Das Todesrecht im Alten Testament. Studien zur Rechtsreform der Mot-Jumat-Sätze

Table of contents :
Vorwort
Abkürzungen
Inhalt
Einleitung
I. Die Rechtsform der mot-Sätze
II. Der Sitz im Leben des Todesrechts
III. Das kultische Gerichtsverfahren
IV. Die sakralrechtlidien Deklarationsworte bei Deutero-Ezechiel
V. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis

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Schulz • Todesrecht im Alten Testament

Hermann Schulz

Das Todesrecht im Alten Testament Studien zur Rechtsform der Mot - Jumat - Sätze

Verlag Alfred Töpelmann Berlin 1969

Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Georg Fohrer 114

© 1969 by Alfred Topelmann, Berlin 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanisdien Wiedergabe, der Übersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck: H. HeenemannKG, Berlin 42 Archiv-Nr. 3822695

Vorwort Die folgende Untersuchung hat im Sommersemester 1966 und Wintersemester 1966/67 der Theologischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg als Dissertation vorgelegen. Sie ist für den Druck überarbeitet worden. Mein besonderer Dank für vielfache Förderung gilt Herrn Professor Dr. Otto Kaiser. Herrn Professor Dr. Dr. Georg Fohrer sowie dem Verlag Alfred Töpelmann, Berlin, danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft. Die Drucklegung unterstützten der Marburger Universitätsbund und die Stiftung Volkswagenwerk. Meine Frau Reine gab mir durch ihre Hilfe und Anteilnahme die Möglichkeit, diese Arbeit zu schreiben. Marburg, April 1968

Hermann Schulz

Abkürzungen nach RGG 3 , VI, Tübingen 1962, XX-XXXI. Sonstige: ASTI

Annual of the Swedish Theological Institute in Jerusalem.

FS

Festschrift.

GK

Gesenius, W., Hebräische Grammatik, völlig umgearb. v. E. Kautzsch, 19092».

OrAnt

Oriens Antiquus.

KS

Kleine Schriften.

RefTR

Reformed Theological Review.

STANT

Studien zum Alten und Neuen Testament.

StThatlÜberl Studien zur Theologie der alttestamentlidien Überlieferungen, hrsg. v. R. Rendtorff u. K. Koch, G. v. Rad zum 60. Geb., 1961.

Inhalt Seite

Vorwort

V

Abkürzungen

VII

Einleitung

1

I.Die Rechtsform der mot-Sätze A. Mot-Satz und Prohibitiv

5 6

a) Die 1. 2. 3.

Tatbestände der Prohibitivreihe Ex 2 0 1 3 - 1 5 lo' tirsäh lo' tin'äp lo' tignob

9 15 36

b) Der 4. 5. 6. 7. 8.

Prohibitiv als Grundlage des mot-Satzes Lev 27 29 Lev 2410-23 Die mot-Sätze in Lev 20 Ex 2115 Ex 2117

40 40 42 46 51 52

6

9.

E x 3112-17

55

10.

E x 2217-19

58

B. Die Fludireihe Dtn27

61

C. Das Todesredit Die Rechtsform der Todessätze

71 71

D. Zusammenfassung

83

II. Der Sitz im Leben des Todesrechts

85

A. Vorbemerkung

85

B. Gen 26 1-11 a) Zur Reditsanalyse erzählender Literatur b) Gen 26 11: Das Todesredit in der Stammesgemeinschaft

95 95 99

C. Die Todesgerichtsbarkeit der Ortsgemeinden a) I Reg 21 b) Jer 26 7 ff c) Jer 7 d) Ergebnis

113 115 118 123 127

III.Das

kultische Gerichtsverfahren



A. Vorbemerkung

130 130

B Das Verhältnis von Lev 20 zu Lev 18

132

a) Die Reihe Lev 2011 f. 17. (19). 20 f b) Die Reihe Lev 2013-16. 18 c) Die Reihe Lev 20 2. 6. 9. 27

132 135 137

C. Das kultische Gerichtsverfahren a) Der Formelgebraudi in Lev 20 b) Der Formelgebrauch in Lev 18 c) Der Formelgebraudi in Lev 19

139 139 145 149

D. Lev 18-20 als Formular eines kultischen GeriditsVerfahrens

155

IV. Die sakralrechtlichen Deklarationsworte

bei Deutero-Ezechiel

•. 163

Vorbemerkung

163

Die deutero-ezediielisdie Grundsdiidit

167

V.Zusammenfassung Literaturverzeichnis

188 193

Einleitung Die formgeschichtliche Untersuchung des alttestamentlichen Rechts wurde durch A. Alt eingeleitet. Alt erkannte im kasuistisch und apodiktisch formulierten Recht Rechtsformen verschiedener Herkunft 1 . Diese grundlegende Unterscheidung hat die Forschung seit 1934 bestimmt2. Erst in neuerer Zeit wurde deutlich, daß das von Alt als apodiktisch bezeichnete Recht weder formal noch inhaltlich eine Einheit ist. Gese grenzte die Partizipialsätze mit der Rechtsfolgebestimmung mot jümat als Nachahmung kasuistischer Konditionalsätze aus dem apodiktischen Recht aus3. In einer näheren Untersuchung der Prohibitive versuchte Gerstenberger wahrscheinlich zu machen, daß die Verbote eine im Sippenethos beheimatete Rechtsbildung eigener Art sind4. An den partizipialen Todessätzen vermochte Alt die Eigentümlichkeiten des »apodiktischen Stils« besonders gut zu veranschaulichen. Diese Sätze sind in das BB eingearbeitet, einmal an der Stelle des kasuistischen Rechts, an der es Fälle von Körperverletzung behandelt (Ex 21 12 ff.), ein andermal zu Beginn einer Sammlung von Prohibitiven (Ex 22 17 ff.). Das Heiligkeitsgesetz faßt sie in dem auf zwei Prohibitiv-Kapitel folgenden Kap. Lev 20 zusammen. In diesen Todessätzen folgt auf eine partizipiale Tatbestandsdefinition ein durch den absoluten Infinitiv verstärktes, stets gleichlautendes Prädikat: mot jümat. Ex 21 12 lautet: »Wer einen Menschen erschlägt, ist dem Tode verfallen«®. Die Ubersetzung erweckt6,

1 2

Die Ursprünge des israelitischen Redits, KS I, 278-332. Weitergeführt und modifiziert wurden die Ergebnisse Alts v. a. im Hinblick auf das Problem des genuin Israelitischen der Apodiktik. Zur Auseinandersetzung mit Alt vgl. Landsberger, in: Symbol. Kosdiaker 223; Rapaport, PEQ 73 (1941), 158 ff.; Rabast, Diss.; MacKenzie, Diss.; ders., Two Forms; Mendenhall, ThSt (B) 64 (1960); Sdimökel, ZSavStRG, Kanon. Abt. 36 (1950), 365 ff.; Heinemann, Diss.; Nielsen, Shediem, 33 ff.; Gese, ThLZ 85 (1960), 147 ff.; Kilian, Diss. 11 ff.; ders., BBB 19 (1963), I f f . ; ders., BZ N F 7 (1963), 185 ff.; Gerstenberger, WMANT 20 (1965); ders., JBL 84 (1965), 38 ff.; Fensham, PEQ 93 (1961), 143 ff.; Gevirtz VT 11 (1961), 137 ff.; Reventlow, ZThK 60 (1963), 267 ff.; Williams. VT 14 (1964), 484 ff.; ders., VT 15 (1965), 113 ff.; Fohrer, KuD 11 (1965), 49 ff.; Hentschke, ThViat 10 (1965/ 66), 108 ff.

3 ThLZ 85 (1960), 147-150; vgl. Kornfeld, Studien, 49 ff.; MacKenzie, Forms, 33 ff. * Diss. Bonn 1961 = WMANT 20 (1965). 5 Zur Übersetzung der mot-Formel vgl. I C, S. 71 ff.

2

Einleitung

wie Alt hervorgehoben hat, »den ganz irreführenden Eindruck, als habe man es da wieder mit der geläufigen kasuistischen Formulierung zu tun, nur mit dem nebensächlichen Unterschied, daß der den Rechtsfall bezeichnende Vordersatz diesmal nicht konditional, sondern als Relativsatz gestaltet wäre. Das hebräische Original n a v riia nai BPH n?» hat eine völlig andere Struktur und will als ein einziger Satz verstanden sein, in dem nun alles, der Recbtsfall und die Rechtsfolge, auf engstem Raum zusammengedrängt ist. Voran das Subjekt, die Bezeichnung des Täters und damit des Rechtsfalles, partizipial gestaltet, so daß es sogleich ein Objekt und ferner nach hebräischer Syntax sogar auch noch ein die Handlung weiterführendes abhängiges Sätzchen zu sich nehmen kann, welch letzteres jedoch kaum als Größe f ü r sich empfunden wird und keinesfalls das geschlossene Gefüge des Hauptsatzes stört; dann, die Rechtsfolge ausdrückend, das verbale Prädikat, nun in die weniger begünstigte Endstellung geraten, darum zur Wahrung des inneren Gleichgewichts durch Beifügung des absoluten Infinitivs besonders verstärkt« 7 . Alt will also den mot-Satz® nicht als kasuistischen Konditionalsatz verstanden wissen, muß aber in der Analyse des Satzes auf die dem apodiktischen Recht wesensfremden Begriffe Rechtsfall und Rechtsfolge zurückgreifen. Die apodiktischen Verbote, Gebote und Talionsformeln 9 , mit denen Alt die mot-Sätze in Verbindung bringt, setzen weder einen Rechtsfall nodi eine Rechtsfolge. Bezeichnend ist das Fall-Folge-Verhältnis vielmehr f ü r das kasuistische Recht. Alt vermochte den mot-Satz also nicht ohne Rückgriff auf die kasuistische Rechtsform zu charakterisieren. Er weist damit auf das in der Folgezeit deutlicher gesehene Problem hin: Gehört der mot-Satz wirklich zum apodiktischen Recht oder nicht vielmehr zum kasuistischen? Gese glaubte, die an den kasuistischen Rechtssätzen zu beobachtende Inversion der Wortfolge zur Abgrenzung von Protasis und Apodosis auch in den mot-Sätzen wiederfinden zu können, da das zur Kennzeichnung des Beginns der Apodosis voranzustellende Satzglied auch ein inf. abs. sein könne 10 . Daraus zog Gese den Schluß, die motSätze seien die verkürzende Nachahmung einer Konditionalsatzperiode. »Die komplizierte syntaktische Struktur der Sätze der mot-jumat-Reihe ist also nur als Mischform zu verstehen: kasuistische Rechtssätze werden

6

Alt übersetzt: »Wer einen Menschen so schlägt, daß er stirbt, der muß vom Leben zum Tode gebracht werden.« KS I 308. Noth: »Wer einen Mann schlägt, so daß dieser stirbt, soll unbedingt getötet werden.« A T D 5, 136. 7 KS I 308. Hervorhebung von mir. 8 Die Partizipial-, Relativ- oder Konditionalsätze mit der Rechtsfolge mot jümat seien hier kurz mot-Sätze oder Todessätze genannt. 9 Zu den Talionsformeln als eigener Rechtsbildung vgl. S. 76 Anm. 314 und S. 188. 10 ThLZ 85, 147 f.

Einleitung

3

in diesem besonderen Fall umgestaltet, indem sie poetischen bzw. liturgischen Formen angepaßt werden« 11 . Kilian betonte die konditionale Auflösungsmöglichkeit des Partizips der mot-Satz-Protasis 12 . Damit galt als sicher, daß die mot-Sätze »in Wirklichkeit kasuistische Gesetze« seien13. Allein diese Lösung des Problems befriedigt nicht. Die mot-Sätze weisen formale und sachliche Besonderheiten auf, die sich aus dem kasuistischen Recht nicht erklären lassen. Sie sind zunächst metrisch strukturiert. »Solche Wucht des Ausdrucks ist dem kasuistischen Stil . . . völlig fremd« 14 . Schon die Form zwingt dazu, die Todessätze von der Kasuistik zu scheiden15. Sachlich fällt entscheidend ins Gewicht, daß stets die gleiche Strafe verhängt, stets das gleiche mot jumat gebraucht wird. Die Tatbestände lassen sich also unter dem Gesichtspunkt der Todeswürdigkeit der Vergehen zusammenfassen. Zeichnen die mot-Sätze aber eine besondere Form und ein besonderer Tatbestandsbereich aus, dann muß die Frage gestellt werden, ob die Todessätze nicht eine Rechtsbildung eigener Art darstellen. In welchem Verhältnis stehen die mot-Sätze zu den übrigen alttestamentlichen Rechtsformen? Mit Recht ist gegen Alt eingewendet worden, um Apodiktik könne es sich bei den Partizipialsätzen nicht handeln16, da für den apodiktischen Stil die sanktionslosen, absoluten Verbote und Gebote typisch sind. Ebensowenig aber lassen sich die Todessätze in Kasuistik auflösen 17 . Den Unterschied zum kasuistischen Recht hat Alt gespürt18, konnte ihn aber noch nicht scharf herausarbeiten. Es ist bemerkenswert, daß die erst geraume Zeit nach dem Erscheinen des Alt'sehen Aufsatzes einsetzende formgeschichtliche Kritik, soweit sie die mot-Sätze betraf 19 , eine deutliche Unsicherheit zeigt hinsichtlich der in diesen Rechtssätzen greifbaren Rechtsform. Zwar hielt man die mot-Sätze einerseits für kasuistisch20, war aber andererseits gezwungen, sie von der Kasuistik wieder abzugrenzen. Gese spricht einerseits von »kasuistischer Rechtsformulierung«, andererseits von Mischform21. Sind die mot-Sätze nach i i Ebd. 148 f. " Diss. 11 ff.; BBB 19 (1963), 1 - 3 ; B Z 7 (1963), 188 f. 13 Kilian, B Z 7, 188. m Alt, K S I, 308. is Ebd. 1 6 Vgl. MacKenzie, Kornfeld, Gese, Kilian a. a. O. Als Mischbildung verstehen die mot-Sätze auch Jepsen, Bundesbuch, 30.96; Botterweck, ThQ 134 (1954), 140; Heinemann, Diss. 97 f.; Noth, A T D 5, 145; Fohrer, K u D 11, 72; Nielsen, Gebote, 51. 17 D a s hat v. a. Williams, V T 14 (1964), 483 ff.; V T 15 (1965), 113 ff., richtig gesehen (s. u.). i» K S I 308 ff. 1 9 Erst mit dem Aufsatz Geses a. a. O. 2 0 MacKenzie, Kornfeld, Gese, Kilian. 21 T h L Z 85, 148.

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Einleitung

Kilian einerseits »in Wirklichkeit kasuistische Gesetze«22, so sind sie andererseits wieder »von der eigentlichen Kasuistik verschieden«23. Charakteristisch ist das Urteil MacKenzie's: »Although these pronouncements are formally casuistic laws . . . yet there is certainly a world of difference, in spirit and outlook, between them and the standard casuistic form» 24 . Fohrer spricht von kasuistischem Recht in apodiktischer Formulierung25, Nielsen hält die Todessätze »trotz der strukturellen Ähnlichkeit mit dem kasuistischen Gesetz dennoch« für »wesensverschieden von diesem«26. Die formgeschichtliche Erforschung des alttestamentlichen Rechts steht hier vor einer noch ungelösten Frage, die eine eigene Untersuchung notwendig macht27. Eine solche Untersuchung ist um so dringlicher erforderlich, als sie mit zu den Voraussetzungen einer synoptischen Formgeschichte der alttestamentlichen Rechtskorpora gehört. Eine formgeschichtliche Untersuchung der alttestamentlichen Rechtskorpora fehlt bisher. Die vorliegende Arbeit soll der Vorbereitung dieser der alttestamentlichen Wissenschaft gestellten Aufgabe dienen.

22 Diss. 11; BZ N F 7, 188. 23 Diss. 15; BZ N F 7, 191. 24 Forms 36. 2s KuD 11, 72. 26 Gebote 51, vgl. Williams, VT 15 (1965), 113 f., der die größere Nähe zu den Prohibitiven und Geboten betont. 27 Vgl. jetzt Richter, StANT 15 (1966), 174.

I. Die Rechtsform der mot-Sätze Da die mot-Sätze den Tod des Täters deklarieren, müssen sich die mot-Satz-Tatbestände unter dem Gesichtspunkt der Todeswürdigkeit des Täters zusammenfassen1 und von anderen Rechtstatbeständen abgrenzen lassen; d. h. schon der Tatbestandsbereich kann ein Spezifikum der Todessätze darstellen, das es ermöglicht, sie rechtlich und rechtsgeschichtlich näher zu erfassen. Man kann daher in einer Analyse von den mot-SatzTatbeständen ausgehen. Da im folgenden aber formgeschichtlich zu verfahren ist, mag es fraglich erscheinen, ob der Ansatz bei den Tatbeständen methodisch gerechtfertigt ist. Kann der Tatbestandsbereidi etwas mit der Form der Sätze zu tun haben? Die Frage ist positiv zu beantworten. Schon das Prohibitivrecht2 läßt eine Korrelation zwischen Form und Tatbestandsbereich erkennen. Wie die Verbotsform eine Grundform der Proklamation von Rechtsregeln ist, so ist der Verbotstatbestand Grundnorm für die betreffende Gemeinschaft3. Sache - Töten, Entführen, Brechen sexueller Tabus usw. - und Form - du sollst nicht - bedingen einander. Gibt es aber im Recht Beziehungen zwischen Tatbestand und Form, dann müssen die Todessätze auf solche Beziehungen hin untersucht werden. Die Frage nach der »Rechtsform« der mot-Sätze beinhaltet auch diejenige nach dem Verhältnis zwischen Tatbestandsbereich und

1 Vgl. Alt, KS I, 320. 2 Ob die Prohibitive (und Gebote, vgl. aber Richter, StANT 15, 88 ff.) eine Rechtsbildung darstellen oder in umfassenderem Sinne als Lebensnormen zu bezeichnen sind, ist umstritten. Bei einer Bestimmung dessen, was Recht ist, hängt Entscheidendes von einem Urteil über das Problem der Differenzierung zwischen Sitten-, Lebensnormen, religiösen Normen und Rechtsnormen ab. Zu den unterschiedlichen Ansätzen vgl. Gerstenberger, WMANT 20; Fohrer, KuD 11,52; Richter, StANT 15, Kap. 3-5. Auf dieses gleichermaßen rechtshistorische wie rechtsphilosophische Problem kann hier nicht näher eingegangen werden. Man wird m. E. in den Prohibitiven doch so etwas wie Recht zu sehen haben, da man Kantorowicz wohl zustimmen darf: »Das vorwissenschaftliche Rechtsdenken war und ist immer noch so wichtig für das Verständnis der Entwicklung der Rechtswissenschaft, daß wir darum bemüht sein müssen, unseren Begriff des Rechts so zu fassen, daß er selbst die primitivsten Regungen rechtlichen Denkens einschließt« (Begriff des Rechts 77). Im folgenden wird die in den Prohibitiven greifbare Rechtsbildung als Prohibitivrecht bezeichnet. 3 Vgl. Gerstenberger, WMANT 20, 110 ff.

6

Die Rechtsform der mot-Sätze

Form; unter Rechtsform wird daher im folgenden auch das aus dieser Korrespondenz zwischen Tatbestandsbereich und Form bestehende Charakteristikum einer Rechtsbildung verstanden. Schon auf den ersten Blick fällt die Bedeutung des Tatbestandsbereichs für die in den mot-Sätzen ausgeprägte Rechtsform ins Auge. Der Tatbestand Ex 2116 ( ©ix a n ) greift offenbar auf den Prohibitiv lo' tignob (Ex 2015) zurück, wie der Stichwortanschluß zeigt: Lev 2010 nimmt das na'ap des Prohibitivs lo' tin'ap (Ex 2014) auf, die mot-SatzReihe Lev 20 eine Anzahl der in Lev 18 aufgeführten Prohibitive. Auch ohne Stichwortanschluß ist die sachliche Beziehung zwischen mot-Satz und Prohibitiv in einigen Fällen unübersehbar: Ex 2112 z. B. (»wer einen Menschen totschlägt«) beruft sich auf Ex 2013 (»du sollst nicht töten«) 4 . In diesem Überblick ist die im Dekalog überlieferte Prohibitiv-Dreierreihe lo' tirsäh, lo' tin'ap, lo' tignob (Ex 20 13-15) enthalten. Die Tatbestände dieser Prohibitiv-Reihe scheinen offenbar in den Todessätzen wiederzukehren. D a auch weitere Prohibitiv-Tatbestände bestimmten mot-SatzTatbeständen sachlich entsprechen, ist die Frage nach dem rechts- und formgeschichtlidien Verhältnis zwischen Prohibitiv und Todessatz unabweisbar. Will man die Untersuchung der Todessätze nicht schon von vornherein durch Vorentscheidungen über Kontext, Tatbestand und Rechtsstruktur des mot-Satzes belasten, dann empfiehlt es sich, von Prohibitiven auszugehen, deren Tatbestände in den mot-Sätzen wiederkehren. Am nächsten liegen die Prohibitive Ex 2013-15, die sich durch Objektlosigkeit und Reihenbildung aus dem Dekalog herausheben. Wenn es rechts- und formgeschichtliche Beziehungen zwischen mot-Satz und Prohibitiv geben sollte, dann wird eine Analyse der Tatbestände dieser Prohibitive die Untersudiung jenes Beziehungsverhältnisses vorbereiten und methodisch sichern können.

A. MOT-SATZ U N D PROHIBITIV

a) Die Tatbestände

der Prohibitivreibe

Ex 20,13-15

Eine Untersuchung der Tatbestände der Prohibitive Ex 2013-15 darf das Kompositionsprinzip des Dekalogs, in den sie eingefügt sind, nicht außer acht lassen. Sachgemäß wird eine die Gebote isolierende Einzelanalyse erst dann sein, wenn die im kompositionellen Kontext gegebenen Hinweise auf eine mögliche Tatbestandserfassung zuvor auf ihren Wert

4

Zu Ex 20 13 s. u. S. 9 ff. Die Verwandtschaft zwischen Prohibitiv und Partizipialstil beobachtet Richter, StANT 15, 172 ff.

