sich insbesondere in der geschichte des hermetismus und der alchemie. Vgl. dazu Florian ebeling, das geheimnis des hermes trismegistos, münchen 2005, s. 141–144. Zur literarischen Verarbeitung vgl.: assmann/ebeling, passim. 20 Voßkamp, dichtender geschichtsschreiber, s. 140, Whitmarsh, narrative, s. 112– 116 zu homer und der Odyssee als Vorlage der Aithiopika, zur diskussion der Bedeutung der Odyssee für die Aithiopika siehe anm. 31. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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interessant ist dabei, dass diese homerzitate einer interpretation unterzogen und insofern nicht viel anders behandelt werden als die Orakel, die gleichfalls im text überliefert sind; es geht um die richtige interpretation und die relevanz der interpretation für den handlungsverlauf.21 diese Bedeutung homers für heliodors roman und der umstand, dass dieser selbst als eine rätselschrift angelegt ist, führt zum schluss, dass die Aithiopika selbst als eine schrift im ägyptischen stil verstanden werden kann. die Verrätselung der handlung wird in der literatur häufig als ein dominantes stilmittel heliodors erwähnt und kann, folgt man dem soeben geschilderten Zusammenhang von homer-allegorese und ägyptischem mysterien-Kult, als eine literarische technik im ägyptischen stile verstanden werden.22 schon das eröffnungstableau ist ein literarisches rätselbild: Ägypten begegnet uns in einem szenario von sterbenden, räubern und mördern und in all diesem unheil findet sich ein liebespaar: schön, jung, einander bis in den tod ergeben. die leser wie die räuber, aus deren Perspektive das geschehen zunächst erzählt wird, verstehen nicht, was sie sehen bzw. lesen. Wie konnte es dazu kommen, was steckt hinter dieser eigenartigen szene? und die handelnden verstehen einander nicht: die ägyptischen räuber verstehen kein griechisch und die griechen kein Ägyptisch. Was es mit dieser szene auf sich hat, wie es zu dieser situation kommen konnte, das erfährt der leser erst nach der hälfte des Buches und nach vielen hundert seiten lektüre. es folgen zahlreiche rückblenden, Parallelhandlungen und vielfach verschachtelte erzählungen. der leser wird immer wieder in die irre geführt, immer wieder entwirft der autor literarische szenen und Bilder, die ihm eigenartig erscheinen und zu deren Verständnis er geduldig weiterlesen muss. Wenn diese erzähltechnik des rätselhaften und des hinausgeschobenen Ver-

21 nur weil Kalasiris das Orakel der Pythia in delphi in einer bestimmten Form interpretiert hat, flieht er mit chariklea und theagenes aus delphi, kommt nach Ägypten und die handlung nimmt ihren Verlauf. 22 holzberg, der antike roman, s. 130: «ein besonders charakteristisches mittel der technik heliodors ist die Verrätselung der handlung, durch die der leser bis unmittelbar vor dem ende des romans zu höchster aufmerksamkeit, zum mitdenken und Kombinieren genötigt wird.». Whitmarsh, narrative, s. 108–135. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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stehens auf homer zurückgeht,23 so steht heliodors roman nach seinem selbstverständnis auch in einer ägyptischen tradition.24 Heliodors rätselroman und die Mysterien der Ägypter Vergegenwärtigt man sich die geschichte der Ägyptenrezeption in ihren hermeneutischen und philosophischen grundzügen, so ist es verständlich, wieso die homer-allegorese in der antike sich mit der interpretation von Ägypten als symbolkultur traf und dazu führte, dass homer zu einem Ägypter erklärt wurde: Für herodot (5. Jh. v. chr.), von dem der erste ausführlich überlieferte Bericht über Ägypten stammt, ist Ägypten das land großer Zeitentiefe, der ursprung vieler Kulturtechniken und ein exempel der exotik. er identifiziert griechische mit ägyptischen göttern und macht so die ägyptische religion für die griechische Welt übersetzbar. in der Folge wurde diese «interpretatio graeca» kulturgeschichtlich universalisiert, und diodor (1. Jh. v. chr.) verherrlicht Ägypten als ursprung aller Weisheit und Kultur. mit dem politischen machtverlust nach der eroberung Ägyptens durch alexander den großen und der späteren eingliederung in das imperium romanum wird Ägypten immer weniger als politischer Faktor wahrgenommen und immer mehr zu einem land einer verborgenen Weisheit stilisiert. diese hermeneutik des Verborgenen hat Plutarch (1. Jh. v. chr.) in Über Isis und Osiris systematisiert: nicht das evidente sei das Wesen der ägyptischen Kultur, erst in einer allegorese zeige sich die verborgene essenz. apuleius, mittelplatoniker wie Plutarch, dramatisierte um 170 die isismysterien und machte Ägypten in der 23 «diesen Kunstgriff, zu Beginn der epischen handlung dem leser gewissermaßen ein rätsel aufzugeben, das dann ganz allmählich, womöglich erst in etappen, aufgelöst wird, hat dem homer mit einer in der antike beispiellosen raffinesse der erzähltechnik, der spätantike romanautor heliodor abgeschaut.» Werner sauerbaum, die ich-erzählung des Odysseus: Überlegungen zur epischen technik der Odyssee, in: Poetica 2 (1968), s. 150–177. 24 Whitmarsh, narrative, s. 114 spricht von einer «nilotic refiguration of the Odyssey”. heliodor wurde im Barock auch als «homer des romans» gefeiert und man sah in ihm ein Vorbild der «Verrätselung und enträtselung»: Beil, gattung, s. 43. «heliodors roman […] gehört zu den erfolgreichsten liebesromanen der Weltliteratur.» Voßkamp, dichtender geschichtsschreiber, s. 139. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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literatur zum idealbild einer mysterienkultur. hierbei korrespondierte die für die mysterien grundlegende unterscheidung von «öffentlich und geheim» mit der platonisch inspirierten hermeneutik für die ägyptische Kultur, so dass diese diskussionszusammenhänge eng miteinander verwoben blieben.25 mit dieser Vorstellung, dass Ägypten auf der kulturellen Oberfläche nicht angemessen verstanden werden kann und erst durch ein Verständnis der philosophischen und theologischen tiefendimension sich erschließt, war es in der geschichte der Ägyptenrezeption möglich, auf der Oberfläche ein land der heidnischen Vielgötterei oder unzivilisierter Barbarei zu sehen und zugleich eine verborgene ehrwürdige Weisheit und entwickelte Zivilisation zu entdecken. heliodors interpretation homers als Ägypter fügte sich in dieses Bild ein und hatte auch nachahmer. so wird etwa im Vorwort der pseudoparacelsischen Aurora Philosophorum, die spätestens 1569 als manuskript vorlag und 1577 im druck erschien, eine entwicklungsgeschichte des Wissens nachgezeichnet: das ursprünglich vollkommene Wissen adams, zu dem auch die alchemie gehöre, habe nach der sintflut am vollkommensten in Ägypten überdauert und sei dort symbolisch und enigmatisch gelehrt worden. neben moses habe auch «der vortreffliche Poet homerus» in Ägypten gelernt,26 «lehren der Weisheit nicht schlichtweg rund und klar, sondern figürlich und räterscher Weise, mit verdunkelten Worten und frembden eingeführten historien» darzustellen und habe sie später selbst «in seinen Versen wunderkünstlich beschrieben.» ganz in diesem sinne hat michael maier dann homers Ilias als eine schrift verstehen können, die nur in ihrem literal-

25 reinhold merkelbach, isis regina – Zeus serapis. die griechisch-ägyptische religion nach den Quellen dargestellt, stuttgart/leipzig 1995, udo reinhold Jeck, Platonica orientalia: aufdeckung einer philosophischen tradition, Frankfurt am main 2005. 26 «es war bei den Ägyptern der Brauch, daß sie dergleichen vortreffliche lehren der Weisheit nicht schlichtweg rund und klar, sondern figürlich und räterscher Weise, mit verdunkelten Worten und frembden eingeführten historien vorbrachten, welche nachgehends der vortreffliche Poet homerus in seinen Versen wunderkünstlich beschrieben hat. Ferner kam hinzu Pythagoras, der viel aus dem gesetz moysis und alten testament mit einmischte». Paracelsus, aurora Philosophorum, in: ders., Werke, Band V, hrsg. von Will-erich Peukert, darmstadt 21991, s. 6–8. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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sinn über den Kampf um troja berichte, eigentlich aber eine allegorie über den ‹stein der Weisen› sei.27 Bei dem großen erfolg, den heliodors Aithiopika in der frühen neuzeit hatte,28 ist es doch verwunderlich, wie wenig diese schrift als Quelle für das Ägyptenbild herangezogen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass das mysterienmotiv von heliodor nicht wirklich literarisch umgesetzt wurde, wie es etwa apuleius getan hat, indem er das göttliche und das erleben des initianden bei der einweihung poetisch verschlüsselte ohne es aufzulösen. das mysterium darf nicht eindeutig in sprache übersetzt werden, wenn es ein mysterium bleiben will. heliodor hat aber, soweit diese schlussfolgerung richtig ist und er sich als nachfolger des vermeintlichen Ägypters homer mit den Aithiopika in einem rätselhaften ägyptischen stil versucht hat, sich nicht als mysterien-dichter gezeigt. heliodor löst seine rätsel auf, zum schluss ist dem aufmerksamen leser die handlung klar verständlich. der rätselroman war keine mysterienschrift; es geht nicht um göttliche geheimnisse und um tiefe Wahrheiten, die nicht offenbart werden können. der leser der Aithiopika muss nicht in die mysterien eingeweiht sein, um diese schrift zu verstehen, er muss nur sehr aufmerksam lesen.29

27 Florian ebeling, alchemical hermeticism, in: christopher Partridge (hrsg.), the Occult World, routledge 2015, s. 74–91. 28 Zur Wirkungsgeschichte vgl.: Voßkamp, dichtender geschichtsschreiber, s. 137– 152. 29 am ende steht nicht das mysterium, sondern das erfüllte Orakel der Pythia in delphi: die Wahrheit offenbart sich aber erst zum ende des romans und der handlung, wenn das Orakel in erfüllung geht, vgl.: stockhammer, afrikanische Philologie, s. 81. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Vorbemerkung der folgende aufsatz bezieht sich kritisch auf Behauptungen aus dem lager einer materialistisch orientierten neurobiologie von der art wie: der freie Wille ist eine Illusion des Gehirns1. Wenn im folgenden der Begriff Gehirn verwendet wird, ist das Organ gehirn gemeint, das an die intakte Funktion eines intakten Organsystems ebenso gebunden ist wie umgekehrt. das gehirn ist weder Person in der Person oder etwas Personäquivalentes, noch operiert es wie eine autonome instanz, die in der lage wäre, das denken, das ich, den Willen, die entscheidungen, das Bewußtsein seines jeweiligen trägers zu determinieren (also das, was wir unter den Begriff Geist subsumieren) oder am ende gar sich selbst zu erkennen. Ohne geist ist das gehirn apallisch. I die menschliche Welt ist die Welt des geistes, dessen schöpfung sie ist. der mensch als naturwesen ist eine schöpfung der evolution. ist auch seine Welt, die sich der natur entfremdet hat, eine schöpfung der evolution? dürfen wir fragen, ob die evolution die menschliche Welt, so wie sie ist, gewollt hat? ist sie mit dem schritt zur entwicklung des menschlichen großhirns zu weit gegangen, zu weit über sich hinaus? aber die evolution hat nichts zu wollen, sie vollzieht sich bloß, sie ist Vorgang. ihr schöpferisches element ist passiver natur, darum führt der aktive Begriff Schöpfung in die irre. geist ist das ewige rätsel des seins, Kopfgeburt. stammt aus körperlichen sphären, wie athene aus dem schädel des Zeus entsprang, abstrahiert sich 1 christian eiger/Wolfgang singer/gerhard roth et al., das manifest, in: gehirn und geist 06/2004. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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vom körperlichen gebundensein, stiftet neue Welten, hängt dennoch an der nabelschnur seiner physischen abkunft. stirbt das Physische, stirbt auch er. Wie frei kann dann geist sein, und mit ihm das ich, in dem er waltet? Wer ist ich? Personalpronomen des Bewußtseins, des selbst? inhaber des Willens? Kommandeur des geistes? Das, was denkt, ist etwas Anderes als das, was lebt2. auch wenn es anders gemeint war, kann man es so sehen: das rein Körperliche, das Vegetative, gehorcht blind den ihm innewohnenden vererbten gesetzen. diese gesetze sind codiert durch das alles steuernde genom, dessen biochemische struktur so alt ist wie das leben selbst seit den anfängen, wir sprechen von vier milliarden Jahren, als in einem amorphen gemenge organischer substanzen die ersten autoreproduziblen moleküle sich formten und mikrobische Organismen bildeten, wenn es wirklich so war und nicht ganz anders. War jenes erste auftauchen von leben Zufall ohne absicht, ohne richtung, oder wohnte ihm ein Plan zur weiteren entwicklung schon in den anfängen inne? steuert das genom auch den geist? ist geist einfach nur ein stoffwechselprodukt, neurohormonale sekretion der jüngsten evolutionen des genoms, die uns den Lobus frontoparietalis in seiner heutigen Form bescherten? Oder ist geist vielleicht eine allzu großzügige spende der natur, eine art Zugabe mit nebenwirkungen, die sich verselbständigt haben und nun nicht mehr zu bändigen sind? das ich mit seinen synonymen und Äquivalenten schwächelt. die propagierte Vergemeinschaftungsmoral der gegenwart läßt den gedanken an eine autonomie dieses ichs als geistiges Wesen, als Person, als selbst kaum noch zu. das einst so erstrebte individuelle leben, Ziel einer klassisch-humanistischen, jetzt totgesagten Bildung, gilt als amoralisches raubtierdasein, schamlose selbstbezogenheit mit krimineller tendenz. das geht seit zwei-

2 gottfried Benn, doppelleben, in: gesammelte Werke 8, autobiographische schriften, Wiesbaden 1968, s. 1994. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hundert Jahren. schon Fichte3 nichtete das ich (wenn auch aus anderen gründen), stirners4 ich-entwurf scheiterte mit raskolnikow, Freud bereitete dem ich ein Prokrustesbett zwischen es und Über-ich, von nietzsche, dem intelligenten tier, zu schweigen, der rest endete in stahlgewittern. heute entsprechen der individualität eines ichs, wie es scheint, nur noch individualspezifische nukleotidsequenzen. Wen meinen wir, wenn wir ich sagen? Wenn wir ich sagen, sprechen wir von einer Vorstellung, einem inneren Bild, das wir von uns selbst entwerfen, lieben oder hassen, oder beides, wir meinen nicht unser objektives leibliches ich, das wir auch noch sind. das ich, das wir meinen, ist ein geistiges ich, dem sein Körper-ich fern und fremd ist, unheimlich, wenn nicht feindlich. die immer tiefer gesunkene Kluft zwischen geistes- und naturwissenschaft vermögen Philosophen, wie es scheint, kaum zu überwinden. die den naturwissenschaften eigene instrumentelle Vernunft ist ihnen unvertraut und verdächtig, das empirische zu wirklich, zu physisch, das bloß Körperliche eindimensional. erkenntnistheoretische ansprüche hindern viele Berufsphilosophen, sich mit purem materiellem empirismus anzufreunden. ein anderer teil der Philosophie (materialismus, monismus, naturalismus etc.) dient sich naturwissenschaftlicher Welterkenntnis an, weil man ans reine denken nicht mehr glauben mag: Philosophie nicht mehr als ancilla theologiae sondern als ancilla scientiae, oder Philosophen als schuhputzer der naturwissenschaft. dem gewöhnlichen naturwissenschaftler erscheint das bloß gedachte haltlos und beliebig, spekulativ, wenn es durch empirie nicht belegbar ist. idealistische naturphilosophie ist ihm ein graus. deutung über das Funktionelle hinaus ist nicht sein metier. mit dem geist weiß er nichts anfangen, obwohl er ohne den geist selber nichts wäre. naturwissenschafter reduzieren ihre Probleme gern auf methodenprobleme. 3 4

Johann gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre, hamburg 1986. max stirner, der einzige und sein eigentum, leipzig 1892. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die Fragen nach dem menschen und seiner Welt sind, daran zweifeln wir nicht, ohne das Fundament der naturwissenschaften gar nicht mehr zu erfassen. gottfried Benn sagte es so5: «rückblickend scheint mir meine existenz ohne diese Wendung zur medizin und Biologie völlig undenkbar. es sammelte sich noch einmal in diesen Jahren die ganze summe der induktiven epoche, ihre methoden, gesinnungen, ihr Jargon ... und eines lehrte sie die Jungend, da sie noch ganz unbestritten herrschte: Kälte des denkens, nüchternheit, letzte schärfe des Begriffs, Bereitschaft von Belegen für jedes urteil, unerbittliche Kritik, selbstkritik, mit einem Wort die schöpferische seite des Objektiven. die kommenden Jahrzehnte konnte man ohne sie nicht verstehen, wer nicht durch die naturwissenschaftliche epoche hindurchgegangen war, konnte nie zu einem bedeutenden urteil gelangen, gar nicht mitreifen mit dem Jahrhundert...» man soll also durch die naturwissenschaften als notwendigkeit hindurchgehen, und gerade Weil der materialistische anspruch der naturwissenschaften auf deutungshegemonie seit dem 19. Jahrhundert immer nachhaltiger geworden ist und wird, sollten wir bemüht sein, den geist, seine Beschaffenheit, seine möglichkeiten, zuerst von der seite des Körperlichen her denken, um zu erkennen, ob und worin er sich von der natur unterscheide und ob Versöhnung möglich sei. Wir gestehen, wie schon gesagt, zu: ohne seinen Körper, d. h. ohne sein gehirn wäre der geist nicht von dieser Welt, doch ohne seinen geist fällt der Körper der autolyse anheim, an erster stelle mit ihm das gehirn, ohne in dieser Welt einen abdruck zu hinterlassen, nicht einmal als paläontologisches Objekt. sind also geist und gehirn etwa einerseits eins, andererseits auch nicht? liegen hier logische Widersprüche vor oder scheinprobleme? 5 gottfried Benn, lebensweg eines intellektualisten, in: gesammelte Werke 8, autobiographische schriften, Wiesbaden 1968, s. 1894. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Zwischen den Fronten haben postmoderne Konstruktivisten sich eingenistet. ihnen gemäß sei jede Form von Wahrheit nur ein irgendwie kulturell, sozial oder subjektiv geprägtes narrativ, das keine objektive gültigkeit beanspruchen könne. der französische Konstruktivist Bruno latour leugnete die empirisch plausible hypothese, ramses ii. sei an tuberkulose gestorben, mit dem argument, das Mycobacterium tuberculosis sei erst 1882 n. chr. von robert Koch entdeckt worden, könne demnach zur todeszeit des Pharao (1213 v. chr.) keine wirkliche Existenz gehabt haben6. immerhin ist offensichtlich, daß bei einem derartigen epistemischen relativismus, der sogar einem Kreationismus wieder raum bietet, empirische Wissenschaft, wie etwa die altertumswissenschaften, so wie wir sie kennen, keinen sinn mehr haben könnte. II moderne naturwissenschaft, sollte man glauben, sei aus reiner, nichtspekulativer, nichtidealistischer, theologiefreier anschauung ursprünglich entstanden, die beinahe ad libitum sich selbst genügen kann. die wissenschaftlichen methoden waren im anfang Bobachten, sammeln, Zeichnen, messen, denken, intuition, Beschreiben, immer dicht am gegenstand und mit der größtmöglichen materiellen genauigkeit, aber grundsätzlich auf das gegenständliche einzelne gerichtet ohne gründeln nach tieferem sinn. Von solcher art sind auch darwins7 schriften. mit größter akribie hat er die biologische Verwandtschaft des menschen klargemacht, die bis zum allerersten einzeller reicht. der mensch ist demnach teil der natur, darum ist einsichtig, daß auch der geist (ich begreife ihn als einen Komplex aus Bewußtsein, ich, Wille etc.) sich auf natürliche Weise im rahmen der gesamten evolution entwickelt haben sollte.

6 siehe Bruno latour, ramses ii est-il mort de la tuberculose?, in: la recherche 307 (1998), s. 84/85, zit. nach: Paul Boghossian, angst vor der Wahrheit, Frankfurt 2013. 7 charles darwin, die entstehung der arten, stuttgart 1963|1996|2010; die abstammung des menschen, stuttgart 5 2002.. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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trotzdem, so behaupte ich, geht die menschliche Welt, als eine schöpfung des geistes verstanden, über das natürliche weit hinaus, daher muß untersucht werden, wie das möglich sein kann. die menschliche Welt ist evolutionär nicht vorgeprägt, das ist vielleicht der wesentliche Befund überhaupt, sie erscheint im gegenteil durchaus widernatürlich, evolutionär sinnlos, sie wurde im laufe einer eigenen (kulturellen) Art von Evolution vom menschen selbst geformt, dem natürlichen keineswegs analog, sondern strikt entgegengerichtet. darwin hat die überaus erstaunliche leistung vollbracht, den fundamentalen naturprozeß der entwicklung der arten und mit ihr die abstammung des menschen, d. h. den Zusammenhang aller lebenden Wesen, in seinen wichtigsten abläufen, die mendelsche Vererbungstheorie nicht kennend, sehr weitgehend richtig zu beschreiben. erst die entdeckung der doppelsträngigen, sich selbst reduplizierenden dna, des genoms und der tatsächlichen Vererbungsvorgänge hat die evolutionstheorie, vor allem molekular, überhaupt erst vorstellbar und denkbar gemacht. Wenn nun das genom als das eigentliche agens der evolution zu begreifen ist und somit auch wesentlich an der entwicklung des menschlichen gehirns beteiligt ist, und wenn geist aus der tätigkeit des gehirns hervorgeht, in dem sinne, daß in seiner tätigkeit das gehirn sich als funktionelles und anatomisches substrat des geistes erweist, als sein Werkzeug, so wäre auch zu fragen, ob das genom auf den geist einwirkt oder überhaupt einwirken kann. ist geist determiniert oder nicht? Weiter ist zu fragen, ob die Prinzipien der evolutionslehre (mutation, selektion, Zufall) die entwicklungsschritte zum menschlichen gehirn hinreichend erklären können8. Wenn meine annahme, die menschliche Welt als schöpfung des geistes gehe über das natürliche hinaus und zwar im sinn einer substantiell anderen Kategorie, gültig ist, so ließe schon daraus eine notwendigkeit sich ableiten, dem geist Freiheit in der gestaltung dieser Welt zuzuschreiben, denn es 8

siehe dazu thomas nagel, geist und Kosmos, Berlin 2013. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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stellt sich die Frage, wie es dem geist möglich sei, naturfremde, immaterielle, abstrakte, auch mythische tatsachen zu erkennen, zu entwerfen und zu beschreiben, falls die Behauptung der neurobiologie wahr wäre: geist (Bewußtsein, Wille) sei nichts weiter als eine illusion des gehirns, das im hintergrund nach art einer grauen eminenz die Fäden ziehe. das genom codiert für die molekularen Vorgänge in den Zellsystemen, denn für sie ist es evolutionär programmiert. Für den umgang mit gegenständen oder tatsachen, zu denen es im laufe der evolution keine Kontakte haben konnte, weil sie zu dieser Welt nicht gehörten, kann es nicht programmiert sein. denkbar ist, daß aus der besonderen Komplexität des menschlichen gehirns neue, höherwertige neuronale dimensionen resultierten im sinn von emergenz, die neue, nicht vorgeprägte kognitive möglichkeiten schufen, nämlich eben jenes Phänomen, das wir geist nennen, das vielleicht ein unfall der evolution war, weil es eine Kapazität der Verselbständigung entwickelte, die dem natürlichen widersinnig ist. III Viele Vertreter der gegenwärtigen neurobiologie kennen schon die antworten auf die gehirn-geist-Frage aufgrund hochentwickelter methodischer möglichkeiten, neuronale aktivitäten technisch immer genauer abzubilden. in einem manifest9 von 2004 stellen namhafte neurowissenschaftler dar, was hirnforscher heute wissen und können und in absehbarer Zeit wissen und können werden. darauf kann im einzelnen nicht eingegangen werden, als Quintessenz ergibt sich die optimistische Vision, «man werde in 20 bis 30 Jahren geistige Prozesse widerspruchsfrei als natürliche Vorgänge ansehen, da sie auf biologischen Prozessen beruhen». eine theorie des gehirns werde formulierbar sein: «...denn in diesem zukünftigen moment schickt sich unser gehirn ernsthaft an, sich selbst zu erkennen. man wird ein neues menschenbild entwerfen müssen», und dieses menschenbild, so füge ich hinzu, soll ein deterministisches sein, in dem geist nur noch illusion sei. 9

eiger/singer/roth et al., das manifest. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eine immanente methodenkritik der neurobiologie kann an dieser stelle nicht stattfinden, doch sie ist notwendig und möglich10, und sie könnte zu der Vermutung führen, daß der erklärungsbereich der Biologie prinzipiell begrenzt sei, denn es wäre denkbar, daß die hyperkomplexität des menschlichen gehirns einer kohärenten, vollständigen und angemessenen darstellung sich dauerhaft und grundsätzlich entzieht. dieser methodische Zweifel hat nichts mit Wissenschaftsskeptizismus zu tun, er ist nur eine realistische Position gegenüber der Frage nach der lösbarkeit hyperkomplexer Probleme und dem glauben an einen unendlichen Fortschritt der Wissenschaften. die theorie der neurobiologie erweckt den anschein, als wäre die vollständige und kohärente Beschreibung neuronaler aktivität lediglich ein quantitatives Problem, denn neuronale Vorgänge sind ja vielfach untersucht mit durchaus beachtlichen erkenntnissen. Wie anders könnten neurobiologen sonst schon jetzt behaupten, das Bewußtsein sei nur eine illusion des gehirns, wenn sie die Funktionsweise des gehirns in ihren grundsätzen nicht bereits erfaßt hätten? hätten sie es nicht, wäre eine derartige Behauptung fahrlässig. sie ist aber auch auf andere Weise fahrlässig, indem sie sich über ein fundamentales, auch ontologisches Problem des materialismus hinwegsetzt. Wir können sagen: die tatsache des gehirns bedingt die tatsache des geistes, aber deshalb ist geist nicht das gehirn. die neuroforschung erliegt hier einem Kategorienfehler, indem sie die nichtmaterielle semantische Kategorie des geistes mit der materiellen Kategorie des gehirns gleichsetzt11. Wäre jedoch geist nichts weiter als eine illusion des gehirns, so wäre auch jeder weitere gedanke über das gehirn ebenfalls nur illusion und würde in einem infiniten regreß versinken. ein Problem des naturalistischen monismus besteht unter anderem darin, das evidente anderssein des anderen entweder nicht zu sehen oder zu ver10 siehe dazu ausführlich z. B. Felix hasler, neuromythologie, Bielefeld 2013. 11 an dieser stelle weise ich darauf hin, daß ich mich hinsichtlich der ontologischen © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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leugnen, im Fall der neurobiologie das anderssein der menschlichen Welt des geistes gegenüber dem Organsein des gehirns. es scheint, als ginge es bei dieser negation der Phänomene des geistes um eine art deutungsmacht, obwohl auch naturalistische theorien ihrerseits evidente Phänomene des geistes sind. hier muß geisteswissenschaft einschreiten, nicht im sinne einer gegnerschaft, sondern im sinne einer erweiterung der horizonte. Wir betreiben neurophysiologie des gehirns zu keinem anderen Zweck als zum Verständnis der Funktionsweise des gehirns. Zum Verständnis des geistes ist sie überflüssig, denn das gehirn selbst erklärt nichts, es wird erklärt. geist bedarf keiner erklärung durch das gehirn, er ist derjenige, der erklärt. IV im rahmen der vorliegenden schrift kann detailliert auf die funktionelle rolle des genoms in der neurophysiologie und als organisches substrat des geistes nicht eingegangen werden. die aufgabe eines intakten genoms besteht vor allem darin, die entwicklung eines intakten gehirns mit intakten Funktionen somatisch zu steuern und auf zellulären und subzellulären ebenen aufrechtzuerhalten. das genom codiert strukturen und damit die synthese jener moleküle, Proteine, enzyme, die jene strukturen bilden und deren Funktionen wiederum in gang setzen und kontrollieren. die Funktionalität des genoms erstreckt sich auf das evolutionär Vorgegebene. sie wäre überfordert, obläge ihr auch noch die Kontrolle des geistes. das genom enthält die Baupläne für moleküle, Proteine bzw. Polypeptidketten, doch sie beschreiben die struktur eines Organismus nicht bis ins letzte detail. Weltbereiche auf das modell der Welten 1, 2 und 3 nach Popper, Frege u. a. beziehe, siehe dazu Karl Popper/John eccles, das ich und sein gehirn, heidelberg/new York 1977. ich unterstelle hier eine analogie zur älteren dreiheit Körper, seele, geist mit einem gewissen metaphorischen charakter, zumal Überschneidungen der Weltbereiche möglich sind. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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untersuchungen an isogenen Klonen verschiedener tierischer modellsysteme ergaben, daß für die stringenz der genetischen steuerung ein kombinatorischer Zusammenhang zwischen dem genom und den eigenschaften eines Phänotyps besteht. die erbinformation wäre demnach als variabler algorithmus zu verstehen, und die gene wären zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung auf der entwicklungsendstrecke eines phänotypischen musters. das system enthält Variationsmöglichkeiten, die genetisch nicht determiniert oder vorgeprägt sind, anders ausgedrückt: «gehirne sind strukturell offen und genetisch nicht bis ins detail vorprogrammiert»12. das genom ist einerseits streng organisiert, andererseits permissiv. in allem, was die autonome regulation der Organfunktionen betrifft, ist es rigide, invariabel, entwicklungsgeschichtlich alt und entsprechend stabil, nicht mehr lernfähig, aber hochresistent gegen störungen, doch einmal gestört (sei es durch umweltbedingungen, sei es durch mutationen), irreversibel geschädigt, nicht mehr anpassungsbereit. in allen höheren Funktionen des Organismus läßt es Varianz leichter zu, gibt möglichkeiten vor, und, wie es scheint, umso mehr, je komplexer das system ist. Wachsende Komplexität müßte zu wachsender dynamik einer selbstorganisation führen, wie wir sie im menschlichen Frontalhirn zu erblicken glauben, dem das Bewußtsein entspringt. aristoteles hielt das gehirn noch für eine art Kühlaggregat des Blutes13. einmal durch die schule der naturwissenschaft hindurchgedacht, in sonderheit der genetik, sollten wir philosophisch das gehirn als möglichkeitsorgan betrachten. die ausschöpfung der gegebenen möglichkeiten ist jedoch nicht mehr sache des gehirns. sie ist sache des geistes, man könnte auch sagen, eine Bestimmung des seins. Biologischer materialismus beseitigt diese Fragen nicht nur, er läßt sie gar nicht erst aufkommen: entweder gibt es das Bewußtsein nicht oder es ist 12 [Wilhelm seyffert, hrsg.], lehrbuch der genetik, stuttgart 1998, Kap. 34.5.5.6. 13 aristoteles, Über die glieder der geschöpfe (De partibus animalium), in: die lehrschriften, Bd. 8.2, Paderborn 1959. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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illusion. der materialismus hat so gesehen ein logisches Problem: er kann die menschliche Welt des geistes nicht erklären, weil er sie ausblendet, indem er sie wegerklärt, obwohl er ihr selber angehört. anzumerken wäre, daß materialistische theorie immer dann vollkommen schlüssig, brauchbar und sinnvoll ist, solange leben noch nicht entstanden ist, mithin in einer anorganischen Welt. insofern ist materialismus als philosophische Basis einer biologischen theorie nützlich und durchaus notwendig, aber niemals hinreichend. eine klassische Form materialistischer ausblendung sind maschinenmetaphern des Organischen. mit hilfe der gern strapazierten computermetapher wird scheinbar die Funktionalität des gehirns simuliert, doch auch der leistungsstärkste computer bildet keine autonome geistähnliche entität, die sich von ihm selbst emanzipieren könnte. eben dies tut aber der menschliche geist, er emanzipiert sich von seinem anatomischen substrat, dem gehirn. nicht das gehirn erkennt sich selbst sondern der geist erkennt das gehirn. mit anderen Worten: das gehirn ist kein computer, denn es funktioniert nicht wie eine maschine, denn keine maschine funktioniert wie ein Organ. (ein dialysegerät ist keine niere, und die niere kein dialysegerät.) die entscheidenden Fragen lauten: Was ist Bewußtsein, was ist geist, wie entsteht die menschliche Welt? V das menschliche gehirn besitzt aufgrund seiner besonderen, d. h. hyperkomplexen anatomischen und funktionellen eigenschaften die Potenz zur emergenz einer ich-Vorstellung, generell eines Bewußtseins von sich selbst und von der Welt. es bildet die ich-instanz nicht als ein ihm selbst bewußtes Produkt, da es von sich selbst kein Bewußtsein besitzt und nicht besitzen kann. das gehirn ist nur das Parkett, auf dem die Bewußtseinsvorgänge sich abspielen und als solches ist es das anatomische substrat der Bewußtseinsvorgänge, ein real existierender materieller gegenstand der Welt 1, während © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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das Bewußtsein der Welt 2 und 3 angehört. autonom ist das gehirn nur für vitale Körperfunktionen als teil von ihnen. die tatsache des Bewußtseins ist und bleibt evident, auch wenn die entstehung des Bewußtsein im Verlauf der evolution unerklärt ist und unerklärt bleiben könnte. Willard van Ormand Quine schreibt: «Bewußtsein ist für mich ein geheimnis, und zwar eines, das nicht übergangen werden darf. Wir wissen, wie es ist, bewußt zu sein, aber nicht, wie es in wissenschaftlich befriedigende Begriffe gebracht werden kann» 14. Behauptungen von der art wie: «das Bewußtsein ist eine illusion des gehirns, der freie Wille ist nur eine illusion des gehirns, das gehirn erkennt sich selbst...» sind logisch nicht haltbar: (1) in diesen sätzen liegt das vor, was in der rhetorik Personifikation heißt: das gehirn wird personifiziert (als Person in der Person sozusagen), als wäre es ein autonomes, rein für sich existierendes Wesen, und nicht nur ein Organ innerhalb eines Organsystems, dessen Funktionen es teilweise reguliert, von dessen Funktionen seine eigene Funktionalität aber essentiell abhängig ist. Versagt die durchblutung, versagt die leber, versagen die nieren und das herz, versagt auch das gehirn. (2) sätze dieser art sind widersprüchlich: (a) der satz «Bewußtsein ist eine illusion des gehirns» bedeutet: es gibt kein Bewußtsein. (b) illusionen sind klassische hervorbringungen eines Bewußtseins (eine illusion ist eine falsche Vorstellung, doch auch falsche Vorstellungen sind Vorstellungen). (c) Wenn das gehirn illusionen hat, muß es ein Bewußtsein haben, also gibt es ein Bewußtsein. daraus folgt ein logischer Widerspruch, siehe (a). (3) der Widerspruch kann auch weitergehend formuliert werden: Wenn es wahr wäre, daß geist oder Bewußtsein nichts weiter als illusionen des gehirns wären, müßten notwendig auch alle hypothesen, Behauptun14 W. O. Quine, Washeiten 1987, s. 132/133, zit. nach Ferber a. a. O. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gen und annahmen über das gehirn illusion sein, letztlich also täuschungen, denn sie wäre dann selber nur Produkte jenes illusionierten geistes oder Bewußtseins. (4) die genannten sätze führen zu infiniten regressen: Wenn das Bewußtsein nur eine illusion des gehirns wäre, müßte das gehirn eine übergeordnete Bewußtseinsinstanz haben, die in der lage wäre, die Wahrheit dieses tatbestandes zu bestätigen, doch auch diese Bewußtseinsinstanz wäre dann nur illusion, sofern Bewußtsein nur eine illusion des gehirns ist, so daß eine weitere, höher angeordnete Bewußtseinsinstanz mit gleicher maßgabe vorhanden sein müßte, und so ad infinitum. (5) das gehirn kann sich nicht selbst erkennen. dies folgt bereits aus (1). doch selbst wenn das gehirn als Organ für sich kognitive Fähigkeiten besäße, müßte es zum Zweck einer selbsterkenntnis eine metaposition einnehmen. ein erkennendes medium muß eine dem zu erkennenden gegenstand höhere ebene einnehmen können. eine solche Position könnte nur das der Welt 2 und 3 angehörende ich eines singulären empirischen gehirns besetzen, nicht das gehirn selbst. (6) Offensichtlich beruht der biologisch-materialistische reduktionismus, wie schon erwähnt, auf einem kategorialen denkfehler, indem gegenstände unterschiedlicher Kategorie gleichgesetzt werden, was zu Fehlschlüssen oder falschen identitäten führt: Wir können sagen, sauerstoff ist für die meisten Formen irdischen lebens unabdingbar, aber daraus folgt nicht, daß irdisches leben sauerstoff wäre. Wir können sagen, die Zirkulation von Blut ist für menschliches leben unabdingbar, doch Blut ist nicht gleich menschliches leben. Wir können sagen, das Vorhandensein einer intakten großhirnrinde ist unabdingbar für die tätigkeit des geistes, geist ist jedoch nicht gleich großhirnrinde. (7) Wäre das gehirn tatsächlich die einzige, letzte oder höchste determinierende instanz, wie insinuiert wird, wäre die entstehung der sogenannten menschlichen Welt nicht denkbar, denn kein Organ kann über sich © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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selbst hinauswachsen, auch nicht das Zns. innerhalb eines Organsystems besteht ein nicht übersteigbares komplexes Zusammenspiel komplexer abhängigkeiten. VI die menschliche Welt15 umfaßt alles, was menschen geschaffen haben, nicht das, was sie von natur aus sind, doch die tatsachen der menschlichen Welt überschneiden sich mit den tatsachen der natürlichen Welt partiell. der menschliche Weltbereich außerhalb des natürlichen läßt sich als erstaunlich weit ausgedehntes, doch nicht unendlich großes artefakt begreifen. er enthält alle von menschen gemachten gegenstände und tatsachen, vom Faustkeil bis zu komplexen wissenschaftlichen theorien, technik, Kunst, musik, literatur etc. einschließlich aller theorien über das Bewußtsein und den geist eingeschlossen die theorien der Biologie. alle theorien über die natürliche Welt, eingeschlossen die Frage nach der evolution des Bewußtseins und der rolle des gehirns, stellen eine teilwelt der menschlichen Welt dar, die eine hervorbringung des geistes ist. mit der evolution des menschlichen gehirns und der emergenz des Bewußtseins des Homo sapiens sapiens schlägt die menschliche Welt einen anderen, jenseits der biologisch-evolutionären Welt beginnenden Weg ein. diese Welt ist die Welt der ideen, theorien und Künste und sie ist weitgehend deckungsgleich mit der Welt 316. der ontologische status der tatsachen der Welt 3 kongruiert dann mit gegenständen der materiellen Welt 1, wenn z. B. ideen sich in gegenständen materialisieren lassen. Zum guten teil bleiben die tatsachen der Welt 3 immateriell, also nichtphysisch, sind jedoch real. ihre existenz kann als eine semantische verstanden werden17. evolutionär sind sie nicht mehr erklärbar, man könnte sagen: sie liegen hinter einer evolution im sinne darwins.

15 der Begriff Weltbereich erscheint angemessener als Welt, da wir gewohnt sind, Welt in einem metaphysisch abstrakten, allumfassenden sinn zu verstehen, der dem hier gemeinten nicht gerecht wird. Welt und Weltbereich sind hier synonyme. 16 Popper/eccles, das ich, s. 61–77. 17 rafael Ferber, Philosophische grundbegriffe 1, münchen 82008, s. 136–143. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die weitgehende unvereinbarkeit der natürlichen und menschlichen Weltbereiche ist evolutionär einsichtig. im Kampf ums Überleben der am besten angepaßten (survival of the fittest) war der mensch die am schlechtesten angepaßte art, innerhalb der natürlichen Welt war er von anfang an Feind und Fremder, eine dem natürlichen schon entartete art, die sich die Bedingungen einer eigenen art von anpassung selber schaffen mußte, und diese anpassung war der natürlichen Welt von anfang an überlegen und feindlich, ja widernatürlich, und dieses Widernatürliche der menschlichen Welt war ein ihr grundsätzlich innewohnendes Prinzip. Ziel und Zweck der menschlichen Welt waren und sind Zivilisation und Kultur, naturferne soweit möglich. das war ihr Kampf ums dasein, den sie gewann. die menschliche Welt konnte sich also nur bilden und behaupten, indem sie die natürliche Welt überwand, sich von ihr emanzipierte und befreite und autonom wurde. dieser Vorgang ist die evolutionäre grundlage der Freiheit des menschlichen geistes, durch dessen tätigkeit die menschliche Welt entstand. die Freiheit des geistes möchte ich zunächst als voraussetzungslose handlungsfreiheit und möglichst große Freiheit von Bindung an physisch-materielle gegebenheiten beschreiben, ohne moralische, soziale oder politische implikate. die menschliche Welt emanzipiert sich durch die Freiheit des geistes von der natürlichen evolution und überwindet sie dadurch. geist ist auch schon allein deshalb frei, weil wir beschließen können, daß er es sei, und weil wir aufgrund dieses Beschlusses frei agieren. Wir überlassen dem gehirn die volle autonomie und herrschaft über unser vegetatives sein, das gehirn läßt uns die Freiheit des geistes, ohne daß wir es bemerken, denn das gehirn hat gar keine Wahl. Wir können uns gegen das Freisein nicht einmal wehren, der Zustand dieses Freiseins kann nicht rückgängig gemacht werden, und wir können uns der Verantwortung, die aus Freiheit resultiert, nicht entziehen. der geist ist a priori frei, wir sind zur Freiheit in diesem sinn sogar verpflichtet, es sei denn der geist verließe uns. Freiheit des geistes ist kein soziales Konstrukt, sie steht überhaupt nicht zur disposition, sie ist existentielle Bedingung des seins. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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auch wenn alle bisherigen annahmen über das gehirn falsch wären, wären alle annahmen über den geist nicht notwendig auch falsch. der geist hat die Freiheit sich zu irren, das gehirn hat nicht die Freiheit sich zu irren, es folgt nur seiner genetischen Bestimmung, aber diese kann pathologisch verändert sein. VII die menschliche Welt ist, wie mehrfach betont, das Werk des freien geistes. man könnte die entstehung der menschlichen Welt auch als fortschreitende materialisierung der Welt 3 in gegenstände der Welt 1 beschreiben, diesen Vorgang nennen wir kulturelle evolution. durch die tatsache dieser kulturellen evolution, gelegentlich auch zweite schöpfung18 genannt, wird zugleich die Freiheit des menschlichen geistes realisiert, wie vor allem durch die ausübung von musik veranschaulicht werden kann. so rätselhaft der ursprung von musik auch sei, ihr Vorhandensein als element der menschlichen Welt ist unbezweifelbar real und sie wird durch nichts determiniert. musik ist, wie schopenhauer sagt19, «von der erscheinenden Welt ganz unabhängig, ignoriert sie schlechthin, könnte gewissermaßen, auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehn: was von den andern Künsten sich nicht sagen läßt. die musik ist nämlich eine so unmittelbare Objektivation und abbild des ganzen Willens, wie die Welt selbst es ist, ja wie die ideen es sind, deren vervielfältigte erscheinung die Welt der einzelnen dinge ausmacht. die musik ist also keineswegs, gleich den andern Künsten, das abbild der ideen sondern abbild des Willens selbst, dessen Objektivität auch die ideen sind: deshalb eben ist die Wirkung der musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher, als die der andern Künste: denn diese reden nur vom schatten, sie aber vom Wesen... musik ist das abbild des ansich der Welt, also des Willens, indem sie dessen innerste regungen wiedergibt.» 18 siehe dazu auch Kurt hübner, die zweite schöpfung. das Wirkliche in Kunst und musik, münchen 1994, s. 89–117. 19 arthur schopenhauer, die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1977, drittes Buch, § 52, s. 321–335. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Nachbemerkung indem wir die menschliche Welt als kulturelle evolution eines freien geistes ansehen, dürfen wir mit guten gründen annehmen, daß die Vermutung, Pharao ramses ii. sei an tuberkulose gestorben, wahr ist und zwar im sinne einer beschreibungsunabhängigen objektivierbaren tatsache. Wir dürfen ferner sehr sicher sein, daß ramses ii. ein intaktes gehirn besaß, das nicht nur Kühlaggregat seines Blutes war, wie aristoteles angenommen hätte, und daß er vor allem ein Bewußtsein besaß, das keine bloße illusion seines gehirns war, sondern ihn zu jenen taten befähigte, für die wir ihm auch heute noch unsere aufmerksamkeit widmen. daraus ergibt sich: altertumswissenschaft ist möglich, und es gibt sehr gute gründe für die annahme, daß sie objektiv wahre tatsachen beschreibt, die gewichtiger sind als soziale Konstrukte. das Finden dieser gründe schulden wir der Freiheit des geistes.

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ein münchner anwaltsschicksal Hans-Joachim Hecker · münchen

Justizrat dr. otto kahn (1876–1925)

am 16. april 1925, es war der gründonnerstag, wurde «nachmittags zwischen 6 uhr 30 minuten und 7 uhr 30 minuten» auf der gemarkung bühl in baden der münchner rechtsanwalt Justizrat dr. Otto Kahn, 48 Jahre alt, tot aufgefunden. Kahn hatte im stadtwald von bühl selbstmord begangen.1 in münchen wurde kolportiert, er habe seine Frau in das hotel zum tanzen geschickt und dann auf einer Parkbank mit einem revolver seinem leben ein ende gesetzt.2 auch in der im stadtarchiv münchen geführten chronik wurde der tod Kahns vermerkt. er sei «einer der besten Köpfe der deutschen anwaltschaft» gewesen.3 auf anraten des bekannten münchner internisten Prof. ernst von romberg hatte sich Kahn zusammen mit seiner ehefrau zur erholung in das Kurhotel bühlerhöhe begeben, wo gerhard strooman, ein schüler rombergs, die ärztliche leitung inne hatte.4 Kahn stand zu diesem Zeitpunkt auf dem höhepunkt seiner beruflichen Karriere. er war ein auf Wirtschafts- und steuerrecht spezialisierter rechtsanwalt, der zusammen mit seinem bruder dr. ludwig Kahn und anderen renommierten anwälten in münchen in der maffeistr. 4, also im arco-Palais, seine Kanzlei betrieb.5 Otto Kahn ist heute nahezu vergessen, obwohl er zu 1 stadtarchiv bühl, sterberegister 1925; acher-und bühler bote v. 18.04.1925; staatsarchiv Freiburg, g 535/2 nr. 3999. 2 max Friedlaender, lebenserinnerungen, s. 67, abrufbar unter www.brak.de/w/ files/01_ueber_die_brak/friedlaender.pdf; tatsächlich hatte Kahn sich in den Wald zwischen dem hotel Plättig und dem Ortsteil sand begeben, stadtarchiv bühl, beilagen zum sterberegister 1925. 3 stadtarchiv münchen (= stadta münchen), chronik, eintrag für den 16. april 1925. 4 stadtam, Za-Personen dr. Otto Kahn, münchner neueste nachrichten nr. 117 vom 29. april 1925 (laut mitteilung der rechtsanwaltskanzlei). 5 Zu dr. ludwig Kahn siehe reinhard Weber, das schicksal der jüdischen rechtsanwälte in bayern nach 1933, münchen 2006, s. 238. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ein münchner anwaltsschicksal

seiner Zeit in münchen durch zahlreiche rechtliche und wirtschaftliche aktivitäten sehr bekannt war. Kahn war in vielen aufsichtsräten mitglied, so z. b. bei der bayerischen hypotheken- und Wechselbank ag und bei der allianz ag. diese Funktionen verschafften ihm einflussmöglichkeiten bei vielen Firmen. Wer war nun dieser Jurist, der heute nur noch selten erwähnt wird, aber dann im rückblick mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem tod immerhin als «der hochbegabte Wirtschaftsanwalt» bezeichnet wurde.6 Otto Kahn entstammte einer jüdischen Familie in Würzburg und wurde dort am 22. Juni 1876 als zweiter sohn der Kaufmannseheleute simon und ida Kahn geboren. in seiner heimatstadt besuchte er das humanistische neue gymnasium und studierte an der dortigen universität und auch in genf Jura.7 anschließend promovierte Kahn mit einer arbeit über den außerstrafrechtlichen rechtsirrtum, also einem eher anspruchsvollen thema, bei dem Würzburger strafrechtler Friedrich Oetker zum dr. jur. et rer. pol. die dissertation erschien in der von ernst beling herausgegebenen renommierten reihe «strafrechtliche abhandlungen».8 eduard Kohlrausch attestierte der arbeit «in ihrem kritischen teil treffende ausführungen.»9 seine ausbildung als rechtspraktikant absolvierte Kahn in Würzburg und münchen, wo er hauptsächlich in der anwaltskanzlei seines etwa zwei Jahre älteren bruders tätig war.10 nach dem als Jahrgangsbester absolvierten examen wurde Otto Kahn in münchen als rechtsanwalt zugelassen.11 er trat sofort in die Kanzlei seines bruders und dessen schwiegervaters moritz Obermeier ein. im Februar 1911 heiratete 6 alfred Werner, Jüdische Juristen in münchen, in: hans lamm (hrsg.), Vergangene tage. Jüdische Kultur in münchen 21982, s. 323–328, hier s. 327. 7 reiner strätz, biographisches handbuch Würzburger Juden 1 (Veröffentlichungen des stadtarchivs Würzburg 4/1), Würzburg 1989, s. 290. 8 Otto Kahn, der ausserstrafrechtliche rechtsirrtum. ein beitrag zur lehre vom rechtsirrtum im strafrecht (strafrechtliche abhandlungen 30), breslau 1900 (nachdruck Frankfurt am main 1977). 9 e[duard] Kohlrausch, litteraturbericht, in: Zeitschrift für die gesamte strafrechtswissenschaft 23 (1903), s. 289–321, hier s. 317. 10 staatsarchiv münchen (= stam), Personalakten 7191; bayerisches hauptstaatsarchiv (=bayhsta) mJu 21112. 11 Juristische Wochenschrift 54 (1925), s. 1337. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Justizrat dr. Otto Kahn (1876–1925)

Kahn in münchen die 21jährige Karoline mitgutsch, deren mutter in münchen am stachus die maxim-bar, ein Künstlerlokal betrieb, das vielleicht von Kahn, der literarische und künstlerische interessen hatte, besucht wurde. bereits im dezember 1914 starb die junge ehefrau. Kahns zweite ehefrau maria meckler stammte aus Karlsruhe, die eheschließung erfolgte im Februar 1916.12 beide ehefrauen waren katholisch, für Kahn selber ist bis zu seinem tode die israelitische Konfession angegeben. Wirtschaftlich ging es dem aufstrebenden rechtsanwalt offensichtlich gut. in Pöcking wurde Kahn 1918 eigentümer eines landhauses.13 im adressbuch von Pöcking war für ihn die berufsbezeichnung «bankgeschäft» nicht rechtsanwalt angegeben.14 später besaß er noch zusammen mit seinem bruder ein haus in der münchner schwanthalerstraße und eine gemeinsame Firma für industriebeteiligungen. nach seinem tod wurde der Wert seines Vermögens vom Finanzamt auf knapp zwei millionen mark festgesetzt.15 erste hinweise auf Kahns tätigkeit als rechtsanwalt lassen sich in den Jahren ab 1907 finden. er wurde für die deutsche Farbenbuch-Kommission tätig und exponierte sich in dem damals heftigen streit über die richtigen Farben und über die Farbenfälschungen.16 in den von Wilhelm adolf Keim herausgegebenen technischen mitteilungen für malerei – Fachblatt und Publikationsorgan der Versuchsanstalt und auskunftsstelle für maltechnik an der technischen hochschule münchen publizierte er dazu.17 außerdem war er 12 stadtam, einwohnermeldekarte dr. Otto Kahn. 13 stam, Kataster 20983; frdl. auskunft von herrn robert bierschneider. 14 adreßbuch für das bezirksamt starnberg umfassend 40 gemeinden, münchen 1921, s. 114. 15 stam, ag münchen nr. 1925/712 (nachlassakte dr. Otto Kahn). 16 dazu Kathrin Kinseher, «Womit sollen wir malen?» Farben-streit und maltechnische Forschung in münchen. ein beitrag zum Wirken von adolf Wilhelm Keim, münchen 2014, s. 136–149. 17 belgisches terpentinöl – eine Phantasiebezeichnung, in: technische mitteilungen für malerei 23 (1906/07), s. 270; belgisches terpentinöl, in: ebd. 24 (1907/08), s. 30/31; bedingte Fälschung, lieferung nach muster und der Preis als Zeichen der nicht vollständigen Ware, in: ebd. 26 (1909/10), s. 185/186; allgemeine rechtliche grundlagen für das deutsche Farbenbuch, in: ebd. 28 (1911/12), s. 4/5; siehe auch heinrich trillich, das deutsche Farbenbuch, bd. 1, münchen 1923, s. 22, 42, 88 und 117. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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juristischer beirat bei der 3. sitzung der deutschen Farbenbuch-Kommission der Vereinigung deutscher Farben und malmittel-interessenten am 8. Juli 1909 in der aula der technischen hochschule münchen18 und fungierte 1912 auch in einer schiedsgerichtsverhandlung. Kahn traf in dieser schiedsgerichtsverhandlung «in seinem streng sachlichen, klassischen referate» Feststellungen über die regeln zur entstehung eines verbindlichen handelsbrauchs und zur stellung eines schiedsgerichts.19 handels- und Warenzeichenrecht, schiedsgerichtliche und strafrechtliche Fragen standen hier im Vordergrund. Kahn scheint sich in der Kanzlei früh auf wirtschaftsrechtliche gebiete spezialisiert zu haben. so gründete im Februar 1916 in münchen ernst ritter von Fromm, der langjährige alleinige Vorstand der eisenwerk-gesellschaft maximilianshütte ag in sulzbach-rosenberg, zusammen mit Kahn die Verwertungsgesellschaft für montanindustrie gmbh.20 im april 1922 übernahm die maximilianshütte diese gesellschaft, die der Vorläufer der späteren industrieverwaltungsgesellschaft (iVg) war.21 Vermutlich war Kahn selber nicht unternehmerisch, sondern als ein auf steuer- und gesellschaftsrecht spezialisierter anwalt beteiligt. mit der Zeit wurde er in zahlreiche aufsichtsräte gewählt, darunter auch bei münchner terraingesellschaften. schwerpunkte seiner anwaltlichen Praxis waren aber letztlich drei aktivitäten. Zunächst die Zusammenarbeit mit dem tabakkonzern von Kiazim emin, daraus folgend sein engagement bei der bayerischen hypotheken- und Wechselbank und schließlich die aktivitäten bei der in erlangen ansässigen reiniger, gebbert und schall ag (heute siemens sector healthcare) und deren holding inag (industrie-unternehmungen ag). hier 18 Protokoll der sitzung in: technische mitteilungen für malerei 26 (1909/10), s. 21– 25; hier s. 22. 19 gr. (?), tagesrundschau, in: Zeitschrift für angewandte chemie 25 (1912), s. 1474; adolf Wilhelm Keim, die schiedsgerichtsverhandlungen und beschlüsse in sachen des «deutschen Farbenbuches», in: technische mitteilungen für malerei 29 (1912), s. 17–22, 79–88; hier s. 18–22, 87. 20 barbara hopmann, Von der mOntan zur industrieverwaltungsgesellschaft (iVg) 1916–1951, stuttgart 1996, s. 19–21. 21 hopmann, mOntan, s. 21. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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war Kahn zunächst deren generaldirektor Karl Wilhelm Zitzmann verbunden. eine wichtige und nicht nur beratende rolle übte Kahn für den im tabakhandel aktiven Kiazim-emin-Konzern aus.22 der Kiazim-emin-Konzern besaß an der Zigarettenproduktion in deutschland im Jahr 1925 einen marktanteil von etwa 12% mit den Firmen Wenesti, schloss tiefurt, louis lipstadt, Waldorf astoria sowie der münchner Zigarettenfabrik Zuban. die geschäfte wurden offensichtlich über die in münchen ansässigen levante-tabakhandels gmbh und die levante-devisen ag abgewickelt sowie über die in der schweiz ansässige Firma turmac (turque-macédonique). die levante-devisen ag wurde im märz 1921 im handelsregister eingetragen, der Vorstand bestand aus Otto Kahns bruder ludwig und den bankiers reinhard tyralla und helmut Zimmermann. Otto Kahn selber war im aufsichtsrat, ebenso Kiazim emin aus Wien und der ehemalige reichsbankdirektor Karl von lumm aus Planegg.23 ab 1926 erfolgte die auflösung des Konzerns. emin war über tabaklieferungsverträge anteilseigner der Firmen geworden. Kiazim emin wird als aus saloniki, also aus dem damaligen Osmanischen reich, stammender griechischer rohtabakhändler bezeichnet. er galt in münchen anscheinend als wichtiger repräsentant der osmanischen Wirtschaft. der Orientalist Karl süssheim berichtet von einem bankett des osmanischen generalkonsuls im Oktober 1916 im münchner Künstlerhaus, bei dem ihm der eigentümer der münchner Zigarettenfabrik Zuban «Kazim (!) emin bey of salonica …» gegenüber saß.24 22 Willi Knoll, die deutsche Zigarettenindustrie, diss. rer. pol. erlangen 1929, s. 69– 74; max Zentz, die Konzentration der Zigarettenindustrie und die Zigarettensteuer, diss. rer. pol. münchen 1928, s. 76, 84/85, anlage Xiii; Josua gerstner, die Konzentration der deutschen Zigarettenindustrie, diss. phil. leipzig 1933, s. 34-37; carl hausberg, die deutsche Zigaretten-industrie und die entwicklung zum reemtsma-Konzern, Würzburg-aumühle 21938, s. 65, 71–74, 79/80; tino Jacobs, rauch und macht. das unternehmen reemtsma 1920 bis 1961 (hamburger beiträge zur sozial- und Zeitgeschichte 44), göttingen 2008, s. 66/67, 287; stefan rahner/sandra schürmann, die «deutsche Orientzigarette», in: Yavuz Köse (hrsg.), Osmanen in hamburg – eine beziehungsgeschichte zur Zeit des ersten Weltkrieges, hamburg 2016, s. 135–154, hier s. 138. 23 bayerisches Wirtschaftsarchiv (=bWa), V 005/2940. 24 barbara Flemming/Jan schmidt (hrsg.), the diary of Karl süssheim 1847–1947. Orientalist between munich and istanbul (Verzeichnis der orientalischen handschriften in deutschland supplementband 32), stuttgart 2002, s. 156. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die Verbindung mit dem tabakgroßhändler emin war wohl auch bestimmend dafür, dass Kahn in den Zwanzigerjahren mitglied des aufsichtsrats der deutschen Orientbank war.25 Wohl 1915 gründeten Kiazim emin und Kahn die levante tabak handels ag mit sitz in Zürich. Zweck der gesellschaft war der «handel mit tabak und tabakfabrikaten im weitesten sinne und die beteiligung bei anderen ähnlichen geschäften ...» das gesellschaftskapital betrug 2.000.000 sfr. dem Verwaltungsrat gehörten Kjazim (!) emin, Kaufmann in saloniki als Präsident und dr. Otto Kahn, rechtsanwalt in münchen, als Vizepräsident an.26 hier war wohl die später noch ein rolle spielende Züricher Kanzlei thalberg behilflich, mit der Kahn bei mandanten wie der reiniger, gebbert und schall ag und deren wirtschaftlichen aktivitäten in der schweiz zusammenarbeitete.27 Kiazim emin stand in münchen auch mit Kapital zur Verfügung, als es 1922 darum ging, in großem maße aktien der bayerischen hypotheken- und Wechselbank zu erwerben. so hieß es in einer Pressemeldung: «die bayerische hypotheken- und Wechselbank, die vor einer Kapitalerhöhung und statutenänderung steht, hat mit der Kahngruppe (Justizrat dr. O. Kahn und dr. l. Kahn unter mitwirkung des jungen bankhauses tyralla, Zimmerman & co.), die sich die mehrheit des Kapitals gesichert hat, ein Übereinkommen getroffen, das

25 Wolfgang g. schwanitz, gold, bankiers und diplomaten. Zur geschichte der deutschen Orientbank 1906–1946 (amerika – nahost – europa: regionalhistorische Komparatistik: Politik, Wirtschaft, militär und Kultur 1), berlin 2002, s. 187. 26 n. O. (?), levante tabak handels a.-g., in: Welt des islam 3 (1915/16), s. 244/245. 27 die Kanzlei thalberg war eine renommierte Kanzlei in Zürich, die z. b. den von der britischen herrschaft abgesetzten und im genfer exil lebenden ägyptischen Vizekönig abbas ii. vertrat. dazu günther riederer (hrsg.), harry graf Kessler. das tagebuch sechster band 1916–1918 (Veröffentlichungen der deutschen schillergesellschaft 50,6), stuttgart 2006, s. 313/314. Zu michael thalberg eugen Keller-huguenin, erinnerungen und aufzeichnungen aus meinem leben, Zürich 1944, s. 64; christiane uhlig/Petra barthelmessl u. a., tarnung, transfer, transit. die schweiz als drehscheibe verdeckter deutscher Operationen (1938–1952) (Veröffentlichungen der unabhängigen expertenkommission schweiz – Zweiter Weltkrieg 9), Zürich 2001, s. 222; dr. iur. michael thalberg von scheikéwitsch, in: biographisches lexikon verstorbener schweizer 4, Zürich 1955, s. 169.; thalberg von scheikéwitsch, Jakob, in: schweizerisches biographisches archiv, bd. 3, Zürich/Vaduz 1953, s. 136. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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beiden teilen die ersprießliche Weiterentwicklung ihrer interessen sichern soll. die beteiligung ausländischen Kapitals bei der Kahngruppe wird vermutet.»28 die brüder Kahn operierten dabei nicht nur mit dem geld von Kiazim emin, sondern wurden auch von dem bayerischen industriellen Karl Freiherr von michel-raulino kapitalmäßig unterstützt. Otto Kahn wurde im Juli 1923 zusammen mit michel-raulino in den aufsichtsrat der bank gewählt und anfang september in den neugeschaffenen Präsidialausschuss, der an stelle des aufsichtsrats wichtige entscheidungen treffen konnte. dort wurde auch am 14. dezember 1923 entschieden und am selben tag im aufsichtsrat bestätigt, dass die bayerische hypotheken- und Wechselbank ihr in der bayerischen Versicherungsbank gebündeltes Versicherungsgeschäft an die allianz ag verkaufte.29 Kahn wurde im aufsichtsrat für diese transaktion gedankt. er wurde dann in den aufsichtsrat der allianz ag gewählt und hatte damit den schritt nach berlin, wo die allianz ihren sitz hatte, vollzogen. doch gab es auch Kritik an dem Verkauf der bayerischen Versicherungsbank, da dieser ein unterwertverkauf gewesen sei. die eigentlichen Verkaufsmotive sind bis heute ungeklärt.30 die Übernahme der bayerischen Versicherungsbank durch die allianz war wohl ursprünglich eine idee von deren generaldirektor hans heß. dieser erinnerte sich später, dass er über den bankier stiehl an Kahn herangetreten sei. nach mehrtätigen Verhandlungen wurde dann über den Kaufpreis im hotel esplanade in berlin verhandelt. heß sah die Übernahme als ein gutes geschäft für die allianz an.31

28 Wirtschaftsdienst – deutscher Volkswirt 7, nr. 51/52 v. 22. dezember 1922, s. 1206. 29 albert Fischer, münchens Finanzinstitute in Kriegs- und Krisenzeiten, in: hans Pohl (hrsg.), geschichte des Finanzplatzes münchen, münchen 2007, s. 141–184, hier s. 180; stefan Pretzlik, die allianz. geschichte des unternehmens 1890–2015, münchen 2015, s. 90/91; Johannes bähr/christopher Kopper, munichre – die geschichte der münchner rück 1880–1980, münchen 2015, s. 123/124. 30 hans Pohl, historische skizzen zur bankassekuranz, stuttgart 2011, s. 28–35; historisches archiv der unicredit bank ag d-hYPO-lO-a-110/111; d-hYPO-Ver-a-119. 31 Peter borscheid, 100 Jahre allianz, münchen 1990, s. 52/53. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der erwerb von aktien der bayerischen hypotheken- und Wechselbank wurde hauptsächlich über das bankhaus tyralla, Zimmermann & co abgewickelt. dieses bankhaus war 1921 gegründet worden.32 hier zeigt sich wiederum die enge Verbindung Kahns zu Kiazim emin, da die levante-devisen ag Kommanditist des bankhaueses war und dessen geschäftsadresse sich in dem repräsentativen direkt am Prinz-carl-Palais gelegenen haus Prinzregentenstr. 4 befand. das haus wurde dann von der levante devisen ag erworben. in diesem haus hatte seit 1916 Kahn seine Wohnung. in der exponierten lage fiel das neubarocke haus durch seinen eckturm auf, der die Kuppel der Wiener hofburg (michaelertrakt) zum Vorbild hatte.33 das ehepaar Kahn wohnte also durchaus standesgemäß.34 eingeholte gutachten der industrie- und handelskammer zu dem dann dort ansässigen bankhaus tyralla, Zimmermann & co. fielen durchweg positiv aus. so wurde dem bankhaus 1923 attestiert, dass es «in hiesigen bankkreisen als außerordentlich leistungsfähig und zuverlässig angesehen wird. … die hinter der Firma stehenden Persönlichkeiten werden auch als durchaus erstklassig bezeichnet.» Zu diesen Persönlichkeiten zählte u. a. nikolaus graf von arco-Zinneberg. tyralla und Zimmermann selber seien vorher im sekretariat der deutschen bank in berlin als erste beamte tätig gewesen.35 im märz 1926 wurde das bankhaus, nachdem anscheinend spätestens seit herbst 1925 der geschäftsbetrieb eingestellt worden und die büroräume in der Prinzregentenstr. 4 aufgegeben worden waren, im handelsregister gelöscht.36 eine entfremdung 32 Volkswirtschaftliche chronik für das Jahr 1921 (abdruck aus den Jahrbüchern für nationalökonomie und statistik), Jena 1921/1922, s. 90. 33 ekkehard bartsch, die Prinzregentenstraße in münchen von 1880 bis 1914 zwischen Prinz-Karl-Palais und Friedensengel, diss. phil. münchen 1979, s. 64/65. 34 im erdgeschoss befand sich bis 1921 das bekannte café Prinzregent, das «zu den vornehmsten treffpunkten der münchner gesellschaft» gehörte und das die spiegelgalerie von herrenchiemsee zum Vorbild hatte. die räume des cafés bezog das bankhaus tyralla, Zimmerman & co. dazu richard bauer, Prinzregentenzeit. münchen und die münchner in Fotografien, münchen 1988, s. 54/55; ders./eva graf, Zu gast im alten münchen. erinnerungen an hotels, Wirtschaften und cafés, münchen 51996, s. 192/193; sieglinde Wuillemet, noblesse oblige. restaurant und café, in: Friederike Kaiser (hrsg.), Wirtshäuser in münchen um 1900, münchen 1997, s. 84–101, hier s. 91–93. 35 bWa, K 1/XXi 5, 9. akt, Fall 47. 36 bWa, K 1 XV a 10c, 22. abt., Fall 42. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hatte wohl schon vorher stattgefunden, da Kahn ende Februar 1925 der ansicht war, tyralla, der zwar tüchtig sei, aber nicht organisieren könne, solle das bankhaus liquidieren.37 als Kahn 1925 starb, beklagte Kiazim emin in einer halbseitigen todesanzeige in den münchner neuesten nachrichten den Verlust des treuesten mitarbeiters und unersetzlichen Freundes.38 Wohl nicht nur wegen seiner juristischen Kenntnisse, sondern auch wegen literarischer interessen wurde Kahn zum aufsichtsratsvorsitzenden des 1920 wegen wirtschaftlicher schwierigkeiten in eine aktiengesellschaft umgewandelten renommierten Verlags georg müller gewählt.39 Kahn war anscheinend auch ein büchersammler, denn er ließ sich um 1913 von dem bekannten illustrator Franz von bayros ein exlibris anfertigen, das folgendermaßen beschrieben wird: «auf einer steinplatte, die als relief den goethekopf mit einem lorbeerkranz trägt und links oben die namen ‚goethe-Kant-schopenhauer’, sitzt (r.o) ideale Frauengestalt mit hammer und meißel in den händen. neben ihr eine reihe von büchern. am unteren rand auf dem namensschild eule mit ausgebreiteten Flügeln.»40 mit der eule der minerva, Kant und schopenhauer sind philosophische interessensgebiete Kahns angesprochen, mit goethe literarische neigungen. ein kleiner beitrag in der Zeitschrift Kant-studien zeigt Kahns philosophische neigungen, die schon in seiner strafrechtlichen dissertation zum ausdruck kamen.41 im ersten halbjahr 1917 war Kahn auch der Kant-gesellschaft als mitglied beigetreten.42 ein mäzenatisches engagement der brüder Kahn im 37 bWa, V 005/2908. 38 münchner neueste nachrichten nr. 110 v. 22. april 1925, s. 11. 39 andreas meyer, die Verlagsfusion langen-müller. Zur buchmarkt- und Kulturpolitik des deutschnationalen handlungsgehilfen-Verbands in der endphase der Weimarer republik, Frankfurt am main 1989, s. 28; geschäfts-bericht der georg müller Verlag aktiengesellschaft münchen für das geschäftsjahr 1923/1924. aufsichtsratsmitglied war auch der bankier richard tyralla. 40 rudolf brettschneider, Franz von bayros. bibliographie seiner Werke und beschreibendes Verzeichnis seiner exlibris, leipzig 1926, s. 110. 41 berichte über die gegen Kants bücher geübte Zensur, in: Kant-studien 25 (1920), s. 303. 42 Kant-studien 22 (1918), s. 210. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Jahr 1924 in höhe von 30.000 m, hinterlegt in devisen bei einer bank, zu gunsten der staatlichen münzsammlung, war allerdings mit dem von der münzsammlung vorgetragenen Wunsch verbunden, dass die brüder Kahn vom Justizministerium zu geheimen Justizräten ernannt werden sollten.43 dies lehnte das ministerium ab, da die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht vorlägen. Otto Kahn war im dezember 1922 zum Justizrat ernannt worden, was noch nicht weit genug zurücklag. anscheinend gab es aber auch im Kultusministerium Vorbehalte. Wegen der geschäftsbeziehungen der brüder Kahn mit dem «türkischen Konzern» (gemeint ist Kiazim emin) und dem bankhaus tyralla, Zimmermann & co und wegen einer dortigen im gang befindlichen großen transaktion hieß es in einer vertraulichen bemerkung: «... so dürfte wohl auch aus diesem grunde vielleicht vorerst abwartende Zurückhaltung am Platz sein.» Otto Kahn war auch einer der Pioniere bei der entwicklung des jungen rechtsgebietes steuerrecht.44 so beteiligte er sich 1923 mit seinem aufsatz «Über Konzerne» an einer damals einsetzenden intensiven diskussion zum begriff des Konzerns in gesellschafts- und steuerrecht.45 Konkret ging es dabei um die Frage, inwieweit ein Konzern, auch unter dem gesichtspunkts des begriffs des unternehmens, wirtschaftlich und rechtlich als einheit anzusehen war. dabei konnte es gesellschafts- und steuerrechtlich zu verschiedenen betrachtungsweisen kommen.46 Kahn griff mit seinem aufsatz schon früh diese äußerst praxisrelevante Frage auf. War man sich doch einig, dass das steuerrecht u. a. auch in Verbindung mit dem gesellschaftsrecht fortentwickelt werden müsse.47 Kahns juristischer schwerpunkt war typisch 43 bayhsta, mK 41295; mJu 21112. solche Koppelungsgeschäfte betrieb die staatliche münzsammlung öfters. 44 Zur entwicklung des steuerrechts von 1871 bis 1933 michael stolleis, geschichte des öffentlichen rechts in deutschland, bd. 2, münchen 1999, s. 220–226; Klaus tipke, die steuerrechtsordnung, bd. 2, Köln 22012, s. 1277–1295, zu Kahn s. 1291. 45 Über Konzerne, in: steuer und Wirtschaft 2 (1923), sp. 981–992, 1093–1102. 46 gerald spindler, recht und Konzern. interdependenzen der rechts- und unternehmensentwicklung in deutschland und den usa zwischen 1870 und 1933 (beiträge zur rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 9), tübingen 1993, s. 82–95 (mit hinweisen auf den aufsatz von Kahn in den anm. 221, 228 und 236). 47 stolleis, geschichte, s. 225. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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dafür, dass diese neuen rechtsfragen von Praktikern, vornehmlich von rechtsanwälten, behandelt wurden.48 auch die Verbindung des Konzernrechts mit dem steuerrecht, die ab 1918 von hoher Praxisrelevanz war, thematisierte Kahn häufiger in seinen schriften. mit seinen vor allem in der 1921 in münchen von dem rechtsanwalt heinrich reinach gegründeten Zeitschrift «steuer und Wirtschaft» trug Kahn zum Profil der neuen Zeitschrift bei, die sich dezidiert dem Wirtschaftsrecht öffnete.49 1924 wurde Kahn schließlich mitherausgeber von «steuer und Wirtschaft», deren erstes heft er schon 1922 mit dem aufsatz «strategie und taktik des aktienrechts» eröffnet hatte, ursprünglich ein Vortrag bei der Juristischen studiengesellschaft münchen im november 1921.50 in den Jahrgängen 1921 bis 1925 der Zeitschrift steuer und Wirtschaft veröffentlichte Kahn u. a. noch beiträge zu folgenden themen: die umgründung (1922), das Kreditrechtsproblem (1923), stimmrechtsaktien und geldentwertung (1923), die goldbilanzen (1924) und goldmarkumstellung und steuerpflicht (1924). Kahns letzte Publikation in dieser Zeitschrift erschien 1925 kurz nach seinem tod. unter dem titel «Kapitalnot und steuergesetzgebung» unterzog er die geplanten steuerrechtsänderungen einer Kritik.51 Wegen der Probleme bei goldmarkumstellung wandte sich Kahn publizistisch an ein größeres Publikum. im Januar und Februar 1924 veröffentlichte er dazu mehrere beiträge in den münchner neuesten nachrichten.52 auch mit dem berühmten steuerrechtler heinrich 48 Knut Wolfgang nörr, Zur entwicklung des aktien- und Konzernrechts während der Weimarer republik, in: Zeitschrift für das gesamte handelsrecht und Wirtschaftsrecht 150 (1986), s. 155–181, hier s. 169/170. 49 heinrich Wilhelm Kruse, Fünfzig Jahre steuer und Wirtschaft – ein ausschnitt aus der geschichte des steuerrechts, in: steuer und Wirtschaft 50 (1973), s. 273–287, hier s. 279/280. 50 strategie und taktik des aktienrechts, in: steuer und Wirtschaft 1 (1922), sp. 1–22. 51 Otto Kahn, Kapitalnot und steuergesetzgebung, in: steuer und Wirtschaft 4 (1925), sp. 583–596; zur Kapitalnot der aktiengesellschaften nach 1918 Walter strauss, aktienrecht und Wirtschaftspolitik, in: benvenuto samson (hrsg.), aktuelle Probleme aus dem gesellschaftsrecht und anderen rechtsgebieten. Festschrift für Walter schmidt zum 70. geburtstag, berlin 1959, s. 2–22, hier s. 14–17. 52 münchner neueste nachrichten nr. 3 v. 4. Januar, nr. 7 v. 8. Januar, nr. 23 v. 29. Januar, nr. 43 v. 13. Februar und nr. 54 v. 24. Februar 1924, jeweils in der rubrik handels- und industriezeitung. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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rheinstrom, rechtsanwalt und honorarprofessor an der technischen hochschule münchen, arbeitete Kahn zusammen. gemeinsam mit diesem gab er die reihe «achenbachs steuer-bibliothek» im deutschen steuerschriftenVerlag heraus. der Verlag hatte zeitweise dieselbe adresse in der maffeistr. 4 wie die Kahnsche anwaltskanzlei. in der reihe publizierte Kahn 1919 auch seine schrift «steuerumgehung und steuerersparnis», in der er an sein dissertationsthema über den rechtsirrtum anknüpfen konnte. einige aufsätze Kahns waren aus Vorträgen bei der Juristischen studiengesellschaft münchen hervorgegangen, zu deren Vorstand Kahn gehörte.53 den Vorsitzenden Prof. ernst rabel, der seit 1916 in münchen lehrte, unterstützte Kahn bei dessen aufbau eines instituts für rechtsvergleichung, welches das erste dieser art in deutschland war.54 die anwaltskanzlei, die Kahn mit seinem bruder und anderen rechtsanwälten betrieb, florierte. Otto Kahn selber war als spezialist für Wirtschaftsrecht angesehen. so vertrat er erfolgreich die maschinenfabrik augsburg nürnberg (man) gegen ihren schweizer großaktionär carl Winkler. in dem rechtsstreit, der eine Folge der Übernahme der man durch die gutehoffnungshütte war, waren die gegner die man und der industrielle Paul reusch von der gutehoffnungshütte auf der einen und die schweizer industriellen carl Winkler und adolf eberhard auf der anderen seite, die ihre man-aktien herausgeben mussten.55

