Déjà-vu-Effekte: Intertextualität und Erinnerung in inszenierter Fotografie 9783839443873

Staged photography - do practices of recourse that lead to a blurring of speaker, memory structure and perception contai

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German Pages 386 Year 2018

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Déjà-vu-Effekte: Intertextualität und Erinnerung in inszenierter Fotografie
 9783839443873

Table of contents :
Inhalt
Dank
A. Schon gesehen. Vorbemerkung und Nachtrag
B. Zwischen Aufzeichnung und Konstruktion. Fotografie im 19. und 20. Jahrhundert
C. Bildbezüge in der Kunstgeschichte
D. Verweisstrukturen im fotografischen Werk Sam Taylor-Johnsons
E. Zeit, Gedächtnis und Referenz. Fotografische Déjà vus im Werk Rita Nowaks
F. Differierende Wiederholung in Tatiana Antoshinas Museum der Frau
G. Déjà vu partout? Effekte fotografischer (Um-)Ordnung
H. English Summary
I. Literatur
J. Bildrechte und Abbildungsnachweis
K. Farbtafeln (FT.)

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Astrid Köhler Déjà-vu-Effekte

Image  | Band 137

Astrid Köhler lebt in Paris und arbeitete dort u.a. am Deutschen Forum für Kunstgeschichte als assistante de recherche. Sie unterrichtete an verschiedenen Hochschulen Fotografie- und Kunstgeschichte des 19. bis 20. Jahrhunderts, u.a. an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) und an der Universität Siegen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Fototheorie und -semiotik, sprachliche und piktorale Verweismodelle, Konzepte von Zeitlichkeit sowie die Repräsentation von Stadtraum.

Astrid Köhler

Déjà-vu-Effekte Intertextualität und Erinnerung in inszenierter Fotografie

Vorliegende Publikation ist eine inhaltlich geringfügig modifizierte Version der Dissertationsschrift L’Image déjà vue. Intertextualität und Erinnerungseffekte in inszenierter Fotografie (Hochschulschrift HBK Braunschweig, 2017). Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Projektnummer 207700493 im Rahmen des Graduiertenkollegs Das fotografische Dispositiv an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Rita Nowak, Game, 2009, 75x95cm, © Rita Nowak Übersetzung des Abstracts ins Englische: George Frederick Takis Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4387-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4387-3 https://doi.org/10.14361/9783839443873 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank | 7 A.

Schon gesehen. Vorbemerkung und Nachtrag | 9

B.

Zwischen Aufzeichnung und Konstruktion. Fotografie im 19. und 20. Jahrhundert | 27

1. 2.

Theorien fotografischer Referenz | 27 Fotografische Inszenierungspraktiken | 76

C.

Bildbezüge in der Kunstgeschichte | 105

1. 2.

Funktionen der Bezugnahme in Bild und Text | 106 Grade der Explizitheit | 111

D.

Verweisstrukturen im fotografischen Werk Sam Taylor-Johnsons | 123

1. 2. 3. 4.

Taylor-Johnsons Serie Soliloquy (1998–2000) | 125 Soliloquy I (1998) | 126 Soliloquy III (1998) | 141 Zwischenresümee – Zeit und Medialität bei Sam Taylor-Johnson | 167

E.

Zeit, Gedächtnis und Referenz. Fotografische Déjà vus im Werk Rita Nowaks | 169

1. 2.

Eternal moment (2005) | 172 Game (2009) | 198

F.

Differierende Wiederholung in Tatiana Antoshinas Museum der Frau | 235

1. 2. 3.

Olympus (1996) | 241 Potenziale der Wiederholung und der Differenz | 250 Referenzstreuung und Zitatverfehlung | 268

G.

Déjà vu partout? Effekte fotografischer (Um-)Ordnung | 279

1. 2. 3.

Mnemonische Rekonfigurationen | 284 Rekonfiguration als Remediatisierung | 295 Resümee: Abgründige Verweise. Referenzen fotografischer Re-Inszenierungen | 313

H.

English Summary | 319

I.

Literatur | 323

J.

Bildrechte und Abbildungsnachweis | 367

K.

Farbtafeln (FT.) | 373

Dank

Ohne kritischen Austausch mit FachkollegInnen und Diskutanten, ohne Unterstützung durch die in dieser Publikation diskutierten KünstlerInnen sowie die weiteren Rechteinhaber am verwendeten Bildmaterial, wäre das vorliegende Projekt nicht durchführbar gewesen. »Déjà-vu-Effekte« ist eine inhaltlich geringfügig veränderte Version meiner Dissertationsschrift »L’image déjà vue«, die größtenteils während meiner Zeit als Stipendiatin am Graduiertenkolleg ›Das fotografische Dispositiv‹ (DFG Graduiertenkolleg 1843) an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig verfasst wurde. Für weiterführende Diskussionen danke ich insbesondere den Kollegsmitgliedern dieses Graduiertenkollegs. Un grand merci gilt meinen beiden wissenschaftlichen Betreuerinnen, Professor Katharina Sykora und Professor Ilka Becker, für die aufgebrachte Zeit, ihre Anmerkungen und die Unterstützung weit über die Zeit im Kolleg hinaus. Für die Genehmigung von Nutzungsrechten danke ich allen im Abbildungsverzeichnis genannten Rechteinhabern – insbesondere Rita Nowak, die auch das Coverbild zur Verfügung stellte, Tatiana Antoshina, Jan Banning, Sam Taylor-Johnson, Cindy Sherman/Metro Pictures und Joel-Peter Witkin/Edelman Gallery. Für die Gewährung eines Promotionsstipendiums und Druckkostenzuschusses gilt mein herzlicher Dank der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie, für die fachliche und koordinatorische Unterstützung am Graduiertenkolleg, Katrin Weleda und Marcelina Kwiatkowski und für die Übersetzung meines englischen Abstracts George Frederick Takis. Dankend erwähnen möchte ich letztendlich noch den transcript Verlag für die konstruktive Zusammenarbeit, und vor allem: meine Familie und Freunde für ihr Interesse, ihr Verständnis und ihre Unterstützung dieses Projekts.

A. Schon gesehen. Vorbemerkung und Nachtrag »[W]ie kann man wissen, ob das, was man auf dem lichtempfindlichen Papier sieht, tatsächlich das ist, was man wahrgenommen hatte? Was hatte man übrigens genau gesehen? Es ist immer zu spät. Diese Begegnung wird man immer versäumen.« 1 Philippe Dubois (1983/1998)

»Das Schon-Da [déjà-là] des fotografierten Objekts, das so viele Liebhaber fasziniert, ist eine Täuschung des Auges. Es gibt nur ein Schon-Gesehenes [déjà vu] […]. [E]s ist genau jener Abstand, jene Vorzeitigkeit, die das Fundament der fotografischen Relation bildet. […] Zu früh, zu spät.« 2 Regis Durand (1988/2002)

Zu spät, zu früh. Die raumzeitliche Konstellation des fotografischen Bildes scheint einer verpassten und gleichermaßen unmöglichen Begegnung vergleichbar. In ihr treffen zwei Instanzen ›daneben‹: Zum einen der Betrachter, denn den im Foto eingefangenen Referenten findet er bestenfalls als Abwesenden in effigie bzw. als Spur

1

DUBOIS, Philippe: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv (1983), Amsterdam: Verlag der Kunst, 1998, S. 94. Siehe auch: DUBOIS, Philippe: L’acte photographique (1983), Paris: Actes du Sud, 1990, S. 89. Im Folgenden wird die französische Version zitiert, sofern spezifische Begrifflichkeiten wichtig sind. Die jeweiligen Textstellen der deutschen Version werden je mit angegeben.

2

DURAND, Régis: Le regard pensif. Lieux et objets de la photographie (1988), Paris: La différence, 2002, S. 71 [Übers. A.K.]. i.O.: »Le déjà-là de l’objet photographié, qui fascine tant d’amateurs, est un trompe l’œil. Seul existe un déjà vu. […] [C]’est cet écart, cette antériorité, qui sont au fondement de la relation photographique. […] Trop tôt, trop tard.«.

10 | Déjà-vu-Effekte

eines Lichtreflexes vor. Zum anderen aber auch das Lichtbild selbst: Dieses ist gegenüber dem fotografierten Augenblick stets nachträglich, sodass in der Bildbetrachtung »ein temporaler Flattereffekt«3 entsteht zwischen einem Hier-Jetzt-Da und einem Dort-Schon-Fort. Diese zweifache Verfehlung wurde in der Fototheorie vielfach diskutiert und insbesondere von Philippe Dubois mit dem fotografischen ›Ur-Moment‹ der Berührung mit Licht zusammengedacht. Im Folgenden wird das doppelte ›Danebentreffen‹ von Foto und Referent bzw. Foto und Rezipient primär unter dem Aspekt jenes Abstands untersucht, der zwischen der Aufnahmesituation und der Betrachtung des resultierenden Bildes liegt: Das aus dem Zeitfluss gerissene, »vom Wirklichen abgeriebene« und somit auch abgetrennte Foto beinhaltet nach Roland Barthes eine »vollendete Zukunft, deren Einsatz der Tod« des Referenten sei. 4 Komplementär zu diesem Referenzverlust entsteht rezeptionsseitig ein Effekt der Rückprojektion und der Zeitdurchkreuzung, bei dem deiktisch5 ein verloren geglaubtes PräsentAbsentes mit den Gesten eines ›Das (da)‹ bzw. ›Cela‹/›Ça‹ angezeigt und attestiert wird.6 Ob der mittels des Fotos appellierte und sichtbar gemachte ›Wiedergänger‹ allerdings dem tatsächlichen Kausalobjekt entspricht, bleibt offen.

3

DURAND (1988/2002), S. 71 [Übers. A.K.], i. O.: »Ce déjà-là est en fait un après-coup, une reconstruction. Mais il est nécessaire de postuler son existence pour que se mette en place le battement de la temporalité, son différentiel. Or il en va exactement de même dans la photographie.«

4

BARTHES, Roland: Die Helle Kammer. Bemerkungen zu Photographie (1980), Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989, S. 126 bzw. i. O. : BARTHES, Roland: »La chambre claire. Note sur la photographie« (1980), in: Ders.: Œuvres complètes, Bd. V (1977–1980), Paris: Seuil, 2002, S. 785–895, hier: S. 882. Im Folgenden wird, wenn Begrifflichkeiten relevant sind, aus dem Originaltext (1980/2002) zitiert und parallel die deutsche Textstelle (1980/1989) angegeben.

5

Von griech. ›deiknymi‹, ›zeigen‹. In der Linguistik zählen zu den Deiktika Verweiswörter wie ›dies‹, ›jetzt‹, ›hier‹, ›ich‹, die Roman Jakobson als ›shifters‹ bezeichnet. Deiktika denotieren in gegebenen Kontexten ein singuläres Bezugsobjekt. Ohne Kontext läuft die sprachliche Zeigegeste jedoch ins Leere.

6

In diesem Sinne ist die Fotografie laut Barthes – anders als der Film – assoziierbar mit der »Sehweise […] der Ekmnesie«, also der Konfusion zeitlicher Abfolgen. Cf. BARTHES (1980/1989), S. 127-129. Barthes betont, dass sich der stillgestellte Referent wie ein »spectre«, also wie ein »Gespenst«, am Betrachter festhake (ebd., S. 100). Jedoch behauptet er an anderer Stelle, dass es in der Fotografie einzig um ein Attestieren des Gewesen-Seins gehe, nicht um dessen Zurückrufen, siehe ebd., S. 92.

A. Vorbemerkung | 11

Abbildung 1/Farbtafel (FT.) 1: Tatiana Antoshina, Frühstück im Grünen (завтрак на траве), 1996, C-Print, 75 x 100 cm, aus der Serie Museum der Frau (1996–2000).

Warum diese Vorbemerkung? Einerseits, um auf den Akt des Ablösens hinzuweisen, der der Fotografie eigen ist und sie in hohem Maße für Resemantisierungsprozesse öffnet. Andererseits soll die besondere Temporalität des Lichtbildes und die mit ihm einhergehende Wahrnehmungsstruktur befragt werden. Ähnelt die trügerische Zeitanlage, mittels derer die Fotografie ein entschwundenes (nie exakt so gewesenes) ›Vergangenes‹ anzeigt, nicht in wesentlichen Punkten dem Erlebnis eines Déjà vu? Unter diesem Begriff werden in der Wahrnehmungspsychologie Empfindungen verstanden, die durch eine Überlagerung von Sinneseindruck und Erinnerung entstehen. Analog zum fotografischen Modus des ›Ist gewesen‹ wird auch hier nachträglich Vergangenheit aus einer aktuellen Perzeption heraus produziert: Scheinbar Zurückliegendes wird re-aktiviert bzw. retrospektiv konstruiert, ausgelöst durch einen aktuellen visuellen Reiz. Während bei der lichtbildnerischen Betrachtung die Rückprojektion in die Vergangenheit jedoch medientechnisch legitimiert scheint, gilt sie im Falle des Déjà vu als pathologische Fehlleistung bzw. Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörung. Denn der Vergangenheitsbezug des Déjà vu ist meist objektiv nicht nachvollziehbar und unbegründet. Dieser Differenz ungeachtet wird das Konzept des Déjà vu in der vorliegenden Untersuchung weitergeführt – und dies seinem französischen Sprachursprung folgend – zu einer ›image déjà vue‹, also zu einem (scheinbar) bereits gesehenen Bild. Begrifflich soll dabei unterschieden werden zwischen der Wahrnehmungssituation des Schon-Gesehenen sowie dem Erinnerungsbild als pikturale und mentale Konstellation (image déjà vue).

12 | Déjà-vu-Effekte

Gegenstand dieser Arbeit sind Fotografien, die nicht nur als Lichtspur auf Vergangenes verweisen, sondern die darüber hinaus Wiedererkennungseffekte durch Bezugnahmen auf kunsthistorische Meisterwerke integrieren und dadurch als Aktivierungselement mentaler Déjà vus fungieren. Den FotografInnen im Fokus dieser Studie ist gemein, dass sie ganze Werkserien an kanonischen Vorlagen ausrichten – so etwa das Projekt Museum der Frau (Музея Женщины) von Tatiana Antoshina, auf das ich an späterer Stelle noch eingehen werde und aus welchem exemplarisch die Arbeit Frühstück im Grünen (завтрак на траве) vorgestellt sei (Abb. 1/FT. 1). Bereits der Titel dieser Fotografie spielt, über den Umweg sprachlicher Übersetzung, auf das ›gleichnamige‹7 Gemälde von Edouard Manet (1863) an. Dennoch: Durch die rekursive Praxis des Nachstellens überlieferter Motive lassen sich KünstlerInnen wie Antoshina auf ein Spiel mit offenem Ausgang ein. Anders als verbale Zitate, die sich etwa mittels Fußnoten mit konkreten Bezugstexten

7

Edouard Manet, Das Frühstück im Grünen (Déjeuner sur l’herbe, ehemals: Le bain), 1863, Öl/Leinwand, 208 x 264 cm, Musée d’Orsay, Paris. Die augenscheinliche »Homonymie« der beiden Frühstücke im Grünen von Antoshina und Manet ist allerdings nur mittelbar über die Übersetzung gegeben: Unter welchem Titel wird ein Kunstwerk in einer bestimmten Sprache geführt? Wer hat diesen Titel vergeben und welche Funktion erfüllt dieser? Solche Präzisierungen sind zunächst primär für Werkverzeichnisse und Provenienzforschung wichtig, doch auch beim Verfassen vorliegender Untersuchung wurde die Titelbenennung zunehmend signifikativ. So fanden sich Unstimmigkeiten, die teils Übersetzungen von Werktiteln in verschiedene Sprachen geschuldet waren, die aber teils auch auf sich wandelnden Titeln und Identifizierungen beruhten. Wird in künstlerischen Rekursverfahren wie hier bei Antoshina mittels des Werktitels ein Bezug zum ›Vor-Bild‹ hergestellt, dann ergeben sich durch Übersetzungen und variierte Titel optionale Störungen dieses Referenzmechanismus. Zur Wichtigkeit einer differenzierten Betrachtung von Bildtiteln cf. BÜTTNER, Frank: »Bildbeschriftungen. Zur Angabe von Autor und Bildtitel in der frühen Druckgraphik«, in: Mitteilungen des Sonderforschungsbereichs 573 ›Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit‹ (LMU München), H. 2, 2007, S. 13–24. Ich habe mich daher entschieden, bei Werken, die einen offiziellen, deutsch übersetzten Titel haben, diesen an erster Stelle zu verwenden, gefolgt (in Klammern) vom Originaltitel oder jenem Titel, unter dem das Werk im besitzenden Museum oder Archiv geführt wird. Handelt es sich wiederum um rein beschreibende Titel, die bei der Indexierung bzw. beim Eingang eines Werks in die Sammlung vergeben wurden – etwa bei Fotografien des 19. Jahrhunderts – erlaube ich mir, diese Beschreibungstitel zu übersetzen, sofern keine deutsche Version vorliegt. Bei Titeln, die hingegen von KünstlerInnen gewählt wurden und nur in der Originalsprache vorliegen, übernehme ich diese unverändert.

A. Vorbemerkung | 13

verbinden lassen, bleiben ›Bildzitate‹8 weitgehend ohne feste Verankerung und somit potenziell offen für betrachterseitige Umdeutungen. Hinzu kommt, dass sich Bilder – dem Philosophen Nelson Goodman zufolge9 – aufgrund ihrer Unzerlegbarkeit in kleinste, rekombinierbare Sinneinheiten nicht klar in ein distinktes Wiederholtes und ein hinzukommendes Neues unterteilen lassen. So mag bei der Betrachtung von Antoshinas Frühstück im Grünen die Reprise überlieferter Posen (nach u.a. Raimondi/Raffael10 und Manet) erkannt werden. Die Frage jedoch, in welchen auch feinsten Punkten sich beispielsweise die links im Gras sitzende Figur von ihrem Äquivalent in Manets gleichnamigen Gemälde unterscheidet, wäre sprachlich nur mit langwierigen, linguistisch unökonomischen Ausführungen erfassbar. Demgegenüber eindeutiger beschreibbar sind Schnittmengen und Abweichungen von verbalen Äußerungen, etwa zwischen dem französischen Sprichwort »Partir, c’est mourir un peu« und dessen parodistisch-reimender Abwandlung durch Jacques Prévert, »Martyre, c’est pourrir un peu«.11 Das Erkennen oder NichtErkennen von pikturalen Bezügen hängt in hohem Maße vom Betrachter ab, der im Abgleich mit dem Bildgedächtnis und mit eventuellen sprachlichen Mediatoren (Titel, Kommentare, verbal gefasste Bildkategorien etc.) Analogien sucht. Bei diesem Vorgang schieben sich aber auch Elemente dazwischen, die sich mit einem kunsthistorischen Modell der ›Ursprungssuche‹ bzw. der Rekonstruktion des intendierten ›Vorbilds‹ nicht erklären lassen und die sich gegebenenfalls einer möglichen Referenzzuweisung im Titel widersetzen.

8

Der Terminus ›Bildzitat‹ wurde per se bereits problematisiert von u.a. STEINBERG, Leo: »The Glorious Company«, in: Art about Art, Ausst.-Kat. Whitney Museum of American Art, New York, 20.07.–20.09.1978, hg. von Jean Lipman und Richard Marshall, New York City, NY: Dutton, 1978, S. 6–31, hier: S. 22, sowie GOODMAN, Nelson: Weisen der Welterzeugung (1978), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990.

9

GOODMAN (1978/1990), insb. S. 279. MITCHELL, W.J.T.: The Reconfigured Eye, Cambridge, MA: MIT Press, 1992.

10 Marcantonio Raimondi, Das Urteil des Paris (Judgement of Paris), um 1515/16, Kupferstich nach Raffael, 29,2 × 43,6 cm, Metropolitan Museum of Art, New York. 11 Cf. GENETTE, Gérard (1982): Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris: Éditions du Seuil, 1982, S. 43. Frz. »Abschiednehmen bedeutet, ein bisschen zu sterben«. Die leider nicht ins Deutsche übersetzbare Parodie Préverts durch Lautsubstitution ist sinngemäß: »Martyrium bedeutet, ein bisschen zu verwesen«. Die Satzstruktur »x, c’est y un peu« bleibt in der französischen Version erhalten, doch werden die bedeutungsdifferenzierenden Phoneme [p] und [m] ausgetauscht, wodurch eine Sinnverschiebung entsteht. Da nur der Anlaut modifiziert wird, reimen sich pourrir/mourir und partir/martyr, ein sprachlicher Kniff minimaler Substitution, durch den die Referenz des Wortspiels leicht rekonstruierbar bleibt.

14 | Déjà-vu-Effekte

Das rezeptionsseitige Gefüge von Bezügen wird im Folgenden – und in bewusster Abgrenzung zu jüngeren, medienspezifischeren Termini – als Intertextualität bezeichnet. Diese konzeptuelle wie auch begriffliche Entscheidung setzt eine weitgefasste Definition von ›Text‹12 voraus, die diesen im Sinne einer Verflechtung, Textur bzw. eines Geflechts begreift. Ein solches Konzept soll demnach gezielt offener bleiben als die Termini des (Träger-)Mediums, des Bildes und die jeweils verbundenen ›Inter-Begrifflichkeiten‹.13 ›Intertextualität‹ setze ich als Oberbegriff, der sprachliches, medienübergreifendes und pikturales Verweisen auf einer auch mnemonischen Ebene beinhaltet.14 Auf die Kritik an einem vage verstandenen nonlite-

12 Der Begriff ›Text‹, abgeleitet von ›texere‹ (weben, flechten oder kunstvoll zusammenfügen), ist gemäß der lateinischen Etymologie als ›Gewebe‹ zu verstehen. Insbesondere in der Literaturwissenschaft erfolgte jedoch eine Bedeutungsverengung zur »schriftlich fixierte[n] Sprache«, cf. GRÜBEL, Rainer Georg (Hg.): Orientierung Literaturwissenschaft: was sie kann, was sie will, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2001, S. 19. 13 ›Interpiktorialität‹ beschränkt sich, ebenso wie die Termini der ›Interbildlichkeit‹ oder der ›Interikonizität‹, auf Bilder. Wechselwirkungen mit Diskursen, Bildtiteln und sprachlichen Rahmungen werden dabei nicht erfasst, obschon diese für die Wahrnehmung von zentraler Bedeutung sind. ›Intermedialität‹ als Relationsbegriff, der ein Mit- und Nebeneinander von mindestens zwei diskreten Medien bezeichnet, ist für das vorliegende Forschungsinteresse ebenfalls nicht der geeignete Begriff. Diskussionsbedürftig ist vor allem, dass eine Definition distinkter Medien notwendig ist. Gleiches gilt für die ›Transmedialität‹, die, Simanowski folgend, allgemein den »Übergang von einer medialen Ausdrucksweise in eine andere« bezeichnet, cf. SIMANOWSKI, Roberto: »Transmedialität als Kennzeichen moderner Kunst«, in: Ders./ZELLER, Christoph/MEYER, Urs (Hg.): Transmedialität. Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren, Göttingen: Wallstein Verlag, 2006, S. 39–81, hier: S. 43. 14 In dieser Hierarchisierung der Termini folge ich u.a. WAGNER (1996) und BACHMANN (2013): Bachmann spricht von verbaler und bildlicher Intertextualität, cf. BACHMANN, Christian A.: »Der Comic als Labor semiotischer Interpiktorialitätsforschung: Paul Karasiks und David Mazzucchellis City of Glass«, in: ISEKENMEIER, Guido (Hg.): Interpiktorialität. Geschichte und Theorie der Bild-Bild-Bezüge, Bielefeld: transcript, 2013a, S. 299–317, hier: S. 301. Wagner bezeichnet Intermedialität als »vastly important subdivision of intertextuality«, cf. WAGNER, Peter: Icons, Texts, Iconotexts: Essays on Ekphrasis and Intermediality, Berlin/New York City, NY: de Gruyter, 1996, S. 17. Eine Vielzahl von Ansätzen der 1980er und 1990er Jahre ordnet den damals noch jungen Terminus der Intermedialität tendenziell eher als Teilaspekt einer (weit verstandenen) Intertextualität ein, cf. z.B. auch ZANDER, Horst: »Intertextualität und Medienwechsel«, in: BROICH, Ulrich/PFISTER, Manfred (Hg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, Tübingen: Niemeyer, 1985, S. 178–196. Anders betrachtet Isekenmeier Intermedia-

A. Vorbemerkung | 15

rarischen Textbegriff15 möchte ich nicht durch ein Ausweichen auf scheinbar konkretere Termini reagieren, sondern durch eine Reflexion der gegenseitigen Bedingtheit von Gegenstandswahl, Gegenstandsbenennung und den zu erwartenden Konklusionen.16 In der vorliegenden Untersuchung sollen Besonderheiten sprachlicher und pikturaler Referenz sowie die Materialität bzw. Medialität von Bildern respektive Fotografie keineswegs vernachlässigt werden, sondern sie finden durch eine Auseinandersetzung mit weiteren Theoriemodellen spezielle Beachtung. Die entscheidende Frage lautet: Welche Folgen ergeben sich für das Verhältnis des fotografischen Bildes zur Wirklichkeit und zur Wahrnehmung des Betrachters, wenn sich der verlorene physische Referent, angezeigt im Barthes’schen ›Es/Das ist gewesen‹17, wie in einem Tableau vivant18 selbst als Teil einer Referenzkette er-

lität als Oberbegriff, dem er Intertextualität und Interpiktorialität als »Kohyponyme« unterordnet, cf. ISEKENMEIER, Guido: »In Richtung einer Theorie der Interpiktorialität« (2013b), in: Ders. (2013a), S.11–86, hier: S. 24. Er verwendet einen eingeschränkten Textbegriff, der nur rein sprachliche Gefüge umfasst und ein eigenes »Basismedium« darstellt, dem wiederum das »Basismedium ›Bild‹« gegenübertrete (S. 26). Eine ähnliche Hierarchie findet sich u.a. auch bei RAJEWSKY (2002), die ebenfalls Intertextualität nur sprachlich versteht, diese allerdings der Intramedialität zuordnet. RAJEWSKY, Irina O.: Intermedialiät, Tübingen: Francke Verlag, 2002, S. 14. 15 Cf. Rajewskys Plädoyer für einen zweifach eingeschränkten Textbegriff, RAJEWSKY, Irina O.: Intermediales Erzählen in der italienischen Literatur der Postmoderne: Von den giovani scrittori der 80er zum pulp der 90er Jahre, Tübingen: Narr, 2003, S. 48–49. Pfister distanziert sich insbesondere von einem Verständnis als texte général, wie es Kristeva vertritt. PFISTER, Manfred: »Konzepte der Intertextualität«, in: BROICH/PFISTER (1985), S. 1–31, insb. S. 8–12. 16 Wenn hier von ›Intertextualität‹ im Sinne eines heterogenen Geflechts gesprochen wird, dann liegt dem die Überzeugung zugrunde, dass einzig eine abstrahierte Denk-Architektur eine Zusammenschau unterschiedlichster Verweise aus wahrgenommenen Bildern, (verbalen) Begleittexten und Erinnerungsbildern erlaubt. 17 Die deutsche Übersetzung der Hellen Kammer durch Dietrich Leube favorisiert an den meisten Stellen »Es-ist-so-gewesen«, was allerdings – abgesehen vom diskussionswürdigen Zusatz ›so‹ – den deiktischen Gestus des ›Ça‹ völlig verkennt, den Barthes auch im Ausruf »Ta, Da, Ça!« zum Ausdruck bringt. Siehe BARTHES (1980/1989), u.a. S. 87 und S. 89 bzw. BARTHES (1980/2002), S. 792 – im Dt. noch treffend übersetzt als »TA, DA, DAS DA!«, BARTHES (1980/1989), S.12. ›Ça‹ ist die Kontraktion des französischen ›cela‹, das abgeleitet ist aus ›çoula‹ (13. Jhd.) bzw. aus ›ce‹ und ›là‹. Es entspricht also eher einem ›Das da/Dieses dort‹, cf. REY, Alain (Hg.): Dictionnaire Historique de la langue française, Paris: Le Robert-Sejer, 42010, S. 394–395, hier: S. 395: »Ce a pour composés les pronoms démons-tratifs neutres CECI et CELA: ceci (XIIIe s[iècle], au moyen de

16 | Déjà-vu-Effekte

weist, die das Bildgedächtnis adressiert? Wie lässt sich diese Dynamik der Verweisung und Übersetzung methodisch fassen? Aufbau, Gegenstand und methodisches Vorgehen Der primäre Gegenstand meiner Studie sind drei fotografische Serien bzw. Werkkomplexe der zeitgenössischen Künstlerinnen Tatiana Antoshina, Sam TaylorJohnson und Rita Nowak. Ihre Positionen werden jeweils in Einzelkapiteln untersucht. Diesen vorangestellt sind ein methodisch orientiertes Kapitel zu Reflexionsmodellen bildlichen Verweisens sowie ein theoretisches Kapitel zur Wahrnehmung fotografischer Referenz als Indizialität, Indexikalität und Ähnlichkeitsbezug. In den letztgenannten Teil eingeflochten ist ein kursorischer Überblick über Wechselwirkungen und diskursive Abgrenzungen von Malerei und Lichtbild ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Kontext historischer Inszenierungspraktiken stellt sich hier die Frage, unter welchen Prämissen von ›inszenierter Fotografie‹ als eigenständiges Bildgenre gesprochen werden kann. Unter dem Begriff ›inszenierter Fotografie‹ möchte ich dabei einzig Arbeiten erfassen, die ab den 1970er Jahren entstanden sind und die sich optisch auszeichnen durch ein großes Bildformat, eine meist brillante Farbigkeit und eine oft narrative Bildanlage.19 Ein weiteres Defini-

l’adverbe ci*) renvoyait à ce qui a été énoncé […] avant de céder cet emploi à cela dans l’usage moderne; depuis le XVIe s. (1552), il annonce ce qui va suivre. Il est employé avec cela pour désigner deux choses plus ou moins détérminées (fin XVe s.), pour distinguer deux choses différentes (1740) et, en opposition à cela, pour désigner la chose la plus proche du locuteur. Quant au nom cela (XIIIe s., çoula; de ce et là*), il exprime souvent ce qui a été dit […]: Par contraction, cela a produit ÇA (XVIIe s.), d’abord réservé à l’usage oral, puis usuel même à l’écrit […].« 18 Tableaux vivants oder Lebende Bilder sind im erweiterten Sinne durch lebende Personen für einen definierten Zeitraum und Rezipientenkreis nachgestellte Gemälde oder ähnliche wiedererkennbare Kompositionen. Zur Tradition des Tableau vivant cf. HOLSCHBACH, Susanne: Vom Ausdruck zur Pose. Theatralität und Weiblichkeit in der Fotografie des 19. Jahrhunderts, Berlin: Reimer, 2006; REISSBERGER, Mara: »Das lebende Bild und sein ›Überleben‹. Versuch einer Spurensicherung«, in: Fotogeschichte, 14. Jg., 1994, H. 51, S. 3–18. 19 Mit der Unterscheidung von fotografischer Inszenierung und inszenierter Fotografie folge ich Christine Walter, wenngleich ich inszenierte Fotografie als Genrebegriff weiter fasse und auch jüngere sowie nicht zwangsläufig narrative Arbeiten hinzuzähle. Cf. WALTER, Christine: Bilder erzählen! Positionen Inszenierter Fotografie. Eileen Cowin, Jeff Wall, Cindy Sherman, Anna Gaskell, Sharon Lockhart, Tracey Moffatt, Sam Taylor-Wood, Weimar: VDG, 2002 [Diss. Univ. München 2001].

A. Vorbemerkung | 17

tionskriterium: Die »Inszenierungsabsicht«20 von Fotograf und eventuellem Bildpersonal wird unverhohlen zum Ausdruck gebracht im Sinne eines »Ausstellen[s] der eigenen Mittel«21. Die Technik der Re-Inszenierung22, die auf Wiedererkennungseffekte setzt, bewerte ich als eine solche Strategie der Kennzeichnung. Eine methodische Schwierigkeit resultiert allerdings aus dem Umstand, dass es bislang »kein hinreichendes Instrumentarium« 23 für die Beschreibung inszenierter Fotografie und fotografischer ›Zitatpraktiken‹ zu geben scheint, wenngleich zahlreiche jüngere Publikationen Aspekte des Verweisens und der medialen Reflexivität von Bildern erforscht haben (z.B. Isekenmeier 2013, Horstkotte/Leonard 2006). Diese Untersuchungen gelten jedoch nicht speziell der fotografischen Bezugnahme auf kanonisierte Bildformeln und Inhalte, bei der neben dem ›zitativen‹ Rekurs auch der physisch-lichtinduzierte Vergangenheitsverweis und mediale Wechselwirkungen zu berücksichtigen sind. Um ein methodisches Gerüst zu entwickeln, das die Wahl der Technik berücksichtigt, verschiedene Arten der Bezugnahme differenziert und zugleich der Auswirkung von Rekurspraktiken auf die Bildwahrnehmung Rechnung trägt, sollen Ansät-

20 MÜLLER-POHLE, Andreas: »Inszenierende Fotografie«, in: Fotovision. Projekt Fotografie nach 150 Jahren, Ausst.-Kat. Sprengel-Museum, Hannover, 04.09.–27.11.1988 u.a., S. 12–14, hier: S. 12. 21 Cf. auch WEISS, Matthias: »Was ist ›inszenierte Fotografie‹? Eine Begriffsbestimmung«, in: BLUNCK, Lars (Hg.): Die fotografische Wirklichkeit. Inszenierung – Fiktion – Narration, Bielefeld: transcript, 2010a, S. 37–52, hier: S. 50. Eine solche intentionale Exponierung des Konstruktionscharakters wird insbesondere durch eine dezidierte Bezugnahme auf z.B. malerische Meisterwerke gewährleistet. Aber auch sichtbare Eingriffe in die Bildgenese wie die Bearbeitung der fotografischen Oberfläche (z.B. bei Joel-Peter Witkin), die digitale Montage oder die Setzung eines zweiten, bühnenhaften Rahmens-imBild, haben eine solche exponierende Wirkung, bei der – mit Bolter und Grusin gesprochen – ›hypermedial‹ die eigene Vermitteltheit reflektiert wird. cf. BOLTER, David/GRUSIN, Richard: Remediation: Understanding New Media, Cambridge, MA: MIT Press, 1999, S. 45. 22 Re-Inszenierungen umfassen Wiederholungen literarischer, theatraler oder pikturaler Anordnungen, cf. CRASEMANN, Leena/KRÜGER, Klaus/WEISS, Matthias (Hg.): Re-Inszenierte Fotografie, München: Fink, 2011. Der Tagungsband fokussiert Re-Inszenierungen von u.a. Aneta Grzeszykowska, Tom Hunter, Rita Nowak und Madonna, doch verfolgt er eine andere Fragestellung als die vorliegende Studie: Nicht die rezeptionsästhetische und fotosemiotische Erfassung von Referenzbeziehungen rückt dort ins Zentrum, sondern der performative Akt der (wiederholten) Inszenierung. 23 BLUNCK (2010a), n.p. (Klappentext).

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ze der Fototheorie, der Rezeptionsästhetik und Ikonografie mit Theorien des Gedächtnisses und der Intertextualitätsforschung verknüpft werden.24 Forschungsstand ›inszenierte Fotografie‹ Inszenierte Fotografien und re-inszenierende Praktiken wurden bereits in den 1970er und 1980er Jahren vielfach erforscht25 – also zu einem Zeitpunkt, der von

24 Der methodische Transfer der primär literaturwissenschaftlichen Intertextualitätstheorie ist aussichtsreich, da diese von binären Relationen des Verweisens absieht bzw. an die Stelle singulärer Quelltexte ein komplexes referenzielles Flechtwerk ohne eindeutige Agens-Patiens-Zuweisungen setzt. Zugleich ist dieser Ansatz jedoch hinsichtlich seiner Übertragbarkeit zu prüfen, cf. ähnliche Versuche durch u.a. ISEKENMEIER (2013b). Auffällig ist, dass das Prinzip der Intertextualität in den 1980er und 1990er Jahren zunächst mehrfach als Lösung vorgeschlagen wurde, um die in die Krise geratene Disziplin der Kunstgeschichte durch ein neues Analysemodell (selbst-)kritischer zu gestalten, cf. z. B. BAL, Mieke/BRYSON, Norman: »Semiotics and Art History«, in: The Art Bulletin, Bd. 73, H. 2, 06/1991, S. 174–208; MINOR, Vernon Hyde: »Intertextuality and Art History«, in: Storia dell’ Arte, Bd. 92, 1998, S. 132–142 und STEINER, Wendy: »Intertextuality in Painting«, in: The American Journal of Semiotics, H. 4, Bd. 3, 1985, S. 57–67. In jüngeren Publikationen werden neue Termini (›Interpiktorialität‹, ›Interikonizität‹) eingeführt, ohne dass diese vor weiteren konzeptuellen Fallstricken gefeit wären. Cf. ROSEN, Valeska von: »Interpikturalität«, in: PFISTERER, Ulrich (Hg.): Lexikon Kunstwissenschaften. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler, 2003, S. 161–164 und ZUSCHLAG, Christoph: »Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität«, in: HORSTKOTTE,

Silke/LEONHARD, Karin: Lesen ist wie Sehen! Intermediale Zitate in Bild und

Text, Köln: Böhlau, 2006, S. 89–99. Diese jüngeren Modelle wären dahingehend zu untersuchen, unter welcher Fragestellung sie ergänzend zur Intertextualität sinnvoll sind. Problematisch erscheint eine reine Fokussierung von Bild-Bild-Bezügen, da erstens in der Rezeption stets Begleittexte (Titel, Kommentare u.a.) zum Tragen kommen und sich zweitens in vielen Fällen Bildbeschreibungen zwischenspiegeln, cf. auch ISEKENMEIER (2013b), S. 27, der dieses Problem nicht als solches anerkennt. Gerade das Zusammenwirken von sprachlichen und pikturalen Artefakten determiniert hingegen das im Folgenden zu untersuchenden Referenzgefüge. 25 U.a. COLEMAN, A. D.: »The Directorial Mode. Notes towards a Definition«, in: Artforum International, H. 1, Bd. 15, 09/1976, S. 55–61; HOY, Anne: Fabrications: Staged, Altered, and Appropriated Photographs, New York: Abbeville Press, 1987; HONNEF, Klaus (Hg): Kunstforum International, Inszenierte Fotografie I und II, Bde. 83 und 84, 1986; KRAUSS, Rolf H./SCHMALRIEDE, Manfred/SCHWARZ, Michael: Kunst mit Photographie, Berlin 1983; KÖHLER, Michael: Das konstruierte Bild. Fotografie – arrangiert und inszeniert, Schaffhausen u.a.: Stemmle, 1989.

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vielen Autorinnen und Autoren als Geburtsstunde des Genres betrachtet wird.26 Maßgeblich ist in diesen Publikationen weniger eine diskurs- und methodenkritische Auseinandersetzung mit fotografischen Referenzbeziehungen als vielmehr die historische Verortung von inszenierenden Arbeitsweisen bzw. deren Einordnung in Gattungskategorien.27 Nach wie vor belegt eine Vielzahl von Ausstellungen das ungebrochene Interesse an Aspekten fotografischer (Re-)Inszenierung. Zu nennen sind u.a. Inszeniert! Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst (Kunsthalle München, 2016), Grand Illusions: Staged Photography from the MET Collection (Metropolitan Museum of Art, New York, 2015/2016), Making it up: Photographic Fictions (Victoria & Albert Museum London, 2013/2014), Karaoke. Bildformen des Zitates (Fotomuseum Winterthur, 2009/2010), Acting the Part: Photography as Theatre (Modern Tate Gallery London, 2006 bzw. La photographie mise en scène, Musée des Beaux-Arts du Canada, Ottawa, 2006)28, True Fictions (Stadtgalerie Saarbrücken und Städtische Galerie Erlangen, 2003) und Staged and Manipulated (St. Louis Art Museum, St. Louis, 2000). Die jüngere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik spiegelt sich wider in den Studien von u.a. Moa Goysdotter (Moa Petérsen), Fritz Franz Vogel, Kerstin Stremmel und Dominique Baqué, in den 2010 und 2011 erschienenen Tagungsbänden von Lars Blunck bzw. Leena Crasemann, Klaus Krüger und Matthias Weiß sowie in aktuelleren Artikeln der genannten AutorInnen.29 Eine mono-

26 Cf. WALTER (2001); WEISS (2010); AMELUNXEN, Hubertus von: »Inszenierende Fotografie«, in: BUTIN, Hubertus (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln: DuMont, 2002, S. 130–134. 27 Primär fotohistorisch geht beispielsweise BAQUÉ (1998) vor, während KOLESCH/LEHMANN

(2002) die performative Wirkung exemplarischer Inszenierungen herausarbeiten:

BAQUÉ, Dominique: La photographie plasticienne. Un art paradoxal, Paris: Éditions du regard, 1998; KOLESCH, Doris/LEHMANN, Annette Jael: »Zwischen Szene und Schauraum. Bildinszenierungen als Orte performativer Wirklichkeitskonstruktionen«, in: WIRTH, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2002, S. 347–365. 28 Die von Lori Pauli, Marta Weiss, Ann Thomas und Karen Henry kuratierte Ausstellung lief unter diesen beiden unterschiedlichen Titeln in Kanada und in Großbritannien. 29 Cf. z.B. WEISS, Matthias: »Inszenierte Fotografie als Re-Inszenierte Fotografie«, in: KRUSE, Christiane/FLEMMING, Victoria von: Fassaden? Zeigen und Verbergen von Geschichte in der Kunst, Paderborn: Fink, 2017, S. 88–106, der hier inszenierte Fotografie primär über den expliziten »Gestaltungswillen« einer »überschaubaren, miteinander und aufeinander abgestimmt agierenden Gruppe« definiert (ebd., S. 89). Die in Crasemann/ Krüger/Weiss (2011) versammelten Aufsätze diskutieren die Blickstrukturierung und das performative Potenzial des (re-)inszenierenden Aktes. Doch bleiben auch hier die beson-

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grafische Untersuchung der Verschränkung von lichtbildnerischer Verweisung, Betrachterwirkung und mnemonischen Bezügen steht hingegen noch aus:30 Wenn Rekurspraktiken in fotografischen Mises en scène berücksichtigt wurden, dann lag der Fokus stets auf der motivischen Aneignung von tradiertem Material (cf. z.B. die Rezeption von Cindy Shermans History Portraits)31 – oder aber auf dem performativen Akt des Wiederholens (Crasemann/Krüger/Weiss 2011 sowie Weiss 2017). Umgekehrt wurde in Untersuchungen, die allgemein Bildreprisen zum Gegenstand

dere Temporalität und Referenzialität fotografischer Re-Inszenierungen ausgespart. BLUNCK (2010b) fragt in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Bandes zwar nach dem referenziellen Status inszenierter Fotografie, die weiteren Beiträge kreisen aber primär um Terminologien, Aspekte des Theatralen, die fotografische Subjektkonstitution oder die Frage der Authentizität und Fiktion. BLUNCK, Lars: »Fotografische Wirklichkeiten« (2010b), in: BLUNCK (2010a), S. 9–36. 30 Eine Ausnahme, die reflektiert, wie malerische Bildbezüge das Indexikalische der Fotografie aufzubrechen scheinen, ist: HAMMERBACHER, Valérie Antonia: Das arrangierte Bild. Strategien malerischer Fiktion im Werk von Jeff Wall, Diss. Universität Stuttgart, 2004

[Pdf-Version,

http://dx.doi.org/10.18419/opus-5241,

eingesehen

am

02.04.

2010]. Die Autorin behauptet ein partielles Außerkrafttreten dessen, was in Peircescher Tradition als Index bezeichnet wird. Zwar ist Hammerbacher zuzustimmen, dass »[m]it einer Kunsttheorie, die das Indexikalische zum alleinigen Inhalt der Fotografie macht, […] [Jeff Walls] Arbeiten nicht bestimmt werden« können (ebd., S. 62). Doch scheiden sich ihre und meine Ausführungen darin, dass es mir nicht um eine schlichte ikonische Erweiterung geht. Keineswegs lassen sich fotografische Re-Inszenierungen reduzieren auf »Malerei trifft auf Fotografie« (ebd., S. 63), sondern es entsteht ein Referenzstrudel, der letztlich die Bedeutung betrachterseitiger Assoziationsleistung in den Blick rückt. 31 Cf. beispielsweise Arthur C. DANTOS »Past Masters and Post Moderns: Cindy Shermans History Portraits« (1991), in: Ders.: History Portraits. Cindy Sherman, New York City, NY: Rizzoli, 1991, S. 5–13, der das intentionale Bezugsmoment dieser Re-Inszenierungen stark macht und primär motivisch argumentiert: »Sherman has done something startling and strange, draining the old masters and their subjects at once of a certain power, by showing their artifice […] – reducing them to conventions one can slip in and out of without believing them the final truth of being«, ebd., S. 13. Christa DÖTTINGERS Cindy Sherman: History Portraits. Die Wiedergeburt des Gemäldes nach dem Ende der Malerei (München: Schirmer/Mosel, 1995) bleibt weitgehend einer dualen Vergleichsanordnung von Vorbild-Nachbild verhaftet. Hanne LORECKS Geschlechterfiguren und Körpermodelle: Cindy Sherman (München: Schreiber Verlag, 2002) geht demgegenüber einen anderen Weg, der der Pluralität im Sinne einer ›Interpiktorialität‹ und dem performativen Akt des Inszenierens in Bezug auf Subjektformationen Rechnung trägt (cf. z.B. ebd., S. 42).

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hatten (z.B. Isekenmeier 2013a, Seipel 1993), primär nach generalisierbaren Ordnungskategorien und Bezeichnungen gefragt. 32 Nicht eingehender beleuchtet wurde dabei die Besonderheit fotografischer Re-Inszenierungen, sprich: deren Verweisstruktur und Zeitanlage in Abgrenzung beispielsweise zu grafischen und malerischen ›Zitaten‹ oder zur Reproduktionsfotografie. Eine Untersuchung des gemeinsamen Schnitt- und Wirkungsfeldes von a) pikturalen Rekurspraktiken, b) dem Akt des Inszenierens, c) betrachterseitigen (Erinnerungs-)Effekten und d) fotografischer Referenz bleibt nach wie vor ein zentrales, methodisches Desiderat. Ein kurzer Überblick über die hier wichtigste Literatur: Moa Goysdotters Dissertation Impure Vision (2013) widmet sich nicht speziell Praktiken fotografischer ›Re-Inszenierung‹, aber sie fokussiert amerikanische Fotografen der 1970er und 1980er Jahre, die den Konstruktionscharakter ihrer Arbeiten betonen,33 etwa Duane Michals, Lucas Samaras, Les Krims und Arthur Tress. Goysdotter verfolgt die These, dass für die inszenierte Fotografie dieser Jahre eine Problematisierung der fotografischen Realitätswiedergabe kennzeichnend sei: Der bis in die fünfziger Jahre dominierende »visualistische Ansatz« der straight photography, der auf eine optimierte Wirklichkeitswahrnehmung in Anlehnung an das menschliche Auge abzielte, sei erschüttert worden.34 Die Kunsthistorikerin geht zwar auf fotosemiotische

32 ISEKENMEIERS (2013b) Ansatz einer »Typologie der Interpiktoralität« (ebd., S. 37) behauptet mehrfach eine eigene »Logik der Bilder« (S. 38 und S. 43–49), die den Aspekten Materialität, Form und Stil Rechnung trägt. Dass diese drei Punkte sich für unterschiedliche Bildarten different gestalten und auch einen unterschiedlichen Stellenwert haben, sollte hierüber nicht ignoriert werden. Die drei Textbeiträge in SEIPEL (1993) umkreisen zwar laut Katalogtitel exakt »photokünstlerische Reprisen«, doch werden zunächst allgemein Begriffe des Zitierens in Bildern (Sitt/Horányi) untersucht. Der zweite Beitrag (von Amelunxen) reflektiert die Rezeptionsgeschichte der Fotografie als Repräsentation des Realen im Kontext einer Verflechtung mit Diskursen der Aneignung, Simulation und des Zitates, wobei das Referenzproblem des ausgehöhlten ›Trugbilds‹ stärker philosophisch als in seinen fototheoretischen und -semiotischen Implikationen beleuchtet wird. Der dritte, leider sehr kurze Beitrag Carl Aigners untersucht eine Vielzahl von Bildbeispielen, die sehr unterschiedliche Praktiken der »Interpikturalität« (S. 42) veranschaulichen, welche aber nur angeschnitten werden. SEIPEL, Wilfried (Hg.): Diskurse der Bilder. Photokünstlerische Reprisen kunsthistorischer Werke, Wien: Kunsthistorisches Museum, 1993. 33 GOYSDOTTER (PETÉRSEN), Moa: Impure Vision: American Staged Photography of the 1970s, Lund: Nordic Academic Press, 2013 [Diss. Universität Lund], cf. insb. S. 15–16. 34 »The directorial mode seems instead to be the expression of a desire to reformulate photography’s relation to what traditionally is meant by ›the real world‹ at as many levels as possible […].« Ebd., S. 17. Als unreines (impure) oder auch haptisches Sehen bezeichnet

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Überlegungen ein, doch verkürzt sie die indexikalische Verweisung auf einen reinen Lichteffekt. Die Rolle des Betrachters in der Deduktion von der Lichtspur auf den Referenten lässt sie außer Acht. Dieser Fokus verwundert, greift Goysdotter doch – und dies ist ein bemerkenswerter Aspekt ihrer Arbeit – auf postphänomenologische Wahrnehmungsmodelle35 zurück, um das Dreigespann Realität – Auge – Geist zu betrachten und es mit der intervenierenden Technik zu korrelieren. Lars Blunck (2010b)36 wiederum deutet die Schwierigkeit an, den Kausalbezug der Fotografie mit Inszenierungspraktiken zusammenzudenken. Er argumentiert gegen eine Reduktion der Fotografie auf den Index-als-Spur. Vor allem stelle die inszenierte Fotografie ein hybrides Zeichen dar zwischen Ikon und Index, das die Entwicklung eines geeigneten Analysemodells erfordere.37 Demgegenüber untersucht Dominique Baqué (1998) die Photographie plasticienne38, unter der sie auch die Photographie mise en scène subsumiert, primär historisch-kunstgeschichtlich. Erstere situiert sie im Kontext der Land Art und Konzeptkunst. Im Zentrum steht der Wandel im Gebrauch der Fotografie bzw. der Eingang in die Bildenden Künste. Fritz Franz Vogels Dissertation (2006) vollzieht wiederum eine thematisch untergliederte, nahezu enzyklopädische Bestandsaufnahme fotografischer Inszenierung.39 Die sprachliche und bildliche Referenz der diskutierten Mises en scène wird dabei nicht eingehender beleuchtet, obschon Vogel auch fotografische »Tableaux Vivants«40 beschreibt, die auf kanonische Formeln verweisen. Wieder anders ausgerichtet ist Christine Walters Dissertation Bilder erzählen (2002).41 Hier betont die Kunsthistorikerin vor allem die Nähe der inszenierten Fotografie zum Film und Theater42 und

Goysdotter – auf die Fotografie bezogen – jene Wahrnehmung, die deren Materialität bewusst macht, ebd., S. 139. 35 Der ›postphänomenologische‹ Ansatz ist hier v.a. auf Don Ihde bezogen (Technology and the Lifeworld, 1990; Postphenomenology. Essays in the Postmodern Context, 1995), cf. GOYSDOTTER (2013), S. 16. 36 BLUNCK (2010b). 37 Cf. BLUNCK (2010a), Klappentext. 38 Die Bezeichnung ›photographie plasticienne‹ ließe sich als ›bildnerische Fotografie‹ übersetzen, die künstlerische Gebrauchsweisen wie das ›forme-tableau‹, konzeptuelle Fotografie oder Aneignungspraktiken umfasst, die keinen medialen Purismus suchen, cf. BAQUÉ (1998), S. 54, 56, 151f und S. 223. 39 VOGEL, Fritz Franz: The Cindy Shermans. Inszenierte Identitäten. Fotogeschichten von 1840 bis 2005, Köln u.a.: Böhlau, 2006. 40 VOGEL (2006), S. 73–94. 41 WALTER (2002). 42 Angemerkt sei die Streubreite verschiedener Inszenierungsbegriffe, cf. FISCHER- LICHTE, Erika: »Inszenierung«, in: Dies./KOLESCH, Doris/WARSTAT, Matthias (Hg.): Metzler Le-

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hebt deren narrative Bildstruktur hervor. Walters Arbeit ist aufgrund ihrer detaillierten Rekonstruktion des Gattungsbegriffs ›inszenierter Fotografie‹ von großem Wert für vorliegende Untersuchung. Nichtsdestotrotz trennen sich Walters und meine Fragestellung in wesentlichen Punkten: Denn im Folgenden sollen Aspekte der Betrachter- bzw. Erinnerungsimplikation im Fokus stehen, nicht aber filmische Narrationsbildungen aufgespürt oder gar als Kriterium der Inszenierung behauptet werden. Im Kontext des aufgespannten Forschungsfeldes ist weiterhin Kerstin Stremmels Geflügelte Bilder (2000) hervorzuheben, in der Re-Inszenierungen, Aneignungen und Bildbezüge in ›postmodernen‹ Fotografien zusammengetragen werden. These ist, dass durch den Rückgriff auf vorhandenes, klassisches Bildmaterial die Fotografie in einen offenkundig »kodierten Bereich« eindringe und nicht mehr an einem Realitätseffekt interessiert sei.43 Es werde vielmehr gezielt mit Verschiebungen gearbeitet. Stremmel analysiert in ihren Ausführungen nicht näher den Déjà-vu-Effekt, die Zeitstruktur und die Betrachterimplizierung der Rekurspraktik. Ähnliches lässt sich, trotz des verheißungsvollen Titels, vom Ausstellungskatalog der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe behaupten (Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube, 2012): Auch die hier versammelten Beiträge gehen einzig produktionsseitig auf ›Zitat-Techniken‹ ein; die besondere Rolle der Fotografie und des Betrachters wird nicht herausgearbeitet.44 Mein Forschungsvorhaben grenzt sich von diesen Publikationen durch den vergleichsweise eng gewählten Gegenstand und die Methodik ab, die darauf zielt, die fotografische Verweisung und das mnemonische Geflecht künstlerischer Bezüge zusammenzudenken. Es sollen referenzielle Wechselwirkungen ergründet werden, die über Effekte eines ›Déjà vu‹ und ›Déjà lu‹ operieren 45, wobei stets der Abstand

xikon Theatertheorie, Stuttgart/Weimar: Metzler, 2005, S. 146–153; BLUNCK (2010a); CRASEMANN/KRÜGER/WEISS (2011). 43 STREMMEL, Kerstin: Geflügelte Bilder. Neuere fotografische Repräsentation von Klassikern der bildenden Kunst, Köln: Mitzkat Verlag, 2000 [Diss. Univ. Köln], S. 11. 44 Cf. Déjà Vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube, Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 21.04.–05.08.2012, Bielefeld: Kerber, 2012. In den Textbeiträgen wird das absichtsvolle Kopieren als kunstgeschichtlich tradierte Praxis dargestellt, die unterschiedlichen Prämissen folgt. Eine Begründung der Titelwahl der Ausstellung und eine Auseinandersetzung mit der Betrachterwirkung des Déjà vu bleiben allerdings aus. Fotografische Zitate werden unterschiedslos in den allgemeinen Kontext kunstgeschichtlichen Kopierens und des auktoriellen Authentizitätverlusts gestellt. 45 Zum »Déjà-vu«, »Déjà-lu« und »Déjà-fait« cf. BARTHES, Roland: S/Z, Paris: Le Seuil, 1970, S. 88–89. Zum psychologischen und philosophischen Begriff des Déjà vu cf. MOTZKIN, Gabriel: »Déjà Vu in Fin de Siècle Philosophy and Psychology«, in: OESTER-

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und die Verschiebung zu berücksichtigen sind, die mit jeder Wiederholung einhergehen. Der zeitliche Rückbezug der Fotografie (»Ça a été«) und die scheinbare Singularität des Verweisens (»C’est ça«)46 werden dabei um eine Referenzstreuung im Bereich des Erinnerns und des Intertextuellen erweitert oder aber, folgt man Danièle Méaux, durch diese teils entkräftet.47 Ich möchte im Folgenden herausarbeiten, dass durch pikturale Erinnerungseffekte nicht notwendigerweise der Glauben an die lichtbildnerische Ursächlichkeit bzw. die abgeleitete Temporalstruktur erschüttert wird, dass sich aber sehr wohl in Abhängigkeit vom Rezipienten eine Referenzspaltung des Fotos herauskristallisiert. Der Blick verlagert sich hierbei auf die Fotografie als konstruiertes Bild, das seinen Abstand zum ›Realen‹ bzw. Referierten affirmiert; ein Changieren zwischen multiplen Referenzialitäten setzt ein. In diesem Kontext sollen die im Peirceschen Indexbegriff zusammenlaufenden heterogenen Prinzipien von a) Deixis/induktivem Fingerzeig und b) kausaler Verbindung mit Henri Van Lier differenziert werden, um sodann die Verkettung mit weiteren Zeichen-Beziehungen zu verdeutlichen.48

LE,

Günther/SCHNEIDER, Lothar (Hg.): Déjà-vu in Literatur und bildender Kunst, Mün-

chen: Fink, 2003, S. 27–41. 46 BARTHES (1980/2002), S. 855. 47 Danièle Méaux verfolgt in ihrer Studie zur Temporalität der Fotografie eine allgemeinere Zielsetzung als die vorliegende Punlikation: Sie fragt nach der Erzeugung von Zeitstrukturen durch insbesondere Bildsequenzen, unterschiedliche Verschlusszeiten, verschachtelte Bildräume, Fragmentierungen etc. Wohlgemerkt spricht auch Méaux von ›intertextualité‹ im Sinne einer sich aus dem Gedächtnis speisenden, Bilder wie sprachliche Elemente umfassenden Vernetzung. Allerdings geht sie von einer Blockierung der fotografischen Zeitlichkeit durch solche Erinnerungsbezüge aus, die zu zeitlos-emblematischen Figurationen führe : »L’intertexte d’une photographie ne se réduit pas aux seules images auxquelles cette photographie renvoie, il s’étend à l’ensemble des productions culturelles (images, photogrammes, mais aussi passages de récits, de légendes ou de chorégraphie, etc) avec lesquelles le cliché entretient un lien de filiation indiscuté. Il n’y a intertextualité que lorsque la photographie invoque avec évidence une ou plusieurs œuvres préexistantes« (ebd., S. 139), bzw. an späterer Stelle: »Si l’intertextualité permet l’insertion de la scène représentée dans une continuité temporelle empruntée, elle peut aussi contribuer à faire de la photographie une représentation emblématique, une image archétypale; elle tend à la vider ainsi de sa dimension temporelle« (ebd., S. 216, Hervorheb. A.K.). MEAUX, Danièle: La photographie et le temps. Le déroulement temporel dans l’image photographique, Aix-en-Provence: Publications de l’Université de Provence, 1997. 48 Den doppelten Index bei Peirce haben u.a. François Brunet, Mary Ann Doane und Martin Lefebvre aufgegriffen, cf. BRUNET, François: »A better Example is a Photograph. On the Exemplary Value of Photographs in C. S. Peirce’s reflection on signs«, in: KELSEY, Rob-

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Entsprechend wird für die Benennung des rein kausalen Lichteffekts auf einem sensiblen Träger der Terminus Anzeichen bzw. ›Indiz‹ (~lat. indicium) präferiert.49 Der etymologisch und semantisch verwandte Begriff ›Index‹ (~lat. index) soll demgegenüber im engeren Sinne gebraucht werden für die kognitiv abgeleitete Verweisung auf wiedererkannte Dinge und/oder Formen, die einen denkenden Betrachter voraussetzt. Die beiden Termini und ihre Adjektive ›indexikalisch‹/›indiziell‹ werden also in einer Doppelbewegung zusammen und zugleich auseinander gedacht, um einen je unterschiedlich gesetzten Fokus auf die fotografische Verweisung des Lichtabdrucks anzuzeigen. Bemerkenswerterweise gab es in den frankophonen Fotografie-Diskursen der 1980er und 1990er Jahre eine erhöhte Sensibilität für die unterschiedlichen, in der Peirce-Rezeption meist vermengten Indikationsarten, wie auch jüngst Katja Schneller (2013)50 betont hat: Zu nennen sind hier Henri Van Lier (Belgien), Jean Lauzon

in/STIMSON, Blake: The Meaning of Photography, New Haven, CT: Yale University Press, 2008, S. 34–49; DOANE, Mary Ann: »Indexicality and the Concept of Medium Specificity«, in: KELSEY/STIMSON (2008), S. 3–14; LEFEBVRE, Martin: »The Art of Pointing. On Peirce, Indexicality, and Photographic Images«, in: ELKINS, James: Photography Theory (Art Seminar, Bd. 2), London: Routledge, 2007, S. 220–244. 49 Das Indiz überschneidet sich mit dem Konzept der Spur, das ebenfalls eine physische Kontiguität, eine weitgehende Non-Intentionalität und Nachträglichkeit gegenüber einer Ursache voraussetzt. Jedoch ist die Spur stärker an den Aspekt der Spürbarkeit und des Nachspürens durch den Rezipienten gekoppelt, siehe: KRÄMER, Sybille: »Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme«, in: GRUBE, Gernot/KOGGE, Werner/Dies. (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007, S. 11–33. Uwe Wirths Beitrag in dem genannten Band weist darauf hin, dass der Index bei Peirce sowohl intentionale Zeichen als auch nicht intentionale Anzeichen im Sinne Husserls umfasst und daher sehr vage ist (S. 62). Den erstgenannten Typus, also den bewussten, nicht-kausalen Zeiger, nennt Wirth mit Peirce »degenerierter Index«, die kausalen Anzeichen seien hingegen »genuine Indices«. WIRTH, Uwe: »Zwischen genuiner und degenerierter Indexikalität. Eine Peircesche Perspektive auf Derridas und Freuds Spurbegriff« (2007b), in: GRUBE/KOGGE/ KRÄMER (2007), S. 55–86. 50 SCHNELLER, Katia, »Sur les traces de Rosalind Krauss«, in: Études photographiques, H. 21, 12/2007, online: https://journals.openedition.org/etudesphotographiques/2483 [eingesehen am 05.09.2013]; cf. auch WOLF (2016), die eine Begriffsaufweichung und -überstrapazierung des Index im Deutschen konstatiert, um eine historiografische Sensibilisierung für die Termini des Zeigens und Beweisens, des Index und Indiz, mostrare und dimostrare anzuregen. WOLF, Herta: »Montrer et/ou démontrer. Index et/ou indice?«, in: Études photographiques, H. 34, 2016 (›Que dit la théorie de la photographie?/Interroger

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(Kanada) und Daniel Soutif (Frankreich), die eine Unterscheidung von ›index‹ und ›indice‹ vorschlagen.51 In Deutschland blieb Van Liers Differenzierungsversuch nahezu unbeachtet52, in Frankreich wurde er diskutiert, ohne größeren Zuspruch zu erfahren. An die Ansätze aus dem französischsprachigen Raum wird sich insbesondere das Folgekapitel stark anlehnen: Es soll die Rolle des Rezipienten bei der Bewertung des fotografischen Wirklichkeitsbezugs herausgearbeitet werden, ohne jedoch das physisch-technische Kausalmoment des Lichtbilds in seiner Relevanz zu verwerfen.

l’historicité?‹), online: http://journals.openedition.org/etudesphotographiques/3590 [eingesehen am 17.12.2016]. 51 VAN LIER, Henri: Philosophie de la photographie, Paris: cahiers de la photographie, 1983; SCHAEFFER, Jean-Marie: L’Image précaire. Du dispositif photographique, Paris: Seuil, 1987, S. 47–52; SOUTIF, Daniel: »De l’indice à l’index ou de la photographie au musée«, in: Les Cahiers du Musée national d’art moderne, H. 35, Frühling 1991, S. 70– 99; LAUZON, Jean: »Notes sur l’indice à l’index: contribution au ›photographique‹ de Rosalind Krauss«, in: Horizons philosophiques, 9/1, Herbst 1998, S. 73–85. 52 Dies, obwohl eine englischsprachige Übersetzung vorliegt, die Van Liers Begrifflichkeiten durch Erläuterungen und eine sensibilisierte Pluralbildung des englischen ›index‹ (›indexes‹ statt wie üblich: ›indices‹) überträgt: VAN LIER, Henri; BAERT, Barbara/BAETENS, Jan/VAN GELDER, Hilde (Hg.): Philosophy of Photography, Lieven Gevaert Series, Bd. 6, Löwen: Leuven University Press, 2007.

B. Zwischen Aufzeichnung und Konstruktion. Fotografie im 19. und 20. Jahrhundert

Das folgende Kapitel ist in zwei inhaltliche Stränge untergliedert: Der erste Teil diskutiert Bewertungsweisen fotografischer Referenz in der Fototheorie. Im Vordergrund steht dabei zunächst die Überlegung, wie sich der Verweis auf ein Dagewesenes mit weiteren, auch betrachterseitig induzierten Referenzbeziehungen verbinden lässt. Im Anschlusskapitel wird der Terminus ›inszenierte Fotografie‹ näher definiert. Er soll als Genrebegriff abgegrenzt werden von fotografischen Inszenierungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang werden Wechselwirkungen relevant mit beispielsweise dem Film, dem Tableau vivant und der Malerei. Das Gesamtkapitel verfolgt erstens das Ziel, die Fragestellung einer komplexen lichtbildnerischen Verweisstruktur vor dem Hintergrund semiotischer und fototheoretischer Diskurse herauszuarbeiten. Zweitens wird der Forschungsgegenstand inszenierter Fotografie historisch positioniert und definiert.

1. THEORIEN FOTOGRAFISCHER REFERENZ Ausgangspunkt ist zunächst die Frage, wie die lichtbildnerische Verweisung in Abgrenzung zu anderen Bildarten historisch bewertet wurde bzw. welche alternativen Betrachtungsweisen es gibt. Bereits in den ersten Jahrzehnten nach der Entwicklung fotografischer Verfahren zirkulierten Konzepte und Beschreibungen, die heterogen erscheinen, wenngleich sie eng verwandt sind: Diese erstrecken sich von einer Annahme der Selbsteinschreibung der Natur (Talbot, Janin1) über die Behauptung ei-

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Janin etwa schreibt: »Es ist die Sonne selbst, diesmal betrachtet als allmächtig Handelnder einer gänzlich neuen Kunst, die diese unglaublichen Werke hervorbringt.« »All jene Dinge […], die vor der Sonne gleich sind, schreiben sich instantan ein in diese Art dunk-

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ner Häutchen-Emission (Holmes2) hin zu den Formulierungen eines eingefrorenen Spiegels (Janin) oder der Schatteneinprägung (Talbot).3 Der Fokus liegt bei all diesen Umschreibungen auf der physischen Kausalität des Bildes, auf dem scheinbar magischen Charakter4 und meist auch oder gar vorrangig auf der Wirklichkeitstreue. Weitgehend ausgeblendet werden hingegen die Transformation des abgebildeten Ausschnitts, die hervorbringende Wirkung der Bildmaschinerie im erweiterten Sinne sowie die Intervention von Fotograf und Kamera (und dies, obschon die frühesten ›Fototheoretiker‹ aus den verschiedensten Feldern kamen, wie u.a. der Literatur, Malerei, Chemie und Physik). Die Vielfalt der fotografischen Erscheinungsformen und Gebrauchsweisen im 19. Jahrhundert widersetzt sich jedoch einer solchen Diskursivierung. So gab es um

ler Kammer, die alle Abdrücke konserviert« [Übers. A.K], i.O.: »C’est le soleil lui-même, introduit cette fois comme l’agent tout-puissant d’un art tout nouveau, qui produit ces travaux incroyables« und »[…] toutes ces choses […] qui sont égales devant le soleil, se gravent à l’instant même dans cette espèce de chambre obscure qui conserve toutes les empreintes.« JANIN, Jules: »Le Daguerotype« [sic] (1839), zitiert in: ROUILLE, André: La photographie, Paris: Gallimard [folio essais], 2005, S. 36 u. S. 66. Talbot wiederum verwendet die Metapher des »Pencil of Nature«, cf. TALBOT, Henry Fox: »Der Zeichenstift der Natur« (1844), in: WIEGAND, Wilfried (Hg.): Die Wahrheit der Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst, Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 1981, S. 45–89. 2

HOLMES, Oliver Wendell: »Das Stereoskop und der Stereograph« (1859), in: KEMP, Wolfgang (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 1: 1839–1912, München: Schirmer/Mosel, 1980, S. 114–122.

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JANIN (1839) spricht von einem »miroir qui garde toutes les empreintes« – eine Metapher, die auch von HOLMES (1859) und anderen Zeitgenossen ähnlich verwendet wird. Zum Bild des fixierten Schattens cf. u.a. Talbot: »Das Vergänglichste aller Dinge, ein Schatten, das sprichwörtliche Sinnbild für alles, was flüchtig und vergänglich ist, kann durch den Zauber unserer natürlichen Magie gebannt und für immer festgehalten werden […].« TALBOT (1844/1981).

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Die Konnotation dieses Mediums als ein Magisches wird auch im 20. Jahrhundert in einigen Beschreibungen der Fotografie explizit diskutiert, siehe z.B. BARTHES (1980/2002) und BAZIN, André: »Ontologie des photographischen Bildes« (1945), in: WIEGAND, Wilfried (1981): Die Wahrheit der Photographie, Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 1981, S. 257–267. DUBOIS (1983/1990) betont, dass die »kompulsiven« Gebrauchsweisen (S. 80) der Fotografie oftmals Spiele der Begierde und des Todes implizieren, weswegen man der Fotografie tendenziell eine besondere, irrationale Kraft zuschreiben würde: Diese Spiele vollzögen sich » par-delà toute rationalité […]. La photo, littéralement comme objet partiel (au sens freudien), oscillant entre la relique et le fétiche, poussant la ›Révolution‹ jusqu’au miracle« (ebd. S. 77).

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1870–1900 bereits eine beeindruckende Bandbreite höchst unterschiedlicher fotografischer Bildklassen, die neben Porträts, Akt-, Architektur- und Landschaftsaufnahmen auch Kunstfotografien und frühe Montagen5, metaphysische Geisterfotografien6, medizinische bzw. (para-)wissenschaftliche Studien7 oder dokumentarische Aufnahmen8 umfasste. Bilder also, die in variiertem Maße auf Eingriffen jenseits der Lichteinzeichnung beruhen. Im 20. Jahrhundert erweiterte sich das Feld technisch und künstlerisch. Die Fotografie (in ihrem pluralistischen Sinne) institutionalisierte sich sowohl im Bereich der Bildpresse (ab den 1920er Jahren) als auch auf dem Kunstmarkt (v.a. ab den späten 1970er Jahren).9 Im Gegenzug wirkten die ästhetischen wie marktorientierten Parameter dieser Felder auf die fotografische Praxis zurück. Hinzu kam eine Veränderung des Fotografiebegriffs seit den 1980er Jahren durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und hybrider Bildformen.10 An-

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Beispiele früher fotografischer Inszenierungen sind Hippolyte Bayards Selbstporträt als Ertrunkener (Autoportrait en Noyé, 1840, Société française de Photographie, Paris) sowie Kombinationskopien von Henry Peach Robinson oder Oscar G. Rejlander. Kombinationskopien stellten seit ca. 1850/51 eine frühe Form der Bildmontage dar. Jean-Luc Daval nennt Martin M. Lawrence in diesem Kontext den »premier ›truqueur‹ consacré«, der in London 1851 eine Medaille für eine solche manipulierte Arbeit erhielt, DAVAL, JeanLuc: La photographie. Histoire d’un art, Paris: Skira, 1982, S. 50.

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Der Spiritualismus erlebte um 1880–1900 seinen Höhepunkt. Durch Mehrfachbelichtungen und Montagen wurden »geisterhafte« Spuren und übernatürlich wirkende Erscheinungen abgelichtet.

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Zu den wissenschaftlich motivierten Fotografien lassen sich Bewegungsstudien der späten 1870er bzw. 1880er Jahre von z.B. Étienne-Jules Marey, Eadweard Muybridge oder Ottomar Anschütz zählen, aber auch Obduktionsfotografien und pathologische Aufnahmen physischer und psychischer ›Abnormitäten‹. An den Rändern von Wissenschaft und Parawissenschaft angesiedelt sind insbesondere Fotos, die im Kontext von Charcots Hysterie-Forschung entstanden sind (z.B. von Albert Londe, um 1882), aber auch ethnografische Vermessungsversuche, kriminalistische Kompositfotografien (von Francis Galton ab 1877) oder Experimente zur fotografischen Erfassung fascialer Ausdrücke (Duchenne de Boulogne, um 1862).

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Als oftmals manipulierte fotografische Dokumentationen des Krimkrieges oder des amerikanischen Bürgerkriegs sind Aufnahmen Roger Fentons und Timothy O’Sullivans zu nennen. Der Term ›dokumentarisch‹ wurde jdoch erst im 20. Jahrhundert geprägt.

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Cf. POIVERT, Michel: La Photographie contemporaine, Paris: Flammarion, 2002, insb. S. 14 und 19–30.

10 Müller-Pohle konstatierte 1988: »Die Fotografie der Zukunft ist das elektronische Bild – ein Bild, das aus vorangegangenen Bildern synthetisiert, prozessiert, inszeniert wurde, um selbst reprozessiert und rezykliert zu werden [...]«, MÜLLER-POHLE (1988), S. 13.

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gesichts dieser Vielfalt von Gebrauchsweisen, Techniken und Bildträgern, die heute im historischen Rückblick als Fotografie bezeichnet werden, verdeutlicht sich, dass der fotografische Medienbegriff vorwiegend konventionell und über dynamische Abgrenzungmechanismen zu anderen Bildarten Bedeutung erlangt. Entsprechend ist es problematisch, ›die‹ Fotografie mit einem einzelnen wesensbestimmenden Erklärungsmodell definieren zu wollen, denn Erscheinungsform, Zirkulationsmöglichkeiten, Herstellungsverfahren wie auch die Referenzbeziehung zur Wirklichkeit gestalten sich je unterschiedlich. Keineswegs verwunderlich ist daher, dass bereits die grundlegend erscheinende Frage, ob Fotos primär Abbilder, Lichtspuren oder Konstrukte sind, ein fototheoretischer Zankapfel bleibt.11 Umstritten ist, inwiefern dieser medialen Formation eine

Schaeffer bemerkt bereits 1987 in einer luziden Antizipation späterer digitaler Bildwelten, dass es dank des technischen Fortschritts möglich werden würde, ein »synthetisches Bild« als ein fotografisches Bild auszugeben, »c’est-à-dire d’induire une réception indicielle pour une image qui ne l’est pas« (ebd., S. 117). Auch über 25 Jahre nach diesen Einschätzungen sind sich die Fototheoretiker und Praktiker nach wie vor uneinig, welchen Status dieses prozessierte, synthetisierte und nun digitale Bild gegenüber der Analogfotografie genießt: In den Beiträgen der Tagung Où en sont les théories de la photographie? (Centre Pompidou, Paris, 27.05.2015, organisiert von Clément Chéroux und Karolina Ziebinska-Lewandowska) wurde beispielsweise einerseits eine gewisse Kontinuität in den Gebrauchsweisen und im äußeren Erscheinungsbild konstatiert, die den Zeugnis- und Indexcharakter digitaler Bilder begünstigt (Herta Wolf), andererseits schien der Bruch gegenüber Analogtechniken ausschlaggebender zu sein, da die Genese, Speicherung und Verbreitung stark abweicht (Philippe Dubois). So könnten gegenwärtig und in Zukunft gänzlich fiktionale ›Dokumente‹ und Archive entstehen, die keiner indiziellen Realitätsbindung an Vergangenes mehr bedürfen. Die Tagungsbeiträge wurden in variierter Form publiziert in: Études photographiques, H. 34, 2016 (›Que dit la théorie de la photographie?/ Interroger l’historicité?‹), Onlineversion, https://journals.openedition. org/etudesphotographiques/3583 [eingesehen am 17.12.2016]. 11 Cf. das bereits genannte Kolloquium Où en sont les théories de la photographie? (Centre Pompidou, Paris, 27.05.2015) und das resultierende Themenheft der Études Photographiques (H. 34, 2016). Weiterhin zu nennen sind die nahezu unvereinbaren Ansätze Hubert Damischs, der die Konstruiertheit der Fotografie betont, und BARTHES’ (1964/1990), der auf denotativer Ebene ein Analogon des fotografierten Gegenstands behauptet. DAMISCH, Hubert: »Fünf Anmerkungen zu einer Phänomenologie des fotogra–fischen Bildes« (Cinq notes pour une phénoménologie de l’image photographique, 1963), in: WOLF, Herta (Hg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2002, S. 135–139. BARTHES, Roland: »Rhetorik des

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prinzipielle Wahrheitstreue anhaftet bzw. ob sie stets auf vergangene Tatsachen (respektive nur auf den Moment der Lichtexposition) referiert. Denn einerseits ist das resultierende Bild physikalisch mit der Wirklichkeit ›vernabelt‹ (cf. Barthes), andererseits isolieren selbst Fotos mit Repräsentationsabsicht den eingefangenen Sachverhalt aus seinem Kontext (cf. Sontag) und bieten Raum für Realitäten, die so nicht waren.12 Dieser nicht ausräumbaren Ambivalenz zum Trotz definierte die Fototheorie ihren Gegenstand meist primär über ein – verschiedentlich bewertetes – referenzielles Verhältnis zur Wirklichkeit. Ich werde diese unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für die Analyse inszenierter und besonders re-inszenierter Fotografie befragen. Dabei ist innerhalb dieser Positionierungen zu differenzieren zwischen einerseits Fokussierungen auf die Abbildhaftigkeit und den sogenannten ›Index‹-Charakter der Fotografie sowie andererseits ›konstruktivistischen‹ Ansätzen, wobei selbstverständlich auch innerhalb dieser Felder Binnennuancierungen vorliegen. Zur ersten Gruppierung lassen sich all jene Diskurse und Bildpraktiken zählen, die auf einen unleugbaren Ähnlichkeitsbezug der Fotografie zur Objektwelt beharren und die einen medienspezifischen Realismus behaupten. Argumentativ gepaart wird dieser Ansatz meist mit der Vorannahme einer besonderen Kausalitätsbeziehung: Ähnlichkeit werde nicht durch Kunstfertigkeit und Imitationsgeschick bewirkt, sondern durch eine abdruckartige Berührung mit Lichtstrahlen oder, wie in anderen frühen Überlieferungen (Balzac/Nadar, Holmes) behauptet13, durch die Fixierung hautartiger Teilchen. Fotografische Positionen, die

Bildes« (1964), in: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essais III (L’obvie et l’obtus, 1982), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990, S. 28–46, hier: S. 31. 12 Zur Analogie von Nabelschnur und Vergangenheitsverweis cf. BARTHES (1980/1989), S. 91. Susan Sontag betont, dass das Foto »ein schmaler Ausschnitt von Raum ebenso wie von Zeit« sei, wobei in einer »von fotografischen Bildern beherrschten Welt […] alle Grenzen (›Rahmen‹) willkürlich« erscheinen: »Durch Fotografien wird die Welt zu einer Aneinanderreihung beziehungsloser, freischwebender Partikel […]. Die Kamera atomisiert die Realität, macht sie […] vordergründig.« Fotografien richten somit an uns die Frage »wie eine Realität beschaffen sein muß, die so aussieht.« Einher gehen »Dedukationen, Spekulationen und Phantastereien« (S. 28) – und oft erschließt sich uns aufgrund der Wahl des Ausschnitts oder der Unschärfe eines Bildes nicht, »welches Stück Welt es ist«, das wir sehen (S. 92). SONTAG, Susan: Über Fotografie [On Photography, 1977a], Frankfurt a. M.: Fischer, 1989, darin: »In Platos Höhle« (1977b), S. 9–30, »Der Heroismus des Sehens« (1977c), S. 84–110. Cf. auch Dies., »Die Bilderwelt« (1977d), ebd., S. 146–172. 13 Nach Nadar sei Balzac davon überzeugt gewesen, dass »chaque corps dans la nature se trouve composé de séries de spectres […]. [C]haque opération daguerrienne venait donc

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der skizzierten Argumentationslinie zuspielen, stellen die registrierende Funktion des Apparats sowie den indiziellen Aufzeichnungscharakter in den Vordergrund. Kaschiert werden Spuren der Subjektivität bzw. des künstlerischen Eingriffs im Sinne von Inszenierungen, Retuschen oder auch nur Kadrierungen. Henri CartierBresson, der sich als Fotograf wie auch Theoretiker zu dieser Kategorie zählen lässt, betonte beispielsweise, dass er »sich selbst und die sowieso immer zu auffällige Kamera möglichst vergessen« lassen wolle und versuche, »die Wirklichkeit zu beobachten und festzuhalten, nicht aber daran herumzumanipulieren.«14 Im Gegensatz zu diesem objektivierenden, eine mittelbare Zugänglichkeit suggerierenden Fotografieverständnis konzentrieren sich ›konstruktivistische‹ Ansätze auf das schöpferische Potenzial und betonen, dass Fotos stets ›gemacht‹ (und ›machend‹) seien. Sie unterstreichen die Rolle des Fotografen als Künstler und heben die bildliche Codiertheit und die Medialität unserer Wahrnehmung hervor.15 Sowohl ›konstruktivistische‹ als auch index- und abbildorientierte Ansätze ermöglichen – aus ihrer jeweiligen geisteswissenschaftlichen Perspektive und vor konkreten Bildbeispielen betrachtet – legitime Bestandsaufnahmen des Fotografischen, solange sie nicht absolut gedacht werden. Um dies zu verdeutlichen wird, nach einer kurzen Erörterung der grundlegenden Argumente beider Gruppierungen, ein funktionsorientierter Ansatz vorgeschlagen. Das ›unstete‹ Wesen der Fotografie liegt demnach genau in jenem unentscheidbaren Tauziehen, dem Oszillieren zwischen Realitätsverweis und Konstruktion, sowie in der Offenheit für verschiedenste

surprendre, détachait et retenait en se l’appliquant une des couches du corps objecté.« Aufgrund der angeblichen Zusammensetzung aus spektralen Häutchen, die Balzac jedem Körper zuschrieb, und dem scheinbaren Einfangen abgelöster Schichten im Lichtbild, vermutete der Schriftsteller einen offenkundigen und wiederholten Verlust von Spektralelementen beim Vorgang des Daguerreotypierens. Es handle sich um eine Ablösung von Teilen der konstitutiven Substanz des Körpers. NADAR: Quand j’étais photographe, Paris: Flammarion, 1900, hier: S. 6. 14 CARTIER-BRESSON, Henri: »Der entscheidende Augenblick« [»Images à la sauvette«, 1952), in: KEMP, Wolfgang (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 3: 1945–1980, München: Schirmer/Mosel, 1983, S. 78–81, hier: S. 80. 15 Als Beispiel genannt sei Duane Michals, dessen Fotografien von einer Skepsis gegenüber der vorgefundenen Erscheinungswelt zeugen. In seiner Arbeit A Failed Attempt to Photograph Reality beschreibt er: »I had confused the appearances of trees and automobiles and people with reality itself, and believed that a photograph of these appearances to be a photograph of it. It is a melancholy truth that I will never be able to photograph it and can only fail. I am a reflection photographing other reflections within a reflection. To photograph reality is to photograph nothing.« (A Failed Attempt to Photograph Reality, ca. 1973, Tusche auf fixiertem Fotopapier).

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Gebrauchsmöglichkeiten, von denen die künstlerisch-inszenierende nur eine ist. Entscheidend sind vor allem aber auch Wechselwirkungen mit respektive Umpositionierungen zu anderen Bildarten. So betont Dominique Baqué treffend, dass das Lichtbild ein ontologisch widersprüchliches Konstrukt sei, das erst durch die konkrete Praxis und durch den Verwendungszweck eingegrenzt werden kann. Als von seinem Gebrauch bestimmtes »prekäres und fragiles Medium« sei es »jenes ungewisse und arme Bild, das dem Zweifel kein Ende setzt. Aber gerade weil die Fotografie ein zweifelbehaftetes Medium ist, ist hier der Kampf um Anerkennung erbitterter als in jedem anderen Feld. Und eben weil die Fotografie das Medium des Zweifels ist, verunsichert sie die anderen künstlerischen Praktiken und, was noch radikaler ist, […] sogar die Prinzipien der Kunst.«16

Nach Baqué ist die Fotografie kraft ihrer Fragilität in der Lage, die Prinzipien der Kunst sowie die Begriffe der auratischen Aufladung (cf. Benjamin) und des ›Originals‹ (cf. Krauss) fundamental zu erschüttern. Doch auf den Kopf gestellt wird auch die Vorstellung vom Wirklichkeitsbezug der Bilder: Denn mit der Fotografie wird eine Form des Abbilds propagiert, die ihren Repräsentationscharakter weniger durch eine mimetische Nachbildung erzielt als durch ein Kontaktverfahren17, das

16 BAQUE (1998), S. 56 [Übers. A.K.]. i.O.: »Medium précaire et fragile, cerné par l’utilitaire et le consommable, la photographie est cette image ontologiquement incertaine et pauvre qui n’en finit pas de douter. Mais c’est parce que la photographie est le medium du doute qu’en aucun autre champ la lutte pour la reconnaissance n’est si opiniâtre. Et c’est aussi parce que la photographie est le medium du doute qu’elle a mis en doute les autres pratiques artistiques et, plus radicalement […] les principes mêmes de l’art.« 17 In Anlehnung an Georges Didi-Hubermans Ressemblance par contact [1997, dt.: Ähnlichkeit und Berührung, Köln: DuMont, 1999] lässt sich auch für Fotografien behaupten, dass Ähnlichkeit hier durch ein Kontaktverfahren hergestellt wird. Didi-Huberman jedoch untersucht weniger Fotos als vielmehr mannigfaltige Verfahren des Abdrucks (Totenmasken, Plastiken/Ready-mades/Pochoirs und Staubspuren bei Marcel Duchamp, das Turiner Grabtuch, Fossilien, Wachsfiguren und Naturabgüssen) hinsichtlich ihrer Anachronie, ihrer Taktilität und Sinnlichkeit sowie ihrer Dialektik von Berührung und Distanz bzw. tyche und technè. Bei der ›ressemblance par contact‹ gehe es um keine rein visuelle Ähnlichkeit durch Imitation, sondern um Kontiguität, welche wiederum eine komplexe Zeitlichkeit der Präsenz-Absenz und eine resultierende Ikonizität bedingt. Die Affinität der Avantgarde zum Seriellen und zum Abklatsch sei keineswegs ein fotografisches Paradigma, sondern zeitlos-ahistorisch und medienunspezifisch. In einem anderen Text unterscheidet Didi-Huberman ebenfalls eine ikonische Ähnlichkeit durch Imitation (»ressemblance iconique«) von einer indiziellen, induzierten Ähnlichkeit (»ressemblance indi-

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gegenüber der Plastik bzw. dem Guß in höherem Maße ›selbsttätig‹ ist und das stärker von präexistenten Referenten abhängt. Diese Eigenschaften sind jedoch kein Absolutheitskriterium oder unhintergehbares Definitionsmerkmal.18 So betont beispielsweise Dubois, der bereits in Der fotografische Akt Abstand nahm von einem Barthes’schen »Wahn der Referenz um der Referenz willen«19, in einem späteren Konferenzbeitrag (2015), dass auch das Spuren- und Kontaktmodell angesichts zeitgenössischer Praktiken unbefriedigend erscheine: Da die Fotografie immer stärker durch Digitalisierungstechniken, Narrativierungen und Hybridisierungen gekennzeichnet sei, werde ein Umdenken notwendig vom »Spurenbild dessen, was da gewesen ist« zum »Fiktionsbild einer möglichen Welt«, das uns etwas vor Augen führe, »was existieren könnte […] oder das parallel zu unserer Welt existiert«.20 Diese ›pragmatisch-performative Wende‹

ciaire«): Die Abformung eines Gesichts oder einer Hand sei »weder die Beobachtung der Natur noch deren Imitation (wie es Vasari in seiner Ästhethik als Grundregel bestimmt). Es ist vielmehr eine Duplikation durch Berührung […]« [Übers. A.K.]. I. O.: »Mouler un visage ou une main, ce n’est ni observer, ni imiter la nature (comme Vasari en fait la règle de base de toute son esthétique); c’est dupliquer par contact […].«DIDIHUBERMAN, Georges: »Ressemblance mythifiée et ressemblance oubliée chez Vasari: la légende du portrait sur le vif«, in: Mélanges de l’Ecole française de Rome. Italie et Méditerranée, Bd. 106, H. 2, 1994, S. 383–432, S. 423. Auch ROUILLÉ (2005) unterscheidet – konkret auf die Fotografie angewandt – zwischen einer »ressemblance par contact« und einer »ressemblance optique«, ROUILLÉ (2005), S. 248. 18 Dies nicht zuletzt auch, weil sich Fotografie, wie alle Medien, stets dynamisch verändert. Insofern können theoretische Reflexionen über ›die Fotografie‹ oder ›das Fotografische‹ immer nur Annäherungen bleiben, die dem Einzelbild selten gerecht werden. Digitale Praktiken entziehen sich teils Definitionsversuchen als Kontaktverfahren, algorithmische Übersetzungen des jeweiligen Datenformats schalten sich zwischen. 19 DUBOIS (1983/1998), S. 53. 20 DUBOIS, Philippe: »De l’image-trace à l’image-fiction«, Konferenzbeitrag beim Kolloquium Où en sont les théories de la photographie?, Centre Pompidou, organisiert von Clément Chéroux und Karolina Ziebinska-Lewandowska, 27.05.2015 [eigene Vortragsmitschrift und Übers.]. Dubois sprach von einer »image-trace (de-ce-qui-a-été-là)«, der er die »image-fiction-d’un-monde-possible« gegenüberstellte, also ein Bild, das uns etwas vor Augen führe »qui pourrait exister […], ou qui existe parallèlement à notre monde«. Siehe in leichter Variation und Kürzung auch die 2016 in Aufsatzform erschienene Vortragsversion mit dem gleichen Titel in Études Photographiques, H. 54, 2016, online: https://etudesphotographiques.revues.org/3593 [eingesehen am 15.12.2016].

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in den Diskursen zur Fotografie ist notabene jüngeren Datums, sie löst die früheren Konzeptionen jedoch keineswegs ab.21 1.1 Fotografie als Abbild, Anzeichen (Indiz) und Verweis (Index) Mit einer nicht zu unterschätzenden Nachhaltigkeit wurde die Fotografie hingegen in den ersten Jahrzehnten ihrer ›Mediengeschichte‹ euphorisch wie auch kritisch als genaue Registratur der Wirklichkeit bezeichnet.22 Konstruktionsmöglichkeiten wurden bestenfalls als Randerscheinung oder Spielerei erwähnt– als verstoße es gegen die Bestimmung der Fotografie, Ideen Gestalt zu geben. Schon 1835, also noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Verfahrens der Daguerreotypie, berichtete das Journal des Artistes, Louis Jacques Mandé Daguerre habe einen Weg gefunden, eine von der Camera obscura eingefangene Ansicht als perfekten Abdruck auf einer

21 Im bereits genannten Kolloquium Où en sont les théories…? (2015) zeigte sich, dass die Digitalisierung zwar als radikaler Umbruch und Wende wahrgenommen wurde, dass zugleich aber die meisten Diskussionsteilnehmer es befürworteten oder zumindest als plausibel erachteten, dass an Begrifflichkeiten und theoretischen Denklinien der Analogfotografie festgehalten wurde – dies jedoch unter Berücksichtigung des gewandelten historischen Rahmens, cf. die Beiträge von Herta Wolf, André Gunthert und Jean-Marie Schaeffer; Letzterer beleuchtete, wie überhaupt eine Definition von Fotografie innerhalb der Pluralität verschiedener Erscheinungsformen zustande kommen kann, nämlich über Familienähnlichkeiten (Wittgenstein), Prototypen- und Idealtypenbildung (Max Weber). Aufgabe sei es dabei, eine »ontologie forte« zu vermeiden, die »vouée à l’échec« sei, und stattdessen die »changements historiques« zu berücksichtigen. Auch verwies Schaeffer darauf, dass jede theoretische Kategorie zurückwirke auf den Gegenstand und diesen mit hervorbringe. Sobald die Kategorie Fotografie auf ein digitales Bild übertragen wird, verändert dies auch dessen Wahrnehmung. SCHAEFFER, Jean-Marie: »Quelle théorie pour quelle photographie?«, Vortragsmitschrift A.K. vom 27.05.2015. 22 Dies mag auch der Darstellung des Verfahrens in den ersten Presse-Artikeln geschuldet sein, die wiederum teils die Formulierungen von Arago und anderen Verfechtern der Fotografie übernahmen. Zur Verschränkung von Kunstkritik und Diskursbildung der Fotografie bis 1859, cf. ROUBERT, Paul-Louis: L’introduction du modèle photographique dans la critique d’art en France, 1839–1859, Dissertation, Université Paris 1 – Panthéon Sorbonne, 2004, Bd. 1, S. 86–87; Ders.: L’image sans qualités. Les beaux-arts et la critique à l’épreuve de la photographie, 1839–1859, Paris: Monum, 2006; STIEGLER, Bernd: Philologie des Auges. Die photographische Entdeckung der Welt im 19. Jahrhundert, München: Fink, 2001, Kapitel 1 und 2.

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präparierten Platte festzuhalten.23 Als die Technik 1839 der Pariser Académie de Sciences vorgestellt wurde, beschrieb sie die Gazette de France in ähnlicher Form: Die Erfindung könne »Bilder, die sich innerhalb der Camera obscura selbst malen«, auf eine Weise festhalten, dass sie nicht »[...] vorübergehende Spiegelungen der Gegenstände, sondern deren fester und dauerhafter Abdruck [...]« seien.24 Die frühesten Textquellen ähneln sich, indem sie als besondere Eigenschaft der Fotografie die abdruckartige und getreue Wiedergabe des Gegenstandes betonen bzw. indem sie den reliquienhaften Charakter der scheinbar abgeblätterten, konservierten Realitätsschicht hervorheben. Fotografie galt primär als mechanisches, prä-

23 Die Textstelle lautet: »[…] [Daguerre] a trouvé dit-on, le moyen de recueillir, sur une planche préparée par lui, l’image produite par la chambre noire, de manière qu’[…] une vue quelconque, projetée sur ce plateau par la chambre noire ordinaire, y laisse une empreinte en clair et en ombre, et présente ainsi le plus parfait de tous les dessins […]. Les sciences physiques n’ont peut-être jamais présenté une merveille comparable à celle-ci.«, N.N. (Arsène HOUSSAYE?): »Diorama. La Vallée de Goldau«, in: Journal des Artistes, Bd. 2, H. 13, (27. September 1835), S. 203–205 [Hervorh. A.K.], zitiert in: ROUBERT, Paul-Louis: »Hubert, ou l’honneur de Daguerre«, in: Études photographiques, H. 16, 05/2005, online: http://journals.openedition.org/etudesphotographiques/717 [eingesehen am 15.01. 2012]. Zur dt. Version siehe SIEGEL, Steffen (Hg.): Neues Licht. Daguerre, Talbot und die Veröffentlichung der Fotografie im Jahr 1839, Paderborn: Fink, 2014, S. 23–25. Neben Daguerre waren es insbesondere Nicéphore und Claude Niépce, die in Frankreich die Erforschung lichtempfindlicher Platten für fotografische Zwecke vorantrieben. Ihr Verfahren, die Heliografie, war im Gegensatz zur Daguerreotypie eine photomechanische Reproduktionstechnik. Weitere Experimente mit der Camera obscura und lichtsensiblen Bildträgern sind überliefert, ohne jedoch in den ersten Jahren dieselbe Unterstützung wie Daguerres vom französischen Staat angekauftes Verfahren zu erhalten. 24 Das Zitat findet sich in NEWHALL, Beaumont: Geschichte der Photographie (1937), München: Schirmer/ Mosel, 1998 (Neuauflage), S. 19 [Hervorh. A.K.]. Im Original: »M. Daguerre a trouvé le moyen de fixer les images qui viennent se peindre sur le fond d’une chambre obscure, de telle sorte que ces images ne sont plus le reflet passager des objets mais leur empreinte fixe et durable, pouvant se transporter hors de la présence de ces objets comme un tableau ou une estampe. Que l’on se figure la fidélité de l’image de la nature reproduite par la chambre obscure et qu’on y joigne un travail des rayons solaires qui fixe cette image […]«. Wiederabgedruckt in: Révue universelle. Bibliothèque de l’homme du monde et de l’homme politique au XIXe siècle, 7. Jg., Bd. 37, H. 1, Brüssel: Hauman et Cie, 1839, S. 98. André Gunthert verweist auf den Umstand, dass die Gazette de France bereits vor der Präsentation durch eine Pressemitteilung Aragos informiert wurde. GUNTHERT,

André: »Spectres de la photographie. Arago et la divulgation du daguerréotype«

(2010), online: http://culturevisuelle.org/icones/804 [eingesehen am 24.08.2012].

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zises und mimetisches Bildverfahren und wurde bestenfalls als »chemische Kunst« (Alexander von Humboldt), nicht aber als künstlerische Schöpfung betrachtet:25 So wurde ihr vorgehalten, wahrheitsgetreu, aber ohne menschliche Seele die Realität zu kopieren.26 Der französische Schriftsteller und Kunstkritiker Théophile Gautier leitet aus der scheinbaren technischen Unmittelbarkeit einen untrüglichen Wahrheitsgehalt ab. In einem Artikel für Le moniteur universel (1862) definiert er die Fotografie nicht nur als unvermittelte Kopie, sondern als den dargestellten Gegenstand selbst: »Das Verdienst der Fotografie ist ihre absolute Wahrheitstreue: […] Sie könnte niemals lügen, ebenso wenig wie das Gestirn, ihr Helfer. […] Wir haben es hier mit einer unmittelbaren Zeichnung zu tun, dem realen Duktus (Abdruck einer Berührung) [...]. Keine Interpretation, keine Verfälschung zum Vor- oder Nachteil des Dargestellten: Das ist die Sache selbst.«27

Er folgt hier einem aus heutiger Sicht problematischen Verständnis von ›Wahrheit‹ und Fotografie. Zugleich ist die Rezeptions- und Produktionssituation um 1860 kaum mit der heutigen vergleichbar. Der zitierte Text bezieht sich nicht auf manipulierte oder montierte Fotografien – wenngleich es solche Verfahren bereits gab28

25 Von Humboldt 1839 in einem Brief an Friederike von Anhalt-Dessau, zitiert in: PLUMPE, Gerhard: Der tote Blick. Zum Diskurs der Photographie in der Zeit des Realismus, München: Fink, 1990, S. 9. 26 Antoine Claudet, selbst Fotograf und Forscher, gab sich beispielsweise angesichts des Vergleichs des neuen Verfahrens mit der Malerei bescheiden: »Die Kunst besitzt ein Vermögen, über das die Fotografie nicht verfügt: Die eine ist schöpferisch tätig, die andere kopiert.« CLAUDET, Antoine: »Die Fotografie in ihrer Beziehung zu den Schönen Künsten« (1865), in: KEMP (1980), S. 122–125, hier: S. 122. 27 GAUTIER, Théophile: »Publications photographiques de MM. Faucheur et Danelle«, in: Le moniteur universel (25.04.1862), zitiert in: STIEGLER, Bernd: »La surface du monde: note sur Théophile Gautier«, in: Romantisme, Bd. 29, H. 105, 1999, S. 91–95, hier: S. 91 [Übers. A.K.], i. O.: »Le mérite de la photographie, c’est sa véracité absolue: […] Elle ne saurait pas mentir, non plus que l’astre son collaborateur. […] Vous avez le dessin direct, la touche réelle [...] Aucune interprétation, aucune fraude agréable ou désagréable: c’est la chose même.« Weiterhin schreibt Gautier, dass sich die Fotografie jedem Stil und jedem Genre geschmeidig fügen würde und Natur wie Kunst gleichermaßen einzufangen vermöge, cf. die Zitatfortsetzung in: LAVAUD, Martine: Théophile Gautier. Militante du romantisme, Paris: Honoré Champion, 2001, S. 379: »[…] la photographie est complaisante; elle se plie à tous les genres, tous les styles, à toutes les manières.« 28 Franz Hanfstaengl präsentierte z.B. 1855 auf der Pariser Weltausstellung u.a. einen Abzug vor und nach der Retusche. Dies führte zu Kontroversen und eröffnete laut Nadar ein

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– sondern auf das Gros der damals verbreiteten Lichtbilder, die sich nicht bemühten, schöpferische Bildideen zu realisieren. Schon zu dieser Zeit stieß der mutmaßliche visuelle Verismus der Fotografie allerdings nicht nur auf Befürworter: Charles Baudelaire, der sich selbst als Schüler Gautiers bezeichnete, äußert sich 1859 in seiner Salonkritik29 abschätzig gegenüber der jungen Technik und dem Glauben an eine über den Gesichtssinn zugängliche Realität. Bei seinen Zeitgenossen konstatiert er eine Fixierung auf die Natur, die in der Erfindung der Fotografie kulminiere: »Was Malerei und Bildhauerei betrifft, so gilt in einschlägigen Kreisen […] das Credo: ›Ich glaube an die Natur und nur an die Natur […]. Ich glaube, daß die Kunst nichts anderes ist und sein kann als die genaue Wiedergabe der Natur […]. Weil die Fotografie uns alle wünschenswerten Garantien in punkto Genauigkeit gibt (das glauben diese Ahnungslosen), deswegen ist die Kunst die Fotografie.‹«30

neues Zeitalter der Fotografie, in dem geglättet und idealisiert wurde. Cf. NEWHALL (1937/1998), S. 72. 29 BAUDELAIRE, Charles: La critique du salon 1859. Partie II: Le public moderne et la photographie (1859), online: http://baudelaire.litteratura.com/cri/texte/467-ii-le-public-moderne-et-la-photographie.html [eingesehen am 04.12.2009]. Hintergrund von Baudelaires Kritik war u.a. die parallel zum offiziellen Salon de peinture et de sculpture stattfindende dritte Ausstellung der Société française de photographie von 1859 in einzelnen Sälen des Palais de l’Industrie, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Salon befand. Cf. ROUBERT, Paul-Louis: »1859, exposer la photographie«, in: Études photographiques, H. 8, 11/2000, online: http://journals.openedition.org/etudesphotographiques/223 [eingesehen am 11.12.2013]. Zugleich begann in den 1850ern eine Industrialisierung und Kommerzialisierung der Fotografie durch neue Verfahren und Formate (Carte-de-Visite, 1854, Nasskollodiumplatten etc.). Angesichts der instabilen Einschätzung der Fotografie der 1850er und 1860er Jahre als kommerzielles Produkt und/oder möglicher Rivale der visuellen Künste unterzeichnete 1862 eine Vielzahl französischer Künstler eine Petition, um jeden Kunstanspruch der Fotografie zu negieren (signiert u.a. von Jean-Auguste D. Ingres, Puvis de Chavannes und Hippolyte Flandrin). 30 Übersetzung nach KEMP (1983), S. 110, i.O.: »En matière de peinture et de statuaire, le Credo actuel des gens du monde […] est celui-ci: ›Je crois à la nature et je ne crois qu’à la nature […]. Je crois que l’art est et ne peut être que la reproduction exacte de la nature […]. Puisque la photographie nous donne toutes les garanties désirables d’exactitude (ils croient cela, les insensés!), l’art, c’est la photographie«, cf. BAUDELAIRE (1859). Baudelaires Wortwahl lässt keinen Zweifel, dass er die Fotografie und ihre Apologeten gering schätzte, bewegt sich sein Text doch in semantischen Feldern, die mit blindem Glau-

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So überspitzt und satirisch der Poet auch das naturalistische Streben seiner Zeit darstellt, in der Analogsetzung von Zeitgeschmack und Wirklichkeitsorientierung der Fotografie trifft er einen zentralen Punkt:31 Zahlreiche ästhetische Parallelen, etwa zwischen malerischen Landschafts- und Seestücken (Courbet, Whistler, Manet) und Fotografien von Adolphe Braun oder Gustave Le Gray, bezeugen die Tendenz zum Naturalismus.32 Nicht von ungefähr finden sich in den Diskursen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielfache Vergleiche der naturalistischen und realistischen Malerei mit der Fotografie, wenngleich auch hier meist eine abwertende Intention zugrunde liegt: Der Schriftsteller und Fotograf Maxime du Camp (1866) etwa betrachtet die Wirklichkeitstreue in Courbets Gemälden als mangelnden Einfallsreichtum und rückt dessen Kunst in die Nähe eines geistlosen, mechanisch abbildenden Handwerks. Courbet und andere Maler arbeiteten laut du Camp »in knechtischer Nachahmung« und bewegten sich dadurch auf dem reproduktiven Terrain der Fotografie, ohne deren technische Perfektion erreichen zu können.33

ben assoziiert werden (»Une folie, un fanatisme extraordinaire«, »la sottise«, »les adorateurs du soleil«, »la foule idolâtre«). 31 Mit der 1835 gegründeten École de Barbizon sowie Courbets Pavillon du Réalisme (1855) hatte sich bereits eine deutliche Abkehr von den idealisierenden Gemälden des Klassizismus und der Romantik abgezeichnet. Nach Stelzer orientierte sich Kunst fortan an einem »nichtidealen, rein naturalistischen, naturgetreuen Abbild«, vgl. STELZER, Otto: Kunst und Photographie: Kontakte, Einflüsse, Wirkungen, München: Piper, 1966, S. 19. Ein mimetischer Gebrauch der Fotografie ließ sich folglich mit dem ästhetischen Geschmack und Zeitgeist der 1840er und 1850er Jahre begründen. 32 Cf. SCHARF, Aaron: Art and Photography (1968), Baltimore, MD: Penguin Press, 1984; Eine neue Kunst? Eine andere Natur! Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Kulturhalle der Hypo-Vereinsbank Stiftung München, 01.05.–18.06.2004, hg. von Ulrich Pohlmann und Johann G. Prinz v. Hohenzollern, München: Schirmer/Mosel, 2004, S. 171–173; STELZER (1966), S. 26, S.39; KAHMEN, Volker: Fotografie als Kunst, Tübingen: Wasmuth, 1973, S. 17–18. 33 »M. Courbet a un système qui peut se résumer en peu de mots: le seul devoir du peintre est de ne reproduire que les objets qu’il voit et absolument tels qu’il les voit […]. Si l’unique but de la peinture est d’imiter servilement, la photographie lui est préférable, car elle est plus exacte et ne peut jamais dévier.« DU CAMP, Maxime: »Salon de 1866« [publiziert in: Revue des Deux-Mondes (1866), Bd. 63], in: Ders.: Les Beaux-Arts à l’Exposition Universelle et aux Salons de 1863, 1864, 1865, 1866 & 1867, Paris: J. Rénouard, 1867, S. 177–233, hier: S. 219. Dt. Übersetzung in: Eine neue Kunst? (2004), S. 13: »Courbet hat ein System, das sich mit wenigen Worten erklären läßt: die einzige Aufgabe des Malers besteht darin, nur die Dinge wiederzugeben, die er sieht, und haargenau so wie er sie sieht […]. Sollte das einzige Ziel der Malerei in knechtischer Nachahmung

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Nach Gerhard Plumpe (1990) und Jean-Marie Schaeffer (1987)34 ist eine ähnliche Argumentation bezeichnend für die Beschreibung der Relation von bildender Kunst und Fotografie um 1839–1900: Der Geist des Künstlers wurde streng vom mechanischen Verfahren der Kamera geschieden. Es erfolgte eine Art ideale Rollenverteilung: Kunst wurde gleichgesetzt mit Erfindungsgabe, während Technik respektive Fotografie eine indifferente Reproduktion auch kleinster Details implizierte. Didi-Huberman (1997/1999) betont demgegenüber, dass das Paradigma des Abdrucks bzw. die Trennung von manueller, visueller Imitation und auf Kontakt basierender Abformung bereits im 16. Jahrhundert (u.a. bei Vasari) jene konzeptuelle Demarkationslinie etabliert habe, die im 19. Jahrhundert auch die Fotografie als ›Technik‹ stigmatisieren sollte.35 Unabhängig von diesen abweichenden Datierungen – die in den Kunstdiskursen vorgezeichnete dichotomische Trennung von Handwerk und Genie, Mechanik und Erfindungsgabe erwies sich als folgenreich für das Lichtbild. Der Literaturwissenschaftler Gerhard Plumpe verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des »toten Spiegels« als Metapher für die Fotografie, um einen Dialog herzustellen zu Leibniz’ Konzept des »miroir vivant«. 36 Eine Betrachtung des Lichtbilds als unbeseelter Spiegel, wie sie laut Plumpe in den ersten Dekaden dominierte, kam der Behauptung einer unhintergehbaren, physischen und direkten Referenz auf die Außenwelt gleich. Das Problem hierbei: Wird die Foto-

bestehen, so wäre ihr die Photographie vorzuziehen, denn diese ist weitaus genauer [und kann nie abweichen, A.K.].« 34 Cf. Kapitel 4.3 in SCHAEFFER (1987). 35 DIDI-HUBERMAN (1997/1999), S. 58: »Kurz, die humanistische Herrschaft der Nachahmung sanktionierte mit dem ideologischen Wechselspiel von Sichtbarem und Lesbarem – das schon Vasari entfaltete, bevor es 1593 bei Cesare Ripa zur Norm erhoben wurde – gewissermaßen die Verdrängung des Abdruckparadigmas, als hätte das ästhetische Urteil nun nichts mehr mit dem anthropologischen Wechselspiel von Berührung und Distanz zu tun, in dem die Wahrnehmung aller durch Abdruck hergestellten Objekte begründet ist. Mit ein und derselben Geste verdrängte die von Vasari […] eingeführte Teleologie den Anachronismus, verweigerte sie die Zeit der Erinnerung, verleugnete sie das unvordenkliche Alte. Der Abdruck spielte in der Kunstgeschichte keinen ›Part‹ mehr, sondern wurde zum stummen, heimlichen ›Gegenpart‹«. In der Bildhauerei sei der Abdruck als »tote, weil exzessive Ähnlichkeit« betrachtet worden, die »zu unmittelbar aus einer vorgegebenen Materie hervorgeht und zu wenig aus einer Idea […]« (ebd., S. 74). 36 Nach Leibniz’ Monadologie ist jede Seelenmonade ein lebendiger Spiegel des Universums: Sie reagiert wie ein Parallelkosmos auf die Bewegungen des Universums. Im Gegensatz hierzu ist der bei Plumpe beschriebene tote Spiegel wiederum scheinbar subjektund leblos. Er bildet die Welt undifferenziert ab und nimmt die »Warze so wichtig [...] wie die Nase, auf der sie sitzt«, F. Hebbel, in: PLUMPE (1990), S. 44.

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grafie als passive Reflexionsfläche beschrieben, dann wird der Umstand ausgeblendet, dass selbst naturalistisch wirkende Bilder aktiv ›gemachte Bilder‹ sind – ›gemacht‹ nicht im Sinne Gautiers als Resultat einer Kollaboration zwischen Gestirn und Aufzeichnungsapparat, sondern im Sinne eines Artefakts, das im Zusammenwirken von Mensch, Apparatur, Materie und Licht in einer spezifischen Zeit-RaumKonstellation entsteht und das mit anderen Artefakten in Beziehung tritt.37 Die Transformation der abgebildeten Wirklichkeit durch die Kamera, durch die Ansichthaftigkeit und den aktiven Eingriff des Fotografen fand in den frühesten Diskursen aber keine Beachtung. Statt in der ›Realitätstreue‹ des Lichtbildes eine Anpassung an Darstellungskonventionen zu erkennen38, galt der automatische Aufzeichnungsprozess als Garant einer natürlichen Ähnlichkeitsbeziehung. Der Verismus wurde dabei an eine Kausalbeziehung zwischen Licht und sensibler Materie rückgebunden. So ließe sich im Kontext der frühen Theoriebildung bereits von der Annahme einer indexikalischen respektive »indiziell39 erzeugten Ähnlichkeit« sprechen, die sich auf eine Einprägung durch Berührung beruft.40

37 Cf. SCHAEFFER (1987), der die fotografischen Positionen zu Baudelaires Zeit in zwei Lager (»défenseurs« vs. »adversaires de la photographie«) teilt: Die eine versuche, den apparativen Aspekt der Fotografie auszublenden, indem sie künstlerische Eingriffe (Inszenierung vor der Kamera, Annäherung an malerische Stile, Retuschen) vornehme. Die andere betone den maschinellen Charakter, übersehe dabei jedoch das Gekoppeltsein der Maschine an den Menschen und vice versa. Der Fotograf ist nach Schaeffer kein einfacher Anhang (»simple appendice«), sondern er ist »couplé à son dispositif«, wobei jenes »dispositif photographique« eine »machine informationnelle« sei: ein Amalgam von Mensch und Technik, das die kybernetischen Maschinen des 20. Jahrhunderts vorwegnehme und einem Ziel (»finalité«) bedarf, das die Maschine lenkt (ebd., S. 173). 38 Realismus bzw. Naturalismus ist keineswegs ein »›styleless‹ or transparent style « – die scheinbare Unvermitteltheit hat vielmehr eine geschichts- und konventionsgebundene Dimension. Cf. Linda Nochlin, zitiert in WELLS, Elizabeth (Hg.): Photography. A Critical Introduction, London: Routledge, 32004, S. 252. 39 Ich folge in der Differenzierung von ›indiziell‹ und ›indexikalisch‹ abermals Van Lier und Eco. In der deutschen Übersetzung von Ecos Segno wird – um der Unterscheidung von ital. ›indexicale‹ und ›indicale‹ (Segno, 1973/1980, S. 52–53) Rechnung zu tragen – allerdings der Terminus ›indikalisch‹ (bzw. an anderer Stelle: ›hinweisend‹) vorgeschlagen. Die deutsche Buchversion bleibt nichtsdestotrotz inkonsequent, da die Nomen ›indizio‹ und ›indice‹ beide als ›Index‹ übersetzt werden, obschon Eco hier konzeptuell trennt. Cf. ECO, Umberto: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte (1973), übersetzt von Günter Memmert, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977, S.61 bzw. im Original: ECO, Umberto: Segno (1973), Mailand: Oscar Studio Monadori, 1980, S. 52f. Andere AutorInnen im deutschsprachigen Raum arbeiten mit Termini wie »indizial« oder

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Fotografische Indizialität und Indexikalität Angesichts der skizzierten Diskurse, in denen Abbildhaftigkeit und photochemischer Entstehungsprozess zusammengedacht wurden,41 drängt sich die Frage auf, ob die Annahme eines fotografischen Index in der postpeirceschen (Foto-)Theorie tatsächlich konzeptuell ›neu‹42 ist. Wird hier nicht primär mit neuen Begriffen gearbeitet bzw. die Ähnlichkeitshypothese gegenüber dem Kausalkonnex sekundär gesetzt? Dieser Einwand wird umso dringlicher, wenn die Fotosemiotik Peirces Index-Begriff auf eine reine Kontiguitätsrelation reduziert43, statt den abgeleiteten deiktischen Charakter und die Verschachtelung mit anderen Zeichenbeziehungen (auf Ebene des Objekts, Zeichens und »Interpretanten«) mitzudenken.44 Bekannt-

indizienhaft, jedoch konzipieren sie diese meist in Peircescher Tradition für das englische ›indexical‹, cf. u.a. WIRTH, Uwe: »Die Interferenz von Indexikalität und Performativität bei der Erzeugung von Aufmerksamkeit«, in: KIENING, Christian/STERCKEN, Martina (Hg.): Mediale Gegenwärtigkeit, Zürich: Chronos, 2007a, S. 95–109, hier: S. 105. 40 DIDI-HUBERMANS (1994) Begriff einer »ressemblance indiciaire« scheint passend, wenngleich dieser im Aufsatz »Ressemblance mythifiée et ressemblance oubliée chez Vasari« primär für bildhauerische Abgussverfahren verwendet wird. 41 Cf. z.B. HOLMES (1859/1980). Verwiesen sei hier auch auf den Begriff ›Fotografie‹: Dieser setzt sich aus griech. ›photos‹ (φωτoς) und ›graphein‹ (γράφειν) zusammen und kann folglich als ›Licht ritzen‹ bzw. ›schreiben‹ übersetzt werden. Hilde Van Gelder und Helen Westgeest nennen Sir John Herschel als den vermeintlichen Namensgeber im Jahre 1839. Cf. VAN GELDER, Hilde/WESTGEEST, Helen (Hg.): Photography Theory in Historical Perspective, Chichester/Malden, MA: Wiley Blackwell, 2011, S. 191–192. Henri Van Lier gibt zu bedenken, dass der Term Fotografie/Lichtschrift ein Paradoxon sei, da Licht nicht schreiben könne: Es handle sich vielmehr um einen »photo-effet« oder »effet-photo«, VAN LIER (1983), S. 12. 42 DUBOIS (1983/1990) bezeichnet die indexorientierten Theorien als »réflexions les plus récentes«, »les plus fines et les plus sérieuses« (S. 41 und 45) und ordnet ihnen nicht nur Ansätze zu, die explizit auf Peirce bezogen sind: Er nennt beispielsweise auch den Theoretiker und Fotografen Denis Roche, der über die Denkfigur des ›dépôts‹ (Sedimentierung – z.B. auch im Sinne von Weinstein – , Einlagerung) anstelle des Index/Indizes argumentiert. Zwar gesteht Dubois, dass die Betrachtungsweise der Fotografie als Wirklichkeitsspur nur tendenziell neu sei, an anderen Stellen behauptet er jedoch einen angeblichen Bruch gegenüber den ähnlichkeitsbasierten Ansätzen des 19. Jahrhunderts (S. 64). 43 Zu einer Kritik an der Verkürzung des Peirceschen ›index‹ in der Fototheorie cf. LEFEBVRE (2007) und BRUNET (2008). Cf. weiterhin BLUNCKS (2010) Problematisierung, S. 12. 44 Lefebvre arbeitet heraus, dass die häufig für die Fototheorie instrumentalisierte Textstelle aus PEIRCE (1894, §4) nicht dessen Gesamtkonzepion von Zeichenklassen entspricht.

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lich war u.a. bereits beim Fotopionier William Fox Talbot der Gedanke eines kausalen Bezugs explizit angelegt, als dieser seine Kalotypien »fotogene Zeichnungen« (photogenic drawings) nannte. In seinem Buch The Pencil of Nature (1844) geht Talbot zunächst von einer Lichtwirkung auf photoempfindlichem Material aus und leitet aus dem direkten Kontakt zwischen chemisch vorbehandeltem Papier und eintreffenden Lichtstrahlen einen generellen Ähnlichkeitsbezug seiner Kalotypien ab. »Now Light, where it exists, can exert an action, and, in certain circumstances, does exert one sufficient to cause changes in material bodies. Suppose, then, such an action could be exerted on the paper; and suppose the paper could be visibly changed by it. In that case surely some effect must result having a general resemblance to the cause which produced it.«45

Die physikalische Wirkung des Lichts auf materielle Körper bzw. auf den sensibilisierten Träger wird als Ursache einer generellen Ikonizität erkannt. Talbot behauptet dabei keine zufällige, sondern eine notwendige Kausalbeziehung zum Objekt. Dies entspricht einzelnen Merkmalen der ›indication‹ bzw. des Index nach Charles Sanders Peirce (1839–1914). Der amerikanische Semiotiker46 und Mathematiker war Zeitgenosse der frühen Fotografie und kam u.a. bei seiner Arbeit am Harvard Observatory mit verschiedenen fotografischen und astrofotografischen

Man werde weder der Fotografie noch Peirce gerecht, wenn man Fotos semiotisch auf ihre Indexikalität – und hier vor allem auf ihre kausale Verbindung – reduziere: »When semioticians assert that the photograph is an index, this is the use to which they are referring to as an implicit point of departure and far too often, […], they consider this to be the only possible or valuable […] connection that ties photography with reality.« LEFEBVRE (2007), S. 229. 45 TALBOT, Henry Fox/NEWHALL, Beaumont (Hg.): The Pencil of Nature (1844), New York City, NY: Da Capo Press, 1969, n.p. Zur dt. Übersetzung: TALBOT (1844/1981), S.49 [Hervorh. A.K.]. 46 Peirce formulierte bereits 1867 in On a New List of Categories die Grundlagen seiner Zeichentheorie. Insbesondere unterscheidet er dort schon zwischen Relationen der Erstheit, Zeitheit und Drittheit bzw. zwischen direkter Referenz auf einen Grund, mittelbarer Referenz auf ein Korrelat und vermittelnder (mediating) Repräsentation durch die Referenz auf einen Interpretanten. Auch das später als Index bezeichnete Beispie des Wetterhahns wird bereits aufgeführt, cf. PEIRCE, Charles Sanders: »On a New List of Categories« (1867), in: PEIRCE (1931/1974), Bd 1, Buch 3, S. 287–305 (CP 1.545–1.567), hier v.a. S. 293 (CP 1.554): »A weathercock represents the direction of the wind to the conception of him who understands it«.

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Verfahren in Berührung.47 Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn er in What is a Sign? (1893 bzw. 1894)48 die Momentfotografie exemplarisch als ein ikonisches Zeichen mit ›indexikalischen‹ Qualitäten aufführt.49 In diesem Text werden drei Zeichenbeziehungen zu Objekten aufgeführt (die an anderer Stelle erweitert werden um Relationen des Zeichens zu sich selbst sowie um interpretierte ZeichenObjekt-Beziehungen50). Maßgeblich für die spätere Fototheorie ist die hier vorgenommene Einteilung nach den Merkmalen der Ähnlichkeit (›likeness‹, ›resemblance‹), der Anzeige (›indication‹, ›index‹) und der Konvention bzw. Gewohnheit (›convention‹, ›habit‹). Primär über Konventionen geregelt ist nach Peirce die Beziehung zwischen Objekten und symbolischen Zeichen. Ihr besonderes Merkmal sei die Suggestionskraft.51 Demgegenüber sei das Ikon gekennzeichnet durch seine Ähnlichkeit zum

47 Cf. ROBINS, Alexander: »Peirce and Photography: Art, Semiotics, and Science «, in: The Journal of Speculative Philosophy, New Series, Bd. 28, H. 1, 2014, S. 1–16, insb. S. 2 und S. 8. 48 PEIRCE (1894/1998). Der Text war ursprünglich als Kapitel für das Buch The Art of Reasoning (1895) vorgesehen, wurde dann aber bereits 1894 in How to Reason. A Crictic of Arguments (Grand Logic) veröffentlicht. cf. PEIRCE (1978), S. 151 (2.281). 49 Die für die Fototheorie ausschlaggebende Passage ist recht kurz und so mag es verwundern, dass sich die Fotosemiotik des 20. und 21. Jahrhunderts so vehement auf sie stützt. Erst jüngst wurde verstärkt Kritik geäußert am Gros der fotosemiotischen Ansätze, die Peirce auf eine einzelne, dekontextualisierte Passage reduzieren und sein Zeichenmodell (das mehr bietet als eine einfache Trias) verkennen. Siehe vor allem BLUNCK (2010b), ELKINS (2007) und LEFEBVRE (2007). 50 Das ›representanem‹ (Zeichenmittel) entspricht dem Zeichen als Zeichen (1). In diesem Verhältnis wird der inhärente Zeichencharakter reflektiert. Es ist unterteilt in (1a) das qualisign, (1b) das legisign und (1c) das sinsign, die je auf komplexe, nicht willkürliche Weise auch Aspekte der weiteren Zeichenbeziehungen (cf. 2 u. 3) annehmen können (z.B. als rhematisch-ikonisches Qualizeichen, als dicent-indexikalisches Sin-zeichen usw.). Das ›object‹ (2) wiederum entspricht dem repräsentierten Objekt. Das resultierende Zeichen-Objekt-Verhältnis ist unterteilt in (2a) Ikone, (2b) Symbole und (2c) Indexe. Der ›interpretant‹ (3) bezeichnet Deutungsweisen des repräsentierten Objekts. In dem entsprechenden Zeichenverhältnis geht es nicht um das denotative Verhältnis von Zeichen und Objekt, sondern um resultierende Deutungen im Rezeptionskontext. Untergliedert ist es in (3a) das rheme, (3b) das argument und (3c) das dicent. 51 »Any ordinary word, as ›give‹, ›bird‹, ›marriage‹, is an example of a symbol. It […] does not, in itself, identify those things. It does not show us a bird, nor enact before our eyes a giving or a marriage, but supposes that we are able to imagine those things, and have associated the word with them.« PEIRCE (1894/1998), S. 9 (§6).