Mot-Satz und Prohibitiv

7

geprüft worden sind. Dieser methodische Ansatz hat sich bei der Untersuchung des Diebstahlverbots bereits bewährt 5 . Dennoch erscheint es problematisch, von übergeordneten Kompositionen Aufschluß über ein ursprüngliches Verständnis bestimmter Tatbestände zu erwarten. Zu den Vorstufen des Dekalogs gehören nicht zehngliedrige Formulare formal mehr oder minder einheitlicher Gebote; der Dekalog ist vielmehr eine sekundär zusammengestellte Reihe, deren Einzelsätze zu verschiedenen, ursprünglich selbständigen Kurzreihen gehörten6. Wie auch Hos 4 2 Jer 7 9 beweisen, bildeten gerade die fraglichen Prohibitive einmal eine Sonderreihe7. Ist aber der Dekalog eine spätere

5

A. Alt, das Verbot des Diebstahls im Dekalog, KS I, 333 ff., s. u. S. 36 ff.; vgl. jetzt auch Gese, ZThK 64 (1967), 126 ff. 6 Zur Dekalogforschung vgl. Köhler, ThR N F 1 (1929), 161 ff.; J. J. Stamm» ThR N F 27 (1961), 189 ff. 281 ff.; ders., Dekalog^, 1962; H . Graf Reventlow, Dekalog, 1962; Fohrer, K u D 11 (1965), 49 ff.; Nielsen, Gebote; Gese, ZThK 64, 121 ff.; Jepsen, ZAW 79 (1967), 277 ff.; Richter, StANT 15, 96 ff. 126 ff.; Während die Mehrzahl der Forscher noch an der Priorität der Gesamtreihen festhält (vgl. Stamm, Dekalog, 31; Mowinckel, ZAW 55 (1937), 220; Alt, KS I, 310 ff. 317 ff.; Rabast, Diss. 33; Beyerlin, Sinaitraditionen, 16; Noth, ATD 5, 129; vgl. auch Gese und Jepsen a. a. O.), hat Gerstenberger zu erweisen versucht, daß die Prohibitive in der Regel als Einzel-, Zweier- oder Dreiergebote entstanden seien (WMANT20, 77 ff.; vgl. die Zusammenstellungen W M A N T 20,88). An der überlieferungsgeschichtlichen Priorität der Kurzreihen ist jedenfalls nicht zu zweifeln. Fohrer hat versucht, die Dekalogsätze verschiedenen Ursprünglicheren apodiktischen Reihen zuzuweisen (KuD 11, 63 ff.). Hinter den methodischen Ansatz von Gerstenberger und Fohrer wird man nicht mehr zurück können. Damit ist zugleich allen auf die Erhebung einer langen Entwicklungsgeschichte eines Zehnwortformulars gerichteten Rekonstruktionsversuchen der Boden entzogen. 7

Hos 4 2 Jer 7 9 sind nicht vom Dekalog abhängig (so v. a. Alt, KS I, 333 f.; vgl. Rudolph, H A T I 122, 49; Eichrodt, Theologie P , 181; Stoebe, WuD N F 3 (1952), 113; Noth, ATD 5, 134). In Hos 4 2 f. erregt v. 2 gerade deshalb Verdacht, weil alle aufgezählten Rechtstatbestände in echten Hos-Worten wiederkehren, in der Reihenfolge von 4 2 : 10 4 9 2 69 7 1 3 1 4 13 f. 7 4 2 4 4 10 68 14 12 5. Das sieht nach systematisierender Zusammenfassung aus. V. 2a will den Hauptbestand der ursprünglich objektlosen Prohibitive erfassen und die Tatbestände in abfallender Klimax nach ihrer sakralrechtlichen Wertigkeit ordnen: (Gottesfluch, etwas [unter Eid] in Abrede stellen) stehen daher voran. Junker hält W1D1 n*?H für einen Tatkomplex: »falsche Aussage bei einem als Selbstverfluchung formulierten Eid, den der Richter dem Angeklagten auferlegte . . . « (BZ N F 4, 1960, 166). V. 2a hat in der Komposition: Gerichtsproklamation (vgl. Wolff, B K X I V , 1961, 82 f.) (v. la.ba), Anklage (v. lbß), Rechtsgrund (v. 2), Urteil (v. 3) die Funktion, den von Hos vorgegebenen Sachverhalt, nämlich das Fehlen von HÖH; "7011 jDTlVX DSTT im Lande, unter eine Reihe von Tatbestandsnormen zu subsumieren. Obgleich schon der von Hos dargebotene Sachverhalt v. lb, auch ohne v. 2a, eine Gerichtsankündigung bzw. ein vernichtendes Urteil rechtfertigen würde, bietet v. 2a nochmals eine subtile Sub-

8

Die Rechtsform der mot-Sätze

Zusammenstellung, dann verbietet sich offensichtlich jeder Rückschluß vom Kompositionsprinzip auf das Einzelgebot. Eine solche Argumentation wäre vorschnell. Man bleibt zunächst ja auf die kleineren kompositorischen Einheiten - also hier Ex 20 13-15 gewiesen, deren Reihungsprinzipien solange nicht als sachlich für das Verständnis der Einzelgebote unerheblich abgetan werden können, solange nicht die Entstehung des fraglichen Prohibitivs als Einzelgebot erwiesen ist8. Sodann ist nicht auszuschließen, daß auch eine sekundäre Zusammenstellung wie der Dekalog schon durch die Komposition selbst ein Rechtsverständnis zum Ausdruck bringt, das dem ursprünglichen Sinn der Einzelgebote und der kleineren Reihungen nahe steht. Obgleidi im ganzen deuteronomisdi 9 , verdient das dekalogische Prinzip der Anordnung der Rechtsmaterien gerade als ein Dokument deuteronomischen Rechtsverständnisses im Hinblick auf etwa in den kurzgereihten Einzelgeboten angelegte rechtliche Qualifikationen Beachtung. Das Besondere des dekalogischen Aufbaus besteht in der Anordnung der Fälle nach dem Personenkreis, dessen Schutz und Rechte die jeweilige Norm gewährleistet. Abgegrenzt wird der Bereich Jahwes (v. 2-11) von dem der Familie (v. 12) und - läßt man die Dreierreihe v. 13-15 einmal beiseite - dem des Nächsten ( d e s s e n Belange besonders vor Gericht deutlich werden. Diese Eigentümlichkeit der Anordnung der Gebote nach dem zu schützenden Personenkreis ist auch für die Dreierreihe v. 13-15 aufschlußreich. Wenn objektlose Gebote genau zwischen einem auf den Schutz der Familie und einem auf den Schutz des Nächsten gerichteten Gebot in das Formular eingefügt sind, dann steht zu erwarten, daß das Formular hier Raum ließ für Gebote, die sowohl Familienglieder als auch »Nächste« zu schützen hatten. Damit ist nicht gesagt, daß diese Ausrichtung des (Dekalog)-Formulars für eine Deutung des Objektbereichs der ursprünglich selbständigen Dreierreihe maßgeblich gemacht werden kann, aber doch ein Weg gewiesen für das Verständnis der ursprünglichen Objektlosigkeit dieser Prohibitive 10 . sumtion des Sachverhalts unter katalogartig gegliederte Tatbestände - ein bei Hos einmaliger Vorgang. Die Echtheit von Hos 4 2 unterliegt also sehr starken Bedenken. Daß Hos 4 2 und Jer 7 9 für das Bekanntsein des Dekalogs nicht beweisend sind, darf mit Whitley, JNES 22 (1963), 46; Fohrer, KuD 11, 64, als sicher angenommen werden. Zu Jer 7 vgl. S. 123 ff. 8 Knierims methodischer Ansatz beim Einzelgebot ist wohl zu rechtfertigen, sollte aber durch die Einbeziehung des Kurzreihenproblems erweitert werden (vgl. ZAW77, 1965, 22; vgl. 20 ff.). » Vgl. Jepsen, ZAW 79 (1967), 284 ff. (deuteronomistische Tradition). Das Dekalogproblem verlangt eine eigene Untersuchung. Die These, daß schon die Dekalognormen selbst deuteronomischer Reditsgestaltung entstammen, kann hier nicht begründet werden. w An dieser ist gegen Alt, KS I, 336 f.; Rabast, Diss.,36; Gerstenberger, WMANT73 f.

Mot-Satz und Prohibitiv

9

1. lo' tirsäh * Anscheinend eindeutig definieren Num 35 9ff. Dtn 4 41-43 19 1 ff (Jos 20 f.) den Tatbestand, den der rose'h erfüllt. Innerhalb des Oberliefeivngskomplexes von den Asylstädten stimmt die Definition des rose'h im wesentlichen überein: Es handelt sich um denjenigen, der unvorsätzlich einen Menschen erschlägt: rose'h makke-naptes bi-segagä, Num 35 11 bß Jos 20 s11. Daß damit aber nicht das ursprünglich mit rasah Gemeinte getroffen ist, erhellt schon der literarische Charakter der Asylstadttexte. Sie sind Rechtskonstruktionen, die nicht auf einen einzelnen (alten) Rechtssatz zurückgeführt werden können. Zu regeln war die Einrichtung der Asylstädte, die als neue Institution im Sinne des Überkommenen rechtlich normiert werden mußte. Dies geschah so, daß in der Tatbestandsdefinition die Rechtstradition aufgenommen, in der Festlegung der einzelnen Städte die jeweilige geschichtliche Entwicklung berücksichtigt wurde. Dabei waren Blutrache und Asylwesen12 rechtlich aufeinander abzustimmen. Der Aufbau der Texte zeigt, daß es dazu der Koordination der verschiedenen rechtlich relevanten Elemente in einem Formular bedurfte: a) (Anweisung zur) Einrichtung von Asylstädten (Num 35 11a Dtn 4 41 19 2 Jos 20 2); b) Tatbestandsdefinition (Num 35 11b Dtn 4 42 19 3 f. Jos 20 3); c) Unvorsätzlichkeitsklausel (ebd.); d) Lokalisierung der Asylstädte (Num 35 14 Dtn 4 41.43 [19 3] Jos 20 7 f.). Am reinsten ist dieses Formular in Dtn 4 41-42 erhalten. Dtn 4 kann aber nicht die Vorlage sämtlicher Asylstadttexte sein. Während Dtn 19 iff.13 Dtn 4 voraussetzt, kann Num 35 9 ff.14 nicht direkt von Dtn 4 abfestzuhalten. Grundsätzlich ergänzungsbedürftig sind die objektlosen Verbote nicht, weil ein bestimmter Objektbereidi mit Selbstverständlichkeit mitgedacht wurde und die Grundbedeutung der Verben jede Angabe eines Objektes überflüssig macht (vgl. Richter, StANT 15, 128 f.). 11

Sachlich gleichbedeutend ist d i e d t n D e f i n i t i o n D t n 4 42 19 4.

12 Zum Asylproblem vgl. Merz, Blutrache, 89ff.; Driver, ICC 3 , 231, Nicolsky, ZAW 48 (1930), 146 ff.; Lohr, Asylwesen; Noth, Josua, 123 ff.; David, OTS 9 (1951), 30 ff.; Greenberg, JBL 78 (1959), 125 ff.; Koch, VT 12 (1962), 411 ff.; die Frühdatierung Greenbergs läßt sich nicht aufrechterhalten (JBL 78, 132), vgl. jetzt auch Delekat, Asylie 260 ff. 270 ff. 290 ff. 13 Zugrunde zu legen ist 19 1-7 als formal geschlossene Einheit: a) einleitende Anweisung (v. l-3a); b) Rechtsgrundlage (v. 3b-4); c) paradigmatisdier Fall (v. 5-6); d) verkürzte Wiederholung des Gesetzes (v. 7). Die Erweiterungen v. 8-10.11-13 (vgl. Hempel, Schichten, 219 f.; Steuernagel, H K I 3, 122 ff.; Hölscher, ZAW 40, 2404; v. Rad, ATD 8, 90 f.) sind deshalb nicht notwendig sekundär, sondern gehören zu der mit geschlossenen Gattungsgrößen arbeitenden Komposition. 14 V. 16 ff. werden allgemein für sekundär gehalten (Kautzsch/Bertholet, HS AT 1,256: Ps; v. Rad, BWANT IV 13 1442M; Noth, Überlieferungsgesdiichtl. Stud., 1922). Man ist jedenfalls berechtigt, von v. 9-15 auszugehen, die gewöhnlich P bzw. einer P-Schicht zugewiesen werden (Dillmann, KeH 13, 217; Baentsch, HK I 2, 2, 692 f.;

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Die Rechtsform der mot-Sätze

hängig sein. Neben sonstigen Unterschieden15 ist der Wortlaut der entscheidenden Definition ein anderer (rosCh makke-nxpxs bi-s egagä). Man muß deshalb eine gemeinsame Grundlage voraussetzen. Diese wird in Ex 2 1 1 2 - 1 4 greifbar. Es läßt sich zeigen, daß beide Definitionen, sowohl Dtn 4 42 par als auch Num 35 11 b par, aus Ex 21 12-14 + Ex 20 13 herausgewachsen sind. In der Definition Dtn 19 4 stammt rose ab aus Ex 20 1 3 . Das jakkä im Relativsatz beweist, daß Ex 2013 (par) mit Ex 2 1 1 2 sachlich in Beziehung gebracht wurde; ein zufälliger Anklang an das Partizip Ex 21 12 ist unwahrscheinlich. SH ist für den Gesetzesstil des Dtn typisch und deutet in der Mehrzahl der Fälle auf Verarbeitung von Vorlagen 17 . Nicht zufällig wird Stauch in Ex 2114 gebraucht. Entscheidend ist sodann der Zusatz bi-b eli dä'ät. Die Anfügung der Unvorsätzlichkeitsklausel an eine durch Kombination vorgegebener Rechtssätze gewonnene strafrechtascer liche Definition des Totschlägers (rose'b jakkx tet re'ehü) kann von einer bereits vorliegenden Verbindung dieser Probleme (Ex 21 12/13 f.) nicht unabhängig sein. Mit einiger Sicherheit läßt sich sagen, daß die Definition Dtn 19 4 par eine Konstruktion aus dem Prohibitiv Ex 20 is und dem schon mit 13 f. verbundenen Satz Ex 21 12 darstellt. Dasselbe gilt für die Definition rose ah mäkke ruepas bi-s'gagä (Num 35 11 par). Audi hier muß rose'h aus dem Prohibitiv Ex 20 13 stammen; das Partizip makke klingt noch deutlicher als das impf. Dtn 19 4 an den Todessatz Ex 21 12 an. Die abweichende Formulierung des Objekts (nieptes) und der Unvorsätzlichkeitsklausel entspringt priesterschriftlicher Tradition 18 . 16

Gray I C C 3 , 469; v. Rad, B W A N T IV 13, 241 f.; Eißfeldt, Einleitung 3 , 251). Zu erwägen, wenn auch nicht zu beweisen, ist die Zugehörigkeit zu H . !5 6 statt 3 Städte; Präzisierung der Städte als tS^pD "l157; m p H statt ; Erwähnung des V X l und Einbeziehung der Gerichtsbarkeit der ¡172? (vgl. Merz, Blutrache, 103 ff.); Verzicht auf Nennung der Städte; Definition des Geltungsbereichs: attnnVi - n b i V x i w m V . 1 6 f l S T in Dtn 4 42 ist Paronomasie und wahrscheinlich eine Änderung des in Dtn 19 i erhaltenen, ursprünglichen HD 1 . 1 7 Dtn bevorzugt n S , etwa doppelt so häufig und in vorwiegend paränetischen Zusammenhängen belegt wie S?"l, vgl. Hölscher, ZAW 40, 195 1 ; Horst, Ges. Stud., 89. Zum Begriff SH s. Fiditner, WuD N F 4 (1955), 23 ff. " MSI H S » (HS'') ist in den im Sinne von H überarbeiteten Gesetzen Lev 24 17 f. (vgl. 17 15 19 28 20 6) belegt. flU© begegnet v. a. Lev 4 f. und Num 15, in Stücken, die nach Noth »vielleicht überhaupt kein literarisches Verhältnis speziell zur P-Erzählung gehabt« haben (Überlieferungsgesch. d. Pentat. 7; vgl. Überlieferungsgesch. Stud. 204 3 ). Noths sich besonders auf den Erzählungszusammenhang stützende Argumentation ist jedoch anfechtbar (vgl. Mowinckel, Erwägungen, 23 5 4 ). Wie das H überhaupt, in dem ¡113© einmal belegt ist (Lev 2214), wird man auch Lev 4 f. und Num 15 doch wohl mit Traditionen in Verbindung bringen dürfen, die in engerem Verhältnis zum P-Traditionskreis stehen, vgl. Weiser, Einleitung 4 , 126 ff.; Eißfeldt, Einleitung 3 , 251; Fohrer, Einleitung, 195 ff.

Mot-Satz und Prohibitiv

11

Ohne Zweifel ist audi Num 35 11 par von der durch die Verbindung von E x 21 12 mit v. 13 f. und der Beziehung des Prohibitivs E x 2 0 i 3 auf 21 12-14 vorgegebenen Problemstellung abhängig. E x 20 13 + 21 12-14 ist also die gemeinsame Grundlage der rose"h-Definitionen Dtn 19 4 par und Num 35 11 par 19 . Als sekundäre Reditskonstruktionen können die Asylstadttexte also zur Präzisierung des mit rasäh Gemeinten nichts beitragen 20 . Die von den Asylstadttexten unabhängigen Belege von rasäh zeigen, daß raso'h eine vorsätzliche Tat ist21. Wie Stamm zutreffend gezeigt hat, ist das Problem der Unvorsätzlichkeit ursprünglich durch den rasäh-Tatbestand nicht mit erfaßt 22 . Entscheidend war allein die Todesfolge, wie immer die Tat sonst zu charakterisieren sein mochte. Auf zwei Belege in der erzählenden Literatur ist hier hinzuweisen. Jdc 20 4 gilt die Nebenfrau, die durch Vergewaltigung zu Tode kam, als ermordet. Seit Wellhausen, der den Ausdruck rmxiin ¡WXn für völlig unhebräisch hält 23 , wird diese Definition häufig gestrichen24. Es ist jedoch fraglich, ob man

19

Dillmann glaubte, die Verhältnisse umkehren und E x 2113 f. als eine unterentwickelte Form des in Num 35 9-34 und Dtn 19 1-3 fixierten Gesetzes bezeichnen zu müssen (KeH 132, 217). E x 2113 f. kann abe!r unmöglich erst auf Grund von Dtn 4 41-43 oder Num 35 9 ff. in das B B eingefügt worden sein. Die hinter den Wendungen E x 21 13 f. liegende Asylkonzeption ist altertümlicher (01j?Ö deutet auf Heiligtümer, vgl. Gen 13 4 E x 20 24 Gen 12 6 2214 28 19 32 3.31 35 7.15 usw., daher auch n a t a in v. 14, vgl. Driver, ICC 3 , 231; Merz, Blutradie, 90; Jepsen, Untersuchungen, 30; Alt, K S I, 306; Noth, A T D 5, 146; Delekat, Asylie, 266 ff. 270 ff. 290 ff.) und kann keine Rückprojektion der Asylstadttradition ins B B sein. Jepsen denkt bei E x 2113 f. an Mitwirkung der Priester bei der Rechtsprechung und demzufolge audi an der Redaktion dieser Verse (Bundesbudi 30). Alt erklärt, die Asylbestimmungen seien »erst auf dem Wege störender Korrekturen in das ganz auf die Bedürfnisse der profanen Gerichtsbarkeit zugeschnittene kasuistische Recht« eingedrungen und fragt, »ob dieser stark sekundäre Charakter der asylrechtlichen Sätze vielleicht mit einem späten Aufkommen der Institution bei den Israeliten« zusammenhänge (KS I 3071-3; v g l . Beer/Galling, H A T I 3, 109). Die Asylfunktion von Heiligtümern ist jedoch unabhängig vom literarischen Charakter der Verse E x 2113 f. zu beurteilen, vgl. auch Delekat a. a. O.

20 Reventlows Vermutungen (Dekalog 71 ff.) stützen sich also auf falsche Voraussetzungen. Stamm wägt die Bedeutungen: »(unvorsätzlidi) totschlagen«, »(vorsätzlich) morden« sorgfältig gegeneinander ab (ThZ 1, 1945, 82 f.) und hebt die gemeinsame Grundlage »totschlagen« »ohne Qualifizierung der Tat nach der Seite des Unvorsätzlichen oder des Vorsätzlichen« heraus (ebd. 83). Hos 4 2 Jer 7 9 (s. o. S. 7 Anm. 7) Jdc 20 4 IReg 2119 (vgl. S. 115 ff.) (Hos 6 9) Hi 2414 Prov 22 13 Ps 94 6. 22 ThZ 1 (1945), 83 f. 23 Composition 3 232. 24 Budde, K H C 7 (1897), 134; Nowack, H K 4,1, 167; Bewer, A J S L 30 (1914), 93. 164; Eißfeldt, Quellen, 52; C.A.Simpson, Composition, 83.

12

Die Rechtsform der mot-Sätze

zu dieser Streichung berechtigt ist25. Der rasah-Tatbestand ist hier in seinem ursprünglichen Sinn getroffen: rasah ist Mißhandlung mit Todesfolge oder Totschlag. Für I Reg 2119 gilt Entsprechendes. Im Gottesspruch des Elia erfährt Ahab, daß seine Madienschaft Mord war; auch hier ist die Todesfolge für die Tatbestandsdefinition entscheidend. Wenn es also eine genauere Definition des ras^-Tatbestandes gegeben hat — wie auf Grund der Belege des Verbs ohne nähere Angaben über die Tat und den von der Tat betroffenen zu schließen ist26 — dann muß sie in den alttestamentlichen Rechtskorpora aller Wahrscheinlichkeit nach einmal fixiert worden und der rechtlichen Bedeutung der Todesfolge wegen auch noch erhalten sein. Zu erwarten steht eine Definition, die die Todesfolge der Tat ausdrücklich hervorhebt. Die Tat selbst, die wegen der im hebräischen Denken verwurzelten Einheit von Täter und Tat auch den Täter mit zu umfassen hätte, wird für die Mehrheit der Fälle bezeichnend sein müssen. D a Töten zumeist ein Totschlagen ist und die Einheit von Täter und Tat am besten partizipial wiedergegeben werden kann, muß die Tatbestandsdefinition lauten: rnäkke 'is wa-met, die Protasis des mot-Satzes Ex 2112 daher die genaue Definition des mit dem Verb rasah gesetzten Tatbestandes darstellen. Soweit die von der Asylstadt-Tradition unabhängigen Belege noch auf eine ursprüngliche Tatbestandsdefinition zurückschließen lassen27, bestätigen sie diesen Befund: Der mot-Satz Ex 2112 definiert den Prohibitiv Ex 20 i328.

25

Die Erzählung ist auf die Rechtssache zugespitzt und würde ohne die vorbereitende rasäh-Andeutung entscheidend verkürzt, vgl. Strauss, Leviten, 106 f. Gunneweg schließt die Möglichkeit levitischer Überarbeitung von Jdc 20 f. nicht aus (FRLANT 89, 23 ff.), warnt aber vor Überschätzung dieser Frage (S. 23). Die die Entscheidung beeinflussende Annahme zweier Quellen (Eißfeldt, Quellen, 97 ff. 101; Smend, ZAW 39,1921, 192) bzw. zweier Rezensionen (Simpson, Composition, 74) erweist sich als verfehlt (vgl. Bewer, AJSL 30, 81 ff. 149 ff.; Noth, System, 162; Strauss, Leviten, 105 ff.; Schunck, Benjamin, 57 ff.). z« Zu Hos 4 2 und Jer 7 9 s. o. S. 7 Anm. 7; in Hos 6 9b wird der IlXT -Tatbestand durch eine kultrechtliche Bezichtigungsdeklaration sakralrechtlich qualifiziert, sofern der vorliegende Text beibehalten werden kann (vgl. Wolff, BK XIV, 132. 155; dagegen Rudolph, KAT 13,1, 144 ff.). In der neueren Forschung wird mit Recht eine klar umreißbare Grundbedeutung des Verbs vorausgesetzt, vgl. v. a. Stamm, ThZ 1, 81 ff.; Richter, StANT 15, 128. 27 Neben Hos 4 2 Jer 7 9 Jdc 20 4 I Reg 21,19 auch H i 24 14 Ps 94 fi. 28 Es geht in diesem Zusammenhang nur um den durch rasäh bezeichneten Tatbestandsbereich, in dem das Problem der Vorsätzlichkeit nicht enthalten ist, vgl. Stamm, ThZ 1 (1945), 83 f. Mit Recht hebt Stamm die objektive Gemeinschaftswidrigkeit der Handlung hervor, die zugleich die Rechtswidrigkeit begründet, ThZ 1, 84. 87 f.; ThR N F 27, 197. Richtig erklärt auch Jepsen, rasah habe vermutlich in der Rechtssprache seinen Sitz (ELKZ 13, 1959, 384; vgl. ZAW 79, 1967, 293) und sei von N u m 35 9 ff. aus nicht zu deuten (ELKZ 13, 395); vgl. auch Rendtorff, ZThK 59

Mot-Satz und Prohibitiv

13

Wie ist nunmehr der durch den objektlosen Prohibitiv lo' tirsah als betroffen vorausgesetzte Personenkreis, der mitgedachte personale Objektbereich29, abzugrenzen? Kann man den in der partizipialen Definition Ex 21 12 genannten 'is ohne weiteres für das in Ex 20 13 etwa zu ergänzende Objekt halten? Trifft es nämlich zu, daß der mot-Satz den Prohibitiv näher definiert, dann muß es einen besonderen Zusammenhang zwischen mot-Satz und Prohibitiv geben, einen Zusammenhang, der sich nicht nur durch die Gegenüberstellung der jeweiligen Tatbestände, sondern auch durch einen Vergleich der durch die Tat je betroffenen Personenkreise präzisieren läßt. Was für die Stellung der ProhibitivDreierreihe im Dekalog galt, muß auch für den einzelnen Prohibitiv v. 13 gelten, dessen untere kompositorische Abgrenzung ja nicht v. 14, sondern v. 16 ist30. Der in Ex 2013 mitgedachte personale Objektbereich bestimmt sich demnach einerseits im Gegenüber zum Bereich der Familie und andererseits im Gegenüber zu dem des Nächsten. Es liegt nahe, aus dieser Stellung im Dekalogformular auf ein sich darin dokumentierendes Wissen darum zu schließen, daß der Prohibitiv v. 13 als ursprünglich objektlose Sippennorm sowohl den Familien bzw. Sippenangehörigen als auch den Nächsten schützen wollte, d. h. daß der Prohibitiv v. 13 diese beiden personalen Objektbereiche gleichermaßen ins Auge faßt. Eigentümlichkeit dieser objektlosen Sippennorm wäre dann die Intention, zugleich über den Sippenbereich hinauszuweisen, wäre die weiterreichende, nähere Definitionen herausfordernde und damit über sich selbst hinausweisende Anwendbarkeit. Da die Objektlosigkeit nicht Ergebnis nachträglicher Verkürzung ist31, würde jede Ergänzung eines Objekts die Beziehungsmöglichkeiten des Prohibitivs einschränken. Somit verbietet es sich, das Objekt 'is aus 2112 in 2013 einfach zu ergänzen. Der Partizipialsatz spiegelt die Tendenzen einer schon fortgeschritteneren Entwicklung wieder, die genauere Tatbestandsdefinitionen erforderlich machte. Die Objektlosigkeit des Prohibitivtatbestands konnte nicht aufrechterhalten werden, doch tat eine bloße Ergänzung von Objekten den Ansprüchen nicht genüge; ein Großteil der Sippennormen war ja mit

(1962), 157 Anm. 3. Die Übersetzung »du sollst nicht töten« ist die beste, weil sie den Tatbestand am wenigsten einschränkt. 29 Das Objekt muß aus dem Verb zu entnehmen sein, vgl. Richter, StANT 15, 128. 30 Auf die Reihenfolge der einzelnen Prohibitive in der Dreierreihe kommt es nicht an. Zu den Bezeugungen der Reihenfolge s. D. Flusser, Textus IV (1964), 220 ff.; Gese, ZThK 64 (1967), 135 f. M. E. sprengt die Dreierreihe Ex 2013-15 die Anordnung der Dekaloggebote in Gebotspaaren, so daß das Formalprinzip der (Gebots-)Paarung nicht der »Schlüssel« zum Verständnis des Dekalogs sein kann, wie Gese 137 annimmt. 31 S. o. S. 8.

