De beryllo. Über den Beryll: Zweisprachige Ausgabe (lateinisch-deutsche Parallelausgabe, Heft 2) [4 ed.] 9783787332717, 9783787316083

Auch diese etwa 1458/1459 entstandene Schrift ist dem Bemühen um Gotteserkenntnis gewidmet, mit Hilfe eines Spiegels und

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De beryllo. Über den Beryll: Zweisprachige Ausgabe (lateinisch-deutsche Parallelausgabe, Heft 2) [4 ed.]
 9783787332717, 9783787316083

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Schriften des

NIKOLAUS VON KUES in deutscher Übersetzung

im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegeben von ERNST HOFFMANN † · PAUL WILPERT † und KARL BORMANN Heft 2 Lateinisch-deutsche Parallelausgabe

NICOLAI DE CUSA

De beryllo Ediderunt IOHANNES GERHARDUS SENGER et CAROLUS BORMANN

IN AEDIBUS FELICIS MEINER HAMBURGI

NIKOLAUS VON KUES

Über den Beryll Neu übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen herausgegeben von KARL BORMANN

Lateinisch - deutsch

FE LI X M EI NE R VE R LAG H AMB U RG

P HILOS OP H IS C HE B IB LIO T HE K B AND 295

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN: 978-3-7873-1608-3 ISBN eBook: 978-3-7873-3271-7

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1987. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. www.meiner.de

INHALT

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort zur dritten und vierten Auflage ........... XIII

NIKOLAUS VON KUES De beryllo / Über den Beryll Kapitel: 1: Vorwort des Cusanus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2: Erklärung des Titels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3: Eines ist der erste Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4: Wahrheit, Ähnlichkeit der Wahrheit und Sein . . 5: Der Mensch ist das Maß der Dinge . . . . . . . . . . . . 6: Der Mensch ist ein zweiter Gott . . . . . . . . . . . . . . 7: Der erste Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8: Schau des ersten Ursprungs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9: Schau des Unteilbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10: Bestätigung des Vorausgeschickten durch Dionysius 11: Das Erste als Maß von allem . . . . . . . . . . . . . . . . 12: Das Eine als Name Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13: Alles ErschaHbare ist nur Ähnlichkeit . . . . . . . . . . 14: Negative Gotteserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15: Der erste Ursprung als König aller . . . . . . . . . . . . 16: Die Wahrheit teilt durch ihre Ähnlichkeit allem das Sein zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17: Schau des Größten im Ausgang vom Kleinsten . . 18: Die Vernunft und ihre Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . 19: Beispiele für die Schöpfervernunft und ihre Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20: Abstufung der Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21: Beispiele für die abgestufte Teilhabe . . . . . . . . . . 22: Unentbehrlichkeit des Beryll für die Schau des Erkenntnisursprungs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23: Der Ursprung als dreieiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24: Auseinandersetzung mit Plato und Aristoteles . .

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VI

Inhalt

25: Partielle Übereinstimmung des Plato und Aristoteles mit der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26: Der Irrtum des Aristoteles und aller anderen hinsichtlich des dritten Ursprungs . . . . . . . . . . . . . . . . 27: Unteilbarkeit und Teilbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 28: Der Ursprung des Entgegengesetzten; Auseinandersetzung mit Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29: Die Substanz; Auseinandersetzung mit Aristoteles 30: Der Wille des Schöpfers als letzter Seinsgrund . . 31: Unzulänglichkeit der Vernunfterkenntnis; Notwendigkeit des Überstiegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32: Absicht und Washeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33: Auseinandersetzung mit Plato und den Pythagoreern.................................... 34: Die Vernunft leuchtet in jeder Wesensgestalt wider 35: Verständnis der Wesensgestalten . . . . . . . . . . . . . . 36: Über dasselbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37: Der Mensch als das Maß der Dinge . . . . . . . . . . . . 38: Die Offenbarung der göttlichen Vernunft . . . . . . 39: Erkenntnis und Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Siglen .......................... Literaturnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Nikolaus zitierte Autoren und Namen .......... Register der zitierten Handschriften . . . . . . . . . . . . . . Register der Bibelzitate .......................... Register der Verweise auf die Werke des Nikolaus .. Register der in den Anmerkungen zitierten Autoren .. Verzeichnis wichtiger Begriffe (lateinisch-deutsch) . . . .

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EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Die Schrift De beryllo des Nikolaus von Kues ist - abgesehen von den vier Druckausgaben (Straßburg 1488 II, S. 500-519; vgl. den Nachdruck des Straßburger Drucks Band II, hrsg. von P. Wilpert, Berlin 1967, S. 709-737; Mailand 1502, fol. 362v-376v; Paris 1514 I, fol.184r_192v; Basel 1565, S. 267-284) in folgenden Handschriften überliefert: Codex 219 der Bibliothek des St. Nikolaus-Hospitals zu Kues, fol. 199v-211v; Codex 166 der Bibliothek des Domgymnasiums Magdeburg, jetzt Deutsche Staatsbibliothek Berlin 3061, fol. 435r-45ov; Codex Latinus Monacensis 18621, fol. 27ov-293v; Ms. 334 der Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University, fol. lr-22r (hierüber vgl. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 10, 1973, S. 104-105). Bezüglich des Verhältnisses der Handschriften zueinander sei auf die geplante und in Vorbereitung sich befindende Neuauflage der kritischen Ausgabe des Beryll (h XI 1) verwiesen; hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß Ms. 334 Yale der früheste bekannte Textzeuge ist: Das Explicit im Codex Cusanus 219 gibt aller Wahrscheinlichkeit nach das Datum der Fertigstellung des Beryll an („1458, decima octava Augusti in castro sancti Raphaelis alio vocabulo dicto Boechenstein"); das Explicit in Ms. 334 Yale lautet: „Finis 1459. octava Januarii Deo laus". Codex Latinus Monacensis 18621 ist um 1460/62 geschrieben, Codex Cusanus 219 um 1462, Codex 166 Domgymnasium Magdeburg um 1464. Es ist möglich, daß Ms. 334 Yale für Cusanus selbst angefertigt wurde (vgl. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 10, 1973, S. 104); indessen hat Cusanus den Codex nicht korrigiert, wodurch der Wert des frühesten Textzeugen sehr beeinträchtigt ist, denn der Schreiber ging mit recht wenig Sorgfalt vor. Keine der drei anderen bekannten Handschriften hängt von Ms. 334 Yale ab. Die Abfassung der Schrift „Über den Beryll" hatte Cusanus einige Jahre vor 1458 geplant und den Mönchen vom Tegernsee versprochen, wie aus mehreren Briefen ersieht-

VIII

Einleitung des Herausgebers

lieh ist. Anfang des Jahres 1454 erbitten die Mönche erstmals den Beryll, „damit wir in der ,Belehrten Unwissenheit' und sonst das klar sehen können, was vielen dunkel erscheint, insbesondere über den Zusammenfall der Gegensätze, den unendlichen Kreis und derartiges" (vgl. E. Vansteenberghe, Autour de la docte ignorance, Münster 1915, Brief 8, S. 120). Am 12. Februar antwortet Cusanus (Brief 9, S. 122): „ ... wegen meiner schmerzhaften Augen konnte ich den gewünschten Beryll noch nicht schreiben". Fast gleichzeitig (Brief 10, S. 123) erbittet der Prior Bernhard von Waging aus dem Kloster Tegernsee wieder den Beryll: „ ... vor allem den Beryll möchten wir gerne haben". Die gleiche Bitte wird kurze Zeit später abermals vorgetragen (Brief 15, S. 133): Weil es den Mönchen „an Vernunft und Wissen fehlt ... , bedürfen sie eines Berylls zur Benützung, freilich nicht eines beliebigen, sondern eines einzigartigen". Cusanus entschuldigt sich (Brief 16, S. 134) am 18. März 1454: „Diese Tätigkeit, die mich ganz in Anspruch nimmt, macht mir das Philosophieren jetzt unmöglich ... Wenn wir zusammenkommen, wollen wir das herausgreifen, was ihr in meinen Schriften klarer und ausgefeilter haben wollt ... " Zu vergleichen ist auch der Brief vom 16. August 1454 (Brief 21, S. 139): „Der Bote bat um die Sammlung Über den Beryll und um die Lösung bestimmter Zweifel. Ich habe das Werk noch nicht vollendet ... " In einem zweiten Brief vom 16. August 1454 (Brief 22, S. 140) heißt es: „Die Schrift Über den Beryll habe ich noch nicht vollendet; sie bedarf nämlich einer längeren Auslegung, damit der Weg auch mit den Worten der anderen klar wird ... " In zwei Briefen bitten die Mönche kurz darauf erneut um den Beryll (Brief 23, S. 142 und Brief 25, S. 144). Cusanus antwortet in zwei Schreiben am 9. September 1454 (Brief 24, S. 142 und Brief 26, S. 150}: Ihm fehlt die Muße zur Abfassung des Werks. Im Juli 1455 (Brief 33, S. 158) fragt Bernhard von Waging nach dem Beryll: „Ich habe ein Augenleiden, und mir fehlt der Beryll". Die Antwort des Cusanus lautet (Brief 34, S. 160, geschrieben am 28. Juli 1455): „Ich habe mir Mühe gegeben mit dem Werk, das ihr verlangt. Es ist mir nicht

Einleitung des Herausgebers

IX

möglich, mich zu sammeln und weiterzukommen ... " Am 9. Januar 1456 (Brief 36, S. 162) verspricht Cusanus den Mönchen, ihnen etwas zukommen zu lassen, was ihrem Verlangen entspricht: „Den Band Predigten lasse ich möglichst bald abschreiben, und dann werdet ihr ihn erhalten; und da hinein habe ich alles eingestreut, was ich aus meiner engen Vernunft gewinnen konnte, sei es Über den Beryll, seien es andere Schriften". Koinzidenz der Gegensätze ist das von Cusanus konzipierte Erkenntnismittel, mit dessen Hilfe die Einheit über den Gegensätzen in der Weise des Nichtergreifens und Nichtbegreifens geschaut werden soll. Wenngleich der Koinzidenzgedanke im Neuplatonismus (vgl. Ps.-Dionys, De divinis nominibus VII 3) vorliegt und der Terminus „coincidentia" von Heymericus de Campo (vgl. R. Haubst, Zum Fortleben Alberts des Großen bei Heymerich von Kamp und Nikolaus von Kues. Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Suppl. 4,1952) stammt, kann das Prinzip der coincidentia oppositorum, das als Prinzip der Vernunfterkenntnis dem Widerspruchsprinzip als dem Prinzip .der Verstandeserkenntnis übergeordnet ist, als Entdeckung des Cusanus gelten, vgl. De docta ignorantia III n. 263. Cusanus erörtert die Koinzidenz der Gegensätze wiederholt (vgl. unten Anmerkung 1,3), revidiert und präzisiert sie (vgl. De coniecturis 1 n. 24; De visione dei 11 n. 46 und 10 n. 42; Gerda von Bredow, Coincidentia oppositorum, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 1, 1971, S. 1022-1023; Hermann Schnarr, Modi essendi, Münster 1973, S. 6 ff.; 60 ff.). Der Gotteserkenntnis und somit auch der coincidentia oppositorum ist die Schrift „ Über den Beryll" gewidmet. „Damit ich dem Leser möglichst klar einen Begriff hiervon vermittle, will ich ... einen Spiegel und ein Rätselbild an die Hand geben, mit dem sich die schwache Vernunft eines jeden an der äußersten Grenze des Wißbaren helfen und leiten kann" (1 n. 1). Durch eine Analogie wird die Koinzidenz verdeutlicht (2 n. 3): Wird ein Beryll (aus Beryllen wurden Augengläser hergestellt) zugleich konkav und konvex geschliffen, dann ermöglicht er, zuvor Unsichtbares zu

X

Einleitung des Herausgebers

sehen. „Wenn den Augen der Vernunft ein vernunftgemäßer Beryll, der die größte und kleinste Form zugleich hat, richtig angepaßt wird, wird durch seine Vermittlung der unteilbare Ursprung von allem berührt" (a.a.O.). Wie das geschieht, wird durch viele Beispiele aus dem Bereich der Geometrie verdeutlicht (von Kapitel 8 n. 9 an), nachdem in den Kapiteln 3 bis 6 folgendes vorausgeschid:t ist: 1) Eines ist der erste Ursprung; er wird Vernunft genannt. Die Schöpfervernunft erschafft Substanzen, „die mit Erkenntniskraft begabt sind, damit sie ihre Wahrheit sehen können" (3 n. 4). 2) Was nicht wahr und auch nicht dem Wahren ähnlich ist, ist nicht. „Alles ... was ist, ist in einem anderen in anderer Weise als in sich" (4 n. 5). 3) Der Mensch ist das Maß der Dinge (5 n. 6). 4) Der Mensch ist ein zweiter Gott (6 n. 7). „Denn wie Gott Schöpfer der realen Seienden und der natürlichen Formen ist, so ist der Mensch Schöpfer der Verstandesseienden und der künstlichen Formen, die lediglich Ähnlichkeiten seiner Vernunft sind, so wie die Geschöpfe Ähnlichkeiten der göttlichen Vernunft sind" (a.a.O.). Diese vierte Voraussetzung erklärt zugleich, weshalb Cusanus zur Verständnisanleitung geometrische Beispiele der Koinzidenz verwendet: Alle Dinge sind nur von dem Intellekt so erkennbar, wie sie an ihnen selbst sind, von dem sie in ihrem Sein abhängen. Die Naturdinge sind von der göttlichen Vernunft erschaffen (vgl. 3 n. 4), deshalb sind sie nur von der göttlichen Vernunft so erkennbar, wie sie an ihnen selbst sind. Die mathematischen Dinge jedoch sind Schöpfungen der menschlichen Vernunft; folglich vermag die menschliche Vernunft die mathematischen Dinge in ihrem Ansichsein zu erkennen. Weil alles Suchen und Erforschen vom Bekannten ausgehend zum Unbekannten vorzudringen strebt, die mathematischen Dinge adaequat erkennbar sind, ist von mathematischen Beispielen auszugehen, wenn die Vernunft sich dem Übermathematischen nähern will. Adaequate Erkenntnis wird durch die Annäherung nicht erlangt; denn keine menschliche Erkenntnis - außer im Bereich des Mathematischen und der künstlichen Formen - ist so genau, daß sie nicht noch genauer sein könnte. Indessen ist die Koinzidenz der Ge-

Einleitung des Herausgebers

XI

gensätze das Mittel, das in der Methode des „incomprehensibiliter inquirere" (vgl. De docta ignorantia In. 5) zur Anwendung kommt und das eine nicht begreifende, überbegriffliche Schau des Seins und Wesens Gottes ermöglicht. Aufgrund des hierbei zu leistenden Transcensus von den begrenzten geometrischen Gebilden zu unendlichen koinzidierenden Figuren und von dort zur Koinzidenz der Gegensätze jenseits des Bereichs von allem Figürlichen (vgl. De docta ignorantia I n. 33) ist die in der Gotteserkenntnis gemeinte Koinzidenz wesentlich verschieden von der Koinzidenz im Figürlichen. Hinzu kommt, daß wir nicht fähig sind, „einen Begriff von der Washeit des zugleich größten und kleinsten Winkels" zu „bilden, weil weder Sinn noch Einbildungskraft noch Vernunft etwas derartiges wahrnehmen, einbilden, begreifen oder einsehen können, das jenem, das das zugleich Größte und Kleinste ist, ähnlich wäre" (14 n.15). Da sich also selbst im Bereich des koinzidierenden Figürlichen die Wesenheit unserer Erkenntnis entzieht, ist uns die Wesenheit dessen, der mit Hilfe der Koinzidenz irgendwie geschaut werden soll, vollständig verborgen. „Zahllose Weisen von Beispielen kann man ersinnen ... Aber keine Weise kann die Genauigkeit berühren, da die göttliche Weise über jeder Weise ist. Und wenn du das Augenglas anlegst und durch die zugleich größte und kleinste Weise den Ursprung jeder Weise siehst, in dem alle Weisen eingefaltet werden und den alle Weisen nicht entfalten können, dann wirst du bezüglich der göttlichen Weise eine wahrere Betrachtung vornehmen können" (19 n. 27). Zwar ist der Mensch das Maß aller Dinge (vgl. 37 n. 65), aber die menschliche Vernunft vermag nur das zu messen, was innerhalb der Seinsordnung von niedererem Rang als die menschliche Vernunft ist. Daher berührt „der Sinn nicht das Intelligible ... und die Vernunft nicht die Intelligenzen und das, was höher als die Vernunft ist, weil nämlich kein Erkennen etwas vermag bezüglich dessen, was einfacher ist als es. Erkennen nämlich ist Messen. Das Maß aber ist einfacher als das Meßbare" (39 n. 71). In der Schrift „ Über den Beryll" trägt Cusanus demgemäß die Koinzidenzlehre in ähnlicher Weise vor wie in De

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Einleitung des Herausgebers

coniecturis 1 n. 24 und De visione dei 11 n. 46: Gott ist jenseits der Koinzidenz der Gegensätze. „Wenn ich dich, Gott, im Paradies sehe, welches diese Mauer der Gegensätze umschließt, dann sehe ich, daß du weder einfaltest noch ausfaltest, disjunktiv oder kopulativ; denn Disjunktion zugleich und Konjunktion ist die Mauer der Koinzidenz. Jenseits ihrer bist du, allem entzogen (absolutus), was gesagt oder gedacht werden kann" (De vis. dei 11n.46). Diesen Grunagedanken expliziert Cusanus in fortwährender Auseinandersetzung mit anderen Philosophen, vornehmlich mit Platon, Proklos, Ps.-Dionys, Albert, Aristoteles, Averroes. „Alle diese" (Ps.-Dionys ausgenommen) „und alle die Schriftsteller, die ich gesehen habe, entbehrten des Beryll ... Es ist etwas Großes, beständig an der Vereinigung der Gegensätze festhalten zu können. Denn wenn wir auch wissen, daß es so geschehen muß, gleiten wir oft aus, wenn wir zur diskursiven Denkweise des Verstandes zurückkehren, und bemühen uns, Verstandesargumente für die höchst gewisse Schau beizubringen, die über jede Verstandesargumentation hinaus ist, und deshalb fallen wir dann vom Göttlichen zum Menschlichen hinab und bringen unsichere und dürftige Verstandesargumente herbei" (22 n. 32). Der dieser Übersetzung beigegebene lateinische Text ist ein Vorabdruck der in Arbeit befindlichen revidierten kritischen Ausgabe (h XI l); die Handschriften cod. Cus. 219 fol. 199v-211 v, 166 Magdeburg fol. 435'--45Qv und Clm 18621 fol. 27ov-293v wurden erneut überprüft; außerdem wurde Ms. 334 Yale kollationiert, das dem Herausgeber der ersten Auflage des Beryll, L. Baur, unbekannt war. Die genannten Arbeiten wurden von Herrn Dr. H. G. Senger geleistet, wofür auch an dieser Stelle gedankt sei. Bezüglich der Varianten sei auf die kritische Edition verwiesen. Die in den Anmerkungen beigefügten Hinweise auf die Quellen verwerten das von L. Baur bereits Angegebene, darüber hinaus konnte aufgrund eigener Untersuchungen eine Erweiterung des Quellenapparats vorgenommen werden. Auch in De beryllo verdankt Cusanus manche Einsichten dem Parmenides-Kommentar des Proklos ( = cod. Cus. 186). Hinsichtlich der Angabe von Parallelen im Werk des Cusanus

Xlll

Einleitung des Herausgebers

glaubte ich, mir entsprechend der Eigenart einer Studienausgabe Zurückhaltung auferlegen zu müssen. Die Übersetzung hält sich so eng wie nur möglich an den lateinischen Text, damit die Eigenart der cusanischen Diktion auch in der Übersetzung noch erkennbar sei. Die Übersetzungen von Karl Fleischmann, 1938, Dietlind und Wilhelm Dupre, 1967, und Graziella Federici-Vescovini, 1972, wurden stets konsultiert. Meinen Mitarbeitern, Fräulein Carmen Doyle und vornehmlich Herrn Dr. Hans Gerhard Senger, danke ich für ihre wertvolle Hilfe; dem Verlag Meiner sei gedankt für die Geduld und das Verständnis, das er mir angesichts langer Verzögerungen entgegenbrachte; gedankt sei weiterhin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch einen Zuschuß aus Mitteln der Thyssen-Stiftung die Drucklegung ermöglichte. Köln, im Dezember 1976

Karl Barmann

VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE Anläßlich der Neuauflage wurden die Handschriften abermals kollationiert; lateinischer Text, Übersetzung und Anmerkungen wurden überprüft und in einigen Fällen geändert. Ich danke besonders Herrn Dr. Hans Gerhard Senger für seine Mitarbeit. Köln, im April 1987

Karl Barmann

VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE Text, Übersetzung und Anmerkungen wurden abermals überprüft; mehrere Anmerkungen wurden im Hinblick auf neue Editionen geändert. Köln, im April 2002

Karl Barmann

De beryllo Über den Beryll

Ed. Paris.

