In dem vorliegenden Band wird in drei ausgewählten Bereichen die Art des Zusammenwirkens zwischen der politischen Elite
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German Pages 141 [151] Year 1996
Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Martin Jehne: Einführung: Zur Debatte um die Rolle des Volkes in der römischen Politik
Karl-Joachim Hölkeskamp: Oratoris maxima scaena: Reden vor dem Volk in der politischen Kultur der Republik
Martin Jehne: Die Beeinflussung von Entscheidungen durch “Bestechung”: Zur Funktion des ambitus in der römischen Republik
Egon Flaig: Entscheidung und Konsens. Zu den Feldern der politischen Kommunikation zwischen Aristokratie und Plebs
Indices (zusammengestellt von Bernhard Linke)
Martin Jehne (Hg.)
Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik
HISTORIA Einzelschriften 96
Franz Steiner Verlag Stuttgart
MARTIN JEHNE (HG.)
DEMOKRATIE INROM?
HISTORIA ZEITSCHRIFT FÜR ALTE GESCHICHTE REVUE D’HISTOIRE ANCIENNE JOURNAL OF ANCIENT HISTORY RIVISTA DI STORIA ANTICA
EINZELSCHRIFTEN HERAUSGEGEBEN VON HEINZ HEINEN/TRIER FRANÇOIS PASCHOUD/GENEVE KURT RAAFLAUB/WASHINGTON D.C. HILDEGARD TEMPORINI/TÜBINGEN
GEROLD WALSER/BASEL
HEFT 96
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1995
MARTIN JEHNE (HG.)
DEMOKRATIE IN
ROM?
DIE ROLLE DES VOLKES IN DER POLITIK DER RÖMISCHEN REPUBLIK
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1995
CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Bibliothek –
[Historia / Einzelschriften] Historia: Zeitschrift füralte Geschichte. Einzelschriften. Stuttgart: Steiner
–
Früher Schriftenreihe Reihe Einzelschriften zu:Historia NE:Historia-Einzelschriften H.96. Demokratie inRom?–1995
Demokratie in Rom?: DieRolle desVolkes inderPolitik der römischen Republik / Martin Jehne (Hg.). –Stuttgart: Steiner,
1995 (Historia: Einzelschriften; H.96)
ISBN 3-515-06860-0 NE:Jehne, Martin [Hrsg.]
ISO 9706
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig undstrafbar. Dies gilt insbesondere fürÜbersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung odervergleichbare Verfahren sowie fürdieSpeicherung inDatenverarbeitungsanlagen. © 1995byFranz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, SitzStuttgart. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Druckerei Peter Proff, Eurasburg. Printed inGermany
INHALTSVERZEICHNIS
VII
Vorwort
Martin Jehne Einführung: ZurDebatte
umdieRolle desVolkes inderrömischen
Politik
Karl-Joachim Hölkeskamp Oratoris maxima scaena: Reden vordemVolk inderpolitischen Kultur
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derRepublik
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Martin Jehne DieBeeinflussung vonEntscheidungen durch “Bestechung” : ZurFunktion desambitus inderrömischen Republik
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Egon Flaig
Entscheidung undKonsens. ZudenFeldern derpolitischen Kommunikation zwischen Aristokratie undPlebs
Indices (zusammengestellt
vonBernhard Linke)
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VORWORT
Dieses Buch ist hervorgegangen auseiner Sektion des40. Deutschen Historikertags inLeipzig (28.Sept. –1.Okt. 1994). MitderFrage nachderDemokratie inRom, die ich etwas provokant zumTitel unserer Sektion erhoben hatte, wollten wirunsin die Debatte über dieRolle desVolkes inderrömischen Politik einschalten. Da dievon Fergus Millar ausgelöste Diskussion einerseits aktuell, andererseits von grundsätzlicher Bedeutung ist, war die Thematik wie geschaffen für eine Sektion auf einem Historikertag, bei demmanauf eine kritische Auseinandersetzung mit denunmittelbaren Fachkollegen rechnen kann, aber auch einem geschichtswissenschaftlich, jedoch nicht unbedingt althistorisch vorgebildeten Publikum vorstellen sollte, was das Fach derzeit bewegt. Natürlich war von vornherein klar, daß die Problematik im Rahmen einer solchen Sektion nicht umfassend aufzurollen war, doch schien uns das für unser Hauptanliegen, die Diskussion über die Perspektiven bei derBetrachtung römischer Politik anzuregen, kein wesentliches Manko zu sein. Diesem Anliegen hoffen wirauchdurch diePublikation unserer damaligen Vorträge dienen zu können, die wir hier nunmehr in erheblich überarbeiteter underweiterter Fassung vorlegen.
Die Beiträge dieses Bandes haben –so ist unsere einhellige Überzeugung –sehr vonunseren intensiven Diskussionen, diewirunter anderem bei zwei sehr
profitiert
ergiebigen Arbeitstreffen in Dresden miteinander geführt haben. Unsere gemeinsamenGrundanschauungen, aufwelchen Wegen manzu einem vertieften Verständnis derrömischen Politik gelangen könnte, haben sich dabei gefestigt undkonkretisiert, unddarüber hinaus konnte jeder in seinem Thema auf sehr wertvolle Kritik undAnregungen derMitstreiter zurückgreifen. Es ist mireinbesonderes Vergnügen, mich hier für das seltene Erlebnis einer äußerst fruchtbaren undharmonischen Zusammenarbeit bei meinen Freunden und Kollegen Egon Flaig und Karl-Joachim
Hölkeskamp bedanken
zukönnen.
Unser gemeinsamer Dank gilt meinem Assistenten Herrn Dr.Bernhard Linke, der sich umsichtig undeffizient der entsagungsvollen Aufgabe unterzogen hat, die Indices zu erstellen, meiner Sekretärin Frau Kerstin Dittrich, die all dieProbleme bei der Erstellung der Druckvorlage mit großem Geschick gelöst hat, außerdem dem Geschäftsführer des Steiner Verlages, Herrn Vincent Sieveking, der sich schon auf
demHistorikertag sofort bereit erklärt hatte, dieVorträge in seinem Verlag zupublizieren, undnatürlich demHerausgeberkollegium derHistoria Einzelschriften für die Aufnahme des Buches in die Reihe, insbesondere Herrn Prof. Dr. Kurt Raaflaub, derErmunterung undbedenkenswerte Anregungen beisteuerte. Dresden
Martin Jehne
MARTIN JEHNE EINFÜHRUNG: ZUR DEBATTE UMDIE ROLLE DES VOLKES INDER RÖMISCHEN POLITIK
Spätestens seit Fergus Millar vor nunmehr gut 10 Jahren seinen Aufsatz über den politischen Charakter der klassischen Republik publiziert hat1, ist die Rolle des Volkes in der Politik der republikanischen Ära in derForschung umstritten. Millar nahmAnstoß anderstarken Diskrepanz zwischen dembeträchtlichen Umfang, den die Schilderungen vonPolitik vor demVolke undmitdenVolksversammlungen in denunserhaltenen Quellen einnehmen, unddemgeringen Einfluß, denbreitere Bevölkerungskreise nach gängiger Meinung auf die Entscheidungen ausgeübt haben sollen. Darüber hinaus verwies Millar auf die berühmte Darstellung der römischen Verfassung bei Polybios, derzufolge ja das Volk in Rom keineswegs zur Bedeutungslosigkeit verdammt war2, undplädierte dafür, denZeitgenossen Polybios ernst zu nehmen unddie demokratischen Züge der römischen Verfassung nicht zu ignorieren. Millar ging zwar nicht so weit, das politische System der römischen Republik alsDemokratie zuklassifizieren, dochverlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, daß dieses System demdemokratischen Athen erheblich näher gestanden habe, als mangemeinhin zuzugeben bereit sei3. Nunhat dieDiagnose demokratischer Tendenzen inderrömischen Republik, ja sogar ihre regelrechte Apostrophierung als Demokratie durchaus eine gewisse Tradition. Noch in derzwanziger Jahren wares verbreitet, die populare Politik als demokratisch unddie dadurch beeinflußten Zustände als Demokratie zubezeichnen4.
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151 B.C., JRS 74, F.MILLAR, The Political Character of the Classical Roman Republic, 200– 19. 1984, 1– 12. Polyb. 6,14,1– Vgl. MILLAR, JRS 74, 1984, 2. Er hatdieThematik noch in weiteren Beiträgen behandelt, 90 B.C.), JRS 76, vgl. DENS., Politics, Persuasion andthePeople before the Social War(150– 11; DERS., Political Power in Mid-Republican Rome: Curia or Comitium?, JRS 79, 1986, 1– 150 (Rez. vonK.Raaflaub [Hg.], Social Struggles in Archaic Rome, Berkeley usw. 1989, 138– 1986, und Hölkeskamp, Nobilität [s.u.A.13]); DERS., Popular Politics at Rome in the Late Republic, in: I.Malkin/W.Z. Rubinsohn (Hgg.), Leaders and Masses in the Roman World. 113. In diesem letzStudies in honor of Z.Yavetz, Mnemosyne Suppl. 139, Leiden 1995, 91– ten Beitrag geht MILLAR weiter hinsichtlich derDemokratie als zuvor, vgl. a.O. 94: “Using ‘democracy’in a strictly neutral sense, it is undeniable that theconstitution of theRoman republic wasthat ofa direct democracy” . Dieswirdbegründet mitderWahlderMagistrate und der Verabschiedung derGesetze in denVolksversammlungen; Millar nähert sich damit den Formalisten an(s.u.A.7). Demgrundsätzlichen Problem, obVolksversammlungen, bei denen die Abstimmung in zahlenmäßig ganz disproportional besetzten Stimmkörperschaften durchgeführt wird, nicht schon strukturell als undemokratisch anzusehen sind, stellt sich Millar nicht. 328; T.R.GLOVER, Vgl. etwa W.ENßLIN, Die Demokratie undRom, Philologus 82, 1927, 313– Democracy in the Ancient World, Cambridge 1927, 150 ff., s. auch schon TH.MOMMSEN,
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MARTIN JEHNE
Seit manjedoch erkannt hat, daß daspopulariter agere wesentlich eine politische Methode, jedenfalls aber keine kontinuierliche Reformbewegung darstellt5, wird in soweit ichsehe – nicht mehr vonDemokratie gesprochen6, diesem Zusammenhang – was nicht ausschließt, daß die Popularen, wie eigensüchtig ihre Beweggründe im Einzelfall auch gewesen sein mögen, miteinem Teil ihrer Gesetze zugunsten breitererBevölkerungskreise wirkten. Daßmandierömische Republik auch in derNachkriegszeit vereinzelt alsDemokratie kategorisiert hat, basiert aufjuristischen Analysen des römischen Institutionengefüges vor demHintergrund äußerst formaler Demokratiedefinitionen7. Da dazu die sozialen Realitäten aber weitgehend ausgeblendet werden müssen, hat solche Begriffsakrobatik die dominierende Einschätzung
derrömischen Republik alsOligarchie begreiflicherweise nicht erschüttern können. Millars Argumentation bewegte sich von vornherein auf einer ganz anderen Ebene, da es bei ihmweder umeine spontan-unreflektierte noch umeine formalistisch-artifizielle Etikettierung ging, sondern umdie Begründung einer neuen Gesamtdeutung der römischen Politik in eingehender Auseinandersetzung mit der herrschenden Position. Natürlich hatte es auch schon früher Ansätze gegeben, dem römischen Volk als Machtfaktor während der Republik einen nicht gänzlich unbedeutenden Platz einzuräumen8, doch bündelte erst Millar das vereinzelte Mißbehagenzu einer Frontalattacke auf die communis opinio, nach der die Politik in Rom derart von einer verhältnismäßig kleinen Führungsschicht beherrscht wurde, daß maneinfachere Bevölkerungsschichten als politischen Faktor glaubte vernachlässigenzu können, auch wenn dieformalen Mechanismen derEntscheidungsbildung sie zwingend einbezogen. Nunist Elitendominanz
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bemerkenswert9, doch was manfür Rom
Römische Geschichte (91903), Taschenbuchausg. Darmstadt 31984, 3, 81 f. (II, 72 f.). 615; J.MARTIN, Die Vgl. dazu nur CHR.MEIER, RE Suppl. 10, 1965, s.v. Populares, Sp.549– Popularen in derGeschichte derspäten Republik, Diss. Freiburg 1965. Vgl. schon W.KROLL, Die Kultur der ciceronischen Zeit I, Leipzig 1933, 141 A.74 (im Rahmenseiner Analyse derpopularitas): “ Manverbaut sich dasVerständnis dieser Dinge, wenn manhier von‘Demokratie’redet” . Vgl. bes. A.GUARINO, La democrazia a Roma, Napoli 1979 (der sogar dieKaiserzeit bis ins 3. Jh. hinein noch als Demokratie gelten läßt); vgl. auch P.CATALANO, Il principio de329. Einen Überblick über diesen Klassifizierungsmocratico in Roma, SDHI 28, 1962, 316– ansatz in derForschung gibtjetzt L.LABRUNA, Algunas reflexiones sobre la reciente historiografia juridica referente a la llamada “ democrazia”de los Romanos, in: Arsboni et aequi. 214. Zur Künstlichkeit und letztlich sogar InFestschr. f. W.Waldstein, Stuttgart 1993, 203– konsistenz desAnsatzes vonGuarino vgl. dieRezension vonW.EDER, ZRG 98, 1981, 570-
572.
So mitunterschiedlicher Akzentuierung P.A.BRUNT, Social Conflicts in theRoman Republic, New York 1971; C.NICOLET, Le métier de citoyen dans la Rome républicaine, Paris 1976 (englische Ausgabe:
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an sich nicht
The World of the Citizen in
Republican Rome, London 1980);
H.SCHNEIDER, Sozialer Konflikt in der Antike: Die späte römische Republik, GWU 27, 1976, 613; L.PERELLI, Il movimento popolare nell’ultimo secolo della Repubblica, Turin 1982. 597– Vgl. dieklassische Sentenz vonR.SYME, Die römische Revolution (engl. 21952), München 1992, 13: “ Wasauch immer dieForm undderNameeiner Regierung sein mag, Monarchie, . BeRepublik oder Demokratie, zuallen Zeiten lauert eine Oligarchie hinter derFassade”
Einführung
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während der Republik konstatiert hat, geht über dasÜbliche weit hinaus. Danach ist die römische Gesellschaft geprägt vom Clientel- bzw. Bindungswesen, durch das weite Bevölkerungskreise an die großen Magnaten gebunden sind, so daß deren Einfluß in ungewöhnlichem Maße stabilisiert wird und sich andere Gruppen höchstens in Ausnahmefällen zurGeltung bringen können. Die ander Spitze der Gesell-
die zuerst Matthias Gelzer beschrieben undsystematisch so weitgehend diePolitik unddie Entscheidungen, daß dieerforderlichen Beschlüsse derVolksversammlungen imNormalfall reine Formalakte sind. Wie unlängst Johnson undDandeker verdeutlicht haben, ist es geradezu selbstverständlich, daß sich bei ungleicher Ressourcendistribution Patronagebeziehungen ausbilden, also außerrechtliche Beziehungen mit Gefälle undgegenseitigen Leistungserwartungen; doch einregelrechtes Patronagesystem wie in Rom, in dem alle Ressourcen ganz offen und völlig normenkonform nach Patronagegesichtspunkten verteilt werden dürfen, stellt eine Besonderheit dar11. Aus dieser Einschätzung der soziopolitischen Verhältnisse der römischen Republik ergibt sich folgerichtig, daßsachliche Erwägungen undprogrammatische Überzeugungsarbeit hinter diePersonenorientierung weit zurücktreten. AufdasKonzept vonderBeherrschung derrömischen Politik durch eine kleine Führungsclique, die weite Kreise derBevölkerung in ein gigantisches Patronagesystem eingebunden hat, haben vor allem Münzer undScullard die Vorstellung aufgepfropft, die Politik habe vordringlich aus Konkurrenzkämpfen von Adelsfaktionen bestanden, die wesentlich durch Verwandtschaftsbeziehungen dauerhaft zusammengeschweißt gewesen seien12. Diese These kann zumindest in ihrer extremeren Form als widerlegt gelten13, ohne daß dadurch die gängige Anschauung von der großen Bedeutung des Bindungswesens im geringsten in Mitleidenschaft gezogen wäre. Daß diese imGegenteil miteiner Ablehnung stabilerer Adelsparteiungen beschaft
stehende Nobilität,
analysiert hat10, kontrolliert
wohl unkorrekt zur Allaussage zeichnend ist aber, welche Konsequenzen Syme ausseiner – Beobachtung zieht, indem erebd.fortfährt: “ verallgemeinerten – unddierömische Geschich. te, dierepublikanische wiediekaiserliche, istdieGeschichte einer herrschenden Klasse” 10 M.GELZER, Die Nobilität der römischen Republik (1912), in: ders., Kleine Schriften I, Wies135 (Neuausgabe hrsg. v. J.v.Ungern-Sternberg, Stuttgart 21983). baden 1962, 17– 11 T.JOHNSON/C. DANDEKER, Patronage: relation and system, in: A.Wallace-Hadrill (Hg.), Pa242. tronage in Ancient Society, London/New York 1989, 219– 12 F.MÜNZER, Römische Adelsparteien undAdelsfamilien, Stuttgart 1920; H.H.SCULLARD, Ro150 B.C., Oxford 21973. manPolitics, 220– 13 Vgl. etwa CHR.MEIER, Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung undGeschichte der 190; R.RILINGER, Der Einfluß des späten römischen Republik, Frankfurt a.M. 21980, 174– Wahlleiters bei den römischen Konsulwahlen von 366 bis 50 v.Chr., Vestigia 24, München 167 B.C., Coll. La1976, bes. 8 m.A.35; R.DEVELIN, The Practice of Politics at Rome 366– 88; K.-J.HÖLKESKAMP, Die Entstehung der Nobilität. Studien tomus 188, Brüssel 1985, 43– zursozialen undpolitischen Geschichte derRömischen Republik im4. Jhdt. v.Chr., Stuttgart 61; P.A.BRUNT, The Fall of the Roman Republic and Related Essays, Oxford 1988, 1987, 41– 502; zuletzt wieder H.BRUHNS, Parenté et alliances politiques à la fin de la République 443– romaine, in: J.Andreau/ders. (Hgg.), Parenté et stratégies familiales dans l’Antiquité ro594. 4 oct. 1986, CÉFR 129, Rom 1990, 571– maine, Actes de la table ronde des 2–
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MARTIN JEHNE
stens vereinbar ist, zeigen die Überlegungen von Christian Meier, der dengeringen Sachgehalt der römischen Politik unddieüberragende Bedeutung derPersonalentscheidungen herausgearbeitet hat, wasmit einer Struktur kurzzeitiger Koalitionen
in derFührungsschicht korrespondiert14. Millars Angriff auf die “ Orthodoxie”bettet sich ein in einen breiteren Strom von kritischen Stimmen gegen das allzu eng nobilitätsfixierte Verständnis römischer Politik. Gegen Gelzers Theorie, daßdasConsulat in derFamilie dasentscheidende Kriterium für die Zugehörigkeit zur Nobilität sei, hat sich schon 1982 Peter Brunt gewendet, doch scheint mir sein Versuch, die Schicht der nobiles auszuweiten, nicht überzeugend zu sein, denn Brunt bringt es insgesamt nuraufvereinzelte Ausnahmen vonGelzers Regel15. Diese wären aber nursignifikant, wenn Gelzers Nobilität eine Rechtskategorie wäre; da siejedoch selbstverständlich eine soziale Kategorie ist, sind Unschärfe an den Rändern undgelegentlich ungenauer Sprachgebrauch in den Quellen normal. Ebenso wenig durchschlagend ist die These von Hopkins undBurton, die Nobilität habe sich entgegen der gängigen Ansicht keineswegs das Consulat weitgehend sichern können16. Wie die akribische Überprüfung der Fasten durch Ernst Badian ergeben hat, liegt die Reproduktionsquote im Consulat bei mindestens 75 %, was durchaus beachtlich ist17. Im übrigen ist aber dieFrage derElitenmobilität ohnehin nicht zentral, wenn es umdasProblem geht, inwieweit
ein politisches System
sinnvoll
als demokratisch klassifiziert werden
kann.
Die neue Linie, auf der sich neben Millar Andrew Lintott undJohn North bewegt haben18, hat ihren Argumentationsschwerpunkt denn auch nicht im Bereich einer Neudefinition der Führungsschichten, sondern in der Neubestimmung der Rolle des römischen Volkes in derPolitik, demeinungleich größerer Einfluß zugeschrieben wird, als es früher üblich war. Treffende Beobachtungen stützen dieNeubewertung: Neben demreinen Umfang, dendie Kommunikation mit demVolke in denQuellen einnimmt, unddemUrteil deshellsichtigen Zeitgenossen Polybios, das ich schon erwähnt habe, wird ins Feld geführt, daß die offiziellen Formulare ganz
199; u.ö. 23; 190– 14 CHR.MEIER, Res publica amissa (s.o.A.13) 13– 17. Vgl. auch die Kritik von 15 P.A.BRUNT, Nobilitas and novitas, JRS 72, 1982, 1– 260; D.R.SHACKLETON BAILEY, Nobiles and Novi Reconsidered, AJPh 107, 1986, 255– L.A.BURCKHARDT, ThePolitical Elite of theRoman Republic: Comments onRecent Discus84. sion of the Concepts nobilitas andhomo novus, Historia 39, 1990, 80– 50 BC), in: 16 K.HOPKINS/G. BURTON, Political Succession in the Late Republic (249– K.Hopkins, Death andRenewal, Sociological Studies in Roman History 2, Cambridge 1983, 119. 31– 49 BC, Chiron 20, 1990, 371– 413. Vgl. auch BURCKHARDT, Hi17 E.BADIAN, The Consuls, 179– 88. storia 39, 1990, 84– 52; J.NORTH, Democrat18 A.LINTOTT, Democracy in the Middle Republic, ZRG 104, 1987, 34– 21; DERS., Politics and Aristocracy in the ic Politics in Republican Rome, P&P 126, 1990, 3– 287. Vgl. auch A.YAKOBSON, Petitio et largitio: PopuRoman Republic, CPh85, 1990, 277– 52. lar Participation in the Centuriate Assembly of theLate Republic, JRS 82, 1992, 32–
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Einführung
aufdasVolk bezogen sind, wasnicht völlig bedeutungslos sein könne19, unddaßin den Volksversammlungen schon frühzeitig zahllose Probleme entschieden wurden20. Davon ausgehend hat Millar generell moniert, daß man in den Konzepten über dasFunktionieren des römischen Staates die offenen Konflikte über Sachfragenunddie verschiedenen Formen derReden zumVolk außer Acht gelassen habe21, insgesamt sei die Forschung viel zu sehr auf die Wahlen fixiert, während die Gesetzescomitien mit denSachentscheidungen, die dort über alle Bereiche des öffentlichen Lebens undder Staatsverwaltung gefällt wurden, zuwenig Berücksichtigung fanden; gerade im breiten Spektrum der Gesetze aber zeige sich der bedeutende Einfluß des Volkes in der römischen Politik22. Millar faßt seine Sicht in dem Slogan zusammen, daß sich die bedeutsame Politik eher auf demComitium als in der Curia abspielte23, undtritt für eine starke Aufwertung der Volksversammlungen gegenüber demSenat ein. Diese Schwerpunktverschiebungen in den politischen Kräfteverhältnissen der Republik sind nicht ohne Widerspruch geblieben. Burckhardt hat vor allem die Kritik anGelzers Nobilitätsbegriff zurückgewiesen, sich aber auch gegen Millars polybianischen Formalismus gewandt unddargelegt, welche Mechanismen in der Praxis dafür sorgten, daß die Volksversammlungen von der Oberschicht gelenkt werden konnten24. Harris hat sich direkt mit North auseinandergesetzt undbemängelt, daß dessen kritische Stoßrichtung Positionen aufs Korn nimmt, diein dieser Form kaum noch vertreten werden25; zudem sei ein beachtlicher Teil dervorgebrachten Argumente bestens vereinbar mitdergängigen Sicht einer aristokratisch dominierten res publica, deren politisches Zentrum im Senat lag26. Gruen hat darauf hingewiesen, daßmansich ohnehin zusehr aufdenWettbewerb in derFührungsschicht konzen-
19 Vgl. MILLAR, JRS 76, 1986, 8; DERS., in: Leaders andMasses (s.o.A.3) 94. 43; vgl. 20 Eine knappe Übersicht über die Gesetzesmaterie bei LINTOTT, ZRG 104, 1987, 41– auch MILLAR, JRS 76, 1986, 6 f.; DERS., JRS 79, 1989, 145 f.; DERS., in: Leaders and Masses
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(s.o.A.3) 94 f.
JRS 74, 1984, Masses (s.o.A.3) 109 f. MILLAR,
2 f.; 9 f.; 16; 18; DERS., JRS 76, 1986, 1 f.;
22 Vgl. MILLAR, JRS 74, 1984, 18; DERS., JRS 76, 1986, 4 f.;
DERS.,
in: Leaders and
DERS., in: Leaders and Masses (s.o.A.3) 109. 23 Vgl. denTitel seines Aufsatzes in JRS 79, 1989 (s.o.A.3), außerdem ebd. 141. 98. Vgl. auch die knappe, aber treffende Be99, bes. 89– 24 BURCKHARDT, Historia 39, 1990, 77– urteilung derDefizite derpolybianischen Verfassungsanalyse bei T.J.CORNELL, Rome: The History of an Anachronism, in: A.Molho/K. Raaflaub/J. Emlen (Hgg.), City States in Classical Antiquity and Medieval Italy, Stuttgart 1991, 61 f.: Polybios sei davon ausgegangen, daß Romim Prinzip ein Stadtstaat nach griechischem Muster sei, der sich folglich auch in der Terminologie unddenModellen dergriechischen Polis beschreiben lasse; manmußsich also nicht wundern, daßdas, wasin Romnicht demgriechischen Stadtstaat entsprochen hat, bei Polybios nicht vorkommt. S.jetzt u.denBeitrag vonE.FLAIG. 25 So auch allgemein K.-J.HÖLKESKAMP, Conquest, Competition and Consensus: Roman Expansion in Italy andtheRise of theNobilitas, Historia 42, 1993, 15. 26 W.V.HARRIS, OnDefining thePolitical Culture of theRoman Republic: Some Comments on 294. Rosenstein, Williamson, andNorth, CPh85, 1990, 288–
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MARTIN JEHNE
triert habe statt auf die starke Solidarität, die das eigentlich erstaunliche Phänomen sei27; daß selbst traditionelle Indikatoren für dengrößeren Einfluß breiterer Bevölkerungsschichten und ihrer Interessen, nämlich Wahlbestechung, Einführung der geheimen Abstimmung und Volksprozesse, sehr wohl als aristokratische Sicherungsmaßnahmen verstanden werden können, legt Gruen anregend dar28. Gegen die Tendenz zur Aufweichung derKategorie “ Nobilität”undzumHerunterspielen der Rolle des Senats hat Hölkeskamp aufdiePhase derFormierung derpatricisch-plebeischen Führungsschicht verwiesen, die die Kritiker der traditionellen Deutungen weitgehend vernachlässigen; er stellt die Herausbildung der Nobilität unddes dazugehörigen Satzes vonRegeln zurKanalisierung desWettbewerbs knapp dar undarbeitet den Zusammenhang mit demprägenden Einfluß des Senats heraus29. Überhaupt sind die Attacken auf den Senat als Entscheidungszentrum, die Millar unddie anderen Kritiker eher inpolemische Nebenbemerkungen gepackt als argumentativ expliziert haben30, sicherlich bisher eine Schwäche des neuen Konzepts. Daja einrömischer Politiker nurselten Magistrat, aber sein Leben lang Senator war, mußten allein schon diedauerhaften Initiativrechte des Senators im Senat31
diesem Gremium eine große Bedeutung sichern gegenüber denVolksversammlungen, in denen nureinige wenige Magistrate Anträge stellen konnten. Weder die intensive Konkurrenz umdenAufstieg inderÄmterlaufbahn noch dasandenÄmtern orientierte Rangklassensystem des Senats wären so recht nachvollziehbar, wenn
manvon denbesseren Plätzen der Senatsliste aus nicht wichtige Einwirkungsmöglichkeiten gehabt hätte32. Auch Millars Hervorhebung der zahllosen Volksgesetze 258. 27 Vgl. schon HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.13), bes. 241–
28 E.S.GRUEN, The Exercise of Power in the Roman
Republic, in: Molho/Raaflaub/Emlen (Hgg.), City States (s.o.A.24) 251– 267. Daß die Einführung der geheimen Abstimmung bei Wahlen und Prozessen keine Demokratisierungsmaßnahme, sondern ein aristokratischer Versuch zur Stabilisierung desBindungswesens war, habe ich unlängst zu begründen versucht, vgl. M.JEHNE, Geheime Abstimmung undBindungswesen in derRömischen Republik, 613 (A.GUARINO, “Inter amicos” 354 ist nicht überHZ257, 1993, 593– , Labeo 40, 1994, 352– zeugt). 39. Gegen die Vorstellung, Rom habe sich im 4. und 3. 29 HÖLKESKAMP, Historia 42, 1993, 12– Jh. auf eine Demokratie zubewegt, vgl. T.J.CORNELL, The conquest of Italy, in: F.W.Walbank/A.E. Astin u.a. (Hgg.), The Cambridge Ancient History VII 2, 2. Aufl. Cam403. bridge 1989, 399– 30 MILLAR, JRS 76, 1986, 5: “ fiction of senatorial government” ; vgl. immerhin ebd. 4; DERS., 94. in: Leaders andMasses (s.o.A.3) 92– 31 Vgl. dazu M.BONNEFOND-COUDRY, Le Sénat de la République romaine de la guerre d’Hannibal à Auguste: Pratiques délibératives et prise de décision, BÉFAR 273, Paris/Rom 520. 1989, 453– 32 Zumindest in dernachsullanischen Republik, als diePraetoren unddie Consuln nicht mehr sehr häufig in denKrieg zogen undmanche sogar auf dasProconsulat in derProvinz verzichteten (vgl. dieÜbersicht überdieconsularischen Provinzen bei A.GIOVANNINI, Consulare 90, wonach zwischen imperium, Schweizerische Beitr. z. Altertumswiss. 16, Basel 1983, 83– 80 und53 wenigstens 10 Consuln keine Provinz übernahmen, normalerweise infolge freiwilligen Verzichts): Wieso hätte manmitsogroßem Einsatz umdasConsulat kämpfen sollen, wenn die Stellung eines Consulars im Senat für die Gestaltung der Politik nicht wichtig gewesen wäre, sondern esvordringlich aufdiecontiones angekommen wäre, bei denen jemand
Einführung
7
ist für sich wenig aussagekräftig, solange nicht gezeigt wird, daß die Mehrzahl der Gesetze öffentlich umstritten war, denn dies wäre eine Voraussetzung für den Schluß von der Weite der verhandelten Materie unddemEntscheidungsort Volksversammlung auf großen Einfluß des Volkes33. Bei aller Kritik darf aber nicht verkannt werden, daßMillars Ansatz vor allem in einem Aspekt äußerst erhellend undergiebig ist, nämlich in der Betonung der Bedeutung von Öffentlichkeit. Große Teile der römischen Politik spielen sich in der Öffentlichkeit undvor einer Öffentlichkeit ab. Dies ist so selbstverständlich in der Republik undprägt so weitgehend die Verhaltensweisen deraktiven Politiker, daß mandies nicht einfach ausblenden kann, wenn mandie römische Politik verstehen will.
Doch Millars Verständnis von Öffentlichkeit liegt nach unserer gemeinsamen Auffassung einfundamentales Mißverständnis zugrunde. Millar geht ganz selbstverständlich davon aus, daß die Verpflichtung zur Einbeziehung von Öffentlichkeit, wie sie in der römischen Politik offenkundig gegeben ist, gleichzusetzen ist mit einemregelmäßigen relevanten Einfluß dieser Öffentlichkeit auf dieEntscheidungen. Anders gesagt: FürMillar ist es klar, daßdie Tatsache, daßein Gesetzesprojekt in der Volksversammlung vertreten unddann beschlossen werden muß, bedeutet, daß
breitere Bevölkerungskreise auf Inhalt undErfolg der Projekte ständig einwirken34. Damit ignoriert er die in der politischen Kulturforschung längst gängige Differenzierung zwischen Inhalts- und Ausdrucksseite von Politik und politischen Systethe public ideology of men35. Zwar ist Millar voll zuzustimmen, wenn er feststellt: “ a system is itself a fact about it, which we cannot ignore if we wish to understand
nurzu Wort kam, wenn es ihmvomversammlungsleitenden Magistrat nach dessen Ermessenerteilt wurde, undbeidenen andererseits jemand auch zumSprechen aufgefordert werden konnte, dernicht Consul geworden war? 33 Daß MILLAR zur Illustrierung der Einwirkung der Volksversammlungen auf alle Sektoren staatlicher Aktivität schon im4. und3. Jh. u.a. Gesetze ausdenTrümmern antiquarischer Überlieferung exhumiert, diebei Livius nicht erwähnt werden undauch nicht in dessen 2. Dekade fallen (vgl. DENS., JRS 79, 1989, 145 f.), führt ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht in denSektor desUmstrittenen, unddies gilt auchfüreinige derausLivius geborgenen Beispiele; damit könnte die Verabschiedung in derVolksversammlung doch eine Formalität gewesen sein, wiein dervonMillar attackierten “ Orthodoxie”unterstellt wird. Dies gesteht MILLAR, JRS 76, 1986, 6 auch zu; wasin seinen Beiträgen fehlt, ist der Versuch, Kriterien zuentwickeln undArgumente zufinden fürdieBeantwortung derFrage, wiealltäglich Kon-
troversen über Gesetzesvorschläge waren. Vorstellung schon dabei ist, zueiner neuen Orthodoxie zuerstarren, verdeutlicht derBeginn desAufsatzes vonR.LAURENCE, Rumour andCommunication in Roman Politics, G&R 41, 1994, 62: “ Recently there has been considerable debate about the nature of popular politics in the Roman Republic [hier wird verwiesen auf Arbeiten von Millar, Brunt und North]. This debate hasdemonstrated thattheRoman citizen wasactively involved in voting, and made conscious decisions about which candidate he should vote for at elections, and whether to votefororagainst a bill atthemeetings ofthecomitia.” Vgl. deninstruktiven Überblick über die verschiedenen Ansätze vonK.ROHE, Politische Kultur undihre Analyse. Probleme undPerspektiven derpolitischen Kulturforschung, HZ250, 346; neuerdings S.WELCH, The Concept of Political Culture, NewYork 1993. 1990, 321–
34 Daßdiese
35
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MARTIN JEHNE
it” 36.Doch ist eigentlich klar,
daß die Außenrepräsentation eines Systems nicht die tatsächlichen Funktionsmechanismen adäquat abbilden muß. Es ist also durchaus möglich, daß sich die Einbeziehung des Volkes in die Politik auf den korrekten Vollzug symbolischer Interaktionsweisen beschränkt, ohne daßdamit eine stärkere Beeinflussung der politischen Inhalte gegeben sein muß, d.h. zur unverzichtbaren Herstellung von Gemeinschaft zwischen Adel undVolk in Romgehörte sicherlich die häufige Kommunikation, die aber möglicherweise so ritualisiert war, daß das Volk im Normalfall auf den Sachgehalt von Entscheidungen gar keinen Einfluß hatte, obwohl es formal ständig entschied37. Für das, was gemeint ist, hat Egon Flaig dentreffenden Terminus “ Konsensritual”geprägt38. Wenn es zutrifft, daß es sich bei den regelmäßigen Kontakten zwischen politischer Führungsschicht und Volk wesentlich umKonsensrituale handelte, dannwürde die ständige Inszenierung von Politik in der Öffentlichkeit, die man auch nicht ungestraft vernachlässigen kann, nicht gegen ein Dominanz des Senats als Entscheidungsgremium sprechen. Die Konsequenz wäre dann, daßdie Angriffe vonMillar u.a. auf die “Orthodoxie” zwar Lücken in der gängigen Sichtweise römischer Politik aufgezeigt haben, aber gerade in den Versuchen, die politischen Entscheidungen neu zu lokalisieren, ganz insLeere laufen. VonderDemokratie inRomkönnte mansich dann getrost wieder verabschieden.
Die Beiträge dieses Bandes sind vondereinhelligen Grundüberzeugung getragen, daß gerade diese symbolische Dimension der Politik erschlossen werden muß, wenn mandas politische System der römischen Republik undspeziell die Position und Bedeutung des Volkes darin besser erfassen will. Mit der Fixierung auf die Kompetenzen formalisierter Organisationseinheiten wie Volksversammlungen verstellt mansich denBlick für die Dramaturgie der Interaktion zwischen Führungsundbreiteren Bevölkerungskreisen; unddie Prämisse, daß hoher Aufwand der Elite bei der Kommunikation mit der Masse nur zu erklären sei, wenn diese Masse großen Einfluß auf die Entscheidungsinhalte nehmen könne, verkennt völlig das Pazifizierungs- und Stabilisierungspotential öffentlicher Rituale jenseits der schicht
konkreten Inhalte.
36
MILLAR,
in: Leaders andMasses (s.o.A.3) 95.
37 DazuE.FLAIG,
38
Repenser le politique dans la République romaine, Actes dela Recherche en 25; vgl. auch DENS., Politisierte Lebensführung und Sciences sociales No.105, Déc. 1994, 13– ästhetische Kultur. Eine semiotische Untersuchung amrömischen Adel, Historische Anthropologie 1, 1993, 193– 217, wovorgeführt wird, wie man zu einem vertieften Verständnis solch symbolischer Beziehungen gelangen kann; zu einem besonders eindrucksvollen Beispiel von Stabilisierung soziopolitischer Hierarchie durch öffentliche Inszenierung vgl. DENS., Die Pompa Funebris. Adlige Konkurrenz undannalistische Erinnerung in derRömischen Republik, in: O.G.Oexle (Hg.), Memoria alsKultur, Göttingen (imDruck). Dierituelle Dimension römischer Volksversammlungen skizziert K.HOPKINS, FromViolence toBlessing: Symbols and Rituals in Ancient Rome, in: Molho/Raaflaub/Emlen (Hgg.), City States 495. (s.o.A.24) 491– E.FLAIG, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt a.M. 86. S. auchseinen Beitrag indiesem Band. 1992, 84–
Einführung
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Dieses nur knapp skizzierte Forschungsfeld kann selbstverständlich in diesem Band inkeiner Weise aufgearbeitet werden, vielmehr haben wirunsaufdrei Aspekte der römischen Politik konzentriert. Karl-Joachim Hölkeskamp beschäftigt sich mit den Reden vor demVolk, die –wie Millar zu Recht betont hat39 –zu den wesentlichsten Aktivitäten derPolitiker in der römischen Republik gehören, die aber vielfach allzu selbstverständlich als Überzeugungsarbeit gewertet werden undeben nicht als Teil einer öffentlichen Rolle40. Ich selbst behandele die Wahlbestechung, die gern als schädliche Konterkarierung des Leistungs- wie des Abstammungsprinzips undals Beweis für die immense Bedeutung von Volksentscheidungen eingestuft wird. Egon Flaig begibt sich aufdie Suche nach denInteraktionsbereichen, in denen das Volk tatsächlich Einfluß ausübt undauf Entscheidungen einwirkt, und stößt dabei vor allem auf die Spiele, die in dieser Hinsicht eine größere Bedeutung besitzen als die Volksversammlungen, obwohl Spiele ja nicht mit formalen Entscheidungskompetenzen verbunden waren. Die Untersuchung der öffentlichen Kommunikation zwischen Führungsschicht undbreiteren Massen aufihren rituellen Charakter hinscheint unsinsgesamt noch in denAnfängen zu stecken, doch dürfte dies der Weg sein, sich vonder problematischen Alternative zu lösen, daß manin dieser aufwendigen Kontaktpflege entweder sinnlose Energieverschwendung41 bzw. sogar eine permanente betrügerische Inszenierung sehen soll42 oder mit Millar und anderen das Symptom für dengroßen Einfluß eines ‘souveränen’römischen Volkes. Sollte es uns mit demvorliegenden Buch gelingen, die Diskussion in diese erfolgversprechende Richtung anzustoßen, so hätten wirunser Ziel erreicht.
39 S.o.A.21. 40 Vgl. nur NORTH, P&P 126, 1990, 13. . 41 So NORTH, P&P 126, 1990, 7 u.ö. mit seinem Schlagwort “frozen waste” 42 Dies wird nicht ohne Berechtigung alsKonsequenz eines ganz clientelfixierten Interpretaticharade managed from above” onsmusters angedeutet von MILLAR, JRS 74, 1984, 16 (“ ); DERS.,
pretence” ). in: Leaders andMasses (s.o.A.3) 95 (“
KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP ORATORIS MAXIMA SCAENA:
REDEN VOR DEM VOLK IN DER POLITISCHEN KULTUR DER REPUBLIK*
In derGrabrede desQ.Caecilius
Metellus auf seinen Vater Lucius1 rief er nicht nur dessen glanzvolle Karriere im Detail ins Gedächtnis und stellte, wie es bei diesen Gelegenheiten üblich war2, besonders heraus, daß der Geehrte immerhin zweimal Consul sowie Dictator, magister equitum undpontifex maximus gewesen war, einem Fünfzehnmännercollegium zurLandverteilung angehört hatte undmit einem Triumph geehrt worden war, bei demzumersten Mal Elephanten als Beute mitgeführt worden seien3. Vielmehr betonte er auch, daß sein Vater mit dieser Laufbahn diezehn höchsten Ziele bzw. wichtigsten Lebensleistungen jedes erfolgreichen nobilis erfüllt habe, was ihm und sonst niemandem seit der Gründung der Stadt gelungen sei. Dazu gehörte einerseits, sich im Krieg alsprimarius bellator undfortissimus imperator ausgezeichnet zuhaben, unter dessen Auspicien als Feldherr die größten Taten vollbracht worden seien (auspicio suo maximas res geri). Dazu gehörte andererseits, in der Politik als summus senator mitsumma sapientia hervorgetreten zu sein; unddabei habe er auch noch für dasWohlergehen unddenFortaufanständige Weise”aneingroßes bestand seiner eigenen gens gesorgt, indem er “ Vermögen gekommen sei (pecuniam magnam bono modo invenire) und viele Kinder hinterlassen habe; schließlich sei er allgemein als clarissimus in civitate anerkannt gewesen. Diese laudatio funebris wurde imJahre 221 v. Chr. gehalten undist damit das früheste authentische Zeugnis dieser Gattung deröffentlichen Rede – unddasheißt zugleich: ein wichtiges Dokument für den Charakter der politischen Kultur der mittleren Republik. Denndiese Rede enthält bereits alle Kernkonzepte derWertvorstellungen und Verhaltensnormen der politischen Klasse Roms –es ist der gleiche Kanon politisch-moralischer Begriffe, derimmer wieder in denGrabinschriften der Scipionen auftaucht, diewiedielaudatio Metelli andasEnde desdritten undin das zweite Jahrhundert gehören4. Diese Begriffe kreisen einerseits umvirtus undforti-
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Besonderen Dank schulde ichwieder einmal E.STEIN-HÖLKESKAMP fürkritische Lektüre, detaillierte Kommentare undvorallem geduldige Gespräche. Plin. nat.hist. 7,139 f. Vgl. dazu W.KIERDORF, Laudatio funebris. Interpretationen und Untersuchungen zurEntwicklung derrömischen Leichenrede, Meisenheim 1980, 10ff.; 107. Polyb. 6,53,2 f.; Cic. leg. 2,62. Plin. nat.hist. 7,139. L.Metellus war Consul 251, Proconsul 250, Consul II 247; magister 221; dictator comiequitum des Dictators A.Atilius Caiatinus 249; pontifex maximus 243– tiorum habendorum causa 224. Vgl. F.MÜNZER, RE 3.1, 1897, s.v. Caecilius (72), Sp.12031204 mit denNachweisen. CIL I2 2, 6 ff. = ILS 1 ff. Vgl. dazu H.ROLOFF, Maiores bei Cicero, Diss. Leipzig 1936, Göttingen 1938, 22 ff.; U.KLIMA, Untersuchungen zum Begriff sapientia. Von der republika-
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KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
um die Tugenden des Kriegers, seine “Mannhaftigkeit”und Standfestigkeit, undvor allem dieFührungsqualitäten desFeldherrn, undandererseits umdiesapientia, um die politisch-zivilen Fähigkeiten eines Senators und Inhabers höchster Ehrenstellen (honores), dasWissen, die praktische Weisheit undErfahrung, die zu wohlerwogenem Urteil undgutem Rat befähigen5. Der Katalog der zehn wichtigsten Werte ist damit jedoch noch nicht vollständig. Zu denbesonderen Qualitäten eines Mannes, dermaximus honos erreicht hatte undschließlich als clarissimus in civitate gelten konnte, wurde in der laudatio des Metellus bezeichnenderweise auch gerechnet, daß er als optimus orator unddasist keinZufall. anerkannt war– Tatsächlich scheint eine ganze Reihe führender Figuren derZeit umdieWende zumzweiten Jahrhundert nicht nurwegen ihrer Ämter undFunktionen, ihrer politischen und militärischen Leistungen im zweiten Punischen Krieg und danach berühmt gewesen zu sein, sondern auch wegen ihrer Talente als Redner. Zwar gab es noch längst keine lateinische Rhetorik nach griechischem Vorbild, keine philosophisch reflektierte undtechnisch raffinierte Kunst derArgumentation undPräsentation, wie sie später Cicero in seinen rhetorischen Schriften zu begründen versuchte6. Man begegnete den Vertretern und Lehrern dieser Kunst sogar mit im Jahre 161 v.Chr., als diese Kunst sich geMißtrauen und offener Ablehnung – tudo,
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6
nischen Zeit bis Tacitus, Bonn 1971, 56 ff.; 61 ff.; T.P.WISEMAN, Competition and Co-op19, hier 3 ff.; eration, in: DERS. (Hg.), Roman Political Life 90 B.C.-A.D. 69, Exeter 1985, 3– E.L.WHEELER, Sapiens andStratagems: The Neglected Meaning of a Cognomen, Historia 37, 195, hier 180 ff. 1988, 166– Vgl. dazu generell K.-J.HÖLKESKAMP, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jh. v.Chr., Stuttgart 1987, 208 ff.; DERS., Conquest, Competition andConsensus: Roman Expansion in Italy andtheRise of the 39, hier 26 ff. mit weiteren Nachweisen. Vgl. zumKonzept Nobilitas, Historia 42, 1993, 12– virtus: J.HELLEGOUARC’H,Le vocabulaire latin des relations et des partis politiques sous la République, Paris (1963) 1972, 242 ff.; D.C.EARL, Political Terminology in Plautus, Historia 243; W.EISENHUT, Virtus Romana. Ihre Stellung im römischen Wertsystem, 9, 1960, 234– München 1973; L.R.LIND, TheIdea of theRepublic andtheFoundation ofRoman Morality 40, II, in: C.Deroux (Hg.), Studies in Latin Literature andRoman History VI, Brüssel 1992, 5– hier 25 ff. Vgl. zum Konzept fortitudo: LIND, ebda. 21 ff. Vgl. zum Konzept sapientia: 318; H.HOMEYER, Zur Bedeutungsgeschichte von S apientia’, AC 25, 1956, 301– G.GARBARINO, Evoluzione semantica deitermini ‘sapiens e sapientia nei secoli III e II a.C., 284; KLIMA, Sapientia (s.o.A.4), passim; WHEELER, Historia 37, 1988, AAT 100, 1966, 253– 169ff., derallerdings darin auchnureine militärische Tugend sehen will. Vgl. dazu M.L.CLARKE, Die Rhetorik bei den Römern, Göttingen 1968 (zuerst engl. 1953); A.D.LEEMAN, Orationis ratio. The Stylistic Theories andPractice of the Roman Orators, Historians andPhilosophers I, Amsterdam 1963; G.KENNEDY, The Art of Rhetoric in the Roman World, 300 B.C.-A.D. 300, Princeton 1972; W.EISENHUT, Einführung in die antike Rhetorik undihre Geschichte, Darmstadt 1974, 45 ff.; G.CALBOLI, La retorica preciceroniana e la politica a Roma, in: W.Ludwig (Hg.), Éloquence et rhétorique chez Cicéron, Entretiens sur 99; M. VONALBRECHT, Geschichte uvres/Genève 1982, 41– l’ Antiquité classique 28, Vandœ der römischen Literatur, München etc. 21994, I, 391 ff.; 463 f.; 467 ff., sowie 417 ff. (zu Cicero), ferner A.MICHEL, Rhétorique et philosophie chez Cicéron, Paris 1960; A.E.DOUGLAS, The Intellectual Background of Cicero’s Rhetorica: A Study in Method, 138, mitweiterer Literatur. ANRW I 3, Berlin/New York 1973, 95–
Oratoris maxima scaena
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diePhilosophen undRhetoren”sogar ganz rade erst zuentwickeln begann, wurden “ offiziell, auf Grund eines senatus consultum, durch denPraetor M.Pomponius aus Romverwiesen7, undnoch imJahre 92 v.Chr. drückten die Censoren Cn.Domitius Ahenobarbus undL.Licinius Crassus in einem Edikt ihr Mißfallen über diejenigen lateinische aus, die ein novum genus disciplinae einführen wollten und sich “ Rhetoren”nannten8. Aber längst, nämlich bereits vor 200, verlieh die praktische Fähigkeit der eloquentia, die Beherrschung des wirkungsvollen undüberzeugenden Wortes, eine ArtvonAnsehen, diezuerwähnen sich lohnte. Dasgalt sogar für den großen Q.Fabius Maximus, der fünfmal Consul wurde – Cicero nennt ihn bezeichnenderweise in einem Atemzug mitjenem Q.Caecilius Metellus, Consul 206 und Dictator 205, der als junger Mann die eingangs zitierte laudatio gehalten hatte9. WieMetellus hätte nämlich auchFabius eine später noch bekannte Grabrede gehal, der berühmten und angesehenen Mann” ten, und zwar auf seinen Sohn, einen “ selbst schon Consul gewesen war. Undwie Metellus –unddie Scipionen, deren laudationes sich unmittelbar in ihren Elogien niederschlugen, und viele andere – hielt auch der große Fabius diese Rede für wichtig genug für sich, seinen Nachruhm, sein eigenes Ansehen unddasjenige seiner gens, daßer sie veröffentlichte10. Daß die Reputation eines fähigen orator sehr wohl schon eine eigenständige Prominenz verleihen konnte, zeigt derRuhm desP.Licinius Crassus Dives unddes M.Cornelius Cethegus, deren jeweiliger cursus honorum sich durchaus sehen lassen konnte: Crassus war curulischer Aedil 212, magister equitum des Wahldictators Q.Fulvius Flaccus 210 und im gleichen Jahr Censor, dann erst, nämlich in den Jahren 208, 205 und 204, Praetor, Consul und Proconsul, schon seit etwa 216 außerdem pontifex undseit 212 sogar pontifex maximus; Cethegus war curulischer Aedil 213 und seit diesem Jahr auch pontifex, Praetor 211, Censor 209 und auch erst danach, im Jahre 204, Consul und Proconsul im folgenden Jahr11. Selbst mit diesen glanzvollen Karrieren reichten sie zwar nicht an die militärische Reputation und an den geradezu historischen Rang eines Fabius Maximus oder Scipio Africanus heran. Als Redner aber überragten sie ihre berühmten Zeitgenossen. Von Crassus hieß es später ganz im Stil einer laudatio oder eines Elogium, daß kein
SC dephilosophis et rhetoribus (FIRA I2, p.247 = Suet. derhet. 1; Gell. 15,11,1). Edictum censorum (FIRA I2, p.305 f. = Suet. de rhet. 1; Gell. 15,11,2; vgl. Cic. de orat. 3,93 f.). Vgl. dazu CLARKE, Rhetorik (s.o.A.6) 22 ff.; P.L.SCHMIDT, Die Anfänge der institutionellenRhetorik in Rom, in: E.Lefèvre (Hg.), Monumentum Chiloniense. Kieler Fs. fürE.Burck 216. ..., Amsterdam 1975, 183– 1207. 9 Cic. Brutus 57; 77. Vgl. F.MÜNZER, RE 3.1, 1897, s.v. Caecilius (81), Sp.1206– 4 ORF4 (= Cic. Cato mai. 12; Plut. Fab.Max. 1,7 ff.; 24,6). Vgl. 10 Q.Fabius Maximus frgg. 2– Cic. fam. 4,6,1; Tusc. 3,70; nat.deor. 3,80. Ob das Fragment aus Priscian (Grammatici Latini, vol. II, ed. M.HERTZ, p.380) daraus stammt, mußallerdings dahingestellt bleiben; vgl. F.MÜNZER, RE 6.2, 1909, s.v. Fabius (116), Sp.1814–1830, hier 1829. S. auch Liv. 27,27,13 zurlaudatio aufM.Claudius Marcellus (208 v.Chr.) unddazu generell KIERDORF, Laudatio funebris (s.o.A.1) 83 ff.; 106 ff. 333 bzw. RE 4.1, 1900, s.v. Cor11 Vgl. F.MÜNZER, RE 13.1, 1926, s.v. Licinius (69), Sp.331– 80. nelius (92), Sp.1279–
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KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
römischer Bürger seiner Zeit von der Natur undvomSchicksal mit Tugenden und Erfolgen imFrieden wieimKrieg reicher bedacht worden seials er: Er warnobilis, under galt reich, kraftvoll, vonschöner Gestalt undsachkundig imPontificalrecht – als höchst redegewandt, sei es beim Plädieren vor Gericht, sei es, wenn sich im Senat undvor demVolk die Gelegenheit ergab, für oder gegen eine Sache zu argumentieren12. Darin soll Cethegus ihn sogar noch übertroffen haben –und zwar keineswegs erst in den Augen des Theoretikers und Historikers der Rhetorik Cicero, der Cethegus imBrutus sogar als ersten wirklichen Meister der eloquentia in Rom bezeichnete unddeswegen mit ihm seine Geschichte der römischen Redekunst in dergroßen alten Zeit amBeispiel derprominentesten Redner jeder Generation beginnen ließ13. Schon Ennius, derCethegus noch selbst gehört haben soll, nannte ihnden“ Redner vonwohltönendem Munde” (orator suaviloquenti ore) und feierte ihn überschwenglich als das “ Mark der überzeugenden Rede” , der Göttin Suada, wie er sie in Anlehnung andiegriechische Π ε ιθ nannte14. ώ Undes ist auch schon Ennius, derdie Rolle desRedners als geradezu konstitutiv für ein geregeltes Zusammenleben in einer zivilisierten Gesellschaft definiert, zumindest in Friedenszeiten15: In scharfer Kontrastierung stellt er hier den Redner demrauhen, ungeschliffenen Krieger (horridus miles) gegenüber, der für Gewalt (vis), das Schwert (ferrum), aber auch Schmähreden (maledicta) und die daraus gute Redentstehende Feindschaft (inimicitia) steht. Dagegen artikuliert sich der “ ner” in “gebildeten Reden”(docta dicta), er steht zugleich für die friedliche, vom traditionellen Recht (ius) beherrschte Streitbeilegung –undes ist auch eben dieser orator bonus, derganz allgemein diesapientia verkörpert: Hier wird bereits, noch ohne philosophische Raffinesse, anjenes Ineinandergreifen undgegenseitige Bedin-
6: is (sc. P.Licinius Crassus) ..., bello 12 Liv. 30,1,4–
quoque bonus habitus ad cetera, quibus nemo ea tempestate instructior civis habebatur, congestis omnibus humanis ab natura fortunaque bonis. Nobilis idem ac dives erat; forma viribusque corporis excellebat; facundissimus habebatur, seu causa oranda, seu in senatu et apudpopulum suadendi ac dissuadendi locus esset; iuris pontificii peritissimus; super haec bellicae quoque laudis consulatus compotem fecerat. 13 Brutus 53 ff., hier besonders 57; vgl. auch Hor. epist. 2,2,117; ars poet. 50; Quint. inst.or. 2,15,4. Vgl. zudeneinzelnen Rednern: G.V.SUMNER, The Orators in Cicero’s Brutus: Prosopography andChronology, Phoenix Suppl. 11, Toronto 1973. 308 SKUTSCH (= Cic. Brutus 58 f.; Gell. 12,2,3; Quint. 307 VAHLEN3 = 304– 14 Enn. ann. 303– inst.orat. 2,15,4; 11,3,31). Vgl. zumBegriff suaviloquens O.SKUTSCH, The Annals of Ennius, Oxford 1985, 482 ad locum. 15 Enn. ann. 268 ff. VAHLEN3 = 248 ff. SKUTSCH (= Gell. 20,10,1; vgl. Cic. Mur. 30; fam. 7,
13, 2):
Pellitur e medio sapientia, vigeritur res, Spernitur orator bonus, horridus miles amatur. Haut doctis dictis certantes nec maledictis Miscent inter sese inimicitiam agitantes, Nonex iure manum consertum, sedmagis ferro Remrepetunt regnumque petunt, vadunt solida vi.
Oratoris maxima scaena
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genvoneloquentia undsapientia gedacht, dasCicero später kurz undbündig in die Definition dereloquentia alssapientia loquens fassen sollte16. Darüber hinaus klingt in diesem Fragment aus Ennius nicht nur das für jeden Römer selbstverständliche Nebeneinander vonFrieden undKrieg an, der allgegenwärtige Dualismus vondomi undmilitiae, civis undmiles unddie entsprechende, schon erwähnte Doppelseitigkeit desWertekanons umsapientia undfortitudo, wie sie in der laudatio Metelli und den Elogien der Scipionen klassisch formuliert ist. Vor allem scheint hier noch eine weitere in der politischen Kultur der Republik verwurzelte Überzeugung durch: Indem der bonus orator als Träger dersapientia gilt, der hauptsächlichen Tugend des Senators und Staatsmanns, wird die Figur bzw. derBegriff zumSymbol undSynonym für denvir bonus undnobilis unddie bürgerlich-zivile”Seite seiner Identität17. “ Die gleiche Vorstellung beherrscht auch viele Äußerungen
des älteren Cato,
dessen Definition des orator als vir bonus dicendi peritus18 dieselbe selbstverständliche Gleichsetzung vonorator, vir bonus undnobilis voraussetzt, die in dem Fragment desEnnius undderlaudatio Metelli formuliert ist. Aber dasBeispiel des Censorius belegt noch mehr: Cato warsich derpraktischen Wirkung undWichtigkeit seiner Reden so bewußt, daß er sie schriftlich festhielt und aufbewahrte –
Cicero wollte immerhin noch mehr als 150 seiner Reden gelesen haben19. Einige von ihnen zitierte Cato auch in seinen Origines, möglicherweise sogar in voller Länge20. Anhand der immerhin etwa 250 Fragmente aus 80 Reden läßt sich zum ersten undeinzigen Malvor Cicero wenigstens umrißhaft erkennen, wie ein orator in derPraxis auftrat, sich füroder gegen Gesetzesvorlagen äußerte, vor Gericht die einen anklagte unddie anderen verteidigte, wie er dabei argumentierte, sich selbst rechtfertigte undgegen Gegner polemisierte21. Allein die schieren Zahlen, die Un-
16 Part.orat. 79. Vgl. dazuKLIMA, Sapientia (s.o.A.4) 71 f. S. ferner Cic. de invent. 1,1; de orat. 1,34; 3,55 ff. und 65; s. dazu E.GILSON, Éloquence et sagesse selon Cicéron, Phoenix 7, 19; KLIMA a.O. 85 ff. Vgl. zur eloquentia als Voraussetzung zivilisierter, vomRecht 1953, 1– beherrschter Gemeinschaften: Cic. de invent. 1,3; nat.deor. 2,148; deorat. 1,33; leg. 1,62; Quint. inst.orat. 2,16,9 f.
17 Vgl. auch Cic. off. 2,66: Huic (sc. eloquentiae) ... a maioribus nostris est in toga dignitatis principatus datus, mitdeorat. 3,167 (toga als Metapher für Frieden, arma ac tela für Krieg); Brutus 255 f.; vgl. Mur. 24; 29 undvor allem 30: duae sunt artes quae possunt locare homines in amplissimo gradu dignitatis, una imperatoris altera oratoris boni. Vgl. dazu W.STEIDLE, Einflüsse römischen Lebens undDenkens aufCiceros Schrift Deoratore, MH9, 41, hier 27 f.; 34; W.NEUHAUSER, Patronus undOrator. Eine Geschichte der Begrif1952, 10– fe von ihren Anfängen bis in die Augusteische Zeit, Innsbruck 1958, 127; 152 f.; KENNEDY, Art (s.o.A.6) 37; KIERDORF, Laudatio funebris (s.o.A.1) 15. 18 AdMarcum filium frg. 14JORDAN (= Quint. inst.orat. 12,1,1; Sen. contr. 1,praef. 9). 19 Cic. Brutus 65 und63 undbereits Cato de sumptu suofrg. 173 ORF4 (= Fronto, p.90,15 ff.VANDENHOUT); vgl. Liv. 38,54,11; 39,40,7 f. 20 Cic. deorat. 1,227; Brutus 89; Liv. 45,25,3. 21
Vgl. dazu LEEMAN, Orationis ratio (s.o.A.6) 43 ff; KENNEDY, Art (s.o.A.6) 38 ff.; EISENHUT, Einführung (s.o.A.5) 52 ff.; A.E.ASTIN, Cato the Censor, Oxford 1978, 131 ff., ferner B.JANZER, Historische Untersuchungen zu denRedefragmenten des M.Porcius Cato, Diss. Würzburg 1936.
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KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
terschiedlichkeit der Gelegenheiten, die Spannweite der Gegenstände belegen die Häufigkeit undAlltäglichkeit desRedens bzw. desAuftretens als orator. Unddafür stand einem fähigen underfahrenen Redner wie Cato durchaus bereits eine große Vielfalt rhetorischer Mittel zur Verfügung, der seine eigene eingängige, aber trügerisch simple Maxime rem tene, verba sequentur22 ebensowenig gerecht wird wiejene Urteile, die ihmspäter eine allzu große Schlichtheit undeinen Mangel an rhetorischer Feinheit vorwerfen zumüssen glaubten23.
* Andiesem
*
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daßdie Rede in derpolitischen Kultur die nebeneinander bezogen waren, wienoch zuzeigen sein wird. Denn
prominenten Fall wird deutlich,
der Republik gleich
mehrere unverzichtbare Funktionen hatte,
standen, aber auch aufeinander diese politische Kultur warja zunächst durch ihre institutionelle Struktur geprägt,
nämlich durch
dasbekannte System mit seinen typisch stadtstaatlichen Einrichtun-
gen, die –wie der Senat, die Volksgerichte unddann die Geschworenenhöfe und natürlich die Volksversammlungen –durchweg eine große Mitgliederzahl hatten und die allein schon deswegen auf das Medium der Rede angewiesen waren24. Denn zumindest auf dieser Ebene war und blieb die res publica –trotz des Verlustes anKleinräumigkeit undUnmittelbarkeit vieler sozialer Beziehungen in Folge derExpansion –eine face-to-face society, in derdie öffentliche Rede nach wie vor
das einzige unddaher unverzichtbare Medium derKommunikation undInteraktion war, jedenfalls solange alle wichtigen politischen, administrativen, religiösen Verfahren derEntscheidung andasZentrum Rom, anForum, Comitium, Curia, Capitol und Marsfeld gebunden blieben. Hier mußten Agenden aller Art vorgetragen, Beschlüsse und Urteile als Anträge formuliert und begründet werden: Jede Entscheidung mußte durch Debatten über dasFür undWider, in Rede undGegeneben durch Redner, diemitmöglichst viel rede, vorbereitet undeingeleitet werden – 22 AdMarcum filium frg. 15 JORDAN (= Iulius Victor art.rhet. p.387 ORELLI). 23 Vgl. etwa Cic. Brutus 294; vgl. Gell. 6,3,53; Quint. inst.orat. 8,5,33; 12,10,10 und39. 24 Vgl. M.FUHRMANN, Rhetorik und öffentliche Rede. Über die Ursachen des Verfalls der Rhetorik im ausgehenden 18. Jh., Konstanz 1983, 10 f.; 13; 23; DERS., Mündlichkeit und fiktive Mündlichkeit in den von Cicero veröffentlichten Reden, in: G.Vogt-Spira (Hg.), Strukturen derMündlichkeit inderrömischen Literatur, ScriptOralia 19,Tübingen 1990, 5362. Vgl. insofern F.MILLAR, The Political Character of the Classical Roman Republic, 20019, hier 6 ff.; 16 f.; 19; DERS., Politics, Persuasion and the People 151 B.C., JRS 74, 1984, 1– 90 B.C.), JRS 76, 1986, 1– 11, hier 2 ff.; DERS., Political Power in before the Social War (150– 150, hier 141 ff.; DERS., Mid-Republican Rome: Curia or Comitium?, JRS 79, 1989, 138– Popular Politics at Rome in theLate Republic, in: I.Malkin/W.Z. Rubinsohn (Hgg.), Leaders 113, andMasses in the Roman World. Studies in Honor of Z.Yavetz, Leiden usw. 1994, 91– hier 94 ff., auch zumFolgenden. Vgl. zuderDebatte umMILLARS Positionen generell jetzt
M.JEHNES Einleitung zudiesem Band.
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Geschick und rhetorischer Kunstfertigkeit ihre Sicht einer anstehenden Sache überzeugend unddamit wirkungsvoll vortragen mußten, ob es sich nunumkontroverse Gesetze undspektakuläre außenpolitische Entscheidungen handelte, oder um alltägliche Routineangelegenheiten, Berichte, Edikte, administrative Dispositionen aller Art (und die Aussprache darüber) oder die Anklage bzw. Verteidigung in einem Gerichtsverfahren. Die ganze Breite der denkbaren Materien von Politik in diesem Stadtstaat und seinem Imperium, die gesamten Geschäfte der politischen Klasse mußten auf diese Weise vorgebracht, verhandelt undentscheidungsreif gemacht werden. Diese grundlegende (und in ihrer Bedeutung für das System oft nicht recht wahrgenommene) Funktion ist allerdings miteiner anderen Rolle vonRede untrennbar verbunden. Denn gerade in der politischen Kultur der Republik kam es nicht unbedingt immer auf das Was an, den Anlaß und das Thema einer Rede, den Gegenstand oder Streitfall, undauch nicht nur auf das Wie, den Stil, die Argumentationsweise undPräsentation einer Sache. Eine besondere Rolle spielte hier das Wereiner Rede, also derRedner selbst, seine Persönlichkeit undStellung, die Gewicht undWirkung seiner Rede undder darin vertretenen Sache wesentlich mitbestimmten. Zunächst gilt dasfür dasrhetorische Genre derlaudatio funebris, in der Art der erwähnten Rede desCaecilius Metellus: Darin geht esja nicht nurumdenVerstorbenen selbst, seine Ämter, seine res gestae unddie ihmdafür erwiesenen Ehren, undauch nicht nurumdie dabei aufgezählten honores derdurch ihre imagines und in den Trachten ihres jeweils höchsten Amtes symbolisch anwesenden Vorfahren und ihre großen Taten im Dienste der res publica, die auch auf den tituli ihrer imagines aufgezählt wurden25. Es geht dabei immer zugleich umdenRedner selbst, dersich mitdemVortrag als Verwandter des(demganzen populus) teuren Toten, führender Vertreter seiner gens undtreuer Verwalter und zumindest potentieller Mehrer ihres akkumulierten Ruhmes profiliert unddamit seine eigenen Ansprüche auf Ansehen undAnerkennung formuliert26 –wie später noch Caesar, der in der laudatio auf seine Tante einfach vonnostra familia gesprochen haben soll, als er ihre (und damit seine eigene) Herkunft vomKönig Ancus Marcius undder Göttin Venus beschwor unddabei auch noch, demonstrativ undprovozierend, die imago desgroßen Marius mitführen ließ27. Mit größter Selbstverständlichkeit bezieht ein Redner sich bei einer anderen Gelegenheit, aber in sehr ähnlicher ArtundWeise direkt auf sich selbst: DieRede gemäß der“ so Cicero – Sitte undEinrichtung derVoreines neuen Consuls, dieer – fahren”zu Beginn seines Amtsjahres vor dem Volk zu halten pflegte, bestand
25 Polyb. 6,53,4 ff.; Nep. Att 18,5 f. Vgl. dazu O.C.CRAWFORD, Laudatio funebris, CJ 37, 27; EISENHUT, Einführung (s.o.A.6) 46 ff.; KIERDORF, Laudatio funebris 1941/42, 17– (s.o.A.1) 64 ff. 26 Vgl. dazu HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 222 ff. 27 Suet. Div.Iul. 6,1; Plut. Caes. 5,2 ff.