14

Die Rechtsform der mot-Sätze

Objekten versehen 32 . Der mot-Satz mdkke 'is wa-met mot jumat ist also um genauere Präzisierung des mit dem Prohibitiv lo' tirsah Gemeinten sowie um eine grundsätzlich neue Form der Tatbestandserfassung bemüht und will über den Prohibitivrechts-Bereich bewußt hinausgehen. In dieser rechtlich entscheidend weiterführenden Neuformung bestimmter im Prohibitiv bereits angelegter Ansätze muß ein rechtsgesdiichtlich bedeutsamer Vorgang liegen. E r erschließt sich nur einer auf die vielfältigen Beziehungsverhältnisse jeder Einzelnorm sorgsam achtenden Rechtsanalyse. Bei einer Bestimmung des möglichen Objektbereichs des Prohibitivs E x 20 13 kann man nur auf den mot-Satz E x 2 1 1 2 zurückgreifen, weil dieser Todessatz die Intention hat, das Verbot möglichst vollständig in eine Tatbestandsdefinition zu integrieren. Der grundsätzliche strukturelle Unterschied zwischen beiden Sätzen darf dabei aber nicht verwischt werden. Denn schon die Tatbestandsdefinition des Todessatzes enthält ganz neue rechtliche Beziehungen, 'is bezeichnet den freien israelitischen Vollbürger, ist aber zugleich eine soziale und rechtliche Bestimmung 33 .

32

Es sind nur wenige objektlose Prohibitive erhalten geblieben, außer E x 20 13-15 par vgl. Lev 1911.13.26b. Daß auch Lev 1911b zwei ursprünglich objektlose Prohibitive zitiert, beweist das nachklappende W B S 3 EPH. Die Belege für fP?357 im H weisen die für H typische Bearbeitung des vorgegebenen Materials auf (Lev 18 20 1915.17 24 19 25 14 f.17). Wie 19 I i i werden auch die beiden in IIb folgenden Prohibitive in 2. ps.sg. stilisiert gewesen sein. Die Voraussetzung für eine ursprüngliche Objektlosigkeit - daß nämlich das Verb einen genau bestimmbaren Tatbestand bezeichnet - ist sowohl für W D (etwas [Vorhandenes] in Abrede stellen) als auch für *lp© (etwas [Niditvorhandencs] vortäuschen) gegeben. Die übrigen Prohibitive sind mit Objekten versehen.

33

Das muß im vorliegenden Zusammenhang aus dem BB als dem ältesten Rechtskorpus erwiesen werden. Die Belege sind (mit Ausnahme von E x 2112.16) folgende: 2 1 7.14.18.20.22.26.28.29.33.35.37

2 2 4.6.9.13.15.30.

Von

2 2 30a

abgesehen,

einer

aus

der

paränetischen Bearbeitung des BB.es stammenden Bestimmung (vgl. Beyerlin in: FS-Hertzberg, 9 ff.), gehören sie sämtlich zum kasuistischen Recht, dessen kanaanäisdie Herkunft Alt wahrscheinlich gemacht hat (KS I 278 ff.). Aus den angeführten Belegen geht hervor, daß der i F X ein Vollbürger mit Familie, Vermögen, Viehbesitz, Grundbesitz, Sklaven und Sklavinnen war. Dieser Besitzstand charakterisiert präzise eine bestimmte soziale Stellung. Nur ein Mann von solchem sozialen Rang erscheint im kasuistischen Recht als rechtsfähig, als Subjekt der Rechtssätze. Steht ihm ein rechtlich Gleichrangiger gegenüber, wird auch dieser als BPN bezeichnet. Sklaven, Sklavinnen und Frauen sind dem EPH rechtlich untergeordnet. Das Problem der Rechtsstellung der Fremden, Witwen und Vaterlosen wird im kasuistischen Recht nidit behandelt. Erst das Prohibitivredit nimmt sich dieser Frage an. Im Verbot der Unterdrückung dieser sozial Deklassierten (22 20 ff. 23 9, vgl. Lev 19 10.33 f. Dtn 2412 ff. u. ö.) ist die soziale Überlegenheit des im Prohibitiv Angeredeten notwendig vorausgesetzt. Damit fallen aber soziale Stellung und Rechtsstellung im Entscheidenden zusammen - so wie es auch im kasuistischen Recht der Fall war. In diesem Sinne gebrauchen auch die Todessätze den Terminus.

Mot-Satz und Prohibitiv

15

Sozialstatus und Rechtsstellung waren nicht geschieden. Es fällt auf, daß der mot-Satz ein Rechtsverhältnis zwischen zwei rechtlich und sozial gleichrangigen Personenkreisen statuiert. Das im Partizip mäkke enthaltene Subjekt muß ein 'is mit gleicher Rechtsstellung sein wie das Objekt 'is. An einen 'cebeed etwa als Täter ist nicht gedacht. Diese Gegenüberstellung rechtlich gleichrangiger - d. h. die Setzung eines Rechtsverhältnisses schon in der partizipialen Tatbestandsdefinition - und die damit verbundene Korrelation von Tatbestandsdefinition und Todesdeklaration muß Ausdruck einer bereits vollzogenen Wandlung der Gesellschaftsform sein. Deutete der nicht auf Rechtsfolgebestimmungen angelegte Prohibitiv auf die Sippenordnung 34 als Grundlage der in ihm wirksamen Rechtsform, so scheint der Todessatz (eine) Institution(en) vorauszusetzen, die die Wirksamkeit der Todesdeklaration in anderer Weise als die Sippenordnung garantierte(n). Die im Prohibitiv sich äußernde Lebensordnung forderte, rechtlich gesehen, keine die Stringenz des Satzes von außen sichernde Instanz; Sippenoberhaupt und Verbotsnorm waren rechtlich voneinander nicht trennbar. Der mot-Satz dagegen, der eine Todesdeklaration korrelativ auf ein mit der Tatbestandsdefinition gesetztes Rechtsverhältnis bezieht, weist auf rechtliche Verfestigung sowohl der die Todesdrohung sichernden Gesellschaft als auch der sich als Rechtspartner gleichrangig gegenüberstehenden freien '"nasim. Wie das Rechtsverhältnis zwischen mot-Satz und Prohibitiv zeigt, baut die in den Todessätzen greifbare Rechtsordnung auf dem Prohibitiv auf. Die Rechtsanalyse des Verbotes lo' tirsäh führt zwangsläufig auf den Todessatz Ex 21 12, der ohne den Prohibitiv rechtlich nicht erklärbar ist. Daraus wird man traditions- und rechtsgeschichtlich folgern dürfen, daß der mot-Satz Ex 21 12 auf den Prohibitiv lo' tirsäh, der also die Rechtsgrundlage des mot-Satzes bildet, zurückgreift 35 . 2. lo' tin'äp a) Die an den Rechtsproblemen orientierte Interpretation auch des Ehebruchverbots fragt am besten zunächst nach dem durch na'äp abgesteckten Tatbestandsbereich. Es empfiehlt sich wiederum, von einer Untersuchung des Verbums auszugehen, dessen Bedeutung - »Ehebruch

34

35

Vgl. dazu Gerstenberger, W M A N T 2 0 , 55 ff. 70 ff. 110 ff. Zur Auseinandersetzung mit Gerstenberger s. S. 72. Zu Gen 9 6, einem nidit in das Todesredit, sondern das Talionsredit gehörenden Satz, s. u. S. 76 Anm. 314. Audi die Blutrache-Institution, auf die nicht näher eingegangen werden kann, gehört in talionsrechtliche Zusammenhänge (dagegen Koch, V T 12, 1962, 411 ff.). Daher müssen Texte wie Gen 4 II Sam 14 usw. hier außer Betradit bleiben.

16

Die Rechtsform der mot-Sätze

treiben«36 - keine Schwierigkeiten zu bieten scheint. Doch die Umschreibung des gemeinten Tatbestandes ist unscharf. Köhler präzisiert daher: »mit der Frau oder Verlobten eines anderen Manns Geschlechtsverkehr haben«37. Diese Wiedergabe setzt voraus, daß im Verbum na'äp ein ausschließlich personaler Objektbereich38 intendiert, also Unzucht mit Tieren nicht eingeschlossen ist und der personale Objektbereich in der angegebenen Weise eingeschränkt werden muß. Angeredet ist wiederum der erwachsene Mann. Normalerweise heißt geschlechtlidi verkehren im Hebräischen sakäb 'im39; eine Rückübersetzung der lexikalischen Umschreibung führt also zu der Tatbestandsdefinition: INI insn ds? aatr [(ttTN1?) WIK» nVim bzw. den Prohibitiven: 1. "|JTI DEN BS? 3DE>n N1?; 2. tr«1? rrenira nVwa Dl? 3D8?n mV. Wenn die Übersetzung richtig ist, scheint der Prohibitiv lo' tin'äp also die beiden angeführten Prohibitive sachlich zusammenzufassen. Diese wären auch dann als Bestandteile des altisraelitischen Prohibitivrechts vorauszusetzen, wenn sie sich aus den Rechtskorpora nicht mehr erschließen ließen40. Sprachlich läßt sich die Präzisierung der mit dem Verbum na'äp gemeinten Handlung (sakäb 'im) unterstützen, wenn der Verweis Köhlers auf die Wurzel nwp richtig ist41. Allerdings sind gerade bei rechtshistorischen Interpretationen Verweise auf ursprüngliche Wurzelbedeutungen nicht unproblematisch. Entscheidender als die im Kontext auch mittelbar oft unerhebliche Etymologie ist die Untersuchung des Wortfeldes 42 . Da es hier um die Klärung der rechtlichen Funktion des Verbums zu tun ist, bleiben die Belege in den Rechtskorpora vorerst ausgeklammert. Es wird sich zeigen müssen, inwieweit von den übrigen Belegen auf die Rechtsbedeutung geschlossen werden kann. b) Abgesehen von Hos 4 2 begegnet na'äp bei Hos 2 4 3 1 4 13 f. 7 4. Innerhalb des von Redeformen »des« Gerichtsverfahrens geprägten 43 Komplexes Hos 4 9-15 aai bildet 11—15 aai eine kleinere, eigenständige Sprucheinheit44, die man zu den prophetischen Anklagereden rechnen

36 KBL sub voce. 37 Ebd. 585. 38 Mit Recht sieht W. Richter die Eigentümlichkeit auch des Verbums na'äp darin, »daß das Objekt sich aus dem Verb ergibt«, S t A N T 15, 128. 39 Aus dem Rechtsbereidi vgl. Ex 2215.18 Lev 15 18 18 22 D t n 22 22. 40 Näheres s. u. S. 34 ff. 41 KBL 585. 42 Vgl. bes. J. F. A. Sawyer, Root-Meanings in Hebrew, JSS 12 (1967), 37-50. 43 H . W. Wolff, BK 14,1, 90 ff.; Boecker, Redeformen, 120. 44 Wolff sieht in v. 4-19 eine große kerygmatische Einheit bzw. Uberlieferungseinheit (BK14, 90); Rudolph grenzt 11-19 ab und bestreitet einen ursprünglichen Zusammenhang zwischen v. 1-10 und 11 ff. (KAT13,1, 109). D a in v. 11 und 14b zwei Sprichworte vorliegen, ist v. 11-14 + 15aal leicht auszugrenzen, Rudolph a. a. O.

Mot-Satz und Prohibitiv

17

kann 45 . Im Hintergrund steht also ein Gerichtsverfahren. Für das Verständnis prophetischer Geriditsreden 46 entscheidend ist in diesem Zusammenhang die kaum beachtete Frage nach der vorausgesetzten Verfahrensform 47 . Handelt es sich um ein sakrales oder profanes Verfahren? Darüber entscheidet offenbar die Art des dem Volk zur Last gelegten Vergehens — wenn man eine Korrespondenz zwischen Verfahrensform und Vergehen annehmen kann. In der prophetischen Gerichtsrede wird nun ebenso bestimmt wie im Recht ein genau definierter und hinsichtlich seiner Qualität (sakral bzw. nichtsakral48) sicher erfaßbarer Tatbestand vorausgesetzt. Hos 4 13 f. fügt den na'äp-Tatbestand ganz in den Zusammenhang kultischer Vergehen ein49. Das nicht redaktionelle 'al-ken in v. 13b50 schließt die Deutung, Hosea wolle an die kultischen Vergehen einen hier in intendiertem Kontrast zu v. 13a nichtsakral zu wertenden Ehebruchtatbestand nur im Sinne einer Aufzählung anreihen, mit Sicherheit aus. na'äp bezeichnet ein Vergehen gegen das Sakralrecht. Damit ist jedoch die Frage nicht beantwortet, ob hier der Ehebruch allgemein sakralrechtlich bewertet wird, oder ob Hosea an dieser Stelle nur bestimmte Sexualdelikte unter den «¿'¿/»-Tatbestand subsumiert. Die Kommentatoren sind sich i. w. darüber einig, daß es sich um kultische Sexualpraktiken handelt, wie sie etwa Herodot beschreibt51. Doch eine rechtsanalytische Interpretation der Stelle wird hier differenzieren müssen. Man kommt dem Verständnis erst dann näher, wenn man auf den in v. 13b vorliegenden synthetischen Parallelismus achtet. V. i3b unterscheidet mit der z. Z. Hoseas möglichen und notwendigen juristischen Exaktheit sowohl die Personengruppen als auch die Tatbestände. Deutlich werden unverheiratete und unverlobte Töchter (0113) von den bereits in den Rechtsstatus der Schwiegertöchter übergegangenen Bräuten (nV?3)52 abgehoben. Ent-

110 ff.; das durch das Thema Hurerei mit 11-14 verbundene Wort dürfte späteren Datums sein. « Wolff a . a . O . 91. « Vgl. Würthwein, ZThK 49 (1952), 1 ff. (vgl. ders., Amosstudien, Z A W 62, 1950, 10 ff.); Hesse, Z A W 65 (1953), 45 ff.; Plöger, Z A W 63 (1951), 157 ff.; Gemser, VTS 3 (1955), 128 ff.; Huffmon, JBL 78 (1959), 285 ff.; v. W a l d o w , B Z A W 85; Rendtorff, ZThK 59 (1962), 145 ff.; H a r v e y , Bibl 43 (1962), 172 ff.; W ü r t h w e i n in: FS Weiser, 115 ff. w Vgl. dazu Kap. III. 48 Eine schematische Trennung beider Bereiche ist nicht intendiert, die Möglichkeit einer Abgrenzung jedoch vorausgesetzt, vgl. Horst, Ges. Stud. 260 ff. ( = E v T h 16, 1956, 49 ff.). « so 51 52

Vgl. Wolff, BK 14,1, 103 ff. Vgl. Robinson, H A T 1 1 4 , 21; Rudolph, K A T 13,1, 11 f.; Wolff, BK 14,1, 109. Vgl. jedoch Weiser, A T D 24, 48 Anm. 1. S. Rost in: FS Bertholet 451 ff. ( = Studien, 53 ff.). Ein Konflikt zwischen den Rechtsbereichen des Schwiegervaters und des Ehemannes wird nicht vorausgesetzt,

18

Die Rechtsform der mot-Sätze

sprechend sind auch die begangenen Handlungen zu differenzieren. Während die Töchter Hurerei treiben (mt), begehen die Verlobten Ehebruch ). Der Stelle ist also nicht zu entnehmen, daß der «¿'^-Tatbestand ausschließlidi auf kultische Sexual vergehen eingeschränkt werden muß; Hosea erklärt vielmehr, daß auch die Kultprostitution Ehebruch darstellt - was damals offenbar bestritten wurde - und der sakrale Bezirk nicht vor den mit Ehebrecherei notwendig gegebenen Folgen schützt. Von solchen Folgen ist ausdrücklich allerdings nicht die Rede; v. 14 aa scheint im Gegenteil einen Freispruch zu implizieren, die Mäddien und Bräute scheinen mit dem Hinweis auf die Verführung durch Huren und Qedeschen mildernde Umstände zugesprochen zu bekommen53. Aber auch wenn man die Echtheit von v. u unterstellt, wird man den in der versuchten Rechtfertigung enthaltenen Unterton nicht überhören können. Jahwe muß offenbar deshalb ausdrücklich betonen, er wolle die Töchter und Verlobten nicht zur Verantwortung ziehen (v. l-uai), weil man um die sonst unabwendbare Konsequenz sehr wohl wußte. Freilich dürfte v. i4a kaum von Hosea stammen. Schon die angelegentliche Wiederholung des Tatbestands ist typisches Zeichen für nachträgliche Bearbeitung54. Entscheidend ist jedoch, daß v. i4a die in der Darbietung der Tatbestände v. 12 f. enthaltene Anklage zurücknehmen will55. Das widerspricht dem Duktus der Verse 12-13 so eindeutig, daß man Hosea selbst diese Entschärfung seines Wortes kaum zusprechen darf. Uber die vorausgesetzte Verfahrensform ist nichts Näheres mehr auszumachen. Mehr als einen Hinweis auf mögliche Korrespondenz von sakralem Vergehen und sakraler Verfahrensform gibt der Text nicht her. Sollte der ursprüngliche Schluß des Wortes in 14 b noch erhalten sein, dann ließe sich die in der Anklage als Drohung mitschwingende Folge des na'äp Vergehens erheben. Geht man vom arab. Äquivalent Ibt »trampeln«, »zu Boden schlagen« aus und übersetzt labät mit »niedergetreten werden«56, ergibt sich als vorausge-

vgl. Rost in: FS Bertholet 454 ( = Studien 56). Hos 413b veranschaulicht die innere Einheit beider Reditsbereiche: Die parallelisierende Gegenüberstellung zu den Töchtern weist auf die patria potestas des Schwiegervaters, der na'äp-Tatbestand bringt den in gleicher Weise wirksamen Rechtsbereich des Ehemannes ins Spiel. 53 Vgl. die nicht zutreffende Erklärung Rudolphs, KAT 13,1, 112. 54 Zu 14ao vgl. Procksdi, B H K 3 ; 14aß begründet nochmals, was in v. 13 schon begründet ist, vgl. Nowack, H K III 4, 34. 55 Von der so häufig erörterten Auffassung, daß Unsittlichkeit bei der Frau »damals wie heute« »meistens aufs schärfste verurteilt«, beim Manne aber nachgesehen wurde (Robinson, H A T I 14, 21), weiß der Text nichts. 56 KBL 471. Vielleicht kann man die Tatsache, daß im Semitischen einige Wurzeln mit ähnlidier Bedeutung zwei Radikale gemeinsam haben (vgl. Moscati, Introduction, 72 f.), für eine Bestimmung der Bedeutung von Ibt heranziehen und auf hbt »abschlagen, ausklopfen«, verweisen. Das muß jedoch problematisch bleiben. Ru-

19

Mot-Satz und Prohibitiv

setzte Folge der Vergehen die Vernichtung (das zu-Boden-getretenwerden) 57 . In der Anklage Hoseas könnte demnach eine Todesdrohung enthalten sein. Schwierige Probleme geben Hos 3 1 und 2 4M auf. Wie 4 m . zeigen, weiß Hosea sehr genau zwischen zanä und na'äp zu unterscheiden. 3 ia/J umschreibt jedoch ein und denselben Tatbestand - Ehebruch - auf verschiedene Weise, so als handle es sich um verschiedene Vergehen. Ob man '"hubät re'"59 oder 'ohcebxt re'a liest - das Lieben ist auf keinen Fall so vergeistigt, daß es nicht den vollendeten Ehebruch einschlösse60. Hurerei wird hier nicht mitumfaßt, denn einmal müßte dann das Verb zanä gebraucht sein, wie in 4 i3f. 2 4; zum andern zeigt die Differenzierung in 4 i3b, daß die Verlobte und also auch die Ehefrau bei außerehelichem Geschlechtsverkehr eben nicht zur Hure, sondern zur Ehebrecherin wird. Daran ändert ein kollektives Verständnis von reKapuzinerart< ist hier eine in der nachexilischen Zeit verbreitete Stimmung ausgesprochen . . . « Z A W 41 (1923), 137.

Die Todesgerichtsbarkeit der Ortsgemeinden

127

werden die in v. 9 aufgezählten Vergehen dem Volk direkt zur Last gelegt. Bezeichnend ist, daß es sich jetzt (v. 9) fast durchweg um todesrechtlidie Tatbestände handelt 141 . Damit klagt der Kultprophet die Gerichtsgemeinde an, sich gegen eben dasselbe Todesrecht vergangen zu haben, das sie den kultischen Verfahren zugrunde lege, also den Verbrechern gleichzustellen sei, von denen sie sich jeweils feierlich lossage. Die Anordnung der Rechtstatbestände in v. 9 ist wiederum dekalogunabhängig; auch hier folgt das Privilegrecht den übrigen Tatbeständen erst nach. Mit dem Hinweis auf die Aufstellung der Gerichtsgemeinde vor dem Angesicht Jahwes im Tempel (v. 10 a) ist der Auftritt der Gemeinde als kultischer Gerichtsgemeinde angedeutet142. Die Gerichtsrede geht sodann zur Urteilsverkündung über, der Ankündigung der Zerstörung des Tempels und der Verwerfung des Volkes143. Im ausführlichen Schlußteil ist sowohl die Begründung als auch die Vollstreckung des Urteils enthalten. V. 13 a zeigt, daß die Vergehen von v. 9 dem Volk wirklich zur Last gelegt werden, und der drohende Hinweis auf bereits geschehenes Gerichtshandeln Jahwes enthält die Realität der mit Sicherheit zu erwartenden Urteilsvollstreckung. Die aus den Teilen: Mahnrede (3f.), Rechtsrede (6-9), Gerichtswort (v. 12 ff.) bestehende kultprophetische Gerichtsrede Jer 71 ff. zielt also auf die todesgerichtlichen Verfahren der kultischen Gerichtsgemeinde. Obgleich auch hier wie in I Reg 21 Einzelzüge der Verfahrensformen nicht näher hervortreten, ist doch deutlich, daß der Kultprophet die Gemeinde in ihrer Eigenschaft als kultische Gerichtsgemeinde anspricht. Sicherlich steht der dreiteilige Aufbau dieser kultprophetisdien Gerichtsrede in Beziehung zu dem Verfahren, bei dem der Kultprophet auftrat: Die Mahnrede deutete auf die in Jer 26 beschriebenen Auseinandersetzungen der Geriditsparteien, die Rechtsrede auf sakralrechtliche Bewertungsvorgänge und etwaige Rechtsrezitationen, das Gerichtswort schließlich auf das feierlich verkündete Todesurteil und die anschließende Strafvollstreckung. d) Ergebnis

Die deuteronomistischen Texte I Reg 211 ff. Jer 71 ff. 26 7 ff. sind unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten analysiert worden. Dieser Ansatz erwies sich als fruchtbar. Aus den beiden Prozeßberichten und der kult141

Nidit um das Todesrecht selbst, s. Teil I. Päkozdy betont, das Volk erwarte »die priesterliche Zulassungstora, die Entscheidung, daß sie berechtigt sind, am Tempelkult teilzunehmen« (ZZ 12,374). Der Verweis auf die Zulassungstora trifft das Richtige, wenn man die Zulassung mit der Konstituierung der kultischen Geriditsgemeinde in Verbindung bringt. « 3 p a r U hier als »Rechtsbrecher« zu deuten (vgl. Schedl, BZ N F 6, 1962, 100-102 zu Ps 17 4) geht schwerlich an.