De beryllo

1 fol. 184'

Capitulum 1

1

Qui legerit ea, quae in variis scripsi libellis, videbit me in oppositorum coincidentia crebrius versatum quodque nisus sum frequenter iuxta intellectualem visionem, quae excedit rationis vigorem, concludere. Unde ut quam clare legenti conceptum depromam, speculum et aenigma subiciam, quo se infirmus cuiusque intellectus in ultimo scibilium iuvet et dirigat, et graviores doctissimorum in difficilibus ponam paucas sententias et opiniones, ut applicato speculo et 10 aenigmate visione intellectuali iudex fias, quantum quisque propinquius ad veritatem accedat. Et quamvis videatur libellus iste brevis, tarnen dat sufficientem praxim, quomodo ex aenigmate ad visionem in omni altitudine possit pertingi. Erit etiam in cuiusque potestate modum qui subicitur applicandi et extendendi ad quaeque indaganda.

Causa autem, cur tarn Plato in Epistulis quam magnus 2 Dionysius Areopagita prohibuerunt haec mystica his, qui elevationes intellectuales ignorant, propalari, est quia illis nihil magis risu dignum quam haec alta videbuntur. Animalis enim homo haec divina non percipit, sed exercitatum habentibus in his intellectum nihil desiderabilius occurret. Si igitur tibi prima facie haec insipida deliramenta videbuntur, scias te deficere. Et hoc si aliquantulum maximo sciendi desiderio continuaveris meditationes et praxim ab

1

Über den Beryll Kapitel 1

Wer das liest, was ich in verschiedenen Büchern geschrieben habe, wird sehen, daß ich mich recht oft mit dem Zusammenfall der Gegensätze beschäftigt habe und daß ich immer wieder bemüht war, gemäß einer Vernunftschau, die die Kraft des Verstandes übertrifft, zu schließen. Damit ich dem Leser möglichst klar einen Begriff hiervon vermittle, will ich daher einen Spiegel und ein Rätselbild an die Hand geben, mit dem sich die schwache Vernunft eines jeden an der äußersten Grenze des Wißbaren helfen und leiten kann; und ich will einige gewichtige Sätze und Meinungen von Männern hinzusetzen, die sich in schwierigen Problemen sehr auskennen, damit du nach Anwendung des Spiegels und Rätselbildes in der Vernunftschau Richter darüber wirst, wieviel näher ein jeder an die Wahrheit hinangelangt. Und wenn auch dieses Büchlein offensichtlich kurz ist, gewährt es dennoch hinreichende Anleitung, wie man von dem Rätselbild zur Schau in jeder erhabenen Höhe gelangen kann. Es wird auch in der Macht eines jeden liegen, die zugrunde gelegte Verfahrensweise auf jeden Forschung&bereich anzuwenden und auszudehnen. 2 Der Grund aber, weshalb sowohl Plato in den Briefen als auch der große Dionysius Areopagita untersagten, diese Geheimnisse denen preiszugeben, welche Vernunfterhebungen nicht kennen, besteht darin, daß jenen Menschen nichts lächerlicher erscheinen wird als diese erhabenen Dinge. Der den Sinnen verhaftete Mensch erfaßt dieses Göttliche nicht; denen aber, die eine hierin geübte Vernunft haben, wird nichts Ersehnenswerteres begegnen. Wenn dir also diese Ausführungen auf den ersten Blick als abgeschmackte Albernheiten erscheinen, so wisse, daß es dir noch an Befähigung mangelt. Und wenn du hierin mit größtem Verlangen nach Wissen deine Überlegungen ein wenig fortsetzt und von jemand, der dir das Rätselbild erklären kann, An-

4

De beryllo. Capitulum II-IV

aliquo, qui tibi aenigma declaret, acceperis, eo pervenies quod nihil huic luci antepones et intellectualem thesaurum repperisse gaudebis; et hoc paucissimis diebus experieris. Nunc ad rem descendens primum exponam, cur imposui libello nomen Beryllus et quid intendam.

10

Capitulum II

3

Beryllus lapis est lucidus, albus et transparens. Cui datur forma concava pariter et convexa, et per ipsum videns attingit prius invisibile. Intellectualibus oculis si intellectualis beryllus, qui formam habeat maximam pariter et minimam, adaptatur, per eius medium attingitur indivisibile omnium principium. Quomodo autem hoc fiat, propono quanto clarius possum enodare praemissis quibusdam ad hoc opportunis.

Capitulum III

4

Oportet te primum attendere unum esse primum principium, et id nominatur secundum Anaxagoram intellectus, a quo omnia in esse prodeunt, ut se ipsum manifestet. Intellectus enim lucem suae intelligentiae delectatur ostendere et communicare. Conditor igitur intellectus, quia se finem facit suorum operum, ut scilicet gloria sua manifestetur, creat cognoscitivas substantias, quae veritatem ipsius videre possint, et illis se praebet ipse conditor modo quo capere possunt visibilem. Hoc scire est primum, in quo complicite 10 omnia dicenda continentur.

Capitulum IV Secundo scias quomodo id, quod non est verum neque verisimile, non est. Omne autem quod est aliter est in alio

5

Voraussetzungen

5

leitung erhältst, wirst du dahin gelangen, daß du nichts diesem Licht vorziehst und dich freust, einen Schatz der Vernunft gefunden zu haben. Und das wirst du in sehr wenigen Tagen erfahren. Jetzt will ich zur Sache kommen und zuerst darlegen, weshalb ich dem Büchlein den Namen Beryll gegeben habe und was ich beabsichtige.

3

Kapitel 2 Der Beryll ist ein glänzender, weißer und durchsichtiger Stein. Ihm wird eine zugleich konkave und konvexe Form verliehen, und wer durch ihn hindurchsieht, berührt zuvor Unsichtbares. Wenn den Augen der Vernunft ein vernunftgemäßer Beryll, der die größte und kleinste Form zugleich hat, richtig angepaßt wird, wird durch seine Vermittlung der unteilbare Ursprung von allem berührt. Wie das aber geschieht, beabsichtige ich so klar wie nur möglich zu entwickeln, nachdem ich einiges vorausgeschickt habe, was hierzu dienlich ist.

4

Kapitel 3 Du mußt zuerst beachten, daß eines der erste Ursprung ist, und er wird gemäß Anaxagoras Vernunft genannt; von ihr aus geht alles ins Sein hervor, damit sie sich selbst offenbare. Die Vernunft nämlich findet ihre Freude daran, das Licht ihrer Einsicht zu zeigen und mitzuteilen. Die Schöpfervernunft also macht sich zum Ziel ihrer Werke, nämlich damit ihre Herrlichkeit offenbar werde, und deshalb erschafft sie Substanzen, die mit Erkenntniskraft begabt sind, damit sie ihre Wahrheit sehen können, und ihnen zeigt sich der Schöpfer in der Weise, in der sie ihn erfassen können, als sichtbaren. Dieses zu wissen ist das erste; in ihm ist eingefaltet alles enthalten, was zu sagen ist.

5

Kapitel 4 Zweitens mußt du wissen, daß das, was nicht wahr und auch nicht dem Wahren ähnlich ist, nicht ist. Alles aber, was ist, ist in einem anderen in anderer Weise als in sich.

6

De beryllo. Capitulum IV

quam in se. Est enim in se ut in suo vero esse, in alio autem ut in suo esse verisimili, ut ealidum in se est ut in suo vero esse et in ealefaeto est per similitudinem suae ealiditatis. Sunt autem tres modi eognoseitivi, seilieet sensibilis, intelleetualis et intelligentialis, qui dieuntur eaeli secundum Augustinum. Sensibile in sensu est per suam sensibilem speeiem sive similitudinem, et sensus in sensibili per suam 10 sensitivam speeiem. Sie intelligibile in intelleetu per suam intelligibilem similitudinem, et intelleetus in intelligibili per suam intelleetivam similitudinem. lta intelligentiale in intelligentia et e converso. Illi termini te non turbent, quia 184" aliquando intelligentiale nominatur J intelleetibile. Ego autem nomino sie propter intelligentias.

Capitulum V

6

Tertio notabis dictum Protagorae hominem esse rerum mensuram. Nam cum sensu mensurat sensibilia, cum intelleetu intelligibilia, · et quae sunt supra intelligibilia in excessu attingit. Et hoc facit ex praemissis. Nam dum seit animam cognoscitivam esse finem cognoscibilium, seit ex potentia sensitiva sensibilia sie esse debere, sicut sentiri possunt; ita de intelligibilibus, ut intelligi possunt, excedentia autem ita, ut excedant. Unde in se homo reperit 10 quasi in ratione mensurante omnia creata.

Voraussetzungen

7

Es ist nämlich in sich als in seinem wahren Sein, in einem anderen aber als in seinem dem Wahren ähnlichen Sein, wie das Warme in sich ist als in seinem wahren Sein und im Erwärmten durch die Ähnlichkeit seiner Wärme. Es gibt aber drei Erkenntnisweisen, nämlich die der Sinne, die der Vernunft und die der Intelligenz; sie werden gemäß Augustinus Himmel genannt. Das Sinnenfällige ist im Sinn durch sein sinnenfälliges Erkenntnisbild oder seine sinnenfällige Ähnlichkeit, und der Sinn ist im Sinnenfälligen durch sein sinnenkräftiges Erkenntnisbild. So ist das durch die Vernunft Erkennbare in der Vernunft durch seine durch die Vernunft erkennbare Ähnlichkeit, und die Vernunft ist in dem, was durch die Vernunft erkennbar ist, durch ihre vernunftkräftige Ähnlichkeit. So ist das durch die Intelligenz Erkennbare in der Intelligenz und umgekehrt. Diese Begriffe sollen dich nicht verwirren, weil bisweilen das durch die Intelligenz Erkennbare durch die Vernunft Erkennbares genannt wird. Ich nenne es aber so wegen der Intelligenzen.

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Kapitel 5 Drittens wirst du dir den Satz des Protagoras merken, daß der Mensch das Maß der Dinge ist. Denn mit dem Sinn mißt er das Sinnenfällige, mit der Vernunft das durch die Vernunft Erkennbare, und was über dem durch die Vernunft Erkennbaren ist, berührt er im Überschreiten. Und dies tut er auf Grund von Vorausgegebenem. Denn indem er weiß, daß die erkenntniskräftige Seele Ziel des Erkennbaren ist, weiß er auf Grund der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit, daß das Sinnenfällige so sein muß, wie es sinnlich wahrgenommen werden kann. So von dem durch die Vernunft Erkennbaren, wie es durch die Vernunft erkannt werden kann; das darüber Hinausgehende aber so, daß es darüber hinausgeht. Daher findet der Mensch in sich gleichwie in einem messenden Wesensgrund alles Geschaffene.

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De beryllo. Capitulum VI/VII

Capitulum VI

7

Quarto adverte Hermetem Trismegistum dicere hominem esse secundum deum. Nam sicut deus est creator entium realium et naturalium formarum, ita homo rationalium entium et formarum artificialium, quae non sunt nisi sui intellectus similitudines sicut creaturae dei divini intellectus similitudines. Ideo homo habet intellectum, qui est similitudo divini intellectus in creando. Hinc creat similitudines similitudinum divini intellectus, sicut sunt extrinsecae artificiales figurae similitudines intrinsecae naturalis formae. Unde 10 mensurat suum intellectum per potentiam operum suorum et ex hoc mensurat divinum intellectum, sicut veritas mensuratur per imaginem. Et haec est aenigmatica scientia. Habet autem visum subtilissimum, per quem videt aenigma esse veritatis aenigma, ut sciat hanc esse veritatem, quae non est figurabilis in aliquo aenigmate.

Capitulum VII

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Ad rem igitur his paucis praemissis descendentes incipiamus a primo principio. Deridebat enim eos Indus ille, quem Socrates interrogabat, qui sine deo aliquid conabantur intelligere, cum sit omnium causa et auctor. Volumus autem ipsum ut principium indivisibile videre. Applicemus beryllum mentalibus oculis et videamus per maximum, quo nihil maius esse potest, pariter et minimum, quo nihil minus esse potest, et videmus principium ante omne magnum et parvum, penitus simplex et indivisibile omni modo divisionis, 10 quo quaecumque magna et parva sunt divisibilia. Ac si per beryllum intueamur inaequalitatem, erit aequalitas indivisibilis obiectum, et per absolutam similitudinem videbimus principium indivisibile omni modo divisionis, quo similitudo

Voraussetzungen

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Kapitel 6 Viertens beachte, daß Hermes Trismegistus sagt, der Mensch sei ein zweiter Gott. Denn wie Gott Schöpfer der realen Seienden und der natürlichen Formen ist, so ist der Mensch Schöpfer der Verstandesseienden und der künstlichen Formen, die lediglich Ähnlichkeiten seiner Vernunft sind, so wie die Geschöpfe Ähnlichkeiten der göttlichen Vernunft sind. Also hat der Mensch die Vernunft, die im Erschaffen Ähnlichkeit der göttlichen Vernunft ist. Daher erschafft er Ähnlichkeiten von Ähnlichkeiten der göttlichen Vernunft, so wie die äußeren künstlichen Gestalten Ähnlichkeiten der inneren natürlichen Form sind. Hieraus mißt er seine Vernunft durch die Kraft seiner Werke, und daraus mißt er die göttliche Vernunft, wie die Wahrheit durch ihr Bild gemessen wird. Und das ist die Wissenschaft, die sich des Rätselbildes bedient. Er hat aber einen sehr scharfen Blick, mit dem er sieht, daß das Rätselbild ein Rätselbild der Wahrheit ist, so daß er weiß, daß dies die Wahrheit ist, die nicht in irgendeinem Rätselbild darstellbar ist.

8

Kapitel 7 Nach diesen wenigen Vorbemerkungen kommen wir zur Sache und wollen mit dem ersten Ursprung beginnen. Jener Inder nämlich, den Sokrates fragte, verlachte diejenigen, welche ohne Gott etwas zu erkennen versuchten, da er Ursache und Urheber von allem ist. Wir wollen ihn aber als den unteilbaren Ursprung sehen. Wir wollen den Beryll vor unsere geistigen Augen halten und durch das zugleich Größte, über das hinaus nichts größer sein kann, und Kleinste, über das hinaus nichts kleiner sein kann, sehen; und dann sehen wir den Ursprung vor jedem Großen und Kleinen, gänzlich einfach und unteilbar für jede Weise von Teilung, durch die alles Große und Kleine teilbar ist. Und wenn wir durch den Beryll die Ungleichheit betrachten, wird die unteilbare Gleichheit das Objekt sein, und durch die uneingeschränkte Ähnlichkeit werden wir den Ursprung sehen, der unteilbar für jede Weise von Teilung ist, durch

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De beryllo. Capitulum VIII

est divisibilis seu variabilis, scilicet veritatem. Nam nullum est aliud obiectum illius visionis nisi veritas, quae videtur per omnem similitudinem maximam pariter et minimam absolutum primum principium omnis suae similitudinis. Sie si per beryllum videmus divisionem, erit obiectum conexio indivisibilis; ita de proportione et habitudine et pulchritu- 20 dine et talibus.

C a p i t u 1 u m VIII

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Huius vide nostrae artis aenigma et recipe calamum ad manus et plica in medio, et sit calamus a b et medium c. Dico principium superficiei et anguli superficialis esse lineam. Esto igitur quod calamus sit ut linea et plicetur super c puncto, c b mobilis et moveatur versus c a. In eo motu c b cum c a causat omnes formabiles angulos. Numquam autem erit aliquis ita acutus, quin possit esse acutior, quousque c b iungetur c a, neque aliquis ita obtusus, quin possit esse obtusior, quousque c b erit cum c a una continua 10 linea. Quando igitur tu vides per beryllum maximum pariter et minimum formabilem angulum, visus non terminabitur in angulo aliquo, sed in simplici linea, quae est principium angulorum, quae est indivisibile principium superficialium angulorum omni modo divisionis, quo anguli sunt divisibiles. Sicuti igitur hoc vides, ita per speculum in aenigmate videas absolutum primum principium.

