Das systematische Lehrbuch: ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in der Antike 3525250215, 9783525250211

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Das systematische Lehrbuch: ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in der Antike
 3525250215, 9783525250211

Table of contents :
INHALT
EINLEITUNG
Erster Teil ANALYTISCHE UNTERSUCHUNG ERHALTENER Τεχνη-LEHRBÜCHER
Die rhetorische Τέχνη des Anaximenes
Die grammatische Τέχνη des Dionysius Thrax
Die Εἰσαγωγὴ ἁρμονική des Kleoneides
Die Rhetorik ad Herennium
Ciceros Schrift De inventione
Varros Werk über die Landwirtschaft
Vitruvs Libri de architectura
Die Libri Medicinae des Cornelius Celsus
Die Schriften der römischen Feldmesser
Die Institutionen des Gaius
Zweiter Teil BETRACHTUNGEN ZUR GESCHICHTE DES SYSTEMATISCHEN LEHRBUCHES
Die Ursprünge des systematischen Lehrbuches
Lehrbücher in hellenistischer Zeit
Römische Lehrbücher und ihre hellenistischen Vorbilder
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Nachträge

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Manfred Fuhrmann

DAS SYSTEMATISCHE LEHRBUCH

Ein Beitrag

zur Geschichte der Wissenschaften in der Antike

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VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Gedruckt mit Unterstützunpg der Deutschen Forschangegemeinschaft. © Vendenhoeck & Ruprecht in Gôttingen 1960. — Printed in Cermany. Obne susdrückliche Genehmigung des Verlagee ist es nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus auf photo- oder akustomechanischem

Wege zu vervielfältigen. Gesamtberstellung: Hubert & Co., Gottingen 7624

INHALT

Einleitung

E

7

Erster Teil

Analytische Untersuchung erhaltener Ttyxw-Lehrbücher

1. Kapitel: Die rhetorische Τέχνη des Anaximenes ................

11

$1. Der Aufbau des Werkes .......000000000000000 000000004000 00444

11

$ 2. Die Methodologie

.....0000000000000 000000 us e 0 e en n

16

1. Einteilung .......20000000 000000s se se hhhh hh hn

17

2. Klassifikation

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18

3. Distinktion .......00000000 000 00e se 0 κ o n 0 e es h n

22

4. Definition

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23

......0000000 00s en es es hs s

25

$3. Die Darstellungsformen ......000000000 0000000 0RR hn

25

6. Begriff

1. Das aus Einteilung, Definition und Beschreibung bestehende Schema ...... llssls

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25

2. Parallelismu8 ......000000000000000 se es sn en Έ Ε e

27

3. Katalog

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27

4. Überleitende Formeln .................eeeeeeeee nn nn e e

28

2. Kapitel: Die grammatische T£yvn des Dionysius Thrax

........

29

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29

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30

$3. Die Darstellungsformen .........120000 Ξ Ε ΕΕΝὟ

33

$1. Der Aufbau des Werkes ......0.00000000 000008000800 $ 2. Die Methodologie

3. Kapitel: Die ΕΪϊσαγωγὴ &puovexn des Kleoneides

..............

34

$ 1. Der Aufbau des Werkes .....0.00000000000 000 RR nn ht

34

$ 2. Die Methodologie

............0.000400000 00s 0 en e en n

36

$3. Die Darstellungsformen ......0.000000000000 000 0RR KFE RET

39

. Kapitel: Die Rhetorik ad Herennium

........................

$1. Der Aufbau des Werkes ...............

41

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41

...0..0000000000000000 00000000 ue n en en 0n 00 0

47

$3. Die Darstellungsformen .......0000000000000000 0000000000140

54

. Kapitel: Ciceros Schrift De inventione .........0..0000000000044-

58

$1. Der Aufbau des Werkes ........... ..l

58

$2. Die Methodologie

......................eeeeeeeeeeeeeeeeee

61

$3. Die Darstellungsformen .................eeeeeeeeeeeeeee rA

67

. Kapitel: Varros Werk über die Landwirtschaft ................

69

$1. Der Aufbau des Werkes .......000000000000000 0006001000001 000

69

$2. Die Methodologie

.....0.00000000000 0000000 0000000800000 nn uun

72

$3. Die Darstellungsformen ......00000000000 se sn e se e e e se nn ue

76

$2. Die Methodologie

. Kapitel: Vitruvs Libri de architectura

..............Luuuuuuu...

78

$1. Der Aufbau des Werkes .......0.000000000000 00000000 00000000

78

$2. Die Methodologie

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80

$3. Die Darstellungsformen .................... ..l

83

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. Kapitel: Die Libri medicinae des Cornelius Celsus

...............

86

$ 1. Der Aufbau des Werkes .......0.00000000000000 se 0s se se 000000 0

86

$2. Die Methodologie

................. sssl

92

$3. Die Darstellungsformen ........000800000 000e se 00 se se su 0000 e

95

. Kapitel: Die Schriften der rómischen Feldmesser

...............

98

$8 1—3. Die Bruchstücke Frontins: Aufbau, Methodologie und Dar-

stellungsformen

....0.00000000000008

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98

8 4. Die Bruchstücke der übrigen Feldmesser ......................

102

10. Kapitel: Die Institutionen des Gaius

...........................

104

$1. Der Aufbau des Werkes .........000e 4.0008000 es en as 104 $2. Die Methodologie

............. s

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110

$3. Die Darstellungsformen ........00s .4020000 0s e en e 0n e es en suu 0e 119

Zweiter Teil

Betrachtungen zur Geschichte des systematischen Lehrbuches 11. Kapitel: Die Ursprünge des systematischen Lehrbuches .........

I. Methoden und Darstellungsformen der Sophisten

...

122 122

$ 1. Platon über die Rhetorik ..........00.00000000040000000 00000000 123 1. Das System ..0.0.00000000000000000000000400000004000000008

124

2. Die rhetorische Terminologie .......................eeeees

125

3. Definitionen

..0..0000000000000000000000000000000000000000

126

$2. Die grammatischen Studien der Sophisten ....................

127

1. Einteilungen ...00.000000000000000000000000000000000000004

127

2. Die Unterscheidung von Begriffen ........................

127

$3. Die Dispoeitionstechnik des Gorgias .........................

128

1. Helen& Έ s 129 2. Palamedes Ε n

129

3. Über das Nichtseiende ............002000 10e se en 00e 130

I. Phüosophische Methodenlehren und sophistische Unterrichtepraxis ...

131

$ 4. Die Methoden des Sokrates und die Sophistik .................. 132 1. Das sokratische Gespräch ......0..0.00000000000000000004000

132

2. Die sokratische Frage nach dem Begriff ...................

133

$ 5. Die methodologischen Lehren Platons und die Rhetorik ........

134

1. Die frühen Schriften und der Gorgias

.....................

134

2. Die Kritik des Phaidros .....00000000000 0000000000 HELE

135

$ 6. Die aristotelische Rhetorik und das Lehrbuch des Anaximenes ..

138

$7. Die Terminologie des Anaximenes ........00000000000000000004

142

12. Kapitel: Lehrbücher in hellenistischer Zeit

.....................

144

$1. Die Τέχνη des Dionysius Thrax im Verhältnis zu ülteren Lehrbüchern .........220.000000 0000000000 h hhhh hn 145

$2. Die philoeophische Doxographie, ihre hellenistischen Ursprünge 147 1. Systematische Tendenzen der hellenistischen Philosophie ....

147

2. Die Darstellungsformen der doxographischen Literatur ......

148

3. Die ’Ex38pop4 des Diokles von Magnesia ...................

152

$3. Diogenes von Babylon und Dionysius Thrax

................

152

$ 4. Das philosophische und das rhetorische Lehrbuch ..............

154

$ 6. Die Εἰσαγωγὴ des Kleoneides ..........0.000000000000000000000 155

13. Kapítel: Rómische Lehrbücher und ihre hellenistischen Vorbilder 156 $1. Der ültere Cato ......000000000000000000 0EL n

157

1. Seine Schrift über die Landwirtechaft .....................

157

2. Seine Enzyklopädie ...................eeeeeeeeeeeeeeeeee

159

$2. Die Rhetoriken des auctor ad Herennium und des jungen Cicero 159 1. Das rhetorieche System ............... ..l

2. Philosophische Einflüsse ................. ..l

159

sssl 160

$3. Der Systematiker Varro ........0.000000000000 001000000 εεν κ 162

1. Seine Res rusticae und die landwirtschaftliche Literatur der Griechen und Rómer ............... cn 0c 0 un su s0 se 0 s0000

183

2. De lingua Latina .....000000000000000 se en κ un hn 166

3. Liber de philosophia .............00002 000n εκ se se 0 se 00000 167 4. Disciplinarum libri .........0..200 000en 000080000r nn c00008 168

$ 4. Das Lehrbuch Vitruvs und die griechischen Mechaniker ......... 169 1. Die Schriften der Poliorketiker .........0.000000000000000404

169

2. Ein Lehrgebäude der hellenistischen Mechaniker ............ 171 $ 6. Celsus und die hellenistische Medizin .........0.00.00000000000004 173 1. Die Methodologie .......000004000000000000 0000000000000 000

174

2. Systeme ....00000000000000 e e hhhh K EK EFA

177

3. Kompendien ............000800 000ec es en ec e e 000en 000 0

179

$ 6. Die Feldmesser; Frontin, seine Strategemata und die griechischen Taktiker

.......0000000000 0 se ce Ε Ε n

181

$ 7. Die Institutionen des Gaius und das rhetorische Lehrbuch .......

183

1. Die Methodologie und die einzelnen Einteilungen ...........

183

2.

186

Q. Mucius Scaevola, Cicero und Gaius .....................

Register: Personen

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190

EINLEITUNG

Die vorliegende Abhandlung befabt sich mit einer literarischen Gattung der antiken Wissenschaften, mit Lehrbüchern, die jeweils

in systematischem Aufbau einen Überblick über das Ganze einer Disziplin gewühren. Der Plan der Arbeit ist durch den Stand der Forschung bedingt: da sich die hier zur Erórterung stehende Form

nirgends in einem die einzelnen Wissenschaften übergreifenden Zusammenhang dargestellt findet!, konnte ihre Existenz nicht einfach vorausgesetzt werden; es schien vielmehr unumgänglich, zunáchst ihr

Wesen von Grund auf zu bestimmen und in allen Einzelheiten zu verdeutlichen. Dieser Aufgabe dient der erste Teil der Abhandlung, der eine Reihe erhaltener Kompendien aus der Zeit von 350 v. Chr. bis 200 n. Chr. analysiert: er soll dartun, daB sich sámtliche Muster der Gattung durch gemeinsame Organisations- und

Darstellungs-

formen auszeichnen. Hier wird zunächst die Methodologie dieser Lehrbücher erôrtert, die ein konstantes, getreulich durch die Jahrhunderte tradiertes und von einer Disziplin auf die andere übertragenes Instrumentarium logischer Operationen umfabt, z.B. die διαίρεσις, die

bewegende Kraft bei der stufenweise fortschreitenden Entfaltung von Systemen, ferner die sich hieraus ergebende Bestimmung von Begriffsrelationen (yévo; und εἶδος), sodann die Definition und schlieBlich die Gegenüberstellung von Artbegriffen, die derselben Gattung ange-

! Die wenigen einschlügigen Arbeiten befassen sich im allgemeinen nur mit einzelnen Systemen, Schemata und Lehrgebäuden; s. z. B. Usener, Ein altes Lehrgebäude der Philologie, Kl. Schr. 2, 1913, 265—314; Norden, Die Composition und Literaturgattung der Horazischen Epistula ad Pisones, Hermes 40, 1905, 481—528; Dahimann, Varros Schrift de poematis und die hellenistischrômische Poetik, Ak. d. Wiss. u. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. soz. wiss. Kl.,

1953, 3. Lediglich die rechtahistorische Forschung diskutierte auch einen wesentlichen Teil der in der vorliegenden Untersuchung für das systematische Lehrbuch vindizierten Methodologie; s. bee. La Pira, La genesi del sistema nella giurisprudenza Romana, in Stud. Virgilii, 1035, 159—182; Bull. dell'Ist. di

dir. rom. 42, 1934, 336—355; Stud. et Doc. 1, 1935, 319—348; Bull. dell'Ist. di dir. rom. 44, 1936/7, 131—159, sowie Villey, Recherches sur la litterature didactique du droit Romain, 1945. Indes die rechtahistorischen Sonderaufgaben dieser Arbeiten gestatteten keine geordnete Gesamtdarstellung, und zudem lenkte der formallogische Gehalt der Methodologie die Betrachtung statt auf die immanenten Lehrbuchtraditionen allzu resch auf die Philosophie.

-

hóren (διαφορά) u. a. Des weiteren berücksichtigen die analytischen Kapitel eine Ánzahl stilistischer Phánomene, durch deren Anwendung die genannten logischen Strukturen sprachlich in Erscheinung treten, z.B. das aus den drei Elementen Einteilung, Definition und ausführlicher Charakterisierung zusammengesetzte Darstellungsschema. SchlieBlich pflegen die Lehrbuchverfasser die Systemfugen ibrer Werke

durch besondere Mittel, durch stereotype Überleitungsformeln zu markieren: derlei Wendungen finden sich zwar in der gesamten Prosa-

literatur der Antike; sie dürfen jedoch, da sich ihrer gerade die Verfasser von Lehrbüchern überaus oft und mit einer gewissen Gesetzmáfigkeit bedienen, wie die Methodologie und die Aufbauformen als Charakteristikum der hier untersuchten Gattung gelten. Die analytischen Kapitel beschrünken sich auf das jeweils betrachtete Einzelwerk. Da sie sámtlich dieselben Gesichtspunkte in übereinstimmender Reihenfolge erórtern, lassen sich Querverbindungen leicht herstellen; ein zusammenfassender Vergleich schien sich daher Ζ erübrigen. Hingegen erwies es sich für das Verständnis der durch die Analyse gewonnenen Ergebnisse als unerläBlich, wenigstens in Umrissen die Geschichte des systematischen Lehrbuches darzustellen. Der diesem Thema gewidmete Teil begnügt sich mit dem Wichtigsten: mit der sophistisch-rhetorischen Herkunft der Methodologie, mit Beginn und Anwachsen systematisierender Tendenzen innerhalb der einzelnen Disziplinen und mit der Anwendung der Lehrbuchform durch einen von Jahrhundert zu Jahrbundert zunehmenden Kreis von Wissenschaften. Es empfahl sich, hierbei jeweils von der sicheren Position eines vollständig erhaltenen Werkes aus zu argumentieren, z. Β. zunüchst die Vorgeschichte der Téxvn des Anaximenes zu erórtern, dann die Grammatik des Dionysius als Basis für die Untersuchung der philosophischen, insbesondere stoischen Kompendienliteratur zu verwenden usw. So kommen erhebliche systematische Leistungen der hellenistischen Wissenschaften erst in den Abschnitten zur Sprache, die sich mit den Rómern Varro, Vitruv und Celsus befassen. Dieses ableitende Verfahren schien für eine Untersuchung, die zum ersten Male einen umfangreichen Stoff auf seine formalen Eigentümlichkeiten hin betrachtet, angemessener als die Darstellung fertiger Ergebnisse in zeitlicher Abfolge. Die Auswahl des Stoffes wurde zunüchst durch die Absicht bestimmt, lediglich jene sowohl in stilistischer als auch in gegenstándlicher Hinsicht anspruchslosen Kompendien zu behandeln, die einzig der Verbreitung elementaren Wissens dienen, mógen sie sich nun an die lernende Jugend oder an ein Laienpublikum wenden. Dagegen blieben Werke, deren Verfasser Eigenes mitteilen, über neue Einsichten oder selbständige Forschungsergebnisse unterrichten wollen, selbst dann unberücksichtigt, wenn sie, wie die aristotelische Pragmatie, der 8

Dialog Ciceros oder Quintilians Erziehungsprogramm, in ihren Methoden und Darstellungsformen dem systematischen Lehrbuch nahe verwandt sind. Lediglich Varros Bücher über die Landwirtschaft schienen eine Ausnahmestellung zu verdienen, weil dort die eigene Leistung nicht zuletzt in der strengen, bisweilen geradezu bizarren Systematik besteht. Im übrigen waren für die zeitliche und gegenständliche Begrenzung zwei Prinzipien maßgeblich: einerseits sollten sämtliche Disziplinen berücksichtigt werden, die ihren Stoff in systematisch aufgebauten Kompendien tradiert haben!. Andererseits aber kam es nicht darauf an, alles verfügbare Material zusammenzustellen und sowohl Verlorenes zu rekonstruieren als auch in beliebigem Umfang auf Erhaltenes Bedacht zu nehmen. Denn wie das auf eine literarische Form gerichtete Untersuchungsziel dieser Abhandlung der unmittelbaren Anschauung vorhandener Werke nicht entraten konnte, so genügte es auch, jeweils einen Reprüsentanten einer Disziplin zu analysieren und seine Ursprünge und Voraussetzungen zu erórtern. Einzig der Rhetorik wurde um ihrer fundamentalen Bedeutung willen eine Sonderstellung eingeráumt: hier schien es geboten, nicht nur das älteste griechische, sondern auch die beiden ältesten rómischen Lehrbücher, die erhalten blieben, zu behandeln. Die Abhandlung befaBt sich mit einem wichtigen Abschnitt einer ununterbrochenen, von der Sophistik des 5. vorchristlichen Jh.s bis zum Ausgang der Antike reichenden, von dort sich in das Mittelalter fortsetzenden ,,scholastischen'' Tradition. Sie geht auf diese Seite des Themas nicht näher ein, sondern begnügt sich, auf Marrous für die

Geschichte der Erziehung gerade in hellenistischer und rómischer Zeit grundlegendes Werk? zu verweisen. Sie ergünzt das dort über die pädagogische Gesinnung des Elementarunterrichts, der Grammatikund Rhetorikschule Gesagte, indem sie vornehmlich auf die methodologische und stilistische Ausdrucksform dieser Gesinnung in den Fachwissenschaften aufmerksam macht. Auch sonst ist nicht beabsichtigt, anderen Disziplinen, etwa der Philosophie- oder Rechtsgeschichte, mehr zu vermitteln als Anregungen; die Aspekte, die sich aus der hier skizzierten Gesamtschau über

die antike ,,Scholastik‘‘ für die einzelnen Bereiche der Altertumswissenschaft ergeben, konnten und sollten nicht ausführlich entwickelt werden. ! Lediglich die Poetik blieb auBer Betracht, da die Lehrbücher der hellenistischen und rómischen Zeit ausnahmslos verlorengingen; was sich mit Hilfe von Aufzeichnungen spütantiker Grammatiker wiedergewinnen läßt, hat Dahlmann in der oben genannten Abhandlung gezeigt.

* Histoire de l'éducation dans l'antiquité, 1956*; in deutscher Übersetzung 1957.

Erster Teil

ANALYTISCHE UNTERSUCHUNG ERHALTENER

Téxyy-LEHRBÜCHER

1. Kapitel

Die rhetorische Τέχνη des Anaximenes $ 1. Die Τέχνη ῥητορικῇ des Anaximenes! setzt unvermittelt mit der Stoffbehandlung? ein: ihr Gegenstand wird weder genannt noch definiert; allgemeine Betrachtungen, etwa über Grundbegriffe der rhetorischen

Theorie,

sowie sonstige

Vorbemerkungen

fehlen?*.

Auch

findet sich kein Einteilungsschema, das sofort die Gliederung des

! Die vorliegende Abhandlung nimmt mit der herrschenden Meinung an, daD Anaximenes von Lampsakos (etwa 380—320 v. Chr.) das hier zur Erôrterung stehende Lehrbuch verfaBt hat, das als Werk des Aristoteles überliefert ist und wegen eines vorausgeschickten Widmungsbriefee an Alexander, einer epüten

Fälschung, Ῥητορικὴ πρὸς ̓Αλέξανδρον genannt wird. Es muß um 340 v. Chr. entatanden sein, da das späteste der in den selbstgebildeten Beispielen berührten

Ereignisse in das Jahr 343 v. Chr. fällt (41, 16ff.: Kopív8tot Συρακοσίοις ἐννέα τριήρεσι βοηθήσαντες KapynBovloug . .. κατεπολέμησαν). Es ist ülter als die aristo-

telische Rhetorik; mit erheblichen sachlichen Ánderungen in nacharistotelischer Zeit braucht nicht gerechnet zu werden (über die einzige wichtige Ausnahme s. u. S. 12, Anm. 2). Wie hier zuletzt Kroll, RE Suppl. 7, 1052ff., Art. Rhetorik;

über die umfangreiche ältere Literatur zur Verfaaser- und Überlieferungsfrage unterrichtet bis

1889 Ipfelkofer,

Die Rhetorik des Anaximenes unter den

Werken des Aristoteles, Diss. Erlangen 1889, 4ff.; s. ferner Brzoska, RE 1, 2087ff., Art. Anaximenes; Wendland, Anaximenes v. Lampsakos, 1905, 26ff. und Kroll 8.0.

Texte: in der Bekkerschen Aristoteles-Gesamtausgabe 1420a5—1447b9; grundlegend die Spezialausgabe Spengels: Anaximenes, Ars Rhetorica, 1844, mit Kommentar. Hier wird nach Seiten- und Zeilenzahl in der Edition der Rhetores Graeci, hrsg. v. Spengel-Hammer, 1894, Bd. I, 2, zitiert. Eine vorzügliche eng-

lische Übersetzung findet sich im 11. Bd. der Works of Aristotle, hrsg. v. W. D. Ross, 1952, von E. S. Forster.

3 Einen Überblick über den Aufbau des Werkes gibt Blass, Die attische Beredsamkeit 2*, 1892, 383ff.; s. ferner Brzoska, &.O. 2091ff.; Bôrner, De Quintiliani inst. or. dispositione, Diss. Leipzig 1911, 29ff. * Bereite von Brzoska a.O. beanstandet.

11

Werkes in drei Teile verriete: die ersten Sätze geben lediglich die Exposition des ersten Teiles (Kap. 1—5)!. Hier werden zwei Gattungen, das yévog δημηγορικόν und Sixavexév* sowie sieben Arten der Rede unterschieden; diese Arten, εἶδος προτρεπτικόν, ἀποτρεπτικόν, Eyxw-

μιαστικόν, ψεκτικόν, κατηγορικόν, ἀπολογητικόν und ἐξεταστικόν genannt, ! Eine verbreitete Ansicht (s. Campe, Philol. 9, 1854, 107f.; Spengel, ebd18, 1862, 612; ders. ın seiner Ausgabe, 103; Bôrner, a.O. 20f.; Forster, &.O.

z. St.) findet in den Worten (12, 22ff.): οὕτω S'dv ἑτοιμότατον λέγειν περὶ αὐτῶν (se. τῶν el8àv) δυνηθείημεν, εἰ xa9" ἕν ἕκαστον εἶδος ἀπολαβόντες ἀπαριθμησαίμεθα τὰς δυνάμεις αὐτῶν καὶ τὰς χρήσεις καὶ τὰς τάξεις (Sp πράξεις libri) einen Hinweis auf die trichotomische Anlage des Werkes: im ersten Teil (Kap. 1—5) erôrtere Anaximenes die δυνάμεις, denn die χρήσεις (Kap. 6—28) und schlieBlich die τάξεις (Kap. 20—38); etwas anders Bórner &.O. Selbst wenn diese Annahme zutrifft, kann die unklare Bemerkung kaum als Einteilung des Werkes, wie sie

in spáteren réyvn-Lehrbüchern üblich ist, bewertet werden. Gegen sie spricht jedoch, daß der Verfasser χαθ ̓ &v Exactov εἶδος betrachtend deren δυνάμεις, χρήσεις und τάξεις auseinandersetzen will: diese Worte lassen sich zwar auf den ersten und auch auf den letzten Teil beziehen, für den Mittelteil jedoch gilt die Unterscheidung der sieben εἴδη nicht (s. 35, 5ff.). Ferner ist zwar richtig, da8 der SchluGteil die τάξεις behandelt ; die χρῆσις und δύναμις der εἴδη stehen jedoch im ganzen Werk zur Erôrterung. Die χρῆσις macht geradezu ein Charakteristikum des Werkes aus: immer wieder weist der Verfasser darauf hin, wie und bei welcher Gelegenheit sich die von ihm mitgeteilten Lehren praktisch verwenden lassen (s. z. B. 12, 19; 13, 5; 18, 23; 24, 24; 30, 22; 31, 2; 34, 22 usw.). Von der δύναμις, die eng mit der χρῆσις zusammenhängt, ist nicht nur im ersten Teil (30, 24; 31, 6; 35, 1), sondern auch sonst die Rede (51, 18; 64, 24f., wo

sich die Worte τὰς κοινὰς δυνάμεις ἁπάντων τῶν εἰδῶν eindeutig auf den Mittelteil beziehen). Δύναμις und χρῆσις sind zu vage Begriffe, als daß sie ein geeignetes Einteilungsprinzip hütten abgeben kónnen und sollen. Mit dem Worte τάξεις freilich kann Anaximenes nur auf den dritten Teil hinweisen wollen; es beruht jedoch auf einer vielleicht unnôtigen Konjektur Spengels (s. z. B. 18, 12; zur

Bedeutung von πρᾶξις, — ,Inhalt", ,Gegenstand'' s. 63, 22: τὰ ὀνόματα oùx ἐναντία, al δὲ πράξεις ἐναντίαι). 2 Δύο (Sp τρία libri) γένη τῶν πολιτικῶν εἰσι λόγων, τὸ μὲν δημηγορικόν, [τὸ δὲ ἐπιδεικτικόν,) (del Sp) «6 δὲ δικανικόν. Spengel, Artium Scriptores, 1828, 183ff. sowie Ausgabe, 99f. und 228ff. u. ö. begründet diese gewichtige Anderung mit dem Hinweis auf 1. Quint. 3, 4, 9: Anaximenes iudicialem e contionalem generalis partes ε886 voluit, septem autem epecies: hortands, dehortandi, laudandi, vituperandi, accusandi, defendendi, exquirendi, quod ἐξεταστικόν dicit etc. 2. Syrian. ad Herm. stat., Rhet. Gr. 4, 60 W: ̓Αριστοτέλης Bb δύο yévn (8c. elval φησιν) τῶν πολιτικῶν λόγων, δικανικὸν xal δημηγορικόν ̓ εἴδη 8b ἑπτά, προτρεπτικόν, ἀποτρεπτικόν, ἐγκωμιαστικόν χτλ. 3. den Schluß des gefülschten Widmungsbriefes (12, 10ff.): τὰ B& λοιπὰ τούτοις ἰδίᾳ πάντα γέγραπται περί TE τῶν πολιτικῶν καὶ τῶν διχανικῶν παραγγελμάτων ̓ ὅθεν πρὸς ἑκάτερον αὐτῶν εὐπορήσεις &x τῶνδε τῶν ὑπομνημάτων σοι γεγραμμένων. 4. eine Bemerkung in der Τέχνη dee Anaximenes (80, 8—9): ὡς γὰρ ἐπὶ τὸ πολὺ τῶν τοιούτων εἰδῶν (8c. ἐγκωμιαστικοῦ καὶ ψεχτικοῦ) οὐκ ἀγῶνος, ἀλλ ̓ ἐπιδείξεως ἕνεκα λέγομεν. Diese Worte wären unverstándlich, wenn der Verfasser das γένος ἐπιδεικτικόν als besondere Gattung unterschieden hütte. Spengels Ansicht hat sich mit Recht fast allgemein durchgesetzt; s. über diese vieldiskutierte Frage bes. Ipfelkofer, a.O. 10ff.; Börner, 8. O. 27ff.

12

bestimmen den Aufbau des ersten Teiles in der Weise, daß die sechs ersten εἴδη paarweise und das εἶδος ἐξεταστικόν für sich allein behandelt werden. Der zweite Teil bringt allgemeine, sámtlichen elôn gemeinsame Lehren, insbesondere die Beweismittel (Kap. 6—28). Der dritte behandelt die τάξις, die Stoffanordnung (Kap. 28—37); hier werden sowohl die Redeteile (προοίμιον etc.) wie die sieben εἴδη des ersten

Abschnittes zur Gliederung des Stoffes verwendet. Dieser trichotomische Aufbau des Werkes ist sehr deutlich markiert: umständliche Rekapitulationen und Dispositionen vermitteln zwischen den Abschnitten (Kap. 5—7 und 28). Der erste Teil ist der geschlossenste. Der Verfasser führt das Schema der sieben εἴδη konsequent durch und bewahrt so dem Leser die

Übersicht über das Ganze. Jedes εἶδος wird zunüchst definiert und sodann näher erórtert; zugleich abschlieBende und einleitende Be-

merkungen heben die Übergünge zwischen den drei el5ogs-Paaren und dem abschlieBenden εἶδος ἐξεταστικόν nachdrücklich hervor. Die für die beiden ersten εἴδη mitgeteilten Lehren nehmen den gróBten Raum ein (Kap. 1—2). Sie sind durch zwei systematisch nicht miteinander verbundene Dispositionen gegliedert: die erste faßt allgemeine, für jede προτροπή und ἀποτροπῇ gültige formale Kategorien zusammen, das 8lxatov, νόμιμον, συμφέρον etc. (Kap. 1); die zweite teilt die Volksreden nach Gegenstünden ein (repl ἱερῶν, περὶ νόμων, mepl τῆς MOALTLUNG χατασκευῆς etc.) und befaBt sich mit der jedem einzelnen Gegenstande angemessenen Topik (Kap. 2). Bei den übrigen εἴδη droht die Theorie in Einzelheiten zu zerbróckeln; die gliedernden Gesichtspunkte wechseln, und die Gedankenführung neigt zu sprunghaftem Hin und Her (Kap. 3—5).

Die Überleitung zwischen dem ersten und dem zweiten Hauptteil enthält ein Rásonnement, das die Systematik des ersten Teiles in erheblichem Maße ihres Sinnes zu berauben scheint (34, 21—35, 23).

Nach der Behandlung der einzelnen εἴδη, so heißt es hier, solle erórtert werden, was für sämtliche εἴδη gemeinsam gilt: der Verfasser will also offenbar der speziellen die generelle Topik folgen lassen. Nun bemerkt er jedoch, daB bereits der erste Abschnitt allgemeine Lehren gebracht habe; hierzu rechnet er die erwáhnten formalen Kategorien des δίκαιον, νόμιμον eto.! sowie die bei der Lob- und Tadelrede behandelte αὔξησις und ταπείνωσις3. Die vom Verfasser gewühlte Disposition

! Auf diese Kategorien wird auch wirklich in allen Teilen der rhetorischen

Lehren hingewiesen; s. 19, 5ff.; 28, 5ff.; 32, 21f.; 43, 15f.; 21f.; 54, 7f.; 66, 8; 73, 17f.; 75, 2ff.; 77, 271.; 78, OfF.; 86, 7f.; 88, 17f.; 98, 8f.

* Hierüber heiGt es bereits Kap. 3 a. E. (30, 22—25): χρήσιμοι δὲ al τῶν

αὐξήσεων ἀφορμαί εἰσι xal &v τοῖς ἄλλοις εἴδεσιν, ἀλλ ̓ À πλείστη δύναμις αὐτῶν ἐστιν ἐν τοῖς ἐγκωμίοις καὶ ἐν τοῖς ψόγοις. 13

des Stoffes gerät also mit seinen Auffassungen über den systematischen Rang einzelner Lehren in Widerspruch *.

Die Überleitung zählt weiterhin in langer Reihe zur generellen Topik gehórige Materien auf, die im zweiten Abschnitt dargestellt werden sollen: πίστεις, προχαταλήψεις, αἰτήματα, παλιλλογίαι etc. (35, 16—23). Die Ausführung entspricht zunächst der Ankündigung: mit Bestimmtheit erórtert der Verfasser einen Punkt nach dem anderen, an erster Stelle die πίστεις (Kap. 7—17), dann die προκαταλήψεις (Kap. 18) etc. Das umfangreiche Gebiet der Beweise wird kunstvoll gegliedert:Anaximenes unterscheidet zunüchst zwei τρόποι, die πίστεις ἐξ αὐτῶν τῶν λόγων xal τῶν πράξεων xal τῶν ἀνθρώπων einerseits und die ἐπίθετοι τοῖς λεγομένοις καὶ τοῖς πραττομένοις andererseits; beide Zweige gliedert er dann weiter in einzelne Beweisarten auf (36, 4—14). Von Kap. 21 an stimmt die Darstellung nicht mehr mit der Disposition überein; zugleich wird sie sprunghaft, bisweilen verworren. Kap. 28 kündigt die μέρη λόγου als gliederndes Prinzip an; die Dar-

stellung beginnt mit einer Definition des προοίμιον und erläutert sodann seine Verwendung bei der Volksrede (Kap. 29). Man würde nun erwarten, daß sich der Verfasser hierauf dem προοίμιον der übrigen Redearten widmet, dann die διήγησις, abermals nach den εἴδη unterteilt, erórtert usw. Statt dessen kehrt sich von Kap. 30 an die Rangordnung der gliedernden Schemata um: zunüchst werden sámtliche μέρη der Volksrede behandelt (Kap. 30—34); ihr folgen Lob und Tadel (Kap. 35), Gerichtsrede (Kap. 36) und schlieBlich das εἶδος ἐξεταστικόν (Kap. 37), jeweils auf ihre μέρη hin betrachtet. Das übergeordnete Einteilungsprinzip geben also, wie im ersten Abschnitt, die εἴδη der Rede ab*. Die einzelnen Materien werden zum Teil sehr kunstvoll ! Der Verfasser bemerkt, daß die Kategorien δίκαιον, νόμιμον usw. haupt-

sächlich für das εἶδος προτρεπτικόν, die αὔξησις und ταπείνωσις hauptsächlich für Lob und Tadel von Bedeutung sind. Dieser Hinweis lieBe sich als Rechtfertigung der gewühlten Disposition auffassen: Ánaximenes hat eben als verständiger Praktiker bestimmte Lehren dort untergebracht, wo man ihrer vornehmlich bedarf und sich durch mehr oder weniger theoretische Môglichkeiten nicht beirren laasen. Nun nennt er aber ein drittes Gebiet, mit dem es ebenso bestellt ist wie mit den beiden anderen: die πίστεις, versichert er, kommen bei allen Redearten vor, hauptsüchlich aber in Anklage und Verteidigung. Die πίστεις werden aber ihrem systematischen Rang entsprechend im Mittelteil behandelt, nicht gemäß ihrer praktischen Bedeutung im ersten Abschnitt bei der Gerichtarede. Der aufgezeigte Widerspruch lüüt sich daher nicht durch den Hinweis auf praktische Erwägungen des Verfassers erklüren. So bleibt lediglich die Môglichkeit, daB okonomische Gesichtspunkte die problematische Verteilung des Stoffes veranlaßt haben: die Lehre von den πίστεις ist ziemlich umfangreich und hätte, würe sie analog den Kategorien des δίκαιον usw. und der αὔξησις behandelt worden, den Abschnitt über die Gerichtereden ungebührlich ausgedehnt. * Vgl. Kroll, &.O. 1054.

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aufgeteilt; so trägt Anaximenes z.B. die Lehren zum προοίμιον der Volksrede in reich verästelter Schematisierung vor. Andere Teilgebiete verwirren durch planlos aneinandergereihte Einzelheiten. Die drei Hauptabschnitte des Lehrbuches sind nur mangelhaft aufeinander abgestimmt. Auf das MiBverhältnis zwischen systematischer Form und systematischer Funktion bei einzelnen Lehren des ersten Teiles weist der Verfasser selbst hin!; auch sonst werden Materien ohne ersichtlichen Grund bald dem einen, bald dem anderen Fach

des Systems zugewiesen, so daB es zu Überschneidungen kommt, die ihrerseits entweder Verweise nótig machen oder gar zu langatmigen Wiederholungen führen. Mittel- und SchluBabschnitt haben z. B. die Lehren über die προκατάληψις und die παλιλλογία gemeinsam: da es sich hierbei um μέρη der Rede handelt, wäre ihre Darstellung im Mittelteil (Kap. 18 und 20) entbehrlich gewesen. Sie hätten gänzlich dem letzten Abschnitt vorbehalten werden kännen, wo sich der Verfasser bei der von ihm gewählten Anordnung zum Teil wiederholen bzw. auf die vorweggenommene Erôrterung verweisen muB (Kap. 33; 36); jedenfalls wird Zusammengehôriges willkürlich getrennt. Die im Mittelteil als προκατάληψις aufgezühlte Topik (51, 26—52, 19) kehrt zudem

teilweise

in

der

Lehre

von der εὔνοια als Ziel des Proó-

miums wieder (69, 9 ff.). Auch der erste und letzte Abschnitt konkurrieren miteinander; insbesondere wird die im 4. Kapitel vorgetragene Lehre vom Behaupten und Leugnen der Tat, ihrer Rechtawidrigkeit oder Schuldhaftigkeit, vor allem die Topik, die sich an die Trichotomie ἀδικία, ἁμάρτημα und &roy(a knüpft, im letzten Abschnitt

nochmals erórtert (Kap. 36: 89, 6—91, 12). Zu allem ÜberfluB berührt auch der Mittelteil diese Theorie (Kap. 7:

39,7—21). SchlieBlich

wiederholt sich Anaximenes auch innerhalb der einzelnen Abschnitte: ein markantes Beispiel ist die zweimal mit ähnlichen Worten mitgeteilte Topik über die Erregung von Affekten (76, 25—77, 21 und 79, 3—17 einerseits; 96, 3—97, 17 andererseita).

Das Lehrbuch des Anaximenes bietet noch kein wirkliches System der rhetorischen Theorie dar. Wichtige Einteilungsprinzipien wie die Gattungen und die Teile der Rede werden bereits angewandt; andere dagegen, wie die Pflichten des Redners (εὔρεσις / inventio etc.) oder die Status-Lehre, sind dem Verfasser noch unbekannt, obwohl er den ihnen in späterer Zeit untergeordneten Stoff wenigstens in Ansátzen erórtert. Denn die beiden ersten Abschnitte seiner Schrift lieBen

sich im wesentlichen 818 Theorie der εὕρεσις zusammenfassen, wührend

der letzte vornehmlich der τάξις gewidmet ist; Anfänge der Lehre von der ἑρμηνεία stecken im Mittelteil (Kap. 21—28)*. Ebenso finden ! R. o. S. 13f. * Vgl. Barwick, Hermes 67, 1922, 37ff.; Kroll, &.O. 1053f.

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des Stoffes gerät also mit seinen Auffassungen über den systematischen

Rang einzelner Lehren in Widerspruch!.

Die Überleitung zühlt weiterhin in langer Reihe zur generellen Topik gehórige Materien auf, die im zweiten Abschnitt dargestellt werden sollen: πίστεις, προχαταλήψεις, αἰτήματα, παλιλλογίαι etc. (35, 16—23). Die Ausführung entspricht zunächst der Ankündigung: mit Bestimmtheit erórtert der Verfasser einen Punkt nach dem anderen, an erster Stelle die πίστεις (Kap. 7—17), dann die προκαταλήψεις (Kap. 18) etc. Das umfangreiche Gebiet der Beweise wird kunstvoll gegliedert: Anaximenes unterscheidet zunüchst zwei τρόποι, die πίστεις £E αὐτῶν τῶν λόγων xal tGv πράξεων xal τῶν ἀνθρώπων einerseits und die ἐπίθετοι τοῖς λεγομένοις xai τοῖς πραττομένοις andererseits; beide Zweige gliedert er dann weiter in einzelne Beweisarten auf (36, 4—14). Von Kap. 21 an stimmt die Darstellung nicht mehr mit der Disposition überein; zugleich wird sie sprunghaft, bisweilen verworren. Kap. 28 kündigt die μέρη λόγου als gliederndes Prinzip an; die Dar-

stellung beginnt mit einer Definition des προοίμιον und erläutert sodann seine Verwendung bei der Volksrede (Kap. 29). Man würde nun erwarten, daB sich der Verfasser hierauf dem προοίμιον der übrigen Redearten widmet, dann die διήγησις, abermals nach den εἴδη unterteilt, erórtert usw. Statt dessen kehrt sich von Kap. 30 an die Rangordnung der gliedernden Schemata um: zunächst werden sámtliche μέρη der Volksrede behandelt (Kap. 30—34); ihr folgen Lob und Tadel

(Kap. 35), Gerichtsrede (Kap. 36) und schlieBlich das εἶδος ἐξεταστικόν (Kap. 37), jeweils auf ihre μέρη hin betrachtet. Das übergeordnete Einteilungsprinzip geben also, wie im ersten Abschnitt, die εἴδη der Rede ab*. Die einzelnen Materien werden zum Teil sehr kunstvoll ! Der Verfasser bemerkt, daß die Kategorien δίκαιον, νόμιμον usw. hauptgüchlich für das εἶδος προτρεπτικόν, die αὔξησις und ταπείνωσις haupteüchlich für Lob und Tadel von Bedeutung sind. Dieser Hinweis ließe sich als Rechtfertigung

der gewählten Disposition auffaasen: Anaximenes hat eben als verständiger Praktiker bestimmte Lehren dort untergebracht, wo man ihrer vornehmlich bedarf und sich durch mehr oder weniger theoretische Môglichkeiten nicht beirren lassen. Nun nennt er aber ein drittes Gebiet, mit dem es ebenso bestellt ist wie mit den beiden anderen: die πίστεις, versichert er, kommen bei allen Redearten vor, hauptsächlich aber in Anklage und Verteidigung. Die πίστεις werden eber ihrem systematischen Rang entsprechend im Mittelteil behandelt, nicht gemäß ihrer praktischen Bedeutung im ersten Abschnitt bei der Gerichterede. Der aufgezeigte Widerspruch läßt sich daher nicht durch den Hinweis auf praktische Erwügungen des Verfassers erklüren. So bleibt lediglich die Môglichkeit, daß ókonomische Gesichtepunkte die problematische Verteilung

des Stoffes veranladt haben: die Lehre von den πίστεις ist ziemlich umfangreich und hätte, wäre sie analog den Kategorien des δίκαιον usw. und der αὔξησις behandelt worden, den Abschnitt über die Gerichtsereden ungebührlich aus-

gedehnt. * Vgl. Kroll, &.O. 1054.