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KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
bezeichnenderweise großenteils ausdengleichen Versatzstücken wie eine laudatio: seiner eigenen Antrittsrede erinnert, üblich gewesen, daß “ diejenigen, die durch eure Gunst das Recht erlangt haben, Bilder ihrer Ahnen aufzustellen, in der ersten contio denDank für eure Gewogenheit mitdemPreis ihrer Väter”verbinden28. Derhomo novus Cicero kann sich dann
Es sei nämlich, wieCicero dasVolk zuBeginn
den Seitenhieb
daß die meisten frischgebackenen Consuln dabei lediglich eines offensichtlich werden ließen: Man verdanke ihren Vorfahren anscheinend so viel, daß man noch bei den Nachfahren, also ihnen selbst, einige Schulden abzutragen habe. Er selbst redet bei dieser Gelegenheit lieber von der virtus –natürlich meint er auch hier seine eigene, die ihndorthin geführt habe, wo er nunstehe; denn seine Vorfahren seien ja nicht indenGenuß der “Auszeichnung des Volkes”(laus popularis) und des “ Glanzes eines von euch verliehenen Amtes” (honoris vestri lux) gekommen, obwohl sie selbstverständlich schon dieFähigkeiten dazu gehabt hätten –wie er selbst als ihr Abkömmling29. Den gleichen Anspruch soll schon Cato, vermutlich bei einer ähnlichen Gelegenheit, ebenso prägnant wie selbstbewußt formuliert haben: AnAmtundAnsehen sei er einNeuer, anTaten und Tugenden derVorfahren aber einUralter30. Aber mannimmt auch gernjede andere Gelegenheit wahr, andie eigene virtus, die eigenen Fähigkeiten und früheren Verdienste, das unermüdliche und wie schon Cato in seinen entsagungsvolle Wirken für die res publica zu erinnern – Reden zur Rechtfertigung seines Handelns in Consulat undCensur, wo er einmal sogar die “ höchste Gefahr”beschwört, die derDienst für die res publica mit sich bringe31. Auch sonst ist darin keineswegs nur von konkreten Tatsachen undLeistungen die Rede –etwa davon, wie schnell und effektiv er Schiffe, Heer und Nachschub organisiert habe, schneller als irgendjemand es für möglich gehalten hätte32. Das alles genügt noch nicht: Immer wieder einmal müssen noch die eigenen virtutes undmores erwähnt werden, die ihmdas Amt(hier die Censur) erst eingenicht verkneifen,
28 Leg.agr. 2,1: ut ei, qui beneficio vestro imagines familiae suae consecuti sunt, earn primam habeant contionem, quagratiam beneficii vestri cumsuorum laude coniungant (Übers. nach M.FUHRMANN, Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden, lateinisch-deutsch I– III, München 1993, I, 231) Vgl. Plut. Aem. 11,1 f. 29 Leg.agr. 2,1 ff., bes. 3. Vgl. das gleiche Motiv in derRede desMarius bei Sall. Jug. 85,21 ff. ὸ ς 30 Dicta Catonis frg. 28 JORDAN (= Plut. Cato mai. 1,2): ... α εκαιν γ ς(sc. Cato) ἔλ ὸ ε τ ὐ ρ μ ε ῖςπ π τ ά α λ α α ιο ς ὶἀ ὶδόξ ρ γ . α ρ ὸ ςἀ α ο ιςδ ν ο ό νκ ω α ν νκ ὲπ ὴ , ἔργ ιπ α ἶν χ ε ρ 31 Frg. 21 ORF4 (= Charisius, p.263,5 BARWICK): egoque iampridem cognovi atque intellexi atque arbitror rempublicam curare industrie summum periculum esse. Vgl. de sumptu suo publica siet, frg. 173 ORF4 (= Fronto, p.90,15 ff. VANDENHOUT): Vide sis quo loco re uti quodrei publicae benefecissem, undegratiam capiebam, nunc idem illud memorare non audeo, ne invidiae siet. Ita inductum est male facere inpoene, bene facere non inpoene licere.
32 Frg. 28 ORF4 (=
Charisius, p.266,24 BARWICK): laudant me maximis laudibus, tantum navium, tantum exercitum, tantum meatum non opinatum esse quemquam hominem comparare potuisse; idmetammaturrime comparavisse.
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bracht hätten33, vor allem Sparsamkeit, Härte undFleiß beim mühseligen Ackerbau auf demsabinischen Felsboden –unddas in einer Rede, in der er sowieso über kaumetwas anderes alsde suis virtutibus gesprochen haben dürfte34. Es waralso üblich, permanent direkt oder indirekt Bezug aufsich selbst zunehundzwar men, die eigenen lauteren Absichten, Motive undZiele hervorzuheben – immer undüberall, obes sich dabei, wiewiederum beiCato, umeinPlädoyer gegen die Abschaffung bestimmter Luxusgesetze handelte, oder umeine Suada für den Krieg gegen Karthago, die Anklage eines bekannten nobilis oder die Vertretung eines Clienten im Zivilprozeß. Man muß sich nur einmal vergegenwärtigen, wie gern Cato das emphatische ego benutzt –oft auch noch an hervorgehobener, das Pronomen betonender Stelle35. Bei Ciceros Reden würde die gleiche Übung wahrscheinlich zu einem ähnlichen Ergebnis führen36.
Dabei geht manzuweilen sogar so weit, dieses “ Ich” , seine virtus, sein persönliches Wohl undWehe mit dem Schicksal der res publica eng zu verknüpfen, ja dastat keineswegs nurCicero, der allerdings zumindest implizit in eins zu setzen – war, er diese Gleichsetzung dauernd wiederholte, weil dafür bekannt undberüchtigt geradezu klassisch noch in derwieder einmal aufCatilina undClodius anspielenden Welcher Fügung meines rhetorischen Frage am Anfang der zweiten Philippica: “ Schicksals soll ich es zuschreiben, ..., daß uns in den letzten zwanzig Jahren kein Feind unseres Staates vorgekommen ist, der nicht zugleich auch mir den Krieg erklärt hätte?” 37. Eine ganz ähnliche Parallele zog auch L.Aemilius Paullus, der wenige Tage nachdemTodundBegräbnis derbeiden inseinem Hause verbliebenen Söhne eine vielzitierte Rede andasVolk über seine Leistungen inMakedonien hielt unddarin diefelicitas der Stadt undihrer Bürgerschaft, diefortuna publica, ausdrücklich mit diesen persönlichen Schicksalsschlägen seiner privata fortuna verglich38. Aber selbst bei weniger spektakulären Anlässen konnte man auf die eine oder andere Weise solche Verknüpfungen herstellen oder wenigstens andeuten, wie
33 Frg. 93 ORF4 (= Priscian, Grammatici Latini, vol. II, ed. M.HERTZ, p.226): ... mihi ob eos mores, quos prius habui, honos detur ... 34 Frg. 128 ORF4 (= Festus, p.350 LINDSAY s.v. Repastinari): ego iam a principio in parsimonia atque in duritia atque industria omnem adulescentiam meamabstinui agro colendo, saxis Sabinis, silicibus repastinandis atque conserendis. Vgl. dazu D.KIENAST, Cato der Censor. Seine Persönlichkeit undseine Zeit (1954), erweiterter NDDarmstadt 1979, 31f. 35 Frgg. 21; 26; 44; 45; 48; 73; 116 (zweifach); 128; 129; 156; 164; 166; 173 (sechsfach); 174; 203 (vierfach); 206; 209 ORF4. 6, woer seine Verdienste aufzählt unddabei nicht weniger als zehn Mal mit 36 Vgl. nurPis. 4– egoneuansetzt. 37 Phil. 2,1: Quonam meofato, ..., fieri dicam, ut nemo his annis viginti rei publicae fuerit hostis, qui non bellum eodem tempore mihi quoque indixerit? (Übers. nach M.FUHRMANN, Reden (s.o.A.28) III, 49) Vgl. außerdem Cat. 3,26 ff.; 4,2; Sest. 25 ff. und 127 ff.; red. in sen. 4; 6; 24; 36 undpassim; red. ad pop. 16 u.ö.; dom. 4 ff.; 17; 73 ff.; 90 ff.; 99; 142 f. 38 Frg.2 ORF4 (= Val.Max. 5,10,2); Liv. 45,41,1 ff., besonders 2: ... tarnen paucis, quaeso, sinatis mecumpublica felicitate comparare eo, quodebeo, animo privatam meamfortunam. Vgl. 41,12: ... hanc cladem domus meae vestra felicitas et secunda fortuna publica consolatur. Vgl. Vell. 1,10,4; Plut. Aem. 36,3 ff.
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wiederum Cato ineiner Verteidigungsrede, als er seinen Ankläger angriff, indem er sagte, daß “ in dieser Schmach, die mir durch die Frechheit dieses Menschen da angetan werden soll, ich beim Dius Fidius auch mit der res publica Mitleid habe,
39.
Quinten”
Dabei wird immer wieder deutlich, wie der homo novus Cato als orator jede Gelegenheit ergriff, um seine Selbstdarstellung und Selbststilisierung als vir bonus undwahrer nobilis zubetreiben. Das Credo deserfolgreichen homo novus läßt sich kaum treffender formulieren als in der Sentenz: “ An Recht, Gesetz, Freiheit und öffentlichem Leben (iure, lege, libertate, re publica) gemeinsam teilzunehmen, ist recht undbillig, anRuhm undEhre (bzw. Amt: gloria atque honore) aber so, wie einjeder es sich geschaffen hat” 40. Dieser Anspruch beruhte imRom der mittleren Republik in erster Linie auf militärischer Leistung, virtus und ihrer öffentlichen Anerkennung, vondenen auchCato beidenverschiedensten Gelegenheiten zuspreundzwar nicht nurimallgemeinen, wiein seiner Rede als kommanchen pflegte – dierender Consul vor denReitern bei Numantia, wonach schon die Vorfahren besondere Preise für die “ Guten undTüchtigen”(bonis atque strenuis) ausgesetzt hätundandere Auszeichten, nämlich die Ränge desdecurio undoptio, Ehrenlanzen “ nungen”(honores)41. Wiederum sprach er dabei auch regelmäßig von sich selbst, der als homo novus auf einer viel höheren Ebene, nämlich auf der gleichen Stufe wie Scipio undandere durch Geburt “ Berühmte undGroße” , umdenersten Rang an virtus undAnerkennung zu streiten in der Lage undvor allem berechtigt war42. Diesen Anspruch macht er etwa in der bereits erwähnten Rede über sein Consulat unmißverständlich deutlich, wenn er behauptet, daßer als Feldherr in Spanien mehr Städte erobert habe, als er Tage dort verbrachte, nämlich angeblich vierhundert – unddarauf bezieht sich wohl auch eine andere bündige Äußerung aus dieser Rede: Ich habe mirdiese Denkmäler, die ich erobert habe, für immer aufgestellt”43. “ Aber das war nicht alles. Mit demgleichen Selbstbewußtsein pflegte der RednerCato auch dieandere wesentliche Grundlage seines Ansehens, dasnicht zuletzt
39 Frg. 176 ORF4 (= Gell. 10,14,3): Atque evenit ita, Quirites, uti in hac contumelia, quae mihi per huiusce petulantiam factum itur, rei quoque publicae medius fidius miserear, Quirites (Übers. nach O.SCHÖNBERGER, Marcus Porcius Cato, VomLandbau. Fragmente, lateinischdeutsch, München 1980), ferner de sumptu suofrg. 173 ORF4 (= Fronto, p.90,15 ff. VANDEN
Hour). Vgl. dazu KIENAST, Cato (s.o.A.34) 33. 40 Frg. 252 ORF4 (= Festus, p.408 LINDSAY s.v. struere). 41 Frg. 17 ORF4 (= Festus, p.220 LINDSAY s.v. Optionatus). Vgl. Sall. Jug. 85,29, wo Sallust seinen Marius über hastas, vexillum, phaleras, alia militaria dona reden läßt, die er als Auszeichnungen erhalten hätte unddieseine neue, selbst erworbene nobilitas ausmachten. ν ,τ ῶ ν τη νῬ ίσ ητ ὴ ςἔ τ ω φ εγ 42 Frg. 33 JORDAN (= Plut. Cato mai. 11,3): ... οὕ ιμ α θ εο νἔσ η μ ώ μ ὲ νἐνδό ρ ξ ω ῆ ν ςπ ά ω κ εγ α ὶμ λ ω τ ν τ ὰ τ ῆ ςἀρετ ε ῖαμ εθ ιέν ις ὴμ ο τ ,τ ῶ ω ντο μ ν ῖςἀ ο τέρ η σ ῆδό γ ῷ έ ιλ ο τικ νἁμ μ ῶ ν λ η ω ξ ρα έ ν ε ρ ὐ ςἐσ ω ρ τ ιδημ ό ὸ ικ τ νἀ τ ςτο ε σ π ε α ὶτ ῆπ ςτ ὺ δὥ ςτο ῆ . Vgl. frg. 55 ORF4 (= Plut. Cato mai. 10,5): ... βούλ ῖς ς α τ ν ρ τ ο ε κ μ α ι... π ή ὶἀ ο ερ ρ π ᾽ο τ λ . ι... κ θ α σ λ ᾶ ιλ ις... ἁμ ο τ ίσ ρ ἀ 43 Frg. 55 ORF4 (= Plut. Cato mai. 10,3), sowie frg. 48 ORF4 (= Charisius, p.282,14 BARWICK): Ego mihi haec monimenta sempiterno posui quae cepi. Vgl. KENNEDY, Art (s.o.A.6) 42.
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auf seinen (später ebenfalls noch gelesenen und zitierten) Prozeßreden beruhte44.
Wie schon bei Ennius bewährt sich nach Cato der vir bonus als orator gerade vor auch dies ist übriGericht, alspatronus undberedter Vertreter seiner Clienten45 – gens ein festes Versatzstück aus demRepertoire der laudatio funebris, wie der Nachruf des Sempronius Asellio “ und vieler anderer Geschichtsschreiber”auf P.Licinius Crassus Dives Mucianus, Consul 131, bezeugt: Er habe über “fünf der höchsten undhervorragendsten Eigenschaften”(quinque rerum bonarum maxima et praecipua) verfügt –wie der ganz ähnlich gefeierte Metellus war er pontifex maximus, galt als ditissimus undnobilissimus, aber er war eben auch, wie Cato, eloquentissimus undiuris consultissimus46. Vor diesem Hintergrund wird erst recht verständlich, warum Cato so stolz darauf gewesen zu sein scheint, nicht nur zahllose, zumTeil mächtige Widersacher undRivalen vor Gericht gezogen zu haben, sondern sich auch selbst nicht weniger als 44 Malverteidigt zuhaben, ohnejemals verurteilt worden zu sein47– alles dank seiner eloquentia. Cato konnte deswegen zu einer Leitfigur der politischen Klasse der Republik werden, weil er die verschiedenen Seiten der Identität eines idealtypischen nobilis, jedenfalls in der Rückschau, gleichermaßen vollendet undglaubwürdig repräsendrei besten Eigenschaften”eines Mannes überhaupt, wie es immer im tierte –die “ Stil und in der festen Begrifflichkeit der laudationes, Elogien und seiner eigenen Reden ausgedrückt wurde: Er war optimus imperator, dessen gloria militaris (wiederum wie bei Metellus) einschloß, daß er sich in bello auch als manufortissimus bewährt hatte, zugleich optimus senator, sapiens undiuris peritissimus, und er wareben optimus orator, bei allen Gelegenheiten eloquentissimus, dessen Reden wenigstens für Cicero alle virtutes oratoriae in sich vereinigt hätten48. Jedenfalls hat Cato es ziemlich perfekt verstanden, sich mittels seiner eloquentia so darzustellen –und nicht nur der Nachwelt, sondern offensichtlich schon seinen Zeitgenossen. Aber es waren nicht nur Cato undspäter Cicero, die immer selbst irgendwie, direkt oder indirekt, von sich redeten, ja, berüchtigt dafür waren – 44 Vgl. etwa die oratio pro L.Turio contra Cn.Gellium (frg. 206 ORF4 = Gell. 14,2,21) und generell zu Cato: Cic. de orat. 1,171; Plut. Cato mai. 1,5 f.; 15,1 ff.; 29,2; Quint. inst.orat. 12,3,9; 7,4.
45 Oratio in Lentulum apud censores, frg. 200 ORF4 (= Gell. 5,13,4): ... quod maiores sanctius habuere defendi pupillos quamclientem nonfallere mitdemKontext bei Gellius. 46 Sempronius Asellio frg. 8 HRR2 (= Gell. 1,13,10); vgl. Cic. de orat. 1,170; 216; 239 f.; Bru338. Vgl. zu Cato tus 98; 127 unddazu F.MÜNZER, RE 13.1, 1926, s.v. Licinius (72), Sp.334– 7; Plut. Cato mai. 1,5 und7; 3,2; noch Cic. deorat. 1,171; 3,135; Nep. Cato 3,1; Liv. 39,40,5– 11,4; 15,1. S. außerdem Cic. de orat. 3,134 zu den pontifices maximi P.Licinius Crassus Dives, Consul 205; ncanius, Consul 280, undP.Cornelius Scipio Nasica, Consul 162, II 155: Sie hätten nicht nur in senatu et apudpopulum, sondern gerade in causis amicorum hervorgeragt; vgl. Cic. Brutus 55; 77; 79 unddazu WHEELER, Historia 37, 1988, 174 ff. 47 Plin. nat.hist. 7,100; vir.ill. 47,7; vgl. auch Liv. 39,40,8; Plut. Cato mai. 15,4. 48 Plin. nat.hist. 7,100, ferner Cic. de orat. 1,171; 3,56; 135; vgl. 1,215; Brutus 63 ff; 193 f.; 7; Quint. inst.orat. 12,3,9 und 11,23; Cic. Brutus 65. Vgl. auch Plut. Cato mai. Liv. 39,40,5– 1,4; 7,1 ff.; Nep. Cato 3,1; Tac. dial. 28,6.
Ti.Coru
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KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
in einer
politischen Kultur,
in der solche
Selbstdarstellung üblich war, dürfte
Ciceros Art, sich mit dem großen Pompeius und sogar mit dem Stadtgründer Romulus zuvergleichen, zuweilen schwer erträglich gewesen sein49. Dennoch können sie keine Ausnahme gewesen sein: Gerade als homines novi waren sie ja sogar in besonderem Maße zur Einhaltung der etablierten Regeln genötigt, zu einer möglichst perfekten Anpassung an den üblichen Stil und den herrschenden Tonjener Gruppe, in die sie aufgenommen undin der sie schließlich akzeptiert werden wollten. In dieser politischen Kultur warjede Rede immer auch eine Selbstdarstellung des Redners, eine Inszenierung der eigenen Person als vir bonus. Denn jede Rede, jeder Auftritt in der Rolle des bonus orator war ein Teil undnicht zuletzt um derpermanenten Konkurrenz umEinfluß, Rang undVorrang – jene honores, die als Ämter zugleich die begehrten Ehren darstellten undüberhaupt erst den Anspruch auf lebenslängliche auctoritas unddignitas begründeten50. Für homines novi wie Cato undCicero warjede Rede ein Schritt auf demWeg zu den (höheren) honores, die sie erreichen mußten, umüberhaupt in die politische Klasse undihre zentrale Institution, denSenat, aufgenommen zu werden; denn die Zugehörigkeit zum“ Senatsadel”definierte sich ausschließlich über honores. Undnur die , dermaximus, summus bzw. amplissimus honos des Consuhöchste Ehrenstelle” “ lats51, eröffnete überhaupt die Chance, als imperator unter den eigenen Auspicien große Taten zum eigenen Ruhm undzur Mehrung der res publica vollbringen zu können, umschließlich als clarissimus in civitate indieexklusive Spitzengruppe der principes aufzusteigen und als optimus imperator, optimus orator und optimussenator dieWillensbildung imSenat wesentlich mitzubestimmen52. Aber selbst fürdenConsular undnobilis, derdasalles erreicht hatte, ging es in jeder Rede noch umetwas, nämlich seinen Rang für oder gegen eine Person oder Sache in dieWaagschale zuwerfen, dabei seine auctoritas wirksam werden zulassen, dadurch seine dignitas zuwahren undbeides permanent zuerneuern. Aufjeder Ebene, undsei es auf der höchsten, mußte mansich immer “ mit denBesten”um 49 Cic. Cat. 3,26 bzw. 3,1 f., ferner etwa 2,11; 4,21; Pis. 16; vgl. auch Ps.-Sall. inv. in Cic. 1 ff.; Plut. Cic. 24,1 ff. Vgl. zu Cato Plut. Cato mai. 14,2; 19,6 f. 50 S. etwa Q.Cic. comm.pet. 2. Vgl. zur Doppelbedeutung des Begriffs honos/honores: HELLEGOUARC’H,Vocabulaire (s.o.A.5) 383 ff.; L.R.LIND, The Tradition of Roman Moral
51 52
Conservatism, in: C.Deroux (Hg.), Studies inLatin Literature andRoman History I, Brüssel 58, hier 38 ff.; HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 209 ff., ferner 212 f.; 216 f. zum 1979, 7– Zusammenhang mit dignitas und auctoritas. Vgl. dazu HELLEGOUARC’H, Vocabulaire (s.o.A.5) 299; 400 ff.; LINDa.O. 22 ff.; 29 ff. Das ist schon die Bedeutung von maximus honos in der laudatio desMetellus: Plin. nat.hist. 7,140. Vgl. Cic. leg.agr. 2,2; Verr. 2,5,181,5; Sulla 1; Milo 42 u.ö. und dazu HELLEGOUARC’H, Vocabulaire (s.o.A.5) 384 f. Vgl. dazu HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 184 ff.; 211 ff.; 247 f.; DERS., Historia 42, 1993, 33 ff. Vgl. zu Begriff und Rolle der principes L.WICKERT, RE 22.2, 1954, s.v. Princeps 2296, hier 2029 ff.; 2041 ff.; CH.MEIER, Die Ersten unter den Ersten des (civitatis), Sp.1998– Senats. Beobachtungen zurWillensbildung imrömischen Senat, in: D.Nörr/D. Simon (Hgg.), 205; M.BONNEFOND-COUDRY, Le Gedächtnisschrift für W.Kunkel, Frankfurt M. 1984, 185– princeps senatus: vie et mort d’ 134. uneinstitution républicaine, MEFRA 105, 1993, 103–
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denPreis der Tugend messen, wie Cato es einigermaßen pathetisch formuliert haben soll53 –unddazu gehörte notwendig, darüber auch zu reden, sich ins rechte Licht zu rücken, bekannt und angesehen zu bleiben und sich so sichtbar mit den Besten”auf dieselbe Stufe zu stellen. Denn die nach dem Urteil und durch die “ Wahlstimmen der Bürger verliehenen honores undgloria sind der wichtigste, ja eigentlich der einzige “ Lohn”dervirtus, wie schon Cato undimmer wieder Cicero aber diesen Lohn kann maneben nur erhalten, so noch einmal Cato, betonen54 – wenn “ große Taten”mit ebensolchen Worten aufgenommen würden, damit sie und ihrRuhmja nicht in Vergessenheit gerieten55. Der in solchen Reden offenbar übliche, geradezu inflationär anmutende Gebrauch des Superlativs ist weder auf die laudationes beschränkt, noch zufällig. Denn der Superlativ ist ja ein Ausdruck des Vergleichs mit allen Anderen, die das erst dann ist manoptimus. Gleiche erreichen wollen, aber überholt worden sind – Undje höher mansteigt, desto größer wird zwangsläufig dieZahl solcher überrundeter Konkurrenten. Das galt gerade für besonders erfolgreiche nobiles wie Africanus, über den maneine fast sprichwörtlich klingende, in rhetorischen Traktaten gern zitierte Sentenz prägte: “ Dem Africanus brachte seine Energie (industria) Tüchtigkeit (virtus) ein, seine Tüchtigkeit Ruhm (gloria) und sein Ruhm Nacheiferer, Rivalen, Neider (aemuli)” 56. Dagegen mußte man sich zur Wehr setvor allem wiederum durch Reden, die in dieser polizen, permanent undüberall – tischen Kultur derallgegenwärtigen Konkurrenz immer auch eine Waffe waren. Mit der Rede verteidigte mansich undseine dignitas gegen wetteifernde Rivalen und für Cato sind seine zahlreichen “ Feinde”(inimici) bezeichderen Schmähreden – nenderweise zugleich “ Schmähredner”und“ Verleumder”(maledictores)57. Mit der Rede greift manseinerseits Rivalen an, umsie zu desavouieren, bloßzustellen und aus demFeld der Konkurrenz zu schlagen. Und dabei ist praktisch jedes Mittel
53 Frg. 55 ORF4 (= Plut. Cato mai. 10,5); frg. 33 JORDAN (= Plut. Cato mai. 11,3). S.o.A.42. 54 Cato frg. 141 ORF4 (= Schol.Bob. p.141 STANGL): ... conferens (sc. Cato) ea quae virtus ..., ut summae gloriae sint a virtute proficiscentia, ...; Cic. Brutus 281: ... cumhonos sit praemiumvirtutis iudicio studioque civium delatum ad aliquem, qui eumsententiis, quisuffragiis adeptus est, is mihi et honestus et honoratus videtur. Vgl. rep. 3,40: plane virtus honorem, nec est virtutis ulla alia merces, sowie Milo 97; Phil. 5,35; de orat. 2,346; 3,102 u.ö. Vgl. Cato Dicta frg. 53 JORDAN (= Plut. apophth.Cat. 12 [= Mor. 198E]): Τ ρ τ ε ῆ ς ςδ ο ὺ ὲτ ῆ ςἀ ὴ νἀ ε ῖν τ ο ῦ ν τ ὴ νἀ φ τ α ςἔλ φ α ιρ γ ῆ α τ ο ετ ντιμ ςν ὴ ιρ ς εό ε τη . ὴ νἀρετ 55 Dicta frg. 59 JORDAN (= Plut. apophth.Cat. 19 [= Mor. 199A]): Τ γ ε ρ ά ιςἔλ ξ ε ε ὰ ςπ λ ςκα ὰ γ ο ιςκα β ά ν ε ινλ ό ρ έ ω δ σ ι. Vgl. nur Cic. dom. 94: ε ῖνκα λ μ αμ τα ῖς ο ςἀ ο η π λ ὴτ , ἵν α ςδό ῆ ξ ego vero etiam rei publicae semper interesse putavi meillius pulcherrimi facti, quod ex auctoritate senatus consensu bonorum omnium pro salute patriae gessissem, splendorem verbis dignitatemque retinere, praesertim cummihi uniin hac re publica audiente populo Romano opera meahanc urbem et hanc rempublicam esse salvam iurato dicere fas fuisset; ferner de orat. 2,345 ff. unddazu EARL, Historia 9, 1960, 238 ff.; HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 209 ff.; 219ff. mitweiteren Nachweisen. 56 Rhet. adHerenn. 4,34; Quint. inst.orat. 9,3,56. 57 Frgg. 22, 23 und 24 ORF4 (= Charisius, pp.297,11 und 259,24 BARWICK; Fest. p.140 LINDSAY s.v. Maledictores). Vgl. ferner Nep.Cato2,4.
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bis hinzuUnterstellungen, Verleumdungen undAnspielungen auf Gerüchte, recht – erfundenen Anekdoten über denGegner undAngriffen auf seine virtus und fides58. Vor allem griff manoft undgern zujenem auf die Person, ihre Eigenschaften und Eigenheiten, (Un-)Tugenden, Vorlieben undAbneigungen zielenden Sarkasmus, zu Wortspielen, zueiner scharfen Ironie undzujenem kurzen, trockenen Witz, für den nicht nurCato berühmt (oder berüchtigt) war. Die urbanitas, die schon dieser als die Kunst der treffenden, schlagfertigen, witzigen Rede undGegenrede definiert hatte, hielt man geradezu für typisch römisch59 –auch dies war übrigens schon Ennius klar, dem das offensichtlich vielzitierte Bonmot nachgesagt wurde, daß es einem “ Weisen”(sapiens) leichter falle, eine Flamme in seinem brennenden Mund zuunterdrücken, als gute, also witzige Sprüche für sich zubehalten60. Dabei wird all dies, die ganze Kunst der eloquentia, höchst zweckrational von einer einzigen raison d’ être geleitet: Grundsätzlich
mußes für denRedner zualler-
erst darum gehen, ein Gegenüber, die Adressaten seiner Rede anzusprechen, sie überhaupt zu erreichen, dann zu überzeugen, auf die eigene Seite zu ziehen, mitzureißen und, wennmöglich, sogar zubeherrschen. In derpolitischen Kultur der Republik sind diese Adressaten nicht irgendein beliebiges Publikum, sondern zuerst
das regelmäßige Personal der zentralen Institutionen: Senat, Gerichte und Volksversammlung. Der Senat und sein Gebäude, die curia, die Gerichtshöfe mit denaufdensubsellia Platz nehmenden iudices undnatürlich Forum undComitium, dierostra unddie Versammlungen derBürger in dencontiones galten daher als die klassischen Orte, an denen derRedner auftreten undsich bewähren mußte61. In diesen Arenen mußte manseine Fähigkeiten als orator beweisen, Einfluß undauctoritas gewinnen oder neu zur Geltung bringen und sich dabei permanent mit den anderen nobiles, Senatoren, viri boni vergleichen undmessen. Undzugleich mußte einmal
58 Vgl. Catos Angriffe auf Gegner (frgg. 58, 111, 115, 116, 151 und251 ORF4 [= Gell. 10,3,17 bzw. 1,15,9; Macrob. Sat. 3,14,9; Paul.Fest. p.52 LINDSAY s.v. Citeria; Cic. de orat. 2,256; Paul.Fest. p.52 LINDSAY s.v. compluriens]), ähnlich etwa P.Cornelius Scipio frg. 4 ORF4 (= Liv. 38,56,6); P.Cornelius Scipio Aemilianus frg. 19ORF4 (= Gell. 6,11,9); Q.Caecilius Metellus Numidicus frg. 6 ORF4 (= Gell. 7,11,3) undschließlich Cicero, z.B. leg.agr. 2,13; 20; 31; 52 f.; 70 f.; Cat. 2,7 ff.; 22 f. undpassim; red. ad pop. 12 u.ö.; Sest. 18 f.; Pis. 13 ff. u. passim, unddie Philippica, jeweils passim. Vgl. auch Cic. de orat. 2,209; 281.u.ö.; inst.orat. 5, Quint 3 u.ö.
59 Apophth. 1 JORDAN (= Quint. inst.orat. 6,3,105, nach Domitius Marsus): ... urbanus homo erit, cuius multa bene dicta responsaque erunt et qui in sermonibus circulis conviviis, item in
60 61
contionibus, omni denique loco ridicule commodeque dicet. Vgl. über Witze, Lachen etc. 290; Quint. inst.orat. 6,3,1– 112 mit zahlreichen allgemein etwa: Cic. de orat. 2,216 ff.; 235– exempla. Vgl. ebda. 101 ff. zum Traktat des Marsus über die urbanitas. S. dazu E.S.RAMAGE, Urbanitas: Cicero and Quintilian, A Contrast in Attitudes, AJPh 84, 1963, 414; DERS., Urbanitas. Ancient Sophistication andRefinement, Cincinnati 1973, 20 ff. 390– Scen. frg. 412– 413 VAHLEN3 (= Cic. de orat. 2,222 mit demKontext): dicere enim aiunt Enniumflammam a sapiente facilius ore inardente opprimi quambona dicta teneat; haec scilicet bona dicta quae salsa sint. Vgl. nur Cic. de orat. 1,31– 32; 35; 44; 48; 63; 201; 2,49; 192; 3,134 (senatus, populus, causae amicorum); ferner deorat. 1,32; 44; 201; 2,49 und64; 3,86 und211; Brutus 178; Mur. 24; Cluent. 4; 93 u.ö.
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vor allem andenen, die etwa bei einem konkreten mansich seinerseits an ihnen – mit gleichen den Ansprüchen in der gleichen Arena auftraten – Rivalen als Anlaß messen lassen und wurde mit ihnen verglichen, nämlich vom Publikum, von den Adressaten jedes Plädoyers, jeder Rede und Gegenrede. Dazu gab es schon deswegen keine Alternative, weil in eben diesen Arenen auch die unaufhörliche Konkurrenz umdiehonores, Rang undAnsehen stattfand. Umes mitTacitus zuformulieren, der aus der Rückschau denKern der Sache treffend charakterisiert hat: Es war keineswegs so, daß die eloquentia einfach nur summa praemia eingebracht stumm und hätte, vielmehr sei sie eine magna necessitas gewesen; denn ohne sie, “ sprachlos” , hätte manschlicht als “deformiert”gegolten undschon gar nicht eine prominente undhervorragende Position in derBürgerschaft erreichen oder halten “ können” 62. Und selbst wenn für Tacitus die eloquentia der guten alten Zeit die omnium artium domina war, erkannte er doch hier mitbesonderer Scharfsicht alle diese Zusammenhänge (und die sich daraus für ihnzwangsläufig entwickelnde, zerJe mehrjemand durch störerische Eigendynamik des Rivalisierens umjeden Preis): “ desto weiter überragte honores, gelangte er zuden Reden vermochte, desto leichter er dann in den Ämtern selbst seine Collegen, desto mehr an gratia bei denprincipes, desto mehrauctoritas imSenat unddesto mehrnotitia ac nomen beim Volk” undvor allem: Solche Leute wurden vonPraeturen wie konnte er sich verschaffen – privati ohne potestas” selbst herbeigerufen” Consulaten geradezu “ , undnoch als “ konnten sie bloß mit consilium undauctoritas Volk wie Senat lenken63.
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Bezeichnenderweise waren jedoch nicht alle drei Arenen desorator gleich wichtig. Selbst wenn die Prozesse, die die Mitglieder der politischen Klasse zu Catos wie Ciceros Zeiten gegeneinander führten, oft genug als die schärfste Form derAustragung einer allgegenwärtigen Konkurrenz um Positionen und Einfluß erscheinen müssen; undselbst wenn mandabei, umes wiederum mit Tacitus zu formulieren, nicht abwesend und durch schriftliches Zeugnis”für sich oder andere eintreten “ konnte, sondern nur mit dem gesprochenen Wort, in aller Öffentlichkeit und
eloquentiae praemia magna etiam necessitas accedebat; et quo modo disertum haberi pulchrum et gloriosum, sic contra mutum et elinguem videri deforme habebatur; 36,6: ... neminem sine eloquentia aut adsequi posse in civitate aut tueri con-
62 Dial. 36,8: Ita ad summa
spicuum et eminentem locum ... 63 Dial. 32,4; 36,5 und36,4: ... quanto quisque plus dicendo poterat, tanto facilius honores adsequebatur, tanto magis in ipsis honoribus collegas suos anteibat, tanto plus apudprincipes gratiae, plus auctoritatis apud patres, plus notitiae ac nominis apud plebem parabat; vgl. außerdem dial. 5,4 ff.; 6,1 ff. u.ö.
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persönlich präsent64: Die Gerichte galten jedenfalls nicht als die wichtigste PlattformdesRedners. Selbst wennin deraristokratischen respublica alles aktive Handeln in derPolitik ebenso wie die Führung der vielen Kriege ganz die Sache einer politischen Klasse war; selbst wenndiezentrale Institution dieser Klasse, derSenat, mitseinem
Monopol an Herrschaftswissen und seinen darauf beruhenden, ineinander greifenden Funktionen der sozialen und“ moralischen” , politischen, diplomatischen und strategischen Lenkung und Kontrolle sogar mehr als nur das Regierungsorgan”der res publica darstellte65; selbst wenn man dort, wie wie“ derum Tacitus es charakterisierte, nicht schlicht und einfach seine Ansicht zum Besten geben konnte, sondern seine sententia mitingenium undnatürlich eloquentia vorzutragen hatte66; undselbst wenngerade dort viele derberühmten undvielzitierten Reden gehalten wurden, wiediejenige desAp.Claudius Caecus gegen den Frieden mit Pyrrhos, Catos Plädoyer für die Rhodier und Ciceros erste Catilinaria67: Es war auch nicht der Senat, der als das wichtigste Forum des Redners galt. Als wichtigster Adressat undgrößte Arena jedes orator galten vielmehr der populus Romanus allgemein undseine Versammlungen im Besonderen. Dabei ist diese Wertung keineswegs nur als allgemeine Weisheit oder unverbindliche programmatische Deklaration zu verstehen, wonach ein Redner ohne eine “ zuhörende Menge” ebensowenig wirklich eloquens sein könne wieeinFlötenspieler ohne Flöte spielen könne68 und überhaupt die Kunst, Menschen durch Rede zu fesseln, allein beijedem freien Volk undinsbesondere in friedlidiejenige Sache”sei, die “ “ chen, ruhigen Bürgerschaften” schon immer in Blüte gestanden und sogar die Menge” , die beherrschend”gewesen sei69. Die Ausrichtung des orator auf “ “ Orientierung an ihren Erwartungen undUrteilen ist vielmehr durchaus ernst und ganz konkret gemeint: Es sei der“ unddie “Zustimmung”dieser öffentliche Beifall”
64 Dial. 36,7: ... cumin aliquam invidiam aut crimen vocati sua voce respondendum haberent, cumtestimonia quoque in publicis nonabsentes necper tabellam dare, sedcoram etpraesentes dicere cogerentur. 65 Vgl. dazu HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 184 ff.; 247 ff. u.ö.; DERS., Historia 42, 1993, 33 ff., ferner P.A.BRUNT, The Fall of the Roman Republic andRelated Essays, Oxford 1988, 13 ff. 66 Dial. 36,7: ... cumparum esset in senatu breviter censere, nisi qui ingenio et eloquentia sententiam suamtueretur, ... 67 Ap.Claudius Caecus frgg. 10 f. ORF4 (= Plut. Pyrrhus 18,8– 19,4; App. Samn. frg. 10,2; Quint. inst.orat. 2,16,7), vgl. frgg. 1 ff. unddazu KENNEDY, Art (s.o.A.6) 26 ff.; Cato frgg. 163 ff. ORF4 (= Gell. 6,3,14 ff.; 26 und36 ff.; vgl. App. Pun. 65; Liv. 45,25,2 und 3) und ALBRECHT, Meister römischer Prosa vonCato bis Apudazu KENNEDY a.O. 45 ff.; M. VON leius, Heidelberg 1971, 24 ff. (zu Cato); Quint. inst.orat. 2,16,7; 9,2,26 und 3,71; 12,10,61 u.ö.
68 Cic. de orat. 2,338; vgl. auch Brutus 192. 69 Cic. deorat. 1,30: haec unares (sc. posse dicendo tenere hominum mentis, adlicere voluntates, impellere quo velit, unde autem velit deducere) in omni libero populo maximeque in pacatis tranquillisque civitatibus praecipue semper floruit semperque dominata est.
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Menge (vulgi assensu etpopulari approbatione), die für denErfolg oder Mißerfolg des orator letztlich ausschlaggebend seien –und nicht das beifällige Goutieren rhetorischen Könnens durch die Gebildeten70. Deswegen zielt die Ausbildung zum vollendeten Redner in derPraxis, wieüberhaupt die Charakterisierung desperfectus orator, wie Cicero sie entwirft, in erster Linie aufdenErfolg unddie Anerkennung desVolkes –miteinem Wort: Es ist dembesten Redner (summus orator) geradezu eigentümlich, daß er eben dempopulus als der beste Redner erscheint71. Undauch dies war in Ciceros Zeit keineswegs neu, geschweige denn originell: Schon nach Ennius beruhte derlegendäre Ruf deseloquentiae auctor Cethegus auf demUrteil die damals lebten”undihn hörten –sie waren es, die ihn wegen der Menschen, “ auserlesene Blüte desVolkes” nannten72. seiner Redekunst die “ Daher galt die Arena, in der der Redner dempopulus gegenübertrat, als die : die contio73. Nicht der Senat, sondern die contio größte Bühne” eigentliche, die “ wardaher derOrt, woes galt, alle Register zuziehen, die “ganze Gewalt derRede” , die ganze gravitas undjede Abwechslung aufzubieten74. Und hier, so wiederum schon Cato, muß sich auch der Witz des homo urbanus bewähren75. Diese Arena wird sogar so sehr mit denZuhörern, demPlatz, von demaus der Redner sich an sie wendet, undvor allem mit den dort gehaltenen orationes identifiziert, daß der Begriff contio sowohl die Rednertribüne und den versammelten populus, öffentliche Rede”selbst bezeichnen konnte76. als auch zuweilen schlicht die “ Diese Funktion als Arena füröffentliche Rede macht die strukturelle Bedeutung der contio für die politische Kultur der Republik aus. Allein zu diesem Zweck wird die contio einberufen –undausdrücklich niemals, umdempopulus etwa einen Antrag vorzulegen unddarüber abstimmen zulassen. Deswegen wird die contio auch
200 passim, besonders 185 und 188, woes heißt: quod enimprobat multi183– hoc idem doctis probandum est, und noch einmal e contrario (ebda. 199): namillud, quodpopulo nonprobatur, ne intelligenti quidemauditori probari potest. Vgl. auch de orat. 2,159; Orator 117; Brutus 283. Vgl. dazu M.G.IODICE DI MARTINO, Il rapporto oratorepubblico nel Brutus di Cicerone, A&R 32, 1987, 147– 151. 71 Cic. Brutus 186: id enim ipsum est summi oratoris summum oratorem populo videri. Vgl. etwa de orat. 1,81; Quint. inst.orat. 2,16,8, wo es vompopulus Romanus heißt: apud quem
70 Cic. Brutus tudo,
summa semper oratoribus dignitas fuit.
308 SKUTSCH (= Cic. Brutus 58– 307 VAHLEN3 = 306– 59 mit dem Kontext; Gell. 72 Ann. 305– 12,2,3).
73 Cic. de orat. 2,338: fit autem ut, quia maxima quasi oratoris scaena videatur contionis esse, natura ipsa ad ornatius dicendi genus excitemur; vgl. Laelius 97. 74 Cic. de orat. 2,334: contio capit omnem vimorationis et gravitatem varietatemque desiderat; vgl. dagegen 2,333, woesheißt, daßderRedner imSenat minore apparatu auftreten solle. 75 Apophth. 1 JORDAN (= Quint. inst.orat. 6,3,105, s.o.A.59). 9. Vgl. zur Gleichsetzung von contio undoratio ferner et76 Verrius Flaccus apud Gell. 18,7,5– wa Cic. Cluent. 77; Att. 7,8,5; 14,20,3; fam. 9,14,7. Bei Quint. inst.orat. 3,8,67 werden Senatsreden”(sententiae) genau geschieden. Vgl. auch Quint. Volksreden”(contiones) von “ “ inst.orat. 5,11,42; 9,3,50. S. dazu F.PINAPOLO, Las contiones civiles y militares en Roma, Zaragoza 1989, 4 ff. mitweiteren Nachweisen.
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so oft begrifflich genau von dencomitia undconcilia plebis unterschieden77. Und zum Volke deswegen heißt contionem habere nicht mehr und nicht weniger als “ sprechen” , undzwar ausdrücklich “ohne irgendeinen Antrag zu stellen”78. Jeder Magistrat konnte contiones einberufen –nicht nur ein Consul, Praetor, Censor, Dictator, Interrex undein Volkstribun, sondern auch ein Aedil undsogar ein Quaestor, außerdem derpontifex maximus undder rex sacrorum79. Im Gegensatz zuComitien konnten contiones sogar parallel stattfinden, jedenfalls solange ein rangniedrigerer Magistrat dabei nicht einem höheren Magistrat in die Quere kam– oder gar einem Volkstribunen, dessen contiones selbst der Consul zu respektieren hatte80. Sie alle hielten contiones ab, weil sie ihre jeweiligen Amtshandlungen öffentlich”durchführen mußten, vor denAugen despopulus Romanus undan ihn “ gewendet – die Spannweite dieser Handlungen reichte von derEröffnung des Census über religiöse Inaugurationsakte, Eidesleistungen und die Bekanntgabe von Feiertagen bis hinzu öffentlichen Hinrichtungen81. So wares Tradition, undes galt sogar als ehrwürdige Einrichtung der Vorfahren, daß ein neuer Consul zu Beginn seines Amtsjahres in einer besonderen contio vor das Volk trat82, und auf die gleiche Weise pflegte er seine Amtszeit zubeenden – miteiner Rede unddemüblichen Eid, das Amt gemäß den Gesetzen geführt zu haben83. In Contionen veröffentlichten die Magistrate viele Beschlüsse des Senats und ihre Edikte zu allen möglichen Angelegenheiten, sei es derMarschbefehl des Consuls an bereits ausge-
77 Valerius Messala apud Gell. 13,16,1; vgl. auch Paul.Fest. pp.34 s.v. contio in Verbindung mit 58 LINDSAY s.v. contio; 36 LINDSAY s.v. conventus; 100 LINDSAY s.v. In conventione;
Liv. 34,2,11 u.ö., sowie schon Plaut. Men. 459, ferner etwa Cic. Sest. 106; 125 etc. Vgl. dazu J.FARRELL, The Distinction between comitia and concilium, Athenaeum 74, 1986, 407– 438, hier 407 f. 78 Valerius Messala apud Gell. 13,16,3: nam ‘cumpopulo agere’ est rogare quidpopulum quod suffragiis suis aut iubeat aut vetet, ‘contionem’ a utem ‘habere’ est verba facere sine ulla rogatione.
79 Valerius Messala apud Gell. 13,16,1; Paul. Fest. 34 LINDSAY s.v. contio; Varro 1.L. 6,90. Vgl. dazu TH.MOMMSEN, Römisches Staatsrecht (1887), ND Graz 1969, I, 197 ff.; III 1, 389 ff.; L.LANGE, Römische Alterthümer II2, Berlin 1867, 663 ff.; W.LIEBENAM, RE 4.1, 1900, 1153; G.W.BOTSFORD, The Roman Assemblies. From their Origin to s.v. Contio, Sp.1149– the Endof the Republic, NewYork 1909, ND 1968, 139 ff.; L.R.TAYLOR, Roman Voting Assemblies from the Hannibalic Warto the Dictatorship of Caesar, Ann Arbor 1966, 15 ff.; C.NICOLET, Le métier de citoyen dans la Rome républicaine, Paris 1976, 386 ff.; E.NOÈ, Per la formazione del consenso nella Roma del I sec. a.C., in: Studi di storia e storiografia an72, hier 50 ff.; PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 43 ff., der tiche perE.Gabba, Como 1988, 49– einen Katalog derbezeugten contiones bietet (199 ff.), auchzumFolgenden. 80 Valerius Messala apud Gell. 13,16,1; Liv. 43,16,9 ff. Vgl. dazu zuletzt PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 65 ff. 81 Varro 1.L. 6,28; 86; 93; Liv. 9,24,15; 22,57,3; 24,20,6; 41,15,10; 42,32,2. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 197 f.; 204; BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 142 f.; PINA POLO, Contiones (s.o.A.76) 151ff. 82 Cic. leg.agr. 2,1: Est hoc in more positum, ..., institutoque maiorum etc.; fin. 2,74. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 617. 83 Das geht ausdenNachrichten über Ciceros letzte contio als Consul hervor: Cic. Pis. 6 f.; dom. 94; fam. 5,2,7; rep. 1,7; Cass.Dio 37,38. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 625.
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hobene Truppen oder sei es auch nur, um irgendeinen Termin anzusetzen84. In Contionen wurden Berichte an denpopulus vorgetragen, wie etwa der Brief des
T.Quinctius Flamininus über seinen großen Sieg in Griechenland, der erst im Senat unddann ex auctoritate patrum in einer contio verlesen wurde85, undhier pflegten auch Feldherren nach ihrer Rückkehr über ihre res gestae zu sprechen wie L.Aemilius Paullus, dessen Rede bei dieser Gelegenheit später als besonders galt86. denkwürdig undeines princeps würdig” “ Vor allem war die contio der einzige “offizielle”ö ffentliche Ort der kontroversen Diskussion, derausführlichen Erörterung desFürundWider – hier kamnicht nurderberufende Magistrat zuWort, sondern auch seine Collegen undsogar Senatoren ohne Amtundandere privati87. Hier hielten sie, als Befürworter oder Gegner derzurDebatte gestellten Maßnahme, dieüblichen suasiones respektive dissuasiobei Gesetzesrogationen ebenso wiein Diskussionen über Kriegserklärungen nes88– undFriedensschlüsse89. Undin denersten drei contiones imVolksgerichtsverfahren kamen Ankläger wie Verteidiger zu Wort, wurden derAngeklagte unddie Zeugen gehört90.
Mit einem Wort: In dencontiones konnten alle Materien zur Sprache kommen, über diederpopulus indenComitien oder dieplebs in ihren concilia, als Versammlung oder Gericht, in letzter Instanz abzustimmen hatte: Verträge, Krieg undFrieden, Urteile bei Vergehen gegen die res publica undvor allem Gesetze über alle möglichen Gegenstände vom“ Verfassungsrecht”über das Straf- undZivilrecht bis hinzuBürgerrechtsverleihungen, Koloniegründungen undLandverteilungen. In diesemSinne trifft Ciceros knappes Dictum denKern derSache: Es gebe drei Orte, an 84 S. etwa Cic. Att. 2,24,3; Liv. 25,1,12; 26,27,6; 37,4,1; 39,17,1 ff.; 42,10,3; 43,4,11; 14,5 f.; 16,2; 45,2,6. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 202 ff.; E.HERZOG, Geschichte und System der römischen Staatsverfassung I, Leipzig 1884, 632 ff.; PINA POLO, Contiones (s.o.A.76) 143 ff. 85 Liv. 33,24,3 f. Weitere Beispiele: Liv. 27,51,5 f.; 30,17,3 ff. und 40,3; 36,21,8; 37,52,2; 45,2,6.
86 Liv. 45,40,9 (memorabilis ... et digna 87
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12; vgl. Plut. Romano principe), dieRede ebenda 41,1– 37,1. Weitere Beispiele: Liv. 36,40,14, vgl. 11 ff. Vgl. PINA POLO, Contiones Aem. 36,3– (s.o.A.76) 147 ff. Cic. Lael. 95 ff.; Liv. 42,34,1; 45,21,6; 36,1 und 10; Cass.Dio 38,4,4. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 200 f.; HERZOG, Staatsverfassung (s.o.A.84) 1057 f.; BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 145 ff.; TAYLOR, Assemblies (s.o.A.79) 18. Cic. leg.agr. 2,101; 3,1 f.; 16; Quint. inst.orat. 2,4,33; vgl. auch Cic. de orat. 1,60; Lael. 96; Liv. 10,7,1; 34,5,1; 43,16,8; 45,21,6 f.; Tac. dial. 34,1 ff.; 40,1 ff. u.ö. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) III 1, 393 ff. Vgl. etwa Liv. 31,7,1 ff; vgl. 6,1 ff.; 8,1 (zum J. 200); Liv. 34,1,1– 8,3 (Debatte über die Ab7 (zum Jahre 196); Liv. 5; Liv. 33,25,4– rogation der lex Oppia i.J. 195); Polyb. 18,42,1– 35,1 (Debatte über Aushebungen i.J. 171). Vgl. PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 92 42,33,1– ff.; 139 ff. u.ö. S. etwa Liv. 26,2,7– 3,8 (zum Prozeß gegen Cn.Fulvius i.J. 211); Polyb. 23,14,1 ff.; Liv. 51,14 (fälschlich unter dem J. 187); Gell. 4,18,1 ff. (zum Prozeß gegen Scipio i.J. 38,50,5– 184); Cic. dom. 45. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) III 1, 355 ff.; 392 f.; LANGE, Alterthümer (s.o.A.79) II2, 667 ff.; TAYLOR, Assemblies (s.o.A.79) 19; PINA POLO, Contiones (s.o.A.76) 104 ff.
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Meinung denen sich “
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undWille”despopulus in Angelegenheiten der res publica bei den Wahlen und Abstim-
am deutlichsten artikulieren könnten: in der contio, mungen indenComitien undbei denSpielen91.
Gleich in mehreren Hinsichten war die contio also die wichtigste politische Bühne überhaupt in dieser aristokratischen Republik. Denn damit wares eben nicht der Senat, derformal ja kein Entscheidungs- undWahlorgan war, sondern diecontio, diedenOrt derunmittelbaren Vorbereitung undFührung despopulus Romanus als Institution der formalen Bestätigung undLegitimierung jedes staatlichen Handelns darstellte. undnicht der Senat, wo Zugleich bedeutete das noch viel mehr: Die contio – warder zensich die Angehörigen derpolitischen Klasse ja nurselbst begegneten – der Bürmit Klasse politischen und Kommunikation der Interaktion der Ort trale gerschaft. Unddasheißt mutatis mutandis: Diecontio warderOrt, woumdie unverzichtbare Akzeptanz geworben werden mußte, wo die Legitimität politischen Handelns hergestellt werden mußte, und damit auch die Anerkennung der Überlegenheit einer Elite, die ihren Führungsanspruch allein ausdiesem Handeln für die meritokratischer res publica herleitete. Denn Senatsadel und Nobilität als “ Amtsadel”konnten sich ja überhaupt nurals Elite definieren, indem sie permanent beanspruchten, inKrieg undPolitik fürdenpopulus Romanus, in seinem Namen, zu seinem Wohl undauf seine Rechnung zu handeln: Derpopulus Romanus als das Ganze undTräger der res publica war damit das Referenzobjekt ihres Selbstverständnisses undihrer gesamten Identität, vondemallein ihre Anerkennung undLegitimität als Elite ausgehen konnte92. Aufdiese untrennbaren Zusammenhänge waren nicht nurder Verhaltenscodex und die hochgradig verpflichtende Kollektivmoral des Senatsadels ausgerichtet, sondern auch dieverschiedenen Formen ihrer öffentlichen Selbstdarstellung: Sie alle dienten allein der (Selbst-)Bestätigung ihrer Erfolge in Politik undKrieg, ihrer Traditionen von Dienst und Leistungen für die res publica und der daraus resultieAbgeltung”in Form von renden Ansprüche auf Anerkennung ihrer Führung und “ honores, dignitas undauctoritas. Diepompa triumphalis des siegreichen Feldherrn durch dieganze Stadt bis zumCapitol wiediepompa funebris fürdenverstorbenen nobilis waren demonstrativ öffentlich, sie sollten vor denAugen undinmitten des
91 Sest. 106: ... tribus locis significari
maxime de re publica populi Romani iudicium ac voluntaspotest, contione, comitiis, ludorum gladiatorumque consessu; vgl. 106 ff.; 109; 115. Vgl. NOÈ, in: Studi di storia (s.o.A.79) 53 ff. und insofern auch MILLAR, JRS 74, 1984, 6 ff.; 8 f.; 16 f.; DERS., JRS 76, 1986, 2 ff.; DERS., in: Leaders and Masses (s.o.A.24) 95 ff.; 52, hier 41 ff. A.W.LINTOTT, Democracy in the Middle Republic, ZRG 104, 1987, 34– 92 Vgl. HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 204 ff.; 241 ff.; 250 ff.; DERS., Historia 42, 1993, 26 ff.; E.FLAIG, Politisierte Lebensführung und ästhetische Kultur. Eine semiotische Unter217, hier 197 ff.; 203 suchung am römischen Adel, Historische Anthropologie 1, 1993, 193– ff.
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populus ablaufen93. Diese feierlichen, absichtsvoll symbolgeladenen Inszenierungen wandten sich, ebenso wie die dazu gehörigen Spiele undandere Feste, an denselben ganz in diesem Sinne redet populus, der in der contio der Adressat der Reden war– Aemilius Paullus nach Livius zu Beginn der schon mehrfach erwähnten Rede die in der contio versammelten Bürger mit den bezeichnenden Worten an: Quirites, ..., nuncfunera liberorum meorum cum spectaculo vobis nunc triumphus meus,
fuerint94. Geradezu klassisch fällt dies alles in der laudatio funebris zusammen, die ein nobilis als orator aufdemHöhepunkt eines Leichenbegängnisses vondenrostra an das versammelte Volk zu richten pflegte –bekanntlich hat schon Polybios diese besondere Kombination vonRitual undRede, contio undpompa (und auch denbeabsichtigten Effekt der Inszenierung) treffend beschrieben: Während nun ringsum das ganze Volk steht, steigt entweder, wenn ein “ Sohn im passenden Alter vorhanden undanwesend ist, dieser, andernfalls einanderer Verwandter ausderselben gens aufdierostra undhält eine Rede über die Vorzüge des Verstorbenen unddie Taten, die er im Leben vollbracht hat. Das hatzurFolge, daßdieMenge, die andie Ereignisse erinnert wird undsie gleichsam vor Augen gestellt bekommt, ... so sehr in einen Zustand des Mitgefühls versetzt wird, daß der Verlust nicht nureine Sache der trauernden Angehörigen zu sein, sondern das ganze Volk zu betreffen scheint ... Übrigens, wenn der Redner mit demLob des Mannes, der begraben werden soll, fertig ist, spricht er von den übrigen Toten, die anwesend sind, indem er bei demÄltesten anfängt, undnennt ihre Erfolge und Taten. Da so derRuf derTrefflichkeit tüchtiger Männer stets erneuert wird, ist derRuhmderer, dieeine edle Tat vollbracht haben, unsterblich, zugleich aber wird der Ruhm derer, die demVaterland gute Dienste geleistet haben, der Menge bekannt unddenNachkommen weitergegeben”95. 93 Vgl. dazu NICOLET, Métier (s.o.A.79) 456 ff; 460 ff.; 467 ff.; HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 222 f.; 236 ff.; DERS., Historia 42, 1993, 29 f. unddemnächst E.FLAIG, Die Pompa Funebris. Adlige Konkurrenz undannalistische Erinnerung in derRömischen Republik, in: O.G.Oexle (Hg.), Memoria als Kultur, Göttingen (imDruck). 94 Liv. 45,41,1. Vgl. auch das Fragment aus einer Rede des C.Fannius gegen C.Gracchus: si Latinis civitatem dederitis, credo, existimatis vos ita, ut nunc constitistis, in contione habituros locum aut ludis autfestis diebus interfuturos (frg. 3 ORF4 [= C.Iulius Victor, Rhetores Latini minores, ed. C.HALM, Leipzig 1863, p.402], Hervorhebung von mir, K.-J.H.); Cic. Sest. 106 (s.o.A.91). Vgl. dazugenerell K.HOPKINS, FromViolence toBlessing: Symbols and Rituals in Ancient Rome, in: A.Molho/K. Raaflaub/J. Emlen (Hgg.), City States in Classical 498; E.FLAIG, Repenser le politique dans la Antiquity andMedieval Italy, Stuttgart 1991, 479– 25, République romaine, in: Actes de la Recherche en Sciences Sociales No.105, 1994, 13– sowie denBeitrag vonFLAIG indemvorliegenden Band. 95 Polyb. 6,53,2 f.; 54,1 f. (Übersetzung nach KIERDORF, Laudatio funebris [s.o.A.1] 1 f.); vgl. Cic. de orat. 2,341 ff. undQuint. inst.orat. 11,3,153, wolaudationes als contiones funebres bezeichnet werden. Vgl. auch MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 201 f. (zu Cic. leg. 2,62 undDion.Hal. ant. 5,17,2 f.), wonach laudationes in eigens einberufenen contiones gehalten worden seien; PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 165 ff.
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Und an die gleiche “ Menge” , denpopulus Romanus, wenden sich auch die Elogien der Scipionen, wenn sie –ganz imrednerischen Stil der typischen laudatio –nicht nuraufzählen, daßdieVerstorbenen consol, censor, aidilis gewesen seien, sondern auch emphatisch betonen, daß sie diese honores eben apud vosinnegehabt hätten96. Gerade hier wird der Adressat zugleich in seiner anderen, ebenso zentralen Rolle angesprochen: Es warja schließlich derpopulus Romanus in den Comitien, der alle diese honores zu vergeben hatte –er wählte alle Magistrate, nicht nur die beiden Consuln, sondern schon vor der Mitte des 2.Jahrhunderts an die zwanzig weitere reguläre Magistrate von den Quaestoren über die plebeischen und curulischen Aedile bis zudenPraetoren, diezehn Volkstribune, über zwanzig tribuni militum a populo undweitere rangniedere Beamte wiedie tresviri capitales97. Schon dies allein mußte denpopulus Romanus als Versammlung zu einer zentralen Institution machen, selbst wenn (oder vielmehr: gerade weil) diese wie die gesamte Ordnung von einer kleinen Elite kontrolliert wurde – beruhten doch die Zugehörigkeit zudieser politischen Klasse undihrem institutionellen Zentrum, dem Senat, überhaupt unddann der Rang des Einzelnen darin allein auf der Erlangung von Ämtern durch Volkswahl. Gerade weil die Nobilität und der Senatsadel sich denunbestritten geltenden Regeln wiedemeigenen ideologischen Anspruch also – aus dempopulus undvor allem durch denpopulus rekrutierten undpermanach – nent reproduzierten, war dieser populus eben nicht bloß eine passive, amorphe Masse, sondern jedenfalls als Institution selbst ein Subjekt, das in der Interaktion mitseiner Elite eine unverzichtbare Rolle spielte. Deswegen mußte derpopulus in der contio eines der wichtigsten Foren der eben die größte Bühne des nobiSelbstdarstellung und-bestätigung derElite sein – lis als Redner. Gerade weil es auffälligerweise keine speziellen contiones für die Vorstellung vonKandidaten gegeben zuhaben scheint, mußte mansich bei anderen Gelegenheiten, beipompae undSpielen, bei Prozessen undeben bei contiones zu dereinen oder anderen Sache, demVolk “bekannt”([g]nobilis) gemacht haben, vor ihm agiert undmit ihm interagiert haben, wenn manschließlich als Kandidat Erfolg und nicht der Senat, der in haben wollte98. Denn es war derpopulus Romanus –
96 CIL I2 2, 7 = ILS 1, Z.4; CIL I2 2, 9 = ILS 3, Z.4. Vgl. dazu J.VANSICKLE, The Elogia of the Cornelii Scipiones and the Origin of the Epigram at Rome, AJPh 108, 1987, 41– 55, hier 47 f.; DERS., The First Hellenistic Epigrams at Rome, in: Vir Bonus Discendi Peritus. Studies ... 156, hier 146; HÖLKESKAMP, Nobilität O.Skutsch, BICS Suppl. 51, London 1988, 143– (s.o.A.5) 225 f.; DERS., Historia 42, 1993, 30. 97 Vgl. zur Zahl dieser Stellen: MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) II 1, 198 f. (4 bzw. 6 Praetoren); II 1, 575 (tribuni militum); II 1, 592 ff. (magistratus minores); W.V.HARRIS, The De81 B.C., CQ 26, 1976, 92– 106, hier 104 ff. velopment of the Roman Quaestorship, 267– (wahrscheinlich 10 Quaestoren). Vgl. insofern MILLAR, JRS 74, 1984, 9 ff.; 13; 19, auch zum Folgenden.
98 Vgl. den Rat bei Q.Cic. comm.pet. 53: nec tamen in petendo res publica capessenda est neque in senatu neque in contione, sedhaec tibi suntretinenda: utsenatus te existimet ex eo, quod ita vixeris, defensorem auctoritatis suaefore, ..., multitudo ex eo, quod dumtaxat oratione in contionibus ac iudicio popularis fuisti, te a suis commodis non alienum futurum. S.
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dieser Hinsicht ja nureine Versammlung aller (potentiellen) Rivalen umdiehonores , der als Richter die alljährliche Konkurrenz umeine immer noch begrenzte war – Zahl von Ämtern in einem sich zur Spitze radikal verengenden Stellenkegel unddasin einem gesellschaftlich-politischen undideologischen System, entschied –
das persönlichen Erfolg allein auf diesem Feld besonders hoch prämierte: durch unddenStatus eines nobilis. Ansehen, Einfluß, Macht, Reichtum – Gerade die Wahlen dienten also zugleich der Bestätigung einer exklusiven Amtsaristokratie undder permanenten Erneuerung derHierarchie zwischen dieser Elite unddempopulus. Überhaupt wurde diese selbstverständliche Grundlage ihres Aufeinanderbezogenseins bei allen diesen Gelegenheiten undauf allen Ebenen der Selbstdarstellung unddes öffentlichen Auftretens von Mitgliedern der Elite immer mitinszeniert99: das gewaltige Gefälle zum Volk durch eine ererbte und dauernd erneuerte soziale, materielle und intellektuelle Überlegenheit des Adels, die tief eingerasteten und einander ergänzenden institutionalisierten Hierarchien zwischen Nobilität undplebs, Patronen undClienten, Magistraten undBürgerschaft, Imperiumsträgern undLegionen, Senat undVersammlungen. Natürlich war auch die contio in diese Grundstruktur eingebettet: Trotz der scheinbaren Formlosigkeit undtrotz der oft turbulent anmutenden (oder von interessierter Seite, etwa Cicero, so dargestellten) Abläufe war die contio als Forum freier undkontroverser Rede in dementsprechende formale undinformelle Regeln unddie waren keineswegs sehr verschieden von denRegeln im Senat eingehegt – undin denComitien. Wie deren Sitzungen bzw. Versammlungen konnten contiones nur von Magistraten oder Volkstribunen einberufen werden, undauch hier wurde öffentlichen Ausrufer”(praecones) geladen, dabei regelrecht durch die offiziellen “ auf Befehl des leitenden Magistrats die dann für Ruhe undOrdnung zu sorgen und– –die Redner, Prozeßbeteiligten, Zeugen aufzurufen hatten100. Auch die contio zumindest in früheren Zeiten –mit einer feierlichen Gebetsformel eröffwurde –
zur Sache zuletzt PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 115 ff. Vgl. zumBegriff nobilis Fest. 182 s.v. nobilem; Non. 557 LINDSAY s.v. nobile. Vgl. HELLEGOUARC’H, Vocabulaire (s.o.A.5) 224 ff.; HÖLKESKAMP, Nobilität (s.o.A.5) 220 f. Vgl. zuletzt A.YAKOBSON, Petitio et Largitio: Popular Participation in the Centuriate Assembly of the Late Republic, JRS 82, 52 undjetzt vor allem den Beitrag von M.JEHNE zum “Wahlkampf” 1992, 32– , seinen Regeln
LINDSAY
undRitualen. 99 Das ist ein wesentlicher
Aspekt
der politischen Kultur der Republik, den MILLAR, JRS 74,
1984, 3 ff. u. passim; DERS., JRS 76, 1986, 2 ff.; DERS., JRS 79, 1989, 141 ff.; DERS., in: Leaders and Masses (s.o.A.24) 94 ff. völlig ignoriert. Vgl. dazu auch FLAIG, Actes (s.o.A.94) 16ff. undseinen Beitrag indiesem Band. 100 Paul.Fest. p.34 LINDSAY s.v. contio; Liv. 1,59,7; 4,32,1, sowie 8,32,2; 38,31,12; 43,16,8 u.ö.; Varro 1.L. 6,86 f.; 91; 95; 7,42; vgl. ferner Plaut. Poen. 11; Asin. 4; Cic. Flacc. 34; Quint. inst.orat. 6,4,7. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 199; 363 ff.; 386; LANGE, Alterthümer (s.o.A.79) II2, 664 ff.; BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 144 f.; PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 87 ff., auch zumFolgenden.