142

128

Der Sitz im Leben des Todesrechts

prophetischen Geriditsrede schälte sich in Umrissen ein Verfahren sakraler Art heraus. Was ist mit diesem Ergebnis gewonnen? Keinesfalls die Möglichkeit, das israelitische Recht und die israelitische Gerichtsverfassung insgesamt zu sakralisieren. In bereits fortgeschrittenem Traditionsstadium weist der Modus todesgerichtlicher Verfahren sakrale Formen auf. Daraus ist zunächst zu schließen, daß auch diese sakralen Verfahrensformen einer bestimmten Tradition verpflichtet sind. Diese verfahrensrechtliche Tradition wird man auf die Todesgerichtsbarkeit der Ortsgemeinden in vorexilischer Zeit zurückführen dürfen. Damit ist wiederum nicht gesagt, daß die Todesgerichte der Ortsgemeinden ausschließlich unter kultgerichtlichen Vorzeichen standen, sondern lediglich, daß die Verfahren sakraler Sicherungen bedurften. Die Ortsgemeinde verhängte Todesstrafen nach dem Todesrecht nicht in ihrer Eigenschaft als profane Rechtsgemeinde. Um über Leben und Tod eines Menschen befinden zu können, mußte sich die Ortsgemeinde als kultische Gerichtsgemeinde konstituieren. Welche sakralen Maßnahmen dazu im einzelnen getroffen wurden, läßt sidh nicht mehr feststellen. Sicher ist jedenfalls, daß Todesstrafen nach dem Todesrecht nur von der kultischen Gerichtsgemeinde ausgesprochen werden durften. Für den Erzähler von I Reg 21 war es selbstverständlich, daß zu einem todesrechtlichen Verfahren gegen Naboth die kultische Gerichtsgemeinde einberufen werden mußte. Da jedoch der Plan eines Justizmordes zu illustrieren war, und also eine reguläre Einberufung der kultischen Gerichtsgemeinde nicht geschildert werden konnte, mußte ein kultischer Anlaß geschaffen werden, der einzig und allein den Zweck hatte, die Gerichtsversammlung todesgerichtsfähig zu machen. In Jer 26 ist weder der Versammlungsort, der Tempelvorhof, noch die Funktion der Priester und Kultpropheten ohne Belang. Die Tendenzen der Erzählung vermochten nicht zu verschleiern, daß das Jeremia zur Last gelegte Vergehen die Zuständigkeit der kultischen Gerichtsgemeinde begründete. Jer 71 ff. schließlich enthält eine kultprophetische Anklage gegen die pervertierte Verfahrenspraxis der kultischen Gerichtsgemeinde. Aus den herangezogenen Texten ergibt sich mit Sicherheit, daß die verhandelten Fälle unter das Todesrecht zu subsumieren waren. Die Anklage gegen Naboth stützte sich auf den Todessatz nöV nia YTlVK VVpa (Lev 24 iö*), der wohl auch der Anklage gegen Jeremia in Jer 26 zugrunde lag. In der Rechtsrede im Zentrum der kultprophetischen Gerichtsrede Jer 7 werden wenn auch nicht die Todessätze selbst, so doch todesrechtliche Tatbestände aufgezählt. Das Todesrecht war also Rechtsgrundlage bei Verfahren, für welche die kultische Gerichtsgemeinde zuständig war. Ob die todesgerichtlichen Verhandlungen im Tor stattfanden oder ob gelegentlich Heiligtümer aufgesucht wurden, ist hier ebensowenig entscheidend wie die Rolle des Kultpersonals im Todesgericht. Es geht zunächst nur um den grundlegenden Unterschied zwischen profaner Rechtsgemeinde und todesgerichtsfähiger kultischer Gerichtsgemeinde.

Die Todesgerichtsbarkeit der Ortsgemeinden

129

Daß die Einzelmomente der sakralen Verfahrensform in den behandelten Texten nicht hervortraten, ist nicht weiter verwunderlidi, da das vorexilisdie Quellenmaterial verhältnismäßig spärlich und das Erhaltensein spezieller Verfahrensvorschriften gar nicht zu erwarten ist, führt aber doch zu einer weiterreichenden Frage. Waren die Verfahren der kultischen Gerichtsgemeinde sakraler Art, dann steht zu erwarten, daß die kultischen Institutionen ihren möglichen Einfluß auf diese Verfahren im Laufe der Zeit zunehmend geltend zu machen wußten. Handelt es sich wirklich in der Todesgerichtsbarkeit der Ortsgemeinden um Ansätze zu sakralen Gerichtsverfahren, dann müssen diese Ansätze in der Folgezeit weiterentwickelt worden und in der nachexilischen Epoche des dominierenden Einflusses kultisdier Institutionen beherrschender in den Vordergrund getreten sein. Es wäre eine willkommene Bestätigung des bisher Erarbeiteten, wenn man in der Spätzeit noch ein genauer umrissenes kultisches Gerichtsverfahren nachweisen könnte.

III. Das kultische Gerichtsverfahren A. V O R B E M E R K U N G

Das Todesrecht war für das israelitische Rechtsleben und die israelitische Gerichtsverfassung von hoher Bedeutung. Man kann das am besten an der Tatsache ermessen, daß die Todessätze im Heiligkeitsgesetz wieder beherrschender in den Vordergrund treten. Gerade das Todessatz-Kapitel Lev 20 stellt aber vor bisher noch nicht befriedigend gelöste Probleme. Mit dem Verhältnis der Kap. Lev 18 und 20 zueinander hat man nichts Rechtes anzufangen gewußt1. Nun hat aber die Untersuchung der Rechts-

1

Zum Zusammenhang der Kap. 18-20 s. u. S. 155 ff. Zu den älteren literarkritischen Lösungsversuchen vgl. Knobel, KeH 12, 499 ff.; Graf, Geschichtl. Bücher, 75 ff.; Nöldeke, Untersuchungen, 62 ff.; de Wette, Einleitung», § 189, S. 286 f.; Ewald, Geschichte, I 13U. 140; Kayser, JpTh 7 (1881), 359 f.; ders., Urgeschichte, 65 ff.; Dillmann, KeH 12, 592 ff.; L. Horst, Lev X V I I - X X V I , 17 ff. Das Verhältnis des 20. zum 18. Kap. bezeichnete Wellhausen als lehrreich für das literarische Verfahren des Autors von Lev 17-26: » . . . ihrem ursprünglichen Kerne nach sind die Gesetze Kap. 18 und Kap. 20 zwar wohl aus der gleichen, zum Teil schon formell f i x i r t e n . . . Tradition geschöpft, unmöglidi aber von demselben Originalverfasser hintereinander niedergeschrieben, vielmehr erst von der Hand eines Dritten in dieser Weise bearbeitet und zusammengestellt« (Composition 155). Wellhausen baut hier auf Klostermann auf, der in Lev 17-26 Fragmente einer umfassenden Gesetzgebung sieht, von der auch in E x und Nu einzelne Stücke wiederzufinden seien (Pentateuch, 374 ff.). Kap. 18 und 20 sind nach Wellhausen ursprünglich »einander ausschließende Parallelen, nicht aber zusammenschließende Hälften eines Ganzen. Man sagt zwar, Kap. 18 enthalte die Verbote, Kap. 20 die Strafbestimmungen doch damit kann höchstens der Compilator vor sich selber die Zusammenstellung der beiden Aufsätze gerechtfertigt und demgemäß v. 6 und v. 27 (abgesehen von v. 2) hinzugefügt haben, um auch auf Kap. 19 einige Rücksicht zu nehmen. Hingegen für die eigentliche Hauptmaterie des Kap. 20, nämlich für v. 9-21, läßt sich nicht auf diese Weise neben dem 18. Kapitel Raum gewinnen« (Composition 155). L. Horst hatte im Gegensatz dazu behauptet (im Anschluß an Vorgänger, s. o.), daß Kap. 20 »deutlich sowohl an Cap. X V I I I als audi an Cap. X I X anknüpft, nichts Eigenthümliches oder Neues bringt, sondern nur zu manchen in Cap. X I X und zu den meisten in Cap. X V I I I aufgezählten Verboten die durch Übertretung derselben verwirkten Strafen anführt, weswegen es in die Sammlung aufgenommen wurde« (Lev. X V I I - X X V I und Hesekiel, 49). Dieser Auffassung ist man weithin gefolgt, vgl. Eerdmans, der Kap. 20 für einen praktischen Kommentar zu Lev 18 und 19 hält, »welcher vorschreibt, was geschehen soll, wenn die Lev 18 und 19

Vorbemerkung

131

form der Todessätze ergeben, daß das Todesrecht in besonderem rechtsund traditionsgeschichtlichen Verhältnis zum Prohibitivrecht steht2. Das Prohibitivrecht erwies sich als die normative Grundordnung, auf welcher das Todesrecht als neue Rechtsbildung aufbaute. Wie schon der Uberblick über die Todessätze in Lev 20 und deren Verhältnis zu den korrespondierenden Prohibitiven in Lev 18 zeigte, bringen die Todessätze Lev 20 ihr Rechtsverhältnis zu den Prohibitiven Lev 18 programmatisch in einem deklaratorischen Urteil zum Ausdruck3. Es fragt sich nun, ob diese pointierte Rückbeziehung der Todessätze auf die korrespondierenden Prohibitive neben der rechtlichen und rechtsgesdiichtlichen nicht auch verfahrensrechtliche Bedeutung hat 4 . Todessätze wie Prohibitive in Lev 18 und 20 sind von deklaratorischen Urteilen5 durchsetzt, die in Beziehung zueinander stehen. Solche deklaratorischen Urteile deuten aber auf bestimmte Verfahren, aus denen sie erwachsen sind. Lassen sich also die deklaratorischen Urteile der beiden Kap. Lev 18 und 20 einander zuordnen, dann ist die Möglichkeit einer verfahrensrechtlichen Beziehung zwischen Lev 18 und 20 nicht von der Hand zu weisen. Man wird diese Frage jedenfalls näher untersuchen müssen. Schon die Komposition des Komplexes Lev 1 8 - 2 0 gibt zu denken. Dem Rechtsverhältnis zwischen Prohibitiv und Todesrecht ist kompositorisch durch die Voranstellung

erwähnten Vergehen stattfinden« (Studien I V 95). Bis heute ist das Urteil über das Verhältnis der beiden Kap. zueinander schwankend geblieben bzw. über die in der älteren Forschung schon vorhandenen Ansätze nidit hinausgekommen. Notwendige innere Beziehungen der Kap. 18 f. und 20 in ihrer vorliegenden Form zueinander fehlen nach Reventlow, da es sich in Lev 17-20 um verschiedene Wachstumsschichten um eine Urzelle (Dekalog in Lev 19) handele. Reventlow stellt die Kap. isoliert einander gegenüber, um sie im Nachhinein mit Hilfe der Hypothese des Bundesfestes wieder zu vereinigen (Heiligkeitsges. pass. 31 ff. 52 ff. 64 ff. 78 ff. 162 ff.). Noth rechnet mit literarisdier Unabhängigkeit der Kap. 18 und 20 voneinander; beide seien in sich geschlossene Einheiten mit eigener Disposition und eigener Entfaltung (ATD 6,126). Für Elliger ist - in Anlehnung an die ältere Forschung - die literarische Entstehungsgeschichte von Kap. 20 sehr einfach. »Das Kapitel ist im wesentlichen der Naditrag eines Mannes, der entsprechend den Strafbestimmungen in c 17 vor allem auch für c 18 derartiges nachholen wollte. Daß er seinen Nachtrag erst hinter c 19 einfügte, liegt daran, daß er zugleich auch für einige der dort vereinigten Gebote solche Bestimmungen schaffen wollte bzw. in der von ihm benutzten Quelle vorfand« H A T I 4, 271 f. Die Unsicherheit der Ausleger verdeutlicht J . M. Smith: »Why the editor should have incorporated two bodies of material so much alike is an open question« (Origin 76). 2 S. Teil I. a S. S. 46 ff. 4 Zum Begriff Verfahrensrecht s. u. S. 139. s Vgl. v. Rad, ThLZ 76 (1951), 129-132 = Ges. Stud. 130 ff.; R. Rendtorff, Gesetze, v. a. 74 ff.

132

Das kultische Gerichtsverfahren

der Prohibitiv-Kapitel Lev 18 f. entsprochen. Kann sich in diesem folgerichtigen und auf jeden Fall rechtlich höchst bedeutungsvollen Aufbau nicht auch eine verfahrensrechtliche Beziehung niedergeschlagen haben? Das heißt: Aus dem Aufbau des Komplexes Lev 18-20 sowie der vorliegenden Fassung der mit Urteilen durchsetzten Rechtssätze müßte man auf ein bestimmtes Verfahren schließen können, das zu dieser Komposition und dieser Fassung der Rechtssätze geführt hat. Da man es hier mit Urteilen aus dem priesterliehen Bereich zu tun hat, müßte es sich um ein sakrales Verfahren gehandelt haben. Offenbar lief dieses Verfahren aber in Todessätzen aus. Man könnte in Lev 18-20 also auf ein todesrechtlich verfaßtes kultisches Gerichtsverfahren stoßen. Wenn das zuträfe, wäre es eine Bestätigung der bisher gewonnenen Ergebnisse: Die Ansätze sakraler Verfahrensformen wären in der Todesrechtstradition zu einem differenzierten kultischen Gerichtsverfahren ausgebildet worden. Zur Beantwortung der angeschnittenen Fragen ist eine nähere Untersuchung des Komplexes Lev 18-20 unumgänglich. Es kommt dabei nicht auf ausführliche Einzelexegesen, sondern auf den Aufbau der Kap. sowie die möglichen verfahrensrechtlichen Bezüge der zahlreichen deklaratorischen Urteile, die Gestaltung der Rechtssätze, deren Reihung und den Formelgebrauch überhaupt an.

B. Das Verhältnis von Lev 20 zu Lev 18 a) Die Reihe Lev 20 n /. n. (19). 20 /.

Die Analyse muß von dem in Lev 20 verarbeiteten Material ausgehen. Zu den Hauptproblemen gehört die Frage nach den zugrunde liegenden mot-Satz-Reihen. Setzt man voraus, das Kap. sei durch sukzessive Anreicherung einzelner Todessätze entstanden, so wird man weder eine das ganze Kap. umfassende, geschlossene Komposition erwarten noch geschlossene Kurzreihen. Rechnet man damit, daß noch mehr oder weniger vollständige Reihen erhalten sind6, dann steht man vor der Schwierigkeit, deren ursprüngliche Form aus dem recht disparaten Material herauszulösen. In dieser Frage zu Ubereinstimmungen zu kommen, scheint kaum möglich zu sein7. Gibt es hier einen Ausweg? Zunächst darf man, wie allgemein anerkannt, davon ausgehen, daß die

« V g l . Reventlow, Heiligkeitsges., 79; Kilian, BBB 19,78 ff.; Noth, A T D 6, 126; Elliger, H A T I 4, 265 ff. Diese Annahme verbindet sich mit der Voraussetzung sukzessiver Anreicherung des Materials. 7 Vgl. die unterschiedlichen Lösungen von Kilian a . a . O . 83 f.; Eiliger a . a . O . 272; Feucht, Untersuchungen, 35; Daube, Studies, 78 ff.

133

Das Verhältnis von Lev 20 zu Lev 18

mot-Sätze ursprünglich gereiht waren. Für die Analyse von Lev 20 ist nun entscheidend, nach welchen Kriterien die Reihenbildungen erfolgten. Als Hauptkriterien der Ausgrenzung von Rechtsreihen galten bisher v. a. entweder die mot-Formel 8 oder der Gebrauch von "sakab9 oder der vorliegende Zusammenhang der Sätze 10 . Nichts von all dem ist zwingend. Die mot-Formel ist nicht regelmäßig gesetzt; in den allermeisten Fällen wird jedoch kein Zweifel daran gelassen, daß der Tod die Rechtsfolge war 11 . Sachlich sind die Strafbestimmungen der Apodoseis dem mot jumat sicherlich gleichzusetzen. Man kann daher fragen, ob nicht audi in den Sätzen, in denen die mot-Formel fehlt, ein mot jumat zu ergänzen wäre 12 . Die verschiedenen Formulierungen der Todesfolge unterscheiden sich ja nicht sachlich voneinander. Auch das Verb sakab kann das ausschlaggebende Kriterium der Ausgrenzung von Todessatzreihen in Lev 20 nicht sein; denn der Ausdruck ist mehrfach ohne zwingenden Grund variiert 13 . Schließlich ist auch die im gegenwärtigen Text vorliegende durchgehende Reihung der Sätze v. 9 ff. kein Beweis für die ursprüngliche Geschlossenheit dieser Reihe. So bleibt nur ein Kriterium übrig: die Abgrenzung nach der sachlichen Zusammengehörigkeit der Tatbestände. Dies ist nun allerdings das sicherste. Mit Recht sdireibt Horst: »Allgemein kann man sich darauf berufen, daß wie in den anderen Literaturgattungen so auch in der Rechtsliteratur die kleinen Einheiten sachlich zusammengehöriger Bestimmungen als das Ursprüngliche anzunehmen sind« 14 . Legt man als sachliches Reihungsprinzip einmal den Gesichtspunkt: Geschlechtsbeziehungen (bzw. Eheschließungen)15 zwischen Verwandten (oder als verwandt anzusehenden Personen) zugrunde, dann erhält man folgende Reihe: V. u. 12.17. (19). 20. 21. 11

n a r

m a

12

n a r

n a

•uVw-nx

33®

17

n a r

m a

irinx-nx

33V

19

n a r

m a

20

n a r

m a

21

n a r

m a

r a x

. . . r a x

nvx-nx 33®

m m r n x 33V v m - n s

r n x

33V

i w t r n x 33V

Vgl. Kilian a. a. O. 78 ff.; Noth a. a. O. 126; v. Rad, Deuteronomiumstudien, 22. » Kilian a. a. O. 79. 1 0 Reventlow betont die große »Einheitlichkeit des Aufbaus« ( a . a . O . 89); vgl. v. Rad, Deuteronomiumstud., 22. 1 1 Eine Ausnahme ist vielleicht v. 21. 1 2 Vgl. v. Rad, Deuteronomiumstud., 22. m S. die Tabelle bei Elliger, H A T I 4, 226. " FRLANT 45 (NF 28), 121 = Ges. Stud. 151. 8

is Das Verb npV deutet auf Eheschließungen, vgl. Elliger, ZAW 67 (1955), 14; H A T I 4, 2401«. 276; Noth, ATD 6, 130.

134

Das kultische Geriditsverfahren

Die Umwandlung des Prohibitivs v. 19 in einen mot-Satz ist natürlich problematisch. Dem vorliegenden Zusammenhang von Todessätzen zufolge wird man jedoch nicht ausschließen können, daß v. 19 einen entsprechenden Todessatz verdrängte bzw. an die Stelle eines fehlenden motSatzes gleichen Tatbestands trat 14 . Für die Zusammengehörigkeit dieser Reihe gibt es einen sicheren Beweis: die Geschlossenheit der in ihren Tatbeständen den Sätzen 20nf. 17. (19). 20f. korrespondierenden Prohibitivreihe 1 8 s - i 6 . Daß Lev 2 0 1 1 f. 17. ( 1 9 ) . 20 f. nunmehr auseinandergerissen und von einer anderen Todessatzreihe17 durchsetzt ist, spricht nicht gegen die ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Tatbestände, die durch 18 8-i6 ls zweifelsfrei belegt ist. Nicht zuletzt rät auch das enge rechts- und traditionsgeschichtliche Verhältnis zwischen Prohibitivrecht und Todesrecht dazu, Sachbeziehungen zwischen den jeweiligen Reihungen anzunehmen. Ist aber die Ergänzung der mot-Formel in v. 17.19 und 20 f. zwingend? Man kann außer dem bereits erwähnten sachlichen Argument - mit Ausnahme von v. 2i ist stets die Todesfolge gefordert - des weiteren anführen, daß v. 17 auch in der Fluchreihe Dtn 27 (v. 22) überliefert ist, deren Tatbestände sich z. T. in noch erhaltenen mot-Sätzen wiederfinden19. V. 17 könnte also durchaus ein ursprünglicher mot-Satz gewesen sein. Außerdem enthält v. 17 neben der karat-Formel auch die Formel '"wono jissa'. Wie sich aber bei der Untersuchung von Lev 2415 f. ergab20, konnte die analoge Formel we-nasa' hxt'o die mot-Formel ersetzen. Diese Beobachtung spricht auch dafür, daß die Formel htet'am jissa'u iñ v. 20 an die Stelle eines ursprünglichen mot jümat getreten ist. Die angeführten Argumente, 1. der willkürliche Gebrauch der mot-Formel, 2. die sachliche Parallelität der Todesfolgebestimmungen, 3. die Parallelüberlieferung eines Tatbestandes in der Fluchreihe Dtn 27,4. die im H zu beobachtende Verdrängung der mot-Formel durch ein Schuldurteil21, raten unbedingt zur Ergänzung der mot-Formel in den angegebenen Fällen. In v. 21 fehlt nun aber sowohl ein Schuldurteil als auch eine der möglichen Todesdeklarationen. Doch greift der Nachsatz von v. 21 betont auf den korrespondierenden Prohibitiv 18 16 zurück, u. zw. in dem Feststellungsurteil '¿erwat 'ahiw gillä. Das Rechtsverhältnis von v. 21 zu 18 16 kann kein grundsätzlich anderes sein als dasjenige des mot-Satzes 20 11 zu dem

Dafür spricht eindeutig der Nachsatz 19b, der wie die mot-Satz-Apodoseis gestaltet und auf eine Todessatzprotasis hin angelegt ist, vgl. Elliger, H A T I 4, 266. 17 S. S. 135 ff. 16

18

"

Zur Abgrenzung s. S. 146 Anm. 56. Zur Fluchreihe s. S. 61 ff.

20 S. S. 4 2 ff. 21 Vgl. Lev 24 15b im Hinblick auf v. 16a, s. S. 44.

Das Verhältnis von Lev 20 zu Lev 18

135

entsprechenden Prohibitiv 18 s. Dann aber fordert auch v. 21 die E r gänzung der mot-Formel 2 2 . Aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Prohibitiv-Reihe 18 8-ie und der Todessatzreihe 20 11 f. 17. (19). 201. muß man in der Tat, wie schon angedeutet, verfahrensrechtliche Konsequenzen ziehen. Wenn die T a t bestände einer geschlossenen Prohibitivreihe in einem Komplex von Todessätzen so wiederkehren, daß man eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit der z. T . voneinander getrennten Todessätze annehmen muß, dann besteht die Möglichkeit, daß die Beziehungen der Reihen zueinander auch durch ein bestimmtes Verfahren getragen sind. Wurden die Prohibitiv- und Todessatzreihen nämlich rezitiert, dann erklären sich die vielfältigen Korrespondenzverhältnisse der Reihen zwanglos aus der kultischen Begehung, welcher diese Rezitationen zugeordnet sein müssen. Bei häufigem liturgischen Gebrauch konnten sich Reihen und Sätze leicht ineinanderschieben 23 . Deshalb nimmt es nicht wunder, daß auch einmal ein Prohibitiv in den Zusammenhang von Todesreihen einfloß (2019). Aber um welche Begehung kann es sich handeln? Fest steht zumindest, daß die rechtlichen und verfahrensrechtlichen Beziehungen der Reihen zueinander auf einen mit dem Rechtswesen verbundenen Vorgang weisen. Und zwar führte dieser Vorgang von der Darbietung des Prohibitivrechts zur Rezitation des dieses Prohibitivrecht umgeformt wiederaufnehmenden Todesrechts. Prohibitiv- und Todessatzrezitationen sind einander dem Rechtsverhältnis zwischen Prohibitiv und Todessatz entsprechend zugeordnet. Gab es ein sakrales Verfahren, in dem diese Zuordnung gründet? b) Die Reihe Lev 20 r¿-m. is Löst man die Reihe Lev 2011 f. 17.(19). 20f. aus dem Komplex 2011 ff. heraus, dann bleiben die Fälle 2013-16.18 übrig. Auch hier erhebt sidi die Frage, ob nicht in v. 14 und 18 die mot-Formel zu ergänzen ist. D a die oben angeführten Argumente auch auf v. 13-16. 18 anwendbar sind, muß man eine ursprüngliche Zugehörigkeit von v. 14 und 18 zu den mot-Sätzen ernsthaft in Betracht ziehen. Sachlich sind v. 14 und 18 auf jeden Fall

22

Zu der der mot-Formel sachlidi korrespondierenden karät-Formel bemerkt Zimmerli, der Umkreis der durch die karät-Formel bedrohten Vergehen decke sich weitgehend mit demjenigen, in den audi die 'awon-Formel führe, Z A W 66 (1954), 15 = Ges. Aufs. 164.

