Das Werk des international anerkannten Nervenarztes Hans Berger, das oftmals auf die Entdeckung des EEG reduziert wird,
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German Pages 330 [331] Year 2011
Joachim Bauer / Harald Kluge (Hg.) Das wissenschaftliche Gesamtwerk des Jenaer Nervenarztes Hans Berger
Joachim Bauer / Harald Kluge (Hg.)
Das wissenschaftliche Gesamtwerk des Jenaer Nervenarztes Hans Berger
Unter Mitarbeit von Marcus Müggenburg
Franz Steiner Verlag
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INHALTSVERZEICHNIS Otto W. Witte und Heinrich Sauer VORWORT......................................................................................
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1.
EINLEITUNG..................................................................................
9
2.
WISSENSCHAFTLICHE BASISVORSTELLUNGEN UND ARBEITSHYPOTHESEN BERGERS UND SEINER WEGBEREITER..............................................................................
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2.1. 2.2. 2.3. 3.
Grundlagen für Bergers Konzept der „psychischen Energie“ und der „Dissimilationshypothese“......................................................... Berger und die Haltung seines Umfeldes zum „psychophysischen Parallelismus“ .................................................................................. Bergers Erläuterungen zur „empirischen Psychologie“ ...................
21 35 37
BERGERS ARBEITEN ZUR ZEREBRALEN BLUTZIRKULATION – DER „PLETHYSMOGRAPHISCHE“ UNTERSUCHUNGSKOMPLEX....................................................
40
3.1. 3.2. 3.3.
Methodische Einführung und Literaturbezug .................................. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte...................... Effekte psychischer Leistungen .......................................................
40 49 69
4.
BERGERS UNTERSUCHUNGEN ZUR HAUT- UND HIRNTEMPERATUR ...............................................................................
85
BERGERS „ELEKTRENKEPHALOGRAMM“ IM ZUSAMMENHANG MIT SEINEN KONZEPTIONEN ZUR PSYCHOPHYSIOLOGIE UND „PSYCHISCHEN ENERGIE“ ....
93
5.
5.1. 5.2.
Bergers EEG-Konzeption im Wandel .............................................. Bergers Vorstellungen zum Ursprung der Alpha- und BetaWellen ..............................................................................................
96 104
6 5.3.
Inhaltsverzeichnis
5.4. 5.5.
Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung seiner Alphaund Beta-Wellen............................................................................... Aktuelle Grundlagen und Anwendungsgebiete des EEG ................ Berger und die Nobelpreisfrage .......................................................
110 127 137
6.
ANHANG ........................................................................................
140
6.1.
6.6. 6.7.
Die von Hans Berger während seines Studiums in Jena besuchten Lehrveranstaltungen ......................................................................... Die Lehrveranstaltungen Hans Bergers an der Jenaer Universität .. Die „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“ (1921) und „Über die Lokalisation im Großhirn“. Rede anläßlich der akademischen Preisverleihung am 18. Juni 1927 .................................................... Bibliographie.................................................................................... Gesamtliste der Publikationen von Hans Berger.............................. Auswahl zitierter und zu Leben und Werk Bergers verfasster Publikationen.................................................................................... Übersicht über die an der Friedrich-Schiller-Universität befindlichen Quellen zu Hans Berger .............................................. Universitätsarchiv Jena .................................................................... Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik „Ernst-Haeckel-Haus“................................................. Abbildungsverzeichnis ..................................................................... Personenregister ...............................................................................
160 160 161
7.
FAKSIMILES ..................................................................................
163
6.2. 6.3. 6.4. 6.4.1. 6.4.2. 6.5. 6.5.1. 6.5.2.
140 141 147 150 150 155 160 160
VORWORT Hans Berger ist der Entdecker des Elektroenzephalogramms und der Namensgeber der von uns geleiteten Kliniken. Die Entdeckung des EEG durch Hans Berger ist weit bekannt, wenig erarbeitet ist allerdings im Vergleich dazu der wissenschaftliche Hintergrund und die sonstige wissenschaftliche Gedankenwelt von Herrn Berger, die die Grundlage dieser Entdeckung bildet. Die Autoren Harald Kluge und Joachim Bauer haben nun umfangreiches Quellenmaterial erschlossen, das das Werk von Hans Berger in seiner ganzen Breite darstellt und damit auch ein besseres Verständnis der Entdeckung von Hans Berger ermöglicht. Dafür wurden viele, bisher nicht veröffentlichte Quellen gesichtet und verarbeitet, so dass eine wissenschaftshistorisch gesehen sehr bedeutsame Monografie entstanden ist. Wir danken den Autoren sehr für diese wichtige Erarbeitung, aus der dieses Buch über das wissenschaftliche Lebenswerk von Hans Berger hervorgegangen ist.
Prof. Dr. med. Heinrich Sauer Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Prof. Dr. med. Otto W. Witte Direktor der Klinik für Neurologie
1. EINLEITUNG Der Nervenarzt Prof. Dr. med. Hans Heinrich Ernst Berger prägte in herausragender Weise den internationalen Ruf der Jenaer Medizin. Der am 21. Mai 1873 in Neuses bei Coburg geborene Berger verlebte seine Kindheit und Jugend in dieser Region. Sein Vater, der Medizinalrat Paul Friedrich Berger, war praktischer Arzt und Direktor des Coburger Landeskrankenhauses. Seine Mutter Anna Berger entstammte als jüngste Tochter des liberalen Dichters und Professors für Orientalistik, Friedrich Rückert (1788–1866)1, dem Bildungsbürgertum. Rückert hatte 1811 in Jena promoviert. Nach 1848, als er seine liberalen und nationalen Vorstellungen als gescheitert betrachtete, zog sich Rückert auf seinen Landsitz nach Neuses zurück.2 Auch Bergers Onkel, Carl Albrecht Heinrich Rückert (1823–1875), galt als liberal und national engagiert. Er promovierte 1844 in Berlin bei Leopold von Ranke und habilitierte sich 1845 in Jena, wo er als Privatdozent und ab 1848 als außerordentlicher Titularprofessor wirkte. 1852 folgte er einem Ruf nach Breslau.3 Der familiäre Hintergrund mütterlicherseits, der bei Berger vermutlich eine nachhaltige Wirkung hinterließ, wird damit erkennbar. Auch in späteren Jahren führt er immer wieder Textstellen aus den Werken des Großvaters in seinen Tagebüchern an oder verewigte diese an den Wänden seines Dienstzimmers.4 Berger besuchte von 1883 bis 1892 das Coburger Gymnasium Casimirianum. Nach erfolgreichem Abschluß immatrikulierte er sich an der Berliner Universität, um Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren, ein Ergebnis seiner schulischen Vorlieben. Selbstzweifel an der Richtigkeit seiner Studienwahl führten Berger schon nach dem ersten Semester Anfang Oktober 1892 zum einjährigfreiwilligen Militärdienst in das Feldartillerieregiment „Horn“ in Würzburg. Hier erfolgte die Umorientierung hin zur Medizin. Nach halbjähriger Dienstzeit wurde er infolge eines Unfalls entlassen, ein Umstand, den Berger und seine Biographen als „Schlüsselerlebnis“ werteten.5 Er entschied sich schließlich gegen eine Militärlaufbahn und hörte im Sommersemester 1893 in Würzburg seine ersten medizinischen Vorlesungen. Schon im Herbst 1893 wechselte Berger nach Jena. Da ihm sein Mathematikstudium angerechnet wurde, konnte er im Wintersemester 1 2
3 4 5
Vgl. DBE, S. 444f.; NDB, S. 208; Wollenschläger/Kreutner, Friedrich Rückerts Werke, S. 427. Zu den nachfolgenden Ausführungen zum Lebenslauf von Hans Berger vgl. UAJ D 176 (Personalakte Hans Berger); L 251, Bl. 33r-34r (Lebenslauf Hans Berger); L 261, Bl. 168r-169r (Lebenslauf Hans Berger) sowie BA 2153, Bl. 13r-36v; vgl. u.a. auch: Jung, Entdeckung des EEG, S. 20-53. Vgl. Gerber, Wissenschaft und Politik, S. 33-62. Vgl. Wieczorek, Hans Berger Gedenken, S. 74; Boening, Professor Hans Berger, S. 20. Vgl. u.a. Berger, Psyche, S. 5f; Jung, Hans Berger, S. 15.
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1. Einleitung
1894/95 seine ärztlichen Vorprüfungen ablegen. Im Sommersemester 1895 wechselte er nach Kiel, im Wintersemester 1895/96 erneut nach Würzburg und von da aus im Sommersemester 1896 wieder nach Jena, wo es ihm nach eigenen Aussagen am besten gefiel. Hier wurde er Mitglied der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller und legte schließlich am 3. Juni 1897 das Staatsexamen ab. Im Sommersemester 1896 arbeitete Berger bereits als Unterassistent bei Theodor Ziehen (1862–1950) an der Jenaer Psychiatrischen Klinik und begann seine wissenschaftlichen Arbeiten, die ihn zur erfolgreichen Dissertation im Dezember 1897 führten. Auf ein Angebot deren Direktors Otto Binswanger (1852–1929), die Stelle eines Volontärarztes an seiner Klinik antreten zu können, reagierte Berger sofort. Doch noch mehrfach kreuzte der Militärdienst seinen Lebensweg. Von April bis Oktober 1898 leistete er den Rest seiner Dienstzeit bei der 10. Kompanie des 6. Thüringischen Infanterieregiments Nr. 95 (Coburg) ab. Er nahm auch an Übungen beim Infanterieregiment Nr. 83, beim 2. Bataillon des 3. Kurhessischen Infanterieregimentes Nr. 82 (Kassel) und beim 10. Lothringischen Infanterieregiment Nr. 174 (Metz) teil. Am 2. August 1914 wurde Berger zur mobilen LinienKommandantur Y in Erfurt als Stabsarzt eingezogen, ab Februar 1915 in das Etappenlazarett Rehtel (Champangne) und im Herbst 1915 zur Kriegslazarettabteilung 18 in Sedan versetzt, wo er für eine Beobachtungsstation am Chateau Bas verantwortlich zeichnete. Hier verblieb er bis November 1918. Berger gab an, während dieser Zeit u.a. im Kriegsgebiet Weseth und an der Aisne- und Avrefront eingesetzt gewesen zu sein. Für seinen Kriegseinsatz erhielt er u.a. das Eiserne Kreuz II. Klasse, das Hessische Militär-Sanitäter Kreuz und das Ritterkreuz des Großen Hausordens vom großen Falken II. Klasse sowie das Ritterkreuz des Sachsen Ernestinischen Hausordens I. Klasse. Im Mai 1911 hatte Berger Ursula Freiin von Bülow geheiratet. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder, Klaus (1912), Ruth (1914), Ilse (1917) und Rosemarie (1921) hervor. Von Juni 1897 bis zu seiner Emeritierung am 2. September 1938 und noch einmal in Vertretung seines Nachfolgers Berthold Kihn (1895–1961) im Herbsttrimester 1939 war Berger in der Jenaer Klinik tätig: zunächst als Assistent, danach 1901 als Hausarzt, nach seiner Habilitation im Juli 1901 als Privatdozent, seit Januar 1906 als außerordentlicher Titularprofessor, ab 1911 als beamteter Oberarzt und seit Oktober 1919 als ordentlicher Professor sowie als Klinikdirektor und Nachfolger Binswangers. Beachtung fand Hans Bergers Biographie bislang vor allem in fachwissenschaftlicher Hinsicht, doch nicht ausschließlich.6 So weisen z.B. die von Susanne Zimmermann vorgelegten Untersuchungen zur Medizinischen Fakultät der Universität Jena während der NS-Zeit mehrfach auf Bergers Tätigkeit und sein persönliches Engagement in der Klinik, der Fakultät und in der Universität hin.7 6 7
Vgl. Bibliographie im Anhang. Vgl. Zimmermann, Medizinische Fakultät Nationalsozialismus, S. 34, 44, 50, 129, 146 sowie 190; Zimmermann/Zimmermann, Die Medizinische Fakultät, S. 410, 413ff. sowie 424.
1. Einleitung
11
Berger war nicht nur Dekan und 1927 Rektor, sondern auch von 1935–1938 Prorektor der Jenaer Universität. Anders, als die im fachwissenschaftlichen Kontext eher en passant eingeflochtenen biographischen Hinweise, verarbeiteten Tagebuchauszüge bzw. auf den privaten und Kliniks- bzw. Wissenschaftsalltag8 ausgerichteten Beschreibungen, machen Zimmermanns Studien auf biographische Details aufmerksam, deren Kontextualisierung und Interpretation jedoch bislang nicht ausreichend geleistet wurde. So ist z.B. sein politisches Engagement in der Weimarer Republik und im Dritten Reich keinesfalls ausreichend untersucht. Das betrifft u.a. Bergers eigene Angaben, „früheres“ Mitglied der „Deutschnationalen Volkspartei“ und später der „Deutschen Volkspartei“ gewesen zu sein, ein politisches Engagement, das er mit anderen Jenaer Professoren durchaus teilte.9 Auch die Tatsache, daß Berger „Förderndes Mitglied“ der SS wurde10, bedarf einer näheren Untersuchung und einer Einordnung in den zeitgenössischen Kontext, gibt es doch auch hier verschiedene Erklärungsmöglichkeiten für eine solche persönliche Entscheidung.11 Gleiches gilt für seine Mitarbeit am Erbgesundheitsgericht/ Erbgesundheitsobergericht, eine Tätigkeit, die wohl vor allem durch seine berufliche Stellung bestimmt wurde.12 Auch schimmerte Bergers Affinität zum Militär noch einmal hervor, als „er sich trotz seines vorgeschrittenen Alters im jetzigen Kriege zur Verfügung“ stellte und „seit September 1939 als beratender Psychiater im Wehrkreis IX verwendet“ wurde.13 Problematisch wird der Umgang mit Bergers Biographie auch dann, wenn die Umstände seines Todes (Selbstmord) am 1. Juni 1941 oder die Nichtverleihung des Nobelpreises an Berger politisch motiviert dargestellt werden.14 Auch wenn wichtige Vorarbeiten, die den universitären Kontext von Bergers Tätigkeit in Jena aufhellen, in den vergangenen Jahren geleistet wurden15, gilt es deshalb einmal mehr an die historische und wissenschaftshistorische Forschung die Forderung zu richten, eine umfassende gesellschaftlich-biographische Aufarbeitung von Bergers Leben und Schaffen anzugehen. Die vorliegende Untersu8 9
10 11 12
13 14
15
Vgl. u.a. Jung, Entdeckung des EEG, S. 20–53. UAJ, D 176, Bl. 92r. Hier sind exemplarisch seine Kollegen, der Jenaer Internist und Direktor der Medizinischen Klinik Wolfgang H(einrich) Veil oder der Prof. für Zoologie und Direktor des Phyletischen Museums Hermann Ludwig Plate sowie der weltbekannte Physiker Max Wien zu nennen. Vgl. UAJ, D 3225; D 3000 sowie D 3094. Vgl. UAJ, D 176, Bl. 81r., 92r. Zur Rolle des „Fördernden Mitglieds“ der SS vgl. u.a. Höhne, Geschichte der SS, S. 139f. und Buchheim, SS – das Herrschaftsinstrument, S. 161. Vgl. u.a. Zimmermann, Medizinische Fakultät Nationalsozialismus, S. 146f.; Zimmermann/ Zimmermann, Die Medizinische Fakultät, S. 414f. u. Anm. 132; UAJ, D 176 sowie ThHStAW, ThMdl, E 1715; E 1716; E 1730; BA R 18/5585, Bl. 60r. UAJ BA 2153, Bl. 24v. Zur Verleihung des Nobelpreises siehe Abschnitt 5.5 unten. Zur Quellenüberlieferung vgl. u.a. UAJ, D 176, Bl. 104; Zimmermann, Medizinische Fakultät Nationalsozialismus, S. 146 sowie UAJ, V Abt. XLVI Nr. 17 (Nachlaß Berger). Vgl. u.a. „Hoßfeld/John/Lemuth/Stutz, „Kämpferische Wissenschaft“; Hendel/[u.a.], Wege der Wissenschaft; Senatskommission, Tradition – Brüche – Wandlungen.
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1. Einleitung
chung kann diese notwendige Aufarbeitung nur zum Teil leisten und Anregungen zu weiteren Forschungen einbringen. Im Mittelpunkt dieser Publikation steht jedoch die Untersuchung des wissenschaftlichen Gesamtwerks. Den Hauptbeitrag zu diesem Vorhaben leistet deshalb auch ein Naturwissenschafter (Harald Kluge), der von Historikern und Archivaren (Joachim Bauer und Marcus Müggenburg) unterstützt wird. Die Intentionen für diesen Band sind klar zu umschreiben: Den zentralen Bezugspunkt bisheriger Publikationen stellt Bergers international herausragende Leistung, die Erstbeschreibung des Hirnstrombildes des Menschen dar („Elektrenkephalogramm“, heute Elektroenzephalogramm, EEG). Der konzeptionelle Ursprung und die arbeitshypothetischen Vorstellungen Bergers, die überhaupt erst zu dieser Entdeckung führten, wurden zumeist nur sporadisch, untergeordnet und damit ohne deutlichen Zusammenhang angeführt. Damit bleibt nicht nur dem erstinteressierten Leser verschlossen, daß Bergers EEG-Entdeckung eigentlich nur eines der experimentellen Resultate zur Überprüfung seines das wissenschaftliche Gesamtwerk kontinuierlich beherrschenden Konzepts zum Zusammenhang zwischen Psyche und Physis darstellt. Cornelius Borck erwähnt in seinem Werk „Hirnströme – Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie“ zwar Bergers viel umfassendere Forschungsstrategien und Arbeitshypothesen, jedoch ohne Kontext zum heutigen Forschungsstand.16 In dem hier vorgelegten Band werden sie jedoch, dem tatsächlichen Wissensstand um 1900 entsprechend, inhaltlich ausführlich begründet und als ein für Berger charakteristisches Forschungskontinuum entwickelt. Nur so kann Bergers weit umfassendere Leistung real eingeordnet werden. Damit wird gleichzeitig eine zweite Begründung für diese Publikation gegeben: Sie soll verdeutlichen, wie Berger die seiner in sich geschlossenen Gesamtkonzeption zugrunde liegenden Arbeitshypothesen aus dem relevanten, und zwar damals aktuellsten interdisziplinären Wissensstand abgeleitet hat. Interdisziplinär bedeutete für Berger eine auf seinerzeit aktuellem Forschungsstand fußende psychologische, physiologische, anatomische, physikalische und physikalischchemische Fundierung seiner Arbeitshypothesen. Gelegentliche Vorwürfe über einen naturwissenschaftlichen Dilletantismus Bergers müssen aus dieser Sicht deutlich relativiert werden, denn sie überschreiten die Grenzen der Korrektheit und der Achtung vor seiner persönlichen Leistung. Dem Rechnung tragend, werden bewusst auch seine wissenschaftlichen Bezugspersonen ausführlicher zitiert. Dieser Aspekt soll dem Leser nicht nur die zeitentsprechende Aktualität von Bergers Basishypothesen vor Augen führen, sondern ihm im Vergleich zum heutigen Kenntnisstand zeigen, was Berger objektiv noch nicht wissen konnte, und, inwieweit er seiner Zeit bereits voraus dachte. Der Leser wird dementsprechende Erkenntnisse mit aktuellem Zeitbezug erläutert finden. Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden – und es wurde vielfach in Urteilen anderer Autoren ebenfalls erkennbar – dass Bergers Forschungstaktik durch eine aus der Persönlich16 Vgl. Borck, Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie.
1. Einleitung
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keitsstruktur bedingte Zurückgezogenheit und Isolationstendenz geprägt war. Hinzu kam, dass er nur in deutschsprachigen Zeitschriften publizierte und daher in der anderssprachigen, vor allem englischsprachigen Fachwelt kaum rezipiert wurde. Dass ihm dies glücklicherweise nicht zum bleibenden Nachteil gereichte, soll im Kapitel zum EEG beispielhaft belegt werden. Eine dritte Begründung für diese Publikation sei noch angeführt: Hans Berger war ein hervorragender Hochschullehrer. Seine Vorlesungen waren im didaktischen Aufbau beispielgebend und lehrten von inhaltlicher Seite eine durch seine psychophysiologischen Basiskonzeptionen naturwissenschaftlich geprägte Psychiatrie und Neurologie. Seine 1921 veröffentlichten 12 Vorlesungen sowie die aus didaktischer Sicht ebenfalls großartige Rede von 1927 „Über die Lokalisation im Großhirn“, die er traditionsgemäß als Rektor am 18. Juni anlässlich einer Preisverleihung hielt, folgen deshalb im Anhang als Faksimiles. Bergers Entwicklung als Forscher wurde sicher vorwiegend vom fachbezogenen nationalen und internationalen Kenntnisstand stimuliert, der sich um die Wende zum 20. Jahrhundert in einer markant prägenden, nahezu revolutionären Entscheidungssituation auch für seine Forschungskonzepte und Arbeitshypothesen befand. An entsprechender Stelle wird darauf eingegangen. Entscheidend beeinflußt wurde Bergers Entwicklung nach seinem Eintritt in die Jenaer Nervenklinik jedoch besonders vom dortigen ärztlichen Kollegium, das durch den international renommierten Kliniker und vornehmlich neuroanatomisch-neuropathologisch forschenden Chef Otto Binswanger geleitet wurde. Otto Binswanger (1852–1929) hatte 1882–1919 das Direktorat der 1879 erbauten damaligen „Großherzoglichen-Sächsischen Landes-Irren-Heil-Anstalt“ inne. Zunächst als a.o. Professor, ab 1891 als Ordinarius, begann er mit einer grundlegenden Revolutionierung der Psychiatrie: Er entwickelte das Konzept einer modernen Psychiatrie mit Öffnung der Patienten-Zellen, systematischer Arbeitstherapie und Anfängen der Pharmakotherapie, reorganisierte die Lehrtätigkeit und erreichte 1901 durch erheblichen Kraftaufwand die Berücksichtigung der Psychiatrie als obligatorisches Prüfungsfach der Medizin an der Jenaer Medizinischen Fakultät. Als verdienstvoller Kliniker von internationalem Ruf war Binswanger als psychiatrischer Berater auch im Ausland gefragt (u.a. an europäischen Fürstenhöfen, für amerikanische Großindustrielle). Als ausgebildeter Pathologischer Anatom führte Binswanger als Kliniker zunächst selbst Sektionen und histologische Untersuchungen an seinen Patienten in Jena durch. Damit waren auch seine umfangreichen Forschungen interdisziplinär geprägt, von denen an dieser Stelle nur die Erstbeschreibung der sog. Binswanger-Enzephalopathie als herausragende Leistung hervorgehoben werden soll (1894 als „arteriosklerotische“ Hirndegenerationen, dazu gehörig die „Encephalitis subcorticalis chronica progressiva“, publiziert, in heutigen neurologischen Lehrbüchern unter „Subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie“ als der häufigsten Form der vaskulären Demenz aufgeführt). Die Interdisziplinarität Binswangers innerhalb der Fachdisziplin Psychiatrie/Neurologie war für Bergers Forschungstätigkeit wesentlicher Stimulus. In ähnlicher Weise erweckte der 1886–1900 unter Binswanger tätige Oberarzt Theodor Ziehen Bergers wissenschaftliches Interesse. Ziehen wirkte durch
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1. Einleitung
seine psychophysiologischen Untersuchungen und die Verarbeitung damit zusammenhängender erkenntnistheoretisch-philosophischer Probleme initiierend und anregend für Berger. Er betreute 1897 Bergers Promotion. Ziehens Lehrbuch der Psychiatrie erlebte zahlreiche Auflagen. Sein vielseitiges Wirken erstreckte sich auch auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie, als deren Mitbegründer er weitere Bedeutung erlangte. Letztere betreffend sei auch der Einfluß des unter Binswanger für die Kinderpsychiatrie zuständigen Oberarztes und a.o. Professors Wilhelm Strohmeyer (1874–1936) mit seinen Studien zur Psychopathologie des Kindesalters auf Berger erwähnt. Neuroanatomisch-neuropathologisch prägend waren für Berger neben Binswanger besonders das Ehepaar Cecile (1875–1962) und Oskar Vogt (1870–1959), sowie Korbanian Brodmann (1868–1918). Oskar Vogt (mit vollem Namen Oskar Dieckmann-Vogt) war 1893/94 Assistent von Otto Binswanger und promovierte bei ihm mit dem Thema „Ueber Fasersysteme in den mittleren und caudalen Balkenabschnitten“ 1894 an der Medizinischen Fakultät der Jenaer Universität. Er legte damit einen ersten Grundstein für seine späteren herausragenden Verdienste um die funktionelle Anatomie und Pathologie des Gehirns, die er sich als Direktor der Hirnforschungsinstitute in Berlin-Buch und später in Neustadt/Titisee gemeinsam mit seiner Ehefrau Cecile erwarb (Heirat 1899 in Berlin). Das Ehepaar Vogt erhielt unter den zahlreichen nationalen und internationalen Ehrungen 1955 anlässlich des 80. Geburtstages von Cecile und des 85. Geburtstages von Oskar Vogt die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena. Die stets enge Bindung der Vogts zu Berger und der Jenaer Nervenklinik betonte Bergers ehemaliger Oberarzt und Nachfolger als Ordinarius und Kliniksdirektor, Rudolf Lemke (1950–1957), in seiner Laudatio zur Verleihung am 6. April 1955, in der er hervorhob, dass die Vogts die von Berger in seiner Jenaer Nervenklinik aufgenommenen Elektroenzephalogramme in Obhut genommen haben. Berger hatte sein gesamtes Material an sie übergeben, da er wegen eines damals geplanten Klinikneubaus in Jena um dessen Erhalt fürchtete. Übrigens hatte Berger im Vorfeld seines altersbedingten Ausscheidens aus dem Universitätsdienst bereits 1936/37 in seinen Tagebüchern vermerkt, dass er wegen seiner durchaus noch vorhandenen Leistungsfähigkeit eine Fortsetzung seiner Arbeiten bei den Vogts in Neustadt in Erwägung ziehen könnte. Während Berger in seinen Anfangsjahren in Jena die Vogts nicht mehr direkt erlebte, konnte er mit dem 1898–1900 als Binswangers Assistent in Jena tätigen Korbanian Brodmann unmittelbar zusammenarbeiten. Dieser gelangte als einer der Wegbereiter der Erforschung der für Berger so wichtigen Zytoarchitektonik der Hirnrinde zu Weltruhm. Berger erhielt also hier auch von einem direkten Klinikskollegen wesentliche Impulse. Alle diese ärztlichen Kollegen der Jenaer Nervenklinik eröffneten Berger jenen breiten Horizont als Kliniker, den er als unerläßliche Deutungsbasis seiner späteren Forschungsbefunde benötigte. Eine besondere Würdigung vor Ort erhielt Berger nach seinem Tode durch den 1956 realisierten Vorschlag seines Amtsnachfolgers Rudolf Lemke, der Jenaer Nervenklinik den Namen „Hans-Berger-Klinik für Psychiatrie und Neurologie“ zu verleihen. Der Name Hans-Berger-Klinik wurde auch nach der Überfüh-
1. Einleitung
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rung der drei Abteilungen – Psychiatrie, Neurologie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie – in separate Kliniken 1994 für jede der drei Kliniken beibehalten. An der Wahrung des Erbes von Hans Berger im Bereich der Friedrich-SchillerUniversität Jena waren nach Rudolf Lemke sowohl die Nervenärzte Roland Werner, Valentin Wieczorek, Gerhard Mühlau und Gert-Eberhard Kühne, als auch besonders die Ordinarien der Institute für Physiologie bzw. Pathologische Physiologie, Wolfgang Haschke und Ulrich Zwiener beteiligt. Häufige inhaltliche Assoziationen zu Bergers EEG-Themen lieferten auch die unter Federführung von Wolfgang Haschke 1984 eingeführten Jenaer Neurowissenschaftlichen Kolloquien. Angeregt wurde der vorliegende Band nicht zuletzt durch die Würdigung herausragender Persönlichkeiten der Friedrich-Schiller-Universität Jena anlässlich deren 450. Gründungsjubiläums im Jahre 2008. Die Autoren erhielten bei ihrem Vorhaben wertvolle Unterstützung durch die derzeitigen Ordinarien und Direktoren der Hans-Berger-Kliniken für Psychiatrie bzw. Neurologie, Heinrich Sauer und Otto W. Witte. Besonders wertvolle, das EEG-Kapitel betreffende fachliche Beratung erfolgte durch Georg Hagemann, leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik. Diesen drei Fachvertretern gilt unser besonderer Dank. Wertvoll war uns ebenfalls die fachliche Beratung zum „plethysmographischen Untersuchungskomplex“ Bergers durch Jens Weise, Oberarzt der Neurologischen Klinik und durch den bereits erwähnten Physiologen Wolfgang Haschke. Herzlicher Dank gilt an dieser Stelle auch den Mitarbeitern des Universitätsarchivs und der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena Margit Hartleb, Katarina Pawlitzky und Ulrich Bohmüller, die uns bei den Literatur- und Quellenrecherchen tatkräftig unterstützten. Ferner gilt unser herzlicher Dank Hannelore Tied für die Bereitstellung von Teilen des Bildmaterials, und Silke Kießling für die Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes und der Bilderauswahl. Schließlich gilt unser Dank dem Franz Steiner Verlag.
2. WISSENSCHAFTLICHE BASISVORSTELLUNGEN UND ARBEITSHYPOTHESEN BERGERS UND SEINER WEGBEREITER Schon als Gymnasiast und Student hatte den naturwissenschaftlich äußerst interessierten Hans Berger die bereits uralte und auch heute noch mehr denn je vor allem die Neurowissenschaften einschließlich Psychiatrie und Neurologie, aber auch die Philosophie und Theologie bewegende Frage nach den Zusammenhängen Bewußtsein/Geist/Seele und deren materiellen Substraten Gehirn/Sinnesorgane fasziniert. Man bedenke, daß Berger diese Frage in einer Zeit bewegte, in der sich hinsichtlich einer Antwort die Waage trotz noch immer beharrlich vertretener Gegenargumente, vor allem dualistische Deutungsversuche betreffend, zugunsten tatsächlich bestehender Zusammenhänge zu neigen begann. Dafür lag zur Zeit Bergers beginnenden Forscherlebens im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert bereits einiges an stützendem physiologischen, neuroanatomischen und nervenklinischen Befundmaterial vor, so daß er seine Überzeugung, „psychische Leistungen/Bewusstseinsvorgänge haben im Hirn und in den Sinnesorganen ihre physiologische Basis“, zum lebenslangen Postulat erhob. In seinem Abschlußwerk „Psyche“ 1940 (Abb. 2.1.) und damit ein Jahr vor seinem Tode verwendete er hierzu folgende Formulierung: „Jedenfalls können wir aber das als sicher annehmen, daß Vorgänge in der Großhirnrinde mit Bewußtseinserscheinungen verbunden sein können. Weiter müssen wir auch die Annahme machen, dass alle psychischen Vorgänge mit materiellen Vorgängen in der Hirnrinde, und 17 zwar eindeutig verknüpft sind.“
Ähnliche Formulierungen finden sich als ergebnisbezogene Schlußfolgerungen und roter Faden in vielen seiner Publikationen. In diesem Zitat stellt Berger zwei für ihn bindende Postulate heraus: Die Verknüpfung aller psychischen Vorgänge mit materiellen Prozessen im Hirn und eine Lokalisation beider in der Großhirnrinde. Letzteres fand eine ausführliche Bestätigung Bergers in einer kritischen Verarbeitung des diesbezüglich aktuellen Wissensstandes der Literatur auf der Basis seiner umfassenden klinischen Erfahrungen und Beobachtungen, wie er sie u.a. 1927 in seiner berühmten Rede als Rektor „Ueber die Lokalisation im Großhirn“ demonstrierte (siehe Faksimile Abschnitt 7). Welche Haltung Berger hier einnimmt, findet sich in Abschnitt 2.1. Als Kliniker unterstreicht Berger den obigen Kernsatz nochmals detaillierter durch folgende Aussagen: „Wir müssen […] auf Grund unserer Erfahrungen am Krankenbett annehmen, dass allen psychischen Vorgängen von der Empfindung anfangend bis zu 3 den schwierigsten Denkvorgängen materielle Vorgänge in der menschlichen Hirnrinde eindeutig zugeordnet sind […] Man könnte schon jetzt unter gewissen und keinesfalls ganz unerfüllbaren Bedingungen bei 17 Berger, Psyche, S. 15.
2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
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Abb. 2.1.: Titelblatt zu Bergers Abschlusswerk „Psyche“ und seine handgezeichnete Fackel als Einbandvorlage, mit der er symbolisch die EEG-Forschung an nachfolgende Generationen übertragen wollte.
2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
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der Beobachtung eines lebenden menschlichen Gehirns mit Bestimmtheit sagen: Der Träger dieses Gehirns hat jetzt eine Gesichtswahrnehmung, jetzt eine Gehörswahrnehmung, jetzt rechnet er, jetzt ist er mit einem anderen Denkprozess beschäftigt, jetzt träumt er vor sich hin, jetzt spielen sich bei ihm überhaupt keine Bewusstseinserscheinungen ab, wenn man auch den besonderen Inhalt der jeweiligen Wahrnehmungen, Denkvorgänge usw. nicht angeben könnte. Die materiellen Rindenvorgänge sind zweifellos physikalisch-chemische Vorgänge, und zwar wohl ganz besonders komplizierter und daher nach unseren Erfahrungen sehr leicht zu 18 störender Art, über die wir aber zur Zeit weiter nichts Besonderes aussagen können.“
Wenn der heutige Leser diesen Text in seiner prinzipiellen Aussage liest (außer dem letzten Nebensatz), könnte er schmunzelnd und staunend die Frage stellen, ob denn Hans Berger schon 1940, dem Erscheinungsjahr von „Psyche“, vor einer kombinierten Positronenemissionstomographie (PET) – Magnetresonanztomographie (MRT) – Aufnahme gesessen hat. Kommen wir aber erst einmal wieder zurück zu den Anfangsjahren und damit zur Konzeptfindung Bergers für seine zukünftige Forschung. Zur Stützung seiner Postulate bestand für Berger nunmehr die Notwendigkeit der Ableitung von wissenschaftlichen Basisvorstellungen und von Arbeitshypothesen zu deren experimenteller Überprüfung. Beides erarbeitete er sich sowohl aus den Forschungsprofilen Otto Binswangers und dessen damaligen Oberarztes Theodor Ziehen, als auch aus gründlichsten Recherchen der problemrelevanten Fachliteratur seiner Zeit. Besonders Bergers Literaturrecherchen riefen bei uns Herausgebern immer wieder allergrößte Hochachtung wegen seiner nahezu erschöpfenden Gründlichkeit und logischen Verarbeitung des damals aktuellen Wissensstandes hervor. Eine erste Basisvorstellung leitete Berger aus der Frage nach dem energetischen Hintergrund seines Postulats zu den psycho-physischen Zusammenhängen ab. Hierzu überzeugte ihn die damalige Hypothese über die Existenz einer „psychischen Energie“ (siehe Abschnitt 2.1.). Den Glauben an eine psychische Energie gab er während seines ganzen Forscherlebens nicht auf. Er formulierte dies noch in seiner Abschlußpublikation „Psyche“: „Wir haben den psychischen Vorgängen einen Energiewert zuerkannt: Ihr Energiewert muß aus andern physikalisch-chemischen Energien des lebenden Hirnrindengewebes hervorgehen. Es kann sich also nur um eine besondere Energieform handeln, die sich dann in materielle Energieformen zurückverwandelt. […] Diese psychische Energie stellt dann eine Energieform eigener Art dar. […] Sie unterscheidet sich von allen anderen Energieformen grundsätzlich, kann aber mit diesen in Wechselwirkung treten oder besser gesagt, aus diesen hervorgehen und in sie zurückverwandelt werden. […] Man nimmt also dann an, dass die psychische Energie nur im Augenblick der Transformation entsteht und sofort wieder in andere Energie19 formen zurückverwandelt wird.“
Mit seiner Formulierung zum Ursprung der psychischen Energie aus physikalischchemischen („materiellen“) Energieformen und ihrer Rückverwandlung in diese sah Berger die Erfüllung des Energiesatzes von Robert Mayer. Die Erfüllung dieser Bedingung war ihm ein ganz entscheidendes Argument, denn durch seine Ab18 Ebd., S. 16f. 19 Ebd., S. 23f.
2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
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grenzung der „immateriellen“ Energieform psychische Energie von den „materiellen“ (physikalisch-chemischen) Energieformen (chemische, elektrische, thermische etc.) durfte der Energieerhaltungssatz nicht gebrochen werden. Aus dieser ersten Basisvorstellung leitete Berger eine zweite Basisvorstellung ab. Sie ergab sich für ihn aus der Notwendigkeit, zu den „materiellen“ Quellenenergieformen der „immateriellen“ psychischen Energie den Wissensstand zur chemischen Energie zu erarbeiten. Hier hatte Berger nicht viel Auswahl und er schloß sich der „Dissimilationshypothese“ nach Verworn an, die auf einer Beteiligung noch hypothetischer „Biogene“ an der Entstehung der chemischen Energie als Quelle der psychischen Energie beruhte.20 Eine ausführliche Darstellung dieser Hypothese, die damit zur zweiten Basisvorstellung Bergers wurde, erfolgt in Abschnitt 2.1. Eine dritte Basisvorstellung Bergers resultierte aus dem damals (wie auch heute noch) strittigen Problem einer entweder „dualistischen“ oder „monistischen“ Deutung des Verhältnisses Hirn/Leib (materiell) – Bewußtsein/Geist/Seele (immateriell). Seinen Studenten faßte er diese Fragestellung in der zweiten Vorlesung seiner berühmten Monographie „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“ (siehe Faksimile in Abschnitt 7) in folgende Worte: „Welcher Art sind nun die Beziehungen, die zwischen den materiellen Vorgängen in der Großhirnrinde und den geistigen Vorgängen bestehen? Es ist dies die alte Frage nach den Be21 ziehungen zwischen Leib und Seele, mit der wir uns jetzt beschäftigen wollen.“
Nach Vorstellung und ausführlicher Diskussion der dualistischen Richtungen folgert Berger in logischer Argumentation: „Nach meiner Ansicht kommen wir auf diesem Wege nicht wesentlich weiter. Man hat daher […] die dualistische Ansicht fallen lassen und versucht, die beiden Beziehungsreihen, die materiellen und psychischen Vorgänge, auf eine einzige zurückzuführen. Es ergaben sich daraus 22 die so genannten monistischen Anschauungen.“
Wiederum nach Vorstellung und ausführlicher Diskussion der monistischen Deutungen lehnt Berger von den vier Beispielen drei ab (den rein materialistischen und rein spiritualistischen Monismus und die so genannte „Zweiseiten-Theorie“ Fechners als Kompromißlösung). Aus dem vierten Beispiel baut er unter Einbeziehung der Vorstellungen zur psychischen Energie seine auf dem Kausalitätsprinzip beruhende Hypothese eines „partiellen psychophysischen Parallelismus“ auf (die ursprüngliche Hypothese eines psychophysischen Parallelismus stammt bereits von Leibniz). Dabei vertrat Berger die Ansicht, dass sich materielle (physische) und psychische Vorgänge zwar begleiten, aber parallel verlaufen und sich „daher nicht schneiden“. Er drückt dies folgendermaßen aus: „Wir können demnach den Hauptsatz des psychophysischen Parallelismus auch so aussprechen: Den psychischen Vorgängen gehen materielle Vorgänge in der Großhirnrinde parallel. 20 Vgl. Verworn, Allgemeine Physiologie; Ders., Die Biogenhypothese sowie Ders., Mechanik des Geisteslebens. 21 Berger, Psychophysiologie 12 Vorlesungen (2. Vorlesung), S. 11. 22 Ebd., S. 17.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
Wir müssen weiter hinzufügen: Allen psychischen Vorgängen gehen (physische) Vorgänge in 23 der Großhirnrinde parallel.“
Aufgrund seiner zweiten Basisvorstellung zur „Dissimilationshypothese“ schloß Berger, dass die psychischen Parallelvorgänge mit den energieliefernden „Dissimilationsvorgängen der Biogene“ in der Großhirnrinde verknüpft sein müssen. Daraus formulierte er einen erweiterten „Hauptsatz“ des „partiellen psychophysischen Parallelismus“: „Den psychischen Vorgängen gehen Dissimilationsprozesse in der Groß-Hirnrinde paral24 lel.“
Ausführliche Erläuterungen finden sich in den Abschnitten 2.1.–2.3. Berger hatte dieses 1921 publizierte Gedankengebäude seines „partiellen psychophysischen Parallelismus“ allerdings langfristig aufgebaut. 1897 als Assistent in der Jenaer Nervenklinik eingestellt, publizierte er bereits drei Jahre später hierzu folgenden Text: „Die moderne Psychiatrie – mag sie im Uebrigen auf einem erkenntnistheoretischen Standpunkt stehen, auf welchem sie wolle - erkennt das Prinzip des psychophysischen Parallelismus als heuristischen Grundsatz für die Forschung an. Als Ort für die physischen Prozesse nimmt sie die Rinde des Großhirns in Anspruch, dieselben sind physikalisch-chemische Vorgänge, und wir hätten in einem solchen physikalisch-chemischen Vorgang in der Hirnrinde 25 den Parallelvorgang einer Empfindung zu suchen.“
Mit diesem Zitat bezog sich Berger auf Vorstellungen einer seiner wichtigsten Bezugspersonen, des deutschen Physiologen und Psychologen Wilhelm Max Wundt (1832–1920), der das erste Laboratorium für Psychologie der Welt in Leipzig aufbaute und später als Institut führte.26 Nach dieser zunächst nur überblicksmäßigen Darstellung von Bergers drei hypothetischen Basisvorstellungen kann bereits festgestellt werden, dass er sich voll und ganz auf dem relevanten physiologisch-naturwissenschaftlichen, psychiatrisch-psychologischen, neurologischen und philosophischen Kenntnisstand seiner Zeit bewegte. Im Zusammenhang mit seinen Basishypothesen kann sein gesamtes Forschungsfeld als ein Kontinuum beurteilt werden. Eigentlich war es gerade dieses logisch aufgebaute Kontinuum in Bergers Forschung, das seine in der Öffentlichkeit immer als dominant herausgestellte Entdeckung des „Elektrenkephalogramm des Menschen“ erst richtig und gebührend in sein doch viel umfassenderes und mit nicht minder gewichtigen Ergebnissen behaftetes Gesamtwerk einordnen läßt. Dem Rechnung tragend, werden in den folgenden Abschnitten zunächst noch vertiefende Betrachtungen zu seinen Basishypothesen, vor allem erweitert um Ansichten und Aussagen seiner Bezugspersonen, vorgenommen. Anschließend 23 24 25 26
Ebd., S. 21. Ebd., S. 23. Berger, Experimentell-anatomische Studien, S. 521. Vgl. Wundt, Essays; Ders., Grundriß der Psychologie sowie Ders., Grundzüge der physiologischen Psychologie.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
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werden die experimentellen Richtungen Bergers vorgestellt, die er zur Überprüfung seiner Hypothesen wählte.