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Undauch in der contio saß der Magistrat erhöht auf seinem Amtsstuhl –die Versammlung mußte dagegen stehen undsollte inerster Linie DasRederecht indercontio galt zwaralsechtes bürgerliches “Ehrenrecht” , das
net101.
zuhören102.
aus bestimmten Gründen auch aberkannt werden konnte: Der “Verschwender des väterlichen Erbes”undder nach der lex Servilia depecuniis repetundis Verurteile waren ausdrücklich davon ausgeschlossen103. Tatsächlich konnte man dieses Recht”jedoch nur auf Einladung des berufenden Magistrats wahrnehmen. Und “ ähnlich wieimSenat beimiussententiae spielte dabei vorallem derRang des Sprechers, insbesondere sein Status als Magistrat oderprivatus, eine deutlich sichtbare Rolle: Magistrate sprachen nämlich gewöhnlich vondenrostra herab, derprivatus hingegen von einem tiefer gelegenen Standort aus, vielleicht von den Stufen der rostra –so wollte es jedenfalls der Comment, gegen den mannatürlich auch verstoßen Darüber hinaus gab es zwischen denprivati noch große Unterschiede: Senatoren ohne Amt, jüngere Leute amAnfang ihrer Karrieren wie ehrwürdige Consubesonders angesehene und lare, traten regelmäßig als Redner in Contionen hervor – hochrangige privati mitentsprechender auctoritas konnten ja sogar dasWort verlangen105. Ein solches selbstbewußtes Auftreten galt dagegen bei einem Mann aus demVolk als anmaßend undungehörig –selbst wenn es sich umeinen Bürger fortgeschrittenen Alters undVeteranen handelte wieP.Scaptius, denLivius in dem(an sich sicher nicht authentischen, aber atmosphärisch treffenden) Bericht über die contio anläßlich des römischen Schiedsgerichts zwischen Aricia und Ardea als aufsässigen, eitlen alten Schwätzer charakterisiert106. Wenn einprivatus aus dem Volk überhaupt einmal als Redner auftrat, wie der bewährte centurio, vorbildliche pater familias und Bürger Sp.Ligustinus in einer von Livius ebenfalls breit ausgestalteten contio im Jahre 171, dann hatte er den leitenden Magistrat, etwa den Consul oder die Tribune, respektvoll umErlaubnis zu bitten. Aber selbst dies wird
konnte104.
101 Liv. 39,15,1 f. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) III 1, 389 f. 102 Vgl. etwa Cic. leg.agr. 2,13; Flacc. 15 ff.; orat. 213; Tusc. 3,48. S. außerdem die Anweisung an Versammlungsleiter Cic. leg. 3,11: rem populo docento, doceri a magistratibus privatisque patiunto. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 199 f.; III 1, 396; TAYLOR, Assemblies (s.o.A.79)
29 ff.
103 Rhet. ad Herenn. 1,20; Quint. inst.orat. 3,11,13 und 16. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 199; 201; PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 74 f. 104 Cic. Att. 2,24,3; Vat. 24; vgl. Liv. 38,52,11. Vgl. BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 149. 105 S. nurLiv. 45,36,9 f., woes überM.Servilius Geminus, quiconsul et magister equitum fuerat (s.u.A.146), heißt: ut de integro earn rem agerent ab tribunis petere, dicendique sibi ad populum potestatem facerent. Tribuni cumad deliberandum secessissent, victi auctoritatibus principum de integro agere coeperunt revocaturosque se easdem tribus pronuntiarent, si M.Servilius aliique privati, quidicere vellent, dixissent. Vgl. Liv. 43,16,8 ff.; 45,21,6 f.; Plut. Cato min. 33 usw. 72,7, hier 71,3 f.; 72,4; vgl. Dion.Hal. ant. 11,52,1 ff. S. zur Sache R.M.OGILVIE, 106 Liv. 3,71,1– 5, Oxford 21970, 523 ff. adlocum. A Commentary onLivy, Books 1–
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als ungewöhnlich und keineswegs üblich dargestellt107. In aller Regel kamen die Akteure in denContionen, ob Magistrate oderprivati, eben nicht aus demVolk108. UndzumSchluß waren es ohnehin wieder die Magistrate, die ein mindestens gewohnheitsmäßiges Recht auf die abschließende Äußerung zur Sache gehabt zu haben scheinen109. Denn auch bei der contio –wiederum wie im Senat und selbstverständlich in den Comitien undden Versammlungen der Plebs –war allein der einberufende Magistrat der Herr des Verfahrens. Er bestimmte nicht nur die (Tages-)Zeit und den Versammlungsplatz, der keineswegs immer das Forum und dasComitium sein mußte: Contiones fanden etwa auch auf demCapitol oder –zumindest wenn sie von Tribunen einberufen waren –im Circus Flaminius statt110. Allein
derMagistrat leitete
natürlich auch dieVersammlung: Zunächst bestimmte
er
den vorzutragenden Gegenstand und veranlaßte die Ladung von Rednern nach allerdings war es üblich, wie gesagt, etwa bei Gesetzesaneigenem Gutdünken – trägen Befürworter wie Gegner derRogation einzuladen. Der Magistrat legte dann die Reihenfolge der Redner fest, erteilte ihnen das Wort undbestimmte sogar, wie lange undvon welchem Standort aus sie zu sprechen hatten111. Selbstverständlich schloß der Magistrat auch die contio, indem er sie auflöste, einen neuen Termin ansetzte oder denTeilnehmern denformellen Befehl gab, sich nach Entfernung der Nichtbürger zur Abstimmung nach Tribus oder Centur ien zu ordnen112. Mit einem Wort: Die contio war keine Ausnahme –selbst dieser einzige staatlich anerkannte Ort offener und öffentlicher Debatte war keineswegs ein Reservat staatsbürgerlicher”Gleichheit, sondern spiegelte auf vielfältige Weise die all“ gegenwärtigen Hierarchien derrespublica wider.
*
*
*
35,2, hier 34,1 ff.: ... Sp.Ligustinus ... a consule et ab tribunis petiit, ut sibi pau107 Liv. 42,34,1– cis adpopulum agere liceret. Permissu omnium ita locutus fertur: (es folgt eine Vorstellung seiner einfachen Herkunft, seiner tugendhaften Frau undseiner vielköpfigen Familie und schließlich eine ausführliche Darstellung seiner Dienstzeiten, Beförderungen undAuszeichzugleich dieRechtfertigung seines Auftritts). nungen – 108 Vgl. den Katalog bei PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 244 ff., der –soweit bezeugt –sowohl dieeinberufenden Magistrate alsauchdieauftretenden Redner namentlich verzeichnet. 109 Cass.Dio 39,35,1 unddazu MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 201; III 1, 394 f.; BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 150. 110 BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 143 f.; TAYLOR, Assemblies (s.o.A.79) 20 ff.; PINAPOLO, Contiones (s.o.A.76) 81 ff. u.ö. mit denNachweisen. 111 Cic. Att. 2,24,3; Rab.perd. 38; Vatin. 24; Cass.Dio 38,42 ff.; 39,34,2; Liv. 8,33,9 u.ö.; Plut. Cato min. 43. Vgl. MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 201; III 1, 394 f.; BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 145 ff.; TAYLOR, Assemblies (s.o.A.79) 16; 18 f. 112 Liv. 2,56,10 ff.; vgl. auch 25,3,14 ff.; Varro 1.L. 6,88; Cic. Flacc. 15 und dazu MOMMSEN, Staatsrecht (s.o.A.79) I, 197 ff.; III 1, 389 f.; BOTSFORD, Assemblies (s.o.A.79) 150; TAYLOR, Assemblies (s.o.A.79) 3.
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Diese Grundvoraussetzungen legten zugleich das dichte Netz von Regeln und Ritualen, Verhaltensmustern undErwartungen fest, die sich konkret in derals zentral beschworenen öffentlichen Auftritts- undAusdrucksweise des vir bonus und nobilis als orator vor demVolk niederschlugen. Die Praxis der öffentlichen Rede, die rhetorische Präsentation der verschiedenen Inhalte, die Formeln undüblichen Versatzstücke repräsentierten undreproduzierten das Aufeinanderbezogensein des populus, seiner Elite undihrer einzelnen Vertreter. Das erste verbale Signal in dieser Richtung stellt schon die Anrede dercontio als Quirites dar: Selbst wenn eine Versammlung noch so willkürlich zusammengesetzt war und selbst wenn immer Fremde, Frauen undsogar Sklaven anwesend sein mochten, wendet sich derorator damit an den populus Romanus als Gesamtheit der Bürger113. Dabei zeigt die bekannte Anekdote über Caesars kalkuliert vorwurfsvoll-herablassende Anrede der meuternden, ihre Entlassung fordernden milites als Quirites114 eindeutig, daßdarin eine bestimmte Bedeutungsnuance immer mitgedacht wurde, nämlich daßdamit die Adressaten als Bürger in ihrer “ zivilen” Rolle, eben als Teilnehmer anVersammlungenangesprochen waren. Derorator spricht danndiecontio natürlich mit“ihr” etc. an.Damit legt er aber eine Diimmer auch eine Distanz zwischen sich unddie Adressaten seiner Rede – stanz, die durch die permanente Gegenüberstellung des allenthalben prominenten ego des orator noch betont wird. Schon allein diese Distanz akzentuiert wiederum das als selbstverständlich vorausgesetzte Gefälle von Einsicht, Wissen, Fähigkeiten, eben sapientia, Rang undauctoritas, die denorator immer über seinen Adressaten in der contio stehen läßt: Ein klassisches exemplum für diese ebenso herablassend wie selbstsicher wirkende Art desAuftretens ist dieRede desL.Aemilius Paullus als Consul in einer eigens dafür einberufenen contio vor seinem Aufbruch nach Griechenland: Darin stellte er erst einmal fest, daß“ ihr” , dieQuiriten, ihmvorallem weil ihr geglaubt habt, daß ich dem Krieg in Makedodeshalb Glück wünschten, “ nien, dersich lange hinzieht, ein demrömischen Volk würdiges Ende setzen kann” ; 113 Vgl. etwa P.Cornelius Scipio frg. 3 ORF4 (= Gell. 4,18,3); L.Aemilius Paullus frg. 2 (= Val.Max. 5,10,2); Q.Caecilius Metellus Macedonicus frg. 7 (= Gell. 12,9,4 f.); Cic. imp.Cn.Pomp. 1 ff.; leg.agr. 2,1 ff.; 3,1 ff.; Cat. 2,1 ff.; 3,1 ff.; Rab.perd. 1 ff.; red. ad pop. 1 ff.; Phil. 4,1 ff.; 6,1 ff. Vgl. D.MACK, Senatsreden und Volksreden bei Cicero, (Diss. Kiel 1937) Würzburg 1937; KENNEDY, Art (s.o.A.6) 149 ff.; C.J.CLASSEN, Recht-Rhetorik-Politik. Untersuchungen zu Ciceros rhetorischer Strategie, Darmstadt 1985, 268 ff.; 304 ff.; 427. A.VASALY, Arsdispositionis: Cicero’s Second Agrarian Speech, Hermes 116, 1988, 409– Vgl. auchdievonSallust undLivius entsprechend gestalteten Reden inContionen, z.B. Sall. Jug. 31,1– 29 (Rede des Memmius), hier bes. 31,20: vos ... hoc est populus Romanus, Jug. 50 (Rede des Marius); hist. frg. 1,55, (Rede des Lepidus); 2,47 (Rede des Cotta): 3,48 85,1– 7,15; 39,15,24,20 und 5,1– 13; 31,7,2– 8,12; 13,5– (Rede des Macer); Liv. 10,7,3– 14; 34,2,1– 15; 45,37,1– 39,20 und41,1– 15; 44,22,2– 12. 16,13; 42,34,2– 114 Suet. Div.Iul. 70; vgl. Tac. ann. 1,42,2 f.; App. civ. 2,92 ff.; Cass.Dio 42,52 f.; Liv. epit 113. Vgl. auch Liv. 45,37,14 (in einer Rede unter demJahr 168 v.Chr.): ... nec Quirites vos, sed milites videor apellaturus, si nomen imperatoris violandi adferre possit.
hoc saltem ruborem incutere et verecundiam aliquam
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dannforderte er die anwesenden Bürger ungeschminkt auf, sich seiner Führung und Kriegskunst anzuvertrauen, keine schädlichen Gerüchte aus “ eurer”üblichen Leichtgläubigkeit”zu verbreiten und nicht auf Stammtischstrategen undBesser“ wisser zu hören, sondern nur seinen Berichten an Senat und Volk Glauben zu schenken115: Hier tritt der Vertreter einer eingeweihten, Strategie undPolitik aktiv gestaltenden undartikulierenden Elite demvonihrgeführten, passiven, lauschenden populus gegenüber. Besonders deutlich spiegelt sich das im Tonfall der streng mahnenden Belehrung, dieeinauffällig häufig vorkommendes Merkmal derReden aneine contio ist – wie in derjenigen des Consuls P.Sulpicius Galba über den bevorstehenden Krieg gegen Philip V. undMakedonien im Jahre 200 v.Chr.: Nachdem zunächst fast alle Zenturien denex auctoritate senatus vorgelegten Kriegsbeschluß abgelehnt hatten, setzte Sulpicius eine neue Abstimmung an, berief zuvor aber eine contio ein und machte dort dempopulus Romanus eindringliche Vorhaltungen, diein der eindeutigen, wie einBefehl klingenden Aufforderung gipfelten: “ Schreitet zur Abstimmung mit demBeistand der Götter, undwas die Väter für richtig befunden haben, be. Natürlich verlief dieAbstimmung dann schließt ihr” Für Cicero wares später selbstverständlich, daßdergrößte Teil einer Rede oft in der “Ermahnung”(cohortatio) der Bürgerschaft bestehen müsse –um die Unbesonnenheit” , “Wut” , Leidenschaften der Menge” zu steuern, ihre “ “ , “Gehässigkeit” und “Grausamkeit” zu bändigen117. Dazu Ungerechtigkeit” “ Tadel” , auf auctoritas gestützt, oder brauchte es für ihn zuweilen eben auch den “ zumindest die “ Mahnung”als “ mildere” Form des Tadels118. In der guten alten Zeit hätten schon die auctoritas unddie oratio des bonus civis ausgereicht, um “ den wie imFalle des M.Popillius Händen wütender Bürger die Waffen zu entwinden”–
wunschgemäß116.
115 Liv. 44,22,1–16, hier 3 und 6 ff.: ... quia bello in Macedonia, quod diu trahitur, existimastis dignum maiestate populi Romani exitum per meimponi posse ... Vosquae scripsero senatui ac vobis, iis modo credite et cavete rumores credulitate vestra alatis, quorum auctor nemo extabit ... In omnibus circulis atque etiam, si dis placet, in conviviis sunt qui exercitus in Macedoniam ducant, ubicastra locanda sint sciant, quae loca praesidiis occupanda, quando aut quosaltu intranda Macedonia, ubihorrea ponenda, qua terra, mari subvehendi commeatus, quando cumhoste manus conserendae, quando quiesse sit melius. Vgl. Polyb. 29,1,1 ff.; Plut. Aem. 11,1 ff. 116 Liv. 31,7,14: Ite in suffragium bene iuvantibus divis et, quae patres censuerunt, vos iubete; 8,1 passim. Eine Illustration dafür ist auch P.Cornelius Scipio frg. 3 ORF4 (= Gell. vgl. 5,1– 4,18,3; vgl. Polyb. 23,14,1 ff.; Liv. 38,56,1 ff.); Sall. Jug. 31,1 ff. passim, ferner Liv. 24,7,128,20; 26,22,9. 117 De orat. 2,337: ... quia ... maximi motus multitudinis, genus quoque dicendi grandius quoddam esse adhibendum videtur; maximaque pars orationis admovenda est ad animorum motus non numquam ... cohortatione ... aut in spem aut in metum aut ad cupiditatem aut ad gloriam concitandos, saepe etiam a temeritate, iracundia, ..., iniuria, invidia, crudelitate revocandos; vgl. auch de orat. 2,50 und Mur. 24: Quaeritur consul qui dicendo non numquamcomprimat tribunicios furores, quiconcitatum populum flectat, qui largitioni resistat. 118 De orat. 2,339: obiurgatio, si est auctoritas; ... admonitio quasi lenior obiurgatio.
...
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Laenas, Consul 357 v.Chr. undflamen Carmentalis, der allein dadurch einen Aufruhr derempörten plebs ineiner contio beendet Bezeichnenderweise werden immer wieder derartige strenge Ermahnungen an die Adresse der Bürgerschaft als hervorragende Beispiele einer traditionellen, für die maiores undihre auctoritas undgravitas typische Art der Anrede despopulus in der contio zitiert –wie diegravissima oratio des C.Marcius Rutilus Censorinus über seine bereits erfolgte, aber gegen dasHerkommen verstoßende unddaher unstatthafte Wahl zu einer zweiten Censur. Auch Cato soll ja bekanntlich des öfteren in der Pose des strengen Mahners vor das Volk getreten sein – jedenfalls galt er später dafür als Vonderdissuasio desScipio Aemilianus gegen dierogatio Papiria de tribunis plebis reficiendis heißt es sogar, daß diese oratio in ihrer ganzen gravitas und maiestas sich so angehört habe, als sei derorator der “ Führer”despopulus Romanusundnicht einMitbürger undprivatus121. Bei dieser Gelegenheit ging Scipio mit seiner demonstrativen Herablassung gegenüber derMenge in der contio allerdings zuweit, als er derlärmenden Zuhörerschaft zurief, daß sie schweigen solle –sie, für die Italien nicht einmal dieMutter, sondern nurdie Stiefmutter sei122. Damit verletzte Scipio dieandere wesentliche Konvention öffentlicher Reden in Rom: Denn die in der contio versammelten Quirites stehen ja für das Ganze des populus undder res publica – für denorator sind sie derpopulus, dessen dignitas zumindest demAnspruch nach die höchste überhaupt ist123. Der Kerngedanke kann kaum besser als mit demDictum ausgedrückt werden, das als Beispiel für das Stilmittel der definitio zur praktischen Benutzung in Reden ausdrücklich empfohlen wurde undja auch tatsächlich vondemgroßen Redner M.Antonius in seiner vielzitierten Rede für Norbanus verwandt worden sein soll: Maiestas rei publicae est in qua continetur dignitas et amplitudo civitatis124. Dieser dignitas undder vielzitierten maiestas populi Romani Reverenz zu erweisen, direkt undindirekt, explizit undimplizit, gehört zu den unbedingt zu respektierenden Konventionen jeder Rede: Geradezu klassisch formuliert findet sich das in einer Passage aus der später als Lehrstück geltenden suasio des L.Licinius
habe119
exemplum120
119 Cic. Brutus 7 und56. 120 C.Marcius Rutilus Censorinus, frg.1 ORF4 (= Val.Max. 4,1,3). S. zuCato etwa frgg. 145 und 254 ORF4 (= Plut. Cato mai. 8,1 f.); Dicta 3,6 ff. und 37 JORDAN (= Plut. Cato mai. 8,3; 7 ff.; 16,6 f.); Liv. 34,1,7; 5,6 usw. Vgl. zum Begriff der gravitas HELLEGOUARC’H, Vocabulaire (s.o.A.5) 279 ff. u.ö.; LIND, in: Studies I (s.o.A.50), 34 ff.; K.GROSS, RAC 12, 1983, s.v.Gravitas, Sp.752–779, hier 753 ff. 121 P.Cornelius Scipio frg.28 ORF4 (= Cic. Lael. 96). 122 Frg. 29 ORF4 (= Liv. per. 59; vgl. Val.Max. 6,4,4; Vell.Pat. 2,4,4; Plut. Ti.Gracc. 21,8; Scipionis apophth. 22 [= Mor. 201F]; vir.ill. 58,8 mit einigen Varianten). 123 Cic. deorat. 2,337. 124 Rhet. ad Herenn. 4,35; M.Antonius frg. 27 ORF4 (= Cic. de orat. 2,164). Vgl. zum Begriff maiestas (populi Romani) HELLEGOUARC’H,Vocabulaire (s.o.A.5) 317 ff.; L.R.LIND, The Idea of theRepublic andtheFoundations of Roman Political Liberty, in: C.Deroux (Hg.), Studies in Latin Literature andRoman History IV, Brüssel 1986, 44– 108, hier 52 ff.
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Crassus, Consul 95 und einer der großen Redner seiner Zeit, für die lex Servilia iudiciaria, der folgenden pathetischen Appell an das Volk in einer zahlreich besuchten contio gerichtet haben soll: “ Laßt unsniemandem dienen als nureuch allen insgesamt, denen wir dienen können undmüssen”125. Daher wird hier wie überall von “ euren”imperatores und eurem”imperium, “ eure”huHeeren, “ euren”socii undprovinciae gesprochen126. Man appelliert an “
manitas
undpietas, clementia undprobitas, und spricht gelegentlich sogar von
eurer”virtus, sapientia undprudentia127; immer wieder beschwört man den “ po, bezieht sich auf“euren”(souveränen) Willen und“eure” Ruhmeures Namens” “ testas und redet von “ euren”beneficia, Wohltaten und Auszeichnungen in Form
von Rang, Ämtern undEhren, honos, dignitas, locus, ordo128. gerade dann, wenn Ausdemgleichen Grunde dreht es sich beijedem Redner – er sich, wie so oft, auf sich selbst, seine Tugenden, Absichten, Leistungen bezieht – immer irgendwie um“ eure”Sache, “ gloria, maiestas unddigniWohl, “ euer” eure” tas, “eure”libertas, “ eure”Eintracht, “ eure” Ruhe undSicherheit129 –unddas ist zugleich
dasWohlergehen derrespublica
überhaupt,
dieja die Sache despopulus
ist, wie es in der klassischen Definition Ciceros heißt (de re publica 1, 39). Undindemmandarüber vor undmit “euch”spricht, wendet mansich zugleich an “alle, die dieser res publica Gedeihen wünschen” , wie es schon Laelius am Schluß seiner 0 3 vielzitierten laudatio funebris aufScipio Aemilianus formuliert. hatte1 In denDienst anpopulus undres publica wird natürlich auch das allgegenwärtige Ich”des Redners gestellt –und genauso regelmäßig findet sich die dement“ sprechende konventionelle Behauptung, daßdie konkrete Sache, die er gerade verIch” desRedners, derals Magistrat, tritt, allein diesem Ziele diene131. Es ist dieses “ Senator, vir bonus undnobilis zujeder Zeit undinjeder Situation der res publica
227; vgl. Brutus 164): nolite 125 Frg. 24 ORF4 (= Cic. de orat. 1,225 mit dem Kontext 225– sinere nos cuiquam servire, nisi vobis universis, quibus et possumus et debemus. Vgl. auch Cic. leg.agr. 2,16; red. ad pop. 4. 126 Vgl. P.Cornelius Scipio frg. 3 ORF4 (= Gell. 4,18,3); Cic. imp.Cn.Pomp. 4; 5; 11 f.; 14; 32; 38; 41; leg.agr. 2,35; 59; 61; red. adpop. 9; Sall. Jug. 31,25 u.ö. 127 Vgl. C.Sempronius Gracchus frg. 44 ORF4 (= Gell. 11,10,2); Sall. hist. frg. 1,55 (or. Lepidi ad pop.) 1, ferner Cic. leg.agr. 2,7; 3,3; imp.Cn.Pomp. 17 f., ferner 64; red. ad pop. 25; Phil. 4,13; 15; 6,16. 128 Cic. red. adpop. 4; vgl. Cic. imp.Cn.Pomp. 2; 51; 68; 70 f.; leg.agr. 2,1 ff.; 29; 77; 101; 103; Rab.perd. 5; red. ad pop. 5; 16; Phil. 6,5; 16; 18 u.ö. Vgl. auch Sall. Jug. 31,16; 85,3; 8; 19; 28, sowie Sall. hist. frg. 2,47 (or. Cottae adpop.) 4 ff. 28 und44 ORF4 (= Gell. 15,12,1 ff. bzw. 11,10,2 ff.); 129 Vgl. C.Sempronius Gracchus frgg. 26– Cic. imp.Cn.Pomp. 2; 4 f.; 6 f.; 11 f.; 14; 19; 32; 41; leg.agr. 2,8 f.; 14 ff.; 20 ff.; 24 f.; 29; 71; 75 f.; 102 f.; 3,3; 16; Cat. 3,22; red. ad pop. 1; 4; 9; Phil. 4,1 f.; 4; 15 f.; 6,17; 19 etc.; Sall. Jug. 31,9 u.ö.; hist. frg. 2,47 (or. Cottae ad pop.) 9. Vgl. zum Begriff libertas HELLEGOUARC’H,Vocabulaire (s.o.A.5) 542 ff.; LIND, Studies IV (s.o.A.124), 81 ff. 130 C.Laelius frg. 22 ORF4 (= Schol.Bob. p.118 STANGL): et vobis et omnibus quihanc rempub-
licam salvam volunt ... 57 131 Vgl. etwa Cic. imp.Cn.Pomp. 71; red. adpop. 1; 18 u.ö. Vgl. auch Rhet. ad Herenn. 4,55– zumDienstethos deswahren virsapiens.
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verpflichtet sein will, dasin derRede Rat erteilt, sich für oder gegen einen Antrag ausspricht oderjemanden anklagt oder verteidigt. Daist es fürdiese Rolle geradezu seine rastlose Tätigkeit, seine Mühe, Umsicht und typisch, daß der orator also diligentia undindustria, prudentia undvigilantia –und dabei Wachsamkeit – immer die Selbstlosigkeit seines Handelns undRatens betont132.
Die Hintanstellung
dereigenen Person geht soweit, wiegerade Cicero immer wieder behauptet, daßer imEinsatz für die Interessen despopulus undderrespublica permanent persönliche Opfer bringen undsich der Verfolgung undMißgunst mächtiger Feinde aussetzen müsse –labores et pericula sind hier die Schlüsselbegriffe133. Wenn nötig muß er sogar Ansehen undPopularität gefährden und, wie gesagt, das Volk streng ermahnen, wenn die Quirites in der contio nicht erkennen wollen, was wirklich gut undrichtig fürpopulus undres publica erscheint134. Dann müssen sie daran erinnert werden, daßsie demorator zuzuhören haben, sich seiner Führung anvertrauen undseiner auctoritas unterwerfen sollen. All dies wird paradigmatisch deutlich in demscharfen Verweis desP.Cornelius Scipio Nasica, Consul 138, derin einer con-
tio ganz
unverblümt einer offensichtlich sehr populären Verteilung verbilligten
Getreides widersprach: “ Schweigt gefälligst, Quinten, ich weiß besser als ihr, was ist” 135. So und nicht anders kann sich nämlich nur der unstrittig gültige Grundsatz umsetzen, der selbst ein vielfältig verwendbares rhetorisches Versatzstück gewesen sein könnte: Danach sei die Pflicht (officium) des in Senats, durch Rat der Bürgerschaft beizustehen, die Pflicht der Magistrate, “ unddie Tätigkeit undumsichtiger Sorgfalt”denWillen des Senats zu vollziehen –
für die res publica nützlich
132 S. etwa Cic. leg.agr. 2,77; 100 f.; Cat. 2,14 f.; 19; 27; Phil. 4,15 f.; 6,18; vgl. Cic. Phil. 7,7: ... omne enim curriculum industriae nostrae inforo, in curia, in amicorum periculis propulsandis elaboratum est; hinc honores amplissimos, hinc mediocris opes, hinc dignitatem, ..., consecuti sumus ...; Phil. 8,30: ... summa laus consularium, vigilare, cogitare adesse animo, semper aliquid pro re publica aut cogitare autfacere aut dicere; außerdem dom. 17; Phil. 8,31 f.; 12,21; de orat. 2,210 und schon Cato, Dicta 13 JORDAN (= Plut. Cato mai. 8,15), ρ α έ νἐ κ α θἡμ ικ τ wonach er gesagt haben soll, daß ihn sogar seine Feinde beneideten, ὅ ίο ο σ ιςσ ῶ ντο ῖςδημ χ ο λ ε λ ά ι. Vgl. zu industria und ζ ε νἀμ νἰδίω ῶ ὶτ α ςἀ ν ίσ ικ τ ὸ ν υ κ τα τ α ᾽ Begriffen diligentia als Tugenden großer Redner: Cic. Brutus 98; 105. Vgl. zu diesen HELLEGOUARC’H,Vocabulaire (s.o.A.5) 250 ff., zuprudentia unddiligentia ferner L.R.LIND, The Idea of the Republic andthe Foundations of Roman Morality, in: C.Deroux (Hg.), Stud34, hier 16 ff.; 25 ff. ies in Latin Literature andRoman History V, Brüssel 1989, 5– 133 S. etwa Cato frgg. 21,173 und 122 ORF4 (s.o.A.31; Fest. p.280 LINDSAY s.v. Parsi); Cic. imp.Cn.Pomp. 2; 58; 69 ff.; leg.agr. 2,5 f:, Cat. 2,14; 3,1; Rab.perd. 3; red. ad pop. 1 ff.; 24; Phil. 4,16; 6,18; vgl. außerdem Cic. dom. 97 f.; 145; Sest. 138 f. u.ö., sowie Sall. Jug. 85,7; 18; 30 u.ö., ferner Sall. hist. frg. 2,47 (or. Cottae ad pop.) 1 ff.; 4; 9 ff.; hist. frg. 1,55 (or. Lepidi ad pop.) 9; Rhet. ad Herenn. 4,55; 57. Vgl. HELLEGOUARC’H, Vocabulaire (s.o.A.5) 248 ff.; D.LAU, Der lateinische Begriff LABOR, München 1975, 26 ff.; 97 ff.; 122 ff. 134 Vgl. etwa Cic. Phil. 6,12; Sest. 103. 135 Frg. 3 ORF4 (= Val.Max. 3,7,3 mit demKontext): tacete, quaeso, Quirites, plus ego quam vos quid rei publicae expediat intellego (Hervorhebungen von mir, K.-J.H.). Vgl. außerdem Cic. Mur. 24 (s.o.A.117).
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Pflicht unddasRecht des Volkes sei es eben, durch seine Stimmabgabe die besten Maßnahmen zubilligen unddie geeignetsten Männer auszuwählen136.
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Dieser Gemeinplatz, der ja tatsächlich in vielen Varianten und in den unterschiedlichsten Kontexten immer wieder gern verwendet wurde, aber auch die erwähnten Formeln der Anrede, die Topoi der Belehrung undErmahnung und vor allem die Ausdrucksweisen der Orientierung auf populus undres publica haben einen gemeinsamen Nenner: Jenseits aller Distanz durch überlegene Einsicht und auctoritas wird ein breiter, alle Beteiligten einschließender Grundkonsens implizit vorausgesetzt undzugleich immer wieder beschworen undaufs Neue postuliert – zwischen orator undQuirites in der contio, zwischen Senat, Magistraten undBürgerschaft, nobiles undplebs137. Selbst Scipio Nasica appelliert zumindest indirekt
an eine als selbstverständlich geltende Gemeinsamkeit der Orientierung auf die (Nützlichkeit für die) res publica. Diese verläßlichen Gemeinsamkeiten und das selbstverständliche Teilen von Ich” Überzeugungen wird zunächst dadurch beschworen, daß das “ des orator und das “Ihr”der Adressaten immer wieder zum gemeinschaftsbetonenden “wir” zusammengezogen wird. So redet der Consul Cicero in seiner ersten Volksrede gegen die Catilinarier wie üblich von seinen eigenen consilia, labores, pericula bei tolldreisten” der Abwehr der tödlichen Gefahr, die der res publica von seiten des “
, “Meuchelmörder, Halsabschneider Catilina undseiner “ ausschweifenden Gesellen” drohe138; dannwendet er sich andieQuiriten undspricht undKriminellen aller Art” von “euren”reichen Mitteln, Ausrüstungen undHeeren undwechselt schließlich zum “wir”(2,24 f.), um ausführlich aufzuzählen, was Catilina in seiner jedoch in reichem Maße zur uns” Dürftigkeit”nicht habe, “ Armseligkeit”und “ “ Verfügung stehe, nämlich ein Senat, dieRitterschaft, die Stadt, Schätze, Einkünfte, ganz Italien undalle Provinzen –unddanach nimmt er als Höhepunkt für “ diese” , unsere Seite alle nur denkbaren römischen Tugenden in Anspruch wiepudor und pudicitia, fides, pietas, constantia, honestas, continentia, aequitas, temperantia, prudentia undfortitudo. 136 Rhet. ad Herenn. 4,47: Senatus est officium consilio civitatem iuvare; magistratus est officium opera et diligentia consegui senatus voluntatem; populi est officium res optimas et homines idoneos maxime suis sententiis deligere et probare. S. auch Liv. 34,2,5 u.ö. Vgl. zum Konzept officium HELLEGOUARC’H, Vocabulaire (s.o.A.5) 152 ff. u.ö.; LIND, Studies V
(s.o.A.132), 13 ff. 137 Vgl. etwa Cic. leg.agr. 2,17; 19; 23; 88; 102; Cat. 2,27; 3,4; 21; Rab.perd. 2; red. ad pop. 1; 16 f.; Phil. 4,6; 9; 12 f.; 15; vgl. 6,2; 5; 18; Sest. 104; 137. S. auch noch Liv. 31,7,15. 138 Cat. 2,14, vgl. 10; 13; 22 u.ö.
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Auch sonst ist allenthalben von “ unserem”imperium und “ unseren”socii, unserer” unseren”imperatores undLegionen die Rede und natürlich auch von “ “ Größe und“ unserer” Überlegenheit139. Damit wird auf einen Grundkonsens verwiesen, dernicht nuraufdembreiten Fundament derleges, desius civile undderInstitutionen derBürgerschaft mitihren Unterteilungen nach Ständen undAltersklassen
unddengesamten mores undder hergebrachten Lebensweise der Bürger beruhte, deren intime Kenntnis nach Cicero für jeden Redner unerläßlich war140. Darüber hinaus scheint überall in denReden selbst eine feste, nicht zurDisposition stehende Gemeinsamkeit geltender Grundüberzeugungen, Sichtweisen, Werte und Verhaltensnormen durch. Die Basis dieser Gemeinsamkeiten ist die nie angezweifelte Größe derrespublica unddesimperium Romanum, dieWeisheit ihrer Gesetze und Institutionen mitihrer beispiellosen Kombination vonMacht undFreiheit, vonConsulat undVolkstribunat, mächtigem imperium undprovocatio alspraesidium libertatis, auctoritas des Senats undmaiestas despopulus, derallein undsouverän über alles abzustimmen, allepotestates, imperia undcurationes undnatürlich alle honores zu vergeben hat141. Selbstverständlich vorausgesetzt wurde ferner die Überzeugung von der Überlegenheit des populus Romanus insgesamt gegenüber allen anderen Völkern, die auf dem Willen der Göttern beruhte und daher die römische Herrschaft moralisch richtig undhistorisch notwendig erscheinen ließ142. Außerdem warmansich sicher, daßdie Größe Roms auf einer ganzen Palette von Tugenden, positiven Eigenschaften und kollektiven Charakterzügen des populus Romanus beruhte: Dazu gehörte derKanon dergenannten virtutes, die Cicero einfach aufzählen kann, weil die Begriffe undihre Inhalte seinen Zuhörern allesamt bekannt sind, sowie Disziplin, Entsagung undUnterordnung unter das Wohl des Ganzen. In diesem Sinne galt auch der erwähnte individuelle Ehrgeiz, imDienst an derBeste”zusein, alslegitimer Bestandteil diederrespublica immer undüberall “ ses Kanons. Undmithin waren schließlich die damit verschränkten Ambitionen auf 139 S. etwa Cato frgg. 34, 37 und 38 ORF4 (= Charisius, pp.287,13; 277,24 und 281,27 BARWICK); Cic. imp.Cn.Pomp. 21; 23 ff.; 32; 38; 43; 46; 65. S. auch Liv. 31,7,15 u.ö. 140 De orat. 2,336; vgl. auch 1,48; 58; 68; 159; 165; 223; 2,67 f.; 337; 3,76 u.ö. 141 S. etwa Cic. imp.Cn.Pomp. 2; 26; 27; 46; 58; 63 und64; leg.agr. 2,2; 4; 7; 16 f.; 19; 23; 26 f.; 32; 58; 71; 77; 101; red. adpop. 4; vgl. auch Sest. 137; dom. 33; 88; 118; har.resp. 11; 13; Balb. 35 f. Vgl. dazu und zumFolgenden W.KROLL, Die Kultur der ciceronischen Zeit (zuerst 1933), Darmstadt 1975, 5 ff., sowie J.BLEICKEN, Staatliche Ordnung undFreiheit in derrömischen Republik, Frankfurt 1972; P.A.BRUNT, Libertas in theRepublic, in: ders., The 350; J.S.RICHARDSON, Fall of the Roman Republic and Related Essays, Oxford 1988, 281– 9. Imperium Romanum: Empire andthe Language of Power, JRS 81, 1991, 1– 142 Vgl. etwa Cic. leg.agr. 2,22; Cat. 2,11; 19 und29; 3,26; Rab.perd. 33; Phil. 4,13 ff.; 6,12 und 19, ferner in diesem Sinne Verr. 2,4,81; imp.Cn.Pomp. 6 f.; 53; dom. 90 f.; Mur. 22; har.resp. 19; Phil. 10,20; Sall. Jug. 31,11 u. 20; hist. frg. 1,55 (or. Lepidi ad pop.) 1; 11 u.ö. Vgl. E.GABBA, Il consenso popolare alla politica espansionistica romana fra III e II sec. a.C., 129; in: W.V.Harris (Hg.), The Imperialism of Mid-Republican Rome, Rom 1984, 115– P.A.BRUNT, Laus Imperii, in: P.D.A. Garnsey/C.R. Whittaker (Hgg.), Imperialism in the An191, jetzt in: P.A.BRUNT, Roman Imperial Themes, Oxcient World, Cambridge 1978, 159– 323. ford 1990, 288–
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Rang und Ansehen, Ämter und Ehren eingeschlossen: Durch die ausschließliche Orientierung an der res publica galten Selbstlosigkeit undEhrgeiz sogar als sich gegenseitig bedingend. Nicht zuletzt deswegen gehörte auch zudiesem Konsens, daßes beim Streben nach honores, dignitas undgloria alspraemia virtutis Unterschiede gebe undvon Natur aus geben müsse. Für Cicero war es nicht nur selbstverständlich, daß “ die Besten an virtus undGesinnung die Schwächeren”zu führen hätten, sondern daß undgenauso naturgegeben sei es dadiese auch den“ Besten”gehorchen wollen –
her, daß den “ Besten”undden “ Niedrigsten”nicht die gleiche “ Ehre”zustehen könne undes niemals eine allgemeine “ Gleichheit”ohne klare “ Abstufungen nach Rang undAnsehen”geben dürfe, die “ ungerecht”undauf andere Weise letztlich schon derhomo novus Cato mit seinem erwähnauch meinte Das ungleich”sei143. “ ten Dictum über die Ungleichheit des Erreichbaren und der daraus folgenden Ansprüche auf gloria undhonos, und ebenso, bereits ein Jahrhundert zuvor, der eigenwillige Patrizier Ap.Claudius Caecus, als er den klassischen Satz formulierte, undaufdasGleiche spielte auch daßeinjeder seines eigenen Glückes Schmied sei– der bereits erwähnte Consular und berühmte Redner M.Antonius an, der nach Cicero für sich in Anspruch nehmen konnte, “ an libertas allen anderen gleich, an dignitas aber dererste” gewesen zusein144. Auch in derdirekten Interaktion mitdempopulus Romanus, auf derBühne der contiones, wurde diese Seite desKonsenses zugleich vorausgesetzt undimmer wiederbeschworen underneuert, wennRedner vonRang undNamen, mit derauctoritas des amtierenden Consuls, des siegreichen Feldherrn oder des erfahrenen, hochgeehrten Consulars für sich selbst undihre Sache oder auch für ihresgleichen Gehorsam, Zustimmung oder Reverenz von der anwesenden Bürgerschaft einforderten: Nurauf derverwurzelten undallgemein geteilten Akzeptanz einer natürlichen Ungleichheit undallgegenwärtiger Hierarchien konnte die Rhetorik der Belehrung und des scharfen Tadels zum festen Bestandteil der Dramaturgie des Umgangs zwischen Elite undpopulus werden –auch dies belegen die erwähnten Reden des Consuls Sulpicius Galba zumKrieg gegen Philipp V. unddes Aemilius Paullus vor seinem Abmarsch145. Undder eigentliche Höhepunkt des denkwürdigen Plädoyers, dasderalte Consular, Augur undehemalige magister equitum M.Servilius Geminus
143 Rep. 1,51: ..., certe in optimorum consiliis posita est civitatium salus, praesertim cumhoc natura tulerit, nonsolum utsummi virtute et animo praeesse inbecillioribus, sed ut hi etiam parere summis velint. Vgl. rep. 1,53: ... eaque quae appellatur aequabilitas iniquissima est: cumenim par habetur honos summis et infimis, qui sint in omni populo necesse est, ipsa aequitas iniquissima est; rep. 1,43: ... cum omnia per populum geruntur quamvis iustum atque moderatum, tamen ipsa aequabilitas est iniqua, cumhabet nullos gradus dignitatis. 144 Sall. ep. 1,1: fabrum esse suae quemque fortunae; Cato frg. 252 ORF4 (= Festus, p.408 LINDSAY s.v. struere, s.o. S.20); Cic. Phil. 1,34 (über denälteren Antonius): illa erat vita, ilia secunda fortuna, libertate esse parem ceteris, principem dignitate. Vgl. auch Cic. Sest.
...
137. 145 S.o. S.36 f.
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gegen die drohende Verweigerung des Triumphes für Aemilius Paullus im Jahre 167 hielt unddas gerade wegen der Schärfe des Tadels an die Adresse der anwesenden Bürger undSoldaten als exemplarisch galt, bestand darin, daß Servilius nachdem ersich aneinzelne Anwesende gewandt seine zahlreichen Wunden zeigte – und sie stellvertretend für denpopulus angeherrscht hatte, gefälligst auf das zu hören, was der Senat zuvor über denimperator Paullus beschlossen hatte, undauf das, waser als Veteran vieler Kriege undals domi militiaeque gleichermaßen erfolgreicher princeps jetzt noch sagen wollte146. Auch die Berichte erfolgreicher Feldherren an das Volk in contiones anläßlich ihres Triumphes appellierten an den Konsens über Rang und Vorrang nach Verdienst, Erfolg undEhren147. Und nicht einmal die Rhetorik derFürsorge für dasWohl des Volkes, derUmsicht undWachsamkeit desConsuls angesichts drohender Gefahren, wiesie etwa inCiceros Catilinaria vorliegt148, ist ohne die Voraussetzung der Ungleichheit an Weitblick und Verantwortung für dasGanze denkbar. Mit einem Wort: Gleich in mehrfacher Hinsicht war das Gefälle zwischen politischer Klasse undpopulus –oder genauer: die Asymmetrie ihres Aufeinanderbezogenseins –selbst ein Teil des allgemeinen Grundkonsenses, weil Überlegenheit an Wissen, Können, Verdiensten, auctoritas unddignitas einerseits undUnterordnung, selbstverständliche Folgsamkeit undRespekt moralisch, historisch unddurch die bewährte Praxis vieler Generationen als festes Fundament dergemeinsamen Größe erscheinen konnte. Jede Rede enthält eine Vielzahl vonZitaten, Verweisen undAnspielungen auf diesen Vorrat an “ Hintergrundgewißheiten” 149 –und das gilt, wenn auch in wechselnden Kombinationen, unterschiedlichen Graden der Direktheit undDichte, für die feierliche Leichenrede ebenso wiefürsuasio unddissuasio in kontroverser Debatte undsogar die persönliche Polemik vor Gericht. Dabei mag sich die laudatio funebris praktisch vollständig und rückstandslos aus Formeln, Begriffen und einschließlich erfunfesten Versatzstücken aus diesem Bestand zusammensetzen – dener Triumphe, Consulate undGenealogien, wieCicero so polemisch bemerkte150. 18: Et tu, centurio, miles, quid de imperatore Paulo senatus 39,20, hier 39,15– 146 Liv. 45,36,1– decrevit potius quam quid Servius Galba (sc. der Militärtribun Servius Sulpicius Galba, der führende Betreiber der Ablehnung) fabuletur, audi; et hoc dicere mepotius quam illum audi 32,1 und dazu ... ego ter et viciens cumhoste provocato pugnavi etc. Vgl. Plut. Aem. 30,2– 1807, hier 1807. Vgl. auch den ApF.MÜNZER, RE 2A. 2, 1923, s.v. Servilius (78), Sp.1805– pell des erwähnten centurio Sp.Ligustinus am Ende seiner Rede über den Protest von Veteranen (Liv. 42,34,15): Vos quoque aequum est, commilitones, ..., cumadulescentes nihil adversus magistratuum senatusque auctoritatem usquam feceritis, nunc quoque in potestate consulum ac senatus esse et omnia honesta loca ducere quibus rempublicam defensuri sitis. Dafür wurde ihmimNamen desSenats Dank ausgesprochen (35,1 f.).
147 Siehe oben S. 29. 148 Vgl. nur Cat. 2,1 ff.; 26; 3,1 ff.; 14; 29. 149 Vgl. dazu R.BERNECKER, Art. Adressant/Adressat, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 130, hier 128 ff.; J.D.EVANS, The Art of Persuasion. Political Propaganda I, 1992, Sp.119– from Aeneas toBrutus, AnnArbor 1992, 2 ff.jeweils mitLiteraturhinweisen. 150 Brutus 62; vgl. Liv. 8,40,4. S. dazu R.T.RIDLEY, Falsi triumphi, plures consulatus, Latomus 382; T.P.WISEMAN, Legendary Genealogies in Late-Republican Rome (zuerst: 42, 1983, 372–
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In der Elite mochte das zwar als anmaßend undanrüchig gelten. Zwischen dem orator einer laudatio unddenehrfürchtig lauschenden Adressaten kames auf die genaue historische “ Wahrheit” jedoch garnicht so sehr an,sondern zunächst aufdie Einordnung undVerankerung deszuehrenden Toten, desRedners, seiner Familie und auch
in den moralisch-metahistorischen Geder res publica unddes Anteils der eigenen
aller anderen Anwesenden
samtzusammenhang
der Geschichte
anderAkkumulation dergegenwärtigen Größe. Aber auch inallen anderen Sparten deröffentlichen Rede ist in allen nurdenk-
maiores
baren Zusammenhängen von den Vorfahren allgemein, vor allem wiederum von unseren”maiores151 die Rede –undzwar auf ähnliche Art und euren”undvon “ “ Weise, wie der orator der laudatio funebris von seinen eigenen Vorfahren und ihren Taten, Tugenden undhonores apudvoszusprechen pflegte. Diemaiores sind ja alsBegründer derGröße Roms, als legendäre Feldherren, strenge Befehlshaber, weise Senatoren undUrheber wichtiger Gesetze die maßstabsetzenden Vorbilder für das richtige Handeln für die res publica, denen die erreichte Macht Roms historisch undmoralisch glanzvoll Recht gegeben hat. Damit werden die maiores
zudenhistorischen
Stiftern unddauerhaften Garanten desallgemeinen der darin beschlossenen kollektiven Tugenden –unddeswegen können sie auch in allen möglichen Kontexten als Ikonen undSymbole für die verschiedensten “Gewißheiten”argumentativ angeführt oder pathetisch anautomatisch
Grundkonsenses mitsamt
gerufen werden.
jener Beispiele, Denn die maiores sind die Lieferanten der exempla virtutis – Begebenheiten, Legenden undAnekdoten, die die virtus unddie ihr verwandten Werte wiefortitudo undgravitas, pietas undconstantia152 illustrieren. Im Wortvorbildliche” sinne exemplifizieren sie die “ , d.h. selbstlose undopferbereite, zuweilen aucherbarmungslose Umsetzung dieser Werte undNormen imInteresse der res publica153. Damit definieren solche exempla die darauf beruhenden Maßstäbe 164), in: ders., Roman Studies, Literary andHistorical, Liverpool 1987, G&R 21, 1974, 153– 218 mit Addenda S.381; FLAIG, in: Oexle (Hg.), Memoria (s.o.A.93). 207– 151 S. etwa imp.Cn.Pomp. 6; 60; leg.agr. 2,9; 16; 21; 69; Rab.perd. 34; Phil. 4,13 f.; vgl. Sall. Jug. 31,17; Liv. 39,15,2 und 11; 45,38,7 und 39,10 (maiores vestri etc.), ferner Cic. imp.Cn.Pomp. 11; 14; 39; 60; leg.agr. 2,9; 81; 87 ff.; 95; Rab.perd. 2; 10; Cat. 2,27; Sest. 137; 140; har.resp. 18 f.; 24 u.ö. undbereits Cato frgg. 18 (= Fest. p.220 LINDSAY s.v. Optionatus); 58 (= Gell. 10,3,17); 200 (= Gell. 5,3,14); 206 (= Gell. 14,2,26); 238 ORF4 (= Cic. off. 3,104); Dicta 64 JORDAN (= Cic. rep. 2,2); vgl. auch Liv. 34,2,11; 4,7; 6,8 u.ö. (maiores nostri u.ä.); P.Cornelius Scipio frg. 130 ORF4 (= Gell. 4,20,10, vgl. denKontext 20,1 ff.). S. ferner leg.agr. 2,15; 26 f.; 36; 65; 73; 82; 3,12; Cat. 2,3; Rab.perd. 17. Vgl. J.C.PLUMPE, Wesen und Wirkung der auctoritas maiorum bei Cicero, Diss. Münster 1932; ROLOFF, Maiores (s.o.A.4) 57 ff.; H.RECH, Mosmaiorum. Wesen undWirkung derTradition in Rom, Diss. Marburg 1936; LIND, in: Studies I (s.o.A.50), 48 ff. 152 Vgl. zudiesen beiden Begriffen LIND, in: Studies V (s.o.A.132), 20 ff. bzw. DIES., in: Studies VI (s.o.A.5), 15 ff.; HELLEGOUARC’H,Vocabulaire (s.o.A.5), 276 ff. bzw. 283 ff. u. ö. 153 Vgl. die Zusammenstellung desMaterials bei H.W.LITCHFIELD, National Exempla Virtutis in 71; H.SCHOENBERGER, Beispiele aus der Geschichte, Roman Literature, HSCPh 25, 1914, 1– ein rhetorisches Kunstmittel in Ciceros Reden, Diss. Erlangen (Augsburg) 1910. Vgl. zum
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und Verhaltensnormen des Leistungsethos, indem sie die Grenzen dessen markieren, was manüberhaupt, ohne Ansehen der eigenen oder irgendeiner anderen injenen Ausnahmesituationen, Person, für dierespublica zutunbereit sein kann – dieein “exemplarisches”Verhalten erst ermöglichen undzugleich erfordern. Damit eignen sich exempla bestens zumVergleich undzur Bekräftigung, zum Verweis auf persönliche Opfer, die eigene Selbstlosigkeit – undvor allem zu der schon erwähnten “ Ermahnung”(cohortatio) wie zu dem anderen wichtigen Bestandteil der Volksrede, der “ Erinnerung”(commemoratio)154: Schon allein unddurch die daraus resultierende durch ihr Alter genießen sie nämlich Autorität – überlegene Neutralität sind sie auch demVorwurf der “ Gehässigkeit undBegünstigung”entzogen155. Vor allem können exempla mehr als alle anderen Versatzstücke öffentlicher Rede auf ein gemeinsames, von orator undAdressaten geteiltes festes historisches Wissen”verweisen, das als kostbares und unverlierbares kollektives Erbe des “ populus Romanus gilt unddenallgemein akzeptierten Kodex derkollektiven Moral speist156. Daher muß der Redner natürlich exempla “ in Hülle undFülle”kennen – in historischen Werken aufgezeichnet”sind, und undzwar nicht nurdiejenigen, die “ mündlich, gleichsam vonHand zu Hand”weitergegeben werden, diejenigen, die “ sondern auch die von berühmten Dichtern erfundenen157. Aus diesem Vorrat oder gleich eine ganze Serie158– brauchte derorator dann nurnoch einen Namen – zu nennen, umeine Tat, eine Tugend, ein Opfer für die res publica zu evozieren: So stand der Name Brutus für den Sturz des Königtums unddie Begründung der libera res publica genauso wie für die unerbittliche Strenge des Consuls, der das Staatsinteresse über persönliche Rücksichten stellt undseine Söhne als Verräter an der Republik hinrichten läßt159– eine severitas, die auch durch den Namen des
Konzept des exemplum (virtutis) H.KORNHARDT, Exemplum. Eine bedeutungsgeschichtliche Studie, Diss. Göttingen 1936, 13 ff.; 65 ff.; A.LUMPE, RAC 6, 1966, s.v. Exemplum, 1257, hier 1235 ff.; LIND, in: Studies I (s.o.A.50), 11 ff. Sp.1230– 154 Cic. deorat. 2,337. 155 Quint. inst.orat. 12,4,1 f.; 10,1,34. 156 Vgl. in diesem Sinne Cic. deorat. 2,335 (über denRedner als Verteidiger derhonestas): ... qui ad dignitatem impellit, maiorum exempla, quae erant vel cumpericulo gloriosa, conliget, posteritatis immortalem memoriam augebit, utilitatem ex laude nasci defendet semperqueearn cumdignitate esse coniunctam. Vgl. deorat. 1,18; 201; 256; 2,335; orator 120. 157 Quint. inst.orat. 12,4,1. 158 So etwa Cic. leg.agr. 2,64; imp.Cn.Pomp. 47; 60, ferner Verr. 2,1,55; 3,209; 5,25; dom. 86; Arch. 16; Sulla 23; Cael. 39; Planc. 60; Sest. 143; Balb. 40; 50f.; Mur. 17; 31 f.; Phil. 5,48; Pis. 58. Vgl. Cic. parad. 11f.; Quint. inst.orat. 9,3,24 ironisch gebrochen – Vatin. 28, sowie – (nach Verg. georg. 2,169 f.); 12,2,30. 159 L.Licinius Crassus frgg. 45 mit 47 ORF4 (= Cic. de orat. 2,225 bzw. 242); Cic. Phil. 4,7, vgl. Sest. 143; Planc. 60; Phil. 1,13; 2,26; 114; 3,9 ff.; 5,17; Att. 2,24,3, sowie Sall. hist. frg. 1,55 (or. Lepidi ad pop.) 3; als Beispiel genannt: Rhet. ad Herenn. 4,66; Cic. parad. 12; Quint. inst.orat. 5,11,7.
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Manlius Torquatus signalisiert wurde160. Die Tragödie des Atilius Regulus war das gängige exemplum derunverbrüchlichen Treue zueinmal eingegangenen Verpflichtungen, mithin eine Illustration der fides Romana161, unddie devotiones der Decii
waren das wichtigste Beispiel der absoluten persönlichen Opferbereitschaft und Hingabe an die res publica162. Für andere Werte –wie etwa sapientia und temperantia in publicis privatisque, forensibus domesticisque rebus –standen die Namen des C.Laelius und des älteren Cato163. L.Quinctius Cincinnatus und Furius
undRetter des Staates in höchster Not164, ebenso wie die er.Curius Denfolgreichen Feldherren, Consuln und Censoren C.Fabricius und M’ tatus165 galten geradezu als Inkarnationen der maiores überhaupt und standen für ein bäuerliches Lebensideal, Frugalität, die Abneigung gegen Luxus undpersönlichen Reichtum, Unbestechlichkeit unddie selbstlose Fixierung auf den Dienst für die res publica –anscheinend führte mandiese exempla so oft im Munde, daß Camillus, Dictatoren
Cicero (ausnahmsweise sogar selbstkritisch)
in Reden auch einmal
andere Namen
nennen will, “ damit wir nicht immer nur von Männern wie Curius und Fabricius sprechen” 166. Und sogar noch die seditiones der Ständekämpfe lassen sich –wie
für die popularen”M.Antonius – etwa vondemmehrfach erwähnten, keineswegs “ einer in Art besonderen einer exempla als Weisheit der maiores reklamieren und Verteidigungsrede für einen ehemaligen Volkstribunen verwenden: Ohne diese Unweder die Vertreibung der Könige aus diesem Staat, noch ruhen derplebs seien “ die Einrichtung des Volkstribunats, noch die Beschränkung der consularischen Ge-
160 Cic. Sulla 32 unddazu Schol.Bob. p.82 STANGL, ferner Sall. Cat. 52,30 f.; Quint. inst.orat. 5,11,7. Gleichzeitig stand der Name Torquatus für die Grundtugend derfortitudo (wegen seines scheinbar aussichtslosen Zweikampfes miteinem Gallier, derihmsein Cognomen ein1190. trug); vgl. F.MÜNZER, RE 14.1, 1928, s.v. Manlius (57), Sp.1179– 161 Cic. leg.agr. 2,64; vgl. Planc. 60; Pis. 43; Sest. 127; Phil. 11,9; vgl. Cic. parad. 16; Quint. inst.orat. 12,2,30. Vgl. P.BLÄTTLER, Studien zur Regulusgeschichte, Diss. Freiburg (Schweiz) 1945.
162 Cic. Sest. 48; 143; Rab.Post. 2; dom. 64; Phil. 5,48; 11,13; 13,27. Vgl. auch Rhet. ad Herenn. 4,57; Cic. parad. 12; Liv. 10,7,3 ff.; Quint. inst.orat. 9,3,24 (nach Verg. georg. 2,169 f.); 2284. 12,2,30 usw.; F.MÜNZER, RE 4.2, 1901, s.v. Decius (15) u.(16), Sp.2279– 163 Cic. leg.agr. 2,64. Vgl. etwa Cic. Arch. 16; Cic. Mur. 66, sowie de invent. 1,5; top. 78. Vgl. zu Laelius außerdem: Cic. Phil. 11,17, sowie bereits Lucilius 1235 ff. MARX (= Cic. fin. 410 mit weiteren 2,24); Cic. Brutus 84; F.MÜNZER, RE 12.1, 1924, s.v. Laelius (3), Sp.404– Belegen; zu Cato: Cic. Mur. 17; 32; 59; Verr. 2,2,5; 5,180; Planc. 20; div. in Caec. 66, sowie Cato mai. 4; rep. 2,1; s. dazu WHEELER, Historia 37, 1988, 167 ff. 164 Vgl. zu Cincinnatus etwa Cic. fin. 2,12; Cato mai. 56. Vgl. zu Camillus: Cic. Cael. 39; Sest. 143; Pis. 58; dom. 86; Quint. inst.orat. 9,3,24 (nach Verg. georg. 2,169 f.). Vgl. F.MÜNZER, 348. RE 7.1, 1910, s.v. Furius (44), Sp.324– 165 Cic. leg.agr. 2,64; vgl. Planc. 60; Sest. 143; Cael. 39, ferner Cic. parad. 12; 48; Quint. inst.orat. 12,2,30, sowie 7,2,38; 9,3,18. Vgl. zu Fabricius außerdem: Quint. inst.orat. 1938; zu Curius Dentatus: 12,1,43; F.MÜNZER, RE 6.2, 1909, s.v. Fabricius (9), Sp.1931– Enn. ann. 373 VAHLEN3 (= Cic. rep. 3,6); Cic. Mur. 17; 31; Sulla 23; parad. 38; F.MÜNZER, 1845. Vgl. generell W.V.HARRIS, War and ImperialRE 4.2, 1901, s.v. Curius (9), Sp.1841– 70 B.C., Oxford (1979) 1992, 22 f.; 65 f.; 264 f. ism in Republican Rome, 327– 166 Parad. 50: ... nesemper Curios et Luscinos (sc. Fabricios) loquamur.
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KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
wait durch so viele Plebiscite, noch dieProvocation, jene Schirmherrin derBürgerschaft
undRetterin derFreiheit”möglich gewesen167.
Gerade solche exempla, erbauliche Legenden und Anekdoten, die Vielschichtigkeit ihrer Bedeutungen unddieHäufigkeit ihrer Verwendung verraten viel über gemeinsame Überzeugungen undSichtweisen vonRedner undPublikum – undüber die gegenseitigen Wahrnehmungen undErwartungen: Sie sind Teil des Repertoires desorator, undsie müssen es sein, weil sie einer immer undüberall erwarteten historisch-moralischen Einordnung und Sinnstiftung dienen. Deswegen konnte sich der Redner umgekehrt auch jederzeit des Verständnisses und der Zustimmung einer römischen Zuhörerschaft sicher sein –und daher besonders erfolgversprechend fürsich undseine jeweilige konkrete Sache werben. Zugleich ist damit allgemein eine wesentliche Funktion derRolle desorator als Teil der ganzen öffentlichen Existenz des Angehörigen der politischen Klasse einer Rolle, diezumindest in einer wichtigen Hinsicht gleichberechtigt bezeichnet –
denanderen Rollen, derjenigen desMagistrats, Feldherrn, Senators undPatrons stand. Denn die Interaktion zwischen dieser besonderen politischen Klasse und dempopulus Romanus, die ja auf der Reziprozität von Hinwendung zum populus als Forum derEntscheidung undQuelle derLegitimität einerseits undder permanenten Erneuerung undBestätigung dieser Elite durch eben diesen populus andererseits beruhte, prägte diegesamte politische Kultur derRepublik. Deswegen , in ihrem System von war in dieser Kultur –vor allem auf ihrer “Ausdrucksseite” Dramaturgie öffentlispezifischen der Symbolen, Rollen undErwartungen undin dieRolle desRedners als Vermittler undderöfchen Auftretens undHandelns168 – fentlichen Rede alsMedium vonzentraler Bedeutung. Denndieses Medium wardas Vehikel, über das die praktische Umsetzung dieser Interaktion in politisches und gesellschaftliches Handeln, in einen intellektuellen und mentalen Austausch zwischen denBeteiligten unddie gemeinsame ideologische Selbstvergewisserung funktionierte. Undnurunter dieser Voraussetzung eines ebenso vielschichtigen wie permanent praktisch realisierten Aufeinanderbezogenseins, dassich gerade inRede, Anrede und“ Antwort”durch Akzeptanz vonundZustimmung zu Autorität, Macht und Überlegenheit manifestierte, konnten zugleich die traditionellen Hierarchien dauernd stabilisiert undals integraler Bestandteil eines kollektiven Grundkonsenses wiederum konkret durch dasMedium über diegesamte Ordnung bestätigt werden – neben
167 M.Antonius frg. 24 ORF4 (= Cic. deorat. 2,199): ... neque reges ex hac civitate exigi neque tribunos plebis creari neque plebiscitis totiens consularem potestatem minui neque provocationem, patronam illam civitatis ac vindicem libertatis, populo Romano dari sine nobilium dissensione potuisse; ac, si illae seditiones saluti huic civitatem fuissent etc.; vgl. de orat. 2,124, sowie Sall. Jug. 31,17; hist. frg. 3,48 (or. Macri ad plebem) 1; 12; 15; Liv. 34,7,14. 168 K.ROHE, Politische Kultur undihre Analyse. Probleme undPerspektiven derpolitischen Kul346; vgl. M.EDELMAN, The Symbolic Uses of Politics, Chiturforschung, HZ250, 1990, 321– cago (1964) 1985; L.DITTMER, Political Culture and Political Symbolism: Toward a Theo583; FLAIG, Historische Anthropologie 1, retical Synthesis, World Politics 29, 1977, 552–
1993, 193 ff.
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derRede, mitdemallein akkumuliertes Herrschaftswissen, Leistung dermaiores als Empfehlung, Dienst bis zur Selbstaufgabe, erwiesener greifbarer Erfolg als historische, moralische und praktische Fundierung von Rang und Status in Legitimität, Zustimmung, affirmative Bindung unddann endlich honores umgewandelt werden konnte.
MARTIN JEHNE
DIE BEEINFLUSSUNG VONENTSCHEIDUNGEN DURCH “ BESTECHUNG” : ZUR FUNKTION DESAMBITUS INDER RÖMISCHEN REPUBLIK
In der römischen Republik warjedes Jahr ein Superwahljahr. Jedes Jahr wurden Consuln, Praetoren, curulische Aedile, plebeische Aedile, Volkstribunen, Quaestorenunddiverse Unterbeamte gewählt, unddaes zumindest in dernachsullanischen Republik üblich war, mit der Bewerbung ein Jahr vor demWahltermin an die Öffentlichkeit zu treten1, waren die Römer einem permanenten Wahlkampf ausgesetzt2. Spätestens seit dem2. Jh. v.Chr. fassen wirwenigstens für die hohen Ämter einen regelmäßigen, scharfen Wettbewerb, so daß sich dasBedürfnis des einzelnen Kandidaten verstärkte, demWähler ganz deutlich zu machen, warum dieser seine Stimme ihmgeben müsse undnicht derKonkurrenz. Wenn sich der Wahlkampf intensiviert, pflegen dieKandidaten in derWahl ihrer Mittel nicht wählerisch zu sein. Die rüderen Werbungsmethoden riefen auch inRomdieMißbilligung unddenWiderstand des Establishments hervor; man verspürte zunehmend das Bedürfnis zu definieren, wasimWahlkampf erlaubt sein sollte undwasnicht. Illegale Praktiken bei der Wahlwerbung, insbesondere Wahlbestechung, faßten zusammen. Das Wort leitet sich her von ambitus” die Römer unter demTerminus “ ambire, dem Herumgehen, das als normale Tätigkeit von Amtsbewerbern zum Begriff für das Sich-Bewerben geworden ist3. Wann undaufgrund welcher Ereignisse oder Entwicklungen ambitus seinen peiorativen Beigeschmack erhielt, ist nicht mehr festzustellen. Glaubt manden Schilderungen des Livius, gab es schon 432 und 358 Plebiscite gegen ambitus4, und 314 soll man Untersuchungen gegen coitiones durchgeführt haben, gegen Zusammenschlüsse, die der Erlangung von Ämtern dienen sollten5. Doch wieauch immer mandieHistorizität dieser Maßnahmenbeurteilt6: Es ist klar, daßambitus spätestens seit dem2. Jh. zu einer geläufi-
1
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4 5 6
Jedenfalls dann, wenn es umdas Consulat ging, Cic. Att. 1,1,1; vgl. TH.MOMMSEN, Römisches Staatsrecht I3, Leipzig 1887, 478 m.A.4. Allerdings in unterschiedlicher Intensität, denn erst in derheißen Phase derletzten Wochen pflegten dieKandidaten fast ständig aufdemForum präsent zusein (Q.Cic. comm.pet. 2; 43; 54; Cic. Planc. 66). Vgl. R.URBAN, Wahlkampf im spätrepublikanischen Rom. Der Kampf umdasKonsulat, GWU34, 1983, bes. 611. Vgl. die Wortuntersuchung vonF.TEICHMÜLLER, Ambire, -tio, -tiosus, -tiose, -tus, 32. Programm d. Königl. Gymn. zu Wittstock, Schuljahr 1900– 1901, Wittstock 1901, 5– 28; s. auch 1862; J.HELLEGOUARC’H,Le vocabulaire latin V.MESS, ThlL I, 1905, s.v. ambitus, Sp.1860– desrelations et despartis politiques sous la République, Paris 21972, 210. 432: Liv. 4,25,13. 358: Liv. 8,15,12 (lex Poetelia). Liv. 9,26,8– 13. Für die Historizität der Gesetze von432 und358 ist injüngerer Zeit L.FASCIONE, Alle origini della legislazione deambitu, in: F.Serrao (Hg.), Legge e società nella repubblica romana 1, Napoli 1981, 255– 279 eingetreten, einen plausiblen Hintergrund für die lex Poetelia von 358
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MARTIN JEHNE
genErscheinung wurde, die sich bis zumEnde derRepublik trotz aller Versuche, demgesetzlich entgegenzusteuern, weiter verstärkte. Wieunsere trümmerhafte Überlieferung über denInhalt derverschiedenen ambitus-Gesetze noch erkennen läßt7, erstreckte sich das staatliche Regelungsbedürfnis auf ein breites Spektrum von Aktivitäten der Bewerber. Es ging nicht nur darum, die Auszahlung vonGeld andieWähler unddie Veranstaltung vonVolks-
zu untersagen, sondern manbemühte sich auch, die Abhaltung von imUmkreis derBewerbung einzuschränken8, die Größe derBegleitmannschaft desKandidaten zubegrenzen undderen Entlohnung zuverbieten9, sowie den Einsatz eines gedächtnisstarken nomenclator zu ächten, der demKandidaten die speisungen
Spielen
Namen dervonihmbegrüßten Passanten einflüstern sollte10. Mantat sich allerdings ausgesprochen schwer dabei, dasVerbotene vomErlaubten zutrennen, so daß die Vorschriften in derPraxis zumeist leicht unterlaufen werden konnten. Die Verteilung von Geld an die Angehörigen der eigenen tribus war durchaus üblich, undman konnte sie bequem auf fremde tribus ausdehnen, wenn manFreunde vorschob, die den betreffenden tribus angehörten11. Die Veranstaltung von Leichenspielen war ein unverzichtbares Element der Selbstdarstellung undöffentlichen Repräsentation dergroßen Geschlechter, undalsmanversuchte, dieManipulation mitdemTermin der Spiele, die einem Bewerber kurz vor denWahlen noch einmal einen Populari-
rekonstruiert K.-J.HÖLKESKAMP, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen undpo85. Skeplitischen Geschichte derRömischen Republik im4. Jhdt. v.Chr., Stuttgart 1987, 83– 81, tisch gegenüber beiden Gesetzen ist M.MCDONNELL, Ambitus andPlautus’Amphitruo 65– AJPh 107, 1986, 565 f., für das Gesetz von432 ebenfalls D.FLACH (mit ST. VONDERLAHR), Die Gesetze der frühen römischen Republik. Text undKommentar, Darmstadt 1994, 246–
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248. Vgl. die Rekonstruktionsbemühungen vonL.FASCIONE, Crimen e quaestio ambitus nell’età repubblicana. Contributo allo studio del diritto criminale repubblicano, Milano 1984; 106 R.R.CHENOLL ALFARO, Soborno y elecciones en la republica romana, Malaga 1984, 85– 142); E.A.BAUERLE, (vgl. DENS., Leges de ambitu liberae rei publicae, Baetica 3, 1980, 135– Procuring an Election: Ambitus in the Roman Republic, Diss. Univ. of Michigan 1990, 28– 110. Asc. 88 C. (Prozeß des Q.Gallius wohl 64, also unter der lex Calpurnia von 67). Cic. Sest. 133; Schol.Bob. 140 St. (lex Tullia deambitu von63). Cic. Mur. 70 f. Zurlex Fabia denumero sectatorum vgl. neben dero.A.7 zitierten Literatur 59. Imallgemeinen wirdanProMurena”71,RBPh43, 1965, 57– auchT.E.KINSEY, Cicero, “ genommen,
daßdasGesetz nicht ingroßem
Abstand
vonderMurena-Rede von63 zudatie-
ren ist, vgl. die Zusammenstellung der Vorschläge bei É. DENIAUX, De l’a mbitio à l’a mbitus: Leslieux delapropagande etdelacorruption électorale à lafindelaRépublique, in:L’urbs– Éc. franç. de espace urbain et histoire, Actes ducolloque internat. organisé parle CNRS et l’ Rome, Rom 1987, 283 A.13. 10 Plut. Cat.min. 8,4 f. E.S.GRUEN, The Last Generation of the Roman Republic, Berkeley 1974, 216 glaubt, diese Bestimmung sei möglicherweise Teil derlexFabia (dazu o.A.9) gewesen. ZumPhänomen dernomenclatores vgl. J.VOGT, Nomenclator. VomLautsprecher zumNa338; J.KOLENDO, Nomenclator, “memoria”del menverarbeiter, Gymnasium 85, 1978, 327– suopadrone o del suopatrono. Studio storico edepigrafico, Epigrafia e antichità 10, Faenza 1989.