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Die Wahrheit als erster Ursprung

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die die Ähnlichkeit teilbar oder veränderbar ist, nämlich die Wahrheit. Denn nichts anderes ist Gegenstand jener Sicht als die Wahrheit, die durch jede zugleich größte und kleinste Ähnlichkeit gesehen wird als uneingeschränkter erster Ursprung jeder Ähnlichkeit mit ihr. Wenn wir durch den Beryll die Teilung sehen, wird so die unteilbare Verknüpfung Gegenstand sein. So auch bezüglich der Proportion, der Beziehung, der Schönheit und derartigem. 9

Kapitel 8 Betrachte ein Rätselbild dieser unserer Kunst und nimm einen Halm zur Hand und knicke ihn in der Mitte, und der Halm sei a b und die Mitte c. Ich sage, daß der Ursprung der Fläche und des Flächenwinkels die Linie ist. Der Halm soll also eine Linie darstellen und über dem Punkt c geknickt werden, c b sei beweglich und soll gegen c a hin bewegt werden. In dieser Bewegung verursacht c b mit ca alle gestaltbaren Winkel. Niemals aber wird irgendeiner so spitz sein, daß er nicht noch spitzer sein könnte, solange bis c b mit c a vereinigt wird, und keiner wird so stumpf sein, daß er nicht noch stumpfer sein könnte, solange bis c b mit c a eine ununterbrochene Linie sein wird. Wenn du also durch den Beryll den zugleich größten und kleinsten gestaltbaren Winkel siehst, wird der Blick nicht in irgendeinem Winkel begrenzt werden, sondern in der einfachen Linie, die Ursprung der Winkel ist. Sie ist Ursprung der Flächenwinkel, unteilbar für jede Weise der Teilung, durch die die Winkel teilbar sind. Wie du also das siehst, so sollst du durch den Spiegel im Rätselbild den uneingeschränkten ersten Ursprung sehen.

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De beryllo. Capitulum IX Capitulum IX

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185' 1 Attente considera per beryllum ad indivisibile pertingi. Quamdiu enim maximum et minimum sunt duo, nequaquam vidisti per maximum pariter et minimum, neque enim maximum est maximum neque minimum minimum. Et hoc clare videbis, si feceris de c lineam c d egredi mobilem. Quamdiu enim illa unum angulum cum c a et alium cum c b constituit, nullus est maximus aut minimus. Semper enim maior potest esse, in tantum maior, quantum alius exsistit, et ideo non prius unus maximus quam alius minimus. Et hoc esse 10 non potest, quamdiu sunt duo anguli. Si igitur dualitas cessare debet angulorum, non videbis nisi c d super lineam a b et nullum videbis angulum. Et ita ante duo et post simplicem lineam esse debet angulus maximus pariter et minimus, sed non est signabilis. Solum igitur principium videtur maximum pariter et minimum, ut omne principiatum non possit esse nisi similitudo principii, cum nec maius nec minus eo esse possit, puta in angulis, ut nullus possit esse angulus adeo acutus, quin suam acutiem habeat a principio, nec possit esse aliquis ita obtusus, quin esse ipsum tale 20 habeat a suo principio. Ideo necesse est quod omni acuto dabili, cum possit esse acutior, in virtute principii sit creare acutiorem; et ita de obtuso. Sie videtur principium aeternum et inevacuabile per omnia principiata.

a

Das Unteilbare

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Kapitel 9 Betrachte aufmerksam, daß man vermittelst des Beryll zum Unteilbaren gelangt. Solange nämlich das Größte und das Kleinste zwei sind, hast du keineswegs durch das zugleich Größte und Kleinste gesehen, denn das Größte ist nicht Größtes und das Kleinste nicht Kleinstes. Und das wirst du klar sehen, wenn du von c eine bewegliche Linie c d ausgehen läßt. Solange nämlich jene einen Winkel mit c a und einen anderen mit c b bildet, ist keiner der größte oder der kleinste. Immer nämlich ist ein größerer möglich, um soviel größer, wie groß der andere ist, und deshalb ist der eine Winkel nicht eher der größte, als der andere der kleinste ist. Und das kann nicht sein, solange es zwei Winkel sind. Wenn also die Zweiheit der Winkel aufhören soll, wirst du nur c d über der Linie a b sehen, und du wirst keinen Winkel sehen. Und so muß vor zwei Winkeln und nach der einfachen Linie der zugleich größte und kleinste Winkel sein, aber er kann nicht gezeichnet werden. Allein der Ursprung also wird als zugleich Größtes und Kleinstes gesehen, so daß alles vom Ursprung Hervorgebrachte nur Ähnlichkeit des Ursprungs sein kann, weil es weder ein Größeres noch ein Kleineres als er sein kann; bei den Winkeln zum Beispiel ist es so, daß kein Winkel so spitz sein kann, daß er sein Spitzsein nicht vom Ursprung hätte, und keiner kann so stumpf sein, daß er nicht sein So-beschaffensein von seinem Ursprung hätte. Deshalb ist es notwendig, daß in der Kraft des Ursprungs liegt, einen spitzeren Winkel als jeden angebbaren spitzen, da er noch spitzer sein könnte, zu erschaffen. Und so auch bezüglich des stumpfen. So wird der Ursprung als ewiger und durch alles vom Ursprung Hervorgebrachte nicht ausschöpfbarer gesehen.

a

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De beryllo. Capitulum X/XI Capitulum X

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Eleganter magnus Dionysius apostoli Pauli discipulus in capitulo octavo De divinis nominibus ista compendiose dicit. Ait enim: »Nihil itaque alienum a nostro instituto facimus, si per exiles imagines ad auctorem omnium ascendentes pur· gatissimis et mundo superioribus oculis inspiciamus omnia in omnium causa et invicem contraria uniformiter et coniuncte. Est enim principium rerum, ex quo est ipsum esse et omnia, quae quomodolibet sunt, omne initium et omnis finis.« Et post pauca subiungit: »Et alia quaeque ipso esse cum sint 10 quae sunt, omnia exsculpunt.« Idem de eodem principio affirmat quod sit finis et infinitus, stans et progrediens et quod neque sit stans neque se movens. Dicit enim omnia »exemplaria rerum in una supersubstantiali« coniunctione in sui et omnium causa ante subsistere concedendum. Ecce quam lucide ibi et in variis aliis locis divinus vir ille quae praemisi sie esse affirmat.

Capitulum XI

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Iam tibi ex aenigmate constat, quomodo id intelligere queas primum esse omnium mensuram, omnia enim complicite est quae esse possunt. Nam angulus maximus pariter et minimus est actus omnis formabilis anguli, nec maior nec minor, ante omnem quantitatem. Nemo enim adeo parvi sensus est, quin bene videat angulum simplicissimum maximum pariter et minimum in se omnes formabiles sive magnos sive parvos complicare nec maiorem nec minorem quocumque dabili. Cui non plus nomen unius quam omnium angulo- 10 rum atque nullius convenit. Quare nec acutus nec rectus nec

Das Erste als Maß von allem 11

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Kapitel 10 In vortrefflicher Weise spricht das der große Dionysius, der Schüler des Apostels Paulus, im achten Kapitel seines Buches „Über göttliche Namen" zusammenfassend aus. Er sagt nämlich: „Wir tun also nichts, was unserem Vorhaben fremd wäre, wenn wir mit Hilfe dürftiger Bilder aufsteigen zum Urheber von allem und mit völlig gereinigten und überweltlichen Augen alles in der Ursache von allem und auch das einander Entgegengesetzte eingestaltig und geeint schauen. Der Urheber von allem ist nämlich Ursprung der Dinge, aus dem das Sein selbst ist und alles, was in irgendeiner Weise ist, jeder Anfang und jedes Ende." Und kurz danach fügt er hinzu: „Und alles andere, das, weil es durch das Sein selbst ist was es ist, alles prägt." Derselbe versichert von demselben Ursprung, daß er Ende und unendlich, stillstehend und fortsdireitend und daß er weder stillstehend noch sich bewegend sei. Er sagt nämlich, man müsse zugeben, daß alle Urbilder der Dinge in einer einzigen übersubstantiellen Einung in ihrer und der Ursache aller zuvor bestehen. Sieh, wie lichtvoll jener göttliche Mann hier und an verschiedenen anderen Stellen bestätigt, daß das, was ich vorausgeschiclct habe, sich so verhält.

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Kapitel 11 Es ist dir schon aufgrund des Rätselbildes bekannt, wie du das verstehen kannst, daß das Erste das Maß von allem ist; es ist nämlich in eingefalteter Weise alles was sein kann. Denn der zugleich größte und kleinste Winkel ist die Wirklichkeit jedes gestaltbaren Winkels; er ist weder größer noch kleiner und vor jeder Quantität. Denn niemand ist so kurzsichtig, daß er nicht gut sähe, daß der einfachste Winkel, der zugleich größte und kleinste, in sich alle gestaltbaren Winkel, seien sie groß oder klein, einfaltet und daß er weder größer noch kleiner ist als irgendein angebbarer Winkel. Ihm kommt nicht in höherem Maße der Name eines einzigen Winkels als der aller Winkel und keines Winkels zu. Daher kann er weder spitzer noch rechter noch

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De beryllo. Capitulum XII/XIII

obtusus angulus nominari potest, cum non sit aliquis talis, sed simplicissima omnium causa. Recte igitur, ut Proculus recitat in commentariis Parmenidis, Plato omnia de ipso principio negat. Sie et Dionysius noster negativam praefert theologiam affirmativae.

Capitulum XII

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Videtur autem ipsi deo magis convenire ipsum unum quam aliud nomen. Ita vocat eum Parmenides, similiter et Anaxagoras, qui aiebat »melius unum quam omnia simul«. Non intelligas de uno numerali, quod monas seu singulare dicitur, sed de uno scilicet indivisibili omni modo divisionis, quod sine omni dualitate intelligitur. Post quod omnia sine dualitate nec esse nec concipi possunt, ut sit primo unum absolutum iam dictum, deinde unum cum addito, scilicet unum ens, una substantia, et ita de omnibus, ita quod nihil 10 dici aut concipi possit ita simplex, quin. sit unum cum addito, solum uno superexaltato excepto. Unde quomodo debeat omnium nominibus et nullo omnium nominum nominari, ut Hermes Mercurius de eo dicebat. et quaeque circa hoc, vides clare in aenigmate figurari.

C a p i t u l u m XIII 185"

Adhuc unum attendere velis quomodo omnia creabilia non sunt nisi similitudo. Nam omnis dabilis angulus de se ipso dicit quod non sit veritas angularis. Veritas enim non capit nec maius nec minus. Si enim posset esse maior aut minor veritas, non esset veritas. Quomodo esset veritas, quando non esset quod esse posset? Omnis igitur angulus dicit se non esse veritatem angularem, quia potest esse aliter quam est,

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Das Eine als Gottesname

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stumpfer Winkel genannt werden, da er nicht irgendein derartiger, sondern die einfachste Ursache aller ist. Mit Recht also verneint, wie Proclus im Parmenides-Kommentar berichtet, Plato alles vom Ursprung selbst. So zieht auch unser Dionysius die negative Theologie der affirmativen vor. 13

Kapitel 12 Offensichtlich aber kommt Gott selbst mehr der Name „das Eine selbst" zu als irgendein anderer Name. So nennt ihn Parmenides, ähnlich auch Anaxagoras, der sagte: „Besser eines als alles zugleich." Verstehe das nicht von dem Einen im Bereich der Zahlen, das Einheit oder Einzelnes genannt wird, sondern selbstverständlich von dem Einen, das unteilbar ist für jede Weise der Teilung und das ohne jede Zweiheit verstanden wird. Alles nach ihm kann ohne die Zweiheit weder sein noch begriffen werden, so daß an erster Stelle das uneingeschränkte, schon genannte Eine steht, dann das Eine mit einem Zusatz, zum Beispiel ein Seiendes, eine Substanz, und so bezüglich aller, so daß nichts als so Einfaches ausgesprochen oder begriffen werden kann, daß es nicht Eines mit einem Zusatz ist, ausgenommen lediglich das hocherhabene Eine. Daß Gott daher mit dem Namen aller und mit keinem von allen Namen genannt werden muß, wie Hermes Mercurius von ihm sagte, und alles diesbezügliche siehst du klar im Rätselbild dargestellt.

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Kapitel 13 Eines noch mögest du beachten, daß alles Erschaffbare nur Ähnlichkeit ist. Denn jeder angebbare Winkel sagt von sich selbst, daß er nicht die Winkelwahrheit ist. Die Wahrheit nämlich nimmt kein Größeres und Kleineres in sich auf. Wenn sie nämlich größere oder kleinere Wahrheit sein könnte, wäre sie nicht die Wahrheit. Wie wäre sie Wahrheit, wenn sie nicht wäre, was sie sein könnte? Jeder Winkel also sagt, daß er nicht die Winkelwahrheit ist, weil er anders sein kann als er ist. Aber er sagt, daß der zugleich

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De beryllo. Capitulum XIV/XV

sed dicit angulum maximum pariter et minimum, cum non posset esse aliter quam est, esse ipsam simplicissimam et 10 necessariam veritatem angularem. Fatetur igitur omnis angulus se illius veri similitudinem, quia est angulus non ut in se, sed ut est in alio, scilicet in superficie. Et ideo angulus verus in angulo creabili seu designabili est ut in sua similitudine. Recte beatus Augustinus omnes dicit creaturas ad interrogationem, an sint deus, respondere: Non, quia non ipsi nos, sed »ipse fecit nos.«

Capitulum XIV

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Nunc potes satis ex his videre, quam nunc, quando »per speculum videmus in aenigmate«, ut Apostolus ait, de deo notitiam habere possumus, utique non aliam quam negativam, uti scimus quocumque angulo designato ipsum non esse simpliciter maximum pariter et minimum. In omni igitur angulo negative videmus maximum, quem scimus esse, sed non illum designatum, et scimus ipsum maximum pariter et minimum omnem totalitatem et perfectionem omnium formabilium angulorum, omnium ipsorum intimum centrum 10 pariter et continentem circumferentiam. Sed conceptum non possumus de quiditate ipsius anguli maximi pariter et minimi facere, cum nec sensus nec imaginatio nec intellectus sentire, imaginari, concipere vel intelligere possint aliquid tale simile illi, quod est maximum pariter et minimum.

Capitulum XV Sie dicit Plato in Epistulis apud omnium regem cuncta esse et illius gratia omnia eumque causam bonorum omnium. Et post pauca: »Humanus enim animus affectat qualia sint illa intelligere, aspiciens illa cognata genera,

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Negative Gotteserkenntnis

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größte und kleinste Winkel, weil er nicht anders sein kann als er ist, die einfachste und notwendige Winkelwahrheit selbst ist. Also bekennt jeder Winkel sich als Ähnlichkeit jenes wahren Winkels, weil er Winkel ist nicht wie der Winkel in sich selbst, sondern wie er in einem anderen, nämlich in der Fläche, ist. Und deshalb ist der wahre Winkel in einem erschaffbaren oder darstellbaren Winkel wie in seiner Ähnlichkeit. Richtig sagt der heilige Augustinus, daß alle Geschöpfe auf die Frage, ob sie Gott seien, antworten: „Nein, weil nicht wir uns gemacht haben, sondern er uns gemacht hat." 15

Kap i t e 1 14 Nun kannst du zur Genüge hieraus sehen, welche Erkenntnis wir jetzt, da wir durch einen Spiegel im Rätselbild sehen, wie der Apostel sagt, von Gott haben können: durchaus keine andere als eine negative, so wie wir wissen, daß, welchen Winkel wir auch gezeichnet haben, er nicht einfachhin der zugleich größte und kleinste ist. In jedem Winkel also sehen wir in negativer Weise den größten, von dem wir wissen, daß er ist, daß er aber nicht jener gezeichnete ist, und wir wissen, daß der zugleich größte und kleinste Winkel alle Gesamtheit und Vollendung aller gestaltbaren Winkel, innerster Mittelpunkt zugleich und umschließender Umkreis von ihnen allen ist. Aber einen Begriff von der Washeit des zugleich größten und kleinsten Winkels können wir nicht bilden, weil weder Sinn noch Einbildungskraft noch Vernunft etwas derartiges wahrnehmen, einbilden, begreifen oder einsehen können, das jenem, das das zugleich Größte und Kleinste ist, ähnlich wäre.

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Kap i t e 1 15 So sagt Plato in den Briefen, bei dem König aller sei alles und seinetwegen sei alles und er sei Ursache alles Guten. Und kurz danach: „Der menschliche Geist nämlich strebt zu erkennen, wie beschaffen jene Dinge sind, indem er jene ihm verwandten Gattungen betrachtet, von denen

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De beryllo. Capitulum XVI

quorum nihil sufficienter se habet, sed in rege ipso nihil tale.« Utique bene ibi scribit hoc teneri debere secretum. Non enim absque causa nominat primum principium omnium regem. Omnis enim res publica per regem et ad ipsum ordinata et per ipsum regitur et exsistit. Quae igitur in re 10 publica reperiuntur distincta, prioriter et coniuncte in ipso sunt ipse et vita, ut addit Proculus. Duces, comites, milites, iudices, leges, mensurae, pondera et quaeque talia omnia sunt in rege ut in publica persona, in qua omnia, quae possunt esse in re publica, actu exsistunt ipse. Lex eius in pellibus scripta est in ipso lex viva, et ita de omnibus, quorum ipse auctor est, et ab ipso omnia habent, quae habent tarn esse quam nomen in re publica. Bene Aristoteles in simili ipsum principem nominavit, ad quem omnis exercitus est ordinatus tamquam ad finem et a quo habet exer- 20 citus quidquid est. Ecce sicut lex scripta in pellibus mortuis est lex viva in principe, sie in primo omnia sunt vita, tempus in primo est aetemitas, creatura creator.