2.1. GRUNDLAGEN FÜR BERGERS KONZEPT DER „PSYCHISCHEN ENERGIE“ UND DER „DISSIMILATIONSHYPOTHESE“ Schrenk folgerte in seiner Publikation über Bergers Idee von der „psychischen Energie“, dass der an der Jenaer Nervenklinik unter Binswanger tätige Theodor Ziehen im Rahmen seiner Anleitungen an Berger zur Aufnahme von plethysmographischen Untersuchungen (siehe 3.1.) diesen auf den Begriff der „psychischen Energie“ aufmerksam gemacht hatte.27 In Bergers Tagebuchnotizen und in vielen seiner Publikationen finden sich die Namen der für ihn entscheidenden Bezugspersonen, die die Idee der Existenz einer „psychischen Energie“ vertraten und ihm damit das Fundament seiner Konzeptionen, Arbeitshypothesen und experimentellen Untersuchungen lieferten. Wir wollen uns dabei hier auf jene Bezugspersonen ausführlich beziehen, die aus physikalisch-physiologischer und biochemischer (neurochemischer) Sicht für Berger besonders prägend waren. Die von ihm auch mehrfach zitierten Philosophen N. Grot und K. Lasswitz seien für interessierte Leser an dieser Stelle nur erwähnt.28 Richtungweisend war für Berger das Gesetz von der Erhaltung der Energie (Robert Mayer, 1845), das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend Eingang in die naturwissenschaftlich orientierten Fachdisziplinen Physiologie, Physiologische Chemie (heute Biochemie), Pathologie und eben auch in die Psychiatrie/Neurologie und Psychologie fand. Damit wurden die für Berger entscheidenden Grundlagen einer „Psychophysik“ bzw. „Psychophysiologie“ gelegt. Von physikalischer Seite war der deutsche Physikochemiker Wilhelm Ostwald die für Berger prägende Figur. Ostwald (Nobelpreis 1909), der über seine Forschungen zur Thermodynamik, Katalyse, Ionentheorie, Elektrochemie und Farbenlehre mit Arrhenius (Nobelpreis 1903) und van’t Hoff (Nobelpreis 1901) zum Begründer der Physikalischen Chemie wurde, setzte den Energiebegriff in den Mittelpunkt seiner philosophisch-erkenntnistheoretischen Betrachtungen, die auch seine Deutungen zu den Beziehungen und Materie – Energie – Bewußtsein/Geist einschlossen und auf einer monistischen Auffassung basierten. Ostwald verdeutlichte daraus sein Konzept einer „psychischen Energie“ durch folgenden Originaltext: „Nun ist uns bekannt, dass ein großer Teil der Nervenleitungen nach dem Gehirn führt und dass jeder Sinnesapparat dort seine Zentralstelle hat. […] Zwischen diesen verschiedenen Zentren befinden sich außerdem Verbindungsbahnen der mannigfaltigsten Art. Die Physiologie hat außer Zweifel gesetzt, dass während der geistigen Betätigung in diesem Apparate Vorgänge stattfinden, die ganz allgemein als Energieverbrauch beschrieben werden können. Welcher Art die betätigte Energie ist, wissen wir nicht; da sie gleichfalls in nervösen Appara27 Vgl. Schrenck, Hans Bergers Idee, S. 263–273. 28 Vgl. Grot, Begriff der Seele, S. 257; Laßwitz, Die moderne Energetik sowie Ders., Über psychophysische Energie, S. 46.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
ten sich betätigt, können wir sie gleichfalls Nervenenergie oder psychische Energie nennen. [...] Wohl aber wissen wir, dass die Quelle dieser psychischen Energie chemischer Natur ist, denn es wird entsprechend der Stärke der geistigen Betätigung Sauerstoff verbraucht, der eine proportionale Oxydation vorhandener, aus der Nahrung stammender Stoffe bewirkt. [...] [Es ist] auf einen wesentlichen Punkt hinzuweisen, dass die geistigen Vorgänge in all ihrer Mannigfaltigkeit eben nicht als Begleiterscheinungen der betreffenden Energie, sondern als diese 29 Energie selbst aufgefasst werden müssen.“
Damit trifft Ostwald eine ganz entscheidende Aussage: Er sieht die Quelle der psychischen Energie in chemischen Prozeßabläufen im Zentralnervensystem, also als jenen Teil der gesamten chemischen Energie aus solchen Abläufen, der für geistige Leistungen verbraucht wird. Er bringt damit zum Ausdruck, dass seine postulierte Nervenenergie/psychische Energie nichts anderes als chemische Energie ist und keine Sonderform darstellt, die sich von letzterer abgrenzt oder aus letzterer entsteht. Diese Feststellung Ostwalds ist nach heutigem Erkenntnisstand sogar prinzipiell richtig, obwohl nach damaligem Wissensstand nicht konkret untersetzt. Dies konnte auch nicht sein, denn alle heute bekannten Details waren Ostwald unbekannt. Leider hat Berger diese entscheidende Folgerung Ostwalds nicht übernommen, sondern weiter an eine Sonderform psychische Energie geglaubt, die sich aus anderen Energieformen, darunter allerdings auch aus chemischer Energie entwickeln und in diese unterschiedlichen Formen zurückentwickeln kann. Ostwald hatte sich bezüglich der chemischen Prozeßabläufe mit Oxydationsprozessen der über den Blutstrom dem Gehirn zugeführten Nahrungsstoffe als Energiequelle nur allgemein ausgedrückt. Berger suchte hingegen nach konkreten intrazerebralen Prozeßabläufen aus dem Kenntnisstand seiner Zeit. Hierbei erschien ihm die „Dissimilationshypothese“ von Verworn als wahrscheinlichste Deutungsgrundlage. Der zunächst in Jena und später in Göttingen lehrende Physiologe Max Verworn stellte in seinen Werken für Berger diese richtungweisende Hypothese vor. Die Dissimilationshypothese bezeichnete Verworn noch als Biogenhypothese. Als solche durchzog sie die drei seiner für Berger entscheidenden Publikationen.30 Für die Ableitung seiner Hypothese ging Verworn von Pflügers Auffassung über den Unterschied zwischen „lebendigem” und „totem“ Eiweiß aus, der formulierte: „Der fundamentale Unterschied zwischen lebendigem und todten Eiweiß besteht (eben) darin, dass das todte Eiweißmolekül sich in einem stabilen Gleichgewichtszustande seiner Atome 31 befindet, während das lebendige Eiweißmolekül eine sehr labile Constitution besitzt.“
Diese erstaunliche Hypothese über die labile Konstitution der Eiweißmoleküle im lebenden Organismus nahm Verworn auf und korrigierte zunächst den Namen „lebendiges“ Eiweißmolekül: 29 Ostwald, Die Energie, S. 152f. 30 Vgl. Verworn, Allgemeine Physiologie. Weitere Zitate stammen aus der 5. Auflage 1909; Ders., Die Biogenhypothese sowie Ders., Mechanik des Geisteslebens. 31 Pflüger, Physiologische Verbrennung.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
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„Um einerseits diesen Körper von den toten Eiweißkörpern zu unterscheiden und andererseits seine hohe Bedeutung für das Zustandekommen der Lebenserscheinungen anzudeuten, scheint es zweckmäßig, den Namen „lebendiges Eiweiß“ zu ersetzen durch die Bezeichnung 32 „Biogen“.“
Von Elsberg und von Haeckel verwendete Analogbegriffe wie „Plasmamolekül“, „Plastidul“, „Plassonmolekül“ lehnte Verworn mit der Begründung ab, dass sie den chemischen Hintergrund nicht deutlich zum Ausdruck bringen würden. Allerdings bekannte er deutlich: „Was wir von den Biogenen sagen können, ist ausserordentlich wenig, und wir dürfen uns nicht verhehlen, dass wir uns hier bereits auf vollkommen hypothetischem Boden befinden. Allein, da wir noch nicht einmal die Konstitution der Eiweisskörper selber vollständig kennen, die wir doch jeden Augenblick chemisch zu untersuchen in der Lage sind; ist es begreiflich, dass wir über das hypothetische Biogen, dessen Existenz und Zusammensetzung wir überhaupt nur aus Zerfallsprodukten der lebendigen Substanz erschliessen können, noch viel weniger Erfahrung besitzen. Was wir von ihnen behaupten können, ist eigentlich nur seine 33 ungemeine Labilität, die ihnen eine gewisse Aehnlichkeit mit explosiblen Körpern gibt.“
Als Erklärungsmöglichkeit führt Verworn Pflügers damalige Befunde zu den Abbauprodukten bei der „Oxydation des lebendigen Eiweisses“ an, wonach die Vermutung bestehe: „dass der Kohlenstoff und der Stickstoff im Biogenmolekül zu Cyan (CN) vereinigt sind, einem Radikal, das den toten Eiweisskörpern fehlt. Damit wäre ein ganz fundamentaler Unterschied in der Konstitution des Biogens oder, besser, der Biogene, denn es handelt sich ja zweifelsohne in den verschiedenen Formen der lebendigen Substanz um verschiedenartige Körper der Biogengruppe, und der toten Eiweißkörper gegeben, der auch die grosse Labilität des Biogenmoleküls erklären würde, denn das Cyan ist ein Radikal, das eine große innere Energiemenge enthält, so dass die Cyanverbindungen sämtlich starke Neigung zum Zerfall be34 sitzen.“
Verworn vermerkt aber zu diesen Deutungen Pflügers bereits sehr kritisch: „Wir haben […] gesehen, dass die Begründung, die Pflüger seiner Cyanhypothese gibt, heute nicht mehr stichhaltig ist. Man mag aber über die Frage, ob im Biogenmolekül eine Cyangruppe steht oder nicht, denken was man will. […] Die allgemeinen Erörterungen Pflügers 35 […] bleiben dadurch unberührt.“
Verworn stellt also damit nicht die Existenz von Biogenen an sich in Frage. Auf diesem hypothetischen Hintergrund begann er nunmehr mit Konkretisierungsversuchen zu Metabolismus, Funktion und differenten Wirkorten seiner Biogene, die Berger übernommen hatte. Ausgangspunkt war für beide die „labile Constitution“ der Biogene. Natürlich sind nach heutigen Erkenntnissen die aus den Pflüger’schen Analysenergebnissen von Verworn abgeleiteten Vorstellungen zu Herkunft und Natur seiner Biogene überholt. Trotzdem sollen seine Konkretisierungsversuche zur regulatorischen Beteiligung der Biogene an nervalen Leistun32 33 34 35
Verworn, Allgemeine Physiologie, S. 578. Ebd., S. 579. Ebd., S. 580. Ebd., S. 581.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
gen, psychischen Prozessen und besonders an der Deutung der Bereitstellung der psychischen Energie geschildert werden, denn sie boten Hans Berger zur damaligen Zeit die Grundlage seiner zweiten Basishypothese für seine experimentellen Ansätze und deren Ergebnisdeutung. Berger konnte zu seiner Zeit auf kein anderes neurochemisches Hypothesenangebot zurückgreifen. In Erweiterung seiner bisherigen Aussagen konkretisierte Verworn zunächst später die Biogenmoleküle hinsichtlich einer möglicherweise doch differenten chemischen Zusammensetzung, wobei er nicht unbedingt auf ihrer Eiweißnatur beharrte: „[…] müssen wir mit größter Wahrscheinlichkeit folgern, dass das Biogenmolekül nicht in allen Zellen genau die gleiche chemische Zusammensetzung hat, sondern dass es verschiedene Biogenkörper gibt, und dass sogar nicht bloss die Biogene verschiedener Zellen, sondern auch verschiedener Differenzierungen derselben Zelle […] verschiedene Konstitution haben 36 werden.“
Mit dieser erweiterten Hypothese einer möglichen Differenziertheit der Biogene hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung, ihres zellulären Vorkommens und damit auch ihrer lokalen Funktionen schuf sich Verworn den Freiraum für seine Hypothesen zu den natürlich auch Berger besonders interessierenden Prozessen im Zentralnervensystem. Aufgrund der Labilität der Biogene sah Verworn die Energiebilanz aus dem Biogen-Zerfall (Abbau, von ihm Dissimilation genannt) als Quelle der psychischen Energie. Die Regeneration der Biogene, also die Biogen-Synthese bezeichnete Verworn als Assimilation. Die psychische Energie, wie auch die Energie für nervale Reizleistungen aller Art solle also aus der freiwerdenden chemischen Energie beim Dissimilationsprozeß der Biogene geliefert werden. Im Originaltext seines Lehrbuches verwendete Verworn dafür folgende Formulierungen: „Wie haben gesehen, dass die Biogene sehr labile Verbindungen sind, mit anderen Worten, dass die Atome ihres Moleküls sich in lebhaften Schwingungen befinden, infolge deren gewisse Atome gelegentlich in die Anziehungssphäre anderer gelangen, mit denen sie, zu einer festen Verbindung vereinigt, sich als selbständiges Molekül abtrennen. So erfolgt auf Grund der grossen intramolekularen Wärme die spontane Dissimilation des Biogenmoleküls […] [es] erfolgt im Anschluß an die spontane Dissimilation die spontane Assimilation des Biogenmoleküls […] Da die Dissimilation der Biogene durch die intramolekularen Schwingungen der Atome bedingt ist, so liegt es auf der Hand, dass alle Faktoren, welche die intramolekularen Schwingungen der Atome verstärken, den Dissimilationsprozess unterstützen müssen. So erklärt sich der erhöhte Zerfall, […], der bei Einwirkung chemischer, mechanischer, 37 thermischer, phonischer (akustischer), galvanischer Reize auftreten kann.“
Für Berger war von Bedeutung, dass Verworn neben den verstärkenden Reizen auf die Dissimilation auch Reize definierte, die Dissimilation „zu lähmen“ (Abkühlung etc.). Für beide Einflußrichtungen führte Verworn den Begriff „dissimilatorische Reize“ ein.
36 Ebd., S. 583. 37 Ebd., S. 590f.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
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Für den Wiederaufbau der Biogene, der Assimilation, vor allem deren Steigerung und Lähmung betreffend, hatte Verworn folgende Erklärung: „Vor allem wird also in dieser Richtung wirken die erhöhte Zufuhr von Nahrungsmaterial und Sauerstoff, […] dann alle Reize, welche die Produktion von Fermenten anregen, die zur Lösbarmachung fester Naturstoffe erforderlich sind u.s.w. Aber umgekehrt wird es auch Faktoren geben, welche den Assimilationsprozess lähmen […] Wir wollen all diese Faktoren, die den Assimilationsprozess entweder erregen oder lähmen, als „assimilatorische Reize“ bezeich38 nen.“
Entscheidend für die weitere Konkretisierung der Vielfalt nervaler Reizbedingungen und der psychischen Leistungen war für Verworn die Bewertung des Quotienten Assimilation/Dissimilation (A/D), den er als „Biotonus“ bezeichnete. Die Dynamik der nervalen Prozeßabläufe insgesamt, also einschließlich der psychischen, charakterisierte er jeweils durch Abweichungen des Quotienten A/D von 1. Mit A/D = 1 kennzeichnete er den Ausgangszustand, der sich im intakten Nervengewebe nach vollzogener Leistung und anschießender Erholung immer wieder einstellen muß (nach Hering „innere Selbststeuerung des Stoffwechsels“). In Anlehnung an E. Hering differenzierte Verworn anhand des Quotienten A/D die Reize schließlich in folgende Kategorien: Dissimilatorische Erregung, dissimilatorische Lähmung, assimilatorische Erregung, assimilatorische Lähmung, totale Erregung, Assimilatorische Erregung + dissimilatorische Lähmung, assimilatorische Lähmung + dissimilatorische Erregung. Weiterhin behandelte er das Problem der Interferenz von Reizwirkungen und differenzierte hier zwischen Verstärkungen („Erregbarkeitssteigerungen“) und „Erregbarkeitsherabsetzungen“ des folgenden gegenüber dem vorhergehenden Reiz und führte hier als Ursache für Hemmungserscheinungen den Begriff „antagonistische Stoffwechselprozesse“ ein.39 Hans Berger hatte bereits aus Verworns 1897er Lehrbuch dessen Dissimilationshypothese und den Biotonus übernommen und auf seinen ersten großen Experimentalkomplex zur zerebralen Blutzirkulation angewandt (siehe Abschnitt 3.). Die 1907 von Verworn erschienene Monographie schien ihn jedoch so fasziniert zu haben, dass er im Exemplar der Bibliothek seiner Jenaer Nervenklinik reichlich handschriftliche Anmerkungen mit Bleistift machte (wir konnten hier im Vergleich mit Bergers Tagebüchern die Identität der Handschrift sichern). 40 In letztgenanntem Werk widmete Verworn den „Vorgängen in den Elementen des Nervensystems“, den „Bewusstseinsvorgängen“ und „Schlaf, Traum, Suggestion und Hypnose“ eigene Kapitel, deren Erkenntnisinhalte Berger in mehreren seiner Publikationen referierte und als Hypothesen zur Erklärung seiner eigenen Befunde nutzte. Dazu gehörten die für Berger immer wichtiger werdenden histologisch-anatomischen Befunde Cajals (unter Anwendung der Golgi-Methode), die mit damaliger mikroskopischer Technik erstmals die zellulären Einheiten der
38 Ebd., S. 591. 39 Vgl. Hering, Theorie der Vorgänge. 40 Vgl. Verworn, Mechanik des Geisteslebens.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
Nerven- oder Ganglienzellen erkennen ließen und im letzten Jahrzehnt die Grundlage der „Neuronenlehre“ bildeten: „Ganglienzellen und Nervenfasern bilden eine einzige zelluläre Einheit. Diese zelluläre Einheit ist das Neuron, ein Zellkörper mit baumartig verästelten Ausläufern (Dendriten), der einen längeren Fortsatz entsendet, welcher in seinem weiteren Verlauf zur Nervenfaser, zum so 41 genannten Achsenzylinder des peripheren Nerven wird.“
Verworn referierte in seiner Publikation 1907 eine weitere, für Berger enorm wichtige Erkenntnis Cajals: „[dass] der Faden, der von der Ganglienzelle ausgeht (gemeint ist das Axon), wenn er sich im Zentralnervensystem an eine zweite Ganglienzelle ansetzt, nicht durch Kontinuität in diese Zelle übergeht, sondern sich nur an die zweite Ganglienzelle anlegt, so dass also zwischen zwei solchen Neuronen, […], eine Trennungsstelle besteht. Es ist nach diesen Befunden keine Kontinuität zwischen zwei Neuronen vorhanden, sondern nur ein Kontakt. Daraus schloß Ramon y Cajal: das ganze Nervensystem besteht aus Ketten von aneinander gereihten Neuro42 nen.“
Aus der Kombination dieser nervalen Feinstrukturen, betreffend vor allem die Axone und die Kontaktstellen zwischen benachbarten Neuronen (synaptische Kontakte), mit seiner „Dissimilationshypothese der Biogene“, sowie mit Erkenntnissen aus elektrischen Erregbarkeitsuntersuchungen an Nerven und aus der zerebralen Nährstoffzufuhr über Blut und Lymphe versuchte Verworn zu ergründen, was in den unterschiedlichen Elementen des Nervensystems vorgeht. Dabei sah er die Nervenfasern als die Leitungsorgane der nervösen Prozesse an, wandte sich aber gegen damalige Vorstellungen eines Vergleichs mit der elektrischen Leitung in Metalldrähten („Leitungen physikalischer Natur“) und erklärte aufgrund auch selbst erhaltener Experimentalbefunde: „[…] dass der Leitungsvorgang kein einfacher physikalischer Prozess sein kann, sondern nur ein Vorgang, der an den Stoffwechsel seiner lebendigen Substanz, speziell an den Sauerstoffverbrauch gebunden ist, d.h. der Nervenleitungsvorgang besteht in der Übertragung eines chemischen Erregungsprozesses von Querschnitt zu Querschnitt durch die ganze Nervenfaser hin. Von Nervenzelle zu Nervenzelle […], eine plötzliche einzelne oder intermittierende Entladung, eine dissimilatorische Erregung, das ist es, was der Nerv allein leitet. […] Er leitet nichts anderes als einzig und allein dissimilatorische Erregungen der Zelle, die er mit anderen 43 in Verbindung setzt. Das sind die nervösen Impulse in unserem Nervensystem.“
Aus dieser auf neuronal-zellulärer Basis abgeleiteten Hypothese ergab sich für Verworn natürlich ein Erklärungsproblem für die Abläufe auf höheren, also integralen Ebenen. Er versuchte es anhand der Frage „was ist eigentlich das Gedächtnis?“ darzustellen, für dessen Sitz die Großhirnrinde favorisiert wurde (Flechsig u.v.a.). Für den heutigen Leser mit derzeitigem Kenntnisstand dürfte Verworns Antwortversuch verblüffen: „Es werden durch Übung in den Ganglienzellen des Gehirns offenbar irgendwelche Veränderungen hervorgerufen, die es bewirken, dass die Erregung dieser betreffenden Ganglienzellen 41 Ebd., Legende zu Fig. 1. 42 Ebd., S. 28f. 43 Ebd., S. 44f.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
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auf bestimmten eingeübten Bahnen von Ganglienzellen und Nervenfasern immer leichter entstehen und ablaufen kann. Worin besteht aber diese Veränderung? Man hat gesagt, es ist eine „Spur“, ein „Eindruck“, was da in der Ganglienzelle hinterlassen wird […] In neuerer Zeit hat man versucht, das deutsche Wort „Eindruck” zu ersetzen durch das griechische Wort „Engramm“. Man hat weiter gesagt, es sind molekulare Umlagerungen in den Ganglienzellen. Gewiß, molekulare Umlagerungen finden ja bei jedem Erregungsvorgang in den Ganglienzellen statt. Aber wir wissen auch, dass durch die Selbststeuerung des Stoffwechsels immer wieder der alte Zustand hergestellt wird, und das macht die Vorstellung, dass von dem Erregungsvorgang eine molekulare Umlagerung zurückbleiben soll, so schwierig […]. Der Muskel kann uns den Weg zeigen, auf dem wir weitergehen müssen […]. Wenn wir […] den Muskel immer stärker und ausdauernder arbeiten lassen (reizen), so erholt sich der Muskel nicht bloß nach jeder Inanspruchnahme von der dissimilatorischen Erregung, sondern wir finden auch, dass er […] infolge der wiederholten funktionellen Inanspruchnahme seiner Zellen an Substanz ganz beträchtlich zugenommen hat. Andauernde Übung eines Muskels führt […] zu einer Vermehrung seiner Masse und dementsprechend zu einer Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit. So ist es in der Ganglienzelle auch. Zwar vermehren sich […] die Zellen des Gehirns nach der Geburt nicht mehr, aber sie können sich noch weiterentwickeln und das tun sie 44 in der Tat.“
Der Begriff Engramm hat sich in der aktuellen neurowissenschaftlichen Literatur durchgesetzt.45 Als ersten Beleg für diese Aussagen brachte Verworn den Vergleich der Entwicklung von Purkinje-Zellen des Kleinhirns des Kaninchens von unmittelbar nach der Geburt bis zum erwachsenen Tier, die sich in einer deutlichen Zunahme des Dendritenbaumes und damit ihrer Masse zeigte. Als weiteres Beispiel führte er Bergers tierexperimentelle Untersuchungen zu Veränderungen der Feinstruktur der Ganglienzellen der Sehsphäre der Großhirnrinde an Hunden und Katzen bei Verschluß der Augen nach der Geburt an.46 Berger hatte bei neugeborenen Hunden und Katzen desselben Wurfes bei der Hälfte der Tiere die Augen mehrere Monate verschlossen gehalten und die andere Hälfte sich mit offenen Augen normal entwickeln lassen. Nach Tötung beider Gruppen hatte er die Gehirnregionen mikroskopisch untersucht und gefunden, dass die Ganglienzellen der Sehsphäre bei den Tieren mit verschlossen gehaltenen Augen deutlich geringere Verzweigungen zeigten. Verworn hatte Bergers Originalarbeit von 1900 zitiert. Berger selbst schien dieses Zitat erst viele Jahre nach Verworns 1907 veröffentlichter Monographie dort entdeckt zu haben. Er vermerkte nämlich in dem in der Bibliothek der Jenaer Nervenklinik vorhandenen Exemplar handschriftlich am Rande seiner von Verworn übernommenen Abbildungen: „Verworn, Allg. Physiol., 6. Aufl. 1915, S. 620–621.“47 Im Detail zu Bergers Publikation: Er entwickelte seine Konzeption zu diesen Untersuchungen aus Wernickes Ansicht, „dass die Zellen eines bestimmten Rin44 Ebd., S. 63f. 45 Der Begriff „Engramm“ erstmalig zitiert durch R. W. Semon 1904; ausführlich erläutert 1909. Vgl. Semon, Mneme; Ders., Mnemischen Empfindungen, S. 284. Von Berger zitiert in seiner Rektoratsede 1927. Vgl. Berger, Lokalisation im Großhirn, S. 14. 46 Vgl. Berger, Experimentell-anatomische Studien , S. 521ff. 47 Verworn, Allgemeine Physiologie (1915), S. 620f.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
dengebietes so lange embryonal bleiben, bis sie für die Niederlegung eines Erinnerungsbildes in Anspruch genommen werden“48 und aus Versuchen zahlreicher Autoren, die mit Enucleationen von Augen bei Versuchstieren Degenerationen feststellten und Wernickes Ansicht bestätigen konnten. Anatomisch orientierte sich Berger an v. Monakow, indem er von dessen neuroanatomischen Beschreibungen des Nervus opticus und dessen Beziehungen zu verschiedenen Zellschichten der Occipitalrinde ausgehend, seine Hunde- und Katzenversuche startete.49 Bergers mikroskopischen Untersuchungen lagen folgende Techniken zugrunde: Für die Schnitte verwendete er die Chromalaun-Chromkalium- (nach Weigert) und die Silber-Imprägnation (nach Golgi), für die Zellzählungen die Methode nach Hammarberg (zu dieser publizierte er bereits 1898). Berger gehörte damit zu den Erstautoren, die über mikroskopisch erfaßte feinstrukturelle Änderungen an Nervenzellen geschädigter Tiere berichteten. Neben deren Reduktion der Fortsätze fand er noch eine dichtere Anordnung der kleineren Pyramidenzellen und ein Verharren bestimmter Zell-Lagen auf einem jugendlicheren Entwicklungsstadium. Bereits makroskopisch zeigten sich Entwicklungshemmungen in Form von mangelhafter Furchung und geringerer Breite der Windungen des Occipitallappens. Zudem hatte Berger in seiner Publikation, die immerhin sieben Jahre vor der Verworns erschienen war, bereits einige vergleichbare Deutungen vorausgeschickt. So schrieb er beispielsweise: „Die Fortschritte der experimentellen Physiologie des Großhirns, die wir namentlich Munk zu verdanken haben, haben uns die Orte kennen gelehrt, an denen wir die einen Reiz auf einem bestimmten Sinnesgebiet entsprechenden corticalen Prozesse zu suchen haben. Nach der allgemeinen Annahme läßt jeder solcher Rindenprozess eine dauerhafte Veränderung in der Hirnrinde zurück, die wir uns als Umlagerung der Moleküle der Ganglienzellen denken müs50 sen.“
Sein Vorbild Ziehen hatte sich ähnlich geäußert.51 In diesem Zusammenhang zitierte Berger Munks Ansicht, die „centrale Sinnesflächen“ für Sinnesempfindungen beschreibt, „in der nur Zellen liegen sollen, die der Aufbewahrung materieller Spuren früherer Empfindungen, der so genannten Erinnerungsbilder dienen“.52 Interessant ist, dass Berger in seiner Publikation eine seinerzeit entgegengesetzte Disskussion einflocht, die ihm für seine eigenen Deutungen allerdings nebensächlich erschien: „[…] ist es einerlei, ob die physischen Vorgänge in ihnen (den Zellkörpern) oder in den Ner53 venfibrillen, die von ihnen ernährt werden, stattfinden.“
48 Wernicke, Grundriß der Psychiatrie. 49 Monakow, Gehirnpathologie, S.431ff. 50 Berger, Experimentell-anatomische Studien, S. 521f. Zu H. Munk vgl. Munk, Functionen der Großhirnrinde. 51 Vgl. Ziehen, Leitfaden physiologischen Psychologie. 52 Munk, Functionen der Großhirnrinde. 53 Berger, Experimentell-anatomische Studien, S. 521f.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
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Berger berührte damit die damals offene Frage, ob entweder die „fibrilläre Substanz“ (er nannte die Axone und Dendriten „Neurofibrillen“) oder der Zellkörper des Neurons für „alle spezifischen nervösen Funktionen“ verantwortlich ist. Bethe und Apathie entschieden sich damals pro „fibrilläre Substanz“, Nissl dagegen. Diese Unsicherheit um 1900 störte Berger also nicht. Somit hatte auch Berger zu Verworns Hypothesen beigetragen, die letzterer für den heutigen Leser in einer so hinweisend interessanten Art darstellte, dass wir hier auch den Originaltext zitieren: „Wenn wir uns nun vorstellen, dass die lebendige Substanz einer Ganglienzelle an Masse mehr und mehr zunimmt, so wird der nervöse Impuls einer solchen Ganglienzelle natürlich viel stärker sein müssen, als der Impuls, den eine kleine oder schwach entwickelte Ganglienzelle entlädt. Da aber von der Stärke des Impulses die Fortleitung der Erregung durch andere Ganglienzellstationen hindurch abhängig ist, so wird eine Ganglienzelle für die Assoziationsbildung um so geeigneter werden, je mehr sich ihr Zellkörper durch seine Massenzunahme infolge seiner funktionellen Beanspruchung, d.h. durch Übung entwickelt. […] Eine stark entwickelte Ganglienzelle wird, wenn sie durch irgendeinen Impuls erregt wird, diesen Impuls mit großer Intensität auf der von ihr ausgehenden Bahn weiterschicken, und die Ganglienzellen, die sich auf dieser Bahn weiterhin anschließen, werden selbst wieder einen starken Impuls erhalten und weiter befördern. Wenn dagegen eine schwach entwickelte Ganglienzelle einen Impuls entsendet, so kann die Erregung so schwach sein, dass sie schon auf der nächsten Ganglienzellstation erlischt, denn wir wissen, die Leitung geht sehr leicht und schnell auch bei geringer Impulsintensität durch die Nervenfaden, aber verhältnismäßig schwer durch ungeübte Ganglienzellen hindurch. So schleifen wir Bahnen in der Großhirnrinde aus, indem wir bewirken, dass immer und immer wieder auf denselben Bahnen Impulse verlaufen und nicht nach anderen Richtungen abschweifen. […] So üben wir durch Erziehung die Assoziationen ganz bestimmter Vorstellungen ein und schleifen die Bahnen zu logischer Gedankenverknüpfung aus. Darin besteht die Aneignung aller der Fähigkeiten, die wir in unserer Erziehung lernen müssen, und darauf beruht das Gedächtnis. Üben wir aber nicht mehr, so hört die funktionelle Inanspruchnahme der Ganglienzellen auf, und ihre Masse nimmt langsam an Umfang ab. Es wird uns schwerer zu erinnern oder die eingeübte Leistung zu reproduzieren und wir fangen allmählich an zu vergessen und zu verlernen […]. Sie sehen, es handelt sich um ein fortwährendes Ablaufen von dissimilatorischen Erregungen auf den komplizierten Bahnen von Nervenfasern und Ganglienzellen. Wie auf einer Zündschnur der Funke, so läuft die dissimilatorische Erregung auf dem feingeordneten Netz von Bahnen und Stationen dahin, an der einen Station eine Erregung, an der anderen eine Hemmung erzeugend. So entsteht das subtile und höchst verwickelte Getriebe unseres Empfindens und Vorstellens, unseres Den54 kens und Handelns.“
Verworn erhielt bereits mit seinem erstgenannten Grundriß der Allgemeinen Physiologie in Rezensionen Anerkennung. So konnte der Verlag Gustav Fischer Jena bereits zur dritten Auflage 1901 positive Rezensionen zur zweiten Auflage abdrucken, die in Abb. 2.2. als Kopien zu sehen sind. Das Deckblatt seiner „Mechanik des Geisteslebens“ (1907), in der er seine Biogenhypothese in endgültiger Form formulierte, ist in Abb. 2.3. zu sehen. Mit diesem hypothetischen Basismaterial Verworns und den neuroanatomischen Befunden Cajals hatte der Nervenarzt Hans Berger durch den Physiologen und den Anatomen die erforderlichen, gleichzeitig aber auch nur die damals möglichen Fundamente seiner eigenen Konzeptionen 54 Verworn, Mechanik des Geisteslebens, S. 66ff.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
und arbeitshypothetischen Vorstellungen erarbeitet. Für Berger bestand nach dieser „Einpassung“ der „Biogen-Dissimilationshypothese“ in das damalige neuroanatomische und klinische Befundmaterial keine Veranlassung, diese zu verlassen. Für den heutigen Leser wird erkennbar, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen vor allem der junge Berger um 1900 damit hatte: Die anatomisch-histologischen Kenntnisse entsprachen zwar bereits etwa anfänglicher Realität, mußten aber für einen eigentlichen Quantensprung im fein- und substrukturellen Bereich noch bis zur Anwendung der Elektronenmikroskopie ab Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts warten. Berger war da bereits tot. Die physiologischen Kenntnisse mit anatomischem Bezug waren hingegen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bereits deutlich fortgeschrittener und Berger konnte Verworns physiologische (nicht biochemische) Hypothesen präzisieren und weiter konkretisieren. Letztere erweiternd, vor allem um die von O. und C. Vogt erhobenen Hypothesen zur Felderung der Großhirnrinde und um seine bereits reichen klinischen Erfahrungen, konnte er seine eigenen Forschungskonzeptionen und Arbeitshypothesen weiter entwickeln und stützen.55 So äußerte er sich in seiner berühmt gewordenen Rede als Rektor „Ueber die Lokalisation im Großhirn“ 1927 zum Zusammenhang „Psyche-Hirn“ folgendermaßen: „Einem Ausfall im Hirn an dieser oder jener Stelle (im Hirn) entspricht dieses oder jenes Symptom. Aus solchen Tatsachen kann dann erst sekundär die Lokalisation einer Funktion in einer bestimmten Hirngegend erschlossen werden. Wir haben bei unseren klinischen Beobachtungen auch zu scheiden zwischen vorübergehenden und den bleibenden Ausfalls56 erscheinungen.“
An Beispielen für psychische Funktionsstörungen und Ausfallserscheinungen führte er vorwiegend solche bei Epileptikern nach elektrischen Reizungen oder nach Operationen und bei Enzephalitiskranken an und verwies bei letzteren auf den wichtigen Befund, dass nicht nur Rinden-, sondern auch Hirnstammschädigungen ursächlich beteiligt sein können. In den meisten Fällen zeigte sich ihm eine Kongruenz zwischen anatomisch-physiologischen und klinischen Befunden. Besonders interessierten ihn natürlich Zustände von Ausfallserscheinungen nach anatomischen Schädigungen, die mit „Seelenveränderungen“ einhergehen. Damit stieß er immer wieder auf die Lokalisationsfrage psychischer Leistungen in der Großhirnrinde. In seiner Rede 1927 stellte er zunächst damalige Hypothesen hierzu vor (Flechsig, v. Monakow, Jacob und Bielschowsky, u.a.). Unter Einbeziehung der o.g. Vogt’schen Feldhypothese und seiner klinischen Erfahrungen demonstrierte er dann die eigene, bedeutend weittragendere Sicht: Die Lokalisation psychischer Funktionen sah er in spezifischen Rindenfeldern, wobei je nach psychischem Vorgang mehrere koordiniert zusammenarbeiten können. Es befindet sich also die gesamte Rinde gewissermaßen in „Bereitschaft“ (also „unter Strom“), jedoch erfolgt ein diskreter Abruf betreffender Rindenfelder nach
55 Vgl. Vogt/Vogt, Felderung der Großhirnrinde, S. 1190–1194. 56 Berger, Lokalisation im Großhirn, S. 5.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
Abb. 2.2.: Rezensionen zu M. Verworns Lehrbuch „Allgemeine Physiologie“ (2. Auflage).
Abb. 2.3.: Titelblatt „Die Mechanik des Geisteslebens“
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
jeweiligen Anforderungen. Berger führte hier den Begriff der „funktionsbezogenen Engrammfelder“ für Sinneswahrnehmungen und deren Speicherung ein. Er unterstützte seine erweiterte Hypothese durch bereits fundierte hirnanatomische Zuordnungen, die man damals für hauptsächlich sensible (rezeptorische) und motorische (effektorische) Regionen vornehmen konnte.57 Der interessierte Leser kann die Details des diesbezüglichen Gedankengebäudes im Faksimile seiner Rede im Anhang dieses Buches nachlesen (siehe Abschnitt 7). Während für Berger also mit dem neuroanatomisch-histologischen und dem physiologischen Kenntnisstand seiner Zeit bereits recht ergiebiges Material vorlag, bestand für ihn neurochemisch nur die aus Analogschlüssen abgeleitete „Biogen-Dissimilations-Hypothese“ ohne konkretes analytisches Fundament, also eigentlich noch ein neurochemisches Vakuum. Heute ist dieses Vakuum natürlich weitgehend aufgefüllt. Die damals vermuteten „Biogene“ und deren spekulierte „Assimilations- und Dissimilationsprozesse“ sind substanziell längst durch eine riesige Batterie von Transmittern, deren Rezeptoren, Kofaktoren, Aktivatoren, Inhibitoren etc. und physikochemisch durch konkrete Reaktionsabläufe und Steuerungsmechanismen der chemischen synaptischen Transmissionsketten etc. auf molekularen, zellulären und höheren (modularen, integrativen) Regulationsebenen ersetzt und weitgehend aufgeklärt. Desweiteren, die „chemische Energiequelle“ aus Bergers Zeiten ist substanziell mit dem Adenosintriphosphat (ATP), seiner Speicherform Kreatinphosphat (CP), den relevanten Bildungs-/Abbauenzymsystemen im subzellulären Bereich (Mitochondrien etc.), sowie physikochemisch (2. Hauptsatz der Thermodynamik) mit koordinierten reversiblen Konformationsänderungen der an den Transmissionsprozessen beteiligten subzellulären synaptischen Strukturelemente gefunden worden. Bergers „psychische Energie“ ist damit keine Energiesonderform, sondern der für alle, auch die psychischen Leistungen benötigte Energieaufwand im Rahmen der dabei ablaufenden bioelektrischen und neurochemischen Feinmechanismen in den relevanten neuronalen Arealen. Wann aber begann dieser Ablösungsprozeß des neurochemischen Vakuums aus Bergers Zeiten? Wann setzte also die eben skizzierte inhaltliche Entdeckungswelle ein? Generell ist aus historischer Sicht festzustellen, dass in den Vorstellungen zur Impulsübertragung zwischen Nerven- und nichtnervalen Effektorzellen des peripheren Nervensystems bis Ende der 30er Jahre und zwischen Nervenzellen des Zentralnervensystems sogar noch bis in die frühen 50er Jahre des 20. Jahrhunderts „elektrische“ Theorien gegenüber einer „chemischen“ Theorie dominierten. Erst danach erkannte man zunehmend die integrative Zusammenarbeit „elektrischer“ und „chemischer“ Abläufe in der zentralnervösen Impulsübertragung. Spärliche Hinweise für die Entstehung der „chemischen“ Theorie ergaben sich zwar bereits mit Elliots und Dixons Vermutungen einer chemischen Übertragung aus Untersuchungen an Endstrukturen des autonomen (davon sympathischen) Nervensystems 1905 bzw. 1907, dass Adrenalin, die heute als Neuro57 Vgl. Ebd.
2.1. Grundlagen für Bergers Konzept
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transmitter bekannten Noradrenalin („Arterrenol“) und Acetylcholin oder ähnliche Substanzen freigesetzt werden könnten.58 Mitte der 20er und in den frühen 30er Jahren untersuchte Loewi nach VagusReizung in der Spülflüssigkeit des isolierten Froschherzens einen ausgeschwemmten „Vagusstoff“, der seinerseits nervöse Impulse auf Zellen von Erfolgsorganen übertrug und später als der Neurotransmitter Acetylcholin identifiziert wurde.59 Obwohl Dale bereits 1914 die physiologische Wirkung von Noradrenalin und Acetylcholin am peripheren Nerven untersuchte, beschrieb er erst viel später deren Teilnahme am Prozeß der chemischen Impulsübertragung.60 In gleicher Weise publizierte von Euler nach längeren Vorarbeiten erst 1946 die tatsächliche Identifikation von Noradrenalin als Neurotransmitter des Sympathikus der Säuger und gar erst 1956 entdeckten von Euler und Hillarp nach Fraktionierung sympathischer Nervenendigungen dortige Speicherpartikel (Vesikel) für Noradrenalin, womit sie einen elementaren Beitrag zur Frage der Synthese, Freisetzung, Speicherung und Inaktivierung von Neurotransmittern lieferten.61 Mit diesen Studien an peripheren Nerven waren die Wirkmechanismen und feinstrukturellen Lokalisationen dieser Transmitter in Neuronen des Zentralnervensystems, gar noch in menschlichen Hirnarealen und ihr möglicher Zusammenhang mit psychischen Funktionen aber noch längst nicht bekannt. Berger hatte zu seinen Lebzeiten also damit keinen für ihn verwertbaren Zugang. Gleiches galt auch bezüglich der konkreten „chemischen Energiequelle“, aus der Berger seine „psychische Energie” abzuzweigen glaubte. Die letztendlich universelle chemische Energiequelle aller lebenden Zellen, das o.g. ATP, wurde zwar 1929 von Karl Lohmann im Muskel entdeckt, die konkreten Mechanismen seines Einsatzes in nervalen Funktionsabläufen blieben Berger jedoch während seines Lebens verborgen. Mehr als die „Biogen-Dissimilationshypothese“ war also für Bergers neurochemische Deutungsversuche seiner Forschungsergebnisse nicht verfügbar. Die derzeit gesicherten neurochemischen Hypothesen mit Aussicht auf eine erfolgreiche Erforschung der höheren Nerventätigkeit, einschließlich psychischer Funktionen, konnten damit eigentlich erst nach Bergers Tod um die Mitte des 20. Jahrhunderts parallel und in Koordination zu den elektronenmikroskopischen Aufklärungen der Feinstrukturen von neuronalen Elementen, vor allem von synaptischen Kontakten zwischen den Neuronen abgeleitet werden. Nervenleitprozesse, Membranpotentiale, Reizphänomene, Modularitäten auf allen molekularen, zellulären, regionalen und funktionalen Ebenen des ZNS fanden damit erst ab der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit den vielfältigen und ständig zunehmenden Entdeckungen synaptischer Basismechanismen, des makromolekularen Membranaufbaus beteiligter Zellpopulationen (Ionenkanalstrukturen etc.), der 58 59 60 61
Vgl. Elliot, Action of adrenaline, S. 401 und Dixon, Action of Drugs, S. 454. Vgl. Loewi/Navratil, Übertragbarkeit der Herznervenwirkung, S. 678–688. Dale, Acetylcholine, S. 401. Vgl. Euler, A specific sympathomimetic ergone, S. 73 und Ders., Presence of noradrenaline, S. 44.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
Chemoarchitektonik zerebraler Areale und ganzer Regelsysteme (Funktionskreise), sowie molekulargenetischer Regulationsmechanismen ihre zunehmende, bisweilen noch nicht einmal heute abgeschlossene Deutung. Historisch verfolgt, hat die Synapse als kommunikative Verbindung zwischen Nervenzellen erst seit 1949 durch die Pionierarbeiten von Hebb in der Biologie des Lernens und Gedächtnisses eine dominierende Stellung eingenommen.62 Damit dürfte eindeutig herausgestellt sein, was Berger nicht wissen und also nicht verwenden konnte. An dieser Stelle sei bereits vorangekündigt, dass von Euler in der Nobelpreisfrage Bergers eine entscheidende Rolle zukam (siehe Kapitel 5.5.). Bergers damals aktuelles Wissen, seine Basisvorstellungen in der Forschung und seine Lehrinhalte in den Vorlesungen fanden jedoch unter den progressiven, neurowissenschaftlich orientierten zeitgenössischen Neuropsychiatern durchaus Anklang und Bestätigung. An dieser Stelle nur zwei Zitate: Robert Bing rezensierte kurz Bergers Rede „Über die Lokalisation im Großhirn“ folgendermaßen: „Gerade in der neurologischen Lokalisationslehre machen sich (trotz des Reichtums an Untersuchungen und theoretischen Betrachtungen, der auf diesem Gebiete zu konstatieren ist) vielfach Verhältnisse geltend, die auf den Fernstehenden verwirrend wirken: Ueberwiegen naturphilosophische Spekulation gegenüber der Registrierung des Tatsachenmaterials, gegenseitige Verketzerung verschiedener „Schulen“, durch unverdauliche Terminologie begünstigtes „Aneinandervorbeireden” usw. usw. Umso wärmer muß eine Abhandlung wie die vorliegende akademische Rede des Jenenser Psychiaters begrüßt werden: Klar, knapp, das Wesent63 liche erfassend, sachlich und eklektisch – kurz: vorbildlich!“
Der berühmte und international renommierte Psychiater Eugen Bleuler nahm für Bergers „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“ folgende Beurteilung vor: „Eine kurze Übersicht über die elementaren psychischen Vorgänge. Die Auswahl aus der Masse des Materials ist eine äußerst zweckmäßige und die Darstellung überrascht geradezu dadurch, wie spielend sie den bei anderen Autoren meist recht spröde erscheinenden Stoff 64 bewältigt […].“
Beide Rezensionen wurden vom Verlag Gustav Fischer Jena im Anhang zu Bergers Abschlußwerk „Psyche“ gedruckt. Wie eingangs dieses Abschnittes bereits herausgearbeitet, hatten Bergers Basisvorstellungen zur „psychischen Energie“ und zur „Biogen-DissimilationsHypothese“ eine elementare Bedeutung für seine weitere Basishypothese eines „psychophysischen Parallelismus“. Details hierzu werden im folgenden Abschnitt angeführt.
62 Vgl. Hebb, Organization of Behavior. 63 Bing, Besprechung des Buches von Hans Berger, o.S. 64 Bleuler, o.T., o.S.
2.2. Berger und die Haltung seines Umfeldes
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2.2. BERGER UND DIE HALTUNG SEINES UMFELDES ZUM „PSYCHOPHYSISCHEN PARALLELISMUS“ Während Berger Ostwalds Gedankengängen zur Existenz einer „psychischen Energie“ bis auf die o.g. Details zumindest grundsätzlich folgte, grenzte er sich von ihm durch die Anerkennung eines „psychophysischen Parallelismus“ ab. Ostwald lehnte einen „psychophysischen Parallelismus“ dadurch ab, dass er in der Materie (Physis) einen „Komplex von verschiedenen Energien“ sah, wodurch „das eine Glied des Gegensatzes Geist – Materie aufgehoben wird“. Ostwalds daraus resultierende monistische Anschauung geht aus seiner folgenden Formulierung hervor: „Es besteht […] gar nicht mehr die Aufgabe, zu ermitteln, wie Geist und Materie in Wechselwirkung treten können, sondern es entsteht die Frage, wie sich der Begriff der Energie, der viel weiter als der der Materie ist, zu dem Begriff des Geistes stellt. […] Und es besteht die Hoffnung, dass der angemessen weiter gebildete Begriff der Energie, in dessen Rahmen tatsächlich alles physische Geschehen enthalten ist, auch zu dem des Geistes in ein klares Verhältnis gebracht werden können. Dieses Verhältnis glaube ich so auffassen zu dürfen, dass die geistigen Geschehnisse ebenso sich als energetische auffassen und deuten lassen, wie alle übrigen Geschehnisse auch. […] Für die energetische Weltauffassung besteht […] ein stetiger Zusammenhang zwischen den einfachsten Energiebetätigungen, den mechanischen, und den 65 verwickelten, den psychischen.“
Aus dieser monistischen Anschauung entwickelte Ostwald seine Hypothese zur „psychischen Energie“. Allerdings fand er zu seiner ausschließlich „energetischen Weltauffassung“, also praktisch einer Auflösung der Materie entsprechend, häufigen Widerspruch. Für den heutigen Leser sind diese Gedanken Ostwalds insofern von Interesse, als sie nur wenige Jahre vor der beginnenden Klärung der Zusammenhänge zwischen Masse (Materie) und Energie durch Planck’s Quantenphysik, Einstein’s Relativitätstheorie und Heisenbergs „Unschärferelation“ gefaßt wurden. An dieser Stelle ist auch erwähnenswert, dass sich der für Berger vielfach bedeutend gewordene dänische Physiologe Alfred Lehmann den Ideen Ostwalds prinzipiell anschloss.66 Ablehnend gegenüber einer dualistischen Hypothese eines „psychophysischen Parallelismus“ verhielt sich auch der oben als Vater der „BiogenDissimilationshypothese“ bereits erwähnte Verworn. Als Physiologe vertrat er die Meinung: „Alle Versuche, wie sie auch sonst noch ausgefallen sein mögen, die unternommen worden sind, um den Dualismus von Leib und Seele zu beseitigen, kranken an dem Fehler, dass sie eben von vornherein beide Reihen als in Wirklichkeit nebeneinander existierend voraussetzen […]. Dem gegenüber behaupte ich, dass der Dualismus von Leib und Seele in Wirklichkeit gar nicht existiert. Es sind gar nicht zwei Reihen da, eine körperliche und eine geistige, son67 dern es gibt überhaupt nur eine Reihe, mag man sie nennen, wie man will.“
65 Ostwald, Die Energie, S. 144. 66 Vgl. Lehmann, Äquivalente der Bewusstseinserscheinungen. 67 Verworn, Mechanik des Geisteslebens, S. 8f.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
Verworns erklärenden Auffassungen über die „Inhaltsbestandteile“ von Geist (Seelenleben, Bewußtsein) und Körper bestanden in einer Übereinstimmung beider. Die Inhaltsbestandteile beider beschrieb er mit „Empfindungen, Reihen von Vorstellungen, Komplexen von Gedanken, Gefühlen“. Verständlich wird für den Leser seine Identitätsauffassung erst durch seine Erklärung zum Körper: „Wenn ich den Körper ansehe, so habe ich bestimmte Gesichtsempfindungen, also Licht- und Farbempfindungen. Ich sehe eine bestimmte Gestalt, d.i. eine Summe von Raumempfindungen […] Kurz und gut, nach welchen Richtungen ich auch den Körper analysieren mag, ich finde immer nur Empfindungen […]. Wenn ich die ganze Körperwelt analysiere, so finde ich immer nur dieselben Bestandteile, wie in meiner eigenen Psyche. Wo bleibt da der Dualismus? Es sind immer nur Empfindungen, immer nur Dinge einer Art. Hier haben wir eine Einheitlichkeit und keinen Dualismus […]. Der alte Dualismus von Leib und Seele, den uns die Urvölker überliefert haben, existiert nicht. Es existiert nur eine unendliche Mannigfaltigkeit von Inhaltsbestandteilen der Welt, die sich gegenseitig in gesetzmäßiger Weise bedingen 68 […].“
Interessant ist an dieser Stelle auch, wie sich der von Berger oft zitierte russische Neuropathologe, Psychiater und Psychologe Wladimir M. Bechterew (1857– 1927) äußerte. Bechterew erkannte ebenfalls wie Berger die „BiogenDissimilationshypothese“ nach Verworn an. In seiner umfassenden Monographie „Psyche und Leben“ vertrat Bechterew die Ansicht, dass jede psychische Tätigkeit stets zwei Reihen von Erscheinungen zur Voraussetzung hat. Es sind dies subjektive und objektive oder materielle Erscheinungen, die in bestimmten Teilen des Hirns ablaufen. Beide Erscheinungsreihen dürfen als solche nicht gleichgestellt werden, sind aber „Derivate einer und derselben Energie“. Daraus resultierte Bechterews Auffassung eines „energetischen Monismus“. In seinen Schlußbetrachtungen traf er folgende Formulierungen: „Die Energie scheint somit gewissermaßen als Zwischenglied zwischen der aus so genanntem Stoff bestehenden materiellen Welt und der immateriellen bzw. psychischen Welt, deren Äußerungen wir in den Zentralorganen des Nervensystems entdecken. Nach dieser Auffassung hat die primäre Energie nichts ausschließlich Physikalisches an sich; sie umfasst außer Materiellem auch Immaterielles bzw. Psychisches in potentiellem Zustande, das unter entsprechenden Bedingungen bzw. bei beweglicher Kohäsion zusammengesetzter organischer Substanzen neben materiellen Prozessen eine subjektive Welt ergibt, wie sie für die Psyche des Menschen und wohl auch der anderer höherer Tiere charakteristisch ist […]. Man hat daher die Grundursache des fortwährenden Parallelismus der physischen und psychischen Erscheinungen in den Nervenzentren in der Natur der Energie zu suchen, die als einheitliche Energie des Universum ihrem Wesen nach, […], nichts ausschließlich Physisches enthält, sondern auch in potentiellem Zustande das umfasst, was unter entsprechenden Umständen dem Psy69 chischen zum Ursprung dienen kann.“
In Übereinstimmung mit Bechterew argumentierte Berger ebenfalls eindeutig gegen die Befürworter jener dualistischen Richtung, die vertraten, „dass eine Wechselwirkung zwischen psychischen und physischen Vorgängen überhaupt nicht möglich, ja gar nicht denkbar sei“. 68 Ebd., S. 14f., 20. 69 Bechterew, Psyche und Leben, S. 208f.