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aufgeteilt; so trägt Anaximenes z.B. die Lehren zum προοίμιον der Volksrede in reich verästelter Schematisierung vor. Andere Teilgebiete verwirren durch planlos aneinandergereihte Einzelheiten. Die drei Hauptabschnitte des Lehrbuches sind nur mangelhaft aufeinander abgestimmt. Auf das MiBverhältnis zwischen systematischer Form und systematischer Funktion bei einzelnen Lehren des ersten Teiles weist der Verfasser selbst hin!; auch sonst werden Materien ohne ersichtlichen Grund bald dem einen, bald dem anderen Fach

des Systems zugewiesen, 80 daB es zu Überschneidungen kommt, die ihrerseits entweder Verweise nótig machen oder gar zu langatmigen

Wiederholungen führen. Mittel- und SchluBabschnitt haben z. B. die Lehren über die προκατάληψις und die παλιλλογία gemeinsam: da es sich hierbei um μέρη der Rede handelt, wáre ihre Darstellung im Mittelteil (Kap. 18 und 20) entbehrlich gewesen. Sie hätten günzlich dem letzten Abschnitt vorbehalten werden kónnen, wo sich der Verfasser bei der von ihm gewählten Anordnung zum Teil wiederholen bzw. auf die vorweggenommene Erórterung verweisen muD (Kap. 33; 36); jedenfalls wird Zusammengehóriges willkürlich getrennt. Die im Mittelteil als προκατάληψις aufgezühlte Topik (51, 26—52, 19) kehrt zudem teilweise in der Lehre von der εὔνοια als Ziel des Proómiums wieder (69, 9 ff.). Auch der erste und letzte Abschnitt konkurrieren miteinander; insbesondere wird die im 4. Kapitel vorgetragene Lehre vom Behaupten und Leugnen der Tat, ihrer Rechtswidrigkeit oder Schuldhaftigkeit, vor allem die Topik, die sich an die Trichotomie ἀδικία, ἁμάρτημα und ἀτυχία knüpft, im letzten Abschnitt

nochmals erórtert (Kap. 36: 89, 6—91, 12). Zu allem ÜberfluB berührt auch der Mittelteil diese Theorie

(Kap. 7:

39,7—21). SchlieBlich

wiederholt sich Anaximenes auch innerhalb der einzelnen Abschnitte: ein markantes Beispiel ist die zweimal mit ähnlichen Worten mitge-

teilte Topik über die Erregung von Affekten (76, 25—77, 21 und 79, 3—17 einerseits; 96, 3—97, 17 andererseits). Das Lehrbuch des Anaximenes bietet noch kein wirkliches System der rhetorischen Theorie dar. Wichtige Einteilungsprinzipien wie die

Gattungen und die Teile der Rede werden bereits angewandt; andere dagegen, wie die Pflichten des Redners (εὕρεσις / inventio etc.) oder die Status-Lehre, sind dem Verfasser noch unbekannt, obwohl er den ihnen in späterer Zeit untergeordneten Stoff wenigstens in Ansätzen erórtert. Denn die beiden ersten Abschnitte seiner Schrift lieBen sich im wesentlichen als Theorie der εὕρεσις zusammenfassen, während

der letzte vornehmlich der τάξις gewidmet ist; Anfünge der Lehre von der ἑρμηνεία stecken im Mittelteil (Kap. 21—28)3. Ebenso finden ! R. o. S. 13f. ! Vgl. Barwick, Hermes 57, 1922, 37ff.; Kroll, &.O. 1053f.

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sich bereits die wichtigsten Status der Sache nach angedeutet: sie haben sich noch nicht verselbständigt, sondern eind in die übrige

Topik eingebettet!. Vor allem aber geht dem Werk des Anaximenes die formale Konsequenz ab, mit der in späteren Kompendien durch

fortgesetzte Einteilungen ein mannigfach gegliedertes System so entfaltet wird, daß sich auch die Einzelheiten noch um Dispositionsschemata gruppieren. Ánaximenes trägt vielmehr seinen Stoff nicht in stándiger Rücksicht auf den systematischen Zusammenhang vor; in vielen kleineren Abschnitten seines Lehrbuches fehlt eine über jeden Schritt der Erórterung im voraus verfügende Planung. Die Darstellung haftet dann vôllig an der einzelnen Vorschrift, und die Mechanik der Assoziation, insbesondere der Antithese, führt von einem Lehrsatz zum anderen, 80 daf, aus gróBerem Abstande betrachtet, ein mannigfach gewundener Gedankengang entsteht?. Der Verfasser nennt dann oft den leitenden Gesichtspunkt seiner Ausführungen erst am SchluB, und das antithetisch angeknüpfte Korrelat dient als Hebel des Gedankenfortschritts. So erórtert Anaximenes zunüchst zwei τρόποι des παράδειγμα (Kap. 8: 39, 22 ff.). Dann heißt es, bisher sei die φύσις der Beispiele behandelt worden; jetzt wende er sich der χρῆσις zu: tàv μὲν obv παραδειγμάτων τοιαύτη T1G Ÿ φύσις ἐστί ́ χρηστέον δ ̓ αὐτῶν κτλ. (41, 22 ff.). Einige Sätze erläutern diesen Gesichtspunkt; dann tut Anaximenes den nächsten Schritt: δεῖ δὲ χρῆσθαι τοῖς παραδείγμασι où μόνον Ex τούτων, ἀλλὰ καὶ ἐκ τῶν ἐναντίων ̓ λέγω S’olov κτλ. (42, 9 ff.). Stellen wie das 4. Kapitel zeigen, daß der Verfasser durchaus nicht immer um einteilende Kriterien hätte verlegen sein müssen. Die Ausfübrungen über das χατηγορικὸν εἶδος (30, 26—32, 18) ließen sich nach demselben Prinzip ordnen wie die Topik des ἀπολογητικόν (32, 18ff.), wo sofort der einleitende Satz: τὸ 8& ἀπολογητικὸν διὰ τριῶν μεθόδων συνίσταται für eine übersichtliche Disposition sorgt. $ 2. Trotz dieser Mängel hat das unscheinbare Lehrbuch des Anaxi-

menes erhebliche Bedeutung. Die mit einer bestimmten Terminologie bezeichneten Methoden, die Aufbauformen und Darstellungsmittel des systematischen Kompendiums einer Fachwissenschaft finden sich hier bereits sámtlich angewandt. Das System selbst ist zwar weder sachlich noch formal abgeschlossen, eine lückenlose Hierarchie von Begriffen noch nicht gebildet. Aber das Prinzip läßt sich hier zum ersten Male erkennen; der Verfasser benutzt es in allen Gebieten der rhetorischen Theorie, bisweilen mit einem Raffinement, das die kom! 32, 18ff.; 38, 17ff.; 89, 7ff. ; vgl. Jáneke, De statuum doctrina ab Hermogene tradita, Diss. Leipzig 1904, 23ff.

3 S. z.B. 30,26—33, 25; 48, 17—50, 6; 51, 23—655, 16; 58, 5—69, 25; 74, 4—76, 11; 76, 25—79, 22: hier ist charakteristisch, daB sich Anaximenes 78, 27ff. nochmals der προτροπή zuwendet. 16

Stellen klassifiziert es ,Arten'" von Gegenständen außerhalb der Rhetorik!; einmal bezieht es sich auf ein Teilgebiet der Topik, auf die δικαιοσύνη, σοφία, ἀνδρεία usw., also auf die Vorzüge, die es in einer Lobrede zu würdigen gilt*, und schlieBlich wird die Abwehrwaffe des

Redners gegen eine προκατάληψις der anderen Partei als εἶδος charakterisiert?*. Andererseits nennt Ánaximenes die sieben Redearten nur ein einziges Mal μέρη τῶν λόγων statt εἴδη (35, 17)*. Das Substantiv ἰδέα wird ebenfalls in verschiedenen Zusammenhän-

gen verwendet. Einmal bildet es zusammen mit dem Verbum διαιρεῖν eine Einteilung: διαιροῦμεν δὲ αὐτό (sc. τὸ εἰκός) elc τρεῖς ἰδέας (37, 1). Der Verfasser versteht unter diesen Kategorien, die einen WahrscheinlichkeitsschluB begründen, das πάθος, das ἔθος und das χέρδος; er bezeichnet eine von ihnen auch als μέρος (37, 15). Das Substantiv

ἰδέα hat hier deutlich klassifizierenden Sinn: die Argumente, die sich auf das πάθος, ἔθος oder χκέρδος stützen, sind nicht nur ,,Erscheinungsformen‘‘, sondern auch „‚Arten‘‘ des εἰκός. Einige weitere Stellen

zeigen das Wort in allgemeinerer Bedeutung: der Ausdruck xorval

ἰδέαι (18, 10) meint offenbar die typischen Themen, περὶ &v κοινῇ βουλεύονται πάντες (18, 13), die alsbald aufgezählten sieben xpo9éctu;

der Volksrede

(18, 14ff.)5. Ähnlich,

als

typische Gegebenheiten,

müssen wohl die ἰδέαι, aus denen Widersprüche entstehen können, verstanden werden .

Der Begriff μέρος ist meist Terminus technicus für die Teile der Rede (xpoolurov etc.), bezeichnet dann also den ,,Teil'* eines sinnlich vorgestellten Ganzen?. Sonst findet sich das Wort nur vereinzelt und

in verschiedener Nuancierung der Bedeutung: bei den μέρη, die Anaximenes mit den προθέσεις der Volksreden verknüpft, ist noch deutlich an konkrete Teile gedacht*; dagegen werden die μέρη des κατη_ Yoptxóv εἶδος (32, 17) durch die korrespondierenden μέθοδοι des &roAo-

1 * * *

85, 4: ἀνθρώπων εἴδη; 94, 8: μισθθῶν εἴδη. 84, 2; vgl. 80, 16—16; 83, 18ff. 55, 10; vgl. 54, 21ff. Diese einmalige Bedeutung der u£pr τῶν λόγων ergibt eich mit Sicherheit

sowohl daraus, dag der Verfasser sofort die xatnyoplaı und ἀπολογίαι als ihnen zugehórig anführt, als auch aus der inhaltlichen Parallelität der Sátze 35, 9—13, 13—16 und 16—19; etwas anders Spengel, &.O. 152 z. St.

5 Dasselbe bezeichnen die μέγισται ἰδέαι (25, 2).

* 47,7; vgl. 43, 11ff. Über 29, 14 s. u. S. 25, Anm. 6. 99, 15 lieBe sich das Wort ἰδέα am ehesten als ,,Geeichtepunkt'' auffassen; 84, 12 bezeichnet es die äußere Erscheinung im Gegensatz zur οὐσία.

* S. 66, 8; 58, 4; 58, 11; 58, 15; 58, 20; 59, 6; 59, 9; 59, 14/15; 65, 8; 73, 16; 76, 16; 75, 17; 75, 24; 76, 1; 76, 11; 82, 15/10; 83, 15/16; 84, 1; 88, 12; 95, 13;

95, 20.

* 27, 22/23: τὰ μέρη τούτων (sc. τῶν προθέσεων) E& &v τοὺς λόγους συστήσομεν. 2*

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ἐροῦμεν χτλ. (19, 1 ff.)!. Die Einteilungen sind meist dicho- oder trichotomisch; einzelne Schemata enthalten eine gróDere Anzahl von Unter-

begriffen, hóchstens jedoch sieben oder acht*. Die Glieder werden gewóhnlich durch u£v — δέ, xat, % etc. verbunden ; nur an zwei Stellen folgen sie einander asyndetisch?. 2. Die Einteilung ist die bewegende Kraft der Systembildung; sie

umfabt jeweils zwei Stufen der Begriffspyramide und veranschaulicht

so den Grundfall der Über- und Unterordnung, aus dem sich durch beliebig viele Wiederholungen die kompliziertesten Hierarchien ableiten lassen. Dieser Zusammenhang der Einteilung mit der durch die Begriffe ,,Gattung'' und ,,Art‘ bezeichneten Relation wird im

Werke des Anaximenes etwa durch den Satz angedeutet (37, 1): διαιροῦμεν δὲ αὐτό (sc. τὸ elxóc) εἰς τρεῖς ἰδέας oder durch die Anweisung an den Schüler der Rhetorik (94, 8 ff.): τῶν δὲ μισθῶν διαιροῦ τὰ εἴδη καὶ λέγε, ὡς ol μὲν ἐπὶ χρήμασιν, ol 9 ἐπὶ χάρισιν, ol δ ̓ ἐπὶ τιμωρίαις, ol δ ̓ ἐπὶ τιμαῖς συνηγοροῦσιν. Es liegt nun nahe, zunächst alle Substantive, die sich in dem soeben erörterten formelhaften Typus von Einteilungen finden, also die Wörter γένος, εἴδος und τρόπος, als Bezeichnungen für Begriffsrelationen anzusehen; aber auch sonst begegnen in der Schrift des Anaximenes Abstrakta, die auf die Beziehung der

Über- und Unterordnung hinweisen könnten, wie etwa μέρος und μέθοδος. Das Substantiv γένος wird von Anaximenes nur an zwei Stellen in methodologischer Bedeutung verwendet: einmal in der Dichotomie,

mit der das Werk beginnt (12, 14—15)*, sodann in einer Überleitung innerhalb des dritten Abschnittes, die das δικανικὸν γένος erwähnt

(84, 25—85, 3). Es klassifiziert also beide Male die bekannten ,,Gattungen'' der Rede, die bei Anaximenes niemals durch einen anderen methodologischen Ausdruck charakterisiert werdenS. Das häufig gebrauchte Wort εἶδος bezeichnet als Fachausdruck der rhetorischen Tbeorie meistens die sieben etôn der Rede, die zu Beginn des Werkes (12, 15—18) unterschieden werden?*. An zwei 1 S. 15, 1; 18, 14; 28, 9; 32, 18; 35, 9—23; 36, 7—12; 44, 14; 46, 5; 51, 23; 55, 18; 56, 9; 57, 14; 60, 1; 5; 13; 14; 63, 11; 65, 12; 66, 16 usw. 3 Viergliedrige Schemata: 15, 1 ; 36, 11 ; 56, 9; 71, 7. Fünf- und sechsgliedrige:

28, 9; 60, 14. Sieben- und achtgliedrige: 12, 15; 13, 9; 18, 14; 36, 7. 3 12, 15; 36, 11.

* S.o.S. 12.

* 51, 20 werden in den Handschriften τρία εἴδη erwühnt, womit dem Zusammenhange nach nur die drei Redegattungen gemeint sein kónnten. Spengel hat in ἑπτά geündert, mit groBer Wahrscheinlichkeit zu Recht, da der Ausdruck fast stets die sieben Arten der Rede bezeichnet; vgl. auch 65, 10. * 12,19; 13, 1; 27, 25; 38,1; 30, 23; 30,27; 31,6; 32,17; 33, 25; 34, 19; 34, 21; 35, 6; 35, 12; 35, 23; 43, 13; 65, 1; 65, 7; 65, 10; 79, 20; 80,8; 82, 20; 84,23; 84,2b5; 85,0; 88, 8&—9; 91,19; 94,20; 95, 13; 97,18; 97,19; 09, 4. Ferner 51, 20; 8. vor. Anm. 18

gebildete theoretische „System‘‘, von dem aus betrachtet die drei u£So8or ,,Arten'' sind. Das Wort στοιχεῖον, einmal angewandt (87,7), meint offenbar ,Hauptmethoden‘“, ,,Grundverfahren". Da es sich in einer Dichotomie findet, mag es in gleichem Maße wie das Substantiv τρόπος als Bestandteil von Einteilungen logisch-klassifizierende Funktion haben. Der Begriff σχήμα schlieBlich bezeichnet im allgemeinen gedankliche, sprachliche oder lautliche Strukturen; er ist also schon Terminus technicus für die Sinn- und Klangfiguren der späteren Theorie von der elocutio!. In diese Bedeutung fügt sich auch seine Verwendung bei der Einteilung der σχήματα «00 εἰς 900 λέγειν (60, 14). Die hier gemusterten Substantive klassifizieren sámtlich die sich aus der Einteilung ergebenden ,,Arten‘“, nicht die eingeteilte ,,Gattung*"'. Wie sich die isolierende Betrachtungsweise des Verfassers vor allem auf die einzelne Einteilung konzentriert und nicht 80 sehr auf ihr Verhältnis zu den übrigen Teilen des Systems?, so wendet sich sein Blick innerhalb der Einteilungen hauptsächlich dem ProzeB zu, aus dem die untergeordneten Begriffe hervorgehen, dem διαιρεῖν und diesen Begriffen selbst, wührend ihn das Korrelat des συνιστάναι und die hier&us resultierenden Gattungen nicht sonderlich bescháftigen. Doch läBt er es nicht vóllig an Hinweisen fehlen, daf er auch mit dem Gedanken des ,,Zusammenstellens'' systematischer Gefüge vertraut ist. Denn er verbindet bisweilen mehrere Dispositionen zu einem kunstvollen Fücherwerk*. Er verwendet ferner in einer Einteilung, die richtiger ,,Zusammenstellung"" genannt würde, das Verbum συνιστάναι (32, 18—19). SchlieBlich ist es nicht unmôglich, daß Anaximenes die Redegattungen, die zwar Resultat der ersten Einteilung des Werkes (12, 14—165) und insofern ,,Arten' sind, gerade im Hinblick auf die ihnen untergeordneten εἴδη als γένη bezeichnet; er würde dann bereits, wenn auch nur in dem einen Falle der nach Gegenständen gegliederten

Reden, die Korrelativität der Über- und Unterordnung von Begriffen durch die Termini yévo; und εἶδος &usdrücken*. Diskussionen über systematische Probleme, etwa über die Frage, ob ein Kunstausdruck 1 52, 13 (γνώμη, ἐνθύμημα); 57, 16 (elpove(a); 64,3 (παρίσωσις) etc.; Β. ferner 76, 4; 16, 23; 96, 2.

3 B. o. S. 15. * Kap. 1; 6ff.; 28; s. o. S. 16f.

* 12,14—18 und besonders 84, 25—85, 3. Allerdings lassen sich die εἴδη wohl kaum auf 6 ein bestimmtes γένος verteilen. Denn da Anaximenes den

Begriff des γένος ἐπιδεικτικόν noch nicht kennt (s. o. S. 12 und Anm. 2), wüßte man nicht, wie man das ἐγκωμιαστικόν und ψεκτικὸν εἶδος unterbringen eollte.

Überdies bemerkt der Verfasser von den xporpoxal und ἀποτροπαί, man bedürfe ihrer &v τοῖς μάλιστα bei den Volksreden (13, 3—65); sie sind also nach seiner Ansicht gelegentlich &uch in einer Gerichtarede verwendbar. Die sieben εἴδη werden daher insgesamt jedem der beiden γένη angehóren.

21

der rhetorischen Theorie als ,,Gattung'' oder als ,,Árt/* anzusehen sei,

finden sich in seinem Werke ebensowenig wie sonstige Kontroversen. 3. Neben der Einteilung und der systematischen Klassifikation kennt Anaximenes das methodische Hilfsmittel der Unterscheidung parallelgeordneter Begriffe. Er bezeichnet es mit dem Verbum διαφέpevv und dem Substantiv διαφορά. Sein Werk enthält nur ein einziges, aber sehr eindrucksvolles Beispiel dieses Verfahrens, den Differenzenkatalog des 14. Kapitels (46, 25—48, 4). Der Verfasser erórtert vom 7. Kapitel an die eine Gruppe der Beweisarten, die πίστεις &E αὐτῶν τῶν λόγων xal τῶν πράξεων καὶ τῶν ἀνθρώπων: das cixó; (Kap. 7), das παράδειγμα (Kap. 8), das τεχμήριον (Kap. 9), das ἐνθύμημα (Kap. 10), die γνώμη (Kap. 11), das σημεῖον (Kap. 12) und den ἔλεγχος (Kap. 13). Nach dieser gesonderten Behandlung nimmt er sie im 14. Kapitel nochmals vor, um sie einander gegenüberzustellen und auf ihre UnterBchiede hinzuweisen. Und zwar konfrontiert er der Reihe nach den ersten mit dem zweiten Begriff!, dann den zweiten mit dem dritten?, den dritten mit dem vierten? usw. und schlieBlich den sechsten mit

dem siebenten*. Dieses Bündel von Distinktionen ist sorgfältig in den Plan des Werkes einbezogen: Anaximenes kündigt es sowohl in

der Disposition des 2. Hauptabschnittes (36, 14) wie in der Überleitung vom 13. zum 14. Kapitel (46, 23—24) an und berücksichtigt es zweimal in Rekapitulationen (48, 2—3; 51, 18—19)5. AuBerdem wendet der Verfasser nur das Substantiv διαφορά in

methodologischer Bedeutung an. In dem Satze ταῦτα (8c. τὰ εἴδη) μὲν γὰρ ἔχει διαφορὰς εὐμεγέθεις, ἐπικοινωνοῦσι μέντοι κατὰ τὴν xpriow

ἀλλήλοις (35, 1—3) meint der Begriff ebenfalls spezifische Unterschiede mehrerer Arten, die unter dieselbe Gattung fallen; in dem Satze διειλόμεθα δ ̓ αὐτῶν (Bc. τῶν αἰτημάτων) τὰς διαφοράς (56, 2—3) hingegen bezeichnet er diese Arten selbst.

Auch die Gegenüberstellung von Art- und Gattungsmerkmalen ist dem Verfasser vertraut. Er deutet dieses Verhültnis durch die Adjek-

1 46, 25ff.: τὸ μὲν τοίνυν εἰκὸς τοῦ παραδείγματος ταύτῃ διαφέρει, διότι τοῦ ulv εἰχότος .. . τὰ δὲ παραδείγματα .. .

τ 47, 1ff. Die Überlieferung ist hier lückenhaft. 8 47, 4ff.: xal μὴν ἐνθύμημα τεχμηρίου ταύτην τὴν διαφορὰν ἔσχηκεν, ὅτι τὸ ulv τεχμήριον.... τὸ 8° ἐνθύμημα... 4 47, 20ff. Die σημεῖα werden allerdings im Grunde nicht nur von den γνῶμαι

unterschieden, sondern von sämtlichen vorangehenden Beweisarten (47, 15—20). * Allerdings sind sowohl die Vorankündigung 36, 14 wie die Rekapitulation 51, 18—19 ungenau. Beide Sätze beziehen sich auf sämtliche πίστεις, nicht nur auf die πίστεις £E αὐτῶν τῶν λόγων ete. Entweder hat also Anaximenes übertrieben, oder nach 51, 15 ist ein enteprechendes, auf die πίστεις ἐπίθετοι bezügliches Differenzenkapitel ausgefallen. 22

tive χοινός und ἴδιος an!; statt ἴδιος verwendet er auch das Wort

οἰκεῖος und statt κοινῶς an einer Stelle μεμιγμένως (85, 16). Spezifische und gemeinsame Eigenschaften werden nun sowohl bei Gegenständen der rhetorischen Lehre wie bei sonstigen Gegebenheiten? konstatiert; in beiden Fällen scheint der Verfasser bisweilen mehr an die konkreten

Dinge zu denken, als an den Begriff, unter den diese Dinge fallen.

So geht er in der Überleitung zwischen 1. und 2. Hauptteil (34, 21 ff.) von der gesonderten und der vermischten Anwendung der Redearten (χωρίς / xow], συμμιγνύντα) im einzelnen Falle (ὅταν ἁρμόττῃ) aus,

stellt dann die theoretischen Artdifferenzen ihrer Verbindung im praktischen Gebrauch gegenüber?, schwankt bei dem folgenden Vergleich in seiner Ausdrucksweise zwischen den εἴδη ἀνθρώπων und den ἄνθρωποι selbst und wendet sich schlieBlich den Gegenständen zu &v προσδέονται (sc. τὰ εἴδη) κοινῇ, die bei allen Redearten benótigt werden : jeder Satz scheint durch seine Formulierung anzudeuten, daß sich Anaximenes den Sachverhalt hier nicht als abstrakt-logische Struktur vorstellt*. Jedenfalls kennt er die methodologische Operation; sie gewührt ihm hier sogar das formale Kriterium, mit dem er die beiden ersten Hauptabschnitte voneinander abhebt; sie bestimmt also in erheblichem MaBe den Aufbau des gesamten KompendiumsS. 4. Die Begriffsbestimmung zeichnet sich im Werk des Anaximenes vor anderen deskriptiven Erórterungen durch eine besondere Stilisierung aus: das gewóhnlich an die Spitze gestellte Definiendum wird durch die Kopula mit seinen Wesensmerkmalen identifiziert, z.B.13, 23ff.: δίκαιον μὲν oUv ἐστι τὸ τῶν ἁπάντων À 16 10v πλείστων ἔθος ἄγραφον etc.; oder 14, 4 ff.: νόμος δέ ἐστιν ὁμολόγημα πόλεως xowóv διὰ

! Diese Worte finden sich, einzeln oder als Gegensatzpaar, sehr hüuflg in der Schrift privatus (s. 22, 9 u. δ.). essen‘‘; 68,

des Anaximenes; meistens haben sie die Bedeutungen publicus — z. B. 12, 20; 13, 4; 14, 3; 14, 5; 18, 13; 19, 12; 20, 6; 21, 16; 22,6; 42, 14 bedeutet xowvög ,, rnitRücksicht auf die gemeinsamen Inter14 heißt χοινός etwa ,,aligemein verbreitet‘“ usw. ἴδιος und οἰκεῖος

bedeuten manchmal ,,eigen'', „gehörig‘‘ (20, 9; 41, 9; 44, 6; 44, 12; 66, 7). An einigen Stellen eind olxeïog, ἴδιος und κοινός, mit ὄνομα verbunden, t. t. der Grammatik (61, 23; 63, 7; 72, 15—17). 3 So 33, 8; 33, 10; 33, 13; 37, 11; 39, 17; 44, 15/16/21; 66, 12; 74, 17; 93, 4—5. * 35, 1—3; 6. o. S. 13f. 4 Etwas abstrakter klingt die Ausdrucksweise im folgenden Absatz (35, 11—12; 22—23). S. ferner 33,8:

πονηρῶν

ἀνθρώπων ἴδιον; dagegen 37,11:

xotwà τῆς ἀνθρωπείας φύσεως.

® Allerdings hat er dieses Kriterium nach seiner eigenen Angabe nicht durchweg maDgeblich sein lassen;

s. o. S. 13f. 18, 6ff. unterecheidet Anaximenes die

spezifischen Gegebenheiten jeder einzelnen konkreten Rede (ἴδιοι λόγοι) von

den typischen, Bteta wiederkehrenden Themen (xowal ἰδέαι). Weitere Anwendungsfálle der Begriffe xowóc; und ἴδιος auf Materien der rhetorischen Theorie 65, 9; 74, 7; 85, 16; 87, 8; 88, 7—8.

23

Ὑραμμάτων προστάττον, πῶς χρὴ πράττειν Éxaata!. Der Verfasser scheint ein Urteil vor allem dann als Definition angesehen zu haben, wenn 68 diesen formalen Kriterien genügt: er meint mit den Verben ὁρίζειν und διορίζειν, wenn sie methodologischer Kunstausdruck sind, meistens in der angegebenen Weise stilisierte Sátze. So beziehen sich die Worte οὕτω δὲ τούτων διωρισμένων (13, 9) auf die unmittelbar vorangehenden Bestimmungen der προτροπή und ἀποτροπή, und eine Reihe von Definitionen wird folgendermaBen angekündigt (13, 21—22): ὁρίσασθαι 8b πειράσομαι τούτων ἕκαστον τί ἐστι.

Anaximenes definiert in den beiden ersten Abschnitten seines Lehrbuches mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Im 1. Teil werden nämlich sämtliche εἴδη der Rede bestimmt?, ferner alle Glieder der das 1. Kapitel beherrschenden Untereinteilung*. Auch im 2. Teil nimmt er sich lediglich die wichtigsten Kunstausdrücke der rhetorischen Theorie

vor: alle Beweisarten und die übrigen in der Überleitung (Kap. 6: 35, 19—22) genannten Termini werden definiert, Unterbegriffe dagegen niemals5. Der 3. Teil bringt nur zu Beginn eine Bestimmung des προοίμιον (65, 121f.).

Der Verfasser gibt meistens durch abstrakte Bezeichnungen die spezifischen Charakteristika der Begriffe an*; die übergeordnete Gattung läßt sich aus der vorangehenden Einteilung ergänzen’. Hin und wieder fügt er sofort Beispiele hinzu: εἰκὸς μὲν οὖν ἐστιν, ob λεγοu£vou παραδείγματα Év ταῖς διανοίαις ἔχουσιν ol ἀκούοντες, λέγω 3° olov εἴ τις φαίη etc. (36, 15 ff.)®. Die spezifischen Merkmale nennt er manchmal in alternativer Form, so daß, wenn es sich um alle oder um die 1 Das Definiendum steht lediglich in der Bestimmung der sieben εἴδη und des προοίμιον nicht am Satzanfang (13, 6; 28, 1; 31, 2; 34, 1 ; 65, 12).

3 S. ferner 16, 23—24; 16, 25—26; 20, 24; 33, 2; 35, 6; 36, 1. Anders 18,6 und 37, 18, wo διορίζειν zwar eine methodologische Bedeutung hat, aber nahezu

dasselbe besagt wie διαιρεῖν (vgl. 37, 1); auch die Stelle 35, 6 läßt aich 80 auffassen (vgl. 34, 21). Das Verbum ὁρίζειν bedeutet im übrigen einige Male „be-

enden"', „abschließen‘‘ (75, 17; 76, 9 u. ö.; s0 auch ὁρισμός 75, 24), und sowohl δρίζειν wie διορίζειν finden sich echlieBlich in der Bedeutung ,,festeetzen'', „begtimmen"' (13, 25; 21, 17; 31, 17; 33, 17; 101, 4). 3 13, 6 (προτροπὴ uév ἐστιν); 28, 1; 31, 2; 34, 1.

“ 13, 9ff.; 13, 23 (δίκαιον); 14, 4 (νόμος); 14, 6; 14, 18; 14, 20ff.

5 36, 15 (clxóc); 39, 22 (παραδείγματα); 43, 1; 43,11; 44,b; 45, 13; 40,5; 48, 5; 48, 17 usw. Gegen Ende des Abschnittes (Kap. 22ff.) finden sich Un-

stimmigkeiten; einige der in der Überleitung (35, 19—22) genannten Begriffe werden nicht definiert (58, 14: μῆχος Aóyou usw.) und umgekehrt (63, 12: ἀντίθετον; 63, 26: παρίσωσις; 64, 6: παρομοίωσις).

* Beispiele s. o. S. 23f. Manche Definitionen sind überaus bündig formuliert: μαρτυρία δέ ἐστιν ὁμολογία συνειδότος ἑκόντος (48, 17); vgl. 50, 7 ; 51, 3; 56, T.

* AuBer bei den 35, 19—22 aufgezühlten Kunstausdrücken, die nicht durch einen Gattungsbegriff zusammengefaBGt werden. 3 Vgl. 13, 23ff. 24

wichtigsten Merkmale handelt, der Begriff durch Aufzählung der ihm untergeordneten Arten verdeutlicht wird: εἰρωνεία SE ἐστι λέγειν Tı u3j προσποιούμενον λέγειν À τοῖς ἐναντίοις ὀνόμασι τὰ πράγματα προσαγορεύειν (57, 14 ff.)!.

5. Das Lehrbuch des Anaximenes enthält weder Betrachtungen über den Begriff, insbesondere nicht über Probleme der rhetorischen

Terminologie, noch werden die Kunstausdrücke der Theorie überhaupt mit einem Worte charakterisiert, das, abgesehen von den bestimmte Begriffsrelationen andeutenden Substantiven wie γένος, εἶδος usw., ihre logische Funktion an sich bezeichnete: was ein rhetorischer Terminus technicus wie das εἰκός besagt, nennt der Verfasser die φύσις, das Wesen der Sache?. Einen ühnlichen Sinn hat einmal das Wort δύναμιςδ, das an anderer Stelle der Bedeutung ,,Funktion' nahekommt*. Das Substantiv ἰδέα schlieBlich bildet gelegentlich als ,,Erscheinungsform‘‘ den Gegensatz zur φύσιςδ. In einem anderen Zusammenhang, wo es sich freilich nicht um einen Gegenstand der rhetorischen Theorie handelt, ist von Dingen die Rede, die unter dieselbe ἰδέα,, fallen'"*: an dieser vereinzelten Stelle scheint einmal ein Wort 818 Ausdruck für den ,,Begriff'' zu dienen. $3. 1. AuBer den bisher erórterten methodologischen Hilfsmitteln

konstituieren vornehmlich bestimmte Darstellungsschemata die Form des Lehrbuches. Sie finden sich bereits sämtlich im Kompendium des Anaximenes angewandt: der schablonenhafte Aufbau, der aus den drei Elementen Einteilung, Definition und ausführlicher Beschreibung zusammengesetzt ist, der Parallelismus und der Katalog. Das erste Schema prägt mehr oder weniger aufdringlich fast sàmtliche Abschnitte des Werkes. Die Einteilung pflegt deutlich abgehoben zu werden, während die beiden übrigen Elemente, die Definition und die deskriptiven Ausführungen, nicht selten ineinander übergehen ; bisweilen beschränkt sich der Verfasser hier auf stichwortartige Angaben. Stets &ber kehrt eine Anzahl von Begriffen mehrfach in derselben Reihenfolge wieder, und zwar lassen sich nach diesem Kriterium ! 5 8 ποία

Vgl. 14, 6; 39, 22; 51, 23; 63, 12.

37, 1; vgl. 41, 23. 51, 18: Av ἑκάστη αὐτῶν (8c. πίστεων) δύναμιν ἔσχηκεν bedeutet dasselbe wie τίς ἐστι (36, 13); vgl. 48, 1—2.

* 64, 24ff.: ὥστε τὰς xowác δυνάμεις &n&vrov τῶν εἰδῶν etc.; s. hierzu S. 12. Wieder anders 63, 13ff., wo ὀνομασία die Bezeichnung und δύναμις den Inhalt meint: Antithesen kónnen auf entgegengesetzten Wôrtern, entgegengesetzten Auseageinhalten oder auf entgegengesetzten Wörtern in entgegengesetzten Aussagen beruhen.

5 36, 25—37, 1; 8. aber o. S. 19.

* 29, 13—14: τῶν ὑπὸ τὴν αὐτὴν ἰδέαν πιπτόντων.

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zwei Typen unterscheiden. Meistens folgen der Einteilung zunächst Definition und Beschreibung des ersten Artbegriffes, dann Definition und Beschreibung des zweiten usw. Dieser Typus bringt sämtliche Glieder zweimal in übereinstimmender Ordnung. Bisweilen aber reihen sich an die Einteilung zunächst die Definitionen aller Artbegriffe; dann wird jeder von ihnen abermals genannt und des näheren erärtert. Hier findet sich somit ein und dieselbe Folge von Gliedern insgesamt dreimal!. Beide Typen lassen sich durch den Aufbau des ersten Hauptteiles exemplifizieren, durch die Lehre von den sieben εἴδη und die Erórterung der Topoi δίκαιον, νόμιμον usw. Die sieben εἴδη werden zunüchst in einer Einteilung aufgezühlt (12, 15 ff.); dann definiert der Verfasser das erste Paar (13, 6 ff.) und behandelt es ausführlich (13, 9 ff.); hierauf wendet er sich dem zweiten zu; er bestimmt (28, 1 ff.) und erórtert die Begriffe (28, 5 ff.). Ebenso verfährt er schlieBlich mit dem dritten Paare und der für sich behandelten ἐξέτασις3, Dieser Typus ist demnach in folgender Weise aufgebaut:

A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: Glied 1: a) Definition b) weitere Charakterisierung

Glied 2: a) Definition b) weitere Charakterisierung usw.*.

Dagegen nennt der Verfasser in dem Abschnitt über die Topoi δίκαιον, νόμιμον usw. sämtliche Begriffe dreimal in übereinstimmender Reihen-

folge: er zählt sie auf (13, 9 ff.), definiert sie (13, 21 ff.) und erórtert sie schlieDlich nach bestimmten Gesichtspunkten (14, 26 ff.)*. Dieser Aufbau läßt sich somit auf folgende Formel bringen: 1 Oft schachtelt Anaximenes mehrere Schemata ineinander; an die Stelle von Definition und Beschreibung eines Artbegriffes kann eine Untereinteilung treten usw.

3 30, 26ff.; 34, 1ff. ? S. ferner 14, 9—13 (συμφέρον);

15, 1ff.

(Topik der Kategorien δίκαιον,

νόμιμον usw.); 18,14—27,24 (Gegenstände der Volksrede); 19, 1—20, 21 (Gótterkult); 28, 9—29, 3 (Topik des ἐγχκώμιον; hier fehlt die Darstellung der beiden ersten Glieder); 33, 1—14 (Verschuldensgrade bei Delikten); 35, 16—65, 6 (der Mittelteil des Werkes; s. o. S. 14); 36,4—51, 19 (Beweislehre: Ein-

teilung mit zwei Untereinteilungen und Erórterung der Unterarten); 44, 6—14 (γνῶμαι); 44, 14—45, 12; 46, 6—21; 51,23—55, 18 usw. In Einteilung und Darstellung der Abschnitte 55, 18—56, 6; 61, 23—63, 7 ; 67, 15—70, 4; 72, 7—18 hat Anaximenes die einander entsprechenden Glieder chiastisch geordnet; in den Abschnitten 56, 9—57, 13; 66, 16—70, 21; 79, 3—17 bringt die Darstellung die einzelnen Begriffe z. T. in anderer Reihenfolge als die Einteilung. * Der dritte Teil des Schemas ist lediglich bis zum συμφέρον vollstündig &usgeführt.

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A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: a) Definitionen der Glieder 1, 2, 3 usw. b) weitere Charakterisierungen der Glieder 1, 2, 3 usw.!. 2. Der Parallelismus, die zwei- oder mehrmalige Abwicklung des-

selben

Schemas

in

Wübereinstimmender

Reihenfolge

seiner

Teile,

beherrscht im Lehrbuch des Anaximenes sowohl zwei Hauptabschnitte wie einige kleinere Teilgebiete der rhetorischen Theorie. Er entsteht

aus dem Zusammenspiel mehrerer Darstellungsprinzipien: für die Behandlung eines gegliederten Gegenstandes ist zunüchst nur ein einziger, vielleicht ebenfalls gegliederter Gesichtspunkt maßgeblich, dann erst ein zweiter usw. Die aus den Gliedern a, b, c usw. zusammengesetzte Materie x wird also der Reihe nach auf die Prinzipien 1, 2 usw. hin betrachtet, so daB sich das hier zur Erôrterung stehende Aufbauschema in die Formel &!, b!, c! usw., a?, b?, c* usw. fassen läßt. Der erste und letzte Hauptabschnitt des Werkes sind in dieser Weise geordnet: Anaximenes führt die beiden Teilen gemeinsame Disposition nach den sieben εἴδη der Rede hier wie dort so aus, daß er zunüchst die drei Paare προτρεπτικόν — ἀποτρεπτικόν (13, 6—27, 25 und 65, 12—79, 22), ἐγκωμιαστικόν — ψεκτικόν (28, 1—30, 25 und 79, 23—84, 24) und κατηγορικόν — ἀπολογητικόν (30, 26—33, 25 und 84, 25—97, 17) sowie schlieBlich das εἶδος ἐξεταστικόν (34, 1—20 und 97, 18—99, 6) für sich behandelt. Im ersten Teil setzt er die für diese

εἴδη konstitutiven Gegenstände und Argumentationsformen auseinander: das δίκαιον, νόμιμον usw. sowie typische 'Themen (περὶ ἱερῶν, περὶ νόμων usw.) bei der Volksrede, αὔξησις und ταπείνωσις bei Lob und Tadel, die später als Status bezeichneten Anklage- und Verteidigungspositionen bei der Gerichtsrede. Im letzten Hauptabschnitt werden dann Form und Inhalt sámtlicher μέρη der einzelnen Redearten erórtert *.

3. Das einzige Beispiel für einen Katalog enthält das bereits erórterte Differenzenkapitel?. Das Stichwort διαφέρειν fällt hier insgesamt 1 S. ferner 40, 5—42, 26 (παραδείγματα); 72, 1—73, 11 (die Erfordernisse der

διήγησις; das Dispositionsschema nennt die Begriffe in etwas anderer Ordnung als die beiden folgenden Teile). * S. ferner 15,1—-17,26 (Topik der Kategorien δίκαιον, νόμιμον usw., die jeweils nach den Gesichtapunkten &5 αὐτῶν, &x 7Gv ὁμοίων usw. erórtert wird);

36, 7—48, 3 (die πίστεις ἐξ αὐτῶν tGv λόγων usw.; Anaximenes stellt nach 36, 13—14; 48, 1—3; 51, 17—19 zunächst dar, ποία τίς ἐστι usw. und sodann, «

ἀλλήλων διαφέρουσιν). Im Schlubteil wickelt der Verfasser mehrere Male das Schema der μέρη ab, ohne jedoch die Entsprechung mit starrer Konsequenz durchzuführen; s. 65, 12ff. (προτρεπτικόν und ἀποτρεπτικόν); 79, 23ff. (ἐγκωμιαστικόν und xaxoXoyuxóv); 84, 26ff.; 97, 18ff. * 46, 25—48, 4; s. o. S. 22.

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sechsmal!; sämtliche Distinktionen sind in der Weise formuliert, daß

der mit διαφέρειν gebildete Hauptsatz zunüchst die beiden Begriffe nennt, die voneinander unterschieden werden sollen und sodann ein durch διότι, ὅτι oder Ÿ eingeleiteter, durch u£v — δέ antithetisch gegliederter Nebensatz diesen Unterschied beschreibt. 4. Anaximenes liebt es, durch überleitende Phrasen die einzelnen

Abschnitte seines Werkes miteinander zu verknüpfen*. So vermittelt etwa zwischen der Einteilung der sieben εἴδη und der Erórterung des

ersten el8n-Paares die Wendung: x«l πρῶτον μὲν τὰς προτροπὰς Xal ἀποτροπὰς .. . διέλθωμεν (13, 3ff.). In dieser Weise wird ófters eine Gliederung mit der ausführlichen Betrachtung ihrer Begriffe verbunden?. Háufiger und charakteristischer sind die Sátze, die innerhalb der Darstellung vom ersten zum zweiten, vom zweiten zum dritten usw. Glied überleiten: meistens bestehen sie aus einer durch die Konjunktionen uv oùv und δέ gegliederten Antithese; sie nennen im ersten Kolon das bereits erórterte Thema und kündigen im zweiten den Punkt an, dem sich die Betrachtung nunmehr zuwendet. Anaximenes gebraucht dann etwa Phrasen wie: τὰς μὲν οὖν προθέσεις ... &x τῶν

εἰρημένων ἴσμεν. προθέμενοι 86 πάλιν ἐφεξῆῇς . . . περιλάβωμεν (27, 21—25), oder: συλλήβδην . . . διεληλύθαμεν. σκεψώμεθα δὲ xxl usw.(40, 21—24), oder schlieBlich: xepl μὲν oUv .. . εἰδήσομεν . . . λοιπὸν δέ ἐστιν.... (84, 22f.)*. Der Adhortativus findet sich sehr háufig; so heiBt es neben διέλθωμεν ̓ zweimal oxoxôuev® und vereinzelt σκεψώμεθα, ἐκλάβωμεν, περιλάβωμεν und λέγωμενὔ, ferner ὁρισώμεθα, διορισώμεθα und διελώμεθαθ. Oder der Verfasser wählt futurische Formen: διελθεῖν ἐπιχειρήσομεν oder

διδάσκειν ἐπιχειρήσομεν", ferner oùx ἀγνοήσομεν, διέξιμεν, εἰσόμεθα, εἰδήcouev!9, schließlich SnAwcouev!!, Neben der 1. Person des Plurals verwendet er auch den Singular, sowohl in der 1.!* als auch in der 2. Person*,

1 Einmal hat es sicherlich in der 47, 1 angenommenen Lücke (s. o. S. 22, Anm. 2) gestanden; einmal verwendet der Verfasser den Ausdruck διαφορὰν ἔχειν (47, 5).

3 Zu den groBen Überleitungen zwischen den drei Hauptteilen (34, 21—36, 14 und 64, 14—65, 11) s. o. S. 13f. 5 S. z.B. 13, 20; 14, 26; 18, 20; 36, 12; 56, 11; 60, 21; 65, 17.

4; 15, 12; 22; 16, 17; 24; 17, 11; 19; 19, 21; 21, 10; 23, 27; « S. ferner 14, 24, 22; 30, 20; 33, 22; 42, 24; 48, 1 usw. 5 13, 5; 21, 15; 30, 26; 48, 4. * 18, 22; 80, 1. * 20, 24; 18, 6; 22. 19 56, 6; 58, 6; 74, 3; 84, 23. 18 13, 21; 56, 11; 65, 20; 87, 7.

28

7 46, 23; 25, 2; 27, 25; 63, 12. 9 24, 2; 61, 21. M 59, 24; 60, 11.

3 59, 23; 60, 21.