11 Cic. Planc. 45 f.; 48; Mur. 73; Q.Cic. comm.pet. 44.
Beeinflussung vonEntscheidungen durch “ Bestechung”
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tätsschub verschaffen konnten, für illegal zu erklären, mußte mandoch die Hintertür offen lassen, daß eine testamentarische Verfügung Vorrang haben solle12, d.h. mandürfte de facto nurden Sektor der Manipulation verlagert haben13. Ein großes Gefolge gehörte traditionell zur Bewerbung14, und ob Begleiter gemietet waren, wareigentlich kaumherauszubekommen. Die verschwimmenden Grenzen zwischen legal undillegal lagen bis zu einem gewissen Grade in derNatur der Sache15 und erleichterten die starke Subjektivität in der Wahrnehmung von ambitus bei den Zeitgenossen: Ambitus wartendenziell immer das, was die anderen taten, während manselbst sich natürlich stets tadellos verhielt16. Das moderne Urteil über ambitus ist negativ. Mommsen spricht davon, “dass das mächtigste republikanische Gemeinwesen, welches die Welt gesehen hat, in dem Wahlmissbrauch den Todeskeim in sich trug” 17. In neuerer Zeit pflegt man weniger plastisch zuformulieren, undAndrew Lintott hat unlängst die Tendenz zur nüchternen Betrachtung desPhänomens weiter ausgebaut, indem er hervorgehoben hat, daß sich die Besetzung des Consulats, des Amtes, das amheißesten umkämpft warunddessen Inhaber wiralle kennen, durch denambitus hinsichtlich des sozialen Hintergrunds derGewählten jedenfalls nicht veränderte, daßalso ambitus zwar dem einen oder anderen Individuum Wege ebnete oder verbaute, daßsich aber die politische Führungsschicht damit noch nicht strukturell wandelte18. Ebenso wichtig ist Lintotts Hinweis auf die der Negativbewertung zugrundeliegende stillschweigende Unterstellung, ohne Bestechung seien Wahlen frei19, wovon man für die römische Republik jedenfalls nicht einfach ausgehen kann20. Ohne diese Folie aber ist dieNegativbewertung keine Selbstverständlichkeit mehr, so daß Lintott das Phänomen zunächst neutral betrachtet. Diesen Ausgangsstandpunkt möchte ich auch einnehmen, was einwenig erschwert wird durch diebegrenzten Übersetzungsmöglichkeiten von ambitus im Deutschen, die alle etwas eindeutig Abzulehnendes bedeuten. Daher sei hier ausdrücklich betont, daß ich, wenn ich imfolgenden in Ermangelung
von besseren Termini vonBestechung o.ä. rede,
damit
noch kein Werturteil fällen
möchte.
12 Cic. Vat. 37. 13 Vgl. auch A.YAKOBSON, Petitio et largitio: Popular Participation in the Centuriate Assembly of the Late Republic, JRS 82, 1992, 39 A.34: “loophole” . 37. 14 Vgl. Q.Cic. comm.pet. 34– 15 Vgl. Cic. deorat. 2,105: ... de ambitu raro illud datur, utpossis liberalitatem et benignitatem
ab ambitu atque largitione seiungere.
16 Vgl. A.LINTOTT, Electoral Bribery in the Roman Republic, JRS 80, 1990, 11; 14. 17 TH.MOMMSEN, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899 (Ndr. 1955), 865. 18 LINTOTT, JRS 80, 1990, 15; vgl. CHR.MEIER, Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik, Frankfurt a.M. 21980, 194 f.; P.VEYNE, Brot undSpiele. Gesellschaftliche Macht undpolitische Herrschaft in derAntike, Frankfurt a.M. 1988, 342; 366. 19 Diese Unterstellung findet sich z.B. bei FASCIONE, Crimen (s.o.A. 7) 15. 20 Vgl. LINTOTT, JRS 80, 1990, 1.
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MARTIN JEHNE
einfach voraussetzen darf, daßWahlen inRom ohne ambitus frei waren, ist wichtig, reicht aber noch nicht aus, umdenKern des
Die Feststellung, daßmannicht
Problems freizulegen. Es ist dazu erforderlich, sich dieRahmenbedingungen zuverdeutlichen, die seit dem2. Jh. die Zunahme der Bestechungen begünstigten. Zunächst einmal schuf wohl erst derriesige Geldstrom nach Italien, dermit denerfolgreichen Kriegen imgriechischen Osten einherging, diemateriellen Voraussetzungen für denEinsatz großer Geldsummen durch Privatleute zur Steigerung ihres Prestiges und ihrer Wahlchancen21. Gleichzeitig ist es seit dem 2. Jh. unverkennbar zu intensiver Konkurrenz umdie Ämter gekommen: 5 bis 7 Kandidaten für die beiden Consulstellen sind uns gelegentlich überliefert22, undmancher Sproß einer angesehenen Nobilitätsfamilie mußte mehrere Niederlagen wegstecken, ehe er sein Ziel erreichte undConsul wurde23; angeblich sollen sich 194 mitAemilius Paullus sogar 12 Männer umdie Aedilität beworben haben24. Daß diese Konkurrenz umdie Amter die Wahlkämpfe anheizte, ist klar25, undso ist es nicht verwunderlich, daß man
21 Zu denBereicherungsmöglichkeiten der Senatoren vgl. etwa W.V.HARRIS, War and Impe-
104. 70 B.C., Oxford 1979, 74– rialism in Republican Rome 327– 22 7 waren es 193 und185, von5 undmehrKandidaten wissen wirauchfür 174, 65, 64, 59, 56,
54, 53, vgl. dazu die Liste bei R.J.EVANS, Candidates andCompetition in Consular Elections 136. Da wir nicht regelmäßig über at Rome between 218 and 49 BC, AClass 34, 1991, 131– unterlegene Bewerber informiert werden undschon gar nicht über Interessenten, die infolge ihrer Chancenlosigkeit denWahlkampf vorzeitig abbrachen undzurWahl nicht mehrantraten, spiegelt unsere Überlieferung dieKonkurrenz zweifellos nurunzureichend wider. Dieser Eindruck wirdbestätigt durch dieTatsache, daßwirvonverschiedenen Männern hören, daß sie Wahlschlappen einstecken mußten, aber nicht genau wissen, bei welcher Wahl dasgewesen sein soll (Beispiele undDatierungsüberlegungen bei T.R.S.BROUGHTON, Candidates Defeated in Roman Elections: Some Ancient Roman “ , Transactions of the Amer. Also-Rans” Philosoph. Soc. 81.4, Philadelphia 1991, 6 f.; 8; 14; 16). 23 Z.B. Q.Fulvius Flaccus (cos.suff. 180) undQ.Lutatius Catulus (cos. 102), die dreimal unterlagen, L.Aemilius Paullus (cos. 182) undQ.Caecilius Metellus Macedonicus (cos. 144), die zweimal Niederlagen erlitten. Vgl. BROUGHTON, Candidates (s.o.A. 22) 6 f.; 8 f.; 13 f. (Q.Fulvius Flaccus fehlt merkwürdigerweise bei Broughton, vgl. aber Liv. 40,37,6: ... ei tertium negatus consulatus petenti esset, ... Die Geschichte des Livius, die Mutter desFulvius habe daraufhin sogar ihren Mann, denConsul C.Calpurnius Piso, aus demWege geräumt, um ihrem Sohn das Suffectconsulat zu ermöglichen, ist allerdings unglaubwürdig, vgl. 7, AHB8, R.J.EVANS, The Strange Affair of theMurdered Consul: A Study of Livy, 40.37.1– 34). 1994, 28– 24 Plut. Aem. 3,1, der hinzufügt, alle 12 seien später Consuln geworden. Die Nachricht ist allerdings dubios, zumal diecurulische Aedilität damals noch imjahrweisen Turnus zwischen Patriciern undPlebeiern wechselte, sodaßalso mitdemPatricier Paullus 12weitere Patricier angetreten sein müßten.
25 Dezidiert überliefert für 192 (Liv. 35,10,1), 191 (Liv. 35,24,4) und 166 (Obseq. 12). 49 B.C., Coll. Latomus 161, Brüssel 1979, 18; R.DEVELIN, Patterns in Office-Holding 366– 36; DERS., The Practice of Politics at Rome 366– 167 B.C., Coll. Latomus 188, Brüssel 1985, 56; 95; 105 u.ö. ist derAnsicht, daßin informellen Absprachen dergroßen Familien für 54– deren Angehörige ohnehin dasConsulat gesichert wurde; damit reduziert er die intensiven Wahlkämpfe, vondenen wirja gelegentlich hören, auf spielerisches Kräftemessen, bei dem höchstens derZeitpunkt desConsulats, nicht aberdasErreichen desAmtes alssolches fürdie Kandidaten zurDebatte stand. Doch vgl. gegen diese Vorstellung die überzeugende Gegen-
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181 und 15926 ambitus-Gesetze verabschiedete, über deren Inhalt wir allerdings nichts wissen. Diese Gesetze wertet nunFergus Millar als Belege dafür, daßjedenfalls im 2. Jh. ambitus schon recht weit verbreitet war, woraus er schließt, daß die Bindungen
keine Wahlergebnisse garantieren konnten27. Dies ist sicher richtig. Die Interpretation von Erich Gruen, nach demdie nobiles mithilfe der ambitus-Gesetze gegen Anstrengungen derhomines novi anzugehen suchten, sich mitGeld einen Ersatz für die Bindungen der nobiles zu verschaffen28, schwächt die Diagnose nur ab, denn Gruen mußja damit zugestehen, daß die Bindungen nicht sonderlich intensiv gewirkt haben können, wenn sie mit Geld zu überwinden waren. Doch ist damit natürlich nurklar, daßBindungen allein nicht die Abstimmungen der Volksversammlungen determinierten, nicht aber, daß sie unwichtig waren oder gar nicht-existent. Allerdings verwässerte ihre Tendenz zur Vermehrung undÜberlagerung ihre Wirkungskraft: Da nach römischem Verständnis jedes beneficium ein officium erzeugte, also jede Gefälligkeit eine Verpflichtung auferlegte, unddadiese Bindungen im Prinzip vererbbar waren, war ihre Multiplikation unvermeidlich. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Wenn gerade in denOberschichten vielfältige Verpflichtungen untereinander bestanden und umgekehrt Ansprüche auf Gegenleistungen, dann mußte es zwangsläufig immer seltener werden, daß die Bindungen demeinzelnen eine eindeutige Entscheidung ermöglichten. Bei denWahlen, insbesondere bei den Consulwahlen, war nunder Einsatz der Interessenten unddamit die Mobilisierung derBindungen besonders groß29, so daß mancher vor demDilemma gestanden haargumentation vonN.ROSENSTEIN, Competition 338. 338, v.a. 335– nix 47, 1993, 313–
andCrisis in Mid-Republican Rome, Phoe-
26 Liv. 40,19,11 (181); per. 47 (159). 151 B.C., JRS 74, 27 F.MILLAR, The Political Character of the Classical Roman Republic, 200– 1984, 11; vgl. auch 17; außerdem DEVELIN, Practice (s.o.A. 25) 130; A. WALLACE-HADRILL, Patronage in Roman society: from republic to empire, in: ders. (Hg.), Patronage in Ancient Society, London/New York 1989, 71; P.A.BRUNT, The Fall of the Roman Republic and 431; LINTOTT, JRS 80, 1990, 14; YAKOBSON, JRS 82, Related Essays, Oxford 1988, 424– 1992, 34. 28 E.S.GRUEN, TheExercise ofPower intheRoman Republic, in: A.Molho/K. Raaflaub/J. Emlen (Hgg.), City States in Classical Antiquity and Medieval Italy, Stuttgart 1991, 256; vgl. J.LINDERSKI, Buying the Vote: Electoral Corruption in the Late Republic, AncW 11, 1985, 90; BAUERLE, Ambitus (s.o.A. 7) 247– 253; 258. Das Argument findet sich im Kern schon bei Liv. 7,15,13 (im Zusammenhang mit der lex Poetelia de ambitu von 358): eaque rogatione novorum maxime hominum ambitionem, quinundinas et conciliabula obire soliti erant, compressam credebant. GRUEN a.O. 255 A.17 hält das Gesetz für authentisch; sollte aber Livius’ Begründung anachronistisch sein, zeige sie in bezeichnender Weise denVerständnishorizont derAnnalisten des2. und1. Jh.s. 29 Bezeichnend für diese Lage ist die Aufforderung bei Q.Cic. comm.pet. 19: qua re hoc tibi faciendum est, hoc tempore ut ab is quod debent exigas saepe commonendo, rogando, confirmando, curando, ut intellegant nullum se umquam aliud tempus habituros referendae gratiae (vgl. auch 21; 38). DerBewerber mußalso denjenigen, die ihmverpflichtet sind, deutlich machen, daß er jetzt die Einlösung erwartet, daß er es nicht akzeptiert, daß die ‘Rückzahlung’verschoben wird. Hinter dieser Empfehlung steht wohl kaum nur mögliche Trägheit der durch beneficia Gebundenen, sondern eher das Gespenst der Mehrfachbindung,
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bendürfte, die eine Verpflichtung
zukönnen ohne andere zuvernachsich so dieEinführung dergeheimen Abstim-
nicht erfüllen
lässigen. Meiner Ansicht nach erklärt mung, mit der der Entscheidungskonflikt nicht gelöst, aber der Öffentlichkeit entzogen wurde, in der der regelmäßige Verstoß gegen gerade auch für die Unterschichten eingeschärfte Verhaltensnormen bedenkliche Sprengkraft hätte entfalten können30.
Die Vervielfältigung der Bindungen hatte unterschiedliche Konsequenzen in den römischen Volksversammlungen. Gerade zwischen Wahl- undGesetzescomitien tut sich ein frappierender Kontrast auf, der der Erklärung harrt: Das Abstimmungsverhalten besaß offenbar jetzt bei Wahlen eine gewisse Offenheit, warum sollte dasdanninGesetzescomitien anders sein? WennmanderOffenheit aber bei Wahlen durch Bestechungen entgegenarbeitete, warum tat mandas nicht bei der Vorlage vonGesetzen? Statt dessen sinddieGesetzescomitien dasFeld derGewalt, diebeidenWahlen nurganz vereinzelt undsystematischer erst imletzten Jahrzehnt der Republik eingesetzt wurde31. DemVerständnis derspezifischen Rolle derWahlbestechung inRomkann man sich noch voneiner anderen Seite herannähern. Imrömischen Ämterwesen mit sei-
ner ausgeprägten Hierarchie, diedurch ihre Abbildung in denRangklassen des Senats die politischen Einwirkungsmöglichkeiten auf Dauer prägte, lag das eifrige Streben nach demjährlich vergebenen Oberamt, demConsulat, in der Logik des Systems. Entsprechend ist unsambitus in erster Linie bei Consulwahlen, weniger beiPraetorenwahlen, gelegentlich fürdieAedilenwahlen undkaumfür andere Ämter überliefert32. Die Consuln undPraetoren wurden aber bekanntlich in den Centuriatcomitien gewählt, also demTypus vonVolksversammlung, in demnach gängiger Ansicht normalerweise die Vermögenderen den Ausschlag gaben; da nun die relativ kleine Summe, die bei einer Bestechungsaktion auf deneinzelnen entfiel, für Wohlhabendere kein sehr großer Anreiz gewesen sein kann33, wieso konnte bitus beidenConsulwahlen überhaupt wirksam sein?
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am-
die demBetroffenen keine klare Entscheidung mehr ermöglichte unddenKandidaten dazu veranlaßte, seine Bindungen mitbesonderem Nachdruck einzufordern. Vgl. M.JEHNE, Geheime Abstimmung undBindungswesen in derRömischen Republik, HZ 613. 257, 1993, 593– Vgl. dieListen derüberlieferten Gewaltakte inRom,dievielfach inZusammenhang mitGesetzesanträgen und Gerichtsverhandlungen vor demVolk stehen, bei A.W.LINTOTT, Vio216, außerdem die Aufstellung der kollektiven lence in Republican Rome, Oxford 1968, 209– Aktionen bei P.J.J.VANDERBROECK, Popular Leadership andCollective Behavior in the Late 50 B.C.), Amsterdam 1987, 218– 267; für die Ursachen undKonseRoman Republic (ca. 80– quenzen derGewalt wichtig auch W.NIPPEL, Aufruhr und“ Polizei” in derrömischen Repu128. 69; 114– blik, Stuttgart 1988, 54– Vgl. dieListe bei BAUERLE, Ambitus (s.o.A. 7) 297. Wir wissen wenig über die genaue Höhe derBestechungssummen, wir wissen auch nicht, wieviele Römer eigentlich zudenWahlen erschienen. Wenn mandie umsichtigen, auf dem zurVerfügung stehenden Raumbasierenden Kalkulationen vonR.MACMULLEN, HowMany Romans Voted?, Athenaeum 68, 1980, 454 f. zugrundelegt, dann waren nie mehr als 35-
Beeinflussung
vonEntscheidungen
Bestechung” durch “
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Dieses offenkundige Problem hat die Forschung zu sehr unterschiedlichen Hypothesen angeregt. Nach Claude Nicolet sind unsere Berichte über ambitus als Skandalchronik zu werten, in der die Bestechungen über Gebühr aufgebauscht worden seien; ambitus sei für die Wahlen gar nicht so bedeutsam gewesen, eben weil dort die Vermögenden das Sagen gehabt hätten34. Demgegenüber hat Alexander Yakobson betont, daß die vielen Gesetze gegen ambitus nicht gerade darauf
daß man diese Erscheinung leicht nahm35, und zudem kann er darauf verweisen, daßNicolet ananderer Stelle durchaus zugesteht, daßdieFülle derGesetze eine Zunahme des ambitus in der nachsullanischen Republik anzeigt36. Yakobson zieht seinerseits genau den entgegengesetzten Schluß, daß nämlich die Centuriatcomitien in keiner Weise so von den Oberschichten dominiert gewesen seien, wie mangemeinhin annimmt, und daß folglich auch ein bescheidener Prohindeuten,
Kopf-Betrag für relevante Wählerkreise attraktiv gewesen sei37. Lintott hat den Mittelweg gesucht mit der Vermutung, die Bestechung auch kleiner Leute, deren Stimmen unbedeutend waren, habe dasPrestige dervermittelnden tribus-Magnaten gesteigert und habe diese daher beeinflußt38. Damit rückt Lintott die Wahlbestechung in die Nähe desEuergetismus, wasYakobson ablehnt39.
34
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40.000 Wähler auf demMarsfeld, wo in der späten Republik wohl auch die Wahlen der Unterbeamten stattfanden (vgl. L.R.TAYLOR, Roman Voting Assemblies. From the Hannibalic WartotheDictatorship of Caesar, AnnArbor 1966, 47). WasdieBeträge angeht, soist klar, daß die 10 Mill. Sesterzen, die 54 allein für die centuria praerogativa ausgesetzt wurden (Cic. Q.fr. 2,15,4), eine absolute Ausnahme darstellten, ebenso die 250 Sest., die Milo 52 nach demToddesClodius, als er alles aufeine Karte setzte, angeblich anjeden Wähler tributim verteilt haben soll (Asc. 33 C.). Näher kommt mandemnormalen Aufwand wohl mit den 500.000 Sest., mit denen sich die Bewerber umdas Volkstribunat 54 für die von Cato zu kontrollierende Vereinbarung verbürgten, imWahlkampf alle illegalen Tricks zuvermeiden; jeder, dersich dennoch desambitus schuldig machte, sollte seinen Einsatz andieKonkurren11). Doch auch diese ten verlieren (Cic. Q.fr. 2,15,4; Att. 4,15,7 f.; Plut. Cat.min. 44,7– Summe dürfte eher hoch gewesen sein, schon damit ihre Garantie denfinanziellen Spielraum derKandidaten vonvornherein einengte unddie Gefahr desVerlustes abschreckend wirken konnte. Dieselbe Summe soll Verres imübrigen fürdieVerhinderung derWahl Ciceros zum Aedilen investiert haben (Cic. Verr. 1,23), aber dadasUnternehmen scheiterte undCicero seine Bedeutung steigern konnte, wennestrotz großen Einsatzes nicht gelang, seine Wahl zu torpedieren, müssen wirauch hier mitÜbertreibungen rechnen. C.NICOLET, Le métier de citoyen dans la Rome républicaine, Paris 1976, 418 f. YAKOBSON, JRS 82, 1992, 35. Dasist alles, wasmanausderMenge derGesetze unmittelbar folgern kann; die auf vergleichenden Untersuchungen basierende Feststellung von J.T. NOONAN Jr., Bribes, NewYork 1984, xiii, daß Gesetzgebung undStrafverfolgungen mehr über dieEmpfindlichkeit derGesellschaft in dembetreffenden Sektor aussagen als über die Verbreitung des Delikts, ist zweifellos korrekt. Dennoch teile ich die Einschätzung von Yakobson (u.a.), daßjedenfalls in dernachsullanischen Republik dasAuftreten vonambitus bei Wahlen mehr oderweniger derNormalfall war. YAKOBSON, JRS 82, 1992, 35; vgl. NICOLET, Métier (s.o.A. 34) 403. 52. YAKOBSON, JRS 82, 1992, 32– LINTOTT, JRS 80, 1990, 11. YAKOBSON, JRS 82, 1992, 51.
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UmnunFunktion undWirkungsweise derBestechungen in Romvoll erfassen zu können, ist von der spezifischen Struktur römischer Wahlkämpfe auszugehen40. Imcommentariolum petitionis des Q.Cicero anläßlich der Consulatsbewerbung seinesBruders Marcus41 wirdunseininvielem verallgemeinerungsfähiger42 Abriß gegeben über das, waseinBewerber inRomtunmußte undwasmanvonihmerwartete. Danach waren es vorallem drei Dinge, diedieMenschen dazubrachten, einer Bewerbung Wohlwollen undeifrige Unterstützung angedeihen zu lassen: Wohltaten, Hoffnungen undSympathie43. Umihre Wahlchancen zu erhöhen, mußten sich dieKandidaten in bestimmter Weise in der Öffentlichkeit präsentieren. In der letztenZeit ihrer Kandidatur wares erforderlich, möglichst täglich aufdemForum herumzulaufen undviele Hände zu schütteln, wozu gehörte, daß mandie Leute mit Namen begrüßte; nurso konnte mandenAngesprochenen denEindruck vermitteln, es handele sich um eine tatsächliche persönliche Beziehung zum Bewerber und nicht nurumeinen Formalakt44. Außerdem mußte maneingroßes Gefolge umsich haben, ein ständiges ausMännern, die dasvonderZeit undvonderArbeit her einrichten konnten, undeingelegentliches, dasvonMännern mit Sozialprestige gebil40 Vgl. zum römischen Wahlkampf bes. L.R.TAYLOR, Party Politics in the Age of Caesar, Ber75; T.P.WISEMAN, NewMen in the Roman Senate, 139 B.C. – keley/Los Angeles 21968, 62– 622. 142; URBAN, GWU34, 1983, 607– A.D. 14, Oxford 1971, 130– 41 Daß das commentariolum petitionis tatsächlich in der Zeit von Ciceros Bewerbung, also 64, abgefaßt worden ist unddaßderAutor Q.Cicero war, wirdbekanntlich bezweifelt, vgl. etwa L.WAIBEL, Das commentariolum petitionis –Untersuchung zur Frage der Echtheit, Diss. München 1969. Gegen die Echtheit wirdvorallem argumentiert aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Parallelen zuCiceros Reden In toga candida (wenige Tage vor denWahlen 64 gehalten) undProMurena (63 gehalten), docherlaubt dieses Verfahren keinen zwingenden Nachweis, welcher Text demanderen vorausgeht. Alle historischen Anachronismen, dieman glaubt entdecken zu können, sind nicht stichhaltig, vgl. v.a. J.-M.DAVID/S. DEMOUGIN/E. DENIAUX/D. FEREY/J.-M. FLAMBARD/C. NICOLET, Le ‘Commentariolum Petitionis’de Quintus Cicéron. Etat dela question et étude prosopographique, ANRWI 3, Berlin/New York 1973,
277; zuletzt zu dem lange Zeit schwierigsten Punkt comm.pet. 19 überzeugend 239– J.T.RAMSEY, A Reconstruction of Q.Gallius’Trial for ambitus. OneLess Reason for Doubt421. Für die ing the Authenticity of the Commentariolum Petitionis, Historia 29, 1980, 402– . La propaganda eletCommentariolum Petitionis” Echtheit haben sich auch D.NARDO, Il “ diQuinto Cicerone, Padova 1970 undzuletzt PH.BRUGGISSER, Le commentorale nella “ ars” 130 ausgesprochen. tariolum petitionis, acte électorale?, LEC 52, 1984, 115– 42 Am Ende der Schrift wird zwar behauptet, daß die Analysen und Ratschläge nicht für alle Bewerber gelten könnten, sondern nurfür Cicero undnurfür dieses Mal, doch wird diese brave Bescheidenheitsgeste sofort aufgehoben durch die Bitte an Cicero, doch Verbesserungsvorschläge mitzuteilen, damit dieses commentariolum petitionis injeder Weise für perfekt gehalten werden könne (comm.pet. 58), d.h. esgehtoffenkundig darum, dasWerkeinem größeren Kreis zugänglich zu machen, wozu mandiesem Kreis auch Relevantes mitteilen muß: Eine allzu enge Beschränkung aufCicero verbietet sich damit. Imübrigen ist es natürlich vonderSache herklar, daßesfürKandidaten imWahlkampf eingemeinsames Inventar
anVerhaltensregeln
geben muß.
43 Q.Cic. comm.pet. 21: Sed quoniam
tribus rebus homines maxime
ad benevolentiam atque
haec suffragandi studia ducuntur, beneficio, spe, adiunctione animi ac voluntate, ... 44 Q.Cic. comm.pet. 26; 28; 32; Cic. Mur. 77. Das ist die fiktive Aufrechterhaltung der face-to55. face-society! Zur Bedeutung dernomenclatores vgl. auch Hor. ep. 1,6,49–
Beeinflussung
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det werden sollte45. Im commentariolum wird klar gesagt, daß man nur mit einer imposanten Begleitmannschaft das Gefühl vermitteln konnte, man könne sich auf unddieSiegeschancen stiegen offenkundig, wenn manwie breiten Anhang stützen – ein Sieger aussah46. Die Kandidaten mußten sich umalle Gruppen der römischen Bevölkerung bemühen, umnobiles, Ritter, Centur ien undtribus, Vereine, Männer mit Einfluß in Untereinheiten, umFreunde undFeinde, umdie Colonien undMunicipien Italiens, persönlich undauch indirekt47. WennmandieRatschläge für einen erfolgreichen Wahlkampf, die das commentariolum bietet, auf den Punkt bringt, so ergibt sich ein Typus desBewerbers, der charakterisiert ist durch permanente Präsenz in der Öffentlichkeit undrastloses, ehrlich undjovial wirkendes Bemühen um alle undjeden. Doch das commentariolum arbeitet nicht nurgewisse standardisierte Aktivitäten römischer Consulatsbewerber heraus, sondern läßt auch unterschiedliche Ausgangspositionen erkennen. So wird stark betont, daß der Adressat, M.Cicero, als homo novus besonders arbeiten müsse, daß dagegen jemand, dessen Familie schon bekannt ist, Vorteile besitzt48. Es ist daher für einen homo novus besonders wichtig, sich die Unterstützung von nobiles zu sichern, denn die augenfällige Akzeptanz durch nobiles kann dasStatusdefizit desneuen Mannes offenbar partiell kompensieren49. Weiter wird aber auch deutlich, daß Kandidaten, die besondere persönliche Fähigkeiten undLeistungen vorweisen können wieCicero mitseiner Redekunst und seinen vielen Auftritten als Gerichtsredner, ebenfalls Pluspunkte zu verzeichnen haben50. Schließlich zählt auch der in der bisherigen Laufbahn an den Tag gelegte Euergetismus in Form von Spielen aller Art oder Getreideverteilungen und ähnlichen Aktionen, bei denen dasprivate Vermögen fürBelange derbreiteren Stadtbevölkerung eingesetzt wurde51. Doch rackern müssen fast alle bei der Bewerbung; imcommentariolum heißt es dezidiert, daßnurder, denschon Ruhm, Ansehen und 37 (als dritte Gruppe sind nochdiesalutatores genannt, also Leute, die 34– zumMorgenempfang erschienen; die Gruppen konnten sich natürlich überschneiden, waren
45 Q.Cic. comm.pet.
aber nicht miteinander identisch); vgl. Cic. Mur.70f.
46 Q.Cic. comm.pet. 34. Vgl. J.PATERSON,
Politics intheLate Republic, in: T.P.Wiseman (Hg.), Roman Political Life 90 B.C.- A.D. 69, Exeter Studies in History 7, Exeter 1985, 33. 32. 47 Q.Cic. comm.pet., v.a. 29– 48 Q.Cic. comm.pet. 2; 6; 11; 13 f.; Cic. Planc. 18. Daß man diese Vorteile überschätzen kann, zeigt Planc. 12. 49 Q.Cic. comm.pet. 7; vgl. 4; Cic. Cluent. 111. 50 Q.Cic. comm.pet. 2 f.; 8; 38; 50. 51 Q.Cic. comm.pet. 44. Wiewichtig dieser Euergetismus war, zeigt die Tatsache, daß sich einige erfolgreiche Politiker rühmten, ohnejedes munus biszumConsulat gelangt zusein, Cic. off. 2,59; Cicero führt für sich selbst an dieser Stelle an: Nobis quoque licet in hoc quodam modo gloriari; nampro amplitudine honorum, quos cunctis suffragiis adepti sumus nostro quidem anno, quod contigit eorum nemini, quos modo nominavi, sane exiguus sumptus aedilitatis fuit. Daßes eine besondere Ehre war, es ohneoder nurmitbescheidenen munera geschafft zuhaben, macht deutlich, wienormal eswar, daßmanfürseine Laufbahn solche munera aufsich nahm, undwieselbstverständlich mandenentsprechenden Aufwand als karrierefördernd ansah.
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Erfolg
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in überragendem
Ausmaß auszeichnen,
die Hoffnung hegen kann, ohne in-
tensiven Wahlkampf mit demAmtversehen zuwerden52. Was dagegen in denEmpfehlungen des commentariolum fehlt, sind politische Inhalte. Es wird nureinmal erwähnt, als Kandidat solle mansich nicht so eifrig der respublica annehmen, weder imSenat noch indercontio, undimübrigen solle man
beim Senat, bei denRittern undAngehörigen derweiteren Oberschicht undbei der Menge denEindruck erwecken, ihre Belange seien bei einem in guten Händen53 – mehr nicht. Auch die sonstigen Informationen über den römischen Wahlkampf bewie polestätigen, daß es keine Sachprogramme gab, über die sich Kandidaten – misch auch immer –auseinandersetzten54. Entsprechend hielten sie auch keine Wahlreden. Wahrscheinlich hielten sie überhaupt keine Reden55. Der Normalfall scheint so ausgesehen zu haben, daß ein Kandidat in seiner toga candida, von der er seinen Namen hat, mit großem Gefolge wochenlang durch die Stadt lief und Shake-Hands machte, daßer aber keine Gelegenheit erhielt, auf einen Schlag eine größere Menge zuerreichen. DieBewerber waren amtlos, so daßsie dasVolk nicht versammeln durften, unddie amtierenden Beamten scheinen jedenfalls nicht routi-
52 Q.Cic. comm.pet. 28. S. auch o.A.51. 53 Q.Cic. comm.pet. 53: nec tarnen in petendo res publica capessenda est neque in senatu neque in contione. Sed haec tibi sunt retinenda: ut senatus te existimet ex eo quod ita vixeris defensorem auctoritatis suaefore, equites R. et viri boni ac locupletes ex vita acta te studiosumoti ac rerum tranquillarum, multitudo ex eo, quod dumtaxat oratione in contionibus ac iudicio popularis fuisti te a suis commodis nonalienum futurum. 54 Dies wird allgemein als ein besonderes Charakteristikum des römischen Wahlkampfs konstatiert, vgl. etwa TAYLOR, Party Politics (s.o.A.40) 8; 13; 15; 64; CHR.MEIER, Res publica 134 14; 191 u.ö.; A.E.ASTIN, Roman government and politics, 200– amissa (s.o.A. 18) 11– B.C., in: ders./F.W. Walbank u.a. (Hgg.), The Cambridge Ancient History VIII, 2. Aufl. Cambridge 1989, 172f. Einen falschen Hintergrund baut daher W.WILL, Derrömische Mob. Soziale Konflikte inderspäten Republik, Darmstadt 1991, 19fürdenambitus aufmitseiner nicht mehr die Programme der Kandidaten ..., sondern Bemerkung, der Wähler habe nun“ nurnochdieHöhederBestechungssumme”vergleichen müssen. 55 DaßCatobei seiner Bewerbung umdieCensur vonderRednertribüne ausseine Mitbewerber brandmarkte als Männer, dienicht gewillt waren, gegen Verweichlichung undLuxus einzu4), scheint ein Ausnahmefall gewesen zu 7; vgl. Liv. 39,41,1– schreiten (Plut. Cat.mai. 16,5– sein, in demCato sich bemühte, die durch seine novitas bedingten Defizite gegen starke Konkurrenz durch Ansätze eines Programms zukompensieren (obsich allerdings seine Gegnergegen ihnabsprachen unddaher 7 Mitbewerber insRennen schickten, wiePlut. Cat.mai. 16,5 behauptet, ist äußerst dubios, denn ein Arrangement zur Abblockung eines Bewerbers beieiner Wahl, beideresfürdenunerwünschten Kandidaten defacto nurumeine Stelle [die desplebeischen Censors, denn zumersten Malgabes 131zwei plebeische Censoren] gehen konnte, hätte sinnvollerweise zurKandidatur eines einzigen Gegners geführt, deralle Stimmendesfeindlichen Blocks aufsich vereinigt hätte). Bezeichnenderweise handelt es sich hier nicht umdasConsulat, sondern umdieCensur, bei dersichjedesmal dieFrage stellen konnte, ob die neuen Amtsinhaber ihre Sittenaufsichtsfunktion strenger oder milder handhaben würden. Von dieser inhaltlich feststehenden, stets wiederkehrenden undpolitisch brisanten Aufgabe konnte ein Impuls zur inhaltlichen Markierung künftiger Amtsführung ausgehen. Etwas Vergleichbares fehlt dagegen demConsulat.
Beeinflussung
vonEntscheidungen
durch “ Bestechung”
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für die Kandidaten contiones einberufen zu haben56. Wenn man nicht bei einem Prozeß auf demForum auftrat, wasin derBewerbungsphase der unvermeidbaren Polarisierung wegen eine zweischneidige Angelegenheit war57, und wenn nicht gerade einFamilienbegräbnis anstand, dannerhielt mannicht einmal die Chan-
nemäßig
56 In Q.Cic. comm.pet. 53 (s.o.A. 53) ist davon die Rede, mansolle sich im Wahlkampf nicht über Fragen der res publica äußern, weder im Senat noch in contiones. Da die contiones normalerweise umeine Sachentscheidung kreisten, wares wohl ratsam, sich dort gar nicht dasWort erteilen zulassen. Zudenwenigen Ausnahmefällen vgl. F.PINAPOLO, Las contionesciviles y militares en Roma, Zaragoza 1989, 115f. Manredete dagegen in denMunicipien (Q.Cic. comm.pet. 31; Asc. 31 C. [Clodius war, als es bei Bovillae zuderfür ihn tödlichen Begegnung mit Milo kam, auf demRückweg von Aricia, woer im Rahmen seiner Wahlkampagne gesprochen hatte, bezeichnenderweise zu den Decurionen, nicht vor dem Volk]), doch waren da sicher auch keine Stellungnahmen zur Tagespolitik gefragt, sondern es ging umBestärkung undMobilisierung vonAnhang durch dengegenwärtigen oder künftigen Patron.
48 wird empfohlen, jeder Bitte um Prozeßbeistand, sofern man 57 Bei Q.Cic. comm.pet. 46– nicht durch ein officium necessitudinis an die Gegenpartei gebunden ist (45 f.), bereitwillig zuzustimmen, umja niemanden vordenKopf zustoßen, doch ist damit bezeichnenderweise auch die Hoffnung verbunden, daßein Großteil derZusagen nie eingelöst werden muß. In derPraxis barg einEngagement vorGericht immer dieGefahr, daßmanes sich mitProzeßgegnern undihren Helfern verdarb. Wiesorgsam Cicero kalkulierte, zeigt Cic. Att. 1,1,3 f. (Mitte 65), woCicero bei Atticus umVerständnis bittet dafür, daßer dessen Onkel Caecilius nicht gegen einen gewissen Caninius Satyrus vertreten kann, da dieser ihm täglich seine Aufwartung mache, überhaupt die Cicerones bei ihren Bewerbungen immer sehr unterstützt habe undzudem mitDomitius vertraut sei, dessen Unterstützung Cicero bei derkommenden Bewerbung umdas Consulat nicht entbehren könne. Diese Entschuldigung scheint Atticus akzeptiert zu haben, aber Caecilius nicht: Er brach denKontakt zu Cicero zunächst einmal Als Cicero dann doch daran denkt, seinen Mitbewerber Catilina zuverteidigen, spekuab. – liert er auf eine wohlgesonnene Jury undeventuell engere Zusammenarbeit mitdemKonkurrenten bei der weiteren Bewerbung (Cic. Att. 1,2,1 [Juli 65]: iudices habemus, quos volumus, si absolutus erit, coniunctiorem ilium nobis fore in ratione petitionis; sin aliter acciderit, humaniter feremus. Daß diese Stelle darauf hindeute, daß der Ankläger Clodius praevaricatio begehen wollte, hat E.S.GRUEN, Some Criminal Trials of the Late Republic: Political and Prosopographical Problems, Athenaeum 59, 1971, 62 überzeugend widerlegt: MitderFormulierung wirdaufeine noble Haltung bei derPro59– zedur derAblehnung vonRichtern angespielt. Wenn manüberhaupt imZusammenhang mit dieser Affäre Betrugsabsichten wittern möchte, dannvielleicht eher bei Cicero, derja beiläunatürlich nicht: Cafig anmerkt, eine Verurteilung Catilinas würde ihnauch nicht grämen – tilina wäre damit für die Consulatsbewerbung aus demRennen gewesen, und das konnte Cicero nur recht sein; die Tatsache, daß Cicero dann doch nicht der Verteidiger Catilinas wurde [Asc. 86 s. C.], könnte genau damit zusammenhängen, daß Catilina wenig Neigung verspürte, bei der Vermeidung eines Schuldspruches auf die Bemühungen eines Mannes angewiesen zusein, dervonderVerurteilung erheblich profitiert hätte). Es ist wohl kein Zufall, daß in demJahr vor dencomitia consularia Mitte 64 kein Auftritt Ciceros vor Gericht gesichert ist (Cicero wollte allerdings vonSept. 65 bisJan. 64 zurWählerwerbung in die Gallia Cisalpina gehen [Cic. Att. 1,1,2], was er wohl auch in die Tat umsetzte [Cic. Phil. 2,76]). M.C.ALEXANDER, Trials in the Late Roman Republic, 149 BC to 50 BC, Phoenix Suppl. 26, 107 vermerkt 6 Prozesse mit Beteiligung Ciceros 65/4, aber die Prozesse Toronto 1990, 104– gegen Fundanius undOrchivius sind nurdurch Q.Cic. comm.pet. 19 als terminus ante quem datiert, der gegen C.Cornelius gehört eher an denAnfang desJahres 65, ebenso der gegen C.Manilius, dergegen Mucius Orestinus ist aufgrund vonAsc. 86 C. nurvor64 anzusetzen. 421 überzeugend in die Das Verfahren gegen Q.Gallius hatRAMSEY, Historia 29, 1980, 402– Zeit nachdenWahlen 64 datiert. summa accusatoris voluntate. spero,
62
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ce, breiteren Kreisen auf einen Schlag die Bedeutung der Vorfahren undder eigenenPerson noch einmal in einer laudatio funebris vor Augen zu führen58. Es kam offenkundig mehr auf die permanente Mühewaltung an als auf die rhetorischen Glanzlichter. Im Wahlkampf zogen also die Kandidaten mit ihrem Troß durch die Stadt und die Umgebung und zeigten Einsatz, aber kein Programm. Wonach richteten sich nundie Wähler? Zunächst einmal waren Bindungen nach wievor bedeutsam. Das commentariolum petitionis rechnet mit einer Gruppe vonWählern, die mit Mitbewerbern persönlich verbunden sind unddie derKandidat Cicero daher nicht gewinnenkann59. Doch daneben besaßen offenbar viele dieFreiheit, zwischen denKandidaten abzuwägen, unddabei spielte derEinsatz derBewerber eine große Rolle, ei-
der in der bisherigen Laufbahn für den Staat undfür die einzelnen Grupder aktuelle in der Bewerbung61, wobei nicht nur die Aktivität als solche, sondern auch die überzeugende Jovialität wesentlich war. Eine bekannte Anekdote läßt deutlich erkennen, was gerade breitere Bevölkerungskreise vom Wahlbewerber erwarten konnten. Als sich in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s P.Cornelius Scipio Nasica62 um die Aedilität bemühte, schüttelte er auch die hornige, rauhe Hand eines Landbewohners; daraufhin fragte er deneinfachen Mann: Pflegst du auf diesen Händen zu laufen? Über diesen Witz lächelten vielleicht Scipios Standesgenossen, doch bei denWahlen fiel er durch63. Wie auch imcommentariolum petitionis betont wird, mußte der Bewerber den einfacheren Bürgern vermitteln, daß er sie wirklich ernst nahm undnicht arrogant von oben herab behandelte, sonst kostete ihndasPopularität undamEnde dieWahl64. In diesem Klima des ganz personenbezogenen Wahlkampfs, in demdas von Familie, Leistung, Einfluß, Euergetismus, Unterstützung, Aktivität undGeschick im Umgang mit Menschen geprägte Image offenbar entscheidend war, ist kein Platz nerseits
pen60, andererseits
für sachorientierte Überzeugungen des Wählers. Damit fehlt aber der Kontext für
die moderne Verteufelung der Wahlbestechung: Man unterstellt ja generell, daß Wahlbestechung dazu führt, daß Stimmberechtigte gegen ihre eigentlichen Überzeugungen stimmen, weshalb Wahlbestechung in modernen Systemen zuRecht ve58 59
Vorbedingung war natürlich, daß der Kandidat der Nobilität entstammte, denn ansonsten hatte erja garkeine prominenten Ahnen undkeine Ahnenbilder füreine solche Inszenierung vorzuweisen. Q.Cic. comm.pet. 26: ... esse neminem, nisi si aliqua necessitudine competitorum alicui tuorum sit adiunctus, a quo non facile si contenderis impetrare possis ut suo beneficio promereatur se ut ames et sibi ut debeas, ...; vgl. 40. S. auch 56: Video nulla esse comitia tam inquinata largitione quibus nongratis aliquae centuriae renuntient suos magno opere
necessarios. Vgl. Cic. Att. 1,1,1.
60 Q.Cic. comm.pet. 19 f.; 51. 61 Q.Cic. comm.pet. 43. 62 Entweder der spätere Consul von 138 oder dervon 111, zurDiskussion vgl. BROUGHTON, Candidates (s.o.A. 22) 40 f. 63 Val.Max. 7,5,2. 64 Q.Cic. comm.pet. 44; vgl. 25 f.; 42; Cic. Planc. 12; s. auch Plut. Cat.min. 49,5 f.
Beeinflussung vonEntscheidungen durch “ Bestechung”
63
In derrömischen Republik wardasanders. WiePaul Veyne verkauften römische Wähler nicht ihrGewissen65. Daslag nicht
hement verurteilt wird.
zutreffend bemerkt, an einer wie auch immer gearteten moralischen Standhaftigkeit, sondern schlicht und einfach daran, daß keine Gewissensfragen zur Abstimmung standen. Dadurch aber auch sehr ratlos. waren die römischen Wähler häufig sehr frei –
Das Szenario dürfte bei denrömischen Wahlen imNormalfall so ausgesehen haben: Es gab keine Inhalte, über die manentschied, die Kandidaten waren nach Bedeutung undMühewaltung vergleichbar, inBezug auf ihre künftige Amtsführung konnte mankeine relevanten Unterschiede erwarten; danundie Bindungen, die einenWähler dazu bringen konnten, seine Stimmen zuvergeben, ohne über Alternativen nachdenken zu müssen, nicht mehr hinreichend eindeutig waren, wie sollte er sich dann überhaupt entscheiden? In dieser Situation ist nachvollziehbar, warum selbst Geldbeträge, die für den einzelnen wirtschaftlich unbedeutend waren, Wirkung erzielen konnten. Ein wesentlicher Teil der Römer, die zu den Comitien erschienen, mußte nicht durch einen starken finanziellen Anreiz zumWechsel seiner Grundorientierung veranlaßt werden, sondern benötigte in Ermangelung einer Grundorientierung einEntscheidungskriterium, dasschon durch eine kleine Summe sofern dieKonkurrenz nicht dasgleiche bot. geboten werden konnte66 – Bettet mandenambitus auf diese Weise in denrömischen Wahlkampf ein, so wird sowohl seine Wirkung als auch dieinflationäre Tendenz verständlich. Schwankende Wähler waren ja nicht allein durch finanzielle Investitionen zugewinnen. Daß sich die largitiones dennoch so großer Beliebtheit erfreuten, liegt daran, daßdies in der Wahlkampfphase der einzige Bereich war, in demdie Bewerber ihren Einsatz potentiell ohne Limit erhöhen konnten. Sie konnten kaum noch mehr Präsenz auf 65
VEYNE,
Brot u. Spiele (s.o.A. 18) 342 f. Ebd. 367 behauptet er allerdings, die Geldzahlungen tribus seien “ Kauf vonGewissen undmithin ... Wahlbetrug”gewesen, womit er
an fremde
seine richtige Diagnose wieder verwässert. jemanden veranlassen konnte, einen Bewerber zu unterstützen, vermerkt auch Q.Cicero, comm.pet. 21: Minimis beneficiis homines adducuntur ut satis causae putent esse ad studium suffragationis, ... Dies paßt genau in eine Situation schwacher Wählerpräferenzen. Vgl. auch Cic. Planc. 12; 50. Imübrigen läßt sich soauch dergroße Einfluß der praerogativa centuria erklären, deren Ergebnis sogar als omen betrachtet wurde (Cic. Mur. 38; div. 1,103; 2,83; s. auch Planc. 49). Der Grund für die Wirkung warwohl nicht, daßdiepraerogativa durch dieselben Gründe zu ihrem Urteil bewegt wurde wie die Mehrheit dernachfolgenden Centur ien (so BRUNT, Fall [s.o.A. 27] 524 f.), auch daß die religiöse Überhöhung des Votums Wähler mit klaren Vorstellungen dazu gebracht haben soll, ihre Meinung zu ändern (so tendenziell CHR.MEIER, RE Suppl. 8, 1956, s.v. Praerogativa Centuria, Sp.597 f.), scheint mir unwahrscheinlich zu sein. Vielmehr wurde mit der Entscheidung derpraerogativa centuria denUnentschiedenen ein Vorbild gegeben, an das sie sich halten konnten (vgl. auch VEYNE, Brot u. Spiele [s.o.A. 18] 365). Der konsensualistische Grundcharakter desrömischen Wahlsystems tritt hier zutage: DieGleichförmigkeit derKandidaten unddie geringen Unterschiede in ihren Bemühungen umdie Wählergunst nahmen jedes Motiv, Dissens zubekunden, undstärkten denImpuls, an der großen Siegergemeinschaft teilzuhaben. Da sich das Votum derpraerogativa normalerweise durchsetzte, ist es auch nicht verwunderlich, daßesbaldalsomenangesehen wurde.
66 Daß schon eine Kleinigkeit
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MARTIN JEHNE
demForum zeigen, für dieZahl derBegleiter gabes praktische Grenzen, wenn der Kandidat nicht durch die schiere Masse seines Gefolges die Bürger vomForum verdrängen wollte, zu denen er ja gerade den Kontakt suchte67. Familie und Leistungen ließen sich noch besonders herausstellen, aber kurz vor denComitien nicht mehr ändern. Beim Vergleich von Leistungen und selbst bei der Abwägung des Familienhintergrunds konnte manzu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Daß Cicero in seiner Verteidigungsrede für denwegen ambitus angeklagten consul designatus L.Licinius Murena denAnkläger Ser.Sulpicius Rufus belehrt, militärischer Ruhm sei in Rom einfach mehr wert als herausragende juristische Kenntnisse und intensive Betätigung in derRechtsberatung68, magvielleicht die durchschnittlichen Orientierungen der Bürger korrekt wiedergeben, zeigt aber auch, daß jedenfalls Sulpicius dies nicht so sah69; imübrigen warCicero in Bezug auf die eigene Stärke, die Rednertätigkeit, keineswegs bereit, die Überlegenheit militärischer Leistungen gegenüber zivilen anzuerkennen70. Ebensowenig dürfte jedermann Ciceros an sich einleuchtend begründete Ansicht geteilt haben, die illustre Aura der patricischen Abstammung des Sulpicius Rufus habe diesem wenig nützen können, da man die Leistungen seiner Familie aus denAnnalen exhumieren müsse, während die Licinii Murenae seit vier Generationen Praetoren stellten71. Allein die materiellen Versprechungen undZuwendungen waren nicht nur steigerungsfähig, sondern auch formal meßbar; jedes noch so schlichte Gemüt konnte vergleichen, wermehr Geld bei den Mittelsmännern zur Auszahlung andieWähler hinterlegt hatte. Die largitiones waren zumgrößten Teil konventionell, dennoch sind sie in unserer Überlieferung übel beleumundet, und die Kette der Gesetze gegen ambitus stellt unter Beweis, daß diese Aufwendungen unerwünscht waren unddaß mansich immer wieder bemühte, sie in denGriff zubekommen. Obwohl wirüber die einzelnenBestimmungen der Gesetze nicht sehr viel wissen, sind doch neben der Strafverschärfung, hier wie häufig ein Emblem der Ohnmacht, zwei weitere Entwick67 Vgl. Plut. Cat.min. 21,2 (über Catos Bewerbung umdas Volkstribunat). 29. 68 Cic. Mur. 19– 69 Die Tatsache, daß die Frage, ob das Ansehen der Juristen oder das der Militärs größer sei,
70 71
später zu einer rhetorischen Schulübung wurde (Quint. inst.orat. 2,4,24), macht jedenfalls deutlich, daßsich dies nicht vonselbst verstand (wobei sich in derKaiserzeit dieBedeutung der Juristen sicher gesteigert hat); vgl. auch A.D.LEEMAN, The Technique of Persuasion in Cicero’s Pro Murena, in: W.Ludwig (Hg.), Éloquence et rhétorique chez Cicéron, Entretiens surl’Antiquité classique 28, Vandœ uvres/Genève 1982, 211f. Cic. Mur. 30. Ciceros Reihung der Qualitäten ist natürlich prozeßtaktisch motiviert, vgl. auch WISEMAN, NewMen(s.o.A. 40) 118 f. Cic. Mur. 15 f.; vgl. Asc. 23 C. (über Aemilius Scaurus, cos. 115, der wie ein homo novus habe arbeiten müssen, weil sich weder derVater, noch derGroßvater, noch derUrgroßvater in der Politik betätigt hatten); s. auch G.CLEMENTE, Tradizioni familiari e prassi politica nella repubblica romana: Tra mos maiorum e individualismo, in: J.Andreau/H. Bruhns (Hgg.), Parenté et stratégies familiales dans l’Antiquité romaine, Actes de la table ronde des 4 oct. 1986, CÉFR 129, Rom 1990, 599 f. Dagegen aber LEEMAN, in: Ludwig (Hg.), 2– Cicéron (s.o.A. 69) 207 f.
Beeinflussung
vonEntscheidungen
durch “ Bestechung”
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zubeobachten72: Manversuchte, die Straftatbestände durch Festlegung konkreter undnachprüfbarer Normen zu objektivieren73 unddie Anklagemöglichkeiten auf die Bestechungshelfer auszudehnen. EinBeispiel für die erstere Tendenz ist die lex Fabia de numero sectatorum; diese Gesetz ist unszwar nur durch einen einzigen Hinweis Ciceros bekannt, doch derreicht aus, umklar zumachen, daßes um die Zahl der Gefolgsleute eines Bewerbers ging74. Da es in der Praxis kaum lungstrends
möglich war festzustellen, ob das Gefolge eines Kandidaten gekauft war75, verzichtete die lex Fabia offenbar aufdie Differenzierung zwischen herkömmlichen Diensten im Rahmen des Patronagesystems undder Vorgaukelung von Einfluß durch einen gemieteten Troß, indem sie die Zahl begrenzte. Auf diesem Wege erhöhten sich zweifellos die Möglichkeiten, Gesetzesübertretungen nachzuweisen, doch verlor das Gefolge desKandidaten an Aussagekraft, wenn es nicht mehr größer sein konnte als das der Konkurrenten76. Der praktischen Realisierung dürfte darüber hinaus entgegengestanden haben, daß die lex Fabia eine übliche Form des Leistungsaustauschs zwischen Clienten und Patronen behinderte77. Man kam mit all
72 Vgl. auch LINDERSKI, AncW 11, 1985, 92. Diese Tendenz schlug sich dann auch in denrömischen Stadtrechtsgesetzen nieder, wiedie lex Ursonensis (C.G.BRUNS, Fontes iuris Romani antiqui, 7.Aufl. hg. v. O.GRADENWITZ, Tüde ambitu”della “ lex bingen 1909, Nr.28 Kap.132) belegt, vgl. dazu L.FASCIONE, Le norme “ 188. Ursonensis” , Labeo 34, 1988, 179– 74 Cic. Mur. 71 (s.u.A. 77). 75 Daß die lex Tullia von 63 festlegte, daß nur die Bezahlung von adsectatores strafbar sein sollte, vermag ich daher nicht mit GRUEN, Last Generation (s.o.A. 10) 222 als wesentlichen Fortschritt zurVerbesserung derStrafverfolgungsmöglichkeiten zuklassifizieren, imGegenteil: Unter diesem Aspekt stellte dielex Tullia imVergleich zurlex Fabia einen Rückschritt
73
76
dar.
Indem dieHöchstzahl festgeschrieben war, bildete sie naturgemäß auchfürjeden Kandidaten das Ziel, d.h. sie dürfte –soweit man sich überhaupt daran hielt (dazu Cic. Mur. 71 kaum unterschritten worden sein. [s.u.A. 77]) – 77 Cic. Mur. 70 f.: “Quid opus est”inquit “ sectatoribus?”A me tu id quaeris, quid opus sit eo quosemper usisumus? Homines tenues unumhabent in nostrum ordinem autpromerendi aut referendi benefici locum, hanc in nostris petitionibus operam atque adsectationem. Neque enimfieri potest neque postulandum est a nobis aut ab equitibus Romanis, ut suos necessarios candidatos adsectentur totos dies; a quibus si domus nostra celebratur, si interdum ad forum deducimur, si uno basilicae spatio honestamur, diligenter observari videmur et coli. Tenuiorum amicorum et non occupatorum est ista adsiduitas, quorum copia bonis viris et beneficis deesse nonsolet. Noli igitur eripere hunc inferiori generi hominum fructum offici, Cato; sine eos, qui omnia a nobis sperant, hebere ipsos quoque aliquid, quod nobis tribuere possint. Si nihil erit praeter ipsorum suffragium, tenues, etsi suffragantur, nil valent gratia. Ipsi denique ut soient loqui, non dicere pro nobis, nonspondere, non vocare domum suam possunt. Atque haec a nobis petunt omnia neque ulla re alia quae a nobis consequuntur nisi opera sua compensari putant posse. Itaque et legi Fabiae, quae est denumero sectatorum, et senatus consulto, quodest L.Caesare consule factum, restiterunt. Nulla est enimpoena quae possit observantiam tenuiorum ab hoc vetere instituto officiorum excludere. Daßdie Zahlenbegrenzung nur Senatoren undRitter, jedenfalls aber nicht das einfache Volk betraf (so NICOLET, Métier [s.o.A. 34] 412; C.AMBROSONE, Note sull’illecito nelle elezioni romane, AAN99, 1983, 231), steht nicht im Text, derja vielmehr die faktische Unmöglichkeit, die neue Vorschrift gegen die alteingeführten Verhaltensweisen durchzusetzen, hervorhebt, und ist vonderSache herauch ganz unwahrscheinlich.
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denVersuchen, denambitus in klar überprüfbaren Delikten zu fassen, aus demDilemma nicht heraus, daß mandamit Althergebrachtes undfür die Sozialordnung Unverzichtbares über Bord werfen mußte, undselbst wenn einige dazu bereit waren, wares insgesamt nicht durchsetzbar78. Ohne große Wirkung blieb offenbar auch die nurundeutlich zu fassende Ausweitung des Personenkreises, der nach demambitus-Gesetz zu belangen war, auf dieHelfershelfer derKandidaten, diedivisores, diedieVerteilung derGelder inden tribus besorgten79. Schon bei denwohl ersten Schritten in diese Richtung regte sich massiver Widerstand. Als 67 derConsul C.Calpurnius Piso eine contio über seinen entsprechenden Gesetzesvorschlag abhalten wollte, wurde er vonderaufgebrachten Meute derdivisores vomForum vertrieben80. Daß er dann später sein Gesetz doch noch durchsetzte, dürfte nicht nuran der Verstärkung seiner handfesten Unterstützung gelegen haben81, sondern auch an derEntschärfung seines Gesetzes: Vermutlich erzielten diedivisores mitihrem Protest einen Teilerfolg82. Bezeichnenderweise wardieBegründung fürdenPlan, dieHilfsdienste derdivisores bei derWahlbestechung unter Strafe zu stellen, dezidiert praxisorientiert; nach Cicero sollen Volkstribune dem Volke dargelegt haben, daß mannur so eine Chance zur Eindämmung desambitus besitze83. Demnach scheint mannicht die Tätigkeit derdivisores aus prinzipiellen Gründen für strafwürdig gehalten zu haben, manwollte auch nicht dasDelikt desambitus weiter fassen alsbisher, sondern es sollten offenbar nur die Möglichkeiten der Beweisführung verbessert werden. Daß sich die divisores über denGesetzesantrag so massiv empörten, lag dann wohl auch nicht nur daran, daß sie lieber ohne strafrechtliches Risiko einem dubiosen Gewerbe nachgehen wollten; es warja vielmehr ihre Aufgabe, Spenden aller Art anihre Tribusgenossen zuverteilen, ganz imRahmen desüblichen Euergetismus, der in seiner Sinnhaftigkeit und moralischen Integrität nicht in Frage gestellt wurde. Wenn die divisores
78 Vgl. 79 80
81 82
83
Legislation violating accepted standards GRUEN, Last Generation (s.o.A. 10) 217: “ proves generally unenforceable” . 414. Vgl. zudendivisores etwa NICOLET, Métier (s.o.A. 34) 412– Asc. 75 C. Daß die divisores ihre Protestaktion vielleicht nicht alleine durchführten, sondern Unterstützung vonaußen mobilisieren konnten, vermutet VANDERBROECK, Populan Leadership (s.o.A. 31) 227; vgl. auch FASCIONE, Crimen (s.o.A.7) 67 A.16. Asc. 76 s. C.; Dio36,39,1 (danach hatte derSenat Piso eine Leibwache zuerkannt). Daßdiedivisores vonderlex Calpurnia nicht mitStrafe bedroht wurden, scheint Asc. 74 s. C. (s.u.A. 83) nahezulegen, vgl. B.A.MARSHALL, A Historical Commentary onAsconius, Columbia 1985, 221; 261 (mit weiterer Literatur), derallerdings zuRecht bemerkt, daß sich Asconius auf den ursprünglichen Vorschlag Pisos zu beziehen scheint unddann die Intervention derdivisores schwer verständlich ist; Marshall schlägt als Erklärung vor, die divisores hätten einfach prinzipiell gegen jedes ambitus-Gesetz Stellung bezogen, doch hören wir aber ebenfalls ohne Rückhalt in denQuelnurin diesem einen Fall davon. Überzeugender – len –ist die Vermutung, Piso habe seinen Antrag abgemildert zugunsten der divisores, so vorsichtig NIPPEL, Aufruhr (s.o.A. 31) 63; vgl. auch BAUERLE, Ambitus (s.o.A. 7) 57 f. Cic. ap. Asc. 74 s. C.: Qua re cumhanc populus Romanus videret et cuma tribunis plebis docerentur, nisi poena accessisset in divisores, exstingui ambitum nullo modo posse, legem hanc Corneli flagitabat, illa, quamex S.C.ferebatur repudiabat, ...
Beeinflussung vonEntscheidungen durch “ Bestechung”
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jetzt aber –so mußte sich das Ansinnen darstellen –dafür haftbar gemacht werden sollten, ob dieAbsichten des Spenders lauter oder unlauter waren, dann geriet diese gesamte Organisationsform des Patronagesystems ins Wanken. Ganz blieben die divisores aber allem Anschein nach nicht verschont84: 55jedenfalls scheint es möglich gewesen zu sein, sie im Zusammenhang mit ambitus-Delikten zu verklagen, ohne daß über Art undUmfang der Straftatbestände genaueres auszumachen wäre8
5.
Zur selben Zeit waren auch die sequestres, die Mittelsmänner, die die Bestechungsgelder in Verwahrung hielten, der Strafverfolgung ausgesetzt. Im Jahre 56 wareinsenatus consultum ergangen, mitdemeine Reihe vonrömischen Vereinen verboten werden sollte86, unddieser Senatsbeschluß, derauch die Tätigkeit dersequestres in bestimmtem Zusammenhang für illegal erklärte87, war dann der Kern der 55 vomConsul M.Licinius Crassus durchgebrachten lex Licinia de sodaliciis, Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind einmal mehr nurin Grundzügen zu erfassen, doch istjedenfalls klar, daßes vorallem dasorganisierte Eingreifen derVereine in die Politik, insbesondere auch bei Wahlen, gewesen war, was Anstoß erregt und die Repression hervorgerufen hatte88. Die betreffenden Vereine, die ihre neue Effizienz wesentlich den Aktivitäten des Clodius verdankten, scheinen sowohl als übersichtliche Verzeichnisse von Wählern, deren Stimmen sich ein Kandidat über die Patrone insgesamt und leidlich zähl- und berechenbar sichern konnte89, eine 84 Daß Ser.Sulpicius 63 erneut
einen Angriff auf die divisores plante, wird häufiger vermutet (vgl. etwa GRUEN, Last Generation [s.o.A. 10] 215 A.19; 220; NICOLET, Métier [s.o.A. 34] 410; J.ADAMIETZ, Marcus Tullius Cicero: ProMurena, Texte z. Forsch. 55, Darmstadt 1989, 183), ist allerdings in dereinzigen Quelle nicht klar überliefert, s. Cic. Mur. 47: Poena gravior in plebem tua voce effligata est. Daß es sich nicht umeine Bestrafung der Empfänger der Gelder handelt (so auch GRUEN a.O., anders R.A.BAUMAN, Lawyers in Roman Transitional Politics. A study of the Roman jurists in their political setting in the Late Republic andTriumvirate, Münchener Beitr. z. Papyrusforsch. u. ant. Rechtsgesch. 79, München 1985, 18, der sich allerdings ebd. A.71 Gruen anschließt), geht schon daraus hervor, daßnach Cicero eine härtere Strafe fürdieplebs vorgesehen war, daßaber zuvor die Wähler nie von Strafe bedroht waren. Angesichts der üblichen Techniken der Gerichtsredner und speziell Ciceros ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, daß die plebs von dem Vorschlag überhaupt nurindirekt betroffen war(vgl. auch ADAMIETZ a.O.), indem sie durch Bekämpfung gewisser Praktiken an Beteiligungs- und Verdienstmöglichkeiten einzubüßen drohte, doch könnte für diese Insinuation genauso gut etwa ein Vorgehen gegen das Gefolge der Kandidaten (ähnlich der lex Fabia, s.o.A. 77) den Hintergrund gebildet haben wie eines gegendie divisores. Jedenfalls wurden aber die scharfen Forderungen des Sulpicius in der lex Tullia de ambitu nurteilweise realisiert. Manscheint sich bei denEindämmungsversuchen nach67 inalter Manier primär aufdieBewerber konzentriert zuhaben. 85 Cic. Planc. 55. 86 Cic. Q.fr. 2,3,5. 87 Cic. Cael. 16. Vgl. Planc. 45; 47. 88 Vgl. zurlex Licinia (neben derLiteratur zudenambitus-Gesetzen o.A.7) auch J.LINDERSKI, Ciceros Rede Pro Caelio unddie Ambitus- undVereinsgesetzgebung der ausgehenden Republik, Hermes 89, 1961, 106– 119; C.VENTURINI, L’orazione Pro Cn.Plancio e la lex Licinia 804. desodaliciis, Studi in onore di C.Sanfilippo 5, Milano 1984, 787– 89 S. schon Q.Cic. comm.pet. 19.