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Objekt. Als Beispiel nennt Peirce – offenbar mit der konkreten Absicht, die Trennlinien seiner Kategorien aufzusprengen – die (Moment-)Fotografie. »§4. Likenesses. Photographs, especially instantaneous photographs, are very instructive, because we know that they are in certain respects exactly like the objects they represent. But this resemblance is due to the photographs having been produced under such circumstances that they were physically forced to correspond point by point to nature. In that aspect, then, they belong to the second class of signs, those by physical connection.«52

Peirce begreift das Lichtbild als besonders lehrreiches Beispiel für ein Ikon mit indexikalischen Qualitäten – oder auch: als Index, das zugleich ikonisch ist. Es sei ein Zeichen, das auf seine Quelle bzw. Ursache verweise und ihr zugleich durch Ähnlichkeit verbunden sei. Somit gehöre es gleichermaßen derjenigen Klasse an, die an zweiter Stelle des Aufsatzes figuriert: der ›indication‹ bzw. dem Index. 53 Diese Kategorie wird in dem Text von 1894/95 weniger durch eine ausführliche Definition als stattdessen durch die Aufzählung von Beispielen umrissen. Als Index benennt Peirce eine Vielzahl von zunächst überaus heterogenen Verweisarten:54 Sprachliche

52 PEIRCE (1894/1998), S. 6 (§4). Zur dt. Version »Similes. Photographien, besonders Momentaufnahmen, sind sehr lehrreich, denn wir wissen, daß sie in gewisser Hinsicht den von ihnen dargestellten Gegenständen genau gleichen [they are in certain respects exactly like the objects they represent]. Aber diese Ähnlichkeit [resemblance] ist davon abhängig, daß Photographien unter Bedingungen entstehen, die sie physisch dazu zwingen, Punkt für Punkt dem Original zu entsprechen«, PEIRCE, Charles Sanders; KLOESEL, Christian/ PAPE, Helmut (Hg.): Charles Sanders Peirce. Semiotische Schriften, Bd. 1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986, S. 193. 53 Die Termini »indication« und »index« verwendet Peirce als austauschbare Synonyme, wobei »indication« in manchen Kontexten eher die Verweiseigenschaft (den Akt des Indizierens) bezeichnet. 54 Die von Peirce genannten indexikalischen Phänomene sind allesamt durch die Anzeige eines vorgängigen oder präsenten Objekts gekennzeichnet: Einerseits seien »premisses […] an index of the conclusion« (PEIRCE 1867/1974, S. 9), andererseits zählt Peirce zu den Indexen auch deiktische Phrasen – z.B. »that house«, siehe PEIRCE (1894/1998), §5 [Hervorh. A.K.]. Auch Kausalverweise, Diagramme und Landkarten schreibt er dieser Kategorie zu: »A weathercock indicates the direction of the wind. A sun-dial or a clock indicates the time of day« (ebd.). In der Abhandlung »Of Reasoning in General« (c.1895) wird deutlich, dass der physische Kontakt bzw. die Verweisbarkeit auf eine konkrete Ursache nur eine Bedingung ist, zu der sich als zweite Prämisse die kognitive Verfasstheit (bzw. die Erfahrung) des Zeichendeuters gesellt: »§ 7: [...]. A weathercock is an indication, or index, of the direction of the wind; because, in the first place, it really takes the

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Deiktika, logische Verkettungen, Wetterhähne, Markierungen auf Landkarten, den schwankenden Gang eines Matrosen und vieles mehr bezeichnet er als Index (§5). Er vermengt unter diesem Überbegriff somit Zeichen, die primär kraft Konvention und im spezifischen Kontext als Verweis fungieren (z.B. ›shifters‹ in R. Jakobsons Sinne) mit scheinbar natürlichen Anzeichen bzw. erfahrungsbasierten Kausalverknüpfungen. Dies ist ein prinzipieller Unterschied gegenüber Umberto Ecos Zeichentheorie.55

selfsame direction as the wind, so that there is a real connection between them, and in the second place, we are are so constituted that when we see a weathercock pointing in a certain direction, it draws our attention to that direction, and when we see the weathercock veering with the wind, we are forced by the law of mind to think that direction is connected with the wind.« Der Aspekt erlernter, kulturell konditionierter Ableitung wird bereits in What is a sign? deutlich: »I see a man with a rolling gait. This is a probable indication that he is a sailor.« PEIRCE (1894/1998), §5. 55 Wenngleich die Indexkategorie an späterer Stelle in PEIRCE (1902/1974) nuanciert bzw. in degenerierte und genuine Indexe unterteilt wird, führt der Amerikaner im Gegensatz zu Eco keinen eigenen Indizienbegriff ein – was sicherlich im Englischen bestenfalls über die indication denkbar wäre. PEIRCE, Charles Sanders: »The Icon, Index, and Symbol« (1902), in: Ders.; HARTSHORNE, Charles/WEISS, Paul (Hg.): The Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Bd. 1-2 (hier: Bd. 2, Buch 2), Cambridge, MA: Harvard University Press, 1974, S. 156–173 [CP 2.274–308]. Eco hingegen differenziert zwischen einem unmotivierten Kontiguitätsbezug (›indizio‹/pl. ›indizi‹), der gemeinsam mit der Spur (›traccia‹) den natürlichen Anzeichen untergeordnet ist, sowie einem motivierten Verweis (›indice vettore‹/pl. ›indici vettori‹), der ein unnatürliches bzw. künstliches und konventionelles Zeichen bildet. Siehe die italienische Originalfassung von Zeichen [Segno], denn die deutsche Version unterschlägt hier die Begriffsunterscheidung: »indizi: da un rapporto di contiguità presupposto si inferisce una dipendenza causale: indizi criminali, un fazzbletto abbandonato, una ciocca di capelli, ecc.« »indici vettori (dito puntato, freccia, ecc.),« ECO (1973/1980), S. 57. Aussagekräftig ist auch eine Fußnote des französischen Übersetzers von Ecos Segno, Jean-Marie Klinkenberg (Le signe, Brüssel: Média Éditions Labor, 1988, S. 62): Der Originaltext umfasse, so Klinkenberg, eine trennklare »distinction entre indice et indizio: la tache d’eau est un indizio de la pluie, alors qu’une flèche est un indice. Cette distinction, exploitée à plus d’une reprise […], devait absolument être conservée. Sous l’amicale pression de l’auteur [Eco, A.K.], nous l’avons donc traduite par index et indice (avec les adjectifs indexical et indiciaire qui correspondent à ces termes). Nous nous séparons donc sur ce point de la traduction française de Peirce la plus autorisée […]«, womit Gérard Deledalles Peirce-Übersetzung gemeint ist. Deledalle betont im Seitenhieb auf Eco/Klinkenberg hingegen: »La distinction que propose Eco entre ›index‹ et ›indice‹, pour nécessaire qu’elle soit pour un dualiste d’obédience saussu-

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Gerade aufgrund der bei Peirce sehr breit gefassten Definition des Index als etwas, das einerseits eine logische Verknüpfung mit einem Abwesenden erfordert und das andererseits über eine reale Präsenz des Angezeigten funktioniert, scheint es gewagt, das Indexikalische als spezifisch fotografisches Prinzip zu behaupten, grenzt man es nicht zuvor terminologisch ein. So stellt Martin Lefebvre (2007) fest, dass die Offenheit des Indexbegriffs es prinzipiell erlaube, jedes Objekt in einer solchen Beziehung zu denken.56 Einzig im Sinne einer notwendigen, singulären und direkten Verbindung auf Repräsentationsebene, die Lefebvre als »direct indexical relation« bezeichnet, scheint es zielführend, von einer besonderen fotografischen Indikation zu sprechen.57 Diese reduzierte Indexdefinition, die via Rosalind Krauss und Philippe Dubois zahlreiche Theoretiker aufgriffen, entspricht aber wiederum in weiten Teilen der frühen Konzeption der Fotografie über die Lichteinschreibung, über die mechanische Einprägung bzw. über den Transfer, die u.a. Talbot, Oliver Wendell Holmes und Gautier formuliert haben. Einzig die Behauptung einer automatischen Ähnlichkeit wird in späteren Ansätzen konsequent verworfen. Um einer begrifflichen Aushöhlung des Index entgegenzuwirken, wäre meines Erachtens auch im Deutschen eine Unterscheidung in Erwägung zu ziehen, wie sie im Französischen und Italienischen von Van Lier und Eco angeregt wurde:58 Ent-

rienne, ne l’est pas pour un Peircien pour qui les catégories de pensée sont ordinales et non cardinales«, DELEDALLE (1990), S. 19. 56 Cf. beispielsweise auch Alfred Gells Auffassung des Index, nach der Kunstobjekte generell Verlängerungen einer Geste ihrer Schöpfer und Indexe einer gesellschaftlichen Agency sind: GELL, Alfred: Art and Agency: an Anthropological Theory, Oxford: Clarendon Press, 1998. Auch Joanna Lowry und David Green sehen den fotografischen Index weniger als referenziellen Zeiger auf die Ursache einer Lichtspur denn als Verweis auf den fotografischen Akt: »The very act of photography, as a kind of performative gesture […] is is thus itself a form of indexicality.« GREEN, David/ LOWRY, Joanna: »From Presence to the Performative: Rethinking Photographic Indexicality«, in: GREEN, David (Hg.): Where is the Photograph? Brighton: Photoforum/Maidstone: Photoworks, 2003, S. 47–62, hier: S. 48. 57 LEFEBVRE (2007), S. 231. 58 Ausgangspunkt dieser Begriffsdiskussion war die Übersetzungsproblematik des englischen Begriffs ›index‹, der in den 1970er Jahren primär als ›l’indice‹ wiedergegeben wurde, cf. z.B. Gérard Deledalles Übersetzung der Peirceschen Schriften ab 1895 (1978) und die Übersetzungen von Rosalind Krauss’ Texten durch u.a. Jean Kempf (»Duchamp ou le champ imaginaire«, 1981), aber auch Barthes (1964b). Krauss’ elementarer Aufsatz »Notes on the Index. The Art of the Seventies in America« (1977) wurde für die französische Zeitschrift Macula hingegen übersetzt als »Notes sur l’index. L’art des années 1970 aux États-Unis« (H. 5/6, 1979), die Übersetzerin Priscille Michaud baute jedoch bereits

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sprechend wäre die lichtinduzierte Verweiskraft mit dem Begriff ›indice‹ (Indiz, Anzeichen) zu benennen, der vom ›index‹ (Zeigefinger, Verweis) abzugrenzen wäre. Bei Van Liers Trennung von ›indice‹ und ›index‹ sind folgende Kriterien zentral: Erstens wird nach dem Aspekt der Intentionalität und der Konventionalität differenziert. Ein Fingerzeig etwa ist eine bewusste Geste der Bezeichnung, gleiches gilt für konventionelle sprachliche Deiktika. Im Gegensatz hierzu ist eine Verfärbung der Haut gewöhnlich nicht intentional und signalisiert indiziell Scham, Erkrankung, Sonneneinwirkung oder ähnliche Ursachen. Eine ähnliche Differenzierung nimmt auch Eco vor.59 Zweitens sind Index und Indiz hinsichtlich ihrer Distanz zum Objekt verschieden. Jean Lauzon führt im Anschluss an Van Lier und Daniel Soutif aus: »Der Index appelliert an eine aktuelle räumliche Beziehung (Gegenwart), während das Indiz sich auf eine vorgängige Kausalbeziehung beruft (die Absenz).«60 Das Indiz be-

für Zwischenüberschriften den Terminus ›indice‹ ein, wie Katia Schneller bemerkt, cf. SCHNELLER (2007). Zu einer Reflexion, diese Begriffsvarianz systematisch einzusetzen, Cf. VAN LIER (1983), S. 81: »Peirce range les photos parmi les INDEX. Rappelons-nous, pour apprécier les enjeux, que le français et plus généralement les langues romanes font une distinction entre indices et index. Les INDICES (français) sont des effets d’une cause signalant, trahissant cette cause ; étant non intentionnels, ils vont surtout de l’objet vers le sujet. Les INDEX (français) sont des pointements qui, étant intentionnels, vont surtout du sujet vers l’objet.« 59 Umberto Eco unterscheidet zwischen natürlichen Indizien (›indizi‹) und konventionellen, künstlichen Indexen (›indici‹ bzw. im deiktischen Sinne: ›indici vettori‹). Wohlgemerkt betrachtet Eco aber gerade die Fotografie primär als Ikon, das aufgrund seiner speziellen Genese auch als Spur, nicht aber als ›indizio‹ (Indiz, Anzeichen) fungieren kann, cf. ECO (1973/1980), S. 53: »Infine Peirce chiama talora indici anche le fotografie (che parrebbero rientrare tra le icône): infatti una foto non solo rappresenta un oggetto, como può farlo un disegno, ma ne costituisce implicitamente anche la traccia e funziona come il cerchio di vino rimasto sul tavolo che testimonia la presenza (passata) di un bicchiere« [Hervorh. A. K., dt. Version: ECO (1973/1977), S. 62]. Allen Zeichen ist nach Eco gemein, dass sie – je nach Betrachtungskontext und »Designation« – gleichermaßen als Ikon, Index (ital. ›indice‹) und Symbol begriffen werden können. Ein Foto könne ein Index (indice) im Sinne einer Spur sein, die die Wahrhaftigkeit eines historischen Ereignisses bezeugt (ebd.), doch könne es nicht dem (eine gegenwärtige Kontiguität) erfordernden ›indizio‹ zugeschlagen werden. 60 I. O.: »L’index appelle à une relation spatiale actuelle (présence), alors que l’indice en appelle à une relation causale antérieure (l’absence).« LAUZON, Jean: La photographie malgré l’image, Ottawa: Les presses de l’Université d’Ottawa, 2002, S. 127 [Übers. und Hervorh. A.K.]. Siehe hierzu auch SOUTIF (1991), S. 76–77: »La question est d’impor-

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nötige also keineswegs die konstante Präsenz des Angezeigten. Es basiere vielmehr auf einer zeitlich-räumlichen Trennung zum verursachenden Moment. Demgegenüber sei der Index auf ein simultan sichtbares bzw. präsent gemachtes Objekt gerichtet. Jean-Marie Schaeffer, der sich sowohl mit Henri Van Lier (1983) als auch mit Umberto Ecos Zeichentheorie auseinandersetzt, kritisiert Aspekte beider Theoretiker: Er problematisert, dass Eco die Fotografie primär als ikonisches Zeichen sieht und dabei die Indexikalität (Schaeffer spricht einheitlich von »indicialité«61) der Fotografie unterschätze, die wiederum nur im Wissen um die fotografische »arché«

tance, en particulier pour ce qui nous intéresse ici, puisque dans un cas, celui de la contiguïté spatiale, la présence de l’objet est réquise, alors que dans l’autre, celui de la relation causale, c’est plutôt son absence qui l’est: Il est clair que lorsqu’il est visible, le feu n’a pas besoin d’être signifié par la fumée. En conséquence, Eco propose de nommer vecteurs d’attention les signes du premier type […]. Il serait non moins simple et plus conforme à la logique de la langue de réserver à ces ›vecteurs d’attention‹ l’appellation d’›index‹ et de nommer ›indices‹ les signes ou les représentations résultant d’une relation causale avec leur objet.« 61 Schaeffer versteht unter ›indicialité‹ den deduktiven Akt, der auf der Kenntnis des fotografischen Prozesses beruht. Siehe auch: SCHAEFFER (1987), S. 41. Es sei für jede Form indexikalischen* Schließens in der Fotografie erforderlich »que cette spécificité soit connu«. Die Diffusion der Fotografie im 19. Jahrhundert war von dem technisch-praktischen Wissen hinsichtlich ihrer Entstehungs- und Funktionsweise untrennbar (S. 44). Sieht man eine piktoralistische Aufnahme, die so stark bearbeitet ist, dass ihre Medialität gänzlich unbekannt ist (bzw. man sie für eine Zeichnung hält), dann erfolgt kein indexikalischer* Schluss. Dieser könne aber durch einen textuellen Hinweis, beispielsweise ›Fotografie/Gummi-Bichromat-Druck‹, wieder hergestellt werden. Wohlgemerkt erfordere die Deduktion implizit, dass wir Partizipierende sind in einem ›dispositif photographique‹ (S. 46), das diese Kausalitätsbeziehung propagiere. *Zu Schaeffers Begriffsverwendung: im Original lautet die Stelle ›indiciel‹ im Sinn von ›indexikalisch‹, gemäß der Peirce-Übersetzung Deledalles. Der Peirce-Forscher Gérard Deledalle bevorzugt im Französischen die Wörter »indice« und »indiciaire« – allerdings, um den semiotischen Fachterminus von den Zweitbedeutungen des französischen ›index‹ (›Zeigefinger‹, Klassifizierungsindex und ›Verzeichnis‹ verbotener Bücher) freizumachen – also keineswegs, um eine konzeptuelle Trennung wie etwa bei LAUZON (1998) anzuzeigen. Es sei an dieser Stelle betont, dass andere Peirce-Übersetzer im frankophonen Bereich (z.B. Claudine Tiercelin und Pierre Thibaud) im Gegensatz zu Deledalle am ambivalenten ›index‹ festhalten. Zur Frage der Benennung als ›indice/index‹ cf. auch DELEDALLE, Gérard: »Traduire Charles S. Peirce. Le signe: Le concept et son usage«, in: TTR: traduction, terminologie, rédaction, Bd. 3, H. 1, 1990, S. 15–29.

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funktioniere – also im Bewusstsein, dass es sich um eine Fotografie handele. Obschon Schaeffer die begriffliche Zweiteilung Van Liers in einen index (»Ordnung eines Zeigeakts«, »Ordnung der Zeichen«) und ein indice (»Nicht-Zeichen«, »weder intentional noch codiert«) zunächst nachvollziehbar findet, verwirft er diese. Er betont, dass dadurch das ›indice‹ erstens in Abgrenzungsschwierigkeit zum Abdruck (›empreinte‹) gerate und zweitens fälschlich als Nicht-Zeichen deklariert würde.62 Laut Schaeffer begehe Van Lier dabei einen zu Eco umgekehrten Fehlschluss: Während der Italiener die Fotografie als Zeichen sehe und daraus ableite, dass sie konventionsgebunden und intentional sein müsse (und daher Ikon sei), betone der Belgier, dass Fotos als ›indices‹ uncodiert und non-konventionell seien und daher allgemein keine Zeichen darstellten. Aufgrund dieser Problematik lehnt Schaeffer letztlich Van Liers Unterscheidung ab und spricht einheitlich vom ›indice‹ bzw. von ›indicialité‹ für das Gesamtkonzept des Index. Ob eine terminologische Differenzierung innerhalb der Peirceschen IndexKategorie sinnvoll oder gar notwendig ist, hängt zweifelsohne von der Fragestellung der jeweiligen Untersuchung ab. Je nach Einzelfall kann es vorteilhaft sein, den Index weiterhin als umfassendes Prinzip zu formulieren, dem sowohl deiktische Verweise als auch physische Kausalrelationen zugeordnet sind. So verwendet auch Philippe Dubois einen weitgefassten Begriff des Index (i. O. ›l’index‹), den er mithilfe eines vierteiligen Prinzips untergliedernd beschreibt.63 Den Ausgangspunkt

62 Ebd. S. 48–49: Das Indiz werde bei Van Lier zur »empreinte à identification immédiate«, also zum unmittelbar identifizierbaren Abdruck mit einer klaren Signifikation. Schaeffer widerspricht Van Lier hier – auf semiotischer Ebene sei das Foto ein ›indice‹ (das zwar »non-conventionnel« sei, aber dennoch ein Zeichen darstelle), auf materieller Seite hingegen bleibe es ein Abdruck. Die Frage der Identifizierung des eingeprägten Referenten habe widerum nichts mit dem Status des Bildes als Indiz (»image comme indice«) zu tun. Dem stimme ich zu, würde aber gerade hier Van Liers und Lauzons Definition von ›indexicalité‹ (Indexikalität) in Anschlag bringen, denn der indizielle Konnex mag gegeben sein, der Zeiger auf ein ›Das da!‹ funktioniert ohne Identifizierung eines Referenten aber nicht. Schaeffer hingegen verwirft die Teilung ›index‹/›indice‹ als reine »distinction de régime sémiotique«, die dem französischen ›index‹ eine konventionsgebundene und symbolische Signifikation zuweise, obschon die Interpretation von Fotografie weniger eine Frage der Bezeichnung (signification) als des Erkennens (reconnaissance visuelle) sei (S. 50). 63 Dubois nennt Peirce und Krauss als zentrale Referenzen. Von Letzterer grenzt er sich allerdings ab, indem er das indexikalische Prinzip in der Bildgeschichte vor der Fotografie ansetzt (S.115). Dies wird deutlich, wenn er einerseits mit Krauss das Photogramm als eine Art Prototyp der Fotografie an sich bezeichnet, andererseits aber u.a. die ›automatischen Silhouetten‹ von Hippolyte Charles um 1780 als Vorformen des Photogramms be-

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bildet hierbei das Prinzip der physischen Verbindung, dem er die drei weiteren Kategorien der Singularität, der Bezeichnung (»désignation«) und des Bezeugens (»témoignage/attestation d’existence«) zu- oder vielmehr: unterordnet.64 Für die vorliegende Untersuchung möchte ich diese Engführung von Deixis, Zeugnis und Kausalverweis allerdings nicht übernehmen, sondern stattdessen eine Spezifizierung vornehmen: So wird an jenen Stellen, an denen es einzig um den ›Lichteffekt‹ der Einzeichnung geht (ohne die abgeleiteten referenziellen Implikationen), der Term ›Indiz‹ im Sinne eines reinen Kausaleffekts verwendet. Der Index hingegen wird hiervon abgegrenzt. Er umfasst bereits die Auslegung durch einen Betrachter, der in der Identifikation von Gegenständen bzw. Formen sowie im Bewusstsein um den fotografischen Entstehungsprozess eine fingerzeigartige, letztlich auch ähnlichkeitsbasierte Referenz zur Wirklichkeit herstellt. Anwendung und Modifikation des ›indexikalisch-indiziellen‹ Konzepts Ein rein auf den Spuren- und Verweischarakter fokussierendes Modell ist bereits für unbearbeitete, realitätsverhaftete Momentaufnahmen nur bedingt brauchbar, räumt es doch dem Fotografen (und dem Rezeptionskontext) wenig Bedeutung im Bildgebungsprozess ein. Besonders problematisch ist es jedoch angesichts von Praktiken bewusster Inszenierung und Montage. Wird Fotografie auf ihre indizielle Anlage und ihre indexikalische Referenz reduziert, dann besteht die Gefahr, dass

zeichnet. Dass Dubois, dem ein Manuskript Henri VAN LIERS (1983) ebenso vorlag wie die Peirce-Übersetzung von Deledalle, nichtsdestotrotz den Term ›index‹ verwendet statt ›indice‹, mag auf verschiedenen Überlegungen basieren: Zum einen ist der kausale Abdruck für ihn gleichermaßen Spur/Hinterlassenschaft/Ablagerung wie auch Verweis im »sens digital« der Denotation, also im Sinne des Fingerzeigs, cf. DUBOIS (1983/1990), S. 48. Die bei Peirce angelegte Ambivalenz soll offenkundig beibehalten werden (cf. ebd., S. 72). Zum anderen distanziert er sich in zwei Fußnoten von Henri Van Liers Philosophie de la Photographie, dessen Differenzierung ihm irreführend erscheint (cf. ebd., S. 53, Fn. 31 und S. 106, Fn. 23). Es mag also eine Konsequenz hieraus sein, dass Dubois Spuren und Ablagerungen mit deiktischen Verweisen zusammenführt. Problematisch hieran erscheint, dass nach Peirces Zeichentheorie auch Demonstrativpronomina und -adjektive, z.B. ›Dies hier‹ oder ›dieses Haus‹, Indexe sind. Ist aber – wie es Dubois vorschlägt – das Grundprinzip des Index auf eine physische Verbindung bzw. Ursächlichkeit zurückzuführen, dann fallen sprachliche Zeichen aus der Definition (obschon Dubois selbst auf solche Deiktika verweist, cf. ebd. S. 73). Als zweiter problematischer Punkt fällt auf, dass der Autor unbegründet und in einem einzigen Zusammenhang den Begriff des ›indice‹ (›Indikation‹ in der deutschen Buchversion) verwendet, und zwar bezogen auf Rauch und Schatten, cf. DUBOIS (1983/1990), S. 46. 64 Cf. DUBOIS (1983/1990), S. 48 bzw. dt.: DUBOIS (1983/1998), S. 55.

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spezifische Bildstrategien, zentrale Bildaktanten und Kontexte aus dem Blick geraten, die gerade in einem pragmatischen, vom rezipierten Analyseobjekt selbst ausgehenden Ansatz wesentlich sind: Wenn beispielsweise die fotografierte ›Bildwirklichkeit‹ augenscheinlich künstlerisch durchdrungen, montiert oder verzerrt ist, wäre es vollkommen unzulänglich, diese Arbeiten einzig über ihr Verhältnis zu materiellen Referenten und Lichtreflexen beschreiben zu wollen. Gänzlich zu hinterfragen ist zumindest die Indizialitätsannahme dennoch nicht, da eine Referenz qua Aufzeichnungsprozess stets bleibt: Ohne eine vorgängige Präsenz, ohne Kontiguität mit Licht und Materie, gab und gibt es keine Fotografie im eigentlichen Sinn.65 Jedoch sollten insbesondere für inszenierte und manipulierte Fotografien auch die Rolle des Subjekts hinter (und vor) der Kamera, der Wahrnehmungskontext und vor allem die Assoziationsleistung des Betrachters berücksichtigt werden. Aus einer pragmatischen Perspektive gab es entsprechend in den letzten drei Dekaden mehrfach Ansätze, die Modelle der Fotosemiotik zu modifizieren, um neben der automatischen Lichteinschreibung auch weitere, je nach Einzelbild, Aufnahme- und Rezeptionskontext variierende Faktoren zu erfassen.66 Einen zentralen Anstoß liefert Dubois (1983), der sich von einem »Referenzialismus« à la Barthes distanziert67 und auch das Spurenmodell relativiert, indem er es in einem umfassenderen Komplex fotografischer Handlungen verortet. Maßgeblich wird so erstens das performative Gefüge des fotografischen Akts und zweitens der raumzeitliche Abstand zwischen dem angezeigten ›Das da‹ (Ça) der Fotografie und dem Rezipienten. François Soulages knüpft in Ésthétique de la Photographie (2005)68 ebenfalls kritisch an die Barthes’sche Konzeption69 an, die von einem wesenhaft-deiktischen

65 Fotografieähnliche Bilder wie »computer generated images« (also Bilder, die vollständig am Computer komponiert wurden) sind hier nicht inbegriffen, wenngleich sie oftmals ununterscheidbar wirken. 66 Bei DUBOIS (1983/1998) bleibt das rein indexikalische Moment lediglich im Vorgang des Ablichtens erhalten (also im Sinne eines ›indice‹ nach Lauzon und Van Lier), während vor- und nachbereitende Maßnahmen wie die Inszenierung und Montage als sekundäre Elemente klar abtrennbar werden. 67 Dubois’ Indexkonzept baut primär auf Krauss und Peirce auf. Von Barthes’ Referentialismus grenzt er sich hingegen kritisch ab: Denn letzterer laufe Gefahr, von der theoretischen Fallgrube der Mimesisannahme (Fotografie als Abbild) direkt in die nächste Sackgasse zu laufen, nämlich in einen verabsolutierten Referentialismus zum Realen, siehe DUBOIS (1983/1998), S. 53 bzw. i.O.: DUBOIS (1983/1990), S. 45. 68 SOULAGES, François: Esthétique de la photographie, Paris: Armand Colin, 2005. 69 Barthes betont, dass Fotografie ein einmalig stattgefundenes Hier und Jetzt einer stets schon verlorenen Existenz gleichermaßen anzeige wie auch wiederhole: »[E]lle répète mécaniquement ce qui ne pourra jamais plus se répéter existentiellement. […] [E]lle est

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Gestus ausgeht. Er betont, dass das »Ça a été« stets auch eine vorgebliche, gespielte Existenz, ein »Ça a été joué« (›Das wurde gespielt‹), implizieren kann. Denn oft sei unbekannt, ob eine festgehaltene Szene gegeben war oder ob sie eigens künstlerisch inszeniert wurde: »›Ça a été joué‹: Jedermann täuscht sich oder kann in der Fotografie getäuscht werden – der Fotografierte, der Fotograf und der Betrachter der Fotografie. Letzterer mag die Fotografie für ein Zeugnis des Wirklichen halten, auch wenn sie nichts anderes ist als das Indiz eines Spiels.«70

Deiktisch verweist die Fotografie also keineswegs auf eine eindeutig rekonstruierbare, natürliche Gegebenheit, zumal bereits die Annahme einer solchen per se problematisch ist. Das Lichtbild nährt sich vielmehr aus der Verschränkung (und reziproken Hervorbringung) von Spiel, Invention und Eindruck von ›Realität‹. Dabei geht jedoch der Entstehungskontext einer jeden Fotografie im Moment der Bildwerdung verloren und selbst der physische Referent bleibt einzig als Spur erhalten. So ist zwar die physikalische Indizialitätsbehauptung unantastbar. Die Evidenz- oder gar Authentizitätshypothese muss jedoch eingeschränkt werden: Das, was wir sehen, ist kein exaktes Abbild einer dem Bild vorgängigen, gegebenen Existenz. Vielmehr impliziert der Vergangenheitsverweis einen offenen Handlungsrahmen, in dem vor (und in) den Augen des Betrachters eine ›Wirklichkeit‹ generiert wird, die erst durch das Bild selbst existiert.71 Christian Metz, vor allem aber auch Philippe

le Particulier absolu, la Contingence souveraine, mate et comme bête, le Tel […], bref, la Tuché […]! Une photographie se trouve toujours au bout de ce geste; elle dit: ça, c’est ça, c’est tel! mais ne dit rien d’autre.« BARTHES (1980/2002), S. 792. [Zur hinsichtlich des letzten Satzes stark abweichenden deutschen Version cf. BARTHES (1980/1989), S. 12]. Die Fingermetapher greift Barthes mehrmals auf, ohne von Indexen zu sprechen, obschon er sich mit dem Begriff bereits 1964 (in derselben Heftausgabe von Communications, in der er auch Rhétorique de l’image publizierte) auseinandersetzt, cf. BARTHES, Roland: »Éléments de sémiologie«, in: Communications, H. 4, 1964(b), S. 91–135. 70 Ebd., S. 64 [Übers. A.K.]. Im Original: »›Ça a été joué‹: tout le monde se trompe ou peut être trompé en photographie – le photographié, le photographe et celui qui regarde la photographie. Ce dernier peut croire que la photographie est la preuve du réel, alors qu’elle n’est que l’indice d’un jeu.« 71 Nach Kolesch und Lehmann wird etwas »in Szene gesetzt, das ohne Inszenierung unsichtbar, ja inexistent bliebe«, cf. KOLESCH/LEHMANN (2002), S. 363. Geht man von einem erweiterten Inszenierungsbegriff aus, der sich nicht mit ›inszenierter Fotografie‹ erschöpft, sondern jedes bewusste Ins-Bild-Setzen impliziert, dann lässt sich diese Aussage auf die meisten Fotografien ausdehnen.

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Dubois betonen zudem, dass der fotografische Akt eine Geste des Heraustrennens bedeute: Es findet laut Dubois ein schlagartiger Schnitt (ein »coup de la coupe«) statt.72 Durch die Betätigung des Auslösers entschließe sich der Fotograf, »einen vollen, bereits ausgefüllten Raum mit einem Schlag aus einem Kontinuum herauszureißen«73, wobei dieses Kontinuum räumlich wie zeitlich zu begreifen ist. Aus einem solchen Heraus- und Ablösen von der Wirklichkeit74 resultiert schließlich ein Bild, das selbst zur Ablösung75, zum Substitut des ephemer Daseienden wird: Das fotografische ›Einstehen-für-ein-Anderes‹ gelingt insbesondere im Wissen um den physischen Entstehungsprozess: In der Rezeption wird das Foto kognitiv erneut mit seinem (oder auch nur mit einem) Referenten verbunden. Aufgrund dieses besonderen Doppelgestus von Absonderung und Welt-Vernabelung (ich insistierte eingangs auf einen Abstand trotz Lichtkontakts) gleicht die Bezie-

72 Christian Metz (1985/2004) betont den Umstand eines Schnitts in den realen Referenten (im Gegensatz zum als imaginär gedachten filmischen Referenten), der zur Fetischisierung des Herausgelösten führe. Die Verbindung von Fetisch und Schnitt sei darauf begründet, dass die ›Lexien‹ der Fotografie, d.h. die »gesellschaftlich üblichen Leseeinheiten«, die dem Abzug bzw. dem »unbewegten und stummen Stück Papier« entsprechen, im Vergleich zum zeitlich ausgedehnten Film klein seien (S. 215). Anders als beim Foto gelte für den Film, dass die Verbindung, die zwischen Bild und Referent bestehe, »weniger spürbar« sei, da unser Blick dem »Abrollen« (S. 217) der Bilder folge. Der Film weise sich durch das Prinzip eines »bewegbaren Rahmens« aus (S. 224). »Zwei Eigenheiten tragen […] dazu bei, eine gewisse Affinität zwischen Foto und Fetisch herzustellen: die geringe Größe und die Möglichkeit, den Blick zu fixieren. Der echte (klinische) Fetisch entsteht in gleicher Weise durch eine einmalige und endgültige Fixierung des Blicks, die ein ganzes Leben lang Geltung haben wird.« (ebd. S. 216), METZ, Christian: »Foto, Fetisch« (1985), in: WOLF, Herta (Hg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2004, S. 215–225, hier: S. 215–217. Dubois’ L’acte photographique umfasst wiederum ein Kapitel mit dem Titel »Le coup de la coupe […]«, das im französischen Wortspiel Schlag, Zug und Schnitt vereint, siehe DUBOIS (1983/1990), S. 151. In der deutschen Buchübersetzung wird diese Formel reduziert auf einzig den Schnitt. Erst an späterer Stelle wird der frz. ›coup‹ in Anschlag gebracht, allerdings zunächst mit einer Bedeutungsverengung auf den strategischen (Spiel)Zug, siehe DUBOIS (1983/1998), S. 158. Weitere Jeux de mots um das Schlagartige und Gezielte des Schnitts bleiben unübersetzt. 73 DUBOIS (1983/1998), S. 174. Frz. DUBOIS (1983/1990), S. 169. 74 Dubois spricht von einem »Abheben« oder »décollement«, cf. DUBOIS (1983/1998), S. 171 bzw. frz. DUBOIS (1983/1990), S. 166. 75 ›Ablösung‹ wird im Folgenden im doppelten Wortsinn verwendet als Abtrennung aus einem Gesamtkontext und als Substitution des Referenten durch sein Bild.

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hung zwischen Fotografie und Realität in gewissem Maße einer trügerischen Mise en abyme76: Das Bild scheint im verkleinerten Maßstab die Wirklichkeit zu spiegeln und zu ersetzen, es überlagert diese aber auch partiell, wodurch ein potenziell endloses Teil-Ganzes-Spiel erzeugt wird. Mit Pierre Huyghes Installationen und Fotografien der Billboard-Serie (1994–95) lässt sich diese Duplizität von Ablösung und Bindung bzw. Stellvertretung näher ausführen. Der französische Künstler hielt in den Billboards öffentliche Orte von einem definierten Standpunkt aus fotografisch fest. So zeigt beispielsweise eines der Billboards eine Baustelle an der Pariser Metro-Station Barbès-Rochechouart (Abb. 2.1/FT. 2). Huyghe engagierte zunächst Schauspieler, die für seine Fotografie als Bauarbeiter auftreten. In einem zweiten Schritt zog er das resultierende Bild auf eine großformatige 4 x 3 Meter messende Schautafel auf und platzierte es als ›Blow-up‹ in situ in der dargestellten Umgebung, wo es für Passanten und die realen Bauarbeiter an Barbès-Rochechouart gleichermaßen sichtbar wurde. Eingebettet in diesen verschobenen, doch ähnlichen Kontext fotografierte Huyghe in einem dritten Schritt das Billboard erneut, sodass ein Bild im Bild entsteht – ein reflexives Spiel, das an René Magrittes Serien der Beschaffenheit des Menschen (Condition Humaine) und der Schönen Gefangenen (La Belle Captive) erinnert, in welchen ebenfalls die Ambivalenz von Repräsentationssystemen77 thematisiert wird (Abb. 2.2/FT. 3).

76 Der Begriff, der v.a. bei André Gide als praktische Denkfigur verwendet wird, bezeichnet eine Verschachtelung identischer bzw. ähnlicher Elemente, bei der innerhalb einer Struktur eine Substruktur gebildet wird, die die Erste im Kleinen widerspiegelt. Da diese Reduplikation beliebig wiederholbar ist, impliziert sie einen regressus ad infinitum. Zur Übertragung des heraldischen Terms auf die Literaturwissenschaft bzw. Fotografie cf. DÄLLENBACH, Lucien: Le récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme, Paris: Seuil 1977; OWENS, Craig: »Fotografie en abyme« (1978), in: AMELUNXEN, Hubertus von (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 4: 1980–1995, München: Schirmer/Mosel, 2004, S. 64–80. 77 Die Funktion der Repräsentation ist die (Wieder-)Vergegenwärtigung des dargestellten Sujets. Repräsentation impliziert stets eine Präsenz-in-der-Absenz (oder zumindest: inder-Differenz). Eine umfassende Untersuchung findet sich bei Louis Marin. Dieser schreibt: »On trouve dans le dictionnaire de Furetière à la fin du XVIIe siècle, à l’entrée du verbe représenter, une remarquable tension qui met en travail son sens. Représenter signifie d’un côté substituer un présent à un absent – ce qui est, pour le dire en passant, la structure la plus générale de tout signe qu’il soit de langage ou d’image –, substitution qui se trouve réglée – nature ou convention – par une économie mimétique : c’est la similarité postulée du présent et de l’absent qui autorise lopération de substition. Mais il y a une autre signification selon laquelle représenter signifie exhiber, montrer, insister, présenter en un mot une présence. […] [T]oute représentation, tout signe ou procès représentationnel comprend une double dimension – dimension réflexive, se présenter; dimension tran-

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Abbildung 2.1/FT.2: Pierre Huyghe, Chantier Barbès-Rochechouart (Billboard, Paris), 1994, Offset-Druck, 80 x 120 cm. Abbildung 2.2/FT.3: René Magritte, Die schöne Gefangene (La Belle Captive, 1947), Öl auf Leinwand, 55 x 66,5 cm.

Durch Huyghes Vorgehen wird eine Art metonymischer Effekt sichtbar: Die Schautafeln repräsentieren fragmentarisch die Gesamtsituation, zu der sie in einer mutmaßlichen Teil-Ganzes-Beziehung stehen. Je nach Betrachterstandort verdecken sie einen Ausschnitt des umliegenden Raumkontexts, ergänzen und ersetzen diesen aber zugleich wie ein überdimensionales Puzzlestück. Ausschlaggebend ist jedoch, dass Huyghe in der genannten Arbeit eine tatsächliche Baustelle mit der inszenierten Fotografie einer Baustelle konfrontiert. Implizit einher geht mit dieser Gegenüberstellung eine temporale, mediale und epistemologische Differenz. Die realen Konstrukteure im Bild erster Ebene leisten eine Art ›Re-enactment‹ der zuvor agierenden Schauspieler im integrierten Bild zweiter Ebene. Anders formuliert: Die ›Realität‹ folgt hier dem ›Pre-enactment‹ der Bildwirklichkeit. Statt eines »Ça a été« präsentiert die Fotografie-im-Bild ein »Ça a été joué«, eine gespielte Bildwirklichkeit in François Soulages’ Sinne, die zugleich eine komplexe Zeitlichkeit eröffnet durch erstens die scheinbare Reaktualisierung im neuen Kontext, zweitens die indexikalisch-ikonische Bindung beider Szenen und drittens das abermalige Fotografieren. Der Umstand der Inszenierung ist dabei insofern relevant, als Huyghe, wie er selbst sagt, nicht einfach an einem Spiegelungseffekt des Realen interessiert war:

sitive, représenter quelque chose – et un double effet: l’effet de sujet et l’effet d’objet.« MARIN, Louis: »Mimésis et description« (Konferenzbeitrag Amsterdam 1987), in: Ders.: De la représentation, Paris: Gallimard/Le Seuil, 1994, S. 251–266, hier: S. 254–255.

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»I used actors because I wanted to […] introduce a certain amount of distance and, at the same time, to link what I was doing to a situation [...]. In doing so, I could pinpoint situations in day-to-day life, situations that will be repeated in time.«78

Chantier Barbès-Rochechouart führt auf einer reflexiven Ebene ein Charakteristikum der Fotografie vor Augen, das ich bereits in der Einleitung nannte: Auch wenn der Referent am Bild haften zu bleiben scheint, löst er sich faktisch von ihm. Im Intervall zwischen dem rezipierten Foto und der festgehaltenen Szene wird stets ein Raum des Ungewissen angelegt, der, wenngleich er oft hauchdünn erscheint, das Potenzial für Irreführungen, Sinnverschiebungen und betrachterseitige (Fehl-) Deutungen der Referenzbeziehung beinhaltet. Die Billboards demonstrieren, dass nicht der kausale oder indizielle Bezug automatisch den tatsächlichen Referenten erkennbar macht, sondern dass vielmehr Fotografien kognitive Assoziationsprozesse beim Betrachter initiieren, die wiederum auf Ähnlichkeit und/oder Vorwissen beruhen. Die integrierte Tafel verhält sich zu der umgebenden Baustellensituation mit den ›realen Arbeitern‹ prototypisch, nicht spiegelbildlich oder in einem physikalischen Sinne kausal. Sie ist ein inszeniertes Vor-Bild, auch zeitlich betrachtet, wird aber dennoch als Repräsentation und Reflexion der gegebenen Baustelle wahrgenommen. Es wird also eine Indexikalität erzeugt, die nicht auf der tatsächlichen Kontiguität beruht, sondern die primär Fingerzeig (Deixis) ist. 1.2 Fotografie als Konstrukt Den in Kapitel 1.1 zusammengefassten Theorien ist gemein, dass sie eine besondere Nähe des Lichtbilds zur Wirklichkeit annehmen – sei es im Sinne einer natürlichen Abbildhaftigkeit und/oder als physische Berührung. Doch insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren, also zu einer Zeit, in der sich die Fotografie über ihren Gebrauch in der Pop Art, Performancekunst, Conceptual Art und Land Art zunehmend in die zeitgenössische Kunst ›einrückte‹, mehrten sich fototheoretische Ansätze, die just die Unmittelbarkeitshypothese hinterfragten. Besonders angreifbar erschien dabei die Behauptung einer objektiv-fotografischen Widerspiegelung. Eine solche Ansicht hatte beispielsweise Roger Munier im Jahr 1963 vertreten: Er sah die Fotografie als »[...] ein vollständiges Zurücktreten vor dem Wirklichen, mit dem

78 HUYGHE, Pierre, in: CHALOIN, François: »Freed Time Scenarios. An Interview with Pierre Huyghe«, in: Cinéma, Cinéma, Ausst.-Kat. Stedelijk van Abbemuseum, Eindhoven, 1999, S. 87–89, hier: S. 87.

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sie sich deckt. Es ist die Welt als solche in ihrer unmittelbaren Wahrheit, die sie auf Papier oder auf dem Bildschirm reproduziert.«79 Ähnlich unkritisch hatte auch André Bazin behauptet, dass Fotografie, im Unterschied zur Malerei, objektiv sei und dass »[...] ein Bild der Außenwelt automatisch, ohne das kreative Eingreifen des Menschen«80 entstehe. Ihre Objektivität verleihe der Fotografie »eine Stärke und Glaubhaftigkeit, die jedem anderen Werk der bildenden Künste fehl[e]«.81 Dieser Wahrheits- und Objektivitätsgedanke wurde insbesondere in den 1970er Jahren kritisch reflektiert. Man verstand das Lichtbild nicht mehr als Abbild einer a priori gegebenen Wirklichkeit, sondern als selbst bereits medialisierte Wahrnehmungsmodalität.82 Eine gewichtige Rolle bei dieser Neubewertung spielte die Wahrnehmungsskepsis (post-)strukturalistischer und konstruktivistischer Ansätze sowie die Frage, ob Bilder überhaupt in der Lage sein könnten, einen objektiven Zugang zur Wirklichkeit zu gewähren. Bereits das Sehen per se galt als subjektiv und ideologisch geprägt, sodass der Begriff visueller Objektivität generell fragwürdig erschien. Theoretische Abhandlungen von Susan Sontag, Hubert Damisch und Pierre Bourdieu greifen diese Aspekte auf und hinterfragen die mutmaßliche

79 Zit. u. ins Dt. übers. in DUBOIS (1983/1998), S. 32. Cf. MUNIER, Roger: Contre l’image, Paris: Gallimard, 1963, S. 11: »La photographie est total effacement devant le réel avec lequel elle coïncide. C’est le monde tel qu’il est, en sa vérité immédiate qu’elle reproduit sur le papier ou sur l’écran«. An anderer Stelle betont Munier in einem ähnlich unerschütterlichen Realitätsglauben, der zugleich die Bildmacht der Fotografie zum Ausdruck bringt: »La photographie ne parle du monde qu’en lui cédant la parole. Au discours sur le monde, elle substitue l’apparition simple des choses, une sorte de ›discours‹ du monde. Dans la photographie, le réel n’est plus seulement re-présenté comme dans la peinture ou le dessin, il est vraiment re-produit, j’entends produit à nouveau sous nos yeux, hantant de sa présence la surface grise ou colorée.« MUNIER, Rogier: »La séduction des images«, in: Le Portique, H. 12, 2003, online: http://leportique.revues.org/569 [eingesehen am 21.10.2014]. 80 BAZIN (1945/1981), S. 260–261. 81 BAZIN (1945/1981), S. 261. 82 Cf. SONTAG, Susan: »Die Bilderwelt« (1977d), in: Dies.: Über Fotografie (1977a), Frankfurt a. M.: Fischer, 1989, S. 146–172, hier: S. 157: »[n]icht die Realität wird durch Fotografieren unmittelbar zugänglich gemacht; was durch sie zugänglich gemacht wird, sind Bilder.«Vgl. auch Andy Grundberg, der betont, dass die Kamera in der Lage ist, »believable fictions« zu schaffen, sodass die spannendsten Arbeiten »simultaneously true and false, authentic and fictional« seien, GRUNDBERG, Andy: Crisis of the Real: Writings on Photography Since 1974, New York: Aperture, 1999, S. X (Introduction).

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Unmittelbarkeit und Uncodiertheit des Lichtbildes bzw. der Wirklichkeit.83 Ähnlich betonen auch Jean-Louis Baudry84 (bezogen auf Filmbilder) und Joel Snyder85, dass das durch den optischen Apparat erzeugte Bild nur deshalb real erscheine, weil es einem uns vertrauten System der Raumkonstruktion entspreche, das u.a. durch die Zentralperspektive bestimmt sei. Der Realitätseffekt der Fotografie basiere daher nicht einfach auf der Kontiguität von Licht und Materie, sondern auch – wenn nicht sogar noch mehr – auf einer Verschränkung von Konventionen und Wahrnehmungsweisen.86

83 BOURDIEU, Pierre: Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie (1965), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983, insb. S. 85–86:»[D]ie Photographie ist ein konventionelles System, das den Raum nach den Gesetzen der (genauer: einer) Perspektive […] abbildet.« 84 BAUDRY, Jean-Louis: »Cinema. Effets idéologiques produits par I’appareil de base«, in: Cinéthique, H. 7/8, 1970, Paris, S. 1–8; vgl. auch Ders.: »Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks« (1975), in: RIESINGER, Robert F. (Hg.): Der kinematographische Apparat. Geschichte und Gegenwart einer interdisziplinären Debatte, Münster: Nodus, 2003, S. 27–39. 85 SNYDER, Joel: »Sehen Darstellen« (»Picturing Vision«, 1980), in: KEMP (1983), S. 274– 280, hier: S. 275: »Zunächst einmal muss gesagt werden, dass wir das, was auf diesem Bild gezeigt ist, niemals in der Weise sehen konnten [...]. Erstens nämlich ist unser Gesichtskreis nicht rechteckig umgrenzt [...] Die Fotografie zeigt von einem Rand zum anderen alles in scharfen Umrissen, während wir aufgrund der Beschaffenheit unserer Augen nur im ›Zentrum‹ unseres Gesichtskreises scharf sehen.« Dass wir dennoch Fotografien als realistisch wahrnehmen, liegt laut Snyder daran, dass die Kamera »den Status einer natürlichen Maschine eingenommen [hat]« (S. 280–281). In einem jüngeren Aufsatz (2016) betont Snyder sein Widerstreben gegen fotografische Metaphern, die sich seit Jahrzehnten ungebrochen halten und eine Unmittelbarkeit oder gar einen Wirklichkeitskontakt des Lichtbilds suggerieren, cf. SNYDER, Joel: »Photographie, ontologie, analogie, compulsion«, in: Études photographiques, H. 34, 2016 (›Que dit la théorie de la photographie?/Interroger l’historicité?‹), Online: https://journals.openedition.org/etudesphoto graphiques/3589 [eingesehen am 16.12.2016]. 86 Die u.a. von Peirce und Talbot im 19. Jahrhundert vertretene Ansicht, die Ähnlichkeit der Fotografie rühre aus deren physischen Bedingungen, die wiederum eine Kongruenz mit dem Original erzwingen würden, ist zu relativieren: Erstens wird unsere Bereitschaft, Similarität anzuerkennen, von kulturellen Erfahrungen und Diskursen bedingt. Und zweitens führt die Technik der Fotografie keineswegs zwangsläufig zu einer Ähnlichkeit mit der uns vertrauten Wirklichkeit, wie sich am Beispiel von Effekten des Lens Flare und der Solarisation verdeutlichen lässt. Cf. MILES, Melissa: »The Burning Mirror: Photogra-

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Indem diese kritischen Modelle die Gemachtheit von Bildern und Wahrnehmung betonen, stellen sie einen wichtigen Hintergrund dar für die Interpretation inszenierter Fotografien. Realität und Fiktion konvergieren in die- Abbildung 3: Duane Michals, Madame ser Bildklasse, sie durchdringen Schrödinger’s Cat, 1998, (3 Silbergelatineund vermischen sich. Bildwelten Abzüge mit Text), je 12,7 x 17,8 cm. werden eigens hervorgebracht und keineswegs einzig abgebildet und indiziert. Beispiele, an denen sich das konstruktive Moment fotografischer Mises en scène herausarbeiten lassen, sind die Arbeiten des Künstlers Duane Michals. Der Amerikaner inszeniert Bildwelten, die ihren eigenen Realitätsgehalt in Frage stellen. Durch die Verknüpfung von Einzelbildern zu narrativen Sequenzen bewirkt er eine Verschachtelung von Darstellungsebenen. Der Betrachter wird dabei mit dynamischen Grenzverschiebungen zwischen Bild und ›Jenseits-desBildes‹ konfrontiert, sodass der eigene Standpunkt im ›Off‹ der Fotografie hinterfragt wird. Besonders deutlich wird diese Kopplung von Realitäts- und Fiktionsraum in Michals Bildsequenz Madame Schrödinger’s Cat aus dem Jahr 1998 (Abb. 3). Sie besteht aus drei Schwarzweiß-Fotografien mit handschriftlichem Text. Auf dem ersten Bild in Nahsicht zu sehen ist die Rückenfigur einer Frau, die an einem Tisch vor einem geschlossenen Karton sitzt. Die Box balanciert auf der Tischkante und wird durch die gezielte, von der Bildmitte ausgehende Lichtführung visuell hervorgehoben. Der spielerisch den Bildrand umlaufende Text gibt an, dass die Fotografierte Madame Schrödinger sei, die überlege,

phy in an Ambivalent Light «, in: Journal of Visual Culture, Bd. 4, H. 3, 12/2005, S. 329–349, hier: S. 329.

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»if her missing cat is or is not inside the box.« Der Betrachter wird dazu verleitet, diesen Gedankengang zu übernehmen, sind doch in der Tat eine Frau und eine Kiste, nicht aber das vermisste Haustier zu sehen. Gleichwohl steht außer Frage, dass der Rezipient mit dieser Vermutung zum Komplizen einer fiktiven Narration wird. Das zweite Foto zeigt aus einer modifizierten Perspektive und in halbnaher Einstellungsgröße erneut die Frau und den verschlossenen Karton, der nun seine Position auf dem Tisch gewechselt hat und selbst zur Quelle des bildzentralen Lichts wird. Schrödinger steht diesmal frontal neben bzw. hinter der Kiste, von der sie angestrahlt wird. Auch in der Bildunterschrift vollzieht sich ein Perspektivwechsel: »The cat which may or may not be inside the box wonders if Madame Schrödinger is or is not outside the box.« Die nur hypothetisch dort befindliche Katze überlegt also, ob sich Schrödinger außerhalb des Kartons befinden könnte. Diese reflektorische Verstrickung kulminiert schließlich in der abermaligen Naheinstellung des dritten Bilds, in dem die Kiste geöffnet ist und eine getigerte Katze ihren Kopf herausstreckt. Tier und Besitzerin blicken direkt aus dem Foto und überlegen laut Bildlegende, »what the probabilities are that at this moment you [der Betrachter] are reading this«. Es handelt sich hier, wie auch bereits im Serientitel, um einen Seitenhieb auf die Wahrscheinlichkeitsexperimente des Physikers Erwin Schrödinger.87 Zugleich werden die Grenzen von Bildwirklichkeit und Rezeptionsebene hinterfragt: Der Betrachter, der sich per definitionem jenseits der Fotografie befindet, wird paradoxerweise von Madame Schrödinger und ihrer melierten Katze adressiert und zu deren Imaginationsgegenstand ›erhoben‹. Michals greift in dieser Arbeit einen Topos auf, der bezeichnend ist für medientheoretische Diskurse ab den 1960er Jahren: die Rahmenverschiebung und Verschachtelung von Realität und Bildwelt. Diese Thematik spiegelt sich in einer Vielzahl künstlerischer Arbeiten der letzten Dekaden wider, u.a. auch in einigen Fotografien Sam Taylor-Johnsons, die ich an späterer Stelle untersuchen werde. Zugleich manifestiert sich in Michals’ Bildanlage, dass der Betrachter keineswegs einen klar abgetrennten Standpunkt im Off des Bildes einnimmt, sondern dass er vom Werk ›mitgedacht‹ wird und umgekehrt dieses auch durch das Auffüllen von Leerstellen selbst aktiv mitkreiert. 1.3 Verflechtungen. Fotografie als Akt und ›Intertext‹ Die bisherige Einteilung in ›konstruktivistische‹ und index- bzw. abbildorientierte Ansätze war stark vereinfachend: Zwischen den ›idealen Endpolen‹ einer radikalen

87 Der Titel spielt auf einen theoretischen Versuch der Quantenphysik an. Die Bildlegenden referieren somit auch auf einen Zwischenzustand zwischen Sein und Nicht-(Mehr-)Sein im Experiment »Schrödingers Katze«.

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Konstruktionshypothese und einer realitätsgläubigen Fototheorie finden sich verschiedenste fotografische Praktiken und Diskurse. Bereits im Kapitel 1.1 wurde ein gewichtiges Feld angedeutet, das semiotische und kommunikationswissenschaftliche Modelle vereint und Fotografie als Wirklichkeitsentwurf betrachtet, ohne jedoch ihren Weltbezug abzustreiten. Zu dieser Richtung lassen sich Yves Michaud88, John Tagg, Philippe Dubois, Jean-Marie Schaeffer sowie das Umfeld der strukturalistischen Groupe µ in Liège zählen.89 Diese »gegen den Diskurs der Mimesis und der Transparenz polemisierenden«90 Autoren argumentieren, dass Fotos in kultureller, ästhetischer, technischer und kommunikativer Hinsicht codiert und mediatisiert sind – mit der Einschränkung, dass einige Autoren, so etwa Jean-Marie Schaeffer und Philippe Dubois, das indizielle Moment der Lichteinzeichnung selbst als unvermittelt betrachten. Weder wird also der ›Wirklichkeitsanspruch‹ der Fotografie verabsolutiert, noch wird das lichtbildnerische Operationsgefüge als simulakrenerzeugende Illusionsmaschinerie betrachtet. Letztlich werden lediglich die mutmaßliche Objektivität und Unmittelbarkeit hinterfragt,91 nicht aber die Referenz

88 Yves Michaud widersetzt sich der Annahme, Fotografie spiegle die Wirklichkeit wider und bilde ein Analogon des Realen. vgl. MICHAUD, Yves: »Formen des Schauens. Philosophie und Fotografie« (1994), in: FRIZOT, Michel (Hg.): Neue Geschichte der Fotografie, Köln: Könemann, 1998, S. 730–738, hier: S. 736. 89 Zu den Mitgliedern zählten Philippe und Jacques Dubois, Jean Marie Klinkenberg, Francis Edeline und Philippe Minguet. Lauzon betont, dass die Groupe µ gemäß ihres Traité du signe visuel (1992) von einem »modèle global du décodage visuel« ausgehe und, ähnlich wie etwa Michel Imbert, die Wirklichkeit aus einem Wechselspiel »des percepts et des concepts« ableite, cf. LAUZON (2002), S. 65–66. 90 DUBOIS (1998), S. 41. Dubois ordnet auch Eco in diesen Kontext, obschon dieser weniger über den Kausalbezug als über die Ähnlichkeit mit dem Realen argumentiert. Er konstatiert, dass Fotografien keineswegs notwendig wahr sind. Vielmehr sei es »indispensable to cast in doubt their presumed ›innocence‹, to discuss their cultural origin, the nonnaturality of their supposed causal relation with the referent.« ECO, Umberto: Semiotics and the Philosophy of Language, Bloomington, IN: Indiana University Press, 1984, S. 226. 91 So betont etwa Siegfried Kracauer die Vereinbarkeit des Glaubens an die Wirklichkeitsnähe mit der Anerkennung der Konstruiertheit. Ein Foto sei nie ein Spiegel der Natur, da wir das Geschehen stets ordnen, gliedern und »Formkategorien des Wahrnehmens« anwenden. Diese Formgebung gerät jedoch nicht zwangsläufig mit der realistischen Tendenz in Konflikt, sofern der Vorsatz des Fotografen zur Naturwiedergabe gewahrt bleibt. KRACAUER, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit (1964), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, S. 40.

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auf eine subjektiv verstandene und/oder technisch vermittelte Realität. So trägt beispielsweise Philippe Dubois (1983/1998) dem Umstand Rechnung, dass »das Prinzip der Spur, so wesentlich es auch sein mag, nur ein Moment im gesamten fotografischen Ablauf ist. Denn vor und nach diesem Moment der natürlichen Einschreibung der Welt auf die lichtempfindliche Fläche gibt es zutiefst kulturelle, codierte, gänzlich von menschlichen Entscheidungen abhängige Gesten [...].«92

Entsprechend spielt für Dubois hier zwar einerseits der Gestus der Berührung nach wie vor eine wichtige Rolle, andererseits distanziert er sich aber von einem Referenzialismus à la Munier oder Barthes.93 Er betont vielmehr, dass das fotografische Urmoment der Spur direkt von weiteren Akteuren der Bildproduktion eingeholt werde.94 Dubois’ zentraler Unterschied gegenüber einem naiven Wirklichkeitsverständnis der Fotografie ist also, dass das Lichtbild nicht als codefreier Abzug eines gegebenen Seins betrachtet wird, sondern vielmehr als relationales, performatives Gefüge aus verschiedenen Konstitutiven. Weniger bei Dubois als stattdessen bei Tagg 95 wird zudem die ideologische Konditioniertheit der Fotografie reflektiert sowie die Verstrickung in sprachliche Zeichensysteme betont. Gemäß einer solchen Konzeption ist das Fotografische nicht isoliert, sondern als Teil eines umfassenderen Repräsentationsgefüges zu untersuchen. Aus einer hieran anschließbaren Perspektive reflektiert Victor Burgin das Verhältnis von Fotografie und Wirklichkeit. In seinem Aufsatz Looking at Photo-

92 DUBOIS (1983/1998), S. 54. Frz. Version DUBOIS (1983/1990), S. 47. 93 Laut Dubois können Fotos allein im Augenblick der Belichtung als »reine Spur eines Aktes (als ›Botschaft ohne Code‹) angesehen werden«, während das Lichtbild im Allgemeinen von weiteren Parametern geprägt sei. DUBOIS (1983/1998), S. 55. Frz. Version DUBOIS (1983/1990), S. 47. 94 Dubois’ Modell baut primär auf dem Indexkonzept bei Peirce (und bei Krauss) auf. Von Barthes möchte er sich kritisch abgrenzen: Denn dieser laufe Gefahr, von der theoretischen Fallgrube der Mimesisannahme (Fotografie als Abbild) direkt in die nächste Sackgasse zu laufen: in einen Wahn des Referenzialismus, siehe DUBOIS (1983/1998), S. 53 bzw. DUBOIS (1983/1990), S. 45. 95 Tagg streitet keineswegs die »indexical nature of the photograph – the causative link between the pre-photographic referent and the sign« ab, betont aber die Komplexität dieser Eigenschaft und den Umstand, dass der Referenzbezug »can guarantee nothing at the level of meaning«. Zugleich unterstreicht er, in Auseinandersetzung mit Foucault und Althusser, dass auch Fotografien von Machtsystemen und Ideologien geprägt und codiert sind. TAGG, John: The Burden of Representation. Essays on Photographies and Histories, New York City, NY: Palgrave Macmillan, 2002, S. 3.

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graphs (1982) spitzt er poststrukturalistische Ideen für das Fotografische zu: Lichtbilder seien niemals frei von Texten im engeren wie im erweiterten Sinne. Ihnen eingeschrieben seien stets Ideologien, psychoanalytische und machtpolitische Implikationen, sozioökonomische Kontexte und auch ganz wörtlich: Sprache. Fotografien bezeichnet er als »texts inscribed in terms of what we may call ›photographic discourse‹ […]«. Sie seien »[…] the site of a complex ›intertextuality‹, an overlapping series of previous texts ›taken for granted‹ at a particular cultural and historical conjuncture. These prior texts, those presupposed by the photograph, are autonomous; they serve a role in the actual text but do not appear in it, they […] may only be read across it ›symptomatically‹ […].«96

Wenngleich Burgin den Term ›Intertextualität‹ nicht näher definiert, lässt sich aus seinen weiteren Ausführungen erschließen, in welchem Sinn er ihn gebraucht: Er betrachtet Fotografien als Elemente, die Wechselwirkungen eingehen mit anderen, ebenfalls als ›Intertexte‹ bezeichenbaren Entitäten, die gewissermaßen präsent-absent sind als psychologisch-ideologische Hintergrundfolien oder als Symptomursachen. Burgins Begriffsverwendung weicht in erheblichem Maße von der Definition in vorliegender Untersuchung ab: Hier wird ›Intertextualität‹ – wie auch bei Danièle Méaux97 – primär als mnemonisch und vergleichend erfahrbare Referenzbeziehung verstanden, die zwischen einem potenziell endlosen Geflecht von Artefakten bzw. ihren gespeicherten Erinnerungsbildern gegeben ist. Institutionelle und soziopolitische Rahmungen werden dabei nicht als ›Intertexte‹ begriffen, sondern als Suprastrukturen oder dispositive Anlagen. Gegenüber Burgin fasse ich den Textbegriff enger, wenngleich insbesondere in den letzten drei Dekaden vermehrt eine nochmals stärker eingeschränkte Konzeption gefordert wurde, die nur sprachliche Texte einbezieht: Seit Mitte der 1980er Jahre bzw. in den 1990er Jahren wurden in je unterschiedlichen Disziplinen Alternativkonzepte zur Intertextualität herausgebildet, angefangen bei der Intermediali-

96 BURGIN, Victor: »Looking at Photographs« (1982), in: Ders. (Hg.): Thinking Photography, London: Macmillan, 1982, S. 142–153, hier: S. 144 [Hervorh. A.K.]. 97 Cf. MÉAUX (1997), S. 139, die betont, dass Intertextualität das Gesamtgefüge kultureller Produkte (Bilder, Textpassagen, Bildlegenden etc.) umfasse, mit denen ein fotografischer Abzug (»cliché«) eine latente Verbindung unterhält: Es könne nur dann von Intertextualität gesprochen werden, wenn eine Fotografie auf evidente Weise eine oder mehrere »œuvres préexistantes« evoziere. Méaux präzisiert an dieser und an anderer Stelle die Rolle des Rezipienten im Kontext der Intertextualität (S. 139 u. 218).

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tätstheorie bis hin zur Interpiktorialitäts- und Interikonizitätstheorie.98 Gewiss täte man diesen Modellen Unrecht, würde man ihre jeweiligen Fragestellungen als reine Variation der Intertextualität betrachten. Denn durch die Substitution des Terminus ›Text‹ durch beispielsweise den des ›Mediums‹ wäre nicht viel gewonnen, reflektierten die Theoretiker dabei nicht auch den Begriff der Medialität selbst, um zu einem Konzept zu gelangen, das sich der ständigen Umformungsprozesse von Medien (und ihren konventionsbedingten Grenzziehungen) bewusst ist. Dies ist aber nicht das Hauptziel der vorliegenden Arbeit, die primär auf die rezeptionsästhetische Seite von Referenzbeziehungen und die Temporalität erinnernden Sehens fokussiert – ohne indes Aspekte der Medialität und Remediation auszublenden. Aus einer anderen Perspektive erscheint auch die Reduktion auf Bilder im Zuge u.a. der Interpiktorialitätstheorie als methodischer Fallstrick, wenn dabei die Verflechtung von sprachlichen und nichtsprachlichen Artefakten außer Acht gerät. So sind die genannten Alternativkonzepte einzig sinnvoll, wenn sie jenseits einer disziplinären Einverleibungsstrategie (hier: in die Medienwissenschaft, dort: in die Kunstwissenschaft) einen methodischen Zugewinn für konkrete Fragestellungen bedeuten.99

98 Cf. SCHRÖTER, Jens: »Intermedialität. Facetten und Probleme eines aktuellen medienwissenschaftlichen Begriffs«, in: montage/av, H. 7, 2/1998, S. 128–154, der betont, dass die spezifische Begriffsprägung ›Intermedialität‹ wahrscheinlich erstmals bei Hansen-Löve 1983 formuliert wird (S. 129). Was genau ›Intermedialität‹ ist, wird in den 1990er Jahren sehr unterschiedlich bewertet, Cf. z.B. WAGNER (1996); PAECH, Joachim: »Intermedialität. Mediales Differenzial und transformative Figurationen«, in: HELBIG, Jörg (Hg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets (1998), London: Turnshare, 2009, S. 14–38. Zur Interpiktorialität und Interikonizität siehe ROSEN (2003), ZUSCHLAG (2006) und ISEKENMEIER (2013a). 99 Gelshorns Skepsis gegenüber einigen Neologismen teile ich. Die Kunsthistorikerin betont, dass im Bereich der Interbildlichkeits- oder Interpiktorialitätsforschung oft nicht mit der notwendigen inhaltlichen Trennschärfe vorgegangen werde: »Statt allerdings von den Problemen einer Übertragung von sprach- und textspezifischen Modellen auf visuelle Werke auszugehen, wird zuerst versucht, einen neuen Oberbegriff zu kanonisieren: So wähnen wir uns – noch bevor eine Reflexion darüber eingesetzt hat, ob es überhaupt eine Theorie der ›Bezüglichkeit‹ von Kunst- und Bildwerken geben kann – mit einer bloßen Umbenennung nicht nur bereits ›auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität‹, sondern wir finden auch die Begriffsvariante der ›Interpikturalität‹ […] – selbstverständlich immer in ›Abgrenzung‹ zu Intertextualitätstheorien, die uns nur als Steinbruch dienen, aus dem wir uns Begriffe oder Konzepte herausgreifen […].« GELSHORN, Julia: »›Interikonizität‹«, in: Kritische Berichte, Bd. 35, H. 3, 2007, S. 53–58, hier: S. 55. ISEKENMEIER

(2013b) und FALKENHAUSEN (2013) reagieren je unterschiedlich auf solche Vor-

behalte. Ersterer vermutet eine kunstgeschichtliche Abwehrhaltung: Verkannt werde der

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Wenn in der vorliegenden Untersuchung von der Intertextualität fotografischer (Re-)Inszenierungen die Rede ist, geht es um die Beschreibung von Relationen, die nicht in einem technisch-materiellen, kategorialen oder kommunikationswissenschaftlichen Medienbegriff100 aufgehen, sondern die wahrnehmungsseitige Konfi-

»terminologisch[e] Charakter des Problems bzw. die forschungslogische Funktion des Begriffs.« Er beharrt auf der Notwendigkeit des Terms der ›Interpiktorialität‹, um von diesem ausgehend die »basismediale[n] Differenzen von Sprache/Text und Bild« zu reflektieren (S. 23 und 38). Eine solche Darstellung tendiert jedoch erstens dazu, Begrifflichkeiten statisch als objektive Gegebenheiten zu behandeln, zweitens scheint sie bemüht, mit einer quasi-chirurgischen Trennschärfe Sprache und Bild – losgelöst vom konkreten Analysegegenstand – zu separieren, wie etwa Isekenmeiers Auslegung des Verhältnisses von Bildtitel und Bild belegt (cf. S. 27). Differenzierter erscheint Susanne von Falkenhausens Ansatz: Sie könne Gelshorns »Aufforderung […], erst einmal theoretische Fundamente zu legen, bevor neue Dachbegriffe wie Interikonizität aus der Taufe gehoben werden, […] gut verstehen […].« Der Begriffsdschungel der Inter/*/itäten habe »aber sicher auch damit zu tun, dass keine Klarheit über die im Hintergrund gleichsam schwelenden Erkenntnisziele geschaffen wird.« FALKENHAUSEN, Susanne von: »Neue Fragen in altem Gewand? Die alte Tante Kunstgeschichte und die Interpiktorialität«, in: ISEKENMEIER

(2013a), S. 107–122, hier: S. 109. Von Falkenhausen distanziert sich vom »hüb-

schen Begriff der ›Eigenlogik‹ der Bilder« (S. 108). Letztlich seien Bilder an sich zu unterschiedlich, weshalb sie fallorientiert arbeiten möchte. Dabei gilt, dass die »Einheiten, welche benannt werden, […]vom Erkenntnisinteresse« abhängen (S. 106). 100 Elleström konstatiert, dass beispielsweise McLuhans Begriff von Medien als Verlängerungen bzw. Prothesen des Menschen zu weitläufig sei, um für Phänomene des Intermedialen in Anschlag gebracht werden zu können, umfasst er doch u.a. auch Geld und Kleidung. Im Allgemeinen seien Medien Vermittlungskanäle von Informationen und Unterhaltung. Cf. ELLESTRÖM, Lars: »The Modalities of Media: A Model for understanding Intermedial Relations« (2010b), in: Ders. (Hg.): Media Borders. Multimodality and Intermediality, New York/Basingstoke: Palgrave Macmillian, 2010a, S. 11–48, hier: S. 24. Jacques Rancière betont wiederum die Ambivalenz des Medienbegriffs. Dieser erschöpfe sich weder im Konzept des ›Vermittelnden‹ (»intermédiaire«) und ›Zwischengeschalteten‹ (»ce qui se tient entre«) eines ›Mittels zum Zweck‹, noch in der modernistischen Annahme einer spezifischen Materialität, die das Artefakt in seinen Formmöglichkeiten gänzlich vorbestimme. Im Medienbegriff sieht Rancière die Möglichkeit, über die Idee des Apparats hinauszugehen, um in einem zweiten Schritt durch die Einführung des Terms der Medialität dann auch das Medium seiner mutmaßlichen Essenz zu entledigen. Da die Multiplikation der Apparate ins Unermessliche wachse, lasse sich heute »eine Medialität ersinnen, die den Teleologien des dominanten Zwecks [fin] ebenso entkommt wie jenen des Mittels, das den Zweck verschlingt [du moyen dévorant

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gurationen in und jenseits von konventionellen ›Medientypen‹ umfassen. Keineswegs soll durch den mehrdeutigen Textbegriff der Anschein erweckt werden, dass sich Fotografien durch Analogiebildungen zum schriftlichen Text semantisch bändigen lassen würden. Denn Bilder entziehen sich teils der Bestimmbarkeit durch Sprache101 und verändern, stärker noch als Wörter, je nach Betrachtungskontext ihren Gehalt. Hingegen soll in der Begriffswahl deutlich werden, dass es mir um Wechselwirkungen und Ähnlichkeiten in der Funktionsweise beider Gefüge geht: Bild wie Sprache setzen eine kognitive Übertragungs- und Sinngebungsleistung voraus, die von kulturellen, kontextuellen und subjektiven Aspekten geprägt ist. Das Präfix ›Inter‹ zeigt hierbei das Miteinander der referenziell verflochtenen Glieder an, die durch Überlagerungen von Erinnerung und Wahrnehmung kopräsent erscheinen. Welchen Zugewinn verspräche nun eine solche Perspektive gegenüber Modellen, die speziell für (Licht-)Bilder entwickelt wurden? Eine Orientierung an Intertextualitätsmodellen stellt zunächst in Aussicht, dass sich polyreferenzielle Verweismodelle ableiten lassen, die den komplexen Relationen gegenseitiger Hervorbringung Rechnung tragen. Verbunden mit fototheoretischen Ansätzen böte sich die Möglichkeit, das Lichtbild jenseits der reinen Spur oder des Abbilds als Konstrukt zu betrachten, das immer schon in Deutungsmuster, Bildschemata, sprachliche und technische Parameter wie auch kulturelle Vorgaben eingeschrieben ist, die es zugleich aktiv fort- und umschreibt. Gleiches gilt für die Bildinterpretation, die sich im Regelfall nicht in der Konstatierung ›Hier war Licht am Werk‹ erschöpft: Vielmehr werden Begleittexte mitgelesen, Ähnlichkeiten zu realen Objekten und Artefakten gesucht, Vergleiche gewagt, Erinnerungsbilder aus dem Gedächtnis zitiert usw. Bei der Bewertung dieser Analogien würden die tradierten kunstgeschichtlichen Modelle zu kurz greifen, da sie zumeist von einer Singularität bzw. Eindeutig-

la fin] – eine Medialität, die weder eine Idee der Souveränität der Kunst wiedereinführt noch eine Idee der Auflösung der Kunst in der technischen Welt.« RANCIERE, Jacques: »Ce que ›medium‹ peut vouloir dire. L’exemple de la photographie« (2008a), in: Appareil [Online-Ausgabe], H. 1, 2008, n.p. online: http://appareil.revues.org/135 [eingesehen am 10.03.2015] [Übers. A.K.]. 101 Cf. u.a. MITCHELL, W.J.T.: What do Pictures want? The Lives and Loves of Images, Chicago: University of Chicago Press, 2005 sowie DIDI-HUBERMAN, Georges: »Die Kunstgeschichte in den Grenzen ihrer einfachen Vernunft«, in: Ders.: Vor einem Bild [frz. Devant une image, 1990], München: Hanser, 2000, S. 19–61; sowie Ders.: »Die Frage des Details, die Frage des pan« (1986), in: FUTSCHER, Edith/NEUNER, Stefan/PICHLER, Wolfram u.a. (Hg.): Was aus dem Bild fällt. Figuren des Details in Kunst und Literatur, München: Fink Verlag, 2007, S. 43–85.

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keit der Bezüge ausgehen102 und das spezielle Referenzmoment der Fotografie unberücksichtigt lassen. Die Intertextualitätstheorie operiert hingegen jenseits der ikonografischen Sinnund Ursprungssuche103 und verneint die Annahme einer einfachen Beeinflussung oder Aneignung vorgefundenen Materials. 104 Auch geht sie von einer untrennbaren

102 Cf. MINORS (1998) Kritik, S. 139–140. Auch BAL/BRYSON (1991) reflektieren überaus scharfsinnig, dass die traditionelle Kunstgeschichte eine Einseitigkeit von Relationen gemäß des Modells ›Ursache/ Vorbedingung und Wirkung‹ durchgängig produziert habe, um dadurch ein scheinbar unerschütterliches Explanans herzustellen, das aber in Wirklichkeit durch das Explanandum konstituiert werde. Ein Beispiel sei die Relationierung von Werk und (Produktions-)Kontext. Der zwischen diesen Konzepten gezogene Schnitt »creates a discourse of art-historical explanation«. Es sei dem Umstand geschuldet, dass die konzeptuelle Klinge so scharf zwischen Text und Kontext zu trennen scheint, »that one seems to be dealing with an order of explanation at all, with explanation on one side and explanandum on the other. To set up this separation […] is a fundamental rhetorical move of self-construction in art history« ebd., S. 179. Die eigentlich wechselseitige Kausalität korrelierter Elemente, aber auch die Verschiebung eines Werks im neuen Rezeptionskontext, würde ausgeblendet, wodurch gerade auch die Beschaffenheit von Kunst als »iterative« »sign« verkannt werde (ebd.). Explizit beziehen sich Bal und Bryson in ihren Ausführungen auf Derridas Iterabilitätskonzept und auf Nietzsches Verkehrung von Ursache und Wirkung. Jenseits dieser Kritik an der forcierten Unikausalität und Singularität im kunsthistorischen Diskurs ließe sich mit FALKENHAUSEN (2013) konstatieren, dass die traditionelle Kunstgeschichte zwar sehr wohl stets relational gearbeitet hat und Bilder z.B. im ›vergleichenden Sehen‹ zueinander in Beziehung setzte. Das Erkenntnisinteresse unterschied sich dabei jedoch maßgeblich vom Projekt einer Interpiktorialität oder Intertextualität, da es um den Nachweis von Genealogien, Stildifferenzen und Schulen ging: »Der VergIeich zwischen Werken der Kunst sollte in der Regel Evidenzen von Einflüssen, Vorbildern, stilistischen Nachbarschaften produzieren, um sie entsprechend einzuordnen« (S. 110–111). Ideen der Autorschaft und Folge wurden bestärkt und nicht hinterfragt. 103 Mieke Bal argumentierte bereits in Quoting Caravaggio für einen intertextuell-ikonographischen Ansatz. Cf. BAL, Mieke: Quoting Caravaggio, Chicago, ILL/London: The University of Chicago Press, 1999, S. 8. Auch Vernon Hyde Minor plädierte 1998 für eine Anerkennung des Intertextualitätsmodells in der Kunstgeschichte, das die Einflussund Ursprungsdiskurse verdrängen und ersetzen könne, cf. MINOR (1998). 104 Laut Vernon Hyde Minor ermöglicht das Konzept der Intertextualität die Hinterfragung der kunstgeschichtlichen Hermeneutik und Terminologie: Zum einen verliere die Suche nach einen Ursprungstext an Relevanz, da die Hierarchie zwischen Vorbild und Nachahmer, Original und Kopie nivelliert werde. Zum anderen werde die Linearität und ge-

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Durchdringung von Wahrnehmungs- und Begriffswelt bzw. Repräsentation aus, weswegen sie einen vielversprechenden Ansatz für die Bewertung des Referenzverhältnisses und der Rezeption inszenierter Fotografien darstellt. Wohlgemerkt variieren jedoch die verschiedenen Ansätze innerhalb der Intertextualitätsforschung stark untereinander. Modelle der Inter- und Transtextualität Als vielversprechend für eine partielle und kritische Übertragung auf fotografische Bild- wie Textbezüge erweist sich das unter dem Oberbegriff der Transtextualität entwickelte Modell Gérard Genettes105 – und dies, obschon der Literaturwissenschaftler sich gegen einen Transfer auf den Bereich des Bildlichen aussprach.106 Meine Favorisierung seines Ansatzes gründet auf dem Umstand, dass Genette, anders als etwa Kristeva, Riffaterre, Lachmann und Broich/ Pfister107, auch dem textuellen Beiwerk eine große Bedeutung zumisst. Sein Konzept ist zudem auf relativ evidente Bezüge begrenzt, statt beispielsweise auch Institutionen und Diskurse als

nealogische Struktur der Disziplin Kunstgeschichte aufgebrochen, cf. MINOR (1998), S. 139–140. Valeska von Rosen beschreibt vier Jahre nach Minors Aufsatz ein zur Intertextualität analoges Modell der Interpiktorialität (hier: Interpikturalität). Dieses umfasst »die Relationen zwischen Bildern sowie die Modi ihrer Transformation«. Cf. ROSEN (2003). Darüber hinaus wird seit den späten 1990er Jahren der Begriff der Interikonizität verwendet, cf. ZUSCHLLAG (2006), S. 89–99. 105 GENETTE, Gérard, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe (1982), übersetzt von Wolfram Bayer u. Dieter Hornig, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1993. 106 Cf. u.a. Genettes Bedenken, Bildbezüge wie Textbezüge zu betrachten in: GENETTE, Gérard: »Le regard d’Olympia«, in: Ders.: Figures IV, Paris: Seuil, 1999, S.229–249 sowie GENETTE (1982/1993), S. 514. Auf diese Äußerungen wird an späterer Stelle detailliert eingegangen. Auch Isekenmeiers (2013b) Kritik an Genettes Unterscheidungstypen des Hypertextuellen, die er in seinem eigenen Kategorisierungsprojekt zur Interpiktorialität formuliert, tut meiner generellen Befürwortung des Transtextualitätsmodells keinen Abbruch: Isekenmeier erscheint Genettes Untergliederung der Hypertextualität nach den Aspekten »régime« (»satirique, ludique« etc.) und »relation« (»transformation, imitation«) unglücklich (S. 56–58). Teils stimme ich ihm hier zu, mein Festhalten an Genette bezieht sich jedoch gerade auf die über dieser Kategorie angesiedelte Strukturierung in weitere Beziehungstypen (Paratext, Architext usw.). 107 BROICH/PFISTER (1985); KRISTEVA, Julia: Sèméiotikè: Recherches pour une sémanalyse, Paris: Seuil, 1969a; LACHMANN, Renate: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990; RIFFATERRE, Michel: »Intertextuality vs. Hypertextuality«, in: New Literary History, Bd. 25, H. 4, 25th Anniversary Issue (2), Herbst 1994, S. 779–788.

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›Intertexte‹ zu betrachten (wie Burgin). Transtextualität ist für Genette ein »transzendentaler« Aspekt von Textlichkeit:108 Sie sei jenseits des rein materiellen Schriftbilds oder des fremdreferenziellen Bezugs auf ›Realdinge‹ gegeben. Doch kurz zu einigen Grundzügen der ›Intertextualitätstheorie‹, vor deren Hintergrund Genettes Modell entwickelt wurde. In der (post-)strukturalistischen Literaturwissenschaft beschreibt Intertextualität ein jedem Text bewusst oder unbewusst zugrunde liegendes Prinzip referenzieller Vernetzung, das faktisch unhintergehbar sei. »Il n’est de texte que d’intertexte«, so Charles Grivel109 – es gibt keinen Text, der nicht Intertext ist. Somit sei kein Werk denkbar, das nicht in einer Wechselwirkung mit anderen Artefakten und Kontexten steht. Nach Julia Kristeva, die ausgehend von Bachtins Dialogizitätstheorie den Term prägte, bildet jedes Werk ein »Mosaik von Zitaten« und ist »Absorption und Transformation eines anderen Textes«.110 Es ist also kein fertiges Gebilde mit festem semantischen Gehalt, sondern ein unabschließbares »opera aperta«111 im Sinne Ecos. Roland Barthes konstatiert– angeregt durch Kristeva –, dass jeder »[...] Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet; in diesem Gewebe – dieser Textur – verloren, löst sich das Subjekt auf wie eine Spinne, die selbst in die [sic!] konstruktiven Sekretionen ihres Netzes aufginge.«112 Die Metapher des wuchernden oder gar überbordenden Gewebes findet sich auch in Jacques Derridas Aufsatz Überleben von 1979. Derrida fasst den »erweiterten Text« nicht als »abgeschlossenen Schriftkorpus« auf bzw. als fest abgrenzbare, hermetische Entität. Vielmehr sei er ein »Gewebe von Spuren, die endlos auf anderes verweisen« und dessen mutmaßliche Grenzen ihn nicht einzudämmen vermögen.113 Offenheit, Ursprungslosigkeit, Intertextualität und semantische Verselbstän-

108 GENETTE (1982/1993), S. 19. 109 GRIVEL, Charles, zitiert in: ROSEN (2003), S. 162. 110 KRISTEVA, Julia: »Bachtin, Das Wort, der Dialog und der Roman«, in: IHWE, Jens (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik, Ergebnisse und Perspektiven, Bd. 3, Frankfurt a. M.: Athenium, 1972, S. 345–375, hier: S. 348. 111 ECO, Umberto: Das offene Kunstwerk (1962), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977. 112 BARTHES, Roland: Die Lust am Text (1973), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986, S. 94. Frz. BARTHES, Roland: Le plaisir du texte (1973), Paris: Edition du Seuil, 2000, S. 126: »[…] le texte se fait, se travaille à travers un entrelacs perpétuel; perdu dans ce tissu – cette texture – le sujet s’y défait, telle une araignée qui se dissoudrait elle-même dans les sécrétions constructives de sa toile.« 113 DERRIDA, zitiert in: WIRTH, Uwe: »Performative Rahmung, parergonale Indexikalität. Verknüpfendes Schreiben zwischen Herausgeberschaft und Hypertextualität«, in: Ders. (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2002, S. 403–433, S. 406. Zur frz. Version siehe DERRIDA, Jacques:

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digung definieren den ›poststrukturalistischen‹ Textbegriff und lassen ihn als dynamisch weiterwachsendes, offenes Rhizom114 erscheinen. Die hier postulierten semantischen Eigenschaften entsprechen wichtigen Merkmalen, die ich zuvor für die Fotografie behauptet habe: Denn auch das Lichtbild entfaltet und verändert seine Bedeutung erst in einem konkreten Kontext bzw. in einer Rezeptionssituation, während es auf einer basaleren, physischen Ebene – nämlich als spurenhaftes Indiz – einzig (zeitlich differierte) Existenz anzeigt. Sein Wahrheitsgehalt ist niemals absolut, sondern relativ und interpretationsabhängig. Des Weiteren werfen Fotografien die Frage nach dem Ursprünglichkeits- bzw. Originalitätsverlust auf115 – vielleicht sogar vehementer als der ›postmoderne‹ Schrifttext. Eine Tendenz zum Diffusen und Unbestimmten haftet dem Lichtbild an: »Mit einem Foto verglichen hat jedes Gemälde einen relativ festgelegten Sinn,«116 be-

»Survivre«, in: Ders.: Parages, Paris: Galilée, 1986, S. 117–218, hier: S. 127: »[…] la notion dominante de ›texte‹, de ce que j’appelle encore ›texte‹ pour des raisons partiellement stratégiques, et qui ne serait plus, dès lors, un corpus fini d’écriture, un contenu cadré dans un livre ou dans ses marges mais un réseau différentiel, un tissu de traces renvoyant indéfiniment à de l’autre, référées à d’autres traces différentielles.« 114 Cf. DELEUZE, Gilles/GUATTARI, Félix: Tausend Plateaus [Mille plateaux. Capitalisme et schizophrénie 2, 1980], Berlin: Merve, 1992, insb. S. 16–23: »Man könnte ein solches System ein Rhizom nennen. […] Das Rhizom selber kann die unterschiedlichsten Formen annehmen, von der verästelten Ausbreitung in alle Richtungen an der Oberfläche bis zur Verdichtung in Zwiebeln und Knollen. Wenn Ratten übereinander hinweghuschen. […] Uns ist schon klar, daß wir niemanden überzeugen können, wenn wir nicht wenigstens einige ungefähre Merkmale des Rhizoms aufzählen. 1. und 2. Das Prinzip der Konnexion und der Heterogenität. Jeder Punkt eines Rhizoms kann (und muß) mit jedem anderen verbunden werden. Das ist ganz anders beim Baum oder bei der Wurzel, bei denen ein Punkt, eine Ordnung, festgelegt ist […]. 3. Das Prinzip der Mannigfaltigkeit […] 4. Das Prinzip des signifikanten Bruchs […] 5. und 6. Das Prinzip der Kartographie und des Abziehbildes […].« Sowie an späterer Stelle: »Das Rhizom ist eine Anti-Genealogie. Es ist ein Kurzzeitgedächtnis oder ein Anti-Gedächtnis. Das Verfahren des Rhizoms besteht in der Variation, Expansion und Eroberung […]. Im Gegensatz zur Graphik, Zeichnung oder Photographie, und im Gegensatz zur Kopie bezieht sich das Rhizom auf eine Karte, die produziert und konstruiert werden muß, die man immer zerlegen, verbinden, umkehren und modifizieren kann […]«, ebd., S. 36. 115 Cf. u.a. KRAUSS, Rosalind: »Die Originalität der Avantgarde« (1981a), in: Dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne (The Originality of the Avant-Garde, and Other Modernist Myths, 1986), Amsterdam: Verlag der Kunst, 2000, S. 197–219. 116 KRACAUER (1964/1985), S. 47.

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hauptet Kracauer, der die Bedeutungsvielfalt dieser lichttechnisch, apparativ und zugleich menschlich erzeugten, in verschiedenen Kontexten zirkulierenden Bildart betont. Dubois geht sogar einen Schritt weiter: Das Foto erkläre und kommentiere nicht, sondern es »ist stumm [...] Dumm sagten einige. Es führt uns schlicht, einfach und brutal Zeichen vor Augen, die semantisch leer oder blank sind.«117 Ein zentrales Anliegen der folgenden Bildanalysen wird es sein, Bedeutung als ein intertextuell wie auch kontextuell hervorgebrachtes, stets auch subjektives Element zu beleuchten, das, bezogen auf fotografische Arbeiten, keineswegs zu verwechseln ist mit der reinen Lichtspur (Indiz) oder dem referenziellen Fingerzeig auf ein physisch Dagewesenes (Index). Der signifikationsbildende ›Kontext‹ umfasst hierbei verschiedene Elemente: Zum einen impliziert er die Produktionsbedingungen, also die Intention und den Verwendungszweck der Aufnahme, ihre kulturelle Verortung, sowie das Verhältnis des Fotografen zur abgebildeten Situation. Zum anderen beinhaltet der Begriff auch jene Rahmenelemente, die in der Linguistik als ›Kotext‹ bezeichnet werden, also den Äußerungskontext bzw. die Präsentationsweise. Nach Genettes Transtextualitätsmodell entsprächen diese Elemente am ehesten dem Paratext118 und dem Metatext.119

117 DUBOIS (1998), S. 83. KRAUSS (1976/2000) vertritt eine ähnliche Ansicht und betont, dass für Fotografien eine semantische Undefiniertheit kennzeichnend sei, eine »bedeutungslose Bedeutung«, die nur durch Begleittexte aufgefüllt werden könne. KRAUSS, Rosalind: »Anmerkungen zum Index: Teil 1« (1976), in: Dies. (1986/2000), S.249–264, hier: S. 260. Erst durch die Zugabe rahmender Elemente wie Titel kristallisiert sich ein spezifischer Sinn heraus, wobei die semantisch »flottierende Kette« (BARTHES 1964a) fixiert wird – wenn auch nur bezogen auf den jeweiligen Rezeptionskontext. Zum Barthes-Zitat: BARTHES, Roland: »Rhétorique de l’image«, in: Communications, H. 4, 1964(a), S. 40–51, hier: S. 46 [Übers. A.K.]. Krauss knüpft an Walter Benjamin an (»Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«), der feststellt, dass Bildbeschriftungen in Zeitschriften wie Wegweiser funktionieren. 118 Der Paratext umfasst das Ensemble diskursiver Präsentationsrahmen, die ein Werk begleiten. Cf. auch LANE, Philippe: La périphérie du texte, Paris: Nathan, 1992, S. 17: »Le paratexte se compose donc d’un ensemble hétérogène de pratiques et de discours que réunit cependant une visée commune, celle qui consiste à la fois à informer et convaincre, asserter et augmenter [...]. La dimension pragmatique du paratexte est ici [in Genettes Palimpsestes, auf das sich Lane bezieht, A.K.] clairement affirmée. Elle est définie par les caractéristiques de sa situation de communication; elle est donc variable suivant qu’il s’agit d’un péritexte ou de l’épitexte. Mais leur action est presque toujours de l’ordre de l’influence, voire de la manipulation, subie de manière consciente ou inconsciente.«

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Als weiterer Faktor, der für die Textrezeption wie auch für die Bildbetrachtung relevant ist, gilt das voraussetzbare kulturelle Hintergrundwissen, das idealerweise von den Rezipienten und den Produzenten weitgehend geteilt wird. Auf die Kunstgeschichte übertragen, entspräche dieses Wissen den ikonografischen Codes, die es erlauben, Symbole, Bildthemen und Attribute zu erkennen. Solche Konventionen entstehen durch die Wiederholung und Verfestigung bestimmter Muster. So sind auch ›Bildzitate‹ und Kopien als Mechanismen wie Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses zu bewerten, die zur Herausbildung von Kanons beitragen. Diese Rekurspraktiken korrespondieren in ihrer Wirkung teils mit Genettes Relation der Intertextualität bzw. der Hypertextualität, die beide ein geschichtlich-kulturelles Repertoire an Texten voraussetzen.120 Da Genettes Differenzierung zwischen Hyper- und Intertexten hier wenig ergiebig erscheint121, wird im Folgenden ausschließlich der Terminus der bildlichen und sprachlichen Intertextualität verwendet. Die von anderen AutorInnen stark gemachten Begriffe der Interpiktorialität, Interikonizität, Interbildlichkeit etc. werden gemieden bzw. nur dort eingesetzt, wo Aspekte sprachlicher Zwischenspiegelung – in einer gleichsam »analytische[n] Fiktion« – ausgeblendet werden.122 Weiterhin wird aus Genettes Modell die Kategorie

119 Metatextualität ist eine Relation, die vor allem den Kommentar, die Paraphrase und die kritische Rezeption betrifft: Sie »unit un texte à un autre texte dont il parle, sans nécessairement le citer (le convoquer), voir, à la limite, sans le nommer […].« GENETTE (1982), S. 10. Dt. Version: GENETTE (1982/1993), S. 13: »[…] dabei handelt es sich um die üblicherweise als Kommentar apostrophierte Beziehung zwischen einem Text und einem anderen, der sich mit ihm auseinandersetzt, ohne ihn unbedingt zu zitieren (anzuführen) oder auch nur zu erwähnen.« Übertragen auf die Kunstrezeption entspräche diese Definition am ehesten dem Statement eines Künstlers über seine Arbeit oder der Wirkung einer Abhandlung auf die weitere Forschung und Bildbetrachtung. 120 Während sich der Hypertext auf einen vorgängigen Prä- oder Hypotext bezieht, den er transformiert oder imitiert, setzt die Intertextualität zwei kopräsente, erst nebeneinander gänzlich verständliche Texte voraus. Sie wird nach ihrer Explizitheit unterteilt in Zitat, Plagiat, Anspielung, cf. GENETTE (1982/1993), S. 10. 121 Die Begriffe sind teils anders besetzt und werden in Palimpsestes nicht hinreichend unterschieden. 122 ISEKENMEIER (2013), S. 27. Gerade angesichts der intrinsischen Verwebungen von Sprache, Bild und Gedächtnis in Ekphrasen, Bildtiteln und Bildikonologien ist allerdings ein Zusammendenken dieser Instanzen realitätskonformer. Cf. LUND, Hans: »Ekphrastic Linkage and Contextual Ekphrasis«, in: JONGENEEL, Els/ROBILLARD, Valerie (Hg.): Pictures into Words: Theoretical and Descripttive Approaches to Ekphrasis, Amsterdam: VU University Press, 1998, S. 173–188, insb. S. 176–177. Nach Lund beinhal-

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architextueller Bezüge übernommen, die sich in ähnlicher Form auch für Bilder nachweisen lassen. Selbstverständlich hat ein Transferversuch, wie er hier angestrebt wird, aber auch Reibungen bzw. dem partiellen Entzug des Analysegegenstands Rechnung zu tragen.123 Abbildung 4.1/FT 4: Cindy Sherman, Untitled # 224, 1990, C-Print, 121,9 x 96,5 cm, aus der Serie History Portraits. Abbildung 4.2: Marcantonio Raimondi, Das Urteil des Paris (The Judgement of Paris), Detail, um 1515/16, Kupferstich nach Raffael, 29,2 × 43,6 cm.

Was aber ist aus einer Hinzunahme intertextueller Ansätze für die Analyse (re-) inszenierter Fotografien zu erhoffen? Nehmen wir ein konkretes Bild, um den erwünschten Zugewinn durch den Modelltransfer zu erläutern: Die amerikanische Künstlerin Cindy Sherman erstellte mit ihren History Portraits eine Reihe fotografischer Selbstinszenierungen nach bekannten Gemälden. Für Untitled #224 (Abb. 4.1) setzte sie sich 1990 vor einem dunklen Hintergrund an einem Tisch sitzend in Szene. Im Haar trägt sie einen Kranz aus Weinblättern, ihr Gesicht ist bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und dem Betrachter zugewandt. Ein nackter, muskulöser Arm ragt aus ihrem hellen, antikisierenden Gewand. Mit dem Ellenbogen berührt sie den Tisch, ihre Hand, in der sie einen Bund Trauben hält, führt sie in einer grazilen Geste in Richtung Gesicht. Das beschriebene Foto ›zitiert‹ in der Pose, Kostümierung und Bildanlage Caravaggios Selbstporträt als Kranker Bacchus (Bacchino malato, 1593-94, Galleria Borghese, Rom). Es verweist aber auch u.a. auf den sitzenden Flußgott in Raimondis bzw. Raffaels Urteil des Paris (Abb. 4.2, um

ten Ekphrasen Bezüge auf andere Kunstwerke und Texte, die auf das Vermögen des Lesers setzen, Verbindungen herzustellen zu Erinnerungsbildern. 123 Cf. ROSEN (2003), S. 163.

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1515), dessen Figur in abermals ähnlicher Form in Hans Sebald Behams Jungbrunnen124, auf einem antiken Sarkophag und schließlich in Manets Frühstück im Grünen (auf die Pose verkürzt) zu finden ist. Angesichts dieser gespaltenen Verweisung einerseits auf den ›realen‹, obschon maskierten Körper Shermans und andererseits auf ein schier endloses Bildnetz, das teils sprachlich vermittelt ist125, wäre es nachlässig, den Referenten der Fotografie als ›untitled person‹ mit Kranz im Haar zu beschreiben, ohne auf kulturelle Konnotationen, Shermans Arbeitsweise, Fragen der Repräsentationskritik und letztlich die möglichen ›Bildvorlagen‹ und deren pikturale bzw. mythologische Intertexte einzugehen, die eine semantische Auf- und Überladung implizieren. Stattdessen wäre es sinnvoll, sich für die Interpretation mit dem Gesamtwerk der Künstlerin vertraut zu machen, um zu erkennen, welche Bedeutung der Selbstinszenierung, dem Bildverweis, dem Spiel mit dem Betrachter und dem Medienwechsel zukommt. Doch nicht nur bei Inszenierungen in der Art Cindy Shermans, sondern auch in anderen Bildgenres ist es problematisch, Fotografie als reines Analogon126 eines physischen Referenten zu betrachten, da stets eine Differenz gegenüber dem Abbildungsgegenstand gegeben ist.127 Wenn Roland Barthes in der Hellen Kammer augenzwinkernd behauptet, das Foto einer Pfeife sei »stets eine Pfeife«128, dann scheitert dieser offenkundige Seitenhieb auf René Magritte nicht nur an der ikonischen respektive materiellen und funktionalen Ungleichheit. Er missachtet auch das performative Potenzial der Fotografie, die im konkreten Fall ein banales Tabak-Utensil in ein Bild bzw. in das Bild einer Pfeife verwandelt, das möglicherweise eher auf andere Pfeifenbilder verweist als auf den abgelichteten Gegenstand selbst.

124 Abgedruckt in STEINBERG (1978), S. 16–17. 125 Cf. LORECK (2002), S. 53, die »Bild als Text/Arbeit« fasst, um sodann zu fragen, »[a]uf welche Weise […] eine sprachliche wie visuelle Bezeichnungspraxis im Falle eines ›Kunstwerks‹ einen Körper [modelliert], [bzw.] den Körper, die Körper […]«. 126 Barthes definiert in »Die fotografische Botschaft« die Fotografie als Analogon des Repräsentierten: »[…] certes l’image n’est pas le réel; mais elle en est du moins l’analogon parfait […]«, BARTHES, Roland: »Le message photographique« (1961), in: Ders.: L’obvie et l’obtus, Paris, Le Seuil, 1982, S. 9–24, hier: S. 11. 127 Cf. BRANDT, Reinhardt: Die Wirklichkeit des Bildes. Sehen und Erkennen - vom Spiegel zum Kunstbild, Köln: DuMont, 1995, S. 103–106; BOEHM, Gottfried: Was ist ein Bild?, München: Fink, 1994a. 128 »Tatsächlich lässt sich eine bestimmte Photographie nie von ihrem Referenzobjekt (Referenten; von dem, was sie darstellt) unterscheiden [...]. Von Natur aus hat die Fotografie [...] etwas Tautologisches: eine Pfeife ist hier stets ein Pfeife, unabdingbar« BARTHES

(1980/1989), S. 13. René Magritte behauptete in seinen visuellen Darstellungen

»ceci n’est pas une pipe«, dies ist keine Pfeife, sondern das Bild einer Pfeife.

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Für die inszenierte Fotografie der letzten Dekaden ist die Differenz zwischen vorfotografischer Objektwelt und kontempliertem Bild noch augenscheinlicher. Denn in diesen Fotos ergänzen sich Fiktion und Realisation, Denkbares und Sichtbares zu einer künstlerischen Metawirklichkeit, die zugleich physisch dagewesen und Teil eines imaginären Netzes ist. Zudem wird nicht selten mit Narrativierungen und paratextuellen Rahmungen gearbeitet. Um die Notwendigkeit einer methodischen Erweiterung fotosemiotischer Modelle nachvollziehbar zu machen, sind im Folgenden zunächst die Spezifika ›inszenierter Fotografie‹ herauszuarbeiten.

2. FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGSPRAKTIKEN Nicht jede fotografische Inszenierung gilt streng genommen als ›inszenierte Fotografie‹, wenngleich jede inszenierte Fotografie eine fotografische Inszenierung voraussetzt. Um diese paradox wirkende Aussage zu begründen, bedarf es einer definitorischen Eingrenzung beider Begriffe. Bevor die sich in den 1970er Jahren herausbildende, dem Film und Theater nahe stehende Gattung der inszenierten Fotografie vorgestellt wird, soll zunächst der Blick auf Praktiken der Mise en scène ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gelenkt werden, um Unterschiede und Parallelen herauszuarbeiten. 2.1 Zwischen Kunst und Theater. Fotografische Inszenierungen im 19. Jahrhundert Bereits die Studio-Porträtfotografie ab den 1840er Jahren entsprach in vielen Punkten einer ausgeklügelten Mise en scène, angefangen bei der kulissenhaften Konstruktion des Bildraumes über die Ausstattung mit Requisiten und Kostümen bis hin zum Einnehmen von Posen. Der Modus der ›Inszenierung‹ gründete in dieser Zeit erstens auf einer fototechnischen Notwendigkeit (denn die Verschlussdauer erforderte stabile Posen und eine minutiöse Ausleuchtung) und zweitens – vor allem ab den 1850 Jahren – auf einer rivalisierenden Auseinandersetzung mit der Malerei. In ihren Motiven unterscheidet sich die frühe Mises en scène deutlich von Inszenierungspraktiken des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts, die weder von denselben technischen Problemen, noch von einem ähnlichen Ringen um mediale Anerkennung gekennzeichnet sind.129 Beiden gemein ist jedoch ein Interesse an Kom-

129 Die jüngeren inszenierten Fotografien, die in den Folgekapiteln (D-F) untersucht werden, sind weder technisch motiviert, noch sind sie als mediale Legitimationsversuche gegenüber etablierten Bildarten zu verstehen. Vielmehr lenken sie im Sinne von ›Metabildern‹ den Blick auf die Bildlichkeit und somit auch auf die Gemachtheit fotografi-

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positionsschemata der bildenden Kunst und eine Faszination für den bühnenhaften Fiktionsraum des Theaters.130 Der Konnex zwischen fotografischer Inszenierung und theatraler Aufführung soll in einem ersten Schritt beleuchtet werden (Kapitel 2.1.1), um an späterer Stelle eingehender die Begriffsübertragung der Inszenierung vom Theater auf die Fotografie zu diskutieren (Kapitel 2.2). 2.1.1 Berührungen mit dem Theater und dem Tableau vivant Die frühe Porträtfotografie zeichnete sich durch eine gestische Starre und Vorliebe für Studiorequisiten aus. In der Bewegungslosigkeit der Pose nahm der Körper das Bild vorweg, zu welchem ihn die Kamera unausweichlich machen würde.131 Neben den praktischen Gründen des Stillstehens für die Verbesserung der Aufnahmequalität ist der formästhetische und inhaltlich-darstellerische Mehrwert zu betonen: Zum einen entspricht das gezielte Innehalten einer Vorwegnahme der Fotografie, zum anderen drückt sich in formelhaften Posen ein wiederholendes Anknüpfen an ein konventionalisiertes Repertoire von Körperhaltungen, sozialem Habitus und Affekten aus.132 Walter Benjamin schildert in der Kleine[n] Geschichte der Photo-

scher Bilder. Zum ›Metabild‹ und zu metareflexiven Strategien, cf. NÖTH (2007), der u.a. integrierte Tableaus, Mises en abyme und Vexierbilder zu diesem Typus zählt. NÖTH, Winfried: »Metapictures and self-referential Pictures«, in: BISHARA, Nina/NÖTH, Winfried (Hg.): Self-Reference in the Media, Berlin, New York: de Gruyter, 2007, S. 61–78, hier: S. 62. Cf. auch KÖHLER, Astrid: »Im Netz Olympias. Fotografische Re-Inszenierungen liegender Akte als reflexive Strategie«, in: CRASEMANN/KRÜGER/WEISS

(2011), S. 45–68; MITCHELL, W. J. T.: »Metabilder« (1994), in: Ders.:

Bildtheorie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008, S. 172–233, hier insb. S. 174. 130 So ist es nicht von ungefähr, wenn Roland Barthes schreibt, dass sich »die PHOTOGRAPHIE […] nicht über die MALEREI mit der Kunst [berühre], sondern über das THEATER.«, BARTHES (1980/1989), S.40 (Großschreibung dim Original). 131 In Anlehnung an Jacques Lacan wurde dieser Aspekt der Pose in den 1990ern bei Kaja Silverman und Craig Owens in ihren Untersuchungen postmoderner Fotografie thematisiert. OWENS, Craig: »Posieren« (1985), in: WOLF, Herta (Hg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 2, Frankfurt a. M. 2003, S. 92–114; SILVERMAN, Kaja: »Dem Blickregime begegnen«, in: KRAVAGNA, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der Visuellen Kultur, Berlin: Edition ID-Archiv, 1997, S. 41–64. Die Bedeutung dieses Bildelements für die frühe Fotografie und die Historienmalerei wurde hierbei jedoch nicht gesondert ergründet.

132 BARTHES (1980/1989), S. 19; HOLSCHBACH, Susanne: »Fotografisches Rollenporträt und medialer Transfer – Schauspielerinnen im Atelier des 19. Jahrhunderts«, in: VON FALKENHAUSEN, Susanne et al. (Hg): Medien der Kunst: Geschlecht – Metapher – Code, Marburg: Jonas Verlag, 2004, S. 205–213.

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graphie satirisch das Inszenierungsspiel früher Atelierfotografien: Bürgerliche Familienmitglieder kostümierten sich als »Salontiroler, [...] den Hut gegen gepinselte Firnen schwingend, oder als adretter Matrose, Standbein und Spielbein, wie es sich gehört, gegen einen polierten Pfosten gelehnt.«133 Der Einsatz von Kostümen und Studioausstattung, das gestisch-mimische Ausdrucksspiel und das Einnehmen einer Rolle – all dies sind Elemente, die nicht zufällig an das Theater erinnern. Die frühe Fotografie Abbildung 5: Pierre-Louis Pierson, Die Gräfin von stand in einem regen Aus- Castiglione, lagernd (La Comtesse de Castiglione tausch sowohl mit der allongée), 1861–67, Albuminsilberabzug. Welt der Bühne und des Variétés als auch mit der Kunst und Literatur.134 Dabei konnten verschiedene Impulse zugrunde liegen. Es lässt sich hierbei je nach Funktion in fiktionalisierende und alethisch135 motivierte Formen untergliedern. In der ersten Variante fügt sich der Dargestellte in eine künstliche Kulisse und Rolle. Er verwandelt sich vor der Kamera in einen Laiendarsteller bzw. in den Mimen eines ihm fremden Charakters. Anders verhält es sich bei den alethischen Porträts. In diesen kommt zwar ebenfalls dem Eingriff des Fotografen eine zentrale Rolle zu, zugleich dominiert im Bild aber der Wunsch nach wahrheitssuchender Einfühlung. Der Fotograf sucht nach einem für die Person typischen Gesichtsausdruck oder legt den Fokus auf eine charakteristische Handhaltung, die er durch geschickte Lichtdramatur-

133 BENJAMIN, Walter: »Kleine Geschichte der Photographie« (1931), in: Ders.; SCHWEPPENHÄUSER, Hermann/TIEDEMANN, Rolf (Hg.): Gesammelte Schriften, Bd. II.1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991, S. 368–385, hier: S. 375 .

134 Cf. La photographie mise en scène, Ausst.-Kat. Musée des Beaux-Arts de Canada, hg. von Lori Pauli, Ottawa, 2006. 135 Der griechische Term aletheia (dt. Wahrheit oder Unverborgenheit) benennt die allen Dingen erkennbar innewohnende Wahrheit. Wahrheit und Erkennbarkeit galten den griechischen Denkern, die eine grundsätzliche Einheit von erkennendem Geist und dem zu Erkennenden annahmen, als untrennbar verbundene Elemente.

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gie betont. Hier geht es folglich nicht um die Kostümierung des Dargestellten, sondern um den Versuch der Enthüllung seines (mutmaßlichen) ›Wesens‹. Als Beispiele können Nadars Porträt seiner Mutter aus dem Jahre 1853 sowie seine Porträts Charles Baudelaires’ genannt werden.136 Auch die frühen, noch nicht piktoralistischen Porträts von Julia Margaret Cameron zählen zu diesem Inszenierungstypus: Nach Gernsheim zielen sie darauf, »einen Blick in die Seele des Menschen [zu] werfen und das rein Äußerliche [zu] vergessen«.137 Wenngleich in alethischen Mises en scène dem Mythos und der Fiktion ebenfalls eine zentrale Rolle zukommt, wird die Konstruiertheit hier durch ein veristisches Gegensteuern kaschiert.138 Anders als diese ›wahrheitssuchenden‹ Inszenierungen waren die von Benjamin karikierten Kostümporträts mit ihren hutschwingenden »Salontiroler[n]« keineswegs bemüht, Authentizität auszustrahlen. Vielmehr entführten sie in eine entrückte Traumwelt, in welcher die Porträtierten gleich Schauspielern in Rollen schlüpften. Die Gräfin von Castiglione, die vor der Kamera Pierre-Louis Piersons multiple Alter Egos entwarf (Abb. 5), ist ein prominentes Beispiel früher fiktionalisierender Inszenierung.139 Eine weitere Form dieses zweiten Inszenierungstypus ist das Genre

136 Nadar (Félix Tournachon), Frau Tournachon, die Mutter Nadars, in einem sessel aus der zeit Ludwigs des XIII. [Madame Tournachon, mère de Nadar, au fauteuil Louis XIII], 1853, Salzpapierdruck, Musée d’Orsay, Paris, Inventarnr. PHO1991-2-54; Nadar (Félix Tournachon), Baudelaire in einem Sessel (Baudelaire dans un fauteuil) um 1855, Salzpapierdruck, und BAUDELAIRE, ca. 1854-1860, Albuminpapier, beide Musée d’Orsay, Paris, Inventarnr. PHO 1991 2 1 und PHO 1991 2 53. 137 Helmut Gernsheim, in: STELZER (1968), S. 31. Es ist bemerkenswert, dass Cameron vor allem männliche Intellektuelle in alethischer Manier fotografierte, während sie Kinder und Frauen in allegorischem Gewand transzendentalisierte. 138 Im 20. Jahrhundert wäre diese Suche nach dem ›wahren‹ Bild beispielsweise mit den dokumentarischen Aufnahmen der Farm Security Administration (FSA) vergleichbar: Nach Vorgabe des Projektleiters Roy Stryker strebten die mitwirkenden Fotografen nach einem bestimmten Ausdruck, den sie durch dezente, gestalterische Eingriffe zu erreichen wussten. Diese Form der Inszenierung sollte jedoch nicht künstlerischer Selbstzweck sein, sondern die Folgen der Wirtschaftskrise vor Augen führen. Cf. ABEND, Sandra: Jeff Wall: Photographie zwischen Kunst und Wahrheit, Diss. Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, 2005, S. 22.

139 Cf. HERRMANN, Anja: Das Fotoatelier als Ort der Moderne. Zur fotografischen Praxis von Marie Bashkirtseff und der Gräfin von Castiglione, Diss. Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, 2012; La comtesse de Castiglione par elle-même, Ausst.-Kat. Paris, Musée d’Orsay, 12.10.1999–23.01.2000, hg. von Pierre Apraxine, Paris: Réunion des Musées Nationaux, 1999. Für eine zeitliche Kontextualisierung der Inszenierungen der Gräfin (und auch der Kaiserin Eugénie) vor der Kamera und in der Gesellschaft cf.

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schauspielerischer Rollenportraits des 19. Jahrhunderts. In diesen stellten BühnendarstellerInnen wie Charlotte Wolter, Adelaide Ristori und Sarah Bernhardt Theatercharaktere vor der Kamera nach, wobei sie oft überlieferte Posen aus Historiengemälden einnahmen.140 Die so entstandenen Fotos dienten als Werbemittel, Marketingwerkzeug und Erinnerungsstücke. Das Rollenporträt etablierte sich als beliebte Kunstform, inspirierte Maler wie etwa Hans Makart zu historisch-mythologischen Gemälden141 und blieb nicht ohne Einfluss auf die Selbstinszenierungen der Gräfin von Castiglione (1837–1899), die über einen Zeitraum von vierzig Jahren verschiedene Rollen entwarf bzw. fotografisch aufführte – und dies, wie Anja Herrmann schreibt, mit einer erstaunlichen »Experimentierfreude mit dem Medium Fotografie«: Gerade Inszenierungen, die Castiglione in eine Narration einbetten und in »kostbare[r] Garderobe zeigen, antizipieren Modefotografien […]«.142 Zugleich erinnerte dieser Porträt-Typus mit seiner Vorliebe für theatralische Gesten, Kostüme und Posen an ältere ästhetische Praktiken wie das Tableau vivant (frz. Lebendes Bild) und die Attitüde.143 Diese Kunstformen fanden insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert eine weite Verbreitung und waren unter anderem als Gesellschaftsspiel äußerst beliebt. Zu nennen sind hier etwa die Darbietungen von Lady Hamilton, Ida Brun und Henriette Hendel-Schütz144 sowie die gesellschaftlichen Festlichkeiten am Weimarer Hof zu Goe-

auch: Spectaculaire Second Empire, Ausst.-Kat. Musée d’Orsay, Paris, 27.09.2016– 16.01.2017, Paris: Flammarion, 2016. 140 Die nachträgliche (Re-)Inszenierung im Atelier gründete dabei auf dem Umstand, dass es dem Fotografen zunächst noch unmöglich war, während der Aufführungen Aufnahmen der Darsteller zu machen. Zu lang war die Belichtungszeit und zu schlecht die Ausleuchtung im Theatersaal. Aus diesem Grund kamen die ›grandes dames (et hommes) du théâtre‹ zu einem gesonderten Fototermin ins Studio und posierten dort in ihren Bühnenkostümen. 141 Hans Makart, Charlotte Wolter als Messalina, Öl auf Leinwand, 1875, Historisches Museum, Wien. 142 HERRMANN (2012), S. 182. 143 Die Attitüde kombiniert demgegenüber Einzelposen zu einer dynamischen Sequenz von Ausdrucksgesten. 144 Lady Hamilton (geborene Emma Hart, 1765-1815) war bekannt durch das Nachstellen von Bildmotiven, die sie insbesondere den Kunstschätzen ihres Gatten, Sir William Hamilton, entnahm. Cf. ITTERSHAGEN, Ulrike: Lady Hamiltons Attitüden, Mainz: von Zabern, 1999, S. 19–20 und S. 38. Henriette Hendel-Schütz (1772-1849) integrierte einzelne Attitüden in einen dramatischen Gesamtgefüge, wobei sie sich eher an literarischen Figuren denn an Kunstwerken orientierte. Cf. MEISE, Helga/VON HOFF, Dagmar: »Tableaux Vivants – Die Kunst- und Kulturform der Attitüden und lebenden Bilder«,

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thes Zeiten oder, in den späten 1870er Jahren, u.a. im Wiener Palais des Erzherzogs Karl Ludwig.145 Analog zum Rollenporträt entdeckte man ab den 1850er Jahren die Fotografie als Technik der Dokumentation nachgestellter lebender Bilder. Aus dem Wiener Atelier Victor Angerer stammt beispielsweise eine Serie von Aufnahmen nach lebenden Bildern, die anlässlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares in der Wiener Ringstraße aufgeführt wurden.146 Das Atelier Adèle re-inszenierte ebenfalls solche Tableaus für Fotografien: Überliefert ist unter anderem ein 1863 dargebotenes lebendes Bild nach Antoine Watteaus Les Jaloux (1712, heute nur noch über Stiche und Kopien erhalten).147 In der Definition des Genres des Tableau vivant, das gerade in der Frühzeit der Fotografie eng mit Letzterer verschlungen war, werden Kunst, Theater und Spektakel gleichermaßen miteinander vernetzt. In diesem Punkt antizipert es künstlerische Gattungen der 1960er bzw. 1970er Jahre, wie etwa die Performancekunst.148 Der Term des Lebenden Bildes bezeichnet dabei zwei getrennte Phänomene, die in der Frühzeit der Fotografie weit verbreitet waren. Zum einen benennt er eine höfisch-intellektuelle und festive Inszenierungsform, zum anderen steht er für ein Strukturelement des Theaters, das Schlusstableau.149 Insbesondere die erste Form

in: BERGER, Renate/STEPHAN, Inge (Hg.): Weiblichkeit und Tod in der Literatur, Köln/Wien: Böhlau, 1987, S. 69–86, hier: S. 82. 145 Cf. JANKE, Pia: Politische Massenfestspiele in Österreich zwischen 1918 und 1938, Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2010, S. 53. 146 Cf. REISSBERGER, Mara: »Tableaux und Attitüden als Inspirationsquelle inszenierter Fotografie im 19. Jahrhundert«, in: STOSS, Toni/RUELFS, Esther (Hg.): Rollenspiele – Rollenbilder, München: Hirmer, 2011, S.14–47, hier: S. 16; Dies.: »Die Sprache der Lebenden Bilder«, in: Tableaux Vivants: Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video, Ausst.-Kat. Kunsthalle Wien, 24.05.2002–25.08.2002, hg. von Michael Glasmeier und Sabine Folies, Wien, 2002, S.189–212, hier: S. 197. 147 Für eine Abbildung eines Stichs nach Les Jaloux cf. POSNER, David: Watteau, Ithaca, NY: Cornell University Press, 1984, S. 55, Abb. 49. Zur Nachstellung durch das Atelier Adèle: http://sammlungenonline.albertina.at/?id=starl_6505A7BC87AC4F108C48BE6A854351DF [eingesehen am 21.12.2016]. 148 Cf. JOOSS, Birgit: »Die Erstarrung des Körpers zum Tableau. Lebende Bilder in Performances«, in: JANECKE, Christian (Hg.): Performance und Bild. Performance als Bild, Berlin: Philo Fine Arts, 2004, S. 272–303. 149 JOOSS, Birgit: Lebende Bilder: Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit, Berlin: Reimer, 1999, S. 54–55. Unter dem Begriff des Lebenden Bildes erfasst werden also einerseits »plastische[…] Darstellungen von Gemählden durch lebende Personen, welche [...] theils als künstlerische Uebungen, theils als sinnreiche und reizende Festspiele« beliebt waren (Conversationslexikon von 1818, zitiert in: JOOSS

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mit ihrer Affinität für das Nachstellen überlieferter Kunstwerke scheint für die Praxis re-inszenierender Fotografie ein wichtiger Vorgänger zu sein. 2.1.2 Berührungen mit der Malerei Neben diesen Berührungen mit dem Theater und dem Tableau vivant waren für die frühe fotografische Inszenierung vor allem Bezüge zur Malerei prägend. Zahlreiche Lichtbildner des 19. Jahrhunderts, die ein künstlerisches Interesse verfolgten, entwickelten eine medienübergreifende ›Zitationsweise‹, die sich als Pastiche der Malerei bezeichnen ließe: Weichzeichner- und Chiaroscuro-Effekte, überlieferte Kompositionsschemata sowie Verfahren der Inszenierung und Retusche wurden integriert, um malerische Stile und Einzelwerke zu imitieren. Diese Bildproduktion wirkte wiederum selbst auf die Malerei zurück. Obschon diese Tendenz einer medialen Mimesis bereits in der Atelierfotografie der 1850er Jahre deutlich wird, kulminiert sie in den 1890er Jahren im Piktoralismus, der wiederum seine Nähe zur Malerei bereits im Namen ausdrückt.150 Diese Strömung etablierte sich als künstlerische Reaktion gegen die u.a. an der Londoner Photographic Society vertretene Ansicht, Fotografie solle sich ihre Detailtreue zunutze machen, um sachlich die Wirklichkeit abzubilden.151 Die Orientierung der

(1999), S. 13). Andererseits benennt es aber im Zusammenhang mit dem Theater Darstellungen einer Szene »in unbeweglichen Personen- und Requisitenarrangements«, cf. JOOSS (1999), S. 21. 150 Von Latein pictus, der Partizipform von pingere, malen, sticken. Statt von medialer Mimesis ließe sich mit Rajewsky auch vom »Als-Ob-Charakter« intermedialer Bezüge sprechen, cf. RAJEWSKY, Irina O.: Intermedialität, Tübingen: Francke Verlag, 2003, S. 39. Rajewsky zufolge kann ein ›Medium‹ in einem anderen nicht vollständig repräsentiert, sondern nur mit je eigenen Mitteln nachgeahmt werden, weswegen eine Differenz unvermeidlich sei. 151 Ein wichtiger Ausgangspunkt war der in Großbritannien gebildete Linked Ring, der eine Art »Kreuzung zwischen Geheimbund, Ausstellungsjury und Dining Club« war (cf. Cecil Beaton/Gail Buckland in BRAUCHITSCH, Boris von: Kleine Geschichte der Fotografie, Stuttgart: Reclam, 2002, S. 79). Als Mitbegründer des britischen Piktoralismus gilt Henry Peach Robinson, der aus Unmut über die Ausstellungspolitik und Geringschätzung manipulierter, künstlerischer Fotografie die Londoner Photographic Society boykottierte. Ausgehend von England formierten sich bald international Zentren und Gruppierungen, die die Fotografie aus dem Schatten der Malerei befördern wollten. Neben dem Linked Ring bildete sich u.a. in Hamburg ein bedeutendes Zentrum um den Sammler und Museumsdirektor Alfred Lichtwark, sowie 1902 in New York die PhotoSecession um Alfred Stieglitz. Mit Weichzeichnereffekten, Gummidruck und fehlerhaften Linsen wehrten sich die Piktoralisten gegen die Reduktion auf eine rein wirklich-

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Piktoralisten an der Malerei der Präraffaeliten, Symbolisten und Impressionisten lässt sich als strategischer Schritt betrachten, durch den sich die Fotografen gegen die Wahrnehmung des Lichtbilds als mechanischer bzw. »toter Spiegel« (Plumpe 1990, cf. Kapitel 1.1) zu wehren suchten. Der Kunstgriff der Inszenierung spielte in diesem Wettstreit eine zentrale Rolle. Bereits um 1850 manifestierte sich der lichtbildnerische Wunsch, die »raffinierte[n] Arrangements und gestellte[n] Szenen«152 der historischen und allegorischen Gemälde nachzuahmen: Die großformatigen Historienbilder von unter anderem Karl von Piloty, Jean-Léon Gérôme oder Paul Delaroche erschienen besonders reizvoll, wirkten sie doch in ihrem Aufbau »arrangiert wie Theater«.153 Sie verfügten über einen bühnenartigen Bildraum und zeigten die Protagonisten in theatraler Pose in einem Moment dramatischer Verdichtung. Diese Charakteristika der szenischen Raumkonstruktion und Darstellung finden sich in vielen Fotoinszenierungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich in die akademisch-malerische Tradition einzuschreiben versuchten.Ein enger Konnex zwischen Fotografie und Malerei war zudem auf einer zweiten Ebene gegeben: Viele Gemälde beruhten auf fotografischen Blättern, den ›Académies‹154, die vorrangig dem anatomischen Studium ›dienten‹155 und die somit in einem (scheinbar unilateralen) Verhältnis der Dienstbarkeit zu den etablierten Künsten standen. Diese Aufnahmen hielten »wie ein Alphabet von Körperposen«156 Bewegung und Ausdruck fest und folgten hierbei den

keitsgetreue Technik. Ergebnis waren Fotografien, die wie Pastiches eines malerischen Stils anmuteten von einem perfekten Naturalismus distanzierten. 152 STELZER (1966), S. 41. 153 Ebd. 154 Unter anderem Louis Igout (1837–1881) und Gaudenzio Marconi (1841–1885) hatten sich auf Académies spezialisiert, die Körperproportionen und Ausdruck archivierten. Cf. auch: DE FONT-REAULX, Dominique: Peinture et photographie. Les enjeux d’une rencontre, 1839–1914. Paris: Flammarion, 2013. 155 BAQUE (1998) reflektiert das traditionsreiche Dienerverhältnis der Fotografie: »Condamnée à n’être que la très humble servante des arts et de la science, la photographie est longtemps restée un medium secondaire […].«, ebd., S. 91. Das Bild der dienenden Fotografie findet sich ebenso in Théophile Gautiers Photosculpture. La Revue photographique von 1863: »L’art ne doit voir dans la photosculpture et la photographie que de dociles esclaves qui prennent des notes pour son compte, lui préparent le travail, font les besognes ennuyeuses et lui désencombrent de tout obstacle […]. «, GAUTIER, Théophile: »La photosculpture«, in: Le monde illustré, (31.12.1864), zitiert in: GALL, JeanLuc: »Photo/sculpture«, in: Études photographiques, H. 3, 11/1997, online: http://journals.openedition.org/etudesphotographiques/95 [eingesehen am 02.02.2015]. 156 Eine neue Kunst? (2004) S. 70.