2.2. Berger und die Haltung seines Umfeldes
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Berger in „Psyche“: „Die Annahme einer psychischen Energie rechnet ja gerade mit dieser Wechselwirkung, ja sie ist es, die uns die Annahme einer psychischen Energie besonders nahe legt und wertvoll macht […]. Wir wissen nun aber, dass nur die Erfahrung dafür maßgebend sein kann, ob zwei Vorgänge in einem Kausalverhältnis zueinander stehen oder nicht […]. Also auch dieser Einwand gegen die Annahme einer psychischen Energie und gegen eine Wechselwirkung, dass nämlich wegen der Ungleichartigkeit der psychischen und physikalischen Vorgänge ein kausales Verhältnis zwischen beiden Vorgängen nicht bestehen könne, steht […] auf schwachen Füßen und kann keinen Anspruch auf Berücksichtigung machen… Die Annahme einer Wechselwirkung ist von jeher die gegebene gewesen, sie war immer die Annahme des gesunden Menschenverstandes und ist auch heutigen Tages diejenige des praktischen Lebens. […] Die Bewußtseinserscheinungen sind also durchaus keine Epiphänomene, sondern sie greifen tief in das Getriebe des Körpers ein und können da gewaltige Veränderungen hervorbringen, 70 wie wir dies als Ärzte doch immer wieder sehen […].“
Hans Berger hatte allerdings sehr wohl erkannt, dass Ostwalds, Verworns, Bechterews und natürlich seine eigenen Hypothesen zum psychophysischen Parallelismus Geist/Seele - Hirn/Körper und vor allem zum Phänomen „psychische Energie“ noch vielfältiger experimenteller Bestätigung oder Widerlegung bedurften. Wie auch hier, blieben ihm wie immer so lange Zweifel, bis eine Beweisführung gelungen war. Dass er die Widerlegung des Phänomens „psychische Energie“ nicht mehr erleben konnte, wurde im vorigen Abschnitt erläutert.
2.3. BERGERS ERLÄUTERUNGEN ZUR „EMPIRISCHEN PSYCHOLOGIE“ In der aktuellen Literatur zur Psychophysiologie wird Bergers von Anfang an immer wieder betonte Gleichberechtigung der Wissenschaftsgebiete Psychologie und Physiologie hervorgehoben.71 Besonders wird dafür seine Publikation „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“ zitiert. In seiner ersten Vorlesung dieser Reihe konkretisiert Berger den Gleichgewichtsgedanken mit folgenden Worten: „Wir werden in diesen Vorlesungen dem induktiven Wege folgen und uns mit empirischer Psychologie, […] mit dem Teil der Psychologie befassen, den man […] als Psychophysiologie bezeichnet hat. […] Der Ausdruck „psychologische Physiologie“ könnte nämlich insofern etwas irreführend sein, als man glauben könnte, […] die gesamte Psychologie auf physiologische Gehirnvorgänge zurückzuführen, was wir durchaus nicht vermögen […] [es] beweisen mehrere Werke, die sich diese unlösbare Aufgabe zum Ziele gesetzt hatten […]. Wir erkennen die Psychologie und die Physiologie als gleichberechtigte und gleichwertige Wissensge72 biete mit selbständiger Forschungsrichtung an.“
Erstaunlich ist, dass Berger mit dieser Äußerung die Frage, ob letztendlich alle Psychologie des Menschen auf seine Hirn- und Sinnesphysiologie, also auf mate-
70 Berger, Psyche, S. 25f. 71 Vgl. Fahrenberg, Psychophysiologie und Psychophysiologisches, S. 143. 72 Berger, Psychophysiologie 12 Vorlesungen (1. Vorlesung), S. 1f.
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2. Wissenschaftliche Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen
rielle zerebrale Prozessabläufe zurückzuführen ist, zunächst im Konjunktiv und dann als unlösbar beantwortet. Wie würde er, ausgerüstet mit dem derzeitigen neurowissenschaftlichen Kenntnisstand, diese Frage wohl heute beantworten? Den Begriff „empirische Physiologie“ leitete Berger aus vergleichenden Betrachtungen deduktiver und induktiver Vorgehensweisen mit folgenden Worten ab: „[…] und die experimentelle Untersuchung hat sich als das gewaltigste Werkzeug der Forschung in allen naturwissenschaftlichen Fächern und auch in der Psychologie bewährt. Man bezeichnet eine derartige Psychologie, welche die gegebenen Erfahrungen als ihre Grundlage ansieht, als „empirische“ Psychologie im Gegensatz zu der deduktiv vorgehenden „rationalen” Psychologie. Obwohl schon kein geringerer als Kant die Unmöglichkeit einer rationalen Psychologie überhaupt dargetan hatte, werden doch immer wieder von den verschiedensten 73 Seiten Versuche gemacht, eine solche Psychologie zu begründen.“
Im weitesten Sinne betrieb Berger mit dem Kenntnisstand und den experimentellen Möglichkeiten seiner Zeit das, was wir heute unter dem Dach der Neurowissenschaften als „empirische Bewußtseinsforschung“ verstehen. So müssen wir auch seine Phänomenologie der Bewußtseinszustände einordnen. Diese betreffend, sollen erklärend für den heutigen Leser an dieser Stelle noch einige Originaltexte Bergers erwähnt werden, um vor allem auch mit seiner diesbezüglichen Terminologie vertraut zu werden. Bergers Terminologie zu den Sinneswahrnehmungen kann im Wesentlichen wie die heutige verstanden werden. Er operierte hier vorwiegend mit dem Begriff „Empfindungsvorgänge“ und quantifizierte diese mit „Empfindungsintensitäten“ unter Anwendung des Fechner’schen „Psychophysischen Grundgesetzes“.74 Nach seiner Meinung manifestieren sich die Spuren der Wiederholung von Empfindungsvorgängen (Sinneseindrücken) im Gehirn durch „Wiedererkennung“ und durch die Möglichkeit der „Vorstellung“ einer früheren Wahrnehmung in den „Sinneszentren“. Folgende Formulierung hierzu findet sich in Bergers Psychophysiologie in 12 Vorlesungen, die gleichzeitig auch ein Beispiel seiner inhaltlichen Vorlesungsgestaltung für seine Studenten demonstrieren soll: „Vor allen Dingen bleiben von den Sinneseindrücken in den zentralen Endstätten der einzelnen Sinnesgebiete, also in den Sinneszentren, diese Engramme zurück, dass so der rasch vorübergehende Vorgang der Sinnesempfindung dauernd festgehalten und zur weiteren Verwendung bereit gehalten wird. Die große Bedeutung der Sinneszentren der Großhirnrinde liegt eben auch darin, dass sie der Aufnahme von Engrammen dienen, und durch den bei der Tätigkeit eines Sinneszentrums auftretenden Aktionsstromes der Rinde in der Tat auch objektiv nachweisen, dass der das Sinnesorgan treffende Reiz bis zu den uns ihrer Lage nach bekannten zentralen Sinnesflächen weitergeleitet wird. Diese Rindenströme beweisen, […], dass Bewußtseinsvorgänge von physikalisch nachweisbaren Veränderungen an der Materie begleitet sind. Es ist aber nicht möglich, an der Hirnrinde selbst nachzuweisen, welche dauernden Veränderungen ein einmaliger Sinneseindruck hinterlässt. Wir können aber doch
73 Ebd., S. 1. 74 Vgl. Berger, Psychophysiologie in 12 Vorlesungen (5. Vorlesung), S. 36–41 und Fechner, Elemente der Psychophysik.
2.3. Bergers Erläuterungen zur „Empirischen Psychologie“
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beweisen, dass die Rinde eines Sinneszentrums, welches fortgesetzt in Tätigkeit war, sich sehr wesentlich von einem solchen unterscheidet, das bisher für seine eigentliche Bestimung 75 noch nicht gebraucht wurde.“
Als weitere psychische Termini verwendet Berger „Gefühlsvorgänge“, denen er ausschließlich die Zustände „Lust“ und „Unlust“ zuordnet: „Die Gefühlsvorgänge entspringen aus der Stellungnahme des Gesamtbewußtseins zu den 76 sich gerade darbietenden Empfindungen.“
Er akzeptiert hier noch die zwei von Wundt eingeführten Gefühlspaare „Spannung“ und „Lösung“, „Erregung“ und „Beruhigung“.77 Von den „Ausdrucksbewegungen“ (Veränderungen des Gesichtsausdruckes, der Haltung etc.) und den körperlichen Begleiterscheinungen nutzte Berger vornehmlich letztere in seinen Experimentalstudien. Auf Einzelheiten wird dann an relevanter Stelle eingegangen. Während die bisherigen Abschnitte 2.1.–2.3. einen ausführlichen Vorspann zum damals relevanten Fachverständnis von Bergers Basisvorstellungen und Arbeitshypothesen bedeuten, stellen die folgenden Abschnitte jene seiner Forschungskomplexe detailliert in den Vordergrund, die ihm dafür die konkreten Belege liefern sollten. Sie konzentrierten sich auf die Gebiete: -
zerebrale Blutzirkulation („Hirn-Plethysmographie“, Kapitel 3.) Hirntemperatur (Kapitel 4.) Hirnstrombilder (EEG, Kapitel 5.).
Diese Reihenfolge wurde von den Herausgebern bewusst gewählt, da sie Bergers zeitlicher Abfolge entsprach. In diesen Abschnitten findet der Leser auch jeweils den Bezug zu Psychosen, die für den Psychiater Hans Berger natürlich dominante Krankheitsbilder bedeuteten.
75 Berger, Psychophysiologie in 12 Vorlesungen (6. Vorlesung), S. 47f. 76 Ebd. (7. Vorlesung), S. 52. 77 Vgl. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie (1908).
3. BERGERS ARBEITEN ZUR ZEREBRALEN BLUTZIRKULATION – DER „PLETHYSMOGRAPHISCHE“ UNTERSUCHUNGSKOMPLEX 3.1. METHODISCHE EINFÜHRUNG UND LITERATURBEZUG Auf diesbezügliche Anregungen für Berger aus der eigenen Klinik wurde bereits einleitend verwiesen (Th. Ziehen. K. Brodmann u.a.). Bedeutend umfangreicher und kontinuierlicher anregend wurden jedoch Arbeiten ausländischer Forscher auf diesem Gebiet, von denen besonders die des italienischen Physiologen Angelo Mosso und des dänischen Physiologen Alfred Lehmann herausragten (Letzterer war übrigens ebenso wie Berger ein Verfechter der Existenz einer „psychischen Energie“).78 Beide führten Studien zu Gehirn-Volumenpulsregistrierungen über Knochendefekte am Schädel (Mosso) bzw. an der Halsschlagader (Lehmann) von Versuchspersonen durch, nachdem sie bereits ausgedehnte tierexperimentelle Voruntersuchungen diesbezüglich vorgenommen hatten. Berger griff diese Untersuchungen auf und modifizierte für seine Patienten die Technik Mosso’s zur Hirnpulsationsmessung („Hirn-Plethysmographie“). Das Vorliegen von Knochendefekten im Schädelbereich, über denen die Hirnpulsationen einzig sichtbar und damit registrierbar waren, stellte also die elementare Voraussetzung zur Aufnahme von Hirn-Plethysmogrammen dar. Damit konnten durch die verschiedenen hirntopographischen Lagen der Knochendefekte gewisse lokalisatorischfunktionelle Differenzierungen der Pulsationsmuster erkannt werden. Desweiteren, bei Bereitschaft betreffender Patienten konnten in Verlaufuntersuchungen Auswirkungen verschiedener Reizprovokationen auf das Hirnpulsvolumen untersucht werden. Diesen Vorteilen erstmaliger Erkenntnisfindungen standen allerdings Limitationen gegenüber: Die Fallzahlen mußten gering bleiben, und die Befunde konnten nur an Patienten erhoben werden, die dazu zumeist noch stark unterschiedliche Schädigungsmuster und Ausfallserscheinungen aufwiesen. „Normalfälle” mit normalen Verläufen waren also von vornherein ausgeschlossen. So wies Mosso vor Hans Berger lediglich drei Patientenfälle mit sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern auf: Eine 37jährige Patientin, bei der nach einer Syphilis Nekrosen im Schädeldach auftraten, die großflächig operativ entfernt wurden; ein 11jähriger Junge, der mit 18 Monaten durch Fall aus großer Höhe Schädeldachdefekte in der Schläfen- und Scheitelgegend aufwies, epileptische 78 Vgl. Mosso, Kreislauf des Blutes; Lehmann, Äußerungen psychischer Zustände I-III sowie Ders.: Grundzüge der Psychophysiologie.
3.1. Methodische Einführung und Literaturbezug
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Anfälle entwickelte und debil war; ein 37jähriger Patient, dessen Schädeldachdefekt durch Aufprall eines Ziegels aus großer Höhe verursacht war und der deutliche neurologische und kognitive Defizite zur Folge hatte. Von diesen drei Patienten hatte Mosso Hirn-Plethysmogramme ohne und unter Reizbedingungen (Rechnen, Aufmerksamkeitsteste, Verärgerung), sowie im Schlaf und unter Narkose aufgenommen. Auch Lehmann mußte sich für seine Untersuchungen der Carotis-Pulsation auf eine geringe Patientenzahl beschränken. Stimulierend für Berger formulierte er 1899 im ersten Teil seiner o.g. Publikation, in der er noch ausschließlich Armplethysmogramme aufnahm, folgende Prognose: „Wäre es möglich, auf irgend eine Weise darüber ins Reine zu kommen, welche Veränderungen des Blutumlaufs, namentlich des Blutzuflusses nach dem Gehirn, während der verschiedenen psychischen Tätigkeiten stattfinden, so wäre hiermit der erste Schritt getan, um eine Psychodynamik zu beschaffen, deren theoretische Konsequenzen für den Augenblick ganz unabsehbar sind […]. Wirkliche Einsicht in diese Verhältnisse, nebst der hier nachgewiesenen Thatsache, dass der Bewußtseinszustand, nicht aber der äußere Reiz die körperlichen Reaktionen bestimmt, würde zu einem weit eingehenderen Verständnis des Verhältnisses zwischen dem Psychischen und Körperlichen führen, als alle Messungen der Psychophysik uns bisher zu geben vermocht haben […]. Die in unseren graphischen Aufzeichnungen erscheinenden Veränderungen des Armvolumens und des Pulses können uns direkt keine Auskunft über die Blutumlaufverhältnisse in anderen Teilen des Organismus geben […]. Soll es gelingen, mit dem Blutfluß nach dem Gehirn ins klare zu kommen, so muß man direkt auf das Problem losgehen und die Veränderungen des Kreislaufs in der Carotis zu bestimmen suchen. Wie dies sich an einem normalen, unverletzten Menschen thun läßt, hoffe ich in einem fol79 genden Teile dieser Untersuchungen zeigen zu können.“
Diese prognostischen Aussagen unterstrich Lehmann im III. Teil seiner Publikationsfolge mit Messungen an der Carotis externa (äußere Halsschlagader), was er unter Einbeziehung der hirn-plethysmographischen Befunde von Mosso und Berger nochmals begründete: „Wäre es möglich, diese Größen (Pulsfrequenz, Volumenänderung des betreffenden Gefäßgebietes, Pulshöhe, Pulsverspätung) rücksichtlich des Gehirns eines normalen Menschen zu bestimmen, so würde man durch eine Reihe von Versuchen die Blutzuströmung zum Gehirn unter verschiedenen psychischen Zuständen ermitteln können, und es ließe sich hierdurch ganz einfach entscheiden, ob die Blutversorgung des Gehirns der Arbeit proportional ist, die dasselbe leistete, um diese Zustände hervorzubringen. Leiderdessen lassen diese Messungen sich aber nicht an einem unverletzten Menschen ausführen […]. Findet sich aber eine durch einen Bruch oder durch Trepanation entstandene Öffnung, so hat man nur in den seltensten Fällen ein in psychischer Beziehung durchaus unversehrtes Individuum vor sich. Unter den […] Personen, von denen man im Laufe der Jahre Gehirnkurven aufgenommen hat, scheinen eigentlich nur die von Mosso und Berger untersuchten Personen (psychisch) ganz normal ge80 wesen zu sein.“
Lehmann spielte hierbei auf lediglich zwei Versuchspersonen an, wobei es sich bei Bergers Patienten um den in der Habilitationsschrift untersuchten, nachfolgend ausführlich beschriebenen Th. handelte. Dem Mangel an solchen Personen 79 Lehmann, Äußerungen psychischer Zustände I, S. 200-203. 80 Ders., Äußerungen psychischer Zustände III, S. 415f.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
im eigenen Patientengut Rechnung tragend, trotzdem aber Aussagen zu zerebralen Zirkulationsverhältnissen an Versuchspersonen machen zu können, formulierte Lehmann folgende Begründungen für seine Carotisuntersuchungen: „Der Umstand, dass wir an einem unversehrten Menschen die Volumenänderungen des Gehirns nicht zu bestimmen vermögen, wird die Bestimmung der Zirkulationsverhältnisse im Gehirn […] nicht ganz unmöglich machen; nur sind noch einige andere Bestimmungen erforderlich. […] [es] wird also die geringste Anzahl der Aufzeichnungen, mit denen man sich begnügen kann, wenn man einigermaßen sichere Schlüsse ziehen wünscht, folgende sein: der Herzstoß, das Plethysmogramm eines Armes, der Carotispuls und endlich die Atmung. Die Registrierung dieser verschiedenen Erscheinungen ist außerdem so auszuführen, dass es mög81 lich wird, aus den Kurven die Pulsverspätung genau abzuleiten.“
Den Carotispuls maß Lehmann mit einem speziell konstruierten und angepassten Kymographen, dessen ausführliche Beschreibung der interessierte Leser im Original nachlesen kann.82 Hans Berger formulierte unter Verwertung der Erfahrungen und Ergebnisse Mossos und Lehmanns seine Aufgabenstellung vorerst auch noch allgemein: „[…] wir wollen zunächst nur die Untersuchung der Gefühle etc. auf die Cirkulationsvorgänge im Gehirn ausdehnen und zu der […] als erforderlich bezeichneten physiologischen Erfor83 schung der zentralen Funktionsbedingungen beitragen.“
Die psychischen Kategorien, die „Gefühlsvorgänge etc.“ betreffend, wurden als subjektive Bewußtseinsinhalte definiert. Als Elemente der Gemütsbewegungen wurden angeführt: Stimmungen, Affekte, Gefühle (Lust, Unlust, Erregung, Beruhigung, Spannung, Lösen von Spannungen), alle mit zahlreichen Abstufungen und Übergängen. Hierbei bezog sich Berger hauptsächlich auf den bereits Ende des Abschnitts 2.3. zitierten W. M. Wundt und auf A. Lehmann.84 Wundt vermutete das allgemeine Gefühlszentrum in der Hirnrinde, besonders im Stirnhirn („Apperzeptionszentrum“), aus dessen Reflexbahnen die physiologischen Begleiterscheinungen der Affekte hervorgehen. Berger ergänzte hierzu in der siebenten Vorlesung die Gefühlsvorgänge um ihre „körperlichen Begleiterscheinungen“ und baute damit gleichzeitig eine Brücke zu seinen experimentellen Untersuchungskomplexen, also auch zu den hier behandelten Messungen der zerebralen Blutzirkulation: „Die Gefühlsvorgänge sind, wie allbekannt, ausgezeichnet durch sehr deutliche körperliche Begleiterscheinungen, die man zum Teil seit altersher kennt […]. Man kann diese körperlichen Begleiterscheinungen in verschiedener Weise aufzeichnen. Man hat vor allen Dingen den Puls fortlaufend aufgeschrieben, den Blutdruck bestimmt und Plethysmogramme aufgenommen […]. Ferner hat man auch genaue Untersuchungen über die Atmung angestellt, da sich auch sonst bei psychologischen Untersuchungen gezeigt hat, dass die Atmungsvorgänge 85 sehr empfindlich auf alle Änderungen der psychischen Vorgänge reagieren.“ 81 82 83 84
Ebd., S. 415f. Vgl. Ebd. Berger, Äußerungen psychischer Zustände, S. 15. Vgl. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie und Lehmann, Grundzüge der Psychophysiologie. 85 Berger, Psychophysiologie in 12 Vorlesungen (7. Vorlesung), S. 54.
3.1. Methodische Einführung und Literaturbezug
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Die Ergebnisse seiner diesbezüglich eigenen, nachfolgend detailliert behandelten Studien publizierte Berger in Etappen zwischen 1901 und 1907: Die in Buchform erschienene erste Publikation „Zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle des Menschen, namentlich unter dem Einfluß von Medikamenten. Experimentelle Untersuchungen“, Gustav Fischer, Jena 1901 entsprach seiner Habilitationsschrift.86 Letztere wurde mit gleichem Titel und dem Zusatz „Habilitationsschrift […]“ im gleichen Verlag, aber mit voller textlicher Übereinstimmung, gesondert gedruckt.87 In den 1904 und 1907 folgenden, ebenfalls in Buchform erschienenen Publikationen verwendete er den mit Lehmann’s dreiteiligem Werk identischen Titel „Über die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände“ mit folgenden Untertiteln: „Weitere experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle des Menschen“, Gustav Fischer, Jena 1904, mit einem Atlas und „Experimentelle Untersuchungen 2. Teil“, Gustav Fischer, Jena 1907.88 Zu demselben Thema „Über die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände“ publizierte Berger nochmals 1910 und 1913 (siehe Publikationsliste), wobei er die vorangegangenen Ergebnisse zur zerebralen Blutzirkulation weiteren Untersuchungskomplexen umfassenderen Inhalts zuordnete. In den Abbildungen 3.1.–3.4. sind Titelblattkopien der Publikationen 1901 bis 1907 gezeigt.89 In seinen plethysmogaphischen Untersuchungskomplex bezog Berger ein: -
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-
Messungen der „Volumenpuls-Kurven“ des Gehirns (Hirn-Plethysmogramme): Rhythmische (pulsatorische) Volumenschwankungen der HirnBlutgefäßfüllung als Übertragung der arteriellen Herzpulsation; simultane Messungen der „Volumenpuls-Kurven“ des Armes (ArmPlethysmogramme) zur vergleichsweisen Demonstration der arteriellen Pulsationen an einem peripheren nichtzerebralen Organ; simultane Registrierung der Atmungskurven.
Die erhaltenen Wellenmuster wertete er graphisch aus und beurteilte die Effekte der differenten Reizprovokationen im internen Kurvenverlauf. Zur Charakteristik der Wellenmuster seiner plethysmographischen Kurven äußerte sich Berger besonders ausführlich in seiner ersten (Habilitationsschrift, 1901) und in seiner zweiten großen Publikation 1904. In seiner Habilitationsschrift beschrieb er die Kurvenverläufe der Hirn-Plethysmogramme in folgender Weise: „Die mittels der von Mosso angegebenen Methode verzeichneten Gehirnkurven entsprechen den […] als Volumenpulse bekannten Kurven und stellen […] die Volumenänderungen des Gehirns, die durch die Blutfülle des Organs bedingt werden, und bei welchen sowohl der arterielle Zufluß, als auch der venöse Abfluß in Betracht kommt, dar […]. Die Volumenpulskurve des menschlichen Gehirns zeigt meist die tricuspidale („dreispitzige“) Form […]. 86 Vgl. Berger, Lehre von der Blutzirkulation. 87 Vgl. Ebd. 88 Vgl. Berger, Äußerungen psychischer Zustände und Ders., Äußerungen psychischer Zustände 2. Teil. 89 Vgl. Berger, Lehre von der Blutzirkulation; Ders., Äußerungen psychischer Zustände sowie Ders., Äußerungen psychischer Zustände 2. Teil.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.1.–3.4.: Titelblätter zu Hans Bergers Hauptpublikationen über seinen Forschungskomplex „Zerebrale Blutzirkulation“.
3.1. Methodische Einführung und Literaturbezug
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Die anakrotische (aufsteigende) Erhebung ist stets deutlich ausgeprägt, und auch der katakrote (absteigende) Gipfel fehlt fast nie. Die Deutung, welche die einzelnen Gipfel erhalten haben, fällt mit der Deutung der sphygmographischen (arterielle Pulsdruckkurve) […] zusam90 men.“
An dieser Stelle sei für das Verständnis des fachfremden Lesers eine nach heutiger Darstellung in Physiologie-Lehrbüchern vorgenommene Differenzierung eingefügt: Pulswellen entstehen auf Grund der Elastizität von Blutgefäßwänden und laufen mit bestimmten Geschwindigkeiten über das arterielle Gefäßsystem. Dabei werden ein Druckpuls, ein Strompuls (Strömungspuls) und ein Volumenpuls (Querschnittspuls) unterschieden, die in ihrem zeitlichen Verlauf differieren. Aus dem letztgenannten Zitat Bergers geht hervor, dass er mit seinen plethysmographischen Untersuchungen Volumenpulskurven aufgezeichnet hatte, die er in seinen Publikationen jedoch generell nur als Volumenkurven bezeichnete. Das Plethysmogramm zeigt aber nicht nur die fortgesetzten Pulsationen des Herzens, sondern auch langsamere Schwankungen der Blutfülle des jeweiligen Organs an, wie sie durch Atembewegungen oder durch Gefäßverengungen unter äußeren Reizeinflüssen entstehen. Abb. 3.5. zeigt schematisch einen Vergleich des Blutdruckverlaufs in einer herznahen (a) und herzfernen (b) Arterie (wie etwa in Arm- und Hirnarterien). Sie demonstriert den Wellencharakter im ansteigenden (anakroten) Abschnitt der Herzkontraktion (Systole) und im absteigenden (katakroten) Abschnitt der Erschlaffungsphase (Diastole). In der herznahen Arterie (a) ist der Übergang von der Systole zur Diastole als Inzisur markiert, die durch Schließung der Taschenklappen am Ende der Austreibungsphase zustande kommt. Sie ist in herzfernen Arterien (b) nicht mehr nachweisbar. Hier treten in der Diastole ein zweiter Gipfel (Dikrotie) und eine Zunahme der Amplitude auf Grund von Reflexionen („Zurückwerfen“ der Pulswelle) an Orten mit stark erhöhtem Widerstand auf (Elastizitätsänderungen, Gefäßaufzweigungen). In herzfernen Arterien (b) ist also die Blutdruckamplitude besonders durch den Anstieg des systolischen Blutdrucks erhöht, während der arterielle Mitteldruck mit zunehmender Entfernung vom Herzen abnimmt. Mit dieser allgemein gehaltenen Darstellung in Abb. 3.5. (a) und (b) hat der fachfremde Leser nunmehr einen Deutungsvergleich für die nachfolgenden Kurven Bergers, denn diese prinzipielle Kurvenform (b) konnten Mosso und Berger in ihren Arm- und Hirn-Plethysmogrammen nachweisen. Sie charakterisierten sie als aus drei Wellentypen zusammengesetzt. Berger differenzierte Letztere mit folgenden Worten: „An einer gelungenen Volumenkurve unterscheidet man drei Arten von Wellen, von denen zwei gewöhnlich mehr oder minder deutlich sind, eventuell sogar ganz fehlen können. Diese drei Wellenbewegungen sind: 1. die Volumpulse, die den Pulswellen in der Arterie synchron sind und die man auch als Wellen I. Ordnung bezeichnet hat; 2. die respiratorischen Wellen, die den Atembewegungen entsprechend verlaufen und die man als Wellen II. Ordnung benannt hat; 90 Berger, Lehre von der Blutzirkulation, S. 40.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.5.: Blutdruckverlauf in einer herznahen (a) und herzfernen (b) Arterie. Erläuterungen siehe Text.
3.1. Methodische Einführung und Literaturbezug
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3. die vasomotorischen Wellen, die einen Zeitraum mehrerer Atembewegungen umfassen und 91 als S. Mayer’sche Wellen oder besser als Wellen III. Ordnung unterschieden werden.“
Mit dieser Einteilung orientierte sich Berger an S. Mayer und A. Mosso, die die beiden erstgenannten Wellentypen übereinstimmend charakterisierten.92 Den III. Typ beschrieb Mosso als „Geistes-/Gemütsbedingte Wellen“ (sog. „Undulationen“). Berger hielt sich bei diesem Typ an dessen Entdecker S. Mayer und deutete ihn wie dieser als vasomotorische oder vaskuläre Wellen: „Die Wellen III. Ordnung, die sog. S. Mayer’schen Wellen sind höchstwahrscheinlich von den wechselnden Innervationszuständen der Gefäße abhängige, langsamer verlaufende Volumenschwankungen, die auch meist vorhanden sind, aber zeitweise, ohne dass eine sichere Ursache nachweisbar wäre, stärker auftreten. Wir halten […] die Wellen II. und III. Ordnung 93 für rein physiologische Erscheinungen.“
Die hier von Mayer und Berger geäußerte Wahrscheinlichkeit einer regulatorischen Beteiligung auch der Innervation der Blutgefäße selbst ist nach heutigen Erkenntnissen über die konkreten nervalen Regelkreise und ihrer lokalen und neurogenen Regulationsfaktoren der „Autoregulation“ der zerebralen Durchblutung prinzipiell bestätigt, obwohl beide zu ihrer Zeit über noch keine Kenntnisse dieser hochkomplexen Regulationsmechanismen verfügten. Berger konnte jedenfalls um 1900 die Frage nach einer Gefäßinnervierung nur als wahrscheinlich beantworten, denn methodisch sichere Nachweise gab es noch nicht. Selbst 1924, als er seine Ergebnisse „Zur Innervation der Pia mater und der Hirngefäße“ an einem verstorbenen sieben Monate alten Kind publizierte; konnte er zwar markhaltige Fasern in der Pia mater an der Basis des Großhirns und an der Konvexität, aber keine „Endausbreitungen“ (also synaptische Kontakte) nachweisen. Da er auch keine Gefäßnerven in der Hirnsubstanz fand, folgerte er damals, „dass die Blutzirkulation innerhalb des Nervensystems, soweit die Regulation auf nervösem Wege erfolgt, nur von der Pia aus durch die dortigen Gefäßnerven geregelt wird“94. Noch 1935 im „Handbuch der Neurologie, Bd. 1, Allgemeine Neurologie“ bemerkte mit M. Bielschowsky einer der damals führenden Neuroanatomen kritisch und Berger unterstützend: „Es ist ein noch immer nicht gelöstes Problem, ob die Gefäße in der Substanz des Nervensystems mit eigenen Nerven ausgestattet sind. Die neuen Silbermethoden haben nach dieser Richtung hin keine sicheren Ergebnisse geliefert […] halte ich die Gefäße in der Gewebssubstanz für nervenlos. Es besteht da ein auffälliger Gegensatz zu der reichen Innervation der pialen Gefäße. Man wird deshalb der Auffassung Ph. Stöhrs beipflichten müssen, dass der Angriffspunkt des nervösen Faktors für die Blutregulation im Zentralorgan in die Pia verlagert 95 ist.“
91 92 93 94 95
Berger, Äußerungen psychischer Zustände, S. 67. Vgl. Mayer, Veränderungen des arteriellen Blutdruckes und Mosso, Kreislauf des Blutes. Berger, Äußerungen psychischer Zustände, S. 69. Berger, Innervation der Pia mater, S. 220. Bielschowsky, Allgemeine Histologie und Histopathologie, S. 126.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Diese drei Wellentypen waren also in den plethysmographischen Kurven sowohl des Armes als auch des Gehirns erkennbar. Berger beschrieb in seinen Publikationen in aller Ausführlichkeit die quantitativen Unterschiede in der Ausprägung und Form der Kurven zwischen Arm- und Hirn-Plethysmogramm einerseits und innerhalb der beiden Organ-Plethysmogramme in Abhängigkeit von seinen gesetzten Reizbedingungen andererseits, um damit die gesuchten Spezifitäten letzterer herauszuarbeiten. Gemäß seiner Forschungsfragestellung standen natürlich die psychischen Einflußfaktoren im Vordergrund. In der technischen Durchführung der Hirn-Plethysmographie wandte Berger am Patienten Th., an dem er die Untersuchungen für seine Habilitationsschrift vornahm, noch das vom Erstautor Mosso beschriebene Verfahren an.96 Für die folgenden Publikationen modifizierte er dieses Verfahren in folgender Weise: Die rhythmischen Schwankungen des pulsierenden Gehirnabschnittes über der Schädelknochenlücke wurden anfangs über eine Guttapercha-Kappe (Mosso), später über eine besser anpaßbare und sensiblere Gummikappe in einem geschlossenen pneumatischen System (Druckausgleichsstrecke) über Luftschläuche auf einen Schreibarm übertragen, der sie auf einer berußten Kymographentrommel einritzte. Leider hat Berger in seinen betreffenden Publikationen diese Prozedur nur beschrieben, ohne sie jemals mit einer zugehörigen Abbildung zu verdeutlichen. Der interessierte Leser könnte sich jedoch aus einer Zeichnung in Mosso’s o.g. Publikation ein Bild über das Wirkprinzip machen. Chronologisch, also in seiner Habilitationsschrift 1901, begann Berger seine plethysmographischen Untersuchungen an dem oben erwähnten Patienten Th., bei dem nach zahlreichen neurologischen Ausfallserscheinungen und erhöhtem Hirndruck ein Herdsymptom diagnostiziert und operiert wurde: „Beim Einstechen eines Troicarts in die Gehirnsubstanz entleerte sich aus der Tiefe eine große Menge seröser Flüssigkeit […] Ueber dem linken Hinterhaupt besteht eine in sagittaler Richtung 7,2 cm, in darauf senkrechter Richtung 5 cm messende Knochenlücke von unregelmäßiger, im ganzen ovaler Form, aus der sich das darunter liegende Gehirn hervorwölbt und lebhafte Pulsationen zeigt. Die Schädellücke entspricht den hinteren Teilen des Lobus parie97 talis und den vorderen oberen Partien des Lobus occipitalis.“
Damit der Leser einen Eindruck über Bergers Untersuchungsansätze und die erhaltenen Plethysmogramme am Patienten Th. gewinnen kann, sollen zunächst die Inhalte und einige entsprechende Abbildungen aus der Habilitationsschrift von 1901 vorgestellt werden.
96 Vgl. Mosso, Kreislauf des Blutes. 97 Berger, Lehre von der Blutzirkulation, S. 37.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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3.2. „NICHT-PSYCHISCHE“ EINFLÜSSE UND PHARMAKA-EFFEKTE Aus den Arbeiten von Mosso und Lehmann waren Berger „nicht-psychische“ Effekte auf das Plethysmogramm ausreichend bekannt. Pharmakaeffekte am Menschen waren hingegen kaum oder nicht untersucht. Die hier gewählten Untersuchungsansätze im Zusammenhang mit seiner dominanten Fragestellung nach psychischen Einwirkungen auf das Hirn-Plethysmogramm konzentrierten sich auf Effekte damals psychotherapeutisch eingesetzter Medikamente. Bergers Gründlichkeit gebot es aber auch, die von o.g. Autoren genannten möglichen Überlagerungseffekte „nicht-psychischer“, also anderer physiologischer Einflüsse als mögliche Störfaktoren an seinen Patienten zu untersuchen. Letzteren widmete er daher in seiner Habilitationsschrift ein gesondertes Kapitel „Einfluß der Körper- und Kopfstellungen und der Muskelbewegungen auf die Gehirnvolumenkurve“. Außerdem bezog er diesbezüglich intensive Untersuchungen zu Atmungseinflüssen ein. Eine Abgrenzung von Artefakten war Berger immer ein vordergründiges Anliegen. Zu den Untersuchungen von Pharmakaeffekten auf die zerebrale Blutzirkulation lieferte Berger bereits im Vorwort zu seiner Habilitationsschrift eine stichhaltige Begründung: „Ich war durch eine zufällige Beobachtung zu diesen Untersuchungen angeregt worden; eine Patientin, die Monate lang im stupurösen Zustand verweilt hatte, gab, als ich ihr eine Cocaininjektion gemacht hatte, plötzlich Auskunft, nachdem sie über zwei Monate kein Wort gesprochen hatte. Ich nahm Aenderungen der Zirkulationsvorgänge der Hirnrinde unter Einwirkung dieses Mittels an und beschloss den Befund weiter zu verfolgen und wissenschaftlich zu begründen […]. Aus dem Bedürfnis Klarheit zu haben über die Wirkungsweise von einer Reihe von Arzneimitteln, die in der psychiatrischen Therapie eine große Rolle spielen, sind diese Untersuchungen hervorgegangen; vor allem Fragen, die täglich an mich als Psychiater herantraten, wollte ich lösen und Grundsätze für das ärztliche Handeln, für unsere Aufgabe 98 des Helfens und Heilens gewinnen.“
Die Abbildungen betreffend, sei für den Leser erklärend vermerkt, dass sich in Bergers Habilitationsschrift eine umgekehrte Aufzeichnung der Plethysmogramme findet. Die Kurven sind also hier immer von rechts nach links zu lesen (in den späteren Publikationen finden sich die „normalen“ Aufzeichnungsrichtungen). Die Leserichtung von rechts nach links trifft für die Abbildungen 3.6.–3.20, die von links nach rechts (gewohnte Richtung) für die Abbildungen 3.22.–3.28. zu. In seiner Anordnung der Kurven werden das Arm-Plethysmogramm mit „a“, das Hirn-Plethysmogramm mit „c“, die Respirationskurve mit „r“ und die Zeitskala (Sek.) mit „z“ gekennzeichnet. In den auszugsweise nachfolgenden Abbildungen 3.6.–3.20. werden die Nummern der Originalkurven aus der Habilitationsschrift, für die Abbildungen 3.22.–3.28. die Nummern der späteren Publikationen zusätzlich angegeben. In Abb. 3.6. (Kurve 7) zeigte Berger die Pulsform in Hirn- und Arm-Plethys98 Ebd., Vorwort.
3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
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mogramm seines Patienten Th., wobei im anakroten Schenkel noch ein bis zwei Zwischengipfel auftraten. Abb. 3.7. (Kurve 9) zeigte am gleichen Patienten beispielhaft den Vergleich des Verlaufs der ungestörten („normalen“) Atemkurve und des Hirn-Plethysmogramms bei simultaner Registrierung. Berger nahm zu dieser Kurve 9 folgende Interpretation vor: „Fig. 9 (Abb. 3.7.) zeigt z.B., wie bei jeder Exspiration die tricuspidale Pulsform in die katakrote übergeht, um bei der Inspiration wieder der gewöhnlichen Pulsform Platz zu machen. Die Atembewegungen wirken auf die Pulsform bekanntlich derartig, dass bei der Exspirationsphase der arterielle Druck infolge rein physikalischer Bedingungen zunimmt und in der Inspiration abfällt. Diesen Schwankungen des arteriellen Druckes gehen Erregungen der vasomotorischen Centren parallel. Wir sehen an unserer Kurve 9 eine Kontraktion der Hirnge99 fäße in jeder Exspirationsphase an der katakroten Form des Volumenpulses.“
Aus Literaturbefunden und eigenen Versuchsansätzen war für Berger sicher, dass die „Volumenpulskurven des Gehirns des Menschen vor allem durch Schwankungen des arteriellen Drucks bedingt sind“. Mosso hatte bereits bei doppelseitiger Carotis-Kompression ein vollständiges Verschwinden der pulsatorischen Hirnbewegungen beschrieben. Der gleiche Versuch bei seinem Patienten Th. brachte für Berger ein ähnliches Ergebnis, wie in Abb. 3.8. (Kurve 10) dargestellt. Vergleichsweise nahm Berger noch eine Kompression der rechten A. brachialis (Oberarmschlagader) in der Bicepsfurche vor, die erwartungsgemäß und die Theorie bestätigend keine Veränderungen im Hirn-Plethysmogramm von Th. zeigte. Veränderungen der „normalen“ Kurven 7 und 9 (Abb. 3.6. und 3.7.) unter Variationen der Atmung zeigen Abb. 3.9. und 3.10. (Kurven 18 und 22). Der Einfluß eines tiefen Atemzuges geht aus Abb. 3.9., des Anhaltens und Wiedereinsetzens der Atmung aus Abb. 3.10. hervor, in beiden Fällen mit nahezu identischen Verläufen im Arm- und Hirn-Plethysmogramm. Ein starker Hustenstoß löste im Hirn-Plethysmogramm infolge des gesteigerten intrakraniellen Druckes einen massiven Anstieg und der folgenden vertieften Inspiration am Endes des Hustenstoßes ein starkes Absinken der Kurve aus (Abb. 3.11., Kurve 20). Das Arm-Plethysmogramm blieb hier nahezu unverändert. Selbst Sprechen und Seufzen wurden im Hirn-Plethysmogramm sichtbar, wie Abb. 3.12. (Kurve 19) zeigt. Den Einfluß von Kopfstellungen und plötzlichen Kopfbewegungen auf das Hirn-Plethysmogramm demonstrieren Abb. 3.13. und 3.14. (Kurven 29 und 30, den der Änderung der Körperhaltung Abb. 3.15. (Kurve 31). All diese bisherigen Kurvenverläufe zeigen, wie notwendig einerseits die Erfassung und damit Eliminierung „nicht-psychischer“ Einflüsse auf das HirnPlethysmogramm und andererseits Vergleichsaufnahmen des Arm-Plethysmogramms sind. Berger hatte akribisch diese Aspekte zur Vermeidung von Fehldeutungen und Artefakten berücksichtigt. Kommen wir nun zu seinen Pharmakatesten und damit zur „CocainProblematik“, also zum eigentlichen Auslöser und Anliegen seiner Habilitationsschrift. Die Begründung und der konzeptionelle Hintergrund kommt in zwei seiner Aussagen in der Habilitationsschrift zum Ausdruck: 99 Ebd., Fig. 9.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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„Die psychiatrische Therapie kennt eine ganze Reihe von Mitteln, die teils die Blutzufuhr zum Gehirn fördern, teils dieselbe herabzusetzen bestimmt sind. […] Es lag nahe, derartige Mittel auch experimentell zu untersuchen. […] Namentlich eine Reihe von psychischen Erkrankungen wurde eine Zeitlang auf eine primäre Alteration der Zirkulationsverhältnisse des Gehirns zurückgeführt, so sollte die Manie durch eine Hyperämie, die Melancholie durch eine 100 Anämie des Gehirns veranlaßt sein.“
Hinzu kamen seine bereits oben angedeuteten Beobachtungen nach Kokain- Injektionen bei stupurösen Patientinnen: „Ich selbst habe unter der Wirkung des Cocains mehrere Monate lang mutistische Patientin101 nen (katatone Schizophrene) plötzlich Auskunft geben sehen, […] leichte Euphorie.“
Seine für eine Untersuchung der Arzneimittelwirkung auf die zerebrale Durchblutung anhand der Hirn- und vergleichenden Arm-Plethysmographie geeignete Versuchsperson Th. nutzte Berger für die Testung folgender Medikamente, die freilich in mehreren, auch sehr strapazierenden Sitzungen erfolgte: - Amylnitrit (gefäßwirksam, bei Psychosen und Epilepsien eingesetzt); - Campher (blutdrucksteigernd eingesetzt); - Digitoxin (kontraktionssteigernd); - Coffein (als Psychostimulans eingesetzt); - Morphin (Euphorieanregend eingesetzt); - Hyoscin (sedierend bei Erregung eingesetzt); - Cocain (euphorisierend bei Psychosen eingesetzt). Die Gabe dieser Medikamente nahm Berger in den in der damaligen Psychiatrie üblichen Dosierungen am Patienten Th. vor (Diagnose siehe weiter hinten). Aus der Literatur waren plethysmographische Blutzirkulationsteste einiger dieser Medikamente teilweise im Tierversuch, aber nur vereinzelt am Menschen bekannt geworden.102 Berger hat sie in seiner Habilitationsschrift ausführlich referiert und im Zusammenhang mit seinen eigenen Ergebnissen diskutiert. Ein meßbares Ergebnis im Hirn-Plethysmogramm zeigte sich nach Einatmung von Amylnitrit (Abb. 3.16., Kurve 35) in Form von Pulshöhen- und Frequenzänderungen. Die Substanz bedingte eine an der Schädeloberfläche sichtbare Dilatation der Gefäße. Im Arm-Plethysmogramm traten hingegen keine signifikanten Veränderungen auf. Campher- und Coffein-Injektionen ergaben keine Änderungen in den Hirnund Armkurven. Digitoxin bewirkte eine Zunahme der Pulsationshöhe und Änderungen der Pulsform (Abb. 3.17., Kurve 37). Die Armkurve war hier aus Havariegründen verunglückt. Nach Ergotin-Injektionen zeigten die pulsatorischen Schwankungen eine deutliche Zunahme (Abb. 3.18., Kurve 40). Morphin-Injektionen in psychiatrischer Dosierung führten zu einer Abnahme der Höhe der pulsatorischen Schwankungen des Gehirns, eine Verminderung des arteriellen Zuflusses zum Gehirn andeutend (Abb. 3.19., Kurve 41). 100 Ebd., S. 59. 101 Ebd., S. 67. 102 Vgl. Mosso, Kreislauf des Blutes.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.6.: (Kurve 7) Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a) von Patient Th. Erklärungen siehe Text.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.7.: (Kurve 9) Simultane Registrierung von Respirationskurve (r) und Hirn-Plethysmogramm (c) von Patient Th. Der Anstieg der Respirationskurve entspricht der Exspiration, der Abfall der Inspiration. Katakroter Puls bei jeder Exspiration.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.8.: (Kurve 10) Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a) von Patient Th. Nach doppelseitiger Kompression der Carotiden bei C. Bei C’ Nachlassen der Kompression.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.9.: (Kurve 18) Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a) von Patient Th. Nach wiederholter tiefer Inspiration bei B und C.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.10.: (Kurve 22) Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a) von Patient Th. nach Anhalten und Wiedereinsetzen der Atmung.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.11.: (Kurve 20) Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a) von Patient Th. Deutliche Änderung nach Hustenstoß (H) nur im Hirn-Plethysmogramm.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.12.: (Kurve 19) Veränderungen im Hirn-Plethysmogramm von Patient Th. Beim Sprechen (A, B) und Seufzen (C).