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Rolle gespielt zu haben, als auch als Basis für kollektive Aktionen bis hin zur Gewalt90. Daß sich ausgerechnet M.Crassus, der sich ja mitPompeius undCaesar zusammengetan hatte, um die römische Politik in einigen wesentlichen Punkten zu steuern, für ein solches Gesetz gegen die politisch instrumentalisierbaren Vereine undgegen sonstige Praktiken des ambitus gewinnen ließ, ist aus der Perspektive desDreibunds imJahre 55 durchaus folgerichtig. Denn wenn sich Pompeius, Caesar undCrassus aufBewerber einigten unddiese aktiv unterstützten, scheinen sie sich sofern sich nicht dieanderen Magnaten auchweitestgehend durchgesetzt zuhaben – zusammenschlossen undalle Mittel einsetzten, umKonkurrenzkandidaten zurWahl zu verhelfen91. Die Vereine, bei denen der unzuverlässige Clodius so viel Einfluß besaß, und die Geldverteilungen waren zwar natürlich auch Mittel des Dreibunds,
doch konnte mandiese nicht so souverän kontrollieren, daß manvor Überraschungen gefeit gewesen wäre92. Daher verfiel manjetzt auf eine viel schlichtere Methode, die der Gegenseite nicht zur Verfügung stand: Manverschleppte die Wahlen, bis Caesar in großer Menge Soldaten auf Urlaub nach Rom schicken konnte93. Diese Urlauber dürften die Wahlen weniger als Stimmbürger beeinflußt haben94 denn als Stimmungsmacher, wobei ihr geschlossenes Auftreten undihre Erzählungen von dengroßartigen Erfolgen in Gallien zweifellos eindrucksvoll waren95, mehr aber noch ihre Bereitschaft, als einschüchternde undnötigenfalls einsatzwillige Bedeckungsmannschaft dafür zusorgen, daßpotentielle Konkurrenten undihr Anhang gar nicht erst an denWahlcomitien teilnahmen96. Die lex Licinia de sodaliciis zeigt daher an, daßin denletzten Jahren derRepublik diedirekteren undberechenbareren Methoden, das erwünschte Abstimmungsergebnis herbeizuführen, ihren Siegeszug angetreten hatten unddaß bezeichnenderweise der ambitus, der eine Ausweitung traditionellen Patronageverhaltens darstellte, damit nicht konkurrieren konnte, so 90 Vgl. dazu die Literatur o.A.31, außerdem v.a. W.NIPPEL, Dieplebs urbana unddie Rolle der Gewalt in der späten römischen Republik, in: H.Mommsen/W. Schulze (Hgg.), VomElend 88; s. auch der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtforschung, Stuttgart 1981, 81– 71. R.LAURENCE, Rumour andCommunication inRoman Politics, G&R41, 1994, 68– 91 Wie bei der Consulwahl für 59, als sich infolge der coitio von Caesar undLucceius zwei Kandidaten, diedengegen einAnwachsen derMachtfülle desPompeius positionierten Senatoren unangenehm waren, durchzusetzen drohten, dergemeinsame Einsatz dieser Gruppe für Bibulus inklusive großer largitiones aber dazu führte, daß wenigstens Lucceius abgefangen undBibulus gewählt wurde (Suet. Iul. 19,1). 92 Dies scheint mirwichtiger zusein als dasInteresse auchdersog. Triumvirn aneiner Abkehr von der innenpolitischen Gewalt, was P.GRIMAL, La lex Licinia de sodaliciis, in: Ciceroniana. Hommages à K.Kumaniecki, Leiden 1975, 113f. alsMotiv vermutet. 93 Dio 39,31,2; Plut. Crass. 14,7; Pomp. 51,5; vgl. 58,1. 94 Wie VEYNE, Brot u. Spiele (s.o.A. 18) 370 annimmt. 95 Vgl. Cic. Mur. 38. 96 Diese Technik wurde beidenConsulwahlen für55 angewandt, alsPompeius undCrassus die dieanderen Bewerber hatten sich ohnehin schon Konkurrenz desL.Domitius Ahenobarbus – sofürchteten, daßsie ihnundprominente Anhänger (u.a. Cato) mit Gewalt zurückgezogen – 42,1; Crass. 15,6 daran hinderten, den Abstimmungsplatz zu erreichen (Plut. Cat.min. 41,6– f.; comp. Nic. et Crass. 2,2; Pomp. 52,2; Dio 39,31,1; App. b.c. 2,17 [64]).
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daßer als einWeg, derauchanderen Gruppen offenstand, fürdieProtagonisten der Gewalt nurnoch einStörfaktor war. Einen raffinierten Ansatz zurpraktischen Bekämpfung desambitus enthielt eine rogatio des Jahres 61, die offenbar 8 nie verabschiedet wurde97. Der Tribun Lurco9 beantragte einambitus-Gesetz, dessen Neuerung darin bestand, daß derjenige, der dentribus Geld versprach, dann straffrei ausgehen sollte, wenn er das Geld nicht bezahlte, wenn er aber zahlte, sollte er bis an sein Lebensende jeder tribus 3000 Sesterzen (wohl pro Jahr) geben99. Dieser ausgeklügelte Vorschlag, der zu Unrecht als merkwürdig bezeichnet wird100, attackiert denambitus in mehrfacher Hinsicht. Indem einerseits das Geldversprechen ohne spätere Auszahlung dezidiert gestattet wird, wird die Vertrauensbeziehung zwischen denKandidaten unddenVermittlern sowie demWahlvolk erschüttert101, so daßjetzt auch das ‘ehrlichste’Versprechen Mißtrauen hervorrufen unddamit denRuf des Kandidaten belasten mußte. Indem andererseits aber die tatsächliche Auszahlung mit lebenslänglicher Fortführung sanktioniert wurde, wurde bei den tribus ein Interesse erzeugt, die Geldzahlung aufzudecken, was die Aufklärungsmöglichkeiten des Deliktes beträchtlich verbessern mußte. Mit der Strafe wurde schließlich die gängige Verteidigungsstrategie, man habe sich nur konventionell euergetistisch verhalten, aufgegriffen und den Kandidaten die Möglichkeit geboten, ihre Großzügigkeit nunmehr dauerhaft unter Beweis zu stellen; die regelmäßige Zahlung einer festen Summe war als institutionalisierte Wohltat unabhängig vonkonkreten Anlässen wieeigenen Wahlambitionen undwurde damit wieder ins Zentrum desEuergetismus zurückgeführt, dendie Bewerber ja für sich in Anspruch nahmen. Wie in dem Disput zwischen Cato und Cicero beim Prozeß gegen Murena deutlich hervortritt, ist das ambivalente Verhältnis zu denWerbungsmethoden der Kandidaten Ausdruck eines grundsätzlichen Wertekonflikts, der sich in einer Trennung von Theorie undPraxis niederschlägt. Derjüngere Cato, prinzipientreuer Anhänger der stoischen Philosophie, vertrat in seiner Anklagerede die Maxime, es sei nicht zulässig, Menschen durch etwas anderes als durch dignitas –also Würde,
97 So GRUEN, Last Generation (s.o.A. 10) 224; WILL, Mob(s.o.A. 54) 20. 98 Identifiziert als M.Aufidius Lurco, vgl. T.R.S.BROUGHTON, The Magistrates of the Roman Republic, III: Supplement, Atlanta 1986, 29. 99 Cic. Att. 1,16,13: novi est in lege hoc, ut qui nummos in tribu pronuntiarit, si non deberit, impune sit, sin dederit, ut quoad vivat singulis tribubus HS CI CI CI debeat. Für tribubus ist in einigen Hss. tribulibus überliefert, doch ist dies aus sachlichen Gründen heraus abzulehnen, vgl. D.R.SHACKLETON BAILEY, Cicero’s Letters to Atticus I, Cambridge 1965, 324 (insofern hinfällig die auf deranderen Lesart basierenden Überlegungen vonFASCIONE, Crimen[s.o.A. 7] 75 f.). 100 GRUEN, Last Generation (s.o.A. 10) 224: “curious” ; ebenso LINDERSKI, AncW 11, 1985, 93. 101 Daßsich dieser Antrag besonders gegen diedivisores gerichtet haben soll (so GRUEN, Last Generation [s.o.A. 10] 224; CHENOLL, Baetica 3, 1980, 141), sehe ich nicht: Das Mißtrauen wurde eher zwischen denKandidaten aufdereinen unddenVerteilern undBürgern auf der anderen Seite gesät.
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zurVerleihung eines Amtes zubewegen102. Cicero zweifelt in seiRang, Prestige – ner Erwiderung in keiner Weise an, daß es sich hierbei umein an sich untadeliges Ideal handelt103. Doch verweist er darauf, daß dann schon das übliche Bitten des Bewerbers umZustimmung undUnterstützung, dasnatürlich auch Cato praktiziere, ungehörig sei104, d.h. auch ganz traditionelle Formen des Wahlkampfs widersprechen schon derreinen Lehre. Diese Argumentation ist nicht nurprozeßtaktisch motiviert. Mankann in Romnicht allein diedignitas strahlen lassen, schon allein deshalb nicht, weil die Unterschiede nicht eindeutig meßbar sind105, wie die offenbar gängige Strategie von Anklage und Verteidigung bei den ambitus-Prozessen illustriert: Die Anklage bemüht sich umdenNachweis, daß der Angeklagte bezüglich der dignitas hinter seinen unterlegenen Konkurrenten zurücksteht, so daß seine Wahlnurdurch Geldeinsatz zuerklären sei, unddieVerteidigung hält dagegen, daß der Angeklagte vielmehr andignitas mindestens gleichwertig gewesen sei, so daß er ambitus gar nicht nötig gehabt habe106. Man sieht also: Im Normalfall ließ dignitas Interpretationsspielraum, den die Kandidaten durch materielle Aufwendungen zuihren Gunsten zureduzieren suchten. Die im Ganzen weitgehend wirkungslose Gesetzgebung gegen ambitus erklärt sich aber nicht nurausdemMißbehagen heraus, daßdiedurch Geld, Begleiterscharen, nomenclatores u.ä. mögliche Vorspiegelung vonBedeutung die aus der Sicht der Führungsschicht tatsächlich vorhandene Bedeutung in den Hintergrund zu drängen drohte107, sondern mehr noch ausdenNebenwirkungen des tendenziell in102 Cic. Mur. 76 (s.u.A. 104); vgl. 74. 103 Cic. Mur. 77 f.; vgl. 60. 104 Cic. Mur. 76: Namquod ais nulla re adlici hominum mentis oportere ad magistratum mandandum nisi dignitate, hoc tu ipse in quo summa est dignitas non servas. Cur enim quemquam utstudeat tibi, ut te adiuvet rogas? Wie ernst es Cato war, zeigt der Senatsbeschluß,
dener bei seiner eigenen Bewerbung umdasConsulat 52 veranlaßte undderuntersagte, daß für einen Bewerber seine Freunde beim Volk baten undStimmung machten: Es sollte nur nochjeder fürsich seinen Wahlkampf führen; es ist nicht verwunderlich, daßCato nicht gewählt wurde (Plut. Cat.min. 49,5 f.). 105 Vgl. Cic. Planc. 7: namquod ad populum pertinet, semper dignitatis iniquus iudex est qui autinvidet autfavet. S. auchMur. 18. 30). Cicero bezeichnet diesen Teil der Aus67 (s. auch 18– 53; Planc. 58– 106 Vgl. Cic. Mur. 15– einandersetzung dezidiert alscontentio dignitatis (Mur. 14; vgl. auchPlanc. 5 f.). Diese war fester Bestandteil eines ambitus-Prozesses, vgl. denKommentar vonADAMIETZ, Pro Murena (s.o.A. 84) 110 f.; DERS., Ciceros Verfahren in den Ambitus-Prozessen gegen Murena und 113. Plancius, Gymnasium 93, 1986, 108– 107 Vgl. die gelegentlich in denQuellen auftauchende Feststellung, dignitas bzw. virtus werde durch Geldeinsatz aufgewogen, Q.Cic. comm.pet. 55; Cic. Att. 4,15,7; off. 2,22. S. auch BAUERLE, Ambitus (s.o.A. 7) 253: “part of the annoyance factor in ambitus was the idea that menof lesser status could acquire trappings of thearistocracy quickly, effectively, andoften . Eine Ironisierung dieses offenbar gängigen Arguments findet sich in bythe use of money” derperfiden Umkehrung bei Sall. ep. 2,8,2, woderVorschlag desC.Gracchus, dieReihenfolge der Centur ien bei denWahlen nachLosentscheid aufzurufen, sokommentiert wird: ita coaequantur dignitate pecuniae ... (bezeichnenderweise wirddiewohl gleichartige Anregung des Ser.Sulpicius Rufus bei Cic. Mur. 47 genau gegenteilig bewertet: ... aequationem ... dignitatis ...).
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flationären ambitus: Die Kandidaten pflegten sich für den Wahlkampf zu verschulden, undje mehr sie sich verschuldeten, desto weniger konnten sie es sich leisten zu unterliegen108. Indem Caesar sich amMorgen derWahlcomitien zur Besetzung des Oberpontifikats, umdas er sich mit allen Mitteln bemüht hatte, von seiner Mutter mit denWorten verabschiedete, er werde entweder alspontifex maximus oder gar nicht zurückkehren109, kalkulierte er wohl durchaus realistisch, daß im Falle einer Niederlage sein Kredit zusammenbrechen würde, so daßer allein schon aus Scham
Romwürde verlassen müssen110. AlsCatilina zumzweiten Malbei denConsulwahlen durchgefallen war, warsein Vermögen so zerrüttet, daßer nichts mehr zu verlieren hatte111. Und die äußerst kostenintensiven Spiele des Consulatsbewerbers Milo machten seinem Gönner Cicero nicht aus moralischen Erwägungen heraus Kopfzerbrechen, sondern wegen des existenzgefährdenden Geldeinsatzes112. Tatsächlich wurde Milo vonseinem Intimfeind Clodius mit demVorwurf konfrontiert, er sei völlig überschuldet, weshalb manihmden Staat nicht anvertrauen dürfe113, und selbst wenn dies Teil des tagespolitischen Kleinkriegs war, zeigt doch die Art
derArgumentation, daßes massive Ängste gabvorBankrotteuren inFührungsstellungen, diezur Sanierung ihrer maroden Finanzen vor nichts zurückschrecken würden114. Der Geldeinsatz im Wahlkampf war daher potentiell statusgefährdend und wirkte entsolidarisierend in derFührungsschicht. VEYNE, Brot u. Spiele (s.o.A. 18) 369 zieht den Schluß, daß die ambitus-Gesetze den Kandidaten angenehm waren, doch würde dies voraussetzen, daß die Vorschriften eingehalten wurden, worauf nichts hindeutet. Die Aufwendungen für denWahlkampf scheinen nicht absondern eher zugenommen zu haben, so daßdie verschiedenen Gesetze die Bewerber nicht entlasteten, wohl aber auf einigen Sektoren das Anklagerisiko erhöhten. Bezeichnend ist auch, daßdieTribunatsbewerber von54, die sich zurVermeidung vonambitus zurHinterlegung von 500.000 Sesterzen verpflichtet hatten (s. dazu o.A.33), dennoch doppelte Befürchtungen hegten, einerseits nämlich daßihnen bei eigenen Werbungsversuchen die Gesetzesübertretung nachgewiesen werden könnte, sodaßsiedieGarantiesumme verloren hätten, und andererseits daßeiner derKonkurrenten sich doch durch Anwendung verbotener Methoden einen Vorteil verschaffen könnte (Plut. Cat.min. 44,7). 109 Suet. Iul. 13; Plut. Caes. 7,3. 110 Zumwahrscheinlichen Zusammenbruch des Kredits als Folge einer Niederlage BAUERLE, Ambitus (s.o.A. 7) 264. Ihre weiterführende Theorie, Caesars Finanzen seien dadurch besonders strapaziert worden, daßer 63 zwei Wahlkämpfe zuführen hatte, denumdasOberpontifikat unddenumdiePraetur, ist allerdings nicht überzeugend, denn diepopularitätssteigernden Investitionen dürften ihm für beide Ämter gleichzeitig geholfen haben; allerdings beschon wegen stand wohldiereale Gefahr, daßihneine Niederlage beidenPriestercomitien – auch diePraetur kosten könnte: Es stand tatsächlich alles derStigmatisierung als Verlierer – Zinssteigerung als Folge des ambitus vermerkt Cic. Att. 4,15,7 (für 54). auf demSpiel. – 111 Vgl. W.KROLL, Die Kultur derciceronischen Zeit I, Leipzig 1933, 50.
108
112 Cic. Q.fr. 3,7,2; vgl. 3,6,6; Mil. 95. 113 Schol.Bob. p.169 St. (aus dem Vorspann zur sog. interrogatio de aere alieno Milonis):Cum igitur obnixe contenderit Clodius non oportere qui magno aere alieno defaeneratus praedae videretur habiturus esse remp., ... 114 Vgl. CHR.MEIER, Res publica amissa (s.o.A. 18) 194: “Denn wasmanfür ein Amtanlegte, mußte es mindestens wieder einbringen.”BAUERLE, Ambitus (s.o.A. 7) 278 glaubt, das Problem mitverschuldeten Magistraten sei ihre Abhängigkeit vondenGläubigern gewesen, deren Politik sie auch gegen eigene Überzeugungen hätten machen müssen. Dies scheint mir
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Beim Wahlkampf wurden also riesige Summen eingesetzt, was für die Führungsschicht zweifellos fatale Nebenwirkungen nach sich zog. Aus der Perspektive derWähler liegt derAkzent allerdings weniger aufder materiellen Bereicherung als auf der Bereitstellung eines Entscheidungskriteriums. Dies gilt auch dann, wenn manYakobsons Überlegungen folgt, daß die Wahlen in den Centuriatcomitien im Normalfall hinreichend umstritten waren, umnicht spätestens nach der Stimmabgabe der 2. Klasse entschieden zu sein115. Angesichts der großen Zahl der Bewerber, der starken Agitation und des immensen Geldeinsatzes ist das möglich, und selbstverständlich wird mandavon ausgehen können, daßfür die in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Stimmbürger dasZubrot eines Bestechungsgeldes ökonomisch wichtiger warals für Vermögende. Doch ist dasnicht derPunkt. Da nach allem, waswir wissen, die Auszahlung der Gelder über die tribus organisiert wurde, war ohnehin nicht garantiert, daß nur die, die dem freigebigen Kandidaten tatsächlich ihre Stimme gaben, mit der ausgesetzten Prämie bedacht wurden. Manmußsich nureinmal konkret vorstellen, wie die divisores der tribus, denen die Verteilung oblag, dies praktisch umsetzen sollten. Schon allein dasFaktum, daß ab der 2. Klasse –falls überhaupt noch tribus und Centurien gekoppelt jedenfalls mehrere tribus eine Centurie bildeten, machte die Lage von waren116 – der Warte der tribus aus unübersichtlich. Wenn vor den Comitien gezahlt wurde, konnte niemand wissen, ob Männer kassierten, die entweder nicht mehr zur Abstimmung aufgerufen wurden, weil die Entscheidung schon vorher gefallen war, oder die amWahltag gar nicht erschienen oder die sich durch eine weitere Zuwendung der Konkurrenz noch umstimmen ließen. Wenn erst nach demSieg bei den Wahlen ausgezahlt wurde, konnten immer noch Leute kassieren, die nurdenAuszahlungs-, aber nicht denWahltermin wahrnahmen oder die unter demDeckmantel der geheimen Abstimmung anders gestimmt hatten. Und sollte man wirklich annehmen, daß in diesem Kontext der divisor diejenigen seiner Tribusgenossen, die wahlwillig gewesen waren, aber aufgrund dervorzeitigen Entscheidung nicht mehr zur Stimmabgabe gekommen waren, leer ausgehen ließ? Jedenfalls ist klar, daß es in derPraxis keinen Weggab, die Gelder so effizient einzusetzen, daß ein Kandidat nur die Wähler bezahlte, die tatsächlich für ihn stimmten117. Es entstand keine jedoch die falsche Akzentsetzung zu sein, Gefälligkeiten für Leute, denen der Magistrat – verpflichtet war, gehörten zur normalen Praxis; wasdagegen bedrohwarum auch immer – lich warbei besonders starker Verschuldung, warderZwang, im Amtumjeden Preis Geld machen zumüssen (s. nuro.A.113). 48. 115 YAKOBSON, JRS 82, 1992, 44– 116 Bezweifelt von L.J.GRIEVE, The Reform of the comitia centuriata, Historia 34, 1985, 278–
309. 117 Die mit der lex Licinia de sodaliciis 55 verfolgte decuriatio tribulium unddiscriptio populi (Cic. Planc. 45; 47) dürfte derVersuch gewesen sein, über genauere Buchführung dieEffizi-
enz der Bestechungsgelder schon allein dadurch zu erhöhen, daß es besser kontrollierbar wereigentlich Geld erhielt, doch ließen sich die Beeinträchtigungsfaktoren damit nicht völlig ausschalten. B.KÜHNERT, Dieplebs urbana derspäten römischen Republik. Ihre
wurde,
Bestechung” Beeinflussung vonEntscheidungen durch “
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Dienstleistung gegen Geld” und das war wohl auch gar nicht Marktbeziehung “ 118, angestrebt: Die direkte Wahlbestechung behielt ihren euergetistischen Charakter. So ist es nicht erstaunlich, daßmannie aufdie Idee kam, diejenigen, die dasGeld annahmen, also die Wähler, mit Strafen zu bedrohen119; durch die ambitus-Gesetze sollten die Bewerber, die das Geld ausschütteten, bestraft werden, aber nicht die Empfänger120. Daß man zudem in den Gesetzescomitien nie darauf verfiel, den
Bürgern für die Stimmabgabe
im gewünschten
Sinne Geld anzubieten121, hängt
wohl weniger damit zusammen, daß sich die Bürger bei den Sachentscheidungen klare Ansichten unddamit starke Präferenzen gebildet hätten, als mit der Tatsache, daß das Volk ohnehin fast immer zustimmte122. Es wardaher nicht nötig, Stimmen zu kaufen, sondern die Opposition einzuschüchtern, umüberhaupt zur Abstimmung gelangen zu
können123.
Eine andere Sache waren die Richterbestechungen, wie schon daraus hervorgeht, daß sich bei Beeinflussung eines Prozesses durch Geld nicht nurder eigentli. sondern auch der Verteiler 2 machten1 che Bestecher, 4 undderBestochene strafbar ökonomische Situation und soziale Struktur, Abh. d. Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Philol.-hist. Kl., 73/3, Berlin 1991, 39 zieht sogar in Erwägung, daß die Gelder innerhalb der tribus ungleich verteilt wurden, daßsie in erster Linie an die Drahtzieher gingen, doch gibt es dafür keine Belege. Die Vermutung trägt sich nuraus der Voraussetzung heraus, daß es umregelrechte Bestechung ging, umdenKauf einer Stimme bzw. eines Stimmenpools, bei demdie Stimme gegen Honorar imSinne desKäufers abgegeben wurde; beeinflußten dagegendie Geldzahlungen die Wähler eher als Äußerung desEuergetismus, so gibt es keinen Bedarf fürabgestufte Beträge unter denTribulen. Thevote itself wasa 118 Irreführend ist daher dieBemerkung vonBRUNT, Fall (s.o.A. 27) 127: “ marketable commodity in times of electoral corruption”(zustimmend aber YAKOBSON, JRS
82, 1992, 48). 119 Es gaboffenbar nicht einmal moralische Abwertung der‘bestochenen’Wähler, vgl. NOONAN, Bribes (s.o.A. 35) 41. 120 Betont auchv.a. vonVEYNE, Brot u. Spiele (s.o.A. 18), bes. 369. 121 Daß Plut. Caes. 28,4 die Zustände der 50er Jahre des 1.Jh.s so beschreibt, daß die Kandidaten Tische aufdemForum aufstellten unddasVolk bestachen unddaßdann dieBestochenen für denBestecher nicht mitStimmtäfelchen, sondern mitPfeil undBogen kämpften, basiert auf Mißverständlich ist einer Vermischung der Verhältnisse bei Wahlen undGesetzesanträgen. – dieBehauptung vonI.SHATZMAN, Senatorial Wealth andRoman Politics, Coll. Latomus 142, dissipated his money to ensure the Brüssel 1975, 88 (vgl. 271), M.Livius Drusus (tr.pl. 91) “ passing of hisbills” . DieQuellen ergeben nur, daßDrusus sehr reich warundsehr großzügig mitseinem Reichtum umging (Diofr. 96,2), daßer seine Aedilität mitgroßem Aufwand ausgestaltete unddaßer geäußert haben soll, nunhabe er nichts zurlargitio mehr übrig gelassen, es sei denn, manwolle Schmutz oder denHimmel (caenum ... aut caelum) verteilen (Flor. 2,5,6; vir.ill. 66,5). Gerade dasangebliche Diktum, auf das Shatzman verweist, zeigt aber, daß es um Gefälligkeitsgesetze ging (wahrscheinlich speziell um Landverteilungen) undnicht etwa umdenEinsatz des Privatvermögens zumKauf von Stimmen in Gesetzescomitien.
122 Vgl. dazuu.denBeitrag vonE.FLAIG.
58. 123 Vgl. etwa NIPPEL, Aufruhr (s.o.A. 31) 55– 124 Ob die von C.Gracchus installierte Klagemöglichkeit ne quis iudicio circumveniatur (Cic. Cluent. 151) schon denFall einschloß, daßsich Geschworene bestechen ließen, ist nicht ganz 126 geht allerdings davon aus), doch klar (D.STOCKTON, The Gracchi, Oxford 1979, 122– brachte jedenfalls Livius Drusus 91 einen entsprechenden Vorschlag ein, undspätestens seit
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MARTIN JEHNE
Nachallem, waswirwissen, hatmanwährend derRepublik auch niediemateriellen Zuwendungen an die Richter in die ambitus-Gesetze einbezogen125. Bei den Quaestionenprozessen hatte manes mit einer überschaubaren Zahl von 50 oder 75 Geschworenen zutun126, deren Mehrheit entschied, unddiese Mehrheit konnte man durchaus kaufen. Daß es sich hier umregelrechte Bestechung handelte und nicht etwa umÄußerungen desEuergetismus, geht daraus hervor, daßmanGeschworene individuell bestach unddas in der Zahl, die manfür die erwünschte Mehrheit benötigte127. Es gab also keine kollektiven Geldausschüttungen. Der Bestechungscharakter offenbart sich darüber hinaus darin, daßmandenvermögenden Herrschaften ökonomisch interessante Beträge anbieten mußte undnicht mit Trinkgeldern davonkam128. Vom Charakter der Entscheidung her unterschieden sich die Prozesse erheblich von denWahlen oder Gesetzesabstimmungen: Die Gerichtsentscheidung wareinerseits in extremem Maße eine Personalentscheidung, davor denQuaestionen vor allem Angehörige der politischen Führungsschicht verklagt wurden, denen bei einer Verurteilung normalerweise das Exil und damit das Ende der Karriere drohte; andererseits ging es hier nicht nur umdas Wägen von Personen undPerSulla war Bestechlichkeit von Geschworenen ein Delikt, wie der Prozeß von 73 gegen Falcula belegt, einen derGeschworenen beimskandalösen iudicium Iunianum (vgl. dazu ALEXANDER, Trials [s.o.A. 57] 84 f. mit denBelegen). Vgl. zu der im einzelnen umstrittenen Entwicklung der Gesetzgebung in diesem Bereich U.EWINS, Ne quis iudicio 107; L. FASCIONE, Aliquem iudicio circumvenire e ob iudicircumveniatur, JRS 50, 1960, 94– candum pecuniam accipere (da Caio Graccho a Giulio Cesare), Archivio Giuridico 189, 52; J.-M. DAVID, Le patronat judiciaire audernier siècle de la République romaine, 1975, 29– 252. BÉFAR 277, Rom 1992, 247– 125 In derKaiserzeit könnte sich dasgeändert haben, dennes wurde jedenfalls derZugang einer Prozeßpartei zumRichter als ambitus geahndet (dig. 48,14,4). 126 In derZeit nach C.Gracchus unddann wieder seit derlexAurelia von70 scheinen 50 bzw. 51 Geschworene üblich gewesen zu sein, bei Repetunden- undmaiestas-Prozessen in der ciceronischen Zeit waren es 75, vgl. dieÜbersicht mitBelegen bei W.KUNKEL, RE 24, 1963, s.v. quaestio, Sp.750 f.; 755. In demJahrzehnt, als nach Sullas Eingriff die Senatoren die Lasten derGeschworenenverpflichtungen wieder allein zutragen hatten, wardieZahl offenbar 753. noch geringer, vgl. KUNKEL a.O. 751– 127 Ein Beispiel bietet der Oppianicus-Prozeß, das bekannte iudicium lunianum des Jahres 74 (vgl. ALEXANDER, Trials [s.o.A. 57] 75 f.). Es gab damals 32 Geschworene (Cic. Cluent. 74), einer vonihnen, C.Staienus, sollte dieBestechung übernehmen underhielt dazu640.000 Sesterzen (ebd. 69), davon sollte erje 40.000 an 16 Geschworene auszahlen, so daßdiese 16 zusammen mit seiner Stimme denProzeß entschieden hätten (ebd. 74). Dies warwohl das übliche Verfahren bei Richterbestechungen (in diesem Fall scheiterte die Aktion allerdings, da Staienus sich durch das höhere Gebot desAnklägers auf Gegenkurs bringen ließ [Cic. Verr. 1,39]). 128 Vgl. etwa die 40.000 Sesterzen im Oppianicus-Prozeß (s.o.A. 127). Beim Prozeß gegen Clodius als Folge desBona-Dea-Skandals soll es sogar umnoch erheblich größere Summen gegangen sein, doch hatT.LOPOSZKO, Die Bestechung derRichter imProzeß vonKlodius im Jahre 61 v.u.Z., Athenaeum 66, 1978, 293– 296 überzeugend argumentiert, daß Ciceros polemische Bemerkung, eine Rückgabe des Bestechungsgeldes würde die damaligen Geschworenen denRichterstatus kosten (Schol.Bob. 91 St.), nicht mitdenScholia Bobiensia (ebd.; 400.000 Sesterzen ervgl. auch 86 St.) so gedeutet werden muß, daßjeder Bestochene 300.– halten hatte: DerBetrag dürfte groß gewesen sein, sich aber nicht in dieser Dimension bewegt haben.
C.Fidiculanius
Beeinflussung
vonEntscheidungen
durch “ Bestechung”
75
sönlichkeiten nach den von den Wahlen bekannten Kriterien, sondern wesentlich auch umeine Sachentscheidung, nämlich umdieFrage, ob derAngeklagte nunim Sinne der Anklage schuldig waroder nicht. Da es kein Ethos gab, die Einhaltung der Gesetze ohne Rücksicht auf die beteiligten Personen zu sichern129, mußte es häufig zumKonflikt zwischen denKriterien kommen. Daß Pompeius 52 bei seinen Sondergerichten die laudationes, die Lobreden auf die öffentliche undprivate Stellung und den Charakter des Angeklagten, kurzerhand untersagte130, war vielleicht auch dadurch motiviert, daß er das Verfahren beschleunigen wollte131, aber dieser Eingriff in die übliche Prozeßstruktur markiert jedenfalls eine deutliche Verlagerung der erwünschten Entscheidungskriterien weg vom persönlichen Bereich hin zur sei133, Beurteilung der Für die Frage, welche Bedeutung demVolk denn in der Politik der römischen Republik zuzumessen ist, ergeben sich ausderAnalyse derRolle desambitus Konsequenzen. Wenn das Wahlvolk, wie die Bestechungen anzeigen, wenigstens seit dem2. Jh. nicht in solchem Umfang durch Bindungen festgelegt war, daß der Wahlausgang weitgehend feststand, dannbesaßen dieWähler offenbar Freiheit, sich zwischen Kandidaten zu entscheiden. Doch könnte diese Freiheit nur dann ein geschätztes Gut gewesen sein, wenn es andere Entscheidungskriterien gegeben hätte, die sich mit denBindungen regelmäßig imKonflikt befunden hätten. Doch gibt es dafür keine Anzeichen. Daher geht auch Millars Hinweis, es gebe keine Quelle, die belege, daßein Client zur Stimmabgabe im Sinne desPatrons verpflichtet gewesen ins Leere, da einem Clienten in Ermangelung konkurrierender Präferenzen die Empfehlung desPatrons eine willkommene Hilfe undkeine Belastung gewesen sein dürfte134. Die Wahlen als die bedeutsamsten regelmäßigen Entscheidungen des Volkes unterlagen jedenfalls im Normalfall keiner Politisierung135, und dies muß
Sache132.
129 Wohl aber die Erwartung, daßsich Richter nicht bestechen lassen, vgl. etwa Cic. Verr. II 2, 78. 130 Dio 40,52,2 (weitere Quellen u.A.132). 131 So LINTOTT, JRS 80, 1990, 9 f. 132 Daß dies aber im personalisierten Beziehungsgeflecht nicht durchzuhalten war, demonstrierte Pompeius höchstpersönlich, als er Anfang 51 fürT.Munatius Plancus Bursa eine laudatio abgeben wollte; Cato, dereiner derGeschworenen war, stoppte dies undersparte Pompeius auch nicht die Peinlichkeit, daß zur Begründung der Ablehnung seiner laudatio aus seinem eigenen Gesetz vorgelesen wurde (Val.Max. 6,2,5; Plut. Cat.min. 48,8; Pomp. 55,8 f.; Dio40,55,1 f.; Tac. ann. 3,28,1; eine ironische Anspielung auf diese Episode dürfte die Bezeichnung des Pompeius als Rechtsexperten in Cic. Mil. 70 sein [so überzeugend or theLack of it: Cic. Mil. 70 andthe Date of Pro D.H.BERRY, Pompey’s Legal Knowledge – 504]). Milone, Historia 42, 1993, 502– 133 MILLAR, JRS 74, 1984, 14. 134 Der modernistische Denkfehler auch noch bei LINTOTT, JRS 80, 1990, 14: “ The ordinary voters would have been happy to have both the money [sc. als Folge der Bestechung] and the freedom of choice the constitution permitted them” . In Rom machte solche Freiheit die Wähler nicht glücklich, sondern konfus. 135 Eine Ausnahme bildet das Verhalten bei den Augurwahlen 50, das Caelius so beschreibt (fam. 8,14,1): magna illa comitia fuerunt etplane studia expartium sensu apparuerunt; per-
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MARTIN JEHNE
wesentlich an den Wählern gelegen haben. Man kann davon ausgehen, daß die Kandidaten sicher nicht davor zurückgeschreckt wären, auch ohne ernsthafte Umsetzungsabsichten konkrete Pläne für den Fall ihrer Wahl zu verkünden, wenn sie ihre Wahlchancen auf diesem Wege hätten verbessern können. Statt dessen beschränkten sie sich darauf, demWahlvolk eine gewisse Ehrerbietung zu erweisen undsich selbst als bedeutend undim öffentlichen Leben engagiert zu präsentieren, und alle drei Anliegen ließen sich durch materielle Aufwendungen bis zur Geldprämie fördern. Wennaber speziellere Interessen vonWählergruppen gar nicht Gegenstand des Wahlkampfes wurden, blieb die Beziehung zwischen den aus der Führungsschicht stammenden Kandidaten unddemVolk im wesentlichen auf die symbolische Dimension konzentriert. Die für dieHierarchie innerhalb der Oligarchie zentralen Personalentscheidungen waren systemgerecht nach außen verlagert, die Auswahl traf das wohlgegliederte Volk. Die Bewerber mußten daher die Öffentlichkeit suchen, doch zeigt dasVerhalten derKandidaten, worum es dabei ging: Manstellte Volksfreundlichkeit durch joviale Kommunikation undEuergetismus unter Beweis. Der römische Wahlkampf war ein Ritual ostentativer Fürsorglichkeit und somit die adäquate Ausprägung des Patronagesystems: Der Patron zeigt Hinwendung zum Volk undnimmt die Wahl als angemessene Huldigung entgegen. Als aber wenigstens seit dem2. Jh. die eindeutigen Bindungen zurückgingen und so immer mehr Stimmbürger in der unangenehmen Lage waren, sich ohne gesellschaftlich vermittelte persönliche Präferenz zwischen recht gleichförmigen Kandidaten entscheiden zu müssen, wandelten sich die Strukturen des Wahlkampfes nicht grundlegend in der Weise, daß nunInhalte auf die Tagesordnung gesetzt worden wären und das Wahlvolk richtungsweisenden Einfluß erlangt hätte, sondern die alte Form wurde nurgedehnt, indem sich derkonventionelle Wettbewerb derPatrone verstärkte: Die Kandidaten intensivierten die Kommunikation unddenEuergetismus. Daß die zunehmenden Zahlungen an die Stimmkörperschaften unddie Wähler stets Teil des Euergetismus blieben, geht daraus hervor, daß man trotz der statusgefährdenden Dimension, die der finanzielle Aufwand für die politische Karriere erreichte, nicht versuchte, die Kosten durch die Ankündigung vonGefälligkeitsgesetzen von vornherein auf die Staatskasse abzuwälzen: Als Kandidat mußte manoffenbar demonstrieren, daß man ein fürsorglicher und einsatzbereiter Patron war, und dieser Nachweis verlangte die großzügige Öffnung der Privatschatulle. Die römischen Wahlen blieben also stets eine Spielart desPatronagesystems, dieBeziehungen zwischen Bewerbern undWählern ein Ritual innerhalb konventionalisierter Umgangsformen.
pauci necessitudinem secuti officium praestiterunt. Vgl. CHR.MEIER, Res publica amissa (s.o.A. 18) 12 f.
EGON FLAIG ENTSCHEIDUNG UNDKONSENS.
ZU DENFELDERN DER POLITISCHEN KOMMUNIKATION ZWISCHEN ARISTOKRATIE UNDPLEBS*
Der Charakter des politischen Systems der Römischen Republik steht wieder zur Erörterung. Fast einhellig teilt die althistorische Forschung die Meinung, das römische Volk habe an der Politik dadurch partizipiert, daß es mittels institutionalisierter Verfahren amProzeß der Willensbildung teilhaben konnte. Die Comitien, also dieabstimmende Volksversammlung, seien diejenige Institution gewesen, in derdas Volk seinen politischen Willen ausdrückte. Das Volk habe in den Volksversammlungen Entscheidungen getroffen, und die Volksversammlung sei ein Entscheidungsorgan gewesen. Jochen Bleicken nennt die Comitien demgemäß “ dasinstitutionalisierte Volk” 1. Das nimmt auch die traditionelle Forschungsmeinung an, für welche die römische Republik keinerlei “ demokratische Züge”aufweist2. Die Prämissen dieses fast einhelligen Konsens sindzuüberprüfen. Wenn mandieComitien füreinEntscheidungsorgan hält, dann tut mandasaus drei Gründen: Weil sie dieMagistrate wählten, weil sie verbindliche Beschlüsse faßten und Gesetze verabschiedeten, schließlich weil sie Urteile in bestimmten Prozessen fällten. Der letzte Punkt spielt in denaktuellen Diskussionen eine untergeordnete Rolle; ichbehandle ihndarum hier nicht3.
1. EinEntscheidungsorgan?
Wahlen undVolksbeschlüsse
Der vorherrschenden Meinung in der Forschung zufolge war die Volksversammlung nur darum wichtig, weil in ihr die maßgeblichen Personalentscheidungen fielen: Wendie Volksversammlung in einmagistratisches Amtwählte, dergelangte lebenslänglich in den Senat undgehörte damit zur politischen Elite, d.h. zur senatorischen Aristokratie. Die Comitien entschieden zumersten darüber, welche jungen Männer aus den vornehmen oder aus “ neuen”Familien in den Senat gelangten, zumzweiten darüber, welche Senatoren in eine höhere Rangklasse aufstiegen (d.h. welche Senatoren aus ehemaligen Quästoren zu Aedilen, aus ehemaligen Praetoren zu Consuln
*
1 2
3
Anregungen undgründliche Kritik danke ich Wilfried Nippel (Berlin) und Jochen Martin (Freiburg). J.BLEICKEN, Lex Publica. Recht undGesetz in der Römischen Republik, Berlin/New York 1975, 285. Demokratische Züge”sehen vor allem: F. MILLAR, A.LINTOTT, J. NORTH. “ 151 B.C., JRS 74, F.MILLAR, The Political Character of the Classical Roman Republic, 200– 1984, 8 f.
Für vielseitige
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EGON FLAIG
wurden)4. Indem dieWahlen über dieKarrieren derMitglieder derAristokratie entschieden, entschieden sie über deren Chancen, inMachtpositionen zugelangen und damit Einfluß undReichtum zugewinnen, Kriege zu führen undTriumphe zu feiern. Die Comitien trafen demnach sehr wichtige Entscheidungen. Aber fürwenwaren dasEntscheidungen? Wenn dieWahlen für das abstimmende Volk selber Entscheidungen gewesen wären, dann hätte es sich regelmäßig engagiert. Doch das ge-
schah
inderRegel nicht.
also die nichtaristokraGanz selten trat der Fall ein, daß das Wahlvolk selber – sich vehement engagierte, umbestimmten Personen zumSieg tischen Schichten – zu verhelfen. Dies scheint nur passiert zu sein, wenn nach militärischen FehlschlägendasVolk, vor allem die oberen Zensusklassen, einen erwiesenermaßen oder erso 148 v.Chr. (Scipio hofftermaßen fähigen Feldherrn zumConsul haben wollten – Aemilianus) und108v.Chr. (Marius)5. Paul Veyne hat betont, daß dasgeringe Interesse des römischen Volkes an den Wahlen ab einem bestimmten Augenblick (geheime Abstimmung) automatisch die sogenannten ‘Wahlbestechungen’ nach sich zog. Damit meint manjene mißbilligte aber nicht abzustellende Praxis, Geschenke zumachen andiefürdiejeweilige Wahl ausschlaggebenden Wählergruppen oder ihr im Falle des Wahlsieges eine vorher angekündigte Geldsumme auszubezahlen. Veyne hat darauf hingewiesen, daß diese Geldsummen vor allem andieoberen Zensusklassen gingen; undzwar deshalb, weil deren Stimmen bei denWahlen zumConsul undzumPraetor denAuschlag gaben. Diese reichen Wähler –so sagt Veyne –ließen sich nicht ‘kaufen’; der Terminus ‘Kauf’ sei dem Vorgang völlig unangemessen. Aber indem diese reichen Wähler
4
5
Die Centuriatcomitien wählten die höheren Magistrate. Seit derReformierung derCenturienordnung zwischen 241 und218 (dazu: E.MEYER, Römischer Staat undStaatsgedanke, Stutt93) fielen von 193 Centur gart 21961, 88– ien auf die Ritter undauf die erste Klasse 88. Die Stimmen der einzelnen Bürger waren also in extremer Weise ungleich. Dennoch spricht apparently democratic elections” MILLAR, JRS 74, 1984, 11von “ . Anscheinend ist politische Gleichheit für Millar kein unabdingbares Kriterium für Demokratie. Welche Kriterien für
Demokratie gibt esdannüberhaupt?
App. Lib. 112; Sall. Iug. 73. R.RILINGER, Der Einfluß des Wahlleiters bei den römischen
Consulwahlen von366 bis 50 v.Chr., München 1976, 81 f.; R. DEVELIN, Scipio Aemilianus 488; N.ROSENSTEIN, Comand the Consular Elections of 148 B.C., Latomus 37, 1978, 484– petition and Crisis in Mid-Republican Rome, Phoenix 47, 1993, 313– 338. A.YAKOBSON, Petitio et largitio: Popular Participation in the Centuriate Assembly of the Late Republic, JRS 52 betont zwar: “ 82, 1992. 32– Theelectoral power of theurban plebs must have beenconsid(S.32). Er weist zuRecht darauf hin, daßbei knappen erably greater than is often supposed” Abständen zwischen denStimmen für die einzelnen Kandidaten auch die unteren Zensusklassen abstimmten. Dementsprechend interpretiert er Cic. Mur. 38 f.; 70 f. u. 72 f. dahingehend, daß hier die Bedeutung derplebs urbana als Wahlvolk zumAusdruck komme: “ The Aufdereiunderlying assumption behind all this is that thevotes ofthetenuiores mattered.” nen Seite scheint seine Grundannahme zuzutreffen; sie läuft freilich darauf hinaus, daß die Wahlen für die Aristokratie wichtig waren, nicht notwendigerweise für das Volk. Auf der anderen Seite geben die zitierten Stellen nicht dasher, waser ausihnen herausliest; denn Cic. Mur. 70 nennt als hauptsächliche Leistung derhomines tenues die Begleitung des Kandidaten, nicht die Stimmabgabe.
Entscheidung undKonsens
79
solche ‘Geschenke’ annahmen, bildeten sie Präferenzen für bestimmte Personen, Präferenzen, die sie ansonsten nicht gehabt hätten6. Anders gesagt, unddarauf hat Martin Jehne hingewiesen: Da manin Romnicht Parteien wählte undda politische Programme nicht existierten, hatten die Wähler keine besonderen Vorlieben; sie wählten Personen, keine bestimmte Politik. Damit die Wähler Vorlieben für bestimmte Kandidaten gewannen, mußten diese Kandidaten sich als Personen beliebt machen. Diegeheime Abstimmung bei denWahlen seit 139 v.Chr. gehört in diesen
die Wähler, welche in einer Vielzahl sich überkreuzender Verpflichtungsverhältnisse gegenüber unterschiedlichsten ‘Patronen’ standen, von entgegengesetzten Anforderungen an ihr Verhalten bei der Stimmab-
Zusammenhang; denn sie befreite
gabe7.
Es ist von daher verständlich, daß die Wahlen für die Aristokratie das wichtigste politische Thema darstellten. FürdiePlebs waren sie nurinsofern interessant, als sie für die Aristokraten wichtig waren. Die Wähler legten oft weite Strecken zurück, umin Rom anwesend zu sein; aber sie taten dies bestimmten Kandidaten zu Gefallen. Gefälligkeiten dieser Artwaren kein fremdbestimmtes Verhalten, sondern Leistungen, welche die wichtigen Wählergruppen gerne erbrachten, weil –wie M.Jehne in seinem Beitrag ausführt –sie damit ihre eigene Wichtigkeit unterstreichen undNähe zu bestimmten Senatoren ausdrücken konnten. In demriesigen Patronagesystem, welches dieRömische Republik darstellte, verbesserte sich fürviele nichtaristokratische Angehörige deroberen Vermögensklassen derZugang zuRessourcen, wenn der‘eigene’Kandidat erfolgreich war. Mit anderen Worten, dieAristokraten, dieKarriere machen wollten, zahlten mit den‘Wahlbestechungen’ dafür, daß die Politik in Romso stark personalisiert und garnicht programmorientiert war. Bei denWahlen entschied dasVolk tatsächlich, aber gerade für das Volk entbehrten diese Entscheidungen einer besonderen Entscheidungsqualität. so könnte Aber –
entschied dieVolksversammlung nicht über maneinwenden – Gesetzesanträge? Sogar Jochen Bleicken, welcher sich stets um eine sozialgeschichtliche Einbettung institutioneller Vorgänge bemüht, nennt die römische Gesetzgeber” Volksversammlung “ 8; dieser Begriff transportiert freilich die Ansicht
6
7
8
P.VEYNE, Le Pain et le Cirque. Sociologie historique d’un pluralisme politique, Paris 1976, Kaufs” 43; 48 f. hält hingegen am Modell des “ 420 u. 422 f. YAKOBSON, JRS 82, 1992, 32– bestochen”werden fest undversucht zu erklären, wieso auch die unteren Zensusklassen “ mußten; dazu auch: A.LINTOTT, Electoral Bribery in the Roman Republic, JRS 80, 1990, 1– 16. M.JEHNE, Geheime Abstimmung undBindungswesen in der Römischen Republik, HZ 257, 1993, 593 ff.; E.S.GRUEN, The Exercise of Power in the Roman Republic, in: A.Molho/K. Raaflaub/J. Emlen (Hgg.), City States in Classical Antiquity andMedieval Italy, 267 hält die geheime Abstimmung für eine Vorspiegelung von libertas. Stuttgart 1991, 251– BLEICKEN, Lex Publica (s.o.A. 1)329. Er sieht das Dilemma, das sich daraus ergibt, daß die 288). Erheblich unvorsichtiger Comitien immer zustimmten, und er reagiert darauf (268– 90 BC), wendet F.MILLAR, Politics, Persuasion and the People before the Social War (150–
80
EGON FLAIG
von Theodor Mommsen, wonach der Römische Staat ein besonderes Beispiel für dieVolkssouveränität abgab. Die Comitien wurden von einem Magistrat oder Tribun geleitet, der als Antragsteller (rogator) eine Beschlußvorlage einbrachte. Die Versammlung konnte dazu weder Stellung nehmen noch Änderungsvorschläge machen; sie konnte lediglich zustimmen oder ablehnen. Bleicken kleidet diesen politischen Sachverhalt in eineverfassungstheoretische Formel: “ DerWille desrömischen Volkes ist kein unabhängiger Wille” 9. Im Bemühen, am römischen politischen System demokratische Züge zu erkennen, negiert Fergus Millar diebegriffliche Problematik, dieBleicken in seiner Formulierung andeutet, undspricht ganz unbefangen von “ the sovereign powers of the people” in dieser Mögsich 10. Für ihn und für John North äußerte lichkeit, Anträge anzunehmen oder abzulehnen, der Volkswille. Doch trifft diese Voraussetzung zu? Wilfried Nippel hat 1988 auf einen sehr merkwürdigen Charakterzug des römiZu den Eigenarten der Gesetzgebung in schen politischen Systems hingewiesen: “ einer Volksversammlung ... gehörte die kaum begrenzte Chance eines Antragstellers, für seine Gesetzesvorlage eine Mehrheit derTribus zugewinnen, wenn es denn zurAbstimmung kam. Jedenfalls scheint kaum einmal ein Antrag voneinigem Gewicht bei der Abstimmung selbst durchgefallen zu sein” 11.Walter Eder ist 1990 einen Schritt weiter gegangen undhat lapidar geschrieben: “Typically not a single rejection of a magistrate’s proposal is known” 12. Kein einziges normatives Gesetz, daseinMagistrat eingebracht hatte, scheiterte beiderAbstimmung. Insgesamt sind m. W. nur 8 abgelehnte Anträge überliefert13, 7 wurden von Volkstribunen eingebracht, ein einziger von einem Magistrat. Von diesen 8 abge-
JRS 76, 1986, 1– 11, S.4 die Kategorie derLegislative aus der modernen Verfassungslehre auf dierömische Volksversammlung an: “effective legislative power still resided with those who, for whatever reason and in whatever numbers, came to the Forum to vote” . A.LINTOTT, Democracy in the Middle Republic, ZRG 104, 1987, 43 meint, daß trotz des fehlenden Initiativrechts derVolksversammlungen diethematische Breite derGesetzgebung dazuberechtige, vonDemokratie zusprechen: “ Theextent of legislation at Rome suggests a considerable degree
of democracy” .
9 Lex Publica (s.o.A. 1)244. 10 F.MILLAR, Political Power in Mid-Republican Rome: Curia or Comitium?, JRS 79, 1989, 150, S. 143. 138– 11 W.NIPPEL, Aufruhr und“ Polizei”in der Römischen Republik, Stuttgart 1988, 55. Er erwähnt dievonderVolksversammlung abgelehnte rogatio, dieL.Marcius Philippus als Volkstribun 104 v.Chr. einbrachte (Cic. off. 2,73).
12 W.EDER,
13
Who rules? Power and Participation in Athens and Rome, in: Molho/Raaflaub/Emlen (Hgg.), City States (s.o.A. 7) 179. DieListe dergescheiterten Anträge: 1. eintribunizischer Antrag, die römische Bürgerschaft umzusiedeln (Liv. 5,30,7); 2. einweiterer solcher Antrag (Liv. 5,55,2); 3. ein tribunizischer Antrag um 367 v.Chr. (Liv. 6,39,2); 4. ein tribunizischer Antrag zur Bestrafung der verbündeten Tusculanen 323v.Chr. (Liv. 8,37,11); 5. eintribunizischer Antrag um211v.Chr., dem Marcellus dasImperium in Sizilien zuentziehen (Liv. 27,21,4); 6. derconsularische Antrag von200 v.Chr., anMakedonien denKrieg zuerklären; 7. derAntrag desVolkstribuns Papirius Carbo 131 oder 130 v.Chr., denTribunen die Wiederwahl zugestatten (Cic. Lael. 96); 8.
81
Entscheidung undKonsens
lehnten Anträgen fallen 4 ins 4. Jh. v.Chr. und sind daher überlieferungsgeschichtlich unsicher. Somit bleiben für die mittlere undspäte Republik nurvier abgelehnte Anträge übrig, drei tribunizische undeinconsularischer. Bei den drei abgelehnten tribunizischen rogationes der mittleren und späten Republik ist es sicher (so 211 v.Chr. und130 v.Chr.) oder wahrscheinlich (so 104 v.Chr.), daß die maßgeblichen Teile der Aristokratie gegen denjeweiligen Antrag optierten. Diese Fälle können als Beispiel dafür gelten, daß die antragstellenden Tribune den Widerstand gegen ihre rogatio unterschätzten. Für eine genauere Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen der Aristokratie unddemVolk innerhalb des institutionellen Rahmens der Comitien sind zumeinen jene Fälle besonders ergiebig, in denen die Comitien Anträge guthießen, obwohl der maßgebliche Teil der Senatoren opponierte, zum anderen diejenigen, in denen eine rogatio scheiterte oder zu scheitern drohte, obschon diemaßgeblichen Teile derAristokratie denAntrag befürwortete. Bei der zweiten Serie vonFällen stimmte derrogator mit dem ‘Willen’der herrschenden Klasse überein; darum ist diese Serie für die hier angestellten Überlegungen die wichtigere. Der hohe heuristische Wert der Ausnahme besteht gerade darin, daß sie einen möglichen Extremfall auf der Skala der Möglichkeiten darstellt; undbei solchen zugespitzten Situationen treten die maßgeblichen Faktoren und das Kräfteverhältnis zwischen ihnen deutlicher zutage als im 4. Normalfall1 Ausdieser zweiten Fallmenge greife ich exemplarisch drei Fälle heraus, umdas Problem zukonturieren, inwieweit dieComitien diejenige Institution waren, in welcher das römische Volk anerkannterweise seinen ‘Willen’–sei er ‘abhängig’oder in einer fürdiegesamte respublica verbindlichen Weise be‘unabhängig’gewesen – kundete. 1. Der einzige überlieferte Fall eines von der Volksversammlung abgelehnten Antrages eines Magistrats ereignete sich 200 v.Chr. Der Senat hatte beschlossen, gegen König Philipp V. vonMakedonien Krieg zuführen. Der Consul Sulpicius Galba brachte denAntrag vordasVolk. Doch dieCenturiatcomitien lehnten den Antrag des Consuls ab, mit überwältigender Mehrheit. Der Consul anerkannte dasResultat nicht, d.h. er renuntiierte denBeschluß nicht. Die Senatoren entrüsteten sich über das ungebührliche Verhalten des Volkes, sie machten einem Volkstribun schwere Vorwürfe, der gegen die Kriegserklärung agitiert hatte. Livius berichtet, die maßgeblichen Senatoren hätten einjeder denConsul gebeten, eine neue Abstimmung über seine rogatio anzusetzen, die Gleichgültigkeit des Volkes zu züchtigen unddiesem klarzumachen, welchen Schaden und welche Schande ein solcher Aufschub des Krieges bringe. Der Consul bestellte die Bürger nochmals aufs Marsfeld, hielt eine contio ab, in welcher er mit einer ge-
der Antrag auf ein Ackergesetz des Tribuns Marcius
Philippus
2,73).
14 Dazu: E.GRENDI, Microanalisi e storia
sociale, Quaderni Storici
von 104 v.Chr. (Cic. off.
35, 1977, 512.
82
EGON FLAIG
für seinen Antrag warb; dann forderte er die Bürger auf: Schreitet zurAbstimmung mitdemBeistand derGötter undbeschließt, wasdie “ 15 Nunerhielt er diedieZustimmung zu seiSenatoren fürgutbefunden haben!” nemAntrag. 2. Im Jahre 167 scheiterte beinahe eine tribunizische rogatio. Aemilius Paullus kehrte als siegreicher Feldherr im Krieg über König Perseus von Makedonien heim; der Senat beschloß, daß er einen Triumph feiern dürfe; ein Volkstribun sollte den Antrag vor die Volksversammlung bringen. Die Soldaten des Feldherrn, die von diesem rauh behandelt worden waren, zeigten keine große Lust, zur Volksversammlung zu kommen, umdemunbeliebten Feldherrn auch noch einen Triumph zu bewilligen. Bei dercontio amTag vor der Abstimmung hielt aber einjunger Patrizier, Sulpicius Galba, der als Offizier des Aemilius Paullus denFeldzug mitgemacht hatte, eine Rede undforderte die Soldaten auf, doch Ja”zu stimmen, sondern umdenAnzahlreich zu erscheinen, aber nicht ummit “ trag zu Fall zu bringen16. Als am nächsten Tag der versammlungsleitende Volkstribun den Antrag zur Abstimmung stellte, stimmte eine Tribus nach der anderen gegen denTriumph des Aemilius Paullus. Daraufhin stürmten die ranghohen Senatoren mitsamt denConsuln auf denVersammlungsplatz; sie drängten den Versammlungsleiter dazu, die Abstimmung abzubrechen und die Comitien an Ort und Stelle in eine contio zu transformieren. Der antragstellende Tribun gab nach; undwährend dieBürger sich neuaufstellten, bearbeiteten die Senatoren, wensie kannten, undschalten denkecken Militärtribun öffentlich aus. Danach ergriff ein alter Consular, M.Servilius Pulex Geminus, dasWort, tadelte die Abstimmenden, appellierte andie militärischen Tugenden des römischen Volkes, öffnete die Toga undzeigte seine Narben17. Dann drohte er, er werde sich auf harnischten Rede
15 Ite in suffragium bene iuvantibus divis et, quae patres censuerunt, vos iubete! (Liv. 31,6,3– 4). TH.MOMMSEN, Römische Geschichte, Berlin 61874, I, 701 nimmt das anfängliche ScheiSo tern derconsularischen rogatio als Beweis fürdieAntiquiertheit der Volksversammlung: “ hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, daßfür die weitläuftigen undschwierigen Verhältnisse, in welche Romdurch seine Siege gebracht war, diesouveränen Bürgerschaftsversammlungen mit ihren kurzsichtigen undvomZufall abhängigen Beschlüssen schlechFreilich behauptet Mommsen, derConsul habe bei der zweiten terdings nicht mehr paßten.” Abstimmung den Antrag nur deswegen durchbekommen, weil er demVolk Konzessionen gemacht hätte. Doch dieQuellen berichten darüber nichts. Daßer ausdemHeer, das Scipio aus Africa zurückgebracht hatte, nurFreiwillige nehmen durfte (Liv. 31,8,6), geht auf die vielleicht sogar auf tribunizische Interventionen – zurück, nicht Verhandlungen im Senat – auf den Volksbeschluß. 16 Liv. 45,35,8 f.: prensando ipse et per suae legionis milites sollicitando stimulaverat, utfrequentes
ad suffragium
adessent; imperiosum ducem
et malignum
antiquando rogationem,
quae de triumpho eiusferretur, ulciscerentur. Die Soldaten kamen also vonalleine gar nicht 36,5. auf die Idee, mit “ Nein”zustimmen. ZudenUmständen: Liv. 45,35,7– 32. Die Demonstration der Narben war eine 39,20; Plut. Aem. 30– 17 Die Rede: Liv. 45,37,1– spezifische Geste der römischen politischen Kultur. Dazu: E.FLAIG, Politisierte Lebensführung undästhetische Kultur. Eine semiotische Untersuchung am römischen Adel, Historische Anthropologie 1, 1993, 212.
Entscheidung
undKonsens
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die Brücken in den Stimmpferchen stellen undsich genau merken, welche Bürger mit “Nein”stimmen. Anschließend wurde erneut abgestimmt. Und alle 35 Tribus bewilligten demAemilius Paullus seinen Triumph18. scheiterte beinahe ein consularischer Antrag. P.Clodius Pulcher, der berüchtigte spätere Volkstribun, hatte in der Nacht vom 4./5. Dezember 62 v.Chr. in Frauenkleidern amFest der Bona Dea teilgenommen, und das im Hause Caesars. Clodius war aus einem der vornehmsten Geschlechter, aber noch amtlos unddaher noch kein Senator. Der Senat verwies die Sache an ein Kollegium von Priestern und Vestalinnen. Diese erklärten die Handlung zu einem Religionsfrevel. Darauf faßte der Senat denBeschluß, ein Sondergericht einzusetzen, das über Clodius zu urteilen hatte. Dafür brauchte man einen Volksbeschluß19. Die Consuln wurden beauftragt, den Antrag vor die Comitien zu bringen. Doch einer der Consuln war mit Clodius befreundet. Ausgerechnet er sollte aber den Antrag einbringen. Bei der contio vor der Abstimmung ließ dieser Consul junge, noch amtlose Aristokraten reden, die sich gegen denAntrag aussprachen; under selber forderte dasVolk dazu auf, denvonihmeingebrachten Antrag abzulehnen. Parteigänger hatten die Zugänge zu den Stimmpferchen Nein” aus. Als die Abstimmung bebesetzt undgaben nur Stimmtäfelchen mit “ gann, stürmten hochkarätige Senatoren auf den Versammlungsplatz und erzwangen den Abbruch der Abstimmung. Einer nach demanderen redete gegen denantragstellenden Consul undtadelte ihnöffentlich. Die Versammlung wurde aufgelöst. Der Senat wurde berufen, sehr viele Senatoren –nämlich 415 –erschienen, undsie beschlossen, die Consuln sollten das Volk eindringlich ermah-
3. Im Jahre 61 v.Chr.
nen, für denAntrag zu stimmen20.
18 Liv. 45,40; Plut. Aem. 32,1. 19 Die Gesetzesvorlage –die rogatio Pupia Valeria –verschärfte die Bedingungen für den Anzuklagenden; denn sie sahvor, daßderPraetor die Richter des einzusetzenden Sondergerichts aussuchen solle. Nach derlexAurelia hätten jedoch dieRichter eines Sondergerichts 10). Dazu: A.H.M. JONES, The durch Los ermittelt werden müssen (Cic. Att. 1,14,2; 5; 16,2– Criminal Courts of theRoman Republic, Oxford 1972, 58. 20 Cic. Att. 1,14,5: ut consules populum cohortarentur ad rogationem accipiendam. Über die Vorlage desSenates kames nicht mehr zurAbstimmung, obwohl eingroßer Teil derNobilität entschlossen schien. DerVolkstribun Q.Fufius Calenus drohte miteiner Interzession. Die Front innerhalb der Nobilität bröckelte, als Pompeius nach Italien zurückkam; denn dieser zeigte sich in der Angelegenheit unentschieden, als derTribun ihn vor einer gutbesuchten contio im Circus Flaminius aufforderte, seine Meinung zur rogatio Pupia Valeria offenzulegen. DerSenat schloß mitdemTribunen einen Kompromiß: Manänderte dierogatio dahingehend ab, daßdaseinzurichtende Sondergericht sobesetzt werden solle, wiedie lexAurelia es vorsah; dafür erklärte sich der Tribun bereit, die Vorlage rasch –im concilium plebis –zur Abstimmung zu bringen. Da man nicht daran zu zweifeln schien, daß Clodius verurteilt , konnte mannachgeben. Entscheidend egal wiedasGericht zusammengesetzt war– werde – ist, daßnirgendwo voneiner Furcht, dasVolk könne dieGesetzesvorlage durchfallen lassen, dieRede ist; die Senatoren änderten vielmehr dierogatio ab, weil sie eine Interzession befürchteten, die so hartnäckig zu werden drohte, daß damit zu rechnen war, daß die einheitliche Front der Nobilität nicht hielt. Dazu: PH.MOREAU, Clodiana Religio. Un procès politique
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Hier haben wir gleich zwei Besonderheiten in einer Episode. Zumeinen wollte der Antragsteller die eigene rogatio zu Fall bringen; hätte die Volksversammlung tatsächlich den Antrag abgelehnt, wäre der analysierende Historiker in Definitionsschwierigkeiten: Wenn die Comitien eine rogatio durchfallen ließen, die abzulehnen derrogator selber aufforderte, lehnte dann das Volk ab oder stimmte es zu? Zu welcher Antwort mansich auch entschließt –aufjeden Fall tat das Volk, was der Antragsteller wollte. Zumanderen haben wir hier den kuriosen Fall, daßderSenat nicht dasVolk ermahnte, sondern dieMagistrate vergatterte, gefälligst gewissenhaft dafür zu sorgen, daß das Volk dem Senatsbeschluß zustimmte.
2. Eine neue Konzeptualisierung: dieComitien alsKonsensorgan Ausdiesen Fällen ist zu schließen, daßniemand davon ausging, die Volksversammlung könne anders abstimmen als derAntragsteller wollte. Da die Abstimmung fast stets dazu führte, daßdasVolk zustimmte, wardieZustimmung gänzlich erwartbar. Alle Beteiligten teilten diese Erwartung, sowohl die Aristokratie wie die nichtaristokratischen Bürger. Man kann der althistorischen Wissenschaft nicht vorwerfen, daß sie diesen Sachverhalt geleugnet hätte. Aber er wird meist übergangen, wenn über denpolitischen Charakter der Römischen Republik verhandelt wird. Man hat große Mühe, ihnkonzeptuell zufassen. JOCHEN BLEICKEN kommt dasVerdienst zu, diese Sachlage offen zumThema gemacht zu haben. Er tut dies jedoch mit denBegriffen der traditionellen Verfassungslehre21. Daraus ergeben sich aber Aporien, die nunnäher zubesehen sind. Jochen Bleicken spricht von “ Entartungserscheinungen” und von einer , von einer “Pervertierung der Comitien zu Degeneration der Volksversammlung” “ einer Apparatur, diein derHandjedes ehrgeizigen Politikers jedes gewünschte Abstimmungsergebnis produzieren konnte” . Konsequent behauptet er eine “immer größer werdende Spannung zwischen Norm undWirklichkeit” 22.Er setzt also voraus, daßes einmal anders war. Bleicken nennt 3 Gründe fürdiese Degeneration derComitien: 1. Die abstimmenden Bürger waren immer weniger identisch mit der Gesamtbürgerschaft. Die Volksversammlungen fanden in Rom statt; aber der Bürgerverband weitete sich im 3. Jahrhundert über ganz Italien aus, im 2. Jahrhundert DerCharakter derGesetzescomitien als formaler Absogar über Italien hinaus: “ stimmungsmechanismus mußte in demMaße zunehmen, in dem die Volksver-
en 61 av. J.C., Paris 1982; W.WILL, Der römische Mob. Soziale Konflikte in der späten Republik, Darmstadt 1991, 53 f. 390. 21 Siehe dieRezension vonCH.MEIER, ZRG95, 1977, 378– 22 Lex Publica (s.o.A. 1) 263; 268; 285; 268.
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sammlungen nicht mehr die lebendige Gemeinschaft der römischen Bürger waren, sondern in ihr nurnoch einBruchteil derBürger abstimmen konnte.”In dem Maße, wie die Bürgerschaft sich über Italien ausbreitete, so fährt er fort,
die Volksversammlungen allmählich denAnspruch, die Versammlung derBürger zu sein ...” E ntscheidend für ihnist also dasKriterium derRepräsenverloren “
tativität. Ganz konsequent schließt er diesen Gedankengang damit, es habe sich das Bewußtsein gebildet, “ daß die Comitien nicht mehr das römische Volk repräsentierten” 23. 2. Die Klientelbeziehungen zwischen densenatorischen Patronen unddennichtaristokratischen Bürgern kamen in den Comitien immer weniger zur Geltung. Die geheime Abstimmung, die in den 30er Jahren des 2. Jhs. v.Chr. bei allen Volksversammlungstypen eingeführt wurde, nahm den Senatoren die Möglichkeit, ihre Klienten bei der Stimmabgabe zukontrollieren. Nach Jochen Bleicken . Denn die verloren die Volksversammlungen damit ihre “ soziale Komponente” abstimmenden Bürger gehorchten nun nicht mehr den Anweisungen ihrer Patrone, sondern sie gehorchten den Aufforderungen des Antragstellers, sei er Magistrat oder Tribun. Bleicken drückt das so aus: “ Die Gesetze über die geheime Abstimmung in denVolksversammlungen waren ... ein Stadium ... in der Wandlung der Volksversammlung zu billigen Instrumenten in der Hand ihrer . So gerieten die Volksversammlungen zu einer Versammlungsleiter” Abstimmungsapparatur ohne Bezug zur realen gesellschaftlichen Situation” 24. “ 3. Normalerweise stellten die Senatoren zunächst unter sich Konsens her, bevor ein Funktionsträger dann den betreffenden Antrag vor die Volksversammlung brachte. Dieser Konsens der Aristokratie war nach Jochen Bleicken verhängnisvoll für die Volksversammlung: Wenn die Gesamtheit der Nobilität als Einheit Gegenüber auftrat, dannblieb demVolk nichts anderes übrig als zuzustimmen: “ demeinheitlichen Willen aller Nobiles ... gabes keine Meinung imechten Sinne; mankonnte nurmit‘ja’stimmen: DieEinheit desSenats, derdassoziale Prestige aller Nobiles verkörperte, wirkte auf die Meinungsbildung imVolk erstickend ... DasVolk stimmte über dienach außen hineinheitliche Meinung derNobilität ab
undstimmte natürlich
zu“ 25.
