Das Verhältnis von Staat und Ökonomie: Walter Euckens Ordoliberalismus im Angesicht der Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols [1 ed.] 9783428554119, 9783428154111

Ausgehend von den zentralen Argumenten der Ordnungstheorie und -politik Walter Euckens widmet sich die vorliegende Arbei

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Das Verhältnis von Staat und Ökonomie: Walter Euckens Ordoliberalismus im Angesicht der Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols [1 ed.]
 9783428554119, 9783428154111

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Philosophische Schriften Band 95

Das Verhältnis von Staat und Ökonomie Walter Euckens Ordoliberalismus im Angesicht der Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols

Von Jakob Friedrich Scherer

Duncker & Humblot · Berlin

JAKOB FRIEDRICH SCHERER

Das Verhältnis von Staat und Ökonomie

Philosophische Schriften

Band 95

Das Verhältnis von Staat und Ökonomie Walter Euckens Ordoliberalismus im Angesicht der Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols

Von

Jakob Friedrich Scherer

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-15411-1 (Print) ISBN 978-3-428-55411-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85411-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Para Verónica y Lía

Vorwort Das Suchen nach einer auf Freiheitlichkeit und Stabilität beruhenden globalen Wirtschaftsordnung, das auch Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war, ist stark biographisch motiviert: Während meiner Kindheit und Jugend habe ich viele Jahre in Hong Kong gelebt, wo ich Eindrücke immenser gesellschaftlicher Umbrüche gewinnen konnte. Die im Zuge dessen zu Tage tretende ökonomische Dynamik, durch welche Millionen von Menschen aus der Armut befreit werden konnten, prägte meinen Blick auf die Welt genauso wie die dadurch entstandenen sozialen, ökologischen und menschlichen Kosten. Vor diesem Hintergrund möchte ich vor allem Prof. Schmidt-Biggemann, dem Erstgutachter dieser Arbeit, danken. Er hat die Triebfedern meines akademischen Unterfangens geschätzt und gefördert. Und er ist ein beeindruckender sowie großzügiger Gesprächspartner – nicht nur für den Zusammenhang dieser Arbeit, sondern für schlichtweg alle Fragestellungen, die das philosophische Bemühen lohnenswert machen. Berlin, im März 2018

Jakob Scherer

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Teil

Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik 

§ 1 Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . I. Die wissenschaftliche Verankerung als argumentative Meta-Struktur  . . 1. Euckens Suche nach „Evidenten Vernunftwahrheiten“ . . . . . . . . . . . . 2. Der „Idealtypus“ als methodologischer Weg zur „Wahrheit“ . . . . . . . 3. „Wissenschaft“ als Grundlage für Euckens politische Ökonomie? . . . II. Plan und Ordnung: über die Handlungsstruktur in der Gemeinschaft . . . 1. Der „Wirtschaftsplan“ und der Beginn aller Ökonomie . . . . . . . . . . . 2. Die „idealtypischen Formelemente“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Freiheit, Macht und das Primat der Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das „wirtschaftliche Prinzip“ als Prinzip allen Handelns . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftliche Macht als Verhinderung sozialer Freiheit . . . . . . . . . . 3. Preise und „Ordo“: Die Wettbewerbsordnung und das Primat der Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 18 19 20 22 25 29 30 31 33 34 37 40 45

§ 2 Das Primat der Ökonomie in den Begriffen der thomistischen Rechtslehre . 46 I. „Ordo“ zwischen Naturrecht und einer „wertefreien Wissenschaft“ . . . . 48 II. Thomas von Aquins Rechtslehre: eine liberale Annäherung . . . . . . . . . . 52 1. Ewige Ordnung, Einsicht und praktische Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Die lex humana als formale Regulierung äußerer Freiheiten . . . . . . . 60 III. Die thomistische Struktur des ordoliberalen Naturrechts . . . . . . . . . . . . 66 1. Euckens Einsichten in die lex aeterna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Der „Wirtschaftsplan“ als Ausdruck menschlicher Zweckgerichtetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Der Preis als formale Realisierungsbedingung des guten Lebens  . . . 74 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Teil

Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“  

79

§ 3 Die Wettbewerbsordnung in den Begriffen des Vernunftrechtes . . . . . . . . . . 83 I. Kants „Pflichten des Rechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

10 Inhaltsverzeichnis II. Machtfreiheit als Bedingung für ein „würdevolles“ Leben . . . . . . . . . . . 86 III. Euckens radikale Verpflichtung staatlicher Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . 91 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 § 4 Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ . . . . . . . . I. Die Entscheidung als politische Dimension der „Großen Antinomie“ . . II. Macht, Normalität und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatlichkeit und „Pluralismus“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der „starker Staat“ als ordoliberale Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordnungspolitik zwischen Naturrecht und Staatspositivismus . . . . . . 2. Euckens Überwindung des Politischen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Ordo“ und die Bedingungen der freiheitlichen Gesellschaft . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 97 100 104 109 110 115 123 127

3. Teil

„Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat 

129

§ 5 Euckens Ordoliberalismus und die Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Mangelnde Regulierung im „Raum der Ströme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Vermeidung von Sozial- und Umweltstandards und Steuerwett­ bewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Hyperglobalization und „Ordo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. „Ordo“ in globaler Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Die ordoliberale Globalisierungsbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Globales Laissez-faire gegen nationalstaatliches „Ordo“ . . . . . . . . . . 153 a) Über das Spannungsverhältnis von Nationalstaat und Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Das Verhältnis von Zweck und Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Zwischen globalem Laissez-faire und nationaler Regulierung . . . . 157 III. Weltmarkt und Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Wider die einzelstaatliche Isolation und die hegemoniale Expansion . 161 a) Einzelstaatliche Isolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Hegemoniale Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Die Aporien des globalen Ordo: Das Ende der Nationalstaatlichkeit  . 164 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Gesamtfazit / Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Einleitung Den Zielpunkt der vorliegenden Arbeit bildet die Frage nach der Zukunft bzw. der Zukunftsfähigkeit des historisch gewachsenen Nationalstaates im Angesicht global integrierter Güter- und Finanzmärkte und der damit einhergehenden Verschiebung nationalstaatlicher Regulierungsfähigkeit. Ausgangspunkt für die Analyse jener Konstellation bilden die Begriffszusammenhänge des Ordoliberalismus, welcher durch seinen Einfluss auf die Konzeption der „Sozialen Marktwirtschaft“ sowie auf das Design der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion die wohl einflussreichste deutschsprachige politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts darstellt.1 Für diesen Zusammenhang wird unter „ordoliberal“ in erster Linie das Werk Walter Euckens verstanden – dafür sprechen ein rein inhaltlicher sowie ein zuvorderst pragmatischer Grund. Zum einen ist es allgemein anerkannt, dass Eucken den Ausgangspunkt für die Begrifflichkeiten und die Stoßrichtung der gesamten Denktradition des Ordoliberalismus bildet.2 Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass z. B. Lüder Gerken und Andreas Renner grundsätzlich zwischen zwei Gruppen von Ordoliberalen unterscheiden, zwischen dem „Kreis jener Wissenschaftler – und Politiker […], die sich der ordnungspolitischen Konzeption Euckens verpflichtet fühlen“ und denjenigen, die „weitgehend unabhängig von Eucken ähnliche Ansätze entwickelt“ hätten.3 Zum anderen soll im Zuge der vorliegenden Arbeit eine möglichst hohe begriffliche Klarheit in Hinblick auf den Ordoliberalismus und seine Terminologie geschaffen werden, um ihn vor allem auf die ihm inhärenten Schwachstellen und Widersprüche hin untersuchen zu können. Auch deshalb soll es vermieden werden, dass es bereits bei der Zusammenführung verschiedener ordoliberaler Autoren zu begrifflichen Spannungsfeldern kommt, deren Überwindung für 1  Vgl. z. B. Hauke Brunkhorst, Das doppelte Gesicht Europas: zwischen Kapitalismus und Demokratie, Berlin: Suhrkamp, 2014, S. 62–7. 2  Vgl. z. B. Ralf Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft: Stationen des Neoliberalismus in Deutschland, Opladen: Leske + Budrich, 2004, S. 109; Edgar Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, Heidelberg: Kerle [u. a.], 1961, S. 274; Heinz Rieter/Matthias Schmolz, „The ideas of German Ordoliberalism 1938–45: pointing the way to a new economic order“, The European Journal of the History of Economic Thought 1, Nr. 1 (1993): S. 96 f. 3  Lüder Gerken/Andreas Renner, „Die ordnungspolitische Konzeption Walter Euckens“, in: Walter Eucken und sein Werk: Rückblick auf den Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, hrsg. von Lüder Gerken, Tübingen: Mohr Siebeck, 2000, S. 15.

12 Einleitung

sich genommen bereits ein hohes Maß an konzeptioneller Arbeit erfordern würde. Für den Kontext dieser Arbeit heißt das: Es wird zwar neben Eucken auch auf andere ordoliberale Autoren verwiesen, die unter Umständen sogar Mitbegründer der Freiburger Schule waren, – allerdings nur zur erklärenden Unterstützung und Flankierung für ein besseres Verständnis der Position Walter Euckens und gerade nicht des Ordoliberalismus als Ganzem. In diesem Zusammenhang sei auf zwei weitere Elemente der vorliegenden Auseinandersetzung mit Euckens Staatsbegriff verwiesen: Erstens wird Eucken in Hinsicht auf alle hier verwendeten Texte als Wirtschafts- bzw. als Rechtsphilosoph gelesen. In der Auseinandersetzung mit seinen Begrifflichkeiten soll es vor allem um deren normativen Gehalt sowie deren Implika­ tionen für die richtige Konfiguration von Staat und Ökonomie gehen. Damit wird auch das Risiko eingegangen, Eucken in manchen Bereichen überhaupt erst zu einem Staatsphilosophen zu machen und Konsequenzen aus seinen Überlegungen zu ziehen, denen er sich selber nicht in vollem Umfang bewusst gewesen sein mag. Zweitens ist es, wie bereits angedeutet, das Ziel dieser Arbeit, Walter Eucken als zutiefst widersprüchlichen und inkonsistenten Denker vorzustellen, um ihm im Zuge dessen, sowohl in Hinblick auf seine rein begriffliche Komplexität als auch hinsichtlich der sehr bewegenden Zeiten, in denen seine Hauptwerke entstanden sind (zwischen 1932 und 1948), gerecht zu werden. Dieser Ansatz versucht sich dadurch von bestimmten einflussreichen Rezeptionen Walter Euckens abzusetzen, die sich in zwei Gruppen unterteilen lassen: diejenigen, die Euckens Ordnungstheorie und -politik zu dem normativen Referenzpunkt aller politischen Ökonomie schlechthin machen, deren Inhalte vor allem durch eine angemessene Exegese dargelegt und plausibilisiert werden können,4 und diejenigen, die Eucken unterstellen, bei seinen Ausführungen gewissermaßen schlechte Absichten verfolgt zu haben, d. h. für diesen Kontext vor allem, auf einen autoritären Staat hingearbeitet und dieses mit Begriffen wie „ökonomische Freiheit“, „Ordo“ etc. verschleiert zu haben.5 Interessant ist in diesem Zusammenhang, 4  Vgl. dazu z. B. Nils Goldschmidt, „Die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft aus dem Geiste der Religion“, in: 60 Jahre Soziale Marktwirtschaft, hrsg. von Michael S. Assländer und Peter Ulrich, Bern: Haupt Verlag, 2009, S. 27–44; Otto Schlecht, „Zur Ethik in Euckens Werk“, in: Freiheit und wettbewerbliche Ordnung: Gedenkband zur Erinnerung an Walter Eucken, hrsg. von Bernhard Külp und Viktor Vanberg, Freiburg: Haufe, 2000, S. 59–74; Walter Oswalt, „Was ist Ordnungspolitik?“, in: Ordnungspolitik, hrsg. von Walter Oswalt, Münster: Lit, 1999, S. 59–92. 5  Vgl. z. B. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft; Dieter Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft: Gesellschaft und Politik im Ordoliberalismus, Baden-Baden: Nomos, 1991; Werner Abelshauser, „Die Epochendeutung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland“, in: Ordnungspolitische Weichenstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg, hrsg. von Werner Abelshauser, Dietmar Petzina, und Verein für Socialpolitik, Berlin: Duncker & Humblot, 1991, S. 11–29.

Einleitung13

dass beide Gruppen zwar eine Widersprüchlichkeit im Denken Walter Euckens ausmachen, dass sie aber dennoch für die Auflösung der daraus entstehenden Spannungen plädieren, entweder um Eucken vor sich selber (oder vor der von ihm verwendeten Terminologie Carl Schmitts) zu schützen6 oder um ihm abzusprechen, staatliche Macht überhaupt in irgendeinem relevanten Sinne binden zu wollen.7 Von dieser Dichotomie bewusst abzuweichen bzw. sie anzunehmen, ist allerdings auch keinesfalls gleichbedeutend damit, die diesen Schriften zugrundeliegenden Analysen als falsch abzulehnen. Das wäre im Angesicht ihrer Vielfalt sowie ihrer Qualität schlichtweg vermessen. Vielmehr soll im Zuge der hier dargelegten Argumente auf die Vorarbeit sowohl der Unterstützer als auch der Kritiker Euckens zurückgegriffen werden, um sie in letzter Konsequenz so zusammenzuführen, dass Eucken selber in seiner Widersprüchlichkeit verstanden werden kann: als Wissenschaftler und als Ethiker sowie als Naturrechtler und als Staatspositivist. Damit rücken in Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung ordoliberaler Begriffsmuster für den Zusammenhang global integrierter Märkte folgende drei Problemstellungen, die sich auf insgesamt fünf Kapitel verteilen, ins Zentrum der vorliegenden Arbeit: Erstens, wie lassen sich die ordoliberalen Maßstäbe für die Legitimität ökonomischer Ordnungen begründen (Teil 1)? Zweitens, in welchem Verhältnis stehen Staat und Ökonomie dabei zueinander und welche Rolle kommt dem Staat bei der Durchsetzung einer ordoliberalen Wirtschaftsordnung zu (Teil 2)? Und drittens, welche Auswirkungen hat die Internationalisierung von wirtschaftlicher Macht auf das Verhältnis von Staat und Ökonomie bzw. welche Handlungsoptionen bieten sich dahingehend einem ordoliberal konfigurierten Staat (Teil 3)? Ziel von § 1 ist vor diesem Hintergrund die Darstellung der normativen Grundlagen der politischen Ökonomie Walter Euckens.8 Dabei soll vor allem skizziert werden, wie Eucken im Rahmen seiner eigenen Begrifflichkeit von einer positiven und die „wirtschaftliche Wirklichkeit“ erfassenden Nationalökonomie zu einer normativen Vorstellung davon, wie die Wirtschaftsord6  Vgl. Hans-Georg Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, in: 50 Jahre Soziale Marktwirtschaf, hrsg. von Dieter Cassel, Stuttgart: Lucius & Lucius, 1998, S. 72–5; Thomas Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken: zu den staats- und rechtstheoretischen Grundlagen einer wirtschaftsordnungspolitischen Konzeption, Frankfurt am Main/New York: P. Lang, 1993, S. 156–60. 7  Vgl. Uwe Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, Mohr Siebeck, 1971, S. 134; Ludolf Herbst, Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft: die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939–1945, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1982, S. 148–9. 8  Teile von § 1 wurden einer vom Autor verfassten, nicht-veröffentlichten Magisterarbeit entnommen, die im Jahr 2010 an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Philosophie unter dem Titel Walter Euckens Entwicklung zum Liberalen eingereicht wurde.

14 Einleitung

nung zu sein habe („Ordnung im Sinne von Ordo“), gelangt. Damit soll allem die begriffliche Grundlage für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit gelegt werden. In § 2 soll Euckens Ordoliberalismus von der Argumentationsstruktur her als eine liberale Version der thomistischen Naturrechts- und Rechtslehre dargestellt werden. Dieser Schritt hat im Kontext der vorliegenden Arbeit vor allem die Funktion, das in der Forschung durchaus umstrittene Selbstverständnis des Ordoliberalismus in Hinblick auf das Primat der Ökonomie als ethischen, vorrechtlichen sowie universalistischen Begriffszusammenhang auch argumentativ zu belegen. Im Anschluss daran widmet sich § 3 der ökonomischen Bindung ordoliberaler Staatlichkeit.9 Dabei wird vor allem auf den Umstand eingegangen, dass Eucken die Implikationen seines an sich thomistisch strukturierten Naturrechts mithilfe von Begriffen des kantischen Vernunftrechts zu plausibilisieren versucht, und dass ihn dies im Angesicht seines spezifischen Ökonomieverständnisses zu einem radikalen Funktionalisten in Hinblick auf die vorrechtliche Bindung staatlicher Herrschaft macht. In § 4 wird dann auf die Bedingungen eingegangen, unter denen Eucken glaubt, seine Vorstellung eines universalistischen, ökonomischen und radikal funktionalistischen Naturrechts zu verwirklichen. Dabei spielt vor allem eine Rolle, dass Eucken sein ordoliberales Naturrecht mit Kernelementen des hobbesianisch geprägten Staatspositivismus Carl Schmitts verbindet, und dabei gleichzeitig versucht, die bisweilen autoritären sowie teilweise nationalsozialistischen Implikationen Schmitts, die auch Eucken durchaus unterstellt wurden, zu vermeiden. Dass diese Zusammenführung gegensätzlicher Begriffsmuster jedoch nicht ohne begriffliche Inkonsistenzen zu haben ist, wird dabei ein Hauptaugenmerk dieses Kapitels darstellen. Ausgehend davon wird in § 5 ein mit konkreten Beispielen versehenes Gedankenexperiment über Zielsetzung und Handlungsfähigkeit eines im ordoliberalen Sinne starken Staates im Angesicht global integrierter Finanzund Gütermärkte skizziert. In diesem Zusammenhang wird argumentiert werden, dass es sich bei Euckens Ordoliberalismus im Kern um ein kosmopolitisches Projekt handelt, wonach die Verpflichtung und Bindung aller staatlicher Macht zumindest im Angesicht globaler ökonomischer Interdependenzen über den Schutz der eigenen Bevölkerung hinausgehen sollte.10 9  Auch Teile von § 3 wurden einer vom Autor verfassten, nicht-veröffentlichten Magisterarbeit entnommen, die im Jahr 2010 an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Philosophie unter dem Titel Walter Euckens Entwicklung zum Liberalen eingereicht wurde. 10  „Kosmopolitisch“ wird dabei so verstanden, dass in einer globalen Ordnung alle Menschen in einer moralisch relevanten Beziehung zueinander stehen und dass sie

Einleitung15

Dabei wird gezeigt werden, dass sich der ordoliberale Staat vor dem Hintergrund der in § 3 und § 4 dargelegten Widersprüche zwischen Naturrecht und Staatspositivismus in einem Trilemma befindet: Denn alle drei Handlungsoptionen, die ihm prinzipiell zur Schaffung einer mit dem Ordoliberalismus kompatiblen globalen Ordnung offenstehen, enden in konzeptionellen Aporien.

infolgedessen über die gleichen institutionell garantierten Rechte verfügen sollten, vgl. z. B. Thomas Winfried Menko Pogge, „Cosmopolitanism and Sovereignty“, in: Global responsibilities, hrsg. von Thomas Winfried Menko Pogge, Darrel Moellendorf, und Keith Horton, St. Paul, MN: Paragon House, 2008, S. 355–64.

1. Teil

Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik Unter welchen Bedingungen sollte es einem Staat erlaubt sein, in die Strukturen und die Prozesse einer Volkswirtschaft einzugreifen? Diese Frage bildet den Ausgangspunkt für den nachfolgenden Versuch, die Legitimation sowie die Grenzen politischer Herrschaft aus Sicht des Ordoliberalismus und seiner Ordnungspolitik zu definieren. Dabei sind für die Ordnungspolitik die Begriffe „Freiheit“ und „Macht“ konstitutiv. Sie stehen bei Walter Eucken, dem aus Sicht der ökonomischen Theoriebildung relevantesten Gründungsmitglied des Ordoliberalismus,1 in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander und werden beide von der im Kern thomistischen Annahme abgeleitet, wonach alle natürlichen Dinge – und damit auch der Mensch – nach einem Zweck streben würden (omne agens agit propter finem).2 Ausgehend von dieser Prämisse gelangt Eucken zu einem Begriff von „Markt“ als die konkret realisierte Bedingungsstruktur, im Rahmen derer wirtschaftende Akteure sich in Abstimmung mit anderen Akteuren diejenigen Mittel zu eigen machen können, die sie für die Verfolgung ihrer Zwecke benötigen. Märkte stellen damit in jedem gesellschaftlichen System (sofern sie nicht mit Gewalt unterdrückt werden) Kondensationspunkte menschlichen Handelns dar, von deren Analyse wiederum sich unmittelbare Rückschlüsse auf den tatsächlich realisierten Grad sozialer und wirtschaftlicher Freiheit ziehen lassen. Dabei stellt die „vollständige Konkurrenz“ für Eucken die einzig legitime Wirtschaftsordnung dar, weil sie das Phänomen privatwirtschaftlicher Macht vollständig beseitigen würde und somit, wie Karl Schiller es ausgedrückt hat, ein „Höchstmaß an sozialer Kapillarität“ im Sinne einer privilegienfreien Sozial- und Wirtschaftsordnung ermögliche.3 Dies soll im Folgenden als 1  Vgl. z. B. Rieter/Schmolz, „The ideas of German Ordoliberalism 1938–45“, S. 96; Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 274; Gerken/Renner, „Die ordnungspolitische Konzeption Walter Euckens“, S. 15. 2  Eucken selber spricht in diesem Zusammenhang von „Wirtschaftsplänen“, nach denen sich „zu allen Zeiten und überall […] das menschliche Wirtschaften“ vollziehe, vgl. Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 9., unveränderte Auflage, Berlin/New York: Springer-Verlag, 1989 [1940], S. 78. 3  Karl Schiller, Sozialismus und Wettbewerb, Hamburg: Verlagsgesellschaft deutscher Konsumgenossenschaften, 1955, S. 34.



1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik17

Primat der Ökonomie verstanden werden, als das universal gültige Recht eines jeden Einzelnen, ohne Einschränkungen durch andere seine Potenziale realisieren, seine Zwecke verfolgen und sein Leben planen zu können. Markt und Preismechanismus auf eine bestimmte Art und Weise funktionieren zu lassen, ist folglich die zentrale Aufgabe, die aller Wirtschaftspolitik zukommen müsse. Anders ausgedrückt: Über eine spezifische Konstituierung und Regulierung der Märkte gelte es, die negativen Implikationen wirtschaftlicher Freiheit (allen voran die Auswüchse privatwirtschaftlicher Macht) zu vermeiden bzw. zu zerstören, um dadurch die Bedingungen einer im formalen Sinne freiheitlichen Gesellschaft zu garantieren. Ziel von § 1 und 2 ist es, diese Argumentation Euckens zu rekonstruieren, die ihr zugrundeliegenden Prämissen herauszustellen und im Zuge dessen die begriffliche Grundlage des im Rahmen der vorliegenden Arbeit verwendeten Verständnisses von Ordoliberalismus zu legen. In diesem Zusammenhang soll gezeigt werden, warum Euckens Ordoliberalismus zumindest von seiner Argumentationsstruktur her ein naturrechtliches Projekt in der Tradition Thomas von Aquins darstellt – ein Umstand, den Eucken selber weder als Ziel noch als Ergebnis seines ordnungstheoretischen und -politischen Unterfangens verstanden wissen wollte.4 Hierfür wird als Bewertungsmaßstab die allgemein gehaltene Beschreibung des klassischen Naturrechts, die der australische Philosoph John Finnis formuliert und die er zur Grundlage seines liberalen Verständnisses vom thomistischen Naturrecht gemacht hat, herangezogen.5

4  Eucken zufolge sei ein „unmittelbares Naturrecht“ nicht dienlich dazu, um der Komplexität ökonomischer Ordnungen gerecht zu werden. An anderer Stelle verweist Eucken sogar explizit darauf, dass es sich bei seinen Ausführungen nicht um „rechtsdogmatische und nicht um naturrechtliche Prinzipien“ handeln würde, die gar „aus der Natur des Menschen deduziert“ worden wären, vgl. Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, hrsg. von Edith Eucken und Karl Paul Hensel, 6. Auflage, Tübingen: J. C. B. Mohr, 1990 [1952]), S. 290 und S. 347. 5  Vgl. John Finnis: „[T]hat one comes to understand human nature only by understanding human capacities, and these capacities in turn only by understanding the acts which actualize them, and those acts only by understanding their ‚objects‘, that is, the goods they intend to attain.“ John Finnis, „Natural Law: The Classical Tradition“, in: The Oxford Handbook of Jurisprudence and Philosophy of Law, hrsg. von Jules L. Coleman und Scott J. Shapiro, New York: Oxford University Press, 2002, S. 8. Auch die Definition von Strauss ließe sich an dieser Stelle anführen. Ihm zufolge gilt: „Natural right in its classical form is connected with a teleological view of the universe. All natural beings have a natural end, a natural destiny, which determines what kind of operation is good for them.“ Leo Strauss, Natural Right and History, Chicago: University of Chicago Press, 1965 (1953), S. 7.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft Im Ordoliberalismus lassen sich „Ordnungstheorie“, als die Gesamtheit aller wissenschaftlich-positiven Erkenntnisse in der Nationalökonomie, und „Ordnungspolitik“, als normative Richtlinie für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung, nur schwer voneinander trennen.6 Sie bilden vielmehr einen fließenden Übergang, der der ordoliberalen politischen Ökonomie ihr naturrechtliches Fundament verleiht. Dabei gilt es im Angesicht der zahlreichen Bedeutungen, die dem Begriff „Naturrecht“ zukommen können,7 in einem ersten Schritt zu untersuchen, wie genau die Konzeptionen von Ordnungstheorie und Ordnungspolitik miteinander verknüpft sind. Erst auf dieser Grundlage kann infolgedessen herausgearbeitet werden, dass es sich bei Euckens Ordoliberalismus von der Argumentationsstruktur her um ein liberales Naturrecht in der Tradition Thomas von Aquins handelt (vgl. dazu § 2). Damit werden folgende Fragen im Fokus von § 1 stehen:8 Wie gelangt man im Rahmen der ordoliberalen Theorie von einer positiven Beschreibung der Welt zu einer normativen Zielsetzung aller sozialen und vor allem wirtschaftlichen Ordnungen? In welchem konkreten Verhältnis stehen Eucken zufolge Sein und Sollen zueinander? Sind sie überhaupt so eindeutig miteinander verknüpft, wie Eucken selber glauben macht, wenn er ausführt, dass der Ordoliberalismus auf eine Gesellschaft abziele, die „der Vernunft oder der Natur des Menschen und der Dinge entspricht“?9 Oder ist die Verknüpfung von Positivität und Normativität nicht vielmehr mittelbar – so wie es 6  Diese Unterteilung in „Ordnungstheorie“ und „Ordnungspolitik“ ist in der Literatur allgemein verbreitet, vgl. z. B. Helmut Leipold/Ingo Pies/Dieter Cassel (Hrsg.), Ordnungstheorie und Ordnungspolitik: Konzeptionen und Entwicklungsperspektiven, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000. 7  Vgl. z. B. Joachim Ritter (Hrsg), „Naturrecht“, Historisches Wöterbuch der Philosophie, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1986, S. 560–623; Finnis, „Natural Law: The Classical Tradition“, S.  1 ff. 8  Die Struktur des Arguments, das Eucken vorschwebt, wird anhand seiner zwei Hauptwerke, Grundlagen der Nationalökonomie und Grundsätze der Wirtschaftspolitik, sowie einiger kleinerer Schriften festgemacht werden, darunter: Walter Eucken, „Was leistet die nationalökonomische Theorie?“, in: Kapitaltheoretische Untersuchungen, 2. Auflage, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1954 [1934], S. 1–51; Walter Eucken, „Die Überwindung des Historismus“, Schmollers Jahrbuch 62. Jahrg., Heft 2 (1938): S. 63–86; Walter Eucken, „Wissenschaft im Stile Schmollers“, hrsg. von Andreas Predöhl, Weltwirtschaftliches Archiv 52 (1940): S. 469–506; Franz Böhm/Walter Eucken/Hans Großmann-Doerth, „Unsere Aufgabe“, in: Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung, hrsg. von Franz Böhm, Walter Eucken, und Hans Großmann-Doerth, Stuttgart/Berlin: Kohlhammer, 1937, S. VII–XXI. 9  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 239.

§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft



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Eucken an anderer Stelle vorzuschweben scheint, wenn er darauf verweist, dass die „Lösung der Ordnungsfrage“ nicht mehr mithilfe „unmittelbare[r] naturrechtliche[r] Ableitungen“ möglich sei?10 Auf Grundlage welcher konkreten Prämissen und Argumente versucht Eucken, die Legitimation bzw. die Grenzen staatlicher Herrschaft bei der Ordnung der Wirtschaft zu begründen? Und welche konkreten Zielsetzungen verbindet er mit einer Ordnungspolitik, deren Aufgabe es ihm zufolge ist, eine „natürliche Ordnung oder Ordo“ wirksam zu machen?11 I. Die wissenschaftliche Verankerung als argumentative Meta-Struktur Walter Eucken bekennt sich an mehreren Stellen seines Werkes explizit zu dem Vorhaben, einen Ökonomiebegriff zu entwickeln, der in ausdrücklicher Ablehnung des „Historismus“ und des „Relativismus“ nicht nur positive Aussagen darüber treffen könne, wie sich ein Wirtschaftsprozess im Einzelnen vollzieht, sondern vor allem auch darüber, wie er sich vollziehen sollte.12 Wie im Folgenden dargelegt werden soll, entspringt dieser Zielsetzung ein „essentialistisches“ Verständnis von Wirtschaftswissenschaft, d. h. Euckens Anforderungen an die, wie er sie nennt, „echte und rechte“ Wissenschaft haben vor allem den Zweck, etwas über die Implikationen wissenschaftlicher Erkenntnis als solcher auszusagen.13 Mit der Darlegung dieses Zusammenhanges soll vor allem gezeigt werden, dass die von Eucken verwendete Methode nicht den ausschlaggebenden Einfluss auf den normativen Gehalt der Ordnungstheorie hat, die ihr in der sehr kontrovers geführten Diskussion zu den epistemologischen Grundlagen des Ordoliberalismus häufig zugeschrieben wird.14 10  Eucken,

Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 347. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 373. 12  Vgl. z. B. Böhm/Eucken/Großmann-Doerth, „Unsere Aufgabe“; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik; Eucken, „Die Überwindung des Historismus.“ 13  Der Begriff „essentialistisch“ bezieht sich nicht auf die Methode, sondern vielmehr auf die Annahme, wonach man mithilfe von Wissenschaft zu „evidenten Aussagen“ gelangen könne. Er bezieht sich folglich auf die „erkenntnistheoretische und metaphysische Interpretation der Ausgangsaussagen“, Franz Schupp, Geschichte der Philosophie im Überblick, Bd. 2, Hamburg: Meiner, 2003, S. 393. 14  Zahlreiche Kritiker Euckens führen an, dass Euckens Verwendung neukantianischer Denkmuster („unter Ausschluß aller Metaphysik“) nicht dazu geeignet wäre, überhaupt irgendeine Verbindung der gedanklichen zur „empirisch-inhaltlichen Welt“ zu herzustellen, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 52; Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 279–89. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass diese Kritik in der Regel auf einen kleinen Aufsatz Gustav Gundlachs zurückgeht, Gustav 11  Vgl.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

1. Euckens Suche nach „Evidenten Vernunftwahrheiten“ Eine Wirtschaftswissenschaft – wie jede empirische Wissenschaft – verdiene es Eucken zufolge nur dann als „Wissenschaft“ bezeichnet zu werden, wenn sie dem Anspruch gerecht werden könne, „überhistorische“ und „absolut geltende Wahrheitsbedingungen“ zu produzieren. Ein „Reich der Wahrheit“, wie er die Summe dieser Wahrheitsbedingungen nennt, umfasse alle Einsichten in diejenigen Strukturen und Formen „(wirtschaftlicher) Wirklichkeit“, die man der empirischen Welt entnehmen könne und bei denen man zugleich davon ausgehen dürfe, dass sie in jeder geschichtlichen Epoche auffindbar seien. Es handele sich bei ihnen um so genannte „evidente Vernunftwahrheiten“15. In diesem Zusammenhang übernimmt Eucken einen ganzen Absatz von Edmund Husserl wörtlich, wenn er in Die Grundlagen der Nationalökonomie, dem „nationalökonomischen Kerntext des Ordolibera­ lismus“16, schreibt: „Die Systematik, die der Wissenschaft eignet, natürlich der echten und rechten Wissenschaft, erfinden wir nicht, sondern sie liegt in den Sachen, wo wir sie einfach vorfinden, entdecken. Die Wissenschaft will das Mittel sein, unserem Wissen das Reich der Wahrheit, und zwar in größtmöglichem Umfang, zu erobern; aber das Reich der Wahrheit ist kein ungeordnetes Chaos, es herrscht in ihm Einheit der Gesetzlichkeit.“17

Den Ansatz, mit dem dieses „Reich der Wahrheit“ in der Nationalökonomie gefunden werden soll, versieht Eucken mit dem Begriff des „Morphologischen Apparates“.18 Dieser fußt auf der Annahme, dass sich jede empirische Gundlach, „Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, Gregorianum 34 (1953): S. 684–8., vgl. Carl-Martin Hissler, Zwischen Liberalismus und Christentum: Die sozialethischen Aspekte der Sozialen Marktwirtschaft, Berlin: Lit, 2014, S. 135. 15  Eucken, „Was leistet die nationalökonomische Theorie?“, S. 29. 16  Vgl. Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, S. 100. 17  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 230. Diesen Abschnitt übernimmt Eucken wortwörtlich sowie explizit von Husserl. 18  Diesen bezeichnet Eucken auch als „Rationalistisches Verfahren“, vgl. Eucken, „Was leistet die nationalökonomische Theorie?“, S. 7. Im Hinblick auf die Terminologie „Morphologischer Apparat“ bedient sich Eucken des Werkes Oswald Spenglers. In Der Untergang des Abendlandes schreibt dieser: „Es handelt sich nicht um das, was die greifbaren Tatsachen der Geschichte an und für sich, als Erscheinungen zu irgendeiner Zeit sind, sondern um das, was sie durch ihre Erscheinungen bedeuten, andeuten. […] Ich habe noch keinen gefunden, der mit dem Studium der morphologischen Verwandtschaft, welche die Formensprache aller Kulturgebiete innerlich verbindet, Ernst gemacht hätte […].“ Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes: Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1997 (1922), S. 8. Interessanterweise bezieht sich Eucken in diesem Zusammenhang jedoch nicht explizit auf Spengler, sondern verweist ausschließlich zum Ende seiner Grundlagen der Nationalökonomie in einer Fußnote auf ihn, in: welcher



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Wissenschaft durch ein grundsätzliches Spannungsverhältnis auszeichne, welches sich zwischen der Vielfältigkeit möglicher Anschauungen und der Allgemeingültigkeit der dazugehörigen Theorie auftue und welches sich unter dem Begriff der „Großen Antinomie“ subsumieren lasse.19 Um eben dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, müsse es der Nationalökonomie gelingen, „gleichförmige Erscheinungen“20 in menschlichen Verhaltensmustern und Handlungsstrukturen ausfindig zu machen – so wie dies z. B. bei Pflanzen in Hinblick auf deren Wachstum möglich sei. Nur dann sei man in der Lage, Aussagen über die Welt zu treffen, die sich einerseits als „allgemeintheoretisches“ Problem formulieren und damit zugleich auf jeden historisch kontingenten Einzelfall anwenden lassen. Für den Ökonomen gelte es deshalb herauszufinden, ob sich ein Handlungsprinzip, das alle Menschen im Zuge aller ihrer alltäglichen (wirtschaftlichen) Handlungen befolgen (so wie eine Pflanze eben immer wachse), identifizieren lässt. Denn nur wenn sich ein solches Prinzip finden lasse, könne man auch Bedingungen hypothetischen Charakters formulieren, d. h. Aussagen darüber, in welchem Verhältnis solche gleichförmigen und allgemeinen Erscheinungen zueinander stehen. Damit bildet der Begriff des „hypothetischen Urteils“ den Kern des Eucken’schen Theorieverständnisses und lässt sich wie folgt paraphrasieren: Wenn eine Bedingung A gegeben ist, dann folgt gemäß der zuvor beobachteten Regelmäßigkeit, dass B eintreten werde (sofern nicht weitere Bedingungen die Bedingung A in ihrer Wirksamkeit einschränken).21 Mithilfe solcher hypothetischer Urteile könne man dann zu den bereits erwähnten „evidenten Vernunftwahrheiten“ gelangen. Denn, so Eucken: Theorien sind keine Tatsachenwahrheiten (vérités de fait). […] Sie bring[en] eine evidente Vernunftwahrheit zum Ausdruck […]. Indem die Nationalökonomie durch die geschilderte Methode zu notwendigen, allgemeinen und zugleich wirklichkeitsnahen Wahrheiten gelangt, die sie in Theorien ausspricht, ist der archimedische Punkt gefunden, von dem aus die objektive und exakte Erkenntnis bestimmter Zusammenhänge der individuellen, konkreten Wirklichkeit gelingt. Damit ist der Erer unter Verwendung eines Zitates von Ortega y Gasset die Relativität von Spenglers Kulturbegriff kritisiert, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 271, Anm. 70. 19  Ralf Ptak zufolge habe dieser Begriff der „Großen Antinomie“ vor allem einen praktischen, weniger einen relevanten theoretischen Zweck: Eucken wolle sich in den damals in Deutschland geführten Methodenstreit zwischen „historisch und theoretisch ausgerichteter Wirtschaftswissenschaft“ einordnen, vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft, S. 111. 20  Eucken, „Was leistet die nationalökonomische Theorie?“, S. 18. 21  Im Rahmen des volkswirtschaftlichen Erkenntnisinteresses wäre folgende Frage denkbar: Wie wirkt sich die Entscheidung von Konsumenten, Teile ihres Einkommens zu sparen, z. B. auf die Zinssätze oder die Lohnentwicklungen eines gegebenen Landes aus?

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

kenntniswert von Theorien bestimmt: sie enthalten allgemeingültige Aussagen über notwendige Zusammenhänge von möglichen, wirklichkeitsnahen BedingungsKonstellationen.22

Nur insofern also, als die in einer Theorie formulierten Bedingungen eintreten, komme diese auch zur Anwendung.23 Damit hat Eucken, zumindest formal betrachtet, die zentrale Anforderung an sein Verständnis einer echten und rechten Wissenschaft formuliert: Indem ein Wissenschaftler die Teilsätze der hypothetischen Bedingungen, welche die Gesamtheit einer Theorie im Sinne einer evidenten Vernunftwahrheit konstituieren, „richtig“ aus der Welt gewinnt, könne er wahre und infolgedessen überhistorisch gültige Einsichten in die Funktionsweise eben dieser Welt gewinnen. 2. Der „Idealtypus“ als methodologischer Weg zur „Wahrheit“ Die Frage, die sich diesen Ausführungen anschließt, muss für Eucken infolgedessen lauten, wie ein Nationalökonom im konkreten Einzelfall zu den „wirklichkeitsnahen Bedingungskonstellationen“ für die Konzeption einer „echten und rechten“ Wissenschaft gelangen kann. Hierfür schwebt Eucken die Methode der Idealtypisierung vor, die er trotz nahezu identischer Begrifflichkeit wie bei Max Weber anders als dieser verstanden wissen wollte – nämlich vor allem als eine Methode, die über die reine positive Erkenntnis hinaus auch normative Relevanz haben könne. Eucken zufolge lässt sich mithilfe des Idealtypus die gesamte wirtschaftliche Wirklichkeit (sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart und der Zukunft) beschreiben: Kraft ‚pointierend hervorhebender Abstraktion‘ fanden wir […] die idealtypischen Wirtschaftssysteme. […] Die Ordnungsformen fanden wir also in der geschichtlichen Wirklichkeit vor. Wir deckten sie in Untersuchung von Tatbeständen der Gegenwart und der Vergangenheit auf.24 22  Eucken,

„Was leistet die nationalökonomische Theorie?“, S. 28–30. herum gelte das jedoch nicht: Der Wegfall einer Bedingungskonstellation, z. B. das Abschaffen der Kreditwirtschaft oder das Aussterben einer bestimmten Pflanzenart, würde die entsprechende Theorie, in diesem Fall die Zinstheorie oder etwa die Phytotrophologie, in ihrem Wahrheitsgehalt nicht einschränken. Denn eine Theorie werde in ihrer Anwendbarkeit nicht „unwahr“, sondern höchsten „unaktuell“, weil – wie er es ausdrückt – „richtig gewonnene theoretische Sätze in ihrer allgemeingültigen Wahrheit von der Existenz bestimmter Erscheinungen unabhängig“ seien, vgl. Ebd., S. 30. Aufgrund dieses Verständnisses von „hypothetischem Urteil“ handelt es sich Gundlach zufolge bei Eucken um einen „bewußte[n] Kantianer“, weil er „die Wahrheit theoretischer Sätze von der ökonomischen Wirklichkeit unabhängig“ konzipiere, vgl. Gundlach, „Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, S. 683–4. Vgl. dazu auch Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 134. 24  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 163. 23  Anders

§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft



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Dieses Verständnis eines „Idealtypus“ versucht Eucken im Besonderen von dem abzugrenzen, was ihm zufolge den „Realtypus“ ausmacht, weil es sich bei letzterem um den zum Scheitern verurteilten Versuch handele, das „Wesenhafte“ oder „Normale“ einer ganzen Epoche hervorzuheben – dasjenige also, was z. B. die „Stadtwirtschaft“, die „Dorfwirtschaft“ oder die „Volkswirtschaft“ etc. auszeichne. Demgegenüber versteht Eucken den „Idealtypus“ als „die Reduktion des tatsächlich Gegebenen auf reine Fälle“25 bzw. als ein „Auf-die-Spitze- getrieben-Werden“26 bestimmter historischer Einzelphänomene. Und daraus müsse wiederum folgen, dass ein auf diese Art und Weise gewonnener Idealtypus nicht einfach nur Teil einer geistigen „Utopie“ sei – wie Weber es formulierte –, sondern die einzige Möglichkeit überhaupt darstelle, die Wesensmerkmale der empirischen Welt exakt zu bestimmen. Für Eucken ist es dabei die Stärke der Figur des Idealtypus, das Individuelle im Historischen hervorzuheben und damit, wie er schreibt, „umso deutlicher […] das Dauernde, die Konstanz in der Geschichte“27 zum Vorschein zu bringen. Genau daraus wiederum folgt für Eucken aber, dass der Idealtypus eben nicht nur dazu in der Lage sei, positive, sondern vor allem auch normative Aussagen über die Funktionsweise der Welt und des Menschen zu treffen. An diesem Punkt, nämlich bezüglich der Anwendung sowie der normativen Implikationen des Idealtypus, scheint dann auch der zentrale Unterschied zwischen Eucken und Weber zu liegen. Denn weder Euckens Begrifflichkeit noch seine konkreten Aussagen zu Max Weber deuten auf eine relevante methodologische Inkompatibilität zwischen den beiden hin.28 Auch Max Weber lässt den „Idealtypus“ in seiner Schrift Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis durch – wie er es ausdrückt – die „einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte“ entstehen, d. h. durch die gedankliche Vereinigung bestimmter „Beziehungen und Vorgänge des historischen Lebens zu einem in sich widerspruchslosen Kosmos gedachter Zusammenhänge“29. Diese Herangehensweise soll eine Wahrheit zum Ausdruck bringen, die selbst für „den Chinesen [ – also kulturinvariant – ] die Geltung einer denkenden Ordnung der empirischen Wirklichkeit“30 bean25  Eucken, 26  Eucken, 27  Ebd.

„Was leistet die nationalökonomische Theorie?“, S. 20. „Wissenschaft im Stile Schmollers“, S. 487.

28  So schreibt Eucken in einer Fußnote über Weber: „Dabei handelt es sich nicht darum, gegen WEBER einen neuen Begriff des Idealtypus zu gewinnen, sondern nur darum, das, was WEBER nicht klar und nur teilweise sah, exakt und vollständig zu bestimmen.“ Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 269, Fußnote 66. 29  Max Weber, „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1922, S. 190–1. 30  Ebd., S. 156.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

sprucht. Dabei jedoch, und das ist in der Tat ein entscheidender Unterschied zwischen Eucken und Weber, müsse strikt zwischen den Sphären der Wissenschaft und derjenigen der Ethik getrennt werden. Weber zufolge könne eine Wissenschaft der Anschauung aufgrund der Form der ihr zugänglichen Erkenntnis niemanden lehren, „was er soll, sondern nur, was er kann – und unter Umständen – was er will“31. Bei der Gegenüberstellung dieser beiden Begriffszusammenhänge drängt sich die Frage auf, worin genau der Unterschied zwischen einem geistigen „Auf- die-Spitze-Treiben“ bestimmter historischer Einzelphänomene (Eucken) und einer gedanklichen Vereinigung bestimmter „Beziehungen und Vorgänge des historischen Lebens“ (Weber) liegen soll. Handelt es sich hierbei wirklich um einen genuin methodischen Streit zwischen Eucken und Weber oder nicht vielmehr um ein Anwendungsproblem ein und derselben Methode? Denn, ganz abgesehen von der Kontroverse, die kurz nach Erscheinen von Die Grundlagen der Nationalökonomie über die grundsätzliche Frage entstand, ob Eucken sich überhaupt des Idealtypus bedient habe oder nicht,32 stellt sich die Frage, was eigentlich den ontologischen Status der „reinen Formen“ ausmacht, die Eucken unter Verweis auf Platon und andere vorgibt, mit seinem Idealtypus und in Abgrenzung zu Weber gewonnen zu haben. Sind das, was Eucken „Realtypen“ nennt und infolgedessen ablehnt, nicht einfach – wie Fritz Machlup es ausdrücken würde – „unbrauchbare Idealtypen“33? Und ist es folglich nicht doch eher der Impetus seines Vaters, 31  Ebd., S. 151. Dies ist unter anderem vor dem Hintergrund der Weber’schen Annahme zu verstehen, dass man erst als Teilhabender einer Kultur überhaupt das Phänomen von Kultur benennen könne, da alleine der Begriff der Kultur bereits ein Werturteil zum Ausdruck bringe. Denn, so Weber: „die Wirklichkeit jeder einzelnen Wahrnehmung zeigt bei näherem Zusehen die stets unendlich vielen einzelnen Bestandteile, die nie erschöpfend in Wahrnehmungsurteilen ausgesprochen werden können. In dieses Chaos bringt nur der Umstand Ordnung, daß in jedem Fall nur ein Teil der individuellen Wirklichkeit für uns Interesse und Bedeutung hat, weil nur er in Beziehung steht zu den Kulturwertideen, mit welcher wir an die Wirklichkeit herantreten. […] ‚Kultur‘ ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens.“ 32  Vgl. dazu Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, S. 103. Haselbach verweist hier auf eine Replik Alexander Rüstows im Jahr 1940 auf die Erscheinung von Euckens Die Grundlagen der Nationalökonomie, in der Rüstow argumentiert, dass Eucken sich nicht der idealtypischen Methode bedient habe. Im Gegensatz dazu argumentiert Hans Möller ebenfalls in einer Replik auf Euckens Grundlagen, dass Eucken den Idealtypus in der Tat in „in vollkommener Reinheit“ anwende, vgl. Hans Möller, „Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem und Wirtschaftsstil“, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung und Verwaltung 64, Nr. II (1940): S. 471. 33  Fritz Machlup, „Idealtypus, Wirklichkeit und Konstruktion“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 12 (1961): S. 49. Auch Otto Veit, ein Vertreter des Ordoliberalismus sowie ein Apologet Walter Euckens, ist in diesem Zusammenhang der Überzeugung, dass Eucken im Kern die Methodik Max Webers benutzt habe, vgl.



§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft

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Rudolf Eucken, gepaart mit dem Einfluss, den auch Edmund Husserl auf Eucken gehabt hat, die ihn durch die Methode der Idealtypisierung das „Reich der Wahrheit“ und infolgedessen die „sittliche Kraft“ seiner Erkenntnis haben sehen lassen34 – und eben nicht die Methode als solche? 3. „Wissenschaft“ als Grundlage für Euckens politische Ökonomie? Die kontroverse Auseinandersetzung zur methodologischen Besonderheit des Eucken’schen Idealtypus deuten darauf hin, dass Eucken die normativen Implikationen seiner Ordnungstheorie nicht alleine aus dem Begriff des Idealtypus und der damit einhergehenden Methode heraus gewonnen haben kann. Das wiederum legt nahe, dass Euckens Meta-Verständnis davon, was Wissenschaft als solche in der Lage sein sollte zu leisten, einen bedeuteten Teil der Normativität seiner Ordnungstheorie ausmacht.35 Bei genauerem Otto Veit, „Ordo und Ordnung. Versuch einer Synthese“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 5 (1953): S. 44–5. Weippert wiederum wirft Eucken sehr grundsätzlich vor, bei der Begrifflichkeit von „Idealtypus“ und „Realtypus“ unscharf gewesen zu sein und Max Weber im Kern missverstanden zu haben, vgl. Georg Weippert, „Walter Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1941): S. 326–8. 34  Sehr deutlich lässt sich dieser Impetus bei Rudolf Eucken vorfinden, auf den sich gerade der junge Walter Eucken beruft und der z. B. schreibt: „Sie [die Menschenkultur] unterwirft alle Lebenszwecke den wirtschaftlichen Aufgaben […, sie vergisst über den Bedingungen des Lebens das Leben selbst. […] Wir fordern demgegenüber das Aufsteigen einer Geisteskultur, welche ein Reich der Wesensbildung und damit ein neues Leben erstrebt und uns ein Teilhaben an echter Wirklichkeit eröffnet.“ Walter Eucken, „Sozialismus und Aufklärung.“, Der Euckenbund, Jahrgang I, Heft 3 (1925): S. 3. Auch bei Edmund Husserl, einem Mentor und Freund Walter Euckens, findet sich dieses wissenschaftstheoretische Verständnis davon, was eine wissenschaftliche Erkenntnis auszeichne bzw. auszeichnen solle: „Können wir uns damit beruhigen, können wir in dieser Welt leben, deren geschichtliches Geschehen nichts anderes ist als eine unaufhörliche Verkettung von illusionären Aufschwüngen und bitteren Enttäuschungen?“ Für Husserl ist diese Beobachtung das Ergebnis einer Entwicklung in der Philosophie, die von einer „Wissenschaft im Plural“ abgewichen sei, die sich infolgedessen nur noch selber zum Problem werde und die darüber den Glauben an eine „absolute Vernunft, aus der die Welt ihren Sinn hat“, habe verlieren müssen, vgl. Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie: eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, Hamburg: Meiner, 1996 (1935), S. 5 und S. 12. Vgl. dazu auch Nils Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, Münster: Lit, 2002, S. 64 und S. 89 ff; Gerold Blümle, „Freiheit und Norm bei Walter Eucken“, in: Wirtschaftsgeschichte und ökonomisches Denken: ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Nils Goldschmidt und Dorothea Schmidt-Klau, Marburg: Metropolis-Verl, 2007, S. 291. 35  Haselbach spricht in diesem Kontext von der nur „vermeintlich […] neutrale[n] Begrifflichkeit“ in Euckens Ordnungstheorie, vgl. Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, S. 101.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Hinschauen beanspruchen die Ausführungen Euckens zur „echten und rechten“ Wissenschaft ihre Gültigkeit sogar ganz unabhängig von der konkreten wissenschaftlichen Methode – als Axiom aller richtig verstandenen Wissenschaft und gerade nicht aus der Beantwortung der, wie Nils Goldschmidt es ausdrückt, „methodische[n] Schicksalsfrage “36. Der unmittelbare Zusammenhang von Wissenschaft und politischer Ökonomie ist konstitutiv für das Selbstverständnis des Ordoliberalismus. Demzufolge habe jede gesicherte Erkenntnis in der Ökonomie immer auch eine ethische Implikation, in den Worten Euckens ausgedrückt: eine „gestaltende Kraft“. Besonders deutlich kommt dieser Gedanke in der Schrift Unsere Aufgabe, die häufig als eines der Gründungsdokumente des Ordoliberalismus bezeichnet wird,37 zum Ausdruck. In ihr schreibt Eucken gemeinsam mit Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth: Wie kann der Geist die Tatsachen gestalten, wenn er sich selbst vor dem Gang der Tatsachen verneigt? […] In Jurisprudenz und Nationalökonomie […] vollzieht sich […] ein ähnliches Schauspiel: Sie verlieren mit vordringender Historisierung ihren Halt, Rechtsidee und Wahrheitsidee werden relativiert, den wechselnden Tatsachen und Meinungen passen sie sich bereitwillig an. Jede von ihnen hört damit auf, eine geistige und sittliche Macht zu sein.38

Ähnlich scheint das Verhältnis von positiver Wissenschaft und normativer politischer Ökonomie in einer weiteren Schrift Euckens, die sich explizit gegen den Historismus wendet, gelagert: Indem die Wissenschaft dem wahren Zusammenhang der Geschehnisse und Dinge näher kommt, arbeitet sie an einem einheitlichen wissenschaftlichen Weltbild, gewinnt sie selbst echtes geistiges Leben, erweitert sie den Horizont des Menschen und wird zur Lebensmacht von bildender und gestaltender Kraft.39

Diese beiden durchaus pathetisch vorgetragenen Überlegungen Euckens sowie seiner ordoliberalen Kollegen verstärken den Eindruck, dass man die Annahme, wonach positive Wissenschaft und normative politische Ökonomie in einem notwendigen Verhältnis zueinander stehen müssen, selber keiner wissenschaftlichen Prüfung unterziehen kann, d. h. sie werden bereits vor jeder konkreten empirischen Erkenntnis ausgesagt. Für Eucken und den 36  Goldschmidt sieht in der „Wahrheitssuche“ die „methodische Schicksalsfrage Walter Euckens“, weil es Euckens explizite Absicht sei, zu dem „Wesen der Dinge selbst“ vorzudringen, vgl. Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, S. 86. 37  Vgl. z. B. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft, S. 90; Michel Foucault, Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2009 [1978/1979], S. 150. 38  Böhm/Eucken/Großmann-Doerth, „Unsere Aufgabe“, S. XIII–XVI. 39  Vgl. Eucken, „Die Überwindung des Historismus“, S. 76–7.



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Ordoliberalismus gilt infolgedessen der Satz: Wissenschaft ist, was uns absolut geltende Wahrheitsbedingungen liefert genauso wie dessen Umkehrung, wonach wir nur das, was uns absolut geltende Wahrheitsbedingungen liefert, Wissenschaft nennen dürfen.40 In diesem Verständnis von Wissenschaft liegen damit zugleich die Leistungsfähigkeit sowie die Problematik des ordoliberalen Ökonomiebegriffes begründet. Denn dieser beansprucht sowohl in seiner Positivität als auch in seiner Normativität eine überhistorische und absolute Geltung – ein Umstand, auf den auch in zahlreichen Diskussionsbeiträgen im Rahmen des Ordoliberalismus immer wieder verwiesen wird.41 Doch was steckt dann genau hinter der von Eucken sowie von vielen Ordoliberalen formulierten Auffassung, wonach die Besonderheit der Ordnungstheorie – gerade gegenüber anderen und vor allem „unmittelbaren“ naturrechtlichen Begriffszusammenhängen – in ihrer wissenschaftlichen Fundierung liege?42 Mit anderen Worten: Wie können Euckens normative Prämissen einerseits wissenschaftlich-positiv begründet und zugleich überhistorisch sein? Was würde z. B. mit den normativen Implikationen des Eucken’schen Ordoliberalismus passieren, wenn sich seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Inhalte verändern sollten? Zwar mag Eucken an die überhistorische und absolute Geltung der Einsichten, die ihm der Idealtypus verschafft hat, glauben. Aber ist es nicht geradezu ein elementarer Bestandteil von Wissenschaft, dass sie sich der Möglichkeit gegenüber öffnet, ihre Prämissen und Erklärungsmuster zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen – ein Element, das für viele Ordoliberale gerade für die Überlegenheit der Ordnungstheorie spricht?43 Wie geht man also mit Erkenntnissen um, über die Eucken schreibt: „Wir behaupten: […] daß es in Anwendung des morphologischen Apparates gelingt, […] den Aufbau der Wirtschaftsordnung einer jeden Zeit und eines jeden Volkes zu erkennen […].“44 Müsste sich nicht, sobald sich der wissenschaftliche Konsens darüber ändert, was z. B. eine „natürliche Gleichmäßigkeit“ in den Dingen ausmacht, auch automatisch das Verständnis von dem „Wesen der Dinge selbst“ 40  Ähnlich findet sich dieser Gedanke bei Gerold Blümle, demzufolge die Wissenschaftsagenda Euckens nur aus der expliziten Zielsetzung heraus zu verstehen sei, eine „normative Wissenschaft“ mit „ethischen Zielen“ hervorzubringen, vgl. Blümle, „Freiheit und Norm bei Walter Eucken“, S. 292. 41  Vgl. z. B. Goldschmidt, „Die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft aus dem Geiste der Religion“, S. 31–9. 42  Vgl. z. B. Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 70; Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, S. 106. 43  Vgl. z. B. Ingo Pies, Eucken und von Hayek im Vergleich, Tübingen: Mohr Siebeck, 2001, S. 7.: „[A]ls wolle er [Eucken] – im 20. Jahrhundert! – gerade jene Metaphysik wiederbeleben, von der er selbst sagt, daß sie bereits im 19. Jahrhundert an ihr unwiderrufliches Ende gekommen ist.“ 44  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 163.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

(Goldschmidt) ändern – und damit wiederum auch die Bestimmung der normativen Ordnung, die diesem Ding angemessen ist? Hier nun entsteht folgender Widerspruch im Rahmen der Ordnungstheorie sowie ihrer Auslegung: Wenn man die These betont, wonach sich die normative Kraft des Ordoliberalismus aus dessen wissenschaftlicher Verankerung ableiten lässt, unterstellt man implizit auch, dass Eucken die Trennung in eine theoretische Vernunft (im Sinne einer ratio speculativa) und eine praktische Vernunft (im Sinne einer ratio practica) nicht vollzogen habe.45 Das wiederum würde bedeuten, dass sich das ordoliberale Sollen direkt aus dem Sein deduzieren ließe bzw. dass Eucken im Rahmen seiner Ausführungen ausgerechnet die unmittelbarste Methode zu Gewinnung seiner Vorstellung von Ordnungspolitik gewählt hätte – nämlich genau diejenige, die Lisska in Anlehnung an Finnis als „reductivism“ bezeichnet und die sich dadurch auszeichnet, dass man versucht, ethische Normen aus scheinbar fest stehenden positiven Wesensmerkmalen der menschlichen Natur abzuleiten.46 In dieser Lesart würde Eucken genau jene Form von Naturrecht entwickeln, die er selber nicht vertreten wollte, und von der auch andere Ordoliberale der Meinung sind, er hätte sie gar nicht sinnvoll vertreten können. Oder aber es bleibt das bereits beschriebene Problem bestehen, dass die von ihm verwendete wissenschaftliche Methodik im Rahmen des „morphologischen Apparates“ mitsamt seiner Idealtypisierung nicht alleine für die normative Durchschlagskraft seiner Ergebnisse verantwortlich sein kann, sondern bereits in der Annahme über die richtig verstandene Wissenschaft steckt. Euckens Naturrecht ist also entweder zugleich „wissenschaftlich begründet“ und infolgedessen „unmittelbar“ oder es ist mittelbar, dafür jedoch nicht wissenschaftlich begründet. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird die zweite Position vertreten, und dies wird an zwei Punkten festgemacht: zum einen an dem bereits dargelegten idealtypischen Essentialismus Euckens, der die Normativität seiner Ordnungstheorie auf der Meta-Ebene begründet. Demzufolge gilt: „Echte 45  Die ursprünglich aristotelische und später thomistische Unterscheidung von „spekulativer“ Vernunft (als Frage nach dem „Wahren“) und „praktischer“ Vernunft (als Frage nach dem „Guten“) wäre damit nicht gegeben, vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I–II, Die deutsche Thomasausgabe (lat./dt.), Bd. 13, Heidelberg/ Graz/Wien/Köln: Gemeinschaftsverlag, 1977, qu. 94, art. 4, resp. 46  John Finnis, Natural Law and Natural Rights, Oxford/New York: Clarendon Press; Oxford University Press, 1979, S. 33–6. Anthony Lisska schreibt in diesem Kontext über Finnis, dass dieser versuchen würde, die Position des „reductivism“ zu vermeiden, wonach konkrete Handlungsnormen deduktiv aus den positiven Beschreibungen des menschlichen Wesens ableitbar wären, vgl. Anthony J. Lisska, Aquinas’s Theory of Natural Law, Oxford/New York: Clarendon Press; Oxford University Press, 1996, S. 142–7.