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ästhetischen Regeln der Pariser Académie bzw. der École des Beaux-arts. Zudem gaben auch Maler wie Eugène Delacroix und Gustave Courbet fotografische Akte und Porträts bei u.a. Eugène Durieu und Julien Vallou de Villeneuve in Auftrag157, um diese als Grundlage ihrer Gemälde zu verwenden. Jenseits dieses Verhältnisses der Dienstbarkeit gelang es der Fotografie, sich durch Strategien medialer Nachahmung bzw. ästhetischer Annäherung in Bereiche der Kunst einzuführen. Insbesondere in Großbritannien wuchs um 1860 die Anerkennung der Fotografie als Bildverfahren, das kreativ genutzt, ausgestellt und gesammelt wurde: Oscar G. Rejlander erstellte 1857 eine mit 40 x 77,5 cm für damalige Verhältnisse großformatige Fotografie aus inszenierten Einzelaufnahmen, die von Queen Victoria für die königlichen Sammlungen erworben wurde. In The Two Ways of Life158 ließ er vermutlich die im Stellen Lebender Bilder geübte »Pose Plastique«-Gruppe159 verschiedene Posen einnehmen. Er montierte die isolierten Körper zu einem moralisierenden Gesamtbild, das an die Figuren- und Raumkonstellation von Thomas Coutures Die Römer der Verfallszeit (Les Romains de la décadence, 1847, Louvre Paris) und Raffaels Schule von Athen (La scuola di Atene, 1509, Stanza della Segnatu-

157 Cf. auch L’art du nu au XIXe siècle. Le photographe et son modèle , Ausst.-Kat. Bibliothèque nationale de France, Paris, 14.10.1997–18.01.1998, Paris: Hazan/Bibliothèque nationale de France, 1997, insbesondere die Beiträge von Dominique de Font-Réaulx (»Courbet et la photographie. L’exemple d’un peintre réaliste, entre vérité et réalité«, S. 84–91) und Sylvie Aubenas (»Le nu académique existe-t-il en daguerréotype?«, S. 24– 29, hier: S. 24–25). 158 Oscar Rejlander, The Two Ways of Life, 1857, National Media Museum, Bradford (abgedruckt u.a. in: MACDONALD, Gus: Camera. A Victorian Eyewitness, London/Batsford: Viking Press, 1979, S. 163). Eine Orientierung an der bildenden Kunst war in dieser Inszenierung gegeben, um den Kunststatus zu affirmieren. In diesem Kontext nennenswert ist auch Rejlanders The First Negative von 1857, in dem er den Ursprungsmythos der Malerei und Zeichnung, Plinius’ Geschichte der Tochter des Dibutade, fotografisch umsetzt. Die Entstehung des »ersten Negativbildes« kann, wie der Titel nahe legt, als Kommentar auf den Paragone der Fotografie mit der Malerei und als Akt der Einschreibung in die Kunstgeschichte verstanden werden. Zum Mythos der Tochter des Dibutade cf. PLINIUS SECUNDUS: Naturgeschichte. Mit erläuternden Anmerkungen, Bd. 11, übers. und hg. von G. Große, Frankfurt a. M. 1840. 159 Verschiedene Quellen legen dies nahe. Wenngleich der Fotograf die Identität seiner Modelle geheim hielt, wurde die der Gruppe lange zugehörige Madame Laurent identifiziert. Die Pose Plastique-Gruppe Madame Whartons kannte Rejlander vermutlich durch einen Auftritt in Wolverhampton, vgl. SMITH, Alison: The Victorian Nude, Sexuality, Morality and Art, Manchester: Manchester University Press, 1996, S. 61–62.

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ra, Vatikan) erinnert.160 Ein weiteres Beispiel früher fotografischer Mises en scène stammt von Henry Peach Robinson. Der Brite, ein Fotograf und Theoretiker der ersten Stunde, hatte mit seinem Lehrbuch Pictorial Effect in Photography (1869)161 ein leidenschaftliches Plädoyer für künstlerische Fotografie verfasst, in dem er sich für malerische Effekte einsetzte.162 In der Praxis verwendete Robinson diverse Inszenierungstechniken und orientierte sich an literarischen Themen und malerischen Figurenkonstellationen. Eine seiner bekanntesten Fotoinszenierungen ist die Kombinationskopie Fading Away aus dem Jahre 1858 (Abb. 6.1). Der Albumin-Abzug, der aus fünf Negativen zusammengesetzt wurde, ist in hohem Maße narrativ und fiktionalisierend. Der Titel – zu Deutsch: Verblühen, Dahinscheiden – spielt auf eine Sterbeszene an und gibt somit explizit eine Lesart des Bildes vor. Zu sehen ist ein adoleszentes Mädchen, das mit geschlossenen Augen und leicht geöffneten Lippen auf einem tiefen Sessel mit weißen Laken ruht. Eine kaum ältere Verwandte oder Freundin beugt sich über das Kopfende, während am anderen Ende des Bettes eine Frau kontemplierend Wache hält. Auf ihrem Schoß liegen eine abgesetzte Brille sowie ein Buch – möglicherweise eine zur Seite gelegte Gebetsfibel. Im Hintergrund befindet sich ein großes Fenster mit massiven Vorhängen, die zu zwei Dritteln zugezogen sind, sowie eine männliche Rückenfigur. Trotz des Gegenlichts ist die Szene gleichmäßig ausgeleuchtet und lässt sogar Wolkenstrukturen am Himmel erkennen. Dies indiziert, dass der Abzug eine Montage ist, sind doch die Schwierigkeiten ähnlicher Lichtkonstellationen u.a. aus Gustave Le Grays zeitgleichen Kombinationskopien bekannt.163

160 Cf. POIVERT, Michel: »De la photographie victorienne au mouvement pictorialiste (1857–1917)«, in: GUNTHERT, André/Ders. (Hg.): L’art de la photographie des origines à nos jours, Paris: Citadelles & Mazenod, 2007, S. 180–226, hier: S. 183. 161 ROBINSON, Henry Peach: Pictorial Effect in Photography, being Hints on Composition and Chiaroscuro for Photographers (1869). With a new Introduction by Robert A. Sobieszek, Pawlet, VT: Helios, 1971. 162 BRAUCHITSCH (2002), S. 41. 163 Gustave Le Grays (1820-1884) Landschaftsdarstellungen, die oftmals maritime Szenen mit tiefem Horizont und beeindruckenden Wolkenformationen im Gegenlicht zeigen, setzen sich aus je zwei Negativen zusammen, deren Schnittlinie der Horizont ist. Le Gray reagierte auf die Unmöglichkeit, die heterogenen Lichtintensitäten auf ein und demselben Negativ einzufangen: Er setzte wahrscheinlich eigens Filter ein, um das längerwellige Licht (rot und gelb, für das die Fotoplatten sensibler waren) zugunsten kurzwelligerer Strahlen (Blautöne des Himmels) zu schwächen. Zur Technik Le Grays cf. AUBENAS, Sylvie: Gustave Le Gray, London: Phaidon, 2003. Margaret Harker betont, dass 1858 die Kameraoptik generell noch nicht so weit fortgeschritten war, um ei-

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Abbildung 6.1: Henry Peach Robinson, Fading Away, 1858, Kombinationskopie auf Albuminpapier, 23,8 x 37,2 cm.. Abbildung 6.2 (FT. 5): Anne-Louis Girodet, Das Begräbnis der Atala (Atala au Tombeau), 1808, Öl auf Leinwand, 207 x 267 cm.

Ein Hinweis auf die Inszenierung ist der augenscheinlich komponierte Bildaufbau: Unscheinbare Details sind in einem narrativen Bogen angeordnet, beginnend rechts unten mit der zur Seite gelegten Bettlektüre auf einem Schemel, weitergeführt über den perfekt drapierten Schal auf einem Beistelltisch bis hin zur abgenommenen Brille auf dem Schoß und schließlich zu den Blumen am Fenster im Hintergrund. Das traditionelle Repertoire von Sterbeszenen wird Foto wachgerufen: Die andächtige Versammlung am Krankenbett, Gebet und stille Trauer, aber auch der symbolische Ausblick aus dem Fenster, das hier als Ort der Passage zu figurieren scheint. Doch sind diese mit dem Tod konnotierten Einzelelemente primär durch die Bildmontage miteinander verknüpft. Es ist zudem überliefert, dass Robinson in diesem Foto versuchte, einer »blühenden 14jährigen den Anschein einer Todkranken«164 zu verleihen. Fading Away ist also ein makabres Spiel, das beweist, wie sehr Titel und kulturell codierte Bildelemente die Sinndeutung zu verändern vermögen. Darüber hinaus lassen sich vage, kunstgeschichtliche Anleihen feststellen, die den Kunstanspruch Robinsons verdeutlichen, ohne explizite ›Zitate‹ darzustellen.

ne komplexe Innenaufnahme wie Fading Away zu ermöglichen. Robinson habe daher nicht anders gekonnt, als hier mehrere Negative zu montieren. HARKER, Margaret F.: Henry Peach Robinson: Master of Photographic Art, 1830–1901, Oxford: Basil Blackwell, 1988, S. 27. 164 SCHÜRMANN, Eva: Worauf rekurrieren die Bilder? Zum Referenzproblem bildlicher Darstellungen, XXI. Deutscher Kongress für Philosophie »Lebenswelt und Wissenschaft« am Institut für Philosophie der Universität Duisburg-Essen vom 15.–19.09. 2008, Online: www.dgphil2008.de/fileadmin/download/Sektionsbeitraege/01-1_Schuermann.pdf, [eingesehen am 15.02.2009].

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Abbildung 7.1: Duane Michals, The Spirit Leaves the Body, 1968, Detail: Bild 5/7, Silbergelatineabzug, 12,7 x 17,8 cm. Abbildung 7.2/FT. 6: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy VII, Detail, 1996, C-Print, 2teilig/obere Tafel, 222 x 242 cm.

Harker gibt an, dass Zeitgenossen v.a. Analogien zu Noel Patons Gemälde Dead Lady (1854) sahen165, das allerdings in der Figurenkonstellation grundverschieden ist. Allgemein bestehen, inhaltlich vermittelt durch den todweisenden Titel, Bezugsmöglichkeiten zu einer Vielzahl weiterer Kranken- und Sterbeszenen: Hinsichtlich der Anordnung des Bildpersonals in Robinsons Fotografie liegt insbesondere ein Vergleich nahe mit der im Aufbau sehr ähnlichen Grabesszene Atala au tombeau von Anne-Louis Girodet de Roussy-Trioson (Abb. 6.2/FT. 5, 1808). Ein medienübergreifender Rekurs lichtbildnerischer Inszenierungen auf malerische Genres, Narrationen und Kompositionsschemata ist jedoch (wie eingangs erwähnt) kein Spezifikum früher Fotografie. Vielmehr finden sich auch in jüngeren fotografischen Mises en scène Anleihen und ›Zitationstechniken‹, die Robinsons Strategie ähneln. Aufschlussreich ist ein Vergleich von Fading Away mit zeitgenössischen Arbeiten von beispielsweise Duane Michals (Abb. 7.1, The Spirit Leaves the Body, 1968) oder Sam Taylor-Johnson (Soliloquy I und VII, 1998 und 1999, Abb. 7.2).166 Michals und Taylor-Johnson spielen wie Robinson mit dem malerischen wie fotografischen167 Repertoire von Sterbebettszenen. Offenkundig kreieren sie dabei

165 HARKER (1988), S. 27. 166 Taylor-Johnsons Soliloquy I wird im Kapitel D eingehend beschrieben, daher hier nur der Verweis. 167 In Die Tode der Fotografie (Band 2) reflektiert Katharina Sykora den Übergang fotografischer Totendarstellungen von einer zunächst primär sozialen Gebrauchsweise hin zu auch fotokünstlerischen Praktiken. Für Michals’ The Spirit Leaves the Body konstatiert sie ein reflexives Moment, das sich im »theatralen Setting« der schwellenreichen Raumdisponierung ebenso widerspiegle wie in der Anlage als lückenhafte »Endlosschleife« bzw. »Ellipse« (S. 236 u. 237). Michals evoziere ferner abendländische Auf-

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Szenen, die nicht der »ganze[n] Wahrheit«168 (Francis Frith) der physisch referenzierten Wirklichkeit entsprechen: Durch Titel, interpiktoriale Bezüge, Montagetechniken und/oder ikonografische Details wird der Anschein einer Todesszene erweckt, die real so nicht gegeben war. Der entscheidende Unterschied dieser Inszenierungen liegt dabei auf einer medien- und bildreflexiven Ebene: So suggeriert Michals’ The Spirit Leaves the Body die unmögliche fotografische Erfassung einer vom Körper losgelösten Seele169 sowie die metaleptische Grenzüberschreitung des Bildraums.170 Taylor-Johnsons hüllenlos Liegender in Soliloquy VII, dessen Positionierung u.a. Mantegnas Beweinung Christi (Cristo in scorto, 1480, Pinacoteca di Brera, Mailand) in Erinnerung ruft sowie indirekt die Schlussszene von Pier Paolo Pasolinis Mamma Roma (1962) evoziert, setzt auf ähnliche Irritationsmomente: In einer hyperbolisch-realistischen Geste wird der Lagernde mit den Füßen voran zur Bildoberfläche angeordnet, die er – bei gleichzeitiger Verkürzung seines in die Bildtiefe gezogenen Körpers – zu durchstoßen scheint. Bei Taylor-Johnson wie auch bei Michals sind Grenzüberschreitungen des Fiktionsraums und des Betrachterraums angelegt, die den Konstruktionscharakter bzw. die Oberfläche des Bildes sichtbar machen. Bei Robinson wiederum ist die Inszenierung primär ein auktorielles Mittel, um die Fotografie auf ähnliche Weise zu gestalten wie der Maler die Leinwand oder der

bahrungsszenen (S. 240). SYKORA, Katharina: Die Tode der Fotografie, Bd. 2: Theorie und Fotokunst, München: Fink, 2015. 168 FRITH, Francis: »Die Kunst der Photographie« (1859), in: KEMP (1980), S. 100–104, hier: S. 101. 169 Ein Verweis Duane Michals auf die ›Geisterfotografie‹ der 1870er Jahre – man denke etwa an den Bostoner Geister-Fotograf William H. Mumler (1832–1884) – ist sicherlich nicht unbeabsichtigt. 170 Duane Michals The Spirit Leaves the Body besteht aus sieben Fotografien, die einen zeitlichen Ablauf suggerieren. Das erste und das letzte Bild sind hierbei identisch und zeigen einen kargen Raum mit einem Bett, auf dem – fußvorwärts ein nackter Mann liegt. Durch ein fotografisches Sandwichverfahren wird über ein je im Blickwinkel leicht verschobenes Negativ in den weiteren Fotos jeweils ein zweites Motiv gelegt, das dieses als halbtransparenter Film überlagert: Das zweite Bild der Sequenz zeigt so einen geisterhaften, auf dem Bett sitzenden Mann, der im dritten Bild die Position wechselt, im vierten Bild aufsteht und im fünften bis sechsten Bild näher an den betrachterseitigen Bildrand rückt. Im Verlauf der nahezu filmischen Bildsequenz schreitet also der semitransparente Doppelgänger des scheinbar Verstorbenen durch den Raum, bis er sich schließlich im letzten Bild an der Schwelle zum Betrachter auflöst. Mit diesem Foto ließe sich in einem Loop an das erste Bild der Sequenz anschließen. Cf. hierzu auch SYKORA (2015), S. 236–240.

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Schriftsteller den Roman. Keineswegs wird die Mise en scène in überspitzter Form als künsterische Strategie selbst zur Schau gestellt; einzig in der narrativen Verdichtung und Ausgewogenheit der Komposition manifestiert sie sich. Zwei Punkte werden hingegen bei allen drei Fotografien deutlich: Erstens zeigt sich, dass der Betrachter stets visuelle Codes bzw. Bildformeln abruft, die seine Wahrnehmung verändern; und zweitens manifestiert sich, dass die Bildschaffenden in fotografischen Inzenierungen bewusst (und auch unbewusst) mit diesen überlieferten Rhetoriken anderer Bildmedien spielen. 2.2 Fotografische Inszenierung im 20. Jahrhundert und ›inszenierte Fotografie‹ Mit Taylor-Johnson und Michals wurden bereits zwei Positionen des 20. Jahrhunderts vorweggenommen, die historisch und hinsichtlich ihrer medienreflexiven Aspekte als ›inszenierte Fotografie‹ bezeichnet werden können. Der Fokus des aktuellen Kapitels liegt auf dem Genre der ›inszenierten Fotografie‹ in Abgrenzung zur fotogeschichtlich durchgängigen Praxis der Inszenierung. Inszenierende Eingriffe waren – wie schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – auch im 20. Jahrhundert stets verbreitet, obschon weder technische Parameter noch die paragonalen Bestrebungen eines jungen ›Mediums‹ hier das Motiv bildeten. Insbesondere ab den 1920er Jahren wurde die Mise en scène zum bedeutenden Kunstgriff in neuen Bereichen angewandter Fotografie wie etwa der Mode und Werbung. Jedoch schien gerade in der künstlerisch motivierten Fotografie die strategische Inszenierung zunächst an Bedeutung zu verlieren: Lori Pauli erklärt diese Tatsache mit dem Umstand, dass der Film in seiner Fähigkeit, fiktionale, narrative Welten zu schaffen, der Fotografie diese Domäne streitig machte.171 Demnach besannen sich viele Lichtbildner auf Kriterien zurück, die als die mediale Spezifik der Fotografie betrachtet wurden: Der Fokus verlagerte sich in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts auf eine direktere Art des Fotografierens, die nach Präzision, Klarheit, feinen Tonwerten und der Unmittelbarkeit der Darstellung trachtete.172 Dennoch war das 20. Jahrhundert ebenfalls von Wechselwirkungen verschiedener Bildarten gezeichnet. Nach wie vor fanden sich fotografische Inszenierungen, die sich als malerisches ›Stilzitat‹ oder Auseinandersetzung mit einem konkreten Kunstwerk interpretieren lassen, siehe z.B. Man Rays Violin d’Ingres, 1924 (u.a. Centre Pompidou, Paris, Inv.Nr. AM 1993-117). Doch wäre es überaus proble-

171 La photographie mise en scène (2006), S. 16. 172 Paul Strand, Alfred Stieglitz und Edward Weston zählten zu den prägendsten Köpfen einer solchen Ästhetik. Die technische Entwicklung der fotografischen Apparaturen begünstigte ebenfalls eine neue, tendenziell unmittelbarer wirkende Bildsprache.

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matisch, die historischen Inszenierungsformen des 19. Jahrhunderts undifferenziert mit denen der 1920er Jahre oder späterer Jahrzehnte zu vermengen. So korreliert zwar der Ausstellungskatalog La photographie mise en scène173 zeitgenössische Positionen mit solchen des 19. Jahrhunderts. Die Herausgeberin Lori Pauli entwirft jedoch ein differenziertes Bild: Neben der ›klassischen‹, kunstfotografischen Traditionslinie macht sie weitere Bedingungen sichtbar, die für das 20. Jahrhundert entscheidend sind – nämlich die Verschränkung von Kunst-, Werbe- und Reportagefotografie. Die französische Fotohistorikerin Dominique Baqué betont wiederum sowohl Wechselwirkungen mit der Konzeptkunst und Land Art der 1960er Jahre174 als auch Rückwirkungen der institutionalisierten Straight Photography bzw. der amerikanischen Street Photography auf die bildnerische Fotografie. Sie behauptet einen epistemologischen Bruch175: Noch 1962 habe etwa Edward Steichen im New Yorker Museum of Modern Art die wiederentdeckten Aufnahmen des Farm Security Administration Project präsentiert (The Bitter Years, 1962). Dessen ungeachtet setzte sich wenige Jahre später in der Fotografie ein eher plastisch-bildnerischer Ansatz durch, der unverhohlen die eigene Konstruiertheit thematisiert, wie Moa Goysdotter (2013) feststellt. Die zeitliche Nähe von Dokumentarfotografie und ›photographie plasticienne‹ bzw. inszenierter Fotografie ist jedoch keineswegs so paradox, wie es zunächst scheinen mag. Wenngleich sie weniger augenscheinlich und seltener intervenierten, halfen auch einige mutmaßlich dokumentarisch arbeitende Fotografen der ›Wahrheit‹ nach und betrachteten ihr Metier, wenn zwar nicht als die Kunst, so doch als eine Kunst.176 Beispielsweise wurden gegenüber Arthur Rothstein, der wie Dorothea Lange und Walker Evans am Farm Security Administration Project beteiligt war, Vorwürfe laut, nachdem seine manipulativen Eingriffe in Bildmotive bekannt wurden. Er hatte einen ausgeblichenen Rinderschädel in der Wüste South Dakotas gefunden und als Symbol für die Dürre an verschiedenen Stellen seiner dokumentarischen Fotos integriert. Die dem Projekt nicht wohl gesonnene republikanische Presse entdeckte

173 La photographie mise en scène (2006). 174 Nach Baqué führte der Einsatz von Fotografie in der Konzeptkunst und Land Art zu einer Verselbständigung des Lichtbildes: Statt situativer Gegebenheiten wurden hier künstlerische Eingriffe und ephemere Ereignisse festgehalten, die zuvor kreiert werden. 175 BAQUÉ (1998), S. 50. 176 Walker Evans betont den Unterschied zwischen der KUNST und einer Kunst: »Fotografie hat absolut nichts mit ›der Kunst‹ [the Art] zu tun. Aber genau aus diesem Grund ist sie eine Kunst [an art]« in: POIVERT (2002), S. 21 [Übers. A.K.].

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»several other less devastating versions of the picture and made a stink. That Rothstein had moved the skull was considered a serious breach of documentary integrity, and the FSA [Farm Security Administration] was rocked by charges of fakery and propaganda. The public was not prepared to accept a news photograph as the creative interpretation of reality.«177

Hatte man die fiktionalen Fotoinszenierungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Spielerei betrachtet, so wurde den dokumentarischen Fotoinszenierungen der 1930er Jahre eine Betrugsabsicht unterstellt, da sie einerseits Authentizität behaupteten, andererseits aber das Dargestellte performativ im bzw. für das Bild hervorbrachten. Angesichts der Kritik an Rothstein wird der differente Status offen fiktionaler und dokumentarischer Fotografien sichtbar. Auch zeigt sich, dass Inszenierung selbst dort, wo sie nicht deutlich zur Schau getragen wird, eine elementare Praktik verschiedener fotografischer Genres ist. Ikonen des Alltags. Inszenierung in Werbung und Pop Art Trotz der skizzierten Hinwendung zu einem fotografischen ›Wahrheitsanspruch‹ in der documentary und straight photography gab es stets Bereiche der Fotografie, in denen die inszenierende Praxis nicht nur geduldet, sondern willkommen war. Seit den 1920ern und verstärkt ab den 1950er Jahren bildete sich in der Werbefotografie eine explizit inszenierende, narrative Praxis heraus. Wie Lori Pauli feststellt, dominierten hier fiktive Bildwelten, da man den zu bewerbenden Artikel in eine verkaufsfördernde Geschichte einbinden und den Betrachter durch einen theatralen Stil adressieren musste.178 Die Werbefotografie besaß, im Gegensatz zur Reportageund Straßenfotografie, die Freiheit, offen und ohne Verlust ihrer Überzeugungskraft Szenen zu fingieren.

177 Joel Eisinger, zitiert in: MULLEN, Leslie: Truth in Photography: Perception, Myth and Reality in the Postmodern World, Masterarbeit an der University of Florida, MI, 1998, Onlineversion: http://etd.fcla.edu/UF/amd0040/Leslie.pdf [eingesehen am 12.10.2014], S. 43. 178 PAULI, Lori: »Planter le décor«, in: La photographie mise en scène (2006), S. 12–81, hier: S. 34.

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Die von Pauli genannten Reklamebilder von Ralph Bartholomew, Jr. 179 und Paul Outerbridge, Jr. aus den 1930er bis 60er Jahren erinnern an Filmstills oder narrative Tableaus: So entspricht etwa in Outerbridges The Coffee Drinkers (Abb. 8.1) die offenbare Herauslösung aus einem erzählerischen Handlungskontext einer Strategie, um komplexe kulturell codierte Skripte180 wie ›Geselligkeit‹ oder ›Häuslichkeit‹ mit dem beworbenen Produkt zu verweben: Jede innehaltende bzw. eingefrorene Geste der vier Personen im Bild fügt sich zu einer Er- Abbildung 8.1: Paul Outerbridge, Jr., zählstruktur – etwa die syn- The Coffee Drinkers, c. 1939, Carbo-Farbabzug, chron erhobenen Kaffeetassen 27 x 38 cm. der zwei Gäste links oder die aus dem Bild zeigende rechte Hand des Mannes in Schürze, der sich mit der Kaffeekanne nähert. Die narrative Verwendung der Fotografie in der Werbung antizipiert nicht nur formalästhetische Prinzipien der inszenierten Fotografie der 1970er Jahre, die ebenfalls zu großen Formaten, gesteigerter Farbigkeit und einer Adressierung des Betrachters tendiert. Sie berührt sie zudem über die Zwischenschaltung der Pop Art der 1950er und 60er Jahre, die in Auseinandersetzung mit der Warenästhetik und der massenhaften Produktion der Konsumgesellschaft einen generellen Wertewandel der Künste proklamierte. So rebellierte die Pop Art gegen die elitäre, von modernistischen Idealen181 geprägte Schaffenssphäre, indem sie massenmediale, banale Alltags-

179 Ralph Bartholomew, Jr., Father with Camera on Prom Night Making a Snapshot of his Daughter as her Date, Mother, and Younger Brother Look on, um 1950, Gelatinsilberprint, 28,9 x 26,8 cm, Metropolitan Museum of Art, New York (Inventarnr. 2006. 584.5). 180 Der Begriff des Skriptes ist hier an die Kognitionslinguistik angelehnt, vgl. die Scriptund Frame Theory von Silvan S. Tomkins, Roger Schank und Robert Abelson oder Victor Raskin. 181 Als solche definieren Autoren wie Michael Fried bzw. Clement Greenberg die AntiTheatralität, Medienspezifik und Bildautonomie. Rosalind KRAUSS (1981a/2000) hingegen zeigt, dass avantgardistische Ideale wie Originalität überhaupt nicht der künstlerischen Praxis entsprechen können. Sie betont, dass die Avantgarde problematischerweise dazu tendiere, die Vergangenheit zu negieren und Originalität zu begreifen als einen »Ursprung […], ein Anfangen vom Nullpunkt, eine Geburt« (ebd., S. 205). Wie die

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erzeugnisse ästhetisierte und ikonisierte. Durch Reproduktionstechniken brach sie mit dem auratisch-elitären Kunstbegriff, dem Originalitätskonzept und der Idee des Schöpfer-Autors: Grundlegend waren hierbei Strategien der »frank confiscation, quoting, excerptation, accumulation and repetition of already existing images«182, wie sie Robert Rauschenberg praktizierte. Nach Douglas Crimp wird in solch »postmodernen« Wiederholungs- und Aneignungsstrategien unverhohlen geklaut, angeeignet und zitiert, wobei Fragen der Autorschaft ausgehöhlt werden. Das Repertoire an Bildern, aus dem die Pop Artisten schöpften, umfasste unter anderem Fotografien der Kunst- und Warenwelt oder der Tagespresse. In den 1950er bzw. 60er und 70er Jahren interessierten sich Pop Art wie auch Konzeptkunst – wenngleich aus je unterschiedlichen Gründen – gleichermaßen für die Fotografie. Die Conceptual Art bediente sich der Fotografie zunächst primär in ihrer Funktion als Informations- und Zeichenträger.183 Die Pop Art hob hingegen eher die gesellschaftlichen und medialen Eigenschaften hervor und rückte die Reproduzierbarkeit und die Reduktion der auktorialen Handschrift in den Vordergrund. Was sie reizte, war, so Roland Barthes, »weder Kunstmalerei noch Kunstfotografie, sondern eine namenlose Mischform.«184 Man könnte folglich zwischen einer sachlich-funk-

Amerikanerin ironisch anmerkt, nehme der prototypische Avantgardist für sich selbst eine Ursprünglichkeit in Anspruch, die er wiederum an den Ursprung seines Werks setze. Nachdem der Künstler »sich diese Vollmacht erteilt hat, geht er […] [bzw. sie im gewählten Beispiel Agnes Martins, A.K.] dazu über, seine Originalität mit der Erschaffung von Rastern umzusetzen. Doch wie wir gesehen haben, ist er […] nicht nur nicht der Erfinder des Rasters, sondern dieses Patent kann auch niemand sonst für sich beanspruchen: Das Copyright erlosch irgendwann in der Antike, und seit vielen Jahrhunderten gehört diese Figur zum allgemein verfügbaren Gut« ( S. 208). Gerade das Raster verkörpere für den Avantgardist eine vermeintliche referenzielle Autonomie bzw. »Interesselosigkeit des Kunstwerks« (S. 206) oder doch zumindest eine gewisse »Opakheit«, durch die der »materielle Grund des Bildobjekts« in den Vordergrund gerate (S. 206 und S. 210). Krauss arbeitet demgegenüber heraus, dass es keine künstlerische Freiheit gebe, sondern dass wir »zur Wiederholung verdammt« seien, wobei das Raster geradezu metaphorisch zum Gefängnisgitter des Avantgardisten wird (S. 208). 182 CRIMP, Douglas/LAWLER, Louise: On the Museum’s Ruins, Cambridge, MA: MIT Press, 2008, S. 58. 183 David Campany betont, dass die Conceptual Art Fotografie in einer »obviously inartistic way« nutzte. Sie war essentiell für den Konzeptualismus, der sich ihr aber in ihrer Eigenschaft als »non-medium« näherte. CAMPANY, David: Art and Photography, London/New York City, NY/Paris: Phaidon, 2003, S. 18. 184 BARTHES, Roland: »Die Kunst, diese alte Sache...« (1980), in: Ders. (1990), S. 207– 215, hier: S. 208.

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tionalen Verwendung in der Conceptual Art und einem ironisch-reproduzierenden Gebrauch in der Pop Art unterscheiden. Beide Ansätze öffneten der Fotografie eine Nebentür in die Kunst, wobei die Pop Art auch Werbe- und Filmbildern den Zugang ermöglichte und eine Ästhetik propagierde, die in vielen Punkten der ›inszenierten Fotografie‹ ab den 1970er Jahren entsprach. Zwischenresümee: Genese des Genres inszenierter Fotografie Die skizzierten Überlegungen zum Eingang der Fotografie in die Künste zeigen, dass andauernde Wechselwirkungen von Fotografie, Malerei und weiteren Bildarten maßgeblich waren für die institutionelle Anerkennung des Lichtbildes. Die Entstehung des Genres der ›inszenierten Fotografie‹ in den 1970er Jahren ist ebenfalls vor komplexen Interrelationen zu betrachten: Heterogene Faktoren wie die Verwendung der Fotografie in der Pop Art, die Abgrenzung von der ›documentary‹ und ›street photography‹ sowie die in den 1970er Jahren zentrale Orientierung an der Fiktionswelt des Films und Theaters spielen dabei eine wichtige Rolle. Eine Herleitung der bildnerischen (und auch inszenierten) Fotografie aus der Konzeptkunst, der Performancekunst und Land Art, wie sie Dominique Baqué vorschlägt, ist ebenfalls schlüssig. Denn auch hier wird der Referent zunächst künstlich gestaltet, wobei die Fotografie schließlich zum eigenständigen, künstlerischen Objekt bzw. zum einzigen Residuum der realisierten Idee des Künstlers wird.185 Jedoch unterscheidet sich eine solche Argumentation kaum von den Plädoyers für eine piktoralistische Traditionslinie. Denn bereits in der Kunstfotografie des 19. Jahrhunderts wurde der darzustellende Gegenstand erst für das Bild kreiert. Das besondere Unterscheidungskriterium der Land Art, Konzept- und Performancekunst liegt, und hierin besteht die Problematik von Baqués Überlegung, in dem Umstand, dass für diese Künstler das materielle Endprodukt des Fotos zunächst sekundär war. Die Idee bzw. der Prozess, der dem Bild voranging (oder in dessen Verlauf es entstand), galt als das eigentliche Kunstwerk, obschon das dokumentierende Bild oft mitgedacht wurde. Dies nun aber ist in der ›photographie plasticienne‹ und in der ›inszenierten Fotografie‹ gerade nicht der Fall, da dort der Produktionsvorgang meist nachrangig behandelt wird und für den Betrachter nicht offen einsehbar ist. Insofern unterscheiden sich die künstlerischen Intentionen maßgeblich.186 Fotografische Inszenierungen, wie sie anhand der Beispiele Duane Michals’, Henri Peach Robinsons oder Paul Outerbridge, Jr. beschrieben wurden, zeigen fiktive Welten, die in hohem Maße für das Bild und durch das Bild erzeugt werden.

185 BAQUÉ (1998), S. 18–22. 186 Überzeugender ist hingegen Baqués Feststellung, dass durch die Land Art und Konzeptkunst die Fotografie einen »entrée en art« verzeichnete, da sich in den 1960ern die zuvor hermetisch erscheinende Kunstsphäre für mediale Hybridformen öffnete.

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Der Fokus ist bei der Untersuchung solcher Fotografien folglich auf die gespaltene Referenz zu setzen, genauer: auf die Bildwirklichkeit, die aufgrund ihrer Inszenierung bereits ein performatives Element enthält und somit keine rein ›physische Gegebenheit‹ ist. Es stellt sich unter diesem Gesichtspunkt abermals die Frage, ob eine Auffassung von Bildreferenz als Index im Peirceschen Sinne dem künstlerischen Eingriff der Inszenierung gerecht werden kann:187 Müsste nicht vielmehr unterschieden werden zwischen einem rein kausalen Referenten (Lichtwirkung), einem indexikalischen Zeiger und jenen offenen Signifikanten, die im Bild erst erzeugt werden und die selbst in Wechselwirkungen mit variierenden Kontexten verstrickt sind? Diese Fragestellung wird im Analyseteil erörtert. Zuvor gilt es, den Terminus der ›inszenierten Fotografie‹ als Genrebegriff zu erfassen, der enger gesetzt ist als die Praxis der fotografischen Inszenierung. Inszenierte Fotografie seit den 1970er Jahren Die Ausdrücke ›directorial photography‹ oder ›inszenierende/inszenierte Fotografie‹ wurden im englischen bzw. deutschen Sprachraum von Allan D. Coleman, Bazon Brock und Peter Weiermair188 eingeführt, um bestimmte Fotografien der 1970er und 80er Jahre zu bezeichnen, die mit dem Desiderat einer weitgehend objektiven fotografischen Realitätswiedergabe brachen. Nach Anne Hoy vermittelten diese Aufnahmen eine Ersatzwirklichkeit, eine narrative Kontinuität und emotionale Verdichtung – Elemente, die zuvor eigens konzipiert und (vor-) fotografisch realisiert wurden.189 Coleman bleibt in seiner Definition der ›directorial photography‹ vage und vermengt unter dem Begriff sowohl das Anordnen von Personen als auch das Arrangieren von Dingen zu Stillleben- bzw. Porträtaufnahmen.190 In einem Text zum Werk Arthur Tress’ rechnet er diverse inszenatorische Eingriffe dem ›RegieModus‹ zu, den er definiert als »the deliberate staging of events for the express purpose of making photographs thereof – as distinguished from adressing oneself

187 Diese Überlegung bringt auch HAMMERBACHER (2004) vor, ebd. S. 62. 188 Vor Coleman hatte bereits Bazon Brock 1972 eine Unterscheidung zwischen objektivierenden, inszenierenden und reproduzierenden Fotografien vorgeschlagen, cf. BROCK, Bazon: »Fotografische Bilderzeugung zwischen Inszenierung und Objektivation« (1972), in: KEMP (1983), S. 236–239. Laut WALTER (2002) ist Brocks Aufsatz für die inszenierte Fotografie weniger relevant, da er sich auf Werbe- und bildjournalistische Fotografie beschränkt. Es bleibt zudem unklar, warum er den Begriff der Inszenierung überhaupt auf die Fotografie übertrage, ebd. S. 23. 189 HOY (1987), S. 6. 190 COLEMAN (1976). Ein deutsches Exzerpt findet sich unter dem Titel: »Inszenierende Fotografie. Annäherungen an eine Definition« (1976), in: KEMP (1983), S. 239–243.

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through the camera to an ongoing, uncontrolled, external ›reality‹.«191 Coleman betrachtet das intervenierende Vorgehen als Abkehr vom »Imperativ des Realismus«192, der besage, dass das Lichtbild stets die unveränderte Wirklichkeit passiv reflektieren müsse. In seinem Aufsatz The Directorial Mode (1976) entwirft er ein Modell, das eine Art Messskala des fotografischen Objektivismus wiedergibt. An den Pluspol setzt er die »documentary« bzw. (wie er sie nennt) »informational photography«, um ihr am Minuspol den »directorial mode« entgegenzuhalten. Hieraus wird ersichtlich, dass er Inszenierung als fiktionalisierendes Element begreift, das mit dem mutmaßlich unverfälschten Dokumentarstil kontrastiert. Die Problematik einer solchen Antonymie wird deutlich, wenn man sich die unterschiedlichen Intentionen der Fotoinszenierung bewusst macht und die subtilen Eingriffe ›dokumentarischer‹ Fotografen berücksichtigt. Coleman bemüht sich, eine Trennlinie zwischen den »atheistischen« Eingriffen des ›directorial mode‹ und dem »agnostisch«-interpretativen Einwirken der »straight« bzw. »contemplative photography« zu ziehen.193 Der basale Unterschied bestehe »darin, daß der Fotograf entweder die äußere Welt als gegeben nimmt und sie auf dem Weg zum Bild nur durch fotografische Mittel (Blickpunkt, Ausschnitt, Kopierverfahren etc.) ändert oder daß er sie als Rohmaterial behandelt, das vor der Entwicklung des Negativs nach Wunsch manipuliert werden kann.«194

Colemans Begriffsverwendung bleibt in mancher Hinsicht unklar. Christine Walter kritisiert zu Recht, dass weder bei ihm, noch in späteren Untersuchungen genau bestimmt würde, was »directorial« respektive inszenierte Fotografie sei.195 Sie macht zudem auf die Vermischung der Termini »fabricated«, »staged/directorial« und »constructed photography« aufmerksam, deren Unterscheidung durchaus kontrovers ist. Neben diesen Bezeichnungen stößt man beim Durchforsten des Begriffs-

191 COLEMAN, zitiert in: VOGEL (2006), S. 38 [in Anmerkung 40]. 192 COLEMAN (1976/1983), S. 240. 193 Cf. COLEMAN (1976/1983), S. 240 zur Unterteilung in atheistische, agnostische und gnostische Fotografien. 194 COLEMAN (1976/1983), S. 242 [Hervorh. A. K.]. 195 Die Unterscheidung von ›inszenierender‹ und ›inszenierter Fotografie‹ scheint in vielen Fällen willkürlich gesetzt. Fritz Franz Vogel hebt hervor, dass erstgenannter Begriff das Prozesshafte, die Zeitspanne des Erstellens und das Konzeptuelle stärker betone. Er widerspricht dieser Definition leider sogleich selbst, indem er auch interpretierende Arbeiten der Dokumentarfotografie als inszenierend benennt, wenngleich diese eher das Momenthafte betonen, VOGEL (2006), S. 30.

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dschungels auf die sehr ähnlichen Termini der narrativen und arrangierten196 Fotografie sowie auf das Foto-Tableau.197 Bei den meisten Termini wird in der Gegenüberstellung eine Abgrenzung möglich: So impliziert die narrative Fotografie eine Handlungsstrukur bzw. ein erzählerisches Moment. Sie umfasst einen Großteil der »staged photography«, die nach Christine Walter vor allem in den 1970er Jahren eine »geschichtenerzählende[n] Kunst« darstellte.198 Der Begriff inszenierte Fotografie wird allerdings meist allgemeiner definiert, als dies bei Walter der Fall ist: Er umfasst auch nicht-narrative, fingierte Personen- und Situationsdarstellungen, siehe etwa Crasemann/ Krüger/Weiß (2011) und Blunck (2010). So trennscharf Walters Begriffsabgrenzungen im Gesamtbild erscheinen, so problematisch ist insbesondere ihre Forderung, den Term »staged photography« nur für die 1970er Jahre beizubehalten und für Gegenwartsfotografie den Begriff »new staged photography« zu verwenden.199 Da es für die inszenierte Fotografie der letzten Jahrzehnte schwer fällt, ein eigenes, von den 1970er Jahren klar abtrennbares künstlerisches Programm zu erkennen, distanziert sich vorliegende Untersuchung von Walters Begriffseinführung, zumal der Terminus ›new‹ bekanntlich schnell an Neuheitswert verliert. Ich orientiere mich stattdessen stärker an Definitionskriterien von Matthias Weiß und Andreas Müller-Pohle hinsichtlich der notwendigen Zurschaustellung der Inszenierung.200 Folgt man weiterhin Moa Goysdotter, dann vermittelt inszenierte Fotografie ein Bewusstsein für die intrinsische Verschlungenheit von fotografischer Bildmaschinerie, wahrnehmendem Körper, Geist und ›Realität‹.201 Doch wie haltbar und/oder passend sind die Begriffe staged, directorial bzw. inszenierend/inszeniert, die in den 1970er Jahren aus dem Theater und Film auf lichtbildnerische Kompositionen übertragen wurden? Bereits in Kapitel 2.1 verwies ich auf die langjährige Verbindung von Theater und Fotografie. Auch Rudolf Arn-

196 Der Begriff der ›arrangierten Fotografie‹ bezeichnet nach WALTER (2002) primär Kompositionen aus leblosen Gegenständen. Als Sammelbegriff für inszenierende, arrangierte und technisch bearbeitete Fotografien werden die Termini ›fabricated‹ oder ›constructed photography‹ verwendet, cf. HOY (1987). Sie gelten als Überkategorie aller nicht ›naturbelassenen‹ Aufnahmen. 197 Bzw. das ›forme-tableau‹. Die Begriffe Jean-François Chevriers kamen zu Beginn der 1980er Jahre im Zusammenhang mit den Arbeiten von Jeff Wall und Jean-Marc Bustamante auf. Chevrier bezeichnete damit eine fotografische Form, die sich am Modell der Malerei orientierte. 198 WALTER (2002), S. 10. 199 WALTER (2002), S. 36. 200 MÜLLER-POHLE (1988), S. 12; WEISS (2010), S. 50. 201 Cf. GOYSDOTTER (2013), S.22–24.

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heim (1932) behauptet eine Verwandtschaft der Disziplinen, wenngleich er klarstellt, dass das Theater mehr mit dem Film gemein habe als mit dem unbewegten fotografischen Einzelbild, das über eine schwächere Illusionskraft verfüge. Zentral sei hierbei die unterschiedliche Verkürzung der Zeit und des Raums. 202 Bühne und Foto unterscheiden sich dadurch, dass bei ersterer »ein realer (Bühnen_)Raum und ein realer Zeitablauf tatsächlich gegeben sind.«203 Demgegenüber stelle die Fotografie zwar, »ebenso wie die Bühne, einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit (einen Zeitmoment) dar«, sie tue dies aber nicht »mit Hilfe eines realen Raums (und eines realen Zeitablaufs)«, sondern in einem abstrahierten Bildraum.204 Bemerkenswert bei der Übertragung des ›Inszenierungsbegriffs‹ 205 auf die Fotografie in den 1970er Jahren ist laut Christine Walter, dass sich in den Theaterwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Konzept der Inszenierung grundsätzlich wandelte, zumal auch theatrale Räume jenseits des Theaters experimentell ergründet wurden.206 Die Inszenierung wurde in der jüngeren Theatertheorie als ein auf die Rezeption ausgerichtetes Ensemble produktionsseitiger Korrektive begriffen. Sie entsprach einer Vorwegnahme des Betrachterblicks und musste Effekte und Emotionen vorausschauend berechnen.207 Ausgehend von diesem

202 ARNHEIM, Rudolf: Film als Kunst (1932), München: Hansen, 1974, S. 39. 203 Ebd., S. 39. 204 Ebd., S. 40. 205 Der Begriff Inszenierung datiert zurück auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts und ist verknüpft mit der Etablierung des Intendanten-Dramaturgen, der sowohl das Schauspiel als auch die szenische Gestaltung koordiniert. Nach André Veinstein bezeichnet der Term im »breiteren Sinne […] die Gesamtheit der Mittel szenischer Interpretation: Bühnenbild, Beleuchtung, Musik und Schauspielweise […]«, Veinstein, zitiert nach: SCHOENMAKERS, Henri: »Inszenierung«, in: KÖNIG, Burghard (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe, Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek: Rowohlt, 1986, S.423–426, hier: S.423. Zum Begriff der Inszenierung cf. auch: FISCHER-LICHTE (2005) und SEEL, Martin: »Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs«, in: FRÜCHTL, Josef/ZIMMERMANN, Jörg (Hg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2001, S. 48–62. 206 »Während sich der herkömmliche Inszenierungsbegriff auf materielle Dinge wie Lichtund Bühnentechnik, Kostüm oder Maske bezog, versteht die moderne Theaterwissenschaft unter Inszenierung die Umsetzung eines dramatischen Ganzen einschließlich seiner Überarbeitung auf die Reaktion des Betrachters hin.«, WALTER (2002), S. 12. 207 Cf. VOGEL (2006), S. 31. Nach Fischer-Lichte wurde hingegen bereits im AvantgardeTheater eine »autopoietische feedback-Schleife« durch die Aufführenden antizipiert. Bereits die Theaterreformer des frühen 20. Jahrhunderts ergründeten »die Möglichkei-

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gewandelten Verständnis lassen sich maßgebliche Unterschiede benennen, die zwangsläufig zwischen der Mise en scène des Theaters und des Lichtbilds bestehen. Anders als das Bühnenstück operiert die Fotografie – wie auch Arnheim angemerkt hat – mit reduzierten räumlich-temporalen Gestaltungsmitteln. Eine Zeit- und Handlungsachse kann es bei hier nicht in derselben Form geben. Jedoch lässt sich eine solche Achse (wie etwa bei Duane Michals) über Bildfolgen und Textbeigaben konstruieren oder (wie bei Outerbridge, Jr.) durch die Andeutung aufeinander bezogener Gesten des Bildpersonals anlegen, die im Moment narrativer Verdichtung eingefroren werden.208 Ein zweiter zentraler Unterschied besteht in der Relation zum Betrachter, dessen späterer Blick durch den Fotografen in hohem Maße vordefiniert wird, während im Theater eine Betrachtung von verschiedenen Standpunkten aus möglich ist: Die »Wirkung oder Sinngebung für den imaginierten Betrachter«209 spielt in beiden Inszenierungsformen eine tragende Rolle, lässt sich jedoch nur innerhalb grundverschiedener raumzeitlicher Dispositionen orchestrieren. Die Begriffsübertragung aus dem Theater und Film ist dennoch sinnig: Denn die Mise en scène setzt allgemein stets eine ›scène‹, also eine Handlungsbühne voraus (griech. skene = Zelt, Laube, Bühne, Szene). Der Term impliziert die Schaffung eines gerahmten Fiktionsraums, in dem eine gespielte Realität Platz findet, die

ten, die sich in unterschiedlichen Räumen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern, auf Bewegung und Wahrnehmung boten, und suchten diese durch eine spezifische (Um-)Gestaltung im Sinne ihrer jeweiligen Vorstellungen und Zielsetzungen zu verstärken, so daß im Zuschauer möglichst ganz bestimmte Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen hervorgerufen wurden. Die Regisseure der Avantgarde trachteten, wie bereits verschiedentlich angemerkt, danach, die Kontrolle über die autopoietische feedback-Schleife zu behalten.« FISCHER-LICHTE, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2004, S. 191. In den 1960er Jahren würden hingegen vielmehr unkonventionelle Räume in der Öffentlichkeit als alternative Bühnen mit je spezifischen Raumwirkungen ergründet. 208 Eine umfassende Studie zu Möglichkeiten in der Fotografie, verschiedene, narrative wie auch nicht-narrative Zeitebenen anzulegen, stellt Danièle Méaux’ La photographie et le temps dar, cf. MÉAUX (1997). 209 VOGEL (2006), S. 31. Die von Vogel genannten, rezeptionsästhetischen Kriterien sind allerdings keineswegs nur für die theatrale und fotografische Mise en scène prägend. Es ist daher Vorsicht geboten, um den Term der Inszenierung nicht zu stark zu strapazieren. Eine Vorwegnahme oder Führung des Betrachterblicks wird in den verschiedensten künstlerischen Disziplinen mit unterschiedlichen Mitteln bewirkt, die gewiss nicht als Inszenierung bezeichnet werden sollten. Es würde den inflationären Gebrauch des Terms allzu sehr fördern, auch bei den in der Malerei und Graphik waltenden, rezeptionsästhetischen Mechanismen von Inszenierungsmitteln zu sprechen.

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wiederum ohne wirkliche Darsteller und Requisiten nicht existieren würde. Ein illusionärer Raum des ›Als-ob‹ »pfropft« sich hier dem Raum des ›Realen‹ auf 210 und erhält ein eigenes Wirkungsfeld mit autonomen Regeln. Die physische Integrität des real Da-Seienden wird davon nicht beeinträchtigt, auch wenn der Spielcharakter evident gemacht wird.211 Für die inszenierte Fotografie hat die Eröffnung und Kennzeichnung eines solchen Raumes des ›Als-ob‹ folgende Konsequenz: Die dargestellten Referenten erscheinen in einem doppelten Rahmen. Sie sind bereits vor Betätigung des Auslösers Teil einer ›aufgeführten‹ Kunstwirklichkeit und besitzen als solche zumindest eine gedachte Einklammerung – ›theatrale Anführungszeichen‹, wie man sagen könnte. Sobald die Szene als Fotografie vorliegt, erfährt dieser Rahmen eine Doppelung bzw. eine fixierende Recadrierung, zugleich erfolgt aber auch eine ›Ablösung‹ in Zeit und Raum, die mit

210 Der Begriff der Aufpfropfung (frz. ›greffe‹) gehört zum wiederkehrenden Vokabular Jacques Derridas und figuriert zunächst 1972 in La Dissémination im Kontext des (insich-bereits-differenten) Schreibens, des Wieder-Einschreibens (»ré-inscription«) und der Entnahme (»prelèvement«). Die ›greffe‹ charakterisiert Handlungen, die nach Derrida eine wechselseitige Transformation von Texten nach sich ziehen, cf. DERRIDA, Jacques: La dissémination (1972), Paris: Seuil, 2005, [dort: »La dissémination«, Abschnitt 10: Les greffes. Retour au surjet, S. 431–435, hier: S. 432]. An anderer Stelle wird die ›greffe‹ mit der allgemeinen sprachlichen Iterabilität assoziiert, die eine variierende Reprise bzw. Umformung bedeutet. Die Metapher des Pfropfes wird als Kontrapunkt gesetzt zu Austins Behauptung, es gäbe eine parasitäre, unernste Form sprachlichen Handelns neben den gelungenen Sprachhandlungen, cf. u.a. Derrida, Jacques: »Signatur Ereignis Kontext« (1972), in: DERRIDA/ENGELMANN (1988/2001), S. 15–45, hier: S. 32. 211 Der dem Schein und Spiel verpflichtete Raum des ›Als ob‹ wäre in der Linguistik mit dem zitathaften oder scherzhaften Sprechakt vergleichbar, dessen Wirkung und Realitätsbezug ebenfalls jenseits (und doch auf Basis) der allgemeinen sprachlichen Gelingensbedingungen operiert. Cf. AUSTIN, John L.: »Zur Theorie der Sprechakte. Zweite Vorlesung« (1955/1975), in: WIRTH (2002), S. 63–71, hier: S. 70: »In einer ganz besonderen Weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig wenn ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn jemand sie zu sich selbst sagt [...]. Unter solchen Umständen wird die Sprache auf ganz bestimmte, dabei verständliche und durchschaubare Weise unernst gebraucht, und zwar wird der gewöhnliche Gebrauch parasitär ausgenutzt. Das gehört zur Lehre der Auszehrung [etiolation] der Sprache.« Zu den Rahmenbedingungen von Metasprache und zur Sprechakttheorie, Cf. MEY, Jacob L. M.: Pragmatics. An Introduction, Oxford et al.: Blackwell Publishing, 2005, S. 174–175 bzw. Kapitel V. Auf Derridas Kritik an Austin werde ich an späterer Stelle näher eingehen.

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einem Kontextverlust verbunden ist. Oftmals kaschiert der oder die FotografIn dabei die Bühnensituation der dargestellten Szene, sodass das »Ça a été joué« (Soulages) der Inszenierung als ein unmanipuliertes Gewesenes erscheint. In der ›staged photography‹ wird daher die Frage virulent, wodurch die Mise en scène markiert ist bzw. ob der künstliche Referent überhaupt sichtbar in ›Anführungsstriche‹ gesetzt werden kann. Dies scheint der Fall, wenn die Produktionsbedingungen oder die Künstlichkeit des Bildes eindeutig erkennbar sind. Ein konkretes Beispiel, wie eine solche Visualisierung aussehen könnte, ist Joel-Peter Abbildung 8.2/FT. 7: Joel-Peter Witkin, John Witkins John Herring, Person Herring, P.WA., Poses as Flora..., With Aids., Poses as Flora Silbergelatineabzug, 20,3 x 23,5 cm. with Lover and Mother (Abb. 8.2/FT. 7, 1992). Hier posiert ein bärtiger Mann in einem barocken Kleid mit Reifrock auf einem wolkenförmigen Sockel212, während von links ein unbekleidetes Kind mit Engelsflügeln – einem Putto gleich – von einer dritten Person ins Bild gehoben wird. Der als ›Flughilfe‹ des Kindes fungierende, stützende Arm ist ebenso sichtbar wie das Podest, auf dem der Bärtige steht. Von einer gebündelten, frontalen Lichtquelle wird das Gesicht John Herrings angestrahlt; dies steigert die Kontraste des Schwarzweißfotos und die Plastizität der Textilien und Gesichtszüge. Der erzeugte Lichtkegel wird zudem von einer hellen Partie auf einem gemalten Landschaftsbild im Hintergrund reflektiert und suggeriert dort die Präsenz der Sonne. Rechts neben John Herring sind – leicht verschattet und weniger scharf dargestellt – zwei kostümierte Personen zu sehen, Liebhaber und Mutter, Lover and Mother, so besagt es der Titel. Der Inszenierungsapparat der Studiofotografie gerät in Witkins Arbeit unverhohlen ins Bild: Die Bruchstellen des landschaftlichen Illu-

212 Cf. die Beschreibung durch den Künstler selbst in: CELANT, Germano: »Joel-Peter Witkin: Fotografien zwischen Geist und Fleisch«, in: Ders. (Hg.): Joel-Peter Witkin, übers. von Caroline Gutberlet und Miriam Wiesel, Zürich/Berlin/New York City, NY: Scalo, 1995, S. 9–44, hier: S. 29.

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sionsraums sind klar erkennbar und werden zudem von Vorhängen gerahmt. Gleichermaßen wird die materielle Konditionierung der Fotografie betont, indem der amerikanische Künstler mit Schwarzweißmaterial arbeitet, das er oftmals, wenngleich nicht in diesem Falle, physisch bearbeitet und zerkratzt (dies z.B. in Poussin in Hell, 1999). Ein weiterer Markierungsmechanismus ist die Integration expliziter ›Bildzitate‹.213 Bei solchen Verwiesen werden ein oder mehrere bekannte Prätexte visuell wie auch teils durch entsprechende Bildtitel evoziert. Der fotografische Referent wird somit, sobald das ›Zitat‹ erkannt ist, rezeptionsseitig in Satzhaken gesetzt und das Bild als Mise en scène erfasst. Witkins Studio-Szene ist ein eklektizistisches Flechtwerk diverser Bezüge: Einerseits wird über den Titel die Ikonografie der Blütengöttin Flora aufgerufen, welche laut dem Künstler »eine Huldigung an den Genuß und an die Zügellosigkeit« verkörpere. 214 Diese Referenz wird bekräftigt durch den Blumenstrauß vor dem Schoß des Mannes sowie die beiden ›Putti‹ am rechten Bildrand. Andererseits wird aber auch im Titel der eigene ›als-ob‹-Charakter betont: John Herring, eine P.W.A. (›person with AIDS‹), posiert hier als Flora (»as Flora«). Neben der mythologischen Figur sind malerische Kompositionen des Barock und des Rokoko assoziierbar: Insbesondere der mehrschichtige Bildaufbau, die befremdliche Diskonnexion der Figur im Steifrock und der kleine Hund am Bildrand erinnern vage an verschiedene Hofportraits von Velázquez. Hingegen wird durch die elegante Maskerade und das Amorettenmotiv vor malerischer Landschaft auf fête-galante-Darstellungen des französischen Rokoko angespielt – und dies trotz anders formulierter Verweisabsichten des Künstlers, der auf Tintoretto und Tizian fokussiert gewesen sei bzw. Rembrandts Flora im Kopf gehabt habe. 215 Der ›gemalte Bildgrund‹ kann zudem als ein clin-d’oeil auf frühe Studiofotografie verstanden werden, die mit eben solchen Kulissen arbeitete. Witkins Inszenierung er-

213 Der Begriff des bildlichen ›Zitats‹ wurde u.a. von Leo Steinberg und Nelson Goodman problematisiert. Während Texte ihre Zitate kennzeichnen, sind pikturale Anführungszeichen und somit die Eingrenzung von Eigenem und Fremdem im Bild kaum möglich, cf. STEINBERG (1978). Unlängst wird jedoch von ›Kunstzitaten‹ und – insbesondere im juridischen Diskurs – von ›Bildzitaten‹ gesprochen, cf. u.a. FLIEDL, Konstanze/RAUCHENBACHER,

Marina/WOLF, Joanna (Hg.): Handbuch der Kunstzitate: Malerei, Skulp-

tur, Fotografie in der deutschsprachigen Literatur der Moderne, 2 Bände, Berlin: Walter de Gruyter, 2011. Vorliegende Arbeit verwendet den Begriff ›Bildzitat‹ für eine explizite Referenz, die entweder durch eine Art von Rahmung gekennzeichnet ist (Bilder im Bild, Benennungen des Vorbildes im Titel) oder die über die Einbindung weitgehend idiosynkratischer Bildmotive funktioniert. 214 Cf. CELANT (1995), S. 29. 215 Ebd.

B. Zwischen Aufzeichnung und Konstruktion | 103

scheint somit als ein durch und durch anachronistisches Komposit aus Versatzstücken der Kunst- und Fotografiegeschichte, die eine komplexe Zeitlichkeit und Referenzstruktur erzeugen, sobald der Rezipient sie mitliest. Auch können die Reminiszenzen als semantische Vehikel operieren, die weitere konnotative Bedeutungsebenen ins Bild tragen. Die primär motivischen Verweise dienen jedoch vor allem auch dazu, die Medialität und den fotografischen Konstruktionscharakter zu unterstreichen. Effekte des Déjà vu und des Déjà lu lenken den Blick weg vom physischen Referenten und hin zur Bildlichkeit sowie Vernetztheit (Textualität) der Fotografie sowie auf das Bildgedächtnis des Betrachters selbst. Die vielfältigen Funktionen und Effekte pikturaler wie sprachlicher Referenz sollen an weiteren Bildbeispielen untersucht werden, um benennbare Kategorien herauszuarbeiten.

C. Bildbezüge in der Kunstgeschichte

In Teil B wurden theoretische und historische Hintergründe von inszenierter Fotografie diskutiert sowie einzelne, als kunstgeschichtliches ›Zitat‹ angelegte Fotografien exemplarisch aufgeführt. Die Frage der treffendsten Begrifflichkeit für diese Rekurspraktiken wurde dabei eher stiefmütterlich behandelt: Von Re-Inszenierung war meist die Rede, während die Begriffe des ›Bild- und Stilzitats‹ nur in Anführungsstrichen verwendet wurden und der Terminus ›intermediale Referenz‹ aufgrund seiner Fokussierung auf die Medienseite (und seiner Voraussetzung unzweifelhaft abgrenzbarer ›Medien‹) gemieden wurde. Umgangen wurde auch die Benennung als Interpiktorialität, da diese jede Wechselwirkung gegenüber Sprache und Kontext ausblendet und auch Binnendifferenzen in der Kategorie des ›Bildes‹ – oder vielmehr: ›der Bilder‹ – unbeachtet lässt.1 Die Bezeichnung ›Nachahmung‹ wurde im Sinne einer Stil-Imitation genannt, schien jedoch dort, wo beispielsweise Fotografen wie Robinson oder Sherman bestimmte Ikonografien abriefen, wenig haltbar. ›Intertextualität‹ hingegen wurde als möglicherweise zu allgemeiner Ausweg aus dem terminologischen Dilemma vorgeschlagen, der aber primär zur Bezeichnung des mnemonischen Geflechts auf Rezeptionsseite verwendet wurde. Wie

1

Im Allgemeinen soll entgegen jüngerer Ansätze der Kunstwissenschaft (von z.B. Rose, Isekenmeier, Zuschlag, von Rosen) nicht pauschal von Interbildlichkeit, Interikoniziät oder Interpiktorialität gesprochen werden, sobald ein Bild (mit) im Spiel ist. Dies liefe gerade meiner These zuwider, dass ein verknüpfendes Déjà vu letzlich des Betrachters bedarf, in dessen Kognition verschiedene Referenzsysteme zusammenlaufen. Auch verweist eine fotografische Re-Inszenierung qua Aufzeichnungsverfahren bereits keineswegs nur auf ›andere Bilder‹ bzw. einen autark von der Sprache und dem Wahrnehmenden gedachten Bereich des ›Pikturalen‹, sondern sie ist rückgebunden an einen – durch Pikturales und Sprachliches vermittelten – physischen Referenten. Nun mag argumentiert werden, dass die physische Welt selbst bereits durch und durch eine Bilderwelt ist – der epistemische Unterschied, der sich für den Betrachter eines figürlichen Fotos und eines abstrakten Gemäldes darstellt, würde damit aber erneut übergangen.

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bzw. mit welchen Begrifflichkeiten lässt sich die Referenz von Bildern auf andere Bilder und Texte differenzierter beschreiben? Welche Funktionen, Strategien und Typen lassen sich unterscheiden? Bevor der Sonderfall fotografischer Nachstellungen überlieferter Bilder erneut diskutiert wird, sollen verschiedene Spielarten von Bezügen in der Kunst vorgestellt werden: Funktionen und Kategorien von Bildverweisen werden anhand konkreter Beispiele herausgearbeitet. Ziel ist es, fotografische ›Bildzitate‹ vor dem Hintergrund klassischer Wiederholungsstrategien der Kunstgeschichte zu situieren, um der Frage nachzugehen, ob es sich um eine neue oder um eine historisch eingeübte rekursive Praktik handelt – und wo gegebenenfalls ihre Spezifika liegen.2 Im Zusammenhang mit den Begriffen der Intertextualität und des ›Bildzitates‹ ist zudem zu untersuchen, welche Eigenschaften den Bildbezug vom sprachlichen Textbezug trennen. Hierbei ist das eigene Projekt, das für Literaturbezüge entwickelte Denkmodell der Intertextualität auch für visuelle Artefakte anzupassen, kritisch zu reflektieren. Es sei aber nochmals betont: Nicht die Begrifflichkeiten selbst sind das eigentliche Problem, sondern die aus diesen abgeleiteten Folgen für die Praxis.

1. FUNKTIONEN DER BEZUGNAHME IN BILD UND TEXT Zurück zur bereits beschriebenen Fotografie John Herring, P.W.A., Poses as Flora… (1992) von Joel-Peter Witkin und zur am Rande erwähnten Violin d’Ingres (1924) von Man Ray: Stellen wir diese Arbeiten einander gegenüber, dann zeigt sich, dass Bezugnahmen auf sehr unterschiedlichen Absichten beruhen und in vielfältiger Weise umgesetzt werden. Je nach Intention wird entweder eine sehr direkte Form gewählt, in der die Vorlage sofort wiederzuerkennen und im Titel benannt ist (cf. Man Ray), oder aber der Autor transformiert den ›Prätext‹ bis zur Unkenntlichkeit respektive er vermengt diverse Versatzstücke (cf. Joel-Peter Witkin). Genettes Modell der Transtextualität trägt ähnlichen graduellen und funktionalen Unterschieden – bezogen auf Sprachtexte – Rechnung: Der Literaturwissenschaftler nimmt eine Trennung vor zwischen Hyper- und Intertextualität. Erstere teilt er in u.a. spielerische, ernste, satirische sowie in stilistische (transformierende) und inhaltliche (nachahmende) Verweisformen.3 Die Intertextualität untergliedert er nach Graden der Explizitheit in Zitate, Anspielungen und Plagiate.

2

Den zweitgenannten Eindruck vermittelt beispielsweise der Ausstellungskatalog Déjà Vu (2012), der eine Genealogie zitathafter Techniken von Dürer über Rubens, Sturtevant, Bidlo und Granoux bis zu Grzeszykowska skizziert.

3

Genette spricht von zwei unterschiedlichen transtextuellen Modi: der ›einfachen‹ Transformation (z.B. inhaltlicher Bezug von Joyces Ulysses auf Homers Odyssee) und der

C. Bildbezüge in der Kunstgeschichte | 107

Ausgehend von Genette – und wissend um die Kritik an dessen Typologie durch Isekenmeier und Thomson4 – soll im Folgenden ein geeignetes Modell für die Beschreibung von Bild-Bild- bzw. Bild-Text-Beziehungen5 sowie deren mnemonischen Effekten erarbeitet werden. Zentral ist hierbei die Frage, wie sich die unterschiedlichen Umsetzungsarten auf die Rezeption auswirken. Auf welchen Funktionen und Strategien gründen Bezugnahmen? In einer ersten Annäherung ist zu bestimmen, in welchem Umfang und durch welche Form der Markierung auf den ›Fremdtext‹ verwiesen wird: Wurde das Versatzstück harmonisch integriert oder bleiben Brüche und Reibungen sichtbar? Kann man bei den untersuchten Arbeiten überhaupt von ›Zitaten‹ – in Abgrenzung etwa von Plagiaten bzw. Anspielungen – sprechen? Aufgrund der verbreiteten Kritik am Terminus des ›Bildzitates‹6 sei an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass Zi-

komplexen Transformation bzw. Nachahmung (Stilbezug, z.B. bezieht sich Vergils Aeneis stilistisch auf Homers Odyssee). Beide sind wiederum unterteilt in ernsthafte, spielerische und satirische Formen. GENETTE (1982/1993), u.a. S. 15, S. 40–47. 4

Cf. ISEKENMEIER (2013), S. 53 und THOMSON, Clive: »Compte rendu: Gérard Genette, Palimpsestes«, in: Études Litteraires, Bd. 19, H. 1, 1986, S. 159–163.

5

Ein Modelltransfer findet sich bei Stefan Römer, der Genettes Hypotextualität mit den Genres des (satirischen bzw. spielerischen) Pastiches, der Karikatur, der Travestie, Parodie und Persiflage auf Werke Polkes sowie der Appropriation Art überträgt, cf. RÖMER, Stefan: Der Begriff des Fake, Diss. Humboldt-Universität zu Berlin, 1998, insb. S. 34.

6

Cf. beispielsweise HORÁNYI, Attila/SITT, Martina: »Kunsthistorische Suite über das Thema des Zitats in der Kunst«, in: SEIPEL (1993), S. 9–22, die nach der »Nützlichkeit des Begriffs ›Zitat‹« fragen (S. 11). Christoph Zuschlag, der in einem Beitrag von 2002 mit dem Begriff des ›Kunstzitats‹ arbeitet, stellt 2006 verhaltener mit Rekurs auf Goodman fest: »Streng genommen gibt es in der bildenden Kunst Zitate im Sinne ›wörtlicher‹ Wiederholungen überhaupt nicht (es sei denn, ein Künstler integriert ein vorgängiges Original, zum Beispiel eines anderen Künstlers, in das eigene Werk […]). Ein gemaltes ›Zitat‹ ist immer eine Transformation, und die Verwendung einer technischen Reproduktion eines Originals ist die Verwendung einer technischen Reproduktion eines Originals und nicht des Originals selbst.« ZUSCHLAG (2006), S. 97. Im älteren Beitrag verwendet er hingegen für Bilder sowohl den Terminus des Zitats als auch der Paraphrase und fasst unter diese weitere Unterbegriffe wie »Variante, Version, Parodie, Travestie, Persiflage, Pastiche, Allusion und Hommage«. Das Zitat sei eine Übernahme »einzelner Motive, Details oder Elemente«, die aus einem Bild in einen neuen pikturalen Kontext überführt würden. Eine Paraphrase sei hingegen die interpretierende »Umformung« eines Vorbilds als Ganzes gemäß »einer eigenen Bildidee«. ZUSCHLAG, Christoph: »Vom Kunstzitat zur Metakunst. Kunst über Kunst im 20. Jahrhundert«, in: Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, Ausst.-Kat. Haus der Kunst München, 01.02.–

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tate zunächst eine Sonderform sprachlicher Referenzsysteme bilden. Einer strengen Definition folgend, setzen sie erstens ein Verhältnis der Inklusion und der Denotation7 voraus und verlangen zweitens eine Art der Kenntlichmachung sowie eine klare Abtrennung vom Haupttext. Als allgemeine sprachliche Markierungszeichen gelten hierbei Anführungsstriche. Mit Einschränkung ließe sich eine solche Kennzeichnung des ›Fremdtextes‹ auch in der internen Rahmung von Bildern in Bildern sehen.8 Allerdings entspricht diese Einklammerung, wie zu zeigen sein wird, nur bedingt der Notation durch Satzhaken. Weitere, der Bildsprache eigene Markierungsmöglichkeiten sind daher zu reflektieren.9 Das erstgenannte Kriterium, die Inklusion, wird Bildern sowohl von Nelson Goodman als auch von Gérard Genette abgesprochen. Genette setzt eine direkte Präsenz des Zitierten im Zitierenden voraus. Reale Bilder in Bildern10, wie beispielsweise Manets Olympia in dessen Porträt von Emile Zola (Abb. 9.1/FT. 8, Portrait d’Émile Zola, 1868, Musée d’Orsay, Paris), seien keine (Selbst-)Zitate, da hier kein allographisches Notationssystem bzw. keine komputierbaren Instanzen von ›Types‹ vorlägen.11 Der Theoretiker blendet dabei die Tatsache aus, dass nicht nur die buchstäbliche Wiederholung, sondern auch die sinnhafte Wiedergabe und Ähnlichkeit mit dem Gesagten bereits als (indirektes) Zitat bzw. als Paraphrase12 gelten. Zudem vollzieht sich durch die Kanonisierung und Wiederholung ›ikonischer‹ Werke auch kunstgeschichtlich ein Zeichenbildungsprozess, der mit der Formierung von ›Types‹ vergleichbar ist.

05.05.2002, hg. von Ekkehard Mai und Kurt Wettengl, München 2002, S. 171–189, hier: S. 172. 7

Goodman behauptet zumindest von direkten Zitaten, dass diese ein Satzfragment benennen und zugleich enthalten müssen, cf. GOODMAN (1978/1990), S. 60.

8

GOODMAN (1978/1990), S. 68, cf. auch ISEKENMEIER (2013b), S. 50.

9

Cf. auch ISEKENMEIER (2013b), S. 50.

10 Genette argumentiert, dass nur imaginäre Bilder in Bildern (die nicht real existieren), tatsächlich im Bild figurieren und daher – ähnlich wie Collagen – einzig dem Kriterium des zitathaften Enthaltenseins entsprechen, cf. GENETTE (1999), S. 231. 11 GENETTE (1999), S. 231. Er bezieht sich hier auf Peirces Unterscheidung von Type und Token, also Zeichen(-konzepten) und Realisierungen von Zeichen. Sprachzitate seien möglich »parce que les objets verbaux sont des types idéaux dont les occurrences ou exemplaires (tokens) peuvent être insérés littéralement dans n’importe quelle contexte«. 12 GOODMAN (1978/1990) antizipiert anders als Genette entsprechende Einwände: »Vielleicht könnten wir auch bildliche Kopie irgendwie so auslegen, daß sie zu Paraphrase genügend analog ist.« Dieses Zugeständnis relativiert er sogleich, da die Markierung fehle. Ebd., S. 68.

C. Bildbezüge in der Kunstgeschichte | 109

Die gemalte Reproduktion Olympias im Porträt Zolas besitzt durchaus eine ausreichende Ähnlichkeit mit der ›echten‹ Olympia, um als deren ›Zitat‹ (oder auch als eine Instanz von ihr) gelten zu können – auch wenn sie, wie Genette betont, weder dort figuriert noch materiell enthalten ist. Dem Kriterium des Enthaltenseins in der engen, von Genette und Goodman propagierten Definition ließe sich jedoch Abbildung 9.1/FT. 8: Edouard Manet, entgegenhalten, dass man beispielsweise Porträt von Émile Zola auch Shakespeare zitieren kann, ohne des- (Portrait d’Émile Zola), 1868, sen frühneuenglisches Original-Manus- Öl auf Leinwand, 146,5 x 114 cm. kript vorliegen zu haben. Die Argumentation, dass im Zitat notwendigerweise eine Buchstabenfolge im Sinne wiederholbarer ›Types‹ exzerpiert werden müsse, greift nicht: Nach dieser Logik würden wir im Deutschen nicht Shakespeare selbst, sondern dessen ÜbersetzerInnen zitieren. Kurzum: Das Enthaltensein ist bereits im sprachlichen Zitat nicht ›buchstäblich‹ zu verstehen, sondern es impliziert Sinntransfers, die bildnerischen Rekurstechniken näher sind, als es Genette angibt. Was also ist ein Zitat und wie lässt es sich von der Anspielung und dem Plagiat abgrenzen? Kennzeichnend für diesen Verweistyp ist nach Zuschlag (2002) eine sehr ausdrückliche, stark an der Vorlage orientierte Form der Bezugnahme. Das Zitat ahmt den Prätext nicht inhaltlich oder stilistisch nach, sondern es stellvertritt diesen in Form eines Exzerpts. Hierbei kann es verschiedene Funktionen wahrnehmen: Mary Orr betont, dass es sowohl ein »extraneous ornament« als auch eine explizite Form der Referenz sei, die kritisch oder affirmativ sein könne. »It can be a homage, an authority or a complex shorthand which also counters authentication functions by means of parody, counterexample or ironic questioning […].«13 Wenngleich auf visueller Ebene gewiss andere Mechanismen operieren als in der Sprache, zeichnen sich doch hinsichtlich der Verweisfunktion deutliche Parallelen ab. Wie ich herausarbeiten möchte, lässt sich beim Bild- wie auch beim Textzitat eine erste, grobe Unterscheidung treffen zwischen affirmativen, integrativ-ausschmückenden und konfrontativen Verweisen. Dabei ist jedoch zu betonen, dass diese Funktionen nicht zeit- und kontextlos für einen bestimmten Analysegegen-

13 ORR, Mary: Intertextuality. Debates and Contexts, Cambridge: Polity, 2003, S. 130.

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stand gelten. So schreibt auch Isekenmeier in Bezug auf Genette: »Was aus einer Perspektive oder zu einem bestimmten Zeitpunkt als ›spielerischer‹ Bezug erscheint, mag aus anderem Blickwinkel […] als ›polemisch‹ aufgefasst werden.«14 Entsprechend könne es auch keine universelle Theorie geben, die diese Bezugsmechanismen unabhängig vom Betrachter festzuschreiben vermöge.15 Ich stimme Isekenmeier hier uneingeschränkt zu. Dennoch macht es Sinn zu fragen, warum überhaupt Bild- und Textbezüge angelegt werden und wie sie auf den Rezipienten wirken bzw. wirken sollen – ohne dass jedoch für den Künstler eine Garantie bestünde, dass der erwünschte Effekt eintritt. Unter einem affirmativen Zitat oder Verweis verstehe ich im Folgenden eine Bezugnahme, die auf einem grundlegenden Einklang zwischen Text und Prätext basiert.16 Fremde Aussagen werden mit den eigenen verwoben, um den persönlichen Standpunkt zu festigen und zu untermauern. Man beruft sich auf bereits Gesagtes, um seine Position abzusichern und ihr den Anschein »intersubjektiver« Gültigkeit zu verleihen. Ähnliches tue ich in just diesem Absatz, wenn ich Aussagen anderer AutorInnen integriere. Die Möglichkeit gegenseitiger Affirmation eröffnet sich insbesondere durch die dialogische Struktur der Texteinwebung, denn das Zitat »is always an enrichment by inclusion, integration and proclamation of otherness, a dialogue not a monologue«.17 Durch die Einbindung von Verweisen wird eine Positionierung innerhalb eines partikulären Kontexts bezweckt: Der Autor versucht, an die zitierten Prätexte anzuknüpfen und/oder ihnen eine Hommage zu erweisen. Positionierung impliziert jedoch nicht nur Affirmation, sondern auch Konfrontation. Ein Verweis kann durchaus in der Absicht erfolgen, eine konträre oder abweichende Stellung zu beziehen und auf Schwachstellen des Fremdtextes hinzuweisen. Durch die konfrontative Zitateinbindung wird meist ein Gegenentwurf zum Prätext entwickelt, was nicht unbedingt auf eine vollkommene Entkräftung, aber doch zumindest auf eine gezielte Modifikation der Aussagen hinausläuft. Sicherlich stehen dem Schrifttext hier explizitere Mittel zur Verfügung als dem Bild. Dennoch zeugen viele pikturale Verweise (z.B. die Rekurse der Guerilla-Girls18) ebenso von kritischen Absichten.

14 ISEKENMEIER (2013b), S. 58.. 15 Ebd., S. 60. 16 René Payant verbindet affirmative Zitate mit einem »effet miroir«, eine kritisch-konfrontative Zitation hingegen mit einem »effet Méduse«, PAYANT, René: »Bricolage pictural. L’art à propos de l’art. 1ère partie: La question de la citation«, in: Parachute, H. 16, 1979, S. 5–12, hier: S. 6. 17 ORR (2003), S. 133. 18 Z.B. The Guerilla Girls, Do Women have to be Naked to get into the MET?, 1989, Poster.

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Demgegenüber bezeichnet der Term integrativ-ausschmückend eine weitgehend wertungsfreie, dokumentarische bzw. spielerische Einbindung.19 Während die affirmative und konfrontative Verwendung die Kenn- Abbildung 9.2: Hubert Robert, Entwurf für die zeichnung eines eigenen Umgestaltung der Grande Galerie des Louvre Standpunktes voraussetzt, (Projet d'aménagement de la Grande Galerie du wird hier nicht eindeutig Louvre), 1796, Öl auf Leinwand, 115 x 145 cm. Stellung bezogen. Vielmehr dient der Fremdtext als Versatzstück oder Intarsie innerhalb des eigenen Textes. Das Zitat wird dabei u.a. um den Akt des Zitierens willen integriert. Diese Kategorie sowie die weiteren vorgeschlagenen Ordnungen sind nur als scherenschnittartige, verfeinerbare Schablonen zu betrachten. Als schriftliche Beispiele der integrativen Funktion seien das Cento20 sowie die Zitatsammlung genannt, die einen repräsentativen Korpus von Textstellen zu einem bestimmten Thema vereint, ohne diese im Einzelnen zu bewerten. Bildbeispiele sind etwa Darstellungen von Museen und (Liebhaber-)Kabinetten (Abb. 9.2) – oder die rein illustrative Verwendung eines Bildes in einer Abhandlung.

2. GRADE DER EXPLIZITHEIT Nach dieser überblicksartigen Funktionseinteilung, die gewiss nicht erschöpfend ist, sind speziell das ›Bildzitat‹ und seine Nachbarkategorien zu fokussieren. Das ›Bild-

19 Genette unterteilt hypertextuelle Verweise wiederum in satirische, spielerische und ernsthafte Formen. GENETTE (1982/1993), S. 16–20. 20 Das lateinische Wort Cento bezieht sich auf griech. kentron (bzw. κέντρόνη, ›Rock aus Lumpen‹ Flickwerk oder Flickendecke). Es bezeichnet eine Gedichtform, die vor allem in der Spätantike verbreitet war und sich aus Versen anderer Gedichte zusammensetzte, wie z.B. Cento Nuptialis von Ausonius (ca. 310–395 n. Chr.). Cf. VERWEYEN, Theodor/ WITTING, Gunther: »The Cento. A Form of Intertextuality from Montage to Parody«, in: PLETT, Heinrich (Hg.): Intertextuality, Berlin: de Gruyter, 1991, S. 165–178.

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zitat‹ unterscheidet sich vom Schriftzitat insbesondere durch die konzeptuell schwierige Abgrenzbarkeit von der bloßen Kopie (respektive vom Plagiat) und der Anspielung.21Auch ist es nie im selben Sinne ›wortwörtlich‹ bzw. getreu und explizit wie das sprachliche Zitat. Erfolgte die oben vorgenommene Unterteilung nach dem Kriterium der Funktion, so werden nun verschiedene Grade der Bezugnahme differenziert, um den Begriff ›Bildzitat‹ einzugrenzen.22 2.1 Anspielung, partielles und ganzheitliches Zitat Die Geschichte der Malerei und Graphik umfasst zahlreiche Bilder in Bildern, die explizit auf tatsächlich vorhandene Werke verweisen (bzw. sie denotieren und stellvertetend anzeigen). So bezogen sich Maler des 16. bis 18. Jahrhunderts in den Darstellungen von Quodlibets23 und Liebhaberkabinetten oft auf Tableaus, die sie verehrten oder denen eine überregionale Bedeutung zukam. In den Galeriebildern David Teniers d. J. oder Hubert Roberts24 war neben einer wetteifernden Aemulatio ei-

21 Valerie Robillard gliedert textuelle wie auch visuelle Verweise nach Referenzgraden. Sie ordnet sowohl die Anspielung (»allusion«) als auch die namentliche Nennung (»naming«) und die unbestimmte Markierung (»undeterminate marking«) der Kategorie der Referenzialität (»referentiality«) unter, der sie zwei weitere Kategorien (»representation« und »association«) gegenüberstellt. Unter den Begriff der Referenzialität fasst sie als vagste Form die »undeterminate marking«, die nicht allgemein verstanden würde als »connected to a pre-text, but would be accessible to a viewer (or ›ideal reader‹) who has subject-specific knowledge […]«. Die ›namentliche Nennung‹ wiederum entspricht der explizitesten Referenz. Die »allusion« liegt referenziell zwischen beiden Polen. Robillard operiert hier allerdings mit dem Begriff der Intermedialität. ROBILLARD, Valerie: »Beyond Definition: A Pragmatic Approach to Intermediality«, in: ELLESTRÖM (2010a), S. 150–162, hier: S. 152–153. 22 ISEKENMEIER (2013b), dessen Modell mir zum Zeitpunkt des Entwurfs dieses Schemas (2010) noch nicht vorlag, stellt die Kategorie der »Abweichung« (S. 76) auf, die sich gewissermaßen reziprok zu meiner Kategorie des Grades der Referenz verhält. Isekenmeier unterscheidet als Zweites unter dem Schlagwort der »Aspektivität« (S. 61) zwischen einer Abweichung in der »Malweise« und im Sujet (»Piktorialität«). Bereits der Term der »Malweise« ist hier freilich ungünstig gewählt, wenn er auf Fotografien, Filme, dreidimensionale Bildwerke, Computerkunst und grafische Reproduktionen angewendet werden soll. 23 Quodlibets sind gemalte Stillleben aus Schriftrollen, Steckbrettern und Bildern in trompel’oeil-Manier, die v.a. im 17. Jahrhundert beliebt waren. 24 David Teniers d. J., Erzherzog Leopold-Wilhelm in seiner Brüsseler Galerie (El archiduque Leopoldo Guillermo, en su galería de pinturas de Brusela), 1647, Museo del Pra-

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ne Dokumentations- und Katalogisierungsfunktion maßgeblich, wobei durchaus Fiktion und Realität verschmelzen konnten.25 Darüber hinaus kommt einigen integrierten Tableaus eine sinngebende Funktion zu, die jedoch selten auf ihrer Eigenschaft als konkretes ›Zitat‹ basiert, sondern eher auf ihrem allgemeinen Bildthema: Der Wandteppich in Velázquez’ Die Spinnerinnen (Las Hilanderas, c. 1658, Abb. 10.1/FT. 9) ist zum Beispiel eine Referenz auf Tizians Raub der Europa (The Rape of Europe, c. 1560, Abb. 10.2) und setzt die Spinnerinnen in den Kontext des mythologischen Wettstreits zwischen Pallas Athene und der Weberin Arachne, die sich in der Kompetition für das Motiv göttlicher ›Liebschaften‹ entschied.26 Bei Velázquez wird somit nicht nur ein konkretes Bild, sondern auch Ovids Text aufgerufen. Der Rekurs auf Tizian (statt auf ein beliebiges anderes ›Europa‹-Bild) ist dabei für die Sinndeutung als Arachne-Rekurs nicht ausschlaggebend. Dieses singuläre ›Zitat‹ lässt sich vielmehr als Hommage an den venezianischen Maler begreifen. Auf die komplexen Funktionen von Bildern in Bildern werde ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, da das integrierte Tableau für mich hier nur als konkretes ›Bildzitat‹ von Interesse ist.27 In diesem Spezialfall beschränkt sich seine Funktion meist auf die Affirmation und die ausschmückende Integration oder auch Dokumentation – ungewöhnlicher ist hier wiederum das Projekt einer konfrontativen Einbettung. In seltenen Fällen kann das Bild im Bild zusätzlich einen Sinnschlüssel darstellen, der eine Identifizierung von Ikonografien oder Personen erlaubt.

do, Madrid, Inventarnr. P01813; Hubert Robert, Entwurf für die Umgestaltung der Grande Galerie des Louvre (Projet d’aménagement de la Grande Galerie du Louvre), 1796, Musée du Louvre, Paris, RMN. 25 GEORGEL, Pierre/LECOQ, Anne-Marie: La Peinture dans la peinture, Paris: Adam Biro, 1987, S. 177. Zur Funktion von realen und fiktionalen Galeriebildern: STOICHITA, Victor Ieronim: Das selbstbewusste Bild. Vom Ursprung der Metamalerei (L’instauration du tableau, 1993), München: Fink, 1998, S.130 u. S. 260. 26 Cf. GEORGEL/LECOQ (1987), S. 234–235. Zu Arachne cf. Ovids Metamorphosen, 6. Buch, v. 1–145. Tizians Gemälde wird meist auf 1560 datiert. Der chronologische Bruch zum ›Zitat‹ durch Velázquez würde eine solche Datierung jedoch hinterfragen. 27 Eingehend untersucht wird das Thema in STOICHITA (1993/1998) und GEORGEL/LECOQ (1987). Zu Funktionen des Bildes im Bild in der Kunstgeschichte cf. auch KÖHLER, Astrid: Das Bild im Bild als Reflexionsmedium. Über die Doppelnatur von Malerei und das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit im Werk René Magrittes, Saarbrücken: VDM Verlag (Magisterarbeit Hochschule für bildende Künste, Braunschweig, 2005), 2007.

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Abbildung 10.1/FT. 9: Diego Velázquez, Die Spinnerinnen (Las Hilanderas), Detail, c. 1655, Öl auf Leinwand, 167 × 252 cm. Abbildung 10.2: Tizian, Raub der Europa (The Rape of Europe), c.1562, Öl auf Leinwand, 185 × 205 cm.

Ein Beispiel wäre Aimée Brune-Pagès’ Raphael présenté à Leonard da Vinci (1845, Aufbewahrungsort unbekannt), in dem das Tableau der Mona Lisa Leonardo erkennbar macht. Doch auch das Selbst-›Zitat‹ in Manets Portrait von Émile Zola (1868) ist sinngebend: In das Porträtbild des Freunds integrierte Manet – in der Manier eines Quodlibet – seine Olympia (1863), die Zola zuvor vor Kritikern verteidigt hatte. Die entsprechende Verteidigungsschrift Zolas ist ebenfalls ins Bild integriert: ein bläulich-grünes Heft, das aufrecht vor einer Schreibfeder steht. Tabelle 1 resümiert die bislang erarbeiteten, keineswegs einander ausschließenden Funktionen von motivischen wie stilistischen Bildverweisen. Diese gelten nicht nur für Bilder in Bildern, sondern auch für offenere Verweisformen.28 Im Bereich des Pikturalen sind dabei die Grenzen von Zitat und Anspielung fließend: Architextuelle Bezüge bzw. Systemreferenzen29 verdeutlichen dies, denn hier verweist ein Bild A nicht auf ein konkretes Bild B, sondern auf Schnittmengen ähnlicher Bilder, wobei sprachlich vermittelte Gattungsdefinitionen ausschlaggebend sind.

28 Auf Motivebene wären neben dem Bild im Bild weitere Rekurstypen aufführbar, die als ›Zitat‹ gelten könnten, obschon ihnen weniger offensichtliche Rahmungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und obwohl sie ihre ›Prätexte‹ nur partiell nachformen. 29 BROICH/PFISTER (1985) problematisieren, dass Parodien nach einzelnen Werken als Intertexte betrachtet würden, während z.B. das mock-heroic»als Systemreferenz verbucht wird«. Es sei jedoch »meist so, daß sich eine solche Parodie einer ganzen Gattung aus einer großen Zahl von parodistischen Bezügen auf einzelne Realisierungen dieses Gattungsmusters aufbaut« (S. 18–19).

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Tabelle 1: Funktionen bildlicher Intertextualität Affirmativ

Konfrontativ

Integrtiv/spielerisch

Sinngebend

1. Beispiele auf Motivebene (cf. Genettes ›transformation simple‹) Hommage: Velázquez, Die Spinnerinnen

Satirische Parodie: Guerilla Girls, Do Women have to be Naked...?

Enzyklopädische oder spielerischausschmückende Einbettung: Teniers, Erzherzog LeopoldWilhelm

Thematischer Verweis: Brune-Pagès, Raphael présenté à Leonard da Vinci

2. Beispiele auf Formebene (cf. Genettes ›imitation‹/komplexe ›transformation‹) Stilistische Hommage: Caravaggisten wie van Honthorst

Persiflage: Polke, Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! Paragone: Piktoralismus

Stilzitate um des Zitierens willen: Pastiches30

Bewusste Imitation (z.B. sakraler Architexte): Taylor-Johnson, Soliloquy

Entsprechend liegt es nahe, Gattungs- und Stilbezüge (Formebene) als Anspielung zu bewerten und Motivübernahmen aus Einzelbildern als ›Zitat‹. Beides sind jedoch intertextuelle Spielarten, die zur Ähnlichkeitsdefinition jeweils Ordnungskategorien der Sprache mitunterliegen. Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit sind vor allem Bezüge auf Motivebene relevant. Stil-, Gattungs- und Medienbezüge werden nur im Konnex mit motivischen Verweisen berücksichtigt. 2.2 Quoting without quotation marks – Die Rahmung des ›Bildzitats‹ Anders als beim Bild im Bild, das als Beispiel eines ganzheitlichen ›Zitats‹ auf Motivebene gelten kann, liegt beim ›partiellen Bildzitat‹ meist keine buchstäbliche

30 Pastiches auf vergangene Stile finden sich u.a. in Quodlibets und Kabinettdarstellungen.

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Rahmung des Fremdmaterials vor. Im Gegensatz zum erstgenannten Typus und zum schriftlichen Zitat findet sich hier in der Regel weder eine Referenz auf den Autor, noch eine Markierung des Vorbildes durch (pikturale) Anführungsstriche. Leo Steinberg sieht hierin eine zentrale Problematik der Übertragbarkeit: »Suppose we describe a painter who takes a motif from another picture as ›quoting‹ from it. At once, a whole set of attitudes appropriate to literary quotation goes into action. To begin with, a quoter who fails to acknowledge his author is designated a kind of thief […] By this test, all pictorial ›quotation‹ stands condemned as inexcusable plagarism […]. For one is hard put to think of a painting in which a quoted item properly credits its source.« 31

Steinberg erläutert in einem historischen Rückblick, dass die quasi synoptische Praxis der Kunstschaffenden auf ihr Interesse an der Kunst und das Studium alter Meister zurückzuführen sei.32 Zugleich räumt er in einem Nebensatz ein, dass zumindest die Künstler des 20. Jahrhunderts keineswegs heimlich Bilder kopierten, sondern diese gänzlich unmaskiert und ungeniert klauten, plünderten und sich aneigneten. Die Möglichkeit, diese unverhüllte Wiederholung als eine explizite Technik des Zitierens umzudeuten, sieht er indes nicht. Stattdessen insistert er, wie auch Nelson Goodman33, auf der Notwendigkeit, pikturale Fremdtexte mit Anführungszeichen und Autorbelegen auszuzeichnen, um eine Benennung als ›Zitat‹ zu legitimieren. Eine solche Form der Markierung ist meines Erachtens jedoch nicht ausschlaggebend.Denn ein Element wird offenbar auch dann als Zitat rezipiert, wenn der Bezugstext einen hohen Wiedererkennungswert hat, durch Formatierung im Textfluss abgehoben ist ( wie hier ) oder wenn eine Kennzeichnung durch paratextuelle Beigaben – etwa den (Bild-)Titel – erfolgt. Bei einer Untersuchung von ›Bildzitaten‹ im erweiterten Sinne ist zu berücksichtigen, dass pikturale Systeme auf andere Weise operieren als die schriftliche oder gesprochene Sprache. Daher sind textuelle Markierungen wie »footnotes, credit lines, or quotation marks«34 ebenso wenig direkt auf Bilder übertragbar wie auf den Bereich des Mündlichen, wo u.a. durch Intonation oder gestisch in die Luft gezeichnete Satzhaken ein Fremdtext angekündigt wird. Ein direktes Äquivalent zu Anführungszeichen lässt sich, wie auch Steinberg und Goodman anmerken, in Bildern nicht direkt ausmachen. Doch blenden beide Autoren in ihrer Argumentation aus, dass bereits das sprachliche Zitat nicht immer markiert ist. Vielmehr dienen Anführungszeichen oder mündliche Explizierungen als Beigabe, als »Signale dafür,

31 STEINBERG (1978), S. 21. 32 Ebd., S. 15. 33 GOODMAN (1978/1990), S. 65–68. 34 STEINBERG (1978), S. 22.

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dass die illokutionäre Funktion der Äußerung außer Kraft gesetzt wurde«.35 Wird eine Aussage zitiert oder im Kontext unernsten Sprechens (Austin) rezitiert, bietet eine solche Rahmung eine Hilfestellung, die anzeigt, dass die ›gewöhnlichen‹ Gelingensbedingungen der Sprache partiell unwirksam sind und eine Verlagerung auf eine Zwischenebene, ein »sea-change«36, stattfindet. Wenn nun in der Argumentation gegen den Begriff des ›Bildzitats‹ behauptet wird, dass Zitate eine Rahmung erfordern, so sollte stets reflektiert werden, ob dies tatsächlich der Fall ist und aus welchen Gründen eine solche Notwendigkeit in der Sprache vorliegen könnte. Handelt es sich bei den Satzhaken um ein Erfordernis, um kenntlich zu machen, dass der ›Normalmodus‹, oder treffender, der direkte Äußerungsmodus, verlassen wird? Sind die Markierungen primär ein Mittel des Sprechers/Autors, um Distanz zum Gesagten herzustellen? Oder sind sie gar ein rein urheberrechtliches Gebot, um die Ethik des Autors und den Begriff der Originalität zu wahren? Die erste Annahme, die von einer funktionalen Abgrenzung vom ›Normalmodus‹ der Sprache ausgeht, ließe sich mit Jacques Derrida in Zweifel ziehen. Der französische Philosoph hinterfragt in einer langjährigen Auseinandersetzung mit John Searle, ob es überhaupt einen zitatfreien Äußerungsmodus gibt oder ob nicht vielmehr jede Aussage auf Wiederholung basiert (Iterabilität von Sinneinheiten, Formulierungen etc.).37 Derrida verneint einen Gegensatz von explizit zitierten Äußerungen und solchen, die behaupten, originär und unmittelbar zu sein, denn Sprechakte könnten seines Erachtens überhaupt nicht gelingen, »wenn ihre Formulierung nicht eine ›codierte‹ oder iterierbare Äußerung wiederholen würde, mit anderen Worten [...] nicht als einem iterierbaren Muster konform identifizierbar wäre, wenn sie also nicht in gewisser Weise als ›Zitat‹ identifiziert werden könnte […].« 38

35 WIRTH (2007b), S. 66, cf. auch die Sprechakttheorie mit ihrer Unterteilung von Lokution, Illokution und Perlokution. 36 Cf. AUSTIN (1979/2002). Dieser betrachtet das Sprechen in Anführungszeichen als parasitären Gebrauch. 37 Zur Debatte zwischen den Sprechakttheoretikern und dem französischen Philosoph siehe den im Englischen von Gerald Graff zusammengestellten Band Limited Inc, der neben Derridas »Signatur Ereignis Kontext« auch die Kontroverse mit John Searle über das zitathafte Sprechen als Normfall oder Sonderfall des Sprachgebrauchs dokumentiert. DERRIDA,

Jacques/GRAFF, Gerald (Hg.): Limited Inc, Evanston. Illinois: Northwestern Uni-

versity Press, 1988. In der deutschen übersetzung: DERRIDA, Jacques; ENGELMANN, Peter (Hg.): Limited Inc (1988), Wien: Passagen, 2001. Cf. auch Kapitel E.2. 38 DERRIDA (1972/2001), S.40. Derrida betont in diesem Kontext zuvor, dass es eigentlich nur unreinen (»impure«) Äußerungen gelingt, kommunizierbar zu sein, er verwirft aber zugleich die Dichotomie von Gelingen/Nicht-Gelingen. Er fragt, ob eine performative

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Wenn Derrida nun Wiederholungen und Zitate als Grundvoraussetzung von Zeichensystemen definiert, impliziert dies, dass wir gar nicht anders können, als zu zitieren und zu paraphrasieren, um verstanden zu werden. Denn als Sprachhandelnde bewegen wir uns innerhalb eines Systems, das Variationen, nicht aber komplette Neuschöpfungen ex nihilo unterstützt. Sicherlich verweist Derridas Verneinung jeder Selbstabgeschlossenheit oder Ursprünglichkeit von Aussagen bereits auf ein Problem, das auch vorliegende Arbeit betrifft: Wo beginnt ein Zitat? Ist die Wiederholung von Sinneinheiten und Formstrukturen bereits als ein solches zu betrachten? Sobald unmarkierte, minimale Iterationen in die Kategorie aufgenommen werden, ist es nur schwer möglich, zwischen bewussten Verweisen und konventionsgesteuerten Wiederholungen zu unterscheiden. Folglich sind Markierungen wie Fußnoten insofern wichtig, als dass sie anzeigen, »dass der zitierte Text nach wie vor mit dem Ort seiner Entnahme – und damit auch mit seinem Urheber in einer existentiellen Beziehung steht.«39 Die unmarkierte Wiederholung verschweigt demgegenüber ihren ›Ursprung‹ (der nach Derrida sowieso weniger Grund als die infinite Bewegung einer spaltenden ›différance‹40 ist). Sie dissimuliert die Differenz zwischen dem Eigenen und

Äußerung möglich wäre, wenn das scheinbar singuläre Ereignis nicht zugleich eine Doppelung oder Teilung (»doublure«) erfahren würde. 39 WIRTH (2007b), S. 67. 40 DERRIDA, Jacques: »Die différance« (1968), in: ENGELMANN, Peter (Hg.): Jacques Derrida. Die différance. Ausgewählte Texte, Stuttgart: Reclam, 2004, S. 110–149, bzw. die frz. Version: DERRIDA, Jacques: »La différance« (Vortrag vom 27. Januar 1968 vor der Société française de Philosophie), in: Ders.: Marges de la Philosophie, Paris: Les éditions de minuit, 1972, S. 1–30. Bei dem Neologismus ›différance‹, der laut Derrida weder ein Wort, noch ein Konzept, sondern ein Bündel (»faisceau«) ist, sind folgende Hintergründe relevant: Derrida behauptet eine Notwendigkeit, anstelle des ›e‹ der orthografisch korrekten ›différence‹ hier ein ›a‹ in die Schreibung einzuführen, um a) eine graphische Abgrenzung vorzunehmen, die stumm bzw. einzig in der Schrift sichtbar bleibt und b) einen ihm sinnig erscheinenden Verstoß gegen die »Orthodoxie« der Orthografie vorzunehmen, DERRIDA (1968/2004). Dieser Verstoß nun geht im Französischen mit einer latenten Sinnverschiebung bzw. Sinnrückführung einher, die im verzeitlichenden und verschiebenden Potenzial von frz. différer anklingt: Das Suffix -ance macht die gemeinsame Wurzel mit dem Verb différer erneut sichtbar und entspricht somit dem Doppelsinn des lateinischen ›differre‹ (der z.B. im griech. ›diapherein‹ nicht angelegt ist). Das im ›a‹ anklingende Partizip Präsens (›différant‹) des Verbs ›différer‹ umschließt erneut die Ideen von 1) verschiebend, vertagend, verzögernd, und 2) abweichend, auseinander gehend. (Im Adjektiv ›différent‹ und im Substantiv ›différence‹ erfolgt hingegen eine semantische Reduktion auf letztere Bedeutung.)

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dem Fremden, dem Text und der Beigabe. Die Urheberschaft und der Originalitätsanspruch werden somit unterwandert bzw. gänzlich in Frage gestellt. Verschiedene Gründe der Nicht-Kennzeichnung sind hierbei zu unterscheiden: Der Autor kann, wie es beim Plagiat der Fall ist, gezielt mit trügerischer Absicht die Auszeichnung des Zitates unterlassen. Ein anderer Fall liegt vor, wenn es ihm unnötig erscheint, eine konkrete Referenz zu benennen, da der Fremdtext als allgemein verfügbare Formel oder inhaltlicher Commonsense gilt. Aus diesen Überlegungen lässt sich resümieren, dass auch sprachliche Zitate oft unmarkiert sind, ohne notwendigerweise Plagiate zu sein. Während Derridas Zitatbegriff in Signature événement contexte41 sehr weit gefasst ist, scheint eine erneute Engführung des Terms sinnvoll: Nicht die Wiederholung kleinster Sinneinheiten, sondern erst die Übernahme einer idiosynkratischen Zeichenkette (die nicht zwangsläufig aus distinkten Notationszeichen besteht) charakterisiert das Zitat. Wichtiger als die Rahmung und der Beleg der Quelle ist hierbei der Referenzgrad. Ist dieser entsprechend hoch, so kann der Rezipient ein anderes Werk mit dem konkret vorliegenden Text verbinden und partiell vergegenwärtigen. Es entsteht der Effekt des Wiedererkennens im Sinne eines Déjà lu. 2.3 Integration oder Imitation? Vom Zitat zur Kopie Gemäß der soeben erfolgten Beschreibung des Zitats als ein in einem neuen Kontext Aufgerufenes scheint der Begriff des ›Bildzitats‹ weiterhin haltbar: Das Zitat – von Latein ›citare‹, in Bewegung setzen (siehe auch frz. ›inciter‹), vor Gericht als Zeugen vorladen42, herbeirufen, erwähnen – umfasst nichts weiter als eine Anrufung

41 Derrida schreibt hier: »Jedes Zeichen [signe], sprachlich oder nicht [linguistique ou non linguistique], gesprochen oder geschrieben (im geläufigen Sinn dieser Opposition), als kleine oder große Einheit, kann zitiert [peut être cité] – in Anführungsstriche gesetzt – werden; von dort aus kann es mit jedem gegebenen Kontext brechen und auf absolut nicht sättigbare Weise unendlich viele neue Kontexte erzeugen.« DERRIDA, J.: »Signatur Ereignis Kontext«, in: Ders./DERRIDA (1988/2001), S. 15–45, S. 32 [kursive Erg. in Klammern nach dem frz. Text: A.K.]. 42 Marin schreibt: »[…] das Zitat als terminus technicus […] ist die Vorladung zu diesem Erscheinen durch einen amtlichen Akt des Gerichtsvollziehers. Etwas vom Recht, von der Rechtsautorität besteht im gebräuchlicheren Sinne des Zitates fort: Geste durch die man auf eine andere Person oder ein Ding hinweist, die der Beachtung wert wären, oder geläufiger: Passage, die man bei einem Autor entlehnt, der Autorität auszuüben vermag, in der Regel, um das, was man vorbringt, zu illustrieren oder mit Nachdruck zu versehen.« Cf. MARIN, Louis: »Über das Zitat. Anmerkungen, ausgehend von einigen Werken von Jas-

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mit dem Ziel der Evokation in einem bestimmten Kontext. Eine formale Rahmung, wie sie im Spezialfall des Bildes im Bild vorliegt, ist dabei nicht das grundlegende Kriterium. Hingegen ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem zu vergegenwärtigenden Text – die Einbettung in ein ›Neues/Anderes‹ – ausschlaggebend. Das partielle ›Bildzitat‹ würde entsprechend beispielsweise auch Motivwanderungen wie Pathosformeln umfassen, die Aby Warburg in seinem MnemosyneProjekt untersucht: Bildelemente wie ausdrucksstarke Gesten oder Posen wurden über Künstlergenerationen hinweg variierend aufgegriffen. Dieser auf Wiederholung und Modifikation basierende »Reigen leidenschaftlicher Gesten«43 unterstützt laut Hans U. Reck die Herausbildung einer lebendigen »Zeichensprache«: »Pathosformeln sind […] gleichermaßen Produkte einer historisch wirksamen Zeichensprache, deren Teile rein konventionell sind und ihre Wirkung durch endlose Wiederholungen und entsprechende Lerneffekte sichern.« 44 Mehrfach und variiert wiederholte Bildelemente fungieren demnach in der Manier einer dynamischen, visuellen Sprache, die sich aus einem vorhandenen bzw. verfestigten Regelwerk und einem Formschatz nährt, wobei sie diesen aufgreift und transformiert. Wie in Derridas Ausführungen zur écriture und iterabilité beschrieben, werden auch hier ›gebahnte Spuren‹ nachgezeichnet, neu verknüpft, variiert und wiedererkannt – bei Warburg allerdings wird diese Bahnung generationsübergreifend und zuweilen biologistisch gedacht.45

per Johns« (1989), in: Ders.; BARDOUX, Till/HEITZ, Michael (Hg.): Texturen des Bildlichen, Zürich/Berlin: diaphanes, 2006, S. 125–148, hier: S. 125. 43 Tableaux Vivants (2002), S.27. 44 RECK, Hans U.: »Von Warburg ausgehend: Bildmysterien und Diskursordnung«, in: Kunstforum International, Bd. 114 (Juli/August 1991), S. 198–213, hier: S. 208. Warburg reflektierte diese pikturale Ausdruckssprache, die sich wie ein Seelen-Engramm in die Wahrnehmung des Rezipienten über Generationen einpräge, allerdings unter problematischen biologistischen Aspekten, als finde eine Art vererbter Einprägung von Formeln des Pathos’ und des Ethos’ statt. Er spricht konkret vom »Erb-Bewußtsein« und von »maximalen seelischen Eindrucksstempeln (Engramm)«, cf. WARBURG, Aby: »Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, 5. April 1929«, in: Ders.; MICHELS, Karen/SCHOELL-GLASS, Charlotte (Hg.): Gesammelte Schriften. Siebte Abteilung, Band 7, Berlin: Akademie-Verlag, 2001, S. 432. 45 Diese gebahnten Spuren nennt DERRIDA (1967b) ›frayages‹ in Anlehnung an Freuds ›Bahnung‹. Sie lassen sich in Analogie setzen zum Terminus des ›Engramms‹ bei Warburg bzw. bei Richard Semon, ohne jedoch vererbungslogisch gedacht zu werden. DERRIDA, Jacques: »Freud et la scène de l’écriture« (1967b), in: Ders.: L’écriture et la différence, Paris: Seuil, 1967a, S. 293–340, v.a. S. 300–303. Bei Derrida werden an ande-

C. Bildbezüge in der Kunstgeschichte | 121

Kritiker am Konzept einer ›Bildsprache‹ in Analogie zur Laut- und Schriftsprache äußern allerdings zu Recht den Einwand, dass die Sinneinheiten pikturaler Systeme weniger geregelt und schwerer in atomare Kleinstelemente zerlegbar sind als jene der direkt kommunikationsgerichteten Zeichensysteme:46 Was wäre etwa das Äquivalent zur ›langue‹ im Saussureschen Sinne, wenn es im Bildbereich zwar Tabuisiertes und Priorisiertes, aber keine wirkliche Reglementierung orthografischer und syntaktischer Art gibt? Nichtsdestotrotz wäre es meines Erachtens unangebracht, von einer Gegensätzlichkeit sprachlicher und bildlicher Funktionsweisen auszugehen. Denn während der Bildrezeption finden Analysevorgänge statt, die einer Einteilung nach sprachlichen Prinzipien der Ähnlichkeitserfassung folgen. Verbale und visuelle Ordnungskategorien durchdringen und überlagern sich in jedem Rezeptionsprozess, und dies wird umso deutlicher, wenn wir versuchen, die Ähnlichkeit zweier Bilder zu beschreiben. Neben dem partiellen ›Zitat‹, der Anspielung und dem umfassenden ›Zitat‹ (z. B. Bild im Bild) gibt es eine weitere Form der Bezugnahme: Die Kopie, also die »Wiederholung oder Nachbildung eines Kunstgegenstands durch [in den meisten Fällen, A.K.] fremde Hand«.47 Hier wird der Prätext vollständig und weitgehend unverändert übernommen, ohne dass ihm viel Eigenes hinzugefügt würde. Es ließen sich zahlreiche Beispiele der Kunstgeschichte nennen, die, je nach Täuschungsabsicht, auch als Plagiat oder Fälschung48 bezeichnet werden. Das bereits erwähnte (Bostoner) Gemälde von Tizian Der Raub der Europa (1562) erfuhr neben seiner Einarbeitung in Velázquez’ Die Spinnerinnen eine nahezu unveränderte Nachbildung durch Rubens (Der Raub der Europa, 1630, Museo del Prado, Madrid). Nun ist es bei dieser Art von Bezug äußerst problematisch, von einem ›Zitat‹ zu sprechen, da der Term eine klare Abgrenzung von gegenwärtigem und vergegenwärtigtem Text oder Bild impliziert: Voraussetzung ist, dass das Zitat als das ›Andere‹ im Eigenen erkennbar bleibt. Auch unterscheidet sich die zugrunde liegende Intention. In der Kopie wird ein Vorbild imitiert, nicht aber in das eigene Bild integriert. Daher entspricht Velázquez’ interpiktoriales Spiel eher dem Zitat, während Rubens’

rer Stelle Schrift bzw. Zeichen über Austausch- und Ergänzungsprozesse (einer Supplementarität) mit transformierenden Wiederholungen (Iterabilität) assoziiert, die stetige Umformungen ermöglichen. Zeichen können mit ihrem überlieferten »Kontext brechen und auf absolut nicht sättigbare Weise unendlich viele neue Kontexte zeugen«. Durch die Einschreibung »in andere Ketten« entstehen neue Bedeutungen. DERRIDA (1972/2001), S. 15–45, hier: S. 32 und S. 27–28. 46 Cf. GOODMAN (1978/1990). 47 RÖMER (1998), S.44. 48 Zu einer Differenzierung von Fälschung, Fake und Plagiat cf. RÖMER (1998), insb. S. 6 und S. 43–43.

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Bildversion eine Kopie bzw. je nach rechtlicher Auslegung ein Plagiat darstellt. Tabelle 2 fasst die soeben skizzierten Kategorien zusammen: Der Buchstabe A steht für das ›zitierende‹ Bild, B benennt das ›zitierte‹ Bild, und die Ziffern I-IV gliedern die Bezüge nach verschiedenen Referenzgraden – von links nach rechts abnehmend. Tabelle 2: Grade der Explizitheit

B| B

A

A B

A

B

A B

I) Kopie/Plagiat/ Fälschung49 A | B sind nahezu deckungsgleich

II) Ganzheitliches Zitat A bezieht sich auf B im Ganzen

III) Partielles Zitat A | B teilen wichtige Schnittmenge

Bsp: Kopie alter Meister

Bsp.: Bild im Bild

Bsp.: Wanderndes Motiv

IV) Anspielung A | B teilen einzelne Eigenschaften, Bsp.: reiner Stilbezug

Doch in welche Kategorie lassen sich fotografische Nachstellungen von Gemälden einordnen? Kann die transformierende Inszenierung überhaupt ›Zitat‹, Kopie oder Plagiat sein? In den nächsten Kapiteln werden die Grenzen der Übertragbarkeit des dargelegten Modells ausgelotet. Nicht als starres Konzept, sondern als Ausgangspunkt für notwendige Nachbesserungen sollen die Kategorien dienen. Am Beispiel konkreter Fotografien werden weitere Differenzierungen herausgearbeitet. Wichtig dabei ist, dass die Arbeiten nicht einfach auf ihre Bildreferenz reduziert werden, sondern in Hinblick auf ihre eigene gestalterische, mediale und narrative Anlage, ihre paratextuellen Beigaben und ihre interpretative Vielschichtigkeit untersucht werden müssen. Auch ist die Spezifik fotografischer Verweisung und Zeitlichkeit zu berücksichtigen.

49 Beim Plagiat wird das Fremde als etwas Eigenes deklariert (Ideenraub). Bei der Fälschung wird hingegen das Eigene als ein fremdes Werk deklariert, z.B. Kunstfälschungen.

D. Verweisstrukturen im fotografischen Werk Sam Taylor-Johnsons1

Die erste von drei Künstlerinnen, deren ›zitative‹ Praxis im Folgenden untersucht wird, ist die Britin Sam Taylor-Johnson (*1967). Die Goldsmiths-Absolventin, die bis 2012 unter dem Namen Samantha Taylor-Wood bekannt war, machte insbesondere in den 1990er Jahren durch provokative Selbstbildnisse (Slut, 1993; Fuck, Suck, Spank, Wank, 1993) und inszenierte Starporträts auf sich aufmerksam. In jüngerer Zeit waren es vor allem ihre kommerziellen Filmprojekte (Nowhere Boy, 2009, Fifty Shades of Grey, 2015) sowie Kooperationen mit Designern und Schauspielern, die ihrem Werk eine breitere Öffentlichkeit brachten, ohne dass diese Arbeiten jedoch zwangsläufig mit ihrem früherem Œuvre zusammenzudenken wären. Taylor-Johnsons neuere künstlerische Projekte The Private Apartment of Mademoiselle Chanel und Ghost waren zuletzt unter anderem in der Saatchi-Gallery London und im Brooklyn Museum New York zu sehen.2 Zur Fotografie und zum Film kam die Britin erst nach anfänglicher Beschäftigung mit der Bildhauerei. Bereits in den frühen 1990er Jahren entwickelte sie ein multimediales Œuvre, das in den vergangenen fünfzehn Jahren zunehmend überlieferte Medienbegriffe erschütterte: Ihre Videos zeugen oft von fotografischen Qualitäten, indem sie durch Slow-Motion-Projektion oder Stillstellung der Pose (The Last Century, 2006; Pietà, 2001 u.a.) zu beinahe statischen, handlungsarmen Bil-

1

Bis zu ihrer Ehe 2012 mit Aaron Johnson war die Künstlerin unter ihrem damaligen Namen Taylor-Wood aktiv, weswegen Inkohärenzen z.B. beim Zitieren älterer Publikationen unvermeidbar sind.

2

In der Saatchi-Gallery präsentierte Taylor-Johnson The Private Apartment of Mademoiselle Chanel, 2014 – eine fotografische Serie von Coco Chanels Pariser Privatwohnung, welche nach deren Tod 1977 unverändert erhalten blieb. In New York hingegen stellte Taylor-Johnson 2010/2011 mit Ghost (2008) zehn großformatige Aufnahmen von Moorlandschaften aus, die auf Brontës Wuthering Heights anspielen.

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dern gestreckt werden.3 Ferner rekurieren minimal bewegte Videos wie Still Life (2001) und Little Death (2003), die auf Flatscreens präsentiert werden, durch ihr Sujet und den Darstellungsmodus auf das malerische Genre des Vanitas-Stilllebens.4 Der in der Nature morte aber angelegte Gestus eines Einfrierens des ins Nicht-mehr-Sein flüchtenden Seienden – genauer: der lediglich antizipierte Verlust alles Vergänglichen – scheint eher statischen Bildern und hier vor allem der Fotografie zuzuarbeiten: In Taylor-Johnsons im Zeitraffer ablaufenden Vanitas-Videos wird hingegen die Antizipation des Verfalls innerhalb weniger Minuten in deren Realisierung überführt. Die Präsentation als Loop fügt weitere Zeitebenen, nämlich eine gleichzeitige Multiplikation und Revision des Verfalls hinzu. Ab Mitte der 1990er Jahre verwendete Taylor-Johnson verstärkt Mehrfachprojektionen. Die filmische Handlung verteilte sie hierbei über mehrere Projektionsflächen, wobei sie oftmals verschiedene Bildausschnitte ein und desselben Geschehens einander gegenüberstellte (Travesty of a Mockery, 1995; Third Party, 1999) oder getrennt aufgenommene Monologe in Dialog treten ließ (Pent-Up, 1996). Auch durch diese Präsentationsform wurden die Narration und Zeitlichkeit des Bewegtbilds erprobt und relativiert. Wenngleich Taylor-Johnsons filmisches Œuvre eine Vielzahl bildlicher und literarischer Bezüge enthält, soll im Folgenden der Fokus auf ihre inszenierten Fotografien gelegt werden. Insbesondere die Serie Soliloquy (1998–2000) wird hinsichtlich der Frage beleuchtet, welche Funktion hier den intertextuellen Verweisen zukommt. Dienen die Referenzen einer Nobilitierung bzw. Positionierung innerhalb eines gesetzten (kunsthistorischen) Rahmens? Es gilt zu ergründen, ob durch das ›Zitat‹ eine Sinnverankerung und/oder eine inhaltliche wie referenzielle Streuung erfolgt.

3

Zu Effekten der Verlangsamung in Film und im Video cf. u.a. BELLOUR, Raymond: »The Film Stilled« (1987), in: Ders.: Between the Images (L’entre-images I: Photo, cinéma, vidéo), Zürich: JPR, 2012, S. 129–157. Dieser unterscheidet für das Kino verschiedene Bewegungen (im Bild vs. des Bildes): Die Bewegung im Bild könne zum Stillstand geraten und die Illusion von Bewegungslosigkeit (trotz défilement der Filmbilder) erzeugen – ein Innehalten, das Deleuzes Konzept des Bewegungs-Bilds nicht berücksichtige. Cf. auch: BALSOM, Erika: »David Claerbout’s Indecisive Moments«, in: Afterall: A Journal of Art, Context, and Enquiry, H. 32, 2013, S. 82–93 (zur Videokunst von Claerbout, mit Querverweisen zu Taylor-Johnson, Fiona Tan, Bruce Nauman, Eve Sussmann u.a.).

4

Cf. u.a. FLEMMING, Victoria von: »Stillleben intermedial: eine Deutungsstrategie des Barocken von Sam Taylor Wood«, in: Dies./KITTNER, Alma-Elisa (Hg.): Barock – Moderne – Postmoderne: Ungeklärte Beziehungen, Wiesbaden: Harrassowitz, 2014, S. 289–313. Von Flemming diskutiert ebenfalls Taylor-Johnsons Praktik in der Vielstimmigkeit und Tendenz zur abyssalen Polyreferenz.