2. KagAtel

Die grammatische Téyvn des Dionysius Thrax $ 1. Die dürre T£yv, des Dionysius Thrax!, ein Skelett von Einteilungen, Bestimmungen und Aufzáhlungen, beginnt mit der Definition und Gliederung ihres Gegenstandes ($1): γραμματική ἐστιν ἐμπειρία τῶν παρὰ ποιηταῖς TE καὶ συγγραφεῦσιν ὡς Erl τὸ πολὺ λεγομένων. μέρη δὲ αὐτῆς ἐστιν £E πρῶτον ἀνάγνωσις ἐντριβὴς κατὰ προσῳδίαν, δεύτερον ἐξήγησις κατὰ τοὺς ἐνυπάρχοντας ποιητικοὺς τρόπους, τρίτον γλωσσῶν τε καὶ ἱστοριῶν πρόχειρος ἀπόδοσις xtA. Diese Gliederung ist jedoch nicht für den Aufbau des Werkes maßgeblich. Zwar wird zunächst der erste Teil, die ἀνάγνωσις mit ihren Unterteilen ὑπόκρισις, προσῳδία { τόνος, διαστολή / στιγμή erörtert (88 2 —4). Dann aber folgt auf eine gànzlich zusammenhanglose Bemerkung über die ῥαψῳδία (85) das in sich geschlossene Hauptstück des Werkes, die Lehre von den γράμματα ( 6), συλλαβαί (88 7—10) und μέρη λόγου (8$8 11—20)*. Diesem Abschnitt wiederum fehlt eine den gesamten Stoff umfassende Einteilung; die Darstellung setzt vielmehr unvermittelt mit der Definition der Buchstaben ein. Der bei weitem längste, die μέρη λόγου erórternde Teil ist ziemlich sorgfältig aufgebaut; hier entfaltet der ! Dionysius Thrax (etwa 170—90 v. Chr.) war ein Schüler des alexandrinischen Philologen Aristarch; er begab sich später nach Rhodos und leitete dort eine Grammatikschule. S. über ihn und sein Werk M. Schmidt, Philol. 7, 1852, 360ff.; 8, 1853, 231ff. und 510ff.; Susemihl, Gesch. d. Griech. Lit. in d. Alexandrinerzeit 2, 1892, 168ff.; Steinthal, Gesch. d. Sprachwiss. bei den Griechen und Rómern, 2, 1891?, 162ff.; Christ-Schmid, Gesch. d. griech. Lit. 2, 1*, 1920, 427f.; Cohn, RE 5, 977ff., Art. Dionysios Nr. 134; Gudeman, RE 7, 1793ff., Art. Grammatik; zuletzt Marrou, Gesch. d. Erziehung im klass. Alter-

tum 1957, 249ff. Über Zweifel an der Echtheit der Τέχνη und Überlieferungsfragen s. folg. Anm.

Der mafgebliche Text mit reichhaltigem Apparat stammt von Uhlig, Grammatici Graeci I, 1, 1883; in der vorliegenden Abhandlung wird nach Paragraphen

oder nach den Seiten- und Zeilenzahlen dieser Ausgabe zitiert.

* Die antiken und modernen Versuche, dem Dionysius das Werk vôllig abzusprechen, entbehren zwar einer hinlünglichen Grundlage; s. hierzu mit großer Gelehrsamkeit Schmidt, a.O. 231f.; 510ff.; ferner Cohn, &a.O. 980. Der hier angedeutete Bruch im Aufbau der Schrift scheint jedoch durchaus geeignet, nicht nur gegen Einzelheiten des Wortlautes Mibtrauen zu erwecken (so die bisherige Kritik; s. die Genannten und Susemihl, a.O. 170 und Anm. 147), sondern gegen Form und Umfang des Textbestandes im Ganzen. Vgl. Pohlenz, Die Begründung der abendländischen Sprachlehre durch die Stoa, Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. Gôttingen, Phil.-Hist. Kl., 1939, NF 3, 6, 166: ,,Nur die ersten fünf Kapitel entsprechen dem in dieser Definition (sc. 4pauuatuc ἐστιν ἐμπειρία etc.) angekündigten Programm. Dann schlieüt sich &norganisch der

Hauptteil an** ugw. Über den $ 5 (περὶ ῥαψῳδίας) 8. Steinthal, &.O. 203; über ein weiteres verdüchtiges Textetück

(8, 1—2) s. u.

8.32;

schlieBlich vergleiche

man das oben im Text über den Katalog der εἴδη ὀνομάτων u. &. Bemerkte.

29

im ganzen intakte Mechanismus der Einteilungen, der mit der Aufzählung der μέρη λόγου beginnt ($ 11), ein kleines System der Formen-

und Wortbildungslehre. Unstimmigkeiten finden sich auch in diesem Teil; sie betreffen jedoch nur Abschnitte geringeren Umfanges. So folgt

etwa innerhalb der Lehre vom ὄνομα ( 12) auf die vollstándige und programmgemäBe Abwicklung des zu Beginn mitgeteilten Schemaa! ein merkwürdiger, offenbar nicht von vorneherein in das System einbezogener Anhang: ὑποπέπτωκε 8b 7Q ὀνόματι ταῦτα, À καὶ αὐτὰ εἴδη προσαγορεύεται etc.*. Ferner besteht die Theorie des ἐπίρρημα ( 19) im wesentlichen aus einem gänzlich unvermittelt einsetzenden Katalog. Hier heißt es im Anschluß an die Definition des Adverbs zunächst:

τῶν δὲ ἐπιρρημάτων vX μέν ἐστιν ἁπλᾷ, τὰ δὲ σύνθετα etc.; dann aber

fährt die Darstellung ohne Übergang in skizzenhaftem Stile fort: τὰ δὲ χρόνου δηλωτικά, οἷον νῦν, τότε αὖθις etc. $2. 1. Die Einteilung ist wie stets das dominierende Instrument

wissenschaftlicher Stoffbewültigung; der kurze Abriß dürfte sogar ungeführ ebensoviele Dispositionen enthalten wie um ein Vielfaches ausführlichere Lehrbücher. Die Glieder werden oft durch methodo-

logische Ausdrücke klassifiziert, etwa als μέρη, τρόποι, διαφοραί etc.*. Fast stets nennt der Verfasser ihre Zahl*, und weitaus die meisten Einteilungen verwenden die Kopula εἶναι. So heißt es etwa ($ 4): στιγμαί elot «petc; τελεία, μέση, ὑποστιγμή ®. Auch sonst kehren bestimmte Wendungen formelhaft wieder*. Die Einteilungen enthalten zwei bis acht einander meist asyndetisch folgende Glieder”. 2. Als Klassifikationbegriffe der Τέχνη kommen die Substantive

γένος, εἶδος, μέρος, σχῆμα, τύπος und τρόπος in Betracht. Die Ausdrücke γένος und εἶδος haben, wie ihre mehrfache Verwendung für gleichartige 1 24,6—7: παρέπεται Bb x ὀνόματι πέντε' γένη, εἴδη, σχήματα, ἀριθμοί, πτώσεις.

2 Auch die Lehre von den διαθέσεις τοῦ ὀνόματος ($ 12, letzter Satz) wird in der zitierten Disposition nicht genannt; anders $13: παρέπεται δὲ τῷ ῥήματι ὀκτώ ̓ ἐγκλίσεις, διαθέσεις etc. Ein ähnlicher Anhang findet sich am Schluß des $ 17; anders $ 20 a. E., wo der Verfasser andeutet, daß er die σύνδεσμοι ἐναντιωματικοί nicht als besondere Kategorie anerkennt. * Der Terminus διαιρεῖν kommt in Einteilungen nicht vor; s. u. S. 33. * Ausnahmen z.B. $ 2; 3; 12 (32, 2ff.); 16 (62, 5) u. ó.

5 S. ferner $ 1; 6 passim; 11; 12 passim u. 6. * So die mit παρέπεται gobildeten Einteilungen (8 12; 13; 16; 17). ? Anders gewóhnlich bei Dichotomien: $ 6 (10, 1/2; 5/6); 8 (μέν — δέ) u. ὅ.; ferner $ 3; 8 (17, 5ff.; 18, 3ff.); 9 (19, 6ff.) u. ó.

Sechs Glieder: $1; 14; 17. Sieben Glieder: $12 (25, 6/7). Acht Glieder: $8; 11; 13 (46, 5ff.); 20. Von den Buchstabenverzeichnissen des $ 6 ist hier ebgesehen; dem Katalog $ 12 &. E. geht eine aus 24 Gliedern bestehende Disposition vOraus.

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Kategorien zeigt, des öftern einen spezifisch grammatikalischen Sinn; sie bezeichnen dann bestimmte, einander nicht untergeordnete Einteilungskriterien einzelner Wortarten. So ist γένος Gattungsbegriff für die drei ,,Geschlechter‘“ (ἀρσενικόν, θηλυκόν, οὐδέτερον) der deklinierbaren Wortarten (ὄνομα, ἄρθρον, &vrovuuía)!; εἶδος findet sich wiederholt als zusammenfassende Kategorie der Unterscheidung von

Wurzelwórtern und Wörtern, die durch Suffixe von Wurzelwörtern abgeleitet sind*. Außerdem kommen beide Begriffe in allgemeiner, lediglich klassifizierender Bedeutung vor. Denn es heißt in dem Katalog, der die ὀνόματα nicht nur nach sprachlichen, sondern auch nach

inhaltlichen und, wie in diesem Falle, nach logischen Gesichtspunkten ordnet ($ 12: 43, 1 ff.): γενικὸν SE ἐστι τὸ δυνάμενον εἰς πολλὰ εἴδη διαιρεθῆναι, olov ζῷον, φυτόν. ἰδικὸν SE ἐστι τὸ Ex τοῦ γένους διαιρεθέν, olov

βοῦς, ἵππος, ἄμπελος, ἐλαία. Hier ist also die Operation des Einteilens und die daraus sich ergebende Relation zwischen der übergeordneten Gattung und den untergeordneten Arten in die noch mit logischen Elementen durchsetzte grammatische Lehre einbezogen. Als methodologischer, den Aufbau der ἸΤέχνη und das Gefüge der Theorie bestimmender Begriff findet sich nur das Substantiv εἶδος. So wird es wohl verstanden werden müssen, wenn der Verfasser das als παράγωγον

bezeichnete εἶδος der Wortbildungslehre beim ὄνομα (8 12: 25, 6 ff.) wiederum in sieben εἴδη zerlegt, jedenfalls aber, wenn er in der Liste von Adverbien ($ 19: 73, 3 ff.) den χρόνου δηλωτικά die καιροῦ παραστα-

τικά als εἴδη zuweist, da er hier das Unterordnungsverháltnis deutlich mit den Worten bezeichnet: τούτοις (sc. τοῖς xpóvou δηλωτικοῖς) 56

ὡς εἴδη ὑποτακτέον τὰ καιροῦ παραστατικά. Das Substantiv μέρος bezeichnet wie stets den ,,Teil“; es charakterisiert die Tätigkeiten des die γραμματικὴ ἐμπειρία Ausübenden ($ 1: ἀνάγνωσις, ἐξήγησις etc.) und die Wortarten‘. Die Ausdrücke τύπος,

τρόπος und σχῆμα finden sich nur in bestimmten Zusammenhängen;

! $12 (24, 6 und 8ff.); 16 (62, 1/2); 17 (64, 1 und 65, 2ff.).

3 πρωτότυπον und παράγωγον; Β. $ 12 (24, 6; 25, 3—5: γῆ

— γαιήιος); 13 (47, 1 ;

50, 1/2: ἄρδω — ἀρδεύω); 17 (64, 2; 68, 3ff.).

* S. ferner $ 11, wo auf das Verzeichnis der Wortarten die Bemerkung folgt : %... προσηγορία ὡς εἶδος τῷ ὀνόματιὑποβέβληται. Dieser gegen die Stoiker gerichtete Zusatz will das Appellativum nicht als selbständiges μέρος Aóyou, sondern als

Spezies des ὄνομα verstanden wissen; s. Steinthal, &.O. 210. Dementaprechend wird die bereits erwühnte Liste verschiedenartiger ὀνόματα mit den Worten eingeleitet ($ 12: 32, 2ff.): ὑποπέπτωκε Bb τῷ ὀνόματι ταῦτα, & xal αὐτὰ εἴδη xpocaγορεύεται; der Verfasser nennt hier an erster Stelle das χύριον und das προσηγορικὸν 5voua (33, 1; vgl. 33, 6ff.). * $10; 11; 12 (24, 3); 16 (61, 2); 18 (70, 2); 19 (72, 4). Daß die μέρη λόγου als Teile eines Ganzen vorgeatellt sind, zeigt die Definition ($11): λέξις ἐστὶ μέρος

ἐλάχιστον τοῦ κατὰ σύνταξιν λόγου. 31

sie sind demnach wohl eher spezifische Termini technici der Grammatik als allgemeine Klassifikationsbegriffe!, 3. Die Distinktion hat in der Τέχνη des Dionysius geringe Bedeutung. In sprachlich und sachlich anstófigen Worten werden zwei Interpunktionszeichen, die στιγμῇ und die ὑποστιγμή, miteinander konfrontiert?; das zweimal begegnende Substantiv διαφορά meint nicht unterscheidende Merkmale, sondern die Tráger dieser Merkmale, die Artbegriffe?. Die Begriffe κοινός und ἴδιος dienen zur Charakterisierung der Nomina appellativa und propria, und zwar sowohl in der Definition des ὄνομα zu Beginn des $ 12 wie auch innerhalb des óvóuata-Kataloges*.

4. Die Τέχνη bietet ihren Stoff in solcher Konzentration dar, daß sie neben zahlreichen Einteilungen fast nur Begriffsbestimmungen enthült, die das Definiendum an die Spitze des Satzes stellen und durch die Kopula εἶναι mit den charakterisierenden Merkmalen verknüpfen; hin und wieder finden sich auch mit λέγεται u. dergl. gebildete WorterklärungenS. Die Definition setzt sich oft aus dem übergeordneten Gattungsbegriff und der spezifischen Differenz zusammen, z. B. ($1): γραμματιυκή ἐστιν ἐμπειρία 1Gv παρὰ ποιηταῖς TE καὶ συγγραφεῦσιν λεγομένων, oder ($ 12): ὄνομά ἐστιν μέρος λόγου πτωτικόν etc.®; meistens ergibt sich das übergeordnete Genus aus dem Zusammenhang. Eine beträchtliche Anzahl von Definitionen läßt der abstrakten

Charakterisierung sofort Beispiele folgen ($ 12: 26, 7ff.): χτητικὸν 3E ! Das Wort τύπος meint Suffixe für Patronymika, Komparativ- und Superlativendungen ($ 12: 26, 1; 26, 3; 27, 6; 28, 4); nach τρόποι werden die langen

und kurzen Silben usw. unterschieden ($8 8—10); das Substantiv σχῆμα bezeichnet Kategorien der Wortbildung (ἁπλοῦν, σύνθετον etc.; s. $ 12: 24, 0; 20, 5. $ 13: 47, 1; 50, 3. $ 17: 64, 2; 68, 1). S. ferner σχέσεις für die Ortabestimmungen ($ 19: 76, 2).

3 $4: τίνι διαφέρει στιγμὴ ὑποστιγμῆς; ete. Ob sich στιγμὴ auf die τελεία oder μέση στιγμή bezieht, ist unklar; die Frage- und Antwortform findet sich nur

hier. Vgl. jedoch Uhlig z.St. * $12 (30, 1): τῶν 56 συνθέτων (8c. ὀνομάτων) διαφοραί εἶσι τέσσαρες. & μὲν γὰρ αὐτῶν εἰσιν Ex δύο τελείων etc. ; ähnlich $ 13 (53, 1—3). « & 12 (33, 6ff.). Das Wort κοινός dient außerdem zur Bildung der gramma-

tischen Termini κοινὴ συλλαβή (syllaba anceps) und xotvóv γένος (genus commune);

s. $ 10; 12 (25, 1). Das Substantiv ἰδιότης bezeichnet an zwei Stellen die Eigentümlichkeit, das spezifische Merkmal; s. $ 12 (42, 3); 16; vgl. ferner $ 12 (26, 3): 6 τῶν Αἰολέων ἴδιος τύπος. 5 So die etymologischen Bemerkungenin den $$ 5 und 6 (ῥαψῳδία, γράμματα,

στοιχεῖα); ferner die Erläuterungen der die Laute klassifizierenden Begriffe ($ 6), z. B.: φωνήεντα 8b λέγεται, ὅτι φωνὴν &o' ἑαυτῶν ἀποτελεῖ, δίχρονα δὲ λέγεται, ἐπεὶ ἐχτείνεται καὶ συστέλλεται etc.

* So sämtliche Bestimmungen der Wortarten (5 13; 15—20). 32

ἐστι τὸ ὑπὸ τὴν κτῆσιν πεπτωχός, ἐμπεριειλημμένου τοῦ κτήτορος, οἷον Νηλήϊοι ἵπποι, “Εἰκτόρεος χιτών, Πλατωνικὸν βιβλίον!. Sehr oft werden nur Exempel genannt (ὃ 12: 29, 6/7): ἁπλοῦν (8c. σχῆμα ὀνομάτων) μὲν

οἷον Μέμνων, σύνθετον δὲ olov ̓Αγαμέμνων, παρασύνθετον δὲ olov ' Avaμεμνονίδης, Φιλιππίδης. Bisweilen enthält die Definition neben allgemeinen Merkmalen einzelne unter den Begriff fallende Arten ($ 3): τόνος ἐστὶν ἀπήχησις qovrc ἐναρμονίου, À κατὰ ἀνάτασιν &v T ὀξείᾳ, À χατὰ ὁμαλισμὸν ἐν τῇ βαρείᾳ etc.*. $ 3. Das aus einer Einteilung, Definitionen und ausführlichen Beschreibungen zusammengesetzte Schema beherrscht den Hauptteil

der Τέχνη, die Erórterung der μέρη λόγου: auf die Gliederung des $ 11 folgen Bestimmung und weitere Darstellung des ersten Gliedes, des ὄνομα (8 12), dann des zweiten, des ῥήμα ($$ 13/14) usw. Dieser Abschnitt ist also in folgender Weise geordnet : À. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: 1. Glied: a) Definition b) weitere Charakterisierung 2. Glied: &) Definition

b) weitere Charakterisierung usw.

Der Beginn des Werkes enthält offenbar die ersten Glieder desselben Schemas: $ 1 záhlt sechs μέρη der Grammatik auf; die 88 2—4 definieren und erórtern 488 erste u£poc, die ἀνάγνωσις. Dann freilich wendet sich die Darstellung unvermittelt den Lauten, Silben und Wórtern zu und von den übrigen μέρη der Grammatik ist nirgends mehr die Rede*. Im übrigen findet sich das Schema für kleinere Abschnitte der Theorie angewandt, meist in verkürzter, Definition und Beschreibung zusammenfassender Form®. ! S. ferner $ 12 (26, 3—5; 28, 6/7; 29, 1/2; 3/4; fast sámtliche Glieder des bvéuaræ-Kataloges 33, 6ff.); 13 (49, 1—3); 14; 20. * S. 30, 5/31, 1; 35, 3/4; 48, 1/49, 1; 50, 1/2; 50, 3/4—51, 1 usw.; 65, 1ff.; 73, 1/2 usw.

* So die Definitionen des ὄνομα, des συγκριτικόν und des ἄρθρον ($ 12: 24, 3ff.; 27, 3fF.; $ 16). S. ferner $ 7: συλλαβή ἐστι κυρίως σύλληψις συμφώνων μετὰ φωνήεντὸς 7) φωνηέντων olov xitp βοῦς ̓ καταχρηστικῶς δὲ xal 3j E& ἑνὸς φωνήεντος, olov & $. Dieselbe Unterscheidung zwischen dem ,,eigentlichen" und dem ,,uneigentlichen'* Begriffsinhalt $ 12 (25, 8/9).

* S. o. S. 29. 5 S. $$ 2—4: ὑπόχρισις, προσῳδία, διαστολή; $4: στιγμαί; $ 6 (12, 2—14, 3); $8. Ferner bei der Lehre vom ὄνομα ($12), ῥῆμα ($$ 13/14); &p9pov ($10); ἀντωνυμία ($ 17), wo die Dispositionen jeweils mit dem Worte παρέπεται beginnen. SchlieBlich eind auch die untersten Stufen des Systems in dieser Weise geordnet, s. 25, 6ff.; 29, 6ff. usw.; 48, 1ff.; 87, 1ff; a. ferner den évéuata-Katalog 32, 2ff. 3

7624 Fuhrmann, Lehrbuch

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Die Kataloge der Τέχνη zeigen jeweils eine übereinstimmende Stilisierung sámtlicher Glieder: die Liste der εἴδη ὀνομάτων ($ 12: 32, 2ff.) besteht fast nur aus Definitionen. Die Konjugationen werden aufgezàhlt (8 14): À u&v πρώτη (8c. συζυγία) eto., ἡ δὲ δευτέρα etc. etc. In der langen Reihe von Adverbien schlieBlich leitet der Verfasser jede Klasse mit den Worten τὰ δέ (sc. ἐπιρρήματα) ein ($ 19).

Die für die meisten Lehrbücher charakteristischen Überleitungsformeln finden sich in der Τέχνη des Dionysius nicht: das Bestreben, den Stoff in äuBerster Konzentration darzustellen, verbot offenbar derartige in sachlicher Hinsicht unnótige Bemerkungen.

3. Kapitel

Die Εἰσαγωγὴ ἁρμονική des Kleoneides $ 1. Der als Εἰσαγωγὴ ἁρμονική betitelte Traktat! setzt sofort mit einer Bestimmung seines Gegenstandes ein? und gliedert ihn sodann in sieben uépn: περὲ φθόγγων, περὶ διαστημάτων, pl γενῶν, περὶ συστήματος, περὶ τόνου, περὶ μεταβολῆς, περὶ μελοποιΐας (179, 6---8). Diese Grundbegriffe konstituieren das Dispositionsschema der Abhandlung: auch sie werden zunächst definiert (179, 9—180, 10) und offenbar in 1 Die handschriftliche Überlieferung nennt bald Euklid, bald Pappus, bald einen unbekannten Kleoneides (Kleonidee) als Verfasser. Da die beiden groDen Mathematiker nicht in Betracht kommen (an der Autorschaft Euklids zweifelten Bchon arabische Gelehrte; s. Heiberg, Literargesch. Studien über Euklid, 1882, 9), bezeichnet mean die ΕΠσαγωγή gewôhnlich als Werk des Kleoneides. Sie ist für Schulzwecke aus den musikwissenschaftlichen Schriften des Aristoxenos v. Tarent zurechtgezimmert; vgl. 203, 5—6 εἰσὶ B& κατὰ ̓Αριστόξενον i

τόνοι; der Verfasser beruft sich sonst niemals auf Vorgünger. Die Verweise suf ein Werk des Kleoneides, die in einem Leidener Aristoxenos-Kodex angebracht sind, beziehen sich auf eine umfangreichere, mit der überlieferten im Aufbeu übereinstimmende Schrift; es liegt nahe, jenes verlorene Werk für den Mittler

zwischen Aristoxenos und der erhaltenen Elaxywyh anzusehen. Die Lebenszeit des Kleoneides ist unbekannt; Abert, RE 11, 729, Art. K., rät auf den Anfang

des 2. nachchristlichen Jh.s. S. Heiberg, &.O. 63ff.; Susemihl, Geach. d. Lit. i. d. Alexandrinerzeit 1, 1891, 717#; van Jan in seiner Ausgabe der Musici Seriptores Graeci, 1895, 169ff.; Hultech, RE 6, 1050f., Art. Eukleides. Texte:

Grundlegend die Ausgabe van Jans in dem gen. Sammelwerk, 179—207; ibr folgt im wesentlichen Menge, Euclidis Opera VIII, 1916, 185—223. Die vorliegende Abhandlung zitiert nach Seiten- und Zeilenzahlen des Janschen Corpus

Eine lateinische Übersetzung findet sich in der Ausgabe Menges, eine deuteche bei Paul, Boetius und die griech. Harmonik, 1872, 230—244 und bei Waldapfel, Uber das Idealschône i. d. Musik, 1892, 94—102. 3 179, 3—4: ἁρμονική ἐστιν ἐπιστήμη θεωρητική τε καὶ πρακτικὴ τῆς τῷ ἡρμοσμένου φύσεως.

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den folgenden Kapiteln des näheren erörtert. Jedenfalls behandelt der Verfasser in Kap. 4 die φθόγγοι,

in Kap. 5 die διαστήματα, in den Kap. 6 und 7 die γένη, in den Kap. 8 bis 11 die συστήματα, in Kap. 12 den τόνος, in Kap. 13 die μεταβολή und in Kap. 14 die μελοποιΐα. Läßt sich der Plan der Abhandlung insoweit deutlich erkennen, 80 scheinen auch Funktion und Anordnung des 2. Kapitels verständlich zu sein: hier werden gewisse Begriffe entwickelt, die zwar zum Teil noch nicht dem System der Harmonielehre selbst angehören, jedoch

als Voraussetzungen dieses Systems unentbehrlich sind. Die Erörterung führt von der φωνή und ihren beiden κινήσεις bis zum φθόγγος, dem ersten Grundbegriff der Theorie (Kap. 2 a. E.: 181, 7). Lediglich das 3. Kapitel, das schon hier, vor der Behandlung der φθόγγοι, Grundsätzliches über die drei γένη, das diatonische, chromatische und en-

harmonische Klanggeschlecht mitteilt, widerspricht der zu Anfang gegebenen Disposition des Werkes!. Im übrigen geht die Erórterung ihren vorgeschriebenen Weg: das 4. Kapitel bringt nach den Tonkatalogen der ersten Hálfte (182, 4 ff.) die Einteilung der φθόγγοι in ἑστῶτες und κινούμενοι (185, 16 ff.), die alsbald weiter zerlegt werden (186, 1 ff.). Die Lehre von den Intervallen (Kap. 5) entfaltet sich dann in fünf voneinander unabhängigen Gliederungen; der Abschnitt über die Klanggeschlechter (Kap. 6/7) befaBt sich vornehmlich mit den εἴδη, die den drei γένη untergeordnet sind.

Die Skalen (Kap. 8—11) werden wieder, wie die Intervalle,

durch eine Anzahl von parallelgeordneten Einteilungen klassifiziert; hier unterbricht freilich die Lehre von den σχήματα, den Umkehrungen der 4-, 5- und 8-Tonreihen, den Gang.der Darstellung an willkürlich gewühlter Stelle (Kap. 9). Die Theorie vom τόνος und von der μεταβολή (Kap. 12/13) geht jeweils von einer vierfachen Bedeutung dieser

beiden Begriffe aus?, widmet sich jedoch in Übereinstimmung mit den Definitionen zu Beginn des Werkes vornehmlich den Stimmungen

! Sachlich lieBe sich diese Vorwegnahme mit dem Hinweis rechtfertigen, daB der im 4. Kapitel aufgezühlte Tonvorrat ohne Kenntnis der drei γένη unverständlich würe; aber der Verfasser hat sich auch sonst durch derartige

Überlegungen nicht bestimmen lassen (s. z.B. 186, 1ff.: hier würe dringend eine Erläuterung des xuxvév am Platze gewesen; 186, 2 wird der erst 200, 10ff.

behandelte Begriff τέλεια συστήματα verwendet, usw.). * 202, 6: τόνος 3& λέγεται τετραχῶς; 204, 19: μεταβολὴ 8& λέγεται τετραχῶς. g*

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und Transpositionen. Die Behandlung der μελοποιΐα schlieBlich (Kap. 14) wird zum Teil im 13. Kapitel (206, 3 ff.) vorweggenommen. $ 2. 1. Unter den methodologischen Operationen des Werkes nimmt die Einteilung die wichtigste Stelle ein. Sie ist zwar nirgends durch einen besonderen Kunstausdruck charakterisiert!, findet sich jedoch in der kurzen Abhandlung sehr oft praktisch angewandt. Zwei ineinander übergehende Typen lassen sich hier feststellen: teils werden Fachausdrücke der Musiktheorie in untergeordnete Arten zerlegt!, teils lediglich die Hauptpunkte der Erórterung in einem vorbereitenden Dispositionsschema zusammengefaBt?. Eine beliebte mit εἶναι gebildete Formel gibt zunächst die Zahl der Glieder an und nennt sodann diese Glieder selbst, z. B. (181, 12): γένη 56 ἐστι «pla, διάτονον, χρῶμα, ἁρμονία ; die untergeordneten Substantive werden hierbei gern durch ein der methodologischen Terminologie entstammendes Substantiv charakterisiert, etwa durch μέρος, γένος, εἶδος oder διαφορά", &ber auch durch reine Fachausdricke der Musiktheorie wie ypóa, σχῆμα, συναφή oder σύστημαδ. Die Einteilungen enthalten zwei bis

sieben untergeordnete Gesichtspunkte?, die einander bald asyndetisch folgen, bald durch u£v-3£, xat, % u. dgl. miteinander verbunden werden?*.

2. Der Verfasser charakterisiert die Fachausdrücke der Musiktheorie durch die Substantive u£poc, γένος und εἶδος. Das Wort μέρος 1 Διαίρεσις und διαιρεῖν (180, 1; 189, 12; 190, 6; 10; 12; 192, 5; 10; 14; 195, 18) begegnen lediglich als t. t. der Harmonielehre: sie bezeichnen die Zerlegung

des Tetrachords in vier Tóne, die je nach yévoc und el5oc verechiedene À batände haben; 80 wohl auch 190, 6; vgl. 190, 10 und 12. 3 S. z.B. 180, 11; 181, 12; 185, 16; 186, 1; 8 u. . 3 S. z.B. 187, 3; 193, 3; 202, 6; 204, 19. « 179, 6; 180, 11; 187, 3; 199, 17; 200, 10; 207, 1. Die Dispositionen 190,6

und 193, 3 fassen ihre Glieder in zwei bzw. drei Untergruppen zusammen; die Einteilungen 195,8; 196,9; 197,4; 203, 6 leiten katalogartige Aufzühlungen ein. S. ferner 202, 6: τόνος δὲ λέγεται τετραχῶς; ebenso 204, 19. Die Begriffe von

.

Dichotomien werden manchmal nur durch μέν — δέ voneinander abgehoben (185, 16; 186, 1; 192, 5); auch bei einer Fünfteilung wird einmal die Zahl de Glieder nicht genannt (189, 9).

$ S. 179, 6 (μέρη); 181, 12 (γένη); 187,3 und 193, 3 (διαφοραί); 195,8 und 197, 4 (εἴδη). * 190, 6; 196, 9; 199, 17; 200, 10.

? Zweigliedrig: 180, 11; 185,10; 186,1; 8; 192, 5; 200, 10; dreigliedrig: 181, 12 (vgl. 189, 9); 199, 17; viergliedrig: 202, 6; 204, 19; 207, 1 ; siebengliedrig: 179, 6; 193, 3. Vgl. ferner die den Katalogen der Umkehrungen und Tonarten ;

vorangestellten Zahlenangaben (105,8; 196, 9; 197,4; 203, 5): sie nennen 3 4, 7 bzw. 13 Glieder.

* Asyndeta: 179,6 (mit anaphorischem περί); 181,12; 190,6; 199,17; 207, 1. Die Glieder der übrigen Einteilungen (8. vor. Anrn.) sind mitemander

verbunden; Anaphern 187, 3 (f); 193, 3 (Artikel); 202,6 (ὡς); 204, 19 (κατά). 36

findet sich lediglich für die sieben Hauptbegriffe der Lehre angewandt!. Es bezeichnet offensichtlich ihre ,,Teile‘‘, wührend sie selbst als Ganzes vorgestellt ist: es wird in einer ähnlichen, von einem konkreten auf einen abstrakten Gegenstand übertragenen Bedeutung gebraucht, wie sie etwa die Worter , Fach' und ,,Gebiet" in der modernen wissenschaftlichen Sprache erhalten haben. Das häufige Substantiv γένος dient stets als Bezeichnung für die drei Klanggeschlechter?; der ursprünglich nur eine logische Relation andeutende Begriff ist also zu einem Kunstausdruck des Faches geworden. Er hat jedoch seine klassifizierende Funktion nicht gänzlich eingebüDt, da es einmal heiBt (190, 6): χρόα δέ ἐστι γένους εἰδικὴ διαίρεσις. Wührend das Substantiv διαίρεσις hier wohl wie sonst? die Aufteilung der Quart eines Tetrachords in drei nach Klanggeschlecht und χρόα verschieden groBe Intervalle meint, kann das Adjektiv

εἰδικός nur eine logische Beziehung der χρόαι zu den γένη andeuten: die χρόαι sind εἴδη der Klanggeschlechter. Somit hat an dieser Stelle auch der Begriff γένος eine logische Funktion. Allerdings behandelt der Verfasser die Klanggeschlechter nicht als regelrechte ,, Gattungen‘“ der χρόαι: da jeweils eine χρόα dieselbe Stimmung hat wie das γένος, zu dem sie gehórt*, fallen drei der sechs χρόαι mit den γένη zusammen; die übrigen lieBen sich am besten als ,,Abarten‘“‘ kennzeichnen. Das Substantiv εἶδος ist wohl nur methodologischer Terminus: die durch

ihn charakterisierten Umkehrungen der Vier- und Achttonreihen heiBen gewóhnlich σχήματαδ. 3. Das methodologische Verfahren der Distinktion wird in den katalogartig disponierten Abschnitten angewandt, die sich mit den

Intervallen und den Tonreihen befassen*. Als charakterisierende Termini dienen das Verbum διαφέρειν und das Substantiv διαφορά. Beide Reihen von Unterscheidungen haben dieselbe Eigentümlichkeit: hier wie dort konfrontieren sie nicht bereits bekannte, zuvor mit

bestimmten Ausdrücken bezeichnete und einzeln erórterte Artbegriffe 1 179, 6; 206, 20. 3 179, 7; 180, 1; 181, 11; 12; 184, 11; 185, 18; 20; 186, 12 u. ó. Ebenso das Adjektiv γενικός 189, 15. * B. 0. S. 36, Anm. 1. * 190, 9/10: À μὲν οὖν τῆς ἁρμονίας (sc. χρόα) τῇ αὐτοῦ τοῦ γένους διαιρέσει

κέχρηται; enteprechend 191, 3/4; 192, 9/10. * So 195,4; 7; 197, 4; 198, 14.

16; 196,3; 9; 199, 15; 17. εἶδος dagegen 195, 9;

196, 4;

* Kap. 5; Kap. 8—11, wo die Reihe der Unterscheidungen durch die Lehre von den σχήματα unterbrochen wird; s. o. S. 35.

? 187,3; 4; 188, 3; 189, 3; 103, 3; 7; 9; 14; 109, 4; 8; 11/12; 201, 15. AuBerhalb dieser Abechnitte findet sich nur das Substantiv διαφορά (181, 1; 185, 18; 20; 189, 19); es bezeichnet den durch ἐπίτασις oder ἄνεσις bewirkten Unterschied in der absoluten Tonhóhe sowie die Unterschiede der Klanggesohlechter.

37

miteinander; vielmehr hat jede διαφορά die Aufgabe, diese Arten erst zu konstituieren. Es handelt sich also in Wahrheit um lauter Einteilungen, die in die Form von Distinktionen gekleidet sind; da die Einteilungskriterien stets wechseln, sind sie voneinander unabhüngig, bilden also kein sich stufenweise entfaltendes einheitliches System.

Die Ἐϊσαγωγή verwendet gelegentlich die Adjektive ἴδιος und κοινός, um spezifische und der übergeordneten Gattung angehórige Merkmale zu bezeichnen!. An einer Stelle werden die beiden Begriffe einander konfrontiert: der Verfasser weist darauf hin, daß den beiden τέλεια

̓συστήματα, dem ἔλαττον und μεῖζον, die zusammen das ἀμετάβολον σύστημα bilden, zwei Tetrachorde gemeinsam sind, andere hingegen entweder dem σύστημα ἔλαττον oder dem σύστημα μεῖζον angehóren (201, 8—13)2.

4. In der Eloxyoyh wird zwar nirgends durch einen besonderen Terminus auf die logische Operation der Begriffsbestimmung hingewiesen*, Sie wird jedoch sehr oft praktiziert, und zwar in einer bestimmten sprachlichen Stilisierung, die es im allgemeinen môglich macht, sie von sonstigen deskriptiven Ausführungen zu unterscheiden.

Das Definiendum steht námlich meistens am Anfang des Satzes* und wird durch die Kopula εἶναι mit den bestimmenden Elementen verbundenS. Fast stets hat der Verfasser die definierten Begriffe in einer vorangehenden Einteilung genannt*; die Definition des ersten Gliedes folgt unmittelbar auf die Einteilung?. Die Bestimmung gibt gewôhnlich nur die wichtigsten spezifischen Merkmale an; die übergeordnete Gattung läßt sich ohne weiteres aus dem Zusammenhang ergänzen:

ἑστῶτες (80. φθόγγοι) μὲν οὖν εἰσιν, ὅσοι &v ταῖς tv γενῶν διαφοραῖς ob μεταπίπτουσιν, ἀλλὰ μένουσιν Erl μιᾶς τάσεως. κινούμενοι δέ, ὅσοι etc. ! Ferner finden sich das Substantiv κοινωνία (205, 17; 20) und das Verbum ἐπικοινωνεῖν (192, 10). Statt κοινός wird bisweilen 6 αὐτός verwendet (191,3; 193, 4; ferner wohl auch 190, 9; vgl. 192, 10), statt ἴδιος einmal οἰκεῖος (180, 9). κοινός hat lediglich an einer Stelle nicht den hier angegebenen Sinn (198, 13). 3 Einer ühnlichen Antithese dienen an anderer Stelle die Begriffe & αὐτός und ἴδιος (193, 4—9). SchlieBlich hebt der Verfasser des ófteren Gemeinsamkeiten hervor, ohne ihnen spezifische Gegebenheiten gegenüberzustellen; s. 188, 10; 189, 11; 14; 190, 9; 101, 3; 192, 10; 109, 15; 200, 2ff.; 205, 17ff. 3 Das Subetantiv ὄρος sowie die Verben ὁρίζειν und διορίζειν finden sich nur in wórtlicher Bedeutung (200, 15; 201, 6; 207, 16). * Mit vorangestelltem ἔστι beginnen die Definitionen 187, 19; 199, 14; 18; 200, 11; 201, 18; 206,6.

* Trotz der Verwendung anderer Verben werden auch die Aussagen 180, 13; 16; 181, 13; 15; 18; 190, 10; 13 usw. als Definitionen gelten dürfen. 5 Anders nur 190, 6; ferner 179, 4 und 201, 18, wo Hilf&definitionen einen Begriff einer vorangehenden Definition erläutern, und schlieBlich 196, 9ff., wo guvor nur die Anzahl der εἴδη angegeben wird.

? Anders nur 187, 12ff. (Konsonanz und Dissonanz), wo zunüchst Beispiele angeführt werden; die eigentlichen Beetimmungen kommen erst 187, 19ff.

38

(185, 17 ff.)!. Für die Definition der ἁρμονικῇ zu Beginn des Werkes gilt dieser Umstand nicht; hier wird denn auch der Gattungsbegriff &usdrücklich genannt: ἁρμονική ἐστιν ἐπιστήμη etc. (179, 3f.)*. Oft fügt der Verfasser der abstrakten Bestimmung sofort Beispiele an: ῥητά (s0. διαστήματα) μὲν oùv ἐστιν, ὧν olóv τέ ἐστι τὰ μεγέθη ἀποδιδόναι, olov τόνον, ἡμιτόνιον, δίτονον etc. (189, 4 ff.)®. Manchmal unterläBt er es, den Begriff abstrakt zu bestimmen und nennt nur untergeordnete Fälle: βαρύπυχνοι (sc. φθόγγοι) μὲν oDv εἰσι πέντε ot8c ὑπάτη ὑπάτων, ὑπάτη μέσων etc. (186, 2 ff.)*. $3. Die Einführung in die Harmonielehre bringt ihren Stoff in

starrer Schematisierung, die sowohl die wichtigsten methodologischen Operationen, die Einteilung und die Definition, als auch die übrigen Erörterungen an eine genau festgelegte Reihenfolge bindet. Derartige Aufbauschablonen haben die Eigentümlichkeit, daß sie eine Anzahl für eine bestimmte Materie maßgeblicher Artbegriffe bald drei-, bald zweimal in gleicher Ordnung aufführen: entweder werden nach der stets vorangehenden Einteilung zunächst sämtliche Begriffe definiert und erst dann ausführlich behandelt, oder die Definitionen und ausführlichen Charakteristiken sind bei jedem Begriff miteinander verbunden. Das zuerst genannte Schema hat der Verfasser bei den sieben

μέρη befolgt, die den Aufbau der ganzen Abhandlung bestimmen. Denn im 1. Kapitel bringt er Einteilung und Definitionen (179, 6 ff.): μέρη 8& αὐτῆς (Bc. ἁρμονικῇς) ἐστιν ἑπτά" περὶ φθόγγων, περὶ διαστημάτων, περὶ γενῶν etc. φθόγγος μὲν οὖν ἐστι φωνῆς πτῶσις ἐμμελὴς Erl μίαν τάσιν. διάστημα B& t περιεχόμενον ὑπὸ δύο φθόγγων ἀνομοίων ὀξύτητι καὶ βαρύτητι etc. Die übrigen Kapitel enthalten sodann die ausführliche Érôrterung®. Dem Traktat liegt somit folgendes Schema zugrunde: A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: a) Definitionen der Glieder 1, 2, 3, usw.

b) weitere Charakterisierungen der Glieder 1, 2, 3 usw.®. 1 So auch 179, 9ff.; 181, 13ff.; 187, 19; 188, 1; 8; 189, 4; 6; 11£f.; 195, 9ff. u6. 2 Auch sonst gibt die Definition manchmal das Genus an; s. 180, 13; 16; 188, 4; 190, 6; 206, 6; 14.

! So auch 188,4; 8; 195, Off.; 196, Off.; 197, 4ff. Der Definition 189, 15 folgen sofort, durch ofov eingeleitet, sämtliche untergeordnete Arten.

* Bo auch 186, 5; 9; 12; 22. Vgl. 187, 13; 15; hier folgen aber noch abstrakte Bestimmungen (187, 19f.). Die μέση wird in alternativer Form definiert (201, 18ff.): κατὰ μὲν διάζευξιν — κατὰ δὲ συναφήν.

5 S. o. S. 34f. * Vgl. 185, 16ff., wo die Begriffe ἑστῶτες und χινούμενοι einander viermal ablôsen ; ferner 187, 12ff. (σύμφωνα — διάφωνα); 199, 11ff. (συνημμένον / συναφή --διεζευγμένον / διάζευξις).

99ῳ

In zahlreichen kleineren Abschnitten ordnet der Verfasser die Ele-

mente der Darstellung nach dem Schema: Α. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: 1. Glied: a) Definition

b) weitere Charakterisierung 2. Glied: &) Definition b) weitere Charakterisierung usw.!.

Der Parallelismus, die mehrfache Erórterung derselben Begriffsreihe unter verschiedenen Gesichtspunkten, hat in der ἘΕϊσαγωγή keine oder nur sehr geringe Bedeutung?. Hingegen hat sich die katalogartige Aufzählung der besonderen Pflege des Verfassers erfreut:

die langen Listen von Tonreihen, Konsonanzen, Umkehrungen und Tonarten* nehmen zusammen mit den beiden Differenzenkatalogen“ innerhalb der kleinen Abhandlung einen erheblichen

Raum ein.