23

Der hier vorausgesetzte liturgische Gebrauch ist grundsätzlich von dem durch Reventlow (Heiligkeitsgesetz pass.) angenommenen zu unterscheiden. Es handelt sich nicht um Gesetzespredigt wie etwa in der kultprophetischen Gerichtsrede Jer 7 (s. S. 123 ff.).

136

Das kultische Gerichtsverfahren

Todessätze24. Für die Zusammengehörigkeit der Fälle v. 13-16. 18 gibt es wiederum sichere Beweise: einmal die Überlieferung der korrespondierenden Prohibitive in einer Prohibitivreihe 18 17 ff. und sodann die die Tatbestände zusammenschließende Thematik. Sachlich sind die Verse 13-16. 18 von 11 f. 17. (19) 20 f. deutlich abgegrenzt. Geht es in 11 f. 17. (19) 20 f. um Geschlechtsverkehr (bzw. Eheschließungen) zwischen verwandten (bzw. als verwandt anzusehenden) Sippenangehörigen, so befassen sich die Verse 13-16. 18 mit sonstigen in Betracht kommenden Sexualdelikten, wie Kohabitation mit Tieren, (v. 15 f.), Verkehr von Männern untereinander (13), Verkehr mit Frau und Tochter (u), Verkehr mit der Menstruierenden (18). Der Themenkreis »sonstige Sexualdelikte« schließt diese Reihe fraglos als eigenständige zusammen. Alle Rekonstruktionsversuche, die den thematischen Besonderheiten nicht Rechnung tragen, sind daher verfehlt 25 . Wie sich in Lev 18 die 'xrwä-Reihe 18 s-ie sadilich von der folgenden Prohibitivreihe sonstiger Sexualfälle (18 17—20.22 t.) abgrenzt, so trennt eben derselbe thematische Gesichtspunkt auch die Reihen 2011 f. 17. (19). 20 f. und 2013-16. 18 voneinander. Sowenig 18 17 ff. sekundär aus 18 8-16 herausgelöst ist, so wenig waren die beiden Todessatzreihen 20 11 ff. ursprünglich miteinander verbunden. Im übrigen ist die Verzahnung der beiden in 20 11 ff. enthaltenen Reihen leicht auch ohne den Blick auf Kap. 18 zu erkennen. 20 i s - 1 6 . 18 ist nur durdi v. 17 unterbrochen. Diese noch verhältnismäßig geschlossene Reihe wurde in die sie nunmehr umlagernde 20 11 f. 17. (19). 20 f. eingearbeitet. Wie ist die Kombination der beiden Todessatzreihen zu erklären? Die Alternative: literarische Entwicklung26 oder kultisch-liturgischer Vorgang27 legt die Erklärungsmöglichkeiten viel zu einlinig fest. Daß man mit einer längeren literarischen Geschichte des Textes rechnen muß, ist nidit zu bestreiten. Freilich ist das Problem damit noch nicht gelöst. Die literarkritische Erklärung schließt die weitere Frage nach einer möglichen institutionellen Vorgeschichte des Textes nicht aus. Und es gibt in der Tat Momente, die für einen institutionellen Hintergrund der Beziehungen zwischen den Reihen in Lev 20 und 18 sprechen. Nimmt man einmal an, die Reihen seien zu irgendeinem Anlaß rezitiert worden, so läßt sich die Verzahnung der beiden Todessatzreihen in 20 11 ff. leicht erklären: Nachdem die beiden Prohibitivreihen 18 8 ff. 17 ff. — die ja trotz thematischer Differenzen gemeinsam das

24

Mit dem Ersatz der mot-Formel durch eine »Strafausführungsformel« rechnet im Hinblick auf v. 14 auch Reventlow, Heiligkeitsges., 8 5 ; vgl. v. Rad, Deutronomiumstud., 22.

25

Seit Wellhausen (Composition 155 f.) geht man von v. 9-21 aus und hält die Tatbestände 9 ff. für zusammengehörig, vgl. o. S. 130 Anm. 1. V. a. Kilian, BBB 19, 78 ff.; Elliger a a. O. 265 ff.

z 7 Reventlow a. a. O. 78 ff.

137

Das Verhältnis von Lev 20 zu Lev 18

Thema »Sexualvergehen« behandeln - rezitiert waren, konnten sich bei häufigem liturgischen Gebrauch in der anschließenden Rezitation der entsprechenden Todessatzreihen (20 n ff.) die beiden zusammengehörigen Sachbereiche ineinanderschieben. c) Die Reihe Lev 20 2.6.9.27 Neben den beiden ineinander verschränkten Reihen 20 11-21 enthält Lev 20 noch die Todessätze v. 228 6.9.10.27, die ebenfalls in Kap. 18 und 19 ihre Prohibitivkorrelate besitzen 29 . O b diese Fälle eine Reihe bilden, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Ein übergeordneter sachlicher Gesichtspunkt, der die Tatbestände Molekopfer, Hinwendung zu Totengeistern und Wahrsagern, Elternfluch, Ehebruch, Besessenheit von einem Totengeist zusammenschließt, fehlt anscheinend. Elternfluch und Ehebruch (v. 9 f.) durchbrechen offenbar die privilegrechtliche Intention von v. 2.6.27. Nach Ausweis von 19 3 jedodi wurde die Elternehrung als sachlich mit dem Privilegrecht 30 verwandt empfunden. Sachlich wäre die Reihe 20 2.6.9 f. 27 also unter privilegrechtlichem Gesichtspunkt zusammengestellt, den dann nur v. 10 durchkreuzte. Das Eindringen von v. 10 ist jedoch aus der sachlichen Nähe des na'äp zu einem ¿«^¿»-Tatbestand zu erklären 31 . V . 10 gehört also nicht zu v. 2. 6.9.27, sondern (sekundär) zu den Reihen v. 11 ff. Auch die Tatbestände v. 2.6.9.27 bilden demnach eine nach einem Sachprinzip zustande gekommene Reihe. Sie besteht - mit Ausnahme von v. c - aus mot-Sätzen. Zweifellos darf man aber auch v. 6 den mot-Sätzen zuredinen, da er sachlich ja ein Todessatz ist und dem Kontext zufolge auch als Todessatz gelten soll 32 . Bilden nun die Todessätze v. 2.6.9.27 eine Reihe, so fragt sich, ob diese Sätze dem Kap. sekundär zugewachsen sein können. Das ist nicht möglich. Wie sie sich bei sukzessiver Angliederung an die beiden Reihen v. 11 ff. zu einer eigenständigen Reihe hätten zusammenfinden können, bliebe unerfindlich. Faßt man Kap. 20 als eine

28

ist hier nidit Opferbegriff, gegen Eißfeldt, Molk als Opferbegriff, mit K o r n feld, W Z K M 51 ( 1 9 4 8 - 5 2 ) , 287 ff.; Dronkert, Molodidienst; Gray, VTS 5 (1957), 125 f.; Zimmerli, B K X I I I , 3 5 7 ; de Vaux, Sacrifice, 7 3 - 9 0 ; vgl. aber Snaith, V T 16 (1966), 123 f.

2

» S. S. 47.

30 Der von Horst

(FRLANT

45

[1930]

=

Ges. Stud.

17 ff.) entlehnte

Begriff

Privilegredit dient hier lediglich zur Bezeichnung von Normen, die in engerem oder weiterem Sinne Verehrungsansprüche Jahwes sowie die Jahweverehrung überhaupt regeln. m S. S. 35 f. 32 Zur karät-Formel

s. S. 191 f. Kilian, BBB 19, 11 f.; s. audi S. 142 f.

138

Das kultische Gerichtsverfahren

rechtsparänetisch erweiterte Komposition aus drei selbständigen Todessatzreihen auf, so wird auch die Abseitsstellung von v. 2 und 27 erklärbar. 20 2 ist nicht sekundär vorangestellt 33 , 20 27 nicht nachträglich angehängt worden 3 4 ; sondern beide Sätze gehören zu einer Reihe (v. 2.6.9.27), die mit zwei weiteren Todessatzreihen (11 f. 17. [ 1 9 . ] 2 0 f . / i 3 - i 6 . is) noch vor rechtsparänetischen Erweiterungen und redaktionellen Eingriffen zu einem Todesrechtskomplex zusammengestellt war. Auffällig und einer Erklärung bedürftig ist die Tatsache, daß sidi die Prohibitivkorrelate dieser das Kap. 20 rahmenden Reihe 20 2.6.9.27 nicht nur in K a p . 18 (zu 2 0 2 vgl. 18 21), sondern auch in K a p . 19 (zu 2 0 6 vgl. 19 31; zu 2 0 27 vgl. 19 2 6 b 3 5 ; zu 20 9 vgl. 19 3 a a ) finden. Die Korrespondenzen der Rechtsreihen 2 0 1 1 ff. und 18 8ff. i7ff. lenkten den Blick bisher v. a. auf die Zusammenhänge zwischen Kap. 18 und 20. Nun rät aber die Reihe 20 2. 6.9.27 dazu, auch das Prohibitiv-Kapitel 19 in die Betrachtung einzubeziehen. Das in K a p . 20 zusammengestellte Todesrecht basierte insgesamt auf einer Prohibitivgrundlage, die die Prohibitivreihen von K a p . 18 nicht erschöpften. Lev 19 erweitert die Prohibitivgrundlage L e v l 8 beträchtlich. Fußte nun Lev 20 auf einer Todesreihenkomposition, zu der die Reihe 20 2. g. 9.27 von Anfang an hinzugehörte, dann erweist sich der Komplex der K a p . Lev 1 8 - 2 0 als innerlich zusammengehörig: Wie den einzelnen Todessätzen je bestimmte Prohibitive entsprechen, so entsprechen im ganzen die Todesreihen den Prohibitivreihen. Es spielt dabei keine Rolle, daß der Reihe Lev 20 2.6.9.27 keine geschlossene Prohibitivreihe in Lev 19 korrespondiert. D e r Rückverweis dieser Todessatzreihe auf Kap. 19 zeigt, daß die Todesreihenkomposition Lev 2 0 auf eine thematisch auf Kap. 18 nicht beschränkte Prohibitivgrundlage angelegt ist. Wenn also, wie noch näher zu untersuchen, die Rechtsbeziehungen zwischen den Reihen 2 0 uff. 2ff. 18 8 f f . i 7 f f . auch verfahrensrechtliche Hintergründe haben, dann müssen verfahrensrechtliche Beziehungen auch zwischen den Todessatzreihen in Lev 20 und den Prohibitivreihen in Kap. 19 bestehen.

33 Vgl. N o t h , A T D 6, 1 2 7 ; Kilian a. a. O . 7 9 f. 3* Wellhausen, Composition, 1 5 5 ; N o t h , A T D 6, 1 3 1 ; Kilian a . a . O . 68 ff.; Elliger, H A T I 4, 2 7 1 . 2 7 7 ; daneben wird die Meinung vertreten, der Vers sei versprengt (L. H o r s t , L e v X V I I - X X V I , 2 0 ; Baentsch, H K I 2, 4 0 4 ; Eerdmans, Studien, I V 95 f.; Reventlow, Heiligkeitsgesetz, 35

88).

N o t h erklärt z w a r , v. 27 komme noch einmal auf den Gegenstand v o n v. 6 zurück, fügt aber hinzu, hier sei in einmaliger Weise so v o m U m g a n g mit Totengeistern und Wissenden die Rede, d a ß vorausgesetzt zu sein scheine, »Menschen könnten dergleichen dämonische Wesen in sich« haben, (ATD

6,131).

also v o n ihnen

»besessen«

sein

139

Das kultische Geriditsverfahren C . DAS K U L T I S C H E

GERICHTSVERFAHREN

Im vorstehenden wurde die Vermutung ausgesprochen, daß das Verhältnis der Todessatzkomposition Lev 20 zu den Prohibitivrechtsreihen Lev 18 und 19 auch verfahrensrechtlich deutbar sei. Der Begriff »Verfahrensrecht« ist problematisch. Ein fixiertes Verfahrensrecht gab es natürlich in Israel nicht. Dennodi ist dieser Begriff der hier gemeinten Sache adäquat. Kultische Vorgänge und Verfahren pflegten nach festgelegten Vorschriften abzulaufen. Verstöße gegen solche Verfahrensregeln konnten nicht ohne Einfluß auf die Wirksamkeit der Kulthandlungen bleiben 36 . In diesem Sinne hatte auch die Verfahrenspraxis Rechtscharakter, der in etwa vergleichbar ist mit dem Verfahrensrecht moderner Rechtsordnungen 37 . Wenn also der Aufbau des Korpus Lev 1 8 - 2 0 im ganzen und die Beziehungen der Rechtsreihen zueinander im einzelnen verfahrensrechtlich interpretiert werden könnten, dann müßte dem Korpus Lev 1 8 - 2 0 ein in das israelitisdie Rechtswesen weisendes Verfahren zugrunde liegen. Wie schon ein erster Überblick über das Verhältnis der Todessätze Lev 20 zu den Prohibitiven Lev 18 zeigte, sind Prohibitivwie Todesrecht von bestimmten Formeln durchsetzt. Diese Formeln können näheren Aufschluß geben über den Sitz im Leben des Korpus Lev 18-20. a) Der Formelgebrauch in Lev 20 In Lev 20 liefert der Formelgebraudi nur insofern ein literarisches Kriterium, als er eine Zuordnung zu literarischen38 oder kultparänetisdien Wachstumsschichten39 verbietet. Die offensichtliche Regellosigkeit des Formelgebrauchs 40 kann weder immer neuer literarischer Bearbeitung des Textes nodi der Willkür kultischer Rechtspredigt zu verdanken sein. Während literarische Bearbeitungen die vielfältigen Möglichkeiten, das Formelgut zu vereinheitlichen, sicher genutzt hätten, wäre eine Rechtspredigt mit dem Gesetzesmaterial viel freier verfahren 41 . Es gibt nur eine

36

Vgl. Mowinckels Beschreibung des Kults als »sakramentale Handlung« (Psalmenstudien, II 19 ff.); vgl. auch Hermisson, der für die Geschichte des israelitischen Kultus die Handlung als das Konstante bezeichnet (Sprache und Ritus 19). Die tragende Bedeutung der Handlung für den Kultus ist ein allgemein religiöses Phänomen und braucht hier nicht im einzelnen aufgezeigt zu werden.

37

Vgl. die Bestimmungen der Strafprozeßordnung vom 1. 2 . 1 8 7 7 , in der Fassung vom 12. 9. 1950 (v. a. §§ 151 ff. 2 6 9 ff.).

38 Vgl. v. a. die Obersichten bei Kilian, BBB 19, 83 f.; Elliger, H A T I 4 , 2 7 1 f. 3» Reventlow, Heiligkeitsges., 89 f. (78 ff.). « Vgl. die Tabelle bei Elliger a. a. O. 266. 41

Vgl. v. a. die deuteronomisdie Gesetzesbearbeitung sowie die Rechtsparänesen in Lev

18-20;

mit

Gebotsdiarakter:

1 8 2-5.26.30

s o n s t : 2 2 1 5 f . 3 1 - 3 3 2 3 14b.21b.31b.41b.(43)

1 9 2.19a.37

2 0 7 . 8 . 2 2 f . 2 5 f.

und

2 4 3b.8b.9b 2 5 1 7 a ß . b . l 8 . 3 6 a ß . b 2 6 12b.

im

H

140

Das kultische Gerichtsverfahren

Möglichkeit, das Problem des Formelgebrauchs in Lev 18-20 zu lösen: die genauere Untersuchung der Formeln selbst. Nur die Formeln im einzelnen sowie ihr Zusammenhang untereinander vermögen Aufschluß zu geben über die Voraussetzungen, die zu ihrem Gebrauch gerade in dem Korpus Lev 18-20 führten. Zunächst ist eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Formeln in Kap. 20 geboten. In v. n wird die mot-Satz-Protasis »Der Mann, welcher mit der Frau seines Vaters schläft« durch die Bestimmung fortgeführt: »der hat die Blöße seines Vaters aufgedeckt« (flVl V3N nn»). Das ist eine Feststellung112. Die Formel '¡erwat 'abiw gillä stellt fest, daß derjenige, der mit der Frau seines Vaters schläft, den Tatbestand der Aufdeckung der Blöße seines Vaters erfüllt. Wie gezeigt, subsumiert diese Feststellung den Todessatztatbestand unter den korrespondierenden Prohibitivtatbestand (18 s). Man bezeichnet diese Formel also am besten als Tatbestandsfeststellungsurteil oder kurz Feststellungsurteil. Feststellungs-

urteile begegnen in v. nb (nVi innx rvn») 20 (nVi m nVj),

3b

e^a"?

pa

unr»),

19

( m » n

n « w

-n«),

nni», 21 (rnx n m

18

m s n

m p ö - n s )

r r m n p a - n x nn1?! XVlD, 9 (Wp inm rax). Eine weitere Kategorie von Urteilen stellen die Formeln zimmä hi' (v. 14), htesxd hü' (v. 17) niddä hi' (v. 21) dar. v. Rad hat diese Formeln treffend als deklaratorische Urteile bezeichnet43. In Lev 20 qualifizieren diese Urteile die Tatbestände. Der Tatbestand der Eheschließung mit Frau und Tochter zugleich, mit der Schwester bzw. Halbschwester wird als Schmach, als Schandtat qualifiziert. Diese deklaratorischen Urteile sind Tatbestandsqualifikationen oder Qualifikationsur teile. Neben diesen Qualifikationsurteilen gibt es weitere, die Qualifikation schon voraussetzende Urteile, welche erklären, der und der habe das Verbrechen begangen. Die Angeklagten werden des Frevels ausdrücklich bezichtigt: »sie haben eine Schändlichkeit begangen« (IIP» *?an v. 12), »sie haben Abscheuliches begangen« WS? rnyin v. 13). Auf Grund dieser ausdrücklichen Zurechnung des (qualifizierten) Tatbestands, die eine deklaratorische Bezichtigung darstellt, nennt man dieses Urteil am besten Bezichtigungsur teil44. Mit den drei bisher ermittelten Urteilskategorien Tatbestandsfeststellung, Tatbestandsqualifikation, Bezichtigung sind die Urteile in Kap. 20 noch nicht erschöpft. In v. 17.19.20 stößt man auf die Urteile NET 11157 (v. 17) bzw. 1SBT 03157 (v. 19) und lKttT DNDn (v. 20) »er muß seine (bzw. sie müssen ihre) Schuld tragen« 45 . Wurde in den bisher behandelten Urteilen

42

Zum Feststellungsurteil vgl. auch Boecker, Redeformen, 142 f.

«

S. S. 170 Anm. 30.

44

Boecker faßt in der Kategorie der »Schuldigerklärungen« verschiedenartige Formeln zusammen (a. a. O. 135 ff.); so ist das Urteil NIH HST ein Tatbestandsfeststellungsurteil, die Blutformel ein Todesurteil.

« Vgl. auch Lev 5 1.17 17 16.18 19 8 24 15 Num 5 31 9 13 1 8 23 30 16 E z 4 14 14 10 44 12.

141

Das kultische Gerichtsverfahren

der unter den Prohibitiv subsumierte und sakralrechtlich qualifizierte Tatbestand dem Täter zugerechnet, so wendet sich dieses Urteil nunmehr ausschließlich dem Täter zu, dem eröffnet wird, er müsse seine Schuld tragen, d. h. er sei seiner Schuld verfallen. Dieses deklaratorische Urteil ist also ein Schuldurteil, genauer: ein Schuldverfallenheitsurteil. Der Täter ist der Schuld verfallen, die auf Grund der Tat über ihm lastet. Schließlich gibt es noch verschiedene, die Rechtsfolge umschreibende Schlußurteile bzw. Schlußformeln, so die Blut(schuld)formel damäw bo46 und die karat- oder Ausrottungsformel47 in ihren Versionen. Sie sind ebenso endgültige, die Todverfallenheit des Täters ankündigende Urteile wie das durch die mot-Formel mot jümat ausgedrückte Todesurteil. Sachlich gehören sie einer Urteilskategorie an, den Todesdeklarationen48. Damit ist ein Überblick über die in Lev 20 enthaltenen Urteilskategorien gewonnen. Die Formeln sind also einzuteilen in 1. Feststellungsurteile, 2. Qualifikationsurteile, 3. Bezichtigungsurteile, 4. Schuldurteile, 5. Todesdeklarationen. All diese Urteile sind autoritative, jedwede Einspruchsmöglichkeit ausschließende Ankündigungen, d. h. Deklarationen. Die von v. Rad vorgeschlagene, sachlich treffende Bezeichnung »deklaratorisches Urteil« ist der Oberbegriff, gibt die den angeführten Urteilskategorien gemeinsame Qualität an. Denn sowohl die Feststellungs-, Qualifikations- und Bezichtigungsurteile als auch die Schuld- und Todesurteile haben deklarative Kraft, sind deklaratorische Urteile. Als solche weisen sie in den priesterlich-sakralen Bereich. Deklarationen auszusprechen, war Sache der Priester19. Zu fragen bleibt nun, welche konkreten sakralen Vorgänge durch diese verschiedenen Arten von Formeln bezeichnet sind; denn da deklaratorische Urteile priesterlichen Handlungen zugeordnet sind, müssen auch die Urteile in Lev 20 auf konkrete sakrale Vorgänge schließen lassen50.

Zunächst ist sicher, daß diese dem Recht zugeordneten deklaratorischen Urteile auf sakrale Vorgänge des Gerichtswesens deuten. Um diese Vorgänge greifbar zu machen, muß v. a. die entscheidende Frage beantwortet werden, ob die Deklarationen miteinander in Verbindung

« S. S. 7 7 3 1 s . » Vgl. Zimmerli, Z A W 66 (1954), 12 ff. = Ges. Aufs. 162 ff.; Kilian, BBB 19, 11 f.; s. 142 f. 48

Die Strafvollstreckungsbestimmungen 20 2b.14bo.15b.16av.27bo sind keine deklaratorischen Urteile.

« S. v. Rad, Ges. Stud., 131 ff.; R. Rendtorff, F R L A N T 62, 74 ff. 50

Vgl Boecker: »Unsere Annahme, daß gewisse deklaratorische Formulierungen ursprünglich Urteilsformeln

sind, wie sie ein Gerichtsforum

aussprach,

...

erfährt

eine Bestätigung, wenn wir . . . in einem Bericht von einer Gerichtsverhandlung (sc. IReg 3 27b) eine solche deklaratorische Formel als Urteil vorfinden« formen 143).

(Rede-

142

Das kultische Gerichtsverfahren

stehen, einander zugeordnet sind. Die Bedeutung dieser Frage liegt auf der Hand: Sind die Urteile sachlich miteinander verbunden, so zeugen sie gemeinsam von einem größeren Vorgang oder Verfahren des sakralen Gerichtswesens, also einem kultischen Gerichtsverfahren. Die obige Frage ist sicher zu beantworten: Die verschiedenen Urteilskategorien sind einander zugeordnet. Man kann sie in eine bestimmte Reihenfolge bringen. Die Deklarationen folgen einem Ablauf sakralrechtlicher Akte, welche von der Wertung des Tatbestands über die Wertung des Täters zur endgültigen Rechtsfolgebestimmung gelangen. An den Anfang gehört die Tatbestandsfeststellung, die Subsumtion des Todessatzes unter den Prohibitiv 51 . An zweiter Stelle steht die Tatbestandsqualifikation. Ist der Tatbestand als ein prohibitivrechtlich normierter festgestellt und als Frevel qualifiziert, so kann sidi der sakralrechtliche Bewertungsvorgang dem Täter zuwenden und diesem das Vergehen zur Last legen. An die dritte Stelle der zu ermittelnden Reihenfolge der Urteile tritt damit das Bezichtigungsurteil. Auf die Bezichtigung folgt als weitere Konsequenz sodann das Schuldurteil »er muß seine Schuld tragen«. »Seine Schuld tragen« hieß aber konkret: dem Tode verfallen sein. Also brauchte das Sdiuldurteil nicht unbedingt durch eine der Todesdeklarationen präzisiert zu werden und konnte bisweilen an die Stelle der überkommenen mot-Formel treten. In der Regel aber mußten die Todesdeklarationen aufgeführt werden. Sie stehen somit an fünfter und letzter Stelle des Verfahrensablaufs. Eine Überschneidung von Schuld und Todesurteil ergibt sich nicht: Tritt das Schuldurteil als selbständige Rechtsfolgebestimmung auf, ohne weitere Todesdeklarationen bei sich zu haben, so kündigt es zugleich die Todverfallenheit des Täters an (2019. nb 2 4 1 5 ) ; wird es von Todesdeklarationen begleitet, so liegt der Akzent auf dem spezifischen Gehalt des Schuldurteils, dem S c h u l d p r o b l e m (2017.20).