D. Verweisstrukturen – Sam Taylor-Johnson | 125

1. TAYLOR-JOHNSONS SERIE SOLILOQUY (1998–2000) Die Serie Soliloquy, die zwischen 1998 und 2000 entstanden ist, besteht aus insgesamt neun Arbeiten, die neben dem gemeinsamen Bildtitel durch strukturelle, motivische und fototechnische Analogien verbunden sind. Aus einer Haupt- und einer Untertafel zusammengesetzt, referieren sie auf das Kompositionsschema zweigliedriger Altarbilder der frühen Renaissance. Insgesamt spannen diese Fotografien ein breitgefächertes Netz von Bezügen auf: Sie referieren auf die Kunstgeschichte, auf Film bzw. Teledrama, Theater und Literatur. Bildmotive werden adaptiert, bekannte Posen gestellt und filmische und theatrale Effekte übernommen. Durch die Einbindung dieser Querverweise entsteht eine Vielstimmigkeit, eine visuelle »Polyphonie«, wie sich in Anlehnung an Bachtin behaupten ließe. Einer solch dialogischen Vielfalt scheint der Titel der Serie zu widersprechen. Soliloquy, auf Deutsch: Monolog, bezeichnet eine an sich selbst oder an einen imaginären Zuhörer gerichtete Rede – eine Art Selbstbefragung, die in Dramen zur Austragung innerer Konflikte eingesetzt wird. Kann aber ein solch verbalsprachliches Mittel, das vor allem in Literatur und Theater Verwendung findet, auf Fotografien bezogen werden? Wird man den Arbeiten gerecht, wenn man sie in ein Begriffskorsett presst, das durch den Titel eng gezurrt wird? Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Taylor-Johnsons Arbeiten keineswegs rein monologisch sind, da gerade die Querverweise und die Einbeziehung des Betrachters den geschlossenen Zirkel des mutmaßlichen Selbstgesprächs aufbrechen. Um die operierenden Referenz-Mechanismen beschreiben zu können, soll Gérard Genettes Modell der Transtextualität weiter modifiziert und auf Taylor-Johnsons Bilder übertragen werden: Analog zu Genettes Untersuchung literarischer Wechselwirkungen ist das dynamische Gewebe innerer und äußerer Bezüge im Bild zu ergründen. Insbesondere die Unterteilung in paratextuelle, intertextuelle und architextuelle Referenzen ist hierbei aussichtsreich. Eine Herantragung eines Intertextualitätsmodells an die Fotografien TaylorJohnsons erfolgte bereits durch die italienische Sprachwissenschaftlerin Giulia Maria Dondero, die sich allerdings erstens in einer abermaligen Bild-Vorbild-Zuordnung erschöpft und zweitens die Verwicklung mit sprachlichen Texten marginalisiert.5 Im Unterschied zum Ansatz der Semiotikerin orientiert sich meine Untersu-

5

Dondero verfasste eine Diplomarbeit zum Thema »Soliloquio e intertestualità nell’opera fotografica di Sam Taylor-Wood« (2000, Università di Bologna), die sie 2006 anlässlich eines Vortrags zusammenfasste, cf. DONDERO, Maria Giulia: Photographie et introspection. Le soliloque en photographie, Kolloquium am Centre de Recherche sur l’Image, 2006. Cf. ferner auch Donderos Fotografare il sacro: indagini semiotiche, Rom: Meltemi, 2007 (Kapitel 6: Configurazioni sacri e tematiche profane, dai valori religiosi

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chung an Kategorien von Genettes ›Transtextualitätsmodell‹, um bildbezogene Analogien aufzuspüren. Zudem wird die bildlich-sprachliche Intertextualität hinsichtlich der in Kapitel C definierten Funktionen (affirmativ, integrativ/spielerisch, kontrastiv) und der Unterkategorien Zitat, Anspielung und Kopie erforscht. Primäres Ziel der Bildanalyse ist keine abschließende Bewertung des mutmaßlichen Bildinhaltes, sondern eine Reflexion, wie rezeptionsseitig Sinn erzeugt wird und welche Rolle hierbei die Aspekte Intertextualität, Er- Abbildung 11/FT. 10: Sam Taylor-Johnson, innerungseffekte und foto- Soliloquy I, 1998, C-Print, 2-tlg., 211 x 257 cm. grafische Indizialität spielen. Da die Bilder der Serie Soliloquy strukturell wie auch rezeptionsästhetisch ähnlich angelegt sind und sie zudem kunsthistorisch bereits mehrfach reflektiert wurden (u.a. Dondero 2006), ist es in diesem Zusammenhang angebracht, die Analyse exemplarisch an zwei Bildern durchzuführen: Soliloquy I und Soliloquy III.

2. SOLILOQUY I (1998) In seinen Maßen und im zweigliedrigen Aufbau entspricht Soliloquy I (Abb. 11/FT. 10) im Groben der formalen Struktur der gesamten Serie. Die Bildfläche misst insgesamt 211 x 257 cm und ist in eine Haupt- und eine Nebentafel unterteilt. Von die-

all’ ecosistema sacro), in dem sie Genette im Zusammenhang mit dem Palimpsest nennt, beim Begriff der ›intertestualità‹ jedoch wenig Einblick gibt, auf welche Positionen sie sich stützt. Sie entwickelt sie die Kategorien der interpoetischen Intertextualität sowie der »intertestualità di genere« (Intertextualität der Gattung) und der »intertestualità interseriale« (Interseriell). Im Fokus ihrer Untersuchung steht die Verflechtung des Sakralen mit dem Banalen, die sie in der SOLILOQUY-Serie sowohl in den zitierten Motiven als auch in der Bildstruktur umgesetzt sieht. Relevant für Taylor-Johnsons SOLILOQUY ist zudem: DONDERO, Maria Giulia: »Énonciation visuelle et négation en image: des arts aux sciences«, in: Nouveaux Actes Sémiotiques, H. 114, 2011, online: http://epublications. unilim.fr/revues/as/2578 [eingesehen am 19.01.2013].

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ser Fläche nimmt die obere Fotografie etwa 6/7 ein, die untere bildet einen panoramaartigen, ca. 40 cm hohen Bildstreifen. Durch diese beachtlichen Dimensionen wird ein Charakteristikum ›inszenierter Fotografie‹ eingelöst, wie es in Kapitel B formuliert wurde, nämich die großformatige Anlage. Auf weitere ästhetische und inhaltliche Aspekte komme ich später zurück. Der überlebensgroße, kontrastreiche C-Print der Haupttafel zeigt eine scheinbar banale Raumszene: Ein junger Mann in beigefarbenem Hemd liegt auf einem abgenutzten Sofa mit gelber Überwurfdecke. Sein Körper ruht parallel zur horizontalen Bildachse und durchteilt die Aufnahme nahezu mittig. Die linke Hand ruht auf Nabelhöhe, der rechte Arm streift den Boden. Fotografisch wurde der Ausschnitt so gewählt, dass der Liegende bis zu den Knien sichtbar und seine rechte Hand genau dort abgeschnitten ist, wo sie auf den Parkettboden trifft. Die Raumsituation mit Fenster und Wand im Hintergrund ist erahnbar, ohne sich vollständig erschließen zu lassen. Die Komposition wirkt aufgrund der mittigen Platzierung des Mannes, der Betonung horizontaler Linien und der Balance zwischen Hell und Dunkel ausgewogen und vermittelt den Eindruck als schwebe der Ruhende. Demgegenüber evoziert die Reduktion bzw. Verdichtung des sichtbaren Feldes eine beengende Nähe, die unweigerlich eine Fokussierung auf den Mann bewirkt. Kameraperspektive und Objektiveinstellung steigern diesen Effekt durch eine leichte Aufsicht und die Scharfstellung auf Gesicht und Torso des Mannes. Der Liegende bildet das Zentrum der Darstellung, zugleich bleibt er jedoch namenlos und unbestimmt. Seine geschlossenen Augen verwehren den Zugang oder Austausch mit ihm. Auf der Haupttafel ist völlig unklar, wen die Aufnahme zeigt oder warum er dort liegt. Schläft er? Ist er sich der Präsenz der Kamera bewusst? Entspannt er sich oder ist er gar leblos? 2.1 Paratextuelle Relationen Als möglicher, aufschlussgebender Beitext fungiert einerseits der Titel, der das Bild der gleichnamigen Fotoserie zuordnet und es als Monolog, als »Soliloquy«, auszeichnet. Andererseits begleitet die bereits erwähnte Nebentafel das Tableau. Sie ist ihm im Stile einer Altarpredella beigefügt. Doch inwiefern fungieren diese beiden Elemente als kontextuelle Beigaben, die sich im Sinne von Paratexten bzw. Schwellen begreifen lassen? In seinen Publikationen Seuils und Palimpsestes definiert Gérard Genette den Begriff des Paratextes als Ensemble verschiedener, das Werk direkt begleitender Informationen. Der Term umfasst Elemente, die als Peritext, einer Unterkategorie des Paratexts, den Text direkt umgeben und erweitern, um ihn zu präsentieren oder prä-

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sent zu machen.6 Zugleich beinhaltet er aber auch Epitexte, die unabhängig existieren, aber auf den Text zurückwirken (z.B. Autorenporträts, Briefe). Paratexte sind folglich Rahmungen, die einem Werk mitgegeben sind. Titel, Illustrationen und Buchumschlag, aber auch latent die Rezeption beeinflussende Informationen wie der Name, Bekanntheitsgrad und das Geschlecht des Autors fallen unter diesen Begriff. In der deutschen Version von Genettes Buch entschied sich das Übersetzerteam für den Titel Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Durch diese Setzung geht allerdings partiell verloren, dass der Autor Paratexte als Schwellen bzw. Übergänge, eben als Seuils7 zwischen dem Werk und dem Rezipienten betrachtet. Entsprechend ist mit dem Begriff weniger ein ›Bei oder neben dem Text‹ gemeint als vielmehr eine ›intermediäre Zone‹ zwischen Leser und Text, in der eine auktoriell mitgeprägte Transaktion stattfindet.8 Analog zu dieser Schwelle ließe sich auch in den bildenden Künsten ein umfassendes Ensemble visueller Paratexte nennen: Titel, Künstlersignatur, Passepartout und Rahmen sind nur einige der Elemente, die einem Werk angegliedert sind und ihm doch äußerlich bleiben. Nun lässt sich sicherlich diskutieren, ob die untere Tafel von Soliloquy I als eine solche Zwischenzone bezeichnet werden kann. Sicherlich dient sie keineswegs der reinen Präsentation und Rahmung des Hauptbildes. Die Gegenüberstellung der beiden Teile suggeriert jedoch eine hierarchische Relation und Trennung, die vom Größenunterschied und der wortwörtlichen Unterordnung des Panoramastreifens herrührt.

6

GENETTE, Gérard: Seuils, Paris: Édition du Seuil, 1987, S. 8: »Mais ce texte se présente rarement à l’état nu, sans le renfort et l’accompagnement d’un certain nombre de productions, elles-mêmes verbales ou non, comme un nom d’auteur, une préface, des illustrations […] qui en tout cas l’entourent et le prolongent, précisément pour le présenter, […] pour le rendre présent.« Bemerkenswert ist auch, dass Genette hier Buch-Illustrationen zu den Paratexten zählt, weswegen zu fragen wäre, ob nicht im Umkehrschluss auch ein paratextuelles Verhältnis von beispielsweise Bild und Exponatbeschilderung vorliegt.

7

Weiterhin liest sich der Titel auch als eine Anspielung auf Genettes langjährigen Verleger Seuil in Paris.

8

GENETTE (1987) verwendet neben dem Begriff der Schwelle auch den Term des Vestibüls (Borges) bzw. des ausfransenden Rands (nach Lejeune: »frange«, in der dt. Version als ›Anhängsel‹ wiedergegeben). »Cette frange, en effet, toujours porteuse d’un commentaire auctorial ou plus ou moins légitimé par l’auteur, constitue, entre texte et hors-texte, une zone non seulement de transition, mais de transaction […].«

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Die untere Darstellung wird daher als Parergon bzw. als »hors-d'œuvre wahrgenommen, das sich nicht vom œuvre heraushält, sondern ganz dicht am Werk (ergon) wirkt«9: Bezogen auf die obere Tafel bildet sie ein Außerhalb. Auf den Betrachterraum bezogen ist sie wiederum innerhalb des abgrenzenden Rahmens. Lassen sich aber Werk und Beiwerk überhaupt klar voneinander abgrenzen? Verbindet sie nicht vielmehr eine flexible, wandelbare Relation? Die Separierung von Paratext und Text hat laut Hillis-Miller (der in einer Fußnote in Genettes Seuils zitiert wird) stets mit einer Relation von Innen und Außen, Diesseits und Jenseits zu tun, wobei die Grenze, wie Genette bemerkt, keineswegs fix und unverrückbar ist. Es ist daher nicht widersprüchlich, wenn sich das ikonische Beiwerk in Soliloquy I zwischen einer funktionalen Abhängigkeit vom obe- Abbildung 11.1: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I, 1998, ren Bild und einer C-Print, Detail: Panorama (1). ästhetischen wie inhaltlichen Autonomie bewegt: Der Paratext ist schließlich zumeist »selbst ein Text: Er ist zwar noch nicht der Text, aber bereits Text.«10

2.2 Rahmung und Predella Die Abgrenzung von Haupttext und Paratext impliziert stets eine sichtbare, wenn auch reversible Grenzlinie. Bei Soliloquy I liegt eine mehrfache Rahmung vor: Die erste umfasst beide Bildtafeln und vereinigt sie zu einem Gesamtwerk, die zweite betont die Trennung zwischen den Fotografien. Dieser Rahmenverlauf wird durch einen bildinternen Kniff aufgebrochen: Der Arm des Liegenden auf der oberen Tafel stößt an die untere Bildgrenze bzw. durchbricht diese, um sich im Bereich des ›Parergons‹ fortzusetzen.

9

DERRIDA, Jacques: Die Wahrheit in der Malerei (1978), Wien: Passagen, 2008, S.74.

10 GENETTE, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches (1987), Frankfurt a. M.: Campus, 1989, S. 14. Ebenso ist auch der oben erwähnte, in einer Fußnote genannte Artikel von J. H. Miller (»The Critic as Host«) jenseits des Kontexts von Genettes Seuils nicht mehr ein Paratext, sondern ein eigenständiger Text.

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Somit kommt es zu einem Austausch, einer metaleptischen11 Verbindung zwischen Werk und Beiwerk. Umso irritierender ist es, dass sich die untere Bildszene grundlegend von der oberen unterscheidet. Wir sehen auf einem langgezogenen Bildstreifen eine verzerrte Panoramaansicht von reich verzierten, orientalisch wirkenden Raumabschnitten. In dieser Umgebung befinden sich acht junge Personen, die wie erstarrte Skulpturen oder dämonische Wasserspeier die Säulenrhythmik der Architektur aufgreifen.Mit Ausnahme zweier Figuren rechts sind sie feierlich gekleidet, tragen elegante Abendroben Abbildung 11.2: Sam Taylor-Johnson, bzw. dunkle Anzüge. Außen links Soliloquy I, 1998, C-Print, Detail: befinden sich zunächst ein Mann und Panorama (2). eine Frau in einem aus dem Bild fluchtenden Raum. Während er an der Wand lehnt, umklammert sie zwei ihren Körper flankierende Säulen. Beide Perso nen werden durch die fotografische Cadrage an Kopf und Füßen beschnitten. Durch ein Störlicht, das von der während eines gesetzten Zeitraums rotierenden Kamera mitgeführt wird, gerät die mediale Disposition in den Blick. Rechts von diesem Paar sehen wir einen auf den Bildgrund zulaufenden Gang mit zwei geisterhaften, weiblichen Erscheinungen und einem mysteriösen, leicht verschatteten Beobachter. Abbildung 11.3: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I, 1998, C-Print, Detail: Panorama (3).

Dem Bilderfries weiter folgend erscheint, wie in einem Déjà-vu, eine Doppelgängerin der zwischen den Säulen stehenden Frau. Sie wirkt im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin keineswegs ängstlich, sondern lugt wie ein hinterlistiger Dämon zwi-

11 Zum Begriff der Metalepse in der Literaturwissenschaft siehe u.a. GENETTE, Gérard: Die Erzählung (frz. Le discours du récit, 1972), München: Fink, 1998, S. 238–240, sowie: Ders.: Métalepse: de la figure à la fiction, Paris: Le Seuil, 2004.

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schen den Pfeilern hervor. Handelt es sich um dieselbe oder nur um eine optisch sehr ähnliche Frau? Bemerkenswert ist, dass Taylor-Johnson just an dieser Stelle, genauer: über dem Kopf des Modells, ein Element aus der oberen Bildtafel aufnimmt bzw. mittels Montage integriert: Die Künstlerin setzt die abgeschnittene untere Hälfte der Hand des Liegenden exakt hier ins Bild. Da Größenrelation, Farbigkeit, Schattierung und Schärfe dieses Einschubs allerdings nicht mit der Untertafel übereinstimmen, wird die Kohärenz des Bildraums technisch wie auch narrativ durchkreuzt. Sowohl dieses Störelement als auch die mutmaßliche Figurenwiederholung der Frau zwischen den Säulen stellen die raumzeitliche Einheit des Panoramastreifens in Frage. Zugleich wird die Tafel durch ihre Form und figürliche Anlage in die Nähe narrativer Kompositbilder gerückt, in denen Handlungsverläufe nebeneinander auf der Bildfläche präsentiert werden.12 Die Figurendoppelung kann jedoch auch als Reflexion über die mediale Beschaffenheit des Bildes gedeutet werden, denn durch die Präsenz des Doubles entsteht, wie sich im Übertrag Rosalind Krauss’ ausführen ließe, ein »Effekt der Differenz, des Aufschubs, des Eins-nach-dem-anderen oder des Eins-im-anderen: dem Wuchern des Multiplen inmitten des Gleichen«.13 Die Verdoppelung impliziert eine Überführung von der »Präsenz in Sukzession« 14, die zum einen auf die fotografische Praxis des duplizierenden Abbildens verweist, zum anderen diese aber im Bild selbst in Frage stellt: Denn die motivische Reduplikation wird zur Störung, die den inszenierenden oder technisch-manipulierenden Eingriff der Künstlerin erneut betont. Rechts neben dem Doppelgängermotiv mündet das Panorama in einer Halle mit Becken. Zwei unbeteiligt in die Luft starrende Personen stehen bzw. sitzen hier. Generell zeichnet sich die untere Bildzone durch eine beklemmende Beziehungslosigkeit und ein Gefühl der Isolation aus: Die Blickachsen der Modelle sind nicht aufeinander bezogen, die Körper wirken wie zufällig am selben Ort aufgestellte Skulpturen.

12 Wie zum Beispiel Filippo Lippis Gastmahl des Herodes, 1452-1464 (Fresko, Dom von Prato), das den untersten Streifen seines Johannes-Zyklus bildet. In dieser Darstellung lässt Lippi die Figur der Salome drei Mal erscheinen: ganz links empfängt sie das Haupt Johannes auf einer Schale, im mittleren Teil des Bildes tanzt sie und weiter rechts präsentiert sie schließlich in geknieter Haltung das Haupt. Diese Szene komprimiert die Geschichte des Gastmahls vor gleichbleibendem räumlichen Kontext »rather than as occurring in a succession of separate places [...]«, L.B. Andrews, zitiert in: KEMP, Wolfgang: Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto, München: C. H. Beck, 1996, S.79. 13 KRAUSS, Rosalind: »Die fotografischen Bedingungen des Surrealismus« (1981b), in: Dies. (1984/2000), S. 129–162, hier: S. 154. 14 Ebd. S. 154.

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Diese Vereinzelung spiegelt sich in der Aufbrechung bzw. Parzellierung des Raumes wider, der einer Collage verschieden fluchtender Ansichten gleicht. Um den Raumeffekt besser verstehen zu können, ist eine Auseinandersetzung mit der Aufnahmetechnik sinnvoll. Aus Interviews der Künstlerin ist bekannt, dass sie in den unteren Fototafeln ihrer Soliloquy-Serie eine um 360 Grad drehbare Spezialkamera verwendet, die innerhalb mehrerer Sekunden den Raum erfasst.15 Diese sogenannte Revolving Camera verwendete die Künstlerin bereits für die Interieuraufnahmen ihrer Serie Five Revolutionary Seconds (1995–2000). Statt eines einzelnen Augenblicks hält Taylor-Johnson so eine – wenn auch kurze – Dauer fest und entfaltet diese sukzessiv auf der Bildebene. Die posierenden Modelle müssen dabei akurat ausgerichtet sein und für die Dauer der Rundumdrehung der Kamera still ausharren. Die untere Bildtafel von Soliloquy I wurde hierbei in einem durchgehenden Raum, der Arab Hall des Londoner Leighton House, aufgenommen.16 Die Szene spielt folglich tatsächlich in einem raumzeitlichen Kontinuum, wird aber durch die planimetrische Darstellung nicht mehr als solches wahrgenommen. Hinzu kommt, dass der Rezipient gezwungen ist, den langen Fries aus nächster Nähe zu betrachten, wenn er die Details erkennen will. Er muss das Bild also Szene für Szene abschreiten und erschließt es so als eine »additive Reihe von Ansichten«.17 Eine zeitliche Streckung ist dadurch auch in der Betrachtung angelegt. 2.3 Bild- und Serientitel Charakteristische Merkmale der beiden Tafeln von Soliloquy I sind, wie soeben herausgearbeitet, die starke Vereinzelung des Bildpersonals, die Zergliederung des Raumgefüges und das scheinbare Nicht-Zustandekommen von Handlung. Blickachsen bleiben unidirektoral bzw. unbeantwortet, es kommt weder zu einem Austausch zwischen den Figuren, noch mit dem Betrachter. Setzt man diese Feststellungen mit dem Bildtitel in Verbindung, so ergibt sich eine weitere Sinnebene. Solus (›alleine, einzig‹) und loquor (›ich spreche‹), als Seelenmonolog verstanden, bezeichnet einen Sprechakt ohne externen Adressaten, eine Nachricht, in der Sender und Emp-

15 Cf. LAJER-BURCHARTH, Ewa: »Die monologische Vision«, in: Parkett (Zürich-New York-Frankfurt a. M.), H. 55, 1999, S. 146–151, und BRONFEN, Elisabeth: »Den Antagonismus aushalten. Sam Taylor-Woods ›Fünf Revolutionäre Sekunden‹«, in: Parkett (Zürich-New York-Frankfurt), H. 55, 1999, S. 121–129. 16 Sam Taylor-Wood, Ausst.-Kat. Fondazione Prada Mailand, 19.11.1998 – 06.01.1999 hg. von Michael Bracewell, Germano Celant, Nancy Spector, Mailand: Fondazione Prada, 1999, S. 171. 17 HAMMERBACHER (2004), S. 195.

D. Verweisstrukturen – Sam Taylor-Johnson | 133

fänger identisch sind. Der Serientitel lässt sich mit dem gleichnamigen Kunstgriff im Theater verbinden und führt unter anderem, wenn man den Faden weiterspinnt, in einem intertextuellen Rekurs zu Augustinus Aurelius’ Soliloquia. Dieser im Modus eines Zwiegesprächs verfasste Text zeigt den inneren Konflikt seines Erzählers auf, der als gespaltene Instanz, als räsonierendes Über-Ich mit einem weltlichen Pendant, dargestellt wird. Der Erzähler habe sich, so will es der Einstieg des Buches, »in einer Debatte mit [sich] […] selbst und mit unterschiedlichen Dingen befunden, kontinuierlich und beängstigt auf der Suche nach dem wahren Ich und dem besten Nutzen, das Übel umgehend, als plötzlich jemand – ich weiss nicht, bemühe mich aber zu wissen, ob es ich selbst oder ein anderer war, in mir oder ohne mich – zu mir sagte […].«18

Die hier beschriebene Selbstbefragung ist auch ein zentrales Thema in Taylor-Johnsons Serie, wie vor allem die Analyse von Soliloquy III zeigen wird (Kapitel D.3). Der Titel der Arbeiten bringt durch seinen Bezug zur Literatur und zum Theater die Aspekte der psychologischen Kontemplation und der ›autoreflexiven‹ Kommunikation zur Sprache und lässt die Hauptfigur als Sender eines an sie selbst gerichteten Diskurses erscheinen. Interessant ist, dass die Einzelfigur der Tableaus – mit partieller Ausnahme der zweiten Arbeit der Serie, Soliloquy II19 – stets ohne Blick für ihre Umgebung ist. Die im Fokus stehenden Frauen und Männer sind somit zu begreifen als die nach Innen blickenden, monologisch sprechenden Personen des Seelendramas. Das untere Feld der Soliloquies bildet jeweils ein raumzeitlich gestrecktes Panorama, das entweder einsame Landschaften, verlassene Orte oder irritierende Interieurs zeigt. Treten potenziell Handelnde im Bild auf, so findet zwischen ihnen keinerlei Interaktion bzw. ein rein sexueller Austausch statt. Wie Maria Giulia Dondero feststellt, bleiben die Personen in dem 360 Grad umspannenden Bildfeld fest verankert »in einer Repetitivität und einem einfachen Ankommen ohne Herauskommen – der Raum [...] schließt sich selbst ab«.20 In diesem ausweglosen,

18 AUGUSTINUS; CLEVELAND, Rose Elizabeth (Hg.): The Soliloquies of St. Augustine, Boston, MA: Little Brown and Company, 1910, S. 1 [Übers. A.K.]. i.O. »For many days I had been debating within myself many and diverse things, seeking constantly, and with anxiety, to find out my real self, my best good, and the evil to be avoided, when suddenly one – I know not, but eagerly strive to know, whether it were myself or another, within me or without me – said to me […].« 19 In Soliloquy II wird die männliche Hauptfigur frontal mit nur leicht gesenktem Blick dargestellt. Eine Horde Hunde umgibt ihn, ohne dass der Mann hierauf reagieren würde. 20 Gesamtpassage i.O: »Même si englobés dans des activités sexuelles, ils [les personnages, A.K.] restent encastrés dans une répétitivité et dans un simple avènement sans issue –

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zirkulären Raum wird ein pessimistisches Bild absenter bzw. selbstgerichteter Kommunikation skizziert. In Beziehung zur oberen Tafel lassen sich die Szenen des Panoramas als »Psychogramm« verstehen oder auch als spiegelnde Pfütze, in die der moderne Narziss blickt, um sich selbst und sein verdrängtes Trieb-Ich zu befragen.21 2.4 Ikonische Architexte Wie aber unterstützt die Kompositionsweise die Sinnverbindung zwischen den beiden Bildteilen? Taylor-Johnson ahmt in der gesamten Serie die Struktur von Altarbildern des 15.–16. Jahrhunderts nach. In diesen kommt den Predellenfeldern auf dem ›Fußteil‹ des Schreins eine erzählende Funktion zu. Inhaltlich Abbildung 12: Luca Signorelli (Schule knüpfen sie an das Thema der Haupt- von?), Die Beweinung Christi (Compianto tafel an, wobei meist Etappen aus sul Cristo morto), 1502, Tempera auf Holz. dem Leben Heiliger dargestellt wer- 270 x 240 cm. den, wie etwa bei der zweiteiligen, Luca Signorelli zugeschriebenen Beweinung Christi im Museo Diocesano von Cortona.22 Das Tableau zeigt im oberen Feld die titelgebende Szene der Compianto sul Cristo Morto – und dies in ähnlicher Pose mit herabhängendem Arm wie bei Taylor-Johnson. Im unteren Feld wird hingegen eine Erzählung aufgespannt mit Szenen des Abendmahls und der Folterung Christi. Taylor-Johnson greift eine analoge Teilung des Bildraums auf, um eine ähnliche »[...] Trennung dar[zu]stellen, den unterschiedlichen forma-

l’espace à 360° se ferme sur lui-même -, et annule la possibilité de début, développement et fin«, cf. DONDERO (2006), n.p. [Übers. A.K.]. 21 Sam Taylor-Wood (1999), S. 137. 22 Für eine farbige Ansicht der beiden Tafeln cf. http://www.museoradio3.rai.it/dl/portali/site/articolo/ContentItem-634a0e64-7a18-4c7c-bcf4-63d3fabad98d.html [eingesehen am 20.05.2018].

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len Sinn zwischen Oben und Unten, zwischen dem Erhabenen und dem Physischen [...].«23 Sie bezieht sich somit gezielt auf eine Bildgattung, um dem eigenen »Text« eine weitere Sinnebene hinzuzufügen. Eine solche Form der Referenz wird bei Dondero (2007) als ›intertestualità di genere‹ und bei Genette, obschon auf literarische Gattungsbezüge beschränkt, als ›Architextualität‹ bezeichnet. Der zweitgenannte Begriff entspreche einer Beziehung, die durch taxonomische Zugehörigkeit gekennzeichnet sei und die meist paratextuell, also im Titel oder Klappentext, indiziert werde. 24 Der Bezug eines Schrifttexts etwa auf die Lyrik, Epik oder auf das Drama geschieht laut Genette meist implizit durch Nachahmung und Berücksichtigung von Formvorgaben. Bei Taylor-Johnson ist hingegen der Rekurs auf eine malereigeschichtliche, sakral konnotierte Bildgattung strategisch: Er wird bewusst als Bruch angelegt gegenüber der medialen Konfiguration der Fotografie und gegenüber dem zeitgenössischen, profanen Sujet. Durch diesen anachronen und transmedialen Akt wird die Intentionalität des ›architextuellen‹ Verweises ohne zusätzlichen Indikator sichtbar. Die im Bildaufbau konnotierte Sakralität und Narrativität verbindet sich mit dem irdischen Verweis des Fotografischen auf eine rein physische, bereits vergangene Kontaktbeziehung (Indizialität). Ob der Betrachter den ikonisch-mimetischen Verweis auf Tafelaltäre erkennt und daraus auf eine Gegenüberstellung von transzendenter und weltlicher Ebene schließt, hängt allerdings von seinem kulturellen Hintergrundwissen ab. Grundlegend für Taylor-Johnsons Anlehnung an Altartafeln ist zudem, dass sie dabei einer im westlichen Text- und Bildlesen fest verankerten Darstellungsweise folgt, die wir etwa in Comics oder narrativen Wandteppichen wiederfinden.25 Indem die Künstlerin das Haupttableau mit einem panoramaartigen Bildverlauf konfrontiert, suggeriert sie eine sequentielle Lesbarkeit und eine raumzeitliche oder logische Verknüpfung der beiden Teile. Sie selbst streitet den narrativen Aspekt ihrer

23 Taylor-Johnson, in: Sam Taylor-Wood (1999), S. 137, übersetzt in: VISSER, Hripsimé: »Bedeutungen provozieren«, in: The Passion Cycle, Ausst.-Kat., BAWAG Foundation, Wien, 19.09.–29.11.2003, n.p. 24 GENETTE (1982/1993), S. 13. BROICH/ PFISTER (1985) nennen literarische Verweise auf Gattungen »Systemreferenz«, cf. ebd., S. 17–18. 25 Im lateinischen Schriftraum dominiert das Bemühen, Texte und »erzählende« Bilder konventionsgemäß von oben nach unten und links beginnend zu lesen, wenngleich in der Kunstgeschichte sicherlich auch andere Darstellungsmodi verwendet wurden. Cf. BECKER,

Randy R.: »Narrative Art«, in: TURNER, Jane (Hg.): The Dictionary of Art, Bd. 23:

Neuhuys to Pandit Seu, London: Macmillan, 1996, S. 510–523, hier: S. 520.

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Arbeit jedoch ab und spricht von einer »dysfunctional narrative«.26 Sie zerlege Szenen in ihre Grundbausteine und entferne ihre Erzählstruktur, so Taylor-Johnson. Sicherlich entsteht in Soliloquy nicht das Gefühl einer stringent narrativen, »linearen Progression im Raum, die wie eine sichtbare Handlungskette ein Ereignis mit dem anderen verknüpft [...].«27 Das Geschehen scheint stillzustehen; die zeitliche Dimension des Panoramas wird nicht direkt ersichtlich, sondern es wird vielmehr ein Schwebezustand suggeriert. Diese temporale Unentschlossenheit entspricht auch dem sekundenlangen Innehalten des posierenden Bildpersonals in voneinander abgewendeten Haltungen, während die RAF-Kamera den Raum abtastete. Und doch entwirft die Künstlerin eine Art offenes Feld für eine mögliche Narration, indem sie zum einen die formale Grundlage, nämlich eine raumzeitliche Ausdehnung schafft, und zum anderen Anspielungen und ›Bildzitate‹ einbaut, über die ebenfalls potenziell Inhalte injiziert werden. Auch die diptychonale Gegenüberstellung der beiden Bildfelder suggeriert einen (logischen) Bezug bzw. einen diegetischen Zusammenhang. Die Künstlerin orientiert sich, wie Dondero feststellt, am räumlichen Darstellungsschema der Retabel, und zwar weniger wegen der dort veranschaulichten religiösen Werte, sondern aufgrund der ihr innewohnenden Verbindung wechselseitig aufeinander bezogener Bildteile.28 2.5 Intertexte Neben Gattungsbezügen und Verweisen durch den Titel oder andere ›Paratexte‹ findet sich ein weiterer Referenzmechanismus in Taylor-Johnsons Fotografie. Soliloquy I ist über Ähnlichkeitsrelationen mit Einzelbildern und Narrativen der Kunstgeschichte verknüpft. Eine solche Verbindung, die erst im pikturalen und sprachlichen Gedächtnis des Betrachters Bedeutung erlangt, ließe sich als Intertextualität bezeichnen. Genette definiert diese Kategorie – in Abweichung zu Riffaterre oder Kristeva29 – als eine bedeutungskonstitutive Form sprachlicher Textualität, deren

26 Taylor-Johnson in WALTER (2002), S. 275. In Soliloquy I findet zwar keine sichtbare Folge von Ereignissen statt, so dass dieses zentrale Kriterium des Narrativen eludiert wird. Doch gleitet das Auge des Betrachters in nahezu lesender Weise über den unteren Bildstreifen und versucht, das Nicht-Handeln als Handlung zu begreifen. 27 LAJER-BURCHARTH (1999), S. 148. 28 DONDERO (2007), S. 161: » la serie dei soliloquy cita e prende a prestito la configurazione spaziale della pala d’altare non per i valori religiosi che essa illustra, ma per rovesciare il funzionamento che essa incarna, un funzionamento all’interno del quale è iscritto il vero modo di esistenza del sacro: l’unione e la connessione delle parti interdipenti.« 29 Kristeva definiert Intertextualität in Semeiotikè als textuelle Interaktion, die sich im Inneren eines Textes aufbaut und die Absorption und Transformation anderer Texte

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Erkennen oder Nichterkennen das Verständnis eines Werks verändern: In den meisten Fällen manifestiere sie sich in den Unterkategorien des Zitats, der Anspielung und des Plagiats und dies, »eidetisch gesprochen, als effektive Präsenz eines Textes in einem anderen.«30 Mit der »effektiven Präsenz« ist hierbei allerdings keine einfache Inklusion gemeint, sondern eine rezeptionsseitige Abrufbarkeit, wie sich anhand der in Palimpsestes genannten Beispiele zeigt: So werde etwa in einem Brief Nicolas Boileaus an Louis XIV. die Legende Orpheus’ und Amphions durch einen Verweis auf – zum Lauschen heranrollende – Felsen evoziert. Es geht Genette bei Intertextualität offenbar um narrative, motivische oder stilistische Analogien, die einen ›Prätext‹ als zusätzlichen Sinnstifter einbeziehbar machen.31 Soliloquy I weist eine sichtliche visuelle Verwandtschaft auf mit dem Gemälde Der Tod des Chatterton (The Death of Chatterton, 1856, Tate Britain, London) von Henry Wallis, für die der Terminus der Intertextualiät – bzw. wenn man hier spezifizieren möchte: der Interpiktorialität – anwendbar scheint: Wallis’ Tableau wird für den Kenner dieses Gemäldes in hohem Maße abrufbar. Problematischer für den Bereich des Pikturalen erscheint hingegen eine strikte Einteilung gemäß der Genetteschen Unterkategorien in ein Zitat, ein Plagiat und eine Anspielung (hierauf komme ich noch zurück).

beinhaltet. »Nous appellerons INTERTEXTUALITE cette interaction textuelle qui se produit a l’intérieur d’un seul texte«, KRISTEVA, Julia: »Narration et transformation«, in: Semiotica, H. 1, 1969b, S. 422–448, hier: S. 443. Cf. Auch ORR (1998), S. 58: »Intertextualiy: supplants intersubjectivity; intersection of utterances taken from other texts; […] polyphonic text; multiplicity of codes levelling out one another [...].« 30 GENETTE (1982/1993), S. 10. Diese »effektive Präsenz« kann allerdings auch im Sprachlichen, und dies bleibt bei Genette ebenso ausgeblendet wie bei Goodmans Kriterium des Inkludiertseins in Zitaten, nur eine variierte Wiedervergegenwärtigung sein: Sofern der Fremdtext (B) nicht im buchstäblichen Sinne aus dem Originaldokument ausgeschnitten und in einen neuen Text (A) collagiert wird, erscheint er lediglich als Instanz seiner selbst, d.h. als B’, das gegenüber B gekürzt, in anderen Lettern gedruckt und rekontextualisiert ist. Das Argument eines allographischen Systems mag diese minimalen Verschiebungen in der Ausführung als unwesentlich abtun. Der Leser, der über ein entkontextualisiertes, verfremdetes Zitat ›stolpert‹, wird diese Transformation hingegen vermutlich als signifikant empfinden. Gleichermaßen gilt, dass auch er niemals Text B (ausgehend von Zitat B’) im Reinzustand ›wiedererinnert‹, sondern dass jeweils variierte, subjektiv gespeicherte Instanzen (B’’) ins Spiel kommen. 31 Zu Boileaus Brief cf. GENETTE (1982/1993), S. 10. THOMSON (1986) erkennt Genettes sekundären Praktiken zwar zu, die Dichotomie von Inhalt und Form/Stil zu erschüttern. Er kritisiert aber, dass nahezu keine »démonstration détaillée ou explicite du fonctionnement de ces modèles« stattfinde (S. 161–162).

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Wie explizit ist die Bezugnahme auf Darstellungsebene und wie wirkt sie sich auf die Rezeption aus? Das Gemälde Der Tod des Chatterton differiert auf den ersten Blick vor allem durch die Wahl des Bildausschnittes deutlich von TaylorJohnsons Arbeit. Es zeigt ein dunkles Dachzimmer, durch dessen geöffnetes Fenster helles Licht auf einen liegenden Körper fällt. Der junge Mann ist – wie die Hauptfigur in Soliloquy I – allein dargestellt: Auch er ruht nahezu bildparallel und mittig in einem Wohnraum und wendet dem Betrachter mit geschlossenen Augen den Kopf zu. Hemd und Hose ähneln der Kleidung auf der Fotografie, der rechte Arm streift ebenfalls den BoAbbildung 13.1: Henry Wallis, Der Tod des Chatterton den. Taylor-Johnsons (The Death of Chatterton), 1856, Öl auf Leinwand, Arbeit stellt trotz dieser 62,2 x 93,3 cm. Ähnlichkeiten kein Plagiat von Wallis’ Bild dar, denn »[w]hen a single posture is imitated from a historical picture and applied to a portrait in a different dress and with new attributes, this is not plagiarism, but quotation […].«32 Zudem erfolgt eine transformierende Überführung in eine andere mediale Konfiguration und eine inhaltliche Neukonzeption. Sind die Parallelen zwischen den Bildern nun aber ausreichend, um den Der Tod des Chatterton als ›Vorbild‹ von Soliloquy I zu definieren? Wird eine idiosynkratische Verkettung von Bildelementen iteriert, sodass die Fotografie als partielles ›Zitat‹ gedeutet werden kann? Und inwiefern erfolgt bei Taylor-Johnson eine gleichzeitige Einbettung und Abgrenzung vom Fremdtext?

32 So heißt es im Vorwort des 1780 herausgegebenem vierten Bandes von Anecdotes of Painting in England: »Sir Joshua Reynolds has been accused of plagiarism, for having borrowed postures from ancient masters. When a single posture is imitated from a historical picture and applied to a portrait in a differrent dress and with new attributes, this is not plagiarism, but quotation: and a quotation from a great author, with a novel application of the sense, has always been allowed to be an instance of parts and taste; and may have more merit than the original.« WALPOLE, Horace (Hg.): Anecdotes of Painting in England, with some Account of the Principal Artists; and other Incidential Notes on other Arts, London: Shakespeare Press, 1780, S. XIII.

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Die britische Künstlerin war offensichtlich keineswegs an einer exakten Nachbildung interessiert, denn ihre Fotografie unterscheidet sich maßgeblich von Wallis’ Tableau. Im Ölgemälde ist der Raumausschnitt deutlich größer und zeigt Möbel, Fenster sowie den Ausblick ins Freie. Wallis integrierte in diesem erweiterten Bildraum zahlreiche ›Schlüssel‹ zum Bildverständnis. Es handelt sich genauer um Indizien, die Aufschluss geben über die liegende Person und einen narrativen Handlungshergang. Die geheimnisvolle, geöffnete Truhe und das daneben liegende zerrissene Papier sowie der Rundtisch mit Schreibmaterial verweisen auf die schriftstellerische Tätigkeit des Zimmerbewohners. Die erloschene Kerze und der in Richtung des Fensters abziehende Rauch sind als Zeichen des Todes lesbar: Denn der im Bildtitel genannte Chatterton war ein englischer Dichter, der sich mit nur 17 Jahren das Abbildung 13.2: Jacques-Louis Leben nahm und zur tragisch-genialen Iden- David, Der Tod des Marat (La mort tifikationsfigur der Romantik wurde. Sam de Marat), 1793, Öl auf Leinwand, Taylor-Johnson scheint sich für das Thema 165 × 128 cm. von Wallis’ Gemälde nur indirekt zu interessieren. So minutiös sie die Körperhaltung und Lichtdramaturgie nachbildet, so bewusst nachlässig ist sie gegenüber den ikonografischen Details. Soliloquy I zeigt keineswegs einen in die Gegenwart projizierten Chatterton, sondern bildet einen primär kompositorischen Bezug, der sich die Ästhetik des Prätextes und dessen Zweideutigkeit zwischen Tod und Traum zunutze macht, um ein eigenes Thema darzustellen. Wäre es unter diesen Gesichtspunkten treffender, von einer Anspielung statt von einem ›partiellen Zitat‹ zu sprechen? Wie bereits im vorherigen Kapitel dargelegt, sind die Grenzen zwischen den beiden Verweisarten fließend. Der sie unterscheidende Referenzgrad ist nur ein relatives Kriterium, das erst im Vergleich mit anderen Bildbeispielen zum Tragen kommt. Unabhängig von der begrifflichen Zuordnung Soliloquys als ›partielles Zitat‹ oder Anspielung stellt sich die Frage, warum sich Taylor-Johnson überhaupt auf ein Bild bezieht, dessen Inhalt sie auszusparen versucht. Was fasziniert sie an der Körperhaltung und Lichtführung dieses Gemäldes und wieso überträgt sie diese Elemente in eine inszenierte Fotografie? Der Reiz des Vorbildes scheint – ähnlich wie bei der architextuellen Bezugnahme auf Altarbilder – primär vom Effekt der Formsprache auszugehen. Henry Wallis inszeniert die Bildfigur auf nahezu sakrale Weise: Sein Chatterton wirkt wie von heiligem Licht erleuchtet, sein Gesicht spiegelt den Ausdruck von Erlösung.

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Auch lässt sich seine Körperhaltung im christlichen Bildkanon wiederfinden. Die horizontale, nahezu schwebende Position im Raum, das uns zugewandte Gesicht und der herabhängende, rechte Arm erinnern an christliche Trauerszenen und Kreuzabnahmen von z.B. Signorelli (bzw. dessen Schule), aber auch an Davids Gemälde des Tod des Marat (La mort de Marat, Abb. 13.2), das unter anderem Thomas Crow direkt auf Darstellungen des Opfers Christi zurückführt.33 Dieser Aspekt war Wallis mit Sicherheit überaus bewusst und so ist anzunehmen, dass er Chatterton als Erlöser und Märtyrer einer neuen Künstlergeneration darstellen wollte. Indem Taylor-Johnson nun über Wallis an diese Bildtradition anknüpft und sie fotografisch umformt, positioniert sie ihren Liegenden ebenfalls im Kontext religiöser Trauer- und Todesdarstellungen. Zugleich präsentiert sie im oberen Bildfeld jedoch eine überaus profane Szene, die sich dieser Tradition zu widersetzen scheint – und dies nicht zuletzt auch aufgrund der Wahl des Mediums. Der junge Mann in Soliloquy I (Abb. 11) bleibt, im Gegensatz zu Wallis’ Chatterton (Abb. 13.1) und Davids Marat (Abb. 13.2), ein namenloses Modell, das ohne erkennbare Eingriffe in die fotografische Abbildhaftigkeit unidealisiert und mit auf die Physiognomie einwirkender Schwerkraft dargestellt wird. Erst durch das große Format und die Konfrontation mit der unteren Bildtafel wird der Liegende der Alltäglichkeit der Raumszene entrissen. Diese beiden Komponenten tragen auch maßgeblich dazu bei, das zunächst unspektakuläre, obere Bild als Kunstfotografie zu markieren. Ein Inszenierungscharakter ist indes in der Haupttafel selbst nicht offenkundig und wird primär über das Déjà vu der Pose und der nuancierten Abstimmung von Farbe und Stofflichkeit erkennbar. Angesichts der Tatsache, dass Soliloquy I nur partiell und scheinbar unverbindlich auf den ›Prätext‹ Wallis’ verweist, ist es fraglich, ob die Rekonstruktion einer konkreten Bildquelle überhaupt von Bedeutung ist. Anders formuliert: Könnte nicht vielmehr eine Vielzahl möglicher Referenzen genannt werden? Macht es überhaupt einen Unterschied, ob der Betrachter ein Erinnerungsbild, sei es an Jacques-Louis David, die christliche Ikonographie oder an Henri Wallis, abrufen kann oder ob er unbedarft ›nur‹ Taylor-Johnsons Bild wahrnimmt? Die hier vertretene These ist, dass das Erkennen oder Nicht-Erkennen in jedem Fall bedeutsam ist. Nicht nur die Interpretation des mutmaßlichen Themas wird dadurch beeinflusst, sondern auch die Wahrnehmung der Fotografie ›als Fotogra-

33 »Marat’s pose, the instruments of violence, the inscriptions, the plain wood of the upright box, the insistently perpendicular order, all evoke Christ’s sacrifice without leaving the factual real of secular history«. CROW, Thomas E. (Hg.): Emulation. David, Drouais, and Girodet in the Art of Revolutionary France, überarbeitete Auflage, New Haven, CT: Yale University Press, 2006, S. 166.

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fie‹ im Sinne eines indiziellen, indexikalische Bezüge evozierenden Bildes. Dieser zweite, die fotografische Referenz betreffende Punkt wird beeinträchtigt, sobald ein Déjà-vu-Effekt auf ein primär fiktionales Bild im Moment der Betrachtung einsetzt. Dabei ist zunächst nicht relevant, welches konkrete ›Vorbild‹ als primärer Bezugspunkt vermutet wird. Entscheidend ist aber, dass die Fotografie gemäß des Modus der Inszenierung, also als »Ça a été joué« (Soulages), interpretiert wird. Denn sobald der fotografische Referent ikonisch auf ein vorgängiges Bild rekurriert, das er einerseits performativ und variierend wieder-holt und mit dem er sich andererseits mnemonisch-perzeptiv überlagert, beginnt ein Prozess endloser Verkettung. Bemerkenswert ist hierbei auch das dynamische Weiterwuchern des skizzierten Bezugsnetzes, denn jedes neue Bild und jeder anknüpfbare Schrifttext verändert die bisherigen Interrelationen des Gefüges durch die Eröffnung neuer Assoziationsmöglichkeiten. Erforderlich ist folglich eine Neukonzeption von fotografischer Referenz wie auch bildlicher Verweisung, die zugunsten einer stärkeren Einbeziehung des Rezeptionskontexts polyadisch und dezentral gedacht werden müssen. Eine zweite Fotografie aus der Serie Soliloquy soll im Folgenden vorgestellt und in ihrer abyssalen Referenz reflektiert werden. Dabei ist die Vielfalt künstlerischer Verweisstrategien herauszuarbeiten: Nach Leo Steinberg sind die »varieties of artistic trespass or repercussion [...] inexhaustible because there is as much unpredictable originality in quoting, imitating, transposing, and echoing, as there is in inventing.« 34

3. SOLILOQUY III (1998) Wie das zuvor analysierte Bild Soliloquy I und die anderen Arbeiten der Serie umfasst auch deren dritte Fotografie eine großformatige Haupttafel von etwa 175 x 257 cm, an die sich unterhalb ein ca. 40 cm hoher Bildstreifen anschließt. Das obere Feld von Soliloquy III (Abb. 14/FT. 11) zeigt ein von diffusem Gegenlicht erhelltes Zimmer, in dem eine unbekleidete dunkelhaarige Frau auf einem Bett liegt und sich, vom Rezipienten abgewandt, in einem Spiegel zu betrachten scheint. Durch die rückenansichtige Haltung sind primär ihr Oberkörper, Hüftbereich, sowie das obere Bein zu erkennen. Das gesamte untere Bein und Teile des Gesäßes werden vom Faltenwurf einer hellen, mit Rosenblüten bedruckten Seidendecke verdeckt.

34 STEINBERG (1978), S. 25.

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Vor der Liegenden befindet sich eine von zwei Strebenfenstern untergliederte Wand. Der Blick nach Draußen wird von grünen Stoffrollos verwehrt, die gänzlich vor das linke und zur Hälfte vor das rechte Fenster gezogen sind. Durch die teils freiliegende zweite Glasscheibe dringt grelles Gegenlicht und verhindert ebenfalls eine Aussicht. Weitere Lichtquellen sind nicht vorhanden, jedoch wird der Rücken der Frau über eine diffuse Reflexion, die vom JenAbbildung 14/FT. 11: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy III, 1998, C-Print, 2-tlg., 223,5 x 256,5 cm. seits der Kamera ausgeht, erhellt. Nahezu die gesamte obere Bildtafel ist unscharf. Einzig das Spiegelbild erscheint in seinen Konturen fassbarer, wenngleich es ebenfalls auf malerische Weise teils verschwommen ist. Bei eingehender Prüfung erweist sich das obere Bildfeld von Soliloquy III als überaus verstörend: Der Spiegel, der Lagernden gegenüber am hinteren Ende der Matratze platziert, ist ein ambivalentes Objekt, das keineswegs denselben Augenblick wiederzugeben scheint wie die rückenansichtige Aktaufnahme. Obschon sich der Spiegel in einem geringen Neigungswinkel zur Kameraebene sowie zum bildparallelen Körper befindet und auf Hüfthöhe des Modells steht, zeigt er ein weibliches Gesicht. Die inkonsistente Reflexionsfläche ist ein wichtiges Element, von dem ausgehend das gesamte Bild in Frage gestellt wird. Denn offensichtlich weist die Spiegelung subtile Abweichungen auf, die den Regeln der Katoptrik widersprechen: Erstens stützt die abgewandt Liegende ihr Haupt mit dem rechten Arm ab, während in ihrem ›Spiegelbild‹ keine am Kopf ansetzende Hand zu sehen ist. Zweitens ist die Frisur des Rückenaktes lose hochgesteckt, obschon die junge Frau im reflektierten Bildausschnitt ihr Haar offen trägt. Körper und Spiegelung sind also nicht identisch bzw. wurden mit der Absicht inszeniert, einen Entfremdungseffekt zu evozieren. Als drittes Irritationsmoment fällt der linke Arm der Gespiegelten auf, der in einem unnatürlichen Winkel vor ihren Körper gesetzt zu sein scheint. Und viertens geht die räumliche Anordnung von Lagernder und Spiegelbild nicht mit den Reflexionsgesetzen konform: Handelte es sich tatsächlich um einen Spiegel, der nahezu bildparallel und mittig vor dem Bett stünde, dann würde er nicht das Gesicht, son-

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dern tiefer liegende Bereiche des Körpers zeigen.35 Um das Antlitz zu reflektieren, müsste die Fläche näher nach rechts ans Kopfende gerückt werden, deutlich schräger stehen – oder aber der Fotoapparat hätte einen nach links versetzten Standpunkt einzunehmen. Zahlreiche Probeaufnahmen Taylor-Johnsons belegen, dass sie mit unterschiedlichen Kamerastandorten und Spiegelneigungen experimentierte, um so die optischen Raumwirkungen zu erforschen.36 Diese Abzüge variieren hinsichtlich des Aufnahmewinkels und der Reflexion, die ein brünettes Modell mit unterschiedlichen Kopf- und Armhaltungen zeigt. Auffällig ist, dass der liegende Akt und die Spiegelfläche in allen Testaufnahmen stärker von der Bildebene abgewandt sind als dies im Endresultat von Soliloquy III der Fall ist. Auch ist der Bildausschnitt größer und indiziert, dass die Kamera näher am Fußende stand. Von dieser Beobachtung ausgehend verhärtet sich der Verdacht, dass das letztlich verwendete Bild digital bearbeitet sein könnte oder dass ein anderer Trick angewandt wurde – denn bereits die Kontaktbögen werfen Fragen der Kohärenz hinsichtlich der Frisur und der Armhaltung auf. Auch Maria Giulia Dondero vermutet eine Intervention Taylor-Johnsons. Sie schließt auf ein integriertes gemaltes oder fotografiertes Tableau.37 Angesichts der bestehenden Probeaufnahmen, die kein statisches Bild im Bild aufweisen, würden aber auch nach dieser Hypothese Unklarheiten in der Umsetzung bleiben. Fest steht nur, dass die Frontalansicht nicht denselben Augenblick wie die Repräsentation der ersten Darstellungsebene zeigt. Offenkundig soll in Soliloquy III ein raumzeitlicher Bruch wahrgenommen werden, der den Akt von seinem ›Spiegelbild‹ trennt. Donderos Überlegung, die Fläche könne statt eines Spiegels oder Fotos ebenso gut ein Gemälde sein, erweist sich zumindest bei rein visueller Prüfung ebenfalls als plausibel. Denn bezüglich der Materialität des integrierten Porträts bleibt Soliloquy III uneindeutig: Die generelle Unschärfe und mangelnden Kontraste des Bildes erwecken den Eindruck, es sei »durch einen Schleier hindurch«38 aufgenommen und habe eine malerische Qualität. So sollen offensichtlich verschiedene Referenten – Spiegel, Fotografie und Gemälde – evoziert werden, mit denen wiederum unterschiedliche Repräsentationsmodi verknüpft sind, nämlich Reflektieren, Aufzeichnen und pikturales Darstellen. Durch diese Mehrdeutigkeit wird der mutmaßlich un-

35 DONDERO (2006), n.p. Zwar würde aufgrund des Neigungswinkels des Spiegels nicht das Becken, wohl aber der Brustbereich reflektiert werden (cf. hierzu auch die physikalische Relation von Einfallswinkel, Fläche und Reflexionswinkel). 36 Sam Taylor-Wood: Contact, London: Booth-Clibborn Editions, 2001, n.p. 37 DONDERO (2006), n.p. 38 LAJER-BURCHARTH (1999), S. 150.

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mittelbare, physische Wirklichkeitsbezug von Fotografie und Spiegel in Frage gestellt.39 Um die stoffliche, zeitliche und referenzielle Ambivalenz des integrierten Frontalbildnisses zu untersuchen, wird in den folgenden Kapiteln die Rolle des Spiegels unter kunsthistorischen und psychoanalytischen Aspekten beleuchtet. Zuvor soll die untere Tafel von Soliloquy III näher analysiert werden, fungieren die Predellenfelder der Serie doch, wie schon bei Soliloquy I, als introspektive, ›psychogrammatische‹ Erweiterungen der oberen Felder. 3.1 Intrapikturale Verschränkung Auf dem unterhalb der Haupttafel verlaufenden Bildfries ist ein helles Loft mit großer Fensterfront und moderner Einrichtung zu sehen, das wie in allen Soliloquies mit einer 360° RAF-Kamera aufgenommen wurde. Das resultierende Panorama wirkt wie eine in ihrer Zeitlichkeit ausgehebelte Raumanalyse mit einer »stretchedout or prolonged present tense«.40 Es zeigt im fotografischen Modus des ›Ça a été‹ ein langgestrecktes Nebeneinander von Büro- und Sitzmöbeln. Auf diesen sitzen oder liegen unbekleidete Männer und Frauen, die sich in lasziven Posen räkeln, sich sexuellen Handlungen hingeben oder unbeteiligt daneben ausharren. Nur zwei Personen des Bildstreifens sind bekleidet: An einem Bürotisch im Hintergrund widmet sich ein Mann im dunklen Anzug seiner Arbeit. Nur wenig entfernt von ihm sitzt eine dunkelhaarige Frau im roten Kleid. Selbstversunken und unbeteiligt verschließt sie die Augen, ohne auf das orgiastische Treiben des Bildvordergrundes zu reagieren. Zwischen den beiden wandelt ein weiblicher Akt, dem sie trotz der räumlichen Unmittelbarkeit keines Blickes würdigen. Das Predellenfeld wirkt befremdlich, zeugt es doch einerseits von extremer Vereinzelung und Dissoziation, andererseits aber von der ungezügelten Intimität der verschlungenen Leiber. Welche Beziehung besteht zwischen der ausschweifenden Körperlichkeit und der teilnahmslosen Selbstisolierung der Figuren? In der Analyse von Soliloquy I (Kapitel D.2) wurde bereits dargelegt, dass die serientypische binäre Struktur von Hauptbild und Predella ein narratives Feld möglicher intradiegetischer Bezüge aufspannt. Die Szene des oberen Bildes wird durch

39 Cf. hierzu auch allgemeiner: BLUMENTHAL, Ulrike/KÖHLER, Astrid: »Luring Reflections, Photographic Aberrations, and Disruptive Visions: On the Varying Relations between Pictures and Mirrors«, in: PhotoResearcher H. 26, 2016 (›Migration as Agitation – The Photographic beyond the Image‹), hg. von Katharina Sykora, S. 58–69. 40 JOHNSON, Clare: Feminity, Time and Feminist Art, Vortrag am 07. Mai 2014 im Watershed Media Centre, Bristol, online: http://www.uwe.ac.uk/sca/research/vcrg/projects/new direction.htm [eingesehen am 17. 02. 2015].

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das untere ergänzt und mit einer scheinbaren Innensicht, einem Einblick in die Gedanken und Visionen der zentralen Bildperson, verbunden. Die Fries-Szene lässt sich folglich als Parergon und psychologisches Seelendiagramm betrachten. In der Gegenüberstellung von Hauptfeld und Predella fällt auf, dass Ersteres die Selbstentfremdung der Liegenden thematisiert, während das untere Feld vor allem auf die interpersonale Distanz der Figuren verweist: Das Bildpersonal nimmt dort, sofern es nicht in sexuelle Handlungen verstrickt ist, keinerlei Notiz voneinander. Im aufgefächerten Panorama gleicht es einer dispersen »Dissemination verstreuter Organe«41. Die allgemeine Beziehungslosigkeit kulminiert in den Figuren des Mannes im Anzug und der rotgekleideten Frau, die weder durch Gesten noch durch Blicke mit ihrem unmittelbaren Umfeld kommunizieren. Während die untere Tafel von Anbeginn an keine Geschlossenheit suggeriert, wirkt die Hauptszene kontemplativ und hermetisch, was vor allem aus zwei Faktoren resultiert: Erstens posiert der dargestellte Frauenkörper abgewandt zur Kamera. Und zweitens gilt der im Spiegel reflektierte Blick scheinbar der Liegenden, nicht aber dem Betrachter.42 Die Begegnung von Akt und Reflexion führt dennoch zu keiner wirklichen Einheit, da sich die Relation zum Spiegelbild sogleich als gebrochen herausstellt. Dieses Oszillieren zwischen Identifikation und Selbstverkennung scheint generell im Blick in den Spiegel angelegt zu sein: Die Konfrontation mit dem reflektierten ›Ich‹ ist, wie Gustav Hartlaub in seiner Studie zum kunstgeschichtlichen Zauber des Spiegels feststellt, immer eine »eigentümliche Erfahrung«, da man »sich plötzlich in einer ganz mit sich selbst beschäftigten Lage gewissermaßen von außen her zusehen kann, als wäre man ein anderer, ja sogar das Bild eines anderen.«43 Die sich abzeichnende Dualität von betrachtendem und betrachtetem ›Ich‹, die Hartlaub beschreibt und die sich in Soliloquy III manifestiert, deckt sich mit Kernaspekten der lacanschen Psychoanalyse.44 Nach dem französischen Strukturalisten drückt sich im reflektierten Blick der Versuch aus, eine Beziehung zwischen »Innenwelt« und »Umwelt« aufzubauen und sich letztlich selbst als Ganzes wahrzu-

41 Taylor-Johnson, zitiert in: Sam Taylor-Wood (1998), S. 164 [Übers. A.K.]. 42 Jedoch scheint ihr nahezu apathischer Blick ins Leere zu schweifen und kann, dem Gesetz ›Einfallswinkel = Reflexionswinkel‹ folgend, wegen der leichten Schrägstellung des Spiegels nicht sich selbst gelten. 43 HARTLAUB, Gustav Friedrich: Zauber des Spiegels. Geschichte und Bedeutung des Spiegels in der Kunst, München: Piper, 1951, S. 107. 44 Cf. auch DANIS, Juana: Einführung in J. Lacan. Narzißmus in Mann und Frau, München: Edition Psychosymbolik, 1996, S. 52–53.

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nehmen.45 Jedoch könne der Mensch, der von Geburt an von einer »ursprünglichen Zwietracht« (discorde primordiale) und Unvollendung geprägt sei, diese nie vollständig überwinden.46 So bringt nach Lacan »der Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt die unerschöpfliche Quadratur der Ich-Prüfungen (recolements du moi) hervor.«47 Aufgrund des unausweichlichen Scheiterns im Bestreben um InDividualität (Ungeteiltheit) bzw. Ganzheit entstehe auch im Spiegel nur die Illusion von Einheit. Die Diskrepanz zwischen dem Selbst als betrachtendes und betrachtetes Subjekt verdeutlicht sich in Soliloquy III in den subtilen Abweichungen zwischen dem weiblichen Akt und seiner mutmaßlichen Spiegelung sowie im Unschärfe-Schleier, der das Antlitz entrückt wirken lässt. Die posierende Frau und ihre Reflexion bleiben inkongruent. Nicht minder bedeutsam sind die Bezüge des Aktes zu den Bildfiguren des Predellenfeldes. Dabei fällt auf, dass die brünette Hauptfigur ein zweites bzw. genau genommen ein drittes Mal in der unteren Tafel auftritt: Die rotgekleidete Frau des Bildfrieses weist starke Ähnlichkeiten zum Akt des Haupttableaus und dessen ›Reflexion‹ auf. In einem Interview mit Germano Celant bestätigte Taylor-Johnson, dass es sich um dieselbe Person handele.48 Die Figurendoppelung erfüllt hierbei mehrere Funktionen: Durch die innerbildliche Wiederholung werden die obere Szene und die Predella miteinander verknüpft – eine insbesondere aus narrativen Tafelaltären und Wandfresken überlieferte Darstellungsweise,49 die Taylor-Johnson bewusst in einem architextuellen Rekurs aufgreift. Der Duplizierung der Hauptfigur kommt hierbei eine erzählerische wie auch anbindende Funktion zu – sie hat also eine intrapikturale Dimension, die in ähnlicher Form in der zuvor besprochenen Arbeit Soliloquy I (vgl. Kapitel D.2.2) vorlag: Dort wurde die Verbindung durch einen rahmenüberschreitenden Arm gewährleistet, der in die Predella ragte. Darüber hinaus geht mit der iterierten Personendarstellung in Soliloquy III auch ein Entfremdungseffekt einher. Denn die rotgekleidete Frau, der Akt und das sich von diesem lösende ›Spiegelbild‹ agieren als autarke Instanzen mit je eigene Rollen im Bild.

45 LACAN, Jacques: »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion« [»Le stade du miroir comme formateur de la fonction du Je«, 1949], in: Ders.: Schriften I, Olten/Freiburg: Walter, 1973, S. 63–70, hier: S. 66. Cf. ferner dort auch Lacans Konzept des »zerstückelten Körpers« (»corps morcelé«), S. 67. 46 LACAN (1973), S. 66. 47 Ebd., S. 67. 48 Sam Taylor-Wood (1999), S. 151. 49 Cf. KEMP (1996), S. 57, demzufolge sich durch die Wiederholung »Zeitschleusen« und »Öffnungen der Erzählarchitekturen für die Zwecke der Simultanerzählung« einrichten lassen.

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Um den Zusammenhang dieser drei Entitäten zu reflektieren, soll zunächst der Inszenierungsmodus der Liegenden und ihrer mutmaßlichen Spiegelung untersucht werden, der in hohem Maße kunstgeschichtlich rekursiv ist. 3.2 Bildliche Intertextualität Soliloquy III lehnt sich auf zwei Ebenen an weithin bekannte Darstellungen der Kunstgeschichte an, die bei der Rezeption und Deutung des Fotos zum Tragen kommen können: Die Kombination aus Rückenansicht und frontaler Spiegelung wiederholt ein überliefertes Kompositionsschema, das insbesondere ab dem 16. Jahrhundert weit verbreitet war. Darüber hinaus werden durch die Pose des liegenden weiblichen Aktes und das Attribut des Spiegels ikonografische Lesarten aktiviert. Beide Bezugsebenen – die formal-kompositorische und die inhaltliche – sollen in ihrer intrikaten Verwebung reflektiert werden. Die Bedeutung der bildlichen Intertextualität in Soliloquy III ist hierbei zu ergründen. 3.2.1 Spiegelmotive in Malerei und Fotografie Dem Spiegel im Bild kommen kunsthistorisch sehr unterschiedliche Funktionen zu, die nicht alle im gleichen Maße auf Taylor-Johnsons Soliloquy III übertragbar sind. Reflektierende Flächen wie etwa ruhende Gewässer, metallene Schilder 50 oder künstliche Spiegel wurden bereits auf antiken Vasen und Wandfresken dargestellt, gaben jedoch meist »so, wie sie gezeigt [wurden], von ihrem Gegenüber nicht viel her«, wie Hermann Asemissen schreibt.51 Die primär parergonale Funktion des Spiegels in frühen Darstellungen unterscheidet sich signifikant von der Reflexion in Soliloquy III: Denn in Taylor-Johnsons Arbeit ist der Spiegel frontal und zentral platziert, sodass er eine autarke Bildebene eröffnet. Die resultierende Gewichtung dieses Bildelements scheint eher in der Tradition von Gemälden der Renaissance und des Barock zu stehen. Bezeichnenderweise erweiterte sich im 15. und insbesondere im 16. Jahrhundert der Verwendungskontext des Spiegelmotivs. Im Porträt und Selbstporträt, das sich zu dieser Zeit als eigenständiges Genre herausbildete, wurde es oft als wesentliches Utensil eingebunden, das der Selbstwahrnehmung und Selbstbefragung diente. Das eigene Antlitz betrachtend, vergewisserte sich der oder

50 Als frühe Beispiele gelten Darstellungen der Thetis in der Werkstatt des Hephaistos, die sich in einem für Achilles angefertigten Schild spiegelt (2. Jh. v. Chr.) oder des Narziss (u.a. im Haus des M. Lucretius Fronto, Pompeji, 1. Jh.), cf. ASEMISSEN, Hermann Ulrich: Bild und Spiegelbild, Kassel: Gesamthochschule Kassel, 1986, S. 8–11. cf. auch KACUNKO,

Slavko: Spiegel – Medium – Kunst, München: Fink, 2008, Kapitel 6 (S. 127–

170) , der zahlreiche weitere frühe Beispiele angibt. 51 ASEMISSEN (1986), S. 12.

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die Dargestellte seiner oder ihrer Existenz52 – ein Aspekt, der durchaus auch in Taylor-Johnsons Arbeit angelegt ist, wie bereits der Titel ›Soliloquy‹ (Selbstgespräch/ Seelenmonolog) zeigt. Eine weitere, für diese Fotografie relevante Funktion, die sich ab dem 16. Jahrhundert etablierte, ist die Spiegelung um der Spiegelung willen bzw. zur Bildraumerweiterung. Um diese näher zu ergründen, ist zwischen den Medien der Malerei und der Fotografie zu unterscheiden, die je eigene Bezüge zum ›Jenseits des Rahmens‹ aufweisen. In der Geschichte der Malerei kristallisierte sich im späten 16. Jahrhundert ein dezidiertes Interesse an komplexen Raumgefügen heraus.53 Ein wichtiger Hintergrund war der Wettstreit mit anderen Künsten, der um 1550/60 einen bedeutenden Zenit erreichte.54 Im Paragone von Skulptur, Malerei und Dichtung wurden die Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten jeder dieser Disziplinen reflektiert.55 Die zweidimensionalen Künste entwickelten in Auseinandersetzung mit der bildhauerischen Eigenschaft, ›molte vedute‹, also mehrere Ansichten im Raum erlebbar zu machen, Strategien, die ebenfalls mehrere Blickwinkel ermöglichten: Im integrierten Spiegel drückte sich der Versuch aus, die monoperspektivische Darstellung durch eine konstruierte Mehransichtigkeit zu überwinden.56

52 Maßgeblich für die Ausbildung des Individual- und Künstlerbildnisses, das den Blick in den Spiegel teils integrierte, war das humanistische Interesse der Renaissance und die sich wandelnde Vorstellung, wer ›bildniswürdig‹ war. Cf. u.a. CALABRESE, Omar: Die Geschichte des Selbstporträts, München: Hirmer 2006. Zum Spiegel im Selbstporträt cf. auch RAUPP, Hans-Joachim: Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert, Hildesheim u. a.: George Olms, 1984, insb. S. 302–310. 53 Cf. u.a. STOICHITA (1998); GEORGEL/LECOQ (1987); ASEMISSEN, Hermann/SCHWEIKHART,

Gunter: Malerei als Thema der Malerei, Berlin: Akademie Verlag, 1994.

54 Literarische Dokumente dieses Wettstreits sind Lomazzos Libro dei sogni e raggionamenti (1564) sowie Beiträge Paolo Pinos (Dialogo di Pittura, 1568) und Giorgio Vasaris (Le Vite, 1550/68). Bereits da Vincis Della Pittura, 1490 diskutierte Aspekte des Paragone mit der Skulptur. Siehe auch HESSLER, Christiane J.: »Maler und Bildhauer im sophistischen Tauziehen. Der Paragone in der italienischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts«, in: Wettstreit der Künste (2002), S. 83–97. 55 Der Begriff des Paragone bezieht sich auf das griechische ›Agon‹ (Kampfplatz) bzw. das italienische ›Paragone‹ (dt. Vergleich). Zum Paragone in den Künsten siehe: Wettstreit der Künste (2002) und ASEMISSEN/SCHWEIKHART (1994). 56 Cf. HESSLER (2002), insb. S. 83–93. Die simultane Wahrnehmung verschiedener Perspektiven unterschied das in sich gespiegelte Bild hierbei von den plastischen und diegetischen Künsten, die nur eine sukzessive Erfassung mehrerer Ansichten ermöglichten. Das

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Eine Erweiterung des Darstellungsraumes durch eine (scheinbare) Reflexion kann grundsätzlich auf zwei Weisen erfolgen: Wie Victor Stoichita am Gegenstand des gemalten Spiegels ausführt, lässt sich sowohl das bildintern Verdeckte als auch das außerhalb Liegende in das Tableau integrieren. Ein Spiegelbild fungiere hierbei, wenn es auf das Jenseits des Rahmens verweise, »als ›Zeichen‹, denn es stehe ›anstelle‹ einer absenten Wirklichkeit«.57 Da in der Malerei und Zeichnung die ›bildexterne‹ Reflexion jedoch nur ein imaginäres Außerhalb wiedergibt, ist Stoichitas Unterscheidung in diesen Medien letztlich rein konzeptuell. Das heißt, das Spiegelbild als ›Zeichen‹ ersetzt genau genommen keine Wirklichkeit jenseits des Rahmens, sondern bringt eine Bildwirklichkeit hervor, die suggeriert, sich realiter an anderer Stelle zu befinden. Anders verhält sich dies bei fotografierten Spiegelbildern. Bei diesen wird aufgrund der Indizialität von Lichtbild und Reflexion angenommen, dass ein frontal sichtbarer Spiegel tatsächlich eine sich hinter der Kamera befindliche Ebene zeige. Die integrierte Spiegelung weist in solchen Fotografien einen realen räumlichen Bezug zum Bildreferenten der ersten Darstellungsebene auf, von dem das ›Bildjenseits‹ durch den fotografischen (Aus-)Schnitt gelöst, durch die Reflexion jedoch synthetisch ›wiederangebunden‹ wird. Umso irritierender ist es, wenn sich die mutmaßliche Spiegelung und der Bildraum in wesentlichen Punkten widersprechen, wie dies etwa in Soliloquy III der Fall zu sein scheint. Die dort vorliegende Inkonsistenz bewirkt, dass nicht etwa nur die Reflexion, sondern die Fotografie selbst in Frage gestellt wird.58 Die gebrochene Erwartungshaltung an die Kausalität und temporale Synchronität des Spiegels scheint diesen Effekt maßgeblich zu bedingen. Ein weiterer bemerkenswerter Konnex von Foto und Spiegel ist, dass Letzterer in seiner metonymischen Beziehung zur Welt dem Vorgang des fotografischen Heraustrennens aus einem Kontinuum nahe ist – also jenem unausweichlichen Schnitt, der nach Dubois darin besteht, »daß der Fotograf, ganz im Gegensatz zum Maler,

integrierte Spiegelbild wurde (und wird) auch in jüngerer Zeit in verschiedenen Bildmedien zur Verschachtelung von Darstellungsebenen verwendet, wobei oft weniger die Reflexion von Körpern als die Ergründung von Räumlichkeit per se im Fokus ist, cf. u.a.: LYPP, Bernhard: »Spiegel-Bilder«, in: BOEHM (1995), S. 411–443; OWENS (1978/ 2004) sowie Slavko Kacunko, der als weiteren wichtigen Aspekt den rezeptionsästhetischen Effekt des Spiegels im Bild betont, der closed-circuit-Anordnungen vergleichbar sei. KACUNKO (2008), insb. S. 272 und S. 704. 57 STOICHITA (1993/1998), S. 252. 58 Cf. etwa MITCHELL (1992), S. 34–37.

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immer mit dem Messer arbeitet und jedesmal, wenn er knipst [...], die Welt ringsum über seine Klinge springen läßt«.59 Die Cadrage des Spiegels führt dabei zwar zu einer Dislozierung, aber zu keiner endgültigen Ablösung von Objekt und Bild, wie dies beim Foto geschieht: Der Spiegel bedarf der fortwährenden Präsenz des Gespiegelten. Er ist der Zeigefinger, dessen Gestus erst in Gegenwart des Angezeigten einen Inhaltsbezug erhält. Die lichtbildnerisch fixierte Spiegelung fungiert hingegen mehr noch als ihr gemaltes Korrelat als Zeichen, welches ein Absentes, da fotografisch ›Abgetrenntes‹ repräsentiert und das virtuelle Bild der Reflexion in ein Materialisiertes überführt. Entsprechend täuscht der fotografierte Spiegel, so Craig Owens, »nicht nur Reflexion vor, sondern eine wirkliche Falte auf der Oberfläche des Abzugs. [...] Er erzählt uns in einer Fotografie, was eine Fotografie ist – en abyme«.60 Unstimmigkeiten des abgebildeten Spiegels beeinträchtigen daher den effet de réel der Fotografie selbst. Unabhängig von diesem Unterschied zwischen Malerei und Lichtbild gilt für beide gleichermaßen, dass das integrierte Spiegelbild, sobald es das vermeintliche ›Off‹ zeigt, die Bestimmbarkeit der Bildgrenze hinterfragt: Die Darstellung gibt vor, sogar das Jenseits des Rahmens inkorporieren zu können. Diese Raumerweiterung impliziert einen bedeutsamen rezeptionsästhetischen Effekt. So wird der Betrachter in einen imaginären Zwischenraum versetzt, in welchem er sich vom Bild und dem mutmaßlich gespiegelten Außerhalb umschlossen findet: In Soliloquy III identifiziert er sich mit dem ›Blickwinkel‹ der Kamera, die hinter dem Bett, aber noch vor der reflektierten Rückwand zu verorten ist. In einer solchen Raumkonstellation ist auch eine indirekte, über das Hilfsmittel des Spiegels simulierte Blickadressierung möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass sich eine Bildfigur vor dem Reflexionsmedium befindet und vermittels des Spiegels in Richtung des Rezipienten blickt oder dieser sich im innerbildlichen Spiegel als Stellvertreterfigur wiederfindet. Durch diese Rückkopplung würde der Eindruck erweckt werden, dass sich der oder die Betrachtete der Präsenz des oder der Betrachtenden bewusst sei. Mit diesem Gedankengang verknüpft ist eine grundlegende, metaleptische Verletzung der Bildgrenze und eine Nivellierung der ontologischen Differenz von Darstellungsund Betrachtungsraum, wie ich sie bereits für die Bildbeispiele Duane Michals konstatiert habe.

59 DUBOIS (1993/1998), S. 157. Cf. auch METZ, Christian: »Photography and Fetish«, in: October, H. 34 (Herbst 1985), S. 81–90, der sich wiederum auf Dubois’ 1983 teilveröffentlichten Acte photographique bezieht (»A recent, remarkable book on photography by Philippe Dubois is devoted to the elaboration of this idea and its implication«, S. 82) und von einem »cut inside the referent« (S. 84) spricht. 60 OWENS (1978/2004), S. 66.

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Ein bekanntes malerisches Beispiel, in dem ein solch rezeptionsästhetischer Bezug erfolgt, ist Peter Paul Rubens’ Venus vor dem Spiegel (Het Toilet van Venus, um 1614/15, Abb. 15.1/FT. 12)61 – ein Gemälde, das mit Soliloquy III verknüpft ist. Zentrale Bildfigur ist ein weiblicher Rückenakt, der frontal gespiegelt wird.62 Rubens’ sitzende Venus ist im Profil perdu dargestellt, sodass nur Hinterkopf, Wangen sowie ansatzweise Auge und Nase zu sehen sind. Ihr gegenüber befindet sich ein achteckiger Spiegel, den ein geflügelter Cupido stützt. Ihr Ge- Abbildung 15.1/FT.12: Peter Paul Rubens, sicht wird durch diese Reflexions- Venus vor dem Spiegel (Het toilet van Venus), fläche zusätzlich in Dreiviertelan- um 1614/15, Öl auf Holz, 124 x 98 cm. sicht dargestellt. Dabei ist der Blick auf den impliziten Betrachter gerichtet, sodass ein Moment wechselseitiger Wahrnehmung simuliert wird: Die Rückenfigur beobachtet den Rezipienten, während dieser sie betrachtet und vice versa.63 Im Vergleich hierzu wird in Soliloquy III kein solcher Augenkontakt simuliert. Der Rückenakt sieht sich selbst an, nicht aber den Rezipienten. Dies erklärt sich durch den Umstand, dass eine

61 Rubens bezieht sich, trotz der abgewandten Figuren-Haltung, auf Tizians Toilette der Venus (Venus with a Mirror, 1555, National Gallery of Art, Washington (abgebildet in: Faszination Venus. Bilder einer Göttin von Cranach bis Cabanel, Ausst.-Kat. Wallraf-Richartz-Museum Köln, 14.10.2000–07.01.2001, Alte Pinakothek, München 01.02.– 02.04.2001, u.a., hg. von Ekkehard Mai unter Mitarbeit von Ursula Weber-Woelk, Gent: Snoek Ducaju & Zoon, 2000, S. 246). 62 Der Bildtypus der Venus in Rücken- und Spiegelansicht war im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitet. Bezug nehmend auf antike Quellen stellte man den abgewendeten Körper der Schönen dar. Unter anderem die Figur der Pulchritudo galt hierbei als Vorbild, cf. PRATER, Andreas: Im Spiegel der Venus. Velázquez und die Kunst, einen Akt zu malen, München: Prestel, 2002. 63 Cf. THÜRLEMANN, Felix: »Velázquez’ Venus mit dem Spiegel. Das Gemälde als Transformator des Blicks«, in: BOGEN, Steffen/BRASSAT, Wolfgang/GANZ, David (Hg.): Bilder – Räume – Betrachter. Festschrift für Wolfgang Kemp zum 60. Geburtstag, Berlin 2005, S. 74–89, hier: S. 82.

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Blickadressierung die zunächst suggerierte Geschlossenheit bzw. Selbstbezüglichkeit der Bildszene aufbrechen würde. Dennoch liegen bemerkenswerte Parallelen zwischen Rubens’ und Taylor-Johnsons Komposition vor. Die Kombination aus unbekleideter, weiblicher Rückenfigur und frontalem Spiegel verbindet beide Bilder, obschon diese Gemeinsamkeiten nicht ausreichen, um eine direkte Bezugnahme im Sinne eines (partiellen) ›Zitates‹ zu behaupten. In einem umfassenderen kunstgeschichtlichen Vergleich zeigt sich, dass eine Vielzahl bekannter Gemälde einem zu Rubens analogen Schema folgt: Eine leicht bekleidete oder gänzlich entblößte Frau wird von einem Spiegel reflektiert, während sie sich vom Betrachter abwendet. Die evozierte Mehransichtigkeit in den Tableaus von etwa Tizian, Veronese und Goya64 oszilliert hierbei zwischen Verbergen und Enthüllen, Abkehr und Zuwendung des dargestellten Körpers. Ikonografisch wurden viele dieser Szenen als ›Venus bei der Toilette‹ gedeutet, befand sich doch beispielsweise bei Tizian, Velázquez oder Rubens ein Cupido mit im Bild.65 Doch nicht nur in Venusbildern, sondern auch in Allegorien der Eitelkeit, Klugheit und Wahrheit figurierte oftmals ein Spiegel neben einer mehr oder weniger bekleideten weiblichen Gestalt. 66 Ferner sind selbstverständlich auch nicht allegorische Akte mit Spiegel überliefert (z.B. Giovanni Bellinis Junge Frau bei der Toilette, Kunsthistorisches Museum Wien, 1515).

64 Francisco de Goya, Nackte Frau mit Spiegel (Mujer desnuda con un espejo), 1797, lavierte Tuschzeichnung, Biblioteca Nacional, Madrid (abgebildet in PRATER (2002), S. 29); Paolo Veronese, Venus bei der Toilette (Venus at her toilet), um 1580, Öl auf Leinwand, Joslyn Art Museum, Omama, Nebraska; Tizian, Venus mit dem Spiegel (Venus with a Mirror), 1555, Öl auf Leinwand, National Gallery of Art, Washington. 65 Der Grat zwischen göttlicher Gestalt und einfacher Frau erwies sich oft – und gewiss nicht unbeabsichtigt – als sehr schmal, sodass eine klare Unterscheidung nicht immer möglich ist. Heute als ›Venus‹-Bilder deklarierte Gemälde wie Tizians Venus von Urbino (um 1538) wurden mangels ikonografisch eindeutiger Kennzeichnung von Zeitgenossen als Darstellungen einer einfachen ›donna nuda‹ bzw. Kurtisane bezeichnet. cf. WEBER, Georg: »Töchter der Giorgione-Venus«, in: Faszination Venus (2000), S. 56–67, insb. S. 64 und 66 und PRATER (2002), S. 41. 66 Die unfixierte Reflexion gilt als Zeichen der Vanitas, stellt jede Spiegelung doch zunächst eine ephemere Oberflächenerscheinung dar, die trügerisch und ohne Bestand ist. In den Händen Prudentias oder der Veritas wird der Spiegel hingegen zum Mittel der Selbsterkenntnis und Wahrheit. Zudem steht das Element für den Gesichtssinn, cf. ASEMISSEN (1986),

S. 13.

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Dieser Ambivalenz ungeachtet wurde Soliloquy III in einer Vielzahl von Fachartikeln und Katalogtexten als moderne Venusdarstellung beschrieben. Rein ikonografisch betrachtet ist jedoch eine Identifikation als Liebesgöttin nicht haltbar: Taylor-Johnsons unbekleidete Frau ist ein realer, fotografisch erfasster Akt in einem gewöhnlichen Schlafzimmer – also keine fiktive oder idealisiert gemalte Gestalt. Weiteres Bildpersonal wie Amorenfiguren und die Abbildung 15.2/FT. 13: Diego Velázquez, Venus vor entsprechenden Attribu- dem Spiegel (La Venus del Espejo), 1648–51, Öl auf Leinwand, 122 x 177cm. te fehlen. Der Bildtitel rechtfertigt ebenfalls keine Benennung als römische Göttin. Dass das Foto dessen ungeachtet oft als moderne Venusdarstellung bewertet wird, rührt insbesondere aus seinem Ähnlichkeitsbezug auf Velázquez’ Venus vor dem Spiegel (La Venus del Espejo, 1648–51, Abb. 15.2/FT. 13), das sich als ein zentraler bildlicher ›Prätext‹ erweist.67 Dennoch liegen fundamentale Unterschiede zwischen beiden Bildern vor, die teils der medialen Umsetzung und dem Zwischenschritt der figürlichen Nachstellung geschuldet sind. 3.2.2 Velázquez’ Venus vor dem Spiegel Velázquez’ Venus vor dem Spiegel zählt zu den bekanntesten und meist zitierten Darstellungen eines weiblichen Aktes in Rückenansicht. Ihm galten in der jüngeren Kunstgeschichte zahlreiche Reprisen, so zum Beispiel Mel Ramos’ Velázquez Version von 1975, Sylvia Sleighs Philip Golub, sich ausruhend (Philip Golub, Reclining) von 1971 oder Tom Hunters Ye Olde Axe von 2002. Darüber hinaus bedienten sich mehrere Werbe- und Aktfotografen sowie zunehmend Amateure im Internet

67 Taylor-Johnson nannte das spanische Gemälde als unmittelbares Vorbild ihrer Inszenierung, cf. »Sam Taylor-Wood und Michael O’Pray im Gespräch«, in: Third Party, Ausst.Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart, hg. von Martin Hentschel, OstfildernRuit: Hatje Cantz, 2000, S. 97–123, hier: S. 113.

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des Wiedererkennungswertes dieser wie auch verwandter Kompositionen, um sie umzufunktionalisieren.68 Bei Velázquez liegt eine unbekleidete Dunkelhaarige in nahezu identischer Konstellation zu Soliloquy III auf einem mit Seidendecken überzogenen NachtLager. Ihr Körper ist im Bereich von Rumpf, Kopf und Schenkeln mit weichen Pinselstrichen gemalt, an den Füßen sowie im Hintergrund lockert sich der Duktus und wird teils grobstrichig. Neben der Lagernden kniet ein Junge, der aufgrund seiner Flügel als Cupido zu erkennen ist. Mit ausgestreckten Armen stützt er einen schwarz eingefassten Spiegel, von dessen Rahmen rosafarbene Bänder – Zügeln gleich – in seine Hände führen. Der untiefe Bildraum schließt in einer dunkelbraunen Wand, vor die zur Hälfte ein samtroter Vorhang gezogen ist. Wie bereits das Bild im Bild in Soliloquy III zeigt auch der bildzentrale Spiegel bei Velázquez trotz Anbringung auf Hüfthöhe ein weibliches Gesicht anstelle anderer Körperpartien. Leicht verschattet und vom Schleier eines malerischen Sfumatos überzogen, erlaubt das Antlitz keine Individualisierung der Liegenden: Das Modell bleibt im übertragenen Sinne gesichtslos, da nur die Rückenansicht69 und das undeutliche Spiegelbild zu sehen sind.

68 Z.B. Helmut Newtons Bergstrom, au-dessus de Paris, Paris, 1976 (als Ausschnitt abgedruckt für das Buchcover von GAUTRAND, Jean-Claude: Paris, portrait d’une ville, London/Paris: Taschen, 2011) oder ein Reklamebild in PRATER (2002) (o.S., Bildnachweis Arno Wiggins, Wiesbaden). Im 19. Jahrhundert referierten ebenfalls unzählige Aktstudien auf die Rückenfigur von Velázquez, etwa die in Eine andere Kunst…(2004) abgedruckte Studie von Charles Nègre (Étude d’après nature, 1848, Musée Ingres, Montauban) oder die in Realismus (2010) reproduzierte Stereodaguerreotypie eines unbekannten Fotograf, O.T., um 1852, 8,2 x 17 cm, Sammlung Siegert, München (Realismus, Das Abenteuer der Wirklichkeit, Ausst.-Kat. Kunsthalle Emden, 11.06.–05.09.2010, hg. von Christiane Lange und Nils Olsen, München: Hirmer, 2010, S. 272). Im Internet zirkulieren ebenfalls zuhauf Re-Inszenierungen von Fotografen und Amateuren, cf. http://appropriation-art.tumblr.com und www.booooooom.com/2011/10/04/remake-submissions-part-i [beide eingesehen am 11.07.2015]. 69 Die Körperrückseite des gemalten Aktes wird stärker noch als auf Taylor-Johnsons Foto den Blicken der Betrachter ausgesetzt. Die für das Spanien des 17. Jahrhunderts beachtliche Offenherzigkeit der Darstellung lässt sich damit begründen, dass das Tableau wahrscheinlich nicht zur Präsentation in einer breiten Öffentlichkeit gedacht war. Es hing vermutlich als Pendant zu einem Venusbild in Frontalansicht in einer Privatgalerie der Carpio oder gar in einem feudalen Schlafgemach (so die umstrittene Theorie José LópezReys), cf. PRATER (2002), S. 17 und S. 38.

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Im Vergleich der Bildraumgestaltung wirkt das spanische Tableau in vielen Punkten intimer als Taylor-Johnsons Re-Inszenierung. Dies rührt sowohl aus der sinnlich konnotierten Raumausstattung mit weich geschwungenem Vorhang als auch aus der Geschlossenheit des Zimmers. Durch die näher an den unteren Bildrand gerückte Venus, deren plastischer Körper sich vom skizzenhafteren Hintergrund abhebt, verstärkt sich die Intimität. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Faktor ist das verschattete Spiegelbild, das eine eindeutige Verortung des reflektierten Blickes verhindert. Eine indirekte Adressierung des Rezipienten scheint plausibel, war Velázquez doch mit ähnlichen Komposi- Abbildung 15.3: Gavin Ashworth/John Parker, o.T., tionen von u.a. Rubens fotografische Rekonstruktion nach Velázquez, 1979. vertraut.70 Allusiv denkbar wäre aber auch ein Blick des Spiegelporträts auf die ihm gegenüber befindliche Körperpartie, was die Skandalhaftigkeit der Bildanlage ebenfalls zuspitzen würde. Überaus bemerkenswert für den Bezug zwischen Velázquez und Soliloquy III erscheint, dass auch die optische Richtigkeit des spanischen Gemäldes wiederholt angezweifelt wurde. Forschergruppen untersuchten in den 1970er Jahren die Raumanordnung des Meisterwerks, indem sie es als Tableau vivant nachstellten und mit einer mittig aufgestellten Kamera fotografisch fixierten. Mit Hilfe dieses Anordnungsapparats erhofften sie sich einen wissenschaftlich präzisen Blick auf die szenische Gliederung. Eine 1979 von Gavin Ashworth und John Parker angefertigte Rekonstruktion (Abb. 15.3) schien die perspektivische Exaktheit des Gemäldes zu widerlegen: Der Spiegel auf dem Foto zeigte die Hüfte der Liegenden, nicht aber das Gesicht. Unberücksichtigt blieb dabei die Frage, ob der Blick des Malers bzw. des impliziten Rezipienten durch das monokulare Objektiv der Kamera ersetzt werden kann. So ist anzunehmen, dass Velázquez bewusst auf eine statisch-geometrische Raumwahrnehmung verzichtete, um auf die Möglichkeit einer Reflexion des Schambereiches lediglich anzuspielen. Es geht in dem Gemälde nicht um Fragen messbarer Richtigkeit, sondern um die Dialektik von Zeigen und Verhüllen, Erblicktwerden und auf den Blick des Anderen Rea-

70 THÜRLEMANN (2005), S. 80.

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gieren. Auch wird eine Bewegung des impliziten Betrachters bzw. eine synthetische Perzeption suggeriert. Im Vergleich von Malerei und Fotografie wird ersichtlich, dass es der Erstgenannten weitgehend frei steht, das Verhältnis von Spiegelung und Gespiegeltem nach Ermessen des Künstlers oder der Künstlerin zu transformieren. Anders ist dies bei der Arbeit mit einer Kamera, die an technisch prä-definierte, perspektivische Regeln gebunden ist, die zunächst unhintergehbar erscheinen. Die Feststellung, dass Taylor-Johnson Velázquez’ räumliche Anordnung weitgehend übernimmt und trotz des Fotoapparates die katoptrischen Gesetze in Frage stellt, ist daher überaus signifikant. Offensichtlich übte die ambivalente Reflexion auf die Künstlerin einen besonderen Reiz aus, den sie fotografisch umsetzte. Sie wählte einzelne Elemente bzw. Relationen des Venus-Bildes und bettete diese in ein eigenes Konzept ein, in dem Cupido und der Boudoir-Raum ausgespart wurden. Wenn Soliloquy III nun die Pose und Spiegelung des spanischen Tableaus aufgreift, dann erklärt sich dies gerade nicht aus dem Bemühen um eine möglichst getreue Nachahmung. Vielmehr scheint die Künstlerin mit der Rezeption dieses bekannten Aktbildes und der Kritik an dessen perspektivischer Widersprüchlichkeit zu spielen, wobei sie gleichermaßen mit der fotografischen und der spiegelhaften Kontiguitätsannahme bricht. Soliloquy III stellt daher nicht nur das Konzept eines ›ungebrochenen Selbst‹ in Frage, sondern höhlt auch die Unmittelbarkeit bzw. das Identifikationsangebot von Spiegel und Fotografie aus. Das scheinbar ›fehlerhafte‹ Spiegelbild, das mehrfache Erscheinen der Hauptfigur in verschiedenen Rollen und Kontexten sowie ihr Posieren als ›Venus‹ erweisen sich hierbei als zusammenwirkende Komponenten, die einen Entfremdungseffekt implizieren. Im Versuch des weiblichen Aktmodells, sich in eine tradierte Pose einzurücken, drückt sich der Wunsch aus, den Blick des Anderen durch eine kulturell erprobte Formel vorwegzunehmen, das heißt, sich selbst in ein Bild (Tableau)71 zu verwandeln. In der erstarrten, schematisierenden Haltung vor Spiegel und Kamera schafft sich die Lagernde »auf der Stelle einen anderen Körper« und wird »bereits im Voraus zum Bild«72, das eine Entzweiung des Selbst impliziert. Soliloquy III erweist sich somit im mehrfachen Sinne als Bild eines Bildes: erstens durch den Rekurs auf Velázquez, zweitens durch das Fixieren einer tradierten Pose (bzw. eines lebenden Bildes) und drittens durch die Einbindung des (ambivalenten) Spiegelbildes.

71 Cf. SILVERMAN (1997); OWENS (2004); LACAN, Jacques: »Was ist ein Bild/Tableau« [»Qu’est-ce qu’un tableau«, Sém. XI, 1973], in: BOEHM (1995), S. 75–89, insb. S. 76. 72 BARTHES (1980/1989), S. 19.

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3.3 Referenzen aufbrechen. Vom Vorbild zum Zwischenbild Die bisherigen Überlegungen zu Soliloquy III definierten die Figur der Liegenden und das Raumgefüge maßgeblich über den Vergleich mit Velázquez’ Venus vor dem Spiegel. Wegen der hohen Ähnlichkeit und auf der Grundlage von Künstlerstatements, in denen sich Taylor-Johnson explizit auf den Spanier beruft73, schien es legitim, die obere Tafel von Soliloquy III als ein intendiertes ›Zitat‹ dieses Gemäldes zu bewerten. Doch birgt die Festlegung auf einen bestimmten Prätext, die dem Begriff des ›Zitates‹ anhaftet, auch die Gefahr eines Missverständnisses: Analog zum direkten Textzitat könnte der Eindruck entstehen, es handle sich um ein wörtliches Exzerpt einer angegebenen Quelle. Dadurch würde eine einseitige Verbindung unter Ausblendung weiterer Zwischenbilder suggeriert. Vornehmlich ist zu betonen, dass Text- wie auch Bildrekurse mit einer ›Paraphrasierung‹ und Rekontextualisierung einhergehen: Keineswegs wird ein Werk Buchstabe für Buchstabe bzw. Bildpunkt für Bildpunkt unverändert und ohne Bedeutungsverschiebung repliziert. Umso wichtiger ist es, die Eigenständigkeit von Reprisen und deren referenzielle Vielfalt zu betonen. Eine binäre Konzeption von Original und Nachahmung ist dabei ebenso auf den Prüfstein zu stellen wie das kunsthistorische Denken in Traditionslinien bzw. in zeitlichen Linearitäten. Vernon Hyde Minor bemängelte in seiner Kritik der Quell- und Einflussforschung, dass »we unnecessarily denigrate followers and descendants when in fact such a person may find himself or herself in a strong position«.74 Auf dem Spiel stehe vor allem die Anerkennung der Selbständigkeit des späteren Werkes, das nur hinsichtlich seiner Referenz gemessen und evaluiert würde. Im konkreten Fall der vorliegenden Untersuchung bestünde demnach die Gefahr, die inhaltliche Autonomie von Soliloquy III zu missachten und unhinterfragt die überlieferte Deutung der Venus vor dem Spiegel auf die fotografische Aktdarstellung zu übertragen. Wechselwirkungen und Interferenzen zwischen den interrelierten Werken (und Diskursen) würde nicht berücksichtigt. Nicht minder folgenschwer wäre ein rein formaler Vergleich, bei dem jede Abweichung in der Komposition nicht als freier Künstlerwille des Nachahmenden, sondern als Verfehlung oder reine Instrumentalisierung des Originals bewertet würde. Eine weitere Schwachstelle der binären Vorbild/Nachahmung-Konzeption ist die mangelnde Berücksichtigung des Rezipienten, dem vielmehr eine Brückenfunktion zuzugestehen ist. Denn je nach abrufbarem Bildrepertoire und vorliegenden

73 Third Party, Ausst.-Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 10.11.1999 – 16.01.2000, hg. von Martin Hentschel, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2000, S. 113. 74 MINOR (1998), S. 133.

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Textinformationen kann er bei der Betrachtung von ›Bildzitaten‹ und Anspielungen durchaus auch andere ›Zwischenbilder‹ mitlesen oder einen alternativen ›Primärbezug‹ vermuten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, in welchem Maße die Kunstkritik und -geschichte die potenzielle Polyreferenzialität von Bildern beschneidet, wenn sie dem Leser bzw. Betrachter ein ›ursprüngliches‹ Vorbild nennt. Was geschieht durch die Verbalisierung pikturaler Verweise in Bildbeschreibungen? Bezeichnenderweise wurde Taylor-Johnsons Soliloquy III in der Vielzahl der über sie verfassten Texte auf das ›Zitat‹ Velázquez’ verkürzt – ein Vorgehen, das einer eingehenden Reflexion bedarf, in der die Konsequenzen dieser diskursiven Zuordnung zu beleuchten sind. Im Folgenden sollen fünf kurze Textstellen über diese Fotografie exemplarisch ausgewertet werden. Vier dieser Beschreibungen entstammen Publikationen, die keineswegs speziell auf Bildverweise in Taylor-Johnsons Werk fokussieren und – außer einer Ausnahme – nur die bekannteste kunsthistorische Referenz nennen. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass eine einsträngige Vorbild/Nachahmung-Relation zu Velázquez vorläge. Diese mutmaßliche Eindimensionalität und Unmittelbarkeit ist kritisch zu hinterfragen. Kann die 1998 entstandene Fotografie überhaupt direkt auf das spanische Gemälde von 1648–51 referieren? Zitiert sie nicht auch zwangsläufig die Rezeptionsgeschichte, Reprisen und Kommentare dieses Werkes mit? Zwei Aspekte sind herauszuarbeiten, die für die methodische Reflexion vorliegender Untersuchung von großer Relevanz sind: Erstens die Tatsache, dass die Auswahl einzelner Vorbilder aus dem potenziell endlosen Bezugsnetz sowohl subjektiv als auch diskursiv geprägt ist. Sie wird von der Rezeption von Paratexten und Metatexten in Genettes Sinne mitbedingt, also beispielsweise von Kommentaren und Künstlerstatements. Zweitens soll ergründet werden, inwieweit die sprachliche Erfassung stets eine Reduktion und Verschiebung von Bildbezügen impliziert, durch die deren Offenheit wie auch Vagheit beschnitten wird. 3.3.1 Bildbezüge in Worten Die Mehrzahl der Beschreibungen von Soliloquy III ähnelt sich darin, dass TaylorJohnsons Liegende unhinterfragt als ›Venus‹ oder gar als Velázquezsche Venus bezeichnet wird. Diese Zuordnung erfolgt gewiss teils aus praktischen Gründen, um die anonyme Lagernde mittels eines substitutiven Namens benennen zu können. Zugleich scheint die Etikettierung auch eine detailliertere Deskription zu ersetzen: Vom Leser wird gewissermaßen vorausgesetzt, das im Text formulierte Bildrepertoire abrufen zu können, um dadurch die Pose und den Bildaufbau gedanklich zu rekonstruieren.

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In einem 1999 publizierten Artikel in Parkett wird Soliloquy III als wahre Fundgrube interpiktorialer Verweise dargestellt. Im oberen Feld befinde sich eine Frau, »hingestreckt wie Velázquez’ Venus im Spiegel«.75 Auf der Predella darunter sieht Ewa Lajer-Burcharth »eine phantasmagorische Orgie, die sich diese ›Venus‹ vorstellt« – mit einem nackten Mann, »langgestreckt wie eine Figur von Giacometti« und einer sich auf einer Couch räkelnden »Odaliske im Ingres-Stil«.76 Eine auf Genderaspekte fokussierende Untersuchung von Diane Meyers geht ebenfalls kurz auf Taylor-Johnsons Bildbezüge ein. Wie im vorherigen Artikel wird der Rückenakt lediglich auf Velázquez’ Venus vor dem Spiegel bezogen. Soliloquy III sei dessen »photographic recreation […] in modern undress«. Die Autorin benennt das Modell durchgängig als Venus, verweist jedoch darauf, dass in diesem »sublime, private, narcistic idyll« der Cupido fehle.77 Diesen Umstand nimmt sie jedoch nicht zum Anlass, die Benennung als römische Göttin zu relativieren, sondern sie hält daran fest, dass es sich um eine moderne Venus handle, die ihren Thron bzw. Platz am Olymp aufgegeben habe.78 Ganz ähnlich geht Michael Bracewell in einem Katalogbeitrag vor. Soliloquy III beschreibt er als »contemporary creation of Venus regarding herself in the mirror, while an orgy is described beneath her«.79 Die Referenz wird knapp benannt, ohne dass das ikonografische Spiel zur Diskussion gestellt oder alternative Bezüge eingeflochten würden. Maria Giulia Dondero, die sich anlässlich eines Vortrags am Centre de Recherche sur l’Image speziell mit der Intertextualität in Taylor-Johnsons Serie auseinandersetzte, identifiziert den weiblichen Akt ebenfalls durchgängig mit der Velázquez’schen Venus. In einer späteren Publikation hält sie den Verweis offener und spricht von einer »donna sdraiata [...] alla maniera di una Venere« 80. Das zuvor als

75 LAJER-BURCHARTH (1999), S. 150. 76 Ebd. Zwar setzt die Verfasserin die Benennung als Venus in Anführungszeichen, als antizipiere sie die Problematik, eine zeitgenössische Re-Inszenierung auf eine tradierte Bildformel zu verkürzen. Doch geht sie nicht der Frage nach, wieso der Akt im Bild die Konnotation ›Venus‹ hervorruft, ohne mit dieser gleichgesetzt werden zu können. Auch wird lediglich Velázquez als Vorbild der Liegenden genannt, wodurch die Darstellung gegenüber anderen möglichen Prätexten verschlossen wird. 77 MEYERS, Diana T.: Gender in the Mirror. Cultural Imagery and Women’s Agency, Oxford: Oxford University Press, 2002, S. 141. 78 Ebd., S. 141 und S. 142. 79 BRACEWELL, Michael: »Let yourself go! Sam Taylor-Wood and the Point of Collapse«, in: Sam Taylor-Wood (1999), S. 33–47, hier: S. 39. 80 DONDERO (2006) und DONDERO (2007), S. 146.

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Venus bezeichnete Aktmodell benennt sie nun also schlicht als Frau, die wie eine Venus dahingestreckt ist. Der Aspekt der Bildreferenz ist – mit Ausnahme von Donderos Text – in keiner der genannten Untersuchungen von zentralem Interesse. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass der Bezug zu Velázquez nur formuliert, nicht aber kritisch hinterfragt wird. Dennoch erscheint es sinnvoll, die Vieldeutigkeit von Soliloquy III nicht dadurch zu beschneiden, dass man das Werk intrinsisch an einen einzelnen Prätext koppelt oder gar den Akt unkritisch als ›Venus‹ benennt. Gegenüber der zuvor genannten Beschreibungen legt der italienische Kunsthistoriker Germano Celant einen modifizierten Ansatz vor, um die angelegten Bildbezüge sprachlich zu erfassen. In einem Interview mit Taylor-Johnson verweist er nicht umgehend auf das Gemälde des spanischen Meisters, sondern auf eine bildliche Intertextualität mit Danae und Venus von Tizian. Dieses Bezugsnetz erweitert er um eine bildhauerische Arbeit, Canovas Paolina Borgehese. Celant lässt also die Beziehung offener, indem er mehrere mögliche ›Vorbilder‹ für den weiblichen Akt nennt und sowohl Gemälde als auch Skulpturen in das Netz einflicht.81 Zentraler Vorteil dieses Vorgehens ist, dass der italienische Kunsthistoriker die Gefahr umgeht, sich durch ›ein-deutige‹ Zuordnungen von Prätext und Zitat auf dem umstrittenen Terrain einer verabsolutierten Wahrheit zu bewegen. Celant zeigt, dass durchaus auch andere Bezüge im Rezipienten aktiviert werden können als das kanonisch repetierte Vorbild der Venus. In diesem Sinne könnte man auf TaylorJohnsons Arbeit Umberto Ecos Annahme übertragen, dass Künstler den Betrachtern stets ein zu vollendendes Werk anbieten: »Er [der Künstler, A.K.] weiß nicht genau, auf welche Weise das Werk zu Ende geführt werden kann, aber er weiß, daß das zu Ende geführte Werk immer noch sein Werk [...] sein wird.«82 Anknüpfend an diesen Gedanken scheint es vielversprechend, auch auf jüngere Darstellungen liegender Rückenakte zu verweisen, so zum Beispiel auf Sylvia Sleighs Philipp Golub, sich ausruhend83 oder Mel Ramos’ Velázquez Version, auf die Taylor-Johnson nicht notwendigerweise bewusst referiert, die aber dennoch vom Rezipienten mitgelesen werden können.

81 Sam Taylor-Wood (1999), S. 151. Ein solches Vorgehen scheint konstruktiv, um die Unidirektionalität der kunsthistorischen Einflussforschung aufzubrechen: Dem postulierten Originalitätsgefälle zwischen Vor- und Nachbildern wird so ein enthierarchisiertes, ursprungsloses Bezugsnetz entgegen gehalten. 82 ECO (1962/1977), S. 55. 83 Dies wird u.a. in Claire Johnsons 2013 erschienenem Buch über Weiblichkeit und Kunst getan. cf. JOHNSON, Claire: Feminity, Time and Feminist Art, New YorkCity, NY: Palgrave, 2013, S. 119–122.

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3.3.2 Zwischenbilder mitlesen Eine Erweiterung der Referenzbeziehungen in Soliloquy III hinsichtlich alternativer Vor- und Zwischenbilder ist sinnvoll, um dem bedeutungskonstitutiven Potenzial des Rezipienten und der historischen Verankerung der Rezeption Rechnung zu tragen. Denn selbstverständlich wird Velázquez’ Venus vor dem Spiegel heute anders wahrgenommen als dies etwa im späten 17. und im 18. Jahrhundert der Fall war – zu einer Zeit also, als das Bild nur den Augen weniger zugänglich war bzw. im Kontext des bigotten spanischen Katholizismus unter Verschluss blieb.84 Das Gemälde hat sich von seinem ursprünglich exklusiven Betrachtungskontext gelöst und in seiner Bedeutung verschoben: Es gilt heute als ›Ikone‹, die durch Reproduktionen und Reprisen omnipräsent wurde, die aber auch durch die Zirkulation ihrer verschiedenen Instanzen in variierenden Kontexten semantisch ausgehöhlt und zugleich fetischisiert wurde. So wird das spanische Tableau oft unhinterfragt als Inbegriff der schönen, liegenden Venus aufgefasst, ohne dass der früheren Mehrdeutigkeit der »muger desnuda«85 ausreichend Rechnung getragen würde. Zugleich ist es offenkundig kaum mehr möglich, einen liegenden Rückenakt vor einem Spiegel zu betrachten, ohne an Velázquez – und somit an eine ›unbekleidete Venus‹ – zu denken, wie die Bildbeschreibungen von Soliloquy III (Vgl. D.3.3.1) belegt haben. Zentral für die feste Verankerung des Gemäldes im kollektiven Bildgedächtnis waren zum ersten seine visuellen Vervielfältigungen, ›Zitate‹ und Karikaturen, die, unabhängig davon, ob sie sich affirmativ, konfrontativ, neutral oder spielerisch zu ihrem ›Vorbild‹ gerierten, zu dessen Bekanntheit und Verbreitung beitrugen. Zum zweiten prägte auch die textuelle Überlieferung in Form von Beschreibungen, Analysen und Kommentaren das Bild bzw. die Vorstellung, die wir heute von der sogenannten Rokeby Venus haben. Und zum dritten ist selbstverständlich der institutionelle und geschichtliche Rahmen eine ausschlaggebende, sich wandelnde Größe.86

84 PRATER (2004) verweist darauf, dass das Bild zunächst eine »diskrete Aufbewahrung« (S. 115) genoss und nach den Forschungsergebnissen Duncan Bulls und Enriqueta Harris’ an der Decke einer erotischen Galerie der Carpio in Madrid hing (S. 17). Um 1800 wurde es in einem »intime[n] Bilderkabinett« Manuel Godoys neben zahlreiche Venusbilder gehängt, cf. MAI, Ekkehard: »Entzauberung und Mystifikation. Wechselbilder der Venus-Olympia von Cabanel bis Cézanne«, in: Faszination Venus (2000), S. 183–195. 85 Als einfache »nackte Frau« wurde die Liegende 1651 in der ersten inventarischen Benennung durch Don Gaspar aufgeführt. Cf. PRATER (2002), S. 14 und S.125, Fn. 18. 86 So können etwa heutige Betrachter die Attacke einer Suffragette ›mitlesen‹, die historisch überliefert, jedoch nur minimal auf Velázquez’ Leinwand erkennbar ist (v.a. im Schulterbereich der Liegenden): 1914 hatte Mary R. Richardson dem Werk mehrere Schnitte zugefügt, um Aufmerksamkeit für die Anliegen der frühen Frauenrechtsbewegung zu erlangen. Cf. u.a. BERGER, Renate: »Ikonoklasmus. Frauen- oder Genusforschung in der

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All diese Faktoren machen deutlich, dass unser Auge bei der Werkbetrachtung keineswegs »unschuldig« (J. Ruskin), sondern »wissend« (O. Pächt) und historisch geprägt ist.87 So sind auch der oder die Kunsthistoriker/in, wie Mieke Bal und Norman Bryson betonen, immer konstruktiv mit an dem Werk beteiligt, das sie interpretieren.88 Angesichts dieser unausweichlichen Mittelbarkeit erscheint es sinnvoll, auch das Konzept bildlicher Intertextualität (und den Begriff des ›Bildzitats‹) nicht als objektiv gegebene Vorbild-Nachahmung-Beziehung aufzufassen. Stattdessen ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich bei der Rezeption, aber auch bereits während der Produktion eines Kunstwerks stets weitere, teils unbewusste Bilder und sprachliche Texte ›zwischenspiegeln‹. In welcher Form wirkt sich das Déjà vu unterschiedlicher Zwischenbilder aber auf die Wahrnehmung von Soliloquy III aus? Exemplarisch seien zwei malerische Reprisen nach Velázquez von Mel Ramos und Sylvia Sleigh in die Untersuchung eingeflochten. Sylvia Sleighs Philip Golub, sich ausruhend Die Malerin Sylvia Sleigh knüpfte 1971 an Velázquez’ Tableau an, modifizierte das Sujet jedoch grundlegend. In Philip Golub, sich ausruhend (Abb. 16.1) liegt ein unbekleideter Mann in Anlehnung an die überlieferte Pose vor einem großen Wandspiegel, der sich über die gesamte Bildbreite erstreckt. Da die Reflexionsfläche auf Kopfhöhe des Modells angebracht ist, werden nur das Gesicht und die linke Schulter abgebildet. Intime Details bleiben außerhalb der Reichweite des Spiegels. Implizierte die Reflexion bei Taylor-Johnson und Velázquez eine provokative Anspielung auf tief liegende Körperstellen, so wird der Spiegel in Sleighs Gemälde primär zur narrativen Raumerweiterung und Blickadressierung eingesetzt: Nur als Reflexion sichtbar ist eine Frau vor einer Staffelei, die in Richtung des Aktes (und mittels des Spiegels auch zum Rezipienten) blickt. Die Bildtradition des Malers-mitModell wird hier mit vertauschten Geschlechterrollen evoziert.89 Über den Spiegel

Kunstwissenschaft?«, in: JOCHIMSEN, Margarethe (Hg.): Feministische Erneuerung Wissenschaft und Kunst, Pfaffenweiler: Centaurus, 1990, S. 122–140, hier: S. 123. 87 Otto Pächt spricht – in Abgrenzung zu John Ruskins ›unschuldigem Auge‹ – von einem »wissenden Auge«. PÄCHT, Otto: »Kritik der Ikonologie« (1970/71), in: KAEMMERLING, Ekkehard (Hg): Bildende Kunst als Zeichensystem, Köln: Dumont, 1979, S. 353–376, hier: S. 364. 88 BAL/BRYSON (1991), S. 175. 89 In Philip Golub, sich ausruhend sind die Positionen und die Gewichtung der Bildpersonen jedoch, wie Griselda Pollock und Rozsika Parker bemerken, nicht gänzlich umgekehrt, ist die Malerin doch weit in den Hintergrund gerückt und bedeutend kleiner darge-

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erfolgt eine Verdichtung und Korrelierung des Bildpersonals im Raum. Der Liegende betrachtet sowohl sich selbst als auch die reflektierte Künstlerin. Diese ist als Sylvia Sleigh zu identifizieren und stellvertritt wiederum den impliziten Betrachter im Off der Leinwand. Im Vergleich von Taylor-Johnsons mit Sleighs Arbeit scheint letztere (trotz Medienwahl) weniger eng an Velázquez orientiert zu sein: Sleigh malt nicht nur einen männlichen Akt, sie individualisiert diesen auch. Zudem setzt sie das Element des Spiegels auf eine Weise ein, die stark von der Rokeby Abbildung 16.1: Sylvia Sleigh, Philip Golub, sich Venus abweicht.90 Ihr unbe- ausruhend (Philip Golub Reclining), 1971, kleidetes Modell, dessen Ge- Öl auf Leinwand, 42 x 60 cm. sichtszüge in der Reflexion klar zu erkennen sind, wird überdies im Bildtitel namentlich genannt. Dies ist ein bedeutender Unterschied zur anonymen Liegenden in Soliloquy III, die in der Kunstkritik entsprechend bereitwillig als ›Venus‹ bezeichnet wurde. Wie die Gegenüberstellung der beiden Velázquez-Reprisen zeigt, ist also nicht alleine die Bezugnahme in der Pose und im Spiegelmotiv ausschlaggebend. Vielmehr ist die nominative Vergöttlichung der Liegenden in Soliloquy III dem Umstand geschuldet, dass der Akt weiblich und nicht hinreichend individualisiert ist. Bemerkenswerterweise zeigt sich in der Konfrontation mit Sleighs Tableau weiterhin, dass sich der Blick auf Soliloquy III durch das Zwischenbild Philip Golub, sich ausruhend verschiebt. Ein Parallel-Lesen beider Bilder kann die Frage aufwerfen, ob nicht durch die fotografische Re-Inszenierung des anonymisierten, weiblichen Körpers die traditionelle Objektivierung der Frau auf problematische Weise wiederholt wird. Denn während Sleigh konfrontativ auf die Tradition des weibli-

stellt als der männliche Akt. PARKER, Rozsika/POLLOCK, Griselda: »Dame im Bild« (»Painted Ladies«, 1981), in: SÖNTGEN, Beate (Hg.): Rahmenwechsel. Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft, Berlin: Akademie Verlag, 1996, S. 73–91, hier: S. 85. 90 PARKER/POLLOCK (1981/1996), S. 85.

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chen Aktes reagiert91, scheint Soliloquy III die konventionelle Konzeption zunächst zu affirmieren. Diana Meyers verweist auf einen möglichen feministischen Kritikpunkt: »It [Soliloquy III, A.K.] relies on a conventional conception of beauty to represent women’s ability to appreciate their own beauty.«92 Eine Einstufung von Soliloquy III als automatisch affirmatives ›Zitat‹ wäre dennoch nicht gerechtfertigt. Taylor-Johnson nutzt vielmehr den Rekurs auf Velázquez, um ein Idealbild von Weiblichkeit zu evozieren und in seiner Gespaltenheit darzustellen: Der Akt posiert als Venus, entfremdet sich jedoch dabei von sich selbst. Ideal-Ich und Selbst-Wahrnehmung klaffen auseinander, sodass die Frau sich letztlich in der Predella auf ihren eigenen Narzissmus zurückgeworfen und isoliert zwischen weiterem Bildpersonal wiederfindet. Mel Ramos’ Velázquez Version Im Kontext der Frage, ob Soliloquy III ein kritisches, spielerisches oder affirmatives Zitat darstellt, ist die Untersuchung einer weiteren Reprise erhellend. Mel Ramos’ Velázquez Version von 1975 (Abb. 16.2) übernimmt die Raumausstattung, Gliederung und Pose des spanischen Meisterwerks, überträgt diese jedoch in eine zeitgemäße Bildsprache, die an die Ästhetik von Hochglanz-Magazinen erinnert. Ein blonder weiblicher Akt posiert lasziv in einem kunstvoll ausgeleuchteten, mit seidenen Stoffen verkleideten Raum. In seiner doppelten Referenz auf ›high‹ und ›low culture‹, Tradition und Zeitgeist, versteht sich Ramos’ Gemälde dabei als »ironic combination of traditional eroticism and contemporary eroticism«, wie Leo Steinberg behauptet.93 Die motivische Anlehnung bei gleichzeitigem Aktualisierungsbestreben ist in diesem Bild ebenso relevant wie Ramos’ Wille zur Parodie und Stilkreuzung:94 Der Amerikaner greift zwar Velázquez’ Figur des Cupido auf, doch ersetzt er diese auf humoristische Weise. Vor dem Rückenakt harrt nun ein Affe.95 Das Tier, das ikonografisch u.a. für eine rein kopistische Nachahmung steht, hält der Liegenden einen

91 Sleigh kritisiert wie Linda Nochlin, dass Aktmodelle historisch nur männlichen Künstlern zur Verfügung standen und meist weiblich waren, cf. Sylvia Sleigh. Invitation to a Voyage and Other Works, Ausst.-Kat. Milwaukee Art Musuem, 1990, S. 5. 92 Cf. MEYERS (2002), S. 141, die sich sogleich jedoch von einer solchen Beurteilung von Taylor-Johnsons Arbeit distanziert. 93 STEINBERG (1978), S. 55. 94 Ramos betrachtet seine Serie A Salute to Art History als eine Art Restaurationsarbeit, in der die Patina der alten Meister abgetragen wird, cf. Mel Ramos. 50 Jahre Pop Art, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen u.a., hg. von Otto Letze, Ostfildern: Cantz 2010, S. 25. 95 Auch in Ramos’ Adaption von Manets Olympia sitzt ein Affe am Bettende, um dort die Katze zu ersetzen.

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Spiegel vor, der ihr Gesicht reflektiert. Der clin d’œil auf Ramos’ eigene ›nachäffende‹ Verweispraxis (im Englischen steht ›to ape‹ ebenso für ein Imitieren wie im Französischen das Verb ›singer‹) ist sicherlich nicht unbeabsichtigt. Gemäß des Kriteriums der Explizitheit scheint Ramos’ Abbildung 16.2: Mel Ramos, Velásquez Version, Darstellung im Vergleich mit 1975, Öl auf Leinwand, 111,8 x 167,6 cm. Sleigh und Taylor-Johnson sehr eng an Velázquez orientiert zu sein. So bezieht sich sogar der Bildtitel auf das ›Vorbild‹, weswegen von einem hohen Referenzgrad gesprochen werden kann. Doch erweist sich auch dieses ›Zitat‹ keineswegs als buchstäbliche Wiederholung: Ramos überführt die überlieferte Komposition vielmehr in die Bildsprache der Pop-Art und entauratisiert das ›Vorbild‹ durch den Affen und die Transformation in Hochglanzästhetik.96 Im Parallel-Lesen von Soliloquy III und Ramos’ Velázquez Version werden andere Aspekte zentral als im Vergleich mit Sleighs Gemälde. Es ist fraglich, ob in erstgenannter Konstellation (Ramos vs. Taylor-Johnson) den Soliloquy -Tafeln ein mangelndes Einsehen in feministische Belange vorgeworfen werden könnte, denn ein solcher Einwand wäre eher bei Ramos zu erwägen. Hingegen ist es denkbar, dass sich die Konnotation ›Pin-Up-Girl‹ konnotativ auf den Akt in Soliloquy III überträgt. Das Zitat als Affirmation, Konfrontation und Spiel Aus der Gegenüberstellung von Taylor-Johnsons Fotografie mit den Aktdarstellungen von Velázquez, Ramos bzw. Sleigh wurde ersichtlich, dass pikturale Bezüge stark vom Bildrepertoire des Rezipienten abhängen. Ob eine Reprise als konfrontativ, spielerisch oder affirmativ aufgefasst wird, beruht dabei nicht alleine auf der künstlerischen Intention, sondern ist auch von den mitgelesenen Zwischenbildern abhängig. Angesichts der vielfältigen Aneignungsstrategien der 1970er und 80er Jahre fragte Hal Foster: »When does appropriation double the mythical sign critically, and when does it replicate it, even reinforce it cynically? Is it ever purely the

96 Ramos realisierte das Bild zudem in einer späteren Fassung als Farblithographie mit einer Auflage von 250 Exemplaren und unterwandert so den Originalitätsgedanken weiter.