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und rechte Wissenschaft“ sei dazu in der Lage, „überhistorische“ und „absolut geltende“ Einsichten in die natürlichen Dinge der Welt zu liefern. Haben wir solche Einsichten gewonnen (z. B. über den wirtschaftenden Menschen), dann können wir etwas über das Wesen dieser Dinge aussagen. Und erlangen wir wiederum Einsicht in das Wesen einer Sache, müssen wir immer auch in der Lage dazu sein, Aussagen normativen Gehalts über diese Sache treffen zu können. Denn – so Euckens implizites Argument – wer weiß, was das Wesen einer Sache ausmacht, müsse folglich auch wissen, was dieser Sache dienlich ist. Und weil der Idealtypus (ob nach Weber oder nicht) Eucken zufolge richtig verstandene Wissenschaft sei, müsse die Figur des Idealtypus auch ethisch-sittliche Implikationen in sich tragen. Zum anderen jedoch steckt ein Teil der Normativität, die die Ordnungstheorie Euckens ausmacht, in der unscheinbaren und dennoch normativ stark aufgeladenen Prämisse über die konkrete Handlungsstruktur des wirtschaftenden Menschen, wonach dieser nur als ein „Zweck-Mittel-Wesen“ mit einem Wirtschaftsplan für die Bestellung seines Haushalts und seines Lebens zu denken sei. Und genau an dieser Neuformulierung von Thomas von Aquins omne agens agit propter finem lässt sich wiederum, wie vor allem in § 2 dargelegt wird, die zweite Verknüpfung von dem, was bei Eucken positive Ordnungstheorie, und dem, was bei ihm normative Ordnungspolitik ist, festmachen (vgl. § 2, III. 2.). II. Plan und Ordnung: über die Handlungsstruktur in der Gemeinschaft Eucken bestimmt einen zentralen Punkt, von dem aus sich alle wirtschaftliche Aktivität erklären lasse und der infolgedessen den Kern des wirtschaftlichen Alltags bildet: den „Plan“. Der „Wirtschaftsplan“ sei Ausdruck einer bewussten Handlungsstruktur, durch welche der Einzelne seine Potenzialität im Rahmen der Gemeinschaft realisieren könne, und stelle infolgedessen den archimedischen Punkt dar, anhand dessen menschliches Verhalten überhaupt erst sinnvoll nachvollzogen bzw. konzeptualisiert werde. In diesem Sinne bildet der Wirtschaftsplan – als Bedingung allen Handelns überhaupt – die konkrete Verknüpfung zwischen Ordnungstheorie und Ordnungspolitik.47

47  In den Worten Franz Böhms lässt sich die Verknüpfung von Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, die aus der Figur des Wirtschaftsplanes entspringt, wie folgt zusammen: „Wer darf entscheiden, was wirtschaftlich geschehen soll? […] Wer ist berechtigt, Wirtschaftspläne aufzustellen und zu verwirklichen?“ Franz Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, Tübingen: Mohr Siebeck, 1950, S. 9.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

1. Der „Wirtschaftsplan“ und der Beginn aller Ökonomie „Der Leiter eines jeden Wirtschaftsgebildes handelt jeweils auf Grund eines Wirtschaftsplanes.“48 Diese Aussage stellt Kern- und Ausgangspunkt der ordoliberalen Theorie dar, der zufolge es unmöglich sei, das Handeln von Wirtschaftsakteuren zu erklären bzw. zu beurteilen, ohne auf die Kategorien von Zweck und Mittel zu verweisen. Dabei können „Wirtschaftspläne“ in ihrer Ausgestaltung sehr unterschiedliche Intensitäten aufweisen oder sich über verschieden lange Zeiträume erstrecken. Sie können auch gänzlich unbewusst ablaufen. Es sei jedoch prinzipiell unmöglich, menschliches Handeln außerhalb eines Zweck-Mittel-Verhältnisses zu erfassen – zumindest sofern die Mittel Güter darstellen, die nicht unendlich zur Verfügung stehen. Dazu Eucken: „Zu allen Zeiten und überall vollzieht sich das menschliche Wirtschaften in Aufstellung und Durchführung von Wirtschaftsplänen. Auf Plänen beruht also alles wirtschaftliche Handeln. […] Ohne Pläne aber wirtschaften Menschen niemals.“49 Mit dieser Bestimmung des wirtschaftenden Menschen, die z. B. von Gustav Gundlach sehr grundsätzlich in Frage gestellt wird, weil ihm zufolge auch Tiere ihre Nahrung durch Pläne zu gewinnen scheinen,50 kommt eine Auffassung zum Ausdruck, wonach die Nationalökonomie in erster Linie eine Wissenschaft der Mittel (zu gegebenen Zwecken) sei. Deren gesamte Relevanz beruhe auf der Tatsache, dass der Mensch sich in einer Welt der begrenzten Ressourcen befinde. Das bedeutet zum einen, dass er bei der Wahl seiner Mittel stets darauf angewiesen sei, Abwägungen zu treffen, und zum anderen, dass jede Handlung – sofern sie eben in einer Welt begrenzter Ressourcen vollzogen wird – immer auch eine ökonomische Dimension habe.51 Im Umkehrschluss heißt das: Nur wenn ein Mittel für die Verfolgung konkreter Zwecke unendlich zur Verfügung steht, unterliegt es keinerlei Kalkulation und wird damit für die Erklärung sowie die Einordnung einer menschlichen Handlung irrelevant – es ist dann schlichtweg kein ökonomisches Gut. Dazu Eucken: „Das zentrale Phänomen der Wirtschaft ist die Knappheit. Auf ihre Überwindung kommt es an.“52 Damit ist der Geltungs48  Eucken,

Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 78. Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 78. 50  Gundlach, „Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, S. 692. 51  Fast jedes zeitgenössische Ökonomielehrbuch beginnt mit eben dieser Prämisse. Vgl. z. B. Erwin Dichtl/Otmar Issing (Hrsg.), Vahlens großes Wirtschaftslexikon, 2., überabeitete und erweiterte Auflage, München: Beck, 1994, S. 1130: „Die meisten Bedürfnisse können […] nicht vollständig befriedigt werden, da die Güter knapp sind und infolgedessen bewirtschaftet werden müssen, weshalb die knappen auch als wirtschaftliche Güter bezeichnet werden.“ 52  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 8. 49  Eucken,



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bereich der Ökonomie bei Eucken eindeutig festgelegt: Sie zielt auf den äußeren Teil der menschlichen Existenz ab, im Rahmen derer die zu bearbeitenden bzw. die zur Verfügung stehenden Güter begrenzt sind.53 Jeder Mensch muss in dieser Lesart folglich immer auch ein „wirtschaftender Mensch“ sein, weil er ein Zweck-Mittel-Wesen ist – und zwar eines, das man sich immer schon als in einem sozialen Kontext lebend vorstellen müsse (sei es als Familienmitglied oder als Einzelner im Rahmen einer politischen Gemeinschaft). Letzteres bildet die zweite zentrale, jedoch nur implizit artikulierte Prämisse Euckens. Sie kommt in der Ausgangsfrage zum Ausdruck, die er an den Anfang seines ökonomischen Unterfangens stellt: „Wie erfolgt die Lenkung dieses gewaltigen arbeitsteiligen Gesamtzusammenhanges, von dem die Versorgung jedes Menschen mit Gütern abhängt?“54 Diese Doppelbestimmung des Menschen als ein Zweck-Mittel-Wesen, das von Natur aus in der Gemeinschaft lebt, bildet für Eucken diejenige „gleichförmige Erscheinung“ (vgl. § 1, I. 1.), die allem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen menschlichen Tun zugrunde liegen würde. Und folglich müssten sich auch die Besonderheiten eines jeden historisch gegebenen (und kontingenten) wirtschaftlichen Alltags an der Art und Weise ablesen lassen, in der sich diese Doppelbestimmung im Einzelnen manifestiert. Als Frage lässt sich Euckens Ansatz also wie folgt paraphrasieren: Nach welchen Kriterien formulieren Menschen ihre jeweiligen Wirtschaftspläne bzw. welches sind die von ihnen verarbeiteten „Plandaten“, d. h. die Informationen, an denen der Einzelne sich bei der Konzeption seiner Pläne orientiert? 2. Die „idealtypischen Formelemente“ Ausgehend von der thomistischen Handlungsstruktur des (wirtschaftenden) Menschen als von Natur aus in der Gemeinschaft lebendes Zweck-MittelWesen gelangt Eucken zu der Unterteilung in zwei „idealtypische Wirtschaftssysteme“: die „Zentralgeleitete Wirtschaft“ und die „Verkehrswirtschaft“. Die „vollständige Konkurrenz“ als eine konkrete Ausprägung der Verkehrswirtschaft ist dabei für Eucken das einzige „Formelement“, das die Rahmenbedingungen dafür setzt, dass alle handelnden Akteure gleichermaßen und vor allem gleichberechtigt ihre Zwecke durch den Vollzug von Wirtschaftsplänen angemessen verfolgen können. 53  In den Worten Georg Simmels ist dies die „Wechselwirkung zwischen dem persönlich wollenden Ich und der ihm äußeren Natur“, vgl. Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 258. 54  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 2. Eine weiterer Hinweis, dass Eucken den Menschen als soziales Wesen bestimmt, bildet sein bereits oben erwähntes Verständnis von „Wirtschaftlichem Alltag“, das den Einzelnen in einem sozialen und ökonomischen Geflecht verortet, siehe auch § 1, I. 2.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Im Gegensatz zur „zentralgeleiteten Wirtschaft“ (in der eine einzige Planstelle die Gesamtheit des „wirtschaftlichen Alltages“ bestimmt) zeichne sich die Verkehrswirtschaft dadurch aus, dass viele und vor allem „unvollständige Teilpläne der Einzelwirtschaften“, den „gesamten gesellschaftlichen Wirt­ schafts­prozess“55 konstituieren. Folglich sei die Verkehrswirtschaft stets durch Märkte gekennzeichnet, auf denen die Verteilung der in einer Volkswirtschaft produzierten Güter erfolge und auf denen jeder Teilnehmer immer sowohl als Nachfrager als auch als Anbieter auftrete.56 Eine notwendige Bedingung für das Funktionieren einer Verkehrswirtschaft sei folglich eine Rechnungsskala, die der Koordinierung der verschiedenen Teilpläne diene – mit anderen Worten: ein Preissystem. Auch die idealtypischen Formelemente innerhalb der Verkehrswirtschaft gewinnt Eucken über eine Analyse der Wirtschaftspläne, d. h. über die Art und Weise, in der die verschiedenen Marktteilnehmer die Preise in die Ausarbeitung ihrer Wirtschaftspläne einbeziehen. Durch dieses Vorgehen ergeben sich für jede der beiden Marktseiten, d. h. für Angebot und Nachfrage, jeweils fünf mögliche idealtypische Formelemente: Monopol bzw. Teilmonopol, Oligopol bzw. Teiloligopol und die Konkurrenz. Vor diesem Hintergrund sieht Eucken nur in der Marktform der „vollständigen Konkurrenz“, d. h., wenn sowohl Angebot als auch Nachfrage die Form der Konkurrenz annehmen, eine Garantie für das Funktionieren des Marktes. Denn nur dann entstehe ihm zufolge eine Situation, in der keiner der Marktteilnehmer den zu setzenden Preis als etwas ansieht, das er selber zu seinen Gunsten beeinflussen könne. Dazu Eucken: Kennzeichnend für die Konkurrenz im Angebot ist es, dass der Anbieter mit einer völlig elastischen Nachfrage rechnet, dementsprechend bei seinem Angebot im Preis eine Größe sieht, die vom Umfang dieses seines Angebots unabhängig ist, und danach eine Menge wählt, die er anbietet. Im Wirtschaftsplan allein ist die völlige Elastizität gegeben, und weil sich hiernach die Entschlüsse und Handlungen des Leiters der Einzelwirtschaft richten, ist diese Tatsache von großer Wichtigkeit für den Wirtschaftsprozess.57

Während beim Monopol oder beim Oligopol der zusätzliche Gewinn vor allem eine Folge der Tatsache ist, dass die Marktgegenseite keine oder nur eine begrenzte Möglichkeit besitzt, auszuweichen (und der Preis damit eine Variable der Kalkulation seitens des Monopolisten oder des Oligopolisten wird), könne nur in einem Konkurrenzmarkt der Preis seiner Rolle als Rechnungsskala vollständig im Sinne eines – wie Eucken es nennt – „Knappheits55  Eucken,

Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 88. kann man sich anhand des Beispiel eines Arbeitssuchenden erklären: dieser fragt Einkommen nach und bietet als Gegenleistung Arbeitskraft an. 57  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 97. 56  Dies



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messers“ entfalten. Und das wiederum bedeutet, dass nur die Preisbildung in der vollständigen Konkurrenz eine Funktion der objektiv vorhandenen Produktionsmöglichkeiten, der realen Knappheit der Ressourcen, der echten akkumulierten Nachfrage und des dazugehörigen Angebots sei.58 Damit ist der zweite Schritt der ordoliberalen Wirtschaftstheorie vollzogen. Eucken hat aus der Annahme, wonach alle wirtschaftlichen Akteure stets als ZweckMittel-Wesen agieren, eine vermeintlich abschließende Klassifikation aller aus seiner Sicht überhaupt möglichen Ausprägungen des wirtschaftlichen Alltages abgeleitet.59 III. Freiheit, Macht und das Primat der Ökonomie An die Klassifikation aller aus Sicht Euckens möglichen idealtypischen Formelemente schließt sich die Frage danach an, welche davon die Zielsetzung von Wirtschaftspolitik darstellen sollten – und warum. Auf Grundlage des Wirtschaftsplans als „Primat allen Wirtschaftens“ bzw. als Ausgangspunkt aller Handlungen, die sich vor dem Hintergrund knapper Ressourcen vollziehen, definiert Eucken die Bedingung bzw. die Herausforderung allen vernünftigen Handelns überhaupt: die Antinomie aus dem „wirtschaftlichen Prinzip“ einerseits sowie dem „Streben nach Macht“ andererseits.

58  Im Rahmen dieser Arbeit wird nicht weiter auf die Frage eingegangen, wie legitim es ist, den Preis als Funktion des Tausches zu so einer allgemein beobachtbaren Eigenschaft aller Menschen zu machen. Diese Prämisse wurde häufig angezweifelt, zuletzt in prominenter Weise von David Graeber, der argumentiert, dass die Entrichtung von Preisen im Rahmen eines monetären Systems nicht am Anfang allen Wirtschaftens stehe, sondern erst verhältnismäßig spät in der sozialen Entwicklung auftauche, vgl. David Graeber, Debt: the first 5,000 years, Brooklyn, N.Y: Melville House, 2011, insbesondere S. 21–42 und S. 89–126. 59  Es verhalte sich mit den Formelementen folglich genauso wie mit den Buchstaben eines Alphabets. Zwar kommen nicht alle Buchstaben in jedem denkbaren Wort vor, doch würden sich alle Wörter durch die Kombination der im Alphabet vorhanden Buchstaben bilden lassen, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 169. An dieser Stelle sei auf die Kontroverse über den ontologischen Status der „Formelemente“ verwiesen. Karl Paul Hensel spricht z. B. von „Seinsstrukturen der vorgegebenen Möglichkeiten der Ordnung der Wirtschaft“, die von Eucken erkannt worden wären, um sie infolgedessen an den Normen des Naturrechts auszurichten, vgl. K. Paul Hensel, „Ordnungspolitische Betrachtungen zur katholischen Soziallehre“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 2 (1949): S. 267. Dem widerspricht z. B. Weippert, der Eucken im Kern vorwirft, das sich ihm die „Wirtschaft in ihrer Wirklichkeit“ keinesfalls erschlossen habe, vgl. Weippert, „Walter Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, S. 304 ff.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

1. Das „wirtschaftliche Prinzip“ als Prinzip allen Handelns Das „wirtschaftliche Prinzip“ stellt für Eucken „die Maxime des vernünftigen Handelns überhaupt“60 dar. Es gilt dabei jedoch nicht für sich selbst und stellt – wie Eucken immer wieder vorgehalten wurde – auch keine Hypostasierung des Ökonomischen dar.61 Vielmehr ist das Prinzip eine konkrete Ausprägung der Annahme über die Handlungsstruktur des Menschen im Rahmen seines Daseins als Zweck-Mittel-Wesen. Das „wirtschaftliche Prinzip“ manifestiere sich daher je nach realisierter Wirtschaftsordnung höchst unterschiedlich und bildet den Maßstab für die Legitimität realisierter Wirtschaftsordnungen. Wie eingangs definiert, gehören zu den wirtschaftlichen Handlungen aus Euckens Sicht alle diejenigen Handlungen, die sich unter dem Vorzeichen einer tatsächlich bestehenden bzw. zumindest empfundenen Knappheit vollziehen – sowohl hinsichtlich der begehrten Güter selber als auch in Bezug auf die für die Erlangung oder Produktion der begehrten Güter notwendigen Mittel. Darauf baut Eucken folgendes Argument auf: Wenn man Wirtschaften als ein Mittel zum Zweck versteht, d. h., wenn man davon ausgeht, dass Menschen wirtschaften, um Zwecke zu realisieren, die selber keinem ökonomischen Motiv entspringen,62 die jedoch immer auch ökonomische Implikationen haben, dann könne man daraus bereits schließen, dass es nur ein Prinzip gebe, dass der Maxime allen „vernünftigen Handelns überhaupt“ gerecht werden könne: das „wirtschaftliche Prinzip“. Dazu schreibt Eucken: Stets […] und überall suchen die Menschen in ihren wirtschaftlichen Plänen und damit in ihren Handlungen einen bestimmten Zweck mit einem möglichst geringen Aufwand an Werten zu erreichen. Stets also folgen sie dem sog. ‚Wirtschaftlichen Prinzip‘.63 60  Eucken,

Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 212. schwer haltbarer Vorwurf, den Nawroth Eucken macht und dem zufolge Eucken das wirtschaftliche Prinzip zum „zwecksetzenden Faktor und zur eigentlichen Wirkursache des Wirtschaftens erklärt, um ihm obendrein noch das Mäntelchen des Sollens umzuhängen“, vgl. Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 289. 62  In diesem Zusammenhang sei auf Friedrich August von Hayek verwiesen, mit dem Eucken die Annahme teilt, wonach es keine Handlungen gebe, die aus ökonomischen Motiven heraus erklärbar seien, vgl. Friedrich A. von Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, München: Olzog, 2003 (1944), S. 120: „Die letzten Ziele, die vernunftbegabte Wesen durch ihre Tätigkeit zu erreichen suchen, sind niemals ökonomischer Art. Streng genommen gibt es kein ‚wirtschaftliches Motiv‘, sondern nur wirtschaftliche Faktoren, die die Voraussetzungen für unser Streben nach anderen Zielen schaffen. Was gemeinhin in irreführender Weise das ‚wirtschaftliche Motiv‘ genannt wird, bedeutet nichts anderes als das Verlangen nach allgemeiner Bewegungsfreiheit, den Wunsch nach der Möglichkeit, beliebige Ziele zu verwirklichen.“ 63  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 211. 61  Ein



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Denn jeder Mensch müsse Aufwand und Ertrag in ein begründbares Verhältnis zueinander setzen – ganz gleich, worin der Zweck einer Handlung bestehe, sobald ihm bloß begrenzte Mittel für die Verfolgung eines Zwecks zur Verfügung stehen. Zwar sage dies noch nichts darüber aus, ob der in einer Handlung vollzogene Wirtschaftsplan, der diesem Prinzip entspringt, auch objektiv der rationalste bzw. effizienteste aller denkbaren Pläne gewesen wäre. Es scheint vor allem im Nachhinein oftmals der Fall zu sein, dass ein gegebenes Ziel mit einem noch geringeren Aufwand an Mitteln hätte erreicht werden können. Auch ist es in den meisten Fällen eine Frage der Einschätzung durch das handelnde Subjekt, inwiefern bestimmte Handlungen überhaupt einen rationalen Charakter einnehmen und einer Überwindung von Knappheit zugute kommen – so ist auch das Beispiel der Opferbringung, das Eucken anführt, zu verstehen: Er [der Bauer] opfert teilweise aus ethisch-religiösem Pflichtbewusstsein. Dann ist das Opfer Selbstzweck. Oder er opfert, um der sonst drohenden Missernte zu entrinnen; dann ist das Opfer Mittel zum Zweck. In beiden Fällen handelt er nach dem wirtschaftlichen Prinzip. Das eine Mal, indem er sich bei Bereitung des Opfers danach richtet und den Zweck mit Aufwand möglichst geringer Werte erreichen will. Das andere Mal ist das Opfer selbst für ihn ein Mittel, um ein Maximum an Ernte zu erreichen.64

Es sei folglich immer der Fall, dass der wirtschaftende Mensch zumindest subjektiv dem wirtschaftlichen Prinzip folge. Ob er dabei jedoch das wirtschaftliche Prinzip auch objektiv realisieren kann, d. h., ob sein Wirtschaftsplan die beste aller Lösungen zur Knappheitsüberwindung bei gegebenem Zweck bereithält, hänge wiederum neben der Qualität des Planes auch von zwei weiteren Faktoren ab: vom Niveau des technologischen Fortschritts (man könnte auch sagen: von der Verfügbarkeit der Werkzeuge, mit der die Mittel bearbeitet werden sollen) und von der Funktionsfähigkeit des etablierten Preismechanismus, der dem Einzelnen die Daten für seinen Wirtschaftsplan liefert. Das wirtschaftliche Prinzip besteht infolgedessen aus zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene (als Bedingung allen vernünftigen Handelns überhaupt) definiert es, nach welchen Kriterien alle Zweck-Mittel-Wesen ihre Handlungen subjektiv ausrichten, ohne dass das im Einzelnen vorwegnehmen würde, worin konkret die objektiv beste Handlung zur Realisierung eines Zweckes bestünde bzw. bestanden hätte.65 Auf der zweiten Ebene zeigt das wirtschaft64  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 211. Das „wirtschaftliche Prinzip“ hat folglich zwei Ausprägungen. Entweder gilt es, einen gegebenen Ertrag mit möglichst wenigen Mitteln oder mit einer gegebenen Menge an Mitteln einen höchstmöglichen Ertrag zu erzielen. 65  Erneut spricht Eucken in diesem Zusammenhang sehr pathetisch vom homo sapiens, der nicht anders könne als nach dem „wirtschaftlichen Prinzip“ zu handeln, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 213.

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liche Prinzip aber auch auf, welche Anknüpfungspunkte sich zwischen dem allgemeinen Handlungsprinzip des Einzelnen sowie der gegebenen Wirtschaftsordnung und der normativen Zielsetzung von Wirtschaftspolitik ergeben, indem es einen Maßstab für die konkreten sozialen Bedingungen, unter denen eine Handlung im Idealfall stattzufinden habe, bereithält. Anders ausgedrückt: Es lässt sich anhand des Rahmens (in diesem Fall: des Preises), innerhalb dessen eine Handlung vollzogen wird, erkennen, welcher Freiraum einem wirtschaftenden Akteur zugestanden wird, nicht nur subjektiv nach dem wirtschaftlichen Prinzip zu handeln (das machen Menschen sowieso), sondern auch objektiv die besten Mittel für ihre gegebenen Zwecke wählen zu können. In genau diesem Sinne stellt das wirtschaftliche Prinzip den Dreh- und Angelpunkt sowohl der Ordnungstheorie als auch der Ordnungspolitik dar. Zwar geht es vom Individuum und seiner ökonomischen Planung aus, doch kommt in ihm damit nicht zwingend eine solipsistische oder gar metaphysische Begründung der Freiheitsidee zum Ausdruck, – wie z. B. Egon Edgar Nawroth glaubt,66 – noch versucht es als Maxime des Handelns, die Grundlage für eine „Einheit des Systems Wirtschaft“ zu legen, – wie es z. B. Georg Weippert Eucken vorhält.67 Vielmehr ist das wirtschaftliche Prinzip eine Konkretisierung der Zweck-Mittel-Struktur menschlichen Handelns und folglich sowohl Bedingung als auch Ausdruck des Umstandes, dass die Ökonomie den Bereich des menschlichen Lebens umfasst, in dem Menschen dazu gezwungen sind, ihre Dispositionen in der Gemeinschaft zu realisieren. Und nur in dieser Funktion als Gradmesser für das Maß an individueller Freiheit als Folge von sozialer Freiheit entfaltet das Prinzip seine Wirkung.68 Mit anderen Worten: Gerade in seiner Doppeldeutigkeit als subjektives und ob66  So wirft z. B. Edgar Nawroth Walter Eucken vor, einen überhöhten und selbstbezogenen, der englischen Aufklärung entnommenen Freiheitsbegriff zu propagieren. „Für den Individualismus gilt die Freiheit als Höchstwert schlechthin. […] Tunkönnen, was der Einzelne will, und: Freisein von jeder machtmäßigen Beschränkung. Die Freiheit erweist sich hier nicht als Vorbedingung, sondern als Wesen der Sittlichkeit selbst. […] Metaphysisch gesehen übernimmt damit Eucken die menschliche Freiheit in die Wesensdefinition des Menschen.“ Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, 76–77. 67  Vgl. Weippert, „Walter Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, S. 318. 68  Zugleich liefert Eucken damit eine Version davon, was Max Weber unter der so genannten „Grenznutzenlehre“ versteht, und verschafft sich dadurch eine weitere Distanz zur Historischen Schule der Nationalökonomie, vgl. Max Weber, „Die Grenznutzenlehre und das psychophysische Grundgesetz“, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: J. C. B. Mohr, Paul Siebeck, 1922, S. 396: „Die Grenznutzlehre, und überhaupt jede subjektive Wertlehre, sind nicht psychologisch, sondern – wenn man dafür einen methodologischen Terminus will – ‚pragmatisch‘ fundiert, d. h. unter Verwendung der Kategorien ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘.“

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jektives Prinzip des Handelns umfasst das wirtschaftliche Prinzip das soziale Element als ein „Apriori“ des Wirtschaftens – wie es Georg Weippert in Abgrenzung zu Eucken von einer Wirtschaftswissenschaft fordert.69 Euckens Argument lässt sich damit wie folgt paraphrasieren: Alle Menschen handeln subjektiv nach dem wirtschaftlichen Prinzip (d. h. es gehört zu ihrem Wesen, nach diesem Prinzip zu handeln). Eine gute Wirtschaftsordnung muss dem Wesen des Menschen gerecht werden. Folglich muss die realisierte Wirtschaftsordnung das wirtschaftliche Prinzip berücksichtigen. Dies tut sie wiederum nur, wenn ihre Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass jedem Einzelnen die Möglichkeit zukommt, zumindest potenziell auch objektiv nach dem wirtschaftlichen Prinzip handeln zu können (nicht weil dieses Prinzip einen Selbstzweck darstelle, sondern, um es mit von Hayek auszudrücken, weil die Herrschaft über alle Mittel „die Herrschaft über die Mittel aller unserer Ziele“ ist70). Gesteht eine Wirtschaftsordnung diesen Freiraum nicht zu, entspricht sie nicht der Natur des Menschen als ZweckMittel-Wesen und ist infolgedessen keine normativ wünschenswerte Wirtschaftsordnung. 2. Wirtschaftliche Macht als Verhinderung sozialer Freiheit Während sich am wirtschaftlichen Prinzip die Bedingung aller (äußeren) Freiheit schlechthin ablesen lässt, ist das Streben nach wirtschaftlicher Macht eine – unter Umständen ungewollte – Implikation dieses wirtschaftlichen Prinzips sowie zugleich eine Gefahr für dessen Realisierung. Für Karl Paul Hensel bildet dieser „Antagonismus der Macht“ das „Leitthema aller Ordnungstheorie“71. Das wirtschaftliche Machtstreben ist Eucken zufolge „ein vitaler Trieb des Menschen“, der eine „geschichtlich gestaltende Kraft größten Ausmaßes“72 darstellt und der folglich auch einer besonderen Berücksichtigung in jeder sinnvollen Konzeption von Wirtschaft und Gesellschaft bedarf. Denn, so Eucken: „Wäre tatsächlich das Gebot der Nächstenliebe zur höchsten Macht auf Erden geworden und richteten sich die Menschen nach ihm, so würden sich alle wirtschaftsverfassungsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Fragen anders stellen.“73 Stets präsentiere sich das Phänomen der Macht dabei in Weippert, „Walter Euckens Grundlagen der Nationalökonomie“, S 321. Der Weg zur Knechtschaft, S. 123. 71  K. Paul Hensel, „Das Verhältnis von politischer Wissenschaft zur Politik S. 3–21“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 4 (1951): S. 15. 72  Eucken, „Wissenschaft im Stile Schmollers“, S. 479. 73  Ebd., S. 491. 69  Vgl.

70  Hayek,

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

verschleierter Form und lasse sich selten ohne einen ideologischen Impetus vorfinden. In diesem Sinne trügen alle politischen Konflikte und Umwälzungen sowie jegliche sonstige gesellschaftliche Auseinandersetzungen immer auch den Charakter einer Auseinandersetzung um gesellschaftliche – und folglich um wirtschaftliche – Machtpositionen in sich. Oftmals sei es sogar so, dass es zuvorderst die „reine“ Lust an der Macht sei, deren Ergebnis infolge eines Machtkampfes nachhaltig das Schicksal der Menschen präge. Denn auch viele scheinbar moralisch begründete Handlungen seien in Wirklichkeit „gelungene Verbrechen“, die ihr wahres Machtstreben verbergen würden.74 Doch trotz dieser sprachlich häufig pathetisch zum Ausdruck gebrachten Rolle des Phänomens „Macht“ im ordoliberalen Denken liefert Eucken selbst keine positive und vor allem abschließende Definition davon, worin Macht im Einzelnen besteht.75 Vielmehr fällt das Vorhandensein von Macht mit der Unmöglichkeit eines Marktteilnehmers zusammen, seine Zwecke unter den Bedingungen des wirtschaftlichen Prinzips zu realisieren.76 Mit anderen Worten: wirtschaftliche Macht erschließt sich als Gegenprinzip zum wirtschaftlichen Prinzip, weil sie es verhindert, dass sich das wirtschaftliche Prinzip nicht nur subjektiv, sondern eben auch objektiv entfalten kann.77 Damit gibt es aus Sicht Euckens keine andere Möglichkeit, als dass sich die höchste Konzentration wirtschaftlicher Macht in der „Total zentralgeleiteten Wirtschaft“ wiederfinde. Denn in jeder Ausprägung der zentral geleiteten Wirtschaft werde der gesamte wirtschaftliche Alltag durch einen einzigen Wirtschaftsplan bestimmt. Alle Mitglieder eines solchen Gemeinwesens haben sich somit diesem einzigen Plan anzupassen, weil sie über keinerlei wirtschaftlichen Handlungs- und Ausweichspielraum verfügen würden. Denn sofern ihre materielle Existenz von der Realisierung dieses einen Planes abhängt, haben sie gar keine andere Wahl, als sich im Rah74  Ebd.,

S. 479. den Verlauf des im Rahmen dieser Arbeit vorgetragenen Arguments ist diese Frage nicht weiter von Bedeutung, weil es in diesem Zusammenhang vor allem wichtig ist, dass die Relevanz des Machtbegriffs für Eucken nachvollzogen wird. Zu der allgemeinen Schwierigkeit, Machtstrukturen zu bestimmen sowie zu zerstören, vgl. z. B. Hans Otto Lenel, Unternehmensverflechtungen in der EWG, Frankfurt am Main: Athenäum-Verlag, 1972, S. 48; Hartmut Berg, „Internationaler Wettbewerb – Nationale Wettbewerbspolitik: Zielkonflikte unvermeidbar!“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 38 (1987): S. 133 ff. 76  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 203. 77  Die Lesart, wonach „Macht“ bei Eucken als „Mangel“ bzw. „Abwesenheit“ in Hinblick auf ein positives Prinzip (wirtschaftliche Prinzip) verstanden wird, ist allgemein anerkannt. In der Regel wird „Macht“ als „mangelhafte Marktorganisation“ verstanden, vgl. dazu z. B. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft, S.  119 ff. 75  Für



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men ihrer Handlungsstruktur den Anweisungen der Planstelle vollständig zu unterwerfen.78 Anders verhält es sich Eucken zufolge in der Verkehrswirtschaft. In ihr konstituieren die Pläne zahlreicher Akteure die Gesamtheit des wirtschaftlichen Alltages. Das heißt jedoch nicht, dass die Verkehrswirtschaft per se ein machtfreier Raum wäre. Vielmehr variieren die Machtpositionen der verschiedenen Wirtschaftsgebilde und Marktteilnehmer je nachdem, welche Wichtigkeit der Markt hat, der im konkreten Fall betrachtet wird, und welche Position der einzelne Marktteilnehmer auf diesem einnimmt.79 So besitzt im Falle des Monopol- und des Oligopolmarktes die jeweilige Marktgegenseite keine bzw. nur eine begrenzte Möglichkeit, ihrem Gegenüber auszuweichen. Durch diese Sonderposition ist es z. B. einem Monopolisten möglich, die Reaktionen der Marktgegenseite in seine Pläne aufzunehmen und folglich einen höheren Gewinn auf deren Kosten zu realisieren, indem dessen wirtschaftliches Prinzip nicht vollständig zu Entfaltung kommen kann. Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, warum Eucken die „vollständige Konkurrenz“ als diejenige Wirtschaftsordnung ausmacht, die am ehesten mit dem Wesen des Menschen kompatible ist. Die Tatsache, dass das einzelne Wirtschaftsgebilde den Preis als vom anonymen Markt gegeben ansieht und folglich die Reaktion der Marktgegenseite nicht als Plandatum in seinem Wirtschaftsplan antizipiert, führe dazu, dass die „vollständige Konkurrenz“ einem wirtschaftlich „(faktisch) machtfreien Raum“ gleiche. Dabei seien die einzelnen Wirtschaftsgebilde jedoch nicht komplett entmachtet, sondern nähmen vielmehr eine kleine Machtposition im Verhältnis zu den anderen Marktteilnehmern ein. In der „vollständigen Konkurrenz“ seien infolgedessen die einzelnen Wirtschaftsgebilde den anderen Marktteilnehmern nicht bedingungslos ausgeliefert, sondern könnten, so die Vorstellung Euckens, im Rahmen ihrer Teilpläne das höchste Maß an Autonomie für sich beanspruchen, ohne dabei jeweils den Handlungsspielraum der anderen einzuschränken.80 78  Zwar wurde in diesem Zusammenhang auch argumentiert, dass Eucken den „Plan“ nicht prinzipiell ablehne, weil schließlich seine ganze Wirtschaftstheorie darauf basiere, vgl. Herbst, Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft, S. 338. Doch geht dieser Einwand an der Tatsache vorbei, dass Euckens Ansatz darin besteht, den Markt und die dort realisierten Teilpläne auf eine bestimmte Art und Weise zu realisieren. 79  Es bietet sich der Markt für Rohstoffe wie Rohöl beispielsweise eher für eine hohe Machtkonzentration an als der Markt für Stricknadeln oder Sandalen, wobei auch das von den konkreten Bedürfnissen einer Bevölkerung abhängig zu sein scheint. 80  Franz Böhm bringt diesen Zusammenhang wie folgt auf den Punkt: „Wer privatwirtschaftliche Autonomie in Anspruch nimmt, darf auf dem Markt keine Macht besitzen; wer über Marktmacht verfügt, hat keinen Anspruch auf privatwirtschaftliche

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Euckens Machtbegriff lässt sich damit wie folgt beschreiben: In dem Augenblick, in dem man nicht über die Möglichkeit verfügt, seinem jeweiligen Gegenüber auszuweichen, und man gleichzeitig von den Entscheidungen bzw. Erzeugnissen dieses Gegenübers abhängig ist, ist man auch dessen Machttrieb ausgeliefert. Wirtschaftliche Macht stelle somit das Gegenstück zum wirtschaftlichen Prinzip dar. Denn indem die einzelnen Akteure versuchen, die für ihre Zwecke angemessene bzw. beste Handlung zu vollziehen und dabei bestimmte Freiräume benötigen, streben sie (ob gewollt oder ungewollt) danach, die anderen Akteure und deren Interesse zu unterwandern und zu beschneiden und sie auf die Rolle als Mittel zu reduzieren. Das wiederum hat zur Folge, dass diese in der Realisierung ihres wirtschaftlichen Prinzips eingeschränkt werden. In genau diesem Sinne ist das Streben nach Macht sowohl eine Implikation als auch eine Gefahr des wirtschaftlichen Prinzips. Vor allem aber, und das wird besonders in Hinblick auf den Staatsbegriff Euckens eine Rolle spielen, eröffnet dieses Verständnis von Macht ein Einfallstor für Hobbes „pessimistische Anthropologie“81, die vermittelt durch Carl Schmitt auch eine Rolle für die ordoliberale Konzipierung staatlicher Herrschaft spielen wird (vgl. § 4, II.). 3. Preise und „Ordo“: Die Wettbewerbsordnung und das Primat der Ökonomie In seinen Ausführungen zur Ausgestaltung des Preises laufen Euckens Überlegungen zum wirtschaftlichen Prinzip und zum Streben nach wirtschaftlicher Macht zusammen. Der Preis ist dabei Inbegriff der äußeren Rahmenbedingung des individuellen Handelns, weil er die Informationen enthält, die der Mensch in seine Zweck-Mittel-Kalkulation einbeziehen muss. Er ist folglich Dreh- und Angelpunkt für die Verhinderung und die Zerstörung aller wirtschaftlichen Machtkörper zugunsten der wirtschaftlichen Freiheit des Einzelnen. Dies wird im Folgenden als das Primat der Ökonomie bezeichnet werden, als das universal gültige Recht eines jeden Einzelnen, ohne Einschränkungen durch andere seine Potenziale realisieren, seine Zwecke verfolgen und sein Leben planen zu können. Hauptaufgabe von Preisen im Kontext der Verkehrswirtschaft ist es, so Eucken, die Rolle eines „Knappheitsmessers“ zu spielen, der anzeigt, wie es Autonomie.“ Franz Böhm, „Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung“, in: Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, hrsg. von Ulrich Scheuner, Frankfurt a. M.: Athenäum Verlag GmbH, 1971, S. 148. 81  Vgl. Günter Maschke, „Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts“, in: Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, hrsg. von Klaus Hansen und Hans Lietzmann, Opladen: Leske + Budrich, 1988, S. 59.



§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft

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um die Knappheit der einzelnen Güter steht und welche Produktionsentscheidung in den Betrieben getroffen werden müssen, damit die Kombination der Produktionsmittel im Angesicht einer gegebenen Nachfrage sinnvoll erfolgen könne. Eucken selber spricht dabei auch von einer Rechenmaschine, die in eine Wirtschaft eingebaut werden müsse, wenn das so genannte „Lenkungsproblem“ gelöst werden soll.82 Diese Funktion des Preises ist vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Prinzips von herausragender Bedeutung, weil erst ein funktionsfähiger Knappheitsmesser die Bedingungen dafür schaffen könne, dass der Mensch im Rahmen einer arbeitsteiligen und ausdifferenzierten Ökonomie in die Lage versetzt werde, die ihn umgebende Knappheit im Rahmen seines Zweck-Mittel-Daseins angemessen zu überwinden. Nur ein funktionsfähiger Preismechanismus garantiere Eucken zufolge, dass die objektiven Knappheitsgrade der verschiedenen begehrten Güter zum Ausdruck gebracht würden und somit dem Einzelnen für seine individuelle Knappheitsüberwindung als objektiver Maßstab zur Verfügung stehen. Denn solange der Preis als Knappheitsmesser versagt, solange werde auch das wirtschaftende Individuum zwar subjektiv weiterhin dem wirtschaftlichen Prinzip folgen – folgen müssen, denn „subjektiv handelt der Mensch […] stets nach dem wirtschaftlichen Prinzip“83 –, doch werde es in der Möglichkeit, seine Situation der Knappheit zu überwinden, beeinträchtigt. Und das impliziere, dass Menschen, sofern sie wirtschaften, ihr Potential nicht gemäß ihres Wesens, dem wirtschaftlichen Prinzip, realisieren könnten. Sie seien folglich in dem eingeschränkt, was ihnen, Eucken zufolge, von Natur aus zukomme. Das zentrale Ziel aller Ordnungspolitik müsse infolgedessen darin bestehen, diejenige Wirtschaftsordnung zu realisieren, der es gelingt, die Lenkung des wirtschaftlichen Alltags genau so zu gestalten, dass sich in ihr die wirtschaftlichen Knappheitsmesser ohne Einschränkung durch verzerrende Machtstrukturen vollständig entfalten und die Menschen diese in ihre Zweck-MittelKalkulationen integrieren können.84 82  Eucken,

Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 8. Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 213. 84  An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass Euckens Preislehre große Ähnlichkeiten mit derjenigen von Hayeks aus dessen Aufsatz The Use of Knowledge in Society aufweist, wonach die Aufgabe von Preisen darin bestehe, gesellschaftliches Wissen in einer höchst konzentrierten Form zugänglich zu machen. In diesem Kontext liege die wichtigste Funktion eines Preises darin, als Kondensation aller für eine Handlung potentiell relevanten Informationen aufzutreten. Dies leiste er insofern, als er die gesamte Fülle aller ökonomischen Entscheidungen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und unter Berücksichtigung verschiedener persönlicher Wissenshorizonte gefällt wurden, quantifiziert und somit objektiv messbar und nachvollziehbar erscheinen lasse. Der Einzelne müsse in diesem Zusammenhang nicht wissen, unter welchen konkreten Bedingungen die für die Preisbildung relevanten Entscheidungen gefällt wurden, denn er habe bereits durch die Betrachtung eines einzigen Preises die Möglichkeit, eine Entscheidung aus seiner subjektiven Wirklichkeit heraus zu treffen. Vgl. 83  Eucken,

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Folglich könne auch nur der Preismechanismus im Rahmen einer Wettbewerbsordnung die Funktion einer – wie Eucken es selber ausdrückt – „ordnenden ratio“85 einnehmen. Und genau in diesem Sinne stellt der Preis in der vollständigen Konkurrenz einen Preis im Sinne einer „freie[n] natürliche[n] gottgewollte[n] Ordnung“86 dar. Denn er bringe als objektiver Knappheitsmesser erstens den Status des technologischen Fortschritts und zweitens die real existierenden Produktionsbedingungen vor dem Hintergrund der Gesamtnachfrage zum Ausdruck – ohne dabei durch einzelne wirtschaftliche Machtgruppen zum Nachteil anderer Wirtschaftsakteure (und deren Wirtschaftspläne) manipuliert worden zu sein. Damit liege in der Ausgestaltung des Preises im Rahmen einer arbeitsteiligen Ökonomie nicht nur die einzige Möglichkeit, die Potenzialität des Einzelnen (im Sinne des wirtschaftlichen Prinzips) in Einklang mit der Potenzialität und den Interessen der anderen zu bringen. Mehr noch: Die Konfiguration des Preises – „richtig verstanden“ – wird zu einer notwendigen Bedingung für ein würdevolles und freies Leben überhaupt.87 Genau darin kommt das Pathos zum Ausdruck, das im Rahmen des Ordoliberalismus mit dem Begriff „Ordo“ in Verbindung gebracht wird und das dem Ordoliberalismus seinen Namen verliehen hat. Dazu Eucken: Die Wettbewerbsordnung verwirklicht sich nicht von selbst. Sie ist in diesem Sinne keine natürliche Ordnung, keine ordre naturel. […] Aber in einem anderen Sinne ist sie eine natürliche Ordnung oder Ordo. […] Wir erfinden die Wettbewerbsordnung nicht; sondern wir finden ihre Elemente in der konkreten Wirklichkeit vor. Wir erzwingen nichts, sondern wir bringen zur Entfaltung, was […] in der Wirklichkeit da ist. Die ungemein starken Tendenzen zur vollständigen Konkurrenz, die wir in den Dingen selbst vorfinden, suchen wir zu entfalten. Unter der begrenzten Zahl von Ordnungsformen wählen wir diejenigen Ordnungsformen aus, die sich als geeignet erweisen. […] Mit der Politik der Wettbewerbsordnung oktroyiert der Staat nicht eine Wirtschaftsordnung, sondern er bringt zur Geltung, was sonst durch andere Tendenzen zurückgedrängt wurde.88 Friedrich A. von Hayek, „The Use of Knowledge in Society“, The American Economic Review 35, Nr. 4 (1945): S. 526.: „The whole acts as one market, not because any of its members survey the whole field, but because their limited individual fields of vision sufficiently overlap so that through many intermediaries the relevant information is communicated to all.“ 85  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 8. 86  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 176. 87  Dieses Pathos findet sich an vielen Stellen bei Eucken wieder, wenn er z. B. schreibt: „Wir müssen uns daran gewöhnen, daß feierliche Fragen nach der geistigseelischen Existenz des Menschen mit sehr nüchternen Fragen der wirtschaftlichen Lenkungsmechanik untrennbar verbunden sind.“ Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 184. 88  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 373–4.

§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft



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Diese Formulierungen machen den Kern des Primates der Ökonomie aus, d. h. des universal gültigen Rechts eines jeden Einzelnen, ohne Einschränkungen durch andere seine Zwecke verfolgen zu können. Eine Ordnung im Sinne von „Ordo“ müsse so konfiguriert sein, dass der Preis seiner Rolle als natürlicher Preis gerecht werde, indem er das Potential der einzelnen Akteure nicht hemme, sondern diese sich gemäß ihres Zwecks zur Entfaltung bringen lassen. Damit wiederum soll, Eucken zufolge, gerade nicht das Preisverständnis nach Adam Smith sowie seiner „unsichtbaren Hand“ gemeint sein, wie Ptak das zum Ausdruck bringt.89 Auch gehe es nicht um eine, wie Nawroth es nennt, Wiederauflage des „Glaubens an die selbstregulierenden Kräfte des Marktes“ oder gar um die „preistheoretische Selbstregulierung des freien Kräftespiels“.90 Vielmehr gelte es, das Natürliche im Zuge von Ordo sowie des damit einhergehenden Primates der Ökonomie zu realisieren.91 Das bedeutet vor allem, es institutionell und rechtlich aktiv zu schaffen, weil es sich gerade nicht aus der Abwesenheit staatlichen Handelns, sondern aus dessen Gestaltung ergebe.92 Euckens Argument lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Zwar konstituiert das wirtschaftliche Prinzip jede vernünftige Handlung überhaupt und gehört zum Wesen des Menschen im Rahmen seiner Zweck-Mittel-Struktur. Doch trägt dieses Prinzip die Möglichkeit der eigenen Zerstörung als wirtschaftliche Macht (ob in bewusster oder unbewusster Ausübung) bereits in sich. Infolgedessen bedarf es eines Staates, der die rechtlichen und institutionellen Bedingungen dafür schafft, dass jedem die Chance zukommt, im Sinne des wirtschaftlichen Prinzips frei von Fremdbestimmung zu sein. z. B. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft, S. 124. Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 307 ff., sowie Edgar Nawroth, Die wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen des Neoliberalismus, Köln/München: Heymann, 1962, S. 21. 91  Vgl. dazu auch: Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 81; Leonhard Miksch, Wettbewerb als Aufgabe, Stuttgart: Kohlhammer, 1937, S. 12. Letzterer schreibt über das Verhältnis von Staat zu der zu realisierenden Wirtschaftsordnung: „Die Wettbewerbspolitik des Staates rückt in den Mittelpunkt, aus der Naturordnung wird eine staatliche Veranstaltung.“ Nawroth wiederum gesteht diesem Zusammenhang nicht die Eigenschaft einer Naturordnung zu, weil ihm zufolge Euckens wirtschaftliches Prinzip nicht ausreiche, um auf das „eigentliche Wesen der Wirtschaft“ zu schließen bzw. die Wirtschaft in ihrer Dimension als „kulturelle Sinnerfüllung“ zu erkennen, vgl. Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus,. Zurecht weist jedoch Gerhard Engel darauf hin, dass Nawroth die soziale Dimension in Euckens Freiheitsbegriff schlichtweg nicht habe sehen bzw. anerkennen wollen, vgl. Gerhard Engel, „Die Überwindung von Normativität durch Theoriebildung“, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik: Konzeptionen und Entwicklungsperspektiven, hrsg. von Helmut Leipold, Ingo Pies, und Dieter Cassel, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000, S. 286 ff. 92  Vgl. dazu z. B. Rieter/Schmolz, „The ideas of German Ordoliberalism 1938–45“, S. 104. 89  Vgl.

90  Nawroth,

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Das macht den Kern der ordoliberalen Legitimation staatlicher Herrschaft aus. Sie folgt – um es mit Foucault auszudrücken – dem Ziel, „für den Markt“ und nicht „auf Veranlassung des Marktes“ zu regieren.93 Das heißt, dass der wirtschaftlichen Freiheit sowohl das begründende als auch das begrenzende Moment bei der Legitimierung eines Staates zukomme94 und dass diese Legitimierung darin liege, wie Karl Schiller es formuliert, die ökonomischen Institutionen einer Gesellschaft im Sinne der Durchlässigkeit sowie der individuellen Ermächtigung zu gestalten, als ein „entprivilegisiertes Aufstiegssystem, eine soziale Verteilung der Lebenslagen“95. Es geht Eucken damit um eine naturrechtlich konfigurierte Rolle des Marktes als zentraler Baustein für die Schaffung offener Institutionen, die einen vergleichbaren Impetus aufweisen wie die Überlegungen, die Daron Acemoglu und James Robinson in Why Nations Fail entwickelt haben, denen zufolge der Staat so genannte „inclusive economic institutions“ entwickeln müsse, d. h. Institutionen, in denen die gleichen Anreize für alle gelten müssten und zu denen der Zugang nicht auf Privilegien beruhen dürfe.96 Der Preis als „ordnende ratio“ ist in diesem Zusammenhang deshalb von so großer Relevanz für Eucken, weil er in seinem Ausdrucksmittel, dem Geld, das formalste aller Wertkriterien zum Vorschein bringt.97 Das Primat der Ökonomie zielt infolgedessen darauf ab, die formalen Bedingungen der freiheitlichen Gesellschaft zu 93  Vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 174. Genau in diesem Zusammenhang taucht der häufig gegen Eucken sowie die restlichen Ordoliberalen erhobene Vorwurf auf, sie würden Freiheit ausschließlich aus Sicht der Ökonomie und infolgedessen einseitig definieren, vgl. z. B. Helmut Paul Becker, Die soziale Frage im Neoliberalismus, Heidelberg: Kerle [u. a.], 1965, S. 94–5. 94  Zu dieser Besonderheit des Verständnisses von Wettbewerb bei Walter Eucken schreibt Foucault: „Der Wettbewerb hat eine innere Logik, er hat seine eigene Struktur. Seine Wirkungen stellen sich nur dann ein, wenn diese Logik beachtet wird. […] Der Wettbewerb ist also ein geschichtliches Ziel der Regierungskunst und keine Naturgegebenheit, die es zu beachten gäbe.“ Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 173. 95  Schiller, Sozialismus und Wettbewerb, S. 34. 96  Vgl. Daron Acemoglu/James A. Robinson, Why nations fail, New York: Crown Publishers, 2012, S. 74–5.: „Inclusive economic institutions […] are those that allow and encourage participation by the great mass of people in economic activities that make best use of their talents and skills and enable individuals to make the choices they wish. To be inclusive, economic institutions must feature secure private property, an unbiased system of law, and a provision of public services that provides a level playing field in which people can exchange and contract; it also must permit the entry of new business and allow people to choose their careers“. 97  Simmel, Philosophie des Geldes, S. 273. In diesem Zusammenhang entwickelt Simmel die Vorstellung, wonach das Geld das „absolute Mittel“ und zugleich das „reinste Werkzeug“ sei, weil jeder gleichermaßen mit ihm arbeiten könne und es in keiner unmittelbaren Beziehung zu dem konkreten Zweck stehe, den ein Einzelner verfolge. Das mache den formalen Charakter des Geldes aus, der z. B. auch dem „Fremden“ offenstehe. Denn: „[D]as Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man



§ 1  Das Primat der Ökonomie und die Ordnung der Wirtschaft

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schaffen bzw. zu erhalten und sie nicht als eine sich selbst realisierende Struktur zu deuten. Dann dazu sei ein Markt selber schlichtweg nicht in der Lage. IV. Fazit Damit wurde in § 1 bezüglich der Frage, wie Eucken im Rahmen seiner ordoliberalen Theorie von einer positiven Beschreibung der Welt zu einer normativen Zielsetzung aller sozialen und vor allem wirtschaftlicher Ordnungen gelangt, folgendes gezeigt: – Euckens Ordnungstheorie ist von einem essentialistischen Verständnis von Wissenschaft geprägt, wonach eine „echte und rechte“ Wissenschaft „evidente Vernunftwahrheiten“ gewinnen könne, die dann wiederum nicht nur Aussagen darüber zulassen kann, was ist, sondern auch, was sein sollte. (vgl. § 1, I.) – Die Normativität der Ordnungstheorie entspringt damit nicht der konkreten wissenschaftlichen Methode Euckens, sondern vielmehr seinem MetaVerständnis von Wissenschaft, das seine Gültigkeit ganz unabhängig von der konkreten Methode beansprucht – als Axiom aller richtig verstandener Wissenschaft. (vgl. § 1, I. 3.) – Die konkrete Verknüpfung von positiver Ordnungstheorie und normativer Ordnungspolitik erfolgt über die Annahme, dass der Mensch ein ZweckMittel-Wesen sei, das über die Ausgestaltung von Wirtschaftsplänen seine Ziele in der Gemeinschaft verfolgt. (vgl. § 1, II.) – Das „wirtschaftliche Prinzip“ ist eine Konkretisierung dieser Zweck-Mittel-Annahme und stellt in diesem Zusammenhang einen Gradmesser für das Maß an individueller Freiheit dar, die im sozialem Kontext gewährt werden kann. (vgl. § 1, III. 1.) – Zugleich bildet das Phänomen wirtschaftlicher Macht in doppeltem Sinne das Gegenstück zum wirtschaftlichen Prinzip. Denn es entspringt einerseits dem wirtschaftlichen Prinzip (ob gewollt oder ungewollt bzw. ob aus egoistischen oder gar altruistischen Motiven) und es trägt andererseits die Verhinderung der Realisierung des wirtschaftlichen Prinzips in sich. Und weil das wirtschaftliche Prinzip das Prinzip allen vernünftigen Handelns ist, gilt es eine Wirtschaftsordnung zu realisieren, in dem die Bedingungen des Wirtschaftens dem Einzelnen die Möglichkeit liefern, sich nach seinen Dispositionen sowie gemäß dem wirtschaftlichen Prinzip zu entfalten. Das mit dem negativen Begriffe der Charakterlosigkeit bezeichnet.“ Simmel, Philosophie des Geldes, S. 281 ff.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

ist Eucken zufolge die „vollständige Konkurrenz“, in der das Phänomen wirtschaftlicher Macht „faktisch“ keine Rolle mehr spielt. (vgl. § 1, III. 2.) – Diese normative Zielsetzung wurde abschließend als Primat der Ökonomie bezeichnet, als das universal gültige Recht eines jeden Einzelnen, seine Potenziale ohne Einschränkungen durch andere realisieren, seine Zwecke verfolgen und sein Leben planen zu können. Dabei übernimmt der Preis die Rolle einer „ordnenden ratio“ und bringt damit vor allem die Formalität der Bedingungen, die Eucken mit seiner Ordnungspolitik beabsichtigt, zum Ausdruck. (vgl. § 1, III. 3.)

§ 2  Das Primat der Ökonomie in den Begriffen der thomistischen Rechtslehre Nachdem in § 1 skizziert wurde, wie Eucken seine Vorstellungen von Ordo im Sinne der „Vernunft oder der Natur des Menschen“ auf Grundlage seiner Ordnungstheorie entwickelt, wird im nun folgenden Schritt dargelegt, dass Form und Struktur seines Argumentes sich mit den Begriffen der Rechtsbzw. Naturrechtslehre Thomas von Aquins rekonstruieren lassen. Diesen Zusammenhang systematisch darzulegen, ist für den Kontext der vorliegenden Arbeit deshalb von Relevanz, weil daran festgemacht werden kann, dass sich das normative Selbstverständnis des Ordoliberalismus mitsamt seiner vorrechtlich begründeten Bindung und Limitierung staatlicher Macht nicht nur rein begrifflich, sondern auch argumentativ untermauern lässt. Diese Einordnung des Eucken’schen Ordoliberalismus in die Tradition des Naturrechts erfolgt unter Einbeziehung verschiedener Vorarbeiten,98 um sich jedoch in zentralen Punkten von deren Schlussfolgerungen abzusetzen. Damit bildet § 2 die konzeptionelle Grundlage dafür, den inhärenten Widerspruch im Staatsverständnis des Ordoliberalismus zwischen Naturrecht und Dezisionismus zum Vorschein kommen zu lassen (vgl. § 3 und 4) – und diesen Widerspruch – entgegen der häufig in der Rezeption des Ordoliberalismus auftretenden Versuchung – nicht in die eine oder andere Richtung schlichten bzw. lösen zu wollen.99 98  Vgl. z. B. Veit, „Ordo und Ordnung“; Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus; Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens; Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken. 99  Vgl. z. B. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, vor allem S. 113–34. Trotz der sehr treffenden Analyse, die Runge in diesem Zusammenhang vorlegt, versucht er, die Widersprüche im Staatsbegriff Euckens zu lösen, indem er dem Ordoliberalismus vorwirft, das Naturrecht nur als „ideologisches Gewand“ zu verwenden, um eine Unterordnung des Individuums unter die Gesamtordnung zu rechtfertigen, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im



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Um diesem Ziel gerecht zu werden, gilt es in einem ersten Schritt, die sehr unterschiedlichen Einschätzungen dahingehend darzustellen, ob es sich bei Euckens Ordoliberalismus um ein Naturrecht handeln würde – oder nicht (vgl. § 2, I.). Dann wird Thomas von Aquins Naturrechtslehre, ausgehend von seinen Ausführungen in der Summe der Theologie I–II, Fragen 90–97, skizziert. In diesem Zusammenhang soll vor allem auf die Frage eingegangen werden, auf Grundlage welcher Prämissen Thomas seine Rechtslehre entwickelt hat und in welchem Verhältnis ihm zufolge das Naturrecht zum tatsächlich realisierten bzw. zum positiven Recht steht (vgl. § 2, II.). Dabei soll eine Lesart Thomas von Aquins als eines genuin liberalen Rechtstheoretikers vorgeschlagen werden – vor allem im Gegensatz zur Thomas-Rezeption der so genannten Neo-Thomisten, die gegen zentrale Positionen des Liberalismus sowie der Aufklärung und damit auch Walter Euckens argumentiert haben.100 Für den Kontext der vorliegenden Arbeit bedeutet das vor allem, dass das thomistische Naturrecht nicht einfach als Ableitung von einem, wie der Neo-Thomist Joseph Höffner es nennt, „Wesenskonstitutiv des Menschen als solchem“101 verstanden werden kann, weil das vor allem zur Folge hätte, dass das Naturrecht als Summe inhaltlich definierter sowie unveränderbarer Normen verstanden werden müsste102 – und infolgedessen keine für die liberale Rechtsphilosophie konstitutive Trennung von „Recht“ und „Ethik“ zulassen könnte.103 Im Gegensatz dazu wird unter besonderem Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 134. Ähnlich, wenn auch entgegengesetzt, verhält es sich z. B. bei Thomas Fischer, dessen Schlussfolgerung in Hinblick auf denselben Widerspruch lautet, dass Eucken den Dezisionismus nur sehr „oberflächlich“ in seinen Staatsbegriff aufgenommen habe, obwohl die Begrifflichkeit eigentlich darauf hindeuten würde, vgl. Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 156–60. 100  Die Formierung des Neo-Thomismus im späten 19. Jahrhundert ging mit der Enzyklika Aeterni Patris aus dem Jahr 1879 einher, im Rahmen derer Thomas von Aquin offiziell durch Papst Leo XIII zum Kirchenphilosophen ernannt wurde. Franz Schupp führt in diesem Zusammenhang aus, dass Thomas in der Folge durch die Brille des Neo-Thomismus „schräg“ rezipiert worden sei, weil man ihn im Sinne einer „philosophia perennis“ gelesen hätte, was eigentlich nicht mit seinem ursprünglichen Impetus, Philosophie zu betreiben, vereinbar gewesen wäre, vgl. Schupp, Geschichte der Philosophie im Überblick, 2: S. 380–1. 101  Vgl. Joseph Höffner, Christliche Gesellschaftslehre, Kevelaer: Butzon & Bercker, 2000, S. 56. 102  Anthony Lisska spricht in Hinblick auf diesen Ansatz von „reductivism“, vgl. Lisska, Aquinas’s Theory of Natural Law, S. 142ff. 103  Franz-Martin Schmölz weist darauf hin, dass ein solch starres Konzept von Naturrecht alleine deshalb zu kurz greife, weil es „für alle Zeiten das Denken ersparen würde“ und infolgedessen auch nicht „diesen Titel [des Naturrechts] für sich in Anspruch nehmen“ dürfe, vgl. Franz-Martin Schmölz, „Der gesellschaftliche Mensch und die menschliche Gesellschaft bei Thomas von Aquin“, in: Das Naturrecht in der politischen Theorie, hrsg. von Franz-Martin Schmölz, Wien: Springer, 1963, S. 58–9.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Verweis auf den australischen Philosophen John Finnis sowie den deutschen Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde „Naturrecht“ als Vollzug sowie Ergebnis einer formalen Disposition des Menschen, das Gute unter Verwendung der praktischen Vernunft zu erstreben, konzipiert. Davon ausgehend wird die Möglichkeit einer Rechtslehre Thomas von Aquins aufgezeigt, in der das Privatwohl konstitutives Element des Gemeinwohls ist und in der das positive Recht die von der inneren Moralität unabhängigen Bedingungen der äußeren Freiheit darstellt. Im Anschluss daran werden dann die Parallelen zwischen der Naturrechts- und Rechtslehre Thomas von Aquins und denjenigen der Ordnungstheorie und -politik Walter Euckens herausgearbeitet (vgl. § 2, III.). Dabei liegt der Fokus darauf, dass sich Eucken bei der Struktur und der „methodischen Konzeption“ seiner Ordnungspolitik im Rahmen der Naturrechts- und Rechtslehre Thomas von Aquins aus dessen Summe der Theologie bewegt104 – zumindest insofern, als man bereit ist, das thomistische Rechtsverständnis als genuin liberale Naturrechts- und Rechtslehre zu verstehen. I. „Ordo“ zwischen Naturrecht und einer „wertefreien Wissenschaft“ Wie bereits in § 1 angedeutet, bestehen hinsichtlich der Rezeption bzw. der Einordnung des Ordoliberalismus größtmögliche Differenzen bei der Frage danach, ob sich die Grundlagen von Ordnungstheorie und -politik überhaupt im Sinne eines Naturrechts verstehen lassen, obwohl dies vor dem Hintergrund des durch Augustinus und die Scholastik geprägten Begriffes „Ordo“105, von dem sich „Ordoliberalismus“ ableitet, auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen mag.106 Es lassen sich grob vier Positionen bezüglich der normativen Verankerung des Ordoliberalismus Walter Euckens unterscheiden.107 104  Diese Ausführungen sind auch vor dem Hintergrund interessant, dass Leo Strauss in History and Natural Law eine Ansicht vertritt, die sich vor dem Hintergrund der folgenden Ausführungen als nicht haltbar erweisen wird: Ihm zufolge lasse sich die politische Philosophie der Nachkriegzeit in zwei Gruppen unterteilen, die aus den Liberalen auf der einen und den Naturrechtlern in der Tradition von Thomas von Aquin auf der anderen Seite bestehen würden, vgl. Strauss, Natural Right and History, S. 7. 105  Vgl. Joachim Ritter, „Ordo“, hrsg. von Joachim Ritter, Historisches Wöterbuch der Philosophie, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1986, S. 1250–74. 106  Für Gernold Blümle erklärt sich dieser Umstand aus der Tatsache heraus, dass Eucken selber nicht viel konkretes zu seinem Verständnis von Ordo gesagt bzw. geschrieben hätte, vgl. Blümle, „Freiheit und Norm bei Walter Eucken“, S. 294–5. 107  Diese Einteilung erfolgt frei nach den Ausführungen Nils Goldschmidts, vgl. Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, S. 101–8.



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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(a)  Der ersten Position zufolge ist der Begriff Ordo in der Tat metaphysisch bzw. naturrechtlich begründet, weil Eucken eine Wirtschaftsordnung konzipiert, die sich, wie er selber schreibt, an der „Vernunft oder der Natur des Menschen und der Dinge“108 orientiert. Deshalb müsse Eucken, z. B. Thomas Fischer zufolge, zumindest implizit die Frage beantworten, worin diese Natur im Einzelnen bestehe.109 In dieselbe Richtung argumentiert auch Otto Veit, dem zufolge der Begriff Ordo auf ein „metaphysisches Ordnungsgebilde in den Lebensbereichen, die man erforscht“, sowie auf ein „vom Naturgesetz getragenes Sitten- und Rechtssystem“ abziele, dessen Ursprung in der scholastischen Ordo-Idee liege.110 Und auch Uwe Runge spricht in Hinblick auf den Ordoliberalismus von einem „neoliberalen Naturrecht“, welches einem säkularisierten thomistischen Naturrechtsbegriff gleichkomme: „Zu konstatieren ist […] eine […] Parallelität in der methodischen Konzeption sowohl des thomistischen Naturrechtsdenkens als auch des neoliberalen Rechtsbegriffs.“111 Stefan Voigt wiederum teilt diese Einordnung des Ordoliberalismus in die Tradition des Naturrechts, sieht allerdings in jenem „metaphysischen Fundament“ der Ordnungstheorie (im Sinne einer, wie Eucken schreibt, „freie[n] natürliche[n] gottgewollte[n] Ordnung“112) die gänzliche Unbrauchbarkeit des Ordoliberalismus für die Lösung moderner volkswirtschaftlicher Probleme.113 (b)  Die zweite Position erkennt zwar an, dass Eucken in einer Ordo-Tradition der Scholastik und des Naturrechts steht, sie vertritt in diesem Kontext jedoch die Auffassung, dass Eucken selber keine eigene, „unmittelbare“ naturrechtliche Herleitung entwickelt habe, weil für ihn der Aufbau einer Wirtschaftsordnung nach den Standards der modernen Wissenschaft im Vordergrund gestanden habe.114 Diese Position vertritt in erster Linie Nils Gold108  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 372 und S. 73, und Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 239. 109  Vgl. Fischer, Staats, Recht und Verfassung im Denken Walter Euckens, S. 81 ff. 110  Veit, „Ordo und Ordnung“, S. 6., S. 20 und S. 34. 111  Runge, Antinomie des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 130–134. In diesem Kontext sein angemerkt, dass es sich Runge zufolge beim Ordoliberalismus zwar um einen säkularen Thomismus handeln würde, dass diese Rezeption jedoch gänzlich „oberflächlich“ sei und nur als „ideologisches Gewand“ zur Begrenzung der Freiheiten des Einzelnen unter dem Vorwand der Gesamtordnung diene. 112  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 176. 113  Stefan Voigt, „Die konstitutionelle Ökonomik als Herausforderung für die Theorie der Wirtschaftspolitik“, in: James Buchanans konstitutionelle Ökonomik, hrsg. von Ingo Pies, Tübingen: Mohr, 1996, S. 163. 114  Vgl. Goldschmidt, „Die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft aus dem Geiste der Religion“, S. 32 f. sowie Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, S.  101 ff.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

schmidt und begründet deren Richtigkeit ausschließlich damit, dass Eucken selber von sich behauptet hat, eine Erkenntnismethode gewählt zu haben, die sich nicht von metaphysischen Prämissen ableiten ließe.115 Implizit wird in diesem Zusammenhang eine Inkompatibilität von Naturrecht auf der einen sowie „wissenschaftlicher Analyse“ auf der anderen Seite angenommen,116 wenn an dieser Stelle Leonhard Miksch als argumentativer Referenzpunkt herangezogen wird, der von Eucken schreibt, dass es ihm in der Konzeption seiner Wirtschaftstheorie „nur um die Wahrheit“ gegangen sei.117 (c)  Der dritten Position zufolge ist es nicht weiter relevant, ob es sich bei Euckens Ordnungstheorie und -politik um ein genuines Naturrecht handele oder nicht, weil sich die Ordnungspolitik (unabhängig davon, wie sie im Einzelnen begründet werde) bereits mit einer normativen Minimalanforderung, nämlich einem axiomatisch gesetzten Freiheitspostulat, begründen ließe. Dieses Postulat würde Menschenwürde und Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung einschließen, wie z. B. Lüder Gerken und Andreas Renner argumentieren.118 Dabei mag es diesen beiden Autoren zufolge zwar durchaus der Fall sein, dass man dies als Naturrecht begreife. Man müsse dann jedoch jede „normativ-wissenschaftliche Aussage“ als Naturrecht verstehen, was diesem Begriff infolgedessen seine Präzision rauben würde. Auch Viktor Vanberg argumentiert in diese Richtung, wenn er dem Naturrecht im Rahmen von Euckens Theoriebildung zwar eine begriffliche, jedoch keine inhaltliche Relevanz zuspricht und darüber hinaus sogar feststellt (obwohl er anerkennt, dass es durchaus naturrechtliche Tendenzen im Ordoliberalismus gebe119), „daß das Freiburger Forschungsprogramm […] ganz im 115  Goldschmidt,

Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, S. 105–8. dazu auch Michael Schramm, „Eröffnung der Kontingenz gesellschaftlicher Ordnungen“, in: Walter Euckens Ordnungspolitik, hrsg. von Theodor-HeussAkademie, Ingo Pies, und Martin Leschke, Tübingen: Mohr Siebeck, 2002, S. 145 ff., der Eucken unter Verweis auf die katholischen Naturrechtler, die Eucken abgesprochen haben, „weder naturrechtlich noch seinsphilosophisch“ argumentiert zu haben, davor bewahren möchte, als „verschleierter Ordo-Theologe“ wahrgenommen zu werden – und nicht vor allem als Wissenschaftler. 117  Vgl. Leonhard Miksch, „Walter Eucken“, Kyklos 4, Nr. 4 (1950): S. 282 und S. 287. 118  Vgl. Gerken/Renner, „Die ordnungspolitische Konzeption Walter Euckens“, S. 25–8. An anderer Stelle argumentiert Renner, dass Eucken sogar ein expliziter Gegner aller Naturrechtsphilosophie gewesen sei und dass es sich bei der Darstellung Euckens als Naturrechtler um eine grundlegende Konfusion handeln würde, vgl. Andreas Renner, „Der ökonomische Ansatz Walter Euckens“, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik: Konzeptionen und Entwicklungsperspektiven, hrsg. von Helmut Leipold, Ingo Pies, und Dieter Cassel, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000, S. 13–4. 119  Vgl. Viktor Vanberg, „Die normativen Grundlagen von Ordnungspolitik“, ORDO: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 48 (1997): S. 707–24. 116  Vgl.