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.13.: (Kurve 29) Einfluß der Kopfstellungen auf das Hirn-Plethysmogramm: A Kopf geradeaus gerichtet; B nach rechts und hinten, C nach links und hinten gedreht.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.14.: (Kurve 30) Hirn-Plethysmogramm. Patient Th., A Kopf geradeaus; B plötzliche Bewegung nach hinten; C Kopf stark nach hinten gebeugt; D Kopf nach vorn gebeugt.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.15.: (Kurve 31) Hirn-Plethysmogramm. Patient Th., A in gewöhnlicher, leicht nach hinten überbeugter Stellung im Lehnstuhl, B in Rückenlage, C auf einem gewöhnlichen Stuhl mit senkrechtem Oberkörper sitzend, D aufrecht stehend.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Hyoscin-Injektionen ließen in der Hirnkurve gering abnehmende Pulsationshöhen erkennen. Bleibt noch die Wirkung des Kokains, von der Berger wegen des o.g. euphorisierenden Effektes bei seinen katatonen Patientinnen eine deutliche Zunahme der pulsatorischen Bewegungen im Hirn-Plethysmogramm erwartete, sollte die oben zitierte Alterationshypothese der zerebralen Blutversorgung bei Psychosen stimmen. Es trat jedoch das Gegenteil ein. Abb. 3.20. (Kurve 39) zeigt, wie zehn Minuten nach subkutaner Injektion die Höhe der pulsatorischen Bewegungen im Hirn-Plethysmogramm bedeutend abnahm und im Arm-Plethysmogramm nahezu unverändert blieb. Berger formulierte dieses Ergebnis folgendermaßen: „Entgegen unseren Erwartungen sehen wir also keine Zunahme, sondern im Gegenteil eine Abnahme der pulsatorischen Gehirnbewegungen, obwohl man […] eine Zunahme der Blutfülle des Gehirns erwarten sollte […] [und obwohl] lebhafte chemische Umsetzungen unter 103 dem Einfluß dieses Mittels im Centralnervensystem statthaben.“
Aus den Resultaten seines Kokaintests und der anderen Pharmakateste schrieb Berger bereits im Vorwort seiner Habilitationsschrift fast entschuldigend: „Ich nahm Aenderungen der Zirkulationsverhältnisse der Hirnrinde unter Einwirkung dieses Mittels an und beschloss den Befund weiter zu verfolgen und wissenschaftlich zu begründen. Ich muß gestehen, dass ich mit großen Erwartungen an die Untersuchungen heranging und 104 jetzt am Abschluß derselben enttäuscht bin über die spärlichen Resultate.“
In seinen zusammenfassenden Schlußbetrachtungen zog er daraus allerdings eine weittragende Folgerung, die sich zu späteren Zeiten immer konkreter bestätigen sollte: „Im ganzen geht aus diesen Untersuchungen hervor, dass die Wirkung dieser zum Teil sehr energisch auf das Centralnervensystem einwirkenden Arzneimittel, nicht in einer primären Alteration der Hirnzirkulation bedingt ist, sondern dass dieselben durch einen direkten Einfluss auf die Nervensubstanz selbst die ihnen spezifische Wirkung entfalten. […] Aus dem Zustand des Gefässsystems können wir keinen Rückschluss auf die jeweiligen Zustände, in denen sich die spezifischen Elemente des Centralnervensystems befinden, ziehen. Wollen wir Aufschluß über den jeweiligen Zustand derselben haben, so müssen wir andere Mittel anwen105 den.“
So wenig sich für Berger die Erwartungen seiner Pharmakatests auch erfüllten, im Nachhinein gestatteten seine Ergebnisse doch wesentliche Schlußfolgerungen: Psychosen können nicht kausal mit dem zerebralen Blutfluß zusammenhängen, sondern müssen auf Störungen nervalzellulärer Mechanismen und Ebenen beruhen. Die oben zitierte damalige Hypothese einer primären Alteration der Zirkulationsverhältnisse bei einer Reihe von psychischen Erkrankungen („Manie“, „Melancholie“) hat Berger praktisch widerlegt.106
103 104 105 106
Berger, Lehre von der Blutzirkulation, S. 67. Ebd., Vorwort. Ebd., S. 72. Vgl. Berger, Lehre von der Blutzirkulation, S. 59.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
63
Abb. 3.16.: (Kurve 35) Patient Th., Wirkung von Amylnitrit auf Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a). A vor, B unmittelbar nach Einatmung, C während länger dauernder Einatmung, D nach Entfernung des Amylnitrits, aber noch unter dessen Wirkung.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.17.: (Kurve 37) Patient Th., Wirkung von Digitoxin auf das Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a). A vor, B 10 Min.; C 20 Min. nach einer subkutanen Injektion von 0,0005 Digitoxin MERCK.
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.18.: (Kurve 40) Patient Th., A vor, B 5 Min., C 10 Min., D 20 Min. nach subkutaner Injektion von 0,2 Ergotin (Bombelon). Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm (a).
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.19.: (Kurve 41) Patient Th., A vor, B 5 Min., C 10 Min., D 30 Min. nach subkutaner Injektion von Morphini hydrochlor. Hirn-Plethysmogramm (C). Bei Registration des Arm-Plethysmogramms (a) war Armhebel wiederholt verschoben (obere Kurve).
3.2. „Nicht-psychische“ Einflüsse und Pharmaka-Effekte
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Abb. 3.20.: (Kurve 39) Wirkung von Kokain auf das Hirn- (c) und Arm-Plethysmogramm von Patient Th. A vor, B 6 Min. nach, C 10 Min. nach einer subkutanen Injektion von 0,03 Cocaini hydrochlorici.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Er erhärtete 20 Jahre später nochmals seine eigene Hypothese in seiner Publikation „Zur Pathogenese des katatonen Stupors“: Alles würde dafür sprechen, „dass Kokain erregend und steigernd auf die materiellen Rindenvorgänge wirkt, zu denen die psychischen Vorgänge in Abhängigkeitsbeziehungen stehen“.107 Gemäß der damals gültigen und in vorigen Abschnitten ausführlich diskutierten „Dissimilationshypothese“ nach Verworn folgerte Berger, dass im Stupor „Dissimilationsprozesse betreffender Biogene” stark herabgesetzt sein müßten. Kokain würde diese kurzzeitig beschleunigen und damit ein vorübergehendes Normalverhalten bedingen. Da aber eben die Aufhebung des Stupors nur kurz andauerte, folgerte er für die psychiatrische Praxis, dass eine therapeutische Verwendung der Droge nicht infrage komme. Beim fachkundigen heutigen Leser werden die damaligen Vorstellungen Bergers gewisse Assoziationen zu der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufgekommenen Dopamin-Hypothese des schizophrenen Formenkreises und der Wirkung des Kokains auf die Dopamin-Freisetzung (Rückbindungshemmung) erwecken. Wenn Berger das bereits gewußt hätte… Zur Thematik der Pathogenese und Klinik von Psychosen hatte Berger in den folgenden Jahren noch mehrfach veröffentlicht (siehe Publikationsliste). Neben mehreren späteren klinischen Arbeiten muß an dieser Stelle seine bereits 1903 erschienene Arbeit „Experimentelle Studien zu Pathogenese acuter Psychosen“ erwähnt werden. Einleitend äußerte er sich dort, seine bisherigen Vorstellungen bestätigend: „Auch die Hypothesen, die circulatorische Störungen als die Grundlage acuter Psychosen annehmen, haben einer ernsthaften Kritik nicht standhalten können. Wir kommen mehr und mehr zu der Ansicht, dass die akuten Psychosen auf Alterationen der feineren chemischen Vorgänge der corticalen Zellen ohne morphologische Veränderungen derselben beruhen. Namentlich in den letzten Jahren hat sich in der Psychiatrie eine Richtung Anhänger erworben, die die acuten Psychosen auf eine Toxämie, auf im Blut kreisende und von irgend einer uns unbekannten Seite in den Kreislauf gelangende Toxine, zurückzuführen bestrebt ist. Diese Frage nach den toxischen Grundlagen mancher acuter Psychosen beschäftigt mich schon seit mehreren Jahren und ich versuchte, ob wir einen experimentellen Nachweis für eine sol108 che Annahme erbringen können.“
Dem fachinteressierten Leser ist diese Publikation unbedingt zu empfehlen, obwohl sie zur damaligen Zeit aus arbeitshypothetischer und experimentaltechnischer Sicht keine konkreten Ergebnisse bringen konnte. Er wird aber hier mit Bergers zwar zeitentsprechend limitierter, aber trotzdem progressiver konzeptioneller Denkweise und seinem bis zum Selbstversuch besessenen Forscherdrang konfrontiert. Trotz der fehlenden Resultate gab Berger nicht auf und drückte dies abschließend in seiner Publikation mit folgenden Worten aus: „Denn selbst, wenn es uns gelingt, bei gewissen Psychosen im Blut enthaltene, für das Centralnervensystem spezifische Toxine nachzuweisen, so wissen wir noch lange nicht, wo dieselben entstehen. Nur consequente experimentelle Arbeit kann hier Licht schaffen und
107 Vgl. Berger, Pathogenese des katatonen Stupors, S. 449. 108 Berger, Pathogenese acuter Psychosen, S. 1.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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wieder einer mehr biologischen Auffassung der acuten Psychosen Bahn brechen und das 109 Dunkel ihrer Pathogenese aufhellen.“
An dieser Stelle sollten sich z.B. jene Rezensenten Bergers angesprochen fühlen, die ihn ausschließlich nach seiner EEG-Entdeckung beurteilen und seine Rolle als Psychiater eher gering schätzen. Aus den letzten Darstellungen sollte doch hervorgehen, dass sich Berger sehr wohl, und das sehr intensiv, der Psychiatrie verpflichtet fühlte. Gegenteilige Meinungen sind einfach falsch. Sein wohlbekannter Schüler Kurt Kolle, späterer Klinikschef in München, hat in seinem Buch „Große Nervenärzte“ Berger aufgrund seiner plethysmographischen Untersuchungen der Psychopharmaka sogar als „eigentlichen Begründer einer körperlichen Behandlung endogener Psychosen“ herausgestellt.110 Entsprechende EEG-Untersuchungen Bergers könnten im gleichen Sinne bewertet werden (siehe Kapitel 5).
3.3. EFFEKTE PSYCHISCHER LEISTUNGEN Kommen wir nunmehr zum Komplex der Wirkung psychischer Vorgänge auf das Hirn-Plethysmogramm, der letztendlich als Ziel Bergers zur Erfassung der Grundlagen seiner „psychischen Energie“ dienen sollte. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fanden in den Mitteilungen 1904 und 1907 ausführlichen Niederschlag.111 Berger nutzte hierzu die Möglichkeit, weitere vier Personen (Patienten) mit einer Knochenlücke einbeziehen zu können. Damit standen ihm für seine plethysmographischen Untersuchungen insgesamt fünf Patienten zur Verfügung, von denen die Diagnose des in der Habilitationsschrift untersuchten Patienten Th. bereits vorn beschrieben wurde. Zum Verständnis für den Leser sollen an dieser Stelle auch die Diagnosen der weiteren vier Patienten in Kurzform dargestellt werden: Patient S. (Mitteilung 1904), zur Untersuchungszeit 23 Jahre alt, war nach normaler Entwicklung bei gutem Intellekt mit 15 Jahren versehentlich durch einen Revolverschuß verletzt worden, wobei die Kugel über dem rechten Auge von der Orbita unter Zertrümmerung von Fasern der Capsula interna in tiefe Bereiche des Occipitallappens eintrat und von dort auch nach zweifachem Operationsversuch nicht entfernt werden konnte. Wie aus Abb. 3.21. ersichtlich ist, wurde ein großes halbkreisförmiges Knochenstück aus dem rechten Parietale von 8 x 8,5 cm entfernt. Im Bereich des Defektes waren die deutlichen Pulsationen für die Aufnahme von Hirn-Plethysmogrammen gut geeignet. Nach Bergers Beschreibung werden die freigelegten Hirngebiete von drei Arterien versorgt (Endäste der A. gyri angularis). Neben einer Spastik des linken Beines traten vor allem epileptische 109 Berger, Pathogenese acuter Psychosen, S. 9. 110 Vgl. Kolle, Hans Berger, S. 1–6. 111 Vgl. Berger, Äußerungen psychischer Zustände und Ders.: Äußerungen psychischer Zustände 2. Teil.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.21.: Beispiel für die Lage einer Knochenlücke im Schädel eines Patienten zur Anlegung des Hirn-Plethysmographen.
Anfälle auf. Eine gute intellektuelle Entwicklung und die Bereitschaft zu Bergers Versuchen wurden beschrieben. Patient M. (Mitteilung 1907, S. 17), zur Untersuchungszeit ebenfalls 23 Jahre alt und intellektuell gut entwickelt, hatte durch einen Sturz aus großer Höhe einen Schädelbruch erlitten, der am Hinterhaupt sofort operiert werden mußte. Das Hirn war makroskopisch unverletzt. Nach anfänglich guter Heilung stellte sich bald eine „traumatische Neurose“ ein. Die freie Fläche maß postoperativ 3 x 5 cm und betraf das obere Ende der hinteren rechten Zentralwindung und die anschließenden Gebiete des oberen Scheitellappens. Versorgt wurde das Gebiet von der Arteria paracentralis. Sein psychisches Verhalten war normal und von Interesse für die plethysmographischen Untersuchungen geprägt. Patient K. (Mitteilung 1907, S. 19), zur Untersuchungszeit 33 Jahre alt, wurde infolge eines Hufschlages seines Pferdes im Stirnbereich so verletzt, dass die Knochenfragmente mit Öffnung der Stirnhöhle operativ entfernt werden mußten. Die gleichzeitige Dura- und Hirnverletzung heilte glatt aus und es blieben keine Ausfallssymptome. Sein psychisches Verhalten war normal, er war intelligent und stellte sich freiwillig den plethysmographischen Untersuchungen. Der Knochendefekt im Stirnhirnbereich betrug 7 x 4 cm. Das Gefäßgebiet betraf die Arteria cerebri anterior.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
71
Patient B. (Mitteilung 1907, S. 21), zur Untersuchungszeit 32 Jahre alt, hatte als Junge Scharlach mit anschließender eitriger Mittelohrentzündung. Mit 25 Jahren mußte eine Radikaloperation mit wiederholten Nachoperationen durchgeführt werden, auf die heftige Schwindelerscheinungen folgten. Unter Verdacht auf einen Kleinhirntumor wurde eine Trepanation in Höhe der linken Kleinhirnhälfte von 7 x 7 cm vorgenommen. Der Verdacht hatte sich nicht bestätigt. Sein Intellekt und seine Untersuchungsbereitschaft wurden von Berger als mäßig beschrieben. Das Gefäßgebiet der Knochenlücke betraf die Arteria cerebelli inferior anterior und posterior. Mit seinen insgesamt fünf Patienten hatte Berger die größte Anzahl unter allen Untersuchern von Hirn-Plethysmogrammen aufzuweisen. Wie vorn bereits erwähnt, sind im Folgenden im Gegensatz zu den Kurven der Habilitationsschrift 1901 die der Publikationen 1904 und 1907 normal von links nach rechts zu lesen.112 Die folgenden Abbildungen stellen also Auszüge aus den Kurven beider Atlanten der Publikationen 1904 und 1907 dar, wobei wiederum die Nummern ihrer Originalkurven, hier aber mit Jahres- und Seitenzahl der jeweiligen Publikation zusätzlich angegeben sind. Zu den von den Patienten abgeforderten psychischen Leistungen zählte Berger die Komplexe Aufmerksamkeit (willkürliche Aufmerksamkeit, Kopfrechnen, Zählaufgaben, Erschrecken, Spannung) und Gefühle („Unlust“, Lust). Als Beispiele für Kopfrechnen recht komplizierter Aufgaben seien hier Abb. 3.22. (Kurve 6, 1904, S. 78) und Abb. 3.23. (Kurve 39, 1907, S. 84) aufgeführt. Abb. 3.22. wurde am Patienten S. (Knochendefekt im Parietalbereich), Abb. 3.23. am Patienten K. (Knochendefekt im Stirnhirnbereich) aufgenommen. Bei beiden, besonders aber bei Letzterem war eine deutliche Zunahme des Hirnpulsvolumens und der Pulsationshöhe zu registrieren, die unabhängig vom Arm-Plethysmogramm auftraten. Aus den Untersuchungen dieses Komplexteils konnte Berger insgesamt folgern: „Satz I: Die willkürliche Konzentration der Aufmerksamkeit auf eine geistige Arbeit geht mit einer Zunahme des Gehirn(puls)volumens und einer Steigerung der Pulsationshöhe desselben einher, wobei die letztere die Zunahme des Volumens zeitlich überdauert. Satz II: Eine länger dauernde Konzentration der Aufmerksamkeit z.B. bei der Lösung einer komplizierten Aufgabe ist mit einer anfänglichen Zunahme des Gehirn(puls)volumens und einer Steigerung der Pulsationshöhe desselben verbunden. Während des Fortgangs der psychischen Arbeit bietet das Gehirn(puls)volumen mehrfache Schwankungen dar, jedoch bleibt seine Pulsationshöhe dauernd eine größere und die Steigerung der letzteren überdauert auch die Beendigung der Arbeit.“113
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Berger seinen Patienten K. reichlich 20 Jahre später noch einmal im Zusammenhang mit seinen EEG-Untersuchungen in ähnlicher Weise testen konnte. Abb. 3.24. (a) und (b) zeigt die Ergebnisse im „Normalverlauf“ von EEG, Hirn-Plethysmogramm und EKG (Abb.
112 Vgl. Ebd. 113 Berger, Äußerungen psychischer Zustände, S. 85.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
3.24. (a)) und bei Kopfrechnen der Aufgabe 6 x 166 (Abb. 3.24. (b)). Der plethysmographische Verlauf stimmt mit dem in Abb. 3.23. praktisch überein. Zu Abb. 3.24. (a/b) konnte Berger folgern: „Dieser Befund bei gleichzeitiger Aufnahme des Hirnplethysmogramms und des E.E.G. spricht ebenso wie die früheren Feststellungen dafür, dass das E.E.G. nicht etwa durch die Bewegungen des Blutes in den in der Schädellücke vorliegenden Hirnteilen bedingt sei. […] Also Veränderungen der Blutversorgung des Gehirns […] gehen ohne nachweisbare Veränderungen des E.E.G. und Veränderungen des E.E.G. ohne gleichzeitige Veränderungen des 114 Hirnplethysmogramms einher.“
Weiterhin interessant war für Berger im Zusammenhang mit den psychischen Leistungen zur Lösung einer Kopfrechenaufgabe die Frage der Auswirkung hirntopographischer Durchblutungsunterschiede auf das Hirn-Plethysmogramm. Er untersuchte daraufhin vergleichsweise den Patienten B. mit der Schädeldachlücke im Kleinhirnbereich. Im Unterschied zu den Verläufen an Großhirnbereichen konnte Berger hier signifikante Zunahmen weder des Hirnpulsvolumens noch der Pulsationshöhe feststellen. Keine Wirkung hatten auf diesen Patienten auch einfache Sinnesreize, die bei den Patienten mit Knochendefekten im Großhirnbereich meßbare Effekte hervorriefen. Diese Ergebnisse veranlassten Berger zu der Feststellung: „Wir kommen also zu dem Schluß, daß weder intellektuelle Arbeiten noch einfache Sinnesreize mit Änderungen des Blutflusses zum Kleinhirn einhergehen und daß somit in der Tat die früher beschriebenen Steigerungen des Blutflusses zum Großhirn auf dieses beschränkt zu 115 sein scheinen.“
Unter dem Teilkomplex „willkürliche Aufmerksamkeit“ testete Berger noch Reaktionen auf Sinnesreize, wie Nadelstiche, Stromstöße und Geruchsreize. Die Ergebnisse dieser Kurven faßte er im folgenden Satz III zusammen: „Die willkürliche Konzentration der Aufmerksamkeit auf einen Sinnesreiz geht mit einer Zunahme des Gehirn(puls)volumens und einer Steigerung der Pulsationshöhe desselben einher, wobei letztere die Volumenzunahme und den Sinnesreiz zeitlich erheblich überdauert. Die durch die Konzentration der Aufmerksamkeit auf Sinnesreize hervorgerufenen Veränderungen an der Gehirnkurve scheinen die durch psychische Arbeit veranlaßten an Intensität zu 116 übertreffen.“
Damit hatte Berger eindeutig quantitative Unterschiede zwischen „psychischer Arbeit“ und „Sinnesreizen“ formuliert. Untersuchungen unter Schreckbedingungen ergaben Ergebnisse, die Berger im Satz IV charakterisierte: „Ein heftiger Schreck geht mit einer fast momentan einsetzenden hochgradigen Kontraktion der Gehirngefäße einher, wobei das Gehirn-(puls)volumen vermehrt erscheint. Nach wenigen Sekunden erfolgt eine vollständige Erschlaffung der Gehirngefäße und eine Abnahme des 117 Gehirn(puls)volumens.“
114 115 116 117
Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen III, S. 19. Berger, Äußerungen psychischer Zustände II, S. 170. Berger, Äußerungen psychischer Zustände I, S. 100. Ebd., S. 106.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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Abb. 3.22.: (Kurve 6, 1904, S. 78) Effekt des Kopfrechnens auf das Hirn- (unten) und ArmPlethysmogramm (Mitte) des Patienten S. (Rechenaufgabe 7 x 188 gestellt bei b). Atmung (obere Kurve). Knochendefekt im Parietalbereich.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.23.: (Kurve 39, 1907, S. 84) Effekt des Kopfrechnens auf das Hirn- (unten) und ArmPlethysmogramm (Mitte) des Patienten K. (Aufgabe gestellt bei A). Atmung (obere Kurve). Knochendefekt im Stirnhirnbereich.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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Abb. 3.24.: (a entspricht Abb. 1 und b entspricht Abb. 3, 3. Mitteilung, 1931). (a) „unbelasteter“ Patient K. 20 Jahre nach der Aufnahme in Abb. 3.23. (b) derselbe Patient bei Kopfrechnen der Aufgabe 6 x 166. Obere Kurven entsprechen den EEGs, mittlere Kurven sind die Hirn-Plethysmogramme, untere Kurven sind die EKGs. Erläuterungen siehe Text.
Die Reaktion auf Spannung in Form von Erwartungshaltung bei Patient M. (Defekt an hinterer rechter Zentralwindung und oberem Scheitellappen), der auf Zuruf auf ein angekündigtes Glockensignal reagieren sollte, zeigt Abb. 3.25. (Kurve 43, 1907, S. 104). Bei Punkt A erfolgten nacheinander Zuruf und Glockensignal mit der Folge einer deutlichen Zunahme von Hirn(puls)volumen und Pulsationshöhe. Noch deutlicher bei gleichen Signalen macht sich dies bei Patient K (Defekt im Stirnhirnbereich) bemerkbar, wie Abb. 3.26. (Kurve 44, 1907, S. 109) zeigt. Aufschlußreich waren die Reaktionen auf die Gefühlserregungen Unlust und Lust. Auslösende Faktoren waren hier beispielsweise unangenehme oder angenehme Geschmacksreize, Konfrontationen mit Freude oder Verärgerung beim
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Patienten als Folge, sowie Aufforderungen, die zu Zustimmung oder Ablehnung führten. Abb. 3.27. (Kurve 41, 1907, S. 93) zeigt bei Patient M. eine Reaktion auf eine Verärgerung, wobei hier nur Atemkurve und Hirn-Plethysmogramm aufgezeichnet wurden. Ähnliche Verläufe als „Unlustreaktionen“ fand Berger auch bei den anderen Patienten. Er drückte diese Befunde in Satz VI mit folgenden Worten aus: „Unlustbetonte Empfindungen bewirken eine Zunahme des Gehirn-(puls)volumens und eine Abnahme der Pulsationshöhe derselben. Die Abnahme der Pulsationshöhe ist auf eine Kontraktion der Gehirngefäße zurückzuführen und geht in ihrer Intensität bis zu gewissem Grade 118 derjenigen der Unlustempfindung parallel.“
Da „unlustbetonte Empfindungen“ oftmals mit deprimierter Stimmung im Zusammenhang stehen, bezog Berger auch diesen Aspekt in seine plethysmographischen Untersuchungen ein. Seine diesbezüglichen Ergebnisse faßte er in den Sätzen VII und VIII zusammen: „Während einer deprimierten Stimmung bietet auch das Gehirn ausgeprägtere Atemschwankungen als im normalen Zustand dar. Das Gehirn-(puls)volumen scheint relativ vergrößert, die Pulsationshöhe des Gehirns ist (infolge mäßiger Kontraktion der Gehirngefäße) vermindert. Die durch Einwirkung eines unbetonten Reizes hervorgerufenen Veränderungen der Gehirnkurve sind hinsichtlich ihrer Intensität und ihres zeitlichen Auftrittes von der Konzentra119 tion der Aufmerksamkeit auf den Reiz anhängig.“
Die Wirkung eines „lustbetonten“ Reizes in Form eines übertriebenen Lobes während der Messungen am Patienten K. (Schädeldachlücke im Stirnhirnbereich) zeigt Abb. 3.28. (Kurve 40, 1907, S. 87). Beim Punkt L wurde das Lob ausgesprochen und bereits vier Pulse danach setzten ein deutlicher Anstieg des Hirnpulsvolumens und eine beträchtliche Zunahme der Pulsationshöhe ein. Veränderungen der Atem- und Armpulsvolumenkurve waren hingegen kaum ausgeprägt. Mit lustbetonten Reizen hatte Berger bei den beiden anderen Patienten mit Schädeldachlücken im Großhirnbereich ähnliche Ergebnisse erzielt. Auf die in der Arbeit 1904 von Berger beschriebenen Ergebnisse der plethysmographischen Untersuchungen in Schlafphasen soll an dieser Stelle nur verwiesen werden, da sie lediglich an dem damals einzig verfügbaren Patienten S. vorgenommen werden konnten. Für den fachinteressierten Leser soll hier lediglich seine diesbezügliche Äußerung zum Tiefschlaf zitiert werden: „Es besteht nicht notwendigerweise eine Differenz der Gehirnkurve im tiefen Schlafe und im Wachzustande. Das Gehirn(puls)volumen und die Pulsationshöhe des Gehirns können in bei120 den Bewusstseinszuständen gleich sein.“
Mit eigenen Worten faßte Berger aus physiologischer Sicht seine Ergebnisse 1904 am Patienten S. nochmals zusammen:
118 Ebd., S. 123. 119 Ebd., S. 127. 120 Ebd., S. 156.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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„Eine Konzentration der Aufmerksamkeit und psychische Arbeit geht mit einer aktiven Erweiterung der Gehirngefäße einher […] geht der Schreck mit einer aktiven Kontraktion der 121 Gehirngefäße einher […].“ „Unlustbetonte Empfindungen gehen mit einer Kontraktion, lust-betonte mit einer Erweite122 rung der Gehirngefäße einher […].“ „Der bei Unlust beobachtete Kontraktionszustand und die mit der Lust einher gehende Erschlaffung der Gehirngefäße kann nur eine Folgeerscheinung des mit den Gefühlsvorgängen 123 verbundenen kortikalen Prozesse sein.“
Erwartungsgemäß diskutierte Berger diese den Gefäßtonus charakterisierenden Schlußfolgerungen im Zusammenhang mit der ihm seinerzeit einzig zur Verfügung stehenden Dissimilations-/Biotonus-Hypothese, die vom heutigen sachkundigen Leser aus oben dargestellten Gründen natürlich abgelehnt werden muß. Trotzdem kommt er aber mit seinen Überlegungen überraschenderweise zu einer prinzipiell gültigen Konsequenz: „Indem wir den Biotonus als Maßstab für die Gefäßweite annehmen, können wir (zwar) die Wirkungen der Gefühle auf die Gefäßweite ableiten, sehen aber zugleich, dass diese Gefäßwirkungen nur sekundärer Natur sein können und eine gewisse Intensität der kortikalen Stoffwechselvorgänge voraussetzen müssen […] dass die physischen Begleiterscheinungen der Gefühlsvorgänge an Puls und Atmung […] zur Erhaltung der Integrität der Großhirnrinde 124 dienen.“
Diese in seiner Publikation 1904 geäußerten bekennenden Schlußfolgerungen fanden in der 1907 publizierten Schrift nochmals eine Unterstützung: „Nunmehr kann ich mich auf eigene Untersuchungen an drei (weiteren) Personen mit an verschiedenen Stellen gelegenen Defekten stützen und habe die früher von mir nur an einem Falle festgestellten und in dem ersten Teil dieser Untersuchungen (gemeint ist 1904) nochmals ausführlich beschriebenen Veränderungen an der Gehirnkurve unter der Einwirkung intellektueller Vorgänge, einfacher Sinnesreize, eines Schrecks und gefühlsbetonter Empfindungen nicht als individuelle Eigentümlichkeiten der Reaktionsweise, sondern als allgemein125 gültige Reaktionsformen nachgewiesen.“
Das von Berger in seinen plethysmographischen Untersuchungen erhoffte spezifisch Psychophysische blieb also unerfüllt und erwies sich als eher ubiquitär. Die Reaktionen im Hirn-Plethysmogramm zeigten sich meist gleichgerichtet und waren somit zur Differenzierung ungeeignet. Damit ergaben sich aus diesen zerebralen Blutzirkulationsuntersuchungen für ihn natürlich auch nicht die erhoffte Bestätigung oder gar Quantifizierungsmöglichkeit der Hypothese einer besonderen „psychischen Energie“. Trotz des Scheiterns dieses eigentlich arbeitshypothetischen Basisansatzes spezifisch psychisch induzierter zerebraler Zirkulationsprozesse zur Bestätigung der Hypothese einer besonderen „psychischen Energie“ hat Berger mit 121 122 123 124 125
Ebd., S. 163. Ebd., S. 167. Ebd., S. 168. Ebd., S. 182. Berger, Äußerungen psychischer Zustände II, S. 188.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.25.: (Kurve 43, 1907, S. 104) Effekt von Anspannung in Form von Erwartungshaltung auf Atmung (oben), Arm- (Mitte) und Hirn-Plethysmogramm (unten) bei Patient M. (Defekt an hinterer rechter Zentralwindung und oberem Scheitellappen). Erläuterungen siehe Text.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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Abb. 3.26.: (Kurve 44, 1907, S. 109) Effekte wie in Abb. 3.25. Bei Patient K. (Defekt im Stirnhirnbereich). Erläuterungen siehe Text.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
Abb. 3.27.: (Kurve 41, 1907, S. 93) Effekt von Ärger des Patienten M. als „Unlustreaktion“ auf Atmung (obere Kurve) und Hirn-Plethysmogramm (untere Kurve). Erläuterungen siehe Text. Äußerung der Verärgerung im Abschnitt 1.
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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Abb. 3.28.: (Kurve 40, 1907, S. 87) Effekt von Lob als „lustbetonter“ Reiz (bei L) auf Atmung (obere Kurve), Arm- (mittlere Kurve) und Hirn-Plethysmogramm (untere Kurve) des Patienten K. Erläuterungen siehe Text.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
seinen plethysmographischen Untersuchungen auch ohne Kenntnis des heutigen Basiswissens zur hochkomplexen Autoregulation der zerebralen Blut-Zirkulation beachtenswerte Leistungen erbracht: -
-
-
-
Auf die Bedeutung seiner Pharmakateste und besonders seiner Beobachtungen zur Kokain-Wirkung bei kataton Schizophrenen wurde bereits oben verwiesen. Mit Mosso und Lehmann hat Berger mit seiner damals größten Patientenzahl erstmals qualitativ bewertbare Registrierungen des Verlaufs arterieller Pulswellen im menschlichen Gehirn und ihrer Veränderungen unter Reizbedingungen sichtbar gemacht und damit erstmalig funktionsabhängige regionale Differenzen der zerebralen Blutzirkulation experimentell bestätigt, die Konzentration der Abläufe emotionaler Reaktionen in kortikalen Regionen bestätigt, nachgewiesen, dass Kontraktionen und Erschlaffungen der Hirngefäße nur Begleiterscheinungen der kausal mit psychischen Reaktionen verbundenen zerebral-zellulären (modularen) Prozesse sind, die damalige Theorie der drei Wellentypen „pulsatorische, respiratorische, vasomotorische“ unterstützt und mit seinen Kurvenverläufen nahezu identische Wellenbilder vorgelegt, wie wir sie heute durch die nichtinvasive transkranielle Dopplersonographie im neurologischen Routinebetrieb geliefert bekommen.
Den letztgenannten Vergleich betreffend, kann man Hans Berger und seinen Kollegen Mosso und Lehmann durchaus eine Pionierrolle zuschreiben. Vergleicht man die damals primitiven mechanischen und vor allem gering empfindlichen Experimentaltechniken der Hirn- und Arm-Plethysmographie mit den heutigen hochsensiblen Geräten der transkraniellen Dopplersonographie, ist eine Hochachtung vor Bergers Kurven nicht zu verbergen. Nimmt man hinzu, dass Berger durch das Erfordernis von Schädeldeckendefekten und damit nur bei meist stark geschädigten Patienten seine Untersuchungen mit äußersten Einschränkungen und ohne „Normalfälle“ durchführen konnte, während bei der nichtinvasiven transkraniellen Dopplersonographie praktisch jeder Proband und Patient jeden Alters untersucht werden kann, verdienen seine Studien eine nochmals steigende Beachtung. Selbst die Einschränkung der transkraniellen Dopplersonographie auf die drei Schädelknochenfenster Temporalschuppe, Orbita und Foramen occipitale magnum bedeutet bei der trotzdem möglichen großen Erfassungsbreite der wesentlichen Hirnbasisarterien keine vergleichbare Beschränkung gegenüber Bergers Plethysmographie. Obwohl nicht wie im Falle der transkraniellen Dopplersonographie direkt mit Bergers Plethysmographie vergleichbar, soll an dieser Stelle ein heute ebenfalls gängiges Verfahren zur Messung regionaler Blutflußänderungen im Hirn nicht unerwähnt bleiben: Die funktionelle Magnetresonanztomographie. Dieses Verfahren macht sich Änderungen des den Blutsauerstoff bindenden eisenhaltigen Hämoglobins über die Relation Oxy-/Deoxyhämoglobin zunutze (Oxyhämoglobin ist
3.3. Effekte Psychischer Leistungen
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„diamagnetisch“, Deoxyhämoglobin „paramagnetisch“). Wenn bei Aktivierung der Nervenzellen dem Blut Sauerstoff entzogen wird, erhöht sich überproportional der Blutfluß in Relation zur Sauerstoffextraktion, so dass sich das Verhältnis von Oxy-/Deoxyhämoglobin vergrößert. Das entsprechende Signal im registrierenden Gradienten-Echo-MRT-Bild nimmt zu. Somit können regionale Blutflußänderungen aufgrund nervaler Aktivitäten bildlich dargestellt werden. Bleibt an dieser Stelle noch die Frage zu klären, wie in der damaligen Literatur die Methode der Plethysmographie am Gehirn eingeschätzt wurde und ob Berger hier in der Kritik stand. Zur Arm-Plethysmographie liegen wegen der häufigeren Durchführung in damaliger Zeit erwartungsgemäß mehr Arbeiten als zur Hirn-Plethysmographie vor. Erwähnenswert ist hier vor allem die Publikation von O. Bruns, die sich vor allem kritisch mit den mannigfaltigen physischen und Sinnes-Reizen, sowie Krankheitseinflüssen auseinandersetzt.126 A. Ernst bestätigte diese Bedenken zu Störungseinflüssen auf die ArmPlethysmographie, vermerkte aber zusätzlich, dass auch psychische Faktoren die Armpulskurven beeinflussen können. Ohne eigene Erfahrungen in der HirnPlethysmographie ging er trotzdem auf die diesbezüglichen Berger-Ergebnisse ein und äußerte sich zustimmend, dass Berger wegen seiner „streng kontrollierten Bedingungen und bei Reproduktion in unzähligen Versuchen an den verschiedenen Versuchspersonen“ mit seinen Einflüssen psychischer Faktoren auf die Hirnpulskurven recht haben könnte. Ernst zog mit folgenden Worten dazu ein positives Fazit: „Da die bei psychischen Vorgängen an der Volumenkurve zu beobachtenden typischen Niveausteigungen und -senkungen auf unwillkürliche Bewegungsvorgänge nicht zurückführbar sind, müssen sie demnach notwendig Ausdruck sein für die Einwirkung eben dieser Vorgänge auf den Blutumlauf. Indem ich mich mit dieser Feststellung für die Verwendbarkeit der plethysmographischen Untersuchungsmethode für psychologische Untersuchungszwecke ausspreche, weise ich jedoch darauf hin, dass die Plethysmographie nach wie vor eine Untersuchungsmethode ist, welche von dem Untersucher gründlichste Einarbeit verlangt nicht zuletzt 127 auf technischem Gebiete.“
Gerade mit den letzten Aussagen traf Ernst in Berger einen akribisch arbeitenden und gründlich, aber vorsichtig seine Ergebnisse deutenden Untersucher. Aus inhaltlicher Sicht erfuhren Bergers Untersuchungen lediglich dahingehend Kritik von R. Müller, dass Bergers „kortikale Vorgänge“ nicht die alleinige Deutung seiner Kurvenalterationen, sondern auch Optikus-, Akustikus- und Trigeminusreflexe ohne Beteiligung des Kortex Ursache sein könnten.128 Berger hatte bei der Diskussion seiner Ergebnisse in dieser Richtung keine Stellung bezogen. Leider nur an einem Patienten mit Kopfschußverletzung, noch dazu an einem Analphabeten, führten M. Resnikow und S. Dawidenkow ihre hirnplethys126 Bruns, Leistungsfähigkeit der Plethysmographie, S. 1491f. 127 Ernst, Deutung der plethysmographischen Erfahrungen, S. 145f. 128 Vgl. Müller, Hans Berger, S. 69.
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3. Bergers Arbeiten zur zerebralen Blutzirkulation
mographischen Untersuchungen durch.129 Trotzdem sind sie an dieser Stelle erwähnenswert, da diese Autoren mit ähnlicher Gründlichkeit wie Bruns und Berger das gesamte Spektrum an physikalischen, physiologischen und pathophysiologischen Einflüssen untersuchten, die zur realen Beurteilung psychischer Einflüsse abgegrenzt werden müssen. Desweiteren, bezüglich psychischer Einflüsse konnten sie die Ergebnisse Bergers im Wesentlichen bestätigen. Berger wurde ausführlich zitiert, wie durch folgende Worte der Autoren deutlich zum Ausdruck kommt: „Gegenwärtig herrscht diejenige Auffassung vor, nach welcher die Vergrößerung des Hirn(puls)volumens bei geistiger Arbeit von der aktiven Erweiterung der Gefäße abhängt (Berger). Infolgedessen müßte man hier eine Vergrößerung des Hirn(puls)volumens nebst Vergrößerung der Amplitude der Pulsationen als für die aktive Erweiterung anerkannt typische Erscheinungen voraussetzen (Mosso, Brodmann). [Eine solche Vergrößerung] […] bei geistiger Arbeit ist in der Tat konstatiert worden (Binet und Sollier, Berger), jedoch geht die Tatsache, dass zwischen der Erhebung der Pulsationen und der Vergrößerung des Hirnpulsvolumens eine solche einfache Wechselbeziehung nicht besteht, aus den Untersuchungen Bergers selbst hervor, nach welchen die verlängerte Höhe der Wellen noch eine gewisse Zeit lang erhalten bleibt, nachdem das Hirn(puls)volumen wieder sein ursprüngliches Niveau erreicht 130 hat.“
129 Vgl. Resnikow/Dawidenkow, Beiträge zur Plethysmographie, S. 129–193. 130 Ebd., Zitat aus 2. Abschnitt: Einfluß von psychischen Prozessen auf die Schwankungen des Hirnpulses.
4. BERGERS UNTERSUCHUNGEN ZUR HAUTUND HIRNTEMPERATUR Berger versuchte in aufwendigen Untersuchungen mit der ihm eigenen Akribie auch den Nachweis eines thermischen Äquivalents zur „psychischen Energie“ zu erbringen. In chronologischer Reihenfolge seien hierzu die entscheidenden vier Publikationen genannt: -
„Untersuchungen über die Temperatur des Gehirns“ (1910)131, „Über den Energieumsatz im menschlichen Gehirn“ (1919)132, „Untersuchungen über die psychische Beeinflussung der Hauttemperatur“ (1922)133, „Physiologische Begleiterscheinungen psychischer Vorgänge“ (1937)134.
In der erstgenannten großen Arbeit zu dieser Thematik zitierte Berger zur Stützung seiner Basiskonzeption wiederum W. Ostwald mit dessen universeller Aussage: „Nur wenn der Nachweis geliefert worden wäre, dass bei der Entwicklung psychischer Energie wirklich jedes Mal eine genau äquivalente Menge physikalischer Energie verschwindet, d.h. dass die psychische Energie in einem solchen Maße gemessen werden kann, dass die entwickelte psychische Energie jedes Mal der verschwundenen physikalischen genau gleich 135 ist, hätte man das Recht, von psychischer Energie zu sprechen.“
Die in dieser Arbeit am menschlichen Hirn vorgenommenen Messungen bedeuteten für Berger einen enormen experimentellen Aufwand. Er nutzte hier einen Patienten, bei dem mit Tumorverdacht die Indikationsnotwendigkeit einer Hirnpunktion bestand. Dem Patienten wurde ein Hirnzylinder entnommen, der einen Hohlraum von ca. 40 mm Tiefe und 1,5 mm Durchmesser hinterließ. Diesem Punktionskanal entsprechend, ließ Berger in einer Spezialfirma ein angepaßtes Thermometer anfertigen, dessen eintauchende Quecksilberkapillare diese Maße hatte. Das Thermometer war in 1/10°-Schritten zwischen 35,5° und 42° C geeicht. Die Ablesung erfolgte mit einer 6–8 mal vergrößernden Lupe. Abb. 4.1. zeigt eine Kopie der Originalabbildung aus dieser Arbeit von 1910 (dort Fig. 4). Nach einer bei Berger gewohnten ausführlichen Literaturübersicht ging er in dieser Arbeit besonders auf Temperaturänderungen unter Narkose und nach verschiedenen Seh- und Hörreizen ein. Zu den Narkoseversuchen, die eine Abnahme der Hirntemperatur und bei Erwachen einen Wiederanstieg zur Folgen hatten, 131 132 133 134 135
Vgl. Berger, Temperatur des Gehirns. Vgl. Ders., Energieumsatz im menschlichen Gehirn. Ders., Temperatur des Gehirns. Ders., Physiologische Begleiterscheinungen, S. 492ff. Ders., Temperatur des Gehirns, S. 126.
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4. Bergers Untersuchungen zur Haut- und Hirntemperatur
zeigt Abb. 4.2. ein eindrucksvolles Beispiel: Die Änderungsverläufe von parallel gemessenen Hirn- ( C ) und Rektal-Temperaturen ( R ) unter Chloroform-Narkose wurden hier dargestellt. Die Abszisse gibt Zeitabstände von zwei Minuten während des Erwachens aus der Narkose und erneuter Narkose an. Die Zeitpunkte von Wiederkehr und erneutem Erlöschen des Cornealreflexes sind entsprechend markiert. Erstaunlich ist die Gegenläufigkeit der Rektaltemperatur. Die Herausgeber konnten in diese Abb. 4.2. zusätzlich noch die im Jenaer Universitätsarchiv aufbewahrte handschriftliche Originalabbildung Bergers einbringen. Auf Details zu den Effekten der verschiedenen Seh- und Hörreize in Form von Zunahmen der Hirntemperatur soll an dieser Stelle verzichtet werden. Entscheidend für die Beantwortung von Bergers Ausgangsfrage nach dem Zusammenhang thermische – „psychische“ Energie sind jedoch die Ergebnisse seiner aus diesen Reizversuchen vorgenommenen Berechnungen: Die gemessenen zerebralen Temperaturveränderungen verrechnete Berger auf der Basis des Weber-Fechnerschen Gesetzes und einer Reihe von Prämissen, die er für die o.g. erste Publikation aus vorangegangenen Versuchsergebnissen an Hunden übernahm und auf das von ihm untersuchte menschliche Gehirn übertrug (Masse- und Zeit-bezogenes Sauerstoffbedürfnis, daraus nach Nernst berechneter Arbeitswert und Energieumsatz pro Minute für die menschliche Großhirnrinde, etc.). Im Ergebnis dieser Berechnungen (mit Unterstützung des Jenaer Physikprofessors Straubel) publizierte Berger Wärmeäquivalente, die er allerdings aufgrund seines für das menschliche Hirn viel zu hoch angesetzten Gasaustauschverhältnisses in seiner späteren Publikation „Über den Energieumsatz im menschlichen Gehirn“ erheblich korrigierte.136 Seine Meßergebnisse von 1910 konnte er dabei zwar als real übernehmen, die Prämissen mußte er jedoch grundlegend ändern. Im Ergebnis seiner erneuten Berechnungen postulierte Berger dann einen Anteil des Wärmeverlustes am gesamten Energieaufwand der Hirnrinde bei psychischen Leistungen von nur etwa 2,3 % gegenüber seinen noch 1910 angenommenen 40%. Diese korrigierten Prozentzahlen wurden in das nachfolgende Originalzitatzitat von uns eingefügt. An dieser Stelle sei die mehrfach geäußerte grundsätzliche Anmerkung erlaubt, dass es sich empfiehlt, Bergers themenbezogene Publikationen wegen von ihm später vorgenommener Korrekturen immer insgesamt zu lesen und zu beurteilen. Leider wurden die Beurteilungen seiner Temperaturarbeiten meist nur anhand der Publikation von 1910 vorgenommen. Später wird noch gezeigt, dass sich ähnliche Beispiele auch in der Abfolge seiner 14 Mitteilungen zum EEG finden, in denen er häufig vorangegangene Deutungen revidierte. Letztendlich konnte Berger aus seinen Hirntemperaturmessungen folgern, dass unter Normalbedingungen im Hirnstoffwechsel keine erhebliche Wärmeentwicklung stattfindet.