53 stam, Polizeidirektion münchen 4508. 54 dazu hans-Joachim hecker, ernst rabel – die münchner Jahre, in: stephan lorenz/Peter Kindler/anatol dutta (hrsg.), einhundert Jahre rechtsvergleichung an der universität münchen. Kaufrecht und Kollisionsrecht von ernst rabel bis heute, tübingen (im druck). 55 historisches archiv der unicredit bank ag, d-hYPO-Ver-a-119; christian marx, Paul reusch und die gutehoffnungshütte. leitung eines deutschen großunternehmens, göttingen 2013, s. 161 mit hinweis in anm. 151 auf schriftwechsel von Justizrat dr. Otto Kahn aus den Jahren 1922 bis 1924; gutehoffnungshütte, aktienverein für bergbau und hüttenbetrieb, bd. 3 1908–1929, Oberhausen 1930, s. 90; erich maschke, es entsteht ein Konzern. Paul reusch und die ghh, tübingen 1965, s. 156; Peter langer, macht und Verantwortung. der ruhrbaron Paul reusch, essen 2012, s. 255/256, 261; Johannes bähr/ralf banken/thomas Flemming, die man. eine deutsche industriegeschichte, münchen 32009, s. 542. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Kahn zog aber auch Kritik auf sich. sein anwaltskollege max Friedlaender (1873–1956), von 1919 bis 1933 Vorsitzender des bayerischen anwaltsverbandes, berichtet in seinen im exil geschriebenen erinnerungen, dass Kahn, der in den «Zeiten des höchsten antisemitismus» in den aufsichtsrat einer großbank gewählt worden sei, zwar eine «geniale Veranlagung» besessen habe und seine Vorträge ihm gefallen hätten, aber er sei auch eine «spielernatur» und ein «geistiger abenteurer» gewesen. er sei riskanten unternehmungen beigetreten, die ihm auch ein strafverfahren in berlin eingebracht hätten, bei dem er dann freilich freigesprochen worden sei.56 dabei handelte es sich wahrscheinlich um ein Verfahren in berlin, bei dem Kahn den generaldirektor Zitzmann der medizintechnischen Werke reiniger, gebbert und schall in erlangen beraten hatte, als dieser mit hilfe des schon genannten Züricher rechtsanwalts dr. michael thalberg unter Verstoß gegen die Kapitalfluchtbestimmungen Vermögenswerte in die schweiz transferierte, wobei Zitzmann nicht der einzige beschuldigte war, u. a. war auch Wilhelm von Opel ins Visier der berliner staatsanwaltschaft geraten.57 Kahn stellte gegenüber der berliner staatsanwaltschaft jede strafbare handlung in abrede. er sei weder beruflich noch privat jemals beschuldigt worden. er habe sich «mit die erste stellung unter deutschlands anwälten erworben» und sei in 48 großen Konzernen mit internationaler Wirkungskreisen «aufsichtsrat, Justitiar, syndikus und Vermögensverwalter». allerdings fiel der Postüberwachungsstelle münchen und dem stadtrentamt münchen bereits im herbst 1919 auf, dass die Kanzlei Kahn über die Kiazim-emin-gruppe und auch anderweitig sehr aktiv war und eher ein handelsgeschäft als eine anwaltskanzlei betrieb. der Vorwurf des «Verschiebens von Vermögenswerte[n] ins ausland» stand auch hier im raum. Freilich waren die aktivitäten Zitzmanns in der schweiz tatsächlich mit der geschäftspolitik des inag-Konzerns, der holding der reiniger, gebbert und schall ag verbunden. 1919 wollte der inagKonzern die schweizerische schärer ag übernehmen, um über diese deut56 Friedlaender, lebenserinnerungen, s. 67, 87 und 109. 57 Zum Folgenden stam, Personalakten 7191. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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sche medizintechnische Produkte leichter in das gebiet der ehemaligen Feindstaaten verkaufen zu können. dabei wurde am 25. november 1919 ein syndikatsvertrag geschlossen und ein «Konsortium Pan» gebildet, dessen geschäftsführung bei rechtsanwalt dr. thalberg in Zürich lag. die finanzielle abwicklung erfolgte über das bankhaus leu und co. in Zürich.58 das berliner strafverfahren erhielt zu beginn des Jahres 1920 eine politische dimension. in dem beleidigungsprozess des reichsfinanzministers matthias erzberger gegen den staatsminister a. d. dr. Karl helfferich zitierte der in dem Kapitalfluchtverfahren ermittelnde und als Zeuge geladene Oberstaatsanwalt, dass der rechtsanwalt dr. Otto Kahn aus münchen in der schweiz mit thalberg gesprochen habe. dieser habe sich dahingehend gegenüber Kahn geäußert, dass erzberger in der schweiz gewesen sei und thalberg mitgeteilt habe, dass gegen ihn etwas vorliege, was aber, laut erzberger, nicht so schlimm werden würde.59 mutmaßungen der völkischen Presse über Kahns rolle gab es anlässlich des strafprozesses gegen Karl Wilhelm Zitzmann, den generaldirektor der reiniger, geppert und schall ag in erlangen und deren aufsichtsratsvorsitzenden Karl Freiherr von michel-raulino.60 Zitzmann hatte sich mit billigung des aufsichtsrats einen Konzern mit der inag als holding geschaffen, als dessen eigentlicher schöpfer Kahn galt.61 Zitzmann selber profitierte als generaldirektor finanziell über gebühr für seine persönliche lebensführung. 58 stam, Personalakten 7191. 59 der erzberger-Prozeß. stenographischer bericht über die Verhandlungen im beleidigungsprozeß des reichsfinanzminister erzberger gegen den staatsminister a. d. dr. Karl helfferich, berlin 1920, s. 630–634 (mit der falschen schreibeweise «cahn»); zu dem beleidigungsprozess erzberger-helfferich norman domeier, der sensationsprozess erzberger-helfferich: die Verquickungen politischer und wirtschaftlicher interessen in der Weimarer republik, in: haus der geschichte baden-Württemberg (hrsg.), matthias erzberger. ein demokrat in Zeiten des hasses (stuttgarter symposion 15), Karlsruhe 2013, s. 158–183. der Kapitalfluchtprozess gegen thalberg, Zitzmann, Kahn u. a. war gegen Jahresende 1920 abgeschlossen; Verhandlungen des reichstags 1920, bd. 366, aktenstück 1879, s. 1609 (www.reichstagsprotkolle.de/blatt2_ w1_bsb00000050_00706.html). 60 Zum strafprozess gegen Zitzmann und michel-raulino bayhsta mJu 13262 und mhig 4975. 61 bayhsta mJu 13262, bericht der münchner Zeitung vom 29. april 1925. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Justizrat dr. Otto Kahn (1876–1925)

Vorgeworfen wurde ihm u. a. geldentnahmen, die er während der inflation zum nachteil der Firma erst später und inflationsbedingt für ihn günstig zurückzahlte. Zitzmann musste 1924 alle seine Ämter niederlegen und verzichtete als schadensersatz in einem von dem ihm früher vertrauten Kahn aufgesetzten Vertrag auf nahezu alle seine anteile an der Firmengruppe. damit hatte Kahn, wie es hieß, durch sein eingreifen eine schädigung der gesellschaft verhindert.62 nach Kahns tod wurde in der völkischen Presse darüber spekuliert, ob das motiv für den selbstmord eine Verstrickung Kahns in den Fall Zitzmann sei, da Kahn diesen juristisch beraten hatte. Kahn sei womöglich wegen eines drohenden strafverfahrens aus dem leben geschieden. diesen gerüchten trat Kahns anwaltssozietät entgegen, die auf gesundheitliche Probleme nervlicher art und den rat des mediziners von romberg hinwies.63 Kahn sei für den Prozess nur als Zeuge vorgesehenen gewesen. beim Prozess gegen Zitzmann berichtete die Presse, dass der Verteidiger müller-heintz, es «wie ein stachel empfunden habe, daß Kahns name in gedrängter Form ausgesprochen wurde.»64 Für müller-heintz «schwebten wiederholt die schauer einer anderen nacht – der nacht des körperlichen todes von Justizrat Kahn – über dieser Verhandlung.» Kahn sei ein «Führer großen stils» gewesen, «ein bahnbrecher auf juristischem gebiet. Wer die Frage stellt, warum er in den tod ging, muß hineinsteigen in das Wesen dieses mannes.» diese pathetischen Worte eines anwaltskollegen deuten darauf hin, dass Kahn in Juristenkreisen hohes fachliches ansehen genoss. aber auch noch drei Jahre nach seinem tod wurde Kahn von nationalsozialistischer seite angegriffen. der münchner Journalist dr. hans buchner, Wirtschaftsredakteur des Völkischen beobachters und nach 1933 hauptgeschäftsführer der industrie- und handelskammer für münchen und Oberbayern, unterstellte Kahn, dass dieser als aufsichtsratsmitglied der detmolder sinalco ag vom Vorstand der gesellschaft angeblich begangene delikte der untreue und der bilanzverschleierung mit gedeckt 62 bayhsta mJu 13262, bericht der allgemeinen Zeitung vom 29. april 1925. 63 Wie anm. 4. 64 bayhsta, mhig 4975, bericht der Fränkischen tagespost vom 28. Juli 1926. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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habe. allerdings war der Vorstand der sinalco ag vom gericht von den erhobenen Vorwürfen freigesprochen worden war. buchner spielte bei seinem angriff dabei deutlich auf die jüdische herkunft Kahns und anderer aufsichtsratsmitglieder der sinalco ag und bei Kahn selbst auch auf dessen selbstmord an.65 lassen sich politische einstellungen bei Otto Kahn feststellen? Kahn war sicher national orientiert. das zeigt sich darin, dass er neben mehreren Vertretern der bayerischen Wirtschaft mitglied im arbeitsausschuss des landesausschusses bayern der ludendorff-spende für Kriegsbeschädigte war und im Juni 1918 dessen öffentlichen spendenaufruf unterschrieb.66 Für einen rechtsanwalt, der als Wirtschafts- und steuerrechtler seine mandanten in industriekreisen hatte, wie z. b. den nationalkonservativen Paul reusch und dessen gutehoffnungshütte, ist wohl eher eine konservative grundhaltung und eine wirtschaftsliberale einstellung anzunehmen, die sich auch in Kahns Veröffentlichungen widerspiegelt. mit 48 Jahren, mitten in einer erfolgreichen Karriere, endete das leben von Otto Kahn. die Karriere hätte er auf reichsebene sicher fortgesetzt und er hätte zur Fortentwicklung des steuerrechts beigetragen. 1933 wäre dies aber abrupt beendet worden. Kahn vereinigte in seiner Person eine hohe juristische begabung, gespür für wirtschaftliche Zusammenhänge und sicher auch die Fähigkeit, andere von seinen Vorstellungen zu überzeugen. daneben hatte er aber offensichtlich literarische, künstlerische und philosophische neigungen. dieses Zusammenspiel verschiedener begabungen und interessen kennzeichnet ihn, wie es schon die Zeitgenossen erkannt hatten, als einen bedeutenden Vertreter der münchner 65 hans buchner, dämonen der Wirtschaft. gestalten und dunkle gewalten aus dem leben unserer tage, (erschienen im nationalsozialistischen Verlag F. eher nachf.) münchen 1928, s. 63–65; zu buchner marian rappl, «arisierung» in münchen. die Verdrängung der jüdischen gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsleben, in: Zeitschrift für bayerische landesgeschichte 63 (2000), s. 123–184, hier s. 151–153; harald Winkel, Wirtschaft im aufbruch. der Wirtschaftsraum münchen-Oberbayern und seine industrie- und handelskammer im Wandel der Zeit, münchen 1990, s. 113. 66 siehe dazu den spendenaufruf in der allgemeinen rundschau 15 (1918), nr. 25 v. 22. Juni 1918, s. 374. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Justizrat dr. Otto Kahn (1876–1925)

anwaltschaft. die vom deutschen anwaltsverein herausgegebene Juristische Wochenschrift nannte ihn «eine der markantesten erscheinungen der deutschen anwaltschaft» und würdigte ihren Kollegen mit folgenden Worten: «man soll gewiß mit dem Prädikat ‹genial› sparsam und vorsichtig ein, auf ihn traf es zu. … Otto Kahn besaß die seltene gabe, die schwierigsten Probleme nicht nur zu finden, zu erfassen und zu lösen, sondern auch künstlerisch zu gestalten und in klassischer Form dem leser oder hörer nahe zu bringen. … als mensch war Otto Kahn ungemein liebenswürdig, gütig und hilfsbereit.»67

67 Juristische Wochenschrift 54 (1925), s. 1337. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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La Crypte des Pharaons, luna Park, France, 1909. carte postale, collection et reproduction. © Jean-marcel humbert

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l’Égypte éphémère des parcs d’attractions (1818–2018)* Jean-marcel Humbert · paris

les parcs à thèmes ont connu, à la fin du XXe siècle, un développement planétaire issu du succès des parcs disney. On en dénombre aujourd’hui plusieurs centaines à travers le monde, allant des jeux aquatiques à la science fiction, des pirates au royaume des fées, des animaux préhistoriques aux châteaux hantés, montrant en miniature les monuments du monde, ou proposant des attractions fortes. l’Égypte ancienne y occupe une place de choix, tant elle continue de fasciner par ses aspects fantastiques et spectaculaires.1 cette utilisation bien particulière de l’Égypte est apparue dès le début du XiXe siècle, en un moment où l’égyptomanie connaissait un de ses paroxysmes. elle se situe dans la lignée des pavillons des jardins anglo-chinois des XViiie et XiXe siècles, des édifices exotiques des expositions universelles, et de certains musées et zoos où l’on rappelait par des décors évocateurs les pays d’origine des objets ou des animaux présentés, et elle a prospéré en puisant ses sources vives dans l’égyptologie scientifique née en 1822, tout en s’affichant en totale opposition avec elle. triomphe de l’imagination la plus débridée, elle doit surprendre, distraire et amuser par des espaces souvent ludiques et décalés. ceux-ci, toutefois, gardent un caractère éphémère, puisqu’il s’agit de décors périssables, et qui plus est attachés à des phénomènes de mode. * la documentation ayant servi à réaliser cet article est issue de nombreuses visites – nous remercions ces parcs pour leur accueil – et de leurs dossiers de presse, ainsi que des sites internet de ces parcs, Wikipedia et bien sûr Youtube. noter qu’en chinois, le mot «shanzhai» signifie «contrefaçon». 1 Parmi les projets les plus farfelus, notons celui d’art Williamson qui a eu l’idée, en 1931, de transformer la pyramide de chéops en une sorte de manège dont les trois cabines auraient tourné à son sommet, offrant une vue aérienne panoramique sur le site environnant, étrange proposition bien sûr non réalisée. Cf. Modern Mechanics and Invention, juin 1931, cité par tim Onosko, Wasn’t the Future Wonderful: a View of trends and technology from the 1930s, new York/dutton, 1979. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Panorama géographique, chronologique et thématique. la répartition géographique des attractions inspirées de l’Égypte ancienne est très variée. sur 38 parcs répertoriés, 15 sont en asie dont 11 en chine, 14 en europe, 7 aux États-unis et 2 en Égypte. la liste commentée des parcs est présentée ci-dessous chronologiquement selon la date d’apparition de l’attraction égyptisante, quand celle-ci est différente de la date d’ouverture qui figure en premier. legoland et universal, qui dupliquent les mêmes attractions dans plusieurs parcs, ont été regroupés à la première occurrence. les PrOmenades ÉgYPtiennes/les mOntagnes ÉgYPtiennes (Paris, France, 1818). c’est l’attraction égyptisante la plus ancienne. On s’y distrayait en dévalant des montagnes russes dans des chariots sans protection, lâchés du sommet d’une porte égyptienne. mais le manque de sécurité de la rampe, d’où plusieurs personnes prises de vertige ont basculé pour aller s’écraser au sol, a rapidement sonné le glas de l’attraction: dès 1819, le parc est rebaptisé «Jardin du delta», et disparaît en 1825 lors du percement de la rue du même nom. Pleasure beach (blackpool, royaume-uni, 1896/1905). il s’agit du premier véritable «Parc multi-attractions», avant même les premiers Luna Parks (1903). The River Caves of the World, inaugurée en 1905 et toujours opérationnelle aujourd’hui, consiste en une promenade familiale souterraine dans des bateaux guidés. Parmi les «merveilles» les plus diverses visibles, «Valley of the Kings» est l’une des plus importantes, occupant plusieurs salles à colonnes égyptiennes couvertes de hiéroglyphes, avec des prêtres dans un temple, les colosses d’abou-simbel et plusieurs tombes. luna ParK/crYPte des PharaOns (Paris, France, 1909, fig. 1). ce pavillon à succès présente une façade étonnante à la décoration très approximative, faite pour attirer le visiteur. Portique et sphinx s’éclai© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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raient le soir venu de guirlandes lumineuses. un petit sphinx, à côté du guichet, était censé convaincre le passant d’entrer. des affiches placées devant la porte annonçaient une «attraction fabuleuse: le sphinx va parler ici!». le Village PharaOnique (le caire, Égypte, 1978). le dr hassan ragab (1911–2004) est le premier scientifique à s’être intéressé aux touristes en créant au caire un parc à thème sur l’île de Jacob. le visiteur y découvre, depuis des barques, la vie quotidienne des anciens Égyptiens, jouée par des acteurs et figurants (agriculture, élevage, pêche, artisanat…). le côté un peu naïf et souvent approximatif de la démonstration et des décors (temple, palais et maison) est néanmoins tempéré par une certaine base égyptologique, que l’on retrouve également dans sa reconstitution de la tombe de toutankhamon. gardaland/ramses: il risVegliO (in località ronchi, castelnuovo del garda, Verona, italie, 1975/1987/2008, fig. 5). a l’ouverture du parc, un espace nommé «Zone Orientale» proposait la reproduction d'un souk. mais l’attraction majeure a été constituée en 1987 par une reproduction un peu modifiée du temple d’abou-simbel à échelle réduite. le parcours scénique intérieur, d’abord présenté de 1987 à 2008 sous le titre de La Valle dei Re, devient interactif après son changement de nom en 2008: Ramses: il Risveglio (ramsès: le réveil). un spectaculaire restaurant «tutankhamon» vient d’être ouvert non loin. disneY’s hOllYWOOd studiOs (disney World, Orlando, Floride, États-unis, 1989). le parc, qui s’est appelé jusqu’en 2008 «disney-mgm studios», s’est spécialisé dans le domaine du cinéma. des décors très spectaculaires, avec des éclairages soignés, montrent notamment une scène étonnante de la cour de pharaon où tous les personnages sont à l’état de squelettes. un guide accompagne les visiteurs, accueillis par anubis à l’entrée du royaume de la mort. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Challenge of Tutankhamon, Parc Walibi belgique, 2003. Photo © Jean-marcel humbert 2006.

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Fluch des Pharao, Parc belantis, allemagne, 2003. Photo © Jean-marcel humbert, 2010.

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Ramses: Il Risveglio, Parc gardaland, italie, 2008.Photo © Jean-marcel humbert, 2010.

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OzIris, Parc astérix, France, 2012.Photo © Jean-marcel humbert, 2012.

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lOtte WOrld-disneY/PharaOh’s FurY (séoul, corée du sud, 1989). Plus important parc d’attractions d’intérieur du monde, il propose le dark ride «Pharaoh’s Fury» avec pour vedette indiana Jones. les visiteurs, à bord d’une jeep, vivent sur une longueur de 1.000 m des aventures fantastiques dans l’Égypte ancienne. Planète magique (théâtre de la gaîté lyrique, Paris, France, 1989). ce parc à thèmes très particulier, sous-titré «complexe de loisirs urbains», a été conçu par l’équipe de Jean chalopin autour de son personnage vedette l’Inspecteur Gadget. On y croisait également gaston lagaffe, et divers autres personnages édités par dupuis, le sponsor de l’opération, dont ceux de la série Papyrus mis en situation dans une salle égyptienne, avec statues et peintures murales, dans le cadre d’une thématique «la machine à remonter le temps». installé dans un théâtre du XiXe siècle dont la municipalité de Paris avait autorisé la destruction de l’intérieur historique, ce parc n’a pas trouvé sa rentabilité et a fermé dès 1991. WindOW OF the WOrld (shenzhen, district de nanshan, province de guangdon, chine, 1993). la chine est très friande de parcs à thèmes miniatures, dont les échelles vont souvent du 1/5e au 1/15e. ainsi, à shenzhen, le plus spectaculaire du genre permet de voir dès l’entrée – outre une station de métro pyramidale – un portique de temple égyptien, puis les pyramides et le grand sphinx de gizeh, et surtout une vision onirique du temple d’abou-simbel noyé dans une luxuriante végétation. non loin, une petite pyramide avec la tête colorée d’un pharaon confirme que l’on reste totalement dans le domaine de l’égyptomanie. beiJing WOrld ParK (dabaotai, hua Village, Fengtai district, chine, 1993). À Pékin, un autre parc présente lui aussi des répliques à échelle réduite des merveilles du monde, 130 sites célèbres dont le temple d’abou-simbel © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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et un petit fragment du temple de Karnak, ainsi que les pyramides transformées en boutiques de souvenirs. tObu WOrld square (Kinugawa, tochigi, Japon, 1993). ce parc à thème s’enorgueillit de présenter plus d’une centaine des plus célèbres monuments et sites du patrimoine mondial miniaturisés à l’échelle 1/25e, animés de personnages à la même échelle. la «zone égyptienne» présente le temple d’abou-simbel ainsi que les trois grandes pyramides et le sphinx de gizeh dont la photo très réaliste sous la neige a fait croire qu’elle avait été prise au caire, ce qui est rarissime (chute centenale en 2013), et a ainsi emballé les réseaux sociaux. PharaOh’s lOst KingdOm/the screaming mummY (redlands, californie, Étatsunis, 1995). ce parc aquatique également appelé «Pharaoh’s adventure Park» et rebaptisé en 2010 «splash Kingdom Waterpark» bénéficie d’une entrée spectaculaire composée d’une immense tête de toutankhamon. mais les montagnes russes «screaming mummy» n’existent plus aujourd’hui. seuls demeurent le tobogan aquatique «Wrath of ra», plusieurs éléments de décors au bord de quelques attractions, ainsi qu’une «nile beach» ombragée par des palmiers. un nouveau circuit de karting sans décor est baptisé «Pharaoh’s speedway», et le King tut de l’entrée monumentale a gagné une paire de lunettes de soleil… Xi’an eight WOnders OF the WOrld museum (au pied du mont li, district de Xincheng à Xi’an, capitale de la province de shaanxi, chine, 1995). ce «musée» n’est en fait composé que de médiocres reproductions peintes des soldats de terre cuite de l’armée de l’empereur qin shi huang, mais aussi de maquettes – entre autres – du phare d’alexandrie, de la statue de Zeus à Olympie ou des jardins suspendus de babylone, ce qui l’apparente à un parc à thèmes et non à un musée tels que défini par les critères internationaux de l’icOm. mais le plus étonnant est son entrée ex© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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térieure qui est composée, derrière un portique traditionnel chinois, d’une haute pyramide à laquelle est accolé le devant d’un sphinx égyptien. nombre de touristes sont abusés par la totale tromperie culturelle de l’exposition, mais l’entrée n’en demeure pas moins un authentique chef-d’œuvre d’égyptomanie. guangZhOu grand WOrld scenic ParK (dongpu, district de tianhe, province du guangdong, près de guangzhou/canton, chine, 1995). avec une statue de pharaon à côté des pyramides, ce parc est certainement le moins bien pourvu dans le domaine égyptien. Fermé «pour travaux» en 2009, après plusieurs attaques de malfaiteurs, il semble ne plus être ouvert aujourd’hui que pour des photos de mariage… bush gardens/tut’s tOmb (tampa, Floride, États-unis, 1996, tombe fermée en 2013). un décor extérieur, très grossière imitation de l’art de l’ancienne Égypte, contenait une prétendue copie de la tombe de toutankhamon. On y trouvait un très étonnant mélange de copies des objets de la tombe, avec des sarcophages de résine et autres décors «made in china». la tombe (qui avait l’air conditionné) est fermée depuis 2013. l’ancienne montagne russe qui portait le nom du dieu de la guerre montou, ne comportait aucun élément égyptisant, non plus que le nouveau roller coaster ouvert en 2016, sous l’appellation «cobra’s curse». seules la file d’attente et les toilettes de l’ancienne tombe en rappellent le caractère égyptien. WindOW OF the WOrld (changsha shi, district de Kaifu, province du hunan, chine, 1997). homonyme du parc de shenzhen, celui de changsha présente une entrée pyramidale. On y trouve comme à l’habitude les pyramides d’Égypte et le sphinx de gizeh, mais bizarrement situés sur une pièce d’eau! On peut aussi y voir une évocation du phare d’alexandrie.

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WanguO ParK (Wuhan, province de hubei, chine, 1999). ce curieux parc à thèmes fantôme, abandonné depuis sa fermeture en 2006 après des problèmes de financement, trouve un renouveau d’intérêt depuis sa redécouverte par les jeunes qui en font un but d’exploration dans une nature envahissante. les pyramides y voisinent avec une évocation assez grossière et limitée du temple de Karnak. terra mitica (benidorm, espagne, 2000). cinq zones sont consacrées aux pays méditerranéens antiques. l’Égypte, située à l’entrée, constitue l’attraction majeure du parc, avec des acteurs, danseurs et chanteurs l’animant à longueur de journée. Portique de temple, obélisque, sphinx, colonnades, port d’alexandrie et bien sûr pyramide forment l’essentiel d’un décor architectural qui, à défaut d’exactitude, n’en demeure pas moins évocateur et imposant. Parmi les attractions, on relève «les cataractes du nil», montagne russe aquatique dont les barques en forme de sarcophage avec tête pharaonique sont fort drôles. «akuatiti» est une attraction basée sur le même principe, mais destinée aux petits enfants. six bateaux, sur le lac, permettent de rejoindre le port ibérique. et il ne faut pas non plus manquer la «bataille de la Pyramide», ni la «Pyramide de la terreur». les restaurants ont nom tebas ou luxor, et les boutiques rosa del desierto, anubis, nefer, cataratas del nilo, land of the Pharaohs. des spectacles ont pour titre El Viaje magico, Isis, la Reina de los dioses et La Jaima de Saqqara. la baisse de fréquentation a amené la direction actuelle à ouvrir gratuitement certaines parties du parc. a cette occasion, le domaine de l’Égypte a été rebaptisé Ocionia (loisirs), ce qui ne paraît ni très exotique, ni très attractif. belantis VergnÜgungsParK/Fluch

des

PharaO (leipzig, Zwenkau, allemagne,

2003, fig. 3). la spectaculaire pyramide de belantis, visible de loin, est en fait le support d’une vertigineuse descente aquatique en large bateau plat. sous le nom de «Fluch des Pharao», il s’agit simplement de la transposition en Égypte antique © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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d’une attraction bien connue sous le nom de «Wildwasserbahn» (river splash). une nouvelle attraction familiale a été inaugurée en 2015 sous le nom «cobra des amun ra». d’amusantes boutiques «antiques» parsèment le parc. mYsterY ParK (interlaken, suisse, 2003). conçu à l’origine par erich von däniken, ce parc présente de prétendues énigmes archéologiques en relation avec de supposés ovni ou extra-terrestres. rebaptisé Jungfrau Park en 2010, après une fermeture de 2006 à 2009, il comporte un secteur Orient consacré à l’Égypte ancienne, s’intéressant à la construction des pyramides dont celle de Khéops, à la prétendue ampoule électrique du temple de denderah et au sérapeum de saqqarah. un panorama de la ville du caire vue depuis les pyramides est visible dans le hall central. Walibi belgique/challenge OF tutanKhamOn (Wavre, belgique, 1975/2003, fig. 2). le parcours scénique interactif (dark ride) «challenge of toutankhamon» se déroule pendant 4 minutes sur un parcours de 215 m parmi 54 personnages animés. l’histoire est basique: un archéologue fouillant la tombe de toutankhamon présente ses dernières découvertes, qu’il souhaite mettre à l’abri des pilleurs avant de les transmettre au musée du caire. mais seth a jeté une malédiction sur le tombeau, à laquelle on ne peut échapper que grâce à l’ankhinator, une arme laser en forme de croix ansée dont les visiteurs sont équipés. lors du voyage au cœur du tombeau, 130 cibles interactives réparties dans 12 scènes permettent d’additionner des points qui influeront sur la fin du parcours. si le score est insuffisant, les passagers, vaincus par la malédiction, reviennent à leur point de départ; un score suffisant permet une nouvelle confrontation avec seth; enfin, un bon score donne accès à la salle du trésor. uniVersal studiOs FlOrida/reVenge OF the mummY – the ride (Orlando, Floride, États-unis, 2004), uniVersal studiOs hOllYWOOd/reVenge OF the mummY – the ride (universal city, californie, États-unis, 2004), uniVersal studiOs singa© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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POre/ancient

egYPt land/reVenge OF the mummY – the ride (singapour, Île de

sentosa, 2010). universal studios a plus ou moins dupliqué, dans trois de ses parcs à thèmes, une attraction dérivée de ses films de momies (1999 et 2001). ces montagnes russes enfermées (enclosed steel roller coaster dark ride) ont un parcours scénique de 670 m. les wagonnets peuvent atteindre 70 km/h, et subissent une descente à 50 degrés. c’est en Floride qu’ouvre la première version de «revenge of the mummy». le visiteur entre dans le «museum of antiquities», pour atteindre l’intérieur d’une tombe en train d’être fouillée dans les années 30. imhotep essaie d’aspirer l’âme de tout humain qui se présente, proposant un trésor à ceux qui deviendraient ses serviteurs. une armée de scarabées grouille, dont certains viennent chatouiller vos jambes. avant même cette attraction, universal avait projeté dès 2000 de réaliser à Orlando un ensemble d’hôtels de thème égyptien, le «royal egyptian resort». mais le projet, trop lié à l’actualité cinématographique et à la mode éphémère qui en découlait, a été abandonné. À hollywood, l’entrée se fait entre deux statues en pied d’anubis. le parcours est sensiblement le même qu’à Orlando, et quand la malédiction est rompue, on peut enfin sortir à quai. À singapour, les gigantesques anubis entre lesquels se fait l’entrée sont totalement oniriques et fantastiques. l’ensemble évoque un temple égyptien aux murs couverts de hiéroglyphes, avec l’inscription «Trouvez le livre d’or». Pour les plus jeunes, le parc propose «Young treasure hunters», un mini circuit en jeep des années 30 dans un chantier de fouilles abandonné en Égypte. la boutique de souvenirs s’appelle «carter’s curiosities», et un «buffeteria» décoré à l’égyptienne «Oasis spice café». des rumeurs font état d’une prochaine fermeture (2017) de «Revenge of the Mummy» pour laisser la place à un thème plus à la mode. des projets identiques à dubaï et en corée du sud ont été abandonnés. cleOParK – the PharaOnic Water ParK (sharm-el-sheikh, Égypte, 2005). créé par l’architecte et designer Joël lange, le parc aqualand, déjà d’inspiration égyptienne, est devenu plus récemment «cleopark», parc aquatique © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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à thèmes composé de 22 attractions. toutes sont d’inspiration pharaonique, certaines relaxantes, d’autres plus excitantes, comme «la terreur du serpent», «le trophée des reines», ou «aventure sur le nil». On y trouve bien sûr une petite pyramide et un sphinx, mais la particularité du lieu est un esprit plus belge qu’américain, avec des décors égyptisants souvent élégants et modernes. legOland caliFOrnia/lOst KingdOm adVenture (carlsbad, californie, États-unis, 1999/2008, fig. 4), – legOland WindsOr/KingdOm OF the PharaOhs – laser raiders (Windsor, royaume-uni, 1996/2009) – [a remplacé Windsor Safari Park (1969–1992) où l’on pouvait voir en version très réduite pyramides et Fig. 4 lost Kingdom adventure, Parc legoland california, 2008. Photo © lego, 2008.

sphinx], – legOland/the temPle (billund, danemark, 1968/2010), – legOland FlOrida/land OF adVenture – lOst KingdOm (Winter haven, Floride, États-unis, 2011), – legOland malaYsia/land

OF

adVenture (iskandar Puteri, malaisie,

2012), – legOland deutschland, temPel X-PeditiOn im reich der PharaOnen (günzburg, allemagne, 2002/2013). l’attraction égyptienne des parcs de la marque danoises de jouets se présente sous la forme d’une «shooting interactive dark ride», dans une jeep lego d’explorateur (3 minutes pour 103 m de longueur). au centre de la façade du bâtiment à l’égyptienne abritant l’attraction figure un pharaon en pied de 5 m de haut, composé de près de 300.000 pièces de lego. le parcours (10 scènes éclairées à la lumière noire avec hiéroglyphes dansants et momies vivantes) est consacré aux aventures de sam sinister qui a kidnappé Pippin reed qu’il va donc falloir sauver. l’ensemble, destiné à un public jeune, n’est bien sûr guère effrayant. des touches d’humour y sont même présentes, notamment en californie où l’on voit un décor mural représentant des Égyptiens construisant un mur avec des briques lego, scène qui dénote le sérieux de la documentation mise en œuvre par le créateur bill Vollbrecht. À l’extérieur, des pyramides d’escalade sont destinées aux enfants. chOngqing FriendshiP shOPPing center amusement ParK (chongqing/tchongking, province du sichuan, chine, 2011). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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la ville de chongqing a créé une sorte de parc de jeu urbain atypique, gratuit, qui s’enorgueillit d’avoir pour attraction majeure de gigantesques toilettes publiques susceptibles d’accueillir 2.000 personnes, se qualifiant ainsi pour être les plus vastes du monde… un groupe de toilettes sur Foreigner street est abrité dans une pyramide avec, devant, des colosses maigrichons inspirés d’abou-simbel (?), tandis qu’un autre groupe a pour entrée une tête pharaonique aux joues rouges comme celles d’un clown. astÉriX/OZiris (Paris, Plailly, France, 1989/2012, fig. 6, pl. 4). Oziris, la nouvelle création à sensations du Parc astérix, est un roller coaster (grand huit) inversé. après une montée à 43 m de haut, le véhicule est lancé à une vitesse approchant les 90 km/h, pendant une durée d’environ 2 mn. l’extérieur du bâtiment d’accueil est étonnant de formes et de couleurs, avec ses deux sphinx et un obélisque «tour eiffel». le décor des files d’attente, à l’intérieur du «temple», permet de retrouver tout l’humour et l’esprit des albums de bande dessinée de goscinny et uderzo, et notamment astérix et cléopâtre. On trouve aussi non loin un roller coaster pour les enfants, «sOs numérobis». en 2013, le spectacle La colère d’Anubis mettait en scène des momies. ailleurs dans le parc, on peut encore voir des bâtiments plus anciens, dont la maison torturée de l’architecte numérobis, la barque de cléopâtre et des boutiques décorées à l’égyptienne. disneYland hOng-KOng/mYstic manOr/egYPtian rOOm (hong Kong, chine, 2013). le manoir de lord mystic propose un parcours de 5,30 minutes; on traverse des pièces successives avant d’arriver dans la salle des antiquités égyptiennes, où parmi d’autres trésors, un sarcophage entrouvert laisse s’échapper une armée de scarabées; s’en apercevant, le sarcophage devient vert de terreur. chuZhOu great Wall internatiOnal tOurism cartOOn creatiVe ParK (chuzhou, province de anhui, chine, 2013, travaux en cours). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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la construction du parc a commencé en juin 2013, et est toujours en cours d’aménagement en 2017. le sphinx, qui est terminé, est de la même grandeur que celui de gizeh, mais contrairement à celui de shijiazhuang, n’a pas été contesté par l’Égypte. en effet, il ne s’agit pas ici d’une copie exacte, mais d’une création égyptisante, car il est coiffé du némès de toutankhamon, avec devant la crosse et le fouet croisés. certains y reconnaissent le visage – au nez intact – de l’ancien président hu Jintao, sans ses lunettes. Parmi les autres merveilles du lieu, on remarque la pyramide du louvre et… l’acropole. neW great Wall cultural and creatiVe grOuP (donggou village à shijiazhuang, province du hebei, chine, 2014, travaux en cours). un grand sphinx, copie exacte (y compris le nez cassé) de son ancêtre égyptien de gizeh, a suscité l’ire de l’Égypte qui craignait que cette copie à échelle 1 ne détourne les touristes chinois du voyage d’Égypte. selon ses concepteurs, cette sculpture monumentale n’aurait été qu’un décor de cinéma non destiné à demeurer en tant qu’attraction d’un parc à thème. Pourtant, il se trouve bien à côté d’autres pavillons, dont un temple chinois. il a été démantelé, mais non encore détruit, le 2 avril 2016. lanZhOu silK rOad cultural relics ParK (lanzhou, province de gansu, chine, 2016). a peine le sphinx de shijiazhuang était-il démantelé, que ce nouveau sphinx (construit à côté d’un «Parthénon») était achevé. adVenture WOrld/land OF legends (Varsovie, grodzisk mazowiecki, Pologne, vers 2020). entouré de héros, le visiteur sera plongé dans le monde des dieux de nombreuses civilisations. l’ouverture, plusieurs fois retardée, serait prévue pour 2020. mauricio abril design a concocté un «Osiris: the Wrath of seth» qui s’adapterait parfaitement au concept, dark ride dont les recettes sont toujours les mêmes, hor© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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reur et peur contrôlées, éclairage tamisé, lumières colorées, magie d’un son surround, et coups de vents à faire frissonner.2 Sources d’inspiration. le plus souvent, l’Égypte ancienne ne constitue qu’un espace spécifique à l’intérieur d’un parc multi thématiques, dont les attractions sont, pour la plupart, issues du cinéma plus que de l’archéologie. d’ailleurs, les personnages qui les animent habituellement sont plus des aventuriers et chercheurs de trésors que des égyptologues, les films de momies leur apportant un contrepoint entre terreur et amusement. les attractions à cadre humoristique issues de la bande dessinée et des films d’animation sont beaucoup plus rares. Jouets et jeux ne sont jamais loin non plus, notamment avec lego. quant aux dérives intellectuelles, elles sont quasiment inexistantes, même si le mystery Park d’erich von däniken pose bien des questions. Principaux types d’attractions et de décors. les attractions égyptisantes des parcs sont relativement semblables. On retrouve les mêmes parcours, les mêmes scenic railways et les mêmes tunnels à frissons garantis. quant au décor, il n’est guère plus différencié, temples, portiques avec corniches à gorge, statues pharaoniques assises ou debout, tombes, momies et surtout hiéroglyphes sculptés ou peints constituent l’essentiel de décors souvent fantaisistes. néanmoins, chaque parc essaie de se trouver une marque de fabrique spécifique susceptible de le démarquer du concurrent, utilisant qui une pyramide, qui un temple, qui le nom de toutankhamon pour créer l’accroche publicitaire. dans tous les cas, l’attraction plonge le visiteur dans un monde égyptien antique déstabilisant, peuplé de pharaons, prêtres, dieux et déesses vengeurs, et bien sûr de momies effrayantes. malédictions, pièges, serpents, crocodiles et scarabées y constituent les embûches les plus communes. seul le grand sphinx de gizeh, quelles qu’en soient les dimensions, domine la mêlée, et ne sert jamais d’attraction, comme si sa dignité devait être préservée. 2

http://www.mauricioabril.com/theme-park-design-3/#!prettyPhoto[group]/18/. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Le grand Sphinx de Chine, source de discorde: un cas d’école. la situation des parcs à thèmes est très complexe en chine, car elle obéit à des caractéristiques diverses. le terme «parc à thèmes» y est utilisé de manière large, et il peut même désigner une exposition itinérante comme celle qui a eu lieu à Pékin en 2006.3 certains campus universitaires peuvent également s’apparenter à de tels parc quand on y trouve des constructions destinées à promouvoir leur vocation internationale, comme à la Wuhan International Trade University (province d’hubei), où un sphinx très musclé trône entre l’arc de triomphe de Paris et une bibliothèque pyramidale. le développement des parcs chinois date des années 90, en un moment où l’élévation du niveau de vie a permis l’émergence d’une société de loisirs. On parle souvent plus en chine de «parc culturel» que de parc à thèmes, car y sont volontiers présentées des copies4 à vocation didactique des sites et des monuments du monde entier, destinées à permettre aux visiteurs de voyager sans quitter le pays. ce qui n’était à l’origine que des miniatures à petite échelle ont grandi, se rapprochant ainsi de la taille des originaux, comme le grand sphinx de gizeh, copié à l’identique à shijiazhuang. normalement source de calme et de sérénité, cette «duplitecture» est devenue une pomme de discorde entre l’Égypte et la chine au prétexte de concurrence touristique, et l’Égypte a obtenu sa destruction. Au-delà des parcs… les films de fiction ne pouvaient rester en reste, et l’on ne peut oublier le film d’horreur d’al Passeri The Mummy Theme Park (italie, 2000). sommet à la fois du film de série Z et du kitch égyptisant, il fait plus rire que peur, notamment avec ses irrésistibles têtes pharaoniques distributrices de bière et de thé glacé! quant à l’argument, il n’est guère moins affligeant: un sheik 3 du 26 mai au 10 octobre 2006 sous le titre trompeur d’«egyptian theme park», en raison de ses dimensions imposantes avec une «entrée de temple» et une pyramide. 4 Cf. ling Jiang, «call for copy – the culture of counterfeit in china», dans: Journal of chinese economics 2/2 (2014), p. 73–78. http://journals.sfu.ca/nwchp/index.php/ journal. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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décide de transformer un tombeau égyptien souterrain en parc à thèmes malgré une antique malédiction... mais l’attraction sera maudite, et les fausses momies animées sont en fait bien réelles et avides de sang frais... En guise de conclusion: et l’apport didactique? l’utilisation de l’Égypte ancienne dans les parcs à thèmes est donc très diverse, oscillant entre spectaculaire, humour et médiocrité. Peut-on pour autant reprendre le qualificatif de «tchernobyl culturel» utilisé par ariane mnouchkine parlant en 1992 du Parc disneyland Paris? bien sûr, une «culture de masses» qui ne s’appuierait que sur les parcs à thèmes ne serait rien moins qu’inquiétante. en effet, pour un large public qui n’a pas de grandes connaissances dans le domaine de l’Égypte ancienne, et qui n’a pas vocation à y faire un voyage, c’est souvent le seul contact qu’il aura avec le pays. alors, réduire le côté exceptionnel de la civilisation de la vallée du nil à des attractions spectaculaires a-t-il un sens? quelques parcs ont bien tenté une approche didactique, comme au Village pharaonique du caire ou dans les parcs legoland. mais la règle générale est de générer une fréquentation conséquente grâce à une dimension plus ludique que véritablement éducative, mais allant souvent jusqu’à la laideur et l’incohérence. On se demande en effet pourquoi, sous couvert de distraction, les parcs à thèmes ne s’attachent pas plus à proposer des décors et sujets sinon archéologiquement plausibles, du moins susceptibles de présenter une image plus exacte et pédagogique de l’Égypte antique. À défaut, ils contribuent à traduire l’image de cette civilisation prestigieuse par une égyptomanie de pacotille, alors qu’une meilleure conception permettrait de lui garder ses composantes scientifiques et esthétiques sans que cela lui retire pour autant ses qualités ludiques. bien des nouvelles pages de cette saga particulièrement originale restent donc à écrire.

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Joseph Haydn – op. 50/1–6 Hein irrgeher · Wien

die preußischen einem bayerischen und geige spielenden Jubilar herzlichst zugeeignet.

Haydns Werk und Status zur Zeit der Entstehung von Opus 50 im entstehungsjahr 1786 von Opus 50/1–6 ist haydn 54 Jahre alt, gemessen an der damaligen lebenserwartung jemand, der sich aufgrund fortgeschrittenen alters keine großen strapazen mehr zumuten sollte. tatsächlich hat haydn seine lebenszeit bis dahin imponierend genutzt: sein Werk umfasst bereits 80 sinfonien, darunter die Pariser (hoboken Verzeichnis 82 bis 87), Die Sieben Letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (hob. XX/1a) inklusive der Streichquartettfassung (hob. XX/1b) und der Klavierfassung (hob. XX/1c) und 25 streichquartette. seit 20 Jahren bereits ist er am hofe des Fürsten nicolaus esterhazy angestellt und darf seit 1781 seine Kompositionen aufgrund eines neuen dienstvertrages eingeschränkt auch selbst verwerten. das steht zwar in dem neuen dienstvertrag nicht ausdrücklich drinnen, es ist aber im neuen Vertrag nicht mehr vom alleinigen Verfügungsrecht des Fürsten die rede1. aus einem brief eines Wiener arztes namens amand Wilhelm smith vom 24. april 1787, von dem noch die rede sein wird, geht vielmehr hervor, dass mit der neuregelung von haydns dienstvertrag eine generell gültige regelung Platz gegriffen hatte, die daher im neuen Vertrag nicht gesondert festgehalten wurde, nämlich dass das, was haydn komponierte, ein Jahr dem Fürsten gehörte und dann gedruckt werden durfte2. 1 hans-Josef irmen, Joseph haydn. leben und Werk, Köln/Weimar/Wien 22009, s. 173. 2 ingrid Fuchs, haydniana in einer altösterreichischen adelskorrespondenz, in: georg Feder/Walter reicher (hrsg.), eisenstädter haydn-berichte. Veröffentlichungen der internationalen Joseph haydn Privatstiftung eisenstadt. band 5, internationales musikwissenschaftliches symposion «dokumentarische grundlagen in der haydnforschung» im rahmen der internationalen haydntage eisenstadt 13. und 14. september 2004, tutzing 2006, s. 63/64. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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haydn ist bis zu diesem Zeitpunkt geographisch über Wien nicht sehr weit hinausgekommen, sieht man von seiner Zeit als Kammerkomponist und musikdirektor beim grafen morzin ab, wo er während der sommermonate 1758 und 1759 seinen herrn auf dessen sommerschloss lukavec bei Pilsen begleiten durfte. trotzdem ist sein ruf in europa bereits begründet: aus Paris kam 1784 von der Vereinigung Concert de la Loge olympique, einer Freimaurer-loge, das ersuchen, sechs neue sinfonien für sie zu schreiben, welchem umstand wir die schon bereits erwähnten Pariser Sinfonien verdanken, dem Preußischen König Friedrich Wilhelm ii., der als herrscher bei weitem nicht so gut bewertet wird wie als cellospieler, schenkt er Kopien dieser Pariser Sinfonien, was ein geschenk zur Folge hatte, das uns direkt zu den Preußischen Quartetten führen wird, in spanien hat er Verträge mit adelsfamilien, die ihn zur jährlichen lieferung einer bestimmten anzahl von sinfonien und kammermusikalischen stücken verpflichtet, woraus indirekt sein auftrag für die Sieben Worte resultierte, in italien wurde er von der Philharmonischen gesellschaft in modena bereits 1780 zum mitglied gewählt und erhielt 1786 von König Ferdinand von neapel bestellungen für Konzerte, und seit 1781 besteht auch schon die beziehung zu england mit William Foster, der dort zu seinem wichtigsten Verleger wird3. und als 1782 die russische großherzogin und spätere Zarin maria Fedorovna nach Wien kommt, besteht sie darauf, bei haydn ein paar stunden unterricht zu nehmen. in der nämlichen Zeit ist mozart noch nicht einmal in Wien weltberühmt. Das musikalische Umfeld der schutz seines Fürsten und sein leben in eisenstadt bzw. in esterháza, fast wie auf einer insel, verschonte haydn weitgehend auch von musikalischer Konkurrenz, die durchaus beachtlich war: in Wien regierten mehr oder weniger uneingeschränkt der aus Paris zurückgekehrte gluck, damals 72, sein schüler salieri, damals 36, und der 50-jährige albrechtsberger als Or3 Karl geiringer, Joseph haydn. der schöpferische Werdegang eines meisters der Klassik. eine biografie. unter mitarbeit von irene geiringer. Überarbeitet und mit einem Vorwort von armin raab. Überarbeitete und erweiterte neuausgabe im Verlag schott music gmbh & co. Kg, mainz 2009, s. 121ff. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

die Preußischen

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ganist im dom zu st. stephan. Verbürgt ist die Wertschätzung haydns gegenüber dem 22 Jahre jüngeren mozart, beider Werke wurden im hause vom Franz bernhard von Kees von einem dilettantenorchester aufgeführt, und beide herren sahen das als ehre an. gerne besuchte haydn auch in Wien den englisch-italienischen Komponisten stephan storace und dessen schwester nancy (die Susanne in der erstaufführung von mozarts Figaro), wo vom gemeinsamen quartettspielen von haydn, mozart, dittersdorf und Vanhal4 berichtet wird. mozart hatte sich intensiv mit den streichquartetten op. 17 und op. 33 von haydn beschäftigt und widmete ihm die wegen dieser Widmung die so benannten Haydn Quartette. die reaktion haydns nach beiwohnen ihrer aufführung beschreibt mozarts Vater leopold am 16. Feber 1785 in einem brief aus Wien an nannerl («ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher mann, ihr sohn ist der größte componist, den ich von Person und den nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte compositionswissenschaft.»). in sachen streichquartett aber sah haydn in mozart offenbar nicht wirklich einen Konkurrenten, anders sah die sache im genre Oper aus: in den operndominierten spielplänen von esterháza findet sich – natürlich neben haydn selbst – alles was als Opernkomponist rang und namen hat, allerdings mit zwei ausnahmen: gluck und mozart sucht man in den Programmen vergeblich. Das Streichquartett im Schaffensrahmen von Haydn bis 1787 im rahmen des kompositorischen schaffens von haydn bis zur Fertigstellung der sechs streichquartette des op. 50 fand das streichquartett keineswegs eine kontinuierliche behandlung, noch kann man von einer stetig gleichmäßig fortschreitenden entwicklung sprechen. Form, bezeichnung, inhalt entwickeln sich keineswegs linear, auch die zeitlich unregelmäßigen abstände und oft erstaunlich langen Perioden der nichtbeschäftigung irritieren. nach 4 Johann baptist Vanhal, 1739–1813, ist ein aus Ostböhmen stammender Komponist, der sich 1780 in Wien niederließ. er war schüler von dittersdorf und lehrer von ignaz Pleyel. sein Werk umfasst u. a. 73 sinfonien und über 100 quartette. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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allgemeiner auffassung steht die «klassische» Form des streichquartetts mit haydns op. 33/1–6 fest, andere vermeinen, der durchbruch hätte schon mit op. 17 stattgefunden.5 nach den ersten zehn frühen fünfsätzigen quartettdivertimenti tritt eine siebenjährige Pause ein, bis sich haydn, nach intensiver beschäftigung mit der gattung sinfonie, wieder mit dem genre beschäftigt und innerhalb von vier Jahren 18 bereits nur mehr viersätzige Divertimenti a quattro schreibt, bis er nach neuerlicher Pause von neun Jahren 1781 mit op. 33 jene streichquartette schreibt, die er selbst mit «sie sind auf eine gantz neue besondere art» beschreibt. der neuerliche abstand zwischen op. 33 (den Russischen) und der nächsten serie, nämlich op. 50 (die Preußischen) beträgt neuerlich sechs Jahre. Jetzt scheint der bann gebrochen: ab nun wendet sich haydn dem genre streichquartett im Vergleich zu bisher in kurzen und fast regelmäßig zu nennenden Zeitabständen zu. Entstehung und Vertrieb von Opus 50 Von anfang Februar 1787 stammt eine Korrespondenz haydns mit Konstantin Jacobi, preußischer gesandter am Wiener hof, die sich mit dem offenbar vom gesandten lancierten gedanken befasst, dass haydn dem preußischen König eine Komposition widmet. im april gibt es direkte Kommunikation zwischen dem König und haydn, in der er einen ring als geschenk ankündigt für das gefallen, das er an den übersandten Kopien der sechs (Pariser) sinfonien gefunden hatte. in hinsicht auf die vorangegangene aktivität des gesandten kann wohl davon ausgegangen werden, dass der König haydn mit dem angekündigten ring nicht nur für kopierte sinfonien danken, sondern ihm auch einen zusätzlichen motivationsschub für die angestrebte Widmung eines Werkes geben wollte. besagter ring, dessen Wert auf 300 dukaten (ein dukaten entspricht dem Wert von € 112,50) geschätzt wurde, traf begleitet von einem handschreiben seiner majestät ein, und im mai teilt haydn dem artaria Verlag, der über die arbeit an der neuen streichquartettserie bereits informiert ist, mit, dass er sich «tief in der schuld ihro 5

geiringer, Joseph haydn, s. 285. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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majestät» fühle und seine dankbarkeit nicht anders zeigen könne, als ihm das neue Opus zu widmen. carpani erwähnt diesen ring in seiner haydnbiographie gleich zweimal6, beide male im Zusammenhang mit der beschreibung, wie verschiedene Komponisten sich in den Zustand der inspiration versetzten. laut carpani hat haydn selbst gestanden, dass ihm, wenn er den ring nicht am Finger hatte, keine einfälle kämen, dass «also seine schöpferische ader ohne dieses sprechende Zeugnis an Wertschätzung einer so erlauchten Persönlichkeit am Vertrocknen war». bei der zweiten diesbezüglichen anmerkung vergleicht carpani den ring Friedrichs von Preußen mit Angelicas Zauberring7 «mit dem man, selbst unsichtbar, alles sehen könnte». Wie auch immer, bei der Komposition von op. 50 musste haydn jedenfalls zumindest teilweise noch ohne den inspirierenden ring auskommen. aus der zögerlichen belieferung von artaria könnte man den schluss ziehen, dass die arbeit an der quartettserie nur schleppend vorangegangen ist. im märz erhält der Verlag den ersten satz von op. 50/3, am 12. Juni offenbar komplett op. 50/6, gleichzeitig meldet haydn, dass op. 50/5 noch nicht fertig ist, und alle Kopien sind schließlich erst am 22.11. bei artaria. im ziemlichen Widerspruch dazu steht die Korrespondenz zwischen amand Wilhelm smith und dem Vize-gespan des ungarischen Komitat Zips (heutige östliche slowakei), emerich horváth stansith de gradecz (1741– 1801), der oberste repräsentant der Komitats-selbstverwaltung. smith ist arzt in Wien, scheint aber in sachen aktuellen musikgeschehens in Wien bestens informiert und ist offenbar musikalisch gebildet, sodass ihn der in der Provinz sitzende und von diesen speziellen informationen offenbar ab6 giuseppe carpani, haydn. sein leben, st. Pölten/salzburg 2009, s. 85 und s. 206 (titel der Originalausgabe von 1812 Le Haydine ovvero lettere su la vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn, Verlag buccinelli maliland 1812.) 7 Zauberin in Orlando furioso von ludovico ariosto. der stoff dieses heldengedichtes wurde mehrfach in Opern umgesetzt: Vivaldi hatte so großen erfolg damit, dass er zwei «Fortsetzungsopern» schrieb, auch händel verarbeitete den stoff in drei Opern. Weitere berühmte Komponisten, die sich dieses stoffes annahmen, waren lully, rameau und Piccini. haydn selbst verarbeitete den stoff in seiner Oper Orlando Paladino. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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geschnittene Vize gespan damit beauftragt, ihn nicht nur mit neuigkeiten, sondern auch mit instrumenten und neuen Kompositionen zu versorgen. am 24. april jedenfalls informiert der Wiener Vertrauensmann, dass «neue quartette von haydn gespielt werden, diese aber erst in einem Jahr zugänglich gemacht werden. graf esterhazy hat sie für sich machen lassen.»8 tatsache jedenfalls scheint zu sein, dass die quartette bereits lange vor drucklegung in Wien gespielt wurden. unterlagen waren Kopien, die ein gewisser laurent lausch, inhaber eines Kopiaturbetriebes in Wien und musikalienhändler in der Kärntnerstraße 49, von einer abschrift der quartette, die er sich zu verschaffen wusste, herzustellen in der lage war. diese Kopien verkaufte er in einer geheimen Pränumeration um immerhin 6 fl. (ein Florin oder ein gulden entspricht ungefähr € 25). lausch muss tüchtig gewesen sein: Partituren gab es damals noch nicht, sondern nur die einzelnen stimmen. Zu den Originalen oder abschriften davon konnte er also nur kommen, wenn er über einen Kontakt mit jener quelle verfügte, bei der alle stimmen lagen, oder er musste eine wie auch immer und von wem auch immer veranstaltete aufführung dazu benutzen, um über die musiker an die einzelnen stimmen heran zu kommen – auch schwierig, da diese sie vermutlich sofort nach der aufführung zurückzugeben hatten. außerdem hätte lausch in diesem Fall von vier Personen kaufen müssen und vier mitwisser gehabt. relativ leicht stellt sich das Kopieren dann dar, wenn er einen direkten Zugang zur nahesten umgebung des Komponisten oder zu diesem selbst gehabt hätte. der hohe Preis von 6 fl. spricht für eine mitbeteiligung dessen, der die abschriften ermöglicht hat: der spätere legale subskriptionspreis betrug 3 fl. 30, der spätere Preis im freien Verkauf 4 fl. 30. die indizien sprechen nicht unbedingt dafür, dass haydn an der herstellung der «raubkopien» unbeteiligt war, auch wenn er sich in einem brief an artaria vom 7. Okt. 1787 darüber höchst verärgert gibt. Feder hingegen vertritt offen die theorie, dass es haydn selber war, der die Kopien 8 Fuchs, haydniana, s. 63. 9 Walther brauneis, mozarts anstellung am kaiserlichen hof in Wien – Fakten und Fragen, in: mozart. experiment aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts (essayband zur mozartausstellung), Wien 2006, s. 559ff. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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verkauft – «wie bei op. 33» – und zitiert in diesem Zusammenhang einen brief von carl von dittersdorf10. Fuchs zieht aus dieser Vorgangsweise den schluss, als hätte haydn das erscheinen der quartette hinauszögern müssen, artaria aber nicht sagen wollte, dass er dem Fürsten noch im Wort war und diese nicht zu früh erscheinen durften. «das würde» – so Fuchs – «bedeuten, dass er mit artaria bereits handelseins war und ihm die ersten quartette zu einem Zeitpunkt übermittelt hat, als er sie noch gar nicht aus der hand geben durfte.»11 am 27. Juli zeigt sich smith abermals bestens informiert: Vier quartette hätte haydn schon fertig, an zweien arbeite er noch und im november würde das ganze Opus fertig sein, offenbar hat sich smith bei artaria erkundigt. tatsächlich sind die quartette noch später erschienen: die Wiener Zeitung kündigt ihr erscheinen am 19. dezember an, und dass man sich auf sie «pränumerieren» kann. dem ganzen allerdings setzt haydn die Krone auf mit einem brief an seinen londoner Verleger William Forster: «… ich habe 6 quartette komponiert, die ich noch niemanden gegeben habe…». Forster schluckte den ausgelegten Köder, schloss mit haydn den entsprechenden Vertrag und am 20. september wurde ihm das komplette op. 50 zugesendet. am 5. Oktober kamen die quartette in london an und Forster verlor keine Zeit: noch vor erscheinen der artaria edition wurde das Werk als Opus 44 veröffentlicht. irgendwann im november entdeckte artaria, dass das Werk von Forster bereits publiziert worden war und forderte von haydn eine erklärung. Zunächst ignorierte haydn die Frage, in einem weiteren brief allerdings drehte er den spieß um: jawohl, er habe Forster die rechte gegeben, aber nur deswegen, weil artaria es verabsäumt habe, ihrem englischen Partner longman & broderip die rechte für die Publizierung der quartette einzuräumen. niemand könne ihm einen Vorwurf daraus machen, dass er auf seinen Vorteil

10 brief von carl von dittersdorf in: collectanea mozartiana, tutzing 1988, s. 47, zitiert in Feder/reicher (hrsg.), eisenstädter haydn-berichte, s. 66. 11 Fuchs, haydniana, s. 64. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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achte – er werde letztlich doch nicht fair für seine arbeit bezahlt und hätte ein größeres recht auf einen Vorteil als die anderen, die damit handeln. Quellengeschichte zu Opus 50 die stimmenabschrift, die Forster als druckvorlage gedient hatte, ist in der britischen bibliothek in london erhalten geblieben. die Originalpartitur galt bis 1982 als verschollen. tatsächlich haben diese autographe eine bewegte geschichte hinter sich: Über haydns nachlassverwalter Johann nepomuk hummel kamen sie in den besitz von muzio clementi und blieben dort bis zu dessen tod im Jahre 1832. 1851 wurden sie bei einer auktion von einem pensionierten britischen colonel in london ersteigert und gelangten über verschlungene Wege über neuseeland nach australien. dort zeigte sie der damalige besitzer nach einem geburtstagskonzert zum haydn-Jubiläumsjahr 1982 dem dirigenten christopher hogwood. Feder berichtet, dass er bei einem besuch an der universität von adelaide darauf hingewiesen wurde, dass das manuskript in australien wäre. Zwei Wochen später traf er den besitzer, untersuchte und fotografierte und kopierte das autograph und bestätigte eine halbe stunde vor seinem abflug im australischen Fernsehen dessen echtheit. in seinen nummern bestätigt das autograph die gleiche reihenfolge wie sie bei artaria aufschien, nr. 3, 4 und 6 tragen außerdem den Vermerk «1787». das autograph gehörte einer enkelin des ehemaligen colonels, der es seinerzeit ersteigert hatte. mittlerweile hat die enkelin das manuskript 1995 wieder versteigern lassen, es befindet sich jetzt wieder in anonymem deutschen Privatbesitz. dank dieses kurzen Zugriffes auf das Original und seiner dokumentierung wurde es möglich, die kursierenden ausgaben auf ihre richtigkeit zu überprüfen, was jedenfalls in nr. 5 des op. 50 im trio des dritten satzes bei der aufnahme durch das buchberger quartett12 zu einer Korrektur führte: die bis dahin üblichen ausgaben schreiben als Vorzeichen f-moll vor, was 12 haydn: string quartets op. 50 buchberger quartet, auf: brilliant classics 93866. hubert buchberger ist o. Professor für Kammermusik an der musikhochschule in Frankfurt am main. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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unrichtig ist: haydn begann das trio in F-dur und überraschte die Zuhörer erst im dritten Volltakt mit einem in allen vier stimmen vorgeschriebenen des: ein effekt, der durch eine offenbar übereifrige Vorzeichensetzung zunichte gemacht wurde. Das Werk 1785 hatte die gattung streichquartett bereits zwei klassische muster: haydn hatte op. 33 komponiert und mozart seine haydn quartette. diese unterscheiden sich wesentlich von der sehr konzentrierten Form haydns und weisen fast die doppelte länge auf, kein unterschied besteht im musikalischen anspruch, verschieden aber ist die musikalische charakteristik. merkbar ist dabei nicht nur ein zuweilen detailliertes eingehen mozarts auf haydn, sondern auch seine beschäftigung mit bach und durch die von ihm abgeschaute chromatische harmonik entstehende intensität des ausdrucks. der von den mozart quartetten offenbar außerordentlich beeindruckte haydn13 konnte in seiner sensibilität daran offenbar nicht vorübergehen, als er 1787 sein op. 50 schreibt. Wenn diese op. 50 quartette etwas gemeinsam haben, dann eine größere ernsthaftigkeit als op. 33, eine größere räumliche dimension und eine zuweilen chromatisch zugespitzte harmonik – der gedanke, dass es sich bei diesen charakteristika um eine reaktion auf mozart handelt, liegt nahe. im charakter sind die op. 50 quartette jedenfalls näher an denen von op. 20 als an jenen von op. 33. Was haydn beibehält, ist das Zusammenschließen der vier streicherstimmen zu einer einheit bei gleichzeitiger Wahrung ihrer individualität, ein gedanke wird von allen verschieden in diskussionsform behandelt. auffällig oft leben ganze sätze von einem einzigen thema, einem einzigen gedanken, dem immer wieder neue seiten und Wendungen und tiefen abgewonnen werden. dabei verzichtet haydn manchmal sogar darauf, dem hauptthema ein kontrastierendes nebenthema an die seite oder gegenüber zu stellen, 13 siehe oben. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eine auch bei carl Philipp emmanuel bach nachvollziehbare tendenz14. Formal ist haydn in op. 50 an stelle der bezeichnung Scherzo wieder zu der bezeichnung Menuet zurückgekehrt, die er auch künftig für solche sätze benützen wird, deren schnelles tempo sich von jenen der in Zukunft von beethoven geschriebenen Scherzi nicht wirklich unterscheiden wird15. Obwohl durchgehend die meinung zu finden ist, dass die op. 50 quartette «großartiger» als die op. 33 quartette sind, zählen sie nicht zu den populärsten und sind bei Kammermusikabenden der etablierten Konzertveranstalter eher selten im Programm zu finden, was allerdings weniger auf die Konzertveranstalter zurückzuführen ist, als auf die konzertierenden ensembles. Was sehr zu bedauern ist, denn schon aus quartett 50/1 ist die bedeutung der quartette des Opus 50 erkennbar: die zugenommene emanzipation der einzelstimmen, die chromatisierung der harmonik, die komplexe Verarbeitung einfachsten tonmaterials, die individualisierung des Klanges der einzelnen instrumente, die großräumigere Konzeption. Zusammenfassend kann man sagen, dass haydn in Opus 30 den durchbruch zum klassischen streichquartett vollzogen und in Opus 50 die standards festgelegt hat.

14 Zum thema einfluss von c. Ph. e. bach auf haydn siehe auch hartmut Krones, Viel empfindung, romanzo, coax und besoffene Fuge. inhalt und «bedeutung» in haydns musiksprache, in: Österreichische musikzeitschrift 3–4 (2009), s. 51. 15 georg Feder, haydn, Joseph, in: die musik in geschichte und gegenwart (mgg). allgemeine enzyklopädie der musik. Zweite neubearbeitete ausgabe, stuttgart 2002, Personenteil band 8, sp. 1047. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ikone der hl. Verena mit attributen aus der gemeinde st. Verena in bad-Zurzach. © 2008 Pfarrei st. Verena, bad Zurzach

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zur Hygiene und körperpflege bei den altägyptern und den kopten

die hygiene im medizinischen sinne war dem Ägypter unbekannt. denn man wusch sich, weil man verstaubt war, oder wegen der erfrischung durch ein bad bedurfte. Jedenfalls kannte die alt-ägyptische medizin das baden als therapeutische maßnahme nicht.1 Jedoch kam das bad CIOOUN bei den Kopten als heilmittel bei mancherlei hautkrankheiten vor. Folgendes rezept empfiehlt, ein heilmittel im bad zu trinken: «desgleichen wegen des mastdarms – duftlotosfrüchte; aam (?); euphorbium; myrrhe; – Verreibe es gut, lasse es ihn mit warmem Wasser im bad trinken. gieße sie.2 es wird gesund werden» (ch 225). ein anderes rezept empfiehlt folgende anwendung bei hauterkrankungen: «eine Warze und ein ausschlag – natron; bodensatz vom alten essig – salbe ihn zuerst, dann reinige ihn mit Wein; eidotter und Olivenöl – schließlich bringe ihn ins bad, so wird er gesund werden» (ch 161 und Zb 11). Ferner wird in einigen rezepten die anwendung von bädern ausdrücklich vorgeschrieben. Wir lesen hierzu, wie vermutlich die bildung von muttermilch angeregt werden könnte: «Für Frauenbrüste, damit sie milch geben. nimm trockenen Knoblauch, koche ihn mit ungemischtem Wein. sie soll an drei tagen davon im bad trinken» (ba 6). Die Quellen unsere Vorstellungen vom gesundheitszustand der alten Ägypter sind die uns heute aus den bekannten medizinischen Papyri, die in ihren anfängen bis in das alte reich (etwa um 2682–2191 v. chr.) zurückgehen.3 diese me1 h. grapow, grundriss der medizin der alten Ägypter, bd. iii, berlin 1956, s. 7/8. 2 W. till, arzneikunde der Kopten, berlin 1951, s. 128 stellt sich die Frage, ob diese stoffe über den Kranken oder auch ins badewasser gegossen werden sollen. 3 h. grapow, grundriss der medizin der alten Ägypter, bd. ii, berlin 1955, s. 100/101. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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dizinischen handschriftlichen Papyri ermöglichen uns einen einblick in die geschichte der heilkunde altägyptens.4 sie vermitteln uns überschaubare angaben über die altägyptische Ärzteschaft und deren Vorstellungen von gesundheit und Krankheit. diese medizinischen Papyri als primäre quellen der altägyptischen medizin sind uns von einem unschätzbaren Wert. die handschriftlichen texte dieser Papyri enthalten neben «Fachbüchern» auch einige, die «sammelhandschriften» genannt werden. diese beinhalten lehrtexte, rezepte, dazu traktate über anatomische Kenntnisse oder auch theoretische abhandlungen zur altägyptischen «Physiologie» sowie geburtsprognosen und hausmittel verschiedener art. nicht nur die schriftlich auf Papyrus niedergeschriebenen texte bieten auskunft über die medizinpraxis, es gibt auch nebenüberlieferungen: dies sind berichte griechischer und römischer dichter, geschichtsschreiber und naturwissenschaftler, wie homer (8. Jh. v. chr.), herodot (5. Jh. v. chr.), manetho (3. Jh. v. chr.), diodor (1. Jh. v. chr.), strabo (1. Jh. v. chr.) und Plinius der Ältere (1. Jh. n. chr.). gerade die aussagen dieser obengenannten sind uns sehr wichtige quellen, weil sie ein großes Wissen über lebensweise, sitten, bräuche, riten sowie über die Organisation der Ärzte altägyptens vermitteln. die griechen haben sich im 7. Jh. im nil-delta niedergelassen und mussten wohl mit der ägyptischen medizin in berührung gekommen sein. die medizinischen Papyri pbrooklyn, prubenson aus der Ptolemäer-Zeit und der pWien aus der römischen Zeit weisen darauf hin, dass die altägyptische medizin bis in der griechisch-römischen Zeit fortlebte. auch spricht vieles dafür, dass diese drei Papyri von der ägyptisch-ptolemäischen tradition beeinflusst waren. unsere Kenntnisse vom allgemeinbefinden der alten Ägypter, wie oben bereits erwähnte, beruhen u. a. auf berichten antiker autoren. so besingt homer (um 800 v. chr.) die Kräuter und die Ärzte Ägyptens in seiner Odyssee: «dort bringt die fruchtbare erde mancherlei säfte hervor, zu guter und 4 K. s. Kolta/d. schwarzmann-schafhauser, die heilkunde im alten Ägypten, stuttgart 2000, s. 17. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Zur hygiene und Körperpflege bei den altägyptern und den Kopten

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schädlicher mischung. dort ist jeder ein arzt und übertrifft an erfahrung alle menschen.»5 Oft wird auch herodot (5. Jh. v. chr.) zitiert, der in seinem «2. buch über Ägypten» folgendes schrieb: «die Ägypter sind nach den libyern die gesündesten aller menschen.»6 ebenso berichtete diodor (1. Jh. v. chr.) wie herodot vom ähnlichen Wohlbefinden.7 so wird nach aussagen der antiken autoren jener gesundheitszustand – vor allem auf maßnahmen im hygienischen bereich im alltäglichen leben zurückgeführt. Körperhygiene im zweiten buch herodots nimmt die schilderung über reinhaltung der Wohnungen, der trink- und Waschgeräte und über Körperpflege einen großen raum ein. auch die archäologischen quellen scheinen in grundrissen der häuser und Paläste in amarna oder medinet-habu (um 1351–1150 v. chr.) die hohe meinung der hygienischen sachlage in altägypten zu bestätigen. die vorherrschenden hygienischen Voraussetzungen in diesen gebäuden waren Wasserleitungen, Waschräume oder abgetrennten toiletten sowie ganz allgemein ein durchdachtes Kanalisationssystem.8 in diesem Zusammenhang schrieb herodot, wie sich die Ägypter in ihren häusern entleerten, auch dass die Frauen im stehen, die männern im sitzen sich des urins entledigten.9 als trink- und Waschutensilien verwandten die Ägypter spezielle becher und schüsseln. so «trinken die Ägypter aus ehernen bechern, die sie täglich, und zwar alle, spülen».10 auch einige Waschgefäße und Kannen wurden auf5 homer, Odyssee, hrsg. v. hans Färber und max Faltner, übersetzt von anton Weiher, Freising 21961, buch 4, Verse 229–232. 6 herodot, herodoti historiae, hrsg. v. carlus hude, Oxford 31957, buch ii, 77, 6–8. 7 diodor, diodorus siculus, loeb classical library, nr. 279, übersetzt von charles henry Oldfather, london 1968, buch i 82, 1–3. 8 P. ghalioungui, the house of life, amsterdam 1973, s. 157/158. 9 herod. ii 35. 10 herod. ii 37. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gefunden, z. b. ein Waschnapf aus der spätzeit (um 700 v. chr.) mit folgender Widmung: «du mögest dein gesicht waschen in Wohlsein und gesundheit, sei frohen herzens.»11 Ferner eine frühmorgendliche «Waschung des mundes und der Zähne» wurde überliefert.12 Für einen angenehmen mundgeruch gab es räuchermittel aus harz, terebinthenharz, Zyperngras, holz (Zimtbaum?) und schilfrohr.13 ebenso wusch der Ägypter seine hände im besonderen vor der mahlzeit 14 und auch vor der Opferhandlung.15 Körperwaschung Wir lesen bei herodot in seinem zweiten buch folgendes: «die Ägypter waschen sich zweimal am tag und zweimal des nachts mit kaltem Wasser. sie tragen frisch gewaschene leinene Kleider. mit diesen bräuchen nehmen sie es sehr genau».16 um nun den Körper gesund zu erhalten, lesen wir weiter bei herodot: «die Ägypter verhalten sich nach ihrer lebensweise, so nehmen sie in jedem monat drei tage nacheinander ein abführmittel ein und sorgen durch brechmittel und Klistiere für ihre gesundheit, weil sie glauben, dass alle Krankheiten vom essen kämen».17 den hintergrund für dieses Vorgehen bildete die ätiologische Vorstellung, dass speisereste «das Kommen der Krankheit einleiten» würden, so die Papyri ebers und berlin.18 dabei ergänzt diodor (um 50 v. chr.) die Äußerung herodots wie folgt: «um den Krankheiten vorzubeugen, behandeln die Ägypter den Körper mit Klistieren, Fasten und brechmitteln, manchmal tag für tag, zuweilen setzen sie aber auch drei oder vier tage aus. sie meinen, dass von aller im Körper verdauten nahrung der größerer teil überflüssig sein und dass aus dieser die Krankheiten hervorkommen. und da nun die angegebene behandlungsweise die ursachen der 11 12 13 14 15 16 17 18

grapow, grundriss der medizin iii, s. 8, anm. 1. ibid. s. 7/8. peb. nr. 853. grapow, grundriss der medizin iii, s. 7/8. ibid. herod. ii 37. herod. ii 77. peb 856 h und pbln 163 h. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Zur hygiene und Körperpflege bei den altägyptern und den Kopten

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Krankheit entferne, so werde auf diese Weise am besten für die gesundheit gesorgt.»19 eine weitere ärztliche maßnahme sah herodot in der beschneidung: «die geschlechtsteile beschneiden sie … [die Ägypter] der reinlichkeit wegen.»20 seit dem alten reich (um 2670–2195 v. chr.) findet man Knaben-darstellungen mit solchen operativen eingriffen.21 strabo berichtete auch von der «ausschneidung» der mädchen22. Jedoch in der sekundär-literatur sieht man darin nicht hygiene-maßnahme, sondern einen initiationsritus. aus diesem ritus, der sich beim einfachen Volk bis in die Ptolemäer-Zeit hielt, entwickelte sich im laufe der Zeit eine Kulthandlung der Priester, die bis in die Zeit hadrians (117–138 n. chr.) weiterbestand.23 nun eine kurze geschichtliche bemerkung zur beschneidung: nach jüdischer Überlieferung ist die beschneidung das Zeichen für den von gott mit abraham geschlossenen bund und wurde von abraham als symbol für den glauben eingeführt.24 und nach dem die beschneidung im altägypten bereits bezeugt ist – z. b. eine beschneidungsszene im anch-ma-hor grab in saqqarah (um 2345–2195 v. chr.) – ist es wahrscheinlich, dass abraham die beschneidung in Ägypten als gesundheitsfördernde und reinliche maßnahme kennengelernt hat und diese für sein jüdisches Volk in seiner neuen heimat nach dem exodus aus Ägypten einführte. Schutz vor Fliegen den textquellen nach befinden sich die Zaubersprüche gegen Fliegen auf der rückseite des psmith (um 1550 v. chr.).25 unter diesen Zaubersprüchen 19 diod. i 82. 20 herod. ii 37. 21 J. capart, une rue de tombeaux à saqqarah, brüssel 1907, s. 51, taf. 66; a.-P. leca, la medicine Égyptienne au temps des Pharaons, Paris 1971, s. 429/430. 22 strabo, geografica, loeb classical library, nr. 267, übersetzt von Jones horace leonard, london 1967, buch XVii, 2,5, s. 152; K. s. Kolta/r. enany/g. c. höß, die weibliche beschneidung. historische, soziologische und medizinische aspekte, in: Plastische chirurgie 31 (1999), s. 47–50. 23 h. bonnet, «beschneidung», in: reallexikon der ägyptischen religionsgeschichte, berlin 1953, s. 109/110. 24 genesis 17, 10–13. 25 W. Westendorf, der Papyrus edwin smith. ein medizinisches lehrbuch aus dem alten Ägypten, stuttgart 1966, s. 92–95. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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befinden sich zwei sprüche, die als hausmittel dienen. der erste Zauberspruch lautet: «spruch für das reinigen der Fliege» (rs. 19, 14–18). hier handelte es sich um eine metapher und zwar um die «himmelskuh»,26 in deren leib eine Fliege eingedrungen sein sollte, und diese sollte lebendig herauskommen. eine anspielung auf verunreinigte speisen, die durch verschluckte Fliegen entstanden sind.27 der zweite Zauberspruch trägt die Überschrift «spruch für das reinigen von dingen aller art» (rs. 19,18– 20,8).28 im pebers wird gegen den Fliegenbiss der Kopf mit dem Fett des Pirols (peb, nr. 844) und gegen den mückenstich der Körper mit frischem behen-Öl eingerieben (peb, nr. 846). um sich nun nach herodot in den delta-sümpfen vor mücken zu schützen,29 schlief man «im Oberland auf türmen, wo man von mücken nicht belästigt wurde; denn so hoch können die mücken des Windes wegen nicht fliegen. in den sümpfen hat man solche türme nicht, weiß sich aber folgendermaßen zu helfen: jeder hat ein netz, mit dem er am tage Fische fängt, und das er des nachts über sein bett spannt, und unter dem er schläft».30 auch ein anderes rezept des pebers bekämpft ungeziefer mit räuchermitteln, die man herstellt, um hausflöhe zu beseitigen: man soll das haus mit natron-Wasser besprengen, so dass diese sich entfernen (peb, nr. 840). ein weiteres rezept empfiehlt die Pflanze «Flohkraut», die mit holzkohle zerrieben und das haus gut damit bestrichen wird (peb, nr. 841). um den Körper reinzuhalten, heißt es an einer anderen stelle bei herodot: «die Priester scheren sich alle drei tage den ganzen leib, damit sie während der Kulthandlung nicht von läusen und anderem ungeziefer geplagt werden».31 in diesem Zusammenhang dürfte man unter «ungeziefer» auch u. a. einen «Floh» einreihen

26 in der altägyptischen religion sieht der Ägypter den himmel einmal als bild der himmelsgöttin nut und ein anderes mal als eine Kuh, eine «himmelskuh». 27 Westendorf, der Papyrus edwin smith, s. 99/100, anm. 4; peb, nr. 847 erbringt ein rezept als abwehr gegen Fliegen und mücken. 28 Westendorf, der Papyrus edwin smith, s. 100/101. 29 man erinnert sich an die 3. «Plage”, (moses ii 8, 12–15). 30 herod. ii 95. 31 herod. ii 37. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Zur hygiene und Körperpflege bei den altägyptern und den Kopten

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können. ein hieroglyphisches Wort bezeichnet den «Floh» als «springer» (Wb, bd. i, s. 502, 2):

eine laus heißt im altägyptischen

sein determinativ bildet ein ovales Zeichen (abb. 2), was auf «Wunden, Krankheiten übelriechende blasen, oder auch schwellungen» hinweisen

abb. 2

könnte. das determinativ des hieroglyphischen Wortes sbw (abb. 3) erinnert uns an die nisse der Körperlaus. dieses altägyptische Wort «sbw = sebu», wie oben genannt, ähnelt in der transliteration dem heutigen arabischen Worte «seban», was auch die flachen ovalen eier der Kopfläuse, die an einem haar kleben, bedeutet32. dies dürfte für die gute beobachtungsgabe des altägypters sprechen. auch gegen andere unliebsame hausbewohner wie mäuse, skorpione und schlangen wurde vorgegangen, wie wir dem pebers entnehmen.33 ein antipathisches mittel, damit mäuse nicht an sachen herankommen: das Fett des Katers vertreibt sie (peb, nr. 847). die Zaubersprüche konnten auch die Form eines gebetes annehmen. denn Krankheit und leiden wurden nicht nur als Werk von dämonen angesehen, sondern als Wille und strafe der götter.34 so galt die löwenköpfige göttin sachmet, die «herrin der seuchen» und die «herrin der Pest»,35 als

32 i owe dr. med. gamal saber gabra, haematologist (birmingham, u. K.) my best regards for his valuable input. 33 peb, nr. 840; 842; 845; 846 und nr. 847. 34 O. Firchow, die boten der götter, in: O. Firchow (hsrg.), Festschrift für hermann grapow (Ägyptologische studien 29), berlin 1955, s. 86. 35 ibid. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eine rächende gottheit, als botin des todes, die auch unheil und seuchen in die Welt brachte.36 Die schöne und gut aussehende Jugend in den medizinischen Papyri altägyptens finden sich verschiedenartige hinweise auf den ausgesprochenen Wunsch des menschen jugendlich zu bleiben. so deutet in den medizinischen Papyri aus dem neuen reich (um 1550– 1080 v. chr.) manches auf die Faszination hin, die schönes aussehen und jugendliche lebenskraft auf die menschen damals ausgeübt hat. Von da war es eindeutig nur ein kurzer schritt bis zur entdeckung von Verfahren, die einen jugendlich erscheinen ließen oder die einem im alter verlorene Fähigkeiten zurück brachten. gerade wohlbewusst in dieser hinsicht klingt die Überschrift eines textes in dem psmith (um 1550 v. chr.), die da lautet: «das machen eines alten zu einem Jungen» (psm 21,9–22,10). es gibt eine ganze reihe von bemühungen, den in die Jahre gekommenen menschen in seinem äußeren erscheinungsbild zu verbessern. diese Verfahren zielten auf die eine schöne haut und auf das haar: Die schöne Haut so finden sich in dem um 1550 vor christus zu datierenden psmith schilderungen, wie man sich eine junge faltenlose haut erhalten kann: «nachdem die hülsenfrüchte zerkleinert und mit Wasser zu einem brei verrührt und zu einem weichen teig verarbeitet worden waren, gab man diese masse auf das Feuer, wo sie nach dem Kochen hart wurde. nach nochmaligem Waschen und trocknen in der sonne, folgte das Zerreiben durch einen mühlstein; der Vorgang wurde mehrfach wiederholt. salbt man mit dem weichen teig den Körper ein und wäscht die masse später ab, so werden alterserscheinungen beseitigt, die haut glättet sich wieder» (psm 21,9–22,10). andere rezepte aus derselben Zeit um die mitte des 2. Jahrtausends v. chr. empfehlen folgende Zutaten zum – wie es ausdrücklich heißt – 36 s. hoenes, untersuchungen zu Wesen und Kult der göttin sachmet, phil. diss. münster 1976, s. 42, anm. 41–43. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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«schönmachen der haut. man nehme mehl von alabaster 1, mehl von natron 1, unterägyptisches salz 1, honig 1, und mische das ganze zu einem brei und reibe damit die haut ein» (ph 154 = peb 715 (87,4–6)). der ebenfalls aus dieser epoche stammende pebers berichtet von einem heilmittel, das dem gesicht spannkraft verleihen sollte: mehl von gummi und Weihrauch werden zerrieben, vermischt mit Pflanzenschleim. nachdem man das gesicht damit jeden tag gesalbt hat, wird man den erfolg sehen (peb 716). a) die Hautpflege um ihr alter zu kaschieren, vertrauen Frauen bis heute nicht zuletzt und immer wieder gerne auf die Pflege ihrer haut. auch hier setzte Ägypten frühe maßstäbe. die anforderungen des überaus trockenen und heißen Klimas erforderten eine sorgsame Pflege der haut. salben, schminken und Ölen des Körpers sollte austrocknung und Faltenbildung entgegen wirken. auch um die Folgen von insektenstichen auf der haut zu vermeiden, trug man hautpflegemitteln auf. Primär aber sollten diese Pflege mitteln die haut schonen und die schönheit steigern.37 dass zur perfekten hautpflege natürlich auch das richtige make-up gehörte, zeigt sich in altägypten vor allem mit blick auf die farbig betonten augen. mit allerlei Farben umrandete und akzentuierte man die augen und brachte sie damit effektvoll zum strahlen. und auch wenn wir es nicht ausdrücklich beschrieben finden, können wir doch wohl davon ausgehen, dass sich mit den aufgetragenen Pigmenten auch die lästigen Fältchen ums auge wegmogeln ließen. und so wird dem schminken des gesichts seit der pharaonischen Zeit bis in unsere heutige gesellschaft größte aufmerksamkeit geschenkt. besonders gilt dies für die menschen im ptolemäisch-römischen Ägypten (2. Jh.