Hinter den Urteilen in Lev 20 wird also ein in eine Abfolge einzelner Vorgänge gegliedertes, sakrales Gerichtsverfahren sichtbar. Nach der Charakteristik der Urteile und der Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander ist es bis zu einer genaueren Erfassung dieses kultischen Gerichtsverfahrens nur noch ein Schritt. Die Urteile entsprechen den prozessualen Vorgängen der Tatbestandsfeststellung und Tatbestandsqualifikation, der Bezichtigung und der Schuld- und Todesdeklaration. Man muß sich diese Vorgänge als real ausgeführte, sakrale Gerichtsakte vorstellen52, als von

51 Vgl. S. 46 ff. 52 Reventlow sieht in Lev 20 eine in der Bundesfestverkündigung beheimatete Liturgie mit drei (Heiligkeitsges. 81) bzw. vier ( a . a . O . 84) bzw. fünf (81) Stufen als Ausdruck einer großen Begehung (89). Zu den drei Stufen gehören: a) Lebensund Todzusage, b) deklaratorische Schuldfeststellung, c) abschließende Schuldfeststellung (81). Das vollständige »apodiktische Ritual« (84) umfaßte 1. die Fall-

Das kultische Gerichtsverfahren

143

Priestern vorgenommene, prozessuale Handlungen, die den Weg der Urteilsfindung beschreiben. Wie im vorangegangenen Kapitel nachzuweisen war, konnte nur eine sakrale Gerichtsgemeinde über Leben und Tod befinden. Gibt es Anhaltspunkte dafür, daß auch das in Lev 20 greifbare kultische Gerichtsverfahren vor dem Forum einer Gerichtsgemeinde durchgeführt wurde? Zur Beantwortung dieser Frage ist auf das oben zu den Rechtsreihen Gesagte zurückzugreifen. Wenn die Prohibitiv- und Todesrechtsreihen in derselben Weise auf Rezitationsvorgänge schließen lassen wie die deklaratorischen Urteile auf prozessuale Handlungen, dann muß das kultische Gerichtsverfahren größeren Ausmaßes, muß die kultische Geriditsgemeinde am Verfahren beteiligt gewesen sein; denn Rechtsrezitationen bedürfen eines Forums. Nadi dem, was bisher über den Sitz im Leben des Todesrechts ermittelt werden konnte, kann man mit Sicherheit sagen, daß auch das in Lev 20 greifbare kultische Gerichtsverfahren eine kultische Gerichtsgemeinde voraussetzt. Der Einwand, die vorliegende Gestalt der Rechtsreihen gestatte den Rückschluß auf Rezitationsvorgänge nicht, ist nicht stichhaltig. Es soll ja keinesfalls bestritten werden, daß der Text eine längere literarische Geschichte aufzuweisen hat, die anders als literarkritisdi nidit zu erheben ist. Die literarisdie Fixierung war jedoch ein Endstadium. Man muß deshalb nadi den Voraussetzungen fragen, die zu der Fixierung des Korpus Lev 1 8 - 2 0 führten. Und zu diesen Voraussetzungen muß das beschriebene kultische Gerichtsverfahren gehört haben, in dem Prohibitivund Todesrecht in vorgeschriebener Ordnung vor der kultischen Gerichtsgemeinde rezitiert wurden. Es besteht kein Zweifel daran, daß der vorliegende Text seine Grundgestalt einer Verfahrenspraxis verdankt. Nicht die Kombination einiger deklaratorischer Urteile in einem einzelnen Todessatz berechtigt zu weiterreichenden Schlußfolgerungen 53 , sondern erst das Gesamtbild der Urteilsformeln. Denn der Ablauf der einzelnen prozessualen Handlungen war ebenso geläufig wie die diesen Handlungen entstammenden deklaratorischen Urteile in ihrem verfahrensrechtlichen Gehalt als bekannt vorausgesetzt wurden; bei der Fixierung der Vorgänge in dem Komplex Lev 1 8 - 2 0 flössen die Urteile nach und nach in die

darstellung, 2. die rituelle Beurteilung, 3. die Todeszusage, 4. die deklaratorische Schuldfeststellung, 5. die Fluchformel. Diese Differenzierungen gehen durcheinander und sind unscharf. Das Formelmaterial

muß vom Rechtstatbestand

abgehoben

werden, die Protasis des Rechtssatzes gehört nicht unmittelbar zum deklaratorischen Urteil. An dritter Stelle steht nicht die Todesdeklaration, sondern die Bezichtigung. Die deklaratorischen Tatbestandsfeststellungen sind mit Schuldfeststellungen verwechselt. Schließlich sind die

karät-, mot-,

formeln. si Wie Reventlow annimmt (s. vorige Anm.).

Blut- und Schuldformeln keine Fluch-

144

Das kultische Geriditsverfahren

Prohibitiv- und Todesrechtsreihen ein, so wie auch das dem kultischen Geriditsverfahren zugrunde liegende Recht in Anlehnung an die verfahrensgemäße Rezitation der Rechtsreihen, aber doch in freier Verarbeitung dieser Reihen, dargeboten wurde. Gerade weil die verfahrensrechtlichen Urteile die Reihenkomposition Lev 20 unregelmäßig durdiformen, muß das Kap. aus einer geläufigen Verfahrenspraxis heraus konzipiert worden sein. Die literarische Verarbeitung ging von der selbstverständlichen Kenntnis des gesamten Verfahrens aus und legte das Schwergewicht nicht auf die geordnete Wiedergabe der sakralen Gerichtsakte, sondern auf die Darbietung des das kultische Gerichtsverfahren tragenden Rechts. Den inneren logischen Zusammenhang der prozessualen Vorgänge veranschaulicht ein Vergleich mit den noch heute gelehrten Grundsätzen des Strafrechts. Rechtlich tritt die »Straftat« als rechtswidrige, schuldhafte Handlung in Erscheinung54. Ein Urteil kommt zustande, indem ein Sachverhalt unter einen Rechtstatbestand subsumiert wird und die Rechtswidrigkeit und die Schuld geprüft werden. Die Schuld muß dem Täter zurechenbar sein. Notwendig sind also die Tatbestandsfeststellung (Subsumtion) und damit die Qualifizierung des Tatbestands als Rechtswidrigkeit, die Schuldfeststellung und der Urteilsspruch. All diese Momente prägten auch das israelitische kultische Gerichtsverfahren. In Israel ging dem Schuldurteil noch eine Bezichtigung voran, da ein Anklagegrundsatz in unserem Sinne fehlte. Das Bezichtigungsurteil bezeichnet als priesterlich-sakrale Anklage das Äquivalent einer öffentlichen Anklageerhebung. Ubersicht über die Urteile in Lev 20 (v. «) (v. 17 b ) nbi v n r v n a (v. 2ü) nVi v n x m n s ? (v. 21) i V n ? ] n i i s n t n (v. 3 b ) m » n v u w n s (v. 19 b ) ms?n m p i a - n x (v. 18) *NP»-NS n n V s XTII (v. 18) lasi r a s (v. 9 b ) nbi

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Tatbestandsfeststellungsurteile

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Tatbestandsqualifikationsurteile

|

Bezichtigungsurteile

« Vgl. Mezger-Blei, Strafrecht I " , Allg. Teil, §§ 14 ff. 18 ff. 31 ff. 48 ff.

Das kultische Gerichtsverfahren

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Schuldurteile

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145

Todesdeklarationen

( V . 18)

Eine Untersuchung des Formelgebrauchs in Lev 20 führt also zu folgendem Ergebnis: Das Formelgut läßt sich nur dann sinnvoll erklären, wenn man es weder literarischen Wachstumsstadien noch rechtsschöpferischer, kultischer Predigttätigkeit zuordnet, sondern auf ein mehrstufiges kultisches Gerichtsverfahren zurückführt. Die Formeln sind deklaratorische Urteile: 1. Tatbestandsfeststellungsurteile (»die Blöße seines Vaters hat er aufgedeckt« v. 11), 2. Tatbestandsqualifikationsurteile (»eine Schändlichkeit ist es« v. 14), 3. Bezichtigungsurteile (»sie haben eine Abscheulichkeit begangen« v. 13), 4. Schuldurteile (»er muß seine Schuld tragen« v. 17b), 5. Todesdeklarationen (»er ist dem Tode verfallen« o. ä.), denen bestimmte, sich zu einem größeren kultischen Gerichtsverfahren zusammenschließende prozessuale Vorgänge korrespondieren, nämlich die Vorgänge der Tatbestandsfeststellung, -qualifikation, der Bezichtigung, der Schuld- und Todesdeklaration. Rechtsgrundlage dieses Verfahrens war das Todesrecht. Die einzelnen Todesrechtstatbestände wurden aber auch, wie aus den Feststellungsurteilen hervorgeht, unter entsprechende Prohibitivnormen subsumiert. Zu den Rechtsgrundlagen des kultischen Gerichtsverfahrens gehörte also auch das Prohibitivrecht. Damit ist das Verhältnis der Todesrechtsform zum Prohibitivredit verfahrensrechtlich aktualisiert. In Lev 18-20 entsprechen nicht nur Todesrechts- und Prohibitivrechtstatbestände einander, sondern auch Prohibitiv- und Todesrechtsreihen. Doch die verfahrensrechtlichen Verbindungen der Kapitel Lev 18-20 gehen noch weiter; auch der Formelgebraudi von Kap. 18 und 19 bezeugt das aufgewiesene kultische Gerichtsverfahren. Das ist im folgenden noch näher zu veranschaulichen. b) Der Formelgebrauch

in Lev 18

Auch die Prohibitivreihen in Lev 18 55 erhalten ihr besonderes Gepräge durch den Formelgebrauch. An fast alle Prohibitive der Reihe 55 Vgl. dazu v. a. Elliger, Z A W 67 ( 1 9 5 5 ) , 1 ff. ( F S - H e i m 9 ff.); H A T I 4, 2 2 9 ff.

146

Das kultische Gerichtsverfahren

v. 8-16 56 ist die Konstatierung angefügt: »es ist die B l ö ß e deines Vaters« (v. 8), »sie ist deine Schwester« ( v . 11), »es ist das Fleisdi deines Vaters« ( v . 12) usw. Mögen diese F o r m e l n auch begründende F u n k t i o n haben 5 7 , so sind sie doch mehr als bloße Begründungen. Sie sind deklaratorische Urteile v o n verfahrensrechtlicher Bedeutung. D a s w i r d deutlich, wenn m a n sie in Beziehung setzt zu den F o r m e l n in L e v 2 0 . Welches U r t e i l fällt die D e k l a r a t i o n : »es ist die B l ö ß e deines Bruders« (v. 16b)? D a r a u f gibt der ganze Satzzusammenhang A n t w o r t : » D u sollst die Blöße der F r a u deines Bruders nicht aufdecken; es ist die Blöße deines Bruders!« ( v . iß). D i e Tatbestandsmerkmale des Prohibitivs v . 16a - a) F r a u , b) B r u d e r - sind verschieden akzentuierbar; es handelt sich um die Frau. des Bruders und u m die F r a u des Bruders. Obgleich nun der Prohibitiv als solcher keines der beiden T a t b e s t a n d s m e r k m a l e besonders betont,

56

V. 17 gehört aus sachlichen Gründen zu den folgenden Tatbeständen. Die Reihe v. 8 ff. konnte ursprünglich nur verwandte bzw. als verwandt geltende Personen einbezogen haben. Gegen eine Trennung von v. 17a und b (vgl. Elliger, ZAW 67, 1 ff.; HAT I 4, 231 ff.) hat schon Feucht Bedenken angemeldet (Untersuchungen 31 f.); 17b setzt 17a voraus, und v. 18 kommt v. 17 nach Form und Inhalt nahe. Ganz willkürlich ist die Verlängerung der Reihe bis v. 18 (Rabast, Diss., 17. 23 f.). Sodann ist die Erwähnung der Mutter allein ein sicheres Indiz dafür, daß eine deutlich empfundene Oberschneidung von v. 7a und 8 nachträglich geglättet werden sollte. Es ist nicht etwa umgekehrt zu argumentieren, 7b beweise die Einfügung von •faN n n s ? in 7a (Elliger, ZAW 67, 1 f.; HAT I 4, 231). Neben v. 6 ist v. 7 eine weitere, nachträglich hinzugefügte Überschrift, in der Vater und Mutter zur Geltung gebracht werden sollten; ursprünglich war die DK gar nicht in der Reihe erwähnt (es war in v. 8 allein von der 3 N fitPN die Rede): In v. 9 erscheint sie in einem Zusatz, und v. 13 fehlte noch (s.u.). - Jeder Versuch, aus 18 8-16 einen (Do)Dekalog herauszuarbeiten (Elliger, ZAW 67, 6 ff.; HAT 14, 231 ff. 238 ff.; Kilian, BBB 19,25ff.; Reventlow, Heiligkeitsges.,64; Feucht, Untersuchungen, 32 ff.; Noth, ATD 6, 116) ist zum Scheitern verurteilt. Zunächst müssen v. 7 und 17 ausscheiden (s. o.). Es ist nicht möglich, durch Ergänzung des Verbots über die Tochter (vgl. Elliger, ZAW 67, 238) einen Dekalog herzustellen (gemeint ist natürlich immer ein ursprünglicher); denn das Formular der Reihe war ursprünglich kürzer. Einen ersten Hinweis gab schon die korrespondierende mot-Satz-Reihe 20 11 f,17.(19).20 f., die 18 8 ff. um drei Fälle verkürzt, nämlich die Verwandtschaftsgrade Sohnstochter, Halbschwester, Schwester der Mutter. Man kann nachweisen, daß diese Kürzung nicht zufällig oder willkürlich ist, sondern auf eine Urform der Reihe 18 8 ff. zurückführt. Diese Urform umfaßte die Fälle 1. Frau des Vaters, 2. Tochter des Vaters, 3. Frau des Sohnes, 4. Frau des Bruders, also die ersten und letzten beiden Prohibitive, v. 8 f. und 15 f., die streng an der männlichen Verwandtschaftslinie orientiert sind. In der Mitte (v. 10 ff.) wurde die Reihe aufgefüllt. Der Beweis dafür kann hier im einzelnen nicht erbracht werden. In ihrer vorliegenden Form ist die Langreihe jung. Vgl. das ki in 10b. 13b. Elliger bezeichnet die deklaratorischen Urteile generell als Begründungen (HAT I 4, 231) bzw. Wiederholungen. Das ist irreführend.

Das kultische Gerichtsverfahren

147

unterstreicht das angehängte deklaratorische Urteil das Tatbestandsmerkmal »Bruder«: »es ist die Blöße deines Bruders«. Damit wird der Prohibitivtatbestand gleichsam in seine Hauptmerkmale zerlegt und deklaratorisch auf seinen eigentlichen Kern reduziert. Die Prohibitivnorm als Ganze wird unter ein Tatbestandsmerkmal subsumiert. Stellt man die Frage, welchen der aus Kap. 20 bekannten Urteile dieses an die Prohibitive 18 8-16 angefügte Urteil entsprechen könnte, so wird man auf das Feststellungsurteil gewiesen. Denn die Feststellungsurteile von Kap. 20 enthielten ebenfalls einen Subsumtionsvorgang, die Subsumtion des Todessatztatbestands unter die Prohibitivnorm. Ein vergleichbarer Subsumtionsvorgang wird auch in den deklaratorischen Urteilen 18 8b. iob. iia. 12b. 13b. 14b. 15b. 16b. greifbar; sie sind demnach Feststellungsurteile. Und auch diese Feststellungsurteile von Kap. 18 müssen mit dem kultischen Gerichtsverfahren in Verbindung stehen: Da die Prohibitivreihe 18 8-16 einer (wenn auch nicht ganz so umfassenden58) Todessatzreihe in Kap. 20 korrespondiert (20nf. n. [i9.] 20f.) und in 18 8-16 auch eine der verfahrensrechtlichen Deklarationen, das Feststellungsurteil, bezeugt ist, die Entsprechungen also sowohl rechtlicher als auch verfahrensrechtlicher Art sind, läßt sich der Schluß nicht umgehen, daß das auf Kap. 20 ausgerichtete Kap. 18 ebenfalls aus dem kultischen Gerichtsverfahren erwachsen ist. Die folgende Prohibitivreihe 18 17 ff. verwendet eine andere Formel59, die Deklaration zimmä hl' (i7b), to'ebä hi (22b), txbxl hü' (23b). Es ist die auch in Kap. 20 belegte und oben analysierte Tatbestandsqualifikation 60 . Auch in Kap. 18 deutet sie auf einen Qualifikationsuorgawg, der dem kultischen Gerichtsverfahren zugehört. Denn die Reihe 1817 ff. hat ebenfalls ihr Analogon im Todesrecht (20is-i6 18 2.10). Lev 18 enthält also die beiden ersten, aus dem kultischen Gerichtsverfahren erwachsenen Urteilsformen, das Feststellungs- und das Qualifikationsurteil. Die verfahrensrechtliche Qualität dieser Urteile ergibt sich für Kap. 18 nicht nur aus diesen selbst, sondern auch aus ihrer Funktion im Rechtssatz. Die ursprünglich in sich selbst ruhende und nicht weiter reduzierbare Prohibitivnorm wird durch das Feststellungsurteil (»es ist die Blöße deines Vaters«, »Bruders« usw.) zu einem auf ein Hauptmerkmal zu konzentrierenden Tatbestand, durch das Qualifikationsurteil (»es ist eine Frevel tat«) zu einem qualifizierbaren und nun auch gültig qualifizierten Tatbestand. Eine darin sich bekundende Neuwertung der Prohibitivnorm mußte aber erfolgen, wenn die einzelnen Prohibitive und Prohibitivreihen auf ein bestimmtes Verfahren ausgerichtete Bezugsgrößen s» S. S. 132 ff., vgl. o. Anm. 56. Mit Ausnahme von v. 17, der zusätzlich noch das Feststellungsurteil enthält. «0 S. S. 140.

59

Hifl H l KS?

148

Das kultische Gerichtsverfahren

waren. Neben den Feststellungs- und Qualifikationsurteilen taudit in der zweiten Rechtsreihe, 18i7ff., auch die Selbstvorstellungsformel (SF) ni j b w h (v. 21b) auf. Ihr Vorkommen in diesem Zusammenhang ist bemerkenswert; sie hat hier eine den deklaratorischen Urteilen durdiaus analoge Funktion. Durch die SF wird das Molekopfer als Privilegrechtsverletzung qualifiziert. Diese Funktion der SF ist im Hinblick auf Kap. 19 im Auge zu behalten. Wie durchgehend das kultische Gerichtsverfahren das Prohibitivrecht in Kap. 18 gestaltete, ist schließlich auch daran zu ersehen, daß sogar die Formulierung der Prohibitive aller Wahrscheinlichkeit nach auf das kultische Gerichtsverfahren abgestimmt wurde 61 . Die in 18 8ff. vorliegende 'terwät ¿¿//¿-Formulierung war vermutlich nicht die ursprüngliche. Aus der korrespondierenden jrRedaktors< oder >Glossators< in der Blütezeit der reinen Literarkritik . . . « (Elliger a. a. 0 . 1 5 ) . Fohrer spricht von einem Ineinander von Tradition und Interpretation, ThLZ 83, 244.

Vorbemerkung

165

methodisch zu differenzieren. So ist es wohl möglich und geboten, literarische und institutionsgeschichtliche Methoden zu koordinieren; denn Methoden-Koordination setzt genaue Rechenschaft über die Grenzen der Anwendbarkeit der einzelnen Methoden sowie über das ihnen je Spezifische voraus. Methodenmischung jedoch bedeutet Verzicht auf Methode 9 . Im Hinblick auf die Ezechielforschung bemerkt Fohrer zu Recht: »Es geht darum, ob . . . in der richtigen und notwendigen Anwendung der motiv-, form- und überlieferungsgeschichtlichen Untersuchung das richtige Maß eingehalten und die Grenze dieser Methoden beachtet wird« 1 0 . Das erweist sich besonders in der Ezechielforschung als notwendig. In der sakralrechtlichen Schicht des Ez-buches, um die es hier zu tun ist, stößt man auf die Spätstufe einer ausgeprägten Rechtstradition. Auf dieser Stufe spielt die Institution, die zur Formung der Rechtstradition beigetragen hat, nur noch eine literarische Rolle. Die noch nachweisbaren, ursprünglich institutionsbezogenen verfahrensrechtlichen Elemente werden rechtstheologisch reflektiert und umfassenderen Zusammenhängen eingeordnet. Unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen für einen unmittelbaren institutionsgeschiditlichen Rückschluß nicht gegeben. Der solchen sakralrechtlichen Traditionen verpflichtete Verfasser braucht nicht selbst Priester gewesen zu sein. Uber seine Persönlichkeit ist aus diesen Traditionen nicht das mindeste zu entnehmen. Im folgenden soll eine auf form- und literarkritische Hauptfragen konzentrierte Analyse der rechtstheologischen Grundstellen im Ez-buch vorgelegt werden. Sie erhellt bestimmte, im Todesrecht angelegte Grundtendenzen und läßt sich im Rahmen einer Untersuchung des Todesrechts nicht umgehen. Es wird sich zeigen, daß die bisher gewonnenen Ergebnisse — methodisch richtig angewandt - zu einer Lösung der literarkritischen Probleme des Ez-buches beizutragen vermögen. Das vielerörterte literarische Problem des Ez-buches neu aufzugreifen, ist heute mehr denn je geboten. Im Rückschlag gegen die Versuche, die Hauptmasse der im Ez-buch gesammelten Literatur für unecht11, das Buch für pseudepigraph zu erklären 12 , hat in der Forschung die Annahme

Zum Methodenproblem vgl. auch o. S. 95 ff. Am Beispiel der Sprachvergleichung hat v. Soden das Problem beispielhaft verdeutlicht, J S S 10 (1965), 159 ff. io T h L Z 83 (1958), 242. « V. a. Hölscher, B Z A W 39; Berry, J B L 58 (1939), 163 ff.; Irwin, Problem; May, IB, V I 45 ff.; die Anfänge der Kritik (beschränkt auf die Editheitsfragen nach traditionell dogmatischen Maßstäben) gehen zurück auf G. L . Oeder, Freye Untersuchung, 1771 (die zeitgenössische Stellungnahme zu Oeder ist am besten aus der Rezension von J . D. Michaelis zu ersehen, Orient, exeget. Bibliothek, 2. Teil, 1772, 1 ff., v. a. 52.57) und H . Corrodi, Versuch, 95 ff. 9

12 Vgl. schon L. Zunz, Vorträge, 157 ff., ders., Z D M G 27 (1873), 676 ff. ( = Ges. Sehr., I 226 ff.); A. Geiger, Urschrift, 23; ders., Nadigel. Sdir., II 83; Seinecke,

166

Die sakralreditlichen Deklarationsworte bei Deutero-Ezediiel

wieder Oberhand gewonnen, im ganzen weise der einheitliche Stil — der natürlich vielfach glossiert und nachinterpretiert worden ist - doch auf einen Verfasser, nämlich Ezechiel13. Dieser vorherrschende Eindruck basiert auf Voraussetzungen, die einer Uberprüfung bedürfen. Man ist nicht mehr ernsthaft darum bemüht, strenge Echtheitskriterien zu entwickeln14. Was in der Bemühung um das Problem des historischen Jesus z. B. längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist, wird in der Prophetenforschung unbegründeterweise hintangestellt. Natürlich kann man die Methoden nidit einfach übertragen. Zuallermindest aber sind die Echtheitsfragen mit derselben Strenge zu behandeln. An dieser Strenge fehlt es15. Daß die Prophetenbücher weitgehend überarbeitet worden sind, darf als allgemein anerkannt gelten. In welchem Verhältnis etwa das ältere Gut zu den später eingefügten Dichtungen steht, vermag das Jesajabuch zu veranschaulichen. Ohne nun vorschnell ein ähnliches Verhältnis zwischen echtem und unechtem Material auch bei Ez von vornherein zu postulieren, wird man doch den literarischen Analysen des Buches auf keinen Fall ein vorgefaßtes Bild des Propheten zugrunde legen dürfen, das vor der Beantwortung der literarischen Fragen bereits feststehen könnte. Literarkritisch ist zunächst zu prüfen, ob aus dem Ez-buch zusammenhängende Schichten herauslösbar sind, die zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Der Aufweis solcher literarischen Beziehungen zwischen verschiedenen Schichten ist aber keinesfalls schon eo ipso der Nachweis verschiedener Perioden der Verkündigung desselben Verfassers. Mit verschiedenen Schaffensperioden Ezechiels zu rechnen, heißt die Literarkritik durch ein vorgefaßtes Prophetenverständnis unmöglich machen.