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Sinne eines methodologischen Postulats der Werturteilsfreiheit verstanden werden“120 könne. (d) Die vierte Position vertritt wiederum die Auffassung, dass Eucken schlichtweg gar kein Naturrecht entwickelt habe, weil im Ordoliberalismus vielmehr die Tradition des Nominalismus und Individualismus im Stile Kants sowie der britischen Aufklärung zum Ausdruck komme. Dieser Position zufolge, für die sich z. B. Egon Edgar Nawroth in expliziter Anlehnung an Gustav Gundlach stark macht, verabsolutiere der Ordoliberalismus den Freiheitsbegriff und entkoppele ihn von einer sozialen Einbettung jenseits des Wettbewerbs:121 „Der wesentliche Unterschied der realistischen Auffassung und der individualistischen des Neoliberalismus […] besteht wiederum in der Beinhaltung der Ordnung […] Die Freiheit wird demnach ihres ethischen Innenwertes beraubt.“122 An anderer Stelle schreibt Nawroth, dass es ein gänzlicher Irrtum sei, sich im Zusammenhang des Neoliberalismus (und damit gelte dies ebenso für den Ordoliberalismus) überhaupt auf Thomas von Aquin berufen zu wollen.123 Auch Eckhart Müller schreibt dem Ordoliberalismus gänzlich ab, in irgendeiner Weise in einer scholastischen Tradition zu stehen, obwohl er zugleich anerkennt, dass er durchaus dessen Begrifflichkeit übernehme.124 Oswald Nell-Breuning wiederum lobt eben jene Verwendung der scholastischen Terminologie, macht Eucken jedoch seinen „rein formalen Sinn“ in Hinblick auf den Begriff „rational“ zum Vorwurf, den er vor allem in dessen Verwurzelung im Neukantianismus verortet.125 Ingo Pies wiederum, der versucht die Anschlussfähigkeit des Ordoliberalismus an die mo120  Ebd.,

S. 723. Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 49, S. 78–85 und S. 386. 122  Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 83. 123  Vgl. Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus. S. 414. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass Wilhelm Röpke in seinem Werk Maß und Mitte, auf welches Nawroth in diesem Zusammenhang seine Aussage bezieht, Thomas von Aquin nur einmal und sehr allgemein erwähnt, wenn er schreibt, aus welchen geistesgeschichtlichen Traditionen sich der Neo- bzw. der Ordoliberalismus speisen würden: „In diesem Sinne darf man sich unterfangen, […] aus den ‚Summen‘ des Thomas von Aquino ein noch heute zu beherzigendes Kompendium des Liberalismus zusammenzustellen, und noch immer tritt uns diese ehrwürdige Erbmasse aus der naturrechtlichen Soziallehre der Kirche durch alle Brechungen hindurch entgegen.“ Wilhelm Röpke, Maß und Mitte, Erlenbach-Zürich: Rentsch Verlag, 1950, S. 16. 124  Vgl. Eckart Müller, Evangelische Wirtschaftsethik und soziale Marktwirtschaft, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1997, insbesondere S. 36–9 und Fußnote 122. 125  Vgl. Oswald von Nell-Breuning, „Können Neoliberalismus und katholische Soziallehre sich verständigen?“, in: Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung: Festschrift f. Franz Böhm z. 80. Geburtstag, hrsg. von Franz Böhm, Heinz Sauermann, und Ernst Joachim Mestmäcker, Tübingen: Mohr, 1975, S. 460–1. 121  Vgl.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

derne ökonomische Theoriebildung zu erhalten, gibt zu bedenken, dass Eucken sogar ein ausdrücklicher Gegner des Naturrechts gewesen sei. So schreibt er über Eucken: „als wolle er – im 20. Jahrhundert! – genau jene Metaphysik wiederbeleben, von der er selbst sagt, daß sie bereits im 19. Jahrhundert an ihr unwiderrufliches Ende gekommen ist.“126 Vor dem Hintergrund genau dieser unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der normativen und begrifflichen Verankerung des Ordoliberalismus sollen in einem nächsten Schritt die Grundlagen der Rechts- und Naturrechtslehre Thomas von Aquins skizziert werden, um im Anschluss daran die Parallelen zwischen den thomistischen Ausführungen und der Ordnungstheorie und Ordnungspolitik Walter Euckens herausarbeiten zu können. II. Thomas von Aquins Rechtslehre: eine liberale Annäherung Den Kern der Rechtsphilosophie Thomas von Aquins bilden die Fragen 90 bis 97 seiner Summa theologica I–II (ST I–II). Dort stellt Thomas im Einzelnen dar, welche Rolle „Recht“ – vor allem „positives Recht“ als lex humana – in einer Gesellschaft spielt bzw. inwiefern es naturrechtlich und infolgedessen vorrechtlich begründet sein kann und sein sollte. Er agiert dabei mithilfe der Begriffe lex aeterna (ewiges Gesetz), lex naturalis (Naturrecht / Naturgesetz), lex humana (menschliches / positives Recht) und lex divina (göttliches Recht). Wie im Folgenden gezeigt werden soll, bietet vor allem Thomas von Aquins Verständnis einer Handlung als an Vernunft orientierter sowie von Vernunft geleiteter Realisierungsstruktur menschlicher Zweckgerichtetheit im Rahmen von Gesellschaft und Wirtschaft den zentralen Verbindungspunkt mit Euckens liberaler Ordnungstheorie (vgl. § 2, II.).127 1. Ewige Ordnung, Einsicht und praktische Vernunft Der Ausgangspunkt der Naturrechtslehre Thomas von Aquins ist durch zwei miteinander verschränkte sowie sich einander bedingende Ebenen gekennzeichnet: durch einen Ordnungsplan, der nicht nur die Natur, sondern 126  Pies,

Eucken und von Hayek im Vergleich, S. 7. selber bezieht sich immer wieder auf Augustinus, wenn er den Ursprung des Begriffes „Ordo“ versucht darzulegen. Weder Thomas von Aquin noch Aristoteles treten bei ihm in den Vordergrund. In seinen Grundlagen wirft Eucken Thomas von Aquin an der einzigen Stelle, an der er ihn erwähnt, sogar vor, dass er den „Fernhandel“ abgelehnt hätte, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 250. In seinen Grundsätzen erkennt er zumindest an, dass Thomas einen wichtigen Einfluss auf das „Denken in Ordnungen“ gehabt hätte, vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 348. 127  Eucken



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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auch den Menschen umfasse (die lex aeterna), und durch die Fähigkeit des Menschen, diesen Ordnungsplan zumindest potenziell unter Verwendung seines Verstandes einzusehen, an ihm teilzuhaben und die eigenen Handlungen unter Gebrauch der praktischen Vernunft zu vollziehen (die lex naturalis). Wie unter besonderem Verweis auf John Finnis und Ernst-Wolfgang Böckenförde gezeigt werden soll, handelt es sich bei den normativen Prinzipien, die aus der Verschränkung dieser zwei Ebenen gewonnen werden, allerdings nicht – wie von Vertretern des Neo-Thomismus stets betont wird – um unveränderliche Ableitungen aus dem „Wesenskonstitutiv des Menschen als solchem“128. Vielmehr stellt das Ineinandergreifen von lex aeterna und lex naturalis die Gesamtheit der formalen Bedingungen der praktischen Vernunft dar und verleiht der daraus hervorgehenden thomistischen Rechtslehre einen genuin liberalen Charakter. Thomas von Aquin zufolge findet die lex aeterna ihren Niederschlag in der von Gott geschaffenen Welt. Dieser Welt stehe Gott gegenüber wie ein Künstler seinem Kunstwerk („artifex ad artificiata“), weswegen die lex aeterna so etwas wie einen Gesamtordnungsplan der Welt darstellt, der alle Dinge in der Welt umfasse. Dazu Thomas: „[L]ex aeterna nihil aliud est quam ratio divinae sapientiae, secundum quod est directiva omnium actuum et motionum.“129 Damit erfüllt die lex aeterna für den gesamten Kontext der thomistischen Naturrechtslehre zwei elementar wichtige Eigenschaften: Erstens stellt sie eine Ordnung dar, über die der Mensch nicht verfügen kann, weil sie in ihrer Eigenschaft als eine von Gott gegebene Ordnung die Bedingungen aller möglichen sowie tatsächlich realisierten Zustände der Welt umfasse. Finnis spricht in Bezug auf diesen Gott von einem „uncaused causing“130 (und gerade nicht von einem Schöpfergott), d. h. von einer unverursachten Ursache, die nicht nur Grundlage der Welt sei, sondern auch den Menschen überhaupt erst dazu in die Lage versetze, von einer Existenz der Dinge in der Welt sowie von einer Existenz des eigenen Verstandes, der diese Dinge erkennt, ausgehen zu können.131 Zweitens, und damit verbunden, ist die lex aeterna dem Menschen nicht grundsätzlich verschlossen. Vielmehr könne jeder Mensch am ewigen Gesetz teilhaben, sofern er verstandesmäßige 128  Höffner,

Christliche Gesellschaftslehre, S. 34. von Aquin, ST I–II, qu. 93, art. 1, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Gott aber ist kraft seiner Weisheit der Urheber aller Dinge insgesamt. Er steht diesen gegenüber wie der Künstler seinen Werken. […] Und dementsprechend ist das ewige Gesetz nichts anderes als der Plan der göttlichen Weisheit, insofern sie alle Handlungen und Bewegungen lenkt.“ 130  Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 378–98. 131  Vgl. Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 390. Dort schreibt er über das Ewige Gesetz unter anderem: „It [the Eternal Law] is a speculation about why those norms whose holding has been appropriately verified or established do hold.“ 129  Thomas

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Einsichten in die Funktionsweise der Welt und in ihren Ordnungsplan erlange und sofern er seine Handlungen nicht nur als eine Abfolge kausaler Zusammenhänge geschehen lasse, sondern seine Vernunftfähigkeit in praktischer Hinsicht auf eben diese Welt und damit auch auf sich selber anwende. Indem der Mensch durch die Anwendung der praktischen Vernunft seinem Handeln Zweck und Richtung verleihe, kann er selber die Rolle eines Schöpfers (eines „Vorsehers“) gegenüber seinen eigenen Handlungen einnehmen. Dazu Thomas: Inter cetera autem rationalis creatura excellentiori quodam modo divinae providentiae subjacet, inquantum et ipsa fit providentiae particeps, sibi et aliis providens. Unde et in ipsa participatur ratio aeterna per quam habet naturalem inclinationem ad debitum actum et finem, et talis participatio legis aeternae in rationali creatura lex naturalis dicitur. […] Unde patet quod lex naturalis nihil aliud est quam participatio legis aeternae in rationali creatura.132

Diese Ausführungen scheinen zweierlei zu implizieren: Zum einen sei der Mensch selber ein Produkt Gottes und infolgedessen dem ewigen Gesetz sowie den Naturgesetzen unmittelbar unterlegen, ohne dazu vernünftig etwas beitragen zu können.133 Zugleich könne er aber auch in die Welt eingreifen, sofern er sich seiner praktischen Vernunft bediene. Folglich muss man in einer ersten Annäherung auch unterscheiden zwischen denjenigen Handlungen, die der Mensch mit Tieren und Pflanzen gemein habe („actiones hominis“), und denjenigen, die im Einklang mit der praktischen Vernunft vollzogen werden und die auch nur deshalb überhaupt als moralisch relevant eingestuft werden können („actiones humanae“).134 Und damit der Mensch wiederum moralisch relevant handeln kann, müsse er ganz grundsätzlich in der Lage dazu sein, Werturteile zu fällen, d. h. formal betrachtet: die Fähigkeit dazu besitzen, zwischen „gut“ und „schlecht“ zu unterscheiden. Eben diese Fähigkeit beschreibt Thomas als das Licht der natürlichen Vernunft („lumen rationis naturalis“).135 Sie nimmt in seiner Naturrechtslehre die Rolle einer for132  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 91, art. 2, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Unter den anderen [Geschöpfen] ist nun das vernunftbegabte Geschöpf in einer ausgezeichneteren Weise der göttlichen Vorsehung unterstellt, insofern es auch selber an der Vorsehung teilnimmt, da es für sich und andere ‚vorsehen‘ kann. Deswegen findet sich auch in ihm eine Teilnahme an der ewigen Vernunft, durch die es eine natürliche Hinneigung zu dem ihm wesensgemäßen Handeln und Ziele besitzt. Und diese Teilnahme am ewigen Gesetz im vernunftbegabten Geschöpf wird natürliches Gesetz genannt. […] Mithin wird klar, daß das natürliche Gesetz nichts anderes ist als die Teilhabe am ewigen Gesetz im vernunftbegabten Geschöpf.“ 133  Alleine dadurch, dass er Teil der materiellen Welt sei und sein Körper z. B. verdauen muss, um sich zu erhalten. 134  Vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 1, art. 1. 135  Vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 91, art. 2, resp.: „[L]umen rationis naturalis, quo discernimus quid sit bonum et malum, quod pertinet ad naturalem legem,



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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mal-strukturierten Disposition ein, vernünftig handeln zu können,136 und stellt dabei die erste von drei Ebenen dar, die Thomas in der lex naturalis verortet.137 Die zweite dieser drei Ebenen der lex naturalis besteht Thomas zufolge wiederum selbst aus zwei Teilen: Zum einen aus der normativen und selbsterklärenden Forderung, wonach der Mensch im Rahmen seiner Vervollkommnung das Gute zu erstreben und das Schlechte zu meiden habe, („bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum“) und zum anderen aus den natürlichen Neigungen („inclinationes naturales“), auf die sich alle Handlungen (ob „gut“ oder „schlecht“) beziehen müssen. Dabei seien die inclinationes selber wiederum durch drei Ausprägungen gekennzeichnet: den Selbsterhalt, die Fortpflanzung sowie das Leben in der Gemeinschaft und die Überwindung der Unwissenheit.138 Genau diese zweite Ebene der lex natutanihil aliud sit quam impressio divini luminis in nobis.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „[D]as Licht unserer natürlichen Vernunft, durch das wir unterscheiden, was gut und was böse ist – und diese Unterscheidung ist Sache des natürlichen Gesetzes –, ist demnach nichts anderes als eine Einstrahlung göttlichen Lichtes in uns.“ 136  Vgl. dazu auch John Finnis/Germain Grisez, „The Basic Principles of Natural Law: A Reply to Ralph McInerny“, American Journal of Jurisprudence Volume 26, Nr. 1, Article 2 (1981): S. 24 ff. 137  Diese Fähigkeit verortet Thomas von Aquin in der so genannten Synderesis, vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 94, art. 1, resp. ad 2: „Dicendum quod synderesis dicitur lex intellectus nostri, inquantum est habitus est habitur continens praecepta legis naturalis, quae sunt prima principia operum humanorum.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „Die Synderesis heißt Gesetz unseres Verstandes, insofern es das Gehaben ist, das die Gebote des natürlichen Gesetzes enthält, die ihrerseits die ersten Grundsätze des menschlichen Handelns sind.“ 138  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 94, art. 2, resp.: „[O]mne enim agens agit propter finem […]. Hoc est ergo primum praeceptum legis, quod bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum. Et super hoc fundantur omnia alia praecepta legis naturae: ut scilicet omnia illa facienda vel vitanda pertineant ad praecepta legis naturae, quae ratio practica naturaliter apprehendit esse bona humana. […] Inest enim primo inclinatio homini ad bonum secundum naturam in qua communicat cum omnibus substantiis, prout scilicet quaelibet substantia appetit conservationem sui esse secundum suam naturam. […] Secundo inest homini inclinatio ad aliqua magis specialia secundum naturam […]. quae natura omnia animalia docuit: ut est conjunctio maris et feminae, et educatio liberorum, et similia. – Tertio modo inest homini inclinatio ad bonum secundum naturam rationis quae est sibi propria: sicut homo habet naturalem inclinationem ad hoc quod veritatem cognoscat de Deo, et ad hoc quod in societate vivat. […] utpote quod homo ignorantiam vitet, quod alios non offendat cum quibus debet conversari, et cetera hujusmodi quae ad hoc spectant.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „[A]lles, was handelt, handelt eines Zieles wegen, was die Bewandtnis des Guten hat. […] Dies ist also das erste Gebot des [Natur] Gesetzes: Das Gute ist zu tun und zu erstreben, das Böse ist zu meiden. Auf dieses Gebot gründen sich alle anderen Gebote des Naturgesetzes; d. h. alles, was die auf das Tun gerichtete Vernunft auf natürliche Weise als menschliches Gut erfaßt, zählt als zu

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

lis stellt Dreh- und Angelpunkt der thomistischen Naturrechtslehre dar, weil sie der praktischen Vernunft erstens eine Struktur und zweitens einen Anwendungsbereich verleiht.139 Denn die inclinationes umfassen nicht nur die abstrakte Gesamtheit der Lebensbedingungen des Menschen, sondern stellen auch jene Dispositionen dar, auf die sich die praktische Vernunft „schöpferisch“ beziehen müsse. Thomas zufolge trage auch der Mensch – wie alle natürlichen Dinge – ein natürliches Ziel in sich, auf den sein Streben ausgerichtet sei („omne agens agit propter finem“) und den auch er – wie alle natürlichen Dinge – gemäß der ihm zukommenden Form („secundum suam formam“) zu vervollkommnen versuche. Und weil der Mensch wiederum von Natur aus über die praktische Vernunft verfüge, müsse er auch seine Vervollkommnung unter ihrer Leitung vollziehen. Finnis schreibt in diesem Zusammenhang: „[…] that amongst our natural inclinations is the inclination to act secundum rationem, i. e. reasonably“140. In diesem Zusammenhang verweist Thomas explizit auf die Metaphysik von Aristoteles, um seine Auffassung zu verdeutlichen, wonach das menschliche Streben auf die Glückseligkeit („beatitudo“) unter Verwendung der Vernunft ausgerichtet sei und folglich im Verstehen sowie in der Einheit mit Gott liege – d. h. in Verfolgung derjenigen Sache, die als höchster Zweck bzw. höchstes Gut keine weiteren Wünsche jenseits ihrer Vollendung mehr offenlasse („bonum perfectum et completivum sui ipsius“).141 Im Sinne des nach Finnis zitierten „uncaused causing“ wäre „Gott“ damit Ursprung und Inhalt des Gesamtordnungsplans, der sich zwar unserer Verfügung entzieht, den wir dennoch zumindest teilweise einsehen können und der die Rolle einer transzendenten Quelle der Welt, allen Wissens von der Welt sowie der Möglichkeit und vor allem der Verbindlichkeit normativer Prinzitun oder zu lassen zu den Geboten des Naturgesetzes. […] Nun ist dem Menschen erstens die Neigung zum Guten inne entsprechend der Natur, in der er mit allen selbstständigen Wesen übereinkommt: jedes Selbststandwesen erstrebt nämlich die Erhaltung seines Seins gemäß seiner Natur. […] Zweitens ist im Menschen die Neigung zu gewissen, ihm schon mehr arteigenen Dingen, […] „was die Natur allen Sinnenwesen gelehrt hat “, wie die Vereinigung von Mann und Frau, die Aufzucht der Kinder und ähnliches mehr. – Drittens ist im Menschen die Neigung zum Guten gemäß der Natur der Vernunft, die ihm wesenseigentümlich ist; so hat der Mensch z. B. die natürliche Neigung, die Wahrheit über Gott zu erkennen und in der Gemeinschaft zu leben. […] daß der Mensch z. B. die Unwissenheit überwinde, daß er andere, mit denen er zusammenleben muß, nicht verletze, und was sonst noch damit zusammenhängt.“ 139  Wobei – wie in § 2, I. 1. bezüglich des Neo-Thomismus skizziert – es bezüglich dieser Frage durchaus unterschiedliche Lesarten des Naturrechts von Thomas von Aquin gibt. Vgl. dazu z. B. Fergus Kerr, After Aquinas: versions of Thomism, Malden, MA: Blackwell Publishers, 2002, S. 97–133. 140  Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 400–1. 141  Vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu 3, art. 8.



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pien darstelle. Denn indem die vom Menschen eingesehene lex aeterna einen, wie Finnis es ausdrückt, „divine pull“ auf uns ausübe, lässt er uns die Autorität der Gesetze der praktischen Vernunft anerkennen.142 Dabei wiederum sei es notwendig, den materiellen Umständen der eigenen Existenz (den inclinationes) angemessen Rechnung zu tragen, weil diese dem Menschen erst Aufschluss darüber geben würden, unter welchen konkreten Bedingungen sich das natürliche Streben überhaupt vollzieht (Selbsterhalt, Fortpflanzung, Leben in der Gemeinschaft – und zwar ganz unabhängig von der spezifischen moralischen Absicht). Zugleich verleihen die Neigungen ihm aber auch die Richtung bzw. die Form, mithilfe derer er diesen Neigungen nachkommen kann, sofern sein Handeln auf das Gute und die Glückseligkeit ausgerichtet ist (Überwindung der Unwissenheit sowie Streben nach dem Guten in Einklang mit der Vernunft). Dabei sei es Finnis zufolge anzuerkennen, dass diese Forderung, nach dem Guten zu streben, nicht identisch sein könne mit der Fähigkeit zur praktischen Vernunft als solcher. Mit anderen Worten: Zwar sei die Fähigkeit zur praktischen Vernunft Teil der menschlichen Natur sowie Teil der menschlichen Neigungen, doch lasse sich von ihr noch kein normatives Prinzip des Sollens im Sinne eines „bonum est faciendum“ ableiten. Letzteres nehme bei Thomas vielmehr die Form eines selbsterklärenden, weil formalen Handlungsgebotes ein, welches seinen Inhalt im Vollzug der konkreten Handlung entfalte. Denn, so Finnis: [T]here can be no valid deduction of a normative conclusion without a normative principle, and thus […] first practical principles cannot be derived from metaphysical speculations. […] The goods [basic human goods, derived from the inclinations] are pre-moral in the sense that both morally bad and morally good choices are directed (although in different ways) toward one or more of them […].143 A practical proposition is true by anticipating the realization of that which is possible through acting in conformity with that proposition, and by directing one’s action toward that realization […].144

Auch Böckenförde zufolge könne es sich bei der lex naturalis nicht um eine schlichte Ansammlung „inhaltlich imperativer“ und folglich unveränderbarer Normen handeln, die sich deduktiv von dem Wesen des Menschen ableiten und überhistorisch bestimmen lassen würden,145 weil man auch ihm Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 395–6. „The Basic Principles of Natural Law“, S. 24–5. 144  John M. Finnis/Germain Grisez/Joseph Boyle, „Practical Principles, Moral Truth, and Ultimate Ends“, Scholarly Works, 1987, S. 116. 145  Zwar spricht auch Böckenförde in diesem Zusammenhang von „Wesensanlagen“, wenn er seine Lesart des Naturrechts von Thomas von Aquin als „formal-normative Normen“ darlegt, vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie: Antike und Mittelalter, Tübingen: Mohr Siebeck, 2002, S. 232. Doch bezieht sich dieses Verständnis von Wesen vor allem auf die formalen Dispositionen der praktischen Vernunft. 142  Vgl.

143  Finnis/Grisez,

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zufolge die Forderung bei Thomas, nach dem „Guten“ zu streben, als Selbstbegründung der praktischen Vernunft verstehen müsse. Diese könne nur durch ein „formal-normatives“ Prinzip begründet werden und gewinne ihre Kraft durch ihren Ursprung in der lex naturalis als teilhabende an der lex aeterna. Und genau über diese Teilhabe erfülle der Mensch wiederum die Bedingungen dafür, die Prinzipien des Sollens überhaupt zu erkennen, sie als bindend zu verstehen, sie zu konkretisieren und seine Handlungen infolgedessen an ihnen auszurichten. Zu dieser Art, die praktische Vernunft zu verstehen, heißt es bei Thomas selber: Aliter tamen circa hoc se habet ratio speculativa, et aliter ratio practica. Quia enim ratio speculativa praecipue negotiatur circa necessaria, quae impossibile est aliter se habere, absque aliquo defectu invenitur veritas in conclusionibus propriis, sicut et in principiis communibus. Sed ratio practica negotiatur circa contingentia, in quibus sunt operationes humanae […]. In operativis autem non est eadem veritas vel rectitudo practica apud omnes quantum ad propria, sed solum quantum ad communia […].146

In jener klaren Trennung zwischen „ratio speculativa“ und „ratio practica“ macht Thomas eine durchaus weitreichende Unterscheidung: Denn während die Überlegungen der theoretischen Vernunft auf die notwendigen Zusammenhänge der Welt abzielen würden („circa necessaria“), könne die praktische Vernunft zwar ein allgemeines normatives Prinzip geltend machen, sich dabei jedoch nur auf die kontingenten Aspekte des einzelnen Lebens („circa contingentia“) beziehen – wodurch sich für verschiedene konkrete Fälle eine sehr unterschiedliche Wahrheit („veritas“) und infolgedessen auch eine unterschiedliche Richtigkeit bzw. Billigkeit („rectitudo“) ergeben würde. Genau diese Unterscheidung bildet den zentralen Punkt, von dem aus sich in einem nächsten Schritt argumentieren lässt, dass unter Verwendung des thomistischen Naturrechts eine Trennung zwischen Recht und Ethik darstellbar ist, die den Liberalismus und sein formales Staatsverständnis kennzeichnet, ohne dass beide dabei völlig voneinander getrennt wären. Dieser Ansatz jedoch ist aus Sicht eines Neo-Thomisten wie z. B. Gallus Manser genau deshalb problematisch, weil die dem Naturrecht entspringenden Normen nur als von der „Wesenheit“ des Menschen abgeleitet und infolgedessen auch nur „ge146  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 94, art. 4, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Diesbezüglich verhält sich allerdings die auf die Schau gerichtete Vernunft anders als die auf das Tun gerichtete Vernunft. Weil nämlich die auf die Schau gerichtete Vernunft sich vorzüglich beschäftigt mit den notwendigen Dingen, die unmöglich anders sein können, gibt es hier Wahrheit ohne Fehler in den einzelhaften Folgesätzen ebenso wie in den allgemeinen Grundsätzen. Die auf das Tun gerichtete Vernunft hingegen beschäftigt sich mit den zufälligen Dingen, mit denen es die menschlichen Handlungen zu tun haben […]. Im Bereich des Handelns dagegen liegt nicht für alle dieselbe tätigkeitsbezogene Wahrheit oder Rechtheit im Einzelnen vor, sondern nur hinsichtlich des Allgemeinen […].“



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schichtsübergreifend“ und seinem Inhalt nach „unveränderlich“ gedacht werden könnten.147 Doch genau hier liegt der springende Punkt für eine liberale Lesart Thomas von Aquins: Denn insofern, als die Frage, „Was ist im Rahmen des guten Lebens vernünftig?“, unterschiedliche Antworten hervorbringen kann, die wiederum unterschiedliche und dennoch im Sinne des Naturrechts begründbare Zielsetzungen zweckgerichteter Handlungen darstellen können,148 können die Inhalte der praktischen Vernunft auch nur in ihrer formalen Disposition als Fähigkeit, unter Gebrauch der Vernunft zu handeln, als verbindlich gedacht werden. Und dem wiederum müsse im Rahmen der Ausgestaltung einer konkreten Gesellschafts- und Rechtsordnung angemessen Rechnung getragen werden – nämlich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, durch eine Trennung von innerer Moralität und äußerem Recht. Auch Böckenförde weist in diesem Kontext darauf hin, dass die Frage nach dem richtigen Handeln immer bereits den „empirischen Menschen“ zugrunde legen müsse. Und auch Böckenförde zufolge sei es in den Ausführungen Thomas von Aquins explizit angelegt, dass sich die konkreten Normen, an denen sich Menschen zu orientieren hätten, nur als Anwendung auf kontingente Situationen begreifen ließen – und gerade nicht als eine theoretische Wahrheitsaussage über den „Menschen als solchen“149. Mit anderen Worten, zwar mag der Grundsatz des „bonum est faciendum et prosequendum“ als Gebot allgemeinverbindlich und selbsterklärend sein, doch stelle es ein „formal-normatives Prinzip“ dar, dessen Gehalt erst über eine konkrete, 147  Im Besonderen macht Manser Kant den Vorwurf, dass dieser die Trennung zwischen Recht und Ethik wie kein anderer vollzogen habe, vgl. Gallus M. Manser, Das Naturrecht in thomistischer Beleuchtung, Heusenstamm: Ed. scholasticae, 1944, S. 34.: „Vom Standpunkt des Naturrechts ist eine Trennung von Ethik und Recht schlechterdings unmöglich. Das leuchtet dem Leser sofort ein, wenn wir mit […] Thomas wiederholen, daß jedes positive Gesetz stets und immer nur eine nähere Bestimmung des Naturgesetzes ist. [S]omit hat das positive Gesetz alles, was es ist, vom Naturrecht.“ 148  Finnis weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass sich Aquin folglich nicht dem von David Hume in seinem Werk A Treatise of Human Nature formulierten Vorwurf aussetze, wonach das Naturrecht nicht angemessen zwischen der Sphäre der positiven Beschreibung der Welt („is“) und der des normativen Sollens („ought“) unterscheiden würde. Diese Unterstellung Humes gegenüber dem Naturrecht sei vielmehr ein Missverständnis, das sich aus einer Fehlinterpretation von David Hume ergab. Hume habe sich Finnis zufolge nicht gegen das Naturrecht als solches gewandt, sondern gegen eine bestimmte Strömung angesprochen (die Rationalisten des 18. Jahrhunderts, vor allem Samuel Clarke), wenn er von dem naturalistischen Fehlschluss sprach, vgl. Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 33–42 sowie David Hume, A Treatise of Human Nature (Buffalo, N.Y.: Prometheus Books, 1992 [1738–1740]), Book III, Part i, sec. 1. 149  Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 227–234.

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wenngleich nicht willkürliche Spezifizierung gewonnen werde. Und genau deshalb nehme auch der innere Zweck, auf den der Einzelne hinwirke, keine inhaltlich bestimmte und statische Form an, sondern stelle vielmehr eine Disposition dar, die sich in einer historisch konkreten Handlungsstruktur realisiere – eine Handlungsstruktur, die immer auch äußere und infolgedessen rechtliche und vor allem auch ökonomische Implikationen mit sich bringt.150 2. Die lex humana als formale Regulierung äußerer Freiheiten Mit der lex humana im Sinne einer positiv ausgestalteten Rechtsordnung ist die dritte Ebene der lex naturalis erreicht. Deren Aufgabe besteht Thomas zufolge darin, unter Berücksichtigung sowie auf Grundlage der lex naturalis eine konkrete und zugleich vernünftige Regulierung des öffentlichen Lebens sicherzustellen (temporalis tranquillitas civitatis). In diesem Zusammenhang gelte es anzuerkennen, dass das positive Recht in unterschiedlichen Gemeinschaften sowie in verschiedenen historischen Epochen sehr unterschiedliche konkrete Ausprägungen annehmen könne. Und an genau diesem Verständnis eines formalen, wandelbaren und zugleich naturrechtlich strukturierten positiven Rechts werden infolgedessen auch die Überschneidungen mit Euckens Verständnis von Ordo festgemacht (vgl. dazu § 2, III.). Grundsätzlich gilt für Thomas von Aquin, dass sich das positive Recht, sofern es für sich in Anspruch nehmen will, „gerecht“ zu sein, vom Naturrecht her begründen lassen müsse. Denn, so Thomas über die lex humana: „Si vero in aliquo a lege naturali discordet, jam non erit lex, sed legis corruptio.“151 Um eben jene Verankerung sicherzustellen, schlägt Thomas zwei konkrete Richtlinien zur Anwendung des Naturrechts vor, an deren Anfang jeweils das „selbstevidente“ erste Prinzip der Naturrechts („bonum est faciendum et prosequendum“) stehe. Davon ausgehend könne man erstens einige deduktive Schlussfolgerungen ziehen („conclusiones“), die sich vor jeder Erfahrung aus diesem ersten Prinzip ergeben würden, z. B. das Tötungsverbot. Doch bereits solche einfachen conclusiones müssten in einem zweiten Schritt spezifiziert werden, um sich auf eine konkrete empirische Gesellschaft beziehen zu können. Und 150  Auch Ralph McInnery verwendet den Begriff des Naturrechts ähnlich, trotz der prinzipiellen Differenzen, die er darüber hinaus mit Finnis hat: „The set of principles of moral discourse is what Aquinas means by natural law.“ Ralph McInerny, „Ethics“, in: The Cambridge companion to Aquinas, hrsg. von Norman Kretzmann und Eleonore Stump (Cambridge/New York, NY, USA: Cambridge University Press, 1993, S. 210. Vgl. dazu auch: Lisska, Aquinas’s Theory of Natural Law, S. 159; Finnis/ Grisez, „The Basic Principles of Natural Law.“ 151  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 95, art. 2, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Wenn es hingegen irgendwo vom natürlichen Gesetz abweicht, ist es nicht mehr Gesetz, sondern eine Zerstörung des Gesetzes.“



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dies hat zur Folge, dass diese so genannten „determinationes“ im Einzelnen stark voneinander abweichen können. Thomas verwendet in diesem Zusammenhang die viel zitierte Analogie eines Architekten, der zwar für den Bau seiner Häuser auf bestimmte Baustoffe zurückgreifen müsse, der aber sehr unterschiedliche Häuser damit bauen könne – und sogar müsse. Denn, so Thomas: „[S]icut artifex formam communem domus necesse est quod determinet ad hanc vel illam domus figuram.“152 Der Übergang vom Naturrecht in ein positives Gesetz sei folglich auch kein, wie Franz-Martin Schmölz es ausdrückt, „verselbständigtes, in der Luft hängendes Problem“, das starr und überhistorisch festgelegt sei, sondern vielmehr „ein Problem des rationalen gesellschaftlichen Menschen“153, der seine konkrete gesellschaftliche Ordnung selber gestalten müsse. Böckenförde betont in diesem Zusammenhang, dass die Flexibilität, die mit der konkreten Ausgestaltung einer Rechtsordnung einhergeht, nicht nur ein Anhängsel einer ansonsten starren Naturrechtslehre darstelle, sondern vielmehr deren elementarer Bestandteil sei. Man müsse sich die konkreten Anwendungen des Naturrechts als „Vorgang diskursiver Vernunfterkenntnis“ vorstellen, der offen „für die umgebende Wirklichkeit, die geschichtlich gegebenen Verhältnisse“ sei. Denn, so Böckenförde weiter, „Veränderungen, die das einschließt, stellen keine Abweichungen, sondern eine je neue Realisierung der lex naturalis dar.“154 Von diesem Verständnis Böckenfördes ausgehend lassen sich Thomas von Aquins weitere Ausführungen zur lex humana in einen konsistenten Zusammenhang mit der lex naturalis setzen. So schreibt Thomas ganz allgemein über die positiven Gesetze: „[…] nihil aliud est quam quaedam rationis ordinatio ad bonum commune, ab eo qui curam communitatis habet, promulgata […]“155 und formuliert dabei drei einschränkende Bedingungen, die für alle 152  Thomas von Aquin, ST I–II, qu 95, art. 2, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „So muß der Künstler die allgemeine Vorform ‚Haus‘ oder dieser oder jener Form des Hauses ausarbeiten.“ 153  Schmölz, „Der gesellschaftliche Mensch und die menschliche Gesellschaft bei Thomas von Aquin“, S. 58. 154  Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 232. An dieser Stelle sei auf einen weiteren Gedanken von John Finnis verwiesen, wonach strikt zu trennen sei zwischen dem Naturrecht als solchem und verschiedenen Dogmen des Naturrechts, weil letztere – anders als das Naturrecht als solches – einem ständigen zeitlichen Wandel unterliegen (so wie zum Beispiel auch die Annahmen darüber, worin das Wesen der Menschennatur bestehe), vgl. Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 24: „Natural law could not rise, decline, be revived, or stage ‚eternal returns‘. It could not have historical achievements to its credits. It could not be held responsible for disasters of the human spirit or atrocities of human practice. But there is a history of the opinions or set of opinions, theories and doctrines which assert that there are principles of natural law […].“ 155  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 90, art. 4, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: Es sei „nichts anderes als eine Anordnung der Vernunft im Hinblick auf das

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Ausprägungen eines legitimen positiven Rechts zu gelten haben. Erstens müssten sich Gesetze am Gemeinwohl („bonum commune“) und nicht am Privatwohl orientieren. Zweitens müsse gültiges Recht verkündet bzw. nachvollziehbar konzipiert worden sein und dabei auch die Regierenden in ihren Handlungsspielräumen limitieren. Und drittens müsse das Recht für die tatsächlich in einer Gemeinschaft lebenden Menschen erfüllbar sein, weil schlichtweg nicht jedes Laster, sei es unter moralischen Überlegungen auch noch so ablehnenswert, mithilfe von Gesetzen reguliert oder verboten werden könne.156 Denn die lex humana ziele vor allem auf die Sicherheit und den Wohlstand des Gemeinwesens ab („temporalis tranquillitas civitatis“) und dürfe infolgedessen auch nur diejenigen äußeren Handlungen sanktionieren, die dieser spezifischen Zielfunktion entgegenlaufen und damit den bürgerlichen Frieden gefährden („ad quem finem pervenit lex cohibendo exteriores actus, quantum ad illa mala quae possunt perturbara pacificum statum civitatis“157). Damit ist neben der formalen Struktur ein weiterer zentraler Punkt für die Kompatibilität des thomistischen Naturrechts mit liberalen Rechtsvorstellungen gewonnen. Denn erstens kann festgehalten werden, dass die lex humana gerade nicht – wie Böckenförde es in expliziter Ablehnung der Neo-Thomisten ausdrückt – die „Hinführung zum ewigen Heil“158 als Ziel habe. Zwar sei es auch Thomas zufolge prinzipiell im Menschen angelegt, jenes ewige Heil zu erstreben. Doch schaffe das positive Recht dafür vor allem die äußeren Bedingungen, indem es Sicherheit und Wohlstand in der Gemeinschaft garantiere und indem es infolgedessen nicht identisch sein könne mit der Sphäre der Ethik bzw. der Religion. Und daraus folgt wiederum eine zweite und sehr weitreichende Implikation für das thomistische Naturrecht: die Anerkennung privaten Wohls und damit auch privater Güter gegenüber dem Gemeinwohl. Denn wenn das Recht – wie von Thomas formuliert – nur diejenigen äußeren Handlungen sanktionieren dürfe, die eine Gefahr für den Frieden in der Gemeinschaft darstellen, d. h. vor allem, den Geltungsbereich Gemeingut, erlassen und öffentlich bekanntgegeben von dem, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat.“ 156  Vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 96, art. 2, resp.: „Unde etiam lex humana non omnia potest prohibere quae prohibet lex naturae.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „Daher kann das menschliche Gesetz auch nicht alles verbieten, was das Gesetz der Natur verbietet.“ 157  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 98, art. 1, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Das Ziel des menschlichen Gesetzes besteht […] in der zeitlichen Ruhe des bürgerlichen Gemeinwesens; zu diesem Ziel gelangt das Gesetz dadurch, daß es hinsichtlich jener Übeltaten, die den Zustand des Friedens im Gemeinwesen stören können, die äußeren Handlungen in Schranken hält.“ 158  Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie S. 238.



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des positiven Rechts betreffen, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Forderung nach jener Anerkennung des Privatwohls gegenüber dem Gemeinwohl ihre Gültigkeit bereits vorrechtlich beanspruchen können muss. Ähnlich argumentiert Finnis, demzufolge das Konzept eines privaten Gutes zwar seine Relevanz erst im Kontext einer Gemeinschaft erhalten würde (insofern ein Mensch immer in der Gemeinschaften leben müsse), es jedoch seine normative Gültigkeit bereits unabhängig von dieser oder jenen konkreten Gemeinschaft erlangen würde.159 Damit laufen die vorausgehenden Erläuterungen zu Thomas von Aquins Naturrecht zu einer zentralen Aussage über sein Verständnis einer konkreten Rechtsordnung hinaus: Die Legitimation eines Rechtssystems ist vor allem an dessen Fähigkeit gebunden, die Bedingungen der Realisierung von privatem Wohl sicherzustellen. Aufgabe des Rechtes sei es, die gemeinschaftlichen Bedingungen dafür zu schaffen, dass der Einzelne unter Leitung der praktischen Vernunft handeln und infolgedessen im Sinne der ihm zukommenden Form („secundum suam formam“) seine Zwecke verfolgen könne. Zwar sei es durchaus denkbar, dass eine Gemeinschaft verlange, dass der Einzelne sich mit seinem Privatwohl dem Gemeinwohl unterordne. Dies sei jedoch nur insofern zulässig, als die „Realisierungsmöglichkeit“ (Böckenförde) des Einzelnen in Hinblick auf das gute Leben und die Glückseligkeit bereits in der Definition von „Gemeinwohl“ enthalten sei, bzw. insofern, als der Mensch bestimmte Zwecke überhaupt nur in der Gemeinschaft erreichen könne. Damit stelle das Gemeinwohl bei Thomas eine relevante Zielfunktion des Rechtes dar, sofern es Mittel zum Zweck ist. Denn, so Böckenförde: Die Verwirklichung des in der Natur angelegten Zieles der einzelnen kann nur in gemeinschaftlichen Lebenszusammenhängen erreicht werden, das Ganze ist nicht einfach Summe der Teile, sondern ihnen vorgeordnet. Die für Thomas so wichtigen inclinationes naturales und deren Realisierungs-möglichkeit sind dabei in den Begriff des Gemeinwohls einbezogen, und zwar als notwendige Momente – auf diese Weise wirkt auch und gerade das natürliche Gesetz in das bonum commune hinein und wird die Verbindung zwischen beiden festgehalten.160 159  Vgl. John Finnis, Aquinas: moral, political, and legal theory, Oxford/New York: Oxford University Press, 1998, S. 225–6.: „Aquinas clearly affirms that within a state there are ‚private goods‘ (of individual and small groups, e. g. friends) whose good (e. g. whose right) is not part of the common good specific to the state – is not, I shall say, part of the specifically political common good. That is only one of the ways in which Aquinas makes plain his view that, notwithstanding the ‚completeness‘ of political communities, their specific common good is limited.“ 160  Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 236. Ähnlich sieht es Franz-Martin Schmölz, der zu diesem Verhältnis sehr lakonisch schreibt: „Die Gesellschaft ist der Menschen wegen da und nicht umgekehrt.“ Schmölz, „Der gesellschaftliche Mensch und die menschliche Gesellschaft bei Thomas von Aquin“, S. 53.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Finnis geht dabei noch einen Schritt weiter als Böckenförde, wenn er argumentiert, dass sich das Verhältnis von individuellem Wohl und Gemeinwohl in der Rechtslehre Thomas Aquins in der Terminologie des so genannten Grand Simple Principle (auch: Harm Principle), das John Stuart Mill in seiner Schrift On Liberty formuliert, darstellen ließe.161 Diesem Prinzip zufolge müsse die Grenze des Staates entlang der Grenze der Persönlichkeit des Einzelnen gezogen werden, sodass das öffentliche Wohl nur bis zu dem Punkt ein legitimes Gut gegenüber dem privaten Wohl darstelle, sofern es den Rahmen dafür schaffe, diejenigen privaten Güter zu schützen und zu stabilisieren, die ursprünglicher als der Staat zum guten Leben dazugehören. Zwar sei, so Finnis, davon auszugehen, dass der Mensch von Natur aus in einer Gemeinschaft leben müsse, doch handle es sich hierbei um einen notwendigen und gemeinhin auch vernünftigen Umstand – zumal es sich bei dem Leben in einer Gemeinschaft nicht zwingend um einen modernen Staat, sondern auch um kleinere Einheiten wie Familien, Bauernhöfe etc. handeln könne. Das öffentliche Wohl sei Finnis zufolge, und an dieser Stelle klingen seine Ausführungen wieder wie die Böckenfördes, deshalb vor allem ein instrumentelles Gut, welches klare Grenzen gegenüber den ursprünglicheren Bedingungen des guten Lebens benötige: The thought that we cannot live reasonably and well apart from civitas is consistent with the proposition that the common good specific to the civitas as such – the public good – is not basic but rather instrumental to securing human goods which are basic […] and none of which are itself specifically political […]. Individuals and families cannot well secure and maintain the elements which make up the public good of justice and peace – a good which, with good fortune, will also include prosperity.162 161  Vgl. Finnis, Aquinas, S. 228. Das Grand Simple Principle Prinzip entwickelt John Stuart Mill in dem Einführungskapitel seiner Schrift On Liberty, vgl. John Stuart Mill, On Liberty., ed. Ronald B. MacCallum, Oxford: Blackwell Publishers, 1859, Chapter I., Introductory: „[T]hat the sole end for which mankind are warranted, individually or collectively, in interfering with the liberty of action of any of their number, is self-protection. That the only purpose for which power can be rightfully exercised over any member of a civilized community, against his will, is to prevent harm to others. His own good, either physical or moral, is not a sufficient warrant. He cannot rightfully be compelled to do or forbear because it will be better for him to do so, because it will make him happier, because, in the opinions of others, to do so would be wise, or even right. These are good reasons for remonstrating with him, or reasoning with him, or persuading him, or entreating him, but not for compelling him, or visiting him with any evil in case he do otherwise. To justify that, the conduct from which it is desired to deter him, must be calculated to produce evil to some one else. The only part of the conduct of any one, for which he is amenable to society, is that which concerns others. In the part which merely concerns himself, his independence is, of right, absolute. Over himself, over his own body and mind, the individual is sovereign.“ 162  Finnis, Aquinas, S. 247–8.



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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Damit ist eine weitere Zuspitzung vollzogen worden, im Zuge derer ersichtlich wurde, dass Thomas im Rahmen seiner Rechts- und Naturrechtslehre keine inhaltlich starren sowie unveränderbaren Prinzipien des Zusammenlebens entwickelt haben muss. Ergänzt und bestärkt wird diese liberale Lesart der thomistischen Rechtslehre durch das Verständnis von Gewohnheitsrecht, das Thomas vorgeschwebt hat. Ihm zufolge sei es durchaus im Sinne einer stabilen sowie gerechten Rechtsordnung, dass sie sich den wandelnden Lebensbedingungen der Menschen anpasse („lex recte mutari potest propter mutationem conditionum hominum“163). Damit wird dem positiven Recht eine weitere Legitimationsquelle verschafft, die ihrerseits mit der lex naturalis verküpft ist – insofern nämlich, als sich Menschen bei Handlungen, die sie häufig wiederholen, mit großer Wahrscheinlichkeit an ihrer Vernunft orientieren würden. Denn, so Thomas: „[…] cum enim aliquid multoties fit, videtur ex deliberato rationis judicio provenire. Et secundum hoc, consuetudo et habet vim legis, et legem abolet, et est legem interpretatur.“164 Mit dieser zusätzlichen Quelle von Recht aus der Gewohnheit des alltäglichen und empirischen Lebens bleibt für die Einordnung der lex humana festzuhalten, dass es sich um ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren handelt, die letztlich darüber entscheiden, ob ein Gesetz bzw. ob positives Recht Legitimität im Sinne des Naturrechts beanspruchen kann. Dabei ist skizziert worden, dass es sich bei Thomas von Aquins lex naturalis, die die Basis für die lex humana darstellt, um die Prinzipien eines diskursiven, handlungsorientierten sowie auf das gute Leben gerichteten Bedingungszusammenhanges praktischer Vernunft handelt, im Rahmen dessen sich die Notwendigkeit eines formal konfigurierten Rechts als Koordinierungs- und Regulierungsmechanismus ergibt, um die äußeren Bedingungen des privaten Wohls zu sichern. In genau diesem Sinne beansprucht das positive Recht bei Thomas von Aquin einen eigenen Geltungsanspruch, der infolgedessen weder mit der lex natuarlis identisch sein könne oder müsse noch unabhängig von ihr legitimiert werden dürfe.165 163  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 97, art. 1, resp.: „Ex parte vero hominum, quorum actus lege regulantur, lex recte mutari potest propter mutationem conditionum hominum, quibus secundum diversas eorum conditiones diversa expediunt.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „Von Seiten der Menschen aber, deren Handlungen durch das Gesetz geregelt werden, kann das Gesetz rechtmäßig abgeändert werden aufgrund der Wandelbarkeit der Lebensbedingungen unter den Menschen, denen gemäß ihren jeweils anderen Lebensbedingungen anderes dienlich ist.“ 164  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 97, art 3, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „[…] was nämlich immer wieder geschieht, scheint einem überlegtem Urteil der Vernunft zu entspringen. Und aus diesem Grunde hat die Gewohnheit Gesetzeskraft, hebt ein Gesetz auf und erklärt den Sinn der Gesetze.“ 165  Im Umkehrschluss heißt das wiederum – wie Böckenförde ausführt –, dass nur bestimmte Gesetze infolgedessen eine direkt bindende Kraft im Sinne der Moral hät-

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III. Die thomistische Struktur des ordoliberalen Naturrechts Aus der liberalen Darstellung der thomistischen Rechtslehre im Sinne einer Gesamtheit der formalen und materiellen Bedingungen der praktischen Vernunft wird ersichtlich, warum sich Eucken mit seinem Verständnis von Ordnungstheorie und -politik (vgl. § 1) konzeptionell und inhaltlich in der Tradition der thomistischen Rechts- und Naturrechtslehre bewegt. Denn auch für Eucken gilt, dass die ordoliberale politische Ökonomie ihre normative Kraft aus der Teilhabe des Menschen an einem stabilen Ordnungsplan der Welt erhält, der dem Menschen Vernunfteinsichten sowohl positiven als auch normativen Gehalts gewährt und aus dem die ökonomischen Bedingungen allen vernünftigen Handelns in Hinblick auf die menschliche Zweckgerichtetheit entspringen. Und auch für Eucken folgt daraus die Notwendigkeit einer rein formal konfigurierten Gesellschaftsordnung, im Rahmen derer der Preis als „ordnende ratio“ die Rolle sowohl als Indikator als auch als Kulminationspunkt der ökonomischen Bedingungen für die Realisierung der individuellen Potenziale im Rahmen einer Verkehrswirtschaft einnimmt. 1. Euckens Einsichten in die lex aeterna Die ersten Anknüpfungspunkte für eine Lesart Euckens als eine in die Ökonomie gedachte Naturrechtslehre Thomas von Aquins bilden seine Ausführungen zur „echten und rechten“ Wissenschaft (vgl. § 1, I. 1.), mit denen ten, wogegen viele Gesetze ihre bindende Kraft im Sinne der Stabilität des Gemeinwohls erlangen. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 241. Thomas von Aquin selber führt an dieser Stelle das göttliche Gesetz (lex divina) an, welches im Kern aus dem Alten und dem Neuen Testament sowie aus Sittengeboten und Kultvorschriften besteht, denen das positive Recht nicht zuwiderlaufen darf. Ihm zufolge sei das göttliche Gesetz der lax naturalis hinzugefügt, wobei es in gewisser Hinsicht mit diesem deckungsgleich sei, vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 99, art. 2, resp. ad 1: „Ergo dicendum quod lex vetus distinguitor a lege naturae non tanquam ab ea omnino aliena, sed tanquam aliquid ei superaddens.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „Das Alte Gesetz unterscheidet sich vom Naturgesetz nicht als etwas diesem vollkommen Fremdes, sondern als eine Hinzufügung zu ihm.“ In diesem Zusammenhang fordert Thomas sogar dazu auf, das positive Recht nicht zu beachten, wenn es dem göttlichen Gesetz entgegengesetzt sei, vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 96, art. 4, resp: „Alio modo leges possunt esse injustae per contrarietatem ad bonum divinum: sicut leges tyrannorum inducentes ad idololatriam, vel ad quodcumque aliud quod sit contra legem divinam. Et tales leges nullo modo licet observare, quia sicut dicitur Act. 5, ‚obedire oportet Deo magis quam hominibus.‘ “ In der deutschen Übersetzung heißt es: „In einer zweiten Weise können Gesetze ungerecht sein durch den Gegensatz zum göttlichen Gut; etwa die Gesetze von Tyrannen, die zur Gottlosigkeit verleiten oder zu was auch immer, was dem göttlichen Gesetz widerspricht. Solche Gesetze dürfen auf keine Weise beachtet werden; denn es heißt: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5, 29).“



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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Eucken gewissermaßen Ausgangs- sowie Zielpunkt seines ordoliberalen Projektes definiert und welche infolgedessen den Grundstein einer naturrechtlichen Verankerung des Ordoliberalismus legen. Denn ganz unabhängig von der konkreten Methode, die hinter dem morphologischen Apparat steht und an der sich, wie bereits dargestellt, die Kritik am Ordoliberalismus im Wesentlichen entzündet (vgl. § 1, II.), teilt Eucken die Ausgangsprämisse Thomas von Aquins für dessen Naturrechtslehre: die Annahme eines Gesamtordnungsplans der Welt, der sich zwar der menschlichen Verfügung entziehe, den der Mensch jedoch teilweise einsehen könne und der infolgedessen die Rolle einer transzendenten Quelle der Welt, allen Wissens von der Welt sowie der Möglichkeit und der Verbindlichkeit normativer Prinzipien darstellt.166 Genau dieser Ausgangspunkt bildet den Kern der Meta-Struktur des morphologischen Apparates, mithilfe derer Eucken seinen Ausführungen bereits vor Anwendung einer konkreten Methode Normativität verleihen kann (§ 1, I.). Eucken spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Husserl von einem „Reich der Wahrheit“, das in den „Sachen liege“ und mithilfe der richtigen Methode vom Menschen erkannt werden („einfach vorfinden, entdecken“) und im Zuge dessen „evidente Vernunftwahrheiten“ liefern könne. Damit schickt auch Eucken seinen Ausführungen (bei allen denkbaren Anlehnungen an die Methoden des Kantianismus und des Weberismus) die explizite Annahme einer ewigen, stabilen und dem Menschen gegebenen Ordnung voraus, deren Struktur der Mensch aufgrund seiner Vernunftfähigkeit zwar einsehen, die dabei jedoch nicht von ihm beeinflusst werden kann. Bei Thomas ist das Äquivalent zu dieser Verschränkung von Welt und Wissen von der Welt die Vorstellung, wonach die einzelnen Erkenntnisse, die ein Mensch gewinnen kann, zumindest prinzipiell als „wahr“ einzustufen seien, weil sie mit den Dingen in der Welt übereinstimmen würden („Intellectus enim humanus est mensuratus a rebus, ut scilicet conceptus hominis non sit verus propter seipsum […].“167). Die ewige Ordnung sei einsehbar (zumindest mehr oder weniger), weil der Mensch an ihr teilhabe („Omnis creatura rationalis ipsam cognoscit secundum aliquam ejus irradiationem, vel majorem vel 166  Vgl. Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 389–90: „[T]he theory of Eternal Law proposes that the laws, principles, requirements, and norms of the four orders [the order of nature, the order of human artefacts, the order of the principles of action and the order of the operations of thought] be regarded as holding their respective orders precisely because they express aspects, intelligible to us, of the creative intention which guides D’s causing of the categorially variagated ‚community‘ of all entities and all states of affaires in all orders.“ 167  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 93, art. 1, ad 3. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Der menschliche Verstand empfängt nämlich sein Maß von den Dingen, so daß das Erkenntnisbild des Menschen nicht aus sich selber wahr ist […].“

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minorem.“168) – und indem er wiederum die Ordnung einsieht, könne er überhaupt erkennen, dass er an ihr teilhat. Diese Annahme einer lex aeterna stellt mitsamt ihrer Doppelstruktur auch im Rahmen des Ordoliberalismus eine weder begründete noch überhaupt begründbare Prämisse dar. Sie bildet vielmehr die Idee einer, wie Runge es in Hinblick auf Euckens Theoriebildung nennt: „allem menschlichen Wollen vorgegebene[n] Natur, […] ein[es] Seins, das eine ursprüngliche Ordnung beinhaltet“169. Euckens Ausführungen lassen sich folglich so lesen, wie Finnis es in Hinblick auf das Verhältnis von lex aeterna und die lex naturalis bei Thomas von Aquin vorschlägt: „Gott“ als „uncaused causing“ sei Ursprung und Ausdruck der ewigen Ordnung, an der wir im Rahmen der lex naturalis partizipieren (vgl. § 2, II. 2.). Und weil der Mensch an dieser ewigen Ordnung qua seiner Vernunftfähigkeit teilhabe, müsse er für die daraus entspringenden vernunft- und verstandesmäßigen Einsichten sowohl in positiver als auch in normativer Hinsicht Gültigkeit beanspruchen:170 in positiver Hinsicht, weil die Welt stabil sei und vom Menschen erkannt werden könne; in normativer Hinsicht, weil auch die Prinzipien der praktischen Vernunft derjenigen Disposition entspringen, die ihm die spezifische Form seiner natürlichen Vervollkommnung verleiht. Diese Verknüpfung aus Gesamtordnungsplan und menschlicher Einsicht durch Teilhabe an jenem Plan lässt sich bei Eucken wie folgt paraphrasieren: Die lex aeterna müsse als gegeben angenommen werden („gottgewollt“), damit sie von der creatura rationalis so eingesehen werden kann, wie sie wirklich ist (mit der „echten und rechten Wissenschaft“) und damit sie infolgedessen auch als normativ bindend in Hinblick auf die praktische Vernunft, mithilfe derer die Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens entwickelt und beurteilt werden können, angesehen werden kann (als „Ordnung, die dem Wesen des Menschen und der Sache entspricht“).171 Das bildet den 168  Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 93, art. 2, resp. In der deutschen Übersetzung heißt es: „Alle vernünftigen Geschöpfe erkennen es [das ewige Gesetz] aufgrund einer gewissen Einstrahlung, die stärker oder schwächer sein kann.“ 169  Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 132. 170  Wobei dies nicht damit verwechselt werden darf, dass alle Menschen in gleicher Weise dafür geeignet seien. Mit anderen Worten: Nicht alle Einsichten sind trotz dieser Eingabe als gleichwertig zu erachten. Vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 93, art. 2, resp.: „In aliis vero quidam plus et quidam minus participant de cognitione veritatis […].“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „Was das andere angeht, haben die einen mehr, die anderen weniger Anteil an der Erkenntnis der Wahrheit […].“ Vgl. dazu auch: Strauss, Natural Right and History, S. 9–11. 171  Im Kern kommt diese Verzahnung eines Weltordnungsplans mit einer normativen politischen Ökonomie in kondensierter und konziser Form bei folgender Stelle in Euckens Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik zum Ausdruck: „Die Wirtschaftspoli-



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Kern des thomistischen Ausgangspunktes des Ordoliberalismus Euckens. Es schafft die argumentative Voraussetzung dafür, überhaupt Aussagen über die Zielsetzungen von Wirtschaftspolitik im Sinne der „Natur des Menschen“ bzw. der „sinnvolle[n] Zusammenfügung des Mannigfaltigen zu einem Ganzen“ zu treffen, wie Eucken es als Anspruch für seine politische Ökonomie formuliert. Denn erst die ewige und unveränderliche, weil von Gott gegebene Ordnung schafft über eine Absicherung der transzendenten Quelle des Seins und des Sollens die normative Kraft, die dann auch zum Selbstverständnis des Ordoliberalismus gehören kann.172 2. Der „Wirtschaftsplan“ als Ausdruck menschlicher Zweckgerichtetheit Ausgehend von der Konfiguration der ewigen Ordnung als stabil und einsehbar nimmt der Wirtschaftsplan den Dreh- und Angelpunkt in Euckens politischer Ökonomie ein („ohne Pläne […] wirtschaften Menschen niemals“). Im Wirtschaftsplan kommt die materialisierte Zweckgerichtetheit des Menschen zum Ausdruck, wodurch er eine in die Ökonomie gedachte Version derjenigen Handlungsstruktur darstellt, die auch Thomas im Rahmen seiner lex naturalis als omne agens agit propter finem vorschwebte (vgl. § 2, II. 2.). In diesem Zusammenhang ist es infolgedessen auch nicht überraschend, dass Euckens Ausführungen in einer Forderung kulminieren, die sich als ökonomisches Pendant des thomistischen Verständnisses der lex humana skizzieren lässt: die Schaffung von äußeren Freiheitsbedingungen für die Verfolgung des guten Lebens innerhalb der Gemeinschaft. Nach Thomas partizipiert der Mensch an der lex aeterna, indem er Einsichten in die Welt erlangt, indem er dabei für sich und andere vorhersehen kann („sibi et aliis providens“) und indem er im Zuge dessen seine natürliche Neigung zum vernünftigen Handeln vollzieht („inclinatio ad bonum secundum naturam rationis quae est sibi propria“). Im Kern bedeutet dies vor altik aber soll die freie natürliche gottgewollte Ordnung verwirklichen. […] Indem die Wirtschaftspolitik diese Tendenzen als Ordnungsformen wirksam macht, tut sie das, was der Natur der Sache und des Menschen entspricht.“ Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 176 und S. 372–3. 172  Auch Otto Veit argumentiert in eine ähnliche Richtung, wenn er sowohl die naturrechtliche Verankerung Euckens als auch dessen Methodik des „Idealtypus“ anerkennt und nicht als prinzipiellen Widerspruch begreift, vgl. Veit, „Ordo und Ordnung“, S. 43–7. Im Gegensatz dazu spricht Runge es dem Ordoliberalismus ab, ein „vollständiges“ Naturrecht entwickelt zu haben, weil dieser nicht mit dem Konzept eines Schöpfergotts operiere bzw. mit seiner „neukantischen Methode“ schlichtweg keine Einsichten in „ontische Strukturen der Welt“ gewinnen könne, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus S. 132–4.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

lem, der Mensch verfügt über die Fähigkeit zur praktischen Vernunft, die er unter der Berücksichtigung bestimmter Bedingungen (Selbsterhalt, Fortpflanzung, Leben in der Gemeinschaft etc.) ausübt. Aus Euckens Sicht wäre dieser Zusammenhang wiederum nicht ohne eine ökonomische Dimension zu denken – und so lässt sich sein Ökonomieverständnis darüber mit Thomas in Einklang bringen. Denn indem Menschen von ihrer praktischen Vernunft Gebrauch machen und sich dabei in einer Welt begrenzter Ressourcen bewegen, d. h. Zwecke definieren und die dementsprechend knappen Mittel wählen, diese Zwecke zu verfolgen, verfügt jede Handlung automatisch über eine ökonomische Komponente. Menschen wirtschaften bei Eucken immer und „Ökonomie“ ist infolgedessen aus Sicht des Konsums zu denken, d. h.: sie dient der Erschließung von denjenigen Mitteln, die ein Mensch unmittelbar (oder mittelbar über Institutionen) für die Realisierung gewählter Zwecke benötigt und die wiederum aufgrund von Knappheit unter rationaler Abwägung gegebener Möglichkeiten und Zielkonflikte zu wählen sind. Genau diese Eingrenzung der Ökonomie auf das Reich der Mittel macht für Eucken den Kern des „wirtschaftlichen Prinzips“ aus: Es ist als die in die Ökonomie gedachte und formale Ausformulierung der Zweck-Mittel-Struktur allen menschlichen Daseins, die unabhängig vom historischen Kontext bzw. der realisierten Eigentumsverhältnisse als „die Maxime des vernünftigen Handelns überhaupt“173 gelten müsse (vgl. § 1, III. 1.). Das wirtschaftliche Prinzip ist gewissermaßen der Inbegriff aller hypothetischen Imperative und leitet sich von der Annahme ab, wonach der Mensch seinem natürlichen Zweck gemäß seiner Form („secundum suam formam“) nachkommt und wonach diese Form in ökonomischer Hinsicht immer die Struktur eines Wirtschaftsplanes annehmen müsse. Mit dem wirtschaftlichen Prinzip hat Eucken ein Handlungsprinzip definiert, das auch eine Aussage über die natürliche Neigung aller Menschen trifft, sofern sie in ökonomischen Angelegenheiten per definitionem als rationale Wesen konstituiert sind und in diesem Sinne ihren Neigungen nachkommen.174 Und ebenso wie bei Thomas, der diese Neigung, vernünftig zu handeln, auf eine materielle Grundstruktur des Menschen – auf die inclinationes naturales – anwendet, agiert auch der wirtschaftende Mensch bei Eucken nicht im luftleeren Raum. Zwar führt Eucken sein Verständnis von inclinationes naturales nicht weiter aus. Doch stehen seine Überlegungen zu Form, Zweck und Inhalt einer Handlung nach dem wirtschaftlichen Prinzip („überall handeln Menschen nach dem wirtschaftlichen Prinzip“) auch 173  Eucken,

Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 212. Finnis drückt es in Hinblick auf Thomas wie folgt aus: „[T]hat amongst our natural inclinations is the inclination to act secundum rationem, i. e. reasonably.“ Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 400–1. 174  John



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in keinem Widerspruch zu den Vorstellungen Thomas von Aquins. Im Gegenteil, so spielt die Vorstellung vom Selbsterhalt eine durchaus prominente Rolle für die Verortung der Ökonomie als Mittel zur Überwindung von Bedürfnissen („Es gibt kein Wirtschaften, das nicht auf Abdeckung von Bedürfnissen abzielte […].“175). Darüber hinaus nimmt auch Eucken die Verkehrsstruktur des „wirtschaftlichen Alltags“ zum Ausgangspunkt aller Ökonomie. Wirtschaften heißt für ihn immer auch Wirtschaften im sozialen Kontext, wodurch der Mensch auch ökonomisch als ein Wesen definiert wird, das seinen Neigungen nach in der Gemeinschaft lebt.176 Und auch wenn für Eucken die Frage nach der Familie (im Gegensatz zum Einzelnen) als zentrale Trägerin von Sittlichkeit keine relevante Kategorie bildet (so wie dies häufig in Hinblick auf Thomas von Aquins Naturrechtslehre dargestellt wird177), ließe sich im Sinne einer thomistischen Interpretation Euckens zumindest anführen, dass Eucken die vernünftige Handlungsmaxime des wirtschaftlichen Prinzips begrifflich aus der Familienstruktur, die er als einfache und natürliche Grundstruktur menschlicher Gemeinschaft zu verstehen scheint, ableitet178 – ganz so, wie dies auch bei Thomas der Fall 175  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 128. Eucken schreibt dazu an anderer Stelle weiter: „zu allen Zeiten befindet sich […] der Mensch in der Situation, die Spannung zwischen seinen Bedürfnissen und den Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung überwinden zu müssen.“ Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 183. 176  Dies lässt sich zum einen von Euckens Verständnis von wirtschaftlichem Alltag ableiten sowie von seiner Herleitung aller Wirtschaftssysteme. Denn ihm zufolge seien diese mit der Zentralwirtschaft, d. h.: ein Leiter entscheidet für alle, und Verkehrswirtschaft, d. h.: verschiedene Teilpläne müssen koordiniert werden, erschöpfend dargestellt. Auch Runge spricht in diesem Kontext davon, dass der Ordoliberalismus den Menschen als „animale sociale“ annimmt, das von Natur aus in gesellschaftliche Ordnungen eingebunden sei, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 132. 177  Vgl. z. B. Finnis, Aquinas, S. 243, wonach die Familie die einzig nicht kontingente Form der Gemeinschaft von Menschen ist – zumindest insofern, als sie notwendig für das Leben als solches ist: „No doubt families are contingent in the sense that each is formed by free choices […]. The family, essentially husband, wife and children, is antecedent to, and more necessary than, political society (because oriented around […] acts of procreation and nurture necessary for life itself) […].“ In genau diesem Sinne stelle die Familie ein grundlegendes menschliches Gut dar, welche vor dem Staat angenommen werden müsse, wodurch dieser wiederum seine Legitimität gewinne. 178  Eucken beginnt sein gesamtes Unterfangen zwar mit dem Beispiel der Familie als kleinste Einheit eines selbstständigen Akteurs (nämlich als reine Form der „zen­ tralgeleiteten Wirtschaft“, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 80), doch spricht er an verschiedenen Stellen gleichwertig von Betrieben etc., die er als „Einzelwirtschaften“ bezeichnet und die ihm zufolge zu einer kennzeichnenden ­Eigenschaft der Moderne geworden seien, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S.  69 ff.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

ist.179 Das wirtschaftliche Prinzip als Prinzip allen vernünftigen Handelns lässt sich damit wie folgt in den thomistischen Kontext einfalten: Alles menschliche Handeln lässt sich nur als zweckgerichtet darstellen, d. h. in Hinblick auf das gute Leben als Verfolgung von Zielen, für deren Erreichen bestimmte Mittel zur Verfügung stehen bzw. die in Hinblick auf die mate­ riellen Neigungen des Menschen verwendet werden müssen. Diese Struktur trägt insofern eine ökonomische Implikation in sich, als die für die Zwecke verwendeten Mittel nicht unendlich zur Verfügung stehen. Und davon ausgehend wiederum lasse nur ein Prinzip bestimmen, das als Prinzip allen vernünftigen Handelns schlechthin gelte: das wirtschaftliche Prinzip (vgl. § 1, III. 1.) In genau dieser formalen Struktur des wirtschaftlichen Prinzips und der daraus resultierenden Forderung nach einer sich daran orientierenden und ebenso formal strukturierten Wirtschaftsordnung scheint infolgedessen auch der Grund dafür zu liegen, dass Eucken von sich selber aussagt, er habe kein „unmittelbares Naturrecht“ entwickelt, obwohl die Argumentationsstruktur seines Ordoliberalismus die bereits angedeuteten thomistische Elemente enthält. Zwar scheint Eucken an einigen Stellen seines Werkes zu suggerieren, dass sein Ansatz als Ableitung „inhaltlich imperativer“ Normen von einem fest definierten menschlichen Wesen verstanden werden könnte, wenn er z. B. ausführt, dass sich die Prinzipien seiner normativen politischen Ökonomie von den positiven Erkenntnissen ableiten ließen (Wissenschaft werde „zur Lebensmacht von bildender und gestaltender Kraft“) und dass eine legitime Wirtschaftsordnung gemäß einer bestimmten Wesenheit des Menschen („Natur der Menschen und der Dinge“) strukturiert sein müsse.180 Doch genau diese mit dem Neo-Thomismus in Verbindung gebrachte Argumentati179  Zwar gilt für Thomas, dass die Familie (Vereinigung von Mann und Frau, Aufzucht der Kinder etc.) zu den Grundfunktionen des Menschen gehöre, doch müsse man davon unabhängig die Frage stellen, welche Rechte dem Einzelnen von Natur aus zukommen (unabhängig von der Familie). Denn selbst wenn man die Familie als Urgemeinschaft definiert, scheint dies nicht zu bedeuten, dass ein Einzelner (der eventuell nicht in der Familienstruktur lebt) damit seine Geltungsansprüche als Rechtssubjekt gegenüber dem Gemeinwesen bzw. seine Schutz-bedürftigkeit verliere. Vgl. dazu: Finnis, Aquinas, S. 234–9. Hier schreibt er explizit, dass das öffentliche Gut, auf welches die Staatstätigkeit ausgerichtet sei, sich sowohl an den Familien sowie an den Einzelnen orientieren müsse. 180  Dies schwebt vermutlich auch Euckens Schüler, K. P. Hensel vor, wenn er schreibt, dass die Gesamtheit der Formelemente, die Eucken entwickelt, wissenschaftlich begründet seien und abschließende Seinsstrukturen darstellen würden. Vgl. Hensel, „Ordnungspolitische Betrachtungen zur katholischen Soziallehre“, S. 265–7. So spricht z. B. Goldschmidt davon, dass in der „Wahrheitssuche“ die „methodische Schicksalsfrage Walter Euckens“ zu sehen sei, weil es Euckens explizite Absicht sei, zu dem „Wesen der Dinge selbst“ vorzudringen, vgl. Goldschmidt, Entstehung und Vermächtnis ordoliberalen Denkens, S. 86.