37 a. lucas/J. harris, ancient egyptian materials and industries, london 41962, Kap. Vi: cosmetics, Perfumes and incense, s. 80–98; s. schoske/a. grimm/b. Kreißel, schönheit – abglanz der göttlichkeit. Kosmetik im alten Ägypten (schriften aus der ägyptischen sammlung 5), münchen 1990, s. 28; a. schwarz, Kosmetik in der antike, salbe, düfte und Öle im dienst der Körperkultur, salzburg 2000. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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v. chr.–4. Jh. n. chr.), was uns zahlreich erhaltenen mumienporträts veranschaulichen.38 um jünger und attraktiver zu erscheinen als man ist, förderte man aber auch das Wachstum des Kopfhaars: b) das WacHstum des kopfHaares im pebers (um 1550 v. chr.) finden wir ein exotisch anmutendes «heilmittel, um das haar wachsen zu lassen, das der schesch, der mutter des Königs von Ober- und unterägypten teti gemischt wurde: bein einer Windhündin, dattelkerne, huf eines esels, alles in einem topf mit Öl/Fett kochen und damit salben» (peb 468). auch der rizinuspflanze schrieb man eine wachstumsfördernde Wirkung speziell auf das Frauenhaar zu: «man zerreibe die Frucht der Pflanze zu einer masse, vermengte sie mit Öl/Fett, und mit diesem salbmittel reibe man den Kopf der Frau ein» (peb 251). rizinusöl findet bis heute bei uns übrigens als haartonikum Verwendung. auch mit Föhrenöl versuchte man, das haar wachsen zu lassen (peb 473). der phearst riet um 1550 v. chr. zu folgender rezeptur für den haarwuchs: «Wassermolch, gegeben in eine Kugel aus ton, gelegt in Feuer; nachdem er zerkocht ist, soll man ihn in Öl/Fett geben und damit den Kopf öfters salben» (ph 144). ging es bisher nur um die Förderung eines allzu spärlichen haarwuchses, so machte man auch dem vollkommen Kahlköpfigen hoffnung auf neuen haarwuchs. Folgendes rezept versprach eben dies, wozu man Fettsubstanzen anwenden sollte: Fett vom löwen, vom nilpferd (peb 465), vom Krokodil, vom Kater, vom steinbock oder von einer schlange. das ganze wird zu einer masse verarbeitet, mit der der Kahlköpfige gesalbt wird. an einer anderen stelle des pebers ist eine rezept überliefert, demzufolge man den Kopf mit den in Öl zerkochten borsten eines stachelschweines einreiben sollte (peb 466). hier spielen wahrscheinlich assoziative Vorstellungen von 38 K. Parlasca/h. seemann, augenblicke. mumienporträts und ägyptische grabkunst aus römischer Zeit, münchen 1999; W. seipel (hrsg.), bilder aus dem Wüstensand. mumienporträts aus dem Ägyptischen museum Kairo, Wien 1999. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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den stacheln eine stachelschweins oder der häutung einer schlang mit, die als sinnbild der Verjüngung gelten: denn indem man sich mit den grundsubstanzen der stachelschweine bzw. der haut der sich häutenden schlange einreibt, entstehen beim menschen analoge Körpereigenschaften; die haare bekommen die Konsistenz von stacheln, die haut erhält die eigenschaft, sich zu erneuern. Warum nun der mensch unter allen lebewesen graue haare bekommt, diese Frage stellte bereits aristoteles in seinen «Problemata Physica». dies, so aristoteles, sei der Preis für die langlebigkeit des menschen im Vergleich zu vielen tieren, die kurzlebig seien und bei denen das haar jedes Jahr ausgeht und wo das haar, da es sozusagen nicht altert, auch nicht ergraut. in diesem Zusammenhang spricht ein lateinisches sprichwort: Lupus pilum mutat, non mentem = der Wolf ändert das haar – im alter –, nicht den sinn. auch hildegard Knef sang einmal: «der alte Wolf wird langsam grau…». der mensch aber ist langlebig, so dass er unter dem einfluss der Zeit ergraut.39 auch bei den altägyptern war das ergrauen des haares ein untrügliches Zeichen des alterns, und mehrere rezepte wurden kreiert, um diesem Vorgang einhalt zu gebieten: so sammelte man das blut eines getöteten schwarzen Kalbes, kochte es in Öl und salbte damit das haar (peb 451). einige rezepte des pebers erwähnen folgende Zutaten für die beseitigung des ergrauens, nämlich entweder das blut eines schwarzen rindes oder die schale einer schildkröte mit dem rückenwirbel eines Vogels (gans!), die in Öl/Fett aufgekocht und äußerlich appliziert wurde (peb 452 und 459). in der gleichen absicht wurden unter einem Kopfverband auch das gemisch aus einem zerkochten huf eines esels, der Vulva einer Windhündin sowie gummi aufgetragen (peb 460). Weitere mittel zur Vorbeugung waren: Plazenta der Katze, ei eines Vogels (gans?), Öl/Fett, laudanum, werde zerkocht und auf den Kopf des mannes appliziert (peb 453).

39 h. Flashar, aristoteles «Problemata Physica», darmstadt 1962, s. 104/105. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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andere mischungen bestanden aus folgenden Zutaten: man nehme das blut des horns eines schwarzen rinds, es werde zerkocht in Öl/Fett und salbe damit ein, oder «das gehirn vieler synodontis-schall-Fische, man gebe es in einen tontopf, und bringe man es auf den Kopf des mannes, der noch nicht ergraut ist». auch nehme man Kaulquappen aus einem Kanal, zerkoche und zerreibe sie, mische mit ladanum und salbe damit ein (peb 454 – 456). besondere rezepte gab es auch, um speziell ein ergrauen der augenbrauen zu verhüten. der pebers weiß folgenden rat: «honig mit Wasser, saft der Johannisbrotfrucht; nach dem Waschen für einen Zeitraum bis zu drei monaten, nachdem es stehengelassen wurde, indem es nachts dem tau ausgesetzt ist, mögest du es daran jeden tag geben» (peb 462). c) das dunkelfärben der Haare dass das haar nie älter aussehen sollte als man selbst ist, und das gegenteil noch besser wäre, wussten höchstwahrscheinlich auch schon die altägypter. als ein mittel zum Zweck ersannen sie das dunkelfärben des haarkopfes. schwarzes haar galt als besonders schön und lebensvoll. Wie eng schönheit mit schwarzem haar assoziiert wurde, zeigen uns beispielsweise die «altägyptischen liebeslieder». darin heißt es im 8. Jh. v. chr.: «die Königstochter … ist die schönste der Frauen … schwärzer ist ihr haar als die schwärze der nacht, als Weintrauben und Feigen».40 um diesem ideal möglichst nahe zu kommen, färbte man die haare mit einer salbe oder Paste aus Wacholderbeeren schwarz.41 so liest man im phearst folgende rezeptur: «Früchte des Wacholders, unbekannte Pflanze und teil unbekannten laubbaumes werden fein zerrieben, werde mit Öl/Fett befeuchtet, werde zu einem teig gemacht, werde mit einem tuch bedeckt, werde auf Feuer gegeben in einem gefäß bis zum Zerkochen, werde mit Öl/Fett gemischt und dann damit gesalbt» (ph 147). Jedoch besorgnis machte man sich in altägypten ganz offensichtlich auch um einen schönen busen. besonders im anschluss an eine schwanger40 s. schott, altägyptische liebeslieder, Zürich 1952, s. 100, nr. 39. 41 schoske/grimm/Kreißel, schönheit – abglanz der göttlichkeit, s. 23. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schaft und nach der niederkunft machten sich mütter im alten Ägypten sorgen um ihre Figur bzw. ihren busen. so berichtet der pebers von einem rezept für Frauen nach beendigung der stillzeit als heilmittel zur straffung ihrer brüste: «leber einer schwalbe, getrocknet, werde geschlagen auf gegorenem Pflanzenschleim; es werden die beiden brüste der Frau, ihr bauch und ihre beiden Oberschenkel damit bestrichen» (peb 809). auch in der späteren christlich-koptischen Zeit waren Frauen auf ägyptischen boden um ihr aussehen bemüht. so besitzen wir den anfang einer rezeptur aus einem koptisch-medizinischen Papyrus (um etwa 9. Jh. n. chr.) für «ein heilmittel für die brüste, damit sie nicht groß werden …».42 entgegen der oft vertretenen meinung war die altägyptische heilkunde alles andere als spurlos untergegangen. im gegenteil lebte sie in der koptischen Ära im Ägyptenland weiter, und wenn man nun einige spuren zur hygiene und Körperpflege bei den Kopten suchen möchte, stößt man unweigerlich auf eine besondere Vertreterin dafür, nämlich auf die heilige Verena, deren attribute der Krug und das doppelkamm sind (abb. 1, taf. 5). Die Heilige Verena die heilige Verena (um 3.–4. Jh. n. chr.) ist mit der thebäischen legion verbunden. ihr ganzes leben der nächstenliebe und ihr fester glaube sowie ihre Wunderheilungen ermöglichten die Verbreitung des christentums unter den alemannen in dem heutigen Kanton aargau in der schweiz. Die Quellen märtyrerquellen vor dem Jahre 1000 n. chr. berichten über die hl. Verena. die wichtigen auskünfte über sie sind die «Vita Prior» und die «Vita Posterior» sowie die «miracula sanctae Verenae».43 die erstere Vita ist etwa um das Jahr 888 n. chr. in latein von dem abt hatto iii. (888–913) vom Kloster reichenau in 13 Kapiteln über ihr leben geschrieben worden. der abt hatto 42 u. bouriant, Fragment d’un livre de medecin en copte thebian, in: comptes rendus 15/4 (1877–1888), s. 319–320; vgl. auch dazu till, arzneikunde, s. 112 (ba 11). 43 a. reinle, die heilige Verena von Zurzach, basel 1948, s. 581–596. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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iii. wurde später zum erzbischof von mainz und zum Kanzler des Königs arnulf (896–899). die «Vita Posterior» wurde etwa ein Jahrhundert nach der «Vita Prior» verfasst. sie ergänzte zum teil die «Vita Prior» und enthält zusätzliche informationen über das leben der hl. Verena in solothurn sowie ihr lebensende in (bad) Zurzach. Herkunft der Heiligen Verena nach den vorhandenen berichten kam Verena in dem Ort theben (heute: luxor – Oberägypten) als einzige tochter einer gut situierten Familie zur Welt. sie wurde von dem bischof chaeremon getauft.44 nach samir F. girgis erlitt chaeremon den märtyrertod in der regierungszeit des Kaisers decius (249–251 n. chr.).45 einiger Zeit später verließ Verena theben mit einigen loyalen bekannten und fuhr nach unterägypten. dort waren auch viele christen versammelt, um in den allgemeinen Wehrdienst der Kaiser diokletian und maximian (284–305) einzutreten. Jene Kaiser haben eine rekruten-einheit, die aus der gegend «theben» kam, zusammengestellt, daher die bekannte bezeichnung jener «einheit», nämlich die «thebäische legion». diese legion stand unter der Führung des thebaner mauritius – er solle Verenas Vetter gewesen sein. dabei war auch Viktor, der nach manchen berichten Verenas Verlobter sein solle. und nach altem brauch begleiteten die Frauen die rekruten im tross, damit sie ihre männer und angehörigen unterstützen und im glauben bestärken können. an dieser stelle wäre es angebracht, Verenas geburtsjahr und ihr lebensalter zu eruieren: sowohl ihr geburtsjahr als auch lebensalter ist unsicher. es wurde berichtet, dass sie lange gelebt hätte, etwa 94 Jahre, und starb um das Jahr

44 nach den koptisch-orthodoxen riten soll die taufe bei den Knaben 40, bei den mädchen 80 tage nach der geburt vollzogen werden. 45 a. s. atiya (hrsg.), the coptic encyclopedia, new York 1991, Vol. 7, s. v. «st. Verena», s. 2300. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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344.46 somit wäre Verena um das Jahr 250 n. chr. geboren worden! und vermutlich wäre sie im alter von etwa 35 Jahren in unterägypten gewesen. hier könnten diese daten ja gut stimmen, sowohl mit ihrer taufe als auch mit dem martyrium des bischofs chaeremon. ein anderer bericht angab, dass die hl. Verena im alter von 43 Jahren nach (bad)-Zurzach im Jahre 323 n. chr. kam und im 64. Jahresalter starb, d. h. im Jahre 344. das bedeutet, sie wäre etwa um das Jahr 280 n. chr. geboren worden. und dies deckt sich nicht mit den angegebenen daten bezüglich ihrer taufe. bekanntlich starb der bischof chaeremon in der Zeit des Kaisers decius. Verenas Wander-Leben Verena schloss sich der «thebäische legion» an und kam etwa um 300 n. chr. nach Oberitalien bis mailand. dort fand sie eine bleibe für einige Jahre bei einem frommen christen namens maximus. Zu jener Zeit lag es ihr am herzen, die christlichen gefangenen und auch die zum tode Verurteilten zu besuchen, um sie im glauben zu ermutigen. doch eines tages wurde maximus verhaftet, wegen seines christlichen glaubens. auch Verena wurde aus der stadt vertrieben. um sich einen stillen Zufluchtsort zu suchen, überquerte sie die alpen und kam in das rhone-tal. sie ging weiter richtung agaunum (heute: st. maurice im Wallis). danach erreichte sie einen Ort hinter den Fluss aare und nicht weit von dem römischen Kastell «castrum salodurum – (heute: solothurn)». dort hörte sie, dass ein teil der «thebäischen legion», mit ihr auch ihr Verlobter Viktor, wegen ihres christlichen glaubens von den heidnischen soldaten des römischen Kaisers diokletian (284–305 n. chr.) ermordet worden sei. mit tiefer trauer soll Verena die märtyrer der «thebäischen legion» bestattet haben. bei solothurn zog sie sich in einer Felsenhöhle zurück, die später nach ihr benannt wurde, nämlich die «Verena-schlucht». dort verbrachte sie die 46 Von https://de.wikipedia.org/wiki/Verena_(heilige), 2.2.14 (letzter Zugriff: 21.05.2013), s. 2. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Zeit zwischen beten und Fasten, indem sie für ihr ewiges seelenheil auch mit dem leben rang. so lebte Verena sehr asketisch, wie eine nonne, ihren Körper zu kasteien, um ihre seele zu erlösen. Während dessen verdiente sie ihren lebensunterhalt mit handarbeit, eine art stickerei, die sie an eine christliche fromme Frau in ihre nähe gab, um sie an die alemannen zu verkaufen. dafür brachte jene Frau der Verena von Zeit zu Zeit speise und trank. der ruf der Verena in ihrem Versteck blieb nicht lange verborgen. christliche Frauen und junge mädchen suchten bei ihr rat und trost; Kranke und gebrechliche baten sie um heilung, denn gott hatte sie mit der Wundergabe begnadigt. all dies beunruhigte den Ortsvorstehers hirtakus, der sie unter spott und erniedrigung für eine Zeit einsperrte. er bedrohte sie sogar mit der hinrichtung, wenn sie nicht ihrem christentum abschwöre. da trotzte sie ihm, lieber als märtyrerin in christus zu sterben. und aus der Überlieferung erschien ihr der hl. mauritius im traum, um sie in ihrem glauben zu stärken.47 doch fügte gott es aber anders, denn hirtakus erkrankte schwer, so dass die Ärzte ihn nicht retten konnten. so ließ er Verena zu sich führen und bat sie, für seine heilung zu beten. die gütige Verena hatte doch erbarmen mit ihm und betete um seine genesung. er wurde geheilt und sie wurde aus der haft entlassen. nach kurzer Zeit wurde Verena jedoch aus dem Ort ausgewiesen. da sich der ruf der Verena immer weiter verbreitete und viele sie wegen ihrer Wunderheilungen aufsuchten, verließ sie die Ortschaft bei solothurn und wanderte weiter, bis sie eine kleine insel bei Koblenz am Zustrom von der aare und dem rhein fand. dort wollte sie in abgeschiedenheit leben. doch die insel wimmelte von schlangen. da betete und segnete sie die insel, worauf die schlangen in den Fluten ertranken. sie widmete sich ihrer Wundergabe weiter fort, um die vielen Kranken, blinden und lepraKranken gesundheitlich wiederherzustellen.

47 reinle, die heilige Verena von Zurzach, basel 1948, s. 583, anm. 44, «Vita Prior sanctae Verenae», Kap. 9. Vgl. auch dazu atiya, «st. Verena», s. 2300. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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doch wegen der vielen menschen wanderte Verena weiter – wie einst der hl. antonius, der Ägypter48 – und kam dann in die nähe des römischen Kastells tenedo (heute: bad-Zurzach), wo sie ihr ganzes leben zu bleiben beschloss. bei dem dortigen Pfarrer wohnte sie, indem sie die stelle einer haushälterin annahm. der Pfarrer des Ortes vertraute ihr auch den schlüssel seiner speisekammer und alles, was er hatte, an. außerdem pflegte sie ihre Kranken weiter. so ging sie täglich mit Krug und Kamm vor die stadtmauer, um die lepra-Kranke damit zu waschen und zu pflegen. Jedoch wurde sie von einigen menschen beneidet und kam endlich in Verruf: da kam der Knecht des Pfarrers und denunzierte Verena, die haushälterin, dass sie aus seiner Vorratskammer brot und Wein ohne sein Wissen zu dem aussätzigen und armen hinaustrug. der Pfarrer sprach zu ihr: ich will schauen, ob es Wein oder Wasser sei, was du trägst, da verwandelte sich der Wein in Wasser. und als der Pfarrer nach hause kam, fand er alle gefäße in seiner speisekammer voll von Wein. ein zweites mal stahl der hinterlistige Knecht des Pfarrers den kostbaren ring, den der Pfarrer ihr zum aufbewahren gab, und warf ihn in den rhein, so dass er nicht damit belastet werden konnte. dabei behauptete er die unschuldige haushälterin als diebin. darauf verlange der Pfarrer jedoch von ihr den ring. Verena weinte bitterlich und flehte tag und nacht zum lieben gott, er wolle ihre unschuld und den ring an den tag kommen lassen. am nächsten tag wurde ein großer Fisch bei dem Ortspfarrer abgegeben. und als die gesegnete Verena den Fisch aufgeschnitten hatte, fand sie in seinen eingeweiden den vermissten ring. der böse Knecht bekannte schließlich sein Vergehen. danach bat Verena dann den Pfarrer um eine einsame Zelle, wo sie dort bleiben kann, und zwar für ihr restliches leben in einsamkeit. und so zog sich Verena in eine gebaute einsiedelei zurück, wo sie elf Jahre bis zu ihrem lebensende blieb. dort heilte sie viele menschen mit ihrer göttlichen gabe sowie auch viele Kranke mit dem heilenden Wasser einer quelle. in dem Wallfahrtsort der hl. Verena – «Verena-schlucht», nahe solothurn – gibt es 48 K. s. Kolta, christentum im land der Pharaonen, münchen 1985, s. 25. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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zwei Felskapellen und eine einsiedelei. neben einer Kapelle ist eine alte Felsenwand mit einer Öffnung. diese Öffnung rettete Verena – der legende nach – vor dem ertrinken und soll heilkräfte haben. Die rolle der hl. Verena und die Hygiene christliche Frauen und Jungfrauen suchten bei ihr hilfe, rat und trost. und sie bemühte sich insbesondere um die Jungfrauen und ihre bedürfnisse. denn «die Jungfräulichkeit sei die blüte des kirchlichen samens, seine Zierde und sein schmuck, ein froher ausdruck geistlichen gnadenstandes, ein unantastbares und unverderbliches Werk des lobes und der ehre, das ebenbild gottes».49 so belehrte sie die jungen mädchen in sauberkeit und in hygienischen maßnahmen des Körpers seit ihres erwachsenseins und reifens. die hl. Verena wird in der sakralen bildhauerkunst und bildern mit einem Wasserkrug und dem doppelkamm, manchmal auch mit einem Fisch, dargestellt. denn alle quellen sind sich darüber einig, dass die hl. Verena ihr leben außer der Krankenpflege – man erinnere sich, dass sie vor die stadtmauer von Zurzach, wo es viele aussätzige, blinde und arme leute gab, tagtäglich zu ihnen ging, ihnen zu essen und zu trinken gab, auch ihre Köpfe wusch und sie salbte –, der lehre der Jungfrauen und mädchen von der tugendhaftigkeit und der reinheit der seele sowie der notwendigkeit der Pflege der körperlichen sauberkeit (sich waschen und kämen) gewidmet hat. dafür sprechen ihre attribute: der Wasserkrug und der doppelkamm. so kann man ihr Werdegang so beschreiben, dass Verena ihr ganzes leben im sinne SL?L AUW HWB «Ora et labOra» lebte. abschließend soll ihr am tag ihres todes die heilige maria erschienen sein.50 Verenas leichnam wurde in einem schrein gelegt und in der Krypta bestattet, die für sie in bad-Zurzach gebaut war, wo sie starb. und um das 8. Jh. n. chr. wurde ein benediktinerkloster an die Verena-Kirche angegliedert. heute steht dort das gotische Verena-münster mit ihrem grab und die arm-reliquie, einer goldschmiede-arbeit aus dem 14. Jh. n. chr. 49 reinle, a. (hrsg.), «Vita Prior», basel 1948, Kap. 8, s. 583. 50 ibid., nach der «Vita Prior», Kap. 12, s. 584. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die hl. Verena wird nicht nur in bad-Zurzach, sondern sie wird in der schweiz sehr verehrt und ist eine hochgeschätzte Patronin der römisch-katholischen Kirche: der Krankenpflegerinnen, der haushälterinnen, der müller, der Fischer und auch Fürsprecherin für Kindersegen und gegen augenleiden. gerade diese Verehrung der hl. Verena in der schweiz verbindet auch die katholische und koptische Kirche, d. h. europa mit Ägypten, wo sie geboren wurde. im Jahre 1986 brachte eine delegation aus Zurzach einige reliquien nach Ägypten. und in Ägypten weihte der selige koptische Patriarch schenude iii. am 22. Februar 1994 die erste Kirche der hl. Verena und die Kirche der heiligen mauritius und Verena in Kairo. eine moderne ikone der hl. Verena der koptischen gemeinde in Port-said 2007 wurde an die Pfarrei st. Verena, in bad Zurzach geschenkt.

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beutegut thomas kübler · dresden

dresdner archivalien in russischen sonderarchiven

der rückblick auf meine erste begegnung mit alfred grimm umfasst nur fünf Jahre und enthält viele private begegnungen, die fast immer mit bereichernden erörterungen begleitet wurden. erst recht mit seinem «Provenienzwechsel» kamen wir uns mit berufsbefassten themen noch viel näher. und so diskutierten wir intensiv über ein mich schon seit 25 Jahren bewegendes thema «das schicksal von dresdner archivgut in russland seit 1945». seit meiner berufung in das dresdner amt des stadtarchivars recherchieren wir unnachgiebig in diesem «Krimi». Fast vollständig ist die liste der im russischen sonderarchiv in moskau lagernden und nur eklektisch zugänglichen bestände dresdner städtischer Provenienz, und schon mehrmals haben wir vor Ort in verschiedene aktenbestände einblick genommen, partiell Kopien anfertigen lassen. das angebot seitens deutscher archive hinsichtlich eines mikroverfilmungs- bzw. digitalisierungsprojektes blieb ungehört, so leider ungenutzt. unser letzter «lichtblick» diesbezüglich ist nun schon wieder über zehn Jahre her. da jährte sich 2006 zum 800. male das ersterwähnungsdatum unser stadt, und im Zuge der fast ausschweifenden Feierlichkeiten hatten wir dresdner stadtarchivare dem diplomatischen Protokoll von stadt, land und bund das schicksal unserer tausenden urkunden und anderen archivalien in moskau so ins herz geredet, dass die teilnahme Putins am Petersburger dialog im Oktober des Jahres zumindest hoffnung auf «ansprache» in uns aufkommen ließ. der damalige Präsidentenberater sergej Prichodko versprach es... erfolglos, wie zum damaligen Zeitpunkt schon ein «dekadenlangzeitversuch» unserseits; als auch zehn Jahre danach. bis heute. erfolglos. schon unsere hochverehrte Vorgängerin, die dresdner stadtarchivdirektorin elisabeth boer, hatte sich anfang der 50er Jahre des vergangenen © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Jahrhunderts vehement für die rückführung der dresdner archivalien lautstark und offen eingesetzt. sie wurde daraufhin ihres amtes enthoben; sie betrat nie wieder das stadtarchiv. leider konnten wir erst fünfzig Jahre später – anlässlich der einweihung unseres neuen stadtarchives 2000 u. a. dafür danken und die archivstraße zum stadtarchiv nach ihr benennen. bis 1995 blieb das thema unangetastet, stand dramatisch blass im schatten der dresdner Kunstsammlungen und der damit verbundenen «aktion beutekunst», der rückführungen dresden gemälde 1955/56 aus moskau und Kiew auf beschluss des ZK der KPdsu vom 30. märz 1955. die folgenden rückgaben 1958 aus moskau und leningrad, die auch u. a. bestände des grünen gewölbes umfassten, waren sternstunden für die museologen und Kunstwissenschaftler, weniger oder keine für die archivare dresdens1. erst in den 90ern wurde in den archivfachlichen medien das thema der «beuteakten» wieder diskutiert, nachdem mit der restitution der bestände aus berliner museen (u. a. Pergamonaltar) und großer teile der gothaer schlossbibliothek (300.000 bände) sowie sogenannter kleinerer «stiller rückführungen» nach dresden, leipzig und berlin bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts das thema als abgeschlossen galt2. die «akte archivgutrückgabe» war seit 1961 schon geschlossen, nachdem bis dahin circa 3 millionen archiveinheiten, also fast 80 Prozent der in die udssr verbrachten archivalien zwischen 1952 und dann 1961 an die ddr zurück gegebenen worden waren.3 durch Zufall entdeckten die Kunsthistoriker akinsa und Kozlow 1991 neue indizien für die existenz weiterer, in geheim1 siehe u. a. rückkehr der Kunst. dresdner 1956/1958. dresdner hefte 1987, 2006; gregory Kozlov, die dresdner sammlungen und die aktion beutekunst. dresdner hefte 1974, 2003. 2 2002 kam es zur rückgabe von 111 mosaikfenstern aus der marienkirche in Frankfurt (Oder). ein Jahr zuvor fanden Zeichnungen der alten meister aus der privaten beute eines russischen Offiziers den Weg zurück nach bremen. die rückführung russischer Kulturgüter aus deutschen Kultureinrichtungen bleibt dagegen ergebnis zufälliger auffindungen. 3 aly götz/ susanne haim, das Zentrale staatsarchiv in moskau, düsseldorf 1993; Konstantin akinscha/ gregory Kozlow, beutekunst, münchen 1995; nicola hille, lange Zeit ein geheimer Ort – das russische staatliche militärarchiv in moskau, in: archivar 1 (2012), s. 281-285. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

dresdner archivalien in russischen sonderarchiven

depots bedeutender russischer museen lagernder teile aus deutschland entführter Kulturgüter, die sie veröffentlichten und so die «beutekunst» zum ersten mal zu einem gegenstand der deutsch-sowjetischen bzw. deutsch-russischen Verhandlungen machten. die deutsche Verhandlungsseite geht seitdem von circa 200.000 Kunstgegenständen, 2 millionen büchern und 3 km archivmaterial aus, zu denen eben archivgut dresdner Provenienzen gehören. das sind im Konkreten also akten städtischer und kommunaler Provenienzstellen: reichsministerium des innern, reichssicherheitshauptamt, Waffen-ss, Polizei, akten verschiedener juristischer und kommunaler behörden sowie von den nazis beschlagnahmte Papiere von Juden, Freimaurern, Kirchen, immigranten; akten profaschistischer Organisationen, der nsdaP, der gestapo und anderer sowie Firmenunterlagen der dresdner bank, der gebrüder arnhold, der dresdner Zeissikon-Werke, der dresdner gardinenmanufaktur und des sachsenwerks dresden. auch das archivgut des dresdner rotary-Klubs, mehrere Kollektionen von soldatenbriefen aus den Weltkriegen, akten des Kriegsarchives dresden, adoptionsurkunden unehelicher Kinder sowie die sensiblen Verluste der urkunden aus dem dresdner ratsarchiv, die dresdner innungsurkunden auf Pergament und Papier aus den 14. bis 19. Jahrhundert gehören dazu. glücklicherweise war das dresdner stadtarchiv auf verschiedene standorte außerhalb der stadt längst vor 1945 ausgelagert worden. teile jedoch verblieben im rathaus und waren dort in den tiefkellern in blauen Pappbehältern und urkundenschränken eingelagert, wo sie die angriffe 1944 und 1945 nahezu schadlos überstanden hatten. mit dem einmarsch der russischen truppen im mai 1945 wurde auch das rathaus für jeglichen Zugang gesperrt. im Vordergrund standen für die russischen truppen und ihre trophäenbrigade unter rototajew und natalia sokolowa der abtransport der gesuchten und aufgefundenen Kunstschätze der dresdner museen, die im schloss Pillnitz zusammengeführt und registriert worden waren. erst mitte Februar 1946 wurde den archivaren gestattet, das rathaus zu betreten © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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«[...], wo festgestellt wurde, dass alle urkunden mit samt den blauen Pappbehältern aus den 4 urkundenschränken entnommen sind, die ende Januar noch vorhanden waren. Wie ein Vorarbeiter im rathaus mitteilte, sollen die urkunden erst in der ersten Februar hälfte von einem sogenannten russischen Professor Wuttig abgeholt worden sein.»4 Über 3000 urkunden fehlen seitdem. im Juli 1958 wurden dem stadtarchiv 211 urkunden zurückgegeben, 1979 und 1983 gab es kleinere rückgaben, nicht selten kriminalliterarischer couleur. das beispiel von herrn Professor coblenz, dem anlässlich eines wissenschaftlichen besuches in marburg 1983 zwei urkunden vor die tür gelegt wurden, untermalt diesen ausdruck. seitdem gab es keinerlei bewegung bis eben hin zu dem erwähnten herbst 1995. seitdem haben wir eine vorläufige liste des im sonderarchivs befindlichen archivgutes dresdner städtischer Provenienz in der hand, die jedoch mit inkrafttreten des «beutekunstgesetzes» der russischen staatsduma am 15.04.1998, die eben unser archivgut als russisches staatseigentum deklariert, nun fast wertlos ist. Forschungsreisen nach moskau werden immer wieder notwendig, um wenigstens für kurze einblicke Originalquellen zur hand zu haben. intensivere erschließungsarbeiten, moderne Findmittel bilden die ausnahme im moskauer sonderarchiv. die konservatorischen erhaltungszustände sind teilweise schlecht, schwer eruierbar, die bestände nur kompliziert zugänglich oder gänzlich gesperrt. aber wir bleiben dran. und solange diskutieren wir halt mit alfred grimm unter anderem über das thema.

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sonderakten stadtarchiv dresden. stad 9.2.2. nr. 206. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ansicht des grabbaus der isidora von Westen (Photo: K. lembke)

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ein weiblicher antinoos? katja lembke · Hannover

Heroisierung in tuna el-gebel

bereits der erste lehmziegelbau, den sami gabra in der nekropole von tuna el-gebel ausgrub, sorgte für eine sensation: in der Kampagne zwischen Februar und april 1931 freigelegt und restauriert (abb. 1, taf. 6), wurde er bereits im folgenden Jahr vom ausgräber publiziert1. darin beschrieb er das Obergeschoß mit vorgelagertem Podest. in der achse des eingangs, der nach Westen ausgerichtet ist, fand man einen altar aus ungebrannten lehmziegeln, der wie das gebäude selbst stuckiert ist. die annahme von m. J. Venit, daß sich hier ursprünglich eine Vorhalle befunden habe2, ist vermutlich falsch, weil der altar direkt vor dem eingang liegt, während er in anderen Fällen vor der säulenstellung steht3. das innere des gebäudes gliedert sich in zwei räume mit einem hellroten estrichboden (abb. 2). im ersten raum, dessen Orthostatenzone mit gesteinsimitationen bemalt ist, befinden sich drei nischen, zwei in der nordwand (abb. 3) und eine in der südwand (abb. 4). an der Ostwand des Vorraums zu seiten des durchgangs in den zweiten raum befinden sich zwei inschriften mit neun (li.; abb. 5) bzw. fünfzehn Zeilen (re.; abb. 6). in der Prosaübersetzung von W. Peek lauten sie folgendermaßen: «Wirklich, die nymphen haben dir deine Kammer gebaut, isidora, die nymphen, der gewässer töchter. |3 die älteste der niltöchter machte den anfang, nilo, und fertigte dir eine muschel, wie sie deren eine in der tiefe besitzt |5 in ihres Vaters Palast, wie ein gött1 s. gabra, rapport préliminaire sur les Fouilles de l’université Égyptienne à touna (hermopolis Ouest), in: annales du service des antiquités de l’Égypte 32 (1932), s. 66–68 abb. 6. 2 m. J. Venit, Visualizing the afterlife in the tombs of graeco-roman egypt, cambridge 2016, s. 91. 3 Vgl. s. gabra u. a., rapport sur les Fouilles d’hermoupolis Ouest (touna al gebel), Kairo 1941, taf. 49,1 (m 22). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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GB 46 250.00

GB 45 Isidora

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Ditosiris

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Tuna el-Gebel, Petosiris-Nekropole

Grundriss des Grabbaus 45, Isidora, Obergeschoss M. 1 : 100 Katharina Westphalen auf Grundlagen der BTU Cottbus-Senftenberg Aufgenommen: OC TM JM CWA ML, 2006 - 2010 Stand: Juni 2013 / CWA TM

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Steinmauern antike, ungebrannte Lehmziegel moderne Lehmziegelmauern

Plan des Obergeschosses (maßstab 1:100) (grafik: K. Westphalen nach Vorlage der bauaufnahme durch die btu cottbus)

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Vorraum, nördlicher teil (Photo: d. Johannes, 1973, inst.-neg. F 9999)

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Vorraum, südlicher teil (Photo: d. Johannes, 1973, inst.-neg. F 9996)

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Vorraum, inschrift und graffito eines gebäudes mit spitzem giebel auf der nörd lichen Ostwand (Photo: K. lembke)

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Vorraum, inschrift auf der südlichen Ostwand (Photo: K. lembke)

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liches Wunder zu schauen. Krenaia sodann, des geraubten hylas gemahlin, |7 fertigte die säulen zu beiden seiten, wie bei der grotte, in der sie selber den Krugträger hylas umarmt hält. |9 und die Oreaden schließlich wählten den Platz aus und schufen dir das heiligtum, auf daß du nichts geringeres besäßest als sie selber.» «nicht länger will ich dir mit Klagen opfern, tochter, seit ich erkannte, daß du eine göttin geworden bist. |13 mit spendegüssen und gebeten naht euch in heiligem schweigen isidora, die, von nymphen geraubt, eine nymphe geworden ist. |15 gruß dir, mein Kind, eine nymphe heißt du jetzt, und die horen spenden dir aus ihren schüsseln, was die Jahreszeit jeweils bringt: |17 weiße milch der Winter sowie Öl, der Olive herrliche gabe, und mit der narzisse üppigstem blütenschmuck bekränzt er dich; |19 der Frühling sendet dann der rastlosen biene erzeugnis und die eben aus der Knospe gesprungene rose, des eros lieblingsblume; |21 des sommers glut weiter den trank von der Kelter des bakchos und einen rebenkranz für dich, traubenbehangene Zweige zusammenbindend. |23 dies alles wird dir zuteil. und weiterhin werden dir vollzählig die Jahresopfer dargebracht, die der brauch für die unsterblichen vorschreibt. – deswegen will ich dir auch selber nicht länger mit Klagen opfern, tochter.»4 die Wände seitlich der tür sind mit lorbeerranken, blumen und stilisierten blättern dekoriert, die heute jedoch stark nachgedunkelt sind (abb. 7 und 8). in der Ostwand des zweiten raums befindet sich eine rundnische, die von einer muschel bekrönt und von zwei tordierten säulen flankiert wird (abb. 9). unterhalb der muschel ist ein sockel aufgemauert, auf dessen Vorderseite ein ägyptisches löwenbett gemalt ist5. auf dem sockel lag mit dem Kopf nach süden die mumie einer Frau mit einer (ganzkörper?)-Kartonage, 4 W. Peek, griechische grabgedichte, darmstadt 1960, s. 263–265 nr. 450. 5 nach m. J. Venit (afterlife, s. 91) handelt es sich um einen tisch, aber hier folge ich den ersten beschreibungen von gabra und Perdrizet. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die mit religiösen szenen bedeckt war. durch den einsturz der Kuppel war das ensemble stark beschädigt worden. am kleinen Finger der linken hand trug die tote einen goldenen ring mit einem gefaßten smaragd. neben dem Kopf lag eine Vase mit rötlichem Firnis. Zu dem Komplex gehörte nach gabra außerdem eine münze aus der Zeit des antoninus Pius, die den ausgräber zu einer datierung der anlage in die mitte des 2. Jhs. n. chr. bewog. eine nähere dokumentation der beifunde legte gabra jedoch nicht vor6. noch im gleichen Jahr veröffentlichte P. graindor einen artikel über die neu entdeckten inschriften7. Ohne nähere begründung ging er davon aus, daß isidora ertrunken sei. Wie gabra datierte auch graindor die anlage in das 2. Jh. n. chr., wies aber im unterschied zu diesem auf eine münze des hadrian mit liegender isis auf dem revers hin, die in das 12. regierungsjahr datiert sei8. er erwähnte zudem das graffito eines gebäudes mit spitzem giebel, das sich rechts neben der inschrift auf der nördlichen Ostwand des Vorraums befindet (abb. 5), sowie einen baum mit blüten links derselben inschrift und rechts des epigramms auf der südostwand, die heute stark nachgedunkelt sind (abb. 7 und 8)9. die mumie der isidora schätzte er auf ein alter von etwa 15 Jahren10. im folgenden wollen wir uns mit drei Fragen beschäftigen: erstens wann das grab zu datieren ist, zweitens ob es sich bei der toten um eine ertrunkene handelt, und drittens ob die dekoration und die inschrift im griechischrömischen oder im ägyptischen Kontext zu verorten sind. 6 leider lassen sich diese Funde auch nicht in der aufstellung aller Objekte aus tuna el-gebel in Kairo, die m. seif el-din zu verdanken ist und sich heute im Forschungsarchiv griechisch-römisches Ägypten an der universität trier befindet, identifizieren. der ring könnte mit museum mellawi inv. nr. 136 identisch sein: «a gold ring with a pearl of green felspar». dazu: h. messiha/m. a. elhitta, Führer durch die archäologische sammlung des museums mellawi (arab.), 1973, s. 23 nr. 136; dies., mallawi antiquities museum. a brief description, 1979, s. 12 nr. 136. Jedoch schrieb s. gabra, chez les derniers adorateurs du trismegiste. la nécropole d´hermopolis – touna el-gebel, Kairo 1971, s. 72, daß der ring nach Kairo gelangt sei. 7 P. graindor, inscriptions de la nécropole de touna el-gebel (hermopolis), in: bulletin des l’institut français d’archéologie orientale 32 (1932), s. 97–112 taf. 1–3. 8 graindor, inscriptions, s. 98. 9 graindor, inscriptions, s. 102. 10 graindor, inscriptions, s. 104. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Vorraum, nördliche Ostwand Photo: K. lembke)

hauptraum, zentrale grablege (Photo: d. Johannes, 1973, inst.-neg. F 9995)

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Vorraum, südliche Ostwand (Photo: K. lembke)

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Kairo, Kopt. mus. 7017: nischenbekrönung mit einer nymphe, herakleopolis magna (ehnasya), 3./4. Jh. n. chr. (Photo: K. lembke)

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Die Datierung Kaum schwierigkeiten bereitet die zeitliche einordnung. der hinweis Perdrizets auf eine münze hadrians aus seinem 12. regierungsjahr (127/28 n. chr.) führt in unmittelbare nähe zur reise hadrians und antinoos’, sollte aber als terminus post, nicht als terminus ad quem gewertet werden. es ist möglich, daß die münze schon des längeren in umlauf war, bevor sie in das grab gelangte. außer acht gelassen werden kann wohl gabras hinweis auf eine münze des antoninus Pius, da er diesen später revidierte11. daraus ergibt sich also ein zeitlicher ansatz im zweiten Viertel des 2. Jhs. n. chr. Tod durch Ertrinken? bereits P. graindor äußerte die Vermutung, daß isidora ertrunken ist. auch s. eitrem führte 1937 darauf isidoras Vergöttlichung zurück, was nach ägyptischen Vorstellungen jedoch allein für junge männer überliefert sei12. P. Perdrizet deutete dagegen die vielfache anspielung auf die nymphen und die bezeichnung der Verstorbenen selbst als nymphe nur als hinweis auf ihren frühen tod13. 1942 veröffentlichte F. cumont seine untersuchungen über symbole im totenkult14. darin definierte er als «nymphe» ein früh verstorbenes junges mädchen oder eine junge Frau ebenso wie eine Wassergottheit. bezüglich der isidora postulierte auch er einen tod durch ertrinken. die erste umfassende edition der inschriften legte É. bernand 1969 vor15. Wie Perdrizet sah auch er in dem hinweis auf die nymphen keine anspielung auf einen tod durch ertrinken, sondern vielmehr auf das junge alter der isidora16. 11 anders als in seinem ersten bericht erwähnte gabra in seiner abhandlung «chez les derniers adorateurs du trismegiste» 1971 eine bronzemünze hadrianischer Zeit, schloß sich also der meinung P. graindors an (s. 72). 12 s. eitrem, Zwei grabgedichte auf isidora aus hermupolis, in: archiv für religionswissenschaft 34 (1937), s. 313–322. 13 P. Perdrizet, temples et maisons funéraires d’époque gréco-romaine, in: gabra, rapport, s. 67–72 taf. 18. 31–34 Plan général. 14 F. cumont, recherches sur le symbolisme funéraire, Paris 1942, s. 402. 15 É. bernand, inscriptions métriques de l’Égypte gréco-romaine, Paris 1969, s. 342–357 nr. 86/87. taf. 38/39. 16 bernand, inscriptions métriques, s. 347/348. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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J. hani stellte dagegen die Vorstellung des ertrinkens in den allgemeinen religionsgeschichtlichen Kontext der initiation und regeneration, der in Ägypten vor allem mit dem schicksal des Osiris verknüpft sei17. aber auch der in einem epigramm genannte hylas oder der in der nähe von tuna elgebel ertrunkene antinoos seien mit diesem bild der Vergöttlichung nach dem ertrinken verbunden. h. Wrede ging in seiner habilitationsschrift ebenfalls auf die grabstätte der isidora ein18. er schloß sich der meinung É. bernands an, daß die nennung der nymphen nicht auf einen tod durch ertrinken, sondern auf das junge alter der Verstorbenen hinweise. gegen einen tod im nil sprächen auch die bergnymphen, die den niltöchtern gleichzusetzen seien. l. Kákosy wiederum vertrat die auffassung, daß zwar nicht zweifelsfrei ausgesagt werde, daß isidora ertrunken sei, aber die anspielung auf den mythos des hylas in diese richtung weise19. auch m. J. Venit vertrat jüngst die auffassung, daß offen bleiben müsse, ob isidora ertrunken sei oder nicht20. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das schicksal der isidora kaum unmittelbar mit antinoos zu verbinden ist, wie die bezeichnung als «l’antinoüs feminin» des Journalisten amy Kher suggerierte21. andererseits weist die nennung des hylas in konkreterer Form auf einen tod im nil hin, wie schon m. J. Venit betont hat. die bezeichnung «nymphe» ist dagegen als Zeichen des jungen alters und der ledigen stellung der isidora zu deuten. Von zentraler bedeutung erscheint hier die Verwendung eines griechischen mythos, um isidora zu überhöhen. damit sollte die bildung und intellektuelle haltung der Familie zum ausdruck gebracht werden. es schließt sich jedoch die Frage an, ob die nominelle Vergöttlichung à la grecque in 17 J. hani, les nymphes du nil, in: l’antiquité classique 43 (1974), s. 212–224. 18 h. Wrede, consecratio in formam deorum. Vergöttlichte Privatpersonen der römischen Kaiserzeit, mainz 1981, s. 34/35, 88, 90, 94, 109. 19 l. Kákosy, the nile, euthenia and the nymphs, in: Journal of egyptian archaeology 68 (1982), s. 294–297. 20 Venit, afterlife, s. 94. 21 Visite à hermopolis, in: images nr. 431 vom 19.12.1937, 15. Für diesen hinweis bin ich g. grimm (†) sehr dankbar. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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den epigrammen («theos», «athanatos») auch auf eine Übernahme des griechischen heroenkults hinweist. Ägyptisch oder griechisch-römisch? in den vergangenen Jahren hat man sich von der Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit zunehmend entfernt und stattdessen die kulturelle identität in den mittelpunkt gestellt22. in der tat spielt gerade im totenkult die persönliche Verortung eine andere rolle als etwa im Justiz- oder steuerwesen, wo die herkunft mit Privilegien verbunden sein konnte. die römisch gestaltete grabanlage und die dem griechischen mythos verhafteten texte scheinen zunächst É. bernand recht zu geben, der darauf hinwies, daß die Opfer griechischen riten entsprächen23. außerdem sei die Vergöttlichung der isidora nicht unbedingt ein reflex ägyptischer Vorstellungen, sondern fände ihre entsprechung auch in zahlreichen griechischen inschriften, insbesondere der Kaiserzeit. dagegen vertrat F. dunand die auffassung, daß die texte ägyptisches gedankengut widerspiegelten24. m. J. Venit ist der wichtige hinweis zu verdanken, daß Opfergaben, wie sie im zweiten epigramm genannt werden, im griechischen totenkult nicht üblich seien, sehr wohl aber im ägyptischen. auch die drei Jahreszeiten verwiesen auf ägyptische Vorstellungen dynastischer Zeit25. ein zentraler aspekt ist die Form der Vergöttlichung der isidora. ein göttlicher status wurde im vorhellenistischen griechenland vor allem heroen zugeschrieben, deren bedeutung d. boehringer ausführlich untersuchte26. im folgenden soll tabellarisch dargestellt werden, welche Kriterien boehrin22 Zuletzt: Y. e. h. abdelwahed, egyptian cultural identity in the architecture of roman egypt (30 bc–ad 325), Oxford 2015. 23 É. bernand, inscriptions grecques d’hermoupolis magna et de sa nécropole (bibliothèque d’Étude 123), Kairo 1999, s. 169–172 nr. 77. 78 taf. 32/33. 24 F. dunand in: dies./c. Zivie-coche, dieux et hommes en Égypte, Paris 1991, s. 314/315. 25 Venit, afterlife, s. 94. 26 heroenkulte in griechenland von der geometrischen bis zur klassischen Zeit, berlin 2001, s. 25–46. diese Kulte sind zu unterscheiden von denen vergöttlichter herrscher, dazu zuletzt: P. P. iossif u.a. (hrsg.), more than men, less than gods. studies on royal cult and imperial Worship, leuven 2011 (diesen hinweis verdanke ich stefan Pfeiffer, halle). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ger für die definition eines heros zusammengestellt hat und welche Verehrungsformen sich in tuna el-gebel nachweisen lassen: griechenland

tuna el-gebel, grab der isidora

• Verehrung in einer rolle, z.b. als grün- • Keine spezifische bedeutung der oder derheros des Verstorbenen für die gemeinschaft • gräber als bestandteile der heroenle- • Verehrung ausschließlich am grab genden, nicht aber alleinige Konzentration auf diese • dreierschema gott – heros – mensch • Keine unterscheidung zwischen grabhäusern von «heroen» und «menschen» • heroenkulte «vermitteln einer Polis, • beschränkung des Kults auf den Familideren unterteilungen und kleineren enkreis Personengruppen individualität, identitätsgefühl, das gefühl von besonderheit»27 • Opferung von tieren und anschließend • 2. epigramm und altar vor dem grab weisen auf Opferrituale hin28 gemeinsames mahl • heroisierung durch ehrenbeschluß der • Keine öffentliche anerkennung eines Volksversammlung oder statusfeststelheroenstatus lung eines Kultempfängers durch delphi • heroisierung realer Persönlichkeiten • Vergöttlichung der isidora ohne bezug selten und meist wegen ihrer offiziellen auf ihre leistung, hervorhebung ihrer Position; dadurch Zurückdrängung der individualität durch persönliche anspraindividuellen Persönlichkeit des heroiche eines elternteils sierten • geringe Kontinuität der grabkulte von • Kontinuität und dauer des grabkultes menschen gegenüber kontinuierlinicht nachweisbar, wegen der übereichem, z. t. über Jahrhunderte andaunander liegenden bauten jedoch kaum erndem Kult der heroen länger als über ein bis zwei generationen • heroenkult kein substitut für ahnen- • Verehrung der Verstorbenen im rahkult, daher von bestattungsritual und men des totenkults totenkult zu differenzieren

die Zusammenstellung zeigt klar, daß kaum ein indiz auf eine heroisierung der toten im griechischen sinne vorhellenistischer Zeit hindeutet. insofern kann hier auch keine Verehrung im sinne eines «gottmenschen» (θεῖος 27 boehringer, heroenkulte, s. 45/46. 28 Zu den riten in tuna el-gebel vgl. demnächst: K. lembke, a beautiful burial at tuna el-gebel. burial customs and commemorative culture from the Ptolemies to the romans, in: m.-d. nenna (hrsg.), constituer la tombe. honorer les défunts en mediterranée hellénistique et romaine. table ronde organisée par l’École française d’athènes et le centre d’études alexandrines, alexandrie, 29 octobre au 1er novembre 2014 (im druck). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ἀνήρ bzw. ἄνθρωπος) postuliert werden, weil die Verstorbene nicht über eine besondere, übermenschliche befähigung verfügte29: Weder ist die dreiteilung von gott, heros und mensch zu beobachten, noch gab es eine «Verehrung» der isidora über den Familienkreis hinau30. schließlich unterscheidet sich dieses grabhaus nicht maßgeblich von anderen bauten in der nekropole31. Wenn man die epigramme der isidora also nicht im rahmen des griechischen heroenkults erklären kann, ist zu erörtern, inwieweit bezeichnungen wie «theos» oder «athanatos» im regulären totenkult griechenlands und roms auftraten. r. lattimore, der verschiedene Zeugnisse zur unsterblichkeit in griechischen und lateinischen inschriften zusammengestellt hat32, wies darauf hin, daß aus keiner inschrift explizit ein manifester glaube an die unsterblichkeit der seele oder des menschen hervorginge. Vielmehr scheine der akzent auf die unsterblichkeit in erster linie ein trost für die hinterbliebenen gewesen zu sein. außerdem betonte er, daß alle von ihm aufgeführten inschriften in Versen geschrieben seien und die lyrik eigenen sprachlichen gesetzen unterliege. gerade in Ägypten und im Osten seien zahlreiche hinweise auf unsterblichkeit zu finden, auch italien sei stark repräsentiert. die frühesten beispiele stammten aus dem 4. Jh. v. chr., die größte Zahl jedoch aus der römischen Kaiserzeit. 29 dazu: d. s. du toit, theios anthropos. Zur Verwendung von θεῖος ἄνθρωπος und sinnverwandten ausdrücken in der literatur der Kaiserzeit, tübingen 1997; t. rifel, gottmensch und gottmenschentum. Versuch einer historischen betrachtung des begriffs und einer philosophischen darlegung der idee, ljubljana 2014. 30 Während in den meisten inschriften das grab als «taphos» oder «mnema» bezeichnet wird (vgl. bernand, inscriptions grecques, nr. 29, 32, 34, 37–40, 42, 45, 54/55), entdeckte a. badawy 1949 auf den türpfosten eines grabhauses, der «graffiti-Kapelle» im östlichen grabungsbereich, griechische inschriften in roter Farbe, die nach der nennung «Osiris» den namen der oder des Verstorbenen, das alter und das todesdatum nennen (vgl. bernand, inscriptions grecques, nr. 46–48). hierbei handelt es sich aber offensichtlich nicht um die bezeichnung «Osiris nn», weil nach Osiris nicht unmittelbar der name des Verstorbenen folgt. außerdem waren zwei der drei toten Frauen, die eigentlich «hathor nn» genannt werden müßten. «hathor» ist jedoch unter den griechischen inschriften aus tuna el-gebel nicht belegt. 31 Perdrizet, temples et maisons funéraires, s. 72. 32 r. lattimore, themes in greek and latin epitaphs, urbana, ill. 1942, s. 48–54 § 6 (griech.); 54/55 § 7 (latein.). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Wir können aus diesem beobachtungen schließen, daß die unsterblichkeit der isidora durchaus im Kontext kaiserzeitlicher Vorstellungen zu erklären ist. auch hier spielt der trost für den Vater eine wichtige rolle, wenn es heißt: «nicht länger will ich dir mit Klagen opfern, tochter, seit ich erkannte, daß du eine göttin geworden bist.» Weitgehender ist dagegen die bezeichnung der isidora als göttin. haben wir es mit einem Werden zu Osiris nn bzw. hathor nn in ägyptischer tradition oder einer römischen «assimilierenden oder identifizierenden deifikation»33 zu tun? h. Wrede wies darauf hin, daß neben der deifikation in rom und der westlichen reichshälfte im Osten mit Ägypten und makedonien zwei «deifikationslandschaften» existierten, die sonderformen der theomorphen Verehrung darstellten34. Weiter wies Wrede in anlehnung an g. grimm auf das traditionelle Werden zu Osiris nn in Ägypten hin, das in hadrianischer Zeit durch gleichsetzungen mit gottheiten des griechisch-römischen Pantheons abgelöst worden sei35. an anderer stelle modifizierte er jedoch seine aussage dahingehend, daß diese späteren gleichsetzungen sich allein auf die äußeren gestalten bezögen36. es ist daher zu klären, inwieweit der grabbau der isidora nur in der gestaltung der griechisch-römischen tradition folgt oder tatsächlich auch die entsprechenden religiösen Vorstellungen reflektiert.

33 Wrede, consecratio, s. 3. Wrede ist entgegenzuhalten, daß die römische deifikation in der Kaiserzeit wohl eher metaphorischen charakter besaß. so wies m. bergmann auf die tatsache hin, daß sie für Frauen und Kinder früher und häufiger belegt sei als für männer und resümierte: «Was die gesellschaftliche bedeutung des dargestellten angeht, ist die theomorphe darstellung gegenüber einer mit amtsinsignien nicht höher, sondern geringer bewertet.» (m. bergmann, die strahlen der herrscher, mainz 1998, s. 39). Vgl. auch J. a. north, these he cannot take, in: the Journal of roman studies 73 (1983), s. 172/173. Für unsere Fragestellung ist jedoch nicht entscheidend, ob die römer die deifikation von Privatpersonen nur als allegorie verstanden, sondern ob der gehalt der grabepigramme der isidora im rahmen römischer Vorstellungen interpretiert werden kann. 34 Wrede, consecratio, s. 5. Zu Ägypten: ebenda, s. 31ff. Zu makedonien: ebenda, s. 54ff. 35 Wrede, consecratio, s. 32. 36 Wrede, consecratio, s. 94/95. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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im bereich der römischen Privatdeifikationen können wir einige eigenschaften hervorheben, die im folgenden den im grab der isidora zu beobachtenden charakteristika gegenübergestellt werden: römische privatdeifikationen

grab der isidora

• privater totenkult • Opfer an den allgemeinen tagen des totengedenkens • assimilierende oder identifizierende deifikation • deifikation als ausdruck persönlicher trauer

• privater totenkult • Opfer über alle drei ägyptische Jahreszeiten verteilt37 • identifizierende deifikation • deifikation als ausdruck persönlicher trauer

diese Übersicht spricht in der tat für eine Übertragung römischer Vorstellungen nach Ägypten. Zu recht sprach also h. Wrede in bezug auf isidora von einer «Vergöttlichung hadrianisch-frühantoninischer Zeit, die gänzlich von griechisch-römischen Vorstellungen getragen wird»38. in unmittelbarem anschluß daran führte Wrede jedoch weiter aus: «... insofern man von der mumienbestattung auf einer (gemalten) mumienbahre absieht.» es scheint daher erforderlich, auch die gegenprobe zu machen und zu prüfen, welche relikte des ägyptischen totenglaubens sich im grab der isidora wiederfinden lassen: Werden zu osiris nn bzw. Hathor nn grab der isidora • schutz und Verbergen des Körpers • bezeichnung als Osiris bzw. hathor nn • erhaltung des Körpers durch mumifizierung • mumienkartonage mit religiösen szenen aus dem ägyptischen totenkult • darstellung der einbalsamierung • Versorgung der oder des Verstorbenen durch regelmäßige trank- und speiseopfer

• offene Zurschaustellung des Körpers auf der Kline • bezeichnung als nymphe • erhaltung des Körpers durch mumifizierung • mumienkartonage mit religiösen szenen aus dem ägyptischen totenkult • verkürzt auf darstellung des löwenbettes • Versorgung der Verstorbenen durch regelmäßige trank- und speiseopfer

37 Zu den speiseopfern, die in griechischer tradition stehen, vgl. K. meuli, griechische Opferbräuche, in: O. gigon u.a. (hrsg.), Phyllobolia. Für Peter von der mühll zum 60. geburtstag am 1. august 1945, basel 1946, s. 185ff., bes. 189–201. diesen hinweis verdanke ich b. rabe. 38 Wrede, consecratio, s. 35. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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das ergebnis ist erstaunlich: Zwar fehlt die nennung als hathor-isidora, was ebenso wie die offene Zurschaustellung der mumie von einem bereits vollzogenen Wandel zeugt, aber alle weiteren merkmale sind dahingehend zu interpretieren, daß die deifikation à la romaine in erster linie eine äußere war. isidora ist also Ägypterin geblieben, auch wenn sie ideologisch in ein römisches gewand gehüllt wurde. besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der demotische Papyrus harkness39. er stammt aus dem mittelägyptischen antaeopolis und datiert in das Jahr 61 n. chr. geschrieben wurde er für eine Frau namens tana-weru-au von ihrem Vater hortefnachtet. hier finden wir also eine enge Verbindung zum grab der isidora in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher hinsicht. auch formal sind Übereinstimmungen zu erkennen, wenn der Vater als sprecher auftritt (1/1). im ersten epigramm der isidora wird beschrieben, wie die nymphen ihr grabmal gebaut haben. auch im ersten abschnitt des pharkness geht es um die balsamierung und die gestaltung des grabes, wobei isis, neith, nephthys und andere götter als diejenigen erscheinen, die das begräbnis ausgestattet haben. Weiter wird der innenraum des grabes mit einem Weinstock, einem hennabusch und einem spross von ebenholz detailliert beschrieben (1/18-21): «Wenn du trinken möchtest, wird der Weinstock reifen, wenn du riechen möchtest, wird der hennabusch blühen, wenn du schlafen möchtest, wird der spross von ebenholz wachsen.» im nächsten abschnitt steht die Klage des Vaters im mittelpunkt, ebenso wie bei isidora. hier wird auch die äußere gestalt des grabes beschrieben: «stark sind die türen aus tanne. stark sind deine hausfassade aus ebenholz und deine Fenster aus elfenbein.» (1/28-29) besonders deutlich werden die Übereinstimmungen aber bei den Opfergaben. im pharkness heißt es: «Oh grab, du wirst übersät werden mit lotus, bis sie in dir schläft. du wirst rosen streuen, bis sie in deinem inneren schläft. tannenharz wird auf deine Wege gelegt, Weihrauch in deine Viertel. erstklassige myrrhe und byssus werden 39 m. smith, Papyrus harkness (mma 31.9.7), Oxford 2005; ders., traversing eternity. texts for the afterlife from Ptolemaic and roman egypt, Oxford 2009, s. 264–301 text 13. die folgenden Übersetzungen aus dem englischen stammen von der autorin. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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in deinen Kammern gefunden. (…) in deinen oberen räumen, festliches Öl und wohlriechender Wein in deiner verschlossenen Kammer.» (1/32-34) auch die Jahresopfer in der Klage von isidoras Vater werden hier bereits genannt: «sie werden in diesen (Kammern der ta-na-weru-au) klagen, tag und nacht. sie werden trauern in ihrer mitte während 360 tagen.» (1/37) am ende dieses abschnitts schließlich kommt ähnlich wie bei isidora die überraschende Wendung: «sie werden weinen, ohne zu ermüden, sie werden trauern, ohne aufzuhören, während sie sagen: Vielleicht werden sie entschädigung schaffen für die Kammern, die du verlassen hast, als du gewandert bist in jene, in denen du bist, meine tochter. sie werden Fett auf deine Wege geben und Weihrauch in deine Viertel, während sie sagen: diese Kleine wird nicht fehlen.» (2/1-2) ganz offensichtlich haben wir hier in stark verkürzter Form dieselbe aussage vor uns. damit stehen die texte im grab der isidora äußerlich in griechischer tradition, indem sie auf die Wände statt auf Papyrus geschrieben sind und sich direkt an den betrachter wenden, transportieren aber ägyptisches gedankengut. hier vereinigen sich der Wunsch nach einem ägyptischen begräbnis und nach Zugehörigkeit zur gebildeten hellenisierten gesellschaft. die begegnung zweier dominanter Kulturen führte also nicht zu einer einseitigen Verdrängung, sondern zur Verschmelzung und Vereinigung der beiden kulturellen stränge40. Kommen wir schließlich zur grablege der isidora selbst, die im epigramm mythisch überhöht wird. den Platz des «heiligtums» hätten die Oreaden gewählt, nilo habe die muschel gefertigt, Krenaia die säulen, woraus eine grotte entstanden sei, die an hylas erinnere. Verfolgt man diese motivik in der ikonographie der nymphen, begegnet man vielfach der muschel, die nymphen in den händen halten41. häufig erscheint auch aphrodite in ni40 m. J. Venit (afterlife, s. 95) spricht in diesem Zusammenhang von einer «bilingual bricolage or a case of metaphorical code-switching». 41 m. halm-tisserant/g. siebert, in: lexicon iconographicum mythologiae classicae (limc) Viii (1997) s. v. nymphai, nr. 13–17 (röm. statuen nach Vorbild der 2. hälfte des 4. Jhs. v. chr.), 19 (münze). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schen mit muschelbekrönung, insbesondere im Osten des römischen reiches42. darüber hinaus spielt das motiv bei der darstellung ihrer geburt eine wichtige rolle43. eine stele aus alexandria zeigt sogar die göttin in einer nische mit tordierten säulen44 und ist damit eine unmittelbare Parallele zu der grablege der isidora. schließlich verwies m.-O. Jentel auf die Verwechselbarkeit von aphrodite mit anderen göttinnen, einer nymphe oder einer sterblichen45. im grabhaus der isidora wird mit diesen Varianten bewußt gespielt: das mädchen wird als nymphe vergöttlicht – ein epitheton, das ursprünglich nur eine vor der heirat verstorbene Frau bezeichnete – und ikonographisch gleichzeitig an die liebesgöttin aphrodite angeglichen. die grablege ist somit totenbett und brautgemach in einem, wozu auch der hinweis auf hylas paßt46. dabei ist jedoch nicht außer acht zu lassen, daß muscheln als nischendekor während der Kaiserzeit im gesamten römischen reich in tempeln, Privathäusern und gräbern erscheinen und somit keinesfalls eindeutig mit den nymphen oder aphrodite konnotiert sind47. andererseits erscheinen auch in der koptischen Kunst, etwa aus ehnasya/herakleopolis magna, aphrodite und die nymphen in nischenbekrönungen mit muscheln und beweisen somit die langlebigkeit dieser topoi bis in die spätantike48 (abb. 10). 42 m-O. Jentel, in: limc ii (1984) s. v. aphrodite (in peripheria orientali), nr. 31 (syrien), 54 (alexandria), 55 (lampe, alexandria), 89 (anhänger, aus Ägypten), 246 (terrakotte, muschel neben aphrodite). 43 a. delivorrias u.a., in: limc ii (1984) s. v. aphrodite, nr. 1011–1017, 1083/1084, 1183–1185. 44 m-O. Jentel, in: limc ii (1984), nr. 54. 45 m-O. Jentel, in: limc ii (1984), nr. 165. 46 auch in anderen funerären Kontexten des griechisch-römischen Ägypten erscheinen muscheln, so etwa in Kom el-schogafa (a. adriani, repertorio d’arte dell’egitto greco-romano c i-ii, Palermo 1963, taf. 100, 104) oder in Wardian (ebenda, taf. 77 abb. 253). 47 g. hornbostel-hüttner, studien zur römischen nischenarchitektur, leiden 1979, s. 3/4, 195–199. Vgl. auch die muschelnische in haus h 10 in marina el-alamein, die einem privaten Kult diente: st. medeksza, marina el-alamein – conservation Work 1998, in: Polish archaeology in the mediterranean X. reports 1998 (1999), s. 57/58 abb. 4; st. medeksza, marina el-alamein – conservation Work 1999, in: Polish archaeology in the mediterranean Xi. reports 1999 (2000), s. 50–53 abb. 4–6. 48 beispiele: Kairo, Kopt. museum 7011, 7012, 7017, 7052, 7586. allg. dazu: l. török, transfiguration of hellenism. aspects of late antique art in egypt ad 250700 (Probleme der Ägyptologie 23), leiden/boston 2005. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Welche bedeutung die säulen mit spiralkanneluren in diesem Zusammenhang haben, ist unklar. c. Picard bezeichnete sie als «symbole d’immortalité»49, obgleich er bereits auf ähnliche beispiele in der Profanarchitektur verwies, wie die säulenstraße in apameia oder die celsus-bibliothek in ephesos50. darüber hinaus betonte h. v. hesberg die zunehmende eigenständigkeit der aedikulaarchitektur in der frühen Kaiserzeit: «der architekturaufbau entwickelte sich damit zu einer bordüre, in der nicht mehr der tektonische aufbau betont wird, sondern das dekorative system.»51 dies zeige sich auch im materialluxus, wenn seit spätrepublikanischer Zeit zunehmend buntmarmore für säulen verwendet werden52. die manierierte architekturform der spiralkanneluren scheint daher eher eine modische Zutat gewesen zu sein als eine tiefere bedeutung zu implizieren. die von zwei säulen getragene muschel überwölbt die grablege wie in anderen Fällen die imitation eines stofflichen baldachins53. dieser ist in Verbindung mit den nekropolen alexandrias wieder gegenstand wissenschaftlicher diskussion geworden54. nach a.-m. guimier-sorbets lassen sich die deckenbemalungen alexandrinischer gräber als imitationen von baldachinen erklären. damit griff sie eine these auf, die bereits h. thiersch über die grabkammer von sidi gaber geäußert hatte55. anders als dieser, der als Vorbilder dieses möbels vor allem ägyptische beispiele zitierte, gehört der bal49 c. Picard, le symbolisme de la coquille et les origines de la colonne torse, in: revue archéologique 14 (1939), s. 81. 50 Picard, symbolisme, s. 80. immerhin ist bemerkenswert, daß P. Pensabene in seinem monumentalwerk «elementi architettonici di alessandria e di altri siti egiziani», rom 1993 kein einziges beispiel für diesen säulentypus aus Ägypten vorstellt. 51 elemente der frühkaiserzeitlichen aedikulaarchitektur, in: Jahreshefte des Österreichischen archäologischen institutes in Wien 53 (1981/82), s. 86. 52 ebenda, s. 81/82. 53 Vgl. m 2, m 4, m 5, m 13/se; muschel: m 12/ss, m 13/ss(?), m22(?). 54 a.-m. guimier-sorbets, architecture et décor funéraires, de la grèce à l’Égypte: l’expression du statut héroïque du défunt, in: c. müller/F. Prost (hrsg.), identités et cultures dans le monde méditerranéen antique, Paris 2002, s. 159–180; a.-m. guimier-sorbets/m. seif el-din, le plafond aux erotes de la tombe b24, in: J.-Y. empereur/m. d. nenna (hrsg.), nécropolis 2.2 (Études alexandrines 7), Kairo 2003, s. 589–629. – allgemein zu diesem thema: m. Weber, baldachine und statuenschreine, rom 1990, s. 7–54, 125, 129–169. 55 h. thiersch, Zwei grabanlagen bei alexandria, berlin 1904, s. 13/14. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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dachin nach guimier-sorbets in die griechische tradition und verweist auf die heroisierung des Verstorbenen. dahinter stehe in ptolemäischer Zeit die idee der ewigen Prothesis auf der Kline, welche im römischen alexandria dem sarkophag gewichen sei. dennoch habe man weiter an der Vorstellung des toten als heros unter einem naiskos festgehalten. in der tat können wir einige ihrer beobachtungen auf tuna el-gebel übertragen, besonders den gedanken der ewigen Prothesis, der mit der mumie der isidora auf dem bettartigen sockel gestalt angenommen hat. auch die Form der nische knüpft unmittelbar an alexandrinische Vorbilder an56. schließlich wird der heroisierung der Verstorbenen in den epigrammen explizit ausdruck verliehen. Wir können also festhalten, daß anders als in alexandria in tuna el-gebel auch in römischer Zeit die ewige Prothesis zentrales thema der grabanlagen ist. schwieriger nachzuvollziehen ist die these guimier-sorbets’, daß allein die makedonischen Kammergräber als Vorbild für diese inszenierung gedient hätten. gerade in Ägypten haben baldachine zu allen Zeiten eine wichtige rolle gespielt57. sie erschienen dort nicht nur im Königs- und götterkult, sondern auch im totenkult. so wurde der Verstorbene in ptolemäisch-römischer Zeit auf einem Wagen mit baldachin in den bestattungszug integriert58. Vorläufer aus dem mr und nr beweisen, daß der baldachin in Verbindung mit bestattungen ein traditionell verbreiteter topos war59. somit ist er als teil 56 Vgl. die Zusammenstellung der totenbetten von a.-m. guimier-sorbets und m.-d. nenna in: Plafond aux erotes, s. 536–544. besonders nahe steht den beispielen von tuna el-gebel das hypogäum 8 der nekropole ras el-tin: ebenda, s. 544 nr. 25 abb. 17/18. 57 Weber, baldachine, s. 8–19. 58 Vgl. z. b. hermupolis, Petosiris (um 300 v. chr.): g. lefebvre, le tombeau de Petosiris iii. Vocabulaire et planches, Kairo 1923, taf. 30. 34; siwa, siamun (2. h. 1. Jh. v. chr.): K. lembke, das grab des siamun in der Oase siwa. ammoniaca ii (archäologische Veröffentlichungen 115), Wiesbaden 2015, s. 26/27 taf. 1,4; dachla, Petubastis (1. Jh. n. chr.): J. Osing u. a., denkmäler der Oase dachla aus dem nachlaß von ahmed Fakhry (archäologische Veröffentlichungen 28), Wiesbaden 1982, taf. 21 c/d; 22 c; 24 a; 31 b. Vgl. im gleichen grab den schrein über der mumie mit dem ba-Vogel: Osing, dachla, taf. 23 b. 59 Vgl. Weber, baldachine, s. 139/140. b 23–27. Vgl. auch den baldachin der hetepheres aus der 4. dynastie: Weber, baldachine, s. 141 b 30. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der begräbnisfeierlichkeiten im ägyptischen milieu verankert und kann nicht allein auf griechische ursprünge zurückgeführt werden. das totenbett besitzt wie der baldachin ebenfalls Vorläufer in den ptolemäischen gräbern alexandrias60. auch für dieses möbel fanden a.-m. guimier-sorbets und m.-d. nenna allein Parallelen in der griechischen Welt, wo die Kline als schlafstatt, bei symposien und im funerären bereich erscheint. außer acht gelassen werden von den autorinnen dagegen entsprechende liegemöbel im ägyptischen Kontext. daß das bett aber auch dort – wenngleich in anderer Form – erscheint, mögen einige beispiele illustrieren61. in den beiden von a.-m. guimier-sorbets und m. seif el-din publizierten gräbern mit darstellungen des Persephone-mythos in alexandria erscheint jeweils über der raubszene die einbalsamierung der mumie, in deren Zentrum die (oder der) Verstorbene auf einem löwenbett liegt62. Zu recht wird diese wie ihr griechisches Pendant von den autorinnen als darstellung des rite de passage gedeutet63. so verwundert nicht, daß dieses thema oft in alexandrinischen nekropolen und auf anderen denkmälern des griechisch-römischen Ägypten erscheint64. dabei entspricht das möbel meist dem ägyptischen typus des löwenbetts, die mumie kann aber auch auf einem römi60 s. o. anm. 57. 61 Vgl. auch K. lembke/m. minas, griechisch-römisch oder ägyptisch? neue und alte entdeckungen in der Oase siwa, in: studien zur altägyptischen Kultur 34 (2006), s. 319–331; K. lembke, terenuthis and elsewhere: the archaeology of eating, drinking and dying in Ptolemaic and roman egypt, in: d. robinson/a. Wilson (hrsg.), alexandria and the north-Western delta. Joint conference Proceedings of alexandria: city and harbour (Oxford 2004) and the trade and topography of egypt’s north-West delta, 8th century bce to 8th century ce, berlin 2006/Oxford 2010, s. 259–267. 62 a.-m. guimier-sorbets/m. seif el-din, les deux tombes de Perséphone dans la nécropole de Kom el-chougafa à alexandrie, in: bulletin des correspondance hellénique 121 (1997), s. 355–410, bes. 394/395. abb. 2, 5, 8, 14/15. 63 in der jüngsten Publikation rücken die autorinnen von dieser these ab und postulieren eine Verbindung mit initiationen in mysterienkulte (a.-m. guimier-sorbets/a. Pelle/m. seif el-din, resurrection in alexandria. the Painted greco-roman tombs of Kom al-shuqafa, Kairo/new York 2017, s. 155). Vor dem hintergrund, daß der Persephone-mythos zu den beliebtesten themen auf römischen sarkophagen gehört, halte ich diese these nicht für schlüssig. 64 Vgl. die Zusammenstellung in: m. s. Venit, the tomb from tigrane Pasha street and the iconography of death in roman egypt, in: american Journal of archaeology 101 (1997), s. 722/723. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schen bett mit Fulcrum liegen65. neben den gemauerten betten sind an mehreren Orten Ägyptens holzklinen belegt, so auch hier im Vorraum des grabhauses der isidora66. diese beispiele lassen sich durch die darstellung des löwenbetts an der hauptgrablege ergänzen. die totenbetten in alexandria und in tuna el-gebel weisen daher m. e. nicht nur auf griechische Vorbilder, sondern sind ebenso im rahmen des ägyptischen bestattungsritus zu deuten. gerade die darstellung des einbalsamierungsbettes an der grablege der isidora spricht für diese duale interpretation: nach der interpretatio graeca ist es die Kline der Verstorbenen bei der Prothesis, nach der interpretatio aegyptiaca wird auf dem möbel die mumie gesalbt. Ähnlich wie bei der heroisierung können wir also die Wurzeln für die gestaltung der grablege in der griechischen wie der ägyptischen tradition nachweisen: statt einer Übernahme griechischer bestattungssitten wurden ägyptische riten im neuen gewand weitergeführt. somit handelt es sich nicht um eine neue hybride identität – «neither the one nor the other»67, sondern um eine ambiguität, die beide traditionen miteinander verbindet68, also «both the one and the other».