Capitulum XVI

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Dicebat Averrois in XI Metaphysicae omnes formas esse actu in primo motore et in XII Metaphysicae quomodo Aristoteles negando ideas Platonis ponit ideas et formas in primo motore. Idem Albertus in commentariis super Dionysio asserit. Ait enim Aristotelem dicere primam causam tricausalem, scilicet efficientem, formalem et finalem, formalis est exemplaris, quodque ad illum intellectum non reprehendat Platonem. Verum est autem quod deus omnium in se habet exemplaria. Exemplariaautem rationes sunt. Nominant 10 autem theologi exemplaria seu ideas dei voluntatem, quoniam »sicut voluit fecit« ait propheta. Voluntas autem, quae est ipsa ratio in primo intellectu, bene dicitur exemplar,

Auffassungen der Philosophen

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keine vollkommen ist, bei dem König selbst aber gibt es keine solche Unvollkommenheit." Sehr treffend schreibt er dort, dies müsse geheimgehalten werden. Denn nicht ohne Grund nennt er den ersten Ursprung König aller. Jeder Staat nämlich ist durch den König und auf ihn hin geordnet. wird durch ihn regiert und hat durch ihn Bestand. Was also im Staat als getrennt angetroffen wird, ist vorgängig und geeint im König er selbst und Leben, wie Proclus hinzufügt. Herzöge, Grafen, Soldaten, Richter, Gesetze, Maße, Gewichte und alles Derartige sind im König als der Verkörperung des Staates, in der alles, das im Staat sein kann, aktual als König ist. Das auf Pergament geschriebene Gesetz des Staates ist im König lebendiges Gesetz, und so ist es mit allem, dessen Urheber er ist; und was Sein und Ansehen im Staat hat, hat alles vom König. Treffend nennt Aristoteles ihn im Gleichnis den Herrscher, auf den das gesamte Heer wie auf sein Ziel hingeordnet ist und von dem das Heer alles hat, was es ist. Sieh, wie das auf totem Pergament geschriebene Gesetz lebendiges Gesetz im Herrscher ist, so ist im Ersten alles Leben, Zeit ist im Ersten Ewigkeit, Geschöpf ist in ihm Schöpfer.

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Kapitel 16 Averroes sagte im 11. Buch der Metaphysik, daß alle Formen wirklich seien im ersten Beweger, und im 12. der Metaphysik, daß Aristoteles die Ideen Platos verneine und dadurch die Ideen und Formen im ersten Beweger als bestehend annehme. Dasselbe versichert Albertus im Kommentar zu Dionysius. Er sagt nämlich, Aristoteles nenne die erste Ursache dreiursächlich, und zwar bewirkend, formal und final - die Formalursache ist das Urbild als Ursache-, und daß er bezüglich dieser Auffassung Plato nicht tadele. Wahr ist aber, daß Gott die Urbilder von allem in sich hat. Die Urbilder aber sind Wesensgründe. Die Theologen nennen aber die Urbilder oder Ideen den Willen Gottes, weil der Prophet sagt: „Wie er wollte, tat er." Der Wille aber, der in der ersten Vernunft der Wesensgrund selbst ist, wird trefflich Urbild genannt, so wie der Wille im Herrscher,

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De beryllo. Capitulum XVI

sicut voluntas in principe ratione fulcita exemplar legis est. »Quod enim principi placuit, legis habet vigorem.« 186' Neque haec omlnia, quae aut Plato aut Aristoteles aut 18 alius quisquam dicit, aliud sunt quam tibi beryllus et aenigma ostendit, scilicet veritatem per suam similitudinem omnibus tribuere esse. Sie Albertus ubi supra affirmat dicens: Oportet aliquo modo fateri quod a primo fiuat in omnia una forma, quae sit similitudo suae essentiae, per quam omnia esse ab ipso participant. Et attende quod veritas, quae est id quod esse potest, est imparticipabilis, sed in similitudine sua, quae potest secundum magis et minus recipi secundum dispositionem recipientis, est communicabilis. Avice- 10 bron in libro Fontis vitae dicit variam refiexionem entis causare entium differentiam, quoniam vitam addit una refiexio super ens, intellectum duae reflexiones. Quomodo hoc capi possit in aenigmate, ita velis imaginari.

Esto igitur quod a b sit linea similitudinis veritatis inter 19 primam veritatem et ipsum nihil cadens, b vero finis similitudinis circa nihil. Et super c ipsum b plicetur motu complicatorio versus a figurans motum, quo deus vocat de non esse ad esse, tune linea a b est fixa, ut egreditur a principio ut est a c, et mobilis, ut movetur super c complicatorie versus principium. In hoc motu c b cum c a causat varios angulos et c b est per motum differentias similitudinis explicans. Primo in similitudine minus formali obtusum angulum causat ipsius esse, deinde magis formali ipsius vivere, 10 deinde maxime formali et acuto ipsius intelligere. Acutus angulus plus de activitate anguli et simplicitate participat et similior primo principio. Et est in aliis angulis, scilicet vitali et ipsius esse, sie vitalis in angulo ipsius esse. Et quae

Die Sein verleihende Wahrheit

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durch Verstand gestützt, Urbild des Gesetzes ist. „Was nämlich dem Herrscher gutdünkte, hat Gesetzeskraft." 18 Dieses alles, was entweder Plato oder Aristoteles oder irgendein anderer sagt, ist nichts anderes, als was dir der Beryll und das Rätselbild zeigt, daß nämlich die Wahrheit durch ihre Ähnlichkeit allem das Sein zuteilt. So versichert Albertus an der oben angeführten Stelle: Man muß irgendwie zugeben, daß von dem Ersten in alles eine einzige Form Hießt, die Ähnlichkeit ihrer Seinsheit ist, durch die alles am Sein vom Ursprung her teilhat. Und beachte, daß die Wahrheit, die das ist, was sie sein kann, nicht partizierbar ist, daß sie aber in ihrer Ähnlichkeit, die in einem Mehr oder Weniger entsprechend der Disposition des Aufnehmenden aufgenommen werden kann, mitteilbar ist. Avicebron sagt im Buch der Quelle des Lebens, daß die mannigfache Rückwendung des Seienden die Verschiedenheit der Seienden verursache, da eine Rückwendung zum Seienden das Leben hinzufügt, zwei Rückwendungen die Vernunft. Wie das im Rätselbild erfaßt werden kann, magst du dir in folgender Weise vorstellen. 19 a b sei die Linie der Ähnlichkeit der Wahrheit und befinde sich zwischen der ersten Wahrheit und dem Nichts selbst, b aber sei Ende der Ähnlichkeit gegen das Nichts. Und über c soll b in einfaltender Bewegung auf a hin gefaltet werden und so die Bewegung darstellen, durch die Gott vom Nichtsein zum Sein ruft. Die Linie a b ist dann feststehend, insofern sie aus dem Ursprung hervorgeht und insofern sie a c ist, und beweglich, soweit sie einfaltend über c gegen den Ursprung hin bewegt wird. In dieser Bewegung verursacht c b mit c a mannigfache Winkel, und c b entfaltet durch die Bewegung die Verschiedenheiten der Ähnlichkeit. Zuerst verursacht sie in weniger fonnhafter Ähnlichkeit den stumpfen Winkel des Seins, dann in mehr fonnhafter den Winkel des Lebens, schließlich verursacht sie in höchst fonnhafter Ähnlichkeit und im spitzen Winkel den Winkel des Erkennens. Der spitze Winkel hat mehr teil an der Wirklichkeit und Einfachheit des Winkels und ist dem ersten Ursprung ähnlicher. Und er ist in den anderen Winkeln, nämlich dem Lebenswinkel und dem des Seins;

De beryllo. Capitulum XVI

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sunt mediae diHerentiae ipsius esse et vitae ac ipsius intelligere et quae explicari possunt, sie in aenigmate videbis: ab enim similitudo veritatis omnia in se continet, quae possunt explicari, et per motum fit explicatio. Motus autem quomodo fiat, ubi simplex elementum de se explicat elementatum, sicut praernisi, in aenigmate figuratur. Simplicitas 20 enim elementalis est ex mobili et immobili, sicut principium naturale est principium motus et quietis.

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Die Sein verleihende Wahrheit

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so ist auch der Lebenswinkel in dem Winkel des Seins. Und welche mittleren Unterschiede zwischen Sein, Leben und Erkennen sind und welche entfaltet werden können, wirst du im Rätselbild in folgender Weise sehen: a b nämlich enthält als Ähnlichkeit der Wahrheit alles in sich, was entfaltet werden kann, und durch die Bewegung geschieht die Entfaltung. Auf welche Weise aber die Bewegung geschieht, wo ein einfacher Anfangsgrund aus sich das aus dem Anfangsgrund Gewordene entfaltet, wird, wie ich vorausgeschickt habe, im Rätselbild dargestellt. Die Einfachheit des Anfangsgrundes besteht nämlich aus Beweglichem und Unbeweglichem, so wie der Naturursprung Ursprung der Bewegung und Ruhe ist. a _____c_____ b

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26

De beryllo. Capitulum XVII

Unde dum intellectus conditor sie movet c b, exemplaria, 20 quae in se habet, explicat in sua similitudine, sicut mathematicus, dum lineam plicat in triangulum, ipsum triangulum explicat motu complicationis, quem intra se habet in mente. Unde habes lineam ab imaginari debere communicabilem veritatem, quae est incommunicabilis veritatis similitudo, per quam omnia vera sunt vera, et non absoluta ut veritas, sed est in veris. Experimur autem ipsum esse verorum in trino gradu, in eo quod quaedam sunt tantum, alia vero veritatis gestant simpliciorem similitudinem, quorum 10 esse est virtuosius, quia eo quod sunt vivunt. Alia adhuc simpliciorem, quae eo ipso quod sunt vivunt et intelligunt. Esse autem quanto simplicius, tanto virtuosius et potentius. Ideo absoluta simplicitas seu veritas est omnipotens.

Capitulum XVII

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Adhuc alio aenigmate per doctrinam ut ad minima respiciamus, quando maxima inquirimus. Unum seu monas est simplicius puncto. Puncti igitur indivisibilitas est similitudo 186" indivisibilitatis ipsius unius. Esto igitur quod unum sit ut 1 indivisibilis et incommunicabilis veritas, quae se vult ostendere et communicare per suam similitudinem, et unum se signat seu figurat et oritur punctus. Punctus autem, communicabilis indivisibilitas in continuo, non sit unum. Sit igitur punctus communicatus modo, qua communi- 22 cabilis est, et habetur corpus. Nam punctus est indivisibilis omni modo essendi continui et dimensionis. Modi autem essendi continui sunt linea, superficies et corpus, modi autem dimensionis sunt longum, latum et profundum. Igitur linea participat indivisibilitatem puncti, quia est 23 linealiter indivisibilis, linea enim in non lineam partiri

Die Sein verleihende Wahrheit

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Wenn daher die Schöpfervernunft so c b bewegt, entfaltet sie die Urbilder, die sie in sich hat, in ihrer Ähnlichkeit, so wie der Mathematiker, wenn er eine Linie zu einem Dreieck faltet, das Dreieck, das er in sich hat in seinem Geist, durch die einfaltende Bewegung ausfaltet. Daher weißt du, daß man sich die Linie a b vorstellen muß als mitteilbare Wahrheit, die die Ähnlichkeit der nicht mitteilbaren Wahrheit ist, durch die alles Wahre wahr ist, und die nicht uneingeschränkt wie die Wahrheit, sondern in Wahrem ist. Wir erfahren aber das Sein der wahren Dinge in dreifacher Abstufung, insofern daß einige nur sind, andere aber eine einfachere Ähnlichkeit der Wahrheit tragen. Deren Sein ist stärker, weil sie dadurch, daß sie sind, leben. Andere tragen eine noch einfachere Ähnlichkeit der Wahrheit, die nämlich, die dadurch, daß sie sind, leben und erkennen. Je einfacher aber das Sein ist, desto stärker und mächtiger ist es. Deshalb ist die uneingeschränkte Einfachheit oder Wahrheit allmächtig.

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K a p i t e l 17

Noch mit einem anderen Rätselbild (gehen wir} die Lehre durch, daß wir auf Kleinstes sehen müssen, wenn wir Größtes untersuchen. Das Eine oder die Einheit ist einfacher als der Punkt. Die Unteilbarkeit des Punktes also ist Ähnlichkeit der Unteilbarkeit des Einen selbst. Wir wollen annehmen, daß das Eine wie die unteilbare und nicht mitteilbare Wahrheit sei, die sich offenbaren und mitteilen will durch ihre Ähnlichkeit; und das Eine zeichnet oder gestaltet sich, und es entsteht der Punkt. Der Punkt aber, die mitteilbare Unteilbarkeit im Kontinuum, soll nicht das Eine sein. 22 Der Punkt sei also mitgeteilt in der Weise, in der er mitteilbar ist, und man hat den Körper. Denn der Punkt ist unteilbar in jeder Seinsweise des Kontinuums und der Ausdehnung. Die Seinsweisen des Kontinuums aber sind Linie, Fläche und Körper, die Weisen der Ausdehnung aber sind Länge, Breite und Tiefe. 23 Also hat die Linie teil an der Unteilbarkeit des Punktes, weil sie in linienhafter Weise unteilbar ist; die Linie näm-

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De beryllo. Capitulum XVIII

nequit nec est divisibilis secundum latum et profundum. Superficies participat indivisibilitatem puncti, quia in non superficiem impartibilis. Nec sit corpus, quia in non corpus secari nequit secundum profundum divisibilis. In indivisibilitate puncti complicantur omnes illae indivisibilitates. Nihil igitur reperitur in his nisi explicatio indivisibilitatis puncti. Omne igitur, quod reperitur in corpore, non est nisi punctus seu similitudo ipsius unius. Et non reperitur punc- 10 tus absolutus a corpore vel superficie aut linea, quia est principium intrinsecum dans indivisibilitatem. Linea autem plus participat simplicitatem puncti quam superficies, et superficies quam corpus, ut patuit. De hac consideratione puncti et corporis te eleva ad similitudinem veritatis et universi et in clariore aenigmate facies dictorum coniecturam.

C a p it u 1 u m XVIII

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Recipias veraciorem conceptum ex homine, qui omnia rnensurat. In homine est intellectus supremitas rationis, cuius esse est a corpore separaturn et per se verum, deinde est anirna, deinde natura ac ultimo corpus. Animam dico, quae animat et dat esse animale. Intellectus, qui non est communicabilis aut participabilis propter suam simplicem universalitatem et indivisibilitatem, se in sua similitudine communicabilem reddit, scilicet in anima. Cognitio enim sensitiva animae ostendit se similitudinem intellectus esse. 10 Per animam intellectus se comrnunicat naturae et per naturam corpori. Anima in eo quod similitudo intellectus sentit libere, in eo quod est unita naturae animat. Ideo per naturam anirnat, per se sentit. Quae igitur anima operatur in

Die Vernunft und ihre Älmlidikeit

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lieh kann nicht in Nicht-Linie geteilt werden, und sie ist auch nicht teilbar nach Breite und Tiefe. Die Fläche hat teil an der Unteilbarkeit des Punktes, weil sie nicht in NichtFläche teilbar ist. Sie sei auch nicht Körper, weil sie nicht in Nicht-Körper zerteilt werden kann, selbst wenn sie nach der Tiefe teilbar wäre. In der Unteilbarkeit des Punktes werden alle diese Unteilbarkeiten eingefaltet. Nichts also wird in diesen gefunden außer der Entfaltung der Unteilbarkeit des Punktes. Alles also, das im Körper gefunden wird, ist nur Punkt oder Ähnlichkeit des Einen selbst. Und der Punkt wird nicht getrennt vom Körper oder von der Fläche oder der Linie gefunden, weil er der innere Ursprung ist, der Unteilbarkeit verleiht. Die Linie aber hat mehr teil an der Einfachheit des Punktes als die Fläche, und die Fläche mehr als der Körper, wie klar geworden ist. Von dieser Betrachtung des Punktes und des Körpers erhebe dich zur Ähnlichkeit der Wahrheit und des Universums, und du wirst in einem klareren Rätselbild eine Mutmaßung von dem Gesagten machen.

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Kap i t e 1 18 Du kannst einen der Wahrheit näher kommenden Begriff vom Menschen her erlangen, der alles mißt. Im Menschen ist die Vernunft als das Höchste des Wesensgrundes. Ihr Sein ist vom Körper getrennt und durch sich wahr. Dann folgt die Seele, danach die Natur und zuletzt der Körper. Seele nenne ich, was beseelt und seelisches Sein gibt. Die Vernunft, die nicht mitteilbar oder partizipierbar aufgrund ihrer einfachen Gesamtheit und Unteilbarkeit ist, macht sich mitteilbar in ihrer Ähnlichkeit, und zwar in der Seele. Die sinnliche Erkenntnis der Seele nämlich offenbart, daß sie Ähnlichkeit der Vernunft ist. Durch die Seele teilt die Vernunft sich der Natur mit und durch die Natur dem Körper. Insofern die Seele Ähnlichkeit der Vernunft ist, nimmt sie selbständig wahr, insofern sie der Natur verbunden ist, beseelt sie. Also beseelt sie durch die Natur, durch sich nimmt sie wahr. Was daher die Seele im Körper vermittelst der Natur wirkt, das wirkt sie in Einschränkung,

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De beryllo. Capitulum XVIII

corpore medio naturae, illa contracte operatur, sicut cognoscitiva in organo contracte secundum organum. Respiciamus ergo ad corpus et omnia eius membra for- 25 malia et ad cuiuslibet legem sive naturam, virtutem, operationem et ordinem, ut sit unus homo, et quidquid reperimus explicite, illa reperimus in intellectu ut in causa, auctore et rege, in quo omnia sunt ut in causa efficiente, formali et finali. Omnia enim anterioriter in potentia effectiva sunt, sicut in potentia imperatoris sunt dignitates et officia rei publicae. Omnia sunt formaliter in ipso, qui omnia format, ut formata in tantum sint, in quantum sunt suo conceptui conformia. Finaliter sunt omnia in eo, cum eius gratia sint, 10 cum ipse sit finis et desiderium omnium. Nihil enim omnia membra appetunt nisi unionem inseparabilem cum ipso tamquam cum suo principio et bono ultimo et vita perenni.