Überall betonen sprachliche Entsprechungen die Gleichwertigkeit der Glieder. So heiBt es in der nach γένη geordneten Aufzählung des gesamten Tonvorrates (182, 4 ff.): εἰσὶ δὲ ol μὲν &v τῷ διατόνῳ φθόγγοι οἵδε' προσλαμβανόμενος, ὑπάτη ὑπάτων etc., &v δὲ χρώματι ofBe προσλαμβανόμενος, ὑπάτη ὑπάτων etc., ἐν δὲ ἁρμονίᾳ olde etc.

Rekapitulierende und überleitende Wendungen sind in der Εἰἶσαγωγή prinzipiell vermieden. Die Gepflogenheit der Lehrbuchverfasser, die einzelnen Abschnitte des Systems durch bestimmte Floskeln zugleich voneinander abzuheben und miteinander zu verbinden, wurde offensichtlich dem Streben nach äuBerster Kürze aufgeopfert.

1 S. 180, 11f£. (κινήσεις); 181, 12ff. (γένη); 186, 1fF. (Unterarten der ἑστῶτες und κινούμενοι); 187, 3ff. (1. Differenzenkatalog); 188, 3ff. (ἀσύνθθετα und σύνθετα διαστήματα); 189, 2ff.; 190, Gff.; 193, 3ff.; 194, 211.; 200, 10ff.; 202, 6ff.; 204, 19ff.; 206, 3ff.; 19ff. 3 Man kónnte allenfalls die Enteprechung zwischen einigen Distinktionen

der Intervall- und Tonreihenlebre (Kap. 5 und 8—11) hierher rechnen; die Übereinstimmung der Reihenfolge wird jedoch einerseits durch die nur für die Intervalle gültige διαφορὰ τοῦ συνθέτου (188, 3—189, 2), andererseits durch die σχήματα des 9. Kapitels gestort. 9 182, 4ff.; 186, 2ff.; 5ff.; 9ff. usw.; 194,2ff.; 195,8ff.; 203, 5ff. * Kap. 5 und 8—11 (außer Kap. 9).

190, 0ff.; 197, 4ff.;

4. Kapitel

Die Rhetorik ad Herennium $ 1. Gegenstand des pseudociceronischen Werkes Ad C. Herennium lsbré IV* ist die Theorie der Redekunst?. Das Thema wird sofort im Proómium des Lehrbuches mitgeteilt (1, 1): . . . tua nos, Gai Herenns, voluntas commovit, ut de rattone dicendi conscriberemus; unmittelbar darauf bezeichnet der Verfasser es mit dem griechischen Fremdwort rhetorica (sc.ars)*. Ist somit die Spitze der Begriffspyramide ausdricklich angegeben, s0 scheint ihre Definition zu fehlen; immerhin 1 Die Schrift galt vom 4. bis zum 15. Jh. als Arbeit Ciceros; über ihre Schicksale im einzelnen s. Marx in den Prolegomena zu seiner Auagabe (s. u.); Brzoeka, RE 4, 1617ff,. Art. Cornificius Nr. 1. Der Titel ist unbekannt; er hat wahrscheinlich De ratione dicendi gelautet; a. Marx, a.O. 73ff. Die meist aus der Zeit vom jugurthinischen bis zum Ende des marianischen Krieges entnommenen Beispiele ermóglichen eine ziemlich genaue Bestimmung der Abfassungszeit: die Bücher sind offenbar in den Jahren 88—865 v. Chr. entstanden; die Schrift wurde wahrscheinlich im Jahre 85 v. Chr. verôffentlicht; s. Marx, &.O. 153ff.; die ültere Lit. zur Datierungsfrage nennt Brzoska, &.O. 1609. Mit der Rhetorik ad Herennium, dem nach Catos Buch über die Landwirtschaft ältesten erhaltenen Prosawerk in lateinischer Sprache, sind zwei lebhaft diskutierte, bis heute noch nicht gelôste Probleme verknüpft: einmal hat man sich um die Bestimmung

des Verfassers bemüht; hierbei wurden vor allem die auffälligen Übereinstimmungen eines von Quintilian zitierten Cornificius mit der Rhetorik ad Herennium erórtert. Glaubte man 80 eines Namens sicher zu sein, 80 stritt man noch

über die Person des Cornificius; Marx lehnte schlieBlich die Gleichsetzung des bei Quintilian Genannten mit dem Verfasser des erhaltenen Lehrbuches ab

(Berl.

philol. Wochenschrift

10,

1890,

1008; Prolegg.

69ff.; für die ver-

schiedenen als Autoren vorgeschlagenen Cornificii s. Brzoska, a.O. 1607 und 1622; Schanz-Hosius, Gesch. d. róm. Lit. 1*, 1927, 588f.). Sodann hat man ausgiebig die Quellenfrage verhandelt; nach mannigfachen Versuchen, die erheblichen Konkordanzen zwischen dem auctor &d Herennium und Ciceros Jugendschrift De inventione richtig zu deuten (ausführlich zuletzt Herbolzheimer, Philol. 81, 1926, 301—426), gelangte Kroll, RE 7A, 1093f., Art. M. Tullius Cicero Nr. 29, im wesentlichen zu einem non liquet. Text: die für Fachschriftsteller vorbildliche, durch Absätze und Sperrdruck

das System verdeutlichende Ausgabe von Marx, Incerti auctoris de ratione dicend$ ad C. Herennium libri IV, 1894; in zweiter Auflage als Fasc. 1 der Cioero-Gesamtausgabe des Verlages Teubner, 1923.

3 Über den Aufbau der Schrift hat zuletzt Barwick, Hermee 57, 1922, 1ff. gehandelt; die ültere Lit. bei Brzoaka, &.O. 1610f.; vgl. ferner Bórner, De Quintiliani inst. or. dispositione, Diss. Leipzig 1911, 42f. * Das Proómium wendet sich an den Adreesaten der Schrift, der ihre EntBtehung angeregt habe, und polemisiert gegen Auswüchse der rhetorischen Lehre

bei griechischen Schriftatellern. Herennius wird stets zu Beginn und am Schluß eines Buches angeredet (1, 27; 2, 1—2; 50; 3, 1; 39—40; 4,1; 69), dagegen

gelten innerhalb der Darstellung (2, 16; 31 ; 3, 29; in Füllen wie 4, 50 bezeichnet die 2. Pers. sing. coni. ein unbestimmtes Subjekt). Der Verfasser trügt seine Lehren im übrigen in vóllig unpersónlicher Darstellungsweise vor.

41

Jäßt sie sich dem ersten auf das Proömium folgenden Satze entnehmen, der die Aufgabe des Redners bestimmt!. Das System, das sich von hier aus entfaltet, zeichnet sich durch eine erhebliche Anzahl von Rangstellen, durch eine überaus differenzierte Verüstelung aus; es

macht sich, da die Begriffe auch innerhalb spezieller, leicht überschaubarer Materien immer wieder aufs neue aufgespalten werden, in allen Teilen des Werkes mit gleich groBer Energie bemerkbar. Die systematischen Zusammenhünge werden nirgends vernachlässigt; der Verfasser hat jeder Vorschrift auf das Genaueste einen Ort innerhalb des maschenreichen Begriffsnetzes zugewiesen. Ist somit das System, von geringfügigen Ausnahmen abgesehen*, formal intakt, so daB es fast nirgends mit Hilfe umständlicher Erwägungen zu Ende gedacht werden muB, so wirkt es, an dem Gegenstande gemessen, den es ordnen soll, mit seinen minutiósen und gekünstelten Unterscheidungen pedantisch und doktrinär und breitet über das Ganze ermüdende Starre. Die Sache hätte ein derart kompliziertes Begriffsgefüge nicht erfordert; das System wäre unverständlich, wenn man nicht berücksichtigte, daB darin die verschiedensten, unabhängig

voneinander konzipierten Lehren unorganisch ineinandergeschachtelt sind?. Der Anfang des Werkes bereitet zunächst einige Schwierigkeiten. Denn nach dem Proómium setzt die Schrift mit einer Kette von Einteilungen und Begriffsbestimmungen ein, deren wechselseitiges systematisches Verhältnis einstweilen ungeklärt bleibt: auf die schon er-

wühnte Definition, in der die Aufgabe des Redners umschrieben wird, 1 1, 2: oratoris officium est de its rebus posse dicere, quae res ad usum civilem

moribus εἰ legibus conatitutae sunt, cum adsensione auditorum, quoad esus fieri terst.

po. Über den Anfang des Werkes s. den folgenden Absatz; weitere Unstimmigkeiten werden auf S. 55f. erórtert. 8 Bo vor allem die Einteilungsprinzipien der 0/ficia, der partes orationts und

der Status; vgl. Barwick, &.O., bes. 10ff. Über das ursprüngliche System der μέρη λόγου B. u. B. 124; über die Épya S. 154, Anm. 1. Über die Statuslehre s. Volkmann, Die Rhetorik d. Griechen u. Rómer, 18852, 38ff.; Kroll, RE Suppl. 7, 1090ff., Art. Rhbetorik; dort die Spezialliteratur. Barwick, a. O. 3ff., versucht darzutun, daß die Vorlage dea auctor ad Herennium die officia und partes nacheinander abgehandelt habe. Er geht aus von dem

Satz (1, 2): nunc quas res oratorem habere oporteat, docebimus, deinde quo modo has causas tractari conveniat, ostendemus. Hierin, 60 deutet er, sei eine Disposition der gesamten ars enthalten, die &us der Quelle des auctor ad Herennium stammen müsse. Mit den res seien die officia gemeint, tractare bezeichne das

Gliedern der Rede (für diese Bedeutung des Wortes beruft sich Barwick auf 3, 8). Die Hypothese ist sehr unsicher. Mit der zur Erórterung etehenden Ankündigung läßt sich zwar für das Werk des auctor ad Herennium nichte Rechtes anfangen; ihr unscharfer Wortlaut (der Hinweis auf 3, 8 wird durch Rtellen wie 2, 2 abgeschwücbt; e. Marx? zu 1, 2) verbietet jedoch, sie zu bedeutsamen Schlüssen auf die Vorlage zu verwenden. 42

folgen Einteilung und Bestimmung der genera causarum!, der fünf Pflichten des Redners?, dreier Methoden, deren Zusammenwirken den perfekten Redner bedingt* und schlieBlich der sechs Bestandteile der Rede*. Diese partes oratsonis werden freilich sofort mit dem ersten officium des Redners, der inventio, in Beziehung gesetzt und ihm untergeordnet; den übrigen Begriffsreihen aber kann der Leser ihren Rang und Platz erst zuweisen, wenn er sich mit dem gesamten System vertraut gemacht hat. Dann ergibt sich, daß die fünf rednerischen

Pflichten die zweite systematische Rangstelle einnehmen und somit eine Fünfteilung des gesamten Werkes bewirken. Auch die genera causarum sind für die Entfaltung des Systems von Bedeutung: sie werden bei der umfangreichen Lehre von der snventio 818 zusätzlicher Einteilungsgesichtspunkt verwendet. Jedoch scheint ihre Stellung zwischen dem Satz, der die Aufgabe des Redners bestimmt5, und der entscheidenden, das System tragenden Fünfteilung darauf zu deuten, daß der Verfasser sie als Grundkonzeptionen verstanden wissen wollte: sie sind nicht Teil der rhetorischen Theorie, sondern Ausbildungsziel und bewirken lediglich innerhalb der Lehre von der Erfindung gewisse Modifikationen. Die drei Methoden schlieBlich, auf denen der rhetorische Unterricht beruht, stehen vôllig auBerhalb des Systems. Sie würen also besser vor der Fünfteilung genannt worden, auf der sich die αγθ, der theoretisch lehrbare Teil der rednerischen Schulung, aufbaut. Dann schlósse sich auch an diese Fünfteilung die weitere Aufspaltung ihres ersten Teiles, der $nventio, ohne verwirrende Unter-

brechung an. Doch läßt sich die vom Verfasser gewühlte Reihenfolge aus sachlichen Gründen rechtfertigen, die er selbst durch die Worte

haec omnia tribus rebus adsequi poterimus andeutet: die ars muß in &llen ihren Teilen durch smstatio und ezercitatio ergänzt werden, wenn sie etwas fruchten soll*.

Auch die Fünfteilung des $3, die zweite Rangstufe des Systems, ist in mancher Hinsicht unbefriedigend. Der Verfasser trügt sie nàm-

! 1,2: tréa eunt genera causarum, quae recipere debet orator: demonstrativum, * 1, 3: oportet igitur esse in oratore inventionem, disposttionem, elocutionem, memortam, pronuntiationem. * Ibid.: haec omnia tribus rebus adsequs poterimus: arte, $mitatione, exercitatione.

* 1, 4: inventio in sex partes orationis consumitur: in exordium, narrationem, divisionem, confirmationem, confutationem, conclustonem.

* Aus dieser Definition werden die genera causarum abgeleitet: oratorie officium est etc.; tria genera sunt causarum, quae recipere debet orator etc.

* Vgl. 3, 27 &.E.; 40; 4,69. Man würde die inhaltlich anfechtbare Dreiteilung gern athetieren, zumal sie weder in der Disposition 1, 2 a. E. noch in der Rekapitulation 1, 3 &. E. berücksichtigt wird. Ihre Echtheit ist aber durch die Inhaltaangabe zu Beginn des 2. Buches (2, 1: ea officia qua ratione facillime consequi posset) gesichert.

43

lich mit Worten vor, die ihrer Bedeutung für die Anlage des Werkes nicht gerecht werden!; allerdings ist es auch sonst nicht seine Gewohnheit, seine Ausdrucksweise nach den Gegebenheiten des Systems zu differenzieren: seine Einteilungen, mógen sie eine hohe oder niedrige Stufe betreffen, enthalten stets dasselbe dürre Vokabular. Sodann sind die officia oratoris im $ 3 in der Reihenfolge inventio, dispositio, elocutio, memoria, pronuntiatio aufgezählt; einem vom Verfasser sonst meist befolgten Grundsatz gemäB® müften diese Materien nun in gleicher Ordnung behandelt werden. Die Lehren von der Erfindung und Einteilung stehen auch wirklich an erster und zweiter Stelle*. Im übrigen weicht der Verfasser von der Einteilung des $3 ab: er läBt seinen Ausführungen über die dispositio zunächst die Lehren über pronuntiatio und memoria folgen* und stellt die elocutio an den SchluB des Werkes. Er begründet nun zwar nicht, warum er die Theorie des Vortrags und des Gedächtnisses vertauscht hat: hier liegt also offenbar ein Versehen oder eine Unachtsamkeit vor. Dagegen rechtfertigt er es mit buchókonomischen Gesichtspunkten, daB er die Lehre von der elocutso, vom Stil der Rede, am SchluB behandelt5. Schlieülich hätte die Hauptdisposition für die Bucheinteilung des Werkes maßgeblich sein sollen: daß es nur in einem Falle und nur mit Hilfe einer Abweichung von der inhaltlich gebotenen Reihenfolge* gelingt, erklärt sich jedoch aus den hóchst unterschiedlichen Proportionen der fünf Materien. Der Verfasser hat durch die Umstellung immerhin erreicht, daß die beiden wichtigsten und umfangreichsten officia die Eckpfeiler des Werkes bilden, die drei dürftigen Teile der Lehre die zweite Hälfte des 3. Buches füllen und, da das 4. Buch fast dieselbe Lünge hat wie die drei übrigen zusammengenommen, etwa die Mitte des Kompendiums einnehmen. Gaben somit Einleitung und Haupteinteilung des Werkes zu geringen formalen Ausstellungen AnlaB, so entfaltet sich das System auf den mittleren und unteren Rangstufen in lückenloser Vollstándigkeit; stets führen die monoton sich ablósenden Dispositionen den Leser von einem Punkt zum anderen, und niemals verliert sich die Darstellung steuerlos in der Fülle des Stoffes. Das besonders komplizierte Gebiet der snventio wird an erster Stelle &bgehandelt; der Verfasser gliedert es nach den sechs Redeteilen und ı $. 0. 8. 43, Anm. 2.

Nicht einmal der später vom Verfasser gebrauchte

Ausdruck o/ficia (1, 4; 2, 1) wird hier verwendet. 3 Die Ausnahmen s. u. S. 65f. * 1, 4—3, 15 und 3, 16—18.

4 3, 19—27 und 3, 28—40. 5 3, 1: de elocutione, quia plura dicenda videbantur, in quarto libro conscribere maluimus.

* Sie gliedert, von der Materislsammlung bis zum Vortrag fortschreitend, den EntstehungsprozeB der Rede in fünf Phasen. 44

erórtert auf Grund dieser Disposition zunächst das genus iudiciale! und sodann die beiden übrigen genera*. Aus dem Zusammenspiel zweier Einteilungsgesichtspunkte, der drei genera causarum und der sechs partes oratsonis, ergeben sich also achtzehn Fächer:

INVENTIO 1. causa sudicialis

8) exordium

b) narratio c) divisio

d) confirmatio e) confutatio®

f) conclusio 2. causa delsberativa a) exordium

b) narratio etc.

3. causa demonstrativa a) exordium

b) narratio etc.

Die Proportionen dieser Architektur werden dadurch empfindlich gestórt, daB an recht willkürlich gewählter Stelle, bei der Erórterung der confirmatio und confutatio für die causa sudicialis (1, 18 ff.), der komplizierte Bau der Statuslehre eingefügt ist, der ursprünglich keine Beziehung zu der übrigen Theorie der Redekunst gehabt zu haben 1 1, 4—2, 50. DaB sich das erste und zweite Bucb auf das genus sudiciale

beschränken sollen, erfährt der Leser erst zu Beginn des 2. Buches: ergo id (sc. genus tudiciale) primum absolvimus hoc εἰ priore libro (2, 1), und noch einmal zu Beginn des 3.: ad omnem iudicialem causam etc. (3, 1). Im 1. Buch findet sich kein ausdrücklicher Hinweis auf diese Absicht. In Wahrheit steht übrigens die Sache so, daß die beiden ersten Bücher neben speziellen Lehren für das genus tudiciale viele allgemeine Vorschriften für alle drei genera enthalten, wie denn z.B. 1, 12 generell von der causa civilis die Rede ist. Die erste Hälfte des dritten Buches trägt dann lediglich epezielle Lehren für die causa deliberativa und demonstrativa nach. 2 3, 2—9; 3, 10—16; über diese beiden Abschnitte genauer Barwick, a. O. 4. 3 Confirmatio und conjutatio werden, wie der Verfasser selbst featstelit, coniuncte behandelt (2, 2), und zwar bei allen drei genera (1, 18ff.; 3, 8—9; 10—11). Diese Zusammenfassung wird durch die Einfügung der Statuslehre bedingt sein; darüber sogleich.

45

scheint. Er nimmt die zweite Hälfte des 1. Buches sowie fast das ganze 2. Buch ein!, bedingt also die übermäßige Länge der Lehre von der inventio für die causa $udicsalis. Die Nahtstelle der beiden einst voneinander unabhängigen Systeme ist deutlich erkennbar: die Begriffe confirmatio und confutatio werden nicht weiter eingeteilt, vielmehr tritt sofort der Begriff constitutio, wie der Verfasser für status sagt, an ihre Stelle, während sich die Redeteile sonst nach einer Anzahl von genera zu gliedern pflegen*. In formaler Hinsicht läBt sich jedoch diese Zusammenklitterung kaum beanstanden; innerhalb der Statuslehre vollends wird der gewohnte Mechanismus der Einteilungen mit pedantischer Korrektheit abgewickelt?.

Die übrigen Teile des Systems sind bei weitem nicht so verzweigt wie die Theorie der Erfindung. Die kurze Lehre von der Disposition (3, 16—18) enthält nur eine einzige Dichotomie. Die Theorie des Vortrages (3, 19—27) unterteilt der Verfasser zunüchst in Stimmbildung (fsgura vocis) und Gestikulation (motus corporis). Von der Trichotomie, in die sich der Abschnitt über die figura vocis gliedert, wird der erste Teil über die magnitudo vocts rasch abgetan (3, 20); der zweite, der die firmitudo vocis erórtert, besteht aus einer Reihe von Einzelvorschriften

(3, 20—22), und der dritte, in dem die mollitudo vocis behandelt wird, beruht auf einem zweistufigen Fücherwerk (3, 23—25), das bei der Darstellung der Lehre von der Gestikulation wiederkehrt (3, 26—27). Der Abschnitt über die Mnemotechnik (3, 28—40) bringt lediglich zwei Dichotomien, deren zweite dem einen Zweig der ersten untergeordnet ist; im übrigen wickelt sich die Darstellung hier einmal über eine größere Strecke hin ab, ohne durch das Gerüst stándiger Einteilungen beengt zu sein. Die Lehre vom Ausdruck endlich (Buch 4), der eine lange, sehr lebhafte Polemik vorangeht, ist übersichtlich in zwei Hauptteile gegliedert. Der erste behandelt die drei Stilarten (4, 11—190); der zweite verbindet gewisse üsthetische Kategorien mit der Lehre von den Figuren, die der auctor ad Herennium exornationes nennt:

die Figurenlehre, ihrerseits nach dem Gesichtspunkt der Wort- und Sinnfiguren unterteilt, ist einem jener ästhetischen Grundbegriffe untergeordnet (4, 17—69).

! 1, 18—2, 46.

3 S. 1, 6; 12; 17; 2, 47.

* S. u. S.55. Einige aus sachlichen Gründen wohl unvermeidliche Ausnahmen schrünken dieses Urteil nur in geringem Maße ein. In dem Abechnitt 1, 18—2, 46 werden nümlich, genau genommen, zwei verschiedene Gebiete

erôrtert, die nicht durch ein zusammenfassendes Schema miteinander verknüpft sind: einerseits die eigentliche Statuslehre mit ihrer Topik (1,18—27 und 2, 2—26), andererseits die formalen Bestandteile des Beweises nebst fehlerhaften Argumentationen (2, 27—46). Sodann fällt der für alle Status geltende Abechnitt 1, 25—27 unter keine der zuvor erórterten Einteilungen.

46

$ 2. Die Rhetorik ad Herennium läßt vornehmlich die Relationen zwischen den einander über- und untergeordneten Begriffen deutlich hervortreten. Diesem Zweck dienen sowohl das unermüdlich angewandte Instrument der Einteilung mit den daraus resultierenden Gattungs- und Artbegriffen, als auch zahlreiche Definitionen, die sich durch Ángabe der übergeordneten Gattung jeweils auf ein Fragment des Begriffsgefüges beziehen müssen!. Demgegenüber tritt die Erórterung seitlicher Relationen, die Unterscheidung und Abgrenzung nebengeordneter Begriffe, fast vóllig zurück. Das System stellt daher keine wirkliche, inhaltlich bedeutsame Rangordnung zwischen den Begriffen her, sondern fügt lediglich zahlreiche Einzelvorschriften zu einer &uDerlichen Einheit zusammen. Der Verfasser hätte mit seinem disparaten Stoff schwerlich anders verfahren kónnen: in dem aus vielfältigen historischen Bedingungen erwachsenen Gemisch von Advokatenkniffen, Logik und Stilistik sind lediglich die konkreten Lehren sinnvoll und praktisch bedeutsam; der formale Apparat der Einteilungen und Begriffe dagegen hat nicht den mindesten Kigenwert, sondern dient lediglich dem Zweck, eine wie immer beschaffene Organisation herzustellen?. 1. Das auffälligste methodologische Hilfsmittel des auctor ad Herennium ist die Einteilung. Der Verfasser weist oft auf das Verfahren hin, und zwar gewóhnlich mit dem Verbum dividere?. Er bevorzugt hierbei bestimmte, zu stereotypen Ausdrücken erstarrte Wendungen; die Form dividitur z. B. benutzt er insgesamt 21mal*. Sämtliche

Verben, die das Zerlegen eines Oberbegriffes in Unterbegriffe bezeichnen, werden stets mit der Prüposition in verbunden, von der teils

die Unterbegriffe unmittelbar abhängen, teils zunüchst das Wort partesS. AuBer diesen etwa 30 Einteilungen mit ausdrücklichem Hinweis auf das Verfahren findet sich in der Rhetorik nahezu die doppelte Anzahl von Stellen, worin Begriffe ohne Verwendung von dividere

oder eines Synonyms gespalten werden. Allerdings sind in

diese

! Wegen der geringen inneren Geechlossenheit der rhetorischen Theorie tritt jedoch diese Funktion oft zurück, und die Bestimmungen sind in Wahrheit aus Systemfremden, untechnischen Merkmalen zusammengeeetzte Beechreibungen.

3 Es ist môglich, daß der Verfasser hierüber anders dachte: er polemisiert im Proómium gegen Künsteleien, ist jedoch stolz auf eine von ihm erfundene Einteilung (1, 16 &. E..).

? Oder mit den Synonyma distribuere und tribuere. Das Substantiv divisto findet sich in methodologischer Bedeutung nur 3, 7 und 4, 43.

4 1, 17; 19; 24; 2, 3; 6; 8; 23 usw. Andere Formen dieses Verbs nur 1, 16; 3, 23; 24. Distribuere wird stets im Perfekt des Passivs verwendet (1, 17; 2,3; 28; 3,24), tribuere nur in der Form tribuitur (3, 3; 4, 17). Einmalig ist der Ausdruck 1,4: inventio $n sex partes orationis consumitur.

5 8. z. B. 1, 24 bzw. 1, 17. 1, 16 und 2, 8 tempora statt partes. 47

Summe auch Fälle eingerechnet, bei denen es sich nicht im strengen Sinne um die Zerlegung von übergeordneten in untergeordnete Begriffe handelt, sondern eher um Gliederungen des Stoffes, um Schemata,

die der Wiedergabe der Theorie zu Übersichtlichkeit verhelfen sollen*. Es ist bisweilen nicht möglich, eine scharfe Grenze zu ziehen; wenn sich aber der Verfasser bei einer Einteilung des Wortes genus bedient, dann werden eindeutig Gattungen in Arten zerlegt*. Die Glieder von Dichotomien werden stets durch disjunktive oder kopulative Partikeln miteinander verbunden?; in den zahlreichen Drei-, Vier-, Fünf- und Sechsteilungen folgen sie einander meist asyndetisch®. Ihre Zahl beläuft sich auf hóchstens sechsS. 2. Als Klassifikationsbegriffe verwendet der auctor ad Herennium

die Substantive genus und pars, nicht aber das Wort species. Das Substantiv genus charakterisiert, wenn es nicht in untechnischem Sinne angewandt ist*, stets die Unterbegriffe einer Einteilung, sei es nun, daß sich das Wort in der Einteilung selbst findet?, sei es, daß der Verfasser sich auf eine vorausgehende Einteilung bezieht®. Das Wort bezeichnet immer ,,Arten''?. 1 S.z.B. 1, 6; 8; 0; 14; 25; 2, 9 u. 0. Auch unter den durch dividere charakterisierten Einteilungen finden sich derartige Schemata ; s. z. B. 1, 16; 2, 3; 6; 8 u.ô. ! S.z.B. 1, 2:triagenera sunt causarum etc.; 5; 6; 12 u. 0. Auch das Wort pars wird in dieser Weise verwendet ; s. z. B. 1, 13; 24. 3 S. z. B. 1, 6 (et); 13 (unum — alterum); 25 (vel — vel) usw.

* S, z. B. 1,2; 3; 5; 8 usw. Anders z.B. 1, 9; 2, 46; 3, 11. 5 Vierteilungen 1,5; 8; 24; 2,9 u.6.; Fünfteilungen 1,3; 2,28; 4,67; Sechsteilungen 1, 19; Z, 3; 6; 10.

* So etwa in der häufigen Verbindung quod genus ,,zum Beispiel" (1, 14; 2, 19) u. dgl. mehr. Auch bei genus vocis (3, 21; 4, 54) ist kaum an gystematische Zusammenhänge gedacht; ühnlich 4, 1 und 3. ? 1,2; 5; 6; 12 u. 6.

* Zu der Einteilung 1, 2 z. B. gehóren 2, 1; 3, 10; 15; 4, 69; zu 1, 5 gehôren

fünf Bezugnahmen in 1,6 usw. Lediglich bei den oft als genus exornationis bezeichneten rhetorischen Figuren (4, 21; 24; 26; 27 usw.) fehlt eine vorausgehende Begriffseinteilung: wegen der groDen Zahl von Figuren würe es nicht sinnvoll gewesen, die ausführliche Erórterung durch einen langen Katalog vorzubereiten. Die genera causarum (1, 2 u. ó.) stehen auBerhalb des Systems; s. o. S. 43.

* 80 jedenfalls, wenn genus Begriffe der unteraten Systemstufe charakterisiert, wie in der Figurenlehre und sonst (1, 5/6: die genera causarum, die der Verfasser in der Lehre vom ezordium behandelt und die mit den in der vor. Anm. genannten genera causarum nicht identisch sind; 1, 6: genera exordiorum;

2,31; 3,16; 4,11). Aber auch, wenn es hôhere Ränge des Begriffsgefüges

bezeichnet, läßt es sich so auffassen, da alle mittleren Grade je nach Blickrichtung bald als Art, bald els Gattung klassifiziert werden kónnen. Sooft daher der Verfasser in der Formel x genera eunt die untergeordneten Begriffe

aufzählt, in die er einen übergeordneten zerlegt, muß genus auch dann els ,Art'" verstanden werden, wenn es, vom Ganzen dee Systems aus geechen,

noch weitere ,,Arten" unter sich bat (1, 12 und 13). Über 2, 2 und 1, 12/13, die einzigen hier nicht berücksichtigten Stellen, s. u. S. 49f. 48

Das Substantiv pars dagegen hat einen größeren Bedeutungsumfang: es klassifiziert zwar wie genus stets die Resultate einer Begriffsspaltung; es bezeichnet jedoch nicht nur die abstrakten Fächer eines systematischen Ganzen im Sinne von ,,Art'', sondern auch Abschnitte einer sinnlich vorstellbaren, an den Ablauf der Zeit gebundenen Gesamtheit; es bedeutet dann ,,Teil‘‘!. Ferner begegnet der Terminus pars, abermals im Unterschied zu genus, auf allen Rangstufen des Systems: die fünf officia, auf denen das gesamte Lehrgebäude der Rhetorik beruht (3, 1) und die Begriffe, die das umfangreiche Gebiet der sinventio gliedern (1, 4), heiBen ebenso partes wie die Bezeichnungen unterster Arten*; das Wort charakterisiert nicht selten mehrere einander untergeordnete Stufen?. Die beiden Klassifikationsbegriffe genus und pars werden bisweilen als Synonyma verwendet. So bezeichnet der Verfasser die rhetorischen Figuren zwar meistens als genera*; in zwei Fällen ist jedoch auch von partes die Rede (4, 46; 56). Und während er die verschiedenen Typen der einzelnen partes orationis gewóhnlich genera nenntS, unterteilt er die divisio zweimal in partes (1, 17). Unter diesen Voraussetzungen müssen zwei Stellen als Zufallsergebniss betrachtet werden, die genus und pars in unmittelbarer Nachbarschaft zeigen. Die eine gehórt zu der langen Rekapitulation über das 1. Buch am Anfang des 2. und lautet (2, 2): deinde consuncte de confirmatione et confutatione dicendum fuit. quare genera constitutionum el earum partes aperuimus etc. Da mit den genera nur die 1, 18 unterschiedenen drei Hauptstatus*, mit den partes nur die 1, 19 ff. und 24f. erórterten Unterstatus gemeint sein kónnen, bezeichnet genus hier die ,,Gattung'' und pars die ,,Art‘‘. Dieser Fall ist singulár: im ersten Buch, innerhalb der ausführlichen Behandlung der Statuslehre, werden zwar die Unterstatus stets partes genannt”, die Hauptstatus aber niemals genera®. Sodann sind in dem Abschnitt 1, 12—13 die Begriffe fabula, historia und argumentum als partes einem genus untergeordnet. Da sich jedoch dieses genus aus ! So hendelt es sich bei den 1, 4 aufgeführten partes orationts um die ,,Teile'* der Rede (s. ferner 2,2; 3,19), und die Gliederung der argumentatio (2, 28)

ergibt gleichfalls „Teile‘‘ (vgl. 2, 30 und 31). 2 1, 13: ıd (ec. genus narrationis) quod in negotiorum expositione positum est, tres habet partes; 17; 19; 2, 6; 19; 23 u. ô.

* So z. B. innerhalb der Lehre von der figura vocia (3, 20ff.), wo die mollitudo sowohl selbst als pars bezeichnet als auch in partes aufgeteilt wird.

* * * *

S. o. S. 48, Anm. 8. S. o. S. 48, Anm. 9. Conatitutio coniecturalie, legitima, suridicialis. 1, 19; 22 (dort statt pars einmal partitio); 23; 24; 25; 27; ferner 2, 12

a. E.; 15; 18.

* Lediglich zwei spátere Erwühnungen erinnern an die zu Beginn des 2. Buches befolgte Ausdrucksweise: dort bedeuten genus causae bzw. genera causarum (2, 27; 4, 53) soviel wie genus conststutionis bzw. genera conatitutionum.

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Fuhrmann, Lehrbuch

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einer unmittelbar vorangehenden Begriffsspaltung ergibt und daher dort am besten als ,,Art‘‘ verstanden wird, ist es unwahrscheinlich, daß der Verfasser hier genua als „‚Gattung‘‘ und pars als „Art‘“ aufgefaßt wissen wollte!.

Der Verfasser der Rhetorik ad Herennium hat sich also nicht bemüht, die Begriffe seines Lehrgebäudes mit einer prüzisen Terminologie logisch korrekt zu klassifizieren; mehr aus Gewohnheit gibt er bestimmte rhetorische Termini für genera aus und andere für partes. Hieraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß ihm das System

mit allen seinen Einteilungen und der Hierarchie seiner Begriffe unwichtig erschienen würe. Schon Aufbau und Darstellungsform des ganzen Werkes verbieten diese Annahme. Insbesondere aber beweisen zwei einzelne Stellen, wieviel ihm systematische Fragen bedeuteten; sie wiegen um so schwerer, 818 sie zu den wenigen gehóren, in denen der Verfasser betont mit seiner eigenen Person hervortritt und sich zum damaligen Stand der rhetorischen Theorie äuBert*. 1, 16 a. F. heiBt es: adhuc quae scripta sunt arbitror mshi constare cum ceterit

artis scriptoribus, nist quia de insinuationibus nova excogitavimus, quod eam soli nos praeter ceteros in tria tempora divisimus, ut plane cerlam

viam et perspicuam rationem exordiorum haberemus. Der Schriftsteller bezieht sich hier auf den Abschnitt 1, 9—10, wo er drei Sachlagen unterscheidet, die statt eines principium, des einen genus exordiorum, eine insinuatio, das andere genus, erfordern. Er hebt diese Einteilung als sein eigenes wissenschaftliches Verdienst hervor; mit ihr habe er

erst Ordnung und Methode in die Lehre von den exordia gebracht*. Eine zweite Bemerkung befaBt sich ebenfalls mit der Systematisierung der rhetorischen Theorie (1, 18): causarum constitutiones alsi quattuor fecerunt: noster doctor tres pulavit esse, non ut de illorum quicquam detraheret inventione, sed ut ostenderet, id, quod oportussset simpliciter ac singulari modo docere, illos distribussse dupliciter et bipertito. Der

&uctor &d Herennium, der sonst nirgends bestimmte Schriftateller zitiert, nennt an dieser Stelle einmal eine Persónlichkeit, wenn auch nicht namentlich; er gibt einen Kontroversenbericht, der sich auf die systematisch korrekte Einteilung der Statuslehre bezieht. Es geht um die Frage, ob drei oder vier Hauptstatus unterschieden werden müssen; 1 3, 20ff. sind Begriffen, die als partes bezeichnet werden, abermals paries übergeordnet; 1, 12 hängen von genera wiederum genera ab.

* AuBer den hier behandelten Stellen enthalten nur die Abechnitte 2, 16; 3, 19; 38f.; 4, 1—10 sowie das Proômium (1, 1) Polemik.

3 Hinweise auf persónliche Leistungen finden sich in der Rhetorik ad Here- —

nium noch zweimal: im Proómium rühmt sich der Verfasser, die Spitzfindig- '

keiten der griechischen Schrifteteller beseitigt zu haben; zu Beginn des 4. Buche begründet er, warum er die Beispiele seines Kompendiums selbst gebildet nicht den Werken anerkannter literarischer GrôBen entnommen hat. 50

die von dem doctor befehdeten Gegner haben fälschlich eine systematische Einheit zwiegeteilt und deshalb einen Status mehr zugrunde gelegt als sachlich geboten gewesen wäre. Der Verfasser, der die Dreiteilung der Status übernimmt, verschweigt, welche inhaltlichen Gesichtspunkte den doctor bestimmten, seine Theorie aufzustellen. Für den formalen Aspekt der Streitfrage reichen jedoch die Angaben des Berichtes aus: die alss haben ein unwesentliches Merkmal als Einteilungsgrund gelten lassen oder ein wesentliches vernachlässigt, durch das zwei scheinbare Hauptstatus zu einem wahren hätten zusammengefait werden müssen !.

3. Die Rhetorik ad Herennium enthält einige wenige Beispiele für ein zweites methodisches Hilfsmittel deutlicher Darstellung, für die Gegenüberstellung und Abgrenzung parallelgeordneter Begriffe.

Methodologischer Terminus für derartige Unterscheidungen ist stets das Verbum interesse; Synonyma finden sich nicht. Die Distinktionen sind sämtlich in ähnlicher Weise formuliert; sie bestätigen s0 die bereits bei den Einteilungen beobachtete Vorliebe des Verfassers für Schemata. Als Beispiel diene eine Stelle des 1. Buches (1, 11): snter insinuationem et principium hoc interest. principium evusmodi debet esse, ut statim apertis rationibus ... aut benivolum aut attentum aut

docilem faciamus auditorem : at insinuatio eiusmodi debet esse, ut occulte per dissimulationem eadem ılla omnia conficiamus, ut ad eandem commoditatem in dicendi opere venire possimus. Das Thema der Unterscheidung, die beiden Nachbarbegriffe, stehen in Abhängigkeit von der Prüposition infer voran; das Prädikat $nterest weist den Leser darauf hin, daß diese Begriffe nunmehr, nach gesonderter Behandlung*, miteinander verglichen, ihr Wesensunterschied hervorgehoben werden soll. Die Distinktion selbst besteht aus zwei Gliedern, deren zweites sich durch eine Adversativkonjunktion von dem ersten abhebt; sie sind parallel konstruiert® und geben den Inhalt des Unterschiedes durch entgegengesetzte Begriffe an*. Die übrigen vier Distinktionen des Werkes weichen nur in Kleinigkeiten von diesem Aufbau ab*. Das der Distinktion verwandte Verfahren, Gattungs- und Artmerkmale von Begriffen miteinander zu konfrontieren, wird vom Ver! Im letzteren Falle hütten sie übersehen, was der Verfasser in der Figurenlehre beaohtet hat (4, 42; hierzu s. u. S. 52, Anm. 2). * Principium: 1, 9—8; ineinuatio: 9—10.

3 Principium etusmodi debet esse, ul . . . at insinuatio eiuamodi debet esse, ut .. . * statim apertis rationibus; occulte per diseimilationem. $ 4, 5; 26; 52; 58. Die Distinktion 4, 52 grenzt nicht parallele, unter die gleiche Gattung fallende, sondern verechiedenen Teilen des Systems angehórige Begriffe voneinander ab, und zwar offenkundig deshalb, weil sie beide mit dem gleichen

Terminus divisio bezeichnet werden. Auf einen ühnlichen Fall weist der Verfasser 4, 56 hin, ohne jedoch das Mittel der Distinktion zu verwenden. 4*

51

fasser nicht angewandt. Die Adjektive commun:s und proprius haben,

wenn sie einander gegenüberstehen, kaum methodologische Bedeutung!; nur das Wort proprius findet sich einige Male in diesem Sinne, jedoch ohne seinen Gegenbegriff*. 4. Die

Definition gehórt wieder zu den ständig vom Verfasser

benutzten Hilfsmitteln deutlicher Unterweisung: sie findet sich so häufig, daB sie mit den Einteilungen zusammen das Gepräge des Wer-

kes, die schulmeisterliche Trockenheit und pedantische Starre der Darstellung, bestimmt. Sie wird stets angewandt, ohne dab ein besonderer Terminus auf ihren logischen Charakter hinwiese. Das Verbum definire kommt nur in untechnischer Bedeutung vor*. Das Substantiv definitio ist dem Verfasser zwar als Kunstausdruck geläufig; er gebraucht es aber nicht, um seine eigene Methode zu kennzeichnen, sondern behandelt es als Terminus der rhetorischen Theorie*. Wie stets, lassen sich auch in der Rhetorik ad Herennium die Begriffsbestimmungen nicht scharf von Beschreibungen abgrenzen. Immerhin

kann eine bestimmte, sehr häufig wiederkehrende Stilisierung als Haupttypus der Definition betrachtet werden: das Definiendum steht am Anfang des Satzes und wird durch die Kopula 6886 mit der Bestimmung verbundenS. Der Verfasser wendet verschiedene Methoden an, die Begriffe seines Lehrgebäudes zu definieren. Meist nimmt er auf ihren systematischen Ort Bezug und charakterisiert in abstrakter und allgemeiner Form den spezifischen Unterschied; das zweite Element der Definition, die übergeordnete Gattung, läßt sich aus dem Zusammenhang ergänzen®. Zu derartigen Wesensbestimmungen werden gern sofort Beispiele hinzugefügt?; manchmal folgt auf Definition und 1 Sie sind, ala Attribute von locus, t. t. der rhetorischen Theorie: Hauptatelle 2, 9; s. ferner 1, 11; 24; 2, 5; 13f.; 21f. u. ó. Proprius, mit verbum verbunden, als grammatischer Kunstausdruck 4, 11; 17; 45. Untechnisch wohl commune verbum 4, 36; ebenso proprie 1, 11 ; s. ferner 1, 23; 2, 14; 4, 10; 58. 3 4, 35 (zweimal); 42: zehn Figuren machen gemeinsam eine Gattung aus, weil sie allesamt ein spezifisches Merkmal haben. 3 1,1; 3,6.

* Die definitio wird sowohl in der Statuslehre (1, 21; 2, 17) als auch unter den Redefiguren (4, 35) erortert.

* Die Bestimmung kann substantivisch (s. z. B. 1, 3 inventio est excogitatio etc.), durch einen Relativ- (1, 2: demonstrativum est quod etc.) oder durch einen Konjunktionalsatz (1, 5: dubium genus est cum etc.) ausgedrückt werden. * S. z. B. 1, 6: principium est etc.; die Gattung ergibt sich aus der vorangehenden Einteilung exordiorum duo eunt genera etc. S. ferner die Definitionen 1, 3; 4; 5; 13; 17; 18 usw.

? S. z. B. 1, 13: fabula est, quae neque veras neque veri similes continet res, ul

eae &unt, quae tragoedis traditae sunt. S. ferner ebendort (argumentum); 1, 181f.: contecturalis est, cum de facto controversia est, hoc modo etc. (80 in der gesamten Statuslehre); 2, 19f.; 4, 10ff.

52

Exempel noch eine kleine Charakterisierung!. Bisweilen werden die Merkmale nicht generell erláutert, sondern lediglich durch eine Reihe von Beispielen*. In anderen Fällen definiert der Verfasser einen Begriff durch die Angabe der untergeordneten Arten*. Reine Worterklärungen finden sich in der Rhetorik ad Herennium ziemlich selten*:

die vom Verfasser selbst nach griechischem Vorbild geschaffene Terminologie* ist im allgemeinen so durchsichtig, daB sie dessen nicht bedarf.