65 so im tigrane-grab: ebenda, s. 709–712 abb. 7-8. 66 gabra, rapport, s. 66. Vgl. i. Kaplan, grabmalerei und grabreliefs der römerzeit. Wechselwirkungen zwischen der ägyptischen und griechisch-alexandrinischen Kunst (Veröffentlichungen der institute für afrikanistik und Ägyptologie der universität Wien 86 = beiträge zur Ägyptologie bd. 16), Wien 1999, s. 114 taf. 24 d. 67 h. bhabha, the location of culture, new York 1994, s. 211. 68 so auch abdelwahed, cultural identity, s. 124/125 über Portraits; ebenso: c. riggs, the beautiful burial in roman egypt, Oxford 2005, s. 173/174. 247; Venit, afterlife, s. 95. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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mit dem sogenannten Schwabinger Kunstfund – 1258 unterschiedliche Kunstwerke aus dem besitz c. gurlitts mit teils fragwürdiger herkunft – sind die Fragen nach der Provenienz von Kunstobjekten und deren etwaiger restitution gegenstand breiter medialer debatten geworden.1 die causa gurlitt aus dem Jahr 2012 spiegelt dabei als bekanntestes, aber selbstverständlich nicht singuläres beispiel das zunehmende öffentliche bewusstsein für Fälle von «ns-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut» wider.2 Weitere diesem Phänomen zuzurechnende prominente beispiele sind der internationale rückgabestreit um g. Klimts gemälde «adele bloch-bauer i» aus dem Jahr 2006, die restitution von e. l. Kirchners «berliner straßenszene» im selben Jahr sowie die Publikation des buchs «the monuments men: allied heroes, nazi thieves and the greatest treasure hunt in history» von r. edsel, welches 2014 als hollywood-babelsberg Koproduktion Kinoerfolge feiern konnte. eine vierte nennung sei erlaubt: 2016 kam es zu einer langwierigen medialen auseinandersetzung zwischen den bayerischen behörden – insbesondere den staatsgemäldesammlungen – und der süddeutschen Zeitung, in deren Verlauf sich die Kontrahenten recht unversöhnlich gegenüberstanden.3 1 bezüglich des umfangs der sammlung gurlitt sowie der herkunft und restitutionsfähigkeit einzelner Werke siehe die von der «taskforce schwabinger Kunstfund» veröffentlichte handreichung der ergebnisse vom 12. Januar 2016 (http://bit.ly/ 2keycqv, letzter Zugriff: 30.01.2017). aufgrund der mittlerweile unüberschaubaren medienberichterstattung in Presse, Funk, Fernsehen und internet sei an dieser stelle lediglich auf die von s. Koldehoff publizierte monographie zum Fall gurlitt verwiesen: stefan Koldehoff, die bilder sind unter uns. das geschäft mit der ns-raubkunst und der Fall gurlitt, berlin 2014. 2 deutsches Zentrum Kulturgutverluste, gemeinsame erklärung, in: lost art-datenbank (http://bit.ly/2k3ml5u, letzter Zugriff: 30.01.2017). 3 Vgl. catrin lorch, ns-raubkunst: das museum mauert, in: süddeutsche Zeitung, 27. Juni 2016 (http://bit.ly/2keyK8r, letzter Zugriff: 30.01.2017). u. haug, Forscherin an der Kunsthalle hamburg, hat unlängst auf einer tagung des arbeitskreises für Pro© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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im gegensatz dazu war dem Fachpublikum an universitäten, museen, galerien oder auktionshäusern die Problematik spätestens seit den Washington Principles (1998) und der «erklärung der bundesregierung, der länder und der kommunalen spitzenverbände zur auffindung und zur rückgabe ns-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes insbesondere aus jüdischem besitz» (1999) bekannt.4 hinsichtlich dieser institutionellen und institutionalisierten Provenienzforschung – sammlungen wie die staatlichen Kunstsammlungen dresden oder institutionen wie das deutsche Zentrum Kulturgutverluste – unterteilt J. gramlich die geschichtliche entwicklung in zwei abschnitte: die von den alliierten kontrollierte nachkriegsphase und die Zeit seit den 1990er Jahren, geprägt durch die Wiedervereinigung und die bereits genannten (internationalen) selbstverpflichtungen.5 herkunftsforschung wurde also bereits seit dem Kriegsende betrieben, allerdings ohne den heutigen öffentlich-medialen resonanzboden und meist mit bescheidenen Verfahren und mitteln. aufgrund des fehlenden privaten und öffentlichen bewusstseins entsprachen viele frühere bemühungen nicht der heute erwarteten sorgfaltspflicht – gerade dies wurde in der medialen auseinandersetzung des letzten Jahres skandalträchtig zur «braunen legende» stilisiert.6 in diesem sinne setzt sich der vorliegende beitrag mit den bedingungen und der relevanz von Provenienzforschung als politischer Aufgabe auseinander. es geht dabei weniger um eine detaillierte historische rekonstrukvenienzforschung die eigene Zunft als «Freiwild für Journalisten» beschrieben (Patrick bahners, Wir sind nicht das Freiwild der Presse, in: Frankfurter allgemeine Zeitung, 2. dezember 2016, s. 9). 4 deutsches Zentrum Kulturgutverluste, grundsätze der Washingtoner Konferenz in bezug auf Kunstwerke, die von den nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles), in: lost art-datenbank (http://bit.ly/2jpbJ40, letzter Zugriff: 30.01.2017). 5 Johannes gramlich, einleitung, in: alfred grimm (hrsg.), Forschungsverbund Provenienzforschung bayern. tätigkeitsbericht 2015/2016, münchen 2016, s. 10. derselbe ansatz findet sich bei constantin goschler, Zwei Wellen der restitution. die rückgabe jüdischen eigentums nach 1945 und 1990, in: inka bertz/michael dorrmann (hrsg.), raubkunst und restitution. Kulturgut aus jüdischem besitz von 1933 bis heute, Frankfurt a. m. 2008, s. 30–45. 6 bahners, Freiwild, s. 9. gramlich fasst die heutige lage wie folgt zusammen: «anders als in der nachkriegszeit werden die bemühungen um die rückerstattung jüdischen eigentums durchweg unterstützt» (gramlich, einleitung, s. 12). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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tion der entwicklung dieser disziplin, noch um deren konkrete (kunst)wissenschaftliche anforderungen und Problemstellungen.7 Provenienzforschung, verstanden als «aufklärung von ns-verfolgungsbedingt entzogenem Kunst- und Kulturgut in öffentlichen einrichtungen», soll stattdessen aus der Perspektive der politikwissenschaftlichen teildisziplin der Politischen Theorie heraus betrachtet werden.8 unter berücksichtigung einschlägiger begriffe und Konzepte wie beispielsweise Freiheit, Öffentlichkeit oder demokratie lässt sich das Verhältnis von herkunftsforschung und Politik beschreiben und einordnen: sowohl die Voraussetzungen für, als auch die notwendigkeit von heutiger Forschungs- und restitutionspraxis erwachsen damit aus der freiheitlich verfassten demokratie und ihrer Frage nach der legitimität politischer entscheidungen und rechtlicher Vorgaben. Zwar gilt bezüglich der rechtsfindung auch im bereich der herkunftsforschung die Feststellung, dass ein blick in das gesetz ebenjene erleichtert,9 die rechtslage und -findung stellt sich jedoch als außerordentlich komplex – nicht kompliziert – dar, und wird aufgrund zahlreicher unklarheiten erschwert. exemplarisch sei hier die unterscheidung von aspekten des Zivilrechts und des öffentlichen rechts genannt.10 Zivilrechtliche regelungen basieren auf der gleichstellung der rechtssubjekte sowie der Vertragsfreiheit und sind anders gelagert als diejenigen des öffentlichen rechts, was sich auch bei der gegenüberstellung 7 Zur Komplexität heutiger Provenienz- und restitutionsforschung siehe alfred grimm, der entthronte triton und schillers «glocke» im relief. ns-raubkunst par excellence: zwei Fallbeispiele aus dem bayerischen nationalmuseum, in: aVisO. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in bayern, 3/2015, s. 18–23. ein weiteres Forschungsfeld stellt seit der Wiedervereinigung die Problematik von ddr-entzogenen Kunstobjekten dar, die je nach Fall auch Verbindungen zum ns-entzug aufweisen können. siehe dazu alfred grimm, ein schmetterling kehrt zurück! in der ddr entzogen – vom Freistaat bayern zurückgegeben: das bayerische nationalmuseum restituiert ein «schloßbergungsobjekt», in: aVisO. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in bayern, 1/2016, s. 44–47. 8 Kulturstiftung der länder, Provenienzforschung, in: initiativen (http://bit.ly/ 2keK8lf, letzter Zugriff: 30.01.2017). 9 dieses bei Juristen beliebte sprichwort wird harry Westermann zugeschrieben (vgl. uwe Wesel, Juristische Weltkunde: eine einführung in das recht, Frankfurt 1984, s. 7). 10 Vgl. sabine rudolph, restitution von Kunstwerken aus jüdischem besitz. dingliche herausgabeansprüche nach deutschem recht, berlin 2007. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der causa gurlitt und den Washingtoner Prinzipien zeigt: letztere gelten für Privatpersonen nicht.11 Zwar sind die Washingtoner Prinzipien in deutschland nicht als solche gerichtlich einklagbar, aber über die politische selbstbindung ergibt sich ein weitaus größerer handlungsdruck auf staatlicher seite, sofern die Provenienz und der eigentumsanspruch potenzieller erben nachgewiesen sind.12 um diese zahlreichen juristischen hürden – Problematiken wie Verjährungsfristen, sachenrechtliche ersitzung oder gutgläubiger erwerb – zu überwinden, hat der bayerische Justizminister W. bausback 2014 ein gesetzesvorhaben zum «bösgläubigen erwerb» vorgestellt.13 unabhängig von der juristischen und normativen bewertung wird hieran deutlich, dass es ohne eine entsprechende öffentliche debatte kaum zu solchen reformbemühungen gekommen wäre, und dass in der Folge der staat als öffentliche Gewalt versucht, die normierende Kraft der Washingtoner Prinzipien in gesetzesform zu gießen.14 Zentraler ist jedoch der folgende befund: eine sich an der früheren und heutigen bundesdeutschen rechtslage orientierende rechtsdogmatische herangehensweise ist prima facie nicht ausreichend dafür geeignet, der 11 eine juristische aufarbeitung bietet b. rosenkranz (benjamin rosenkranz, der schwierige umgang mit ns-raubkunst: eine analyse aus rechtlicher Perspektive am beispiel des schwabinger Kunstfundes, Wiesbaden 2017). c. edel, der gerichtlich bestellte betreuer gurlitts, betonte dementsprechend immer das freiwillige element der Vereinbarung zwischen bund, Freistaat bayern und gurlitt: «er nimmt damit auf vorbildliche Weise moralische Verantwortung wahr und gibt ein gutes beispiel – jenseits einer aus unserer sicht eindeutigen rechtlichen situation» (Presse und informationsamt der bundesregierung, gemeinsame Pressemitteilung, in: aktuelles: Pressemitteilung 114/2014, http://bit.ly/2jasqrY, letzter Zugriff: 30.01.2017). 12 in der offiziellen «handreichung» (Fassung november 2007) zur umsetzung der Washingtoner Prinzipien heißt es daher ausdrücklich: «die auf der Washingtoner erklärung beruhende gemeinsame erklärung von bund, ländern und den kommunalen spitzenverbänden zur auffindung und zur rückgabe ns-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts begründet keine auf dem rechtsweg durchsetzbaren ansprüche auf herausgabe von Kulturgütern» (beauftragter der bundesregierung für Kultur und medien, handreichung, s. 27. Online: http://bit.ly/2jJxWcf, letzter Zugriff: 30.01.2017). 13 Offiziell: «entwurf eines gesetzes zum ausschluss der Verjährung von herausgabeansprüchen bei abhanden gekommenen sachen, insbesondere bei in der ns-Zeit entzogenem Kulturgut (Kulturgut-rückgewähr-gesetz – Krg).» das Sachenrecht ist im bürgerliche gesetzbuch (bgb), drittes buch, kodifiziert. 14 Problematisch ist in diesem Fall vor allem, dass eine abschaffung der Verjährungsfristen sowie der «bösgläubige erwerb» eventuell mit rechtsstaatlichen grundsätzen wie nulla poena sine lege praevia bzw. dem rückwirkungsverbot kollidieren, © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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«aus der Washingtoner Konferenz (1998) resultierenden Verpflichtung zur identifizierung und rückgabe von ns-raubkunst sowie zur herbeiführung ‹fairer und gerechter› lösungen» nachzukommen.15 Vor dem hintergrund der legitimationsfrage wird es dadurch auf staatlicher seite zur notwendigkeit, die moralischen Probleme durch politische entscheidungen im sinne des Prinzips der Gerechtigkeit im Einzelfall zu bearbeiten. analog zu h. a. Winklers these von deutschlands langem Weg nach Westen möchte ich vorschlagen, die entwicklung der Provenienzforschung und restitutionspraxis als langen Weg zu mehr Gerechtigkeit zu beschreiben.16 Winklers these, welche den ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen bildet, handelt selbstredend weniger von einer geographischen, kulturellen oder ethnischen angleichung zwischen deutschland und dessen westlichen Vorbildern, sondern vielmehr von der akzeptanz und Übernahme eines staats- und gesellschaftsverständnisses, welches nicht nur die dignität des ganzen, sondern vor allem auch die Würde des einzelnen betont. Für die heutige herkunftsforschung ist diese Konstellation mitsamt ihrer graduellen entwicklung zentral: «Vor dem hintergrund eines generationswechsels und der fortgesetzten aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit hat sich das gesellschaftliche und politische Klima in deutschland grundlegend gewandelt. anders als in der nachkriegszeit werden die bemühungen um die rückerstattung jüdischen eigentums durchweg unterstützt.»17 dass es sich dabei nicht um (vor)politische selbstverständlichkeiten handelt, zeigen die zahlreichen ns-schlussstrich-debatten der Vergangenheit, die teilerfolge neonazistischer Parteien oder die Äußerungen des thüringischen vor allem sofern sich bgb-gesetzesänderungen auch auf andere bereiche des sachenrechts auswirken. 15 alfred grimm, lost in art. Von «carinhall» nach münchen – Kunsttrophäen des reichsmarschalls im bayerischen nationalmuseum, in: aVisO. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in bayern, 1/2015, s. 45. 16 heinrich august Winkler, der lange Weg nach Westen, münchen 2002. 17 gramlich, einleitung, s. 12. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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aFd-landessprechers b. höcke vom 18. Januar 2017, in denen er eine «erinnerungspolitische Wende um 180 grad» fordert.18 auch der tragische nachkriegsprozess um P. auerbach zeigt deutlich, dass – egal ob formaljuristisch oder qua selbstverpflichtung – faire und gerechte lösungen keineswegs selbstverständlich waren und sind: der deutsch-jüdische auerbach, Überlebender der lager auschwitz und buchenwald sowie mitglied des Zentralrats der Juden in deutschland, war seit 1946 «staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte» und damit auch für das bayerische landesentschädigungsamt verantwortlich. in dieser Funktion wurde er 1951 aufgrund seiner amtsführung angeklagt und kurz darauf verurteilt. tatsächlich handelte es sich bei der vom deutschen Zentrum Kulturgutverluste als «auerbach-skandal» bezeichneten rechtssache jedoch um eine Kombination aus offenem nachkriegsantisemitismus und ablehnung gegenüber auerbachs entschädigungspolitik.19 die 1954 erfolgte rehabilitierung durch einen untersuchungsausschuss des bayerischen landtags erlebte auerbach aufgrund seines vorhergegangenen suizids nicht mehr. bemerkenswert ist demnach, dass in der langfristigen entwicklung der Provenienzforschung trotz immer wieder auftretender Probleme weder die schlussstrichdebatten, noch die Versuche einer revisionistischen oder reaktionären Vergangenheitsbewältigung zu greifen scheinen. im gegenteil haben sich in den letzten Jahrzehnten die westlich orientierte suchbewegung und der «konkrete rechtspolitische handlungsbedarf» eher gefestigt.20 um diese suchbewegung und ihre zentralen elemente soll es im Folgenden gehen. dem langen Weg nach Westen entsprechend, kreist die seit K. adenauer betriebene Westbindung deutschlands um die zentralen elemente westli18 tagesschau Online, dämliche bewältigungspolitik, in: ressort inland, 18. Januar 2017 (http://bit.ly/2keYYw2, letzter Zugriff: 30.01.2017). 19 deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Zeittafel, in: modul Provenienzrecherche – ns-raubkunst (http://bit.ly/2kdZccP, letzter Zugriff: 30.01.2017). siehe auch Werner bergmann, Philipp auerbach – Wiedergutmachung war «nicht mit normalen mitteln» durchzusetzen, in: claudia Fröhlich/michael Kohlstruck (hrsg.), engagierte demokraten. Vergangenheitspolitik in kritischer absicht, münster 1999, s. 57–70. 20 Katharina mutz/nadine lindner, der Fall gurlitt und die Folgen, in: deutschlandfunk, 13. Februar 2014 (http://bit.ly/2kdnWgj, letzter Zugriff: 30.01.2017). .

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cher demokratien, die gleichzeitig auch grundlegende begriffe der Politischen Theorie darstellen: Öffentlichkeit, Parlamentarismus, Volkssouveränität, rechtsstaatlichkeit, eigentum, liberalismus, republikanismus, gemeinwohl sowie (zivil)gesellschaftliche legitimitätsrückkopplung.21 grundsätzlich ist dabei, dass diese begriffe sowohl theoretisch als auch praktisch kaum allein gedacht werden können, sondern ausschließlich miteinander dasjenige bilden, was im sinne des grundgesetzes als freiheitlich-demokratische Grundordnung bezeichnet wird.22 die Verbindung zwischen einer demokratisch-zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit und der Provenienz- und restitutionsforschung ist dabei kaum zu überschätzen: als «Ort und medium prozeduraler legitimitätsstiftung» bildet die Öffentlichkeit einen resonanzboden und stellt eine habermasianisch gedachte Verbindung her zwischen Zentrum (Politik) und Peripherie (Zivilgesellschaft).23 die genannten medialen auseinandersetzungen um die causa gurlitt sowie die etwaigen Versäumnisse bayerischer behörden im umgang mit restitution müssen vor diesem hintergrund gesehen werden, und nicht im sinne eines unversöhnlichen stellungskriegs zwischen medien und behörden.24 die inhaltlichen Positionen sind im prozeduralen sinn also 21 selbstverständlich ist dies keine erschöpfende auflistung. 22 das bundesverfassungsgericht präzisierte die freiheitlich-demokratische grundordnung im zweiten leitsatz zum Verbotsurteil der sozialistischen reichspartei folgendermaßen: «Freiheitliche demokratische grundordnung […] ist eine Ordnung, die unter ausschluß jeglicher gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche herrschaftsordnung auf der grundlage der selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen mehrheit und der Freiheit und gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die achtung vor den im grundgesetz konkretisierten menschenrechten, vor allem vor dem recht der Persönlichkeit auf leben und freie entfaltung, die Volkssouveränität, die gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der regierung, die gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die unabhängigkeit der gerichte, das mehrparteienprinzip und die chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem recht auf verfassungsmäßige bildung und ausübung einer Opposition» (bVerfg 2,1 leitsatz 2; online: http://bit.ly/2k3d0zV, letzter Zugriff: 30.01.2017). 23 christian schwaabe, Politische identität und Öffentlichkeit in der europäischen union. Zur bedeutung der identitätsdiskurse im «post-abendländischen» europa, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 4/2005, s. 442. 24 bahners verweist in seinem artikel zu recht auf die unterschiedlichen Funktionslogiken von Wissenschaft und massenmedien (bahners, Freiwild, s. 9). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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zunächst nachrangig, da es vor allem um die scharnierfunktion von medien und deren möglichkeit geht, als Katalysator für gesellschaftliche debatten zu fungieren. diese Funktion erlangt durch den aspekt der Legitimitätsstiftung sein gewicht, da moderne demokratische systeme auf dem Prinzip Volkssouveränität basieren – staatliches behördenhandeln sieht sich also dem öffentlichen berichterstattungsdruck ausgesetzt. in enger Verbindung dazu stehen die rechtsstaatlich-demokratischen gebote von transparenz und Verantwortlichkeit, die hinter a. grimms Feststellung stehen, dass es in der Provenienzforschung auch um das ablegen von «rechenschaft» gehe.25 eine derartige rechenschaftsablage berührt insofern den Wesenskern der bundesrepublikanischen Ordnung, als es ja gerade in der republik um die res publica, also die öffentliche Sache, geht.26 dies ergibt vor allem dann sinn, wenn sich die mitglieder dieser Ordnung habermasianisch als eine rechtsgemeinschaft verstehen – und zwar als «rechtsgemeinschaft, die als eine assoziation freier und gleicher bürger die regeln ihres Zusammenlebens selber bestimmt.»27 gerade dieses Verständnis spannt einen bogen zwischen der republikanischen gemeinschaftstradition und den oftmals als liberal kategorisierten grund- und eigentumsrechten. Oberflächlich betrachtet berühren Provenienzforschung und restitutionspraxis vor allem diesen aspekt der Eigentumsrechte, nämlich die aus heutiger sicht problematischen Formen der «Übertragung von eigentum im 20. Jahrhundert».28 Zentraler erscheint mir aber, dass «während des nationalsozialismus unrechtmäßig enteignete Kunstwerke aus ehemals jüdischem besitz» auf ein weitaus gravierenderes politisches Problem hinweisen, als es die enteignung als solche nicht ohnehin darstellt:29 eigentumsentzug ge25 grimm, Forschungsverbund, s. 8. 26 Vgl. marcus tullius cicero, de re publica/Vom staat (übersetzt v. michael von albrecht), stuttgart 2013. 27 Jürgen habermas, Faktizität und geltung, Frankfurt a. m. 1992, s. 24. 28 so bernhard maaz im interview mit der FaZ (Patrick bahners/Julia Voss, münchen leuchtet alles aus. ein gespräch mit bernhard maaz, in: Frankfurter allgemeine Zeitung, 28. november 2016, s. 15). 29 bayerische staatsgemäldesammlungen, Provenienzforschung, in: die Pinakotheken – Forschung (http://bit.ly/2jgX58O, letzter Zugriff: 30.01.2017). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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fährdet rechtssicherheit und rechtsfrieden, und damit ein Fundament der bürgerlichen gesellschaft und der politischen Ordnung – im Falle der Weimarer republik und der bundesrepublik deutschland das Fundament zweier demokratisch-republikanisch verfasster gemeinwesen.30 J. locke hat diese Problematik erkannt und konstatiert daher in seiner liberalen Vertragstheorie, dass eigentumsrechte (property rights) untrennbar mit grundrechten (personal rights) und den aufgaben des staates (government) verbunden seien.31 dadurch ist die gefährdung von eigentumsrechten keine rein ökonomische angelegenheit, sondern von interesse für die gesamte soziale Ordnung und staatspolitische Organisation. an dieser stelle ist es freilich möglich, der argumentation zu widersprechen. eine derartige politiktheoretische und ideengeschichtliche herleitung der politischen relevanz von Provenienzforschung und restitutionsbemühungen wäre in diesem kritischen sinne zwar möglich, aber historisch und konzeptuell überstrapaziert.32 dass solche einwände nicht zutreffen, wird gerade am beispiel des ns-bedingten entzugs jüdischen eigentums – hier Kunstwerke – deutlich. Zunächst ist es unstreitig, dass der nationalsozialismus in seinem Wesenskern die negierung und mithin sogar Verkehrung ins gegenteil all jener Werte und normen darstellt, die als konstitutive elemente westlicher demokratien bezeichnet werden können. die zentrale rolle von enteignung und Vermögensentzug in der Zeit zwischen 1933 und 1945 wird je30 J.-J. rousseau, der eigentumsrechten aus anderen gründen kritisch gegenübersteht, hat das Problem in seinem Diskurs über die Ungleichheit bereits erkannt: «der erste, der ein stück land mit einem Zaun umgab und auf den gedanken kam zu sagen ‹dies gehört mir› und der leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche begründer der bürgerlichen gesellschaft» (Jean-Jacques rousseau, diskurs über die ungleichheit, Paderborn 2008, s. 173). in art. 14 gg heißt es dazu: «das eigentum und das erbrecht werden gewährleistet. inhalt und schranken werden durch die gesetze bestimmt (...). eine enteignung ist nur zum Wohle der allgemeinheit zulässig. sie darf nur durch gesetz oder auf grund eines gesetzes erfolgen, das art und ausmaß der entschädigung regelt.» 31 Vgl. William uzgalis, John locke, in: stanford encyclopedia of Philosophy (http://stanford.io/2k3ZVul, letzter Zugriff: 30.01.2017); eric Freyfogle, Property and liberty, in: harvard environmental law review, 1/2010, s. 75–118. 32 Politikwissenschaftlich gesprochen: conceptual stretching und conceptual overload. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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doch erst deutlich, wenn man den Überlegungen zweier prominenter historiker des nationalsozialismus und der shoah genauer folgt: sowohl in r. hilbergs standardwerk «die Vernichtung der europäischen Juden» als auch in s. Friedländers gesamtdarstellung «das dritte reich und die Juden» nimmt die eigentumsfrage eine Scharnierfunktion zwischen diskriminierung und ermordung ein.33 hilbergs Werk lässt sich in vier systematische abschnitte der ns-Politik gegenüber den Juden unterteilen: rechtlich-politische diskriminierung (1), enteignung (2), isolation/Konzentration (3) und Vernichtung (4).34 selbstredend handelt es sich hierbei um idealtypische Phasen der «struktur des Vernichtungsprozesses», die sich nicht in allen einzelfällen und -schicksalen immer eindeutig voneinander trennen lassen.35 bei Friedländer können zwei abschnitte unterschieden werden: Verfolgung und Vernichtung.36 hier kann eigentums- und Kunstraub in seinen verschiedenen Formen als Zuspitzung der Verfolgung interpretiert werden, die nach Friedländer ab 1939 in den Vernichtungsprozess umschlagen. beiden ansätzen ist gemein, dass die Vernichtungspolitik gegenüber den deutschen und europäischen Juden im Zeitverlauf an dynamik gewinnt, und dass enteignung das bindeglied zwischen diskriminierung/Verfolgung und physischer auslöschung darstellt. möglich wird der Vernichtungsprozess mitsamt seinen unterschiedlichen Phasen vor allem durch staatliche bürokratie und administration, was insofern eine weitere Verkehrung zu Weimar und bonn darstellt, als bei m. Weber das wesentliche charakteristikum von bürokratie noch darin bestand, dass eben sie «ohne ansehen der Person» und «sine

33 g. aly geht an dieser stelle noch einen schritt weiter und identifiziert den gegen Juden gerichteten Sozialneid als zentrale Komponente des nationalsozialistischen antisemitismus und seiner Folgen (vgl. götz aly, Warum die deutschen? Warum die Juden? gleichheit, neid und rassenhass, Frankfurt a. m. 2011). 34 Vgl. raul hilberg, die Vernichtung der europäischen Juden. die gesamtgeschichte des holocaust, berlin 1989. 35 hilberg, Vernichtung, s. 41. 36 der erste teilband lautet dementsprechend Die Jahre der Verfolgung 1933–1939, der zweite Die Jahre der Vernichtung 1939–1945 (vgl. saul Friedländer, das dritte reich und die Juden, münchen 2007). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ira et studio» handele.37 dass dies im nationalsozialismus in sein gegenteil verkehrt wird, ist unbestritten und nachgerade ein Proprium desselben. hier schließt sich der argumentative Kreis zum Schwabinger Kunstfund, zu dem sich bayerns Justizminister bausback 2014 folgendermaßen äußerte: «er wirft mit der Frage, wie wir mit den Kunstwerken umgehen, ganz grundsätzliche und übergeordnete Fragen auf. sie betreffen unser aller Verantwortung für die aufarbeitung von nationalsozialistischem unrecht und für dessen Opfer.»38 anhand dieser stellungnahme wird deutlich, dass es historisch und normativ höchst problematisch wäre, herkunftsforschung und restitution lediglich als politisches lippenbekenntnis oder als rechtssache im sinne zivilrechtlicher dinglicher herausgabeansprüche zu betrachten.39 stattdessen müssen restitutionsbemühungen, die heutige freiheitlich-demokratische grundordnung und ihre pervertierte Vorgängerin – die Politik gesetzlichen unrechts im nationalsozialismus – konkret miteinander verknüpft werden, um der gesellschaftspolitischen relevanz der Provenienzforschung gerecht zu werden.40 Zwar hat die bundesrepublik deutschland einen erheblichen teil ihres langen Weges nach Westen bereits hinter sich bringen können, dies befreit sie jedoch nicht von jener der moderne inhärenten notwendigkeit, ihre eigene normativität stets neu «aus sich selber [zu] schöpfen»;41 nur über diesen schöpfungsprozess können grundsätzliche und übergeordnete Fragen zufriedenstellend beantwortet werden.42 37 Weber verwendet diese beschreibung mehrfach in seinem Werk, eine auflistung der verschiedenen Kontexte findet sich bei christopher adair-toteff, max Weber’s sociology of religion, tübingen 2016, s. 34. 38 Winfried bausback, gemeinsame Pressemitteilung, in: aktuelles – Pressemitteilung 114/2014 (http://bit.ly/2jasqrY, letzter Zugriff: 30.01.2017). 39 siehe rudolph, restitution, s. 115–292. 40 hilberg fasst das nationalsozialistische gesetzliche unrecht wie folgt zusammen: «at first there were laws. then there were decrees implementing laws. then a law was made saying, ‹there shall be no laws.›» (raul hilberg, the holocaust, in: Paul Woodruff/harry Wilmer (hrsg.), Facing evil: confronting the dreadful Power behind genocide, terrorism, and cruelty, chicago 2001, s. 99–111, s. 103). 41 Jürgen habermas, der philosophische diskurs der moderne, Frankfurt a. m. 1985, s. 16. 42 siehe Fußnote 38. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hierin liegt das zentrale argument einer Fruchtbarmachung der thesen von Winkler und J. habermas für die Provenienzforschung: herkunftsforschung und etwaige restitution sind insofern relevant, wichtig und notwendig, weil sie das «normative Projekt der moderne» und dessen Unvollendetheit direkt berühren.43 die zeitgenössische Provenienzforschung ist dabei teil jenes aufarbeitungsprozesses, der sich mit dem Fall der konsequentesten negierung liberaldemokratischer Politik, dem nationalsozialismus, auseinandersetzt. Vor allem über diese historische negativspiegelung unserer heutigen sozialen und politischen Ordnung wird verständlich, wieso eine Verweigerungshaltung gegenüber der wissenschaftlichen aufarbeitung mitsamt etwaiger restitutionen nur schwer erträglich und kaum zu rechtfertigen erscheint: eine solche Verweigerung spräche dem selbstverständnis hohn, dass sich die deutsche Politik (in Verbindung mit der Zivilgesellschaft) in den letzten Jahrzehnten als «assoziation freier und gleicher bürger» erarbeitet hat.44 in der erinnerungspolitik und Vergangenheitsaufarbeitung nimmt vor allem dieser aspekt einen zentralen Platz ein, da es zum Wesenskern des nationalsozialismus gehört, ganzen Personengruppen genau dies abzuerkennen. Wie deutlich wurde, spielt die enteignung dabei eine zentrale rolle in der Zerstörung privater und öffentlicher Autonomie. aufgrund der privat-öffentlichen Gleichursprünglichkeit bedeuteten entrechtung und enteignung (deutsch-)jüdischer bürger eine absage an die gemeinsame rechtsgenossen- und rechtsgemeinschaft.45 in deutschland kann diese bemühung der freiheitlich-demokratischen Ordnung, die Vergangenheitsaufarbeitung sowohl ideell als auch materiell zu betreiben, an zahlreichen aktuellen beispielen belegt werden. Viele behörden 43 heinrich august Winkler, zitiert nach Volker ullrich (Volker ullrich, Winklers «geschichte des Westens»: das deutsche Kapitel, in: die Zeit, 6. Oktober 2011, http://bit.ly/2keqdma, letzter Zugriff: 30.01.2017). Zur Figur der unvollendeten moderne siehe Jürgen habermas, die moderne – ein unvollendetes Projekt, in: die Zeit, 19. september 1980 (http://bit.ly/2keuWtu, letzter Zugriff: 30.01.2017). 44 siehe Fußnote 27. 45 Zur erläuterung der gleichursprünglichkeit privater und öffentlicher autonomie siehe Jürgen habermas, Über den internen Zusammenhang zwischen rechtsstaat und demokratie, in: ulrich Preuß (hrsg.), Zum begriff der Verfassung. die Ordnung des Politischen, Frankfurt a. m., s. 83–94. hierin könnte auch ein unterschied bestehen zu anderen bereichen der Provenienz- und restitutionsforschung (kolonialzeitliche Objekte; durch wissenschaftliche grabungen erlangte Kunstwerke etc.). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Provenienzforschung als politische aufgabe

und unternehmen haben in den letzten Jahren großangelegte studien zur eigenen rolle im nationalsozialismus in auftrag gegeben, wie beispielsweise das bundesjustizministerium, das auswärtige amt, Volkswagen oder der c. h. beck-Verlag.46 beim deutschen Zentrum Kulturgutverluste sind übergreifende Forschungsbemühungen erkennbar, die deutlich machen sollen, dass mit der Provenienzforschung auch eine allgemeine aufarbeitung des nationalsozialismus einhergeht, die nicht nur die «geschichte von Kunstwerken», sondern auch die «schicksale der Opfer» und die «rollen aller anderen akteure» berücksichtigt.47 gleiches gilt für die zivilgesellschaftliche und kommunale ebene: die Kunstaktion «Weisse Koffer» (münchen) sowie das bundesweite Projekt «stolpersteine» sind interessant, weil sie einen direkten materiellen bezug zu den Wohnungen und habseligkeiten Verfolgter und deportierter herstellen. im lichte der Konsolidierung kann denn auch die zunächst befremdlich wirkende aussage von b. maaz zur Provenienzforschung besser eingeordnet werden: «erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die notwendigkeit etabliert, die herkunft aller Werke genauer zu kennen, die nach 1933 in die museen kamen und vor 1945 entstanden sind.»48 die normative notwendigkeit bestand mithin schon davor, sie musste aber vor dem hintergrund des langen Weges nach Westen erst etabliert und konsolidiert werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die formalrechtliche bearbeitung von restitutionsfragen zwar wünschenswert, aber für die her46 eine aussage über die qualität der studien ist damit noch nicht getroffen und in diesem rahmen auch nicht möglich. 47 deutsches Zentrum Kulturgutverluste, aufgaben, in: die stiftung (http://bit.ly/ 2jqpzYY, letzter Zugriff: 30.01.2017). 48 bernhard maaz et al., Forschungsfeld Provenienz. grösse und grenzen einer aufgabenstellung für die bayerischen staatsgemäldesammlungen, in: aVisO. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in bayern, 3/2015, s. 12. Ähnlich wie die genannten behörden sind auch die bayerischen staatsgemäldesammlungen mit einer aufarbeitung – unter expliziter berücksichtigung der nachkriegszeit – beschäftigt: «Wir erforschen seit 2013 diese heute befremdenden entscheidungen, die ihnen zugrundeliegenden haltungen, die einstellungen von entscheidungsträgern der nachkriegsgesellschaft und somit auch der mit den Überweisungen befassten generationen von direktoren. die studie wird die handlungsspielräume der damaligen Verantwortlichen auch in ministerien und Politik untersuchen. insbesondere soll sie klären, welche ambivalente rolle eine etwaige loyalität gegenüber Protagonisten des ns-regimes spielte» (bahners/Voss, münchen leuchtet, s. 15). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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beiführung fairer und gerechter lösungen oftmals nicht ausreichend ist. umso wichtiger erscheint es daher, den politischen Kontext von Provenienzund restitutionsforschung anzuerkennen und im horizont des liberalen Verfassungsstaates zu betrachten. Politik stellt dabei «die Kapazitäten bereit, mit denen kollektiv bindende entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden.»49 im liberalen Verfassungsstaat besteht jedoch eine besonders starke Wechselwirkung zwischen dem recht und ebenjenen kollektiv bindenden Entscheidungen: «die Politik erzeugt das recht, und sie ist ihrerseits dem recht unterworfen.»50 e. benda, ehemaliger bundesverfassungsgerichtspräsident, verdeutlicht mit dieser aussage die im deliberativen Prozess immer wieder auszuhandelnde Wechselbeziehung beider bereiche. Wenn politisch motivierte gesetzesänderungen wie im Fall der lex gurlitt mit geboten des rechtsstaats in Konflikt zu geraten drohen und gleichzeitig die dogmatische Rechtsfindung in Konflikt mit der moralisch gebotenen Vergangenheitsaufarbeitung steht, dann ist ein Kompromiss, wie ihn die Washingtoner Prinzipien sowie die «gemeinsame erklärung» darstellen, notwendig, um die liberale, demokratische und rechtsstaatliche integrität eines politischen systems zu wahren. es liegt jedoch in der natur der sache, dass in einem rechtstaatlichen und demokratischen system die Frage, wie Fairness und gerechtigkeit konkret zu verstehen sind, dabei nicht letztgültig geklärt werden kann.51 antworten bilden sich erst im öffentlichen diskurs heraus, der als Prozess normativer selbstschöpfung aber auch immer einer selbstbindung an Verfassungsprinzipien unterliegt. diese Konstellation der gleichursprünglichkeit von privater (grundrechte) und öffentlicher (demokratie) autonomie kennzeichnet unsere heutige Ordnung. nur vor diesem 49 so die Formulierung von a. brodocz unter rückgriff auf die theorie n. luhmanns (andré brodocz, die macht der Judikative, Wiesbaden 2009, s. 54). 50 ernst benda, recht und Politik, in: dieter nohlen/rainer-Olaf schultze (hrsg.), lexikon der Politikwissenschaft: theorien, methoden, begriffe, münchen 2010, s. 884– 886, s. 884. 51 die diskussion um begriffe wie gerechtigkeit wird seit Platon geführt. der gewichtigste moderne beitrag dazu stammt von J. rawls und ist liberal-prozeduraler natur (vgl. John rawls, Justice as Fairness: Political not metaphysical, in: Philosophy and Public affairs, 3/1985, s. 223–251. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Provenienzforschung als politische aufgabe

hintergrund ist nachvollziehbar, wieso eine politische oder rechtliche Verweigerungshaltung gegenüber der «Verantwortung für die aufarbeitung von nationalsozialistischem unrecht» in der Öffentlichkeit ein tiefer liegendes unbehagen auslöst, und mithin als Fortführung vergangenen unrechts betrachtet werden kann.52 die Provenienzforschung stellt die integrität der Kunstwerke und vor allem die grundrechtlich verbriefte Würde der Opfer ohne Preisgabe des öffentlich geführten demokratischen aushandlungsprozesses über den umgang mit sogenannter raubkunst wieder her. sie leistet dabei nicht nur einen historischen und kunstwissenschaftlichen, sondern vor allem einen freiheitlich-demokratischen beitrag zur sozialen und politischen Ordnung.

52 siehe Fußnote 38. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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innenansicht des antiquariats Jacques rosenthal, brienner straße 47. Verkaufsraum im rückwärtigen teil des erdgeschosses. aufgenommen in den 1920er Jahren. atelier Jaeger & goergen, münchen. © stadtarchiv münchen, Fs-leihgaben-rosenthal-002.

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das firmen- und familienarchiv Jacques rosenthal im stadtarchiv münchen anton löffelmeier und michael stephan · münchen

Bedeutung des Antiquariatshauses rosenthal die 1895 gegründete Firma Jacques rosenthal in münchen zählte bis gegen ende der 1930iger Jahre zu den bedeutendsten antiquariaten nicht nur in deutschland, sondern in ganz europa. sie hatte geschäftsverbindungen zu den führenden antiquariats- und auktionshäusern, bibliotheken, Kunsthändlern und Privatsammlern der Welt. mit zahlreichen großen antiquariatshäusern europas bestanden Kooperationen (z. b. leo Olschki in Florenz, maggs bros. ltd. in london); bedeutende private Kunstsammler in europa und den usa (z. b. calouste gulbenkian in london und Paris, J. P. morgan und henry Walters in new York) erwarben bibliophile Kostbarkeiten bei den rosenthals (abb. 1). mit den jüdischen antiquariaten in münchen (z. b. Julius halle, emil hirsch und isaak hess) stand man in engem geschäftlichem austausch. bibliophile literaten, wie etwa Karl Wolfskehl (1869–1948) und rolf von hoerschelmann (1885–1947), oder Kunstgewerbler und schriftgrafiker wie Otto hupp (1859–1949) suchten den rat der rosenthals. nicht nur die Firmeninhaber Jacques (1854–1937) und sein sohn erwin rosenthal (1889– 1981), sondern auch eine ganze reihe führender angestellter und antiquare des hauses waren vernetzt in die Kunst-, Kultur- und Forschungsverbünde der stadt und weit darüber hinaus. die Firma handelte auch mit graphik und gemälden (schwerpunkt: niederländische, französische und italienische Künstler). dieser geschäftszweig war nach dem ersten Weltkrieg vor allem vom sohn des gründers, dem Kunsthistoriker erwin rosenthal, auf- und ausgebaut worden. dependancen bestanden in berlin (1920–1925) und lugano bzw. Zürich (ab 1920). den wissenschaftlichen anspruch des hauses verdeutlicht eine im Jahr 1911 begonnene, im ersten Weltkrieg unterbrochene und von 1927 © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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bis 1932 fortgesetzte Zeitschriftenreihe («beiträge zur Forschung. studien und mitteilungen aus dem antiquariat Jacques rosenthal») sowie ein reihe von teils bibliophil ausgestatteten Verlagsproduktionen zur geschichte der buchwissenschaft. Für hans Koch (1897–1978), den leitenden mitarbeiter des antiquariats, war Jacques rosenthal in der rückschau «einer der maßgebenden bewohner einer weitgespannten europäischen bibliopolis».1 Erzwungenes Ausscheiden der Familie rosenthal und Wege der Emigration im dezember 1935 wurde die Firma aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der zunehmenden ausgrenzungsmaßnahmen der nationalsozialisten von Jacques und erwin rosenthal an hans Koch veräußert. diesem umstand ist es zu verdanken, dass es zwischen den beteiligten trotz bedrängender wirtschaftlicher und politischer bedingungen zu einem einigermaßen fairen und regulären ausgleich kam. Jacques rosenthal konnte so weiterhin fast täglich im antiquariat ein- und ausgehen. er starb am 5. Oktober 1937 in münchen, seine ehefrau emma (1857–1941) konnte mit hilfe der bereits im ausland lebenden Kinder und mit tatkräftiger unterstützung von hans Koch zum Jahresende 1939 in die schweiz ausreisen. erwin rosenthal emigrierte 1935 in die schweiz und reiste dann 1941 in die usa weiter. er führte nach Kriegsende dort und auch in der schweiz ein leben als antiquar, universitätsdozent und Privatgelehrter. eng vernetzt war er in die community der deutschen emigranten und exilanten an der Ost- und Westküste der usa (z. b. alma mahler-Werfel, thomas mann). seit beginn der 1930iger Jahre hielten sich die Kinder erwin rosenthals ebenfalls im ausland auf. tochter gabriella (1913–1975) heiratete 1935 den münchner schriftsteller Fritz rosenthal, der sich später schalom ben-chorin (1913–1999) nannte, und wanderte mit ihm nach Palästina aus. albi (eigentlich: albrecht gabriel, 1914–2004) emigrierte im mai 1933 nach london, 1 hans Koch, gratus amicis. rückschau auf fünf Jahrzehnte 1897-1947, masch. manuskript, münchen 1947, s. 29. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der londoner Kunstsammler calouste gulbenkian (1869–1955) erwirbt eine in Katalog 91 des antiquariats (erschienen 1929) angebotene Papierhandschrift aus dem Jahr 1469, notation vom 26. märz 1935. unter der beschreibung der hinweis auf das lagerbuch (lb 143720). © stadtarchiv münchen, Firmen- und Familienarchiv rosenthal.

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unter den Compagnie-Conti sind auch die teilhaben mit der Kunsthandlung Julius böhler gelistet, einträge von 1910 bis 1913. © stadtarchiv münchen, Firmen- und Familienarchiv rosenthal.

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studierte dort Kunstgeschichte und musikwissenschaften und gründete 1936 in london das antiquariat a. rosenthal ltd. mit dem schwerpunkt alte musik. er übersiedelte 1942 nach Oxford und erwarb 1955 das londoner musikantiquariat Otto haas (1874–1955), ehemals leo liepmannssohn (1840–1915) in berlin. Felix (1917–2009) leitete in nachfolge seines Vaters l’art ancien in Zürich. bernhard (bernard), geboren 1920, eröffnete 1953 ein antiquariat in new York, nachdem er zunächst einen beruflichen Weg in den naturwissenschaften gesucht hatte. sein interesse galt der Familientradition gemäß handschriften, inkunabeln und frühen drucken, die er in exzellent und humorvoll bearbeiteten Katalogen herausgab. er starb als letzter der enkelgeneration Jacques rosenthals am 14. Januar 2017 in Oakland (Kalifornien).2 Der Weg des Firmen- und Familienarchivs ins Stadtarchiv München im Jahr 1993 zeigte das münchner stadtmuseum die viel beachtete ausstellung «münchen – ‹hauptstadt der bewegung›», die in enger Zusammenarbeit mit dem stadtarchiv münchen und verschiedenen lehrstühlen der ludwig-maximilians-universität münchen erarbeitet worden war. im Kontext der dort thematisierten Judenverfolgung in münchen wurde erstmals ausführlich auch das schicksal der Familie rosenthal gewürdigt. Viele der gezeigten exponate stammten aus dem besitz von Jens Koch, dem sohn von hans Koch, der das antiquariat Jacques rosenthal in der ns-Zeit und über die Kriegsjahre hinaus weiter geführt hatte.3 im nachgang zu dieser ausstellung konnte das stadtarchiv münchen 1998/99 diese unterlagen erwerben, die einen wichtigen grundstock einer Überlieferung bildete, der in den folgenden Jahren durch gute Kontakte zu den weit verstreuten mitgliedern der Familie rosenthal ausgebaut und durch schenkungen aus Familienbesitz ergänzt werden konnte. 2 Vgl. nachruf von Patrick bahners: «das beste steht am rand. Zum tode des buchhändlers bernard rosenthal», in: Frankfurter allgemeine Zeitung vom 28.1.2017. 3 Wolfram selig, Judenverfolgung in münchen 1933 bis 1941, in: brigitte schütz (hrsg.), münchen – «hauptstadt der bewegung», münchen 1993; hier s. 406–409 («Katalog 24.4 das beispiel einer Familie: antiquariat rosenthal»). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

das Firmen- und Familienarchiv Jacques rosenthal im stadtarchiv münchen

das stadtarchiv münchen vermittelte im Jahr 2002 mit der Publikation «die rosenthals»4 und einer gleichlautenden ausstellung im damaligen Jüdischen museum in münchen5 einer interessierten Öffentlichkeit die bedeutung dieser Familie und ihrer geschäfte für das kulturelle und wirtschaftliche leben münchens. richard bauer, der damalige leiter des stadtarchivs münchen, stellte in seinem Vorwort fest, dass die Publikation «mehrere stadtgeschichtliche lücken» schließt.6 die bedeutung des Firmenarchivs für die damals erst im entstehen begriffene Provenienzforschung wurde allerdings noch nicht erkannt. bewegend war das grußwort von bernard rosenthal, dem enkel von Jacques rosenthal: «niemand von uns hätte je geträumt, dass unsere alte heimatstadt unsere Familie mit einer so eindrucksvollen dokumentation ehren würde.»7 die Publikation wird eingeleitet von dem beitrag von ingo schwab über den «münchner antiquariatshandel in der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts», in der es noch eine überschaubare Zahl an händlern gab. aus den quellen des stadtarchivs arbeitete schwab namen wie Johann nepomuk Peischner, Klement steyrer, Joseph ehrentreich, georg Kaspar nagler, Jakob Oberdorfer und isaak hess heraus.8 in dem beitrag «die Wurzeln der rosenthals. Fellheim in bayerischschwaben» geht anton löffelmeier den spuren des stammvaters der Familie, des handelsmanns Joseph rosenthal (1805–1885), nach, die in den an 4 stadtarchiv münchen (hrsg.), die rosenthals. der aufstieg einer jüdischen antiquarsfamilie zu Weltruhm. mit beiträgen von elisabeth angermair, Jens Koch, anton löffelmeier, eva Ohlen und ingo schwab, Wien u. a. 2002. 5 das Jüdische museum münchen befand sich von 1998 bis 2006 in räumen der israelitischen Kultusgemeinde münchen und Oberbayern in der reichenbachstr. 27 und wurde in städtischer trägerschaft vom münchner stadtmuseum und stadtarchiv münchen (hier verantwortlich andreas heusler) geführt. – Vgl. stadtarchiv münchen (hrsg.), das Jüdische museum münchen. 1989 bis 2006 – ein rückblick, münchen 2006; zur ausstellung «die rosenthals» s. 74/75 (die von anton löffelmeier und elisabeth angermair konzipierte ausstellung wurde vom 23. Oktober 2002 bis zum 15. Januar 2004 gezeigt). 6 die rosenthals, s. 19. 7 die rosenthals, s. 11. 8 die rosenthals, s. 13–46. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der alten handelsstraße von ulm nach memmingen gelegenen Ort führen. er schildert – im Kontext der toleranzgesetzgebung, dem Judenedikt von 1813 und dem berüchtigten matrikelparagraphen – die schwierigen anfänge einer gesicherten bürgerlichen existenz, die schließlich ab 1859 (endgültig 1867) aus dem kleinen Fellheim ins großstädtische münchen führt.9 die nächsten beiden beiträge widmet löffelmeier den beiden söhnen, die jeweils mit eigenen geschäften in münchen (hildegardstr. 16 bzw. brienner str. 47, abb. 2) Karriere machten: «ludwig rosenthal als ‹Wegbereiter› (1840–1928)» und «das antiquariat Jacques rosenthal».10 ihre bedeutung für münchen macht löffelmeier in seinem letzten beitrag deutlich: «der Kosmos der rosenthals: bücherkenner, Künstler und Wissenschaftler». hier werden die geschäftlichen Kontakte insbesondere zu folgenden Persönlichkeiten herausgearbeitet: zum antiquar Friedrich Finkenstaedt (1897–1932), zu dem inkunabelforscher Konrad haebler (1857–1946), zum buchhalter ludwig nussbaum (1898–1974), zum antiquar und Privatgelehrten ernst schulz (1897–1944), zum antiquar und Kunsthändler emil hirsch (1866–1954), zum buchausstatter und typographen Otto hupp (1859–1949) und schließlich zum dichter und bücherliebhaber Karl Wolfskehl (1869–1948). mit den söhnen von ludwig und Jacques rosenthal befasst sich der beitrag «generationenwechsel in den antiquariatshäusern rosenthal» von elisabeth angermair, die in einem weiteren eindrucksvollen, aber auch beklemmenden beitrag mit der Überschrift «Vertreibung – emigration – deportation» dem «schicksal der Familienzweige und ihrer Firmen während der ns-Zeit» (so der untertitel) nachgeht.11 Zwei exkurse beschließen die rosenthal-dokumentation. in dem einen zeichnet eva Ohlen das leben von «gabriella rosenthal, enkelin von Jacques rosenthal und ehefrau von schalom ben-chorin»12 nach; in dem anderen 9 die rosenthals, s. 47–60. 10 die rosenthals, s. 61–89 bzw. 91–135. 11 die rosenthals, s. 165–177 bzw. 179–201. 12 die rosenthals, s. 203–207. hier ist zu ergänzen, dass das stadtarchiv münchen im Jahr 2009 das arbeitszimmer von schalom ben-chorin (mitsamt der bibliothek und weiteren unterlagen), so wie es zuletzt in seiner Wohnung in Jerusalem bestanden hat, übernommen hat; es ist hier als erinnerungsraum zu besichtigen. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

das Firmen- und Familienarchiv Jacques rosenthal im stadtarchiv münchen

würdigt Jens Koch die Verdienste seines Vaters: «hans Koch und die Firma Jacques rosenthal».13 das rosenthal-buch und die ausstellung von 2002 zeigten Wirkung weit über münchen hinaus. in Fellheim, dem herkunftsort der rosenthals, wurde die gründung eines Förderkreises angestoßen, der sich die sanierung und rekonstruktion der dortigen alten synagoge zum Ziel gesetzt hat. am 5. september 2015 wurde die ehemalige synagoge mit einer ausstellung über synagogen in schwaben als Kulturzentrum eröffnet. bereits vier Jahre zuvor hat der gemeinderat von Fellheim auf anregung des «Förderkreises synagoge Fellheim» in einem neubaugebiet eine rosenthalstraße benannt. eine hinweistafel erläutert den Kontext: «Joseph, ludwig und Jakob (Jacques) rosenthal. Jüdische buchantiquare, bis 1897 in Fellheim ansässig, gründeten im 19. Jahrhundert weltweit tätige buchantiquariate, die bis heute in mehreren ländern fortbestehen.» im Jahr 2014 erhielt das stadtarchiv münchen einen weiteren wichtigen Zuwachs aus Familienbesitz, dem 2016 noch ein nachtrag folgte. bei albis tochter Julia rosenthal, von beruf ebenfalls antiquarin in london, hatte sich über ihren Vater ein Kernbestand der antiquarischen und familiären Überlieferung aus den beiden ersten generationen gesammelt. in einer abendveranstaltung am 11. märz 2015 mit dem titel «ausgepackt! das Firmen- und Familienarchiv rosenthal im stadtarchiv münchen», an der auch Julia rosenthal teilnahm, wurde der neuzugang der Öffentlichkeit und speziell der community der münchner antiquare präsentiert. im rahmenprogramm wurde von dem münchner literaturwissenschaftler dirk heißerer unter dem titel «münchner antiquare von einst» ein literarischer spaziergang um den Karolinenplatz angeboten. aufgrund der bedeutung dieser erwerbung entschloss sich das stadtarchiv, die genaue erschließung dieses so wichtigen Firmen- und Familienarchivs mit drittmitteln zu finanzieren. ein antrag bei der deutschen Forschungsgemeinschaft wurde 2016 positiv beschieden, seit anfang 2017 ist ein wissenschaftlicher mitarbeiter mit dem Projekt betraut. 13 die rosenthals, s. 208–213. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Bedeutung und Zusammensetzung des Bestandes im Stadtarchiv München aus den oben dargestellten Überlieferungs- und erwerbungssträngen ergibt sich ein vielschichtiger gesamtkomplex aus familiären und geschäftlichen quellen, der im stadtarchiv ganz bewusst als «Firmen- und Familienarchiv Jacques rosenthal» benannt wurde. um die Firmenunterlagen als Kern gruppieren sich eine beachtliche anzahl von kleineren und größeren quellenbeständen aus der Kinder- und enkelgeneration von Jacques rosenthal, die das geografische spektrum von münchen aus nach italien, der schweiz, nach großbritannien und bis nach südamerika und die usa weiten und inhaltlich die themenkreise emigration, exil, neuanfang und erneute etablierung im internationalen antiquariatshandel berühren. Zunächst ein blick auf die firmengeschichtlichen quellen, die um das Jahr 1910 mit einer reihe von sieben lagerbüchern beginnen, die bis in das Jahr 1950 von hans Koch weitergeführt wurden, einen gesamtumfang von 3.200 seiten aufweisen und einen Überblick über ca. 64.000 gehandelte Objekte geben. es folgen mehrere Kaufs-, Verkaufs- und ansichtsbücher mit einer gesamtlaufzeit von 1918 bis 1956 und – als solitär – ein geschäftsbuch mit dem titel «compagnie-conti», das es in sich hat (abb. 3). darin sind nämlich geschäftsteilhaben und gemeinsame Finanzierungen mit anderen antiquariaten und Kunsthandlungen aus den Jahren 1909 bis 1913 aufgeführt, insbesondere mit den großen häusern am münchner Platz, darunter die Kunsthandlungen von a(aron) s(iegfried) drey und Julius böhler, mit denen teilhaben an alten drucken und manuskripten, aber auch an grafik, gemälden und Perserteppichen bestanden. dass ein Posten goya (Korrespondenz, 41 briefe), für den man mit böhler am 23. Januar 1913 7.000 mark investiert hatte, später als «in Verlust gegangen» notiert werden musste, mag dem riesigen lager geschuldet sein. mit leo Olschki, der ebenfalls im «compagnie-buch» vertreten ist, bestand offenbar eine solch enge Zusammenarbeit, dass beide häuser gemeinsame lagerbücher führten. Von besonderer bedeutung sind mehrere serien handnotierter Kataloge aus den handapparaten von Jacques und erwin rosenthal und weiterer füh© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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render mitarbeiter des antiquariats. so ist für die Zeit von 1895 bis 1934 eine vollständige reihe notierter Kataloge aus dem besitz von Jacques und erwin rosenthal vorhanden. Oftmals ist den Katalogen eine vollkommene liste der Verkäufe beigelegt. ein umfassender teil der geschäftskorrespondenz aus dem Zeitraum von 1923 bis 1953 (zehn stehordner) konnte bereits im Kontext der buchpublikation vor über zehn Jahren ins stadtarchiv übernommen werden. die einzelnen Ordner/Konvolute der Korrespondenz umfassen dabei neben der reinen geschäftskorrespondenz mit einzelnen Kunden im in- und ausland auch die interne antiquariatskorrespondenz und darüber hinaus auch den briefwechsel mit dem schweizer tochterunternehmen l´art ancien. nach einer ersten schätzung beträgt der gesamtumfang dieser Korrespondenz etwa 8.500 seiten mit über 7.000 geschäftsvorgängen. dieser bestand konnte mit den Zugängen aus london in den Jahren 2014 und 2016 durch einen umfangreichen briefwechsel aus dem nachlass von erwin rosenthal ergänzt werden. er enthält geschäfts- und Familienkorrespondenz ab 1910 und bildet einen schwerpunkt in den 1930er und 1940er Jahren. nachvollziehbar sind darüber unter anderem die wechselseitigen bemühungen von hans Koch und der Familie rosenthal, regelungen und absprachen zur sicherung des Firmen- wie des Familienbesitzes bzw. zu seiner transferierung ins ausland zu suchen und zu finden. belegt sind darin aber auch die existenziellen bedrohungen und gefährdungen, denen deutsche Juden in der emigration und im exil ausgesetzt waren, seien es Probleme der familiären Zerstreuung und Wiederfindung und des beruflichen und geschäftlichen neubeginns oder – nach Kriegsende – Fragen der Wiedergutmachung und der rückerstattung sowie der emotionalen bindung an die alte heimat und der im raum stehenden remigration. aus der oben dargestellten quellenüberlieferung können vielfältige ansätze für weiterführende Forschungen in zahlreichen Forschungsfeldern der Jüdischen geschichte, der Wirtschafts- und sozialgeschichte und der Kunsthandelsgeschichte formuliert werden. nach abschluss der erschließungsarbeiten können hoffentlich neue und substantielle quellen für die emigra© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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das Firmen- und Familienarchiv Jacques rosenthal im stadtarchiv münchen

tions- und exilforschung und nicht zuletzt auch für die Provenienzforschung zur Verfügung gestellt werden. Wenn über das antiquariat auch kaum größere Posten von Zwangs- oder notverkäufen jüdischer sammler verhandelt worden sein dürften, so bilden die vorhandenen Korrespondenzen und geschäftsbücher doch vielfältige ansätze für die Verifizierung und den nachweis von eigentumsverhältnissen in den 1920iger und 1930iger Jahren. auf die Familie rosenthal bezogen sind ebenfalls noch nicht alle Fragen des eigenen Kunstbesitzes und dessen Verbleib geklärt. Weitere aufschlüsse sind auch darüber zu erhoffen, auf welchen Wegen der transfer von büchern und teilen des lagerbestands von münchen in die schweiz erfolgen konnte.

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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das studium der menschheit

der arzt Johann nepomuk von ringseis (1785–1880) auf Öl/leinwand Wolfgang gerhard locher und

eine spurensuche zu einem porträtgemälde von moritz von schwind

isabel grimm-stadelmann

Johann nepomuk von ringseis (16. mai 1785–22. mai 1880) gehört zu den prägenden Köpfen der bayerischen medizin im 19. Jahrhundert und zu den seinerzeit politisch einflussreichsten münchener Ärzten.1 als zeitweiliger leiter der medizinalabteilung im innenministerium kam ihm eine führende rolle in der ärztlichen berufs- und standespolitik zu; als chefarzt einer der beiden medizinischen Kliniken am allgemeinen Krankenhaus sowie als hochschullehrer an der medizinisch-praktischen lehranstalt und ab 1826 an der ludwig-maximilians-universität münchen übte er über viele Jahrzehnte zudem maßgeblichen einfluss auf die medizinische lehre und die ärztliche Versorgung aus. seine steile Karriere begonnen hatte ringseis als reisearzt des späteren Königs ludwig i. (1786–1868, reg. 1825–1848). dreimal begleitete er den um ein Jahr jüngeren bayerischen Kronprinzen auf dessen reisen 1817/18, 1820/21 und 1823/24 nach italien. als berater des visionären jungen Königs war ringseis ein wichtiger ideengeber für die Verlegung der universität von landshut nach münchen im Jahre 1826, deren geschicke er ab diesem Zeitpunkt über viele Jahrzehnte hin maßgeblich mitgestaltete.2 seine nähe zum regenten nutzte ringseis dazu, den lehrkörper der nach münchen verlagerten universität nicht nur im bereich der medizin im romantisch-christlichen geiste zu formen. Katholische Kreise setzten erhebli1 Vgl. hierzu die aktuelle, in der von thomas götz herausgegebenen serie «kleine bayerische biografien» erschienene ringseisbiographie: a. Wolfsteiner, Johann nepomuk von ringseis: arzt und Vertrauter ludwigs i. regensburg 2016; vgl. außerdem h. goerke, Johann nepomuk von ringseis und die medizinalreform in bayern, in: bayerisches Ärzteblatt 10/1977, s. 944–950; e. dünninger, Johann nepomuk von ringseis in seiner Zeit, in: beiträge zur geschichte und landeskunde der Oberpfalz 26 (mai 1987) s. 3–28. 2 Vgl. W. g. locher, die medizinische Fakultät der universität münchen im 19. Jahrhundert. Katalog der ausstellung vom 17. mai bis 14. Juni 1985, münchen-gräfelfing 1985. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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che hoffnungen in ringseis, der als folgsamer und strenggläubiger Katholik bekannt war, sowie als großer und provokanter Verteidiger der katholischen Kirche auftrat.3 Vor diesem religiösen hintergrund hatte ringseis auch eine dezidierte meinung zur Kunst. in romantischer reaktion auf die von ihm mit skepsis betrachtete aufklärungsideologie begeisterte er sich für die sog. neudeutsche und insbesondere für die sog. nazarenische Kunst und war mit dem ganzen Künstlerkreis bekannt, der sich damals in rom und münchen um den bayerischen Kronprinzen scharte. auf dem bekannten bild von Franz ludwig catel (1778–1856), das den Kronprinzen mit seinen Freunden 1823 in rom bei einem trinkgelage in trastevere zeigt, ist ringseis inmitten der zechfreudigen runde zu sehen.4 nicht selten spielte ringseis sogar den Vermittler zwischen den Künstlern und ludwig: so war es ringseis, der den nazarener Peter von cornelius (1783–1867) mit blick auf dessen titelblatt zur nibelungensage mit dem Kronprinzen zusammenbrachte und als unterhändler hinsichtlich der glyptothek-Fresken in erscheinung trat.5 als Person, die durch ihre nähe zum zukünftigen bayerischen König schon früh im licht der Öffentlichkeit stand, war der arzt ringseis für die maler und Zeichner bald auch selbst ein gesuchtes Porträtobjekt. schon während der ersten italienreise des Kronprinzen 1817/18 hat Johann georg von dillis (1759–1841) mit bleistift Kronprinz ludwig von bayern mit seinen reisegefährten dr. ringseis und Karl graf seinsheim in seinem skizzenbuch festgehalten (staatl. graphische sammlung inv.nr. 1919:132 a). 3 Vgl. b. lang, dr. Johann nep[omuk] von ringseis (1785–1880): der große Verteidiger der katholischen Kirche [Kleine lebensbilder 30], Freiburg (ch) et al. 21931. 4 F. l. catel, Kronprinz ludwig in der spanischen Weinschänke zu rom (1824), münchen, bayerische staatsgemäldesammlungen, neue Pinakothek, inv. nr. WaF 142: https://www.pinakothek.de/kunst/franz-ludwig-catel/kronprinz-ludwig-der-spanischen-weinschaenke-zu-rom (letzter Zugriff: 24.03.2017). 5 J. bahns (hrsg.), meisterwerke der romantik aus den beständen des Kurpfälzischen museums heidelberg, ausstellung im Kupferstichkabinett, 10. september– 16. Oktober 1983. ausstellungskatalog, bearb. von s. Wechssler unter mitarbeit von r. schmid, heidelberg 1983, s. 16; K. n. berg, Johann nepomuk ringseis. ein beitrag zur geschichte der romantik, diss. phil. heidelberg 1932. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

eine spurensuche zu einem Porträtgemälde von moritz von schwind

eine ganze reihe von Künstlern fertigte in der Folge von ringseis Porträtzeichnungen an, von denen eine im Kurpfälzischen museum in heidelberg und viele andere in der staatlichen graphischen sammlung in münchen aufbewahrt werden. in heidelberg befindet sich eine bleistiftzeichnung auf braunem Papier von carl Philipp Fohr aus dem Jahre 1817, die 1908 als geschenk der geschwister Fohr in das Kurpfälzische museum kam. Zu den münchener blättern gehört die bekannte arbeit von Ferdinand rothbart (1823–1899), die den Protagonisten als in ein buch versunken dahinschreitenden arzt zeigt (inv.nr. 37505), sowie die entsprechenden bleistiftzeichnungen von Friedrich Overbeck (inv.nr. 39101) und Konrad eberhard (1768–1859/inv.nr. 39097), eine weitere bleistiftzeichnung von theodor rehbnitz (inv.nr. 39100), die lithographie «dr. ringseisen» (inv.nr. 201545) von Konrad eberhard und schließlich das bildnis in bleistift und weißer Kreide (inv.nr. 39117) von Karl barth (1787–1853). ebenfalls im bestand der graphischen sammlung münchen befindet sich eine undatierte «bleistift- und Federzeichnung in braun», mit der moritz von schwind (1804–1871) den jungen Johann nepomuk von ringseis (inv.nr. 39099) porträtiert hat. möglicherweise nahm moritz von schwind von dieser frühen begegnung mit ringseis die inspiration zu einem weit repräsentativeren Ölporträt, das der maler später von Johann nepomuk von ringseis anfertigte. dieses Ölbild auf leinwand war eine gabe schwinds an Julius hans schnorr von carolsfeld (1794–1872) und befindet sich heute im besitz des Ärztlichen Vereins münchen e. V. schnorr von carolsfeld war ein maler der deutschen romantik und ist zusammen mit Friedrich Overbeck (1789–1869) der wohl bekannteste Vertreter der nazarenischen Kunstrichtung. Wie oben erwähnt fühlte sich ringseis mit ebendiesen «nazarenern» eng verbunden; die gemeinsame begeisterung für diese art der malerei dürfte wohl auch das erklärende bindeglied für die entstehung und schenkung des ringseis-Porträts sein. das in Öl gefertigte und beim Ärztlichen Verein münchen e. V. mit folgender beschreibung katalogisierte Porträt der bedeutenden arztpersönlichkeit soll dann auch im Zentrum dieser betrachtung stehen (abb. 1, taf. 7): © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Johann nepomuk von ringseis (1785–1880) Öl/leinwand 64 x 55,5 cm. (h 65,7, br. 57,5 cm) um 1830/40. unsigniert. Künstler: moritz von schwind (1804–1871). das halbporträt zeigt ringseis vor einem grünbraunen hintergrund in einer ansicht von halbrechts, gehüllt in einen pelzbesetzten grünen umhang, möglicherweise den talar der medizinischen Fakultät. mit der nach rechts gewandten haltung des halses ist das gesicht leicht zum betrachter gedreht, jedoch geht die blickachse an uns vorbei und führt nach rechts aus dem bild hinaus. der gesichtsausdruck des Porträtierten verweist auf seine Würde und signalisiert entschlossenheit. die junge bettina brentano, eine Freundin von ringeis, meinte einmal, er habe «ein gesicht wie aus stahl gegossen, alte ritterphysiognomie, kleiner scharfer mund, […] augen, aus denen die Funken fahren […]». und Johann nepomuk ringseis’ tochter emilie, die bettina brentanos Worte aus deren «briefen eines Kindes an goethe» zitiert, ergänzte treffend: «dazu denkerstirn und schwarzer lockenkranz»6. stirn, augen, eine scharf geschnittene nase mit langem rücken, mund und Kinnpartie rückt auch der maler ins Zentrum unserer Wahrnehmung. gesicht und Wangen erscheinen in natürlichem inkarnat. in der linken hand hält ringseis mit schlanken Fingern ein buch, dessen griechische aufschrift [ΙΠΠΟ]ΚΡΑΤΟΥ zweifellos auf ein Werk aus dem Corpus Hippocraticum verweist und damit zum einen die traditionell-historische Verankerung der universitätsmedizin, als deren Vertreter ringseis hier firmiert, symbolisiert, zum anderen aber auch als hinweis auf den ebenfalls in der hippokratischen tradition stehenden ehrbaren und moralisch integren arzt verstanden werden kann. das gemälde wurde vom 11. Juli bis 5. august 1985 im bayerischen nationalmuseum münchen durch den damaligen chefrestaurator Joachim haag einer restaurierung und untersuchung unterzogen. das bild war in 6 e. ringseis, s. v. «ringseis, Johann nepomuk von, in: allgemeine deutsche biographie 28 (1889), s. 635–640, bes. 636, Online-Version: url: https://www.deutschebiographie.de/gnd11860113X.html#adbcontent. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gutem erhaltungszustand und wies keinerlei retuschen auf. das deutlich feststellbare craquelée und, dadurch bedingt, die brüchige malschicht insbesondere im bereich des gesichtsinkarnats ist wohl einem Übermaß an bindemittel geschuldet. das gemälde ist insgesamt von einer relativ dicken Firnisschicht überzogen, die unbeschädigt ist. in diesem, 1985 notierten Zustand präsentiert sich das bild nach wie vor. in dem von Otto Weigmann 1906 herausgegebenen Werkverzeichnis ist das genannte bild abgebildet und datiert: «bildnis von geheimrat Joh. nep. von ringseis. 1840. Öl auf leinwand. h 64 cm, br. 55 cm.»7 die Provenienz verweist auf «dresden, Frl. marie schnorr von carolsfeld». in der anmerkung zu dem bild heißt es: «dieses Porträt von ringseis wurde für Julius schnorr von carolsfeld gemalt, nach mitteilung der besitzerin jedoch nur Kopie nach dem bilde eines unbekannten malers.» ringseis und schnorr von carolsfeld standen über das nazarenertum auch in enger persönlicher beziehung: beide hatten sich auf der ersten italienreise mit dem Kronprinzen kennengelernt; seit damals standen die beiden Familien in engem freundschaftlichen Verhältnis. insbesondere aber – und dies mag ein weiteres motiv für den Wunsch Julius schnorr von carolsfelds nach einem bild von ringseis gewesen sein – hatte der münchener arzt dessen älteren sohn einmal von der ‹häutigen bräune› errettet, worunter die diphtherie zu verstehen wäre.8 auch schnorr von carolsfeld und moritz von schwind waren eng befreundet, denn laut Weigmann verkehrte schwind sehr viel in schnorrs dresdner haus und porträtierte dort wahrscheinlich im Winter 1839/40 die Kinder von Julius schnorr von carolsfeld.9 das sehr bekannte bild von 7 O. Weigmann (hrsg.), schwind. des meisters Werke in 1265 abbildungen [Klassiker der Kunst in gesamtausgaben iX: moritz v. schwind] stuttgart/leipzig 1906, s. 170. die geringfügige differenz der bildmasse des schwindschen gemäldes zwischen der messung im Jahre 1985 und den angaben bei Weigmann ist vernachlässigbar; zu erklären wäre sie mit einer mutmaßlichen messungenauigkeit bzw. auch leinwandspezifischen modalitäten, wie deren alterung oder dehnung beim nachspannen. 8 Vgl. hierzu b. ringseis, Johann nepomuk von ringseis – ein lebensbild, regensburg 1909, s. 194 und 304. 9 Vgl. hierzu Weigmann, schwind, s. 169; J. schnorr von carolsfeld, in: carl-mariavon-Weber-gesamtausgabe. digitale edition, http://weber-gesamtausgabe.de/ a009509 (Version 3.0.1 vom 2. Februar 2017), hier auch angaben zum derzeitigen aufbewahrungsort des gemäldes von moritz von schwind. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schwind, das die Köpfe der fünf Kinder schnorrs von carolsfeld zeigt und somit die familiäre Freundschaft der beiden männer anschaulich dokumentiert, befindet sich heute nach wie vor in dresden. da die entstehung des ringseisporträts ebenfalls um 1839/40 datiert, wäre es somit möglich, dass moritz von schwind dieses sogar noch während seines erwähnten aufenthaltes bei der Familie schnorr von carolsfeld angefertigt oder zumindest entworfen haben könnte. auch moritz von schwind und ringseis standen nach wie vor in Verbindung und gelegentliche freundschaftliche treffen sind demnach sehr wahrscheinlich. so erwähnte schwind ringseis während seiner italienreise in einem brief vom 23. april 1835 an ludwig schaller; aus einem weiteren brief schwinds, diesmal an Julius schnorr von carolsfeld gerichtet, mit dem datum ‹Frankfurt, 23. september 1844›, ist zu entnehmen, dass schwind «gestern abend bei brentano auch geheimrat ringseis nebst seiner sehr groß gewordenen tochter» getroffen habe.10 die enge persönliche bindung zwischen ringseis und schwind dokumentieren insbesondere die Kinderbildnisse von bettina, emilie und marie ringseis.11 die kleinformatigen bleistiftkreidezeichnungen der drei ringseistöchter hat moritz von schwind zwischen 1836 und 1838 angefertigt; im Jahre 1904 wurden sie dann im rahmen einer ausstellung von Werken moritz von schwinds anlässlich der Zentenarfeier seines geburtstages im Königlichen Kunstausstellungsgebäude in münchen öffentlich präsentiert. die genese der Kinderbilder steht demnach in engem Zusammenhang mit der nur unwesentlich späteren datierung des Porträts ihres Vaters um 1839/40. ausgehend von dem oben zitierten eintrag bei Weigmann bemühte sich der Ärztliche Verein, vertreten durch den hier als erstautor geführten Wolfgang g. locher, bereits in den 1980er Jahren um eine weitere absicherung der Zuschreibung des Porträts an moritz von schwind: so erfolgte am 13. au10 O. stoessl (hrsg.), moritz von schwind, briefe, leipzig 1924, s. 102 und 179. 11 Kinderbildnis des Fräulein bettina ringseis, um 1836–1838, h 15 cm, br 10 cm (nr. 145), Kinderbildnis des Fräulein emilie ringseis, um 1836–1838, h 15, br 10 cm (nr. 146); Kinderbildnis des Fräulein marie ringseis, um 1836–1838, h 19, br 13 cm (nr. 147). die nummern in Klammern bezeichnen die bilderfolge im Katalog zur ausstellung von Werken moritz von schwinds im Kgl. Kunstausstellungsgebäude zu münchen vom 21.1.–3.2.1904, münchen 1904, s. 16. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gust 1985 eine Vorstellung des gemäldes bei Frau rosel gollek, städtische galerie im lenbachhaus münchen zum Zweck der stilistischen begutachtung. rosel gollek verwies dabei auf die unpräzise-nachlässige ausführung der linken, das buch haltenden hand sowie auf die gestaltung des rechten Ohres in der für schwind typischen Farbgebung, einer mischung aus rotund Violettnuancen, als unmissverständliche stilistische charakteristika dieses Künstlers und damit auf die hohe Wahrscheinlichkeit einer dementsprechenden Zuschreibung des Porträts. Was marie schnorr von carolsfeld offensichtlich nicht mehr wusste, vielleicht aber auch nicht preisgeben wollte, war der name des malers, dessen ringseisporträt moritz von schwind als Vorlage gedient hatte. die durchsicht des von den beiden ringseis-töchtern herausgegebenen vierbändigen erinnerungswerkes sowie des lebensbildes des münchener arztes in hinblick auf eine erwähnung des Ölgemäldes und seiner möglichen Vorlage blieb ohne ergebnis. auch die sichtung der nachgelassenen gemälde und Photographien aus der ehemaligen ringseisvilla in tutzing am starnberger see, die sich nunmehr im gewahrsam des Ordens der benediktinischen missionsschwestern befinden, erbrachte in dieser hinsicht keine taugliche spur, denn die bei den tutzinger benediktinerinnen verwahrten beiden gemälde von ringseis selbst und seiner ehefrau Friederike (1791–1877) weisen ebenfalls keinerlei Parallelen zu dem schwindschen Porträt auf. bei diesen handelt es sich nämlich um zwei von dem romantischen maler Johann Friedrich Wilhelm Wegener (1812–1897)12 gefertigte Porträtbilder. aufgrund stilistischer, aber auch chronologischer diskrepanzen – zuvörderst ihrer wesentlich spä12 der am 20. april 1812 in dresden geborene und am 4. Juli 1879 in gruna bei dresden verstorbene maler war ein schüler von Johan christian clausen dahl und carl christian Vogel von Vogelstein. nach seinem stilbildenden aufenthalt in Kopenhagen kehrte Wegener um 1840 nach dresden zurück, wo seine Werke zunehmend anerkennung fanden. 1860 erfolgte seine ernennung zum sächsischen hofmaler. neben der tier- und landschaftsmalerei machte sich Wegener auch mit altarbildern einen namen. Zu Wegener vgl. h. a. lier, s. v. «Wegener, Johann Friedrich Wilhelm», in: allgemeine deutsche biographie 41 (1896), s. 783–784, Online-Version: url: https://www.deutsche-biographie.de/gnd117210196.html#adbcontent; u. thieme/ F. becker (hrsg.), allgemeines lexikon der bildenden Künstler von der antike bis zur gegenwart 35 (leipzig 1942, repr. Zwickau 1978), s. 250. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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teren datierung als 1839/4013 – lassen sich diese beiden Porträts jedenfalls als Vorlage für schwinds gemälde zweifelsfrei ausschließen. bei der suche nach dem unbekannten Künstler kam, wie bisweilen häufig im leben, der Zufall zu hilfe – in gestalt der seinerzeit intensiven beschäftigung des erstautors mit der geschichte des allgemeinen Krankenhauses in münchen, dessen 175. geburtstag im Jahre 1988 mit einer ausstellung gewürdigt wurde.14 Für die historische entwicklung dieser einrichtung spielt die Kongregation der barmherzigen schwestern und insbesondere deren hiesige gründerin und erste generaloberin ignatia Jorth (1780–1845) eine maßgebliche rolle. emil c. scherers grundlagenwerk über «schwester ignatia Jorth und die einführung der barmherzigen schwestern in bayern»15 blieb es somit vorbehalten, den über der mutmaßlichen Vorlage zu schwinds ringseisporträt liegenden schleier zu lüften: in dem 1933, anlässlich der Jahrhundertfeier der barmherzigen schwestern aus dem mutterhause zu münchen am 10. märz 1932, erschienenen Werk findet sich nämlich neben der seite 192 ein Porträt des mit der Kongregation aufs engste verbundenen arztes ringseis abgebildet, der sich als damaliger direktor der ii. medizinischen abteilung am allgemeinen Krankenhaus in münchen, das der universität seit 1826 als lehreinrichtung diente, um die berufung der barmherzigen schwestern nach münchen und deren nachfolgender einführung in ganz bayern überaus verdient gemacht hatte. das in scherers Werk publizierte ringseisporträt ist unverkennbar und ohne jeden Zweifel identisch mit dem heute im besitz des münchener Ärztlichen Vereins befindlichen gemälde. die zugehörige legende verweist allerdings auf das bayerische nationalmuseum als eigentümer des bildes und präzisiert die druckvorlage zudem noch durch die angabe «nach einem gemälde von J. K. stieler». ganz offensicht13 die in der Obhut des Ordens befindlichen beiden Porträts von ringseis und seiner gattin werden, allerdings unter Vorbehalt, ins Jahr 1847 datiert und als mutmaßliche Kopien anderer, nicht näher bezeichneter Vorlagen geführt. 14 ausstellung in der medizinischen Klinik innenstadt der universität münchen 1.9.– 7.9.1988. Vgl. W. locher, 175 Jahre medizinische Klinik innenstadt der universität münchen. Vom allgemeinen Krankenhaus zur universitätsklinik, münchen 1988. 15 e. c. scherer, ignatia Jorth und die einführung der barmherzigen schwestern in bayern, Köln 1933. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

eine spurensuche zu einem Porträtgemälde von moritz von schwind

lich handelt es sich hier also um die von marie schnorr von carolsfeld erwähnte Vorlage für das ringseisporträt des Ärztlichen Vereins münchen, denn die Übereinstimmung zwischen den beiden arbeiten ist evident. tatsächlich existiert ein solches Porträt im bestand des bayerischen nationalmuseums (bnm), wo es unter der inventarnummer 10/136 geführt wird, allerdings bis heute ohne entsprechende Künstlerzuweisung. die unmittelbar nachfolgende inventarnummer 10/137 bezeichnet ein Porträt der gattin des arztes Johann nepomuk von ringseis, Friederike von ringseis (1791–1877). die am 14. november 1791 in dem damals noch zu salzburg gehörenden mühldorf geborene Friederike war die tochter des fürsterzbischöflichen Kammerrates und Pflegekommissärs siegmund von hartmann und seiner ehefrau anna margareta von Köpff aus augsburg.16 laut auskunft des bayerischen nationalmuseums17 gelangten die beiden Porträts im Jahre 1910 als geschenk von Fräulein bettina von ringseis, der tochter des arztes, in den besitz des museums; ihr erwerb wurde folgendermaßen verzeichnet: Inventarnummer 10/136: Prof. dr. von ringseis Ölgemälde auf leinwand 19. Jahrh. bartlos nach rechts blickend. schwarzes gelocktes haupthaar. Vatermörder mit schwarzer binde, pelzbesetzter mantel, in der linken halb erhoben ein buch mit der aufschrift […]KratOu. braungelber grund. gegenstück zu 10/137; erhaltung: sehr gut; maße 65 h 56,5 br (abb. 2). Inventarnummer 10/137: gemahlin des Professors von ringseis Ölgemälde auf leinwand 19. Jahrh. nach links gewandt, den beschauer anblickend. braunes, gescheiteltes haar, an der seite lockenfrisur. ausgeschnittenes blaugrünes Kleid, türkis […?] shawl auf der linken schulter. brustbild nach links auf rotbraunem grund. gegenstück zu 10/136; erhaltung: sehr gut; maße: 65 h 56,5 br (abb. 3). die beiden Porträts werden nach wie vor ohne Künstlerzuschreibung in der datenbank des bayerischen nationalmuseums geführt. auf welche 16 ringseis, Johann nepomuk von ringseis, s. 128/129. 17 so die emailkorrespondenz mit matthias Weniger, bnm, im Januar 2017. Wir danken herrn Weniger sehr herzlich für seine hilfreichen auskünfte in dieser angelegenheit. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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grundlage emil c. scherer seine Zuschreibung an stieler stützte, ist bis heute nicht geklärt. Vor diesem hintergrund ist es von interesse, dass beide gemälde nicht in dem von ulrike von hase-schmundt angelegten Werkverzeichnis zu Joseph Karl stieler (1781–1858) erscheinen.18 in einem in den 1980er Jahren geführten interview mit ulrike von hase-schmundt machte die stieler-expertin deutlich, dass zahlreiche stilistische gründe dagegen sprächen, die bildnisse von ringseis und dessen gattin stieler zuzuschreiben. als sehr wahrscheinlich lässt sich annehmen, dass moritz von schwind das heute im bayerischen nationalmuseum aufbewahrte gemälde, das sich überdies durch eine außerordentlich feine Pinselführung auszeichnet, gekannt und sein ringseisporträt als dessen unmittelbare Kopie für schnorr von carolsfeld angefertigt haben dürfte. beide Porträts zeigen den arzt ringseis dem betrachter im halbprofil zugewandt, eingehüllt in einen pelzbesetzten grünen umhang. der blick des Porträtierten schweift über den betrachter und nach rechts aus dem bild hi18 Vgl. u. von hase-schmundt, Joseph stieler, 1781–1858, münchen 1971. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