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one or the other?«97 Eine pauschale Antwort auf die erste Frage lässt sich kaum finden, wenngleich das kritische Potenzial gewiss primär im Differieren des Wiederholten zu lokalisieren ist (cf. Kapitel F.2). Dennoch können verschiedene BetrachterInnen ein und dasselbe Bild unterschiedlich bewerten, weswegen Fosters zweite Frage zu verneinen ist: Keine Aneignung – bzw., um nicht erneut Begrifflichkeiten der Aktivität oder Passivität aufzugreifen: keine Verweisung – ist jemals rein kritisch, zynisch überspitzend oder replikativ. Denn Déjà-vu-Effekte basieren auf Differenzen ebenso wie auf Schnittmengen, die je unterschiedlich ausgelegt werden. Zudem werden stets andere Bilder und Sprachtexte mnemonisch assoziiert, wobei gerade das resultierende Erinnerungsgeflecht die Wahrnehmung des Einzelbildes bestimmt. Was in der Intention des Künstlers als kritisches Statement gedacht war, kann so rückwirkend auch affirmativ erscheinen, wenn sich beispielsweise das intertextuelle Gefüge maßgeblich verschoben hat. Pikturale Verweisungen implizieren aufgrund ihrer dynamischen Wechselwirkungen eine Unabschließbarkeit, die jeden Versuch der Festlegung torpediert und bei der stets Effekte der Nachträglichkeit98, der Überlagerung und der Antizipation zum Tragen kommen. Die Verflechtung aus Erinnerung und Wahrnehmung beinhaltet folglich »a complex relay of anticipated futures and reconstructed pasts […] that throws over any simple scheme of before and after, cause and effect, origin and repetition«. 99 Vielleicht erklärt gerade dieser Umstand der Zeitenverstrickung, warum sich Taylor-Johnson auf ein pikturales ›Vorbild‹ beruft, das über schier endlose Querverweise verfügt und sich selbst als nicht-ursprüngliche kunstgeschichtliche Instanz ausweist: Denn das Gesamtwerk der Britin lässt erahnen, dass der Reiz der Bildverweise für sie darin liegt, Zeitlichkeit zu synthetisieren, zu invertieren und/oder geschichtliche Linearitäten aufzubrechen. So ist es überaus plausibel, dass TaylorJohnson Rekurse nicht aus ikonografischen oder rein kompositorischen Gründen einflicht. Schließlich bietet die Konfrontation mit Intertexten nicht nur die Möglichkeit, Stellung zum ›Vorbild‹ zu beziehen. Vielmehr erzeugt das Verweisnetz eine Struktur der Simultaneität bzw. der Schichtung von Bedeutungen und Umdeutungen, die sich mit der Zeitlichkeit von Fotografie, aber auch mit der eingangs be-

97 FOSTER, Hal: The Return of the Real. The Avant-garde at the End of the Century, Cambridge, MA: MIT Press, 1996, S. 93. 98 Der rückwirkende Effekt gleicht dem psychoanalytischen Konzept der ›Nachträglichkeit‹: Durch Wiederholung erfährt »das vorhandene Material von Erinnerungspuren eine Umordnung nach neuen Beziehungen, eine Umschrift«. FREUD, Sigmund: »Brief an Wilhelm Fließ (Brief 52)«, 06. 12.1896, in: Ders.; BONAPARTE, Marie/FREUD, Anna/KRIS, Ernst (Hg.): Aus den Anfängen der Psychoanalyse. Briefe an Wilhelm Fließ. Abhandlungen und Notizen aus den Jahren 188 –1902, Frankfurt a.M.: Fischer, 1962, S. 151. 99 FOSTER, Hal: »Who’s Afraid of the Neo-Avantgarde? «, in: Ders.(1996), S. 1–34, S. 29.

D. Verweisstrukturen – Sam Taylor-Johnson | 167

schriebenen indiziell-indexikalischen Referenzialität, zu einem abyssalen Strudel verbinden. Dieser Punkt soll in einem Zwischenresümee weiter herausgearbeitet werden.

4. ZWISCHENRESÜMEE – ZEIT UND MEDIALITÄT BEI SAM TAYLOR-JOHNSON Die Serie Soliloquy, aus der zwei Fotografien vorgestellt wurden, folgt einer erprobten Strategie Taylor-Johnsons. In ihrem filmischen und fotografischen Schaffen stellen medienübergreifende Reflexe einen zentralen Aspekt dar: Die Künstlerin spielt oftmals auf artfremde Genres an und/oder integriert Verweise auf konkrete Gemälde, Skulpturen sowie musikalische Kompositionen. Ihre Vierkanal-Videoinstallation Killing Time (1994) referiert beispielsweise in der Tonspur auf die Oper Elektra von Richard Strauss und somit auf eine per se intermediale Kunstgattung (die in diesem konkreten Fall über von Hofmannsthals Libretto auf die griechische Tragödie anspielt).100 Irritierende Medienhybride bilden auch die eingangs erwähnten Stillleben (Still Life, 2001; A Little Death, 2002) oder bewegungsarmen Videos (The Last Century, 2006): Während erstere malerisch wirken und gerade in ihrem medialen Pastiche eine Spannung erzeugen, zeigt zweitgenannter Videotypus ein subtil bewegtes Tableau vivant, das sich in minimalen Regungen – etwa dem Atmen der Akteure und dem Rauch einer Zigarette – der scheinfotografischen Starre entzieht. In Taylor-Johnsons Werk werden unterschiedliche Medienkonzeptionen ausgelotet, wobei puristische Gattungs- und Kunstbegriffe verworfen werden. Wenn die Britin kunstgeschichtliche ›Zitate‹ einbaut, dann geschieht dies in einem epochenübergreifenden, anachronistischen Gestus: Sie integriert Versatzstücke, die weniger mit der Fotografie und dem Film als primär mit ›älteren Medien‹ assoziiert sind. Dadurch wird ein Moment zeitlicher Störung aktiviert. Erwartungshaltungen an Kunstgattungen bzw. konventionelle Grenzziehungen werden aufgerufen und erschüttert. Indem Taylor-Johnson primär mit Bildformen arbeitet, die als Spuren des Realen gelten bzw. die auf einer indiziellen Genese beruhen, entwickelt sich eine ambivalente Referenz und Zeitlichkeit: Fotografien wie die Soliloquies und filmische Arbeiten wie Pietà (2001) binden das Dargestellte un-

100 Die Arbeit wird auf vier gegenüberliegenden Wänden gezeigt, wodurch der Betrachter räumlich umschlossen wird. In vier Bildkanälen zeigt Taylor-Johnson hierzu junge Personen, die einzeln vor der Kamera sitzen, sich gänzlich ohne Pathos gebärden und – je nach Einsatz bzw. Rolle – die Lippen zum Text bewegen. Die Oper verbindet das beziehungslos Erscheinende hier zu einem ›Gesamtkunstwerk‹, das jedoch die interne Isolation der einzelnen Filmszenen nicht zu überwinden vermag.

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ausweichlich an eine vergangene Realität zurück, die – obschon gespielt – physisch präsent gewesen sein muss. Dieses »Ça a été (joué)« ist intertextuell mit überlieferten Narrationen, Kompositionsschemata und Bildern verwoben. Der dagewesene Referent referiert somit auf weitere Referenten und evoziert Erinnerungsbilder, die in ihrer Überlagerungsstruktur jede zeitliche Linearität aushebeln. Somit verdeutlicht sich auch, dass selbst der fotografische (physische) Referent niemals ursprünglich und ›unmittelbar da‹ ist: Denn bereits die erblickte Wirklichkeit ist von Sprache wie Bildlichkeit durchdrungen. Wie handhaben, explizieren und/oder verschleiern aber andere zeitgenössische KünstlerInnen diese multiple Referenz? Teil E analysiert Effekte von Bildverweisen in inszenierten Fotografien Rita Nowaks.

E. Zeit, Gedächtnis und Referenz. Fotografische Déjà vus im Werk Rita Nowaks

Die in Wien und London lebende Künstlerin und Fotografin Rita Nowak (*1979) steht mit zwei fotografischen Arbeiten im Fokus der nächsten Kapitel. In Deutschland ist sie bislang eher unbekannt, obschon zahlreiche internationale Ausstellungen Nowaks umfassendes künstlerisches Werk präsentierten.1 Ihren Meisterschülerabschluss der Fotografie erlangte die Österreicherin 2004 an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Eva Schlegel. Im Anschluss absolvierte sie ein einjähriges Studium des Costume Design an der Royal Academy of Dramatic Art, London. Zu ihren zentralen Arbeiten zählen ihre als Serie angelegten Re-Inszenierungen, in denen kanonische Werke der Kunstgeschichte in unterschiedlichem Maße ›zitiert‹ und profaniert werden. Ähnlich wie Taylor-Johnson referiert auch Nowak in ihren Fotografien auf verschiedene Medien, ›Vorbilder‹ und/oder künstlerische Gattungen, die sie in zeitgenössische Kontexte überträgt. So rekurriert beispielsweise die Serie Atlantis (2008-2012) auf klassisch-antike FriesReliefs2, deren Format, Posen und Bildanlage sie aufgreift, dabei aber die griechischen Göttergestalten im Gewand durch gewöhnliche, in Handtücher gehüllte Menschen am Meer ersetzt. In ihren Tableaux vivants (ab 2004), einem seriell konzi-

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Im Mai 2011 war sie erstmals mit einer umfassenden Werkschau in der Wiener Galerie Tony Subal vertreten, zuvor stellte sie u.a. in New York, London, Moskau und Wien einzelne Arbeiten aus. In den letzten Jahren präsentierte sie ihre Fotografien unter anderem in der Clockworkgallery Berlin (2011), bei Paris Photo (2013), im Nexus Kunsthaus Saalfelden (2013) sowie in der Galerie Ritter/Zamet in London und im Schloss Damtschach in Kärnten (beide 2013).

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Nowak orientierte sich am Partheon Fries im British Museum, London. Atlantis kann als Aneignung eines kulturell bereits angeeigneten, deplatzierten Artefakts gelesen werden, wurde der Fries doch 1801 auf Geheiß Lord Elgin Marbles’ von der Athener Akropolis nach London verfrachtet.

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pierten Werkkomplex, stellt Nowak wiederum, mit befreundeten KünstlerInnen als Modell, verschiedene Meisterwerke der Geschichte der Malerei nach. Dieses Projekt soll im Folgenden näher untersucht werden. Nowaks Mises en scène bieten sich aus mehreren Gründen für die vorliegende Untersuchung an: Erstens gibt es, anders als etwa im Falle von Sam Taylor-Johnsons Fotografien, bislang nur wenige theoretische Abhandlungen über diese Arbeiten.3 Zweitens unterscheiden sich die fotografischen Re-Inszenierungen trotz ähnlicher Herangehensweise deutlich von der Soliloquy-Serie, indem sie teils sehr vage Erinnerungseffekte abrufen und keine architextuellen Fremdformate nachahmen, bei denen eine narrative Bildanlage erzielt würde. Drittens variiert auch innerhalb der Tableaux vivants die Verweispraxis: In einigen Fotografien ist der künstlerische Ausgangspunkt ein konkretes Gemälde, das in das 21. Jahrhundert transferiert wird.4 Andere Arbeiten entstehen ohne ein zuvor festgelegtes Vorbild, aber mit einem deutlich kunstgeschichtlich geschulten Blick als Reflex kanonischer Schemata. In beiden Fällen erfolgt eine performative Umformung mit einer verhältnismäßig freien Interpretation des Überlieferten. Dabei werden gerade nicht – wie bei TaylorJohnson – offensichtliche Verfremdungselemente eingebaut (z.B. Doppelung von Figuren, Grenzdurchbrechungen, Inkohärenzen). Die Markierung der fotografischen Konstruiertheit vollzieht sich bei Nowak stattdessen primär oder gar einzig über den Wiederkennungseffekt von Formeln und Kompositionen. Wie bereits im Einleitungsteil (Kapitel A) konstatiert, scheint es mir vielversprechend, die rezeptionsseitige Verschränkung und Überlagerung erinnerter Bilder in ihrer temporalen wie referenziellen Widersprüchlichkeit mit dem psycho-

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Eine eingehende Analyse von Nowaks fotografischen Inszenierungen steht in der kunstwissenschaftlichen Forschung noch aus, sieht man von Ausstellungsrezensionen und kürzeren Aufsätzen ab: z.B. SCHANTL, Alexandra: »Rita Nowak. Alte Meister und ihre Wahlverwandtschaften«, in: Eikon, H. 54, 2006, S. 22-27; KÖHLER, Astrid: »Revisiting Venus, again and again. Reprisen kanonischer Werke in den Fotografien Rita Nowaks« (2012), online: http://ritanowak.com/info.html [eingesehen am 01.12.2012]; sowie: Dies. (2011).

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Am Ursprung von Nowaks Serie der Tableaux vivants (seit 2004) steht eine Porträtreihe, die sich direkt auf Bildnisse der Gemäldegalerie der Wiener Akademie der Bildenden Künste bezog. Inszeniert wurden Bekannte der Fotografin, so zum Beispiel die Künstlergruppe Gelitin. Posen, Accessoires und Bildgliederung wurden in Anlehnung an altmeisterliche Porträts gewählt, jedoch in schlichte, geradezu prosaische Raumkontexte verlegt. Die Fotografien wurden in der Gemäldegalerie in unmittelbarer Nähe zu ihren ›Vorbildern‹ ausgestellt – ein dialogischer Präsentationsmodus, der die Wahrnehmung als Replik bzw. Bezugnahme begünstigt, zugleich aber auch die Unterschiede zur Referenz deutlich macht.

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logischen Phänomen des Déjà vu5 zu vergleichen: Dieses wiederum suggeriert – analog zur Fotografie – ein, wenn auch scheinbares, Anknüpfen an bereits Gewesenes, obschon der Rückbezug beim Déjà vu auch gänzlich unbegründet sein kann. Der Effekt des Schon-Gesehen beruht weniger auf einer tatsächlich identischen Wiederholung des Vergangenen als auf einer Teilähnlichkeit zweier distinkter Eindrücke. Dabei wird das Gefühl erweckt, »dass ein neuer Zustand […] zuvor bereits erlebt worden sei, sodass er, wenn er das erste Mal eintritt, wie eine Wiederholung erscheint«.6 Auf die Bildrezeption übertragen beschreibt der Term ein aktives pikturales Wieder-Holen durch den Betrachter, das durch bewusste und minimale Referenzen provoziert werden kann, aber nicht muss. Durch das Déjà vu im Allgemeinen wie im kunsthistorischen Kontext werden die temporale Irreversibilität und die Einmaligkeit visueller Erfahrungen in Frage gestellt: Das Präsente erscheint als variierte Wiederholung bzw. als ›Revenant‹7 des Vorgängigen. In diesem Sinne impliziert das bildliche ›Wiedersehen‹ eine non-lineare, zeitlose Verflechtung, die ihren Reiz aus der Sichtbarmachung kognitiver Wechselwirkungen und einem Gefühl der Entfremdung bei gleichzeitiger Vertrautheit bezieht. Wann, in welchem Kontext und auf welchem Bildträger die erinnerten Bilder zuvor erschienen sind, mag die Rezeption beeinflussen, tut dem Déjà-vu-Effekt jedoch keinen Abbruch. Entsprechend

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Zur Begriffsgeschichte des Déjà vu in der Psychologie cf. OESTERLE/SCHNEIDER (2003), insbesondere. die Artikel Motzkins, Spitznagels und der Einführungsaufsatz Oesterles. German Berrios nennt den Dichter Paul Verlaine als Begriffsschöpfer des Déjà vu (BERRIOS, German E.: »Déjà Vu in France during the 19th century. A conceptual history«, in: Comprehensive Psychiatry, 36/2 (1995), S. 123–129). Die Erstnennung im heute bekannten Sinne ist jedoch umstritten.

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RIBOT, Théodule: Maladies de la mémoire, Paris: Félix Alcan, 1888, S. 49. Im Original: »Elle [die Illusion der Gedächtnisfehlleistung, A.K.] consiste à croire qu’un état nouveau […] a été antérieurement éprouvé, en sorte que, lorsqu’il se produit la première fois, il paraît être une répétition« [Übers. A.K.]. Vgl. auch KRAPP, Peter: Déjà Vu. Aberrations of Cultural Memory, London/Minneapolis: University of Minnesota Press, 2004, S. 2: »Déjà vu is commonly understood as an illusionary feeling of having previously experienced a present situation, but also – more recently – as the impression of tedious familiarity, the correct feeling that something has been previously experienced.«

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Der französische Term revenant bedeutet Wiedergänger bzw. geisterhafte Erscheinung und wird unter anderem von Ernst Bloch mit dem Déjà Vu verknüpft. BLOCH, Ernst: »Bilder des Déjà Vu« (um 1928?), in: Ders.: Literarische Aufsätze, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1966, S. 232-242, hier: S. 238. BARTHES (2002/1980) spricht im Kontext fotografischer Duplikation ebenfalls von einer geisterhaften Wiederkehr als »Spectrum« und einem »retour du mort« (S. 795).

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geht es bei diesem Phänomen nicht primär um Inter- oder Transmedialität, sondern um einen ähnlichkeitsbasierten Abgleich von raumzeitlich geschiedenen, erinnerten Strukturen. Inwiefern unterscheiden sich Nowaks konkrete und vage Bildbezüge in ihrer Wirkungs- und Herangehensweise: Wird der Betrachter in beiden Fällen gleich stark adressiert, aktiviert und eingebunden? Wie werden – angesichts der unterschiedlichen Referenzgrade – die Begriffe von Original und Kopie, Vor- und Nachzeitigkeit verhandelt? Und welche Rolle spielen hierbei Zeitdimensionen und das Bildgedächtnis des impliziten wie tatsächlichen Rezipienten?8 Am Beispiel zweier Arbeiten werden die Temporalität, die mediale Transgression und die Betrachterdynamisierung reflektiert, die durch scheinbar ›bereits gesehene‹ Bilder erzeugt wird. In Eternal Moment (2005) und Game (2009) wirkt die angelegte Rekursstruktur als Movens, das den Betrachter und das aufrufbare Bildergeflecht in Bewegung versetzt, animiert und transformiert.

1. ETERNAL MOMENT (2005) Eternal Moment (Abb. 17, FT. 14), ewiger oder unermesslicher9 Moment, ist der Titel einer frühen großformatigen Arbeit Rita Nowaks. Sie zeigt eine Atelier- bzw. Montagehalle, in der sich eine junge, halb sitzend, halb liegende Frau sowie ein über deren Unterschenkel gebeugter Mann befinden. Die Frau nimmt eine nahezu schwebende Position ein: Ihr Oberkörper ist tief in die Lehne eines Plastikstuhls versunken, ihre Beine sind bildhorizontal ausgestreckt. Der Kopf liegt auf der Schulter auf, die Hände sind ineinander gefaltet und in einem Gestus der Ruhe oder Kontemplation unterhalb der Brust platziert. In ihrem weißen Kleid und dem einfallenden Tageslicht wirkt sie ätherisch-entrückt. Der sie stützende helle Stuhl ist der Komposition dezent eingegliedert, wodurch die Schwerelosigkeit der Liegenden unterstrichen wird. Der junge Mann zu ihren Füßen fängt die Beine der Lagernden sanft auf. Wie seine Gefährtin hat auch er die Augen fest geschlossen. Seine Arme umgreifen ihre Knie, sein unbekleideter Oberkörper schmiegt sich eng an ihre Unterschenkel. Stabilen Sitz findet er auf einer breiten Holztruhe.

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Dies in Analogie zum impliziten, also im Werk adressierten, idealen Leser. Cf. ISER, Wolfgang: Der implizite Leser (1972), München: Fink, 31994; Ders.: Der Akt des Lesens (1971), München: Fink, 41994.

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Etymologisch bezieht sich ›eternal‹ auf das lateinische ›aeternus‹, das wiederum aus dem Begriff des Äon (Weltzeitalter) hervorgeht und jenseits der messbaren Zeit liegt, cf. PLATON, Timaios, 29 a-37 d.

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Die Konstellation des Paares wirkt in sich geschlossen und statuenhaft: Während die Frau beinahe im Raum zu schweben scheint, bildet ihr Begleiter einen kompakten, dem Boden verhafteten Gegenpol. Ausdruck, Pose und Zusammenspiel ihrer beiden Körper fügen sich harmonisch. Die beiden Figuren vermitteln den Eindruck, als könnten sie sich dem Fluss der Zeit und der pulsierenden Bewegung des Lebens gänzlich entziehen. Im Hintergrund sind zwei weitere, jedoch vom Bildrahmen angeschnittene Personen zu sehen. Die Abbildung 17/FT. 14: Rita Nowak, Eternal Moment, Linke hebt oder faltet 2005, C-Print, 120 x 90 cm. ein Stück Stoff, die Rechte wendet sich rasch von einem Tisch oder einer Arbeitsplatte ab. Ihre Gestalt erscheint unscharf – ein Indiz für die schnelle Bewegung der Figur während der Entstehung der Aufnahme. Somit treffen in Eternal Moment zwei konträre Modi bildlicher Temporalität aufeinander: Der erste suspendiert das Gefühl von Zeit durch eine synthetische10 Verdichtung von Augenblicken in der Pose. Im zweiten wird der fotografiespezifische raumzeitliche Schnitt als analytische Verkürzung eines Vorgangs (Gehen oder Arbeiten) evident. Dieser augenfällige Dualismus, bestärkt von einem in sich widersprüchlichen Titel, bildet den Ausgangspunkt dafür, die temporalen Ebenen von Eternal Moment genauer zu erforschen. Folgenden Aspekten kommt dabei besondere Beachtung zu: • Den Zeitkomponenten während der Bildwerdung, d.h. der Relation zwischen der

Verschlusszeit und der vorfotografischen Stillstellung (durch die Pose etc.). • Der fotografischen Arretierung durch das Bild d.h. der definitiven Immobilisie-

rung des Bildpersonals.11

10 Zur »Synthese des Augenblicks« durch lange Belichtungszeiten in der Frühzeit der Fotografie cf. ORLIK, Emil: »Über Fotografie« (1924), in: KEMP, Wolfgang (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 2 (1914–1945), München: Schirmer/Mosel, 1979, S. 181–184. 11 Die dadurch evozierte Stasis der Zeit hat Charles-Henri Favrod – in Abgrenzung zur »temps de pose« (Verschlusszeit) – als »temps de pause« (Zeit der Pause) bezeichnet.

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• Der indiziellen Zeit, durch die das Bild »von Anfang an«

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vergangen ist (Metz) und die zugleich den Rapport der Fotografie zum Tod definiert.13 14 • Dem Tempus referenzieller Überlagerung im »écrasement du Temps« (Barthes) sowie der Raum-Zeit-Konstellation von Schnitt und Synthese. Die letztgenannte Zeitdimension ist, wie sich zeigen wird, sowohl für Erinnerungsprozesse als auch für die Wahrnehmung von Fotografien charakteristisch. So spricht Barthes von einer »unlogische[n] Verbindung des Hier und Jetzt mit dem Da und Damals«15, während Benjamin bei (dialektischen) Bildern ein schockartiges Zusammentreten von Gegenwart und Gewesenem konstatiert.16 Fotografien und

FAVROD, Charles-Henri: Le Temps de la Photographie, Cognac: Le temps qu’il faut, 2005, S. 93. 12 METZ (1985/2004), S. 221. Zuvor erläutert Metz mit Freud einen Dualismus von Selbsterhaltungstrieb und Objektlibido, welche einen Todestrieb implizieren könne: »Das Subjekt lernt, es [das Verlorene, A.K.] als totes zu lieben, statt hartnäckig seine tägliche Gegenwart zu verlangen, also hartnäckig zu leiden«. Ein Doppelgestus von Erinnern an den Toten und Gemahnen daran, dass dieser tot sei, verbinde Trauerriten mit der Fotografie: »Sie [die Fotografie, A.K.] befindet sich ewig in der Gegenwart, aber diese Gegenwart ist von Anfang an vergangen« (ebd., S. 220–221). 13 Dieser Bezug wird bei Barthes primär über das Zusammentreffen von Realitätsbezug und Stillstand herausgearbeitet, cf. BARTHES (1980/1989), S. 89: »[…] [D]ie Unbewegtheit der Photographie ist in gewisser Hinsicht das Ergebnis einer perversen Verschränkung zweier Begriffe: des REALEN und des LEBENDIGEN: indem sie bezeugt, daß der Gegenstand real gewesen sei, suggeriert sie insgeheim, er sei lebendig, aufgrund jener Täuschung, die uns dazu verleitet, dem REALEN einen uneingeschränkt höheren, gleichsam ewigen Wert einzuräumen; indem sie aber dieses Reale in die Vergangenheit verlagert (›Es-ist-so-gewesen‹ [bzw. ›Das ist gewesen‹, A.K.]), erweckt sie den Eindruck, es sei bereits tot.« Zur frz. Version cf. BARTHES (1980/2002), S. 853. 14 BARTHES (1980/2002), S. 867. Es würden ein »cela sera« und ein »cela a été«, d.h. ein Seinwerden und ein Gewesen-Sein (bzw. im Negativen: »cela va mourir«und »cela est mort«) in der zermalmten Zeit zusammengeführt (S. 865 und 867); im Deutschen: BARTHES (1980/1989), S. 106. 15 BARTHES (1964/1983), S. 144. 16 Cf. BENJAMIN, Walter: »Das Passagen-Werk« (I) (1927–40), in: Ders.; TIEDEMANN, Rolf (Hg.): Gesammelte Schriften, Bd. V, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991, S. 570-611 (=»N: Erkenntnistheoretisches, Theorie des Fortschritts«; N. 3.1/S. 578): »Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt. […] Bild ist die Dialektik im Stillstand

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Déjà-vu-Effekte verwickeln den Wahrnehmenden in eine paradoxale Raumzeitlichkeit des »This was now here« (Banfield).17 Angesichts dieser Wahrnehmungsverschränkung ist zu untersuchen, inwieweit der Zeit- und Referenzmodus des Bereits-Gesehenen im fotografischen Déjà vu eine Zuspitzung erfährt. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich der »vertige du temps écrasé«18 der Fotografie mit der abyssalen Zeitlichkeit des Erinnerungsbildes verbindet. Tempora der Trans- und Intertextualitität von Eternal Moment rücken in der Analyse des Titels und der bildnerischen Gestaltungsmittel in den Blick. Dabei soll die Temporalität der Fotografie mit den Zeitdimensionen der sprachlichbildlichen Intertextualität in Verbindung gebracht werden. 1.1 Ewigkeit und Momenthaftigkeit der Fotografie 1.1.1 Temporale Aspekte des Bildtitels Folgt man Genettes Modell der Transtextualität, so erscheint bereits der Titel der Arbeit als wesentlicher, bedeutungstragender Paratext. Eternal Moment vereint zwei Zeitkonzepte, die in Kombination logisch-semantische Spannungen erzeugen: das Adjektiv ›eternal‹ (›eternell, ewig‹) und das Substantiv ›Moment‹. Letzteres leitet sich aus dem Lateinischen ›momentum‹ vom Verb ›movere‹ ab. Das ›Momentum‹ bezeichnete ursprünglich »den Punkt, von dem eine Bewegung ihren Ausgang nimmt oder auf den sie fällt«.19 Es benennt einen tendenziell sehr kurzen, isolierten Impuls oder Zeitabschnitt. Etymologisch impliziert es die Idee einer von ihm ausgehenden oder in ihm endenden Bewegung – ein Sinn, der heute noch partiell erhalten ist in der physikalischen Definition des Moments als das »›Bewegende‹, Bewegung Wirkende«.20 Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeich-

[…].« Das Fotografische und das Déjà-vu klingen im »dialektischen Bild« an (S. 591– 592). 17 BANFIELD, Anne: »L’imparfait de l’objectif: the imperfect of the object glass«, in: Camera Obscura, Bd. 8, H. 3/24, 1990, S. 65–87, hier: S. 76. 18 BARTHES (1980/2002), S. 867. BARTHES (1980/1989): »Schwindel durch die zermalmte Zeit«, S- 106. 19 EBERHARD, Johann August/LYON, Otto (Hg.): Synonymisches Handwörterbuch der Deutschen Sprache (1802), 13. Aufl. Leipzig 1910, online: http://www.textlog.de/cgibin/search/proxy.cgi?terms=momentum&url=http%3A%2F%2Fwww.textlog.de%2Fsyno nyme-moment-augenblick-zeitpunkt.html [eingesehen am 21.08.2011]. 20 Meyers Konversationslexikon, Online: www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=11 1442, Moment (2) S. 0733 [eingesehen am 02.08.2011].

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net der ›Moment‹ eine flüchtige Gegenwart oder »Übergängigkeit«21 und wird tendenziell eher als punktuelles denn als ausgedehntes Phänomen definiert.22 Das Adjektiv ›eternell‹ wirkt demgegenüber als zunächst konträrer Begriff: Es benennt eine unbegrenzte Dauer und Ausdehnung und ist terminologisch verwandt mit dem griechischen Äon (αιων), das unter anderem von Platon23 als ein vor der Zeit liegender, unvergänglicher Zustand beschrieben wird. Die Kombination der beiden titelgebenden Konzepte kann als ewiger Moment, als ›punctum temporis‹ verstanden werden, welches sich der messbaren Zeit entzieht. Der Begriff bezeichnet etwas Vergängliches bzw. ›Übergängiges‹, das gleichsam in seiner Zeitlichkeit ›ausgehebelt‹ ist und eine jenseits menschlicher Erfahrung liegende Ausdehnung erfährt. Ein Folgemoment würde angedeutet, ohne dass sich dieser jemals vollzöge. »[D]ie Zeit stockt« oder ist im Fluss behindert, wie man mit Roland Barthes formulieren könnte.24 Der Handlungsfortgang bliebe folg-

21 Agacinski spricht von einer »passagèreté«, womit sie das Flüchtige, Vorübergehende des Moments ausdrückt und gleichermaßen auf verwandte Semantiken des »passer du temps« und der »passage« angespielt. AGACINSKI, Sylviane: Le passeur du temps, Paris: Seuil, 2000, S. 35. 22 ›Moment wird nahezu synonym verwendet zum ›punctum temporis‹ und, ungeachtet semantischer Abweichungen, zum ›Augenblick‹. Hans Holländer betont, dass der Augenblick im Gegensatz zum ›punctum temporis‹ stets durch das Bewusstsein, nicht durch mechanische Messung, bestimmt ist. HOLLÄNDER, Hans: »Augenblick und Zeitpunkt«, in: Ders./THOMSEN, Christian W. (Hg.): Augenblick und Zeitpunkt. Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984, S. 7-21. Cf. auch THEISSING, Heinrich: Bild-Zeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987, S. 79, der den Augenblick ebenfalls als »Metapher für Bewußtsein und Wahrnehmung«, den Zeitpunkt jedoch als »neutral und ohne Dauer« betrachtet. Im deutschsprachigen Raum besteht eine subtile Abgrenzung zum Augenblick, der stets durch das Bewusstsein, nicht durch mechanische Messung, bestimmt wird. Eine solche sprachliche Differenzierung gibt es auch u.a. im Schwedischen (ögonblick) und Dänischen, cf. z.B. Søren Kierkegaards Konzept des »øieblikket«, das den Augenblick subjektiv und metaphysisch (d.h. jenseits der messbaren Zeit) ansetzt. 23 PLATON, Timaios, 29 a - 37 d, cf. GLOY, Karen: Philosophiegeschichte der Zeit, München: Fink, 2008, S. 7-8. Das Äon ist nicht durch Tage, Nächte oder andere Einheiten unterteilt und existierte, so Platon, bereits vor der erlebbaren Zeit des Seienden (χρόνος bzw. Chronos). 24 BARTHES (1980/1989), S. 101. Im Frz. BARTHES (1980/2002), S. 862: »le Temps est engorgé«, was sich auch mit ›ist blockiert/im Fluss behindert/staut sich auf‹ übersetzen ließe.

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lich in der Schwebe, das heißt, über ihn würde ein metaphorischer »arrêt de mort« 25 im doppelten Sinne verhängt: Das ›dénouement‹ (bzw. wörtlich: das Todesurteil) würde ausgesprochen, seine Durchführung jedoch auf unbestimmte Zeit hinausgezögert. So verweilt der ewige Moment im Bereich des Unentschiedenen zwischen dem Aufschub und dem Vollzug der Handlung (des Todes). 26 Eine zweite Interpretation betont den eschatologisch-spirituellen Aspekt des Eternellen, der über die greifbare Welt und deren Zeitmessung hinausgeht: Der angehaltene Moment wird transzendiert statt einzig in der Schwebe gehalten zu sein. Die Kontemplation des Schönen und Erhabenen entzieht sich der Zeit.27 Wie können diese beiden Auslegungen des Titels aber auf Nowaks Arbeit übertragen werden? Und wie verhalten sich Ewigkeit und Momenthaftigkeit zur Fotografie? 1.1.2 Temporalität in der Fototheorie Die Temporalität von Lichtbildern erweist sich als ein zentrales Thema der Fototheorie, das unter anderem von Roland Barthes (1980/2002), Philippe Dubois (1983/1990), Charles-Henri Favrod (2005, 2010), Laura Mulvey (2010) und Peter Wollen (1984/2003) erforscht wurde.28 Ob Fotografien in der Lage seien, die Flüchtigkeit der Gegenwart in Dauer oder gar in Eternität zu überführen, wurde dabei sehr unterschiedlich beurteilt. Barthes’ und Wollens Ausführungen gleichen sich darin, dass dem Lichtbild eine am Fließen gehinderte oder stehende Zeit (»Temps engorgé« bzw. »time of

25 OWENS (1978/2004), S. 106, in Anlehnung an Blanchot und Derrida. Das primär als Todesurteil und Todesaufschub zu übersetzende Wort kündigt das Verscheiden des NochPräsenten an. Es bezeichnet zugleich aber auch die (unbestimmte) Wartefrist des Todeskandidaten. 26 In dieser Interpretation wird bewusst eine Abgrenzung gegenüber Estelle Jussims Aufsatzsammlung The Eternal Moment vorgenommen, in der Ewigkeit als Zeitlosigkeit definiert wird. Cf. JUSSIM, Estelle: The Eternal Moment. Essays on the Photographic Image, New York: Aperture 1989. Für den ›eternal moment‹ als Modus gegenwärtiger Kontemplation gilt laut Jussim, dass »we are outside time, and we begin to be able to define eternity« (S. 55). 27 Cf. auch JUSSIM (1989), S. 61. 28 WOLLEN, Peter: »Feuer und Eis« (1984), in: AMELUNXEN (2004), S. 358–361; MULVEY, Laura: »The Index and the Uncanny: Life and Death in the Photograph«, in: Time Expanded, Photo España, Ausst.-Kat., Madrid 2010, S. 89–101; DUBOIS (1983/1990); BARTHES (1980/2002); FAVROD (2005); FAVROD, Charles-Henri/FOVANNA, Christophe: Comme dans un miroir: Entretiens sur la photographie, Paris: Infolio, 2010.

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stasis«) attestiert wird.29 Beide Autoren betonen, dass die Fotografie einen Augenblick unbestimmter Dauer stoppt und fixiert. Hierbei erfolge eine potenzielle Verdichtung im Bild, die vielleicht am explizitesten bei Orlik (1924) und Benjamin (1931) beschrieben wird. Letztere verweisen bei Langzeitbelichtungen auf deren »zusammenfassende Lichtführung« und »eindringlichere, länger andauernde Wirkung« gegenüber Momentaufnahmen.30 Durch die zeitliche Akkumulation wird ein dauer- und wesenhafter Ausdruck erzielt. Dubois und Metz, die sich maßgeblich auf Barthes und Wollen stützen, setzen den Fokus demgegenüber auf den fotografischen Akt des radikalen Abtrennens, d.h. des Schneidens »in das Lebende, um den Tod zu perpetuieren« (Dubois).31 Sie unterstreichen, dass mit dem Einfangen einer Szene eine zergliedernde, tötende Geste vollzogen würde. Zum Gedanken einer möglichen Zeitsynthese kommt also der Aspekt der Zeitanalyse hinzu, d.h. des sezierenden Schnitts isolierender Betrachtung. So kann Fotografie sowohl eine Verdichtung als auch ein Abtrennen des Augenblicks implizieren. Dabei prägt sich der Referent dem Lichtbild in einem scheinbaren Moment des Innehaltens ein – also in einer Unterbrechung der »Übergängigkeit« des Seienden.32 Bewegung wird hier zunächst in distinkte puncta temporis unterteilt, die als immobile Bilder wahrnehmbar sind, jedoch in der Kognition des Betrachters auch animiert – d.h. aus ihrer Katalepsie gelöst werden können.33 Die

29 In WOLLEN (1984/2004), S. 358, wird die »time of stasis« als »gestaute Zeit« übersetzt. In der deutschen Textversion von Barthes wird die Formulierung »gestockte Zeit« vorgeschlagen, cf. BARTHES (1980/1989), S. 101, die jedoch den Aspekt der Flussbehinderung der französischen Version – »engorgement«, cf. BARTHES (1980/2002), S. 862 – nur zum Teil erfasst. 30 ORLIK, Emil: »Über Fotografie« (1924), in: KEMP (1979), S. 181–184, hier: S. 181. Benjamin zitierte Orliks Gedanke und erläuterte ihn: »Das Verfahren [der frühen, weniger lichtempfindlichen Fotografie, A.K.] […] veranlaßte die Modelle, nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein zu leben; während der langen Dauer dieser Aufnahmen wuchsen sie gleichsam in das Bild hinein […]«, cf. BENJAMIN (1931/1991), S. 373. 31 I.O.: »C’est donc bien de cela qu’il s’agit dans toute photographie: trancher dans le vif pour perpétuer la mort.« DUBOIS (1983/1990), S. 161 [Übers. A.K.]. Die deutsche Buchversion weicht hier in einem wesentlichen Punkt ab: »in den Lebenden [sic!] schneiden, um den Toten [sic!] zu perpetuieren«, siehe DUBOIS (1983/1998), S. 165. Wohlgemerkt hat »trancher dans le vif« neben der chirurgischen auch eine idiomatische Bedeutung im Sinne von ›eine radikale Entscheidung treffen, energisch durchgreifen‹. 32 Barthes sieht im Foto einen Moment, in dem sich, »so kurz er auch gewesen sein mag, [...] etwas Reales unbeweglich vor dem Auge befand«, BARTHES (1980/1989), S. 88. 33 Für Sérgio Mah impliziert das Standbild stets auch Bewegung und Zeit. »[P]hotography causes us to face this dual meaning: on the one hand, it suspends movement, petrifying

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Besonderheit gegenüber dem Film besteht daher nicht in der fotografischen Stasis oder ›Zeitlosigkeit‹. Vielmehr bleibt die Rezeptionszeit offen und gibt dem spectateur dadurch die Möglichkeit, dem Einzelbild Dauer, Bewegung, Erinnerungen – oder allgemein: Gedanken (pensée) – hinzuzufügen.34 Ob der Schnitt und die physische Stillstellung der Fotografie nun als solche empfunden werden oder nicht, hängt wesentlich von der festgehaltenen Szene selbst und den eingesetzten technisch-gestalterischen Mitteln ab, etwa der Belichtungszeit, der Tiefenschärfe, dem Bildausschnitt und der eventuellen Kamerabewegung während der Verschlussöffnung. Diese Elemente entscheiden letztlich darüber, ob eine Aufnahme als zeitlos-beständiges oder als flüchtig-bewegtes Dokument wahrgenommen wird. Per se vermittelt das Lichtbild weder den Eindruck von »Übergängigkeit« noch von Ewigkeit. Es vermag jedoch, auf die existenzielle Vergänglichkeit zu verweisen, indem es die temporale Distanz zwischen Referenten, fotografischer Technik und Betrachter hervorhebt oder Spuren photochemischer Verfärbungs- und Ausbleichungsprozesse trägt. So betont André Bazin beim Vergleich malerischer und fotografischer Porträts, dass letztere keineswegs für die Ewigkeit gemacht und zeitlos, sondern geschichtlich verankert seien. Sepiagetönte Fotografien aus Familienalben beschreibt er als »[…] die aufregende Gegenwart des in seinem Ablauf angehaltenen Lebens […]; weil die Fotografie nicht, wie die Kunst, für die Ewigkeit produziert, balsamiert sie die Zeit ein, sie schützt sie einfach vor ihrem eigenen Verfall.«35

the real; and on the other hand, it reveals that immobility is a relative impossibility, because the instant is alive with the time and the motion of the sort that the eye and mind always experience whenever they are provoked by fixity.« MAH, Sérgio: »Time Expanded«, in: Time Expanded, Photo España, Ausst.-Kat., Madrid 2010, S. 13–25, hier: S. 16. 34 Bei Barthes und Durand, aber auch bei Bellour und Mulvey, wird dieser Aspekt zeitlich gestreckter Betrachtung mit einem Denkpotenzial assoziiert. Beim Film bleibe dem Betrachter kaum Zeit, dem Bild etwas hinzuzufügen, weswegen hier keine »Nachdenklichkeit« (pensivité) gegeben sei, so BARTHES (1980/1989), S. 65–66 bzw. i.O. BARTHES (1980/2002), S. 833. DURAND (1988/2002) spricht von einer »pensivité« in dem Sinne, dass die Fotografie zu denken geben könne (S. 14). Rancière baut ebenfalls auf Barthes mit dem Konzept einer »image pensive« auf, die im Zwischenraum von aktiv und passiv bzw. Kunstoperation und Repräsentation sei. »L’image pensive« denke nicht selbst, sie sei aber voller nicht gedachter Gedanken, die sie als Potenz berge – »une pensée qui n’est pas assignable à celui qui la produit et qui fait effet sur celui qui la voit sans qu’il la lie à un objet déterminé«, cf. gleichnamigen Aufsatz in RANCIÈRE, Jacques: Le spectateur emancipé, Paris: La fabrique éditions, 2008b, S. 115–140, hier: S. 115. 35 BAZIN (1945/1983), S. 63 [Hervorh. A.K.]

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Der sich in Mode, Pose und Technik manifestierende »Zeitstil der Photographie«36 trägt eine weitere temporale Ebene in das Bild, die das Dargestellte als konserviertes Vergangenes und somit keineswegs als Entzeitlichtes wahrnehmbar macht. Das Zusammenwirken unterschiedlicher Temporalitäten in Nowaks Fotografie soll nachfolgend untersucht werden. 1.2 Zeitkomponenten in Eternal Moment Rita Nowak arbeitete in Eternal Moment offensichtlich mit einer verlängerten Verschlusszeit, die sich durch die scharfe Erfassung stillstehender Motive bei gleichzeitiger Unschärfe bewegter Objekte auszeichnet. Das Paar im Vordergrund nahm während der Aufnahme eine stabile Pose ein. Im Bild ist es daher klar konturiert. Die verschwommenen und fragmentierten Figuren im Hintergrund scheinen hingegen aus dem Fluss einer Bewegung gerissen zu sein. Sie wirken wie ephemere Erscheinungen, die zufällig das Bildfeld durchqueren. Genau dadurch verdeutlichen sie jenen foto- und kinematografischen Effekt, den Henri Bergson mit kritischem Blick beschrieben hat: In Kreative Schöpfung (Évolution créatrice, 1907) bemängelt er die Zerlegung eines kontinuierlichen, lebendigen Vorgangs in distinkte, immobile Bilder, bei der das Davor und Danach (bzw. bei Sequenzen: das Dazwischen) sowie die synthetischen Effekte der Wahrnehmung weggeschnitten würden.37 Statt der fließenden unteilbaren »durée« würde so der unterbrochene, analysierbare »temps« zum Betrachtungsgegenstand. Bewegung und zeitliche Dauer werden jedoch in der Fotografie selbstverständlich keineswegs ausgeschaltet oder entsubjektiviert. Sie werden lediglich in eine

36 Cf. SCHADE, Sigrid: »Der Schnappschuß als Familiengrab. Entstellte Erinnerung im Zeitstil der Photographie«, in: THOLEN, Georg Christoph/SCHOLL, Michael/HELLER, Martin (Hg.): Zeitreise. Bilder-Maschinen-Strategien-Rätsel, Zürich: Stroemfeld Verlag, 1993, S. 287–300, hier: u.a. S. 287. 37 BERGSON, Henri: Évolution créatrice (1907), Paris: Félix Algan 41908, insb. S. 359: »Mais la photographie instantanée isole n’importe quel moment; elle les met tous au même rang […] au lieu de se ramasser en une attitude unique, qui brillerait en un instant privilégié et éclairerait toute une période.« Cf. auch Ders.: La pensée et le mouvant (1934), erste kritische Edition mit einem Vorwort von Frédéric Worms, Paris: PUF, 2009, S. 9, wo die Stillstellung einer Bewegung mit einer lepidopterologischen Häutung verglichen wird. Die leere Larvenhülle könne den lebendigen Schmetterling nicht ersetzen: »Autant vaudrait disserter sur l’enveloppe d’où se dégagera le papillon, et prétendre que le papillon volant, changeant, vivant, trouve sa raison d’être et son achèvement dans l’immutabilité de la pellicule.«

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physisch statische Form überführt, die sich als Bewegungsspur lesen lässt.38 Nach Thierry de Duve sind verschwommene oder verwischte Bildobjekte gar »a metaphor for the fading of time, in both ways, i.e. from presence to absence and from absence to presence«.39 In Nowaks Fotografie kündigt insbesondere die rechte, sich abwendende Figur ihr eigenes Heraustreten aus dem Bildausschnitt an und indiziert dadurch das Verfließen der fotografisch angehaltenen Zeit. Die Fragmentierung ihres Körpers verdeutlicht – ebenso wie die Unschärfe ihrer Kontur – den Verlust des Referenten jenseits des Bildes: Was den Rahmen verlässt, »stirbt vollständig«, so Barthes,40 während das im Foto Eingefangene gleich einem präparierten Insekt41 konserviert wird. Das junge, scharf und ganzheitlich im Bildrahmen fixierte Paar im Vordergrund vermittelt dagegen den Eindruck statuenhafter Dauer. Diese Wirkung basiert nicht (nur) auf der eigentlichen fotografischen Bildwerdung, sondern auf ›vorfotografischen‹ Eingriffen: Indem die beiden Personen eine Pose einnehmen, übergeben sie sich dem Scheintod einer Katalepsie, die während der »temps du pose«42 (Zeit der Pose, Zeit der Belichtung) anhält. Eine dauerhafte Immobilisierung erfolgt hingegen erst durch die fotografische Fixierung, mit der eine Ablösung einhergeht: Der festgehaltene Körper findet sich als Spur oder Abdruck im Bild wieder, als real Seiendes ist er aber zugleich im Off des Bildes weiterhin der Vergänglichkeit preisgegeben. Das Foto »ist also zwangsläufig die Spur eines Verschwindens, des Todes von irgendetwas«.43

38 Cf. FAVROD/FOVANNA (2010), insb. Kapitel 4 »Temporalité de la photographie«. 39 DE DUVE, Thierry: »Time exposure and snapshot: The photograph as paradox«, in: October, H. 5, 1978, S. 113–125, hier: S. 121. De Duve referiert hier jedoch auf frühe Fotografien mit langer Belichtungszeit. 40 BARTHES (1980/1989), S. 66/frz. (1980/2002), S. 834. 41 BARTHES (1980/1989), S. 66, aber auch DIDI-HUBERMAN (1998/2007) und BERGSON (1934/2009), S. 9, bieten mit ihrem Vergleich eines aufgespießten bzw. gehäuteten Schmetterlings eine ähnliche Metapher wie BAZIN (1983/1945), S. 63, und WOLLEN (1984/2004), S. 355, die Analogien zu im Bernstein bzw. Eis umschlossenen Insekten betonen. Maßgeblich erscheint nicht nur die Konservierung, sondern auch die Tatsache, dass dies nur durch Aufgabe der vitalen Eigenschaften möglich ist. Siehe DIDI-HUBERMAN,

Georges: »Knowledge. Movement (The Man who spoke to Butterflies)«, in:

MICHAUD, Philippe-Alain: Aby Warburg and the Image in Motion (1998), New York: Zone Books, 2007, S. 7–20. 42 FAVROD (2005) betont die französische Doppeldeutigkeit als Zeit der Verschlussöffnung und der Pose. 43 Hierzu FAVROD/FOVANNA (2010), S. 148: »la photogaphie est donc obligatoirement la trace d’une disparition, de la mort de quelque chose« [Übers. A.K.].

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Wesentlich an der Differenzierung zwischen Pose und fotografischer Bildwerdung ist die Tatsache, dass sich beide gegenseitig verstärken können. In Eternal Moment zeugen die Posierenden – anders als die unscharfen Figuren im Hintergrund – von einer doppelten Arretierung: Die Zeit scheint für das Paar bereits vor dem eigentlichen Akt der Bildwerdung stillgestanden zu haben, wiewohl in der Fotografie nach Barthes stets das Innehalten und die Aussicht auf Erlösung aus der Katharsis, die verbunden ist mit dem Klick des Auslösers, zusammenlaufen.44 Ein weiterer temporaler Aspekt wird durch innerbildliche Bezüge vermittelt. Der Mann im Bildvordergrund schließt die Augen, gleiches gilt für seine Begleiterin. Beide scheinen in keinem kommunikativen Austausch mit der umgebenden Atelierszene oder gar mit dem Betrachter außerhalb des Bildfeldes zu stehen, sondern eine in sich geschlossene Einheit zu bilden. Ein Modus der Kontemplation und Absorption45 kennzeichnet das Paar. Aus der Bewusstseinssphäre ausgeschlossen ist der (implizite) Rezipient ebenso wie die umgebende Bildszene in ihrer Raumzeitlichkeit. In der hell gekleideten, nahezu schwebenden Frau kulminiert diese Auslöschung des Raum-Bewusstseins. Sie reagiert nicht auf die Präsenz ihres Begleiters und scheint tief im Traume versunken zu sein. Während der Mann aktiv die Beine seiner Gefährtin umgreift, streift diese ihn lediglich durch dessen Berührung. Auch hinsichtlich des »Zeitstils« im Bild fällt die Atemporalität und Bezugslosigkeit der Lagernden auf: Während die Jeans und Turnschuhe des Mannes eindeutig der jüngeren Vergangenheit angehören, bleibt das helle Kleid der Frau ohne konkrete historische Markierung. Ein Umstand, auf den im Rahmen des folgenden Bildvergleichs näher einzugehen ist. In der bisherigen Beschreibung unberücksichtigt blieben der Rapport zum Hier und Jetzt des Betrachters und die Evokation möglicher Erinnerungsbilder. Die Wichtigkeit dieser Einflussgrößen soll in einem nächsten Schritt herausgearbeitet werden. Denn wie bereits im Zusammenhang mit Taylor-Johnsons Fotografien dargelegt, entsteht in der Verbindung von Déjà-vu-Eindruck und fotografischer Referenz eine abyssale Zeit oder vielmehr: ein »vertige du temps écrasé«. 46 Dieser ließe

44 Die Konturauflösung der bewegten Personen suggeriert hingegen ein Zerrinnen der Zeit. 45 Fried schreibt zur Absorption: »a personage entirely absorbed or engrossed in an action, feeling, or state of mind is also wholly unaware of anything but the object of his or her absorption, crucially including the beholder […]«, FRIED, Michael: »Jeff Wall, Wittgenstein, and the Everyday«, in: Critical Inquiry, H. 33, 2007, S. 495–526, hier: S. 503 [Hervorh. A.K.]. 46 BARTHES (1980/2002), S. 867. In BARTHES (1980/1989), S. 106 übersetzt als »Schwindel durch die zermalmte Zeit«.

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sich auch als spiralenhafte Quasi-Eternität umdeuten, genauer: als stetige, differenzielle Wiederkehr der Erinnerung.47 1.3 Gedächtnis im Taumel der Zeit. Déjà vu und »Ça a été« als Formen retrospektiver Vergegenwärtigung Ein »vertige du temps« (Barthes) oder Taumel der Zeit entsteht, indem sich Vergangenes, Zukünftiges und Gegenwärtiges dynamisch durchdringen und in Wechselwirkung treten bzw. polydirektional aufeinander verweisen. Eine solche Kopräsenz des Ungleichzeitigen richtet sich gegen jede Form strikter Chronologie. Sie negiert zudem, führt man den Gedanken weiter, eine absolute Abschließbarkeit des Vergangenen: Denn das Zurückliegende wird im Modus der zusammengefallenen Zeit stets auch potenziell einer Neubewertung und »Umschrift« unterzogen, die wiederum auf die Gegenwart zurückwirkt. 48 Franz Grillparzer zitierend, stellt Walter Benjamin den retrospektiven Blick in ähnlicher Weise als ein Zurückwirken des Aktuellen und Zwischenzeitlichen auf Vergangenes dar. Es sei unmöglich, rein in der Vergangenheit zu lesen 49 oder auf diese vollkommen objektiv zurückzublicken. Stets interveniere im Rekurs all jenes, das im zeitlichen ›Dazwischen‹ stattgefunden habe.50 Eine solche Konzeption der Zeitendurchdringung spiegelt sich auch in der fotografischen Verschleifung von Gegenwart und Vergangenheit wider: Da wir auf Fotografien kein Damals ohne Jetzt sehen können, vergegenwärtigen uns beispielsweise auch Bilder der intakten New Yorker Twin-Towers das Schreckbild ihrer Zerstö-

47 Dies allerdings gegen Barthes, dessen behauptetes Schwindelgefühl aus Verschränkungen des Realen mit dem Tod und der Zeit herrührt: »Drei Zeiten verdrehen mir den Kopf [i.O. tourneboulent ma conscience]: meine Gegenwart, die Zeit Jesu und die des Photographen, all dies dem Druck [i.O. sous l’instance] der ›Realität‹ ausgesetzt – und nicht mehr durch die Erarbeitung eines fiktionalen oder poetischen Textes vermittelt, der als solcher niemals bis ins letzte glaubhaft ist.« BARTHES (1980/1989), S. 107–108 [frz. Erg. A.K. nach BARTHES (1980/2002), S. 867]. 48 Zur Umschrift cf. FREUD (1896/1962), S. 151. BARTHES (1980/1989) folgt einer solchen Annahme einer retrospektiven Rückkoppelung oder auch nur Restitution des Vergangenen nicht und behauptet eine »vollendete Vergangenheit«, cf. z.B. S. 92, S. 106. 49 Cf. Franz GRILLPARZER, zitiert in: BENJAMIN (1940/1991) (Bd. V), S. 587, N. 75. »Lire dans I’avenir est difficile, mais voir purement dans le passé est plus difficile encore: je dis purement, c’est-à-dire sans mêIer à ce regard retrospectif tout ce qui a eu lieu dans l’intervalle.« Die französische Übersetzung, die auch Benjamin übernimmt, stammt von Edmond Jaloux. 50 GRILLPARZER, wie oben.

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rung, wenngleich das Foto selbst davon nichts zeigt. 51 Der fixierte Vergangenheitssplitter bzw. die resultierende deiktisch-indexikalische Geste wandeln sich mit dem zeitlichen Abstand, der den Betrachter von der Aufnahme trennt. Worauf beruht die spezielle Temporalität der Fotografie aber und wie unterscheidet sie sich von anderen Bildmedien? Barthes sah die Besonderheit des Lichtbildes darin, dass es die vergangene Präsenz dessen attestiere, was wir auf ihm sehen.52 Der Referent sei hier der »notwendig reale« Gegenstand, also nicht die »möglicherweise reale Sache« der Malerei und Fiktion.53 An dieser These interessiert im gegenwärtigen Kontext nicht die Frage nach der Realität des Gegenstandes (über die sich – je nach Definition und nach fotografischem Verfahren – streiten lässt). Vielmehr ist es die Temporalität des Referenten, die hier relevant ist. So expliziert Barthes an späterer Stelle, dass »die Zeugenschaft der PHOTOGRAPHIE sich nicht auf das Objekt, sondern auf die Zeit« beziehe.54 Wiederholt bekundet er: »Ça a été« – das hier ist gewesen. Doch wäre es eine dramatische Verkürzung, diese prägnante Formel isoliert stehen zu lassen, ohne dem ebenfalls in der Hellen Kammer dargestellten Zeiten-Taumel Rechnung zu tragen. Als Betrachter von Fotografien setzen wir uns stets temporal in Beziehung zum Referenten. Unseres retrospektiven Blicks bewusst, projizieren wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Dargestellten in das Bild. Barthes bringt dies auf zwei bezeichnende Formeln: »das wird sein und das ist gewesen« und »dies ist tot und

51 Inwieweit hiermit die Endlosschleife nahezu identischer Bilder in den Tagen nach dem 11. September zusammenhängt, untersucht CHÉROUX, Clément: »Déjà-vu«, in: Ders.: Diplopie. L’image photographique à l’ère des médias globalisés. Essai sur le 11 septembre 2001, Paris: Le Point du jour, 2009, S. 55–99. 52 BARTHES (1980/1989), S. 92: »Die PHOTOGRAPHIE ruft nicht die Vergangenheit ins Gedächtnis zurück (nichts Proustisches ist in einem Photo). Die Wirkung, die sie auf mich ausübt, besteht nicht in der Wiederherstellung des (durch Zeit, durch Entfernung) Aufgehobenen, sondern in der Beglaubigung, daß das, was ich sehe, tatsächlich dagewesen ist.« I.O.: BARTHES (1980/2002), S. 855. 53 BARTHES (1980/1989), S. 86: »Ich mußte zunächst deutlich erfassen […], inwieweit der REFERENT der PHOTOGRAPHIE nicht von der gleichen Art ist wie das [sic!] der anderen Darstellungssysteme. ›Photographischen Referenten‹ nenne ich nicht die möglicherweise reale Sache, auf die ein Bild oder ein Zeichen verweist, sondern die notwendig reale Sache, die vor dem Objektiv plaziert war und ohne die es keine Photographie gäbe.« i.O. BARTHES (1980/2002), S. 851. 54 BARTHES (1980/1989), S. 99. i.O. : »[…] le constatif de la Photographie porte, non sur l’objet, mais sur le temps«, BARTHES (1980/2002), S. 861.

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dies wird sterben«.55 Bei der Betrachtung von Fotografien stürzen wir in einen Zeitstrudel, da wir im Hier und Jetzt ein Stück Da und Damals vor Augen geführt bekommen, dessen unmittelbare Zukunft für uns bereits Vergangenheit ist. Das Lichtbild präsentiert bzw. macht seinen Gegenstand präsent, verkündet zugleich aber dessen Verlust und Absonderung: »[D]as was ich sehe […] ist dagewesen und gleichwohl auf der Stelle abgesondert worden; es war ganz und gar, unwiderlegbar gegenwärtig und war doch bereits abgeschieden.«56 Dieser Eindruck einer »von Anfang an vergangen[en]«57 Gegenwart korrespondiert – wenn auch unter verschiedenen Prämissen – mit der ambivalenten Zeiterfahrung des Déjà vu.58 In dieser besonderen Form der fausse reconnaissance wird ein aktueller Sinneseindruck mit einer (scheinbaren) Vergangenheit assoziiert bzw. zeitlich in diese projiziert.59 Das Wahrgenommene wird dabei in Beziehung zur Ge-

55 BARTHES (1980/1989), S. 106 ; i. O. »cela sera et cela a été«,BARTHES (1980/2002), S. 865 und »cela est mort et cela va mourir«, S. 867. 56 BARTHES (1980/1989), S. 87 [Hervorh. A.K.]. Im Original lässt sich ein möglicher Rekurs auf Derridas Rhetorik von vorgeblicher Präsenz und Verschiebung (bzw. différance) mitlesen: »[…] cela que je vois […] a été là, et cependant tout de suite séparé; il a été absolument, irrécusablement présent, et cependant déjà différé.« BARTHES (1980/2002), S. 851 [Hervorh. A.K.]. 57 METZ (1985/2004), S. 221. 58 Die Nähe der Fotografie zur Halluzination und zum Wahnsinn hat Barthes selbst betont, cf. BARTHES (1980/2002), S. 882/dt. Version: BARTHES (1980/1989), S. 127. Auch hat er auf Freud und das »[H]eimlich[e]« bzw. scheinbar Bekannte (frz. S. 819/bzw. dt. S. 50) hingewiesen, ohne jedoch explizit die Zeitambivalenz der Fotografie mit dem Déjà-VuEffekt in Verbindung zu bringen. Im Gegenteil betont er – aus einer Verlustrhetorik heraus – dass es in derFotografie keine »Wiederherstellung« und kein Zurückrufen des Vergangenen gebe (frz. S. 855/dt. S. 92). 59 BERGSON (1896/2008) widerspricht einer solchen Herleitung des Déjà Vu: Wiedererkennen ließe sich nicht daran festmachen, dass ein gegenwärtiger Eindruck in einen »entourage ancien« projiziert würde (S. 96). Ebenso wenig genüge es, die Ursache für das Déjà Vu in der Ähnlichkeit zweier Eindrücke zu suchen: »On suppose […] que la perception présente va toujours chercher, au fond de la mémoire, le souvenir de la perception antérieure qui lui ressemble: le sentiment du ›déjà vu‹ viendrait d’une juxtaposition ou d’une fusion entre la perception et le souvenir. Sans doute, […] la ressemblance est un rapport établi par l’esprit entre les termes […] de sorte que la perception d’une ressemblance est plutôt un effet de l’association que sa cause […].«BERGSON, Henri: Matière et mémoire. Essai sur la relation du corps à l’esprit (1896), erste kritische Edition von Frédéric Worms, Paris: Quadrige/PUF, 82008, S. 97. Cf. auch: Ders.: Le souvenir du présent et la fausse reconnaissance (1908), erste kritische Edition mit einem Vorwort von Frédéric

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genwart und zum Gewesenen gesetzt. Beim Déjà vu wie auch beim fotografierten Gegenstand handelt es sich um etwas Präsent-Absentes. Das Gesehene wird in beiden Fällen als passé betrachtet, genauer: als etwas Abgeschlossenes, Vorbeigezogenes, absolut in die Vergangenheit Versetztes, weswegen Barthes das Foto mit dem Aorist und dem Tod assoziiert.60 Dieses »interfuit«61 wird allerdings nachträglich in Form eines Bildes oder einer Erscheinung erneut – und somit als ein latent Anderes – sichtbar. Obschon Barthes mehrmals versucht, eine klare Trennlinie zu ziehen zwischen einem erinnernden Vergegenwärtigen (dem »Proustischen« Zurückrufen) auf der einen Seite und dem fotografischen Anzeigen des Gewesenen auf der anderen, ähneln sich zumindest Déjà vu und Lichtbild darin, dass in ihnen eine differierte Gegenwart wahrnehmbar wird: Eine zeitlich verschobene Präsenz wird hier als (Trug-)Bild wiedergeholt. Wenn ich an dieser Stelle von einem Wieder-Holen spreche, dann ist zu betonen, a) dass dieses notwendigerweise einzig den Bereich des Imaginären betrifft und b) dass es einem verzeitigenden und scheidenden Aufschub (einer »différance«)62 unterliegt. So gehen beim retrospektiven Blick der Glaube an das Gewesene und ein Gefühl der Entzweiung Hand in Hand. Dies verdeutlicht sich u.a. in Barthes’ selbstanalytischen Beobachtungen in Die helle Kammer: Er äußert seine Enttäuschung darüber, sich in den meisten Porträtfotos nicht wiederzufinden. Diese Selbstverkennung resultiert zum einen aus der Tatsache, dass Repräsentationen per definitionem nicht mit dem Repräsentierten identisch sind.63 Zum anderen kommt

Worms, Paris: Quadrige/PUF, 2012: »Or, tous ces auteurs [Jensen, Kraepelin Bonatelli, Sander, Anjel etc., A.K.] s’accordent à décrire le phénomène [=das Déjà vu, A.K.] comme un recommencement bien net du passé, comme un phénomène double qui serait perception par un côté, souvenir par l’autre, - et non pas comme un phènomène à face unique, comme un état où la réalité apparaîtrait simplement en air. Détachée du temps. Perception ou souvenir, à volonté […]. Dans tous les cas, qu’il s’agisse du souvenir d’une chose vue ou du souvenir d’une chose imaginée, il y aurait évocation confuse ou incomplète d’un souvenir du réel.« (S. 5–6). Bergson arbeitet jedoch heraus, dass bei der fausse reconnaissance nicht nur ein ›Schon gesehen‹, sondern vielmehr ein ›Schon erlebt‹ (déjà vécu) einsetze, bei dem eine oder mehrere Minuten unseres vergangenen Lebens erneut zu beginnen scheinen (S. 7). 60 BARTHES (1980/1989), S. 102 u. 106. Zum Aorist, der etwa dem passé simple entspricht: BANFIELD (1990), S. 74. 61 BARTHES (1980/1989), S. 87. 62 An späterer Stelle möchte ich die partielle Anwendbarkeit von Derridas différance zur Diskussion stellen, hierzu u.a. DERRIDA (1968), (1967b), (1967c) und (1972/2005). 63 Cf. BOEHM (1994), S. 30, zur ikonischen Differenz zwischen Repräsentation und Repräsentiertem . Barthes beschreibt den Entfremdungsprozess bei der Bildwerdung an mehre-

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eine zeitliche Differenz und Neubewertung des Vergangenen zum Tragen. Diese zweite Ursache zeigt sich am Beispiel einer Fotografie, an deren Entstehungskontext Barthes sich nicht mehr erinnern kann: Es sei ihm unmöglich gewesen, den Ort der Aufnahme zu rekonstruieren. »Und trotzdem, weil es eine Photographie war, konnte ich nicht bestreiten, daß ich da gewesen war (auch wenn ich nicht wußte, wo).«64 Trotz Befremdung gegenüber der ihm vor Augen geführten Situation glaubt Barthes an die Wahrheit des Fotos. So mag die Referenz auf das Gewesene diffus – oder subjektiv verloren – sein, eine retrospektive Eingliederung in das persönliche oder überindividuelle Gedächtnis ist dennoch möglich. Auch hierin ähnelt die Fotografie dem Déjà vu, unterscheidet sich zugleich aber von diesem: Ein aktueller Sinneseindruck wirkt in Letzterem ebenfalls auf Erinnertes zurück, transformiert es und bringt gegebenenfalls Referenzen hervor, die zuvor inexistent oder unbewusst waren. Entscheidend ist jedoch, dass der Vergangenheitsbezug beim Déjà vu – anders als beim Lichtbild – vollkommen substanzlos sein kann: So verweist Günter Oesterle auf eine vorwiegend »referenzlose strukturelle Isomorphie«, die keinen »Rekurs auf ein reales vergangenes Ereignis« impliziere65: Ein zuvor nie Dagewesenenes wird (scheinbar) wiedergeholt. Es lässt sich erahnen, dass der Zeitentaumel des Déjà vu in höherem Maße unberechenbar ist als der fotografische. Das Zusammenwirken von Ça a été und mnemonischem Déjà vu verspricht daher eine bedeutsame Wechselwirkung, die am Beispiel von Eternal Moment zu erforschen ist. 1.3.1 Bild- und Textbezüge in von Eternal Moment Wie andere Inszenierungen Rita Nowaks verweist auch von Eternal Moment gezielt auf bekannte Meisterwerke der Kunstgeschichte. In der Anordnung des Paares im Bildvordergrund werden christliche Trauer- und Grablegungsszenen sowie Kreuzabnahmen ebenso evoziert wie Anne-Louis Girodets Das Begräbnis der Atala (Atala au tombeau,1808, Abb. 6.2/FT. 5), das seines Teils auf Chateaubriands Novelle Atala et Chactas (1801) rekurriert. Im Vergleich von von Eternal Moment und dem Das Begräbnis der Atala zeigen sich beachtliche Parallelen: Bei Girodet findet sich wie bei Nowak eine junge Frau

ren Stellen: »ich nehme eine ›posierende‹ Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandle mich bereits im voraus zum Bild«, BARTHES (1980/1989), S. 19 [Hervorh. A.K.]/frz. BARTHES (1980/2002), S. 796. Ein fotografisches Porträt ähnele »irgend einer beliebigen Person, nur nicht der, die es darstellt«, dt. S. 113/ frz. S. 872. Und: »Mein ›Ich‹ ist’s, das nie mit seinem Bild übereinstimmt […]«, dt. S. 20/frz. S. 797. 64 BARTHES (1980/1989), S. 96. i.O. BARTHES (1980/2002), S. 858. 65 OESTERLE/SCHNEIDER (2003), S. 11.

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in bildhorizontaler Lage. Die Beine sind ausgestreckt, der Oberkörper ist in einem geringen Winkel aufgerichtet. Die Finger der Liegenden wurden ineinander gefaltet und unterhalb der Brust platziert. Sie trägt ein weißes Gewand, das dem Kleid der Fotografierten bei Nowak gleicht. Wie in Eternal Moment fängt auch hier ein muskulöser sitzender Mann die Unterschenkel auf. Neben diesen evidenten, sprachlich leicht fassbaren Gemeinsamkeiten gibt es auch subtile Analogien, die ich im Folgenden als Strukturähnlichkeiten oder Isomorphien bezeichne. Weiterhin sind signifikante Unterschiede angelegt: Augenscheinlich verwendet Girodet ein anderes ›Setting‹: Das Paar befindet sich vor einer Felswand, deren Öffnung den Blick freigibt auf eine Landschaft mit Gipfelkreuz. Die Vordergrundszene differiert ebenfalls von Nowaks Fotografie. Die Liegende ›schwebt‹ über einem Grab bzw. einer Vertiefung, die scheinbar frisch ausgehoben wurde. Gehalten wird sie von dem links Sitzenden und einer am Kopfende stehenden dritten Bildperson, die einen braunen Mantel mit Kapuze trägt und sich mit beiden Beinen in der Grube befindet. In Nowaks Inszenierung findet diese dritte Figur im wahrsten Wortsinne einen Platzhalter: den hellen Plastikstuhl, der die Ruhende stützt. Es liegt hier eine Strukturähnlichkeit vor, da dem Bärtigen und dem Möbelstück eine analoge (Balance-) Funktion und Anordnung innerhalb der beiden Kompositionen zukommt. Zudem greift bei Nowak ein über die Stuhllehne geworfenes braunes Tuch die Farbverteilung und die Materialität des Mantels aus Girodets Tableau auf. Ein weiteres Beispiel für eine Strukturähnlichkeit findet sich in der linken Bildhälfte. Der rote Lendenschutz auf dem Gemälde wird in Nowaks Fotografie von einem gleichfarbigen Stoffstück ersetzt. Diese referenziellen Details sind mit der ›Vorlage‹ nicht deckungsgleich, sondern bilden eher ›Supplements‹, die an die Stelle von Einzelheiten der überlieferten Komposition rücken und sie zugleich erweitern. Hingegen werden narrative Details, die Girodet im Rekurs auf Chateaubriand einbindet (z.B. die Grotte, die Todesikonografie), von Nowak nicht übernommen. Um die Verweise Girodets auf den Intertext Chateaubriands zu erkennen, ist es hilfreich, sich die Handlung der Novelle vor Augen zu führen. In Atala et Chactas berichtet ein älterer Indianer (Schakta) von seiner früheren Liaison mit Atala, die tragisch endete. Die Geliebte entschied sich für den Freitod und vergiftete sich, um dem Konflikt zwischen christlicher Religion und irdischer Zuneigung zum (damals) heidnischen Schakta zu entkommen. Ihre Sterbeszene und letzte Ölung in einer Höhle sowie die anschließende Grablegung werden detailliert beschrieben. Girodet referiert durch schmückende Accessoires66, das Priesterkleid der rechten Figur, die Felswand und das Kreuz in der Ferne auf diesen narrativen Rahmen. Zugleich ver-

66 In Skizzen versah Girodet Schaktas Arme mit indianischen Tätowierungen. Im Gemälde von 1808 sind nur noch die langen teils geflochtenen Haare und der Ohrring – für das 19. Jahrhundert – exotisch.

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kürzt er die Geschichte und synthetisiert markante Ereignisse: Der Spaten und die Ausbuchtung verweisen auf eine Grablegung; die Ergriffenheit Schaktas und die Grotte entsprechen jedoch eher der Salbungsszene Chateaubriands.67 Georges Bernier stellt fest: »Tatsächlich entscheidet sich der Künstler, eine postmortale Teilerzählung zu illustrieren, indem er auf feinste Weise zwei Szenen des Romans […] vermengt: Die Grablegung des Körpers der Verstorbenen und die Beweinung durch Chactas und Pater Aubry.«68

Girodet bezieht aus der Geschichte jene Elemente, die er als substanziell erachtet, und verschmilzt sie zu einem einzelnen Tableau. Er orientiert sich in der Bildgestaltung an der überlieferten Ikonographie christlicher Trauerszenen: Der Gestus der letzten Berührung, das Auffangen des leblosen Leibes und das Niedersinken im Angesicht des Todes finden sich in zahlreichen christlichen Trauerdarstellungen.69 Der Rekurs auf diese Bildtraditionen verstärkt die sakrale und theatrale Stimmung dieser Grablegung. Unterstrichen wird der Effekt von der Lichtführung, die vom Himmel bzw. Kreuz ausgeht und insbesondere die Liegende erleuchtet. In Nowaks Fotografie wurde die Religiosität von Girodets Szene ausgeklammert. Symbole des Todes oder der christlichen Wiederkehr fehlen bewusst. Erhalten bleiben jedoch die nahezu schwebende Pose der Liegenden, ihre Ablösung vom Raumkontext und die kontemplative, sinnliche Berührung. In Analogie zur Interpretation Chateaubriands durch Girodet exzerpierte Nowak einzelne ausdrucksstarke Elemente des Gemäldes und überführte sie in einen variierten, beiläufig erscheinenden Rahmen. Eine möglichst getreue Nachstellung war nicht intendiert. Die Verlegung in ein zeitgenössisches Atelier, in dem die zweite Bildperson Jeans trägt und die Dritte durch einen Stuhl ersetzt wird, profaniert die Szene.

67 CHATEAUBRIAND, François-René de: Atala et Chactas; suivi du Voyage à Clermont; précédé d’une notice historique sur la vie de l’auteur [Vorwort von Léon Quentin], Paris: Le Bailly, 1860, S. 74, online: gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k58303172 [eingesehen am 05.02.2012]. 68 BERNIER, Georges: Anne-Louis Girodet, 1767-1824, prix de Rome 1789, Paris: J. Damase, 1975, S. 78 [Übers. AK.]. i.O.: »En effet, l’artiste choisit d’illustrer un épisode postmortem mélangeant finement deux scènes du roman de Chateaubriand: la mise au tombeau du corps de la défunte et la lamentation de Chactas et du père Aubry.« 69 U.a. Quentin Metsys, Pietà, 1515–20, Öl auf Holz, Louvre, Paris; Perugino, Beweinung Christi (Compianto sul Cristo morto), 1495, Öl auf Holz, Palazzo Pitti, Florenz; Angelo Bronzino, Beweinung (Compianto sul Cristo morto), 1528-30, Öl auf Holz, Uffizien, Florenz.

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Ein gemeinsames Glied zwischen Chateaubriand, Girodet und Nowak ist dennoch zu konstatieren: die Thematisierung der Passage von der Vergänglichkeit zur Ewigkeit. Doch verschiebt sich auch das Konzept des Eternellen. Ewigkeit wird bei Chateaubriand mit dem nach christlichem Glauben gegebenen Leben nach dem Tod in Verbindung gebracht. 70 So fordert die sterbende Atala von ihrem heidnischen Geliebten, sich missionieren zu lassen, um ihre jenseitige Vereinigung vorzubereiten. Kurz vor Atalas Grablegung ruft der zurückgelassene Schakta aus, dass er sich nun der herbeigesehnten ewigen Vermählung, den »noces éternelles«, würdig erweisen wolle.71 Vergänglichkeit stellt einen wichtigen Gegenpol in der Novelle dar. Chateaubriand widmet dem langsamen Sterben Atalas viele Seiten, auf denen Schritt für Schritt die Folgen des Gifts (Schweiß, Kälte, Taubwerden, Erstarren der Glieder, letzter Atemzug) deutlich werden. Im Gemälde Anne-Louis Girodets wird die Dialektik von Eternellem und Vergänglichem anders erzeugt. Dem Maler stehen nur rein bildlich-symbolische Mittel zur Verfügung, um Dauer, Passage oder Zeitlosigkeit auszudrücken. Im Vordergrund sind Spaten, Grube und der ›schöne Leichnam‹ Atalas zu sehen, für den das Grab bestimmt ist. Die Flüchtigkeit des Seins wird zudem auf eine indirektere Weise angezeigt: Der Blick durch den Felsspalt knüpft an die überlieferte Ikonographie des Fensters an, welches u.a. für die Passage des Lebens ins Jenseits steht. Vor dem gelblichen Himmel, der sowohl Abend- als auch Morgenstimmung einzufangen scheint, versinnbildlicht das Kreuz zugleich Tod und Auferstehung. Wie auch Chateaubriand verbindet Girodet den Begriff der Ewigkeit mit dem nach christlichem Glauben dauerhaften Fortleben, das auf den Verlust des weltlichen Lebens folgt. Nowak hingegen evoziert Eternität über den Titel, den (durch lichtbildnerische Mittel betonten) Kontrast von Bewegung und Pose, die Selbstvergessenheit des Paares sowie den Verweis auf Girodet. Selbst wenn in Nowaks Fotografie der Rekurs auf Das Begräbnis der Atala nicht mitgelesen wird, bleibt der Aspekt der Verewigung noch erkennbar. Wird aber die bildlich-textuelle Verweiskette wahrgenommen, dann reflektiert die Fotografie noch eine andere Temporalität: die der »ewigen

70 In der Sterbeszene der Novelle wendet sich Schakta – dem Verlust seiner Geliebten hilflos gegenüber stehend – an den Pater Aubry, der die letzte Ölung vornimmt:»Mon père, ce remède rendra-t-il la vie à Atala? - Oui, mon fils, dit le vieillard en tombant dans mes bras, la vie éternelle! - Atala venait d’expirer.« CHATEAUBRIAND (1860), S. 75. 71 Atala drängt Schaktas in der Novelle: »Si tu m’as aimée, fais-toi instruire dans la religion chrétienne, qui préparera notre réunion« (73) Schaktas äußert an späterer Stelle gegenüber dem Pater: »Laisse-moi transporter les restes de mon épouse; je les ensevelirai dans quelque coin du désert, et si je suis encore condamné à la vie, je tâcherai de me rendre digne de ces noces éternelles qui m’ont été promises par Atala«, CHATEAUBRIAND (1860), S. 76.

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Wiederkunft des Gleichen« 72 bzw. des Differenten und durch eine inhärente Dynamik des Aufschubs Verschobenen.73 1.3.2 Spiele des Wiederholens und Verschiebens Girodet greift Schlüsselszenen aus Chateaubriands Roman auf, interpretiert sie und führt sie zusammen. In seiner Bildlösung orientiert sich der Schüler Jacques-Louis Davids an kunsthistorischen Trauer- und Todesdarstellungen, deren Reflex in der Pose und Anordnung der Bildfiguren erkennbar ist. Das explizit auf Chateaubriands Atala et Chactas rekurrierende Gemälde Girodets wurde wiederum mehrfach aufgegriffen – sei es, weil die Ausgewogenheit der Komposition gefiel, sei es, weil die Bekanntheit des Vorbilds reizvoll erschien und/oder das Thema faszinierte. Stiche nach dem Tableau fanden sich bereits früh in Wiederabdrucken des Romans wieder, beispielsweise in einer 1860 beim Verleger Le Bailly (Paris) erschienenen Edition.74 Zudem orientierten sich verschiedene KünstlerInnen und FotografInnen an der elegischen Bildlösung, die einem breiten Publikum 1808 im Pariser Salon de peinture et de sculpture (und ab 1818, nach Ankauf des Bildes, dauerhaft) im Louvre75

72 Nietzsche betrachtet die Welt gemäß einer Kombinatorik aus einer begrenzten Anzahl von Einzelelementen »als Kreislauf der sich unendlich oft bereits wiederholt hat und der sein Spiel in infinitum spielt«. NIETZSCHE, Friedrich: »Die neue Welt-Conception« (1888), Fragment 14 [188], in: Ders./COLLI, Giorgio/MONTINARI, Mazzino (Hg.): Nachgelassene Fragmente 1869-1889 (= Nietzsche. Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. VIII.3), New York/Berlin: de Gruyter, 1972, S. 168. Cf. auch Deleuzes Interpretation von Nietzsches ewiger Wiederkehr, die das Moment der Abweichung betont: »Die Wiederholung in der ewigen Wiederkunft ist das Selbe, allerdings nur insofern, als es sich einzig von der Differenz und dem Differenten aussagt.« DELEUZE, Gilles: Differenz und Wiederholung (1968), München: Fink, 1992, S. 372. An anderer Stelle spricht Deleuze von der Wiederkunft des ewig Neuen: Es sei die Differenz, die nicht aufhöre, wiederzukehren. Wiederkehren sei »das Identisch-Werden des Werdens selbst« (S. 65). 73 Hier sind Derrida wie auch Deleuze gedanklich nahe: Derrida behauptet für die Iteration, dass diese »in sich selbst die Abweichung [écart] einer Differenz mit sich selbst [bringe], die sie als Iteration konstituiert«. Die »Struktur der Iteration, ein weiterer entscheidender Zug, impliziert gleichzeitig Identität und Differenz.« DERRIDA, Jacques: »Limited Inc abc« (1977), in: DERRIDA/ENGELMANN (1988/2001), S. 53–238, hier: S. 89. 74 CHATEAUBRIAND (1860), Titelblatt, Holzstich nach Girodet, unbekannter Künstler, online: gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k58303172 [eingesehen am 05.02.2012]. 75 Der Pariser Salon war eine seit 1667 in wechselnden Abständen – meist jährlich – stattfindende Ausstellung, die von der Académie royale initiiert wurde, ab 1791 bis 1848 im Louvre stattfand (danach im Industriepalast) und für den Erfolg bzw. die Anerkennung von Generationen von Künstlern eine zentrale Rolle spielte. Cf. u.a. SFEIR-SEMLER, An-

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zugänglich war. Nicht immer wurde in den Bildadaptionen jedoch eine Referenz auf das Thema Atala et Chactas gesucht. Auf den ähnlichen Aufbau von Henry Peach Robinsons Fading Away wurde bereits in Kapitel B hingewiesen, ohne eine Kenntnis des Gemäldes bzw. bewusste Orientierung Robinsons an Girodet zu behaupten. Und auch Nowaks zeitgenössische Reprise nimmt von der geschilderten Bilderzählung Abstand: In beiden Arbeiten wird die Grundanlage von Das Begräbnis der Atala einerseits partiell reflektiert, andererseits aber variierend weitergeführt. Wiederholen, dies wird in den künstlerischen Praktiken von Robinson, Nowak und Girodet deutlich, impliziert stets eine Absonderung und einen raumzeitlichen Abstand: Unabhängig davon, wie ähnlich oder unähnlich eine Reprise erscheint, geht sie unabänderlich mit einer differierenden Spaltung einher, und zwar einerseits gegenüber dem repetierten Werk, andererseits aber auch als interne Anlage im Werk selbst, wodurch erst die Fremdverweisung und ›Nicht-Ursprünglichkeit‹ erkennbar wird. Bei diesem inhärenten Geschiedensein mag man an jene ›différance‹ denken, die Derrida vor allem – aber nicht nur76 – für sprachliche Zeichensysteme beschreibt:77 Gegen die Konzepte des ontologischen Grunds, der Präsenz und der

drée: Die Maler am Pariser Salon 1791-1880, Frankfurt a. M.: Campus Verlag 1992. Baudelaire, der in den 1840er und 1850er Jahren als wichtiger Kritiker des Salons wie auch der Weltausstellung 1855 hervortrat, lobte Girodets Bild und verteidigte es gegen »certains farceurs qui seront tout à l’heure bien vieux«, cf. BAUDELAIRE, Charles: Œuvres complètes, hg. von den Brüdern Michel Lévy, Paris: Librairie Nouvelle, 1868, S. 225. 76 Cf. DERRIDA (1968/2004), S. 124: »Behalten wir zumindest das Schema, wenn nicht den Inhalt der von Saussure formulierten Forderung bei, so bezeichnen wir mit différance jene Bewegung, durch die sich die Sprache oder jeder Code, jedes Verweisungssystem im allgemeinen ›historisch‹ als Gewebe von Differenzen konstituiert.« 77 Cf. insbesondere DERRIDA (1968/1972)/dt. Version DERRIDA (1968/2004). In seiner Logozentrismuskritik der Grammatologie (1967c), aber auch im Bereich der psychischen und metaphorischen Spurprägung im Rekurs auf Freud, wendet Derrida schon 1967 den ›différance‹-Begriff an, cf. DERRIDA (1967b), S. 300 bzw. DERRIDA (1967/1976b), S. 309–310: In DERRIDA (1967b) wird ›différance‹ als lebenserhaltendes, den Tod aufschiebendes Moment des Spurenziehens wie auch als Differenz-Erzeugendes im Akt des Speicherns beschrieben. Erstgenannte Formulierung (die lebenserhaltende) berge Missverständnisse, da das Leben wie der Tod nicht jenseits der ›différance‹ existieren könnten. Jeden Ursprünglichkeitsgedanken (des Seins, der Präsenz, der ousia, der Substanz o.Ä.) verwirft Derrida als onto(theo)logische Illusion, die verkenne, dass das Leben »als Spur gedacht« werden müsse, bevor man überhaupt das Sein als Gegenwart bestimmen könne. »[D]ire qu’elle [›la différance‹, A.K.] est originaire«, also zu sagen, dass die différance ursprünglich sei, bedeute im gleichen Zug, auch den »Mythos eines präsenten Ursprungs

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(phonologozentrischen) Unmittelbarkeit gerichtet, bündelt die ›différance‹ gleichermaßen die Aspekte der Andersheit (différence, altérité), des Aufschubs (délai, retard, temporisation), des Umwegs und der Verschiebung (détour, espacement).78 Sie ist für Derrida jene Bewegung, die überhaupt erst Bedeutung, ›ontologische Differenz‹ (Heidegger) oder semiologische Geschiedenheit (Saussure) bzw. »discernabilité«79 (Unterscheidbarkeit, Wahrnehmbarkeit) hervorbringt und den Aufschub des Todes im Leben definiert.80 ›Différance‹ bezeichnet in diesem Sinne »die konstituierende, produzierende und originäre Kausalität […], den Prozeß von Spaltung und Teilung, dessen konstituierte Produkte oder Wirkungen die différents oder

auszustreichen« [effacer], wobei das Wort ›ursprünglich‹ bereits »als ausgestrichen [sous rature] « zu verstehen ist, DERRIDA (1967/1976b), S. 312. Für die Speicherung psychischer Eindrücke in Bahnungen (nach Freud und Exner), die über Erregungsquantität und Wiederholung definiert werden, präzisiert Derrida: »Alle diese Unterschiede in der Erzeugung der Spur können ebenfalls als Momente der ›différance‹ reinterpretiert werden. [….] [D]iese Bewegung [wird] als eine Anstrengung des Lebens beschrieben, das sich selbst schützt, indem es die gefährliche Besetzung aufschiebt, das heißt, indem es einen ›Vorrat‹ anlegt. Die bedrohliche Verausgabung [dépense] oder Präsenz werden mit Hilfe der Bahnung und der Wiederholung hinausgeschoben«. Das différance-Prinzip generiere dabei Repetitionen von Ökonomien, die mit diesen nicht identisch, aber interreliert sind: So lege das Leben einen Vorrat als »Ökonomie des Todes« an, durch dessen paradoxe Verausgabung und Wiederholung es den Tod aufschiebe. Eine Ursprünglichkeit des Wiederholten oder eine originäre Präsenz, die nicht bereits Aufgeschobenes, Mittelbares ist, gebe es nicht. DERRIDA, Jacques: »Freud und der Schauplatz der Schrift«, in: Ders.: Die Schrift und die Differenz (1967), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976, S. 302–350, insb. S. 309–310. In DERRIDA (1972/2005) wird die ›différance‹ verstärkt mit der ›différance séminale‹ bzw. der seminalen Streuung (dissémination) und dem ›hors‹ des ›hors-livre‹ verknüpft, die als Heterogeneität und absolute Äußerlichkeit der semence gedacht werden, ohne interiorisierte Negativität zu sein (S. 64–70). 78 Cf. DERRIDA (1968/1972), hier v.a. S. 8. 79 Ebd., S. 19. 80 Die Bezüge auf Heideggers ›ontologische Differenz‹ und Saussures differenzielle Zeichenkonzeption werden u.a. in DERRIDA (1968/2004) deutlich (v.a. S. 141–142; S. 122– 124). Zum (Dis)Konnex von Ursprung und différance schreibt Zarader: »En ce sens, la différance est ›plus originaire‹ que la ›différence‹, même s’il ne faut en aucune façon […] y voir un point d’origine, simple et ramassé: car la différance est la figure paradoxale d’une différenciation originaire, c’est-à-dire d’une originarité toujours en train de se dédoubler […], jamais fixée«, ZARADER, Jean-Pierre (Hg.): Le vocabulaire de Jacques Derrida, Paris: Ellipses, 2001, S. 27.

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die différences wären.«81 Ihre auf- bzw. verschiebende Wirkung ist dabei wohlgemerkt als verzeitlichende und verräumlichende Dynamik zu verstehen, die »nicht mehr im Horizont des Anwesenden« zu denken wäre.82 Diese Aufschubbewegung kennzeichne die Schrift wie auch jeden Akt des Schreibens im erweiterten Sinne, der zugleich ein repetitiver Vorgang sei, genauer: ein rekombinatorisches Spiel aus Supplementierungen und Sinnverschiebungen von Zeichen. Ein solcher Impuls, der in einem Gefüge von Interrelationen dynamisch Sinn und Abgrenzung erzeugt, durchwirke allgemein »jedes Verweisungssystem«83, entsprechend also auch die künstlerische Produktion. Er schlägt sich nieder in einem Nicht-Identisch-Sein-(Können)-mit-dem-Anderen wie auch mit-sich-selbst – Letzteres im Sinne einer unmöglichen Selbstabgeschlossenheit bzw. eines Wandels im Austausch mit wechselnden Kontexten. 84 So ließe sich auch von Bildern behaupten, dass sie in Wechselwirkungen mit interrelierten Zeichenvorräten treten und dass jede Abweichung einen potenziell signifikativen Überschuss bedeutet, der zugleich auf das bis dato gebildete (Bild-)Repertoire zurückwirkt. Aus einer zweiten Perspektive wäre ein ›verschiebendes Moment‹ aber auch in der Rezeption wirksam, etwa wenn sich nachträglich nicht-intendierte Reflexe eines anderen Bildes zwischenspiegeln, durch welche das Werk in einem neuen Vergleichsrahmen erscheint.85 So ist das Anknüpfen an überlieferte Zeichenvorräte keineswegs als einseitig rekursive Praxis zu betrachten. Vielmehr wirkt die Wiederholung auf das Vergangene zurück und verschiebt das Repetierte bzw. Interrelierte. In einem ähnlichen Kontext, genauer: bezogen auf die Ausarbeitung eines Analysemodells zur

81 DERRIDA (1968/2004), S.118. 82 Ebd., S. 121. 83 Ebd., S. 124. Es ist allerdings bemerkenswert, dass eine Auseinandersetzung Derridas (1968/2004, 1967b, 1967c) mit Wirkbereichen der différance zwar im Sprachlichen (Alphabetischen) wie auch im Psychoanalytischen erfolgt, dass aber andere Repräsentationssysteme – etwa bildliche Darstellungen – ausgespart bleiben, als finde hier keine analoge differenzielle Verweisung, Temporalisierung und Abspaltung statt. 84 Lamy-Rested betont, dass die différance gleichsam eine stetige zwanghafte, mechanische und entsubjektivierte Wiederholung impliziert: »La différance est simultanément une intentionnalité sans représentation et une compulsion de répétition asubjective et mécanique […].« LAMY-RESTED, Élise: La deconstruction: Une philosophie de l’à venir, entre phénoménologie et psychanalyse, Diss. Université Paris IV/Sorbonne, 2013, online: www.e-sorbonne.fr/sites/www.e-sorbonne.fr/files/theses/lamy-rested_elise_2013_ these.pdf [eingesehen am 11.03.2015]. 85 Sylvia Sleighs Philipp Golub, sich ausruhend könnte so etwa mit dem vier Jahre jüngeren Velàzquez-Zitat von Mel Ramos verwoben werden, ohne dass Sleigh dieses 1971 kennen konnte (cf. Kapitel D. 3.2.).

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Beschreibung von »Interpiktorialität«, betont die Kunsthistorikerin Hanne Loreck das aktivische, zeitdurchkreuzende Potenzial künstlerischen ›Zitierens‹ bzw. ›Aneignens‹. Bedenkenswert sei, »dass die Aneignung das Angeeignete nicht unverändert lässt und dass das Angeeignete immer eigen und fremd zugleich bleibt. Ohne mehrfache derartige Überschneidungen der Funktionen des Zitierens theoretisch zu reflektieren, bleibt eine Interpiktorialität unproduktiv.«86

Eine Theorie, die Rekurspraktiken reflektiert, sollte auch berücksichtigen, dass durch Bezugnahmen (und die implizierten Déjà-vu-Effekte) eine Duplizität im Werk erzeugt wird: Das Bild erweist sich als Teil eines umfassenderen Gefüges bzw. als Konstrukt, das eben gerade nicht ursprünglich, einheitlich oder abgeschlossen ist, sondern das mit anderen Artefakten und mit dem Betrachter in Wechselwirkung tritt. Entscheidend ist also ebenfalls die Rolle des Rezipienten, ohne den das Spiel der Verknüpfung nicht funktioniert. Sein Assoziationsvermögen operiert jenseits der historischen Chronologie der Werkgenese. So kann etwa Nowaks Re-Inszenierung von 2007 sprunghaft, das heißt: anachronisch und ohne ›temporale‹ bzw. kunstgeschichtliche Kohärenz, mit Vorbildern und Nachbildern verwoben werden, wobei durch jede Verknüpfung neue Sinnzusammenhänge entstehen. In solchen interrelationalen Gefügen gibt es keine »progressive Linie, aber omnidirektionale Folgen, verzweigte Rhizome […]«87 zwischen den Bildern. In diesem Sinn kann Nowaks Eternal Moment zum einen Girodets Tableau evozieren. Möglicherweise würde aber auch Henri Peach Robinsons Totenbettszene assoziiert werden bzw. Annie Leibovitz’ Girodet-Reprise, die die amerikanische Fotografin für Bottega Veneta (2007/08) realisierte.88 Die Optionen der Verzweigungen sind vielfach, zumal selbstverständlich nicht nur eines, sondern auch mehrere dieser oder anderer Bilder mit Eternal Moment verbunden werden könnten und ein jedes Werk sich unterschiedlich differenziell (und sinnbildend) abgrenzt. In dem Aufsatz Bild, Schleier, Palimpsest verwendet Klaus Krüger eine Metapher aus der Schriftenkunde, um die Sinn- und Wahrnehmungsüberlagerung zueinander in Beziehung tretender Bilder zu beschreiben: Krüger wählt hierfür den Begriff des Palimpsests, der einerseits passend erscheint, da er die ambivalente Gleichzei-

86 LORECK, Hanne: »Dem Vernehmen nach... Kritische Anmerkungen zu einer Theorie der Interpiktorialität«, in: ISEKENMEIER (2013a), S. 87–106, hier: S. 101. 87 DIDI-HUBERMAN, Georges: Devant le temps: histoire de l’art et anachronisme des images, Paris: Les éditions de minuit, 2000, S. 102 [Übers. A.K.]. 88 Eine Abbildung findet sich auf: https://barbara-grogan.com/rh4885roxvq69wcrkkcpfkv 9k2tg6p [eingesehen am 22.06.2018].

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tigkeit von Ungleichzeitigem, die Kopräsenz von früherer Schicht und Überschreibung sowie das Wechselspiel von Transparenz und Sichtbarkeit verdeutlicht.89 Andererseits besitzt jedoch das Erinnerungsgefüge, das durch Wiederholungsstrategien adressiert wird, im Gegensatz zum handschriftlichen Palimpsest keine in Schichten unterteilbare, medial eindeutige und lineare Ordnung. Seine ›Zusammensetzung‹ hängt stark vom Betrachter ab, der die Reihenfolge und Dichte der Bildbezüge sehr unterschiedlich bewerten kann. Die Metapher eines kapillaren, unabschließbaren Netzes, eines dynamischen Referenzgefüges, in dem es durch Differenz und Ähnlichkeit zu Synapsenbildungen und Überlappungen kommt, scheint daher dem Phänomen mnemonischer Bild-Text-Relationen besser zu entsprechen.90 Das skizzierte interrelationale Geflecht gleicht in seiner temporalen Widersprüchlichkeit und Subjekt- wie auch Kontextgebundenheit dem psychologischen Phänomen des Déjà vu91 – das es zugleich als konkreten Effekt implizieren kann. In der Bildbetrachtung befindet sich der Rezipient in der Situation, ein Repertoire zuvor gesehener Bilder kognitiv gespeichert zu haben, die gleichsam reaktiviert und reaktualisiert werden

89 KRÜGER, Klaus: »Bild – Schleier– Palimpsest. Der Begriff des Mediums zwischen Materialität und Metaphorik«, in: MÜLLER, Ernst (Hg.): Begriffsgeschichte im Umbruch, Zentrum für Literaturforschung, Berlin/Hamburg: Meiner, 2004, S. 81–112. Der Term Palimpsest drücke aus, dass »die getilgte Schrift entweder nach geraumer Zeit selbst wieder zum Vorschein gelangt oder […] ihre vormalige Existenz in Restbeständen […] erkennbar bleibt«, (S. 91). Es handle sich um eine »Struktur der Schichtung, der mehrfachen Überlagerungen und wechselseitigen Transparenzen von Vergangenheit und Gegenwart« (S. 85). Siehe gegen die Anwendung des Palimpsest-Begriffs auch die Kritik in CHÉROUX (2009), S. 77, an Mark Lawson, der angesichts der World Trade Center-Bilder sagt, diese »images are all, in a strange way, palimpsestes«, LAWSON, Mark: »The Power of a Picture«, in: The Guardian [US], 13.09.2001, online: www.theguardian.com/world/ sep/13/september11.usa53 [eingesehen am 19.07.2013]. 90 Bei DELEUZE/GUATTARI steht das Rhizom für ein scheinbar ungeordnetes Geflecht heterogener Elemente bzw. Kräftelinien. DELEUZE, Gilles/GUATTARI, Félix: Mille plateaux. Capitalisme et schizophrénie 2, Paris: Les éditions de minuit, 1980, u.a. S. 126. Das parasitäre Dasein des Rhizoms gegenüber einer (scheinbar) auf Logik und Genealogie basierenden Ordnung (der Baumstruktur bzw. »arborescence«) und ihr Potenzial, diese Ordnung zu dekonstruieren, scheint ein übertragbares Bild darzustellen für die Relation von bildlicher Intertextualität und historisierender Bildordnung. 91 CHÉROUX (2009) sowie Christoph Danelzik-Brüggemann und Rolf Reichardt (2003) verbinden »intericonicité« und »Interpikturalität« mit dem Déjà-Vu. DANELZIK-BRÜGEMANN,

Christoph/REICHARDT, Rolf: »Das Déjà vu der Bilder. Visuelle Mnemotechniken

und satirische Vergegenwärtigungen in der europäischen Druckgraphik des 18. Jahrhunderts«, in: OESTERLE/SCHNEIDER (2003), S. 327–350.

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können. Die potenziell abrufbaren Erinnerungsbilder sind allerding nur mnemonische Ablagerungen und mit den tatsächlich zuvor gesehenen Fotos, Gemälden usw. nicht identisch, sondern bereits differiert im mehrfachen Sinne: So ist das Erinnerungsbild eines Tableaus mit diesem letztlich primär durch Ähnlichkeit und durch sprachlich vermittelte Instanzen verbunden (z.B. durch die Zuordnung zu GenreKategorien, Künstlernamen etc.). Zugleich sind beide aber durch Abstraktion bzw. Transformation unterschieden sowie in Zeit, Raum und Materialität getrennt. Bei ›Bildzitaten‹ wird mit diesen Ähnlichkeitsbeziehungen gespielt – wohlwissend, dass nicht erst die getreue Kopie, sondern bereits eine isomorphe Verwandtschaft einen Wiedererkennungseffekt begünstigt. Dass dabei je nach Rezeptionskontext unterschiedliche Bildassoziationen entstehen können, liegt allgemein in der Natur des Erinnerns: Die aktuelle Wahrnehmung, aber auch die individuell unterschiedliche Disposition des Betrachters, bestimmen darüber, was erinnernd abgerufen und in die Gegenwart projiziert wird. Wie Henri Bergson bemerkt, ziehen wir, »ohne uns dessen bewusst zu sein, die Gesamtheit unserer Vergangenheit hinter uns her; aber unser Gedächtnis lässt in die Gegenwart nur zwei oder drei Erinnerungen einfließen, die durch irgendeinen Aspekt unsere aktuelle Situation komplettieren.«92

Die Durchdringung von aktuellem Sinneseindruck und ›einfließenden‹ Erinnerungsspuren ist somit in hohem Maße zeit- und subjektgebunden, wenngleich ein geteiltes »kulturelles Gedächtnis« (J. Assmann) bei verschiedenen Betrachtern ähnliche Déjà-vu-Effekte hervorbringen kann.93 Folglich ist das Spiel mit pikturalen und textuellen Versatzstücken im Bild stets mit einem Risiko verbunden: Obschon viele ›Bildzitate‹, wie Danelzik-Brüggemann und Reichardt betonen, ihre »Pointe aus dem Vergleich mit dem Vorbild«94 beziehen, riskiert der Zitierende stets, dass

92 BERGSON (1907/1908), S. 181 [Übers. A.K.]. i.O.: »Nous traînons derrière nous, sans nous en apercevoir, la totalité de notre passé; mais notre mémoire ne verse dans le présent que les deux ou trois souvenirs qui compléteront par quelque côté notre situation actuelle.« 93 Zum Begriff vgl. ASSMANN, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (1992), München: C.H. Beck, 1997. Das kulturelle Gedächtnis umfasst dokumentierend überliefertes Wissen bzw. Kulturgut und steht im Gegensatz zur rein mündlichen Überlieferung. Es ist somit Teil des kollektiven Gedächtnisses (Halbwachs). LORECK (2013) betont, dass Interpiktorialität just »gesellschaftliche Rückprojektion[en]« fokussiere, also Kollektivierungen des »individuellen Imaginären.« Ebd., S. 104. 94 DANELZIK-BRÜGGEMANN/REICHARDT (2003), S. 350.

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diese latente Sinnspitze – oder zumindest: -erweiterung – in der Betrachtung verloren geht. Insbesondere ist dies der Fall, wenn das ›Vorbild‹ bereits zahlreiche Nachahmungen gefunden hat, die gegebenenfalls einen höheren Bekanntheitsgrad erreicht haben als das intentional ›Zitierte‹. Eine Referenzstreuung tritt vor allem dann ein, wenn die Ähnlichkeit sehr gering bzw. die Abbildung 18.1/FT. 15: Rita Bezugnahme sehr frei ist. Insofern schlage Nowak, Game, 2009, C-Print, ich vor, das unberechenbare Referenznetz 95 x 75 cm. zwischen den Bildern umzuwerten als ein Spiel mit dem Rezipienten. Nicht die Pointe des präzisen Rekurses würde dann ins Zentrum rücken, sondern der Prozess des differierenden Wiederholens selbst. Und damit auch das Thema des erinnernden Wahrnehmens. Am Beispiel einer zweiten Fotografie Nowaks mit dem Titel Game soll untersucht werden, inwieweit Intertextualität – bzw. wenn man begrifflich eingrenzen möchte: Interpiktorialität – in ihrer Referenzstreuung auch eine heterogene Medialität erzeugt, die das Bild im Schnittfeld verschiedener medienhistorischer Diskurse erscheinen lässt.

2. GAME (2009) Nowaks Fotografie Game (Abb. 18.1, FT. 15, 2009, 95 x 75 cm) zeigt eine herbstlich-kalte Landschaft, die von einem tiefen Kamerastandpunkt aus aufgenommen wurde: Unter einem weitgehend kahlen, gewundenen Baum, der eine seichte Anhöhe krönt und die oberen zwei Drittel des Bildes durchstößt, breitet sich eine dichte Decke aus glänzendem Blattwerk und verstreutem Falllaub aus. Durch das Geäst und den Dunstschleier, der den Himmel überzieht, fällt diffuses Licht. Es dominieren erdtonige und blass- kühle Farben. Inmitten dieser Landschaft offenbart sich im unteren Bilddrittel ein irritierender Fund – ein nackter Frauenkörper, der in Rückenansicht als liegender Rumpf ohne Beine zu sehen ist. Die Unbekleidete wendet sich mit leicht aufgestütztem Oberkörper von der Kamera ab. Ihre individuelle Physiognomie bleibt somit verborgen – die Liegende figuriert als gesichtsloser, hüllenlos posierender Kunstkörper bzw. als

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Akt95 im ästhetischen Sinne. In der Sichtbarkeit noch stärker beschnitten wird der Körper durch ein weiteres Moment der Inszenierung: Durch einen Pelzüberwurf, der sich farblich kaum vom umliegenden Herbstlaub abhebt, werden die angewinkelten Beine ausgeblendet und das Gesäß sowie der Rücken fokussiert. Visuell abgetrennt wird auch der Kopf der Liegenden, um den ein kastanienfarbenes Tuch gewickelt ist. Dadurch verstärkt sich der Eindruck eines Schnitts am Körper. Es resultiert eine dem Surrealismus nahestehende Ästhetisierung des Torsos. Überaus irritierend ist eine rechts angrenzende, undeutliche Bildzone auf Höhe der kaschierten Beine. Aus einem dunklen Stofftuch ragen eine Hand und ein Kopf, die sich jedoch – in Bezug auf die Liegende – jeder anatomischen Kohärenz ent-

95 Kenneth Clark unterscheidet im Englischen zwischen »the Naked« und »the Nude«, was in der deutschen Rezeption Clarks als »nackt« und »Akt« übersetzt wurde: Ein seiner Kleider entledigter Körper sei demnach »naked«, während »the nude« den zur Kunstformel stilisierten, ästhetisch überhöhten Körper definiere, cf. CLARK, Kenneth: Das Nackte in der Kunst [The Nude: a Study in Ideal Form, 1956], Köln: Phaidon, 1958. Diese Position wurde insbesondere von Lynda Nead kritisiert: »Clark is tapping into the passion for binary oppositions that dominates Western philosophical history. More specifically, he extends the binarized model of classification based on the mind/body opposition.[…] [T]his formulation is achieved by positing, at the same time, the notion of a naked body that is somehow outside of representation and an unmediated residuum of anatomy and physiology.« NEAD, Lynda: The Female Nude. Art, Obscenity and Sexuality, London/New York: Routledge, 1992, S. 14–15. Wie Clark nimmt auch John Berger, obschon er Clark zu revidieren sucht, eine analoge, problematische Zweiteilung vor, wobei Nacktheit mit Natürlichkeit, das Stellen eines Akts jedoch mit einer Kultivierung des hüllenlosen Körpers assoziiert wird, cf. BERGER, John: Sehen – das Bild der Welt in der Bilderwelt [Ways of Seeing, 1972], Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1974. Nead sieht auch hier daher keine Fortentwicklung gegenüber Clark: »What is undisturbed, however, is the implication that the naked is somehow freer from mediation […] and represents the body liberated from cultural intervention« (S. 15). Wenn im Deutschen heute zwischen Akt und Nackbild unterschieden wird, bleibt meist die historische Dimension beider Begriffe außer Acht: »Akt« bezieht sich urspünglich auf lateinisch actus, Handlung bzw. agere, treiben/handeln, und bezeichnete im späten 18. und 19. Jahrhundert primär die Bewegungsstudie am menschlichen Körper. Cf. EBERLEIN, Kurt Karl: »Akt«, in: SCHMITT, Otto (Hg.): Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd.1 (A – Baubetrieb), Stuttgart: Metzler, 1937, S. 282–288, hier: S. 282: »Unter A.[kt] versteht man in der bildenden Kunst die am nackten Körper studierte Gebärde, Stellung, Bewegung. Ein A. ist also der ursprünglichen Bedeutung des Wortes nach stets mehr oder weniger eine Studie. Erst in neuerer Zeit ist die Bezeichnung verunklärt und ohne weiteres auf jede Nacktdarstellung ausgedehnt worden.«

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behren und die Präsenz eines zweiten, verschatteten und visuell extrem fragmentierten Körpers suggerieren. Versteckt sich hinter der Lagernden eine zweite Gestalt, die hier metonymisch verkürzt wird auf eine angedeutete Hand und einen Hinterkopf? Ist es Zufall, dass diese mutmaßliche Arm-Partie genau dort ansetzt, wo die unteren Gliedmaßen der Liegenden visuell fehlen? Und welche Implikationen hat diese Dialektik von Zeigen, Fragmentieren und Verbergen, bezogen auf das Genre des Aktbildes? In Game treffen sehr unterschiedliche, teils unvereinbar erscheinende, visuelle und inhaltliche Felder aufeinander. Die Fotografie ist befremdlich und widerspruchsvoll, da hier einerseits eine Liegende in einer klassischen Pose als Rückenakt inszeniert wird, sich der Körper aber andererseits in einer Landschaft präsentiert, die kalt und abweisend wirkt, wodurch das kanonische Ideal des schönenAkts-in-idyllischer-Umgebung konterkariert wird. Darüber hinaus wird der Körper teils unserem Blick entzogen – und dies in einem morbiden Doppelgestus der potenziellen Zerstörung seiner physischen Unversehrtheit und der gezielten Fetischisierung der sichtbaren Körperteile. Verschiedene Bezugsmöglichkeiten auf andere Bilder ergeben sich für Game: Zum ersten erinnert die Fotografie an Gemälde von Félix Labisse und weiteren ›Surrealisten‹, die ebenfalls eine verletzte Integrität des (weiblichen) Körpers im Bild96 andeuten und eine Dialektik erzeugen von fragmentiertem leblosen Leib und sich aufrichtendem Körper, von aktiver Bewegung und Vorwegnahme eines mortifizierenden Blicks. Zum zweiten sind Bezüge zu künstlerischen Fotografien möglich, die lebende Modelle als schöne Leichname inszenieren, wie ein Vergleich beispielsweise mit Izima Kaorus Serie Landscape with a Corpse zeigt. Hier werden zudem kriminologische bzw. forensische Fotografien abrufbar. 97 Und schließlich

96 Zur Debatte um die Verletzung der (imaginären) Integrität des Körperbildes oder des gesellschaftlichen Körpers cf. BERGER, Renate: »Pars pro toto. Zum Verhältnis von künstlerischer Freiheit und sexueller Integrität«, in: Dies./HAMMER-TUGENDHAT, Daniela (Hg.): Der Garten der Lüste. Zur Deutung des Erotischen und Sexuellen bei Künstlern und ihren Interpreten, Köln 1985 (Beiträge zur 2. Kunsthistorikerinnentagung 1984 in Zürich), S, 150-199; SCHADE, Sigrid: »Der Mythos des ›Ganzen Körpers‹. Das Fragmentarische in der Kunst des 20. Jahrhunderts als Dekonstruktion bürgerlicher Totalitätskonzepte«, in: BARTA, Ilsebill u.a. (Hg.): Frauen Bilder Männer Mythen, Berlin: Reimer, 1987, S. 239–259; SYKORA, Katharina: »Selbst-Verortungen. Oder was haben der institutionelle Status der Kunsthistorikerin und ihre feministischen Körperdiskurse miteinander zu tun?«, in: kritische berichte, 3/1998, Jg. 26, S. 43–50. 97 Cf. SYKORA (2015), S.383, die auch bei Izima Kaoru die Implementierung eines »detektivischen Sehens« betont, sowie REGENER, Susanne: »Verbrechen, Schönheit, Tod. Tatortfotografien«, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie,

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ließe sich Game als eine (mehr oder minder unkritische) Fortschreibung klassischer Aktdarstellungen von Nymphen, Venusgöttinnen und ikonografisch zweifelhafteren Geschöpfen interpretieren. Die Heterogenität der Bezugsfelder für Game und die geringe Explizitheit der hier angelegten Verweise lassen, je nach gewähltem Vergleichsgrund, sehr unterschiedliche Lesarten zu. Tendenziell laufen die möglichen Verknüpfungsmöglichkeiten ins Endlose. Diese Multiplizität von Bildfährten soll jedoch nicht als Fallstrick, sondern als reflexives rezeptionsästhetisches Element herausgearbeitet werden, das der stetigen Umbewertung von Bildsujets und scheinbar sedimentierten Formeln in variierenden Betrachtungskontexten Rechnung trägt. Entsprechend sind die in den Kapiteln 2.1 und 2.2 vorgeschlagenen Bildgefüge nur ausschnitthafte Skizzen ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder objektive Gültigkeit. 2.1 Referenz I: Surreale Torsi/Tatorte (Labisse, Duchamp, Kaoru) Es gäbe zahlreiche Möglichkeiten, ausgehend von Nowaks Game ähnlichkeitsbasierte Geflechte interrelierter Bilder und Begleittexte zu ersinnen. Inwieweit erfährt Game aber durch die ›Nachbarschaft‹ bzw. Überlagerung verschiedener, assoziierbarer Artefakte eine Re-Evaluierung? Welche Blick- und Bildstrategien werden in pluralen Anordnungen deutlich, die im Einzelbild verborgen bleiben? Die eingangs formulierte Feststellung, dass Nowak gezielt unterschiedliche Ikonografien und Bildgenres verschränkt, soll zunächst konkretisiert werden: Game lässt sich unter anderem mit surrealistischen Inszenierungen von fragmentierten Körpern zusammendenken, etwa mit Félix Labisses L’Évidence même (Abb. 18.2, 1952, Sammlung A. Boutin Nizza) und Marcel Duchamps Gegeben sei… (Abb. 18.3, Etant donnés…, 1946–66, Philadelphia Museum of Art).

H. 78, 2000, S. 27–42. Die auratische Aufladung von Tatort und Fotografie durch an/gelegte Spuren arbeitet Sykora heraus in SYKORA, Katharina: Die Tode der Fotografie, Bd. 1: Totenfotografie und ihr sozialer Gebrauch, München: Fink, 2009, S. 509.

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Félix Labisses Gemälde präsentiert, in ähnlicher Manier wie Game, einen Frauenkörper in Rückenansicht. Durch die Verhüllung von Beinen und Kopf wird das Gesäß fokussiert und der Körper visuell beschnitAbbildung 18.2: Félix Labisse, L’Évidence ten. Im jeweiligen Gestus même, 1952, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm. des Verhüllens weichen Nowaks Game und L’Évidence même nichtsdestotrotz maßgeblich voneinander ab: Bei Nowak wird der Akt des Verschleierns ›kaschiert‹, indem der erdfarbene Pelzüberwurf partiell mit dem Hintergrund verschmilzt. In Labisses L’Évidence même hingegen wird der über den Körper fließende Stoff als theatrales Moment inszeniert, durch das die darunterliegende Form schemenhaft erkennbar bleibt. Die Bedeckung des Körpers durch ein Laken nimmt zudem eine im Hintergrund vollzogene Metamorphose vorweg: Die weibliche Silhouette wird dort als Bergkette und samtige Wolkenformation wiederholt, Landschaft und Akt verschmelzen. Die Mystifizierung und Entsubjektivierung des weiblichen Körpers wird dadurch potenziert. Eine ähnliche Faszination für den verschleierten oder fragmentierten Körper lässt sich bei einer Vielzahl weiterer surrealistischer Künstler nachweisen, etwa bei René Magritte, Max Ernst oder Paul Delvaux98, die ebenfalls mit Game assoziierbar wären, oder auch Hans Bellmer, der den Fetischcharakter isolierter, rekombinierter Körperteile in seinen Poupée-Fotografien zuspitzte.

98 Der Belgier ist bekannt für Gemälde, bei denen die Teil-Entblößung des weiblichen Körpers bewusst zur Fokussierung erotisch konnotierter Partien führt: cf. z.B. Promeneuses et Savant, 1947, 122 × 244 cm, Fukuoka Art Museum, Fukuoka, oder Les noeuds roses, 1937, 44,5 x 67,3 cm, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen.

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Renate Berger betrachtet in »Pars pro toto« (1984) diese visuelle Zerstückelung und Verhüllung als für den Surrealismus typischen (Gewalt-)Akt am (weiblichen) Körper: Vor allem der Kopf verschwinde »hinter Tüchern, in Säcken oder industriellen Fertigteilen« oder würde »durch Früchte, Tierschädel, Ge- Abbildung 18.3: Marcel Duchamp, Gegeben brauchsgegenstände ersetzt, ausge- sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas höhlt, aufgelöst oder abgerissen«. (Étant Donnés: 1° la chute d'eau, 2° le gaz Unterdessen würden »bevorzugte d'éclairage), 1946-66, Mixed Media, Regionen der weiblichen Anatomie 242,6 x 177,8 x 124,5 cm. um so deutlicher in ihrer unabstrahiert fleischlichen Konsistenz« betont.99 Nowaks Game spielt mit einer analogen Fokussierung der Schaulust, relativiert jedoch das von Renate Berger behauptete erotische Potenzial fragmentierender Inszenierung: Der fotografisch erfasste, in seiner Glätte nahezu skulpturenhaft anmutende Körper wirkt in Game auf befremdliche Weise unfleischlich – er gleicht einem kunsthistorischen Versatzstück in einer realen Landschaft. Als entferntes Vergleichsbeispiel zu Nowak ließe sich weiterhin Marcel Duchamps Installation Gegeben sei… (1946–1966, Abb. 18.3)100 heranziehen, das mit Game nicht nur hinsichtlich des auf Laub ausgebreiteten, weiblichen Torsos korrespondiert: Auch in der spannungsvollen Blickinszenierung und im Wechselspiel von Schaulust und Beklemmung bestehen – allen medialen Unterschieden zum Trotz – bemerkenswerte Parallelen. Duchamps Installation besteht aus einem Holztor mit zwei Gucklöchern, hinter dem sich ein dioramenartiger Raum öffnet: »Jenseits eines unregelmä-

99 BERGER (1984), S. 153–154 [Hervorh. A.K.]. 100 Cf. Marcel Duchamp. Étant Donnés, Ausst.-Kat. Philadelphia Museum of Art, 15.08.– 29.11.2009, hg. von Michael R. Taylor, New Haven, CT/London: Yale University Press, 2009; RAMÍREZ, Juan Antonio: Duchamp: Love and Death, Even [spanisches Original: Duchamp, el amor y la muerte, incluso, 1993], London: Reaktion Books, 1998, S. 197–285.

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ßigen Durchbruchs durch eine Ziegelmauer – eine[r] Art Passepartout«101, stößt der Blick des Betrachters auf die Moulage eines Frauenkörpers im Gras. Im Hintergrund zu sehen ist eine hügelige, leicht vernebelte Landschaft mit Bäumen und mit einem kleinen See, in den ein Wasserfall mündet. Es handelt sich hierbei um eine retuschierte Collotypie102, die – gleich der Praxis gemalter Kulissenbilder in früher Atelierfotografie – ein nur wenig illusionistisches Trompe l’œil bietet. Der Bildvordergrund wirkt hingegen plastisch. Der nackte Torso ist ein realer Abguss eines Körpers, der zur Steigerung der Illusion angeblich mit Schweinehaut, wahrscheinlich jedoch eher mit anderen Materialien (gefärbtes Pergament) überzogen wurde.103 Auch bei Duchamp bleibt der Kopf der Liegenden, unabhängig von der Betrachterposition, außerhalb des Sichtfeldes, während der Blick durch die Gucklochbegrenzung wie auch durch die Beleuchtungssituation auf das entblößte Geschlecht, die Schenkel, Hand und Brust gelenkt wird. Die Blickdisposition über das »paarige[…] Schlüsselloch« instruiert nicht nur zu einer voyeuristischen, für Installationen ungewöhnlich statischen Perspektive des Betrachters – sie befördert auch ein stereoskopisches Sehen, wie Hans Belting und Peter Springer betonen:104

101 SPRINGER, Peter: »Marcel Duchamp (1887-1968): Peepshow als Vermächtnis«, in: Ders.: Voyeurismus in der Kunst, Berlin: Reimer, 2008, S. 189–196, hier: S. 189. 102 Cf. Marcel Duchamp, Étant Donnés (2009), S.91. Die Collotypie (auch: Albertotypie) ist ein fotografisches Edeldruckverfahren, das v.a. 1880–1920 angewandt wurde. 103 Cf. RAMÍREZ (1998), S. 282, der basierend auf einem Interview mit Anne d’Harnoncourt, der langjährigen Duchamp-Spezialistin des Philadelphia Museum of Art, die Möglichkeit der Verwendung von Schweinehaut ausschließt. Da Étant Donnés… sehr fragil sei, wären jedoch bis zum Erscheinungszeitpunkt seines Buches (1993) keine Gewebeanalysen möglich gewesen. Der von Michael R. Taylor herausgegebene Ausstellungskatalog (2009) beinhaltet hingegen eine Diskussion der Materialien aller Einzelteile von Étant Donnés…, cf. v.a. die Beiträge Andrew Lins’ und Melissa S. Meighans in: Marcel Duchamp. Étant Donnés (2009), S. 230–239 und 240–261. 104 »Nur ein Betrachter mit einem festgelegten Standort und einem einäugigen Blick, wie es in der Renaissance-Perspektive der Fall war, kann die entblößte Braut durch die Tür betrachten, die sich nicht öffnen lässt. Doch hat die Tür zwei Schlüssellöcher. Duchamp macht also eine Anspielung auf die Stereoskopie, ohne dass er sie wirklich bedient, so wie ja auch unsere beiden Augen sich nur für einen stereoskopischen Blick eignen, ohne ihn von Natur aus zu besitzen. Der Betrachter ist hier in einer ähnlichen Situation wie am Sucher einer Kamera, und die Perspektive entsteht nicht als Projektion auf einer Fläche, sondern durch eine dreidimensionale Replik der Realität.« BELTING, Hans: »Marcel Duchamp Glas und Schlüsselloch«, in: Ders.: Der Blick hinter Duchamps Tür. Kunst und Perspektive bei Duchamp, Sugimoto, Jeff Wall, Köln: Walter König, 2019, S. 17–76, hier: S. 21-22; sowie: SPRINGER (2008), S. 189.