Gegen diebeiden ersten Gründe läßt sich folgendes einwenden: 1. Wenn das abstimmende Volk einen immer geringeren Anteil amtatsächlichen Bürgerverband darstellte, dann war das in Rom nie ein Problem26. Es fehlte völ-
23 24 25 26
Lex Publica (s.o.A. 1)275; 281. Lex Publica (s.o.A. 1) 278 f. Lex Publica (s.o.A. 1) 273 f. Flächenstaat”ist weitgehend unDie Vorstellung einer Transformation vomStadtstaat zum“ genügend, umdieFunktionsweise desrömischen politischen Systems zuerklären. Denn Rom warschon seit dem4. Jh. v.Chr. kein “Stadtstaat”mehr; seit demAnfang des3. Jhs. umfaßte sein Herrschaftsgebiet das Territorium eines kleinen modernen Nationalstaates. T.J.CORNELL, Rome: The History of an Anachronism, in: Molho/Raaflaub/Emlen (Hgg.),
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lig derGedanke derRepräsentativität. Waszählte wardiePräsenz. Daspräsente Volk galt als das Gesamtvolk27. 2. Daßdiegeheime Abstimmung denPatronen dieMöglichkeit genommen hätte, ihre Klienten direkt zu beeinlussen, ist sehr fraglich. Aber selbst wenn dies zuträfe, wurden die Abstimmenden damit nicht zur Verfügungsmasse für den Anstimmen, Nein” tragsteller. Sie konnten nunmitgroßer Wahrscheinlichkeit mit “ ohne daßirgendjemand es merkte unddeshalb Druck aufsie ausübte. Außerdem läßt sich keine Beziehung zwischen der geheimen Abstimmung und der Quote abgelehnter Anträge herstellen. In der mittleren Republik wie in der späten scheiterten jeweils zwei Anträge. Interessant ist dritte Grund, denBleicken angibt: Wenn die Senatoren imKonsens waren, dann blieb dem Volk nur übrig zuzustimmen. Es ist bemerkenswert, daß Bleicken zudieser Auffassung nicht durch eine empirische Analyse derzueiner Serie aufgelisteten Fälle gelangt, sondern durch einen deduktiven Schluß; denn er leitet das Unvermögen des Volkes, gegen die geschlossene Nobilität mit “Nein”zu stimmen, aus einem in der sozialen Realität vorgegebenen Kräfteverhältnis apriorisch ab.Die empirische Überprüfung bestätigt diesen deduktiven Schluß; denneine Auflistung der in Frage kommenden vier Fälle, in welchen ein Antrag scheiterte, undzweier beispielhafter Fälle, in denen ein Scheitern drohte, zeigt, daß keine rogatio jemals abgelehnt wurde, falls dieAristokratie siegeschlossen befürwortete. Diesen eindeutigen Befund kannmanaber anders interpretieren, alsBleicken es
tut.
Ein großer Teil der althistorischen Forschung stimmt darin überein, daß die politische Organisation der römischen Aristokratie auf denKonsens hinangelegt war, daßdieser Konsens entweder schon zuvor vorhanden sein mußte, damit die Aristo58. Die “ 69, besonders 56– Entartungserscheinung”, von der Bleicken City States (s.o.A. 7) 53– spricht, hätte also schon amEndedes4. Jhs. v.Chr. auftreten müssen. 27 BLEICKEN, Lex Publica (s.o.A. 1)279– 285 interpretiert die abfälligen Bemerkungen Ciceros über die Tributcomitien (Cic. dom. 30; 90; p.red. in sen. 28; leg. 3,45; Sest. 128 f.; Mil. 38
f.) dahingehend, alsbemängele Cicero dieDiskrepanz zwischen dertatsächlichen römischen Bürgerschaft unddembei derAbstimmung in Rompräsenten Volk. Aber Cicero hat nicht die geographische Repräsentation imAuge, sondern denKonsens zwischen denpolitischen Statusgruppen; daher setzt er in Sest. 109 diezufällig zusammengewürfelten Tributcomitien denZenturiatcomitien entgegen, deren Zusammensetzung berechenbarer undderen Bereit-
schaft, die Politik des Senates zu unterstützen, erwartbarer sei; in den Tributcomitien bekamenhingegen leicht dieUnterschichten dasÜbergewicht, undsie folgten nicht zweifelsfrei der Autorität der vornehmsten Senatoren. Wenn die Comitien den Konsens aussprachen, nach Cicero – denpopulus Romanus darunddrückten dessen voluntas aus. dann stellten sie – Somit artikulierten contiones undcomitia manchmal wahrhaft denWillen despopulus Romanus, manchmal nicht: comitiorum et contionum significationes sunt interdum verae, sunt non nunquam vitiatae et corruptae (Sest. 115). Ganz folgerichtig erschienen ihm ludische Veranstaltungen wichtiger als dieTributcomitien. Zwardürften beidenludischen Veranstaltungen mehrBürger ausdenitalischen Städten in Romanwesend gewesen sein als bei vielen Comitien (Cic. Verr. 1,54); aberwennCicero aufdiese Unterschiede achtet, dann hater eher eine ‘soziale’als eine geographische Repräsentativität im Auge.
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kratie politisch handeln konnte, oder daß manden Konsens im Senat herstellen mußte. Daher erklärt sich die außerordentliche Bedeutung der Obstruktion undder Obstruktionsmittel im politischen System. Wenn beides richtig ist, wenn also einerseits das politische System auf den ari-
hinangelegt ist undwenn anderseits dieser Konsens auf das daß es eigentlich nur zustimmen kann, dann folgt daraus, daß die Funktion derVolksversammlung in diesem System eben nurdie ist zuzustimmen28. Freilich ist diese dauernd geübte Praxis, den Anträgen der Magistrate und Tribunen zuzustimmen, dann mit dem Begriff Degeneration derVolksversammlung”nicht zuerfassen. “ Die dichotomische Entgegensetzung von rechtlicher Norm und historischer stokratischen Konsens
abstimmende Volk einen solchen Druck ausübt,
Wirklichkeit raubt dem Normbegriff seinen Erklärungswert. Wenn die historische Wirklichkeit jahrhundertelang einer Norm widerspricht, so heißt das, daß die Norm nicht wirkt; dann ist sie aber nicht wirklich. Unddann verliert sie als analytische Kategorie ihren Sinn. Soll der Begriff “ Norm”analytisch sinnvoll sein, dann ist es unzweckmäßig, dieNorm aus verfassungstheoretischen Axiomen zu postulieren; es ist ergiebiger, sie abzuleiten von den realen Praktiken. Es ist untunlich, auf das Recht derabstimmenden Bürger zuverweisen, mit“ Nein” zu stimmen unddenAntrag durchfallen zu lassen. In der politischen Praxis gebrauchte die weit überwiegende Mehrheit derabstimmenden Bürger niemals dieses Recht. Diese Gründe sprechen dafür, den Rahmen der Interpretation weitgehend zu wechseln. Wenn die Comitien so gut wie immer zustimmten, dann waren sie kein Entscheidungsorgan. Unbestritten bleibt, daß den Beschlüssen der Comitien –als iussa populi oder leges –Verbindlichkeit für die gesamte res publica zuerkannt wurde. Aber wenn innerhalb des aristokratisch beherrschten Systems denComitien die Funktion zufiel, in ‘letzter Instanz’verbindliche Regelungen für die gesamte politische Gemeinschaft zu treffen, dann bedeutete das weder, daß sie ‘souverän’waren, noch daßsie impräzisen Sinne desWortes ‘entschieden’. Es empfiehlt sich, die meisten kategorialen Schemata, die derVerfassungslehre des 19. Jhs. entstammen, nicht mehr zuverwenden; denn sie beginnen sich als Barriere gegen die Erforschung der römischen Kultur zu erweisen29. Versucht man hingegen, dieantiken Systeme mitdenKategorien derantiken Politik oder Philosophie “ verstehen”zuwollen, stellen sich noch größere Aporien ein. Die Kategorien
der politischen Philosophie der Antike erlauben 28 Der Begriff
lediglich, nach
‘Funktion’ soll keine ‘wesenseigene’ Eigenschaft
der Gruppe der
behaupten, sondern lediglich
daßdenComitien diese Rolle solange zukam, solange dieherrschende Klasse in derLage war, sieaufdiese Rolle festzulegen. Daswarkeinesfalls eine ausgemachte Sache, wieunten zusehen ist. 29 MILLAR, JRS 74, 1984, 4 meint, derSenat habe eine “even, one might say, parliamentary function” ausgeübt, undkommentiert einGerichtsverfahren gegen einen Amtsträger, dasein In this case, therefore, popular sovereignty wasexercised Praetor im Sande verlaufen ließ: “ indirectly, with ineffective results”(ebd. 6). ausdrücken,
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Herrschaftsbefugten und nach den Organen, mittels welcher Herrschaft ausgeübt wird, zu fragen. Beschränkt mansich aufdiese Armut ankategorialen Differenzen, dann sind kreisläufige Debatten nicht vermeidbar. Denn wenn mandie athenische Demokratie daraufhin untersucht, welche Gruppen in ihr Einfluß ausüben und Machtpositionen besetzten, dann ergibt sich schnell, daßeine Elite unter denBürgern herrschte. Besieht man die römische Republik daraufhin, welche politischen Organe letztlich die Politik bestimmten, dann ergibt sich, daß die Volksversammlung undihre Beschlüsse dasletzte Wort hatten. Führt mandieDiskussion über den Charakter derrömischen Republik entlang derKategorien desPolybios, wiees Fergus Millar vorschlägt, dann ist eine kreisläufige Wiederkehr der Behauptung, die römische Republik sei ein der attischen Demokratie sehr nahestehendes politisches System gewesen, gar nicht mehr zu vermeiden. Die antiken Kategorien zur Klassifikation politischer Systeme hatten imspätmittelalterlichen undneuzeitlichen Europa einen enormen geistesgeschichtlichen Erfolg. Diese Rezeption spricht vor allem für ihre Verwendbarkeit in denpolitischen Auseinandersetzungen. Doch so vorzüglich man sie politisch verargumentieren konnte, so wenig reicht ihre analytische Kraft aus, umnicht nurnach demKreis derHerrschaftsbefugten, sondern auch nach denHerrschaftsmodalitäten zufragen. Gerade auf diesem Gebiet hat die politische Soziologie seit Max Weber sehr viel geleistet. ZurErforschung derPolitik in Rom ist es also nötig, ein reiches Inventar vonDifferenzen, vonKategorien zur Klassifikation unterschiedlichster Herrschaftsmodalitäten undPolitikbereiche zu erstellen, entlang denKategorien dermodernen Soziologie30. Aristokratische Herrschaften können sich stark voneinander unterscheiden, je nachdem, ob die als Adel bezeichnete Führungsschicht nach Rangklassen stratifiziert ist oder nicht, ob sie darauf angewiesen ist, die nichtaristokratischen Schichten undinwelchem Ausmaße – oder nicht, ob die nichtarimilitärisch zu mobilisieren – stokratische Schichten über eigene Organisationen undFormen kollektiver Reaktionen verfügen oder nicht, ob undinwelcher Stärke dieBeherrschten von der Aristokratie symbolische Gesten der politischen Zusammengehörigkeit einfordern oder nicht. Wirstehen erst amAnfang einer Typologisierung, welche nicht bloß die institutionelle Struktur politischer Systeme in den Blick bekommt, sondern überdies deren interaktionale undkommunikativen Dynamiken. Underst durch die – mikrohistorische –Erforschung letzterer erhellt sich die –makrohistorische –Funktionsweise der Institutionen. Es ist aus dieser Sicht belanglos, ob Polybios die römische Republik als eine aristokratische Herrschaft definiert, oder ob er dies bei seiner Darstellung des politischen Systems unterläßt31.
30 So P.VEYNE, L’inventaire des différences, Paris 1976, 37– 49 und53– 41, 45– 60. MILLAR, JRS 74, 1984, 3 schreibt lapidar: “ Polybios, whoshould have known, did suppose that the categories of political analysis relevant to Greek cities could be applied to Rome.” Damit wird die kategorienarme politische Philosophie der Antike zumRaster erhoben, gemäßwelcher die moderne Forschung ihre Sortierarbeit leisten müsse. So reproduziert die
31
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Geht manweder vonstaatsrechtlichen Konzeptionen des 19. Jhs. aus, noch von den Kategorien der antiken Philosophie, sondern von den quellenmäßig faßbaren tatsächlich geübten politischen Praktiken, dann ist es nötig, die oben umrissenen Sachverhalte neu zu konzeptualisieren. Als definitorischen Behelf schlage ich vor: Die Comitien waren einKonsensorgan –ein Organ, in welchem dasrömische Volk seinen Konsens mit der Politik der Aristokratie ausdrückte, im Zweifelsfall mit demjenigen Aristokraten, dergerade die Volksversammlung leitete. Der Charakter dieser Veranstaltung, ihre Funktion als Konsensorgan, verdeutlicht sich, wenn manihren rituellen Aspekt in die politische Analyse der Institution einbezieht. Die Comitien, darauf hat Keith Hopkins hingewiesen, waren auch ein Ritual zur Sozialdisziplinierung32. Daß der zeremonielle Ablauf einer solchen Veranstaltung sozialdisziplinierende Wirkung hat, ist unmittelbar einleuchtend; aber darüber hinaus weist Hopkins nach, daßvor allem dieCenturiatcomitien in viel höherem Maße disziplinierende Elemente enthielten, als dies zu erwarten wäre, solange mansie funktional auf die sogenannte römische Verfassung bezieht undsomit bloß ‘konstitutionell’versteht. Die religiösen Rituale, wie z.B. Lupercalia, Saturnalia, Lemuria, die ludischen (circensische, theatralische undgladiatorische) sowie die ‘politischen’(das alle 5 Jahre denZensus abschließende lustrum, die Aushebung von Legionen, dieComitien unddiecontiones) bildeten einEnsemble vonPraktiken, die sowohl semantisch als auch funktional aufeinander bezogen waren, was sich verdeutlicht, sobald manihre zeremonielle Dimension genauer besieht: In diesen Ritualen wurde die Bürgerschaft sortiert, gegebenenfalls nach Rang undStatus voneinander abgesondert, so daß die soziale Stratifikation eindringlich hervortrat. Familienbande, Nachbarschaften undPatronagebindungen wurden optisch negiert, indem die Bürgerschaft nicht allein nach Rang undVermögen, sondern noch gemäß der Altersklassen unterteilt stand (Centuriatcomitien). Die versammelten Bürger standen(anders als in Hellas), dieMagistrate saßen. Die Zeremonien visualisierten damoderne Forschung notwendig die Selbstverkennungen derjenigen historischen Agenten, derensozialer, kultureller undpolitischer Kontext allererst zurekonstruieren ist. J.NORTH, Politics and Aristocracy in the Roman Republic, CPh 85, 1990, 282 f. wendet sich gegen diese epistemologische Zumutung, indem er darauf hinweist, daßPolybios gar keine andere Kate-
32
gorien zur Verfügung hatte als diejenigen, die er anwandte. Daraus folgt aber, daß die kategoriale Einordnung des römischen politischen Systems durch Polybios für uns letztlich gegenstandslos ist. K.HOPKINS, From Violence to Blessing: Symbols andRituals in Ancient Rome, in: Molho/ 498, besonders 485– 497. Indem Hopkins Raaflaub/Emlen (Hgg.), City States (s.o.A. 7) 479– die Komitien, die manüblicherweise als ‘Institution’bezeichnet, ein Ritual nennt, folgt er demTrend in den soziologischen Diskussionen, in denen der Institutionenbegriff viel von seinem Kurswert verloren hat. Zumeinen umfaßt der Institutionenbegriff sehr heterogene Phänomene (‘ Familie’ ebenso wie ‘Volksversammlung’); zum anderen suggeriert er eine Starrheit derBewegungsformen dessozialen Prozesses, diedenBlick auf die Kräfteverhältnisse unddieDynamiken verstellt. Die‘praxeologische’Wende in denSozialwissenschaften hatdasInteresse andenrituellen Dimensionen vonInstitutionen verstärkt bzw. geweckt. Dazu: K.-S.REHBERG, Institutionen als symbolische Ordnungen, in: R.Blänkner/B. Jussen (Hgg.), Institution undEreignis, Göttingen (imDruck).
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mit die Differenz zwischen denen, die Befehle gaben, unddenen, die gehorchten, zwischen denen, diesprachen, unddenen, diezuhörten, zwischen denen, die saßen, unddenen, diestanden, zwischen denen, diesenatorische Standesabzeichen trugen, unddenen, dienureine einfache Toga anhatten; sie gewöhnten dieBürger inHerrschaftsverhältnisse ein. Nicht umsonst war immer wieder umstritten, ob die Römer bei denAufführungen imTheater stehen mußten oder sitzen durften. Die Aufstellung von mehreren zehntausend Bürgern gemäß einer ausgeklügelten Staffelung undEinteilung war für die einzelnen Bürger bei einiger Übung zwar durchschaubar33, aber sie mußten warten, bis mananordnete, was sie zu tun hatten; undvor allem für die unteren Zensusklassen bedeutete die Abstimmung, sehr lange stehen zu müssen34. Stundenlang zu warten und magistratische Befehle zu befolgen, brachte die Überordnung der Aristokratie unddie Unterordnung des Volkes unter die Amtsträger in eine szenographische Form, diewiederholbar warunddenpolitischen Gehorsam sowohl manifestierte wieverstärkte. Derzeremonielle Ablauf all dieser Rituale (Lustrum, Comitien, Aushebung, ludische Veranstaltungen) beschwor die Geltung gemeinsamer kultureller Normen. Hopkins merkt kritisch an, diese Veranstaltungen hätten die Gelegenheit gegeben for different people to share the illusion that they each belonged to a common cul“ tural system” 35. Doch das dürfte keine Illusion gewesen sein. Obwohl die sozialen undpolitischen Unterschiede beträchtlich waren, integrierte das System die sozialen Gruppen mittels reicher Codes (Abzeichen, Kleidung, Hexis, Gesten, räumliche Anordnung, performatorische Akte), welche für die unterschiedlichen Gruppen in unterschiedlichem Maße zu dechiffrieren waren. Die herrschende Klasse hatte den performatorischen Erwartungen, die an sie gerichtet wurden, zu genügen; andernfalls gab es Störungen in der sozialen Interaktion, unddann ließ sich auch dieser außergewöhnlich tiefgehende Gehorsam, den die Plebs zu leisten pflegte, nicht mehr reibungslos einfordern36. Berücksichtigt mansystematisch, daß die Volksversammlung in diese kulturelle Textur eingebettet war, dann überrascht die Umdefinierung derComitien zueinem Konsensorgan weniger. Wenn die Comitien einKonsensorgan waren, dann fungierte eine Abstimmung als Konsensritual. Dennoch funktionierte sie nicht immer reibungslos als ein solches. DieFunktion, der‘Sinn’undderCharakter dieses Rituals standen nicht einfür allemal fest. Injeder rituellen Situation, auch wenn die herrschaftliche Organisation des Rituals noch so dicht undzwingend zu sein scheint, sind bestimmte Gruppen imstande, in den zeremoniellen Ablauf einzugreifen undihn zu verändern. Finden 123. 33 RILINGER, Wahlleiter (s.o.A. 5) 117– 34 Cic. fam. 7,30,1 erwähnt eine Abstimmung dauerte. Dazu:
E.S.STAVELEY,
Greek
unter der Diktatur Caesars, die fünf Stunden andRoman Voting andElections, NewYork 1972, 186
f. 35 HOPKINS, in: Molho/Raaflaub/Emlen (Hgg.), City States (s.o.A. 7) 488. 197. 36 Zu dieser Problematik siehe: FLAIG, Historische Anthropologie 1, 1993, 193–
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sie bei signifikanten Teilen derTeilnehmer Gehör, dann gerät die politische Semiotik des Rituals ins Wanken, denn es geschieht ja vor aller Augen etwas, wasnicht vorgesehen war oder nicht geschehen soll. Gelingt es den ‘Neuerern’eventuell in schweren undwiederholten Kämpfen, diese Veränderung aufDauer zustellen, dann ist dasehemalige Ritual verschwunden undeinneues anseine Stelle getreten. Diese latente Instabilität der szenographischen Form undder politischen Semantik eines Rituals hat Victor Turner treffend ‘Liminalität’genannt37. Der ‘Charakter’einer Institution undeines Zeremoniells ist gemäß diesem Konzept nurdie Resultante konkreter Konfrontationen, in der sich ein Kräfteverhältnis zwischen beteiligten Gruppenausdrückt, einKräfteverhältnis, das stabil bleiben kann, sofern die Herrschendeneinen ständigen, bisweilen einen beträchtlichen Kräfteaufwand leisten. Das geht aus allen drei oben behandelten Beispielen für beinahe gescheiterte Anträge hervor: Jedesmal erschien praktisch dergesamte Senat auf demPlatz der Abstimmung; jedesmal tadelten sie die opponierenden Aristokraten und nahmen direkten persönlichen Einfluß auf einzelne Bürger; undjedesmal redeten entweder derrogator selber oder andere ranghohe Senatoren demVolk ins Gewissen, wobei in denbeiden vonLivius überlieferten Fällen dieRedner gegenüber demVolk einen akzentuiert autoritären Tonanschlugen unddasVolk daran erinnerten, daßes seine Pflicht sei, so zustimmen, wiedieAristokratie eswollte. Es stellen sich damit aber eine Reihe neuer Fragen: wenndieComitien einKonsensorgan waren undkein Entscheidungsorgan, dann wardie Entscheidung normalerweise schon gefallen, bevor die Abstimmung begann. Wo fielen also die Entscheidungen? Undwelche Problematik ergibt sich für den Begriff der Entscheidung
imKontext derrömischen Politik?
3. Die entschwindende
Entscheidung
unddieFelder derPolitik
WenndieComitien kein Organ derEntscheidung waren sondern einKonsensorgan, sofern mankonzeptionell daran festhält, daßes einen OrtderEntscheidung mußte – geben müsse –die Entscheidung im Vorfeld der Abstimmung fallen. Es mußte ‘entschieden’werden, ob eine Angelegenheit überhaupt zur Abstimmung kamoder
Das hing von der Interaktion auf drei Vorfeldern ab: a) von der Willensbildung innerhalb des Senates, b) vonderReaktion desVolkes auf die Diskussionen über denAntrag bei dencontiones, c) vonderObstruktion gegen eine Abstimmung in denComitien. Die Willensbildung innerhalb des Senates betrifft die inneraristokratische Kommunikation undbleibt hier ausgespart. Zur Erörterung stehen nur die beiden nicht.
158. Diese 37 V.TURNER, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt usw. 1989, 94– Überlegungen treffen sich in vieler Hinsicht mitjenen vonM.SAHLINS, Inseln derGeschich153 u. P.BOURDIEU, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen 45; 133– te, Hamburg 1992, 40– 179. 96; 147– Vernunft, Frankfurt 1987, 57–
92
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letztgenannten Vorfelder. Die Obstruktion ist ein sonderbares Phänomen der römischen Politik; sie hatihren systematischen Ort da,woeinAmtsträger einen anderen daran hindern wollte, über einen Antrag abstimmen zu lassen38. Die Gegner eines Antrags durften legale Obstruktionsmaßnahmen einsetzen, damit eine Abstimmung nicht stattfand. Selbst wenn es also einem Magistrat oder Tribun gelang, gegen den Willen der Senatsmehrheit ein Gesetz vor die Comitien zu bringen, konnte es geschehen, daßer damit nicht durchkam. EinKollege oder einVolkstribun konnte interzedieren und damit die Abstimmung verhindern; höhere Magistrate konnten ‘obnuntiieren’, das heißt einZeichen der Götter melden, das denAbstimmungsvorgang untersagte. Selbst wenn ein Kollege oder ein Tribun obstruierten, dann hatten sie denAntrag noch nicht zu Fall gebracht. Denn die Obstruktion mußte Erfolg haben; und das hing vomKräfteverhältnis ab39, in der späten Republik auch zunehmend davon, wieviel Gewaltmittel mananwandte. Je schwerer derDissens zwischen denaristokratischen Gruppierungen in der späten Republik wurde, desto häufiger undumfassender setzte manGewalt imBereich derObstruktion ein40. Das zweite Vorfeld war dasjenige der Interaktion zwischen Aristokratie und Volk. Mankann dieses Vorfeld unterteilen 1. in das institutionelle Feld der contio-
nes, 2. in dasinstitutionelle Feld der sogenannten ‘Spiele’, 3. in das außerinstitutionelle Feld der kollektiven Gewalt auf der Straße41. Es mag fraglich erscheinen, ob auf diesem Vorfeld ‘Entscheidungen’ gefallen sein sollen. Aber mit dieser Frage wird der Begriff der ‘Entscheidung’zumProblem; unddamit ist seine Anwendbarkeit bei dieAnalyse derpolitischen Prozesse inRomzuüberprüfen. Ichbeschränke mich hier auf diebeiden institutionellen Felder mitdemSchwerpunkt aufdenSpielen. Zunächst zu dencontiones: Auch wenn Magistrate für ihre Initiative die Unterstützung des Senates hatten, mußten sie denAntrag durch die Comitien bringen. Sie mobilisierten das Volk, um es davon zu überzeugen, daß es sich zu denComitien einfand unddie rogatio be-
politique et social romain, in: ders., Introduction à 81 stellt die Obstruktion als l’anthropologie politique de l’antiquité classique, Paris 1984, 63– Besonderheit der römischen Politik ins Zentrum seiner Überlegungen, wie Konflikte in diesem System ausgetragen wurden. L.DELIBERO, Obstruktion: Politische Praktiken im Senat 49 v.Chr.), Stuttund in der Volksversammlung der ausgehenden römischen Republik (70– gart 1992 stellt eine Serie vonObstruktionsfällen zusammen, wobei sie ohne dieAnalyse des politischen Kontextes auskommt. Dazu die Rezension vonE.S.GRUEN, Gnomon 67, 1995,
38 CH.MEIER, La spécificité de l’ordre
172 f. 100 und NIPPEL, Auf39 CH.MEIER, Die loca intercessionis bei Rogationen, MH 25, 1968, 86– 58; R.RILINGER, ‘Loca intercessionis’ und Legalismus in der späten Reruhr (s.o.A. 11) 54– 498. publik, Chiron 19, 1989, 481– 58. 40 NIPPEL, Aufruhr (s.o.A. 11) 54– 20; NIPPEL, Aufruhr (s.o.A. 11) 41 A.W.LINTOTT, Violence inRepublican Rome, Oxford 1968, 7– 69; P.J.J.VANDERBROECK, Popular Leadership and Collective Behaviour in the Late Ro27– 160. 50 BC), Amsterdam 1987, 142– manRepublic (ca. 80–
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undKonsens
93
fürwortete. Das geschah in Versammlungen, die nicht stimmberechtigt waren und bei denen dasVolk nicht nachTribus geordnet stehen mußte, dencontiones. Die contio ist einganz eigenes Feld derInteraktion zwischen Aristokraten und Volk. Nach Karl-Joachim Hölkeskamp ist der rhetorische und performative Aufwand, denrömische Senatoren bei einer contio an denTag legten, sehr hoch42. Hier konnte der rogator am Gemurre oder amBeifall abschätzen, ob der Antrag keine Chance hatte oder durchkommen konnte. Er konnte ihnbei solchen Gelegenheiten sogar modifizieren, zumal wenn Standesgenossen, die er dazu aufforderte, vor der contio zu sprechen, solche Änderungen anregten unddie Versammlung den Änderungsvorschlag mit Beifall aufnahm43. Eine ansehnliche Menge von Initiativen scheiterte in dencontiones, vor allem Ackergesetze und Einbürgerungsgesetze; das heißt, der Widerstand des Volkes, sichtbar und hörbar an Gemurre, Geschrei und erhobenen Fäusten, war so groß, daß der Antragsteller undseine Unterstützer darauf verzichteten, den Antrag einzubringen. So gesehen konnten die Comitien als Konsensorgan deswegen fungieren, weil in den contiones der erforderliche Konsens erst hergestellt wurde bzw. weil er partout nicht zuerreichen war44. Diese contiones sind wenig erforscht45. Das hat einen forschungsaxiomatischen Grund. In ihnen wird nichts beschlossen; daher scheinen sie für denpolitischen Prozeß unwichtig. Diecontiones sind aber nurdannunwichtig, wennmanunter Politik 42 Darauf hat schon MILLAR, JRS 74, 1984, 2 hingewiesen; er hat die Bedeutung der Rhetorik kürzlich unterstrichen: DERS., Popular Politics at Rome in the Late Republic, in: I.Malkin/Z.W. Rubinsohn (Hgg.), Leaders andMasses in theRoman World. Studies in Honor 111. of Z.Yavetz, Leiden usw. 1995, 102; 109– 7) und60 v.Chr. (Cic. Att. 1,19,4). 43 So z.B. 167 v.Chr. (Liv. 45,21,1– 44 Cic. Sest. 105 behauptet, zurZeit dergroßen popularen Tribune seien rogationes vonOptimaten häufig abgelehnt worden (suffragiis offendebatur saepe eorum voluntas). Dafür fehlt jeder Hinweis. Dennoch kann die Aussage zutreffen, wenn mansie nicht wörtlich nimmt, d.h. wenn Cicero denTerminus suffragium untechnisch verwendet; er umschreibt dann den Umstand, daß der Widerstand in dencontiones bereits so groß war, daß die rogatores es
nicht aufdieAbstimmung ankommen ließen. 1153. L.LANGE, Römische Alterthümer, 45 W.LIEBENAM, RE 4.1, 1901, s.v. contio, Sp.1149– 723 hat die contiones knapp aber systematisch behandelt. Doch Berlin 31879, II, 715– TH.MOMMSEN fertigt die contio unter dem Paragraphen “ Magistratische Competenz” 200; er fügt noch in III, 390 unter dem Para(Römisches Staatsrecht, Leipzig 31887, I, 197– graphen “ Verlauf der Volksabstimmung”einige Bemerkungen hinzu) kurz ab; im selben Sinne schreibt auch E.V.HERZOG, Geschichte undSystem der Römischen Staatsverfassung, Es genügt daher genau genommen, dieKontionen unter demRecht Leipzig 1884, I 2, 1058: “ derMagistrate ... undderVolkstribunen zubesprechen; bei denKomitien kommen sie nur noch unter den dieselben vorbereitenden Akten in Betracht” . Sogar BLEICKEN, Lex Publica (s.o.A. 1)285, dersich umdie sozialgeschichtliche Einbettung verfassungsmäßiger Verhältnisse undProzesse bemüht, nennt die Comitien das “ institutionalisierte Volk” undgeht bei der Behandlung des ‘Willensträgers’auf die contiones (282) nicht ein. Die Arbeit von F.PINA POLO, Las contiones civiles y militares en Roma, Zaragoza 1989 stellt einen Katalog dar. Sehr ergiebig sind die Erörterungen, die CL.NICOLET, Le métier de citoyen dans la Rome 391 zu den contiones undder Kommunikation mit dem Volk républicaine, Paris 1976, 386– anstellt.
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den Bereich versteht, wo die in Institutionen organisierten Mitglieder der politischen Gemeinschaft Entscheidungen treffen. Mit diesem Begriff von Politik läßt je sich die griechische Polis relativ gut erfassen, weil dort die Volksversammlung – nach Zeit undOrt in höherem oder geringerem Maße –tatsächlich ein Entscheidungsorgan war. Aber dieser Politikbegriff faßt die konsensualistischen undrituellenPraktiken nicht, andenen die römische Politik so reich ist. Wendet manihn auf Politik”die die Comitien an, dann ergibt sich eine Aporie: Denn wenn manunter “ Partizipation an Entscheidungen versteht, die für die gesamte politische Gemeinschaft verbindlich sind oder diese tangieren, dann waren die Comitien nur in sehr geringem Maße ein Ort derPolitik. Gerade die contiones hingegen, von der Forschung bisvorKurzem vernachlässigt, weil inihnen ja keinBeschluß gefaßt wurde, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als derjenige Ort, woin institutionellen Formen–die contio wurde vonMagistraten einberufen, formell eröffnet undbeendet – das Volk an politischen Entscheidungen partizipieren konnte. Diese Partizipation beschränkte sich zwar auf Gemurre oder Beifall; sie war also wenig formalisiert; doch sie warwirksam, undsiegabhäufig denAusschlag. Aber wuchs denComitien in der späten Republik nicht eine neue Funktion zu? Wurden sie nicht wegen des zunehmenden Dissenses innerhalb der Nobilität zu einemEntscheidungsorgan? Die Annahme, daßdie abstimmende Volksversammlung tendenziell zummaßgeblichen Ort politischer Entscheidung wurde, sobald die Aristokratie sich nicht einigen konnte, scheint auf den ersten Blick einleuchtend46. Sicherlich wuchs die Chance nichtaristokratischer Schichten, ihrem Willen Nachdruck zuverleihen, wenn dieherrschende Klasse uneinig oder gartief gespalten war. Obdadurch dieComitienSpielraum für‘Entscheidungen’gewannen, ist eine ganz andere Frage. Wenn man das oben erörterte Verhältnis zwischen Comitien und contiones zum Ausgangspunkt nimmt, um die Entwicklungschancen beider Institutionen in der konkreten Dynamik innerhalb deshistorischen Prozesses zu erörtern, dann wird sichtbar, daß
46
The popular will of the Roman peoCPh 85, 1990, 285 drückt diese Ansicht so aus: “ plefound expression inthecontext, andonly inthecontext of divisions within theoligarchy. So, democratic politics inRomewasa function of thedegree andtype of competition in progress between oligarchic families, groups, orindividuals” . Er sieht hierin eindeutliche Parallele zur Herausbildung der athenischen Demokratie (ibid. 286 A.29). HOPKINS, in: Molho/ Aristocrats disagreed among themRaaflaub/Emlen (Hgg.), City States (s.o.A. 7) 492 meint: “ . Doch wenn die Spaltunselves, so that popular assemblies often held thebalance of power” gen in der Oligarchie auch das Volk spalten, dann schwindet die Chance, einen “popular gegen dieAristokratie überhaupt zuformulieren, geschweige denn geltend zu machen. will” Obdies eintrifft, hängt vondensozialen Beziehungen zwischen denverschiedenen Gruppen der Herrschenden einerseits undauf diese Gruppen bezogenen “Anhängerschaften”anderseits ab.WennMillar undNorth diesen Aspekt ausblenden, danngeben siezuerkennen, daß NORTH,
ihnen eine griechische Polis als Modellfall von Politik vorschwebt; dort waren die sozialen Abhängigkeitsbeziehungen innerhalb der Bürgerschaft in der Tat eine vernachlässigbare Größe, wennesumpolitische Meinungsbildung undEntscheidungen ging.
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die Comitien sogar dannkein Entscheidungsorgan werden konnten, als derDissens
inderAristokratie
anwuchs.
Jene ‘konfligierenden Meinungen, die sich in den contiones äußerten, bevor manüber einGesetz abstimmte’ kamen nicht inderWeise zurGeltung wiein ei47, ner griechischen Volksversammlung oder gar in modernen Parlamenten, ja auch nicht wie in einer Dorfversammlung bei denMaasai. Denn manlegte denComitien nie unterschiedliche Anträge vor, aus denen sie einen auswählen konnten. Ihnen fehlte ein wesentliches Element jeglichen Entscheidungsvorganges, nämlich die Beratung. Diese ist unumgänglich, wenn manzwischen mehreren Optionen zuwählen hat, gemäß von Präferenzen, über welche der Mitentscheidende Klarheit haben muß. In derhellenischen Kultur waren Beratung undAbstimmung sehr häufig in ein und demselben Organ –der Volksversammlung –verzahnt; daher mußte, wenn
der Führungsschicht, sofern er vor die Volksversammlung gebracht wurde, diese als Entscheidungsorgan aufwerten. Doch diese Verzahnung existierte inRomnicht auf dieselbe Weise. Die contiones unddie Comitien konnten personell verschieden zusammengesetzt sein. DerBefehl deseinberufenden Magistrats verwandelte zwar eine contio in eine Stimmversammlung, doch dazu war eine neue Aufstellung der Bürger vonnöten. Es ist von daher erklärlich, daß die Comitien auch nach 133 v.Chr., als der inneraristokratische Konsens immer brüchiger wurde, nicht zum Entscheidungsorgan wurden. Die zunehmende Konsensunfähigkeit innerhalb der Aristokratie bewirkte allerdings, daß die Versammlungen zur Information der Bürgerschaft immer stärker zum Forum der Konfrontation zwischen aristokratischen Gruppierungen mit ihren konträren Optionen wurden. Der Dissens zwischen ariandere Faktoren nicht entgegenwirkten, jeder Dissens innerhalb
stokratischen Amtsträgern, bzw. deren jeweiligen aristokratischen Freunden, wurde jedoch nicht in denabstimmenden Volksversammlungen ausgetragen. Jedenfalls hüteten sich die antragstellenden Magistrate davor, denDissens, der zwischen ihnen undstarken Teilen derPlebs über denkonkreten Antrag bestand, in denComitien zu erproben. Der politische Dissens blieb also aus demOrgan, das abstimmte, fast
restlos ausgelagert.
Will man unbedingt den ‘Bereich der politischen Entscheidung’ in diesem System bestimmen, dann könnte mansagen: Er warzwar weitgehend deckungsgleich mitderKommunikation derSenatoren innerhalb desSenates, aber er wares niezur Gänze, zum einen weil das, was die Aristokratie wollte, vom Volk mitgetragen weswegen eine ‘Entscheidung’nurzu einer wurde, wenn das Volk werden mußte – , zumanderen weil Alleingänge vonSenatoren amSenat vorbei insie akzeptierte – stitutionell stets im Bereich des Möglichen lagen undgelegentlich sich auch ereigneten –weswegen ‘Entscheidungen’ nicht nur innerhalb des aristokratischen Leitungsgremiums fielen, sondern dadurch zustandekamen, daß dieses Leitungsgremi-
47
MILLAR, JRS 76,
1986, 4.
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um Fakten
hinnahm, die ein Senator eigenmächtig oder eigenwillig geschaffen hatte. Diese Inkongruenz zwischen demBereich politischer Entscheidung und der Willensbildung innerhalb des Senats wuchs seit 133 v.Chr.; sie war sowohl ein Symptom als auch ein Grund dafür, daß sich das politische Kräfteverhältnis zuungunsten deszentralen Leitungsorgans derAristokratie verschob. Daraus folgt nicht, daß sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Volkes verschob; in der Regel profitierten von dieser Verschiebung herausragende Senatoren, die sich auf das Volk oder Teile vonihmstützten. Das politische Gewicht der Beherrschten kann somit unter bestimmten Bedingungen zunehmen, ohne daß das Organ, in welchem sie sich – wenn mandie Maßstäbe einer politischen Philosophie anlegt, deren Kategorien sich von der griechischen Tradition herleiten –zur Willensäußerung versammeln, an Bedeutung gewinnt; dies ist zwangsläufig der Fall, wenn die Beherrschten in einem Organ wie denComitien nicht ihren eigenen Willen formulieren oder gar zumGesetz erheben können, sondern immer nurdemWillen anderer zustimmen. Aber umso mehr wurden die contiones in die sich verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen aristokratischen Gruppierungen hineingezogen. Daraus ergibt sich, daß in der späten Republik nicht die Comitien sich ‘politisierten’, sondern die contiones. Die Abneigung, die Cicero des öfteren gegen die contiones an den Tag legt48, wird von daher verständlich.
In die Diskussionen umdie kategoriale Klassifizierung des politischen Systems der römischen Republik mischt sich unentwegt die Frage nach dem Politisierungsgrad der nichtaristokratischen Bürger; unddabei operieren viele Forscher mit unausgesprochenen modernen kulturphilosophischen Axiomen. Dabei geht es nicht mehr allein umRom, sondern auch umKonzepte zur Orientierung in der Gegenwart49. Die soziologische Ausweitung des Kategorienapparates ist daher auch ein Mittel,
umsemantische
Distanz
zumhistorischen Gegenstand herzustellen unddie
seit MaxWeber eingeforderte Trennung vonwissenschaftlicher Erkenntnis undkultureller Sinnstiftung einzulösen.
107; Flacc. 17. 48 Cic. Att. 1,16,11; Sest. 104–
49
Manche Forscher legen diese Intention offen undmachen sie damit zumGegenstand einer rationalen Diskussion innerhalb derWissenschaft. Sowill NORTH, CPh85, 1990, 283 daran festhalten, daßes “ a common element topopular participatory systems in antiquity andnow” gegeben haben soll, welches manals “ bezeichnen müsse, weil mit diesem Wort democratic” die Kontinuität zwischen Antike undModerne behauptet wird. Doch damit hat North das Gebiet derAnalyse deshistorischen Gegenstands verlassen undhateine derwichtigsten Täin denDienst vonKontinuitätsverbürdieBegriffsbildung – tigkeiten derForschungspraxis – gung undvonSinnstiftung gestellt. Sinnstiftung kann aber eo ipso kein Anliegen der Wissenschaft sein; undsie beschränkt die historische Erkenntnis (dazu: E.FLAIG, Angeschaute Geschichte. ZuJacob Burckhardts ‘Griechische Kulturgeschichte’, Rheinfelden 1987, 246 ff.;
272 ff.).
Entscheidung
undKonsens
97
Weit verbreitet ist die stillschweigend gemachte Vorannahme, der Grad der Politisierung der Beherrschten in irgendeinem politischen System undder Grad ihres Engagements für die politische Gemeinschaft hänge davon ab, wie sehr die beherrschten Bürger an den‘politischen’Entscheidungen beteiligt sind. Diese Annahmeistjedoch ein modernes Vorurteil, in demselben Maße unzutreffend –bei einem wie nützlich für die politische Identitätsbildung50. Verinterkulturellen Vergleich –
mandenBlickwinkel undfaßt manunter ‘Politik’nicht nurdiePartizipation an Entscheidungen, sondern den Austrag von Interessengegensätzen zwischen schiebt
innerhalb eines spezifischen Rahmens Gruppen derselben politischen Gemeinschaft – , dann ergibt sich ein erheblich differenentlang bestimmter Regeln undFormen – zierteres Bild51.
50
51
ALEXIS DE TOCQUEVILLE sah das ganz anders; er hielt die Demokratie für unfähig, einen Krieg zuführen, weil die soziale Gleichheit die Opferbereitschaft der einzelnen heruntersetze: “ In einer Nation, wodie soziale Gleichheit herrscht, hatdereinzelne Bürger nurgeringen Anteil an derpolitischen Macht undoft gar keinen; anderseits sind alle unabhängig undhaben Güter zu verlieren, so daß manviel weniger die Eroberung undweit mehr den Krieg fürchtet als in einer aristokratischen Nation. Es wird immer schwierig sein, eine demokratische Bevölkerung zubewegen, daßsie zudenWaffen greift, wenn derKrieg in ihr
Gebiet getragen worden ist” (Oeuvres, hg. v. J.P.Mayer, Band I, 2 [De la Démocratie en Amérique], Paris 1953, 290, übers. v. E.F.). Tocqueville operiert also mit denselben Kategorien wiedieBefürworter derDemokratie: Engagement fürdasGemeinwesen (für dasbonum commune), Grad der Partizipation an der Macht (an denEntscheidungen). Undgenau wie Bereitschaft zum Engagement und politische diese setzt er voraus, daß beide Sachverhalte – Partizipation –konnektiert seien, daß letzeres die Bedingung für ersteres sei. Dennoch kommt er zueiner diametral entgegengesetzten Ansicht als die Anhänger der Demokratie. MitSicherheit haben sich beide Seiten geirrt, wiediegroßen Kriege sowohl des 19. als auch des 20. Jahrhunderts –mit ihrem massenhaften undweitreichenden Engagement ohne alle allzudeutlich gezeigt haben. Dann Rücksicht auf diejeweiligen Partizipationsmöglichkeiten – ist aber derKonnex falsch; er hatte lediglich innerhalb einer bestimmten Konstellation der kulturellen Semantik ein außerordentliches ‘ideologisches’ Gewicht in den politischen Auseinandersetzungen umdiePartizipation vonGruppen, diejeweils noch vonderMacht ausgeschlossen waren. DieBereitschaft, sich fürdiepolitische Gemeinschaft zuengagieren, hängt sehr wohl davon ab, wie stark die betreffende Gruppe in diese Gemeinschaft integriert ist bzw. welche Hoffnung, sich in sie integrieren zukönnen, in ihr wirkt; aber diese Integration bemißt sich keineswegs daran, in welchem Grade sie an denpolitischen Entscheidungen (an der ‘Macht’) teilhaben. J.BLEICKEN kategorisiert das Problem, das sich daraus ergibt, daß die Volksversammlung immer nurzustimmen kann, wenn die Aristokratie ihr gegenüber geschlossen Stellung beUndselbst wenndieNobilität als Ganze der zieht, mitHilfe desBegriffs derÖffentlichkeit: “ Volksversammlung geschlossen gegenübertrat, wardasVolk, dasdann allerdings nurdem Willen der Nobilität zustimmen konnte, noch nicht zu einer reinen Akklamationsinstanz herabgesunken. Die Volksversammlung garantierte nämlich auch dann immer noch die Öffentlichkeit der Politik, und das hieß auch, daß alle Politik einen Bezug auf das Volk haben mußte” (Die Verfassung der römischen Republik. Grundlagen undEntwicklung, Paderborn Öffentlichkeit”ist methodisch der Weg geöffnet, nach u.a. 31982, 106). Mit der Kategorie “ unterschiedlichen Sphären der Öffentlichkeit undden unterschiedlichen Kommunikationsformen in denselben zufragen. Allerdings ergibt sich dann, daßdie Akklamation ein Vorgang ist, deran Öffentlichkeitsgrad undpolitischer Intensität einer Abstimmung keinesfalls nachstehen muß. Denn Konsensrituale können ‘mißlingen’, Akklamationen können verweigert werden. ZurInvertierbarkeit vonpolitischen Ritualen anHandexemplarischer Ereignis-
98
EGON FLAIG
Die römische Plebs verfügte über einreichhaltiges Repertoire kollektiver Aktionsformen, ummagistratische Handlungen momentan oder dauerhaft zublockieren, den Gehorsam symbolisch aufzukündigen oder gar der gesamten Aristokratie mit Gewaltanwendung zu drohen. In schweren Fällen kollektiver Verweigerung des Gehorsams gegenüber einem Magistrat zerbrach mandessen Liktoren die Rutenin besonderen Situationen steinigte manMagistrate oder lynchte bestimmt Aristokraten; bei schwerem Dissens mitderAristokratie drohte die Plebs regelmäßig, das Senatsgebäude in Brand zu setzen52. Diese ritualisierten Formen kollektivenHandelns ähneln solchen, die sich in derfrühen Neuzeit finden; sie waren aber wirkungsvoller und weitreichender, weil sich in Rom keine ‘Polizei’ zur Stelle fand53. Sie waren einkardinaler Faktor impolitischen Kräfteverhältnis zwischen der Plebs undder Aristokratie; denn beide Seiten memorierten die Präzedenzfälle und verargumentierten sie54. Wenn man von diesen Vorkommnisssen absieht oder sie als delinquente Randerscheinungen abqualifiziert, dann übergeht manBewegungsformen derInteraktion, welche dasFeld derPolitik markierten. Wenn solche Aktionen im ‘Normalfall’ausblieben, dann heißt das keinesfalls, daß sie vernachlässigbare Ereignisse darstellten. Legt maneine Serie solcher Vorkommnisse an undschließt daraus auf ihre geringe statistische Relevanz, dann bekommt maneinen maßgeblichen Faktor despolitischen Handelns nicht in denBlick, nämlich das Wissen der agierenden Gruppen und ihre Erwartungen55. In diesem Wissen waren die ‘nicht-normalen’, gewaltsamen Aktionen gespeichert und als mögliche Grenzfälle präsent, die sichjederzeit wiederholen konnten, wenn mandie Grenzen nicht respektierte. Wenn der eingeübte Gehorsam mit erinnerter Gehorsamsverweigerung korreliert warunddas eingeübte korrekte Befehlen mit den erinnerten Übergriffen, dannwarder‘Normalfall’nichts anderes als dieResultante des bündel;
se während des Prinzipats: E.FLAIG, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römi333. 93; 298 f.; 322 ff.; 328– schen Reich, Frankfurt usw. 1992, 86– 52 Drohung, die curia in Brand zu stecken: Cass.Dio 39,29,3 (56 v.Chr.). Dazu: A.W.LINTOTT, 20 (mit Belegen); P.BRUNT, TheRoman Mob, Violence in Republican Rome, Oxford 1968, 7– 27; VANDERBROECK, Leadership (s.o.A.41) 146– 153 (mit einem Katalog P&P 35, 1966, 3– sämtlicher in den Quellen angegebener Vorkommnisse zwischen 80 und 50 v.Chr.: 218– 69 (mit Belegen). 267); NIPPEL, Aufruhr (s.o.A.11) 54–
53 Dazu:
69. (s.o.A.11) 27– Vertreter deraristokratischen Herrschaft wie M.Antonius sprach 95 v.Chr. vom dolor iustus des Volkes und billigte der Plebs gewisse außerinstitutionelle Reaktionen 200; Cic. part. 105). zu, umihre Position zuverteidigen (Cic. deorat. 2,198– Diesymbolische Dimension despolitischen Handelns undInteragierens erschließt sich überhaupt erst, wenn derForscher eine ‘interpretierende’Perspektive einnimmt unddie strategische Qualität desHandelns der historischen Agenten miteinbezieht. Dazu derknappe aber dichte Überblick bei J.RÜSEN, Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbe94 u. 125– 129; ferner: wußtseins, sich in der Zeit zurechtzufinden, Köln usw. 1994, 90– A.GIDDENS, Interpretative Soziologie. Eine kritische Einführung, Frankfurt usw. 1984, 85– 157; DERS., Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der 111 u. 126– 199; 228– 279; SAHLINS, Inseln 131; 192– 77; 91– Strukturierung, Frankfurt usw.1992, 55– 153; BOURDIEU, Sozialer Sinn (s.o.A.37) 79– 78; 133– 96. (s.o.A.37) 40– 45; 47– NIPPEL, Aufruhr
54 Ein notorischer
55
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99
Verhaltens voninteragierenden Gruppen, die sich darum bemühten, die ‘Grenzfälle’ zuvermeiden, so lange es ging. Auch wenn die beherrschten Bürger eine solche aristokratische Herrschaft grundsätzlich akzeptierten undihre politische Form lange Zeit nicht in Frage stellten56, bedeutete dies nicht, daß die Aristokratie entschied unddie Plebs gehorchte; vielmehr hing derGehorsam derPlebs in denkonkreten politischen Situationen davon ab, wie zustimmungsfähig diePolitik derAristokratie jeweils war. Die außerinstitutionelle Macht der Plebs, aristokratische Initiativen zu blockieren undmit Androhung kollektiver Aktionen die Aristokratie zu nötigen, bewirkte, daß Politik weit mehr zwischen sozialen Gruppen ablief als daß sie innerhalb von Organen stattfand. FanddiePolitik derAristokratie andiesen Reaktionsformen derPlebs eine materielle Grenze undam Wissen umdie Möglichkeit solcher Reaktionen eine kognitive Schranke, dann fungierte dieses außerinstitutionelle Aktionspotential der Plebs als ein maßgeblicher Faktor dafür, was und worüber entschieden werden konnte. An der Durchsetzbarkeit entschied sich, was eine ‘Entscheidung’ werden konnte. Unter diesen Umständen ist die Suche nach einem souveränen Organ innerhalb despolitischen Systems vergeblich: Aufdereinen Seite warder Senat kein Ort der souveränen Entscheidung, diefür diegesamte politische Gemeinschaft verbindlich war; denn dieBlockademacht derPlebs konnte solche ‘Entscheidungen’zunichte machen. Außerdem konnte nurdas, wasdieComitien beschlossen, letztinstanzliche Verbindlichkeit für die gesamte res publica beanspruchen –als iussum populi oder als lex. Auf der anderen Seite indiziert diese außerinstutionelle Macht der Plebs, daßvonDemokratie keine Rede sein kann; denn hätte die Plebs über die sogenannten politischen Organe der Willensbildung ihren Willen ausdrücken können, dann hätte sie keine solch symbolisch undzeremoniell differenzierten außerinstitutionellen Aktionsformen entwickeln müssen undkönnen57.
56 Schon in den50er Jahren des 1. Jhs. v.Chr.
57
mehrten sich die Anzeichen dafür, daß die AriSenat undMagistratur – stokratie nicht mehrvermittelst ihrer herkömmlichen Machtorgane – über die Plebs zu herrschen imstande war. Ab dem2. Triumvirat spätestens akzeptierten Plebs undLegionen die aristokratische Herrschaft nur noch, wenn quasimonarchische oder monarchische Figuren diese Herrschaft vermittelten. Das Diktum vonJ.BLEICKEN, Lex Publica (s.o.A.1) 244: “ Der Wille des römischen Volkes ist kein unabhängiger Wille” , kleidet eine kardinale Einsicht, hinter welche Millar, Lintott und in gewisser Hinsicht auch North zurückfallen, in eine Diktion der Verfassungslehre. Übersetzt in die konkrete Sprache der historischen Analyse, heißt dieser Satz, daßdie Comitien gegebenenfalls auch gegen eben nicht derBereich waren, inwelchem der‘Wille’desVolkes – zumAusdruck kam. denWillen derjeweiligen Magistrate oder dergesamten Aristokratie – Das Diktum magvöllig zutreffen, wenn manunter demrömischen Volk die Comitien versteht. Willesjedoch besagen, dasrömische Volk habekeinen eigenständigen ‘Willen’gehabt, welchen esgegen dieAristokratie hätte wenden können, dann ist diese Formulierung nicht wennmandarunter denAustrag von zuhalten. DerBereich derPolitik imeminenten Sinne – befand sich an Interessengegensätzen innerhalb einer politischen Gemeinschaft versteht – denOrten, wobeide Statusgruppen mitihren ‘unabhängigen’Willen aufeinandertrafen.
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EGONFLAIG
Um dazu beizutragen, den politische
Stellenwert aller wichtigen Räume der Kommunikation zwischen Aristokratie undPlebs zu erfragen undihre Verzahnung untereinander zuermitteln, ist nuneinBlick aufdie‘Spiele’zuwerfen.
4. ‘Spiele’undpolitische
Integration
Ludische Veranstaltungen, seien es circensische, szenische oder gladiatorische, fungierten immer als Element eines Festes58. DasFest in derAntike diente der Stiftung undder periodischen Erneuerung der Gemeinschaft. Politische Veranstaltungen hatten insofern automatisch eine religiöse Dimension, als kein antikes Gemeinwesen auf rein säkularer Basis stand59. Erst die Französische Revolution hat
58 E.RAWSON,
59
Discrimina Ordinum: The Lex Julia Theatralis, in: dies., Roman Culture and The games in Rome were not simply a suSociety. Collected Papers, Oxford 1991, 508: “ preme expression of euergetism, or a method of their giver to gain popularity with theplebs and impress foreigners with Rome’s splendour; they were central to its culture in innumerable ways. They hadalso always been to some extent, andwere even more after Augustus’ death, as the people lost its right to elect magistrates and pass laws, political gatherings where public opinion was made known andpolitical demands putforward. But they were moreyet; notonly where theEmperor methis people, butwhere thewhole of society metto do honour to the gods.”Ähnlich: G.PICCALUGA, Elementi spettacolari nei rituali festivi romani, Studi e materiali di storia delle religioni 2, Rom 1965. Siehe auch: Cic. leg. 2,9 und Quint. inst. 3,8. G.WISSOWA, Religion undKultus der Römer, München 21912, 449 läßt zwar die ‘Spiele’ als religiös durchtränkte Veranstaltungen gelten, doch er trennt sie vondenjenigen Festen, die ‘eigentlich’ religiös waren. Ähnlich schreibt K.LATTE: “Viel geringer war der religiöse Gehalt in denjährlichen öffentlichen Spielen ...”(Römische Religionsgeschichte, München 1960, 248). Dagegen setzt J.BAYET, La religion Romaine. Histoire politique et psychologique, Paris 21969, 139 eine fundamental andere Auffassung der ‘Spiele’: “ On se gardera de croire ... quedans ces cérémoniels fériaux le sentiment religieux ait risqué dese perdre sous celui du plaisir profane.”Bei der Behandlung dieses Problems folgt die französische Forschung einer anderen Traditionslinie als die deutsche. Deutsche Forscher haben dazu tendiert, den religiösen Gehalt historischer Phänomene danach zu bemessen, wieviel ‘Glauben’ in ihm enthalten ist; wie U.V. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF vom “ Glauben der Hellenen” jelebendiger Glaube” spricht, so bewertet LATTE (a.O. 15) die Religiosität danach, wieviel “ weils vorausgesetzt werden darf. R.SCHILLING, Le Romain de la fin de la République et du Empire enface dela religion, in:ders. Rites, cultes, dieux deRome, Paris 1979, 71 début del’ Je me debenennt behutsam das Defizit, das in Lattes Kriterium zumAusdruck kommt: “ mande si cette formulation estcorrecte, si elle netrahit pasdans unecertaine mesure uneoptique anachronique.”Die französische Forschung seit Fustel de Coulanges in den Altertumswissenschaften undseit Durkheim in der Soziologie hat in viel stärkerem Maße die Funktion der Grupppenbildung undder Gemeinschaftsstabilisierung in ihre Überlegungen einbezogen. Daraus hatsich eine sehr unterschiedliche Bewertung derRituale ergeben. Ein gutes Zeugnis fürdieErgiebigkeit dieses Ansatzes ist dasWerkvonA.PIGANIOL, Recherches surlesjeux Romains. Notes d’archéologie etd’histoire religieuse, Straßburg 1923. Obwohl es in vielen Einzelheiten überholt ist undmanche Spekulationen sich als unhaltbar erwiesen haben, gewinnt seine Grundannahme, die‘Spiele’seien zutiefst in dasGefüge derrömischen 149), heute zunehmend an Boden. Religion als einer Kultreligion eingebettet gewesen (75– 396 versucht, eine vermittelnde Position einzunehmen: die geVEYNE, Pain (s.o.A.6) 390– meinschaftsstiftende Funktion derFeste ist für seine Überlegungen zentral, aber ihre religiöse Dimension nahm seiner Meinung nach tendenziell ab. Mitumfangreicher Argumenta-
Entscheidung
undKonsens
101
säkulare Gemeinwesen hervorgebracht, die ohne göttlichen Beistand auskommen. In Rom waren die meisten den Göttern gewidmete Feiern automatisch politische
Veranstaltungen, weil die römischen Götter in starkem Maße auf die res publica bezogen waren60. Im Fest erneuerte sich nicht bloß das Jahr und der Kosmos; es erneuerte sich zugleich undvor allem diepolitische Gemeinschaft. Undes reproduzierte sich die soziale Ordnung. Diese war in Rom sehr viel hierarchischer als in
undsie stellte sich demgemäß im Fest anders dar, als die mehr egalitäre Ordnung in Hellas es tat. Fragt man, welche Elemente des Festes in besonderer Weise die Partizipation der Bürger an der Gemeinschaft abbildeten, so ergibt sich ein deutlicher Unterschied zur hellenischen Festkultur: Die Verteilung des Opferfleisches ingleichen Stücken ananwesenden Bürger, diese eindrucksvolle Symbolisierung der Teilhabe an der politischen Gemeinschaft, fehlt dem römischen Fest61. Die Opfer fürdieGötter hatten somit inRomnicht dieselbe gemeinschaftsinszenierende Aufgabe wie in Hellas62. Der Schwerpunkt lag auf denProzessionen (pompa) undauf denDarbietungen, denludi. Das Arrangement dieser 'Spiele' folgte einer anderen Semantik alsdasjenige dergriechischen Agone. Bei den griechischen Agonen der klassischen Epoche waren Zuschauer und die Auftretenden waren Auftretende sozial undpolitisch einigermaßen homogen – vornehme Bürger, auch wenn sie nicht dereigenen Polis angehörten; die Zuschauer waren gleichfalls Bürger, wenn auch gelegentlich von verschiedenen Poleis. Doch in Rom waren die eigentlichen Zuschauer allesamt römische Bürger; und die Auf-
Hellas;
tretenden waren Nichtbürger oder Ehrlose63. Zwischen den Zuschauern und den
tion verficht M.CLAVEL-LÉVÊQUE, L'Empire enjeux. Espace symbolique et pratique sociale dans le monde romain, Paris 1984, besonders 11; 85 und206 A.297) dieUntrennbarkeit von
sakraler Dimension undpolitischer Gemeinschaftsbildung. 36; A.WARDMAN, Re60 M.BEARD/M. CRAWFORD, Rome in the Late Republic, Ithaca 1985, 25– ligion and Statecraft among the Romans, Baltimore 1982; J.A.NORTH, Conservatism and 12. Allerdings lassen diese "verstaatlichten" Change in Roman Religion, PBSR 44, 1976, 1– Götter trotzdem private Formen derKommunikation mit ihnen zu; dazu: B.GLADIGOW, Zur Ikonographie und Pragmatik römischer Kultbilder, in: H.Keller/N. Staubach (Hgg.), Iconologia Sacra. Mythos, Bildkunst undDichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas, Festschrift für K.Hauck zum75. Geburtstag, Berlin/New York 1994, 16 f. 61 P.SCHMITT-PANTEL, Banquet et cité grecque. Quelques questions suscitées parles recherches 158; J. SCHEID, Sacrifice et banquet à Rome. Quelques prorécentes, MEFRA 97, 1985, 135– 206. blèmes, ebd. 193– 62 VEYNE, Pain (s.o.A. 6) 415. 63 Ausgenommen waren dieSchauspieler deraltitalischen Atellanen-Aufführungen. Sie behiel12). Zur Ehrlosigkeit der Auftretenden: ten das volle Bürgerrecht (Liv. 7,2,11– A.H.J. GREENIDGE, Infamia, Oxford 1894, Ndr. Aalen 1977; T.FRANK, The status of actors at 20; M.KASER, Infamia und ignominia in den römischen RechtsRome, CPh 26, 1931, 11– 278; M.DUCOS, La condition des acteurs à Rome. Données quellen, ZRG 73, 1956, 220– juridiques et sociales, in: J.Blänsdorf (Hg.), Theater und Gesellschaft im Imperium Roma33; F.DUPONT, L'acteur-roi ou le théâtre dans la Rome antique, num, Tübingen 1990, 11– Paris 1985, 97f.; H.LEPPIN, Histrionen. Untersuchungen zursozialen Stellung vonBühnenkünstlern imWesten desRömischen Reiches zurZeit derRepublik unddesPrincipats, Bonn 83. 1992, 71–
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EGONFLAIG
Auftretenden verlief also eine empfindliche Trennlinie, die schon an sich vonpolitischer Qualität war und demRitual eine zusätzliche politische Dimension gaben. Denn dieAusschlußlinien wirkten: Die versammelten Bürger waren sich ihrer Bürgeridentität desto gewisser, je deutlicher die Auftretenden als Außenstehende wahrgenommen wurden,
als nicht zum Bürgerverband gehörig, als Fremde, als
. Andere” “ Die ludischen Veranstaltungen nahmen seit dem2. Punischen Krieg rasant
zu.
ist signifikant, wie sehr die ludi mitjährlicher Periodizität sich vermehrten: Von366 v.Chr. anwurden in Rom 150 Jahre lang nurdie ludi Romani jährlich gefeiert; um 220 (oder 216) v.Chr. wurden die ludi Plebeii jährlich; 212 kamen die ludi Apollinares hinzu, welche 208 jährlich wurden; seit 204 feierte mandie ludi Megalenses, diese wurden 191 v.Chr. jährlich; 202 kamen diejährlichen ludi Cerialia hinzu, 173 schließlich diejährlichen ludi Floralia64. Innerhalb vonca. 45 JahDabei
ren versechsfachten sich die jährlich abzuhaltenden ludi. Diese Umstrukturierung des Festkalenders hatte beträchtliche Rückwirkungen auf die Rhythmisierung der Zeitjedes römischen Bürgers undjeder römischen Familie. Aber das war noch nicht alles. Außerordentliche ludi hatte es in Rom immer gegeben, unregelmäßig. Nunnahm ihre Frequenz geschwinde zu. Es gab sie in drei Formen: erstens als munus (Gladiatorendarbietung) anläßlich von Leichenbegängnissen senatorischer Familien, zweitens als ex voto Veranstaltungen, nach schweren Krisen, nach lang erhofften Siegen, häufig gefeiert von den siegreichen Feldherrn, nicht selten ohne Zustimmung des Senates (inconsulto senatu), drittens als ludi anläßlich eines Triumphes, diese waren bisweilen nicht von ex voto Veranstaltungen zuunterscheiden65. Die explosionsartige Zunahme derludischen Rituale ist zwar hinreichend damit zu erklären, daßdie rasche imperialistische Expansion es erforderlich machte, den sozialen Konsens häufiger zubeschwören undandie politische Kohäsion derrömischen Bürgerschaft verstärkt zu appellieren66. Aber diese Erklärung wird erst dann prägnant und gewinnt differentiellen Erkenntniswert, wenn manjene allgemeine Funktion aufdenkonkreten kulturellen Kontext bezieht. P.Veyne betont, daß der politische Abstand zwischen der römischen Aristokratie unddenBürgern mitdem2. Punischen Krieg so groß wurde, daßdieRömer
64 Vgl. dazu (mit denBelegen)
21; s. auch zu spezielCLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 18– leren Problemen: W.-K. QUINN-SCHOFIELD, Ludi Romani Magnique varie appellati, Latomus 103; DERS., Observations upon the Ludi Plebeii, ebd. 677– 688; J.CELS-SAINT26, 1967, 96– 286. HILAIRE, Le fonctionnement desFloralia sous la république, DHA3, 1977, 253– 65 Liv. 31,9,6 u. 39,5,7. Dazu: TH.MOMMSEN, Die ludi magni undRomani, in: ders., Römische 57; J.MARQUARDT, Römische Staatsverwaltung, Leipzig Forschungen 2, Berlin 1879, 42– 31885, III, 482 f.; WISSOWA, Religion (s.o.A.59) 452 f.; CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 31 f. 36. 66 CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 23–
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der unteren Schichten sich kaum noch als Bürger erfahren konnten67. Das trifft sicherlich zu, wenn mandavon ausgeht, daßdie einfachen Bürger sich nurin Beziehung zur Aristokratie definiert hätten. Doch die Bürger bestimmten underfuhren ihre eigene politische Identität ebenso in Abgrenzung gegenüber der gesamten nichtrömischen Welt. Diese Differenz mußte proportional zurwachsenden sozialen Distanz imInnern zunehmen, andernfalls hätte die Verschärfung der Klassenunterschiede dazugeführt, daßdiepolitische Kohäsion derBürgerschaft zerbröckelte. Es ist nicht zufällig, daßumdiese Zeit die Symbole derBürgeridentität –wie z.B. das eine Erhöhung ihres Diskurswertes impolitischen Umgang erProvokationsrecht – fuhren. Die Zunahme der Spiele ist funktional gut erklärbar, wenn mansie in den Kontext einer kombinierten Entwicklung stellt, diesoziale Distanz undsymbolische Integration korrelierte.
Doch nicht nurdie soziale undpolitische Ungleichheit vergrößerte sich beängdieDichte derKommunikation nahm dort rapide ab, wo die herrschenden mitdenbeherrschten Bürgern regelmäßigen Face-to-face-Kontakt pflegten, das heißt innerhalb der ‘Klientel’. Ende des 3. Jhs. kommt der erste Hinweis darauf zutage, daß die Kontaktfrequenz zwischen aristokratischen Patronen und nichtaristokratischen Klienten sich dramatisch vermindert hatte. Die lex Cincia von stigend, sondern
204 v.Chr. verbot Klienten,
ihren Patronen übermäßige Geschenke
zu machen68.