eine spurensuche zu einem Porträtgemälde von moritz von schwind

naus in die Ferne; seine respekt einflößende miene zeugt von der mit seiner hohen Position verbundenen Verantwortung. die feingliedrig gestaltete linke hand des arztes umfasst ein buch, dessen griechischer titel nur halb erkennbar ist ([ΙΠΠΟ]ΚΡΑΤΟΥ) und auf eine schrift aus dem Corpus Hippocraticum hindeutet – ein unverkennbares symbol der Verankerung des von ringseis verkörperten berufsstandes in einer jahrhundertealten tradition. mit blick auf die malweise ist das bild im bayerischen nationalmuseum (inv. 10/136) noch feiner ausgearbeitet. der Versuch einer identifikation des Künstlers der im bayerischen nationalmuseum aufbewahrten Porträts ist keine leichte aufgabe, betrachtet man die hohe anzahl der während des fraglichen Zeitraums in deutschland tätigen Porträtkünstler. eine mögliche spur führt zu Johann Friedrich Wilhelm Wegener, dem oben erwähnten maler der romantik, der mit seinen Porträtbildern des ehepaares ringseis und den darin liegenden künstlerischen ausdrucksmitteln jedoch bereits ausgeschlossen wurde. rein chronologisch kämen auch der münchener «bildniszeichner (lithograph) und maler (besonders aquarelle)»19 Josef resch (1819–1901) sowie die Porträtmaler Johann baptist neumüller (1799–1840) und Franz Xaver Kleiber (1794– 1850), sämtlich Zeitgenossen stielers, in Frage. doch kehren wir in unserer betrachtung noch einmal zu stieler zurück, den wir trotz scherers Zuschreibung als schöpfer der beiden ringseisbilder im bayerischen nationalmuseum wohl sicherlich ausschließen müssen. möglicherweise könnte in seiner irrtümlichen Zuschreibung aber ein hinweis darauf enthalten sein, dass der urheber der beiden Porträts im bayerischen nationalmuseum in stielers schülerkreis zu verorten wäre. Zu den schülern stielers, die ab 1825 in seinem atelier arbeiteten, zählen u. a. der aus amberg stammende Josef bernhardt (1805–1885, seit 1830 stieler-schüler)20, emil Orth (1814–1876), der mitte der 1830er Jahre wieder nach heilbronn zurückkehrte, richard leuchert (1823–1869), Franz Xaver Winterhalter 19 Vgl. thieme/becker (hrsg.), allgemeines lexikon der bildenden Künstler, s. 180. 20 Vgl. F. Pecht, geschichte der münchner Kunst im 19. Jahrhundert. Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, münchen 1888, s. 156; h. holland, s. v. «bernhardt, Josef», in: thieme/becker (hrsg.), allgemeines lexikon der bildenden Künstler, s. 457. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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(1805–1873) sowie zwei Familienmitglieder, nämlich stielers sohn max stieler (1825–1897) und sein neffe Friedrich dürck (1809–1884). mit blick auf die entstehungszeit des gesuchten Porträts, das schwind 1840 als Vorlage vor augen hatte, kommen chronologisch und aufgrund ihres Wirkungsortes nur die drei stielerschüler bernhardt, Winterhalter und dürck in Frage. die vielversprechendste spur führt tatsächlich zu letzterem, nämlich zu stielers neffen Friedrich dürck, der sich wie kaum ein anderer «ganz der Porträtmalerei widmete».21 Passend in unserem Zusammenhang ist auch die tatsache, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt meist nur noch «halbfiguren» malte.22 der aus leipzig stammende dürck studierte zunächst an der dortigen Kunstakademie bei Julius Veit hans schnorr von carolsfeld (1794–1872), bevor er dann, in den 1820er Jahren, zu seinem Onkel Joseph K. stieler nach münchen wechselte und sich in der Folge, unter dessen anleitung, in der bayerischen haupt- und residenzstadt zu einem renommierten Porträtmaler entwickelte. 1836/37 folgte ein italienaufenthalt. nach seiner rückkehr lebte er wieder als bekannter maler bis 1849 in münchen und «porträtierte» dort – laut der lemmata im ‹thieme-becker› und der adb23 – «zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen lebens und mitglieder des bayerischen hofes», darunter 1858 sogar König ludwig i.; nach 1849 folgte dürck etlichen einladungen an den schwedischen und den österreichischen hof.24 des Künstlers münchener studien- und schaffensperiode zwischen ca. 1820 und 1849 sowie seine lehrer schnorr von carolsfeld in leipzig und stieler in münchen fügen sich somit recht überzeugend zum Wirkungskreis der Person des Porträtierten Johann nepomuk von ringseis, der in den 1830er und 1840er Jahren in münchen und ganz bayern fraglos eine eindrucksvolle «Persönlichkeit des öffentlichen lebens» gewesen war. 21 Vgl. Pecht, geschichte der münchner Kunst im 19. Jahrhundert, s. 155. 22 Pecht, geschichte der münchner Kunst im 19. Jahrhundert, s. 155. 23 h. holland, s. v. «dürck, Friedrich», in: allgemeine deutsche biographie 48 (1904), s. 204–210, Online-Version: url: https://www.deutsche-biographie.de/gnd11623 9190.html#adbcontent; W. burger, s. v. «dürck, Friedrich», in: thieme/becker (hrsg.), allgemeines lexikon der bildenden Künstler, s. 59/60. 24 Vgl. holland, «dürck, Friedrich» s. 204–210; h.-m. Körner (hrsg.), bayerische biographische enzyklopädie 1, münchen 2005, s. 397. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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unsere annahme, in dürck den urheber des ursprünglichen ringseisporträts zu vermuten, wird durch georg Kaspar nagler gestützt, der im ersten band des «neuen allgemeinen Künstler lexikons» (münchen 1835–1852) folgendermaßen ausführt: Zu dürcks «arbeiten, die am meisten beifall fanden, gehören […] die bildnisse des baron c. v. Kleist, des Obermedizinalrates dr. ringseis, […] etc.»25 in naglers charakteristik von dürcks malstil lässt sich auch das hier diskutierte ringseisporträt wiedererkennen: «dürck weiß seinen Köpfen charakteristischen ausdruck zu erteilen, und auch die stoffe gut darzustellen.»26 Vergleicht man andere Porträtbilder von dürck mit den beiden Werken im bayerischen nationalmuseum, so fügen sich letztere sehr gut in den Kontext der künstlerischen ausdrucksmittel von dürck. der polnische diplomat und Kunstkenner athanasius raczynski (1788–1874) widmet in seiner zweibändigen ‹geschichte der neueren deutschen Kunst› aus den Jahren 1836 und 1840 dem damals sechsundzwanzigjährigen dürck als «bildnismaler» einige seiten.27 raczynski rühmt dürcks «fein ausgeführte[] bildnisse» und rückt sie in die nähe der Venezianischen schule zur Zeit tizians, um schließlich auch noch hinzuzufügen: «ich finde bei dürk [sic] eine große Ähnlichkeit mit stieler.»28 diese auffallende nähe zu stieler könnte eine mögliche erklärung für scherers irrtümliche Zuschreibung des ringseisporträts an dürcks Onkel Joseph K. stieler bieten. dürcks bildnisse – und raczynski meint damit seine Porträts –, seien «voll leben und von großer Ähnlichkeit».29 eine in unserem Zusammenhang ebenfalls interessante anmerkung machte raczynski noch zum Kolorit, die später von Pecht aufgegriffen wird, denn raczinski schreibt: «die Wangen und lippen seiner bildnisse haben viel Frische; aber lebhafte Farben bilden nicht immer ein glänzendes colorit, und 25 g. K. nagler, neues allgemeines Künstler lexikon oder nachrichten von dem leben und den Werken der maler, bildhauer, baumeister, Kupferstecher, lithographen, Formschneider, Zeichner, medailleure, elfenbeinarbeiter […] 3, münchen 1836, s. 503/504. 26 nagler, neues allgemeines Künstler lexikon, s. 504. 27 a. raczynski, geschichte der neueren deutschen Kunst 2: münchen, stuttgart, nürnberg, augsburg, Karlsruhe, Prag und Wien, mit einem anhange: ausflug nach italien, berlin 1840, s. 437 und 438/439. 28 raczynski, geschichte der neueren deutschen Kunst 2, s. 438. 29 raczynski, geschichte der neueren deutschen Kunst 2, s. 438. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ein glänzendes colorit macht nicht das gröste [sic] Verdienst eines bildnisses aus.»30 dem entspricht eine spätere Äußerung von Friedrich Pecht in seiner geschichte der münchener Kunst im 19. Jahrhundert, worin er deutliche Kritik an dürcks stil übt: «dürck schien einer schärferen individualisierung besonders des Kolorits bahn brechen zu wollen. […] entging nicht der gefahr aller hofmaler, durch die besteller in einen süßlichen idealismus gedrängt zu werden.»31 hinter dieser einschätzung verbirgt sich die zeittypische und von einer antiromantischen stoßrichtung geprägte reaktion. allerdings entzieht sich ein datum unserer ‹detektivischen indizienkette›: Willy burger, der autor des dürck-lemmas im ‹thieme-becker›, bestätigt zwar die tatsache, dass dürck ringseis porträtiert habe, fügt diesem allerdings die aufgrund der bislang bekannten quellenlage unbestätigte und auch nicht weiter nachvollziehbare information hinzu, wonach dürck den medizinalrat ringseis angeblich 1858 in Weimar porträtiert habe.32 sowohl burger als auch hyacinth holland, der Verfasser des weit ausholenden beitrages über dürck in der allgemeinen deutschen biographie (adb), machen eine ganze reihe von literaturangaben, die zu der von uns genannten Fragestellung aber keine Präzisierung bringen.33 eine denkbare weiterführende quelle könnte die autobiographie dürcks sein, auf die schon seubert 1878 hinweist und die auch hyacinth holland 1904 etwas präziser als dreibändiges memoirenwerk erwähnt.34 Wir wissen nicht, ob holland einblick in die me30 raczynski, geschichte der neueren deutschen Kunst 2, s. 438. 31 Pecht, geschichte der münchner Kunst im 19. Jahrhundert, s. 155/156. 32 W. burger, s. v. «dürck, Friedrich», in: thieme/becker (hrsg.), allgemeines lexikon der bildenden Künstler, s. 59. möglicherweise bezieht sich diese angabe aber lediglich auf den im diesem Zusammenhang mit ringseis und Weimar 1858 gleichlautend mitgenannten Jenaer theologen und Kirchenhistoriker Karl von hase (1800–1890). 33 holland, «dürck, Friedrich», s. 210 mit bibliographie. Fr. von bötticher, malerwerke 1895 (korrekt 1891, anm. d. Verf.) 1, s. 243. burger, «dürck, Friedrich», s. 60 verweist auf holland und dessen bibliographie, wobei er die angabe bei boetticher um die korrekte Jahreszahl, 1891, korrigiert (anm. d. Verf.) und ergänzend dazu auf die beiden nekrologe von c. a. regnet in Kunstchronik XX (1884/85) s. 106/107 und allgemeine Kunstchronik Viii (Wien 1884) s. 901, sowie auf einen beitrag zum 100. geburtstag dürcks im hannoverschen courier vom 28.8.1909. 34 a. seubert, allgemeines Künstlerlexicon oder leben und Werke der berühmtesten bildenden Künstler 1, stuttgart 1878, s. 400 und 410; holland, «dürck, Friedrich», s. 207. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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moiren dürcks hatte. hollands damalige Formulierung, dass dürcks autobiographischer rückblick auch auszugsweise «immer noch auf ein dankbares Publicum rechnen dürfte»35, legt nahe, dass dürcks memoiren bis 1904 nicht gedruckt waren und auch später sind sie nicht im druck erschienen. Über den Verbleib der manuskripte und deren Zugänglichkeit ist ebenfalls nichts bekannt.36 Keine der bei holland und burger genannten quellen bringt uns in unserer Frage letztlich weiter. mit ausnahme von nagler als dem frühesten beleg und holland 1904 sowie burger 1913 erwähnt keiner der anderen autoren im Zusammenhang mit dürck explizit das bildnis von ringseis, auch nicht Friedrich von boetticher 1891 und ebenfalls nicht der jüngste lexikographische artikel über Friedrich dürck aus dem Jahre 2001 im «allgemeinen Künstler lexikon» des K. saur Verlages.37 resümee: auch wenn im Zusammenhang mit dem ringseisporträt moritz von schwinds vielleicht nicht alle offenen Fragen eindeutig zu klären sind, lässt sich doch folgendes festhalten: das von dem mit ringseis gut befreundeten Künstler moritz von schwind um 1839/40 erstellte und heute im besitz des Ärztlichen Vereins münchen befindliche gemälde gehört zu den bekanntesten und wertvollsten Porträts des berühmten arztes Johann nepomuk von ringseis. als Vorlage diente ganz zweifellos das heute im bayerischen nationalmuseum befindliche Porträt; der umgekehrte Fall ist aufgrund der maltechnik und der historischen Überlieferung unwahrscheinlich. Vor dem hintergrund unserer akribischen ‹detektivischen spurensuche› erweist sich zumindest die these – wenngleich auf der derzeitigen quellenbasis keine letztgültige beweisführung möglich war – mehr als vertretbar, dass es sich bei dem urheber der beiden im bayerischen nationalmuseum befindlichen großformatigen und überaus repräsentativen 35 holland, «dürck, Friedrich», s. 207. 36 laut auskunft von bernhard ebneth (neue deutsche biographie, historische Kommission bei der bayerischen akademie der Wissenschaften), dem die Verfasser für die unterstützung bei der Klärung dieser Frage freundlichst danken (email-Korrespondenz vom 20.02.2017). 37 Vgl. hierzu F. von boetticher, malerwerke des 19. Jahrhunderts 1, leipzig 1891 (repr. 1941), s. 243/244; g. meißner (hrsg.), saur, allgemeines Künstlerlexikon: die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker 30, münchen/leipzig 2001, s. 289. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der arzt Johann nepomuk von ringseis (1785–1880) auf Öl/leinwand

Porträts von Johann nepomuk von ringseis und seiner Frau Friederike um den stielerschüler Friedrich dürck handeln dürfte: dieser war einer der bedeutendsten Porträtmaler seiner Zeit, das ringseis’sche bilderpaar passt in der stilistischen ausführung zweifelsohne zu dürcks malstil, dürcks Künstlerbiographie ist eng mit münchen verbunden – und dies insbesondere innerhalb des mutmaßlichen Zeitrahmens der entstehung beider Porträts. da nagler in seinem Künstlerlexikon dürck bereits 1836 als Porträtmaler von ringseis benennt, muss das gemälde von ringeis und seiner gattin vor 1835/36 entstanden sein, also noch in den Jahren vor dürcks italienreise, weshalb es moritz von schwind durchaus als Vorbild für dessen wenige Jahre später – 1839/40 – angefertigtes ringseis-Porträt dienen konnte. der auf dürcks Ölbild dargestellte ringseis stimmt altersmäßig – man achte auf die diskrete glabellafalte (zwischen den augenbrauen oberhalb der nasenwurzel), die angedeutete nasolabialfalte, die vor dem masseter (Kaumuskel) herabziehende Wangenfurche sowie die Wangen- und Kinnpartie – mit dem tatsächlichen lebensalter des arztes zu diesem Zeitpunkt gut überein, denn der 1785 geborene ringseis stand um 1835 im 50. lebensjahr. unsere annahme wird noch bestärkt durch die tatsache, dass sich die wahrscheinliche entstehungszeit der beiden Porträtbilder in dürcks atelier stimmig in das leben von ringseis einfügt: der auftrag an einen renommierten Künstler wie dürck und das mit solchen Porträts verbundene repräsentationsbedürfnis hat in der regel einen besonderen anlass, familiärer oder auch gesellschaftlicher art. und dies ist bei ringseis in dem fraglichen Zeitraum tatsächlich der Fall, denn er war für das studienjahr 1833/34 zum rektor der ludwig-maximilians-universität gewählt worden und damit höchster repräsentant der ältesten, ehrwürdigsten und führenden bayerischen hochschule. mit dieser Wahl zum Rector magnificus war der damals achtundvierzigjährige Johann nepomuk von ringseis auf dem vorläufigen höhepunkt seiner akademischen und gesellschaftlichen Karriere angekommen. damit ging auch die Verleihung des ritterkreuzes vom civilverdienstorden der bayerischen Krone einher, womit der persönliche adel verbunden © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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war.38 beides war grund genug, sich in würdiger Pose malen zu lassen. diese biographischen details erklären zudem den grünen talar der medizinischen Fakultät, den ringseis auf den beiden bildern von dürck und schwind in seiner eigenschaft als rektor trägt. in diesem Zusammenhang findet auch der auf beiden Porträts deutlich sichtbare Pelzkragen seine mögliche erklärung: solch ein Pelzkragen am talar diente als sog. caputium an den frühen universitäten oftmals als Zeichen der rektorenwürde.39 da die beiden Porträts von bettina von ringseis an das bayerische nationalmuseum übergeben wurden, darf man wohl davon ausgehen, dass ringseis selbst der auftraggeber beider Porträts war und beide auch bis 1910 im besitz der Familie waren. innerhalb dieses privat-familiären umfeldes waren sie für den mit ringseis befreundeten moritz von schwind eine leicht zugängliche Vorlage und inspirationsquelle. beide gemälde haben sich, wie die (medizin-)historische, kunstwissenschaftliche und universitätsgeschichtliche analyse gezeigt hat, nicht nur als ästhetisch wertvolle Kunstwerke, sondern auch als vielsagende historische quellen erwiesen.

38 Vgl. e. ringseis (hrsg), erinnerungen des dr. Johann nepomuk von ringseis 3, regensburg/amberg 1889, s. 106. 39 Für diesen wichtigen hinweis (Korrespondenz vom 20.03.2017) danken wir sehr herzlich herrn Wolfgang smolka, dem leiter des archivs der ludwig-maximiliansuniversität münchen. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Was der tag mir zutrug oswald panagl · salzburg

a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden. (H.c. artmann)

Zum Geleit nicht nur bücher, sondern auch beiträge zu einer Festschrift haben ihr besonderes schicksal. Konkret auf mein Vorhaben bezogen hat das missgeschick einen besonderen Wortlaut. ich habe mich nach langem Zögern und Überlegen für ein sujet entschieden, das mir ebenso originell und facettenreich wie auch dem Widmungsträger angemessen erschien. Vielleicht war mein Projekt – ich verrate nicht seinen namen – zu ehrgeizig und extravagant, um neben einer Vielzahl von anderen Verpflichtungen zu gelingen. aber hoffentlich kann ich den adressaten dieses bandes zum nächsten besonderen geburtstag damit überraschen. Was ich als bescheidenen ersatz nunmehr auf den literarischen gabentisch lege, ist gleichsam eine anthologie, freilich kein bund Orchideen, sondern ein strauß von «mauerblümchen», darunter auch einige disteln, wie sie an Wegrändern – bisweilen als unkraut – üppig gedeihen. genauer gesagt sind es glossen, miszellen und ‹Verlautbarungen›, die ich großenteils zur Psychohygiene für mich und meine Freunde geschrieben habe, um zeitgeistige tendenzen sowie auffallende sprachliche erscheinungen (nicht selten modewörter und verbale Wucherungen) kritisch zu erklären und zu glossieren, aber auch Phänomene der gegenwärtigen politischen Öffentlichkeit als wacher Zeitgenosse in augenschein zu nehmen. dass diese marginalien zwischen zwei buchdeckeln erscheinen dürfen, ist eine ebenso unverdiente wie dem Verfasser willkommene auszeichnung. mögen diese ‹lesezeichen› dem Jubilar bei der lektüre ein wenig Freude bereiten oder zumindest ein lächeln entlocken. In aller Freundschaft die Überschrift ist nicht bloß der titel einer erfolgreichen tV-serie im beliebten milieu einer Klinik. es handelt sich auch um eine gängige Floskel, mit © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Oswald Panagl

Was der tag mir zutrug

der man bisweilen eine barsche botschaft liebevoll einleitet und entschärft. so eindeutig und vertraut die bedeutung dieser Phrase auch ist, über ihre innere struktur lässt sich trefflich streiten. ist aller eine dativform und mit dem substantiv übereingestimmt (wie «in aller Öffentlichkeit») oder eher genetiv der mehrzahl (vgl. «in aller namen»)? durchaus keine triviale Frage: denn auch eine deutung «in Freundschaft mit allen» ergäbe einen guten sinn. a propos genetiv Plural: der liegt, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind, in ausdrücken wie Wiener Schnitzel, Wiener Walzer oder Wiener Philharmoniker vor. sie lassen sich also mit «schnitzel der Wiener» usw. umschreiben. Würde es sich um ein echtes adjektiv handeln wie bei wienerisch, dann müsste es sich in geschlecht und Zahl dem jeweiligen substantiv anpassen. so aber bleibt die Wortform Wiener in allen beispielen konstant, ähnlich wie bei Peters Freunde oder Österreichs Kultur. eine spannende aufgabe bietet aber ein drittes, im alltag geläufiges Konstruktionsmuster. ein ausdruck wie dem Vater sein Bier gilt als dialektvariante des hochsprachlichen, ‹korrekten› Wortlauts des Vaters Bier (bzw. das Bier des Vaters), den man in der schule daher auch gegenüber dem scheinbar falschen Wildwuchs durchsetzt. doch wie kommt es zu dieser Konkurrenz? echte Fehler sind in der umgangssprache höchst selten; meist handelt es sich bloß um umdeutungen älterer muster, wie wohl auch hier. an einem satz «gebt dem Vater sein bier» hätte auch der strengste ‹deutschmeister› nichts auszusetzen. Fasst man die beiden ergänzungen im dativ und akkusativ zu einer Phrase «dem Vater sein bier» zusammen und setzt sie frei, so verfestigt sie sich für den sprecher zu einer alternativen bezeichnung von besitz und Zugehörigkeit. machen wir die Probe aufs exempel! die aufforderung «helft dem bischof seine Kirche bauen!» gestattet zwei satzanalysen. in der einen liegt die schnittstelle nach dem dativ. Was folgt, ist die nähere bestimmung der hilfe. die andere lesart aber schafft mit der Fügung «dem bischof seine Kirche» jene populäre redeweise, von der wir ausgegangen sind. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden. (h.c. artmann)

das studium der menschheit

Falsche Freunde sie sind im leben so berüchtigt wie gefürchtet! ich meine, jene falschen Freunde, die sich in unser Vertrauen einschleichen, um später ihr wahres gesicht zu zeigen. aber erfahrung macht nicht immer klug: schon sitzen wir dem nächsten betrüger auf. auch in der sprache lauern zweifelhafte subjekte und führen uns in die irre. getarnt durch die gleiche Form legen sie ebensolchen gebrauchswert nahe, obwohl die sirene gleichklang entweder auf Zufall beruht oder längst einem bedeutungswandel unterlegen ist. solchen ‹faux amis› in einer fremden sprache trauen, bringt manchmal zum schaden auch noch den spott. Wer in der italienischen eisenbahn die temperatur in richtung caldo verändert, wundert sich zu unrecht, dass es im abteil immer wärmer wird. Wer in gebrochenem Französisch die figure einer dame rühmt, macht damit nur ihrem gesicht ein Kompliment. auch englisch brave trifft sich bloß dann mit unserem brav, wenn ein tapferer Kämpfer gemeint ist. das sind die krassen Fälle, aber es gibt auch subtilere beispiele: Eventually verweist auf ein abschließendes ergebnis – unser eventuell stellt dieses hingegen in Frage. Über ein diskutables Buch lässt sich trefflich streiten, während französisch discutable bereits ein Werturteil fällt. die anglizismen unserer tage erweitern nicht nur den Wortschatz, sondern hinterlassen auch semantische spuren: realisieren als «begreifen» verrät den einfluss von realize. Phrasen wie Sinn machen (nach to make sense) oder einmal mehr (aus once more) aber liefern oft stoff für sprachkritische leserbriefe. doch das thema hat auch seine amüsanten seiten. so wenn ein ausländer beim bahnhofschalter Auskunft auf abfahrende Züge wartet, da er in diesem Wort – ganz plausibel – das gegenteil von Ankunft vermutet. und ein besucher grinzings soll noch lange von dem schönen abend beim Diesjährigen geschwärmt haben, da er sich den austriazismus Heuriger partout nicht merken konnte. Echte Ehen? der ausdruck Partnerschaft hat in unseren tagen sprachliche hochkonjunktur. er vermittelt positive begleitgefühle, benennt einen wünschenswerten © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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sachverhalt und hat sich mehrere sinnbezirke erobert: in der geschäftswelt, im sozialbereich, besonders aber in der privaten Zweisamkeit vermittelt dieser Wertbegriff wechselseitiges Verständnis, offene auseinandersetzung, gleichgestimmtes Verhalten. die lebensgemeinschaft, gleichsam die ausbaustufe eines Zusammenseins, hat gerade in jüngster Zeit lebhafte diskussionen ausgelöst. Vor allem als legitimation gleichgeschlechtlicher Paare beschäftigt sie Kirche, Politik und rechtsprechung, polarisiert die standpunkte selbst innerhalb der Parteien, spaltet die Öffentlichkeit in heftiges Pro und contra. dabei wird besonders das Wort Ehe auf den juridischen Prüfstand und auf die semantische goldwaage gelegt. darf diese ehrwürdige Vokabel, die so fest mit der gründung einer Familie und der Zeugung von Kindern verbunden ist, unbesehen auf andere Verhältnisse übertragen werden? die sprachgeschichte bestätigt diese skepsis nur zum teil: Zwar ist die heutige Verwendung schon in den alt- und mittelhochdeutschen belegen dominant, doch schimmert vielfach in ewa bzw. ewe noch die grundbedeutung «sitte, recht, gesetzliche Ordnung» durch. Ehe enthält demnach keinen sakralen Kern, sondern bezeichnete einen rechtlich gültigen Vertrag. das lässt sich noch dem adjektiv echt ablesen, der verknappten niederdeutschen Variante von ehehaft, das zunächst «rechtmäßig, gesetzeskonform» bedeutet hat. heute betont es den gegensatz von sein und schein (echtes Gold, waschecht), oder dient im Jugendjargon der bloßen steigerung (echt cool). Wie so oft gewährt also die etymologie wertvolle kulturgeschichtliche einblicke, entbindet aber die Verantwortlichen nicht von einer wohlüberlegten eigenen entscheidung – und das ehebaldigst. Lifestyle – eine Leerformel? es gibt ausdrücke, die lassen sich eher assoziativ umschreiben als exakt und schlüssig definieren. und handelt es sich dabei um Fremdwörter, dann haben Übersetzungen nur beiläufigen aufschlusswert. «Wellness ist cool» bedeutet eben nicht wirklich «Wohlbefinden ist kühl». die Wiedergabe bleibt da entscheidende semantische merkmale schuldig, von den begleit© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gefühlen ganz zu schweigen. Für das themawort dieser glosse gilt ein gleiches: «lebensstil» gab es auch in mittelalterlichen burgen und in biedermeierlichen bürgerhäusern. aber wer würde diese historische befindlichkeit als lifestyle bezeichnen? denn es fehlen dafür entscheidende Wesenszüge: der modische anstrich, ein ausgeprägtes gruppenbewusstsein (um nicht zu sagen: ein sozialer Klubzwang) sowie eine Vorzeigementalität, die sich über Fitness-studios, exotische reiseziele, exklusive Parties und elitäre gourmetzirkel definiert: die Sauna wird da quasi zum Wellness-Tempel – und die alternative zum Insider lautet Outcast. ein neues lexikon findet für das Profil von lifestyle treffende Worte: die prägenden Züge dieses ausdrucks heißen da «stilisierung ohne Festlegung» und eine etwas diffuse «Vorstellung des sichwohlfühlens». den rahmen aber bilden ein entwickeltes sensorium für Körperlichkeit und ein oft rasch wechselndes musikalisch-dekoratives ambiente: «sein oder design» ließe sich da auf den spuren hamlets räsonieren! eine gesinnung schafft sich einschlägige magazine – und auch deren titel fügen sich in das bild: «instyle», «Fit for fun», «glamour» oder «tomorrow». denn wer nicht die Überfuhr verpassen will, muss wenigstens zeitgeistig an ein morgen denken. a propos Zeitgeist, diese so handliche wie schwer greifbare Vokabel: goethe hat im «Faust» über seine unverbindlichkeit Wichtiges ausgesagt. Jeder holt sich von den schillernden Facetten des begriffs, was ihm gerade beliebt. Life macht im übrigen leben ebenso Konkurrenz, wie Job dem beruf zusetzt, Date das Rendezvous verdrängt und Primetime die Hauptsendezeit ersetzt hat. in aktuellen Wörterbüchern treffen wir noch auf Lifeisland, Lifetimesport, Life-Sciences und Life-Event-Forschung, von der devise lifelong learning ganz zu schweigen. such is life! Irrlichter der Wortgeschichte gewöhnlich führt vom ersten beleg eines sprachlichen ausdrucks bis zu seiner gegenwärtigen Form ein geradliniger, rational einsichtiger und intuitiv plausibler Weg. dieser befund gilt ebenso für die lautgestalt wie für das be© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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deutungsprofil. aus althochdeutschem fater wird ein moderner Vater mit den gleichen semantischen merkmalen. Fuß, das auf fuoz zurückgeht, bezeichnet den nämlichen Körperteil wie sein Vorgänger. und der sachliche unterschied zwischen Vieh (zuerst fihu) und englisch fee (ursprünglich feoh) lässt sich kulturhistorisch plausibel erklären: in einer epoche, als der besitz an der größe der herden gemessen wurde, konnten deren bestände auch eine pekuniäre lesart wie «betrag, gebühr» annehmen. gleichwohl bietet uns die sprachgeschichte auch seltsame außenseiter: Fallbeispiele, die das regelwerk des üblichen bedeutungswandels sprengen und für ihre eskapaden auch eine maßgeschneiderte erklärung verlangen. so wenn ein mann semantisch zur Frau mutiert. die französische Vokabel mannequin stammt eigentlich aus dem niederländischen, wo es als Verkleinerungsform mannekijn «männchen» von man abgeleitet ist. Vor allem in der bedeutung «modepuppe» wurde die bezeichnung auch auf die Vorführpersonen von Kleidung übertragen. ihr vorwiegend weibliches geschlecht hat schon im Französischen, vor allem aber seit der rückwanderung in germanische sprachzonen die etymologie vergessen lassen. denn unter Mannequin versteht man doch wohl primär eine Frau, die von beruf modellkleider präsentiert. apropos Puppe: Wer spontan eine Verwandtschaft dieses Wortes mit der Pupille vermutet, befindet sich auf der richtigen spur. gemeinsamer nenner der beiden bildungen ist lateinisch pupa «mädchen». die diminutivform pupilla, ursprünglich «unmündiges, kleines mädchen», verdankt ihre anatomische lesart der tatsache, dass sich der betrachter im auge seines gesprächspartners als verkleinertes bild, also wie in einem spiegel, wiedersieht. apropos Körperteile: die meisten von ihnen, vor allem die zentralen Organe, tragen uralte namen, die jenseits der deutschen sprachgeschichte entsprechungen zeigen. das gilt für herz und niere ebenso wie für auge und Ohr, für Kinn und Knie. andere leibliche elemente hingegen haben die sprecher erst spät entdeckt und in ihrer Funktion wahrgenommen. sie weisen häufig bildliche bezeichnungen auf, hinter denen die quelle der metapher noch gut zu erkennen ist. so geht der seit dem frühen 18. Jahrhundert be© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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legte Muskel auf lateinisch musculus «kleine maus» zurück, da das spiel dieser Werkzeuge unter der haut schon die römischen mediziner an die bewegung von mäusen erinnert hat. erst unlängst wurde mir die Frage gestellt, warum man umgangssprachlich eine einzelne weibliche Person Frauenzimmer nennt. die ältesten belege verwenden den ausdruck tatsächlich noch für den Wohnbereich vornehmer damen, also im sinne von Kemenate. dass Frau den aristokratischen nimbus eingebüßt hat, ist mittlerweile ins allgemeine bewusstsein eingedrungen. die bedeutungsverschiebung vom Ort auf seine bewohner und darin tätige menschen aber ist ein verbreiteter sprachlicher Prozess. daher kann man einen abgeordneten als nationalrat titulieren und von einer massenveranstaltung behaupten: «ganz Wien war auf den beinen.» Schwere Sprache Deutsch neulich hat mich ein Freund, der nach grammatikalischer und phonetischer Kompetenz kaum von einem muttersprachler des deutschen zu unterscheiden ist, verblüfft gefragt: «Warum werden edelsteine geschliffen, aber mauern geschleift? und warum hat man ein Werk geschaffen, aber eine aufgabe geschafft?» ich antwortete etwas zynisch mit einer weiteren anomalie: «Weil der König seine boten sandte, und der Österreichischer rundfunk die nachrichten sendete.» mischformen und alternativen gehören in der tat zu den stolpersteinen für jeden ‹lerner› unserer sprache. aber auch andere asymmetrien erschweren – oder bereichern? – unseren alltag. so etwa die reihenfolge der Vorsilben in einem Wort: mancher unversicherte Klient wird durch das gespräch mit dem Vertreter verunsichert. und es ist nicht dasselbe, ob man nicht oft oder oft nicht an einer Vorstandssitzung teilnimmt. auch die Verbindung von fast gleichbedeutenden attributen mit ihren substantiven sorgt für Überraschung: man spricht eher von einem betagten Menschen und einem bejahrten Baum als umgekehrt: nicht die semantik, sondern die wesenhafte bedeutungsbeziehung, fachsprachlich ausgedrückt: die lexikalische solidarität, sorgt für den unterschied. die differenzierungen reichen bis in die Phrasen © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eines gesprächs. mit dem satz «mir ist die Zigarette ausgegangen» ersucht man mit einem indirekten sprechakt um Feuer. der Wechsel in den Plural «mir sind die Zigaretten ausgegangen» aber impliziert völlig anderes: entweder «ich kann dir keine anbieten!» oder «Kannst du mir mit einer aushelfen?». Oft handelt es sich bei solchen differenzen um eine «unheilige allianz» sprachlicher Feinheiten. und selbst dieser ausdruck stellt uns ein Problem: sollen wir unheilig als negation von heilig verstehen? Oder ist das adjektiv eher eine ableitung vom substantiv Unheil? Fragen über Fragen! Kurz und bündig unsere alltagssprache ist von festen redensarten durchwachsen, denen bestimmte merkmale gemeinsam sind: eine zumeist zweigliedrige struktur, ihr ursprung im rechtlichen oder sakralen bereich, endlich ein altertümliches Profil, das wenigstens einen bestandteil der Wortgruppe auf die jeweilige Formel beschränkt. und betrachtet man auch die Klangwirkung, so erhält der ausdruck durch stabreim oder endreim seinen lautlichen reiz und erfährt davon auch eine unverhoffte gedächtnishilfe: frank und frei, stock und stein, schimpf und schande, daneben aber auch schlecht und recht oder dach und Fach. in frank und frei, ist das erste adjektiv aus französisch franc «frei» entlehnt, das seinerseits wohl mit dem stammesnamen der Franken verwandt ist. der Stock aber bezeichnet als Wortpartner von Stein weder wie sonst ein längliches holzstück noch einen ast, sondern den stumpf eines baumstammes, den man auf der freien Wildbahn überqueren muss. der Schimpf wiederum, der einen menschen treffen konnte, war zur entstehungszeit der Floskel keine Verbalinjurie, sondern eine persönliche erniedrigung durch hohn und spott. in Dach und Fach verweist das zweite element auf eine beliebte bauweise, bei der teile der mauer durch balken eingesäumt waren. gleichfalls in die Frühzeit der architektur führt uns die Wendung Haus und Hof, deren zweites glied das umfeld des gebäudes oder den umschlossenen innenraum benannte. aristokratische oder ökonomische lesarten liegen der Vokabel in diesem Fall fern. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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unserem sprachbewusstsein gänzlich entschwunden ist der ursprüngliche sinn der Fügung mit Kind und Kegel. die spontane assoziation an spielzeug, das man zur unterhaltung des nachwuchses mitnimmt, erweist sich jedenfalls als holzweg. da Kegel im mittelhochdeutschen auch das uneheliche Kind bedeutet hat, bezieht sich die feste Phrase auf die ganze sippe, quasi als personelles Pendant zu Sack und Pack. in anderen beispielen setzt das moderne Verständnis eine falsche semantische spur. in schlecht und recht, verstärkt noch in der Variante mehr schlecht als recht, bietet sich für das erste Wort zunächst eine negative lesart, also «übel» oder wenigstens «mangelhaft», an. das ist freilich keineswegs die botschaft dieses idioms, welches zwar keinen hervorragenden erfolg, aber immerhin ein passables gelingen ausdrückt. der sprachgeschichte entnehmen wir ja, dass schlecht einmal «gerade» und «glatt» bedeutet hat und in dieser nuance später durch die jüngere nebenform schlicht ersetzt worden ist. auch in kurz und bündig gibt erst die Wortgruppe die semantische richtung an. denn bündig markiert entweder eine ebene lage oder es meint einen bindenden sachverhalt, mag es sich dabei um ein gelübde oder einen Vertrag handeln. doch die nachbarschaft von kurz setzt eigenschaften frei, die sich am besten mit «sicher» oder «bestimmt» umschreiben lassen. das sprachliche milieu fester Wendungen bewahrt also veraltetes Wortgut und schützt überholte bedeutungen. so lautet – kurz und bündig gesagt – das resümee. Kinderlein und Frauerln Physische Kleinheit und emotionale nähe elementar auszudrücken gehört zu den grundanliegen des menschen und damit auch seiner sprache. so hat auch das deutsche ein eigenes muster der Wortbildung, die deminutiva entwickelt, die mit besonderen ableitungssilben das unterschreiten der norm, aber auch nuancen der Zärtlichkeit vermitteln. aus der hochsprache kennen wir dafür -chen und -lein. in der österreichischen umgangssprache dominieren freilich die Varianten -erl und -i. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die redensarten «Was hänschen nicht lernt, lernt hans nimmermehr» stellt das Kind dem erwachsenen gegenüber. die liedzeile «hänschen klein» bezeichnet diese qualität sogar zweifach, ähnlich wie «ihr Kinderlein kommet». ein anderer gesangstext, «Weißt du wie viel sternlein stehen» (nicht als quizfrage verstanden!) erlaubt verschiedene deutungen: bezieht sich die Verkleinerung auf unsere subjektive Wahrnehmung der sterne oder drückt sich darin eine gefühlsbeziehung aus? Wie etwa in französisch soleil, das ja etymologisch «kleine sonne» bedeutet. Wenn ein italienischer gastwirt uns als digestiv Grappa anbietet und im zweiten Versuch auf Grappina oder gar Grappettina ausweicht, verleiht er seiner ‹schnapsidee› ein intimes Flair. Was dem deutschen sein geliebtes bier, ist dem Österreicher meist das leibgetränk Wein. Wer aber meint, ein Bierchen oder Weinderl ziele auf homöopathische dosen, der ist auf dem holzweg. ganz im gegenteil – je mehr, umso lieber. Zärtlichkeit spricht aus den Kosenamen Annerl und Hansi: und auch das Vogerl, das auf Flügeln des gesanges geflogen kommt und von der liebsten grüßt, ist zwar sicher kein Kranich, muss aber deswegen auch kein Kolibri sein. so wie das Fensterl, das die angebetete aufmachen soll, größer sein darf als eine schiffsluke. bisweilen hat die abteilung ihr grundwort ersetzt: Mädchen und Märchen haben Maid und Mär so gut wie verdrängt. dann wieder beschönigt die ‹Koseform› derbe sachverhalte: das Häusl ist zwar auch ein kleines haus, verweist aber zumeist auf einen besonders stillen Ort. mitunter ist die intimität nur noch in spuren erkennbar. Herrl und Frauerl sind zu gängigen Wörtern für hundehalter geworden. da ist die gefühlsbeziehung zum geliebten haustier (Hunderl) auf seinen besitzer übergegangen. ein reservat der Zärtlichkeitsformen ist immer noch die Kinderstube. die ammensprache prägt und verstärkt dabei zumeist die redeweise der Kinder. Joachim ringelnatz hat diesen Jargon in seinem «nachtgebetchen» parodiert: «ich bin ein armes Zwiebelchen, nimm mir das nicht übelchen!» © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Gerüche und Gerüchte den anlass zu dieser glosse lieferte eine naive Frage im alltäglichen gespräch. es war darin vom geruchssinn und der Wendung «jemanden nicht riechen können» die rede. die geläufige Phrase zielt ja bekanntlich nicht auf defizite der Wahrnehmung ab. ganz im gegenteil: sie verweist sogar auf eine sensible nase und einen «guten riecher» für menschliche untugenden. dass uns angenehme gerüche positiv stimulieren, macht die Parfumbranche erfinderisch und erfolgreiche Produkte zu Verkaufsschlagern. aber die rückführung von sympathie und abrechnung auf eine sinnliche erfahrung lässt sich schon im altertum sprachlich belegen. lateinisch odium bedeutet «hass»: Wenn nestroys «vermischter Warenhändler» über «nichts als Odiosa» klagt, so meint er damit widrige umstände oder mit des dichters eigenen Worten «unwesen im hauswesen». Odor hingegen, auch im Deodorant enthalten, bezeichnet den geruch oder gar den duft. im Verbum odi – formal ein Perfekt, semantisch ein Präsens – treffen sich die beiden sinnbezirke. denn «hassen» bedeutet eigentlich, etwas im Übermaß gerochen und daher die nase davon voll haben. die lästige Wahrnehmung führt also zur persönlichen antipathie. Wer im Geruch eines angebers steht, dessen notorische Prahlerei stinkt quasi zum himmel. nichts mit Geruch zu tun hat dagegen das Gerücht – trotz der lautlichen nähe, die zur Volksetymologie verleitet. als verbales ereignis gehört Gerücht vielmehr zu rufen. das Wort bezeichnete zunächst die laute empörung über eine ‹schreiende› untat, ehe es zum unverbindlichen gerede verflachte. die niederdeutsche herkunft erklärt den phonetischen Übergang von ft zu cht: sacht neben sanft oder Schacht gegenüber Schaft geben dafür ebenso beredtes Zeugnis wie die Grachten in amsterdam, die ja zu graben und damit letztlich zu Gruft gehören: womit wir sprachlich gleichsam beim ‹jüngsten gerücht› angelangt wären. Wörter oder Worte? die im titel gestellte Frage erscheint trivial, schon längst gelöst und im grunde rhetorisch! Jede grammatik, auch kleine ausgaben des duden, © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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geben für den Zweifelsfall gründliche auskunft. Wörter ist der Plural einer einzelnen Vokabel, während Worte die mehrzahl der bedeutung «ausspruch, Wortgruppe», allenfalls eines besonders gewichtigen ausdrucks darstellt. daher heißt es korrekt «manche Worte goethes haben es zur Zitatreife gebracht», aber andererseits «Viele Wörter in goethes texten sind heute ungebräuchlich». dagegen klingen sätze wie «der redner hat bewegende Wörter gefunden» oder «du hast bei der Übersetzung zwei Worte ausgelassen» nicht nur seltsam, sondern sind auch missverständlich: da fehlen einem wirklich die Worte! aber das Problem der sprachrichtigkeit stellt sich erneut in Zusammensetzungen wie Schlagwort, Sprichwort, Stichwort oder Vorwort. nicht immer treffen da die genannten richtlinien zu: so etwa bei Sprichwort mit seiner mehrzahl Sprichwörter, da doch selbst ganz lapidare beispiele wie «trau, schau, wem!» mehr als ein Wort enthalten. bei Stichwort kommt es auf die Verwendung an: als einzelner eintrag in einem Katalog bildet es folgerichtig den Plural Stichwörter, in der lesart «kurze notiz» hingegen Stichworte. dieselbe Form gilt aber auch für die bedeutung «einsatzhilfe auf der bühne», obwohl es da zumeist nur um ein einzelwort geht. bei Vorwort ist die sprachliche Welt wieder in Ordnung: Vorworte für den Vorspann zu einem buch, Vorwörter bei der Verdeutschung von Präposition. aber auch das grammatische geschlecht macht uns bisweilen zu schaffen: der und das Verdienst ziehen nicht immer am selben strang. auch der und das Gehalt weisen oft nicht in die gleiche richtung. aber das wäre stoff für eine andere glosse! Vor Ort überprüft! Was verbindet Politiker und Journalisten, die doch sonst nicht immer am selben strang und in die gleiche richtung ziehen? Jedenfalls ihre gemeinsame Vorliebe für die redewendung vor Ort. Ob es sich um eine naturkatastrophe oder einen Parteitag handelt, reporter machen sich flugs auf den Weg, um vor Ort darüber zu berichten. Wer ein öffentliches amt ausübt, ob als minister, bürgermeister oder gewerkschaftsfunktionär: es gehört zu sei© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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nem selbstverständnis, sich vor Ort über sachverhalte, Probleme und anliegen zu informieren. das bezeugt bürgernähe und spricht für engagement. dennoch erhebt sich die Frage, warum das alles nicht am Ort geschieht? Oder noch deutlicher gesagt: an Ort und stelle? Vermittelt die Präposition vor nicht den eindruck, der berichterstatter oder der Würdenträger erreiche gar nicht den eigentlichen schauplatz, sondern bleibe nolens volens in seinem Vorfeld stehen? der blick auf die Wortgeschichte von Ort zeigt für das mittelalter eine hauptbedeutung «spitze», besonders von schwert und speer. in der Fachsprache der schuster bezeichnet der ausdruck regional noch heute die ahle. aus einer weiteren lesart «ecke, ende» entwickelte sich im idiom des bergbaus mit neutralem geschlecht (das Ort) die bezeichnung für den abbauraum, also für den Punkt in der grube, an dem gerade gearbeitet wurde. in diesem Fall decken sich grammatikalische Form und semantik, denn die bergleute werken tatsächlich vor dem streckenende im minenschacht. Funktionalstile haben in bestimmten gegenden große Verbreitung und bereichern die umgangssprache mit Wortspenden und knappen Phrasen. so wird sich auch der Politiker oder der berichterstatter mit der Wendung vor Ort zunächst als sachverständiger ausgewiesen und als ‹Kumpel› – wieder eine bergmannsvokabel – empfohlen haben. heute ist die ehemals sinnhafte Fügung zur so beliebten wie beliebigen Floskel des medienjargons verblasst, die im sprachlichen alltag zunehmend heimisch wird. Kennt man den ursprung der Formel, so ist es wohl nicht fehl am Ort, den leitfiguren des öffentlichen lebens ein kräftiges glück auf! zuzurufen. sie wissen es hoffentlich zu schätzen. Suboptimale Prognosen sprachgeschichte weist gewöhnlich in die Vergangenheit und ist in handbüchern gut dokumentiert. Wer den ursprung und die biographie eines Wortes erfahren will, wird zumeist in einem etymologischen lexikon fündig. die vermittelte auskunft schafft neues Wissen, entspricht aber eher selten unserem aktuellen sprachgebrauch. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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doch bisweilen kommt es auch ganz anders, und wir werden Ohrenzeugen quasi eines sprachwandels in der nussschale. eine neue Vokabel tritt auf, zunächst sporadisch, sogar nur anekdotisch. dann greift es um sich, wird zum modewort, das sich kaum ein Politiker oder Journalist entgehen lässt. und selbst das begleitende augenzwinkern, der ironische beiklang schwindet allmählich: der öffentliche Wortschatz hat Zuwachs bekommen. das adjektiv suboptimal, ohne das derzeit kaum ein leitartikel oder politisches statement auskommt, hätte man noch vor wenigen Jahren vergeblich nachgeschlagen. selbst jetzt verzeichnet es nur die neuauflage des duden: als anglizismus und mit der bedeutung «weniger gut». die nahe liegende Frage, warum man einen so trivialen sachverhalt mit einem verbalen import umständlich benennt, erlaubt eine zweifache antwort. Zunächst liegen englische anleihen sprachlich nach wie vor im trend, wie ein blick auf Werbeslogans, aber auch den Jugendjargon zeigt. Weiters verleiht ein Fremdwort auch der banalen alltagsrede einen gewissen nimbus, gleichsam den schliff und die stromlinie der internationalität. bis vor kurzem war suboptimal jedenfalls noch mit jenen – realen oder virtuellen – anführungszeichen versehen, die eine Zitierform oder ironischen sprachgebrauch kennzeichnen. Wie viele Prestigewörter fußt auch suboptimal letztlich im lateinischen: sub bedeutet «unter» und optimal leitet sich von optimus, dem irregulären superlativ zu bonus «gut» ab. dass dem eigenschaftswort im deutschen dieses grammatikalische merkmal abhandengekommen ist, beweist der unausrottbare Pleonasmus optimalst. Älter im deutschen Wortschatz verankert ist die dublette Optimist und Optimismus. letzteres diente einst dazu, die leibnizsche lehre von der gegenwärtig besten aller möglichen Welten zu bezeichnen. der Optimist, der sich von der Zukunft eine gesteigerte Wohlfahrt erhoffte, war also der Prototyp des Fortschrittsgläubigen. mittlerweile hat die euphorie freilich einer gesunden skepsis Platz gemacht. die redensart «ein Optimist ist ein schlecht informierter Pessimist» gibt davon beredtes Zeugnis. Vielleicht verliert auch suboptimal bald die Züge eines verschämten euphemismus. dann heißt ein misslicher Zustand wieder schlecht – oder gar suboptimalst? © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Im Zeichen der Nachhaltigkeit es gibt verbale eintagsfliegen, die nach kurzem medialen höhenflug so plötzlich und spurlos verschwinden, wie sie davor für einen aktuellen benennungsbedarf unverhofft aufgekommen sind. Wer erinnert sich etwa heute noch an den einstigen neologismus Baummörder? War das ein Frevler an der natur oder ein Verbrecher, der seine Opfer bevorzugt unter bäumen erledigte? aber es gibt auch ausdrücke, die scheinbar jäh auftreten, in Wahrheit aber eine lange, freilich verschüttete Wortgeschichte hinter sich haben. ihre erfolgreiche renaissance verdanken sie offenbar dem herrschenden Zeitgeist: entweder, weil sie ein Wunschdenken pointieren oder da sie einer gefahr gegensteuern. Zu diesen späten heimkehrern zählt derzeit Nachhaltigkeit. Vom besorgten leitartikel über den kritischen lagebericht bis zur kommerziellen erfolgsbilanz, im politischen diskurs, in repräsentativen Festreden, selbst in der sonntagspredigt des hochamts: immer und überall wird Nachhaltigkeit erwartet, vermisst, empfohlen, versprochen, verordnet, erhofft, in jedem Fall aber als Ziel positiv hervorgehoben: ein Prestigewort und eine leitvokabel unserer tage. der Weg seiner bildungsweise führt über mehrere stufen: ein verschollenes substantiv Nachhalt zeitigte ein Verbum nachhalten im sinne von «andauern», das immerhin bereits goethe ebenso gern gebraucht hat wie die zugehörige eigenschaft nachhaltig. gerade dieses adjektiv konnte sich bis heute behaupten: als bequemes Kürzel für «längere Zeit anhaltend und wirksam», was gerade den Fachsprachen von bäderkuren, bodenkultur und Forstwesen gelegen kam. im Funktionalstil der Waldwirtschaft hat denn auch die ableitung Nachhaltigkeit als inbegriff einer andauernden erfolgreichen nutzung ‹überwintert›. ein ende der Karriere von Nachhaltigkeit als Fahnenwort der öffentlichen sprache ist nicht abzusehen: Vielleicht weil es mit seinem soliden semantischen gewicht allen kurzatmigen Programmen und hektischen scheinlösungen die stirn bietet. bleibt nur zu hoffen, dass diese Parole nicht an den devisen scheitert! © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Krisen und anderes Ungemach das Wort Krise ist ein dauergast in der medienlandschaft. Wo immer es begegnet, läuten die alarmglocken, stehen die Zeichen auf sturm, ist höchste gefahr im Verzug, ja erscheint das Verhängnis unvermeidlich. Politische Verhältnisse, wirtschaftliche unternehmen, kulturelle einrichtungen, zwischenmenschliche beziehungen – allesamt stecken sie in einer tiefen Krise. dabei ist der Vokabel ihre schlimme bedeutung keineswegs in die Wiege gelegt. die Form krisis aus dem griechischen bezeichnete zunächst nur eine fällige entscheidung, den umschwung und richtungswechsel aus einem dauerzustand oder schwierigen Prozess. gerade die Fachsprache der medizin kennt diese lesart von Krise noch heute: auf dem höhepunkt einer Krankheit fällt die entscheidung – und diese kann durchaus die genesung einleiten. es gibt demnach auch Krisen als notwendige schaltstellen für ein gutes ende. dass Wörter in ihrer einschätzung schwanken und in der Folge zumeist ihren nimbus verschlechtern, ist jedem sprachhistoriker wohlvertraut. die dafür verantwortlichen ursachen reichen von Zweckpessimismus über Veränderungen der Werteskala bis zu sozialem Prestigeverlust. auch im deutschen Wortschatz fehlt es nicht an vergleichbaren beispielen. das adjektiv gemein, dessen eigentliche bedeutung sich den ableitungen gemeinsam und gemeinschaft ablesen lässt, kann man heute kaum noch harmlos gebrauchen, muss es vielmehr durch allgemein ersetzen. in diesem Fall geht die umwertung letztlich auf eine abschätzige behandlung der gemeinen, also gewöhnlichen leute durch die aristokratie zurück. selbst das eigenschaftswort schlecht war zunächst kein verwerfliches etikett. das adverb schlechthin oder die Wendung schlecht und recht erweisen die nähe zum anklingenden schlicht und deuten auf eine grundbedeutung «einfach». so verlieren viele Vokabeln allmählich ihre semantische unschuld oder befinden sich – modisch gesprochen – «permanent in der Krise». Vorsicht Amtsdeutsch! der müllcontainer einer deutschen autobahnraststätte ist laut hinweistafel nur für reiseabfälle vorgesehen, ansonsten droht eine sanktion: «Zuwider© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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handlung wird als missbräuchliche Verwendung zur anzeige gebracht». Was dem erstaunten leser dieses Verbotsschildes ins auge springt, ist amtsstil in voller reife, ja gleichsam im infektiösen stadium. Zugleich ist es aber doch nur die berühmte spitze eines sprachlichen eisbergs. Wer kennt sie nicht, die vielen abstrakta auf -ung, die zahlreichen hauptwörtlich gebrauchten infinitive (das Abstellen, das Verzehren), alle die sperrig-unsinnlichen Fügungen und schablonen, die unverkennbar dem ausdrucksregister der Verwaltung, der diktion von Ämtern und behörden eigen sind? ein Verfahren wird nicht angewendet, sondern «kommt zur anwendung»; eine lösung wird nicht vorgeschlagen, vielmehr «zum Vorschlag gebracht»; ein anliegen wird nicht vorgemerkt, es wird «in Vormerkung genommen». anträge werden «zur abstimmung gestellt», maßnahmen «gelangen zur anwendung», Formulare «stehen zur Verfügung» – und so weiter. da die jeweils gebrauchten Zeitwörter dabei ihre anschauliche bedeutung verlieren und zu ‹Funktionsverben› verblassen, wobei die eigentliche information nur noch den substantiven zukommt, werden solche Wortverbindungen linguistisch dem nominalstil zugeordnet. der ist zwar ein bevorzugtes Feindbild der Verbalästheten und sprachkritiker, hat aber dennoch auch seine funktionale berechtigung. denn man kann damit ganze satzinhalte zu einem Wort verdichten, dazu noch komplexe sachverhalte raumsparend aufgreifen und dem adressaten der botschaft eindeutig «in erinnerung bringen». Welche stilblüten abseits fester Floskeln auf diesem Feld gedeihen können, hat der autor dieser Zeilen selbst einem behördlichen schreiben entnommen, das ihn von einer zunächst verhängten gebühr freisprach: «die begehung war irrtümlich.» Aufs Maul geschaut martin luther war einst der tonfall wichtiger als der Wortlaut. Wenn er als Übersetzer der bibel auf einen schwierigen sachverhalt traf, dann half ihm ein geläufiges sprachbild oder eine populäre redewendung oft aus dem hermeneutischen notstand. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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auch der Politiker ist gleichsam ein interpret. in seinen vornehmsten aufgaben könnte es zählen, komplexe Verfahren und voraussetzungsreiche tatschen verständlich zu vermitteln: ohne einbuße an information und abseits des funktionalen Jargons, der für empfindliche leser bereits in die Kategorie «rezeptpflichtig» fällt. nun lässt sich das Vokabular der technokraten nicht immer vermeiden. Eurofighter steht als Kürzel für ein vieldiskutiertes Fluggerät, das man nicht bei jeder erwähnung umständlich beschreiben kann. dasselbe gilt für den Wortschatz zwischen maastricht-Vereinbarungen und schengenabkommen, den uns die eu-mitgliedschaft als verbales rüstzeug beschert hat. aber die leitfossilien der öffentlichen sprache beschränken sich nicht auf das bloße bezeichnen und benennen. der Politiker weist sich bei diversen Wortspenden auch in sprachbildern und Konversationsfloskeln als Vertreter seiner Zunft aus. Wer sich mit einem Partner weder überheblich noch subaltern austauscht, tut dies neuerdings «auf augenhöhe». nun ist ja gegen blickkontakte nichts einzuwenden, zumal sich die Verständigung ohnehin immer mehr in den virtuellen bereich zurückzieht. aber die intimen «augenblicke» sollten von sorgfältigem Zuhören begleitet sein. nach mehr Familiarität und nähe verheißt ein Politiker, wenn er/sie mit nachdruck versichert: «ich bin ganz bei ihnen!». bleibt nur zu hoffen, dass er im moment dieses großen Wortes auch ganz bei sich ist. Fast keine politische Äußerung aber kommt ohne das signal «am ende des tages» aus. Wenn die folgende botschaft vollmundig nach leerem Versprechen klingt, bietet sich der appell «herr, lass es abend werden» an. Womit wir wieder bei martin luther wären. Historisch betrachtet Wie kann ein ereignis, eine politische entscheidung oder ein sportlicher triumph historisch genannt werden, wenn sie sich eben erst zugetragen haben oder gar nur für die Zukunft erwartet werden? eine berechtigte Frage an © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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den linguisten. denn in der tat lassen das Wort Historie und seine ableitungen spontan an weit zurückliegendes geschehen denken. mit einem kunsthistorischen museum assoziiert man primär renaissance oder barock, kaum moderne happenings oder Videoinstallationen. ein historischer atlas verbucht schlachtorte und ehemalige reichsgrenzen: er eignet sich kaum als Wegweiser für eine urlaubsreise. die historische grammatik ist keine Orientierungshilfe für den aktuellen sprachgebrauch. sie beschreibt vielmehr ältere Zustände und erklärt den sprachwandel. bei Personen verhält es sich mit dem attribut historisch ganz ähnlich. auf einer zeitlichen skala der österreichischen geschichte sind die Kaiser aus dem hause habsburg zweifellos historische Figuren. gegenwärtigen Politikern kommt – ungeachtet ihrer meriten – das etikett (noch) nicht zu. grenzfälle sind namen wie Karl renner oder leopold Figl: keine Zeitgenossen mehr, aber manchem noch in persönlicher erinnerung; bereits in die annalen eingegangen, doch durchaus dankbares thema für aktuelle politische debatten. Historie stammt letztlich aus dem griechischen und geht auf ein erschlossenes vidtōr mit der bedeutung «augenzeuge» zurück. Wer etwas selbst gesehen hat, der kann es sich authentisch aneignen. so werden die erhobenen daten aber auch zu ‹merk-würdigen› und erheblichen tatsachen für spätere generationen. damit zurück zu leopold Figl und seinem historischen ausruf «Österreich ist frei!». begleitende merkmale können allmählich in die Wortbedeutung eingehen. so ist historisch auch die nuance «bedeutungsvoll» zugewachsen. einem triftigen ereignis von heute spricht man erinnerungswert zu. und damit wird es im hinblick auf die Zukunft historisch. Was heißt politische Kultur? die semantische bündigkeit eines ausdrucks verhält sich oft verkehrt proportional zur häufigkeit seines gebrauchs. Wovon alle ungeschützt und folgenlos reden, das verfällt der beliebigkeit. der mangel an Verbindlichkeit, die fehlende Kontrolle des gehalts führt zu Willkür: richtung Worthülse, endstation leerformel. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Wie leicht fällt die klare definition voraussetzungsreicher berufsbilder wie Versicherungsmathematiker, halbleiterphysiker oder gar astronaut! Wie schwer bekommen wir dagegen den notorischen «mann von der straße», den durchschnittsbürger oder den «Kollegen von nebenan» sprachlich exakt in den griff. so steht es auch mit der vielberufenen politischen Kultur. Jeder führt sie im mund, jeder versteht etwas anderes darunter: liberale gesinnung, toleranz gegenüber andersdenkenden, klare inhaltliche Konzepte, ausgereifte ideen – oder auch: höfliche umgangsformen, korrektes diskussionsverhalten, vielleicht auch bloß das Vermeiden von groben Verbalinjurien und schreiduellen im Parlament. Kurzum von allem etwas, aber nichts davon eindeutig und ausschließlich! Kann uns die sprachgeschichte aus der Verlegenheit helfen? dass Kultur seiner herkunft nach ein lateinisches Fremdwort ist und letztlich auf das Verbum colere «pflegen, bebauen» zurückgeht, ist uns noch geläufig oder kann leicht nachgeschlagen werden. doch gibt es dafür den berühmten ‹sitz im leben›? Wie so oft im gehobenen Wortschatz geht die konkret-dingliche der abstrakt-sublimen lesart voraus: man denke nur an den noch durchschimmernden ursprung von intellektualverben wie verstehen, erfassen oder begreifen. die cultura animi, also die erziehung zum geselligen leben, zur Kenntnis der freien Künste und zum ehrbaren dasein, wurzelt demnach in der agricultura, im ackerbau, in der bestellung der Felder. im rückgriff auf diese grundbedeutung ließe sich für politische Kultur vielleicht ein minimaler gemeinsamer Verständnisnenner gewinnen: nach einer auseinandersetzung das terrain so zu verlassen, dass darauf wieder der Weizen blühen oder wenigstens darüber das gras wachsen kann – und nicht nur das unkraut gedeiht. Im Dickicht des Musikjargons Über geschmack lässt sich bekanntlich streiten, und über Kunst kann man leicht reden, zumal musikalische eindrücke und geschmacksfragen ein beliebtes gesprächsthema sind. denn Konzertpausen wollen überbrückt werden, und auch nach tisch bereichert der künstlerische disput das repertoire © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der geselligen unterhaltung. Wer sich dabei nicht auf das glatte Parkett von Opuszahlen wagt oder die untiefen der zugehörigen tonarten scheut, hält sich gern an griffige titel. Kein Wunder also, dass ‹namhafte› Orchesterwerke wie die Jupitersymphonie, die Eroica und die Pastorale, die Unvollendete oder die Pathétique sich beim breiten Publikum weit größerer beliebtheit erfreuen als ihre musikalisch ebenbürtigen, aber ‹anonymen› geschwister aus der Feder von mozart, beethoven, schubert oder tschaikowsky. daher mutet es gar nicht mehr allzu paradox an, wenn ein musikfreund seine Vorliebe sprachlich so auf den Punkt bringt: beethoven hat eigentlich nur vier symphonien komponiert – die dritte, die Fünfte, die sechste und die neunte. und wenn wir schon bei den Zahlen sind: anton bruckners typischer tonfall hat ihm bei bissigen Kritikern den Vorwurf eingetragen, er habe nicht neun symphonien, sondern seine erste symphonie neunmal geschrieben. auch der bestimmte artikel wird im musikjargon unterschiedlich gebraucht: entweder um auf die einzahl oder auf die einzigartigkeit eines Werkes hinzuweisen. so bedeutet «das Violinkonzert von tschaikowsky», dass der meister nur eine Komposition dieser gattung geschaffen hat. das Klavierkonzert desselben schöpfers betont dagegen den hohen rang und unverwechselbaren charakter jenes berühmten erstlings, der die beiden nachfolger verblassen ließ. im umgang mit musikalischen begriffen ist stets Vorsicht geboten. so bezeichnet etwa der gleiche ausdruck Trio sowohl den mittelteil eines menuetts oder scherzos als auch ein kammermusikalisches Werk für drei instrumente. doch damit nicht genug der Zweideutigkeit. Während nämlich ein Streichtrio ein stück für drei streichinstrumente meint, gilt der analogieschluss mitnichten für ein Klaviertrio. denn in diesem Fall gesellen sich zum namengebenden Pianoforte noch die geige und das cello. nach einer gern zitierten anekdote hat einst ein student bei einer einschlägigen Prüfungsfrage kühn auf eine Komposition für drei Klaviere getippt. die zynische antwort des Professors soll gelautet haben: «dann ist wohl das Forellenquintett für fünf Forellen geschrieben!». © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Schöne alte Wörter unlängst hat ein bundesdeutscher Wettbewerb den ausdruck Kleinod zum «schönsten bedrohten Wort der deutschen sprache» gewählt – nein besser: gekürt oder erkoren. guter Zweiter in dieser verbalen Konkurrenz wurde das adjektiv blümerant. bodo mrozek, ein rühriger wie erfolgreicher sachwalter von gefährdetem Wortgut, beschreibt Kleinod als bezeichnung «für ein auf den ersten blick unscheinbares ding, das jedoch einen hohen persönlichen Wert haben kann». bedrohte Wörter seien schon wegen ihres gefühlswerts in ihrer schönheit zu bewahren. man mag das unternehmen als eine akademische schrulle belächeln und sich rasch wesentlicheren sachfragen zuwenden. Freilich geschähe damit einer initiative unrecht, die ihren spielerischen charakter selbst gerne zugibt. der Kolumnist einer sprachglosse fühlt sich sogar – fast möchte ich sagen: natürlich – zu einer persönlichen ‹nachwahl› aufgefordert. ich versuche es also mit einem dreiervorschlag. saisonal bedingt beginne ich mit der guten alten Sommerfrische. denn kein Urlaubsparadies, weder Traumstrand noch Wellnesstempel, kommt gegen den erholungswert auf, den jene gemütliche Wortbildung bereits klanglich vermittelt. an die zweite stelle setze ich Angebinde für ein hübsches geschenk, das man einst wirklich dem empfänger um den hals oder auf den arm gebunden hat. der damit verknüpfte realwert mag verloren gegangen sein: der emotionale charme der Vokabel ist erhalten geblieben. schließlich plädiere ich noch für leutselig. sein ursprung im mittelalter weist auf «den menschen wohlgefällig». in unseren tagen heißt diese eigenschaft – so noch vorhanden! – umgänglich oder (mit negativem begleitton) herablassend. Wer heute noch von einem leutseligen Pfarrer spricht, riskiert freilich ein phonetisches missverständnis. denn allzu nahe liegt die Vermutung, dass hochwürden seine Kirchenglocken besonders oft und lang läuten lässt.

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Bildungsjargon dass man einer hübschen Person noch nicht begegnet ist, wird zur «tücke des Objekts». die finanzielle selbständigkeit der Frau «ist der letzte schritt zum bolschewismus». die materielle abhängigkeit des mannes von seiner Partnerin aber führt ins desaster: «das sind halt so naturgesetze». der gedanke, in der donau zu baden, avanciert zum «Projekt». «der vermeintliche siegeszug des tonfilms» ist ein beliebtes thema. aus der natur haben die «armen Kulturmenschen … eine Zwangsjacke» gemacht. immerhin ist «die gestrige blutwurst – ein gedicht!», dagegen aber «das Weib – ein rätsel, eine sphinx.» die Personen, die solche Wörter und Worte von sich geben, hat Ödon von horváth in seinem bitterbösen stück «geschichten aus dem Wiener Wald» auf die bühne gestellt und ihre Verlautbarungen, ihre gesammelten sprechblasen und gemeinplätze in einem kritischen aufsatz als Bildungsjargon gekennzeichnet. Was diese Wesen im Verlauf der szenischen begebenheiten von sich geben, ist zugleich unerheblich und überheblich, ihre ausdrucksweise ist angemaßt, nicht angemessen: sie parlieren sozusagen «von der stange». sie vergreifen sich an ideen, sachverhalten und bildern von der Welt, die sie nicht wirklich begreifen. das gespräch dieser deformierten gestalten verkommt zu einer montage von redensarten, sprichwörtern und anleihen aus dem Kulturvokabular. der diskurs – ein einziger fortgesetzter «lapsus linguae». doch horváths Kunstfiguren haben gleichwohl ideale, illusionen, Wünsche an das leben. Zwei junge leute, deren mögliche beziehung schließlich doch nur für ein kurzes Verhältnis reicht, suchen tastend und unbeholfen nach einem eigenen tonfall: «du machst mich so groß und weit» – «und du erhöhst mich. ich werd ganz klein vor dir in seelischer hinsicht.» und plötzlich entsteht aus einem spiel mit hilfszeitwörtern ein tiefsinniger, hintergründiger dialog: «Keiner darf, wie er will.» – «und keiner will, wie er darf.» – «und keiner darf, wie er kann.» – «und keiner kann, wie er soll»! doch alsbald verlieren sich diese ansätze zu einer intimsprache im dickicht der Kalendersprüche aus dem umfeld: «Was du ererbt von deinen © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!» – «gottes mühlen mahlen langsam, mahlen aber furchtbar klein.» – «Wen gott liebt, den prüft er!» und die Verbalinjurien, die Pauschalurteile nehmen überhand: «Komplizierter mensch», «egozentrische Person», «verkommenes subjekt», «erbärmliches individuum». in der Pause einer Vorstellung dieses stückes werde ich ungewollt Ohrenzeuge einer unterhaltung zweier theaterbesucher: «also ich finde die aufführung höchst problematisch!» – «aber immerhin ganz interessant!». Bühnenkunst und Lokalkolorit Vor kurzem hat martin Kušej als regisseur von «höllenangst» in salzburg einen glänzenden erfolg gelandet: mit nestroy und für nestroy. die Wortspenden des schauspielchefs zur inszenierung waren bemerkenswert: er wollte dem stück die begrenzung einer lokalposse nehmen, es aus dem Korsett zeitgebundener umstände lösen und von der Wiener dialektfärbung säubern, die der reichweite gültiger botschaften abträglich wäre. ein großes Wort, gelassen ausgesprochen und in der redlichkeit des gemeinten über jeden Zweifel erhaben. und doch regt sich Widerspruch, der in schlichter alltagserfahrung und populärer logik gründet. denn fast jeder schritt in eine neue gewinnzone verlässt bewährtes terrain und gibt andere Werte preis. Vorzüge werden demnach zumeist mit defiziten erkauft. sicher ist nestroy ein so bedeutender dramatiker, zugleich bühnenphilosoph und politischer autor, dass ihn jede regionale beschränkung einengt und verkleinert. aber sein «denken am leitseil der sprache» (Franz mautner) verweist zugleich auf den authentischen tonfall und unterstreicht seine idiomatische Verwurzelung. dialekt und dialektik ziehen am gleichen strang und in dieselbe richtung. lässt sich denn ein ausruf «Plausch nit, Peppi» oder die drohung «g’freu’n s’ ihnen, jetzt werd’n sie ‘s krieg’n!» tatsächlich ohne einbuße in bühnenhochdeutsch umsetzen? auch der Verzicht auf die couplets in Kušejs Produktion ist problematisch. Keiner der eingeführten verfremdenden songs erreicht etwa den ori© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ginalen refrain «ich lass’ mir mein’ aberglaub’n durch ka aufklärung raub’n». ich halte diese Kundgabe für gar nicht obsolet! und ist das gleichfalls gestrichene quodlibet wirklich ein anachronismus? Wird nicht vielmehr auch der Festspielglamour des mozartjahres herrlich getroffen mit dem satz: «das bildnis ist bezaubernd schön, wann die Portiers beim tor in gala steh’n»? als andrea breth im sommer 2002 «das weite land» von arthur schnitzler inszenierte, hat die Friktion zwischen sprachlichem O-ton und gültiger aussage auf ähnliche Weise Publikum und Presse bewegt und gespalten. denn hofreiters ‹jargonautischer› Kommentar «aber man will ja nicht der hopf sein» kommt nun einmal schwerfällig über bundesdeutsche lippen. Hallo und Tschüss – eine Erregung helle empörung über unsere verkommene grußkultur zählt zu den leitund leidmotiven von leserbriefen. und es gibt kaum eine livesendung mit hörertelefon, in der nicht über den Verlust vertrauter einheimischer Floskeln heftige Klage geführt wird. Frei nach henry higgins im musical «my Fair lady»: «Kann denn die Kinder keiner lehren, wie man grüßt!» besonderen Ärger verursachen meist der (vermeintliche) anglizismus Hallo und der bundesdeutsche import Tschüss, die das traditionelle Servus und das gemütliche Pfiat di zumindest im repertoire der jungen generation verdrängt haben. Warum aber reagieren Personen, die dem nachwuchs ein date in der neuen location gerne vergönnen, die an coolem Outfit kaum anstoß nehmen und bisweilen sogar selber etwas o.k. finden, so allergisch, ja aggressiv auf modische grußformeln? Wohl weil diese sprachlichen handlungen keine sachverhalte benennen, sondern Kontakte herstellen, beziehungen stiften und daher die eigene identität freilegen. das Vokabular der grüße rührt also an den emotionalen bereich. da affekte aber nach erneuerung streben, suchen sich junge menschen ein eigenes ausdrucksregister. Wie so oft schießt die sprachkritik auch hier über das Ziel: Was dem Ohr fremd und neu erscheint, erweist sich bei näherem Zusehen als ur© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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sprünglich und bewährt. hinter Hallo steht ein altes Verbum für «holen» (daher auch Holla!), dessen befehlsform einst dem Fährmann den Wunsch nach beförderung an das andere ufer signalisierte. Wer nicht erhört wurde, hat die Überfuhr versäumt! Tschüss geht letztlich auf lateinisch ad Deum «zu gott» zurück, das in adieu und addio fortlebt. eine entlehnte nebenform adé ist schon im mittelalter bezeugt: sie gilt heute als mundartlich oder veraltet und hat sich in das Volkslied zurückgezogen. das spanische Pendant adiós aber ist auf umwegen nach norddeutschland gelangt und über adjüs und tjüs zum heutigen tschüss verschliffen worden. Wegen der österreichischen schlagseite zum romanischen süden hat sich bei uns das lateinische servus «(ich bin dein) diener» durchgesetzt, das zur begrüßung ebenso taugt wie für den abschied. das gilt auch für ciao, eine venezianische Variante von schiavo «sklave», das als moderner import selbst empfindliche gemüter nur wenig aufregt. der linguist beobachtet solche turbulenzen mit professioneller gelassenheit. denn sprachwandel folgt eigenen impulsen und ignoriert warnende Zwischenrufe. und wer weiß: Vielleicht kehren unsere Kindeskinder wieder zu Leb wohl! zurück oder entdecken den archaischen charme von Salve und Vale. Englisch gegrüßt die millionenshow, Österreichs kapitaler straßenfeger, zur besten sendezeit – pardon: in der OrF ‹Prime time› – ausgestrahlt und mit lockerem schmäh moderiert, erfordert mitunter außer purem Wissen auch sprachliche erfahrung und ein reifes lebensalter. immerhin war dem Veranstalter unlängst eine scheinbar simple aufgabe satte 150.000 euro wert. auf die Frage, wie man das Ave Maria nenne, wurden vier Varianten zur auswahl gestellt: der italienische, der spanische, der französische und der englische gruß. die geprüfte Person entschied sich nach kurzem nachdenken für italien. Vielleicht wegen der nähe dieser sprache zum latein. Oder auch, weil antike grüße wie salve im sonnigen süden wieder modern geworden sind. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die antwort war freilich falsch, denn hinter der harmlosen Formulierung lauerte eine tückische Falle. natürlich ging es da um gruß und botschaft des engels an maria, die mutter gottes. Englisch hat, besser gesagt hatte, eine doppelte bedeutung. als ableitung von England bezeichnet es nationale merkmale. als eigenschaftswort zu Engel steht es für überirdische qualitäten. im älteren sprachgebrauch überwiegt die letztere lesart: Kant spricht von «englischen oder teuflischen Wundern». goethe ruft aus: «englisches unwiderstehliches Wesen». und die englischen Fräulein sind keine urlaubenden teenies oder twens, sondern ehrwürdige nonnen. auf das Problem der mehrdeutigkeit verweisen schon die brüder grimm in ihrem Wörterbuch (1862): «doch hat diese bildung den Übelstand, daß die bedeutungen angelicus und anglicus sich mischen.» Ältere Jahrgänge hätten sich bei der quizfrage vielleicht an den vorösterlichen spruch der ratscherbuben erinnert («Wir ratschen den himmlischen gruß») und wohl richtig geantwortet. der jungen generation aber fällt zum englischen gruß nur noch «how do you do?» ein. Geniale Wortspielereien sprache ist im zwischenmenschlichen umgang gewöhnlich ein mittel der Verständigung, sie dient auch dem ausdruck von gefühlen und transportiert ebenso höfliche bitten wie rüde befehle. unter den dichtern aber gibt es Verbalakrobaten und Wortvirtuosen, die das repertoire der sprachlichen möglichkeiten erproben, variieren und bisweilen überdehnen. einer von diesen sprachkünstlern, Fritz von herzmanovsky-Orlando, ist vor 50 Jahren gestorben. schon der titel seines bekanntesten bühnenstücks «Kaiser Joseph ii. und die bahnwärterstochter» ist ein anachronismus und damit wenigstens ein anlass zum schmunzeln. das setzt sich mit dem Personenverzeichnis fort: wenn es da eine Obersthofmeisterin gräfin Primitiva von Paradeyser gibt, die streckenarbeiter mit den seltsamen Familiennamen Nebelkettinger, Mugelschupfer oder Trummruckinger allesamt Franz heißen und sich sogar ein lakai François nennt. ein weiterer akteur Franz teuxelsieder bekleidet die Funktion eines «hilfsheizerstellvertretersanwärtersub© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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stitutengehilfen ohne gebühren» und seine Verlobte Innozentia, also eigentlich «die unschuld», führt den sinnverfremdenden Kosenamen Notzerl. als sie sich dem unerkannt reisenden Kaiser als frühere analphabetin zu erkennen gibt, schwingt dabei fast trauer über einen verlorenen stand mit: «aber dös schöne Wort zu sein, is auch schön! ‘s klingt so vornehm … an-al-phabetin … man is doch dann wer … fast wie a baronin.» apropos aristokratie: «die ehrfurcht vor deren status, bewegt einen subalternen zur skurrilen Äußerung: «baronin noch immer ohnmächtig? Kommen baron doch zu baronin!» – statt wie ihm üblichen sprachgebrauch «zu sich». einer, der quasi am leitseil der sprache dachte, war Johann nestroy, dessen stücke im nächsten theatersommer auch wieder in Freilichtaufführungen zu genießen sein werden. selbst eine bescheidene auswahl seiner Wortspiele würde mehrere seiten füllen. daher sei hier nur an drei besonders gelungene beispiele – gleichsam als appetithappen – erinnert. Wenn titus Feuerfuchs im «talisman» ausruft «der Zorn überweibt sie», so nimmt er damit auf spielerische Weise auswüchse des feministischen sprachgebrauchs vorweg (girlcott für boycott, herstory statt history). und der hausknecht muffl beklagt in «Frühere Verhältnisse» seine armut so: «O, es is ein bitteres gefühl, wenn man oft so hungrig is, daß man vor durst nicht weiß, wo man die nacht schlafen soll!» darauf lässt sich eigentlich nur mit einem weiteren Zitat erwidern: «die edelste nation unter allen nationen ist die resignation.»