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Duchamps Installation wurde hinsichtlich ihrer Blickinszenierung als »vorkinematografisches« »Guckkasten-Tableau« (aber auch als medusenartig tötendes Dispositiv105) beschrieben und theoretisch wie künstlerisch (u.a. von Richard Baquié und Ulf Linde) im blickstrukturierenden Aufbau untersucht. Der visuellen Kanalisierung durch Gucklöcher entspricht bei Nowak eine monokulare fotografische Scharfstellung auf den Körper sowie eine partielle Ausblendung von Beinen und Kopf. Die Positionierung der Liegenden im Bildfeld ist bei der Österreicherin jedoch gegenüber Duchamps Installation grundverschieden. So scheint bei Nowak eine pietätsvollere Distanz gewahrt, da der Akt nicht direkt an die untere Bildgrenze anschließt und lediglich in Rückenansicht gezeigt wird. Bei Gegeben sei… hingegen ertastet der Betrachter visuell eine dioramenartige Ansicht, deren Kulminationspunkt sich in der schnittartig aufklaffenden vaginalen Körperöffnung der Liegenden befindet: In seinen Ausführungen zu Duchamps Werk kommentiert Lyotard diese Blickbegegnung mit der Vulva und verweist dabei auf einen Sartreschen Dualismus von Scham und Schaulust, durch den der ertappte Voyeur zum Spiegelbild der Vulva und zum Dummkopf (beides im Französischen ausgedrückt durch das vulgärsprachliche »con«) wird: »In einer dergestaltigen Organisation sind der Blickpunkt und der Fluchtpunkt symmetrisch: Wenn es wahr ist, dass Letzterer die Vulva bildet, dann ist diese zugleich auch das Spiegelbild der Schaulustigen [voyeurs]. Oder: Wenn jene glauben, die Vulva zu sehen, sehen sie sich selbst. Dummkopf/Vulva ist derjenige der sieht [Con celui qui voit].«106

105 Cf. CLAIR, Jean: Méduse. Contribution à une anthropologie du visuel, Paris: Gallimard, 1989, S. 16. Zum Vergleich mit dem vorkinematografischen Sehen und zur Bezeichnung als »Guckkasten-Tableau« cf. SPRINGER (2008), S. 192 und S. 201. 106 LYOTARD, Jean-François: Duchamp’s TRANS/formers. Les Transformateurs Duchamp (1977), Löwen: Leuven University Press, 2010, S. 184 [Übers. A.K.]. i.O.: »Dans une organisation de ce type, le point de vue et le point de fuite sont symétriques: s’il est vrai que le second est la vulve, celle-ci est l’image spéculaire des voyeurs, ou: quand ceux-ci croient voire la vulve, ils se voient. Con celui qui voit.« Cf. auch SARTRE, Jean-Paul: Philosophische Schriften 1: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie (1943), Übers. von Hans Schöneberg und Traugott König, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1994 [bzw. in der frz.Version: Ders.: L’Être et le Néant. Essai d’ontologie phénoménologique (1943), Paris: L’ Harmatton, 2005]. Sartre betrachte die Scham angesichts des Entdecktwerdens als identitätskonstituierend, gleiches gilt allgemein für das Erblicktwerden: »So sind meine Möglichkeiten meinem unreflektierten Bewußtsein gegenwärtig, insofern der andere mich belauert [en tant que l’autre me guette] […] [ich lerne] meine Möglichkeiten, während ich sie bin, zugleich von außen her und durch ihn kennen, etwa so, wie man sein Denken objektiv von der Sprache ken-

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Durch die unverblümte Konfrontation mit dem Geschlecht wird der Betrachter sich seines eigenen, in der Bildanlage antizipierten Voyeurismus bewusst gemacht. Eine solche Zuspitzung ist in Nowaks Rückenakt nicht gegeben, wenngleich auch hier die kalkulierte Pose eine Vorwegnahme des Blicks des Anderen (= des Betrachters) anzeigt. Ein Vergleich der unterschiedlichen Körperhaltungen in Gegeben sei… und Game ist auf einer weiteren Ebene ergiebig: So scheint bei Duchamp ein ausgeprägterer Dualismus von lockender Liegender und leblosem Körper vorzuliegen als bei Nowak. In Gegeben sei… hebt die ansonsten reglose Figur den Arm, um trotz des hellen Tageslichts eine Lampe in die Höhe zu strecken – ein Akt, der laut Juan Antonio Ramírez sowohl phallisch konnotiert ist als auch eine Einladung an den Voyeur impliziert.107 Die Gucklochsituation, die ausgebreiteten Schenkel des Aktes und die visuelle Fragmentierung verweisen hingegen laut Jean-Michel Rabaté und Amelia Jones auf einen möglichen Lustmord bzw. ein Gewaltverbrechen.108 Dalia

nenlernt, während man es denkt, um es in die Sprache einfließen zu lassen.« Ebd., S. 476, frz. Erg. in eckigen Klammern: A.K. nach SARTRE (1943/2005), S. 322. Jacques Lacan entwickelt Sartres Idee weiter, indem er auf das Begehren, erblickt zu werden, fokussiert: Er resümiert, dass Sartres Text sich auf ein »plötzliches Blätterrascheln bezieht, das zu hören ist, wenn ich auf der Jagd bin, auf das Geräusch von Schritten auf einem Gang […] gerade da, wo er selbst sich präsentierte als einer, der durch das Schlüsselloch späht. Ein Blick überrascht ihn als Voyeur […] und läßt ihn einschrumpfen auf das besagte Schamgefühl [Un regard le surprend…, le déroute, le chavire, et le réduit au sentiment de la honte].« Lacan fragt nun: »Bedeutet dies aber, daß wir ursprünglich den Blick in der Beziehung von Subjekt zu Subjekt, in der Existenz des anderen als eines, der mich anblickt, zu begreifen haben? Liegt nicht auf der Hand, daß der Blick hier nur erscheint, nicht weil das nichtende [néantissant], der Welt der Objektivität korrelierende Subjekt sich hier überrascht sieht, sondern das in einer Begehrensfunktion sich behauptende Subjekt!« Cf. LACAN, Jacques: »Die Anamorphosen« (1964), in: Ders.: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse (Das Seminar, Buch XI), Übers. von Norbert Haas, Berlin/Weinheim: Quadriga, 1987, S. 85–96, hier: S. 91 [frz. Erg. in eckigen Klammern: A.K. nach LACAN, Jacques: »L’anamorphose« (1964), in: Ders.: Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse (Le séminaire, livre XI) [texte établi par Jacques-Alain Miller], Paris: Seuil, 1973, S. 73–82, hier: S.79–80]. 107 RAMÍREZ (1998), S. 236. 108 Rabaté betont, dass Duchamp eine Ästhetik des Mordes vertrat: Eine rein visuelle Ähnlichkeit zwischen Tatortaufnahmen der verstümmelten Leiche Elizabeth Shorts mit Ansichten von Duchamps Gegeben sei… habe ihn bereits 1996/1997 zu einem Vergleich veranlasst, nach welchem »Duchamp avait trouvé dans les photographies détaillant le meurtre de Short un déclic, un départ conceptuel […].« Diese Vermutung äußerte er

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Judovitz wiederum betrachtet Gegeben sei… als eine ›Blickfangsituation‹, die zwischen Eros und Thanatos oszilliert, letztlich aber primär den (konventionell zentralperspektivischen) Betrachterblick hinterfragt109 und diesen nicht als tötend, sondern als tot darstellt.110 Die Arretierung und visuelle Fesselung entspricht dabei dem raumzeitlichen Schnitt der Fotografie, genauer: dem paradoxen Schwebezustand eines bereits Vergangenen, das im Stillstand vor unseren Augen eingefangen ist. Wird durch die scheinbar aktive und bewusste Beleuchtung des Geschlechts in Gegeben sei… nicht aber auch suggeriert, dass hier ein lebender Akt (und eben kein Leichenfund) zu sehen ist bzw. sich selbst ausstellt? Marcel Duchamps Installation erlangt ihre Faszination gerade aufgrund dieser expliziten Ambivalenz von Leben und Tod, aktiver Zurschaustellung und Voyeurismus, die in der hochgehaltenen Lampe und dem dargebotenen Geschlecht kulminiert. Nowaks Game unterscheidet sich von Duchamp – neben der medialen und inhaltlichen Differenz – vor allem darin, dass diese Fotografie keine irritierende (und schockierende) Vorwegnahme des Rezipientenblicks beinhaltet: Der abgekehrte

noch bevor 2003 nähere Erkenntnisse über die Vernetzung der Surrealisten mit dem Hauptverdächtigen dieses Mordfalles bekannt wurden. Cf. RABATE, Jean-Michel: Etant donnés: 1° l’art, 2° le crime – La modernité comme scène du crime, Paris: Les presses du réel, 2010, S. 77. Auch u.a. Amelia Jones bewertet den liegenden und fragmentierten Körper in Duchamps Gegeben sei… als »seemingly dead«, JONES, Amelia: Postmodernism and the Engendering of Marcel Duchamp, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 1994, S. 192. 109 Judovitz zeigt den ambivalenten Charakter von Gegeben sei… auf, indem sie dessen Erotizismus als »figure of passage« bezeichnet, dessen transitorische Natur es gleichzeitig als »site of composition and decomposition, of life and death – Eros and Thanatos« kennzeichne. Brüche im Illusionismus der Gucklochperspektive entlarven den Betrachterblick als »dead and rendered obsolete«. JUDOVITZ, Dalia: »Rendez-vous with Duchamp: Given«, in: Dies.: Unpacking Duchamp (1995), London/Los Angeles, CA: California University Press, 1998, S. 195–232, S. 211 und S. 229. Rosalind Krauss weist ebenfalls darauf hin, dass der Blick dem Betrachter gewissermaßen aufgezwungen wird: »Having sought the peephole of Etant donnes, Duchamp’s viewer has in fact entered a kind of optical machine through which it is impossible not to see.« KRAUSS, Rosalind: The Optical Unconscious (1994), Cambridge, MA u.a.: MIT Press, 41996, S. 112. 110 Diese zwiespältige Einschätzung des Frauenkörpers und der Blickregulierung mag auch Jean Clair veranlasst haben, einen Vergleich zwischen Duchamps entkleideter Relieffigur und Medusa zu ziehen, spricht er doch von einer »médusation« und scheinbaren Köpfung der Liegenden, cf. CLAIR (1989), S. 16. Die mythologische Gorgone war selbst Bedrohung und Opfer des Perseus, still stellende, petrifizierende Erscheinung und fragmentierter, getöteter Körper, letaler Blickfang und entmachtetes Haupt.

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Akt ›mortifiziert‹ nicht. Er stellt nicht bloß, indem er sich selbst radikal entblößt. Von Duchamps Installation scheint hingegen der Weg nicht weit zu realen Tatortaufnahmen zu sein. Mutmaßungen, ob es Verbindungen zu Fotografien der ermordeten ›Schwarzen Dahlie‹ alias Elizabeth Short gibt, die in den ersten Konstruktionsmonaten von Duchamps langjährigem Peephole-Projekt in der internationalen Presselandschaft kursierten, bleiben Spekulation.111 Genügen aber auch Nowaks Positionierung eines nackten Körpers in einer rauen Herbstlandschaft und die visuelle Fragmentierung von Kopf und Beinen, um eine ferne Verwandtschaft mit Verbrechensfotografien zu behaupten? Dafür sprechen könnte die Doppeldeutigkeit des Titels Game, der sich nicht nur als ›Spiel‹, sondern auch als erlegbares oder erlegtes ›Wild‹ übersetzen lässt.112 Plausibel scheint auch eine im Titel angelegte Medienreflexion, die auf frühe fotografische Diskurse anspielt, in denen der Akt des Fotografierens mit Metaphern der Jagd und des Tötens umschrieben wurde. Die Tatsache, dass über die Beine der Liegenden ausgerechnet ein Pelzmantel geworfen wurde, der wie ein makabres Leichentuch aus tierischen Überresten Teile des Körpers verdeckt, könnte die Konnotation als unheimlicher Fund untermauern, wenngleich diese Lesart sicherlich gewagt ist: Denn Nowaks Liegende posiert eindeutig aktiv und wurde überaus ästhetisch inszeniert. Beine und Kopf werden lediglich ausgeblendet – verhüllt aber nicht als fehlend exponiert. Tatortfotos würden hingegen, wie Susanne Regener in »Verbrechen, Schönheit, Tod« (2000) darlegt, nicht »ein schönes, repräsentatives oder physiognomisch wertvolles Porträt der Toten« zeigen, sondern die »Haltung und Lage der Leiche, […] Schuß-,

111 Die Schauspielerin Elizabeth Short wurde im Frühjahr 1947 entkleidet und grausam zerstückelt im Gras aufgefunden. Jonathan Wallis bemerkt, dass » [i]n a photograph of Elizabeth Short’s body at the crime scene, she lies in thick, tall grass not unlike the twigs that surround the body in Étant donnés; her legs spread wide displaying her sex«. Zudem gäbe es Skizzen Duchamps, die der Hintergrundlandschaft dieses realen Fundortes ähneln. WALLIS, Jonathan: »Case Open and/or Unsolved: Étant donnés, the Black Dahlia Murder, and Marcel Duchamp’s Life of Crime«, in: Tout-Fait: The Marcel Duchamp Studies Online Journal, 2005, online: http://www.toutfait.com/online_journal_ details.php?postid=4310, [eingesehen am 15.09.2012]. Cf. auch u.a. RABATÉ (2010) und die Einschätzung Michael Taylors in: Marcel Duchamp. Étant Donnés (2009), S. 194–195. 112 Auf die Doppelbedeutung des englischen ›game‹ als Beute/Wild und Spiel verweist auch Katharina Sykora in Zusammenhang mit der Titelfigur Hunt Bailey in Jacques Touneurs Experiment Perilous (1944), Cf. SYKORA, Katharina: As You Desire Me. Das Bildnis im Film, Köln: Walther König, 2003, S. 162.

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Stich- oder Strangulationsspuren, kurz […] die Beschädigungen am toten Körper«.113 Solche Spuren der Beschädigung sind weder bei Nowaks Liegender noch bei Duchamps Moulage zu erkennen, sodass eine mutmaßliche Gewalttat im Bereich des Suggestiven bleibt. In Game wird zudem durch die elegante Pose ein Verbrechen geradezu konterkariert. Der Aspekt des Bildausschnitts und der Körperhaltung ist für die Interpretation als lebloser bzw. ›erlegter‹ Körper aber wesentlich, wie ein Vergleich von Game mit Fotografien des Japaners Izima Kaoru zeigt. In der Serie Landscape with a corpse (1993 – 2008) spielt Kaoru mit der Rhetorik realer Tatortfotografien. Hierfür setzt er insbesondere junge Schauspielerinnen und Models in Szene, die mit weit aufgerissenen oder geschlossenen Augen als schöne Leichen auf verlassenen Straßen, Wiesen oder an anderen menschenleeren Orten liegen. Die perfekt geschminkten leblosen Körper tragen teure Designerkleidung von u.a. Prada und Hermès, die in ambivalenter Weise durch den Titel der einzelnen Bilder als makabres ›Product Placement‹ beworben wird.114 In den meisten Aufnahmen sind es die verdrehte, spannungslose Körperhaltung und die Kameraperspektive, die einen Tötungsakt oder Unfall suggerieren. In einigen Arbeiten sind zudem Blutspuren im Kopfbereich zu sehen oder extravagante Tatwaffen als Indizien beigegeben wie etwa Pfeile (UA wears Toga, 2003), herabgestürzte Scheinwerfer (Fukasawa Elisa wears John Galliano, 2001) oder Nadelgeschosse (Sato Eriko as Cat´s Eye, 2003).115 Die Ästhetik der Bilder erinnert dabei aufgrund der brillanten Farbigkeit sowie der perfekten Abstimmung von Accessoires, Kleidung und Raumkontext an exquisite Modeaufnahmen.116 Im Gegensatz zu Nowaks Game erhebt sich keines von Kaorus Modellen auch nur minimal vom Boden – die Körperhaltung ist starr und leblos, die Augen blicken stumpf ins Leere. Ein Moment der Animation ist in den Aufnahmen des Japaners

113 REGENER (2000), S. 32. 114 Dieser setzt sich jeweils aus dem Namen des Models und dem Zusatz »wears« sowie einer Modemarke zusammen. Ausnahmen in der ansonsten konsequenten Bildbetitelung sind Sato Eriko as Cat´s Eye, 2003. Ferner sind die Bildtitel mit Zahlen versehen, da von ein und demselben Szenario meist drei bis fünf Aufnahmen aus unterschiedlicher Entfernung und Kamerastandorten gemacht wurden. Die Modelle erscheinen so als »schöne Leiche», BOEKER, Susanne: »Zeitgenössische Japanische Fotografie«, in: Kunstforum International, Bd. 168, 03/2004, S. 192–242 (Abschnitt: Mörderische Phantasien: S. 210–211), hier: S. 211. 115 Abbildungen von Kaorus Fotografien finden sich u.a. in SYKORA (2015), S. 386–39 und BOEKER (2004). 116 Kaoru und seine Modelle waren Komplizen in der Inszenierung der (Selbst)Morde: Die Wahl des »last dress« und der Todesart stand den Fotografierten frei.

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dennoch gegeben durch das makellose Make-up der mutmaßlichen Leichen sowie durch die narrative Bildanlage, die man in Anlehnung an Husserl als ›retentional‹117 (im Sinne eines Nachklingens des Vergangenen im Gegenwärtigen) bezeichnen könnte: Die Liegenden scheinen ›frisch‹ zu Tode gekommen zu sein, die Ursache bzw. der Tathergang lässt sich im Bild indizienhaft ablesen. Der semiotische Status der Fotografie als deiktischer Fingerzeig und als lichtinduziertes Anzeichen verstärkt die mutmaßliche Ableitbarkeit des Geschehens in Kaorus Inszenierungen. Der Japaner nähert sich nicht nur über die Körperhaltungen seiner Modelle, sondern auch über fotografische Mittel der Blickführung und Ausschnittswahl dem Genre der Tatortfotografie an: Er nimmt die Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln und Entfernungen auf, die den Einstellungsparametern forensischer Orientierungsaufnahmen, Teilübersichtsaufnahmen und Detailfotos entsprechen.118 Nowaks und Kaorus Vorgehen unterscheidet sich also bereits hinsichtlich der Blickführung grundlegend. Das differenzielle Bezugsnetz, das Game mit surrealen Torsi und mit mutmaßlichen Tatortdarstellungen verbindet, hat dabei Folgendes gezeigt: Einerseits werden durch die Korrelierung auch in Nowaks Fotografie Inszenierungs-Mechanismen sichtbar, die eine Wahrnehmung des Aktes als unheimlicher Fund unterstützen. Andererseits wird beispielsweise durch die Gegenüberstellung mit Izima Kaoru deutlich, dass die alleinige Übernahme künstlerischer Strategien der Blicklenkung und der Fragmentierung nicht ausreicht, um Game gänzlich dem thematischen Feld des versehrten bzw. leblosen Körpers zuschlagen zu können: Es sind zugleich andere Parameter wirksam, die diese Lesart zwar nicht unterbinden, sie jedoch in der Schwebe halten, indem sie den Torso als aktiven, in der Manier eines klassischen Akts posierenden Körper erscheinen lassen. 2.2 Referenz II: Klassische ›Akt‹-Darstellungen Nowaks Fotografie ließe sich ebenso gut vor einer abweichenden Vergleichsfolie betrachten, wobei andere Differenzen und Gemeinsamkeiten die Rezeption be-

117 ›Retention‹ im Sinne Husserls ist ein ›Nachhallen‹ in Analogie zur Melodiewahrnehmung. Sie wird der ›Protention‹ gegenüberstellt, einer Ergänzung nach vorne, siehe HUSSERL, Edmund: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917), hg. von Martin Heidegger, unv. Nachdruck, Tübingen: Niemeyer, 32000, S. 21–29 [S. 387–395]. 118 Orientierungsaufnahmen zeigen den »Tatort in seiner räumlichen Umgebung«, (Teil-) Übersichtsaufnahmen geben Teile des Tatorts nach der Spurensicherung wieder und Detailaufnahmen zeigen z.B. die Schusswunde, mögliche Tatwaffen etc., cf. REGENER (2000), S. 34.

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stimmen würden: Denkbar wäre alternativ oder ergänzend eine Gegenüberstellung mit dem klassischen, historisch-mythologisch legitimierten ›Akt‹, der wohlgemerkt bis zum 19. Jahrhundert zwar in der Kunstgeschichte allgegenwärtig war, jedoch weder als ›Akt‹ bezeichnet wurde, noch als eigenständige Bildgattung galt. 119 Durch diese Re-Kontextualisierung von Game soll keineswegs die Angemessenheit des einen oder des anderen Vergleichsgrunds behauptet oder in Frage gestellt werden. Vielmehr ist zu verdeutlichen, dass die angelegten pikturalen Bezugspunkte von Game verschiedene Verknüpfungen erlauben. Es ist somit gerade jene methodische Flexibilität und Offenheit erforderlich, die auch Projekte mit ähnlicher Zielsetzung kennzeichnen – etwa Warburgs Mnemosyne-Projekt (cf. Kapitel F.4): Die Forschungen des Hamburgers zu Bildinterrelationen und mnemonischen Prägungen gelten gerade aufgrund der prinzipiellen Unabschließbarkeit der Mnemosyne-Tafeln als »Laboratorium des Bildgedächtnisses«120 oder als »ars combinatoria«121 mit reversiblen Ordnungen. Wenn im Folgenden Game mit einer Auswahl mythologischer ›Akt‹-Darstellungen sprachlich in Beziehung gesetzt wird, dann wird es keineswegs darum gehen, das tatsächliche oder wahrscheinlichste Vorbild für dieses Foto zu finden. Ziel ist es vielmehr, die Dynamik des Bildgedächtnisses zu simulieren, welches per se gerade keine feste Sinn- oder Zeitfolge von Bildern impliziert. 2.2.1 Liegende Venus und Nymphen Im kunstgeschichtlichen Bildvergleich ließe sich eine unüberschaubare Menge von ›Nackt-‹ bzw. ›Aktdarstellungen‹ mit Game assoziieren. Bilder liegender, unbeklei-

119 Die deutsche Bezeichnung ›Akt‹ unterscheidet sich dabei von den Termini ›nude‹, ›desnudo‹, ›nudo‹ und ›nu‹ darin, dass sie ursprünglich die Stellung oder Bewegung des Körpers benennt, nicht aber deren Zustand des Entblößtseins. Cf. SCHUSTER, Nadine: Kontinuitäten, Transformationen oder Brüche? Aspekte der Aktmalerei in Karlsruhe in den 1920er und 1930er Jahren, Diss., Universität Heidelberg, 2011. Erst im 19. Jahrhundert wurde vermehrt vom ›Akt‹ im Sinne eines nackt abgebildeten Körpers gesprochen, zuvor verwendete man Begriffe wie Nackt-Darstellung und Studie oder betrachtete den hüllenlosen Körper als Teil eines übergeordneten Bildprogramms (mythologische Historiengemälde etc.). 120 WEIGEL, Sigrid: »Die Kunst des Gedächtnisses – das Gedächtnis der Kunst. Zwischen Archiv und Bilderatlas, zwischen Alphabetisierung und Spur«, in: FLACH, Sabine/MÜNZ-KOENEN, Inge/STREISAND, Marianne (Hg.): Der Bilderatlas im Wechsel der Künste und Medien, München: Fink, 2005, S. 99–119, hier: S. 115. 121 LADWIG, Perdita/TREML, Martin/WEIGEL, Sigrid: »Mnemosyne. Zwischen Evolutionstheorie und Bilderatlas. Vorbemerkung der Herausgeber«, in: Dies. (Hg.): Aby Warburg. Werke in einem Band, Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 601–615, hier: S. 614.

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deter Götter in einer Landschaft, darunter auch »Halbgötter und Nymphen, Satyrn oder Mänaden«122, waren in der abendländischen Kunstgeschichte des 16.-19. Jahrhunderts weit verbreitet und hatten einen wichtigen, wenngleich nicht invariablen Platz innerhalb der künstlerischen Diskurse. Neben Nymphen und Satyrn wurden zunächst primär Venus und Mars als hüllenlos lagerndes Paar in idyllischen Ideallandschaften präsentiert, meist umgeben von Putti, Tauben und abgelegten Waffen.123 Solch attributive ›Accessoires‹ und Rahmungen verliehen dem erotischen Motiv einen ikonografischen Deckmantel. Ein rigides Programm narrativer Codierungen hatte sich zwischen Künstlern, Auftraggebern und weiteren diskursbildenden Instanzen formiert. Unterminierungen dieser Setzungen zogen Skandale, Zensuren oder auch Skandalerfolge nach sich.124 Das pikturale Programm bedeutete einerseits ein ikonografisches Alibi für all jene Bildschaffenden, die sich an die jeweils aktuellen Codes hielten, um beispielsweise eine Venus pudica darzustellen. Andererseits diente es aber auch dazu, Bilder zu sanktionieren bzw. aus dem Diskurs legitimer Kunst und der öffentlichen Beachtung auszuschließen, die nicht ›konform mit den Vorgaben‹ waren. Die Konventionen codierter Nacktheit im Bild waren dabei keineswegs statisch und universalgültig. Sie entsprachen vielmehr einem historisch verankerten, strukturellen Gefüge, dessen Funktionsweise sich in Anlehnung an Foucaults Ausführungen zu Regulati-

122 WEBER (2000), S. 59. 123 Etwa Sandro Botticelli, Venus und Mars, 1483, Tempera auf Holz, 69 x 173 cm, National Gallery London, oder Piero di Cosimo, Venus, Mars und Amor, 1505, Öl auf Holz, 72 x 182 cm, Staatliche Museen, Berlin. 124 Cf. beispielsweise Goyas Maja desnuda. Ebenso wie die ›entschärfte Version‹ der Maja vestida handelt es sich beim nackten Pendant um ein sichtliches Porträt der Pepita Tudô, damals Mätresse von Godoy. Über viele Jahre war die Nacktdarstellung unter Verschluss. So schreibt 1867 der Goya-Biograf Charles Yriarte: »Il faut, pour arriver à voir cette belle académie si intéressante pour ceux qui aiment Goya, forcer une consigne surannée qui, sous prétexte d’une pruderie déplacée, cache à tous les yeux la jolie Manola. Quand donc comprendra-t-on que l’art n’a rien à voir avec ces subtilités hypocrites, qu’il élève et purifie tout, et pourquoi l’honorable don Federico de Madrazo, directeur du Musée royal, directeur de l’Académie de San-Fernando qui fait beaucoup pourrait en Espagne, n’essaye-t-il pas de triompher de ces réticences regrettables et d’accrocher en plein jour la Maja nue du vieux Goya à côté de la ›Maja échada‹?«, YRIARTE, Charles: Goya: sa biographie, les fresques, les toiles, les tapisseries, les eaux-fortes et le catalogue de l’œuvre. Avec cinquante planches inédits d’après des copies de Tabar, Bocourt et Ch. Yriarte, Paris: Henri Plon, 1867, S. 89.

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ven in Dispositiven125 (v.a. der Sexualität) beschreiben ließe: So gibt es auch in der Bildproduktion von ›Aktdarstellungen‹ erstens eine Unterteilung in Schickliches und Unschickliches: Eine Art »Instanz der Regel«126 ist hier wirksam, die eine Trennung in Tabu, Zensur, Akzeptiertes und Kanon nominativ bzw. performativ vornimmt, wenngleich sie – wie Abigail Solomon-Godeau mit Sylvie Aubenas feststellt, bei Aktbildern nicht immer durchschaubar ist.127 Zweitens sind Mechanismen

125 Dispositive sind bei Foucault wissenstrukturierende und handlungsvollziehende Instrumentarien, die strategisch die ihnen zu- bzw. untergeordneten heterogenen Elemente verwalten – zum Beispiel im Falle des Sexualitätsdispositivs den Körper mit dem Ziel, Arbeitskraft zu generieren und zu administrieren. In einem Gespräch an der Université Paris VIII präzisiert Foucault, inwieweit das Dispositiv sich von anderen Begriffen (z.B. Epistemen, Wissen, diskursiven Formationen u.a.) unterscheide: »Ich habe gesagt, daß das Dispositiv wesentlich strategischer Natur ist, was voraussetzt, daß es sich dabei um eine bestimmte Manipulation von Kräfteverhältnissen handelt, um ein rationales und abgestimmtes Eingreifen in diese Kräfteverhältnisse, sei es, um sie in diese oder jene Richtung auszubauen, sei es, um sie zu blockieren oder zu stabilisieren oder auch nutzbar zu machen usw.« Dispositive seien »an Grenzen des Wissens gebunden, die daraus hervorgehen, es gleichwohl aber auch bedingen.« Episteme seien demgegenüber eine weit weniger heterogene Form, eine Art rein »diskursives Dispositiv«, das Aussagen bündelt und »erlaubt, nicht schon das Wahre vom Falschen, sondern vielmehr das wissenschaftlich Qualifizierbare vom Nicht-Qualifizierbaren zu scheiden«, cf. FOUCAULT, Michel et al.: »Ein Spiel um die Psychoanalyse. Gespräch mit Angehörigen des Département de Psychanalyse der Universität Paris VIII in Vincennes«, in: FOUCAULT, Michel: Dispositive der Macht, Berlin: Merve, 1978, S. 118–175, hier: S. 120–121 und S. 124. 126 Cf. FOUCAULT, Michel: La volonté de savoir (=Histoire de la sexualité, Bd. 1), Paris: Gallimard, Édition Tel, 1976, S. 110: »L’instance de la règle [est] […] ce qui, au sexe, dicte sa loi. Ce qui veut dire d’abord que le sexe se trouve placé par lui sous un régime binaire: licite et illicite, permis et défendu. Ce qui veut dire ensuite que le pouvoir prescrit au sexe un ›ordre‹ qui fonctionne en même temps comme forme d’intelligibilité.« Dt. Version: Ders.: Der Wille zum Wissen (=Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, 1976), übers. von Ulrich Rauff u. Walter Seitter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983, S. 85. 127 AUBENAS schreibt : »Si l’on exclut les images pornographiques dont l’utilisation par des artistes ne saurait être alleguée par leurs producteurs et qui n’étaient vendues que clandestinement, il est bien entendu presque impossible de tracer une frontière nette entre académies pour artistes et images pour érotomanes fortunés.« AUBENAS, Sylvie: »Le nu académique existe-t-il en daguerréotype?«, in: L’art du nu au XIXe siècle (1997), S. 24–29, hier: S. 24. Godeau betont: »Il existe une véritabe difficulté à distinguer d’une part le nu artistique de la photographie érotique et, d’autre part, le nu aca-

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der Verwerfung und des Ausschlusses operativ, das heißt, es wird eine »negative Beziehung« etabliert als ein Nein-Sagen zum (respektive ein Auslagern des) Unerwünschten. Drittens werden konkrete rechtliche Konsequenzen des Verbotes (»Zyklus der Untersagung«) und der Zensur (»Logik der Zensur«)128 geltend, die im Extremfall entziehende Handlungen am Werk (Konfiszierung, Zerstörung) implizieren oder auch juristische Folgen für den Bildproduzenten nach sich ziehen (cf. ab den 1850er Jahren die Razzien in bestimmten Fotoateliers). Die Vorgaben waren zu konkreten historischen Zeitpunkten möglichst allgemeingültig.129 Zugleich blieben ihre strategische Verankerung und Funktionsweise teils gezielt verborgen.130 In diesem Sinne ließe sich mit und gegen Foucault auch das pikturale Programm (inklusive seiner Codes, Institutionen und Wirkfelder) als Teil eines umfassenderen Gesamtdispositivs131 beschreiben: Mit Foucault, da Schnittmengen bestehen zwi-

démique des deux premiers. Sylvie Aubenas remarque par exemple qu’il est pratiquement impossible de distinguer visuellement entre légal et illégal.« Ebd., S. 157. Zuvor konstatiert sie auch hinsichtlich der Wechselwirkungen von Idealisierung und Ausschlussmechanismen (ebd., S. 155): »Les critères qui définissent le statut idéal du nu sont eux aussi liés à des procédés d’exclusion.« SOLOMON-GODEAU, Abigail: »Genre, différence sexuelle et nu photographique«, in: La confusion des genres en photographie, Paris: Bibliothèque nationale de France, 2001, S. 153–164. 128 FOUCAULT (1976), S. 110–112. Dt. Version: FOUCAULT (1976/1983), S. 84–85. 129 Dies entspräche Foucaults Annahme einer »Einheit des Dispositivs«, ebd. 130 Cf. zum notwendigen Verstecken des Mechanismus auch Foucaults Vergleich des Sexualitätsdispositivs mit einem indiskreten Kleinod in Referenz auf Diderots Bijoux Indiscrets: Ein magischer Ring bringt dort das Geschlechtsorgan seiner weiblichen ›Opfer‹ zum Sprechen, ohne von sich selbst zu sprechen (»sans parler de soi«), FOUCAULT (1976), S. 104. 131 Zum Beispiel nennt Foucault das Allianzdispositiv, in dessen Zentrum die heterosexuelle, eheliche Verbindung und die Familie stehen, und das Sexualitätsdispositiv. Dessen Funktion war es, insbesondere ab dem 19. Jahrhundert den Körper zunächst der Bourgeoisie und sodann der anderen Klassen zu ›administrieren‹, zu klassifizieren, zu normalisieren oder auch zu pathologisieren. Dispositive sind für Foucault mit je unterschiedlichen historischen Strategien verknüpft, um den Körper des Einzelnen, aber auch ganzer Klassen sowie der Bevölkerung zu prägen, einzuschränken, zu benennen und gewissermaßen in seiner gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit erst hervorzubringen. Um wirksam zu sein, wiederholt das Dispositiv die in ihm wirksamen Kräfterelationen, passt sich jedoch auch z.B. an neue, einzubeziehende Klassen an. Dispositive sind bei Foucault in konzeptueller Nähe zur Technologie bzw. zur Taktik beschrieben; verwobene Taktiken ergeben ein »dispositif d’ensemble« (ebd., S. 125). Es handelt sich gewissermaßen um heterogene Anordnungen mit wirksamen Mechanismen der Macht (cf.

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schen erstens den machterhaltenden und -ausübenden Einzeldispositiven (z.B. der Sexualität) und zweitens den pikturalen Regulationsmechanismen, die im konkreten Fall der ›Nacktdarstellung‹ gerade die Repräsentation des Körpers in seiner Geschlechtlichkeit und Geschichtlichkeit betreffen. Wiederholungsprozesse des Sagund Zeigbaren werden hierbei aktiviert. Mit Foucault auch, weil Bildprogramme durch verschiedene Instanzen gesichert werden – so z.B. durch die akademische Ausbildung, den Kunstmarkt, die Kirche oder den Staat in Form von Zensuren und Mäzenatentum – und weil diese Programme im Kern ihre eigenen »Widerstandspunkte« (im Sinne eines latent mitgedachten Verworfenen, das stets das Akzeptierte definiert) enthalten. Gegen den Philosophen jedoch, da dieser zwar Diskursives wie auch ›Nichtdiskursives‹ im Dispositivbegriff zu vereinen sucht132, er hierbei aber die strategische Integration von Bildprogrammen gänzlich ausblendet, so als seien diese nur Effekt und nicht auch Teilursache epistemischer Formationen.133

S. 119) inklusive eigener Widerstandspunkte. Die Anlage der Dispositive wird durch Institionen getragen, wobei ihre Prinzipien bis ins kleinste Glied verinnerlicht werden, um die Verwaltung und Funktion der heterogenen Elemente zu bewerkstelligen. 132 Foucault erfasste beispielsweise im Sexualitätsdispositiv anatomische Ordnungsschemata, psychoanalytische, pädagogische und pathologische Diskurse wie auch räumliche Anlagen, Institutionen und Literatur, cf. FOUCAULT (1976/1983), u.a. S. 27–29, S. 33 u. 124; frz.: Ders. (1976), S. 30–33, S. 39 u. 167. 133 Dies mag überraschend erscheinen, zumal Foucault die Verstrickung bildlicher Repräsentationen mit historischen wie epistemischen Kontexten in anderen Abhandlungen betont, cf. FOUCAULT, Michel: Die Ordnung der Dinge [Les mots et les choses, 1966], Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1974. Foucault untersucht eingangs ausführlich den Bildaufbau von Velázquez’ Las Meninas (1656), um sich sodann der Manifestation eines Epistemenwechsels hin zum sogenannten klassischen Zeitalter in unterschiedlichen Disziplinen zu widmen (u.a. in der Universalgrammatik, Ökonomie, Naturkunde etc.). Im klassischen Zeitalter zeichne sich laut Foucault eine Absage an eine ähnlichkeitsbasierte Welterfassung ab, die noch in der Renaissance dominierte. Es würden nun Wesenheiten gesucht. Zu Velázquez’ Tableau zurück kehrt Foucault in den Kapiteln Der Platz des Königs und Die Analytik der Endlichkeit, um komplexe Repräsentationskonzeptionen im 17. Jh. zu erörtern sowie das Bild als »représentation de la représentation classique« zu bezeichnen. Im Vorwort der deutschen Auflage von 1974 betont Foucault, dass es ihm darum ginge, »den spezifischen epistemologischen Raum einer bestimmten Epoche« zu beschreiben (ebd., S. 11). Verwundert über Foucaults Versäumnis, explizit Effekte von Bildmaschinerien in seine Dispositiv-Analysen einzubeziehen, zeigen sich auch Sabine Maasen et al.: »Außerhalb dieser Kunstbesprechungen [Velázquez’, Magrittes, Manets, u.a., A.K.] nimmt Foucault explizit keine Bilder, seien es alltägliche Medienbilder oder technisch-wissenschaftliche Bildprodukte in den Blick. Das mag ge-

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Nichtsdestotrotz ließen sich Codierungen von Nacktheit im Bild (wie auch die Zensurmechanismen und das nicht minder repressiv-produktive Aktstudium) in einem ebensolchen Machtverhältnis denken, in dem sie zugleich selbst auf die Regulierung von Körperlichkeit und Sexualität zurückwirken. Bemerkenswerterweise versetzten zahlreiche Künstler des 16. bis 19. Jahrhunderts die hüllenlos dargestellten Körper zunächst als Nymphen oder Venus in entrückte Landschaften, um mit dem teils unausgesprochenen Regelwerk erlaubter Nacktheit konform zu sein. Diese Künstler präsentierten die Figuren meist im Pudica-Gestus, entindividualisierten sie und/oder gaben ihnen einen jedweder Plastizität entledigten Körper mit marmorgleichem Inkarnat. Zudem wurde, sofern es nicht das Bildthema ausdrücklich verlangte (wie etwa im Motiv der Diana im Bade134), eine Anspielung auf den Akt der Entkleidung vermieden. Jean-Louis Chrétien (1997) betont, dass Nacktheit als solche in der Kunstgeschichte nicht bereits durch das Fehlen von Kleidern indiziert würde. Sie manifestiere sich vielmehr erst durch den Hinweis, dass der Körper zuvor verhüllt gewesen sei. »Um die Nacktheit dem Auge darzubieten, genügt es nicht, einen Körper ohne Kleider zu zeigen. Es wäre vielmehr […] der Akt des Entblößens gegenwärtig zu machen. […] Weiterhin bedarf es, damit wirklich das Nackte [nu] gegeben ist, einiger Instrumente der Nacktheit, durch die der Entkleidungsprozess, auf dem es gründet, in Erinnerung gerufen wird. Der einfachste und verbreitetste ist nichts anderes als die Kleidung selbst, das abgenommene Kleidungsstück.«135

rade bezüglich seines Forschungsinteresses für die Denkgeschichte medizinisch-wissenschaftlicher Rationalität überraschen.« MAASEN, Sabine/MAYERHAUSER, Torsten/ RENGGLI, Cornelia (Hg.): Bilder als Diskurse – Bilddiskurse. Göttingen: Velbrück Wissenschaft, 2006 (Einleitung, Abschnitt III). 134 Cf. Ovid, Metamorphosen III: 165–205. 135 CHRETIEN, Jean-Louis: Corps à corps. À l’écoute de l’œuvre d’art, Paris: Les éditions de minuit, 1997, S. 83 [Übers. A.K.]. i.O.: »Pour donner à voir la nudité, il ne suffit pas de montrer un corps sans vêtements. Il faut […] rendre présent l’acte où il s’expose. […] Aussi, pour qu’il y ait nu vraiment, sont requis des instruments de nudité, par lesquels la dénudation qui le fonde est rappelée. Le plus simple et le plus commun n’est autre que le vêtement lui-même, le vêtement ôté.« Auch Hoffmann betont, dass man auf klassischen ›Aktbildern‹ zwar Draperien darstellte, aber keine abgelegte Kleidung. HOFFMANN, Werner: »Venus zwischen Himmel und Erde«, in: Faszination Venus (2000), S. 11–23, hier: S. 17.

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Innerhalb der vielfältigen Darstellungen unbekleideter Körper in der westlichen Kunstgeschichte seit der Renaissance ist demnach zu differenzieren, a) wie der jewielige Körper zu sehen gegeben wird (z.B. entindividualisiert vs. real; eingebettet in einen narrativen Kontext vs. als Selbstzweck; als Akt oder nackt; frontal vs. abgewandt; unbehaart vs. mit Schamhaar136 usw.) Abbildung 19.1/FT. 16: Giorgione, Schlummernde und b) welche Funktio- Venus, um 1510, Öl auf Leinwand, 108 × 175 cm. nen respektive ikonografischen und nicht-ikonografischen Inhalte mit ihm verbunden sind. Für ein differenzielles Netz von ›Akt‹-respektive Nackt-Darstellungen, die sich mit Nowaks Game verknüpfen lassen, sollen im Folgenden nur einige Werke exemplarisch zusammengestellt werden, wobei gerade dem Umgang mit Codes und Bildprogrammen Aufmerksamkeit zukommen wird. Ein Beispiel, das aufgrund seiner kunstgeschichtlichen »Vorbildhaftigkeit«137 und seiner starken Präsenz im kollektiven Bildgedächtnis auch für Nowaks Game zentral erscheint, ist Giorgiones Schlummernde Venus (Abb. 19.1/FT. 16, um 1510, Gemäldesammlung Alter Meister, Dresden). Die Wichtigkeit dieses Gemäldes beruht nicht nur auf dem Umstand, dass es vielfach – u.a. von Tizian und Girolamo da Treviso – in abgewandelter Form ›zitiert‹ wurde. Vielmehr erfolgt bei Giorgione eine »neuartige Übertragung des formalen Bildtypus der ruhenden Quellnymphe auf die Ikonographie der Venus«138, wie Gregor Weber konstatiert.139

136 Die Präsenz von Schambehaarung widerspricht der idealen Nacktheit des klassischen Akts ebenso wie abgelegte Kleider, waren mythologische Aktdarstellungen doch durch eine geradezu marmorhafte Glätte der Haut gekennzeichnet. Im 19. Jahrhundert, in dem eine Zuwendung zum profanen Aktbild zu verzeichnen ist, rückt auch die Thematik des Körper- und Schamhaars in den Fokus – cf. etwa Théodore Chasseriaus Baigneuse endormie près d’une source (1850) mit Achselhaaren, Courbets Origine du monde (1866) oder Baudelaires Les promesses d’un visage (1857), in dem auf die Faszination von Schamhaar angespielt wird: »Une riche toison qui, vraiment est la sœur/De cette énorme chevelure/Souple et frisée et qui t’égale en épaisseur […].« 137 WEBER (2000), S. 57. 138 WEBER (2000), S. 60.

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Der Fakt, dass in diesem Bild nicht mehr nur eine Nymphe, sondern die Liebesgöttin schlummernd dargestellt wurde, ist laut Weber keineswegs überraschend: Durch die »Entrückung im Schlaf« würde die »körper- Abbildung 19.2: Annibale Carracci, Schlafende liche Präsenz der Venus« ge- Nymphe in einer Landschaft, und Faun, der eine mindert – in der Liegeposition Nymphe entführt (Dans un paysage, une nymphe »besitzt [sie] etwas Schwe- endormie, et un faune enlevant une nymphe), bendes«.140 Dadurch, dass sie Ende 16. Jh., Federzeichnung, c. 14 x 20 cm. schmucklos unter freiem Himmel und nicht herausgeputzt auf einem Schlafzimmerbett ruht, wie etwa Tizians jüngere Venus von Urbino (Venere di Urbino, 1538, Florenz), entspricht Giorgiones Liegende der Vorstellung ›unschuldiger‹ Nacktheit im Sinne eines Naturzustands.141 Nach Wiebke Arnholz unterstreicht die Situierung in der Landschaft den Einklang des Körpers mit der Natur: »Nackte Gestalten ließen sich in eine Landschaft einfügen, einerseits weil sie als Verkörperungen gewisser Landschaftselemente gelten konnten, andererseits, weil in der Jugendzeit der Welt die menschlichen Wesen nicht gezwungen waren, sich durch die künstlichen Hüllen der Kleidung von der Natur zu unterscheiden.«142

139 Ginzburg behauptet (in Anschluss an Warburg) für den lagernden ›Akt‹ einen pathosformelartigen Transfer von Darstellungen schlafender, trunkener Mänaden über den berauschten Herkules zur ruhenden Nymphe und Venus. GINZBURG, Carlo: »Die Venus von Giorgione. Ikonographische Innovationen und ihre Folgen«, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus, Bd. 2, Berlin: Akademie-Verlag, 1998, S. 1–38, hier: S. 21. 140 WEBER (2000), S. 62. Auch Milliard Meiss betont, dass Giorgiones Venus trotz ihrer zwischen Verhüllung und Demonstration schwankenden Pudica-Geste durch den Schlaf entrückt werde, cf. MEISS, Millard: The Painter’s Choice. Problems in the interpretation of Renaissance art, New York: Harper & Row, 1976, insb. S. 216. 141 Cf. die Unterscheidung von ›Venus Coelestis‹ und ›Venus Vulgaris‹. 142 ARNHOLZ, Wiebke: »›Olympia? Was ist Olympia? Eine Kurtisane, kein Zweifel!‹ Eine Spurensuche zum Venusmythos von Giorgione bis Manet«, in: KÖRNER, Hans (Hg.):

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Der Bildtypus des ›Aktbildes‹ en plein air erwuchs, unabhängig davon, ob es sich ikonografisch um eine Venusdarstellung, Eva, eine Allegorie oder Nymphe handelte, aus einem naturalisierenden Verständnis, das durch die Präsenz abgelegter oder partiell anbehaltener Kleider jedoch gebrochen wurde. Ließe sich auch Nowaks Game in diesem Sinne interpretieren? Die Ähnlichkeit der ›Venus‹ Giorgiones mit dem fotografierten Torso bei Nowak ist visuell wie inhaltlich eher marginal. Giorgiones Lagernde posiert gänzlich anders, nämlich frontal zum Betrachter und mit über den Kopf gelegtem Arm. Sie ruht zwar auf Tüchern, wird aber durch keinerlei Überwurf visuell beschnitten. Auch ist ihr Gesicht dem Betrachter zugewandt, wodurch ein potenzielles Erwachen mit Blickkontakt angedeutet wird. Ferner unterscheidet sich die Landschaft im Hintergrund grundlegend: Giorgione skizziert eine sommerliche Ideallandschaft mit Häusersiedlung. Nowaks Fotografie erfasst hingegen eine reale Landschaft des 21. Jahrhunderts, in der die klassische Pose und der torsoartige Beschnitt einen widerspruchsvollen Kunstkörper hervorbringen. Hinsichtlich der Aspekte der örtlichen Situierung, der Pose und der partiellen Verhüllung weisen zahlreiche Gemälde und Druckgrafiken des 16. Jahrhunderts größere Analogien zu Nowaks Game auf, als dies bei Giorgione der Fall ist. Hierbei ist bemerkenswert, dass eine komplette Abwendung des Körpers und Gesichts, wie sie bei Game angelegt ist, kunstgeschichtlich zunächst eher unüblich war: Entweder wurde die Vorderseite über einen Spiegel sichtbar gemacht oder es wurde eine Kopfderhung eingebaut, um Teile des Gesichts erkennbar zu machen.143 Eine Ausnahme ist eine Federzeichnung Annibale Carraccis um die Wende zum 17. Jahrhundert, die im Départment des Arts Graphiques im Musée du Louvre geführt wird unter der Bezeichnung Schlafende Nymphe in einer Landschaft und Faun, der eine Nymphe entführt (Dans un paysage, une nymphe endormie, et un faune enlevant une nymphe, Abb. 19.2).144 Die zentrale Figur, eine lagerndre Nymphe, ist vom Betrachter abgekehrt und nur in Rückenansicht, genauer: vollkommen gesichtslos, dargestellt. Die eigentliche Handlung findet im Hintergrund statt, wo eine zweite

Mythos No. 1 – Mythen in der Kunst, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 62–68, hier: S. 62. 143 Im ›verlorenen Profil‹, in dem Hinterkopf wie auch Teile des Gesichts in teils starker perspektivischer Verkürzung zu sehen sind, wurden z.B. folgende Rücken-›Akte‹ dargestellt: Annibale Carracci, Venus mit Satyr und Cupido, ca. 1588, Öl auf Leinwand, 142 x 112 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz. Jacob von Loo, Coucher à l’italienne, um 1650, Öl auf Leinwand, 187 x 143,5 cm, Musée des Beaux-Arts, Lyon. Peter Paul Rubens, Die Venus vor dem Spiegel (Het toilet van Venus), um 1614/15, Öl auf Holz, 124 x 98 cm, Sammlung des Fürsten von Liechtenstein, Vaduz. 144 Federzeichnung, ca. 14 x 20 cm, Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts, Musée du Louvre, Paris, Département des Arts graphiques, Inv. 7456 (Rückseite).

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(oder auch, liest man das Bild als zeitliche Synthese, dieselbe) Nymphe durch einen Faun entführt wird. Die vollkommene Abkehr ließe sich daher als narratives Element verstehen, durch das die hintergründige Entführung fokussiert und die Absorption der Liegenden betont wird. Bei Nowak hingegen ist kein erzählerisches Moment jenseits des abgekehrten Leibes und der anatomisch verstörenden Ansammlung von Körperfragmenten und Pelz gegeben. Ein weiteres Beispiel eines ›Rückenaktes‹, das durch Ähnlichkeitsbezüge assoziiert werden kann, ist Giulio Campagnolas Kupferstich einer Lagernden von 1508/09 (Abb. 19.3).145 Die sowohl als Göttin und Nymphe wie auch schlicht als Liegende in einer Landschaft (Woman Reclining in a Landscape) Betitelte liegt seitlich auf dem Boden und wendet sich dem Bildhintergrund zu, wo sich mehrere stadtpalastartige Häuser befinden. Dabei sind ihr Gesicht und die rechte Körperhälfte teils sichtbar. Unter ihrem Körper befindet sich ein helles Tuch, das schützend zwischen die Schenkel gelegt ist.146 Außer der seitlich lagernden Pose und der Landschaft weist wenig auf eine mythologische Gestalt. Es ist kein weiteres Bildpersonal zu sehen und ikonografische Attribute fehlen. Dem gängigen Bildprogramm, das die Darstellung nackter Körper über mythologische Narrative rechtfertigte, entsprach der Stich also nicht. Die Ausführung als kleinformatige Graphik mag Campagnolas Bild davor bewahrt haben, allzu streng mit ›kanonischer Kunst‹ gemessen zu werden. Es ist gar anzunehmen, dass die als geringwertiger angesehene Druck- und Reproduktionstechnik gerade aufgrund ihrer Abstufung gegenüber der Malerei und wegen ihrer massenweisen Reproduzierbarkeit es ermöglichte, die programmatischen Codes durch die Verbreitung neuer Bildsprachen umzuschreiben. Diese These wird im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit Aktfotografien des 19. Jahrhunderts präzisiert.

145 Im Archiv des Chicagoer Art Institute wird das Bild (Inventarnr. 1932.1331) unter dem Titel Woman Reclining in a landscape geführt, sprich: als namenlose Liegende bewertet, die Deutungen dieser Figur sind allerdings gespalten. Siehe hierzu vor allem EMISON, Patricia: »Asleep in the Grass of Arcady. Campagnola’s Dreamer«, in: Renaissance Quarterly, Bd. 42, H. 2, 1992, S. 271–292. 146 Emison und Rona Goffen deuten dies als autoerotischen Gestus, cf. EMISON (1992), S. 276 und GOFFEN, Rona: »Renaissance Dreams«, in: Renaissance Quarterly, Bd. 40, H. 4, 1987, S. 682–706.

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Abbildung 19.3: Giulio Campagnola, Liegende in einer Landschaft (Woman Reclining in a Landscape), 1508/09, Kupferstich, ca. 11,8 x 18,2 cm. Abbildung 19.4: Tizian, Nymphe und Schäfer (Ninfa e Pastore), um 1575, Öl auf Leinwand, 149,6 x 187 cm.

In einer sehr ähnlichen Körperhaltung zu Campagnolas Stich stellte wiederum der ebenfalls in Venedig angesiedelte Künstler Tizian seine Nymphe und Schäfer (Abb. 19.4, 1570, Kunsthistorisches Museum Wien) dar, die aufgrund der Beigabe eines Tierfells für den Vergleich mit Nowak zentral scheint. 147 Tizians Gemälde, das seinem Spätwerk zuzurechnen ist, zeigt die Liegende in Rückenansicht bzw. zu drei Vierteln abgewandt. In der Beinhaltung und leicht diagonalen Aufrichtung des Körpers entspricht sie der Figur auf Campagnolas Kupferstich. Auch Tizians Lagernde führt sich ein Stofftuch schützend vor den Schoß. Doch dreht sie sich nicht der Landschaft im Hintergrund zu, sondern blickt zu einem Hirten mit Flöte und – zumindest andeutungsweise – zum Betrachter. Das Gemälde ist über die Jahrhunderte stark nachgedunkelt (und wurde wahrscheinlich von Tizian selbst partiell mit erdigen Tönen übermalt), sodass eine ursprünglich brillantere Farbigkeit mit intensiven Grüntönen anzunehmen ist. Der Duktus ist von gesteigerter Taktilität: Hellere Farbe wurde auf dunklerem Grund in feinen, doch virtuosen Strichen aufgetragen bzw. getupft, weswegen dieses und andere Tableaus Tizians als pittura di macchie (Fleckenmalerei) gelten. Hinsichtlich der Ausstattung des Akts bzw. der ›Draperien‹ fallen wesentliche Unterschiede zu Giorgione und Campagnola auf, die zugleich relevant sind im Vergleich mit Nowaks Game: Tizians Liegende wird teils durch einen transparenten

147 Es sei angemerkt, dass Giulio Campagnola zwar verstarb, als Tizian wohl Ende zwanzig war, dass Ersterer jedoch Stiche nach Entwürfen des jüngeren Kollegen anfertigte und Austausch bestand, cf. JOANNIDES, Paul: Titian to 1518: The Assumption of Genius, New Haven, CT: Yale University Press, 2001, S. 131.

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Schal bedeckt, der über den Rücken fließt und zugleich vor die Scham gehalten wird. Zudem ruht dieser Akt nicht auf seidenen Stoffen, sondern auf einem Tierfell. »Es ist nicht nur ein Fell – es ist ein ganzes Tier, nur für mich gehäutet«, stellte John Berger mit Verweis auf das vorhandene Gebein lapidar fest.148 Warum aber ist Tizians Liegende unbekleidet auf einem erlegten Tier gebettet? Sicherlich könnte man motivisch mit der pastoralen Thematik der Szene argumentieren, wenngleich die Haut eher von einem Gepard oder Tiger als von gewöhnlichem Wild zu stammen scheint.149 Auch wäre in einem Seitenblick auf weitere Gemälde Tizians rekonstruierbar, dass das Fell als abgezogene Tierhaut, die potenziell zum Schmuck- und Kleidungsstück wird, eine besondere materielle Sensibilität hat: In seiner Umfunktionierung zum Pelz erhält es eine erotische Konnotation, siehe etwa Tizians heute im Kunsthistorischen Museum Wien als Mädchen im Pelz (1536–38) geführtes Porträt einer Unbekannten, das wiederum Rubens zu Helena Fourment im Pelzrock/Das Pelzchen (Het Pelsken, 1630) inspiriert haben soll, oder Tizians Venus mit dem Spiegel (Venus with a mirror, 1555, National Gallery of Art, Washington). Genau geklärt ist die Thematik von Tizians Nymphe und Schäfer jedoch nicht und so bleibt auch die Bedeutung der Tierhaut ähnlich vage wie der Pelz in Nowaks Game, der dort nicht als Kleidungsstück ins Bild gesetzt ist, sondern wie ein teils abgestreifter Kokon, aus dem die Nackte schlüpft. Eine Fährte, die Patricia Emison für Campagnolas Liegende skizziert, scheint auch für Tizian eine mögliche Assoziation zu bieten: Die Kunsthistorikerin verweist auf eine Textstelle in Pietro Bembos Asolaner Gesprächen von 1505, wo Gismondi die (geliebte) Frau mit einer Jägerin bzw. Bogenschützin vergleicht, deren Augen wie spitze Pfeile verletzen:

148 BERGER, John/BERGER ANDREADAKIS, Katya: Tizian. Nymphe und Schäfer, München/New York: Prestel, 1996, S. 66. 149 Cf. WETHEY, Harold Edwin: The Paintings of Titian: The Mythological and Historical Paintings (=Bd. 3), London: Phaidon, 1975, der in dem exotisch gescheckten Fell eine Tigerhaut sieht (S. 90). Er verweist weiterhin darauf, dass die Identifizierungen des Sujets durch Panofsky (der es als Oinone und Paris liest), Tietz (Endymion und Diana) und das Verzeichnis des Herzogs von Hamilton (Venus und Adonis) sehr unterschiedlich sind: »Nevertheless, none of these subjects is demonstrably the right one to the exclusion of all others.« (S. 166–167).

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»Diese Kunst beherrschte die Antike bereits besser, in der man oft von Nymphen als Jägerinnen und von ihrem Wildbret sprach und mit den reizvollen Nymphen reizvolle Frauen meinte, die mit ihren eindringlichen Blicken die Herzen der stolzen Männer durchbohren.«150

Konnotiert das Fell mehr als nur ein sinnliches, auf Natur und Wildnis verweisendes Material? Immer noch auf Campagnolas Stich bezogen, der gemäß ihrer Interpretation weniger eine Schäferszene denn ein Traumbild zeigt, beschreibt Emison die Wahrnehmung des nackten Körpers als »object of either desire or trepidation«151: Begierde und Angst oder Beklemmung gehen Hand in Hand. Die Verbindung von Fell und Nacktheit bei Tizian steigert diese Dualität der gefährlichen Verlockung. Wie auch der zum Kleidungsstück verarbeitete Pelz wird das abgelegte Fell zum Reflex einer bezwingbaren Animalität. So verweist in Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz (1870)152 die kostbar verarbeitete, abgezogene Tierhaut auf die Verknüpfung von Eros und Thanatos – sie ist Fetisch und steht metonymisch für den doppelten Leib (totes Tier – aktuelle Trägerin) ein. Wenn Nowak ihrer inszenierten Aufnahme erstens den Titel Game gibt, zweitens die gestellte Pose an Venus- und Nymphendarstellungen anlehnt und drittens die Lagernde mit einem Pelz in der Wildnis bettet, verknüpft sie überlieferte Codes. Die angedeutete Hand neben der Liegenden unterstreicht dabei die Widersprüchlichkeit von Begierde und Gefahr in einer Konstellation, die die Rollenverteilung von Opfer und Akteur bewusst ungewiss lässt. 2.2.2 Malerische und fotografische Nacktdarstellungen im 19. Jahrhundert Es wurde weiter oben konstatiert, dass – obschon zahlreiche Vorgaben das Feld zeigbarer Körperlichkeit regulierten – das Sujet des lagernden ›Akts‹ in der Landschaft bereits im 16. Jahrhundert vielfach malerisch und graphisch umgesetzt wur-

150 BEMBO, Pietro: Die Asolaner Gespräche. Dialog über die Liebe (1505), hg. und übers. von Michael Rumpf, Heidelberg: Manutius, 1992, S. 92. 151 EMISON (1992), S. 287. 152 Der Typus der pelzumschmeichelten Venus findet sich in Tizians Venus mit dem Spiegel (Venus with a Mirror, 1555, National Gallery of Art, Washington) – dort in Form einer feinen Fellbordüre) und wird, von diesem ausgehend, in Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz (1870) als fetischisierende Vorstellung formuliert. Das hier literarisch gezeichnete Venusprofil ist deutlich von einer gynophoben Haltung geprägt: Die Frau wird zur begehrenswert-gefährlichen Femme fatale. Cf. SACHER-MASOCH, Leopold von/DELEUZE, Gilles (Hg.): Venus im Pelz (1870), Frankfurt a. M. 1980. Es sei hier auch auf Rita Nowaks Fotografie Venus in Furs verwiesen, die explizit mit dem Titel und Sujet spielt.

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de. Im Motiv der hüllenlos liegenden, mythologischen Bildfigur schien eine Art ›Pathosformel‹153 angelegt, die in verschiedene narrative Kontexte migrierte und dabei wechselnde Bedeutungen annahm. Durch Praktiken der Wiederholung verfestigten sich einerseits kanonische Formen, andererseits wandelten sich der transportierte Inhalt und die konkrete Erscheinung. Bezogen auf Nowaks Rückenakt in Game bzw. das dort reflektierte kunstgeschichtliche Netz analoger Darstellungen fallen vor allem Verschiebungen hin zu profanen, nicht-idealisierten Nacktbildern auf, wie sie insbesondere im 19. Jahrhundert (und hier parallel zur Entwicklung und gewerblichen Nutzung der Fotografie) kennzeichnend sind. Bereits ab dem späten 18. Jahrhundert formierte sich in der Malerei – neben den bereits etablierten Typen des narrativ-mythologischen oder allegorischen Aktbildes – die Figur der hüllenlos lagernden Odaliske, die oft unschwer als westliche, zeitgenössische Figur erkennbar war.154 In fotografischen Aktdarstellungen der 1850er Jahre verschärfte sich diese Tendenz: André-Adolphe Disdéri bezeichnet entsprechende missglückte Sublimierungen des nackten Leibs in der Fotografie als »tristes nudités«. Es fehle hier die in anderen Künsten mögliche Verbindung moralischer Reinheit und körperlicher Perfektion im Sinne des Idealschönen. Es sei fraglich, ob »der Fotograf […] jemals wahrlich schöne Bilder erzielen [könnte] mit der Bordstein-Venus und den Heiligen der Straßenkreuzung.«155 Salonkritiker wie der Fotograf und Schriftsteller Maxime du Camp (dessen Courbet-Kritik ich bereits in Kapitel B.1 zitierte) bemängeln ebenfalls in den 1860er Jahren, dass sich auch im akademischen Aktbild eine vulgarisierende Tendenz abzeichne: Statt idealer Körper würden reale Modelle gezeigt, die der verwerflichen Moralität einfacher Straßenmädchen in nichts nachstünden:

153 GINZBURG (1998), S. 21 und S. 26. Ginzburg knüpft hier an Warburg an, der die Pathoformel jedoch primär als überlieferte, affektbezogene Gebärde definiert, die in verschiedene Kontexte migriert. 154 ›Odaliske‹ ist ein aus dem Türkischen abgeleiteter Begriff, der zunächst ›Kammerdienerin‹ bedeutet, jedoch primär die oft georgischen oder griechischen bzw. hellhäutigen Haremsdamen des Sultans bezeichnet hat. In orientalisierenden Historiengemälden des 18. und 19. Jahrhunderts wurden Modelle mit exotischem Schmuck in fernöstlichen Raumausstattungen gemalt, ab den 1850er Jahren finden sich auch analoge fotografische Mises en scène. Silke Förschler zitiert Quellen, die beklagen, dass trotz eines mutmaßlichen Idealismus der Form die Haremsdienerin als reale Frau in Erscheinung trete. Die Verlagerung von Aktszenen in orientalische wie auch westliche Boudoirs bedeutete dabei eine Trivialisierung des ikonografischen Gehalts, FÖRSCHLER, Silke: Bilder des Harems. Medienwandel und kultureller Austausch, Berlin: Reimer, 2010, S. 144–146. 155 DISDÉRI, André-Adolphe: L’art de la photographie, Paris: N.N. (Selbstverlag) 1862, S. 304 [Übers. A.K.], i. O.: »Comment le photographe pourra-t-il obtenir des images vraiment belles avec les Vénus et les saintes de carrefours.«

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»Die Kunst darf nicht mehr Geschlecht haben als die Mathematik; sie anders zu verstehen hieße, sie auf ein derart tiefes Niveau zu bringen, dass die seriös gesinnten Geister sich abwenden werden. […] Den Venusverschnitten, die heute mit so viel Sorgfalt gemalt werden, kann man nur Heinrich Heines Anathema entgegenschmettern: ›Du bist nichts anderes mehr als eine Göttin des Todes, Venus Libitina!‹, denn sie sind noch weniger als Kurtisanen.«156

Du Camp bezieht sich primär auf die mehrdeutigen Venusdarstellungen Baudrys (Die Perle und die Welle) und Cabanels (Die Geburt der Venus), deren Attribute ihm wie künstliche Requisiten erscheinen.157 Allgemeiner rügt seine Salon-Rezension sämtliche Etikettierungen, unter denen reale, fleischliche Körper als Kunstkörper verkauft wurden. Denn diese Bilder würden nicht die moralische Reinheit und mathematisch-abstrakte Schönheit repräsentieren, die einzig eine Nackt- bzw. Aktdarstellung rechtfertigen würde. Somit reflektiert Du Camps Kritik auch einen ästhetisch-epistemischen Bruch, der mit der frühen Diskursivierung der Fotografie eng verwoben ist: Wie ich an anderer Stelle dargelegt habe, wurde noch im 19. Jahrhundert eine asymmetrische Trennlinie gezogen zwischen einerseits einer detailgetreuen Registratur und andererseits der Entrückung durch Idealisierung bzw. Erfindung, bei der Letztere im Bereich des Künstlerischen favorisiert wurde. 158 Un-

156 DU CAMP, Maxime: »Le Salon de 1863«, in: Revue des Deux Mondes (15. Juni 1863), S. 887-908, hier: S. 903 [Übers. A.K.], i.O. : » L’art ne doit pas avoir plus de sexe que les mathématiques; le comprendre autrement, c’est le rabaisser à un tel niveau que les esprits sérieux s’en éloigneront. […] À ces Vénus qu’on peint avec tant de soin, l’on peut crier l’anathème d’Henri Heine: ›Tu n’es plus qu’une déesse de mort, Vénus Libitina!‹ car ce sont encore moins que des courtisanes.« 157 »Wenn man aber diese enorme Welle streicht […] und zudem zwei oder drei dieser bewundernswert gemalten Muscheln entfernt, was bliebe uns dann tatsächlich? Eine Frau, und in was für einer Pose! Mit welchem Blick!«, DU CAMP (1863), S. 907 [Übers. A.K.], i.O.: »En effet, si l’on supprime par la pensée cette lourde vague […], si l’on supprime également deux ou trois coquillages admirablement traités, que restera-t-il? Une femme, et dans quelle posture! avec quel regard!« Du Camp beschreibt hier Baudry. An anderer Stelle kritisiert er wiederum Cabanels Venus: Mit halbgeöffneten Augen läge sie auf der Wellendecke und scheine um die Aufmerksamkeit des Betrachters zu buhlen, aber das Meer sei nichts als ein Vorwand, der glorreiche Titel habe nichts mit ihrem eigentlichen Namen zu tun: » Pour éviter le reproche qu’on aurait pu lui adresser de n’avoir fait qu’une académie, M. Cabanel a placé au-dessus de sa Vénus un groupe d’amours qui voltigent dans le ciel bleu, où ils se détachent comme un nuage blond et rose. J’en reviens toujours à mon dire, c’est plus de la décoration que de la peinture« (ebd. S. 905). 158 Cf. Kapitel B.1.

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künstlerisch erschien jede Ästhetik, die beispielsweise einen Akt als reales, menschliches Modell erkennbar machte, statt ihn zu abstrahieren und zu entfleischlichen: Der enthüllte Leib eines fotografierten oder naturalistisch gemalten Modells implizierte einen indiskreten Fingerzeig. Wie Lauren Weingarden feststellt, war im 19. Jahrhundert »the female studio model […] easily identified as a prostitute. Her social standing was even more vividly marked by the realism that photography exposed. These models are not the idealized product of artistic creation, but embody the brute reality of folded and bruised flesh, body hair and soiled feet.«159

Entsprechend fein nuanciert waren damals die Grade autorisierter, unter Vorbehalt zirkulierender und gänzlich zensierter bzw. verbotener Aktdarstellungen. In den 1850er Jahren war es, so Anne McCauley, in Frankreich keineswegs untersagt, Nacktheit als solche bildlich darzustellen. Wäre dem so gewesen, hätte eine Vielzahl von Salongemälden nicht öffentlich präsentiert werden können.160 McCauley betont aber, dass vor allem Fotografen und Modele bestimmte Regeln einzuhalten hatten: Teils wurden die Vorgaben dieser ›Etikette der Nacktheit‹ zuvor in Registern festgelegt, teils ergaben sie sich auch erst rückwirkend und induktiv aus den jeweiligen Einzelfällen.161 Einteilungen in Schickliches und Unschickliches

159 WEINGARDEN, Lauren: »The Photographic Subversion. Benjamin, Manet and Art(istic) Reproduction«, in: Aletria, Juli-Dez. 2006, S. 225-245, hier: S. 231. Cf. auch: NEEDHAM, Gerald: »Manet, Olympia and Pornographic Photography«, in: HESS, Thomas B./ NOCHLIN, Linda (Hg.): Woman as Sex Object: Studies in Erotic Art, 1730– 1970, New York: Newsweek, 1973, S. 81–89. 160 MCCAULEY, Anne Elizabeth: Industrial Madness: Commercial Photography in Paris, 1848–1871, New Haven, CT/London: Yale University Press, 1994, v.a. S. 154–193 sowie, dort zitiert, Maxime DU CAMP, »Le salon de 1863«, S. 155. »[I]f it had been, many Salon paintings would have been excluded from public view. By extension, photographs of nudes […] were legitimate as long as they adhered to certain unstated and ambiguous rules of posing. The detailed comments on drapery and arm positions in the 1852-53 registers attest to the importance of subtleties of pose and the necessity of precisely identifying those nudes that had been authorized. But the limitations defining morality in terms of acceptable poses became clear only when seizures […] began in the early 1850s and courts grappled with the issue.« Ebd. 161 Fotografien von Félix-Jacques Antoine Moulin und Bruno Braquehais wurden nach McCauley vielfach konfisziert oder partiell aus dem Verkehr gezogen, indem sie nur unter bestimmten Auflagen und in beschränkten Kreisen (etwa in der École des BeauxArts) vertrieben werden durften. Zahlreiche Verhaftungen fanden vor allem um 1863–

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gab es vor allem hinsichtlich der Pose, Armhaltung und Draperien in Aktdarstellungen. Dem hinzuzufügen ist weiterhin die Ausrichtung des Blicks, der keinesfalls dem Betrachter zu gelten hatte, sowie das Gebot, Behaarung nur im Kopfbereich zu zeigen. Eine vollständige Rückenansicht war auf Aktfotografien tendenziell eher unverfänglich. In Anlehnung an André Rouillé differenziert Lauren Weingarden verschiedene Typen des Aktfotos, die im Frankreich der 1850er und 1860er Jahre im Umlauf waren. Sie unterteilt zwischen »the rubrics of the aesthetic, erotic, and pornographic Venus«. Sogenannte ›Académies‹, die zu Studienzwecken im Atelier bildender Künstler herangezogen wurden, seien primär ästhetisch und, wie wiederum McCauley präzisiert, im Kantschen Sinne interesselos (»disinterested«). 162 Erotisch und pornografisch würden Akte erst, wenn sie dazu dienen sollten, ein entsprechendes Begehren zu wecken – insbesondere ein skopophiles Vergnügen, wie es Stereografien bereiteten – und/oder wenn es sich um Aufnahmen handelte, die ›zurückblickten‹. Entsprechend gab es verbotene Fotos (»pornographic Venuses«) ebenso wie solche, die zwar vertrieben, aber nicht öffentlich gezeigt werden durften (»autorisée sans exposition à l’étalage«).163 Um den Kunstanspruch erotischer Fotografien zu unterstreichen, wurde laut Needham oft der Rekurs auf Malerei gesucht: Dies sei »typical of the photographs, which often sought a veneer of respectability by borrowing trappings from the nude paintings that proliferated in the Salon.« Auch McCauley betont, welche Rolle »the power of props, soft lighting, and passive poses« spielten »to transform an image from pornography to art«. 164 Linda Hentschel verfolgt in Pornotopische Techniken des Betrachtens wiederum die These, dass Kunst und Pornografie keineswegs zwei zeitlos definierte, getrennt zu betrachtende Sphären seien, sondern jeweils über das Andere als Ort der Verneinung bzw. als das aus der Definition Ausgeschlossene konstituiert würden.165 Wie beispielsweise Reaktionen von Zeitgenossen auf Manets und Courbets heute gefeierte Akte der 1850er und 1860er Jahre zeigen, sind die Grenzen von blanker

65 statt, wobei zugleich ein unkontrollierbarer Markt massenhaft (re)produzierter verbotener Bilder existierte. MCCAULEY (1994), S. 164. 162 MCCAULEY (1994), S. 172. Hier wird selbstverständlich auf das interesselose Wohlgefallen Kants angespielt (in Englisch: disinterested pleasure). 163 WEINGARDEN (2006), S. 231. 164 MCCAULEY (1994), S. 173; NEEDHAM (1972), S. 81. 165 HENTSCHEL, Linda: Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg: Jonas Verlag, 2001, S. 55.

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Obszönität und künstlerischem Wagnis fließend: Das Spiel mit Übergängen kann als ein negotiativer (und provokativer) Akt gelesen werden. 166 An den durchlässigen und dynamischen Trennlinien von Tabu und Zeigbarem angesiedelt sind drei exemplarisch gewählte Rückenakte, die in ihrer Pose167 in hohem Maße anschlussfähig sind an Nowaks Game: Sowohl Bruno Braquehais’ Aktfotografie Weiblicher Akt mit Perlenkopfschmuck (Abb. 20.2, Nu féminin à la coiffure de perles, 1856) als auch Jules-Joseph Lefebvres Gemälde Odalisque (Abb. 20.1) und das schon im Kontext von Taylor-Johnsons Rückenakt genannte Velázquez’sche Tableau der Venus vor dem Spiegel (Abb. 15.2/FT. 14, 1648–51) spielen auf ambivalente Weise mit liminalen Strategien bzw. Gratwanderungen an der Grenze zum ›verwerflichen‹ Bild. Velázquez und Lefebvre präsentieren ihre Akte in einer mit Nowaks Game vergleichbaren Stellung. Jedoch ist hier der Bildraum ein Interieur, was sowohl im 17. als auch im 19. Jahrhundert hätte problematisch sein können, erzeugen Innenräume doch eine größere Intimität und – je nach Raumausstattung – auch mögliche Aktualität. Nun sind in den gewählten Beispielen aber die Interieurs mit ikonografischem Beiwerk versehen, um eine wirklichkeitsentrückte Narration zu suggerieren. Auffällig ist, dass Lefebvres Liegende – stärker noch als ihr Konterpart bei Velázquez – einen realen (und dabei keineswegs durch Pinselstriche in seiner Unmit-

166 SOLOMON-GODEAU (2001) bemerkt: »Les critères qui définissent le statut idéal du nu sont eux aussi liés à des procédés d’exclusion« (S. 155). Butler schreibt in einem vergleichbaren Zusammenhang in Körper von Gewicht (1993) über die erotisierende und verlockende Rückwirkung, die Verbote und tabuisierende Ausgrenzungen auf Praktiken in den Grauzonen des Akzeptierten haben: »Im Falle der Sexualität, die kein gewöhnlicher Fall ist, läuft das verbietende Gesetz Gefahr, gerade die Praktiken zu erotisieren, die unter die Prüfung des Gesetzes fallen. Die Aufzählung verbotener Praktiken bringt solche Praktiken nicht nur in einen öffentlichen, diskursiven Bereich ein, sondern produziert sie dadurch als potentiell erotische Unternehmungen und investiert so erotisch in jene Praktiken, wenn auch in einer negativen Art und Weise. Außerdem können Verbote selbst zu Objekten der Erotisierung warden, so daß unter die Zensur des Gesetzes zu fallen zu dem gerät, was Freud eine notwendige Bedingung für Liebe nannte.« BUTLER, Judith: Körper von Gewicht [Bodies that matter. On the discursive limits of ›sex‹, 1993], Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997, S. 158. 167 Cf. hierzu CLAYSON, Hollis: Painted Love: Prostitution in French art of the impressionist era, Los Angeles: Getty Publications, 2003, die diese visuelle Akzentuierung des Gesäßes als »the gateway to the woman’s genital area« bei Lefebvre (S. 55) und zahlreichen Zeitgenossen, insbesondere aber in den Bordell-Darstellungen Edgar Degas nachweist. Oft werde dabei der Kopf abgeschnitten bzw. marginalisiert, sodass die Frau »consists almost entirely of buttocks and is without a head« (S. 51).

E. Zeit, Gedächtnis und Referenz – Rita Nowak | 229

telbarkeit gestörten) Körper besitzt: Die ›Odaliske‹ hat einen eher knochig-asymmetrischen Körperbau, eine zeitgenössische Frisur, leicht geschwärzte Füße und sie spreizt ihre Zehen wie im Krampf als Reaktion auf einen externen Stimulus. Als Odaliske deklariert wird die Liegende primär durch den Titel und den Innenraum, der Orangen, eine Perlenkette am Boden, exotisches Mobiliar und Textilien, maureske Wandornamente sowie einen orientalischen Teppich zeigt. Ein Umdrehen des Kopfes deutet sich im profil perdu bei Lefebvre klar an. Abbildung 20.1: Jules J. Lefebvre, Odalisque, 1874, Öl auf Leinwand, 102,4 x 200,7 cm.

Der malerische Modus von Velázquez und Lefebvre unterscheidet sich jedoch signifikant: Während der Spanier mit einem mehrschichtigen, teils skizzenhaft-energischen und lückenhaften Farbauftrag arbeitet, ist Lefebvres Akt mit einer durchgehend glatten Oberfläche und mit großer Detailtreue wiedergegeben. Die Liegende ist in einer Weise dargestellt, die sich, in Anlehnung an Irina Rajewsky, mit dem Begriff der ›intermedialen Referenz‹ beschreiben ließe, wird hier doch ›fotografisch‹ genau und nuanciert gemalt.168 Die Wahrnehmung der fotografischen

168 Cf. RAJEWSKY, Irina O.: »Intermediality, Intertextuality, Remediation. A Literary Perspective on Intermediality«, in: Intermédialités, 6/2005, S. 43–64, hier: S. 61. Zur Bezeichnung ›Intermedialität‹ für einen Alterität implizierenden Nachahmungsprozess siehe auch: RAJEWSKY, Irina O.: »Border Talks: The Problematic Status of Media Borders in the Current Debate about Intermediality«, in: ELLESTRÖM (2010a), S. 51–68, hier: S. 58. Rajewsky betrachtet fotorealistische Gemälde im erweiterten Sinne als intermediale Rekurse auf die Fotografie »[W]hat we are dealing with is nothing other than painting – but a kind of painting which inevitably evokes in the viewer the impression of a photographic quality […]. [P]hotorealistic painting constitutes itself in relation to photography and appears to us ›as a photo‹, but it still remains a painting.« Implizit ein-

230 | Déjà-vu-Effekte

Qualität dieses Gemäldes entspricht einer Rückprojektion von Eigenschaften eines jüngeren ›Mediums‹ auf ein älteres, die sich mit einzelnen Vorbehalten auch als ›Remediatisierung‹169 bezeichnen ließe. Angesichts der motivischen Parallelen und Differenzen zwischen Velázquez’ und Lefebvres Rückenakten wird zudem die eingangs behauptete Migration von Posen in neue Kontexte deutlich: Bezogen auf die Verschiebung der Nymphen- und Venuspose hin zum ›ordinären‹ Akt im 19. Jahrhundert konstatiert Ekkehard Mai einen »Umschlag von der Mythologie in die reine Modellpose«170 und betont, dass diese Entwicklung in engem Zusammenhang mit dem Medium der Fotografie stehe. Dieser Hinweis ist zentral, wenn wir Nowaks Aneignungspraxis medienhistorisch reflektieren: Denn wie zuvor erwähnt, gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits zahlreiche Fotografien sowohl erotischen als auch pornografischen Inhalts, die etablierte Posen und Bildanlagen anerkannter Kunstwerke ›zitierten‹, dabei profanierten und zugleich darauf spekulierten, als académies wiederum ›Vorbilder‹ für Gemälde zu sein. 171 Auch solche Aufnahmen ließen sich in einem differenziellen Netz zu Game denken, wobei zu fragen wäre, wie sich die Fotografien jeweils zur überlieferten Ikonografie klassischer Aktdarstellungen positionieren. Aufgrund seiner dezidierten Anspielung auf die Bildformel der Venus in Rückenansicht und der Odaliske sei zum Vergleich Bruno Braquehais’ Weiblicher Akt mit Perlenkopfschmuck (Abb. 20.1, Nu féminin à la coiffure de perles, 1856) herangezogen: Von dieser kolorierten Stereodaguerreotypie gibt es verschiedene Variationen in nahezu derselben Pose und mit abweichenden Frisuren und Requisiten.172

her gehe immer eine Verfehlung, ein ›Als-ob‹-Charakter des imitierenden ›Mediums‹, das keine perfekte Mimesis erreiche, sondern sich stets durch charakteristische Interferenzen auszeichne. 169 Cf. v.a. BOLTER/GRUSIN (1999) und SEIER (2005). 170 MAI (2000), S. 191. 171 Baron Albert Fays, Eugènie als Modell (Eugénie le modèle), 1850, BNF Paris, département des estampes et de la photographie. Louis Camille d’Olivier, Aktstudie (Étude d’après nature), 1853–54, BNF Paris, Département des estampes et de la photographie. Auguste Belloc, Weiblicher Rückenakt auf Podest mit Tisch, 1855–60, Salzpapier, 16,8 x 21,5 cm, Privatsammlung, abgebildet in Eine neue Kunst? (2004), S. 76. 172 Cf. Braquehais’ stereoskopische Rückenansicht eines Aktes in der Bibliothèque Nationale de France, Site Richelieu (Estampes et photographie - magasin de la Réserve RESERVE EG-537) sowie die Version aus der Sammlung Thérond, abgedruckt in DE FONT-RÉAULX (2013), S. 220, Abb. 168 und Ansichten der Rückenfigur mit Kopfschmuck im Rheinischen Bildarchiv, Köln, https://www.deutsche-digitalebibliothek.de/ item/PQ6HCXO6BEVQBO2HYOSZGZ5UJGQJSVZQ.

E. Zeit, Gedächtnis und Referenz – Rita Nowak | 231

Der deskriptive Titel selbst scheint nachträglich bei der Erfassung durch Sammler oder Archivare vergeben worden zu sein. In der genannten Daguerreotypie aus der Sammlung Roger Thérond173 sitzt eine unbekleidete Frau auf einem niedrigen Hocker oder einer zweistufigen Leiter, die mit Tüchern drapiert ist. Ihr rechtes Bein ist seitlich ausgestreckt, den Oberkörper stützt sie auf einen leicht ver- Abbildung 20.2: Bruno Braquehais, setzten Tisch, der ebenfalls mit Weiblicher Akt mit Perlenkopfschmuck nem hellen Laken bespannt ist. Es (Nu féminin à la coiffure de perles), 1856, ergibt sich eine nahezu lagernde, je- Detail/Stereodaguerreotypie, handkoloriert. doch diagonal das Bild durchstoßende Position im Raum, die einen Dialog mit den genannten Gemälden und mit Nowaks Game begünstigt. Jenseits der Pose liegen jedoch zentrale Unterschiede vor: Der Hintergrund der Daguerreotypie ist weitgehend schwarz, nur ein schwerer, rot kolorierter Vorhang ist in der oberen rechten Bildecke zu erkennen. Dennoch scheint eine Verwandtschaft vor allem zu Lefebvres Odaliske zu bestehen: Auch Braquehais’ Inszenierung wirkt orientalisch, wenngleich dies weniger aus den räumlichen Details als primär aus dem exotischen Haarschmuck resultiert: Die Frau trägt ein filligranes Rondell aus Perlen auf dem Hinterkopf, das mit einem verzierten Band an der Stirn befestigt ist. Ihr Gesicht ist – ähnlich wie bei Lefebvre – im profil perdu zu erahnen. Sie ist jedoch stärker vom Betrachter abgewandt und befindet sich somit in einem unverfänglicheren absorptiven Modus.174 Die Pose und Komposition erinnert zugleich an

173 Roger Thérond sammelte seit den 1970er Jahren Daguerreotypien. Er war selbst jahrelang Chefredakteur von Paris Match und stellte seine Sammlung unter anderem 1999 für die Ausstellung Une passion française. Photographies de la collection Roger Therond im Maison Européene de la Photographie zur Verfügung. 174 Anzumerken ist, dass Bruno Braquehais zahlreiche Aktfotografien in den 1850er und 1860er Jahren inszeniert hat, die mehrfach Zensuren und Razzien provozierten, cf. MCCAULEY (1994), Kapitel 4, S. 149– 186. Viele seiner Akte sind – vermutlich als künstlerische Legitimiation – mit Requisiten überladen und weisen Bezüge zu klassischen Posen auf.

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Ingres’Badende von Valpinçon (La Baigneuse Valpinçon, 1808, Musée du Louvre, Paris) und deren Vorläuferin, die Badende Halbfigur (Baigneuse à mi-corps, 1807, Musée Bonnat, Bayonne). Im Vergleich von Nowaks Game und Braquehais’ Weiblichem Akt mit Perlenkopfschmuck ist einerseits der rekontextualisierende Rekurs auf eine überlieferte Pose auffällig und andererseits die Fragmentierung der Rückenansicht. Braquehais wählt einen Bildausschnitt, der die Lagernde am Unterschenkel beschneidet, sowie eine künstliche Beleuchtung, die das dunkle Haar mit dem Hintergrund verschmelzen lässt. Der Kopf ist primär über den auffälligen Haarschmuck präsent. Bei Nowak ist das Haupt ebenfalls nicht unmittelbar sichtbar, sondern fusioniert farblich mit der Landschaft. Ist es Zufall, dass die Künstlerin ihren Akt mit einem Kopftuch versehen hat, wie es auch in zahlreichen Odalisken-Darstellungen, u.a. von Ingres, vorgeführt wird? Spielt Nowak hier auf die Bildtradition orientalisierender Liegender an, die ebenfalls meist lagernd, oft fragmentierend und in Rückenansicht präsentiert wurden? Aus den vielfältigen Vergleichsmöglichkeiten geht hervor, dass Game zwischen verschiedenen Bildtraditionen oszilliert und dabei ein vages Déjà-vu-Erlebnis bewirkt: Qua Pose, Bildaufbau, Blickführung und Fragmentierung werden multiple Interbilder und begleitende Narrative abrufbar. Trotz der Unbestimmtheit der Bezüge impliziert Nowaks Fotografie den Eindruck eines ›Schon gesehen‹, der sich mit dem temporalen Rückverweis des Lichtbildes und dessen unausweichllicher zeiträumlicher Verschiebung weiter kompliziert. Nicht ein Präsentmachen des Vergangenen steht im Vordergrund, sondern eine transformative Retrospektion, bei der gleichermaßen »die Gegenwart in die Vergangenheit zurückgebracht« 175 wird: Im Déjà vu reaktualisieren und regenerieren sich die memorierten ›Prätexte‹. Es wäre hierbei allerdings falsch, diese ambivalente Austauschbewegung rein motivischinhaltlich oder rein stilistisch zu betrachten: Vielmehr gilt es auch, die medialen bzw. pikturalen Anlagen – also die Gattungsgrenzen, Bildkategorien und Medienbegriffe – zu reflektieren, die stets aufs Neue verhandelt bzw. redefiniert werden. Interferenzen und kategoriale »Ausfransungen« sind hierbei ein zentraler Aspekt ›zitativen‹ Arbeitens: So lässt sich konstatieren, dass sich Nowaks Game mit kanonischen Bildformeln, mit kriminalistischen Aufnahmen und mit erotischer Fotografie bzw. Werbefotografie assoziieren ließen. Die Relevanz dieser transversalen Bezüge wurde im vorliegenden Kapitel betont. Auch wurde angedeutet, dass gerade durch die Zusammenführung von Gattungen, durch deren Hybridisierung und/oder Rekontextualisierung, Grenzziehungen (etwa: zwischen Zeigbarem und Tabu,

175 In Anlehnung an eine Formel von Laura Mulvey in: MULVEY, Laura: »Passing Time: Reflections from a New Technological Age«, in: Screen, H. 45.2, Sommer 2004, S. 142–155, hier: S. 143, »bringing the present into the past«.

E. Zeit, Gedächtnis und Referenz – Rita Nowak | 233

Künstlerischem und aus dem Kunstdiskurs Ausgegrenztem) aufgeweicht werden und neue Bildtypen entstehen. Im nächsten Kapitel sollen am Beispiel von Fotografien der russischen Künstlerin Tatiana Antoshina analoge Prozesse untersucht werden: Durch strategisch variierte ›Zitate‹ sollen hier Effekte der Irritation des Bildgedächtnisses wie auch eine Verschiebung kanonischer Formeln erzielt werden. Doch wie verhalten sich intendierte Wirkung und Rezeption zueinander?

F. Differierende Wiederholung in Tatiana Antoshinas Museum der Frau

Im vorangehenden Analyseteil arbeitete ich heraus, dass sich pikturale ›Codes‹ bzw. Bildformeln durch variierende Wiederholung nicht nur verfestigen, sondern auch kunsthistorisch bzw. ikonografisch verschieben können. Als erste zentrale Konklusion hielt ich am Beispiel von Rita Nowaks Fotografie Game fest, dass hier einerseits die ikonografischen Programme verschiedener Akt- und Nacktdarstellungen des 16. bis 19. Jahrhunderts assoziativ abrufbar werden. Andererseits erfolgt aber auch eine Rekontextualisierung und Verknüpfung mit anderen Bildarten. Hierdurch – wie gleichermaßen auch durch die Wahl des Mediums und die konkrete künstlerische Umsetzung – wird eine mythologische Lesart von Game als Venusoder Nymphendarstellung unterwandert. Ein de- und resemantisierendes Vorgehen in ›Bildzitaten‹, so meine zweite zentrale Konklusion, ist jedoch kein Novum. Es entspricht vielmehr einer in gewandelter Form stets gegebenen Praxis1 verschiedener, teils medienübergreifender ›Zitationsverfahren‹. Den künstlerischen Wiederholungsprozess habe ich als eine Form von Spiel bewertet, das Abweichungen impliziert und selbst auf das ›Kanonische‹ verändernd zurückwirken kann. Ließe sich die Praxis einzelner re-inszenierend arbeitender Künstler dann aber auch auffassen als eine Art iterativer Akt, der über das Bildliche hinaus eine Wirkmacht entfaltet?2 Gibt es Analogien zwischen dem pikturalen Re-

1

So variieren beispielsweise die Rekursarten von Appropriation Art und Kabinettdarstellungen des 17. Jahrhunderts deutlich.

2

Cf. Kapital C.2.3. Zu Derridas Konzept oder Non-Konzept der Iterabilität: »iter, nochmals, kommt von itara, anders im Sanskrit, und alles Folgende kann als Ausbeutung dieser Logik verstanden werden, die die Wiederholung mit der Andersheit verknüpft«, DERRIDA (1972/2001), S. 24. Iterabilität gilt Derrida als zentrales Charakteristikum von Schrift-Zeichen. Schriftsprache ist folglich durch zitatähnliches Wiederholen und Transformieren gekennzeichnet: jedes Zeichen kann mit seinem überlieferten »Kontext bre-

236 | Déjà-vu-Effekte

petieren auf der einen Seite sowie, auf der anderen Seite, den Wiederholungsprozessen in ritualisierten Handlungen, Identifikationsprozessen und in sprachlichen Akten, wie sie insbesondere Judith Butler und Jacques Derrida beschreiben? Ein Zeichen oder eine Zeichenkette würde in diesem Sinne wiederholt, um gemäß gesetzter Regeln ›lesbar‹ und wirksam zu sein3, aber auch, weil es zu deren struktureller Grundanlage gehörte, in neuen Kontexten repetiert und modifiziert werden zu können. Zugleich könnte sich auch in minimalsten Differenzen bereits ein nachhaltiger Bruch mit Verwendungskonventionen vollziehen, der potenziell eine Umformung der latent wirkenden Regulative des Darstellens und Interpretierens befördert. So könnte die Repräsentationslogik bzw. das signifikationsbildende »Gesetz […] nicht nur abgelehnt werden, sondern auch aufgesprengt, in eine Neuformulierung hineingezwungen werden«, wie sich mit Butler formulieren ließe.4

chen« und endlos rekontextualisiert werden. Dadurch entstehen neue Funktionen und Bedeutungen. DERRIDA (1972/2001), S. 32 und S. 27–28. 3

DERRIDA (1972/2001), S. 32, wirft die Frage auf, ob nicht die Wiederholbarkeit von Zeichen (sprachlich wie nicht-sprachlich) für ein Gelingen jedweder Sinnkonstitution unerlässlich sei: Dabei seien Sinn (bzw. »idealer Gehalt«, S. 23) und Bedeutung keine statisch dem Akt des Sprechens vorgängige, unveränderliche Gegebenheit. Vielmehr erlaube die strukturelle Iterabilität, dass Zeichen [marques] und Zeichenkombinationen nicht nur in Abwesenheit ihres Empfängers und ihres Senders wiederholt werden, sondern auch »in Abwesenheit […] ihres ›Referenten‹« und was noch wichtiger ist, »in Abwesenheit eines bestimmten Signifikats oder der aktuellen Bedeutungsintention [intention de signification], wie jeder anwesenden Kommunikationsintention« (S. 29). Hierdurch wird selbstverständlich auch jedes »›ursprüngliche‹ Sagen-Wollen« [vouloir-dire ›originel‹, ebd. S. 32] abgeschnitten. Dies ist freilich kohärent mit Derridas gegen jede Metaphysik der Präsenz und des transzendentalen Grundes arbeitendes Denken: Der Philosoph verwirft jede Ursprünglichkeit vor der Dynamik der Schrift [écriture] im erweiterten Sinne. Judith Butler (1997/2006 und 1995) setzt in ihrer Performativitätskonzeption bei Derrida an, betont aber, dass dieser zu sehr auf den »strukturellen« (S. 223) Moment des Iterierens fokussiere, anstatt (wie etwa Bourdieu) auch auf soziale Wirkmechanismen von Wiederholungsprozessen zu blicken. Bourdieu wirft sie wiederum vor, dass er die Transformierbarkeit bzw. den möglichen Bruch im Ritual (also just der Verschiebung, die Derrida reflektiert) nicht Rechnung trägt: »Seine Perspektive sieht nicht […] die widerständige ›Wirkungskraft‹ des zensierten Sprechens« BUTLER (1997/2006), S. 223. Wenn wir hingegen »ein fehlerhaftes oder falsches Aufrufen als Reiteration verstehen, sehen wir, wie die Form gesellschaftlicher Institutionen einem Wandel unterworfen ist und sich verändert« (S. 230).

4

BUTLER (1993/1999), S. 174.

F. Differierende Wiederholung – Tatiana Antoshina | 237

Eine Übertragung von Butlers für Gender-Performativität formulierte Gedanken zur »Aneignung und Subversion«5 auf Strategien der Appropriation Art erfolgte bereits unter anderem durch Isabelle Graw und Stefan Römer.6 Auch wurde in weiterer einschlägiger Literatur zu künstlerischem Wiederholen nicht versäumt, Abbildung 21.1/FT. 17: Tatiana auf den theoretischen Beitrag des But- Antoshina, Ländliches Konzert lerschen Denkmodells zu verweisen.7 (Сельский Концерт), 1996, Der Transfer dieser Überlegungen, die C-Print, 84 x 75 cm. Subjektivierungsprozessen8 gelten, sollte jedoch ebenso kritisch reflektiert werden wie eine vorschnelle Bewertung aneignender Praktiken als subversive Akte. Das aktuelle Kapitel diskutiert variierende Wiederholung als einen möglicherweise widerständigen, möglicherweise aber auch systemerhaltenden Mechanismus innerhalb von Bildordnungen: Unter welchen Bedingungen könnte eine differenzielle Repetition eine Verschiebung oder gar eine semantische Aushöhlung des sedimentierten Kanons herbeiführen? Und inwieweit

5 6

Ebd. S. 171. Cf. GRAW, Isabelle: Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, Köln: Dumont, 2003a, S. 36–38 und S. 90 bzw. ergänzend in der hierzu textnahen Dissertation Graws: Dies.: Aneignung und Ausnahme. Zeitgenössische Künstlerinnen: Ihre ästhetischen Verfahren und ihr Status im Kunstsystem, Diss. Europa-Universität Viadrina (Kulturwissenschaftliche Fakultät), Frankfurt a. d. Oder, 2003b, online: http://edocs.ub. euv-frankfurt-o.de/data/dissertations/kuwi/2003/graw.isabelle.pdf [eingesehen am 12.11. 2014], S. 20, S. 40 und S. 78–79. Siehe weiterhin RÖMER (1998), S. 90.

7

Z.B. REBENTISCH, Julia: »Zur sprachpragmatischen Kritik der (post-)strukturalistischen Subjektkritik. Judith Butler revisited«, in: BUCHMANN, Sabeth et al. (Hg.): Wenn sonst nichts klappt. Wiederholung wiederholen in Kunst, Popkultur, Film, Musik, Alltag, Theorie und Praxis, Hamburg/Berlin: Materialverlag und b_books, 2005; WOLF, Anne: »Appropriation meets Subversion. Zum Aneignungskonzept bei Judith Butler«, in: Texte zur Kunst, H. 46 (Appropriation Now!), 06/2002, S. 70–77.

8

Subjektivierung im Sinne einer »befähigenden« und unterwerfenden »Konstitution«, cf. BUTLER (1993/1999), S. 175.

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entsprechen divergente Bilder »Resistenzpunkten«, die bereits in der Struktur von Bildordnungen angelegt sind9 bzw. die aus deren Inneren heraus das piktural Unübliche, Zuwiderlaufende, ›Verworfene‹ zurück ins Spiel bringen?10 Im Fokus dieses Kapitels stehen Fotografien der Russin Tatiana Antoshina (*1956).11 Die Künstlerin ist Absolventin der Akademie von Krasnoyarsk in Bildhauerei und Keramik sowie des Stroganoff-Instituts im Fach Kunstgeschichte. Seit den 1990er Jahren war sie auf zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten, beispielsweise in London (Museum of a woman, White Space Gallery, 2002), Berlin (After the Wall, Hamburger Bahnhof, 2000), Wien (Gender Check, MUMOK, 2009) und New York (From Non-conformism to Feminism: Russian Women Artists from the Kolodzei Art Foundation, Chelsea Art Museum, 2008). Ihr bislang bekanntestes fotografisches Projekt, das Museum der Frau (музе́й женщины)12, soll im Folgenden vorgestellt werden.

9

In Anlehnung an Foucaults Konzeption von Widerstandspunkten. Bezogen auf Dispositive konstatiert Foucault, dass in deren Kern stets die eigenen »points de résistance« angelegt seien, die zugleich einen integralen Bestandteil darstellten und sich innerhalb des Dispositivs als Gegenprogramm ausgeben würden, das potenziell zu Veränderungen führt. FOUCAULT (1976), S. 110–112 (frz.) bzw. FOUCAULT (1976/1983), S. 125–126 (dt.). Anknüpfend an Foucault betont auch Jürgen Linke, dass Abweichungen konstitutiv seien für die Selbsterhaltung der Struktur und beispielsweise jede Subkultur notwendig auch den Mainstream festige: LINKE, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird (2006), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 42013.

10 Diskussionswürdig wäre hier, ob es angesichts der Omnipräsenz reproduzierbarer Bilder überhaupt einen definierbaren Bereich des Verworfenen und des kanonisch Genormten geben kann bzw. in welchem Verhältnis Pluralität und Singularisierung von (ikonischen) Bildern zueinander stehen. Cf. GANZ, David/THÜRLEMANN, Felix: »Zur Einführung. Singular und Plural der Bilder« (2010b), in: Dies. (Hg.): Das Bild im Plural: mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart, Berlin: Reimer, 2010a, S. 7–38. 11 In Künstler-Verzeichnissen und Katalogtexten figuiert die Künstlerin auch oftmals unter der Kurzform Tania oder Tanya Antoshina. Ihr Werk wird in der Kunstkritik mit Aspekten der Gender Studies bzw. feministischer Theorien in Verbindung gebracht, cf. BAIGELL,

Renee/BAIGELL, Matthew: Peeling Potatoes. Painting Pictures: Women Artists in

Post-Soviet Russia, Estonia, and Latvia, New Brunswick, N.J.: Rutgers University Press, 2001, S. 9. 12 Das Museum der Frau ist online einsehbar unter http://www.guelman.ru/mzh/ant.html [eingesehen am 11.06.2018]. Es umfasst: Юноша на шаре/Junge auf einem Ball (nach Picasso), Клятва /der Schwur (nach David), В ателье художника /Im Atelier des Künstlers (nach Vermeers Bei der Kupplerin), А ты ревнуешь?/Bist du eifersüchtig? (nach Gauguin), Сельский концерт/Ein ländliches Konzert (nach Tizian), Олим-

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In dieser zwölfteiligen Serie, die zwischen 1996 und 2000 entstand, reinszeniert die Künstlerin Klassiker der Kunstgeschichte und überführt sie ins Medium der Fotografie. Antoshina greift dabei auf malerische Referenzen von Cranach über Ingres und David bis hin zu Picasso zurück. Wie unter anderem in ihrem Ländlichen Konzert (Abb. 21.1/FT.17, Сельский концерт) deutlich wird, ist die Interpretation der gewählten ›Vorlagen‹ meist vergleichsweise frei: Zwar spielen in diesem Foto der Titel, die Figurenkonstellation sowie das Thema der musizierenden, teils hüllenlosen Sitzgruppe Abbildung 21.2/FT. 18: Tizian, Ländliches im Grünen auf das gleichnamige Konzert (Le concert champêtre), um 1510, Gemälde Tizians an. Der Blick- Öl auf Leinwand, 110 x 138 cm. winkel und die genaue Anordnung der Personen im Raum weichen jedoch ab. Auch die Kleidungsstücke bzw. Stoffe der Bildfiguren erinnern nur in der Farbigkeit an Tizians Ländliches Konzert (Abb. 21.2/FT. 18, Le concert champêtre, um 1510, Musée du Louvre, Paris). Zudem sind im Hintergrund orthodoxe Sakralbauten statt südländischer Landhäuschen zu sehen; die Flöte der Figur rechts wurde durch ein Saxophon ersetzt. Die Übertragung ins Fotografische ist zunächst aktualisierend, verspricht dieses Medium doch eine Anbindung an den raumzeitlichen Kontext der Aufnahme. Zugleich ist die Realisierung durch Antoshina aber auch überaus humorvoll: In ihrem Ländlichen Konzert wird das Motiv des Schöpfens aus einer arkadischen Quelle als Sektausschank mit Pappbechern inszeniert. Die Kostümierung und das Spiel der Bildmodelle wirken – wie im Übrigen auch bei vielen anderen Fotografien der Serie – betont dilettantisch und parodierend.13

пус/Olympus und Завтрак на траве /Frühstück im Grünen (beide nach Manet), Источник /Die Quelle und Сандуны/Das türkische Bad (beide nach Ingres), Игра в карты/Das (Karten-)Spiel (nach Cézanne), Автопортрет с алешей на коленях/Selbstporträt mit Alyosha (nach Rembrandt), Яблоко раздора/Das Urteil des Paris (nach Cranach). 13 Zu Antoshinas bewusst imperfekter, humorvoller ›Zitatpraxis‹ cf. auch KÖHLER (2011), S. 54–59. Auch Hildebrand-Schat spricht von einem »komödiantischen Spiel« insbesondere der männlichen Protagonisten, cf. HILDEBRAND-SCHAT, Viola: »Appropriation oder

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Ebenso zentral und im Museum der Frau konsequent umgesetzt ist die Vertauschung von Rollen: Männliche Modelle übernehmen den weiblichen Part der kunstgeschichtlichen Bildvorlage und männlich konnotierte Rollen werden von Frauen gestellt. Die Wahl der ›Referenzbilder‹ ist offensichtlich maßgeblich, weswegen teils auch im Titel konkret auf diese verwiesen wird. In den ›zitierten‹ Werken tritt der Mann – so Antoshina – »als kreatives geistiges Wesen« auf, während Frauen eher Objekte als Subjekte seien und »das Passive, Ursprüngliche, Dunkle, Sexuelle, Körperliche«14 darstellen würden. In Abgrenzung zu den überlieferten Narrativen der Kunstgeschichte, die Antoshina als »Museum des Mannes« bezeichnet, wollte sie ein fotografisches Museum kreieren, das stereotype Vorstellungen umzukehren versuche. Kann die Künstlerin aber durch den Zweischritt von ›Zitation‹ und (parodistischer) Rolleninversion jenen Blick- und Bildordnungen entkommen, die sie offenbar zu kritisieren sucht? Anders formuliert: Erfolgt durch die strategische Abweichung bereits eine wirksame Kritik an den ›Bildvorlagen‹? Inwieweit können hier das Bildgedächtnis des Betrachters und die Eigendynamik der Bilder zu einem gegen die Intention der Künstlerin gerichteten Widerhaken werden? Diese Fragestellung soll an einem einzelnen konkreten Bildbeispiel der Serie diskutiert werden, an welchem sich auch das Gesamtkonzept des Museums der Frau darlegen lässt. Olympus (Олимпус ,1996) bezieht sich in hohem Maße (u.a. auch paratextuell durch den Titel) auf Edouard Manets berühmte Olympia (1863, Musée d’Orsay, Paris), obschon selbstverständlich weitere Verweise denkbar sind. In einem ersten Schritt werden die gezielten wie auch unausweichlichen bzw. nicht kontrollierbaren Abweichungen der Re-Inszenierung gegenüber Manet untersucht. Bezogen auf Olympia, die selbst zahlreiche Reprisen erfahren hat, werden darüber hinaus Motivwanderungen und reflexive Momente des Iterierens nachgezeichnet. Weniger Aby Warburgs kunsthistorische Figur der engrammatischen ›Pathosformel‹ soll bei diesen Wiederholungsformen in Anschlag gebracht werden als vielmehr das bereits im Vorkapitel genannte Denkmodell Derridas15 und die Wei-

Simulacrum? Zur Funktion und Absicht interpiktorialer Bezüge in der zeitgenössischen russischen Kunst«, in: ISEKENMEIER (2013a), S. 219–236, hier: S. 231. 14 ANTOSHINA, Tatiana: »Museum der Frau«, in: TRÜBSWETTER, Iris (Hg.): Iskusstwo. Neue Kunst aus Moskau, St. Petersburg und Kiew, Ausst.-Kat. Kunstverein/Städtische Galerie Rosenheim, 12.01.–25.02. 2001, u.a., Rosenheim 2000, S. 24. 15 Wenngleich primär auf sprachliche Prozesse angewandt, sollen Derridas Überlegungen zur différance und itérabilité hinsichtlich einer partiellen Übertragbarkeit auf Bildwiederholungen diskutiert werden. Wohlgemerkt weist der Philosoph selbst darauf hin, dass jedes Verweisungssystem einer différance unterliege, cf. DERRIDA (1968/2004), S. 124: Die différance sei »jene Bewegung, durch die sich die Sprache oder jeder Code, jedes Verweisungssystem im allgemeinen ›historisch‹ als Gewebe von Differenzen konstitu-

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terführung seiner ›Iterabilität‹ im Performativitätsbegriff Judith Butlers.16 In welchen Punkten stoßen wir im Theorietransfer auf Reibungen und Analogien, wo liegen die Grenzen der Übertragbarkeit auf Prozesse der Bilditeration?

1. OLYMPUS (1996) Antoshinas großformatige Fotografie Olympus (Олимпус, 1996, Abb. 22.1, FT. 19) zeigt in einem reduziert wirkenden Bildraum eine Schlafzimmeransicht mit zwei primären Ebenen: Visuell klar definiert ist zunächst der in hellen Farben gehaltene Vordergrund, der die untere Bildhälfte umfasst inklusive der Seitenpartien. Im Kontrast zu diesem steht der flächig wirkenden Hintergrund, der durch eine braune und eine grüne Stoffbahn konstituiert wird. Im vorderen Bereich zu sehen ist eine weißbespannte Matratze, die den gesamten Raum zwischen den engen Seitenwänden einnimmt. Im Zimmer befinden sich drei Bildfiguren: Zum ersten ein auf dem Bett liegender unbekleideter Mann, der lachend und die Hand vor die Scham setzend zum Betrachter blickt. Sein heller Körper markiert eine bildteilende Waagrechte. Zum zweiten präsentiert sich hinter dem Liegenden ein aufrecht stehender dunkelhäutiger Mann mit Bartansatz, rosafarbenem Regenponcho und Blumenstrauß. Er

iert.« In Signature Événement Contexte, wo er die Iterabilität stark macht, sind der Ausgangspunkt Étienne Bonnot de Condillacs Essai sur l’origine des connaissances humainpes (1746) und John Austins Sprechakttheorie (How to do things with words), die er mit der eigenen, z.B. in De la grammatologie formulierten Metaphysik- und Präsenzkritik verbindet: Weder sei die Schrift – wie bei Condillac – dem Denken, Gestikulieren und schließlich dem Sprechen nachrangig, noch gebe es einen ursprünglichen, reinen Sinn oder auch einen gesättigten Kontext, der eine interferenzfreie Übertragung des intendierten »Sagen-Wollens« des Senders sicherstellt. Stattdessen arbeitet die Sprache (und auch hier wäre ergänzbar: jedes Verweisungssystem) mit Supplementierungen, Abwesenheiten und permanenten Verschiebungen, cf. DERRIDA (1972/2001). Cf. ferner auch DERRIDA, Jacques: De la grammatologie, Paris: Minuit, 1967c, S. 21 bzw. die Dt. Version: Grammatologie (1967), übers. von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983, S. 23, wo Derrida explizit sein »radikalisierte[s]«, gegen jeden logozentrischen Seinsgrund gerichtetes Verständnis der Schrift darlegt. 16 Die Philosophin bezieht sich insbesondere in Körper von Gewicht [Bodies that Matter, 1993] und Hass spricht [Excitable Speech, 1997] explizit auf Derridas Auseinandersetzung mit Austin bzw. Searle, um zu einem handlungsbezogenen und identitätsformierenden Konzept performativer Wiederholung zu gelangen. Performativität vollzieht sich nach Butler nicht durch vereinzeltes Sich-Ereignen, sondern durch alltägliches Zitieren, das zu einem gewissen Grade stets differentiell sei.

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ist an der Schwelle zum Hintergrund positioniert, von dessen Flächigkeit wie Tonalität er sich scherenschnittartig abhebt. Zum dritten, und hier handelt es sich um kein Bildpersonal im eigentlichen Sinn, sitzt am Bettrand eine schwarze, mit Glanzlack bemalte Keramikkatze. Diese profane ›Dreifaltigkeit‹ der Bildfiguren wird in der Komposition aufgegriffen. Durch die Seitenwände, die sich im Helligkeitswert mit dem blassen Körper des Liegenden und der Matratze verbinden, entsteht eine oben aufgebrochene RahAbbildung 22.1/FT. 19: Tatiana Antoshina, Olympus mung, die den Blick weiterführt zum Hintergrund. (Олимпус), 1996, C-Print, 75 x 86 cm. Bei genauerem Hinsehen ist die eingangs skizzierte Ebenenaufteilung weiter zu differenzieren: Der Raum zwischen den Seitenwänden erweist sich nicht als Vordergrund, sondern als minimal nach hinten versetzten Mittelgrund, da eine weitere Ebene vorgeschaltet ist. In den unteren beiden Bildecken sind ein rot gemusterter Teppich sowie ein Türgesims sichtbar. Beides deutet eine Ausdehnung ins Off des Bildes an. In diesem verschachtelten Raum spielt die Szene (einer Bühne gleich) in einem präzise definierten Bereich, dessen Rahmung sich jedoch potenziell nach Außen, in Richtung des Betrachters, erweitern lässt. In Antoshinas Mise en scène wird offenbar der fotografische Realitäts- und Raumeffekt gezielt gestört – und zwar sowohl durch vorfotografische Parameter als auch durch apparative Einstellungen: Die eng zusammenstehenden, mit einem altmodischen Blumenmuster tapezierten Seitenwände wirken schief und instabil. Die Kameraperspektive unterstreicht die Artifizialität dieses puppenstubenartigen Schlafzimmers: Der Standpunkt wurde so gewählt, dass nicht nur die enge Raumbegrenzung erkennbar ist, sondern dass zudem auch das Ende der offenkundig sehr dünnen linken Wand gerade noch im Bild ist. Die Szene selbst ist in flacher Aufsicht zu sehen, wodurch ein Eintreten des (stehenden) Betrachters in das Zimmer simuliert wird. Dabei suggeriert die Anordnung keine illusionistische Tiefe des bühnenartigen Raums. Durch fotografische Mittel potenziert Antoshina gar noch dessen ohnehin gegebene Flachheit. Sie wählt eine helle, frontale Lichtquelle und wahrscheinlich eine geringe Blendenöffnung, um die Schärfentiefe zu steigern. Durch die direkte, intensive Beleuchtung verlieren vor allem die hellen Partien des Vordergrunds an Zeichnung und werden verflacht. Kurzum: Olympus betont auf mehreren Ebenen den eigenen Konstruktionscharakter –

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räumlich-fotografisch durch die genannten Irritationsmomente, aber auch motivisch durch u.a. die künstliche Katze und die amateurhafte Kostümierung des Blumenboten. Darüber hinaus wird die Gemachtheit dadurch manifest, dass die Fotografie offenkundig auf ein berühmtes Gemälde rekurriert: Olympus ruft in der Figurenkonstellation, Pose und teils auch in der Raumgliederung unter anderem Edouard Manets Gemälde Olympia in Erinnerung. Dieses verweist als ›Vor‹- oder ›Zwischenbild‹ auf die Mittelbarkeit von Antoshinas Inszenierung und zeichnet die beiden Männer als Akteure eines vor der Kamera ausgerichteten Tableau vivant aus. Auffallend ist in diesem Zusammenhang das Lachen der beiden Hauptfiguren, das sowohl aus einer Auseinandersetzung mit der übernommenen Pose und Rolle rühren könnte als auch der Irritation des Betrachters und der Komplizenschaft mit Antoshina gelten könnte. 1.1 Olympia/Olympus: Wechselwirkungen, Transformationen Manets Olympia (1863, Abb. 22.2/FT. 20), das mutmaßliche ›Vorbild‹, präsentiert auf einer von unsauberem Weiß sowie Braun- und Grüntönen dominierten Leinwand eine hüllenlose, blasse Kurtisane mit schwarzem Halsband und einer Stoffrose oder Orchidee im Haar. Begleitet wird sie von ihrer dunkelhäutigen Zofe und einer schwarzen Katze. Erstere steht vor einem zweifarbigen Hintergrund, trägt ein hellrosa Kleid und streckt dem Betrachter einen Blumenstrauß entgegen, dessen Schutzpapier sie vorsichtig lüftet. Die Katze wiederum sitzt, wie auch in Antoshinas Mise en scène, am Bettende. Sie wurde in der Kunstkritik als ebenso erotisierende wie belustigende Beigabe interpretiert.17 In der Komposition und hinsichtlich des Bildpersonals referiert Antoshinas Fotografie auf Manets Ölgemälde, ohne eine größtmögliche Ähnlichkeit zu suchen. Auch unterstreicht der Bildtitel einen möglichen Bezug: Olympus lässt sich als die Maskulinform von Olympia interpretieren, zugleich kann dieser Name jedoch auch als Referenz auf den bekannten Kamerahersteller und somit metonymisch für die lichtbildnerische Umsetzung gelesen werden.18 Die geschlechtliche Rollenbesetzung des berühmten Kurtisanenbildes wird bei Antoshina gemäß der Gesamtkonzeption ihres Museums der Frau verkehrt und mit Reibungseffekten versehen: Ein männliches, unbekleidetes Modell und sein ›Blumenbote‹ rücken an die Stelle des weiblichen Bildpersonals.

17 Cf. z.B. CLARK, T. J.: The Painting of Modern Life: Paris in the Art of Manet and His Followers (1984), Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1986, S. 297, Fn. 145 (zeitgenössische Kritiken). 18 Dank an Professor Annette Tietenberg für diesen interessanten Gedanken.

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Olympus ist ein schlanker Mann mit ausgeprägter Beinbehaarung, der nichts anhat außer einer Herrenarmbanduhr und einer Medaillonkette. Die Figur der Bediensteten erfährt eine vergleichbare Umwandlung. Ihr ›Analogon‹ hat einen Bartansatz und trägt, neben einem massiven Kopftuch, einen Regenüberwurf, unter dem eine beige Hose mit Herrengürtel hervorblitzt. Das Verhältnis des Bildpersonals zueinander unterscheidet sich in beiden Bildern grundlegend: In Antoshinas Fotografie sind die Figuren durch ihr mehrdeutiges Lachen verbunden. Die Männer scheinen einen ebenbürtigen Status zu genießen. Manets Liegende wirkt hingegen gegenüber ihrer devoten Bediensteten und dem Betrachter kühl Abbildung 22.2/FT. 20: Edouard Manet, Olympia, und distanziert. Laut 1863, Öl auf Leinwand.130 x 190 cm. Bernheimer ignoriert sie unverhohlen ihre Zofe, die stellvertretend für ›uns‹ oder für einen Kunden Blumen überbringe. Die soziale und ethnische Diskrepanz der Figuren sei hierbei maßgeblich: Olympia werde – obschon auf ambivalente Weise – als besser betuchte Kurtisane oder gar als unterhaltene Mätresse dargestellt, die sich augenscheinlich eine exotische Bedienstete ›leisten‹ könne, so Bernheimer.19 Macht- oder gar Besitzverhältnisse klingen in dieser Konstellation an. Demgegenüber wirken Olympus und sein Gefährte egalitär und komplizenhaft. Ihr Lachen und die Kostümierung des Stehenden betonen den Spielcharakter der Inszenierung. Im Vergleich zu anderen ›Instanzen‹ des Olympia-Motivs, etwa von Yasumasa Morimura (Portrait/Futago, 1988), Jan Bannings (Black Olympia, National Identities, 2007) oder Rita Nowak (Amechi, 2007), konzentriert sich Antoshina zunächst bzw. am offensichtlichsten auf die Umkehrung der Geschlechterrollen. Dabei ist das ethnisch-soziale Spannungsgefüge, das sich bei Olympia in einer Asymmetrie ausdrückt zwischen der Kurtisane und ihrer Zofe, bei der russischen Künstlerin nicht vordergründig. Dies ist vor allem bemerkenswert, da zeitgenössische Kritiker Manets gerade die exotische Herkunft der Bediensteten

19 BERNHEIMER, Charles: »Manet's Olympia: the Figuration of Scandal«, in: Poetics Today, Bd. 10, H. 2, Sommer 1989, S. 255–277, hier: S. 272.

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mit Animalität und übersteigerter Sexualität assoziierten, die sie zurück auf die hellhäutige Liegende projizierten.20 Auch spielten Aspekte der Käuflichkeit und der Warenwerdung eine hintergründige Rolle in der Bildrezeption. Dieser diskursive Kontext von Manets Bild scheint in Antoshinas Umsetzung sekundär, wenngleich er als Déjà vu bzw. Déjà lu mitgelesen werden kann, sobald Olympus mit Olympia assoziiert wird. Der Russin geht es nicht darum, eine Boudoirszene des 19. Jahrhunderts genau zu rekonstruieren, sondern sie sucht eine Transformation, die die bildnerische Inszeniertheit offenlegt und zugleich die Künstlichkeit von Geschlechterrollen exponiert: Olympus wurde in einem spärlich eingerichteten, kulissenhaften Schlafzimmer der 1990er Jahre inszeniert. Bedeutungstragende Gesten wie das dezente Zurückschlagen des floralen Schutzpapiers durch Manets Zofe, aber auch sprechende Details wie die halb abgestreiften Sandalen der Kurtisane, werden nicht übernommen. Das parodistische Moment von Antoshinas Mise en scène ist dabei entscheidend: In der Hauptrolle des Aktes zu sehen ist der Ehemann der Künstlerin (›Alyosha‹ bzw. Alexey Tobashov), der sich als wiederkehrendes, meist humorvoll inszeniertes Modell des Museums der Frau herausstellt und dabei die Tradition von Muse und Künstler(in) thematisiert. Doch was bedeutet es, hier von einem parodistischen Moment zu sprechen? Welche Funktionen und Wahrnehmungsweisen sind assoziiert? 1.2 Zitation in Schieflage. Zum Modus der Parodie Folgt man den in Teil C vorgeschlagenen Einteilungen nach Funktionen der Intertextualität, die im Kontext der Arbeiten Rita Nowaks und Sam Taylor-Johnsons um allgemeinere Aspekte der Betrachterimplizierung und der Zeitenverschränkung erweitert wurden, dann bliebe erstens zu diskutieren, welcher Kategorie Olympus am ehesten entspricht (affirmativ, konfrontativ, integrativ: spielerisch/dokumentarisch). Zweitens wäre zu fragen, wie sich der Modus der Parodie zu diesen positioniert bzw. inwiefern Antoshinas Fotografie überhaupt als ›parodistisch‹ bezeichnet werden kann.

20 Einzelne Kommentare um 1865 verschmolzen das Bild der Zofe wie auch der Kurtisane mit der Hottentotten-Venus, um eine andersartige und ›bedrohliche‹ Sexualität Olympias zu behaupten. Andere bezeichneten die Kurtisane als animalischen Gorilla (z. B. Amédée Cantaloube, abgedruckt in: »Various Artist on Manet’s Olympia«, in: GAIGNER, lason/HARRISON, Charles/WOOD, Paul (Hg.): Art in Theory 1815-1900: An Anthology of Changing Ideas, Oxford: Blackwell, 1998, S. 514–519, S. 517. Wichtig hinsichtlich der (bei der Kurtisane gelblich-blaßen, unreinen) Hautfarbe sind auch damals geführte Debatten zum Inkarnat in der Malerei, cf. FÖRSCHLER (2010), S. 156.