Gesch. d. Volkes Isr., I 138; II 1 ff.; Vernes, Precis, 811; H . Winckler, Altor. Forsdi., 2, I 1 6 0 f f . ; ders., ebd. 3 1 3 5 f f . ; W. Erbt, O L Z 21 (1918), 1 7 6 f f . ; ders., ebd. 22 (1919), 193 ff. 241 ff. Sodann v. a. Torrey, Pseudo-Ezekiel (erstmals in Transactions of the Connecticut Academy of Arts and Sciences X V , 1909; vgl. auch Ezra Studies, 288; Marti-FS, 1925, 284); ders., J B L 51 (1932), 179 ff.; ders., ebd. 53 (1934), 291 ff.; Messel, Ezechielfragen (vgl. S. Spiegel, H T h R 24, 1931, 245 ff.; Fohrer, Hauptprobleme 66 ff.). 13 Fohrer, Hauptprobleme 29. 66 ff. H . H . Rowley, Men of G o d 169 ff., bes. 187 ff.; Fohrer, H A T I 13 (1955); Zimmerli, B K X I I I ; Reventlow, Wächter; die zahllosen älteren Auffassungen über die Einheitlichkeit des Buches brauchen hier nicht aufgeführt zu werden. 1 4 Die Diskussion des Echtheitsproblems hängt von den Editheitskriterien ab, die zumeist stillschweigend vorausgesetzt werden. Editheitskriterien müssen für jeden Propheten gesondert erstellt werden. Die Frage nach Zeit und Ort der Verkündigung Ez.s ist zu Unredit in den Vordergrund gerückt worden. Von hier aus läßt sich die literarische Frage nicht lösen. 1 5 So basieren etwa auch die generellen Spätdatierungen des Ez-buches weitgehend auf der Annahme literarischer Einheitlichkeit.

Die deutero-ezediielische Grundsdiidit

167

Die Auslegung des Ez-buches wurde nach zwei Seiten hin verzerrt. Auf der einen Seite wurden Texte wie Ez 14 18 22 33 für die Deutung der Persönlichkeit Ezechiels ausgewertet; Ezechiel erschien als ein Mensch, »für den das logische Denken eine wichtige Rolle« spielte16. Die disparate Literatur, aus der sich das Ez-buch zusammensetzt, wurde durch die Voraussetzung auf den Propheten Ezechiel bezogen, der Prophet sei eine »Gestalt der Synthese« gewesen17. Auf der anderen Seite führte die methodisch unzureichende Anwendung form- und institutionsgeschichtlidier Hypothesen auf literarkritisch zuvor nicht genauer untersuchte Ez-Texte zur Annahme einer Beamtung des Propheten, die überdies für das Prophetenverständnis überhaupt wegweisend sein soll18. Beide Wege gehen fehl. Eine befriedigende Lösung des Problems ist nur von neuen, methodisch differenzierteren literarkritischen Analysen zu erwarten, in denen zugleich strenge Echtheitskriterien entwickelt werden können. Das literarkritische Ergebnis der folgenden Untersuchung - der Aufweis einer deutero-ezechielischen Grundschicht sowie einer eng mit dieser verbundenen weiteren Schicht, die mit der ersteren unter der Bezeichnung »Deutero-Ezechiel« zusammengefaßt wird — kann hier nicht im einzelnen begründet werden. Im Vordergrund steht eine Redeform, in der der innere Zusammenhang von Todesrecht, Prohibitivrecht und kultischem Gerichtsverfahren als literarisches Phänomen im Rahmen rechtstheologischer Systematik überzeugend zum Ausdrude kommt. Die sidi ergebenden literarkritischen Konsequenzen machen nicht nur das methodische Grundproblem sichtbar, sondern können auch zu dessen Lösung beitragen. Schließlich vermag die deutero-ezediielische Grundsdiidit die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung im einzelnen zu bestätigen.

B. DIE DEUTERO-EZECHIELISCHE

GRUNDSCHICHT

Die sachgemäße Fragestellung kann nur am Text selbst gewonnen werden. Wie sich zeigen wird, sind die Rechtsreden in Ez 18 am besten dazu geeignet, die formgeschichtliche und literarische Problematik einer bestimmten Schicht des Ez-buches einsichtig zu machen.

16

17

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Fohrer, Hauptprobleme, 261; vgl. Hempel, Althebr. Literatur, 168 f.: »Den Dichter übermannt der Denker . . . « Ez habe eine »konstruktive Mentalität«; vgl. audi Smend, KeH 8 2 , X V ; Lajciak, Ezechiel, 160: Ez »était un esprit systématique«; u. ö. »Ez erweist sich auch in seinen Völkerworten als eine Gestalt der Synthese« (Zimmerli, BK XIII, 581). Ez überdecke eine »seltsame innere Zerrissenheit«, Hempel, Althebr. Literatur, 168. Reventlow, Wächter, pass.

168

Die sakralreditlichen Deklarationsworte bei Deutero-Ezediiel

Ez 18 5-9 umschließt in einem Vordersatz (WSn ¡THS n w ">5 «TW npHXl BBtfö v.5) und in einem Nachsatz (rrrr rrn XIH ¡7HS 9 b«) eine Reihe negativ stilisierter Tatbestände: »Wenn jemand gerecht ist und Recht und Gerechtigkeit übt; auf den Bergen19 nicht ißt und seine Augen nicht zu den Götzen des Hauses Israel erhebt; und die Frau seines Nächsten nicht verunreinigt; und keinen Mann20 bedrückt; das Schuldpfand 21 zurückerstattet; keinen Raub verübt; sein Brot dem Hungernden gibt und den Nackten mit einem Kleidungsstück bedeckt; um Zins nicht leiht und Zuschlag nicht nimmt; vom Unrecht seine Hand zurückzieht; eine zuverlässige Entscheidung trifft zwischen Mann und Mann; 22 meine Satzungen befolgt 23 und mein Recht wahrt um Treue zu halten:24 der ist gerecht! Er wird leben! - ist der Spruch Jahwes« 25 . Der dreiteilige Aufbau dieser gerahmten Rechtsreihe ist deutlich erkennbar: Protasis (v. 5) — Tatbestandskatalog (v. 6-9 a) - Apodosis (v. 9 b). Um welche Gattung handelt es sich? Da der Obersatz konditional stilisiert ist, der Mittelteil einen vielgliedrigen Rechtsfall und der Nachsatz offenbar eine Rechtsfolge enthält, scheint die Struktur eines kasuistischen Rechtssatzes zugrunde zu liegen26. Auch der kasuistische Rechtssatz kann die Rechtsfolge im inf. abs. formulieren, vgl. Ex 21 20: Wenn ein Mann seinen Sklaven (oder seine Sklavin) mit einem Stock schlägt, so daß er unter seiner Hand stirbt so wird Rache genommen (naqom jinnaqem). Setzt man die Tatfolgebestimmung Ex 2120 a/? (u-met tähat jado) dem Tatbestandskatalog

19

20 21

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25 26

VN = "75?, vgl. Zimmerli zu Ez 117, BK XIII, 6 und 393; Fohrer, H A T I 13 (1955), 99. Die alte cj. B i n (Robertson-Smith) ist trotz Ez 18 11.15 22 9 auf Grund von Ez 3 3 25 erwägenswert, vgl. Bertholet, K H C 4, 97; Herrmann, KAT XI, 108; Bertholet, HAT, 64; Eichrodt, ATD 22, 1, 144; Reventlow, Wächter, 109. Man pflegt zu übersetzen: niemanden. 1. a n n"?än »Schuldpfand«. Das ist die einfachste Lösung, vgl. schon Smend, KeH, 118. Am genauesten übersetzt Smend: »billiges Recht stiftet zwischen dem Einen und dem Andern.«, a. a. O. i b n - 1 ist nicht zu ändern, vgl. Ps 85 14 Prov 6 28 I Reg 21 27 H a b 3 11 Ps 8114 115 7 Koh 810 u. ö. Fälschlich wird zumeist mit L X X DAN conjiziert; »indem er Redlichkeit übt« übersetzt richtig Kraetzschmar, H K III 3, 1, 163; zutreffend Smend: » HÖH wäre nach Neh 9 33 Sach 8 19 nicht unmöglich.« Smend schließt sich dann aber doch L X X an; vgl. auch Ps 146 6 Gen 24 49 47 29 Jos 2 14 IlSam 2 G IlChr 31 20; L X X harmonisiert. "UTK darf möglicherweise gestrichen werden, vgl. Zimmerli a. a. O. 393. Zimmerli spricht im Hinblick auf 18 4-20 von einer »kasuistisch durchgeführten Dreigenerationenreihe«, ThZ 13 (1957), 498 = Ges. Aufs. 182; der ganze Aufriß sei »von der Rechtskasuistik her gedacht«, BK X I I I 397; vgl. ZThK 48 (1951), 257 = Ges. Aufs. 142; vgl. auch Reventlow, Wächter 110; Junker, BZ N F 7 (1963), 178.

Die deutero-ezechielische Grundschidit

169

Ez 18 6-9 a parallel, dann stimmen Ez 18 5-9 und der kasuistische Rechtssatz formal offenbar überein. Ez 18 5-9 scheint aus einem kasuistischen Rechtssatz herausgewachsen zu sein. Allein diese Schlußfolgerung wäre verfehlt. Der Vordersatz ist zwar kasuistisch stilisiert, setzt aber keinen Rechtsfall, sondern gibt eine Verhaltensnorm vor. Die formale Parallelität der Vordersätze Ez 18 5 ¡ m s n w - o «TW Ex 2120 n a s - n s trrx r c - o i hat ihre Grenze zunächst in der sachlichen Differenz der Fälle. Es macht einen Unterschied, ob ein Rechtsfall gesetzt oder eine Verhaltensnorm bedingt wird. Das wird sofort klar, wenn man Mittelteil und Nachsatz heranzieht. Ez 18 9 b enthält neben dem inf. abs. auch eine deklaratorische Formel: säddiq hu'. Sie erscheint überflüssig, da der Vordersatz die säddiq-Norm ja bereits vorgab. Zimmerli empfindet auch zwischen dem saddiq im Vorder- und Nachsatz eine gewisse Spannung 27 . Die Spannung löst sich jedoch, wenn man die Gattungsfunktion des deklaratorischen Urteils erkennt, wenn man die Gattung Ez 18 5-9 auch unter Berücksichtigung des deklaratorischen Urteils bestimmt. Dann aber fällt die Parallelität mit einem kasuistischen Reditssatz dahin, denn deklaratorische Urteile sind kasuistischen Rechtssätzen fremd. Ein Vergleich des Mittelteils Ez 18 6-9 mit dem Mittelstück des kasuistischen Rechtssatzes, den Unterfällen bzw. Tatfolgen, führt zu der Frage, ob es sich um gattungsmäßig vergleichbare Elemente handelt. Ist der Tatbestandskatalog E z l 8 6-9a aus dem Vordersatz v. 5 in derselben Weise abgeleitet wie der Unterfall bzw. die Tatfolge aus dem kasuistischen Vordersatz? Das kann man nicht ohne weiteres voraussetzen. Die Tatbestände Ez 18 6-9 a sind im strengen Sinne weder Unterfälle der säddiq-Norm noch Tatfolgen. Das beweist schon der Rückgriff auf eine besondere Rechtsform, den Prohibitiv (s. u.). An Stelle einer Anknüpfung der Unterfälle durch waw (vgl. Ex21iff. isff. usw.) setzt in E z l 8 6 unvermittelt die umgeformte Prohibitivnorm ein (vgl. v. 15). In Ez 18 11 wird diese Asyndese noch unterstrichen durch das ki - ein eindeutiges Anzeichen für die relative Selbständigkeit des Mittelteils, denn in kasuistischen Reditssätzen kann der Vordersatz nicht durch das gewöhnlich in diesen gehörende ki fortgeführt werden. Mit all dem ist angezeigt, daß 18 5 kein »Fall« im Sinne kasuistischen Rechts ist und daher auch kein kasuistisches Folgeverhältnis aus sich heraussetzen kann. Trotz

27

Im Zusammenhang von v. 5-9 falle eine »seltsame Unlogik der Aussagen« auf, die die Frage aufkommen lasse, ob hier eine Tautologie vorliege (ThZ 13, 499 = Ges. Aufs. 183). Die Formel im Nachsatz sei logisch uneingefügt (ThZ 13, 500 = Ges. Aufs. 184). Im Kommentar spricht Zimmerli von einer leisen logischen Spannung zwischen Vorder- und Nachsatz, die auf die »sekundäre Verbindung zweier verschieden gelagerter Rechtsschemata« zurückgehe, BK XIII 403.

170

Die sakralrechtlichen Deklarationsworte bei Deutero-Ezechiel

kasuistischer Einkleidung ist der Vordersatz 18 s nicht von der kasuistischen Rechtsform her gedacht, der kasuistischen Rechtsform nicht unterworfen. Den schlüssigen Beweis dafür liefert die Form der Rechtstatbestände v. 6 ff. Aus der negativen Stilisierung ist die prohibitivische Grundform noch deutlich herauszuhören 28 . Mit nur geringfügigen Änderungen konnte ein Verbotskatalog perfektisch zu der vorliegenden Rechtsreihe umgeformt werden. In v. 6-8 a handelt es sich um Prohibitivrecht. Wie erklärt sich aber die Spannung zwischen der konditionalen Stilisierung des Vordersatzes v. 5 und den ihrem Wesen nach nicht konditionalen Prohibitivrechtstatbeständen? Lassen sich die Prohibitive überhaupt in einen konditionalen oder kasuistischen Rahmen pressen ohne ihn zu sprengen? Oder hat man es hier mit sekundärer Verknüpfung verschiedener, in Spannung zueinander tretender Rechtsformen zu tun 29 ? Es wurde bereits deutlich, daß v. 5 kein kasuistischer Rechtsfall ist. Das zeigt sich auch daran, daß der Vordersatz kein kasuistisches Gegenstück, keine kasuistische Rechtsfolgebestimmung nach sich gezogen hat. V. 9 b darf nämlich nicht vorschnell als kasuistische Rechtsfolgebestimmung aufgefaßt werden, inf. abs. und deklaratorisches Urteil stellen nicht einfach das Äquivalent einer Sanktion dar. Der Nachsatz beginnt mit dem deklaratorischen Urteil säddiq hu', einer priesterlichen Tatbestandsqualifikation 30 , die nicht mit einer Rechtsfolgebestimmung zu verwechseln ist. Es folgt die Lebenszusage hajö jihjje. Auch sie ist eine Deklaration. Sie korrespondiert der Todesdeklaration am Ende der folgenden Einheit (vgl. v. 13 b). In der Einheit v. 5-9 herrscht zwischen der Bedingung im Vordersatz, der rechtlichen Explikation im Mittelteil und den Deklarationen im Nachsatz ein Beziehungsverhältnis, das aus einer bestimmten Rechtsform erwachsen ist. Dieses Beziehungsverhältnis ist kein kasuistisch deutbares Kausalverhältnis. Die angebliche Tautologie we-'is ki jihjä säddiq / säddiq hü' (v. 5aa/9b) 31 ist in Wirklichkeit eine zwingende Korrelation; im Rahmen der Gattung ist die Lebensnorm v. 5 a auf eine gültige Besiegelung des in ihr Gesetzten angelegt, sie bedarf der deklaratorischen Sanktionierung. So wie die säddiq-Norm auf prohibitivrecht-

2« Vgl. Zimmerli, ThZ 13, 499 = Ges. Aufs. 183; BK X I I I 397 ff. 4 0 4 f f . ; Reventlow a . a . O . 112 ff. 19 S. o. Anm. 27; die eigentliche Spannung liegt nicht zwischen Vorder- und Nachsatz, sondern zwischen der aus Vorder- und Nachsatz bestehenden Rahmung einerseits, deren Rechtsform noch genau bestimmbar ist (s. u.) und der Prohibitivrechtsmaterie im Mittelteil andererseits. 3" S. v. Rad, ThLZ 76 (1951), 129 ff. = Ges. Stud. 130 ff.; R. Rendtorff, F R L A N T 62, v. a. 74 ff.; zu den Tatbestandsqualifikationen s. o. S. 140. Reventlows Einwände gegen das priesterlidie Moment der Deklarationen (a. a. O. 111 ff.) sind unbegründet. 31 Zimmerli, s. S. 27.

Die deutero-ezediielisdie Grundsdiicht

171

liehe Explikation drängt (v. 6-9 a), verlangt sie auch die bindende Erklärung, daß die gesetzten Seins- und Rechtsbezüge in unaufhebbarer Einheit verbunden und wirksam sind. Der Korrelationszusammenhang zwischen Vordersatz und Nachsatz macht die nur scheinbare Kondition v. 5 a zu einem strenggenommen nur partizipial wiederzugebenden Sachverhalt. In der prohibitivrechtlichen Entfaltung des in diesem Sachverhalt Angelegten liegt ein Subsumtionsvorgang. Für einen solchen gibt es in den Todessätzen von Lev20 eine Parallele. Dort wurde die Subsumtion durch Einschiebung eines auf den entsprechenden Prohibitiv zurückgreifenden Feststellungsurteils zwischen Tatbestand und Todesdeklaration angezeigt. Damit ist ein Weg gewiesen für das Verständnis der der Gattung Ez 18 5-9 zugrunde liegenden Rechtsform: Die abschließenden Deklarationen stehen zu dem prohibitivrechtlich entfalteten Vordersatz in demselben Verhältnis wie der mot-Satz-Tatbestand zur Todesdeklaration. Die Intention wird deutlich, wenn man den Vordersatz v. 5 a partizipial stilisiert, etwa ' i s ' o h e b s t e d a q oder, in Anlehnung an v. 5b, 'o'sie m i s p a t u - s e d a q ä oder einfach ' i s s ä d d i q . Grundstruktur der Gattung ist ein Rechtssatz der Form rrrr rrn npnxi BBtt?» TO». Die Umstilisierung ist nicht willkürlich. Unmittelbar voraus geht der Einheit v. 5-9 ein partizipial formulierter Grundsatz: man NTl nxonn »Sin (v. 4b = 20a). Hier sind Täter und Fall zu einer Einheit zusammengefaßt, so daß man vom Täter als dem Rechtsfall sprechen kann32. Wie v. 5a ist aber v. 4b kein Rechtskasus, sondern eine Seinsaussage: »der Sündigende«. Unüberhörbar ist im Nachsatz (v. 4 b) der Anklang an die Todesdeklaration mot j ü m a t . Bezeichnenderweise wird aber nicht die mot-Formel gebraucht, sondern eine das deklaratorische Moment der mot-Formel nachdrücklich herausstellende deklaratorische Formel: hi' t a m ü t . »Der Sündigende ist dem Tode verfallen« 33 . Damit wird der an die verkürzten mot-Sätze der priesterlichen Tradition erinnernde34 Satz E z l 8 4 b ( = aoa) sowohl in sachlicher wie in formaler Hinsicht zu einem für das ganze Kap. richtungweisenden Grundsatz. Er liefert den Leitfaden für die Gattungsanalyse der Einheit v. 5-9. V. 4 b ist ein Todessatz, der trotz des fehlenden inf. abs. mot in der Rechtsform und dem Korrelationsverhältnis zwischen Vordersatz und Todesdeklaration den mot-Sätzen aufs genaueste entspricht. Durch ein deklaratorisches hi' wurde der inf. abs. mot aus inneren, dem mot-Satz selbst entnommenen Gründen ersetzt. Nur so konnte die Deklarationskraft der mot-Formel mit der beabsichtigten Intensität zum Ausdruck gebracht werden. Auch der Wechsel der Verbform sollte dekla-

32 Vgl. Alt, K S I, 308. 33 Zur Formulierung m a n NT! vgl. Zimmerli, BK X I I I , 402 34 S. S. 74, Anm. 300.

172

D i e sakralrechtlidien Deklarationsworte bei Deutero-Ezediiel

ratorischer Verstärkung dienen, denn das qal bezeichnet das Verfallensein noch nachdrücklicher als das ho. jümat. Die Reditsform des Satzes v. 4 b bestimmt sich daher aus der Reditsform der Todessätze. Wie im ersten Teil dieser Arbeit zu zeigen versucht, bilden die Todessätze eine eigene, von den Formen des kasuistischen, des Prohibitiv- und Talionsrechtes grundlegend unterschiedene Rechtsform, die man am besten als Todesrecht bezeichnet. Im Todesrecht herrscht ein bestimmtes Korrelationsverhältnis zwischen Tatbestand und Todesdeklaration. Dieses Korrelationsverhältnis bestimmt die Rechtsstruktur auch der Einheit Ez 18 5-9. Ez 18 5-9 ist nach dem mot-Satz-Formular

aufgebaut.

A n a l o g zu v . 4 b

lautet die kürzeste Zusammenfassung von v. 5-9: 'is saddiq saddiq hü' hajö jihjis. Zwischen dem saddiq in der Protasis und dem deklaratorischen Urteil saddiq hü' liegt auch nicht die leiseste logische Spannung 35 , da die ^ ¿ ¿ ^ - D e k l a r a t i o n erst die Gewähr bietet für die Zuverlässigkeit der Verhaltens- bzw. Seinsaussage im Vordersatz, die nunmehr sakralrechtlich in kraft tritt. Die konditionale Auflösung der eigentlich partizipial gedachten Protasis v. 5 a ändert an der für die Gattung konstitutiven, nichtkasuistischen Beziehung zwischen Protasis und Apodosis nichts. Den Versen 5-9 liegt die Todesrechtsform zugrunde. Wie im mot-Satz die Todesdeklaration das Vergehen als ein dem Tode anheimgebendes qualifiziert und damit die durch dieses konstituierte Unheilsrealität zur Auswirkung kommen läßt, so öffnen die deklaratorischen Urteile Ez 18 9 b den in der saddiq-Bedingung intendierten Bereich des Lebens erst vollgültig. Wenn nun die Korrelation zwischen Protasis (v. s) und Apodosis (v. 9 b) in der Einheit v. 5-9 so eng ist - wie kann sich dann zwischen die beiden Teile ein ganzer Tatbestandskatalog schieben? Gerade die motSätze und besonders der unmittelbar vorhergehende v. 4 b, denen die Gattung v. 5-9 nachgestaltet ist, scheinen einem umfangreichen Mittelstück keinen Raum zu geben. Sie drängen offenbar, wie v. 4 b veranschaulicht, auf sekundäre Verkürzung und Eliminierung möglicher selbständiger Mittelstücke. In v. 4 b fehlt jede rechtliche Explikation des Vordersatzes 4 ba. Kann v. 4 b wirklich die Vorlage der Gattung v. 5—9 sein? An dieser Stelle ist auf die traditionsgeschichtliche Entwicklung der mot-Sätze zurückzugreifen. Im BB läßt sich eine Verselbständigung des Mittelteils der Todessätze noch nicht feststellen. Soweit ein solcher vorhanden ist, bezeichnet er zumeist Tatfolgen oder Unterfälle. Allerdings kündigt sich schon im BB die Ausbaufähigkeit des Mittelteils an. An den Unterfall in Ex 2116 u-mekaro ist ein gemeinhin als Zusatz erklärtes weiteres Glied angefügt: w'-nimsa' be-)ado. Darin zeigt sich zumindest, daß der Mittelteil erweitert werden konnte. Von einer Verselbständigung des Mittelstücks darf man dabei jedoch nicht sprechen, denn die Erweite-

3S Wie Zimmerli annimmt, BK XIII, 403; s. o. Anm. 27.