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eingeritzte beischriften im Kontext einer hirtenszene; mastaba des Kagemni nr. 15 und 25. Photo: g. Pieke.

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«lass deinen namen hervorkommen» gabriele pieke · mannheim

zur appropriation von einzelmotiven der grabdekoration in sakkara*

1. Präliminarien das grab als Ort der bestattung sowie daran anknüpfender kultischer abläufe erfüllt eine reihe von Funktionen, die sich zwar im Verlauf der ägyptischen geschichte in ihrer Wertigkeit und sichtbarkeit verschieben, jedoch primär einen essenziellen Part für die Fortexistenz im Jenseits spielen.1 insbesondere das in der oberirdischen Kapelle angebrachte bild- und textprogramm dient dabei der Perpetuierung des ersehnten täglichen Kultes sowie einer Versorgung mit dem notwendigen inventar und der Verewigung der für die jenseitige existenz erwünschten Personen. gleichzeitig spielen die grabdekoration sowie die statuenausstattung der Kultkapelle zentrale rollen als kommemorative medien für die Fortexistenz im bewusstsein der nachwelt. die nicht-königliche grabanlage wird dabei – und dies sicherlich auch schon bereits zu lebzeiten – als ein markanter Ort der statusrepräsentation und selbstthematisierung genutzt,2 an dem die soziale stellung des grabbe* man soll die Feste feiern, wie sie fallen, und so lassen wir an dieser stelle «hervorkommen den namen» von alfried grimm, dem dieser artikel gewidmet sei. als lehrer wie auch als museumskollege war und ist er mir mit seinem immensen und weit über das Fach Ägyptologe hinausgehenden Wissen immer inspiration gewesen. 1 allg. Jan assman, tod und Jenseits im alten Ägypten, münchen 2001, s. 235–246, 256–268, 394–425. 2 alois hahn/Volker Kapp (hrsg.). selbstthematisierung und selbstzeugnis. bekenntnis und geständnis. Frankfurt am main 1987; innerhalb der Ägyptologie: Jan assmann, Preservation and Presentation of self in ancient egyptian Portraiture, in: Peter der manuelian (hrsg.), studies in honor of William Kelly simpson i, boston 1996, s. 55–81; melinda hartwig, tomb Painting and identity in ancient thebes, 1419–1372 bce (monumenta aegyptiaca 10, série imagO 2), brussels 2004; maria michaela luiselli, inszenierung von individualität. Zur selbst-thematisierung in der altägyptischen Porträtkunst des mittleren reiches, in: imago aegypti 3 (2010), s. 72–81; eva hofmann, im dienst des Pharao – loyalität und selbstdarstellung. innovative bilder in thebanischen beamtengräbern in der 18. dynastie (hildesheimer Ägyptologische beiträge: sonderband 2), hildesheim 2012. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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sitzers sowie seiner Familie kommuniziert wird. Von den für die ausgestaltung der Kultkapellen verantwortlichen architekten und Künstlern wurden demzufolge die unterschiedlichen informationsträger in bild und text genutzt, um die von dem auftraggeber vorgegebenen kultisch-religiösen und statusorientierten Zweckbestimmungen zu erfüllen. allein schon vor diesem hintergrund steht der grabeigentümer im Zentrum des geschehens und das dekorationsprogramm sowie inventar der funerären anlagen richten sich nach seinen bedürfnissen und Wünschen aus. die in den Kultkapellen abgebildeten themen und motive erfüllen hierbei nicht nur einen dekorativen oder gar ‹historisch-dokumentarischen› Zweck, sondern entsprechen vor allem dem Wunsch und der Vorstellung, dass bilder auch ganz immanent realitätserzeugend sind.3 auch vor diesem hintergrund kommt es schon im frühen alten reich zu der entwicklung eines reichen themenrepertoires für den nicht-königlichen bereich, das spätestens mit der 5. dynastie ein weites spektrum an motivoptionen und kreativen lösungen bietet,4 die in aller gestalterischen Vielfalt innerhalb der grenzen und möglichkeiten der altägyptischen bildtradition5 ausformuliert werden. einzig die kultisch relevanten szenen der totenopferversorgung verbleiben sehr standardisiert und sind von einem relativ strengen Kanon geprägt.6 im Kontext eines für die Jenseitsexistenz des grabinhabers konzipierten bildprogramms ist die appropriation von einzelmotiven ein gesondert zu betrachtendes Phänomen. in zahlreichen Kultkapellen wie auch auf anderen bildträgern finden sich bei3 Zur unterscheidung von «sehbild» und «sinnbild» siehe: dieter Kessler, Zur bedeutung der szenen des täglichen lebens in den Privatgräbern (i/ii): die szenen des schiffsbaues und der schifffahrt, in: Zeitschrift für ägyptische sprache und altertumskunde 114 (1987), s. 59–88 und schreiber und schreiberstatue in den gräbern des ar, in: Zeitschrift für ägyptische sprache und altertumskunde 117 (1990), s. 21–43. 4 Vgl. die reichhaltigen themen und motive inklusive der quellennachweise in der Oxford expedition to egypt: scene details database: linacre college, Oxford 2006, Oxford expedition to egypt: scene-details database [data-set]. York: archaeology data service [distributor] (doi:10.5284/1000009). Zu größeren entwicklungslinien im Kontext von motivtraditionen siehe: gabriele Pieke, lost in transformation. artistic creation between Permanence and change, in: todd gillen (hrsg.), (re)productive traditions in ancient egypt (aegyptiaca leodiensia), liège 2017, s. 259–304. 5 Whitney davis, the canonical tradition in ancient egyptian art, cambridge 1989. 6 Vgl. Pieke, lost in transformation. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schriften, die nicht zum ursprünglichen Konzept der reliefs oder malereien gehören und sich vor allem auf untergeordnete bildmotive beziehen. die sekundäre aneignung von artefakten, wie insbesondere statuen, war in altägypten eine relativ geläufige Praxis im königlichen wie auch nicht-königlichen bereich.7 deren ausmaß kann nicht allein durch den kostengünstigen und arbeitsökonomischen Zugriff auf materialressourcen8 erklärt werden, sondern basiert unter anderem auch auf dem Wunsch «to integrate the past into the present»9. in der regel wird die usurpation oder «adaption»10 durch die Änderung von inschriften und insbesondere des namens erwirkt,11 jedoch können im einzelfall auch stilistische Veränderungen vorgenommen werden, um den identitätswandel und den visuellen eindruck der stilistischen Zugehörigkeit zu einer konkreten epoche zu verstärken.12 allein schon aufgrund eines der ägyptischen Kunst zugrundeliegenden idealporträts13 konnten abbildungen prinzipiell sehr leicht in eine neue eigentümerschaft überführt werden. die bisherige Forschung hat im Kontext der aneignung 7 siehe z. b. bei Kuboiden: regine schulz, die entwicklung und bedeutung des kuboiden statuentypus. eine untersuchung zu den sogenannten «Würfelhockern» i/ii (hildesheimer Ägyptologische beiträge 33/34), hildesheim 1992, s. 650/651. 8 dies dürfte sicherlich im Falle von monumentalplastik eine gewisse rolle gespielt haben. 9 barbara gilli, how to build a capital. the second life of Pre-ramesside materials in Pi-ramessse, in: henning Franzmeier/thilo rehren/regine schulz (hrsg.): Fenster in die Vergangenheit öffnen. Festschrift für edgar b. Pusch zum 70. geburtstag (Forschungen in der ramsesstadt 10), hildesheim 2016, s. 169. 10 siehe barbara magen, steinerne Palimpseste. Zur Wiederverwendung von statuen durch ramses ii. und seine nachfolger, Wiesbaden 2011, s. 408–410; sie verweist darauf, dass der begriff statuenusurpation irreführend sei, da es auf illegale handlung verweist und schlägt die neutrale bezeichnung «adaption» vor. barbara gilli spricht hingegen in ihrer untersuchung zu den wiederverwendeten bauteilen und statuen in der ramsesstadt neutral von «reuse»; gilli, how to build a capital, s. 137–175. 11 Vgl. henry g. Fischer, the mark of a second hand on ancient egyptian antiquities, in: metropolitan museum Journal 9 (1974), s. 8. 12 Vgl. z.b. den prominenten Fall der kolossalen statuen von amenophis iii., die von ramses ii. überarbeitet und angeeignet wurden; christine strauss-seeber, Zum statuenprogramm ramses’ ii. im luxortempel, in: Wolfgang helck (hrsg.), tempel und Kult (Ägyptologische abhandlungen 46), Wiesbaden 1987, s. 24–42. 13 dimitri laboury, Portrait versus ideal image, in: Willeke Wendrich (hrsg.), ucla encyclopedia of egyptology, los angeles, Version 1, October 2010, http://digital2.library.ucla.edu/viewitem.do?ark=21198/zz0025jjv0. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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beziehungsweise des gezielten identitätswechsels insbesondere auf skulpturen oder königliche monumente fokussiert, wobei auch für das nicht-königliche Flachbild zahlreiche semantische modifikationen von einzelmotiven durch sekundäre textbeischriften zu konstatieren sind. auch in diesen reliefs und malereien finden sich häufig nachträglich hinzugesetzte inschriften und selbst ganze grabanlagen wurden gelegentlich umgearbeitet und können in toto ein Palimpsest darstellen.14 die appropriation von einzelnen Figuren beziehungsweise einzelmotiven im nicht-königlichen Kontext wurde in der Ägyptologie bisher weitgehend vernachlässigt,15 obwohl sie in gräbern, ste14 so vermerken cecil m. Firth, battiscombe gunn, excavations at saqqara. teti pyramid cemetery. service des antiquités de l’Égypte, Vol. i., s. 114, lapidar in bezug auf das grab des Kagemni: «these scratched-in names, so frequent in the mastabareliefs, are evidently subsequent additions, probably by persons who are not represented by the figures in question, but who for playful or serious motives have chosen to immortalize themselves in this way.» Zu gänzlich angeeigneten gräbern siehe: a. Jeffrey spencer, First and second Owners of a memphite tomb chapel, in: Journal of egyptian archaeology 68 (1982), s. 20– 26; tamás a. bács, some aspects of tomb reuse during the twentieth dynasty, in: richard Jasnow/Kathlyn m. cooney (hrsg.), Joyful in thebes. egyptological studies in honor of betsy m. bryan (material and Visual culture of ancient egypt 1), atlanta 2015, s. 1–9. 15 in der zeichnerischen dokumentation von inschriften wird in der regel leider nicht zwischen den verschiedenen relieftechniken sowie sekundären beischriften unterschieden; letztere sind anhand ihrer divergierenden stilistischen merkmale zumeist deutlich zu unterscheiden. hinsichtlich der Forderung nach einer verbesserten dokumentation und berücksichtigung der materiellen aspekte von inschriften siehe: stéphane Polis/Vincent razanajao, ancient egyptian texts in context. towards a conceptual data model (the thot data model – tdm), in: institute of classical studies, 59/2 (2016), s. 24–41. Version of record online: 27 december 2016/dOi: 10.1111/j.2041-5370.2016.12036.x. Zu der Übernahme von einzelfiguren siehe die zumindest kurzen ausführungen bei: alexis den doncker, theban tomb graffiti during the new Kingdom: research on the reception of ancient egyptian images by ancient egyptians, in: K.a. Kóthay (hrsg.), art and society: ancient and modern contexts of egyptian art. Proceedings of the international conference held at the museum of Fine arts, budapest, 13–15 may 2010, budapest 2012, s. 24/25; W. Paul van Pelt/nico t.b. staring, interpreting graffiti in the saqqara new Kingdom necropolis as expressions of Popular customs and beliefs, in: british museum studies in ancient egypt and sudan issue 24 (2017) (im druck), 6/7; Julia c.F. hamilton, ‹that this perfect name may be remembered›: added inscriptions in the tomb of vizier Kagemni in saqqara, in: ch. alvarez, a. belekdania, a-K gill, s. Klein (hrsg.). current reading in egyptology. Proceedings of the sixteenth annual symposium. university of Oxford, united Kingdom, 15–18 april 2018, s. 50– 61. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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len, bis hin zu statuen zu einem regelmäßig zu beobachtenden und keineswegs unüblichen Phänomen zählt.16 hierbei handelt es sich um eine sekundäre, semantisch relevante ergänzung zu einer bereits vorhandenen, in der regel jedoch anonymen darstellung, die sich in den meisten Fällen durch das hinzufügen eines namens und gegebenenfalls eines titels äußert, und eindeutig durch die qualität ihrer ausführung sowie paläographische und stilistische abweichungen nachgewiesen werden können. Von besuchergraffiti im klassischen sinne,17 die weitgehend andere intentionen verfolgen und häufig auch zeitlich später einzuordnen sind, müssen diese aneignungen von untergeordneten einzelfiguren differenziert werden. auch wenn von einer dauerhaften Fixierung des eigenen namens und einer Zweckbestimmung für die Jenseitsexistenz grundsätzlich ausgegangen werden kann, stellt sich die Frage

16 diese interventionen werden nur selten in der Publikation der reliefs und malereien thematisiert und finden auch oft genug in der dokumentation der anlagen keinerlei berücksichtigung. in grabpublikationen werden sekundäre Personennamen bisher in der mehrzahl der Fälle als teil der erstdekoration angesprochen. Jedoch hat bereits henry Fischer darauf verwiesen, dass namen und titel sehr leicht zu ursprünglich anepigraphen Figuren ergänzt werden können; henry Fischer, the mark of a second hand on ancient egyptian antiquities, in: metropolitan museum Journal 9 (1974), s. 7. Für die hier thematisierten gräber sei bereits an dieser stelle verwiesen auf die Publikationen: naguib Kanawati/mahmoud abder-raziq, mereruka and his Family i, iii:1 u. 2, the australian centre for egyptology: reports 21, 29 u. 30, Oxford 2004, 2010 u. 2011, die für die grabbereiche des sohnes sowie die zehn dekorierten räume des mereruka keinerlei ergänzungen bzw. umänderungen erwähnen. einzig in teil ii, ace: reports 26, Oxford 2008, s. 12/13, werden von den autoren für den grabbereich der ehefrau des mereruka sechs Personennamen als sekundär angebracht eingestuft. 17 siehe u. a. dietrich Wildung, besucherinschriften, in: Wolfgang helck/eberhard Otto (hrsg.), lexikon der Ägyptologie i, Wiesbaden 1975, sp. 766/767; hana navrátilova, the Visitors’ graffiti of dynasties XViii and XiX in abusir and northern saqqara, Visitors’ graffiti i, Prague 2007; chloé d. ragazzoli, the social creation of a scribal Place: the Visitors’ inscriptions in the tomb attributed to antefiqer (tt 60) (With newly recorded graffiti), in: studien zur altägyptischen Kultur 42 (2013), s. 269–325; Van Pelt und staring, interpreting graffiti in the saqqara new Kingdom necropolis; alexis den doncker, identifying-copies in the Private theban necropolis. tradition as reception under the influence of self-fashioning Processes, in: todd gillen (hrsg.), (re)productive traditions in ancient egypt (aegyptiaca leodiensia), liège 2017, s. 333–370. Zu graffiti im tempelkontext siehe: elizabeth Frood, egyptian temple graffiti and the gods: appropriation and ritualization in Karnak and luxor, in: deena ragavan (hrsg.), heaven on earth: temples, ritual, and cosmic symbolism in the ancient World, chicago 2013, s. 285–318. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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nach der umsetzung und dem konkreten Kontext dieser appropriationen von einzelfiguren innerhalb der grabdekoration einer anderen Person. so scheint es im rahmen der funerären Praxis von interesse, ob die hinzugefügten individuen in einem etwaigen persönlichen Kontakt zum eigentlichen grabeigentümer standen, oder es sich um zufällig herausgegriffene Kultanlagen handelt, die als markante und repräsentative monumente zur Verfügung standen und als attraktiv für die Verewigung des eigenen namens empfunden wurden. die nachfolgenden betrachtungen stellen nur eine erste erfassung von detailinformationen dar und sollen als ausgangspunkt für eine weitere erschließung dieser besonderen kulturellen Praxis dienen. 2. Fallbeispiel Teti-Friedhof als Fallbeispiel für diese vielfach zu beobachtenden interventionen beziehungsweise Figurenaneignungen seien hier zwei funeräre großanlagen der frühen 6. dynastie beispielhaft herausgegriffen. die Wesirsgräber auf dem teti-Friedhof von saqqara gehören ohne Zweifel zu den markantesten und qualitativ hochwertigsten nicht-königlichen anlagen des alten reiches und spiegeln in ihrer monumentalität die exponierte soziale stellung ihrer besitzer am beginn der 6. dynastie wider. die beiden verhältnismäßig gut erhaltenen mastaba-gräber von Kagemni und mereruka sind räumlich, zeitlich wie auch soziographisch unmittelbar benachbart18 und liegen direkt nördlich der Pyramide des teti und damit an einer äußerst exponierten stelle der sogenannten «rue de tombeaux»19. die mastaba des mereruka stellt dabei einen sonderfall dar, indem sie zunächst für den Wesir und seine ehefrau, die Königstochter Watethethor, erbaut wurde und für beide Personen eigene Kulträume aufweist. in einer späteren bauphase wurde zudem noch ein raumbereich für einen seiner söhne hinzugefügt.20 auf dem teti-Friedhof 18 Pm iii2, s. 2, 521–537; michel baud, Famille royale et pouvoir sous l’ancien empire, i/ii (bibliothèque d’étude 126), Kairo 1999, s. 434/435, 465–467, 604. 19 Jean capart, une rue de tombeaux à saqqarah, bruxelles 1907. 20 dieser später ausgebaute bereich für den sohn des mereruka datiert leicht später und gehört ans ende der regierungszeit von teti; gabriele Pieke, «memi, der ‹älteste sohn› des mereruka», in: göttinger miszellen 216 (2008), s. 106–108. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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markieren die beiden großen grabbauten des Kagemni und des mereruka architektonische ‹landmarks› der gesellschaftlichen Oberschicht, die zweifelsohne schon zu lebzeiten der jeweiligen besitzer zu verschiedenen anlässen aufgesucht wurden.21 beide anlagen bezeugen zahlreiche appropriationen von untergeordneten einzelmotiven der grabdekoration, die nachfolgend näher betrachtet werden sollen.22 Vergleicht man die Figurenaneignungen in diesen zeitgleichen Kultanlagen, so kann im besten Falle eine aussage getroffen werden, ob die Personengruppen, die sich in diesen beiden mastabas sekundär verewigt haben, Überschneidungen aufweisen oder diese individuen gar in einer etwaigen beziehung zu dem jeweiligen grabeigentümer stehen und vor diesem hintergrund ein spezifisches grab für die aneignung von einzelmotiven auswählt haben.23 dies ermöglicht zumin21 der besuch des grabherrn in seiner eigenen anlage, unter anderem um arbeitskräfte und Künstler zu entlohnen, geht aus entsprechenden texten hervor: ann macy roth, multiple meanings in carrying chair scenes, in: martin Fitzenreiter/michael herb (hrsg.), dekorierte grabanlagen im alten reich. methodik und interpretation (internet beiträge zur Ägyptologie und sudanarchäologie 6), london 2006, s. 246; ann macy roth, the Practical economics of tomb-building in the Old Kingdom, in: david P. silvermann (hrsg.), For his Ka. essays Offered in memory of Klaus baer (studies in ancient Oriental civilization 55), chicago 1994, s. 227–240; nigel strudwick, texts from the Pyramid age (Writings from the World 16), atlanta 2005, s. 259/260. Zu allgemeinen texten über die errichtung des eigenen grabes: nicole Kloth, die (auto-)biographischen inschriften des ägyptischen alten reiches. untersuchungen zu Phraseologie und entwicklung (studien zur altägyptischen Kultur: beihefte 8), hamburg 2002, s. 122–128, 211–218. Zahlreiche Zitate, motivinterpretationen und bezugnahmen verweisen darauf, dass Künstler und handwerker die anlagen in denen von ihnen gut erreichbaren nekropolen kannten und diese als inspirationsquelle und ausgangspunkt für ihre eigenen arbeiten nutzten; siehe Pieke, lost in transformation, s. 264–281. des Weiteren sind verschiedene Feste anlass für einen besuch der nekropolen wie z. b. für theben das «schöne Fest vom Wüstental», eines der bekanntesten anlässe zum besuch von grabstätten; siegfried schott, das schöne Fest vom Wüstentale. Festbräuche einer totenstadt (akademie der Wissenschaften und der literatur. abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 1952, 11), mainz 1953. 22 die listen im anhang erfassen die im relief eindeutig als sekundär zu verifizierenden ergänzungen. aufgrund der nicht vollständigen erhaltung aller vier Kultanlagen muss von einer ursprünglich höheren anzahl ausgegangen werden. 23 die vom autor vorgenommene auswahl dieser beiden gräber erklärt sich zudem durch ihre gute erfassung bzw. aufbereitung des materials, was leider nicht für die restlichen Kultkapellen auf dem teti-Friedhof gilt. insbesondere die sehr detaillierte Wiedergabe der reliefs aus der mastaba des Kagemni kann als maßstabsetzend gelten und ist grundlage der hier gemachten ausführungen: Yvonne m. harpur/Paolo © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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dest eine gewisse einschätzung darüber, ob es sich bei diesem Phänomen um eine relativ beliebige auswahl der gräber handelt oder eine gezielte nutzung einer bestimmten Kultkapelle darstellt. letzteres würde auf eine wie auch immer vorhandene bindung an den haupteigentümer des grabes hinweisen. die übernommenen oder nachträglich hinzugesetzten titel geben zudem aufschluss darüber, um welche soziale schicht oder welchen berufsstand es sich bei den Personen handelt. des Weiteren sind die vorgenommene motivauswahl und deren anbringungsorte von interesse und liefern anhaltspunkte über den sozialen hintergrund der individuen, die motivation oder Zweckbestimmung der Figurenaneignung oder gar indizien über den entstehungszeitraum der beischriften. 2.1. KAGEMNI in der mastaba des Kagemni lassen sich insgesamt 40 Figuren-appropriationen dokumentieren,24 von denen 27 namentlich fassbar sind (vgl. anhang liste 1).25 insgesamt bezeugen die hinzugesetzten beischriften mindestens 18 verschiedene individuen, wobei eine Kongruenz über identische eigennamen sowie auch eine weitgehende Übereinstimmung der titel erfolgt.26 bei all diesen sekundär individualisierten motiven weichen die beischriften zweifelsfrei von dem extrem feinen reliefstil ab, der ansonsten die Kultkascremin, the chapel of Kagemni: scene details, egypt in miniature, Volume i, Oxford 2006. Für die mastaba des mereruka wurde auf eine untersuchung im rahmen der dissertation der Verfasserin zurückgegriffen; gabriele Pieke, das grab des mereruka, studien zu Konzeption und ausführung einer grabanlage der 6. dynastie i/ii, universität Wien, 2005. 24 siehe für die einzelbelege die listen im anhang, wobei Familienangehörige generell nicht berücksichtigt wurden. insgesamt muss zudem von einer ursprünglich höheren anzahl ausgegangen werden, da keines der gräber in seiner reliefdekoration vollständig erhalten überliefert ist. Zudem kann auch von zusätzlichen namen ausgegangen werden, die nur aufgemalt und nicht im relief ausgeführt waren. Julia c. F. hamilton, added inscriptions, s. 53–55, geht nur auf einige vereinzelte namen ein. 25 hinzu kommen zwölf Figuren mit sekundären beischriften, bei denen die namen nicht mehr vollständig lesbar sind. 26 Zum teil sind nicht alle titel identisch, wie z. b. bei den belegen Kagemni nr. 10 u. 11, 20 u. 21 oder 22 u. 23. im Falle von Jp.j (Kagemni nr. 3 u. 4) erscheint der name zweifach im selben raum, allerdings ist innerhalb des motivs des Vogelfütterns keinerlei Platz um zu dem namen noch einen titel hinzuzusetzen. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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pelle des Kagemni kennzeichnet. manche der sekundären inschriften sind in dünner, grober ritzzeichnung ausgeführt (abb. 1), andere greifen zumindest auf eine hieroglyphenform zurück wie sie für die standard-grabdekoration üblich ist. die hieroglyphen sind entweder eingeritzt (abb. 2) oder lehnen sich an den stil der älteren, im relief ausformulierten schriftzeichen an. um deren erhabenes relief zu imitieren, wurde in diesen Fällen der hintergrund in einem kleinen bereich tiefer abgetragen, aus dem sich dann wiederum die hinzugefügten hieroglyphen leicht erhaben absetzen können. häufig fehlt jedoch bei diesen schriftzeichen die glättung der außenkonturen, obwohl sie offenkundig mit fachgerechten Werkzeugen hergestellt wurden und demzufolge wohl von bildhauern stammen. Von zusätzlichen, nur aufgemalten sekundärinschriften muss prinzipiell ausgegangen werden, diese sind jedoch in der mastaba des Kagemni nicht mehr erhalten. die hinzugesetzten Kurztexte befinden sich weitestgehend in den tieferen, leicht zugänglichen bereichen beziehungsweise den beiden unteren bildregistern, was darauf hindeutet, dass eine gute erreichbarkeit ein zentrales Kriterium für die auswahl der motive war sowie auch eine davon abzuleitende bessere sichtbarkeit. einzig der «hausvorsteher und schreiber Mxw» (Kagemni nr. 9) hat seine sekundäre inschrift hoch über einem türdurchgang angebracht, wofür man ein kleines Podest benötigte, um diesen namen einzuritzen.27 dies lässt vermuten, dass Mxw seinen namenszusatz noch im rahmen der generellen ausgestaltung des grabes vorgenommen hat, als noch entsprechendes equipment vorhanden war. seine Wahl des motivs fiel hier auf die erste Figur einer reihe von insgesamt vier schreibern des pr-ät, die Kagemni begleiten. die sehr krakeligen und dünnen schriftzeichen deuten darauf hin, dass Mxw hier eventuell selber tätig geworden ist und nicht einen erfahrenen bildhauer zu rate gezogen hat. auch folgt die Orientierung der hinzugesetzten schriftzeichen nicht durchgängig der ausrichtung der Figurenreihe beziehungsweise der darüber befindlichen originalen inschrift, sondern ist teils in der klassischen richtung der Kursivschrift von rechts nach links gesetzt. dies mag als indiz dafür gelten, dass der autor der kleinen beischrift 27 so auch harpur/scremin, the chapel of Kagemni, s. 442. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eingeritzter titel und name bei einem Opfergabenträger im totenopferraum; mastaba des Kagemni nr. 20. Photo: g. Pieke.

3

hinzugefügter Priestertitel und name bei einem Opfergabenträger; Kultkammern des mereruka nr. 43. Photo: g. Pieke.

4

rote Vorzeichnungen für beischriften im totenopferraum; Kultkammern des mereruka nr. 64, 71. Photo: g. Pieke.

5

hinzugesetzter name zu bereits vorhandenem titel in einer schreiberbüro-szene; Kultkammern des mereruka nr. 56. Photo: g. Pieke.

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6

hinzugesetzte titel und namen im rahmen des statuenkultes; Kultkammern des mereruka nr. 6, 10. Photo: g. Pieke.

7

hinzugesetzte titel und namen bei Opferdarstellungen im totenopferraum; Kultkammern des meriteti nr. 11, 21, 25. Photo: g. Pieke.

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es nicht gewohnt war, in hieroglyphen von links nach rechts zu schreiben. die sehr unsicher geschriebenen Zeichen in eckiger und ungelenker ausführung deuten ebenfalls auf eine mangelnde routine im umgang mit dieser schriftform beziehungsweise in relief gearbeiteten inschriften hin.28 alle im grab des Kagemni als sekundär auszumachende namen sind für das alte reich belegt29 und können somit auf die 6. dynastie oder spätestens die 1. Zwischenzeit zurückgeführt werden. auf einen zeitlich entsprechenden befund deuten auch die titulaturen hin. Keine der 16 in dem grab des Kagemni genannten amtsbezeichnungen30 verweist zwingend auf eine datierung in eine spätere epoche als das alte reich. die titel wurden entweder gemeinsam mit einem eigennamen nachträglich hinzugesetzt oder waren bereits teil des Originalkonzepts und kennzeichneten ursprünglich anonym gedachte beamte und Priester. generell ist für die mastaba des Kagemni das markante Fehlen von namensnennungen für die erstdekoration kennzeichnend. selbst Familienangehörige des grabherrn spielen nur eine untergeordnete rolle und finden sich verhältnismäßig selten als individuen durch einen namen gekennzeichnet.31 Zum teil sind söhne und brüder des grabherrn mit einem epitheton bezeichnet, eigennamen fehlen 28 es kann davon ausgegangen werden, dass hieroglyphen-Kompetenz nicht bei allen schriftkundigen vorhanden war; siehe dazu u. a. John baines, On the status and Purpose of ancient egyptian art, in: cambridge archaeological Journal 4:1 (1994), s. 88. Zudem verweist Pascale Vernus darauf, dass das Verfassen von hieroglyphischen texten prinzipiell «un spécialiste en science sacerdotale» bedingte; Pascal Vernus, les espaces de l’écrit dans l’Égypte pharaonique, in: bulletin de la société Française d’Égyptologie 119 (1990), s. 36–39. 29 hermann ranke, die ägyptischen Personennamen, bd. i–iii, glückstadt 1935, 1952, 1977; Katrin scheele-schweitzer, die Personennamen des alten reiches. altägyptische Onomastik unter lexikographischen und sozio-kulturellen aspekten (Philippika: marburger altertumskundliche abhandlungen 28), Wiesbaden 2014. 30 Zur lesung und schreibung von allen hier und im anhang aufgeführten titeln siehe: dilwyn Jones, an index of ancient egyptian titles, epithets and Phrases of the Old Kingdom i/ii (bar international series 866), Oxford 2000. 31 gleichzeitig erscheinen aber auch an verschiedenen stellen spätere aushackungen, die zum teil auch Familienangehörige betreffen; siehe u. a. harpur/scremin, the chapel of Kagemni, scene detail 359, 429, 513. dieses Phänomen ist jedoch kein einzelfall und kann in zahlreichen gräbern des alten reiches beobachtet werden. eine interpretation als «conspiracies in the egyptian palace» erscheint jedoch übers Ziel hinausgeschossen; naguib Kanawati, conspiracies in the egyptian Palace. unis to Pepy i, london 2003. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hingegen oder wurden erst sekundär hinzugefügt.32 insbesondere das Kultpersonal, die diversen schreiber sowie die jmj-ra pr jmj-ra oew oder xrp oe, verblieben im ursprünglichen Konzept weitgehend anonym33 und waren eher als für die jenseitige existenz imaginiertes Personal zu werten, das keinerlei Übereinstimmung mit lebenden Personen haben musste.34 in insgesamt neun Fällen wurden Figuren mit einem bereits vorhandenen titel ausgewählt, um mit einem namen sowie teils einem weiteren titel versehen zu werden,35 wobei es sich vor allem um fünf jmj-xt em(w)-ka und einen em-ka handelt.36 Zudem wurde ebenfalls nur einmal die amtsbezeichnung zö mäat-ncr pr oa (Kagemni nr. 3) ausgewählt sowie an zwei stellen Figuren mit dem Zusatz xrp xa(w) übernommen. bei letztgenannten deutet alles auf eine gezielte Figurenauswahl hin, da der «leiter der Kornmesser» namens abd.w (Kagemni nr. 1–2) nur in dem magazinraum zu finden ist, der die Kornspeicherszenen abbildet. manche der neu hinzugesetzten titel sind nur je einmal als teil der Figurenappropriation belegt, wie etwa der jmj-ra sör Söm-nfr «leinenvorsteher seschemnefer» (Kagemni nr. 14), der seinen namen einfach in die große reihe der Opfergabenträger vor der scheintür des Kagemni einfügt. auch ein singulärer jmj-ra jz «Vorsteher der Werkstätten» (Kagemni nr. 29) findet sich als nachträglicher Zusatz zu einem klassischen motiv des gabenträgers mit verschiedenen naturalien. der bereits oben genannte Mxw (Kagemni nr. 9) trägt als jmj-ra pr einen titel, der nur bei ihm bei einer namentlich genannten Person erscheint. die aus32 so ist etwa der name des sohnes Ttj-onx erst später eingetieft, siehe hierzu wie für anonyme Familienmitglieder z. b. harpur/scremin, the chapel of Kagemni, scene detail 299, context drawing 18. 33 Vgl. harpur/scremin, the chapel of Kagemni, u. a. scene details 182, 271–274, 277, 449/450, 513, 517, 522, context drawing 13, 16–18, 24. 34 man denke an den zum teil nur virtuellen hofstaat des cheops auf dem giza-Plateau; vgl. Peter Jánosi, der darauf verwiesen hat, dass zwischen dem bau vieler gräber auf dem Westfriedhof und ihrer endgültigen belegung ein auffällig langes Zeitintervall zu konstatieren ist. Peter Jánosi, giza in der 4. dynastie: die baugeschichte und belegung einer nekropole des alten reiches i: die mastabas der Kernfriedhöfe und die Felsgräber. denkschriften der gesamtakademie 30 (untersuchungen der Zweigstelle Kairo des Österreichischen archäologischen institutes 24), Wien 2005, s. 218–230. 35 Vgl. Kagemni nr.: 1, 2, 3, 8, 21, 22, 23, 35, 37. 36 Vgl. Kagemni nr.: 8, 21, 22, 23, 35, 37. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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wahl des prestigeträchtigen motivs, ein an erster stelle schreitender begleiter des grabherrn mit Papyrus und schreiberpalette, erklärt sich zusätzlich durch seinen zö-titel. Weitere amtsbezeichnungen, die nur je an einer stelle beziehungsweise bei nur einer Figur mit namenszusatz auftauchen, sind jmj-xt (n)za-pr(w) (Kagemni nr. 24) beim herbeibringen der Opfervögel sowie stj (Kagemni nr. 19). interessanterweise ist dieser «halsbandknüpfer»-titel mit der priesterlichen Funktion eines em-ka kombiniert und erklärt wohl die motivauswahl eines gabenbringers. auch die beiden seä xtmt(jw) (Kagemni nr. 18, 22) zeigen sich beim Opfergabentransport, wobei einer zudem noch als em-ka fungiert. ein sonderfall ist der jmj st-o xntj-ö pr oa em-ka Nfr-wdn.t (Kagemni nr. 12–14), der an drei stellen mit identischen titeln beim Opfergabentransport erscheint. dahingegen taucht der name Cz.j (Kagemni nr. 25–27 mit abb. 1) zwar dreifach im grab auf, ist aber nur in zwei Fällen als em-ka gekennzeichnet.37 seine extrem unsauber und flüchtig hinzugesetzte namens- und titelnennung lässt vermuten, dass sie nicht von einem bilderhauer ausgeführt wurde. Zumindest an einer stelle fiel auch bei ihm die auswahl auf einen Opfergabenträger, wohingegen die landwirtschaftliche szene der rinderhirten bei der Furt (vgl. abb. 1) völlig aus den sonstigen Figurenappropriationen hinausfällt. dieses thema gehört zu den motivisch interessantesten und künstlerisch innovativsten bildern im grab des Kagemni und zeigt im untersten bildregister sechs männerfiguren mit sekundären beischriften (Kagemni nr. 16, 25–27, 28, 30). diese nachträgliche individualisierung verschiedener Figuren einer hirtenszene erscheint dahingehend ungewöhnlich, da ansonsten das motiv des Opfergabentransportes extrem bevorzugt wird und in 30 von 40 bildaneignungen gewählt wurde. nur in wenigen Fällen, wie bei dem «leiter der Kornmesser» (Kagemni nr. 1–2) oder dem jmj-ra pr zö Mxw (Kagemni nr. 9) erscheint die auswahl von anderen einzelmotiven und ihrem jeweiligen thematischen umfeld passend und auf die amtsfunktion abgestimmt. neben der bildsemantischen betonung auf dem Opfergabentransport ist 37 Zudem befinden sich zwei mal die namen innerhalb einer szene; Kagemni nr. 25/26. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hinsichtlich der titel die häufung der em-ka-titel auffallend und deutet auf Personen hin, die für die regelmäßige ausübung des totenkults für Kagemni verantwortlich waren. ein «Vorlesepriester», ein eindeutig mit schriftkompetenz und dem totenkult verbundenes amt, ist in der mastaba des Kagemni bemerkenswerterweise an keiner stelle durch den namen einer real existierenden Person gekennzeichnet. dies mag als indiz verstanden werden, dass die irj-ebt ranghöhere Priester waren,38 die nicht so regelmäßig wie die inhaber anderer Ämter auf die sitte der Figurenappropriation zurückgreifen mussten. hinsichtlich der generellen anbringung der übernommenen Figuren lässt sich beobachten, dass – abgesehen von der ungewöhnlichen hirtenszene – vor allem das thema der Opferversorgung eine rolle spielt und eher redundant scheinende gabenbringer ausgewählt wurden. in diesem Kontext stehen auch die allein 23 belege im totenopferraum mit der hauptkultstelle sowie dessen Vorraum, die beide lange reihen von Opfergabenträgern präsentieren (vgl. abb. 2). auffallend ist hierbei auch die deutlich sichtbare Vorliebe für nord- und Westwände, an denen sich 34 von 40 Figurenaneignungen befinden. gerade diese beiden himmelsrichtungen sind für die jenseitige Fortexistenz von bedeutung und erfahren in den gräbern des alten reiches eine besondere betonung. insgesamt folgen die ikonographischen details der übernommenen Figuren ausnahmslos dem klassischen schema. an keiner stelle wurde in die ikonographie des motivs eingegriffen, um beispielsweise semantisch hochrangigere attribute wie etwa eine schreiberpalette zu ergänzen. 2.2 MErErUKA in den zehn reliefierten Kulträumen des mereruka finden sich insgesamt 115 Personen namentlich überliefert, die nicht zu der Familie des grabherrn gehören.39 ein großteil dieser namentlich gekennzeichneten Figuren entstammt nicht der erstdekoration, sondern die beischriften können aufgrund 38 Vgl. eberhard Otto, cheriheb, in: Wolfgang helck/eberhard Otto (hrsg.), lexikon der Ägyptologie i, Wiesbaden 1975, sp. 942. 39 Pieke, das grab des mereruka i, s. 40/41. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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stilistischer unterschiede als sekundäre Zusätze gewertet werden.40 mindestens 77 namen (vgl. anhang liste 2)41 wurden ebenso wie bei Kagemni nur flüchtig in den hintergrund geritzt oder heben sich nicht erhaben vom hintergrund ab, wie es für die erstdekoration dieser komplett reliefierten Kultanlage kennzeichnend ist. hinsichtlich des Werkverfahrens sind für die südwand des totenopferaums sowie die nordwand des großen Pfeilerraums sekundäre titel- und namensbeischriften von interesse, die nur in roter oder roter und schwarzer tinte angebracht wurden (mereruka nr. 54, 64, 70–76; abb. 4) und sich auf dem fertiggestellten beziehungsweise eingetieften bildhintergrund der ersten dekorationsphase befinden. hierbei kann es sich nur um Vorzeichnungen für die bildhauer handeln, die aber am ende an dieser stelle keine weitere reliefierung vorgenommen haben. dieser befund deutet darauf hin, dass offenbar neben einem selbst vorgenommenen namenszusatz auch eine art von beauftragung für die hinzufügung von namen und titel möglich war. die erhaltenen namen und titel in den räumen des mereruka lassen als mindestanzahl 43 individuen erkennen,42 die sich nachträglich einzelne motive der grabdekoration angeeignet haben. Wie bei Kagemni sind alle namen und titel für das alte reich bezeugt und verweisen auf eine entsprechende datierung. erneut stellen die diversen em-ka- und schreiber-titel die majorität der belege dar und finden sich bei 46 der insgesamt 66 Figuren mit titelangaben (vgl. abb. 3).43 Zählt man den irj-ebt Mr.j (mereruka nr. 29, 30) sowie den jrj-jz onxw-näs (mereruka nr. 16) hinzu, so wird die betonung von Priesterpersonal im totenkultdienst deutlich und lässt auf eine Funktion der entsprechenden Personen im grab des mereruka 40 in den vier Publikationen des australian centre for egyptology zu dieser großmastaba wird leider mit ausnahme des Kammerbereiches der ehefrau nicht zwischen Originalbeischriften und später hinzugefügten namen und titeln unterschieden; siehe anm. 16. 41 einzig in dem erst in einer späteren bauphase ausdekorierten raum a10 kann aufgrund der generell sehr schlechten qualität der reliefausführung nicht zwischen originaler und sekundärer namensnennung unterschieden werden. diese Kammer muss demzufolge aus den nachfolgenden betrachtungen ausgenommen bleiben. 42 Wenn identische namen auf derselben Wand in unmittelbarer nähe auftauchen, werden sie für zwei verschiedene Personen gezählt. 43 davon sind 28 em-ka-titel von 21 verschiedenen Personen und 17 schreibertitel von 11 verschiedenen männern; vgl. tab. 2. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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schließen. auffallend ist das insbesondere für die Westwand des eingangsraumes sowie den durchgang in den raumbereich der Frau festzuhaltende Fehlen von jeglichen titelangaben (mereruka nr. 19–21, 25–28, 34, 37, 26, 48–51). all diese Fälle, die diverse namensüberschneidungen aufweisen, sind von einer besonders groben und simplen ritztechnik gekennzeichnet. bei mereruka wurden – anders als bei Kagemni – nur an ganz wenigen stellen die bereits in der Originalfassung vorhandenen titel sekundär personalisiert, indem den Figuren noch zusätzlich ein namen beigesetzt wurde (mereruka nr. 52, 56 und eventuell auch 55; vgl. abb. 5). dies mag an dem grundsätzlich anderen Konzept liegen, zahlreiche untergebene und Priester des mereruka von anfang an mit namenszusatz zu versehen. demzufolge standen an weniger stellen anonyme Figuren zur Verfügung, gleichzeitig wurde die appropriation von bereits individualisierten darstellungen vermieden. ein weiterer unterschied ist die mehrfachnennung von wohl identischen Personen. so ist etwa der seä em(w)-ka zab jmj-ra zö(w) Jr(j).nax.tj (mereruka nr. 8–12) in drei verschiedenen räumen und in unterschiedlichen motiven verewigt (vgl. abb. 4). neben dem Opfergabentransport tritt er auch als begleitperson des grabherrn sowie beim Kult der statuen von mereruka auf. hinsichtlich der motive ist ein deutlich breiteres spektrum als bei Kagemni zu beobachten, wobei sich die namensergänzungen insbesondere bei begleitpersonen des grabherrn finden und 33 der belege ausmachen. die 13 namentlich gekennzeichneten Opfergabenträger finden sich vor allem im totenopferraum in nähe der hauptkultstelle des grabes sowie im türdurchgang zum raumbereich der Frau. des Weiteren wurden namen zu motiven wie bootsfahrten, nilpferdjagd oder auch arbeiten im Kornspeicher hinzugesetzt. der bildhauer jmj-ra gnwtyw pr-oa Äoom (mereruka nr. 65) findet sich passend zu einer darstellung der statuenherstellung ergänzt, wohingegen sich der xrp gnwtyw Jr.j (mereruka nr. 7) zu einem gabenträger in der Kammer hinzugefügt hat, die dem transport von salben, leinen und schmuck gewidmeten ist. einzelmotive im Kontext von statuenkult sowie dem statuenzug wurden zudem mit den titelträgern jmj-xt em(w)-ka, zö sqbb pr-oa Jnx.j-km (mereruka nr. 6, abb. 6), seä em(w)© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ka zab jmj-ra zö(w) Jr(j).n-ax.tj (mereruka nr. 10, abb. 6), zö za em-ka Nb.sn (mereruka nr. 38) und zö za Etp-Inm.w (mereruka nr. 53) ergänzt, was insgesamt auf eine gezielte bildaneignung hindeutet. mit ausnahme von Nb.sn, der seinen namen zudem in einer schreiberbüroszene hinzufügt, lassen sich diese drei genannten männer ansonsten bei der begleitung des mereruka abbilden (mereruka nr. 4–5, 9, 39, 54). in diesem, dem grabherrn besonders nahen Kontext finden sich auch verschiedene andere titel wie unter anderem auch jmj-ra sör (mereruka nr. 17, 18), der für das gefolge des mereruka besonders passend erscheint.44 Ähnlich wie bei Kagemni finden sich die meisten hinzugesetzten beischriften in den unteren beiden registern, gelegentlich auch im noch immer gut zu erreichenden 3. register. ausnahmen bilden die beiden begleiter des grabherrn beim sänftenzug, die im 5. und 6. register abgebildet sind und den jmj-ra sör Wr-t (mereruka nr. 17, 18) nennen. auch die beiden männer, die ihre namen neben bilderhauer in der skulpturenwerkstatt gesetzt haben, erscheinen im 6. bildregister. Ähnlich wie bei Kagemni kann in diesen Fällen davon ausgegangen werden, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt und mit hilfe eines Podestes die namen angebracht wurden. hinsichtlich der Wandverteilung der Figurenappropriationen ist eine weniger deutliche Prononcierung der nord- und Westwände als bei Kagemni auszumachen, auch wenn diese beiden himmelsrichtungen 37 der belege ausmachen. allein mindestens acht darstellungen finden sich auf der südwand des totenopferraumes und fünf in einem türdurchgang, ansonsten ist die nutzung der südlichen Wände nur vereinzelt zu beobachten. Für die nutzung der Ostwände sind vor allem szenen des gefolges des grabherrn charakteristisch, ansonsten finden sich hier die bildhauerwerkstatt sowie der statuenzug. 2.3. WATETHETHOr die ehefrau des mereruka hat innerhalb der großanlage ihres mannes drei 44 Vera Vasiljevic, untersuchungen zum gefolge des grabherrn in den gräbern des alten reiches (Philosophische Fakultät, Zentrum für archäologische untersuchungen bd. 15), belgrad 1995, insb. s. 76–82. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eigene Kammern erhalten, die für ihren Kult dekoriert wurden und direkt vom eingangsraum der mastaba abzweigen. Wie bereits von Kanawati und abder-raziq in ihrer Publikation des grabbereiches der Watethethor konstatiert, befinden sich keinerlei namentlich genannte Personen als teil der originalen dekoration in der Kapelle. nur einige wenige anonym verbliebene Figuren wurden mit titeln, drei davon Funktionen von Frauen, versehen.45 als sehr einfache und nur in grober linienführung eingeritzte graffiti wurden sekundär fünfzehn namenszusätze ergänzt, die allerdings auf nur vier verschiedene individuen hindeuten (vgl. anhang liste 3). die Figurenappropriationen im türdurchgang von mererukas eingangsraum a01 in die erste Kammer der Watethethor können dabei im Zusammenhang mit dem hauptgrabeigentümer gewertet werden, da der raum b01 noch zur hälfte zur anlage des mereruka gezählt werden muss.46 einzig im Falle des em-ka Pa-n.j wurden die schriftzeichen in etwas breiterer Form eingetieft, auch hier fehlt jedoch jegliche glättung der reliefkonturen. mehrfach ist die setzung der hieroglyhen nicht an die bewegungsrichtung der Figuren angepasst (Watethethor nr. 3–6, 8, 14), sondern von rechts nach links ausgeführt. diese der klassischen Kursivschrift folgende Orientierung kann als indiz dafür gelten, dass dieser schreiber nicht an die andere schriftrichtung der hieroglyphen gewohnt war, er wohl selber seinen namen dazugeritzt und nicht einen bildhauer damit beauftragt hat. auffallend erscheint, dass sich mit einer ausnahme (Watethethor nr. 13) alle hinzufügungen auf der Westwand des raumes b01 befinden. der dort neun mal bezeugte name Mr.j (Watethethor nr. 1–4) findet sich auch in dem für mereruka dekorierten eingangsraum des grabes sowie in dem türdurchgang (mereruka nr. 25–32) und es kann vermutet werden, dass hier die identische Person angesprochen ist. allerdings erscheinen in zwei Fällen bei mereruka (nr. 29–30) titel, die nicht in den reliefs der Watethethor bezeugt sind. in diesem bereich findet sich nur bei vier Figuren neben dem 45 Kanawati/abder-raziq, mereruka and his Family ii, s. 12/13. 46 dies aufgrund des treppenzugangs zum dach sowie der nur westlich der Pfeiler angebrachten reliefdekoration; vgl. den Plan Pm iii2, s. 2, Plan lVi. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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namen auch ein em-ka-titel (Watethethor nr. 1–4) ergänzt, alle anderen Personen führen auffälligerweise keinerlei amtsbezeichnung. bei sieben der motive handelt es sich um Opfergabenträger, während die anderen Figuren thematisch in den Kontext tierzucht und Fischfang gehören. die Konzentration der Figurenaneignungen auf Wandbereiche, die räumlich wie inhaltlich an die Kammern des mereruka anbinden, sowie der Verzicht auf diese kulturelle Praxis in den anderen Kammern und der hauptkultstelle deuten insgesamt darauf hin, dass für weibliche grabbesitzer dekorierte räume nicht als attraktiv für die hinzufügung des eigenen namens empfunden wurden. die namensüberschneidungen mit Personen, die in den Kulträumen des mereruka bezeugt sind, können als indiz dafür gelten, dass die totenpriester eventuell für beide bereiche eingesetzt wurden und dann bei ihrer namensverewigung bevorzugt auf die Kammerbereiche des hauptgrabherrn zurückgegriffen haben. 2.4. MErITETI die drei reliefierten Kultkammern des sohnes finden sich im äußersten nordöstlichen bereich der mastaba und sind etwas komplizierter zu erreichen, da man erst fünf relativ große räume des Vaters passieren muss. in zwei dieser räume des meriteti lässt sich die stattliche anzahl von 31 sekundär eingetiefte inschriften für wohl 13 verschiedene Personen (vgl. anhang liste 4) nachweisen. anders als vor allem im bereich der Watethethor sind die später hinzugesetzten beischriften in breiten hierogyplyphen geschrieben und zum teil sogar relativ sauber als scheinbar erhabenes relief ausgeführt. an keiner stelle wird ein name zu einem bereits zur Originaldekoration gehörigen titel geschrieben, was aber mit dem generell anderen dekorationskonzept begründet werden kann, das weitgehend auf entsprechende beischriften verzichtet. Zwölf verschiedene titel sind im grabbereich des meriteti im Kontext von nachträglich hinzugesetzten inschriften dokumentiert, wobei sieben amtsbezeichnungen in keinem der anderen Kultkapellen nachweisbar sind. Jmj-xt xntj(w)-ö pr-oa, zab zö, zö pr-oa, smsw pr und öps nswt (meriteti nr. 17–18, 19, 3–7, 2, 27, 30–31) sind in den hier untersuchten grabkapellen © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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nur für den sohn des mereruka belegt, ebenso die beiden Priester-titel wob 200 und wob pr-oa. bei den an sechs stellen nachweisbaren reinigungsPriestern handelt es sich jedoch nur um zwei verschiedenen Personen (meriteti nr. 3–7 und 27), die sich im Falle des Je.y gleich fünf mal verewigt haben. der einfache schreibertitel zö, den fünf verschiedene männer tragen, taucht mit neun einzelmotiven am häufigsten auf, danach folgen die em-kaPriester und die «hausvorsteher» mit je sieben belegen (vgl. abb. 7). demzufolge tauchen die jmj-ra pr deutlich häufiger auf als in den weit größeren anlagen des Kagemni und des mereruka und verweisen gemeinsam mit den neu hinzugekommenen amtsbezeichnungen auf andere Personengruppen, die nun diese Kammern für ihre Figurenaneignung frequentieren. da der raumbereich des meriteti erst an das ende der regierungszeit des Königs teti datiert und obendrein verschiedene nachnutzungen erfahren hat, dokumentiert sich hier wohl ein gewisser Wandel des Kultpersonals beziehungsweise dieser kulturellen Praxis, die nun auf etwas höherrangige Priester und bedienste wie etwa die wob übergeht. ein auffallendes merkmal der Kammer des meriteti ist die deutlich häufigere nennung von wohl identischen Personen mit gleichem namen und titeln. so erscheint der oben bereits genannte Je.y ebenso wie der em-ka jmj-ra pr Mr.j-nn gleich fünf mal (meriteti nr. 22–26; vgl. abb. 7) auf verschiedenen Wänden und auch Wbn.w und Jx.j (meriteti nr. 15–18 und 10–12) sind vier beziehungsweise drei mal überliefert. Zum teil werden diese wohl identischen Personen wie im Falle von Je.y in direkt übereinanderliegenden registern dargestellt. hinsichtlich der ausgewählten motive besticht die herausgehobene stellung der Opfergabenträger, die 26 der 31 belege ausmachen. drei männer führen tiere herbei, zwei weitere fungieren als begleitpersonen des grabherrn. die anbringung findet sich in circa der hälfte der motive auf nord- und Westwand, wobei jedoch die südwand des totenopferraums mit ihren langen reihen von gabenbringern alleine elf Figurenaneignungen dokumentiert (vgl. abb. 7). dabei wurde wie auch bei den anderen grabbesitzern vor allem auf die unteren, gut erreichbaren register zurückgegriffen. in einem Fall (meriteti nr. 10) deutet das in bezug auf die bewegungsrichtung der Figur © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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falsch herum gesetzte zö-Zeichen auf eine mangelnde hieroglyphenkompetenz des schreibers. 3. Zusammenfassung die hier vorgenommene Fallstudie zu zwei unmittelbar benachbarten Wesirgräbern von fast identischer Zeitstellung erbrachte, dass alleine in den vier Kultbereichen dieser gräber 164 sekundär ergänzte beischriften zu einzelmotiven nachzuweisen sind, in denen mindestens 78 verschiedene individuen greifbar werden. in allen Fällen handelt es sich um männliche Personen, Frauen sind im rahmen dieser motivappropriation nicht bezeugt. dabei stehen 18 beamte und Priester, die ihren namen in der mastaba des Kagemni hinzusetzen ließen, 43 Personen in den Kulträumen des mereruka gegenüber. in dem relativ kompliziert zu erreichenden und auch flächenmäßig kleinen Kultbereich des sohnes von mereruka sind mindestens 13 männer überliefert, die sich dort sekundär verewigt haben. auffallend ist zudem das weitgehende Fehlen von motivaneignungen in den räumen der leiblichen Königstochter Watethethor. nur vier Personen sind in der ersten Kammer ihrer grabkapelle bezeugt,47 wobei dieser raum zumindest in seiner Osthälfte zu dem Kultbereich ihres ehemannes gezählt werden muss. Offenbar wurden die Kulträume einer Prinzessin nicht als ein angemessener Ort für die dauerhafte Verewigung des eigenen namens erachtet.48 insgesamt nennen die noch erhaltenen sekundärbeischriften 116 titulaturen von beamten und Priestern, wobei einige der männer mehrfach genannt werden. in der überwiegenden anzahl der Fälle handelt es sich um wenig ranghohe titel, die auf einfache untergebene anstatt auf höher gestellte totenpriester oder beamte zurückgehen. alle namen und titel sind für das alte reich bezeugt und deuten zweifelsfrei auf eine hinzusetzung der inschriften in der 6. dynastie oder spätestens der 1. Zwischenzeit hin. alleine 75 der amtsbezeichnungen verweisen auf insgesamt 42 verschiedene em-ka-Priester (vgl. abb. 47 Pm iii2, s. 2, 535, b01. 48 andernfalls würde es bedeuten, dass die leibliche Königstochter einen selbst rangniederen Personen nicht gleichgestellten totenkult hatte. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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3, 4, 6, 7); zudem tragen 25 Personen verschiedene schreibertitel, die an 43 stellen bezeugt sind. Von bedeutung sind die nahezu vollständig fehlenden Personen-Überschneidungen in den vier Kultkapellen. einzig die im alten reich relativ geläufigen namen Jp.j, Jd.w sowie Söm-nfr finden sich sowohl bei Kagemni wie in den räumen des mereruka. dabei ist nur bei Söm-nfr eine titelübereinstimmung vorhanden, es handelt sich jedoch auch hier um den wenig aussagekräftigen em-ka-titel. innerhalb des dreipersonengrabes des mereruka finden sich sowohl im ersten raum seiner großen Kultanlage wie in der ersten Kammer seiner ehefrau mehrere Figuren mit dem namen Mr.j, die zum teil als em-ka bezeichnet sind. aufgrund der räumlichen nähe der genutzten motive sowie der doppelfunktion der ersten Kammer der Prinzessin Watethethor kann hier jedoch von einer gemeinsamen beschriftungsKampagne einer Person ausgegangen werden, die zwei unmittelbar benachbarte räume im eingangsbereich der mastaba betraf. im raumbereich des sohnes meriteti findet sich der name Mr.j, nun aber mit dem Zusatz zab zö beziehungsweise zö (vgl. abb. 7), weshalb davon ausgegangen werden kann, dass es sich hier um eine andere Person mit diesem geläufigen namen handelt. die fast vollständig fehlende Überscheidung der in den inschriften bezeugten individuen, insbesondere in den drei bereichen der mastaba des mereruka, deutet zweifelsfrei auf eine gezielte und auf den hauptkultempfänger abgestimmte Ortsauswahl hin. die relativ zahlreiche appropriation von einzelmotiven in den eher kompliziert zu erreichenden räumen des meriteti stützt die interpretation einer anlagenspezifischen auswahl, da die Kulträume des Vaters grundsätzlich monumentaler, innovativer sowie auch aufgrund des status von mereruka und der deutlich höheren qualität seiner reliefausführung sicherlich prestigeträchtiger gewesen wären. auch die vielfache nutzung des motivs der ‹begleitung des grabherrn› lässt sich schlüssig in diese interpretation einer im Zusammenhang mit dem hauptgrabeigentümer stehenden Ortswahl einfügen. hinsichtlich der für die namenszusätze ausgewählten motive ergibt sich eine klare Favorisierung von Opfergabenträgern. dieses eigentlich © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

das studium der menschheit

297

298

gabriele Pieke

«lass deinen namen hervorkommen»

wenig individuelle bild, dem zudem ein starker reihencharakter zueigen ist, findet sich bei 85 der sekundärbeischriften. das motiv der ‹begleitung des grabherrn›, das 37 mal erscheint, kann demgegenüber als prestigeträchtiger gewertet werden, da diese Figuren eine explizite nähe zum ranghohen hauptgrabeigentümer thematisieren. nur in einzelnen Fällen passen die sekundär ergänzten titel zu den ausgewählten motiven, wie etwa im Falle des Kornmessens, der statuenherstellung oder auch des haus- und leinenvorstehers bei der begleitung des grabherrn. die auswahl der hirtenmotive, wie im Falle des Kagemni, oder auch zwei Jägern bei der nilpferdjagd im grab des mereruka sind allein schon numerisch als ausnahmefälle zu betrachten. hier kann über eine affinität für die künstlerisch sehr lebendig gestalteten szenen spekuliert werden. die konkrete auswahl der einzelmotive und die nutzung von leicht herausgehobenen Figuren, wie etwa der ersten einer reihe, deuten zumindest auf einen gewissen Wunsch der Prononciertheit als selektionskriterium hin. Zudem verweisen die bei der überwiegenden mehrheit genutzten unteren beiden register auf eine leichte Zugänglichkeit als ein zentrales Kriterium für die konkrete motivwahl. gleichzeitig erhöht die gute sichtbarkeit der unteren bildreihen die generelle Wahrnehmung dieser namen. nur in ausnahmefällen deutet ein hoher anbringungsort der sekundärbeischrift auf eine hinzusetzung bereits im rahmen der ausarbeitung der Originaldekoration. in diesen Fällen kann spekuliert werden, dass die eher schlechte sichtbarkeit der hoch angebrachten inschriften ebenfalls beabsichtigt war, da diese ohne Zustimmung des grabherrn erfolgten. hier können nur weitere untersuchungen in anderen anlagen eine bessere Klärung dieses befundes erbringen. die roten und an wenigen stellen auch schwarzen Vorzeichnungen, die sich in zwei Kammern des mereruka bei entsprechenden beischriften erhalten haben (vgl. abb. 4), indizieren gezielte ‹aneignungskampagnen›. Zumindest in diesen Fällen war das hinzufügen von inschriften offenbar keine spontane einzelaktion, etwa bei einem besuch einer bedeutenden anlage der nekropole, sondern greift – wenn auch unfertig geblieben – auf eine professionelle reliefausführung © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Zur appropriation von einzelmotiven der grabdekoration in sakkara

mit ihren einzelnen arbeitsschritten zurück. demgegenüber stehen andere sekundäre beischriften von extrem schlechter qualität, die nur sehr einfach und grob eingeritzt wurden. gerade in letztgenannten Fällen verweist die teils in bezug auf die bewegungsrichtung der Figuren falsch ausgeführte schreibrichtung auf eine mangelnde hieroglyphenkompetenz ihrer akteure. die bildmotivisch gezielte auswahl vor allem von Opfergabenträgern kann als indiz für ein kultisch-religiös motiviertes Phänomen verstanden werden, da andere Figuren, wie etwa schreiberdarstellungen, als deutlich prestigeträchtiger gelten können und im sinne einer selbstthematisierung von Priestern und beamten markanter gewesen wären als die vom betrachter eher redundant empfundenen reihen von gabenträgern. eine bevorzugte auswahl von jenseitsrelevanten himmelsrichtungen beziehungsweise von nord- und Westwänden – dies insbesondere in Kammern, deren andere Wandflächen identische motive aufweisen – wie es sich zumindest bei Kagemni nachweisen lässt, unterstützt ebenfalls die interpretation einer im Kontext des totenkultes stehenden Funktion. die häufung der verschiedenen einfachen schreibertitel sowie der zahlreichen em-ka-totenpriester deuten konkret auf Personengruppen hin, die in Zusammenhang mit dem ursprünglichen grabeigentümer stehen und wohl einst für dessen totenopferversorgung zuständig waren. gerade den em-ka-Priestern kam im rahmen des nicht-königlichen totenkults und dem damit verbundenen umlaufopfer sicherlich eine hauptrolle zu. neben dem Weihräuchern sowie den Wasser- und naturalienopfern stehen die em-ka-Priester auch in Verbindung zum statuenkult, was unter anderem aus darstellungen des Ziehens von statuenschlitten hervorgeht.49 die hohe anzahl von sekundä49 Peter Kaplony, Ka-diener, in: Wolfgang helck/eberhard Otto (hrsg.), lexikon der Ägyptologie iii, Wiesbaden 1980, sp. 282/283; idem, totenpriester, in: Wolfgang helck/eberhard Otto (hrsg.), lexikon der Ägyptologie Vi, Wiesbaden 1986, 680; marianne eaton-Krauss, the representations of statuary in Private tombs of the Old Kingdom (Ägyptologische abhandlungen 39), Wiesbaden 1984, s. 67 und anm. 329; günther lapp, die Opferformel des alten reiches unter berücksichtigung einiger späterer Formen (deutsches archäologisches institut abteilung Kairo, sonderschrift 21), mainz 1986, s. 191 § 319. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

das studium der menschheit

299

300

gabriele Pieke

«lass deinen namen hervorkommen»

ren namenshinzufügungen bei dem motiv der Opfergabenträger insbesondere in den totenopferkammern von mereruka und meriteti50 weisen auf Personen hin, die an den hauptkultstellen des grabes Opferungen vornehmen und sich konsequenterweise an entsprechender stelle abbilden lassen. dass für den eigentlichen grabherrn eine individualisierung dieses Kultpersonals relativ unerheblich war, bezeugt gleichzeitig die mastaba des Kagemni. dort sind untergebene, Priester wie auch Verwandte in der ursprünglichen grabdekoration mit sehr wenigen ausnahmen anonym gehalten. die hier aufgeführten Fallbeispiele deuten demzufolge darauf hin, dass diese Form von motivaneignung nicht im auftrage des grabherrn erfolgte, sondern es sich um eine spezifische art der selbstthematisierung von einfachen Priestern und niederen beamten handelt, die auf diese Weise «ihren namen hervorkommen lassen»51. die zahlreichen übernommenen Figuren geben auf schriftlicher wie auch bildlicher ebene anhaltspunkte zu den Funktionen der sie annektierenden Personen sowie zu einem gewissen maße auch zu deren anbindung an den eigentlichen grabbesitzer. gleichzeitig ergibt sich für die bildaneignung auch ein Zusammenhang mit der ersehnten Jenseitsexistenz dieser individuen. insgesamt kann diese über die Figurenaneignungen überlieferte kulturelle Praxis52 in der überwiegenden anzahl der Fälle als Verstetigung des Kultpersonals und zahlreicher Personen aus dem entfernten umfeld des grabherrn gewertet werden, wobei die beischriften als eine spezielle art 50 Pm iii2, s. 2, 529/530, 336, raum a08 und c03. in beiden Kammern finden sich insbesondere auf der südwand zahlreiche sekundäre namensnennungen. 51 aus der «lehre des Kagemni», nach: günter burkhard/heinz J. thissen, einführung in die altägyptische literaturgeschichte i, altes und mittleres reich (einführungen und quellentexte zur Ägyptologie 1), berlin 2007, s. 87. Julia c. F. hamilton, added inscriptions, s. 58, bringt die hinzugesetzten namen in der Kapelle des Kagemni in bezug zu besuchergraffiti, wobei die namensgeber dadurch «members of the extended household» der grabbesitzer wurden. 52 eine detaillierte dokumentation sowie stilistische analyse ist von zentraler bedeutung für das komplexere Verständnis dieser besonderen kulturellen Praxis und es bleibt zu hoffen, dass zukünftig mehr sorgsamkeit bei der bearbeitung und Publikation altägyptischer monumente gelegt wird. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Zur appropriation von einzelmotiven der grabdekoration in sakkara

von «devotional graffiti» fungieren.53 Zudem lässt die appropriation auch eine art von beikult vermuten, der im großen stil weniger ranghohen Personen die chance auf die Partizipation an der Jenseitsexistenz und einer damit verbundenen dauerhaften Versorgung ermöglicht. es muss davon ausgegangen werden, dass Personen, die über keine eigenen mittel zum bau eines grabes oder der anfertigung einer scheintür verfügten, trotzdem den Wunsch verspürten, ihren namen zu verewigen und dadurch eine dauerhafte Jenseitsexistenz zu erlangen.54 demzufolge kann es als plausibel erachtet werden, dass die appropriation von einzelnen Figuren eines bereits fertig gestellten dekorationsprogramms die verstetigte Partizipation an dem Kult des ranghöheren grabeigentümers intendierte. die totenkultanlagen von höhergestellten Personen dienen dabei als Plattform und medium nicht nur für die Fortexistenz des eigentlichen grabherrn und seiner angehörigen, sondern werden von Personen aus dem Kreis der unteren elite mitgenutzt, um sich auf diese Weise in schriftlicher Form und an einem ihrem Kontext nahestehenden Ort dauerhaft zu verewigen; dies vor dem hintergrund der altägyptischen Vorstellung, dass «einer lebt, wenn sein name genannt wird.»55

53 Van Pelt/staring, interpreting graffiti in the saqqara, s. 6 werten entsprechende inschriften als appropriation eines sakralen raumes bzw. einer liminalen Zone. Vgl. zu dem Phänomen der teilnahme an kultischen Vorgängen im tempelbereich z. b. die graffiti von einfachen Priestern auf dem dach des chons-tempel in Karnak; helen Jacquet-gordon, the temple of Khonsu 3, the graffiti on the Khonsu temple roof at Karnak. a manifestation of Personal Piety (Oriental institute Publications 123), chicago, 2003, s. 5. 54 assmann, tod und Jenseits im alten Ägypten, s. 59–73. 55 hermann ranke, statue eines hohen beamten unter Psammetich i., in: Zeitschrift für Ägyptische sprache 44 (1907), s. 45; eberhard Otto, die biographischen inschriften der ägyptischen spätzeit, leiden 1954, s. 62 mit anm. 1. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

das studium der menschheit

301

302

gabriele Pieke

anhang56

tabelle 1: mastaba des Kagemni Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

abd.w

xrp xa(w)

V–O

arbeiten im speicher

harpur 434, scene detail 303, context drawing 19

2

abd.w

xrp xa(w)

V–W

arbeiten im speicher

harpur context drawing 21

3

Jp.j

zö mäat-ncr pr oa

iV – W

Opfergabenträger

harpur context drawing 13

4

Jp.j



iV – W

Vogelzucht

harpur 408–9, scene detail 204, context drawing 14

5

Jn(j).y



i–n

Opfergabenträger

harpur 352, scene detail 1

6

Jd.w

em-ka

i–n

Opfergabenträger

harpur 365, scene detail 48, context drawing 2

7

Jd.w

em-ka

Vii – W

Opfergabenträger

bissing, gem-ni-ka ii, taf. XV

8

Mrr.j

jmj-xt em(w)-ka

Vii – s

Opfergabenträger

harpur context drawing 32

9

Mx.w

jmj-ra pr zö

Vi – n

begleiter des grabherrn harpur 441–2, scene detail 33, context drawing 24

10

N(j)-etp-Inm.w

jmj-xt em(w)-ka

Vi – n

Opfergabenträger

harpur context drawing 23

11

N(j)-etp-Inm.w

jmj-xt zö n zaem-ka

Viii – n

Opfergabenträger

harpur 483, scene detail 523, context drawing 35

12

Nfr-wdn.(t)

em-ka xntj-ö pr oa jmj st-o

iV – W

Opfergaben

harpur context drawing 13

13

Nfr-wdn.(t)

xntj-ö pr oajmj st-oem-ka

Vii – n

Opfergabenträger

harpur context drawing 33

14

Nfr-wdn.t

xntj-ö pr oa jmj st-oem-ka

Vi – n

Opfergabenträger

harpur context drawing 23

15

Nfr-Inm.w



iii – n

hirten bei der Furt

harpur 378, scene detail 101, context drawing 7

16

Nfr-Inm.w



iii – n

hirten bei der Furt

harpur 380, 382, scene detail 108, 110 + context drawing 7

17

Näm

jmj-ra [...]

Vi – W

Opfergabenträger

harpur 449–50, scene detail 375, context drawing 28

18

Efgg.w

seä xtmt(jw)

Vi – n

Opfergabenträger

harpur 443, scene detail 339, context drawing 23

19

Em-ax.tj

stjem-ka

Vi – W

Opfergabenträger

harpur 449–50, scene detail 373, context drawing 28

20

Xw.j

zö n za

Vii – n

Opfergabenträger

harpur 475, scene detail 491, context drawing 34

1

Name

Referenz

56 die nur fragmentarisch erhaltenen inschriften und unsicheren lesungen sind jeweils hinten angestellt. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

anhang

das studium der menschheit

tabelle 1: mastaba des Kagemni Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Xw.j

jmj-xt em(w)-ka zö n za

Vii – s

Opfergabenträger

harpur 462–3, scene detail 428, context drawing 32

22

Söm-nfr

em-ka seä xtmt(jw)

i–n

Opfergabenträger

harpur 365, context drawing 2

23

Söm-nfr

jmj-xt em(w)-ka jmj-ra sör

Vii – s

Opfergabenträger

harpur context drawing 32

24

Qd.j

jmj-xt (n) za(w)- pr(w)

iV – W

Opfergabenträger

harpur context drawing 13

25

Cz.j



iii – n

hirten bei der Furt

harpur 378, scene detail 101, context drawing 7

26

Cz.j

em-ka

iii – n

hirten bei der Furt

harpur 379, scene detail 104, context drawing 7

27

Cz.j

em-ka

Vi – W

Opfergabenträger

harpur context drawing 28

28

J[...]

zö [...] em-ka

iii – n

hirten bei der Furt

harpur 380, context drawing 7

29

oea.w-[...]

jmj-ra jz

Vi – W

Opfergabenträger

harpur context drawing 28

30

[...]r[...]

em-ka

iii – n

hirten bei der Furt

harpur 380, scene detail 107, context drawing 7

31

[...]n

zö mäat-ncr pr oa

iV – W

Opfergabenträger

harpur 415, scene detail 239, context drawing 13

32

///

zö n za

Vi – n

Opfergabenträger

harpur 443, scene detail 339, context drawing 23

33

[...]w / m -[...]



Vi – n

Opfergabenträger

harpur context drawing 23

34

M[...]e[...]

xrp [ze] pr-oa

Vi – s

Opfergabenträger

harpur context drawing 26

35

[...]

jmj-xt em(w)-ka zab

Vii – s

Opfergabenträger

harpur context drawing 32

36

[...]r



Vii – s

Opfergabenträger

harpur context drawing 32

37

[...]-etp

jmj-xt em(w)-ka [...]

Vii – n

Opfergabenträger

harpur context drawing 33

38

[...]-etp



iV – O

Opfergabenträger

harpur 421, scene detail 256, context drawing 16

39

[...]



Vii – n

Opfergabenträger

context drawing 34

40

[...]



Vii – n

Opfergabenträger

context drawing 34

21

Name

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

Referenz

303

304

gabriele Pieke

anhang

tabelle 2: mastaba des mereruka, Kultkammern des mereruka Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Referenz

Jp.j



a01 – n

nilpferdjagd

duell i, Pl. 13; Kanawati iii.1, Pl. 68

2

Jnx.j

zö sqbb pr-oa

a13 – n

begleitung des grabherrn

duell ii, Pl. 158; Kanawati iii.2, Pl. 73

3

Jnx.j

zö sqbb pr-oa

a13 – O

begleitung des grabherrn

duell ii, Pl. 172; Kanawati iii.2, Pl. 81

4

Jnx.j- km

[jmj-xt] em(w)ka zö sqbb pr-oa

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9; Kanawati iii.1, Pl. 67

5

Jnx.j- km

jmj-xt em(w)-ka zö sqbb pr-oa

a03 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 2; Kanawati iii.1, Pl. 74

6

Jnx.j- km

jmj-xt em(w)-ka zö sqbb pr-oa

a04 – W

statuenkult

duell i, Pl. 39; Kanawati iii.1, Pl. 77a

7

Jr.j

xrp gnwtyw

a09 – O

Opfergabenträger

duell i, Pl. 76; Kanawati iii.1, Pl.93

8

Jr(j).n-ax.tj

seä em(w)-ka zab jmj-ra zö(w)

a03 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 23 a; Kanawati iii.1, Pl. 72c

9

Jr(j).n-ax.tj

seä em(w)-ka zab jmj-ra zö(w)

a03 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 27; Kanawati iii.1, Pl. 74

10

Jr(j).n-ax.tj

seä em(w)-ka zab jmj-ra zö(w)

a04 – W

statuenkult

duell i, Pl. 39; Kanawati iii.1, Pl. 74

11

Jr(j).n-ax.tj

seä em(w)-ka zab jmj-ra zö(w)

a08 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 57; Kanawati iii.1, Pl. 87b

12

Jr(j).n-ax.tj

[...]

a08 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 58; Kanawati iii.1, Pl. 86c

13

Je.jw

xntj-ö pr-oa

a04 – O

bootsfahrt des bruders des grabherrn

duell i, Pl. 43; Kanawati iii.1, Pl. 79b

14

Jd.w

[...]

a03 – O

statuenproduktion

duell i, Pl. 30; Kanawati iii.1, Pl.74

15

onx.w



a08 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 59; Kanawati iii.1, Pl. 86

16

onxw-näs

em-ka jrj-jz

a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

17

Wr-t

jmj-ra sör

a01 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 14; Kanawati iii.1, Pl. 71

18

Wr-t

jmj-ra sör

a01 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 14; Kanawati iii.1, Pl. 71

19

Bxn



a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, 28, in Zeichnung nicht enthalten (Pl. 66b)

1

Name

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

anhang

das studium der menschheit

tabelle 2: mastaba des mereruka, Kultkammern des mereruka Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Referenz

Bxn



a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, 28, in Zeichnung nicht enthalten (Pl. 66b)

21

Bxn



a01 – b01 s

Opfergabenträger

Kanawati ii 28, Pl. 55a ii

22

Pa-n.(j)

hm-ka

a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

23

Ftk-t

hm-ka

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 6,

24

Mn-cb.wt

jmj st-o xntj-ö pr-oa

a12 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 120; Kanawati iii.1, Pl. 109

25

Mr.j



a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

26

Mr.j



a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

27

Mr.j



a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9; Kanawati iii.1, Pl. 67

28

Mr.j



a01 – b01 s

Opfergabenträger

Kanawati ii 28, Pl. 55a ii

29

Mr.j

irj-ebt

a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

30

Mr.j

irj-ebt em(w)-ka [...]-Ppjj [...]

a01 – b01 s

Opfergabenträger

Kanawati ii 28, Pl. 55a ii(im text nur em(w)-ka titel erwähnt)

31

Mr.j

em-ka

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9; Kanawati iii.1, Pl. 67

32

Mr.j

[...]

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9; Kanawati iii.1, Pl. 67

33

Mr(j).y-jt.f

em-ka

a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

34

Mr(j).y-jt.f



a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9

35

Mr(j).y-Pte

[...]

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9; Kanawati iii.1, Pl. 67

36

N(.j)-swt-Pte

em-ka

a12 – n

arbeiten im Kornspeicher

duell ii, Pl. 116; Kanawati iii.1, Pl. 107

37

N(.j)-swt-Pte



a01 – b01 n

Opfergabenträger

Kanawati ii 28, Pl. 55a i

38

Nb.sn

zö za em-ka

a03 – O

statuenzug

duell i, Pl. 30; Kanawati iii.1, Pl. 74

20

Name

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

305

306

gabriele Pieke

anhang

tabelle 2: mastaba des mereruka, Kultkammern des mereruka Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Nb.sn

zö za em-ka

a06 – s

schreiberbüro

duell i, Pl. 51; Kanawati iii.1, Pl. 82a

40

Nfr-wdn.t

jmj-ra jz

a13 – W

bootsfahrt in den Westen

duell ii, Pl. 134

41

Nfr-mnx.t

jmj-ra jz

a13 – W

bootsfahrt in den Westen

duell ii, Pl. 134

42

Nfr-xw(j).t



a01 – n

nilpferdjagd

duell i, Pl. 13; Kanawati iii.1, Pl. 68

43

Ner.j

em-ka

a03 – s

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 23a; Kanawati iii.1, Pl. 72c

44

Näs



a04 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 41; Kanawati iii.1, Pl. 79a

45

Näs



a04 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 46; Kanawati iii.1, Pl. 79a

46

Efa(w).j



a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

47

Efa(w).j

[...]

a01 – s

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 18; Kanawati iii.1, Pl. 69

48

Efa(w).j



a01 – b01 s

herbeiführen von Opfertieren

Kanawati ii 28, Pl. 55a ii

49

Efa(w).j



a01 – b01 n

herbeiführen von Opfertieren

Kanawati ii 28, Pl. 55a i

50

Efa(w).ty



a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

51

Efa(w).ty



a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9

52

Er.(j)-nt

seä em(w)-ka zab seä zö(w)

a13 – O

begleitung des grabherrn

duell ii, Pl.167; Kanawati iii.2, Pl. 82

53

Etp-Inm.w

zö za

a03 – O

statuenzug

duell i, Pl.30; Kanawati iii.1, Pl. 74

54

Etp-Inm.w

zö za jmj-ra pr

a13 – n

begleitung des grabherrn

duell ii, Pl.158; Kanawati iii.2, Pl. 73

55

Xa-Jzz.j

em-ka zö za

a12 – n

arbeiten im Kornspeicher

duell ii, Pl.116; Kanawati iii.1, Pl. 107

56

Xa.j

jmj-ra pr

a06 – s

schreiberbüro

duell i, Pl. 51; Kanawati iii.1, Pl. 82a

57

Xa.j

jmj-ra pr

a08 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 57; Kanawati iii.1, Pl. 87b

58

Xtm.j

em-ka

a04 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 46; Kanawati iii.1, Pl. 79a

39

Name

Referenz

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anhang

das studium der menschheit

tabelle 2: mastaba des mereruka, Kultkammern des mereruka Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Iar.j



a13 – W

bootsfahrt in den Westen

duell ii, Pl. 140; Kanawati iii.2, Pl. 65

60

Söm-nfr

em-ka

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9

61

Sn-nw

jmj-ra pr

a08 – s

Opfergabenträger

duell i, Pl. 57; Kanawati iii.1, Pl. 87b

62

Öpss-Pte

hm-ka

a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

63

Öpss-Pte

hm-ka

a01 – W

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 8; Kanawati iii.1, Pl. 66b

64

Öö.j

em-ka zö za

a08 – s

Opfergabenträger

Kanawati iii.1, Pl. 86c

65

Äoom

jmj-ra gnwtyw pr-oa

a03 – O

statuenherstellung

duell i, Pl. 30; Kanawati iii.1, Pl. 74

66

Jn[...]



a01 – b01 n

Opfergabenträger

Kanawati ii 28, Pl. 55a i

67

[...]- etp

[...]

a01 – n

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 9

68

Pte-[...]

hm-ka (?)

a01 – b01 s

Opfergabentransport

Kanawati ii 28, Pl. 55a ii (im text nicht erwähnt)

69

M[...]

em-ka zab seä zö

a03 – O

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 27; Kanawati iii.1, Pl. 74

70 – 74

[...]

em-ka

a08 – s

Opfergabenträger

Kanawati iii.1, Pl. 86c

75 – 76

[...]