Wenn Klienten ihren Patronen immer umfangreichere Geschenke machten, dann wahrscheinlich, weil es für sie immer schwieriger wurde, patronale Leistungen ein-
die Konkurrenz zwischen denKlienten umHilfeleistungen des Patrons verschärfte sich zusehends69. Wegen der hohen Quote an Senatoren, die im 2. Puzufordern;
67 VEYNE, Pain (s.o.A.6) 415. 68 Tac. ann. 11,5,3: consurgent patres legemque Cinciam flagitant, qua cavetur antiquitus, ne quis ob causam orandam pecuniam donumve accipiat. Dazu: F.CASAVOLA, Lex Cincia. Contributo alla storia delle origini della donazione romana, Neapel 1960. spricht dieses Problem, demdie lex Cincia abhelfen sollte, in einer Rede an: sicut ante morbos necesse est cognitos esse quamremedia eorum, sic cupiditates prius natae sunt quamleges, quae iis modum facerent ... quid legem Cinciam de donis et muneribus, nisi quia vectigalis iam et stipendiaria plebs esse senatui coeperat? (Liv. 34,4,8 f.). Dazu: I.SHATZMAN, Senatorial Wealth andRoman Politics, Coll. Latomus 142, Brüssel 1975, 70 ff. E.BALTRUSCH, Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in derrömischen Republik undderfrühen Kaiserzeit, München 1989, 66 meint, das unddamit auf eine “Abwendung vom Gesetz reagiere auf eine “ Materialisierung der fides” mosmaiorum” . Er hältfides anscheinend für etwas “Immaterielles”unddenmosmaiorum füreine geronnene fixe Größe. Aber injeder Patronagebeziehung sorgt das asymmetrische in seien es Güter oder Dienste – Machtverhältnis automatisch dafür, daßmehr Leistungen – die Richtung desPatrons fließen als umgekehrt. Die Klientel ist ein Sonderfall von Patronage, dersoziale Beziehungen auf Verläßlichkeit undDauer auszurichten beansprucht und daher demPatron bestimmte Verpflichtungen vorschreibt. Doch wenn dessen Zeit knapp wird, kann dieser gar nichts dagegen tun, daßsich das innerklientäre Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten verschiebt. Diese Verschiebung drückt sich in höheren materiellen Zuwendungen derer aus, die seine Dienste benötigen. DasStandesethos erklärt an dieser Entwicklung nichts; denn es kann sich wandeln, ohne daß sich seine Maximen ändern, einfach dadurch, daßdieRahmenbedingungen dessozialen Handelns sich transformieren.
69 Cato Maior
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nischen Krieg im Felde standen, müßte sich die Chance, eine patronale Leistung voneinem Aristokraten einzufordern, verschlechtert haben; unddasmagein Anlaß gewesen sein, nunin die Klientelbeziehung mit einem Gesetz einzugreifen70. Doch die Annahme scheint sinnvoll, daß die Situation während des 2. Punischen Krieges nureinen Zustand untragbar machte, der sich schon lange verschlimmert hatte. Die enorme Ausweitung der römischen Herrschaft zwischen 285 und237 v.Chr. hatte dazu geführt, daß diePatronagekapazitäten der Aristokratie erschöpft waren; denn die Anzahl der Senatoren betrug maximal 300, die Anzahl der römischen Bürger,
die in Klientelen zu organisieren waren, stieg jedoch an; vor allem aber hatten sich die Aufgabenbereiche der Senatoren erheblich erweitert, so daßsich dieZeit reduzierte, die sie als Patrone für die Sorgen ihrer Klienten aufwenden konnten. Dann mußsich aber die Klientel tiefgreifend verändert haben. Amplausibelsten ist es anzunehmen, daß sich die Klientel in Subklientelen auflöste, wobei die untersten Schichten fast keine Chance mehr hatten, eine Face-to-face-Beziehung zumaristokratischen Patron zu unterhalten. Die soziale Dynamik führt nicht zu einer Vermassung”der Klientel, sondern zu einer Binnendifferenzierung der klientären “ Beziehungen71. In jedem Falle waren die untersten Schichten der Bürgerschaft auf andere Weise in die politische Gemeinschaft integriert als zuvor. Sie waren nicht mehr integriert durch klientäre Interaktion mit einem Mitglied der herrschenden Klasse selber.
70 Es gab bis zur Diktatur Sullas nie mehr als 300 Senatoren, d.h. die Anzahl der aristokratischen Patrone hatte eine absolute Obergrenze. M.W. gibt es keine Untersuchung darüber, welche Rückwirkungen die bisweilen hohe Quote im Felde stehender Senatoren (abgesehen vondenKriegsverlusten) auf dasFunktionieren derKlientelbeziehungen gehabt hatte oder hypothetisch gehabt haben müßte. Ob die Klientel als Konzept zur Erfassung der Abhängigkeitsbeziehungen in Romweiterhin in der Forschung eine ernsthafte Rolle spielen kann, hängt auch davon ab, wiekünftige Forschungen dieses Problem behandeln. Allgemein dazu: 173; 203– S.N.EISENSTADT/L. RONIGER, Patrons, clients and friends, Cambridge 1984, 166– 301; T.JOHNSON/CH. DANDEKER, Patronage: relation and system, in: A.Wallace215; 294– 242. Hadrill (Hg.), Patronage in Ancient Society, London/New York 1989, 219– 71 Wenn im 3. Jh. ein Senator im Durchschnitt ca. 1000 römische Bürger in seiner Klientel hatte, undwenn diese Klientel sich aufspaltete in Subklientelen, dann konnten zwischen Subpatronen undAbhängigen theoretisch intensivere Bindungen entstehen, als es bei den klientären Bindungen zwischen Bürgern derärmeren Klassen unddemsenatorischen Patron zuvor je der Fall war. Aber diese Intensivierung der Bindung an den Subpatron ging notwendigerweise zuLasten dernoch verbleibenden Bindungen an denSenator. In diesem hypothetischen Modell läge es im Interesse des senatorischen Patrons, denKontakt zu den Subpatronen zu verstärken; denn sie “ vermakelten”seine soziale Macht (Konzept der ). Statt Vermassung stoßen wiralso auf eine Dynamik derDifferenzieMakler-Patronage” “ rung; wobei diese so weit ging, daßder patronale Kontakt zwischen Senatoren undUnterschichten sehr weit zurückgehen konnte. Dazu: V.BURKHOLTER-TRACHSEL, Strukturelle Bedingungen für das Entstehen unddie Transformation vonPatronage, Schweizer Zeitschrift 30; L.RONIGER, Modern patron-clients relations andhistorical clifür Soziologie 1, 1977, 3– entelism. Some clues from ancient Republican Rome, Archives Européennes de Sociologie 95. 24, 1983, 63–
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Die dramatische Abnahme derKontaktfrequenz zwischen der Aristokratie und großen Teilen seiner Klienten berührte also dieIntegration einer beachtlichen Quote von Bürgern ins politische System. Sie rührte daher auch an die Bereitschaft der unteren sozialen Klassen, sich als zugehörig zurrespublica zubegreifen, deswegen auch an ihren politischen Gehorsam undnicht zuletzt an ihre Einsatzbereitschaft bei denunablässigen Kriegen undan ihren Opferwillen, der denAusschlag gab dafür, daßRomdauernd siegen konnte. Es ist zu berücksichtigen, in welch hohem Ausmaß die römische Aristokratie ihre Bürgerschaft dauerhaft mobilisierte; sie verlangte ihr einen für antike Verhältnisse einzigartigen Gehorsamsgrad ab; daszeigen die Kriege, welche die Republik führte. Wenn mandiesen Gehorsam unddie hohe Opferbereitschaft der Beherrschten einfach als Gegebenheit annimmt72, dann mißachtet maneine wesentliche Dimension des politischen Systems. Der Gehorsam und die Einsatzbereitschaft der beherrschten Angehörigen einer politischen Gemeinschaft sind die Hauptressource jeder Politik. Die römische Aristokratie erhielt diesen hohen Grad von Gehorsam ihrer nichtaristokratischen Bürgerschaft nicht umsonst; sie mußte die Interaktion mit diesen ‘Unterschichten’beträchtlich verdichten, die Kommunikation intensivieren, die politische Kohäsion steigern. Diesoziale Integration unddie politische Kohäsion waren
–so lange
keine Berufs- oder Söldnerarmee einsprang
dafür, welche militärischen Belastungen
–entscheidend
ein antikes Gemeinwesen auf sich zu neh-
menvermochte. Nunwerden die Umstände sichtbar, unter denen die ludischen Veranstaltungen dermaßen zunahmen. Die Feste waren dereinzige soziale Ort, wo Aristokratie und Plebs sich gegenüberstanden undin direkte Kommunikation traten; denn bei den Volksversammlungen sahen sich die nichtaristokratischen Bürger lediglich dem leitenden Magistrat, dessen Kollegen undFreunden gegenüber. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten multiplizierten sich die Gelegenheiten einer solchen rituellen Begegnung der gesamten Aristokratie mitdergesamten – zumindest stadtrömischen – Plebs um mehr als das Sechsfache. Folglich nahm die Kontaktfrequenz zwischen Bürgerschaft undAristokratie exponentiell zu; die Kommunikationsdichte und die Interaktion zwischen den Gesamtgruppen der Herrschenden undder Beherrschten stieg rapide an.
72 So z.B. CH.MEIER, Res publica
amissa. Eine Studie zur Verfassung undGeschichte der späten römischen Republik, Frankfurt 21980, p. XXVIII. Anders: FLAIG, Historische Anthropo217. Setzt man diese politische Hauptressource als mentale Gegebenheit logie 1, 1993, 193– voraus, dann verdinglicht mansie. Der soziale Prozeß leistet tagtäglich solche Verdinglichung zurGenüge, indem er Konstituiertes als Gegebenes erscheinen läßt. Aufgabe derWis-
senschaft ist es, diese Dingwerdung vonPraktiken nicht ihrerseits zureproduzieren, sondern die“Gegebenheiten”inPraktiken aufzulösen undihreKonstitutionsbedingungen aufzuzeigen (dazu: P.VEYNE, Die Revolutionierung der Geschichte, Frankfurt 1992, 24– 31). Gehorsam sie müsundEinsatzbereitschaft sindkeine Naturgegebenheit, sondern ein soziales Produkt – senunablässig sozial reproduziert werden.
106
EGON FLAIG
Dies kompensierte einerseits die verschwindende klientäre Kommunikation zwischen aristokratischen Patronen unddemeinfachen Volk. Anderseits entstand ein neuer politischer Raum, wenn nundas ideelle Gesamtvolk der realen Gesamtaristokratie gegenüberstand. Dieser Raum erforderte ein eigenes Zeremoniell und Interaktionsformen; undin ihmbildete sich schnell eine eigene Topik symbolischer Verweisungen. Die ludischen Rituale kompensierten nicht nurdenVerlust anklientärer Kommunikation, sondern sie brachten eine ganz neue Kontaktmodalität mit sich. Dieklientäre Kommunikation mitderherrschenden Klasse verlagerte sich und verlor anIntensität undBedeutung; diepolitische Kommunikation nahmzu73. Weder standen sich in denVolksversammlungen die Aristokratie unddas Volk gegenüber, noch konnte dort das Volk eine eigenständige Meinung ausdrücken, welche über Zustimmung undAblehnung hinausging. Beides geschah imneuen politischen Raum der ludischen Veranstaltungen. Wenn sich der Grad der Politikhaltigkeit eines Kommunikationsraumes danach bemißt, in welcher Intensität sich Herrschende undBeherrschte gegenüberstehen, dann ergeben diese Veranstaltungen den politischsten Raum überhaupt innerhalb des Ensembles der Institutionen derpolitischen Gemeinschaft.
5. Politische
Einmütigkeit undsozialer Konsens
Die Feste waren aber nicht allein ein Rahmen zur Verdichtung der sozialen Kommunikation. IhrZeremoniell waraufgeladen mitpolitischer Symbolik. Sie inszenierten die Besonderheit der römischen res publica und die Eigenart der römischen Kultur; sie appellierten mit einem enormen semiotischen Aufwand über das immense soziale Gefälle unddie harsche politische Ungleichheit hinweg an die Zusammengehörigkeit derrömischen Bürger sowie andie Vorzüge, dieser respublica als Bürger anzugehören. Sie intensivierten die Abgrenzung der Bürgerschaft gegen eine unaufhörlich drohende Außenwelt und rememorierten die Siege der Römer über diese Feinde.
Die Verbindung zwischen der zyklischen Erneuerung des Jahres undder generationsweisen Erneuerung der römischen Bürgerschaft enthielt immer schon die Themen Fruchtbarkeit, Sieg undRettung74. Doch je mehr die ludischen Rituale zu-
34; J.BLEICKEN, Verfassung 73 Dazu auch: CH.MEIER, Res publica amissa (s.o.A.72) 30– 37; K.-J.HÖLKESKAMP, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und (s.o.A.51) 27– politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jhdt. v.Chr., Stuttgart 1987, 253– 257. DerCharakter einer politischen Elite hängt maßgeblich davon ab, inwelchen Relationen sie zudenBeherrschten steht. Nunveränderten sich dieBeziehungen zwischen derAristokratie als ganzer undderBürgerschaft in diesem halben Jahrhundert erheblich. Dementsprechend auch undin besonderem Maße die Ariveränderten sich dieinvolvierten sozialen Gruppen – stokratie. Unter denneuen Bedingungen mußte die Aristokratie neue Qualitäten undneue Verhaltensweisen andenTaglegen. 125. 74 PIGANIOL, Recherches (s.o.A.59) 116–
Entscheidung
undKonsens
107
nahmen, desto mehr gewann die Siegesthematik das Übergewicht: Sieg verbürgte je nach demludischen Ritual, Rettung undsoziale Reproduktion. Bei denFeiern – um welches es sich handelte –verband sich das individuelle Siegescharisma des Spielgebers sowie dessen Gentilcharisma mit der Siegesfähigkeit des römischen Volkes; es waren die Götter, welche diese Siegesfähigkeit garantierten, undzu ihrenEhren fanden die Veranstaltungen ja statt75. Mit der explosionsartigen Zunahme der‘Spiele’strukturierte sich der zyklische Ablauf des römischen Jahres gänzlich um.Die großen Feste, in welchen die römischen Bürger die Erneuerung der Gemeinschaft unddenFortbestand derrespublica feierten, synkopierten die Zeit gemäß denMomenten des politischen Eingedenkens. Die Stiftung dieser ‘Spiele’verdankte sich in Romnicht mythischen Anlässen wie meist in der hellenischen Kultur, sondern historischen; unddarum fungierte jedes ludische Ritual stets als eine politische Memorialpraktik. Der Konflikt zwischen Grundbesitzern undVolk umdenager publicus, der 173 v.Chr. zur Stiftung der Floralia führte, wurde liturgisch jährlich ebenso erinnert wie die schwere militärische Notlage, aufdieRommitderStiftung derludi Apollinares 212 v.Chr. geantwortet hatte76. Diese Rememorierung des Ereignisses reaktivierte nicht nur periodisch ein spezifisches historisches Wissen, sondern verstärkte den sozialen Zusammenhang der gesamten Bürgerschaft. Denn das längst vergangene Ereignis prägte sich denamRitual partizipierenden Römern insGedächtnis ein, undzwar als Exemplum für diegelingende Eintracht sowohl zwischen denBürgern als auch zwischen der res publica unddenGöttern77. Diese Memorialpraktik war bei den ludischen Veranstaltungen vielleicht weniger zentral als bei den aristokratischen Leichenbegängnissen78, aber sie war punktuell ebenso intensiv; und sie beschwor ein gemeinsames System verbindlicher Werte, welche die Aristokratie und das Volk aneinanderketteten. Je mehr die politische Bedeutung der ludischen Veranstaltungen hervortrat, desto notwendiger schien es, denRaum der Zuschauerschaft zu strukturieren, ihn mit politischen undsozialen Distinktionslinien zu versehen. Mitten in der Epoche der Vervielfältigung der ludi, im Jahre 194 v.Chr., veranlaßten die Zensoren Sex.Aelius Paetus undC.Cornelius Cethegus die kurulischen Aedilen, den Senatoren anläßlich der ludi Romani abgesonderte Plätze zuzuweisen79; unddies wurde
100. 33 u. 93– 75 CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 29– 376 undLiv. 25,12,8– 15. 76 Siehe: Ov. fast. 5,275– 77 Siehe dazudieAusführungen beiJ.ASSMANN, Daskulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung 64 und130– 144. undpolitische Identität infrühen Hochkulturen, München 1992, 29– 78 Dazu: E.FLAIG, Die pompa funebris. Adlige Konkurrenz und politische Erinnerung, in: O.G.Oexle (Hg.), Memoria alsKultur. AktederTagung vom29./30.9.93 amMax-Planck-Institut fürGeschichte, Göttingen (imDruck). 79 Ascon. 55 St. = HRR I2 Frg. 37; ähnlich: Liv. 34,44,5. Dazu: J.V.UNGERN-STERNBERG, Die Einführung spezieller Sitze für Senatoren bei denSpielen (194 v.Chr.), Chiron 5, 1975, –163. 157
108
EGON FLAIG
ab 191 v.Chr. zur Regel80. Dieser Eingriff veränderte schlagartig die politische Wertigkeit des Zuschauerraums. Nunreproduzierte dieser die politische Ungleichheit; er führte sie optisch vor Augen, verstärkte undlegitimierte sie gleichermaßen. Indem derpopulus Romanus gemäß der politischen Hierarchie räumlich unterteilt wurde, transformierte sich derZuschauerraum ineinKonterfei der politischen Ordnung81. Die hierarchische Aufspaltung der zuschauenden Bürgerschaft setzte sich imLaufe des 2. Jhs. v.Chr. fort, als die Ritter –die zweite Statusgruppe nach der immer regelmäßiger die ersten 14 Reihen im Theater senatorischen Aristokratie – zugewiesen bekamen82. Daraus läßt sich schließen, daßeine Dynamik zur weiteren Differenzierung desZuschauerraumes nach Status einsetzte; diese Dynamik mußte gesetzlich nicht gesteuert werden83. So war es keine Frage, daß römische Bürger ohne weiße Toga diehintersten Reihen besetzten; unddadieToga nurvonBürgern getragen wurde, stach derUnterschied zwischen Bürgern undNichtbürgern scharf ins Auge84. Diese Binnendifferenzierung derzusehenden nichtaristokratischen Bür80 Liv. 34,44,4 undVal.Max. 2,4. Dazu ausführlich: U.SCAMUZZI, Studio sulla Lex Roscia thea319, sowie: CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 154 165 und259– tralis, RSC 17, 1969, 133– f.; RAWSON, Discrimina (s.o.A.58) 510. 81 Es hatte politische Gründe, daßinRomviel später einsteinernes Theater gebaut wurde alsin anderen italischen Städten. Große Teile derAristokratie fürchteten ein Steintheater als einen permanent undohne magistratische Kontrolle benutzbaren Versammlungsort. Im Jahre 154 wurde eingerade errichtetes Theater wieder abgebrochen (Liv. per. 48; Val.Max. 2,4,2; App. civ. 1,28). Dazu: E.RAWSON, Theatrical Life in the Republic, in: dies., Roman Culture (s.o.A.58) 472; E.FRÉZOULS, La construction dutheatrum lapideum et soncontexte politique, in: Théâtre et spectacles dans l’Antiquité (Actes du Colloque 1981), Straßburg 1983, 193; 341. M.SORDI, La decadenza della repubblica e il teatro del 154 a.C., InvLuc 10, 1988, 327– Die Sorge derAristokratie warnicht unbegründet; denn imSeptember 57 v.Chr. versammelten sich Teile der hauptstädtischen Bürgerschaft tatsächlich im Theater, das für die ludi Romani errichtet worden war, undzogen vondort ausvordenTagungsort des Senates, umdie Übertragung dercura annonae anPompeius zufordern (Cic. Att. 4,1,6). 82 Cic. Mur. 40; Vell.Pat. 2,32,3; Ascon. 61 St.; Cass.Dio 36,42,1; anders: Plut. Cic. 13,2. Daß schon Gaius Gracchus eindiesbezügliches Gesetz hatte verabschieden lassen, ist möglich; es ist aber wahrscheinlicher, daßimJahre 67 v.Chr. Roscius Othoeinen Brauch, demdiespielgebenden Magistrate längst folgten, durch ein Gesetz verbindlich machte. Dazu: A.STEIN, 30; SCAMUZZI, RSC 17, 1969, 270; RAWSON, Der römische Ritterstand, München 1927, 21– 531. Discrimina (s.o.A.58) 528– 83 ImKaiserreich ist die Sitzordnung in denludischen Räumen vorallem des lateinischen Westens sehr genau geregelt. Hierzu: T.BOLLINGER, Theatralis licentia. Die Publikumsdemonstrationen an denöffentlichen Spielen imRomderfrühen Kaiserzeit undihre Bedeutung im politischen Leben, Winterthur 1969, 13 ff.; E.TENGSTRÖM, Theater und Politik im kaiserli56; RAWSON, Discrimina (s.o.A.58) 511. chen Rom, Eranos 75, 1977, 43– 84 ObBürger ohne Toga überhaupt zugelassen wurden, bezweifelt VEYNE, Pain (s.o.A.6) 397. Anders: RAWSON, Discrimina (s.o.A.58) 515. Sklaven wurde üblicherweise vom Spielgeber geboten, denZuschauerraum zuverlassen – servos decavea exire iubebat -, manchmal wurdensie auch nuraufgefordert, sichvondenFreien abzusondern, umin dersumma cavea (wo auch dieärmeren Bürger ohneToga unddieFrauen standen oder saßen) stehend die ‘Spiele’ 26). Dazu: J.O.LENAGHAN, A Commentary on Cicero’s Oration anzusehen (Cic. har.resp. 22– De Haruspicum Responso, Den Haag 1969, 115 ff. RAWSON, Discrimina (s.o.A.58) 513 f. schließt daraus, daß die Absonderung der Sklaven nicht gesetzlich geregelt war. Staatssklaven scheinen eigene Plätze im Theater bekommen zu haben, ähnlich wie in Athen
Entscheidung
undKonsens
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machte den Zuschauerraum zu einer getreuen Ikone der sozialen Ord, Anonymität war weitgehend Die Zuschauerschaft war keine “Masse” vermindert. Die soziale Transparenz gestattete keine Vorgänge, die eine unwissenMasse” schaftliche Massenpsychologie der“ zurechnet; jede Reaktion wareindeutig zuschreibbar, damanwußte, welche Gruppen wosaßen. Nicht zuletzt hatte diese Unterteilung desZuschauerraumes zur Folge, daß zum erstenmal die römische Bürgerschaft der geschlossenen herrschenden Klasse gegenüberstand. So konnte sie mit der Aristokratie als ganzer kommunizieren. Es fehlte nurnoch, daß die römische Bürgerschaft bei den‘Spielen’stehen mußte wie bei den Volksversammlungen. Tatsächlich faßte 151 v.Chr. der Senat einen Beschluß, derdas Sitzen bei den‘Spielen’verbot. Doch diese Regelung wurde häufig durchbrochen undimLaufe derZeit hinfällig86. gerschaft
nung85.
6. DerTriumph derOrdnung: Die Gladiatur Die politische Dimension der‘Spiele’wird erkennbar, sobald mandie Vorgänge etwabei der Gladiatur undimTheater auf die semantischen Gehalte undauf die interaktionalen Formen hinnäher betrachtet. Die Gladiatur wurde inRomimLaufe des3.Jhs. v.Chr. heimisch87. Sie gewann ihr enormes symbolisches Gewicht gerade injenem Zeitraum von einem knappen bis halben Jahrhundert, in welchem sich die ludi vervielfältigten, obwohl mansie – 42 v.Chr. –nicht in die offiziellen Feste aufnahm. In der Hauptstadt blieb die Gladiatur bis zum Ausgang der Republik im rituellen oder semantischen Kontext ari-
es sei denn, (P.J.RHODES, The Athenian Boule, Oxford 1972, 142; 155 f.). Auch die Frauen – sie gehörten zu privilegierten Gruppen wiez.B. denVestalinnen –mußten in Theater und Amphitheater mit den Plätzen in der summa cavea Vorlieb nehmen (RAWSON, ebd. 511). NurimCircus konnten sie sich zwischen die männlichen Bürger setzen (Ov. trist. 2,283 und luv. sat. 11,201). DieRegelungen vonTheater undAmphitheater gingen meist HandinHand (RAWSON, ebd. 513). Anscheinend wardasPlatzangebot im Circus immer so üppig, daß die Absonderung dereinzelnen Statusgruppen voneinander keiner gesetzlichen Regelung bedurfte. Die Absonderung wurde demnach denspielgebenden Magistraten überlassen, eventuell denbetreffenden Gruppen selber. Dazu: S.LILJA, Seating Problems in Roman Theatre and 73. Circus, Arctos 19, 1985, 67– 85 CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 153; G.CHOUQUER, Théâtres et amphithéâtres. Codes 20. de l’Espace romanisé, DHA 11, 1985, 13– 86 Liv. per. 48; Val.Max. 2,4,2. Ebenso ist es ein Anzeichen vompolitischen Charakter der Gladiatorenspiele, daßmandemjenigen, derbeieinem Leichenbegängnis Gladiatoren auftreten ließ, 3 Liktoren bewilligte (MOMMSEN, Staatsrecht I3 [s.o.A.45], 391 A.6). Dazu: VEYNE, Pain (s.o.A.6) 418. 1599; K.SCHNEIDER, RE 87 Zur Gladiatur: G.LAFAYE, DS III/2, 1896, s.v. Gladiator, Sp.1563– 784; G.VILLE, La Gladiature en Occident des OrigiSuppl. 3, 1918, s.v. Gladiatoren, Sp.760– nes à la Mort de Domitien, Rom 1981; W.WEISMANN, RAC 11, 1981, s.v. Gladiator, Sp.23– 45; K.HOPKINS, Murderous Games, in: ders., Death and Renewal, Sociological Studies in 30; J.-C.GOLVIN/C. LANDES, Amphithéâtres et GladiaRoman History 2, Cambridge 1983, 1– teurs, Paris 1990; TH.WIEDEMANN, Emperors and Gladiators, London 1992.
110
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stokratischer Leichenfeiern88. Aristokratische Familien nutzten Leichenbegängnisse das politische Gewicht ihrer ‘Familie’zu demonstrieren89. Somit wardie Gladiatur keine Veranstaltung der res publica, sondern gehörte zu den irregulären ‘Spielen’90.Dennoch gewann die Gladiatur einen außerordentlichen Stellenwert in derrömischen Kultur. Je wichtiger die Siegessymbolik bei denrömischen ‘Spielen’wurde, desto mehr rückte die Gladiatur in denVordergrund. Ihr Verlauf gestaltete sich als einEnsemble von einprägsamen visuellen Arrangements; undsie führte in einer Sequenz von tödlichen Vorgängen allen Römern undNichtrömern die Regeln unddie Gültigkeit derrömischen Ordnung vorAugen. Daher besetzte sie schnell dassemantische Zentrum in derMannigfaltigkeit der römischen ‘Spiele’91.Das ist aus mehreren Indizien zu ersehen. Zumersten spricht dafür der Diskurs über die Gladiatur. Kein römischer Autor äußerte sichjemals ablehnend oder gar abschätzig über die Gladiatur. Einige kaiserzeitliche Autoren bezeichneten die circensischen Spiele dagegen als Zeitverschwendung; unddemTheater begegneten römische Aristokraten mit steigender Verachtung92. Zumzweiten weisen die semiotischen Potentiale auf die Zentralität derGladiatur hin: Wieeine unablässig bedrohte Ordnung gegen ihre inneren und äußeren Feinde sich zu verteidigen hat, und wie sie durch militärische Anstrengung permanent siegt, das ließ sich weder im Zirkus inszenieren, noch im Theater, noch bei denProzessionen, noch beim Opfer; einzig beim Triumph, bei der venatio und bei der Gladiatur war dies szenographisch darstellbar. Die Gladiatur bot denModellfall für eine sakralisierte Siegessymbolik, die von den Auftretenden – bar aller theatralischen Simulation, mit demvollen Einsatz ihres Lebens –in szenische Aktionen umgesetzt wurde. dazu,
88 In denMunizipien
scheint die Gladiatur erheblich früher zueiner regulären Veranstaltung zu sein, für welche lokale Magistrate zuständig waren: TH.MOMMSEN, Senatus consultum de sumptibus ludorum gladiatorum minuendis factum a.p.C. 176/7, in: ders., Gesammelte Schriften VIII, Berlin 1913, 514; P.GARNSEY, Honorarium decurionatus, Historia 20, 1971, 313 f.; 323 f. Anders: WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 9. 89 ZurProblematik desBegriff ‘Familie’imrömischen Kontext: B. DEROUET, L’aristocratie romaine donne-t-elle l’ un ‘système à maisons’?, in: J.Andreau/H. Bruhns (Hgg.), Paimage d’ 283; renté et stratégies familiales dans l’Antiquité romaine, CEFR 129, Rom 1990, 271– R.ETIENNE, Réflexions sur ‘quelques terrains oùla cohésion familiale est mise à l’épreuve’, 622; J.MARTIN, La famiglia come cornice per i rapporti tra i sessi, in: M.Bettini ebd. 619– (Hg.), Maschile e femminile. Genere e ruoli nelle culture antiche, Bari 1993, 75– 99. 90 Sie warsehr teuer. WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 11meint: “References tomunera in the geworden
91
‚ ublic ludi, though of republican period suggest that costs might be as great as those of the p . Schon in derMitte des2.Jhs. v.Chr. konnte eine Gladiatocourse without anystate support” rendarbietung 720 000 HS betragen (Polyb. 32,14,6). 77 sowie WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) Dazu: CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 63–
97. 47; 55– 36– 92 ZurGladiatur: WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 136– 151; zurBewertung der Spiele insgesamt nun: M.WISTRAND, Entertainment and Violence in Ancient Rome. The attitudes of
59 (mit umfassender DokumenRoman writers of the first century A.D., Göteborg 1992, 15– tation).
Entscheidung
undKonsens
111
Der Gladiatorendarbietung kam schon in der mittleren Republik eine wachsende Bedeutung zu, die dasRitual zueiner offiziellen Veranstaltung machte. Aus diesem Grunde konnte Gaius Gracchus es wagen, dieGerüste fürdie Sitzplätze für eine Gladiatorendarbietung auf demForum abreißen zu lassen, damit auch die ärmeren Bürger ohne Eintrittsgeld zusehen sollten93. Gracchus bekundete mit diesem Akt, daßeine Gladiatorendarbietung aufdemForum eine Veranstaltung für die gesamte Bürgerschaft war; er zog damit die Konsequenzen aus der Bedeutung der
für diekulturelle Identität derrömischen Bürgerschaft. So konnte Cicero sagen, das römische Volk bekunde vornehmlich an drei Orten seinen Willen und seine Meinung, unddabei die Gladiatur zusammen mitdenoffiziellen Spielen neben die Comitien und die contiones stellen94. Dies auszusprechen war möglich, weil anläßlich vongladiatorischen Darbietungen sich eine große Menge römischer Bürger versammelte undweil im Rahmen dieses Zeremoniells die zusehende Bürgerschaft schon längst kollektive Reaktionen ausgebildet hatte, die in kodierten Formenerfolgten undfür die Aristokraten vondirekter politischer Bedeutung waren. Die Einbettung der Gladiatur in denRahmen politischer Kommunikation zeigt sich auf zwei Ebenen, auf derjenigen der szenographischen Semantik undauf derjenigen derInteraktion zwischen Zuschauern undSpielgeber: 1. Der Ablauf des ganzen Rituals enthielt schon deswegen eine politische Dimension, weil sich die Bürgerschaft wichtige soziale Normen undkulturelle Werte vor Augen führte, Normen undWerte, die den Bereich der römischen Ordnung charakterisierten unddiese Ordnung gegen ihre Feinde abgrenzten, gegen die äußeren Feinde wie gegen die inneren. Man hatte Verfemte, geächtete Menschen vor sich, die mit derrömischen Ordnung in Konflikt geraten waren95; deren bloße Anwesenheit jenseits der Linie, die cavea und Arena voneinander sonderte, verwies auf die Geltung der sozialen Normen schon allein durch die symbolische Betonung desKontrasts: Die römische Ordnung versicherte sich ihrer kulturellen Identität, indemsie das Nicht-Identische, das ‘Andere’, die Ausgestoßenen darbot. Unddiese Verfemten, deren Leben eigentlich verwirkt war, führten nuneinVerhalten vor, das von römischen Werten gesteuert wurde: von Disziplin, Technik, Gehorsam und Todesverachtung. Das warsozusagen der kulturelle Kern der Gladiatur: AusgestoGladiatur
93 Plut. C.Gracchus 12,5 f. 94 Cic. Sest. 106: etenim tribus locis significari maxime de re publica populi Romani iudicium ac voluntas potest, contione, comitiis, ludorum gladiatorumque consessu. 95 Es gab neben Verurteilten, Kriegsgefangenen undSklaven auch freiwillige Gladiatoren. Sie verloren zwar nicht ihr Bürgerrecht, undsie behielten ihre römische Namen. Aber derEid, densiebei ihrer Verdingung abzulegen hatten, machte sie defacto zuNichtbürgern. Sie underinfamia undwaren somit für alle ehebenso wiedie Schauspieler – terlagen hinterher – renvollen Funktionen desbürgerlichen Lebens disqualifiziert (die lex Iulia municipalis hat diese Praxis rechtlich festgeschrieben; zudenen, die nicht Mitglieder desStadtrats sein oder sich dort äußern dürfen, gehören u.a.: quive lanisturam artemve ludicram fecit fecerit, ILS 6085 Z.123). Die infamia konnte bis zu lokalen Bestattungsverboten reichen (ILS 7846). 113 (mit Belegen). Siehe dazu nun: WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 28 f. u. 102–
112
EGON FLAIG
ßene undKriminelle inszenierten römische Werte, choreographierten römische Tugenden. Solcherweise konnte die Gladiatur ins Zentrum des Imaginären der römischen Kultur vordringen, also ins Zentrum der Wunsch- undAngstbilder, von de-
nen eine Kultur obsessiv beherrscht
genundGladiatorenkämpfe
wird96. Tierkämpfe (venationes), Hinrichtun-
wurden wahrscheinlich erst amEnde derRepublik
zu
nach Tageszeiten geschieeinem kanonischen Ensemble kombiniert97, inwelchem – dierömische Ordnung sich inszenierte als siegreicher Kampf derKultur gegen den–
die Natur, als schonungslose Ausmerzung der nicht integrierbaren Feinde dieser Ordnung98 undals disziplinierender Rahmen, innerhalb dessen Verfemte und Geächtete eine Chance haben, unter Einsatz ihres Lebens sich vor einer versammelten Öffentlichkeit zu bewähren99. Aber auch bevor die Gladiatur in dieser rituellen Kombination auftrat, brachte sie einerhebliches symbolisches Potential mitsich, das aufdie Grundwerte derrömischen Kultur bezogen war. Sie führte dieWirksamkeit vonDisziplin, Technik undTodesverachtung vor Augen; sie szenographierte diese Tugenden imRahmen vonZweikämpfen. Dabei zählte der Einzelkämpfer, welcher einmaßgebliches militärisches Element inderrömischen Kultur war. In dergriechischen Phalanx waren die Qualitäten desEinzelkämpfers nicht gefragt, in der römischen Schlachtreihe dagegen war der Kampf mit demSchwert entscheidend, –und der verlangte Einzelkämpferqualitäten100. Die weitaus stärkere Individualisierung des Kampfes in der römischen Kultur wareine kardinale kulturelle Bedingung dafür, daß die Gladiatur einen solchen Stellenwert im Imaginären Roms erhalten konnte.
Die rasche Ausbreitung der Gladiatur über ganz Italien indiziert das Bedürfnis deritalischen Städte, sich in diese vonmilitärischen Werten durchtränkte Kultur zu 77; zumImaginären: CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 63– 32, undbesonders TH.SPÄTH, Männlichkeit undWeiblichkeit bei FLAIG, Kaiser (s.o.A.51) 25–
96 Zur Symbolik der Gladiatur:
Tacitus. Zur Konstruktion der Geschlechter in der römischen Kaiserzeit, Frankfurt/New 346. York 1994, 305– 97 Die venatio gehörte zuCiceros Zeit als festes Element zudenregulären Spielen derAedile. Daher wares für dieBewerber umdie Aedilität so wichtig, sich frühzeitig umdieBeschaffung derTiere zukümmern. Diese venationes waren also nicht kombiniert mitderGladiatur. 98 WISTRAND, Entertainment (s.o.A.92) 17 f. Nicht nur die venatio gehört in dieses Ensemble, sondern vorallem die Hinrichtung vonVerurteilten, welche ja ebenfalls in der Arena stattfand; am gräßlichsten war dabei die Tötung der ad bestias Verurteilten. Die Kombination dieser Form derHinrichtung mitdenvenationes ergab sich schon in derRepublik; Pompeius z.B. ließ bei seinen Spielen 55 v.Chr. Verurteilte vonElefanten zerstampfen (Sen. dial. 10,13,6 f.). Die Hinrichtungen fungierten nicht nur als semantisches Bindeglied zwischen Gladiatur undvenatio, sondern wurden realiter auch zwischen diesen beiden Veranstaltungen– etwaumdieMittagszeit – vollstreckt (Sen. epist. 7,3 f.). 62. 99 WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 55– 100 WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 36 hebt denUnterschied hervor: “ The battle line of the republican Roman legion wasmuchmore open, andtheindividual soldier hadmore scope to use offensive weapons, as the Greeks found to their horror when they hadto face Roman legionaries in the early second century BC.”Dazu: J.LAZENBY, The Killing Zone, in: V.D.Hanson (Hg.), Hoplites. The Classical Greek Battle Experience, London 1991, 103.
113
Entscheidung undKonsens
Die rituellen Praktiken derludi überhaupt undder Gladiatur imBesonderen bewiesen eine beachtliche kulturelle Integrationskraft; sie homogenisierten sehr unterschiedliche lokale Gemeinschaften gemäß denVorgaben eines kulturellen Modells, in dessen Zentrum die Arena als der Ort der Selbstbehauptung von römischer Ordnung undZivilisation fungierte101. Daher konnte derGladiator zurMusterfigur derstoischen Philosophie werden – allerdings nurin seiner abstrakten Eigenschaft als tapferer Kämpfer, der dazu gedrillt wurde, lautlos in denTod zu gehen, wie Cicero rühmt102. Cicero nimmt den Gladiator unverblümt als Muster für denWeisen; er spricht den Sozialisationseffekt wenn sie gedrillt undrigoros disoffen aus: Sogar die verworfensten Menschen – sind imstande, so ehrenvoll zu sterben wie freie römische Bürzipliniert werden – ger. Hier begegnet unseine Serie vonBegriffen, welche ausdemBereich des militärischen Trainings in die Philosophie übernommen wurden: exercitatio, meditatio, consuetudo, contra dolorem et mortem disciplina. Diese Betonung desDrills ist signifikant: Er war harte römische Sozialisation, unter extremen Bedingungen beschleunigt undverschärft. Später, imPrinzipat, wurde jenen, die eine gewisse Zeit in der Arena –durchaus nicht notwendigerweise als Sieger –überlebt hatten, eine beschränkte Rehabilitation zuteil, eine Rehabilitation, die sie der gelungenen Interintegrieren.
nalisierung römischer Normen verdankten. Solche ehemaligen Gladiatoren waren
von einer
ganzen Anzahl von bürgerlichen Ehrenrechten ausgeschlossen; aber sie waren frei103. Es ist nicht sicher, ob dies schon in der späten Republik so gehandhabt wurde. Falls dies zutrifft, dann hat schon in der Republik die Homologie zwischen Gladiatur und Integration von Unterlegenen bestanden: Die wechselseitige
178 und nun: WIEDEMANN, Emperors CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 175– 46. ZumErfolg der Gladiatur in der römischen Kultur meint HOPKINS, Games (s.o.A.87) 40– (s.o.A.87) 27: “ Part of the answer may lie in the social psychology of the crowd which helps
101 Dazu:
102
relieve theindividual of responsability, andin thepsychological mechanisms bywhich some spectators identify more readily with thevictory of the aggressor than with the sufferings of the vanquished.”Doch bei der Gladiatur hat die Polarität Aggressor/Opfer keinen Sinn. The popularity of gladiatorial shows was a byWenige Seiten weiter schreibt er jedoch: “ product of war, discipline anddeath” (29). Dieser Satz weist in eine ganz andere Richtung als derobige bequeme Griff in dieTrödelkiste der‘Massenpsychologie’. Gladiatores, autperditi homines auf barbari, quas plagas perferunt! quomodo illi, qui bene instituti sunt, accipere plagam malunt quam turpiter vitare! quam saepe apparet nihil eos malle quam vel dominos satis facere velpopulo! mittunt etiam vulneribus confecti ad dominos qui quaerant quid velint; si satis iisfactum sit, se belle decumbere. Quis mediocris gladiator ingemuit, quis vultum mutavit umquam? quis non modo stetit, verum etiam decubuit turpiter? quis cumdecubuisset, ferrum recipere iussus collum contraxit? Tantum exercitatio, meditatio, consuetudo valet ... Cumvero sontes ferro depugnabant, auribus fortasse multae, oculis quidem nulla poterat esse fortior contra dolorem et mortem disciplina (Cic. Tusc.
2,41).
103 Collectio Librorum Iuris Anteiustiniani, Bd.3: Mosaicarum et Romanorum Legum Collatio 11,7,3 f.: rescriptum divi Hadriani sic loquitur ... enim vero qui in ludum damnantur, non utique consumuntur sed etiam pilleari et rudem accipere possunt post intervallum ...; TH.MOMMSEN, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 953 ff.; (s.o.A.87) 104 ff.
WIEDEMANN,
Emperors
114
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Referenz zwischen der politischen Praxis, sogar Sklaven in denBürgerverband zu integrieren, falls sie hinreichend romanisiert waren, undderrituellen Praxis, besiegten Gladiatoren diemissio zu gewähren, sofern sie sich tapfer gehalten hatten, und sie damit einen Schritt näher an ihre Freilassung zu bringen, sticht in die Augen; nach audiese Referenz machte Grundregeln, wiediepolitische Gemeinschaft sich “ ßen” abgrenzt, bewußt undverstärkte sie. 2. Wenn der unterlegene Gladiator umSchonung bat undderKampf aufhörte, dannwardarüber zuentscheiden, obderBesiegte dasLeben behalten unddiemissio erhalten sollte oder ob er an Ort undStelle hinzurichten war. Diese Entscheidung ist m.E. der Höhepunkt der Veranstaltung104. Entschieden wurde nach Kriterien. Von hier aus läßt sich die interaktionale Bedeutung dieses kritischen Augenblicks imRitual aufschlüsseln. ObdemBesiegten diemissio gewährt wurde oder nicht, hing davon ab, ob man Ansicht war, er habe tapfer genug gekämpft. Wäre derErmessensspielraum, um der dies zu beurteilen, groß gewesen, dann hätte dies im Publikum ständig zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Aber gerade darüber erfahren wir nichts. Es gibt keinen Hinweis in denQuellen darauf, daß die zusehenden Bürger uneins gewesen wären, wie das im Theater gelegentlich passierte105. Nun entschied nicht das Publi-
Gladiature (s.o.A.87) 424 hatdieAttraktion derGladiatur fürdieZuschauer mitpsychologischer Neugier zuerklären versucht (ähnlich: WIEDEMANN, Emperors [s.o.A.87] 93): Der spannungsvollste Augenblick warseiner Meinung nach nicht der Kampf, sondern die Minuten, in denen derBesiegte darauf wartete, wiedasUrteil über ihn lautete. Er meint, in dessen Angst oder Gedieser Zeit hätten die Zuschauer das Gesicht desBesiegten studiert – faßtheit; unddas sei der eigentliche undhöchste Reiz der Gladiatur gewesen. Mindestens wie drei Umstände sprechen gegen seine Annahme: Zumeinen trugen manche Gladiatoren – z.B. die schwerbewaffneten mirmillones –Helme, die das Gesicht verbargen; zum anderen wardie Entfernung zwischen demin der Arena stehenden Gladiator undden allermeisten Zuschauern zu groß, umeine Betrachtung seines Antlitzes zuzulassen; außerdem gestattete die elliptische cavea der Mehrheit derZuschauer –auch wenn sie vorne auf privilegierten keinen Blick auf dasGesicht desBesiegten. Ville setzt bei seiner These vorPlätzen saßen – aus, daßdas Gesicht stets seelische Regungen ausdrückt. Diese Voraussetzung ist fragwürdig; dennes hängt vonderjeweiligen Kultur ab, obdies derFall ist; undauch innerhalb der Kulturen differiert diesje nachderSozialisation dereinzelnen Gruppen oder Schichten. 105 Und dies obwohl es Anhänger der unterschiedlichen Waffengattungen gab; dazu: VILLE, 445. Während wir von vielen Zwischenfällen im Theater hören, Gladiature (s.o.A.87) 443– überliefern die antiken Historiographen nur einen einzigen aus dem Amphitheater, jenen Zwischenfall 59 n.Chr. in Pompeii (Tac. ann. 14,17). Dabei gerieten nicht die Anhänger zweier unterschiedlicher Waffengattungen aneinander, sondern die Bürger ausPompeii und dieausNuceria. ZumStreit unddannzumBlutvergießen kames also, als dieBürgerschaften zweier verfeindeter Städte in derselben cavea saßen. Dissens im Amphitheater gab es nie zwischen derBürgerschaft undKaiwenn überhaupt – zwischen denZuschauern, sondern – sern, dieaufunziemliche Weise dieGladiatoren ihrer bevorzugten Waffengattung begünstigten(Suet. Cal. 30,2). H.GALSTERER, Politik in römischen Städten: Die‘seditio’desJahres 59 n.Chr. in Pompeii, in: W.Eck/ders./H. Wolff (Hgg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. 338 meint, daß es sich bei demgladiatorium Festschrift F.Vittinghoff, Köln usw. 1980, 323– spectaculum inPompeii 59 n.Chr. “ umeine Art Lokalderby zwischen militärisch ausgerüstetenJugendmannschaften Pompeiis undNucerias handelte”(325). Doch diese Interpretation
104 VILLE,
Entscheidung
undKonsens
115
kumüber Leben undTod des besiegten Gladiators; das tat der Spielgeber, der munerarius106; das Publikum brachte allerdings seine Meinung zum Ausdruck. Da diese offenbar immer einmütig erfolgte, konnte es geschehen, daß der Spielgeber anders beschloß, als die zuschauenden Bürger es wünschten. Genau hier lag das politische Problem. Erstens störte dieser Dissens denzeremoniellen Ablauf dieses
sakro-politischen Rituals; er trübte dieganze Atmosphäre vonEintracht, in welcher die Bürgerschaft ihre Zusammengehörigkeit festlich beging. Zweitens riß ein solcher Dissens einen tiefen kulturellen Graben zwischen dem Spielgeber und dem Publikum auf; denn beide bewerteten offensichtlich das Verhalten des Besiegten
zubewerten warderHöhepunkt derganzen Veranstaltung. Undes erforderte, daß die Kriterien für Tapferkeit und für Feigheit bewerten zu richtig” “ ganz klar waren unddaß alle, die zuschauenden Bürger wie auch der Spielgeber, diese Kriterien teilten. Es mußte zweifelsfreier undumfassender Konsens darüber bestehen, was virtus war. Andernfalls lief das Zeremoniell chaotisch ab, mit Störungen undMißstimmungen. Bei dieser Interaktion stand also nicht allein die Würdigkeit desBesiegten, derinderArena aufdasUrteil wartete, zurDiskussion, sondern es stand auch das Bild auf demSpiele, das sich die zusehende Bürgerschaft vomspielgebenden Magistraten oder Aristokraten machte: Die Zuschauer ermaßen an seiner Haltung, ob er virtus zuerkennen undzubelohnen wußte, ob er clementia auf rechte Weise übte, ob manfolglich vonihmiustitia erwarten durfte undob er pietas gegenüber denGöttern empfand, welche sich amconsensus universorum erfreuten undeinen ungetrübten Verlauf desRituals wünschten. Die politisch brisante Phase des Rituals begann demnach, sobald der unterliegende Gladiator umdiemissio batundmanüber seinLeben beschließen mußte. Die Zuschauer zeigten mit genau kodierten Gesten an, ob sie den Besiegten für der missio würdig oder unwürdig hielten, undder Spielgeber fällte das Urteil. Damit veranlaßte das Geschehen in der Arena auf einzigartige Weise einen kodierten und stets in derselben Form wiederholbaren Willensbildungsprozeß zwischen Beherrschten und Herrschenden. Freilich ging diesmal die Initiative von den Beherrschten aus. Betrachtet mandasVerhältnis vonInitiative undBestätigung, dann wird ersichtlich, daß wir die Umkehrung einer Abstimmung in den Comitien vor uns haben: So wie in denComitien der Magistrat eine rogatio vorbringt unddas Volk zustimmt, so richtet nun das Volk seine Bitte an den Spielgeber, und er anders. Dieses
ist inzwischen unhaltbar geworden. Denn einlusus iuvenum waretwas ganz anderes als ein gladiatorium spectaculum. Siehe dazu unten. 106 VILLE, Gladiature (s.o.A.87) 419. WIEDEMANN, Emperors (s.o.A.87) 165 behauptet, daß nicht der Spielgeber entschied, sondern daszuschauende Volk. Das ist sicherlich unrichtig. Wiedemann leitet seine These daraus ab, daßdasrömische Volk seine politische Souveränitätwenigstens beiden‘Spielen’bewahrt habe.
116
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stimmt
–normalerweise –zu107. Das Verhältnis von rogatio und iussum war nun
umgekehrt. Diese fast symmetrische Inversion ist gründlich zu unterscheiden von Inversionsritualen wie z.B. den Saturnalia, denn die Hierarchie stand während eines munus nicht in Frage, sie wurde nicht rituell negiert. Insofern war diese Inversion kein Spiel. Sie warBestandteil einer inszenierten Entscheidung über einen todernsten Gegenstand: darüber, ob ein Ausgestoßener zur Genüge römische Tugenden gezeigt hatte oder nicht. Das wareine Entscheidung über das Verhalten einer Person; eine Entscheidung, dienurdeswegen stets so reibungslos gelang, weil dieBürgerdieKriterien derWürdigkeit teilten. Diese Gemeinsamkeit, daßdieversammelte sei es in denMunizipien oder in der Hauptstadt –als Römer diese Bürgerschaft – Kriterien teilten, wurde rituell inszeniert, bestätigt undgefeiert. Diese Kriterien basierten auf kulturellen Grundwerten der politischen Gemeinschaft, insofern impliPolitisches” zierte eine solche Entscheidung immer “ 108. Über die Würdigkeit oder Unwürdigkeit eines Besiegten zu entscheiden, hieß daher immer, die Haltung, das Verhalten unddie Qualitäten des Spielgebers zubewerten. Unddie römische Plebs wardarauf eingestellt, persönliches Verhalten anunstrittigen Grundwerten zu mes-
sen.
Es gab eine einzige
Gelegenheit, bei der Angehörige der politischen Gemeinin der Öffentlichkeit ihre kämpferischen Qualitäten zur Schau stellen konnten, ohne daß sie in infamia fielen. Das war der Auftritt von Jugendlichen in der Arena während derluvenalia. In der Forschung wurde die Meinung vertreten, die ‘Spiele’bei den Iuventus-Feiern seien eine Art Gladiatorenspiel gewesen109. Doch schaft
107 Verstörung trat ein, wenndies nicht geschah. Soerntete derSohn desTiberius, Drusus, Entrüstung, als er im Jahre 15 n.Chr. eine Gladiatorendarbietung gabunddabei zu häufig die Besiegten töten ließ: Tac. ann. 1,76,3. Dazu: FLAIG, Kaiser (s.o.A.51) 62 f. Titus kündigte voreiner Gladiatorendarbietung an, er werde so entscheiden, wiees die Zuschauer wollten (Suet. Tit. 8), obwohl ereinAnhänger derT hraker’war. Waserankündigte, magdenhaupt‘ erschienen sein; doch indem er das Selbstverstädtischen Römern als Selbstverständlichkeit ständliche offen aussprach, beteuerte er, wieviel ihmamKonsens mitderplebs urbana lag. 108 Bezeichnenderweise verbot Augustus, Gladiatorendarbietungen zu veranstalten, bei denen dieUnterlegenen keine Begnadigung zuerwarten hatten (Suet. Aug. 45,3: munera sine missione). Eine solche Verschärfung der Kampfsituation brachte das Ritual um seinen Sinn, weil es den Zuschauern die Möglichkeit nahm, ein Urteil über die Würdigkeit eines Besiegten abzugeben, undweil es obendrein dieKommunikation zwischen Bürgern undSpielgebern überflüssig machte; sie wargeradezu ein Angriff aufdiepolitische Symbolik derGladiatur. Mit Humanität hat es nichts zutun, wenn Augustus diese völlige Veränderung desRituals verhinderte, sondern erverteidigte dentraditionellen politischen Inhalt derGladiatur. 36. W.O.MOELLER, The Riot of A.D. 59 16; 24– 109 M.DELLA CORTE, Iuventus, Arpino 1924, 14– at Pompeii, Historia 19, 1970, 86 behauptet: “ In the period of Roman history under discussion it wasthe custom for the iuvenes to perform in the arenas as venatores andas gladiators” .
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Georges Ville hat nachgewiesen, daßdemnicht
so ist. Dieluvenalia
haben
mitder
Gladiatur nichts zutun, ganz imGegenteil, sie sind ihrentgegengesetzt110 Zwar führten die Jugendlichen bei den Iuventus-Festen111 Fechterspiele zu Pferde wie zu Fuß vor, undsie veranstalteten auch unblutige undblutige Tierhetzen. Auf den ersten Blick scheint hier eine besondere Art Gladiatur und venatio vorzuliegen, zumal das lusus iuvenum anderselben Stelle stattfand wie die Gladia-
tur, die venatio und die Hinrichtungen, nämlich im Amphitheater. Dennoch sind beide Rituale in ihrer politischen Semantik gegensätzlich. Das läßt sich zeigen, wenn mandie beiden Rituale auf denkulturellen undpolitischen Kontext bezieht undso ihre Semiotik entziffert. Die iuvenes waren noch keine römischen Bürger; sie trugen noch die toga praetexta. Auf für alle Römer klar erkenntliche Weise standen sie noch außerhalb derBürgerschaft. Auch wenn die römische Gesellschaft nicht in Altersgruppen zerfiel, so verfügte sie doch über Altersklassenbezeichnungen auf demrechtlichen und politischen Gebiet: In denZenturiatcomitien stimmten dieiuniores unddieseniores einer Tribus bzw. einer Zensusklasse getrennt ab; die iuvenes dagegen waren gar nicht zur Abstimmung zugelassen, sie trugen nicht die toga virilis. Sie durften und zudiesem bestimmten Anlaß – inderArena präsentieren undsich sollten sich zwar – mit Waffen messen. Aber diese Waffen waren stumpf; die Kämpfe waren 112. Schattenkämpfe” “ Falls es richtig ist, daß die Organisationen der iuvenes dazu dienten, diese militärisch zu ertüchtigen113, dann wird die Entgegensetzung zur Gladiatur noch deutlicher: Denn im einen Fall kämpften Verfemte, im anderen die künftigen Träger der respublica. Indem mandieWehrtauglichkeit derrömischen Jugend szenographier-
te, feierte die römische Bürgerschaft in ihren Städten ihre Gewißheit, auch in der Zukunft siegesfähig zubleiben. Die soziale Reproduktion stellte sich imlusus iuvenumdarals inszenierte Versicherung, daßdiekünftige Generation inderLage war, die römische Überlegenheit zur Geltung zubringen unddie römische Herrschaft zu bewahren.
110 H.GALSTERER, Politik (s.o.A.105) schließt sich der Interpretation von Moeller an; doch er weist in einem späteren Artikel (DERS., Spiele und‘Spiele’. DieOrganisation derludi Juvena438) vorsichtig darauf hin, daß die Ansicht les in der Kaiserzeit, Athenaeum 69, 1981, 410– von Georges Ville, desbesten Kenners derMaterie, noch nicht veröffentlicht sei (414). Inzwischen liegt sie vor. Die Untersuchungen von Ville lassen die Interpretation von Della Corte undMoeller nicht mehr zu: “ Il estclair quecette interpretation est inacceptable et que lusus ne s’est jamais confondu avec ludus”(VILLE, Gladiature [s.o.A.87] 216). Die iuvenes kämpften niemals mitscharfen Waffen gegeneinander; undsie kämpften schon gar nicht ge-
genGladiatoren. 111 Es ist nicht klar, in welchem
Monat diese stattfanden; siehe dazu: GALSTERER, Spiele
(s.o.A.110) 424 undVILLE, Gladiature (s.o.A.87) 219. 112 Cass.Dio 65,15,2. 424. 113 So GALSTERER, Spiele (s.o.A.110) 418–
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Beiden Veranstaltungen ist somit gemeinsam, daßihre Protagonisten eine politische Randlage einnahmen; denn die Auftretenden waren nicht im Vollsinne römische Bürger. Doch die Ränder befanden sich auf diametral entgegengesetzten Seiten des sozialen Körpers. So ist erklärbar, daßdieiuvenes deneinzigen Ausschnitt ausderpolitischen Gemeinschaft darstellten, demes erlaubt war, in der Arena aufzutreten, ohne ininfamia
zugeraten. 7. Politik imTheater
AlsOrt, inwelchem dasrömische Volk seinen Willen kundgeben konnte, bewertete Cicero die Gladiatur genau so hoch wie das Theater. Nunerforderte das Zeremoniell der Gladiatur die einträchtige Anteilnahme der unterschiedlichen sozialen Gruppen, den Konsens der unteren Klassen mit den lokalen Führungsschichten, bzw. derplebs urbana mit der Aristokratie; für Dissens, der nicht sofort denzeremoniellen Ablauf gefährdete, ließ die Gladiatur fast keinen Spielraum übrig114. Das waranders imTheater. Gerade die erweiterten Möglichkeiten, in einem feierlichen Rahmen kollektiven Dissens anzumelden, machten dasTheater zu einem aufregendenOrt der Politik in der späten Republik. In einigen seiner Briefe undin der Rede ‘Für Sestius’, welche er im März 56 v.Chr. hielt, nennt Cicero eine Vielzahl vonInteraktionsformen, mit welchen die im Theater versammelte Bürgerschaft ihre Meinung kundtat. Zusammengenommen ergeben sie eine Textur, diezudechiffrieren lohnt: 1. Die Zuschauer begrüßen stürmisch (mit Zuruf) den Spielgeber (der Zuruf kannmitTränen begleitet sein), oder aber sie pfeifen ihnaus115 2. Sie begrüßen deneintretenden Consul (Caesar!) miteisigem Schweigen116. 3. Sie applaudieren einem Senatsbeschluß. 4. Sie applaudieren einzelnen Senatoren, 7diedasTheater 1 betreten1
114 Für die römische Aristokratie, welche unentwegt denKonsens des ganzen Volkes beschwörenmußte (z.B. Cic. Manil. 44; Sest. 104u. passim; Phil. 1,36), botdasAmphitheater zweifelsohne dieangenehmere politische Atmosphäre. 115 Soz.B. als A.Gabinius 59 v.Chr. eine Gladiatorendarbietung veranstaltete (Cic. Att. 2,19,3). Dieswarkeine Veranstaltung derrespublica; dieBürgerschaft hätte also einfach derVeranstaltung fernbleiben können. Doch dastat sie nicht. 116 Bei den ludi Apollinaris des Jahres 59 v.Chr. (Cic. Att. 2,19). 117 Die Aristokraten dürften in derRegel – vorallem wenn sie gerade von Senatssitzungen kamen–nicht einzeln dasTheater betreten haben. Dennoch wares denZuschauern möglich, auf sie als einzelne zureagieren, unddas, obwohl dieToga denSenator uniformierte (dazu brillant: D.BARGHOP, Das Forum der Angst. Eine historisch-anthropologische Studie zu Verhaltensmustern von Senatoren im Römischen Kaiserreich, Frankfurt 1994, 81– 87). Den Senatoren kamen abgesonderte Plätze zu; die Zuschauer erbrachten eine hohe Leistung an Aufmerksamkeit, umdieSenatoren zuerkennen undihre Namen zumemorieren. Diekulturellen Dispositionen auf der Seite derRezipienten politischer Zeichen sind ausdenQuellen schwer
zurekonstruieren.
Entscheidung
undKonsens
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5. Sie stehen vor demSpielgeber auf118. 6. Die vierzehn Reihen derequites erheben sich einträchtig, umeinen eintretendenSenator mitApplaus zubegrüßen119. 7. Sie pfeifen mißliebige Senatoren aus; die Mißbilligung kann sich steigern zu Geschrei, erhobenen Fäusten undVerwünschungen. 8. Sie skandieren Schmährufe gegen die Richter undden Verteidiger eines soeben beendeten Prozesses120.
So einfach dieReaktionen sein mochten, siezeigten nicht nurKonsens oder Dissens an, sondern auch deren Stärke. Emotionalisierte Gesten spielten eine wichtige Rolle in der römischen Politik; affektive Nähe oder deren Verweigerung ließen sich in solchen Gesten schnell undeindeutig kodieren. Der Sprechchor wanderte vonden ludischen Veranstaltungen in diecontiones. So ließ sich Catulus bei denAuseinandersetzungen umdierogatio Manilla von67 v.Chr. bei einer Rede vor einer contio auf ein Frage-Antwort-Spiel ein; seine rhetorischen Fragen erwiderten die Bürger mitskandierten Antworten121 Das war keine Folklore, das war Politik122. Denn die Plebs lobte, und sie tadelte; die hauptstädtische Bürgerschaft machte sich zumRichter über die einzelnen aristokratischen Personen. Individuelles Benehmen der Senatoren geriet so zum Dauerthema der plebeischen Politik. Die Bürgerschaft übte damit einen enormen Druck auf die gesamte Senatorenschaft aus, sich normkonform zu verhalten. Sie politisierte geradezu die Aristokratie, indem sie diese dazu nötigte, die Gültigkeit dergemeinsamen kulturellen Normen zubeteuern undsich ‘römisch’zuzeigen. Wenn inmitten eines festlichen Zeremoniells ein Senator ausgepfiffen wurde, dann war es schwierig, Standessolidarität zu üben; denn diese Solidarität wurde unweigerlich dann selber zumGegenstand der plebeischen Reaktionen. Außerdem litt dieEintracht zwischen denBürgern unddiezwischen derBürgerschaft undden Göttern. Der Wirkkraft dieser Symbolik konnte sich die Aristokratie nicht ohne weiteres entziehen. Somit geriet der geschmähte Aristokrat schnell zum Sünden118 Cic. Sest. 117. 119 Cic. Att. 2,19,3 (als derjüngere Curio bei den ludi Apollinares nach Caesar das Theater betrat).
120 Caelius berichtet, wiedie Popularität desbis dahin noch nie geschmähten Redners Hortensius schlagartig zusammenbrach, als dieser das Theater betrat, nachdem er seinen Neffen
Valerius Messala (cos. 53 v.Chr.) gegen eine Anklage wegen ambitus erfolgreich verteidigt hatte: hoc magis animadversum est, quod intactus ab sibilo pervenerat Hortensius ad senectutem; sed tum tam bene, ut in totam vitam quoivis satis esset et paeniteret eum iam vicisse (Cic. fam. 8,2,1). 121 Cic. Manil. 59. Cicero bestätigt, daßdiese Interaktionsformen zwischen Redner undBürgerschaft bei einer contio kein alter Brauch, sondern eine neue Erscheinung waren (Cic. Flacc. 18). 15– 122 J.-M.ANDRÉ, Die Zuschauerschaft als sozial-politischer Mikrokosmos zur Zeit des Hochprinzipats, in: J.Blänsdorf (Hg.), Theater undGesellschaft im Imperium Romanum, Tübingen 1990, 165– 173 vertritt die konventionelle Auffassung, die ‘Spiele’hätten die Entpolitisierung derBürgerschaft kompensiert.
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umdie Eintracht zu beschwören undden Konsens herzustellen. In einem Patronage-System mußten gerade Schichten, die von stabilen Beziehungen zu einem bestimmten Patron profitierten, ein erhebliches Interesse daran haben, daßihrejeweiligen Patrone nicht inMißkredit kamen undwomöglich deren bock, den manopfern mußte,
Karrieren endeten. Es darf daher nicht verwundern, wenndieoberen Schichten der Plebs genau wiedieGesamtheit derAristokratie großen Wert darauf legten, daßein Senator nicht denfavor populi verlor123. Denn Romwarnicht regierbar, wenn die Plebs dieKommunikationsprozesse sabotierte. Die ‘Spiele’galten als Barometer, welches die aktuelle Popularität der prominenten Senatoren anzeigte. Freilich hatten sich die Senatoren darum auch dieser Messung auszusetzen124. Daher mußten unbeliebte Politiker, die längere Zeit die Spiele mieden, damit rechnen, daßihre Gegner impolitischen Kampf die mangelnde Popularität als Argument verwerteten. Cicero warf 56 v.Chr. bei seiner Verteidiung des P.Sestius seinem Feind Clodius vor, dieser habe es nicht einmal imJahre seines Tribunats gewagt, sich Spiele anzusehen; under konnte 55 v.Chr. Piso auffordern, sich doch demVolk zu zeigen undzu den Spielen zu gehen –ob er fürchte, ausgezischt undmit bösem Zuruf empfangen zuwerden125? Diese höhnische Herausforderung zielte auf denKern einer aristokratischen Person; deren Herrschaftsfähigkeit bemaß sich nicht zuletzt daran, wiesehr diebeherrschten Bürger sie schätzten oder ablehnten. Cicero bezeichnete Piso alsjemanden, der nicht dafür qualifiziert ist zu herrschen. Das Rangklassensystem, in welches die römische Aristokratie gegliedert war, bewahrte zwar deren Mitglieder davor, unentwegt umdenVorrang konkurrieren zu müssen; die Zugehörigkeit zu einer Rangklasse entschied meist über denVorrang. nachdem sie einmal denConsulat erreicht hatten Dennoch konnten die Senatoren – unddamit der höchsten Rangklasse zugehörten –sich nicht einfach zurücklehnen. Umim politischen Spiel zu bleiben, brauchten sie Prestige, Einfluß undBeliebtheit. Dies alles reproduzierte sich nur, wennsie sich darum bemühten. Unddafür mußten sie sich der Probe auf ihre Beliebtheit aussetzen, ständig oder zumindest regelmäßig. Während der erreichte Rang eines Senators normalerweise unverlierbar blieb, reproduzierte sich sein Ansehen nur, indem er es dauernd aufs Spiel setzte, in Gesten undPerformanzen
investierte126.
123 So wie es T.Annius Milo, demFeind des Volkstribunen Clodius, geschah. Es nützte ihm nichts, daßerUnsummen (Cic. Mil. 95) zurBeschwichtigung derPlebs undfür Gladiatorendarbietungen vergeudete; ererreichte denConsulat nicht. 124 Das hat NICOLET, Métier (s.o.A.45) 483 treffend formuliert: “ En se montrant au public, les hommes envuepouvaient donc éprouver leur popularité.” 125 Cic. Pis. 65: da tepopulo, committe ludis, sibilum metuis? ... ne acclametur times? 126 Gerade das ‘symbolische Kapital’vonIndividuen erhält sich nurdadurch, daßes unentwegt ins Spiel gebracht und damit aufs Spiel gesetzt wird. Dazu: BOURDIEU, Sozialer Sinn 245. (s.o.A.37) 215; 235–
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undKonsens
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Es heißt einen modernen Maßstab anlegen und die kulturelle Eigenart außer Acht lassen, wenn manrömischen Aristokraten vorhält, sie hätten den Demonstrationen desPublikums eine übertriebene Bedeutung beigelegt127. Diese zugemessene ist als kulturelles undals politisches Phänomen signifikant. Zu Recht daß diese Publikumsreaktionen Politiker dazu verleiteten, sich über ihre eigene8 Popularität undüber diejenige der2anderen zutäuschen1 Das trifft zwar zu, doch sind dieMöglichkeiten, sich diesbezüglich zutäuschen, in allen stark personalisierten Formen vonPolitik sehr groß undnicht auf deninstitutionellen Ort der ‘Spiele’beschränkt. Täuschung undSelbsttäuschung gehören unweigerlich dazu, wenn innerhalb genau umrissener sozialer Gruppen Ansehen und erwartete Qualitäten vonIndividuen auszutarieren sind.
Bedeutung
wurde darauf hingewiesen,
.