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Olympus ließe sich als affirmativ bewerten, wenn es sich um eine Hommage Manets handelte oder wenn Antoshina im weitesten Sinne positiv Stellung zur evozierten Bildtradition beziehen würde. Konfrontativ erschiene die Inszenierung, wenn sie einen kritischen Abstand einnehmen würde gegenüber dem ›zitierten‹ Gegenstand, seiner Institutionalisierung oder auch dem referierten Künstler. Als integrative Praxis wäre das Vorgehen hingegen zu bewerten, wenn die Referenz (wie tendenziell bei Nowak) zum spielerischen Selbstzweck würde oder wenn eine dokumentarische Ansammlung von Einzelstücken vorläge.21 Betrachtet man Manets Olympia als ›die‹ Vorlage der untersuchten Fotografie – was an sich bereits ein zweifach problematischer Ansatz ist, da dadurch die Bildreferenz singularisiert und ahistorische Wechselwirkungen ausgeblendet werden –, dann ist hinsichtlich der Rekursfunktion nicht nur die Ähnlichkeit herauszuarbeiten, sondern vor allem auch das differenzielle Verhältnis beider Bilder: Manets Gemälde wird schließlich keineswegs von Antoshina fotografisch reproduziert, malerisch kopiert oder als Bild-im-Bild in ein neues Werk integriert, sondern es wird transformierend nachgestellt und in eine großformatige, wenngleich in den Dimensionen um die Hälfte reduzierte Fotografie mit eigenem Kunstanspruch überführt. Die intertextuelle Funktion ist dabei weniger eindeutig, als es die in Kapitel C vorgenommene Einteilung suggeriert: So kann Olympus erstens als eine spielerische Reprise gedeutet werden, in der es primär um das Zitatverfahren als solches geht oder um das Anknüpfen an die Bekanntheit des ›Vorbilds‹. Zweitens könnte – entgegen Antoshinas Intention22 – konstatiert werden, dass das Aktualisieren, Reformulieren und Einspielen in neue Kontexte stets auch affirmativ ist, indem es den Modellcharakter des Repetierten bekräftigt bzw. es in Erinnerung ruft.23 Entsprechend wäre jede Re-

21 Beispielsweise ließen sich die Kabinettgemälde David Teniers d. J. sowie Salonfotografien Pierre-Ambroise Richebourgs, Robert J. Binghams, Charles Michelez‘ oder Gustave le Grays einer primär dokumentarischen Funktionskategorie zuordnen. Zu solchen meist als klare Auftragsarbeiten entstandenen Fotos des Pariser Salons und der Weltausstellungen cf. u.a. DE FONT-RÉAULX (2013), S. 94–97; BOYER, Laure: »Robert J. Bingham, photographe du monde de l’art sous le Second Empire«, in: Études photographiques, H. 12, 11/2002, Onlineversion: http://etudesphotographiques.revues.org/320 [eingesehen am 14. Mai 2015]. 22 Cf. Äußerungen der Künstlerin zum Beispiel in BAIGELL/BAIGELL (2001), S. 55–56, oder im Ausstellungskatalog Isskustwo: ANTOSHINA (2000), S.24. 23 Auch René Payant betont, dass im – von ihm so genannten – Zitatbild (›citation-image‹) immer auch eine Wiedergeburt und Anerkennung des je ›zitierten‹ Autors angelegt sei, dass dabei aber auch der ›Zitierende‹ eine Valorisierung erfahre: »L’auteur cité valorise en quelque sorte le citateur mais d’autre part, le citateur présente l’auteur cité, c’est-à-dire qu’il le fait connaître.« Die Relation könne dabei aber auch durchaus kritischer sein – et-

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prise letztlich unvermeidlich eine Potenzierung des ›Zitierten‹. Drittens ließe sich in Opposition hierzu argumentieren, dass sich dieses Foto konfrontativ zum evozierten Gemälde verhält, da es einen strategisch-kritischen Abstand einbaut: Dabei erscheint Olympus eventuell weniger durch die geschlechtliche Rolleninversion konfrontativ als vielmehr durch die Zur-Schaustellung der pikturalen Inszeniertheit. Insbesondere jene Elemente, die den dilettantischen, unernsten und profanierenden Charakter von Antoshinas Aktszene ausmachen, lassen sich als Parodie interpretieren, die quer zu diesen Funktionseinteilungen anzusiedeln ist. Bereits im Kontext von Mel Ramos’ Velázquez Version (Kapitel D.2) wurde eine Tendenz zum Parodistischen behauptet, ohne dass dieses jedoch näher definiert wurde. Eine approximative Begriffsklärung ist daher nachträglich geboten. Nicht nur Gérard Genette und Margaret Rose24, die die Parodie als Unterkategorie der Intertextualität (bzw. »Interbildlichkeit«) betrachten, sondern auch Michail Bachtin wäre hier anzuführen: Parodieren bedeutet für ihn »[…] die Herstellung eines profanierenden und dekuvrierenden Doppelgängers, Parodie ist umgestülpte Welt. Deswegen ist sie ambivalent.«25 Wesentlich an dieser Begriffsannäherung ist zum einen die beschriebene Doppelung oder Spaltung vom scheinbar Identischen in ein Anderes, Verfremdetes, »umgestülpt« Wirkendes. Zum anderen sind Aspekte der Profanierung und Entlarvung zentral, die in ähnlicher Form für das Karnevaleske bezeichnend sind. Genette verweist demgegenüber auf die antike Begriffsverwendung der Parôdia im Kontext der Rhapsodie.26 Unter der hieraus abgeleiteten literaturwissenschaftlichen Parodie versteht er eine transtextuelle Gattung, genauer: ein ›Formzitat‹ bzw. eine »spielerische Transformation«. Sie sei abzugrenzen von ›Stilzitaten‹

wa wenn die ›citation-image‹ kommentierend sei und somit eher der Kategorie der (z.B. parodierenden) ›citation-indice‹ zufalle, cf. PAYANT, René: »Bricolage pictural. L’art à propos de l’art. 2e partie: Citation et intertextualité«, in: Parachute, H. 18, 1980, S. 25– 32, hier: S. 29. 24 GENETTE (1982/1993); ROSE, Margaret A.: Parodie, Intertextualität, Interbildlichkeit, Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2008. 25 BACHTIN, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur (1929), Frankfurt a. M.: Fischer, 1990, S. 54. 26 Παρωδια (Parôdia, zuvor parôdein) setzt sich zusammen aus ›para‹, längs, neben, und ›ôdè‹, Gesang. Die Parodie war ursprünglich auf das Reziteren der Rhapsodie bezogen. Aristoteles verwendete den Begriff zur Bezeichnung der komischen Epen von Hegemon von Thaos und Nikochares. Wie Genette ausführt, kann es sich bei der Parodie im ursprünglichen Sinne um »ein Daneben-Singen handeln, also um einen falschen Gesang, oder um einen Gesang in einer anderen Stimme […].«, GENETTE (1982/1993), S. 21–22.

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wie dem Pastiche.27 Dabei werde die Parodie »unweigerlich [mit] satirische[n] und ironische[n] Konnotationen [verknüpft], während Pastiche eher als neutraler und mehr auf Technik bezogener Begriff« erscheine. Dennoch sei die Parodie eigentlich dem »nicht-satirischen Register« zuzurechnen.28 Rose nennt wiederum auch Formen der ›ernsten Parodie‹ (parodia seria), die aber nicht dem Regelfall entsprechen würden: Nach Lelièvre (1954), auf den sich ihre Argumentation wesentlich stützt, sei die Parodie früher primär als humoristische Nachahmung und als Gegengesang gedacht worden, wenngleich die parodistische Relation eigentlich komplexer sei. Eine primäre Schwierigkeit beim Verständnis des Terminus liege, so Rose, in dem Präfix ›para‹, das »sowohl eine Annäherung als auch eine Opposition zwischen der Parodie und deren Vorlage« bezeichnen könne.29 Dadurch sei eine duale Struktur gegeben. Rose betrachtet die Parodie als Wechselspiel der »Aufhebung und Potenzierung eines Textes«, bei dem in einem ersten Schritt eine »Annäherung und Nachahmung der Vorlage« und in einem zweiten Schritt eine »komische Umfunktionierung derselben erfolgen« würde. Würden wir aber »das Wort παρωδια nur als Gegengesang oder nur als Beigesang (bzw. Nebengesang) übersetzen, geht diese Zweideutigkeit der Parodie gegenüber ihrer Vorlage verloren.«30 Roses wiederholte Formulierung eines Bezugs auf ›die Vorlage‹ könnte zu dem Fehlschluss verleiten, dass es eines konkreten Vorbilds oder Prätexts bedarf, um eine parodistische Relation zu erzeugen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Bedingung ist vielmehr die Sichtbarmachung einer Spaltung und Irritation – sei es über den Verweis auf den »Text eines Anderen […], so daß es zwei Sender zu geben scheint«31 oder aber durch das Spiel mit rezeptionsseitigen Erwartungshaltungen,

27 Zur Begriffsverwirrung von Pastiche und Parodie siehe auch HOESTEREY, Ingrid: Pastiche: Cultural Memory in Art, Film, Literature, Bloomington, IN: Indiana University Press, 2001: Während im Webster Dictionary – wie bei Genette – das Pastiche auf das Stilzitat eingegrenzt wird, behauptet Frederic Jameson in dem Aufsatz Postmodernism and consumer society, dass lediglich der Aspekt der satirischen bzw. nichtsatirischen Haltung zum Vorbild als entscheidender Unterschied gelten könne (S. IX-X): Das Pastiche sei wie die Parodie ein imitatives Verfahren, aber ohne den satirischen Gestus, der Lachen auslöst. Etymologisch ist das›pasticcio‹ nach Hoesterey ein stilistisches Allerlei, ein konfuses Amalgam: Es bezeichnete ein minderwertiges Genre bzw. ein ›highly imitative painting that synthesized - ›stirred together‹ - the styles of major artists […]« (S. 1). Der italienische Terminus sei im 17. Jahrhundert in Frankreich als Pastiche in die Kunsttheorie eingegangen ( S. 4). 28 GENETTE (1982/1993), S. 44 und S. 39. 29 ROSE (2008), S. 5 30 Ebd., S. 5. 31 Ebd., S. 7.

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die geweckt und zugleich gebrochen bzw. ironisch verfremdet werden (etwa im filmischen Genre der ›Mockumentary‹).32 Zudem ließe sich die gedachte Zweiheit ebenso gut in multiple Differenzverhältnisse aufbrechen. Denn das jeweils konzeptuell ›Ausgegrenzte‹ ist genauso heterogen wie das als Einheit Gedachte. Lediglich kategoriale Setzungen schaffen den Eindruck von Homogenität und Selbstgenügsamkeit.33 Wesentlich ist, dass durch die mutmaßliche Grenzüberschreitung der Parodie eine Erschütterung erfolgt von geschlossen erscheinenden Konzepten (etwa Werkbegriffen, Gattungsbegriffen etc.), die zugleich die gegenseitige Abhängigkeit der Glieder eines Signifikationsnetzes anschaulich macht. Inwieweit ist nun Tatiana Antoshinas Olympus parodistisch? Das transgressive Moment dieser Fotografie erschöpft sich keineswegs im gezielten Verfehlen der Nachahmung Manets bzw. in der simplen Inversion der Geschlechterrollen. Vielmehr ist allgemeiner eine Dissonanz angelegt, bei der Mesalliancen34 bzw. rezep-

32 Mockumentaries (aus engl. ›to mock‹, verspotten, und ›documentary‹) sind falsche, da parodierend-fiktive Dokumentarfilme, wie beispielsweise Peter Jacksons Forgotten Silver (1995), in dem mutmaßliches Footagematerial eines angeblich unentdeckten neuseeländischen Filmpioniers gezeigt wird. Über die allgemeine Idee eines ›Bruchs mit Erwartungshaltungen‹ ließe sich aber auch an Butlers Vorstellung von ›Gender-Parodien‹ anschließen, die von einer wiederholenden Imitation ohne Original ausgeht, cf. BUTLER, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter [Gender Trouble, 1991], Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2012, S. 203. 33 Ähnlich konstatiert auch Derrida für sprachliche Konzepte eine verschleierte Heterogenität des jeweils Ein- oder Ausgeschlossenen und fragt, ob das, »›was man schon immer unter einem bestimmten Namen erfasst und begriffen hat‹, wirklich grundlegend homogen, eindeutig und konfliktlos« ist. Er behauptet eine permanente Doppelstruktur von zwei »ähnliche[n] Markierungen [marques semblables] […] – Wiederholung ohne Identität – die eine im Inneren, die andere im Äußeren des dekonstruierten Systems«, die »einer zweifachen Lektüre und eine zweifachen Schrift stattgeben« muss. Cf. DERRIDA, Jacques: »Hors-Livre. Préfaces«, in: Ders. (1972/2005), S. 9–76, S. 10 u. 11 [Dt. Übersetzung : »Buch-Außerhalb. Vorreden/Vorworte«, in: DERRIDA/ENGELMANN (1972/1995), S. 12]. An späterer Stelle plädiert Derrida für das Abstreifen jeder statischen Konzeption sowohl als duale Oppositionen als auch als tripolare Konstellationen, um stattdessen die Streuung bzw. Dissémination wirksam zu machen, ebd. S. 31–35. 34 Bachtin beschreibt das Karnevaleske u.a. über die ›Mesalliance‹ als unglückliche, da (nach dem common sense) grenzüberschreitende Verbindung: Nach dieser wird »das Geheiligte mit dem Profanen, das Hohe mit dem Niedrigen, das Große mit dem Winzigen, das Weise mit dem Törichten [vereinigt, vermengt und vermählt]«, BACHTIN (1929/1990), S. 49–50. Es sei dennoch mit Kristeva festgehalten, dass der Schriftsteller keineswegs Parodie und Karneval gleichsetzt: Das karnevaleske Lachen sei bei Bachtin

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tionsseitige Überraschungseffekte erzeugt werden. Zu nennen ist hier – als triviales, aber eingängiges Beispiel – Olympus’ Keramikkätzchen, das am Bettende motivisch deplatziert wirkt und das weiterhin als überaus künstliches Substitut eines Haustiers gegen die fotografische Illusionskraft arbeitet. Zudem entsteht durch das Aufeinandertreffen von kunstfotografischem Anspruch (u.a. indiziert durch die große Bilddimension) und bewusst dilettantischer Umsetzung eine Friktion, welche die gegenseitige Bedingtheit scheinbar widersprüchlicher Semantiken sichtbar macht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für die Parodie weniger eine konkrete Bezugnahme entscheidend ist als die Betonung einer Dissonanz bezogen auf die Erwartungshaltung des Rezipienten. Aber nochmals: Per se kritisch ist diese Kunstfigur nicht und sie geht auch in keiner der zuvor genannten intertextuellen Funktionen (Affirmation, Konfrontation, Spiel/Dokumentation) auf. Denn wie Rose betont, zielt die Parodie keineswegs nur auf die »Aufhebung der alten Vorlage, sondern auch [auf] ihre ›Potenzierung‹ und ›Modernisierung‹«.35 So bleibt als primäres Merkmal der Parodie die meist humorvolle Explizierung eines Spalts bzw. Widerspruchs, der sowohl werkintern als auch intertextuell (als Wahrnehmung einer Abweichung gegenüber eines gespiegelten ›Anderen‹) angelegt ist. Diese zur Schau gestellte Spaltung gilt es, hinsichtlich ihres aktivistischen Potenzials zu beleuchten.

2. POTENZIALE DER WIEDERHOLUNG UND DER DIFFERENZ Wenden wir uns erneut der Ausgangsfrage dieses Kapitels zu: Lässt sich die re-inszenierende Praxis Tatiana Antoshinas – bzw. allgemeiner, der drei in dieser Arbeit untersuchten Künstlerinnen – als differierender Akt des Wiederholens auffassen, der über das Bildliche hinaus eine Wirkmacht entfaltet? Und: Kann Antoshina durch den Zweischritt von Rekurs und parodistischer Abspaltung jenen Blick- und Bildordnungen entkommen, die sie offenbar zu revidieren sucht? Die Wirkmacht strategischer wie unbeabsichtigter Abweichungen in Verfahren bildlichen ›Zitierens‹ ließe sich aus verschiedenen Perspektiven untersuchen. Ein optimistischer Ansatz würde Bildern zuerkennen, symbolische Ordnungen und Wirklichkeitseffekte als entscheidende Akteure36 mitzukonditionieren. Die Diffe-

ambivalent-tragisch sowie eigentlich ernsthaft »und allein auf diese Weise ist seine Bühne weder die des Gesetzes noch die der Parodie, sondern sein Anderes«, KRISTEVA (1972), S. 363–364. 35 ROSE (2008), S. 7f. 36 Cf. HENSEL/SCHRÖTER (2012), S. 7. Die Autoren berufen sich, wenn sie auch Bildern Akteur-Status zusprechen, auf Latour, für den »jedes Ding, das eine gegebene Situation

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renz variierender ›Zitate‹ wäre entsprechend als Option einer gleichzeitigen Fortund Umschrift des Sehens, Denkens und Bilderhandelns bewertbar. Eine verhaltenere Perspektive ginge demgegenüber von einem stark reduzierten Handlungsspielraum aus: Auch eine differenzielle Repetition würde folglich unausweichlich eine Bestätigung einer gegebenen Ordnung bedeuten. Konkret auf den aktuellen Fall zugespitzt hieße dies, dass selbst Projekte wie das Museum der Frau zu einer Konsolidierung führen, die auf einer Wiederholung gemeinsamer Schnittmengen mit dem ›Vorbild‹ basiert. Die anklingende Problematik, dass sich ein und dieselbe Praxis des ›Zitierens‹ sehr unterschiedlich bewerten lässt, zeigt sich nicht nur am Beispiel Antoshinas und der Stilfigur der Parodie, sondern auch in der Rezeption bildnerischer Aneignungsverfahren37 der 1980er und 1990er Jahre. Genannt seien hier etwa kunstkritische Kommentare über die Amerikanerin Sherrie Levine, deren Arbeitsweise des ›rephotographing‹ laut der Kunsttheoretikerin Isabelle Graw einen »Gegenpol« bildet zu eher freien, echoartigen Rekursarten, konkret: zu Cindy Shermans re-inszenierender Praxis in den Untitled Film Stills. Levine wurde dadurch bekannt, dass sie Buchreproduktionen fotografischer Klassiker (von z.B. Walker Evans, Eugène Atget und

verändert, indem es einen Unterschied macht, ein Akteur« ist. HENSEL, Thomas/SCHRÖTER,

Jens (2012): »Die Akteur-Netzwerk-Theorie als Herausforderung der Kunstwissen-

schaft?«, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, H. 57/1, 2012, S. 5–18. Wichtig in diesem Kontext ist, dass Latour diese Akteure als verkettet und keineswegs als autonom betrachtet: »Ein Akteur […] ist nicht der Ursprung einer Handlung, sondern das bewegliche Ziel eines riesigen Aufgebots von Entitäten, die zu ihm hin stromen. […] Nicht zufällig stammt dieser Ausdruck, wie auch der der ›Person‹, aus der Bühnenwelt. [...] Das Wort ›Akteur‹ zu verwenden bedeutet, daß nie klar ist, wer und was handelt, wenn wir handeln, denn kein Akteur auf der Bühne handelt allein. Das Schauspiel versetzt uns sofort in ein dichtes Imbroglio, wo die Frage, wer die Handlung durchführt, unergründlich wird.«, LATOUR, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2007, S. 81–82. 37 Eine Differenzierung zwischen ›Aneignung‹ und ›Appropriation‹ wird im Folgenden nicht vorgenommen, wenngleich der deutsche Term teils andere Nebenbedeutungen hat. Zu einem Überblick über den Begriff der Approriationskunst cf. das Themenheft ›Appropriation Now!‹ (Texte zur Kunst, H. 46, 06/2002); sowie REBBELMUND, Romana: Appropriation Art. Die Kopie als Kunstform im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1999 [zugl. Diss. Universität Köln 1998]. Zur Diskussion der Motive und Wirkungspotenziale von Appropriation Art cf. u.a. FOSTER (1996), hier v.a. S. 116–119; BUCHLOH, Benjamin H. D.: »Allegorical Procedures: Appropriation and Montage in Contemporary Art«, in: Artforum, H. 21, 09/1982, S. 43–56, v.a. S. 48–53; KRUGER, Barbara: »Taking Pictures«, in: Screen, Bd. 23, H. 2, 1982, S. 90–97.

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Edward Weston) abfotografierte, wobei die resultierenden Bilder nahezu gänzlich »von der Ästhetik der Vorlage bestimmt« waren.38 Die auf den ersten Blick identisch erscheinenden Fotos Levines wurden u.a. 1981 bei Metro Pictures in New York ausgestellt.39 Zentral ist, dass diese Arbeiten unter ihrer eigenen namentlichen Autorschaft präsentiert wurden – allerdings mit dem Titel ›After‹, jeweils ergänzt um den Nachnamen des Fotografen, dessen Werk Levine wiederverwertete. Alle ›appropriierten‹ Bilder setzte die Künstlerin zuvor in ein Passepartout.40 Die Rezeption dieser Fotos war in den 1980er Jahren zwiegespalten: Benjamin Buchloh deutet Levines Praktik als fortgeführte Entleerung der abfotografierten Bilder, die ohnehin bereits einen »commodity status« angenommen hätten. Diese Aushöhlung erfolge durch einen »[…] willful act of rephotography, by restating their essential status as multiplied, technically reproduced imagery.«41 Den Akt des Re-Fotografierens sieht Buchloh aber keineswegs euphorisch, sondern eher verhalten. So bringt er als Kritikpunkt gegen die Amerikanerin vor, dass sie nur mit minimalen Zwischenräumen »zwischen Original und Reproduktion« arbeite, die keine »Dimension kritischer Negativität« enthalten würden. Sie laufe daher Gefahr, dass der Betrachter in eine »schicksalsergebene Akzeptanz« verfallen könnte. Ihr Werk würde sich dann wider Levines Willen in seiner »abstrakten und radikalen Verleugnung […] der Autorschaft« der Seite der zu kritisierenden Machtstrukturen zuschlagen.42

38 GRAW (2003a), S. 65. 39 Cf. ROEMER (1998), S. 76: »Als ein Grundprinzip ihrer Praxis gilt, daß sie zirkulierende Druckerzeugnisse, keine Originale als Vorlagen benutzt. […] [D]ie Fotografien unterscheiden sich nur durch den Titel, den Künstlernamen und vielleicht unerheblich in ihrer Reproduktionsqualität.« Sowie ebd., S. 75: »Craig Owens nannte sie [diese Arbeiten] ›wiederfotografiert‹ und ›entwendet‹, Dan Cameron sogar ›offene Piraterie‹. Mit diesen Fotografien, die sie mit dem Hinweis ›Sherrie Levine After Walker Evans‹ in der neu eröffneten Galerie Metro Pictures präsentierte, markierte Levine eine ästhetisch extreme, vieldiskutierte Position, weil sie die künstlerische Originalität in Frage stellte«. 40 Dieser marginale Eingriff lässt sich wiederum als »dezidierte künstlerische Setzung« bewerten, cf. GRAW (2003a), S. 48. 41 BUCHLOH (1982), S. 52. 42 Levines »[…] abstract and radical denial of production and authorship could place her ultimately on the side of the existing power structure against her wishes. […] The faint historical spaces the work establishes between the original and the reproduction seduce the viewer into fatalistic acceptance, since these spaces do not open up a dimension of critical negativity that would imply practice and encounter rather than contemplation.« Ebd., S. 54 [Hervorh. A.K].

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Was bei Buchloh noch in der Möglichkeitsform formuliert wird, verschärfen andere Kritiker zu einer Anklage gegen diese künstlerische Praxis: Nach Donald Kuspit sind die Arbeiten Levines keineswegs darauf angelegt, die Institutionsmechanismen zu unterwandern. Vielmehr würde sich die Künstlerin die Berühmtheit der abfotografierten Werke bzw. der Fotografen zunutze machen, um selbst Anerkennung zu erlangen.43 Die Vermutung einer Nobilitierungstaktik ist sicherlich nicht abwegig, denn letztlich wiederholt Levine mit Weston, Evans und Atget gerade drei in den 1980er Jahren als kanonisch etablierte Positionen der Fotografiegeschichte. Jedoch ist das Aufgreifen von ›Meisterwerken‹ Teil ihrer Strategie44, die genau die Produktionseffekte institutionalisierter Bildschemata reflektiert. Kunstkritiker, die Levine gegenüber wohlwollender waren, bewerteten entsprechend diese Art des ›Zitierens‹ positiv im Sinne einer kritischen Selbstreflexion.45

43 KUSPIT (1987), cf. RÖMER (1998), S. 88–92. 44 GRAW (2003a) betont, dass es bezeichnend sei, dass Levine und andere Künstlerinnen dieser Zeit sich »ausschließlich […] auf Vorlagen von männlichen Künstlern einließen«, ebd. S. 39. Keineswegs seien sie aufgrund dieser Praxis aber als »typische Vatertöchter abzutun […]. Sinnvoller erscheint es, nach den Gründen für diese Strategie der ›ödipalen Fixierung‹ zu fragen, ihr ein produktives Potential zuzugestehen. Offenbar wohnt dem kanonisierten Entwurf eines männlichen Künstlers ein Versprechen inne […]. Künstlerinnen wie Sturtevant, Levine, Wilke und Benglis haben sich auch deshalb so offensiv auf Sanktioniertes gestürzt, weil sich auf diese Weise ein Platz in der Kunstgeschichte beanspruchen ließ, der für Frauen lange Zeit nur schwer zu besetzen war.« REBBELSMUND (1999) präzisiert in Bezug auf Levine, dass hier zu differenzieren sei, da die refotografierten Arbeiten von Evans »aus einer Dokumentarreihe [stammen] und […] also keineswegs von der Absicht getragen [waren], authentische oder originäre Kunstwerke zu erzeugen. […] Würde man den Ausführungen Jörg-Uwe Albigs folgen, so könnte man davon ausgehen, daß die Künstlerin diese Wahl als Weg des geringsten Widerstandes traf, da sie bei der Ausstellung von abphotographierten Photographien nach Edward Weston auf Schwierigkeiten bezüglich des Urheberrechts stieß. […] Gerade das Appropriieren von Werken, die keinen Originalstatus im Sinne eines originären Kunstwerks genießen, bringt einen weiteren Aspekt in den Bereich der Originalität. Das nicht originär, sondern dokumentarisch gemeinte Werk erlangt durch die Kopie, d.h. allein durch die Auswahl und die Ausführung in der Photographie, auf einmal Originalität« (S. 140–141). 45 Owens stellt beispielsweise die Hypothese auf, dass künstlerisches Appropriieren dem Bewusstsein geschuldet sei, dass die »schöpferischen Möglichkeiten in einer mit Bildern ›gesättigten‹ Kultur« sehr eingeschränkt seien. Zugleich fragt er, ob die Aneignungspraxis von Künstlerinnen nicht primär auf eine bloßstellende Auseinandersetzung mit paternalistischer Autorschaft ziele, bezieht sich doch beispielsweise Levine ausschließlich auf männliche Fotografen. OWENS, Craig: »The Discourse of Others: Feminists and Postmo-

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Anhand der unterschiedlichen Bewertungen dieses künstlerischen Fallbeispiels offenbart sich die Ambivalenz von Wiederholungspraktiken: Wie Levine wurden viele ihrer Kolleginnen und Kollegen einerseits als institutionskritisch eingestuft, andererseits wurde ihnen eine unausweichliche Systemgebundenheit und ein paradoxes Affirmieren des angeblich Monierten attestiert. Die Einschätzung des kritischen Potenzials wurde im Falle Levines dadurch erschwert, dass die Differenz zur fotografischen ›Vorlage‹ – zumindest in der After-Serie – optisch gering ausfiel, sodass ihr »aneignendes Verfahren eher subtil an den Rändern in Erscheinung trat«.46 Dies nun ist bei Antoshina anders: Die Russin reproduziert im Museum der Frau keine vorhandenen Fotografien, sondern sie stellt stattdessen Motive der Malerei mehr oder weniger frei nach. Die resultierenden ›Lebenden Bilder‹ werden sodann in das Medium der Fotografie überführt – sie werden somit einem technischvisuellen Apparat unterworfen, der trotz durchdachter Mise en scène einen Moment des Zufälligen wie auch eine raumzeitliche Abspaltung impliziert. Die größere Abweichung von Antoshinas Fotografien gegenüber der ›Vorlage‹ beinhaltet jedoch auch eine Problematik, auf die ich noch zurückkommen werde. Denn wo Levine gezielt auf Weston oder Atget verweist, inkludiert die Praxis der Russin einen deutlichen Abstand zum ›Vorbild‹, der sich in besonderem Maße anbietet für die Einlagerung nicht-intendierter Zwischenbilder. Zugleich bringen aber auch die posierenden Modelle, hier: Alyosha und der zweite Mann im Bild, eventuell eigene Nuancen der Interpretation in die Arbeit, die der Künstlerin potenziell zuwiderlaufen. Die Frage des (kritischen) Potenzials wie auch der Eigendynamik von Antoshinas Bildpraktik gilt es demnach aus weiteren Perspektiven zu beleuchten. Einen möglichen zweiten Ansatzpunkt bilden die Ausführungen Judith Butlers und Jacques Derridas, die – wie Andrea Seier treffend zusammenfasst – von Wirkpotenzialen durch »Realisierungsüberschüsse«47 in iterierten Handlungen ausgehen. Obschon der Gegenstand in beiden Fällen ein anderer, nämlich ein sprachpragma-

dernism «, in: FOSTER, Hal (Hg.): The Anti-Aesthetic. Essays on Postmodern Culture, Townsend: Bay Press, 1983, S. 55–83, hier: S. 73 [Übers. A.K.]. 46 GRAW (2003a), S. 65. 47 SEIER, Andrea: Remedialisierungen. Zur Performativität von Gender und Medien, Diss. Univ. Bochum (Fakultät für Philologie), 2005 [zugl. publiziert als: Remediatisierung: die performative Konstitution von Gender und Medien, Münster: LIT, 2007]. Ich beziehe mich auf die Online-Version, http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/ SeierAndrea/diss.pdf [eingesehen am 10.02.2015], S. 80. Butler greift Differenz- und Iterabilitätstheorien wie auch Modelle der Ich-Bildung und Körperdiskursivierung von Derrida, Althusser und Foucault auf, die sie auf den praktischen Bereich des Alltagshandelns bezieht.

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tischer respektive ein machtstruktureller ist, wäre die Frage zu diskutieren, inwieweit einzelne Überlegungen übertragbar sind auf Iterationen von Bildschemata. 2.1 Iterabilität nach Derrida An anderer Stelle habe ich bereits auf Debatten zur Zitathaftigkeit bzw. Iterabilität von Sprache und Sprechhandlungen hingewiesen, die zwischen John Searle48 und Jacques Derrida in Auseinandersetzung mit Austins Konzepten des Sprechakts und der performativen Äußerung geführt wurden.49 Ausschlaggebend war insbesondere Derridas Frage, ob eine Opposition von einerseits zitathaften oder schauspielerischen Äußerungen und andererseits einem kommunikationsgerichteten50 Sprach-

48 Gerald Graff, der amerikanische Herausgeber von Limited Inc, verweist auf den Philosophenstreit zwischen Derrida und Searle: Derridas »Signature Événement Contexte« sei in einer ersten Version 1971 als Konferenzbeitrag in Montréal erschienen. Samuel Weber und Jeffrey Mehlman übersetzten den französischen Aufsatz für den ersten Band der Publikation Glyph. Johns Hopkins Textual Studies im März 1977. Bereits im zweiten Band wurde mit John R. Searles »Reiterating the Differences: A Reply to Derrida« (November 1977) eine Antwort auf Derrida veröffentlicht, auf die wiederum Derridas »Limited Inc abc…« reagierte. Der Streit zwischen den beiden Philosophen zog sich über Jahre: Searle verweigerte gar den Abdruck seines Aufsatzes in DERRIDA/GRAFF (1988). 49 Austin unterscheidet zwischen performativen und konstativen Äußerungen. Letztere seien eher feststellend-beschreibend und somit wahrheitsrelational, z.B. ›Es ist bewölkt‹. Erstere würden demgegenüber auf ein Handlungsmoment abzielen, z.B. ›Ich wette, es wird sonnig‹ oder ›Ich bitte um Entschuldigung‹. Austins Sprechakttheorie geht ebenfalls von impliziten Handlungsmomenten aus, die auf den jeweils adressierten Kommunikationspartner zielen: So gibt es nach seiner Aufteilung einen wörtlichen (lokutionären), einen konventionsbezogen-zielgerichteten

(illokutionären)

und

einen

kontextspezifisch-

zielgerichteten (perlokutionären) Sprechakt. Cf. AUSTIN (1955/2002). 50 DERRIDA (1972/2001) fragt, ob dem Signifikant KOMMUNIKATION überhaupt sicher ein »einzelner, eindeutiger, streng beherrschbarer und übermittelbarer: kommunizierbarer Begriff« entspreche (S. 15). Er negiert allgemeiner, dass es einen dem Signifikant vorangehenden, originären Sinn geben könnte. Weiterhin betont er erstens, dass gerade die Kommunikation, bekommt man sie endlich konzeptuell zu fassen, nicht auf das Sprachliche beschränkt ist. Zweitens sei die schriftsprachliche Kommunikation auf teils anderen Prämissen gebaut als die direkte bzw. verbalsprachliche. Ein Unterschied in der Schrift sei die grundlegende Absenz (des Schreibenden beim Lesen, des Lesers beim Schreiben, des Kontexts und des Referenten), wenngleich Derrida an späterer Stelle fragt: Bleiben die drei Prädikate der Schrift [ also 1) ein bleibendes Zeichen zu sein, das in Absenz des Senders wiederholt werden kann; 2) mit dem Kontext und allen Anwesenheiten wie auch

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gebrauch überhaupt behauptet werden kann, so wie es Austin tue: Setzt nicht vielmehr jedes Zeichensystem (und folglich auch jeder Sprachgebrauch) eine generelle Wiederholbarkeit voraus – vor allem in absentia des ›Senders‹? Ist es sinnig, spielerisches, zitierendes Sprechen unter Verweis auf die parasitäre Auszehrung ›normaler‹ Sprachbedingungen zu marginalisieren? Und: Wird durch die Einteilung in einen ›normalen‹ und einen ›anormalen‹ Gebrauch nicht eine problematische philosophische Tradition wiederholt, die zu asymmetrischen Dichotomien neigt bzw. latent eine ursprüngliche ›Einheitlichkeit‹ mit späterer Deviation behauptet? Derrida kritisiert Austin hier grundlegend, denn dieser schließe »[…] mit allem, was er sea-change nennt, das ›Unernste‹, die ›Parasitierung‹, die ›Verkümmerung‹ [étiolation], das ›Nicht-Gewöhnliche‹ […] aus, also das, was er dennoch als eine für jede Äußerung offenstehende Möglichkeit anerkennt. Auch die Schrift wurde in der philosophischen Tradition immer wie ein ›Parasit‹ behandelt, und dieser Vergleich ist ganz und gar nicht gewagt. Daher stelle ich die Frage: Ist diese allgemeine Möglichkeit gezwungenermaßen die eines Mißerfolges oder einer Falle, in die die Sprache (langage) fallen oder sich wie in einem außer oder vor ihr gelegenen Abgrund verlieren kann?«51

In Signature Événement Contexte geht Derrida zunächst von einer generellen bzw. der Sprache inhärenten Iterabilität aus. Die variierte Wiederholung in Abwesenheit des Senders, Empfängers, Kontexts, ursprünglichen »Sagen-Wollens«, Referenten usw. wäre demnach eine Eigenschaft des Schreibens und Sprechens, wie allgemeiner: jeder Zeichenverwendung. Es wäre also kein ausgelagerter Sonderfall. Weiterhin kritisiert Derrida Austins Fokussierung auf die Intention des Sich-Äußernden,

Intentionen zu brechen; 3) mit einer Verräumlichung bzw. Verschiebung einherzugehen, A.K.], also »[b]leiben die drei Prädikate mit dem ganzen System, das zu ihnen gehört, der ›schriftlichen Kommunikation‹, im engeren Wortsinn, vorbehalten […]? Findet man sie nicht in jeder Sprache [langage] wieder, zum Beispiel der gesprochenen Sprache und letztlich der Totalität der ›Erfahrung‹ […]?« (ebd., S. 28). 51 DERRIDA (1972/2001), S. 38. [Ergänzungen in eckigen Klammern A.K. nach DERRIDA/GRAFF (1988)]. Dass Derrida prinzipiell gerade das Parasitäre aufwertet, betont er in einem Interview mit Peter Brunette und David Willis: »Je me dis souvent, et […] je suis sûr de l’avoir écrit quelque part – que l’intégralité de mon travail, pour résumer la chose de manière très réductrice, est dominée par la pensée d’un virus – on pourrait l’appeler une ›parasitologe‹, une ›virologie‹ […].«DERRIDA, Jacques: »Les arts de l’espace. Entretien avec Peter Brunette et David Willis« (1990), in: Ders.; MICHAUD, Ginette et al. (Hg.): Penser à ne pas voir. Écrits sur les arts du visible 1979–2004. Textes réunis et édités par Ginette Michaud, Joana Masó et Javier Bassas, Paris: SNELA La Différence, 2013, S. 15–55, hier: S. 20–21.

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der sich im Sprechakt zum Ziel setze, einen bestimmten Effekt (und genau diesen) auszulösen. Nach Derrida ist die Intention gerade nicht ausschlaggebend: Die Frage des Scheiterns oder Nicht-Scheiterns verrate, dass Austin die »positive Möglichkeit« verkenne, die bereits im strukturellen Iterieren von Zeichenmarken bzw. ›marques‹52 selbst angelegt sei. Searle, der in den meisten Punkten den Ansatz Austins verteidigt, bemängelt wiederum Derridas Akzentuierung der Akzidenz und der Non-Intentionalität. Weiterhin behauptet er, dass sein französischer Kollege »citationality« mit parasitärem

52 Derrida führt den Term ›marque‹ (Marke, Markierung, Zeichen) ein, da er die tradierte Aufteilung des ›signe‹ in eine Formseite (Signifikant, Wort) und eine Inhaltsseite (Signifikat, Begriff, intentionale/konventionelle Bedeutung) nicht übernehmen möchte, cf. DERRIDA (1977/2001), S. 109. Als Kritik an Austins felicity conditions und der Aufteilung in glücklich verlaufende Performative und Unglücksfälle (infelicities, z.B. ›Versager‹ [misfires], ›missbräuchliche Handlungen‹[abuses]) etc. schreibt Derrida: »Was ist ein Gelingen, wenn die Möglichkeit des Mißlingens weiterhin seine Struktur konstituiert? Die Opposition Erfolg/Mißlingen [succès/échec, A.K.] der Illokution und der Perlokution scheint daher hier sehr unzureichend und weit hergeholt [très dérivée, A.K.] zu sein. Sie setzt eine allgemeine und systematische Ausarbeitung der Lokutionsstruktur voraus, die diesen unaufhörlichen Wechsel von Wesen und Zufall [essence et accident, A.K.] vermeiden würde. Allerdings ist bezeichnend, daß Austin diese ›allgemeine Theorie‹ […] zurückweist oder zumindest aufschiebt [diffère].« DERRIDA (1972/2001), S. 36–37. Weiterhin: »Ich gehe die Dinge jetzt von der Seite der positiven Möglichkeit und nicht mehr nur vom Mißerfolgs [échec] an: Wäre eine performative Aussage möglich, wenn kein Zitat als Double [doublure citationnelle, A.K.] die reine Einmaligkeit des Ereignisses spaltete, von sich selbst trennte? […] Man muß sich hier zunächst darüber verständigen, was es mit dem ›Vorkommen‹ [dem ›se produire‹, A.K.] und der Ereignishaftigkeit eines Ereignisses auf sich hat, das in seinem angeblich gegenwärtigen und einmaligen Auftauchen die Intervention einer Aussage voraussetzt, die in sich selbst nur eine wiederholende oder zitathafte oder vielmehr, da diese zwei letzten Wörter Anlaß zur Verwirrung geben – iterierbare Struktur haben.« DERRIDA (1972/2001), S. 39–40 [gekennzeichnete Einfügungen in eckigen Klammern A.K. nach der frz. Version in: Ders.: Limited Inc. Présentation et traductions par Élisabeth Weber, Paris: Galilée, 1990, S. 15–51, andernfalls durch den Übersetzer]. Auch zuvor kritisiert Derrida Austin in diesem Punkt: Er berücksichtige nicht, »was in der Lokution (daher vor jeder illokutionären oder perlokutionären Bestimmung) bereits dieses System von Prädikaten in sich birgt, die ich allgemein graphematisch nenne, und bringt somit alle späteren Oppositionen, deren Stichhaltigkeit, Reinheit und Strenge Austin vergeblich festzulegen suchte, durcheinander«, ebd., S. 35.

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Gebrauch und »iterability« verwechsle.53 Was die Iterabilität von Schrifttexten anbelangt, meint Searle, dass hier eigentlich eine Permanenz54 statt einer Wiederholung vorliege. Weder Austin noch er selbst hätten im Sinn gehabt, die allgemeine Iterierbarkeit von Sprache zu negieren, die in der Tat für parasitäre wie auch für glückende Sprechakte gleichermaßen gelte, die aber eben nichts mit der Lesbarkeit von Schrifttexten nach dem Tod des Autors zu tun habe.55 Derrida wirft dem Kollegen wiederum eine Missinterpretation und ›geistesabwesende Lektüre‹ von Signature Événement Contexte vor. Er selbst interessiere sich nicht für die Permanenz der Schrift, sondern ganz im Gegenteil für Dynamiken des Iterierbaren, die überhaupt

53 Nach dem Amerikaner umfassen Zitate lediglich Wiederholungen durch Erwähnung (mention), während parasitäre Diskurse einen zweckentfremdenden Gebrauch (use) vollzögen. SEARLE, John R.: »Re-Iterating the Differences: A Reply to Derrida«, in: Glyph, 1/1977, S. 198–208, hier: S. 206: »To begin with, the phenomenon of citationality is not the same as the phenomenon of parasitic discourse. A man who composes a novel or a poem is not in general quoting anyone; and a man who says his lines on a stage while acting in a play while he is indeed repeating lines composed by someone else, is not in general quoting the lines. There is a basic difference in that in parasitic discourse the expressions are being used and not mentioned. To Derrida’s rhetorical question, ›For, ultimately, isn’t it true that what Austin excludes as anomality, exceptions, ‘non-serious’ citation (on stage, in a poem, or a soliloquy) is the determined modification of a general citationality – or rather, a general iterability – without which there would not even be a ‘successful’ performative?‹ [dt. Version dieses Zitats: DERRIDA (1972/2001), S. 39], the answer is a polite but firm ›No, it is not true‹. To begin with most of the instances of parasitic discourse are not cases of citation at all. […] Like all utterances, parasitic forms of utterances are instances of, though not modifications of, iterability, for […] without iterability there is no language at all. Every utterance in a natural language, parasitic or not, is an instance of iterability, which is simply another way of saying that the type-token distinction applies to the elements of language. Derrida in this argument confuses no less than three separate and distinct phenomena: iterability, citationality, and parasitism.« 54 SEARLE (1977), S. 200: »[T]he most distinguishing feature [zwischen ›writing‹ und ›spoken utterances‹, A.K.] is the (relative) permanence of the written text over the spoken word. […] Now the first confusion that Derrida makes […] is that he confuses iterability with the permanence of the text. He thinks the reason that I can read dead authors is because their works are repeatable or iterable […] but the survival of the text is not the same as the phenomenon of repeatability: the type-token distinction is logically independent of the fact of the permanence of certain tokens. One and the same token can be read by many readers long after the death of the author, and it is this phenomenon of the permanence […] that makes it possible to separate the utterance from its origin […].« 55 SEARLE (1977), S. 207.

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erst den Anschein einer »restance« (Neologismus, in etwa: eine ›Verbleibung‹, ›Wiederbeständigung‹)56 erwecken können. Derridas Fokussierung auf Bewegungen der Wiederkehr und auf differenzielle Kräfte knüpft hier insbesondere an Nietzsche an57 und verwirft gerade den bei Searle implizierten, statischen und präsentischen Grund einer Permanenz.58 In den genannten Ausführungen zur Iterabilität – und dies scheint mir der ausschlaggebende, anschlussfähige Punkt – werden Identität und Differenz/Alterität59 untrennbar miteinander verschaltet, sodass in neuen Kontexten neue Erscheinungsformen bzw. Resignifikationen konstatierbar sind – wohlgemerkt aber unabhängig von der Intentionalität eines Autors/Sprechers. Folglich ist jede konkrete ›Realisierung‹ eines iterierbaren Akts oder Texts eine mehr oder minder deviante In-

56 Eine Übersetzung ist allerdings kaum möglich, da im Französischen das repetive Präfix ›Re-‹ wie auch die Anspielung auf ›résistance‹, Widerstand entscheidend sind. 57 Cf. auch DERRIDA (1977/2001), S. 230. 58 So präzisiert Derrida: »Die Struktur der restance, die die Veränderung impliziert, macht jede absolute Permanenz unmöglich. […] Im Augenblick, an der Stelle der Diskussion, an der wir uns befinden, liegt die Schwierigkeit nicht nur im blinkenden Quasi-Begriff der ›restance‹. Quasi- und blinkend, nicht aufgrund einer begrifflichen Schwäche oder theoretischen Unschärfe eines philosophischen Diskurses, sondern weil die Iterabilität, an die er geknüpft ist und die man sehr wohl berücksichtigen muß, nur zu einem solchen ›Begriff‹ führen kann. (Identität ›und‹ Differenz, Iteration-Veränderung [altération], Wiederholung ›als‹ différance und so weiter). Die Schwierigkeit liegt auch in dem begründet, was sich Graphem im allgemeinen nennt, sowie in den strategischen Gründen, die zur Wahl dieses Wortes geführt haben, um ›etwas‹ zu bezeichnen, ein X, das an die Schrift im traditionellen Sinn nicht mehr geknüpft ist als an die Rede [parole] oder an irgend eine andere Art von Zeichen [marque],« DERRIDA (1977/2001), S. 91. Die ›restance‹ sei »blinkend«, da sie wie ein sprachliches »Warnlicht« (S. 88) kursiv gesetzt und mit dem Scheinparadox ›nicht-anwesenden restance‹ eingeführt werde, was Searle übersehen habe. Sie sei gerade »eine differentielle Struktur, die […] dem einfachen Gegensatz von Präsenz und Absenz entgeht« (S. 89). 59 DERRIDA (1977/2001), S. 89: »Die Iterabilität setzt eine minimale restance voraus (wie auch eine minimale, wenngleich begrenzte Idealisierung), damit die Selbst-Identität in, quer durch und selbst hinsichtlich der Veränderung [altération] wiederholbar und identifizierbar ist. Denn die Struktur der Iteration, ein weiterer entscheidender Zug, impliziert gleichzeitig Identität und Differenz. Die ›reinste‹ Iteration – aber sie ist niemals rein – bringt in sich selbst die Abweichung [écart] einer Differenz mit sich, die sie als Iteration konstituiert. Die Iterabilität eines Elements spaltet apriori seine eigene Identität, ohne zu berücksichtigen, daß sich diese Identität nicht anders bestimmen, abgrenzen kann als in differentieller Beziehung mit anderen Elementen, und trägt die Marke dieser Differenz.«

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stanz ohne Original, von der ihres Zeichens deviiert werden kann. Ein Nicht-Deviantes gäbe es gemäß dieser Logik ebenso wenig wie einen permanenten Grund oder ein festes, unverrückbares Gesetz des Normativen. 60 Allem voraus liege einzig der Impuls eines Scheidens, Abtrennens, Supplementierens bzw. ersetzenden Einstehens und Aufschiebens, kurz: der différance. 2.2 Potenziale performativer Realisierungen nach Butler An Austin, Searle und Derrida knüpft die amerikanische Philosophin Judith Butler an, um deren Theorien auf den Bereich von »gender performances« 61 zu übertragen. Austins Behauptung, dass Sprache eine Form des Handelns sei, die ihre Referenten teils erst hervorbringt62, reflektiert sie im Kontext von Prozessen der Identitätsbildung in gesellschaftlichen Machtkonstellationen. Die Komplexität ihrer Gedanken, in denen Diskurse der Psychoanalyse und Genderforschung mit Performanz- und Machttheorien verschränkt werden, würde hier zu weit führen: Primär ist herauszu-

60 Einen ›permanenten Grund‹ deutet Searle nicht nur im Begriff der ›permanence‹ an, sondern auch in der Peirceschen Type-Token-Differenzierung, die er bei Derrida vermisst. SEARLE, John R.: »Literary theory and its discontents« (1987), in: New Literary History, Bd. 25, H. 3/1, 1994, S. 637–667, hier: S. 642 und 643. Einer solchen Unterscheidung weicht Derrida völlig aus bzw. behandelt sie gleichwertig mit der Gegenüberstellung von ›signifiant‹ und ›signifié‹ oder Form und Inhalt, die er letztlich durch den Term ›marque‹ zu umspielen sucht, cf. DERRIDA (1977/2001), S. 89. Auch hinsichtlich dieses Aspekts missversteht Searle Derrida grundlegend. 61 BUTLER (1993), S. 235. In der deutschen Übersetzung wird »gender performance« umständlich durch »darstellerische Realisierung des sozialen Geschlechts« wiedergegeben, cf. BUTLER (1993/1997), S. 322. Dem mag, wie Seier in einem allgemeineren Kontext feststellt, u.a. die Problematik des Begriffssubstituts ›Performanz‹ im Deutschen zugrunde liegen, cf. SEIER (2005), S. 4: Beim Begriff der ›Performanz‹ bleibe »unklar, ob […] eine (im Deutschen bislang nicht allzu gebräuchliche) Übersetzung des englischen Performance angezeigt wird, oder an die sprachtheoretische Tradition angeknüpft wird.« Im Folgenden wird nach Möglichkeit der englische Term verwendet, der verstanden wird als ›performative Realisierung‹ mit durchaus sprechakttheoretischem wie auch in gewissem Maße spielerischem Bezug. 62 In diesem Punkt pflichtet Derrida Austins Konzeption von Performativen bei und lobt es als das »Interessante« an dessen Ausführungen, cf. DERRIDA (1972/2001), S. 33: »Im Unterschied zur […] konstativen Aussage [énoncé], liegt beim Performativ sein Referent (aber hier paßt dieses Wort zweifelsohne nicht, und das ist das Interessante der Entdeckung) nicht außerhalb oder vor ihm oder ihm gegenüber. […] [Das Performativ] produziert oder transformiert eine Situation, es wirkt [opère].« [Hervorh. A.K.].

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arbeiten, wie Butler iterative Aneignung und agency zusammenführt. Für den Kontext abweichenden Wiederholens sollen daher stark vereinfachend zwei Gedankenstränge zusammengefasst werden, die für Butlers Gender Trouble (1991) und Bodies that Matter (1993) gelten. a) Anrufung, Subjektwerdung und die Annahme von Geschlecht Zentral für Butlers Überlegungen zur (geschlechtlichen) Identitätsbildung sind Foucaults Ausführungen zur Subjektivierung sowie Althussers Konzept der Interpellation (Anrufung).63 Nach Althusser sind in der Welt, in der wir uns bewegen, eine Serie von Zurufen bzw. Benennungen angelegt, die sich an uns richten – »[…] Rufe, auf die ich reagieren muss, um als Subjekt erscheinen zu können«, so Gayle Salamon.64 Diese Modi der Adressierung sind laut Butler jedoch ebenso wenig sta-

63 Von einer ›Anrufung‹, bzw. i.O.: ›interpellation‹, spricht Althusser in dem 1970 erstpublizierten Aufsatz »Idéologie et appareils idéologiques de l’état«: Hier geht der französische Philosoph davon aus, »daß die Ideologie in einer Weise ›handelt‹ oder ›funktioniert‹, daß sie durch einen ganz bestimmten Vorgang, den wir Anrufung (interpellation) nennen, aus der Masse der Individuen Subjekte ›rekrutiert‹ (sie rekrutiert sie alle) oder diese Individuen in Subjekte ›transformiert‹ (sie transformiert sie alle). […] Wenn wir einmal an-nehmen, daß die vorgestellte Szene sich auf der Straße abspielt, so wendet sich das angerufene Individuum um. Durch diese einfache physische Wendung um 180 Grad wird es zum Subjekt. Warum? Weil es damit anerkennt, daß der Anruf ›genau‹ ihm galt und daß es ›gerade es war, das angerufen wurde‹ (und niemand anderes).« ALTHUSSER, Louis: »Ideologie und ideologische Staatsapparate« (1970), in: Ders.: Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischenTheorie, Hamburg/Berlin: Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung (VSA), 1977, S. 108–153, hier: S. 142–143. Butler betont im Anschluss an Althusser: »Der Zuruf ist genau deshalb formativ, wenn nicht sogar performativ, weil er das Individuum in den unterworfenen Status des Subjekts einweist.« BUTLER (1993/1997), S. 173. Erst durch das Zusammenspiel von Anrufung und Reaktion auf diesen Zuruf wird das Individuum »von einer äußeren Region des gleichgültigen, fragwürdigen Seins in den diskursiven oder sozialen Bereich des Subjekts überführt«, ebd. Ein Ungehorsam bzw. eine »Verkennung« des Gesetzes sind hierbei ebenfalls möglich. 64 SALAMON, Gayle: Assuming a Body, New York: Columbia University Press, 2010, pdfVersion:

https://nashvillefeministart.files.wordpress.com/2014/06/2010_gayle-salamon-

assuming-a-body.pdf [eingesehen am 10.02.2015], S. 132 [Übers. A.K., i.O.: »Interpellation is an account about the formation of identity in which the world issues forth a series of names and categories, calls to which I must respond in order to emerge as a subject«]. Salamon führt weiter aus: »Interpellation explains the ways in which my identity has a

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tisch oder gegeben wie das Subjekt selbst: Sie sind letztlich nur sedimentierte Begriffskategorien, die innerhalb der aktuellen Machtkonfiguration begünstigt werden. Althussers Konzept ist für Butler, so Isabelle Graw, »der Ausgangspunkt für die Frage, ob es denn möglich sei, sich diese Anrufung (also das Gesetz) wiederholend anzueignen und sich seinem festlegenden Charakter dadurch zu entziehen.«65 Dabei sieht Butler ein »Handlungsvermögen« (agency) primär in der devianten Realisierung (performance) bzw. in der verfehlten Reaktion auf den Zuruf.66 Eine ›Theorie der Interpellation‹ bzw. der verfehlten Antwort auf diese Zurufe ist für sie jedoch nur denkbar, wenn auch die zugrunde liegenden Mechanismen der Macht mitberücksichtigt werden. Die Amerikanerin bezieht sich hier maßgeblich auf Foucault. Sie untersucht »regulierende Schemata« (regulatory schemas) 67, die meist internalisiert bzw. – nach Foucault: in uns eingeschrieben68 sind. Indem sie Effekte der

social life that exceeds my own, that even my ›own‹ identity, in all its particularity, depends on the names I am called, the ways I am recognized by others.« 65 GRAW (2003), S. 90. Diese Möglichkeit sieht Graw vor allem in Butlers Analyse des Films Paris is Burning expliziert. Butler behauptet, der Film zeige »keine Aneignung der herrschenden Kultur, um ihren eigenen Bestimmungen untergeordnet zu bleiben, sondern eine Aneignung, die die Bestimmungen der Beherrschung umgestalten will, eine Umgestaltung, die selbst so etwas wie ein Handlungsvermögen [agency, A.K.] ist, eine Macht im Diskurs und als Diskurs oder eine Macht in der Darstellung und als Darstellung, die wiederholt, um zu erneuern – und die manchmal erfolgreich ist, BUTLER (1993/1997), S. 193 [Erg. engl. Version A.K. nach BUTLER (1993), S. 131]. 66 So kritisiert Butler Althusser gerade darin, dass er zwar von einem in der Ideologie angelegten »Verkennen« der Anrufung ausgeht, dabei jedoch nicht näher angebe, welcher »Umfang des Ungehorsams« denkbar wäre. Sie selbst betont, dass eine »parodistische Ausfüllung« bzw. ein ›Hinausschießen‹ oder eine Übertreibung in der Ausführung des Gesetzes dieses durcheinanderbringen könne, cf. BUTLER (1993/1997), S. 174. Butler verwendet sowohl in Gender Trouble als auch in Bodies that Matter den Begriff ›agency‹, der in der deutschen Übersetzung wahlweise als »Handlungsvermögen« oder »Handlungsmöglichkeit« wiedergegeben wird, cf. z.B. BUTLER (1991/2012), S. 209 (Handlungsmöglichkeit) und ebd., S. 211 sowie BUTLER (1993/1997), S. 300–301 (Handlungsvermögen). 67 BUTLER (1993/1997), S. 71 bzw. BUTLER (1993), S. 14. 68 Cf. Foucaults Überwachen und Strafen (Surveiller et punir. La naissance du prison, 1975). Auch Butler spricht zumeist nicht von ›internalisieren‹, sondern von ›inkorporieren‹ bzw. ›einverleiben‹, denn das Gesetz werde nicht verinnerlicht, sondern verkörperlicht mit der Folge, dass Körper produziert werden. Sie betont, dass nach Foucault nicht »die Seele […] im Körper eingekerkert [sei], wie die christlichen Vorstellungen suggerieren, sondern ›die Seele (ist das) Gefängnis des Körpers‹.« BUTLER (1991/2012), S. 199.

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Macht und der Subjektivierung mit Aspekten der Psychoanalyse verknüpft, rückt sie Konzepte der Repression und der (geschlechtlichen) Identifizierung69 in den Blick. Wie auch Foucault versteht Butler die Apparate der Macht nicht einzig einschränkend oder negativ, sondern vielmehr produktiv.70 Dies gelte vor allem auch für das Feld der Sexualität, in dem das als verwerflich oder anormal Stigmatisierte stets mitproduziert und zur Sprache gebracht werde. 71

69 »Die Geschlechtsidentität [gender] umfaßt auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die eine ›geschlechtliche Natur [sexed nature]‹ oder ein ›natürliches Geschlecht [natural sex]‹ als ›vordiskursiv‹, d.h. als der Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird.« BUTLER (1990/2012), S. 24 [Erg. in Klammern A.K. nach der engl. Ausgabe: BUTLER, Judith: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity (1990), London/New York: Routledge, 1999, S. 11]. »Der Versuch, eine Sexualität ›vor dem Gesetz‹ ausfindig zu machen«, müsse scheitern, da das Gesetz selbst den sexualisierten Körper, die je geltenden Tabus und auch beispielsweise »die das Gesetz übertretende Homosexualität« hervorbringe. All dies seien lediglich »Effekte, die zeitlich wie ontologisch auf das Gesetz folgen, und die Illusion einer Sexualität ›vor dem Gesetz‹ ist selbst das Produkt des Gesetzes.« BUTLER (1990/2012), S. 116. 70 FOUCAULT (1976/1983) stellt in La volonté de savoir die Frage, warum in einer Gesellschaft wie der unseren, »in der die Apparate der Macht so zahlreich, ihre Rituale so sichtbar und ihre Institutionen letzten Endes so sicher sind, in dieser Gesellschaft, die jede andere an Einfallsreichtum in subtilen und raffinierten Machtmechanismen übertrifft«, warum wir also in einer solchen Gesellschaft dazu tendieren, nur die negative Form des Verbotes anzuerkennen und dabei »die produktive Effizienz […] und die Positivität der Macht« auszublenden (S. 87). Anders formuliert: »Woher kommt die Neigung, die Dispositive der Herrschaft auf die Prozedur des Untersagungsgesetzes zu reduzieren?« (ebd.) 71 Cf. BUTLER (1991/2012), S. 11. Butler bezieht sich hier auf Foucaults Der Wille zum Wissen (La volonté de savoir, 1976), dem sie jedoch eine »problematische Indifferenz gegenüber der sexuellen Differenz« unterstellt. Der französische Kollege vernachlässige, dass sich – basierend u.a. auf medizinischen Diskursen – nicht irgendein Sexualitätsmodell durchgesetzt habe, sondern ein zweigeschlechtliches, das auf einem »heterosexuellen Imperativ« basiere, bei dem anatomisches Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender), Begehren und Sexualität in ein vorgegebenes, dualitätsgenerierendes Verhältnis gesetzt werden. Die Intelligibilität der erzeugten Körper und Identitäten werde dabei durch eine suggerierte Kohärenz und Kontinuität zwischen diesen Komponenten gewährleistet, cf. BUTLER (1991/2012), S. 38. Cf. auch ebd. S. 45: »Damit bedarf die innere Kohärenz oder Einheit jeder Geschlechtsidentität, sei es die Identität ›Frau‹ oder ›Mann‹, eines festen und zugleich gegensätzlich strukturierten heterosexuellen Systems.«

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In ihren weiteren Ausführungen weist Butler jede Annahme eines ›natürlichen So-Seins‹ zurück und bindet die Geschlechtskategorien an diskursiv-historische Produktionsapparate einer »heterosexuellen Matrix«: Sie hinterfragt den Sinn einer Trennung von sex und gender72, wobei sie jeder biologistischen Argumentationslinie ihre Grundlage entzieht – und zwar weniger, indem sie das Vorhandensein der Physis negiert als vielmehr im Verweis darauf, dass Körper nicht in einem vordiskursiven ›Reinzustand‹ zugänglich bzw. intelligibel sind: ›Sexed bodies‹ werden auf eine Weise produziert, durch die sie ›natürlich gegeben‹ erscheinen, doch müssen alle Distinktionsmerkmale zuvor etabliert werden. Die Kritik an Butlers Thesen zur sex-gender-Konstruktion muss hier ausgespart bleiben.73 Relevanter erscheint im gegenwärtigen Kontext Butlers hieran anschließende Überlegungen zur Iterabilität, Performativität und agency bzw. zur »Aneignung und Subversion«.74 b) Performativität, Iterabilität, agency Anknüpfend an die Debatten um Austins Sprechakttheorie formuliert die Amerikanerin in Bodies that Matter schließlich die Frage, ob »[…] das ›Annehmen eines Geschlechts‹ [sex] einem Sprechakt« gleiche. »Oder ist es oder gleicht es einer zitatförmigen Strategie oder resignifizierenden Praxis?«75 Sie überträgt Austins Idee eines sprachlichen Performativs, das im Akt des Artikulierens seinen Aussagegehalt erst realisiert (z.B. Taufe, Versprechen, usw.), auf Prozesse der Identitätsbildung. Wie Sara Salih bemerkt, bemüht sich Butler hierbei um eine begriffliche Trennung

71 Sie legt dar, »daß das Geschlecht (sex) definitionsgemäß immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen ist.« BUTLER (1991/2012), S. 26. Implizit stelle zwar auch Foucault die »Kategorie des ›Sexus‹«, als Produkt eines historisch-diskursiven Rahmens bzw. einer »diffus regulierenden Ökonomie der Sexualität« dar, cf. BUTLER (1993/1997), S. 46. Doch grenze sich Butlers Projekt von Foucault ab, da es sich als eine dezidierte »Genealogie der Geschlechter-Ontologie (gender ontology)« versteht, die versuche »zu begreifen, wie die Plausibilität dieser binären Beziehung diskursiv hervorgebracht« werde, cf. BUTLER (1991/2012), S. 60. 72 Sie legt dar, »daß das Geschlecht (sex) definitionsgemäß immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen ist.« BUTLER (1991/2012), S. 26. 73 Z.B. durch Benhabib, cf. SALIH, Sara: Judith Butler, London/New York: Routledge, 2002, S. 68–70. Anne Wolf konstatiert, dass Butlers Gender Trouble »einer der Auslöser einer Debatte um das Für und Wider der so genannten Postmodere für […] das Verständnis von Geschlecht gewesen« sei: »Kritikerinnen befürchteten darin die Verabschiedung des kritischen Impulses feministischer Theorie bzw. den Verlust ihres Forschungsobjekts.« WOLF, A. (2002), S. 71. 74 Cf. BUTLER (1993/1997), S. 173–197. 75 BUTLER (1993/1997), S. 156.

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von Performativität [performativity] und performativer Realisierung [performance]: Letztere setze ein Subjekt voraus, wohingegen Performativität gerade den Begriff des (selbst aktiven) Subjekts verwerfe.76 Diese Absage an einen frei bestimmenden Handlungsträger macht deutlich, in welchem Maße Butler einer Nietzscheanischen Denklinie verpflichtet ist, nach der der »›Thäter‹ […] zum Thun bloss hinzugedichtet« ist:77 Subjekte sind bei ihr keineswegs ›frei agierende‹ Operateure. Sie bewegen sich weder außerhalb des gesetzgebenden Rahmens, noch können sie ihr Geschlecht frei wählen. Stattdessen vollziehe sich Performativität an und mit ihnen im Sinne einer »forced reiteration«78, die nichtsdestotrotz variierend ausgefüllt werden kann.79 Das Annehmen einer Geschlechtsidentität impliziere also eine »wiederholte

76 SALIH (2002), S. 63. Siehe auch BUTLER (1993/1997), S. 259: »Entgegen der Vorstellung, die Performativität sei der wirkungsvolle Ausdruck eines menschlichen Willens in der Sprache, versucht dieser Text, Performativität neu zu fassen als eine spezifische Modalität der Macht als Diskurs.« sowie ebd., S. 321: »[D]ie darstellerische Realisierung [performance] als begrenzter ›Akt‹ unterscheidet sich von der Performativität insofern, als letztere in einer ständigen Wiederholung von Normen besteht, welche dem Ausführenden vorhergehen, ihn einschränken und über ihn hinausgehen […].« 77 Nietzsche schreibt in Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887), Leipzig: Neumann, 1892, S. 26–27: »Ein Quantum Kraft ist ein ebensolches Quantum Trieb, Wille, Wirken – vielmehr, es ist gar nichts anderes als eben dieses Treiben, Wollen, Wirken selbst, und nur unter der Verführung der Sprache (und der in ihr versteinerten Grundirrthümer der Vernunft), welche alles Wirken als bedingt durch ein Wirkendes, durch ein ›Subjekt‹ missversteht, kann es anders erscheinen. Ebenso nämlich, wie das Volk den Blitz von seinem Leuchten trennt und letzteres als Thun, als Wirkung eines Subjekts nimmt, das Blitz heisst, so trennt die Volks-Moral auch die Stärke von den Äusserungen der Stärke ab, wie als ob es hinter dem Starken ein indifferentes Substrat gäbe, dem es freistünde, Stärke zu äussern oder auch nicht. Aber es gibt kein solches Substrat; es gibt kein ›Sein‹ hinter dem Thun, Wirken, Werden. ›Der Thäter‹ ist zum Thun bloss hinzugedichtet […].« Nietzsche, der das ›Subjekt‹ hier als vorscheinlich Handelndes im grammatischen Sinne des aktiven Satzgliedes versteht, kritisiert die Subjektversessenheit in Wissenschaft und Philosophie, die sich des »untergeschobenen Wechselbalg[s]« der Sprache – dem Subjekt – nicht entledigen könne, ebd., S. 27. Demgegenüber betont er die mangelnde Entscheidungsfreiheit, beispielsweise Raubvogel oder Lamm zu sein. Bei Butler heißt es: »In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun [doing], wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen ließe, daß es der Tat vorangeht.« BUTLER (1991/2012), S. 49 [engl. Erg. in eckigen Klammern nach BUTLER (1991/1999), S. 33]. 78 BUTLER (1993), S. 94. 79 Entsprechend sei die »Performativität« von gender und anderen Identitätskategorien »weder freie Entfaltung [free play] noch theatralische Selbstdarstellung, und sie kann

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Stilisierung [stylization] des Körpers, ein Ensemble von Akten«80, welche in einem regulierenden Korsett zur Aufführung gebracht werden. Doch handelt es sich bei diesen repetierten Aufführungen, und dies ist der entscheidende Punkt, keineswegs um identische Imitationen einer statischen Matrize: Wie Anne Wolf präzisiert, macht »[d]er Prozess der Wiederholungen […] Spielräume für die Aneignung der Norm auf, da die zeitliche Abfolge der wiederholten Akte Risse und Verfehlungen ermöglicht.«81 Gerade in der Abweichung beim »›Zitieren‹ des Gesetzes«82 behauptet Butler nun ein Potenzial für latente Umschriften. Wohlgemerkt seien allerdings weder das Subjekt noch dessen Intention ausschlaggebend dafür, welche Wirkung diese Devianz erzielt. Auch sind Verfehlungen des Imitierten per se noch nicht subversiv.83 In diesem Zusammenhang rekurriert sie explizit auf Derrida, der ebenfalls die Iterabiltät letztlich zum semiotischen Spiel jenseits eines ›präsenten Sprechenden‹ deklariert. Analog hierzu verweist Butler darauf, dass in einer Handlung stets eine »vorgängige Kette von Handlungen« enthalten sei; es entstehe zugleich stets ein »Hiatus«, ein Spalt bzw. eine »Nicht-Identität« durch die Wiederholung, »der es miß-

auch nicht einfach mit darstellerischer Realisierung (performance) gleichgesetzt werden«. Vielmehr sei sie im Zusammenhang mit Zwang zu denken, der wiederum »nicht notwendig das [ist], was der Performativität eine Grenze setzt«, sondern der vielmehr als Movens und Stabilisator fungiert. BUTLER (1993/1997), S. 139 [Ergänzung nach BUTLER (1993) S. 94–95]. 80 BUTLER (1991/2012), S. 60 bzw. i.O. BUTLER (1991/1999), S. 43. 81 WOLF, A. (2002), S. 72. 82 Butler spricht dezidiert von einem Zitieren und Iterieren im Kontext der Wiederholung von Geschlechtsnormen. Bedenkenswerterweise beschreibt sie auch die scheinbar biologische »Verkörperung von Geschlecht [sex]« als »eine Art ›Zitieren‹ des Gesetzes«. Es lasse sich»dabei weder vom Geschlecht [sex] noch vom Gesetz sagen, sie existierten vor ihren unterschiedlichen Verkörperungen [embodyings] und Zitierungen.« BUTLER (1993/ 1997), S. 156 [Erg. in Klammern A.K. nach der engl. Ausgabe: BUTLER (1993). S. 108]. 83 Es ließe sich ausgehend vom Butlerschen Filmbeispiel Paris is Burning (R: Jennie Livingstone, 1991) »daran zweifeln, ob das Parodieren der herrschenden Normen ausreicht, um sie zu ersetzen; ja, im Grunde genommen kommt die Frage auf, ob die Entnaturalisierung […] nicht möglicherweise gerade das Vehikel für eine erneute Festigung hegemonialer Normen sein kann.« Es gebe – entgegen der Missinterpretation einiger Leser von Gender trouble – »keine zwangsläufige Verbindung zwischen drag und Subversion«, so BUTLER (1993/1997), S. 177-178. Die devianten Aneignungen können also nichtsdestotrotz »die Norm bestätigen oder von dieser resignifiziert werden und scheitern«, schreibt WOLF, A. (2002), S. 73.

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lingt, getreu zu wiederholen«.84 Im Gegensatz zu Derrida konzipiert die Amerikanerin aber Iterabilität weniger als strukturelle Zeichenpraxis denn als Vollzug am und mit dem Körper. Ein »Handlungsvermögen« (agency) im subjekt- wie auch zeichenbezogenen Konstituierungsprozess sei dabei in einer aktiv-passiven »Doppelbewegung« des Wiederholens angelegt:85 Nicht im Hervorbringen komplett neuer Signifikanten wäre ein solches Potenzial gegeben, sondern in der permanenten Aneignung und Verschiebung von Signifikantenketten.86 Nicht ganz klar wird dabei allerdings, wie diese agency schließlich als Widerstand wirksam werden kann87, denn letztlich könne die »[…] Reichweite der Signifizierfähigkeit […] von demjenigen oder derjenigen, die äußert oder schreibt, nicht kontrolliert werden, da solche Hervorbringungen nicht im Besitz der äußernden Person sind. Sie fahren ungeachtet ihrer Autoren mit der Signifikation fort und manchmal entgegen den wertvollsten Absichten ihrer Autoren.«88

Augenzwinkend möchte man an dieses Zitat anschließen, dass es auch einem theoretischen Ansatz, der ›ursprünglich‹ auf Sprechakte bezogen war (Austin), widerfahren kann, dass er in ein Modell allgemeiner Schriftlichkeit und Iteration (Derrida) überführt wird, um sodann – in variierter Form – zur Beschreibung von Praktiken geschlechtlicher Subjektivierung und Re-Signifizierung (Butler) eingesetzt zu werden. Dass Andrea Seier wiederum in ihrer Dissertation über Remediatisierungsprozesse (2005)89 an Butler, Derrida und Austin anknüpft, um performative Praktiken der (Re-)Konfigurierung von Medien zu beleuchten bzw. sie mit Repräsenta-

84 BUTLER (1993/1997), S. 337, Fn. 9 und S. 301. 85 Cf. ebd., S. 300. 86 Somit ist das Rezitieren einerseits Bedingung dafür, dass ein Bezeichnendes ein Fortleben erfährt. Andererseits impliziert es eine »Untreue« bzw. eine Nicht-Identität, cf. ebd., S. 300–301. 87 Cf. auch WOLF, A. (2002), S. 73. 88 BUTLER (1993/1997), S. 331, i.O. BUTLER (1993), S. 241. 89 SEIER (2005). Das Remediatisierungskonzept setzt, wie Ilka Becker präzisiert,»kein gegebenes Medium voraus, sondern stellt performative Prozesse in den Mittelpunkt«, die »retroaktiv[e] Dynamiken« inkludieren: »Im Unterschied zu Medientheorien wie denjenigen McLuhans oder Kittlers, die das Fortleben alter in neuen Medien betonen und sie als vorgängig voraussetzen, geht es hier um ein ständiges Aneignen, Verändern und Anordnen von Konstellationen, die eine Beziehung zu Vergangenem herstellen und sichtbar machen.«, cf. BECKER, Ilka: »Das Bild als Wiedergänger. Retroaktivität und ›Remediatisierung‹ in den Arbeiten von T.J. Wilcox«, in: Texte zur Kunst, H. 76 (›Geschichte‹), 12/2009, S. 83–95, hier: S. 85.

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tionsschemen von Gender im Film zusammenzudenken, erscheint demnach als legitime Weiterentwicklung. Bevor ich noch detaillierter auf Andrea Seier respektive auf Fragen der Remediatisierung zurückkomme, möchte ich mich, ausgehend von Butlers Anmerkung zur agency iterierter Akte, abermals der Frage nach dem Wirkpotenzial von Re-Inszenierungen zuwenden – diesmal allerdings keineswegs aus der Perspektive des künstlerisch erwünschten Effekts. Denn wie soeben mit Butler konstatiert, hat das Projekt eines möglicherweise subversiv intendierten Iterierens entgegen den »wertvollsten Absichten« des jeweils Ausführenden keine Erfolgsgarantie, da die Signifikation »ungeachtet ihrer Autoren« weiter verläuft.90 Butlers Argumentation ist selbstverständlich an einen Rahmen gebunden, der auf den ersten Blick wenig gemein hat mit dem künstlerischen Aufgreifen kanonischer bzw. verfestigter Formeln. Und doch entsprechen das beschriebene Scheitern der Subjekte in der Wiederaufführung, aber auch die Hoffnung oder zufällige Gunst, aus der Differenz ein Wirkpotenzial zu gewinnen sowie die Ernüchterung angesichts der Nichtkalkulierbarkeit dieses Unterfangens genau dem Einsatz zitierend arbeitender Künstler. Im Übertrag Butlers und Derridas auf pikturales Wiederholen wird im nächsten Kapitel untersucht, ob das Bildgedächtnis des Betrachters und die Eigendynamik der Bilder nicht möglicherweise in ähnlicher Art der Intention ›iterierender‹ Künstler entgegenarbeiten können, wie die Signifikationspraxis die (Sprech-)Handelnden zu entautorisieren vermag.

3. REFERENZSTREUUNG UND ZITATVERFEHLUNG Ich komme nochmals zurück auf Olympus – diesmal weniger mit Blick auf die Bildkomposition oder die künstlerisch erwünschten Abweichungen gegenüber dem intendierten ›Vorbild‹ als vielmehr hinsichtlich alternativer Rekurspraktiken, die Antoshina bewusst nicht wählte. In diesem Zusammenhang möchte ich einerseits produktionsseitige, medienbedingte Differenzen beleuchten, die ich als primäre Verschiebung in Bezug auf das intentional ›Zitierte‹ bezeichne. Parallel zu dieser soll andererseits auch einer weniger kontrollierbaren Dynamik des Interrelierens und Abgrenzens Rechnung getragen werden, die ich unter den Begriff einer sekundären, außerplanmäßigen Verschiebung fasse. Gemeint ist ein Signifikationswechsel durch das In-Beziehung-Setzen eines Bildes mit unterschiedlichen Bildund Textgefügen.

90 BUTLER (1993/1997), S. 331. Auch in Unbehagen der Geschlechter äußert Butler das Unvermögen, die Wirkung parodistischer Realisierungen antizipieren zu können, da letztlich der Rezeptionskontext entscheidend hineinspiele, cf. BUTLER (1991/2012), S. 204.

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3.1 Primäre Verschiebungen. Produktionsseitige Abweichungen von der ›Vorlage‹ Die Realisierung als fotografische Re-Inszenierung erlaubt gegenüber den meisten anderen Praktiken des Wiederholens respektive ›Zitierens‹ eine größere Flexibilität hinsichtlich der ›Abbildungstreue‹. Von beispielsweise der Reproduktionsfotografie oder dem appropriierenden Abfotografieren im Stile Levines unterscheiden sich Antoshinas Mises en scène maßgeblich. Denn wie zuvor dargelegt, sah die Arbeitsweise Levines kaum Variationsmöglichkeiten bzw. Raum für kommentierende Eingriffe vor.91 Antoshina behandelt demgegenüber das vorgefundene Material ganz im Sinne von Colemans Definition ›inszenierter Fotografie‹ (cf. Kapitel B.2.2) »als Rohmaterial«, das vor der fotografischen Erfassung »nach Wunsch manipuliert werden kann«.92 Die Praxis appropriierender ›rephotography‹ verhält sich in diesem Punkt hingegen eher wie jene der klassischen Kunstwerksreproduktion (z.B. von Gemälden oder Grafiken), die trotz eines eventuellen Medienwechsels meist eine vollkommene Zurücknahme des Fotografen und einen möglichst wertungsfreien bzw. standardisierten Blick auf das Objekt verlangen. Die ›eigene‹ Position bzw. Rahmenverschiebung wird hier weitgehend zum Verschwinden gebracht und die gespaltene Autorschaft primär paratextuell in der Bildlegende expliziert. Aus diesem Grund fällt es zumindest für klassische Reproduktionsfotografie schwer, hier von einem ›Zitat‹ oder einer ›Rekurspraktik‹ zu sprechen. Demgegenüber weichen Re-Inszenierungen bewusst wie auch notwendig von der ›Vorlage‹ ab. Denn es erfolgen Zwischenschritte des Interpretierens, Nachstellens bzw. performativen Inkorporierens, bevor das inszenierte Bild fotografisch fixiert wird. Aber auch von malerischen, zeichnerischen oder plastischen Bezugnahmen (z.B. Kopien) oder sprachlichen Zitaten93 sind die Rekurse Antoshinas abzugren-

91 BUCHLOH (1982), S. 54, konstatiert wie erwähnt eine fehlende »dimension of critical negativity«. 92 COLEMAN (1976/1983), S. 242 [Hervorh. A. K.]. 93 Hildebrand-Schat schreibt: »Anders als bei textuellen Bezugnahmen, bei der allein die Textinhalte von Bedeutung sind, sind bei der bildlichen Interaktion auch die materiellen Beschaffenheiten mitzubedenken. Und gerade diese ändern sich bei Antoshina grundlegend, indem sie die Malerei in reale Pose übersetzt, um diese dann wiederum im Medium der Fotografie zu fixieren. Durch die zweimalige mediale Umsetzung wird das Motiv als Gegenstand der Malerei in die Realität überführt, für die ohnehin und dauerhaft die Fotografie zeugt.« Der letzte Teil dieser Aussage mag zutreffen, doch werden sehr wohl auch im Schrifttext nicht nur Inhalte aufgegriffen und in ein zitierendes Neues überführt, sondern es wird auch Stil zitiert. Möglicherweise ist Stil nicht im selben Maße der materiellen Seite zuzuschlagen wie beispielsweise der malerische Duktus oder die fotografische

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zen. Werden Motive mit realen Personen und/oder Objekten nachgebildet und fotografiert, dann vollziehen sich Verschiebungen, die erstens dem Medium der Fotografie und dessen Indizialitätsversprechen geschuldet sind und die zweitens aus dem Zusammenwirken der weiteren beteiligten Instanzen resultieren (Fotograf, physische Referenten, Lichtverhältnisse, verfügbare Requisiten etc.). Dabei umfasst die Re-Inszenierung eine dezidiert performative Dimension und bildet eine »Fotografie im Vollzug«94, wie Klaus Krüger (2011) schreibt. Jenseits dieser Spezifika durch die Wahl der Rekurspraktik gilt es, weitere produktionsseitige Parameter zu berücksichtigen, die unbeachtet bleiben, wenn einzig nach der erwünschten Verschiebung durch den Künstler oder die Künstlerin gefragt wird. Erneut ist hier eine Übertragung von Graws kritischen Anmerkungen zur Rezeption der Appropriation Art hilfreich: Graw äußert Bedenken gegenüber der dominanten Fokussierung der Kunstkritik auf das Künstlersubjekt und dessen Intention. Man sei von einem rein aktiven Akt des Aneignens ausgegangen, der wiederum ein »Subjekt voraus[setzte], das sich für eine bestimmte Handlungsweise entschieden« habe – und zwar vor allem für die mutmaßliche »›Negation individueller und origineller Produktion‹«.95 Das Problem hieran liegt für Graw vor allem darin, dass ein »instrumentelles Verhältnis zwischen dem Aneignenden und seinem Bildmaterial vorausgesetzt« wurde, bei dem das herangezogene Material als passives Werkzeug und das angewandte Verfahren als bewusste Technik des Künstlers erschien. 96 Graw nun bemängelt die terminologisch wie konzeptuell angelegte Einseitigkeit der Diskurse um ›Appropriierungspraktiken‹, die – denken wir an die kritischen Anmerkungen Leo Steinbergs und Vernon Hyde Minors zurück (Kapitel C) – ebenso unzureichend erscheinen wie die gegenläufig-unilateralen Modelle der Einflussfor-

Weichzeichnung, doch gerade an dieser Stelle klingt eine Problematik an, die sich im Fortgang von Hildebrand-Schats Ausführungen herauskristallisiert. Denn auch Antoshina erkennt sie primär zu, Inhalte (nicht aber Stil) zu übernehmen, cf. HILDEBRAND-SCHAT (2013), S. 219–236, hier: S. 231. 94 Klaus Krüger in: CRASEMANN/KRÜGER/WEISS (2011), S. 7–8. 95 GRAW, Isabelle: »Wo Aneignung war, soll Zueignung werden. Ansteckung, Subversion und Enteignung in der Appropriation Art«, in: MAYER, Ruth/WEINGART, Brigitte (Hg.): Virus! Mutationen einer Metapher, Bielefeld: transkript, 2004, S. 293–312, hier: S. 297. Graw geht hier zunächst von Buchloh aus, der in »Parody and Appropriation in Francis Picabia, Pop, and Sigmar Polke« die Appropriation mit einem Akt assoziiert, der nach Möglichkeit kritischen Ambitionen folgt und Negationsabsichten inkorporiert. 96 Verbreitet sind daher Metaphern des ›subversiven‹ »Einnisten[s]« und des viralen bzw. parasitären Befalls (ebd. S. 299): Nach einer solchen Darstellung bewege sich der Künstler wie ein »trojanisches Pferd« in »feindliches Terrain«, um sich aus seiner Tarnung heraus im »Wirtsorganismus« festzusetzen (ebd., S. 294f).

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schung.97 Verkannt werde im ersten Fall die Rückwirkung des ›vorgefundenen‹ Materials bzw. der Umstand, dass der ›Fremdkörper‹, in welchen sich der Appropriierende »›einnistete‹, seinerseits durchaus widerspenstig sein kann […].«98 Graw plädiert entsprechend dafür, die »spezifische Beschaffenheit« des übernommenen Materials zu berücksichtigen, »und zwar auf nicht-mystifizierende Weise. Statt Appropriation […] als einseitig kontrollierten Prozess zu begreifen, kann man ihn nun als Vorgang gegenseitiger Beeinflussung verstehen, bei dem sich die Dynamik des angeeigneten Materials auf den Aneignenden überträgt.«99

Wenngleich dieser Gedanke überaus inspirierend ist, stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Begriff ›Material‹ für die Kunsttheoretikerin umfasst: Missverständlich scheint er insbesondere dadurch, dass Graw ihn teils im Kontext ›modernistischer‹ Diskurse verortet, denen die Aneignungskunst durch das Aufsprengen von Immanenzbehauptungen respektive die Injektion des Fremden ins Eigene zu entkommen suche.100 Hier ist man verleitet, den Materialbegriff auf Medialität oder auch stoffliche Eigenart zu reduzieren, während andernorts der Term offenbar für das ›angeeignete‹ Bild und dessen Bedingungen steht (in diesem Sinne wird er auch hier verwendet).101 Aus Graws Überlegungen lassen sich zwei essentielle Punkte ableiten und gewinnbringend anwenden: Erstens ist es nicht damit getan, rekursive Praktiken unter dem Aspekt einer reibungslosen, rein aktiven Aneignung zu beleuchten, denn dies stünde gänzlich »quer […] zur poststrukturalistischen Theoriebildung« der 1970er und 1980er Jahre.102 Und zweitens ist es problematisch zu behaupten, dass »[a]llein dadurch, dass eine Bildvorlage angeeignet wurde, […] eine Bedeutungsverschiebung geleistet« würde bzw. ein per se subversiver Modus vorliege. Ein »ausschließlich kritisch-distanziertes Verhältnis« negiert Graw entsprechend zu Recht, um stattdessen die Verschränkung von Faszination, Affiziertheit

97 Dass ›Aneignung‹ bzw. im Englischen ›appropriation‹ nicht der glücklichste Term ist, konstatierten schon MINOR (1998), S. 140 und STEINBERG (1978), S. 25. 98 GRAW (2004), S. 300. 99 Ebd., S. 300. 100 Ebd., S. 300 bzw. S. 298. 101 Eine weitere Schwierigkeit liegt im Term der ›Zueignung‹, den Graw als Komplementärbegriff zur ›Aneignung‹ einführt, um zu explizieren, dass dem Künstler das Material »zu bestimmten Teilen auch zu[fallen]« würde. Eine solche Zweiteilung von ›An-‹ und ›Zu-‹ konterkariert allerdings ungewollt die Wechselseitigkeit der simultan vollzogenen Affizierungen, in denen sich Eigenes und Fremdes verschränken. 102 GRAW (2004), S. 302.

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und Abstand geltend zu machen: Der oder die aneignende KünstlerIn gebe sich immer »auch einer Sache anheim«.103 Analog zu Graws Relativierung der künstlerischen (Selbst-)Bestimmtheit in der Bildproduktion lässt sich auch für Antoshinas Projekt des Museums der Frau Folgendes konstatieren: Wenngleich der Rekurs auf konkrete ›Vorbilder‹ in der Serie intendiert ist und als solcher zur Schau gestellt wird, sollte nicht das Zurückwirken des verwendeten ›Materials‹ ausgeblendet werden. Denn Letzterem kommt sowohl eine eigene inhaltliche als auch eine stoffliche bzw. mediale Dimension zu: So können sich selbst in minutiöse ›Übernahmen‹ medien- wie zeitbasierte Verschiebungen einschleichen, die sich kaum kontrollieren lassen. Bei Antoshina kommt diesen Abweichungen ein besonderer Raum zu, da sie – wie auch Nowak und Taylor-Johnson – von malerischen ›Vorbildern‹ ausgeht, um sie über den Zwischenschritt eines ›Tableau vivant‹ in die Fotografie zu übertragen. Die partielle Akzidenz der lichtbildnerischen Technik verbindet sich dabei mit der Performanz der im (vor-)fotografischen Akt zusammenwirkenden Akteure. Abermals sei in diesem Kontext auf das Lachen Alyoshas und seines Begleiters verwiesen, das sich durchaus auch als Distanznahme gegenüber den angenommenen Rollen des Aktes und der BlumenüberbringerIn interpretieren ließe. Affirmiert sich in der Haltung der Modelle, genauer: in deren Belustigung und Verlegenheit, nicht erneut das Klischee idealer geschlechtlicher Rollenverteilung? 3.2 Sekundäre Verschiebungen in Bild-/Textgefügen Die zuvor genannten Aspekte bezogen sich einzig auf das differenzielle Verhältnis von Bild und ›Vorlage‹ bzw. ›Fremdmaterial‹. Der Blick war somit auf die Produktionsseite fokussiert, was sich dem eigentlichen Projekt vorliegender Untersuchung widersetzt. Ich möchte daher nun – anstelle der künstlerischen, medien- bzw. materialbezogenen Abweichung – die sekundäre, außerplanmäßige Differenz beleuchten, die sich aus der Separierung des Werks von seinem Produktionskontext ergibt sowie seiner Überführung in variierende Rezeptionskontexte. Im Verlauf dieser Studie merkte ich, u.a. Vernon Hyde Minor (1998) folgend, mehrmals an, dass in den klassisch-kunsthistorischen Ansätzen z.B. der Ikonografie stark mit dualen Verhältnissen von Vorbild und Nachbild oder, in umgekehrtem Aktionsverlauf: von Aneignung und Angeeignetem gearbeitet wird. Die Dynamik wechselnder Vergleichsgründe bleibt in diesen Modellen ausgeblendet. Stattdessen wird ein invariabler Fixpunkt gesetzt im Sinne einer vom Rezeptionskontext unab-

103 Graw verweist darauf, dass hier daher Agambens Term der ›Uneigentlichkeit‹ im Sinne eines »Nicht-über-sich-selbst-Verfügen[s]« passend erscheine, cf. GRAW (2004), S. 310. Zitate: ebd., S. 305, 306 und 310.

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hängigen ›Bezugsquelle‹: die mutmaßliche ›Vorlage‹ bzw. das ›Vorbild‹. Einen solchen festen Sinn-Anker möchte ich hinterfragen und wenn zwar nicht gänzlich verwerfen, so doch um subjekt- wie kontextbasierte Bezüge erweitern. Dabei wird den diffusen Verschiebungen eines Werks im Dialog mit dem Rezipienten und mit verschiedenen Déjà-vu-Bildern Rechnung getragen: Denn wie Mieke Bal und Norman Bryson (1991) konstatieren, nimmt der Betrachter stets bewusst oder unbewusst (Rück-)Projektionen aus der Gegenwart104 vor, die in der traditionellen Kunstgeschichte ignoriert bleiben. In den ikonografisch-ikonologischen Bildanalysen sei stets ein stabiler Sinn und Bildursprung behauptet worden, der vom Rezeptionskontext ebenso bereinigt schien wie vom differenziellen Verhältnis der Vergleichsbilder: So galt beispielsweise Giorgiones Schlummernde Venus als ›das Vorbild‹ von Tizians Venus von Urbino, während letztgenannte wiederum als ›die Vorlage‹ von Manets Olympia aufgespürt wurde. Wie René Payant im Rekurs auf Leo Steinberg anmerkt, gab es bis ins 20. Jahrhundert ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel der Bildkundigkeit, bei dem Künstler die Ursprünge ihrer Bezüge tendenziell stärker vertuschten und Kunsthistoriker – trotz des teils frappierenden zeitlichen Abstands – detektivisch nach diesen suchten, so als könnten sie den wahren Sinn gleich einer im Eis konservierten Mumie erneut bergen: »Steinberg zufolge war die Malerei – bis hin zu den ›enthüllenden‹ Erfahrungen des 20. Jahrhunderts – eher dazu geneigt, ihre Anleihen zu verschleiern. Allzu verständlich ist daher das ›Vergnügen‹ des Kunsthistorikers, der unablässig in den Werken nach importierten Motiven (im Sinne Panofskys) fahndet, um schließlich auf eine verschwiegene Referenz zu stoßen.« 105

Einen Ansatz, wie ihn Payant, Bal und Bryson kritisieren, möchte ich im Kontext der Analyse von Antoshinas Olympus nun gerade nicht anstreben: Erstens würde dies nicht der mnemonischen Überlagerungsdynamik der Bildwahrnehmung entsprechen und zweitens schiene es angesichts der polyreferenziellen Praktiken zeitgenössischer KünstlerInnen verfehlt. Ich möchte stattdessen vielmehr die Frage stellen, was im Austausch mit dem Bildgedächtnis des Rezipienten und den eventuell dort angelegten Ordnungsschemata geschieht. Zugleich ist mit Blick auf Antoshinas Bildbeispiel Folgendes anzumerken: Damit ihre Kritik an ›männlichen Blick-

104 BAL/BRYSON (1991), S. 207. 105 PAYANT (1979), S. 5–6 [Übers. A.K.], i.O.: »Selon Steinberg, la peinture – jusqu’aux expériences ›révélatrices‹ du vingtième siècle – aurait plutôt eu tendance à masquer ses emprunts. On comprend alors le ›plaisir‹ de l’historien d’art qui, traquant sans relâche dans les œuvres les motifs (au sens de Panofsky) importés, tombe tout à coup sur la référence inavouée.«

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regimen‹ in der Kunstgeschichte nachvollziehbar wird bzw. Olympus einen Bruch mit solchen Ordnungen darstellen kann, müsste der Betrachter diese Arbeit primär mit Bildgefügen assoziieren, die den weiblichen Körper zu einem Objekt heterosexuell-skopophiler Betrachtung machen. Was aber wäre beispielsweise, wenn der Rekurs auf Manet nicht erkannt bzw. das ›Zitat‹ anders zugeordnet würde? Hypothetisch wäre es immerhin möglich, dass nur jüngere Aktdarstellungen mit Olympus assoziiert würden oder sich zumindest dominierend zwischenspiegelten. Denkbar wäre hierbei, dass Ähnlichkeiten mit Yasumasa Morimuras Futago (Abb. 23.2) und Rita Nowaks Amechi (Abb. 23.3/FT. 21) konstatiert würden, die sodann die Bildlektüre von Olympus maßgeblich verändern würden, zeigen diese beiden Vergleichsbilder doch männliche, nicht-kaukasisch-hellhäutige Lagernde. Abbildung 23.1/FT. 20: Félix Vallotton, Die Weiße und die Schwarze (La Blanche et la Noire), 1913, Öl auf Leinwand, 114 x 147 cm. Abbildung 23.2: Yasumasa Morimura, Futago, 1988, C-Print/Acryl, 210,1 x 299,8 cm.

Abbildung 23.3/FT. 21: Rita Nowak, Amechi, 2007, C-Print, 80 x 60 cm. Abbildung 23.4/FT. 22: Jan Banning, Black Olympia (2011); an immigrant version of Manet's Olympia, Print/Dibond, 30 x 40 cm und 50 x 70 cm. Gleichermaßen könnte ein Vergleich mit der Fotografie Black Olympia (Abb. 23.4/FT. 22) erfolgen, in welcher der niederländische Künstler Jan Bannings die

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Konstruktion nationaler Identität angesichts postkolonialistischer und rassenideologischer Diskursrahmungen bzw. Blickprägungen reflektiert: Die Zofe aus Manets Olympia wird hier durch ein blondes Model in biederem Kleid mit Puffärmeln ersetzt, während die Kurtisane durch eine selbstbewusst posierende Dunkelhäutige gestellt wird. Statt der Katze findet sich eine Maus am Bettende, ohne hier größere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Symbolisch aufgeladen ist die Mise en scène vor allem durch die Kunstrekurse auf einerseits das im Titel benannte OlympiaMotiv und andererseits das Bild-im-Bild einer Reproduktion von Rembrandts Danae, das hinter einem geöffneten Vorhang erscheint. Sowohl hinsichtlich dieser weiteren Auffaltung des Bildraums als auch in der rekursiven Verstrickung mit niederländischen Meistern und zeitgenössischen, politischen Diskursen gestaltet sich Bannings Arbeit komplex: Im Kontext des Serientitels (National Identities) werden dezidiert Theorien der Formierung nationaler Zusammengehörigkeit, Aus- und Abgrenzung abrufbar, wobei gerade die Heterogenität »nationaler Identität« angesichts transeuropäischer und globaler Migrationen zum Ausdruck gebracht wird. Plausibel wäre aber auch, dass mit Antoshinas Bild eine (bzw. mehrere) Olympia-Reprisen von z.B. Paul Cézanne, Félix Vallotton (Abb. 23.1/FT. 20), zeitgenössischen Karikaturisten oder aber chronologische Vorgänger des Motivs assoziiert würden. Eine jede dieser Instanzen würde ein anderes differenzielles Verhältnis zu Olympus aufbauen und wäre von eigenen Para- und Metatexten umgeben, die je unterschiedliche Wechselwirkungen erzeugten. Die einzige Wirkung, die sich für all diese Vergleichsbilder gleichermaßen feststellen lässt, ist, dass sich Olympus aufgrund seines Ähnlichkeitsbezugs in deren Ordnung einschreibt. Dabei zeigt sich auch, dass Manets Version der Olympia mitnichten diejenige Instanz des Motivs ist, die die größte Ähnlichkeit zu Olympus aufweist. Die Problematik, dass Olympus möglicherweise in anderen Bildgefügen nicht mehr gemäß Antoshinas Intention funktioniert, sprich: dass stilisierte, männliche Blickordnungen dekuvriert werden, ahnt bereits Viola Hildebrand-Schat: Die Kunsthistorikerin urteilt entsprechend, dass die Serie des Museums der Frau in einer »nicht nur sinnstiftend[en], sondern geradezu notwendig[en]« Verbindung mit den je intendierten Bezugsbildern106 stehe: Die Künstlerin wolle »eine Veränderung der Aussage vor[nehmen], deren Qualität gerade im Bezug auf das Vorbild besteht. Anders ausgedrückt: Antoshinas Veränderung funktioniert ausschließlich vor dem Hintergrund der Vorlage und sie funktioniert umso besser, als die Künstlerin [für das Museum der Frau, A.K.] gleich ein ganzes Repertoire an Gemälden aus unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Zusammenhängen heranzieht.«107

106 HILDEBRAND-SCHAT (2013), S. 233. 107 Ebd., S. 232.

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Nach Hildebrandt-Schat ist im binären Vergleich mit der »notwendigen« Vorlage erstens ein Blickwechsel angelegt von einer mutmaßlich heterosexuell-›männlichen‹ zu einer ›weiblichen‹ Betrachterperspektive.108 Zweitens sei in der Serie eine kulturelle Verschiebung am Werk: Zentral sei nämlich der Aspekt der Aneignung westlicher Kunst durch eine russische Künstlerin, der unter anderem dadurch zugespitzt werde, dass nur zwei der ›zitierten Vorbilder‹ des Museums der Frau in einer russischen Sammlung zu finden seien – und dass eben einzig italienische, französische, spanische, deutsche und niederländische Maler, aber kein einziger russischer ›Klassiker‹ in der Serie zitiert würden. So beziehe Antoshina »[m]it einer offensichtlichen Orientierung an der westlichen Kunst […] auch Stellung zu einer Verortung ihres Werks. […] Seit der Perestroika sieht sich die russische Kunstszene nicht nur von den Repressionen im eigenen Lande befreit, sondern verstärkt in die Nähe des westlichen wie überhaupt eines weltweiten Kunstgeschehens gerückt.«109

Und weiter: »Zentral für die interpiktorialen Bezüge bei den jungen russischen Künstlern ist ein Bewusstsein für den kulturellen Wandel und die gleichzeitige Auseinandersetzung mit Konservierungsbestrebungen und Eingliederungstendenzen in globale Zusammenhänge.«110

Die Darstellung Hildebrand-Schats vermag einerseits zu leisten, was in vorliegender Untersuchung aufgrund des unterschiedlich gesetzten Fokus bewusst ausgespart wird: Sie beleuchtet den soziopolitisch-künstlerischen Hintergrund von Rekurspraktiken innerhalb eines geografisch wie zeitlich abgesteckten Raums (hier: Russland nach der Perestroika), um den Produktionskontext und die künstlerische Intention zu (re-)konstruieren. Dieses Vorgehen ist kunsthistorisch etabliert und legitim. Andererseits wird in dem Bemühen um eine kontextuelle Rekonstruktion nicht herausgearbeitet, inwieweit das Werk je nach betrachtendem Subjekt, herangezogenen Intertexten und Fragestellungen auch anders gelesen werden kann: Bestimmen der komparative Blick auf andere russische Künstlerinnen und Künstler sowie die Situierung Antoshinas in einem Spannungsverhältnis von Landeskultur und Globalisierung nicht bereits die zu erwartende Lesart des Bildes? Engt die Festlegung der Einzelbilder des Museums der Frau auf je konkrete, europäische Meisterwerke

108 Es werde – wie in der Rezeption Antoshinas oft behauptet – aufgrund der Rollenverkehrung »anstelle des männlichen Betrachters eine weibliche Betrachterin suggeriert«, ebd. 109 Ebd., S. 233. 110 Ebd., S. 233.

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nicht die Interpretationsvielfalt und möglicherweise auch das Wirkpotenzial dieser Bilder ein? Bal und Bryson schreiben zu Recht – und eigentlich auf jede Form der ›Bildlektüre‹ bezogen: »the art historian is always present in the construction she or he produces.«111 Die Verschiebungen, die sich durch den Vergleich mit anderen Bildern, historischen Narrativen, Künstlern usw. am Werk ergeben bzw. die dieses Werk wiederum an jenen Faktoren bewirkt, werden sicherlich nicht einzig durch den Rezipienten oder den Kunsthistoriker gesteuert. Vielmehr haben wir es im Umgang mit Bildern mit komplexen Gefügen zu tun, die in unterschiedlichen Kontexten ein je unterschiedliches Potenzial entfalten.

111 BAL/BRYSON (1991), S. 175.

G. Déjà vu partout? Effekte fotografischer (Um-)Ordnung »Il faut s’arranger pour penser cela: qu’il ne s’agit pas à broder, sauf à considérer que savoir broder, c’est encore s’entendre à suivre le fil donné.«. Derrida (1972/2005)

In einem supplementartigen Zweiseiter, der dem ersten Kapitel seines Essays La Pharmacie de Plato (1968) vorangestellt ist, äußert Derrida einen Gedanken, der für meine bisherigen Ausführungen weiterführend erscheint: Frei formuliert behauptet er die unausweichliche Verstrickung eines jeden Lesers und Autors in ein umfassendes textuelles Flechtwerk (»texte«, »texture«, »toile«1), dessen Gesetze je-

1

Diese kurze Einführung greift Aspekte auf, die Derrida andernorts als »textualité générale« und »écriture générale« erfasst hat, cf. DERRIDA (1972/2005), S. 10 und S. 208. In La dissémination spricht er in einem anderen Kontext von ›Intertextualität‹: Würde man, so Derrida, versuchen, die Schrift an ein Sicherheit verleihendes Außerhalb anzuschließen, dann ignoriere man letztlich »jüngere« theoretisch-methodische Erkenntnisgewinne durch etwa die »critique du signifié transcendantal sous toutes ses formes; déconstruction, […] reconstruction du champ textuel à partir des opérations d'intertextualité ou du renvoi sans fin des traces aux traces«. Man schlittere in der Ignoranz dieser Theorien in einen Idealismus des Empirismus, DERRIDA (1972/2005), S. 51. In »Hors-Livre« schreibt er kurz vor der zitierten ›Stick‹-Passage: »Un texte n'est un texte que s'il cache au premier regard, au premier venu, la loi de sa composition et la règle de son jeu. [….] La loi et la règle […] ne se livrent jamais, au présent, à rien qu'on puisse rigoureusement nommer une perception. […] La dissimulation de la texture peut en tout cas mettre des siècles à défaire sa toile. […]Régénérant indéfiniment son propre tissu derrière la trace coupante, la décision de chaque lecture. Réservant toujours une surprise à l'anatomie ou à la physiologie d'une critique qui croirait en maîtriser le jeu, en surveiller à la fois tous les fils, se leurrant aussi à vouloir regarder le texte sans y toucher, sans mettre la main à

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doch verborgen bleiben würden. Hiermit müsse man sich abfinden und auch erkennen, dass es nicht um ein Hinzudichten oder freies Sticken gehen könne – außer vielleicht unter dem Aspekt, dass hinzudichten/sticken (beides auf Frz. ›broder‹) bedeute, einen gegebenen Faden adäquat aufzunehmen bzw. ihm zu folgen. Obschon gerade das Bild des Fadens (fil) möglicherweise unglücklich gewählt ist, da eine Linearität und unausweichliche Filiation suggeriert wird, ließe sich Derridas Stickmetapher als passende Charakterisierung einerseits übertragen auf ›zitative‹ Praktiken im Sinne Butlers. Andererseits könnten aber auch bildbezogene Verfahren offenkundigen Wiederholens umschrieben werden. Denn wie sich im Vorkapitel zu Tatiana Antoshina am Beispiel mnemonischer und ähnlichkeitsbasierter Netze um Manets Olympia zeigte, lassen sich Bildmotive und -ideen, sobald sie formiert und/oder formuliert wurden, endlos von zweiter, dritter (usw.) Hand weiterspinnen. Dies gilt nicht nur für die Rezeption, in der auch nicht-intendierte Bezüge durch den Betrachter, durch (kunst)vermittelnde ›Mediatoren‹ bzw. im weitesten Sinne: durch die Verbreitung des Bildes in neuen Kontexten hergestellt werden. Vielmehr gilt es ebenso für die weitere bildnerische Praxis: So ist es einem Künstler nicht möglich, jedwede Form der Bezugnahme auf sein Werk zu antizipieren, zu regulieren oder zu unterbinden. Bezeichnend ist, dass sich neben Antoshina eine Vielzahl weiterer zeitgenössischer FotografInnen an Manets Olympia orientiert hat (z.B. Jan Banning, Yasumasa Morimura und Rita Nowak). In diesem Zusammenhang ist weiterhin bemerkenswert, dass auch Manet seinerzeit – wenn wir bei Derridas Metapher bleiben wollen – unverhohlen an einen »fil donné« anknüpfte, indem er sich auf u.a. Tizians Venus von Urbino2 sowie möglicherweise auf fotografische Aktdarstellungen der frühen 1860er Jahre bezog.3

l'›objet‹, sans se risquer à y ajouter, unique chance d'entrer dans le jeu en s'y prenant les doigts, quelque nouveau fil. Ajouter n'est pas ici autre chose que donner à lire.« DERRIDA (1968/2005), S. 72. 2

Cachin schreibt: »En effet, deux sources picturaux sont évidents: la Vénus d’Urbin du Titien […] copié par Manet à Florence dans sa jeunesse […] pour la composition; et la Maja Desnuda de Goya pour son arrogance et sa nouveauté.« Von Tizian habe Manet die Positionierung der Lagernden übernommen, doch habe er auf »subtil blasphemische Weise« den italienischen Akt transformiert, fehlen in Olympia doch Attribute der Treue (Hund) und der Heirat, cf. CACHIN, Françoise: »Olympia« (Katalogtext No 64), in: Manet, Ausst.-Kat. Galeries nationales du Grand Palais, Paris/Metropolitan Museum New York, Paris: Réunion des musées nationaux, 1983, S. 174–182, hier: S. 178.

3

FARWELL, Beatrice: Manet and the nude. Iconography of the Second Empire, New York: Galand, 1981, S. 53: »[T]he new visibility of nude imagery in high art in the early [18]60’s is paralleled by the new visibility of the demi-monde in society, the appearance

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Dabei wurde Manets Verwendung und Modifikation pikturaler Versatzstücke in der Kritik sehr unterschiedlich, zunächst jedoch eher abwertend betrachtet.4 Noch in den 1960er Jahren unterstellte John Rewald dem Maler einen »lack of imagination«5, der Manet wiederholt dazu veranlasst habe, Bildmotive anderer Künstler

of a literature of lowbrow gallantry, and the proliferation of popular images (including photography) on litentious themes at the same time.« Bzw. explizit zu Manet: »There can be no doubt that Manet, unlike Courbet and Delacroix when they worked from photographs, welcomed and accented the clarity, the hard edges, and the sharp distinction between light and dark that photographic images sometimes provided […]. It is not a matter of his passively ›receiving‹ the ›influence‹ of the new medium, it seems to me, but of his actively seeking out the effects that made it look ›modern‹ or ›real‹. […] [O]ne can legimimately hypothesize that he took advantage of photography in ways not now acknowledged, and for which proof does not so far exist. It is possible to argue that he actually painted from photographs of models, possibly using photographs he himself made and later destroyed, in the following cases: Boy with a sword and Nymphe surprise of 1861 […]; Déjeuer sur l’herbe and Olympia of 1863; […]«, ebd. S. 127–128 [Hervorheb. A.K.]. Auch NEEDHAM (1972) und WEINGARDEN (2006) konstatieren einen solchen Konnex: »Besides referring to museum masterpieces in his 1873 painting Le déjeuner sur l’herbe and Olympia, Édouard Manet used photography, of both academic and pornographic models […]«, schreibt Letztere. Weingarden untersucht u.a. Verflachungen und Blickkonstruktionen in Olympia und Le déjeuner sur l’herbe, die sie mit stereoskopischen Bildern vergleicht, cf. WEINGARDEN (2006), S. 225 und S. 234. Needham betont ebenfalls die bemerkenswerte »visual resemblance to the stereoscopic pictures« NEEDHAM

4

(1972), S. 82.

Cachin schreibt hierzu, dass die Zeitgenossen den Rekurs zunächst bewusst ignorierten, da Tizian als »absoluter Meister« galt, der nicht in blasphemischer Weise parodiert werden durfte: »D’autre part, la référence parodique au Titien, maître absolu, et à la Renaissance italienne, était resentie par les contemporains comme une sorte de blasphème, si évident qu’il n’en est même pas question dans les critiques.« CACHIN (1983), S. 181. Wie die in GAIGNER/HARRISON/WOOD (1998) zusammengetragenen Kritiken von Zeitgenossen belegen, wurde allerdings die Anspielung auf Venusdarstellungen durchaus zur Sprache gebracht sowie teils der Bezug auf Tizian benannt, z.B. von einem unter dem Pseudonym ›Pierrot‹ schreibenden Autor (Pierrot, »Histoire de la Semaine – Une première visite au Salon«, in: Les Tablettes de Pierrot- 14. Mai 1865, S. 11, zit. in GAIGNER/HARRISON/WOOD

5

(1998), S. 518).

»A curious lack of imagination repeatedly led Manet to ›borrow‹ subjects from other artists.« REWALD, John: History of Impressionism, New York: Museum of Modern Art, 1961, zit. in STEINBERG (1978), S. 31. 17). Rewald wirft Manet vor, selbst banalste Körperteile bei Velázquez und Frans Hals abgeschaut zu haben.

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zu ›entleihen‹. Michel Foucault hingegen sieht in Manets kompilierenden und aktualisierenden Entnahmen aus der Kunstgeschichte einen Akt der Metareflexion6: Bilder wie das Frühstück im Grünen und Olympia seien in ihrer Referenzstruktur die ersten wahren »›Museums‹-Bilder gewesen«, die »eine neue substantielle Beziehung der Malerei auf sich selbst [...] bezeugen.«7 Jenseits ihrer »identifizierbaren Verweisung« auf z.B. Tizian drücke sich in ihnen – ganz wie in der schriftstellerischen Praxis Gustave Flauberts – ein Geist der Archivierung aus, der die Herauslösung, zeitdurchkreuzende Aufbewahrung, Neuordnung sowie die Generierung von Verwandtschaft (»mode de parenté«8) im Bild selbst zum Thema habe. Das Abtrennen aus der zeitlich-konsekutiven Ordnung, aber auch das Verfügbarmachen als isolierte Instanzen, die simultan die Vergangenheit und Präsenz des Kontemplierten zur Anschauung bringen – kurzum: die Herauslösung mit dem Ziel der Aufbewahrung und Neuanordnung – sind Eigenschaften, die nicht nur mit Foucaults Vorstellung vom Museum9 assoziiert sind: Sie lassen sich darüber hinaus

6

Ähnlich schreibt Foucault andernorts, Manet sei der erste Maler seit dem quattrocento gewesen, der die materiellen Bedingungen der Malerei selbst ins Bild gebracht hat, statt sie zu verschleiern. FOUCAULT, Michel: »La peinture de Manet« (1971), in: Ders.; SAISON, Maryvonne (Hg.): La peinture de Manet, suivi de Michel Foucault, un regard, Paris: Seuil, 2004, S. 20–47, hier: S. 23.

7

FOUCAULT, Michel: »Nachwort« (1966), in: FLAUBERT, Gustave: Die Versuchung des heiligen Antonius (1874), übers. von Barbara und Robert Picht, Frankfurt a. M.: Insel Verlag, 1996, S. 215–251, hier: S. 224. i. O.: »Il se peut bien que Le Déjeuner sur l’herbe et l'Olympia aient été les premières peintures ›de musée‹: pour la première fois dans l'art européen, des toiles ont été peintes -non pas exactement pour répliquer à Giorgone, à Raphaël et à Vélasquez, mais pour témoigner, à l'abri de ce rapport singulier et visible, audessous de la déchiffrable référence, d'un rapport nouveau [et substantiel] de la peinture à elle-même, pour manifester l'existence des musées […].«FOUCAULT, Michel: »Bibliothèque fantastique/Postface Tentation de Saint Antoine« (1966), in: Ders.; EWALD, François/ DEFERT, Daniel (Hg.): Dits et écrits I –1954–1969, Paris: Galliard, 1994, S. 293– 325, hier: S. 298.

8

Die Tableaux von Manet (Olympia und Déjeuner sur l‘herbe) zeugten nicht nur von einer Reflexion der Bedingungen des Museums, sondern konkret auch von den Modi »d'être et de parenté qu'y acquièrent les tableaux. […] Leur art s'édifie où se forme l'archive.« FOUCAULT (1966/1994), S. 298–299.

9

Foucault bezeichnet in Andere Räume [Des espaces autres, 1967] das Museum als eine Heterotopie, d.h. als anderen Raum, der gleich eines isolierten Zeitkanisters im temporalen Fluss steht: Heterotopien sind für ihn »Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet« werden. Das Museum akkumuliere höchst

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auch einerseits mit dem Gedächtnis respektive mit einem aktiven Wieder-Erinnern verbinden, andererseits werden sie oft – etwa bei Allan Sekula10 und Jacques Derrida11 – als in besonderem Maße ›fotografische‹ Gesten betrachtet.

heterogene, historisch getrennte Gegenstände auf engstem Raum. In seiner relativen Beständigkeit und Zeitlosigkeit gehöre es dem ersten Typus der Heterotopie zu, in der auch die Bibliothek anzusiedeln sei. Demgegenüber seien Festlichkkeiten ephemere Heterotypien. »[D]ie Idee, alles zu akkumulieren, die Idee, eine Art Generalarchiv zusammenzutragen, der Wille, an einem Ort alle Zeiten, alle Epochen […] einzuschließen, die Idee, einen Ort aller Zeiten zu installieren, der selber außer der Zeit und sicher vor ihrem Zahn sein soll […] – all das gehört unserer Modernität an..« FOUCAULT, Michel: »Andere Räume« (1967), in: BARCK, Karlheinz (Hg.): Aisthesis: Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Essais, Leipzig: Reclam, 1993, S.34-46, hier: S. 43. 10 Allan Sekula schreibt, dass »[w]ithin bourgeois culture, the photographic project itself has been identified from the very beginning not only with the dream of a universal language, but also with the establishment of a global archive and repositories according to models offered by libraries, encyclopedias, zoological and botanical gardens, museums, police files, and banks. (Reciprocally, photography contributed to the modernization of information flows within these institutions.)« Bilder würden in Archiven »atomisiert« und in eine Logik der Rekombination überführt werden –»Alphabet soup comes to mind« SEKULA, Allan: »Reading an Archive. Photography between Labor and Capital« (1983), in WELLS, Liz: The Photography Reader, London/New York City, NY: Routledge, 2003, S. 443–452, hier: S. 444 und 446. 11 Derrida betont in einem Interview (und mit einem clin d’oeil auf eigene Formeln wie jene der ›restance‹ und der ›différance‹), dass die Grundlage des Archivs eine Spaltung des Gegenwärtigen sei, durch die das verlorene Präsente zum Verwiesenen und das Bleibende zum Archiv werde, das sich auf das Entschwundene »wie auf einen nicht-reproduzierbaren Referenten, einen unersetzbaren Ort bezieht.« Ähnlich wie das Archiv sei auch die traditionelle Fotografie über das Gespenst eines als verloren und dem Bild extern gedachten Referenten definiert: »Die Fotografie scheint mit einem Wort zu sagen und sich diktieren zu lassen: Dies hat stattgefunden und nur einmal stattgefunden. […] Die Referenz bzw. der Referent scheint hier unauslöschlich.« DERRIDA, Jacques: »Die Fotografie als Kopie, Archiv und Signatur. Im Gespräch mit Hubertus von Amelunxen und Michael Wetzel« (1992), in: AMELUNXEN (2004), S. 280–296, hier: S. 281. Gleichwohl gehe mit der Digitalfotografie ein Bewusstsein für die Hervorbringung des referenziellen Ankerpunkts und somit für die Ursprungslosigkeit oder Zirkularität des ›Originals‹ einher. Die Voraussetzung einer internen Abtrennungsdynamik kennzeichne sowohl Archiv, Signatur als auch Lichtbild: »Der Unterschied im Licht, der Belichtungsunterschied, wenn Sie so wollen, der nicht zwangsläufig der Unterschied zwischen Tag und Nacht ist, das ist viel-

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In Kapitel G möchte ich erstens diskutieren, inwieweit Déjà-vu-Effekte sowie die Technik des ›Zitierens‹ konkrete Prozesse des Umordnens des Bildgedächtnisses implizieren, die sich als ›fotografisch‹ verstehen lassen oder die mit dem Lichtbild medienhistorisch verbunden sind. Zweitens wird das Verhältnis von Erinnerungsgefüge und Bilditeration eingehender beleuchtet hinsichtlich des Aspekts der Medialität des den Déjà-vu-Effekt scheinbar ›auslösenden‹ Bildes. Im Zusammenhang mit dieser Relation stellt sich allgemein die Frage nach einer Transformation des ›Bildgedächtnisses‹ zu den Bedingungen des ›Fotografischen‹: Haben die lichtbildnerische Reproduktion von Kunstwerken und die Zirkulation im Netz nicht bereits eine Angleichung der kollektiv memorierten Eigenschaften bewirkt? Inwieweit kommen Kontrastierungen ›verschiedener Medien‹ erneut ins Spiel – insbesondere auf diskursiver Ebene? Drittens möchte ich ausgehend von den Anmerkungen zu mnemonischen und medialen Rekonfigurationsprozessen nochmals die Referenzfrage aufgreifen (und damit den Bogen zu den vorangehenden Kapiteln schließen): Wie lässt sich der Verweisgestus fotografischer Re-Inszenierungen beschreiben, wenn diese Bildart a) hinsichtlich ihrer Medialität eine Struktur der Verschachtelung aufweist (von z.B. malerischem Bildmotiv, lichtbildnerischer Reproduktion, körperlicher Nachstellung und fotografischer Erfassung) und wenn sie b) auch ihren physischen Referenten in seiner Mittelbarkeit exponiert?12 Welche Zeitstruktur und welches performative Potenzial gehen einher?

1. MNEMONISCHE REKONFIGURATIONEN Rekonfigurationsprozesse zwischen wahrgenommenen und erinnernd abrufbaren Bildern wie auch Sprache habe ich bislang aus einer Perspektive betrachtet, die ich als ›intertextell‹ bezeichnet habe und die andere AutorInnen – u.a., da sie den ›Textbegriff‹ mit der Vorstellung von Lesbarkeit und Versprachlichung assoziie-

leicht die erste Möglichkeit der Spur, des Archivs und von alledem, was darauf folgt: das Gedächtnis, die Techniken des Gedächtnisses, die Mnemotechnik etc.« (ebd. S. 287). 12 ›Remediatisierungsprozesse‹ im Sinne von Rückkopplungseffekten zwischen insbesondere historisch differenzierten medialen Konfigurationen sind hier zu berücksichtigen. Mit Bolter und Grusin, die für Remediatisierungsprozesse eine Duplizität von »immediacy« und »hypermediality« behaupten, sind Medien generell das, was »remediatisiert«: »It is which appropriates the techniques, forms, and social significance of other media, because it must enter into relationships of respect and rivalry with other media.« BOLTER/GRUSIN (1999), S. 65. Eine solche Definition hat nach Seier den Vorteil, dass »mediale Differenzen« bestimmt werden können, ohne dass dabei »von in sich geschlossenen ›Identitäten‹ der Einzelmedien« ausgegangen werden muss. SEIER (2005), S. 105.

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ren13 – mit alternativen Formulierungen erfassten. Mit einer solchen Fragestellung rücken Austauschbewegungen zwischen einerseits konkreten Artefakten und Paratexten und andererseits mnemonischen Vergleichsfolien ins Zentrum.14 Ich möchte – in einem Resümee und Ausblick unter Berücksichtigung von drei jüngeren Positionen aus den Bereichen der Kultur- und Medienwissenschaften (Udo Hebel, Heike Schlie und Ulrike Kregel) – herausarbeiten, mit welchen Potenzialen und Schwierigkeiten die Beschreibung von Wechselwirkungen zwischen betrachteten Bildern und Erinnerungsbildern einhergeht. Erinnerungsbilder verstehe ich hierbei – in Anlehnung an u.a. Ulrike Kregel und Henri Bergson – als mnemonische Ablagerungen von visuellen Sinneseindrücken. Sie umfassen insbesondere auch vormals wahrgenommene, gespeicherte Bilder.15 Images déjà vues sind demgegenüber, wie

13 Die Ablehnung des Textbegriffs hat laut Gumbrecht mit der Erwartung zu tun »that the different parts making up the objects/texts in question referred to each other within the rules of one or the other ›grammar‹, a grammar whose understanding would allow the observer to decipher the very objects/texts in question as surfaces, and that all these surfaces would ultimately yield some meaning.« GUMBRECHT, Hans Ulrich: »Why Intermediality — if at all?«, in: Intermédialités, H. 2, Herbst 2003, S. 173–178, hier: S. 173. 14 Dies mag auf den ersten Blick vage an Aby Warburgs Mnemosyne-Projekt erinnern, bei dem ebenfalls Dynamiken zwischen Bildern beschrieben bzw. montageartig auf Tafeln sichtbar gemacht und dann re-arrangiert wurden. Doch unterscheidet sich die dieser Untersuchung zugrunde liegende Perspektive von derjenigen Warburgs darin, dass sie jedes Ursprungsdenken zu meiden sucht und weniger von gegebenen Bildrelationen ausgeht als von einem Zusammenspiel von abrufbaren Bildern und rezeptionsseitigen Rückprojektionen. Der Hamburger Kunsthistoriker ging hingegen von ›engrammatischen‹, betrachterübergreifenden ›Vorprägungen‹ aus und strebte nach einer Rekonstruktion »fehlender Glieder in der ›Kette der Bilderreihe‹« (Barta-Fliedl), wobei er Bildreproduktionen als distinkte Entitäten nebeneinander setzte. BARTA-FLIEDL, Ilsebill: »Anmerkungen zu den gebärdensprachlichen Bilderreihen Aby Warburgs«, in: Dies./GEISSMAR, Christoph (Hg.): Die Beredsamkeit des Leibes. Zur Körpersprache in der Kunst, Salzburg/ Wien: Residenz Verlag, 1992, S. 165–171, hier: S. 168. Zu Warburgs Formulierungen des »ErbBewußtsein[s]« und der »seelischen Eindrucksstempel (Engramm)«, cf. WARBURG, Aby: »Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, 5. April 1929«, in: Ders.; MICHELS, Karen/SCHOELL-GLASS, Charlotte (Hg.): Gesammelte Schriften. Siebte Abteilung, Band 7, Berlin: Akademie-Verlag, 2001, S. 432. 15 Cf. KREGEL, Ulrike: Bild und Gedächtnis, Berlin: Kadmos, 2009, S. 192 sowie S. 208– 215, die Erinnerungsbilder als mentale, immaterielle Bilder definiert und von Gedächtnisbildern abgrenzt (letzere sind materialisiert und durch eine Memorialfuntktion charakterisiert). Bei Bergson und Deleuze finden sich weiter nuancierte Termini, wobei Bergson von einem psychologisch-neuronalen Bildbegriff ausgeht, der die mentale Repräsentation

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bereits im Einleitungskapitel beschrieben, optisch wahrnehmbare, gegenwärtige Bilder, die durch eine Teilkongruenz mit Erinnertem als ein Schon-Gesehenes bewertet werden. Im weiteren Zusammenhang soll diskutiert werden, welche Bedeutung Aspekten der sprachlich-bildlichen Verflechtung und der Materialität zukommt. In seiner Studie »›American‹ pictures and (trans-)national iconographies« (2015) verwendet der Amerikanist Udo Hebel den Term der ›Interpiktorialität‹, um damit einen isolierenden Fokus auf Bild-Bild-Bezüge zu setzen, der sowohl materielle (pictures) als auch mentale Bilder (images) erfasst. Laut Hebel, dessen Argumentation stark auf der Idee eines ›pictorial turn‹ (Mitchell) bzw. eines ›iconic turn‹ (Boehm) aufbaut16, haben »interpictorially charged pictures« teil an kulturellen wie

bzw. das simultan zu unserer Wahrnehmung kreierte Abbild der Objektwelt umfasst. Deleuze schreibt in Bezug auf Bergson, dass das optische Bild und das Erinnerungsbild, das Reale bzw. Tatsächliche und das Imaginäre bzw. Virtuelle, in Beziehung treten, ohne dass sich sagen ließe, welches von beiden zuerst dem anderen hinterherzurennen oder sich im anderen zu spiegeln begann: »[L]'image optique […] entre en rapport avec une image-souvenir qu'elle appelle. Peut-être faut-il concevoir aussi d'autres réponses possibles, plus ou moins voisines, plus ou moins distinctes: ce qui entrerait en rapport, ce serait du réel et de l'imaginaire, du physique et du mental, de l'objectif et du subjectif, […] de l'actuel et du virtuel… L'essentiel, de toute manière, est que les deux termes en rapport diffèrent en nature, mais pourtant courent l'un derrière l'autre, renvoient l'un à l'autre, se réfléchissent sans qu'on puisse dire lequel est premier, et tendent à la limite à se confondre en tombant dans un même point d'indiscernabilité.« DELEUZE, Gilles: L’imagetemps [=Cinéma 2] (1985), Paris: Les éditions de minuit, 2009, S. 64–65. 16 Die ikonische und pikturale Wende wurden von Boehm (1994) und Mitchell (1992) in Abgrenzung zum von Rorty (1967) konstatierten ›linguistic turn‹ proklamiert. Dabei ging es darum, die mutmaßliche Privilegierung der Sprache in vorherigen Analysemodellen abzulegen und die Eigenmacht von Bildern in gesellschaftlich-kulturellen Handlungsformen herauszuarbeiten. Stiegler fasst den Unterschied zwischen Boehms und Mitchells Wende wie folgt zusammen:»Während es Mitchell und vielen anderen Theoretikern im anglo-amerikanischen Sprachraum vor allem um eine ideologiekritische wie auch subversive, mit anderen Worten dezidiert gesellschaftliche wie politische Kraft des Visuellen ging […], konzentrierte sich Boehm auf eine Eigensprachlichkeit wie Eigenlogik des Bildes, die explizit auf die Tradition der Hermeneutik zurückgriff und Gadamers Diktum ›Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache‹ auf Bilder übertrug. Boehm versteht dabei den Iconic Turn als konsequente Fortsetzung des Linguistic Turn, als Versuch, ›das Bild als ‚Logos‘, als sinnstiftenden Akt zu verstehen‹.« STIEGLER, Bernd: »›Iconic Turn‹ und gesellschaftliche Reflexion«, in: Trivium, 01/2008, http://trivium.revues.org/391 [eingesehen am 05.11.2015].