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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onsstruktur, die Eucken scheinbar mit dem Naturrecht als solchem assoziiert, findet sich bei Eucken nicht wieder. Zwar ist Eucken durchaus konsistent mit seinen eigenen Ausführungen, wenn er darauf verweist, dass es sich bei seinen Überlegungen nicht um „rechtsdogmatische und nicht um naturrechtliche Prinzipien“ handele, die gar „aus der Natur des Menschen deduziert“ worden seien181. Legt man jedoch an dieser Stelle die unter Verweis auf Finnis und Böckenförde dargelegte liberale Annäherung an das thomistische Naturrecht (vgl. § 2, II.) als Vergleichsmaßstab zugrunde, ergibt sich ein anderes Bild. Dann wird ersichtlich, dass Eucken sich im Gegenteil als Ökonom verstehen lässt, der sich in einer direkten Denktradition Thomas von Aquins bewegt, wenngleich er selber kein „unmittelbares Naturrecht“ in Sinne der NeoThomisten entwickelt haben mag. Seine Vorstellung eines Wirtschaftsplans lässt sich dann als eine strukturelle Bedingung allen Handelns, gewissermaßen als eine Konkretisierung oder Realisierung der thomistischen lex naturalis verstehen, deren Ausgangspunkt die Frage danach ist, was unter der Bedingung der Zweckgerichtetheit des Menschen in ökonomischer Hinsicht als vernünftig zu betrachten ist.182 Dabei geht es Eucken weniger um die Frage, aus welcher Motivation heraus Menschen handeln bzw. welche Zwecke sie wie bestimmen. Und es geht auch gerade nicht um eine „Überhöhung des Ökonomischen“183, die Eucken an dieser Stelle immer wieder vorgeworfen wird. Vielmehr liegt Euckens Augenmerk auf der Suche nach einem formalen und rationalen Kriterium für die Evaluierung äußerer Freiheitsräume, in denen sich die Zweckgerichtetheit des menschlichen Daseins im sozialen Kontext entfalten kann184 – immer unter der Annahme, dass Menschen die Neigung dazu haben, vernünftig zu handeln und es auch Teil ihrer Disposition ist, unter Verwendung der Vernunft nach dem Guten zu streben. An genau dieser Stelle kommen sowohl bei Thomas als auch bei Eucken die Zielfunktion des positiven Rechts bzw. der positiven Wirtschaftsordnung ins Spiel, welche die Legitimität von Herrschaft an die Schaffung der vernünftigen Bedingungen bindet, unter denen der Mensch gemäß seiner inneren Zwecke handeln kann. 181  Eucken,

Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 347 Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 36: „In other words, for Aquinas, the way to discover what is morally right (virtue) and wrong (vice) is to ask, not what is in accordance with human nature, but what is reasonable.“ 183  Vgl. z. B. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 60 f., der in diesem Zusammenhang von einer „Hypostasierung“ des wirtschaftlichen Prinzips spricht, aus der eine „wirklichkeitsferne, doktrinäre Starre ohne Verständnis für den individuellen Stil des im wirklichen Wirtschaftsleben handelnden Menschen“ folgen würde. Ähnlich Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken Walter Euckens, S. 69, der bei Eucken eine „Verabsolutierung der Freiheit“ ausmacht. 184  Vgl. Engel, „Die Überwindung von Normativität durch Theoriebildung“, S. 286–8. 182  Vgl.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

3. Der Preis als formale Realisierungsbedingung des guten Lebens Ausgehend von der Zweck-Mittel-Struktur menschlicher Handlungen gelangt Eucken zu seiner Vorstellung dessen, was im Rahmen dieser Arbeit Primat der Ökonomie genannt wurde und demzufolge es die Hauptaufgabe aller Wirtschaftspolitik zu sein habe, den Preismechanismus so auszugestalten, dass jeder gesellschaftliche Akteur seine Potenziale (und seine inneren Zwecke) nicht nur subjektiv empfinden, sondern auch objektiv nachvollziehbar in größtmöglichem Umfang realisieren kann – ganz gleich, worin die Motivation des Einzelnen dabei bestehen mag. Damit bewegt sich Eucken auch mit seiner Vorstellung einer Wirtschaftsordnung als Summe der äußeren und formalen Bedingungen in den Begriffen der thomistischen Rechtslehre und deren Verständnis von lex humana. Denn auch Thomas von Aquins Verständnis einer legitimen positiven Rechtsordnung zielt im Kern darauf ab, die formalen Bedingungen für Frieden und Wohlstand zu garantieren, damit der Einzelne von Einschränkungen im Streben nach dem Guten verschont bleibt (vgl. § 2, II. 2.). Folglich kann die lex humana nicht die Sanktionierung aller denkbaren Laster anstreben, sondern vielmehr nur derjenigen, die für die Funktionalität des Rechtssystems als ganzes schädlich sind.185 In genau diesem Sinne spricht auch Eucken von dem „positiven Zweck“, dem alle „Prinzipien des [Rechts] dienen“ müssten.186 Er kommt damit den Vorstellungen Thomas von Aquins insofern nahe,187 als auch Eucken zufolge das bonum commune nur insofern einen 185  Wobei an dieser Stelle darauf verwiesen sei, dass Thomas es durchaus als Ziel der lex humana versteht, den Menschen langsam zu mehr Tugendhaftigkeit zu lenken – jedoch nur insofern, als die geförderten Tugenden in Hinblick auf das Gemeingut (was wiederum das ursprünglichere private Wohl schützen muss) von Bedeutung seien, vgl. Thomas von Aquin, ST I–II, qu. 96, art. 3, resp.: „Non tamen de omnibus actibus omnium virtutum lex humana praecipit: sed solum de illis qui sunt ordinabiles ad bonum commune, vel immediate, sicut cum aliqua directe propter bonum commune fiunt; vel mediate, sicut cum aliqua ordinantur a legislatore pertinentia ad bonam disciplinam, per quam cives informantur ut commune bonum justitiae et pacis conservent.“ In der deutschen Übersetzung heißt es: „Trotzdem erläßt das menschliche Gesetz keine Gebote hinsichtlich aller Akte der Tugenden, sondern nur hinsichtlich jener, die auf das Gemeingut beziehbar sind, sei es unmittelbar, wenn z. B. etwas geradewegs wegen des Gemeinguts geschieht, sei es mittelbar, wenn z. B. vom Gesetzgeber etwas angeordnet wird, was zu guter Zucht gehört, daß sie das Gemeingut der Gerechtigkeit und des Friedens wahren.“ 186  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 290. 187  Auch wenn Eucken (vermutlich in mangelnder Kenntnis der philosophischen Implikationen seiner Ausführungen) genau diesen Punkt hervorhebt, um seine Wirtschafts- und Rechtsprinzipien von dem Naturrecht abzuheben. Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 289–91.



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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Geltungsbereich gegenüber dem Einzelnen einnehmen dürfe, als es eine Bedingung für die Realisierung von privatem Wohl darstelle. Denn auch Eucken geht von natürlichen Strukturen aus (vor allem von der Familie und deren Haushalt), die ursprünglicher sind als der Staat. Und genau deshalb kommt dem einzelnen Staat auch nur insofern Legitimität zu, als er eben jene Strukturen sichern und schützen kann, die ihm als Begründungszusammenhang vorausgehen. Indem der Wirtschaftsplan bei Eucken wiederum per definitionem eine Ausprägung der inneren Handlungsstruktur darstellt und dadurch den Ausgangspunkt aller Nationalökonomie schlechthin bildet, hat Eucken das Feld der Ordnungstheorie und -politik bereits als eines definiert, welches erstens nur auf die äußeren Bedingungen einer Handlung abzielt und welches zweitens das Privatwohl als Legitimitätsbedingung für jeden Begriff von Allgemeinwohl von vorne herein festlegt. Eucken fasst eben dieses Kernanliegen seiner Ordnungspolitik folgendermaßen zusammen:188 „Die Gesamtordnung sollte so sein, daß sie den Menschen das Leben nach ethischen Prinzipien ermöglicht.“189 Und das wiederum klingt sehr ähnlich dem, was Finnis und Böckenförde über die positive Rechtsordnung Thomas von Aquins schreiben. Diese Formulierung kennzeichnet den eigenen Geltungsbereich, den die Ökonomie bei Eucken – analog zum Recht bei Thomas – einnimmt.190 Zwar haben weder Eucken noch Thomas die Prinzipien ihres Rechts- bzw. ihres Ökonomiebegriffs von einer überhistorisch gültigen Wesensbestimmung des Menschen unmittelbar deduziert.191 Doch liefern beide damit einen Diskursbzw. einen Legitimationszusammenhang, der im Rahmen ihrer jeweiligen Begrifflichkeit formal genug ist, um auf verschiedene Gesellschaftssysteme anwendbar zu sein (mit anderen Worten: die „Daten“ der jeweils empirisch 188  Vgl. Finnis, Aquinas, S.  219 ff.; Finnis, Natural Law and Natural Rights, S.  260 ff. und Böckenförde: Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 233 ff. 189  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 199. 190  Im Besonderen kommt dies bei Eucken in der Diskussion über die Frage, ob man annehmen müsse, dass alle Menschen Egoisten oder Altruisten seien, zum Ausdruck. Er argumentiert in diesem Zusammenhang, dass die Frage sich nicht abschließend beantworten ließe, weil es in jeder Handlung Aspekte, die sowohl altruistische als auch egoistische Facetten aufweisen würden, zu berücksichtigen gebe. Mit anderen Worten: Die Frage nach der moralischen Einstellung einer Person zu einer Handlung könne bei der Organisation der Wirtschaftsordnung nicht das entscheidende Kriterium sein: „Das Problem der Spannung zwischen Einzel- und Gesamtinteresse [kann] durch sittliche Erziehung erleichtert, aber nicht gelöst werden. […] Von den Menschen darf nicht gefordert werden, was allein die Wirtschaftsordnung leisten kann: ein harmonisches Verhältnis zwischen Einzelinteresse und Gesamtinteresse herzustellen.“ Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 368. 191  In diesem Sinne hat Nils Goldschmidt Recht, wenn er ausführt, dass Eucken kein „unmittelbares Naturrecht“ entwickelt habe.

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

gegebenen Gemeinschaft einzubeziehen).192 Für beide gilt zudem, dass sie gleichermaßen zwischen der Sphäre der äußeren Legalität sowie der inneren Moralität trennen, indem die Frage der inneren Handlungsmaxime weder für das Design eines Preissystems bei Eucken noch für die Sanktionierung schädlicher Laster bei Thomas von Bedeutung ist, auch wenn es an dieser Stelle selbstverständlich anzuerkennen gilt, dass Thomas von Aquins Verständnis von Preis nicht annähernd vergleichbar ist mit dem von Eucken.193 In beiden Fällen aber gelte es, die Funktionalität des spezifischen Geltungsbereiches (ob Recht, Ökonomie oder beides) gegenüber der Stabilisierung der Bedingungen des guten Lebens zu sichern – wobei sich das Recht sowie die Ökonomie interdependent zueinander verhalten (insofern, als jede juristische Entscheidung ökonomische Implikationen sowie wie jede ökonomische Entscheidung immer auch rechtliche Bedingungen bzw. Anforderungen habe). Genau das macht den Kern der temporalis tranquillitas civitatis aus, die Foucault in dem spezifischen ordoliberalen Begründungszusammenhang sieht, wonach die Wirtschaft als Summe der äußeren Bedingungen des Lebens den Staat in seiner Handlungsfähigkeit definiert.194 Und in genau diesem Sinne sind sowohl Euckens Konzept von der realisierter Wirtschaftsordnung als auch Thomas’ Begriff von der lex humana zu verstehen. Für beide gilt, dass der Staat als etwas zu verstehen sei, das einer Bedingungsstruktur hinzutritt, die ursprünglicher als er selber ist und die ihm infolgedessen Legitimität zukommen lässt – nicht umgekehrt –, indem er die Lebens- und Handlungsbedingungen aller Menschen im Rahmen eines Lebens in der Gemeinschaft, d. h. vor allem in einer Verkehrsstruktur, sichert. Der Einzelne (oder die Familie) benötige dafür Rahmenbedingungen, die es ihm ermögli192  Wobei sich genau aus dieser Konstellation das grundlegende Problem ergibt, ab wann und unter welchen genauen Umständen positives Recht zu Unrecht wird, vgl. Veit, „Ordo und Ordnung“, S. 28. 193  Vgl. Ebd., S. 34. 194  Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 122–4: „Diese Idee daß man die Legitimität des Staates auf die garantierte Ausübung einer wirtschaftlichen Freiheit gründen kann, ist in der Tat, glaube ich, etwas neues. […] Die Wirtschaft erzeugt Legitimität für den Staat, der ihr Garant ist. Mit anderen Worten – und das ist ein äußerst interessantes Phänomen, das in der Geschichte zwar nicht völlig einzigartig ist, aber doch sehr erstaunlich, zumindest in unserer Zeit – die Wirtschaft schafft öffentliches Recht.“ In diesem Gedanken findet sich auch eine Kernidee Franz Böhms wieder, der in einem Aufsatz ausführt, wie sich der Staat nur durch seine Funktion in Hinblick auf die Sicherung einer ursprünglicheren Struktur legitimieren lasse: „Die Privatrechtsgesellschaft bedarf, damit die Privatrechtsordnung die Pläne aller ihrer Mitglieder systemgerecht koordinieren kann, einer Mitwirkung politischer Herrschaftsfunk­ tionen.“ Franz Böhm, „Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 17 (1966): S. 87.



§ 2  Das Primat der Ökonomie in der thomistischen Rechtslehre

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chen, seine inneren Zwecke sowie seine Potenziale in größtmöglichen Umfang und in Hinblick auf das gute Leben zu realisieren. IV. Fazit Damit wurde in § 2 in Hinblick auf die Frage danach, ob und in wie fern es sich bei Euckens Ordoliberalismus um ein genuines Naturrecht im Stile Thomas von Aquins handelt, folgendes gezeigt: – Unter Verweis auf Ausführungen von John Finnis sowie von Ernst-Wolfgang Böckenförde lässt sich das thomistische Naturrecht im Sinne einer formalen Disposition bzw. einer Selbstbegründung der praktischen Vernunft verstehen, für deren Realisierung der „empirische Mensch“ ein elementarer Bestandteil ist. Denn weil die Frage „Was ist im Rahmen des guten Lebens vernünftig?“ unterschiedliche Antworten hervorbringen kann, die wiederum unterschiedliche und dennoch im Sinne des Naturrechts begründbare Zielsetzungen zweckgerichteter Handlungen darstellen können, können auch die Inhalte der praktischen Vernunft nur in ihrer formalen Disposition als Fähigkeit, unter Gebrauch der Vernunft zu handeln, als verbindlich gedacht werden. (vgl. § 2, II. 1.) – Dieses Verständnis des thomistischen Naturrechts als formale Disposition der praktischen Vernunft steht dabei in einem konsistenten Verhältnis zum Verständnis von positivem Recht bei Thomas von Aquin. Dessen lex humana hat die äußere Regulierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Ziel und nimmt damit eine eigene Zielfunktion gegenüber der Sphäre der Ethik bzw. der Religion ein – im Sinne der Herstellung der äußeren Bedingungen des guten Lebens (temporalis tranquillitas civitatis). (vgl. § 2, II. 2.) – Euckens Theorie bewegt sich auf drei Ebenen von ihrer Argumentationsstruktur her in der Tradition Thomas von Aquins. Erstens nimmt auch er einen Gesamtordnungsplan der Welt an, der sich der menschlichen Verfügung entzieht, der jedoch mehr oder weniger eingesehen werden kann und infolgedessen die Rolle einer transzendenten Quelle der Welt, allen Wissens von der Welt sowie der Möglichkeit und der Verbindlichkeit normativer Prinzipien einnimmt. (vgl. § 2, III. 1.) – Zweitens nimmt Euckens Verständnis vom Wirtschaftsplan den Dreh- und Angelpunkt in seiner politischen Ökonomie ein, weil in ihm eine Bezugnahme auf die materiellen Bedingungen der menschlichen Zweckgerichtetheit zum Ausdruck kommt und er infolgedessen eine in die Ökonomie gedachte Version derjenigen Handlungsstruktur darstellt, die auch Thomas im Rahmen seiner lex naturalis vorschwebte. Das wirtschaftliche Prinzip stellt in diesem Kontext ein formales und rationales Kriterium für die

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1. Teil: Euckens Ordoliberalismus zwischen Theorie und Politik

Eva­luierung äußerer Freiheitsräume, in denen sich die Zweckgerichtetheit des menschlichen Daseins im sozialen Kontext entfalten kann, dar. (vgl. § 2, III. 2.) – Drittens laufen Euckens Überlegungen zur Notwendigkeit einer positiven und vor allem formal strukturierten Wirtschaftsordnung, im Rahmen derer das Hauptaugenmerk von Wirtschaftspolitik auf der Funktionalität des Preismechanismus zu liegen habe, auf eine Spielart der thomistischen Rechtslehre hinaus. (vgl. § 2, III. 3.) – Damit wurde im Angesicht der kontroversen Diskussion über die normative Einordnung des Ordoliberalismus gezeigt, dass Eucken sich von seiner Argumentationsstruktur her in den Begriffen einer liberalen Version der thomistischen Naturrechts- und Rechtslehre bewegt und dass sich das durchaus umstrittene normative Selbstverständnis des Ordoliberalismus als universalistisches Naturrecht auch argumentativ begründen lässt.

2. Teil

Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“1 Nachdem in Teil 1 dargelegt wurde, inwiefern Euckens Ordnungspolitik von ihrer Argumentationsstruktur her ein genuines Naturrecht in der Tradition Thomas von Aquins darstellt, geht es in einem nächsten Schritt darum, die Implikationen dieses Naturrechts für die Konzeption einer aus ordoliberaler Sicht legitimen Staats- und Souveränitätsordnung zu untersuchen. Dabei soll vor allem gezeigt werden, dass sich Eucken im Rahmen seines Staatsverständnisses in begrifflichen Inkonsistenzen und Widersprüchen bewegt, die sich entlang des Spannungsfeldes von Naturrecht und Staatspositivismus nachzeichnen und die sich aus Euckens eigener Terminologie heraus nicht überwinden lassen.2 Ziel von Teil 2 ist es infolgedessen, die Bedingungen, die aus Euckens Sicht für die erfolgreiche Durchsetzung der ordoliberalen Wirtschaftsordnung erfüllt sein müssen, zu skizzieren. Besonders soll in diesem Zusammenhang auf die Frage eingegangen werden, welche staatsphilosophische Konzeption sich hinter dem für den Ordoliberalismus kennzeichnenden Begriff des „starken Staates“3 verbirgt. Das wiederum ist für den Kontext dieser Dissertation von besonderer Bedeutung, weil sich anhand dieses Begriffes die in der 1  Den Begriff „Liberalismuskritik“ ist für diesen Kontext von dem Titel des Sammelbandes Carl Schmitt und die Liberalismuskritik übernommen worden. 2  Uwe Runge spricht in diesem Zusammenhang von einer „schwer zu überbrückenden Aporie“ aus „Dezisionismus“ und „Naturbegriff“, die im ordoliberalen Staatsverständnis liegt, wobei Runge aus diesem Spannungsfeld die Schlussfolgerung zieht, Euckens Naturrecht würde ausschließlich dazu dienen, einen reinen Staatspositivismus zu legitimieren, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 133–4. Vgl. auch Ernst Joachim Mestmäcker, „Soziale Marktwirtschaft und Europäisierung des Rechts“, in: Soll und Haben: 50 Jahre soziale Marktwirtschaft, hrsg. von Knut Wolfgang Nörr, Joachim Starbatty, und Reinhold Biskup, Stuttgart: Lucius & Lucius, 1999, S. 134. 3  Hierbei sei vorweggenommen, dass sich der Begriff „starker Staat“ bei Eucken selber nicht finden lässt. Dennoch – und darauf wird vor allem in § 4 eingegangen werden – lässt er sich unmittelbar von Euckens expliziter Ablehnung des „schwachen Staates“ ableiten. Häufig wird dabei Alexander Rüstow als Schöpfer des Begriffes „starker Staat“ ausgemacht, vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 33–8.

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2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

Forschung gegenwärtige Diskussion darüber nachvollziehen lässt, wie viel genuiner „Liberalismus“ und wie viele „befehlswirtschaftliche Elemente“4 aus dem Denken Carl Schmitts (oder gar der Nationalsozialisten) der Ordoliberalismus in Hinblick auf sein Staatsverständnis in sich trägt.5 Vor dem Hintergrund eben dieser Kontroverse soll im Folgenden eine Lesart Euckens vorgeschlagen werden, wonach dieser sich in einem genuinen und umfangreichen Sinne sowohl bei einer liberal-naturrechtlichen Tradition als auch bei Carl Schmitts Dezisionismus bedient – und insofern als grundlegend widerspruchsvoller Denker verstanden werden muss.6 Damit spitzen sich die Ausführungen in Teil 2 zu der Schlussfolgerung zu, dass eine konzeptionelle Konsistenz mit Euckens Staatsbegriff nicht gegeben ist, weil die Realisierung eines „funktionalen“7 sowie naturrechtlich begründeten Staates in Euckens Ordoliberalismus auf Grundlage staatspositivistischer Begriffs- und Entscheidungsmuster erfolgen soll. Dieser Umstand wiederum führt zu der Konse4  Vgl. Nawroth, Die wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen des Neoliberalismus, S. 18. 5  Vgl. z. B. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft, S. 38–44; Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, Originalausg., München: Beck, 2004, S. 94 ff.; Abelshauser, „Die Epochendeutung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland“, S. 23–8; Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, S. 113–5. 6  Damit wird der Versuch unternommen, Eucken nicht in die eine oder andere Richtung zu interpretieren oder ihn gar vor seinen eigenen Ausführungen zu schützen – wie dies häufig in der ordoliberalen Literatur auffindbar ist. So kommen z. B. Reuter und Fischer zu dem Ergebnis, dass in Euckens Ausführungen das dezisionistische Element nicht überbewertet werden dürfe, weil es eher „oberflächlicher“ Natur sei und für die Theoriebildung Euckens keine Rolle gespielt habe, vgl. z. B. Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 72–5; Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 156–60; Wilhelm Weber, „Der ökonomische Begriff der Wirtschaftsverfassung“, in: Wirtschaft und Verfassung in Österreich., hrsg. von Franz Korinek, Wien; Freiburg; Basel: Herder, 1972, S. 13– 4. Genau entgegengesetzt argumentieren die Kritiker Euckens, die ihm wiederum vorwerfen, vor allem ein Staatspositivist gewesen sei, dessen Naturrechtsbegriff ganz „oberflächlich“ gewesen sei – gewissermaßen, um sein „autoritäres“ Staatsverständnis zu verschleiern, vgl. z. B. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 33–8, Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 134, oder Nawroth, Die wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen des Neoliberalismus, S. 17–9. 7  Unter „funktional“ wird in diesem Zusammenhang das Gegenstück zu dem verstanden, was Böckenförde in Anlehnung an Rudolf Smend unter einem Staat der „Lebenstotalität“ versteht. Während ein funktionaler Staat seine Legitimität nur im Hinblick auf eindeutig definierte Zwecke besitzen könne, gehe der Umfang eines Staates der Lebenstotalität weit darüber hinaus, indem er selber eine sittliche Einheit darstelle, d. h. selber „Träger eines über das Funktionale hinausgehenden Sinns und einer entsprechenden Kompetenz und Verantwortung“ sei, vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, Berlin: Duncker und Humblot, 1978, S. 10–1.



2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“81

quenz, dass die ordoliberale Wirtschaftsordnung konzeptionell von Bedingungen abhängt, die sie selber weder schaffen noch garantieren kann (analog zu Böckenfördes Diktum über die Konstitution der freiheitlichen Gesellschaftsordnung8). Um diesem Argumentationsvorhaben gerecht zu werden, gilt es zu zeigen, welches die Referenzpunkte des Eucken’schen Staats- und Souveränitätsverständnisses sind und wie sie miteinander verknüpft werden. Dafür sollen in § 3 die vernunftrechtlichen Implikationen der kantischen Rechtsphilosophie und ihre jeweiligen Anknüpfungspunkte mit den Begriffen des Ordoliberalismus Walter Euckens dargelegt werden. Dabei wird skizziert, wie Eucken versucht, das in Teil 1 dargelegte thomistisch-naturrechtliche Primat der Ökonomie anhand des Begriffs der „Würde“ in eine vernunftrechtliche Begrifflichkeit in der Tradition Kants sowie der Aufklärung einzuordnen.9 Das ist insofern von Bedeutung, als Eucken zwar an prominenter Stelle in Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik auf Kant verweist, diejenigen Prämissen jedoch, mit denen er zu seiner Vorstellung von Ordnungspolitik gelangt, nicht der kantischen Moralphilosophie entspringen, sondern vielmehr thomistischen Mustern folgen (vgl. § 2). Zusätzlich soll in diesem Zusammenhang unter Verweis auf den sehr umfassenden Ökonomiebegriff Euckens gezeigt werden, dass Euckens Staatsverständnis ein radikal funktionalistisches ist, weil es den Staat über die so genannte „Interdependenz der Ordnungen“ maximal bindet und verpflichtet. Das Primat der Ökonomie zu realisieren ist in dieser Lesart die Bedingung aller gesellschaftlichen und, wie Kant es nennen würde, „äußeren“ Freiheit schlechthin. In § 4 wird ausgehend von Euckens Geschichtsverständnis skizziert, dass seine Überlegungen bezüglich der faktischen Funktionsweise von Politik und Staat Schnittmengen mit denjenigen Argumenten Carl Schmitts aufweisen, mit denen dieser seine explizite Kritik am „Liberalismus“ und am „liberalen Individualismus“ begründet.10 Im Besonderen finden sich Schmitts Argu8  Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“, in: Recht, Staat, Freiheit: Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt: Suhrkamp, 1991, S. 42–64. 9  Dieser Umstand ist aus dem Werk Euckens heraus keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr entwickelt sich Eucken erst verhältnismäßig spät zu einem Liberalen, der gerade in seinen frühen Schriften die Annahmen der Aufklärung kritisiert. Er spricht in diesem Zusammenhang z. B. davon, dass die Aufklärung zu einer Entwertung der Religion geführt habe, die wiederum einen gesellschaftlichen Verfallsprozess in Gang gesetzt hätte, vgl. z. B. Walter Eucken, „Religion – Wirtschaft – Staat“, Die Tatwelt. Zeitschrift für die Erneuerung des Geisteslebens Jahrgang VIII, Heft 7 (1932): S. 83–4. 10  Carl Schmitt weist an verschiedenen Stellen seines Werkes auf das mangelnde Verständnis Kants für das Verhältnis von Souveränität und Recht hin und wirft dem Liberalismus als Ganzem vor, für die Denaturierung des „Begriffes des Politischen“

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2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

mentationsstrukturen zum „Dezisionismus“ (zum vermeintlichen Irrglaube, wonach Rechtsordnungen sich selber setzen11) sowie zur Ablehnung „pluralistischer Herrschaftsstrukturen“12 in Euckens Ausführungen wieder, wo sie in der Figur des „starken Staates“ kulminieren. Diese Schnittmengen entspringen dabei unmittelbar Euckens Ordnungstheorie mitsamt ihrer Unterscheidung von „Ordnungsgrundsätzen“ und „realisierter Wirtschaftsordnung“, die in einer kategorischen Ablehnung privatwirtschaftlicher Machtkörper als Ablehnung pluralistischer Herrschaft münden – jeweils analog zur Kritik Schmitts an der liberalen Demokratie, die „den Staat zu einem ‚Kompromiß‘ und staatliche Einrichtungen zu einem ‚Ventil‘ “ machen würde13. Für Eucken stellt diese Unfähigkeit des Staates, aus sich selbst heraus zu handeln, eine Kernherausforderung von Wirtschaftspolitik sowie der Gesellschaft als ganzer dar. Zwar versucht Eucken, aus Schmitts Pluralismus-Kritik am liberalen Staat gerade nicht dieselben antiliberalen Schlussfolgerungen wie dieser zu ziehen, sondern die „Schwäche“ der Weimarer Republik, die auch Eucken bei seinen Analysen vor Augen hat, als politisch-institutionellen Konstruktionsfehler des Liberalismus und seines Verständnisses von der Rolle eines Staates bei der Realisierung liberaler Normen zu verstehen.14 durch dessen Bindung an Moral und Ethik verantwortlich zu sein, vgl. Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 9. Auflage (Berlin: Duncker & Humblot, 2009 [1922]), S. 20; Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 7. Auflage (Berlin: Duncker & Humblot, 2002 [1932]), S. 68 ff. Nach Volker Gerhardt sollte man in diesem Zusammenhang die Schriften Schmitts und Kants (vor allem Zum ewigen Frieden und Politische Theologie) als bisher unerforschte Gegenstücke zueinander verstehen, vgl. Volker Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“: eine Theorie der Politik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, S. 8. 11  Vgl. Schmitt, Politische Theologie, S. 20. 12  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 44–5. 13  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 69. 14  Anders bei Carl Schmitt, vgl. Schmitt, Begriff des Politischen, S. 61–9. Dieser Unterschied zwischen Eucken und Schmitt ist deshalb von Bedeutung, weil eine der Hauptkritiken am Ordoliberalismus durch den Vorwurf gekennzeichnet ist, dass dieser nicht mit der Demokratie kompatibel sei, weil er die „Wirtschaft“ über die demokratische Kontrolle stelle, indem ein „starker Staat“ die Interessen der Wirtschaft ohne Kompromisse durchzusetzen habe. Ptak z. B. leitet aus den Parallelen zwischen Eucken und Schmitt eine „kaum verhüllte Kritik an der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft“ ab und bezeichnet die „Begrenzung von Parlamentarismus und Masseneinfluß“ als den „ersten Eckpfleiler ordoliberaler Programmatik“. Vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 36–44. Wolfgang Streeck geht dabei noch einen Schritt weiter: Für ihn bildet die Vorstellung eines „starken Staates“ – ganz gleich, auf welches Ziel hin diese Stärke ausgerichtet wird – bereits eine Abkehr von jeglicher Form von „Demokratie“, vgl. Wolfgang Streeck, „Auf den Ruinen der Alten Welt. Von der Demokratie zur Marktgesellschaft“, Blätter für deutsche und internationale Politik Band 12 (2012): S. 61 ff. Auch Abelshauser sieht in der Figur des „starken Staates“ deutliche Parallelen bzw. einen schleichenden



§ 3  Die Wettbewerbsordnung in den Begriffen des Vernunftrechtes 83

Dennoch soll in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass die bei Eucken anzutreffende Zusammenführung von naturrechtlichem Funktionalismus und dezisionistischem Staatspositivismus nicht nur zu begrifflichen Inkonsistenzen führt, sondern darüber hinaus auch die Frage nach den Bedingungen einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ausgeklammert bzw. unbeantwortet lassen muss.

§ 3  Die Wettbewerbsordnung in den Begriffen des Vernunftrechtes Obwohl Eucken seine Vorstellung von Ordnungspolitik mithilfe thomistischer Argumentationsmuster begründet (vgl. § 2, III.), versucht er die Implikationen dieser Ordnungspolitik in Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik als eine in die Ökonomie gedachte Version der kantischen Rechtslehre darzustellen. Diese Strategie Euckens hat zwei Folgen: Zum einen schafft Eucken damit eine weitere Plausibilisierung seiner Vorstellung einer naturrechtlichen bzw. vorrechtlichen Bindung von Wirtschaftspolitik im Sinne von „Ordo“ – und zwar unabhängig davon, worin die einzelnen Inhalte der kantischen Rechtslehre bestehen mögen.15 Zum anderen unterstreicht Eucken dadurch sein im Kern radikal funktionales Verständnis von Staat und Staatlichkeit als Folge seines Ökonomiebegriffs und der damit verknüpften „Interdependenz der Ordnungen“. I. Kants „Pflichten des Rechts“ Eine erste Annäherung an ein Verständnis von Ordnungspolitik im Sinne einer Realisierungsbedingung für ein kantisches Vernunftrecht erfolgt über die Art und Weise, in der sich Kants Begriff der „Würde“ auf Euckens AusÜbergang zu nationalsozialistischen Vorstellungen bezüglich des Verhältnisses von Staat zu Wirtschaft, vgl. Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, S. 94–100. Und Haselbach wirft dem Ordoliberalismus als ganzem vor, dass er indifferent gegenüber der konkreten Staatsordnung sei – solange sie eine „autoritäre Form“ habe, vgl. Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, S. 113. 15  Diese Verwendung der kantischen Begriffe im Sinne eines Meta-Arguments wird dadurch unterstrichen, dass Eucken selber Kant in Die Grundlagen der Nationalökonomie kaum erwähnt, um ihn dann wiederum in Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik – wo es um die politisch-institutionellen Implikationen seiner Grundlagen geht – zum zentralen normativen Referenzpunkt werden zu lassen. Dies läuft analog dazu, wie Goldschmidt feststellt, dass auch dem Begriff der „Freiheit“ in der ersten Auflage der Grundlagen keine Bedeutung zukommt, vgl. Goldschmidt, „Die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft aus dem Geiste der Religion“, S. 35. Vgl. auch Blümle, „Freiheit und Norm bei Walter Eucken“, S. 295.

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führungen anwenden lässt16 bzw. in der Eucken selber diesen Begriff auf sein Verständnis von Ordnungspolitik anwendet. Dabei sei auf Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten verwiesen, in der Würde als eine Eigenschaft, die einem Wesen zukomme, sofern es im Besitz der Vernunft sei und infolgedessen „über allen Preisen erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet“17 verstanden wird. Dieser „unbedingte Wert“ eines „Zwecks an sich selbst“ entspringt der Fähigkeit des Menschen, die Zwecke seines Handelns frei bestimmen zu können. Dazu Kant: „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“18 Genau vor diesem Hintergrund könne derjenige sittliche Imperativ gedacht werden, der kategorisch gelten müsse und der als praktischer Imperativ in der so genannten „Menschheitsformel“ mündet, nämlich: „handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“19 Diese formale Struktur, die dem kategorischen Imperativ zugrunde liegt,20 stellt den Ausgangspunkt für die kantische Vernunftrechtslehre dar: Die Menschheitsformel definiert zum einen den Grenzbereich der moralischen Autonomie jedes Einzelnen. Zugleich vollzieht sie die für den Kontext der liberalen Rechtsphilosophie relevante Trennung zwischen Moral bzw. innerer Freiheit und Recht bzw. äußerer Freiheit.21 So formuliert Kant in seinem 16  Vgl. Müller, Evangelische Wirtschaftsethik und soziale Marktwirtschaft, S.  36 ff. 17  Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hrsg. von Theodor Valentiner, Stuttgart: Reclam, 2004 [1785]), S. 60 (435). 18  Ebd., S. 62 (436). 19  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 54 (429). 20  Wobei es durchaus sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, wie „formal“ die kantische Ethik ist. So ließe sich an dieser Stelle einerseits auf die sehr prominente Formalismus-Kritik Hegels an Kant verweisen, in welcher ersterer dem zweiten vorwirft, dass die Inhalte seiner formalen Moralität vor allem tautologische Sätze darstellen würden, vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts,“ Gesammelte Werke Bd. 4, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986 [1802–1803]), S. 461–3. Dem ließe sich an dieser Stelle wiederum Max Weber entgegensetzen, der durchaus inhaltliche sowie für die Konsequenzen einer Handlung relevante Bestimmungen in der formalen Ethik Kants auffindet, vgl. Max Weber, „Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1922, S. 505 ff. 21  Kant unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen den „Pflichten des Rechts“ und den „Pflichten der Tugend“ und führt aus: „So, daß jetzt das System der allgemeinen Pflichtenlehre in das der Rechtslehre (ius), welche äußerer Gesetze fähig ist, und der Tugendlehre (ethica) eingeteilt, die deren nicht fähig ist […]. Daß die Ethik Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von anderen nicht (physisch) gezwungen werden kann, ist bloß die Folge daraus, daß sie eine Lehre der Zwecke ist, weil dazu (sie zu haben) ein Zwang sich selbst widerspricht.“ Immanuel Kant,



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rechtsphilosophischen Traktat Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, welcher die definitorische Grundlage seiner Rechtsphilosophie legt,22 Recht sei „die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetz möglich ist.“23 Die Aufgabe des Rechts bestehe folglich nicht darin, Menschen die Zwecke für ihre jeweiligen Handlungen vorzuschreiben. Denn, so Kant: „Nun kann ich zwar zu Handlungen, die als Mittel auf einen Zweck gerichtet sind, nie aber einen Zweck zu haben von anderen gezwungen werden.“24 Vielmehr solle das Recht eines Staates seinen Bürgern nur einen Rahmen liefern, innerhalb dessen sie ihre eigenen Zwecke setzen und als Maxime ihrer Handlungen verfolgen können. Mit anderen Worten: Das Recht sichere die Bedingungen, unter denen ein Leben im Sinne moralischer Autonomie, d. h. in Würde, möglich ist. Mit dieser Vorstellung über das Verhältnis von Recht und Moral gehen in einem nächsten Schritt zwei eindeutige Implikationen einher, die sich im Kern bereits aus Euckens liberaler Version des thomistischen Naturrechts ergeben haben (vgl. § 2, II. 2.): Erstens könne die äußere Freiheitssphäre, sofern die moralische Autonomie der Individuen als Fähigkeit verstanden wird, Zwecke und Handlungsmaximen zu definieren, nur formal definiert werden. Denn jeder Versuch, diese inhaltlich zu strukturieren, werde nicht nur zu einem Zustand der Despotie führen25, sondern prinzipiell scheitern („Die Freiheit als Mensch, deren Prinzip für die Konstitution eines gemeinsamen Wesens ich in der Formel ausdrücke: Niemand kann mich zwingen, auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein […].“26). Und zweitens folgt daraus, dass eine soziale Konfiguration nur dann als im Sinne des Vernunftrechtes legitim – als „recht“ – angesehen werden könne, wenn sie dem Einzelnen den Freiraum, Zwecke und Handlungsmaxime selber zu wählen, zugesteht. Dazu schreibt Kant selber: Metaphysik der Sitten, hrsg. von Karl Vorländer, 3. Auflage (Leipzig: Felix Meiner, 1919 [1797]), A 1–3. 22  Vgl. Paul Guyer, Kant, New York, NY: Routledge, 2006, S. 239; Veit, „Ordo und Ordnung“, S. 24. 23  Immanuel Kant, „Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“, in: Über den Gemeinspruch; Zum ewigen Frieden, hrsg. von Heiner Klemme, Hamburg: F. Meiner, 1992 (1793), S. 21 (289). 24  Kant, Metaphysik der Sitten, S. 219 (381). 25  Dazu Kant: „Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, […] wo also die Untertanen als unmündige Kinder, […] sich bloß passiv zu verhalten genötigt sind, […] ist der größte denkbare Despotismus.“ Kant, „Über den Gemeinspruch“, S. 22 (A 236). 26  Ebd., S. 21 (A 235).

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Nun ist alles, was Unrecht ist, ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen […]. Folglich: wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht […].27

Dieser Ausführung liegt ein Rechtsbegriff zugrunde, wonach dem „Recht“ die Aufgabe zukomme, nur diejenigen Handlungen zu beurteilen, die für andere Menschen überhaupt Konsequenzen haben, d. h., nicht die Ziele ihrer Handlungen zu berücksichtigen. Es gehe in der Sphäre des Rechts – im Gegensatz zur Sphäre der Moral und Ethik – folglich um die Beurteilung, ob und in wie fern eine Handlungen einer Person mit der (äußeren) Freiheit einer anderen vereinbar sei. In den Worten Kants ausgedrückt: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“28 II. Machtfreiheit als Bedingung für ein „würdevolles“ Leben Trotz einiger wichtiger Unterschiede, die zwischen Euckens thomistischer und Kants vernunftrechtlicher Herleitung im Hinblick auf die Legitimation staatlicher Autorität bestehen, verweist Eucken bei seinen Ausführungen ausdrücklich auf Kant, wobei er dabei eine tiefergehende Auseinandersetzung schuldig bleibt und somit den Eindruck verstärkt, dass es ihm mit diesen Verweisen vor allem um eine allgemeine Absicherung seiner Vorstellungen von ethischer Bindung von Recht und Staat geht29 – und weniger um eine begriffliche Abarbeitung an den Prämissen und Begriffen Kants. 27  Kant,

Metaphysik der Sitten, S. 36 (231). Metaphysik der Sitten, S. 34–5 (230). In diesem Zusammenhang lässt sich auch bei Kant ein gewisser Rechtspositivismus feststellen. So weist z. B. Böckenförde darauf hin, dass die zitierte Formulierung Kants zum Begriff des „Rechts“ darauf hinausläuft, dass eine freiheitliche Ordnung implementiert und gesichert werden müsse, um Freiheit zu realisieren, vgl. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 16. Darüber hinaus lässt sich anführen, dass Kant es prinzipiell nicht für angemessen hält, sich einem Staatsoberhaupt zu widersetzen, auch wenn dieser sich als ein „Tyrann“ verhält, der „den ursprünglichen Vertrag verletzt“. Denn, so Kant: „Wer soll entscheiden, auf wessen Seite das Recht sei? Keiner von beiden [weder Volk noch Oberhaupt] kann es als Richter in eigener Sache tun.“ Kant: Über den Gemeinspruch, S. 32 (A 255). Es ist wenig überraschend, dass ausgerechnet Carl Schmitt diesen Punkt bei Kant explizit lobt, vgl. Carl Schmitt, „Staatsethik und pluralistischer Staat“, Kant-Studien 35 (1930): S. 29. 29  Eine mögliche Folge dieser unzureichenden Abarbeitung zeigt sich an dem bereits erwähnten und sehr breiten Spektrum verschiedener Lesarten des Eucken’schen Ordoliberalismus. 28  Kant,



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So führt Eucken an verschiedenen Stellen seiner Grundsätze der Wirtschaftspolitik die Notwendigkeit einer „funktionsfähigen[n] und menschen­ würdigen[n] Ordnung der Wirtschaft, der Gesellschaft, des Rechtes und des Staates“30 an. Diese besteht ihm zufolge – wie bereits in § 1 dargestellt – in erster Linie darin, dass der in einer Volkswirtschaft installierte Preismechanismus als objektiver „Knappheitsmesser“ stets vollständig zur Geltung komme. Denn, weil dies sowohl die Folge als auch die Bedingung der Zerstörung privatwirtschaftlicher Machtstrukturen sei, könne dadurch garantiert werden, den äußeren Freiheitsrahmen des Einzelnen für die Verfolgung der eigenen Zwecke in größtmöglichem Umfang zu sichern. Damit lässt sich die Kernaussage Euckens mithilfe kantischer Begriffe wie folgt darstellen: einem wirtschaftenden Menschen widerfährt genau dann Unrecht, wenn er bloß als Mittel in das strategische Kalkül anderer einfließt. Im Rahmen des Ordoliberalismus ist dies wiederum genau dann der Fall, wenn die wirtschaftlichen Machtstrukturen einer Gesellschaft so beschaffen sind, dass dem Einzelnen keine Möglichkeit des Ausweichens gegenüber der jeweiligen Marktgegenseite verschafft werde. Das Primat der Ökonomie ist das universal gültige Recht eines jeden Einzelnen, ohne Einschränkungen durch andere seine Zwecke verfolgen zu können, und umschreibt folglich die äußere Bedingung eines Lebens in Würde (vgl. § 1, III. 3.). Mit anderen Worten: In dem Umfang, in dem eine Marktgegenseite Kontrolle über all diejenigen Mittel, die für die Verfolgung beliebiger Zwecke benötigt werden, ausüben kann, schränkt sie den Einzelnen automatisch in dessen Möglichkeit ein, seine von ihm selbst gesetzten Zwecke angemessen zu verfolgen. Zwar kann auch ein wirtschaftlicher Machtkörper – ebenso wenig wie der Staat – niemanden dazu zwingen, bestimmte Zwecke zu wollen. Doch liegt darin nicht die primäre Sorge Euckens – und wohl auch nicht diejenige Kants. Vielmehr zielen die Überlegungen beider darauf ab, dass die Kontrolle über Ressourcen bzw. die Entscheidung, Ressourcen auf eine bestimmte Art und Weise einzusetzen, immer mit Auswirkungen auf die äußere Freiheitssphäre anderer einhergeht, indem sich deren Handlungsspielräume bzw. deren Zweck-Mittel-Kalkulationen verändern. Wenn dem nicht so wäre, wäre das gesamte Unterfangen des Rechtes bzw. der Ökonomie, die vielen individuellen Einzelentscheidungen aufeinander abzustimmen, deutlich weniger relevant – und infolgedessen vermutlich sehr viel weniger umstritten.31 30  Eucken,

Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 373. Eucken kommt diese Herausforderung in der Diskussion darüber zum Ausdruck, ob der Mensch von Natur aus ein „egoistisches“ oder ein „altruistisches“ Wesen sei. Ihm zufolge sei diese Trennung nicht sinnvoll, weil jemand durchaus aus altruistischen Motiven (z. B. im Sinne seiner Familie) handeln könne und dadurch aber aus Sicht anderer Akteure auf dem Markt ein partikulares und damit scheinbar egoistisches Motiv zum Ausdruck bringt, vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 31  Für

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Beiden gemeinsam ist, dass es sich ihnen zufolge bei strategischen Interaktionen zwischen Menschen nicht zwingend um ein Nullsummenspiel handeln müsse, in dem immer nur eine Seite gewinnen kann. Zwar mag es die Handlungsspielräume des Einzelnen einschränken, dass bestimmte Ressourcen bereits von anderen für deren Unterfangen verwendet werden (so liegt es in der Natur der Sache sogenannter „wirtschaftlicher Güter“, dass sie einer gewissen Knappheit unterliegen32). Auch lässt es sich schwer vermeiden, dass Menschen sich in vielen Situationen ihres alltäglichen Lebens gegenseitig als Mittel in ihre Zweck-Mittel-Kalkulationen einbeziehen. Wäre dies ein prinzipielles Problem, wären die einfachsten Interaktionen moralisch verwerflich.33 Die Frage, die jedoch für Eucken im Vordergrund steht, und die sich durch die ordoliberale Brille auch als die Frage Kants darstellen lässt, lautet: Können Rechts- und Wirtschaftsordnungen so ausgestaltet werden, dass sie sicherstellen, dass Menschen in sozialen Beziehungen einander nicht ausgeliefert sind? Anders gefragt: Wie lässt sich eine Gesellschaftsordnung verhindern, die einigen die Möglichkeit verleiht, über ihren privilegierten Zugang zu den ökonomischen Ressourcen die anderen Mitglieder der Gesellschaft maßgeblich in ihrer Autonomie zu beschneiden, weil diese infolgedessen nicht mehr die Möglichkeit haben, ihren Anspruch als Wesen, denen eine Würde und ein Zweck an sich zukommt, überhaupt geltend zu machen?34 S. 354. Ähnlich sieht es Kant, dessen Begriff von „Recht“ eben diese Einsicht bereits zum Ausgangspunkt nimmt, vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, A 33, B 33.: „Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm korrespondierende Verbindlichkeit bezieht (d. i. der moralische Begriff derselben), betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können.“ 32  Vgl. § 1, II. 1. 33  Peter Ulrich zufolge ist es nach Kant durchaus legitim, andere in seine strategischen Kalküle einzubeziehen. Problematisch ist in diesem Kontext vor allem die Reduzierung auf ein strategisches Kalkül (bloß als Mittel), vgl. Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik: Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, 3., reviderte Auflage, Bern: P. Haupt, 2001, S. 70 ff. 34  Karl Schiller schreibt in diesem Zusammenhang, dass die zentrale Frage des Ordoliberalismus als Frage nach Privilegien zu stellen sei, vgl. Schiller, Sozialismus und Wettbewerb, S. 33–4.: „Schumpeter spricht bekanntlich davon, daß die fortschreitende Wirtschaft nur möglich sei, wenn unaufhörlich die hellen Köpfe den Prozeß der schöpferischen Zerstörung vorantreiben Ich sehe eine der Hauptfunktionen des freiheitlichen Sozialismus darin, daß er ständig die hellen Köpfe nach oben bringt; daß die damit die gleiche Chance haben, Eigentumsfunktionen, also auch: Managerpositionen, in die Hand zu bekommen. Solange die hellen Köpfe vor der Schranke des Eigentums und einer darauf basierenden Berufsausbildung stehenbleiben müssen, ist sicherlich kein Sozialismus da. […] Der Sozialismus ist allerdings sofort verraten wenn dann in seinem Zeichen die Herkunft aus einer bestimmten Klasse wiederum als gesellschaftliches Privilegium gilt.“



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Von diesen Fragen ausgehend weisen Euckens Ausführungen zur Wirtschaftsordnung auch in einer zweiten Hinsicht direkte Übereinstimmungen mit denjenigen Kants zur Rechtsordnung auf. Auch Eucken zufolge darf die staatliche Regulierung nur auf die formalen Interaktionsstrukturen abzielen, im Rahmen derer sich die konkreten Handlungen der von den Akteuren frei gewählten Zwecke vollziehen. Dabei steht für ihn nicht so sehr die Frage im Mittelpunkt, ob es gänzlich unmöglich sei, die Zwecke der handelnden Akteure zu bestimmen (so wie Kant das behauptet), sondern vielmehr die Frage danach, welche Auswirkungen bereits der Versuch, dies zu tun, mit sich bringen würde. Und diesbezüglich sind seine Ausführungen bis hin zur Wortwahl identisch mit denjenigen Kants: Ein Staat könne, wenn er erst einmal beginnt in einen konkreten Wirtschaftsprozess einzugreifen (und nicht mehr die formalen Handlungsstrukturen zu garantieren), seine Eigenständigkeit und Neutralität gegenüber den verschiedenen Akteuren nur dann bewahren, wenn er zugleich zu einem Tyrann werde.35 Folglich dürfe der Staat auch nur die äußeren Ordnungsformen bestimmen, innerhalb derer die konkreten Zwecksetzungen durch die Akteure vollzogen werden. Anders ausgedrückt: Nur derjenige Staat, der sich auf das Setzen und Erhalten der formalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konzentriert, könne garantieren, dass er selber nicht zu seiner Gefahr für die Sphäre der äußeren Freiheit und – in der Konsequenz – die Würde des Einzelnen werde. In den oben bereits zitierten Worten Kants: auf dass der Staat nicht zum „größtmöglichen Despotismus“36 verkomme. Genau diese beiden Kerngedanken (Machtfreiheit sowie Regulierung formaler Handlungsbedingungen) zur äußeren Sicherung eines guten bzw. würdevollen Lebens kommen in demjenigen Verhältnis, das Eucken dem Eigentum an Produktionsmitteln in Verbindung mit einem funktionsfähigen Preismechanismus zugedacht hat, zum Ausdruck. Die Wettbewerbsordnung soll garantieren, dass das strategische Miteinbeziehen anderer immer auch im Sinne dieser anderen vonstatten geht. Dazu Eucken in Anlehnung an Kant: Die Herrschaft privater oder öffentlicher Machtkörper gefährdet die Durchsetzung der Gerechtigkeit, und mangelnde Sicherheit entspringt mangelnder Freiheit. […] Es kann nicht nach dem fundamentalen moralischen Prinzip verfahren werden, ‚den Menschen zugleich jederzeit als Zweck‘ nicht ‚bloß als Mittel‘ zu gebrauchen (Kant).37

Dadurch, dass der in der „Wettbewerbsordnung“ implementierte Preismechanismus die objektiven Knappheitsverhältnisse widerspiegele, sei es Eucken zufolge schlechterdings unmöglich, eine wirtschaftliche Handlung unter den Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 334 ff. „Über den Gemeinspruch“, S. 22 (290/91).
 37  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 126. 35  Vgl.

36  Kant,

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Bedingungen von Privateigentum zu vollziehen, die sich nicht im Einklang mit dem Interesse, d. h. in der ordoliberalen Begrifflichkeit ausgedrückt: mit dem „wirtschaftlichen Prinzip“, des von jener Handlung Betroffenen befindet. Denn genau darin bestehe das Problem privatwirtschaftlicher Macht: Nur sie ermögliche es einem Wirtschaftsgebilde, auch gegen das Interesse anderer zu agieren bzw. andere auch gegen deren Interesse in die eigene Zweck-MittelKalkulation einzubeziehen. Infolgedessen könne die „Wettbewerbsordnung“ nur als machtfreier Raum verstanden werden – als Schutz davor, von anderen auf die Funktion eines Mittels reduziert und damit seiner „Würde“38 beraubt zu werden. Um genau diesen Zusammenhang erneut zu unterstreichen, schreibt Eucken an anderer Stelle in expliziter Anlehnung an Kant: Heute sehen wir: Diese große Bewegung, die gewollte Befreiung des Menschen aus ‚seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit‘ – um nochmals mit Kant zu reden – befindet sich in Gefahr oder ist misslungen. – Und zwar war es die wirtschaftliche Sphäre, der die Freiheit so sehr zustatten kam, aus der die Freiheit zuerst bedroht wurde.39

Trotz dieser Verweise jedoch, mit denen Eucken die Implikationen seiner Vorstellungen von Ordnungspolitik in die Begrifflichkeiten der kantischen Vernunftrechtslehre einordnet, bleibt die Tatsache bestehen, dass Eucken weder die seinen Ausführungen zugrundeliegenden Prämissen noch die damit einhergehenden Argumentationsstrukturen der Moralphilosophie Kants entnimmt.40 Damit drängt sich der Eindruck auf, dass es Eucken mit dieser Einordnung vor allem darum geht, eine weitere argumentative Plausibilisierung für seine thomistisch strukturierte Vorstellung von Wettbewerbsordnung zu gewinnen. Dieser Eindruck wird von dem Umstand gestützt, dass besonders die frühe und mittlere Schaffensperiode Euckens, in der die begrifflichen Grundlagen für das ordoliberale Verständnis von Ökonomie und Wirtschaftspolitik gelegt wurden, von einer ausgesprochenen Skepsis gegenüber der Aufklärung im Allgemeinen sowie gegenüber Kant im Besonderen gekennzeichnet waren.41 Dies wird gestützt durch die Tatsache, dass in der ersten 38  Auch in den Augen Franz Böhms spielt der Begriff der „Würde“ insofern eine relevante Rolle bei Eucken, als er mit dessen Verständnis von „Ordo“ verknüpft sei, vgl. Franz Böhm, „Die Idee des ORDO im Denken Walter Euckens“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 3 (1950): S. XVI.: „[I]n den Augen Euckens entspricht eine soziale Ordnung in dem Grade der Menschenwürde, als sie Ordo ist.“ 39  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 176. 40  Anders sieht das Eckhart Müller, der unter unmittelbarem Verweis auf Nawroth bzw. unter mittelbarem Verweis auf Gundlach zu zeigen versucht, dass sich Eucken auch argumentativ direkt in einer Linie mit Kant bewegt – und nicht nur hinsichtlich der unmittelbaren Implikationen seiner Ausführungen, vgl. Müller, Evangelische Wirtschaftsethik und soziale Marktwirtschaft, S. 36 ff. 41  In zahlreichen Schriften Euckens wird diese Ablehnung deutlich, vgl. z. B. Eucken, „Sozialismus und Aufklärung.“, S. 30 f.; Walter Eucken, „Religion und Sozialis-



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Auflage von Die Grundlagen der Nationalökonomie der Begriff „Freiheit“ kein einziges Mal auftaucht. Auch dies deutet darauf hin, dass Eucken Kant für den Kontext seiner konkreten Vorstellung von Staat und Recht als einen Denker verstanden hat, mithilfe dessen er seine Vorstellung einer vorrechtlich-liberalen Bindung von Recht und Staat zeitgemäßer darlegen konnte42 – was allerdings nicht den häufig gemachten Umkehrschluss zulässt, wie er z. B. von Uwe Runge und Ralf Ptak gemacht wird,43 dass Eucken damit gar keine naturrechtlich oder vorrechtlich strukturierten Standards für die Legitimität positiver Rechts- und Wirtschaftsordnungen entwickelt hätte. Im Gegenteil: Gerade in dieser begrifflichen Komplexität liegt die noch auszuführende Widersprüchlichkeit in seinem Denken (vgl. § 4). III. Euckens radikale Verpflichtung staatlicher Autorität Nach Darlegung des Eucken’schen Ökonomiebegriffs mitsamt seiner Legitimationsbedingung (vgl. § 1), dessen naturrechtlicher Einordnung in die Tradition Thomas von Aquins (vgl. § 2) sowie dessen Implikation für die ethische Bindung von Recht und Staat in der Terminologie des Vernunftrechts (vgl. § 3, I. 2.) ergibt sich auf der liberalen Seite des ordoliberalen Arguments ein eindeutiges, wenngleich scheinbar paradoxes Bild von der Funktion des ordoliberalen Staates. Denn einerseits ist ein Staat nur in einem mus“, Die Tatwelt. Zeitschrift für die Erneuerung des Geisteslebens Jahrgang 3, Heft 3 (1927): S. 127; Eucken, „Religion – Wirtschaft – Staat“, S. 83 ff. Auch vor dem Hintergrund der deutschnationalen Vergangenheit Walter Euckens war es keinesfalls ausgemacht, dass er sich im Laufe seines Lebens zu einem Liberalen, der sich selbst in der Tradition der Aufklärung und Kants einordnet, entwickeln würde. Vgl. Uwe Dathe, „Walter Euckens Weg zum Liberalismus“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 60 (2009): S. 56–77. 42  Eine Prämisse, deren Ursprung Eucken explizit bei Kant verortet, ist diejenige der „ungeselligen Geselligkeit“ als conditio humana, vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 360. Jedoch auch hier gilt: Sie entspringt argumentativ seinen Vorstellungen vom „wirtschaftlichen Prinzip“, vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 205 ff. Erst in seinen Grundsätzen setzt er sie dann in ein Verhältnis zu Kants Schrift Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in der Kant schreibt: „[S]o wie Bäume eben dadurch, dass ein jeder dem anderen Luft und Sonne zu benehmen sucht, einander nötigen, beides über sich zu suchen und dadurch einen schönen geraden Wuchs bekommen […]. Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ordnung, sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren und so durch abgedrungene Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln.“ Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, hrsg. von Karl Vorländer, Bd. 47 (Leipzig: Felix Meiner, 1913 [1784]), S. 11. 43  Vgl. z. B. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 134, oder Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 36–44.

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2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

sehr eng definierten Umfang legitimierbar: im Sinne der Sicherung der ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des guten Lebens. Andererseits jedoch ist Euckens Ökonomiebegriff in seinen Implikationen so weitreichend, dass er sich auf alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche erstreckt44 – gewissermaßen als erste und notwendige Bedingung aller sozialen Freiheit schlechthin, die Eucken den Vorwurf einhandelt, das Ökonomische zu „hypostasieren“ bzw. einer „Verabsolutierung des ökonomischen Konkurrenzprinzips“ das Wort zu reden.45 Eucken zufolge stellen die ökonomischen Bedingungen einer Gesellschaft die materielle Struktur dar, vor deren Hintergrund alle menschlichen Handlungen vollzogen werden, ganz gleich, worin diese Handlungen im Einzelnen bestehen (vgl. § 1, III. 3.). Das wiederum bedeutet, dass die Frage nach der Regulierung der ökonomischen Bedingungen notwendigerweise Implikationen für alle gesellschaftlichen Bereiche haben müsse. Mehr noch, die Ökonomie stellt in dieser Lesart einen Querschnitt aller menschlichen Funktionen dar, weil sie den Bereich der Mittel zu allen möglichen Zwecken darstellt, und wird genau damit zum Maßstab schlechthin für die Beurteilung, ob ein Staat den naturrechtlichen Anforderungen seiner ethischen Verpflichtung Rechnung tragen kann. Das heißt vor allem: die Ökonomie ist nicht nur ein Teilbereich der Gesellschaft, sondern deren materieller Dreh- und Angelpunkt. Sie ist der Punkt, an dem sich die faktisch realisierte Freiheitlichkeit einer gesellschaft­ lichen Ordnung manifestieren wird, weil sie infolge der „Interdependenz der Ordnungen“46 Teilbereich aller Ordnungen darstellt. Eucken formuliert diese Bedeutung für gewöhnlich pathetisch, wenn er schreibt: 44  Analog zu dem, was Hans-Jürgen Papier über die Verbindung von Staats- und Wirtschaftsverfassung schreibt: Zwar sei auch das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral, doch ließen sich mit den Freiheitsrechten im GG nicht alle Wirtschaftspolitiken realisieren, vgl. Papier, „Soziale Marktwirtschaft – ein Begriff ohne verfassungsrechtliche Relevanz“, in: Soll und Haben: 50 Jahre soziale Marktwirtschaft, hrsg. von Knut Wolfgang Nörr, Joachim Starbatty, und Reinhold Biskup, Stuttgart: Lucius & Lucius, 1999, S. 95–102.: „Die Eigentumsgarantie und die anderen Grundrechte des privatautonomen Handelns und der privatautonomen Teilhabe an der Wirtschaftsgestaltung schließen eine potentiell absolute Herrschaft des politischen Systems (auch) über die Wirtschaft aus.“ 45  Vgl. dazu z. B. Nawroth, Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, S. 288–9, Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 126. Analog dazu schreibt Ptak, dass es im Rahmen des Ordoliberalismus zu einer „Verselbstständigung seiner [des Liberalismus] Substanz“ gekommen sei, vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 98. 46  Obwohl gerade Eucken diesen Begriff weniger stark behandelt hat, als dies im Angesicht der Bedeutung, die er für seine Argumentationsstruktur eigentlich spielt, zu erwarten gewesen wäre, vgl. Hans Willgerodt, „Die Liberalen und ihr Staat – Gesellschaftspolitik zwischen Laissez-faire und Diktatur“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 49 (1998): S. 58–9.