Doch diezusehende Bürgerschaft kommunizierte nicht nurdirekt miteinzelnen Aristokraten, sondern auch indirekt, vermittelt über dietheatralische Darbietung. Darin unterschied sich die römische Plebs grundsätzlich von griechischen Zuschauerschaften. Cicero schildert, wiedie Interaktion zwischen Bürgern undSchauspielern undeinzelnen Senatoren während derAufführung selber vorsich ging: 1. Während der Schauspieler denText deklamierte, legte er ihmdurch Gesten eine direkte aktuelle Bedeutung bei; er zeigte z.B. auf die Sitzreihen derRitter oder aufeinen bestimmten Senator. 2. DasPublikum selber aktualisierte denText rücksichtslos: a) es brach bei bestimmten Versen in lautes wortloses Klagen (gemitus) aus; alle wußten oder verstanden sofort, worauf sich dies Klagen bezog;
b) bei anderen Passagen applaudierte es (plausus), oder es rief lautstark Beifall (clamor); dabei war allen klar, worauf die betreffende Textstelle verwies129; c) sehr gerne übte es dasrevocare, d.h. es forderte denSchauspieler auf, eine bestimmte Passage nochmals zu wiederholen; es kammitunter zu Wiederho(miliens 3revocabatur)1 lungsorgien 0 Die Intensität ihrer Meinung vermochten die Bürger ziemlich genau durch die Lautstärke ihres Beifalls auszudrücken, sowie durch die Anzahl der revocationes. Die Zuschauer selber politisierten den Text; denn sie selber produzierten fortlaufend Anspielungen, indem sie den deklamierten Text auf Aktuelles bezogen. Das wird deutlich an einer semantischen Operation, die bei einer revocatio am Werke
BAILEY, Cicero’s Letters to Atticus, I, Cambridge 1965, 389. Anders: 494 undA.CAMERON, Circus Factions. Blues and Greens at (s.o.A.45) 479– Rome andByzantium, Oxford 1976, 159 f. Cicero ist in denMonaten nach der Ermordung Caesars gespannt aufdiePublikumsreaktionen imTheater (Att. 14,3,2). 128 So NIPPEL, Aufruhr (s.o.A.11) 127. Cicero schätzte 59 v.Chr. die Unbeliebtheit der Triumvirn falsch ein (Cic. Att. 1,16,11). 129 Cic. Sest. 120. 130 Ibid. 123; Cic. Att. 2,19,3: ‘nostra miseria tu es magnus’miliens coactus est dicere (gemünzt auf Pompeius, 59 v.Chr. anläßlich der ludi Apollinares).
127 So D.R.SHACKLETON NICOLET, Métier
122
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war, nämlich an derErzeugung vonexempla: Als imJahre 57 v.Chr. der Senat beschloß, Cicero aus der Verbannung zurückrufen zu lassen, da ließen bei den ludi Florales die Bürger im Theater den Vers T ullius, der seiner Bürger Freiheit fest gegründet hat’sehr häufig wiederholen131. ‘Dieser Vers ausdemDrama ‘Brutus’des Dichters L.Accius bezieht sich aufdenKönig Servius Tullius. Die Zuschauer bezogenihnaber aufM.Tullius Cicero. Bei dieser Form vonBedeutungszuweisung rissen dieZuhörer denbetreffenden
Vers restlos aus demKontext; der zitierte König fungierte in diesem Falle nicht einmal als exemplum, welchem der Konsular Cicero als eine Art Antitypus entsprochen hätte. Sondern der Bezug zumzitierten König war radikal suspendiert. Die Bürger machten Cicero selber aktualiter zumexemplum. Sie bezogen also römische Grundwerte auf aktuell lebende Personen: Cicero wurde ihnen nicht nur zum Verteidiger der libertas; er geriet gar zur personifizierten constantia132. Die römischen Werte erschienen also leibhaftig inderGestalt prominenter Senatoren133. UmFiguren im Drama, die nicht Berühmtheiten ersten Ranges waren, zu exemplifizieren undeinzelne ihrer Merkmale oder Handlungen auf gegenwärtige Personen zubeziehen, bedurfte es eines Wissens über Personen der römischen Vergangenheit, dasstereotypisiert unddarum sehr rasch aktivierbar war; umlebenden und aktiven Senatoren momentan bestimmte politisch signifikante Eigenschaften zuzusprechen, diese dann in herausreißbaren Zitaten zu entdecken undsofort die Verweisung szenisch herstellen zu lassen, dafür benötigten die römischen Bürger eine sehr schematisierte Wahrnehmung, eine gut geübte Fertigkeit, politische Sachverhalte auf ‘Moralisches’zu reduzieren undzu personifizieren, ferner eine hohe Aufmerksamkeit undeine schnelle Reaktion. Eine solche kulturelle Kreativität ist nicht zu unterschätzen. Die römischen Zuschauer übten unentwegt politische Allegorese; dieging freilich zuLasten des Textes. Denn sie deuteten ganze Passagen brüsk um,zerstückelten denText in Zitate von direkter Aktualität, undsie zerstörten die dramatische Logik, indem sie den Ablauf der Handlung beliebig unterbrachen. Diese Unterbrechungen nahmen manchmal ein solches Ausmaß an, daß Cicero sagen konnte, die Zuschauer hätten das Theaterstück selber vergessen (omisso gestu)134. Damit negierten die Römer jene ästhetische Distanz, die hellenische Theateraufführungen erforderten; sie
dieSequenzen desDramas umneue semantische Zentren; ja sie behandelten den dramatischen Text als eine riesige Halde von potentiellen Zeichen, die manje nachderspezifischen politischen Situation derAufführung zuaktivieren und
gruppierten
131 Cic. Sest. 123: ‘Tullius, qui libertatem civibus stabiliverat’. Miliens revocatum est. 132 Cic. Sest. 120. 133 Zu den metonymischen undsynekdochischen Operationen bei der Interaktion im Theater 63. siehe: CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 45– 134 Cic. Sest. 120.
Entscheidung
undKonsens
123
zu aktualisieren hatte. Das Schauspiel dergestalt politisieren heißt es entästhetisieren135.
In diesem
interaktionalen Rahmen
gab es drei Mittel, die Zuschauer zu beein-
flussen:
a) indem derSpielgeber einbestimmtes Drama auswählte, mitunter auch in denText selber eingriff; b) indem derSchauspieler, dervomspielgebenden Magistrat instruiert war, bestimmten Versen durch gestische Unterstreichungen eine präzise gewünschte Aktualität gab;
c) indem mangedungene Theaterclaquen einsetzte. Doch wenn diezuschauenden Bürger nicht anbissen, dann versagten diese Mittel alle. Gemietete Claquen erwiesen sich nicht selten als kontraproduktiv, da die Zuschauer schnell merkten, was los war136. Im Theater konnte mandie Plebs nur dann beeinflussen, wenn sie bereit war, sich beeinflussen zu lassen137. Anders gesagt: Die römische Bürgerschaft ließ es sich nicht nehmen, denText so zu politisieren, wiesie selber es wollte. Trotzdem wurde die Auswahl der Stücke eine politische Frage, weil die Senatoren in ihren Auseinandersetzungen auf dieses Mittel, das Volk zu beeinflussen, nicht verzichten wollten. Brutus und Cassius hofften darauf, daß die Stimmung in derplebs urbana bei den ludi Apollinares und durch die Theateraufführung umschlug138. Die Hoffnung war vergeblich, denn es gelang den Gegnern, den ludischen Raumzu‘entpolitisieren’: Die Möglichkeit, die Texte zu politisieren, hing davon ab, wie hoch die Übereinstimmung im Publikum war. Waren die Zuschauer gespalten, dann wurde aus den Interventionen schnell eine Schreierei, die Anhängerschaften unterschiedlicher Aristokraten gegeneinander vollführten. Dann mußte manentweder das Schauspiel unddaswarausreligiösen Gründen schwierig -, oder ein Teil des geabbrechen – spaltenen Publikums zwang den anderen, ruhig zuzuhören. Undeben dies geschah bei den‘Spielen’, dieL.Antonius nach derErmordung Caesars imNamen vonBru135 Warum die römische Theaterkultur ganz andere Wege ging als die griechische, untersuchen 107 und D.GILULA, z.B. N.ZORZETTI, La pretesta e il teatro latino arcaico, Neapel 1980, 93– Greek drama in Rome: some aspects of cultural transposition, in: H.Scolnicov/P. Holland (Hgg.), The Play out of Context. Transfering Plays from Culture to Culture, Cambridge 1989, 109; CLAVEL-LÉVÊQUE, Empire (s.o.A.59) 45– 63; M.HÜLSEMANN, Theater, Kult undbür99– gerlicher Widerstand imantiken Rom. DieEntstehung derarchitektonischen Strukturen des römischen Theaters, Frankfurt 1987, 19 f. und 137 ff. 136 Cic. Sest. 115 betont, daß mangemietete Claquen schnell erkannte. Die Zuschauer pfiffen gelegentlich nicht allein denSpielgeber, sondern auch seine Claque aus(Cic. Att. 2,19,3). Dazu: NICOLET, Métier (s.o.A.45) 486; CAMERON, Factions (s.o.A.122) 158; NIPPEL, Aufruhr (s.o.A.11) 127.
486 u. 491. 138 Cic. Att. 15,2 u. 16,5. Auch Cicero erkundigte sich nach den Publikumsreaktionen: Att. 14,3,2. Dazu: NICOLET, Métier (s.o.A.45) 491 f.
137
NICOLET, Métier (s.o.A.45)
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tus abhielt, undvondenen sich Brutus so viel versprach: ‘Alseine zudiesem Zwekke gemietete Claque skandierte, mansolle Brutus undCassius zurückholen, unddie restlichen Zuschauer anfingen, Mitleid für diese aufzubringen, stürzten Mengen herein, welche die Veranstaltung unterbrachen, bis sie die Forderung, jene zurückzurufen, unterdrückt hatten’139
Dieser Fall illustriert, wie derTheaterraum sich zurPolitisierung dann undnur dann eignete, wenn das stadtrömische Volk einmütig reagierte. Spaltungen innerhalb derPlebs beraubten sie ihres politischen Potentials. Dasist derGrund, weshalb dieplebs urbana im Kaiserreich stärker politisiert war als in der späten Republik. nie gespalten, sie reagierte stets Sie war–so weit die Quellen dies erkennen lassen – einmütig.
8. Personalisierte Politik
Anzwei Orten konnte diePlebs ihre Meinung eigenständig zumAusdruck bringen: in den außerinstitutionellen Aktionsformen auf der Straße und bei den ludischen Veranstaltungen. Im ludischen Ritual feierte sich die römische Ordnung selber, insofern war es ebenso ein Konsensritual wie die Comitien. Aber hier konnte das Volk nicht nur seine Bindung an die Grundwerte der römischen Ordnung bekräftigen undden Spielgeber sowie einzelne Senatoren loben, sondern es konnte auch Dissens anmelden. Und damit luden sich die ‘Spiele’mit “ mehr Politik”auf als die Politik als diecontiones. anderer” Comitien undmit “ Auch wenn der Rahmen dieses Aufsatzes nicht erlaubt, präzise zu erörtern, bei welchen Themen die Plebs ihren Dissens mit der Aristokratie oder mit einzelnen Senatoren bekundete140, so läßt sich trotzdem eine Kontur umreißen: Die Plebs thematisierte vor allem Normverletzungen undFehlverhalten bekannter Senatoren. Außenpolitik stand beispielsweise nie zur Debatte, und auch wichtige ‘innenpolitische’Probleme selten. Zumeinen waren also die mißbilligenden Reaktionen desrömischen Volkes thematisch sehr eng, zumanderen waren sie stark personalisiert. Zunächst zur thematischen Enge der vom Volk angesprochenen Punkte; sie warcharakteristisch undänderte sich in derKaiserzeit kaum: Die Eingrenzung der Themen ergab sich daraus, daßdiePlebs vorallem aufVerstöße gegen die sozialen Grundnormen achtete. Ihre hohe Aufmerksamkeit für solche Vorkommnisse war nurdarum möglich, weil inderPlebs eine erstaunliche Normkonformität herrschte -
139 App. civ. 3,23 f.; Cicero (Phil. 1,36) beteuert zwar, dasrömische Volk stehe einmütig hinter den‘Befreiern’. Doch sein Hinweis, bei denludi Apollinares sei Brutus beklatscht worden, deckt seine Behauptung nicht ab; wenn Sympathisanten klatschten, dann müssen sie nicht dieanderen Bürger mitgerissen haben. 140 Eine Erörterung der von der Plebs im Kaiserreich politisierten Themen findet sich bei: 139; FLAIG, Kaiser 127; 137– 36; 106– Z.YAVETZ, Plebs and Princeps, Oxford 1969, 33– 67. (s.o.A.51) 54–
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dies trotz ihrer starken sozialen Stratifikation. Die hohe Normkonformität erlaubte es ihr, spontan zu reagieren, mit einer minimalen Organisation. Dies erklärt, warum die Plebs eigenständig undrasch zu reagieren imstande war undwarum sie ihren miteiner hohen Intensität zurGeltung brachte. wenn es nötig war– Willen – Aber hier liegt auch derGrund, weswegen sie aufderanderen Seite eigenständig kaum zu einer einheitlichen Meinung unddaher kaumzueiner einmütigen kollektiven Aktion zubringen war, falls es umThemen ging, die nicht die Grundnormenberührten141. Sobald solche weiter entfernten Themen auftauchten, war die Plebs als gesamte Gruppe außerstande, sich selber eine Meinung zu bilden; denn dazu hätte sie eigenständige Organe zur Meinungs- und Willensbildung benötigt, die über den Rahmen von collegia und vici hinausgingen, und solche besaß sie nicht. Ging es um‘entferntere’Themen, blieb sie somit immer angewiesen auf Senatoren, dieihreine formulierte Meinung anboten. Gemäß dieser Differenz ließen sich die contiones unddie ludi je anderen Politikformen zuordnen: Die contiones waren demnach diejenige Institution, in welcher die Plebs zu einer breiten politischen Thematik Stellung bezog, allerdings keine eigenständige Meinung vorbrachte; die ludi hingegen gaben dieser eigenständigen Meinung Raum, doch dafür waren die Themen sehr schmal. Daher ist es sinnvoll, ein Inventar unterschiedlicher Modalitäten vonPolitisierung zu erstellen. Die Politisierung des römischen Volkes bemißt sich nicht nuranderFähigkeit, zu mannigfaltigen Fragen Stellung zunehmen. Sie bemißt sich ebensosehr anderNachhaltigkeit, mit der es seine Meinung äußerte, undnicht zuletzt an der Durchschlagskraft seiner kollektiven Aktionen, mit welchen es seinem Willen Gehör und Geltung verschaffte. AmEnde derRepublik, besonders zwischen 100 und36 v.Chr., gelang es einigen Aristokraten immer wieder, Teile derPlebs so stark an sich persönlich zu binden, daß sie als stadtrömische Bürgerschaft oft nicht mehr einhellig reagieren konnte, weil einTeil derPlebs gegen einen anderen stand142. Der Politisierungsgrad Plebs je eine politische Meinung hatte. Demgegenüber verweist NICOLET, Métier (s.o.A.45) 492 auf das Zuschauerverhalten im römischen Theater: “ Ceux qui, à tort, doutent de l’existence d’unevéritable opinion publique dans l’Antiquité et particulièrement à Rome doivent se demander si desmessages politiques (même déguisé sous la fiction littéraire) quitouchent aumêmemoment plusieurs dizaines de milliers de citoyens, dans l’ intention avouée de susciter leur réaction, même violente ... ne supposent pas ce qu’on peut véritablement appeler une .”Es ist evident, daß Nicolet Recht hat. Manmüßte dieBehauptung Veynes modifizieren: Aufweiten Bereichen, diefürunszur‘Politik’gehören, bildete sich diePlebs keine eigenständige Meinung, sondern übernahm vertrauensvoll dieMeinung derMagistrate. Damit verschiebt sich aber der Streit über die ‘politische Meinung’ hin zum Problem, wie die Historiker –neben der von CHR.MEIER undNICOLET (Métier [s.o.A.45] 473) geforderten ‘Grammatik der Politik’–eine Topik desPolitischen erstellen können. 142 So 57 v.Chr.: Mitgewaltsamen Konfrontationen setzte ein stärkerer Teil derPlebs es gegen die “ Clodianer”durch, daß der Senat die cura annonae an Pompeius übertrug (Cic. dom. 6 f.; 15; Att. 4,1,6 f.). Gut organisierte Schlägertrupps hatten ab einer bestimmten personalen
141 VEYNE, Pain (s.o.A.6) 543 leugnet, daßdie römische
126
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der Plebs lag aber desto höher, je einmütiger sie handelte; dennje einmütiger sie war, desto eigenständiger vermochte sie zu agieren. Spaltungen entpolitisierten folglich die Plebs; denn sie machten ihre uneinigen Teile abhängig von aristokratischen Gruppierungen und Persönlichkeiten; und dies setzte die Schlagkraft der Plebs insgesamt drastisch herab. Wählt mandiesen Blickpunkt, so sank der Politisierungsgrad derplebs urbana während derspäten Republik, umimKaiserreich wieder anzusteigen. Nunzur starken Personalisierung der von der Plebs politisierten Themen. Sie ergibt sich großenteils aus einer konsensualistischen Politik in ihrer kulturell spezifisch römischen Form: Der vorgängige Konsens ersparte den Herrschenden sehr häufig dieMühe, dieBeherrschten imEinzelfalle jedesmal argumentativ umfassend überzeugen zu müssen; es reichte oft, daß sie denKonsens beschworen. Dies erklärt, wieso römische Redner gelegentlich in einer contio einen autoritären Ton anschlagen durften undwieso sie manchmal sogar miteinem Schweigebefehl sich gegen das Murren der Bürger durchzusetzen vermochten143. Ein solcher Ton wäre in der athenischen Volksversammlung unmöglich gewesen; er indiziert, daß der ModusdesÜberzeugens bei der starken politischen Ungleichheit in Romeinbeträchtlich anderer waralsjener, deringriechischen Demokratien galt. Aber dieser autoritäre Ton kamnuran, wenn die Beherrschten bereit waren zu gehorchen. Unddas hing davon ab, ob sie die Regeln des Grundkonsenses eingehalten glaubten oder nicht. Jeder einzelne Senator stand mit seinem Ruf, mit seinen Taten, mit seinen Gesten undWorten für die gesamte Aristokratie ein. Selbst Marius, welcher vor dem Volk die Nobilität schmähte und beschimpfte, stilisierte sich als der bessere
Stärke gute Chancen, sogar eine große Volksmenge (sofern diese nicht von organisierten Schlägertrupps anderer Couleur unterstützt wurde) in Schach zu halten. Dieser Umstand wurde zueinem kardinalen Faktor inderstadtrömischen Politik in derspäten Republik; denn über sogar wennes einig war– sehr entschlossene Aristokraten konnten praktisch dasVolk – kürzere Zeitspannen hinweg eines Gutteils seines Aktionspotentials berauben, indem sie es daran hinderten, seine außerinstitutionelle Macht zurGeltung zubringen. 143 Beispiele: Als Scipio Nasica vor demVolk gegen eine Verteilung verbilligten Getreides sprach undEntrüstung erntete, entgegnete er barsch: tacete, quaeso, Quirites, plus ego quam vos quid rei publicae expediat intellego (Val.Max. 3,7,3). Ähnlich, aber mit einer beleidigenden Qualifizierung derZuhörer, gebot Scipio Aemilianus anläßlich seiner Redegegen die rogatio Papiria de tribunis reficiendis Schweigen (Liv. per. 59; Val.Max. 6,4,4). Siehe dazu den Beitrag von K.-J.HÖLKESKAMP. Dies erklärt auch, wieso römische Feldherrn vor dem Kampf völlig andere Reden hielten als griechische. Griechische Feldherrn mußten argumentieren, häufig sogar ihre Taktik genau darlegen. Einrömischer Imperator hingegen erinnerte andieeigene Leistung oderandieseiner Vorfahren, ferner andieerbrachten guten LeistungenderSoldaten, anihre gute Kampfmoral, gegebenenfalls daran, daßsie eine Scharte auszuwetzen hatten. Er brauchte nicht zuargumentieren unddie Truppen vonderRichtigkeit seines Vorhabens zuüberzeugen, weil ereinen sehr tiefgreifenden Gehorsam gegenüber seinenBefehlen voraussetzen konnte. Fürihngenügte es, andenvorgängigen Konsens zuappellieren.
127
Entscheidung undKonsens
Aristokrat und stärkte damit das Vertrauen
ber144.
in die aristokratische
Herrschaft
sel-
Es ist typisch für die konsensualistische Politik in Rom, daß die Plebs fast nur Normenbrüche thematisierte. Derjenige Aristokrat, der sich gegen elementare Normen verging, z.B. der Plebs nicht die gebührende Achtung entgegenbrachte oder gegen diefamiliäre pietas verstieß, stellte densozialen Konsens inFrage. Die Plebs brauchte imGrunde nurdiesen Konsens zu hüten; unddas tat sie, indem sie das Benehmen unddenLebensstil der einzelnen Senatoren imAuge behielt; daher die Namentlichkeit der Politik unddie Kenntlichkeit der Politiker145. Solange die Aristokratie sich an denbeschworenen Konsens hielt, verdiente sie Vertrauen; und dann gehorchte manihr sehr umfassend. Daraus erklärt sich der enorme Aufwand an symbolischen Gesten undan performativen Akten, mit denen römische Aristokraten mit der Plebs kommunizierten. Die Aristokratie beteuerte mit einem massiven semiotischen Einsatz, daß sie amGrundkonsens festhielt, undforderte darum Vertrauen undGehorsam. Das heißt umgekehrt: Gerade weil die Plebs eifersüchtig undstreng die sozialen Grundnormen bewachte, brauchte sie sich umandere politische Themen nicht in der Weise zu kümmern, wie das etwa der athenische δῆ μ ο ς tat. Solange sie der Aristokratie grundsätzlich vertraute, verließ sie sich auf die Sachkenntnis, die Erfahrung unddie Handlungsfähigkeit der herrschenden Klasse.
144 Sall. Iug. 85. 145 Fand sie unter denMagistraten undTribunen keinen, dersich ihrer Belange annahm, dann forderte sie namentlich einzelne Senatoren dazuauf. Soverlangte sie 57 v.Chr., Cicero solle sich imSenat dafür einsetzen, daßdemPompeius diecura annonae übertragen wurde (Cic. Att. 4,1,6).
INDICES (zusammengestellt vonBernhard Linke)
1. SACHEN Abstimmung 55, 63, 68, 73 ff., 77 ff., 81 ff.,
85 ff., 90 ff., 94 f., 97, 115, 117 –geheime 6, 56, 78 f., 86 Adelsgruppierungen 3, 92, 94 ff., 108, 126 Aedil/Aedilität 28, 32, 51, 54, 56, 59 A.51, 62, 73, 77, 107 ambitus 51 ff., 55 ff., 60, 63 f., 66 ff., 70 f., 73 ff. Amt/Ämter 17 f., 28, 33 f., 39, 43, 51, 54, 56, 60, 70 ff., 77 –-laufbahn 51, 62 Aristokratie s. Führungsschicht auctoritas 22, 24 f., 29 f., 34, 36 ff., 40 ff., 44 A.146 beneficium 39, 55 Bestechung s. Wahlbestechung Bewerber s. Kandidat Bewerbung 51, 53, 58, 61, 70 Bindungswesen 3, 6 A.28, 55 f., 75 f., 79,
103 f.
Capitol 16, 35 Censor/Censur 13, 18, 28, 32, 38, 47, 60,
107
centuria praerogativa 63 A.66 Centurien 35, 59, 72 cliens/clientes 19, 21, 33, 65, 75, 85 f., 103
ff.
clientela s. Bindungswesen comitia 5, 28, 32 f., 35, 56, 63 f., 68, 72 f.,
77 f., 80 ff., 84 ff., 89 ff., 93 ff., 99, 111, 115, 124 –centuriata 57, 61, 72, 78, 89, 117 comitium 5, 16, 24, 35, 71 concilia plebis 28 f., 35 Consul/Consulat 4, 6 A.32, 11, 13, 18, 20 f., 25, 28, 32, 34, 35 A.107, 37 A.117, 38 ff., 43 f., 46 f., 51, 53 ff., 60 ff., 70 f., 77 ff., 81 ff., 118, 120 contio 24, 27 ff., 31, 33 ff., 38, 40 f., 43 f., 60 f., 66, 81 ff., 86, 89, 91 ff., 95 f., 111, 119, 124 ff. curia 5, 16, 24, 98 cursus honorum 13 1 f., 4, 6 A.28, 8, 77 f., 88, 94, 96 f., 99, 126 Dictator/Dictatur 11, 28 Demokratie/demokratisch
dignitas
22, 30, 38 f., 40 A.132, 43 f., 46
A.156, 69 f.
divisores
66 f., 69, 72
Elite s. Führungsschicht
eloquentia 13 ff., 21, 25 ff. Entscheidung(sfindung) 1 f., 4 ff.,
17, 55 f., 63, 72 ff., 76 ff., 91f., 94 ff., 99, 114, 116 Euergetismus 57, 59, 62, 66, 69, 73 f., 76
s. Adelsgruppierungen Feste 31, 100 f., 105 ff., 117 forum 16, 24, 35, 60, 64, 111 Führungsschicht 2 ff., 6, 8 f., 11, 21, 24 ff., factiones
30, 32 f., 36 f., 41, 43, 45, 48, 51, 53, 55, 57, 59 f., 70, 74, 77 ff., 81, 83 ff., 88 ff., 94 f., 97 ff., 102 ff., 106, 109 f., 115, 118 ff., 124, 126 f.
Gericht(e) 14 f., 21, 24, 26, 34, 44, 83 Gerichtsverfahren 17, 87 Geschworene 16, 73 ff. Gesetz(e) 1 f., 5 ff., 20, 28, 42, 51, 55, 57,
64 ff., 74 f., 77, 92, 95, 99, 103 f., 108 –-gebung 57, 70, 80 Gesetzesantrag 15,29, 38, 55 A.28, 66, 73, 79 ff., 83 ff., 91 ff., 95, 115 f., 119
Gesetzesprojekte 7 Gladiator/Gladiatur 102, 109 ff., 113 ff., 117
f.
gloria 20, 23, 39, 43
homo novus 18, 20, 22, 43, 55, 71
17 f., 20, 22 f., 25, 30, 32 f., 39, 40 A.132, 42 ff., 49, 59 A.51
honos/honores
imagines 17 Institutionen
22, 26, 32, 69, 77, 81, 88 f., 92 ff., 106 (soziale) Interaktion 48, 90 f., 93, 98, 104 ff., 109, 111, 114 f., 118 f., 121, 123
51 f., 54 f., 57 ff., 62 ff., 67 ff., 71 ff., 75 f., 79 Kommunikation 4, 8 f., 16, 30, 76 f., 88, 91, 93, 95, 97, 100 f., 103, 105 ff., 111, 116, 120 f., 127 Konflikte 5, 75, 91, 107, 111 Kandidat(en)
130
Indices
3, 25, 51, 54, 60 f., 65, 68, 71 f., 76, 103 Konsens 41 ff, 45, 48, 63, 77, 84 ff., 89 ff., 93 ff., 102, 106, 115 f., 118 ff., 126 f. –-ritual 8, 90, 97, 124 Konkurrenz
laudatio 13, 18, 21, 23, 31 f., 45, 75
Redner 12 ff., 17, 20 ff., 25 ff., 31 f., 35 f.,
38 ff., 45 f., 48, 59, 67, 91, 119, 126 res publica 5, 16 ff., 20, 22, 26 f., 29 f., 35, 38 ff., 43, 44 A.146, 45 ff., 53, 60 ff., 75, 77, 79 ff., 88, 96, 99 ff., 105 ff., 110, 112, 117 Rhetorik/rhetorisch 12, 43, 93, 119 Rituale 31, 76, 89 ff., 94, 97, 100, 102, 106 f., 109, 111, 113 ff., 117, 124
–funebris 11, 15, 17, 21, 39, 44 f., 62, 107 lex/leges s. Gesetz ludi s. Spiele
römischer Staat s. respublica rogatio s. Gesetzesvorlage
maiores s. Vorfahren Marsfeld 16, 81
sapientia 14 f., 24, 36, 39 Senat 5 f., 8, 14, 16, 22, 24 ff., 28 ff., 32 ff.,
Nobilität s. Führungsschicht nomenclator 52
Obstruktion 87, 91 f. Öffentlichkeit/öffentlich 7 ff., 11, 16, 25 ff.,
29, 36, 38, 45, 48, 51 f., 56, 58 f., 76, 97, 108, 112, 116 officium 40, 41 A.136, 55 Oligarchie 2, 76 optimates orator s. Redner
37, 40 ff., 44 A.146, 56, 60 f., 77, 81, 83, 84, 86 f., 91 f., 95 f., 98, 99, 102, 109 Senatoren 11 f., 15, 21, 24, 34, 39, 48, 74, 79, 81 ff., 85 f., 90 f., 93, 95 f., 103 f., 107, 118 ff., 122 ff., 126 f. Senatsbeschluß 13, 67, 70, 84 Spiele 9, 31, 52, 59, 90, 92, 100 ff., 105 ff., 109 ff., 113, 116, 119 ff., 123 ff. Stimmkörperschaften 1, 72, 76
Theater 90, 108, 110, 114, 118 f., 122 ff. tribunus plebis s. Volkstribun
f., 120
34 A.106, 35, 52, 57, 58 A.43, 59, 63, 66, 69, 72, 80, 83, 117 Triumph(e) 44, 78, 82 f., 102, 109 f.
f., 103 f., 106, 120
virtus
105, 116, 119 ff., 123 ff., 127
41, 44, 66, 69 f., 73, 75 ff., 79 ff., 84 ff., 89 ff., 93, 96 f., 106 f., 111, 115, 118, 120, 123 ff. Volksgerichte 16, 29 Volkstribun/Volkstribunat 28, 32, 34 f., 47, 51, 57, 66, 69, 73, 80 f., 83 f., 87, 92 f., 120, 127 Volksversammlung 1, 3, 5 ff., 16, 24, 26, 32, 36, 55 f., 77, 79 ff., 84 ff., 88 ff., 93 ff., 97, 105 f., 109 Vorfahren 18, 38, 45, 46 A.156, 47, 49, 62
Patronage 68, 103 Patronagesystem 3, 64, 67, 76, 79, 89, 103
patronus 21, 33, 48, 60, 65, 67, 75 f., 79, 85
plebs 33, 38, 41, 47, 67, 77, 79, 95, 98 f.,
–urbana 72, 78, 118, 123 f., 126
politische Klasse s. Führungsschicht politische Kultur 11, 15 ff., 22, 24, 27, 95 f.,
98 ff., 102, 110, 112 f., 116, 118, 122 f., 125 politisches System 1, 4, 7 f., 17, 33, 48, 77, 80, 85, 87 f., 90, 92, 95 ff., 99, 105 ff., 112, 124 pompa 31, 100 –funebris 30 f., 110 –triumphalis 30 populares 1 ff. populus Romanus 17, 26 f., 29 ff., 33, 34 A.105, 35 A.107, 38 ff., 43 f., 46, 48, 86, 108 Praetor/Praetur 6 A.32, 13, 25, 28, 51, 56, 64, 71, 77, 83 Prozesse 6, 19, 21, 60 f., 70, 73 ff., 77, 92, 119 Rangklassensystem
6, 56, 88 f., 120, 122
tribus
19, 21, 23 f., 39, 42 f., 45, 115
Volk 1 f., 4, 7 ff., 14, 18 f., 25, 31 ff., 36 ff.,
Wahlen 1, 32 f., 54 ff., 61, 67 f., 71 f., 74
ff., 78 f.
6, 9, 53 f., 56, 62, 65 f., 72, 75, 78 f. Wahlkampf 54, 58 ff., 62 f., 70 ff., 76 Wahlbestechung
Wettbewerb
s. Konkurrenz
Zensusklassen 78, 89 f., 117
131
Indices
2. PERSONEN Sex. Aelius Paetus (cens. 194) 107
A. Gabinius 118 A.115 Q. Gallius 52 A.8
36, 43 f., 54, 82 f. M. Aemilius Scaurus (cos. 115) 64
Q. Hortensius 119 A.120
M. Aemilius Lepidus (cos. 78) 36 A.113 L. Aemilius Paullus (cos. 182) 19, 29, 31,
Ancus Marcius 17 T. Annius Milo 71 L. Antonius (cos. 41) 123 M. Antonius (cos. 99) 38, 43, 47, 98 A.54 A. Atilius Caiatinus (dict. 249) 11 A.3 Augustus 116
L. Caecilius Metellus (cos. 251) 11, 21 Q. Caecilius Metellus (cos. 206) 11, 13, 17 Q. Caecilius Metellus Macedonicus 36, 54 Q. Caecilius Metellus Numidicus 24 A.58 M. Calpurnius Bibulus 68 A.91 C. Calpurnius Piso (cos. 180) 54 A.23 C. Calpurnius Piso (cos. 67) 66 C. Cassius Longinus (pr. 44) 123 f. Ap. Claudius Caecus 26, 43 M. Claudius Marcellus (cos. 206) 13 P. Clodius Pulcher 19, 57, 61, 67 f., 71, 83,
120 C. Cornelius (tr. pl. 67) 61 A.57 C. Cornelius Cethegus (cens. 194) 107 M. Cornelius Cethegus (cos. 204) 13 f., 27, 37 A.116 P. Cornelius Scipio Aemilianus 24 A.58, 38 f., 78, 126 A.143 P. Cornelius Scipio Africanus 13, 20, 23, 36 A.113, 45 A.151, 82 A.15 P. Cornelius Scipio Nasica 21 A.46, 40 f., 62, 126 A.143 L. Cornelius Sulla 74 A.124, 104 A.70 Ti. Coruncanius 21 A.46 M’ . Curius Dentatus 47
Cn.Domitius Ahenobarbus (cens. 92) 13 L. Domitius Ahenobarbus (cos. 54) 68 A.96
Q.Fabius Maximus 13
(Cunctator) (cos. 233)
C. Fabricius (cos. 282) 47 C. Fannius (cos. 122) 31 A.94 C. Fidiculanius Falcula 74 A.124 Q. Fufius Calenus 83 A.20 Cn. Fulvius 29 A.90 Q. Fulvius Flaccus (cos. 237) 13 Q. Fulvius Flaccus (cos. suff. 180) 23 C. Fundanius 61 A.57 M. Furius Camillus 47
C. Iulius Caesar 17, 36, 68, 71, 83, 118, 119 A.120, 123 L. Iulius Caesar (cos. 64) 65 A.77 L. Iunius Brutus (cos. 509?) 46 M.Iunius Brutus 123f.
C. Laelius 47 L. Licinius Crassus (cens. 92) 13, 39, 46 A.159
M.Licinius Crassus 67 f. P. Licinius Crassus Dives (cos. 205) 13f., 21 A.46 P. Licinius Crassus Dives Mucianus 21 L. Licinius Murena 64
Sp. Ligustinus 34, 44 A.146 M. Livius Drusus (tr. pl. 91) 73 L. Lucceius 68 A.91 Q. Lutatius Catulus (cos. 102) 54
C. Manilius 61A.57 T. Manlius Torquatus (cos. 347) 47 f. L. Marcius Philippus (tr. pl. 104) 80 A.11 C.Marcius Rutilus Censorinus (cos. 310) 38 C. Marius 20 A.41, 36 A.113, 78 C. Memmius (pr. 104) 36 A.113 T. Munatius Plancus Bursa 75 A.132 Perseus vonMakedonien 82 Philipp V.vonMakedonien 37, 81 Cn. Pompeius Magnus 22, 68, 75, 83 A.20,
125 A.142, 127 A.145 M. Pomponius (pr. 161) 13 T. Pomponius Atticus 61 A.57 M. Popilius Laenas (cos. 357) 37 f. 27, 38, 43, M. Porcius Cato maior 15 f., 18– 60 A.55, 103 A.69
M.Porcius Cato minor 57 A.33, 65 A.77, 68 A.96, 69 f., 75 A.132
L. Quinctius Cincinnatus 47 T. Quinctius Flamininus 29 Romulus
22
P. Scaptius 34
132
Indices
C. Sempronius
Gracchus
31 A.94, 39 A.127,
Ser. Sulpicius Galba (cos. 144) 44 A.146 Ser. Sulpicius Rufus 64, 70 A.107
74 A.126, 111 L. Sergius Catilina 19, 41, 61 A.57, 71 M. Servilius Pulex Geminus (cos. 202) 34 A.105, 43, 82 Servius Tullius 122 P. Sestius 120 C. Staienus 74 A.127 P. Sulpicius Galba (cos. 211) 37, 43, 81 A.129, 70
A.107,
27, 29, 19, 21– 23, 26– M. Tullius Cicero 12– 59, 61 44, 47, 57 A.33, 58– 33, 39– 71, 86 A.27, 96, 66, 69– A.57, 62, 64– 122 111, 113, 118, 120– Q. Tullius Cicero 58
3. QUELLEN Appianos
civ. 1,28 2,17 2,92ff. 3,23f. Lib. 112 Pun.
65
108 A.81 68 A.96
36 A.114
78 A.5 26 A.67 26 A.67
Asconius (Clark)
23 31 33 74 75 76 86 88
64 A.71 61 A.56 57 A.33 66 A.82 f. 66 A.80 66 A.81 61 A.57 52 A.8
Cicero Arch.
16
107 A.79 108 A.82
Cassius Dio frg. 96,2 73 A.121 36,39,1 66 A.81 36,42,1 108 A.82 37,4,4 29 A.87 37,38 28 A.83 38,42 ff. 35 A.111 39,29,3 98 A.52 39,31,1 68 A.96 39,31,2 68 A.93 39,34,2 35 A.111
46 A.158, 47 A.163
Att. 1,1,1 1,1,2 1,1,3 f. 1,2,1 1,14,2 1,14,5
51 A.1, 62 A.59 61 A.57 61 A.57 61 A.57 83 A.19 83 A.19 f. 10 83 A.19 1,16,2– 1,16,11 96 A.48, 121 A.128
1,16,13 1,19,4
2,19 2,19,3
(Stangl)
55 61
35 A.10 75 A.130 36 A.114 75 A.132 117 A.112
124 A.139
Samn. frg.
10,2
39,35,1 40,52,2 42,52f. 40,55,1 65,15,2
2,24,3
4,1,6 4,1,6f. 4,15,7
4,15,7 f. 7,8,5 14,3,2
69 A.99 93 A.43 118 A.116
118 A.115, 119 A.119, 121 A.130, 123
A.136 29 A.84, 34 A.104, 35 A.111, 46 A.159 108 A.81, 127 A.145 125 A.142 70 A.107, 71 A.110
57 A.33 27 A.76 121 A.127, 123 A.138
14,20,3 15,2 16,5
Balb.
35f. 40 50f
Brut.
7 53ff. 55 56 57 58f.
63 63ff. 65 77 79 89 98
27 A.76
123 A.138 123 A.138
42 A.141 46 A.158 46 A.158 38 A.119 14 A.13 21 A.46 38 A.119 13 A.9 14 A.14, 27 A.72 15 A.19 21 A.48
15 A.19, 21
A.48 13 A.9, 21 A.46 21 A.46 15 A.20
21 A.46, 40 A.132
40 A.132 21 A.46 39 A.125 24 A.61 200 27 A.70 183– 27 A.71 186 192 26 A.68 193f. 21 A.48 15 A.17 255f. 23 A.54 281 27 A.70 283 16 A.23 294 105 127 164 178
Cael.
16 39
67 A.87 46 A.158, 47 A.164
133
Indices
Cat. 2,1ff.
36 A.113, 44
2,3 2,7ff. 2,10 2,11
45 A.151 24 A.58 41 A.138 22 A.49, 42
2,13 2,14
41 A.138 40 A.133, 41
2,14f. 2,19
40 A.132 40 A.132, 42
2,22 2,22f. 2,26 2,27
41 A.138 24 A.58 44 A.148 40 A.132, 41 A.137, 45
2,29 3,1 3,1f. 3,1ff.
42 A.142 40 A.133 22 A.49 36 A.113, 44
3,4 3,14 3,21 3,22 3,26
41 A.137 44 A.148 41 A.137 39 A.129 22 A.49, 42
3,26ff. 3,29
A.142 19 A.37 44 A.148
4,2 4,21
dom.
A.148
A.142
A.138
A.142
A.151
A.148
19 A.37 22 A. 49
Catomai. 4 47 A.163 12 13 A.10 56 47 A.164 Cluent.
4 69
74 77 93 111 151 div. 1,103
2,83
24 A.61 74 A.127 74 A.127 27 A.76
24 A.61 59 A.49 73 A.124 63 A.66 63 A.66
div. in Caec.
66
47 A.163
4ff. 6f. 15 17
19 A.37 125 A.142 125A.142 19 A.37, 40
30 33 45 60 64 73ff. 84 86
86 A.27 42 A.141 29 A.90 42 A.142 47 A.162 19 A.37 47 A.163 46 A.158, 47
88 90 90ff. 94
42 A.141 86 A.27 19 A.37 23 A.55, 28
97f. 99 118 142f.
40 A.133 19 A.37 42 A.141 19 A.37 40 A.133
145
fam. 4,6,1 5,2,7 7,13,2
7,30,1 8,2,1 8,14,1
A.132
A.164
A.83
13 A.10 28 A.83 14 A.15 90 A.34
119 A.120
9,14,7
75 A.135 27 A.76
fin. 2,12 2,24 2,74
47 A.164 47 A.163 28 A.82
Flacc.
15
18 15–
17 34
har. resp.
11 13 18f. 19 26 22– 24
34 A.102, 35 A.112
119 A.121 96 A.48
33 A.100
42 A.141 42 A.141 45 A.151 42 A.142 108 A.84 45 A.151
imp.Cn.Pomp.
1ff.
36 A.113
2
39 A.128 f., 40 A.133, 42 A.141 39 A.126 39 A.129
4 4f. 5 6 6f.
39 A.126 45 A.151 39 A.129, 42
11 11f.
45 A.151 39 A.126,
14 17 19 21 23ff. 26 27 32 38
39 41
43 44 46 47 51 53 58
59 60 63 64 65 68 69ff. 70f. 71
deinvent. 1,1 1,3 1,5
Laelius
95ff.
A.142
A.129 39 A.126, A.129, 45 A.151 39 A.127 39 A.129 42 A.139 42 A.139 42 A.141 42 A.141 39 A.126, A.129, 42 A.139 39 A.126, 42 A.139 45 A.151 39 A.126, A.129 42 A.139 118 A.114 42 A.139, A.141 46 A.158 39 A.128 42 A.142 40 A.132, 42 A.141 119 A.121 45 A.151, 46 A.158 42 A.141 39 A.127, 42 A.141 42 A.139 39 A.128 40 A.133 39 A.128 39 A.131
15 A.16 15 A.16
47 A.163 29 A.87
134 96
97 leg. 1,62
2,9 2,62 3,45 leg.agr.
2,1
2,1ff.
2,2 2,4 2,5f. 2,7
2,8f. 2,9 2,13
Indices
29 A.88, 38 A.12, 80 A.13 27 A.73 15 A.16 100 A.58 11 A.2, 31 A.95 86 A.27 18 A.28, 28 A.82 18 A.29, 36 A.113, 39 A.128 22 A.51, 42 A.141 42 A.141 40 A.133 39 A.127, 42 A.141 39 A.129 45 A.151 24 A.58, 34 A.102 39 A.129
2,14ff. 2,15 2,16
45 A.151 39 A.125, 45
2,16f. 2,17 2,19
42 A.141 41 A.137 41 A.137, 42
2,20 2,20ff. 2,21 2,22 2,23
2,24f. 2,26f. 2,29 2,31 2,32 2,35
2,36 2,52f. 2,58 2,59
2,61 2,64
2,65 2,69 2,70f.
A.151
A.141 24 A.58 39 A.129 45 A.151 42 A.142 41 A.137, 42 A.141 39 A.129 42 A.141, 45 A.151 39 A.128 f. 24 A.58 42 A.141 39 A.126 45 A.151 24 A.58 42 A.141
39 A.126 39 A.126 46 A.158, 47
A.161, A.163 f. 45 A.151 45 A.151 24 A.58
2,102
39 A.129, 42 A.141 45 A.151 39 A.129 39 A.128, 40 A.132, 42 A.141 45 A.151 45 A.151 45 A.151 41 A.137 45 A.151 40 A.132 29 A.88, 39 A.128, 42 A.141 39 A.129, 41
2,102f. 2,103
A.137 39 A.129 39 A.128
2,71 2,73 2,75f. 2,77
2,81 2,82 2,87ff. 2,88 2,95 2,100 f.
2,101
3,1f. 3,1ff. 3,3
29 A.88 36 A.113
3,12 3,16
45 A.151 29 A.88, 39
39 A.127,
59 60
66 70 70f.
71 72f. 73 74 76
77 77f.
Milo
70 95
75 A.132 71 A.112, 120
97
A.123 23 A.54
Mur.
31f.
70 A.106 64 A.71 70 A.106 46 A.158, 47 A.163 f. 70 A.105 64 A.68 42 A.142 15 A.17, 24 A.61, 37 A.117, 40 A.135 15 A.17 14 A.15, 15 A.17, 64 A.70 46 A.158, 47
32 38
A.164 47 A.163 63 A.66, 68
14 15f. 53 15– 17
18 29 19– 22 24
29 30
38f. 40 47
A.95 78 A.5, 86 A.27 108 A.82
70 A.107
A.104
58 A.44 70 A.103
nat. deor. 2,148 15 A.16 3,80 13 A.10
off. 2,22 2,59 2,66 2,73
A.129
A.129
47 A.163 70 A.103 47 A.163 52 A.9, 78 A.5 59 A.45, 65 A.77, 78 A.5 65 A.74, A.76 78 A.5 52 A.11 70 A.102 70 A.102,
3,104 orator
117 120 213
de orat. 1,18 1,30
32 1,31– 1,33 1,34 1,35 1,44 1,48
1,58 1,60 1,63 1,68 1,81
70 A.107 59 A.49
15 A.17 80 A.11, 81 A.13 45 A.151
27 A.70 46 A.156 34 A.102 46 A.156 26 A.69 24 A.61 15 A.16 15 A.16 24 A.61 24 A.61 24 A.61, 42 A.140 42 A.140 29 A.88
1,171
24 A.61 42 A.140 27 A.71 42 A.140 42 A.140 21 A.46 21 A.44, A.46,
1,201
24 A.61, 46
1,159 1,165 1,170
A.48
A.156 1,215 1,216 1,223 1,227
21 A.48 21 A.46 42 A.140 15 A.20
135
Indices
21 A.46 46 A.156 2,49 24 A.61 37 A.117 2,50 24 A.61 2,64 2,67 42 A.140 53 A.15 2,105 38 A.124 2,164 2,192 24 A.61 200 98 A.54 2,198– 24 A.58 2,209 40 A.132 2,210 2,216 ff. 24 A.59 24 A.60 2,222 2,225 39 A.125, 46 1,239 f. 1,256
290 2,235– 2,242 2,256
2,281 2,333 2,334 2,335 2,336 2,337
A.159
24 A.59
46 A.159 24 A. 58 24 A.48 27 A.74 27 A.74 46 A.156 42 A.140 37 A.117, 38 A.123, 42 A.140, 46 A.154
Phil.
1,13 1,34 1,36
2,1
2,26 2,76 2,114
3,9ff. 4,1f. 4,4 4,6 4,7 4,9 4,12f. 4,13 4,13f. 4,13ff. 4,15 4,15f. 4,16 5,17 5,35 5,48
26 A. 68, 27 A.73 37 A.118 31 A.95 23 A.54 15 A.16 21 A.48 15 A.16 42 A.140 24 A.61 13 A.8 23 A.54 21 A. 46, 24 A.61 21 A.48 24 A.61
6,2 6,5
11f. 12
46 A.158 46 A.159, 47
11,13 11,17
16 50
A.162, A.164 47 A.161 47 A.164
2,338 2,339
2,341 2,346 3,55ff. 3,56 3,65 3,76 3,86 3,93 3,102 3,134 3,135
3,211
6,16 6,17 6,18
6,19
7,7 8,30 8,31f. 10,20
11,9
parad.
part.orat.
79 105
6,12
15 A.16 98 A.54
12,21 13,27
Pis. 6 4–
6f. 13ff. 16 43
46 A.159 43 A.144 118 A.114, 124 A.139 19 A.37 46 A.159 61 A.57 46 A.159 46 A.159 39 A.129 39 A.129 41 A.137 46 A.159 41 A.137 41 A.137 39 A.127 45 A.151 42 A.142
39 A.127,41
A.137 39 A.129, 40 A.132 40 A.133 46 A.159 23 A.54 46 A.158, 47 A.162 41 A.137 39 A.128, 41 A.137 40 A.134, 42 A.142 39 A.127 f. 39 A.129 39 A.128, 40 A.132, A.133, 41 A.137 39 A.129, 42 A.142 40 A.132 40 A.132 40 A.132 42 A.142 47 A.161 47 A.162 47 A.163 40 A.132 47 A.162
19 A.36 28 A.83 24 A.58 22 A.49 47 A.161
58
46 A.158, 47
65
A.164 120 A.125
Planc.
5f. 7 12 18 20 45
70 A.106 70 A.105 59 A.48, 62 A.64, 63 A.66 59 A.48 47 A.163 67 A.87, 72 A.117
45f. 47
52 A.11 67 A.87, 72
49 50 55 67 58– 60
63 A.66 63 A.50 67 A.85 70 A.106 46 A.158, A.159, 47
66
51 A.2
A.117
A.161, A.164
Quint. frat.
2,3,5 2,15,4 3,6,6 3,7,2
67 A.86 57 A.33 71 A.112 71 A.112
Rab. perd. 1ff. 36 A.113 2 41 A.137, 45 A.151 3 40 A.133 5 39 A.128 10 45 A.151 17 45 A.151 33 42 A.142 34 45 A.151 38 35 A.111 Rab. Post.
2
47 A.162
red. ad pop.
1
1ff.
4 5 9
39 A.129, A.131, 41
A.137 36 A.113, 40 A.133 39 A.125, A.128 f., 42 A.141 39 A.128 39 A.126, A.129
136
Indices
12 16
24 A.58 19 A.37, 39
16f. 18 24 25
41 A.137 39 A.131 39 A.133 39 A.127
A.128
red. insen. 19 A.37 19 A.37 19 A.37 86 A.27 19 A.37
4 6 24 28 36
rep.
1,7 1,43 1,51 1,53
2,1 3,6
3,40 Sest.
18f. 25ff. 48 103 104 107 104– 105 106
109 115 117 120
123 125 127 127ff. 128f. 133 137
138f. 140 143
28 A.83 43 A.143 43 A.143 43 A.143 47 A.163 47 A.164 23 A.54 24 A.58 19 A.37 47 A.162 40 A.134 41 137, 118
Sulla
23
46 A.158, 47
32
47 A.160
top.
78
A.164
47 A.163
Tusc.
2,41 3,48 3,70 Vat.
24
28 37 Verr.
1,23 1,39 1,54 2,1,55 2,2,5 2,2,78 2,3,209 2,4,81 2,5,25 2,5,180
A.136 119 A.118 121 A.129, 122 A.132, A.134 121 A.130, 122
A.131
28 A.77 47 A.161 19 A.37 86 A.27 52 A.8 41 A.137, 42 A.141, 43 A.144, 45 A.151 40 A.133 45 A.151
46 A.158 f., 47 A.164 f.
2f. 4 6 7 8 11 13f. 19 19f. 21
25f. 26
28 32 29– 32 34
42 43 44
48 46–
34 A.104, 35
54 55 56 58
A.111
46 A.158 53 A.12 57 A.33 74 A.127 86 A.27 46 A.158 47 A.163 75 A.129 46 A.158 42 A.142 46 A.158 47 A.163
Q. Cicero comm. pet.
2
38
113 A.102 34 A.102 13 A.10
A.114
96 A.48 93 A.44 28 A.77, 30 A.9, 111 A.94 86 A.27 86 A.27, 123
37 34–
22 A.50, 51 A.2, 59 A.48 59 A.50 59 A.49 59 A.48 59 A.49 59 A.50 59 A.48 59 A.48 55 A.29, 61 A.57, 67 A.89 62 A.60 55 A.29, 58 A.43, 63 A.66 62 A.64 58 A.44, 62 A.59
58 A.44, 60 A.52 59 A.47 61 A.56 58 A.44 59 A.46
50 51 53
53 A.14, 59 A.45
55 A.29, 59
A.50 62 A.64 51 A.2, 62 A.61 52 A.11, 59 A.51, 62 A.64 61 A.57 59 A.50 62 A.60 32 A.98, 60 A.52, 61 A.56 51 A.2
70 A.107 62 A.59 58 A.42
CIL I2 2,6ff. 11 A.4 32 A.96 I2 2,7 32 A.96 I2 2,9 Digesten
48,14,4
74 A.125
Dionysios v. Halikarnassos
ant. 5,17,2 f. 31 A.95 11,52,1ff. 34 A.106 Ennius ann. (Vahlen3)
268ff. 14 A.15 (= 248ff. Skutsch) 305 27 A.72 303– 308 Skutsch) (= 306– 307 14 A.14 303– 308 Skutsch) (= 304–
scen. frg. (Vahlen3) 413 24 A.60 412–
Festus (Lindsay) 182 (nobilem)
33 A.98 220 (Optionatus) 20 A.41, 45 A.151 280 (Parisi) 40 A.133
137
Indices
350 (Repastinari) 19 A.34
408 (struere)
20 A.40, 43 A.144
Festus ap. Paul. Diac. (Lindsay)
34 (contio)
28 A.77, A.79, 33
13,16,1 13,16,3 14,2,21
28 A.77, A.80 28 A.78 19 A.35, 21
A.44 14,2,26 45 A.151 15,11,1 13 A.7 15,11,2 13 A.8 15,12,1ff. 39 A.129
9 18,7,5–
20,10,1
27 A.75 14 A.15
A.100
36 (conventus) 28 A.77
52 (Citeria) 24 A.58
52 (compluriens)
24 A.58 100(inconventione) 28 A.77
Horatius ars. poet.
50
14 A.13
epist. 55 58 A.44 1,6,49–
ILS Florus
2,5,6 73 A.121
Fronto (van denHout) 90,15ff. 15 A.19, 18 A.31, 20 A.39
1 1ff. 3
32 A.96 11 A.4 32 A.96 6085 111 A.95 7846 111 A.95
Julius Victor ars.rhet. (Orelli)
387
Gellius
21 A.46 24 A.58 4,18,1ff. 29 A.90 4,18,3 36 A.113, 37 A.116, 39 1,13,10 1,15,9
16 A.22
Iuvenalis
sat. 11,201
109 A.84
A.126
45 A.151 51 A.4 45 A.151 21 A.45 26 A.67 26 A.67 26 A.67 16 A.23 24 A.58 24 A.58 51 A.4 13 51 A.5 9,26,8– 10,3,17 24 A.58, 45
4,20,10 4,25,13 5,3,14 5,13,4 6,3,14 ff. 6,3,26 6,3,36ff. 6,3,53 6,11,9 7,11,3 8,15,12
A.151
10,14,3 20 A.39 11,10,2 39 A.127 11,10,2 ff. 39 A.129 14 A.14 12,2,3 12,9,4 f. 36 A.113
Livius
33 A.100 35 A.112 ff. 72,7 34 A.106 3,71,1– 4,32,1 33 A.100 5,30,7 80 A.13 5,55,2 80 A.13 6,39,2 80 A.13 12 101 A.63 7,2,11– 7,15,13 55 A.28 8,32,2 33 A.100 8,33,9 35 A.111 8,37,11 80 A.13 8,40,4 44 A.150 9,24,15 28 A.81 10,7,1 29 A.88 8,12 36 A.113 10,7,3– 13 36 A.113 10,13,5– 1,59,7
2,56,10
22,57,3 8,20 24,7,12– 24,20,6 25,1,12 25,3,14 ff. 15 25,12,8– 3,8 26,2,7– 26,22,9 26,27,6 27,21,4 27,27,13 27,51,5f. 6 30,1,4– 30,17,3 ff. 30,40,3 7 33,25,4– 8,1 31,5,1–
31,6,1 4 31,6,3– 31,7,1ff. 14 31,7,2– 31,7,14 31,7,15
28 A.81 37 A.116 28 A.81 29 A.84 35 A.112 107 A.76 29 A.90 37 A.116 29 A.84 80 A.13 13 A.10 29 A.85 14 A.12 29 A.85 29 A.85 29 A.89 37 A.116 29 A.89 82 A.15 29 A.89 36 A.113 37 A.116 41 A.137, 42 A.139 29 A.89 82 A.15
31,8,1 31,8,6 31,9,6 102 A.65 33,24,3 f. 29 A.85 8,3 29 A.89 34,1,1– 34,1,7 38 A.120 4,20 36 A.113 34,2,1– 34,2,5 41 A.136 34,2,11 28 A.77, 45 A.151 34,4,7 45 A.151 34,4,8 103 A.69 34,5,1 29 A.88 7 36 A.113 34,5,1– 34,5,15 36 A.113 34,5,6 38 A.120 34,6,8 45 A.151 34,7,14 48 A.167 34,44,4 108 A.80 34,44,5 107 A.79 35,10,1 54 A.25 35,24,4 54 A.25 36,21,8 29 A.85 36,40,11 ff. 29 A.86 36,40,14 29 A.86 37,4,1 29 A.84 37,52,2 29 A.85 38,31,12 33 A.100 51,14 38,50,5– 29 A.90 38,52,11 34 A.104 38,56,1 ff. 37 A.116 38,56,6 24 A.58
138 39,5,7 102 A.65 39,15,1f. 34 A.101 16,13 36 39,15,2– A.113 39,17,1 ff. 29 A.84 7 21 A.46, 39,40,5– A.48 39,40,8 21 A.47 4 60 A.55 39,41,1– 55 A.26 40,19,11 54 A.23 40,37,6 41,15,10 28 A.81 42,10,3 29 A.84 42,32,2 28 A.81 35,1 29 A.89 42,33,1– 29 A.87 42,34,1 35,2 35 A.107 42,34,1– 15 36 A.113 42,34,2– 44 A.146 42,34,15 29 A.84 43,4,11 43,14,5 f. 29 A.84 29 A.84 43,16,2 29 A.88, 33 43,16,8 A.100 34 A.105 43,16,8ff. 28 A.80 43,16,9ff. 44,22,1–16 37 A.115 44,22,2–15 36 A.113 45,2,6 29 A.84 f. 7 93 A.43 45,21,1– 45,21,6 29 A.87 45,21,6 f. 29 A.88, 34 A.105 45,25,2 26 A.67 15 A.20, 26 45,25,3 A.67 36,5 82 A.16 45,35,7– 82 A.16 45,35,8f. 29 A.87 45,36,1 39,20 44 45,36,1– A.146 45,36,9 34 A.105 29 A.87 45,36,10 39,20 36 45,37,1– A.113, 82 A.17 36 A.114 45,37,14 83 A.18 45,40 29 A.86 45,40,9 31 A.94 45,41,1 45,41,1ff. 19 A.38 12 29 A.86, 36 45,41,1– A.113 45,41,12 19 A.38
Indices
per.
47 48
55 A.26 108 A.81, 109 A.86 38 A.122, 126 A.143 36 A.114
59 113
Lucilius (Marx)
1235ff.
47 A.163
24 A.58
Cato
2,4 3,1
ORF (ed. 4) L. Aemilius Paullus 2 19 A.38, 36 A.113
M. Antonius 24 48 A.167 38 38 A.122 Q. Caecilius Metellus Macedonicus 36 A.113
Q. Caecilius Metellus Numidicus 24 A.58
Appius Claudius Caecus
10f.
26 A.67
P. Cornelius Aemilianus
19 28 29
130
P.Cornelius 3
Scipio Nasica
40 A.135
Q. Fabius Maximus 4 13 A.10 2– C. Laelius 22 39 A.130
24 45 47
39 A.125 46 A.159 46 A.159
1
38 A.120
M.Porcius Cato maior
23 A.57 21 A.46, A.48
557 (nobile) 33 A.98
6
4
36 A.113, 37 A.116, 39 A.126 24 A.58
Censorinus
17 A.25
Nonius Marcellus (Lindsay)
7
3
C. Marcius Rutilus
Nepos
Att. 18,5f.
Scipio
Africanus
L. Licinius Crassus
Macrobius
Sat. 3,14,9
P. Cornelius
Scipio
24 A.58 38 A.121 38 A.122 45 A.151
20 A.41 45 A.151 18 A.31, 19 A.35, 40 A.132 22 23 A.57 23 23 A.57 24 23 A.57 26 19 A.35 28 18 A.32 34 42 A.139 37 42 A.139 38 42 A.139 44 19 A.35 19 A.35 45 48 19 A.35, 20 A.43 55 20 A.42 f., 23 A.53 58 24 A.58, 45 A.151 73 19 A.35 93 19 A.33 111 24 A.58 115 24 A.58 116 19 A.35, 24 A.58 122 40 A.132 128 19 A.34 f. 129 19 A.35 141 23 A.54 145 38 A.120 151 24 A.58 156 19 A.35 163ff. 26 A.67 164 19 A.35 166 19 A.35 17 18 21
139
Indices
173 174 176 200 203 206
209 238 251 252 254
15 A.18, 18 A.31, 19 A.35, 20 A.39, 40 A.132 19 A.35 20 A.39 21 A.45, 45 A.151 19 A.35 19 A.35, 21 A.44, 45 A.151 19 A.35 45 A.151 24 A.58 20 A.40, 43 A.144 38 A.120
C. Sempronius Gracchus 28 39 A.129 26–
44
39 A.129
Ovidius
fast. 376 5,275–
107 A.76
trist.
2,283 109 A.84 Plautus Asin.
4
Poen.
11
33 A.100
33 A.100
Plinius maior nat.hist.
7,100 7,139 7,139 f. 7,140
21 A.47 f. 11 A.3 11 A.1 22 A.51
28,4
8,3 8,7ff. 8,15 10,3 10,5 11,3
14,2 15,1ff. 15,4
7 16,5–
16,6f. 19,6f.
29,2
Aem.
3,1
11,1f.
54 A.24 18 A.28, 37
A.115 32 82 A.17 30– 32,1 44 A.146 30,2– 32,1 83 A.18 36,3ff. 19 A.38 37,1 29 A.86 36,3– Caes.
5,2ff. 7,3
17 A.27 71 A.109
38 A.120 38 A.120 40 A.132 20 A.43 20 A.42, 23
A.53 20 A.42, 22 A.53 22 A.49 21 A.44 21 A.47 60 A.55 38 A.120 22 A.49 21 A.44
Catomin. 8,4 52 A.10 21,2 64 A.67
34 A.105 42,1 68 A.96 41,6– 35 A.111 43 44,7 71 A.108 11 57 A.33 44,7– 48,8 75 A.132 62 A.64, 70 49,5f.
33
A.104
Cic. 13,2 24,1ff. Crass.
Plutarchos
73 A.121
Cato mai. 1,2 18 A.30 1,4 21 A.48 21 A.46 1,5 21 A.40 1,5f. 1,7 21 A.46 3,2 21 A.46 7,1ff. 21 A.48 8,1f. 38 A.120
14,7 15,6
108 A.82 22 A.49
68 A.93 68 A.96
comp. Nic. et Crass.
2,2
68 A.96
Fab. Max. 1,7ff. 13 A.10 13 A.10 24,6
C. Gracch. 12,5
Ti. Gracc. 21,8
111 A.93
38 A.122
Pomp.
51,5 52,2 55,8
58,1
Pyrrhus
19,4 18,8–
68 A.93 68 A.96 75 A.132 68 A.93
26 A.67
apophth. Catonis
19 (= mor. 199A) 23 A.55
apophth. Scipionis
22 (= mor. 201F) 38 A.122
Polybios
11 A.2, 31 A.95 6,53,4ff. 17 A.25 6,54,1 f. 31 A.95 5 29 A.89 18,42,1– 23,14,1ff. 29 A.90, 37 6,53,2f.
A.116
29,1,1ff. 37 A.115 32,14,6 110 A.90 Quintilianus inst. or.
2,4,24 2,4,33 2,15,4 2,16,7 2,16,8 2,16,9f.
3,8
3,8,67 3,11,13 3,11,16
5,3
5,11,7 5,11,42 6,3,1– 112
6,3,105
6,4,7 7,2,38 8,5,33 9,2,26 9,3,18 9,3,24
64 A.69 29 A.88 14 A.13 f. 26 A.67 27 A.71 15 A.16 100 A.58 27 A.76 34 A.103 34 A.103 24 A.58 46 A.159, 47 A.160 27 A.76 24 A.59 24 A.59, 27
A.75 33 A.100 47 A.165 16 A.23 26 A.67 47 A.165 46 A.158, 47 A.162, A.164
140 9,3,50 9,3,56
9,3,71 10,1,34 11,3,31 11,3,153 11,23 12,1,1 12,1,143 12,2,30 12,3,9
12,4,1 12,7,4 12,10,10 12,10,39 12,10,61
Rhetorica
1,20 4,34 4,35 4,47 4,55
57 4,55– 4,57 4,66
Indices
27 A.76 23 A.56 26 A.67 46 A.155 14 A.14 31 A.95
21 A.48
15 A.18 47 A.165 46 A.158, 47 A.161 f., A.165 21 A.44, A.48 46 A.155, A.157 21 A.44 16 A.23
16 A.23 26 A.67
adHerennium 34 A.103 23 A.56 38 A.122 41 A.136 40 A.133 39 A.131 40 A.133, 47 A.162 46 A.159
ep.
1,1
2,8,2 hist.frg.
1,55
2,47
3,48 Jug. 29 31,1–
31,9
31,16 31,17 31,20 31,25
73 85
50 85,1–
42 A.139 39 A.128 48 A.167 42 A.139 39 A.126 78 A.5
127 A.144
36 A.113 85,3 39 A.128 85,7 40 A.133 85,8 39 A.128 85,18 40 A.133 85,19 39 A.128 85,21ff. 18 A.29 85,28 39 A.128 85,29 20 A.41 85,30 40 A.133
47 A.160
43 A.144 70 A.107
Pseudo-Sallustius
inv. in Cic.
1ff.
22 A.49
Scholia Bobiensia (Stangl) 82 47 A.160 74 A.128 86 91 74 A.128 39 A.129 118
140 141 169
HRRI2
8
52 A.8 23 A.54 71 A.113
36 A.113 39 A.129
21 A.46
Seneca maior contr.
1
36 A.113, 39 A.127, A.129, 40 A.133, 42 A.139 36 A.113, 39 A.128, 40 A.133, 46 A.159 36 A.113, 48 A.168
19,1 70
15 A.18
Seneca minor dial. 10,13,6 f. 112 A.98 epist.
7,3f.
68 A.91 36 A.114
Aug.
45,3
116 A.108
Cal. 30,2
114 A.105
Tit.
8
116 A.107
de rhet. 1 13 A.7 f. Tacitus
ann.
1,42,2 f. 1,76,3
3,28,1
Sempronius Asellio
Sallustius
Cat. 52,30
31,11
11,5,3 14,17 dial.
5,4ff. 6,1ff. 28,6 32,4 34,1ff. 36,4 36,5 36,6 36,7 36,8 40,1ff.
36 A.114
116 A.107
75 A.132
103 A.68 114 A.105
25 A.63 25 A.63 21 A.48 25 A.63 29 A.88 25 A.63 25 A.63 25 A.62 26 A.64, A.66 25 A.62 29 A.88
Valerius Maximus
2,4 2,4,2
3,7,3
4,1,3 5,10,2 6,2,5 6,4,4 7,5,2
108 A.80 108 A.81, 109 A.86 40 A.135, 126 A.143 38 A.120 19 A.38, 36 A.113 75 A.132 38 A.122, 126 A.143
62 A.63
112 A.98 Varro
Suetonius Caes.
6,1 13
17 A.27 71 A.109
1.L. 6,28 6,86 6,86f. 6,88
28 A.81 28 A.81 33 A.100 35 A.112
141
Indices
6,90
6,91 6,93 6,95 7,42
28 A.79 33 A.100 28 A.81 33 A.100 33 A.100
Velleius Paterculus
1,10,4 2,4,4
2,32,3
19 A.38 38 A.122 108 A.82
De viris 47,7 58,8 66,5
illustribus
21 A.47 38 A.122 73 A.121
Franz Steiner Verlag Stuttgart