5. Den bisher erórterten Mitteln, deren sich der Schriftsteller be-

dient, die zwischen den Begriffen herrschenden Beziehungen aufzuhellen, bleibt wenig über die Begriffe selbst hinzuzufügen. Hier muß zunüchst ein schwerer methodischer Fehler gerügt werden: eine groBe

Anzahl von Ausdrücken leistet doppelte oder gar dreifache Arbeit und bezeichnet mehrere, teils einander sehr ähnliche, teils recht ver-

schiedene Gegenstände der rhetorischen Theorie. Diese Erscheinung geht sicherlich vor allem darauf zurück, daß das System aus heterogenen, niemals aufeinander abgestimmten Elementen künstlich zu-

sammengesetzt ist; weiterhin wird sie auf der Ungeschicklichkeit dea

Verfassers, bzw. seines rómischen Lehrers, im Übersetzen der griechischen Terminologie beruhen*. 1 So 1, 18; 21; 22 u. ὅ.

1 So des ôfteren bei der Erklärung von Topoi; s. 2, 6ff.; 60 (misertcordia); 3, 3 (vis, dolus). * S. z.B. 1,22: ex translatione controversta nascitur, cum aut tempus differendum aut accusatorem mutandum aut iudices mutandos reus dicit. S. ferner 1, 2

(genus demonstrativum); 5 (genus honestum und turpe); 25; 2,6 u. ὅ. Man wird eine Definition nicht schon dann hierher rechnen, wenn ein beliebiges Merkmal in alternativer Form angegeben wird, sondern nur, wenn diese Alternative wichtige Merkmale, die erheblich voneinander differieren, enthält; die Bestimmung des genus demonstrativum gehôrt daher in diese Rubrik (vgl. 3, 10), nicht

aber die der inventto (1, 3).

* Z.B.

1, 18 (conatitutio coniecturalis); 21

(constitutio legitima ex defini-

tione).

5 S. 4, 10.

* Besonders kraß sind die Doppeldeutigkeit des Begriffe genus causae (1, 2 ; 5) und die drei Bedeutungen des Ausdrucks translatio (1, 22; 25; 4, 45). S. ferner argumentum

(1,13;

2,8);

conclusio

(1, 4;

4,41);

confirmatio

(1,4;

2,28);

conplexio (2,28; 4,20); contentio (3, 23; 4, 21; 68); continuatio (3, 23; 4, 27); definitio (1, 21; 4, 35); dignitas (3, 23; 4, 18); distributio (1, 17; 3, 23; 4,47); divisio (1, 4; 4, 52); enumeratio (1, 17; 2, 47); exornatio (2, 28; 4, 18); expositio (1, 17; 2, 32); honestum

(1, 5; 3, 3); narratio (1, 4; 3, 23); ratto

(1, 20; 2, 28);

ratiocinatio (1, 23; 4, 23). Hin und wieder werden für dieselbe Sache mehrere

Ausdrücke verwandt, z.B. propositio und expositio für den 1. Teil der argumentatio (2, 28; 32), conplexio und conclusio für ihren letzten (2, 28; 3, 16). Bisweilen fehlen spezielle Bezeichnungen, z. B. für die drei genera narrationum (1, 12) und für die erste pars der divisio (1, 17).

53

Ein scharf umrissener Kunstausdruck für den Begriff ist dem Verfasser nicht geläufig: sämtliche Synonyma für , Wort'' bezeichnen im allgemeinen sowohl die sprachliche als auch die logische Seite!, Die Substantive nomen und verbum kommen dem hier gesuchten Sinn an je einer Stelle ziemlich nahe*; vor allem aber bedeutet das selten gebrauchte Wort vocabulum einige Male nahezu eindeutig soviel wie ,Begriff'?. Eine gewisse Tendenz, einen bestimmten Ausdruck für den ,,Begriff'" zu reservieren, ist also unverkennbar. An einer Stelle berührt der Verfasser ein begriffstheoretisches Problem (3, 7)*; er rechtfertigt hier eine kurz zuvor (3, 3) von ihm getroffene Einteilung, die Spaltung der res honesta in das rectum und das laudabile. Seine Ausdrucksweise vermag sich jedoch trotz des Bemühens um eine allgemeine Formulierung5 nicht von den konkreten Gegebenheiten der Frage zu lôsen: daB zwischen den Begriffen lauda-

bile und rectum ein bestimmtes logisches Verhältnis bestehen soll, mub vom Leser erschlossen werden.

$3. 1. Wie in anderen Lehrbüchern, so sind auch in der Rhetorik ad Herennium die methodologischen Operationen aufs engste mit bestimmten Darstellungsschemata verbunden. Der aus einer Einteilung, aus Begriffsbestimmungen und genaueren Beschreibungen zusammengesetzte schablonenhafte Aufbau formt nahezu sämtliche Partien des Werkes. Die Einteilungen sind stets deutlich abgehoben; die beiden anderen Bestandteile kónnen ineinander tibergehen*, eine

ins Einzelne gehende Schilderung kann fehlen?. Zwei Typen lassen sich unterscheiden: entweder folgen der Einteilung zunächst Bestimmung und ausführliche Erórterung des ersten Artbegriffes, dann 1 Das Substantiv vor meint steta die ,,Stimme'' (1, 3; 3, 19ff. u. δ.); verbum bedeutet ,,Wort'', als sprachliches und als lautliches Phänomen (1, 3; 9; 11 ; 3, 19 u. ö.); ebenso nomen (2, 45; 3, 33; 4, 29; 42 u. 6.; 4, 10 bedeutet es ,, Bezeichnung“‘). 2 1,21 bzw. 2, 17: beide Male wird im gleichen Zusammenhang das Wort

vocabulum verwendet. 8 1, 21; 2, 17; 3, 7. An anderen Stellen hat das Wort einen allgemeinen Sinn (2, 45; 3, 33; 4, 43). * S. ferner 4, 35.

5 Diese Abaicht zeigen besonders die Worte quae subiciuntur sub vocabulum recti.

* 1, 12f. fehlen die Begriffe für die genera narrationum: der Einteilung

folgen Beschreibungen; 14ff.: Einteilung und Beechreibungen durch Exempel; 2, 3ff. (causa und vita); 0ff. (locus, tempus etc.); 80 ôfters in der Topik des 2. Buches; 3, 10; 16.

* 1, 8 (haec omnta tribus rebus adsequi poterimus etc.): Einteilung und Be-

griffsbestimmungen; 1, 24 (purgatio est cum etc.); 3, 3 (vis und dolus); 4, 17 (soloecismus und barbarismus).

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Bestimmung und Erórterung des zweiten usw. Oder es schließen sich an die divisio sofort die Definitionen sämtlicher Artbegriffe an; danach wird jeder von ihnen nochmals vorgenommen und näher charakterisiert, durch Beispiele veranschaulicht usw. Der erste Typus ist etwas häufiger als der zweite; bei beiden pflegt der Verfasser darauf zu achten, daB die Ordnung der einzelnen Punkte dieselbe bleibt!, s0 daB der erste zweimal und der zweite dreimal die jeweils behandelten Artbegriffe in übereinstimmender Reihenfolge nennt. Der erste Typus ist demnach so aufgebaut : A, Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: 1. Glied: a) Definition

b) weitere Charakterisierung 2. Glied: a) Definition

b) weitere Charakterisierung usw.*. Der zweite Typus läBt sich auf folgendes Schema bringen: A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: a) Definitionen der Glieder 1, 2, 3 usw.

b) weitere Charakterisierungen der Glieder 1, 2, 3 usw.?.

Beide Typen von Aufbauformen werden mannigfach in hóchst kunstvoller Weise ineinandergeschachtelt. Der Verfasser wickelt stets, wenn er einen Artbegriff weiter aufspaltet, die untergeordnete Ein! In einigen Fällen wechselt die Reihenfolge zusammengehóoriger Begriffe: bei den genera causarum (Einteilung 1, 2 und Erórterung bis 3, 15); bei den 1, 5 unterscbiedenen andersartigen genera causarum (vgl. 6); bei den drei Aufgaben des principium (1, 6—8): zuerst attentus, docilis, benivolus, dann docilis, benivolus, attentus, schlieBlich docilis, attentus, benivolus; bei einzelnen Arten der constitutio turidicialts assumptiva (1, 24—25): die Einteilung bringt die remotio criminée vor der translatio, die Erórterung nach ihr; bei den Teilen der purgatto (1, 24).

2 Dieses Schema gliedert die Abschnitte 1, 6—10 (erordium; eine Definition für die insinuatio fehlt allerdings); 14—16 (die drei Erfordernisse der narratio) ; 11 (divisio); 18—25 (Hauptstatus); 19—23 (constitutio legitima) 24—25 (con-

stitutio turidicialis mit allen Unterarten); 2, 3—12 (Topik der constitutio contecturalis); 19—20 (Einteilung des tus); 23—24 (Topik der concessio; zum Teil Wiederholung des 1, 24 Gesagten); 47—50 (conclusio); 3, 3—7 (Haupteinteilung der utilitas; Einteilung des honestum); 16—18 (diepositio); 10—27 (Haupteintei-

lung der pronuntiatio); 4, 11—969 (die drei Vorzüge des Stils).

3 1, 3 (die fünf officta oratoris, die den Aufbau des ganzen Werkes bestimmen); 4 (die partes orationis, nach denen sich die Lehre von der $nventio gliedert); 3, 3—6 (die Lehre vom rectum); 20—26 (die drei partes der figura vocis); 23—25

(die Lehre von der mollitudo mit allen Unterarten); 4,

11—14 (die drei Stilerten);

18—69 (Figurenlehre).

55

teilung ab, ehe er sich dem folgenden Punkt des übergeordneten

Schemas zuwendet!. Die nähere Charakterisierung eines aufgespaltenen Begriffs besteht dann in der untergeordneten Einteilung mit ihren Bestimmungen und ausführlichen Schilderungen?. 2. Auch für den Parallelismus bietet die Rhetorik ad Herennium einige eindrucksvolle Beispiele. So erläutert die Lehre von der inventio zunächst die sechs Teile einer Rede des genus sudiciale (1, 4—2, 50) und sodann dieselben Teile einer deliberatio, allerdings in einem viel

kürzeren Abschnitt (3, 7—9), dem eine straff disponierte Darstellung der Topik dieses genvs vorangeht (3, 2—7). SchlieBlich führt die Erórterung des genus demonstrativum dem Leser ein drittes Mal die partes

orationis vor, wenn auch in so reduzierter Form, daß sie nicht mehr deutlich voneinander abgehoben sind (3, 10—15)*. Im Ganzen kommt somit eine achtzehngliedrige Architektur zustande, die aus drei mal sechs sich perspektivisch verkürzenden Teilen besteht. In noch augenfälligerer Weise ist die Statuslehre parallel konstruiert: hier wird bei der Wiederholung des Schemas ein ganzes System von Gattungen,

Arten und Unterarten getreulich kopiert. Im 1. Buche setzt der Verfasser die Sache selbst auseinander und bringt eine Reihe von Definitionen (1, 18—265); im 2. wickelt er dasselbe Begriffsgefüge noch einmal ab und trágt die zu jedem Status passende, teilweise nach zusätzlichen —Einteilungsgesichtspunkten geordnete Argumentationstopik nach (2, 2—26)*. An einer Stelle deutet er selbst an, daB die Dispositionen einander entsprechen (2, 18 a. E.): de partibus legitimae constitutionis satis dictum est: nunc ad iuridicialem revertemur*. 1 S. 2,23: de hia partibus primum ostendendum est; deinde ad depreca-

tionem (d. h. zum folgenden Punkt des übergeordneten Schemas) revertendum videtur. s Regelrechte Durchgangsbegriffe, die nicht einmal definiert werden, finden

sich selten; 1, 12—13 (das tertium genus narrationis und seine erste Unterart); 3, 3 (honesta res).

* Auch scheint in einem Falle die richtige Reihenfolge nicht beachtet zu sein: confirmatio und confutatio werden vor dem principium genannt (3, 10—11); die hierzu angeführte Topik kommt aber nochmals, unter dem Stichwort divisio, zur Sprache (3, 13ff.). * Die Topik der conatitutio turidicialis assumptiva (2, 21—20) erôrtert der Verfasser allerdings in anderer Reihenfolge als die zugehongen Definitionen (1, 24—25); zudem wiederholt er hier vieles von dem im 1. Buch Gesagten.

5 Weitere Beispiele parallelen Aufbaus: die quinque partes der argumentatio

und die nach diesen Teilen geordnete Reihe fehlerhafter Beweise (2, 27—30 und 2, 31—46; der Verfasser gibt das Aufbaugesetz dieses Abechnittes 3, 31 a. E. zu erkennen); die Lehren von der mollitudo vocis und dea motus corporis

(3, 23—25 und 3, 26—27; 3, 26 ein Hinweis auf den Parallelismus); die polemische Einleitung des 4. Buchea mit den Behauptungen der Gegner und ihrer

Widerlegung (4, 1—4 und 4—10); die vollkommenen genera figurarum und ihre fehlerhaften Abarten (4, 11—14 und 15—16). 56

3. Das dritte Aufbauschema, die katalogartige Aufzählung, nimmt im Werke des auctor ad Herennium einen bescheideneren Platz ein. Immerhin finden sich einige Beispiele für diese Darstellungsform, die eine beliebig große Anzahl dem gleichen Prinzip unterstehender Phänomene aneinanderreiht. An erster Stelle verdient hier das lange Verzeichnis von Argumentationsfehlern im 2. Buche genannt zu werden (2, 31—46). Es ist nach den quinque partes des rhetorischen Beweises gegliedert!; innerhalb jedes Teiles wird ein vitium nach dem anderen aufgeführt. Stereotyp wiederholte Formeln charakterisieren vernehmbar die Liste: vitiosa expositio eat, heißt es zunüchst viermal (32—34), dann fünfmal vitiosa oder snfirma ratio est (35—37) usw.*.

4. Die einzelnen Teile des Lehrgebáudes werden oft durch überleitende S&tze miteinander verbunden: auch sie sind charakteristisch für die Darstellungsform des Werkes. Selten vermittelt eine Floskel zwischen einer Einteilung und der nachfolgenden Darstellung?. Hàufiger ist ein derartiges Sátzchen zwischen zwei gleichrangige Abschnitte des Systems eingefügt; es leitet dann entweder sofort zum neuen Thema über, oder es rekapituliert zunächst noch stichwortartig die vorangehende Materie*. Besonders aber schätzt der Schriftsteller dieses Bindemittel, wenn der Gang der Erórterung nicht durch eine vorherige Disposition festgelegt ist, etwa um appendixartige Aus-

führungen &nzuknüpfen*. Das bei allen diesen Überleitungen verwendete Vokabular ist recht mannigfaltig; fast stets markiert ein

nunc die Fuge des Systems. Im übrigen heiBt es: docebimus (1, 2); ostendemus (ibid.); quoniam . . . demonstratum est . . . dicendum videtur (3); cognoscendem est (14); demonstrandum est, &i prius aperuimus (25) usw. Mit Vorliebe gebraucht der Verfasser den Adhortativus, am häufigsten transeamus® und consideremus?; auch dicamus, loquamur und videamus finden sich?.

ı Vgl. 2, 28.

? Weitere Kataloge 1, 11; 2, 47—49; 4, 18, ebenfalls mit formelhaften Satzanfüngen. S. ferner 3, 21—22.

* S.1,4: nunc .. . de exordio dicendum videtur; 14; 2, 23.

* Überleitungen ohne Rekapitulation: 1,9 (deinceps de .. . aperiendum est); 16; 18; 3, 10; 28; 29. Überleitungen mit Rekapitulation: 1, 11 (de ... aatis erit dictum: deinceps ad . . . transeamus; 23; 2, 12; 18; 3, 22; 25; 32; 4, 17; 18; 46.

5 1, 3 (Überleitung zwischen mehreren Einteilungen); 6; 11; 13; 25; 2, 27; 81; 3, 7 u. 6. * 1, 11; 18; 2, 12; 3, 10; 28; 32. transire ferner 4, 10; 46.

? 2, 2; 31; 46; 4, 7. * 1, 23; 3, 29; 4, 17.

57

Die hier erörterten Methoden und Darstellungsschemata bestimmen den Charakter der Rhetorik ad Herennium, eines Lehrbuches, das

einen ersten theoretischen Überblick über das System des Faches geben soll. Sie formen das Werk in allen seinen Teilen und verleihen ihm einen Zug von unlebendiger Steifheit und verknöcherter Pedanterie, der in eigenartigem Widerspruch zu dem frischen Temperament des Verfassers steht.

ὅ. Kapitel

Ciceros Schrift De inventione $1. Gegenstand einer Jugendschrift Ciceros, der gewöhnlich De inventione genannten Rhetorici libri II!, ist ein Teil der rhetorischen Theorie, die Lehre von der Erfindung?. Das Werk blieb unvollendet; wie aus zahlreichen Hinweisen erhellt?, hatte der Verfasser das gesamte

System der Rhetorik darstellen wollen. Das Thema der Schrift geht schon aus dem Beginn der Einleitung, einer Betrachtung über den Wert der Redekunst, hervor: saepe et multum hoc mecum cogilavi, bonine an mali plus attulerit hominibua et civitatibus copia dicendi ac summum eloquentiae studium (1, 1); .. . ac s$ volumus husus rei, quac vocatur eloquentia .. , considerare principium .. . (1, 2). Zudem beschlieBt Cicero seine Einleitung mit der Ankündigung, daB er praecepla oratoria behandeln wolle (1, 5 a. E.). Die Definition des Gegenstandes ergibt sich aus einigen Kapiteln, die der eigentlichen Darstellung der rhetorischen Lehre vorangehen (1, 5 &. E. —9). Sie erórtern Grundbegriffe der Rhetorik: genus, officium, finis, maleria, partes. Als genus, 818 übergeordnete Gattung, nennt Cicero die civilis ratio oder civilis scientia; die Rhetorik ist, wie es hier heift, eine

magna et ampla pars, ein wichtiger Zweig der Staatswissenschaft (1, 6). Ihr spezifisches Merkmal geht aus Ciceros Ausführungen über officium und finis hervor; danach besteht die Aufgabe der Redekunst im dicere adposite ad persuasionem, ihr Zweck im persuadere dictione. ! Der Titel Rhetorici libr$ beruht auf der Zitierweise Quintilians; s. Schanz-

Hosius, Gesch. d. róm. Lit. 1*, 1927, 458; Kroll, RE 7 A, 1091, Art. M. Tullius Cicero Nr. 29. Die Schrift ist wahrscheinlich nach der Veróffentlichung der Rhetorik ad Herennium in den J&bren 85—80 v. Chr. entetanden; s. Marx in den Prolegg. seiner Ausg. Incerti auctoris de ratione dicendi ad C. Herennium l.IV, 1894, 76ff.; Schanz-Hosius a.O. Über die Frage ihrer Quellen s. 0. S. 41, Anm. 1.

Text: Die beste Rezension bietet Strôbel, 1915, Fasc. 2 der Cicero-Gesamteusgabe des Verlages B. G. Teubner.

3 Für den Aufbau der Schrift vgl. Barwick, Hermes 57, 1922, 5ff.; Kroll, a. O. 1091 f.

* Am deutlichsten am Schluß des 2. Buchee; vgl. ferner 1, 9; 29; 40 usw. 58

Während die Grundbegriffe genus, officium und finis der Verdeutlichung des Gegenstandes dienen, für das System der Lehre jedoch keine weitere Bedeutung haben, sind die beiden übrigen, materia und partes, das Fundament der rhetorischen Theorie. Mit dem Ausdruck materia faßt Cicero die drei genera causarum, das genus demonstrativum, deliberativum und sudiciale zusammen (1, 7). Unter den partes versteht er die fünf Tätigkeiten des Redners bei Abfassung und Vortrag der Rede: inventio, dispositio, elocutio, memoria, pronuntiatio (1, 9). Der Verfasser weist selbst darauf hin, daB die drei ersten Grundbegriffe

für die Erôrterung der praecepla nicht wichtig sind, sich die ars rhetorica vielmehr auf der materia und den partes aufbaut (1, 9). Er will diese beiden Gebiete coniuncte behandeln; das System soll sich also durch das Zusammenwirken beider Einteilungsgesichtspunkte entfalten.

Bis zu dieser Stelle ist das Werk mit Geschick und methodischer

Umsicht angelegt. Der Verfasser hat die Einleitung, die Kapitel über die fünf Grundbegriffe und die eigentliche Darstellung der rhetorischen Lehren deutlich gegeneinander abgegrenzt. Er hat den Gegenstand seiner Schrift genannt und durch seine Ausführungen über genus, officium und finis nüher bestimmt. Er hat schlieBlich festgestellt, daß sich aus der materia und den partes die Einteilungen ergeben, die für das gesamte Lehrgebáude mafgeblich sind. Für die partes trifft diese Versicherung zu: der Fünfteilung $nventio, dispositio etc. war offenbar die zweite systematische Rangstufe zugedacht. Sie sollte die groBe Klammer bilden, die sämtliche Teile der rhetorischen Theorie zusammenfaBt; auf die Lehre von der Erfindung, die als einzige ausgeführt wurde, sollte die Darstellung der dispositto, elocutio etc. folgen. Dagegen ist nicht ersichtlich, welche Bedeutung den drei genera causarum in den nicht geschriebenen Teilen des Werkes hátte zukommen kónnen; innerhalb der Lehre von der Erfindung haben sie zwar eine gewisse Funktion, aber nicht als einziger Einteilungsgesichtspunkt. Das coniuncte agere de materia ac partibus darf also nicht allzu streng ausgelegt, insbesondere nicht als systematische

Gleichrangigkeit beider Schemata aufgefaBt werden. Mit der Fünfteilung der partes ist zwar die Spitze der Begriffspyramide gegeben. Dagegen fehlt es innerhalb der Lehre von der

Erfindung &n einem alle Teile zusammenfassenden Schema. Hier ist also in gewissem Umfange auf systematische Darstellung verzichtet. Cicero behandelt zunächst die Theorie von den Status nebst einigen ihr nahestehenden Lehren (1, 10—19); er erórtert sodann die sechs partes orationis vom exordium bis zur conclusio (1, 19—109). Im 2. Buch befaBt er sich mit den Topoi der Argumentation, die er nach den genera causarum und innerhalb des genus iudiciale nach den Status

ordnet. Das gesamte Werk ist also folgendermaBen aufgebaut : 59

1. Buch Einleitung (1—5)

Grundbegriffe (5—9)

I. Lehre von der inventio À. Lehre von den Status nebst Anhàngen (10—19) B. Lehre von den partes orationss (19—109)

9oR

exordium (19—26) narratio (21—30)

partitio (31—33)

confirmatio (34—77) . reprehensio (18—96) . conclusio (98—109) 2. Buch

Einleitung (1—10) C. Argumentationstopik (11—178) 1. genus sudiciale (11—164) &) constitutio coniecturalis (14—51)

b) constitutio definitiva (52—56) c) constitutso translativa (57—61) d) conststutio generalis (62—116) e) controversia scripts (116—154)

2. genus deliberativum (157—176)

3. genus demonstrativum (177—178)

Die Teile A und B stehen nebeneinander, ohne durch ein Dispositions-

schema verklammert und gegenseitig in ein bestimmtes systematisches Verhältnis gebracht zu sein. Teil C dagegen gibt sich als Nachtrag zu B 4 und 5: wie der Verfasser ausführt, beschränkt sich die Darstellung der Lehre von der confirmatio im 1. Buche auf die silva atque materia universa der Argumentationstechnik (1, 34); Entsprechendes soll offenbar für die folgenden, der reprehensto gewidmeten

Kapitel gelten. Im 2. Buche werden dann, wie Cicero sagt, certi confirmandi et reprehendendi tn singula causarum genera loci erórtert ; un-

miBverständlich erläutert er die systematische Beziehung mit den Worten: quare haec, quae nunc praecipientur, ad confirmationis & reprehensionis partes referre oportebit (2, 11).

Cicero hat also, statt die gesamte Lehre von der Erfindung nach dem Schema der partes orationis zu gliedern, drei mehr oder weniger

eng miteinander verknüpfte Abschnitte nebeneinander gestellt. Er hat auf diese Weise die Erórterung der Redeteile zweifach entlastet: die Theorie der Status geht ihr voran; die spezielle, nach den genera 60

causarum eingeteilte Beweistopik folgt ihr nach. Das Werk scheint somit einfacher und übersichtlicher aufgebaut: wäre der in den Abschnitten A und C behandelte Stoff in die Darstellung der confirmatio und reprehensio einbezogen worden, so hätte sich eine komplizierte

Verschachtelung der Einteilungsschemata nicht vermeiden lassen. Dieser ókonomische Vorteil ist allerdings mit dem Verzicht auf konsequente Strenge der systematischen Architektur erkauft. AuDer-

dem kommt es infolge der Dreiteilung des Stoffes zu Überschneidungen: die im 1. Buch kurz erórterte Lehre von den Status wird im 2. Buch groBenteils wiederholt; ferner ist die Grenze zwischen allgemeiner und besonderer Topik nicht scharf gezogen !. Auch innerhalb der Teile A und B hat Cicero das Prinzip, durch fortschreitende Einteilungen ein geschlossenes System zu entfalten, nicht ohne Ausnahmen durchgeführt. So zerfállt der erste Abschnitt in die eigentliche Statuslehre (1, 10—16) und drei systematisch mit ihr nicht verbundene Anhänge, die von der causa simplex und iuncta (17), von der ratio und dem scriptum (17—18) und von einigen zur methodischen Anwendung der Statuslehre gehórigen Begriffen handeln (18—19). Der zweite Abschnitt ist zwar nach den partea orationis disponiert; innerhalb der Darstellung der confirmatio stehen aber die allgemeine Argumentationstopik (34—50) und die Lehre vom Formalismus des induktiven Beweises und des Schlusses (51—77) unverbunden nebeneinander. Doch hätten sich diese Ausnahmen aus sachlichen Gründen wohl kaum vermeiden lassen; jedenfalls wiegen sie nicht schwer, vergleicht man sie mit dem überaus verzweigten Fächerwerk der Einteilungen, das sich bis in die Einzelheiten der Theorie hinein

erstreckt. Vielmehr erhält das Werk durch den Mechanismus der einander ablósenden und ineinander geschachtelten Schemata sein charakteristisches Gepräge: oft genug ermüdet das ständige Disponieren durch die rigorose Starre seiner pedantischen Formeln. $ 2. Soweit sich die Schrift des jungen Cicero systematischer Dar-

stellung befleiBigt, hebt sie vornehmlich die Relationen der Überund Unterordnung hervor: sie zergliedert durch Einteilungen Gattungen in Arten und legt durch Definitionen die Standorte der Be-

griffe fest. Die seitlichen Beziehungen innerhalb des Systems werden nur selten berücksichtigt, teils durch Distinktionen, teils durch die Gegenüberstellung gemeinsamer und eigentümlicher Merkmale. Das methodische Instrumentarium der Rhetorici libri dient organisatorischen Zwecken: die überaus verschiedenartigen Materien, die im Verlaufe einer langen Entwicklung das Gemenge der rhetorischen Theorie ı Vgl.1, 34—36 mit 2,28—31; 1,37—43 mit 3,38—42. Wiederholungen innerhalb des Werkes s. u. S. 68, Anm. 4.

Über

weitere

61

zustande gebracht hatten, sollten in möglichst übersichtlicher und faßlicher Weise vorgetragen werden. 1. Die Einteilung ist das hervorstechendste methodische Hilfsmittel der Schrift. Cicero weist oft durch Verben wie tribuere, disiribuere etc. auf das Verfahren hin!, háufiger noch praktiziert er es, ohne es mit einem besonderen Ausdruck zu bezeichnen. Echte Begriffsspaltungen wechseln &b mit Dispositionsschemata, die lediglich ein gewisses Stoffpensum stichwortartig zusammenfassen. Es ist nicht móglich, diese beiden Typen scharf voneinander abzugrenzen; Cicero selbst macht hier keinen strengen Unterschied *. Die Einteilungen pflegen zwei bis sechs Glieder zu enthalten?*. Die Unterbegriffe sind in Dichotomien stets miteinander verbunden*; sonst folgen sie einander meist

asyndetisch®, bisweilen mit anaphorischer Wiederkehr eines Wortes'. Gewóhnlich geht der Verfasser auf sämtliche 808 einer Einteilung

sich ergebenden Begriffe näher ein: entweder teilt er sie weiter auf oder er behandelt, wenn mit ihnen die niedrigste Stufe des Systems erreicht ist, den unter 816 fallenden Stoff. In einem Falle aber verfährt er anders (1, 34—35). Er gliedert den Begriff natura, mit dem er ein Teilgebiet der Topik kennzeichnet, zunächst durch eine Dichotomie: eae (sc. partes naturae) . . . partim divino, partim mortals $n genere versantur. Er läBt sodann den einen Zweig der Einteilung beiseite, den anderen zerlegt er abermals dichotomisch: mortalium autem pars in hominum, pars in bestiarum genere numerantur. Wiederum widmet er sich in der weiteren Erórterung nur einem Glied des Schemas, das er

in fünf Begriffe aufteilt: atque hominum genus el in sexu consideratur, .. . t $n nalione, patria, cognalione, aelate. Hiermit sind die untersten

Arten des Begriffsgefüges erreicht; Cicero wendet sich jetzt den konkreten Topoi zu. Zwischen die Gattung natura und die Arten serus, 1 tribuere: 1, 11; 15; 47; 58; 61 u. 6. distribuere: 1, 40; 57; 2, 31; 112. dividere:

1, 8; 15; 20; 34. partiri: 1, 66; 2, 177. distributius tractare: 2, 177. 8. ferner 1, 00 und 2, 44 (distinguere); 2,171 (distributio). Die Verben sind meist mit der Prüposition tn verbunden, von der teils zunächst die Substantive pars oder genus (statt dessen 1,11 und 2, 31 tempus), teils sofort die untergeordneten

Begriffe abhüngen. 3 Selbst die durch ein Verbum des Einteilens gekennzeichneten Schematé

lassen sich nicht immer unter die Begriffsspaltungen im eigentlichen Sinne rechnen (s. 1, 8; 11;34; 40; 47; 2, 112); von den übrigen gehoren vor allem die Gliederungen der Argumentationstopik dem zweiten Typus an (1, 34ff.; s. ferner 2, 16; 21; 24 usw.). 3 Zweigliedrige Einteilungen:

1,14;

15;

17; 27; 81 u. 6.; dreigliedrige:

1, 7; 16; 20; 22; 23 u. ö.; viergliedrige: 1, 10; 12; 15; 22; 30 u. 6.; fünfgliedrige:

1, 9; 17; 20; 35; 38; 2, 116; sechsgliedrige: 1, 10; 2, 65; 161. AuBerdem ein sieben-, ein neun-, ein zehn- und ein vierzehngliedriges Schema (1, 26; 41; 34;89). « S, 1, 14; 15; 17; 27 usw.

95 8.1,7; 0; 12; 15; 19 usw. Anders z. B. 1, 10; 17 usw. * S. 1, 22; 28; 41 usw. 62

natio, patria etc. schieben sich also zwei Dichotomien ein, die nur als Durchgangsstationen dienen und deren einer Zweig jeweils als systematische Leerstelle übrig bleibt: nalura Ι

Ϊ

[

genus divinum

genus mortale L. Ϊ

1

homines

bestiae

Ι

i

l Ι

sexus

natto

pairia

Ï

[

cognatio

aelas

2. Als Klassifikationsbegriffe dienen in den Rhetorici libri gewöhnlich die Worte genus und pars!; für pars nennt Cicero an einer Stelle das Synonym species*. Die Substantive genus und pars stimmen jedenfalla darin nicht überein, daB die ,,Teile'" eines sinnlich wahmehmbaren Ganzen stets partes und niemals genera genannt werden. Die Teile der Rede (exordium, narratio etc.) heiBen also immer partes orationts*. Ym übrigen werden die Worte genus und pars meistens als Synonyma verwendet; sie bezeichnen, ohne daß an bestimmte Relationen innerhalb der Hierarchie gedacht wäre, ,,Ordnungen‘‘, ,,AbteiJungen‘‘, ,,Klassen' des Systems, ,,Gattungen‘‘ im weiteren Sinne.

So werden z. B. die Unterteilungen der einzelnen partes orationis, die verschiedenen Gattungen des exordsum, der narratio, der partitio etc., bald abermals partes, bald aber genera genannt*. In einigen Fällen jedoch zwingt das gegensätzliche Verhältnis der beiden Begriffe zu der Annahme eines Bedeutungsunterschiedes; genus bezeichnet dann die ,,Gattung‘‘ im strengen Sinne des Wortes, pars die unter sie fallende ,,Art‘“. Besonders deutlich geht diese Relation aus den Aus! Die untechnischen Bedeutungen dieser Wôrter bleiben außer Betracht, und zwar genus auch dann, wenn es in abgegriffener, unscharfer Weise auf eine ,,Gattung'' hinweist (s0 quod genus ,,zum Beispiel'': 1, 15; 27 u. ö.; ferner 1, 11 sn eiusmodi generibus u. dgl. mehr). 3 1, 40. 1, 42 bedeutet species wohl „Anschein‘‘. * 1, 19; 30; 34; u. 6. Ebenso heiBen die Abschnitte des Beweises ateta partes; s. 1, 50; 54 u. 6.

* S.1,20; 27; 31f.; 98; 100. Die Redegattungen heiBen gewóhnlich genera causarum, und zwer offenbar deshalb, weil diese Wortverbindung in der Tradition des rhetorischen Schuljargons zu einem festen Ausdruck erstarrt ist (s. 1, 7 ; 9; 10; 12 u. à.; ebenso verhält es gich wohl mit den andereartigen genera causarum, die 1, 20ff. erôrtert werden); 1, 8 jedoch bezeichnet Cicero sie als partes.

Innerhalb der Statuslehre werden genus und pare fast stets als Synonyme verwendet (s. 1, 11ff.; 16; 10; 49; 2, 11f.; 53; 56; 61f.; 65; 68ff.; 74f.; 79; 82; 87;

90ff.; 90ff.; 105;

109;

123; 137f.; 143); auch in der Argumentationstopik

findet sich dieser im allgemeinen willkürliche Wechsel beider Begriffe (S. 1, 40ff. u. ὅ.; 2, 38ff. u. 0.); über die Ausnahmen s. das Folgende.

63

führungen des Verfassers über zwei Begriffe der Topik, das tempus und die occasio, hervor (1, 40). Sie nehmen, da sie beide Unterteile der unter dem Ausdruck gestio negotii zusammengefabten Topik bezeichnen!, systematisch den gleichen Rang ein. Cicero definiert das fempus als para quaedam aeternitatis cum alicusus .. . apatii cerla &ignificatione (1, 39) und die occasio 818 pars temporis habens in s alicuius rei idoneam faciendi aut non faciendi opportunstatem (1, 40).

Die Ahnlichkeit dieser Bestimmungen hat ihn offenbar veranlaßt, den Unterschied nachdrücklich hervorzuheben ; er fáhrt námlich fort: quare cum tempore hoc (d. h. durch das Merkmal habens $n & ... opportunitatem) differt: nam genere quidem utrumque idem esse intellegitur, verum in tempore spatium quodam modo declaratur etc. und bemerkt zum AbschluB: quare cum genere idem sit, fit alsud, quod parte quadam et specie ... differat. Subjekt ist hier wohl utrumque; der Satz heiBt also: ,,Die beiden Begriffe sind daher, obwohl sie hinsichtlich ihrer Gattung identisch sind, insofern nicht identisch, als sie sich durch ein Artmerkmal unterscheiden.‘“ Weiterhin wendet der Verfasser die beiden Begriffe offenbar im strengen Sinne an, wenn er von den res quae negotiis adtributae sunt schreibt (2, 38): ex iis igilur in hanc constitutionem (se. coniecturalem) convenire videntur genera

earum omnia, partes generum pleraeque*. In den bisher erörterten Fällen handelte es sich um die Klassifikation

von Begriffen des rhetorischen Systems, um die Anwendung der methodologischen Kunstausdrücke genus und pars auf das Lehrgebäude der Redekunst. Die beiden Substantive gehóren jedoch auch dem Lehrgebäude selbst an, oder sie werden für die Erläuterungen einzelner rhetorischer Vorschriften dienstbar gemacht; in diesen Fällen verwendet Cicero sie fast immer als scharf unterschiedene Klassifikationsbegriffe®. Er hat sie z. B. als Unterteilungen eines negotio, in sein rhetoadiunctum sogenannten des Topik, Gebietes der risches System eingefügt (1, 41): adiunctum megotio . . . sntellegitur ...

et genus et pars. Er führt dann näher aus (1, 42): genus est, quod partes aliquas amplectitur, ut cupiditas. para est, quae subest generi, ut amor, avaritia*.

! S. 1, 38.

3 Entsprechend nennt Cicero in den folgenden Paragraphen die negotit gestio ein genus, ihre Unterteile locus, tempus etc. partes; 2, 42 jedoch wird die con-

secutio inkonsequent als pars bezeichnet. S. ferner 1, 6 (hanc oratoriam facutatem in eo genere ponemus, ul eam civilia scientiae partem esse dicamus); 128. (huic genert Hermagoras partes quattuor subposuit etc.); 2, 68.

3 Eine sehr unbestimmte Bedeutung hat genus bei der conatitutio generali (= generis); s. 1, 10; 12; 2, 62.

* Dieselben Definitionen bereite 1, 32f. (mit Erláuterungen); S. ferner 1, 91; 2, 146.

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3. Von dem methodischen Hilfsmittel der Distinktion, der Abgrenzung zweier einander nebengeordneter Begriffe, macht der Verfasser ziemlich selten Gebrauch!. Deutlicher zeigt er sich bemüht, das Allgemeine vom Besonderen abzuheben und den Stoff nach diesem Gegensatz zu ordnen; er verwendet dann meistens die Adverbien communiter und separatim*. Die Unterscheidung von genereller und spezieller Topik beeinfluBt sogar den gesamten Plan der Darstellung. Der Verfasser erläutert sie zunächst am Anfang des allgemeinen Teils (1, 34): es sei zweckmäßig, die silva atque materia universa der Argu-

mente voranzustellen und später die spezifischen Vorschriften der einzelnen genera causarum zu erórtern. Im 2. Buch, innerhalb der speziellen Topik, werden noch einmal allgemeine und besondere Vorschriften unterschieden: der Gegensatz beruht auch hier auf den für alle Redegattungen gültigen Vorschriften einerseits und den nur bei den einzelnen genera causarum anwendbaren Lehren andererseits (12—13; 155—156). Der Verfasser modifiziert ihn jedoch, indem er

die Statuslehre als Kriterium hinzunimmt; hiernach gelten die sich aus den conatituttones ergebenden Argumente meist für sämtliche Redegattungen, während es außerdem unabhängig von den constituliones noch spezifische Topoi der einzelnen genera gibt. Cicero erórtert nun die generelle Topik der Status und die spezielle der Gerichtsrede unter der gemeinsamen Rubrik des genus iudiciale. Somit sind die nach den Status geordneten Argumente des genus sudiciale meist nicht spezifisch für dieses genus, sondern lassen sich &uch auf die anderen genera anwenden. Hieraus ergibt sich, daß im 1. Buch die allgemeine Topik behandelt wird, soweit sie sich nicht aus den Status ergibt. Im 2. Buch folgen die mit den Status verbundene generelle und die jeweils nur für ein genus causarum maBgebliche spezielle Topik. 4. Die Definition ist neben der Einteilung das auffälligste metho-

dische Hilfsmittel der Rhetorici libri. Cicero geht im allgemeinen mit ihr um, ohne sie durch einen Kunstausdruck der Logik zu kenn1 1, 6: enter officium et finem hoc interest, quod etc.; 1, 40 (differre); 2, 92f. (ebenfalls differre). 3 1, 25; 2, 12f.; 38; 42; 155f. (communiter und separatius, auBberdem die Adjektive proprius und separatus). Die in den Ausführungen 1, 34 gebrauchten Worte lassen sich kaum als feste methodologische Kunstausdrücke auffagsen; das Adjektiv certus bezeichnet allerdings wiederholt das Spezielle, Spezifische (vgl. 1, 66; 95; 2, 28; 146). In einigen Füllen hebt Cicero lediglich generelle Vorschriften hervor: 1, 39 und 2, 50 (communiter); 1, 100 (commune praeceptum); 2, 99 (similis praeceptio). S. ferner 1, 100 (separatim). Die vielfültige Verwendung des Adjektivs communis innerhalb der Terminologie des

rhetorischen Systems (1,26; 40; 48; 89—90; 91; 94; 2, 146), vor allem der Kunstausdruck locus communis (Hauptatelle 2, 48ff.) gehôren nicht in diesen %euaammenhang, der sich nur mit dem methodologischen Gebrauch des Wortes faDt. 5

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Fuhrmann, Lehrbuch

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zeichnen!. Er behandelt sie jedoch innerhalb der rhetorischen Theorie, und zwar an mehreren Stellen des Systems. Als Termini dienen ihm stets das Substantiv definitio und das Verbum definire: sie geben sowohl der constitutio definitiva ihren Namen* wie einem der genera scripti?; die mala definitio schlieBlich ist einer der zahlreichen von Cicero erórterten Árgumentationsfehler (1, 91). Die zuletzt genannte

Stelle erläutert an Beispielen die drei formalen Fehler, die bei der Bestimmung eines Begriffs unterlaufen kónnen: die zu weit gefabte Definition, die nur die Merkmale der übergeordneten Gattung nennt (communia describit), die falsche und schlieBlich die zu enge Definition, die lediglich für eine untergeordnete Art zutrifft (ex parte quadam, non ex omni genere). Die Lehren von der conastitutio definitiva und ihrem unnótigen Abbild, dem genus scripti definitivum, befassen sich nicht mit Wesen und Funktion der Definition selbst; es heibt in diesem Zusammenhang nur, dab es sich bei ihr um eine brevia εἰ aperta descriptio des Begriffsinhaltes handele*. Der Sache nach lassen sich Definitionen nicht scharf von sonstigen erläuternden Ausführungen sondern; der Form nach liegt eine Begriffsbestimmung gewóhnliceh dann vor, wenn ein am Satzanfang

stehendes Subjekt durch 6886 mit einem Prüdikat verbunden wird. Daß der Verfasser selbst eine derartige Stilisierung bei der Definition voraussetzt, zeigen sowohl die zitierten Stellen 1, 34, wo eine schulmäßige Bestimmung des nomen vorangeht, und 1, 39, als auch die Beispiele, die er zur Veranschaulichung seiner Lehren über die constitutio definitiva nennt*. Er charakterisiert im allgemeinen nur den apezifischen Unterschied des Begriffes durch eine kurze abstrakte Beschreibung; das übergeordnete genus ergibt sich aus dem Zusammenhang, insbesondere aus der vorangehenden Einteilung*. Die Definitionen werden oft durch exempla und descriptiones, wie der Verfasser sich ausdrückt (1, 49), durch Beispiele und weitere abstrakte Aus-

führungen oder auch durch beides näher erläutert”. Bisweilen ver1 Bei zwei Begriffen hált er eine Wesensbestimmung für schwierig; er ver-

wendet dort das Wort definire (1, 34; 39). Die Bemerkung 1, 34 lehrt, da er korrekt die Aufzählung der untergeordneten Arten nicht als Definition ansieht. 3 1, 10f.; 2, 52ff. u. @. 5 1, 17; 2, 153f.

« 2, 65; vgl. 1, 11. $ 2, 53: maiestatem minuere est de dignitate aut amplitudine aut potestal populi etc. aliquid derogare; vgl. 55. * S. z. B. die Definitionen 1,9; 14; 15; 17; 18 usw.

? Definitionen mit Beispiel: 1, 17 (simplex causa); 18 (quaestio, ratio); 19;

26; 27; 36 usw. Definitionen mit Erláuterung: 1, 11 (nominis controversia); 33

(brevitas, paucilas); 78; 98 usw. Definitionen mit Beispiel und Erläuterung:

1, 61ff. (inductio) und die meisten constitutiones im 2. Buche: 2, 52ff.; 62f.;

09ff. usw.