136 Berger, Energieumsatz im menschlichen Gehirn, S. 81f.
4. Bergers Untersuchungen zur Haut- und Hirntemperatur
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Abb. 4.1.: Messung der Hirntemperatur: Beispiel für die Lage des Spezialthermometers in einem Punktionskanal (entspricht Fig. 4 aus Publikation 1910) Erläuterungen siehe Text.
In der Gesamteinschätzung stellte er in der großen Publikation von 1910 die folgende Frage und beantwortete sie direkt: „Können wir nun aus unseren Berechnungen über den kortikalen Umsatz bei intellektueller Arbeit auch nur ungefähr die von allen geforderte Äquivalentzahl für die psychische Energie entnehmen? Wir können diese Frage unbedenklich mit Nein beantworten. Von dem Mehrverbrauch […] sind 40 % (korrigiert 2,3 % 1919, siehe oben) als Wärme zu rechnen, die übrigen 60 % (korrigiert 97,7 % 1919) enthalten neben dem Betrag für reine Nervenprozesse auch den Teilbetrag, welcher in psychische Energie transformiert wird. Vorläufig sehe ich kein 137 Mittel, hier […] weiter zu kommen.“
Auch mit dieser Einschätzung trennte Berger nach wie vor die „psychische“ Energie von den physikalischen Energieformen ab, verließ also seine Grundkonzeption von der Existenz einer „psychischen“ Energie nicht. In seinem Abschlußwerk „Psyche“ schätzte er schließlich seine Hirntemperaturuntersuchungen mit folgenden Worten ein: „Man hat gesagt, dass dann, wenn die psychischen Vorgänge ein materielles Äquivalent besäßen, man bei geistiger Arbeit einen Abfall der Temperatur des menschlichen Gehirns. […] erwarten müsse, je nachdem man annimmt, dass eine gewisse Wärmemenge […] in die psy-
137 Berger, Temperatur des Gehirns, S. 130.
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4. Bergers Untersuchungen zur Haut- und Hirntemperatur
Abb. 4.2.: Temperaturveränderungen im Gehirn nach Chloroform-Narkose (C) im Vergleich zur parallel gemessenen Rektaltemperatur (R). Abszisse: Zeitangaben in 2-Minuten-Abständen. Operativer Eingriff zur Lokalisation einer Geschwulst (Publikation 1910). Die Abbildung rechts ist die der Publikation (Berger, Physiologische Begleiterscheinungen, S. 492) die gleiche Abbildung links ist Bergers ursprüngliche Handzeichnung vor Einreichung zur Publikation (Jenaer Univ.-Archiv).
4. Bergers Untersuchungen zur Haut- und Hirntemperatur
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chische Energie umgesetzt würde. Ein Temperaturabfall tritt, wie dies durch zahlreiche eingehende Untersuchungen bewiesen ist, ebensowenig wie ein einwandfreier Temperaturan138 stieg in dem menschlichen Großhirn ein bei der geistigen Arbeit.“
Obwohl die erhofften Resultate der Hirntemperaturmessungen Bergers ein Mißerfolg waren und nicht einen Quellenanteil thermischer Energie an seiner „psychischen“ Energie zu quantifizieren erlaubten, sondern für ihn lediglich eine Summe „physiologischer und psychischer Nervenleistungen“ ergaben, ließ er seine Untersuchungen zur psychischen Beeinflussung thermischer Verläufe nicht fallen. Er konzentrierte sie nunmehr allerdings auf Messungen von Hauttemperaturänderungen. Die Gründe hierfür waren sicher mehrschichtig. Einerseits standen ihm für direkte Temperaturmessungen im Hirnparenchym kaum Patienten zur Verfügung, andererseits stimulierten ihn Literaturangaben zu suggestiv provozierten Hauttemperaturveränderungen in Hypnose und zu Hauttemperatursteigerungen bei psychischen Reizzuständen und intellektueller Arbeit. Beide letztgenannten Aspekte erfuhren in der Publikation „Untersuchungen über die psychische Beeinflussung der Hauttemperatur“ eine ausführliche Darstellung.139 In diese Arbeit konnte er sowohl die relevanten Untersuchungsergebnisse seiner Jenaer Patienten und diejenigen seiner Lazarettpatienten aus dem ersten Weltkrieg, als auch seine früheren Erkenntnisse aus seinen Durchblutungsuntersuchungen einfließen lassen. Im ersten Teil dieser Arbeit widmete er sich eigenen Untersuchungen an Patienten zu Hauttemperaturänderungen durch Suggestion unter Hypnose. Er beschrieb hier einen Fall, bei dem es ihm gelang, in tiefer Hypnose die Hauttemperatur auf der Hand nach Suggestion in mehrfachen Versuchen deutlich zu steigern. Bergers Originaltext hierzu lautete nach einem Wiederholungsversuch: „Ein zweiter Versuch fand am 9. November 1917 statt (Anm.: im Lazarett in Sedan während des ersten Weltkrieges). K. lag wieder in tiefer Hypnose. Die Hände waren während dieser Hypnose, die, als zu dem Versuch übergegangen wurde, schon 40 Minuten angedauert hatte, auffallend kalt. Die Suggestion, dass die Hände nun wärmer würden, bewirkte schon nach einigen Minuten, dass in der Tat eine Wärmezunahme in den Händen eintrat. Das jetzt in der Gegend des linken Daumenballens aufgesetzte Hautthermometer zeigte 34,78° C (Spezialanfertigung in einer Jenaer glastechnischen Werkstatt). Nach einigem Zuwarten, währenddessen absichtlich die Suggestionen nicht wiederholt wurden, sank innerhalb der nächsten 20 Minuten die Temperatur langsam auf 34,66° C ab […]. [Danach] wurden die Suggestionen wiederholt, es wurde hinzugefügt, dass die Hände wärmer, ja dass sie brennend heiß werden würden. Tatsächlich stieg auch ziemlich rasch die Temperatur […] bis auf 35,36° C […]. Unter 140 suggestivem Einfluß war also hier ein Temperaturanstieg um 0,7° C eingetreten.“
Abb. 4.3. (Fig. 1 im Original) stellt den beschriebenen Verlauf dar. Die Suggestion und deren ausgeprägte Wiederholung ist durch Pfeile markiert. Bei weiteren Versuchspersonen gelang es Berger, durch Suggestion in Hypnose ähnliche Temperatursteigerungen zu erreichen, bei anderen jedoch nicht. Als offensichtliche Erklärung für die Temperatursteigerungseffekte führte er Gefäßerweiterungen im 138 Ders., Psyche, S. 28. 139 Vgl. Ders., Beeinflussung der Hauttemperatur, S. 209. 140 Ebd., S. 210.
4. Bergers Untersuchungen zur Haut- und Hirntemperatur
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Handbereich der betreffenden Versuchspersonen an. Aus diesen Suggestionsbefunden in Hypnose ergab sich für Berger eine neue Untersuchungsserie: „Es lag nun natürlich die Frage äußerst nahe, ob auch im Wachzustand etwa durch Richten der Aufmerksamkeit auf die Hände ähnliche Gefäßerweiterungen erzielt werden könnten. Wir sind ja dank der zahlreichen psychophysiologischen Untersuchungen wenigstens über die körperlichen Begleiterscheinungen des als Aufmerksamkeit bezeichneten physischen Tatbe141 standes gut unterrichtet.“
In diesem Zusammenhang bewegten ihn natürlich die Ergebnisse aus seinen hirnund armplethysmographischen Untersuchungen. Bei der experimentellen Vorgehensweise der folgenden Untersuchungsansätze im Wachzustand achtete Berger peinlich genau auf die Vermeidung von Artefakten, die vor allem durch Bewegungen, also motorisch provozierte, nicht relevante Gefäß- und damit Temperaturänderungen verursacht werden können. Durch dieses akribische Vorgehen konnte Berger sogar erhebliche Fehldeutungen damaliger Lehrbuchliteratur korrigieren (z.B. E. Weber: „Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper“). Ein Untersuchungsansatz unter Beachtung dieser Fehlerquellen umfaßte vergleichende Temperaturmessungen auf der Haut an unterschiedlichen Körperstellen, z.B. in der Achselhöhle und auf der Stirnhaut vor, während und nach der Lösung von Rechenaufgaben. In einem weiteren Ansatz verglich Berger Temperaturverläufe an der Haut über Schädeltrepanationsstellen und symmetrisch auf der anderen Seite liegenden Schädelabschnitten der gleichen Versuchspersonen ebenfalls vor, während und nach Rechenaufgaben. Nach den Ergebnissen beider Untersuchungsansätze konnte Berger folgern: „Anstrengende geistige Arbeit […] geht mit einer allgemeinen Temperatursteigerung einher. Dieselbe läßt sich auch an der Hauttemperatur der Stirn nachweisen, während sonst eine we142 sentliche Erhöhung der Temperatur an den Extremitäten nicht festzustellen war […].“
In den Vergleichsmessungen zwischen der Haut an einer Trepanations- und einer symmetrisch gegenüberliegenden Stelle ergaben sich keine gleichgerichteten Befunde bei allerdings gemessenen Temperatursteigerungen an beiden Orten. Berger faßte diese Ergebnisse mit folgenden Worten zusammen: „Es ergibt sich daraus, wie auch von anderen Untersuchern schon hervorgehoben wurde, dass man sichere Schlüsse auf Veränderungen der Gehirntemperatur aus diesen Messungen an der Haut überhaupt nicht ziehen kann. Jedenfalls zeigen aber diese Versuche, ebenso wie die vorangehenden, dass die Hauttemperatur im Bereich des Schädels während einer angestrengten geistigen Arbeit zunimmt […]. Jedoch handelt es sich dabei immer nur um eine länger anhaltende und nicht unerheblich anstrengende geistige Arbeit oder auch um heftige Gemütserre143 gungen.“
In einer letzten umfangreichen Versuchsserie wies Berger durch Temperaturvergleiche an den Handrücken beider Hände derselben Versuchsperson nach und bestätigte damit Lehmanns Befunde, dass durch „energische Konzentration der 141 Ebd., S. 212. 142 Ebd., S. 215. 143 Ebd., S. 216.
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Abb. 4.3.: (entspricht Fig. 1 aus Publikation 1922) Hauttemperaturänderungen an der Hand eines Patienten in Hypnose durch Suggestion. Erläuterungen siehe Text.
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4. Bergers Untersuchungen zur Haut- und Hirntemperatur
Aufmerksamkeit eine lokale Temperatursteigerung zu erzielen“ sei, die „natürlich nur durch eine vorübergehende lokale Gefäßerweiterung (an der besonders intensiv beobachteten Hand) erklärt werden kann.“ Schlußfolgernd und den Mißerfolg bei der erhofften Möglichkeit einer Quantifizierung seiner „psychischen Energie“ durch thermische Messungen bestätigend, spekulierte Berger am Schluß seiner großen Publikation zu „Untersuchungen über die Temperatur des Gehirns“144, einen diesbezüglichen Erfolg durch Messung der elektrischen Hirnvorgänge erzielen zu können.
144 Vgl. Berger, Temperatur des Gehirns.
5. BERGERS „ELEKTRENKEPHALOGRAMM“ IM ZUSAMMENHANG MIT SEINEN KONZEPTIONEN ZUR PSYCHOPHYSIOLOGIE UND „PSYCHISCHEN ENERGIE“ Das einleitend genannte Werk C. Borcks „Hirnströme - Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie“ und die Einleitung R. Jungs zum Faksimile-Band der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie über die 14 Originalarbeiten Hans Bergers von 1929–1938 nehmen bereits in hervorragender und weitgehend erschöpfender Weise die historische Einordnung von Bergers diesbezüglichen Leistungen in den Gesamtentwicklungsgang der Elektroenzephalographie vor. Wir Autoren dieses Buches konzentrieren uns entsprechend des Titels dieses Kapitels vornehmlich auf eine detaillierte Einordnung der EEG-Untersuchungen Bergers in sein persönliches Hypothesengefüge: Nachdem Berger mit seinen Forschungskomplexen zur zerebralen Blutzirkulation mittels plethysmographischer Untersuchungen und zu Hirntemperatur-Messungen keine Quantifizierung und damit Bestätigung seiner postulierten „psychischen Energie“ vornehmen konnte, setzte er seine ganze Hoffnung in die Auswertung des von ihm entdeckten „Elektenkephalogramms“ des Menschen. Berger hatte mit einem Vortrag vor der Leopoldina unter dem Titel „Das Elektrenkephalogramm des Menschen“ gewissermaßen ein Review zumindest der ersten 13 Mitteilungen seiner 14er Serie gleichen Titels vorgestellt, dessen Druck in der Zeitschrift Nova Acta Leopoldina 1938 erfolgte.145 In Abb. 5.1. Ist das Deckblatt dieser großen Publikation zu sehen. In der Reihe „Jenaer Reden und Schriften“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde 1991 ein kommentierter Reprint des Erstausdruckes dieser Publikation herausgebracht.146 Der ansonsten meist nur am Rande erwähnte große Artikel ist insofern von Bedeutung, als er Bergers endgültige Ansichten und Deutungen seiner EEGBefunde enthält. Damit werden die in der 14er Serie in Folgemitteilungen häufig zu findenden Korrekturen vor allem fundamentaler Ansichten aus vorangegangenen Mitteilungen dem Leser nicht mehr zum Verhängnis. Dem interessierten Leser und den Fachrezensenten ist daher dieser Übersichtsartikel unbedingt als Erstlektüre zu empfehlen. In den folgenden Detaildarstellungen wird aber aus beiden, der Publikationsserie und dem Übersichtsartikel zitiert, um Bergers intensives Ringen um Verständnis der theoretischen Hintergründe seiner Vielzahl experimenteller EEGBefunde zu verdeutlichen. Nur auf diese Weise können Mißdeutungen des Werkes dieses großartigen Arztes und Wissenschaftlers vermieden werden. Dabei geht 145 Vgl. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL. 146 Vgl. Ders., Elektrenkephalogramm Kommentierter Reprint.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.1. Titelblatt der Zeitschrift Nova Acta Leopoldina zu Bergers „Das Elektrenkephalogramm des Menschen“ von 1938.
5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
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es hier um die gleiche Frage wie bei seinen Untersuchungen und Befunddeutungen zur Blutzirkulation und Thermographie: Was konnte Berger noch nicht wissen und wie hatte er bereits bekannte Erkenntnisse verarbeitet? Vor den Darstellungen diesbezüglicher Details in den folgenden Abschnitten sollen dem Leser allerdings die in der Einleitung bereits angekündigten, aus Bergers Persönlichkeitsstruktur resultierenden, fast verhängnisvollen Folgen bezüglich der Originalität seiner Entdeckung des EEG nicht verschwiegen werden: Nach hoch honorierten Untersuchungen über Aktionsströme peripherer Nerven im Tierexperiment wurden für die englischen Physiologen Adrian und Matthews Hirnstromuntersuchungen am Menschen interessant, nachdem sie entsprechende Ergebnisse der Berliner Gruppe um Fischer, Kornmüller und Tönnies, allerdings am Kaninchenhirn durchgeführt, aufgegriffen hatten. Sie begannen damit 1934, nachdem Berger bereits seit fünf Jahren acht seiner Mitteilungen der Folgeserie „Über das Elektrenkephalogramm des Menschen“ publiziert hatte. Adrian und Matthews griffen Bergers Methode auf und haben sich gegenseitig ihr EEG abgeleitet. Ihre Ergebnisse präsentierten sie sogar anhand einer praktischen Demonstration am 12. Mai 1934 auf einer Physiologentagung in Cambridge. Die völlig uninformierte britische Presse feierte daraufhin den Nobelpreisträger Adrian und nicht den deutschen Psychiater Hans Berger als Erfinder des EEG. Fairerweise sorgten Adrian und Matthews sofort mit einer Veröffentlichung in führenden Zeitschriften für eine Richtigstellung (u.a. in Lancet). Der hiervon zunächst völlig uninformierte Berger erhielt erstmalig am 7. Juni 1934 durch seinen Berliner Konkurrenten Kornmüller eine briefliche Nachricht darüber: „Obwohl es Ihnen bekannt sein dürfte, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass sich der vorjährige Nobelpreisträger Adrian in letzter Zeit, von Ihren Untersuchungen ausgehend, mit dem EEG beschäftigt hat. Er hat darüber auch auf dem Physiologenkongreß in London, der vor etwa drei Wochen stattfand, eine Demonstration abgehalten.“
Bezeichnend ist nun die mit regelrecht naiver Ehrlichkeit vom kongressscheuen Berger verfaßte Antwort an Kornmüller einen Tag nach Erhalt von dessen Brief: „Namentlich danke ich Ihnen dafür, dass Sie mich auf die Arbeit von Adrian aufmerksam gemacht haben, über die ich natürlich noch nichts gehört hatte.“
Zwischenzeitlich hatte sich auch Adrian mit einem richtig stellenden und Bergers Entdeckung bestätigenden Brief gemeldet. Berger notierte daraufhin in seinem Tagebuch zum 9. Dezember 1934 folgende Satzfragmente: „Aus Cambridge einen prächtigen Brief von Adrian, in dem er sich entschuldigt, dass er fälschlich in den englischen Tageszeitungen als Entdecker meines EEG, dieser klassischen Untersuchungen, gefeiert wurde, er verspricht Berichtigungen: ich habe ihm gedankt.“
Adrian dokumentierte dies u.a. auf einem Treffen der American Neurological Association 1934 in Atlantic City mit folgendem Bekenntnis: „I was glad to have Berger’s Discovery as a theme for several lectures […].“
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
In seinem Gutachten zur Aufnahme Bergers in die Leopoldina unterstrich Adrian nochmals Bergers Bedeutung: „His work on the electrical activity of the human brain is of outstanding importance: it has introduced an entirely new method of investigation + has already become the starting point for numerous lines of research in Europe + America, in fact there are several laboratories in the United States almost entirely devoted to the investigation of the phenomenon which Ber147 ger has discovered […].“
Nachdem sich beide beim nun endlich auch von Berger besuchten XI. Internationalen Kongreß für Psychologie in Paris persönlich kennen gelernt hatten, schrieb Berger am 3. August 1937 an Adrian: „Ich weiß, dass ich es Ihnen allein verdanke, dass überhaupt die wissenschaftliche Welt auf meine Untersuchungen aufmerksam wurde.“
Anerkennenswert ist an dieser Stelle, wie Borck in seinem Buch „Hirnströme“ Adrians Einsatz für Berger treffend formulierte: „Mit Adrians Intervention trat der „Berger-Rhythmus“ aus der privaten Welt des Jenenser 148 Labors hinaus und wurde zum Wirkungsobjekt der internationalen Neurophysiologie.“
Es war bezeichnend, dass bereits 1935 auf dem internationalen NeurologieKongreß in London eine Sektion zum EEG stattfand, auf der neben Adrian und Matthews auch Amerikaner und aus Deutschland Kornmüller sprachen. Wer leider auch dort nicht anwesend war, war der eigentliche Entdecker Hans Berger. Allein über Folgen seiner Entdeckung in der westlichen Welt, vor allem in den USA informiert zu werden, empfiehlt sich Borcks Buch aufgrund einer intensiven Recherchetätigkeit und Darstellung von Zusammenhängen bis in technische und politische Bereiche dringend zu lesen.
5.1. BERGERS EEG-KONZEPTION IM WANDEL Die EEG-Konzeption der Alpha- und Beta-Wellen hielt Berger 1931 in einer Skizze fest, die als Kopie in Abb. 5.2. zu sehen ist. Seine handschriftlichen Bemerkungen hierzu sind in der Legende ausgedruckt. Die erste Deutung dieser beiden Wellentypen nahm Berger aber bereits 1929 in der ersten Mitteilung seiner 14er Serie vor: „Das Elektrenkephalogramm stellt eine fortlaufende Kurve mit ständigen Schwankungen dar, an der man, wie schon immer wieder hervorgehoben, die größeren Wellen erster Ordnung mit einer Durchschnittsdauer von 90 V (Alpha-Wellen) und die kleineren Wellen zweiter Ordnung von durchschnittlich 35 V unterscheiden kann (Beta-Wellen). Die größeren Ausschläge haben einen Wert von im Höchstmaß 0,00015–0,0002 Volt […] von den größeren Wellen des
147 Gutachten Adrians vom 26. Dezember 1937. Archiv der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Mnr. 4421. 148 Borck, Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, S. 189.
5.1. Bergers EEG-Konzeption im Wandel
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menschlichen Elektrenkephalogramms kommen 10–11 auf 1 Sekunde, von den kleineren 20– 30 auf 1 Sekunde, also, wenn man beide Wellen zusammenrechnet, etwa 10–30 auf 1 Sekun149 de […].“
Für den nicht eingeweihten Leser sei an dieser Stelle eine Erklärung zum Verständnis von Bergers Dimensionsangaben eingefügt: Er verwendete hier und auch in späteren Publikationen für die Zeitdauer der Wellen die Dimension V (Sigma), wobei 1 Sekunde 1000 V entsprechen. Somit erklären sich seine Angaben, dass bei der Dauer einer Alpha-Welle von im Mittel 90 V etwa 10–11 dieser Wellen auf 1 Sekunde entfallen. Für Beta-Wellen mit durchschnittlich 35 V wird damit die angegebene Anzahl der Wellen von 20–30 pro Sekunde ebenfalls verständlich. Im heutigen Sprachgebrauch entsprächen diese Angaben Bergers 10–11 Hz (Hertz) für Alpha- und 20–30 Hz für Beta-Wellen. All diese in der ersten Mitteilung angegebenen Werte wurden von Berger in den Folgemitteilungen immer wieder präzisiert und partiell korrigiert. Eine weitere Information für den Leser sei an dieser Stelle angebracht: Berger verwendet in seinen folgenden Mitteilungen für Alpha-Wellen die Abkürzung DW., für Beta-Wellen die Abkürzung E-W. Diese Abkürzungen werden in den im Folgenden zitierten Textstellen Bergers beibehalten. Zur weiteren Quantifizierung der beiden Wellentypen wertete Berger zahlreiche EEG-Kurven seiner Normalpersonen, zumeist Mitarbeiter und Familienangehörige, im Vergleich zu denen seiner Patienten mit und ohne Defektstellen am Schädel aus. Er leitete damit also sowohl direkt vom Skalp (in der routinemäßig üblichen Art durch Kopfhaut, Schädelknochen, Hirnhäute und Liquer cerebrospinalis), als auch von den nur hautbedeckten knochenfreien Stellen am Hirn ab (nur Kopfhaut, Hirnhäute und Liquorräume dazwischenliegend). In seiner zweiten Mitteilung 1930 stellte er diese Ergebnisse in der dortigen Abb. 6 schematisch vor, die hier als Abb. 5.3. zu sehen ist. Als Legende sind Bergers Originalaussagen im laufenden Text zu werten: „Eine genauere Durchsicht zahlreicher, von Defektstellen oder vom unversehrten Schädel aufgenommener E.E.G. zeigt nämlich, dass die D-W. keineswegs so geradlinig verlaufen, wie es zunächst den Anschein hat. Sie bieten ausnahmslos, wie sich das bei genauerer Durchsicht ergibt, im absteigenden Schenkel gewöhnlich zwei Zacken dar, die sich unschwer als E-W., die den D-W. aufgesetzt sind, zu erkennen geben. Es kommen somit auf jede D-W. gewöhnlich 3 E-W. Aus allen Kurven geht auch hervor, dass die D-W. nie allein auftreten; auch wenn es zunächst manchmal so den Anschein hat, so sieht man doch […] zwei leichte Verbiegungen oder Verdickungen des absteigenden Schenkels, durch die so diese E-Zacken eben ange150 deutet sind.“
Berger hat in dieser schematischen Abbildung weitgehend „normaler“ Verläufe auch nochmals das Vorkommen von 10 (bis 11) Alpha- und 30 Beta-Wellen verdeutlicht. In seiner dritten Mitteilung 1931 konnte Berger dann bereits auf eine stattliche Anzahl von EEGs verschiedener hirnpathologischer Zustände verweisen, die für 149 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen I, S. 567f. 150 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen II, S. 174.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.2.: Konzeptionelle erste Vorstellungen Bergers zu Alpha- und Beta-Wellenprozessen unter normalen und pathologischen Bedingungen (Handskizze 1931). Handschriftliche Begleittexte: oben: Gedanken 21.9.31; in der Rinde: immer 2 Prozesse vorhanden. 1. II (psychophysisch), Alphaprozeß, Ernährung! Beta-Prozeß. Das sind die organ. Konflagrationen von Mosso. Normal! 2. Bewußtlosigkeit, Prozesse Alpha, Beta. 3. Vorbereitung zum epil. Anfall. Anfallsbereitschaft! Alpha, Beta. 4. Epil. Anfall. Alpha, Beta. Intracerebrale Temp. Steigerung beobachtet 0,6° Mosso ip, 0,36° beim Menschen. Nach Mosso jedoch nicht immer.
5.1. Bergers EEG-Konzeption im Wandel
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ihn eine beträchtliche Dimensionsänderung der beiden Wellentypen bedeuteten. Dabei blieb er aber durchweg bei seinen beiden grundlegenden Alpha- und BetaWellenmustern und deutete sie dann als pathologisch verändert. Das Beispiel eines Falles mit Schädelbruch und Contusio cerebri soll diese Deutungsweise Bergers demonstrieren. Abb. 5.4. zeigt im oberen Teil das EEG des Falles mit nach Berger „verlängerten oder verschmolzenen Alpha-Wellen“ von etwa 150–290 V, also der 1,5–3fachen Länge der „normalen“ Alpha-Wellen, was im unteren Teil im schematischen Vergleich des zeitlichen Verlaufs der Alpha- und Beta-Wellenmuster eindrucksvoll dargestellt wird.151 In dieser Abb. 5.4. wurden die Abbildungen 24 und 29 der dritten Mitteilung Bergers kombiniert. Die zunehmende Zahl solcher Beispiele variierender Parameter seiner Alphaund Beta-Wellenmuster veranlaßte Berger, bereits in seiner vierten Mitteilung 1931 nochmals auf die „Zusammensetzung des normalen E.E.G.“ einzugehen: „Die D-W. haben normalerweise eine Länge von 90–120 V und einen Höchstwert von etwa 0,2 mV. Für die E-W. habe ich eine durchschnittliche Länge von 33 V und einen Höchstwert von 0,1 mV angegeben. […] Ich muß diese Angaben auf Grund der kurven-analytischen Untersuchungen des Herrn Dr. Dietsch, die in meiner Klinik durchgeführt wurden, insofern etwas verbessern, als nach den Aufnahmen mit dem Oszillographensystem unter den E-W. solche von 20–50 V enthalten sind und ihre Größe meist nur 1/10 der Höhe der D-W., also nur 0,02 mV beträgt. […]Die E-W. sind sicherlich eine zusammengesetzte Größe, wie das schon die kurven-analytische Feststellung ihrer Zusammensetzung aus ganz verschieden langen 152 Wellen von 20–50 V ergibt.“
Die große Variabilität der Beta-Wellen demonstrierte der genannte Dr. Dietsch (Assistent des Jenaer Physikers Prof. Max Wien, mit dem Berger kooperierte) in einer eigenen Publikation, aus der Berger eine entsprechende Abbildung in seine 9. Mitteilung als Abb. 1 übernahm.153 Hier ist sie als Abb. 5.5. gezeigt: Dietsch teilte nach kurvenanalytischen Auswertungen (Fourier-Transformationen) diverser EEGs Bergers die EEG-Schwingungen in Kategorien C1–C7 ein, wobei er mit C1 die Alpha-Wellen von den sechs Beta-Wellengruppen C2–C7 mit folgenden mittleren Frequenzen abgrenzte: Alpha-Wellen: 10 Hz; Beta-Wellen: C2 a 20 Hz, C3 a 30 Hz, C4 a 40 Hz, C5 a 50 Hz, C6 a 59 Hz, C7 a 72 Hz. Mit diesen Angaben von Dietsch würden sich die von Berger in der 4. Mitteilung angegebenen Bereiche für Alpha-Wellen von 8–11 Hz bestätigen, für Beta-Wellen jedoch auf etwa 20–70 Hz erweitern. Vergleiche dieser Angaben mit denen der modernen neurologischen Fachliteratur erfolgen an späterer Stelle. Bezüglich der Alpha-Wellen stellte Berger ausgedehnte und vor allem die klinisch relevantesten Untersuchungen an. Dabei ließ er kein Krankheitsbild aus, das in seinem breiten Patientengut vorkam. In keiner seiner 14 Mitteilungen fehlten entsprechende EEG-Kurven und ihre Deutungsversuche, wobei letztere bei Wiederholungsfällen in späteren Mitteilungen immer dann Änderungen erfuhren, wenn dies für Berger neuere Erkenntnisse erforderten. Ein typisches Beispiel stellen hier die Deutungen seiner EEG-Befunde bei verschiedenen 151 Vgl. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen III, S. 48 sowie 55. 152 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen IV, S. 20 sowie 22. 153 Dietsch, Fourier-Analyse von Elektrencephalogrammen, S. 106.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.3.: (entspricht Abb. 6 der 2. Mitteilung, 1930, Korrekturfahne für Original) Schematische Darstellung des Alpha- und Beta-Wellenmusters im „normalen“ EEG: Frequenz und Strukturvergleich. Legende siehe Text.
5.1. Bergers EEG-Konzeption im Wandel
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Abb. 5.4.: (a entspricht Abb. 24 und b Abb. 29 der 3. Mitteilung, 1931) (a): EEG drei Wochen nach Schädelbruch und Contusio cerebri, abgeleitet mit Nadelelektroden von der linken Stirn- und rechten Hinterhauptshälfte (oben); EKG von beiden Armen abgeleitet (Mitte); Zeit in 1/10 Sekunden (unten). (b): Schema des zeitlichen Verlaufs der Alpha- und Beta-Wellen im Sekundenbereich (Hintergrund). Dick überlagert pathologischer Alpha-Wellenbereich im pfeilmarkierten Sekundenabschnitt aus (a).
Epilepsieformen dar: Die ab der dritten Mitteilung (1931) diesbezüglich vorgenommenen Deutungen bekamen in der letzten, also der 14. Mitteilung (1938) aufgrund der Epilepsie-Untersuchungen von Gibbs et al. einen entscheidenden Schub für Berger.154 Folgender Auszug aus Bergers 14. Mitteilung soll dies belegen: „Ich habe früher aufgrund von E.E.G.s bei Hyperventilationsversuchen an Epileptikern angenommen, dass der epileptische Anfall selbst durch eine Enthemmung der Hirnrinde eingeleitet werde und dass die schlagartig einsetzende Bewußtlosigkeit in den Beginn der Enthemmung falle. Ich konnte bisher jedoch niemals über den Zustand des E.E.G. während des toni154 Vgl. Gibbs/Lennox/Gibbs, The Electro-Encephalogram, S. 1225.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
schen Stadiums des epileptischen Anfalls beim Menschen etwas Sicheres in Erfahrung bringen. Aus den Abbildungen von Gibbs und seinen Mitarbeitern geht nun hervor, dass im tonischen Stadium rasche und kleine Potential-Schwankungen, also E-W. vorhanden sind. Bei einer 18jährigen Kranken G. G., die an genuiner Epilepsie litt und die neben großen Anfällen auch leichtere abortive Anfälle darbot, habe ich vor Jahren eine Beobachtung gemacht, die ich jetzt erst anschließend an die einwandfreien Kurven von Gibbs zu deuten wage. Die Kranke hatte einen leichten Anfall mit kurzer Bewußtlosigkeit gehabt, währenddessen auch motorische Reizerscheinungen in der Form von leichten klonischen Beugebewegungen an der linken Hand beobachtet wurden. [Hier schließen sich der Befund Bergers mit Abb. 4 und ihrer Beschreibung an. Der Deutungstext lautet:] Ich hatte früher Bedenken, ob es sich da wirklich um E-W. des E.E.G. und nicht etwa um ungewollte Darstellung von hereingeratenen Muskelströmen handele. Ich hatte aus diesem Grunde diesen Befund noch nicht veröffentlicht. Die einwandfreien Befunde von Gibbs und seinen Mitarbeitern, bei denen Muskelströme gar nicht in Frage kommen können, gestatten meiner Ansicht nach nun auch die Deutung dieser von der Schädeloberfläche abgeleiteten Kurve. Es müssen demnach dem tonischen Stadium des epileptischen Anfalls ein Fortfall der D-W. und das Auftreten hoher E-W. ent155 sprechen.“
Wie oben bereits angedeutet, war für derartige Beurteilungen entscheidend, dass Berger alle gegenüber seinen „normalen“ Alpha-Wellen abweichenden Muster bei Krankheitsfällen oder unter Pharmaka-Behandlung ersteren immer noch zuordnete und von „Verlängerungen“ oder „Verschmelzungen mehrerer Alpha-Wellen“ sprach. Bezüglich der Beta-Wellen behielt er trotz der oben beschriebenen Subklassifizierung ebenfalls den Begriff „Beta“ bei. Auf diesen Umstand und die heutige Kategorisierung dieser kurzen Wellenmuster wird später Bezug genommen. Hinsichtlich der Alpha-Wellen ignorierte Berger eine Abtrennung, wofür seine folgenden Worte in der 14. Mitteilung Beleg sind: „Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass Potentialschwankungen, die von manchen Untersuchern in pathologischen Fällen als Delta-Wellen bezeichnet wurden, nichts anderes 156 sind als eben pathologisch verlangsamte D-W.“
An dieser Stelle sei schon einmal vorab die heutige neurologische Fachliteratur für längere als Alpha-Wellen zitiert: Für den Bereich 4 - 8 Hz kategorisiert sie Theta-Wellen, für 1 - 4 Hz Delta-Wellen, für 1 Hz Subdelta-Wellen. Nach dieser Kategorisierung erfolgt derzeit auch die Beschreibung der Epilepsieformen. Berger sind allerdings die Verdienste zur Erstbeschreibung von EEG-Befunden zu dieser Krankheitsgruppe zuzuerkennen, für die das EEG heute noch eine diagnostische Domäne der Neurologie darstellt. Die von Berger für Alpha-Wellen angegebenen Spannungsdifferenzen bewegten sich um 0,2 mV, für Beta-Wellen um bis zu 0,1 mV als Höchstwert. Mit der heutigen hoch entwickelten EEG-Technik werden vom Skalp Spannungsdifferenzen von 0,01–0,1 mV abgegriffen. An der Kortexoberfläche direkt würde dies 0,1–1 mV entsprechen, da Schädelknochendecke und Skalp die Signale um etwa den Faktor 10 abschwächen. Dieser Tatbestand muß bei der Beurteilung der Angaben Bergers entsprechend seiner jeweils angegebenen unterschiedlichen Ableitungsorte berücksichtigt werden. 155 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen VI, S. 410. 156 Ebd., S. 409.
5.1. Bergers EEG-Konzeption im Wandel
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Abb. 5.5.: (entspricht Abb. 1 der 9. Mitteilung, 1934, Korrekturfahne für Original mit Bergers handschriftlicher Eintragung). Nach kurvenanalytischen Auswertungen (Fourier-Transformation) erhaltene Wellenmuster bei Bezug auf Frequenz 10 Hz von Alpha-Wellen (C1). Erläuterungen zu Frequenzen der Beta-Wellenkategorien C2 – C7 siehe Text.
Es stellt sich nunmehr die Frage, welchem hirntopographischen und funktionellen Ursprung Berger seine Alpha- und Beta-Wellen zuordnete. Auch diesbezüglich nahm er entsprechend wachsender eigener Erkenntnisse und umsichtiger Verarbeitung der relevanten Literatur seiner Zeitgenossen einen grundsätzlichen Wandel seiner ursprünglichen Hypothesen vor, der für Leser und Rezensenten wiederum die Notwendigkeit unterstreicht, alle seiner 14 Mitteilungen vergleichsweise durchzuarbeiten oder sich auf den endgültigen Übersichtsartikel in der Leopoldina zu berufen.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
5.2. BERGERS VORSTELLUNGEN ZUM URSPRUNG DER ALPHAUND BETA-WELLEN Bezüglich der Ursprungsfrage hatte Berger bereits in seiner ersten Mitteilung ausführliche Untersuchungen zur Differenzierung seiner elektrischen Wellenbilder von denen der pulsatorischen zerebralen Blutzirkulation vorgenommen, die er mit Befunden bis zu seiner dritten Mitteilung noch mehrfach stützen konnte. Er beantwortete damit seine ursprünglich gestellte Frage: „Sind vielleicht diese von der Hirnoberfläche abgeleiteten Stromschwankungen mit ihren zwei Wellenarten doch nur entstellte Hirnpulsationen, also hervorgerufen durch die Bewe157 gungen des Blutes in den Hirngefäßen, in den Arterien, Cappilaren und Venen ?“
Der heutige Leser mit dem Kenntnisstand zu dieser Problematik versetze sich bitte hundert Jahre zurück in Bergers Anfangszeiten und er wird Verständnis für seine Frage haben. Im Ergebnis dieser Differenzierungsversuche konnte Berger eine eindeutige kausale Abgrenzung der zerebralen Blutzirkulation vom Hirnstrombild formulieren. Er wies nach, dass die von der Hirnoberfläche abgeleiteten Stromschwankungen mit ihren von ihm gedeuteten und charakterisierten Alpha- und Beta-Wellen nicht durch den arteriellen Puls und die dadurch zirkulationsbedingten hirnpulsatorischen Wellenbewegungen entstanden sein konnten, da die zeitlichen Abläufe der Wellen und ihre Größenverhältnisse deutlich dagegen sprachen. Ein belegendes Beispiel für diese Schlußfolgerung wurde bereits im Abschnitt 3.2. in Abb. 3.24. aus der dritten Mitteilung gezeigt. Um dem Leser den mit den damaligen Möglichkeiten nicht zu umgehenden enormen und für die Versuchsperson äußerst strapazierenden Untersuchungsaufwand zur simultanen Hirnpulsations- und EEG-Registrierung zu verdeutlichen, soll in Abb. 5.6. (a-c) ein Beispiel aus Bergers erster Mitteilung demonstriert werden, das dort als Abb. 11, 15 und 16 gezeigt wurde. Berger hatte hier bei seinem Patienten mit einer Knochenlücke im Stirnhirnbereich von der Haut über der Knochenlücke und einer Hautstelle am Hinterhaupt mittels Bleifolien-Elektroden das EEG (obere Kurve in Abb. 5.6. (a), simultan die blutfüllungsbedingten Hautschwankungen in der Knochenlücke (obere Kurven in Abb. 5.6. (b) und (c), Meßtechniken siehe Legenden) und von beiden Armen mit Bleiband-Elektroden das EKG abgeleitet (mittlere Kurve in Abb. 5.6. (a)). Die unteren Kurven in Abb. 5.6. (a) – (c) stellen den Zeitverlauf in 1/10 Sekunden dar, wobei von uns Autoren alle Zeitkurven aus Bergers Originalmitteilung graphisch auf identische Größe adaptiert wurden, um damit die Differenzen der Verläufe von EEG und Hirnpulsation zu verdeutlichen. Für die blutfüllungsbedingten pulsatorischen Hautschwankungen verwendete Berger zwei unterschiedliche Meßtechniken. Damit der interessierte Leser von dieser letztgenannten Vorgehensweise eine Vorstellung bekommt, sei Berger hierzu selbst zitiert: „Ich habe mit einem Edelmannschen Pulstelephon diese Bewegungen mit Hilfe des (Doppelspulen-)Galvanometers aufgeschrieben. Der aufnehmende Knopf des Pulstelephons wurde 157 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen I, S. 537.
5.2. Bergers Vorstellungen zum Ursprung der Alpha- und Beta-Wellen
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auf die Mitte der pulsierenden Knochenlücke gebracht; der Glaszylinder wurde bequem auf den Rand des Defektes der Knochenlücke aufgesetzt. Die Bewegungen des Knopfes bedingen Schwankungen der Mikrophonplatte eines Telefons, und die dabei entstehenden Ströme werden dem Galvanometer zugeleitet. […] So ist eine Kurve entstanden, von der Abb. I/16 (hier 158 Abb.5.6. (c) einen Ausschnitt wiedergibt.“
In Abbildung 7 seiner zweiten Mitteilung stellte Berger nochmals das Verhältnis der Alpha- und Beta-Wellen zu einer gefäßbedingten Hirnpulsation dar, die hier als Sinuskurvenast erschien. Unsere Abb. 5.7. ist eine Kopie von dieser mit Abb. 5.3. vergleichbaren schematischen Darstellung. In dem hier gezeigten Fall fielen 8 Alpha- und 24 Beta-Wellen auf eine Pulsation. Zu dieser Problematik traf Berger zu Beginn seiner dritten Mitteilung nochmals folgende abschließende Bestätigung: „Ich bin auf Grund meiner Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar auf eine einzelne Gehirnpulsation meist eine ganz bestimmte Anzahl von Schwankungen des E.E.G. kommt, dass aber Beziehungen der einzelnen, von mir als D-Wellen und E-Wellen bezeichnet […] zu den einzelnen Erhebungen des Gehirnpulses und somit überhaupt zur Blutfülle des 159 Gehirns nicht bestehen.“
Nach einer ausführlichen Diskussion der Befunde und aller weiteren Argumente gegen eine nichtzerebrale Herkunft seiner Alpha- und Beta-Wellen konnte Berger damit bereits in seiner ersten Mitteilung folgende Feststellung treffen: „Ich glaube somit, alle wesentlichen Einwände gegen die cerebrale Entstehung der hier mitgeteilten Kurven, die mich sehr ausführlich und immer und immer wieder beschäftigten, besprochen und so meinen eigenen vielen Bedenken Genüge getan zu haben. […] Ich glaube in der Tat, dass die von mir hier ausführlich geschilderte cerebrale Kurve im Gehirn entsteht und dem Elektrocerebrogramm der Säugetiere von Neminski entspricht. Da ich aus sprachlichen Gründen das Wort „Elektrocerebrogramm“, das sich aus griechischen und lateinischen Bestandteilen zusammensetzt, für barbarisch halte, möchte ich für diese von mir hier zum ersten Mal beim Menschen nachgewiesene Kurve in Anlehnung an den Namen Elektrokardiogramm den Namen „Elektrenkephalogramm“ vorschlagen. Ich glaube also in der Tat, das Elektrenkephalogramm des Menschen gefunden und hier zum ersten Mal veröffentlicht zu ha160 ben.“
Mit der Aussage zur zerebralen, also hirnparenchymatösen Entstehung des EEG versuchte Berger bereits in seiner ersten Mitteilung eine Hypothese zur Herkunft des Hirnstrombildes zu formulieren. Er verwies dabei zusätzlich darauf, dass er die Stromschwankungen nicht nur von der „Dura des Großhirns“ (also über schädelknochenfreien Stellen), sondern „von über dem Kleinhirn gelegen“ ableiten konnte, drückte sich aber in der Ursprungsfrage zu dieser Zeit im Text noch unentschieden aus: „Das Elektrenkephalogramm stellt also sicher nicht eine besondere Eigentümlichkeit des Großhirns dar, wenn vielleicht auch das Elektrenkephalogramm des Kleinhirns eine etwas andere Form zeigt und seltenere große Stromstöße aufweist. Ob nun aber der Strom in der Rinde des Groß- und Kleinhirns oder in tieferen Teilen entsteht, das zu entscheiden, sind wir 158 Ebd., S. 558. 159 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen III, S. 16. 160 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen I, S. 567.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.6.: (a-c) entsprechen den Abbildungen 11, 15, 16 aus 1. Mitteilung, 1929) Simultane Registrierung von EEG und Hirnpulsationen über Knochenlücke im Stirnhirnbereich. Unterste Wellenlinien: Zeit in 1/10 Sekunden. (a) EEG-Abteilung von der Knochenlücke und vom Hinterhaupt mittels Bleifolienelektroden, Doppelspulengalvanometer (obere Kurve). EKG mittels Bleibandelektroden von beiden Armen (mittlere Kurve). Entspricht Abb. I/11. (b) Schwankungen (Pulsationen) der Haut der Knochenlücke, aufgenommen mit einer Marey’schen Schreibkapsel mit Lichtschreibung (obere Kurve). Einzelheiten siehe Text. Entspricht Abb. I/15. (c) Aufnahme der Hauptpulsationen von der Mitte der Knochenlücke mit dem Edelmann’schen Pulstelephon und Galvanometer 2 des Doppelspulengalvanometers (obere Kurve). Erläuterungen siehe Text. Entspricht Abb. I/16.