Quomodo autem anima, quae est similitudo intellectus, in 26 se omnia vivificabilia complicet et vitam omnibus medio naturae communicet et quomodo natura sit omnia ut instrumentum complicans et in se omnem omnium membrorum motum et naturam praehabens, quis sufficienter enarrabit? Intellectus mediante sua similitudine, quae in homine est anima sensitiva, dirigit naturam et omnem naturalem motum, ut omnia suo verbo seu conceptui sive voluntati conformentur. Sie in universo, cui praesidet conditor intellectus, nihil penitus reperitur nisi similitudo sive conceptus ipsius 10 conditoris. Sicut si conditor intellectus foret visus volens suam virtutem videndi ostendere, omne visibile, in quo se ostendat, conciperet, eo ipso intra se omne visibile haberet et ad conformitatem singulorum visibilium in suo conceptu exsistentium cuncta visibilia formaret. In omnibus enim 187' visibilibus nihil reperiretur nisi conformiltas et ideo similitudo ipsius conditoris eorum intellectus.

Die Vernunft und ihre Ähnlichkeit

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so wie sie als erkennende in einem Organ in Einschränkung entsprechend dem Organ wirkt. 25 Blicken wir also auf den Körper und alle seine zu seiner Form gehörigen Glieder und auf das Gesetz oder die Natur eines jeden von ihnen, auf ihre Kraft, Wirkungsweise und Anordnung, (die bewirkt,) daß es ein einziger Mensch ist, und was wir alles in der Weise der Entfaltung finden, das finden wir in der Vernunft als in der Ursache, im Urheber und König. In der Vernunft ist alles als in der Wirk-, Formal- und Finalursache. Alles nämlich ist vorgängig in der wirkkräftigen Macht, so wie in der Macht des Herrschers die Würden und Ämter des Staates sind. Alles ist in der Weise der Form in der Vernunft, die alles formt, so daß das Geformte nur insoweit ist, als es seinem Begriff gleichförmig ist. In der Weise des Zieles ist alles in ihr, weil es um ihretwillen ist, da sie selbst Ziel und Verlangen aller ist. Nichts nämlich erstreben alle Glieder als die untrennbare Einigung mit ihr als mit ihrem Ursprung, höchsten Gut und immerwährenden Leben. 26 Auf welche Weise aber die Seele, die Ähnlichkeit der Vernunft ist, in sich alles Belebbare einfaltet und das Leben vermittelst der Natur allen mitteilt, und auf welche Weise die Natur als Werkzeug alles in sich einfaltet und jede Bewegung und Natur aller Glieder in sich zuvor enthält, wer wird das hinreichend erklären? Die Vernunft lenkt vermittelst ihrer Ähnlichkeit, die im Menschen die wahrnehmungsfähige Seele ist, die Natur und jede natürliche Bewegung, so daß alles ihrem Wort oder Begriff oder Willen gleichförmig wird. So wird im Universum, dessen Leiter die Schöpfervernunft ist, gar nichts gefunden als Ähnlichkeit oder Begriff des Schöpfers. Wenn zum Beispiel die Schöpfervernunft Gesichtssinn wäre, der seine Sehkraft offenbaren wollte, dann würde sie einen Begriff bilden von jedem Sichtbaren, in welchem sie sich offenbaren möchte; hierdurch hätte sie jedes Sichtbare in sich und würde alles Sichtbare zur Gleichförmigkeit jedes einzelnen Sichtbaren, das in ihrem Begriff existiert, formen. In allem Sichtbaren nämlich würde nichts gefunden als Gleichförmigkeit und daher Ähnlichkeit seiner Schöpfervernunft.

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De beryllo. Capitulum XIX/XX Capitulum XIX

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Varia valde ponunt sancti et philosophi aenigmata. Plato in libro De re publica recipit solem et eius attendit in sensibilibus virtutem et ex conformitate illius se elevat ad lucem intelligentiae intellectus conditoris. Quem magnus Dionysius imitatur. Nam utique aenigma est gratum ob conformitatem lucis sensibilis et intelligibilis. Albertus aenigma rectitudinis recipit, ac si linealis rectitudo daret esse omni ligno, quae in nullo uti est potest participari et manet imparticipabilis et absoluta. Varie autem in contracto esse, scilicet in sua 10 similitudine, in quolibet ligno participatur, quoniam unum nodose, aliud incurve. Et ita de infinitis differentiis. Etiam caliditatem fingit absolutam, et quomodo omnia calida illius similitudinem participant et habent esse suum ab illa, sie conceptum facit de conditore intellectu et creaturis. Innumerabiles modi possunt concipi, multos alias in Docta ignorantia et libellis aliis posui. Sed nullus praecisionem attingere potest, cum divinus modus sit supra omnem modum. Et si applicas oculare et vides per maximum pariter et minimum modum omnis modi principium, in quo omnes 20 modi complicantur et quem omnes modi explicare nequeunt, tune facere poteris de divino modo veriorem speculationem.

Capitulum XX Diceres forte usum berylli praesupponere essentiam recipere magis et minus, alioquin per maximum pariter et minimum non videretur eius principium. Respondeo quod, quamvis essentia secundum se non videatur magis et minus

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Die Vernunft und ihre Ähnlichkeit

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Kapitel 19 Sehr mannigfache Rätselbilder bieten die Heiligen und Philosophen. Im Buch „ Über den Staat" nimmt Plato die Sonne, achtet auf ihre Wirkkraft im Sinnenfälligen und erhebt sich von ihrer Gleichförmigkeit (mit dem Ursprung) zum Licht der Einsicht der Schöpfervernunft. Ihn ahmt der große Dionysius nach. Denn dieses Rätselbild ist sehr beliebt wegen der Gleichförmigkeit des sinnenfälligen und des intelligiblen Lichtes. Albertus nimmt das Rätselbild der Geradheit, gleich als wenn die Geradheit der Linie, die in keinem so, wie sie ist, partizipiert werden kann und die unmitteilbar und uneingeschränkt verweilt, jedem Holz das Sein gäbe. In mannigfaltiger Weise aber wird sie im eingeschränkten Sein, nämlich in ihrer Ähnlichkeit, in jedem beliebigen Holz partizipiert, da das eine Holz an ihr in der Weise des Knorrigen, das andere in der des Gekrümmten teilhat. Und so bezüglich unendlicher Unterschiede. Auch die Wärme stellt er sich (gleichnishaft) als uneingeschränkt vor, und wie alles Warme an ihrer Ähnlichkeit teilhat und ihr Sein von jener hat, so bildet er einen Begriff von der Schöpfervernunft und den Geschöpfen. Zahllose Weisen (von Beispielen) kann man ersinnen, viele habe ich anderswo in der „Belehrten Unwissenheit" und in anderen Büchlein geboten. Aber keine Weise kann die Genauigkeit berühren, da die göttliche Weise über jeder Weise ist. Und wenn du das Augenglas anlegst und durch die zugleich größte und kleinste Weise den Ursprung jeder Weise siehst, in dem alle Weisen eingefaltet werden und den alle Weisen nicht entfalten können, dann wirst du bezüglich der göttlichen Weise eine wahrere Betrachtung vornehmen können.

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Kapitel 20 Du könntest vielleicht sagen, der Gebrauch des Beryll setze voraus, daß die Wesenheit ein Mehr oder Weniger aufnehme, andernfalls würde durch das zugleich Größte und Kleinste ihr Ursprung nicht gesehen. Ich antworte, daß, obschon die Wesenheit an ihr selbst offensichtlich kein Mehr

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De beryllo. Capitulum XX

recipere tarnen secundum comparationem ad esse et actus proprios speciei magis et minus participat secundum dispositionem materiae recipientis, adeo ut dicit A vicenna quod in quibusdam videtur deus, in hominibus, qui divinum habent intellectum et operationes. Nec hie modus berylli 10 penitus fuit absconditus Aristoteli, qui saepe discurrit reperiendo primum per hoc argumentum: Ubi reperitur participatio unius secundum magis et minus in diversis, necesse est deveniri ad primum, in quo ipsum est primum, ut de calore, qui in diversis participatur, devenitur ad ignem, in quo primum est ut in fonte, a quo alia omnia calorem recipiunt. Sie Albertus illa regula utens quaerit primum, in quo est ratio fontalis entis omnium entitatem participantium, sie et principium cognoscendi, ubi ita dicit: Cum intelligentia, anima rationalis et sensitiva communicent in 20 virtute cognoscendi, oportet quod recipiant hanc naturam ab aliquo, in quo est primo sicut in fonte, et hie est deus.

lmpossibile est autem quod aequaliter recipiant ab eo, quia 29 sie essent aeque propinquae principio et aequalis virtutis in cognoscendo. Unde primo recipitur in intelligentia, quae habet tantum de esse intelligentiae, quantum participat de radio divino. Similiter anima rationalis tantum participat de virtute cognoscitiva, quantum capit de radio intelligentiae, licet obumbretur in illa. Sie et anima sensibilis participat de cognitione, quantum imprimitur in ipsa radius rationalis animae, licet obumbretur in ipsa. Sed sensitiva est ultima, quae non influit ulterius virtutem cognoscitivam. Sed, ut ait, 10 anima rationalis non influit in sensum nisi sibi sit coniunc-

Unterschiedliche Teilhabe am Einen

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oder Weniger aufnimmt, sie dennoch gemäß einem Vergleich zum Sein und zu den eigentümlichen Verwirklichungen der Art am Mehr und Weniger teilhat entsprechend der Disposition der Materie des Aufnehmenden, (und zwar) in solchem Maße, daß, wie Avicenna sagt, Gott in einigen sichtbar wird, in Menschen, die eine göttliche Vernunft und (göttliches) Handeln haben. Diese Weise, den Beryll zu gebrauchen, war auch Aristoteles nicht gänzlich verborgen, der, wenn er das Erste zu finden sich bemühte, oft mit Hilfe des folgenden Arguments vorging: Wo man die Teilhabe am Einen gemäß einem Mehr oder Weniger in Verschiedenem findet, gelangt man mit Notwendigkeit zu einem Ersten, in welchem es als Erstes ist, wie man von der Wärme, die in Verschiedenem partizipiert wird, zum Feuer gelangt, in welchem das Erste wie in einer Quelle ist, von der alles andere die Wärme empfängt. So sucht Albertus unter Verwendung jener Regel nach dem Ersten, in welchem der quellhafte Wesensgrund des Seienden von allem ist, das an der Seinsheit teilhat, und so auch der Ursprung des Erkennens, wenn er folgendes sagt: Da die Intelligenz, die mit Verstand und die mit Wahrnehmungskraft begabte Seele die Kraft des Erkennens miteinander gemeinsam haben, müssen sie diese Natur von irgendeinem empfangen, in welchem sie als dem Ersten wie in einer Quelle ist, und das ist Gott. 29 Es ist aber unmöglich, daß sie (diese Natur) in gleicher Weise von ihm empfangen, weil sie dann dem Ursprung gleich nahe und von gleicher Kraft im Erkennen wären. Daher wird sie zuerst in der Intelligenz empfangen, die soviel vom Sein der Intelligenz hat, wie sie am göttlichen Strahl teilhat. In ähnlicher Weise nimmt die mit Verstand begabte Seel6 soviel an der Erkenntniskraft teil, wie sie vom Strahl der Intelligenz aufnimmt, wenn er auch in ihr verdunkelt wird. So nimmt auch die Sinnenseele teil an der Erkenntnis, soviel wie ihr der Strahl der mit Verstand begabten Seele eingeprägt wird, wenn er auch in ihr verdunkelt wird. Aber die Sinnenseele ist die letzte, sie läßt die Erkenntniskraft nicht weiter (in anderes) einfließen. Aber die mit Verstand begabte Seele läßt, wie er sagt, die Erkenntniskraft nur in

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De beryllo. Capitulum XXI

tus, sie nee primum influit in seeundum nisi ei coniunctum. Non intelligas intelligentiam creare animas aut animam sensum, sed quod radius in primo horum a sapientia aeterna receptus est exemplar et quasi seminale secundi. Et quia radius iste semper recipitur in virtute minoratus, ideo anima non recipit radium secundum esse intelligibile nec vegetabilis ab anima sensitiva recipit radium cognoscitivum.

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Capitulum XXI

Idem magnus Albertus in allegatis commentariis assimilat illum divinum radium illuminantem naturam cognoscitivam radio solis, qui in se consideratus, antequam subintret aerem, est universalis et simplex et in aere recipitur in profundo ipsum penetrando et penitus illuminando. Deinde recipitur in superficie in corporibus terminatis, ubi secundum variam dispositionem varios causat colores, album et clarum, si est superficies clara, nigrum, si obscura, et medios 187" eolores seeundum dispositionem mediam. Sie principium 10 primum, seilicet sapientia dei seu divina eognitio, quae est essentia dei manens et incommunicabilis, radio suo, qui est una forma cognoscitiva, se habet, quoniam quasdam naturas illuminat, ut cognoscant simplices quiditates rerum. Et haec cognitio est secundum maximum fulgorem, qui possibilis est recipi in creatura, et hoc in intelligentiis. In aliis recipitur, ubi non operatur talem cognitionem simplicium quiditatum, sed mixtarum cum continuo et tempore sicut in hominibus. Ibi enim incipit cognitio a sensibus, ideo oportet quod conferendo unum ad alterum perveniat ad simplex 20 intelligibile. 1

Unterschiedliche Teilhabe am Einen

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den Sinn einfließen, wenn er ihr verbunden ist, und so läßt auch das Erste sie nur in das Zweite einfließen, wenn dieses ihm verbunden ist. Das sollst du nicht so auffassen, daß die Intelligenz die Seelen erschaffe oder die Seele den Sinn, sondern so, daß der Strahl, im Ersten von diesen empfangen von der göttlichen Weisheit her, Urbild und gleichsam Keimkraft des Zweiten ist. Und weil dieser Strahl immer in seiner Kraft vermindert empfangen wird, deshalb empfängt die Seele den Strahl nicht entsprechend seinem intelligiblen Sein, und deshalb empfängt die Wachstumsseele von der Sinnenseele nicht den Strahl der Erkenntnis.

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Kapitel 21 Derselbe große Albertus vergleicht in dem zitierten Kommentar jenen göttlichen Strahl, der die erkennende Natur erleuchtet, mit dem Strahl der Sonne, der in sich betrachtet, bevor er in die Luft eindringt, allgemein und einfach ist und, indem er tief in die Luft eindringt und sie gänzlich erleuchtet, in der Luft aufgenommen wird. Danach wird er an der Oberfläche in begrenzten Körpern aufgenommen, wo er entsprechend der verschiedenartigen Disposition verschiedenartige Farben verursacht, Weißes und Helles, wenn die Oberfläche hell ist, Schwarzes, wenn sie dunkel ist, und mittlere Farben entsprechend einer mittleren Disposition. So verhält sich der erste Ursprung, nämlich die Weisheit Gottes oder die göttliche Erkenntnis, die die beständige und unmitteilbare Wesenheit Gottes ist, durch ihren Strahl, der eine einzige Erkenntnisform ist, da sie einige Naturen erleuchtet, so daß sie die einfachen W asheiten der Dinge erkennen. Und diese Erkenntnis entspricht dem größten Glanz, der im Geschöpf aufgenommen werden kann, und zwar in den Intelligenzen. Er wird in anderen aufgenommen, wo er nicht eine solche Erkenntnis der einfachen Washeiten bewirkt, sondern der mit Räumlichkeit und Zeit vermischten, so wie in den Menschen. Dort nämlich beginnt die Erkenntnis bei den Sinnen, deshalb ist es notwendig, daß sie durch Vergleich des einen mit dem anderen zum einfachen Intelligiblen hingelangt.

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De beryllo. Capitulum XXII

Quare Isaac dicebat quod ratio oritur in umbra intelli- 31 gentiae et sensus in umbra rationis, ubi occumbit cognitio. Unde anima vegetabilis oritur in umbra sensus et non participat de radio cognoscitivo, ita quod possit recipere speciem et ab appendiciis materiae separare, ut fiat simplex cognoscibile. Avicenna vero suscipit aenigma in igne et vario eius essendi modo ab aethere deorsum, usque quo in lapide penitus obumbretur.

Capitulum XXII

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Hi omnes et quotquot vidi scribentes caruerunt beryllo. Et ideo arbitror, si constanti perseverantia secuti fuissent magnum Dionysium, clarius vidissent omnium principium atque commentaria fecissent in ipsum secundum ipsius scribentis intentionem. Sed quando ad oppositorum coniunctionem perveniunt, textum magistri divini disiunctive interpretantur. Magnum est posse se stabiliter in coniunctione figere oppositorum. Nam etsi sciamus ita fieri debere, tarnen, quando ad discursum rationis revertimur, labimur frequen- 10 ter et visionis certissimae nitimur rationes reddere, quae est supra omnem rationem, et ideo tune cadimus de divinis ad humana et instabiles atque exiles rationes adducimus. Hoc Plato in Epistulis, ubi de visione primae causae praemisit, omnibus accidere astruit. Tu igitur si volueris aeternam sapientiam sive principium cognoscitivum videre, posito beryllo ipsum videas per maximum pariter et minimum cognoscibile. Et in aenigmate quemadmodum de angulis inquire acutas, formales, simplices et penetrativas naturas cognoscitivas uti angulos acutos, alias obtusiores et demum 20 obtusissimas uti obtusos angulos. Et omnes gradus venari

Der Erkenntnisursprung

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Deshalb sagte Isaac, daß der Verstand im Schatten der Intelligenz entsteht und der Sinn im Schatten des Verstandes, wo die Erkenntnis untergeht. Daher entsteht die Wachstumsseele im Schatten des Sinnes und nimmt nicht teil am Erkenntnisstrahl, so daß sie das Erkenntnisbild aufnehmen und von den Anhängseln der Materie trennen könnte, damit es ein einfaches Erkennbares würde. Avicenna aber nimmt das Rätselbild vom Feuer her und seiner verschiedenartigen Seinsweise vom Äther abwärts, bis es im Stein völlig verdunkelt wird.