[...]

a08 – s

Opfergabenträger

Kanawati iii.1, Pl. 86c

77

[...]

em-ka

a01 – s

begleitung des grabherrn

duell i, Pl. 18; Kanawati iii.1, Pl. 69 (im text nicht erwähnt)

59

Name

Referenz



tabelle 3: mastaba des mereruka, Kultkammern der Watethethor Nr.

Name

Titel

Raum+Wand Motiv

Referenz

1

Pa-n.j

hm-ka

b01 – W

Opfergabenträger

bei Kanawati ii nicht erwähnt

2

Mr.j

em-ka

b01 – W

Fischfang mit schlagnetz

Kanawati ii, Pl. 56

3

Mr.(j)

em-ka

b01 – W

Fischfang mit schlagnetz

Kanawati ii, Pl. 56

4

Mr.j

em-ka

b01 – W

tierzucht

Kanawati ii, Pl. 56

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gabriele Pieke

anhang

tabelle 3: mastaba des mereruka, Kultkammern der Watethethor Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Mr.(j)



b01 – W

Fischfang mit schlagnetz

Kanawati ii, Pl. 56

6

Mr.j



b01 – W

Opfergabenträger

Kanawati ii, Pl. 56

7

Mr.j



b01 – W

Opfergabenträger auf booten

Kanawati ii, Pl. 56

8

Mr.j



b01 – W

Opfergabenträger

Kanawati ii, Pl. 56

9

Mr.j



b01 – W

Opfergabenträger auf booten

Kanawati ii, Pl. 56

10

Mr.j



b01 – W

tierzucht

Kanawati ii, Pl. 56

11

Mr.j



b01 – W

melkszene

Kanawati ii, Pl. 56

12

Mr(j).y



b01 – W

Opfergabenträger auf booten

Kanawati ii, Pl. 56

13

Mr(j).y



b01 – s

Opfergabenträger

Kanawati ii, Pl. 55b

15

[...](j)

em-ka

b01 – W

tierzucht

Kanawati ii, Pl. 56

16

[...]

em-ka

b01 – W

Fischfang mit schlagnetz

Kanawati ii, Pl. 56

5

Name

Referenz

tabelle 4: mastaba des mereruka, Kultkammern des sohnes meriteti Nr.

Name

Titel

Raum+Wand Motiv

Referenz

1

Jwe.(w).j



c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

2

Jmp.y

smsw pr

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

3

Je.y

zö pr-oa wob 200

c01 – W

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 46

4

Je.y

zö pr-oa wob 200

c01 – W

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 46

5

Je.y

zö pr-oa wob 200

c01 – W

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 46

6

Je.y

zö pr-oa wob 200

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

7

Je.y

zö pr-oa wob 200

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

8

Je.y

irj-ebt

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

9

Je.y

irj-ebt

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

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anhang

das studium der menschheit

tabelle 4: mastaba des mereruka, Kultkammern des sohnes meriteti Nr.

Titel

Raum+Wand Motiv

Jx.j



c01 – W

begleitung des grabherrn

Kanawati i, Pl. 46

11

Jx.j



c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

12

Jx.j

em-ka (?) zö

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

13

Jqr.j

em-ka zö

c01 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 47

14

Jqr.j



c03 – O

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 52

15

Wbn.w



c01 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 52

16

Wbn.w

xntj[-ö ] pr-oa

c01 – W

begleitung des grabherrn

Kanawati i, Pl. 46

17

Wbn.w

jmj-xt xntj(w)-ö pr-oa

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

18

Wbn.w

jmj-xt xntj(w)-ö pr-oa

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

19

Mr.j

zab zö

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

20

Mr.j

zab zö

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

21

Mr.j



c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

22

Mr.j-nn

em-ka jmj-ra pr

c01 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 47

23

Mr.j-nn

em-ka jmj-ra pr

c01 – W

herbeiführen von Opfertieren

Kanawati i, Pl. 46

24

Mr.j-nn

em-ka jmj-ra pr

c01 – O

herbeiführen von Opfertieren

Kanawati i, Pl. 48

25

Mr.j-nn

em-ka jmj-ra pr

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

26

Mr.j-nn

em-ka jmj-ra pr

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

27

N.(j)-onx-Pp.y

wob pr-oa öps nswt

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

28

Ewfr.j

jmj-ra pr

c01 – W

herbeiführen von Opfertieren

Kanawati i, Pl. 46

29

Ewfr.j

jmj-ra pr

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

30

Öps.j

öps nswt zö

c03 – s

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 49

31

Öps.j

öps nswt zö

c03 – n

Opfergabenträger

Kanawati i, Pl. 50

10

Name

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Referenz

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1

Edward Jenner (1749–1823). Pastell, 45,2 x 35 cm. Dreiviertel Porträt nach links gewandt an einen Baum gelehnt, den rechten Arm auf einen Ast gestützt. Im Hintergrund die Ortschaft Berkeley mit Fluss, Wiesen, Kühen und Milchmagd. J.R. Smith, 1800. Original im Wellcome Institute of the History of Medicine, 1527.1. Als Frontispiz bei LeFanu 1951. – Privatbesitz

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das studium der menschheit

edward Jenner. an inquiry gerd plewig · münchen

Dieser Beitrag ist Dr. Alfred Grimm gewidmet, einem Freund, Wissenschaftler und Autor vieler wunderbar konzipierter und ausgestatteter Bücher sowie Liebhaber des gedruckten Buches.

«now listen to the most delightful part of my story». edward Jenner schrieb diese Zeilen an seinen Freund edward gardener am 19. Juli 1796. «the boy has since been inoculated from the small-pox (on July 1st), which i venture to predict produced no effect». mit diesem brief, der im Original im Royal College of Surgeons of England verwahrt wird, abgedruckt bei leFanu auf den tafeln XXViii und XXiX1, begann die hier erzählte geschichte. der landarzt Jenner (abb. 1), der sich um die arbeitende bevölkerung und Viehzüchter von gloucestershire im Westen englands kümmerte, schrieb sich mit seinem 1798 veröffentlichten buch (abb. 2) für immer in das Pantheon der Medizin ein. er zeigte empathie für die armen menschen seiner umgebung, war ein hellwach analytisch denkender Kopf, der ohne die hilfe eines mäzens, einer Forschungsunterstützung, einer universitätszugehörigkeit und ohne labor sein Ziel verfolgte. sein Ziel war, eine der größten infektionen der menschheit zu bekämpfen und schließlich gänzlich zu

1 Jenner, edward. an inquiry into the causes and effects of Variolae Vaccinae, a disease discovered in some of the Western counties of england, Particularly gloucestershire and Known by the name of the cow Pox. Printed for the author. sampson low, no. 7, berwick street, soho: and sold by law, ave-maria lane; and murrayand highley, Fleet street. 1798. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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edward Jenner. an inquiry

verhüten. er erreichte sein Vorhaben. Zu recht steht sein titel im Katalog One Hundred Books Famous in Medicine2. doch nun zurück zu den ursprüngen: edward Jenner wurde am 17. mai 1749 in berkeley geboren, wo er am 26. Januar 1823 verstarb. nach dem medizinstudium eröffnete er 1793 seine landarztpraxis in berkeley. in dieser dünn besiedelten landschaft von gloucestershire betrieben bauern vorwiegend milchwirtschaft. die sozial wenig privilegierte bevölkerung, vor allem mit der aufzucht, Pflege der tiere und dem melken von Kühen beschäftigt, wurde regelmäßig in den feuchtkalten Frühjahrsmonaten von Kuhpocken heimgesucht. diese traten überwiegend an händen und unterarmen der angestellten beim melken der mit Pocken infizierten euter auf. Kuhpocken sind für den menschen eine nicht lebensgefährliche und kurz verlaufende Krankheit, die allerdings keine bleibende immunität, also schutz, hinterlässt. Kuhpocken kann ein mensch jederzeit erneut bekommen. im gegensatz dazu stellen echte Pocken (englisch = small pox) eine höchst gefährliche, hochansteckende und nicht selten tödliche infektionskrankheit durch Viren dar. allerdings bleibt nach einer durchgemachten Krankheit eine lebenslange immunität bestehen. die echten Pocken waren in der Frühzeit noch nicht in allen Kontinenten und ländern, einschließlich vieler inselstaaten in der südlichen halbkugel, aufgetreten. so brachten seefahrende entdeckungsreisende mit ihren segelschiffen gelegentlich Pocken und damit Verderben und tod mit. Viele eingeborene wurden durch den erstmaligen Kontakt mit den Pockenviren hingerafft. ein anderes trauriges ereignis war der Pockenausbruch unter den abgesandten indianerhäuptlingen nordamerikas, als sie zu politischen, allerdings für sie nicht zielführenden, Verhandlungen mit der neuen politischen macht um benjamin Franklin, einem der gründungsväter in Philadelphia, infiziert wurden und noch am Verhandlungsort verstarben.

2 norman, haskell. F., One hundred books Famous in medicine: based on an exhibition at the grollier club 20 september – 23 november 1994. grollier club, new York 1995. 53: edward Jenner (1749–1823), s. 194–197. – titelseite von Jenners An Inquiry mit Widmung des autors «For the rev. John clinch from his affectionate friend the author». clinch unterstützte die Pockenvakzination in Kanada. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

edward Jenner. an inquiry

2

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das studium der menschheit

edward Jenner. an inquiry. Vor-titel und titel. 1798. – Privatbesitz

3

edward Jenner. an inquiry. tafel no. 1. case XVi. the sore of the hand of sarah nelmes…. «the matter was inserted on the 14th of may, 1776, into the arm of the boy (id est James Phipps) by means of two superficial incisions, barely penetrating the cutis, about half an inch long» (text auf seite 32). alter bibliotheksstempel: medical society edinb. – Privatbesitz

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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edward Jenner. an inquiry

an dieser stelle setzt das Konzept Jenners ein. eine einmal durchgemachte Kuhpockeninfektion wirkt schützend vor dem ausbruch echter Pocken. er machte derartige beobachtungen bei den angestellten auf den Farmen. daher postulierte er, dass eine Kuhpockeninfektion (experimentell gesetzt), die echten Pocken, also auch deren experimentelle Übertragung, den ausbruch echter Pocken verhindern müsste. aus damaliger und heutiger sicht ein kühner entschluss, da es einen Versuch am gesunden menschen und zudem an minderjährigen, darstellte. die medizingeschichte ist voller historischer episoden, wo Ärzte eine infektionskrankheit durch inokulation von materie (Jenner nannte sie virus oder matter), oft ohne vorherige aufklärung, einwilligung der erziehungsberechtigten oder erwachsenen Probanden, durchgeführt wurde. nicht selten kam es zu allen nur denkbaren Komplikationen oder deletärem ausgang. als beispiele können genannt werden die experimente mit lepra (hansen in bergen/norwegen und arning in der leprakolonie auf der insel molokai/hawaii), oder die syphilisation in vielen europäischen ländern durch Übertragung (meist als injektion) von material eines syphilitikers auf andere gesunde menschen. im sommer 1796 kam es zu einem erneuten ausbruch der Kuhpocken in der umgebung von berkeley. liest man weiter bei Jenner 1798 «case XVi. sarah nelmes, a dairy maid at a Farm near this place, was infected with the cow Pox from her master’s cows in may, 1796. she received the infection on part of the hand…. a large pustulous sore and the symptoms accompanying the disease were produced in consequence….. expressive of the true character of the cow Pox……i have given a representation of it in the annexed plate». die tafel no. 1 in seinem buch zeigt die Pusteln der Kuhpocken bei sarah nelmes (abb. 4, taf. 8). er fährt fort: case XVii. «i selected a healthy boy, about eight years old, for the purpose of inoculation for the cow Pox. the matter was taken from a sore on the hands of a dairymaid (es war sarah nelmes), and it was inserted, on the 14th of may, 1796, into the arm of the boy»3. nach einigem unwohlsein war der Junge James Phipps nach einer 3

Jenner, an inquiry, s. 31/32. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

edward Jenner. an inquiry

Woche wieder ganz gesund. «in order to ascertain whether the boy, after feeling so slight an affection of the system from the cow Pox virus, was secure from the contagion of the small-pox, he was inoculated on the 1st of July (1796) following with variolous matter (also material von einem Patienten mit echten Pocken). no disease followed ….. several months afterwards, he was again inoculated with variolous matter, but no sensible effect was produced on the constitution»4. Zu diesem Zeitpunkt fasste Jenner seine sorgfältigen beobachtungen handschriftlich auf 30 blättern zusammen (manuskript 1), und zeigte es verschiedenen Freunden zur kritischen durchsicht. ein zweites, etwas erweitertes manuskript von 44 seiten, unterschrieben am 29. märz 1797, folgte. ende april 1798 reiste Jenner nach london, um sein Werk auf eigene Kosten herstellen zu lassen. sampson low of berwick street druckte die Publikation im Juni 1798 auf 75 seiten mit vier gestochenen tafeln im Format 27,5 x 20 cm (abb. 2–4, taf. 8). die am Werk beteiligten Künstler (maler und stecher) waren für tafel no. 1 skelton delt. et sculpt., tafeln nos 2–4 edward Pearce delt. und William skelton sculpt. die tafel no 2 im mir vorliegend exemplar weist das Wasserzeichen JW hatman 1794 auf. das exemplar, welches leFanu vorlag5, trägt das Wasserzeichen JW hatman 1796. der Preis betrug 7s. 6d. (im Vortitel genannt). das s steht für shilling= solidus. ein shilling hatte den Wert von 12 pence, abgekürzt d für denarius. das epochale Werk Jenners weist zwei weitere besonderheiten auf. als Fußnote zu case iV auf seite 13 erwähnt der autor die Patientin mary barge und beschreibt sorgfältig ein Phänomen, das später als anaphylaxis (anaphylaxie) in die terminologie einging. somit trug Jenner wesentlich zur allergieforschung bei. als zweite besonderheit taucht in der erstausgabe 1798 das Wort virus neun mal auf. er verstand darunter einen allgemeinen ausdruck für ein gift, das krankheitsauslösend ist. sein Konzept hat sich bewährt, da sowohl Kuhpocken als auch echte Pocken durch ein Virus nach 4 Jenner, an inquiry, s. 34. 5 leFanu, William richard, a bio-bibliography of edward Jenner 1747–1823. harvey and blythe, london 1951. Frontispiece Portrait edward Jenner. Pastell 45,2 x 35 cm. Wellcome collection 1527.1. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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heutiger terminologie ausgelöst werden. demnach gilt Jenner auch als Pionier der modernen Virologie. das buch wurde großzügig konzipiert: bestes Papier, eine gut lesbare typographie und breite druckränder. die Kollation besteht aus 1 blatt, Vortitel, titel, Widmung, 75 arabisch nummerierten seiten sowie vier farbig gestochenen tafeln. die wissenschaftliche auseinandersetzung mit Jenners idee und seinen Publikationen fanden, wie nicht anders zu erwarten, lebhafte befürworter und gegner. seine zurückhaltende und vornehme art zeigte sich auch hier, niemals ließ er sich in einen mündlichen oder schriftlichen disput ein. Johann Wolfgang von goethe kommt in dieser geschichte ebenfalls vor. goethe in Dichtung und Wahrheit bei gelegenheit der schilderung seiner eigenen schweren erkrankung an blattern 1755 sagt: «die einimpfung der Pocken wird bei uns noch immer für sehr problematisch angesehen, und ob sie gleich populäre schriftsteller schon fasslich und eindringlich empfahlen, so zauderten doch die deutschen aerzte mit einer Operation, welche der natur vorzugreifen schien. speculirende engländer kamen daher auf’s feste land und impften gegen ein ansehnliches honorar die Kinder solcher Personen, die sie wohlhabend und frei von Vorurtheil fanden. die mehrzahl jedoch war noch immer dem alten unheil ausgesetzt, die Krankheit wütete durch die Familien, tödtete und entstellte viele Kinder und wenige eltern wagten es nach einem mittel zu greifen, dessen wahrscheinliche hilfe doch schon durch den erfolg mannigfaltig bestätigt war»6. Jenners ruhm verbreitete sich über die ganze Welt, und zahlreiche ehrungen mit Plaketten, denkmünzen, denkmälern und gründung einer gedächtnis-gesellschaft wurden ihm zuteil. seine Publikationen wurden in viele sprachen übertragen. bereits 1799 publizierte Jenner seine Further Observations, gefolgt von einer lateinischen ausgabe 1799, der ersten deutschen 6 leyden, ernst Viktor von, gedächtnisrede auf Jenner, in: Verhandlungen des congresses für innere medicin. Vierzehnter congress gehalten zu Wiesbaden, vom 8.– 11. april 1896. lehmann, Wiesbaden 1896, s. 13–33, hier s. 23. – Frontispiz Portrait «dr. edward Jenner. stipple, J. Jenkins after J. r. smith, reverse from the 1800 original, half lenghth, arms straight, plain background.» Wellcome collection 1527.43. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

edward Jenner. an inquiry

ausgabe 17997, einer französischen, italienischen und weiteren deutschen ausgabe 18008. unzählige nachdrucke und Übersetzungen folgten.9 edward Jenner blieb trotz der universellen anerkennung und großen Verehrung ein bescheidener mensch. niemals versuchte er, aus seinem Œvre finanziellen Vorteil zu erlangen. erst im Jahr 1802 drängten ihn Freunde, an das Parlament in london eine bittschrift zu senden. am 2. Juni 1802 wurde der gegenstand verhandelt und ihm 10.000 Pfund sterling zuerkannt. eine zweite Zuwendung erhielt er 1807 mit 20.000 Pfund sterling. Jenner ließ dem Jungen James Phipps, an dem er die Versuche mit erfolg durchgeführt hatte, ein haus bauen und pflanzte ihm eigenhändig rosen in den garten.

7 eduard Jenners der arzneywissenschaft doctors… untersuchungen über die ursachen und Wirkungen einer Krankheit, die man in einigen westlichen Provinzen englands vorzüglich in gloucestershire bemerkt hat. aus dem englischen übersetzt von g. Fr. ballhorn d.a.W.d. bei den gebrüdern hahn, hannover 1799. 1 gefaltete gestochene tafel in sepia mit vier Figuren von i. F. saltzenberger in hannover. die vier einzeltafeln von Jenner wurden hier neu gestochen und auf eine Platte gesetzt. 8 eduard Jenners, d.a.W.d. fortgesetzte beobachtungen über die Kuhpocken. mit einigen anmerkungen aus dem englischen übersetzt von g. F. ballhorn, d.a.W.d. in der ritscherschen buchhandlung, hannover 1800. 9 baron, John. the life of edward Jenner, m.d., ll.d., F.r.s. with illustrations of his doctrines, and selections from his correspondence. in two Volumes. henry colburn, Publisher, great marlborough street. 1838. – in band i: «Frontispiece portrait of Jenner, stippled engraving by W. h. mote after a painting by sir t. lawrence, issued this year 1838. – Wellcome collection 1527.36». – in band ii. «Frontispiece portrait of edward Jenner. sculptured bust on pedestal, looking to right. r. J. lane after a sculpture or design by h. coubold, by h. colburn 1827. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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amulettskarabäen mit aufschriften aus der sammlung des münchener ägyptologen Hanns stock (1908 –1966) Hermann a. schlögl · freiburg und regine buxtorf · basel

Einleitung die alten Ägypter verbanden mit dem Käfer (scarabaeus sacer l.) den gedanken einer urentstehung, da sie annahmen, der Käfer bilde sich gleichsam aus sich selbst. sie gaben dem mistfressenden schwarzen insekt den namen xprr = skarabäus – Käfer.1 die Ägypter beobachteten nämlich, dass das tier eine mistkugel mit sich führte, diese mit den hinterbeinen in einem erdloch versteckte und sie dort als nahrungsvorrat benützte. Wenn dieser Vorrat aufgebraucht war, kam der Käfer hervor und holte sich eine neue Vorratskugel. da auch die Fortpflanzung, Zeugung, eiablage und Verpuppung des jungen Käfers unterirdisch erfolgte, erschien das auftauchen des neuen Käfers wie eine entstehung aus sich selbst. auch glaubten die Ägypter – so berichtet es Plutarch2 –, die tiergattung bestünde nur aus männlichen individuen. schematische darstellung des mistkäfers, scarabaeus sacer l.: Kopfschild/clypeus Kopf/caput vorderes brustsegment/Prothorax

Flügeldecken (den thorax bedeckend)/elytra

1 allgemein: h. de meulenaere, scarabaeus sacer, ohne Ort 1972. – e. staehelin, aegyptens heilige Pillendreher, basel 1982. 2 th. hopfner, tierkult der alten Ägypter nach den griechisch-römischen berichten und den wichtigsten denkmälern, Wien 1913, s. 158–163. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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mit dem bild des skarabäus konnte man einen so diffizilen und abstrakten begriff wie «werden, entstehen» = xpr ausdrücken. so konnte der skarabäus schließlich in den sonnenlauf eintreten, denn die täglich sich abwechselnde tag- und nacht-Zustandsform führte zum mythos vom Weg der sonne über dem himmel am tag und durch die unterwelt während der nacht. am Übergang von der nacht zum tag tritt der jugendliche und morgendliche sonnengott in der erscheinungsform als skarabäus hervor. seit der Zeit des mittleren reiches war der skarabäus zur beliebtesten amulettForm geworden und verbreitete sich später über den ganzen mittelmeerraum. um die mythische Kraft des Käferamuletts zu vermehren, schrieb man den Königsnamen und texte auf die unterseite der basis, die Wünsche und hoffnungen ausdrücken. Die Skarabäen 1. sKarabÄus des KÖniglichen sieglers seneb-su-mai (abb. 2 und 3) l. 2,2 cm; b. 1,3 cm. steatit. Von dem hohen beamten 4nb-sw-m-a.j = «er ist gesund in meiner hand» sind bislang über 30 skarabäen nachgewiesen worden.3 dieses skarabäensiegel kommt jetzt dazu. auf der unterseite des gut erhaltenen Käfers ist folgender text aufgeschrieben: «der Kronsiegelbewahrer (xtmw-bjtj), der einzigartige gefährte (smr-watj) und siegelvorsteher (jmj-rA xtmw) seneb-su-mai».

3 P. newberry, egyptian scarabs, london 1906, taf. Xi, nr. 8. – g. t. martin, egyptian administrative and Private-name seals, Oxford 1971, s. 118, nr. 1528, taf. 21–24. – t. g. h. James, corpus of hieroglyphic inscriptions in the brooklyn museum, new York 1974, s. 61, nr. 142, taf. Xl. – royal academy of arts, the georges Ortiz collection: in Pursuit of absolute art of ancient World, royal academy of arts, london 1994, nr. 34. – e. gubel, Van niyl tot schelde, du nil à l’escaut, brüssel 1991, s. 104, nr. 96 (dort versehentlich in die 13. dynastie datiert). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die datierung des beamten in die regierungszeit von König amenemhat iii. ist durch die Kupferstatue des seneb-su-mai in der sammlung georges 4

Ortiz gesichert. auf dieser erscheint auch der name der mutter serech-ib (4rx-jb). auf stelen in Kairo sind sowohl der muttername als auch der name des Vaters überliefert.5 2. sKarabÄus mit dem thrOnnamen thutmOsis’ i. (abb. 4 und 5, taf. 9) l. 1,8 cm; b. 1,2 cm. grün glasierter steatit. der sehr gut gearbeitete Käfer ist vorzüglich erhalten. eine durchbohrung verläuft in längsrichtung. auf der unterseite der basis ist in senkrechter richtung der thronname des Königs eingeschnitten: aA-xpr-kA-Ra sowie rechts und links davon: nTr nfr.6 die aufschrift lautet: der vollkommene gott aa-cheper-ka-re. auffällig ist, dass das Zeichen «säule/Zeltstange = aA» (gardiner O 29) liegend nach links ausgerichtet ist, während dieses in der regel nach rechts gewendet geschrieben wird. das stück ist zeitgenössisch entstanden. 3. sKarabÄus mit dem namen men-chePer-re und dem nTr nfr nb tA.wj titel (abb. 6 und 7) l. 1,8 cm; b. 1,2 cm. heller steatit. 4 d. Wildung, sesostris und amenemhet, Ägypten im mittleren reich, Fribourg/ münchen 1984. 5 W. K. simpson, the terrace of the great god at abydos: the Offering chapels of dynasties 12 and 13, new haven/Philadelphia 1974 (abydos north Offering chapel 17), s. 18. 6 Parallelen: newberry, scarabs, taf. XXVii, 2 und W. m. F. Petrie, scarabs and cylinders with names, london 1917, taf. XXV, 12. – Vgl. F. matouk, corpus du scarabée Égyptien, 1, les scarabées royaux, beirut 1971, s. 209, 225–235. – e. hornung/ e. staehelin, skarabäen und andere siegelamulette aus basler sammlungen, mainz 1976, s. 234, 218/219. – b. Jaeger, essai de classification et datation des scarabées menkhéperre (series archaeologica 2), Fribourg 1982, s. 256/257, §§ 1540–1547. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der sorgfältig gearbeitete skarabäus ist längs durchbohrt und zeigt eine minimale absplitterung an der basisplatte. auf der unterseite erscheinen in schön geschnittenen hieroglyphen der Königstitel und der thronname sowie weitere Zeichen: NTr nfr-nb-tA.wj, darunter quer in Kartusche Mn-xpr-Ra. den abschluss bildet ein Käfer zwischen zwei uräen.7 der skarabäus ist in der 18. dynastie entstanden. 4. sKarabÄus mit dem KÖnigsnamen men-chePer-re (abb. 8 und 9) l. 1,4 cm; b. 1,0 cm. heller steatit. der kleine skarabäus weist minimale absplitterung an der basisplatte und an der linken Käferseite auf. er ist längs durchbohrt. auf der basis erscheint rechts eine Kartusche mit dem thronnamen men-cheper-re des Königs thutmosis’ iii. links gegenüber sitzt ein Pavian bekrönt mit dem mond in beiderlei gestalten. Zwischen Kartusche und Pavian ist ein Pflanzenelement dargestellt. den unteren abschluss bildet ein neb-Zeichen.8 der skarabäus entstammt der 18. dynastie. 5. sKarabÄus mit dem thrOnnamen thutmOsis’ iii. (abb. 10 und 11) l. 1,6 cm; b. 1,1 cm. hellbrauner steatit. der gut gearbeitete skarabäus weist am rand winzige absplitterungen auf. die basis des längs durchbohrten Käfers ist dekoriert mit dem in einer Kartusche eingeschriebenen namen men-cheper-re, den ein flügelbreitender Falke schützt. darunter zeigt sich ein sphinx mit zwei stilisierten maat-Federn als Kopfschmuck. Vor dem königlichen machtbild mit menschenkopf er7 8

skarabäen basel, s. 241, 253. – Jaeger, essai de classification, s. 79, § 331. Jaeger, essai de classification, s. 89, § 387. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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scheint das Zeichen eines Hz-gefäßes und eine aufgebäumte uräusschlange. unter dem sphinx liegt ein von einer axt niedergestreckter Feind. als Kryptogramm aufgelöst lässt sich der uräus als «j», die maat-Federn als «m» und der sphinx als «n» lesen.9 so ergibt sich folgender text: «amun preist (Hzj Jmn) den König men-cheper-re». der skarabäus stammt aus der 18. dynastie. 6. sKarabÄus mit dem KÖnigsnamen men-chePer-re und dem ZusatZ stp-n-Ra (abb. 12 und 13) l. 1,3 cm; b. 0,9 cm. heller steatit mit spuren einer blauen glasur, die heute teilweise braun verfärbt ist. den kleinen skarabäus zeichnen eine sorgfältige arbeit und eine intakte erhaltung aus. auch die Oberseite des Käfers ist fein ausgeführt und längs durch den Körper findet sich eine durchbohrung. auf der unterseite erscheint der thronname thutmosis’ iii. ohne Kartusche: Mn-xpr-Ra mit dem Zusatz stp-n-Ra = men-cheper-re, der von re erwählte.10 die gesamte inschrift umgibt ein Oval. die datierung in die 18. dynastie ist gesichert.11 7. sKarabÄus mit dem KÖnigsnamen amenOPhis’ ii. (abb. 14 und 15) l. 1,7 cm; b. 1,1 cm. steatit mit resten einer grünen glasur. der skarabäus ist von hervorragender qualität und intakt. eine bohrung verläuft längs.

9 matouk, corpus du scarabée, s. 211, 364/365. – Petrie, scarabs, taf. XXVii, 51. – Jaeger, essai de classification, s. 91, § 396. – skarabäen basel (Kryptographie), s. 173– 180. 10 Vgl. matouk, corpus du scarabée, s. 213, nr. 458. 11 Jaeger, essai de classification, s. 157/158 (les épithètes du type stp). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die unterseite der basis weist drei kurze schriftzeilen auf. rechts: nTr nfr nb tA.wj = der Vollkommene gott, der herr der beiden länder. in der mitte nennt die Kartusche auf goldzeichen den thronnamen amenophis’ ii.: aA-xpr.w-Ra. links steht zu lesen: dj anx Dt = beschenkt mit leben ewiglich.12 das stück ist zeitgenössisch entstanden. 8. sKarabÄus mit dem thrOnnamen amenOPhis’ ii. (abb. 16 und 17) l. 1,8 cm; b. 1,4 cm. heller steatit. Keine glasur nachweisbar. der gut geschnittene skarabäus ist intakt. der Käfer weist eine längsdurchbohrung auf. die unterseite der basisplatte ist ganzflächig bedeckt von einer inschrift mit einer Kartusche13: aA-xpr.w-Ra nb MAat xa.w m pr Jmn-Ra = aa-cheperure, der herr der maat ist im tempel des amun-re erschienen. 9. sKarabÄus mit dem thrOnnamen amenOPhis’ iii. (abb. 18 und 19) l. 3,4 cm; b. 2,3 cm. Fayence, ursprünglich blau, heute braun verfärbt. die linke seite des Käfers weist winzige absplitterungen auf. die Oberfläche wirkt insgesamt etwas verblichen. der skarabäus weist eine längsdurchbohrung auf. auf der unterseite ist der thronname Nb-MAat-Ra sorgfältig eingraviert. dabei wurde der epigraphische text horizontal angeordnet, mit dem bild

12 ein sehr ähnlicher skarabäus in: skarabäen basel, s. 257, 332. – Zum typus der aufschrift, Jäger, essai de classification, s. 133, § 1060. 13 Parallele: r. hari/J.-l. chappaz, Fichier permanent des antiquités égyptiennes des collections privées romandes, in: bulletin société d’ Égyptologie 3 (1980), s. 55, 014: abb. s. 63. – Vgl. auch Jaeger, essai de classification, s. 142, ill. 388; s. 152, § 1135, ill. 432. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der göttin maat im Zentrum.14 es gibt diesen typus auch mit vertikaler schrift.15 der vorliegende skarabäus gehört zu den größeren exemplaren seiner gattung. der skarabäus stammt aus der 18. dynastie. 10. sKarabÄus mit dem KÖnigsnamen sethOs’ i. (abb. 20 und 21, taf. 9) l. 1,6 cm; b. 1,1 cm. grün glasierter steatit. der Käfer ist hervorragend gearbeitet und gut erhalten. auch die unterseite des skarabäus ist sorgfältig gestaltet, der Körper weist eine längsdurchbohrung auf. die unterseite weist rechts in einer senkrechten Kartusche den namen thutmosis’ iii. auf und zwar in folgender schreibweise: Mn-xpr-n-Ra. links davor steht der thronname des Königs sethos’ i.: Mn-MAat-Ra-stp-n-Ra.16 gerne wird der thronname von thutmosis iii. auf skarabäen benützt, um in einem trigramm den gottesnamen amun auszudrücken.17 die datierung jedoch ist durch den Königsnamen sethos’ i. gegeben. 11. sKarabÄus mit KÖnig ramses ii. beim niederschlagen der Feinde (abb. 22 und 23, taf. 9) l. 1,8 cm; b. 1,4 cm. steatit mit resten einer grünen glasur. der skarabäus ist sowohl gut ausgeführt, als auch von der erhaltung intakt. auf der Oberseite finden sich elytra, Prothorax sowie die Kopfpartie des Käfers differenziert herausgearbeitet. der Körper weist eine längsdurchbohrung auf. 14 Petrie, scarabs, taf. XXXiii, 48–51. – matouk, corpus du scarabée, s. 214, nr. 537. 15 skarabäen basel, s. 261, nr. 348. 16 Jaeger, essai de classification, 185-187 (les scarabées aux noms juxtaposés de Mn-mAat-ra-stp-n-ra et Mn-xpr-ra). 17 skarabäen basel, s. 173. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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auf der unterseite ist eine fein ausgeführte Zeichnung von König ramses ii. im königlichen Ornat mit szepter in der rechten hand und doppelkrone auf dem haupt dargestellt, wie er mit der linken einen vor ihm stehenden, gefesselten und nackten Feind am haarschopf packt und vom gegenüberstehenden sonnengott das sichelschwert für dessen schlachtung überreicht bekommt. Über dieser qualitätsvollen reliefdarstellung erscheint der thronname des Königs: Wsr-MAat-Ra-stp-n-Ra = reich an maat, ein re, von re erkoren. ganz besonders auffällig, ja ungewöhnlich, erscheint die tatsache, dass der Kopf des sonnengottes als sonnenscheibe ohne uräus wiedergegeben ist. eine solche darstellung des sonnengottes wäre vor der amarnazeit nicht möglich gewesen. hier spannt sich ein gedanklich-religiöser bogen vom enigmatischen unterweltsbuch auf dem zweiten goldschrein tutanchamuns18 zum ramessidischen unterweltsbuch, das den modernen titel «höhlenbuch»19 trägt. hier wie dort wird die anwesenheit des sonnengottes durch sonnenscheiben ausgedrückt. robert s. bianchi veröffentlichte ein götterrundbild in menschengestalt, das nackt und nur mit einer Phallustasche versehen ist.20 mit der linken hand greift diese Figur ein sechem-szepter, sinnbild der göttlichen macht. der Kopf dieser statue stellt eine sonnenscheibe ohne uräus dar. bianchi spricht sich für eine datierung in die Zeit amenophis’ iii. aus, also für eine Plastik, die auf die kommende amarnazeit hinweisen soll. dieses singuläre bildnis dürfte jedoch besser in die Post-amarnazeit oder in die frühe ramessidenzeit datiert werden. 12. sKarabÄus mit dem thrOnnamen sethOs’ ii. (abb. 24 und 25) l. 1,5 cm; b. 1,1 cm. steatit mit grüner glasur. 18 a. Piankoff, the shrines of thut-ankh-amon, harper torchbooks, new York 1962, s. 93–131. – e. hornung, altägyptische Jenseitsbücher, darmstadt 1997, s. 76–70. 19 e. hornung, die unterweltsbücher der Ägypter, Zürich/münchen 1992, s. 309– 424. 20 r. s. bianchi, new light on the aten, in: göttinger miszellen 114 (1990), s. 35– 41 (Fig. 1). – auch abgebildet in: a. grimm/h. a. schlögl, das thebanische grab nr. 136 und der beginn der amarnazeit, Wiesbaden 2005, taf. Xi. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der skarabäus ist intakt. die Oberseite ist gut ausgeführt und der Käfer ist längs durchbohrt. auf der unterseite erscheint sorgfältig eingraviert: Wsr-xpr(w)-Ra stp-n-Ra, wie häufig ohne Pluralstriche bei dem Wort xpr geschrieben.21 13. sKarabÄus mit dem gOttes-namen amun (abb. 26 und 27) l. 1,4 cm; b. 0,9 cm. Weißer steatit. der gut gearbeitete Käfer ist intakt. die Oberseite ist ansprechend ausgeführt, der skarabäus ist läng durchbohrt. die Zeichenfolge auf der unterseite lautet: uräus – maatfeder – nefer und ein neb-Korb als unterer abschluss: daraus ergibt sich das amun-trigramm. ein solcher skarabäus wie der hier vorliegende hat einst als matrize für einen Fayence-skarabäus gedient, der in skarabäen basel veröffentlicht ist. bei jenem exemplar sind die Zeichen spiegelverkehrt wiedergegeben22 und eine oben vermutete sonnenscheibe ist nicht vorhanden. 14. sKarabÄus mit den ZWei PaVianen des chOns (abb. 28 und 29) l. 1,8 cm; b. 1,1 cm. steatit mit resten einer gelb-braunen glasur. der Käfer ist vorzüglich ausgeführt und sehr gut erhalten. er weist eine längs durch den Körper geführte durchbohrung auf. der Oberkörper des skarabäus zeigt den Prothorax deutlich hervorgehoben, Kopf und clypeus sind fein herausgearbeitet. die unterseite der basis trägt drei register in bild und schrift. Zuoberst steht der Königstitel: binse und biene. im zweiten register sitzen zwei Pa-

21 newberry, scarabs, taf. XXXVi, 6. – matouk, corpus du scarabée, s. 218, 697– 700. – skarabäen basel, s. 274, 412–415. 22 skarabäen basel, s. 402, mV 41. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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viane links und rechts um ein Hz-Zeichen angeordnet.23 den unteren abschluß bildet ein neb-Zeichen. Wir lesen die drei Zeilen wie folgt: nsw-bjtj der König von Ober- und unterägypten gepriesen (Hzj) von 2nsw pA-wnnx(n)w (chons, der die Kindheit zugänglich macht) und 2nsw pA-jr-sxr.w (chons der ratgeber). diese volkstümlichen götter treten seit der 21. dynastie mit Orakeldekreten hervor und bestimmen das buch (mDAt) des lebens und des todes.24 15. sKarabÄus mit einer gÖtterdreiheit (abb. 30 und 31) l. 2,0 cm; b. 1,3 cm. hellbrauner steatit. der gut gearbeitete skarabäus ist intakt. die Oberseite kennzeichnet den stilisierten Körper des Käfers anschaulich. eine übliche längsdurchbohrung ist vorhanden. auf der unterseite stehen neben einander drei götter auf einer standfläche und halten sich an den händen. der gott in der mitte trägt eine doppelfederbekrönung. der vorspringende rüssel kennzeichnet ihn deutlich als gott seth. die beiden anderen götter sind falkenköpfig und durch die über ihnen angebrachten Zeichen mit der sonne und mit dem mond verbunden und damit als horus und chons charakterisiert.25 16. sKarabÄus mit einem religiÖsen sinnsPruch (abb. 32 und 33) l. 1,8 cm; b. 1,2 cm. steatit mit spuren einer blauen glasur. 23 ein skarabäus mit der gleichen bild-gruppe: skarabäen basel, s. 337, nr. 740 wird dort kryptographisch gelesen, was sich hier nicht anbietet. – an dieser stelle muss man doch an die beiden Paviangestalten der chons-gottheiten denken: h. brunner, in: lexikon der Ägyptologie i, sp. 960–963, stichwort «chons». – r. hannig, die sprache der Pharaonen, grosses handwörterbuch Ägyptisch-deutsch, mainz 1995, s. 1232. 24 i. e. s. edwards, hieratic Papyri in the british museum, 4. series: Oracular amuletic decrees of the late new Kingdom, london 1960, s. 123. 25 Parallelen: skarabäen basel, s. 320, 65. – J. Śliwa, skarabeusze egipskie, Krakau 1995, s. 76, a. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der gut gearbeitete skarabäus ist intakt. die Oberseite verzichtet auf eine darstellung der elytra und des Prothorax, sondern ist ganz glatt und unstrukturiert gestaltet. der Käfer ist längs durchbohrt. die unterseite trägt eine sorgfältig ausgeführte inschrift, die zu lesen ist: mrj Jmn-Ra mrj.sw = amun-re liebt den, der ihn liebt.26 die kryptographische schreibung des gottesnamens amun-re ist dadurch entstanden, dass man das «boot» mit sonnenscheibe als jm(w) n Ra lesen konnte und den schwachen Konsonanten «w» dann unterdrückte.27 17. sKarabÄus mit PalmriPPe und maat-Feder (abb. 34 und 35) l. 1,5 cm; b. 0,9 cm. blaugrüne Fayence. Kleinere absplitterungen finden sich auf der linken seite der basisplatte, sonst ist der Käfer intakt. der rücken des längs durchbohrten skarabäus bildet elytra, Prothorax, caput und clypeus ab. auf der unterseite ist in einem Oval eine Palmrippe (rnp) und eine maatFeder (mAat) eingeritzt. die aufschrift kann wohl gelesen werden: rnpj.j mAatj = ich bin verjüngt, ein gerechtfertigter. eine Parallele zu diesem skarabäus ist bisher nicht bekannt. 18. sKarabÄus mit einem KinderWunsch (abb. 36 und 37) l. 1,9 cm; b. 1,4 cm. steatit, mit spuren einer gelben glasur. der gut geschnittene skarabäus zeigt einige abschürfungen an der stilisierten Oberseite und dazu zwei kleine absplitterungen jeweils an der längsdurchbohrung des Käfers.

26 Vergleichstücke: skarabäen basel, s. 335, 728. – d. ben-tor, the scarab. a reflection of ancient egypt, israel museum, Jerusalem 1993, s. 71, nr. 1 und 2. 27 skarabäen basel, s. 174. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hermann a. schlögl regine buxtorf

amulettskarabäen mit aufschriften aus der sammlung des Ägyptologen hanns stock

auf der unterseite sind sechs hieroglyphenzeichen eingraviert, die einen Wunsch formulieren. der text lautet: mn rn.k xpr msw.k (lies hier statt nb > k) = dein name möge dauern, Kinder sollen dir werden.28 19. sKarabÄus mit einer aussage FÜr ein glÜcKliches leben (abb. 38 und 39) l. 1,4 cm; b. 1,2 cm. heller steatit. der sorgfältig gearbeitete Käfer ist intakt. die Oberseite unterscheidet zwischen elytra und Prothorax und der skarabäus ist längs durchbohrt. auf der unterseite ist eine hieroglypheninschrift mit sechs Zeichen eingraviert: Über einem liegenden sphinx (steht für nb= herr) befindet sich ein Hz-Zeichen. darunter folgt die Zeichengruppe anx Ddt und wAs. Zu jedem dieser begriffe tritt das adjektiv nb hinzu. die aufschrift lautet: Jedes leben, jede dauer, jedes glück, für den, den mein herr lobt (Hzj nb.j).29

28 newberry, scarabs, taf. XXXiX, 7. – skarabäen basel, s. 332, 715/371, a 7/402, mV 40. – Jaeger, essai de classification, s. 64 § 261. 29 skarabäen basel, s. 337, 738/739. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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marie Janssen «Wind», majolika-Figur 1914, sammlung J. Vollmann, münchen (Foto und copyright: stefanie Friedrich)

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«Wind» Harald schulze, münchen

eine expressionistische majolika-figur von marie Hermine Janssen

alfred grimms interessen gehen bekanntlich weit über Ägyptologie und archäologie hinaus. man kann ihn regelmäßig in ausstellungen und Vernissagen treffen, in denen Kunst der moderne gezeigt wird. aus gesprächen mit ihm weiß ich, wie sehr er sich insbesondere mit der münchner Kunstwelt auskennt. daher erlaube ich mir, ihm einen kleinen beitrag zu einer bisher unbekannten majolika-Figur des frühen expressionismus zu widmen, die 1914 in solln bei münchen entstanden ist (abb. 1, taf. 10). als das münchner stadtmuseum im Jahr 2014 die eindrucksvolle ausstellung «ab nach münchen! Künstlerinnen um 1900» zeigte, da vermisste man im reigen der dort vorgestellten Künstlerinnen die bildhauerin, Keramikerin, Puppenspielerin und bühnenbildnerin marie hermine Janssen. grund war nach auskunft der Kuratorin antonia Voit das Fehlen verfügbarer exponate. nun ist in einer münchner Privatsammlung eine Keramik aufgetaucht, die dem Œuvre der Künstlerin zugeschrieben werden kann. marie hermine Janssen, geboren am 30. Januar 1876 in Paris, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Paris, berlin und italien. nach ausbildung an der Künstlerinnen-akademie in münchen-solln bei angelo Jank gründete sie 1914 gemeinsam mit ihren schwestern magdalena und sofia die «sollner Puppenspiele», für die sie Figuren und dekorationen entwarf. Für geladene gäste wurden dort auch stücke zeitgenössischer dichter wie ricarda huch oder Wilhelm von scholz aufgeführt1. 1920 übernahm sie die künstlerische leitung der «münchner majolika-Werkstätten», die seit 1921 in herrsching

1 Vgl. W. Kohlschmidt/W. mohr (hrsg.), reallexikon der deutschen literaturgeschichte bd. 1 (neuauflage berlin/new York 2001), s. 309 s. v. Puppentheater (e. stadler), dort fälschlich als datum 1924 angegeben. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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am ammersee, seit 1923 in mering bei augsburg ansässig waren. marie Janssen starb 1969 in herrsching2. die in der sammlung dr. Julian Vollmann befindliche Keramik zeigt eine ausdrucksstarke kauernde Figur mit vorgestrecktem Kopf, gelängten gliedmaßen und einem geblähten umhang. der schmale Kopf ist weit vorgestreckt mit markanter nase und Kinn. der lange hals geht über in einen hageren, eindeutig männlichen brustkorb. bei einer höhe von 16 Zentimeter hat die Figur eine länge von 19,5 Zentimeter und eine maximale breite von 18 Zentimeter. die maße zeigen das ausgreifen der Figur in den raum – nicht nur in die länge, sondern auch in die breite. der rotbraune scherben ist mit türkisgrüner glasur überzogen. die glasur weist eine raue Oberfläche und einen deutlichen Krakelee-effekt auf. ein bruch am hals ist fachmännisch restauriert. auf der innenseite des sockels findet sich ein dreieckiger stempel. ein vergilbter sammlungsaufkleber auf der hinteren seite des sockels vermerkt handschriftlich: «marie Janssen, herrsching a. a., † 1969, Figur von 1914». die Keramik ordnet sich ein in die expressionistische strömung in deutschland unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg. Vergleichsbeispiele im keramischen bereich sind rar. sie steht in der tradition von skulpturen wie den bronzen «teufel» (um 1905) und «engel» (1910) von thomas theodor heine3. Ähnlich bewegt erscheint die im gleichen Jahr 1914 entstandene bronze «der rächer» von ernst barlach4. der sammlungsaufkleber nennt keinen titel für das Werk. mein erster gedanke war: die außerordentlich expressive gestalt mit dem vom Kopf ausgehenden wehenden umhang muss allegorisch gedeutet werden. die ge2 der nachlass von marie Janssen wird in der münchner stadtbibliothek/monacensia verwahrt; weitere unterlagen zum Werk von marie Janssen befinden sich im münchner stadtmuseum (abteilung Puppentheater/schaustellerei). 3 Vgl. zu heines Plastiken teufel und engel die Publikation von th. raff/h. Friedel (hrsg.), thomas theodor heine, der biss des simplicissimus. das künstlerische Werk, bd. 1, münchen 2000, s. 102/103 mit abb. 286. 4 Vgl. etwa den Katalog «1914. die avantgarden im Kampf», bonn 2014, 346 abb. s. 61. die wilde bewegtheit der Figur symbolisiert ihr Voranstürmen. in seinem «güstrower tagebuch» notiert barlach am 5. september 1914 über seine arbeit an der Figur, die er zunächst «der berserker» nannte: «der berserker ist mir der christalisirte Krieg, der sturm über alles hindernis…». © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

eine expressionistische majolika-Figur von marie hermine Janssen

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marie Janssen «entwurf zu einer majolika Figur» (Foto und copyright: münchner stadtmuseum, sammlung Puppentheater/schaustellerei)

duckte haltung und das wilde Flattern des mantels erzeugten bei mir zwei assoziationen: «Welle» und «sturm». die lösung brachten skizzen von marie Janssen im archiv des münchner stadtmuseums. sie zeigen Figurenentwürfe für ein im Jahr 1914 von der sollner Puppenspieltruppe aufgeführtes stück mit dem titel «ruhlas der träumer und die helleseuse». in diesem märchenspiel kamen mehrere «Winde» und «nebel» vor, die wie die übrigen Figuren von marie Janssen entworfen und gestaltet wurden. neben anderen expressionistischen Figurenskizzen Janssens findet sich auch eine skizze mit dem rückseitigen Vermerk «entwurf zu einer majolika Figur»5 5 ich danke antonia Voit und manfred Wegner vom münchner stadtmuseum für ihre hilfe bei der recherche und für die bereitstellung der skizzen aus dem archiv des münchner stadtmuseums, sammlung Puppentheater/schaustellerei. Wolfgang mecklenburg von der autographenhandlung stargardt in berlin danke ich für hilfe bei der transkription sowie für den hinweis, dass die beschriftung der skizzen offensichtlich nachträglich von marie Janssen durchgeführt wurde, da hierfür ein erst nach dem 2. Weltkrieg üblicher Kugelschreiber Verwendung fand. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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(abb. 2). die in brauntönen gehaltene skizze zeigt auf einem sockel eine kniende gestalt mit weit nach vorne gestrecktem Kopf, deren gewand heftig im Wind flattert. arme und gesicht sind auf grünem Farbton weiß gehöht; die Figur macht eher einen weiblichen als einen männlichen eindruck. im rahmen des angeführten Puppenspiels von 1914 kann es sich nur um einen der erwähnten «Winde» handeln6. trotz anderer Farbgebung sowie abweichender details in der armhaltung der Figur und gestaltung des sockels sind die grundsätzlichen typologischen Übereinstimmungen so groß, dass man die majolika-Figur mit diesem entwurf verbinden kann – nicht als direktes Vorbild, sondern wohl als gegenstück. es handelt sich also auch bei dieser keramischen umsetzung um eine Windpersonifikation. dazu passt neben der hingeduckten haltung mit dem vorgestreckten Kopf und dem flatternden gewand auch sehr gut die türkisblaue glasur, die das Ätherische einer solchen gestalt unterstreicht. mit der hier bekanntgemachten majolika-Figur ist hoffentlich ein schritt gemacht, um das Werk der vielseitigen Künstlerin marie hermine Janssen weiter zu erschließen.

6 Zwei weitere skizzen mit den Vermerken «entwurf zu einer keramischen Figur» sind als gegenstücke gearbeitet und zeigen eine Frau und einen mann mit windbewegten haaren und gewändern, die Frau mit entblößter brust. eine andere skizze zeigt eine stehende Figur, deren gewänder um sie herum in die höhe aufsteigen, vermutlich eine Personifikation des «nebels». schließlich gibt es noch eine art narrenfigur. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ahnen des hauses Wittelsbach: Otharius, tassilo iii., ludwig der Fromme, Karlmann, arnolf, Otto von ungarn, Otto d. gr. Fragment des Wandgemäldezyklus im alten hof, um 1465, münchen (heute fälschlich links montiert), © bayerisches nationalmuseum, Foto: matthias Weniger

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ahnen des hauses Wittelsbach: theodo, arnulf von metz, angisus, Pippin, Karl d. gr., Karl martell, Karlmann. Fragment des Wandgemäldezyklus im alten hof, um 1465, münchen (heute fälschlich rechts montiert), © bayerisches nationalmuseum, Foto: matthias Weniger

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die stammreihen der Wittelsbacher matthias Weniger · münchen

kunst und propaganda im dienst der bayerischen teilherzogtümer*

seit 2013 betreut alfred grimm den bereich Provenienzforschung am bayerischen nationalmuseum, einem der größten kunst- und kulturgeschichtlichen museen der Welt. die sammlungen sind so umfangreich und zudem so schwer zählbar – wie geht man mit Konvoluten um, von Porzellanservicen bis zu sammlungen von andachtsbildern? –, dass nicht einmal die gesamtzahl der stücke präzise zu benennen ist; sie dürfte aber an eine halbe million heranreichen. die digitale inventarisierung erschließt über 200.000 arbeiten. einige grenzbereiche sind bis heute nicht klar erfasst, etwa auf dem Feld der graphischen sammlungen. hier wurde vor dem letzten Krieg eine frühere inventarisierung im Zuge von teilabgaben an andere institutionen aufgelöst. selbst das zugehörige Verzeichnis ist verschollen. allgemein kaufte das museum im 19. Jahrhundert ganz überwiegend nicht vor Ort, sondern im lokalen handel. Fragen der herkunft spielten zunächst kaum eine rolle. Für einige Jahre existieren überhaupt keine Provenienzunterlagen. selbst in Fällen, in denen erwerbungsumstände sehr genau bekannt sind, lassen diese sich sehr häufig nicht mehr konkreten Objekten * der vorliegende text baut auf einem aufsatz auf, den der Verfasser 2012 für ein von hartmut bock und bertold von haller geplantes sonderheft der «altnürnberger landschaft» zu den 300 bebilderten geschlechterbüchern verfasst hat. die drucklegung dieses bandes musste damals leider aus Krankheitsgründen zurückgestellt werden. er ließ sich bis heute nicht realisieren, weshalb der aufsatz nun in absprache mit den genannten, denen an dieser stelle herzlich gedankt sei, für diesen damals noch nicht absehbaren Zweck – alfred grimm kam erst 2014 an das bayerische nationalmuseum – umgewidmet wurde. aufgrund äußerer beschränkungen und drängendster anderer aufgaben musste der kritische apparat recht knapp ausfallen. ich hoffe, dass die seinerzeit gemachten beobachtungen dennoch die Veröffentlichung in der vorliegenden Form rechtfertigen. neben hartmut bock und bertold von haller gilt ein besonderer dank für ihre unterstützung bei den recherchen der bayerischen staatsbibliothek, namentlich claudia Fabian, sowie erwin Pokorny, Peter schmidt und antje thumser. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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zuordnen, da es in der Vergangenheit keine lückenlose dokumentation gab. Zudem tragen viele Objekte überhaupt keine nummern, die eine identifikation ermöglichten, oder diese stammen aus weit späterer Zeit. Vor dem 1869 abgeschlossenen messmer-inventar hat gar keine übergreifende erfassung existiert. diese ausgangslage macht die Forschung nach der Vorgeschichte der frühen erwerbungen des museums noch weit schwieriger als bei den Kunstwerken, die erst nach 1933 in das haus gekommen sind und mit denen sich der geehrte in den letzten Jahren zwangsläufig vorrangig befassen musste. bei der mehrzahl der frühen erwerbungen wird sich der ursprung der Objekte gar nicht mehr ermitteln lassen. der autor dieser Zeilen hat diese Problematik am Fallbeispiel der sammlung reider in zwei umfangreichen Publikationen ausführlich dargestellt. es handelt sich um einen der wichtigsten bestände, der je in das haus gekommen ist – und dennoch lässt sich von den 1860 erworbenen Objekten heute nur gut ein Zehntel nachweisen. im Zentrum des vorliegenden textes soll es hingegen um ein Werk gehen, dessen Provenienz bekannt und besonders prominent ist – und das dennoch kaum im allgemeinen bewusstsein ist, obwohl es seit der eröffnung des heutigen museumsgebäudes an der Prinzregentenstraße im Jahr 1900 immer öffentlich zugänglich war (abb. 1a und b, taf. 11). es handelt sich um die Überreste eines ursprünglich 61 Figuren umfassenden Frieses mit den ahnen des hauses Wittelsbach, der im 15. Jahrhundert auf eine Wand im Obergeschoss des südflügels des alten hofes gemalt worden war, der ältesten, unter Kaiser ludwig dem bayer im 14. Jahrhundert stark erweiterten residenz der münchener herzöge. bis 1893 befanden sich die erhaltenen Partien an einem gang «in dem der k. generaldirektion der Zölle und indirekten steuern zugewiesenen theile des gebäudes [...] – aufgang im ecke links von der burggasse her.» die mangelnde beachtung hat mehrere ursachen, deren nicht geringste sicher der stark reduzierte Zustand ist. schon als der – teils durch schornsteine verbaute – Fries 1850 bei umbauarbeiten hinter der neueren Wand des äußeren Korridors entdeckt worden war, befand er sich in einem «höchst © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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kläglichen Verstümmelungszustande», so dass zunächst selbst die «lebensfrage [...] noch nicht entschieden» war, d. h. die Frage, ob das Fragment «künstlerisch restaurirt» oder «aus dem dasein gestrichen, d. h. mit Kalk überstrichen werden sollte». so erzählte es 1852 heinrich conrad Föringer, der als erster über den Fund berichtete – und seinerzeit erst in einer nachschrift vom 14. Februar 1852 anmerken konnte, soeben erreiche ihn «die erfreuliche Kunde», dass «die hier oben ausgesprochene hoffnung keine vergebliche war, indem se. majestät der König zur Wiederherstellung der fraglichen gemälde die summe von 600 fl. allergnädigst zu bewilligen geruhten».1 die abnahme des Fragments durch den «chemischen techniker» adolf Wilhelm Keim im Jahr 1893 fand dann unter keinen sonderlich günstigen Vorzeichen statt. die malereien standen bei umbaumaßnahmen im gebäude im Wege, und die abnahme hatte unter entsprechendem Zeitdruck zu erfolgen. so wurde Keim am 6. märz 1893 vom Königlichen landbauamt «um gütige Veranlassung thunlichster beschleunigung der arbeiten zur abnahme des Freskobildes» gebeten, «da die großen in aussicht stehenden bauarbeiten in dem fraglichen trakte des alten hofes schon mit mitte dieses monats beginnen sollen und mit größter beschleunigung durchgeführt werden müssen».2 bei der abnahme ergaben sich dann «wegen der Festigkeit u. unregelmäßigkeit des alten mauerwerks ungeahnte schwierigkeiten» (brief des museums vom 29. april 1893). in den Folgemonaten wurde Keim massiv gedrängt, die arbeiten an den Wandmalereien abzuschließen, da diese keinesfalls «im jetzigen Zustand überwintern» sollten (so in einem brief vom 6. Juni 1 heinrich c[onrad] Föringer, bericht über die im alten hofe zu münchen aufgefundenen Wandgemälde, in: Oberbayerisches archiv für vaterländische geschichte 12 (1851/52), s. 266–296, hier s. 282. der text erschien münchen 1852 auch als separatum. Zum datum der entdeckung: lt. ebd., s. 267 wurde am 5. august des Vorjahres mit dem mauerdurchbruch begonnen. dies könnte einen arbeitsbeginn 1851 suggerieren, doch hat Föringer nach eigenen aussagen (ebd., s. 266, anm. 1) bereits am 1. Oktober 1850 in einer Versammlung des historischen Vereins von Oberbayern über den Fund berichtet. 2 die Zitate hier und im Folgenden nach bnm, dokumentation, erwerbungsakten er1436. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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1893). Konkret ist dabei von einer «ablösung» (u. a. am 24. Juli 1893) die rede, was nur die trennung der gemälde von den mitentfernten Wandschichten meinen kann, da mit dem 7. april 1893 bereits beide abgenommenen teile des Wandbildes in das bayerische nationalmuseum verbracht worden waren. nach vielem hin und her begann Keim am 4. Juni 1894 «mit der Fortsetzung der arbeiten zur Vollendung des Freskobildes», die dann offenbar innerhalb weniger tage erledigt war. Zu einem nicht sicher zu benennenden Zeitpunkt vor 1898 wurde den zunächst nur 13 Figuren links eine weitere, später erst später und in stark reduziertem Zustand aufgefundene Figur hinzugefügt. Ob die Wandgemälde im alten nationalmuseum an der maximilianstraße überhaupt noch dem Publikum präsentiert wurden, erscheint sehr zweifelhaft. im Oktober und november 1898 war Franz haggenmiller im museumsneubau an der Prinzregentenstraße, der dann im Jahr 1900 eröffnet wurde, drei Wochen lang mit der «restaurierung u. ergänzung» der gemälde befasst. sie wurden an der nordwand von saal 14 eingesetzt, einem raum, der bis heute den charakter eines gedenkraumes des hauses Wittelsbach trägt und damit an die ersten intentionen bei der gründung des museums 1853/55 erinnert. eine inventarisierung erfolgte ebenfalls erst jetzt; die beiden jeweils sieben Figuren umfassenden Fragmente erhielten die hohe nr. ma 4252, die nicht mehr in den im alten museum saalweise vergebenen nummernbereich gehört. bei Wandgemälden stellen sich allgemein andere erhaltungsprobleme als bei tafelgemälden, die ablösung vom alten träger bringt weitere massive belastungen mit sich. nimmt man hinzu, was die nachrichten von 1893/94 und 1898 über die seinerzeit vorgenommenen eingriffe erahnen lassen, wird es kaum verwundern, wie stark der ausgestellte bestand durch massive Überarbeitungen und ergänzungen gezeichnet ist. hinzu kommt noch, dass man die beiden Fragmente 1898 in der falschen reihenfolge montierte. Von der abfolge der ahnenreihe her hätte das rechte teilstück eigentlich links angebracht werden müssen. selbst in diesem reduzierten bestand bleiben die Wandgemälde aber ein bedeutendes Zeugnis der bildpolitik des mün© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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chener herzogshauses, das sich zudem durch weitere überlieferte Werke in einen größeren Kontext einordnen lässt. in ihr umfeld gehört eine «baierische chronik», die der in landshut geborene und ausgebildete, aber seit der Zeit um 1460 in münchen nachweisbare maler und dichter ulrich Füetrer in den Jahren zwischen 1478 und 1481 im auftrag herzog albrechts iV. niederschrieb. gestützt auf ältere aufzeichnungen von teils bereits ähnlicher intention konstruierte Füetrer eine fiktive ahnenreihe der bayerischen herzöge, die bis ins Jahr 60 vor christus zurückreicht und mit der landshuter hochzeit von 1475 endet. hintergrund waren die politischen ambitionen der herzöge von Oberbayern und niederbayern, deren länder gegen ausgang des 15. Jahrhunderts einen besonderen aufschwung erlebten. allen voran sind die beiden metropolen münchen und landshut bis heute entscheidend von der bautätigkeit jener Jahre geprägt. 1475 hatte der vorletzte landshuter herzog, georg (1455– 1503), nicht umsonst als der reiche bekannt, sich mit beispiellosem Prunk mit einer tochter des Königs von Polen und enkelin des römisch-deutschen Königs albrechts ii. vermählt. sein münchener Verwandter, herzog albrecht iV. (1447– 1508), heiratete zwölf Jahre später eine tochter Kaisers Friedrichs iii., Kunigunde. auch in anderer hinsicht machte albrecht iV. deutlich, dass er die Kaiserwürde für die Wittelsbacher selbst zurückgewinnen wollte. dabei berief er sich stets auf ludwig iV., den bayern (1281/82–1347), den einzigen Vertreter des hauses, dem dieses amt bislang zuteilgeworden war. erst der landshuter erbfolgekrieg von 1504/05 setzte jener glanzepoche ein vorläufiges ende. er brachte nicht nur hohe Verluste an menschen, material und gebieten (zugunsten Österreichs) mit sich, sondern auch das ende der landshuter herzogslinie und einer weitgehend eigenständigen herrschaft in niederbayern. als erste bayerische herzöge nannte Füetrer den kinderlosen norix und, als eigentlichen stammvater, den aus armenien zugewanderten bavarus. Vorgeprägt war diese lesart durch die zwischen 1425 und 1428 von andreas von regensburg für ludwig den bärtigen von bayern-ingolstadt, eine weitere besonders herausragende herrscherpersönlichkeit des hauses Wittelsbach, erarbeitete älteste chronik dieser art. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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mit der aussöhnung von bavarus und norix beginnt für andreas von regensburg und Füetrer die bayerische geschichte. ebenfalls wie andreas von regensburg und, schon in der ersten hälfte des 13. Jahrhunderts, die scheyerner stammtafeln3 leitet Füetrer die Wittelsbacher und deren stammvater Otto von Wittelsbach über Kaiser arnulf bis zu Karl dem großen zurück. entsprechend treten in seiner stammreihe neben allerlei mythischen Figuren als beleg für den rang der Familie Karl martell, Pippin der Kurze, Karl der große und Karlmann, aber auch die großen ottonischen und salischen Kaiser auf. Füetrer stand mit seinen interessen nicht allein da. im auftrag herzog georgs des reichen verfasste der niederaltaicher benediktiner georg hauer 1478/79 seine Gesta illustrium ducum Bavariae, in denen die geschichte der Wittelsbacher ebenfalls bis auf Karl den großen zurückgeführt wird. Wiederum nahezu zeitgleich mit Füetrer erstellte der gleichfalls in diensten der niederbayerischen herzöge stehende hans ebran von Wildenberg seine chronik von den Fürsten aus bayern, in der er sogar bis zu noah zurückgreift. ein weiteres mal erscheint Karl der große als stammvater des aktuellen Fürstenhauses. bis 1493 und damit nur wenig später entstanden die chroniken des Veit arnpeck, die in ihrer deutlich gründlicheren quellenauswertung auf die eine generation später, 1526–1533, entstandene Bairische Chronik des Johannes aventin vorausweisen. in seinen glossen zu einer handschrift der Füetrerchronik hatte aventin nur spott für seinen Vorgänger übrig, tat die geschichte von bavarus und norix als «lautter merl» ab. die herleitung der Wittelsbacher von den Karolingern behielt jedoch selbst er, wenngleich stärker differenzierend, bei. diese teils historischen, teils fiktiven stammreihen der bayerischen herzöge fanden im 15. Jahrhundert, wie das beispiel aus dem alten hof lehrt, auch bildlichen niederschlag. die ahnen bleiben dabei durchweg auf die männlichen Vertreter beschränkt. neben deren Wappen werden allerdings immerhin ergänzend auch die der bzw. einer jeweiligen gemahlin gezeigt. 3 Vgl. Ferdinand Kramer, geschichtsschreibung zwischen rückbesinnung auf hirsauer tradition und adeligem machtanspruch. eine quellenkritische studie zur scheyerner chronik, in: Zeitschrift für bayerische landesgeschichte 57 (1994), s. 351–381. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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beigegeben sind meist kurze erklärende texte, in der regel in reimform. häufig sind diese Zyklen nur in jüngeren Kopien greifbar – eine Parallele zu den chroniken des 15. Jahrhunderts, die allesamt ungedruckt blieben und jeweils in verschiedenen abschriften überliefert sind. ebenfalls wie bei den handschriften warten spätere redaktionen mit Zusätzen und aktualisierungen auf. Zugleich lassen sich bei den illustrierten Zyklen, wiederum analog zu den chroniken, sowohl bei den bildern wie bei den beischriften unterschiedliche Überlieferungen nachweisen, die keinesfalls auf ein einziges urbild zurückgehen müssen. bei den erhaltenen Zeugnissen handelt es sich neben den Überresten der ahnenfolge aus dem alten hof um eine reihe von handschriften mit aquarellierten Zeichnungen. die komplette Folge der ahnen ist in einem fast vier meter langen rotulus in der Pariser nationalbibliothek überliefert.4 er wird oft noch in das 15. Jahrhundert datiert,5 stammt aber wohl erst aus der Folgezeit. das Fragment aus dem alten hof zeigt hingegen nur die stammväter 10–23 der einst aus 62 Figuren bestehenden reihe, von theodo ‹dem Frommen› bis zu Otto dem großen, steht also etwa für das zweite Viertel des Zyklus. abgedeckt ist damit im Wesentlichen die Familie Karls des großen. einzelne Figuren sind um mehr als die hälfte, die texte teilweise komplett modern ergänzt. dabei konnte man sich an dem rotulus und anderen Kopien orientieren, von denen drei, die handschriften mit der signatur cgm 1602, cgm 1605 und cgm 2822 der bayerischen staatsbibliothek, ebenso wie der rotulus schon heinrich conrad Föringer bekannt waren, der nach der Wiederentdeckung von 1850 als erster über das Wandgemälde berichtete.6 4 suzanne bäumler u. a. (hrsg.), Von Kaisers gnaden. 500 Jahre Fürstentum Pfalzneuburg, Katalog zur bayerischen landesausstellung 2005, neuburg an der donau, 3. Juni bis 16. Oktober 2005, regensburg 2005, s. 56–59, Kat.-nr. 2.33 (suzanne bäumler). 5 so bei suzanne bäumler, in: Von Kaisers gnaden, s. 57, auf um 1470/80. bei Peter schmidt, lücken in einer bayerischen geschichte... und die bildkultur am münchner hof im späten 15. Jahrhundert, in: akademie aktuell 2/2010, s. 15–19, hier s. 18, jetzt als Werk des 16. Jahrhunderts. 6 Föringer, bericht; siehe dort s. 266, anm. 1 sowie 270, anm. 5, zu ersten einschlägigen Vorträgen und Zeitungsveröffentlichungen des autors. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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heute kennt man noch eine ganze reihe weiterer arbeiten auf Papier, in denen die Fürstenreihe des alten hofes überliefert wird. darunter seien genannt: •

eine leider nach einer Versteigerung 1935 in münchen7 aufgelöste handschrift mit einst 62 Fürsten auf 30 blättern, von denen derzeit nur sechs bekannt sind.8 die ausführung des offenbar aus dem besitz der Fürsten von Oettingen-Wallerstein stammenden Werkes dürfte dem rotulus zeitlich vorausgehen;



ein einzelblatt in der bayerischen staatsbibliothek, cgm 8533, mit einem vierfigurigen segment um ludwig den bayern, wohl Fragment einer ebenfalls recht frühen und getreuen Kopie des gesamten Zyklus;9



eine sehr sorgfältige Kopie wohl der ersten hälfte des 17. Jahrhunderts in der herzog-august-bibliothek Wolfenbüttel, cod. guelf. 150 extrav., auf die Peter schmidt aufmerksam gemacht hat und die inzwischen auch als digitale ressource verfügbar ist.10 in ihr ist die Wittelsbacher-Folge mit einer stammreihe der Welfen kombiniert. letztere steht in einer völlig anderen tradition und schließt, ebenso wie ahnenreihen des Pfälzer Zweigs der Wittelsbacher,11 auch die weiblichen Vertreter der Familie ein. ein exaktes gegenstück hierzu bildet die schon genannte und gleichfalls digital zu konsultierende handschrift cgm 2822, die 1647 als geschenk in die bayerische staatsbibliothek gelangte. die beiden bücher können nur in unmittelbarer abhängigkeit voneinander entstanden sein, wobei der handschrift

7 Karl & Faber, auktion 7.5. 1935, nr. 1. 8 drei in berlin, eines in linz, eines im museum boymans van beuningen und eines 2009 im londoner Kunsthandel; siehe den Kat.mus. berlin 1973, Vom späten mittelalter bis zu Jacques louis david. neuerworbene und neubestimmte Zeichnungen im berliner Kupferstichkabinett, berlin 1973, s. 12–15, nr. 11–13 (Fedja anzelewsky) sowie christie’s, london, south Kensington, 9 July 2009, Old master, 19th century and british drawings and Watercolours (sale 5979), nr. 582. 9 bäumler, Von Kaisers gnaden, s. 30/31f., Kat.-nr. 1.6 (suzanne bäumler). 10 http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=mss/150-extrav. schmidt, lücken, s. 19. 11 Vgl. hierzu jetzt max tewes, das haus bayern im späten mittelalter – bilder und dokumente, in: Kat.ausst. landshut 2014, Franz niehoff (hrsg.), das goldene Jahrhundert der reichen herzöge, ausstellung der museen der stadt landshut in der spitalkirche heiliggeist, 13.11.2014–1.3.2015, landshut 2014, s. 332–339, hier s. 334/335. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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in Wolfenbüttel die Priorität zu gebühren scheint.12 bei der ebenfalls schon erwähnten handschrift cgm 1602 der bayerischen staatsbibliothek handelt es sich um eine qualitätvolle, aber eine idee freiere Kopie, die 1629 für hans Kaspar schrenck von notzing angefertigt wurde.13 in die dritte zitierte handschrift derselben institution, cgm 1605, wohl ein Werk der zweiten hälfte des 17. Jahrhunderts, sind zu jeder großformatigen barocken Kopie zusätzlich frühere medaillons mit Zeichnungen eingeklebt, die das Wandgemälde in miniaturformat, aber sehr viel genauer wiedergeben.14 Ferner kennt man heute: •

eine reihe aquarellierter Zeichnungen des 18. Jahrhunderts, die 1962 vom stadtarchiv ingolstadt erworben wurden. Zu ihnen hat sich eine wertvolle Kaufnotiz von 1737 erhalten, die zugleich den einzigen bekannten älteren hinweis auf den ursprünglichen anbringungsort der überlieferten darstellungen gibt: «videntur in muro picto aulae Veteris bey der lechen stuben» (gemeint vielleicht: zum lechel/lehel hin, also nach Osten?);15



sowie eine recht derbe Kopie, die einem auch digital verfügbaren hofkleiderbuch der herzöge Wilhelm iV. und albrecht V. angegliedert ist, cgm 1952 der bayerischen staatsbibliothek. im Katalog der ingolstädter ausstellung «bayern-ingolstadt – bayern-landshut» von 1992 sind drei seiten dieser handschrift mit falscher Zuordnung an cgm 2822 der bayerischen staatsbibliothek abgebildet.16