5.2. Bergers Vorstellungen zum Ursprung der Alpha- und Beta-Wellen
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Abb. 5.7.: (entspricht Abb. 7 aus 2. Mitteilung, 1930, Korrekturfahne für Original mit Bergers handschriftlicher Eintragung) Schematische Demonstration des Verhältnisses der Anzahl von Alpha- und Beta-Wellen pro gefäßbedingter Hirnpulsation.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
völlig außerstande, […]. Es handelt sich aber bei den Schwankungen des Elektrenkephalogramms sicherlich nicht im strengen Sinne des Wortes um Ruheströme, sondern es sind Aktionsströme, d.h. bioelektrische Erscheinungen, die die ständigen, im Zentralnervensystem stattfindenden Nervenprozesse begleiten. Denn wir müssen annehmen, dass das Zentralnervensystem nicht nur im Wachzustand, sondern immer sich in einer nicht unerheblichen Tätigkeit befindet. Dies gilt z.B. von der Rinde, in der außer den mit Bewußtsein verknüpften Vor161 gängen noch eine ganze Reihe von anderen Leistungen abläuft.“
Mit dieser ersten, vorläufigen hirntopographischen Zuordnung legte sich Berger zwar bereits in seiner ersten Mitteilung fest, blieb aber mit der Rindenlokalisation noch relativ undifferenziert. Bei der weiteren Kategorisierung der Ursprungsorte des EEG gab es in den Folgemitteilungen ein Auf und Ab, bisweilen auch durch Widersprüche gekennzeichnet. Aus seinem Befundmaterial bis zur dritten Mitteilung folgerte Berger an deren Ende, dass „von der menschlichen Hirnrinde selbst Alpha- und Beta-Wellen und von der darunter liegenden Marksubstanz des Großhirns nur Beta-Wellen abgeleitet werden können, so dass die Alpha-Wellen in der Rinde entstehen“.162 Berger gab für die Entstehung seiner Alpha-Wellen die Hirnrinde insgesamt, also den gesamten Kortexbereich an, während Adrian die Okzipitalregion als Hauptquelle sah. Letzterer ermittelte mit bis zu vier Elektrodenpaaren auf dem Skalp ein Potentialverteilungsmuster und konstatierte, dass die Alpha-Wellen zwar in weiten Arealen des Kortex entstehen könnten, die Hauptquelle aber die Okzipitalregion sei.163 Das Ausbleiben der Alpha-Wellen bei geöffneten Augen deutete Adrian u.a. durch steigende, aber asynchrone Neuronenaktivitäten in dieser Region. Er zitierte Berger zeitentsprechend bis zu dessen 9. Mitteilung 1935, kannte also noch nicht dessen weiteren Entwicklungsgang. Insgesamt bestätigte Adrian in seinen Arbeiten aber grundsätzlich die Befunde Bergers. In seiner 12. Mitteilung kommentierte Berger seine Aussagen infolge seines diesbezüglichen Erkenntnisgewinns nochmals zusammenfassend: „Ich habe durch die Ableitung von der Rinde und dem Marklager schon 1931 gezeigt, dass die D-W. des E.E.G. des Menschen in der Hirnrinde selbst entstehen und dass man vom Marklager aus nur kleine Schwankungen erhält […]. Neuerliche Ableitungen von der menschlichen Hirnrinde, wie ich sie in meiner 11. Mitteilung wiedergegeben habe, zeigen D164 und E-W., so dass beide Wellenarten in der Rinde ihren Ursprungsort haben.“
Die heutige neurologische Fachliteratur vermerkt nach Messungen mit 8- bis 24Kanalgeräten hierzu, dass die okzipitale Alpha-Aktivität im normalen EEG in unterschiedlicher Ausprägung bis temporal ausgebreitet ist. Ihr Verschwinden beim Augenöffnen wird als visueller Blockierungseffekt gedeutet und bis heute als Berger-Effekt bezeichnet. In seiner 9. Mitteilung (siehe auch Abschnitt 5.3.) hatte Berger aber zur weiteren Konkretisierung der Ursprungsorte bereits auf die von anderen Untersuchern geäußerte Ansicht reagiert, dass die im Beta-Wellenspektrum auftretenden „ver161 162 163 164
Ebd., S. 568. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen III. Vgl. Adrian/Yamagiwa, The origin, S. 323-351. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen XII, S. 177.
5.2. Bergers Vorstellungen zum Ursprung der Alpha- und Beta-Wellen
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schieden raschen Schwingungen verschiedenen Nervenzellen, vielleicht verschiedenen Rindenschichten, ihre Entstehung verdanken“165. Bei der Abfassung seiner 12. Mitteilung versuchte er sich unter Verwendung der zwischenzeitlich angefallenen Untersuchungsergebnisse von Dusser de Barenne und Mc Culloch bei Thermokoagulationsversuchen (Einschmelzen von diskreten Gewebsarealen durch Wärme) mit einer Deutung der Ursprungsorte in den verschiedenen Rindenschichten. Diese Autoren hatten in Tierversuchen an Makaken („Hundskopf“-Affenarten) durch Thermokoagulation unterschiedliche Rindenregionen ausgeschaltet und danach bipolare Ableitungen vorgenommen.166 Sie konnten damit die für Berger wichtigen Ergebnisse zur Fernwirkung einer örtlichen Rindenzerstörung auf die elektrischen Schwankungen anderer, räumlich getrennter und unversehrter Rindengebiete ermitteln. Berger faßte diese Erkenntnisse in seiner 12. Mitteilung mit folgenden Worten zusammen: „Es geht aus diesem prächtigen Versuch von Dusser de Barenne und Mc Culloch meiner Ansicht nach einwandfrei hervor, dass die großen Potential-Schwankungen nicht in den drei äußeren Rindenschichten, sondern in den inneren Rindenschichten entstehen. Dies ist eine Feststellung, die nach meiner Überzeugung von allergrößter Bedeutung ist. Man kann wohl unbedenklich die Ergebnisse dieser Tierversuche auch auf den Menschen übertragen. Es bedeutet dies demnach, dass auch beim Menschen die D-W. nicht in der äußeren Hauptzone der Rinde, sondern in der 4.-6. Rindenschicht entstehen. Es liegt nunmehr in der Tat der weitere Schluß äußerst nahe, dass die ganz verschieden langen E-W. in den verschiedenen Rindenschichten, und zwar die kürzeren von ihnen vor allem in den oberen Rindenschichten ihren Ursprungsort haben. Diese kürzeren Wellen zeichnen sich außer durch ihren schnelleren Verlauf auch durch ihre geringe Ausgiebigkeit aus. Es ist daher an sich auch ganz wahrscheinlich, dass sie den kleineren Nervenzellen, die sich in den oberen Rindenschichten finden, ihre Entstehung verdanken. Diese Annahmen […] entsprechen durchaus nicht den Anschauungen, die ich bis dahin auf Grund meiner Erfahrungen vertreten habe. Ich hatte nämlich schon 1930 die Arbeitshypothese aufgestellt, dass die D-W. des E.E.G. die materiellen Begleiterscheinungen derjenigen Rindenvorgänge seien, die man als psychophysisch bezeichnet, da sie unter Umständen mit Bewußtseinserscheinungen verknüpft seien, während ich […] den E-W. eine ganz nebensächliche Bedeutung zuwies. […] Eine ganze Reihe von Gründen. […] spricht dafür, dass der sog. äußeren Hauptzone der Rinde, die aus den drei äußeren Schichten besteht, ganz besonders innige Beziehungen zu den psychischen Vorgängen zukommt […] Wir haben nun in dem E.E.G. des Menschen nicht nur die Tätigkeit der drei äußeren Rindenschichten, sondern der ganzen Rindendicke vor uns, also der ständigen automatischen Tätigkeit der inneren und der äußeren Hauptzone, der „intentionalen“ und der „impressionalen“ Sphäre Berzes (Autor für diese Begriffe). Meine frühere Annahme, dass wir lediglich die Tätigkeit der drei oberen Rindenschichten, der „intentionalen“ Zone, vor uns hätten, muß aufge167 geben werden.“
Berger hatte durch die Übertragung dieser Fremdbefunde aus Tierversuchen nunmehr nicht nur die für den Kenntnisstand seiner Zeit sprechende plausible Hypothese zu den Ursprungsorten, sondern auch jene für die Erklärung der funktionellen Bedeutung seiner beiden Wellenarten erarbeitet. Auch die spätere Berichtigung der Deutung ihrer Thermokoagulationsbefunde durch Dusser de Barenne 165 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen IX, S. 541f. 166 Vgl. Ebd. 167 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen XII, S. 178f.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
und Mc Culloch konnte Bergers neue Hypothese prinzipiell nicht ändern, wie er in seiner 14. Mitteilung abschließend äußerte (siehe Abschnitt 5.3.). Natürlich stehen und standen auch für ihn Ursprungsorte und funktionelle Aspekte in engem Zusammenhang, so dass die widersprüchlichen Deutungen letzterer in vergleichbarer Weise zu denen ersterer zu finden waren. Dies geht aus dem folgenden Abschnitt 5.3. hervor.
5.3. BERGERS VORSTELLUNGEN ZUR FUNKTIONELLEN BEDEUTUNG SEINER ALPHA- UND BETA-WELLEN Eine erste Arbeitshypothese zur funktionellen Bedeutung der beiden Wellenarten entwickelte Berger aus dem Befundmaterial seiner ersten beiden Mitteilungen. In der zweiten Mitteilung formulierte er diese Arbeitshypothese mit folgenden Worten: „[…]dass diese E-W. den Lebensäußerungen des Gehirngewebes entsprechen […] Die D-W. scheinen mir dagegen die Begleiterscheinungen der besonderen Funktion des betreffenden Gewebes zu sein […]. Ich neige aber doch der Auffassung zu, dass die D-W. wahrscheinliche Begleiterscheinungen derjenigen nervösen Vorgänge sind, die man als psychophysische bezeichnet hat, d.h. also derjenigen materiellen Rindenvorgänge, die sich unter Umständen auch mit Bewusstseinserscheinungen verknüpfen können. Zu den psychophysischen Vorgängen rechnet man nicht nur diejenigen hinzu, die tatsächlich mit Bewußtseinserscheinungen einhergehen, sondern auch diejenigen Vorgänge, die die so genannte unbewußte Rinden arbeit 168 leisten, wobei sehr häufig nur die Ergebnisse dieser Arbeit ins Bewußtsein gelangen.“
In der Legende zu seiner handschriftlichen Zeichnung in Abb. 5.2. des Abschnittes 5.1. vermerkte Berger zusammengefasst: „Alphaprozeß – psychophysisch; Beta-Prozess – Ernährung“. An dieser Arbeitshypothese hielt Berger trotz eigener und fremder Bedenken noch bis zu seiner 9. Mitteilung fest, obwohl er in der zweiten Mitteilung bereits relativierte: „Natürlich handelt es sich bei der Annahme, dass die D-W. die Begleiterscheinungen der psychophysischen Vorgänge seien, zunächst nur um eine Arbeitshypothese, die im Laufe der weiteren Untersuchungen vielleicht erweitert und verbessert, vielleicht aber auch wieder auf169 gegeben werden muß.“
Zunächst erweiterten sich die Gründe für seine Arbeitshypothese aber nochmals beträchtlich. Er zählte sie in seiner 4. Mitteilung zusammenfassend auf: „Ich stütze diese Hypothese auf eine Reihe von Gründen, die ich hier nochmals anführen möchte. Erstens zeigt sich an den D-W. […] ein periodisches An- und Abschwellen, wobei die Periode zeitlich den der experimentellen Psychologie als Aufmerksamkeitsschwankungen bekannten Erscheinungen entspricht. Zweitens geht jede Fesselung der Aufmerksamkeit oder eine geistige Arbeit mit einem vorübergehenden Aussetzen oder einem dauernden Niedrigerwerden der D-W. einher […].Drittens gehen Gifte, wie z.B. das Cocain, die in der Tat eine gewisse Zunahme der psychischen Ansprechbarkeit erkennen lassen, mit einer Zunahme der Höhe der D-W. einher; dasselbe zeigt sich auch im Excitationsstadium der Narkose. Dagegen 168 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen II, S. 175. 169 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen IX, S. 177.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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bedingen viertens Gifte, welche die psychischen Vorgänge ausschalten, wie Scopolamin oder vor allem die Chloroformnarkose ein Wegfallen der D-W., ein Parallelismus, der sich besonders auch beim Erwachen aus der Narkose nachweisen läßt. Fünftens schwinden im normalen Schlaf die D-W. nicht, werden aber niedriger, ganz entsprechend unserer Annahme, dass die psychophysischen Vorgänge im Schlafe keineswegs erloschen sind, wie das die Traumerscheinungen unzweideutig darlegen. Sechstens sehen wir in pathologischen Zuständen, z.B. bei einer Commotionspsychose [durch Schädel-Hirn-Trauma ausgelöste Psychose], aber vielleicht noch viel einwandfreier bei einer schweren epileptischen Demenz mit ausgesprochener Verlangsamung aller psychischen Vorgänge, eine unverkennbare Veränderung dieser D-W. Siebentens endlich zeigt die auch hier mitgeteilte Kurve, dass in der Bewußtlosigkeit eines großen epileptischen Anfalls die D-W. ebenfalls wegfallen und ganz entsprechend dem allmählichen Wiedererwachen der Bewußtseinserscheinungen sich die D-W. auch allmählich wieder einstellen. Alle diese Feststellungen bestärken mich in dem Festhalten an der früher 170 aufgestellten, oben angeführten Arbeitshypothese.“
In dieser Aufzählung dürfte dem Leser nicht verborgen bleiben, auf welchem enormen Untersuchungsumfang Hans Berger seine Hypothese aufbaute, und für wie viele Krankheitsbilder er eigentlich Erstautor bei der klinischen Nutzung seiner EEG-Entdeckung war. An dieser Stelle soll auch erwähnt werden, dass Berger bei seinen Befunddeutungen häufig den Begriff „Begleiterscheinungen“ benutzte. Liest man das Umfeld jedoch gründlicher, meinte er damit eigentlich eher und hier in unserem Sinne richtiger den Terminus „Ausdrucksform“. In manchen seiner Publikationen verwendete er dementsprechend auch die Bezeichnung „ist ein Ausdruck von“. Mit diesem Begriffsverständnis wird vermieden, dass Berger mit Begleiterscheinungen immer nur „Nebeneffekte“ gemeint haben könnte. Entscheidend für Bergers allmähliches Aufgeben der bislang erläuterten anfänglichen Arbeitshypothese zur funktionellen Bedeutung seiner beiden Wellenarten wurden die zunehmend präziseren Festlegungen der Ursprungsorte, wie sie im vorigen Abschnitt aufgezeigt wurden. Hinzu kamen die wachsenden Erkenntnisse zur Differenziertheit des Beta-Wellenspektrums. Letzteres betreffend, finden sich in Bergers 9. Mitteilung erstmalig geäußerte Zweifel an seinen bisherigen Ansichten. Noch bezeichnete er die Beta-Wellen hier als „Nebenschwingungen“, hatte aber bereits konkrete Hintergrundgedanken für die in Abb. 5.5. gezeigten Untergruppen parat. Dies und kritische Literaturhinweise veranlaßten Berger in der 9. Mitteilung zu folgenden Aussagen: „Sie [die „Nebenschwingungen“] stellen nach meiner damaligen Annahme Begleiterscheinungen der Ernährungsvorgänge usw. dar; an ihrer Entstehung sind wohl die verschiedensten Bestandteile des Nervengewebes (Neurofibrillen, Glia, Gefäße usw.) beteiligt. Ich gebe ohne weiteres zu, dass man bezüglich der Entstehung der Nebenschwingungen auch anderer Ansicht sein und, wie Kornmüller und andere vermuten, die Meinung vertreten kann, dass die verschieden raschen Schwingungen verschiedenen Nervenzellen, vielleicht verschiedenen 171 Rindenschichten ihre Entstehung verdanken.“
Die Lokalisationsbefunde von Dusser de Barenne und Mc Culloch (siehe Abschnitt 5.2.) und die Argumentationen Kornmüllers und anderer zu den Entste170 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen IV, S. 21. 171 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen IX, S. 541.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
hungsorten einerseits und Bergers eigene Befunde zu Einflüssen psychischer Vorgänge, Sinnesreizen und verschiedener Pharmaka auf das EEG andererseits veranlaßten ihn nunmehr zu einer Neubearbeitung und schließlich Revision seiner ursprünglichen Arbeitshypothese. Auch dieser Ablauf ist schrittweise in seinen Mitteilungen nachzuvollziehen: Mit ausführlichen Untersuchungen zur Frage des Einflusses geistiger Leistungen auf das EEG begann Berger in seiner 6. Mitteilung. Hier zeigte er das EEG einer Normalperson während der Lösung einer schwierigen und aufwendigen Kopfrechenaufgabe, bei dessen Aufzeichnung er mehrere unterschiedlich intensive „Arbeitsperioden“ registrieren konnte. Immer während dieser verringerten sich die Amplituden und erhöhten sich die Frequenzen der großen Alpha-Wellen, wie sie sich in „Ruhephasen“ dokumentierten, beträchtlich. Es traten also Spannungsabfälle auf. Die von Berger gegebene Deutung dieses Befundes verdeutlichte er aufgrund seiner Ergebnisse zu Schlaf- und Narkoseuntersuchungen dann nochmals in seiner 8. Mitteilung aus der Sicht postulierter verantwortlicher „Arbeitszonen“ und dort wirkender Hemmungs- und Erregungsprozesse: „[…] dass am E.E.G. bei geistiger Arbeit nur ein Abfall der Spannung als Ausdruck einer Hemmung. […] beobachtet wird und dass bei länger dauernder geistiger Arbeit diese Abfälle von Zeit zu Zeit sich wiederholen. Ich habe dies in meiner 6. Mitteilung […] zur Darstellung gebracht. Man muß annehmen, dass bei der geistigen Arbeit, wie z.B. eben bei der Lösung einer schwierigen eingekleideten Rechenaufgabe, ganz verschiedene Gebiete des Großhirns nacheinander, zum Teil auch gleichzeitig in Tätigkeit sind, dass also bald da, bald dort ein Arbeitszentrum sich bildet, von dem aus örtlich begrenzte Hemmungen sich verbreiten, auf deren Stärke und Ausdehnung wohl auch der Grad der Anspannung der Aufmerksamkeit ei172 nen wesentlichen Einfluß hat.“
In seiner 12. Mitteilung faßte Berger nochmals seine bisher diesbezüglich erhaltenen Resultate zusammen und nahm ihre Deutung vor, wobei er die Effekte von Sinnesreizen von denen geistiger Arbeit abgrenzte. Zu ersteren äußerte er sich in folgender Weise: „Bei der Zuwendung der Aufmerksamkeit auf einen Sinnesreiz kommt es zu einer örtlichen Zunahme der Potentialschwankungen, wobei natürlich vor allem diejenigen beteiligt sind, die in der „impressionalen“ Sphäre, der inneren Hauptzone entstehen (siehe Abschnitt 3.2.), also die D-W. Diese örtliche Zunahme wirkt hemmend auf die Tätigkeit der übrigen Teile der „impressionalen“ Sphäre ein. Es kommt daher an dem vom Schädel als Ganzes oder auch von umschriebenen Gebieten außerhalb der Sinneszentren abgeleiteten E.E.G. zu dem bekannten Spannungsabfall, dem Wegfall der D-W. und dem alleinigen Auftreten der verschiedenen EW. Es sind dies meist kurze E-W., die in den oberen Rindenschichten entstehen und die Arbeitsbereitschaft dieser Gebiete, der „intentionalen“ Sphäre, zeigen […], so bin ich aber eben doch der Ansicht, dass man in dem Potentialabfall unter Einwirkung eines Sinnesreizes, dem die Aufmerksamkeit zugewendet wird, die Wirkung einer Hemmung und den Ausfall der D173 W. und nicht ihre Umwandlung in E-W. vor sich habe.“
Wir übernehmen an dieser Stelle die für EEG-Veränderungen nach Sinnesreiz demonstrative Darstellung 4 aus Bergers 4. Mitteilung 1931, die hier in Abb. 5.8. 172 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen XIII, S. 468. 173 Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen XII, S. 180f.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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zu sehen ist. Berger verwendete diese Grafik unverändert auch in späteren Mitteilungen. Ebenso wurde sie von einigen Lehrbuchautoren übernommen. Sie zeigt eine Ableitung von der Dura eines Patienten mit Knochenlücke nach Reizung durch einen Nadelstich (Details siehe Legende). Im Anschluß an diese Deutungen zu Sinnesreizen fuhr Berger mit Befunden zu geistiger Arbeit und ihrer Interpretation fort: „Während der angestrengten geistigen Arbeit schwinden die hohen D-W. fast vollständig; an ihrer Stelle treten E-W. auf. Ich habe zahlreiche derartige E.E.G.s aufgenommen und immer wieder die gleiche Feststellung machen können, die von allen Nachuntersuchern bestätigt wurde […] Wie ich schon früher mitgeteilt habe, wird eine längere Zeit in Anspruch nehmende geistige Arbeit, […] in Pausen vollzogen. Zwischen den „Arbeitszeiten“, die jeweils ½ bis 2 Sekunden umfassen, werden ebenso lange Pausen eingeschoben, wie dies in Abb. 20 gezeigt wird (hier als Abb. 5.9. geführt). Ich habe nun an zahlreichen E.E.G.s, die während der Ableistung einer mehr oder minder schwierigen geistigen Aufgabe aufgenommen wurden, genauer zu bestimmen versucht, welche von den unter dem Sammelbegriff der E-W. zusammengefaßten Potentialschwankungen eine besondere Vermehrung oder eine Höhenzunahme erfahren […]. Es hat sich dabei gezeigt, dass die E-W. von 11–24 V (42-91 Hz) bei der geistigen Arbeit nicht nur an Häufigkeit – es kamen gelegentlich 5 kurze E-W. unmittelbar aufeinander – sondern auch an Höhe um das Vier- bis Achtfache zunahmen. Es kommt bei geistiger Arbeit nicht nur, wie ich früher immer annahm, zu einem Ausfall der D-W. und einem dadurch bedingten stärkeren Hervortreten der immer vorhandenen, aber bei hohen D-W. nur schwer erkennbaren E-W., sondern E-W. von bestimmter Länge nehmen während der geistigen Arbeit an Häufigkeit und Höhe zu. Es kann sich dabei nicht nur um eine einfache Hemmung derjenigen Vorgänge handeln, die den D-W. zugrunde liegen, sondern es findet gleichzeitig eine stärkere Ausprägung derjenigen Vorgänge statt, die den E-W. von 11–24 V entsprechen. Es liegt demnach im Verein mit den oben angeführten Gründen für die Entstehung dieser E-W. in den oberen Rindenschichten der Gedanke äußerst nahe, dass wir in diesen kurzen E-W. die Begleiterscheinungen der psychischen Arbeit selbst […] vor uns haben […]. Ich sehe also jetzt in den D-W. die Begleiterscheinungen der Tätigkeit der inneren, in gewissen EW., denjenigen von 11–24 V (42–90 Hz) die Begleiterscheinungen der Tätigkeit der äußeren 174 Hauptzone der Rinde, die besonders innige Beziehungen zu den geistigen Vorgängen hat.“
Es folgt unmittelbar nach diesen Deutungsversuchen eine außerordentlich wichtige Feststellung Bergers: „Natürlich ist diese Sondierung der einzelnen Tätigkeiten, die uns in D-W. und gewissen EW. entgegen treten, eine künstliche, denn im Normalzustand ist eine innige Zusammenarbeit beider Rindenzonen unerlässlich. Auch für die psychophysiologische Tätigkeit der Rinde ist ein ständiges Zusammenwirken der äußeren und der inneren Hauptzone der Rinde selbstverständlich unbedingt erforderlich. Ich komme aber doch nach Aufgabe meiner schon vor sieben Jahren aufgestellten Arbeitshypothese nun zu folgendem Ergebnis: In der aus den Aktionsströmen der einzelnen Nervenzellschichten sich zusammensetzenden und zu einem ein heitlichen Ganzen verwobenen kennzeichnenden Spannungskurve des E.E.G. des Menschen findet die gesamte physiologische und psychophysiologische Arbeit der menschlichen Hirnrinde ihren sinnfälligen Ausdruck. Die D-W. des E.E.G. entstehen in der inneren Hauptzone der Rinde; sie entsprechen ihrer ständigen physiologischen Tätigkeit und zeigen bei allen allgemeinen Betriebsstörungen der Rinde deutliche Abänderungen. Gewisse E-W. mit einer
174 Ebd., S. 181-185.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.8.: (entspricht Abb. 4 aus 4. Mitteilung, 1931, aus Bergers Originalfoto) 33jähriger Mann. Große linksseitige, von der Stirn bis in die Parietalgegend reichende Knochenlücke. Oben E.K.G., darunter E.E.G., zu unterst Zeit in 1/10 Sek. Bei S Nadelstich in den Zeigefinger der linken Hand, bei R Veränderung des E.E.G.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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Länge von 11–24 V , deren Ursprungsort wohl in den Zellschichten der äußeren Hauptzone zu suchen ist, entsprechen der psychophysiologischen Tätigkeit der Rinde; sie sind also als die 175 materiellen Begleiterscheinungen der psychischen Vorgänge anzusprechen.“
Mit dieser in seiner 12. Mitteilung 1937, also knapp zwei Jahre vor Beendigung seiner klinischen Forschungstätigkeit erhobenen Hypothese [die letzte, die 14. Mitteilung reichte er am 12. April 1938 ein] schuf sich Berger die endgültige Deutungsbasis seiner gesamten EEG-Befunde. In einem nur zweiseitigen Abschnitt beantwortete er seine Frage „wie sind nun meine weiteren früheren Befunde über Veränderungen der D-W. mit dieser meiner jetzigen Auffassung zu vereinbaren?“176 In seiner Antwort brachte er zunächst verallgemeinernd zum Ausdruck, dass sich seine früher erhobenen pathologischen Befunde ohne Schwierigkeiten einordnen lassen, da er nunmehr in den Alpha-Wellen die physiologische Tätigkeit, also den „normalen Betrieb“ dokumentiert sah. „Allgemeine Betriebsstörungen“, und nur diese zeigen sich nach Berger im EEG, geben sich als Veränderungen der Alpha-Wellen als Verlangsamung, Verkürzung und Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Er betonte für Deutungen der „Betriebsstörungen“ nochmals die Unerläßlichkeit einer „innigen“ Zusammenarbeit beider Rindenzonen, dass also die innere Hauptzone als „Ursprungsort“ der Alpha-Wellen nicht isoliert zu betrachten sei. Konkret werdend, traf er dann folgende Aufzählung: „Dass z.B. in der Chloroformnarkose die D-W. fehlen, ist dadurch bedingt, dass sich die Chloroformwirkung auf die ganze Rindendicke und nicht etwa nur auf die äußere Zone erstreckt. Dasselbe gilt von den schweren Betriebs-Störungen, die nach einem epileptischen Anfall in der Form der Bewußtlosigkeit und dem Ausfall der D-W. des E.E.G. sich zeigen. Ebenso ist es mit den großen Wellenzügen während der Anfallsbereitschaft oder mit den großen Potentialschwankungen, die den klonischen Zuckungen jeweils vorangehen. Sie entstehen durch ein Zusammenfließen von D-W. und deren erhebliche Höhenzunahme und stellen wohl vorwiegend die gewaltig gesteigerte, enthemmte Tätigkeit der inneren Zone der Rinde dar. Dasselbe gilt von der Enthemmung in der Evipan- und Pernoctonnarkose, bei der Insulinwirkung usw. Ein Zustand von Hirndruck, eine Hirnblutung, ein Tumor, ein Schädelbruch, bedingt eine erhebliche Verlangsamung der D-W.; die Druckwirkung schädigt die Rinde in ihrer ganzen Dicke. Auch bei einer epileptischen Demenz hat die ganze Rinde, und nicht nur die äußere Hauptzone, in ihrer Tätigkeit Schaden gelitten, und es kommt daher zu der ganz auffallenden Verlangsamung der D -W. Das Unregelmäßigwerden und die anderen Veränderungen der D-W. des E.E.G. bei Kranken mit Dementia paralytica sind zwanglos mit meiner Auffassung zu vereinbaren, da eben bei dieser Erkrankung tiefere und oberflächlichere Rindenschichten geschädigt werden. Auch die Höhenzunahme der D-W. unter Cocainwirkung oder im Erregungsstadium der Chloroformnarkose ist mit der Entstehung der D-W. in den tie177 feren Rindenschichten durchaus vereinbar.“
Der Aufzählung seiner auf Alpha-Wellen konzentrierten „Betriebsstörungen“ wären noch seine Befunde bei Psychosen anzuschließen: Das EEG bei Schizophrenen zeigte gegenüber dem bei Normalpersonen keine Abweichungen. Affektwirkungen wie Angst dokumentierten sich bei Schizophrenen und Normalpersonen 175 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen XII, S. 187. 176 Ebd., S. 185. 177 Ebd., S. 185f.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.9.: (entspricht Abb. 20 aus 12. Mitteilung, 1937) EEG-Wellenmuster bei angestrengter geistiger Arbeit: W., 24 Jahre alt. Oben: EEG abgeleitet mit Silbernadeln von der rechten Schädelseite zum Spulengalvanometer. Mitte: EEG abgeleitet von der linken Schädelseite zum Oszillographen. Unten: Zeit in 1/10 Sekunden. Aufnahme während der Lösung einer schwierigen eingekleideten Aufgabe, die längere Zeit erfordert. Gleichzeitige Punkte beider EEGs sind mit drei Linien markiert. a, b, c und d sind Zeiten anstrengender Rechenarbeit mit vorwiegend -W. von 12–24; dazwischen „Arbeitspausen“ mit hohen -W.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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gleichermaßen in einer „Verkürzung“ der Alpha-Wellen, im Insulinkoma als einer damaligen Therapiemethode bei Schizophrenen in einer „Verlängerung“ und „Gruppenbildung“. Als Beispiel: Die „Verkürzung“ für Alpha-Wellen betrug bei Angst 50 V, was einer Frequenz von 20 Hz, also nach heutiger Kategorisierung eigentlich dem Beta-Wellentyp entsprechen würde. In seiner 13. Mitteilung schilderte Berger einen weiteren Fall eines Schizophrenen im komatösen Erregungszustand, bei dem er selbst eine Zuordnung zum Beta-Wellentyp vornahm: „Kurze E-W. von etwa 19 V beherrschen die ganze Aufnahme“ [53 Hz und damit heute ei178 gentlich dem Gamma-Typ entsprechend].“
Die „Verlängerung“ im Insulinkoma ging bis 160 V, also einer Frequenz von 6 Hz entsprechend, die man heute dem Theta-Wellentyp zuordnen würde. Im EEG von Kranken mit Melancholie, nach heutiger Klassifizierung den Depressionen entsprechend, konnte Berger bei „gemütlicher Erregung“ verkürzte Alpha-Wellen finden, die sich allerdings auch bei gleicher Affektwirkung bei Gesunden zeigten. Melancholiker (Depressive) zeigten also im EEG ebenso wie Schizophrene keine kausalpathologisch bedingten Veränderungen. Die im Affekt bei einer Depressiven gemessene „Verkürzung“ der Alpha-Wellen betrug 70 V, entsprechend etwa 14 Hz und damit nach heutiger Klassifizierung im Grenzbereich zu den Beta-Wellen liegend. Im EEG von manisch-depressiven Psychosen (wahrscheinlich mit Dominanz manischer Phasen) konnte Berger bei einer Patientin im manischen Erregungszustand Pulks von Beta-Wellen von 17–22 V Länge (45–59 Hz, also bereits dem Gamma-Typ entsprechend) innerhalb eines mit Beta-Wellen überlagerten AlphaWellenspektrums nachweisen. Mit diesem Beispiel aus der 13. Mitteilung korrigierte Berger seine Fehlbefundung zu diesem Krankheitsbild aus seiner 12. Mitteilung. Insgesamt gesehen, konnte Berger bis hierhin „Psychose-spezifische“ EEGs ausschließen und folgern, dass die häufig gemessenen höheren Frequenzen Ausdruck einer mentalen Anspannung sein müßten. Berger können diese Befunde zweifellos als Erstbeschreibungen zuerkannt werden. Die 13. Mitteilung Bergers nahm noch einmal resümierend seine EEGBefunde bei Pharmakawirkungen unter die Lupe, da er auch sie seiner neuen Arbeitshypothese entsprechend einordnen mußte. Für den Leser sind vor allem die Befunde zum Kokain interessant, da dessen Wirkung im Hirn-Plethysmogramm einen für Berger unerwarteten Befund zeigte [siehe dort]. Er demonstrierte einen Versuch in seiner Abb. 4, der hier als Abb. 5.10. angeführt ist. Einer jungen Versuchsperson wurde die Substanz subkutan injiziert. Oben ist das EKG aufgenommen, das Herz zeigte 86 Schläge pro Minute und der Puls war kaum beschleunigt. Die Alpha-Wellen bis zum Einsetzen der Kokain-Wirkung hatten 100 V Länge (10 Hz). Danach waren sie mit kurzen Beta-Wellen einer durchschnittlichen Länge von 13 V (77 Hz) dicht besetzt, teils ganz ersetzt. Berger vermerkte zu diesem Befund: 178 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen XIII, S. 578.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
„Wir haben hier die bildliche Darstellung des Cocains auf den Ablauf der geistigen Vorgänge 179 vor uns.“
Koffein und Atropin waren in abgestufter Form, aber in gleicher Richtung wie Kokain wirksam, so dass Berger schlussfolgerte: „Wir sehen also unter der erregenden Wirkung des Coffeins, des Cocains und des Atropins entsprechend dem Hervortreten von Erscheinungen der geistigen An- und Erregung und mit der graduellen Steigerung dieser besonderen Wirkung parallel gehend eine immer deutlichere Abänderung des E.E.G. in dem Sinne, dass kurze E-W. von 11–16 V das Bild beherrschen (63–91 Hz) […]. Gewisse E-W. mit einer Länge von 11–24 V, deren Ursprungsort wohl in den Zellschichten der äußeren Hauptzone der menschlichen Hirnrinde zu suchen ist, entsprechen ihrer psychophysiologischen Tätigkeit; sie sind als materielle Begleiterscheinungen der 180 psychischen Vorgänge anzusprechen.“
An dieser Stelle sei die im Abschnitt 3.1. von Bergers Schüler K. Kolle im Zusammenhang mit Psychopharmakawirkungen auf das Hirn-Plethysmogramm vorgenommene Einschätzung wiederholt und auf die relevanten EEG-Untersuchungen erweitert, in der er Berger als „eigentlichen Begründer einer körperlichen Behandlung endogener Psychosen“ hervorhob.181 In seiner abschließenden 14. Mitteilung, die Berger am 12. April 1938 einreichte, nahm er nochmals und diesmal abschließend zu einigen Basisvorstellungen und ihren Pro- und Kontra-Argumenten Stellung. Eines seiner Argumentationsfelder betraf die Charakterisierung des „Ruhe-EEG“: „Es kann leicht eine falsche Vorstellung erwecken, wenn das bei geschlossenen Augen im verdunkelten Zimmer bei möglichster geistiger Ruhe und Fernhaltung aller äußere und, soweit auch durchführbar, innerer Reize aufgenommene E.E.G. als „Ruhekurve“ bezeichnet wird. Die Potentialschwankungen entsprechen keineswegs einer Ruhepause der Gehirnarbeit, sondern sie sind ein Zeichen der weder durch äußere, noch durch innere Reize gestörten ständigen automatischen Rindentätigkeit. Oder wenn wir den zugehörigen Zustand einmal von der psychologischen Seite her betrachten, so entspricht diesem eben geschilderten Ruhezustand der ungestörte passive Vorstellungsablauf […]. Es ist ein gewisser passiver Zustand, der auch ohne Ermüdungserscheinungen zu verlaufen pflegt. Ich möchte daher das in diesem Zustand aufgenommene E.E.G. nicht, wie ich es bisher getan, als „Ruhe-E.E.G.“, sondern lieber als „passives E.E.G.“ kurz und hoffentlich unmißverständlich bezeichnen. Davon unterscheidet sich […] ganz wesentlich das E.E.G. bei einer Anspannung der Aufmerksamkeit oder einer geistigen Arbeit. Die D-W. fehlen mehr oder minder vollständig, und E-W. von 1124V setzen die Kurve zusammen. Je schwieriger und anstrengender die geistige Arbeit ist, je stärker die Konzentration der Aufmerksamkeit z.B. bei einer bestimmten Beobachtung wird, um so ausgesprochener sind diese Veränderungen am E.E.G. Ich möchte dieses E.E.G. eben182 falls kurz als „aktives E.E.G.“ bezeichnen.“
Berger legte diesem Argumentationsfeld u.a. seine reichen Erfahrungen in der EEG-Diagnostik bei Überlagerungen von motorischen Leistungen, an Blinden und bei geistigen Leistungen an Probanden mit unterschiedlichen Intelligenzgraden bis hin zu Debilen und auch Imbezillen ohne Herderscheinungen zugrunde. 179 180 181 182
Ebd., S. 581. Ebd., S. 582. Vgl. Kolle, Hans Berger, S. 1–6. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen XIV, S. 426.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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Damit berührte er wiederum die Ursprungsfrage seiner Wellentypen und argumentierte gegen die Meinung Adrians, dass ein- und dieselben Nervenzellen bald den Alpha-, bald den Beta-Rhythmus hervorbringen würden: „Ich kann mich, wie ich schon in Paris ausgeführt habe [1937, eine seiner beiden einzigen Auslandskongreßreisen], dieser Ansicht nicht anschließen. Es handelt sich doch beim menschlichen E.E.G. nicht darum, dass einmal der D-Rhythmus, z.B. im passiven E.E.G., und dann derE-Rhythmus im aktiven E.E.G. allein auftritt, sondern es verhält sich so, dass mit dem D-Rhythmus stets unweigerlich bei gesunden wachen Menschen der E-Rhythmus verknüpft ist und dass nur der E-Rhythmus mehr oder minder rein ausgeprägt allein im aktiven E.E.G. auftreten kann. Bei der überall auch im Bereich des Zentralnervensystems anzunehmenden Arbeitsteilung ist es doch viel wahrscheinlicher, handelt sich doch beim menschlichen E.E.G. nicht darum, dass einmal der D-Rhythmus, z.B. im passiven E.E.G., und dann derE-Rhythmus im aktiven E.E.G. allein auftritt, sondern es verhält sich so, dass mit dem DRhythmus stets unweigerlich bei gesunden wachen Menschen der E-Rhythmus verknüpft ist und dass nur der E-Rhythmus mehr oder minder rein ausgeprägt allein im aktiven E.E.G. auftreten kann. Bei der überall auch im Bereich des Zentralnervensystems anzunehmenden Arbeitsteilung ist es doch viel wahrscheinlicher, dass verschiedene nervöse Elemente die an Größe und zeitlichem Verlauf so verschiedenen Potentialschwankungen, wie sie uns in den 183 D-W. und E-W. des menschlichen E.E.G. entgegentreten, hervorbringen.“
Alpha- und Beta-Wellen und ihre Variationen waren für Berger also Ausdruck des Wirkens verschiedener Nervenzellpopulationen und nicht Ausdruck funktionell differenzierten Wirkens ein- und derselben Zellpopulationen der Rindenschichten. Zu diesen verschiedenen nervösen Elementen als Ursprungsorten seiner Alphaund Beta-Wellen spekulierte Berger zwei Seiten weiter noch konkreter: „Ich halte es eben doch nach wie vor am wahrscheinlichsten, dass die verschiedenen Wellenarten des E.E.G. verschiedenen Nervenzelltypen, bzw. verschiedenen Nervenzellschichten der menschlichen Hirnrinde ihren Ursprung verdanken. Die großen und verhältnismäßig langsamen D-W. werden wohl in den großen Pyramidenzellen der tieferen Rindenschichten, die kürzeren und kürzesten, meist gleichzeitig sehr niedrigen von den E-W. in den kleinen und kleinsten Nervenzellen der drei oberen Rindenschichten ihren Ursprungsort haben. Beweisen kann ich das natürlich nicht; aber viele Gründe, die ich an anderer Stelle zusammengestellt 184 habe, sprechen dafür.“
Die für ihn nunmehr gegenüber seiner Anfangshypothese geäußerten Änderungen des lokalisatorischen Ursprungs seiner Alpha- und Beta-Wellen hielt Berger in einer Tagebuchskizze fest, die hier als Abb. 5.11. kopiert wurde. Neben den für jeden der deutschen Schrift unkundigen Leser erkennbaren Abkürzungen sind auf dieser Handzeichnung noch folgende Worte angegeben: „Sinnesreiz, intentionale und impressionale Sphäre, auch Rinde, geistige Arbeiten“. Dem Leser dürfte sich an dieser Stelle folgende entscheidende Frage ergeben: Wo bleibt eigentlich Bergers konkrete Antwort auf die für ihn dominante Frage, ob nun endlich das EEG die Lösung zur Quantifizierung seiner prognostizierten „psychischen Energie“ bringt? Welche Antwort können wir aus seinen Publikationen erkennen? 183 Ebd., S. 428. 184 Ebd., S. 430.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.10.: (entspricht Abb. 4 aus 13. Mitteilung, 1937) EEG-Muster nach Kokain-Injektion: E.B., 23 Jahre alt. 30 Min. nach subkutaner Injektion von 0,02 Cocainum muriaticum. Oben: EKG, abgeleitet von beiden Armen. Mitte: EEG, abgeleitet mit chlorierten Silbernadeln von Stirn und Hinterhaupt. Unten: Zeit in 1/10 Sekunden. Beim Pfeil Einsetzen der Kokain-Wirkung.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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Seine 14. und letzte Mitteilung zum Elektrenkephalogramm des Menschen beschloss Berger mit dem hierzu höchstens hinweisenden Satz: „Auf eine Tatsache möchte ich aber doch in diesem Zusammenhang hinweisen, dass dann, wenn eine psychische Arbeit geleistet wird oder überhaupt das in Erscheinung tritt, was man als eine aktive Bewußtseinstätigkeit bezeichnet, also beim Übergang des passiven E.E.G. zum aktiven E.E.G., bei diesem Umschalten der Rindentätigkeit, es stets zu einem erheblichen Ab185 sinken der Potentialschwankungen des menschlichen Gehirns kommt.“
Ansonsten ist in den 14 Mitteilungen keine konkrete Abhandlung Bergers zur Quantifizierungsfrage der „psychischen Energie“ zu finden. Wahrscheinlich war er durch seinen Entdeckerdrang mit ständig wachsenden Befunden und neuen Erkenntnissen zum EEG, sowie ihrer möglichen klinischen Nutzbarkeit und theoretischen Deutbarkeit so fasziniert, dass er diesen Aspekt zunächst nicht vordergründig sah. Erst in seinem Übersichtsartikel 1938 in der Nova Acta Leopoldina ging er nochmals konkret auf diese Problematik ein. Zunächst ist hier seine allgemeine Erklärung bemerkenswert, die den zuletzt zitierten Satz der 14. Mitteilung gewissermaßen fortsetzt: „Das E.E.G. zeigt also nach meiner Auffassung, wie ich hier immer wieder hervorgehoben habe, eine ständige automatische Rindenarbeit an, die auch im Schlafe zunächst weitergeht. Es ist uns aus zahlreichen psychologischen Erfahrungen sehr wohl bekannt, dass unter der Schwelle des Bewußtseins eine ständige unbewußte, also rein neurologische Arbeit stattfindet. Der Übergang vom passiven zum aktiven E.E.G. besteht also lediglich in einer andern Schaltung dieser ständigen Arbeit. Dies erklärt auch in einfachster Weise, warum bisher trotz eingehendster Untersuchungen ein Nachweis dafür, dass geistige Arbeit mit einer wesentli186 chen Steigerung des Gesamtenergieumsatzes einhergehe, nicht erbracht werden konnte.“
Um dennoch eine quantitative Erfassung des Ausmaßes der PotentialSchwankungen vornehmen zu können, bediente sich Berger der von Drohocki angewandten Methode der Berechnung des Spannungsintegrals durch Planimetrieren.187 Da die Publikation von Drohocki erst 1937 erschienen und damit Berger wahrscheinlich nach der Manuskriptabfassung seiner letzten Serienmitteilung zugänglich war, ist die Veröffentlichung seiner Planimetrierungsergebnisse auch erst in der Übersichtsarbeit 1938 erfolgt.188 Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch die Vorgehensweise Bergers zur planimetrischen Kalkulation des Spannungsabfalls im Übergang zu geistiger Arbeit. Er fertigte hierzu achtfach vergrößerte Fotos der EEG-Aufnahmen auf Pappunterlagen an und vermerkte handschriftlich mit Bleistift die vermessenen Daten. Die Originalexemplare befinden sich ebenfalls im Jenaer Universitätsarchiv. Berger vermerkte hierzu im Tagebuch vom 11. September 1938: „Ich habe noch einige Vergrößerungen von E.E.G.s bei doppelter Stirnableitung machen 189 lassen und die E-W. beim Rechnen ausgemessen.“ 185 186 187 188 189
Ebd., S. 431. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL, S. 301. Vgl. Drohocki, Spannungsproduktion der Großhirnrinde, S. 658. Vgl. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL. Berger, Tagebuch VI., Eintrag vom 11. September 1938.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.11.: Handskizze Bergers nach endgültiger Umkehr seiner Arbeitshypothese zur Lokalisation und Funktion von Alpha- und Beta-Wellen. Verwendete Bezeichnungen (deutsche Schrift): Sinnesreiz, intentionale und impressionale Sphäre, an der Rinde (links unten), geistige Arbeiten (rechts unten).
Ein Beispiel dieser Vorgehensweise zeigt Abb. 5.12. Für seine energetischen Berechnungen nach Drohocki’s Planimetrierungsmethode ging Berger von Spannungsintegralen aus, die er bei seinen Normalpersonen und Patienten aus passiven und aktiven EEGs bestimmt hatte. Eine Kopie seiner Abb. 102 aus der Übersichtsarbeit 1938 ist hier als Abb. 5.13a. dargestellt, in der die Säulenhöhen die auf 1 mV/Sekunde bezogenen Spannungsintegrale bedeuten. Die handschrift-
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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Abb. 5.12.: Beispiel einer vergrößerten EEG-Aufnahme Bergers zur Vermessung des Wellenmusters und Berechnung der Spannungsintegrale (Original mit handschriftlichen Datenangaben). Erläuterungen siehe Text.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
lichen Originalvorlagen Bergers zu dieser Abbildung befinden sich im Jenaer Universitätsarchiv.190 Eine Kopie davon ist in Abb. 5.13b. zu sehen. An dieser Stelle soll der Leser nur an einigen Fällen eine Erklärung und einen Einblick in die Größenordnung der Werte Bergers erhalten: Bei seiner damals 16jährigen Tochter fand sich im passiven EEG ein Spannungsintegral von 0,149 mV/Sek. (Säule e in Abb. 5.13.). Das passive EEG seines Assistenten D. zeigte 0,142 mV/Sek., das aktive EEG nach Kopfrechnen der Aufgabe 23 x 37 nur noch 0,017 mV/Sek. Die Differenz betrug 0.125 mV/Sek. (f in Abb. 5.13.). Ein anderer Assistent W. wies einen passiven EEG-Wert von nur 0,076 mV/Sek. und nach Kopfrechnen der Aufgabe 9x46 einen aktiven EEG-Wert von 0,024 mV/Sek., also eine Differenz von 0,052 mV/Sek. auf. An weiteren Beispielen von Normalpersonen stellte Berger fest, dass die passiven EEG-Werte erheblich, die aktiven jedoch geringer schwankten. Er erklärte dies damit, dass es sich wohl nicht immer um rein passive, sondern bereits „gemischte“ EEGs, also mit einer aktiven Komponente überlagerte EEGs gehandelt haben könnte. Bei seinen in diese Auswertungen einbezogenen Kranken konnte Berger sehr differente Befunde erheben: So war beispielsweise bei einem Fall unter Evipan-Narkose ein erhöhtes Spannungsintegral in Narkose von 0,181 mV/Sek. und nach Erwachen eines von nur noch 0,124 mV/Sek. nachweisbar (Fall c in Abb. 5.13.). Bei einem Fall genuiner Epilepsie ermittelte er bei normaler Atmung ein Spannungs-integral von nur 0,054 mV/Sek. und unter Hyperventilation einen Anstieg auf 0,097 mV/Sek. (Fall d in Abb. 5.13.). Ein unerwarteter Reiz (Nadelstich) führte bei einer Ableitung von der Dura in einer Schädellücke von vorher 0,146 mV/Sek. („passiv“) zu einem Abfall von 0,040 mV/Sek. („aktiv“, Fall f in Abb. 5.13.). Interessanterweise ließ Berger bei Erklärungsversuchen des Spannungsabfalls beim Übergang vom passiven zum aktiven EEG unter Anspannung der Aufmerksamkeit, bei geistiger Arbeit usw. verschiedene, von seinen Ansichten abweichende Deutungen gelten. So zitierte er Letztere aus zwei Arbeiten mit Adrian als Erstautor191 und aus mehreren Arbeiten von Rohracher.192 Seine eigene Erklärung brachte er am Ende seiner Übersichtsarbeit 1938 mit folgenden, teils aus vergangenen Zitaten bereits bekannten Worten zum Ausdruck: „Über die Ursache der Entstehung des Spannungsabfalls der Potential-Schwankungen des menschlichen E.E.G.s bei der Anspannung der Aufmerksamkeit, bei der geistigen Arbeit usw., also überhaupt beim Übergang des passiven zum aktiven E.E.G., kann man verschiedener Meinung sein. Ich habe aber immer wieder meine Meinung dahingehend geäußert, dass bei einem passiven E.E.G. andere Rindenzellen, ja sogar andere Rindenschichten vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich tätig sind als bei einem aktiven E.E.G. Die langsameren und höheren D-W. des passiven E.E.G. verdanken nach meiner Annahme ihre Entstehung den größeren Pyramidenzellen der inneren Hauptzone der Rinde, die niedrigsten und kürzesten von den E-W. von einer Länge von 11–24V entstehen dagegen in der äußeren Hauptzone der Rinde. Es kommt also nach dieser meiner Annahme beim Übergang vom passiven zum aktiven
190 Vgl. Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL, S. 303. 191 Vgl. Adrian/Matthews, The Berger Rhythm, S. 355; Adrian/Yamagiwa, The origin, S. 323. 192 Vgl. Rohracher, Die gehirnelektrischen Erscheinungen, S. 308; Ders., Erscheinungen bei Sinnesreizen, S. 274; Ders., Experimentelle und theoretische Untersuchungen, S. 225.