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Kapitel 22 Alle diese und alle die Schriftsteller, die ich gesehen habe, entbehrten des Beryll. Und deshalb glaube ich, daß, wenn sie mit beständiger Ausdauer dem großen Dionysius gefolgt wären, sie den Ursprung aller klarer gesehen und Kommentare zu Dionysius abgefaßt hätten, die der Absicht des Verfassers entsprächen. Aber wenn sie zur Vereinigung der Gegensätze gelangen, interpretieren sie den Text des göttlichen Meisters in der Weise der Entgegensetzung. Es ist etwas Großes, beständig an der Vereinigung der Gegensätze festhalten zu können. Denn wenn wir auch wissen, daß es so geschehen muß, gleiten wir dennoch oft aus, wenn wir zur diskursiven Denkweise des Verstandes zurüdckehren, und bemühen uns, Verstandesargumente für die höchst gewisse Schau beizubringen, die über jede Verstandesargumentation hinaus ist, und deshalb fallen wir dann vom Göttlichen zum Menschlichen hinab und bringen unsichere und dürftige Verstandesargumente herbei. Plato versichert in den Briefen, wo er zuvor über die Schau der ersten Ursache handelte, das widerfahre allen. Wenn du also die ewige Weisheit oder den Erkenntnisursprung sehen willst, so lege den Beryll an und sieh den Erkenntnisursprung durch das zugleich größte und kleinste Erkennbare. Und im Rätselbild wie in dem von den Winkeln erforsche scharfe, formhafte, einfache und durchdringende Erkenntnisnaturen, wie die spitzen Winkel, andere stumpfere und schließlich ganz stumpfe Naturen, wie die stumpfen Winkel. Und du

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De beryllo. Capitulum XXIII

poteris possibiles, et quemadmodum de hoc sie dixi, ita de quibuscumque sie se habentibus.

C a p i t u l u m XXIII

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Dubitas fortassis quomodo videtur principium unitrinum. Respondeo: Omne principium est indivisibile omni divisione suorum effectuum seu principiatorum. Primum igitur principium est ipsa simplicissima atque perfectissima indivisibilitas. In essentia autem perfectissimae indivisibilitatis video unitatem, quae est fons indivisibilitatis, video aequalitatem, quae est indivisibilitas unitatis, et video nexum, qui est indivisibilitas unitatis et aequalitatis. Et capio aenigma et intueor a c b angulum et considero c punctum primum prin- 10 cipium anguli et lineas c a et c b secundum principium, c punctus principium est unitrinum, nam est principium c a lineae, quae est linea immobilis, et lineae c b, quae est linea differentiativa formans. Et video c punctum utriusque nexum et quod c punctus est intimius et proximius principium anguli, scilicet principium simul et terminus anguli, incipit enim in c puncto et in eodem terminatur. a _ _ _ _ _c_____ b

c

Dum igitur intueor in c unitrinum principium, video ipsum 34 esse fontem, unde primo emanat unitas seu necessitas omnia uniens et constringens. Deinde video ipsum principium, unde emanat aequalitas omnia quantumcumque varia for-

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Der Ursprung als dreieiner

wirst alle möglichen Abstufungen erjagen können, und so wie ich hierüber gesprochen habe, so gilt es von allem, das sich so verhält. 33

Kapitel 23 Du fragst vielleicht zweifelnd, wie der Ursprung als dreieiner gesehen wird. Ich antworte: Jeder Ursprung ist unteilbar für jede Teilung seiner Wirkungen oder des vom Ursprung Hervorgebrachten. Der erste Ursprung ist also die einfachste und vollkommenste Unteilbarkeit. In der Wesenheit der vollkommensten Unteilbarkeit aber sehe ich die Einheit, welche Quelle der Unteilbarkeit ist, sehe ich die Gleichheit, welche die Unteilbarkeit der Einheit ist, und sehe ich die Verknüpfung, welche die Unteilbarkeit der Einheit und der Gleichheit ist. Und ich nehme ein Rätselbild und sehe auf den Winkel a c b und betrachte den Punkt c als den ersten Ursprung des Winkels und die Linien c a und c b als zweiten Ursprung; der Punkt c ist dreieiner Ursprung, denn er ist Ursprung der Linie c a, die eine unbewegliche Linie ist, und der Linie c b, welche die Linie ist, ;J _ _ _ _ _ ( ____

b

c

die die Unterschiede formt. Und ich sehe den Punkt c als Verknüpfung beider, und (ich sehe) daß der Punkt c innerer und näherer Ursprung des Winkels ist, nämlich Ursprung und Ende des Winkels zugleich, denn der Winkel beginnt im Punkt c und findet dort auch sein Ende. 34 Während ich also in c den dreieinen Ursprung betrachte, sehe ich, daß er die Quelle ist, aus der zuerst die Einheit oder Notwendigkeit ausströmt, die alles eint und bindet. Dann sehe ich ihn als Ursprung, aus dem die Gleichheit ausströmt, die alles wie auch immer Verschiedene formt

De be.ryllo. Capitulum XXIV mans seu adaequans, quocumque motu hoc fieri oporteat. Sie video ipsum c principium, unde emanat nexus et conservatio omnium constrictorum et formatorum. Video igitur ipsum principium simplicissimum unitrinum, ut sua indivisibilitas sit perfectissima et sit omnium causa, quae in sua 188' indivisibili 1 essentia sine terna indivisibilitate subsistere 10 nequeunt.

Capitulum XXIV

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Tetigerunt philosophi hanc trinitatem, quam viderunt in principio esse, a causato ad causam ascendendo. Anaxagoras et ante eum Emortinus Clasomenus, ut vult Aristoteles, fuit primus, qui intellectuale vidit principium. Quem Plato extulit eius libros saepissime legens, quia visum sibi fuit quod magistrum invenisset. Et quae Plato de eo dicit, illa et Aristoteles. lpse enim Anaxagoras tarn Platoni quam Aristoteli oculos aperuit. Nisus est autem uterque hoc principium per rationem reperire. Et Plato principium, a 10 quo omnia condita, nominavit conditorem intellectum et eius patrem deum ac cunctorum causam. Et ita prima apud primum omnia esse dixit, ut sunt in triplici causa efficienti, formali et finali. Secundo dixit omnia esse in conditore intellectu, quem primam dicit dei creaturam, et asserit generationem eius a prima esse quasi filius a patre. Hunc intellectum, quem etiam sacrae litterae sapientiam ab initio et ante omnia saecula creatam et primogenitam omnis creaturae nominant, dicit conditorem quasi inter causam et causata sensibilia mediatorem, qui exsequitur imperium seu in- 20 tentionem patris. Tertio vidit per universum diffundi spiritum seu motum cuncta, quae in mundo sunt, conectentem et conservantem.

Apud igitur deum omnia vidit prima modo essendi primo 36 et simplicissimo, sicut omnia sunt in potestate effectiva et

Auffassungen der Philosophen

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oder gleichmacht, durch welche Bewegung dies auch geschehen muß. Dementsprechend sehe ich c als Ursprung, aus dem die Verknüpfung und Erhaltung alles Gebundenen und Geformten ausströmt. Ich sehe also den einfachsten Ursprung als dreieinen (und sehe), daß seine Unteilbarkeit höchst vollkommen ist und daß sie Ursache von allem ist, das in seiner unteilbaren Wesenheit ohne dreiheitliche Unteilbarkeit nicht bestehen kann.

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Kapitel 24

Die Philosophen berührten diese Dreifaltigkeit, die, wie sie sahen, im Ursprung ist, indem sie vom Verursachten zur Ursache aufstiegen. Anaxagoras und vor ihm Hermotimus aus Klazomenä, wie Aristoteles berichtet, war der erste, der den Ursprung als geistig ansah. Ihn (Anaxagoras) lobte Plato, der dessen Bücher sehr oft las, weil es ihm schien, daß er einen Lehrer gefunden habe. Und was Plato von ihm sagt, das sagt auch Aristoteles. Anaxagoras öffnete nämlich sowohl Plato wie Aristoteles die Augen. Beide bemühten sich aber, diesen Ursprung mittels des Verstandes zu finden. Und Plato nannte den Ursprung, von dem alles erschaffen ist, die Schöpfervernunft und ihren Vater Gott und Ursache von allem. Und erstens, sagte er, sei alles so bei dem Ersten, wie es in dreifacher Ursache ist, in der Wirk-, Form- und Finalursache. Zweitens, sagte er, sei alles in der Schöpfervernunft, die er das erste Geschöpf Gottes nennt, und versichert, ihre Erzeugung vom Ersten sei wie der Sohn vom Vater (erzeugt wird). Diese Vernunft, die auch die Heilige Schrift die von Anfang und vor aller Zeit erschaffene Weisheit und die Erstgeborene aller Schöpfung nennt, benennt Plato Schöpfer, gleichsam als den Mittler zwischen der Ursache und dem sinnenfälligen Verursachten, der den Befehl oder die Absicht des Vaters ausführt. Drittens sah er durch das Universum Geist oder Bewegung sich ergießen, alles, was in der Welt ist, verknüpfend und erhaltend. 36 Bei Gott also sah er alles erstens in der ersten und einfachsten Seinsweise, wie alles in der bewirkenden und all-

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De beryllo. Capitulum XXIV

omnipotenti. Secundo vidit omnia esse sicut in exsecutore imperii sapientissimo. Et hunc essendi modum vocat secundum. Tertio vidit omnia esse ut in instrumento exsecutoris, scilicet in motu, nam per motum quae fiunt ad effectum perducuntur. Et hunc essendi modum tertium animam mundi nominavit Aristoteles, licet non utatur terminis illis. Idem videtur dicere quoad deum, scilicet quod omnia apud ipsum sint ut in causa unitrina quodque omnes formae sint 10 in intelligentia motrice caeli et in motu animato anima nobili. lpse autem intelligentias plenas formis multiplicat secundum multitudinem orbium caeli, quia eas dicit motrices orbium. Tarnen secundum regulam suam omnium intelligentiarum moventium ad primum motorem necessario deveniri oportere ostendit. Et hunc nominat principem seu primum intellectum.

Plato autem considerans multitudinem intelligentiarum 37 vidit intellectum, cuius participatione omnes intelligentiae sunt intelligentiae. Et quia vidit primum deum absolutum, simplicissimum, imparticipabile et incommunicabile principium, ideo communicabilem intellectum in diis multis seu intelligentiis varie participatum et communicatum arbitrabatur primam creaturam. Ita etiam animam mundi, quae in omnibus animabus communicabiliter participatur, ante omnes animas, quasi in qua prioriter omnes complicantur ut in suo principio, esse credidit. De his igitur tribus essendi 10 modis prioriter et quomodo sortiantur nomina fatorum, in Docta ignorantia memor sum quaedam dixisse. Solum autem notes non esse necessarium universalem esse creatum intellectum aut universalem mundi animam propter participationem, quae Platonem movit. Sed ad omnem essendi modum sufficit abunde primum principium unitrinum, licet sit absolutum et superexaltatum, cum non sit principium contractum ut natura, quae ex necessitate operatur, sed sit

Auffassungen der Philosophen

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mächtigen Kraft ist. Zweitens sah er, daß alles ist wie in dem weisesten Vollstredcer des Befehls. Und diese Seinsweise nennt er die zweite. Drittens sah er, daß alles ist wie im Werkzeug des Vollstreckers, nämlich in der Bewegung, denn durch die Bewegung wird alles, was geschieht, zur Vollendung geführt. Und diese dritte Seinsweise nannte Aristoteles die Weltseele, wenngleich er diese Begriffe nicht verwendet. Bezüglich Gottes sagt er offensichtlich dasselbe, nämlich daß alles bei ihm ist wie in der dreieinen Ursache und daß alle Formen in der Intelligenz sind, die den Himmel bewegt, und in der Bewegung, die durch die edle Seele beseelt ist. Er vervielfältigt aber die von Formen erfüllten Intelligenzen entsprechend der Vielzahl der Himmelssphären, weil er sie als Beweger der Sphären bezeichnet. Dennoch zeigt er, daß man entsprechend seiner Regel mit Notwendigkeit zum ersten Beweger aller bewegenden Intelligenzen gelangen müsse. Und diesen nennt er Herrscher oder erste Vernunft. 37 Indem aber Plato die Vielzahl der Intelligenzen betrachtete, sah er die Vernunft, durch deren Teilhabe alle Intelligenzen Intelligenzen sind. Und weil er als das Erste Gott als den uneingeschränkten, einfachsten, nicht partizipierbaren und nicht mitteilbaren Ursprung sah, deshalb hielt er die mitteilbare Vernunft, die in vielen Göttern oder Intelligenzen in verschiedenartiger Weise partizipiert und mitgeteilt wird, für das erste Geschöpf. So glaubte er auch, die Weltseele, die in allen Seelen mitteilbar partizipiert wird, sei vor allen Seelen; in ihr würden alle Seelen gleichsam vorgängig als in ihrem Ursprung eingefaltet. Über diese drei vorgängigen Seinsweisen nun, und wie sie die Namen der Schicksalsgöttinnen erlangen, habe ich, wie ich mich erinnere, in der „Belehrten Unwissenheit" einiges gesagt. Indessen mußt du nur vermerken, daß es wegen der Teilhabe, die Plato (zu dieser Annahme) veranlaßte, nicht notwendig ist, daß es die universale geschaffene Vernunft oder die universale Weltseele gibt. Für jede Seinsweise ist vielmehr der erste dreieine Ursprung mehr als hinreichend, wenngleich er uneingeschränkt und hocherhaben ist, da er nicht eingeschränkter Ursprung wie die Natur ist, die aufgrund von

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De beryllo. Capitulum XXV

princ1pmm ipsius naturae et ita supernaturale, liberum, quod voluntate creat omnia. Illa vero, quae voluntate fiunt, in tantum sunt, in quantum voluntati conformantur, et ita eorum forma est intentio imperantis. lntentio autem est similitudo intendentis, quae est communicabilis et receptibilis in alio. Omnis igitur creatura est intentio voluntatis omnipotentis.

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Istud ignorabant tarn Plato quam Aristoteles. Aperte 38 enim uterque credidit conditorem intellectum ex necessitate naturae omnia facere, et ex hoc omnis eorum error secutus est. Nam licet non operetur per accidens sicut ignis per calorem, ut bene dicit Avicenna, nullum enim accidens cadere potest in eius simplicitatem, et per hoc videatur agere per essentiam, non tarnen propterea agit quasi natura seu instrumentum necessitatum per superioris imperium, sed per liberam voluntatem, quae est et essentia eius. Bene vidit Aristoteles in Metaphysica, quomodo omnia in principio 10 188" primo sunt ipsum, 1 sed non attendit voluntatem eius non esse aliud a ratione eius et essentia.

Capitulum XXV

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Quomodo autem Plato habuerit de unitrino princ1p10 conceptum et quam propinque admodum nostrae christianae theologiae, Eusebius Pamphili in libro Praeparatoriorum evangelii ex libris Noemü, qui secreta Platonis conscripsit, et Plotini atque aliorum collegit. Aristoteles etiam in sua Metaphysica, quam ipse theologiam appellat, multa conformia veritati ratione ostendit, scilicet principium esse intellectum penitus in actu, qui se ipsum intelligit, ex quo delectatio summa. Hoc quidem et theologi nostri dicunt in- 10 tellectum illum divinum se intelligendo de se et sua essentia et natura generare intelligibilem sui ipsius similitudinem adaequatissimam. lntellectus enim generat verbum, in quo est

Auffassungen der Philosophen

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Notwendigkeit wirkt, sondern Ursprung der Natur selbst und so übernatürlich und frei ist, daß er durch den Willen alles erschafft. Das aber, was durch den Willen geschieht, ist insoweit, als es dem Willen entsprechend geformt ist, und so ist seine Form die Absicht dessen, der befiehlt. Die Absicht aber ist eine Ähnlichkeit des Beabsichtigenden, welche mitteilbar und in einem anderen aufnehmbar ist. Jedes Geschöpf also ist Absicht des allmächtigen Willens. 38 Das wußten weder Plato noch Aristoteles. Denn offenkundig glaubte jeder von beiden, die Schöpfervernunft mache alles aus Naturnotwendigkeit, und daraus folgte ihr ganzer Irrtum. Denn wenn sie auch nicht durch ein Akzidens wirkt wie das Feuer durch die Wärme, wie Avicenna richtig sagt, denn kein Akzidens kann zu ihrer Einfachheit hinzukommen, und wenn sie deshalb offensichtlich durch die Wesenheit tätig ist, so ist sie darum nicht tätig wie die Natur oder ein durch den Befehl eines Höheren genötigtes Werkzeug, sondern durch freien Willen, der ihre Wesenheit ist. Richtig sah Aristoteles in der Metaphysik, daß alles im ersten Ursprung er selbst ist, aber er beachtete nicht, daß sein Wille nicht von seinem Verstand und seiner Wesenheit verschieden ist.

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Kapitel 25

In welcher Weise aber und wie ganz nahe unserer christlichen Theologie Plato einen Begriff vom dreieinen Ursprung hatte, entnahm Eusebius Pamphili in dem Buch „Vorbereitung des Evangeliums" aus den Büchern des Numenius, der die Geheimlehre Platos aufzeichnete, des Plotinus und anderer. Auch Aristoteles zeigt in seiner Metaphysik, die er selbst Theologie nennt, durch die Kraft des Verstandes vieles, das mit der Wahrheit übereinstimmt, nämlich daß der Ursprung vollkommen wirkliche Vernunft ist, die sich selbst erkennt, woraus höchste Freude entsteht. Das sagen auch unsere Theologen: jene göttliche Vernunft erzeuge, indem sie sich erkenne, von ihr und ihrer Wesenheit und Natur ein intelligibles, völlig gleiches Abbild ihrer selbst. Die Vernunft nämlich erzeugt das Wort, in welchem sie der

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De beryllo. Capitulum XXVI

substantialiter, et ex hoc procedit delectatio, in qua est generantis et geniti consubstantialitas. Verum si de hoc principio tu vis habere omnem possibilem scientiam, considera in omni principiato quo est, quid est et nexum, et per beryllum maximi pariter et minimi principiati respice in omnium principiatorum principium. In ipso principio perfectissime modo divino reperies trinitatem principium 20 simplicissimum omnis creaturae unitrinae. Et attende me in simplici conceptu principiati trinitatem unitatis essentiae exprimere per quo est et quid est et nexum, quae in sensibili substantia communiter nominantur forma, materia et compositum ut in homine anima, corpus et utriusque nexus.

Capitulum XXVI

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Aristoteles concordando omnes philosophos dicebat principia, quae substantiae insunt, contraria. Et tria nominavit principia, materiam, formam et privationem. Arbitror ipsum, quamvis super omnes diligentissimus atque acutissimus habeatur discursor, atque omnes in uno maxime defecisse. Nam cum principia sint contraria, tertium principium utique necessarium non attigerunt et hoc ideo, quia contraria simul in ipso coincidere non putabant possibile, cum se expellant. Unde ex primo principio, quod negat contradictoria simul 10 esse vera, ipse philosophus ostendit similiter contraria simul esse non posse.