66

zichtet Cicero auf eine allgemeine Bestimmung und nennt, um einen Begriff zu erklären, lediglich die ihm untergeordneten Arten!: in diesen Fällen handelt es sich, wie er selbst richtig andeutet?, nicht um exakte Definitionen; dasselbe gilt, wenn die spezifischen Merkmale

eines Begriffes nur durch Beispiele veranschaulicht werden?. 5. Den in den Hhetorici libri verwendeten Begriffen fehlt es oft an Prázision und Eindeutigkeit. Zahlreiche Ausdrücke kehren an verschiedenen Stellen des Systems wieder, so daB sie bei konstanter sprachlicher Grundbedeutung durch mehrere technische Funktionen belastet sind*. Diese Erscheinung zeigt besonders deutlich die Unausgeglichenheit und Brüchigkeit des willkürlich zusammengeschachtelten rhetorischen Systems. Für den Begriff als logisches Phánomen hat Cicero keinen besonderen Ausdruck. Er verwendet ziemlich unterschiedslos die Substantive verbum, nomen und vocabulum, die jedoch stets allgemein ,, Wort'', ,,Bezeichnung", , Name‘‘ bedeuten. Alle drei

Synonyma finden sich in Verbindung mit vis; die Wendungen vis verbi, vis nominis, vis vocabuli meinen die ,,Bedeutung‘‘, den ,,Inhalt“‘ oder ,,Umfang‘‘ eines ,,Begriffes‘‘5. Am ehesten hat das selten gebrauchte Wort vocabulum die Tendenz, móglichst rein eine logische Funktion zu bezeichnen: in dem Satz vis vocabuls definienda verbis est wird die ,,Bedeutung"', der ,,Begriff'" deutlich von den , Worten'' unterschieden*. An einer anderen Stelle gebraucht Cicero das Substantiv für den Begriffsinhalt”.

$3. 1. Das wichtigste, immer wieder

angewandte Darstellungs-

schema der Rhetorici libri besteht im allgemeinen aus drei Elementen,

aus einer Einteilung, aus Begriffsbestimmungen und Erläuterungen. Die Einteilungen lassen sich von den weiteren Ausführungen stets deutlich unterscheiden, während Definitionen und Beschreibungen des ófteren ineinander übergehen; Beschreibungen kónnen gänzlich fehlen. Der Einteilung schlieBen sich gewóhnlich Bestimmung und

Erläuterung des ersten Artbegriffes an; dann wird der zweite definiert ! So z. B. 1, 14 (suridicialis constitutio: aequi et recti natura aut praemii aut poenae ratio); 91 (mala definitio).

$ 1,34; 8. 0. S. 66, Anm. 1.

* So z. B. 1, 46f.; 2, 24. 4 So die Begriffe affectio (1, 36; 41; 2, 176); casus (1, 36; 2, 96f.); commune (1, 26; 40; 48); conplexio (1, 45; 72ff.) usw.

* vis verbi: 1,17; 2, 142; vgl. 2, 153. vis nominis: 2, 154; vgl. 2, 53; 159. vis vocabuls: 1, 10; 2, 52. * 1,10; 2, 62. * 2,158. Das Wort vocabulum findet sich auBerdem noch zweimal in der Bestimmung der Eigennamen als proprium εἰ certum vocabulum personae (1, 34; 2, 28). Die Substantive nomen und verbum kommen viel ôfter vor (nomen z. B. 1, 10; 11; 12; 43; 2, 52; verbum z. B. 1, 9; 11; 26; 28; 29; 32). 5*

67

und genauer erklärt, dann der dritte usw. Hierbei pflegt Cicero darauf zu achten, daß sich die Darstellung in der Reihenfolge der einzelnen Punkte nach der Einteilung richtet!. Er ordnet somit den Stoff nach folgendem Schema : A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw.

B. Darstellung: 1. Glied: a) Definition b) weitere Charakterisierung 2. Glied: a) Definition

b) weitere Charakterisierung usw.?.

Untereinteilungen eines Begriffes werden vollständig abgewickelt, ehe der folgende zur Sprache kommt; das Durcheinander der Einteilungskriterien innerhalb der Lehre vom exordium (1, 20—25) ist eine Ausnahme. Bisweilen modifiziert Cicero sein Schema in der Weise, daß er nach der Einteilung zunáchst sámtliche Begriffe definiert und erst dann, indem er dabei ein drittes Mal dieselbe Reihenfolge beobachtet, eingehend erórtert?.

2. Eine zweite Aufbauform, die mehrfache Abwicklung des gleichen Schemas, findet sich zwar in den Rhetorici libri des ôfteren angewendet;

der Verfasser hat jedoch nirgends auf genaue Entsprechung der Reihenfolge der einzelnen Materien geachtet. Diese Inkonzinnitát mag sich aus dem unfertigen Zustande des Werkes erklären*. 1 Eine Ausnahme z. B. in dem Abschnitt 1, 38—41: in der Einteilung werden

die Begriffe in der Reihenfolge locus, tempus, modus, occasio, facultas genannt; in der Darstellung wird die occasio vor dem modus erôrtert. Vgl. ferner 1, 79— 83.

* S. die Abschnitte 1, 5—9 (Grundbegriffe der Rhetorik); 14—15 (constitutio generalis); 17 (causa simplez und iuncta); 17—18 (ratio und scriptum); 18—19 (quaestio, ratio etc.); 19ff. (partes orationis); 26 (vitia exordiorum); 21 (narratio); 28—30 (Aufgaben der narratio); 34—43 (sümtliche Abschnitte der hier dargestellten Topik); 51—77 (inductio und ratiocinatio); 18—96 (s&mtliche Abschnitte der reprehensio); 98—109 (conclusio); sàmtliche Teile des 2. Buches.

* So verführt Cicero bei den partes der Rhetorik, die er 1, 9 aufzählt und definiert; die fertiggestellten Teile des Werkes sind dann der snventio gewidmet, wührend die Behendlung der anderen vier partes unausgeführt blieb. S. ferner 1, 10—16 (constitutiones); 31—33 (partitio).

* S. vor allem die zweimalige Behandlung der Statuslehre (1, 10—16 und 2, 14—109): die conatitutio generalis geht der constitutio translativa im 1. Buche voraus (1, 12—16); im 2. Buche folgt sie ihr nach (2, 57ff.); auch bei den con-

atitutiones iuridicialis und negotialis sowie bei den Teilen der conatitutio adsump-

tiva sind Cicero einige Ungenauigkeiten unterlaufen. Vgl. ferner 1, 17 mit 2, 116ff. Die Topoi 1, 34—43 werden 2, 28—31 und 2, 38—42 wiederholt: bis suf Kürzun-

gen in der Darstellung dee 2. Buches kongruiert die Reihenfolge. Vgl. ferner 1, 44—49 mit 1, 70—84. 68

3. Das Darstellungsschema des Kataloges hat in den Rhetorici libri nur geringe Bedeutung !. 4. Cicero liebt es, die einzelnen Abschnitte seines Werkes durch überleitende Floskeln miteinander zu verbinden. Zwischen einer Ein-

teilung und der Darstellung ihres ersten Punktes finden sich derartige

Phrasen zwar selten?. Ófters vermitteln sie zwischen zwei gleichrangigen Materien des Systems: teils wenden sie sich sofort dem neuen

Thema zu?, teils erklären sie, ehe sie das Stichwort des folgenden Abschnittes nennen, zunüchst die Behandlung des vorangehenden Teiles für abgeschlossen*. SchlieBlich stellen sich überleitende Sätze häufig ein, wenn der Gang der Darstellung nicht im voraus genau festgelegt ist®. Sie beginnen fast stets mit einem nunc; unter den ófters wiederkehrenden Phrasen fällt vor allem das Sätzchen nunc de ...

dicendum videtur auf*. Beliebt sind Adhortative wie consideremus, transeamus, explicemus”; ferner finden sich die futurischen Formen dicemus und exponemus?. Das unvollendete Jugendwerk Ciceros empfüngt durch die erórterten Methoden sein charakteristisches Gepráge. Der Mechanismus ihres Zusammenvwirkens ist in allen Teilen der Schrift spürbar; das dürre Einerlei der Einteilungen, Begriffsbestimmungen usw. trügt wesentlich zu dem Eindruck bei, daß sich in der unselbstándigen, zum Teil flüchtig ausgeführten Arbeit eine zur Manier erstarrte Tradition spiegelt.

6. Kagstel

Varros Werk über die Landwirtschaft $1. Varro gliedert den Gegenstand seines Werkes über die Landwirtschaft? in drei Zweige (1, 1, 11): .. . 46 ea re conor tribus librie exponere, uno de agrs$ cultura, altero de re pecuaria, tertio de villa1 S. 1, 100—105; 106—100; 2, 113f.; 130ff.; 144ff.; 150f. 3 1, 19; 2, 158; vgl. 1,9; 2, 13. * 1, 33: nunc de confirmatione deinceps ... praccipiendum videtur; 77; 97; 2, 51; 68; 71; 103; 156. * 1, 30: ac de narratione quidem satis dictum videtur; deinceps ad partitionem transeamus; 25; 36/37; 56/57; 2, 61; 115; 166/166; 170; 178.

5 1,9; 16; 21; 23; 28; 31; 109; 2, 10; 13 u. 6. * 1, 23; 28; 31; 2, 115; 165/166. Vgl. praecipiendum videtur 1, 25; 33. ? consideremua: 1, b6/57; 2, 61; 68; 71; 111; transeamus: 1, 30; 2, 51; explicemus:

1,4; 2,168; ferner pergamus 2,

156

(vgl.

1, 77); proficiscamur 2, 14;

videamus 2, 65. * dicemus: 1, 97; 2, 10; 178; exponemus: 2, 16; 50; 112.

* Nach 1, 1, 1 schrieb der Verfasser die III libri rerum rusticarum im 80. Lebensjahre, also 37 v. Chr. Die maBgebliche textkritische Ausgabe stellte 69

ticis pastiontbus!. Diese für den Aufbau des Kompendiums maßgebliche Trichotomie wird ausführlich erôrtert: die Teilnehmer an dem ersten Gespräch des in Dialogform abgefabten Lehrbuches unterhalten sich über den Umfang der agri cultura und kommen unter spóttischer Polemik gegen àltere Schriftsteller zu dem Ergebnis, daB ihr weder die Gewinnung von Bodenbestandteilen und dergleichen, noch die Viehzucht angehóren, sondern nur, quod ex satione terra sit natum ad fruendum (1, 2, 12—28)*; die res pecuaria &ber ist eine gesonderte Disziplin, die scientia pecoris parandi ac pascendi, ut fructus quam possini maximi capiantur etc. (2, 1, 11). Ferner unterscheidet der Verfasser zu Beginn des 3. Buches zwei partes der pastio, die pastio agrestis und die pastio villatica; jene erfreue sich allgemeiner

Anerkennung, diese hingegen sei a quibusdam adiecta ad agri culturam, cum esset pastio, neque explicata tota separatim ... ab ullo (3, 1, 8)*. Schon diese Stellen zeigen, daB Varro einer konsequenten systematischen Trennung der Materien groBen Wert beimiBt und daB er

die erstmals von ihm durchgeführte Dreiteilung der gesamten Landwirtschaft als erheblichen wissenschaftlichen Fortschritt ansieht.

Sein weiteres Vorgehen bestätigt diesen Eindruck. Jede der drei Disziplinen wird, ehe sich die Darstellung den einzelnen Vorschriften zuwendet, gründlich und umständlich eingeteilt. Das AuBerste leistet Varro im 2. Buche; hier erzielt das zum Selbstzweck gewordene, mit rigoroser Starrheit gehandhabte Schema unfreiwillige Komik. Zunüchst heiBt es, die res pecuaria umfasse drei mal drei Teile: erstens die drei Gattungen der minores pecudes, nümlich oves caprae sues,

sodann das GroBvieh, die boves asini equé und schlieBlich drei Einheiten, quae non parantur, ut ex sis capiatur fructus, sed propter eam

(sc. rem pecuariam) aut ex ea sunt: muli canes pastores (2, 1, 12). Schon die zuletzt genannte Dreiheit läßt sich an gewaltsamer Künstlichkeit kaum überbieten. Varro f&hrt fort: harum una quaeque (sc. para) in se generalis partis habet minimum novenas . . . ita fiunt omnium Keil her (1884), auf der die späteren Editiones minores der Bibl. Teubn. beruhen (1889; 1912; 1920; die beiden letzteren beaorgte Goetz). Einen Überblick über Aufbau und Inhalt des Werkes geben Hirzel, Der Dialog 1, 1895, 553ff.; Dahlmann, RE Suppl. 6, 1186ff., Art. M. Terentius Varro. Über die hier nicht zur Erórterung stehende Dialogform s. Heisterhagen, Die literarische Form der

r.r. libri, Diss. Marburg 1952; dort 48ff. Bernerkungen über die unterschiedliche dialogische Behandlung der Grundbegriffe einerseits und der eigentlichen landwirtechaftlichen Lehren andererseits.

1 Vgl. 3, 1, 9, wo diese Disziplinen als genera rerum rusticarum bezeichnet werden. Der zusammenfassende Begriff res rusticae auch 2, 1, 11. 3 Vgl. 1, 3: (agri cultura) est scientia, quae sint in quoque agro eerenda œ

facienda, quo terra mazimos perpetuo reddat fructus. Auf die sorgfältige theoretische Unterscheidung von Ackerbau und Viehzucht legt Varro besonderen Wert; vgl. 2, pr, 4—6. 3 S. ferner 3, 2, 13.

70

partes minimum octoginta εἰ una. Von den gleichsam die Quergliederung des Systems bildenden generales partes haben vier beim Vieherwerb Bedeutung, nämlich das Alter, das Aussehen, die Rasse und rechtliche Vorschriften, weitere vier bei der Haltung und Zucht, nämlich pastio, fetura, nutricatus und sanitas; die letzte generalis pars, der numerus, gehórt beiden Rubriken an: auf die Zahl muß man sowohl beim Kauf wie bei der Haltung von Vieh Rücksicht nehmen (2, 1, 12—24). Gegen dieses von einem der Gesprächspartner vorgetragene Schema wird eingewandt, daB man zwar die fetura der Hirten allenfalls erórtern kónne!, quod in hibernis habent $n villis mulieres, quidam etiam in aestivis, daB aber bei den muli die Teile, die sich mit der fetura und dem mnuiricatus befassen, hinfüllig seien. So entstehen zwei leere Fächer, die jener Gesprächspartner jedoch durch die Vorschriften über zwei extraordinariae fructum species anzufüllen weiB, durch die Erórterung der tonsura und der τυροποιΐα (2, 1, 25—28). Diese beiden Themen werden nach der konsequenten Abwicklung aller übrigen 79 Punkte* am SchluB des Buches abgehandelt (2, 11), und das Schema der neun mal neun Fächer ist allen Tücken der Natur zum Trotz gewahrt. Den Ackerbau gliedert Varro zunächst in vier partes eummae: e quis prima cognstio fundi, solum partesque esus quales sint; secunda, quae $n eo fundo opus sint ac debeant esse culturae causa; tertia, quae in eo praedio colendi causa sint facienda ; quarta, quo quicque tempore $n eo fundo fiers conventat (1, 5, 3). Jede dieser generales partes, so führt er fort, lasse sich in mindestens zwei species zerlegen; die vier primae partes würden zunächst erórtert werden, und sodann mit grôBerer

Genauigkeit die acht secundae (1, 5, 4). In Wahrheit bestimmt lediglich die zuerst genannte Vierteilung den Aufbau des 1. Buches?; die acht species dagegen werden in der Darstellung nicht berücksichtigt*. ! Was auch wirklich geschieht; s. 2, 10, 6f.

* Allerdinge fehlen Bemerkungen über die sanitas des Esels (s. 2, 6), und die Behandlung der muli fügt sich überhaupt nicht in das Schema ein (2, 8). Im übrigen aber hält Varro genauestens ein, was er versprochen hat. Die Untereinteilungen der pastio (2, 1, 16/17) und der santras (2, 1, 21/23) sollen offenbar für die Darstellung nicht verbindlich sein. Auch die beiden in der Einteilung unterschiedenen partes der fetura (2, 1, 18/19) werden in der Darstellung nicht deutlich voneinander abgehoben.

* 1. Teil: Kap. 6—16; 2. Teil: Kap. 17—22; 3. Teil: Kap. 23—26; 4. Teil: Kap. 27—69. * Das Ackerland teilt Varro 1, 6, 1ff. nach anderen Gesichtspunkten ein; die Erórterung des Instrumentariums gliedert er nach der Trichotomie genus vocale (z. B. servi), semivocale (z. B. boves), mutum (z.B. plaustra). Die Zusammenstellung landwirtschaftlicher Tätigkeiten in zeitlicher Ordnung richtet sich zwar zunüchst, wie 1, 5, 4 verheiBen, nach dem Jahresumlauf der Sonne und dem Monatszyklus des Mondes (1, 26—37, 3); der Verfasser fügt aber dann eine von den Geetirnen unabhängige Einteilung in sechs Phasen hinzu (1, 37,

4—69).

71

Im 3. Buch verfährt Varro ähnlich wie im ersten; er teilt die villatica pastio zunüchst in die drei genera ornithones leporaria piscinae ein und zerlegt sodann jedes genus in zwei species (3, 3, 1—4)!. An das

hieraus resultierende zweistufige Schema hat er sich bei der Erürterung des Stoffes im wesentlichen gehalten?. $2. 1. Die Einteilung ist, wie stets, s0 &uch in den Libré rerum

rusticarum das wichtigste methodische Hilfsmittel der geordneten Darstellung. Varro wendet sie in eigentümlicher Weise an: er schickt

der Behandlung der drei von ihm unterschiedenen Disziplinen jeweils einen ganzen Abschnitt voraus, der nicht nur, wie eine gewôhnliche Einteilung, die Begriffe oder Gesichtspunkte der nächsten Systemstufe aufzählt, sondern durch Unterteilungen sofort über die weitere Gliederung der Materien verfügt (1, 5, 3—4; 2, 1, 12—28; 3, 3, 1—4).

So konzentrieren sich die Dispositionen an den Buchanfängen; zumal im 2. Buche finden sich auBer dem zu Beginn entwickelten Schems der 81 Fächer nur selten zusätzliche Einteilungen. Im übrigen abet stimmt Varros Praxis mit den Gepflogenheiten anderer Lehrbuch verfasser überein. Er bezeichnet die Operation des ófteren durch die Worte dividere und divisio® und bedient sich gern der Wendung

alicuius rei (sunt) z genera (partes, &pecies)*. Auch bei ihm finden sich neben wirklichen Begriffsspaltungen zahlreiche Dispositionsschemats,

die lediglich die leitenden Gesichtspunkte eines Abschnittes ankündi gen*. Die Einteilungen enthalten gewóhnlich zwei, drei oder viet

Glieder, die meist aufgezáhlt (unum genus, alterum, tertium etc.) oder durch Konjunktionen verknüpft werden*. Im allgemeinen haben Einteilungen nicht nur die Aufgabe, Begrift

zu zerlegen; sie sollen zugleich oder sogar hauptsüchlich einen Über 1 Er unterscheidet Land- und Wasservôgel, Süfwasser- und Seefische. Die erste apecies der im leporarium lebenden Tiere umfaßt Wildschweine, Wilziegen und Hasen, die zweite dagegen so disparate Gegenstünde wie Bienm, Schnecken und Siebenschläfer (glires). ; 1 Nur die Süßwasser- und Seefische werden in aller Kürze gemeinsam abgets

(8, 17). Die in der Einteilung für jede species genannten Beispiele (3, 3, 3: v .

sunt pavones lurtures, lurdi; ul sunt anseres, querquedulae, anates etc.) eind : offenbar für die Darstellung nicht verbindlich. 3 dividere: 1, 5, 4; 17,1 ; 27, 1; 28, 2; 3, 3, 3. divisio: 1, 1, 11 ; 37, 4. 9,1; 17, 2. Neben diesen Einteilungen, die sämtliche untergeordneten

| ;

s. 1, 8, $ ι nennen, finden sich andere, die lediglich die Zahl der Arten angeben; 8, 4; 8, 5; 50,1; 2, 6, 3; 9, 2; 3, 7, 1; 12, 5; 16, 29. Nicht selten wählt Varrofu .

; s. 1, 1, 11; 9, 1; 10, 1; 23, 1; 41 . seine Einteilungen andere Formulierungen * Eine fünfgliedrige Einteilung 3,9,2; vgl.10, 1. Sechs Glieder: !, 974

Acht Glieder: 1, 27, 1; vgl. 28, 2. Neun Glieder: 2, 1, 12. Asyndeta z.B. 1, 6! 6, 2; s’ 2.

72

blick über den Aufbau der nachfolgenden Darstellung verschaffen. Deshalb pflegen sämtliche Punkte einer Disposition alsbald erórtert zu werden, und zwar in derselben Reihenfolge, die sie in der Gliederung innehaben!. Bei der Behandlung der Hunde verführt Varro jedoch anders (2, 9). Die hier vorausgeschickte Einteilung hat offenbar nur einen theoretischen Zweck; das genus venaticum gehôrt nicht weiter zur Sache, und die Darstellung beschrünkt sich auf das alterum genua, quod custodiae causa paratur εἰ pertinet ad pastorem. Somit bleibt ein Zweig der Dichotomie gleichsam 818 systematische Leerstelle auBer Betracht.

Über Divergenzen seiner Vorgünger in Einteilungsfragen berichtet der Verfasser an einer Stelle, und zwar ohne zu polemisieren (1, 17, 1): nunc dicam, agri quibus rebus colantur. quas res ali$ dividunt in duas partes, in homines et adminicula hominum etc., ali$

$n tres partes,

instrumenti genus vocale et semivocale et mutum. Die zuerst erwühnte

Dichotomie nennt er schon in der Disposition des 1. Buches (1, 5, 4); die Trichotomie legt er der weiteren Darstellung (1, 17, 2ff.) zugrunde*. 2. Als

Klassifikationsbegriffe

verwendet

Varro

die

Substantive

genus, apecies und pars. Das Wort genus findet sich bei ihm am häu-

figsten, insbesondere auch in Einteilungen?. Wo die Ausdrücke genus und species einen Gegensatz bilden, bezeichnet genus stets die übergeordnete

,,Gattung‘‘

und

species

die

untergeordnete

,,Art'.

So

schreibt Varro in der Haupteinteilung des 3. Buches (3, 3, 3): harum rerum (sc. ornithonum, leporariorum, piscinarum) singula genera mini-

mum in binas species dividi possuni*. Manchmal aber gebraucht er

die beiden Worte als Synonyma, z.B. in der Haupteinteilung des 2. Buches (2, 1, 12): ea (sc. scientia pecoris parandi ac pascends) partes habet novem discretas ter ternas, ut sit una de minoribus pecudibus, cutus genera tria, oves caprae sues, altera de pecore maiore, in quo sunt Slem. ad tres apecies natura discreti boves asini equi5.

Das Wort pars wird für Teile anschaulich vorgestellter Ganzheiten verwandt®; es bezeichnet stets grôBere oder kleinere Abschnitte der

! B. u. S. 75. ! Varros polemische Bemerkungen über den Umfang des Begriffes agri cultura und über die drei Fächer der Landwirtschaft kommen einer Einteilungskontroverse ziemlich nahe; s. hierzu o. S. 70.

* 8.1,2,19; 6,1; 6,2; 8,1—06; 14, 1; 17,1; 18, 1; 22, 3; 22, 6; 25; 27, 1;

38, 1; 39, 3 usw. * Vgl. $ 4. S. ferner 1, 5, 4; 14, 1 (vgl. $ 4); 22, 5.

* S. ferner 1, 8, 1/2; 9, 1—5. * S. den bildhaften Ausdruck 1, 2, 13: arbitror. . . melius fecisse quosdam, qus minore pomerio finierunt (8c. agri culturam) ea:clww partibus, quae non pertinent

ad hanc rem.

73

landwirtschaftlichen Lehre!. Doch dieser Bedeutungsbereich gehört ihm nicht allein: wie schon die drei Hauptfücher der res rusticae einmal genera genannt werden (3, 1, 9)*, s0 findet sich pars, wenn es Unterabteilungen der Theorie charakterisiert, bisweilen &ls Synonym von genus und species. So heiBt es bei der Einteilung des Gutsinventars (1, 17, 1): quas res alii dividunt $n duas partes etc., als$ $n tres partes,

instruments genus vocale et semivocale εἰ mutum?*. In der Hauptdispo-

sition des 3. Buches stehen zunüchst spectes und pars gleichbedeutend nebeneinander (3, 3, 3/4); spüter bezeichnet Varro als pars, was er zuvor genus genannt hatte (3, 3, 3 und 3,3, 8/9)*. Bisweilen bestimmt er das Wort pars durch Attribute, um auf den systematischen Rang der jeweils gemeinten Gegenstände hinzuweisen. So heiBen die vier Hauptteile der agriculiura zunüchst summae partes, dann generales partes, offenbar im Hinblick auf die species, in die jede pars alsbald weiter aufgeteilt wird (1, 5, 3/4)*. Die Verbindung generales partes findet sich noch einmal in der Einteilung des 2. Buches; sie bezeichnet dort die Gesichtspunkte, die für die Gliederung aller neun Teile der res pecuaria maBgeblich sind (2, 1, 12).

3. Zwei einander verwandte methodische Hilfsmittel, die Distinktion und die Gegenüberstellung von Gattungs- und Artmerkmalen, haben die Darstellung der landwirtschaftlichen Lehre offenbar nur in sehr unerheblichem Maße beeinfluBt. Zwar weist Varro oft auf Unterschiede hin, doch niemals in der strengen Form, die bestimmte,

bereits einzeln erórterte Artbegriffe voneinander abhebt*. Die Adjektive communis und proprius begegnen einmal als Gegensatzpaar; im übrigen finden sie sich nur einzeln”. 1 Abgesehen von Stellen, wo es in ursprünglicher Bedeutung für Teile ráum-

licher oder zeitlicher Ganzheiten steht (1, 2, 3 u. ὅ.; 1, 27, 1; 28, 2). S. 1, 2, 23: Teile der agrí cultura (ebenso 5, 1; 5, 3f.). 2, 1, 12ff.: Teile der res pecuarsa. 3, 1, 8: Teile der pastio. Ferner 1, 16, 1; 17, 1; 23, 1; 2, 1, 2; 3, 0, 2. * Vgl. 3, 2, 13: genera pastionum; 3, 3, 1: genera sc. pastionis villaticae. * Vgl. 1, 19, 1 und 3. * Vgl. ferner den Ausdruck generales partes (1, 5, 4; 2, 1, 12). 1, 5, 4 werden

die generales partes später als primae partes bezeichnet, die apecies 818 eecundae ries.

Pa. Die Verbindungen primae und secundae partes (1, 5, 4 &. E.) bezeichnen wohl nicht verschiedene Systemstufen, sondern beziehen sich lediglich auf die Reihenfolge der Einteilungen in der vorangehenden Disposition.

* discrimen: 1,6,5; 7,9; 9, 4; 22, 2; 46 u. 6.; refert: 1,7,5; 8,1; B, 7; 9,1; 9, 5; 16, 2 u. 0.; snteresse: 1, 34, 1; 44, 2; 2, 1, 14; 9, 6; differre nur 3, 16, 19. 1, 9, 3/5 ist immerhin von discrimina generum die Redo; vgl. 38, 1 ; 2, 7, 6. Der Abschnitt 2, 11, 2 kommt einem Differenzenkatalog nahe: sed horum (sc. lactium)

sunt discrimina quaedam et a pastionibus εἰ a pecudum natura et ab ortu; a pastionibus, quod . . . a pecudum natura, quod . . . a mulgendo atque ortu etc.

' communis und proprius: 1, 9, 1—3. communie: 1,6,2; 2, 1,12 und 24. proprius: 1, 2, 20; 50,1; 2, 3, 7.

74

4. Varro hat es

meistens vermieden,

die

Begriffe

seines Lehr-

gebäudes in stereotyp wiederkehrender Stilisierung zu bestimmen. Es ist wahrscheinlich, daß ihn seine künstlerische Intention, die Dialogform des Werkes, veranlaBt hat, in dieser Hinsicht von der starren Form systematischer Lehrbücher abzuweichen und sich um eine gelockerte, der Umgangssprache nahestehende Ausdrucksweise zu bemühen. Doch heben sich nicht selten kurze Charakterisierungen einzelner Begriffe sowohl dem Inhalt wie der Form nach deutlich von ihrer Umgebung ab; in diesen Fállen kommen die Res rusiicae dem üblichen Typus der Definition sehr nahe. So leitet Varro die Erórterung eines jeden genus tutelarum durch Kurzcharakteristiken ein; meist verbindet die Kopula esse das Definiendum mit seinen Merkmalen (1, 14, 1/4): primum (sc. genus tutelarum) naturale saepimentum, quod opseri solet virgultis aut spinis etc.; secunda saeps est

agrestis e ligno etc. ; tertium militare saepimentum est fossa et terreus agger etc. ; quartum fabrile saepimentum est novissimum,maceria etc.!. Beispiele

dienen bald

der

Erläuterung abstrakter

Bestimmungen

(1, 8, 2):

jugationss species duae, una derecta, ut in agro Canusino etc.*; selten

stehen sie an deren Stelle (ebendort): pertica, ut in Falerno, harundo, ul in Arpano etc.?. $3. 1. Während nun in den Res rusticae ein bestimmter Typus von

Definitionen ziemlich selten begegnet, hat Varro das Prinzip wissenschaftlicher Kompendien, ein System nicht nur durch logische Operationen, sondern auch durch die verdeutlichen, in

einer durch

die

Reihenfolge der Abschnitte zu Dialogform

kaum

gemilderten

Evidenz befolgt. Zwar lassen sich Begriffsbestimmungen und ausführliche Charakteristiken oft nicht als besondere Elemente unterscheiden, allein auf die Kongruenz zwischen Einteilung und Darstellung hat der Verfasser stets geachtet: die dort gewühlte Reihenfolge der einzelnen Punkte wird auch hier eingehalten*. Zudem ist der

Übergang von einem Fache des Systems zu einem anderen meist, sei es durch die Stellung des Stichwortes am Satzanfang, sei es durch Zahlen oder schlieBlich durch besondere formelhafte Wendungen

! Vgl. 2, 1, 14ff.: altera pars est etc.; tertia pars est etc. quarta pars est etc. etc. ; hier handelt es sich freilich der Sache nach nicht um Definitionen. S. ferner £. B. 1, 8, 2ff.; 3, 7, 1/2; 9,2 und 16 und 18 (gallinae villaticae, rusticae, Afrieanae); 12, 5/6; 16, 24. Statt esse vermitteln manchmal Verba dicendi zwischen

dem Begriff und seiner Definition; s. 1, 8, 1; 9, 1—2; 10, 1; 29, 1—3; 48,1; 2, 5, 6; 3, 3, 1—2; 16, 23. ! B. auch 1, 8, 5; 9, 2; 14, 4; 2, 6, 3. * Vgl. 1, 9, 1; 17, 1.

* Anders nur 1, 8, wo statt der pedamenta ($$ 4f.) zunüchst die tuga ($8 2f.) erôrtert werden. Über die Einteilungen 1, 5, 3/4 s. o. S. 71.

75

markiert!. So leitet Varro z. B. den Abschnitt über die vier Jahres-

zeiten mit der Übersicht ein (1, 27, 1): in quattuor (sc. cursus annalis divisus est), quod dividitur in ver el aestatem et autumnum et hiemem. Sofort erläutert er die Bedeutung des Frühlings für die Landwirtschaft (8 2): vere saliones quae fiunt, terram rudem proscindere oporid etc. In gleicher Weise stellt er auch bei den folgenden Gliedern die Jahreszeit stets an den Satzanfang ($ 3): aestate fseri messes oportere,

autumno siccis tempestatibus vindemias etc., hieme putars arbores etc.*. Varro gliedert den Stoff der Rerum rusticarum libri fast immer in der Weise, daß er eine Disposition vorausschickt und sodann einen

Punkt nach dem anderen ausführlich erôrtert; er verfährt somit nach folgendem Schema: À. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw.

B. Darstellung: 1. Glied: (Definition und weitere) Charakterisierung

2. Glied: (Definition und weitere) Charakterisierung usw.

In einzelnen Fällen hat er jedoch die Definitionen nicht nur durch eine bestimmte Stilisierung, sondern auch durch ihre Stellung von den übrigen deskriptiven Ausführungen abgehoben: er läBt sie sümtlich unmittelbar auf die Disposition folgen, so daB die betreffenden Ab schnitte nach diesem Schema aufgebaut sind: A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw.

B. Darstellung: a) Definitionen der Glieder 1, 2, 3 usw. b) weitere Charakterisierungen der Glieder 1, 2, 3 usw.

Das anschaulichste Beispiel für diesen Aufbau gewähren die Haupt-

fücher des letzten Buches; hier kehren die Gattungsbegriffe dreimal 1 Anders z. Β. 1, 18; vgl. auch 1, 30, 3ff.; 62ff.

! Weitere Beispiele für die Gliederung von Abschnitten durch vorangestellte Stichworte: 1, 4, 1; 8,2; 9,7; 10, 1/2; 17, 1fF.; 40, 1; 48, 1; 2, 1, 21/23; 2,* 4,4; 11,2; 3,9, 1ff. Gliederungen durch Zahlen: 1,8,2 (iugationis species):

8, 3; 8,5/6; 9, 1/2; 14; 39, 3-40, 6; 50; 2, 6, 3; 9, 2; 3, 7, 1/2; 12, 5/6; 16, 29/90. Über 1, 28, 2ff. und 1, 37, 4ff. s. u. S. 77. Zwischen gróBeren Abschnitten d® Systems pflegen besondere Überleitungen zu vermitteln (s. z. B. 1, 17, 1; 23, 1 28); oft tritt &uch ein Wechsel in der Person des Vortragenden ein, odef Einwürfe der Mitunterredner erinnern an den Dialogcharakter des Werkes (s. z.P.

1, 3; 9, 7; 2, 1, 11; 2, 1; 3, 1; 4, 1 usw.); s. hierzu Heisterhagen, a.O. 43f.; 5_“‘ Die neun Unterfächer eines jeden der neun Hauptfücher im 2. Buch markiert

Varro bald durch besondere Übergünge, bald durch Zahlen, bald durch die Stellung der Stichworte; s. 2, 2, 3; 2, 4; 2, 5; 2, 7; 2, 13; 2, 16; 2, 20; 3, 1; $^i 3, 3; 3, 5; 3, 6; 3, 8; 3, 9 usw. 76

in derselben Reihenfolge wieder. Sie werden zunächst in der Einteilung aufgezählt (3, 3, 1): eius disciplinae (sc. pastionis villaticae) genera eunt tria, ornithones, leporaria, piscinae, dann definiert (δὲ 1/2): nunc ornithonas dico etc.; leporaria ie accipere volo etc.; similiter piscinas dico etc., und schlieBlich ausführlich dargestellt (3, 4, 2 ff.).

Ahnlich wie hier verfährt Varro in einem Abschnitt des 1. Buches, bei der Erórterung des Gutsinventars (1, 17, 1 ff.)!. 2. Den Parallelismus hat der Verfasser im 2. Buch eindrucksvoll angewandt: wie bereits erórtert, werden hier neun Einheiten jeweils nach denselben neun Gesichtspunkten abgehandelt. Das ganze Buch besteht somit gleichsam aus einer Làngs- und einer Quereinteilung, deren Zusammenspiel sich durch ein aus 81 Feldern bestehendes Quadrat veranschaulichen lieBe*. 3. Katalogartige Aufzáhlungen sind in den Rerum rusticarum librs nicht selten; da der Verfasser ihnen stets eine Disposition voranstellt,

lassen sie sich auch auf das aus Einteilung und Darstellung zusammengesetzte Schema zurückführen. Sie wurden daher bereits genannt?, und an dieser Stelle braucht nur noch auf die Listen hingewiesen zu werden, in denen Varro landwirtschaftliche Tätigkeiten nach Zeit-

abschnitten

bzw.

-phasen

geordnet

vortrügt

(1, 28,2—36;

1,37,

4—869)*.

4. Die überleitenden Phrasen sind manchmal in einer durch die

Dialogform bedingten Weise modifiziert®, verwenden jedoch meistens das übliche stereotype Vokabular. Wie in anderen Lehrbüchern vermitteln sie im allgemeinen zwischen mehreren gleichrangigen Gliedern einer Disposition; bald nennen sie zunáchst den bisher betrachteten

Gesichtspunkt, bald kündigen sie sofort das neue Thema an. So heiBt ! Auf die Einteilung (alit, sc. dividunt has res, in tres partes, instruments genus vocale εἰ semivocale εἰ mutum) folgen zunächst Bestimmungen durch Bei-

spiele (vocale, in quo eunt servi etc.) und dann erst ausführliche Darlegungen ($5 2ff.). Vgl. ferner 1, 8, 2/3, wo zwischen die Disposition und die Beispiele einerseits und weitere Ausführungen andererseits einige allgemeine Bemerkungen

(tugationts species duae etc.) eingeachoben sind. Auch die Erôrterung der vineae 1ugatae (1, 8) besteht aus drei Elementen: auf die Einteilung in pedamenta und iuga sowie die Definitionen ($ 1) folgen untergeordnete Dispositionen ($$ 2ff.), doch werden in vertauschter Reihenfolge zunüchst die $uga und dann die pedamenta woiter zerlegt; 8. o. S. 75, Anın. 4. * AuBerdem werden im 3. Buch, wie Varro ausdrücklich bemerkt (3, 10, 1),

die gallinae und anseres nach denselben Gesichtspunkten erórtert (3, 9—10). * 8. 0. S. 76, Anm. 2. * In dem Katalog 1, 28, 2ff. findet sich zu Beginn eines jeden Gliedes auBer der

Zahl das charakteristische anaphorisch wiederkehrende Stichwort: primo intervallo . . . secundo intervall etc. o

* B. 1, 23, 1; 26; 56; 2, 3, 1; 4, 1; 5, 1/2 usw. 71

68 z. B. (1, 17, 1): de fundi quattuor partibus etc. dizi; nunc dicam, agri quibus rebus colantur etc., oder (2, 2, 13): quod ad pastiones attinet, haec fere sunt; quod ad feturam, quae dicam!. Doch meistens sagt Varro lediglich (1, 14, 1): nunc de . . . dicam oder dergleichen*. Manchmal verbindet er auch eine Disposition mit der Erórterung ihres ersten Punktes durch ein derartiges Sätzchen, z.B. (1, 6, 1): sgitur primum de solo fundi videndum etc.*. Der sonst sehr gebrüuchliche Adhortativus ist in den Rerum rusticarum libri vermieden; das charakteristische nunc findet sich des ôfteren*. Sehr häufig wird das Verbum dicere verwendet^; ferner begegnet zu wiederholten Malen die Form relinquitur®.

7. Kapitel

Vitruvs Libri de architectura $ 1. Der Gegenstand der Libri X de architectura Vitruvs? ergibt sich sich sofort aus der an den Kaiser Augustus gerichteten Praefatio des 1. Buches (1, pr, 1); der Verfasser kündigt hier an, daB sein Werk omnes disciplinae rationes enthalte (ibid. 3). Er hat zwar nicht versucht, Wesen und Zweck der Architektur durch eine Definition im technischen Sinne des Wortes zu bestimmen; doch geben die ersten drei Kapitel des Werkes über diese Punkte reichlich Auskunft, und

insbesondere bezeichnet das 3. Kapitel, das die Einteilung der Architektur enthält, den Aufgabenkreis dieser Disziplin. Hiernach gliedert sie sich in die drei Fücher aedificatio, gnomonice, machinatio. Die 1 8.1,23,1; 40, 1; 62; 2, 1, 6; 3, 1; 3, 9, 16; 10,9.

3 S. 1, 7, 2; 7, 5; 9, 7; 20; 39, 3; 56; 2, 1, 11; 1, 24; 2, 7; 2, 20; 3, 6; 3, 8; 4,1; 4, 21; 5, 1/2; 6, 1 usw.; 3, 5, 8; 10, 1; 14, 1; 10, 1. * S. ebendort (dicam prius de naturali, sc. forma); 39, 3; 2, 9, 2; 3, 5, 1. Bisweilen verknüpfen diese Floskeln auch Abschnitte, deren systematisches Verhültnis nicht durch Einteilungen bestimmt ist; sie leiten z.B. zu Anhüngen (appendices) über, 80 ausdrücklich 1, 15/16, 1 (appendiz &uch 3, 9, 2); s. ferner 1, 3; 6, 1; 37, 3/4; 2, 2, 1; 3, 6, 1; 9, 1; 11, 4—12, 1; 16,32. * 1, 14, 1; 17, 1; 2, 2,1; 3, 1; 3, 10, 1; 16, 0; 16, 32.

5 dicam: 1, 6,1; 14, 1; 17, 1; 49, 1; 2, 1, 6; 2, 7; 2, 13; u. ὅ. dicetur: 1, 44, 3. dico; 1, T, 2; 2, 3, 6. dixi: 1, 5,1; 17,1; 37, 3; 2, 1, 6; 3, 10, 32.

* S. 1, 5, 1; 16/16, 1; 2, 1, 24; 2, 20; 3, 9; 9, 1; 3, 16, 1. S. auBerdem 2, 1, 11 und 10, 1 (relicum est). SchlieBlich gebraucht Varro noch die Formen sequitur (1, 7, 6; 9, 7); transi (3, 10, 1); videndum (1,8,1; 39, 3) und animadvertenda (1, 62).

? Das Werk entetand wahrscheinlich in den Jahren 27—23 v. Chr.; im einzelnen s. Schanz-Hosius, Gesch. d. rôm. Lit. 2*, 1935, 387f. Die beste Ausg.

veranstaltete V. Rose (1899). Deuteche Übers.: Reber, 1865; Prestel, 1912. Über den Inhalt des Werkes ausführlich Pernice, Handb. d. Arch., 1. Textbd., 1939, 261£ff.

78

aedi[scatio sei zweigeteilt: sie bezwecke die Herstellung einerseits von ôffentlichen, &ndererseits von privaten Gebäuden. Der erste Teil wiederum befasse sich mit den Bauten für defensio, religio und opportunstas, also mit den Verteidigungsanlagen, den Sakral- und den für friedliche Zwecke bestimmten Profanbauten. Diese einfache Gliederung enthält im wesentlichen den Plan des Werkes: das erste Buch befaßt sich vom 4. Kapital an vornehmlich mit Verteidigungsanlagen, das dritte und vierte erórtern die sakralen und das fünfte die öffentlichen Profanbauten, soweit sie nicht militárischen Zwecken dienen. Im siebenten Buch wird die Herstellung von Privathäusern dargelegt; der Uhren- und Maschinenbau, die beiden anderen Hauptzweige der Disziplin, folgen im neunten und zehnten Buch. AuBerhalb des im 3. Kapitel des 1. Buches entworfenen Schemas

stehen einmal die vorangehenden beiden Kapitel: zu Recht, da sie allgemeine Lehren enthalten, die für sámtliche Fächer der Architektur gelten. Das 1. Kapitel ist dem Architekten gewidmet: seine Kunst erfordere fabrica und ratiocinatio, praktische Erfahrung und theoretische Einsicht innerhalb seines Faches; überdies müsse er ein enzyklopädisch gebildeter Mann sein, der korrekt zu schreiben und seine Entwürfe graphisch darzustellen verstehe und der sich in Geometrie, Geschichte, Philosophie, Musik, Medizin, Jurisprudenz und Ástronomie auskenne. Das 2. Kapitel enthält die ,,ästhetischen Kategorien der Architektur''!: ordinatio, dispositio, eurythmia, symmetria, decor, distributio.