Die deutero-ezedhielisdie Grundsdiicht

173

rungen sind hier vom Partizipialfall abhängige Unterfälle. Das wird im H anders. Dort sind die relativisch aufgelösten Vordersätze in einigen Fällen durch deklaratorische Urteile von den Nachsätzen getrennt. Zu den eingeschobenen Urteilen gehören auch Feststellungsurteile36. In den Feststellungsurteilen wird der Todessatztatbestand unter die vorgegebene Prohibitivnorm subsumiert. Nun bewahrt dieses Feststellungsurteil dem mot-Satz-Tatbestand gegenüber in formaler und sachlicher Hinsidit Selbständigkeit. Aus dem Fall »Wer mit der Frau seines Vaters schläft« ist das Feststellungsurteil »Der hat die Blöße seines Vaters aufgedeckt« (Lev 2011) nicht ohne weiteres ableitbar. Die formale Eigenständigkeit des prohibitivischen Feststellungsurteils innerhalb des mot-Satzes ist offensichtlich. Zwischen Protasis und Apodosis des Todessatzes hat sich ein sachlich und formal eigenständiges, auf Prohibitivnormen verweisendes Element eingeschoben. Es bildet einen selbständigen Mittelteil im Todessatz. Daß dieser Mittelteil erweiterungsfähig war, bezeugen die mot-Sätze in Lev 20 ebenfalls. Neben das Feststellungsurteil konnte audi ein Qualifikationsurteil treten37. Damit ist der Ansatzpunkt für einen weiteren Ausbau des Mittelteils gegeben. Es kann deshalb nicht zweifelhaft sein, daß in den mot-Sätzen von Lev 20 die Vorlage der Gattung Ez 18 5-9 greifbar wird. Das Beispiel Lev 2011 wies alle Grundelemente der Gattung Ez 18 5-9 auf: a) Vordersatz, b) auf Prohibitivnormen verweisendes, selbständiges Mittelstück, c) deklaratorischer Nachsatz. Unerheblich ist der in der verschiedenen Auflösung der ursprünglich partizipialen Protasis bestehende Unterschied zwischen Lev 20 iia und Ez 18 5a: Das Partizip ist sowohl relativisch als auch konditional auflösbar. Gerade die Differenz der Auflösungen weist auf eine partizipiale Vorlage. Formgeschichtlich drängt also die Entwicklung des mot-Satzes zu einer Auflösung der partizipialen Protasis, zur Verselbständigung und Erweiterung des Mittelteils - der nun nicht mehr als Tatfolge oder Unterfall vom Vordersatz unmittelbar abhängig ist, sondern sich formal verselbständigt und das traditionsgeschichtliche Verhältnis zwischen motSatz und Prohibitiv durch ein den Subsumtionsvorgang bezeichnendes Urteil zum Ausdruck bringt — und schließlich zur Verstärkung und Erweiterung der Schlußdeklaration im Nachsatz. In Ez 18 5-9 sind alle beobachteten formgeschichtlichen Entwicklungstendenzen des mot-Satzes aufgenommen und weitergeführt. Am auffälligsten ist die schon in dem Formular Lev 18-20 festzustellende Erweiterung und Verselbständigung des Mittelteils. Deutlicher noch als das Formular Lev 18-20 verweist Ez 18 6 ff. auf das Prohibitivrecht, da nidit nur ein einzelner Prohibitiv, sondern eine repräsentative Auswahl des Pro-

36

V g l . L e v 2 0 3.9.11.17.18.20.21.

Lev 20 21.

174

Die sakralreditlidien Deklarationsworte bei Deutero-Ezechiel

hibitivrechts im ganzen aufgenommen ist. Die Möglichkeit dazu ergab sich aus der Vergrundsätzlichung der Protasis. An die Stelle eines todesrechtlichen Falles trat eine allgemeine Verhaltensnorm, die sich negativ nur durch eine umfassende Darbietung des Prohibitivrechts überhaupt explizieren ließ. Bedeutsam ist die sachliche Umkehrung des Todessatzes in sein Gegenteil. Aus einem Todesrechtsfall wird der Fall eines Gerechten. Diese Umkehrung spricht keineswegs gegen die Annahme, in v. 5-9 liege das mot-Satz-Formular zugrunde. V. 4 b, die generalisierende Zusammenfassung des Todesrechts in einem Satz (»Der Sündigende ist dem Tode verfallen«), forderte das positive Korrelat dieses Rechtsprinzips in einer demselben Formschema folgenden Darbietung heraus. War der Sündigende dem Tode verfallen, dann mußte auch die Frage nach dem Ergehen des Gerechten beantwortet werden. Der allgemeinen Fassung des Todessatzes v. 4 b mußte eine ebenso allgemeine Fassung der positiven Umkehrung entsprechen. In Ez 18 5-9 wurde also durch Anknüpfung an das in dem Formular Lev 18—20 fixierte traditionsgeschichtliche Stadium der mot-Sätze die dreiteilige Struktur: Protasis - Subsumtion unter den Prohibitiv im Mittelteil - deklaratorische Apodosis dem todesrechtlichen Bereich enthoben und der Lebenszusage dienstbar gemacht. Es ist nicht nur formgeschichtlich, sondern auch literarisch von Bedeutung, daß in einer so durchgebildeten Gattung wie der in Ez 18 5-9 vorliegenden Todessatzformular und Prohibitivrecht eine enger nicht denkbare Synthese eingegangen sind. Bei der Bestimmung der Herkunft dieser Gattung kann man an der Synthese von Todesrechtsform und Prohibitivrecht nicht vorbeigehen. Hier sind nunmehr die bisher gewonnenen Ergebnisse über das traditionsgeschichtliche Verhältnis zwischen Prohibitiv und mot-Satz heranzuziehen. Die Untersuchung des Todesrechts erbrachte den Nachweis einer engen Beziehung zwischen Prohibitiv und Todessatztatbestand, die sich rechtsgeschichtlich aus dem Primat des Prohibitivs, formgeschichtlich durch die Umbildung der Prohibitivtatbestände zu einer eigenen Rechtsform erklären ließ. Wie sodann aus der Untersuchung des Formulars Lev 18-20 hervorging, erwies sich die Geschichte des Todesrechts zugleich als die aus bestimmten institutionellen Vorgängen ableitbare Geschichte des Verhältnisses zwischen Prohibitiv- und Todesrecht. In Lev 18-20 waren Prohibitiv- und Todesrecht in dem Formular eines kultischen Gerichtsverfahrens aufeinander bezogen. Auf dem Hintergrund dieser Geschichte des Verhältnisses zwischen Prohibitivrecht und Todesrecht läßt sich auch die Gattung Ez 18 5-9 als literarische Form näher erfassen. Wenn im folgenden die verfahrensrechtlichen Bezüge dieser Gattung als eines der sie gestaltenden Momente aus der Todesrechtstradition interpretiert werden, so ist damit keineswegs die institutionsgeschichtliche Folgerung

Die deutero-ezechielische Grundschicht

175

verbunden, hinter dieser literarischen Form werde unmittelbar das kultische Gerichtsverfahren greifbar. Wie die Gattungsanalyse ergab, liegt Ez 18 5-9 die Todesrechtsform in literarischer Durchbildung zugrunde. Diese literarische Ausgestaltung läßt bestimmende Grundzüge der Todesrechtsform hervortreten, Grundzüge, zu denen das institutionelle Moment jener korrelativen Beziehung zwischen Tatbestand und Todesdeklaration gehört. Deklaratives Wort und vorausgesetzter Vorgang sind ja zuinnerst verbunden. In der literarischen Weiterbildung des Todessatzformulars in Ez 18 weisen v. a. die ausgedehnte Prohibitivrechtsreihe und die Verstärkung der Deklarationen im Nachsatz auf die die Gattung gestaltende Institution. Diese muß a) eine Rechtsinstitution gewesen sein, da v. 5-9 in Sache und Form durch das Recht bestimmt sind und b) durch kultische Verfahrensformen geprägt sein, da die deklaratorischen Urteile in der Apodosis (v. 9 b) sowie materiell ein Teil des Prohibitivrechts selbst (v. 6 a) sakralrechtliche Züge tragen. Aus dem bisher Erarbeiteten ergibt sich, daß damit ein kultisches Gerichtsverfahren hervortritt. Für die weitere Analyse ist damit der leitende Gesichtspunkt gewonnen. Es geht um die Bestimmung der Art und Weise, wie das kultische Gerichtsverfahren in der Gattung Ez 18 5-9 (vgl. v. 10 ff.) literarische Form geworden ist. Zimmerli hat zwar die Gattung der Einheit Ez 18 5-9 nicht zutreffend gekennzeichnet38; von Bedeutung ist aber die Erkenntnis, daß man in v. 5-9 auf das Formular einer Tempelbegehung stößt 39 . Darauf deuten die priesterliche Sprache, die kultische Beheimatung der Rechtsrezitationen und, was besonders hervorzuheben ist, die Lebenszusage40. »Die Lebenszusage stammt ganz so wie die vorangehende Beschreibung der Ordnungen der Gerechtigkeit und der deklaratorische Spruch aus dem Bereidi des Heiligtums und läßt all das aufklingen, was dort lebte«41. Man wird in der Tat annehmen können, daß der Ablauf bestimmter kultischer Vorgänge auf dem Wege bestimmter Formtraditionen bei der literarischen Gestaltung der zu untersuchenden Gattung mitwirkte. Diese in Form und Institution geprägten Traditionen waren jedoch nicht allgemein kultischer Art. Die Dominanz rechtlicher Formen und Vorstellungen gestattet es, in den Uberlieferungen das Fortwirken der aus Lev 1 8 - 2 0 herauslösbaren kultgerichtlichen Vorstellungsformen zu erkennen.

38 D a s ganze Kap. E z 18 wird als Disputationswort bezeichnet (BK X I I I 396), in der Gattung v. 5-9 die Spannung verschiedener Rechtsschemata betont (ebd. 403 f.). Die todesrechtliche Struktur der Gattung ist nidit erkannt. Junkers Kritik an der Bezeichnung

Disputationswort

ist

nicht

gerechtfertigt;

die

»belehrende Zurechtweisung« ist unscharf (BZ N F 7, 178 f.). » B K X I I I 397. 403 ff.; vgl. ThZ 13, 500 = 40

Zimmerli a. a. O.

« B K X I I I 407.

Ges. Aufs. 184.

Gattungsbezeichnung

176

Die sakralrechtlichen Deklarationsworte bei Deutero-Ezechiel

Die Voranstellung der säddiq-Reihe in Ez 18 5-9 ist in erster Linie verfahrensbedingt. Nachdem der todesrechtliche Grundsatz v. 4 b die todesrechtliche Ausrichtung des Gesamtverfahrens präliminarisch angekündigt hat, muß eine auf der Schuldlosigkeit des einzelnen basierende Statuierung der Kultgerichtsfähigkeit der kultischen Gerichtsgemeinde folgen. Denn da die Kultfähigkeit überhaupt, wie v. Rad gezeigt hat, auf dem säddiq-Erweis beruht 42 , muß ein säddiq-Erweis auch Voraussetzung für die Konstituierung einer kultischen Gerichtsgemeinde sein. Gerechtigkeit und Leben aber gehören zusammen 43 . Es leuchtet also ein, daß der Erweis von Gerechtigkeit und Leben am Anfang eines todesrechtlich geformten Textes steht, wenn man die Lebenszusage mit der Konstituierung einer todesgerichtsfähigen kultischen Gerichtsgemeinde in Verbindung bringt 44 . Wie man von Ps 15 und 24 her weiß, gehörten zum Erweis der Kultfähigkeit aber auch Unschuldsbeteuerungen, die ihrer Form nadi den Prohibitiven analog sind. So kann man auch die mit der Lebenszusage in Ez 18 5ff. verbundene Prohibitivdarbietung der Konstituierung einer kultischen Gerichtsgemeinde zuordnen. Wie die Kultgemeinde so hatte auch die kultische Gerichtsgemeinde ihre Unschuld zu erweisen, was in Ez 18 5 ff. durch eine einer Prohibitivreihe angeglichene Erklärung geschieht. Basiert Ez 18 5-9 also literarisch auf dem kultischen Gerichtsverfahren, dann erklärt sich die Voranstellung des säddiq-JLrweises zwanglos aus dem Verfahrensmodus: Im kultischen Gerichtsverfahren stand der deklaratorisch bestätigte Gerechtigkeitserweis der kultischen Gerichtsgemeinde (und damit auch des einzelnen) am Anfang 45 . Das kultische Gerichtsverfahren läßt also den Hintergrund der Lebenszusage hervortreten. Zimmerli bemerkt treffend: »Der eigentliche Akzent des forensischen Zuspruchs liegt heute auf dem folgenden ¡TTP rrn «c46. Es handelt sich in der Tat um einen forensischen Zuspruch. Im hajö jihjä erfuhr der einzelne die öffentliche Bestätigung seiner Kultgerichtsfähigkeit. Durchsichtig wird die Lebenszusage daher erst, wenn man sie von der Todesdeklaration abhebt. Das kultische Gerichtsverfahren war todesrechtlich verfaßt, auf die Deklaration von Todesurteilen ausgerichtet. Wurde im Zusammenhang eines solchen Verfahrens wirksam das Leben zugesagt, so lag darin gleichzeitig die negative Versicherung: Er ist nicht dem Tode verfallen. Audi diese hat deklaratorischen Charakter und muß in dem hajö jihjä mitgehört werden. Die v. 5-9 analoge Ein« FS-Bertholet 418 ff. = Ges. Stud. 225 ff. v. Rad ebd. 44 Mit Recht betont v. Rad: »Die letzte Entscheidung über Leben und Tod fiel also für Israel im Kultus« (Ges. Stud. 236). 45 Die Voranstellung der Prohibitivreihe Ez 18 6 ff. steht in Korrespondenz zur Voranstellung der Prohibitiv-Kapitel in dem Formular Lev 18-20. 4 « BK X I I I 406; Hervorhebung von mir.

Die deutero-ezechielische Grundschidit

177

heit bringt sie ausdrücklich (v. 14-17): hu' lo' jamüt (17 b). Sinnvoll und notwendig ist die Deklaration »der soll nicht sterben« erst dann, wenn im umgekehrten Falle das Todesurteil eine reale Drohung war - wie im kultischen Gerichtsverfahren. Das Forum also, vor dem die »forensische« Lebenszusage erging, war die kultische Gerichtsgemeinde. Eine Bezeichnung der in Ez 18 5-9 vorliegenden Gattung wird die institutionellen Bezüge der formalen Merkmale berücksichtigen müssen. Die Gattung ist aus einer bestimmten Rechtsform (Todesrecht) erwachsen und enthält einen sich in den Deklarationen des Nachsatzes dokumentierenden Zuspruch. Nimmt man die Momente zusammen, dann legt sich die Bezeichnung »sakralrechtliches Deklarationswort« nahe. Der Begriff Deklarationswort enthält das forensische Moment, den Bezug zum kultischen Gerichts verfahren. Mit dem Terminus »sakralreditlich« ist angezeigt, daß das vorausgesetzte Verfahren ein sakrales Gerichtsverfahren ist. Als ganze ist die Gattung keinesfalls mit einem liturgischen Formular, einer einen sakralen Vorgang unmittelbar gestaltenden und von diesem gestalteten Redeform zu verwechseln. Ein derartiges Formular wird in Lev 18-20 sichtbar, nicht in der literarischen Tradition, um die es hier zu tun ist. Ez 18 5-9 hat seinen Sitz im Leben in der Literatur. Die Gattung ist eine literarische Form und gibt Maßstäbe vor, nach denen das Ez-budi - in bestimmten Schichten - literarisch beurteilt werden kann. Ez 18 5-9 muß zunächst als Einheit für sich analysiert werden. Eindeutige Gattungskriterien berechtigen dazu, auf den Kontext nur gelegentlich zurückzugreifen. V. 5-9 ist jedoch mit einer Reihe weiterer, gleicher Gattungen einem Generationsschema untergeordnet. An das Sprichwort v. 2 b wird das Problem der Schuldübertragung vom Vater auf den Sohn 47 angeknüpft und in den Rechtsreihen erörtert; der Sohn trägt nicht die Schuld des Vaters (v. 19 a. 20 b) - und umgekehrt. Das heißt aber: Die Einheiten v. 4b. 5-9.10-13.14-17.18.19b. 20a sind zur Explikation eines theologischen Gedankengangs koordiniert. Thema von 18 1-20 ist nicht das kultische Gerichtsverfahren oder das Todesrecht, sondern das Problem der Schuldverfallenheit im Hinblick auf die Vererbbarkeit der Schuld vom Vater auf den Sohn sowie das Problem der Schuldhaftung. Systematisch wird diese theologische Problematik expliziert und zu einer Konsequenz geführt (v. 19a. 20b). Unmöglich kann eine so differenzierte Gedankenführung als Ganze irgendwelchen Formularen folgen. Sie ist ein literarisches Produkt. Der Verfasser dieser Abhandlung mag beamtet oder nicht beamtet, Prophet oder Priester oder beides, Rechtsgelehrter 47

U m eine individuelle Vergeltungslehre handelt es sidi in E z 18 nicht, wie die verfahrensrechtlichen Hintergründe der Gattung deutlich machen. Das verhältnis zwisdien dem theologischen

Beziehungs-

Problem der Schuldübertragung, das die Kom-

position v. 1-20 beherrscht, und den verfahrensrechtlichen Lebenszusagen und Todesdeklarationen bedarf besonderer Untersuchung.

178

Die sakralrechtlichen Deklarationsworte bei Deutero-Ezechiel

oder Schriftgelehrter gewesen sein, - aus dem literarischen Produkt Ez 18 unmittelbar genaueres über Amt und Herkunft des Verfassers abzuleiten, ist niciit statthaft. Die literarkritischen Probleme sollen hier nur insoweit angeschnitten werden, als sie für die sakralrechtliche Tradition innerhalb des Ez-buches relevant sind. Als Ausgangspunkt dürfen die Deklarationsworte in Kap. 18 dienen. Die auf v. 5-9 folgenden Einheiten zeigen die gleiche Form wie v. 5-9, sind ebenfalls aus dem Todessatzformular erwachsen und nach dem Schema Protasis (18 i&-iia. u. i8aa. i9ba. 20 aa = 4ba), Rechtsreihe (llb—13a. 15—17a, 18a ohne 'abiw kl. 19 b/?), Apodosis (l3b. 17b. 18b. i9b/. 20a/? = ibß) konstruiert. Der übergeordnete theologische Gedankengang schließt 18 4b—20 sprachlich und sachlich zusammen. Die weitausladenden Gedankenfolgen lassen auf eine Gelehrsamkeit schließen, welcher die exegetische Deduktion theologischer Problematik aus einem Sprichwort ohne weiteres zuzutrauen ist. Ein sprachlicher und gedanklicher Bruch liegt zwisdien v. 2 f. und v. 4 ff. nicht. 18 1-20 ist literarisch i. w. einheitlich48. In v. 21 ff. tritt ein neues Thema hinzu, das der Umkehr. Diesen Ausführungen liegt wiederum das Todessatzformular zugrunde: v. 21. 24. 26.27 f. Hier ist die Form weniger streng als in v. 4b-i8. An die verkürzten Deklarationsworte tritt jeweils ein Diskussionswort 49 : v. 23.25.29, vgl. i9a. Das Kap. schließt mit einer paränetischen Konsequenz (v. 30-32). Obwohl v. 21 ff. stärker durchwuchert sind als v. 1-20 und nicht von dem Verfasser von 1-20, sondern von einer Schultradition stammen können 50 , ist doch so viel sicher, daß in v. 21-32 sprachlich und sachlich dieselbe literarische Tradition vorliegt wie in v. 1-20. Die literarische Verwandtschaft der beiden Kapitelhälften ist unbestreitbar 51 . Auf dieselbe literarische Tradition stößt man in K a p . 14, das v. a. von Zimmerli im Hinblick auf den gesetzlichen Stil untersucht worden ist52. Wenn auch durch paränetische Elemente und den Disputationsstil

48

Mit einzelnen Eingriffen in den T e x t ist natürlich zu rechnen, s. Fohrer, H a u p t probleme, 82 f. 99. 100 ff.; H A T (1955), 99. 101; Z A W 63 (1951), 33 ff.

« Zur G a t t u n g Disputationswort vgl. Zimmerli, T h Z 13, 494 ff. = Ges. A u f s . 178 ff.; FS-Vischer (1960), 217 ff.; B K X I I I pass. Es erscheint sachgemäß, als Disputationsworte in E z 18 nur die kleineren Elemente v. 19.23.25.29 zu bezeichnen. Sie sind ebenso wie die Gattung »sakralreditliches Deklarationswort« in die übergeordneten Kompositionen integriert. In E z 18 ist die übergeordnete Komposition jedoch weniger durdi die Disputationsworte als vielmehr durch die Deklarationsworte geprägt. so Zur Schultradition vgl. v. a. Zimmerli, B K X I I I , 37. 59 ff. 396 ff. 462 ff. 512. 522. 561. 860 u. ö. (vgl. V T 15 [1965], 516). Dagegen Fohrer, T h L Z 83, (1958), 248. Wie von der Mehrzahl der Ausleger anerkannt. 52 Vgl. v. a. Z A W 66 (1954), 1 ff.; B K X I I I 300 ff.

51

Die deutero-ezechielische Grundschicht

179

schon in Auflösung begriffen, lassen die sakralrechtlichen Ausführungen in 14 l - u die Formvorlage Protasis - rechtliche Explikation - Apodosis noch deutlich erkennen. Am ausgeprägtesten in v. 7: Protasis i&aß (jeder Israelit und Fremde, der in Israel weilt und sich mir entzieht), rechtliche Explikation ia.yd.ha (und seine Götzen sich zu Herzen nimmt und den Anstoß zu seiner Verschuldung vor sich bringt und zum Propheten geht, damit dieser mich für ihn befrage 33 ), Apodosis ibß.s (für den lasse ich, Jahwe, mich zu einer Antwort bewegen: Ich richte mein Angesicht auf diesen Mann und mache ihn zum Zeichen und Sprichwort 54 und rotte ihn aus der Mitte meines Volkes aus). Nach der gleichen Vorlage ist v. 4 gestaltet. Hier gehen Protasis und rechtliche Explikation ineinander über (4 a). Der Antworterweis 'a iV W l » ! mrp "W 55 ist eine vollwertige Apodosis, die die in v. 8 angeführte Ausrottung sachlich impliziert, ibß-e sind nicht sekundär eingeschoben56, sondern ein Element des für paränetische Erweiterungen offenen sakralrechtlichen Stils. Auch v. 9 ist nach dem dreiteiligen Schema Protasis, Explikation, Apodosis aufgebaut. Zwischen Protasis (9aa) und Apodosis (9b) umfaßt der eigentliche Mittelteil nur die Angabe: w'-dibbuer dabar (9aß). Die Weiterführung des Mittelteils Kinn N'Oin TN VVnö mrr ist schon der Apodosis zuzurechnen. V. 10 gehört sachlich zu dem Deklarationswort v. 9, ist aber mit dem vorangehenden Deklarationswort it. verklammert. Ähnlich wie die paränetische Ausführung 4b-6 die Deklarationsworte v. 4 und 7f. verband, verklammert v. io die beiden Deklarationsworte 7 f. und 9. V. n. zieht paränetisch die Konsequenz aus dem ganzen Passus 141-10. Leitgedanke ist das Problem der prophetischen Funktion bei Abtrünnigkeit der Israeliten zum Götzendienst. Genau wie in Kap. 18 bedient sich in 14 1-11 eine theologische Explikation sakralrechtlicher Deklarationsworte, die paränetisch durchformt und ineinander verklammert werden. Daß 14 1-11 literarisch zu der in Kap. 18 greifbaren Tradition gehört, steht außer Zweifel 57 . In Berufungsworten programmatisch vorgeführt sind die theologischen Leitgedanken von Kap. 18 und 141-11 in 33 1-20 3 17-21. 3 17-21 ist in den Komplex prophetischer Berufungsschilderungen Kap. 1 - 3 nachträglich eingefügt worden, um die spätere deutero-ezechielische Bearbeitung (s. u.) schon in der prophetischen Berufung zu sanktionieren 58 . Es geht

53

•'a I 1 ? a m 1 ? »damit er (der Prophet) für ihn mich befrage«, Smend, K e H , 8 1 ; vgl. Kraetzschmar, H K , 138; Bertholet, H A T , 50.

54 Vgl. B H K ; Zimmerli, B K X I I I , 300. 302. 55 56

1. , 3 c. Targ. Nach Fohrer ist 6 f. eine 4 f. variierende Glosse; v. 8 sei die unmittelbare Fortsetzung von 4 f., H A T 77.

57

Die Mehrzahl der Ausleger hält Kap. 14 und 18 für echt, setzt also die gleiche Verfasserschaft voraus.

58

Richtig erklärt Fohrer, daß 3 16b-21 redaktionell an die jetzige Stelle gerückt wurde

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Die sakralrechtlichen Deklarationsworte bei Deutero-Ezediiel

in 33 1-20 und 3 17-21 um die Mitverantwortung des zum Späher und Warner berufenen Propheten für die Schuld, Sdiuldverfallenheit, Umkehr und Lebensmöglichkeit des Volkes, um die Funktion des Propheten in den Zusammenhängen von Schuld und Tod, Gerechtigkeit und Leben. Literarisch sind diese Leitgedanken wieder nada dem Schema der sakralrechtlichen Deklarationsworte gestaltet: Protaseis: (33 2a/?. 6aa. 8aa [ = 3 18aa], 9aa [vgl. 3l9aa]. 13aO [vgl. 3 20ad]. 14abCf. 18aa [ = 3 20a(z]. 19aa [vgl. 3 2 i a a ß ] ) , Explikation: (33 2b—ia. Qaßyde. Baß [vgl. 3 18a/J]. 9a.ß [Vgl. 3 19a/?/]. 13a/ [vgl. 3 20a/?/]. 14b/?-15a. 18a/? [vgl. 320a/?/]. 19a/? [vgl. 3 2ia/?]), Apodoseis: (33 4b [ + Erweiterung5]. 6b. 8b [ = 3i8b], 9b [ 3 19b], 13b [ v g l . 3 20aÓ.b]. 15b [ + 16]. 18b [ v g l . 3 20a