Beryllus noster acutius videre facit, ut videamus opposita 41 in principio conexivo ante dualitatem, scilicet antequam sint

Die Dreifaltigkeit als einfachster Ursprung

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Substanz nach ist, und daraus geht die Freude hervor, in der die Wesensgleichheit des Erzeugenden und des Erzeugten ist. Indessen, wenn du von diesem Ursprung jedes mögliche Wissen haben willst, dann betrachte in jedem aus dem Ursprung Hervorgebrachten das „wodurch es ist", das „was es ist" und die Verknüpfung, und blicke durch den Beryll des zugleich größten und kleinsten aus dem Ursprung Hervorgebrachten zurück auf den Ursprung von allem aus dem Ursprung Hervorgebrachten. Im Ursprung selbst wirst du in höchster Vollkommenheit in göttlicher Weise die Dreifaltigkeit als einfachsten Ursprung jedes dreieinen Geschöpfes finden. Und beachte, daß ich in dem einfachen Begriff des aus dem Ursprung Hervorgebrachten die Dreifaltigkeit der Einheit der Wesenheit ausdrücke durch das „wodurch es ist" und das „was es ist" und durch die Verknüpfung, welche in der sinnenfälligen Substanz im allgemeinen Form, Materie und Zusammengesetztes genannt werden, zum Beispiel im Menschen Seele, Körper und die Verknüpfung beider.

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Kapitel 26

In seinem Bemühen, alle Philosophen in Übereinstimmung zu bringen, sagte Aristoteles, die Ursprünge, die in der Substanz sind, seien entgegengesetzt. Und er nannte drei Ursprünge: Materie, Form und Beraubung. Ich glaube, daß er, obwohl er als überaus sorgfältiger und scharfsinniger Logiker gilt, und alle anderen in einem sehr irrten. Denn weil die Ursprünge entgegengesetzt sind, berührten sie den durchaus notwendigen dritten Ursprung nicht und das deshalb, weil sie es nicht für möglich hielten, daß Gegensätze zugleich in ihm {dem dritten Ursprung) zusammenfallen, da sie sich ausschlössen. Daher zeigte der Philosoph auf Grund des ersten Prinzips, welches verneint, daß kontradiktorisch Entgegengesetztes zugleich wahr ist, daß in ähnlicher Weise (konträr) Entgegengesetztes nicht zugleich sein kann. 41 Unser Beryll läßt schärfer sehen, so daß wir Gegensätze im verknüpfenden Ursprung vor der Zweiheit sehen, näm-

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De beryllo. Capitulum XXVI

duo contradictoria, sicut si minima contrariorum videremus coincidere, puta minimum calorem et minimum frigus, minimam tarditatem et minimam velocitatem et ita de omnibus, ut haec sint unum principium ante dualitatem utriusque contrarii, quemadmodum in libello De mathematica perfectione de minimo arcu et minima chorda quomodo coincidant dixi. Unde sicut angulus minime acutus et minime obtusus est simplex angulus rectus, in quo minima contra- 10 riorum angulorum coincidunt, antequam acutus et obtusus sint duo anguli, ita est de principio conexionis, in quo simpliciter coincidunt minima contrariorum.

Quod si Aristoteles principium, quod nominat privationem, 42 sie intellexisset, ut scilicet privatio sit principium ponens coincidentiam contrariorum et ideo privatum contrarietate utriusque tamquam dualitatem, quae in contrariis est necessaria, praecedens, tune bene vidisset. Timor autem, ne contraria simul eidem inesse fateretur, abstulit sibi veritatem illius principii. Et quia vidit tertium principium necessarium et esse debere privationem, fecit privationem sine positione principium. Post hoc non valens bene evadere quandam videtur incohationem formarum in materia ponere, quae si 10 acute inspicitur, est in re nexus, de quo loquimur. Sed sie non intelligit nec nominat. Et ob hoc omnes philosophi ad spiritum, qui est principium conexionis et est tertia persona in divinis secundum nostram perfectam theologiam, non attigerunt, licet de patre et filio plerique eleganter dixerint, maxime Platonici, in quorum libris sanctus Augustinus evangelium loannis theologi nostri »in principio erat verbum« usque ad nomen Ioannis Baptistae et incarnationem Sf'

Auseinandersetzung mit Aristoteles

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lidi bevor sie zwei Entgegengesetzte sind, so wie wenn wir die kleinsten der Entgegengesetzten zusammenfallen sähen, zum Beispiel die kleinste Wärme und die kleinste Kälte, die kleinste Langsamkeit und die kleinste Sdinelligkeit und so von allem, so daß diese ein Ursprung vor der Zweiheit der beiden Entgegengesetzten sind, wie idi in dem Büdilein „Über die mathematisdie Vollendung" bezüglidi des kleinsten Kreisbogens und der kleinsten Sekante gesagt habe, daß sie zusammenfallen. Wie daher der am wenigsten spitze und der am wenigsten stumpfe Winkel der einfadie redite Winkel ist, in weldiem die kleinsten der entgegengesetzten Winkel zusammenfallen, bevor der spitze und der stumpfe zwei Winkel sind, so ist es bezüglidi des Ursprungs der Verknüpfung, in dem die kleinsten der Entgegengesetzten einfadihin zusammenfallen. 42 Wenn Aristoteles den Ursprung, den er Beraubung nennt, so verstanden hätte, daß nämlidi die Beraubung der Ursprung ist, der den Zusammenfall der Gegensätze setzt und deshalb der Gegensätzlidikeit beider (Entgegengesetzter) beraubt ist, weil er gleidisam der Zweiheit, die in Entgegengesetztem notwendig ist, vorausgeht, dann hätte er riditig gesehen. Die Furdit aber zuzugestehen, daß Gegensätze zugleidi in demselben sind, hielt ihm die Wahrheit über diesen Ursprung fern. Und weil er sah, daß ein dritter Ursprung notwendig ist und daß es die Beraubung sein muß, madite er die Beraubung ohne Setzung zum Ursprung. Danadi konnte er {den Sdiwierigkeiten) nidit gut entkommen und legte deshalb offenbar irgendwie eine'l Beginn der Formen in die Materie, der, wenn man ihn genau betraditet, in Wirklidikeit die Verknüpfung ist, von der wir reden. Aber so faßt Aristoteles es nidit auf und nennt es audi nidit so. Und deswegen sind alle Philosophen zum Geist, der der Ursprung der Verknüpfung und die dritte Person im Göttlidien ist gemäß unserer vollkommenen Theologie, nidit vorgedrungen, wenngleidi die meisten über den Vater und den Sohn vortreffiidi gesprodien haben, besonders die Platoniker. In deren Büchern fand der heilige Augustinus, wie er gesteht, das Evangelium unseres Theologen Johannes „Im Ursprung war das Wort" bis zum Namen Johannes des

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De beryllo. Capitulum XXVII

repperisse fatetur. In quo quidem evangelio de spiritu sancto nulla fit mentio.

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Capitulum XXVII

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Oportet te valde haec quae dixi de hoc tertio notare principio. Dicit Aristoteles et bene principia esse minima et indivisibilia quoad magnitudinem quantitatis, maxima quoad magnitudinem virtutis. Unde neque forma est divisibilis neque materia divisibilis, quia non est nec qualis nec quanta, neque nexus divisibilis. Essentia igitur, quae in istis subsistit, est indivisibilis. Et quia intellectus noster, qui non potest concipere simplex, cum conceptum faciat in imaginatione, quae ex sensibilibus sumit principium seu subiectum imagi- 10 nis suae seu figurae, hinc est quod intellectus essentiam rerum concipere nequit. Videt tarnen eam supra imaginationem et conceptum suum indivisibilem triniter subsistere.

Unde dum sie attente advertit, videt substantiam corpo- 44 ralem ut substantiam indivisibilem, sed per accidens divisibilem. Ideo dum dividitur corpus, non dividitur substantia, quia non dividitur in non corpus aut in partes substantiales, scilicet formam, materiam et nexum, quae proprius dicuntur principia quam partes, quia esset dividere indivisibile ab indivisibili sicut punctum a puncto, quod non est possibile. Sed continuum dividitur in continua, potest enim eius subiectum, scilicet quantitas, recipere maius et minus. Posse autem dividi venit ab indivisibili materia, quae non est 10 indivisibilis propter unitatem ut forma seu parvitatem ut nexus, sed propter informitatem sicut nondum ens. Ideo dum est ens per formam, quae se ei valde immergit et fit multum materialis, tune propter materiam dividitur quantitas. Unde

Auseinandersetzung mit Aristoteles

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Täufers und bis zur Fleischwerdung. In diesem Evangelium wird freilich der Heilige Geist nicht erwähnt. 43

Kapitel 27

Du mußt sehr sorgfältig beachten, was ich über diesen dritten Ursprung gesagt habe. Aristoteles sagt, und zwar richtig, daß die Ursprünge Kleinstes seien und unteilbar hinsichtlich der Größe der Ausdehnung, Größtes aber hinsichtlich der Größe der Wirkkraft. Daher ist weder die Form teilbar noch die Materie teilbar, weil sie weder WieBeschaffen noch Wie-Groß ist, noch ist die Verknüpfung teilbar. Die Wesenheit also, die in ihnen besteht, ist unteilbar. Und weil unsere Vernunft, die das Einfache nicht begreifen kann, weil sie den Begriff in der Einbildungskraft bildet, die aus dem Sinnenfälligen den Ursprung oder das Zugrundeliegende ihres Bildes oder Gebildes nimmt, daher kommt es, daß die Vernunft die Wesenheit der Dinge nicht begreifen kann. Sie sieht jedoch, daß diese über der Einbildungskraft und über ihrem Begriff unteilbar in dreieiner Weise besteht. 44 Wenn sie so aufmerksam darauf achtet, sieht sie daher, daß die körperliche Substanz als Substanz unteilbar, akzidentell aber teilbar ist. Wenn der Körper geteilt wird, wird deshalb die Substanz nicht geteilt, weil sie nicht geteilt wird in Nichtkörper oder in substantielle Teile, nämlich in Form, Materie und Verknüpfung, die angemessener „Ursprünge" als „Teile" genannt werden; denn das würde bedeuten, Unteilbares von Unteilbarem abzuteilen wie den Punkt vom Punkt, was nicht möglich ist. Stetiges aber wird in stetige (Teile) geteilt; denn das ihm Zugrundeliegende, nämlich die Quantität, kann ein Mehr und Minder aufnehmen. Geteiltwerdenkönnen aber kommt her von der unteilbaren Materie, die nicht wegen der Einheit wie die Form oder wegen der Kleinheit wie die Verknüpfung unteilbar ist, sondern wegen der Formlosigkeit wie das noch nicht Seiende. Da sie also seiend ist durch die Form, die sich tief in sie einsenkt und sehr stofflich wird, dann ist die Quantität wegen der Materie teilbar. Daher wirst du durch das Rätselbild

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.De beryllo. Capitulum XXVIII

per aenigma poteris düferentias talium formarum investigare, quae sunt multum materiales et immersae et quae minus et quae valde simplices. Et quoniam omnis corruptio, mutabilitas et divisio est a materia, statim videbis causas generationum et corruptionum et quaeque talia.

Capitulum XXVIII

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Aristoteles quando Politicam conscribere proposuit, ad minimum tarn oeconomicae quam politicae se contulit et in illo minimo, quomodo maximum se habere deberet, vidit dicens sie in aliis similiter faciendum. In Metaphysica autem dicit curvum et rectum in natura contrariari, quare unum non posse converti in aliud. In primo bene dixit, et puto quod, si quis maxima quaeque scire quaesierit et ad minimum oppositorum se converterit, utique secreta scibilia investigabit. In secundo de curvo et recto non bene con- 10 sideravit, nam opponuntur et unum est utriusque minimum. Ipse forte haec sie dixit, ut ignorantiam suam de quadratura circuli, cuius mentionem saepe facit, excusaret. Habes autem superius principium esse indivisibile omni modo, quo divisio est in principiatis. Principiata igitur, quae contrarie dividuntur, habent principium eo modo indivisibile. Ideo contraria eiusdem sunt generis. Facies tibi scientiam mediante beryllo et aenigmate de principio oppositorum et düferentia et omnibus circa illa attingibilibus, sie generaliter de scientia per principium scibilium et differentiis eorum, uti in simili 20 audisti superius. Unus est enim in omnibus agendi modus.

Auseinandersetzung mit Aristoteles

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die Unterschiede solcher Formen erforschen können, die sehr stofflich und tief (in die Materie) eingedrungen sind, solcher, die das weniger sind, und solcher, die sehr einfach sind. Und da alles Vergehen, alle Veränderlichkeit und Teilung von der Materie stammt, wirst du alsbald die Ursachen für Entstehen und Vergehen sehen und alles, was damit zusammenhängt.

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Kapitel 28 Als Aristoteles sich vornahm, die Politik abzufassen, wandte er sich dem Kleinsten sowohl (im Bereich) der Ökonomie als auch der Politik zu und sah in jenem Kleinsten, wie das Größte sich verhalten muß, und sagte, ähnlich müsse man so bei anderem verfahren. In der Metaphysik aber sagt er, das Krumme und das Gerade seien in ihrer Natur einander entgegengesetzt, deshalb könne eines nicht ins andere verkehrt werden. Im ersten sprach er richtig, und ich glaube, daß, wenn jemand gerade das Größte zu wissen sucht und sich dem Kleinsten des Entgegengesetzten zuwendet, er durchaus Wißbares, das verborgen ist, aufspüren wird. Im zweiten, bezüglich des Krummen und Geraden, überlegte er nicht gut, denn sie sind Gegensätze, und das eine ist das Kleinste von beiden. Er sagte das vielleicht so, um seine Unwissenheit bezüglich der Quadratur des Kreises, die er oft erwähnt, zu entschuldigen. Du hast aber weiter oben (gehört), daß der Ursprung unteilbar ist für jede Weise, in der Teilung möglich ist in dem aus dem Ursprung Hervorgebrachten. Das aus dem Ursprung Hervorgebrachte, das gegensätzlich geteilt wird, hat einen Ursprung, der in dieser Weise nicht teilbar ist. Deshalb gehört (konträr) Entgegengesetztes derselben Gattung an. Du wirst dir vermittelst des Beryll und Rätselbildes Wissen verschaffen vom Ursprung des Entgegengesetzten und von dessen Verschiedenheit und von allem, das diesbezüglich erreicht werden kann, (und) so allgemein vom Wissen mit Hilfe des Ursprungs des Wißbaren und von dessen Verschiedenheiten, wie du im Gleichnis weiter oben gehört hast. Es gibt nämlich nur eine Verfahrensweise in allem.

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De beryllo. Capitulum XXVIII

Sie si forte velis magnum Dionysium, qui deo multa 46 nomina tribuit, ampliando ad beneplacitum extendere, cum beryllo et aenigmate ad euiuslibet nominis prineipium pergas et quidquid humanitus dici potest deo te semper dirigente videbis. Etiam causas in natura subtilius attinges, scilicet quare »generatio unius est corruptio alterius«. Videndo enim per beryllum unum eontrarium vides in eo esse prineipium alterius eontrarii, puta dum vides per maximam pariter et minimam ealiditatem principium ealiditatis non esse nisi indivisibilitatem omni modo divisionis ealoris et ab omni 10 ealore separatum. Prineipium enim nihil est omnium principiatorum, principiata autem principii ealoris sunt ealida, non est igitur ealidum ealoris principium. ld autem, quod est eiusdem generis et non ealidum, video in frigido. Et ita de eontrariis aliis. Cum ergo in uno contrario sit principium alterius, ideo sunt cireulares transmutationes et commune utriusque eontrarii subieetum.

Sie vides quomodo passio transmutatur in aetionem, sieut 47 189" discipulus patitur informationem, ut fiat magister 1 seu informator, et subieetum post passionem ealefaetionis mutatur in ignem ealefaeientem, et sensus patitur impressionem speciei obieeti, ut fiat aetu sentiens, et materia impressionem formae, ut sit aetu. Oportet autem, ut advertas, quando de eontrariis dieo, quomodo illa, quae sunt eiusdem generis et aeque divisibilia, denoto, tune enim in uno est alterius prineipium.

Ursprungs- und Ursachenerkenntnis

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Wenn du vielleicht den großen Dionysius, der Gott viele Namen erteilt, erweitern und nach Belieben ausdehnen willst, kannst du mit dem Beryll und dem Rätselbild zum Ursprung eines jeden beliebigen Namens vordringen, und du wirst, wenn Gott dich immer leitet, alles sehen, was auf menschliche Weise gesagt werden kann. Auch die Ursachen in der Natur wirst du gründlicher erfassen, nämlich weshalb „das Entstehen des einen das Vergehen des anderen ist". Wenn du nämlich durch den Beryll ein Gegensatzglied siehst, siehst du, daß in ihm der Ursprung des anderen Gegensatzgliedes ist; zum Beispiel wenn du durch die zugleich größte und kleinste Wärme siehst, daß der Ursprung der Wärme nur die Unteilbarkeit in jeder Weise der Teilung der Wärme ist und daß er von jeder Wärme getrennt ist. Der Ursprung nämlich ist nichts von allem aus dem Ursprung Hervorgebrachten; das aus dem Ursprung der Wärme Hervorgebrachte aber ist das Warme; das Warme ist also nicht Ursprung der Wärme. Das aber, was derselben Gattung angehört und nicht warm ist, sehe ich im Kalten. Und so bezüglich anderer Gegensätze. Da also in dem einen Gegensatzglied der Ursprung des anderen ist, deshalb sind die Verwandlungen kreisförmig und gibt es ein gemeinsames Zugrundeliegendes für die beiden Gegensatzglieder. So siehst du, daß Erleiden in Tätigsein verwandelt wird, 47 wie z.B. der Schüler den Unterricht erleidet, um Lehrer oder Unterrichtender zu werden, das Zugrundeliegende nach dem Erleiden der Erwärmung in erwärmendes Feuer verwandelt wird, der Sinn den Eindrud< des Erkenntnisbildes des Objekts erleidet, um wirklich wahrnehmend zu werden, die Materie den Eindrud< der Form erleidet, um wirklich zu sein. Du mußt aber beachten, wenn ich von Gegensätzen spreche, daß ich auf diejenigen hinziele, die derselben Gattung angehören und in gleicher Weise teilbar sind; dann nämlich ist in dem einen (Gegensatzglied) der Ursprung des anderen.