§ 3  Die Wettbewerbsordnung in den Begriffen des Vernunftrechtes 93 Die Wirtschaftsordnung ist – so wissen wir – die Gesamtheit der Formen, in denen die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses in concreto jeweils erfolgt. Und diese Formen der Wirtschaftslenkung stehen in naher Verbindung zur Ordnung der Gesellschaft. […] Diese „Interdependenz der Ordnungen“ ist ein wesentlicher Tatbestand des Lebens und gerade des modernen Lebens. […] Damit ist nicht etwa gesagt, daß nun alle Fragen der menschlichen Ordnungen und des Menschen überhaupt durch die Wirtschaftsordnungspolitik allein bewältigt werden könnten. Wohl aber gilt der Satz: Keine geistig-religiöse oder politische Bewegung wird diese Fragen [der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit oder des Friedens unter den Völkern] lösen, wenn es nicht gelingt, in adäquaten Wirtschaftsordnungen die Lenkung des alltäg­ lichen Wirtschaftsprozesses durchzuführen. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß feierliche Fragen nach der geistig-seelischen Existenz des Menschen mit sehr nüchternen Fragen der wirtschaftlichen Lenkungsmechanik untrennbar verbunden sind. […] Dem wirtschaftlichen Ordnungsproblem können wir nicht mehr entgehen.47

Daran wird deutlich, welche Rolle die Ökonomie im ordoliberalen Denken Walter Euckens – insofern, als sie die Frage betrifft, welche Mittel zu einem gegebenen Zweck (ganz gleich, worin der Zweck bestehe) zu verwenden sind – einnimmt.48 Sie ist die äußere Dimension aller gesellschaftlichen Rechte und Freiheiten, weil erst die Abwesenheit wirtschaftlicher Macht in Hinblick auf die Mittel, die der Einzelne für die Verfolgung seiner Zwecke benötigt, Momente sozialer Freiheit schafft – und zwar ganz gleich, worin man diese im Einzelnen verorten möchte.49 Und in genau diesem Sinne spielt die Ökonomie eine doppelte Rolle bei der Konfiguration des ordoliberalen 47  Eucken,

Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 180–4. dieser Stelle sei erneut auf von Hayek verwiesen, dessen Argumente gegen eine ausgiebige wirtschaftliche Machtfülle analog zu den Argumenten Euckens verlaufen (bzw. teilweise von Eucken übernommen wurden). Von Hayek zufolge sei wirtschaftliche Machtfülle deshalb problematisch, weil man im Zuge menschlicher Handlungen nicht von so genannten „wirtschaftlichen Motiven“ ausgehen könne, d. h., man könne nicht zwischen denjenigen Lebensbereichen trennen, in denen man wirtschaftet, und denjenigen, in denen man nicht wirtschaftet. Vielmehr wirtschafte der Mensch ausschließlich in Hinsicht auf solche Ziele, die selber keinen ökonomischen Ursprung haben: „Wer also die gesamte Wirtschaftstätigkeit lenkt, verfügt über die Mittel zur Erfüllung aller Wünsche und muss daher entscheiden, welche befriedigt werden sollen und welche nicht. […] Es ist die Herrschaft über die Mittel aller unserer Ziele.“ Daraus wiederum folge: „Unsere Bewegungsfreiheit in einer auf dem Wettbewerb beruhenden Gesellschaft steht und fällt damit, daß, wenn eine Person die Befriedigung unserer Wünsche ablehnt, wir uns an eine andere wenden können. Haben wir es mit dem Besitzer eines Monopols zu tun, so sind wir ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, und eine Planwirtschaftsbehörde, die die gesamte Volkswirtschaft lenkt, würde der mächtigste Monopolist sein.“ Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 123–5. 49  Vgl. dazu Böhm, „Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung“, insbesondere S. 104–5. Dort vertritt Böhm unter expliziter Verwendung der Eucken’schen Terminologie die Auffassung, dass man das Recht auf privatwirtschaftliche Autonomie gänzlich verlieren müsse, wenn man über zu viel Marktmacht verfüge, weil eine solche Machtstellung Auswirkungen weit über die Sphäre des Öko48  An

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und infolgedessen radikal funktionalistischen Staates, die Foucault mit folgender Frage zum Ausdruck gebracht hat: „Wie kann also die wirtschaftliche Freiheit zugleich eine begründende und begrenzende Rolle spielen, wie kann sie Garantie und Unterpfand für einen Staat sein?“50 – wobei das Erste ohne das Zweite nicht zu haben ist und umgekehrt. Die Ökonomie ist der äußere Ausgangs- und Anhaltspunkt dafür, dass sich die individuelle Wohlfahrt als Zielfunktion kollektiver Wohlfahrt darstellen lässt und bildet folglich den Kern für den Funktionalismus des ordoliberalen Staates. Denn es kann, wenn man die Verpflichtung des Staates für den Bereich der Ökonomie anerkennt und zugleich den Umfang des Eucken’schen Ökonomieverständnisses als Mittel aller Zwecke heranzieht, keinen gesellschaftlichen Bereich geben, in dem es einem Staat gestattet wäre, über die Schaffung äußerer Freiheitsbedingungen hinaus zu handeln und in die Wirtschaft einzugreifen. Um als legitimer Staat angesehen zu werden, muss er darauf ausgerichtet sein, die ökonomischen Bedingungen so zu strukturieren, dass sie es dem Einzelnen ermöglichen, seine Zwecksetzung ohne Einschränkung durch andere zu verfolgen – ganz gleich, worin diese bestehen mögen. Und im Umkehrschluss heißt das: Jeder Versuch eines Staates, über diese Zielsetzung hinaus zu agieren (auch in Bereichen, die nicht dezidiert ökonomisch sind, aber qua „Interdependenz der Ordnungen“ eine Auswirkungen auf die materiellen Bedingungen des Handelns haben) und damit ein Verständnis von kollektiver Wohlfahrt zu verfolgen, welches über die Schaffung der Bedingungen für die Summe der individuellen Wohlfahrten hinausgeht, stellt einen unmittelbaren Verstoß seiner naturrechtlich-ethischen Bindung dar, die aus dem individualistisch-strukturierten Ökonomiebegriff entspringt.51 D. h., der Staat darf bei der Regulierung des wirtschaftlichen Alltags nur dasjenige realisieren, was sich in einer Situation ergeben würde, in der es keiner staatlichen Regulierung bedürft hätte. Er ist Mittel zum Zweck und kann nur als Instanz verstanden werden, die zu einer wirtschaftlich bereits verflochtenen Struktur, die es sowohl zeitlich schon vor ihm als auch in seiner Substanz unabhängig von ihm gegeben haben muss, hinzukommt. Ein Staat darf folglich nur realisieren und erhalten, was sich ohne ihn nicht aufrechterhalten ließ – und eben nomischen hinaus habe. Vgl. dazu auch Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, S. 30. 50  Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 138. 51  Helmut Paul Becker spricht in diesem Kontext abwertend sowie unter Verweis auf Nawroth und Nell-Breuning davon, dass die Interdependenz-Lehre der Ordoliberalen einseitig ökonomisch determiniert sei, vgl. Becker, Die soziale Frage im Neoliberalismus, S. 127–8. Dabei jedoch geht auch er nicht auf den Mittel-Charakter der Ökonomie sowie deren Implikationen im Denken Walter Euckens ein, sodass er im Prinzip die gleiche Interpretation Euckens liefert, die bereits Gerhard Engel Nawroth als vollkommene „Fehlinterpretation“ vorgeworfen hat, vgl. Engel, „Die Überwindung von Normativität durch Theoriebildung“, S. 286–8.



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gerade nicht das, was es ohne ihn überhaupt nicht gegeben hätte.52 Nur so lässt sich auch Eucken verstehen, wenn er schreibt: „Wir erzwingen nichts, sondern wir bringen zur Entfaltung, was […] in der Wirklichkeit da ist. […] Mit der Politik der Wettbewerbsordnung oktroyiert der Staat nicht eine Wirtschaftsordnung, sondern er bringt zur Geltung, was sonst durch andere Tendenzen zurückgedrängt wurde.“53 Vor dem Hintergrund dieser Argumentationsstruktur wird ersichtlich, warum Eucken die Hegel’sche Idee des Staates als „Wirklichkeit der sittlichen Idee“54 so explizit ablehnt und die Bindung des Staates ausschließlich in einem formalen Sinne versteht, sodass die „Gesamtordnung […] den Menschen das Leben nach ethischen Prinzipien“ ermöglichen solle.55 An anderer Stelle wiederum weist Eucken darauf hin, dass ihm zufolge das wirtschaftliche Ordnungsproblem eines sei, welches vor allem ein Ergebnis der industriellen Revolution sei.56 Dies wiederum stützt das hier dargelegte Verständnis Euckens als Funktionalist in Hinblick auf den Staat, denn es impliziert, dass die Existenz eines Staates nicht unter allen Bedingungen als notwendig zu erachten ist, also keinen Selbstzweck darstellt. Zwar sei es in der Tat so, dass der Mensch immer schon in Gemeinschaft lebt, doch sei dies nicht unbedingt identisch mit einem Leben im Staat (es könne sich hierbei auch um eine Familie oder andere Gemeinschaften handeln57). Der Staat ist das zentrale Mittel dafür, den Schutz des Einzelnen sowie der Gemeinschaft vor wirtschaftlichen Machtkörpern im Sinne der Schaffung äußerer, d. h. ökonomischer und rechtlicher Rahmenbedingungen für das gute Leben, zu sichern. In diesem Staatsverständnis schafft der Staat nicht seine eigenen Maßstäbe, nach denen der Erfolg seines Handelns beurteilt werden kann. Seine Aufgabe soll vielmehr in der Schaffung und Realisierung des Vorstaatlichen bzw. des Natürlichen bestehen (vgl. § 1, III.).

52  Franz Böhm bringt dieses funktionale Verständnis von Staat im Begriff der „Privatrechtsgesellschaft“ zum Ausdruck. Diese stelle, in den Worten Foucaults formuliert, sowohl ein begründendes als auch ein limitierendes Moment staatlicher Herrschaft dar, indem die Privatrechtsgesellschaft den Staat auf die Sicherung der Bedingungen ihrer eigenen Existenz und Funktionsfähigkeit ausrichte, vgl. Böhm, „Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft“, S. 99–104. 53  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 374. 54  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 330. 55  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 199. 56  Vgl. z. B. Walter Eucken, „Wirtschaftsentwicklung contra Kulturentwicklung“, Die Tatwelt. Zeitschrift für die Erneuerung des Geisteslebens Jahrgang 6, Heft 1/3 (1930): S.  35 ff.; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 18 und S. 184; Walter Eucken, „Das ordnungspolitische Problem“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 1 (1948): insbesondere S. 62–75. 57  Vgl. Finnis, Aquinas, S. 248.

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2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

IV. Fazit Damit wurde in § 3 in Hinblick auf das Ausmaß der ethischen Bindung staatlicher Herrschaft gezeigt: – Eucken verortet vor allem die Implikationen seiner Vorstellungen von Ordnungspolitik in der Begrifflichkeit des kantischen Vernunftrechts und muss daher keine unmittelbaren argumentativen Zugeständnisse an die Prämissen bzw. an die spezifische Struktur der kantischen Moralphilosophie machen. (Vgl. § 3, I.) – Diese Einordnung seiner Ordnungspolitik in die Begriffe der kantischen Rechtsphilosophie hinterlässt infolgedessen den Eindruck, dass es Eucken vor allem darum geht, mit dem Verweis auf Kant seiner eigentlich thomistisch geprägten naturrechtlichen Vorstellung von Wettbewerbsordnung mehr Plausibilität zu verleihen (Vgl. § 3, II.). – Zugleich unterstreicht Eucken mit seiner Anknüpfung an die kantische Vernunftrechtslehre seine Vorstellung einer radikalen Verpflichtung und Bindung staatlicher Macht. Im Besonderen entspringt diese umfangreiche Bindung staatlicher Herrschaft Euckens Figur der „Interdependenz der Ordnungen“ und der damit einhergehenden Vorstellung von Ökonomie als Mittel aller Zwecke, wodurch staatliches Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen nur über die Schaffung der äußeren und materiellen Bedingungen der individuellen Wohlfahrt legitimiert werden kann. (Vgl. § 3, III.)

§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“58 Ausgehend von der umfangreichen Verpflichtung des ordoliberalen Staates (vgl. § 3) stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, nach welchen konkreten Prinzipien Eucken glaubt, sein ordoliberales Naturrecht realisieren zu können. Grundlage seines Staatsverständnisses ist dabei die Annahme, wonach prinzipiell zwischen „Ordnungsgrundsätzen“ bzw. formalen Rechtsnormen auf der einen und „faktischen Wirtschaftsordnungen“59 (d. h. dem wirtschaftlichen Alltag) auf der anderen Seite unterschieden werden müsse. Diese Auffassung entspringt dem ordoliberalen Ökonomie- bzw. Geschichtsverständnis und hat unmittelbare dezisionistische Implikationen, die sich analog zu den Vorstellungen Carl Schmitts zur Praxis von Rechtsprechung sowie zur pluralistischen Herrschaftsstruktur liberaler Staaten verstehen lassen. Dieser 58  Vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 133. 59  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 53.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 97

Zusammenhang bildet den Ausgangspunkt dafür, dass Eucken zentrale Argumentationsmuster der Schmitt’schen Liberalismuskritik übernimmt, um dann zu versuchen, diese im Rahmen seines naturrechtlich-liberalen Begründungszusammenhanges zu überwinden.60 Im Angesicht des damit verbundenen und im Folgenden darzulegenden begrifflichen Spannungsfeldes kann dieser Versuch jedoch nicht gelingen, sodass Euckens Staatsverständnis sich nur als in sich widersprüchlich und inkonsistent darstellen lässt. Denn in der Konsequenz führt diese Zusammenführung von Naturrecht und Staatspositivismus im Rahmen des Ordoliberalismus zu einer legitimatorischen Leerstelle bezüglich der Schaffung einer ordoliberalen Wirtschaftsordnung und der dieser vorausgehenden „Gesamtentscheidung“. I. Die Entscheidung als politische Dimension der „Großen Antinomie“ Das bereits dargelegte Konzept der so genannten „großen Antinomie“ als ein Problem der Wirtschaftstheorie (vgl. § 1, I. 1.) findet ihr Pendant in der Ordnungspolitik in der Unterscheidung zwischen „Prinzip“ und „Moment“. Beide Unterscheidungen gehen jeweils davon aus, dass es sowohl in der Beschreibung einer Wirtschaftsordnung als auch bei der Konzeption von Wirtschaftspolitik nicht ausreichend sei, die formal-rechtliche Dimension einer Ordnung zu analysieren bzw. zu bestimmen. Denn dies würde die Machtund Entscheidungskomponente, die für das Verständnis aller konkret realisierten Ordnungen relevant sei, unterschlagen. Dazu Eucken: Die jeweiligen Wirtschaftsordnungen sind nicht etwa den jeweils geltenden Rechtsordnungen gleichzusetzen. Auf die wirtschaftlichen Ordnungstatsachen kommt es bei ihnen an, auf die Formen, in deren Rahmen der alltägliche Wirtschaftsprozess vor sich geht, nicht auf die Rechtsnormen. […] Feststellung über das Vorhandensein von bestimmten Rechtsinstitutionen erlauben nur wenige und unsichere Schlüsse auf das Ordnungsgefüge der Wirtschaft.61

Hieraus folgt die für das ordoliberale Staatsverständnis zentrale Implikation, der zufolge auch gut begründete Ordnungsgrundsätze (z. B. das Privateigentum) in ihr Gegenteil umschlagen können (z. B. in Monopolbildung 60  Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 332–3, Anm. 1: „Die moderne Staatslehre ist schon wegen Gebrauchs einer veralteten Begriffsapparatur meist nicht imstande die faktische Entwicklung des realen Staates zu beschreiben. Wo sie aber Versuche dazu macht – wie C. Schmitt –, kommt sie zwar der Realität näher. Aber sie bleibt bei der Beschreibung der Entwicklung stehen, die sie als zwangsläufig ansieht und kommt deshalb auch nicht zur Aufwerfung und Durchdenkung des modernen ordnungspolitischen Problems.“ Interessanterweise ist diese Fußnote die einzige Stelle im Werk Euckens, an der er sich explizit auf Carl Schmitt bezieht. 61  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 54–5.

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2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

oder in eine Zentralverwaltungswirtschaft).62 Mit anderen Worten: Eine rechtliche Norm realisiere sich nicht von selber, so sehr sie auch einer irgendwie anthropologisch bestimmten Menschennatur – wie Eucken sagen würde: der „Natur der Menschen und der Dinge“ – entsprechen möge. Vielmehr bedürfe es für ihre Etablierung sowie für ihre Implementierung immer auch eines bewussten und wiederholten Entscheidungswillens, der einer Norm etwas über sie hinausgehendes hinzufügt, ohne dabei jedoch eine Bestimmung ihrer konkreten inhaltlichen Ausprägung vorwegzunehmen. Zwar mögen die Herleitung sowie die Anerkennung formal-rechtlicher Grundsätze eine wichtige Rolle bei der Konzeption oder dem Erhalt einer Wirtschaftsordnung spielen. Auch könne es darüber hinaus der Fall sein, dass bestimmte formal-rechtliche Grundbedingungen erfüllt sein müssen, damit eine machtfreie Wettbewerbsordnung im Sinne Euckens überhaupt denkbar ist.63 Doch lasse sich daraus eben noch keine „Zwangsläufigkeit der Entwicklung“64 ableiten, im Rahmen derer sich eine ethisch verankerte und vorrechtlich begründete Ordnung durchsetzen werde. Es gelte vielmehr anzuerkennen, dass sich, wie es Eucken formuliert, „auf Grundlage der Wirtschaftsverfassungen faktisch oft Wirtschaftsordnungen, welche den Grundgedanken der Wirtschaftsverfassung nicht oder nicht voll entsprechen“65 entwickeln würden. In genau diesem sehr allgemeinen Sinne kann in einem ersten Schritt die Relevanz der „Entscheidung“ für die ordoliberale Vorstellung von „Staat“ festgehalten werden. Eucken zufolge gelte es, zwischen den Begriffen „Prinzip“ als „Forderungen allgemeiner Art“ oder „Grundsätze des wirtschaftspolitischen Handelns“66 und „Moment“ als „Anwendung dieser Prinzipien auf 62  Vgl. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 55: „Die rechtliche Norm blieb; aber ihre Funktion änderte sich – mit der Wirtschaftsordnung.“ Im Besonderen hat Eucken hierbei die Rolle des Eigentums in der Zeit des Nationalsozialismus vor Augen. Ihm zufolge sei nach 1933 zwar die Institution des Eigentums als rechtliche Norm erhalten geblieben, obwohl zugleich Elemente der Kommandowirtschaft und der Kriegswirtschaft durchgesetzt worden wären. 63  An dieser Stelle ließe sich auf die Abhandlung Why Nations Fail verweisen, deren Autoren zufolge es immer nur dann zu langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungsphasen gekommen sei, wenn Gesellschaften so genannte „inklusive wirtschaftliche Institutionen“ geschaffen hätten, zu denen auch ein zumindest rudimentäres Eigentumsrecht gehören würde: „To be inclusive, economic institutions must feature secure private property, an unbiased system of law, and a provision of public services that provides a level playing field in which people can exchange and contract; it also must permit the entry of new businesses and allow people to choose their careers.“ Acemoglu/Robinson, Why nations fail, S. 74–5. 64  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 200 ff. 65  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 52–3. 66  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 252. Hiermit meint Eucken solche Prinzipien wie „offene Märkte“ oder „Wettbewerbsordnung“ etc.



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die konkrete Situation“67 zu unterscheiden. Denn jede formal strukturierte Norm trage die Möglichkeit in sich, sehr verschieden angewendet zu werden – und zwar so verschieden, dass die ihr zugrundeliegenden Prinzipien sich in ihrer Realisierung selber zerstören können.68 Für die Etablierung einer Wettbewerbsordnung sowie für deren Erhalt gelte es also zu trennen zwischen denjenigen Prinzipien, nach denen eine Wettbewerbsordnung formal-rechtlich institutionalisiert und implementiert werden solle („Herstellung der Wettbewerbsordnung“), und denjenigen, mithilfe derer sie in Hinblick auf ihren konkreten Inhalt und ihre spezifische sowie kontextbezogene Zielsetzung „funktionsfähig“ gemacht werden könne.69 Diese Unterscheidung Euckens zwischen Prinzip und Moment bringt eine weitere zentrale Implikation des Ordoliberalismus zum Ausdruck, die bereits hinsichtlich der Bedeutung von Macht für das ordoliberale Denken dargelegt wurde (vgl. § 1, III. 2.): Wirtschaftspolitik steht nicht einfach in einem diskursiven Zusammenhang, im Zuge dessen sich vernünftige Handlungsempfehlungen herausbilden können, die infolgedessen geräuschlos und transparent in Gesetzes- und Regulierungsverfahren umgesetzt würden. Das Gegenteil sei vielmehr der Fall. Auch Wirtschaftspolitik lasse sich nur als Teil eines intensiv geführten Machtkampfes verstehen, der so etwas wie eine anthropologische Konstante darstelle. Zwar mögen die einzelnen wirtschaftlichen Auseinandersetzungen im Zuge der Industrialisierung ihr Gewand verändert haben. Möglicherweise treten sie dem einzelnen Menschen gar nicht mehr als ein persönlicher Willensausdruck gegenüber, sondern nur noch als zweckrationale Handlungsstrukturen vollständig institutionalisierter70 Wirtschaftsgebilde wie Unternehmen, Kartelle, GmbHs etc. Und dennoch glaubt Eucken, dass sich auch darin noch ein bestimmtes menschliches Wesen ma67  Ebd.

68  Im Besonderen ist hier an die Politik des Laissez-faire zu denken. Zwar seien die Ziele aus Euckens Sicht die richtigen gewesen, doch hätten die konkreten Politikmaßnahmen nicht zu mehr Freiheit, sondern vielmehr zu „Vermachtung“ und „Unfreiheit“ geführt. 69  Eucken schlägt in diesem Zusammenhang acht konstituierende Prinzipien („Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems“, „Primat der Währungspolitik“, „Offene Märkte“, „Privateigentum“, „Vertragsfreiheit“, „Haftung“, „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ und „Zusammengehörigkeit der konstituierenden Prinzipien“) und vier regulierende Prinzipien („Monopolkontrolle“, „Einkommenspolitik“, „Wirtschaftsrechnung“, Reagieren auf ein „Anomales Verhalten des Angebotes“). 70  Mit vollständig institutionalisiert wird hier verstanden, dass diese Gruppen eine objektive Gültigkeit für die Zweckrationalität ihres jeweiligen Machtstrebens beanspruchen. Sie stellen nicht mehr den Willen einzelner moralisch guter oder schlechter Akteure dar, sondern folgen entpersonalisierten Handlungsmustern, in denen der einzelne ausschließlich Sachzwängen unterworfen zu sein scheint. Vgl. dazu z. B. Arnold Gehlen, Der Mensch: seine Natur und seine Stellung in der Welt, 14. Auflage (Wiebelsheim: AULA-Verl., 2004 [1940]), S. 65.

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nifestiere, weil sich Geschichte nur als Geschichte von (wirtschaftlichen) Machtkämpfen verstehen lasse, sofern „[d]as Streben nach Macht […] ein vitaler Trieb des Menschen“ sei, dessen Ursprung stets verschleiert und mit Ideologie „umkleidet“ werden müsse.71 Aus eben dieser Annahme muss für Eucken unmittelbar folgen, dass auch jede naturrechtlich noch so wünschenswerte Ordnung nur dann implementiert werden kann, wenn es ihr gelingt, die Triebfedern des menschlichen Machtstrebens zu zähmen, zu kanalisieren bzw. in einem letzten Schritt zu zerstören. Und es bedarf dabei einer Instanz, die selber mit der nötigen Macht bzw. dem nötigen Entscheidungswillen ausgestattet ist, um diesen Machtkampf für sich zu entscheiden.72 An genau diesem Punkt kommt bei Eucken ein Verständnis von Staat zum Ausdruck, das auf dem Begriff des „Souveräns“ bzw. der „Souveränität“ als Entscheidungsfähigkeit in einem Verhältnis von eindeutiger Über- und Unterordnung beruht und dabei an zentrale Begriffs- und Argumentationsmuster Carl Schmitts angelehnt ist. II. Macht, Normalität und Ordnung In der Schrift Politische Theologie begründet Schmitt sein Verständnis von „Dezisionismus“ in Auseinandersetzung mit dem Normativismus im Allgemeinen sowie mit Hans Kelsen (und Immanuel Kant) im Besonderen. Stellvertretend für die gesamte Aufklärung wirft er beiden vor, dass sie nicht dazu in der Lage gewesen seien, in der Kategorie der „Ausnahme“ zu denken. Dies sei Ausdruck eines Rechtsverständnisses, welches dem Aspekt der „Entscheidung“ keine eigenständige Gültigkeit im Rahmen der Rechtslehre einräume.73 Dazu schreibt Schmitt: 71  Eucken, „Wissenschaft im Stile Schmollers“, S. 479. Dazu schreibt Eucken an anderer Stelle: „Wirtschaftliche Macht ist nichts Irrationales, Mystisches; wirtschaftliche Macht ist etwas rational Faßbares, rational Zugängliches. Auch die wirtschaftlichen Machtpositionen und Machtkämpfe, Situationen wirtschaftlicher Abhängigkeit und wirtschaftlicher Unfreiheit zeigen doch in aller Mannigfaltigkeit diese besonders geartete ‚Invarianz des Gesamtstiles‘, die wir im Aufbau der Ordnungen und in den alltäglichen Wirtschaftshergängen bereits vorfanden.“ Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 203–5. 72  Vgl. Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 134. 73  So stellt Hans Kelsen aus Sicht Dieter Grimms eine extreme Position in der deutschen Rechtstradition dar, weil er staatliche Souveränität vollständig mit der Rechtsordnung gleichsetze: „Damit erreichte die Souveränität freilich ihren höchsten Abstraktionsgrad, dem kein handlungsfähiger Träger mehr entsprach, der die ihr stets mitgedachte Entscheidungsbefugnis wahrnehmen konnte.“ Dieter Grimm, Souveränität: Herkunft und Zukunft eines Schlüsselbegriffs, Berlin: Berlin University Press, 2009, S. 53.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 101 Daß eine Norm oder eine Ordnung oder ein Zurechnungspunkt ‚sich selber setzt‘, scheint dieser Art juristischen Rationalismus eine besonders leicht vollziehbare Vorstellung zu sein. Wie aber die systematische Einheit und Ordnung in einem ganz konkreten Fall sich selber suspendieren kann, ist schwierig zu konstruieren und doch ein juristisches Problem, solange der Ausnahmezustand sich vom juristischen Chaos, von irgendeiner beliebigen Anarchie, unterscheidet.74

Im Zentrum der Überlegungen, die Schmitt formuliert, steht die Entscheidung (als Letztentscheidung) darüber, ob eine Norm zur Geltung kommt bzw. wenn nicht, durch welche neue Norm sie dann ersetzt werde. Mit anderen Worten: Es geht um die Frage, wer den Zustand der „Normalität“ und damit die Bedingungen des Rechts schafft.75 Wichtig für das Verständnis dieser Argumentation ist das Denken in Extrempositionen,76 von dem aus Schmitt zu der Definition gelangt, wonach der Souverän derjenige sei, der über den Ausnahmezustand entscheidet.77 Am Anfang aller Rechtssysteme stehe folglich keine Norm, sondern die Entscheidung darüber, dass eine bestimmte Norm zu gelten habe (oder eben nicht mehr zu gelten habe)78 – es geht Schmitt um den so genannten springenden Punkt, von dem aus Normalität geschaffen und Ordnung bestimmt wird (denn so Schmitt: „Wenn der Staat die ‚äußeren Bedingungen der Sittlichkeit‘ setzt, so bedeutet das: er schafft die normale Situation“79). Demjenigen, der diese Entscheidung trifft, komme dann die Bezeichnung „Souverän“ zu, weil auf dessen Entscheidung hin die Rechtsordnung etabliert wurde – und nicht auf Grundlage einer Norm.80 Auch Eucken wendet sich analog zu Schmitts Ausführungen sehr deutlich gegen die Vorstellung, wonach sich ordnungspolitische Prinzipien selber verwirklichen würden. Denn selbst wenn solche Prinzipien allgemein anerkannt 74  Schmitt,

Politische Theologie, S. 20. Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1957, S. 262. 76  Vgl. Martin Gralher, „Antinomisches Denken und dilemmatische Kontrastdialektik – Warum Carl Schmitt kein Liberaler sein konnte“, in: Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, hrsg. von Klaus Hansen und Hans Lietzmann, Opladen: Leske + Budrich, 1988, S. 85–6. 77  „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Diese Definition kann dem Begriff der Souveränität als einem Grenzbegriff allein gerecht werden.“ Schmitt, Politische Theologie, S. 13. 78  Vgl. Horst Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, Berlin: Duncker & Humblot, 1953, S. 37–8. 79  Schmitt, „Staatsethik und pluralistischer Staat“, S. 32. 80  Vgl. Schmitt, Politische Theologie, S. 16. Es sei darauf verwiesen, dass z. B. Peter Schneider in diesem Kontext argumentiert, dass sich Schmitt selber widerspricht, sofern nämlich auch die Entscheidung des Staates auf einer Norm beruhe, nämlich: „der Staat solle entscheiden“, vgl. Schneider, Ausnahmezustand und Norm, S. 262. 75  Vgl.

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wären und, wie Eucken fordert, in einer Wirtschaftsverfassung im Sinne verbindlicher Normen etabliert wären, würde es ihm zufolge immer noch eines „Momentes“ (Schmitt spricht von dem „Moment inhaltlicher Indifferenz“81) bedürfen, in dem eben erst einmal entschieden werden müsse, dass eine Wirtschaftsordnung mitsamt ihren konstituierenden Prinzipien wie Eigentum, Haftung, Vertragsfreiheit etc. überhaupt implementiert bzw. konkret ausgestaltet werden könne.82 Und weil ein solches Moment seinem Wesen nach zu sehr unterschiedlichen Konkretisierungen führen könne (und eben nicht identisch sei mit der Norm), gibt es für Eucken auch keine Hoffnung darauf, dass die Tolerierung eines privatwirtschaftlichen Machtkörpers sich mit der Zeit irgendwie (z. B. durch eine Selbstregulierung der Märkte) im Sinne des Gemeinwohls auszahlt. Vielmehr ist aus Euckens Sicht bereits die Möglichkeit, Macht bzw. Entscheidungsbefugnisse auszuüben, eine hinreichende Bedingung dafür, dass diese Macht auch de facto ausgeübt wird – bis hin zu dem Punkt, an dem Kernfunktionen des Staates (Gesetzgebung, Regulierung, Rechtsprechung etc.) übernommen bzw. dessen übergeordnete Zielsetzung neu definiert werden. Machtkörper würden qua der Macht, die ihnen zukommt, zu den eigentlichen Entscheidern im Staat. Dazu Eucken: Die Machtkörper gewinnen bekanntlich ihrerseits einen großen politischen Einfluß in einem Staat, in dem sie zu wuchern beginnen. Der Staat wird dadurch selbst unfähig, die Monopolkontrolle wirksam durchzuführen. Nicht in erster Linie gegen die Mißbräuche vorhandener Machtkörper sollte sich die Wirtschaftspolitik wenden, sondern gegen die Entstehung der Machtkörper überhaupt. Sonst besitzt sie keine Chance, mit dem Problem fertig zu werden.83

Auch in Euckens Formulierungen kommt damit genau jenes Verständnis zum Vorschein, das Schmitt bezüglich des faktischen Funktionierens eines Staates in Anlehnung an Hobbes (und in expliziter Ablehnung der Aufklärung) formuliert hat: „Autoritas, non veritas facit legem“84, d. h. Recht und Ordnung seien weder ohne einen sie bedingenden Entscheidungswillen noch 81  Schmitt, Politische Theologie, S. 36–7, der in seiner Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Normativismus argumentiert, dass sich ein Urteil in der Rechtsprechung nicht aus den normativen Prämissen der Norm ableiten, sondern sich in letzter Konsequenz nur als eine Entscheidung darstellen lasse: „Von dem Inhalt der zugrundeliegenden Norm aus betrachtet ist jenes konstitutive, spezifische Entscheidungsmoment etwas Neues und Fremdes.“ 82  Dazu Schmitt, Politische Theologie, S. 13: „Um einen Begriff wird sich im allgemeinen nicht gestritten werden, am wenigsten in der Geschichte der Souveränität. Man streitet um die konkrete Anwendung, und das bedeutet darüber, wer im Konfliktfall entscheidet, worin das öffentliche oder staatliche Interesse, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, le salut public usw. besteht.“ 83  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 172. Vgl. dazu auch: Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, S. 32. 84  Schmitt, Politische Theologie, S. 39 (Leviathan, Kap. 26).



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ohne ein klares Verhältnis von „Über- und Unterordnung“ denkbar. Und genau vor diesem Hintergrund gelangt auch Eucken zu dem ganz grundlegenden Schluss, dass ein Staat nur im Sinne eines – wie Schmitt es ausdrücken würde –„Entscheidungsmonopols“85 zu verstehen ist. Bei Eucken kulminieren diese Ausführungen in der Struktur einer „machtfreien Wirtschaftsordnung“, in der allen Akteuren – außer dem Staat – ein nur sehr kleiner Machtbereich zukomme. Denn, so Eucken: „In der vollständigen Konkurrenz ist der Einzelne fast entmachtet, nicht völlig entmachtet.“86 Als Dichotomie ausgedrückt lässt sich Euckens Macht- und Entscheidungsproblem wie folgt paraphrasieren: Entweder sind alle ökonomischen Akteure dem staatlichen Entscheidungsmonopol untergeordnet und der Staat ist damit Garant dieser Ordnung oder der Staat versagt grundsätzlich in seiner naturrechtlich begründeten Zielsetzung, das ordoliberale Naturrecht zu sichern. Für Eucken nehmen damit sowohl die Entscheidung als auch bereits die Fähigkeit zur Entscheidung eine zentrale Rolle für die Etablierung dessen, was er „Ordo“ nennt, ein. Und doch können sie nicht qua Entscheidung bereits Legitimität beanspruchen, wie dies von Schmitt suggeriert wird.87 Was jedoch Eucken und Schmitt in diesem Zusammenhang verbindet, ist die Vorstellung, wonach die Kategorie der Macht als ein Nullsummenspiel zu verstehen ist, in dem nur einer Instanz die Möglichkeit der Entscheidung über die Ordnung zukommen kann – entweder ganz oder gar nicht.88 Denn wer entscheidet, kann auch nach Eucken Normen in ihr Gegenteil verkehren (ohne, und das ist für diesen Zusammenhang relevant, hierfür die formalen Normen und Gesetze ändern zu müssen), sodass auch für Eucken gelten 85  Schmitt, Politische Theologie, S. 19: „Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität, die also richtigerweise nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren ist […]. Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten.“ 86  Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, S.  202.: „In der vollständigen Konkurrenz ist der Einzelne fast entmachtet, nicht völlig entmachtet. […] Würde einmal in einem Lande auf allen Märkten vollständige Konkurrenz bestehen, so wären alle Betriebe und alle Haushalte und damit alle Bewohner des Landes wirtschaftlich weitgehend entmachtet. Oder – anders formuliert: Jeder hätte eine sehr kleine Portion an Macht. Das Problem der ökonomischen Macht würde in einem solchen Lande nur wenig sichtbar sein.“ 87  Vgl. Karl Löwith, „Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt“, in: Heidegger – Denker in dürftiger Zeit: zur Stellung der Philosophie im 20. Jahrhundert, Stuttgart: Metzler, 1984 [1935]), S. 43–4. 88  Hasso Hofmann schreibt in diesem Zusammenhang über den Souverän bei Schmitt: „[…] ohne Entscheidung kann für ihn [Schmitt] keine faktische Normalität bestehen, sondern nur eine labile Situation von offenen oder verdeckten Macht- und Interessenkämpfen, die mithin kein homogenes Medium der Rechtsverwirklichung abgibt.“ Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität: der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied [u. a.]: Luchterhand, 1964, S. 69.

104 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

muss, dass „Recht“ und „Rechtsverwirklichung“ nicht identisch seien.89 Der Staat müsse deshalb so konfiguriert werden, dass er entscheidungsfähig im Sinne der von Eucken intendierten Ordnung ist. Vor diesem Hintergrund scheint Schmitts Analyse in Hinblick auf die Struktur von Rechtssetzung (sowie Rechtsprechung und Regulierung) aus Euckens Sicht plausibel zu sein bzw. Anknüpfungspunkte mit dessen Auffassung von konkreten Ordnungsprozessen zu haben. Und so verwundert es nicht, dass Eucken Schmitt (an der einzigen Stelle seines Werkes, an der er ihn explizit erwähnt) zugesteht, die „faktische Entwicklung des realen Staates zu beschreiben“ und immerhin „der Realität“ nähergekommen zu sein.90 Damit lässt sich in einem ersten Schritt festhalten, dass man durchaus sinnvoll von einem „ordoliberalen Dezisionismus“ sprechen kann (wie dies z. B. Uwe Runge bereits getan hat91) und dass dieser Dezisionismus sich zudem direkt aus der Ordnungstheorie heraus rekonstruieren lässt und dem Ordoliberalismus nicht erst im Nachhinein zugeschrieben werden muss – wie dies von Vertretern des Ordoliberalismus suggeriert wird, wenn diese die Schnittmengen zwischen Schmitt und Eucken für „oberflächlich“ oder gar für ein begriffliches Missverständnis halten.92 Vielmehr entspringt Euckens Dezisionismus in der Ordnungspolitik zentralen Überlegungen seiner Ordnungstheorie. Vor diesem Hintergrund schließt sich für den weiteren Verlauf dieser Arbeit damit die Frage an, wie sich diese Argumentationsstruktur mit Euckens Naturrecht vertragen kann. Wer entscheidet am Ende, dass eine Ordnung gesetzt bzw. ausgesetzt wird? Und vor allem: Wie glaubt Eucken sicherstellen zu können, dass der ordoliberale Souverän sich seinerseits nicht dazu entscheidet, von den naturrechtlich begründeten Prinzipien abzukehren und diese in ihr Gegenteil umschlagen zu lassen? III. Staatlichkeit und „Pluralismus“ Die dezisionistischen Ansätze des Rechts- und Ordnungsverständnisses Walter Euckens münden in den Begriff des „starken Staates“, der – und das sei an dieser Stelle vorweggenommen – zwar mit dem Ordoliberalismus als 89  Michele Nicoletti, „Die Ursprünge von Carl Schmitts ‚Politischer Theologie‘ “, in: Complexio oppositorum: über Carl Schmitt: Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin: Duncker & Humblot, 1988, S. 116. 90  Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 333, Anm. 1. 91  Vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 133. 92  Vgl. z. B. Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 158–60; Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 71–3; Weber, „Der ökonomische Begriff der Wirtschaftsverfassung“, S. 13–4.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 105

Ganzem in Verbindung gebracht wird, jedoch von Walter Eucken selber nicht explizit verwendet wird.93 Dennoch folgt aus der machtpolitischen Komponente der Überlegungen Walter Euckens eine Auffassung von Staat, wonach dieser geschlossen und autonom, oder wie Schmitt es ausdrücken würde: als „eine Einheit“94, zu agieren habe. Dieser Staat stellt damit das Gegenstück zu dem dar, was Eucken und Schmitt beide abwertend als „Pluralismus“ oder „pluralistische Staatstheorie“ bezeichnen.95 In seinem Aufsatz Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis der Kapitalismus, der immer wieder als zentrales theoriebildendes Dokument des Ordoliberalismus bezeichnet wird,96 führt Eucken aus, wie der (deutsche) Staat im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zu einem „schwachen Staat“ verkommen sei. In dem Maße, in dem seine Aktivität zugenommen habe, habe er an „Eigenleben“ verloren. Zwar sei seine Tätigkeit ausgeweitet worden und habe zunehmend alle Lebensbereiche erfasst, doch sei dies eine Konsequenz von Macht- und vor allem Massenorganisationen gewesen, die darum gerungen hätten, Kontrolle über den Staat zu bekommen. Eucken zufolge habe dies zu einer „Systemlosigkeit“ geführt, die ihrerseits nichts weiter als ein Ausdruck der jeweils gegenwärtigen und vor allem partikularen Machtstrukturen sei. Der Staat sei zu einem reinen Werkzeug der Interessengruppen verkommen und habe seinen „eigenen Willen“ verloren.97 Denn, so Eucken: 93  Im Besonderen wird immer wieder auf den Vortrag Die staatspolitischen Voraussetzungen des wirtschaftspolitischen Liberalismus verwiesen, den Alexander Rüstow 1932 auf einer Tagung des Vereins für Socialpolitik gehalten hat und in dem er sich bei seiner Begründung des Begriffes des „starken Staates“ explizit auf Carl Schmitt beruft, vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 36–7. 94  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 44. 95  An dieser Stelle ist es wichtig, die zwei Bedeutungen von „Pluralismus“ zu unterscheiden, die Schmitt (und Eucken) verwenden: erstens, dass „der Konflikt der sozialen Pflichten der Entscheidung der einzelnen Gruppen überlasen wird. Das bedeutet dann Souveränität der sozialen Gruppen.“ Und zweitens, dass ein Staat „soziale Vielheit“ ordnet. „Sie war zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Staaten sehr verschieden, immer aber komplex und in gewissem Sinn in sich selbst pluralistisch.“ Schmitt, „Staatsethik und pluralistischer Staat“, S. 40. 96  Vgl. z. B. Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 71–2. Vgl. auch Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 33: „Der wohl bedeutendste Gründungstext für die Entstehung des Ordoliberalismus dürfte Euckens Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus von 1932 sein, der auch heute noch als maßgeblicher Orientierungspunkt des Ordoliberalismus fortwirkt.“ Abelshauser verweist in diesem Zusammenhang wiederum auf die Schrift Unsere Aufgabe als Gründungsschrift des Ordoliberalismus, vgl. Abelshauer, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, S. 98. 97  Vieles deutet eher darauf hin, dass diese Ausführungen der kulturpessimistischen Phase seines Werkes entspringen. In diesem Rahmen hat Eucken beispielsweise

106 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“ Diese Expansion nämlich, die – wie sich zeigte – in der nachbismarckschen Zeit vorwiegend von der Wirtschaft her verlangt und durchgesetzt wurde, bedeutete nicht etwa eine Stärkung, sondern ganz im Gegenteil eine Schwächung des Staates. […] Seine Handlungen werden abhängig von dem Willen der wirtschaftlichen Gruppen, denen er mehr und mehr als Werkzeug dient. […] Das reine Staatsinte­ resse zur Geltung zu bringen, ist er nur noch selten imstande.98

Dies führe aus Sicht Euckens zu Anarchie und Chaos, in denen nichts weiter als das Recht des Stärkeren zähle. Folglich sei es auch ein Irrglauben, dass ein staatlicher Interventionismus automatisch zu einer stärkeren Position des Staates führen würde. Vielmehr nimmt Eucken (sowie Schmitt) an, dass der expansive Staat bereits Ausdruck einer ungeordneten Wirtschaftspolitik sei, in der privatwirtschaftliche Machtgruppen die wirtschaftspolitische Agenda bestimmen würden. Staatliche Expansion sei eine Spätfolge der Politik des Laissez-faire, in welcher diejenigen Machtgruppen überhaupt erst hätten entstehen können, die irgendwann nicht mehr zu kontrollieren gewesen seien und nach der Macht im Staat gegriffen hätten. Dazu Eucken: Die Wirtschaftspolitik des Laissez-faire basierte auf der Überzeugung, daß brauchbare Formen, also im ganzen eine zweckmäßige Wirtschaftsordnung, sich von unten her aus den spontanen Kräften der Gesellschaft von selbst entfalten […]. Mit dem Interventionismus [nach 1914] wurde bereits eine Abkehr von der Politik des Laissez-faire eingeleitet […]. Aber er bedeutete keine grundsätzliche Abkehr von einer Politik, welche die Gestaltung der Wirtschaftsordnung Privaten überließ.99

Unabhängig davon, ob diese Darstellung des Staates als eigenständiger Akteur in der nachbismarckschen Zeit den historischen Tatsachen entspricht, lässt sich Euckens Argument wie folgt paraphrasieren: Wenn Wirtschaftspolitik nichts weiter als eine Funktion partikularer Interessen- und Machtgruppen wäre, könnte sie nicht legitim sein, weil sie keine Ordnung darstellt. Die Politik des Laissez-faire sowie des Interventionismus würden eine Wirtschaftspolitik der partikularen Machtgruppen sein. Daher könne die Politik des Laissezfaire nicht zielführend sein, weil sie zwar dem Prinzip der Freiheit verpflichtet argumentiert, dass vor allem der Wegfall der Religion als verbindendes Element zwischen „Bildungs- und Volkskultur“ die Menschheit mit einer inneren Leere zurückgelassen habe, vgl. Eucken, „Religion – Wirtschaft – Staat“, S. 87. An anderer Stelle heißt es: „Ein Blick in das Leben des heutigen Menschen […] zeigt, wie sehr diese Zerspaltung des Lebens vorgedrungen ist. Die Tätigkeit des Arbeiters in der Fabrik zum Beispiel steht in keinerlei innerem Zusammenhang mit seinen Zerstreuungen, mit seinem häuslichen Leben und mit seiner religiösen Überzeugung – wenn er eine solche hat. […] Das Autonomwerden von Kultur, Wirtschaft und Staat ist ein weltgeschichtlicher Vorgang, der das Leben jedes einzelnen Menschen entscheidend umgestaltet hat. […] Der frühere Gesamtzusammenhang des Lebens ist zerstört.“ Ebd., S. 83–4. 98  Walter Eucken, „Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus“, Weltwirtschaftliches Archiv 36 (1932): S. 306–8. 99  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 27–8.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 107

sei, jedoch notwendig ihre eigene Zerstörung herbeiführe.100 Damit übernimmt Eucken einen zentralen Aspekt der Liberalismuskritik Carl Schmitts, der in seinen Schriften Begriff des Politischen, Der Hüter der Verfassung, Staatsethik und Pluralismus sowie in seiner Rede Starker Staat und gesunde Wirtschaft als Kritik am „Pluralismus“ bzw. an der „pluralistischen Staatstheorie“ formuliert wird. So schreibt Schmitt in Der Begriff des Politischen: Eine pluralistische Theorie ist entweder die Staatstheorie eines durch einen Föde­ ralismus sozialer Verbände zur Einheit gelangenden Staates oder aber nur eine Theorie der Auflösung oder Widerlegung des Staates. […] sie bleibt ganz in einem liberalen Individualismus stecken, weil sie schließlich nichts anderes tut, als im Dienste des freien Individuums und seiner freien Assoziationen die eine Assoziation gegen die anderen auszuspielen […].101

In Anlehnung an ihre dezisionistische Ausgangsposition (vgl. § 4, II.) gilt für Schmitt und Eucken gleichermaßen, dass ein Staat immer nur als höchste Einheit bestehen könne – oder eben gar nicht, weil man dann nicht mehr von „Staat“ sprechen dürfe. Denn dann beginne die Ordnung, die er eigentlich schaffen solle, zu zerfallen und weise – wie Eucken es ausdrückt – Anzeichen von „Gruppenanarchie“ auf, wobei er diese mit „Pluralismus“ gleichsetzt.102 Schmitt schreibt dazu: „Nur ein sehr starker Staat könnte die furchtbare Verfilzung mit allen möglichen, der Sache nach nicht staatlichen Angelegenheiten und Interessen lösen.“103 Und gerade dadurch, dass ein Staat vor diesem Hintergrund versucht, alle Interessengruppen zu befriedigen, verliere er sich erst recht in deren Zweck-Mittel-Kalkulationen – und werde selber auf die Rolle als Mittel für die Zwecke partikularer Interessen reduziert.104 Während Schmitt hierzu ausführt: „Der heutige deutsche Staat ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit, aus der Unfähigkeit heraus, dem Ansturm der Parteien und organisierten Interessen stand zu halten“105, schreibt Eucken analog dazu: Überall handelt es sich um die Unterhöhlung der Staatsautorität durch partikulare Gewalten, die partikulare Interessen vertreten. Und eine Eigenart der modernen Entwicklung ist es eben, daß mit diesem Autoritätsverlust die rasche Expansion der Staatstätigkeit einhergeht.106 dazu auch Willgerodt, „Die Liberalen und ihr Staat“, S. 48. Der Begriff des Politischen, S. 44–5. 102  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 328. 103  Carl Schmitt, „Starker Staat und gesunde Wirtschaft“, in: Staat, Grossraum, Nomos: Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. von Günter Maschke, Berlin: Duncker & Humblot, 1995 [1932]), S. 77. 104  Vgl. Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 2. Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 1969 [1931]), S. 73–5. 105  Schmitt, „Starker Staat und gesunde Wirtschaft“, S. 75. 106  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 329. 100  Vgl.

101  Schmitt,

108 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

Zwar verwendet Eucken, wie bereits erwähnt, den Begriff des „starken Staates“ dabei nicht, sondern gebraucht vielmehr Begriffe wie „Schwächung“ oder „Gefahr der Auflösung“107. Versucht man jedoch, diese Begriffe ins Positive zu wenden, spricht vieles dafür, dass nur der Begriff des „starken Staates“ in Frage dafür kommt, die Staatsvorstellungen Walter Euckens adäquat widerzugeben. Denn folgt aus der Verhinderung eines „schwachen“ Staates nicht geradezu unmittelbar eine Form von „starkem Staat“? Alexander Rüstow macht eben diesen Zusammenhang explizit, verweist ausdrücklich auf Carl Schmitt und klingt dabei so wie Walter Eucken, wenn er schreibt: Jeder Interessent reißt sich ein Stück Staatsmacht heraus und schlachtet es für seine Zwecke aus. […] Was hier vorliegt, ist, um wieder einen Terminus von Carl Schmitt zu brauchen, „Pluralismus“, und zwar Pluralismus schlimmster Sorte. Was sich hier abspielt, steht unter dem Motto: ‚Der Staat als Beute‘. […] Eben deshalb fordert die Durchführung dessen, was ich vorschlage, […] einen starken Staat, der sich aus den Verstrickungen mit den Wirtschaftsinteressen, wenn er in sie hineingeraten ist, wieder herauslöst. […] einen Staat oberhalb der Wirtschaft, da, wo er hingehört.108

Zweifelsfrei haben sowohl Eucken als auch Schmitt (und Rüstow) bei diesen Ausführungen zum starken Staat die Schwäche der Weimarer Republik vor Augen109 – wobei sich Eucken vor allem an der Macht- und Verhandlungspositionen von Kartellen und Monopolen gegenüber dem Staat stört.110 107  Eucken, „Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus,“ S. 307. 108  Alexander Rüstow, „Die staatspolitischen Voraussetzungen des wirtschaftspolitischen Liberalismus“, in: Rede und Antwort, Ludwigsburg: Hoch, 1963, S. 254–8. 109  Vgl. Dominique Legdet, „Pluralism and the Crisis of Parliamentary Democracy“, in: Law as politics: Carl Schmitt’s critique of liberalism, hrsg. von David Dyzenhaus, Durham, [NC]: Duke University Press, 1998, S. 110 ff. 110  Eucken verweist in diesem Zusammenhang auf die stetig zunehmende Anzahl von Kartellen, die zwischen 1905 und 1925 von 385 auf 2500 zugenommen hat, nachdem das Reichsgericht 1897 der Bildung von Kartellen zugestimmt hat und diese nach der Kartellverordnung von 1923 unter staatliche Kontrolle gestellt wurden, vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 169–72. Auch Peter Gay beschreibt in seiner berühmten Darstellung der Rolle von Intellektuellen und Künstlern während der Weimarer Republik, wie mächtig wirtschaftliche Interessengruppen gegenüber dem damaligen Staat waren – und welch verheerende Wirkung dies auf die politische Kultur hatte: „Ebenso ging es mit der Verstaatlichung der Schwerindustrie: ehrgeizige Pläne und gute Absichten wurden niemals politische Wirklichkeit […] Die Schwerindustrie ‚verstaatlichte‘ die Wirtschaft auf ihre Weise: durch Kartelle. Ja, ‚die größten Konzerne in Deutschlands Geschichte entstanden während der Weimarer Republik‘, so im Jahr 1926 die Fusion der vier größten Stahlgesellschaften, und schon ein Jahr vorher die IG-Farben durch die Fusion ‚der sechs größten Gesellschaften auf diesem Gebiet.‘ zitiert aus Neumann, Behemoth: The Structure and Practice of National Socialism, 1933–1944, S. 15–16] Die Sozialdemokraten sahen untätig zu, entweder weil sie zu furchtsam waren oder weil sie der doktrinären, wirklichkeitsfremden Überzeu-



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 109

Und zweifelsfrei lehnen alle drei eine Vorstellung von (Wirtschafts-)Politik ab, welche sich als das Ausbalancieren von gegebenen partikularen Interessen versteht, unabhängig davon, ob diese Interessen gegenüber dem Gemeinwesen als legitim zu erachten sind, oder nicht. „Pluralismus“ so verstanden führe zu einer Situation, in der die Entscheidungsfähigkeit seitens des Staates nicht gegeben sei. Euckens Kritik an der Politik des Laissez-faire (d. h.: „die Gestaltung der Wirtschaftsordnung den Privaten [überlassen]“111) mitsamt der Machtkörper, die sie ihm zufolge zwangsläufig hervorbringe, entspricht folglich bis hin zur konkreten Begrifflichkeit dem Argument, das Schmitt gegen den Pluralismus im Allgemeinen sowie den Liberalismus im Besonderen vorträgt. An genau jenem Punkt entstehen dadurch, wie im Folgenden gezeigt wird, die konzeptionellen Probleme des ordoliberalen Staatsverständnisses, sofern man die naturrechtlich-liberalen Prämissen seines Ordoliberalismus nicht aufgeben möchte. Mit anderen Worten: Gerade weil Eucken den Staatspositivismus Carl Schmitts nicht uneingeschränkt übernehmen will (obwohl er dessen Analyse und Begrifflichkeit teilt), verstrickt er sich in weitreichende begrifflichen Inkonsistenzen – Inkonsistenzen, die er vermutlich so nicht hätte, wenn er sich Carl Schmitt so verschrieben hätte, wie einige seiner Kritiker das behaupten. IV. Der „starker Staat“ als ordoliberale Einheit Im Kern rühren die konzeptionellen Widersprüche des ordoliberalen Staatsverständnisses Walter Euckens daher, dass die zentralen Begrifflichkeiten sowohl des Naturrechts in der Tradition Thomas von Aquins (sowie mittelbar auch Immanuel Kants) als auch des Dezisionismus Carl Schmitts nicht dazu geeignet sind, in sprachlichen Kompromissformeln aufzugehen.112 Denn beide Begriffsmuster funktionieren in einem „Entweder-Oder-Schema“, d. h., sie müssen ihrer Struktur nach immer einen uneingeschränkten Geltungsanspruch einnehmen.113 Sie jeweils nur teilweise übernehmen zu wolgung huldigten, daß die Kartellisierung eine unausweichliche höhere Stufe des Kapitalismus sei, die auf dem Weg zum Sozialismus durchlaufen werden müsse. Indem sie sich auf die Geschichte verließen, wurden die Sozialdemokraten deren Opfer.“ Peter Gay, Die Republik der Aussenseiter: Geist und Kultur in der Weimarer Zeit 1918– 1933, Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl., 2004 [1968]), S. 38. 111  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 28. 112  Leo Strauss verweist in diesem Kontext auf die Polemik Schmitts gegen die Sprache des Liberalismus, die das Politische versucht zu überwinden, es letztendlich jedoch nur verschleiere, vgl. Leo Strauss, „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“, in: Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“, hrsg. von Heinrich Meier, Stuttgart: J. B. Metzler, 1988 [1932]), S. 100–1. 113  Vgl. dazu z.  B. Hans Kelsen, „Das Problem der Gerechtigkeit“, in: Reine Rechtslehre, Wien: Deuticke, 1960 [1934]), S. 148–52: „Wenn die Norm eines posi­

110 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

len, nimmt ihnen also entweder ihre Kraft (derentwegen sie ihre Attraktivität erhalten) oder führt zu dem unweigerlichen Widerspruch, der im folgenden Absatz dargelegt werden soll. Darüber hinaus entspringt dem Naturrecht bereits ohne explizite Verknüpfung mit einem Staatspositivismus Carl Schmitts ein ganz allgemeines Problem gegenüber dem positiv realisierten Staat: Was tun, wenn dieser sich nicht an die normativen Implikationen des Naturrechts halten möchte?114 1. Ordnungspolitik zwischen Naturrecht und Staatspositivismus So sehr Eucken einen ordoliberalen Dezisionismus entwickelt, der in Begriffen Carl Schmitts mündet, so sehr wäre es doch vereinfacht anzunehmen, dass seine Überlegungen automatisch zu der radikalen Positivität (oder gar zu nationalsozialistischen Denkmustern) führen, die häufig mit Schmitts Verständnis von Staat und Souveränität in Verbindung gebracht werden. Denn erstens lässt sich auch das Werk Carl Schmitts in unterschiedliche Phasen einteilen, in denen er nicht immer in gleichem Maße mit der nationalsozialistischen Ideologie übereinstimmte.115 Und zweitens würde in diesem Kontext unberücksichtigt bleiben, dass Eucken versucht, einige der zentralen Implikativen Rechts nur insofern gilt, als sie dem Naturrecht entspricht, dann ist, was in der Norm des positiven Rechts gilt, nur das Naturrecht. […] Von der Geltung jeder Gerechtigkeitsnorm, sowohl einer solchen, die zu einer positiven Rechtsnorm in Widerspruch, als auch von einer solchen, die mit einer positiven Rechtsnorm in Einklang steht, abzusehen, das ist die Annahme, daß die Geltung einer Norm des positiven Rechts von der Geltung einer Gerechtigkeitsnorm unabhängig ist, das heißt aber: daß man beide Normen nicht zugleich als gültig ansieht, ist ein Prinzip des Rechtspositivismus.“ 114  Dabei sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um ein Problem handelt, das allen naturrechtlichen Ordnungen zu eigen ist, sofern ein Staat ins Spiel kommt, der Schöpfer von positivem Recht zu sein hat, vgl. dazu Veit, „Ordo und Ordnung“, S. 20.: „Am krassesten wird die Schwierigkeit, wenn in Betracht gezogen werden muß, daß der Staat naturrechtliche Forderungen unter Umständen verletzt. Sie läßt sich auch nicht vollständig lösen, indem man mit Thomas von Aquin den staatlichen Akt, der der lex aeterna widerstreitet, schlechthin zum Unrecht erklärt.“ 115  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, demzufolge sich Schmitts Werk in vier Phasen von Legitimität einteilen lässt: Rationale Legitimität (1912–1922), Politischer Existenzialismus (1923–1933), Rassische Legitimität (1934–1936) und Geschichtliche Legitimität (ab 1937). Vgl. auch Dieter Grimm, „Verfassungserfüllung – Verfassungsbewahrung – Verfassungsauflösung“, in: Die Deutsche Staatskrise 1930– 1933: Handlungsspielräume und Alternativen, hrsg. von Heinrich August Winkler und Elisabeth Müller-Luckner, München: Oldenbourg, 1992, S. 195–6. Demgegenüber argumentiert Karl Löwith, dass die nationalsozialistischen Muster bereits im frühen Carl Schmitt angelegt gewesen seien, vgl. Löwith, „Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt“, S. 55 ff.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 111

tionen, zu denen Schmitt unter Verwendung seiner Terminologie gelangt, explizit abzulehnen – was ihm wiederum diejenigen begrifflichen Inkonsistenzen einhandelt, die er nicht vollständig überwinden kann.116 Deutlich werden die Unterschiede zwischen Eucken und Schmitt in Hinblick auf die Folgen, die der Ablehnung pluralistischer Herrschaftsstrukturen entspringen. So ist Schmitt beispielsweise der Auffassung, dass – wie er es in der Schrift Begriff des Politischen117 darstellt – der „Pluralismus“ aufgrund solcher Ideen wie der „Gewaltenteilung“ oder des „Rechtsstaats“ zum Wesen des Liberalismus gehöre und man infolgedessen die Eignung des Liberalismus als eigenständige Staatslehre gänzlich in Frage stellen müsse.118 Schmitt zufolge stellen diese Begriffe nichts weiter als „polemische Begriffe“ dar, weil sie im Kern darauf abzielen, den Staat in seinen Handlungen zu hemmen und ihn nur vom Individuum her mitsamt dessen „unbegrenzter Freiheit“ zu legitimieren.119 Ganz anders argumentiert Eucken: In seinen Augen müssen gerade Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit zu jenem vorrechtlich begründeten sowie aus ordoliberaler Sicht notwendigen Schutz des Einzelnen beitragen. Das ist die Konsequenz aus Euckens Forderung, dass der Einzelne nicht vollständig entmachtet werden solle, sondern nur so weit, wie er anderen Marktteilnehmern in ihrer Freiheitsausübung schaden kann („fast entmachtet, nicht völlig entmachtet“). Zwar erkennt auch Eucken damit die Probleme pluralistischer Herrschaftsstrukturen an, doch entsprin116  Hans Willgerodt argumentiert in diesem Kontext, dass das Spannungsverhältnis aus Laissez-faire und Diktatur zur inhärenten Grundstruktur des Liberalismus gehört, vgl. Willgerodt, „Die Liberalen und ihr Staat“, S. 47–8. 117  Dabei gibt es durchaus die Auffassung, dass einige Kritikpunkte Schmitts an Weimar durchaus als eine intraliberale Kritik zu verstehen sind, vgl. z. B. Jeffrey Seitzer, „Verfassungslehre as a Response to the Weimar State Crisis“, in: Law as politics: Carl Schmitt’s critique of liberalism, hrsg. von David Dyzenhaus, Durham, [NC]: Duke University Press, 1998, S. 281–311. 118  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 61. 119  Vgl. dazu z. B. Carl Schmitt, „Der bürgerliche Rechtsstaat“, in: Staat, Grossraum, Nomos: Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. von Günter Maschke, Berlin: Duncker & Humblot, 1995 [1928]), S. 46.: „Die beiden Prinzipien des bürgerlichen Rechtsstaats, Freiheit des einzelnen und Gewaltenteilung, sind beide unpolitisch. Sie enthalten keine Formen des Staates, sondern Methoden der Organisation von Hemmungen des Staates. […] Es muß vor allem betont werden, daß der bürgerliche Rechtsstaat keine Form des Staates und für sich keine Verfassung, sondern nur ein System von Kontrollen des Staates ist.“ Er geht dann sogar noch einen Schritt weiter, wenn er argumentiert, dass jeder Staat ein Rechtsstaat sei (auch der des Nationalsozialismus) und dass der Begriff des „Rechtsstaats“ infolgedessen nichts weiter als liberale Polemik sei – zumal der liberale Staat selber am wenigsten ein Rechtsstaat gewesen sei, weil deren Staat – anders als der nationalsozialistische Staat – kein Recht hätte schützen können, vgl. Carl Schmitt, „Der Rechtsstaat“, in: Staat, Grossraum, Nomos: Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. von Günter Maschke, Berlin: Duncker & Humblot, 1995 [1935]), S. 116–7.

112 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

gen diese ihm zufolge nicht der Arbeitsteilung der Staatsorgane,120 sondern eher der Frage danach, auf wessen Veranlassung hin und zu wessen Vorteil Wirtschaftspolitik betrieben wird. Ein weiterer Unterschied zwischen Schmitt und Eucken liegt im Ausgangspunkt ihrer Ablehnung pluralistischer Herrschaftsstrukturen. Es ist gerade Euckens strikt funktionalistische Position (vgl. § 3, III.), die ihn dazu bewogen hat, einen starken Staat zu fordern – und sich dadurch in begriffliche Widersprüche zu verstricken. Euckens Ausgangsfrage lässt sich daher wie folgt paraphrasieren: Gelingt es dem Staat, das ordoliberale Naturrecht zu realisieren – oder gelingt es ihm nicht? Dieser Ausgangspunkt ist keineswegs trivial, sondern vielmehr Dreh- und Angelpunkt der Inkonsistenzen, die sich bei Eucken ergeben. Und damit wird auch klar, warum Eucken eine völlig ungehemmte und personalisierte Herrschaftsstruktur, zu der Carl Schmitt in Anlehnung an seinen Begriff des Politischen sowie an seine Kritik am Pluralismus gelangt, nicht wollen kann. Schmitts Zuspitzungen führen unter anderem zu der Bejahung eines einzigen Willens, der keine Herrschaftsteilung mehr anerkennen und vor allem keine Hemmungen („Denaturierungen“ oder „Neutralisierungen“) mehr vom Liberalismus oder vom Individualismus ertragen müsse. Dies mündet bei Schmitt zeitweise in einen völlig entfesselten Souverän und der Legitimierung des Führerprinzips im Nationalsozialismus121 – mindestens aber in ein System, das, wie Leo Strauss es ausdrückt, „das Politische nicht negiert, sondern zur Anerkennung bringt“122. Weil „Recht“ dabei jedoch nicht primär als Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür verstan120  Vgl. z. B. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 250–3. Hier verweist Eucken explizit darauf, dass Realisierung einer Wettbewerbsordnung als Folge wirtschaftlichen Machtmissbrauchs analog zur politischen Gewaltenteilung als Folge von Machtmissbrauch durch die Exekutive zu verstehen sei. Ebenso sieht Eucken die Wettbewerbsordnung als das natürlich Komplement eines Rechtsstaats an. Denn, so Eucken: „Wie der Rechtsstaat, so soll auch die Wettbewerbsordnung einen Rahmen schaffen, in dem die freie Betätigung des einzelnen durch die Freiheitssphäre des anderen begrenzt wird.“ 121  Dazu schreibt Schmitt in direkter Anlehnung an seinen Begriff des Politischen in seinem Aufsatz Politik: „Im nationalsozialistischen Führerstaat ist der pluralistische Parteienstaat überwunden und die unbedingte Einheit des politischen Willens hergestellt. Die in der NSDAP organisierte Führung ist alleiniger Träger der politischen Führung. Dadurch entfallen die Gegensätze und Auseinanderreißungen, die sowohl den Begriff des ‚Politischen‘ wie auch den des ‚Unpolitischen‘ verwirrt haben. […] Unter Politik wird aber auch die Gestaltung und Herbeiführung der Ordnung und Harmonie eines umfassenden völkischen Ganzes verstanden, innerhalb dessen es keine Feindschaft gibt und das als Ganzes von sich aus Freund und Feind zu bestimmen vermag.“ Carl Schmitt, „Politik“, in: Staat, Grossraum, Nomos: Arbeiten aus den Jahren 1916– 1969, hrsg. von Günter Maschke, Berlin: Duncker & Humblot, 1995, S. 136–7. 122  Vgl. Strauss, „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“, S. 101.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 113

den wird, scheint es eher polemisch als zutreffend zu sein, Eucken im Angesicht seiner naturrechtlichen Argumentation zu unterstellen, dass er diese Implikationen mittragen würde – insbesondere dann, wenn Euckens Kritik an „Massenorganisationen“ dabei als Anhaltspunkt für seinen vermeintlichen Hang zu nationalsozialistischem Gedankengut angeführt wird.123 Denn die Position Euckens, privatwirtschaftliche Machtkörper abzulehnen, wird von eben jenem Standpunkt des Individuums aus entwickelt, den Schmitt so vehement kritisiert und in Der Begriff des Politischen als Teil seiner Liberalismuskritik überwinden möchte.124 Eucken versucht folglich, in Anlehnung an eine Schmitt’sche Begrifflichkeit zu zeigen, dass die „Schwäche“ des Staates im Umgang mit privatwirtschaftlichen Machtkörpern vor allem ein politisch-institutioneller Konstruktionsfehler bestimmter Spielarten des Liberalismus (des „alten Liberalismus“) sei. Doch für Eucken gilt dabei auch (anders als für Schmitt), dass sowohl der „alte“ als auch der „neue“ Liberalismus vom Individuum her gedacht und dabei vorrechtlich begründbar sind. Deshalb sei die Behebung dieser institutionellen Konstruktionsfehler auf Grundlage einer Analyse Carl Schmitts eben auch nicht als Abkehr von der normativen Grundlage des Liberalismus zu verstehen. Sie stelle vielmehr den Versuch einer Neuausrichtung staat­ licher Eingriffs- und Regulierungskompetenzen dar. Foucault z. B. spricht diesbezüglich davon, dass bei Eucken der Staat „für den Markt“, „anstatt auf Veranlassung des Marktes“125 regieren solle. Das staatliche „Entscheidungsmonopol“ im Sinne der Letztentscheidung ist damit ein „Primat des Staates“126, indem es die Rolle eines „Hüters der Wettbewerbsordnung“ einnimmt. Dies ist wiederum gerade nicht als Zuspitzung eines positiven und Herrschaftswillens im Rahmen eines „politischen Existenzialismus“127 gedacht und es stellt folglich auch nicht den Versuch dar, den „Verfassungsstaat“ zu überwinden – wie dies bei Schmitt angelegt ist.128 Vielmehr geht es Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 38–44. Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 70 ff. 125  Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 174. An dieser Stelle kommt das Problem zum Vorschein, dass die Definition davon, was einen „Markt“ ausmacht, sehr unterschiedlich ausfallen kann. Für das Verständnis Euckens ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Märkte zwar soziale Interaktionspunkte darstellen, dass eine Wettbewerbsordnung jedoch bewusst realisiert werden müsse (und nicht die Folge eines freien Spiels der Kräfte ist). Vgl. dazu auch John Gray, False Dawn: The Delusions of Global Capitalism, London: Granta, 2009, S. 78–92. 126  Vgl. Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, S. 97. 127  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 85. 128  Vgl. Grimm, Souveränität, S. 76–7: „Der Handlungsbefugte ist souverän, und seine ‚Entscheidung macht sich frei von jeder normativen Gebundenheit und wird im eigentlichen Sinne absolut‘ […]. Schmitts Souveränitätslehre führt aus dem Verfas123  Vgl. 124  Vgl.