12 Wie angedeutet schon erwähnt bei Föringer (wie anm. 2, s. 273/274), der sie noch in den anfang des 16. Jahrhunderts datiert. 13 die Kopie wurde offenbar für schrenks eigenen bedarf angefertigt, siehe die unten zitierte einführende bemerkung auf folio 1v. 14 Föringer, bericht, s. 273 wollte sie sogar noch in das frühe 16. Jahrhundert datieren. drei seiten dieser handschrift sind abgebildet im Kat.ausst. ingolstadt 1992, bayern-ingolstadt, bayern-landshut, 1392–1506. glanz und elend einer teilung. ausstellung des stadtarchivs, der Wissenschaftlichen stadtbibliothek und des stadtmuseums ingolstadt, 20.9.–22.11.1992, ingolstadt 1992, s. 281/282. 15 bayern-ingolstadt, s. 269; zum Zyklus insgesamt siehe dort den nicht namentlich bezeichneten beitrag (von siegfried hofmann?) auf s. 261–288 mit umfangreichen angaben zu früherem schrifttum. 16 bayern-ingolstadt, s. 280/281. den ersten hinweis auf cgm 1952 verdanke ich antje thumser. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Peter schmidt spricht in einem kurzen aufsatz von 2010 sogar von «dutzenden» Kopien des 16. und 17. Jahrhunderts nach der Fürstenreihe im alten hof. sein urteil fällt im Kontext der recherchen für den von der bayerischen akademie der Wissenschaften edierten Katalog der deutschsprachigen illustrierten handschriften des mittelalters, der dieses material zukünftig in größtmöglicher Vollständigkeit erschließen soll. Von ihrer gesamten anlage her müssen nicht nur diese Kopien, sondern noch verschiedene weitere ähnlich aufgebaute handschriften mit bayerischen herzogsfolgen zusammenhängende reihen wie den Zyklus aus dem alten hof rezipieren. Keine der bekannten einschlägigen redaktionen scheint eigens für die Wiedergabe in buchformat entwickelt. deutlich ablesen lassen sich die intentionen der buchmaler lediglich auf dem rotulus. um den langen Figurenfries möglichst abwechslungsreich zu gestalten, waren im alten hof und auf den ähnlichen, nur aus Kopien erschließbaren arbeiten die herzöge mal in dialogisierenden Paaren, mal auch in dreieroder sogar noch größeren gruppen angeordnet. dazwischen sind von Zeit zu Zeit direkt en face gegebene gestalten, gelegentlich auch Fürsten im verlorenen Profil oder sogar reine rückenfiguren gestreut – eine behandlung, die namentlich negativ konnotierten Figuren zuteilwird, gleichzeitig aber zu einer optischen belebung der monotonen aufreihung führt. denselben Zweck erfüllen die oft sehr phantasievoll ausgestalteten moden. auf dem rotulus beobachtet man weitere gliedernde elemente, weshalb zu recht vorgeschlagen wurde, sich die Vorlage als einen über mehrere Wandflächen laufenden Fries vorzustellen.17 sehr deutlich macht der rotulus, wie sehr ludwig der bayer das Wandgemälde dominiert haben muss – auch im Vergleich zum weit weniger prominent in szene gesetzten Karl dem großen. als einziger ist ludwig thronend dargestellt, mehrere andere Fürsten sind ihm wie höflinge zugeordnet. diese sonderstellung dürfte auf seine bedeutung als bauherr am alten hof ebenso hinwiesen wie auch und vor allem auf seine legitimatorische Funktion für die aktuellen ambitionen der Wittelsbacher. eine besondere bedeutung kam Kaiser ludwig außerdem mit 17 Kat.ausst. ingolstadt 1992, s. 265. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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blick auf die zwei generationen später erfolgte Wittelsbachische landesteilung zu. entsprechend sind nicht weniger als sechs Positionen der Folge vom alten hof söhnen des Kaisers vorbehalten, immerhin ein Zehntel des gesamten Zyklus. eine vergleichbare hierarchisierung wie auf dem Wandgemälde war in den handschriften nicht möglich. deren blätter zeigen meist nur zwei ahnen, in einigen Fällen sogar nur eine Figur pro seite. eine doppelseite gibt entsprechend in der regel vier oder zwei Fürsten wieder, doch kennt man auch handschriften ohne doppelseitige illustrationen. in einem – wiederum auch digital verfügbaren – Oktavband der bayerischen staatsbibliothek (cgm 2824) stehen die Figuren und die Wappen auf dem recto den texten auf dem Verso gegenüber. dieselbe aufteilung charakterisierte die oben erwähnte, nach 1935 aufgelöste handschrift. ein Konvolut im geheimen hausarchiv in münchen schließlich, handschrift 367, war offensichtlich so konzipiert, dass die (meist, aber nicht immer: zwei) bilder mit den beitexten auf dem recto und die Wappen auf dem Verso einander gegenüberstanden. dass das Vorbild in einer anderen gattung zu suchen ist, wird hier schon dadurch deutlich, dass es bei der Übertragung der Verse von einer friesartigen darstellung in das buchformat gelegentlich zu unklarheiten in der Zuordnung kam. um formal zueinander gehörige gruppen nicht willkürlich auseinanderzureißen, kennen einige handschriften auch dreiergruppen von Fürsten. in einigen Fällen wurden seiten durch angefügte stücke sogar zu ausklapptafeln erweitert, die bis zu sieben Figuren aufnehmen konnten.18 erstaunlich selten wurde ein einmal gefundenes layout komplett kopiert. Vielmehr weichen handschriften, die eindeutig derselben Vorlage folgen, in der Verteilung der Figuren auf die einzelnen seiten regelmäßig voneinander ab. Wie schon angedeutet, sind nicht alle einschlägigen herzogsfolgen an dem Wandgemälde aus dem alten hof orientiert. so setzt sich das erwähnte Konvolut im geheimen hausarchiv in bild und Versen entschieden 18 cgm 1604, f. [84]; cgm 2799, nr. 175–182. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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von diesem Zyklus ab. derselben abweichenden tradition folgt eine handschrift im bayerischen nationalmuseum, signatur bibl. 5549 – dass zwischen beiden handschriften eine Verbindung besteht, wurde erstmals von harmut bock beobachtet.19 die stammreihen umfassen 78 bzw. 112 Personen, sind aber beide nicht vollständig. bei handschrift 367 sind einige seiten im inneren des bandes verloren gegangen,20 bei bibl. 5549 fehlen am anfang acht Figuren.21 die Verse und die anlage der bilder stimmen in beiden Werken im Kern überein. allerdings sind die darstellungen in dem umfangreicheren Zyklus stark vergröbert, so dass die ursprünglich intendierte art der bewegung sowie details der Kleidung gelegentlich nur noch an der Variante im hausarchiv ablesbar sind. im einzelfall beobachtet man eine seitenverkehrung.22 die Kolorierung weicht partiell ebenfalls ab, was teils aber auch Veränderungen der Pigmente geschuldet sein mag.23 die legenden sind im hausarchiv häufiger verkürzt, gelegentlich verderbt,24 ein text fehlt ganz.25 umgekehrt sind sie im bayerischen nationalmuseum um präzisierende angaben wie daten erweitert oder leicht variiert, in einzelfällen auch in der Zuordnung. die bildlichen darstellungen einer quarthandschrift der bayerischen staatsbibliothek, cgm 2799, die im netz als digitalisat des microfilms zugänglich gemacht ist, gehen offensichtlich auf dasselbe modell zurück. die 19 er wies mich als erster auf handschrift 367 hin, wofür ihm nochmals sehr herzlich gedankt sei. 20 so zeigen die Wappen auf der rückseite von bd. 21, dass hier eigentlich ein blatt mit unter anderem eckhart mit dem bundschuh zu erwarten wäre. es fehlt heute ebenso wie, neben noch einigen weiteren, die Figur Kaiser ludwigs des bayern; stattdessen folgen mit bl. 22 gleich dessen söhne; ein weiterer sohn auf bl. 23 ist in der modernen beschriftung des Konvoluts fälschlich auf Kaiser ludwig selbst bezogen worden. 21 daneben irritiert eine leere seite nach nr. 58, doch ist der Zyklus dort nicht nur nach der nummernfolge, sondern auch im Vergleich mit der unten genannten dresdener handschrift vollständig. 22 bl. 11, nr. 20, arnulf, bischof von metz, gegenüber bibl. 5549, nr. 20. 23 Vor allem tritt in der handschrift des geheimen hausarchivs ein grün an die stelle eines bestimmten brauntons. 24 Vgl. bl. 12, nr. 22, hartweig, gegen textende das sinnentstellende Fehlen des «nicht». 25 bl. 21, nr. 39, herzog arnulf der böse; parallel dazu fehlt in der darstellung auch der im text erwähnte drache. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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bewegungen und Körperwendungen sind aber teils modifiziert, vielleicht auf das layout des buches hin, wie man es auch sonst verschiedentlich beobachtet.26 Zugleich wurden die reihenfolge und die Zuordnung von text und bild gelegentlich verändert. auch bei den beischriften selbst beobachtet man eine weit höhere Variation. Von einer handschrift in der art von cgm 2799 wiederum erweist sich ein Zyklus als abhängig, der offenbar von einem laienillustrator, wohl einem mönch, im rahmen eines Kompendiums mit unterschiedlichen texten kopiert worden ist. die Übereinstimmungen erstrecken sich bis hin zu den beischriften. der anscheinend ursprünglich für Kloster tegernsee erstellte band befindet sich heute in der bayerischen staatsbibliothek (cgm 1606). eine weitere handschrift der bayerischen staatsbibliothek, cgm 1604, folgt ebenfalls im Wesentlichen dem aus den handschriften 367 und bibl. 5549 bekannten modell.27 in dieser mit cgm 2799 umfangreichsten, wie diese auf über 190 stammväter angelegten reihe hat man zusätzlich für einige herzöge aber auch den Zyklus im alten hof bzw. eine der daran orientierten Kopien benützt. gerade bei sorgfältigen Kopien fällt ein urteil über die genaue Zeitstellung oft schwer, zumal gelegentlich offenbar auch die schrift der Vorlagen nachgeahmt wurde. ein gutes beispiel liefert die handschrift im geheimen hausarchiv, die man aufgrund ihres ganzen charakters durchaus für ein Werk des 16. Jahrhunderts halten könnte, die aber ein Wasserzeichen aufweist, das offenbar auf eine deutlich spätere Zeit weist.28 andererseits zeigen die diversen späten Kopien, welche bedeutung man den illustrierten stammreihen noch bis an die schwelle zur aufklärung beimaß. den grad des reali26 so unter den Wiederholungen des Zyklus im alten hof in dem für hans Kaspar schrenck von notzing gefertigten Kodex, cgm 1602. 27 Von Kaisers gnaden, s. 71, Kat.-nr. 2.54 (suzanne bäumler). 28 ibs in Kartusche unter Krone, 7,2 x 5,5 cm. Peter schmidt teilte mir hierzu in einer mail vom 7.12.2012 mit: «nach den belegen in den Kultur- und Papierhistorischen sammlungen des deutschen schrift- und buchmuseums leipzig kann man folgendes sagen: die dort dokumentierten belege dieses typs sind alle zwischen 1741 und 1749 datiert. Wahrscheinlich stammt das Papier aus einer Papiermühle in ilsenburg (harz).» © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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tätscharakters, den man ihnen zubilligte, verdeutlicht die einführende bemerkung zur Kopie für hans Kaspar schrenck von notzing. dort heißt es: «Zu vnderthenigisten ehrn aller Fürssten aüß bayrn ec. so disß/landt vor. vnd nach christi gebürt biß aüf Jeczigen herczogn/maXimilianVm deß h: römischen reichs erwelten chür/fürsten. in aigner bersohn regiert haben. wie dieselben inn/iren claidungen vnd gestalt aigentlich contrafect gwest/hat diß buech. herr hannß casbar schrenckh von noczing/hechstgedachter churfrl. dhrl. bestelter haubtman vnd/castner zu aibling von ainem rechten alten vnnd/wahrhafften originali mit sonderm vleiß gancz/ziehrlich vor aügen stellen vnnd also naches/piern lassen. im Jar aintaüsent sechß/hündert neünvnndZwainczig.» eine handschrift in der sächsischen landesbibliothek dresden, mscr. dresd. P 47, stimmt mit den Konvoluten im geheimen hausarchiv und im bayerischen nationalmuseum in den texten weitgehend überein.29 bei den bildern gibt es jedoch nur vereinzelt anhaltspunkte, dass sie auf ähnliche Vorlagen zurückgehen. Zwar beobachtet man gelegentlich vergleichbare einzelmotive, doch lässt sich ein Zusammenhang nie tatsächlich belegen; zudem treten die verwandten einzelmotive nicht bei denselben Figuren auf. gerade besonders auffällige gestalten beider Zyklen finden jeweils kein gegenstück. das dresdener buch scheint ähnlich früh wie das nach 1935 aufgelöste Werk. Wie ursprünglich wohl auch in jenem ist in dresden – außer bei bavarus und norix – jedem herzog eine eigene seite zugewiesen, wobei sich in diesem Fall jeweils zwei darstellungen auf doppelseiten einander gegenüberstehen. gemein hat die dresdener handschrift mit dem nach 1935 aufgelösten buch ferner, dass jedem Fürsten über die Verse hinaus sein name noch einmal gesondert beigegeben ist – dort über, in dresden unter der jeweiligen darstellung. beachtung verdient, dass der dresdener Zyklus einer abschrift der chronik ulrich Füetrers vorangestellt ist. 29 digitale ressource unter http://www.slub-dresden.de/sammlungen/digitalesammlungen/werkansicht/cache.off?tx_dlf[id]=14388. in diesem Kontext bekannt gemacht durch schmidt, lücken, s. 17/18. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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auch die dresdener Figuren wurden in zumindest einer jüngeren handschrift wiederholt, dem oben genannten Oktavband der bayerischen staatsbibliothek, cgm 2824. in einer weiteren abschrift der chronik von Füetrer, diesmal in leipzig, sollten dreißig bilder direkt in den text integriert werden. sie wurden nie ausgeführt, die beigefügten Verse folgen aber dem schema in der dresdener handschrift sowie in den Konvoluten im geheimen hausarchiv und im bayerischen nationalmuseum – nicht hingegen jenem des Wandgemäldes aus dem alten hof.30 die stammreihen in dresden, im geheimen hausarchiv und im bayerischen nationalmuseum weichen nicht nur in der formalen umsetzung und in den texten vom Zyklus aus dem alten hof ab, auch die Figurenauswahl unterscheidet sich deutlich. Zwei drittel der in der dresdener handschrift wiedergegebenen 121 Fürsten fehlten im alten hof. umgekehrt ist annähernd ein Viertel der dort einst gezeigten stammherren in dresden nicht berücksichtigt. gemeinsam ist beiden Komplexen die Frühgeschichte mit bavarus und norix und dem folgenden halben dutzend der frühesten herzöge. eine weitere Parallele bildet die aufnahme Karls des großen, seiner Vorgänger Karl martell und Pippin sowie nicht zuletzt arnulfs von metz, dessen rolle als Vorfahr Karls des großen und damit der bayerischen Fürsten in den beischriften des alten hofes besonders betont wird, ferner die seines sohnes ludwigs des deutschen. ein entscheidendes bindeglied zur Familie der Wittelsbacher war nach Vorstellung der chronisten der in moosburg geborene Kaiser arnulf von Kärnten (um 850–899) – die beischriften im alten hof bezeichneten ihn als Pfalzgrafen bei rhein und herzog in bayern, jene in dresden als erbauer der burg von scheyern. gemeinsam ist beiden traditionen schließlich die darstellung des direkten stammvaters Otto von Wittelsbach sowie einiger die Phantasie besonders ansprechender gestalten wie arnolds des bösen und eckhards mit dem bundschuh,31 ferner 30 die handschrift kurz vorgestellt von schmidt, lücken, s. 15/16, mit einer abbildung. 31 siehe zu diesen bei ulrich Füetrer, ed. reinhold spiller, bayerische chronik, münchen 1909, s. 131/132 bzw. s. 133/134 u. ö. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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der starke akzent auf ludwig dem bayern sowie seinen unmittelbaren Vorgängern und nachfolgern. das Wandgemälde aus dem alten hof endete nach auskunft des rotulus mit einer ansicht des sehr jugendlich dargestellten herzogs sigismund. die beischrift beginnt mit den Worten «dis ist der gnedig herr hertzog sigmund», was, wie Föringer schon 1852 erkannte,32 zusätzlich dafür zu sprechen scheint, dass der Zyklus während seiner herrschaftszeit gemalt wurde. da herzog sigismund sich 1467 zugunsten seines bruders albrecht iV. von der macht zurückzog, wird der münchener Zyklus bereits seit Föringer zwischen dem tod herzogs Johanns iV. – der in der art der übrigen Fürsten der Vergangenheit dargestellt wird – am 18. november 1463 und dem beginn der kurzen gemeinsamen herrschaft von sigismund und albrecht am 10. september 1465,33 jedenfalls aber zwischen 1460 und 1467 datiert. das Fehlen albrechts iV., der es in der selbstinszenierung seiner macht zu besonderer meisterschaft brachte, deutet in der tat auf eine entstehung zumindest vor 1467. hinzugefügt wurde albrecht iV. hingegen in der nach 1935 zerteilten Kopie. die gezeigten moden und rüstungen könnten eine ansetzung des Wandgemäldes aus dem alten hof in die 1460er Jahre ebenfalls stützen, und auch künstlerisch scheinen die Figuren unter den münchener malern nicht zuletzt noch von einem Vertreter der Jahrhundertmitte geprägt, dem meister der Pollinger tafeln.34 Wiederum Föringer hat außerdem darauf hingewiesen, dass sigismund und seinem bruder christoph am 14.3. 1466 «die neuen Zimmer und gebäude» im Komplex des alten hofes zugewiesen wurden.35 dies könnte den entstehungszeit32 Föringer, bericht, s. 274/275. 33 Föringer, bericht, s. 275. allerdings weist Föringer darauf hin (s. 276/277), dass sigismund die ihm 1466 zugewiesenen räume im alten hof bis 1470 bewohnte, weshalb er ein etwas späteres datum zwar für unwahrscheinlich erachtet, aber nicht völlig ausschließt. 34 auf dessen nachfolge hat für die nach 1935 zerteilte handschrift mit gutem grund noch einmal Fedja anzelewksy hingewiesen (Kat.mus. berlin 1973, wie anm. 9, s. 14/15), der sich dabei auf eine entsprechende einordnung des Wandbildes selbst durch ernst buchner aus dem Jahr 1923 berufen kann, eine eigenhändige ausführung durch den anonymus aber sicher zu recht ablehnt. 35 Föringer, bericht, s. 275. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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raum in der tat noch näher auf 1465/66 eingrenzen. Weitere informationen hätte unter umständen der text enthalten, der sigismunds Kleid in der art einer devise einbeschrieben ist. sollte er jemals sinnvolle Wörter gebildet haben, wäre er in den jüngeren Kopien aber leider nur verderbt überliefert. besonders deutlich kann man die buchstaben in der für hans Kaspar schrenck von notzing angefertigten Kopie lesen, als «ediedi.enn/dinednnOnissVm». in cgm 2822 und auf dem rotulus ist ein ähnlicher befund zu erahnen.36 diese indizien zur entstehungszeit sind deshalb bemerkenswert, weil die gemalte darstellung damit um ein Jahrzehnt älter wäre als die chronik des ulrich Füetrer. dafür, dass der Zyklus im alten hof nicht auf Füetrers chronik beruhte, liefert das Werk selbst anhaltspunkte. so wird Karl martell als – wie erwähnt, negativ konnotierte – rückenfigur gezeigt und auch im text außerordentlich abfällig charakterisiert: «Karolus marcelus der hiesz/ain arger böser widerspriesz/ain schnöder Panckhart vnd wietrich/der war ain Khinig in Franckhreich/der teufel in zw grosser quell/mit leib vnd seel fuer in die hell». dagegen hat gerade Füetrer eine solche beurteilung als Werk von «ainer gemainen fabelred» und «etlich torat cronicken» abgetan. der dresdener Zyklus, der mit einer Füetrer-handschrift verbunden ist, urteilt denn auch ganz im sinne Füetrers: «Karolus marzellus der sein zeit, mit den haiden het uil mengen streit/er was ain pschucz der cristenhait, Wie m d’gmain man von im sait/er sey ze iungst ein keczer gewesen, der hat all fansu(m) nicht gelesen/er tet gar allezeit was er sollt. drumb tet auch got ye was er wollt».37 36 in cgm 2822 erahnt man: «edieiOdiemidinedngdmndnenOWiiidiiiiii» (f. 15). bei anderen Figuren der hier besprochenen Zyklen sollen andeutungen in die Kleidung eingewebter oder aufgestickter devisen wohl lediglich die darstellung verlebendigen und deren Wirklichkeitscharakter steigern; verwiesen sei etwa auf Pfalzgraf Friedrich auf f. 42r der dresdener handschrift. 37 f. 20. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch einmal, dass Verse des dresdener modells ferner mit einer leipziger Füetrer-handschrift verbunden sind. Zugleich sei betont, dass auch das zusätzliche Personal der dresdener Folge der chronik Füetrers korreliert. die Verse fallen in anderen Fällen von der inhaltlichen aussage her ähnlicher, in dresden und den zugehörigen Kopien jedoch etwas differenzierter aus. so hieß es im alten hof zu dem dort als hauptperson des Zyklus besonders herausgestellten ludwig dem bayern lediglich: «hie Khayser ludwicus der helt herczog in bayrn der auserwelt stiffter des closters eetal sam im von got Khundig wardt zw rom.» in dresden lauten die Verse demgegenüber: «der edl’ kaiser ludwig hie stat, der etal das gotzhaus gestifftet hat/ alls uns zu rom dortt in d’stat, got durch sein rat urkundet hat/ ain pilld im ward für war das wisst ein mesthen hennd es gemachet istt./ nyemant sein art erkennen kan. das sicht noch manig fraw vnd man.» in beiden Fällen wird die Figur des für die Wittelsbacher so wichtigen Kaisers also auf die stiftung von ettal reduziert. allgemein verwundert angesichts der politischen bedeutung der Zyklen die banalität und der geringe anspruch vieler Verse. Oft sind sie von nichtssagenden leerformeln geprägt, nur ganz gelegentlich tragen sie zu einer charakterisierung der dargestellten bei. auf wichtige politische gegebenheiten wird nicht oder nur in sehr allgemeiner Form bezug genommen. in einigen Fällen sind die beischriften so sinnentleert, dass schon die barocken Kopisten nicht mehr erkannten, wer dargestellt war. auf dem Wandbild vom alten hof hatte der maler dem betrachter die gesichter der rivalisierenden landshuter herzöge heinrich und ludwig dem reichen © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ausweislich der Kopien des Zyklus hinter ihren Visieren verborgen. aus den texten hingegen lässt sich eine negative beurteilung allenfalls erraten. «disz ist hainrich/Pfalzgraw bey/rhein vnd herczog/in bayrnn» ist alles, was die beischrift zu heinrich dem reichen zu vermelden hat, und zu ludwig liest man: «dises namen ich nit/verschweig. er ist/genant herczog ludwig, Pfalcz/graff bey rhein/in bayrn herczog/der sich an manhait/nye versegen mag.» in der für Kaspar schrenck von notzing erstellten Kopie sind diese Zeilen in reime umgewandelt worden: «diß ist hainrich Pfalczgraff bej/rhein, hörczog inn bayrn den ich/mein», liest man zum einen, «hörczog lVdWigs vergiß ich nit/alczeit zü manhait stündt sein sin/inn bayrn er aüch horczog war/Pfalczgraf bei rein glaubt mir für/war». dass damit die reichen herzöge gemeint waren, hat sich dem Kopisten aber nicht erschlossen; er hat ludwig den reichen im anschluss an sigismund ein zweites mal in die reihe aufgenommen, bevor er über georg den reichen wieder zu den münchener herzögen bis hin zu Wilhelm V. überleitet. ulrich Füetrer schließlich behandelt in seiner chronik die anfänge herzog heinrichs sehr kritisch, schildert ihn im Folgenden aber positiv, ebenso wie herzog ludwig, dessen Kriegszügen er sich ausführlich widmet.38 letzteres spiegelt sich auch in der dresdener legende.39 Für die inhaltsleeren beischriften im alten hof kann man Füetrer hingegen nicht verantwortlich machen. Keine grundlage haben bei ihm ferner die zeitlichen brüche in der münchener stammreihe – so folgte im alten hof Karl martell auf dessen enkel Karl den großen.40 in der dresdener redaktion ist die abfolge dagegen bezeichnenderweise korrekt. Parallel wies schon Föringer darauf hin, dass es 38 Füetrer, bayerische chronik, s. 209–211 (heinrich) sowie 211–213 (ludwig). 39 «der edl furst in payrn lanndt, hertzog ludwig d’istt genantt/der in krieg mit manlicher tat, sein veint gar über obert hat» (f. 57v). Weniger konkret ist der bezug zu Füetrers bericht in der legende zu herzog heinrich: «hertzog hainreich in payren lanndt, den reichen fursten man in nandt/er het auch schecz vnd guttes vil, das was gar seiner frewden spil» (f. 55v). 40 «der großvater nach dem enkel!», notierte schon Föringer, bericht, s. 270; vgl. dort auch s. 278. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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im Wortlaut der münchener Verse selbst gewichtige hinweise darauf gibt, dass der Zyklus im alten hof auf andreas von regensburg fußte.41 die münchener stammreihe entstand somit höchstwahrscheinlich zu einer Zeit, als Füetrer nach auskunft der quellen selbst noch vornehmlich mit dekorationsmalereien beschäftigt war. Obgleich er ab 1465 verschiedene «ehrungen» durch den hof erfuhr, spricht aber gerade die Zeitdifferenz zur erstellung der chronik eher gegen eine Zuweisung des gemalten Zyklus an ihn. sie ist gleichwohl in der ausführlichsten jüngeren Würdigung des Wandgemäldes noch einmal ins spiel gebracht worden, dem beitrag im ingolstädter ausstellungskatalog bayern-ingolstadt, bayern-landshut von 1992.42 Föringer und andere haben hingegen für den wichtigsten münchener maler jener Jahre, gabriel mälesskircher, plädiert, für den aus jener Zeit (1464, 1468) ebenfalls geschäftsverhältnisse mit dem münchener hof und konkret zu herzog sigismund dokumentiert sind.43 ein bezug wäre nach typen, motiven und gestaltungsmustern in der tat denkbar, doch vermisst man die für mälesskircher charakteristischen Überzeichnungen in Proportionierung und bewegung. Zudem liefern Wandgemälde und rotulus nur wenig aussagekräftiges Vergleichsmaterial für die typischen gewanddrapierungen mälesskirchers. eine endgültige aussage lässt sich im heutigen Zustand des Wandgemäldes kaum treffen, doch scheint vorerst vieles für einen älteren Künstler zu sprechen, der dem Pollinger meister in manchem verwandt war. hierzu fügt sich, dass der ingolstädter Katalog von 1992 schwerwiegende argumente dafür aufführt, dass das münchener Wandgemälde einen verlorenen ingolstädter Zyklus rezipiert haben könnte, der dann offenbar wohl für den seit 1413 amtierenden und 1443 entmachteten ludwig den bärtigen geschaffen worden wäre. insbesondere sind folgende Punkte hervorzuheben: 41 Föringer, bericht, s. 280, erwähnung von Karlmann, sohn ludwigs des deutschen, als «hindrist künig in bair lant» analog zu «rex bavariae ultimus» bei andreas von regensburg; in dresden (f. 23v) fehlt wiederum eine entsprechende charakterisierung. 42 Kat.ausst. ingolstadt 1992, s. 262. 43 schon Föringer, bericht, s. 275 hatte sich dabei auf Zahlungen an mälesskircher berufen, die im selben Kontext wie die nachrichten zu umbauten am alten hof überliefert sind. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die beischriften sind nur bis zu den herzögen des ersten drittels des 15. Jahrhunderts in reimform abgefasst.



die einst für ludwig den gebarteten geschaffene chronik des andreas von regensburg bildete in den 1460er Jahren die wichtigste textliche grundlage für einen solchen Zyklus.44 die stammreihe im alten hof ist ihr, wie angemerkt, deutlich verpflichtet.



Obgleich die überlieferte Folge für den münchener hof geschaffen wurde, fällen die beigegebenen Verse ein erstaunlich positives urteil über ludwig den gebarteten, wohl wiederum auf grundlage der Würdigung durch andreas von regensburg: «der grosmuetig vnd hochgeborn herczog ludwig der auserkhorn vnd vnuerzagt Pfalczgraw bey rhein herczog in bayern graff zu matein.»

bezeichnenderweise mutet diesmal der dresdener Vers weit banaler an: «hertzog ludwig der edl fies, d’manhait gros dick seh(e)n liess den hoh(e)n werd(e)n fursten zart, hiess man den hertzog mit dem part.» •

und schließlich erschien ludwig der bärtige im alten hof auch im bild überraschend dominant, als einziger gerüsteter streng en face und mit unverhülltem haupt. daneben ist nur noch ein zweiter harnischträger en face gezeigt, heinrich der löwe. sein vollständig vom Visier verhülltes gesicht ist jedoch ebenso als damnatio memoriae zu verstehen wie eine darstellung als rückenfigur, die man in münchen unter anderem für Karl martell gewählt hat. Wie erwähnt, sind auch die gesichter der reichen herzöge entsprechend verdeckt.

Obgleich man hofmann nicht darin wird folgen will, dass sich die gewandung bei den späteren herzögen auch stilistisch grundlegend von den früheren bildern unterscheidet, so mögen doch noch bei einigen weiteren Figuren formale erinnerungen an einen Zyklus der Jahre um 1430 mitschwin44 dass sie die grundlage für den Zyklus im alten hof bildete, hat wiederum schon Föringer, bericht, s. 279 angenommen. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gen. dass die letzten gestalten der Folge sich jeweils an herzöge aus dem potentiell älteren bestand anlehnen und dass die darstellung des auftraggebers dabei ausgerechnet die bildidee zu arnulf dem bösen aufzugreifen scheint, dürfte hofmanns Vermutung zusätzliches gewicht verleihen. Vor allem aber die Wiedergabe herzog ludwigs des bärtigen selbst lässt sich wohl nur aus der anlehnung an eine solche Vorlage erklären. auf indizien in bildern und reimen, dass der für sigismund gemalte Zyklus unter umständen nur die erweiterung einer älteren, bis zu Wilhelm iii. und somit bis in die Zeit ludwigs des bärtigen reichenden stammreihe sei, hatte im Übrigen einmal mehr bereits Föringer hingewiesen.45 Was nun die formal von der münchener Konzeption weitgehend unabhängigen Zyklen betrifft, wie sie zunächst in der dresdener handschrift und dann abweichend in den manuskripten des geheimen hausarchivs und des bayerischen nationalmuseums überliefert sind, so spricht meines erachtens vieles dafür, sie auf weitere, leider ebenfalls verschollene Wandgemälde zurückzuführen. bei der Vorlage für die dresdener Zeichnungen hätte es sich um ein Konkurrenzprojekt zu der münchener Folge gehandelt. der anbringungsort wäre in diesem Fall am ehesten in landshut, wohl auf der burg trausnitz, zu suchen. die nur in den texten mit dresden korrelierende tradition, wie sie mit den handschriften im geheimen hausarchiv und im bayerischen nationalmuseum greifbar ist, dürfte auf ein weiteres Wandgemälde zurückgehen, das offensichtlich ebenfalls für eine residenz der niederbayerisch-pfälzischen linie der Wittelsbacher geschaffen wurde, vielleicht für neuburg an der donau.46 die bewegungsmotive, typen und moden, wie sie in den späteren Kopien überliefert sind, weisen nachdrücklich darauf hin, dass auch dieses Wandgemälde noch auf das 15. Jahrhundert zurückging. dem entwerfer dieses zweiten nicht-münchener Zyklus scheint darüber hinaus auch die hypothetische ingolstädter Vorlage des gemäldes im alten hof 45 Föringer, bericht, s. 277/278 mit anm. 13. 46 Vgl. unten zur aufnahme von Ottheinrich und Philipp dem streitbaren in zwei der nachfolgewerke. – dieser hypothese widerspricht auch nicht, dass sich eine der späteren erweiterten abschriften, cgm 1604, schon 1618 in der bibliothek des münchener hofes befand. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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bekannt gewesen zu sein. darauf deutet vor allem die frontal zum betrachter präsentierte, gerüstete Figur ludwigs des bärtigen selbst, auch wenn er hier eine standarte, dort einen stab in den händen hält. Wiederholt beobachtet man auch im detail ähnliche Kompositionsideen, ohne dass sich ein Zusammenhang tatsächlich nachweisen ließe. insgesamt scheinen die Figuren der nicht-münchener Zyklen in bewegung und mode noch stärker variiert, und der dort so beliebte stand mit überkreuzten beinen bleibt im alten hof auf einen einzelfall beschränkt. auch in dresden ist er vergleichsweise selten anzutreffen. in manchem mögen die handschriften im geheimen hausarchiv und im bayerischen nationalmuseum das vermeintliche ingolstädter Vorbild sogar genauer spiegeln als die münchener Fassung. Jedenfalls deuten auch details von rüstungen und mode immer wieder auf eine Vorlage der 1440er Jahre – verwiesen sei nur auf die Kastenbrust des garibaldus. Für die hier vermutete existenz einer landshuter und einer weiteren Vorlage sprechen meines erachtens die folgenden umstände: •

schließt der Zyklus in münchen mit herzog sigismund, so endet die dresdener handschrift mit georg dem reichen. albrecht iV. ist, zwei seiten zuvor, zwar berücksichtigt, doch ist der text dort nachträglich mit schneller hand nachgetragen, samt des todesdatums.47 die handschriften des geheimen hausarchivs und des bayerischen nationalmuseums schließen ebenfalls mit georg dem reichen.48 im geheimen hausarchiv ist der landshuter herzog zudem durch die einzeldarstellung hervorgehoben, eine ehre, die dort sonst nur noch vier anderen Fürsten zuteilwird, darunter arnulf von metz und ludwig dem Frommen.49



in allen handschriften dieser gruppe sind Vertreter der Pfälzer linie besonders umfangreich vertreten.



in den über georg den reichen zeitlich hinausgehenden Zyklen der

47 dieses wurde auch sonst des Öfteren, wohl von demselben schreiber und wiederholt fehlerhaft, ergänzt. 48 Voraus gehen dort die brüder albrecht iV., christoph und Wolfgang. in beiden Fällen ist diesmal auch albrecht eine gereimte beischrift beigegeben. 49 bei einigen dieser einzeldarstellungen zudem die beischrift in rot statt in schwarz. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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handschriften cgm 1604 und cgm 2799 finden zusätzlich die enkel georgs des reichen, Ottheinrich und Philipp der streitbare, sowie deren Onkel, die in bayern nach 1503 besondere schlüsselpositionen besetzten, herausgehobene berücksichtigung.50 Zwei weitere handschriften, die dieser tradition folgen, setzen die stammreihe allerdings mit Vertretern der münchener herzogslinie fort, die offenbar aus Kloster tegernsee stammende Kopie in cgm 1606 sowie cgm 2824. •

umgekehrt ist die herausstellung der kaiserlichen ahnen, die vor allem für die Politik des münchener hofes von bedeutung war, entschieden zurückgenommen. auf die darstellung der Ottonen und der salier wird in dresden und den damit verbundenen handschriften ganz verzichtet.



Während, wie erwähnt, im alten hof die gesichter heinrichs und ludwigs des reichen von bayern-landshut unter dem herabgeklappten Visier verborgen bleiben, wählt die dresdener handschrift eine – nach den usancen der hier besprochenen Zyklen – ähnlich negative charakterisierung für einen münchener herzog: bei der Wiedergabe der enkel ludwigs des bayern, die das bayerische erbe in mehrere territorien aufteilten, wird ausgerechnet der Vertreter der münchener linie, herzog Johann ii., in rückenansicht gezeigt.51



der herzogszyklus des bayerischen nationalmuseums weist Wasserzeichen mit dem landshuter stadtwappen auf.



auf einen landshuter ursprung der dresdener Konzeption deutet vor allem aber der stil der dresdener Zeichnungen. er legt meines erachtens eine Vorlage von der hand jenes malers nahe, der das gotische hochaltarretabel des Klosters attel schuf und den björn statnik wohl zu recht mit dem landshuter hof in Verbindung gebracht hat, wobei er ihn mit

50 Wenn tewes, das haus bayern, s. 337/338 die darstellung Pfalzgraf rupprechts in cgm 1604 als entwurf deutet, dann ist diese lesart nicht auszuschließen, wohl aber nur auf die erweiterung eines älteren Zyklus bzw. einer älteren Vorlagenreihe zu beziehen. 51 f. 53r. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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sigmund gleismüller zu identifizieren versuchte.52 trotz der sehr unterschiedlichen aufgaben zeigt sich eine ähnliche künstlerische grundhaltung. die Figuren offenbaren vergleichbare Proportionen und eine analoge Freude an komplizierten bewegungen – man beachte etwa den Joseph der Flucht nach Ägypten des mörlbacher retabels.53 der enchyses auf f. 18r und die Figur ganz rechts im Katharinenmartyrium des atteler altars folgen sogar genau demselben modell.54 der Philipp auf f. 42v der dresdener handschrift lädt zu einem Vergleich mit jenem entwurf für die sommertracht am landshuter hof im Jahr 1486 ein, der statnik als entscheidender beleg für eine identität gleismüllers mit dem bis dahin nur als meister von attel bekannten Künstler dient.55 auch die behandlung der draperien, denen stets die besondere sorgfalt eines spätmittelalterlichen Künstlers galt, ist auffällig verwandt. charakteristisch sind die von den Faltengraten gebildeten großen und eckigen Partien von beinahe abstrakter Wirkung. gemeinsam ist beiden Komplexen die Freude an phantastischem aufputz, und schließlich weisen sogar die ausdrucksstarken typen enge Parallelen auf. man vergleiche etwa das Profil des adelgerus auf f. 4r mit dem simeon der darbringung im tempel in mörlbach.56 sowohl die gemälde wie die nachzeichnungen offenbaren zudem eine ähnliche Vertrautheit mit den innovationen der altniederländischen Kunst. so deuten Figuren wie der grimaldus auf f. 6r auf eine Kenntnis der gewagten rückenfiguren des meisters von Flémalle, insbesondere seines nur in Kopien und Fragmenten überlieferten hochaltars der brügger Jakobskirche.57 in einer Zeit, die stärker als andere aus als bewährt erkannten Formenvorräten schöpfte, muss es eine besondere herausforderung gewesen zu sein, 52 björn statnik, sigmund gleismüller. hofkünstler der reichen herzöge zu landshut, Petersberg 2009, siehe besonders s. 176–182. 53 statnik, sigismund gleismüller, s. 264, taf. 21. 54 statnik, sigismund gleismüller, s. 250, taf. 7. 55 statnik, sigismund gleismüller, s. 275, taf. 32; im text siehe s. 177–179. 56 statnik, sigismund gleismüller, s. 263, taf. 20. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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Zyklen von teils über hundert Personen durch unterschiedliche moden und Posen so abwechslungsreich zu gestalten, dass der gelegentliche rückgriff auf ähnliche grundmuster möglichst wenig in die augen springt. noch wichtiger aber war für die auftraggeber die propagandistische aussage der Zyklen. ihr verdanken wir es nicht zuletzt, dass so viele Kopien auf Papier wenigstens eine ahnung der untergegangenen Werke vermitteln. und dass wir die hypothese aufstellen dürfen, dass der Zyklus aus dem alten hof in münchen, dessen letzte Überreste wir im bayerischen nationalmuseum bewundern dürfen, traditionen aufgreift, die eigentlich für die Konkurrenten der münchener herzöge in ingolstadt und landshut entwickelt worden waren...

57 siehe zu diesem besonders stephan Kemperdick, der meister von Flémalle. die Werkstatt robert campins und rogier van der Weyden, turnhout 1997, s. 12–42; vgl. jetzt auch den Katalog der eindrucksvollen ausstellung in neuem glanz. das restaurierte schächer-Fragment des meisters von Flémalle im Kontext im Frankfurter liebieghaus (15.11.2017–18.2.2018; mit Präsentation und diskussion verschiedener nachfolgearbeiten). Vgl. daneben die radikalen rückenfiguren auf dem grablegungstriptychon im courtauld institute of arts in london, Kemperdick, wie oben, s. 67–73. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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maria mit Kind auf mondsichel, salzburg um 1460 (nachahmung im stil des 15. Jhs.?), inv.-nr. 65/138, Foto (nr. d69794): bastian Krack, © bayerisches nationalmuseum münchen

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eine madonna aus Österreich und eine (nicht nur) münchner geschichte ilse von zur mühlen · münchen

ein beispiel aus der provenienzforschung, dem neuesten forschungsfeld des gefeierten

im Jahr 1998 verpflichteten sich die bundesrepublik deutschland und im nachgang 1999 auch die länder dazu, die bestände der öffentlichen museen, bibliotheken und archive, also aller öffentlichen sammlungen, auf möglicherweise noch in ihnen bewahrte Werke aus dem eigentum der durch die nationalsozialisten Verfolgten zu identifizieren und nach Prüfung mit deren erben zu einer fairen und gerechten lösung zu suchen. nicht nur ein insgesamt zögerliches beginnen dieser aufgabe, auch die schwierigkeit der Forschung führen jedoch dazu, dass die Provenienzforschung in der Öffentlichkeit in starker Kritik steht. die Verfasserin, seit 1999 in der Provenienzforschung aktiv, konnte 2012 am bayerischen nationalmuseum (in der Folge bnm) eine erste systematische untersuchung eines teilbestandes beginnen. bis 2014 stellte sie im Wesentlichen jene bestände im museum fest, die aus ehemaligem besitz von ns-Funktionären und regierungsmitgliedern nach deren enteignung 1945 in den besitz des Freistaats bayern kamen und von diesem an das bnm weitergegeben wurden – rund 700 Werke. 77 skulpturen aus der sogenannten sammlung göring wurden 2014 mit den bis dahin ermittelten besitzverhältnissen vor eingang ins museum online-gestellt. eine erste restitution aus dem bestand der sogenannten sammlung göring fand 2013 statt.1 2014 wechselte auch alfred grimm von der Ägyptologie kommend an das bnm. Wir bildeten 2015–2017 ein team, das versuchte, die große anzahl der bewahrten und seit 1933 erworbenen Werke zu erforschen. im Folgenden sollen an einer mittelalterlichen skulptur möglichkeiten, Fragen und schwierigkeiten der Provenienzforschung vorgestellt werden. 1 eine tapisserie aus der «sammlung göring» mit der münchner nummer 5475 und der inventarnummer 61/57 (bnm) wurde 2013 nach eingehender Prüfung an die erben der Kunsthandlung a. s. drey, münchen, zurückgegeben. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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allem voran muss die kunsthistorische einordnung gehen, denn Objekte, bei denen man nicht weiß, um was es sich handelt, lassen sich kaum suchen. die lindenholz-Figur einer gekrönten maria mit dem Jesus-Kind, auf der mondsichel stehend, eine darstellung der immaculata, entstand wohl in salzburg um 1460 (abb. 1).2 sie misst heute mit Krone 197 cm in der höhe. die Figur kam zusammen mit zahlreichen weiteren skulpturen, textilien und goldschmiedewerken aus dem besitz hermann görings 1965 an das bnm. göring, der seine Kunstwerke im Wesentlichen in seinem landsitz carinhall in der schorfheide bei berlin aufbewahrte, hatte diese gegen ende des Krieges mithilfe seiner sonderzüge nach süden und zuletzt bis berchtesgaden schaffen lassen. hier verblieben die Werke jedoch zum großen teil in den Waggons, nur wenige wurden in einen luftschutzbunker verbracht. Zu Kriegsende kam es neben raub zu Zerstörungen z. b. durch einschusslöcher, Wasser, aber auch durch mechanische einwirkung zu schäden, die sich noch heute an vielen Werken feststellen lassen.3 auch die madonna auf der mondsichel hat Zerstörungen erlitten, vor allem sind die extremitäten ab2 inventarnummer 65/138 im bnm. die Publikationen zur skulptur seien hier zusammengestellt: Franz Kieslinger, mittelalterliche bildwerke 1200–1440, in: belvedere. illustrierte Zeitschrift für Kunstsammler, bd. iV (1923), s. 93–109 und tafeln, hier nachtrag, Kat. nr. 69 und abb. tafel 30. Franz Kieslinger, die mittelalterliche Plastik in Österreich. ein umriß ihrer geschichte, Wien/leipzig 1926, tafel 25 und s. 164. auktionskatalog hugo helbing, gemälde neuerer meister: antiquitäten, alte möbel, skulpturen, gemälde alter meister, alte bücher aus verschiedenem Privatbesitz; Versteigerung 27. und 28. märz 1935, münchen 1935, Kat. nr. 548 ohne abbildung. die Weltkunst, X, nr. 43, vom 1. november 1936, s. 1 mit abb. iris lauterbach, der central collecting Point in münchen. Kunstschutz, restitution, neubeginn (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in münchen 34), münchen 2015, s. 115, abb. 113. die skulptur ist jeweils unter der münchner nummer 5055/22 publiziert in den datenbanken des deutschen historischen museums (dhm), abrufbar im internet unter: datenbank zum «central collecting Point münchen»: http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp. php?seite=9 sowie datenbank «die Kunstsammlung hermann göring»: http://www.dhm.de/datenbank/goering/dhm_goering.php?seite=9. seit 2016 mit den neuen Forschungsergebnissen in Kurzform online unter http://www.bayerisches-nationalmuseum.de/index.php?id=547&laufnr=goering (letzter Zugriff am 28.11.2017). 3 Vgl. ilse von zur mühlen, die Kunstsammlung hermann görings. ein Provenienzbericht der bayerischen staatsgemäldesammlungen, münchen 2004, s. 46/47. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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gebrochen, aber auch die farbige Fassung der Figur hat sich aufgrund der Feuchtigkeit gelockert und bröckelt.4 Wie findet man die Herkunft heraus? Für Werke aus der sammlung görings bieten sich der Forschung seit 2009 bzw. 2012 zwei datenbanken zum erst-check, die beide nach den sogenannten münchner nummern aufgebaut sind. Jedes Kunstwerk, das die alliierten in bayern auffanden, wurde von ihnen zunächst in den münchner central collecting Point gebracht und dort mit einer aufnahmenummer, eben der sogenannten münchner nummer, katalogisiert. die aufnahmekarten und weitere Karteikarten sowie abbildungen aus dem central collecting Point wurden 2009 auf der Website des deutschen historischen museums online gestellt, 2012 folgte die datenbank zur sammlung göring. in beiden datenbanken findet sich auch die hier besprochene madonna unter der münchner nummer 6167 mit folgenden informationen: «Vorkriegsbesitz; böhler kaufte sie auf d. auktion bei helbing am 3.4.35 u. verkaufte sie an göring im Januar 1939, rm 14.000 (böhler geschäftsbücher)».5 die datenbank zur sammlung göring ergänzte diese angaben folgendermaßen: «Vorbesitz: helbing, hugo/münchen 1935 (Kunsthandel deutschland); böhler, Julius/münchen (Kunsthandel deutschland); einlieferung: geschenk terboven, Josef gauleiter zur taufe von edda göring, 04.11.1938 (geschenk)».6 die angaben scheinen einerseits recht genau, andererseits aber werfen sie Fragen auf. denn schon auf den ersten blick widersprechen sich die angaben zum Kauf durch göring bzw. zu einem geschenk an göring zu dessen 4 die schäden wurden zusammen mit diplomrestaurator rudolf göbel, restaurierungsatelier für skulpturen und gemälde am bnm, der die Forschungen begleitete, begutachtet und diskutiert. 5 auf der späteren Karte der restitutionskartei, bundesarchiv, b323/658, folgt dieser eintrag: «3.4.1935 von auktion helbing, münchen an Kunsthandlung; böhler, münchen; Januar 1939 von dort für rm 14.000,- an h. göring; (böhler- geschäftsbuch- nicht vorhanden).» Vgl. http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_cap.php? seite9a (letzter Zugriff am 5.12.2017). 6 Vgl. http://www.dhm.de/datenbank/goering/dhm_goering.php?seite=9 (letzter Zugriff am 1.2.2017). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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geburtstag am 12. Januar 1939. auch ist dem erfahrenen Provenienzforscher bekannt, dass der eigentümer des münchner auktionshauses, hugo helbing, zu den vom ns-staat verfolgten jüdischen Kunsthändlern gehörte.7 und schließlich beinhaltet die angabe keinen hinweis auf die besitzverhältnisse von 1933 bis 1935. 1. richtige Oder Falsche FÄhrten Zum VOrbesitZ? in zwei österreichischen Publikationen der 1920ger Jahre ist die madonna, damals ohne Krone, abgebildet. 1923 wurde sie in einer ausstellung zur frühgotischen Plastik «mittelalterliche bildwerke 1200–1400» in Wien gezeigt.8 ein eigener Katalog zur ausstellung fand sich nicht, allerdings wurde sie von Franz Kieslinger in der Zeitschrift belvedere 1923 katalogartig besprochen.9 1926 bildete Kieslinger die madonna in einem weiteren Werk zur mittelalterlichen Plastik unter den Werken aus Privatbesitz ab. der name des eigentümers wird in beiden Publikationen nicht genannt.10 die Vermutung liegt nahe, dass es sich um österreichischen Privatbesitz handeln dürfte. in der späteren Publikation listet Kieslinger die skulptur hinter einer anderen skulptur aus «Privatbesitz innsbruck» auf, mit Verweis auf tafel 35. die abbildung tafel 35 zeigt eine Pietà, doch zu ihr heißt es: «mit der sammlung colli verbrannt». mit «colli» ist Prof. andreas colli (geb. 1858 in cortina) gemeint. er erhielt seine ausbildung in ampezzo und innsbruck und war seit 1878 in innsbruck tätig. am 23. Februar 1882 begründeten andreas und candid colli eine Kunsttischlerei in innsbruck. andreas colli wirkte von 1883 bis 1904 als Fachlehrer für Kunsttischlerei an der innsbrucker gewerbeschule. daneben machte er sich als Kunstsammler und antiquar einen 7 Zu hugo helbing vgl. meike hopp, Kunsthandel im nationalsozialismus. adolf Weinmüller in münchen und Wien/Köln/Weimar/Wien 2012, passim. 8 Kieslinger, in: belvedere, s. 93: «ich glaube anläßlich der ausstellung…», leider ohne genauere angaben, wo und wann die ausstellung genau stattfand. Vgl. seine angabe in Kieslinger, mittelalterliche Plastik, s. 157: «belvedere heft 16/17. sonderheft als Katalog der ausstellung frühgotischer Plastik». 9 Kieslinger, in: belvedere, s. 93–109 und tafeln, hier nachtrag, Kat. nr. 69 und abb. tafel 30. 10 Kieslinger, mittelalterliche Plastik, taf. 25, und s. 164 unter Privatbesitz. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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namen. am 29. mai 1922 brannte die anlage der Kunsttischlerei in innsbruck jedoch ab. danach betrieb colli den Kunsthandel von innsbruck aus, wo er 1945 starb.11 in der Publikation Kieslingers war jedoch kein eindeutiger nachweis zu finden, dass es sich bei der madonna auf der mondsichel wirklich um den besitz des innsbrucker Professors handelte, es konnte eben auch jeder andere Privatbesitz sein. 2. die Versteigerung 1935 der einlieferer 13333 alias g. W. der blick wandte sich nun der auktion von 1935 zu. doch fand sich kein auktionskatalog hugo helbings für den 3. april 1935. hingegen wurde die madonna am 27./28. märz 1935 (sic!) bei hugo helbing im münchner Versteigerungshaus unter der nummer 548 aus dem besitz des einlieferers mit der Kennzahl 13333 angeboten.12 die Kennzahl verweist auf einen mit zwei initialen verschlüsselten Vorbesitzer, der im besitzerverzeichnis mit dem Kürzel «g. W.» erscheint. bis vor kurzem war nicht bekannt, ob das Kürzel schlicht die initialen von Vor- und Familiennamen verwendete, oder ob es sich um Fantasie-initialen handelte. erst durch die vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte im november 2015 erworbenen auktionskataloge aus dem ehemaligen besitz des auktionators helbing, darunter auch einem durchschussexemplar des Katalogs vom 27./28. märz 1935, lässt sich der einlieferer nun genauer bestimmen. in diesem exemplar des auktionskatalogs ist bei der losnummer 548 handschriftlich der name «grundherr/sch.» und wohl das einlieferer-limit «400» rm eingetragen. Vom gleichen einlieferer erwarb auch das bnm auf der auktion 1935 eine skulptur «trauernde maria» (abb. 2), im auktionskatalog losnummer 551a, dem Kreis des Jörg Zürn

11 gert ammann in: http://sammellust.tiroler-landesmuseum.at/objekte/1946b. html (eingesehen 13.6.2012). 12 laut restitutionskartei, bundesarchiv 323/658 und alte ministerpräsidentenkartei, bundesarchiv b 323/767am 3.4.1935 von auktion helbing, münchen. Für den Vorschlag aufgrund der nähe des datums dieses stück von der kurz davor stattfindenden helbing auktion in betracht zu ziehen, sei stephan Klingen, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, gedankt. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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hl. mutter anna (?), inv.-nr. 35/291, Foto (nr. 158259): Walter haberland, © bayerisches nationalmuseum münchen

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zugeschrieben. diese Figur (heute als hl. anna geführt) kann anders als die madonna auf der mondsichel in einer auktion am 4./5. mai 1926 in Wien im auktionshaus für altertümer glückselig gmbh nachgewiesen werden.13 bedauerlicherweise ist aber auch bei der Wiener auktion der name des Vorbesitzers nicht bekannt, ebenso wenig der name des Käufers, so dass auch diese Verbindung nicht weiterhalf. aus dem besitz «grundherr/sch.» wurden in der helbing-auktion 1935 jedoch auch mehrere italienische barockgemälde sowie einige italienische barockmöbel angeboten. gemälde sind oft mit Künstlernamen versehen und lassen sich besser recherchieren als namenslose mittelalterliche skulpturen. Vielleicht – so die Überlegung – könnte man über diese gemälde den namen des besitzers ausfindig machen? hier boten sich die losnummern 490, ein bildnis von der hand des venezianischen malers giovanni battista moroni «Porträt eines Patriziers» oder das zweite gemälde, laut Katalog losnummer 487 von bernardino licinio da Pordenone, (tätig 1524–1542 in Friaul und Venedig) «stifterbildnis (Familien-gruppenbild mit madonna und hl. Joseph)» zur Weiterforschung an.14 doch waren diese beiden gemälde in der literatur nicht auffindbar und so half in diesem Fall die Übersicht über die anderen, vom selben einlieferer angebotenen Objekte nicht weiter, und wieder musste die suche auf anderem Wege weitergeführt werden. 13 die vom bnm erworbene Figur ist eine weibliche heilige, im auktionskatalog als trauernde hl. maria bezeichnet, und findet sich im auktionskatalog unter Kat. nr. 551. im bnm wurde sie als hl. anna (?) mit der inv.-nr. 35/291 inventarisiert. das unter der gleichen Katalognummer laufende gegenstück, das laut annotation im helbing Katalogexemplar des Zürcher Kunsthauses ebenfalls vom bnm erworben wurde, findet sich heute im badischen landesmuseum in Karlsruhe (inv.nr. 53/28). bei diesem Figurenpaar handelt es sich um die einzigen weiteren skulpturen aus der sammlung «g. W.», außerdem sind bei den gemälden mehrere italienische barockgemälde vertreten sowie einige italienische barockmöbel. die hl. anna aus dem besitz des bnm kann zusammen mit ihrem gegenstück in Karlsruhe 1926 in einer Wiener auktion nachgewiesen werden: Versteigerungskatalog glückselig, Wien, 4./5. mai 1926 (für den hinweis sei dr. astrid scherp, bnm, gedankt), nrn. 232 und 233. Wenngleich bislang auch dieser auktion kein einlieferer- oder Käufer-name zugeordnet werden kann, so deuten nun schon mehrere stücke auf einen besitz im bereich Wien-innsbruck-münchen zwischen 1926 und 1935. 14 hugo helbing münchen [hrsg.], gemälde neuerer meister: antiquitäten, alte möbel, skulpturen, gemälde alter meister, alte bücher aus verschiedenem Privatbesitz; Versteigerung 27. und 28. märz 1935, münchen 1935, s. 32. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die identität des einlieferers: Hugo von grundherr doch die einsicht, dass der sammler nicht nur skulpturen, sondern auch gemälde sammelte, führte schließlich auf einem anderen Weg weiter. in der online gestellten Kundenkartei der galerie heinemann, einer weiteren (gleichfalls jüdischen eigentümern gehörenden) Kunsthandlung in münchen, die in den späten 1930er Jahren «arisiert» wurde, fanden sich weitere indizien. grundherr handelte mit der galerie heinemann, in deren online gestellter Kundenkartei er neun mal mit an- und Verkäufen italienischer und spanischer Werke in der Zeit zwischen 1921 und 1928 nachzuweisen ist. interessanterweise liegen die ankäufe in den Jahren 1921 und 1922, während er 1928 ausschließlich als anbieter von Werken auftrat. 15 durch die unterschiedlichen einträge in der Kundenkartei ließ sich schließlich die sammlerpersönlichkeit identifizieren: die eintragung im durchschussexemplar des helbing-auktionskatalogs 1935 verweist offenbar auf den maler, Kunsthändler und sammler hugo von grundherr zu altenthann und Weyerhaus. zum sammler und einer bankrotterklärung 1919 hatte hugo von grundherr zu altenthann schloss mittersill im Oberpinzgau, bezirk Zell am see des landes salzburg erworben und umgebaut. die einliefererangabe «grundherr sch.» im annotierten helbing auktionskatalog könnte daher auf «grundherr schloss mittersill» verweisen, doch wird man darüber erst sicherheit erlangen, sollten weitere Papiere aus dem Versteigerungshaus auftauchen. im schloss stellte grundherr seine Kunstsammlung zur schau. doch übernahm er sich offenbar finanziell und nahm schulden auf bei einer bank «gegen herausgabe von Pfändern, wie der bibliothek des schlosses und vor allem eines gemäldes von leonardo da Vinci, das damals mit rund einer million schilling (heute etwa 2,8 mio euro) bewertet war». 1920 hatte in Zell am see auguste caroline lammer die Kommanditgesellschaft 15 Vgl. http://heinemann.gnm.de/de/recherche.html (Zugriff am 1.3.2016). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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bankhaus a. lammer & co gegründet. sie machte die bekanntschaft grundherrs und als die bank, bei der grundherr verschuldet war, die Versteigerung des schlosses mittersill erwirkte, war auguste caroline lammer die erwerberin. die Versteigerung fand am 14. Oktober 1929 statt.16 doch am «16. dezember 1933 wurde dem bankhaus a. lammer & co die bewilligung zum betrieb eines bankgewerbes entzogen. am 20. Februar 1935 wurde der Konkurs über die bank und das private Vermögen von lammer eröffnet, nachdem ausgleichsverhandlungen gescheitert waren». augustine lammer wurde 1935 verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.17 schloss mittersill wurde 1936 an den internationalen sport- und schieß-club verkauft.18 es ist anzunehmen, dass 1935 nicht nur auguste caroline lammers sowie ihr bankhaus in Konkurs gingen, sondern dass auch hugo von grundherr, der ihren abstieg zu großen teilen verursacht hatte, sein eigentum zur abdeckung von schulden verkaufen musste. unbekannt ist allerdings, wann grundherr die madonna erworben hat. Zu vermuten ist, dass dies in der Zeit zwischen 1919 und vor 1928 geschah, als er schloss mittersill noch mit Kunstwerken ausstattete, und bevor das schloss 1929 versteigert werden musste. sollte diese Vermutung zutreffen, so würden die frühen österreichischen erwähnungen der madonna in der literatur mit «Privatbesitz»19 bereits jeweils den besitz von grundherr umschreiben.

16 Vgl. martin gschwandtner, die macht des geldes und die geschichte von auguste lammer und ihrer kleinen regionalbank 1920–1937, diplomarbeit an der universität salzburg 2003, s. 77. 17 Vgl. hierzu martin gschwandtner, auguste caroline lammer (1885–1937) – die bisher einzige bankgründerin Österreichs: ihre turbulente geschichte in einer krisenhaften Zeit, zugleich dissertation universität salzburg 2007, sowie derselbe, auguste caroline lammer (1885–1937): eine Frau in einer männer-domäne, hamburg 2015. 18 Vgl. Oskar dohle/nicole slupetzky, arbeiter für den endsieg: Zwangsarbeit im reichsgau salzburg 1939–1945, Wien 2004, s. 222 sowie gschwandtner, auguste caroline lammer, s. 91. 19 Kieslinger, in: belvedere, s. 93–109 und tafeln, hier nachtrag, Kat. nr. 69 und abb. tafel 30. Kieslinger, mittelalterliche Plastik, tafel 25 und s. 164. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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die käufer 1935 die madonna wurde von hugo helbing für einen Preis von rm 1490,- während der auktion verkauft.20 der Käufer war – zumindest offiziell in erscheinung tretend – der Kunsthändler henri heilbronner, münchen, der die Figur für rm 1490,- erwarb, wie sowohl aus einem annotierten exemplar des auktionskatalogs in Zürich wie auch aus einem weiteren annotierten Katalog im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in münchen hervorgeht.21 laut auktionskatalog war ein aufschlag von 15 % zu zahlen. möglicherweise aber gab es schon zuvor eine absprache, denn von heilbronner bzw. wohl besser direkt als erwerbung von helbing22 trug Julius böhler, münchen, die skulptur bereits am 3.4.1935 in seinen büchern ein. mit 15%igem aufschlag hätte die skulptur insgesamt 1635,- rm gekostet, auf böhlers Objektkarte23 findet sich stattdessen die summe von 1650,- rm. der besitz verteilte sich der Karte zufolge zu je einem drittel auf henri heilbronner, Julius böhler und georg schuster. böhler bezifferte seinen anteil mit zunächst 500,- rm. ebenso hoch waren die anteile heilbronners und schusters.24 die drei beteiligten sind in der Kunstgeschichte wohlbekannt. bei Julius böhler und henri heilbronner handelt es sich um zwei größen des münchner Kunsthandels. der jüdische Kunsthändler louis heinrich «henri» heilbronner war 1889 in Paris geboren und seit 1918 in münchen in der Karl20 der Preis ist angegeben im Preisbericht in: die Weltkunst, Jg. iX, nr. 14 vom 7. april 1935, s. 4 unter nr. 548. 21 diese angabe laut annotiertem helbing-Katalog in der bibliothek des Kunsthauses Zürich. hiermit sei herrn thomas rosemann vom Kunsthaus herzlicher dank für die Übermittlung der informationen gesagt. im Katalog ist hier handschriftlich der name heilbronner mit dem entsprechenden Preis eingetragen. in einem zweiten exemplar des Katalogs in der Zürcher bibliothek steht rechts neben der Katalognummer eine summe von rm «500». 22 Für diese möglichkeit spricht, dass auch das bnm in münchen seine erwerbungen von dieser auktion erst am 5.4.1935 überstellt bekam, vgl. Zugangsbuch für die inv.nr. 35/291 bis 35/300. 23 inventarkarte 35-19, Zentralinstitut für Kunstgeschichte. 24 Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Fotothek, böhler Objektkarte, nr. 35-19: unter «bemerkung» ist angegeben: «1/3 heilb. [später durchgestrichen] 1/3 schuster [und mit anderem stift hinzugefügt] 2/3 böhler». © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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straße im antiquitätenhandel tätig. Zu seinem schicksal im dritten reich hat sich meike hopp in ihrer dissertation kritisch geäußert: «auch hier gestaltete sich der Fall der geschäftsauflösung, emigration und anschließenden ‹Verwertung› der geschäfts- sowie Privatsammlung äußerst komplex. noch vor heilbronners emigration hatte der Kunsthändler Julius böhler anscheinend große teile des Warenlagers von heilbronner übernommen und vorübergehend eingelagert».25 Julius böhler seinerseits besaß eine der größten Kunsthandlungen im deutschen raum, gegründet 1880 und ende der 1920er Jahre auf dem höhepunkt mit dependancen in berlin und new York sowie luzern. 1935 dehnte böhler sein geschäftsfeld auf Versteigerungen aus, während zur gleichen Zeit jüdische auktionshäuser zur aufgabe ihrer tätigkeit gezwungen wurden.26 die Zusammenhänge sind noch nicht eingehender erforscht und gelten als dringendes Forschungsdesiderat. im Vergleich ist georg schuster fast ein unbekannter. georg schuster war münchner bildhauer und restaurator und hatte selber eine bedeutende skulpturensammlung aufgebaut, die nach seinem tod (er starb am 16. Januar 1937) zunächst von hubert Wilm katalogisiert und dann ebenfalls bei Julius böhler versteigert wurde.27 3. das schicKsal der madOnna nach der auKtiOn bei hugO helbing die skulptur wurde wohl schon von helbing aus bereits am 1. april 1935 direkt an georg schuster geliefert und verblieb dort bis zum 17. Januar 1936 zur restaurierung. auf böhlers Objektkarte wird unter den 1650,- rm ge-

25 hopp, adolf Weinmüller, zu heilbronner besonders s. 177–181, hier s. 177 mit anmerkungen 653 und 654. 26 Zu böhler eingehender vgl. hopp, adolf Weinmüller, s. 112–121. 27 Vgl. hubert Wilm, die sammlung georg schuster, münchen 1937 und sammlung georg schuster, münchen, Versteigerung am 17. und 18. märz 1938, vormittags bei Julius böhler, münchen/verz. von hubert Wilm. münchen 1938. auktionskatalog in zwei bänden. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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samt-einkaufspreis die investitionssumme von 420,- rm genannt, die für die restaurierung 1936 an georg schuster gezahlt wurde, jeder teilhaber hatte ein drittel, also 140,- rm davon zu tragen.28 am 1. november 1936 wurde die madonna dann in restauriertem und durch eine Krone ergänztem Zustand in der Weltkunst abgebildet.29 seit der abgeschlossenen restaurierung 1936 bot böhler die skulptur international verschiedenen händlern und museen an, bemerkenswert ist der ständig steigende Preis, der auf der Objektkarte der Kunsthandlung böhler vermerkt ist und bis 1938 auf 12 000 bis 13 0000 rm stieg.30 Die Auszahlung an Henri Heilbronner: Ein fairer Deal? henri heilbronner wurde von böhler am 25. Februar 1938 mit einem anteil von rm 2000,- ausgezahlt31. die auszahlung war notwendig geworden, da heilbronner aufgrund der sich zuspitzenden situation unter dem ns-regime seine emigration vorbereitete. im Fall einer skulptur aus heilbronners besitz, die er im mai 1938 an böhler verkaufte und die über böhler an Walter andreas hofer und von diesem in göring-besitz kam, schrieben die bearbeiter des bundesamts für offene Vermögensfragen: «heilbronner meldete zum 08.06.1938 seine Kunsthandlung in münchen ab und ging nach genf. schließlich eröffnete er eine Kunsthandlung in luzern. böhler selbst hatte eine dependance seiner münchener Kunsthandlung in luzern, die Kunsthandels ag. beide Kunsthändler unterhielten über den gesamten Zeitraum einen engen briefwechsel und wahrscheinlich geschäftliche beziehungen. in seinem 1948 beantragten restitutionsverfahren hatte heilbronner, der bis 1971 lebte, die böhler 1938 übereigneten Waren nicht erwähnt. mithin kann zumindest vermutet werden, dass entspre-

28 die Zahlung wird von böhler für den 25.3.36 an georg schuster verbucht. Vgl. böhler-Objektkarte 35-19, Zentralinstitut für Kunstgeschichte. 29 die Weltkunst, X. Jg. nr. 43 vom 1. november 1936, titelseite. 30 Vgl. böhler Objektkarte nr. 35-19, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Fotothek. 31 Zur auszahlung wie vor, böhler-Objektkartei nr. 35-19, rückseite der Karte. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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chend artikel 4 des gesetzes nr. 59 der militärregierung deutschland, amerikanisches Kontrollgebiet, der erwerber die Vermögensinteressen des berechtigten (…) in besonderer Weise und mit wesentlichem erfolg wahrgenommen hat».32 diese Vermutung ist bislang nicht durch die Forschung bestätigt und gehört, wie von meike hopp formuliert, zu den Forschungsdesideraten (s. o.). da heilbronner und böhler aber auch nach dem Krieg weiter als Kunsthändler tätig waren, wäre hier, um alle Zweifel auszuschalten, zu überprüfen, ob es nicht doch einen außergerichtlichen Vergleich über diesen Vorgang gegeben hat. auch könnte für eine derartige Frage die Korrespondenz heilbronner-böhler im bayerischen Wirtschaftsarchiv in münchen überprüft werden, was im rahmen dieser studie jedoch nicht mehr möglich war. georg schuster verstarb nach einer Operation am 16. Januar 1937.33 die erben von georg schuster wurden nach dem Verkauf der skulptur im september 1938 ausgezahlt. schusters anteil wurde mit rm 4000,- in böhlers geschäftsunterlagen ausgetragen, er war demnach doppelt so hoch, wie jener heilbronners wenige monate zuvor.34 es stellt sich die Frage, warum böhler im laufe von wenigen monaten die anteile von seinem jüdischen, unter auswanderungsdruck stehenden Kollegen und den erben schusters so unterschiedlich beurteilte, obwohl beide ursprünglich gleiche anteile besessen zu haben scheinen. Der Verkauf an Gauleiter Terboven als Geschenk für Göring die böhler Karteikarte liefert auch die letzten daten, um die weitere geschichte der skulptur nachzuzeichnen. Für den 30. september 1938 findet

32 http://www.badv.bund.de/de/OffeneVermoegensfragen/Provenienzrecherche/ Provenienzen/daten/6000_6999/6067.html, stand 2013, Zugriff am 1.3.2016. Vgl. auch hopp, adolf Weinmüller, zu heilbronner besonders s. 177–181 mit älterer literatur. 33 Vgl. einleitendes «lebensbild» durch hubert Wilm im Versteigerungskatalog böhler, sammlung georg schuster, 1938, s. XVi. 34 siehe Zentralinstitut für Kunstgeschichte, böhler-Objektkartei, nr. 35-19, auf der rückseite der Karte. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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ilse von zur mühlen

eine madonna aus Österreich und eine (nicht nur) münchner geschichte

sich auf der Objekt-Karte aus der Kunsthandlung böhler der eintrag: «Feldmarschall göring» für rm 14.000 angeboten und für ihn gesichert. dem Verkaufspreis stellte böhler seine ausgaben für die skulptur gegenüber: seinen ankaufsanteil von 500,- rm, seinen anteil an der restaurierung durch schuster mit rm 140,- und schließlich die Übernahme von heilbronners anteil in höhe von 2000,- rm, zusammen die summe von 2690,- rm. unter haben ist demgegenüber die summe von 9720,- rm vermerkt, wobei göring laut Karteikarte 14.000,- rm zu zahlen hatte.35 Zum 26. Januar 1939 verbuchte böhler schließlich die «Überweisung von nsdaP gauleitung essen i. a. Oberpräs. terboven».36 Josef antonius heinrich terboven, Jahrgang 1898 und aus essen stammend, war ein frühes mitglied der nsdaP und an hitlers Putsch in münchen 1923/24 beteiligt. seit der reichstagswahl 1930 im reichstag, wurde er 5. Februar 1935 zum sa-Obergruppenführer und von göring zum Oberpräsidenten der rheinprovinz ernannt. terboven galt als Vertrauensmann des preußischen ministerpräsidenten. nach hanns löhr übergab er zwischen 1938 und 1945 insgesamt 7 Kunstwerke als geschenke an göring.37 die marien-skulptur hatte gauleiter Josef terboven als geschenk zur taufe von edda göring in carinhall, görings landresidenz, übergeben. am 1. Februar 1940 werden die Kunstwerke in carinhall mit ihren standorten in einem inventar verzeichnet. auch hier wird das geschenk terbovens sowie der erwerb von böhler vermerkt, ebenso wie der «Preis: rm 14.000,-».38 die ge-

35 Von diesen 14.000,- rm zieht böhler in seiner rechnung 280,- rm steuer sowie georg schusters anteil in höhe von 4000,- ab. Vgl. Zentralinstitut für Kunstgeschichte, böhler-Objektkartei, nr. 35-19. 36 laut böhler Kontokorrentbuch unter «ministerpräsident generaloberst h. göring unter der böhler-nummer 35-19, Wirtschaftsarchiv münchen. 37 hanns c. löhr, der eiserne sammler. die Kollektion hermann göring. Kunst und Korruption im «dritten reich», berlin 2009, s. 109 mit anm. 41, einem Verweis auf Frank bajohr, Parvenüs und Profiteure, Korruption in der ns-Zeit, Frankfurt 2001, s. 128. 38 auch in einem holzskulpturen-inventar görings, das die Verfasserin im bundesarchiv Koblenz in einer abschrift fand, werden die gleichen angaben und der standort im großen arbeitszimmer, unter der laufenden nummer 5 notiert. Vgl. bundesarchiv © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

ein beispiel aus der Provenienzforschung, dem neuesten Forschungsfeld des gefeierten

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das studium der menschheit

maria mit Kind auf mondsichel wie abb. 1, inv.-nr. 65/138, detail mit aufkleber aus der auktion bei hugo helbing, Foto (nr. d69832): bastian Krack, © bayerisches nationalmuseum münchen

schenke machten sich bezahlt: nach der deutschen besetzung norwegens wurde terboven am 24. april 1940 in Oslo reichskommissar, wo er sich durch eine Politik der wirtschaftlichen ausbeutung und uneingeschränkter macht verhasst machte. mit hilfe von ss, sicherheitsdienst (sd) und geheimer staatspolizei (gestapo), errichtete er ein straff organisiertes terror regime gegen jeglichen Widerstand. am tag der deutschen Kapitulation beging er selbstmord.39 die skulptur aus der sammlung hermann görings hingegen wurde zusammen mit zahlreichen weiteren Kunstgegenständen im märz 1945 in caKoblenz, b 323/65, nr. 5. siehe auch günther haase, die Kunstsammlung des reichsmarschalls hermann göring. eine dokumentation, berlin 2000, s. 248, nr. 5 sowie s. 260, nr. 5. 39 Zum schnellen Überblick vgl. Julia Kerfin: tabellarischer lebenslauf von Josef terboven. https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-josef-terboven.html (letzter Zugriff am 20.11.2017). © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eine madonna aus Österreich und eine (nicht nur) münchner geschichte

rinhall verpackt und in görings sonderzügen zunächst nach burg Veldenstein, die gleichfalls in görings besitz war, und von dort dann richtung berchtesgaden verbracht, wo sie schließlich von den amerikanern aus einem der Züge geholt wurde. am 1. august 1945 kam die Figur dann in den münchner central collecting Point und erhielt dort die münchner nummer 6167. nach görings selbstmord 1946 wurde sie schließlich mit den übrigen Kunstwerken aus der sammlung göring auf ihre herkunft überprüft und 1949 in die treuhänderschaft des bayerischen ministerpräsidenten übergeben. nachdem die 1952 gegründete treuhandverwaltung für Kulturgut die Figur nicht für restitutionspflichtig befand, gelangte sie schließlich aufgrund der Verordnung über Einziehung, Verwaltung und Verwertung von Vermögen und Vermögenswerten nach dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (Einziehungsverordnung) vom 23.11.1948 und gemäß der Vereinbarung vom 6.12.1960 zwischen der bundesrepublik deutschland und dem Freistaat bayern in das eigentum des Freistaates. doch noch heute finden sich spuren des beschriebenen schicksals an der skulptur: nicht nur die anfangs beschriebenen schäden, auch aus der Zeit vor eingang in die sammlung göring haben sich hinweise erhalten: noch immer schmückt den Kopf der madonna die Krone, die georg schuster nach erwerb der madonna bei der helbing-auktion angefertigt hatte. auch von der auktion findet sich ein relikt, denn auf der rückseite der Figur, an deren schulter, klebt ein kleiner weißer Zettel mit den Zahlen «…333»40 (abb. 3), der Kennzahl des Verkäufers in der helbing-auktion, von grundherr, sowie der gleichfalls darauf notierte Verkaufspreis, heute kaum noch lesbar. auch die amerikaner hinterließen ihre spuren auf der skulptur: in einer höhlung in der rückseite der skulptur brachten sie handschriftlich mit blauem stift die nummer «n 130» an. sie findet sich wieder im sogenannten unterstein

40 auf einem besser erhaltenen aufkleber aus der gleichen auktion auf inv.-nr. 35/291 ist die gesamte Kennziffer des einlieferers 13333 und darüber «…07» zu lesen. Offenbar auf keiner der beiden Figuren weitere sammlungskennzeichnungen. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

ein beispiel aus der Provenienzforschung, dem neuesten Forschungsfeld des gefeierten

skulpturen inventar, einer art transportliste, die während einer ausstellung der «hermann goering collection» im Ort unterstein bei berchtesgaden 1945 aufgesetzt wurde.41

41 harry V. anderson inventory and receipt for hermann göring art collection submitted to commanding general, 101st airborne division, 1945 July 26–august 4. inventory list of looted art from the göring collection found at berchtesgaden. thomas carr howe papers, archives of american art, smithsonian institution, carbon copy of an original handwritten list by howe, s. 53, nr. 130. Vgl. auch us national archives/rg260/ardelia hall collection/records of the Wiesbaden central collecting Point/restitution research/box 169 sowie die bei haase, Kunstsammlung, abgebildete unnumerierte Version, s. 297, links: «Wood, gilt madonna & child (austrian 16th cen. böhler, munich)» mit einer angegebenen höhe von 190 cm. © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

das studium der menschheit

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barbara magen

tabula gratulatoria

tabula gratulatoria

dieter arnOld

dr. Florian ebeling

curator emeritus, the metropolitan museum of art, new York

dr. hans-dieter eberhard

dorothea arnOld

bernhard ebneth

curator emerita, the metropolitan museum

neue deutsche biographie, historische

of art, new York

Kommission bei der bayerischen akademie der Wissenschaften, münchen

dr. caris-beatrice arnst Ägyptisches museum und Papyrussammlung,

Kay ehling

staatliche museen zu berlin

«gottes blitz hat uns durchglüht» stg

dr. andrea bambi

Prof. dr. rupert gebhard

bayerische staatsgemäldesammlungen. beatrix gessler-lÖhr Prof. dr. heike behlmer

heidelberg

dr. edith bernhauer

dr. gabriele greindl m.a. bayerische akademie der Wissenschaften

Véronique berteauX Joyeux anniversaire – joie, bonheur, santé,

dr. isabel grimm-stadelmann

réussite und prospérité. dr. brigitte haas-gebhard Prof. dr. elke blumenthal Ägyptologisches institut der universität leipzig

hans-Joachim hecKer

Prof. dr. günter burKard

dr. berthold hub

dr. regine buXtOrF

Prof. dr. Florian huFnagl

dr. rosemarie drenKhahn

dr. Jean-marcel humbert © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

tabula gratulatoria

das studium der menschheit

dr. mag. heinz irrgeher

Prof. dr. med. udo lÖhrs Pathologischen instituts der ludwig-

Prof. dr. Peter JánOsi

maximilians-universität münchen herzlichen glückwunsch zur Vollendung ihres

Prof. dr. henrik Karge

65. geburtstages, lieber herr dr. grimm,

Fachgebiet Kunstgeschichte der technischen

verbunden mit den besten Wünschen für eine

universität dresden.

stabile gesundheit, den erhalt der gewohnten

mit der besten erinnerung an die gemeinsame

schaffenskraft und lebensfreude – ad multos

dresdner tagung zur Ägyptenrezeption im mai

annos. ihr. u. löhrs

2014. manfred mÄrZ hubert KauFhOld universität münchen

dr. antonie magen bayerische staatsbibliothek

rosemarie und dietrich Klemm Prof. dr. Oswald Panagl dr. Kamal s. KOlta dr. richard b. ParKinsOn dr. thomas KÜbler dr. gabriele PieKe Prof. dr. Katja lembKe Prof. dr. andreas Pitum nicolas liPPert Prof. dr. gerd PleWig Prof. dr. Wolfgang gerhard lOcher Joachim Friedrich quacK christian lOeben

Ägyptologisches institut der universität

– der musemskollege aus hannover mit

heidelberg

herzlichen grüßen und besten Wünschen. dr. silvia m. rabehl anton lÖFFelmeier Prof. dr. tonio richter raphael rOsenberg institut für Kunstgeschichte der universität Wien © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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barbara magen

tabula gratulatoria

dr. martin schaWe

dr. matthias Weniger

bayerische staatsgemäldesammlungen münchen.

dr. Friederike Werner Kunsthistorikerin und malerin.

Prof. dr. hermann a. schlÖgl

Forschungsschwerpunkt: Ägyptenrezeption des 18. und 19. Jahrhunderts.

annette schOmmers

www.friederike-werner.de

bayerisches nationalmuseum dr. Frank WernitZ dr. harald schulZe

Kurator, bayerisches armeemuseum sollte ich einmal gefragt werden, wie dein

dr. hourig sOurOuZian

leben, schaffen und Wirken in einem satz charakterisiert werden könnte, würde ich mich

dr. rainer stadelmann

eines gedankens von thomas von aquin bedienen, der da lautet: «alle dinge werden zu

dr. michael stePhan

einer quelle der lust, wenn man sie liebt.» diese liebe wohnt dir bis heute inne. alles

Prof. dr. martina ullmann

erdenklich gute zu deinem geburtstag und

institut für Ägyptologie der ludwig-

danke für die gemeinsame verbrachte Zeit.

maximilians-universität münchen stefan Jakob Wimmer institut für Ägyptologie und Koptologie der lmu

Prof. dr. alexandra VerbOVseK

münchen miguel John VersluYs

bayerische staatsbibliothek, Orient- und

Professor miguel John Versluys, classical &

asienabteilung

mediterranean archaeology, leiden university. dr. ilse von Zur mÜhlen

! © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

FarbtaFeln

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

«… denn das eigentliche studium der menschheit ist der mensch.»

FarbtaFeln 1–12 (eine auswahl) © 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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edith bernhauer

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Ägypten leuchtet

tafel 1

A l’entrée d’un village arabe./Le Caire Dhahabiyes au bord du Nil. Souvenir de (© edith bernhauer), ungeteilt, gelaufen in Österreich am 28.04.1898, W. hagelberg, berlin

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tafel 2

Ägypten leuchtet

9

edith bernhauer

Le Caire Kafr près les Pyramides de Sakkara. [richtig: giza], Les Pyramides de Gizeh. Souvenir de (© c. brand), ungeteilt, gelaufen von Ägypten am 27.09.1898 nach deutschland 02.10.1898, Änderung der anschrift am 21.10.1998, W. hagelberg, berlin

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günter burkard

1

Ostrakon berlin P 10667 as und Ostrakon deir el medine 1650i

Ostrakon berlin P 10667 as, © smb Ägyptisches museum und Papyrussammlung

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tafel 3

tafel 4

l’Égypte éphémère des parcs d’attractions (1818–2018)

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Jean-marcel humbert

OzIris, Parc astérix, France, 2012.Photo © Jean-marcel humbert, 2012.

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eine spurensuche

Kamal s. Kolta

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ikone der hl. Verena mit attributen aus der gemeinde st. Verena in bad-Zurzach. © 2008 Pfarrei st. Verena, bad Zurzach

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tafel 5

tafel 6

ein weiblicher antinoos?

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ansicht des grabbaus der isidora von Westen (Photo: K. lembke)

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Katja lembke

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Wolfgang gerhard locher isabel grimm-stadelmann

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der arzt Johann nepomuk von ringseis (1785–1880)

Johann nepomuk von ringseis (1785–1880), Öl/leinwand 64 x 55,5 cm. (h 65,7, br. 57,5 cm) um 1830/40. unsigniert. Künstler: moritz von schwind (1804–1871).

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

tafel 7

tafel 8

edward Jenner. an inquiry

4

gerd Plewig

edward Jenner. an inquiry. tafel no. 1. case XVi. the sore of the hand of sarah nelmes…. «the matter was inserted on the 14th of may, 1776, into the arm of the boy (id est James Phipps) by means of two superficial incisions, barely penetrating the cutis, about half an inch long» (text auf seite 32). alter bibliotheksstempel: medical society edinb. – Privatbesitz

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hermann a. schlögl regine buxtorf

amulettskarabäen

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tafel 10

«Wind»

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marie Janssen «Wind», majolika-Figur 1914, sammlung J. Vollmann, münchen (Foto und copyright: stefanie Friedrich)

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harald schulze

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matthias Weniger

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die stammreihen der Wittelsbacher

tafel 11

ahnen des hauses Wittelsbach: Otharius, tassilo iii., ludwig der Fromme, Karlmann, arnolf, Otto von ungarn, Otto d. gr. Fragment des Wandgemäldezyklus im alten hof, um 1465, münchen (heute fälschlich links montiert), © bayerisches nationalmuseum, Foto: matthias Weniger

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

tafel 11

1b

die stammreihen der Wittelsbacher

matthias Weniger

ahnen des hauses Wittelsbach: theodo, arnulf von metz, angisus, Pippin, Karl d. gr., Karl martell, Karlmann. Fragment des Wandgemäldezyklus im alten hof, um 1465, münchen (heute fälschlich rechts montiert), © bayerisches nationalmuseum, Foto: matthias Weniger

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

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eine madonna aus Österreich

ilse von zur mühlen

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maria mit Kind auf mondsichel (nachahmung im stil des 15. Jhs.?), inv.-nr. 65/138, Foto (nr. d69794): bastian Krack, © bayerisches nationalmuseum münchen

© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10959-8 — ISBN E-Book: 978-3-447-19726-7

tafel 12

der Band vereint Beiträge aus der Ägyptologie, der geschichtswissenschaft, der Koptologie, der Kunstgeschichte, der linguistik, der medizin und ihrer geschichte, der musikwissenschaft, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Provenienzforschung und der rechtsgeschichte zu ehren alfred grimms anläßlich seines 65. geburtstags.

isBn 978-3-447-10959-8

«… denn das eigentlicHe studium der menscHHeit ist der menscH.»

Umschlag_Alfred_416x275mm.qxp_Umschlag Grimm 15.01.18 19:57 Seite 1

Harrassowitz

«… denn das eigentlicHe studium der menscHHeit ist der menscH.» Festschrift für alfred grimm herausgegeben von Barbara magen

Harrassowitz Verlag