Weiterhin stehen drei ganze Bücher auBerhalb des vor Beginn der speziellen Lehren (1, 3, 1) dargelegten Systems: das zweite, das die Baumaterialien behandelt, das siebente, worin Verputz, Wandmalerei und Farben erórtert werden und schlieBlich das achte, dem Wasser und den Wasserleitungen gewidmete Buch.

Das zuletzt genannte

Thema hätte sich vielleicht in die Darstellung der óffentlichen Profanbauten, die der opportunitas dienen, eingliedern lassen. Anders steht es mit dem 2. und 7. Buch: ihr Stoff paBt nicht in das Schema, das

die Architektur nach den vom Architekten hergestellten Gegenständen

gliedert.

Der Verfasser hat sich angelegentlich bemüht, seinen Stoff in gehóriger Ordnung zu behandeln. Er nennt daher das Werk zu wiederholten Malen ein corpus architecturae*; zum SchluB versichert er, daB sein corpus in zehn Büchern omnia architecturae membra erórtert habe. Deutet schon diese Metapher auf die Absicht des Verfassers, so bezeichnet er es zu Beginn des 4. Buches ausdrücklich als seine Aufgabe, lantae disciplinae corpus ad perfectam ordinationem perducere (4, pr, 1). ! Puchatein, RE 2, 545, Art. Architectura.

! 2, 1, 8; 4, pr, 1; 5, pr, 5; 6, pr, 7; 7, pr, 10; 14; 9, 8, 15; 10, pr, 4. 79

Er sei, 80 versichert er in der Vorrede des 5. Buches, auf Kürze der

Darstellung bedacht gewesen und habe den Stoff so angeordnet, daß man Zusammengehöriges nicht an verschiedenen Stellen suchen müsse: die genera sollten vielmehr in den einzelnen Büchern eines corpus abgehandelt werden (δ, pr, 5)!.

Man darf dem Verfasser das Zeugnis ausstellen, daß er seine kompositionelle Leistung nicht überschätzt hat, wie er bekanntlich andererseits recht daran tat, wegen seines Stiles um Nachsicht zu bitten (1, 1, 17). Sein Werk ist im ganzen verständig geordnet. Von einer Ausnahme abgesehen? fallen die Buchschlüsse mit den wichtigsten Aufbaufugen des Stoffes zusammen. Auch innerhalb der einzelnen Bücher geht die Erörterung ihren gemessenen, disziplinierten Gang; trotz mancher Exkurse hat sich Vitruv fast nirgends zu einer sprunghaften, den Eingebungen des Augenblicks folgenden Darstellungsweise hinreißen lassen?. So werden z.B. im 2. Buch nacheinander Ziegel, Sand, Kalk, Puteolanerde, Bruchsteine usw. abgehandelt (Kap. 3 ff.); im fünften folgen auf das Forum samt Basiliken (Kap. 1) Schatzhaus, Kerker und Kurie (Kap. 2), Theater (Kap. 3—9), Báder (Kap. 10) usw.

$2. 1. Vitruvs Werk unterscheidet sich jedoch darin von der üblichen Weise systematischer Kompendien, daB die Reihenfolge der einzelnen Materien meistens nicht durch besondere, der Darstellung jeweils vorausgehende Hinweise angekündigt ist. Der Verfasser hätte, um dieser Form vollauf zu genügen, entweder konsequent das Hilfsmittel der Einteilung anwenden und s0 schrittweise ein Begriffsgefüge von der obersten Gattung bis zu den untersten Arten entfalten müssen; die Einteilungen hätten dann zugleich je nach ihrem systematischen 1 S. ferner 7, pr, 18: disposite singulis voluminibus de singulis exponere. SchlieBlich zeigt eine umständliche Rechtfertigung der Darstellungafolge, wie wichtig dem Verfasser der Aufbau des Werkee war (2, 1, 8): sed st qui de ordine

huius libri disputare voluerit, quod putaverit eum primum institus oportuisse ... sic reddam rationem. 3 Sowohl das 3. wie das 4. Buch behendeln Sakralbauten. * Die Lehre von den Stilen (3, 5—4, 7) hätte allerdings übersichtlicher geordnet werden kônnen. Auf die Erôrterung der Fundamente und des Stylobats (3, 4) folgen unversehens die Vorschriften für attische und ionische Säulenbasen

(3, 5, 1—3); daß der Rest des Buches dem ionischen Tempel überhaupt gewidmet ist, teilt Vitruv erst in der Schluübemerkung (3, 5, 15) ausdrücklich mit. Er verepricht dort zugleich, sich im folgenden Buch mit dem dorischen und korinthischen Stil zu befassen. Das Kapitel 4, 1 erôrtert denn auch wirklich die korinthische Säule ; doch sind mitten in die Vorschriften Entetehungssagen aller drei Stile eingeschoben (4, 1, 5—10). Der dorische Stil folgt erst im 3. Kapitel, nach Ausführungen über das Gebülk (Kap. 2), die ihn als bekannt voraussetzen.

Den etruskischen Stil hat Vitruv willkürlich zwischen die Erórterung der Tempeltüren (Kap. 6) und des Rundtempels (Kap. 8) eingeschoben. 80

Rang den Plan für die Darstellung größerer oder kleinerer Stoffgebiete enthalten. Oder Vitruv konnte, wenn sich der Gegenstand für ein strenges System nicht eignete, den einzelnen Materien ebenso Dispositionsschemata vorangehen lassen, wie er zu Beginn des Werkes den gesamten Aufgabenbereich der Árchitektur aufgegliedert hat!. Innerhalb begrenzter Einzelgebiete freilich hat sich der Verfasser

des ófteren den Formalismus des systematisch angelegten Lehrbuches zu eigen gemacht. Er praktiziert die Einteilung meistens, ohne ausdrücklich auf die methodische Operation hinzuweisen?; die aus ihr

resultierenden Unterbegriffe pflegt er jedoch als genera, spectes oder partes zu charakterisieren*. Manchmal aber unterbleibt auch eine derartige Klassifikation, insbesondere dann, wenn nicht eigentlich

eine Gattung in Arten zerlegt, sondern lediglich um der Übersichtlichkeit willen ein Dispositionsschema mitgeteilt wird*. Die Einteilungen sind gewóhnlich mit esse gebildet, 2. Β. (2, 4, 1): genera ... harenae fossiciae sunt haec: nigra, cana, rubra, carbunculusS. 2. Als Klassifikationsbegriffe verwendet Vitruv die Substantive genus und species. Das überaus häufige Wort genus® hat in vielen Fällen eine ziemlich unscharfe Bedeutung”; nicht selten bezieht es sich jedoch auf einen bestimmten systematischen Zusammenhang?. Das Substantiv species begegnet nur gelegentlich als Ausdruck für Begriffsrelationen; an zwei Stellen ist es Synonym von genus?. Das Substantiv

pars endlich hat nur in der Haupttrichotomie des Werkes (1, 3, 1) !9 methodologische Bedeutung; ihm scheint hier dieselbe Vorstellung zugrunde zu liegen wie dem deutschen Wort ,,Fach' im Sinne von

Disziplin, Zweig einer Wissenschaft usw.

! Bisweilen verrät Vitruv seine Einteilungsprinzipien erst mitten in der Darstellung: 3,5,16 (ionischer, dorischer und korinthischer Stil); 6,5,3 (Stadt- und Landhäuser); 6, 6, 7 (rómische und griechische Häuser). ! Anders nur 1, 3, 1 (dividere); 3, pr, 4 (partitione distribuere); 6, 3, 1 (distinguere).

* Als genera 2, 3, 3; 4,1; 8,5; 4,1,3; 0,1; 5, 4,3 u. ó.; als species 1,2, 2 und 3,3,1; als partes lediglich 1, 3, 1. Für die Tempelformen (Antentempel,

(l;ro;t‚ylos usw.) gebraucht Vitruv in einer Einteilung den Ausdruck principia ;

* * * ? *

2, 1).

S. 1, 1, 1; 1,3; 2, 1; 2, 6; 3, 2; 5, 4, 5; 8,1; 6, 8, 9; 9, 1, 6. S. ferner 2, 8, 1 ; 3, 2, 1; 3, 1; 4, 6, 1; 5, 4, 3; 6, 9. Sämtliche Stellen bei Nohl, Index Vitruvianus, 1876, s. v. S.z.B. 1, 1, 1; 1, 7 usw.; 4, 7 (genus avium); 2, 1, 2 (genus casarum) usw. Z.B. wenn der ionische, dorische usw. Stil erwähnt wird: 1, 2, 5; 2, 6;

4, pr, 2; 1, 2; 1, 3 u. ô.; 5, 9, 2; 9, 3; 7, pr, 16. * 1,2,2; 2,1,8; 3,3,1 (aedium apecies; vgl. 3, 3, 3; 3, 11, wo sie genera

heiBen); 4, pr, 1; 8, 3, 6 (vgl. 8, 3, 5; 3, 6; 3, 7 u. ὅ., wo stets von genera aquarum die Rede ist).

» Vgl. hierzu 1, 1, 16: ex singulis doctrinis partes. 6 7624

Fubrmann, Lehrbuch

81

3. Die Distinktion, die schulmäßig betonte Abgrenzung zweier systematisch gleichgeordneter Begriffe, findet sich im Werke des Vitruv nur vereinzelt. Am ehesten beansprucht die Unterscheidung von machinae und organa einige Aufmerksamkeit; sie lautet: inter machinas εἰ organa ıd videtur esse discrimen, quod machinae etc., organa autem etc. (10, 1, 3). Ihr gehen eine Einteilung sowie eine Reihe von Definitionen voran; sie steht also in einem Abschnitt, der deutlich durch methodologische Operationen geprügt ist. Dagegen hat der Verfasser zwei weitere Distinktionen mitten in zusammenhángende Darlegungen eingestreut; auch hier gebraucht er das Substantiv discrimen!. Allgemeines und Spezielles konfrontiert der Verfasser einmal zu Beginn des Werkes. Er will das Wesen der enzyklopádischen Bildung &useinandersetzen und unterscheidet bei jeder Spezialwissenschaft opus und ratsocinatio, Praxis und Theorie (1, 1, 15f.). Jene, so heißt es dann, sei ein proprium der jeweiligen Spezialisten, diese ein commune aller Gebildeten. Diese These belegt Vitruv durch ein paar Beispiele, worin er derartige propria und communia miteinander konfrontiert!. Im übrigen finden sich das Adjektiv proprius und das Substantiv proprietas häufig ohne ihren Gegensatz?; sie haben dann, zumal wenn

es sich um Eigentümlichkeiten eines genua handelt*, oft logische Bedeutung. Nirgends verleiht eine bestimmte Stilisierung derartigen Feststellungen besonderes Gewicht. 4. Das Hilfsmittel der Definition wird von Vitruv ziemlich selten angewandt. Zwar läßt es sich der Sache nach von den deskriptiven Ausführungen, aus denen im Grunde das ganze Werk besteht, nicht

scharf abgrenzen. Hier wird jedoch unter einer Definition lediglich eine bestimmte Stilisierung verstanden, die einen am Satzanfang stehenden Fachausdruck durch die Kopula ease mit seiner Bestimmung verknüpft: dieser Typus begegnet zwar des ófteren zu Beginn des Werkes®, innerhalb der speziellen Lehren jedoch ziemlich vereinzelt“. Meist wird eine Reihe von Arten im unmittelbaren AnschluB an eine Einteilung bestimmt?; Definitionen inmitten zusammenhängender

Ausführungen bilden Ausnahmen®. Der Verfasser definiert durch die ı 6,3,9; 8, 10. Vgl. auch 2, 2, 2; 4, pr, 2; 8, 7; 5, 8, 2.

2 6,5,1 gebraucht der Verfasser den Gegensatz proprius — communis in ursprünglicher Bedeutung. . Nohl a.O. s. v. B. 1, 2, 6; 4, 1, 2; 1, 12; 7, 3, 7; 8, 3, 7; 3, 14; 3, 26. 1: fabrica und ratiocinatio; 2, 2——8: ordinatio, dispositio usw.

2: ventus; 2, 8, 6; 3, 1, 1: proportio; 2, 2ff.; 3, 2ff.; 5, 4, 5; 6, 3, 1—2; 0

'ge}.nt einer Einteilung die Bestimmung der Gattung voraus. 2; 3, 1, 1; 9, 1, 1.

abstrakte Angabe der spezifischen Merkmale, z.B.: dispositio ... eat rerum apta conlocatio elegansque e compositionibus effectus operis cum qualitate (1, 2, 2); manchmal fügt er sofort Beispiele hinzu: pycnostylos (8c. aedes) est, cuius sntercolumnio unius et dimidiatae columnae craasitudo interpons potest, quemadmodum est divi Tulii et in Caesaris foro Veneris etc. (3, 3, 2)!. Vitruv bezeichnet die Definition mit den Substantiven terminatio und finitio; er will mit diesen Ausdrücken offenkundig nur Wesens-

bestimmungen bezeichnen, die in der soeben angegebenen Weise sprachlich stilisiert sind. Denn einmal, nach einer Reihe von Definitionen dieses Typus, erklürt er: hae sunt terminationes dispositionum (1, 2, 2); seine Bemerkung bezieht sich auf die drei Sátze ichnographia est etc., orthographia . . . est etc., scaenographia est etc. Wenn Vitruv

ferner behauptet, er habe es sich im 1. Buche zur Aufgabe gemacht finire terminatonibus eius (sc. architecturae) species (2, 1, 8), so kann

mit diesem Hinweis nur eines der Anfangskapitel gemeint sein, in denen sich überall dergleichen mit esse gebildete Definitionen finden*. 5. Wie nicht verwunderlich, erfáhrt man aus dem Werke des Vitruv über den Begriff, insbesondere über die Fachterminologie, wenig oder

nichts. In der Vorrede des 5. Buches weist der Verfasser auf die Schwierigkeiten hin, mit einer wissenschaftlichen Arbeit über die

Architektur einen publizistischen Erfolg zu erringen: sie seien unter anderem dadurch verursacht, daß vocabula ex artis propria necessitate concepla inconsuelo sermone obiciunt sensibus obscuritatem (5, pr, 2). Hier wird lediglich auf die Notwendigkeit einer fachwissenschaftlichen

Terminologie hingewiesen ; Bemerkungen über die mit ihr verbundenen logischen und inhaltlichen Probleme finden sich im Werke des Vitruv nicht. Die Substantive vocabulum und nominatio, deren sich der Ver-

fasser gern bei Fachausdrücken bedient, bedeuten offenkundig soviel wie ,,Bezeichnung''*.

$3. Von den typischen Aufbauformen des Lehrbuches finden sich zwar im Werke des Vitruv Parallelismus und Katalog überhaupt

nicht, jenes Schema jedoch, das Einteilung, Definitionen und deskriptive Ausführungen einander in mehr oder weniger strenger Stilisierung

! So durchweg in den Bestimmungen der principia und species aedium

(3, 2 und 3, 3, 1—5). ! Wahrscheinlich zielt die Bemerkung auf das zweite Kapitel. Die Rekapitulation zu Beginn des 3. Buches (3, pr, 4: in primo volumine .. . rationes . ..

eummae architecturae partittone distribui finitionibusque terminavi) bezieht sich ebenfalls auf die allgemeinen Lehren am Anfang des Werkes. 3 vocabulum: 8. z. B. 2, 1, 1; 3, 3, 1; 4, 1, 12; 2, 1; 6, 4, 5. nominatio: g. z.B.

4, 1, 3; 2, 1; 5, pr, 2; 6, 7, 7. Ebenso appellatio 5, 4, 1; 6, 7, 5. 6°

83

folgen läBt, begegnet dort in einer Reihe eindrucksvoller Beispiele. Es ist meistens in folgender Weise angelegt: A. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw.

B. Darstellung: 1. Glied: a) Definition b) weitere Charakterisierung 2. Glied: a) Definition

b) weitere Charakterisierung usw.!. Vereinzelt findet sich auch ein zweiter Typus, der die Begriffereihen einander dreimal in gleicher Ordnung folgen läBt: À. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: &) Definitionen der Glieder 1, 2, 3 usw.

b) weitere Charakterisierungen der Glieder 1, 2, 3 usw.?.

Besonderer Art ist das der Hauptdisposition des Werkes zugrunde liegende Schema (1,3, 1). Hier geht der Verfasser jeweils nur auf einen Zweig der einander untergerodneten Einteilungen näher ein, wührend die übrigen hier, in der Hauptdisposition, nicht weiter berücksichtigt werden:

architectura 1

Ι

[

L

aedificatio

gnomonice

machinatio

l

Ι

L

publica aedificia

privata aedificia

]

m

defensionis

/

|

religionis

opportunitatis

1 S. z.B. die ,,üsthetischen Kategorien‘‘ (1, 2): der Einteilung ($ 1) schließen sich in gleicher Reihenfolge die Definitionen und näheren Erläuterungen der einzelnen Begriffe an (85 2ff.; $ 2 und 88 5ff. wickelt der Verfasser mit methodischer Konsequenz zunächst untergeordnete Dispoeitionen ab, ehe er sich dem nächsten Begriff der hóheren Systemstufe zuwendet). S. ferner 1, 1, 1; 1, 3—10 (die artes, die der Architekt kennen muD); 3, 2; 2, 8, 1; 8, 5—6; 3,2, 1—8; 3, 1ff.; 4, 6, 1—6; 8, 1—3; 5, 4, 5; 6, 9; 8,1—2 ; 6, 3, 1—2; 8, 6, 1—11.0,8,9

stimmt die Reihenfolge in Disposition und Beechreibung nicht überein; 2, 3, 3 zeigt, wie ein Abschnitt aussieht, der nicht schematisiert ist. 3 S. 10, 1, 1—2; ferner 5, 4, 3, wo allerdings an zweiter Stelle nicht Defi-

nitionen, sondern allgemeine Bemerkungen stehen. 84

Die Übergangsformeln haben im Werke des Vitruv deshalb einige Bedeutung, weil die Reihenfolge der Materien innerhalb der einzelnen Bücher nicht durch genaue Einteilungen im voraus festgelegt zu sein pflegt; oft bilden diese Floskeln in den weiten Textstrecken ungegliederter Darstellung das einzige formale, die Stoffmassen abgrenzende Element. Die Buchanfänge und -schlüsse bringen stets eine Rekapitulation des Vorangehenden und Ankündigung des Folgenden !. Innerhalb der Abschnitte dagegen, die nach den soeben erórterten Sche-

mata stilisiert sind, finden sich fast überhaupt keine Überleitungen?. Im übrigen wechseln kurze Ankündigungen mit solchen Verbindungssützen, die zugleich eine stichwortartige Rekapitulation des zuvor behandelten Stoffes enthalten?*. Das hierbei verwendete Vokabular ist recht mannigfaltig: außer den besonders häufigen Verben exponere und explicare finden sich z.B. perscribere, ostendere, docere, peragere, disputare, ratiocinari, dicere u.a.*; als Kuriosum sei der gespreizte Ausdruck transfertur nunc cogitatio acripturae ad etc. genannt (10, 9, 1). Das sonst 80 beliebte Verbum transire freilich verwendet Vitruv überhaupt nicht in den hier zur Érórterung stehenden Floskeln. Ebenso fällt auf, daß er den Adhortativus konsequent vermieden hat: er spricht in der 1. Person des Singulars, manchmal auch des Plurals, doch stets im Indikativ5. Das für die Ankündigungen charakteristische nunc begegnet bei ihm sehr häufig®.

Das Kompendium des Vitruv bietet seinen Stoff in gut geordneter Folge dar. Der Verfasser hat keine System schaffen wollen. Gleichwohl zeigen sich Ansütze systematischen Aufbaus sowohl in der Haupt-

disposition des Werkes wie in einzelnen seiner Abschnitte: dort finden sich dann die üblichen methodischen Hilfsmittel der Einteilung und der

Definition und mit ihnen bestimmte Darstellungsschemata. Dagegen begegnen diese formalen Elemente in anderen, ja in den meisten Abschnitten des Werkes überhaupt nicht.

! Für das 1. Buch fehlt eine spezielle Ankündigung: Kap. 4 beginnt günzlich unvermittelt. Am Schluß des letzten Buches steht begreiflicherweise nur eine

Rekapitulation. S. 1, 7, 2; 2, pr, 6; 10, 3; 3, pr, 4; 5, 15; 4, pr, 1—2; 9; 5, pr, 5;

12, 7; 6, pr, 7; 8, 10; 7, pr, 18; 14, 3; 8, pr, 4; 6, 15; 9, pr, 18; 8, 15; 10, pr, 4; 16, 12. Diese Überblicke sind bisweilen sehr unklar abgefabt. ! Die einzige Ausnahme wohl 3, 3, 6: reddenda nunc est eustyli ratio.

* Ankündigungen: Z, 1, 7; 1, 9: nunc revertar ad propositum εἰ de . . . ratiocinabor; 3, 1: itaque primum de ... dicam; 6,4; 3, 3, 6; 5,11,1; 6, 2, 6; 4, 1;

1,1,1 usw. Rekapitulation und Ankündigung: 2, 7,1: de ... diri. sequitur ordo de . . . explicare; 8, 13; 8, 20; 9, 17; 4, 2, 6; 3, 10; 6, 6; 8, 7; 5, 9, 9. * S. Nohl a.O. s. v. * 1. pl. z. B. 6, 4, 1 ; 7. T. Häufiger sind unpersônliche Wendungen wie 2, 6, 4:

relinquetus desideratio; 7, 1 usw.

* 2, 1,9; 8, 13; 3, 3, 6; 4, 2, 6; 6, 6; 8, 7; 5, 9, 9; 11, 1 u. ô.

8. Kapitel

Die Libri Medicinae des Cornelius Celsus $ 1. Die Medicinae libri VIII des A. Cornelius Celsus! sind der einzige

erhaltene Teil einer Enzyklopädie. Sie standen innerhalb des Ganzen an zweiter Stelle; ihr Einleitungssatz verbindet sie mit dem voran-

gehenden Teil, der Landwirtschaft: ut alimenta sanis corporibua agricultura, sic sanitatem aegris medicina promittit (1, pr, 1). Mit diesen Worten belehrt Celsus den Leser sowohl über das Thema seines Werkes als auch über den Zweck der von ihm dargestellten Wissenschaft. Die Vorrede skizziert zunächst die Geschichte der Medizin; hier wird unter den Leistungen der Vergangenheit eine Einteilung der

gesamten Disziplin in drei Fächer aufgeführt: isdemque temporibus in tres partes medicina diducta est, ut una esset quae victu, altera quae medicamentis, tertia quae manu mederetur. primam διαιτητυκῆν, secundam φαρμακευτικήν, ferfiam xerpoupylav Graeci nominarunt (1, pr, 9). Daß Celsus diese Trichotomie auch seinem eigenen Werke zugrunde gelegt

hat, ergibt sich unzweideutig aus den Überleitungen, die zwischen den drei Hauptteilen vermitteln. So heiBt es zu Beginn des 5. Buches (5, 1, 1): dixi de $8 malis corporis, quibus victus ratio maxime subvenit. nunc transeundum est ad eam medicinae partem, quae magis medicamentis pugnat. In ähnlicher Weise bemerkt der Verfasser am Anfang des 7. Buches (7, pr, 1): fertiam esse medicinae partem, quae manu curet, et vulgo notum et a me propositum est*. Nach der Absicht des Celsus sollen somit die vier ersten Bücher die Diätetik, die beiden nächsten

die Pharmazeutik und schlieBlich die beiden letzten die Chirurgie behandeln. Von dieser sicheren Basis aus lassen sich wohl am ehesten die Pro-

bleme lósen, die Beginn und Aufbau des ersten Hauptteiles aufzu! Über den Verfasser ist wenig bekannt; die Enzyklopüdie entstand wührend der Regierungszeit des Tiberius; s. Wellmann, RE 4, 1273f., Art. Cornelius

Nr. 82. Die handschriftliche Überlieferung bezeichnet das 1. Buch des medizinischen Teiles 818 l. VZ artium; die übrigen Teile behandelten auGer der Landwirtschaft die Kriegswissenschaft, die Rhetorik, die Philosophie und die Jurisprudenz. Eine für Fachschrifteteller vorbildliche Ausgabe der Medicinae libri Btellte Marx her, Corpus medicorum Latinorum I, 1915; dort, 5—13 und 411— 422, sind auch die Fragmente der übrigen Teile gesammelt. Die vorliegende Untersuchung zitiert nach Büchern, Kapiteln, Paragraphen und den von Marx

bisweilen zusätzlich angebrachten Unterteilungen durch Buchstaben. Über Inhalt und Aufbau des Werkes orientiert der Conspectus operis bei Merx,

423—430. Einen vorzüglichen Sachkommentar enthält die Übersetzung von Scheller-Frieboes, Aulus Cornelius Celsus, Über die Arzneiwissenschaft, 1906*. 3 Vgl. ferner 5,26, 1B; 7, 8, 1, wo der Verfasser ebenfalls auf die Haupt-

einteilung des Werkes Bezug nimmt.

86

geben scheinen. Celsus berichtet nämlich in der Vorrede seines Werkes unmittelbar nach der zitierten Trichotomie von den Schulen der Rationalisten und Empiriker und faßt die Quintessenz des Prinzipienstreites in die Worte (1, pr, 11): sic sn duas partes ea quoque, quae victu curat, medicina divisa est, aliis rationalem artem, aliis usum tantum vindicantibus. Alsdann schließt er mit der Bemerkung: et per hos quidem maxime viros salutaris ssta nobis professio $ncrevit (1, pr, 11) seine medizingeschichtliche Einführung ab. Nunmehr folgt eine verbindende Formel, deren Wortlaut zu Zweifeln Anlaß gibt (1, pr, 12): quoniam autem ex tribus medicinae partibus ut difficillima, sic etiam clarissima est ea, quae morbis medetur, ante omnia de hac dicendum est. Mit dem nächsten Satz kommt Celsus auf den Prinzipienstreit der Rationalisten und Empiriker zurück, berichtet ausführlich über Meinung und Gegenmeinung ($$ 13—44), gibt seine eigene, vermittelnde Ansicht kund (88 45—53) und setzt sich schlieBlich mit weiteren Theorien über die Grundlagen der Medizin, mit den Lehren des Erasistratus und den Methodikern auseinander ($8 54—75). Dieser ganzen Doxo-

graphie folgt abermals eine unklar abgefaBte Überleitung (1, pr, 75): his propositis primum dicam, quemadmodum sanos agere conventat, lum ad ea transibo, quae ad morbos curationesque eorum pertinebunt.

Mit dem nächsten Satz schickt Celsus sich an, dieses Programm seiner

Darstellung auszuführen (1, 1, 1): sanus homo, qui et bene valet et suae epontia est, nullis obligare se legibus debet etc. Das erste Buch ist den diätetischen Vorschriften für Gesunde gewidmet!; alle weiteren handeln von den Krankheiten und ihrer Therapie.

Targa und andere Herausgeber, z. B. auch Daremberg, hatten auch

die Überleitung des $ 12 auf die vorangehende Trichotomie bezogen und in dem Satz quae morbis medetur dem Sinne nach das Wort victu ergänzt. Marx dagegen athetierte fribus. Er deutete sowohl den Satz (pars) quae morbis medetur (812) wie die Wendung ea ... quae ad morbos curationesque eorum pertinebunt ($ 75) als Umschreibung des

griechischen Begriffes θεραπευτικόν, der einer auch sonst überlieferten, von der Vorlage des Celsus befolgten Fünfteilung angehôre*. Die ! Anders Wellmann, &.O. 1275 (,,Vorschriften für Gesunde und Kranke‘‘), da er die inbecilli, deren victus vom 2. Kapitel an erôrtert wird, für Kranke hält.

Richtig dagegen Scheller-Frieboes, a.O. 480: ,,nicht eigentlich Kranke‘‘ und Marx im Conspectus seiner Ausgabe: liber primus qui est de tuenda sanitate.

Daß Celsus die tnbecilli nicht als Kranke ansah, ist a priori wahrscheinlich (1,2,1: at inbecillis, quo in numero magna pars urbanorum omnesque paene cupidi litterarum sunt etc.) und wird durch einen späteren Verweis bekräftigt

(2, 15, 5: ın quibus adfectibus ea quoque genera exercitationum necessaria sunt, quae conprehendimus eo loco, quo quemadmodum sant neque firmt homines se gererent, praecepimus).

* Marx (zu 1,pr,12) verweist auf [Galen.] Introd. s. med. XIV 689 K; Galen. De partibus artie ed. H. Schône, 1911, 17, 1 ; Β. ferner seine Ausführungen

zu $75 im Conspectus, 423. S. hierzu u. S. 177 ff. 87

transitus duri der 88 12 und 75 bezögen sich nicht auf die Trichotomie des $ 9, sondern gingen auf die von Celsus ungeschickt gekürzte Vor-

lage zurück!. Die scharfsinnige Vermutung von Marx tráfe vielleicht zu, wenn sie ohne Áthetese auskäme, oder wenn sie sich auf ähnliche Ungereimtheiten im Aufbau der Medicinae libri berufen kónnte. So aber wird

es bei der Erklärung Targas sein Bewenden haben. Die Überleitung des $ 12 hebt den ersten Hauptteil des Werkes, die Diätetik, von den

medizingeschichtlichen Vorbemerkungen ab ; ihre tres medicinae partes knüpfen an die Trichotomie des $ 9 an. Hierzu stimmt, daß Celsus sich nunmehr ausführlich dem Prinzipienstreit zuwendet, der, wie er zweimal versichert hatte (88 9 und 11), nur die pars quae victu curat angeht. Das Referat über den Prinzipienstreit führt in den ersten Hauptteil ein; $ 75 vermittelt zwischen dieser speziellen Vorrede und der eigentlichen Darstellung, und die dort mitgeteilte Disposition bezieht sich lediglich auf die Diätetik. Der Anfang des Werkes ist somit folgender-

maBen aufgebaut: 1, pr, 1—11 1, pr, 12—4, 32,2

Vorrede des gesamten Werkes 1. Teil: Diätetik

1, pr, 12—75

Vorrede des ersten Teiles

1, 1, 1—1, 10, 4

a) Diätetik für die Gesunden

2, pr, 1—4, 32,2

b) Diätetik für die Kranken.

Im übrigen ist das Lehrgebäude der Medicinae lbri von groler formaler Vollkommenheit. Mag es in einzelnen Fällen an einer Dis-

position fehlen, die dem Leser im voraus einen Überblick über die einzelnen Materien eines Teilgebietes verschafft?, mógen manchmal kleinere Abschnitte eine gewundene oder sprunghafte Gedankenführung zeigen*: im ganzen entfaltet die Mechanik der einander untergeordneten Einteilungen ein lückenloses System, dessen zahlreiche Rangstellen eine überaus differenzierte Verästelung bewirken. Andererseits

hat sich der Verfasser im allgemeinen vor Übertreibungen zu hüten gewuDt: nur selten scheinen seine Einteilungen gekünstelt und un-

fruchtbar*, und die Ausführlichkeit der Darstellung, die groBe Anzahl der einzelnen Vorschriften rechtfertigt den systematischen Aufwand. Die logische Struktur wird nicht Selbstzweck, sondern dient der Sache und verhilft einer hochentwickelten, weitverzweigten Wissen! S. hierzu Marx, &.O. Prolegg.

LX XVII.

3 S. u. S. 89ff. Vgl. ferner die reichlich verworrene Disposition 5, 17, 1B/C. Die Fünfteilung 5, 26, 1 À hat keine Funktion: die folgenden Kapitel erórtern lediglich ihre beiden ersten Punkte. 3 S. z. B. das freundliche Durcheinander, das die Behandlung des Fiebers darbietet (3, 3—17), oder die Erôrterung der Knochenbrüche (8, 4ff., bes. 7). 4 Wie z. B. die abstrakten Unterscheidungen 2, 9, 2 oder 5, 26, 1 A.

88

schaft zu Übersichtlichkeit und Klarheit. Sie gliedert das Werk in allen seinen Teilen mit gleicher Intensität, sie ordnet die Stoffmassen im Großen und verliert sich nicht in spitzfindigem oder pedantischem Formalismus. Der erste Hauptteil der Medicinae libri gliedert sich in diätetische Vorschriften für Gesunde (Buch 1) und für Kranke (Buch 2—4): hia propositis primum dicam, quemadmodum sanos agere conveniat, tum ad ea transibo, quae ad morbos curationesque eorum pertinebunt (1, pr, 75). Wird diese Disposition im voraus mitgeteilt, so nennt der Verfasser die für die weitere Gliederung des 1. Buches maBgeblichen Gesichts-

punkte meistens erst nachtrüglich. Dem 1. Kapitel z. B. geht keine die Diätetik für Gesunde betreffende Dichotomie voran, aus der sich ergäbe, daB zunüchst der sanus qus bene valet und sodann der inbecillus erórtert wird. Celsus setzt vielmehr sofort mit den Vorschriften für

den sanus qui bene valet ein (1, 1, 1) und erwähnt den parallelgeord-

neten Ártbegriff inbecillus erst, sobald er sich seiner ausführlichen Darstellung widmet

(1,2,1).

Auch innerhalb der vom inbecillus

handelnden Kapitel gibt er zweimal die Kriterien der Stoffanordnung

erst beim Übergang vom ersten zum zweiten parallelgeordneten Punkte bekannt (1,3,1; 4, 1). Celsus verfügt somit nicht stets im voraus durch Dispositionen über jede weitere Stufe des Systems;

gleichwohl inháriert dem ganzen ersten Buche ein wohldurchdachter Plan, dessen gliedernde Kriterien wenigstens an irdgendeiner Stelle angedeutet werden:

Kapitel

Stoff

Angabe des Dis-

positionskriteriums 1—10

1

Diätetik für die Gesunden

pr, 75

I. für den sanus qui bene valet

2—9 2—3

II. für den inbecillus 1. bei schwacher Gesamtkonstitution

2

a) überhaupt

3 3, 1—12

b) bei besonderen Gelegenheiten aa) je nach Eintritt außer-

gewöhnlicher Umstände

3, 13—31

bb) Kórperkonstitution

3, 34—39

dd) Jahreszeit

3, 32—33

1, 1 und 2, 1

cc) Lebensalter

4, 8

ı

̓

l I

3, 11

! Diese Disposition wird zuvor angekundngt. die Einteilung enthält freilich ein Glied (sexus), auf das der Verfasserin der Darstellung nicht zurückkommt.

89

Ν

Kapitel 4—9

Angabe des Dis-

Stoff

positionskriteriums

2. bei Beschwerden einzelner Kórperteile

4

&) des Kopfes

4, 1

5

b) der Augen usw.

5,1

6

c) bei Durchfall

6, 1

7

d) Kolik

7

4,1

usw.

10

Anhang: VerhaltungsmaBregeln bei Seuchen!

10, 1

Der Diätetik für Kranke geht die Semeiotik voraus, d. h. die Lehre von denjenigen Symptomen, die das Bevorstehen sowohl von Krankheiten überhaupt wie von bestimmten Krankheiten ankündigen (2, 1—8). Dieser Abschnitt ist weder durch die vorangehende Disposition in dieSystematik des ersten Hauptteiles einbezogen?, noch seinerseits stets durch Einteilungen gegliedert, die im voraus den Plan der Darstellung bekannt gäben*. Doch handelt es sich hier wie im 1. Buch lediglich um verschiedene Grade in der Sichtbarmachung des Aufbaus: auch die Lehren der Semeiotik sind auf das sorgfältigste geordnet, und die Einteilungsgesichtspunkte werden, wenn nicht vor, so doch innerhalb der Darstellung genannt. Die eigentliche Diätetik für Kranke beginnt eindrucksvoll mit drei einander untergeordneten Dispositionen (2, 9). Die erste verfügt über das gesamte Gebiet und unterscheidet eine allgemeine und eine besondere Therapie durch diätetische Maßnahmen ; jene wird in der 2. Hälfte des 2. Buches (2, 9—33), diese im 3. und 4. Buch erórtert. Das zweite Schema unterteilt die allgemeine Therapie in eine Reihe gleichsam physikalischer Kategorien (demere aut adicere, evocare aut reprimere ! In dieser Übersicht sind die äuBersten Verüstelungen des Systems nicht berücksichtigt; der Abschnitt II. 1. b) bb) z. B. wird durch eine vorangehende Disposition (3, 14) in vier Begriffspaare zerlegt.

3* Das 2. Buch beginnt gänzlich unvermittelt mit den Worten: instantis autem advereae valetudinis signa conplura sunt. Auch in der Dichotomie des 1. Hauptteiles (1, pr, 75) wird die Semeiotik nicht speziell berücksichtigt; die

Worte ad morbos curationesque eorum auf die Semeiotik einerseits und die Therapeutik andererseite zu beziehen, gestattet wohl weder die sprachliche Formulierung (vgl. 3, 1, 1; 4, 1, 1), noch ist es sachlich gerechtfertigt, da der therapeutische Teil viele diagnostische Lehren enthält. * Das der eigentlichen Semeiotik vorangestellte Kapitel über die krankheitehemmenden und -fórdernden Faktoren (2, 1) beginnt mit einer genauen Disposition, aber Ζ. Β. das Einteilungskriterium der Semeiotik selbst (allgemeine

und spezielle Semeiotik) wird erst beim Übergang von der allgemeinen zur speziellen Semeiotik (2, 7, 1) mitgeteilt. 90

materiam etc.) und das dritte die erste Kategorie, das demere materiam,

in eine Anzahl einzelner Medikamente (Aderlassen, Schröpfen, Abführen usw.). Hierauf wird das in diesen Einteilungen enthaltene Programm der Darstellung mit peinlicher Genauigkeit abgewickelt (2, 10 ff.). Für die spezielle Therapie nennt Celsus zwei systematisch voneinander unabhängige Einteilungsgesichtspunkte: einmal die

Klassifikation nach akuten und chronischen Krankheiten und sodann die Unterscheidung von Erkrankungen des ganzen Kórpers einerseits und einzelner Kórperteile andererseits (3, 1, 1—3). Da er nicht beide Kriterien zugleich für den Aufbau der speziellen Therapie verwenden kann, entscheidet er sich für die Disposition nach nichtlokalisierten und lokalisierten Leiden, kündigt aber zugleich an, das andere Einteilungsprinzip in der Weise zur Geltung zu bringen, daB er bei jeder einzelnen Krankheit angibt, ob sie akuter oder chronischer Natur sei!. Wie die Semeiotik der diätetischen Behandlung, so geht die Arzneimittellehre der eigentlichen Therapie durch Medikamente voran (5, 1—25); Celsus hat sie nicht minder übersichtlich geordnet als den

therapeutischen Teil selbst, innerhalb dessen er zunàchst die Schádigungen, die jeden Kórperteil betreffen kónnen (5, 26—28), und dann die Schádigungen bestimmter einzelner Kórperteile behandelt (6.Buch). Diesen Plan gibt er jeweils durch Einteilungen bekannt, die er den einzelnen Sachgebieten vorausschickt ?.

Der dritte, der Chirurgie gewidmete Hauptteil besteht, wie auch die Disposition zu Beginn des 7. Buches (7, pr, 5) ankündigt, aus drei Abschnitten: zunächst erórtert Celsus chirurgische Eingriffe, die an allen Kórperteilen vorgenommen werden (7, 1—5), dann die speziellen Operationen an einzelnen Kórperteilen (7, 6—33) und schlieBlich die Lehre von den Knochen (8. Buch)*. 1 3, 1, 3: ego cum de singulis (sc.

morbis) dicam, cuius quisque generis ait,

indicabo. Celsus hält sich getreulich an sein Versprechen; s. 3, 18, 1; 18, 17;

18, 19; 19, 1; 20, 1; 21, 1; 22, 1; 23, 1; 26, 1; 27, 1A/B; 4, 2, 2; 3, 1; 7, 1 usw. Das 3. Buch erórtert ohne vorausgehende Übersicht eine Krankheit nach der anderen in willkürlicher Reihenfolge (3, 3—1" : Fieber; 18: Geisteskrankheiten ;

19: morbus cardiacus usw.); im 4. Buch sind die Krankheiten nach dem Schema a capile ad calcem geordnet (4, 2—5: Krankheiten des Kopfes; 6: des Halses; 1—10: des Schlundes usw.).

* S.5, pr, 3; 26, 1B. Der erste Teil der Therapie durch Medikamente stellt ohne vorherige Einteilung der Reihe nach die einzelnen Schüdigungen (GeschoBwunden, Bifwunden, Vergiftungen usw.) dar; der zweite Teil ist wieder nach

dem Schema a capite ad calcem geordnet. * Für den Aufbau des 2. Abachnittes ist abermals das Schema a capite ad calcem maBgeblich; im dritten schickt der Verfasser eine Beschreibung des menschlichen Knochenbaus voraus (8, 1) und erórtert dann die Therapie nach

der zu Beginn des 2. Kapitels mitgeteilten Disposition (2—3: verderbte Kno-

chen; 4—10: gebrochene, gespaltene usw. Knochen; 11—24: verrenkte Knochen, 25: Anhang).

91

$2. Die Methodologie des

hier skizzierten medizinischen Lehr-

gebäudes umfaßt im wesentlichen das übliche logische Instrumentarium systematischer Lehrbücher. Auch im Werke des Celsus ist die Einteilung, die von der obersten Gattung bis zu den untersten Arten fortschreitende Zerlegung von Begriffen, die treibende Kraft des for-

malen Apparates; sie legt, wie auch die Klassifikation der Fachausdrücke als genera oder species, die vertikalen Relationen innerhalb des Systemes fest. Auffällig oft werden Merkmale, die allen derselben

Gattung zugehórigen Árten gemeinsam sind, den Spezifika einzelner Arten gegenübergestellt (commune und proprium), während der Betonung horizontaler Beziehungen, der Abgrenzung verwandter Begriffe (differentia), nur geringe Bedeutung in dem umfangreichen Lehrbuch zukommt.

1. Celsus charakterisiert das Einteilungsverfahren einige Male durch die Verben dividere oder diducere! ; meist jedoch wendet er es an, ohne es durch einen besonderen Ausdruck zu kennzeichnen. Zwei Typen von Einteilungen lassen sich unterscheiden: bald zerlegt der Verfasser wirkliche Gattungsbegriffe in die untergeordneten Arten, bald faBt er lediglich in einer Disposition die Gesichtspunkte zusammen, die für einen bestimmten Abschnitt der Darstellung mafgeblich sind?*. Im ersteren Falle klassifiziert er die aus der Einteilung resultierenden Begriffe gewóhnlich als genera, species oder partes; das Dispositionsschema dagegen zählt lediglich mehrere einem gróDeren Ganzen zugehórige Sachverhalte (Krankheitsverläufe, Heilverfahren u. dgl.) auf. Für das Zerlegen von Begriffen gebraucht Celsus gern die stereotype Wendung: alicuius rei x genera (8pecies) sunt*; die einem Abschnitt vorausgeschickten Dispositionsschemata dagegen finden sich in mannigfachen Formulierungen*. Die meisten Einteilungen bestehen

aus zwei oder drei Gliedern, die durch kopulative oder disjunktive Partikeln miteinander verknüpft sind®. 1 dividere: 1, pr, 11; 3, 1, 1 (hos [sc. morbos] ... in duas epecies Graeci diviserunt); 1,3; 5,26, 1B. diducere: 1, pr, 9 (8. 0. S. 86); 5, 26, 31B. S. ferner B (distinguere). b, 26, 20 3 Allerdings läGt sich nicht immer bestimmen, welchem Typus eine Einteilung angehórt; der Sache nach kónnten die meisten Dispoeitionsschemata auf Begriffaspaltungen zurückgeführt werden, und auch hinsichtlich ihrer

sprachlichen Formulierung gehen beide Typen ineinander über. 3 S. z. B. 2, 11, 1: cucurbitularum duo ... genera sunt, aeneum et corneum.