114 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

Eucken gerade um eine „wirtschaftsverfassungsrechtliche Gesamtentschei­ dung“129, von der er glaubt, sie mithilfe Schmitt’scher Argumentations­muster herbeiführen zu können. Genau jene Absicht Euckens verdeutlicht diejenigen Spannungen, die sich aus der begrifflichen Zusammenführung von Naturrecht und Staatspositivismus ergeben. Denn wo genau soll die Grenze von Euckens Kritik am Pluralismus verlaufen? Eucken zufolge müsse der Staat über eine „wirkliche Selbstständigkeit seines Willens“130 verfügen und infolgedessen in der Lage dazu sein, seine Vorstellungen als einzige Machtinstanz über allen anderen gesellschaftlichen Gruppen geltend zu machen (auch hier gilt frei nach Schmitt: „Machtkonzentration ist das Grundgesetz des Staatsaufbaus“131). Aber bis zu welchem Punkt lässt sich überhaupt überprüfen und sicherstellen, ob dieser eigene Wille des Staates dem entspricht, was aus Sicht des Ordoliberalismus als angemessen gilt132 – und nicht in eben jenem „aktiven Nihilismus“ mündet, bei dem sich seine Entscheidung, wie Löwith es formuliert, durch nichts mehr binden lassen müsse?133 An dieser Stelle hilft auch der sowohl von Kritikern als auch von Befürwortern Euckens zitierte Einwand nicht weiter, Eucken habe bloß die grundlegende Diagnose von Carl Schmitt übernommen, nicht jedoch „dessen Therapie vollzogen“134. Denn wie stichhaltig ist diese Analogie angesichts der Tatsache, dass Schmitt seinen eigenen Diagnosen oftmals gar keine konkreten Therapien folgen lässt bzw. folgen lassen muss? Sollen Schmitts Ausführungen bei aller sprachlichen Polemik nicht vor allem eine positive Analyse dessen darstellen, wie Recht und Politik funktionieren – ganz gleich, wie man das im Einzelnen sungsstaat.“ Vgl. dazu auch Grimm, „Verfassungserfüllung – Verfassungsbewahrung – Verfassungsauflösung“, S. 294 ff. 129  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 223. 130  Eucken, „Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus“, S. 308. An anderer Stelle schreibt Böhm in ähnlicher Art und Weise, dass es „von großer Wichtigkeit“ sei, „daß die Ordnung der Wirtschaft als das erkannt wird, was sie ist, nämlich als eine politische Verfassung des nationalen Wirtschaftslebens von öffentlich-rechtlichem Charakter, als inhaltlich bestimmte, feierliche Entscheidung eines bewußten politischen Willens.“ Franz Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung, Stuttgart/Berlin: Kohlhammer, 1937, S. 53. 131  Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 116. 132  Böckenförde fasst diese Frage in einem Satz zusammen und nennt ihn einen Teil der „politischen Grammatik“ nach Thomas Hobbes, vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, „Der verdrängte Ausnahmezustand“, Neue Juristische Wochenschrift 31. Jahrgang (1978): S. 1890.: „Wer stark genug ist, alle zu schützen, ist auch (potenziell) stark genug, alle zu unterdrücken.“ 133  Löwith, „Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt“, S. 43–4. 134  Vgl. Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 72 ff.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 115

normativ bewertet? Das würde wiederum implizieren, dass die Unterscheidung von „Diagnose“ und „Therapie“ in Bezug auf die Ausführungen Schmitts und infolgedessen auch Euckens keinen Bestand haben kann. Dann ließe sich auch Eucken, um im Bild zu bleiben, nicht so einfach von den Implikationen des Schmitt’schen Staatspositivismus heilen. Und Schmitt behielte auch in Bezug auf Eucken Recht, dass bereits der Versuch, das Politische zu überwinden, nur mit der das Politische kennzeichnenden Intensität realisiert werden könne – und dabei bloß von der liberalen Sprache verschleiert bliebe.135 2. Euckens Überwindung des Politischen Im besonderen kommen die Inkonsistenzen im Rahmen von Euckens ordoliberaler Terminologie in der Frage danach zum Ausdruck, welche Rolle das genuin Politische im Sinne Schmitts als Unterscheidung von Innen und Außen bzw. von Freund und Feind bei der Konzeption einer Wettbewerbsordnung einnimmt. Für Schmitt bildet diese Freund-Feind-Unterscheidung das begriffliche Gegenstück zum Pluralismus und lässt für Eucken folgendes Problem entstehen: Er versucht ausgerechnet auf Grundlage von Schmitts Terminologie, das aus seiner Sicht archaische Moment des Politischen aus dem Staat zu verbannen. Das führt jedoch dazu, dass Eucken das Politische an genau jenen Punkt verschiebt, an dem die „Gesamtentscheidung“ notwendig wird, um überhaupt die institutionellen Grundlagen für die ordoliberale Wettbewerbsordnung zu legen. Damit wiederum entsteht eine Konstellation, in der sich die erste ordoliberale Dezision den Anforderungen bzw. der Überprüfbarkeit der naturrechtlichen Struktur entzieht. Anders formuliert: Die Überwindung des Politischen im Rahmen der von Eucken konzipierten Begrifflichkeit ist selber nur als genuin politische Entscheidung denkbar und schafft damit eine legitimatorische Leerstelle im ordoliberalen Staatsbegriff. Eucken selber verwendet den Begriff vom „Primat der Politik“, den viele dem Ordoliberalismus zuschreiben,136 nur in einem sehr spezifischen Kontext, nämlich dann, wenn er von Währungspolitik spricht. Anders jedoch als beim Begriff des „starken Staates“, den Eucken auch nicht verwendet, ist das „Primat der Politik“ im Rahmen der von Eucken verwendeten Schmitt’schen Be135  Vgl. Strauss, „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“, S. 112. 136  Vgl. z. B. Michael S. Assländer/Peter Ulrich, „Einführung: Das Soziale an der Sozialen Marktwirtschaft“, in: 60 Jahre Soziale Marktwirtschaft, hrsg. von Michael S. Assländer und Peter Ulrich, Bern: Haupt Verlag, 2009, S. 10; Knut Wolfgang Nörr, An der Wiege deutscher Identität nach 1945: Franz Böhm zwischen Ordo und Liberalismus: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 4. November 1992, Berlin [u. a.]: De Gruyter, 1993, S. 10.

116 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

grifflichkeit auch kein erstrebenswertes Ziel. Vielmehr deuten seine Ausführungen zur Bekämpfung wirtschaftlicher Machtkörper und deren unmittelbarer Auswirkung auf die Sphäre der Politik darauf hin, dass sich das Politische im ordoliberalen Staat eben gerade nicht mehr auf das Ökonomische erstrecken, sondern im Rahmen einer das Ökonomische strukturierenden Ordnung eingehegt sein sollte. Denn gerade wenn man sich die Parallelität zwischen zahlreichen Begriffen Euckens und Schmitts vor Augen führt und man infolgedessen davon ausgehen kann, dass Eucken die Implikationen des Schmitt’schen Begriffs des Politischen deutlich gewesen sein sollten, ergeben sich gute Gründe für die Schlussfolgerung, dass Eucken einem „Primat der Politik“ im Sinne Schmitts nicht zugestimmt, sondern vielmehr auf eine in gewissem Sinne postpolitische Gesellschaft abgezielt hätte.137 Unterstrichen wird dies durch die Forderung nach einer Wirtschaftsverfassung – ein Versuch, das Streben nach Macht zu bändigen und dies durch eine maximale Verrechtlichung sicherzustellen.138 Das jedoch stellt das Gegenteil dessen dar, was wiederum für Schmitt erstrebenswert scheint, da dieser der Trennung in Freund und Feind einen konstitutiven „existenzphilosophischen Ethos“139 zuschreibt, der ihm zufolge die Grundlage eines Staates bilden und gerade nicht von liberaler Ideologie unterdrückt bzw. sprachlich verschleiert werden sollte. Dazu Schmitt: Aus dem Begriff des Politischen ergeben sich […] pluralistische Konsequenzen, aber nicht in dem Sinne, daß innerhalb ein und derselben politischen Einheit an die Stelle der maßgeblichen Freund- und Feindgruppierung ein Pluralismus treten könnte, ohne daß mit der Einheit auch das Politische selbst zerstört wäre.140 […] Die Negation des Politischen, die in jedem konsequenten Individualismus enthalten ist, führt wohl zu einer politischen Praxis des Mißtrauens gegen alle denkbaren politischen Mächte und Staatsformen, niemals aber zu einer eigenen positiven Theorie von Staat und Politik. […] Die politische Einheit muß gegebenenfalls das Opfer des Lebens verlangen. Für den Individualismus des liberalen Denkens ist dieser Anspruch auf keine Weise zu erreichen und zu begründen. […] Was dieser Liberalismus von Staat und Politik noch gelten läßt, beschränkt sich darauf, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und Störungen der Freiheit zu beseitigen.141 137  Hier stehen sich die Einschätzungen Foucaults mit denen von Ptak gegenüber. Während ersterer in der Ökonomisierung von Politik und Staat ein Moment von Befreiung sieht, welches im Angesicht der deutschen Geschichte die notwendigen Konsequenzen zieht, sieht Ptak darin vor allem eine Spielart des Ökonomismus, die versucht, die Politik zu beseitigen, vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 125–38, sowie Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 40–1. Gerade wenn man jedoch, wie Ptak es tut, Eucken den Vorwurf macht, in den Begriffen Schmitts zu agieren, scheint es nicht konsistent zu sein ihm zugleich vorzuwerfen, die Gesellschaft zu entpolitisieren – denn das wäre ja gerade eine Abkehr von Schmitts Begriffen. 138  Vgl. Horst Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, Karlsruhe: Müller, 1961, S. 8. 139  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 113. 140  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 45. 141  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 69–70.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 117

Die Ablehnung einer pluralistischen Staatsform, die Eucken begrifflich mitgeht, ist hier auf eine Art und Weise mit Schmitts Begriff des Politischen verknüpft, die Eucken vor dem Hintergrund der ordoliberalen Verpflichtung des Staates keinesfalls akzeptieren kann. Wo Euckens Ausführungen gerade in einer befriedeten, weil vollkommen ökonomisierten Welt münden, beklagt Schmitt den Wegfall des „Ernstes“, der eine Welt ohne Politik charakterisieren würde.142 Dieser Unterschied zwischen der Zielsetzung Schmitts und Euckens ist eindeutig.143 Und dennoch muss sich Eucken die Frage gefallen lassen, wie sich das Politische aus einem Staatsverständnis heraushalten lässt, das, wie es bei Eucken der Fall ist, auf dezisionistischen Begriffsmustern aufbaut, und das der Schmitt’schen Position in vielen Punkten von ihrer Argumentationsstruktur her folgt. Anders formuliert, trägt eine Diagnose, um erneut in dem bereits verwendeten Bild zu bleiben, nicht in der Regel bereits die auf sie anwendbare, weil erfolgsversprechende Therapie notwendig in sich? Kann Eucken das faktische Funktionieren des Staates beschreiben, ohne bereits die Struktur der angestrebten Staatsordnung vorwegzunehmen? Eucken schwebt zwar vor, mithilfe einer großen Dezision im Sinne einer Gesamtentscheidung genau das zu realisieren und zu sichern, was Schmitt verächtlich als Zeitalter der Neutralisierungen und Denaturierungen bezeichnet hatte und das ihm zufolge einen essentiellen Bestandteil des liberalen Staates mitsamt seiner „Tendenz zur Entpolitisierung“ darstellte.144 Doch genau in einer solchen Entpolitisierung habe wiederum das „reine Staatsinteresse“145 nach Eucken zu liegen, sodass sich die Frage aufdrängt: Wie soll eigentlich das Ereignis aussehen, an dem eine Gesellschaft in einen wünschenswerten, d. h. für Eucken entpolitisierten und ökonomisierten Zustand überführt wird? Was genau ist eine „ordnungspolitische Gesamtentscheidung“ und wie kann sie wirksam getroffen werden, damit „überhaupt sinnvolle Wirtschaftspolitik betrieben werden“146 könne? 142  Vgl. Strauss, „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“, S. 118. 143  Vgl. dazu auch Reuter, „Genese der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“, S. 73. 144  Vgl. Löwith, „Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt“, S. 33. 145  Eucken, Eucken, „Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus“, S. 307. An dieser Stelle drängt sich Ptak zufolge eine weitere Anlehnung an die Nazis auf: vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 42 ff. Dabei sei auf Ptaks Widersprüchlichkeit hingewiesen: Einerseits wirft er Eucken vor, eine solch große Nähe zu Schmitt zu haben, andererseits kritisiert er Eucken für dessen entpolitisierte Vorstellung einer Gesellschaft, die es gerade für Schmitt abzulehnen galt. 146  Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 250: „Die ordnungspolitische Gesamtentscheidung hat also vor den einzelnen wirtschaftspolitischen Handlungen zu stehen – wenn überhaupt sinnvolle Wirtschaftspolitik getrieben werden soll.“

118 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

An dieser Stelle tritt hervor, dass Eucken einen Kernaspekt dessen, was Schmitt als genuin Politisches bezeichnet hatte, nicht loswerden kann, auch wenn er dies beabsichtigen mag: den Moment, an dem festgelegt wird, was die Zielfunktion der staatlichen Ordnung auszeichnen soll, d. h. die erste und infolgedessen in fundamentalem Sinne politische Entscheidung, von der aus bestimmt wird, welche Bereiche einer Gesellschaft der Politik entzogen zu bleiben haben bzw. auf welche Bereiche die Realisierung des ordoliberalen Naturrechts angewendet werden soll. Es ist genau das Moment, an dem der ordoliberale Staat mit dem Werkzeug versehen wird, wirtschaftliche Machtkörper „aufzulösen“ – und zwar auch solche, die es bereits vor einer institutionellen und rechtlichen Konfiguration im Sinne der ordoliberalen Gesamtentscheidung gegeben haben möge. Mit anderen Worten: Wenn pluralistische Herrschaft und Gruppenanarchie überwunden werden sollen (und das sollen sie bei Eucken), müssen all diejenigen Gruppen, die Herrschaftsansprüche stellen könnten, in ihrer faktischen Handlungsfähigkeit gebrochen werden. Denn, so Eucken: „Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktion zu begrenzen.“147 Und das heißt wiederum, dass auch die ordoliberale Gesellschaft an mindestens einem Punkt auf Feinde stößt, die beseitigt werden müssen, um einen Zustand der Wettbewerbsordnung zu erreichen.148 Zwar soll das Politische im Zuge der Gesamtentscheidung überwunden und durch eine ökonomische Konfliktsituation ersetzt werden, die, wie Peter Schneider zu recht erklärt, anders strukturiert ist als der politische Konflikt bei Schmitt.149 Gelingen kann dies im Angesicht der Begrifflichkeit, die Eucken sich selber zu eigen gemacht hat, jedoch nur durch eine Entscheidung – und zwar eine, die selber nur als genuin politische Entscheidung gedacht werden kann – als, wie Eucken es nennt, „wirtschaftsverfassungsrechtliche Gesamtentscheidung“. Vor genau diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass auch dieser Begriff der „Gesamtentscheidung“ in Schmitts Verfassungslehre auftaucht: als „Gesamt-Entscheidung über Art und Form der politischen Einheit“150. 147  Eucken,

Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 334. ökonomische Entschädigung, die Hans-Jürgen Papier für die Bekämpfung von wirtschaftlichen Machstrukturen fordert, reicht dabei nicht aus, weil zu dem Zeitpunkt zumindest die ordoliberale Gesamtentscheidung bereits gefallen sein muss, vgl. Papier, „Soziale Marktwirtschaft – ein Begriff ohne verfassungsrechtliche Relevanz“, S. 108–9. 149  Schneider, Ausnahmezustand und Norm, S. 235–6. 150  Carl Schmitt, Verfassungslehre, 5., unveränderte Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 1970 [1928]), S. 20 ff. Trotz der bereits dargelegten inhaltlichen sowie der begrifflichen Überschneidungen zwischen Eucken und Schmitt bleibt Thomas Fischer bei seiner Auffassung, dass diese scheinbare Übereinstimmung zu Missverständnissen und infolgedessen zu einer Fehlinterpretation Euckens geführt habe, vgl. Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 159–60. 148  Eine



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 119

In dieser Zuspitzung stellt das Primat des Staates bei Eucken den durchaus ernst zu nehmenden Versuch dar, das Politische daran zu hindern wiederzukehren – weshalb es aus Sicht Euckens durchaus konsequent war, das naturrechtlich strukturierte Primat der Ökonomie durch eine Wirtschaftsverfassung zu sichern, sofern dieses im Rahmen der Interdependenz der Ordnungen das materielle Grundrecht schlechthin darstellt151 (vgl. § 3, II.). In diesem Sinne lässt sich die Gesamtentscheidung für den Ordoliberalismus als eine konstituierende Entscheidung für das Fundament der zu konzipierenden politischen Gemeinschaft verstehen, die im bürgerlich-liberalen Sinne nicht mehr politisch sein und die damit die Herbeiführung eines – wie Peter Schneider in Hinblick auf Schmitts Staatsauffassung schreibt – „nicht echten“ Staates erwirken möchte152. Doch genau jene Widersprüchlichkeit, die auch Schmitt in seiner Verfassungslehre als Grundparadoxon der bürgerlichen Gesellschaft darstellt,153 handelt sich Eucken mit der Übernahme Schmitt’scher Begriffsmuster im doppelten Sinne ein: zum einen, weil er im Rahmen von Schmitts dezisionistischen Begriffen agiert und dabei aus naturrechtlicher Sicht zwangsweise eine legitimatorische Leerstelle entstehen muss154, und zum anderen, weil er mit seinen Vorstellungen eines naturrechtlich gebundenen Staates selber genau zu jener Gruppe von Denkern gehört, die Schmitt im Rahmen seines Der Begriff des Politischen vermutlich als „denaturiert“ bezeichnet hätte, weil sie den Staat in seiner Handlungsfähigkeit zu hemmen versuchen.155 Denn auch bei Eucken muss sich – ganz entgegen dem Wunsch 151  Eine Forderung, von der der parlamentarische Rat jedoch explizit Abstand genommen, vgl. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 16. 152  Vgl. Schneider, Ausnahmezustand und Norm, S. 247. 153  Genau diesen Punkt macht auch Hofmann in Bezug auf Schmitt (und damit mittelbar auch in Bezug auf Eucken): „Einerseits soll die politische Einheit erst mit jener politischen Gesamtentscheidung, wozu die Entscheidung für die rechtstaatlichen Prinzipien (Grundrechte und Gewaltenteilung) rechnet, in ihrer geschlossenen Ganzheit verfasst werden, während zum anderen die Prinzipien des bürgerlichen Rechtsstaates gerade als unpolitische, ja antipolitische, nämlich liberale, die Totalität der politischen Einheit negierende Elemente gekennzeichnet werden, welche also den positiven politischen Formprinzipien antithetisch gegenübergestellt werden.“ Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 127. 154  Ptak weist unter Verweis auf Haselbach zu recht auf diese Leerstalle hin, wenn er diesen wie folgt zitiert: „Der Übergang von schwachen zum ‚starken Staat‘ bleibt so ein Mysterium. Roß und Reiter werden nicht benannt.“ Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 43 und S. 108, sowie Haselbach, Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft, S. 56. Vgl. auch Dieter Cassel/Kaiser, „Euckens Prinzipien als Maxime der Wirtschaftspolitik“, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik: Konzeptionen und Entwicklungsperspektiven, hrsg. von Helmut Leipold, Ingo Pies, und Dieter Cassel, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000, S. 89. 155  Vgl. z. B. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 70: „Alles liberale Pathos wendet sich gegen Gewalt und Unfreiheit. […] Was dieser Liberalismus von Staat

120 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

Schmitts – vor allem das Politische selber negieren, um im Zuge der Etablierung eines starken Staates sicherzustellen, dass jene Grund- und Gesamtentscheidung für ein ordoliberal geordnetes Gemeinwesen den pluralistisch strukturierten Machtkämpfen entzogen bleibt. Anders ausgedrückt: Dass etwas unpolitisch zu sein habe, konstituiert im Rahmen der von Eucken herangezogenen Begrifflichkeit selber eine genuin politische Entscheidung.156 Trotz dieser Widersprüchlichkeiten, die Eucken sich mit der Zusammenführung von Naturrecht einerseits und Schmitt’schem Dezisionismus sowie „Pluralismuskritik“ andererseits einhandelt, und die er im Rahmen der von ihm verwendeten Terminologie auch nicht überwinden kann,157 scheint es überzogen, Eucken allein aufgrund der Verwendung solcher Begriffe wie „starker Staat“ oder „Hüter der Wettbewerbsordnung“ bereits in eine staatstheoretische Nähe zum Nationalsozialismus zu rücken. Denn beide Begriffe laufen nicht automatisch auf eben jenen personalisierten Herrschaftswillen hinaus, zu der Schmitt im Zuge seiner Schriften nach und nach gelangt ist – zumal der „starke Staat“ aus Sicht Euckens gerade sicherstellen soll, dass bestimmte vorstaatlich begründete Rechte überhaupt garantiert werden können, indem die Organe des Staates mit der nötigen „Autorität“ ausgestattet werden, um sich ihrer eigenen Unterhöhlung zu widersetzen. In Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik fasst Eucken diesen Zusammenhang folgendermaßen zusammen: Die „Staatsordnung“ weicht von der „Staatsverfassung“ meist erheblich ab. Ge­ samt­entscheidungen, die in den Verfassungen zur Geltung kommen, dringen nicht durch, sondern die verfassungsmäßig gesetzten Gewalten – wie z. B. das Parlament – werden zugunsten von Mächten entthront, die außerhalb der Verfassung stehen und ihr Einzelinteresse durchzusetzen suchen. Eine neufeudale Situation ist im Entstehen begriffen. Auch staatlich entsteht Gruppenanarchie oder Pluralismus.158

Vor allem wird an dieser Stelle sichtbar, dass es Eucken in seinen Überlegungen um den „Staat“ als Träger von Souveränität geht – und gerade nicht und Politik noch gelten läßt, beschränkt sich darauf, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und Störungen der Freiheit zu beseitigen.“ 156  Böckenförde z. B. macht diese Konstellation an der als unabhängig konzipierten Europäischen Zentralbank fest, vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Welchen Weg geht Europa? München: Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung, 1997, S. 34–5. 157  So lehnt Gebhard Kirchgässner vor allem die vermeintliche Forderung der Ordoliberalen nach dem „wohlmeinenden Diktator“ im Sinne eines „Ruf[s] nach dem starken Mann“ ab, weil diese den faktischen politischen Prozessen nicht gerecht werden könne. Vgl. Gebhard Kirchgässner, „Wirtschaftspolitik und Politiksystem: Zur Kritik der traditionellen Ordnungstheorie aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie“, in: Ordnungspolitik, hrsg. von Dieter Cassel u. a., München: F. Vahlen, 1988, S. 53 und S. 58–62. 158  Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 327–8.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 121

um einen personalisierten Herrscher, wie es sich bei Schmitt zunehmend herauskristallisiert.159 D. h., Eucken zielt auf dasjenige ab, was Dieter Grimm „Staatssouveränität“, und nicht auf das, was Grimm in Hinblick auf Schmitt die „Relativierung des Verfassungsstaats“ nennt.160 Vor diesem Hintergrund ist es wiederum auch nicht verwunderlich, dass ausgerechnet Hans Kelsen – ein Gegenspieler Carl Schmitts, selber Rechtspositivist161 und Kulminationspunkt der Idee von Staatssouveränität162 – ein Argument dafür liefern kann, warum die Figur eines „Hüters der Ordnung“ nicht automatisch auf den argumentativen Prämissen einer Diktatur beruhen muss, sondern vielmehr zu den Kernbedingungen eines funktionsfähigen Rechtsstaates gehören müsse, dessen Verfassung durch die Rechtsprechung eines unabhängigen Verfassungsgerichts geschützt werde.163 Und auch wenn es in Kelsens Überlegungen aus seiner Schrift Wer soll Hüter der Verfassung sein? nur um die Rolle einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit geht, lässt sich deren Struktur auch auf die Vorstellungen Euckens zum starken Staat als Hüter der Wettbewerbsordnung anwenden.164 Denn, so Kelsen, wenn man die Trennung von 159  Vgl. Grimm, „Verfassungserfüllung – Verfassungsbewahrung – Verfassungsauflösung“, S. 194–6. So spricht Schmitt z. B. davon, dass der „Rechtsstaat“ erst in vollem Umfang unter den Nationalsozialisten realisiert worden wäre – als „der deutsche Rechtsstaat Adolf Hitlers“, vgl. Schmitt, „Der Rechtsstaat“, S. 117. 160  Dieter Grimm spricht von der „Staatssouveränität“ als spezifisch deutsche und von Hegel geprägte Spielart der Souveränität und setzt diese in ein Verhältnis zu dem, was er „Volkssouveränität“ und „Nationalsouveränität“ nennt, vgl. Grimm, Souveränität, S. 35 ff sowie S. 75–7. 161  Vgl. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 33–4. 162  So schreibt Dieter Grimm über Hans Kelsens Souveränitätsbegriff: „Souverän konnte dann der Staat nur insofern genannt werden, als die staatliche Rechtsordnung die höchste Ordnung ist. Der Staat ist ‚als Rechtsordnung‘ souverän. Damit erreichte die Souveränität freilich ihren höchsten Abstraktionsgrad, dem kein handlungsfähiger Träger mehr entsprach, der die in ihr stets mitgedachte Entscheidungsbefugnis wahrnehmen konnte.“ Grimm, Souveränität, S. 53. 163  Damit wendet sich Hans Kelsen explizit gegen die Überlegungen Schmitts aus dessen Schrift Der Hüter der Verfassung, in der sich Schmitt für die personalisierte Figur des Reichspräsidenten als Hüter stark gemacht. Schmitts Argument lautet in diesem Zusammenhang: Unabhängigkeit mag zwar die zentrale Voraussetzung dafür sein, als „Hüter der Verfassung“ zu agieren. Doch wichtig sei es, dass diese Figur nicht entpolitisiert sei, weil ansonsten die Einheit des Volkes nicht angemessen repräsentiert werde. Und deshalb könne Schmitt zufolge auch nur das Staatsoberhaupt in einem genuinen Sinne Hüter der Verfassung sein, weil sich dessen Entscheidungen nicht ihrer „politischen Konsequenz“ entziehen würden, vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S.  150 ff. 164  Interessant sind diese Ausführungen Kelsens, weil er sehr deutlich zeigt, dass die Figur des Richters als Entscheider, die Schmitt ursprünglich in Politische Theologie als Kernstück seines Dezisionismus entwickelt hatte, im besonderen Maße für eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit sprechen würde, vgl. Hans Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Berlin-Grunewald: Dr. Martin Rothschild, 1931,

122 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

Recht und Rechtsverwirklichung zieht und damit die argumentative Struktur des Dezisionismus vorzeichnet, dann müsse man sich infolgedessen für unabhängige staatliche Institutionen (also solche, die selber keinen unmittelbaren Vorteil von einem Missbrauch der Verfassung haben) aussprechen, damit diese dafür sorgen könnten, dass die Normen auch und gerade der liberalen Verfassungen im Zuge richterlicher Dezisionen realisiert würden.165 Dass Schmitt selber diesen Zusammenhang nicht gesehen habe, ist für Kelsen vor allem Ausdruck für dessen eigene Widersprüchlichkeit sowie dessen ideologische Verengung auf die Figur des Monarchen.166 Doch ganz unabhängig davon, wie man sich zu dieser Auseinandersetzung zwischen Schmitt und Kelsen im Einzelnen positionieren möchte, wird hieraus noch einmal deutlich, warum Euckens Ausführungen zum starken Staat als Hüter der Wettbewerbsordnung ihn nicht automatisch zu einem verkappten Nationalsozialisten oder einem autoritären Staatstheoretiker machen.167 Das nur auf Grundlage der von ihm verwendeten Begrifflichkeit zu behaupten, wäre schon deshalb nicht überzeugend, weil es streng genommen bedeuten würde, dass man einen starken Staat auch dann ablehnen müsste, wenn dessen Zielsetzung z. B. im Erhalt von Demokratie oder Menschenrechten liegt (von wo aus man ja gerade den starken Staat Euckens kritisiert hat).168 So weist z. B. Wilhelm Schmidt-Biggemann darauf hin, dass die Menschenrechte hinsichtlich ihrer Realisierung unter einem Problem leiden, das sich in ähnlicher Weise in Hinblick auf Euckens Ordnungspolitik feststellen ließ: „Menschenrechte sind Freiräume der Person, die der Staat rechtlich zu gaS. 15. Über die grundsätzlichen Ähnlichkeiten und zwischen Kelsens und Schmitts Rechtspositivismus vgl. auch: Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 44; Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 33. 165  Zwar geht es bei dieser Frage aus ordoliberaler Sicht weiter als nur bezüglich der Frage nach der Verfassungsgerichtsbarkeit, vgl. Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, S. 27. Doch hat Ralf Ptak Recht mit seiner Beobachtung, dass der Begriff des Staates bzw. des starken Staates im Ordoliberalismus sehr diffus bleibt, vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 108: „Der Staat blieb im ersten ordoliberalen Programm eine völlig abstrakte Kategorie, ohne daß konkrete Handlungssubjekte benannt wurden.“ 166  Vgl. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, S. 7–13. 167  Obwohl sich auch Kelsen vor dem Hintergrund dieser starken Stellung des Verfassungsgerichts die Frage gefallen lassen musste, in wie weit diese überhaupt mit einer umfangreichen Konzeption von Demokratie vereinbar sei, vgl. Michael Troper, „ ‚The Guardian of the Constitution‘ – Hans Kelsen’s Evaluation of a Legal Concept“, in: Hans Kelsen and Carl Schmitt: A Juxtaposition, hrsg. von Dan Diner, Gerlingen: Bleicher, 1999, S. 89–90. 168  Wenn man dieses Argument ernsthaft macht, vollzieht man gerade jene unheilvolle Trennung, auf die Schmitt immer wieder hinweist: diejenige zwischen Demokratie und liberalem Rechtsstaat, vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 25, Anm. 1.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 123

rantieren hat, die er aber nicht ausfüllen darf.“169 In diesem Zusammenhang lässt sich Eucken jedoch nicht von dem Vorwurf retten, dass sein Staatsverständnis in hohem Maße von Bedingungen abzuhängen scheint, die im Rahmen seiner Ausführungen ausgeklammert scheinen und über die er infolgedessen eine Auskunft schuldig bleibt – so sehr er auch versucht, die konkrete Ausgestaltung seiner Wettbewerbsordnung mit Begrifflichkeiten wie Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Würde etc. zu versehen. Denn seine Vorstellung davon, im Rahmen einer ordoliberalen Gesamtentscheidung die vermeintlich dunkle Seite von Macht und Politik zu überwinden, berücksichtigt nicht dessen Zustandekommen und wirft damit die zentrale Frage danach auf, wie ein Übergang zu einem starken Staat gelingen kann. Anders gefragt: Wie kann in dieser Struktur der Staat daran gehindert werden, sich gegen die ordoliberale Wettbewerbsordnung zu entscheiden? Und vor allem: Wie sollen eigentlich die konkreten Bedingungen herbeigeführt werden, unter denen sich die prä-ordoliberale Privatrechtsgesellschaft für die Einsetzung eines im ordoliberalen Sinne starken und zugleich limitierten Staates entscheiden? 3. „Ordo“ und die Bedingungen der freiheitlichen Gesellschaft Dieses Problem der Gesamtentscheidung als erste und letzte genuin politische Entscheidung wirft ein Licht auf die Bedingungsstruktur des Ordoliberalismus und bringt eine weitere implizite Prämisse Euckens zum Ausdruck, der er sich nicht in vollem Umfang bewusst gewesen zu sein scheint: dass die Stabilität des freiheitlich-ordoliberalen Staates von Faktoren abhängt, die sich seiner unmittelbaren Einflussnahme entziehen. Damit ist im Rahmen der Ordnungspolitik eine besondere Spielart des Böckenförde-Diktums erreicht, weil Eucken zusätzlich zu dem Paradoxon selber, das Böckenförde an allen freiheitlichen Ordnungen festmacht, mit Begriffen operiert, die bereits für sich genommen drohen, in ihrer Widersprüchlichkeit auseinanderzubrechen. Von eben jener legitimatorischen Leerstelle aus gedacht, lässt sich in einem letzten Schritt eine Ahnung davon gewinnen, warum der Ordo-Begriff, obwohl er eine namensgebende und damit durchaus eine promiente Rolle für die Konstituierung des Ordoliberalismus spielte, bei Eucken denkbar diffus gehalten ist und auch in der Rezeption nicht einheitlich interpretiert wurde:170 Es bleibt schlichtweg unklar, wie man im Einzelnen die Bedingungen dafür herstellen kann, um von einer gegebenen Gesellschaftsstruktur hin zu einer leistungsfähigen und formal strukturierten Ordnung im Sinne von Ordo zu gelangen. 169  Wilhelm Schmidt-Biggemann, „Menschenrechte und Menschenwürde denken“, in: Umstrittene Menschenwürde: Beiträge zur ethischen Debatte der Gegenwart, hrsg. von Thomas Brose, Hildesheim/Berlin: Morus, 1994, S. 20. 170  Vgl. Blümle, „Freiheit und Norm bei Walter Eucken“, S. 294–5.

124 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

In seinem Aufsatz Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung geht Böckenförde der Frage nach, auf welchen Prinzipien der moderne Staat beruht: „Woraus lebt der Staat […]? Kann er […] aus der Erfüllung der eudämonistischen Lebenserwartung seiner Bürger leben?“171 Böckenförde gelangt in diesem Zusammenhang zu dem Schluss, dass es für den europäischen Staat nicht ausreiche, auf dem Freiheitsversprechen oder auf dem Versprechen nach Glückseligkeit begründet zu sein – vor allem, weil das Konzept einer „Nation“, die die dafür erforderliche Homogenität möglicherweise hätte gewährleisten können, seit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs keine Formkraft mehr habe. Vor diesem Hintergrund gelangt Böckenförde zu eben jenem Diktum, das mit seinem Namen in Verbindung gebracht wird: Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwangs und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben.172

Wenn man in diesem Zusammenhang noch mal auf die frühen Schriften Euckens rekurriert, was für ein Verständnis der grundlegenden Problematik, mit der sich Eucken auseinandersetzt, unerlässlich ist, ergeben sich eindeutige Parallelen mit den zitierten Ausführungen Böckenfördes. Denn auch Euckens Überlegungen zur politischen Ökonomie lassen sich als eine Frage danach formulieren, mithilfe welcher ordnenden Prinzipien moderne und vor allem industrialisierte Volkswirtschaften, in denen die Bande der Religion als sinnstiftendes gesellschaftliches Moment verloren gegangen sind,173 organisiert und reguliert werden können. Zugleich jedoch unterlässt es Eucken trotzdem geradezu explizit, dem ordoliberalen Staat konkrete und vor allem substanzielle Momente von Sittlichkeit zuzuschreiben. Vielmehr sind dessen 171  Böckenförde,

S. 59.

172  Ebd.,

„Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“,

S. 60. z. B. Walter Eucken, „Zur Kritik des Sozialismus“, Die Tatwelt. Zeitschrift für die Erneuerung des Geisteslebens Jahrgang I, Heft 4 (1925): S. 39.: „Mehr und mehr verschwindet in den breitesten Massen der Glaube an einen Sinn und Wert des Lebens und der ganzen menschlichen Lebensarbeit. […] Die geschichtlich überkommenen Religionen genügen den meisten in ihrer bestehenden Form nicht mehr, sie vermögen nicht, dem Leben der Menschen im allgemeinen einen Sinn und Wert, einen wirklichen Gehalt zu geben. Die Zersplitterung in den Grundüberzeugungen nimmt in erschreckendem Maße zu, eine einheitliche Richtung der gesamten Arbeit und Menschheit fehlt.“ 173  Vgl.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 125

Ordnungsprinzipien ausschließlich formal gehalten und suggerieren damit auf den ersten Blick, dass ein Staat scheinbar von eben jener „Erfüllung der eudämonistischen Lebenserwartung seiner Bürger“ leben könne. Auf den zweiten Blick jedoch zeigt sich, dass sich Euckens Überlegungen zur Eta­ blierung einer liberalen Wirtschaftsordnung gerade von diesem Punkt aus gesehen als eine besondere Spielart des Böckenförde-Paradoxons verstehen lassen – und zwar deshalb, weil Eucken die beiden Gegensätze dieses Paradoxons zu einem konstitutiven Element seines Staatsverständnisses macht. Denn um zu verhindern, dass – wie Knut Wolfgang Nörr es andeutet – der Souverän aus sich heraus „über die politische Ordnung“ entscheide174 oder der Staat – wie Thomas Fischer schreibt – „als übergeordnetes, verselbstständigtes Herrschaftssubjekt“ agiere,175 scheint es geradezu unausweichlich zu sein, eine vorstaatliche Bedingungsstruktur anzunehmen, die den Staat in seiner ganzen Macht sowie dezisionistischen Struktur bindet. Mehr noch: Nur wenn es eine konkrete Vorstellung davon gibt, wer den starken Staat überhaupt beauftragen und binden soll, kann der Staat als „starker Staat“ überhaupt seiner vorstaatlichen Bindung gerecht werden. Vor diesem Hintergrund sei auf den britischen Philosophen John Gray verwiesen, der die Besonderheit des Ordoliberalismus in dessen Betonung spezifischer gesellschaftlicher und kultureller Institutionen sieht, in welche die Märkte jeweils eingebunden seien.176 Ihm zufolge sei es gerade eine solche Sittlichkeitsstruktur, die den Ordoliberalismus von anderen Spielarten des Liberalismus unterscheide,177 und die sowohl das Fundament als auch den Rahmen dafür bilde, dass die formalen bzw. materiellen Bedingungen des Primates der Ökonomie institutionell gebunden werden.178 In dieser Les174  Nörr,

An der Wiege deutscher Identität nach 1945, S. 7. Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, S. 133. 176  Vgl. Gray, False Dawn, S. 92 ff. In einem anderen Zusammenhang unterscheidet er zwischen so genannten „market societies“, in denen Märkte eigenständige Entitäten darstellen würden, und so genannten „market economies“, in denen Märkte an spezifische Funktionen im Rahmen konkreter kultureller Institutionen gebunden seien, vgl. Gray, False Dawn, S. 12. Vgl. auch: John Gray, „The Post-communist Societies in Transition“, in: Enlightenment’s wake: politics and culture at the close of the modern age, London/New York: Routledge, 2007, S. 57 ff. 177  Hierin stimmt er mit der Einschätzung Foucaults überein, demzufolge der Ordoliberalismus nicht einfach eine Selbstbegrenzung der Regierungskunst sei, sondern vielmehr die Selbstbegrenzung der Ökonomie vermittelt durch die Ausrichtung des Staates, vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 174 ff. sowie S. 187 ff. 178  Auch andere prägende Ordoliberale der ersten Stunde, wie Franz Böhm, werden bezüglich der konkreten Traditionslinien des Begriffes „Ordo“ nicht konkreter und kommen über analytische Aussagen dahingehend nicht hinaus: „[I]n den Augen Euckens entspricht eine soziale Ordnung in dem Grade der Menschenwürde, als sie Ordo ist.“ Böhm, „Die Idee des ORDO im Denken Walter Euckens“, S. XVI. Ähnlich unkonkret sieht Knut Wolfgang Nörr den Begriff „Ordo“ als eine unspezifische Ver175  Fischer,

126 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

art stellt Ordo zugleich den Unterbau als auch die gedankliche Metastruktur einer Gesellschaft dar, die erkannt und infolgedessen vorausgesetzt werden müsse, um die äußerst komplexen und anspruchsvollen Bedingungen einer freiheitlichen Gesellschaft, die mehr sein will als ein freies Spiel der Kräfte, zu erfüllen. Ordo würde damit eben jene Bedingung für eine politische Entscheidung bilden, durch welche der Staat zugleich begründet und begrenzt werden soll, und infolgedessen die inhaltlichen Anhaltspunkte für die Ausgestaltung der ansonsten formalen Prinzipien der äußeren Freiheit liefern. Damit wäre Ordo dasjenige, was Ehmke in Hinblick auf Schmitts Verfassungsverständnis den „materialen Kern“ einer Verfassung nennt und das infolgedessen die Bedingung für die „besondere Existenzform einer politischen Einheit“ bildet.179 Die Besonderheit des Ordoliberalismus Walter Euckens liegt vor diesem Hintergrund darin, dass er bereits im Rahmen seiner Terminologie begriffliche Widersprüche und Inkonsistenzen erzeugt und dass er folglich keine Anhaltspunkte dafür liefern kann, wie die legitimatorische Leerstelle zwischen prä-ordoliberaler und ordoliberaler Ordnung, die sich zwingend im dezisionistischen Moment „inhaltlicher Indifferenz“ (Schmitt) oder im Moment der „Rechtserzeugung“ (Kelsen) bei gleichzeitiger naturrechtlicher Bindung ergeben muss, begrifflich zu schließen wäre.180 In genau diesem Sinne zeichnet sich der Ordoliberalismus Walter Euckens durch jenes Probmischung aus „Gott der Schöpfung, die Sinnfülle des Daseins, das Gute und Schöne, das Natürlich und Vernünftige“ sowie „der individuelle Freiheitsraum“ etc., vgl. Nörr, An der Wiege deutscher Identität nach 1945, S. 20. Für Uwe Runge wiederum erfüllt der Begriff „Ordo“ vor allem eine ideologische Funktion, um „den Rechtspositivismus des Ordoliberalismus zu verschleiern, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 134. Und Eckhart Müller spricht in Hinblick auf „Ordo“ im Verhältnis zur Freiheit schlichtweg von einer „Einsicht in die gegebene Wertordnung“, vgl. Müller, Evangelische Wirtschaftsethik und soziale Marktwirtschaft, S. 37, Anm. 109. 179  Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 36–7. 180  In gewissem Sinne lässt sich dieses Problem z. B. auch bei der Frage nach der normativen Stellung von Menschenrechten der damit verbundenen Frage nach deren rechtlicher Realisierung darstellen, vgl. dazu z. B. Georg Lohmann, „Menschenrechte zwischen Moral und Recht“, in: Philosophie der Menschenrechte, hrsg. von Stefan Gosepath und Georg Lohmann, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998, S. 67–76. Vergleichbar verhält es sich mit der demokratischen Legitimität von Entscheidungsprozessen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein demos bereits eine Bedingung für Demokratie darstellt, die sich selber nicht nach demokratischen Regeln konstituiert hat, vgl. z. B. Chantal Mouffe, „Carl Schmitt and the Paradoxy of Liberal Democracy“, in: Law as politics: Carl Schmitt’s critique of liberalism, hrsg. von David Dyzenhaus, Durham, [NC]: Duke University Press, 1998, S. 163–4; Seyla Benhabib, „The Philosophical Foundations of Cosmopolitan Norme“, in: Another cosmopolitanism, The Berkeley Tanner lectures, Oxford/New York: Oxford University Press, 2006, S. 35.



§ 4  Der Staat als Entscheider: Euckens „ordoliberaler Dezisionismus“ 127

lem aus, das ihm Ralf Ptak zurecht vorgehalten hat, dass er nämlich keinen Aufschluss darüber gibt, welches die konkreten (Entscheidungs-)Träger seines ordoliberalen Programms seien.181 Es bleibt schlichtweg offen, wie die Umwandlung in eine ordoliberale Gesellschaft erfolgen soll bzw. wie sich feststellen lässt, dass der ordoliberale Souverän im Moment der Gesamtentscheidung wirklich im Sinne derjenigen Gesellschaft entscheidet, für die er infolgedessen zuständig sein wird. V. Fazit Damit wurde in § 4 gezeigt, aufgrund welchen Staatsverständnisses Eucken das Primat der Ökonomie realisiert sehen möchte: – Die „großen Antinomie“ als ein Problem der Wirtschaftstheorie findet ihr unmittelbares Pendant in der Ordnungspolitik in der Unterscheidung zwischen „Prinzip“ und „Moment“. Weil Eucken zufolge jede formal strukturierte Norm die Möglichkeit in sich trage, dass die ihr zugrundeliegenden Prinzipien in ihr Gegenteil umschlagen, bedürfe es einer staatlichen Instanz, die mit der nötigen Macht bzw. dem nötigen Entscheidungswillen ausgestattet ist, um die ordoliberalen Prinzipien in dem in ihnen angelegten Sinne zu implementieren. Aus dieser Parallelität zwischen Ordnungstheorie und Ordnungspolitik ergab sich, dass man durchaus sinnvoll von einem genuinen „ordoliberalen Dezisionismus“ sprechen kann. (Vgl. § 4, I. und § 4, II.) – Eucken übernimmt die Kritik Carl Schmitts am Pluralismus (und folglich auch am Liberalismus), und versucht, diese in sein Verständnis von Liberalismus aufzunehmen. Für Eucken war die „Schwäche“ des Staates im Umgang mit privatwirtschaftlichen Machtkörpern vor allem ein politischinstitutioneller Konstruktionsfehler bestimmter Spielarten des Liberalismus, sodass die Behebung dieses Konstruktionsfehlers auch keine automatische Abkehr von den normativen Grundlagen des Liberalismus darstellte. (Vgl. § 4, III.) – Eucken gelang es allerdings begrifflich nicht, sich von allen staatspositivistischen Implikationen Schmitts zu lösen. Denn obwohl Euckens Vorstellung einer ordoliberal strukturierten Gesellschaft im Kern post-politisch ist, kann er es nicht leisten, das Politische im Sinne Schmitts vollständig aus seinem Staatsverständnis zu verbannen. Zwar scheint es diesbezüglich 181  Vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 108. Vgl. dazu auch: Friedrich-Wilhelm Dörge, „Menschenbild und Institution in der Idee des Wirtschaftsliberalismus bei A. Smith, L. v. Mises, W. Eucken und F. A. v. Hayek“, in: Zur Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von Heinz-Dietrich Ortlieb, Tübingen: Mohr Siebeck, 1959, S. 93.

128 2. Teil: Der „starke Staat“ zwischen Liberalismus und „Liberalismuskritik“

nicht angemessen, Eucken zu unterstellen, der Ordoliberalismus verfüge deshalb über keinerlei vorrechtliche Bindung. Doch verschiebt Eucken das Politische im Rahmen seiner Begrifflichkeit an denjenigen Punkt, an dem ihm zufolge die so genannte „ordoliberale Gesamtentscheidung“ anfällt. (Vgl. § 4, IV. 1. und § 4, IV. 2.) – Dadurch entsteht vor dem Hintergrund der naturrechtlich verpflichteten Ordnungspolitik eine legitimatorische Leerstelle, sodass der ordoliberale Staat im Kern von Bedingungen abhängt, die er selber nicht garantieren kann. Euckens Verständnis einer freiheitlichen Ordnung stellt damit eine besondere Version des Böckenförde-Diktums dar, weil Eucken zusätzlich zu dem Paradoxon, das Böckenförde an allen freiheitlichen Ordnungen festmacht, auch noch mit Begriffen operiert, die bereits für sich genommen drohen, in ihrer Widersprüchlichkeit auseinanderzubrechen. (Vgl. § 4, IV. 2. und § 4, IV. 3.)

3. Teil

„Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat Die Frage danach, welche Relevanz das ordoliberale Begriffsgerüst für die Ordnung global integrierter Volkswirtschaften haben kann, steht im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Hypothese, dass sich aus ordoliberaler Sicht die Herausforderungen solcher Phänomene wie Marktmacht, mangelnde Haftung oder unzureichende Wirtschaftsrechnung durch die globale Integration von Finanz- und Gütermärkten bei gleichzeitiger Abwesenheit einer umfangreichen globalen Regulierungsbehörde um eine zusätzliche Dimension erweitern. Diese Einschätzung lässt sich an zahlreichen und kontroversen Diskussionen darüber ablesen, ob sich globalisierte ökonomische Strukturen überhaupt regulieren lassen – und wenn ja, wie. Denn unabhängig davon, wie verschiedene Vertreter dieser Kontroverse im Einzelnen zum Ordoliberalismus stehen, gibt es zwischen ihnen eine grundlegende Übereinkunft darüber, dass eine umfassende Regulierung des Weltmarktes analog zu dem Regulierungsanspruch der einzelnen Nationalstaaten über ihr jeweiliges Herrschaftsgebiet nicht gewährleistet wird bzw. nicht gewährleistet werden kann – oder, je nach den Ausgangsprämissen, auch gar nicht gewährleistet werden soll.1 Mit anderen Worten: Das ordoliberale Primat des Staates im Sinne einer eindeutigen Zuspitzung von Regulierungs- und Handlungsfähigkeit gegenüber privatwirtschaftlichen Machtkörpern (vgl. § 4, II.) ist aus globaler Perspektive in Hinblick auf den Weltmarkt weniger ausgeprägt als dies auf nationalstaatlicher Ebene gemäß den Vorstellungen Euckens notwendig wäre. Und weil die Herausbildung privatwirtschaftlicher Machtkörper jenseits des nationalstaatlichen Regulierungs1  Beispielhaft für diese Auseinandersetzung ist eine Kontroverse zwischen den beiden ehemaligen Chef-Ökonomen der Weltbank, Lawrence Summers und Joseph Stiglitz, über die Frage, wie globale Finanzmärkte zu regulieren seien. Während Summers die Position vertritt, dass man diese Märkte gar nicht regulieren solle, weil die unweigerlich auftretenden Krisen zu einem langsamen institutionellen Lerneffekt führen würden, vertritt Stiglitz die Position, dass man diese Krisen durch Regulierung antizipieren und folglich verhindern müsse, um politischen Verwerfungen und Instabilitäten vorzubeugen. Vgl. Lawrence H. Summers, „International Financial Crises: Causes, Prevention, and Cures“, American Economic Review Volume 90, Nr. 2 (2000): S. 1–16; Joseph E. Stiglitz, „Capital Markte Liberalization, Economic Growth, and Stability“, World Development Volume 28, Nr. 6 (2000): S. 1075–86.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

monopols wiederum negative Rückwirkungen auf die Handlungsfähigkeit aller einzelnen Staaten hat, lautet die grundlegende Frage, die es aus ordoliberaler Sicht zu beantworten gilt: Welche Rolle kommt dem Nationalstaat als historisch gewachsenem Träger staatlicher Souveränität mitsamt seinem Anspruch auf das nationale Regulierungsmonopol im Angesicht global integrierter Volkswirtschaften zu? Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung wird in § 5 wie folgt vorgegangen: In einem ersten Schritt wird eine kurze Bestimmung bzw. Einordnung des Begriffs „Globalisierung“ vorgenommen. Dabei wird gezeigt, warum bestimmte Aspekte des Phänomens, die sich hinter diesem Begriff verbergen, unmittelbare Implikationen für Euckens Überlegungen zu dem Verhältnis von individueller wirtschaftlicher Freiheit sowie privatwirtschaftlicher und nationalstaatlicher Macht haben. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang argumentiert, dass die Funktionsweise eines Weltmarktes bei gleichzeitiger Abwesenheit von globalstaatlicher Regulierung dem entspricht, was Eucken unter Laissez-faire verstanden hat und was es infolgedessen aus ordoliberaler Sicht zu überwinden gilt.2 In einem zweiten Schritt wird dargelegt, warum die globale bzw. die internationale Dimension des privatwirtschaftlichen Machtproblems aus ordoliberaler Sicht nicht als Problem einzelner Nationalstaaten aufgefasst werden kann. Vielmehr gilt anzuerkennen, dass die dezidiert naturrechtliche Verankerung und die damit einhergehende ethische Bindung aller staatlichen Herrschaft im Ordoliberalismus zu der Konklusion nötigt, dass jeder auf einem Weltmarkt agierende Akteur – und damit auch jeder Staat – gegenüber allen denjenigen Individuen und Akteuren, die am Weltmarkt teilhaben und infolgedessen von den Entscheidungen aller anderen Akteure im Kontext globalisierter Wirtschaftsstrukturen betroffen sind, in die Verantwortung gezogen werden. Diese im Kern kosmopolitische Lesart des Ordoliberalismus wird im Zuge dessen als ordoliberale Globalisierungsbedingung bezeichnet – als Bedingung schlechthin für die Integration lokaler oder nationaler Märkte zu einem Weltmarkt. Ausgehend von dieser ordoliberalen Globalisierungsbedingung wird in einem dritten Schritt gezeigt, dass der Nationalstaat sich im Rahmen globalisierter Volkswirtschaften in einem Trilemma befindet: Denn alle drei Hand2  Bereits an dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die hier vorgestellte Argumentationsstruktur nicht davon abhängt, ob es sich bei dem Begriff der „Globalisierung“ um eine terminologische Mode handelt oder um ein Phänomen, das im frühen 21. Jahrhundert andere Gesetze aufweist als im späten 19. Jahrhundert, in dem man bereits das Phänomen eines Weltmarktes kannte. Vgl. zu den verschiedenen Positionen hierzu: Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung: Dimensionen, Prozesse, Epochen, München: C. H. Beck, 2003, S. 10–5.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus131

lungsoptionen, die ihm prinzipiell zur Überwindung des globalen Laissezfaire offenstehen, enden vor dem Hintergrund der Widersprüchlichkeiten des Eucken’schen Staatsbegriffes in einer konzeptionellen Aporie.

§ 5  Euckens Ordoliberalismus und die Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols Eine besondere Herausforderung, die sich in Hinblick auf eine globale Ordnungspolitik ergibt, liegt in der doppelten Verpflichtung staatlicher Herrschaft: Zum einen bildet der ordoliberale Begriffszusammenhang ein universalistisches und damit prinzipiell auch kosmopolitisch strukturiertes Naturrecht (gemäß der „Natur der Menschen und der Dinge“), das einen Staat über die eigenen Grenzen hinweg bindet. Zugleich jedoch erfolgt die Einsetzung eines im ordoliberalen Sinne starken Staates durch eine konkrete Privatrechtsgesellschaft, von der aus staatliche Macht begründet sowie limitiert wird, die deshalb auch am Anfang einer globalen Ordnungspolitik stehen müsste und an der sich infolgedessen die Aporien einer globalen Ordnung festmachen lassen. I. Mangelnde Regulierung im „Raum der Ströme“3 Das Phänomen der „Globalisierung“ wird weder in seiner genauen Bedeutung noch in der Vielzahl seiner Implikation einheitlich bewertet.4 Es umfasst vielmehr eine Reihe verschiedener Prämissen und Narrative, die in ihrer Gesamtheit kein analytisch eindeutiges Bild ergeben.5 Vor diesem Hintergrund wird für den Kontext dieser Arbeit unter dem Begriff der Globalisie3  Zu diesen Strömen können Manuel Castells zufolge Informations-, Kapital-, Technologieströme etc. gehören, deren Eigenschaft darin besteht, dass sie keine unmittelbare räumliche Nähe mehr erforderten, vgl. Manuel Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Opladen: Leske + Budrich, 2001, S. 467 ff.: „Vom Standpunkt der Sozialtheorie ist Raum die materielle Grundlage gleichzeitiger sozialer Praxisformen, die eine gemeinsame Zeit haben […]. Es ist jedoch wesentlich, dass wir dieses Basiskonzept der materiellen Grundlage simultaner Praxisformen von der Vorstellung der Nähe lösen […].“ 4  Vgl. z. B. William I. Robinson, „Theories of Globalization“, in: The Blackwell companion to globalization, hrsg. von George Ritzer, Malden, MA; Oxford: Blackwell Pub, 2007, S. 126; David Held (Hrsg.), Global transformations, Cambridge, UK: Polity Press, 1999, S. 10. Als Begriff taucht „Globalisierung“ zum ersten Mal in den 1960er Jahren auf, vgl. dazu: Daniel Siebert, Musik im Zeitalter der Globalisierung: Prozesse, Perspektiven, Stile, Bielefeld: transcript, 2015, S. 31. 5  Vgl. Jürgen Osterhammel, „Globalizations“, in: The Oxford handbook of world history, hrsg. von Jerry H. Bentley, Oxford/New York: Oxford University Press, 2011, S. 101.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

rung – bei allen unterschiedlichen Positionen sowohl zu ihrem historischen Ausgangspunkt als auch zum genuin Neuartigen an ihr6 – Folgendes verstanden: die Heraushebung (fast) aller weltweiten sozialen und ökonomischen Aktivitäten aus ihren lokal, regional oder national gebundenen Kontexten über deren Einbettung in grenzübergreifende Netzwerke, durch welche sie in einem Verhältnis gegenseitiger Interdependenz zueinander stehen.7 Durch die globale Verknüpfung sozialer Aktivitäten haben diese einen unmittelbaren Einfluss auf Entwicklungen weltweit – und werden selber zugleich von anderen Aktivitäten und Entwicklungen beeinflusst.8 Mit anderen Worten, die Strukturen, im Zuge derer ökonomische Akteure ihre Zweck-Mittel-Kalkulationen vollziehen, spielen sich nicht ausschließlich im Rahmen der einzelnen nationalen Gebietskörperschaften oder unter Berücksichtigung von deren konkreten Rechtsverhältnissen ab. Diese „Bewegung der Gesellschaft“9 führt ökonomisch zu einer Integration der lokalen Märkte10 in den Weltmarkt, auf dem es zu konvergierenden globalen Preisen kommt, d. h.: auf dem jeder Teilnehmer Preisnehmer eines Weltmarkt6  Vgl. Robinson, „Theories of Globalization“, S. 126.: „The contending battleground of such concepts is a leading edge of political conflict since the meanings of such concepts are closely related to the problems they seek to discuss and what kind of social action people will engage in. Knowledge claims are not neutral. They are grounded in situated social and historical contexts, often in competing social interests. Nowhere is this clearer than with globalization theories.“ 7  Eine grundlegende Frage, die sich im Hinblick auf diese Narrative ergibt, ist diejenige nach der Zunahme religiöser Konflikte seit Ende des Kalten Krieges. Kwane Anthony Appiah verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es sich vor allem bei dem fundamentalistischen Islam nicht um eine Anti-Globalisierungsbewegung handeln würde, sondern vielmehr um eine ihrem Wesen nach globale Antwort auf das Gefühl mangelnder Anerkennung in der globalisierten Welt, also um einen „universalism without toleration“, vgl. Anthony Appiah, Cosmopolitanism: Ethics in a World of Strangers, New York: W. W. Norton & Co., 2006, S. 140. 8  Vgl. z. B. Gray, False Dawn, S. 57; Anthony Giddens, The consequences of modernity, Stanford, Calif: Stanford University Press, 1990, S. 64. 9  Vgl. Heinhard Steiger, Staatlichkeit und Überstaatlichkeit, Berlin: Duncker & Humblot, 1966, S. 26. 10  Entgegen dieser Analyse argumentieren z. B. Paul Hirst und Grahame Thompson, dass die häufig proklamierte Interdependenz der Weltwirtschaft kein neues Phänomen darstellen würde, sondern zum Teil bereits im 19. Jhd. stärker ausgeprägt war – bei gleichzeitig geringerer staatlicher Autonomie, vgl. Paul Q. Hirst/Grahame Thompson, Globalization in question, 2nd edition, Cambridge, UK; Malden, MA: Polity, 1999, S. 35 ff. sowie S. 60–1. Dem lässt sich jedoch im Sinne eines sinnvollen Begriffes von „Globalisierung“ entgegnen, dass erst seit dem späten 20. Jahrhundert große Teile der Weltbevölkerung überhaupt als Produzenten und Konsumenten (und nicht nur als Koloniebewohner) im Zuge der Konvergenz industrieller Produktionstechnologien Teilnehmer am Weltmarkt geworden seien, vgl. Osterhammel, „Globalizations“, S.  97 ff.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus133

preises ist.11 Weil sich die teleologischen Reihen (Simmel) sowohl der natürlichen als auch der juristischen Personen dabei jenseits der einzelnen nationalstaatlichen Regulierungsmonopole abspielen können, nehmen sie aus Sicht der einzelnen Staaten qua ihrer Fähigkeit, sich diesen zu entziehen, „liquide“12 Formen an. David Held schlägt vor diesem Hintergrund eine Definition von „globalization“ vor, die versucht, diese Aspekte aufzugreifen und sie dabei von dem Phänomen der Nationalisierung oder dem der Regionalisierung abzugrenzen, die, obwohl sie strukturell nach den gleichen sozialen und ökonomischen Gesetzen funktionieren mögen, deutlich älter sind als das Phänomen der Globalisierung:13 Globalization can be thought of as a process (or a set of processes) which embodies a transformation in the spatial organization of social relations and transactions – assessed in terms of their extensity, intensity, velocity and impact – generating transcontinental or interregional flows and networks of activity, interaction, and the exercise of power.14

Genau dieses Verständnis von Globalisierung als räumlich entgrenzte und zeitlich vedichtete Vernetzung sozialer Aktivitäten und Machtstrukturen über Landesgrenzen und Kontinente hinweg bildet im Folgenden den Ausgangspunkt für die exemplarische Darlegung der Herausforderungen eines integrierten Weltmarktes bei Abwesenheit von globaler Staatlichkeit bzw. 11  So ließe sich argumentieren, dass man erst ab dem 19. Jahrhundert in einem genuinen Sinne von Globalisierung sprechen könne, weil es erst dann zu einer Konvergenz der weltweiten Güterpreise gekommen sei, Jeffrey G. Williamson/Kevin O’Rourke, „Once More: When Did Globalization Begin?“, European Review of Economic History 8 (2004): S. 109 ff. 12  Vgl. Zygmunt Bauman, Liquid modernity, Cambridge, UK : Malden, MA: Pol­ ity Press; Blackwell, 2000, S. 11.: „The prime technique of power is now escape, slippage, elision and avoidance, the effective rejection of any territorial confinement with its cumbersome corollaries of order building, order-maintenance and the responsibility for the consequences of it all as well as of the necessity to bear their costs.“ Vgl. dazu auch: Jürgen Gerhards/Jochen Roose, „Die Rekonfiguration von politischer Verantwortungszuschreibung im Rahmen staatlichen Handelns“, in: Die Politisierung der Weltpolitik: umkämpfte internationale Institutionen, hrsg. von Michael Zürn und Matthias Ecker-Ehrhardt, Erste Auflage, Originalausgabe, Deutsche Erstausgabe, Berlin: Suhrkamp, 2013, S. 109–33. 13  Vgl. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 39. Die europäische Kolonialisierung Amerikas sowie die Erschließung Asiens und die Etablierung einer Handelsroute zwischen diesen drei Kontinenten ließe sich in diesem Zusammenhang als weiteren Indikator für den Beginn der Globalisierung heranziehen, vgl. auch: Dennis O. Flynn und Arturo Giráldez, „Globalization began in 1571“, in: Globalization and Global History, hrsg. von Barry K. Gills und Thompson, London: Routledge, 2006, S. 234–6. 14  Held, Global transformations, S. 16. Vgl. dazu auch: A. G. Hopkins, „The History of Globalization – and the Globalization of History“, in: Globalization in World History, London: Pimlico, 2002, S. 16.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

eines starken globalen Staates. Dieses Ungleichgewicht zwischen Weltmarkt auf der einen Seite sowie nationalstaatlich geprägten und nur teilweise supranational agierenden staatlichen Institutionen auf der anderen Seite wird dabei als Hauptgrund angenommen, warum die staatlichen Bemühungen zur Realisierung einer im Sinne des Ordoliberalismus naturrechtlichen Wirtschaftsordnung Gefahr laufen fehlzuschlagen. Sie sind, um es mit Habermas auszudrücken, schlichtweg nicht dazu in der Lage, die Entwicklung der globalen Ökonomie „einzuholen“15. Dabei sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass das Verständnis von Globalisierung, das dieser Analyse zugrunde liegt, bewusst auf die im Globalisierungsdiskurs häufig vorgetragene Annahme verzichtet, wonach der perfekt konsolidierte und vollkommen handlungsfähige Nationalstaat ein historisches Faktum gewesen sei und sich seitdem in einem langsamen Verfallsprozess befinden würde.16 Im Folgenden soll vielmehr versucht werden, eine konkrete Funktionsweise globaler Kapital- und Gütermärkte zu skizzieren, um diese im Anschluss daran in Hinblick auf die ordoliberalen Anforderungen an Staat und Staatlichkeit zu überprüfen.17 1. Vermeidung von Sozial- und Umweltstandards und Steuerwettbewerb Die Freiheit, Kapital über nationale Landesgrenzen hinweg zu investieren, wird übergreifend als eine, meist sogar als die zentrale Eigenschaft der 15  Vgl. Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998, S. 85. 16  Vgl. für diese Narrative z. B. Dani Rodrik, The globalization paradox: democracy and the future of the world economy, New York: W. W. Norton & Co, 2011, S. 24; Kenʾichi Ōmae, The borderless world: power and strategy in the interlinked economy, Rev. ed., New York: HarperBusiness, 1999, S. 182 ff. und S. 194 ff. Für diese Lesart – sowohl für die pessimistische (Rodrik) als auch die optimistische (Ohmae) – scheint es jedoch wenig empirische Evidenz zu geben, vgl. dazu: Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 109; Robert Gilpin, Global political economy, Princeton, N.J: Princeton University Press, 2001, S. 364–5; Michael Mann, „Has Globalization Ended the Rise of the Nation-state?“, Review of International Political Economy 4, Nr. No. 3 (1997): S. 472–96. 17  Mit diesem Verständnis von Globalisierung schließt sich die folgende Analyse im Kern der Gruppe der sogenannten „transformationalists“ an, denen zufolge Staaten und deren Machtausübung sich in einem Wandlungsprozess als Antwort auf eine zunehmende Netzwerkausbildung jenseits ihrer Regulierungskompetenz befindet. Bei den weiteren Gruppen handelt es sich um die „hyperglobalists“, die in der Globalisierung eine gänzlich neue Entwicklung des Zusammenlebens erkennen und für die das Ende des Nationalstaates bereits besiegelt sei sowie die „sceptics“, die den Nationalstaat nach wie vor als zentralen Akteur in der globalen Arena wahrnehmen (wenn auch geschwächt), vgl. dazu Held, Global transformations, S. 10.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus135