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nationalen ›Bildervorräten‹. Dabei tragen sie zur Formierung von Nationalidentitäten bei. Sie seien besonders geeignete Gegenstände für die Analyse von Prozessen der Bedeutungsgenerierung, da sie die jeweils subkutanen Regeln »visueller Rhetoriken« dekuvrieren würden.17 Die Frage, wie diese (vor)bildhaften Muster einerseits Sprachkategorien produktiv herausfordern und andererseits von begrifflichen Ordnungen der Ähnlichkeitserfassung durchsetzt sind, wird in Hebels ›interpiktorialer Analyse‹ jedoch weitgehend ausgeklammert – sicherlich u.a., um Postulaten des ›iconic‹ und ›pictorial turn‹ gerecht zu werden, die immerhin eine außersprachliche Eigenlogik von Bildern fokussieren. Dies mag zuweilen ungünstig erscheinen, da gerade der Untersuchungsgegenstand des ›politischen Bildes‹ als Genre wie auch in seinem inhaltlichen Bezug auf »national narratives« 18 unweigerlich mit Sprache verschränkt ist. Anschlussfähig ist hingegen Hebels Bewertung von Austauschbewegungen zwischen betrachteten Bildern und memorierten Schemata durch seine

17 Cf. HEBEL, Udo: »›American‹ pictures and (trans-)national iconographies: Mapping interpictorial clusters in American Studies«, in: Journal of Transnational American Studies, Jg. 6, H. 1, 2015, S. 401–431, hier: S. 416: »They [interpictorial readings, A.K.] raise issues of visual literacy and of the picture's investment in the visual archive and collective memory of a culture and/or nation.« 18 Hebel forciert hier dennoch eine Abgrenzung von der ›Intertextualität‹, indem er ›Interpiktorialität‹ zwar über eine methodische Ähnlichkeit zu ersterer definiert, sie dann aber primär als radikalisierte Variante von ikonografisch-ikonologischen Projekten beschreibt. Obschon in seinen Analysen diverse textuelle Narrative zentral eingebracht werden, kaschiert er durch die Begriffswahl die sprachlich-bildliche Verwobenheit, cf. HEBEL (2015), S. 414: »Similar to concepts of literary intertextuality, the concept of interpictoriality goes beyond the mere documentation and description of relations, influences, and sources. […] The interpictorial reading of a specific visual representation underscores the functionality of the semantic surplus produced by the participation in and […] resignification of conventions, repertoires and traditions […]. The concept of interpictoriality is thus particularly well-suited to make the American Studies agendas of context, function, and exploration of national narratives and their political, social, and cultural implications interact with the concerns of Art History, Bildwissenschaft, and visual culture studies with iconographic conventions, traditions, and repertoires. The practice of interpictorial readings can be seen as a variation, if not radicalization, of approaches to iconography and iconology as presented by Erwin Panofsky between 1932 and 1955.« Der Begriff der ›Interpiktorialität‹ verschwimmt jedoch, wenn Hebel beispielsweise bei der Betrachtung eines Fotos, das Barack Obama mit scheinbar aufgeschnürtem Schuhwerk zeigt , nicht nur Van Goghs berühmtes Schuhgemälde, sondern auch dessen philosophische Rezeption (Heidegger, Derrida) mitliest oder wenn er beim Transfer von (bildlich vermittelten) Geschlechtsollen in TV-Serien von Interpiktorialität spricht, ebd., S. 407–408 u. S. 424.

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konkrete Arbeit mit ikonischen Beispielen, wobei etwa Inszenierungsmuster nach kulturellen Werten und Symboliken aufgezeigt werden (z.B. anhand eines Fotos von George W. Bush, Jr. mit einem Thanks-Giving-Truthahn in der Manier eines pater familias etc.).19 Auch die Kunsthistorikerin Heike Schlie (2010) widmet sich den Wechselwirkungen zwischen wahrgenommenen (Einzel-)Bildern und dem mnemonischen Repertoire, allerdings tut sie dies in einem gänzlich anderen, primär auf christlichsakrale Kunst bezogenen Kontext. Sie betont dabei insbesondere das Zurückwirken des Gespeicherten auf das je betrachtete Bild.20 Aufgegriffen werden Konzepte der Antike und des Mittelalters – insbesondere die Vorstellung des Gedächtnisses als eine Wachstafel, wie sie z.B. bei Platon zu finden ist.21 Nach Schlie könne »deutlich gemacht werden, dass sich das ›Selbst‹ eines Bildes immer eher auf der Folie anderer Bilder erfassen lässt als in einer Abbildfunktion.« Entsprechend würden auch

19 HEBEL (2015), S. 410. Hebel bezieht sich allgemeiner u.a. mit Michael Diers Begriff des »Schlagbildes« und dem vielfach eingesetzten Term des ikonischen Bildes auf wirkstarke, wiederkehrende Bildmuster. Mit Sara Blair betont er weiterhin das »Nachleben« von einzelnen Bildern »and their ›agency in competing narratives‹ [Blair]. […] [I]conic photographs fulfill the ›proven formula for reproducing a society's social order‹ in their ›combination of mainstream recognition, wide circulation, and emotional impact‹ [Hariman and Lucaites].« ebd. S. 416–417. Nach Hebel sind »interpictorially charged visuals« weiterhin als Metabilder zu bewerten, die »by their very definition and composition, complicate assumptions about the immediate accessibility and comprehension of pictures.« Der Annahme, dass Wiederholungseffekte die Medialität erkennbar machen, ist beizupflichten, doch auch hier wäre das Re-Iterieren eines memorierten Schemas (sei es sprachlich oder bildlich) ausschlaggebend, nicht aber der Fakt, dass sich ein Bild auf ein anderes Bild bezieht. 20 SCHLIE, Heike: »Wandlungen eines sakramentalen Bildverbundes in der Reformation. Das Schneeberger Retabel von Lucas Cranach dem Älteren«, in: GANZ/THÜRLEMANN (2010a), S. 243–270, hier: S.244: »Für viele materielle Bilder gilt, dass der Betrachter sie durch Schichten zahlreicher anderer Bilder sieht, die seiner Bilderinnerung immanent sind. Die Aneignung des Bildes geschieht mit der Referenz auf diese Bildschichtungen, oder anders gesagt, der Sinn des Bildes ergibt sich – unter anderem – auch aus Aspekten des erinnerten Bildes.« 21 Cf. KREGEL (2009), S. 198. Die Wachstafel entspreche dabei in ihrer Dynamik eher dem (Wieder-)Erinnern und Überschreiben, während die Metapher des ›Magazins‹ ein sedimentiertes, erweiter- bzw. auffüllbares Gedächtnis impliziert.

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»die Kategorien der Verkettung und der intermedialen Referenz […] ganz allgemein für Bilder (auch der Kunst) gelten […].«22 Die Hintergrundfolie oder Wachstafel, von der Schlie hier ausgeht, entspricht weitgehend meinem Verständnis eines ›intertextuellen Gefüges‹: Ein solches dynamisches Netz von Relationen ist es, das ein wahrgenommenes Bild, das gleichsam als Stimulus für Erinnerungsbilder fungiert, potenziell als ›image déjà vue‹ erscheinen lässt. Dabei wäre es allerdings unzureichend, einzig das Betrachtete oder aber nur das mnemonische Netz als ›Trigger‹ des Erinnerungseffektes aufzufassen, da vielmehr Speicher und Perzeption im Austausch miteinander stehen. Sprich: Die Interrelierung wird im Zuge der Bildbetrachtung disponiert, wobei auch Begleittexte wie Titel die Anordnung steuern. Das aktivische Moment ist folglich, in Einklang mit Bergsons Darlegung vergleichbarer Prozesse in Matière et mémoire, auf verschiedene Instanzen verteilt: Ebenso, wie jede Wahrnehmung Wechselwirkungen umfasst mit Erinnerungen und Antizipationen – und ebenso, wie »die einmal wahrgenommenen Bilder«, die sich »in diesem Gedächtnis befestigen und einreihen«, zugleich durch die »Bewegungen, die aus ihnen hervorgehen, im Organismus Veränderungen«23 hinterlassen bzw. »im Körper neue Dispositionen des Handelns« schaffen – formiert sich auch mit jedem neuen Sinneseindruck das re-aktivierte intertextuelle Gefüge partiell um. Auf die Wahrnehmung eines Bildes als ein scheinbar ›Schon-Gesehenes‹ angewandt, hieße dies: Ein physisch präsentes Bild [A], das wir zu einem Zeitpunkt [t2] sehen – oder vielmehr: die mentale Repräsentation [A’(t2)] dieses Bildes –, erscheint aufgrund partieller Kontiguitäts- und Similaritätsbeziehungen zu gespeicherten Erinnerungsbildern [B’(t2)] als ›image déjà vue‹ [A’B’(t2)]. Es wird also wahrgenommen als ein aktualisierter (und von jüngeren Eindrücken teils überlagerter) Wiedergänger von Erinnerungsbildern, die sich wiederum zu einem früheren Zeitpunkt [t1] nach physischen Bildern [B] formiert haben (Abb. 24). Gleichermaßen schreibt sich auch das wahrgenommene Bild [A’(t2)] in transformierter

22 SCHLIE (2010), S. 244. In der Ars Memorativa habe sich die »Idee der Überlagerung alter und neuer Sinneseindrücke« herausgebildet: »Das, was man einmal wahrgenommen hat, ist demnach materiell im Bereich des Sehens und des Gedächtnisses verortet, bis man es wieder aufruft und sich – an der alten Stelle, da die Seele nicht über eine unendliche Anzahl an Wachstafeln verfügt – ein neues Bild formt.« (S. 245). 23 BERGSON, Henri: Materie und Gedächtnis: Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist (1896), Berlin/Frankfurt a. M./Wien: Ullstein, 1982, S. 70. i.O. BERGSON (1896/2007), S 86: »Toute perception se prolonge en action naissante; et à mesure que les images, une fois perçues, se fixent et s’alignent dans cette mémoire, les mouvements qui les continuaient modifient l’organisme, créent dans le corps des dispositions nouvelles à agir.«

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Form [A’(t3)] kurz- oder langfristig in das individuelle und/oder kollektive Bildgedächtnis ein und verändert dieses, ohne selbst statisch zu bleiben. Abbildung 24: Prozesse der Wahrnehmung und Erinnerung

I. Extern Wahrnehmbares:

II. Kognitive Verarbeitung im Austausch mit extern Wahrnehmbaren (I.):

A(t2) = physisch zu einem Zeitpunkt t2 gegenwärtiges Bild B (t1) = physisch zu e. früheren Zeitpunkt (t1) präsent gewesenes Bild =Wahrnehmung u. Einprägung = Erinnern: »souvenir du présent«/»souvenir du passé« (cf. Bergson 1908/ 2012, S. 32 – 33).

A’(t2) = mentale Repräsentation eines physisch zu t2 gegenwärtigen Bildes A B’(t2) = mentale Repräsentation eines zu t2 nicht mehr physisch gegenwärtigen Bildes B (Erinnerungsbild von B(t1)) A’B’(t2) = Amalgamierung aus A’ und B‘; dabei: Effekt eines ›déjà vu‹ durch Rückprojektion auf Wahrnehmung von A(t2) A’ (t3) = zu einem späteren Zeitpunkt (t3) erinnerbare Repräsentation von A(t2)

Generell ist für diesen Prozess zu betonen, dass keineswegs nur visuelle Eindrücke bar jeder sprachlichen Vermittlung ›verarbeitet‹ und ›gespeichert‹ werden. Vielmehr lässt sich mit der Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Ulrike Kregel konstatieren, dass »sowohl die Sprache bzw. die Begrifflichkeiten als auch mentale Bilder24 per se der Konstituierung von Gedächtnis« dienen und dass entsprechend beides – zumindest mit dem Erwerb von Sprache – intrikat verschaltet

24 Images in Bergsons bzw. Bilder in Kregels erweiterter Begriffsverwendung sind allerdings hier zu verstehen als Übersetzungen sensorischer Eindrücke bzw. als weiter prozessierbare Abbilder der phänomenologisch erfahrbaren Welt.

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wird.25 Begriffskategorien sind hierbei maßgeblich beteiligt an der Definition von Similarität, Gleichheit und Differenz.Die Frage jedoch, wann und nach welchen Kriterien Bilder als ähnlich oder einander verbunden gelten, stellt eine prinzipielle Problematik unseres Ansatzes dar. So betonte bereits Bergson die Willkürlichkeit der ›ressemblance‹, die in weiten Teilen eine vom Geiste hergestellte Verbindung sei26 und sich gerade nicht, wie von Assoziationstheoretikern seiner Zeit behauptet, über die Annäherung oder Re-Fusion zuvor separierter »atomischer« Entitäten manifestiere.27 ›Ressemblance‹ sei nicht die Ursache einer Assoziation, sondern deren

25 Ulrike Kregel schreibt: »Auch die Sprache gehört zunächst einmal ganz natürlicherweise zu den Parametern jener kognitiven Prozessse, innerhalb deren sich das Gedächtnis etabliert, bevor sie für den Menschen zu einem Mittel gerät, Gedächtnis artifiziell zu begründen, wie in der Ars memoria überliefert.« KREGEL (2009), S. 192. Andererseits sind im vorsprachlichen Stadium selbstverständlich gerade materielle Bilder prägend für den Ausbau eines Gedächtnisses, wie Kregel an selber Stelle betont. KREGEL (2009), S. 192. 26 BERGSON (1896/1982), S. 81: »Allerdings ist die Ähnlichkeit, wie man [Victor Brochard und Élie Rabier, A.K.] scharfsinnig bemerkt hat, eine Beziehung, die der Geist zwischen Elementen stiftet, die er einander nahe bringt, also schon besitzt, so daß also die Wahrnehmung einer Ähnlichkeit eher Wirkung als Ursache der Assoziation ist. Aber neben dieser wohlumrissenen Ähnlichkeit, die dadurch zustande kommt, daß der Geist einen elementaren Bestandteil als beiden Vorstellungen gemeinsam apperzipiert, gibt es noch eine vage, gewissermaßen objektive Ähnlichkeit, die auf der Oberfläche der Bilder selbst ruht und fast wie eine physikalische Anziehungskraft wirken kann.« Woher diese vage und objektive Ähnlichkeit kommt und worin genau sie besteht, bleibt an dieser Stelle leider unnachvollziehbar. 27 Die ›Assoziationisten‹ bzw. Assoziationstheoretiker gingen, wie Bergson kritisch anmerkt, von invariablen, rekombinierbaren Kleinsteinheiten aus, die im Baukastenprinzip additiv zusammengesetzt und unverändert wieder getrennt werden könnten. Beispielsweise würden sich so die Bilder eines grauen Stuhls und eines grauen Hockers über Eigenschaften wie ›Sitzmöbel‹, ›vierbeinig‹, ›grau‹ usw. entsprechen. Eine solche Untergliederung widerspricht allerdings Bergsons Vorstellung von der Kontinuität und Unzerlegbarkeit der erlebten Erfahrung. Zur Schwierigkeit, wie im Geiste Verbindungen hergestellt werden, schreibt BERGSON (1896/1982): »Eine Wahrnehmung A ruft […] ›nach räumlich-zeitlicher Nachbarschaft‹ ein früheres Bild B nur dann wach, wenn es uns zuvor ein Bild A’ erinnert, welches ihm ähnlich ist, denn nicht die Wahrnehmung A, sondern eine Erinnerung A’ berührt in Wirklichkeit B im Gedächtnis. Wie weit man also auch die beiden Termini A und B voneinander annimmt, es kann sich zwischen ihnen immer eine Beziehung der Kontiguität einstellen, wenn der eingeschaltete Terminus A’ mit A eine genügend entfernte Ähnlichkeit hat. Das kommt darauf hinaus, daß es zwischen zwei beliebigen zufällig ausgewählten Vorstellungen immer Ähnlichkeit und wenn man will auch

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Resultat.28 Entgegen Bergson wäre zu fragen, ob nicht Ähnlichkeit als solche doch erst greifbar wird, wenn sie sprachlich (oder algorithmisch) zu übermitteln ist und somit auf analysier- und resynthetisierbaren Teilelementen basiert. Es deutet sich folglich eine Zirkularität von Prozessen des Wiedererkennens an, in denen Zerlegen, Vergleichen und (Re-)Synthetisieren verschaltet sind. Dabei tritt die Wahrnehmung mit gespeicherten Elementen in Dialog, die aktiviert, aktualisiert und in ihrer Konstellation wie Gestalt verändert werden. Weiterhin wäre die Materialität der wahrnehmbaren Bilder zu berücksichtigen – und hier entferne ich mich bewusst vom Bergson’schen mentalen Bildbegriff, um zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand zurückzukehren: Das je betrachtete Einzelbild – sei es ein Gemälde, eine gezeichnete Skizze, ein Foto oder etwa ein Diagramm – ist an ein sinnlich greifbares ›Medium‹ gebunden, das, wie Ulrike Kregel betont, »dieses trägt, das heißt, sichtbar macht«, seine Erscheinung prägt und es »potentiell der Vermittlung zur Verfügung stellt«.29 Im Gegensatz hierzu (re)konfigurieren sich Erinnerungsbilder im Gedächtnis. Sie sind abrufbare innere Bilder, die »zuvor in Form von ›neuronalen Strukturmustern‹ […] gespeichert sind und bezogen auf die konkrete Situation des Abrufens zu immer wieder neuen Bildern verknüpft werden.«30 Kregel unterscheidet Erinnerungsbilder von materiellen Gedächtnisbildern, die unseren begrenzten Speicher nach Außen als Stütze oder als Substitut erweitern. Nur der zweitgenannte Typus habe eine wirkliche Dauer und Materialität bzw. sei subjektübergreifend erfahrbar.31

immer Kontiguität gibt, sodaß durch die Entdeckung einer Beziehung der Kontiguität oder der Ähnlichkeit zwischen zwei einander folgenden Vorstellungen noch durchaus keine Erklärung dafür gegeben ist, warum die eine die andere hervorruft. Die eigentliche Frage ist, zu wissen, wie die Auswahl unter einer Unendlichkeit von Erinnerungen, welche alle von irgendeiner Seite der gegenwärtigen Wahrnehmung ähnlich sind, sich vollzieht und warum eine einzige unter ihnen, und gerade nur diese, an das Licht des Bewußtseins auftaucht. Aber auf diese Frage kann der Assoziationismus nicht antworten, weil er die Vorstellungen und Bilder zu unabhängigen Wesenheiten erhoben hat, welche gleich den Atomen des Epikur in einem inneren Raume schweben, sich einander nähern und aneinander festhaken, wenn der Zufall sie in die gegenseitige Anziehungssphäre bringt«, ebd., S. 159–160. 28 Cf. BERGSON (1896/1982), S. 81. Das Ziel bleibe dabei die Gewährleistung einer Kontiguitätserfahrung, cf. ebd., S. 127–132. 29 KREGEL (2009), S. 256. 30 Ebd., S. 209. 31 Erinnerungsbilder existieren demgegenüber einzig als »inneres Bild«, mit dem »etwas Abwesendes, mehr noch, etwas generell Verlorengegangenes« potenziell im Geiste konstruiert wird, KREGEL (2009), S. 203.

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Ein Beispiel für Gedächtnisbilder sind Fotografien, die – wie ich insbesondere in Kapitel E.1 herausgeabeitet habe – in hohem Maße mnemonisch operativ sind: Sie fungieren teils konkret als mögliches Surrogat32 der Erinnerung, das auch vermag, retrospektiv Geschichte zu konstruieren. Jenseits ihres Potenzials als Gedächtnisbilder sind Fotos aber auch metaphorisch mit Erinnerungs(-fehl-)funktionen33 korrelierbar: Wie das Déjà vu, von dem der französische Mediziner François-Léon Arnaud im Jahre 1896 schrieb, dass es nichts anders sei »als die Wahrnehmung selbst, die anteriorisiert bzw. zurückgeworfen wird in die Vergangenheit«34, weist auch das Lichtbild eine widerspruchsvolle zeitliche Dimension auf, nach der ein Wahrgenommenes als das näherungsweise Duplikat eines mutmaßlich Vergangenen gesetzt wird (cf. auch die Kapitel A und E.1). Darüber hinaus besteht ein medienhistorischer Konnex mit pikturalem Erinnern und mnemonischen ›images‹, indem die Fotografie als Bildart rezipiert wurde, deren ›Medialität‹ und ›Materialität‹ zugunsten ihres Darstellungscharakters oft dis-

32 Etwa bei Barthes, der in Die helle Kammer schreibt, er habe eine Foto von sich, »dessen Entstehungsort mir trotz allen Bemühungen unerfindlich blieb; ich musterte die Krawatte, den Pullover, um herauszufinden, bei welcher Gelegenheit ich sie getragen hatte; vergebliche Mühe. Und trotzdem, weil es eine Photographie war, konnte ich nicht bestreiten, daß ich da gewesen war (auch wenn ich nicht wußte, wo).« BARTHES (1980/1989), S. 95–96. 33 Man beachte, dass auch BERGSON (1896/1982) behauptet, die »Bewegung des arbeitenden Gedächtnisses« bzw. das Wiederfinden einer Erinnerung entspreche »einem Vorgang sui generis, durch welchen wir uns von der Gegenwart loslösen, um uns erst einmal ganz allgemein in die Vergangenheit, dann in eine bestimmte Region der Vergangenheit zurückzuversetzen: ein probierendes Herumtasten ähnlich wie beim Einstellen eines photographischen Apparates«, ebd., S. 127–128. 34 ARNAUD, François-Léon: »Un cas d’illusion de ›déjà vu‹ ou de ›fausse mémoire‹«, in: Annales médico-psychologiques, 03/1896, S. 455–469, in Auszügen wiederabgedruckt in: BERGSON (1908/2012), S.82–83 [Übers. A.K.]. Die Gesamtpassage lautet i.O.: »En un mot, quand il s’agit d’un vrai souvenir, la perception actuelle évoque tout un ensemble de souvenirs partiels en rapport avec elle, mais qui la dépassent et la complètent. Au contraire, le souvenir illusoire ne diffère en rien de la perception actuelle, il ne contient rien de plus, ni rien de moins, il lui est rigoureusement superposable, il en est la reproduction photographique de grandeur naturelle. L’illusion de déjà vu n’est donc rien autre chose que la perception elle-même rejetée dans le passé, antériorisée.« Auffällig ist, dass Arnaud hier das fotografische Abbild metaphorisch heranzieht, um den irritierenden Doppeleffekt des Déjà vu zu beschreiben, der über eine Rückprojektion erfolgt.

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kursiv ausgespart blieb35 und die zugleich zu einer wahren Flut einander angenäherter Bilder führte. In der Reproduktion von Kunstwerken versprach sie deren Vervielfältigung und Zirkulation, wobei Größenrelationen, Raumwirkung, Rahmungen und stofflichen Eigenschaften etc. – wie u.a. Barbara Savedoff betont – nach den Bedingungen des Fotografischen transformiert wurden.36 Darauf basierend wäre zu fragen, wie das Lichtbild mit einer scheinbar entmaterialisierenden Verbreitung von Bildern zusammenhängt, die Déjà-vu-Effekte begünstigt.

35 Cf. TSCHIRNER, Ulfert: »Harte Kontraste. Kopienkritische Betrachtung fotografischer Kunstreproduktion«, in: BADER, Lena/GAIER, Martin/WOLF, Falk (Hg.): Vergleichendes Sehen, München: Fink, 2010, S. 444–472. »Im Zuge eines vermehrten Interesses der Fachgeschichte an den medialen Bedingungen des kunsthistorischen Wissens sind jedoch auch die ›blinden Flecken‹ dieses disziplinierten und disziplinären Blicks aufgedeckt worden. Um Kunstwerke effektiv miteinander vergleichen zu können, sei die spezifische Medialität der dafür als Hilfsmittel benutzten Reproduktionen weitgehend ausgeblendet worden, um die Differenzen zwischen den abgebildeten Kunstwerken überhaupt gezielt wahrnehmen und vermitteln zu können. Die Verfügbarkeit des Mediums Fotografie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts habe es den Kunsthistorikern von diesem Zeitpunkt an erlaubt, fotografische Kunstreproduktionen so zu benutzen, als handelte es sich bei ihnen um transparente Medien, die eine unvermittelte Durchsicht auf das reproduzierte Kunstwerk ermöglichten.« Ebd., S. 445–446 [Hervorh. A.K.]. Tschirner legt allerdings dar, dass um 1850 noch durchaus eine Sensibilität gegenüber der medialen Differenz von Reproduktionen herrschte, die an Kupferstichen etc. herausgebildet wurde. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts habe sich durch die annähernde Monopolstellung der Fotografie im Bereich der Kunstreproduktion die »paradoxe Fantasie unvermittelter Vermittlung« (S. 454) durchgesetzt. 36 SAVEDOFF, Barbara E.: »Looking at Art through Photographs«, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, H. 51/3, Sommer 1993, S. 455–462, hier insb. S. 457–460. Savedoff stellt (u.a. auf Malraux rekurrierend) einen veränderten, reproduktionsfotografisch geprägten Blick auf kunsthistorische Gegenstände fest. Sie schreibt, dass unsere »experience with looking at photographs actually conditions how we look at art« (S. 456), und zwar u.a. dadurch, dass heterogene Oberflächen durch das »flat glossy paper or an iridecent screen« ersetzt würden, Rahmen und Raumkontexte abgeschnitten werden, Skalierungen verändert und der Blick statisch fixiert würde (S. 458–460). Wenn wir auf Originale blicken, würden wir nach wie vor die Vergleichsschablone ihrer Reproduktionen anlegen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass »viewing the reproduction has become the paradigmatic art experience« (S. 456). Gleichermaßen fokussiert sie auf die Arten, wie »photographic reproductions diverge from originals« und betont die Folgenschwere dieser Abweichungen für unser Verständnis konkreter Kunstwerke und Strömungen.

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2. REKONFIGURATION ALS REMEDIATISIERUNG Bereits in den 1850er Jahren wurde die Fotografie – bzw. wurden die damaligen lichtbildnerischen Techniken – in ihrer Möglickeit beschrieben, der Archivierung, Zugänglichmachung und dem Vergleich von Kulturschätzen zu dienen. Oliver Wendell Holmes’ The Stereoscope and the Stereograph von 1859 ist ein prominentes Beispiel eines solchen Diskurses.37 Holmes antizipierte in diesem Text gleichermaßen ein Ausarten des Begriffs des ›Bildwürdigen‹ und eine Aushöhlung des fotografierten Objekts.38 Mit der Fotografie würde das »von der Materie getrennt[e]« Abbild das Original ersetzen, das nun der eigenen Vergänglichkeit preisgegeben oder gar angezündet werden könne.39 Eine ähnliche Bewertung der fotografischen Reproduktion findet sich 75 Jahre später bei Walter Benjamin: Es habe sich ein »Sinn für das Gleichartige« durchgesetzt, dessen »Signatur« die »Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle«40 und die Transformation des Einmaligen in ein Reproduziertes sei. Die Aura des singulär Erlebbaren und die an das »Hier und Jetzt«41 des Werks gebundene Echtheitsannahme gingen dabei unwiederbringlich verloren. Aus Benjamins und Holmes’ Einschätzungen lassen sich mehrere Punkte ableiten: Erstens entfällt durch die Überführung in ein massenweise zirkulierendes Produkt der Wert des unik Ortsgebundenen und die Historizität des Werks (cf. Benjamin). Zweitens wird das multipel reproduzierte Abbild zum (wenngleich nur oberflächlichen) Surrogat (cf.

37 So schrieb Holmes: »Wenn […] das Kapitol und die Peters-Kirche im gleichen Maßstab aufgenommen werden und durch die gleichen Vergrößerungslinsen betrachtet werden, dann können wir sie vergleichen, ohne Gefahr zu laufen, aus Vorurteil […] den Dom unseres Michelangelo überzubewerten.« »Jeder denkbare natürliche und künstliche Gegenstand wird in Bälde seine Oberfläche abschälen. Die Menschen werden auf alle merkwürdigen, schönen und großartigen Gegenstände Jagd machen, so wie man in Südamerika die Rinder jagt, um ihre Haut zu gewinnen, und den Kadaver als wertlosen Rest liegen läßt.« HOLMES (1859/1980), S. 119–120. 38 Cf. HOLMES (1859/1980), S. 119. 39 HOLMES (1859/1980), S. 119. Der Gedanke selbst scheint Tendenzen der Performance-, Conceptual und Land Art zu antizipieren, die mittels der Fotografie ephemere Kunstwerke und Konzepte dokumentieren. 40 Cf. BENJAMIN, Walter: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (1. Fassung, 1935/39), in: Ders.; TIEDEMANN, Rolf (Hg.): Gesammelte Werke, Bd. I.2,Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1980, S. 431–470, hier: S. 442. Der »Sinn für das Gleichartige« ist ein Zitat nach Joannes Vilhelm Jensen. 41 Benjamin beklagt den Verlust des »Hier und Jetzt des Kunstwerks« bzw. »des Originals«, cf. BENJAMIN (1935/1980), S. 437.

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Holmes). Und drittens lässt sich für die Übertragung in eine weitere mediale Form bzw. in eine Darstellung, die anderen medialen Bedingungen unterliegt, eine partielle Aufgabe der materiellen Eigenheiten konstatieren.42 Diese ›Übertragungsfehler‹, wenn man sie so nennen möchte, wären beispielsweise für die frühe Reproduktionsfotografie folgende: Da das Lichtbild selbst flach, ohne visuell erfahrbare Oberflächenstruktur, zunächst schwarzweiß und von vergleichsweise geringer Dimension war, fand hier eine Angleichung statt, die sich wohlgemerkt für die heutige (Digital-)Fotografie anders gestalten würde. Erfahrungen der Größenrelation, Stofflichkeit, Farbigkeit, Raumwirkung und Haptik wurden aus technischen wie auch pragmatischen Gründen lichtbildnerisch verkürzt. Eine entsprechende Umformung des physischen Eigenwerts reproduzierter Kunstwerke konstatierte in den 1940er Jahren auch André Malraux43 , der darin allerdings eine Chance für ein vergleichendes Sehen erkannte.44 In Le musée imaginaire (1947/1951)45 wird die Verbindung des Lichtbildes mit Operationen des kulturhistorischen Gegenüberstellens46 und Memorierens hervorgehoben: Die Fotogra-

42 Cf. hierzu auch SAVEDOFF (1993), S. 457–460, die neben der Aufgabe gewisser Eigenschaften durch die fotografische Umformung auch im gleichen Zuge »additions« bzw. »properties added by them [by the photographs, A.K.]« aufführt. 43 MALRAUX, André: Le musée imaginaire (1947), Paris: Gallimard, 2008. Malraux‘ Idee eines Musée imaginaire, das ein »musée en papier« bzw. ein »lieu mental« sei (S. 253 u. 123), steht in gedanklicher Nähe zu reproduktionsgrafischen Editionsprojekten wie etwa den Kunstreproduktionen von Adolphe Goupil et Cie, Adolphe Braun et Cie, den AlinariBrüdern oder Blanquart-Evrard. (Zum Kunsthändler Goupil, der Herausgeber von Drucken und Reproduktionsfotografien war und 1858 die editorische Serie der Galerie photographique gründete – ein Kompendium von Kunstreproduktionen – cf. LE FONTRÉAULX (2011), S. 103). 44 Cf. MALRAUX (1947/2008), S. 15 und S. 96. Zum ›vergleichenden Sehen‹ siehe den gleichnamigen Band aus der Eikones-Reihe (NFS Bildkritik) von BADER/GAIER/WOLF (2010), insbesondere den bereits genannten Beitrag von Ulfert Tschirner: Als positiv bewertet Tschirner die Möglichkeit, mit verschiedenen Reproduktionen desselben Kunstwerks ein sensibilisiertes vergleichendes Sehen zu unterstützen, das Differenzen herausarbeitet und sich der Medialität der Aufnahmen bewusst ist (S. 450–451). 45 Der Essay Das imaginäre Museum (Le musée imaginaire, 1947 bzw. in einer zweiten Auflage 1951 im Buch Voix du Silence) ist mit zahlreichen fotografischen Reproduktionen von Kunstwerken illustriert. Die Werke werden teils in Detailansicht, teils aber auch als Ganzes gezeigt und sind weniger nach Epochen denn nach thematischen und strukturellen Ähnlichkeiten geordnet. 46 Zum Einfluss der Fotografie auf die Kunstgeschichte und -wissenschaft cf. u.a. BOHRER, Frederick N.: »Perspectives. Photography and the institutional foundation of art history«,

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fie wird demnach keineswegs nur ›in Dienst genommen‹, um dichotomische Bezüge von Bild und Vergleichsbild herzustellen, sondern sie trägt maßgeblich zur Hervorbringung von Ähnlichkeiten bei: »[…] [D]ie Schwarzweiß-Photographie [bringt] eine gewisse ›Verwandtschaft‹ ihrer voneinander sonst noch so weitentfernten Darstellungsobjekte zustande. Mittelalterliche Werke, die unter sich so verschienden sind wie Wandteppich, Glasfenster, Miniatur, Tafelbild und Statue, schließen sich zu einer Familie zusammen, reproduziert man sie auf derselben Seite. Sie verlieren ihre Farbe, ihre Materie (die Skulptur auch einiges von ihrem Volumen), ihr Format, Damit verlieren sie alles Spezifische zugunsten einer Stilgemeinsamkeit. Die Entwicklung der Reproduktion verfährt aber noch sehr viel feiner. Ein Abbildungswerk reproduziert die Gegenstände größtenteils im gleichen Format […]. Und da die Kunstwerke nun ungefähr gleiche Dimensionen gewonnen haben, verlieren sie ihr eigentliches Maßverhältnis.«47

Malraux’ These ist, dass die Fotografie den Zugang und die Verfügbarkeit von Kunst in einem kaum zu überschätzenden Maße erhöht habe.48 In der wachsenden Bildreproduktion bestehe aber auch die Gefahr eines abstrahierten, leidenschaftslosen Zugangs zu Bildern, bei dem die Kenntnis von möglichst viel Material das bewundernde Erleben ersetzt: Produziert werde eine immer größere Anzahl von Wer-

in: MANSFIELD, Elisabeth (Hg.): Art History and its institutions. Foundations of a discipline, London/New York: Routledge, 2002, S. 246–259. 47 MALRAUX, André: Das imaginäre Museum (1947), aus dem Französischen übertragen von Jan Lauts, Baden-Baden: Klein, 1949, S. 16.. 48 Zuvor hätten primär Studienreisen, Skizzen, Kopien und Druckgrafiken nach alten Meistern diesen Zweck erfüllt. Cf. MALRAUX (1947/2008), S. 15 bzw. MALRAUX (1947/49), S. 9: »Baudelaire hat weder die Hauptwerke Grecos noch die Michelangelos, Masaccios, Piero della Francesca [sic !] oder Grünewalds gesehen.Was hat er überhaupt gesegen? Was Stendhal, was vor dem Jahre 1900 alle die, deren Gedanken über Kunst für uns noch heute aufschlußreich oder bedeutsam sind, alle die, von denen wir annehmen, sie reden von den gleichen Werken wie wir, sie beziehen sich auf dasgleiche wie wir? Einige Museen waren es nur und die Reproduktionen eines geringen Teils der Meisterwerke in Europa; die Mehrzahl ihrer Leser kannte noch weniger. […] Heute stehen dem Studierenden eine Füllefarbiger Reproduktionen nach den meisten Hauptwerken zur Verfügung; er wird mit zalreichen Bildern zweiten Ranges bekannt, mit der Kunst archaischer Epochen […].« i.O. variiert diese Stelle stark: »Qu’avaient vu, jusqu’en 1900, ceux dont les réflexions sur l’art demeurent pour nous révélatrices ? […] Deux ou trois grands musées, et les photos, gravures ou copies d’une faible partie des chefs-d’œuvre de l’Europe. […] Aujourd’hui, un étudiant dispose de la reproduction en couleurs de la plupart des œuvres magistrales, découvre nombre de peintures secondaires […]« (S. 15).

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ken mit einer steigenden Bildauflage. Mit dieser Art der Diffusion rücke »das bedeutsame Werk an die Stelle des traditionellen Meisterwerks und die Wissbegierde an die Stelle der tiefen Bewunderung.«49 In der massenmedialen Verbreitung, so könnte man vermuten, liegt aber auch ein Potenzial begründet: Denn im Pluralismus verfügbar gemachter Kunstwerke wird eine bildnarrative Streuung möglich im Sinne eines Gegensteuerns gegen einen restriktiven Blick auf einzelne wenige Ikonen (und allgemeiner: gegen die kunsthistorische Fixierung auf rein manuell gefertigte Meisterwerke, die gemäß etablierter Filiationslinien geordnet werden). Eine solche Streuung und Dezentrierung erfolgt aber notabene, wie auch Malraux bemerkt, zu den Bedingungen des Fotografischen, was bedeutet, dass sich primär das lichtbildnerisch Abbildbare in ein kollektives, reproduktionstechnisch geprägtes Gedächtnis einzuschreiben vermag.50 Weiterhin resultiert aus den heutigen, nun auch digitalen Bildermassen ein zwar möglicherweise visuell ausgedehntes, technisches »Speichergedächtnis«51, doch ist dieses hinsichtlich der vermittelten stofflichen und räumlichen Eigenschaften nach ›fotografischen Parametern‹ transformiert. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob ein ›Mehr‹ an Bildern per se einen heterogeneren Bilderpool schafft oder ob nicht gerade die fotografische und netzbasierte Distribution zu Abstraktionen führt, die Ähnlichkeiten produzieren und somit Déjà-vu-Effekte begünstigen. Felix Thürlemann und David Ganz betonen in einer vergleichbar-ambivalenten Haltung, dass die Pluralisierung der reproduktionsgrafisch zirkulierenden Bilder im gleichen Zuge eine Tendenz zur Singularisierung impliziert: Einerseits sei die Wahrnehmung von »Bilderschwemmen, des Bilderrauschens und ähnlicher Massenphänomene« das »Signum moderner Gesellschaften, die seit der Erfindung der Fotografie« eine Potenzierung der Bildver-

49 MALRAUX (1947/1949), S. 10: »[…] so tritt oft das nur Charakteristische an die Stelle des Meisterwerks, und der bewundernde Betrachter weicht dem wissensfrohen Kenner.« 50 MALRAUX (1947/1949), S. 24: »[…] sie [die Kunstgeschichte, A.K.] [ist] eine Geschichte des Photographierbaren geworden.« Man könnte diesen Gedanken auch weiterspinnen und behaupten, dass sich weite Teile der heutigen Kunstproduktion antizipierend diesem konditionierenden Rahmen fügen, indem sie die fotografische Vermittlung mit berücksichtigen oder gar veranlassen (z.B. Performance Kunst). 51 Zur Unterscheidung von »Funktionsgedächtnis« und »Speichergedächtnis« siehe ASSMANN, Aleida: »Archive im Wandel der Mediengeschichte«, in: EBELING, Knut/ GÜNZEL, Stephan (Hg.): Archivologie. Theorien des Archivs, Berlin: Kadmos, 2009, S. 165–175, insb. S. 169–170. Während im Funktionsgedächtnis nur das überliefert wird, was sich als aktives, erinnerbares Wissen sammeln lässt, ist das Speichergdächtnis eine technische Ansammlung von Daten, die teils längst nicht mehr auswertbar sind.

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vielfältigung erleben würden.52 Andererseits sei dabei ein Kippeffekt zu konstatieren, der sich als »Faszination des einen Bildes«53 beschreiben lässt: Eine »kultartige Verehrung von wenigen, zu Meisterwerken erkorenen Bildern« sei zu verzeichnen, die dem diffusen Bilderstrudel entgegenstehe.54 Im Sinne dieser Doppelhaltung scheint auch die prominente Referenz der in den Vorkapiteln untersuchten Positionen auf ein duales Spiel hinauszulaufen: Einerseits bekräftigt und stabilisiert der Akt der Wiederholung (z.B. die ›Zitation‹ des Olympia-Motivs oder der Venus vor dem Spiegel) das Wiederholte. Andererseits erfolgt eine referenzielle und semantische Streuung, indem Differenzen integriert werden und – teils entgegen der künstlerischen Intention – nicht nur ein singuläres ›Vor-Bild‹ abrufbar wird, sondern ein ganzes Bildernetz ›ähnlicher‹ Reprisen, Kopien oder Reproduktionen. Ich möchte nochmals auf die Aspekte der Ähnlichkeit und des Vergleichens zurückkommen, die eine wesentliche Rolle im Kontext dieser Vereinzelungs- und Pluralisierungstendenz spielen: Ganz und Thürlemann verwenden im Einleitungsaufsatz zu Das Bild im Plural den (zuvor von Thürlemann geprägten) Term des hyperimage, der »in Analogie zum Begriff des Hypertext Zusammenstellungen von grundsätzlich autonomen Bildern« bezeichnet, »die unabhängig voneinander entstanden und nur temporär zu räumlichen Anordnungen zusammengefasst sind«.55 Ein Beispiel für solche hyperimages sind die remontierbaren Bildtafeln des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866–1929). Diese heute primär fotografisch überlieferten Tableaus sind Teil des Mnemosyne-Projekts, an dem Warburg ab etwa 1924 bis zu seinem Tod arbeitete und das ursprünglich in einem dreibändigen Atlas

52 GANZ/THÜRLEMANN (2010), S. 7. 53 Ebd., S. 7 [Hervorh. A.K.]. Cf. auch CHÉROUX (2009), S. 33–34 und S. 67–68, bezogen auf die homogenisierende Bildzirkulation des 11.09.2001. 54 GANZ/THÜRLEMANN (2010), S. 7. Im Sinne dieser Doppelhaltung der Affirmation des Einen und des Multiplen scheint auch die prominente Referenz der hier zuvor untersuchten Positionen auf ein duales Spiel hinauszulaufen: Einerseits bekräftigt und stabilisiert der Akt der Wiederholung (z.B. die ›Zitation‹ des OLYMPIA-Motivs) das Wiederholte. Andererseits erfolgt eine referenzielle und semantische Streuung, indem Differenzen eingebaut werden und eben nicht nur auf ein singuläres ›Original‹ rekurriert wird, sondern auf ein ganzes Bildernetz von Reprisen, Kopien oder Reproduktionen. 55 GANZ/THÜRLEMANN (2010) ordnen dem ›pluralen Bild‹ neben dem ›hyperimage‹ auch das ›summierende Bild‹ (z.B. Überblendungen) und das fest koordinierte Bild-Ensemble (z.B. Flügelaltar) zu (cf. S. 14). Zum Begriff des ›hyperimage‹ cf. auch THÜRLEMANN, Felix: »Vom Einzelbild zum hyperimage. Eine neue Herausforderung für die kunstgeschichtliche Hermeneutik«, in: NESCHKE-HENTSCHKE, Ada et al. (Hg.): Les hermeneutiques au seuil du XXIe siècle. Évolution et débat actuel, Löwen/Paris: Peeters, 2004, S. 223–247.

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resultieren sollte.56 Auf stoffbespannten Holzrahmen versammelte er Bildreproduktionen zu allen Themen seiner vorherigen Forschung, ohne im konventionellen kunsthistorischen Sinn zwischen verschiedenen Bildgattungen, Medien und Zeiten zu differenzieren. Er verwendete hierbei Material des Florentiner Alinari-Archivs, Druckgrafiken, Postkarten, Zeitungsausschnitte57 – kurz: insbesondere Reproduktionen von Kunst und Alltag, die, wie ich mit Malraux behauptete, selbst bereits ähnlichkeitsgenerierend sind, indem sie Maßstab, Farbigkeit, Oberfläche etc. angleichen. Warburg brachte die Reproduktionen nach Kriterien der thematischen und formalen Verwandtschaft zusammen, um gemäß des Prinzips des »guten Nachbars«58 Wechselwirkungen, Variationen und scheinbar zeitübergreifende Schnittmengen der Bildketten sichtbar werden zu lassen. Die Bildkonstellationen wurden mehrfach variiert, als Ensembles abfotografiert, teils ausgestellt und schließlich neu formiert – möglicherweise ein Weg, um die Tafeln an die ständigen Rekonfigurationen des Gedächtnisses anzunähern. Die HerausgeberInnen von Warburgs Schriften Perdita Ladwig, Martin Treml und Sigrid Weigel (2002) stellen entsprechend fest, dass das Vorgehen des Kulturwissenschaftlers von einer experimentellen Gebrauchspraxis zeugt – und dies vor allem »aufgrund der Montage der Bilder auf den Tafeln, aufgrund einer Interbildlichkeit (in Anlehnung an Intertextualität) und der Möglichkeit zur endlosen Refiguration der jeweiligen Konstellationen […].«59

56 BARTA-FLIEDL (1992) spricht von zwei Textbänden und einem Bildband. Der genaue Beginn des Projekts ist unklar: Die Warburg-Rezeption nennt meist das Jahr 1924, in welchem der Hamburger von seinem Klinik-Aufenthalt in Kreuzlingen zurückkehrte, wenngleich die Idee auf das Jahr 1905 zurückzugehen scheint, cf. HUBERMAN (2002), S. 452; LADWIG, Perdita/TREML, Martin/WEIGEL, Sigrid: »Mnemosyne. Zwischen Evolutionstheorie und Bilderatlas. Vorbemerkung der Herausgeber«, in: Dies. (Hg.): Aby Warburg. Werke in einem Band, Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 601–615. 57 Cf. BARTA-FLIEDL (1992), S. 166. 58 Das »Gesetz des guten Nachbarn« nennt Warburg im Kontext seiner zufälligen Begegnung mit einem Artikel, der ihm eine Reliefdarstellung Duccios vor Augen bringt, welche wiederum im Vergleich mit einer Madonnen-Darstellung Martinis erst ihren Gegenstand erschließen lässt. Cf. Warburgs Tagebucheintrag der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek vom 15. Juli 1928, zitiert in: HENSEL, Thomas: »Von Graphit, Graphemen und Gestellen. Aby Warburg und die Aktanten der Kunstwissenschaft«, in: SCHÜTTPELZ, Erhard/ THIELEMANN, Tristan (Hg.): Akteur-Medien-Theorie, Bielefeld: transcript, 2013, S. 643– 690, hier: S. 668. 59 LADWIG/TREML/WEIGEL (2010), S. 614.

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Eine Analogie der Bildtafeln zu Prozessen individueller und kollektiver Gedächtnisrekonfiguration mag auch der Titel Mnemosyne60 suggerieren. Entgegen Warburgs Intention scheint es nahezu schlüssig, dass der geplante Atlas in Buchform zu Lebzeiten des Hamburgers unvollendet blieb: Durch eine abschließende Fixierung zwischen »zwei Buchdeckel[n]« hätte, so Ladwig et al., das Projekt seinen »experimentellen Charakter«61 verloren. Nur in einer flexibel wandelbaren Form konnten die Tafeln einer »Gedächtnisspur im Sinne Freuds«62 gleichen und die »›schrankenlosen Beziehungsmöglichkeit[n]‹ der Bild-Elemente« (Böhme) in einer »fluidal-dynamischen Ordnung«63 des Ähnlichen und zugleich Differenten repräsentieren. Doch sei der Blick nochmals zurückgeführt auf die Reproduzierbarkeit, die partielle Homogenisierung und Dislozierbarkeit, die die Fotografie in Warburgs und stärker noch in Malraux’ Projekt für das verwendete Material impliziert. Im Musée imaginaire wie auch in den Mnemosyne-Tafeln werden durch die fotografische Reproduktion die jeweils abgebildeten kulturhistorischen Motive zeit- und ortsunabhängig verfügbar gemacht. In beiden Vorhaben zeigt sich dabei exemplarisch, wie sich neue Formen des Bildvergleichs herausgebildet haben, die wiederum einem Ähnlichkeitsdenken geschuldet sind, das maßgeblich bedingt ist durch Parameter des Fotografischen sowie die durch dieses bestärkte Logik der Rekombinierbarkeit: Gemälde, Skulpturen, Kunstgegenstände und Architekturelemente werden lichtbildnerisch (und bei Warburg auch druckgrafisch 64) aus dem Kontext gelöst

60 Neben dem Titel Mnemosyne wird dies auch in den einleitenden Worten des

geplanten Atlas‘ wie zusätzlich in Warburgs Aufzeichnungen und seinem offenen Bekenntnis zu den biologistischen Gedächtnistheorien Richard Semons deutlich. 61 LADWIG/TREML/WEIGEL (2010), S. 615. 62 Ebd., S. 615. Weiter heißt es dort: »Sie schaffen ein Bildgedächtnis, das in Gestalt der Zitate, Wiederaneignungen und Umformungen vergegenwärtigt, aber erst in der je einzelnen Lektüre erhellt und durch den Kommentar gedeutet wird.« 63 BÖHME, Hartmut: »Aby M. Warburg (1866–1929)«, in: DÄRMANN, Iris/ JAMME, Christoph (Hg.): Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren, München u.a.: Fink, 2009, S. 243–267, hier: S. 260. 64 Obschon gleichermaßen grafische Reproduktionen verwendet wurden, spielte die Fotografie bei der Umsetzung von Warburgs Projekt eine ausschlaggebende Rolle. Nicht nur waren eine Vielzahl des montierbaren Materials Schwarzweiß-Fotos: Vielmehr wäre auch das Mnemosyne-Projekt nicht in dieser Form möglich gewesen, wenn Warburg nicht einen speziellen fotografischen Apparat zur Hand gehabt hätte – ein »einfaches ›Photoclark‹ von Dr. Jantsch«, das es erlaubte, »innerhalb von kurzer Zeit eine gewaltige Anzahl von Abbildungen ohne Glasnegativ zu produzieren«. Cf. Warburg in einem Brief an

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und medialisiert, also vermittelt. Hierbei werden allerdings keineswegs einfach nur präexistierende Bilder und Objekte in einen (neuen) medialen »Behälter«65 überführt, sondern sie erfahren eine Umformung, und dies nicht zuletzt, da ihre jeweils sichtbare Form – wie auch Joachim Paech im Rekurs auf Niklas Luhmann betont – aufs Engste mit dem zugrunde liegenden Medium verzahnt ist.66 Statt eines einfachen Transfers in die Fotografie handelt es sich folglich auch bei Kunst-Reproduktionen um eine Transformation im Transfer, bei der die einhergehende Differenz je-

seinen Arzt Binswanger, zitiert in: BARTA-FLIEDL (1992), S.167. Im Übrigen schreibt auch Didi-Huberman:» Wenn Warburg es sich zur Gewohnheit machte, in einer zusätzlichen photographischen Mise en abyme jede Zusammenstellung zu photographieren, bevor er sie durch eine neuerliche Umstellung in Frage stellte, so deshalb, weil die Kohärenz seines Tuns gerade in der Permutierbarkeit lag [..] und nicht in irgendeinem ›Endpunkt‹ (der das visuelle Pendant zu einem absoluten Wissen wäre).« DIDI-HUBERMAN, Georges: Das Nachleben der Bilder. Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg (L’image survivante, 2002), Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 507. 65 Paech problematisiert, dass Übergangsphänomene von einem Medium in ein anderes meist entweder von formästhetischer oder aber von rein inhaltlicher Seite untersucht würden, ohne dabei jedoch »den Formwandel selbst als Inhalt des Medienwechsels in einem Transformationsverfahren anschaulich zu machen. Das trifft auf alle vergleichbaren Analysen von Intermedialität zu, die die Darstellung der einen Kunstform in einer anderen (also zum Beispiel Literatur im Film) als Übertragung eines Inhalts aus einem Behälter (Medium) in einen anderen auffassen.« PAECH (1998/2008), S. 15–16. An anderer Stelle (1997) fragt Paech – bezogen auf Godards filmischen Bezug auf Gemälde von u.a. Rembrandt: »Was bedeutet es, wenn man sagt, daß Godard die Malerei, die eine historisch und kulturell definierte Form ihres Mediums ist, in den Film, eine andere Medienform, hinein aufgelöst hat? Sollte Godards Film beides zugleich sein, Film und Malerei, das eine im anderen? Die Tatsache, daß die Malerei in Godards Film nicht einmal im Medium ihrer Form des gerahmten Bildes von Bewegungslosigkeit z.B., sondern als bloße Figuration ihrer Medien- (Malerei), Stil- (Rembrandt) und Figurenunterscheidungen (Nachtwache) anwesend ist, läßt vermuten, daß es sich auch nicht um die Auflösung einer Medienform in eine andere handelt, sondern um die Figuration dieser Auflösung, Auflösung als eine Figur der Intermedialität.« PAECH, Joachim: »Paradoxien der Auflösung und Intermedialität« (1997), in: COY, Wolfgang/THOLEN, Georg Christoph/WARNKE, Martin (Hg.): Hyperkult. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien, Basel u.a.: Stromfeld, 1997, S. 331–367, hier: S. 332–333. 66 SCHRÖTER (1998) betont, dass Paech mit Luhmann »zurecht auf der Untrennbarkeit von Medium und Form« insistiere, »insofern Formen immer nur in einem Medium erscheinen, Medien selbst immer nur in Formen aktualisiert existieren« (S. 137).

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doch teils überspielt67 oder durch die Suggestion einer (konventionalisierten) Transparenz ausgeblendet wird. Allgemeiner lässt sich behaupten, dass in analogen Prozessen des ›Medienwechsels‹ eine Doppelstrategie zum Tragen kommt, die sich mit Bolter und Grusin als Wechselspiel von »immediacy« und »hypermediacy«68 beschreiben ließe: Im konkreten Fall von Reproduktionsfotografien nimmt sich demnach das ›Endmedium‹ (die Fotografie) einerseits im Sinne einer vermittelten Immedialität selbst weitgehend zurück, um einen Transparenzeffekt des »seeing through«69 zu bewirken. Andererseits erfolgt eine Verschachtelung verschiedener medialer Anordnungen, indem die Form des jeweiligen ›Ausgangsmediums‹ (z.B. des Gemäldes, der Skulptur etc.) als ein z.B. Malerisches oder Skulpturales sichtbar bleibt und zugleich als ein Fotografiertes wahrgenommen wird. Die technischen, distributionslogischen, diskursiven und gestalterischen Parameter, die für Fotografien in einem definierten zeitlich-kulturellen Kontext und einer bestimmten Gebrauchsweise gelten, sind bei dieser Umformung ebenso zu berücksichtigen wie die Eigenschaften des rekurrierten Mediums.70 Bolter und Grusin bezeichnen mediale Verschränkungen dieser Art als Hypermedialität. Diese sei der korrelierte Kehrwert bzw. das »alter ego«71 der Immedialität. Während Letztere mit einem Ausblenden und Abstreiten der eigenen Medialisierung72 einhergehe, drücke sich in Ersterer eine »fascination with media«73 aus:

67 Etwa, wenn die Plastizität einer fotografierten Skulptur durch eine entsprechende Ausleuchtung verstärkt wird (es erfolgt hier dann eine Art Mimesis von skulpturalen Eigenschaften in der Fotografie). 68 BOLTER/GRUSIN (1999), S. 34: »If the logic of immediacy leads one either to erase or to render automatic the act of representation, the logic of hypermediacy acknowledges multiple acts of representation and makes them visible.« 69 Ebd., S. 25. 70 Paech konstatiert, dass einzelne Eigenschaften beispielsweise von Film und Malerei geteilt werden, dass aber andere notwendigerweise differieren. So sei »Fotografie als Form ihres Mediums« durch eine Vielzahl von Parametern bedingt, durch die »sie sich deutlich zum Beispiel von der Malerei« abgrenze. Als »Medium ihrer Form(en) gelten [wiederum] die Bedingungen ihrer Unterscheidbarkeit, von denen einige (z.B. Gesetze der Optik) sich von der Malerei unterscheiden, während andere (z. B. Farben, Hell-Dunkel-Kontrast, Komposition) beiden gemeinsam sind. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls von Auflösung die Rede: Hohe Auflösung etwa läßt das Medium zur Form transparent werden, indem die Form des Mediums unsichtbar wird […]«,PAECH (1997), S. 333–334. 71 BOLTER/GRUSIN (1999), S. 34. 72 Ebd., S. 54. Allerdings sei die Wahrnehmungsweise der »immediacy« keineswegs als naives Verständnis einer gänzlich unvermittelt zugänglichen Wirklichkeit zu denken. Viel-

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Zwar sei Hypermedialität insbesondere für digitale Hybridformen jüngerer Zeit charakteristisch, doch finde sie sich ebenso in Tafelaltären, Collagetechniken, Wunderkammern etc.74 In Abgrenzung zur Immedialität, die einen Fensterblick auf den einheitlichen Raum eines ›Außerhalb‹ suggeriere, erscheine der hypermediale Raum heterogen: Statt einer scheinbar ungehinderten Ansicht durch eine Glasscheibe zeige sich hier, dass vielmehr der Blick selbst medialisiert und gerahmt (»windowed«) sei.75 Die in diesem Zusammenhang beschriebene Wahrnehmung entspricht bemerkenswerterweise der Erfahrung einer Grenzverschiebung oder Verabgrundung (mise en abyme) des Bildraums, wie sie beispielsweise für Bilder in Bildern kennzeichnend ist. Eine solche Wahrnehmung habe ich bereits in den Kapiteln B.1.1 und B.1.2 am Beispiel von René Magrittes Die schöne Gefangene, Pierre Huyghes Billboards und Duane Michals Madame Schrödinger’s Cat herausgearbeitet. Auch habe ich an späterer Stelle im Kontext der bildinternen Verschachtelungen in Joel-Peter Witkins John Herring, P.W.A., poses as Flora… und Antoshinas Olympus aufgezeigt,76 dass eine Anlage über mehrere Bildebenen, die je ontologisch geschieden schienen, die Darstellung in besonderem Maße als Raum des

mehr gehe es darum, dass eine Kontiguitäts- bzw. Kontaktbeziehung zwischen dem Medium und dem jeweils Repräsentierten angenommen werde: »Immediacy is our name for a family of beliefs and practices that express themselves differently at various times among various groups […]. The common feature of all these forms is the belief in some necessary contact point between the medium and what it represents. [… ] However, probably at no time or place has the logic of immediacy required that the viewer be completely fooled by the painting or photograph« (S. 30). Fotografie sei im Übrigen in besonderer Weise als »erasive medium« betrachtet worden, da selbst der menschliche Akteur durch einen Automatismus der Maschine ersetzt worden zu sein schien (S. 25 und S. 27). 73 Ebd., S. 31. 74 »As a historical counterpart to the desire or transparent immediacy, the fascination with media or mediation can be found in such diverse forms as medieval illuminated manuscripts, Renaissance altarpieces, Dutch paintings, baroque cabinets, and modernist collage and photomontage.« Ebd., S. 34. 75 Ebd., S. 34. 76 Es wäre zu überlegen, inwieweit die Idee, die Grusin und Bolter unter dem Begriff der Hypermedialität erfassen, generell für fotografische Re-Inszenierungen geltend gemacht werden könnte. So schreiben Bolter und Grusin explizit: »hypermediacy can operate even in a single and apparently unified medium, particularly when the illusion of realistic representation is somehow stretched or altogether ruptured. […] In every manifestation, hypermediacy makes us aware of the medium or media and (in sometimes subtle and sometimes obvious ways) reminds us of our desire for immediacy.« BOLTER/GRUSIN (1999), S. 34.

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›Als-ob‹ markiert. Brüche und Nahtstellen simulierten hier ein ›Cloisonnement‹ unterschiedlicher Medialitätsstufen. Bolter und Grusin zufolge charakterisieren sich hypermediale Formen – neben der Erfahrung eines cloisonnierten, medialen Wahrnehmungsraums – über die Annahme, dass jeder schöpferische Akt unausweichlich die Rekonfiguration existierender Formen bedeute.77 Entsprechend gelte unter anderem für Collagen und Fotomontagen wie allgemeiner für alle »Hypermedia«, dass »to create is to rearrange existing forms.«78 Auch sei jeder Akt der Mediatisierung »dependent on another, indeed many other, acts of mediation and is therefore remediation«79 (dieser Gedanke ist aufs Engste mit der Intertextualitätstheorie und mit Theorien u.a. Derridas verwandt80). Der hier von Bolter und Grusin verwendete Begriff der remediation81 (Remediatisierung) ist deren zentrales Konzept, das gleichsam die erwähnte Duplizität von Immedialiät und Hypermedialität verklammert. Remediatisierung benennt nach den beiden Autoren das Zusammenspiel verschiedener medialer Anordnungen im Sinne eines revidierenden Recyclings bzw. einer »Reform«, wie sie insbesondere für die digitale Ära zu konstatieren sei.82 Primäres Ziel dieses »refashioning« sei es, ›ande-

77 Die gedankliche Nähe eines solchen Postulats zu u.a. der Intertextualitätstheorie (nach welcher ja Texte notwendig in Dialog zueinander treten und nicht ohne wechselseitige Bezüge denkbar sind), liegt ebenso auf der Hand wie die Korreliertheit mit Derridas Iterabilitätsauffassung und Butlers Performativitätskonzept (cf. Kapitel F.2). Bolter und Grusin explizieren entsprechend, dass dem Leser sicherlich eine Analogie ihres Ansatzes auffallen wird mit »poststructuralist literary theory of the past four decades, for Derrida and other poststructuralists have argued that all interpretation is reinterpretation. Just as for them there is nothing prior to writing, so for our visual culture there is nothing prior to mediation.« BOLTER/GRUSIN (1999), S. 30. 78 Ebd., S. 39. 79 Ebd., S. 56. 80 Bolter und Grusin explizieren, dass ihr Ansatz zumindest hinsichtlich des Aspekts einer notwendigen Mittelbarkeit aller Wahrnehmung auf Theorien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufbaue, die wiederum stets negierten, »that an image is a more direct presentation of the world than is written or spoken language.« Die hier angedeuteten Theorien verfolgten den Ansatz »to textualize the image and therefore to take it into the discourse of poststructuralism – a strategy apparent in works as diverse as Derrida's Of Grammatalogy (1976) and Nelson Goodmans Languages of Art (1968).« Ebd., S. 30. 81 Die Autoren beziehen sich auf das lateinische remedere, das heilen und gesundheitlich wiederherstellen bedeute: »We have adopted the word to express the way in which one medium is seen by our culture as reforming or improving upon another«, ebd., S. 59. 82 Cf. ebd., S. 59.

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re Medien‹ umzubilden, herauszufordern oder auch zu »rehabilitieren«.83 Die beiden Theoretiker gehen also letztlich von der Notwendigkeit einer unablässigen medialen Rekonfiguration aus, bei der weniger eine »external reality but rather another medium« nachgeahmt, ›digeriert‹ und retroaktiv verändert würde. Dieser Umstand relativiert aber notabene die Strategie der immediacy: Denn der Unmittelbarkeitseffekt bezöge sich demnach nicht auf Wirklichkeit, sondern primär auf das reprozessualisierte ›Medium‹, das scheinbar mit nur geringen Übertragungsfehlern in einer zweiten medialen Form präsent würde. So zielt nach Bolter und Grusin beispielsweise auch die Computergrafik (in Videospielen etc.) nicht auf eine realistische, sondern auf eine fotorealistische Form, wobei »criteria of the photograph«84 übernommen würden. Aufgrund dieser multiplen Mittelbarkeit steht die BolterGrusinsche immediacy letztlich für eine temporäre Illusion, die in jedem Moment umzukippen droht in die Erkenntnis einer allgegenwärtigen Hypermedialität.85 Von Bolter und Grusins Remediatisierungskonzept ausgehend konstatiert auch Andrea Seier, dass »neue Medien« ältere nicht ablösen könnten, sondern »sie beeinflussen sie wechselseitig und bringen sich auf diese Weise immer wieder – sei es im technisch-apparativen oder ästhetischen Sinne – neu hervor. […] Ein Medium konstituiert sich in diesem Sinne überhaupt nur als solches, insofern es eine Wiederholung von Medien darstellt. Medien lassen sich […] als performative Akte der Medialisierung auffassen.«86

Seier fokussiert auf die Performativität und Unabschließbarkeit medialer Konfigurationsprozesse, wobei sie sich stark an Judith Butlers Ausführungen zum unausweichlichen, differenziellen Wiederholen vorhandener Strukturen anlehnt (cf. Kapitel F). Zentral sei, dass die performativen Umformungen gerade keine »individualistischen Entscheidungen« von menschlichen Akteuren in dem Feld (z.B. von Fotografen, Bildeditoren etc.) seien, »sondern Akte, die – wie die von Butler beschriebenen Akte der Vergeschlechtlichung – schon eingesetzt haben, bevor diese [die Akteure, A.K.] die Bühne betreten«.87 Der besondere Wert des von Bolter und Grusin entwickelten und von Seier weitergeführten Denkmodells liegt zusammenfassend gesagt darin, dass ›Medien‹ als

83 Ebd., S. 56: »The goal of remediation is to refashion or rehabilitate other media.« 84 Ebd. S. 28. 85 All dies ist natürlich kein Novum, sondern es erinnert vielmehr an Susan Sontags pointierte Feststellung, dass auch über die transparent erscheinende Medialität der Fotografie »[n]icht die Realität […] zugänglich gemacht« werde, sondern einzig Bilder, cf. SONTAG (1979d), S. 157. 86 SEIER (2005), S. 85. 87 Ebd., S. 86–87.

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relationale, prozessuale Geflechte und also gerade nicht als starr voneinander abgegrenzte, puristische Gebilde betrachtet werden: Zum einen untersuchen diese Ansätze, wie neuere mediale Formationen zurückwirken auf ältere ästhetische Praktiken und Kanäle. Zum anderen betonen die AutorInnen jedoch auch, dass es ihnen insbesondere um ein Aushebeln chronologisch-linearer Strukturen gehe. Entsprechend gelte laut Bolter und Grusin, dass sogar früher entstandene mediale Formationen ihre Nachfolger remediatisieren können.88 Im Übrigen seien aber auch Wiederaufbearbeitungen innerhalb von Mediengrenzen als Remediatisierung zu bewerten, beispielsweise, wenn sich jüngere Filme auf Hitchcock-Klassiker beziehen oder Maler auf andere Gemälde und Stile rekurrieren. Medieninterne Bezüge seien sogar die üblichste Form und gleichermaßen »a special case of remediation, and it proceeds from the same ambiguous motives of homage and rivaltry – what Bloom has called the ›anxiety of influence‹ – as do other remediations.«89 Anders als Seier lassen Bolter und Grusin hier offenbar durch die Hintertür erneut ein intentional Agierendes oder zumindest eine abstrahierte Intentionalität ein, das bzw. die sich gegenüber anderen Positionen (entweder rivalisierend oder anerkennend) zu situieren sucht. In höherem Maße diskutabel erscheint aber die direkt vorangehende Aussage, dass das medieninterne »refashioning« nicht die Grenzdefinitionen verletzen würde:90 »In fact, this is one kind of refashioning that literary critics, film critics, and art historians have acknowledged and studied with enthusiasm, for it does not violate the presumed sanctity of the medium, a sanctity that was important to critics earlier in this century, although it is less now.«91

Bliebe denn tatsächlich die scheinbare »sanctity«92 bzw. Unantastbarkeit von Medienkategorien unberührt, wenn sich beispielsweise ein 3D-Kinofilm mit Ausschnit-

88 BOLTER/GRUSIN (1999), S. 55: »In the first instance, we may think of something like a historical progression, of newer media remediating older ones an in particular of digital media remediatig their predecessors. But ours is a genealogy [in Sinne Foucaults, wie die Autoren zuvor betonen, A.K.] of affiliations, not a linear history, and in its genealogy, older media can also remediate newer ones.« 89 Ebd., S. 49. 90 Cf. BOLTER/GRUSIN (1999), S. 49; SEIER (2005), S. 99. 91 BOLTER/GRUSIN (1999), S. 49 [kursive Hervorh. A.K.]. 92 Ebd., S. 49. Auffällig ist hier der Term der »sanctity«, der ein geweihtes Konsekriertes, also ein dem-Mensch-Entzogenes, Heiliges bezeichnet. Hier mag sich eine Reflexion von Agambens (2006/2008) dualem Dispositivbegriff anbieten. Dieser wird etymologisch einerseits mit der (als Gegebenheit betrachteten) positivité (Hippolyte) und der Hegelschen

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ten aus Schwarzweißfilm-Klassikern schmücken würde? Hinterfragen fotografische Praktiken, wie die explizite Darstellung früherer Produktionsbedingungen im Studio (cf. Joel-Peter Witktins John Herring, P.W.A., poses as Flora…) nicht auch die mutmaßliche Natürlichkeit von Mediengrenzen sowie unsere medialen Erwartungshaltungen? Allgemeiner: Stellt nicht das Aufzeigen der internen Heterogenität sowie der technischen/funktionalen Wandelbarkeit von ›Medien‹ ebenfalls die Grenzziehung in Frage?93 Das Konzept der Remediatisierung ist gerade aus dem Grund faszinierend, dass die Kategorie des ›Mediums‹ in ihrer Instablität exponiert wird, und zwar aus einer Perspektive, die den zeitlichen Wandel und die unvorhersehbaren ›revivals‹, Kreuzungen und kategorialen Überschüsse berücksichtigt. Suprastrukturen (technische Entwicklungen, gesellschaftliche Veränderungen, Genderdiskurse etc.) werden bei Bolter/Grusin und Seier als remedialisierendes und remedialisiertes Element einbezogen. Kennzeichnend für diese Ansätze ist allerdings eine Doppelhaltung, nach der einerseits ›Medien‹ als komplexe Gefüge betrachtet werden, die nur über andere, vergleichbare Gefüge definiert, sprich: abgegrenzt werden können. Andererseits werden aber im gleichen Zuge gerade diese Grenzziehungen in ihren dynamischen Verschiebungen beleuchtet, wobei ein expansives Moment in den Fokus rückt, bei dem das je ›Eingefasste‹ über die zuvor gesetzten Ränder tritt oder das mutmaßliche ›Außen‹ im ›Inneren‹ reflektiert wird. Aarge Hansen-Löve bringt bereits 1983 die-

positiven Religion verschweift. Andererseits bezieht sich Agamben aber über die griechische oikonomia und deren lateinische Übersetzung als dispositio dezidiert auf einen Abtrennungsprozess, bei dem eine Verwaltung des Menschen durch die (theologische) Abspaltung des Göttlichen erfolgt und allgemeiner Sein und Handeln separiert werden.Was sakralisiert oder konsekriert wird, ist dabei dem allgemeinen Gebrauch entzogen, dem es nur durch Profanierung rücküberführt werden kann. Cf. Agamben, Giorgio: Was ist ein Dispositiv? (Che cos'è un dispositivo?, 2006), Berlin/Zürich: diaphanes, 2008, insb. S. 20–25 und S. 33–34. 93 Mit Michael Wetzels Konzept der Inframedialität könnte Bolters und Grusins Ansatz hier gegebenenfalls nachjustiert werden: Als hauchdünnes ›Dazwischen‹ verweist das Präfix ›Infra‹ auf Osmosebewegungen und Kippeffekte zwischen Außen und Innen bzw. auf ein »im Inneren eingeschlossenes, antizipiertes Außen«. Wetzel geht dabei von einer nonlinearen, spiralförmig gedachten Zeit aus. Sie sei als Relation besonders zu berücksichtigen, da über sie das »Gleiten oder Changieren« bzw. die »Metastabilität« des Inframedialen deutlich werde. Generell sieht auch Wetzel Medien als »nichts Fertiges«, sondern als »experimentelle Anordnungen«. WETZEL, Michael: »Inframedialität. Performation als Transformation«, in: BLÄTTLER, Andy et al. (Hg.): Intermediale Inzenierungen im Zeitalter der Digitalisierung. Medientheoretische Analysen und ästhetische Konzepte, Bielefeld: transcript, 2010, S. 83–98, hier: S. 85.

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sen Dualismus auf den Punkt: Er schreibt, dass »[d]urch die Kanonisierung und Automatisierung (sowie Institutionalisierung) einer bestimmten Performanzform« oftmals der Eindruck erweckt werde, dass es sich um zeitlos definierte, wenngleich gegebenenfalls keineswegs ›reine‹ »Medientypen« handle. Diese Wahrnehmung sei von Künstlern wie Theoretikern der Moderne befördert worden, die zur »isolierte[n] Präsentation von ›reinen‹ Medienindizes« tendierten. Allerdings gehe es immer auch »[p]arallel zu diesem Medienpurismus […] um die Ersetzung der kanonisierten Medientypen und -gattungen […] durch neue Gattungen und Performanzformen, in denen die Spezifik der Zeichensprache der jeweils korrelierten Medien innerhalb eines Werkes nicht nur für sich reflektierbar bleiben sollte, sondern auch […] jene externe ›Position‹ zu liefern hatte, von der aus ein Medium (bzw. eine Gattung) sich von außen reflektieren konnte.«94

Alexander Streitberger und Raphaël Pirenne sehen insbesondere die Fotografie im Fokus einer (eigentlich schon immer dagewesenen) kategorialen ›Verunreinigung‹. Im Einleitungsaufsatz zu Heterogeneous Objects. Intermedia and Photography after Modernism (2013) behaupten die beiden Herausgeber des Bandes, dass der Paradigmenwechsel weg von modernistischen Konzepten und hin zur ›postmodernen‹ Annahme einer Vermischtheit wie auch dynamischen Interreliertheit grundlegend mit der Fotografie als hetereogenes ›Dawischen‹ zusammenhänge.95 Die Idee eines als migrierend gedachten ›Fotografischen‹, wie sie insbesondere Rosalind Krauss (u.a. in Le photographique. Pour une théorie des écarts) formulierte und Lisa Saltzman jüngst an Fallbeispielen von z.B. Vik Muniz, Alison Bechdel und Oscar

94 HANSEN-LÖVE, Aage: »Intermedialität und Intertextualität. Probleme der Korrelation von Wortkunst und Bildkunst – am Beispiel der russischen Moderne«, in: SCHMID, Wolf/STEMPEL, Wolf-Dieter (Hg.): Dialog der Texte. Hamburger Colloquium zur Intertextualität, Wien: Gesellschaft zur Förderung slawistischer Studien, 1983, S. 291–362, hier: S. 321–322. 95 »[P]hotography stands at the very heart of these changes.Rather than an ›independent system› that interacts with othermedia [….], photography should be conceived of as an intermedia that, as such plays a crucial role within these historical shifts as well as within more recent transformationsenabled through digital technology and culture.«, p. x. Fotografie habe, wie Streitberger weiter betont, ab dem Zeitpunkt, zu dem sie in den Kunstmarkt eindrang, eine sowohl regulierende als auch deregulierendeWirkung auf andere Medien gehabt, cf. PIRENNE, Raphaël/STREITBERGER, Alexander: »Introduction«, in: Dies. (Hg.): Heterogeneous Objects: Intermedia and Photography after Öodernism, Löwen: Leuven University Press, 2013, S. VII–XXII, hier: S. X.

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Muñoz herausarbeitete96, aber auch die jüngeren künstlerischen Praktiken selbst sind grundlegend gewesen für eine solche Destabilisierung. So scheint es auch für Pirenne und Streitberger nur nachvollziehbar, dass die Fotografie in »postmodern discourses«97 einen besonderen Stellenwert habe – und dies insbesondere in Anbetracht des fotografischen »hybrid socio-historical status (displacing codes and structures that defined ›high‹ and ›low‹ culture)«, aber auch in Anbetracht der Tatsache, dass »[…] photography’s production is better defined than any other medium in terms of image rather than medium or support (considering its technical possibilities of reproduction and multiple diffusion) [...].« 98 Mit dieser die Fotografie betreffenden Anmerkung komme ich auf die Frage zurück, welche Bedeutung dem Umstand beizumessen ist, dass Antoshina, Nowak und Taylor-Johnson Bilder ›zitieren‹, die längst vielfach reproduziert in Publikationen, Kunstdrucken und vor allem im Internet zirkulieren. Welchen Stellenwert können die Materialität und ›Einzigartigkeit‹ der gewählten ›Vorlagen‹ noch haben, wenn uns diese längst primär in medialisierter Form über unzählige fotografische Reproduktionen bzw. über heterogene, mediale Übersetzungsketten bekannt sind? Macht es einen entscheidenden Unterschied, dass die Künstlerinnen für ihre Mises en scène weitgehend mit Reproduktionen arbeiten, um offenbar – folgt man den Kommentaren und Darstellungen in der Kunstkritik – direkt auf das gemalte ›Original‹ zu rekurrieren? Und: Wird durch die Ausblendung des Zwischenschritts über vermittelndes Bildmaterial nicht eine Einteilung vorausgesetzt, wie sie aus der Semiotik von Peirce bekannt ist, nämlich in ›types‹ im Sinne zeichenhafter, idealtypischer Matrizen und in ›tokens‹ als Instanzen oder reproduktive Realisierungen, die direkt auf die Matrize verweisen? In diesem Zusammenhang möchte ich auch nochmals meinen Vorbehalt äußern, Rekurspraktiken wie jene von Taylor-Johnson, Nowak und Antoshina einzig über einen intermedialen Ansatz zu untersuchen, der – ausgehend von einem Ausgangsund einem Endmedium – die für diese jeweils behaupteten ›Spezifika‹ zu ›detektieren‹ trachtet: Jenseits der hiermit verbundenen, impliziten Verkürzung auf ein singuläres ›Bezugsbild‹, dessen ›mediale Eigenschaften‹ als (statischer) Vergleichsgrund gesetzt werden würden, um Differenzen der fotografischen Re-Inszenierungen gegenüber ihrer beispielsweise ›malerischen Vorlage‹ herauszuarbeiten, würde

96 SALTZMAN, Lisa: Daguerreotypes. Fugitive Subjects, Contemporary Objects, Chicago, ILL/London: University of Chicago Press, 2015. Für eine jüngere Reflexion des fotografischen Potenzials, mediale Setzungen zu erschüttern, cf. auch: SYKORA, Katharina:

»Editorial«, in: PhotoResearcher, H.26, 2016 (›Migration as Agitation – The Photographic beyond the Image‹), S. 1–9. 97 PIRENNE/STREITBERGER (2013), S. XIV. 98 Ebd., S. XIV.

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nämlich auch das Zwischenschieben eines in hohem Maße fotografisch geprägten Bildgedächtnisses negiert. Mit Blick auf mögliche Déjà-vu-Effekte verkompliziert sich die Frage des ›Mediums‹ weiterhin dadurch, dass Erinnern an keinen konkreten Träger gebunden ist. Als Weiteres ist für die Praktiken Nowaks, Antoshinas und Taylor-Johnsons mitzuüberlegen, warum diese Künstlerinnen ihre rekursiven Bildideen jeweils fotografisch umgesetzt haben und aus welchen Gründen zunächst eine inszenierende Nachstellung erfolgte. Dieser Punkt wurde bereits im Vorkapitel ausgearbeitet, weswegen ich an dieser Stelle lediglich auf Teil F.3 verweise. Sinnig erscheint – als nachträgliche Ergänzung hierzu – ein Argument, das Barbara Savedoff (1993) hinsichtlich einer (post-)fotografisch geprägten Kunstpraxis vorbringt: Nach der amerikanischen Fototheoretikerin können »[r]ecent movements in the visual arts […] be understood as a response to the predominence of photography and the prevalence of reproduction.«99 Neben dem Versuch einzelner künstlerischer Strömungen, sich der fotografischen und filmischen Reproduktion zu entziehen (man denke etwa an die multisensorischen, stark olifaktorischen Plastiken von Beuys und Rentmeister), könne weiterhin eine Gegenstrategie konstatiert werden, der sich auch Nowak, Antoshina und Taylor-Johnson grob zurechnen ließen: »If we turn to more contemporary art, we see work that does more than simply embrace reproducibility. Sherrie Levine, Cindy Sherman, and Barbara Kruger create works that are about reproduction and about the recontextualization celebrated by Berger [cf. John Bergers Ways of seeing, A.K.]. Even though their works use images, the message is conceptual. Artists who de-emphasize the importance of aesthetic features while emphasizing the conceptual are accommodating an art world where photographic transmittablility is everything.«100

Eine solche Sinnebene kommt in den unablässigen Wiederholungen bereits vielfach reproduzierter und re-inszenierter Klassiker zum Tragen – unabhängig davon, ob sich die jeweils ›zitierend‹ arbeitenden KünstlerInnen dessen bewusst sind oder nicht. Die »conceptual message«, von der Savedoff spricht, setzt meines Erachtens jedoch keineswegs voraus, dass »aesthetic features« in den Hintergrund treten. Vor Abschluss vorliegender Untersuchung möchte ich nochmals vier Punkte zusammentragen, die sich aus den aufgeworfenen Fragen herausgebildet oder zuspitzt haben: Erstens ließ sich konstatieren, dass sich auch aus medialer Sicht die Verweisung der analysierten Fotografien als eine ambivalente herausstellt: Denn einerseits liegen dort Referenzen auf einzelne oder mehrere definierte Kunstwerke vor, ande-

99 SAVEDOFF (1993), S. 461. 100 SAVEDOFF (1993), S. 461.

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rerseits zeigt sich eine abyssale Verflechtung mit zirkulierenden Reproduktionen (und mit Variationen eines Bildmotivs). Zweitens fiel auf, dass insbesondere die Kunstkritik tendenziell an der Behauptung eines ›unmittelbar rekurrierten‹ Originals festhält (z.B. Velázquez’ Venus vor dem Spiegel als ›Vor-Bild‹ für Taylor-Johnsons Soliloquy III, cf. Kapitel D.2). Der medialisierende Zwischenschritt über die Reproduktionsfotografie, über weitere ähnliche Bilder und/oder über sprachliche Mediatoren wird hier in der Regel vernachlässigt. Drittens arbeitete ich heraus, dass sich mit der Technik der Fotografie eine Multiplizierung von images in dem von Pirenne und Streitberger genannten Sinne vollzieht101, d.h. als scheinbar vom Träger und vom spezifischen Ort losgelöste Bilder. Diese tendenzielle Eigenschaft soll jedoch keineswegs zu dem Fehlschluss verleiten, dass ein abfotografiertes Bild verlustfrei von einem Ausgangsmedium ›abgetragen‹ und in die Fotografie ›hineingetragen‹ würde: Vielmehr erfolgt eine Umformung zu ästhetischen, technischen und distributionslogischen Bedingungen des Fotografischen.102 Viertens legte ich – in unmittelbarer Nähe zum letztgenannten Punkt – mit u.a. Malraux dar, dass durch Kunstreproduktionen ein Ähnlichkeitsdenken begünstigt wird, indem direkte Vergleiche verschiedener Bilder möglich werden und zudem eine Angleichung in beispielsweise Maßstab, Raumvermittlung und Stofflichkeit latent vollzogen wird. Aus Punkt drei und vier ließ sich schließen, dass diese Entwicklung zu einer Pluralität einander angenäherter Bilder führt. Doch ist eine solche Tendenz (Ganz und Thürlemann folgend) stets mit einem Singularisierungsstreben verschränkt. Als solches lässt sich die multiple Wiederholung derselben kunsthistorischen Klassiker (bzw. ihrer Reproduktionen) in rekursiven Kunstpraktiken bewerten.103 Durch die

101 PIRENNE/STREITBERGER (2013), S. XIV. 102 So behauptet etwa John Berger für den Untersuchungsgegenstand lichtbildnerischer Reproduktionen von Gemälden, dass »mit Hilfe der Kamera […] das Gemälde nun eher zum Betrachter [reise] als der Betrachter zum Gemälde. Auf diesen Reisen aber verändert sich seine Bedeutung.« BERGER (1972/1974), S. 20. 103 Der Umstand, dass sich – wie Clément Chéroux mit Pierre Nora in einem vergleichbaren Kontext konstatiert – in der Bildproduktion und -verbreitung bestimmte Prototypen und Matrizen herausbilden, nach denen immer weitere »exemplaires«, also Instanzen oder Exemplare, angefertigt würden, ist hierbei bemerkenswert: Laut Chéroux sei diese Anlage in wiederholbaren Bildmatrizen »même un élément constitutif du processus médiatique«, CHÉROUX (2009), S. 87. (Chéroux bezieht sich hier auf Pierre Noras »Le retour de l’événement«, in: GOFF, Jacques/NORA, Pierre: Faire de l’histoire I. nouveaux problèmes, Paris: Gallimard, 1974, S. 288.)

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Erfahrung, dass auf der einen Seite immer mehr Bilder zirkulieren, die aber auf der anderen Seite letztlich nahezu Dasselbe zeigen und sich stets wiederholen – wird der Weg geebnet zu einem allseitigen Déjà-vu-Erlebnis, einem »déjà vu partout«. Clément Chéroux, der medial vermittelte, historische Ereignisse hinsichtlich pikturaler Endlosschleifen untersucht, spricht von einem »déjà-là du déjà-vu« 104 (also einem Schon-Da des Schon-Gesehenen). Er merkt an, dass uns auch Bilder, die wir noch nicht zuvor gesehen haben, in der Erstperzeption vertraut vorkommen können: Es entstehe durch die Masse einander angeglichener und reproduzierter Bilder, aber insbesondere auch durch das Ausrichten von Ereignissen nach dem Kriterium der Bildwürdigkeit das Gefühl, einem Spektakel beizuwohnen, »dem der Zuschauer bereits über das Vergangene beigewohnt hat«. 105 Verfestigt sich aufgrund der Allgegenwart mehrfach medialisierter Bilder eine Rezeptionsweise, die die Einmaligkeit der Erscheinung negiert und an die Stelle des singulären Sehens eine zirkuläre Betrachtung-als-Erinnerung setzt? Was bedeutet es für die lichtbildnerische Referenz, wenn durch Fotos nicht die Realität zu sehen gegeben wird, sondern einzig immer weitere, re-inszenierte und reproduzierte Bilder?

3. RESÜMEE: ABGRÜNDIGE VERWEISE. REFERENZEN FOTOGRAFISCHER RE-INSZENIERUNGEN Den Ausgangs- und Endpunkt vorliegender Untersuchung bildet die Frage, worauf, mit welchen Mitteln und mit welcher Wirkung (re-)inszenierte Fotografie referiert. Es sollte aufgezeigt werden, inwieweit die rekursive Struktur der analysierten Arbeiten die eigentliche Komplexität fotografischen Verweisens verdeutlicht: Statt eines gleichungshaften »C’est ça!«106 (›Ce‹ = ›Ça‹) sind bei den untersuchten Fotografien mehrsträngige Übertragungsketten operativ, in denen der Referent als ein gleichermaßen physischer wie auch fotografisch hervorgebrachter und mit anderen Bezugssystemen in Verbindung stehender erkennbar wird. In den ersten beiden Kapiteln führte ich aus, dass Fotografien einerseits qua Definition einen photogenetischen Bezugspunkt voraussetzen, dass sie sich aber ande-

104 CHÉROUX (2009), S. 55. 105 CHÉROUX (2009), S. 55, der hier Jorge Lozano zitiert [übers. A.K.]. i.O. »Le téléspectateur vit en direct, par l’intermédiaire de son écran, un spectacle auquel il a déjà assisté par le passé.« 106 BARTHES (1980/2002), S. 792. Diese Formel wäre frei zu übersetzen als »(Genau) das IST es!«, wobei die Schwierigkeit, ›ça‹ im deiktischen Sinne auf ›es‹ zu verkürzen, bereits in der Einleitung angesprochen wurde.

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rerseits notwendig von diesem Referenten verabschieden, das heißt: ablösen. Die Argumentation orientierte sich zunächst an Philippe Dubois’ Feststellung, dass das fotografische Bild durch einen dualen Gestus von Berührung und räumlich-zeitlicher Distanz gekennzeichnet ist. Es gebe »[i]n der Fotografie […] die (ontologische) Notwendigkeit einer Kontiguität zum Referenten, aber nichtsdestoweniger auch die (genauso ontologische) Notwendigkeit eines Abstands, einer Trennung, einer Zäsur.« 107 Dabei gilt es zu betonen, dass die »innere Distanz, die im fotografischen Dispositiv angelegt ist, […] sowohl im Raum als auch in der Zeit«108 wirkt. Mir ist es hier wichtig zu ergänzen, dass eine solche Zweischneidigkeit einer physischen Anbindung und gleichzeitigen Abtrennung nur die eine Seite der fotografischen Verweisung darstellt: Die Tatsache, dass jedes Foto, »sobald es aufgenommen wird, sein Objekt für immer in das Reich der Finsternis«109 entlässt, bedeutet zwar einen unausweichlichen Verlust und Abstand zum kausalen Bezugsobjekt. Auf der anderen Seite aber ermöglicht gerade der lichtbildnerische Fingerzeig auf ein Verschwundenes (und der resultierende referenzielle Leerraum) eine Offenheit des Rekurses – und dies notabene auf der Ebene der Betrachtung. Auf der Wahrnehmungsseite ist ein nachträgliches Auffüllen referenzieller Leerstellen angelegt, das über Ähnlichkeitsrelationen, den Rezeptionskontext sowie die Kenntnis der fotografischen Grundbedingung einer Einschreibung von Licht und Schatten konditioniert wird. Eine solche Konstruktionsleistung, bei der ein Referent in die Vergangenheit ›inseriert‹ wird, entspricht teils der mnemonischen Rückprojektion einer Déjà-vu-Erfahrung: Auch hier wird eine Anteriorität des Sichtbaren generiert, allerdings mit dem Unterschied (gegenüber der Fotografie im engeren Sinne), dass pathologische Déjà vus auch ohne vergangenen Referenten auskommen. Im weiteren Verlauf rückten fotografiegeschichtliche Diskurse in den Fokus, die das Lichtbild über sein referenzielles Verhältnis zur Wirklichkeit definierten: In einer schematischen Erfassung unterschied ich zwischen Ansätzen, die erstens den Aufzeichnungsmodus in den Vordergrund stellen und/oder aus diesem eine Realitätstreue ableiten, sowie zweitens Modellen, die von einer Hervorbringung und unausweichlichen Mittelbarkeit fotografischer ›Wirklichkeit‹ ausgehen. In seiner Unschärfe beleuchtet wurde hierbei auch das in der Fototheorie inflationär gebrauchte Konzept der ›Indexikalität‹, das u.a. Krauss und Dubois aus der Peirceschen Semiotik adaptierend übernahmen: Wird der ›Index‹ primär als eine anzeigende, aus einer Kontiguitätsbeziehung resultierende Markierung verstanden, dann blendet dies aus, dass Peirce unter diese Kategorie auch logische Ableitungen fasste. Differenzierungen zwischen ›genuinen‹ und ›degenerativen Indexen‹, wie er sie vornahm, aber

107 DUBOIS (1983/1998), S. 91. 108 Ebd., S. 91. 109 Ebd., S. 94.

G. Déjà vu partout? Effekte fotografischer (Um -)Ordnung | 315

auch die Verschaltung mit anderen Zeichen und Deutungsweisen in konkreten Rezeptionskontexten, werden in der Fototheorie jedoch meist vernachlässigt. Angesichts dieser Problematik regte ich mit Henri Van Lier an, für die nichtinterpretierte, rein physische Verweisung der Fotografie nicht den Term ›Index‹ zu verwenden, da dieser de facto eine viel weitgefasstere Kategorie darstellt. Stattdessen sprach ich für diese Verweisart von einem ›Indiz‹ und behielt den ›Index‹ für fingerzeigartige Rekurse vor, die auf kognitiven Deduktions- und Vergegenwärtigungsprozessen basieren. Durch diese Differenzierung konnte für fotografische (Re-)Inszenierungen gezeigt werden, dass aufgrund der Medienwahl die indizielle Kontiguitätsbindung zwar unangetastet bleibt, dass aber der indexikalische Zeiger hier umbricht zwischen einem »Ça a été« (Barthes) und einem »Ça a été joué« (Soulages). In den Folgekapiteln wurde der Blick auf fotografische (Re-)Inszenierungspraktiken gerichtet, die just das Spielhafte der Bildgenese exponieren, indem sie Bildbezüge auf die Malerei und andere Bildklassen integieren. Um die Erfassung von Referenzarten jenseits des Indiz und Index ging es zunächst in den Kapiteln C–F. Hier wurde ein Erfassungs- und Beschreibungsmodell bildlicher wie sprachlicher Rekurspraktiken erarbeitet, das im Anwendungsbezug erprobt wurde. Die Kapitel D–F fokussierten die re-inszenierende Praxis von je einer zeitgenössischen Fotografin. In der Untersuchung von Taylor-Johnsons Soliloquy -Serie wurden einerseits architextuelle Gattungsverweise herausgearbeitet. Andererseits wurden bildinterne Bezüge ihrer Diptychen sowie bildübergreifende Verweise mit weiteren Kunstwerken aufgezeigt. Das Anschlusskapitel zu Rita Nowak setzte wiederum abweichende Akzente: Erstens galt es, die spezifische Zeitanlage zu berücksichtigen, die sich aus dem Zusammenwirken von lichtbildnerischem Rückverweis, fotografischen Gestaltungsmitteln und Erinnerungseffekten ergibt. Zweitens sollten wechselnde Vergleichsgründe an die jeweils untersuchten Bilder herangetragen werden, um zu demonstrieren, inwieweit diese die Lesart einer Fotografie mitsteuern. Ausgehend von Bedeutungsverschiebungen, die sich aus der Korrelierung von Bildern mit wechselnden Kontexten und Vergleichsbildern ergeben, beleuchtete Kapitel F schließlich die rekursive Praxis Tatiana Antoshinas: Es stellte sich hier die Frage, ob und wie durch das differenzielle Wiederholen sedimentierter Bildschemata ein Potenzial gezielter Abweichung möglich ist. Ich arbeitete heraus, dass jedes neue Einflechten eines Bildes oder Sprachtextes auch das Gesamtgefüge dessen minimal verschiebt, was zukünftig iterierbar sein wird. Zugleich ließ sich mit Butlers Performativitätskonzept feststellen, dass die Intentionalität des mutmaßlich ›Agierenden‹ keineswegs entscheidend ist: In welcher Form und worauf ursprünglich rekurriert wurde, ist ebenso marginal für das Wirkpotenzial wie die künstlerische Absicht. So kann auch Antoshina nicht sicher davon ausgehen, dass ihr rollen-

316 | Déjà-vu-Effekte

invertierendes Nachstellen nicht letztlich in bestimmten Kontexten doch affirmativ wirkt. Im Schlusskapitel erfolgte eine Weiterführung dieser Überlegungen. Ich zeigte, dass ›Performativität‹ und ›Umordnungsprozesse‹ auf verschiedenen Ebenen verzahnt sind: Nicht nur repetierte Bildschemata und reaktivierbare Sinnzuweisungen, sondern auch kategoriale Grenzziehungen, wie sie für beispielsweise mediale Konfigurationen kennzeichnend sind, werden durch iterative Praktiken herausgefordert und/oder affirmiert. Meine Argumentation stützte sich grundlegend auf Andrea Seier und David Bolter/Richard Grusin. Gleichwohl deutete sich an, dass entsprechende Remedialisierungs- und Rekonfigurationsprozesse in einem weitläufiger zu denkenden Geflecht des Differierens und Anknüpfens zu situieren sind. Die Wahrnehmungsperspektive, die sich aus dem Bewusstsein solcher Reprozessualisierungen ableitet, negiert jedwedes Unmittelbarkeitsparadigma: Sie impliziert die paradoxe Temporalität eines Déjà vu/Déjà là, indem ein gegenwärtiger Eindruck als ein bereits Differierter anerkannt wird. Für die Beschreibung lichtbildnerischer Referenz im Allgemeinen (und insbesondere für künstlerische und re-inszenierte Fotografie) bedeutet dies, dass auch hier den multiplen Verflechtungen latenter Mittelbarkeiten Rechnung zu tragen ist. Anzuerkennen sind sowohl die performative Hervorbringung von Referenz durch den Akt des Fotografierens als auch die Referenzkonstruktion durch den Rezeptionsakt und die weitere Bildzirkulation. Das Konzept der Spur oder des Indizes bleibt in diesem Kontext einzig erhalten als das Residium einer suggerierten Unmittelbarkeit, die im Augenblick der Betrachtung notwendigerweise bereits verloren ist. Es bildet somit keinen verlässlichen Grund, sondern verweist auf einen bodenlos differierten Abgrund (›abîme‹). So ist in einem Ausblick erstens zu hoffen, dass in der Fotografieforschung stärker den referenziellen Verkettungsprozessen Rechnung getragen wird, statt den physischen Lichtkontakt gleichzusetzen mit einem jeder Konstruktion entzogenen Referenten. In diesem Zusammenhang wäre es auch wichtig, gerade keine essentialistische Trennlinie zwischen digital und analog erzeugtem Referenten (auf Deutungsebene) zu ziehen, da letztlich primär das Aufzeichnungsprozedere abweicht, nicht unbedingt aber die anschließenden Deduktionsprozesse. Sprich: Hier wie dort erfolgt eine instantane Einschreibung in ein Geflecht von Ähnlichkeiten, Identifikationen, Abweichungen und rahmenden Setzungen, die die Auslegung des lichtbildnerischen ›Ça!‹ maßgeblich steuern. Zweitens ist wünschenswert, die verschiedenen Ansätze und Termini stärker zusammenzudenken (und/oder zu differenzieren), die sich für die Beschreibung bildlicher und sprachlicher Mittelbarkeiten herausgebildet haben. Ich betonte mehrfach, dass Intertextualität, Interpiktorialität und Intermedialität nicht nur über das gemeinsame Prä- und Suffix verbunden sind, sondern dass diese Konzepte letztlich der Erkenntnis geschuldet sind, dass gedachte ›Entitäten‹ nicht voneinander isoliert

G. Déjà vu partout? Effekte fotografischer (Um -)Ordnung | 317

wirken. Warum im drittgenannten Ansatz der Fokus auf das ›Medium‹ bzw. das ›Medialisierende‹ und in den anderen beiden auf das Bildliche oder Textuelle gelegt wird, sollte in der Methoden- und Begriffswahl stets mitbedacht werden. Ein Hauptproblem, das hier leider nur expliziert, nicht aber gelöst werden konnte, besteht in der Frage, nach welchen Parametern sich das Ähnliche bzw. begrifflich und/oder bildlich Zusammengedachte und das Differente definieren lässt. Hier wäre in einer vertiefenden, möglichst disziplinübergreifenden Studie anzusetzen.

H. English Summary

Practices of pictorial reference, repetition and recycling are by no means the sole characteristics of recent artist production; but through the possibilities they offer for dissemination, they have served as significant catalysts for photography and the Internet. The ubiquity of images present on multiple media has given rise to a manner of reception that questions the uniqueness of their appearance and, in place of a singular act of seeing, presupposes a circular viewing-as-remembering-and-viewing. Even images or events that have actually never been seen thereby generate effects of recognition in the sense of a comprehensive déjà-vu experience. The study investigates staged photographs by such figures as Sam TaylorJohnson, Tatiana Antoshina and Rita Nowak, who refer back to familiar pictorial patterns from art history by photographically reenacting and recording poses, figural constellations and compositional structures. This gives rise on the one hand to playful, ennobling and/or distancing references, and on the other hand to both deliberate and unintentional deviations: In the transfer of an art-historical ›model‹ and its mediation through technical reproduction (as graphic representation, photograph and pictorial file) via physical reenactment all the way to staged photographs, there is an interplay among various authorizing agents that allows both random aspects and intervening images, techniques and discourses. The same is true for the further interlocking with other artifacts: With the insertion of a work into the available pictorial repertoire, the artist again renounces control of the referential thread. The artist’s own production becomes repeatedly quotable and capable of being recontextualized. Are Antoshina, Nowak and Taylor-Johnson thereby entering into a recursive game whose progress cannot be controlled? What status is possessed by the intention to make a critical or affirmative reference if it is possible, in shifting contexts, to also interpret an image against the privileged reading? Proceeding from theories of intertextuality and intermediality as well as from approaches toward developing a model of interpictoriality, the present publication discusses the advantages and dangers of such a concept. Of primary importance here is the question as to how the interplay among apparently already-seen pictures

320 | Déjà-vu-Effekte

– ›images déjà vues‹ – can be conceptually associated with linguistic techniques and established pictorial arrangements, with consideration being given to the specific distributive logic of the photographic element. In fact, the reproduction of pictures through photography generates cascades of correlativeness in which found material is reshaped or approached in material or spatial terms, before being released into further circulation as a print or scalable file. The investigation is divided into seven chapters. The first two reflect upon photography as a pictorial type with a specific technical reference. On the one hand, photography presupposes a photogenetic point of reference; on the other hand, it inherently departs from the thing referred to by postulating it as ›having been‹. The subsequent focus is on discourses concerning photographic history that define the photograph in terms of its referential relationship to reality: Light is cast on the blurry photo-theoretical concept of ›indexicality‹ that was adapted from Peirce’s semiotics by such theoreticians as Rosalind Krauss and Philippe Dubois. With reference to Henri Van Lier, a plea is made in chapters A and B for refraining from using the term ›index‹ for a non-interpretable, purely physical reference, inasmuch as it inherently represents a much more extensive category. Instead, this form of reference is called an ›indication,‹ (Indiz) with ›index‹ (Index) being understood as an act of reference similar to pointing the finger and based on cognitive processes of deduction and calling-to-mind. This differentiation makes it clear that with regard to staged photography, the indicatory establishment of contiguity remains unaffected, but the indexical indicator is split into a »Ça a été« (Barthes) and a »Ça a été joué« (Soulages). The following chapters examine practices of photographic (re-)staging that expose none other than the playful element of the pictorial genesis by integrating pictorial references to painting and other types of pictures. Chapter C is concerned with referential types beyond the indication and index; it develops a model for the compilation and description of practices of both pictorial and linguistic reference, then evaluates that model in relation to pictorial examples. Chapters D to F focus respectively on the re-staging practice of three contemporary photographers. In the examination of Taylor-Johnson’s Soliloquy series, generic references to Christian diptychs are substantiated, and internal references between the main and subsidiary panels of the Soliloquies are identified. Chapter E brings a divergent accent: Rita Nowak’s staged photography serves for investigating the specific temporal structure that arises out of the interplay among photographic cross reference, compositional technique and recollective effects. Moreover, changing bases for comparison are applied to the respectively examined pictures in order to demonstrate the extent to which they influence the reading of a photograph. Chapter F casts light on the recursive practice of Tatiana Antoshina. The question arises here as to whether and how a potential of intential deviation is made possible by the differential repetition of sedimented pictorial patterns. Citing Judith

H. English Summary | 321

Butler’s concept of performativity, the argument is made that the intention is not crucial, because only through the repeated integration of deviating discourses, images and readings do shifts in fixed orders come to have an impact. The concluding chapters continue these considerations. It becomes clear that ›performativity‹ and ›process of rearrangement‹ are intertwined on various levels: Not only repeated pictorial patterns and reactivatable attributions of meaning but also categorical delimitations such as are characteristic of media configurations, for example, are challenged and/or affirmed by interactive practices.

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112–151. WOLLEN, Peter: »Feuer und Eis« (1984), in: AMELUNXEN (2004), S. 358–361. YRIARTE, Charles: Goya: sa biographie, les fresques, les toiles, les tapisseries, les

eaux-fortes et le catalogue de l’œuvre. Avec cinquante planches inédits d’après des copies de Tabar, Bocourt et Ch. Yriarte, Paris: Henri Plon, 1867. ZARADER, Jean-Pierre (Hg.): Le vocabulaire de Jacques Derrida, Paris: Ellipses,

2001. ZANDER, Horst: »Intertextualität und Medienwechsel«, in: BROICH/PFISTER

(1985), S. 178–196. ZIMMERMANN, Anja (Hg.): Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Berlin:

Reimer, 2006. ZUSCHLAG, Christoph: »Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität«, in: HORSTKOTTE/LEONHARD (2006), S. 89–99. ZUSCHLAG, Christoph: »Vom Kunstzitat zur Metakunst. Kunst über Kunst im 20.

Jahrhundert«, in: Wettstreit der Künste (2002), S. 171–189.

J. Bildrechte und Abbildungsnachweis

Abb. 1/FT. 1: Tatiana Antoshina, Frühstück im Grünen (завтрак на траве), 1996, C-Print, 75 x 100 cm, aus der Serie Museum der Frau (1996–2000). ©/courtesy: Tatiana Antoshina. Abb. 2.1/FT. 2: Pierre Huyghe, Chantier Barbès-Rochechouart (Billboard, Paris), 1994, Offset-Druck, 80 x 120 cm (Billboard im Bild: ca. 404 x 310 cm). ©/courtesy: VG Bild-Kunst Bonn, 2008 | Pierre Huyghe | Marian Goodman Gallery, Paris/New York (abgedruckt in: BAQUÉ (1998), S. 283). Abb. 2.2/FT. 3: René Magritte, Die schöne Gefangene (La Belle Captive), 1947, Öl auf Leinwand, 55 x 66,5 cm, Privatsammlung. © VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Abb. 3: Duane Michals, Madame Schrödinger’s Cat, 1998, aus der Serie Quantum, drei Silbergelatineabzüge mit Text, je 12,7 x 17,8 cm (20,3 x 25,4 cm). ©/courtesy: Duane Michals | Carnegie Museum of Art, Pittsburgh | The Henry L. Hillman Fonds. Abb. 4.1/FT. 4: Cindy Sherman, Untitled #224, 1990, Chromogener Farbabzug, 121,9 x 96,5 cm, aus der Serie History Portraits. ©/courtesy: Cindy Sherman | Metro Pictures, New York. Abb. 4.2: Marcantonio Raimondi, Das Urteil des Paris (The Judgement of Paris), Detail, um 1515/16, Kupferstich nach Raffael, 29,2 × 43,6 cm, Metropolitan Museum of Art, New York. ©/courtesy: Metropolitan Museum of Art, New York (abgedruckt in: STEINBERG (1978), S. 15). Abb. 5: Pierre-Louis Pierson, Die Gräfin von Castiglione, lagernd (La Comtesse de Castiglione allongée), 1861–67, Albuminsilberabzug, ©/courtesy: Fonds Braun [Mayer & Pierson], Musée Unterlinden, Colmar. Abb. 6.1: Henry Peach Robinson, Fading Away, 1858, Kombinationskopie auf Albuminpapier, 23,8 x 37,2 cm, The Royal Photographic Society Collection at the National Media Museum, Bradford. Abb. 6.2/FT. 5: Anne-Louis Girodet (De Roussy-Trioson), Das Begräbnis der Atala (Atala au tombeau), 1808, Öl auf Leinwand, 207 x 267 cm, Paris, Musée du Louvre. ©/courtesy: bpk | RMN - Grand Palais | René-Gabriel Ojéda.

368 | Déjà-vu-Effekte

Abb. 7.1: Duane Michals, The Spirit Leaves the Body, 1968, Detail aus Bild 5/7, Silbergelatineabzug, 12,7 x 17,8 cm, Cincinnati Art Museum/The Albert P. Strietmann Collection. ©/courtesy: Duane Michals | DC Moore Gallery New York. Abb. 7.2/FT. 6: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy VII, Ausschnitt, 1996, C-Print, 2tlg., 222 x 242 cm, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam (Leihgabe Han Nefkens). ©/courtesy: Sam Taylor-Johnson | VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Abb. 8.1: Paul Outerbridge, Jr., The Coffee Drinkers, ca. 1939, Carbo-Farbabzug, 27 x 38 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York/Ford Motor Company Collection, Gift of Ford Motor Company and John C. Waddell, 1987 (Accession number: ART386975). ©/courtesy: 2018 G. Ray Hawkins Gallery Beverly Hills | Foto: bpk (abgedruckt in: La Photographie Mise en scène (2006), S. 34). Abb. 8.2/FT. 7: Joel-Peter Witkin, John Herring, Person with AIDS, Poses as Flora with Lover and Mother, New Mexico, 1992, Silbergelatineabzug, 20,3 x 23,5 cm, Museum of Contemporary Photography. © Joel-Peter Witkin | Image courtesy Catherine Edelman Gallery, Chicago (abgedruckt in: Joel-Peter Witkin (2012), S. 135). Abb. 9.1/FT. 8: Edouard Manet, Porträt von Émile Zola (Portrait d’Émile Zola), Ausschnitt, 1868, Öl auf Leinwand, 146,5 x 114 cm, Musée d’Orsay, Paris. ©/courtesy: bpk | RMN - Grand Palais | Foto: Hervé Lewandowski. Abb. 9.2: Hubert Robert, Entwurf für die Umgestaltung der Grande Galerie des Louvre (Projet d'aménagement de la Grande Galerie du Louvre), 1796, Öl auf Leinwand, 115 x 145 cm, Musée du Louvre, Paris. ©/courtesy: bpk | RMN - Grand Palais | Foto: Gérard Blot | Jean Schormans. Abb. 10.1/FT. 9: Diego Velázquez, Die Spinnerinnen (Las Hilanderas), c. 1655, Öl auf Leinwand, 167 × 252 cm, Museo del Prado, Madrid, Inventar-Nr.: 1173. ©/courtesy: bpk | Museo del Prado, Madrid | Foto: Lutz Braun. Abb. 10.2: Tizian, Raub der Europa (The Rape of Europe), 1562, Öl auf Leinwand, 185 × 205 cm, Isabella Stewart Gardner Museum, Boston. ©/courtesy: Isabella Stewart Gardner Museum, Boston. Abb. 11/FT 10: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I, 1998, C-Print, 2-tlg., 211 x 257 cm, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Staatliche Museen zu Berlin/ Sammlung Marx. ©/courtesy: Sam Taylor-Johnson | VG Bild-Kunst, Bonn 2018 | bpk | Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, SMB, Sammlung Marx. Abb. 11.1: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I (Detail 1), 1998 C-Print, 2-tlg., 211 x 257 cm, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Staatliche Museen zu Berlin/ Sammlung Marx. ©/courtesy: Sam Taylor-Johnson | VG Bild-Kunst, Bonn 2018 | bpk | Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, SMB, Sammlung Marx. Abb. 11.2: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I (Detail 2), 1998, C-Print, 2-tlg., 211 x 257 cm, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Staatliche Museen zu Berlin/

J. Bildrechte | 369

Sammlung Marx. ©/courtesy: Sam Taylor-Johnson | VG Bild-Kunst, Bonn 2018 | bpk | Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, SMB, Sammlung Marx Abb. 11.3: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I (Detail 3), 1998, C-Print, 2-tlg., 211 x 257 cm, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Staatliche Museen zu Berlin/Sammlung Marx. ©/courtesy: Sam Taylor-Johnson | VG Bild-Kunst Bonn | bpk | Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, SMB, Sammlung Marx. Abb. 12: Luca Signorelli (Schule von?), Die Beweinung Christi (Compianto sul Cristo morto), 1502, Öl auf Holz, 270 x 240 cm, Museo Diocesano, Cortona. ©/courtesy: Museo Diocesano, Cortona. Abb. 13.1: Henry Wallis, Der Tod des Chatterton (The Death of Chatterton), 1856, Öl auf Leinwand, 62,2 x 93,3 cm, Tate Britain, London. ©/courtesy: Tate Britain, London. Abb. 13.2: David, La Mort de Marat, 1793, Öl auf Leinwand, 165 × 128 cm, Musée d’Art ancien, Musées royaux des Beaux-arts de Belgique, Brüssel (Inventarnr. 3260). ©/courtesy: Musées royaux des Beaux-arts de Belgique, Brüssel. Abb. 14/FT. 11: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy III, C-Print, 2-tlg., 223,5 x 256,5 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York (accession number: 2000.105). ©/courtesy: Sam Taylor-Johnson | Solomon R. Guggenheim Museum Library and Archives New York | VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Abb. 15.1/FT. 12: Peter Paul Rubens, Venus vor dem Spiegel, (Het toilet van Venus), um 1614/15, Öl auf Holz, 124 x 98 cm, Vaduz, Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein. ©/courtesy: bpk | Walter Wachter. Abb. 15.2/FT. 13: Diego Velázquez, Venus mit dem Spiegel (La Venus del Espejo), 1648–51, Öl auf Leinwand, 122 cm x 177cm, National Gallery, London Inventar-Nr.: 2057). ©/courtesy: bpk | National Gallery, London | Lutz Braun. Abb. 15.3: Gavin Ashworth/John Parker, Ohne Titel (Rekonstruktion nach Velázquez), 1979, S/W-Fotografie. ©/courtesy: Gavin Ashworth (abgedruckt in: ANCELL, Matthew: »Perspectival Fig Leaves«, in: Revista de Estudios Hispánicos, 06/2014, S. 270). Abb. 16.1: Sylvia Sleigh, Philip Golub, sich ausruhend (Philip Golub Reclining), 1971, Öl auf Leinwand, 42 x 60 cm, Privatsammlung. ©/courtesy: S. Sleigh. Abb. 16.2: Mel Ramos, Velásquez Version, 1975, Öl auf Leinwand, 111,8 x 167,6 cm, Privatsammlung. ©/courtesy: Mel Ramos | VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Abb. 17/FT. 14: Rita Nowak, Eternal Moment, 2005, C-Print, 120 x 90 cm, im Besitz der Künstlerin. ©/courtesy: Rita Nowak. Abb. 18.1/FT. 15: Rita Nowak, Game, 2009, C-Print, 95 x 75cm, im Besitz der Künstlerin. ©/courtesy: Rita Nowak. Abb. 18.2: Félix Labisse, L’Evidence même, 1952, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm, Sammlung A. Boutin, Nizza. ©/courtesy: VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (abgedruckt in: ZIMMERMANN (2006), S. 123).

370 | Déjà-vu-Effekte

Abb. 18.3: Marcel Duchamp, Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas (Étant Donnés: 1° La Chute D'eau, 2° Le Gaz D'éclairage), 1946–66, Mixed Media, 242,6 x 177,8 x 124,5 cm, Philadelphia Museum of Art, Philadelphia © Association Marcel Duchamp | VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Abb. 19.1/FT. 16: Giorgione, Schlummernde Venus, um 1510, Öl auf Leinwand, 108 × 175 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (Inventar-Nr. 185) ©/courtesy: Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Abb. 19.2: Annibale Carracci, Schlafende Nymphe in einer Landschaft und Faun, der eine Nymphe entführt (Dans un paysage, une nymphe endormie, et un faune enlevant une nymphe), Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts, Federzeichnung, ca. 14 x 20 cm, Musée du Louvre, Paris, Département des Arts graphiques (Inventarnr. 7456). ©/courtesy: RMN-Grand Palais | Foto: M. Urtado. Abb. 19.3: Giulio Campagnola, Liegende in einer Landschaft (Woman Reclining in a Landscape), 1508/09, Kupferstich, ca. 11,8 x 18,2 cm, The Chicago Art Institute, Chicago (Inventarnr. 1932.1331). ©/courtesy: The Chicago Art Institute, Chicago (abgedruckt in: EMISON (1992), S. 272, Abb. 1). Abb. 19.4: Tizian, Nymphe und Schäfer (Ninfa E Pastore), um 1575, Öl auf Leinwand, 149,6 x 187 cm, Kunsthistorisches Museum Wien. © /courtesy: Kunsthistorisches Museum Wien (abgedruckt in: BERGER, J./BERGER-A. (1992)). Abb. 20.1: Jules J. Lefebvre, Odalisque, 1874, Öl auf Leinwand, 102,4 x 200,7 cm, The Chicago Art Institute, Chicago. ©/courtesy: The Chicago Art Institute, Chicago. Abb. 20.2: Bruno Braquehais, Weiblicher Akt mit Perlenkopfschmuck (Nu féminin à la coiffure de perles), 1856, Detail/Stereodaguerreotypie, handkoloriert, Privatsammlung. Abb. 21.1/FT. 17: Tatiana Antoshina, Ländliches Konzert (Сельский Концерт), 1996, C-Print, 84 x 75 cm, aus der Serie Museum der Frau (Музе́й Женщины), im Besitz der Künstlerin. ©/courtesy: Tatiana Antoshina. Abb. 21.2/FT. 18: Tizian, Ländliches Konzert (Le concert champêtre), um 1510, Öl auf Leinwand, 110 x 138 cm, Musée du Louvre, Paris (Inventar-Nr.: INV71), ©/courtesy: bpk | RMN-Grand Palais | Foto: Hervé Lewandowski Abb. 22.1/FT. 19: Tatiana Antoshina, Olympus (Олимпус), 1996, C-Print, 75 x 86 cm, aus der Serie Museum der Frau (Музе́й Женщины), im Besitz der Künstlerin. ©/courtesy: Tatiana Antoshina. Abb. 22.2/FT. 20: Edouard Manet, Olympia, 1863, Öl auf Leinwand, 130 x 190 cm, Musée d’Orsay, Paris ©/courtesy: bpk | RMN - Grand Palais | Foto: Patrice Schmidt. Abb. 23.1/FT. 21: Félix Vallotton, La Blanche et la Noire, 1913, Öl auf Leinwand, 114 x 147 cm, Kunstmuseum Bern, Winterthur. ©/courtesy: Hahnloser/Jaeggli Stiftung. Dauerleihgabe | Kunstmuseum Bern, Winterthur | Foto: Reto Pedrini, Zürich.

J. Bildrechte | 371

Abb. 23.2: Yasumasa Morimura, Portrait (Futago), Futago, 1988, C-Print/Acryl, 210,19 x 299,72 cm, San Francisco Museum of Modern Art, San Francisco. ©/courtesy: Yasumasa Morimura | Collection SFMOMA, Gift of Vicki and Kent Logan (abgedruckt in: HILLER, Andrew (Hg.): Daughter of Art History. Photographs by Yasumasa Morimura, New York 2003, Tafel 78). Abb. 23.3/ FT. 22: Rita Nowak, Amechi, 2007, C-Print, 80 x 60 cm, im Besitz der Künstlerin. ©/courtesy: Rita Nowak. Abb. 23.4/FT. 23: Jan Banning, Black Olympia (2011); an immigrant version of Manet's Olympia, aus der Serie National Identities, Print/Dibond, 30 x 40 cm und 50 x70 cm. ©/courtesy: Jan Banning Abb. 24 und Tabelle 1 und 2: A. Köhler

K. Farbtafeln (FT.) .

FT. 1: Tatiana Antoshina, Frühstück im Grünen (завтрак на траве), 1996, C-Print, 75 x 100 cm, aus der Serie Museum der Frau (1996–2000).

374 | Déjà-vu-Effekte

FT. 2: Pierre Huyghe, Chantier Barbès-Rochechouart (Billboard, Paris), 1994, Offset-Druck, 80 x 120 cm (Billboard im Bild: ca. 404 x 310 cm).

FT. 3: René Magritte, Die schöne Gefangene (La Belle Captive), 1947, Öl auf Leinwand, 55 x 66,5 cm, Privatsammlung.

K. Farbtafeln | 375

FT. 4: Cindy Sherman, Untitled #224, 1990, Chromogener Farbabzug, 121,9 x 96,5 cm, aus der Serie History Portraits. Metro Pictures, New York.

FT. 5: Anne-Louis Girodet (De Roussy-Trioson), Das Begräbnis der Atala (Atala au tombeau), 1808, Öl auf Leinwand, 207 x 267 cm, Musée du Louvre.

376 | Déjà-vu-Effekte

FT. 6: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy VII, Ausschnitt, 1996, C-Print, 2-tlg., 222 x 242 cm, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam.

FT. 7: Joel-Peter Witkin, John Herring, Person with AIDS, Poses as Flora with Lover and Mother, New Mexico, 1992, Silbergelatineabzug, 20,3 x 23,5 cm, Museum of Contemporary Photography, Chicago.

K. Farbtafeln | 377

FT. 8: Edouard Manet, Porträt von Émile Zola (Portrait d’Émile Zola), 1868, Öl auf Leinwand, 146,5 x 114 cm, Musée d’Orsay, Paris.

FT. 9: Diego Velázquez, Die Spinnerinnen (Las Hilanderas), c. 1655, Öl auf Leinwand, 167 × 252 cm, Museo del Prado, Madrid.

378 | Déjà-vu-Effekte

FT. 10: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy I, 1998, C-Print, 2-tlg., 211 x 257 cm, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Staatliche Museen zu Berlin/ Sammlung Marx.

FT. 11: Sam Taylor-Johnson, Soliloquy III, C-Print, 2-tlg., 223,5 x 256,5 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York.

K. Farbtafeln | 379

FT. 12: Peter Paul Rubens, Venus vor dem Spiegel, um 1614/15, Öl auf Holz, 124 x 98 cm, Sammlung des Fürsten von Liechtenstein, Vaduz.

FT. 13: Diego Velázquez, Venus mit dem Spiegel (La Venus del Espejo), 1648– 51, Öl auf Leinwand, 122 x 177 cm, National Gallery London.

380 | Déjà-vu-Effekte

FT. 14: Rita Nowak, Eternal Moment, 2005, C-Print, 120 x 90 cm, im Besitz der Künstlerin.

FT. 15: Rita Nowak, Game, 2009, C-Print, 95 x 75 cm, im Besitz der Künstlerin.

K. Farbtafeln | 381

FT. 16: Giorgione, Schlummernde Venus, um 1510, Öl auf Leinwand, 108 × 175 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden.

FT. 17: Tatiana Antoshina, Ländliches Konzert (Сельский Концерт), 1996, CPrint, 84 x 75 cm, aus der Serie Museum der Frau, im Besitz der Künstlerin.

382 | Déjà-vu-Effekte

FT. 18: Tizian, Ländliches Konzert (Le concert champêtre), um 1510, Öl auf Leinwand, 110 x 138 cm, Musée du Louvre, Paris.

FT. 19: Tatiana Antoshina, Olympus (Олимпус), 1996, C-Print, 75 x 86 cm, aus der Serie Museum der Frau, im Besitz der Künstlerin.

K. Farbtafeln | 383

FT. 20: Edouard Manet, Olympia, 1863, Öl auf Leinwand, 130 x 190 cm, Musée d’Orsay, Paris.

FT. 21: Félix Vallotton, La Blanche et la Noire, 1913, Öl auf Leinwand, 114 x 147 cm, Kunstmuseum Bern, Winterthur.

384 | Déjà-vu-Effekte

FT. 22: Rita Nowak, Amechi, 2007, C-Print, 80 x 60 cm, im Besitz der Künstlerin.

FT. 23: Jan Banning, Black Olympia (2011); an immigrant version of Manet's Olympia, aus der Serie National Identities, Print/Dibond, zwei Versionen: 30 x 40 cm und 50 x 70 cm.

Kunst- und Bildwissenschaft Julia Allerstorfer, Monika Leisch-Kiesl (Hg.)

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Horst Bredekamp, Wolfgang Schäffner (Hg.)

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