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De beryllo. Capitulum XXIX Capitulum XXIX

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Videtur mihi utique te post haec quaerere, quid ego aestimem ens esse, scilicet quaenam sit substantia. Volo tibi quantum possum satisfacere, quamvis superiora quae dicturus sum contineant. Aristoteles scribit hanc quaestionem antiquam. Omnes indagatores veritatis semper quaesierunt huius dubii solutionem et adhuc quaerunt, ut ait. lpse autem resolvit a solutione illius dubii omnem scientiam dependere. Scire enim 'quid erat esse', hoc est rem ideo hoc esse, puta domum, quia 'quod erat esse domui' hoc est, est attigisse 10 altissimum scibile. Dum autem circa hoc sollicite quaereret, sursum deorsumque pergeret, et repperisset nec materiam fieri substantialem, cum sit possibilitas essendi. Quae si ab alio esset, id a quo possibilitas essendi fuisset, cum nihil nisi possibile fieri fiat, ideo non est possibilitas a possibilitate. Non ergo fit materia ab aliquo alio neque a nihilo, quia de nihilo nihil fit. Deinde ostendit formam non fieri, oporteret enim quod ab ente in potentia fieret et sie de materia. Et exemplificat quomodo rotundans aes non facit sphaeram aeneam, sed quae erat semper sphaera inducitur in materiam aeris. 20 Compositum igitur fit tantum. Formam igitur, quae format actu in composito, nominat 'quod erat esse' et, dum ipsam separatam conspicit, nominat speciem.

Quid autem sit illa substantia, quam nominat 'quod erat 49 esse', dubitat. Nescit enim, unde veniat aut ubi subsistat et an sit ipsum unum aut ens aut genus vel si sit ab idea, quae sit substantia in se subsistens, aut si educitur de potentia materiae et si sie, quomodo hoc fiat. Oportet enim quod omne ens in potentia per ens in actu perducatur in actum.

Die Substanz

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Kapitel 29

Ich glaube durchaus, daß du mich hiernach fragst, was meiner Auffassung nach das Seiende sei, das heißt: was die Substanz sei. Ich will deinem Verlangen, soweit ich kann, Genüge tun, obschon das weiter oben (Ausgeführte) enthält, was ich sagen werde. Aristoteles schreibt, das sei eine alte Frage. Alle Wahrheitssucher haben immer nach der Lösung dieses Problems gesucht und suchen noch, wie er sagt. Er selbst aber eröffnet, von der Lösung dieses Problems hänge jedes Wissen ab. Denn das Wesenswas wissen, das heißt wissen, daß ein Ding deshalb dieses ist, z. B. ein Haus, weil dieses das Haussein ist, bedeutet, das höchste Wißbare erreicht zu haben. Während er aber erregt hiernach gesucht und seine Suche nach oben und nach unten fortgesetzt habe, hätte er auch gefunden, daß die substantielle Materie nicht werde, da sie die Möglichkeit des Seins sei. Wenn sie nämlich von einem anderen her wäre, wäre dieses, woher sie ist, die Seinsmöglichkeit gewesen, da nichts außer dem, das zu werden möglich ist, wird. Deshalb ist die Möglichkeit nicht von der Möglichkeit her. Die Materie wird also nicht von irgendetwas anderem her und auch nicht vom Nichts, weil aus Nichts nichts wird. Danach zeigte er, daß die Form nicht wird; sie müßte nämlich vom Seienden in der Möglichkeit und demnach aus der Materie werden. Und als Beispiel führte er an, daß rundes Erz nicht die eherne Kugel macht, sondern daß das, was immer Kugel war, in die Materie des Erzes hineingeführt wird. Nur das Zusammengesetzte also wird. Die Form also, die wirklich im Zusammengesetzten formt, nennt er Wesenswas, und wenn er sie als getrennte betrachtet, nennt er sie Wesensgestalt. 49 Was aber jene Substanz ist, die er Wesenswas nennt, darüber ist er unschlüssig. Er weiß nämlich nicht, woher sie kommt oder wo sie besteht und ob sie das Eine selbst oder das Seiende oder die Gattung ist oder ob sie von der Idee her ist, die in sich bestehende Substanz ist, oder ob sie aus der Möglichkeit der Materie herausgeführt wird und wenn ja, wie das geschieht. Jedes Seiende in der Möglichkeit nämlich muß durch ein Seiendes in der Wirklichkeit in die Wirklich-

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De beryllo. Capitulum XXX

Actus enim nisi prior foret potentia, quomodo potentia veniret in actum? Si enim se ipsam poneret in actu, esset in actu, antequam esset in actu. Et si est prius in actu, erit igitur species aut idea separata. Nec hoc videtur. Oporteret enim 10 idem esse separatum et non separatum, cum non possit dici quod sit alia species separata et alia substantia 'quod erat esse'. Si enim alia, non est 'quod erat esse', et si sunt species separatae a sensibilibus, oportet illas esse vel ut numeros vel ut magnitudines separatas sive mathematicales formas. Sed cum illae dependeant a materia et subiecto, sine quo mathematicalia non habent esse, non sunt igitur separatae. Et si non sunt species separatae, non sunt universales, neque scientia de ipsis fieri potest.

Per talia multa subtilissime discurrit nec se plene, ut 50 videtur, figere potuit propter dubium specierum et idearum. Etiam Socrates iuvenis et senex, ut Proculus dicit, de hoc dubitavit. Tarnen magis elegit opinionem, scilicet quod, quamvis sint aliquae substantiae separatae a materia, tarnen species non sunt separatae substantiae, sicut nec species artis, scilicet domus, non habet esse substantiale a materia separatum. Sed quaestionem illam saepius movens semper esse difficillimam conclusit.

Capitulum XXX Ego autem attendo quomodo, etsi Aristoteles repperisset species aut veritatem circa illa, adhuc propterea non potuisset attigisse 'quod erat esse' nisi eo modo, quo quis attingit hanc mensuram esse sextarium, quia est 'quod erat esse

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Wesenswas

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keit überführt werden. Wenn nämlich die Wirklichkeit nicht früher wäre als die Möglichkeit, wie könnte die Möglichkeit in die Wirklichkeit kommen? Wenn sie sich nämlich selbst in die Wirklichkeit setzte, wäre sie in Wirklichkeit, bevor sie in Wirklichkeit wäre. Und wenn sie früher in Wirklichkeit ist, wird sie also getrennte Wesensgestalt oder getrennte Idee sein. Und das ist offensichtlich nicht so. Dasselbe müßte nämlich getrennt und nicht getrennt sein, da nicht gesagt werden kann, daß ein anderes die getrennte Wesensgestalt und ein anderes die Wesenswas (genannte) Substanz sei. Wenn sie nämlich ein anderes ist, ist sie nicht Wesenswas, und wenn die Wesensgestalten getrennt vom Sinnenfälligen sind, müssen sie entweder wie Zahlen oder wie getrennte Größen oder mathematische Formen sein. Aber da diese von der Materie und dem Zugrundeliegenden abhängen, ohne welches das Mathematische nicht das Sein hat, sind sie also nicht getrennt. Und wenn die Wesensgestalten nicht getrennt sind, sind sie nicht allgemein, und es kann kein Wissen über sie aufkommen. 50 Vieles derartige durchdachte Aristoteles mit großem Scharfsinn und konnte sich offensichtlich nicht völlig festlegen wegen des Problems der Wesensgestalten und Ideen. Auch Socrates war, wie Proclus sagt, sich diesbezüglich in seiner Jugend und im Alter unschlüssig. Dennoch neigte er mehr der Auffassung zu, daß die Wesensgestalten, obwohl einige Substanzen von der Materie getrennt sind, dennoch nicht getrennte Substanzen sind, wie auch nicht die Wesensgestalt eines künstlichen Gebildes, zum Beispiel eines Hauses, [k]ein substantielles von der Materie getrenntes Sein hat. Aber diese Frage warf er öfter auf und kam immer zu dem Ergebnis, sie sei sehr schwierig.

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K a p i t e l 30 Ich aber achte darauf, daß Aristoteles, auch wenn er die Wesensgestalten oder die Wahrheit hierüber gefunden hätte, deshalb noch nicht auf das Wesenswas hätte kommen können, es sei denn in der Weise, in der jemand darauf kommt, daß dieses Maß hier ein Schoppen ist, weil es das

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De beryllo. Capitulum XXXI

sextario', puta quia sie est, ut a principe rei publicae, ut sit sextarium, est constitutum. Cur autem sie sit et non aliter constitutum, propterea non sciret, nisi quod demum resolutus diceret: »Quod principi placuit, legis vigorem habet.« Et ita dico cum sapiente quod omnium operum dei nulla 10 est ratio, scilicet cur caelum caelum et terra terra et homo homo, nulla est ratio nisi quia sie voluit qui fecit. Ulterius 190' investigare est fatuum, ut in simili dicit Aristotelles, velle inquirere primi principii 'quodlibet est vel non est' demonstrationem. Sed dum attente consideratur omnem creaturam nullam habere essendi rationem aliunde, nisi quia sie creata est, quodque voluntas creatoris sit ultima essendi ratio sitque ipse deus creator simplex intellectus, qui per se creat, ita quod voluntas non sit nisi intellectus seu ratio, immo fons rationum, tune clare videt quomodo id, quod voluntate 20 factum est, ex fonte prodiit rationis, sicut lex imperialis non est nisi ratio imperantis, quae nobis voluntas apparet.

C a p i t u 1 u m XXXI

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Est igitur, ut accedamus propius, adhuc considerandum quomodo noster intellectus suum conceptum ab imaginatione, ad quam continuatur, nescit absolvere et ideo in suis intellectualibus conceptibus, qui sunt mathematicales, ponit figuras, quas imaginatur ut substantiales esse formas, et in illis et numeris intellectualibus ponit considerationes, quia illa sunt simpliciora quam sensibilia, quia intelligibilis materiae. Et cum omnia hauriat per sensum, ideo in istis subtilioribus et incorruptibilibus figuris a qualitatibus sensi- 10 bilibus absolutis fingit se omne attingibile passe similitudinarie saltem apprehendere. Quare quidam ponit substantiale

Der Wille als Vernunft oder Wesensgrund

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Schoppensein ist, nämlich weil es so ist, wie vom Herrscher des Staates festgesetzt wurde, daß ein Schoppen sei. Weshalb der Schoppen aber so und nicht anders festgesetzt wurde, wüßte er deshalb nicht, es sei denn, er sagte schließlich entschlossen: „Was dem Herrscher gutdünkte, hat Gesetzeskraft." Und so sage ich mit dem Weisen, daß für alle Werke Gottes es keinen Grund gibt; das heißt, warum der Himmel Himmel und die Erde Erde und der Mensch Mensch ist, dafür gibt es keinen Grund als den, daß der, der (sie) schuf, es so wollte. Darüber hinaus zu forschen ist töricht, wie Aristoteles im Gleichnis sagt, (es sei töricht,) einen Beweis für das erste Prinzip „Jedwedes ist oder ist nicht" zu suchen. Aber wenn man aufmerksam betrachtet, daß jedes Geschöpf keinen Seinsgrund anderswoher hat als daher, daß es so geschaffen ist, und daß der Wille des Schöpfers letzter Seinsgrund ist und daß Gott, der Schöpfer, einfache Vernunft ist, die durch sich selbst schafft, so daß der Wille nichts anderes ist als Vernunft oder Wesensgrund, vielmehr Quelle der Wesensgründe, dann sieht man klar, daß das, was durch den Willen gemacht ist, aus der Quelle des (wesensgründenden) Verstandes hervorging, so wie das Herrschergesetz nichts anderes als der Verstand des Herrschers ist, der uns als Wille erscheint.

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Kapitel 31 Es ist also, damit wir näher kommen, noch in Betracht zu ziehen, daß unsere Vernunft ihren Begriff von der Einbildungskraft, mit der sie zusammenhängt, nicht zu lösen weiß und deshalb ihre Vernunftbegriffe, die mathematisch sind, Grundlage sein läßt für Figuren, die sie sich vorstellt, als seien sie substantielle Formen, und diese und die Vernunftzahlen läßt sie Grundlage sein für ihre Betrachtungen, weil diese Dinge einfacher sind als die sinnenfälligen, weil sie von intelligibler Materie sind. Und da sie alles durch die Sinne schöpft, deshalb glaubt sie, in diesen genaueren und unvergänglichen, von den sinnenfälligen Qualitäten gelösten Figuren alles Erreichbare wenigstens gleichnishaft erfassen zu können. Deshalb nimmt der eine an, der substantielle

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De beryllo. Capitulum XXXII

elementum esse ut unum et substantias ut numeros, alius ut punctum, et ita quae ex his sequuntur. Unde eo modo videtur secundum has intellectuales con- 53 ceptiones quod indivisibilitas sit principium prius omnibus. Nam est ratio, cur unum et punctus et omne principium est principium, scilicet quia indivisibile. Et secundum intellectualem conceptum indivisibile est formalius et praecisius principium, quod tarnen non potest nisi negative attingi, sed in omnibus divisibilibus attingitur, uti supra patuit. Sublata enim indivisibilitate constat nihil substantiae manere atque ideo omnem subsistentiam tantum habere esse et substantiae quantum indivisibilitatis. Sed, ut bene dicit Aristoteles, haec 10 negativa de principio scientia obscura est. Cognoscere enim substantiam non esse quantitatem, qualitatem aut aliud accidens non est clara scientia sicut illa, quae positive ipsam ostendit. Nos autem oculo mentis hie in aenigmate per speculum innominabilem indivisibilitatem nullo nomine per nos nominabili aut nullo conceptu formabili apprehensibilem cognoscentes, verissime eam videntes in excessu non turbamur nostrum principium omnem claritatem et accessibilem lucem excedere, sicut plus gaudet, qui reperit thesaurum vitae suae innumerabilem et inexhauribilem quam numera- 20 bilem et consumptibilem.

C a p i t u 1 u m XXXII Post haec ad memoriam revocemus ea, quae supra dixi de intentione, scilicet quomodo creatura est intentio conditoris, et consideremus intentionem esse verissimam quiditatem eius. Nam a simili, cum quis nobis loquitur, si nos quiditatem attingimus sermonis, non nisi intentionem loquentis

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Die Unteilbarkeit als Ursprung

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Anfangsgrund sei wie die Eins und die Substanzen seien wie die Zahlen, ein anderer (nimmt an, er sei) wie der Punkt, und entsprechend, was hieraus folgt. 53 Hieraus ist auf diese Weise entsprechend diesen Vernunftauffassungen offensichtlich, daß die Unteilbarkeit der allem gegenüber frühere Ursprung ist. Denn sie ist der Wesensgrund, warum die Eins und der Punkt und jeder Ursprung Ursprung ist, nämlich weil er unteilbar ist. Und gemäß dem Vernunftbegriff ist das Unteilbare formhafterer und genauerer Ursprung, der jedoch nur in der Weise der Verneinung berührt werden kann, aber in allem Teilbaren berührt wird, wie oben klar wurde. Ist nämlich die Unteilbarkeit aufgehoben, so steht fest, daß nichts von der Substanz bleibt und daß deshalb jede individuelle Substanz nur soviel von Sein und Substanz hat, wie sie von der Unteilbarkeit hat. Aber, wie Aristoteles richtig sagt, dieses negative Wissen vom Ursprung ist dunkel. Denn erkennen, daß die Substanz nicht Quantität ist, Qualität oder ein anderes Akzidens, ist nicht klares Wissen wie das, welches die Substanz in positiver Weise zeigt. Wir aber, die wir mit dem Auge des Geistes hier im Rätselbild durch einen Spiegel die unnennbare Unteilbarkeit erkennen, die durch keinen von uns benennbaren Namen noch durch einen (von uns) formbaren Begriff erfaßt werden kann, und die wir sie am wahrsten im überstieg sehen, lassen uns nicht in Verwirrung bringen, daß unser Ursprung jede Klarheit und jedes zugängliche Licht übersteigt, so wie sich mehr freut, wer einen unzählbaren und unausschöpfbaren Schatz seines Lebens findet, als wer einen zählbaren und aufbrauchbaren findet.

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Kapitel 32 Hiernach wollen wir uns das ins Gedächtnis zurückrufen, was ich oben über die Absicht gesagt habe, nämlich daß das Geschöpf Absicht des Schöpfers ist, und wir wollen betrachten, daß die Absicht seine wahrste Washeit ist. Denn, um ein Gleichnis zu verwenden, wenn jemand mit uns spricht und wir die Washeit der Rede erfassen, erfassen wir nichts als die Absicht des Sprechenden. So, wenn wir

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De beryllo. Capitulum XXXIII

attingimus. Sie cum per sensus species sensibiles haurimus, illas quantum fieri potest simplificamus, ut quiditatem rei videamus cum intellectu. Simplificare autem species est abicere accidentia corruptibilia, quae non possunt esse 10 quiditas, ut in subtilioribus phantasmatibus discurrendo quasi in sermone seu scriptura ad intentionem conditoris intellectus perveniamus scientes quod quiditas rei illius, quae in illis signis et figuris rei sensibilis sicut in scriptura aut sermone vocali continetur, est intentio intellectus, u\ sensibile sit quasi verbum conditoris, in quo continetur ipsius intentio, qua apprehensa scimus quiditatem et quiescimus. Est autem intentionis causa manifestatio, intendit enim se sie manifestare ipse loquens seu conditor intellectus. Apprehensa igitur intentione, quae est quiditas verbi, habe- 20 mus 'quod erat esse'. Nam 'quod erat esse' apud intellectum est in intentione apprehensum, sicut in perfecta domo est intentio aedificatoris apprehensa, quae erat apud eius in190" tellectum. 1

Capitulum XXXIII

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Scias etiam me alium quendam in inquisitoribus veritatis, ut puto, defectum repperisse. Nam Plato dicebat circulum, uti nominatur aut diffinitur, pingitur aut mente concipitur, considerari posse quodque ex his natura circuli non habeatur, sed quod solo intellectu eius quiditas, quae sine omni contrario simplex et incorruptibilis exsistit, videatur. lta quidem Plato de omnibus asseruit. Sed nec ipse nec alius quem legerim advertit ad ea, quae in quarto notabili praemisi. Nam si considerasset hoc, repperisset utique mentem 10 nostram, quae mathematicalia fabricat, ea, quae sui sunt officii, verius apud se habere quam sint extra ipsam.

Wesenswas und Absi