Weltwirtschaftsordnung zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufgefasst.18 Sie hat weitreichende Implikationen für die Investitionsentscheidungen von Kapitalbesitzern im Allgemeinen sowie von international und global agierenden Unternehmen (Multinationals)19 im Besonderen. Weil der Faktor Kapital (vor allem im Gegensatz zur Arbeit) liquide ist, d. h. von einer Gebietskörperschaft in eine andere transferiert werden kann, und sich zusätzlich einem seit den 1980er Jahren global gestiegenen Arbeitsvolumen gegenübersieht, stehen Länder und Regionen in einem intensivierten Wettbewerb um das relativ gesehen knapper gewordene Kapital zur Generierung von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmequellen.20 Dies wiederum versetzt international und global agierende Unternehmen (je nach Größe und Art ihrer Unternehmung zu einem unterschiedlichen Grad) in die Position, gegenüber einer sehr ­heterogenen Staatengemeinschaft die Bedingungen beeinflussen zu können, unter denen sie bereit sind zu investieren.21 Dadurch gelingt es ihnen, sich dem Primat des Staates im ordoliberalen Sinne zu einem gewissen Grad zu entziehen. Investitionsentscheidungen erfolgen auf Seiten der Kapitalbesitzer auf Grundlage einer Gewinnerwartung. Weil diese Gewinnerwartung wiederum negativ abhängig ist von den Kosten der Investition, spielen Sozial- und Umweltstandards in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie zielen im Kern darauf ab, die negativen externen Effekte einer wirtschaftlichen Aktivität in die Kosten und somit auch in die Marktpreise der betreffenden Güter zu internalisieren, was sich wiederum teilweise in den Kosten der Investition niederschlägt und folglich die Gewinnerwartung der Kapitalbesitzer senkt.22 Eucken fasst diesen Versuch, negative externe Effekte zu internali18  Vgl. Rodrik, The globalization paradox, S. 23; Joseph E. Stiglitz, The price of inequality, New York: W. W. Norton & Co, 2012, S. 59–64. 19  Damit sollen in diesem Kontext sowohl multinational corporations (MNCs) als auch transnational corporations (TNCs) gemeint sein. Im Kern handelt es sich bei beiden um Unternehmen, deren Entscheidungen in großen Teilen von Entwicklungen des Weltmarktes getrieben sind und die sich in einem Punkt unterscheiden: Während MNCs zwar global ausgerichtet sind, jedoch nach wie vor national zugeordnet werden können, sind TNCs nicht mehr eindeutig national zuzuordnen, vgl. Hirst/Thompson, Globalization in question, S. 281, Endnote 1. Für das im Rahmen dieses Kapitels vorgetragene Argument ist diese Differenzierung jedoch von untergeordneter Bedeutung, weswegen der Einfachheit halber im Folgenden nur von multinationals die Rede sein wird. 20  In diesem Zusammenhang wird unterschieden zwischen zwei Formen von finanzieller Liberalisierung: Foreign Direct Investments, die Kapitalgüter darstellen, und die so genannte Capital Account Liberalization, d. h.: die Liberalisierung der Portfolio-Investitionen. 21  Vgl. Stiglitz, The price of inequality, S. 60. 22  Gray, False Dawn, S. 87 ff.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

sieren, unter dem Begriff der „Wirtschaftsrechnung“ zusammen:23 Eine Fa­ brik beispielsweise, die keine Rücksicht auf ihre toxischen Abfälle nehmen muss, ist deutlich billiger zu unterhalten als eine, die rechtlich dazu verpflichtet ist, hohe Produktionsstandards einzuhalten. Während im ersten Fall ein Teil der Produktionskosten auch von denjenigen mitgetragen werden, die nicht unmittelbar an einer wirtschaftlichen Aktivität beteiligt sind (irgendwann werden z. B. Anwohner krank, weil deren Trinkwasser verseucht ist), werden die Kosten im zweiten Fall in die Produktionskosten eingespeist. Sofern also die Allokation von Kapital nach den zu erwartenden Kapitalrenditen erfolgt und sofern Kapital unter geringen Kosten von einem Land ins andere transferiert werden kann, führt eine Diskrepanz von Sozial- und Umweltstandards zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften dazu, dass diejenigen Länder mit niedrigeren Standards diese als Wettbewerbsvorteil im Werben um Investitionen zu Felde führen können.24 Gerade weniger entwickelte Länder locken damit (und werden dementsprechend auch unter Druck gesetzt25), dass sie wenig bis nicht regulierte Produktions- und Fertigungsbedingungen bieten können.26 Ähnlich verhält es sich mit den verschiedenen und vor allem nicht harmonisierten nationalen Steuersystemen. Auch diese geraten aufgrund der fast vollständigen Faktormobilität von Kapital unter Druck. Auch hier verfügen besonders die Multinationals (aber nicht nur diese) über die Möglichkeit, ihre Steuerlast optimal auf verschiedene Gebietskörperschaften zu übertragen (im Rahmen von so genanntem creative accounting27). Und auch dies hat Folgen für den einzelnen Staat: Dieser gerät in einen Steuerwettbewerb mit anderen Staaten um diejenigen Steuerquellen, mithilfe derer er die von ihm zugesicherten staatlichen Aufgaben finanzieren müsste. Für eine nationalstaatlich organisierte Steuergesetzgebung bedeutet das zweierlei: Zum einen Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 301–3. Manuel Castells, Die Macht der Identität, Opladen: Leske + Budrich, 2001, S. 267–9. 25  Vgl. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 98. 26  Umgekehrt könnte man auch sagen, dass die Möglichkeit, Kapital weltweit anzulegen, dazu führt, dass Firmen bestimmte Teile ihres Produktionsprozesses in Länder ohne umfassende Umwelt- und Sozialstandards auslagern, um weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten bzw. keine Gewinneinbußen hinnehmen müssen. Vgl. Gray: False Dawn, S. 81. 27  So genanntes transfer pricing bezeichnet nur eine von vielen gängigen und häufig legale Praxen multinationaler Unternehmen, ihre Investitionen, Abschreibungen, Gewinne etc. so über die verschiedenen Gebietskörperschaften, in denen sie aktiv sind, zu verteilen, dass sie so wenige Steuern wie möglich abführen müssen, vgl. z. B. Nicholas Shaxson, Treasure Islands, London: Vintage Books, 2012, S. 11–2 und S. 20–6; Giacomo G. Corneo, New Deal für Deutschland: der dritte Weg zum Wachstum, Frankfurt am Main/New York: Campus, 2006, S. 145 ff. 23  Vgl. 24  Vgl.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus137

muss sie neben dem Erzielen von Einnahmen verhindern, dass ihr die Quellen eben dieser Einnahmen abhanden kommen. Zum anderen muss sie berücksichtigen, dass die Anforderungen an den Staat im Angesicht einer gestiegenen Kapitalmobilität ebenfalls größer werden, weil diese die sozialen und ökonomischen Instabilitäten erhöht, deren Folgen wiederum die Notwendigkeit sozialstaatlicher Abfederung verstärken.28 Castells spricht in Hinblick auf eben jenen Steuerwettbewerb von einer „neuen Finanzkrise des Staates“, die Ergebnis des dargelegten Auseinanderfallens von wirtschaftlicher Aktivität auf der einen Seite und staatlicher Regulierung auf der anderen Seite sei.29 Aus Sicht des ordoliberalen Verständnisses von Markt und Staat ergibt sich in einer Welt globalisierter Kapitalmärkte sowie globalisierter Produktions- und Investitionsketten, die in ihrer Ausprägung eine Besonderheit der Weltwirtschaftsordnung seit den 1970er Jahren ausmachen,30 eine globale Dimension des privatwirtschaftlichen Machtproblems: Multinationals stellen sich gegenüber ihren ursprünglichen „Heimatländern“ besser – vor allem gegenüber denjenigen Gebietskörperschaften, die über anspruchsvolle, ausdifferenzierte und damit für sie teure Regulierungssysteme verfügen (in der Regel die Industriestaaten). Durch die Möglichkeit sowie die damit stets einhergehende Drohung, in andere Gebietskörperschaften abzuwandern bzw. Arbeitsplätze dorthin zu verlagern, gelingt es diesen Unternehmen, Länder dazu zu bewegen, ihnen bei der Last ihrer Produktionskosten entgegenzukommen, häufig durch gezielte Subventionen oder durch eine Reduzierung ihrer Steuerlast.31 Damit entstehen aus Sicht des Staates für die öffentlich zu finanzierenden Güter drei (sich teilweise ausschließende sowie teilweise ergänzende) Konsequenzen: die betreffenden öffentlich zu finanzierenden Güter werden seitens des Heimatstaates in einem geringeren Umfang zur Verfügung gestellt, die einzelnen Staaten verschulden sich, um die Bereitstellung der Güter in gleichem Umfang zu gewährleisten, oder die Staaten gehen Corneo, New Deal für Deutschland, S. 167 ff. Castells, Die Macht der Identität, S. 260. 30  Vgl. Ingo Pies, „Globalisierung und Demokratie“, in: Globalisierung und Demokratie: Wirtschaft, Recht, Medien, hrsg. von Hauke Brunkhorst und Matthias Kettner, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, S. 64–5. 31  Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Sorge, sondern um einen empirisch eindeutig nachweisbaren Prozess. So scheint es, dass in den Jahren zwischen 1980 und 2001 die Unternehmenssteuern in allen OECD-Ländern als Folge offener Kapitalmärkte im Schnitt von 50 % auf ca. 30 % gesunken sind, vgl. z. B. Michael P. Devereux/Ben Lockwood/Michaela Redoano, „Do countries compete over corporate tax rates“, Journal of Public Economics 92 (2008): S. 1210–35; Reint Gropp und Kristina Kostial, „The Disappearing Tax base: Is Foreign Direct Investment eroding Corporate Income Taxes?“, ECB Working Paper Series No. 31 (2000); Rodrik, The globalization paradox, S. 193–4. 28  Vgl. 29  Vgl.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

dazu über, in Hinblick auf die Besteuerung zu diskriminieren und infolgedessen weniger mobile Faktoren im Verhältnis zu sehr mobilen Faktoren stärker zu besteuern, weil erstere einer Besteuerung nur unter deutlich höherem Aufwand ausweichen können als letztere.32 In ordoliberalen Begriffen ausgedrückt: Es gelingt multinationalen Unternehmen und Kapitalbesitzern in dieser Konfiguration, die staatliche Entscheidungsfindung in relevanter Art und Weise zu beeinflussen und den Staat somit, wie Rüstow es ausdrücken würde, „für ihre Zwecke auszuschlachten“. Denn ob bzw. in welchem Umfang eine bestimmte wirtschaftliche Aktivität besteuert werden soll, obliegt, zumindest zum Teil, insofern ihnen, als sie über die einseitige Möglichkeit verfügen, sich für eine andere Gebietskörperschaft zu entscheiden (z. B. bei der Wahl der Produktionsstätte, über das so genannte transfer pricing33, über die Wahl des Standortes für die Anmeldung eines Patents etc.), um damit einem betreffenden Staat auszuweichen. Und weil diese Möglichkeit asymmetrisch ist (d. h. dem Staat steht die Option, sich andere Unternehmen auszusuchen, nicht zu), kommt darin ein im Eucken’schen Sinne geartetes Machtverhältnis zum Ausdruck: ein „Ausgeliefert-Sein“ in der Beziehung von Staat als Auftragnehmer der Gesellschaft (vgl. § 1, III. 2. und § 3, III.) auf der einen Seite und Unternehmen bzw. Kapitalbesitzern auf der anderen Seite. Mit diesem Befund soll nicht impliziert werden, dass der einzelne Staat über keinerlei Mittel und Wege verfügen würde, sich gegen Multinationals zur Wehr zu setzen – zumal diese häufig von bestimmten Staaten und deren Rechtssystemen abhängig sind.34 Dennoch lässt sich zumindest in einem ersten Schritt festhalten, dass sein Spielraum kleiner ist als der, den sich Eucken im Hinblick auf das Primat des 32  Vgl. z. B. Fritz W. Scharpf, Globalisierung als Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten nationalstaatlicher Politik, MPIFG discussion paper (Köln, 1997), S.  7 ff.; Ulrich Blum, „Deutsche Einheit und Globalisierung als Herausforderungen an die Soziale Marktwirtschaft“, in: 60 Jahre Soziale Marktwirtschaft, hrsg. von Michael S. Assländer und Peter Ulrich, Bern: Haupt Verlag, 2009, S. 187 ff. In diesem Zusammenhang lässt sich auf die Tatsache verweisen, dass der Anteil der Bevölkerung, der einen Spitzensteuersatz auf ihr Arbeitseinkommen zahlt, deutlich gestiegen ist bzw. dass die Grenze, ab welcher dieser Spitzensteuersatz gezahlt werden muss, gesenkt wurde (während in 1958 der Spitzensteuersatz das 20-fache des Durchschnittseinkommens angewendet wurde, war es in 2008 nur noch das 1,5-fache) und dass zugleich die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge vom Einkommensteuersatz entkoppelt und auf 25 % gesenkt wurden. 33  Transfer pricing ist eine gängige und häufig legale Praxis multinationaler Unternehmen, ihre Investitionen, Abschreibungen, Gewinne etc. so über die verschiedenen Gebietskörperschaften, in denen sie aktiv sind, zu verteilen, dass sie so wenige Steuern wie möglich abführen müssen, vgl. z. B. Shaxson, Treasure Islands, S. 11–2 und S. 20–6, sowie Corneo, New Deal für Deutschland, S. 145 ff. 34  Vgl. Hirst/Thompson, Globalization in question, S. 272–4.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus139

Staates vorgestellt hatte und demzufolge der starke Staat den „fast vollständig entmachteten“ Unternehmen gegenüberstehen sollte.35 Ähnlich verhält es sich mit global agierenden privatwirtschaftlichen Akteuren gegenüber dem „Ausland“ (aus Sicht eines einzelnen Staates aus dem Rest der Welt). Im besonderen sind hiervon Länder und Regionen betroffen, die im Vergleich zu Industriestaaten über schwache Regulierungsmechanismen verfügen und Unternehmen aus anderen Ländern damit die Möglichkeit verschaffen, ihre Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe der dort niedrigen Sozialund Umweltstandards zu erhöhen. Weil weniger entwickelte Länder dabei in besonderem Maße von ausländischen Investitionen abhängig sind, verringert sich deren Möglichkeit sowie deren Fähigkeit, sich dem Wunsch von ausländischen Investoren zu widersetzen.36 Für diese Länder und deren Bevölkerung hat dies unter anderem zur Folge, dass sie zahlreiche Produktionsschritte, die in Ländern mit hohen Standards deutlich teurer wären (oder in einigen Fällen nicht mehr durchgeführt werden dürften), übernehmen. Und weil die niedrigen Sozial- und Umweltstandards wiederum ein Bestandteil der Unternehmensentscheidungen bilden, dort überhaupt zu investieren und zu produzieren, tragen die Bevölkerungen dieser Länder auch überdurchschnittlich an den hohen Lasten der negativen Effekte einer global organisierten Produktion.37 Es gilt damit für alle Staaten gleichermaßen (sowohl für die reicheren als auch die ärmeren), dass sie im Angesicht eines integriertes Kapitalmarktes 35  Dieses Phänomen kann auch auf nationaler Ebene beobachtet werden. So wird beispielsweise die Produktion des B-2 stealth bombers in den USA auf so viele Staaten wie möglich verteilt, damit kein Mitglied im US-Kongress einen Anreiz hat, gegen die Fortführung des Projektes zu stimmen, weil die Produktion niemals nur von einzelnen Staaten abhängig sei. Umgekehrt jedoch gilt: jeder Staat habe einen Anreiz, die Arbeitsplätze zu schützen, die bei einem „Fehlverhalten“ im Kongress ganz verloren gingen, vgl. Chalmers Johnson, „The Military-Industrial Man“, in: Dismantling the empire, New York: Metropolitan Books, 2010, S. 148. 36  Interessanterweise deuten Analysen bezüglich des Potenzials wirtschaftlicher Entwicklung daraufhin, dass für Entwicklungsländer gerade am Anfang ihrer Entwicklung besonders wichtig ist, regulativ und bisweilen restriktiv mit Auslandsinvestitionen umzugehen, um sich nicht den Volatilitäten des globalen Kapitalmarktes auszusetzen. Besonders Länder wie China und Chile sind hierfür ein häufig angeführter Beleg, vgl. Stiglitz, „Capital Markte Liberalization, Economic Growth, and Stabil­ ity“, S.  1082 ff. 37  Ein Beispiel hierfür ist China, das in vielen Dimensionen eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung genommen hat, indem es seine Wirtschaft auf die Produktion sowie die Fertigung für das Ausland fokussiert hat und dadurch in erheblichem Maße unter den Umweltschäden dieser Strategie leide, vgl. Taube, „Wirtschaftliche Entwicklung und ordnungspolitischer Wandel in der VR China seit 1949“, in: Länderbericht China, hrsg. von Doris Fischer und Michael Lackner, Bonn: bpb, Bundeszentrale für Politische Bildung, 2014, S. 661 ff.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

Strategien finden müssen, sich der Mobilität des Kapitals anzupassen – sei es über eine Reduzierung bzw. ein Niedrighalten von Sozial- und Umweltstandards oder über eine Reduzierung der Steuerlast für Unternehmen und Besitzer von Kapital.38 Das bedeutet, dass die nationalstaatlich konfigurierten Mechanismen zur Internalisierung von negativen externen Effekten (das, was Eucken „Wirtschaftsrechnung“ nannte) oder zur Korrektur „des Verteilungsprozesses innerhalb der Wettbewerbsordnung“ (wie Eucken die progressive Steuer nennt) nicht optimal funktionieren können, sofern sie sich unabhängig von dem spezifischen Willen eines einzelnen Staates an den partikularen Interessen von global aufgestellten Unternehmen ausrichten müssen. Und auch wenn man in diesem Zusammenhang nicht die pessimistischste aller Prognosen bezüglich der weiteren Entwicklung des Weltmarktes teilt (wie z. B. die von John Gray, demzufolge es irgendwann gar keine sozialen Standards mehr geben werde39), folgt daraus: Der einzelne Staat verfügt in geringerem Maße über das Primat des Handelns, als dies Eucken bei seiner Konzeption des starken Staates vorgeschwebt hat. Denn der Nationalstaat ist nicht dazu in der Lage, diejenigen Prinzipien, die Eucken als „regulierende Prinzipien“ bezeichnet hat (z. B. die Wirtschaftsrechnung zur Internalisierung externer Effekte oder Steuerpolitik zur sozialen Korrektur des Verteilungsprozesses) und die eine formal strukturierte Rechts- und Wirtschaftsordnung erhalten sollen, zu realisieren. Um diesen Zusammenhang erneut in den Worten Foucaults auszudrücken: Auf einem globalen Markt bei vollkommener Freiheit des Kapitalverkehrs sowie zugleich größtenteils nationalstaatlich konfigurierter Regulierungssystemen müssen Staaten, zumindest sofern sie als einzelne Staaten auftreten, „auf Veranlassung des Marktes“ regieren – und nicht „für den Markt“.40 2. Hyperglobalization41 und „Ordo“ Unabhängig davon, ob man die Folgen eines integrierten Weltmarktes in der Summe als positiv erachtet, oder ob man der Auffassung ist, dass ein Wettbewerb zwischen den verschiedenen Staaten und Regulierungssystemen langfristig für alle Marktteilnehmer von Vorteil ist, stellt die derzeitige Struk38  Vgl. z. B. Eckhard Janeba, „Tax Competition When Governments Lack Commitment: Excess Capacity as a Countervailing Threat“, American Economic Review Volume 90, Nr. 5 (2000): S. 1508–19. 39  John Gray spricht in diesem Zusammenhang von dem „New Gresham’s Law“, wonach sich langfristig diejenige Form des Kapitalismus durchsetzen werde, die externe Produktionskosten nicht berücksichtigen müsse, vgl. Gray: False Dawn, S. 78– 81. 40  Vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 174. 41  Vgl. Rodrik, The globalization paradox, S. 187 ff.



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tur der Weltwirtschaftsordnung eine globale Version dessen dar, was Eucken als Laissez-faire oder als „Pluralismus“ bezeichnet hatte (vgl. § 4, II.). Denn die dargelegten Beispiele der Möglichkeiten für bestimmte Unternehmen, Sozial- und Umweltstandards zu umgehen sowie übermäßige Besteuerungen zu vermeiden, bringen eine Konstellation zum Ausdruck, in der ein einzelner Staat seiner naturrechtlich gebundenen Zielsetzung, privatwirtschaftliche Macht erfolgreich zu bekämpfen oder gar zu zerstören, nicht in dem Umfang gerecht werden kann, der von Eucken im Rahmen seines Verständnisses von Ordnungspolitik vorgesehen war. Denn der Nationalstaat, von dem ausgehend Eucken argumentiert, verfügt im Angesicht global integrierter Volkswirtschaften nicht über die Machtposition eines im ordoliberalen Sinne starken Staates (unter Einsatz einer, wie Eucken schreibt, „wirklichen Selbstständigkeit seines Willens“). Vielmehr muss er die globale Wirtschaftsordnung, von der er selber zugleich ein essentieller, wenngleich kleiner Bestandteil ist, als gegeben annehmen und deren Realisierung infolgedessen zu einem gewissen Grad den „Privaten überlassen“.42 Die skizzierten Herausforderungen in Hinblick auf das Verhältnis von zumeist nationalstaatlich konfigurierter Regulierung und global agierenden ökonomischen Akteuren bezeichnet Rodrik – mit durchaus negativer Konnotation – als hyperglobalization und als eine Spielart des Laissez-faire.43 Dahinter steckt die exemplarisch anhand des Steuerwettbewerbs sowie der Vermeidung von Sozial- und Umweltstandards dargelegte Analyse, wonach die globalen Güter- und Finanzmärkte zwar in weiten Teilen integriert seien, jedoch nicht von annähernd so starken Institutionen reguliert würden, wie dies auch aus Euckens Sicht erforderlich wäre. Denn, so Rodrik: „There is no global antitrust authority, no global lender of last resort, no global regulator, no global safety net, and, of course, no global democracy. […] global markets suffer from weak governance.“44 Im großen und ganzen kommt in 42  Für Dani Rodrik gilt in diesem Zusammenhang: „The menu captures the fundamental political trilemma of the world economy: we cannot have hyperglobalization, democracy, and national self-determination all at once. We can have at most two out of three.“ Rodrik, The Globalization Paradox, S. 200. In gewissem Sinne lässt sich auch das Zusammenbrechen von Bretton Woods im Jahr 1971 in genau diesem Kontext deuten. Denn der Versuch, die Globalisierung staatlich zu regulieren, scheiterte auch daran, dass sich ein signifikanter Teil der globalen Entwicklung außerhalb dieses Systems abspielte und dass die USA kein weiteres Interesse an der regulierenden Wirkung dieser Institution hatten, vgl. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 96, sowie Fred Halliday, „Global Governance: Prospects and Problems“, Citizenship Studies 4, Nr. 1 (Februar 2000): S. 23. 43  Der Begriff „hypergloablists“ taucht so zum ersten Mal in einer Kategorisierung David Helds auf, vgl. Held et al., Global Transformations, S. 10. 44  Rodrik, The Globalization Paradox, S. xvi. An anderer Stelle schreibt er zur hyperglobalization weiter: „Can nation states exist in such a world? Only if they fo-

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

dieser Beschreibung ein Phänomen zum Ausdruck, das Grimm als „post-sov­ ereignty“ bezeichnet hat, und demzufolge der einzelne Nationalstaat nicht dazu in der Lage ist, seine Regulierungsabsichten in vollem Maße umzusetzen, jedoch zugleich auch von keiner supra-nationalen Institution in seiner Funktionsfähigkeit angemessen ersetzt werden kann.45 Damit geht eine weitere strukturelle Eigenschaft eines integrierten Weltmarktes einher, die überhaupt erst die Relevanz für eine Anwendung der Eucken’schen Terminologie auf die Struktur des Weltmarktes schafft: Die Entscheidungen einzelner Akteure – nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Staaten – haben über die globale ökonomische Interdependenz mindestens mittelbare, wenn nicht sogar unmittelbare Auswirkungen auf alle anderen Staaten und Akteure auf dem Weltmarkt. Und auch diesbezüglich dürfte, wie bei jedem Markt, gelten: je schwächer ein Akteur auf einem Markt ohne zentrale Staatlichkeit und Regulierung ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass andere Länder und Unternehmen ihren ökonomischen Vorteil auf dessen Kosten realisieren können. Ob dies dabei bewusst in Kauf genommen wird, sich eher um ein zufälliges Nebenprodukt einer ansonsten „legitimen“ Handlung handelt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. David Held spielt auf genau diesen Punkt in Hinblick auf die Grenzen nationalstaatlicher Souveränität und Demokratie an, wenn er schreibt: The modern theory of the sovereign state presupposes the idea of a ‚national community of fate‘ – a community which rightly governs itself and determines its own future. This idea is challenged fundamentally by the nature of the pattern of global interconnections and the issues that have to be confronted by a modern state. National communities by no means exclusively ‚programme‘ the actions, decisions and policies of their governments and the latter by no means simply determine what is right or appropriate for their own citizens alone. Any simple assumption in democratic theory that political relations are or could be ‚symmetrical‘ or ‚congruent‘ is wholly unjustified.46

Für die Wirtschaftspolitik heißt das: Jede Regulierungsentscheidung, die vielleicht sogar mit der Absicht getroffen wird, ökonomische Machtverhältnisse zu verändern oder negative externe Effekte angemessen einzupreisen, hat mittelbare, in vielen Fällen sogar auch unmittelbare Implikationen für cus exclusively on economic globalization and on becoming attractive to international investors and traders […] The only service provided by governments would be those that reinforce the smooth functioning of international markets.“ Rodrik, The Globalization Paradox, S. 200–1. 45  Vgl. Grimm, Souveränität, S. 11 und S. 98. Hierfür verweist Dieter Grimm auf MacCormik, der diesen Begriff eingeführt und in diesem Zusammenhang zu einer Unterscheidung in verschiedene Ebenen von Souveränität rät, vgl. Neil MacCormick, Questioning Sovereignty, Oxford: Oxford-Univ.-Press, 1999, S. 123 ff. sowie S. 133 ff. 46  David Held, „Democracy, the Nation-State and the Global System“, Economy and Society 20, Nr. 2 (1991): S. 142.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus143

alle anderen Weltmarktteilnehmer. Und das wiederum kann im Rahmen eines Weltmarktes bei gleichzeitiger nationalstaatlicher Regulierung unter Umständen paradoxe (oder auch erwünschte) Folgen haben: Je mehr z. B. ein einzelner Staat versucht, seine eigene Bevölkerung vor einem Phänomen wie dem der Umweltverschmutzung zu schützen, desto eher werden die davon betroffenen Unternehmen versuchen, in Länder auszuweichen, in denen die Unternehmen in der Summe weniger Regularien befolgen müssen, als dies davor der Fall gewesen war. Auch wenn Staaten also de jure dazu in der Lage sein mögen, im Zuge formaler Rechtsakte Entscheidungen über ihr Territorium zu treffen, kann dies dennoch dazu führen, dass die von solcher Rechtsschaffung betroffenen Unternehmen genau jene Ordnungen faktisch reproduzieren, die ihnen in ihren Heimatländern verwehrt wurden.47 Und diese Funktionsweise entspricht wiederum genau dem, was Eucken unter einer Laissez-faireOrdnung verstanden hat: eine Situation, in der bestimmte Firmen- und Konzernstrukturen Akteure dazu ermächtigen, als „Private“ die „faktische Wirtschaftsordnung“ jenseits staatlicher Eingriffsmöglichkeiten mitzugestalten. Zwar mögen die sozialen und ökonomischen Kosten als Folge einer stärkeren lokalen Regulierung aus Sicht des einzelnen Staates nicht mehr unmittelbar sichtbar sein. Aus globaler Sicht jedoch sind sie vor allem verschoben worden. Und das kann sich in einem nächsten Schritt auch für denjenigen Staat negativ auswirken, von dem die verstärkte Regulierungsabsicht ursprünglich ausgegangen ist. Denn es gibt wenig Anlass anzunehmen, dass die negativen Externalitäten, die man als einzelner Staat vermeintlich aus der eigenen Gebietskörperschaft verbannt hat, nicht irgendwann wieder auf die eigene Bevölkerung zurückfallen (wie z. B. der Klimawandel als Folge von CO2Emissionen), weil dieser als einzelner Akteur nur eine kleine Teilmenge des gesamten Weltmarktes ausmacht. Auf einem Weltmarkt lässt sich infolgedessen nicht vermeiden, was Eucken in Bezug auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts diagnostiziert hatte und was Gray analog dazu über das globale Laissez-faire und die hyperglobalization aussagt: die Volatilität und die Instabilität einer Gesellschaft würden dadurch erhöht, dass keine zentrale Staatlichkeit über die Fähigkeit verfüge, die auf jedem Markt inhärenten Tendenzen, jene Institutionen zu zerstören, die dieser für seine Funktionsfähigkeit eigentlich benötigt, entgegen47  Als Beispiel hierfür ließe sich ein Problem der deutschen bzw. europäischen Klimapolitik anführen, das Hans-Werner Sinn mit dem Begriff des „grünen Paradoxons“ versehen hat. Demzufolge führe der – durchaus gut gemeinte – Fokus auf die Reduktion des Verbrauchs fossiler Brennstoffe zu einem weltweiten Preisverfall, der wiederum die globale Nachfrage nach fossilen Brennstoffen erhöhe und in der Summe zu einem steigenden CO2-Ausstoss führe, vgl. Hans-Werner Sinn, „Das grüne Paradoxon: Warum man das Angebot bei der Klimapolitik nicht vergessen darf“, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 9 (2008): S. 115 ff.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

zuwirken.48 Dabei kontrastiert Gray jene Analyse des Weltmarktes mit dem, was er unter dem ordoliberalen Begriff von „Markt“ bzw. unter den Bedingungen seiner Realisierung versteht, und schreibt in diesem Zusammenhang The philosophy of Ordo-liberalism […] views market freedoms as legal and social artefacts, not as fundamental human rights. It understands a market economy not as a state of natural liberty produced by deregulation, but as a subtle and complex institution, which needs recurrent reform if it is to be kept in good repair. In this economic philosophy market economies are not free-standing entities; they are extensions of core institutions such as the local community and the democratic state.49

Im Kern komplementieren sich die dargelegten Analysen Helds, Rodriks und Grays (ohne dass die Konsequenzen, die sie im Einzelnen daraus ziehen, identisch wären) und bringen ein Verhältnis von einzelnem Staat zu globalen wirtschaftlichen Akteuren zum Ausdruck, das zentrale Aspekte des von Castell eingeführten Begriffes des „Netzwerkstaates“50 aufweist. Demzufolge würden einzelne Staaten in einer internationalen Ordnung maximal Knotenpunkte der Macht darstellen. Sie seien jedoch im Sinne der Souveränitätslehre nicht ordnungsgebend, sondern vielmehr ordnungsnehmend. Genau damit ist abermals der Bogen zu Grimms eingangs erwähntem Begriff der „post-sovereignty“ geschlagen. Zwar sind die einzelnen nationalen Ordnungen, zumindest formal-rechtlich gesehen, territorial konsolidiert. Weil jedoch alle staatlichen Entscheidungen als Teil grenzübergreifender Netzwerke zu verstehen sind, durch welche ein Staat sowohl selber Einfluss auf globale Entwicklungen nehmen kann sowie zugleich von zahlreichen anderen Entscheidungen abhängig ist, ist im Sinne Euckens von einer faktischen Wirtschaftsordnung auszugehen, die nicht deckungsgleich ist mit den formal strukturierten Ordnungsgrundsätzen nationalstaatlicher Regulierung. Mit anderen Worten, die soziale Volatilität und politische Instabilität, die für Eucken eine Kerneigenschaft der Laissez-faire-Ordnung darstellte und bei der die faktische Wirtschaftsordnung und die Ordnungsgrundsätze wegen wirtschaftlicher Machtgruppen auseinanderfallen, ist (in unterschiedlicher Größenordnung) ein virulentes Problem der Nationalstaaten, sofern diese bzw. ihre jeweilige Bevölkerung in den Weltmarkt integriert sind. Damit ist in einem ersten Schritt eine zentrale Herausforderung für den ordoliberalen Staatsbegriff vor dem Hintergrund eines real existierenden Weltmarktes skizziert. Die globale pluralistische Herrschaft, die in Euckens Überlegungen, wenn überhaupt, nur als exogene Variable gedacht wurde (und Carl Schmitt zufolge sogar einen essentiellen Bestandteil einer interna48  Gray,

False Dawn, 70. False Dawn, 94. 50  Vgl. Castells, Die Macht der Identität, S. 324. 49  Gray,



§ 5  Euckens Ordoliberalismus145

tionalen Ordnung darstellt),51 ist im Zuge globaler Verknüpfungen und Interdependenzen ein aus Sicht des einzelnen Staates endogenes Problem. Denn intern und extern bzw. Inland und Ausland sind im Angesicht eines integrierten Weltmarktes und den damit einhergehenden Wirkungsketten bei gleichzeitiger Abwesenheit globaler Staatlichkeit bzw. einer globalen Regulierungsbehörde nicht so voneinander zu trennen, wie dies in Euckens Begrifflichkeit angelegt ist. Sie stehen über die globalen Verknüpfungen von Produktion, Konsumption und Investition mindestens in einer mittelbaren Beziehung zueinander, häufig in einer unmittelbaren. Weil auf Ebene des einen relevanten Marktes, des Weltmarktes, genau jene Zuspitzung von Macht im Sinne einer strukturellen Über- und Unterordnung staatlicher Autorität fehlt, die einen Staat überhaupt erst zu einer souveränen Einheit werden lässt und die für Eucken zugleich Lösung sowie Gegenstück zur pluralistischen Herrschaft darstellt (vgl. § 3, II.),52 kommt es unweigerlich zu negativen Rückkopplungen globaler Märkte, denen sich der einzelne Staat als – relativ gesehen – kleiner und vor allem ordnungsnehmender Akteur nicht entziehen kann. Die Interessen, die er regulieren, kanalisieren oder möglicherweise zerstören müsste, können sich ihm entziehen und bringen genau darin seinen, wie Eucken sagen würde, „Autoritätsverlust“ zum Ausdruck. Ohne eine „ordnende Potenz“, die in ihrer Entscheidungsfähigkeit dem Weltmarkt übergeordnet sein müsste, um durch Anwendung der „regulierenden Prinzipien“ die selbstzerstörerischen Tendenzen des Marktgeschehens einzudämmen und die Ökonomie damit zu ihrer naturrechtlichen Funktion kommen zu lassen, weist die globale Wirtschaft genau jene Struktur auf, die für Eucken die Instabilität und die Verwerfungen des Laissez-faire im 19. und frühen 20. Jahrhundert ausmachte. Denn, so ließe sich Eucken auch in Hinblick auf den Weltmarkt aussagen: „die ‚unsichtbare Hand‘ schafft nicht ohne weiteres Formen, in denen Einzelinteresse und Gesamtinteresse aufeinander abgestimmt werden.“53 51  Vgl. Schmitt, „Staatsethik und pluralistischer Staat“, S. 38.: „Die Pluralität der Staaten, d. h. der politischen Einheiten der verschiedenen Völker, ist demnach der echte Ausdruck eines richtig verstandenen Pluralismus. Internationale Ordnung ist qua definitionem pluralistisch.“ 52  Vgl. dazu auch: Held, „Democracy, the Nation-State and the Global System“, S. 161.: „the international order today is characterized by both the persistence of the sovereign states system and the development of plural authority structures.“ 53  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 360. David Held kommt im Rahmen seiner Analyse über die Schwierigkeit bei der Etablierung internationaler Privatrechtsverhältnisse zu einer Schlussfolgerung, die aus seiner Sicht eine Besonderheit der internationalen Ordnung nach dem 2. Weltkrieg ausmache und eine Ursache des globalen Laissez-faire darstelle: „The focus of the liberal international order is on the curtailment of the abuse of political power, not economic power. […] Its conceptual resources and leading ideas do not suggest or push toward the pursuit of self-determi-

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

Damit ist skizziert worden, warum der Weltmarkt Eigenschaften aufweist, die unter Anwendung der Terminologie Euckens als Laissez-faire bezeichnet werden müssen. Was sich aus dieser Analyse allerdings nur zum Teil ableiten lässt, ist eine Antwort auf die Frage, ob die hier bereits implizit angenommene globale Perspektive auf den Weltmarkt überhaupt die angemessene Perspektive für die dargelegte Diagnose darstellt. Anders gefragt: Wessen Interesse, um in der Begrifflichkeit Euckens zu bleiben, gilt es im globalen Kontext als Teil des legitimen Gesamtinteresses anzunehmen? Handelt es sich dabei nur um die Interessen derjenigen Bevölkerungen, welche die einzelnen Staaten jeweils repräsentieren? Dann wäre die internationale und globale Dimension des Ordnungsproblems ausschließlich in Hinblick auf ihre Folgen für die heimische Bevölkerung jedes einzelnen Staates relevant. Oder zwingt uns die Existenz eines integrierten Weltmarktes dazu, die Perspektive der ordoliberalen Fragestellung grundsätzlich zu verschieben? Dann wären die Nationalstaaten normativ gesehen dazu verpflichtet, eine globale Ordnungskonzeption anzustreben, um dann in Hinblick darauf die konkreten Herausforderungen zu definieren, die das für den Nationalstaat und seine Rechtsverhältnisse haben würde. Im Kern kommt damit die Frage über eine zentrale Richtungsentscheidung nationalstaatlicher Politik im Angesicht global integrierter Kapital- und Gütermärkte zum Ausdruck – eine Frage, die Goldschmidt und Blümle wie folgt formuliert und dabei unbeantwortet gelassen haben: „Sollen die Strukturen der Weltwirtschaft einem internationalen Wettbewerb (der Ordnungen) überlassen werden oder sollte ein einheitliches internationales Ordnungskonzept angestrebt werden?“54 Anders formuliert: Welche Zielvorstellung sollte nationalstaatlich geprägte Politik aus ordoliberaler Sicht aus der Analyse ableiten, dass der Weltmarkt Eigenschaften eines Laissez-faireMarktes aufweist? II. „Ordo“ in globaler Perspektive Die Grundlage des Ordoliberalismus bildet ein universalistisches Naturrecht (vgl. § 2). Davon ausgehend zeigt sich, dass der Ordoliberalismus vor allem als globale, und nicht als nationale Fragestellung verstanden werden muss – zumindest insofern, als dies der wirtschaftliche Alltag erfordert. Für den Kontext der globalen Ordnungsfrage heißt das: Euckens „Gesamtinte­ nation and autonomy in the economic domain.“ David Held, „Law of States, Law of Peoples“, Legal Theory Volume 8, Nr. 1 (2002): S. 22. 54  Nils Goldschmidt/Gerold Blümle, „Zur Aktualität der Euckenschen Ordnungsethik für eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft“, in: Freiburger Schule und die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft, hrsg. von Viktor Vanberg, Thomas Gehrig, und Dieter K. Tscheulin, Berlin: BWV, Berliner Wissenschafts-Verlag, 2010, S. 27.



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resse“ als nationales Interesse zu definieren, wäre unter Verwendung von Euckens eigener Terminologie nur insofern zulässig, als die Welt aus perfekt oder zumindest annähernd perfekt konsolidierten Nationalstaaten bestehen würde, deren Einfluss aufeinander vernachlässigbar wäre. Durch die Interdependenzen globaler ökonomischer Netzwerke jedoch erweitert sich auch die normative Ausrichtung nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik. Der Ordoliberalismus läuft vor diesem Hintergrund auf eine im Kern kosmopolitische Agenda hinaus. Die Überwindung eines globalen Laissez-faire-Marktes zugunsten einer globalen Ordnung bildet folglich eine zusätzliche Zielfunktion aller nationalen Staatlichkeit. 1. Die ordoliberale Globalisierungsbedingung Unter den Bedingungen global integrierter Kapital- und Gütermärkte sollte, um die von Goldschmidt und Blümle noch nicht beantwortete Frage zu adressieren, ein einheitliches internationales Ordnungskonzept angestrebt werden. Denn jeder Staat und jede politische Gemeinschaft (ob als Einzelstaat oder als Weltstaat) trägt als unmittelbare Folge der naturrechtlichen Verankerung von Euckens Ordoliberalismus gegenüber allen denjenigen Individuen Verantwortung, die Teilnehmende am Weltmarkt sind und infolgedessen mindestens mittelbar von der Gesamtheit der Entscheidungen im Rahmen globaler ökonomischer Interdependenz betroffen sind. Das ist die ordoliberale Bedingung des Weltmarktes, die infolgedessen in der ordoliberalen Globalisierungsbedingung mündet, wonach eine Ausweitung ökonomischer Verflechtung nicht mit einer Zunahme ökonomischer Machtkonzentration einhergehen dürfte – ganz gleich, wo diese anfällt. Um sich dem Problemkomplex der internationalen Ordnung aus ordoliberaler Sicht anzunähern, gilt es in einem ersten Schritt auf die problematische Konzeption des Staates in der Ordnungspolitik Euckens einzugehen. Denn wie genau man von einer naturrechtlichen Bedingung des Einzelnen zu einem allen Individuen und Akteuren übergeordneten Staatsapparat, der die Formen des wirtschaftlichen Alltages bestimmt und definiert, gelangt, bleibt bei Eucken weitestgehend unbeantwortet.55 Hinzu kommt, dass Euckens Verständnis von Staat – trotz seiner begrifflichen Anlehnung an Carl Schmitt (vgl. § 4, II.) – vor allem als funktionalistisch und infolgedessen auch als kontingent in Hinblick auf eine gegebene Gesellschaft zu verstehen ist (vgl. 55  Uwe Runge spricht infolgedessen z. B. davon, dass es sich bei Euckens Ordnungspolitik um nichts weiter als den gewaltsamen Versuch handeln würde, eine prinzipiell wertfreie Erkenntnis zu einer normativ begründeten Ordnung zu überführen, vgl. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 58.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

§ 3, III.).56 In dieser Vorstellung Euckens kommt die weitreichende Annahme zum Tragen, dass nicht nur staatliche Handlungskompetenzen von Anfang an begrenzt werden müssen, sondern dass auch der Staat an sich einer Legitimation bedürfe, die er nicht aus sich selber heraus ziehen dürfe.57 Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass Individuen, vermittelt durch die – wie Franz Böhm sie nennt – Privatrechtsgesellschaft, einen Staat heranziehen, um ihn infolgedessen auf die Stabilisierung ihrer Verhältnisse hin auszurichten. Und weil ökonomische Interaktion und Interdependenz dabei die äußeren Bedingungen aller Versuche schlechthin darstellen, die individuellen Dispositionen des Einzelnen zu vervollkommnen, kann die einzig legitime Zielsetzung des Staates nur darin liegen, das Natürliche dieser Verhältnisse zu realisieren (vgl. § 1, III. 3.) – indem genau dasjenige vom Staat zum Vorschein gebracht wird, was ansonsten droht, durch Machtstrukturen verloren zu gehen (vgl. § 3, III.). An genau diesem Punkt zeigt sich, dass man im Rahmen von Euckens Ökonomiebegriff den Ausgangspunkt der Ordnungsfrage nicht unabhängig von der konkreten historischen Situation mitsamt ihrer ökonomischen Rahmenbedingungen und konkreten Interdependenzen wählen kann. Darauf gibt bereits die Ausgangsfrage der Eucken’schen Ordnungstheorie einen Hinweis. Sie lautet: „Wie erfolgt die Lenkung dieses gewaltigen arbeitsteiligen Gesamtzusammenhangs, von dem die Versorgung jedes Menschen mit Gütern, also jedes Menschen Existenz, abhängt?“58 Zum einen lässt diese Fragestellung keine andere als eine für alle Menschen gültige Antwort zu, die Eucken in expliziter Ablehnung des Historismus59 auch liefert.60 Zum anderen trägt diese Fragestellung schon die potenziell globale Dimension des normativen Anspruchs der konkret zu realisierenden Staatlichkeit in sich. Denn wenn man im Zuge der Untersuchung, die Eucken hier vorschwebt, zu dem Ergeb56  In genau diesem Sinne wurde der häufig nach Eucken zitierte Satz zur Zielfunktion des ordoliberalen Staates dargelegt: Nur so lässt sich Eucken verstehen, wenn er schreibt: „Wir erzwingen nichts, sondern wir bringen zur Entfaltung, was […] in der Wirklichkeit da ist. […] Mit der Politik der Wettbewerbsordnung oktroyiert der Staat nicht eine Wirtschaftsordnung, sondern er bringt zur Geltung, was sonst durch andere Tendenzen zurückgedrängt wurde.“ Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 374. 57  Auf diesen Punkt hat vor allem Foucault hingewiesen, vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 125–6. 58  Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 2. 59  Vgl. z. B. Eucken, „Die Überwindung des Historismus“; Böhm/Eucken/Großmann-Doerth, „Unsere Aufgabe“, S. XIII–XVI. 60  Jeder Mensch („überall und zu jeder Zeit“) handele folglich auch nach einem Plan und immer auch nach dem wirtschaftlichen Prinzip, denn, so Eucken: „[D]er homo sapiens handelt überall und zu allen Zeiten nach dem wirtschaftlichen Prinzip.“ Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 213.



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nis gelangen sollte, dass der Weltmarkt den relevanten Rahmen setzt, von dem aus man den „gewaltigen Gesamtzusammenhang“ der wirtschaftlichen Alltags zu verstehen habe, und wenn gleichzeitig gilt, dass alle Menschen, sofern sie Menschen sind, nach den gleichen Handlungsprinzipien handeln, die wiederum den zentralen normativen Bewertungsmaßstab für die Definition legitimer staatlicher Herrschaft bilden, dann lässt sich bereits aus diesen beiden Prämissen folgern: Die Notwendigkeit staatlicher Regulierung wird in Hinblick auf die Grenzen der konkret zu ordnenden Gesellschaft als eine Funktion der konkret gegebenen ökonomischen Interdependenz gedacht werden müssen. Ansonsten müsste Eucken – zumindest implizit – ein weiteres Kriterium entwickeln, nach dem sich differenzieren ließe, wem z. B. mehr bzw. weniger wirtschaftliche Macht zugemutet werden kann oder wer einen Anspruch auf den Schutz durch den starken Staat stellen kann – und wer nicht.61 Doch genau eine solche Differenzierung nimmt Eucken nicht vor und trennt damit den staatlichen Ordnungsrahmen – vielleicht eher unbewusst als bewusst – von einer bereits gegebenen Substanz oder feststehenden Einheit wie der „Nation“ oder dem „Staatsvolk“.62 In Hinblick auf das globale Laissez-faire bedeutet das: Wenn es sich begründen lässt, dass der Weltmarkt genau jenes historisch kontingente Faktum ausmacht, das als Ausgangspunkt zu wählen ist, um den wirtschaftlichen Alltag in seiner Gesamt61  An einer durchaus relevanten Stelle in den Schriften Böhms gibt es einen Verweis auf die vor allem nationale Dimension von Ordnungspolitik. Dort schreibt er, dass es „von großer Wichtigkeit“ sei, „daß die Ordnung der Wirtschaft als das erkannt wird, was sie ist, nämlich als eine politische Verfassung des nationalen Wirtschaftslebens von öffentlich-rechtlichem Charakter, als inhaltlich bestimmte, feierliche Entscheidung eines bewußten politischen Willens.“ Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung, S. 53. Auch Rieter und Schmolz weisen darauf hin, dass der Ordoliberalismus der frühen 1940er Jahre von einer Volksgemeinschaft als Grundlage für den starten Staat ausgegangen sei. Nichtsdestoweniger lässt sich diese Prämisse nicht unmittelbar aus dem ursprünglichen Argument Euckens ableiten, wonach der Mensch von Natur aus in der Gemeinschaft lebe – eine Annahme, die bereits im Verlauf der 1940er Jahre ihren Charakter zu verändern scheint, vgl. Rieter/Schmolz, „The ideas of German Ordoliberalism 1938– 45“, S. 104 und S. 106–8. 62  Vgl. dazu: Brunkhorst, Das doppelte Gesicht Europas, S. 62–3 und S. 67., der als ausgewiesener Kritiker Euckens sowie des Ordoliberalismus darauf hinweist, dass Eucken zumindest eine wichtige Errungenschaft erzielt habe: den deutschen Nationalstaat nach 1945 von Anfang an zugunsten einer europäischen Wirtschaftsordnung aufgegeben zu haben – zu einem Zeitpunkt, als die Verzahnung und die Interdependenz der europäischen Volkswirtschaften deutlich weniger weit fortgeschritten war, als dies heute auf globaler Ebene der Fall ist. Das jedoch, und darin ist Hauke Brunkhorst vor allem ein Kritiker des Ordoliberalismus, habe nur durch eine „Entdemokratisierung“ der Wirtschaft passieren können, indem das Rechtssystem auf die Funktion als „Immunsystem der Marktwirtschaft“ und nicht der Gesellschaft reduziert worden sei.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

heit zu verstehen und im Sinne der Ordnungstheorie nachzuvollziehen, muss genau jener Weltmarkt im Zuge der Verschmelzung von Positivität und Normativität im Rahmen der ordoliberalen Begrifflichkeit (vgl. § 1 und § 2) eben jenen Rahmen bilden, von dem aus die Ordnung einer Wirtschaft als im ordoliberalen Sinne legitim bezeichnet werden kann – oder nicht. Sofern man also das naturrechtliche und damit universalistische Fundament des Ordoliberalismus anerkennt, muss man auch die Implikationen der Ordnungspolitik den Grenzen der „Container-Theorie“ entheben, welche Ulrich Beck zufolge ein problematisches Erbe der Sozialwissenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts zum Ausdruck bringt: dass die Gleichsetzung von „Gesellschaft“ und „Nationalstaat“ bereits die empirischen Kategorien der eigentlich erst zu vollziehenden Beobachtungen vorwegnehmen und folglich ex ante beeinflussen würden.63 Konkret heißt das, sobald es sich also als nicht ausreichend herausstellen sollte, die Beschreibung des wirtschaftlichen Alltags aus Sicht national souveräner Staaten bzw. national konfigurierter Gesellschaften zu unternehmen, reicht es auch nicht aus, die normative Ordnung der Wirtschaft ausschließlich auf diese geschlossenen Einheiten hin zu konzipieren.64 Zwar mag ein nationalstaatlicher Ansatz seine Berechtigung haben, wenn die einzelnen Staaten als vollständig konsolidiert anzusehen sind, oder wenn ein einzelnes Land über den reinen Handel hinaus keinerlei Beziehungen zu einem anderen Land hat und die eigenen Handlungen nachweislich keinen Einfluss auf die ökonomischen Bedingungen anderer Menschen haben – so wie Fichte dies vielleicht im Rahmen seines „geschlossenen Handelsstaates“ vorschwebte.65 Sind diese Bedingungen jedoch nicht gegeben,66 stellt sich im Rahmen einer naturrechtlichen Argumentations63  Vgl. Ulrich Beck, Was ist Globalisierung?, 2. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, S. 49 ff. Vgl. auch: Gerhards/Roose, „Die Rekonfiguration von politischer Verantwortungszuschreibung im Rahmen staatlichen Handelns.“ 64  Im Kern ist das die Prämisse zahlreicher Ordoliberaler, vgl. z. B. Nörr, An der Wiege deutscher Identität nach 1945, S. 7. 65  Das jedoch hat wiederum wenig mit dem zu tun, was Eucken vorschwebte – auch, weil es vor allem nur mithilfe dessen erfolgen könnte, was Eucken Zentralverwaltungswirtschaft nennen und infolgedessen ablehnen würde, vgl. Johann Gottlieb Fichte, „Der geschloßne Handelsstaat“, in: Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1962 [1800]), S. 509–14: „Eine Regierung, die im Begriffe wäre, den Handelsstaat zu schließen, müßte vorher die inländische Fabrikation aller, ihren Bürgern zum Bedürfnis gewordenen, Fabrikate, ferner die Erzeugung aller bisher gewöhnlichen, oder zur Verarbeitung durch die Fabriken erforderlichen, echten oder stellvertretenden Produkte, beides in der für das Land nötigen Quantität, eingeführt und durchgesetzt haben. […] Aller unmittelbare Verkehr des Bürgers mit irgendeinem Ausländer soll durchaus aufgehoben werden.“ 66  Es gibt eigentlich keinerlei empirische Evidenz, die darauf hindeuten würde, dass es den homogenen Nationalstaat jemals gegeben habe. Im Gegenteil, es scheint eher der Fall zu sein, dass sich Globalisierungstendenzen und Nationalstaatsbildungen



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struktur unweigerlich die Frage, warum ein im Hinblick auf den Schutz des Einzelnen vor wirtschaftlichen Machtkörpern universalistischer Ansatz auf einen historisch kontingenten Nationalstaat limitiert werden sollte.67 Zugespitzt ließe sich diese Frage wie folgt formulieren: Was wäre das für ein Verständnis von „Ordo“ im Sinne der „Ordnung, die dem Wesen des Menschen und der Sache entspricht“, das die Frage der globalen Verantwortlichkeit ökonomischer Aktivität als für den einzelnen Staat zu vernachlässigendes Problem abtun würde68 – zumal dann, wenn gemäß der faktisch existierenden ökonomischen Interdependenzen (vgl. § 5, I. 2.), welche im Ordoliberalismus die Richtschnur für staatliches Handeln bilden (vgl. § 3), nationale Entscheidungen mittelbare bis unmittelbare Auswirkungen auf Bürger anderer Staaten und Gebietskörperschaften haben?69 Diese Fragen bringen zum Ausdruck, warum das Verständnis von Globalisierung als räumliche Entgrenzung und zeitliche Verdichtung von sozialer Aktivität und Macht auch für den Ordoliberalismus und dessen Selbstverständnis als Verknüpfung von positiver Beschreibung und normativer Ordnung der Welt Folgen haben muss. Denn insofern, als der Ordoliberalismus auf eindeutigen naturrechtlichen Voraussetzungen fußt und sich zweitens die Teilpläne der wirtschaftlichen Akteure über die einzelnen Gebietskörperschaften hinweg erstrecken sowie, drittens, die Unterscheidung von intern und extern in Hinblick auf die Folgen nationalstaatlicher und unternehmerischer Entscheidungen nicht eindeutig vollzogen werden kann, ergeben sich Handlungszusammenhänge, die eine Bewertung solcher Phänomene wie Marktmacht oder mangelnder Haftung nicht ausschließlich aus Sicht eines einzelnen Staates und dessen einzelstaatlicher Zielfunktion zulassen können.70 Zwar äußert sich Eucken selbst, anders als z. B. sein später dem oftmals ergänzen, gegenseitig bedingen oder sogar einfach parallel zueinander ablaufen würden, vgl. z. B. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 24 und S. 63; Beck, Was ist Globalisierung?, S. 23. 67  Anthony Hopkins zufolge sei der Einfluss des Nationalismus ab dem 19. Jahrhundert so stark gewesen, dass er es geschafft habe, selbst solch kosmopolitische Denker wie Kant vollständig zu „nationalisieren“, vgl. Hopkins, „The History of Globalization – and the Globalization of History“, S. 13 ff. 68  Im Kern stellt das eine zumindest implizite Prämisse dar, die z. B. Ottmar Issing in ihren Ausführungen mittragen, vgl. Otmar Issing, „Get your finances in order and stop blaming Germany“, Financial Times, 25. März 2014. 69  Für David Held liegt im globalen Regime der so genannten „liberal international order“, in dem den Nationalstaaten die zentrale Rolle bei der Ordnung der internationalen Welt zukommt, ein Grund dafür, dass die Herausforderungen globaler Machtkonzentration noch nicht ausreichend bekämpft worden seien, vgl. Held, „Law of States, Law of Peoples“, S. 22–3. 70  Zumal eine solche nationale Regulierung ohne eine Berücksichtigung des Weltmarktes keine sinnvolle Aussage über faktische Machtkonzentrationen treffen könnte,

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

Ordoliberalismus zugerechneter Kollege, Wilhelm Röpke,71 nur in sehr begrenztem Umfang zu der Frage nach der internationalen Ordnung. An den Stellen, an denen er dies tut, bringt er jedoch vor allem eine Vorstellung einer nationalstaatlich geprägten internationalen Wirtschaftsordnung zum Ausdruck, die seiner eigenen Begrifflichkeit im Angesicht einer weitgehenden Integration der globalen Kapital- und Gütermärkte nicht mehr angemessen scheint. Denn vor allem zielten seine Vorstellung auf die Etablierung eines Mechanismus ab, der in seiner Funktionsweise dem System des Goldstandards nachempfunden und damit einem, wie Eucken es nennt, „System von Wettbewerbsordnungen“ angemessen sei72 – ein Vorschlag, wie mit der ökonomischen Vernetzung über verschiedene Gebietskörperschaften, Kontinente und politische Systeme hinweg umgegangen werden sollte, lässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Die ordoliberale Globalisierungsbedingung bedeutet vor diesem Hintergrund, dass eine Ausweitung wirtschaftlicher Freiheit (so wie sie auch eine zunehmende Integration des Weltmarktes darstellt) nur insofern erfolgen dürfe, als sie nicht mit einer Zunahme wirtschaftlicher Macht einhergeht – und zwar ganz gleich, ob diese Zunahme dabei im Inland (aus Sicht eines einzelnen Staates also bei der „eigenen“ Bevölkerung) oder im Ausland (aus Sicht des einzelnen Staates bei einer „fremden“ Bevölkerung) anfällt. In anderen Worten ausgedrückt, die Ordnungsaufgabe stellt sich für die Gesamtheit der globalen Ordnung bzw. aller derer, die am Weltmarkt beteiligt sind. Wenn vor diesem Hintergrund eine Verflechtung von Handel, Produktion und Investition angestrebt wird, dann muss dies immer einhergehen mit global ausgerichteten Regulierungsansätzen. Das macht den Kern der ordoliberalen Globalisierungsbedingung als universalistische und infolgedessen kosmopolitische staatliche Verpflichtung im Angesicht globaler Interdependenz aus.73 vgl. Berg, „Internationaler Wettbewerb – Nationale Wettbewerbspolitik: Zielkonflikte unvermeidbar!“, S.  133 ff. 71  Vgl. Wilhelm Röpke, „Wirtschaftssystem und internationale Ordnung“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 4 (1951): insbesondere S. 270 ff. sowie S.  291 f. 72  Auch spielt in seinen Ausführungen die Idee einer ausgeprägten Interdependenz der verschiedenen Volkswirtschaften keine relevante Rolle. Interessant ist dabei dennoch, dass Eucken eine internationale Ordnung vorschwebt, die dem Zugriff der Politik weitestgehend entzogen ist, vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 169. 73  Im Kern kommt darin ein Verständnis von Kosmopolitanismus zum Ausdruck, wonach sich der universalistische Impuls der liberalen Tradition nicht nur auf die konkrete institutionelle Struktur der globalen Ordnung erstrecken solle („legal cosmopolitanism“), vgl. dazu z. B. Pogge, „Cosmopolitanism and Sovereignty“, S. 356 ff. Vielmehr gehe es auch darum, die ökonomischen Interdependenzen und die damit verbundenen Probleme wie Marktmacht etc. so zu regulieren, dass auch der globale



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2. Globales Laissez-faire gegen nationalstaatliches „Ordo“ Bevor es gilt, die Herausforderungen herauszuarbeiten, die mit der ordoliberalen Globalisierungsbedingung und mit der damit verknüpften kosmopolitischen Bindung nationalstaatlicher Herrschaft einhergehen, sollen in einem nächsten Schritt drei Argumente vorgetragen sowie jeweils entkräftet werden, denen zufolge ein globales Laissez-faire durchaus mit einer nationalstaatlich limitierten Ordnungspolitik in Einklang zu bringen sei: Erstens, dass die gesamte Narrative bezüglich der einzelstaatlichen Ohnmacht gegenüber der Globalisierung nicht zutreffend sei, weil letztere gerade das Ergebnis nationalstaatlicher Politik darstelle. Zweitens, dass die zunehmende Integration des Weltmarktes zu einem gestiegenen globalen Wohlstand geführt habe und deshalb auch in seiner grundsätzlichen Funktionsweise zu befürworten sei. Und drittens, dass die Integration des Weltmarktes besonders für die entwickelten Länder eine Chance darstellen würde, sich durch den Wettbewerb der Systeme zahlreicher und vor allem ineffizienter Regulierungsmechanismen zu entledigen. a) Über das Spannungsverhältnis von Nationalstaat und Globalisierung Der erste Einwand gegen eine globale Perspektive in der Ordnungspolitik, der zum Teil auch im dezidiert ordoliberalen Diskurs reflektiert wird,74 ergibt sich aus dem berechtigten Zweifel daran, ob es vollständige einzelstaatliche Souveränität überhaupt jemals in der Form gegeben habe, wie das der Begriff suggeriert oder wie das aus ordoliberaler Sicht wünschenswert wäre.75 Vor diesem Hintergrund lässt sich argumentieren, dass die Globalisierung weder anachronistisch noch antagonistisch gegenüber dem Nationalstaat sei, sondern dass beide vielmehr unmittelbare „consequences of modernity“ darstellen würden.76 Die Globalisierung sei demnach die Folge einer nationalstaatlichen Ordnung77 – genauso, wie der Herausbildung von NationalMarkt seiner Rolle als Moment sozialer Freiheit nachkommen könne („economic cosmopolitanism“), vgl. Held, „Law of States, Law of Peoples“, S. 35–7. 74  Vgl. dazu z. B. André Schmidt, „Soziale Marktwirtschaft im Zeitalter des Systemwettbewerbs“, in: 60 Jahre Soziale Marktwirtschaft, hrsg. von Michael S. Assländer und Peter Ulrich, Bern: Haupt Verlag, 2009, S. 200 ff. 75  Vgl. Stephen D. Krasner, Power, the state, and sovereignty, London/New York: Routledge, 2009, S. 9 ff. und S. 106 ff. Zudem ließe sich anmerken, dass sich auch nationalstaatliche Souveränität immer im Verhältnis zu einem System von Staaten entwickelt hat – also weder unabhängig davon noch diesem vorgeordnet, vgl. Giddens, The consequences of modernity, S. 67 ff. 76  Vgl. Giddens, The Consequences of Modernity, S. 64. 77  In diesem Zusammenhang spielt vor allem die Perspektive eine Rolle, die man auf die Bedeutung des Staates in Hinblick auf globale wirtschaftliche Entwicklungen

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

staaten die Folge eines globalen Trends zur Nationalstaatsbildung darstelle.78 Dem ließe sich hinzufügen, dass sich in den drei relevanten Dimensionen zur Messung globaler Verknüpfung – nach Paul Hirst und Grahame Thompson „openness“, „interdependence“ und „integration“ – keine Unterschiede zwischen dem frühen 21. und dem späten 19. Jahrhundert ausmachen lassen. Mehr noch, vielmehr sei es der Fall, dass die Handlungsfähigkeit des einzelnen Staates, seine „Autonomie“, im Verlauf des 20. Jahrhunderts zugenommen habe.79 Nimmt man diese Analyse als Ausgangspunkt, ließe sich auch die Bewertung der möglichen Probleme, die aus dem Verhältnis global agierender privatwirtschaftlicher Akteure gegenüber einzelnen Staaten entstanden sind, anders darstellen: Das globale Laissez-faire wäre dann Teil einer Strategie bestimmter Nationalstaaten, sich in bestmöglicher Art und Weise in einer internationalen und globalen Arena zu behaupten. Das multinationale Unternehmen wäre in erster Linie (und in bester Tradition mit der Rolle, welche die verschiedenen Ostindien-Kompanien gespielt haben80) ein Vehikel, um die eigenen wirtschaftlichen Strukturen zu exportieren und infolgedessen ökonomische und politische Macht auszuüben und zu sichern. Diese Punkte mögen für sich genommen richtig sein und im Rahmen der Globalisierungsdebatte relevante Einwände gegen vorherrschende Vorurteile über den Zerfall des Nationalstaates als Folge der Globalisierung darstellen. Sie gehen jedoch zugleich an den Kernaussagen von Euckens Ordoliberalismus vorbei. Denn selbst wenn man der Auffassung ist, dass das freie Spiel der Kräfte auf dem Weltmarkt bewusst von einzelnen Staaten angewendet werde, um ihre Machtposition zu stärken, bleibt die Tatsache bestehen, dass einnimmt. Geht man z. B. davon aus, dass der Staat nach wie vor zentraler Akteur in der globalen Arena ist und dass die Globalisierung nur denkbar sei, wenn sie durch das Regime einer hegemonialen Macht gesichert wird? Schaffen nur starke Staaten stabile und vor allem offene Weltordnungen, in denen Handel florieren kann?, vgl. z. B. Robert Gilpin, The political economy of international relations, Princeton, N.J: Princeton University Press, 1987, S. 85 ff. Oder geht man von der Prämisse aus, wonach der Nationalstaat ein ebenso systemischer Teil der Geschichte des Kapitalismus sei wie die Globalisierung selber? Vgl. Immanuel Maurice Wallerstein, An Historical Perspective on the Emergence of the New International Order, Cambridge: Cambridge University Press, 1979, S. 271 ff. Oder nimmt man an, dass sich gar keine eindeutige Aussage darüber treffen lasse, ob der einzelne Staat durch die Folgen der Globalisierung geschwächt wurde?, vgl. Mann, „Has Globalization Ended the Rise of the Nation-state?“ 78  Vgl. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 58 f. und S. 69. Interessanterweise fallen die meisten Nationalstaatsgründungen in genau die Zeit, die auch der Globalisierung zugeordnet wird. So hat sich die Anzahl der Nationen seit 1950 bis heute mehr als verdoppelt. Vgl. dazu auch Hopkins, „The History of Globalization – and the Globalization of History“, S. 15–20. 79  Hirst/Thompson, Globalization in question, S. 60. 80  Vgl. Niall Ferguson, The Ascent of Money, New York: Penguin Press, 2008, S. 128–31.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus155

es sich bei dem Weltmarkt um einen Laissez-faire-Markt handelt – auch dann, wenn dies weniger der Fall sein möge als im 19. Jahrhundert. D. h.: Selbst wenn man an dieser Stelle noch nicht den Schritt hin zu einer globalen Perspektive in der Ordnungsfrage gehen will, weil man beispielsweise am nationalstaatlichen Primat der internationalen Ordnung festhalten möchte, müsste man aus dezidiert ordoliberaler Sicht anerkennen, dass die globalen Interdependenzen Rückwirkungen auf die eigenen Bevölkerungen haben (z. B. im Bereich der Umweltschäden), die ein globales Laissez-faire als nicht erstrebenswert erscheinen lassen. Der Verweis darauf, dass ein einzelner Staat dabei unter Umständen gewichtige Interessen verfolgt, entbindet ihn aus ordoliberaler Sicht nicht davon, gewissen Anforderungen und Verpflichtungen zumindest im Sinne der eigenen Bevölkerung gerecht zu werden. Denn erstens kann auch ein Nationalstaat aus Euckens Sicht prinzipiell fehlkonfiguriert sein und zweitens lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass eine Befürwortung eines Laissez-faire auf dem Weltmarkt seitens einer nationalen Regierung selbst bereits Ausdruck partikularer Machtgruppen ist, die den Nationalstaat für sich eingenommen haben.81 b) Das Verhältnis von Zweck und Mittel Der zweite Einwand geht von der erheblichen Steigerung der globalen Einkommen aus, die – nicht nur für die Bevölkerungen der bereits entwickelten Volkswirtschaften, sondern auch für diejenigen, die aus globaler Sicht als arm galten bzw. gelten82 – im Zuge der Integration des Weltmarktes erzielt wurden. Dem könnte man hinzufügen, dass die Anzahl der realen Lebenschancen global gesehen so hoch ist, wie er noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte war, sowohl in absoluten Zahlen als auch in relativen.83 Denn bei allen weitreichenden sozialen und ökonomischen Problemen, die mit einer Integration des Weltmarktes einhergehen, lassen sich die Jahrzehnte seit den 1970er Jahren durchaus als eine Erfolgsgeschichte der Globalisierung verstehen, im Zuge derer es durch die Kapitaltransfers über nationale Landesgrenzen hinweg zu einer Angleichung der Produktivitätsniveaus und zu einer weltweiten Wohlstandgenerierung gekommen ist. Zum ersten Mal überhaupt treten fast alle 81  Vgl. dazu z. B. Shaxson, Treasure Islands, S. 244–79., der einhegend beschreibt, wie die Interessen der City of London unmittelbaren Einfluss auf die britische Außenund Außenhandelspolitik im Sinne globaler deregulierter Finanzmärkte haben. 82  So geben Statistiken der Vereinten Nationen an, dass die Anzahl derjenigen, die von extremer Armut betroffen seien, zwischen 1990 und 2015 mehr als halbiert worden wären, vgl. United Nations, The Millenium Development Goals Report 2015, 2015. 83  Vgl. z. B. Khalid Malik/United Nations Development Programme, Human Development Report., 2014, insbesondere S. 33 ff.