5.3. Bergers Vorstellungen zur funktionellen Bedeutung
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Abb. 5.13a-b.: 5.13a (oberes Diagramm) entspricht Abb. 102 aus Übersichtsarbeit, 1938; 5.13b (unteres Diagramm) ist Bergers handschriftlicher Entwurf. Vorlage für (a). Graphische Darstellung der Spannungsintegrale des EEG an verschiedenen Beispielen. Erklärungen aller Einzelfälle siehe Text auf S. 303f. der Originalarbeit. Daraus ausgewählte Fälle siehe Text dieser Publikation.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
E.E.G. zu einer Umschaltung auf andere Rindenelemente, deren Tätigkeit mehr Sauerstoff erfordert und von rascher verlaufenden, aber auch erheblich niedrigeren Potentialschwankungen begleitet ist. Der geringeren Größe des biologischen Geschehens, der physikalischchemischen Vorgänge entspricht auch eine geringere Größe der begleitenden Potential193 schwankungen, wie wir sie in den E-W. von 11–24 V 11sehen.“
Im Unterschied zur Auswertung seiner Hirntemperaturbefunde (Abschnitt 4.) stellte Berger aus dem Datenmaterial seiner EEG-Spannungsintegrale keine Berechnungsversuche zur Quantifizierung eines Anteils seiner postulierten „psychischen Energie“ an. Stattdessen beschloss er seine Übersichtsarbeit, ohne seinen Glauben an ihre Existenz zu verlassen, mit folgenden Worten: „An sie [die psychophysische Energie] sind unmittelbar die Bewußtseinsvorgänge geknüpft. Diese psychophysische Energie wird sofort wieder in andere Energieformen zurückverwandelt und hinterlässt so physiologische Spuren in der Form von Strukturänderungen der Hirnrinde und des Zentralnervensystems überhaupt. Mit der Zeit erfolgt so ein immer weitergehender Strukturumbau, und werden immer neue psychophysische Vorgänge in materieller Form im Hirn hinterlegt. Nur der Weg über diese psychophysische Energie führt zu solchen Strukturänderungen der Rinde, die dann bei Wiederholung der psychischen Vorgänge den 194 neuen Vorgang maßgebend beeinflussen können.“
Auch in seiner letzten großen Publikation „Psyche“ (1940), die also zwei Jahre nach der 14. Mitteilung und der Übersichtsarbeit erschien, teilte er nur einige der o.g. Daten aus den Spannungsintegralen ohne eine weitere Verrechnung mit. Zu dem Rechenbeispiel der Säule f in Abb. 5.11. mit der Spannungsabnahme von 0,125 mV/Sek. traf er lediglich noch folgende qualitative Formulierung: „Es muß also auch in diesem Zustand eine ständige Umwandlung von elektrischer Spannung der Rindenzellen in psychische Energie angenommen werden. Die Abnahme der elektrischen Spannung in dem Beispiel um 0,125 mV in der Sekunde, die bei der Ausführung der Rechenarbeit gegenüber dem Ruhezustand eintritt, ist dann auch nur auf die Zunahme des Umsatzes der elektrischen Spannung in psychische Energie zu beziehen und entspricht keineswegs dem 195 gesamten umgesetzten Betrag.“
Es könnten an dieser Stelle die von den Herausgebern in den obigen Kapiteln geäußerten begründenden Gedanken und Argumente gegen die Existenz einer „Sonderform psychische Energie“ wiederholt werden, denn wie die zerebralen Blutzirkulations- und thermographischen Befunde Bergers konnte auch das E.E.G. nicht den ursprünglich erhofften Quantifizierungsbeweis einer solchen Energiesonderform liefern. Berger fehlten aber schließlich auch in seinen letzten Forschungsjahren zum EEG noch immer die oben angegebenen multidisziplinären neurowissenschaftlichen Erklärungsgrundlagen. Was damals vorlag und hierzu geäußert werden kann, findet sich im folgenden Abschnitt. Zudem wird dort eine Übersicht über derzeitige Anwendungsgebiete des EEG in Klinik und Forschung gegeben.
193 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL, S. 305. 194 Ebd., S. 306. 195 Berger, Psyche, S. 29.
5.4. Aktuelle Grundlagen und Anwendungsgebiete des EEG
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5.4. AKTUELLE GRUNDLAGEN UND ANWENDUNGSGEBIETE DES EEG Es soll hier wiederum von Bergers damaliger Sicht, abgeleitet aus den dominanten Hypothesen seiner Zeit ausgegangen werden. An dieser Stelle können wir auf unsere Ausführungen zur Historie der „elektrischen“ und „chemischen“ Theorien nervaler Impulsübertragungsprozesse am Ende des Abschnitts 2.1. verweisen. Wir konnten dort herausarbeiten, dass die auf Transmitterbasis beruhenden „chemischen“ Theorien, besonders im Hinblick auf die Prozeßfolgen im zentralen Nervensystem der Säuger und erst recht des Menschen zur Forschungsepoche Bergers am EEG während der späten 20er und der 30er Jahre praktisch noch nicht existierten, und sie damit für ihn in neurochemische Deutungsversuche keinen Eingang finden konnten. Ob er aber trotzdem bereits die am peripheren Nervensystem gewonnenen ersten Befunde zu möglichen chemischen Übertragungsprozessen gedanklich im Hintergrund hatte, geht aus keiner seiner Publikationen hervor. Aus molekularer Sicht griff er allerdings auf die 1902 von Bernstein aufgestellte und 1926 von Höber ausgebaute Ionensiebtheorie als Membrantheorie der bioelektrischen Erscheinungen zurück und argumentierte damit eher im Sinne der „elektrischen“ Theorie der nervalen Impulsübertragung.196 Nach der Ionensiebtheorie wurden die leitenden Zellmembranen als halbdurchlässige (semipermeable) Ionensiebe angesehen, durch die kleinere Ionen hindurchwandern können und größere zurückgehalten werden. Berger wandte nun diese Theorie auf seine EEGBasisvorstellungen an und beschrieb das in seiner Übersichtsarbeit 1938 mit folgenden Worten: „So wandern die positiv geladenen Faradayschen Kationen durch die Membran hindurch und werden von den negativ geladenen An-Ionen, die die engen Lücken der halbdurchlässigen Membran infolge ihrer Größe nicht durchschreiten können, an der Oberfläche der Membran durch elektrische Bindung zurückgehalten […]. Kommt es nun zu einem Erregungszustand innerhalb der Zelle usw., so nimmt die Durchlässigkeit der Membran zu, ihre Lücken werden größer, und nun können auch die rein mechanisch zurückgehaltenen An-Ionen hindurchtreten und es kommt so durch sie zu einer negativen Ladung der Oberfläche der Membran […]. Unter Zugrundelegung dieser Anschauung kann man sich anhand von schematischen Darstellungen, wie sie von Tschermak entworfen hat, auch die Entstehung der D-W. des E.E.G. so 197 vorstellen, wie dies Abb. 14 zeigt.“
Berger setzte an dieser Stelle in seiner Übersichtsarbeit nach Übernahme der Abb. 14 von v. Tschermak, die hier als Abb. 5.14. eingefügt wurde, mit seinen Deutungen der Alpha-Wellen des EEG fort. Bergers Originaltext wird auch hier übernommen und stellt die Legende zu dieser Abb. 5.14. dar: „Es wird von zwei Stellen der unversehrten Hirnoberfläche a und b mit Nadelelektroden abgeleitet zu einem empfindlichen, hier durch eine Magnetnadel angedeuteten Galvanometer. Befindet sich das Rindengebiet an der Stelle a in einem Zustand der Erregung, so besteht da196 Vgl. Bernstein, Elektrobiologie; Höber, Physikalische Chemie. 197 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL, S. 196; siehe auch: Ders., Elektrenkephalogramm des Menschen IV, S. 24; vgl. dazu: Tschermak, Allgemeine Physiologie, S. 596f.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
selbst eine erhöhte Durchlässigkeit der Membran, und es tritt der in E angedeutete Zustand der negativen Ladung ein. An der Stelle b soll zunächst Ruhe herrschen. Es kommt daher zu dem Ausschlag des Galvanometers, der am Schema mit I bezeichnet ist. Tritt nun an der Stelle a nach abgeklungener Erregung Ruhe ein (R), so schwindet die negative Ladung hier. Gleichzeitig mögen aber die Elemente der Stelle b sich in Erregung befinden, so dass nun ein entgegengesetzter Strom im Galvanometer sich geltend macht, der mit 2 bezeichnet ist. So etwa kann man sich z.B. die zweiphasischen Stromschwankungen, die den D-W. des E.E.G. entsprechen, an der Hand dieser sog. Ionensiebtheorie vorstellen. Man muß also annehmen, dass im Wachzustande immer an den beiden Ableitungsstellen Gewebselemente vorhanden sind, die gerade in den entgegengesetzten Phasen der Erregung oder der Ruhe sich befinden. Eine örtliche Ruhe tritt ein, wenn im Gehirn ein anderweitiges Arbeitszentrum entsteht, das 198 hemmend auf die örtliche Erregung einwirkt. Die D-W. fallen dann vorübergehend weg.“
Bezeichnend allerdings für Bergers kritische bis skeptische Haltung den damaligen Basistheorien gegenüber, brachte er unmittelbar nach diesen Deutungen auch Vorbehalte gegen die Ionensiebtheorie vor: „Hervorheben möchte ich auch, dass die Ionensiebtheorie der bioelektrischen Erscheinungen vorderhand keineswegs über jeden Zweifel erhaben ist und wir noch nicht wissen, ob wir hier wirklich eine endgültige Theorie vor uns haben. Dies ist aber für die Deutung unserer Ergebnisse nicht so wichtig. Wir wissen jedenfalls, dass wir in den bioelektrischen Vorgängen Begleiterscheinungen der Erregungsvorgänge, wie sie sich in jedem tätigen Organ abspielen, vor 199 uns haben, und dies genügt uns zunächst.“
Für Berger hatte also grundsätzlich der Experimentalbefund Vorrang. Aber auch ohne weitere Deutungsversuche waren seine Ergebnisdarstellungen in der abschließenden Übersichtsarbeit 1938 vorbildlich, zeitentsprechend aktuell und erschöpfend, was dort in 75 Literaturzitaten mit Publikationen bis zum Erscheinungsjahr Ausdruck fand. Die praktischen Befunde Bergers findet man in der heutigen neurologischen Fachliteratur prinzipiell kaum verändert, die Wellentypen allerdings weiter subkategorisiert und um Aktivierungs- und Stimulationsmethoden (Hyperventilation; durch optische, akustische und somatosensorische Reize evozierte Potentiale; Schlaf- und Schlafentzugs-EEG) und Vielfachableitungen (Vielfachkanalsysteme mit bis zu 32 Elektroden) stark erweitert und detaillierter charakterisiert. Die von Berger auf Alpha- und Beta-Wellen beschränkten, aber in deren verlangsamten und beschleunigten Formen auch erkannten und klinisch-diagnostisch belegten Muster haben, wie an anderen obigen Textstellen bereits vermerkt, in der heutigen Nomenklatur folgendes Aussehen: Sub-Delta- ( 1 Hz), Delta- (1 – 4 Hz) und Theta-Wellen (4 – 8 Hz) werden in Schlafstadien und bei pathologischen herdförmigen und diffusen Prozessen registriert. Bei Letzteren können örtlich beschränkte (fokale und regionale) und generalisierte Verlangsamungen vorliegen. Bewusstseinsstörungen und EEGAllgemeinveränderungen sind direkt korreliert.
198 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL, S. 196; siehe auch: Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen IV, S. 24. 199 Berger, Elektrenkephalogramm des Menschen NAL, S. 197.
5.4. Aktuelle Grundlagen und Anwendungsgebiete des EEG
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Alpha-Wellen (8 – 13 Hz) herrschen beim Erwachsenen im Ruhe- und im Wachzustand bei geschlossenen Augen vor („Berger-Rhythmus“). Beta- (13 – 30 Hz) und Gamma-Wellen ( ! 30 Hz) signalisieren einen zunehmend aktiv arbeitenden Kortex. Sie haben die geringsten Amplituden und sind bei geöffneten Augen nachweisbar. Sie kennzeichnen mentale Aktivitätszustände, die Bearbeitung kognitiver Aufgaben, Aufmerksamkeitszustände und bestimmte Medikamenteneffekte. Eine in heutigen neurologischen Lehrbüchern beispielsweise übliche Darstellungsform dieser Wellentypen ist in Abb. 5.15. gezeigt.200 Natürlich finden dort auch zusätzlich deren mannigfaltige Subtypen ihre Darstellung. Verständlicherweise halten die hypothetischen Deutungen Bergers auf der Ebene der subzellulären und molekularen Basisvorgänge des EEG dem heutigen Erkenntnisstand nicht stand, da die „chemischen“ Theorien zwischenzeitlich einen erheblichen Erkenntniszuwachs erfahren haben. Das betraf besonders die Leitfähigkeitsstrukturen und die Organisationsformen der am Zustandekommen der mannigfaltigen Wellentypen des EEG beteiligten kortikalen Nervenzellpopulationen. Für den detailliert interessierten und den bereits fachkundigen Leser steht zu dieser Thematik heute bereits eine umfassende Fachliteratur zur Verfügung, deren ausführliche Darstellung allerdings das Anliegen und den Rahmen dieses auf Berger konzentrierten Buches deutlich sprengen würde. Die Autoren beschränken sich daher an dieser Stelle nur auf Stichworte und hinweisende Andeutungen, die aber erst den Zugang zu der abschließend dargestellten aktuellen Theorie der EEG-Entstehung gewähren. Dem trotzdem interessierten weniger fachkundigen Leser sei aber gesagt, dass die heutige Theorie trotz gewisser offener Details ihre volle Berechtigung hat. Die Leitfähigkeitsstrukturen und Organisationsformen umfassen die Membranen und ihre Ionenkanal- und Rezeptorausstattung in den verschiedenen Abschnitten der beteiligten Nervenzellen (Neurone): Axone, Zellkörper, Dendriten, verbindende Kontakte zwischen den Neuronen (Synapsen). Details hierzu waren Berger ebenso unbekannt, wie die in den synaptischen Kontakten für die nervale Impulsübertragung („chemische synaptische Transmission“) entscheidenden Boten-/Überträgerstoffe (Transmitter, Modulatoren, second messenger), die die Charakteristika für jene aktivierenden (excitatorischen) und hemmenden (inhibitorischen) Neurone darstellen, die elementar zum E.E.G. beitragen. Bergers Nutzung der o.g. „Ionensiebtheorie“ von Bernstein ist trotz des heutigen Erkenntnisfortschritts als ein bescheidener Anfangsversuch einer Deutung der Leitfähigkeitsphänomene zu werten. Des Weiteren, Berger und seine Zeitgenossen konnten lediglich ganz allgemein, aber trotzdem treffend, auf eine dominante Beteiligung der kortikalen Pyramidenzellen schließen, sich auf die damals bereits bekannte sechsschichtige makroskopische Gliederung der Großhirnrinde berufen und eine regulatorische Beteiligung von Thalamus-Neuronen aufgrund von dieser Region in den Kortex gesandter Nervenfasern postulieren. Bergers von 1898–1900 unter O. Binswanger 200 Vgl. Mumenthaler/Mattle, Neurologie, S. 110.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.14.: (entspricht Abb. 14 aus 4. Mitteilung, 1931, Bergers Originalvorlage) Schema über Vorstellungen zur Anwendung der „Ionensiebtheorie“ auf die Entstehung des EEG. E Zustand der Erregung. R Zustand der Ruhe. a und b sind Ableitungsstellen. Erläuterungen siehe Text.
in Jena ebenfalls tätiger Kollege Korbanian Brodmann hatte hier mit seinen späteren zytoarchitektonischen Arbeiten zum Kortexaufbau erheblichen Anteil. Heute kennen wir detaillierter die Zytoarchitektonik der sechs Kortexschichten (Pyramidenzellen und Sternzellen als Haupttypen, Korbzellen, Spindelzellen, insgesamt acht Populationen), die Nervenfaserverbindungen der beteiligten Zellen als auf diesen ankommende (afferente) oder von diesen abgehende (efferente) Fasern (Projektionsfasern), die funktionelle Organisation der Kortexareale in Mo-
5.4. Aktuelle Grundlagen und Anwendungsgebiete des EEG
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dulen oder Kolumnen (Stichworte: unimodale, heteromodale und paralimbische Kortexareale; primär sensorische, primär motorische und sekundär (auch unimodale) sensorische bzw. motorische Kortexareale, polymodale Assoziationskortices mit besonderer Bedeutung für höhere kognitive Funktionen; kortikokortikale, thalamokortikale und kortikothalamische Verbindungen). Weiterhin kennen wir die synaptischen Botenstoffe, die Transmitter der an der Entstehung des EEG beteiligten Nervenzellpopulationen: In den etwa 80 % aller kortikalen Neurone ausmachenden Pyramidenzellen dominiert Glutamat als aktivierender Transmitter, damit erregende postsynaptische Potenziale generierend (EPSPs). Sternzellen, die hemmende postsynaptische Potenziale (IPSPs) generieren, haben Gamma-Aminobuttersäure (GABA) als Transmitter und jene, die auch erregend wirken, tragen Neuropeptide als Transmitter. Afferente Fasern entstammen zudem aminergen (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Histamin als Transmitter) oder cholinergen Neuronen (Azetylcholin als Transmitter). Schließlich kennen wir heute mehr und mehr die verschiedenen Entitäten und Isoformen der neuronalen und auch regulativ eingreifenden glialen spannungsabhängigen Ionenkanäle für die den Polarisations-/Depolarisationsprozeß der Leitstrukturen zuständigen Alkali- und Erdalkaliionen (Natrium, Kalium, Kalzium) und deren für die Impulsübertragung entscheidende zelluläre Lokalisation. In den Membranen bis in die synaptischen Bereiche verläuft die Erregung als Depolarisationsprozeß unter Öffnung der im Ruhezustand (polarisierter Zustand) geschlossenen spannungsabhängigen Natrium-Ionenkanäle und einem Natriumioneneinstrom in die Zelle. Dieser ist verantwortlich für die Anstiegsphase des damit ausgelösten sog. Aktionspotentials. Auf den sich anschließenden Verschluß der Natrium-Ionenkanäle folgt die Öffnung der spannungsabhängigen Kalium-Ionenkanäle mit steigenden Kaliumionenfluß aus der Zelle, der die abfallende Phase des Aktionspotentials bewirkt. Das Aktionspotential wird also durch den Kationenfluß durch spannungsabhängige Natrium- und Kalium-Ionenkanäle generiert. Im Bereich der Synapsen löst das auftreffende Aktionspotential bei ausreichender Stärke die Generation von synaptischen Potentialen aus, gekennzeichnet durch die Reaktionskaskade der sog. chemischen synaptischen Transmission (Öffnung von Kalzium-Kanälen und präsynaptischer Kalziumioneneinstrom, Auslösung einer quantenhaften Transmitterfreisetzung in den synaptischen Spalt, Bindung an postsynaptische Rezeptoren, Auslösung dortiger Depolarisation (EPSPs) oder Hyperpolarisation (IPSPs), also erneuter Aktivierung oder Hemmung in Abhängigkeit vom Transmitter- und Rezeptortyp). Da diese hier nur stichwortartig skizzierten Feinmechanismen von Aktions- und synaptischen Potentialen sowohl Berger als auch seinem Argumentationspartner und EEGBefürworter Adrian unbekannt waren, übertrugen sie ihre aus Leitfähigkeitsmessungen am peripheren Nerven erhaltenen, nur Aktionsströmen entsprechenden Ergebnisse ohne Differenzierung von synaptischen Strömen einfach auf das zentrale Nervensystem. Damit konnten sie auch die Parameter Impulsdauer und amplituden nur summarisch einordnen und sie nicht zwischen den verschiedenen Generationsorten differenzierend beurteilen, vor allem die diesbezüglich
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Abb. 5.15.: EEG-Wellentypen aus verschiedenen Frequenzbereichen.
5.4. Aktuelle Grundlagen und Anwendungsgebiete des EEG
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limitierenden synaptischen Zwischenschritte betreffend. Die bedeutenden Unterschiede dieser beider Parameter zwischen Aktionsströmen und synaptischen Strömen in den verschiedenen neuronalen Impulsleitstrukturen des Zentralnervensystems, und hier besonders auch des Kortex, sind es aber gerade, die heute zum Quellenverständnis des EEG führen: Die Amplituden der Aktionspotentiale sind mit 70 – 100 mV gegenüber denen der synaptischen Potentiale (und Rezeptorpotentiale) mit 0,1 – 10 mV enorm größer, und die Impulsdauern sind für Aktionspotentiale mit 1 – 10 Millisekunden gegenüber denjenigen der synaptischen Potentiale mit 5 Millisekunden bis 20 Minuten bedeutend kürzer. Aus diesem heutigen, hier nur in einer Aufzählungsübersicht dargestellten Basiswissen rekrutiert sich nunmehr die aktuelle Theorie der EEG-Entstehung, die für den fachinteressierten Leser an dieser Stelle wiederum auch nur als kurze Übersicht wiedergegeben wird: Die riesige Anzahl von synaptischen Kontakten der vielen dendritischen Fortsätze (Dendritenbaum) einer kortikalen Pyramidenzelle bedeutet eine Vielzahl von Eingängen (Inputs) für die afferenten Fortsätze der kooperierenden anderen Nervenzellen des kortikalen und thalamischen Bereichs. Sendet nun ein solches afferentes Neuron einen ausreichend intensiven Impuls auf eine dendritische Synapse der Pyramidenzelle aus, wird dort der erregende (excitatorische) Transmitter Glutamat freigesetzt, wodurch Kationenkanäle geöffnet werden und ein positiver Strom in den Dendriten hineinfließt. Dieser hinterläßt im Extrazellularraum des Dendriten und damit der Pyramidenzelle eine äquivalente Elektronegativität. Der positive Strom breitet sich bis zum Zellkörper der Pyramidenzelle aus und verläßt dort die Zelle wieder. An der Austrittsstelle wird daher der Extrazellularraum gering positiv. Diese auf die einzelne Pyramidenzelle und einzelne dendritische Synapse bezogenen extrazellulären Ströme sind natürlich sehr klein. Erst wenn über Tausende von Zellen ihre relevanten Potentialänderungen im kortikalen Extrazellularraum beisteuern, wird in der Summe am Scalp ein Signal als EEG messbar. Das EEG wird also durch den Fluß postsynaptischer Ströme durch den Extrazellularraum als Summenpotential vieler tausend Neurone unterhalb der Meßelektrode generiert. Der dabei ablaufende Nettoionenfluß wird als Spannung über dem Widerstand des Extrazellularraumes registriert. Die Quelle der im EEG als negative Feldpotentiale an der Hirnoberfläche gemessenen extrazellulären Summenpotentiale ist also nicht das Aktionspotential als das größte und kürzeste von Neuronen generierte Signal, sondern der mit den summierten synaptischen Potentialen verbundene Stromfluß in den aktivierten Pyramidenzellen. Synaptische Potentiale sind bedeutend langsamer als Aktionspotentiale und können sich damit summieren. Aufgrund ihrer architektonischen Verteilung und Anordnung läßt sich ferner feststellen, dass es ganz überwiegend die excitatorischen postsynaptischen Potenziale sind, welche die physiologische Grundlage der EEG-Aktivität widerspiegeln. Das EEG ist also den Feldpotentialen zuzuordnen, die im Gegensatz zu den Membranpotentialen (intrazellulär abgeleitet) aus dem extrazellulären nervalen Umfeld abgeleitet werden.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
Ihren Anfang nahm diese aktuelle Theorie 1951, also etwa ein Jahrzehnt nach Bergers Tod, mit der Vermutung des australischen Physiologen und Nobelpreisträgers John Carew Eccles, dass die wesentlichen Potentialquellen des EEG excitatorische und inhibitorische Potentiale sind, der Ursprung des EEG damit synaptischer Natur sein könnte.201 Da diese Vermutung Eccles in der Folgezeit mehr und mehr bewiesen wurde, war bereits um 1980 in der Fach- und Lehrbuchliteratur nachzulesen, dass das EEG im wesentlichen durch die zeitliche Summation postsynaptischer Potentiale entsteht, dass evozierte Potentiale ihren Ursprung ebenfalls in postsynaptischen Potentialen haben und dass durch Pharmaka bedingte Änderungen des EEG möglicherweise über differentielle Wirkungen auf inhibitorische und excitatorische Synapsenpopulationen zustande kommen. Die zentrale Rolle der Pyramidenzellen, die Schrittmacherfunktionen von Thalamusneuronen und modifizierende Effekte anderer Hirnregionen waren zu dieser Zeit bereits Lehrmeinung. Molekularzelluläre Basismechanismen fanden ebenfalls zunehmend in der relevanten neurologischen, physiologischen und besonders neurowissenschaftlichen Fachliteratur Eingang.202 Die aktuelle Literatur zum EEG in der Psycho-/Neurophysiologie ist besonders mit den Autoren R. F. Schmidt und N. Birbaumer verbunden.203 Birbaumer würdigte in diesem Zusammenhang Bergers EEG-Entdeckung im Kapitel 20 der „Biologischen Psychologie“ mit folgenden Worten: „Die Bergerschen Arbeiten, seine Experimentiertechnik und sein Einfallsreichtum gehören zu den großartigen Leistungen der Naturwissenschaft. Zu den Pionieren der EEG-Forschung gehört auch Hubert Rohracher [siehe Anmerkung 192], der ab 1933 EEG-Versuche durchführte 204 und Wesentliches zur technischen Weiterentwicklung der Ableitverfahren beitrug.“
Dass die eben skizzierte aktuelle Theorie der EEG-Entstehung trotz des erreichten Erkenntnisfortschritts noch offene Fragen aufwirft, haben in allgemeiner und zusammengefaßter Form die Autoren des folgenden Literaturzitats vortrefflich formuliert: „Es ist faszinierend, die Rhythmen des Kortex im EEG zu beobachten. Sie verlaufen parallel zu so vielen interessanten Verhaltensweisen des Menschen, dass man sich fragen muß, warum es so viele Rhythmen gibt. Und was noch wichtiger ist: Welche Funktion haben sie? Obwohl zahlreiche Hypothesen kursieren, gibt es kaum relevante Daten und noch keine zu205 frieden stellenden Antworten auf diese Fragen.“ „Selbst wenn sie keine eigene Funktion haben sollten, liefern jedoch die EEG-Rhythmen 206 wertvolle Einblicke in die funktionalen Zustände des Gehirns.“ 201 Vgl. Eccles, Interpretation of action, S. 449. 202 Vgl. Niebeling, Einführung in die Elektroenzephalographie; Frost, Handbook of Electroencephalography; Scheid, Lehrbuch der Neurologie; Speckmann/Hescheler, Physiologie, S. 254–262; Bear/Connors/Paradiso, Neurowissenschaften. 203 Schmidt/Schaible, Neuro- und Sinnesphysiologie; Schmidt/Lang, Physiologie des Menschen (hier dezidiert: Birbaumer/Schmidt, Biologische Psychologie, Kap. 8–10); Birbaumer/ Schmidt, Biologische Psychologie. 204 Birbaumer/Schmidt, Biologische Psychologie, Einleitung zu Kap. 20, S. 460. 205 Bear/Connors/Paradiso, Neurowissenschaften, S. 664. 206 Ebd., S. 666.
5.4. Aktuelle Grundlagen und Anwendungsgebiete des EEG
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„Wenn ein EEG niemals Aufschluß darüber gibt, woran eine Person denkt, kann es doch 207 registrieren, ob sie gerade denkt.“
Wir halten in diesem Zitat also fest, dass es bislang zwar möglich ist, mit Hilfe des EEG festzustellen, dass eine Person denkt; der Inhalt muß uns bislang aber glücklicherweise noch mitgeteilt werden. Hans Berger hätte sicher auf diese Sätze mit Genugtuung und schmunzelnd reagiert und konstatiert, was die Wissenschaft rund 70 Jahre nach seiner letzten großen EEG-Publikation zu diesem Kapitel zu bieten hat, aber auch noch offen hält. Begeistert wäre er bestimmt von den basiswissenschaftlichen Erkenntnissen. Belächelt hätte er genau so sicher die letztgenannten Originalzitate. Jedenfalls müssen wir Hans Berger dankbar sein, dass er seine Gedanken über viele Jahre so akribisch zu Papier gebracht und uns hierdurch heute eine rege Anteilnahme und Diskussion ermöglicht. Wie beim plethysmographischen Untersuchungskomplex bietet sich natürlich auch im Falle des EEG die Frage an, welche aktuelle Bedeutung und welche Zukunftsperspektive für diesen Komplex besteht. Die aktuelle Bedeutung in der klinisch-neurologischen Routine sei kurz umrissen: Unbestritten herausragend ist die Bedeutung des EEG für die Epilepsie-Diagnostik, da sich hier oft wegweisende Befunde darstellen lassen. So können verschiedene Anfallstypen mit spezifischen EEG-Potenzialen oder Graphoelementen (Spikes, Spike-Wave-Komplexe, Polyspike-Wave-Komplexe etc.) vergesellschaftet sein und eine Epilepsie oder sogar eine bestimmte Art von Epilepsie mit Hilfe des EEG diagnostiziert werden. Es muß aber betont werden, dass man umgekehrt aus einem normalen EEG nicht schließen darf, dass keine Epilepsie vorliegen könnte (dies ergibt sich aus der Ableitedauer, die in der Regel bei 20 Minuten liegt und naturgemäß nicht beliebig ausgedehnt werden kann). Aufgrund der nicht invasiven, vergleichsweise leicht durchzuführenden und preiswerten Untersuchung bietet sich aber die Möglichkeit, wiederholte EEG’s abzuleiten. Klinische Studien konnten zeigen, dass sich die diagnostische Trefferquote im Hinblick auf eine Epilepsiediagnose hierdurch bei bis zu 5 EEGs weiter erhöht. Ähnlich spezifische Veränderungen, wie sie bei Epilepsien im EEG möglich sind, finden sich aber entgegen Bergers ursprünglicher Vermutung bei nahezu keiner anderen neurologischen Erkrankung. Natürlich lassen sich auch im EEG herdförmige, also nur an bestimmten Stellen auftretende Veränderungen, meist im Sinne von lokalen Verlangsamungen nachweisen. Auch hierfür findet der Leser Hinweise im vergangenen Text. Für die topographische Diagnostik wird aber das EEG heute in der Regel nicht mehr eingesetzt, da die bildgebenden Verfahren, insbesondere die kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) hier viel tiefere und genauere Einblicke ermöglichen. In der Epileptologie werden EEG und MRT allerdings häufig kombiniert, da es hier beispielsweise im Rahmen der prächirurgischen Epilepsiediagnostik notwendig ist, die Funktionsstörung mit möglichst genauen morphologischen Bildern zu korrelieren und idealerweise einer pathologischen Hirnstruktur zuzuordnen. Durch aufwendige Rechenverfahren ist es heute 207 Ebd., S. 662.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
auch bereits möglich, während einer MRT-Untersuchung trotz des störenden Magnetfeldeinflusses EEGs abzuleiten. Andere klinische Anwendungen des EEG finden wir in der Schlafdiagnostik und in der Diagnostik von unklaren Bewußtseinsstörungen. Bei Letzteren kann das EEG dauernde epileptische Aktivitäten im Sinne eines Status epilepticus ebenso beweisen, wie Hinweise auf eine Intoxikation oder andere Medikamenteneffekte geben. Die klinische Diagnose des Hirntodes kann zwar prinzipiell mit einem EEG als Zusatzdiagnostik untermauert werden, wird aber heutzutage immer häufiger durch den Nachweis des Ausfalls der Hirndurchblutung mit dopplersonographischer Technik ersetzt. Das wissenschaftliche Interesse am EEG hat sich tendenziell im Laufe der Zeit verschoben: Suchte man lange Zeit nach einzelnen Zentren und Generatoren für bestimmte Rhythmen und Muster, so weiß man inzwischen, dass für Hirnfunktionen, aber auch -dysfunktionen ganze Netzwerke von Neuronenpopulationen verantwortlich sein können. Die Analyse dieser Netzwerkfunktionen ist in den vergangenen Jahren durch die immensen Fortschritte der Computertechnik ermöglicht worden, welche in der Lage ist, auch von zahlreichen gleichzeitig abgeleiteten EEG-Signalen Korrelationen zu berechnen und darzustellen. Die hierzu genutzten Ableittechniken arbeiten zum Teil mit deutlich mehr Elektroden als das Routine-EEG und nutzen hierzu Hauben und Netze mit integrierten Elektroden, die sich in vertretbarer Zeit auf dem Kopf fixieren lassen. Gekoppelt mit bildgebenden Verfahren nutzen Psychologen, Neurologen und Psychiater derartige Techniken häufig für die Erforschung gezielter kognitiver Leistungen, sowie bei Störungen und ihrer Beeinflussbarkeit nach zerebralem Infarkt. Während der letzten anderthalb Jahrzehnte ist an der Jenaer Universität in dieser Richtung die Bearbeitung des Hirninfarktes besonders mit den Namen der Neurologen Cornelius Weiller, Joachim Röther, Joachim Liepert, Otto W. Witte, Georg Hagemann und der klinischen Psychologen Wolfgang H. R. Miltner und Thomas Weiss verbunden (chronologische Namensfolge). Berger lebt also auch hier weiter. Eine besondere Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Analyse des Informationsgehaltes des EEG. Perspektivisch wird hier versucht, durch „Auslesen“ der EEG-Signale Informationen für geplantes Handeln zu extrahieren und dieses beispielsweise bei Bewegung von Prothesen umzusetzen. Birbaumer hat beispielsweise in diesem Zusammenhang die Plastizität des Gehirns zur Grundlage seiner Arbeiten zur Neuroprothetik gemacht und das EEG als funktionsdiagnostische Methodik maßgeblich mit einbezogen.208 Diese Brain-Computer-Interfaces sind bislang allerdings nur in der Lage, einfache Informationen und „Kommandos“ umzusetzen, haben aber ein nicht abschätzbares und ungeheures Potenzial in der Zukunft.
208 Im Zusammenhang mit Bergers EEG-Entdeckung betitelte N. Birbaumer anlässlich seines Erhalts der Ehrendoktorwürde durch die Friedrich-Schiller-Universität Jena Mai 2010 seinen Festvortrag diesbezüglich mit „Hans Bergers Wiedergeburt(en)“.
5.5. Berger und die Nobelpreisfrage
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Die ungeheure Seite der Möglichkeiten wurde geschichtlich allerdings schon kurz nach Bergers EEG-Entdeckung antizipiert und diskutiert: In den ersten Wahrnehmungen des EEG in Presse und Politik wurde bereits sowohl erwartet als auch befürchtet, dass es damit möglich werde, Gedanken zu lesen und umgekehrt auch zu beeinflussen und zu steuern.209
5.5. BERGER UND DIE NOBELPREISFRAGE Bleibt abschließend noch eine möglichst wahrheitsgemäße Diskussion der Frage nach dem Nobelpreis für Hans Berger. Wir stellen hierzu die Publikationen von U.-J. Gerhard et al. und C. Borck voran, da sie auf Grund intensiver Recherchen im Nobelarchiv in Stockholm belegbares Datenmaterial präsentieren.210 Gerhard et al. gaben ihrem Beitrag zur Nobelpreisproblematik den Titel eines Zitats des ehemaligen Berger-Schülers und späteren Ordinarius der Psychiatrischen Klinik (Kraepelin-Klinik) der Maximiliansuniversität München, K. Kolle: „Hätte Berger das Ende des Zweiten Weltkrieges noch erlebt, gewiss wäre er ein Anwärter 211 auf den Nobelpreis geworden.“
In Übereinstimmung mit Gerhard et al. hat Borck ermittelt, dass Berger in den 30er Jahren nicht, sondern erst 1940, 1942 und 1947 fünfmal für den Nobelpreis für Physiologie und Medizin vorgeschlagen wurde, wobei drei Vorschläge 1940 von den Nominatoren (Wissenschaftler mit Vorschlagsrecht) Douglas Adrian (Cambridge, U.K.), Walter Cannon (Cambridge/Mass., USA) und Tracy Putnam (Argentinien), also erst ein Jahr vor seinem Tod, kamen. Die Evaluierung dieser Vorschläge nahm der ebenfalls berühmte Ulf Svante von Euler (1970 selbst mit dem Nobelpreis ausgezeichnet) positiv für Berger vor. Die positive Bewertung durch von Euler ist besonders deswegen von Bedeutung, da dieser herausragende schwedische Neurowissenschaftler gerade zu dieser Zeit in Auswertung der vor ihm und durch ihn gemachten Entdeckungen auf dem Neurotransmittersektor mit der Erarbeitung einer „chemischen“ Theorie der nervalen Informationsverarbeitung beschäftigt war (siehe Ende Abschnitt 2.1.). Er fand also mit seinem positiven Urteil bereits Bergers EEG-Entdeckung und ihre große klinische Bedeutung grundsätzlich für den Nobelpreis würdig. Mit den drei Nominierungen 1940 stand Berger mit weiteren drei Laureaten an vierter Stelle aus insgesamt 51 Vorschlägen (65 Nennungen). Wegen der Wirren des Zweiten Weltkrieges wurde zwischen 1940 und 1942 kein Nobelpreis vergeben. Berger hätte daher a priori die Ehrung in diesem Zeitraum gar nicht bekommen können. Außerdem wäre sie nach seinem Tod 1941 sowieso entfallen, da der Nobelpreis posthum nicht verliehen wird. Damit nützten auch die beiden späteren Vorschläge von L. Benedek (Budapest, 1942 und von P. Redaelli (Mailand, 1947) nichts mehr. Beiden war schein209 Vgl. Borck, Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie. 210 Vgl. Gerhard/Schönberg/Blanz, Legende vom Nobelpreis, S. 1–5; Borck, Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie. 211 Kolle, Hans Berger, S. 4.
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5. Bergers „Elektrenkephalogramm“
bar ebenso wie I.S. Aksel (Istanbul), der 1948 noch einen Vorschlag plante, wegen der verheerenden Kriegszustände Bergers Tod bereits 1941 nicht bekannt geworden. Übrigens, von den 1940 parallel zu Berger vorgeschlagenen Kandidaten erhielten erst 1944 die US-Amerikaner J. Erlanger und H.S. Gasser den Nobelpreis. Berger konnte also aus ganz objektiven Gründen den Nobelpreis gar nicht erhalten. Leider äußerte der ansonsten hervorragend recherchierende Borck im Rahmen der Nobelpreisproblematik die nicht beweisbare und völlig unpassende Vermutung, Berger könnte sich auch wegen des nicht verliehenen Nobelpreises das Leben genommen haben. Eine solche Vermutung ist so gar nicht vereinbar mit den vielfachen Schilderungen über den seine Familie über alles liebenden Hans Berger und noch weniger mit den Zitaten seines Schülers H. Boening (Gießen) in seinem Nachruf: „Aus seinem letzten Brief an mich vom März des Todesjahres weht die resignierte Klage, dass er nicht nach Wunsch und Können ausgelastet sei […]. Die Harmonie seiner Häuslichkeit und seine glückliche Ehe mit Ursula Freiin von Bülow, aus der 4 Kinder hervorgegangen sind, galten in Jena als beispielhaft und waren für ihn, wie er gelegentlich einmal sagte, eine dauernde Quelle der Kraft […] Bergers Leben war nicht Befriedigung eines ehrgeizigen Anspruchs, sondern strenge Erfüllung einer Pflicht, welche ihm ein gütiges Geschick mit reichen 212 Gaben des Geistes und der Seele auferlegt hatte.“
Mit den bislang vorgelegten offiziell bestätigten Daten relativieren oder widerlegen sich natürlich die Aussagen anderer Autoren zur Nobelpreisproblematik für Berger. Die Gründe für das Zustandekommen solcher Aussagen sollen auch hier noch kurz umrissen werden, denn sie finden sich in einer Reihe der im Anhang verzeichneten Publikationen über Hans Berger: Erstens, Bergers Reaktionen auf eine Einladung durch den von ihm hochverehrten Hirnforscher S. Henschen zu einer internationalen Tagung 1929 an das Karolinska Institutet nach Stockholm wurden offenbar mißgedeutet. Berger, hocherfreut über die Einladung, wollte auf dieser Tagung seinen ersten offiziellen Vortrag über seine EEG-Entdeckung vor einem internationalen Gremium halten: „Ich werde heute Henschen schreiben, dass ich komme und über das Elektrenkephalogramm 213 rede.“
Das Manuskript seiner ersten Mitteilung „Über das Elektrenkephalogramm des Menschen“ war fertig und genau 14 Tage später im Archiv für Psychiatrie eingegangen. Die Stockholmer Tagung kam leider nicht zustande, so dass dieser für ihn so wichtige internationale Auftritt mit seiner Entdeckung ausfallen mußte. Natürlich interessierte Berger ab da auch zunehmend die Frage nach der Nobelpreiswürdigkeit seiner Entdeckung, zumal er doch bereits 1930 auch seine zweite Mitteilung im Journal für Psychologie und Neurologie und eine Publikation gleichen Titels in der von breiterem Kollegenkreis gelesenen Zeitschrift Die Medizinische
212 Boening, Professor Hans Berger, S. 17–24. 213 Berger, Tagebuch IV., Eintrag vom 8. April 1929.
5.5. Berger und die Nobelpreisfrage
139
Welt veröffentlicht hatte. Daß er damit auch im Nobelpreiskomitee bekannt geworden sein muß, beweist die folgende Eintragung in seinem Tagebuch: „Gestern an Ruths Geburtstag aus Stockholm die Nobelstatuten u. die Aufforderung einen 214 Preisträger zu nennen erhalten. Omen ? Möchte am 10. XII. 1932 den Preis erhalten.“
Man hatte in Stockholm Berger offensichtlich bereits für kompetent befunden, als Nominator eines für den Nobelpreis würdigen Kandidaten zu fungieren. Sein gleichzeitig geäußerter Wunsch, den Preis 1932 selbst zu erhalten, wurde allerdings nicht erfüllt, denn in Stockholm lagen für ihn zu dieser Zeit noch keine Nominierungsvorschläge vor. Trotzdem hatten die Einladung von Henschen und der Brief des Nobelkomitees einen positiven Effekt auf Bergers bisherige Zurückhaltung, denn beides löste endlich eine rege Publikationstätigkeit seiner EEGBefunde aus. Zweitens, Aussagen, dass Berger 1936 das erste Mal für den Nobelpreis vorgesehen war, ihn aber wegen des Annahmeverbots durch das NS-Regime nicht annehmen durfte, sind in seinem Fall keinesfalls belegt, obwohl das Annahmeverbot gegolten hätte.215 In gleicher Weise ist auch die von V. Wieczorek getroffene Aussage einzuordnen, dass auf dem nunmehr von Berger erstmalig besuchten Internationalen Kongreß für Psychologie 1937 in Paris offiziell bestätigt worden sei, er wäre für den Nobelpreis vorgesehen.216 Der Vorschlag sei wegen des Annahmeverbots nicht realisiert worden. Nach Recherchen im Nobelarchiv in Stockholm liegen aber auch hierfür keine Hinweise vor. Vielleicht hatte zu den Vermutungen dieser Autoren auch noch Adrians angebliche Äußerung auf dem Pariser Kongreß beigetragen, dass sein Nobelpreis eigentlich Berger zugestanden hätte. Möglicherweise haben manche Autoren diese Bemerkung Adrians bereits als frühen Vorschlag gedeutet.217 Alles in allem, die Vermutung Kolles hatte sicher in mehrfacher Hinsicht ihre konkrete Berechtigung. Sie soll deshalb abschließend noch einmal wiederholt werden: „Hätte Berger das Ende des Zweiten Weltkrieges noch erlebt – gewiss wäre er ein Anwärter auf den Nobelpreis geworden.“
214 Berger, Tagebuch V., Eintrag vom 30. September 1930. 215 Vgl. Werner, Hans Berger zum Gedächtnis, S. 13–19; Lemke/Zimmermann, Psychatrischen und Nervenklinik, S. 49–56. 216 Vgl. Wieczorek, Universitäts-Nervenklinik, S. 7–22. 217 Vgl. Karyofilis, Hans Berger.
6. ANHANG 6.1. DIE VON HANS BERGER WÄHREND SEINES STUDIUMS IN JENA BESUCHTEN LEHRVERANSTALTUNGEN WS 1893/94
Fürbringer, P.: Systematische Anatomie des Menschen I. Ders. u. v. Bardeleben, K.: Präparierübungen. Knorr, L.: Allgemeine Experimentalchemie/ Organische Chemie. Biedermann, W.: Physiologie I. Semon, R.: Angiologie. Haeckel, E.: Stammesgeschichte der Wirbeltiere. Haeckel, E.: Zoologisches Praktikum. Detmer, W.: Experimentalphysiologie der Pflanzen. Eucken, R.: Lebensanschauungen der großen Denker.