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Menschen als Konsumenten bzw. als Produzenten auf dem Weltmarkt auf und nicht als Untertanen eines Kolonialsystems,84 woraus sich wiederum die Schlussfolgerung ableiten ließe, dass das globale Laissez-faire in seiner derzeitigen Form eine prinzipiell wünschenswerte Ordnung darstellt.85 Aus Sicht Euckens jedoch würden diese Verweise nicht ausreichen, um z. B. die Macht von Multinationals gegenüber einzelnen Staaten zu rechtfertigen. So zu argumentieren, geht vielmehr vorbei an dem eigentlichen ordoliberalen Argument für kontrollierte und regulierte Märkte. Auch Eucken sah im Laissez-faire Kapitalismus des 19. Jahrhunderts einen relevanten Treiber ökonomischer Entwicklung.86 Denn auch Eucken war sich der Tatsache bewusst, dass die Zunahme an Wohlstand in der Breite bis dahin historisch einzigartig gewesen sein dürfte.87 Und dennoch ist er gleichzeitig zu dem Schluss gekommen, dieselben privatwirtschaftlichen Machtkörper zerstören zu wollen, deren Beitrag zur Steigerung des Wohlstands er zuvor anerkannt hatte. Das hat zwei Gründe: Zum einen hat sein Argument gegen privatwirtschaftliche Macht eine deontologische Struktur und beansprucht seine Gültigkeit in Hinblick auf die Ordnung der Ökonomie absolut – und nicht unter der Nebenbedingung hoher Wachstumszahlen (vgl. § 2, III.). Zum anderen aber argumentiert Eucken, dass das zentrale Problem des Laissez-faire nicht in seiner prinzipiellen Zielsetzung oder in seinem ursprünglichen Impuls gelegen habe, eine freiheitliche Wirtschaftsordnung realisieren zu wollen. Denn, so Eucken, auch die Politik des Laissez-faire ziele darauf ab, „das natürliche Bestreben des Menschen, sich selbst zu verwirklichen und seine Kräfte zu entfalten“88. Vielmehr sei es das falsche Verständnis von „Staat“ gewesen, das dazu geführt habe, dass sich der Markt selber zerstören und infolgedessen genau jene Freiheitlichkeit untergraben würde, die er ursprünglich beabsichtigte zu realisieren – und von der er in seiner Funktionsweise zugleich grundlegend abhängig sei. D. h., es gilt den Markt zu regulieren, weil seine Grundprinzipien den Keim ihrer eigenen Zerstörung sowie die daraus resultierende gesellschaftliche und politische Instabilität bereits in Osterhammel, „Globalizations“, S. 97 ff. z. B. Pies, „Globalisierung und Demokratie“, S. 64 ff., der kritisiert, dass die Diskussion um die Globalisierung und ihre Chancen fehlgeleitet sei, weil sie nicht die Chancen betone. 86  Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 28. 87  Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 1: „Die Umwelten Goethes und Platons waren einander ähnlicher als die Umwelten Goethes und eines heute lebenden Menschen […] Neue große wirtschaftspolitische Probleme sind aus diesem Umsturz erwachsen. Aber so großartig die Leistungen der Naturwissenschaften und Technik sind: noch sind zu den neuartigen Lebensumständen die entsprechenden Ordnungen nicht gefunden.“ 88  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 360. 84  Vgl. 85  Vgl.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus157

sich tragen würden. Auch für den Weltmarkt muss vor diesem Hintergrund gelten, dass er jenseits der Frage beleuchtet werden sollte, ob seine Funk­ tionsweise zu einem globalen Zuwachs an Wohlstand und realen Lebenschancen geführt habe oder nicht. c) Zwischen globalem Laissez-faire und nationaler Regulierung Das dritte Argument gegen das Einnehmen einer globalen Perspektive des Ordoliberalismus zielt auf das Problem ab, wonach Regulierungsmaßnahmen und -systeme gänzlich ineffizient oder gar überflüssig seien. In diesem Zusammenhang wird die Globalisierung vor allem in Hinblick auf die Möglichkeit, Kapital frei zu bewegen, als eine Chance verstanden, die einzelnen nationalstaatlichen Regulierungsmechanismen zu modernisieren. Weil diese in einen Wettbewerb mit anderen Staaten treten würden, von denen wiederum nur die besten, weil effizientesten Systeme sich erfolgreich durchsetzen könnten, komme dies einer Auslese gleich. Ein globales Laissez-faire-Regime wäre damit durchaus im Sinne des einzelnen Nationalstaates und dessen Bürger, weil dieser langfristig von der stimulierenden Kraft des Wettbewerbs der Systeme als „Entdeckungsverfahren“ profitieren würde89 – was dann wiederum auch der Bevölkerung in Form von größerer ökonomischer Freiheit zugute käme.90 Hinter dieser Vorstellung konkurrierender Regulierungssysteme steht im Kern eine Grundannahme über die Struktur der Weltwirtschaftsordnung, der zufolge vor allem den Unternehmen und den Kapitaleigentümern die Rolle des zentralen Akteurs in einer Gesellschaft zukomme,91 denn das Individuum 89  Vgl. dazu z. B. Schmidt, „Soziale Marktwirtschaft im Zeitalter des Systemwettbewerbs“, S.  211 ff.; Berg, „Internationaler Wettbewerb – Nationale Wettbewerbspolitik: Zielkonflikte unvermeidbar!“; Wolfgang Kerber, „Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb“, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, hrsg. von Manfred E. Streit und Wolfgang Kerber, Tübingen: Mohr, 1998, S. 199 ff. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Wolfgang Kerber seine Position diesbezüglich verändert hat und mittlerweile eine globale Wettbewerbsordnung fordert, vgl. Wolfgang Kerber, „Erfordern Globalisierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel in der Theorie der Wirtschaftspolitik?“, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft 49 (1998): S. 258–60. 90  Ernst-Joachim Mestmäcker weist darauf hin, dass es zumindest in der Europäischen Union auch unter dem so genannten Ursprungslandprinzip keinen uneingeschränkten Wettbewerb der Systeme geben würde, weil zuvor bereits EU-Normen eta­ bliert worden wären, die den Systemwettbewerb exogenen Regeln unterwerfen würden, vgl. Mestmäcker, „Soziale Marktwirtschaft und Europäisierung des Rechts“, S. 142. 91  Hauke Brunkhorst hätte dann auch Recht mit seiner Einschätzung, wonach des dem Ordoliberalismus nur darum gehen würde, dass das Kapital die Struktur der Wirtschaft bestimme, vgl. Brunkhorst, Das doppelte Gesicht Europas, S. 65.

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profitiere nach dieser Argumentation nur mittelbar von den Folgen einer Wettbewerbsordnung. Im diesem Zusammenhang sei jedoch darauf verwiesen, dass Eucken gerade deshalb ein starker Staat vorschwebte, weil der Einzelne als Konsument nicht über die gleichen Druckmittel verfüge wie ein großes Unternehmen oder ein globaler Konzern. Denn anders als Multinationals, die im Zuge integrierter Kapitalmärkte aus Sicht des Nationalstaates liquide werden (vgl. § 5, I. 1.), profitiert der Einzelne von einem Staat, der seine Interessen als Teil des Gesamtinteresses im Rahmen seiner naturrechtlich begründeten Zielsetzung gegenüber eben jenen Unternehmen geltend machen kann.92 Zwar ist auch aus ordoliberaler Sicht ein Argument denkbar, wonach es prinzipiell wünschenswert wäre, wirtschaftlichen Akteuren ein höheres Maß an ökonomischer Freiheit zukommen zu lassen, als dies in vielen Industrieländern der Fall ist. Doch scheint es gerade nicht im Sinne des Ordoliberalismus zu sein, diese Freiheit über eine globale Laissez-faire-Ordnung zu realisieren, welche die Grundlage eines starken Staates untergräbt, indem sie seine Fähigkeit einschränkt, eine Wettbewerbsordnung zu realisieren. Durch die Widerlegungen dieser drei skizzierten Einwände ist erneut unterstrichen worden, warum die Ordnungsfrage aus Sicht des naturrechtlichuniversalistisch strukturierten Ordoliberalismus als globale Ordnungsfrage formuliert werden sollte. Zwar mögen alle drei Einwände für sich genommen Gültigkeit beanspruchen, doch sind sie deshalb noch nicht automatisch kompatibel mit den Prämissen des normativen Begriffsgerüstes Euckens. Damit ist gezeigt worden, dass es – analog zu dem Problem, das David Held auf die normativen Grundlagen der liberalen Demokratie anwendet – auch im Ordoliberalismus keine begriffliche Möglichkeit gibt zu rechtfertigen, dass nur bestimmte Individuen in den Zielfunktionen und damit den Entscheidungen einzelner Staaten berücksichtigt werden, obwohl viele andere von eben diesen Entscheidungen betroffen oder abhängig sind.93 III. Weltmarkt und Souveränität Vor dem Hintergrund der Forderung nach einer Überwindung des Laissezfaire auf dem Weltmarkt bzw. nach einer globalen Ordnungspolitik (vgl. § 5, II.) ergibt sich im Rahmen der ordoliberalen Begrifflichkeit ein tiefgreifendes Spannungsfeld: Einerseits erstrecken sich die Zielfunktionen des einzelnen Nationalstaates im Angesicht globaler Verflechtungen und Interdependenzen über die eigenen territorialen Grenzen hinaus. Andererseits stellt der 92  Vgl. Bauman, Liquid modernity, S.  192., der in diesem Zusammenhang schlussfolgert: „For the multinationals […], the ideal world is one of no states, or at least of small rather than large states.“ 93  Held, „Democracy, the Nation-State and the Global System“, S. 143.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus159

Nationalstaat nach wie vor ein zentrales Moment für die Legitimität politischer Herrschaft dar94 – und trotz bzw. wegen seiner Ambivalenz in Hinblick auf die Nation auch ein Moment demokratischer Herrschaft.95 Damit entsteht für den einzelnen Staat die Herausforderung, dass es einerseits normativ geboten sein mag, auch die Interessen derjenigen Akteure in seinen Entscheidungen zu berücksichtigen, die sich im Rahmen seiner Institutionen nicht artikulieren oder repräsentieren lassen können. Das ist die Essenz der ordoliberalen Globalisierungsbedingung. Diese Verpflichtung wirft jedoch andererseits unweigerlich die Frage auf, wem auf einem Weltmarkt das für die Ordnung der Wirtschaft notwendige „Primat des Staates“ zukommen sollte.96 Anders gefragt: Wer trifft unter welchen Bedingungen die ordoliberale Gesamtentscheidung zur Etablierung einer globalen Wettbewerbsordnung bzw. auf wessen Auftrag hin sollte diese Entscheidung konzipiert werden? Mit dieser Frage nach der Souveränitätszuweisung auf dem Weltmarkt im Angesicht eben jener pluralistischen Macht- und Entscheidungsstrukturen, welche die internationale Ordnung auszeichnen,97 ist erneut jener Punkt erreicht, der bei Eucken die legitimatorische Leerstelle ausmacht. Denn Eucken liefert im Rahmen seiner Ordnungspolitik keine konzeptionellen Anhaltspunkte dafür, unter welchen Bedingungen eine „Gesamtentscheidung“ im Sinne des Ordoliberalismus getroffen werden kann bzw. wer im Einzelnen der Träger einer solchen Entscheidung bei der Übertragung von Macht auf den Staat durch die Privatrechtsgesellschaft ist (§ 4, IV. 3.). Vor diesem Hintergrund der Herausforderung einer nationalstaatlich und pluralistisch strukturierten Weltordnung bei gleichzeitiger global bindender Verpflichtung aller staatlichen Herrschaft im Angesicht ökonomischer Interdependenzen ergibt sich ein ordoliberales Trilemma in Hinblick auf die Handlungsoptionen des einzelnen Staates – wobei zwei der drei im Folgenden skizz. B. Ebd., S. 161; Grimm, Souveränität, S. 106 ff. dazu: Jürgen Habermas, „Citizenship and National Identity“, in: Global responsibilities, hrsg. von Thomas Winfried Menko Pogge, Darrel Moellendorf, und Keith Horton (St. Paul, MN: Paragon House, 2008), S. 287., der in diesem Zusammehang auf das problematische Verhältnis von „Nation“ und „Demokratie“ verweist: „Nation-state and democracy are twins born of the French Revolution. From a cultural point of view, they both stand under the shadow of nationalism.“ Zur Möglichkeit, demokratische Prinzipien durch nationalstaatliche Souveränität zu schützen vgl. auch Grimm, Souveränität, S. 123. 96  Selbst Paul Hirst und Grahame Thompson, die in der Globalisierungsdebatte als „Skeptiker“ bezeichnet werden, weil ihnen zufolge der Autoritätsverlust des einzelnen Staates nicht überbewertet werden solle, gelangen zu einem Verständnis von Staat, das dem des bereits erwähnten „Netzwerkstaates“ von Manuel Castells nicht unähnlich ist: „States may be the key source of the rule of law without being ‚sovereign‘ in the traidtional sense.“ Hirst/Thompson, Globalization in question, S. 277. 97  Ebd., S.  268 ff. 94  Vgl. 95  Vgl.

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zierten Optionen bereits aus normativen Gründen aus ordoliberaler Sicht abzulehnen sind. Wenn ausgeschlossen werden kann, dass die Beibehaltung eines globalen Laissez-faire eine aus ordoliberaler Sicht vertretbare Zielsetzung darstellt, eröffnen sich dem einzelnen Staat folgende Optionen: Zum einen könnte er einen Rückbau globalisierter Strukturen unternehmen (Isolation), um dadurch die eigene Exponiertheit sowie diejenige der anderen Akteure im Rahmen globaler Verflechtungen zu verringern und um infolgedessen zu versuchen, die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen gegenüber internationalen privatwirtschaftlichen Machtkörpern sowie anderen Staaten zu stärken.98 Zweitens könnte ein einzelner Staat oder eine Gruppe von Staaten versuchen, die Standards ordoliberaler Staatlichkeit auf alle anderen Akteure und Staaten zu übertragen, mit denen er bzw. sie über den Weltmarkt in Verbindung stehen (Expansion). Diese ihrer Struktur nach imperiale Ausweitung lässt sich als eine mögliche Schlussfolgerung aus der „Theorie der hegemonialen Stabilität“ lesen, wonach erst die Existenz einer expansiven und hegemonialen Macht die notwendigen Bedingungen für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung schaffen könne.99 Oder, drittens, der einzelne Staat kann sich dem Aufbau einer supranationalen bzw. globalen Staatlichkeit auf Grundlage einer globalen Privatrechts- oder Zivilgesellschaft verschreiben (Integration), um im Zuge dessen die langfristigen Grundlagen für eine naturrechtlich strukturierte und kosmopolitische Ordnungspolitik zu legen. Vor dem Hintergrund dieser drei Entscheidungsoptionen gilt es, aus dezidiert ordoliberaler Perspektive die grundlegende Frage nach der Zukunft bzw. der Zukunftsfähigkeit des Nationalstaates im Angesicht der globalen Interdependenzen des Weltmarktes aufzuwerfen. Dabei wird gezeigt, dass im Angesicht der universalistischen und globalen Verpflichtung von Staatlichkeit die Integration des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols in eine supranationale oder globale Ordnung die einzig normativ vertretbare Position darstellt. Aufgrund der konzeptionellen Widersprüche und Inkonsistenzen des Eucken’schen Staatsverständnisses ist jedoch auch diese Option mit einer 98  Beispiele für die Forderung finden sich zahlreiche. Sie müssen dabei nicht zwingend ein Ausdruck nationaler Selbstbehauptung sein, sondern der pragmatische Versuch, den Anforderungen eines Weltmarktes institutionell gerecht zu werden, vgl. z. B. Rodrik, The Globalization Paradox, S. 250, der im Angesicht des von ihm ausgemachten „globalization paradoxon“ zu dem Ergebnis kommt, dass der Umfang des Weltmarktes durch die nationalen Regierungen limitiert sein müsse. Ähnlich argumentiert Wolfgang Streeck, wenn er eine Rückabwicklung des Euro in der Hoffnung auf größere nationale demokratische Handlungsspielräume fordert, vgl. Wolfgang Streeck, Buying Time: The Delayed Crisis of Democratic Capitalism, Brooklyn, NY: Verso, 2014, S. 177–89. 99  Vgl. z. B. Gilpin, The political economy of international relations, S. 85  ff.; Niall Ferguson, Colossus: the price of America’s empire, New York: Penguin Press, 2004, S. 169–207.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus161

Reihe von Problemen behaftet, weil in letzter Konsequenz nicht sichergestellt werden kann, dass sich im Zuge einer solchen Integration genau diejenigen privatrechts- und zivilgesellschaftlichen Strukturen herausbilden, die dann auch in einer Entscheidung im Sinne einer strikt ordoliberalen Bindung staatlicher Macht münden. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden von dem ordoliberalen Trilemma gesprochen – als dezidiert konzeptionelle (nicht zwingend praktische) Unmöglichkeit, die ordoliberalen Bedingungen der Ökonomie im Angesicht einer nationalstaatlich strukturierter Weltordnung in eine globale Ordnungspolitik umzuwandeln. 1. Wider die einzelstaatliche Isolation und die hegemoniale Expansion Wenn man die Frage nach den Handlungsoptionen des Nationalstaates als Zuspitzung hinsichtlich einer Wahl zwischen Isolation, Expansion und Integration formuliert, wird ersichtlich, warum sowohl die Idee der Isolation im Sinne eines Rückbaus globaler Verflechtungen als auch die Idee der Expansion im Sinne einer Ausweitung ordoliberaler Standards auf andere Nationalstaaten nur schwer mit den Eucken’schen Vorstellungen von Staatlichkeit in Einklang gebracht werden können. Denn beide Ansätze räumen dem Staat gleichermaßen eine Rolle ein, die über seine strikt naturrechtlich gebundene Verpflichtung insofern hinausgeht, als sie ihm neben der Schaffung und Durchführung von Recht auch das Primat für die Bestimmung der Grenzen seiner eigenen Realisierung bzw. Nicht-Realisierung einräumen müssten.100 a) Einzelstaatliche Isolation Gegen den Rückbau der Globalisierung spricht, dass der einzelne Staat – ganz nach dem Vorbild Fichtes in die Geschlossene Handelsgesellschaft – die bestehenden Interaktionen seiner Bürger mit den Mitgliedern anderer Staaten unterbinden müsste, um dieses Ziel erfolgreich zu verfolgen. Damit jedoch wäre eine Form von „Primat des Staates“ erreicht, die der grundlegenden Verpflichtung, bestehende ökonomische Interaktionen zu strukturieren und dadurch vor allem zu stabilisieren, entgegenläuft. Infolgedessen wäre die Isolation gleichzusetzen mit dem Versuch, das Primat der Ökonomie nicht nur politisch zu realisieren, sondern auch politisch zu definieren, indem teils bestehende Verknüpfungen nicht nur verändert, sondern gänzlich unterbunden 100  Interessanterweise ist das eine Vorstellung vom ordoliberalen Staat, die auch im Rahmen der dezidiert ordoliberalen Rezeption immer wieder als genuine Position Euckens und Böhms dargestellt wird, vgl. z. B. Nörr, An der Wiege deutscher Identität nach 1945, S. 7.

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werden müssten.101 Die Ausweitung der teleologischen Reihen der Individuen sowie der wirtschaftlichen Akteure auch über ihre jeweils nationalen Landesgrenzen hinweg muss jedoch ein grundlegendes Anliegen eines dem Ordoliberalismus verpflichteten Staates darstellen, durch deren Realisierung er die Legitimität seiner Herrschaft überhaupt erst ableiten konnte (vgl. § 1, III.). Zweitens spricht gegen den Ansatz der Isolation, dass ein solcher Rückbau auch unmittelbare Folgen für zahlreiche andere Länder und deren Bevölkerungen mit sich bringen würde. Denn selbst wenn es für viele Entwicklungsländer schwer sein mag, sich gegen die Präsenz multinationaler Konzerne zu behaupten, haben letztere jedoch auch positive Einflüsse auf die Steigerung der Lebensbedingungen in eben diesen Ländern gehabt. Auch ist anzuerkennen, dass viele Multinationals überhaupt erst die Bedingungen geschaffen haben, die es einem Land oder einer Region ermöglichen, am Weltmarkt teilzunehmen bzw. die dafür notwendigen Institutionen aufzubauen.102 Mit anderen Worten: Ein Rückbau der Globalisierung wäre mit dem alleinigen Verweis darauf, dass bestimmte Länder nicht über genügend Regulierungskapazitäten verfügen, noch nicht zu rechtfertigen, sofern nicht sichergestellt werden kann, dass auch die realen Interessen und legitimen Bedürfnisse dieser Länder und deren Bevölkerungen angemessen Berücksichtigung finden. Auch das macht einen Teil der ordoliberalen Globalisierungsbedingung aus, die eben jenen globalen Interdependenzen entnommen wurde und auf die hin staatliche Regulierung allgemein ausgerichtet sein sollte. b) Hegemoniale Expansion Gegen die Vorstellung einer Expansion zur Ordnung des Weltmarktes spricht gleichermaßen, dass auch sie sich – selbst wenn man sie nicht militärisch durchsetzen möchte – als eine Form von Staatlichkeit ohne Ordo, d. h. ohne ein sie begründendes und damit zugleich limitierendes Moment darstellen lassen würde. Denn entweder ist eine Expansion bereits Ergebnis eines 101  Vgl. dazu: Robert Gilpin, „The Nation-State in the Global Economy“, in: The global transformations reader: an introduction to the globalization debate, hrsg. von David Held und Anthony G. McGrew, 2nd ed, Cambridge, UK : Malden, MA USA: Polity Press; Distributed in the USA by Blackwell Pub, 2003, S. 349., der die Auffassung vertritt, dass sich die derzeitige globale Vernetzung – analog zum Jahr 1914 – wieder zurücknehmen lasse, weil sie im Kern das Ergebnis einer von Staaten betriebenen Entwicklung darstelle. Dabei sei auf Osterhammel und Petersson verwiesen, denen zufolge die Epoche der „Deglobalisierung“ nicht identisch gewesen sei mit einer Entflechtung der globalen Interdependenzen. Vielmehr verwandelten sich die globalen Verflechtungen in Kriege, die in maximalem Sinne als Weltkriege zu ver­ stehen gewesen seien, vgl. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 63. 102  Vgl. Pies, „Globalisierung und Demokratie“, S. 56.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus163

Wettbewerbs der Systeme, in dem sich das effizienteste System durchsetzt. Dann verliert die Idee einer ordoliberalen Staatlichkeit ihren deontologischen Charakter und wird zur Nebenbedingung von wirtschaftlichem Erfolg, der im Wettbewerb der Systeme auch durch die konsequente Verletzung ordoliberaler Prinzipien erkauft werden kann (vgl. § 4, II. 1.).103 Oder die Expansion ordoliberaler Standards sieht sich als Realisierung der Hypothese von der „Theorie der hegemonialen Stabilität“. Dann stellt sich allerdings für die meisten Staaten die Herausforderung, welche Form der Wirtschaftspolitik zu wählen ist, wenn der eigene Staat gerade nicht der Hegemon ist, der die Bedingungen einer globalen und freiheitlichen Wirtschaftsordnung bestimmen kann.104 Doch auch ungeachtet dieser rein praktischen Frage lässt sich festhalten, dass hegemoniale bzw. imperiale Strukturen zumindest phasenweise das Gegenteil einer privatrechtlich eingehegten und dadurch limitierten Staatlichkeit darstellen105 – auch wenn ihr langfristig positiver Einfluss auf Frieden sowie auf die Herausbildung von Institutionen immer wieder Würdigung findet.106 Trotzdem bleibt die Frage bestehen, wie sich dieser Ansatz für eine Mehrheit der Staaten als praktikabel erweisen soll, die selber bzw. deren Verbündete nicht mächtig genug sein dürften, ihre Vorstellungen von Ordnung durchzusetzen.107 Damit wird ersichtlich, warum die Zielsetzung nationalstaatlicher Politik unter Berücksichtigung der ordoliberalen Globalisierungsbedingung auf die dritte Option hinausläuft: die Integration als Versuch, supranationale bzw. globale Staatlichkeit zu etablieren. Dieses Unterfangen stellt die einzige Option dar, die eine grundsätzliche Verpflichtung nationalstaatlicher Politik im Sinne des Primats der Ökonomie berücksichtigt, weil es die Bedingungen der freiheitlichen Gesellschaft für die Realisierung konkreter Staatlichkeit voraussetzt – und nicht erst in ihrem Vollzug hervorrufen will (sofern das überhaupt 103  Gray,

False Dawn, S. 92. die so genannte „Euro-Krise“ hat such durch die relative Schwächung der anderen europäischen Staaten zu einer Situation beigetragen, in der Deutschland als Hegemon wahrgenommen wurde, vgl. z. B. Marcel Fratzscher, Die DeutschlandIllusion, München: Hanser, 2014, S. 110–35. 105  Vgl. dazu: Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt: eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München: Beck, 2009, S. 654 sowie S. 663 ff. 106  Vgl. dazu z. B. Herfried Münkler, Imperien, Reinbek bei Hamburg: RowohltTaschenbuch-Verl., 2007, S. 131 ff.; Niall Ferguson, Empire, New York: Basic Books, 2003, S. xix–xxiii; James A. Baker, „Die USA und die Ordnung der Welt“, in: Pax Americana?, hrsg. von Alfred Herrhausen Gesellschaft für Internationalen Dialog, München: Piper, 1998, S. 17–35. 107  So verweisen auch Hirst und Thompson darauf, dass in der sich herausbildenden internationalen Ordnung vor allem die großen Staaten Impulse für die globale Demokratie setzen werden können, vgl. Hirst/Thompson, Globalization in question, S. 276. 104  Gerade

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möglich ist). Sowohl der Ansatz der Isolation als auch der der Expansion haben deshalb im Gegensatz dazu das Problem, dass sie unter Umständen gegen bestehende Strukturen der ökonomischen Interaktion und Interdependenz handeln und diesen oktroyiert werden müssten, ohne dass die dafür nötigen und den Staat begründenden Bedingungen bereits erfüllt wären. Das Problem der Integration lautet dagegen: Wie können genau jene Bedingungen geschaffen werden, von denen die Existenz des freiheitlichen Staates grundsätzlich abhängt? Und wie kann garantiert werden, dass im Zuge dessen auch genau diejenigen Voraussetzungen entstehen, die erforderlich sind, um gerade eine ordoliberale Wirtschaftspolitik überhaupt hervorzurufen? 2. Die Aporien des globalen Ordo: Das Ende der Nationalstaatlichkeit Trotz der eindeutigen normativen Stoßrichtung der ordoliberalen Globalisierungsbedingung (vgl. § 5, I. 2.) kommen in Hinblick auf deren Durchsetzung die gleichen Aporien zum Tragen, die bereits in Bezug auf die allgemeinen Inkonsistenzen des ordoliberalen Staatsbegriffes ausgemacht wurden: Wie kann der einzelne Staat als Kulminationspunkt staatlicher Souveränität sowie – in manchen Fällen auch demokratischer Ordnung – auf globaler Ebene diejenigen Strukturen herbeiführen, die er einerseits schützen muss und von deren Existenz seine eigene Legitimität gleichzeitig abhängt? Mit dieser Fragestellung ist der Kern der dritten Dimension des ordoliberalen Trilemmas beschrieben, welches aus dem bereits dargelegten Spannungsverhältnis von Naturrecht und Staatspositivismus in Euckens Begrifflichkeit hervorgeht (vgl. § 4, IV.) und sich als zentraler Konflikt zwischen der universalen Bindung staatlicher Herrschaft und deren territorial limitierter Realisierung skizzieren lässt. Zugespitzt ließe sich die Verpflichtung des starken Staates vor dem Hintergrund seiner globalen Ausrichtung mithilfe der folgenden Paradoxie beschreiben: Je mehr ein Staat im ordoliberalen Sinne ein „starker Staat“ ist und infolgedessen seiner naturrechtlich begründeten Zielsetzung gerecht wird, in desto stärkerem Maße muss er darauf hinarbeiten, Elemente seiner Regulierungsfähigkeit an supranationale Institutionen abzugeben – und zwar gerade deshalb, weil er im Zuge einer Integration globaler Finanz- und Gütermärkte bereits an Regulierungsfähigkeit eingebüßt hat und infolgedessen seinen Anforderungen als „starker Staat“ eigentlich gar nicht mehr gerecht werden kann.108 Mit dieser Forderung nach einer Verschiebung nationaler 108  Vgl. Wolfgang Kerber, „Erfordern globale Unternehmensstrukturen globale Wettbewerbsregeln? Internationale Verfahrensregeln: ja! Globales Wettbewerbsrecht: nein!“, Ifo-Institut Bd. 59 (2006): S. 12–3.



§ 5  Euckens Ordoliberalismus165

Souveränität und Regulierung auf eine supranationale Ebene ist nicht impliziert, dass die Existenz des einzelnen Staates als Gebietskörperschaft bedroht sein müsse oder dass seine Bedeutung als Träger staatlicher Hoheitsrechte prinzipiell in Frage stehen würde.109 Im Gegenteil: Es sind viele Modelle von global governance denkbar, im Rahmen derer sich einzelne souveräne politische Einheiten auch unter der expliziten Maßgabe, ihre Errungenschaften als Rechtsstaaten mitsamt ihrer demokratischen Tradition zu bewahren, in globale Regierungs- bzw. Regulierungsstrukturen integrieren lassen.110 Aus Euckens ordoliberaler Sicht besteht jedoch das zentrale Problem, dass seine Vorstellung einer naturrechtlichen Bindung der Ökonomie in gewissem Sinne absolut ist, weil sie ihm zufolge die äußere Bedingung schlechthin für soziale Freiheit darstellt (vgl. § 1, III. sowie § 3, II.). Und das wiederum bedeutet: Selbst wenn Ralf Ptaks Analyse in Hinblick auf Eucken und den Ordoliberalismus, wonach dieser mit einem demokratischen Gemeinwesen nicht in Einklang zu bringen sei,111 nicht zutreffen mag, gibt es hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer ordoliberalen Wettbewerbsordnung in der Tat wenig Spielraum. Deren Grundsätze gelten, ganz im Sinne ihrer dezisionistischen Begriffsanreicherung, ganz oder gar nicht (vgl. § 4, IV.) – trotz der vorgesehenen Möglichkeit im Rahmen der so genannten „regulierenden Prinzipien“, die „konstituierenden Prinzipien“ auf ein historisches „Moment“ hin anzuwenden. Daraus entsteht aus Sicht eines einzelnen Staates, der unter Zielsetzung der ordoliberalen Globalisierungsbedingung agiert, folgende Herausforderung: Wie sollte mit den Differenzen zwischen verschiedenen staatlichen Akteuren hinsichtlich der Ausgestaltung von Wirtschafts- und Sozialpolitik umgegangen werden? Es ist anzunehmen, dass nicht alle Staaten identische, d. h. in diesem Zusammenhang ordoliberale Ziele verfolgen. Diese Problema109  Vgl. z. B. Röpke, „Wirtschaftssystem und internationale Ordnung“, S. 290 f., der in diesem Zusammenhang bereits einen dezidiert kosmopolitischen Standpunkt einnimmt, indem er argumentiert, dass die Übertragung von Souveränitätsrechten auf eine überstaatliche Planungsbehörde alleine deshalb keine Aufgabe von Souveränität darstellen würde, weil die Regulierung des freien Weltmarktes durch den einzelnen Staat von vorneherein nicht möglich gewesen wäre. Vgl. dazu auch: Held, „Law of States, Law of Peoples“, S. 33. 110  In diese Richtung argumentieren z. B. Habermas, Die postnationale Konstellation, S.  135 ff.; Jürgen Habermas, Zur Verfassung Europas, Berlin: Suhrkamp, 2011, S. 53 ff.; Pogge, „Cosmopolitanism and Sovereignty“, S. 365 ff.; Held, „Democracy, the Nation-State and the Global System“, S. 160 ff. Auch Volker Gerhardt verweist darauf, dass es bereits eine Reihe von Beispielen für föderale Kooperationen auf regionaler und globaler Ebene gebe, welche von den einzelnen Staaten zwar die Aufgabe von Souveränität verlangen, welche aber nicht deren Hoheitsrechte einschränken würden, vgl. Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“, S. 102. 111  Vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 98 f.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

tik deutet darauf hin, dass es bei der Konzipierung einer globalen Ordnungspolitik nicht nur darum gehen kann, dass man, wie Habermas es ausdrückt, „von den internationalen Beziehungen zu einer Weltinnenpolitik“ gelange, in deren Rahmen Mechanismen gefunden werden müssen, um einzelne und vor allem unterschiedlich regierte Staaten in „bindende Kooperationsverfahren einer kosmopolitisch verpflichtenden Staatengemeinschaft“ zusammenzuführen.112 Das ist für sich genommen bereits eine Herausforderung. Es müsste im Zuge der Eucken’schen Begrifflichkeit auch und eigentlich vor allem darum gehen, die einerseits sehr eng und zugleich sehr umfassend ausgestalteten Maßstäbe von Ordnungspolitik im Rahmen einer solchen Weltinnenpolitik zu realisieren.113 Zugespitzt ausgedrückt, dem im Zuge wachsender globaler Interdependenz eigentlich geschwächten Nationalstaat kommt vor dem Hintergrund seiner globalen Verpflichtung die Aufgabe zu, umfassende globale Staatlichkeit zu schaffen, ohne dabei jedoch gegen die ebenfalls naturrechtlich begründete Nebenbedingung zu verstoßen, wonach er von einer vorstaatlich bereits existierenden Ordnung begründet und dadurch in seiner Herrschaft zugleich limitiert wird (vgl. § 4, III.). Anhand dieser Herausforderung wird ersichtlich, warum die Europäischen Union mit ihrem Versuch, „die globale Ökonomie einzuholen“114, als Musterbeispiel für das Unterfangen einer globalen Ordnungspolitik gleichermaßen geeignet wie ungeeignet erscheint.115 Denn einerseits stellt der freiwillige Zusammenschluss der europäischen Staaten in der Tat den einzigartigen und vorbildhaften Versuch dar, transnationale Staatlichkeit zu etablieren, im Rahmen derer die ehemals – zumindest formal – ungebundenen souveränen Staaten („untrammeled sovereignty“116) ihre Souveränität teilen und damit selber zum Garant der sie umfassenden Überstaatlichkeit werden.117 In diesem Zusammenhang ist auch der Wettbewerb der Regulierungssysteme innerhalb der Europäischen Union nicht mit einem globalen Wettbewerb zu vergleichen (vgl. § 5, I. 1.), weil ersterem zumindest bestimmte wirtschafts112  Habermas,

Die postnationale Konstellation, S. 88–90. veranlasst z. B. Wolfgang Kerber dazu, kein „globales Wettbewerbsrecht“ zu fordern. Vgl. Kerber, „Erfordern globale Unternehmensstrukturen globale Wettbewerbsregeln? Internationale Verfahrensregeln: ja! Globales Wettbewerbsrecht: nein!“, S. 13. 114  Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 85. 115  Auch sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Europäische Union nicht zwingend als Treiber von Globalisierung bzw. von globaler Staatlichkeit gesehen werden muss, sondern möglicherweise auch als Verhinderungsstrategie zur Sicherung derjenigen Privilegien, die sich die europäische Staaten durch einen Zusammenschluss sichern – in einem so genannten „Brüsseler Kartell“, vgl. Castells, Die Macht der Identität, S. 283. 116  Vgl. Held, „Law of States, Law of Peoples“, S. 172. 117  Vgl. Habermas, Zur Verfassung Europas, S. 71. 113  Das



§ 5  Euckens Ordoliberalismus167

und wettbewerbsrechtliche Gesamtentscheidungen vorausgegangen sind118 – was jedoch auch nicht alle Herausforderungen, verschiedene Vorstellungen von Ökonomie miteinander koordinieren zu müssen, automatisch beseitigt hätte.119 Zum anderen lebt die Europäische Union zumindest in der Selbstwahrnehmung ihrer Mitglieder aus einer gemeinsamen historischen sowie politisch-institutionellen Narrative heraus, die in dieser Form global nicht gegeben sein dürfte.120 Mit anderen Worten, obwohl Habermas zu Recht feststellt, dass die demokratische Ordnung „nicht von Hause aus auf eine mentale Verwurzelung der ‚Nation‘ als einer vorpolitischen Schicksalsgemeinschaft angewiesen“ ist, erkennt auch er Vorbedingungen als notwendig für die Etablierung einer Weltinnenpolitik an, allen voran die „transnationale Zivilgesellschaft“ als Motor einer globalstaatlichen Integration.121 Damit wird auch in Hinblick auf eine dezidiert demokratische Staatlichkeit dasjenige angenommen, was ebenso hinsichtlich der ordoliberalen Gesamtentscheidung ausgemacht werden kann. Beide hängen im Kern von einer Sittlichkeits-Struktur bzw. von einer, wie Fritz W. Scharpf es beschreibt, „soziokulturellen Unterstützung und einer institutionellen Infrastruktur“122 ab. Für die umfassenden Anforderungen der ordoliberalen Staatlichkeit heißt das, der einzelne Staat muss Möglichkeiten finden, den Prozess der Herausbildung einer solchen transnationalen Privatrechtsgesellschaft zu unterstützen, was – im Angesicht der ökonomischen Begründung politischer Herrschaft im Rahmen des Eucken’schen Staatsverständnisses – vor allem über eine zunehmende ökonomische Interdependenz geschehen kann, die sich jedoch wiederum nur unter den gegebenen Umständen des Laissez-faireMarktes wird weiter herausbilden können. Genau damit ist die dritte Dimension des ordoliberalen Trilemmas beschrieben, das im Kern die Begrenztheit 118  Vgl. Mestmäcker, „Soziale Marktwirtschaft und Europäisierung des Rechts“, S. 142. 119  Vgl. dazu z. B. die kontroversen Auseinandersetzungen über Rolle und Zielsetzung der Europäischen Zentralbank – ganz gleich, wie man dazu im Einzelnen stehen mag. 120  Vgl. dazu z.  B., Wilhelm Schmidt-Biggemann, „How Religion reentered the Public Political Sphere“, in: Religions in the public spheres, hrsg. von Tadeusz Buksiński, Frankfurt am Main/New York: Peter Lang, 2011, S. 13 ff., dem zufolge ein wesentliches Moment dessen, was die politische Konfiguration des christlichen Abendlandes ausmache, die Trennung von weltlicher und geistlicher Macht sei, die in dem europäischen Verständnis von Säkularisierung mündet. Ähnlich auch: Heinrich August Winkler, „Was heißt westliche Wertegemeinschaft?“, Internationale Politik 4 (2007): S.  67 ff. 121  Vgl. Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 90. 122  Vgl. Fritz W. Scharpf, „Demokratie in der transnationalen Politik“, in: Politik der Globalisierung, hrsg. von Ulrich Beck, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 20, S. 232.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

staatlicher Handlungsmöglichkeiten zum Ausdruck bringt und das eine Folge des Umstandes darstellt, dass der ordoliberale Staat mit seiner konzeptionellen Struktur, seinem sehr eng gefassten Verständnis legitimer Wirtschaftsordnungen sowie mit seiner Zusammenführung von Naturrecht einerseits und dezisionistischem Staatspositivismus andererseits in extremer Weise von Bedingungen abhängig ist, die er selber weder schaffen noch garantieren kann. Denn weil solche Momente wie „Ordo“, „Sittlichkeit“ oder „Zivilgesellschaft“ vor allem inhaltlich definierte Vorbedingungen einer an sich formalen Staatlichkeit darstellen, die sich aber genau aufgrund dieser Eigenschaft nicht durch den Staat erzwingen lassen,123 gibt es auch keine Garantie dafür, dass aus einem weiteren Zusammenwachsen der globalen Wirtschaftsordnung genau jene Ordo entstehen wird, die sich hin zu einem ordoliberalen Verständnis von Markt und Staat entwickelt. Und genau das machte bereits den Kern der legitimatorischen Leerstelle in Euckens Staatsverständnis aus (vgl. Kap 4.3.3.). Es dürfte auf globaler Ebene sogar relativ unwahrscheinlich sein, dass Euckens ordoliberale Legitimitätskriterien diejenige Rolle spielen werden, die ihnen nach seiner Auffassung zukommen sollten. Und damit wiederum liegt genau jene Vermutung, die Paul Hirst und Grahame Thompson in Hinblick auf die Unübersichtlichkeit der globalen Ordnung formuliert haben, auch in Hinblick auf eine mögliche globale Ordnungspolitik nahe. Es werden vermutlich die mächtigen Staaten sein, von denen die wichtigen Impulse für die Entwicklung der internationalen Ordnung zu erwarten sind124 – ganz gleich, ob diese die im ordoliberalen Sinne zu begrüßenden Regulierungsfähigkeiten und -absichten haben oder nicht. Vor diesem Hintergrund läuft die ordoliberale Globalisierungsbedingung hinsichtlich ihrer konkreten Umsetzbarkeit auf dasjenige hinaus, was auch Kant zufolge die geglückte Zusammenführung der Völker unter einem Völkerrecht (zum Teil sogar in einer Weltrepublik125) sicherstellen sollte. Die 123  Hegel weist im Zusammenhang mit seiner Diskussion zum Verhältnis von Sittlichkeit zum formalen Recht darauf hin, dass man keinem Volk eine Verfassung „a priori“ geben könne – ganz gleich, wie „vernünftig“ diese Verfassung auch sein möge, vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, § 274. 124  Hirst/Thompson, Globalization in question, S. 276. Zudem gehört es zu den Kerneigenschaften vieler internationaler Institutionen, auf deren Grundlage viele der Modelle zur global governance beruhen, dass deren Leistungs- bzw. Funktionsfähigkeit von der Bereitschaft sowie der Stärke bestimmter Mitglieder abhängig sei und infolgedessen in nur sehr begrenztem Umfang als ein Gegengewicht zu eben denselben Staaten fungieren könne, vgl. dazu z. B. Halliday, „Global Governance“, S. 27. 125  Kant selber plädiert zuerst für einen „Föderalism freier Staaten“, weil er nicht davon ausgeht, dass die einzelnen Staaten (vor allem die Fürsten) dazu bereit seien, ihre Souveränität zugunsten eines globalen Oberhaupts aufzugeben. An anderer Stelle wiederum bezeichnet er eben eine solche „Weltrepublik“ als eigentlich wünschens-



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Verknüpfung der verschiedenen Ökonomien in der Hoffnung, dass die Menschen und Völker durch Handel und den Tausch sowie dem damit einhergehenden „wechselseitigen Eigennutz“ zusammenfinden und sich infolgedessen institutionell aufeinander abstimmen und aneinander binden. Denn, so Kant: Auf die Art garantiert die Natur durch den Mechanism in den menschlichen Neigungen selbst den ewigen Frieden; freilich mit einer Sicherheit, die nicht hinreichend ist, die Zukunft desselben (theoretisch) zu weissagen, aber doch in praktischer Absicht zulangt und es zur Pflicht macht, zu diesem (nicht bloß chimärischen) Zwecke hinzuarbeiten.126

Analog dazu ließe sich auch in Bezug auf das Ziel einer globalen ordoliberalen Staatlichkeit, im Sinne der dargelegten Integration, die Hoffnung äußern, dass eine zunehmende ökonomische Interdependenz zur Herausbildung jener globalen Privatrechtsgesellschaft führt, von der aus dann wiederum der Impuls für eine Überwindung der globalen Laissez-faire-Ordnung hervorgehen könnte. Denn erst eine globale Privatrechtsgesellschaft kann überhaupt die Bedingungen bzw. die Grundlagen für eine legitime globale Staatlichkeit im ordoliberalen Sinne schaffen. Damit entsteht jedoch das Problem, dass die ökonomischen Verknüpfungen, aus welchen die Bedingungen zur Regulierung hervorgehen, einer globalen Laissez-faire-Ordnung entspringen müssen. Und diese hat neben ihrer Eigenschaft, die Integration des Weltmarktes und damit die globale ökonomische Interdependenz weiter voranzutreiben, auch die Tendenz, eben jene staatliche Autorität zu unterhöhlen, die für den Aufbau einer globalen ordoliberalen Staatlichkeit hilfreich wäre. IV. Fazit Damit wurde in § 5 in Hinblick auf die globale Dimension der Eucken’schen Ordnungspolitik gezeigt: – Wenn man unter „Globalisierung“ die weltweite Heraushebung sozialer und ökonomischer Aktivitäten aus ihren lokalen, regionalen und nationalen Kontexten und deren Einbettung in globale Netzwerke versteht, lässt sich anhand der sich dabei vollziehenden Integration der weltweiten Finanz- und Gütermärkte darstellen, dass diese in ihrer Funktionsweise dem ordoliberalen Verständnis von Laissez-faire-Märkten entsprechen. (Vgl. § 5, I.) wert, vgl. Immanuel Kant, „Zum ewigen Frieden“, in: Über den Gemeinspruch; Zum ewigen Frieden, hrsg. von Heiner Klemme, Hamburg: F. Meiner, 1992 (1795), B30 und B37–8. Volker Gerhardt sieht in diesem Widerspruch vor allem den „politischen Charakter der Friedenschrift“, vgl. Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“, S. 103–4. 126  Kant, „Zum ewigen Frieden“, B 65–6.

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3. Teil: „Ordo“ und Weltwirtschaft: globale Freiheit und starker Staat

– Aus der naturrechtlich strukturierten Begrifflichkeit des Ordoliberalismus folgt dann wiederum, dass aller nationalen Staatlichkeit immer auch eine globale Verpflichtung zukommt, die über den Schutz der eigenen Bevölkerung hinausgehen muss. Das ist der Kern der ordoliberalen Globalisierungsbedingung, die sich aus der Tatsache globaler ökonomischer Interdependenz ergibt und wonach eine Ausweitung ökonomischer Verflechtungen nicht ohne eine, die negativen Folgen wirtschaftlicher Freiheit abmildernde, Regulierung erfolgen dürfte – ganz gleich, in welcher Gebietskörperschaft solche Folgen anfallen mögen. (Vgl. § 5, II.) – Diese globale Verpflichtung ordoliberaler Staatlichkeit führt für den einzelnen Nationalstaat in Hinblick auf seine Handlungsoptionen allerdings zu einem ordoliberalen Trilemma: Denn die Widersprüchlichkeiten des Eucken’schen Staatsbegriffes, die sich aus der Zusammenführung von Naturrecht und Staatspositivismus ergeben haben, führen in letzter Konsequenz dazu, dass alle für den einzelnen Staat möglichen Strategien, das globale Laissez-faire zu überwinden (Isolation, Expansion, Integration) jeweils in einer konzeptionellen Aporie enden müssen. (Vgl. § 5, III.). – Dabei wurde gezeigt, dass die Strategien der Isolation sowie der Expansion bereits aus normativen Gründen abzulehnen sind. Dahingegen wäre die Integration nationaler Staatlichkeit in globale Ordnungszusammenhänge zwar wünschenswert, sie unterliegt jedoch eben jenen Aporien aus Naturrecht und Staatspositivismus (Vgl. § 4, III.), die bereits in Hinblick auf Euckens Staatsbegriff ausgemacht wurden. (Vgl. § 5, III. 2.)

Gesamtfazit / Ausblick Die vorliegende Arbeit hat die zentralen Argumente der Ordnungstheorie und Ordnungspolitik Walter Euckens rekonstruiert, um sich davon ausgehend der Frage nach der Zukunft bzw. der Zukunftsfähigkeit des Nationalstaates im Angesicht global integrierter Güter- und Finanzmärkte und der damit einhergehenden Verschiebung nationalstaatlicher Regulierungsfähigkeit zu nähern. Unter Hinzunahme von Thomas von Aquin, Immanuel Kant und Carl Schmitt wurde dabei im Rahmen der Darlegung des Eucken’schen Staatsverständnisses gezeigt, dass Eucken nur als ein widersprüchlicher und inkonsistenter Denker einheitlich verstanden werden kann – als Naturrechtler und als Staatspositivist. Damit sind zwei einflussreiche Strömungen in der EuckenRezeption aufgegriffen in einer einheitlichen Interpretation zusammengeführt worden: die Unterstützer Euckens, die seine Ordnungstheorie und -politik zum normativen Referenzpunkt aller politischen Ökonomie schlechthin machen, und eine Reihe von Kritikern Euckens, die ihm unterstellen, bei seinen Ausführungen vor allem auf einen autoritären Staat hingearbeitet und dieses mit solchen Begriffen wie „ökonomische Freiheit“ oder „Ordo“ verschleiert zu haben. – Vor diesem Hintergrund wurde in § 1 die Zielsetzung der Eucken’schen Ordnungspolitik, eine Wettbewerbsordnung zu realisieren, mit dem ordoliberalen Primat der Ökonomie, dem universal gültigen Recht jedes Einzelnen, seine Potenziale ohne Einschränkungen durch andere verwirklichen und sein Leben planen zu können, begründet. – Im Anschluss daran wurde in § 2 herausgearbeitet, dass diese Ausführungen Euckens von ihrer Argumentationsstruktur her eine liberale Version der thomistischen Naturrechts- und Rechtslehre darstellen und damit die Grundlage für das normative Selbstverständnis des Ordoliberalismus bilden. – In § 3 wurde dargelegt, dass die begriffliche Einordnung der Ordnungspolitik in die kantische Vernunftrechtslehre (ohne dabei argumentative Zugeständnisse an die kantische Moralphilosophie zu machen) vor allem Euckens Vorstellung einer radikalen Verpflichtung staatlicher Macht unterstreichen und seinem eigentlich thomistisch geprägten Verständnis von Wettbewerbsordnung mehr Plausibilität verleihen soll. – Davon ausgehend wurde in § 4 der „ordoliberale Dezisionismus“ skizziert, mithilfe dessen Eucken versucht, die „Schwäche“ des Staates im Umgang

172 Gesamtfazit/Ausblick

mit privatwirtschaftlichen Machtkörpern als einen politisch-institutionellen Konstruktionsfehler bestimmter Spielarten des Liberalismus (vor allem des Laissez-faire) darzulegen. Dabei wurde betont, dass es Eucken nicht gelingt, sich begrifflich von allen Implikationen der Schmitt’schen Terminologie, derer er sich bedient, zu befreien. Seine Vorstellung eines ordoliberalen Staates weist infolgedessen eine legitimatorische Leerstelle auf, die eine besondere Version des Böckenförde-Diktums darstellt. – Abschließend wurde in § 5 gezeigt, dass sich die begrifflichen Spannungen in Euckens Staatsbegriff auch in Hinblick auf die Herausforderungen eines integrierten Weltmarktes fortschreiben. Zwar impliziert die naturrechtliche Verankerung des Ordoliberalismus, dass aller nationalen Staatlichkeit immer auch eine globale Verpflichtung zukommt, die über den Schutz der eigenen Bevölkerung hinausgeht (ordoliberale Globalisierungsbedingung). Doch zwingt diese Verpflichtung den einzelnen Staat dazu, auf die Überwindung des globalen Laissez-faire hinzuarbeiten, und mündet damit im ordoliberalen Trilemma, dem zufolge die dem Staat offenstehenden Strategien (Isolation, Expansion und Integration) konzeptionell abzulehnen sind. Diese begrifflichen Widersprüche und Paradoxien im Eucken’schen Ordoliberalismus sind jedoch nicht identisch damit, die ordoliberale politische Ökonomie als prinzipiell unbrauchbar abzutun. Der Versuch Euckens, naturrechtliche und staatspositivistische Begründungszusammenhänge miteinander zu verknüpfen, führt neben den dargelegten theoretischen Problemen auch zu einem hohen Maß an konzeptioneller Offenheit und Flexibilität in Hinblick auf eine mögliche Anwendbarkeit ordoliberaler Politikgrundsätze. Vielleicht liegt sogar gerade in der mangelnden konzeptionellen Konsistenz des Ordoliberalismus eine Erklärung dafür, dass er sich bis zum heutigen Tag als die prägende politische Ökonomie der Bundesrepublik über fast alle Parteigrenzen hinweg durchsetzen konnte.1 Darüber hinaus ließe sich noch grundlegender die Frage stellen, ob nur eine in sich widerspruchsfreie Theorie eine gute Grundlage für das Design leistungsfähiger Institutionen bilden kann2 1  So verweist Foucault darauf, dass die ordoliberalen Grundsätze zu Beginn der Bundesrepublik aus unterschiedlichen Gründen weder bei der CDU noch bei der SPD auf besonders viel Zustimmung gestoßen seien, bevor sie in das Wirtschaftsprogramm beider Parteien übernommen wurden, vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik, S.  128 ff. 2  So lässt sich in diesem Zusammenhang auch auf die so genannte „irenische Formel“ der Sozialen Marktwirtschaft verweisen, die in ihrer Zusammenführung von Prinzipien wie Marktwirtschaft und sozialer Ausgleich zwar eine „Integrationsformel“ schafft, die sich jedoch Ptak zufolge nicht abschließend definieren lässt und folglich maximal schwammig bleibt, vgl. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft, S.  211 ff.

Gesamtfazit/Ausblick173

bzw. ob der Wunsch nach theoretischer Eindeutigkeit im politischen Leben und Handeln überhaupt wünschenswert und durchsetzbar ist. Neben dieser begrifflichen Widersprüchlichkeit zeichnet den Ordoliberalismus noch eine weitere Eigenschaft aus, die ihm eine gewisse Flexibilität verleiht und ihn für die Lösung globaler Ordnungsfragen prädestiniert. Er kommt mit einem Minimum an normativen Prämissen aus, d. h., er ist weder an eine bestimmte Vorstellung vom guten Leben gebunden noch lässt er sich trotz seiner Verankerung im thomistischen Naturrecht auf eine bestimmte religiöse oder kulturelle Strömung reduzieren. Vielmehr scheint der Ordoliberalismus mitsamt seinen Prämissen offen genug, um mit verschiedenen kulturellen Denkmustern und -traditionen kompatibel zu sein – zumindest sofern man die Möglichkeit, das eigene Leben sowie das der Familie zu planen und sich ohne Einschränkungen durch andere zu verwirklichen, als ein prinzipiell wünschenswertes Ziel anerkennt. Vor allem vor dem Hintergrund der Ausführungen in § 5 ergeben sich weitere Fragestellungen und Forschungsprojekte, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ausreichend behandelt werden konnten. Z. B. ließe sich die Frage danach stellen, in welche der verschiedenen Strömungen der vor allem angelsächsisch geprägten International Political Economy sich der Ordoliberalismus einreiht. Auch müsste sich an die globale Verpflichtung ordoliberaler Staatlichkeit die Frage anschließen, mithilfe welcher konkreter Institutionen ein internationales Privatrecht in Übereinstimmung mit ordoliberalen Grundsätzen entwickelt und gesichert werden kann. Darüber hinaus ließe sich die Brauchbarkeit des Ordoliberalismus für die Herausbildung einer transkulturellen Sittlichkeit und der damit verbundenen Frage untersuchen, nach welchen Standards und Kriterien die globale Gesellschaft ihre Ökonomie organisieren möchte, sofern man in der globalen Laissez-faireOrdnung keine nachhaltig stabile Weltwirtschaftsordnung ausmacht. Mit diesen Beispielen sind nur einige von zahlreichen Fragestellungen beschrieben, die sich vor dem Hintergrund ordoliberaler Begrifflichkeiten und Konzepte ergeben. Hoffentlich dient die vorliegende Arbeit als eine solide Basis, sich diesen sowie weiteren Themen rund um den Ordoliberalismus zu nähern.

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Stichwortverzeichnis Bindung (des Staates), siehe Funktionalismus Bundesrepublik  172 Demokratie / democracy  82, 122, 126, 141–142, 158–159, 163 Dezisionismus  47, 79–80, 82, 100, 103, 109, 120–122 – ordoliberaler  96–128, insb. 104, 110, 127, 171 Diktatur  111, 121 Entwicklungsländer  139, 162 Essentialismus (essentialistisch)  19, 28, 45 Ethik  24, 47, 58–62, 77, 82, 86 Externe Effekte  135, 140, 142 Finanzmarkt / Kapitalmarkt  11, 14, 129, 134, 139, 141, 155, 158, 164, 171 Freiheit / Freiheitlichkeit  16, 36, 44–45, 51, 83, 86, 91–93, 99, 106, 111, 120, 124–126, 156 – äußere  34–37, 44, 48, 50, 60–65, 69–78, 81, 84–89, 93–94, 112, 116, 120, 126 – globale  129 ff. – innere  84–86 – ökonomische (Machtfreiheit)  12, 16, 17, 34, 44–45, 76, 89–90, 94, 111, 130, 134, 140, 152, 158, 170, 171 – soziale  36, 43, 92–93, 153, 165 Freiheitlicher Sozialismus  88 Frieden  74, 93, 163, 169 – bürgerlicher  60–63, 76, 77 Funktionalismus (funktionalistisch)  14, 46, 81–83, 86, 91–96, 112, 125–128, 130–131, 147, 152–153, 159–161, 163, 164–166, 170–172

Gemeinwohl / bonum commune  48, 62–63, 74–75, 145–146, 158 Gerechtigkeit  74, 89, 93, 110 Gesamtentscheidung  97, 115–128, 159, 167 Gesamtinteresse, siehe auch Gemeinwohl (Positives) Gesetz / Recht  47–48, 52, 59ff., insb. 60–63, 65–66, 69, 73–78, 91, 110 Globalisierung  130–141, 153–157, 161–162, 166 Gott / gottgewollte Ordnung  42,49, 52–56, 68–69, 126 Große Antinomie  21, 97 ff., 127 Güter  30–32, 34, 41, 62, 64, 88, 135, 137, 148 Gütermarkt  11, 14, 129, 134, 141, 146–147, 152, 169, 171 Gutes Leben  59, 63–65, 69, 72, 74 ff., 89, 92, 95, 173 Handel  150, 152, 154, 169 hyperglobalization  134, 140–146 Idealtypus / idealtypische Formen­ elemente  22–29, 31–33, 69 Inclinationes naturales, siehe Natürliche Neigungen Individualismus  36, 51, 81, 107, 112, 116 Industriestaaten / -länder  124, 137, 139, 158 Investitionen  135–139, 145, 152 Knappheitsmesser, siehe Preis Laissez-faire  99, 106–111, 130–131, 155, 167, 172

188 Stichwortverzeichnis – globales  141–149, 153–158, 160, 169–170, 172–173 Legitimatorische Leerstelle  97, 119, 123–128, 159, 168–172 Legitimität  13, 34, 65, 71, 73–76, 80, 103, 126, 159, 164–168 lex humana, siehe (Positives) Gesetz /  Recht lex naturalis, siehe Naturrecht Liberalismus  47, 51, 58, 79–82, 92, 105, 109–116, 119, 125, 127, 172 Macht – (privat)wirtschaftliche  13, 16–17, 33–46, 82 ff., insb. 86–90, 93, 97–100, 102–113, 116, 118, 120, 123, 127, 129–130, 133–142, 144, 147–149, 151–152, 155–156, 160 – staatliche  13, 14, 96, 108, 114–118, 125, 127, 130–131, 141, 144–148, 154, 159–161 Menschenrechte  122–123, 126 Monopol / Monopolkontrolle  32, 39, 93, 97, 99, 102, 108 Multinationals  135–138, 156, 158, 162 Nationalsozialismus (nationalsozialistisch)  80, 83, 89, 110–113, 120–122 Nationalstaat (nationalstaatlich)  11, 129–170 Natürliche Neigungen  54–57, 63, 69–73 Naturrecht (naturrechtlich)  13–15, 17–19, 27–28, 33, 44–97, 100, 103–104, 109–110, 112–115, 118– 120, 126, 128, 130, 134, 141, 145, 147, 150–151, 158, 160–161, 164–165, 168, 170–171, 173 Neoliberalismus  51 Normativismus  100, 102 Oligopol  32, 39 Ordnungsgrundsätze  82, 96 Ordo  12, 14, 19, 42–43, 46, 48–50, 52, 60, 83, 90, 103, 123–128, 162, 168, 171

Ordoliberale Globalisierungsbedingung  130, 132, 134, 147 ff., 152–154, 159, 162–163, 165, 168 Ordoliberales Trilemma  15, 130, 159, 161, 164, 167, 170, 172 Pluralismus  82, 104 ff., 115–116, 120, 127, 141, 145 (Das) Politische  81–83, 107, 109, 111, 112, 115–120, 127–128 Preis  17, 32–33, 35–36, 39–44, 46, 66, 74 ff., 87, 89, 99, 133, 135–136, 142–143 Primat der Ökonomie  14, 17, 33 ff., 40, 43–45, 74, 81, 87, 119, 125, 127, 161, 163, 171 Primat des Staates  113, 119, 129, 135, 138–139, 159, 161 Privateigentum  88, 90, 92, 97–99, 102 Privatrechtsgesellschaft  76, 95, 123, 148, 159–161, 167, 169 Privatwohl  48, 62–63, 75 Rechtspositivismus  86, 110, 121–122, 126 Regulierung / Regulierungsfähigkeit  17, 43, 60, 77, 89, 92, 94, 99, 102, 104, 113, 124, 129–131, 134, 137, 139–144, 149, 151, 152–153, 162, 164–166, 168–171 Regulierungsmonopol  129–131, 133, 160 Sittlichkeit  36, 71, 101, 124–125, 168, 173 Souveränität  79, 81, 100–101, 103, 105, 110, 120–121, 130, 142, 144, 153, 158 ff., 164–166, 168 Sozial- und Umweltstandards (Vermeidung von)  134 ff., insb. 135, 139, 140–141 Staatlichkeit  14, 83, 133–134, 142– 143, 145, 147–148, 160–164, 166–170, 173

Stichwortverzeichnis189 Staatspositivismus  14–15, 79–80, 83, 97, 109–110, 114–115, 127, 164, 168, 170–172 Starker Staat  79, 82, 107, 109, 120, 125, 129 ff., 158, 164 Steuerwettbewerb  134 ff., 141 Universalismus (universalistisch)  14, 78, 146, 150–152, 158, 160 Vernunftrecht  14, 81 ff., 90, 96 Verpflichtung (des Staates), siehe Funktionalismus Vertragsfreiheit  99, 102 Vollständige Konkurrenz  16, 31–33, 39, 42, 46, 103 Weltmarkt  129–130, 132–135, 140, 142–147, 149–150, 152–160, 165, 172

Wettbewerbsordnung  40 ff., 83 ff., 89–90, 95–96, 98, 99, 112, 113, 115, 118, 120, 122–123, 140, 148, 152, 158–159, 171 Wirtschaftlicher Alltag  29, 31, 32, 33, 38, 39, 41, 71, 94, 96, 146–147, 149–150 Wirtschaftliches Prinzip  33–45, 70–73, 77, 90–91, 148 Wirtschaftsplan  29–30, 32–33, 35, 38–39, 69–70, 73, 75, 77 Wohlstand  62, 74, 153, 156–157 Würde  50, 81, 83–91, 103, 123, 125 Zwecke (menschlichen Handelns)  16–17, 30–31, 34–36, 38, 40, 43, 46, 63, 70, 72–74, 77, 84–85, 87, 89, 92–96, 107–108