SS 1894
Fürbringer, P.: Systematische Anatomie des Menschen II. Biedermann, W.: Physiologie II. Knorr, L.: Allgemeine Experimentalchemie/ Anorganische Chemie. Knorr, L.: Analytisch-Chemisches Praktikum für Mediziner. Verworn, M.: Physiologisches Praktikum. Fürbringer P. u. v. Bardeleben, K.: Mikroskopische Übungen. v. Bardeleben, K.: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. Ziehen, Th.: Physiologische Psychologie. Haeckel, E.: Allgemeine Zoologie und Entwicklungslehre. Fürbringer, P.: Urogenitalsystem.
WS 1894/95
Stintzing, R.: Medizinisch-klinische Propädeutik. Müller, W.: Allgemeine Pahtologie u. allgemeine pathologische Anatomie. Matthes, H.: Klinische Chemie und Mikroskopie. Haeckel, H.: Allgemeine Chirurgie. Ziehen, Th.: Hirnanatomie und Hirnphysiologie. v. Bardeleben, K.: Topographische Anatomie mit Demonstration und praktischer Übung an der Leiche. Fürbringer P. u. v. Bardeleben, K.: Präparirübungen. Semon, R.: Demonstrationskursus der systematischen Anatomie. Haeckel, E.: Stammesgeschichte der Wirbeltiere. Kükenthal, W.: Stammesgeschichte der Wirbellosen.
SS 1896
Stintzing, R.: Medizinische Klinik und Klinik der Haut – und Geschlechtskrankheiten. Riedel, B.: Chirurgische Klinik. Schultze, B.: Geburtshülfe u. gynäkologische Klinik. Binswanger, O.: Klinik der Geisteskrankheiten. Wagenmann, A.: Klinik der Augenkrankheiten. Kessel, J.: Klinik der Ohrenkrankheiten mit Einschluß der Nasen- und Rachenerkrankungen. v. Krehl, L.: Medizinische Poliklinik.
6.1. Hans Berger während seines Studiums in Jena
141
Gärtner, A.: Spezielle Hygiene. Ders.: Impfungen. Ders.: Hygienisch-bakteriologischer Kurs. Wagenmann, A.: Augenoperationslehre verbunden mit praktischen Übungen. Ziehen, Th.: Neuropathologischer Untersuchungskurs. Leubuscher, G.: Gerichtliche Medizin. WS 1896/97
Stintzing, R.: Medizinische Klinik. Riedel, B.: Chirurgische Klinik. Schultze, B.: Geburtshülfe u. gynäkologische Klinik. Wagenmann, A.: Klinik für Augenkrankheiten. Kessel, J.: Klinik der Ohrenkrankheiten mit Einschluß der Nasen- und Rachenerkrankungen. Binswanger, O.: Klinik der Geisteskrankheiten. v. Krehl, L.: Medizinische Poliklinik. Skutsch, F.: Kurs geburtshülfliche Operationen. Gärtner, A.: Hygienisches Kolloquium. Ziehen, Th.: Feinere Anatomie des verlängerten Marks und der Brücke. Ziehen, Th.: Allgemeine Psychopathologie. Binswanger, O.: Über Zurechnungsfähigkeit. v. Krehl, L.: Über Untersuchung, Erkennung und Behandlung der Krankheiten des Nervensystems. Müller, W.: Sektionskurs. Wagenmann, A.: Kursus des Augenspiegelns.
SS 1897
Ziehen, Th.: Feinere Anatomie des Mittel- und Zwischenhirns. Leubuscher, G.: Gerichtliche Medizin.
6.2. DIE LEHRVERANSTALTUNGEN HANS BERGERS AN DER JENAER UNIVERSITÄT218 PRIVATDOZENT (1902 – 1906) SS 1902
Allgemeine Psychiatrie, Do. 7-8 Ab. pr.
WS 1902/03
Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, Do. 7-8 Ab. pr.
SS 1903
Allgemeine Psychiatrie, Do. 7-8 Ab. pr.
WS 1903/04
Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, So. 6-7 publ.
SS 1904
Allgemeine Psychiatrie, So. 6-7 publ.
WS 1904/05
Zurechnungsfähigkeit, Mi. 6-7 publ. Anatomie u. Physiologie des Gehirns, So. 6-7 publ.
218 Die Auflistung der Lehrveranstaltungen verzeichnet die angekündigten Titel in den gedruckt vorliegenden Vorlesungsverzeichnissen der Jenaer Universität.
142
6. Anhang
SS 1905
Psychologie, Mi. 6-7 pr. Allgemeine Psychiatrie, So. 6-7 publ.
WS 1905/06
Zurechnungsfähigkeit, Mo. 6-7 publ. Gehirnanatomie u. Gehirnphysiologie, Mi. 6-7 pr.
AUSSERORDENTLICHER PROFESSOR (1906 – 1920) [* Zum Zeitpunkt der Lehrveranstaltungen befand sich Hans Berger im Heeres- bzw. Sanitätsdienst] SS 1906
Allgemeine Psychiatrie, Mo. 6-7 publ. Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 publ. Arbeiten im klinischen Laboratorium für Fortgeschrittene (zusammen mit Binswanger).
WS 1906/07
Zurechnungsfähigkeit, Mo. 6-7 publ.
SS 1907
Allgemeine Psychiatrie, Mo. 6-7 publ. Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 6-7 publ. Arbeiten im klinischen Laboratorium für Fortgeschrittene (zusammen mit Binswanger).
WS 1907/08
Zurechnungsfähigkeit, Mo. 6-7 publ. Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, Mi. 6-7 pr.
SS 1908
Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vm. pr. Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger).
WS 1908/09
Gerichtliche Psychiatrie, für Mediziner und Juristen, Mo. 6-7 pr. Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, Mi. 6-7 pr.
SS 1909
Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vm. pr. Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger).
WS 1909/10
Zurechnungsfähigkeit, für Juristen und Mediziner, Mo. 6-7 pr. Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, Mi. 6-7 pr.
SS 1910
Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 pr. Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger). Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; gemeinsam u. abwechselnd pr.).
WS 1910/11
Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, Mi. 6-7 pr. Gerichtliche Psychiatrie, für Mediziner und Juristen, Mo. 6-7 pr. Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; pr.).
SS 1911
Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; gemeinsam u. abwechselnd, So. 10-11 pr.). Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vorm. pr.
6.2. Die Lehrveranstaltungen Hans Bergers an der Jenaer Universität Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger). WS 1911/12
Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; pr.) Gerichtliche Psychiatrie, für Mediziner und Juristen, Mo. 6-7 pr.
SS 1912
Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; gemeinsam u. abwechselnd, So. 10-11 pr.). Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vorm. pr. Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger).
WS 1912/13
Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; pr.). Gerichtliche Psychiatrie, für Mediziner und Juristen, Mo. 7-8 pr. Hirnanatomie u. Hirnphysiologie, Mi. 6-7 pr.
SS 1913
Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vorm. pr. Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; abwechselnd, So. 10-11 pr.) Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger)
WS 1913/14
Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; So. 10-11 pr.) Gerichtliche Psychiatrie mit Krankenvorstellungen, für Mediziner u. Juristen, Mo. 3-4 pr. Gehirnanatomie u. Gehirnphysiologie, Mi. 6-7 pr. Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskranken, So. 6-7 pr.
SS 1914
Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; So. 10-11 pr.) Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vorm. pr. Uebungen in der Beurteilung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, So. 6-7 pr. Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger), gr.
WS 1914/15
Gerichtliche Psychatrie mit Krankenvorstellungen für Mediziner u. Juristen, Mo. 3-4 pr. Klinische Visite (zusammen mit Binswanger; So. 10-11 pr.) Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskranken, So. 6-7 pr.
SS 1915
Klinische Visite, (zusammen mit Binswanger; So. 10-11 pr.)* Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 Vorm. pr.* Die Bedeutung des Unfalls für die Entstehung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, Mi. 6-7 nachm. pr.* Arbeiten im klinischen Laboratorium (zusammen mit Binswanger), gr.*
WS 1915/16
Gerichtliche Psychiatrie mit Krankenvorstellungen, für Mediziner u. Juristen, Mo. 3-4 pr.* Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, So. 6-7 pr.*
143
6. Anhang
144 SS 1916
Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 vorm. Pr.* Klinische Visite, gr.* Die Bedeutung des Unfalls für die Entstehung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, Mi. 6-7 nachm. pr.* Arbeiten im Laboratorium, gr.*
WS 1916/17
Gerichtliche Psychiatrie mit Krankenvorstellungen, für Mediziner u. Juristen,1st. pr.* Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, 1st. pr.*
SS 1917
Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 vorm. Pr.* Klinische Visite, gr.* Die Bedeutung des Unfalls für die Entstehung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, Mi. 6-7 nachm. pr.*
WS 1917/18
Gerichtliche Psychiatrie mit Krankenvorstellungen, für Mediziner u. Juristen, 1st. pr. Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, 1st. pr.
SS 1918
Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 vorm. Pr.* Klinische Visite, gr.* Die Bedeutung des Unfalls für die Entstehung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, Mi. 6-7 pr.*
WS 1918/19
Gerichtliche Psychiatrie mit Krankenvorstellungen, für Mediziner u. Juristen, 1st. pr.* Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, 1st. pr.*
SS 1919
Psychiatrische Diagnostik, So. 7-8 pr. Die Bedeutung des Unfalls für die Entstehung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, Mi. 6-7 pr.
WS 1919/20
[Nachfolger v. Prof. Binswanger] Klinik der Geisteskrankheiten, Mo./Do. 5-7 pr. Gerichtliche Psychiatrie mit Krankenvorstellungen, für Mediziner u. Juristen, 1st. pr. Uebungen in der Untersuchung und Begutachtung von Gehirn- u. Geisteskrankheiten, 1st. pr.
ORDENTLICHER PROFESSOR (1920 – 1940) ZS 1920
Klinik der Geisteskrankheiten, Mo./Do. 5-7 pr. Gehirnanatomie u. Gehirnphysiologie, Mi. 4-5 pr.
SS 1920
Klinik der Geisteskrankheiten, Di./Fr. 3-5 pr. Physiologische Psychologie, Mi. 6-7 pr. Zurechnungsfähigkeit für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6 pr.
6.2. Die Lehrveranstaltungen Hans Bergers an der Jenaer Universität WS 1920/21
Psychatrische Klinik, Mi./Do. 5-7- pr. Gehirnanatomie u. Gehirnphysiologie, Mi. 5-6 pr.
SS 1921
Psychatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Physiologische Psychologie, Do. 5-6. Zurechnungsfähigkeit für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6.
WS 1921/22
Psychatrische Klinik, Mo./Do. 5-7. Anatomie u. Physiologie d. Gehirns, Di. 5-6 publ. Herderkrankungen des Grosshirns (mit Krankenvorstellungen), Di. 5-6.
SS 1922
Psychatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Herderkrankungen des Grosshirns (mit Krankenvorstellungen), Do. 5-6. Zurechnungsfähigkeit für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6 publ. Klinische Visiten, So. 4-6 privatissime gratis.
WS 1922/23
Psychiatrische Klinik, Mo./Do. 5-7. Anatomie u. Physiologie des Gehirns, Mi 5-6 publ. Herderkrankung des Großhirns (mit Krankenvorstellungen), Di. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1923
Psychiatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Herderkrankung des Großhirns (mit Krankenvorstellungen), Do. 5-6. Zurechnungsfähigkeit für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6 publ. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1923/24
Psychiatrische Klinik, Mo./Do. 5-7. Herderkrankung des Großhirns (mit Krankenvorstellungen), Di. 5-6´. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 priv. gratis).
SS 1924
Psychiatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Gerichtliche Psychiatrie für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 priv. gratis).
WS 1924/25
Psychiatrische Klinik, Mo./Do. 5-7. Herderkrankung des Großhirns (mit Krankenvorstellungen), Di. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 priv. gratis).
SS 1925
Psychiatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Gerichtliche Psychiatrie für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 priv. gratis).
WS 1925/26
Psychiatrische Klinik, Mo./Do. 5-7. Herderkrankung des Großhirns (mit Krankenvorstellungen), Di. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 priv. gratis).
SS 1926
Psychiatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Gerichtliche Psychiatrie für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 priv. gratis).
WS 1926/27
Psychiatrische Klinik, Mo./Do. 5-7. Herderkrankung des Großhirns (mit Krankenvorstellungen), Di. 5-6. Klinische Visiten (zusammen mit Jacobi, So. 4-6 privatissime gratis).
145
146
6. Anhang
SS 1927
Psychiatrische Klinik, Di./Fr. 3-5. Gerichtliche Psychiatrie für Mediziner u. Juristen, Mo. 5-6. Klinische Visiten, So. 4-6 privatissime gratis.
WS 1927/28
Klinik der Nerven- u. Geisteskrankheiten, Mo./Do. 5-7 Klinische Visiten (zusammen mit Boening, So. 4-6 privatissime gratis)
SS 1928
Klinik der Nerven- u. Geisteskrankheiten, Di./Fr. 3-5. Klinische Visiten (zusammen mit Boening u. Hilpert, So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1928/29
Klinik der Nerven- u. Geisteskrankheiten, Mo./Do. 5-7. Klinische Visiten (zusammen mit Boening u. Hilpert, So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1929
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken, Di./Fr. 3-5. Klinische Visite (zusammen mit Boening u. Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1929/30
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken, Mo./Do. 5-7. Klinische Visite (zusammen mit Boening u. Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1930
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken, Di./Fr. 3-5. Klinische Visite (zusammen mit Boening u. Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1930/31
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken, Mo./Do. 5-7. Klinische Visite (zusammen mit Boening u. Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1931
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Di./Fr. 3-5. Klinische Visite (zusammen mit Boening u. Hilpert; So. 4-6 priv. gratis).
WS 1931/32
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mo./Do. 5-7. Klinische Visite (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1932
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Di./Fr. 3-5 Klinische Visite (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis)
WS 1932/33
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mo./Do. 5-7. Klinische Visite (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1933
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Di./Fr. 3-5. Klinische Visite (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1933/34
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mo./Do. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1934
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Di./Fr. 3-5. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
6.2. Die Lehrveranstaltungen Hans Bergers an der Jenaer Universität WS 1934/35
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mo./Do. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1935
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Mo./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1935/36
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mo./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
SS 1936
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Mo./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Hilpert; So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1936/37
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mo./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Lemke; So. 4-6 privat. gratis).
SS 1937
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Mo./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Lemke; So. 4-6 privat. gratis).
WS 1937/38
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Di./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Lemke; So. 4-6 gratis).
SS 1938
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken I, Di./Fr. 5-7. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Lemke; So. 4-6 privatissime gratis).
WS 1938/39
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken II, Mi./So. 8.20-10.00. Rundgang auf den Krankenabteilungen (zusammen mit Lemke; So. 16.00-18.00 gratis).
1. TM 1940
Klinik der Nerven- u. Geisteskranken, Mi. 16.00-18.00/So. 10.00-12.00.
147
6.3. DIE „PSYCHOPHYSIOLOGIE IN 12 VORLESUNGEN“ (1921) UND „ÜBER DIE LOKALISATION IM GROßHIRN“. REDE ANLÄSSLICH DER AKADEMISCHEN PREISVERLEIHUNG AM 18. JUNI 1927 Hans Berger gilt, wie bereits im Hauptteil dieses Bandes betont, als ein begabter Hochschullehrer. Dies tritt in einer Schilderung von H. Boening, einem Schüler Bergers, aus dem Jahre 1941 klar hervor: „Was den Forscher Berger bewegte, schlug auch im klinischen Unterricht gern durch, den er aber sonst ganz bewusst im Rahmen einer einfachen systematischen Darstellung gestaltete und sehr auf die Bedürfnisse des zukünftigen praktischen Arztes zuschnitt. Ich weiß aus vie-
148
6. Anhang
len Zeugnissen, wie dankbar seine Hörer für diese didaktisch wohl überlegte Führung durch ein besonders schwieriges Gebiet der Medizin gewesen sind, in dem sich der Neuling so leicht verläuft. Dem akademischen Lehrer Berger floß das Wort nicht leicht. Geistreiche Exkurse gestattete er sich, so erstaunlich belesen und vielseitig gebildet er war, niemals. Er schulte an den schlichten Tatsachen, deren Logik ihn im Zuge der klinischen Demonstrationen manchmal auch zu begeistertem Vortrag hinreisen konnte, vor allem dann, wenn es um 219 neuro-logische Gegenstände ging.“
Wie treffend diese Einschätzung H. Boenings ist, kann auch an zwei Texten nachvollzogen werden, die als Faksimiles am Schluß des Bandes abgedruckt werden sollen. In beiden Publikationen verband Berger die wesentlichen Inhalte seiner bis zur Entdeckung des EEG dominanten wissenschaftlichen Betätigungsfelder mit seiner Lehrtätigkeit. Sie sind besonders für die Frage interessant, wie Berger bis zu ihrem Erscheinen 1921 und 1927 mit elektrophysiologischen Phänomenen in seiner Lehrtätigkeit umging. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Berger seine „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“ aufgrund der vierjährigen Unterbrechung durch seinen Militärarztdienst im Ersten Weltkrieg erst 1921 veröffentlichte, aber prinzipiell schon vor 1914 inhaltlich abgeschlossen hatte. Beide, die „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“ (1921) und die Rede Bergers als Rektor bei der akademischen Preisverleihung „Über die Lokalisation im Großhirn“ (1927), erschienen vor Bergers Erstpublikation „Über das Elektrenkephalogramm des Menschen“ (1929), obwohl dessen eigentliche Entdeckung bereits 1924, also drei Jahre vor der akademischen Rede vorlag, und Berger zudem seine ersten Untersuchungen hirnelektrischer Phänomene an Versuchstieren (vornehmlich Hunden) sogar schon 1902, 1907 und 1910 mit Zielstellungen vornahm, die konzeptionell bereits auf seine späteren EEG-Untersuchungen am Menschen gerichtet waren. Da diese ersten Untersuchungen keine verwertbaren Ergebnisse zeigten, entfielen sie a priori als Inhalte für die „Psychophysiologie in 12 Vorlesungen“. Berger erwähnte elektrische Phänomene in diesem Zyklus daher nur sehr eingeschränkt entsprechend damals geltender Hypothesen, natürlich mit dem Hintergedanken einer Fundamentierung seiner vermuteten „psychischen Energie“. Man findet einen solchen Hinweis im Zusammenhang mit der „Dissimilationshypothese“ im Kapitel der 2. Vorlesung (siehe auch Abschnitt 2.1.): „Diesen Dissimilationsvorgängen in der Hirnrinde, die durch den elektrischen Strom ausge220 löst werden, entsprechen also auf psychischem Gebiete Empfindungen.“
Ein zweiter Hinweis findet sich in der 7. Vorlesung im Zusammenhang mit dem „psychogalvanischen Reflexphänomen“ (Taranoff-Phänomen), nach dem sich „lebhafte Gefühlsvorgänge mit elektrischen Vorgängen in der Haut verknüpfen“: „[…] dass bei intellektuellen Vorgängen sich das Auftreten von Aktionsströmen, die durch unpolarisierbare Elektroden von der Hand nach einem empfindlichen Galvanometer abgelei221 tet werden können, feststellen lässt.“ 219 Boening, Professor Hans Berger, S. 17–24. 220 Berger, Psychophysiologie in 12 Vorlesungen (2. Vorlesung), S. 23. 221 Ebd. (7. Vorlesung), S. 56.
6.3. „Psychologie“ und „Lokalisation im Großhirn“
149
Erstaunlich ist nun, dass seine akademische Rede 1927 auch nur an wenigen Stellen elektrophysiologische Phänomene im Nervensystem erwähnt. Ab 1919, also ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg zum Ordinarius berufen und damit verantwortlich für die Inhalte der Fachhauptvorlesung geworden, hatte Berger in seiner Lehrtätigkeit den Studenten sicher auch damals bekannte und gesicherte elektrophysiologische Nervenbefunde zu Gehör gebracht. Seine eigene, bereits 1924 gemachte EEG-Entdeckung hat er aber, seiner Persönlichkeitsstruktur entsprechend, mit hoher Wahrscheinlichkeit in seiner Hauptvorlesung zurückgehalten. Seine drei Jahre nach dieser Entdeckung gehaltene Rede weist in jedem Falle darauf hin, denn auch hier hätte das EEG zumindest Erwähnung finden können. Er tat dies jedoch genau so wenig, wie er auch dessen Veröffentlichung erst 1929, also fünf Jahre später, vornahm. Auch hierfür fand H. Boening in seinem Nachruf passende Worte: „Es kennzeichnet Bergers wissenschaftliche Vorsicht und Gründlichkeit, dass von der Entdeckung bis zur ersten ausführlichen Publikation 5 volle Jahre vergingen, ausgefüllt von der Si222 cherung und Analyse des neuen bioelektrischen Phänomens.“
Der heutige Leser findet hingegen in dieser Rede einen kompakten zeitentsprechenden Abriß des Wissensangebots zur Erklärung der „Lokalisation von höheren psychischen Vorgängen“ aus anatomischer, psychologischer und nervenklinischer Sicht, wobei Berger stets eindringlich den klinischen Aspekt betonte. Man kann aber auch erkennen, wie findig Berger hinter diesen drei disziplinären Sichtweisen seine EEG-Entdeckung versteckte. Zunächst erläuterte er ab S. 18 seine eigene Ansicht, nach der für intellektuelle Leistungen jeweils besondere Großhirnregionen, „Impessions- und Engrammfelder“, in Form eines „Assoziationssystems“ verantwortlich sein könnten und formulierte: „Soll es zu einer Störung der intellektuellen Leistungen der höheren psychischen Vorgänge, z.B. zu einem Intelligenzdefekt oder zu einer Geisteskrankheit kommen, so muß das über das 223 ganze Hirn verbreitete Assoziationssystem erkranken.“
Als elektrophysiologischen Befund der Literatur erwähnte Berger im Vorfeld dieser Ansicht lediglich, dass lokale unipolare elektrische Reizungen an scharf umschriebenen Großhirnfeldern („Sinnessphären“, identisch mit „Impressionsfeldern“) Auswirkungen auf viel weitergehende Felder zeigten („Engrammfelder“). Hierauf bezogen versteckte er in einer geschickten Formulierung seine eigene, aus der noch unveröffentlichten EEG-Entdeckung gezogene Schlußfolgerung in einem zweiten „elektrophysiologischen“ Deutungsversuch seiner ganzen Rede auf S. 26: „Es wird wohl so sein, dass im Allgemeinen während des Wachzustandes die gesamte Rinde, wenn ich so sagen darf, in einer gewissen Bereitschaft sich befindet, gewissermaßen unter Strom steht, dass aber nur in ganz bestimmten Gebieten bald da, bald dort, wenn ich mich 224 meines Bildes weiter bedienen darf, der Strom zu Leistungen entnommen wird.“ 222 Boening, Professor Hans Berger, S. 17–24. 223 Berger, Lokalisation im Großhirn, S. 20. 224 Ebd., S. 26.
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6. Anhang
Allerdings erschöpfte sich Bergers Lehrtätigkeit nicht nur in der studentischen Ausbildung. Aus mehreren Publikationen und lokalen und regionalen Fachtagungen geht hervor, dass er auf dem Gebiet der ärztlichen Weiterbildung ebenso aktiv war. Hier sei besonders auf die aus der Publikationsliste Bergers ersichtlichen Veröffentlichungen in den Jahreskursen für ärztliche Fortbildung, in den „Korrespondenzblättern des allgemeinen ärztlichen Vereins Thüringen“ und in allgemeinmedizinischen Zeitschriften hingewiesen. 1920 wurde Berger als Referent für die preußischen ärztlichen Fortbildungskurse über „Die Psychologie und ihre Bedeutung für die ärztliche Praxis“ engagiert. Schließlich engagierte sich Berger für die Aus- und Weiterbildung seiner klinischen Mitarbeiter, obwohl er dabei – und das darf nicht außer Blick bleiben seine Forschungsinhalte weitgehend zurück, ja sogar geheim hielt. Nur seine unmittelbar beteiligten Assistenten waren partiell eingeweiht, wurden aber niemals als Mitautoren, sondern gelegentlich höchstens in Fußnoten seiner Publikationen erwähnt. Aufgrund dessen hatte er eigentlich keine „Berger-Schule“ geformt. Allerdings brachte Berger fünf seiner Assistenten bis zum höchsten akademischen Lehramt in deutschen Universitäten: H. Boening (Gießen), P. Hilpert (Halle), W. Jacobi (Greifswald), K. Kolle (München), R. Lemke (Jena).
6.4. BIBLIOGRAPHIE 6.4.1. Gesamtliste der Publikationen von Hans Berger Degenerationen der Vorderhornzellen des Rückenmarks bei Dementia paralytica, Inaugural Dissertation Universität Jena, Jena 1897. Zelldegeneration im Vorderhorn des Rückenmarks namentlich bei Dementia paralytica. Vorläufige Mitteilung, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 1 (1897), S. 252-254. Degenerationen der Vorderhornzellen des Rückenmarks bei Dementia paralytica, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 3 (1898), S. 1-30. „Hammarberg’s Objektnetzmikrometer“, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie 15 (1898), S. 303. Beiträge zur Kenntnis der Lymphcirculation in der Großhirnrinde, in: Virchow’s Archiv 152 (1898), S. 525. [zusammen mit Otto Binswanger] Ein Beitrag zur Lokalisation in der Capsula interna, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 6 (1899), S. 114-122. Beiträge zur feineren Anatomie der Großhirnrinde, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 6 (1899), S. 405-420. Experimentell-anatomische Studien über die durch den Mangel optischer Reize veranlassten Entwicklungshemmungen im Occipitallappen des Hundes und der Katze, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 33 (1900), S. 521-567. Experimentelle Untersuchungen über die von der Sehsphäre ausgelösten Augenbewegungen, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 9 (1901), S. 185-211. Zur Klinik und pathologischen Anatomie der postinfectiösen und Intoxicationspsychosen, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 34 (1901), S. 107-139. [zusammen mit Otto Binswanger]
6.4. Bibliographie
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Zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle des Menschen, namentlich unter dem Einfluß von Medicamenten: Experimentelle Untersuchungen, Jena 1901. [Gleicher Text in Bergers Habilitationsschrift, Jena 1901] Experimentelle Studien zur Pathogenese acuter Psychosen: Nach einem auf der Jahressitzung des Deutschen Vereins für Psychatrie am 22. April 1903 in Jena gehaltenen Vortrage, in: Berliner Klinischen Wochenschrift 40, Nr. 30 (1903), S. 1-9. Experimentelle Studien zur Pathogenese acuter Psychosen, in: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 60 (1903), o.S. Experimentelle Studien zur Pathogenese der Geisteskrankheiten, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 16(1) (1904), S. 1-18; Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 16(2) (1904), 213-246 und Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39 (1904), S. 239. Ueber die körperlichen Aeusserungen psychischer Zustände. Weitere experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle des Menschen, I. Teil, Jena 1904 und II. Teil, Jena 1907. Ueber die Psychosen des Klimakteriums, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 22 (1907), Ergänzungsheft: Festschrift für Otto Binswanger, S. 13-24. Ueber einen unter dem Bilde des Tetanus verlaufenden Fall von Influenzaencephalitis, in: Medizinische Klinik 4 (1908), S. 861-863. Ueber einen Fall von Tetanie mit Obductionsbefund, in: Medizinische Klinik 4 (1908), S. 1604. Ueber periodische Schwankungen in der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge willkürlicher Bewegungen, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1. Abt. 50 (1908), S. 321-331. Klinische Beiträge zur Melancholie-Frage, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 26 (1909), S. 95-112 und Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 66 (1909), S. 704-706. Ueber die körperlichen Aeusserungen psychischer Zustände, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1. Abt. 56 (1910), S. 299-304. Untersuchungen über die Temperatur des Gehirns, Jena 1910. Organische Psychosen, in: Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1 (1910), o.S. Intoxikationspsychosen, in: Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 2 (1911), o.S. Ueber einen mit Schreibstörungen einhergehenden Krankheitsfall, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 29 (1911), S. 357-366. Ein Beitrag zur Lokalisation der kortikalen Hörzentren des Menschen, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 29 (1911), S. 439-449. Über einen Fall von Totalaphasie, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 30 (1911), S. 79-85. Alkohol und Geisteskrankheiten, in: Alkoholismus (1911), o.S. Erkennung und Behandlung psychischer und nervöser Leiden in Bädern, in: KorrespondenzBlätter des Allgemeinen Ärztlichen Vereins für Thüringen 10 (1911), o.S. Die affektiven Psychosen und die Dementia praecox, in: Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 3 (1912), o.S. Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung von Gehirnblutungen, Gehirnembolien, epileptischen Anfällen und Gehirnerschütterungen auf die Blutzirkulation im Gehirn, in: Monatsschriften für Psychiatrie und Neurologie 31 (1912), S. 399-429. Psychiatrische Betrachtungen über den Vorentwurf des Strafgesetzes, in: Gerichtssaal 80 (1912), S. 209. Traumatische Läsion des Kleinhirns, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 39 (1913), S. 1340 und Münchener Medizinische Wochenschrift 60 (1913), S. 784. Ueber die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung der Blutzufuhr für das Zentralnervensystem des Menschen, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 33 (1913), S. 111-119. Ueber die Reflexzeit des Drohreflexes am menschlichen Auge, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 15 (1913), S. 273-280.
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6. Anhang
Ueber zwei Fälle der juvenilen Form der familiären amaurotischen Idiotie, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 15 (1913), S. 435-442. Ueber die körperlichen Aeusserungen psychischer Zustände, in: Naturwissenschaften 1 (1913), S. 849. Ueber den Nachweis der Spirochaeten des Paralytikergehirns im Tierexperiment, in: Münchener Medizinische Wochenschrift 60 (1913), S. 1921. Klinische Beiträge zur Paranoia-Frage, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 34 (1913), S. 181-229. Zur Psychologie der falschen Literaturangaben, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 60 (1913), S. 652. Neosalvarsan und Zentralnervensystem, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 23 (1914), S. 344-356. Trauma und Psychose mit besonderer Berücksichtigung der Unfallbegutachtung, Berlin 1915. Ueber traumatische Epilepsie, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 63 (1916), S. 801. Neurologische Untersuchungen bei frischen Gehirn- und Rückenmarkverletzungen, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 35 (1917), S. 293-317. Ist die Pupillenstarre in jedem Falle gleichbedeutend mit einer organischen Erkrankung des Nervensystems?, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 14, Nr. 6 (1917), o.S. Ueber einen Fall von Encephalitis subcorticalis chronica, in: Medizinische Klinik 15 (1919), S. 549. [zusammen mit Otto Binswanger] Ueber den Energieumsatz im menschlichen Gehirn, in: Zeitschrift für Psychologie 82 (1919), S. 81-96. Hirn und Seele. Antrittsvorlesung bei Übernahme des Lehrstuhls in Jena, Jena 1919. Ueber die Ergebnisse der psychiatrischen und neurologischen Untersuchungen auf einer Krankensammelstelle, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 47 (1920), S. 335-350. Hirnbefunde bei frischen Kriegsverletzungen. Vortrag auf der 22. Versammlung der mitteldeutschen Psychiater und Neurologen in Halle, in: Zeitschrift für Neurologie, Referate und Ergänzungen 20 (1920), S. 115-116. Untersuchungen über den Zellgehalt der menschlichen Großhirnrinde, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 69 (1921), S. 46-60. Zur Pathogenese des katatonen Stupors, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 68 (1921), S. 448-450 und Zeitschrift für Neurologie, Referate und Ergänzungen 24 (1921), S. 86. Ueber Gehirnbefunde bei schweren Schädelverletzungen und nach Granateinschlag in nächster Nähe, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 63 (1921), S. 311-324. Ueber praktische therapeutische Ergebnisse der gegenseitigen Beeinflussung körperlicher und seelischer Vorgänge und Psychotherapie, in: Adam, Curt (Hrsg.): Die Psychologie und ihre Bedeutung für die ärztliche Praxis. Acht Vorträge gehalten von Hans Berger, Oswald Bumke, Adalbert Czerny, Arthur Leppmann, Hugo Liepmann, Albert Moll und J. H. Schultz (= Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen), Jena 1921, S. 1-15. Psychophysiologie in 12 Vorlesungen, Jena 1921. Untersuchungen über die psychische Beeinflussung der Hauttemperatur, in: Journal für Psychologie und Neurologie 27 (1922), S. 209-221. Ueber Rechenstörungen bei Herderkrankungen des Großhirns, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 69 (1922), S. 649. (Sitzungsbericht) Neuere Anschauungen über die Entstehung, Erkennung und Behandlung der Dementia paralytica, in: Korrespondenz-Blätter des Allgemeinen Ärztlichen Vereins Thüringen 4-6 (1922). Berichtigung zu der Arbeit des Herrn Dr. H. de Jong (Amsterdam): „Die Hauptgesetze einiger wichtiger körperlichen Erscheinungen beim psychischen Geschehen von Normalen und Geisteskranken“, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 74 (1922), S. 628-629. Otto Binswanger zum 70. Geburtstag, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 67 (1923), S. 137.
6.4. Bibliographie
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6. Anhang
Das Elektrenkephalogramm des Menschen, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 79 (1932), S. 1636-1638. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. VI. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 99 (1933), S. 555-574. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. VII. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 100 (1933), S. 301-320. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. VIII. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 101 (1933), S. 452-469. Das Elektrenkephalogramm des Menschen, in: Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 9 (1933), S. 133. Electrencefalograma del hombre, in: Investigación y progresso 1 (1933). Ueber die Tätigkeit des menschlichen Grosshirns, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 80 (1933), S. 844-846. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen, in: Medizinische Welt 7 (1933), S. 928-929. Weitere Ergebnisse der Untersuchung des Elektrenkephalogramms des Menschen, in: Korrespondenz-Blätter des Allgemeinen Ärztlichen Vereins von Thüringen (1933), S. 266. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. IX. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 102 (1934), S. 539-557. Selbstbericht zu dem Aufsatz Kötschaus, in: Hippokrates (1934), S. 318. Die physiologischen Bedingungen der Bewusstseinserscheinungen, in: Zeitschrift für Psychologie 132 (1934), S. 360-370; Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 10 (1934), S. 301 und Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychatrie 73 (1934), S. 409. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 60 (1934), S. 1947-1949. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. X. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 103 (1935), S. 444-454. Ueber die physiologischen Bedingungen der Bewusstseinserscheinungen, in: Psychiatrischneurologische Wochenschrift 37 (1935), S. 65-67. Ueber die Entstehung der Erscheinungen des grossen epileptischen Anfalls, in: Klinische Wochenschrift 14 (1935), S. 217-219. Über das Elektrenkephalogramm des Menschen, in: Naturwissenschaften 23 (1935), S. 121-124. The Electroencephalogram of Man, in: Research and Progress (October 1935), S. 193. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. XI. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 104 (1936), S. 678-689. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. XII. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 106 (1937), S. 165-187. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. XIII. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 106 (1937), S. 577-584. Das Elektrenkephalogramm des Menschen und seine Deutung, in: Naturwissenschaft 25 (1937), S. 193-196 und Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 13 (1937), S. 269-271. Das Elektrenkephalogramm des Menschen und seine psychophysiologische Deutung, in: Industrielle Psychotechnik Heft 7/8 (1937), S. 222. Physiologische Begleiterscheinungen psychischer Vorgänge, in: Bumke, Oswald/Foerster, Otfrid (Hrsg.): Handbuch der Neurologie Bd. 2, Berlin 1937, S. 492. Ueber das Elektrenkephalogramm des Menschen. XIV. Mitteilung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 108 (1938), S. 407-431. Das Elektrenkephalogramm des Menschen, in: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete 108, Heft 3/4 (1938), S. 254-273 und Nova Acta Leopoldina, Bd. 6, Nr. 38, Halle (Saale) 1938, S. 173-309.
6.4. Bibliographie
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Das Elektrenkephalogramm des Menschen und seine Deutung, in: Boll. Soc. Ital. Biol. Sper. 13 (1938), S. 263-270. Psyche, Jena 1940. Das Elektrenkephalogramm des Menschen. Kommentierter Reprint des Erstdruckes aus dem Jahre 1938 (= Jenaer Reden und Schriften), Frankfurt a.M. 1991.
6.4.2. Auswahl zitierter und zu Leben und Werk Bergers verfasster Publikationen Adrian, Edgar Douglas/Matthews, Bryan H. C.: The Berger Rhythm. Potential changes from the occipital lobes in man, in: Brain 57, Part 4 (1934), S. 355-384. Ders./Yamagiwa, K.: The origin of the Berger Rhythm, in: Brain 58 (1935), S. 323-351. Ders.: The Discovery of Berger, in: Rémond, Antoine (Ed.): Handbook of Electroencephalography and Clinical Neurophysiology, Amsterdam 1971, 1A, S. 5-24. Andreae, Horst: Der grosse Psychiater Professor Hans Berger, in: Das Krankenhaus 58 (1966), S. 270-271. Bear, Mark F./Connors, Barry W./Paradiso, Michael A.: Neurowissenschaften: Ein grundlegendes Lehrbuch für Biologie, Medizin und Psychologie, 3. Auflage [Übersetzung der 3. amerikanischen Auflage, 1. deutsche Ausgabe] Heidelberg 2009. von Bechterew, Wladimir M.: Psyche und Leben (= Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens; Bd. 16), 2. Auflage Wiesbaden 1908. Bernstein, Julius: Elektrobiologie: die Lehre von den elektrischen Vorgaޠngen im Organismus auf moderner Grundlage dargestellt (= Die Wissenschaft; Bd. 44), Braunschweig 1912. Bielschowsky, Max: Allgemeine Histologie und Histopathologie des Nervensystems, in: Bumke, Oswald/Foerster, Otfrid (Hrsg.):Handbuch der Neurologie, Bd. 1, Berlin 1935. Bing, Robert: Besprechung des Buches von Hans Berger „Über die Lokalisation im Großhirn“, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 45 (1927), o.S. Birbaumer, Niels/Schmidt, Robert Franz: Biologische Psychologie (= Springer Lehrbuch), 6. vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage Berlin/Heidelberg 2006. Bleuler, Eugen: o.T., in: Münchner Medizinische Wochenschrift 35 (1921), o.S. Boening, Heinrich: Professor Hans Berger †, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 114 (1942), S. 17-24. Borck, Cornelius: Hirnströme – Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, Göttingen 2005. Bruns, Oskar: Über die Leistungsfähigkeit der Plethysmographie, in: Münchner Medizinische Wochenschrift 43 (1924), S. 1491-1493. Buchheim, Hans: Die SS – das Herrschaftsinstrument. Befehl und Gehorsam (= Anatomie des SSStaates; Bd. 1), München 1989. Dale, Henry Hallet: Acetylcholine as a chemical transmitter of the effects of nerve impulses, in: Journal of Mount Sinai Hospital 4 (1938), S. 401. Dietsch, Günther: Fourier-Analyse von Elektrencephalogrammen des Menschen, in: Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie 230 (1932), S. 106. Dixon, W. E.: On the mode of Action of Drugs, in: Medical Magazine 16 (1907), S. 454. Drohocki, Zenon: Die spontane elektrische Spannungsproduktion der Großhirnrinde im Wach- und Ruhezustand, in: Pflügers Archiv 239 (1937), S. 658. Eccles, John Carew: Interpretation of action potentials evoked in the cerebral cortex, in: Electroencephalography and Clinical Neurophysiology 3 (1951), S. 449. Elliot, R. R.: The Action of adrenaline, in: Journal of Physiology 32 (1905), o.S. Ernst, A.: Die Frage der Deutung der plethysmographischen Erfahrungen, in: Archiv für die gesamte Psychologie 50 (1925), S. 145f.
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6. Anhang
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6. Anhang
160
Dies./Zimmermann, Thomas: Die Medizinische Fakultät der Universität im „Dritten Reich“ – ein Überblick, in: Hoßfeld, Uwe/John, Jürgen/Lemuth, Oliver/Stutz, Rüdiger (Hrsg.): „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/ Wien 2003, S. 401-436.
6.5. ÜBERSICHT ÜBER DIE AN DER FRIEDRICH-SCHILLER-UNIVERSITÄT BEFINDLICHEN QUELLEN ZU HANS BERGER 6.5.1. Universitätsarchiv Jena Unterlagen zum akademischen und persönlichen Werdegang: UAJ, Bestand BA, Nr. 428, 922, 2124, 2153 UAJ, Bestand C, Nr. 390. UAJ, Bestand L, Nr. 239, 242, 251, 261, 268, 269, 270, 271, 272, 274, 280. UAJ, Bestand D, Nr. 176 (Personalakte Hans Berger) UAJ, Bestand V, Abt. XLVI (Nachlass Hans Berger), enthält u.a.: Publikationen/ Druckvorlagen von Publikationen Hans Bergers, Sonderdrucke, Patientenunterlagen/ Gutachten, Photogramme, Zeichnungen, Photos (wissenschaftlich, Porträts, Kliniksbauten), Unterlagen zu Lehrveranstaltungen, Schriftwechsel, persönliche Unterlagen. Zu Bergers Tätigkeit in der Medizinischen Fakultät (u.a. Dekan, Kliniksdirektor) und als Rektor befinden sich die dazugehörigen Unterlagen in den entsprechenden Beständen der Medizinischen Fakultät (Bestand L) sowie den Beständen von Rektor und Senat (Bestand BA), Kuratel (Bestand C), Universitätsbauamt (CB) und Quästur (G II).
6.5.2. Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik „Ernst-Haeckel-Haus“ Tagebücher Hans Bergers: I (1891/98), II (1910/11), III (1911/13), IV (1913/15), V (1930/36), VI (1936/41) sowie 3 Hefte Kriegstagebücher (1915-1919).
6.6. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Alle verwendeten Abbildungen entstammen den Beständen der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) und dem Archiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena (UAJ).
6.7. Personenregister
161
6.7. PERSONENREGISTER
Adrian, Edgar Douglas 95f., 108, 119, 124, 131, 137, 139 Aksel, I. S. 138 Arrhenius, Svantes 21 von Bardeleben, Karl 140 Bechterew, Wladimir M. von 36f. Benedek, L. 137 Berger, Anna 9 Berger, Klaus 10 Berger, Ilse 10 Berger, Rosemarie 10 Berger, Ruth 10 Berger, Paul Friedrich 9 Bernstein, Julius 127, 129 Berze, Josef 109 Biedermann, Wilhelm 140 Bielschowsky, Max 30, 47 Binet 84 Bing, Robert 34 Binswanger, Otto 10, 13f., 18, 21, 129, 140144 Birbaumer, Niels 134, 136 Bleuler, Eugen 34 Boening, Heinrich 138, 146-150 Borck, Cornelius 12, 93, 96, 137f. Brodmann, Korbanian 14, 40, 84, 130 Bruns, Otto 83f. Freiin von Bülow, Ursula 10, 138 Cajal, Santiago Ramon y 25f., 29 Cannon, Walter 137 Dale, Henry Hallet 33 Dawidenkow, Sergej Nikolaevi 83 Detmer, Wilhelm 140 Dietsch, Günther 99 Dixon, W. E. 32 Drohocki, Zenon 121f. Dusser de Barenne, J.G. 109, 111 Eccles, John Carew 134 Einstein, Albert 35 Elliot, R. R. 32 Elsberg 23 Ernst, A. 83 Erlanger, J. 138 Eucken, Rudolf 140 von Euler, Ulf Svante 33f., 137 Fechner, Gustav Theodor 19, 38, 86 Fischer, Gustav 29, 34, 43 Fischer, Max 95 Flechsig, Paul 26, 30
Fürbringer, Paul 140 Gasser, H. S. 138 Gärtner, August 140f. Gerhard, Uwe-Jens 137 Gibbs, Frederic A. 101f. Golgi, Camillo 25, 28 von Grot, N. 21 Haeckel, Ernst 23, 140 Haeckel, Heinrich 140 Hammarberg, Carl 28 Haschke, Wolfgang 15 Hebb, Donald O. 34 Heisenberg, Werner Karl 35 Henschen, S. 138f. Hering, Heinrich Ewald 25 Hillarp 33 Hilpert, Paul 146f., 150 Höber, Rudolf 127 van’t Hoff, Jacobus Henricus 21 Jacob 30 Jacobi, Walter 145, 150 Jung, Richard 93 Kessel, Johannes 140f. Kihn, Berthold 10 Knorr, Ludwig 140 Kolle, Kurt 69, 118, 137, 139, 150 Kornmüller, Alois Eduard 95f., 111 von Krehl, Ludolf 140f. Kühne, Gert-Eberhard 15 Kükenthal, Willy 140 Lasswitz, Kurd 21 Lehmann, Alfred 35, 40-43, 49, 82, 90 Leibniz, Gottfried Wilhelm 19 Lemke, Rudolf 14f., 147, 150 Leubuscher, Georg 141 Liepert, Joachim 136 Loewi, Otto 33 Lohmann, Karl 33 Matthes, Hermann 140 Matthews 95f. Mayer, Robert 18, 21 Mayer, Sigmund 47 Mc Culloch, Warren S. 109-111 Miltner, Wolfgang H. R. 136 von Monakow, Konstantin 28, 30 Mosso, Angelo 40-43, 45, 47-50, 82, 84, 98 Mühlau, Gerhard 15 Müller, Robert 83 Müller, Wilhelm 140f.
162 Munk, Hermann 28 [Prawdicz-]Neminski, Wladimir W. 105 Nernst, Walther Herrmann 86 Ostwald, Wilhelm 21f., 35, 37, 85 Pflüger, Eduard 22f. Planck, Max 35 Putnam, Tracy 137 von Ranke, Leopold 9 Redaelli, P. 137 Riedel, Bernhard 140f. Resnikow, M. 83 Röther, Joachim 136 Rohracher, Hubert 124, 134 Rückert, Carl Albrecht Heinrich 9 Rückert, Friedrich 9 Schmidt, Robert F. 134 Schrenk, Martin 21 Schultze, Bernhard 140f. Semon, Richard W. 140 Skutsch, Felix 141 Sollier, Paul 84 Stintzing, Roderich 140f.
6. Anhang
Stöhr, Philipp 47 Straubel, Rudolf 86 Strohmeyer, Wilhelm 14 Tönnies 95 von Tschermak, Armin 127 Verworn, Max 19, 22-31, 35ff. 68, 140 Vogt, Cecile 14, 30 Vogt, Oskar 14, 30 Wagenmann, August 140f. Weber, Ernst 90 Weigert, Karl 28 Weiller, Cornelius 136 Weiss, Thomas 136 Werner, Roland 15 Wernicke, Karl [auch: Carl] 27f. Wieczorek, Valentin 15, 139 Wien, Max 99 Wundt, Wilhelm M. 20, 39, 42 Ziehen, Theodor 10, 14, 18, 21, 28, 40, 140f. Zimmermann, Susanne 10f. Zwiener, Ulrich 15
7. FAKSIMILES