Ebenso 1, pr, 55 (genera); 2, 16, 1 (g.); 3, 3, 2 (g.); 18,3 (g.); 18, 19 (epectes); 21, 1 (ap.) usw. Andere Formulierungen z. B. 1, pr, 9; pr, 11; 3, 1, 1 u. 0. Manchmal unterbleibt die Klassifikation der Artbegriffe durch genus oder specwes; 1 u. ὅ. s. z. B. 3, 1, 3; 3, 1; 4,8, « S. 1, pr, 13; pr, 75; 3, 1; 3, 14; 3, 17; 2, pr, 2; 7, 1; 8, 1; 9, 1 usw.

5 S. z.B. die Dichotomien 1, pr, 11; 2, 11, 1; 16,1; 17, 1 usw. sowie die Trichotomien 1, pr, 55; 3, 21,1 usw. Viergliedrige Einteilungen: 1, pr, 13; 92

Die bereits erwähnte Unterscheidung von akuten und chronischen Krankheiten (3, 1, 1)! fordert die Kritik des Verfassers heraus. Er argumentiert: idemque (sc. Graeci) quoniam non semper eodem modo respondebant, eosdem (sc. morbos) al inter acutos, alii inter longos reitulerunt, und schlieBt aus diesem Widerspruch: ex quo plura eorum genera esse manifestum est. Er verwirft daher die Dichotomie der Griechen und setzt eine Vierteilung an ihre Stelle ($$ 2—3). 2. Der Klassifikation von Begriffen dienen bei Celsus vor allem die Substantive genus und species. Wührend species stets Fachausdrücke der Medizin charakterisiert, wird das sehr viel häufigere Wort genus bisweilen auch für nichtmedizinische Gegenstände verwendet?. Die beiden Termini sind meist synonym und bezeichnen ,,Arten‘“. Denn Celsus bezieht sich durch sie im allgemeinen auf eine übergeordnete Einheit des Systems, also auf die Gattung, die sich teils aus dem hinzugefügten Genitiv®, teils aus dem übrigen Zusammenhang ergibt*. Vor allem aber lósen die beiden Substantive einander des ôfteren ab, um dieselbe Relation ein und desselben Begriffes auszudrücken*. In einigen Füllen bilden sie jedoch einen Gegensatz: genus klassifiziert dann stets den umfassenden, species den umfabten Begriff; genus meint also die ,, Gattung‘‘, species die ,, Art''*.

Das Substantiv pars bezeichnet, wenn es Beziehungen von Begriffen andeutet, meistens den ,,Teil" eines konkret vorgestellten Ganzen; so klassifiziert es die Medizin als ,,Fach‘“ der Philosophie (1, pr, 69 und vor allem Diätetik, Pharmazeutik und Chirurgie als »Fächer‘“ der Medizin?. An einer Stelle charakterisiert das Wort die 5, 26, 35A; 28, 17 A/C; 6, 6, 18; B, 8, 2A; 20, 2. Fünfgliedrige: 1, 3, 1; 2, pr, 2;

18,8; 5,26,1A. Eine sechsgliedrige Einteilung 8,2,1; eine neungliedrige 2, 9, 2. S. ferner 3, 18, 3 (drei Begriffapaare); 2, 19 (zehn Begriffspaare). Asyndeta und Anaphern z. B. 1, 3, 14; 2, pr, 2; 9, 2; 3, 2, 2 u. 0. ! 8. ο. S. 91. * S. 2, pr, 2 (genera _ tempestatum); 1, 3; 18, 9—10 usw. Auch in Verbindung mit medizizischen Ausdrücken hat genus oft eine mehr oder weniger untech-

nische Bedeutung, und zwar immer dann, wenn es nicht auf eine bestimmte Einteilung verweist. * S. z. B. 1, pr, 3 (genera morborum; s0 auch pr, 17; pr, 23; pr, 36; pr, 51;

pt, 66; 2, pr, 2 u. ó.); 1, pr, 30 (genera medicinae; 80 auch 5, 26, 24C); 7, 7, 14A (epecies vitis). * S. z. B. 3, 19, 1 (genus, sc. morbi; 80 auch 20, 1; 23, 1; 4, 9, 3 u. 0.); 2, 18, 9 (g., sc. csbi; so auch 18, 11; 18, 13; 3, 13, 6 u. 6.); 2, 14, 3 (epecies, sc. frictionis).

* Die akuten und chronischen Krankheiten z.B. werden 3,1

ebenso

als

epecies wie &ls genera bezeichnet; s. ferner 2, 18; 3, 6, 1; 21; 22, 1—4; 5, 26, 20B—D; 28, 4; 28, 17; 28, 19.

* 5,26, 31B: id genus (8c. cancer) a Graecis diductum in species est etc.; s.

Ël'ïr 6, 3, 1; vgl. auch die weniger eindeutigen Fälle 3, 18, 19; 4, 7, 1 ; 5, 28, 7 80 in der Einteilung 1, pr, 9; s. ferner 1, pr, 4; pr, 12; 6, pr, 2; 26, 1B; 7, Pr, 1—5; 7, 8, 1. 1, pr, 11 sind partes der Diütetik gemeint und 8, 1, 1 eine para 93

φρενῖτις, eine Form der insanta, also offenbar einen in abstrakte Relationen gestellten Begriff; es bedeutet demnach hier soviel wie ,,Art''!.

3. Der Verfasser liebt es, das generell für einen umfassenden Bereich

Gültige und das Spezielle eines engeren Bereiches durch die Worte communis bzw. perpetuus? und proprius® zu unterscheiden: dieser stándig wiederkehrende Gegensatz kónnte geradezu als die metho-

dische Besonderheit seines Werkes gelten. Ob nun Celsus bzw. sein griechischer Gewührsmann eine móglichst viele Faktoren berücksichtigende und dementsprechend differenzierte Therapie angestrebt hat*, bleibe dahingestellt: die Abgrenzung von communia und propria bezieht sich jedenfalls nicht nur auf therapeutische MaBnahmen und

deren Wirkungen5, sondern ebenso auf Krankheitssymptome und -verlüufe* sowie auf verschiedene andere Erscheinungen”. Sie dient des ófteren als Prinzip der Stoffanordnung, vor allem im ersten Hauptteil, wo sie deutlich angekündigt wird® und in konsequenter Durchführung den Aufbau der gesamten Diätetik für Kranke beherrscht*. Die Distinktion, die durch stilistische Mittel akzentuierte Gegenüberstellung von Artbegriffen, ist bei Celsus weder in terminologischer Hinsicht von anderen Darstellungsmethoden deutlich unterschieden *,

noch kommt ihr überhaupt einige Bedeutung zu. Immerhin findet sich

der Chirurgie. 7, 7, 15D bezeichnen die Worte pars medicinae eine Augenoperation. 1 3, 18, 1; vgl. 6, 6, 37A.

3 Statt dieser Ausdrücke auch universus (3, 1, 1; 4, 11, 5) oder ad omnes ... pertinens (3, 13; 8, 7, 1—4).

3 Statt dessen gelegentlich die Worte singuls (3, 1, 1; 5, 1; 13; 5, 17, 1B/C) oder separatim (8, 20, 1). * So Marx, &.O. Prolegg. LX XIX f., der jedoch nur Stellen mit negiertem perpetuum berücksichtigt hat. 5 So communis (1, 3, 4; 2, 14, 1; 17, 10; 3, 18, 23 u. 0.); perpetuus (3, 5, 8; 18, 20; 4, 29, 3; 5, 28, 12G u. 0.); proprius und proprietas (1, 3, 9; 5, pr, 3; 18, 10; 19, 11; 20, 5 u. 0.); non perpetuus (1, pr, 62f.; 3, 7; 3, 18; 2, 10, 2 u. 6.).

* So communis (1, pr, 54; pr, 67; pr, 65ff.; 2, 2, 1 u. 0.); proprius und proprietas (1, pr, 65ff.; 5, 28, 2B; 28, 11C; 7, 18, 7).

* So communis (2, 18, 1; 7, 18, 2f.); proprius und proprietas (2, 1, 18; 2, 4; 8 2,9,1; vgl. 3, 1, 1.

* Mit Ausnahme der Semeiotik; 8. 0. S. 90. Im übrigen hat der Verfasser den Vorschriften kleinerer Sachgebiete nach diesem Kriterium ihren Platz

angewiesen; s. 2, 7, 1 und 8, 1; 3, 6, 1 und 13; 21,9. S. ferner 1, 3, 1; 3, 17;

19 Die Worte discernere und discrimen begegnen beim Einteilen (2, 18, 4;

vgl. $ 1), beim Unterscheiden von Allgemeinem und Besonderem (3, 13) und echlieBlich bei Distinktionen (2, 19, 1; 3, 3, 2; vgl. 5, 28, 2 D): der Sache nach ist diese Vielfalt korrekt, da alle drei Operationen discrimina, spozifische Differenzen (vgl. 7, 18, 7), voraussetzen. 94

in den Medicinae libri einmal ein umfangreicher Katalog von Unterschieden, der einer Aufzáhlung von Artdifferenzen nahekommt !. 4. Der Sache nach haben vor allem die zahlreichen Krankheitsbeschreibungen des Werkes die Funktion, Begriffe der medizinischen Wissenschaft zu bestimmen?. Ob der Verfasser nun die auf eine kurze Formel gebrachte Charakterisierung eines Leidens oder einer Therapie für inhaltlich unzureichend hielt oder ob ihn sein schriftstellerischer Geschmack davor bewahrte, seine Ausdrucksweise zu schematisieren?: der bekannte, mit der Kopula esse gebildete Typus von Definitionen findet sich bei ihm 80 selten, daß er nicht als Charakteristikum seines Werkes gelten kann; kennzeichnend für seine gewandte Feder ist vielmehr das Streben, tunlichst im Ausdruck zu wechseln. Nicht von den Fesseln eines bestimmten Satzbaus behindert, sondern frei und ungezwungen schildert Celsus die Krankheiten (3, 23, 1): inter notissimos morbos est etiam is, qus comitialis vel maior nominatur. homo subito concidst, ex ore spumae moventur, deinde interpoaito tempore ad se redit, et per se ipse consurgit; oder (3, 24, 1): aeque notus est morbus, quem inlerdum arquatum, $nlerdum regium nominant ... color autem eum

morbum detegit, maxime oculorum, in quibus quod album esse debet, fit

luteum. aoletque accedere et sitis et dolor capitss et frequens singullus et Praecordiorum dextra parte durities etc. Lediglich bei der Erórterung der Geschwüre verwendet Celsus jenen Typus in einer grôBeren Anzahl von Beispielen, der das Definiendum an den Anfang des Satzes stellt

und es durch esse oder ein anderes 818 Kopula dienendes Verbum mit seiner Bestimmung verknüpft (5, 28, 4 À): sacer quoque ignis malis

ulceribus adnumerari debet. eius duae species sunt: alterum est subrubicundum aut mixtum rubore atque pallore etc.; (B) alterum autem est in summae culis exulceratione, sed sine altitudine, latum etc.; (85)

chironeum autem ulcus appellatur, quod et magnum est et habet oras duras, callosas, tumentes*.

$3. 1. Wie sich Celsus meist nicht darum bemüht, die Begriffe seiner Wissenschaft in einer stereotyp wiederkehrenden Form zu ! 2,10—32, wo zehn Paare entgegengesetzter Spezifika aufgezühlt und

durch Listen einzelner Nahrungsmittel exemplifiziert werden. S. ferner 2, 14, 4

(interesse; Celsus unterecheidet hier unctio und frictio); 3, 3, 2; 4, 27, 1A (distare); 5, 17, 2A—C; 28, 19 B (differre) usw.

* 8. 3, 3; 3, 18ff.; 4, 2ff.; 5, 28ff. usw.

* Über den Stil des Celsus s. Marx, a.O. Prolegg. XCVf. * So auch die Definitionen der $8 7ff. S. ferner 1, pr, 14; pr, 18f.; 2,9, 1; 11, 1; 3, 18, 17; 22, 1—3; 5, 26, 20 A/F. 2, 17, 1 eine Definition durch Beispiele.

Celsus verwendet nirgends einen die Operation des Definierens bezeichnenden Ausdruck; das Verbum finire (1, pr, 57; 2, 14, 9) hat keinen streng terminolo-

gischen Sinn. 95

definieren, so vermeidet er auch bei der Gliederung seines Stoffes nach bestimmten Aufbauprinzipien die starre Gleichförmigkeit einer allzu aufdringlichen Stilisierung. Große Textpartien sind von derartigen Schablonen unberührt, und wo der Verfasser sich ihrer der besseren

Übersichtlichkeit halber bedient, da handhabt er sie oft mit ungezwungenem Wechsel des Ausdrucks. Die Elemente Einteilung, Begriffsbestimmung und ausführliche Charakterisierung lassen sich bei ihm nur selten deutlich unterscheiden. Das Prinzip ist freilich gewahrt:

die Gesichtspunkte der Darstellung werden in einer Disposition aufgezählt und dann in übereinstimmender Reihenfolge erörtert; meistens nennt er sie insgesamt zweimal, manchmal sogar dreimal. Bei der Behandlung der Magenleiden führt Celsus zunächst eine Reihe von Beschwerden auf (4, 12, 1): modo ingens calor, modo inflatio hunc, modo inflammatio, modo exulceratio adfscit etc.; die ausführliche Darstellung ihrer Therapie hält sich zwar an die hier gegebene Reihenfolge, verwendet jedoch nicht stets dieselben Ausdrücke: wbi exaestuat, aceto cum rosa extrinsecus subinde fovendus etc.; ($ 2) si inflatio est, prosuni admotae cucurbitulae etc.; ($ 4) at &5 inflammatio aliqua est

etc.; ( 5) at si ulcera stomachum infestant etc. etc. Ahnlich verfährt Celsus bei der Lehre vom cancer (5, 26, 31 B). Hier bemerkt er zunüchst, Einteilung und Bestimmungen in eins zusammenfassend: modo super inflammationem rubor ulcus ambit, isque cum dolore procedit (erysipelas Graeci nominant) ; modo ulcus nigrum est etc.; (C) modo oritur ea, quam Graeci gangrenam appellant etc. Dann kommt er nach einigen allgemeinen Anweisungen auf die einzelnen Arten des Krebses zurück und widmet sich ihrer Therapie ($ 33 A): id autem, quod erysipelas vocari dixi etc.; (C) at &i nigrities est nequedum serpit etc. etc. In dieser

Weise trennt der Verfasser ôfters die Aufzählung und kurze Charakterisierung der einzelnen Leiden von der Therapie!. Oder er schickt der Behandlung einer Materie ein Dispositionsschema voraus, auf das sich die einzelnen Abschnitte der Darstellung meist deutlich durch Voranstellung der dort genannten Begriffe beziehen. So heiBt es z.B. (2, 19, 1): neque haec sola discrimina sunt ; sed etiam aliae res boni suci sunt, aliae mali .. , aliae lenes, aliae acres etc.; (20, 1) boni suci sunt triticum, siligo, halica, oryza etc.; (21) mali vero suci sunt milium, panicium, hordeum, legumina etc.*. 1 S. 3, 18, 19ff.; 3, 21; 3, 22; 4, 5; 4, 10 (hier vertauscht Celsus die Reihen-

folge der beiden Glieder); 4, 11; 4, 24; 5, 26, 35; 6, 6, 32—34; 6, 7, 7; 6, 7, 8; 7, 4, 1; B, 4, 13ff.; 8, 20. Anders 3, 3ff. und 6, 3: hier sind Einteilung und Krankheitsbeschreibung voneinander abgehoben.

s S. 1, pr, 13ff.;

3, 14—31; 2, 9, 2—2,17; 2,17; 3,10 (in abweichender

Reihenfolge); 6, 6, 18—26. Manchmal hebt Celsus die Anknüpfung an die Disposition nicht in so auffälliger Weise hervor; s. 1,3; 2, 7; 2, 9—33:2, 18, 8—10; 6, 26, 21/22; 7, 2, 4 (mit Vertauschung der beiden Glieder); 8, 2ff96

Die Behandlung der Schröpfköpfe (2, 11) besteht aus drei Elementen. Die Einteilung geht voran: cucurbitularum duo vero genera sunt, aeneum εἰ corneum. Ihr folgen Definitionen: aenea altera parte patet, altera clausa est; altera cornea parte aeque patens altera foramen habet eriquum, und schlieBlich Gebrauchsanweisungen: in aeneam linamenlum coicitur, ac sic 08 eius corpors aplatur inprimiturque, donec $nhaereat. cornea corpori per se inponitur etc.!. 2. Neben diesem aus gesetzten

Schema,

Disposition

dessen

und

Mechanismus

Darstellung durch

zusammen-

Verschachtelungen

kunstvoll potenziert werden kann*, ist im Werke des Celsus vor allem ein spezifisch medizinisches Ordnungsprinzip von Bedeutung: die Erórterung nach Kórperteilen in der Reihenfolge a capite ad calcem. Der Verfasser hat nicht nur die Therapie der an bestimmter Stelle auftretenden Affektionen innerhalb aller drei Hauptteile hiernach gegliedert?, sondern auch die anatomischen Beschreibungen der Eingeweide und des Knochensystems*. Er hat das Schema wohl kaum deshalb zu wiederholten Malen angewandt, um die Stoffanordnung der drei Hauptteile zu parallelisieren; da jedoch den speziellen Therapien stets ein allgemeiner, die nichtlokalisierten Leiden erórternder Teil vorausgeht, ergibt sich ein korrespondierender Aufbau der diätetischen, pharmazeutischen und chirurgischen Bücher. Ein wirklicher, sicherlich beabsichtigter Parallelismus findet sich wohl nur im Kapitel 2,8,

das

die

günstigen

($$ 1—20)

und

ungünstigen

(88 21—43)

Symptome der einzelnen Krankheiten aufzählt®, 3. In besonderer Weise stilisierte Kataloge scheinen dem Geschmack des Celsus nicht zu entsprechen; wenn er eine Reihe gleichartiger Erscheinungen aufzählt, so bevorzugt er Abwechslung in Ausdruck und Satzbau*. Immerhin zeigt der erste Teil der Arzneimittellehre (6, 1—16) eine bestimmte Formalisierung: fast immer beginnen die

einzelnen Glieder des Verzeichnisses mit dem Prädikat”.

4. Celsus verwendet, um die einzelnen Abschnitte seiner Lehren

miteinander zu verbinden, gern typische Überleitungsphrasen: in dieser Hinsicht bedient er sich durchaus der üblichen Formen des

! Ahnlich sind die Abschnitte 5, 26, 20 und 8, 15 schematisiert; vgl. ferner 2, pr, 2—1, 23. ! B. 1, 3, 1ff.: dem zweiten Glied ist die Einteilung $8 13ff. untergeordnet; 2, 9f. usw. * 4,2ff.; 6, 1ff.; 7, 6ff.; e. ferner 8, 3, 11ff. 44,1;8,1. * Allerdings entsprechen die ungünstigen Symptome nur bis zum $ 34 genau den günstigen. * S. die Listen der Kompositionen 5, 17ff. 7 S. ferner 5, 26, 8—19; 27, 12. 7

1624

Fuhrmann, Lehrbuch

97

systematischen Lehrbuches. So fügt er bisweilen zwischen Einteilung und Darstellung einen Hinweis darüber ein, welchem Punkte seiner Disposition er sich zuerst zuwenden werde, z.B. (2, 9, 1): ex his (sc. curationibus) quaedam communes sunt, quaedam propriae ... ante de communibus dicam etc.!. Viel ôfter verknüpft er die Darstellung zweier gleichrangiger Abschnitte seines Systems mit derartigen Phrasen,

die meistens zunüchst den bereits abgehandelten Punkt rekapitulierend zusammenfassen, bisweilen aber sofort den neuen Gegenstand ankündigen. So heißt es (3, 1, 1): provisis omnibus, quae pertinent ad

universa genera morborum, ad singulorum curationes vensam?; oder

&ber (8, 1, 1): superest ea pars, quae ad ossa pertinet?, SchlieBlich benutzt der Verfasser diese Floskeln, um die Erórterung auch dann auf einen &nderen Gegenstand zu bringen, wenn er ihren Verlauf nicht im voraus durch eine Disposition festgelegt hat*. In dem von ihm verwandten Vokabular herrschen die Verbindungen dicere de, venire ad, transire ad vor; er bevorzugt die 1. Person sing. fut. oder das unpersônliche Gerundivum, während sich adhortative Formen nicht bei ihm findenS.

9. Kapitel

Die Schriften der rómischen Feldmesser $1. Als der älteste Schriftsteller des Corpus der rómischen Feld-

messer* gilt Frontin, von dem auch ein Werk über Strategemata und ein Traktat über die rómischen Wasserleitungen erhalten sind". Wenn 1 S.ferner 1, pr, 12; 2, 9, 3 S. auGerdem 2, 18, 1; der Darstellung durch das 14, 1 (ebenso) usw. 3 S. 1, pr, 45; 4, 29, 1; 7,

2; 3, 1, 3; 5, 20, 1B; 8, 11, 1. 3, 3, 1; 4, 1, 1; 2, 1; 6, 1 (hier ist der Gang Schema a capite ad calcem im voraus feetgelegt); 20, 1; 8, 11, 8.

3, 18, 1; 3, 21, 9; 5, pr, 3 usw. 5 dicam: 2,9,1/2; 4,1,1; 5,20, 1B; 5,28,12A; 7,6,1; 7,19,1; 8,3,11; 8, 11, 1; 8, 11, 8. dicendum est: 1, pr, 12; 5, 17, 1 A; 7, 16,1; 7, 10, 1. veniam: 3, 1, 1; 6, 1; 7, 7, 15A. veniendum est: 2, 18, 1; 4, 14, 1; 4, 18, 1; 6, 28, 1À;

7, 20, 1. transibo: 2, 7, 1. transeundum est: 2,9,1; 4,14, 1; 6, pr, 1; 6,7,1À; 1, 25, 1. S. ferner 3, 1, 3 (inciptam); 3, 5, 1 (descendam); 3, 18, 1 (iungam, adgre-

diar) usw.; 1, 4, 1 (prozimum est); 2, 8, 1 (sequitur; 80 auch 3, 3, 1; 5, 27, 1A; 5, 27, 13A); 3, 18, 1 (supersunt; s0 &uch 7,2,1; 8, 1, 1). Das charakteristische nunc findet sich z. B. 3, 5, 1 ; 3, 5, 3; 4, 1, 1; 5, pr, 1; 6, 1; 7, 2, 1 ugw. * Die ältere Redaktion der anonymen Sammlung stammt aus der 2. Hälfte des 5. Jh.s, die jüngere aus dem 6. Jh.; s. Mommsen, in: Die Schriften der rómischen Feldmesser 2, 1852, 173ff. und Ges. Schr. 7, 1909, 464ff.; Schulten, RE 7, 1888, Art. Gromatici, dort weitere Lit. Den Grundstook bilden Stücke

aus den agrimensorischen Schriften des 1.—3. nachchristl. Jh.s. Auf den ver98

der trümmerhafte Zustand der Überlieferung nicht trügt, gebührt ihm das Verdienst, die Theorie der Feldmeßkunst entschlossener als alle Nachfolger mit Hilfe der üblichen Methoden geordneter Darstellung geformt zu haben. Zwei Fragmente, die ihm sicher gehóren, werden im Codex Arcerianus De agrorum qualitate und De controversits betitelt!. Sie sind beide nach demselben Prinzip aus ihrem Kontext herausgeschnitten: die Stücke beginnen jeweils mit der für ihren Stoff maßgeblichen Einteilung und enden offenbar, sobald sämtliche Begriffe, die sich aus dieser Einteilung ergeben, nebst einigen kleinen Anhängen abgehandelt sind. Der Zusammenhang, dem sowohl sie wie einige weitere Fragmente? angehôren, läBt sich nicht rekonstruieren; immerhin kann von den überlieferten Teilen auf das Ganze geschlossen und mit Grund vermutet werden, daß sie alle ein und demselben Kompendium angehórten, worin der Verfasser die gesamte FeldmeBkunst systematisch geordnet darstellte?. wahrlosten Text ist viel Mühe verwendet worden, zuerst von Lachmann (Gromatici veteres, Bd. 1 der Schr. d. róm. Feldmesser, 1848), dann von Thulin (Corpus agrimensorum Romanorum; erschienen ist nur der erste Teil des ersten Bandes: Opuscula agrimensorum veterum, 1913). Die hier zur Erörterung stehenden Schriften werden nach Seiten- und Zeilenzahlen der Thulinschen Ausgabe zitiert. Zur Sache s. Rudorffs Gromatische Institutionen, in: D. Schr. d. róm. Feldmesser 2, 227—464.

* Sextus Iulius Frontinus lebte etwa um 30—100 n. Chr. Die gromatische Schrift wurde unter Domitian verfaßt; s. Schanz-Hosius, Gesch. d. rôom. Lit. 2%,

1935, 796. Über den Inhait der Bruchstücke und den Aufbau des Werkes s. Lachmann, s. O. 2, 101ff.; Kappelmacher, RE 10, 595f., Art. Iulius (Frontinus)

Nr.243. Über die Strategemata s. u. S. 181f. Der ältere Hygin und Siculus Flaccus lebten in trajanischer Zeit; die Lit. zur Frage der beiden Schriftateller namens Hygin nennt Schanz-Hosius, &.O. 801.

! 1, 2—3, 15; 4, 1—10, 18. ! 10, 20ff. * Dieses formale Urteil wird man gelten lassen dürfen, wührend sich die zuversichtlicheren Hypothesen Lachmanns und Rudorffs (a.O. 2, 112ff. bzw.

230f.), die sich auf die Anzahl der Bücher und die Stoffverteilung beziehen,

als unhaltbar erwiesen haben. Lachmanns Argumentation ging von der Tatsache aug, daD m der 2. Handschriftenklasse ein mit den Worten ex libro Frontiné secundo überschriebenes Bruchstück überliefert ist, das in dem Traktat

De controversits agrorum des Agennius Urbicus (5. Jh.) wiederkehrt (32, 18—33,

11). Er schloß daraus, daß dieser Traktat aus frontinischem Material zusammen-

gezimmert 8ei; vor allem glaubte er, durch gewaltsame Kürzungen die Disposition, die Agennius an einer Stelle mitteilt (25, 1—14), auf Frontin zurückführen zu kónnen, der somit, wie Lachmann folgerte, die FeldmeDkunst in rwei Büchern nach dem Schema artifez — ars dargestellt habe. Lachmann verteilte dann sowohl die echten wie die aus dem Traktat des Agennius aus-

gehobenen angeblich frontinischen Fragmente auf diese beiden Bücher. Rudorffs These, daß der Aufbau des frontinischen Werkes dem System des Juristen Gaius entaprochen habe, ist gänzlich unbegründet. Nach einer akeptischen AuBerung Mommsens (Ges. Schr. 7,470) hat Thulin In seiner Ausgabe



(a.O. 20ff.)

auf die

Lachmannsche

Rekonstruktion ver99

$2. 1. Die Einteilung wird zwar nirgends in den frontinischen

Fragmenten

mit

einem

besonderen,

die

methodische

Operation

charakterisierenden Ausdruck bezeichnet; sie findet sich jedoch auf verschiedenen Rangstufen in der gewohnten Weise praktisch angewandt. So lauten etwa die beiden Hauptdispositionen der Abschnitte, die sich mit den Rechtsverschiedenheiten der Landgebiete und den Ganggerichten befassen: agrorum qualilates sunt tres: una agrs diviss εἰ adsignati, altera mensura per extremitatem comprehensi, tertia arcifini, qui nulla mensura continetur (1, 3—5), sowie: materiae controver-

siarum sunt duae, finis εἰ locus (4, 2). Der zuletzt genannten Dichotomie wird sofort eine weitere Einteilung untergeordnet, die den Plan der Darstellung bestimmt: genera suni controversiarum XV

: de positione

terminorum, de rigore, de fine etc. (4, 6 ff.). Ferner enthalten die beiden Bruchstücke einige kleinere Dispositionen !. 2. Der Klassifikationsbegriff genus begegnet zweimal in Einteilungen; er charakterisiert dort bestimmte bei der Landaufteilung übriggelassene Flurstücke (genera subsicivorum) sowie die bodenrechtlichen zichtet. Das Zitat einer angeblich frontinischen Stelle in der 2. Handschriftenklasse entwertet er durch den Hinweis auf einen ähnlichen Fall (59, 10—11; s. seine Bemerkungen zu dieser Stelle und zu 32, 18ff.): der dort dem Frontin zugeschriebene Passus, der sich ebenfalls nochmals bei Agennius findet (28, 12/13), kann nicht von Frontin stammen. Ist somit unsicher, ob und in welchem MaBe Agennius den Klassiker der Vermeesungstechnik benutzt hat, so eignet sich auch seine Disposition nicht zu Schlüssen auf das frontinische Werk: das

Schema artijex — ars gehort demselben Spütling, der sein Wissen über die Welt anzubringen versucht (22, 6ff.), endlos über den Nutzen der Unterweisung schwatzt (20, 5ff.), die Geometrie in hochsten Tónen preist (25, 15ff.) und die Limitationstechnik mit der rhetorischen Statuslehre vermengt (24, 12ff.). Das unverständliche Hin und Her der von Lachmann benutzten Disposition paët zu den häufigen Ankündigungen, die sich sonst in dem Traktate des Agennius finden (22, 3—5; 23, 3—4; 24, 13—16; 26, 6—10).

1 1, 6—7: hic (8c. ager divisus adsignatus) habet condiciones duas etc.; 2, 17:

subsicivorum genera suni duo etc.; 4, 12ff.; 7, 5ff, In den übrigen, von Thulin unter den Rubriken De limitibus und De arte mensoria zusammengefaliten Fragmenten (10, 20—19, 8) finden sich keine Einteilungen. Immerhin deutet die Bemerkung sunt et aliae limitum condiciones, quae ad solum non pertinend (14, 22—23) darauf, daß Frontin zuvor die verschiedenen condiciones limitum abgehandelt hat, wahrscheinlich nicht ohne eine Einteilung vorauszuschicken. Die Wendung eunt εἰ aliae etc. erinnert nüàmlich an den Nachtrag zu den genero controversiarum: est εἰ controversiae genus, quod ad solum non pertinet (10, 14—16); vgl. ferner die Einteilungen der limites bei Hyginus Gromaticus 132, 7ff.;

133, 11ff.; über condicio s. o. Im übrigen sind vorwiegend antiquarische Notizen (10, 20ff.) und vermessungstechnische Anweisungen, also Gegenstände, die sich für eine strenge Systematisierung nicht eignen, in das Corpus aufgenommen worden. Zudem scheinen auGer den beiden von Thulin umgestellten und als nicht unmittelbar anschlieBend gekennzeichneten Textstücken (14, 22—15, 4; 18, 12—19, 8) auch einige andere Bemerkungen nicht in ihrem ursprünglichen B. 14, 11—21). Zusammenhange zu stehen (z. 100

Streitverfahren (genera controversiarum)!. Der Terminus species findet sich in den agrimensorischen Fragmenten des Frontin nicht angewandt;

wohl aber werden die beiden materiae controversiarum einmal als partes bezeichnet (4, 4). Im übrigen klassifiziert der Verfasser die

Kunstausdrücke seiner ars mit Begriffen, die offensichtlich nicht nur ein logisches Verháltnis andeuten; so nennt er die staatsrechtlichgromatischen Verschiedenheiten der Landgebiete qualitates (1, 3), und die Streitobjekte der Ganggerichte heiBen materiae (4, 2). Besonders gern verwendet Frontin das Substantiv condicio, das bald die , Beschaffenheit", bald die ,,spezifische Eigenschaft", bald geradezu die ,,Art‘“ bezeichnet und in diesem Falle durch genus oder spectes ersetzt werden kónnte?*. Eine Hierarchie der Begriffe wird zu Beginn des Abschnittes über die Kontroversen angedeutet; hier heiBt es: sed quoniam $n his quoque partibus (sc. materiis) singulae controversiae diversas habent condiciones, proprie sunt nominandae. ut potui ergo conprehendere, genera sunt controversiarum XV etc. (4, 4ff.). Diese Stelle gibt zugleich über den Grund der Einteilung Auskunft: spezifische Differenzen (diversae condiciones) bedingen besondere Artbegriffe (proprie sunt nomsnandae)?. 3. Die Definitionen lassen sich der Sache nach nur selten von den weiteren deskriptiven Ausführungen absondern. Die Begriffe, wie ager divisus et adsignatus, ager mensura per extremitatem conprehensus etc., enthalten meist schon eine kurze Charakterisierung ihres Wesens,

und was sich der Form nach als Definition gibt, nennt oft nur den

Anwendungsbereich der Begriffe:

ager ergo divisus adsignatus est

coloniarum (1, 6); ager est mensura conprehensus, cuius modus universus civitats est adsignatus (1, 18—19) etc.*. Diese Form, die das

Definiendum an den Anfang des Satzes stellt und durch esse mit seinem Prádikat verknüpft, findet sich regelmäBig zu Beginn der einem jeden Begriffe gewidmeten Erórterung5^*. ! 2, 17 (hierzu 2, 19); 4, 6 (hierzu 6, 11; 10, 14). ! condictones der Landgebiete: 1, 7; 1, 10; 3, 6; vgl. 2, 17 und 19 (genus). condiciones der controversiae: 4, 5; 4, 20; [5,4); 6,10; 7,5; vgl. 4, 6; 0,11; 10, 14. Ferner 8, 21; 14, 22.

* Des Adjektiv diversus findet sich noch einmal 4, 17. Der Gegenbegriff similis weist an einigen Stellen auf eine recht unbestimmte Artähnlichkeit zwischen Begriffen oder Rechtslagen hin (3, 6; 5, 3; 8, 21; vgl. 9, 17: seimiliter; 4, 20: finttimua).

* Einmal weist die Definition lediglich auf die Etymologie des Fachausdruckes

hin (2, 16); weitere etymologische Erklärungen 2, 12; [8, 4]; 11, 15; 13, 2ff.

* 1, 6; 1, 18; 2, 8; 2, 16; 4, 12; 4, 20; 5, 3; 5, 10; 5, 16 usw. * Den Begriff, den t.t. der FeldmeGkunst nennt Frontin appellatio (3, 1 ;

[8, 4]; 14, 10) oder vocabulum (12, 16; 13, 8) (,,Bezeichnung''); daB ein Begriff sich auf eine bestimmte Erscheinung erstreckt, drückt er durch die Wendung

in hac remanet appellatione (3, 1; vgl. 14, 9/10) aus.

101

$ 3. Die beiden Abschnitte De agrorum qualitate und De controverasts sind streng schematisiert. Die maßgeblichen Einteilungen stehen an der Spitze; die darin aufgezählten Artbegriffe werden sodann in übereinstimmender Reihenfolge charakterisiert!, und zwar jedes Mal zunächst durch einen mit ease gebildeten Satz. So heißt es etwa (1, 3ff.): agrorum qualitates sunt tres: una agrs divisi et adsignats, altera mensura per extremitatem conprehenss etc. Die Betrachtung wendet sich nunmehr der ersten qualitas zu: ager ergo divisus adsignatus est coloniarum. Diesem einführenden Hinweis folgt die weitere Charakterisierung, hier in der Form einer Unterteilung: hic habet condiciones duas: unam etc. Dann wird die zweite qualitas behandelt: ager est mensura conprehensus etc. Beide Abschnitte sind also nach folgendem Schema aufgebaut: À. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: 1. Glied: &) nominale, mit ease gebildete Aussage (,, Definition'*) b) weitere Charakterisierung 2. Glied: a) nominale, mit esse gebildete Aussage (,, Definition‘‘) usw.

Frontin erôrtert die Begriffe seiner ars, ohne sie durch überleitende Bemerkungen miteinander zu verbinden; Rekapitulationen oder Hinweise auf einen neuen Gegenstand, wie z. B. nunc de . . . dicam usw., finden sich bei ihm nicht. $4. Von den übrigen Agrimensoren scheint sich vornehmlich der ültere Hygin um eine methodisch geordnete Darstellung bemüht zu

haben. Seine Ausführungen über die genera controversiarum (86, 19— 98, 5) beginnen mit einer Einteilung, die für den ganzen Abschnitt maBgeblich ist; das Verfahren de fine wird nochmals durch ein ebenfalls genau befolgtes Dispositionsschema aufgegliedert (89, 7 ff.). Der Anfang seiner den condiciones agrorum gewidmeten Erórterungen (74, 1—86, 18), der die Einteilung gebracht haben mochte*, ist verloren; in den überlieferten Bruchstücken verdient neben einer nur

zum Teil ausgeführten Disposition (77, 3 ff.) lediglich die charakteristische Wendung: qualitas in has species dividitur (17,8) einige Aufmerksamkeit. Die Auszüge aus dem Werk des Siculus Flaccus 1 In der Thulinschen Ausgabe ist der Kontroversenkatalog 4, 7ff. unvollständig; das Fehlen dee Gliedes de locis relictis εἰ extraclusis beruht auf einem Versehen.

3 Vgl. 97, 10—11: cum de condictonibus generatim perecriberemus. 102

(98, 6—130) ergehen sich ohne jede Disposition! in breit angelegten, an Exkursen reichen Betrachtungen; auch die Constitutio (limstum) des jüngeren Hygin (131—171) zeigt sich von den üblichen Methoden der Stoffbeberrschung ziemlich unberührt*. Der ältere Hygin verwendet einmal den Terminus species; im übrigen bezeichnet er die Begriffe seiner ars 818 genera?. Ferner hat in seinen Traktaten das Substantiv cond:cio, das die bodenrechtlichen Kategorien charakterisiert, manchmal klassifizierende Bedeutung*.

Siculus Flaccus bestimmt ebenfalls des öfteren technische Ausdrücke der FeldmeBkunst als genera*, und sowohl bei ihm wie bei dem jüngeren Hygin scheint sich die Bedeutung des Wortes condicio bisweilen dem logischen Gehalt von genus zu nähern®. Auf Unterschiede weisen die Nachfolger Frontins nur selten hin?. Da diese Schriftsteller ihre Werke wenig oder gar nicht stilisiert haben, vielmehr ihre Lehren breit, ungezwungen und unter mannigfachen Wiederholungen vortragen, ist bei ihnen sowohl eine bestimmte sprachliche Form der Definition fast vôllig ungebräuchlich® als auch

! Die Ankündigung 99, 5 ist unrichtig, die Aufzühlung 102, 16ff. für die weitere Erórterung nicht verbindlich. 120, 3 unterscheidet Siculus Flaccus wie

Frontin (2, 17) zwei genera eubsicivorum. * Kleinere Dispositionen finden sich 132, 7; 133, 11; 136, 13; 160, 10. 8 epecies: 77,8; 8.0.; genus agrorum: '19, 17; 80, 5; 80, 22; 95, 16; genera controversiarum: 86, 20;

[87, 2;] genus finitionis:

T5, 4; 89, 15; 90, 24; 91,3;

94, 12; 94, 13; 95, 6; 95, 10; s. ferner 73, 4 und 97, 10 (generatim). 78, 15; 93, 3; 94, 4; 94, 6 bezieht sich genus nicht auf Begriffe der FeldmeBkunst. * Hygin nennt die rechtlichen Beechaffenheiten des Landes bald condicio (79, 3; 81, 23; 83, 17; 86, 14 und 17; 96, 20; 97, 10: cum de condicionibus generalim percriberemue. condicio ferner 78, 24; 82, 22; 96, 20), bald genus (s. vor.

Ánm.).

5 genera finitionum: 103, 2; 103, 6; 112, 21; 113, 11; 115, 9; 10; 11; 14; 17;

21; 22; 25. genera subsicivorum: 120,3; 121, 16. genus assignationts: 125, 8. Ferner mehr oder weniger untechnisch: 107, 15; 17; 23; 109,7; 13; 116, 1. Beim jüngeren Hygin nur 142, 20. * 8o vor allem 98, 8ff., wo von den unterschiedlichen Bezeichnungen (voca-

bulorum differentiae) auf sachliche Verschiedenheiten

(diverege condiciones)

geschlossen wird; auBerdem 116, 26; 118, 12, worauf sich 125, 8 (genus assignationts) bezieht; 160, 11; 168, 6. condicio findet sich ferner 114, 22/23; 1186, 11;

117, 3; 118, 8; 127, 5; 8; 28; 128, 3; 166, 5; 9. ! S. 98, 8ff. (vgl. vor. Anm.); ferner 139, 11 (interest); 160, 10 (diversaa habet condiciones); vgl. 168, 4.

® 79, 5: vectigales autem agri sunt obligati etc.; 80, 14; 133, 12; 160, 11; 14.

Vgl. ferner 78, 18 (dicuntur statt sunt); ebenso 102, 1; 116, 20. Die spüteren Schriftateller teilen Frontins Vorliebe für etymologische Hinweise; s. 78, 1 ; 7 ; 99, 7ff.; 101, 9; 102, 3ff.; 116, 22; 117, 6ff.; 124, 17; 132, 9; 20; 133, 2; 140, 19.

Den Kunstausdruck der FeldmeBtechnik nennen sie bald nomen (78, 8; 85,1 u. 6.), bald vocabulum (78, 9; 85, 8; 12; 14; 98, 14; 18) oder appellatio (99, 5; 118, 17); alle drei Substantive bedeuten wohl ohne Unterschied soviel wie

»Bezeichnung'* (g. bes. 98, 8ff.; 118, 165f.). 103

das aus Einteilung, Bestimmungen und ausführlichen Erörterungen zusammengesetzte Darstellungsschema!, und Beispiele für parallelen Aufbau begegnen in ihren Schriften ebensowenig wie erkennbar als solche stilisierte Aufzählungen. Lediglich überleitende Floskeln vermitteln gelegentlich zwischen zwei Punkten der Darstellung? *.

10. Kapitel

Die Institutionen des Gaius $ 1. Gegenstand der Institutionen des Gaius* ist das rómische sus privatum. Diese Tatsache muß allerdings dem Inhalt entnommen werden: eine ausdrückliche Mitteilung des Themas zu Beginn des Werkes unterbleibt, und füglich fehlt es auch an einer Definition des ı Der ültere Hygin schickt allerdings seinen Erórterungen Eintoilungen voraus und achtet auf übereinstimmende Reihenfolge der Begriffe (s. o. S. 102); ferner stellt er die jeweiligen Stichworte an den Anfang der Abschnitte (78, 18: quaestoris autem dicuntur agri; 79, 6; 80, 14; 87, 4: de alluvione observatio haec est; 89, 1; 92, 17 usw.). Definitionen und Beschreibungen sind jedoch nur

selten voneinander abgehoben. Beim jüngeren Hygin findet sich einmal die Reihenfolge Einteilung — Definitionen — Charakterisierungen (133, 11ff.); hier werden also die Begriffe dreimal genannt. An einer anderen Stelle hat er das Schema angewandt, das auf die Einteilung zunächst Definition und Beschreibung des 1. Gliedes und dann Definition und Beschreibung des 2. Gliedes folgen läßt (160, 10ff.). 3 81, 11: sed et haec meminerimus; 82, 24: hoc quoque aepiciendum erit; 84, 27: hoc quoque non praetermittam; 85, 16; 96, 21; 100, 20; 117, 26; 120, 24; 127, 6;

129, 26; 140, 1; 146, 9; 147, 17. Der ältere Hygin schlieBt einmal ausdrücklich das vorausgehende Thema ab, ehe er sich dem neuen Abschnitt zuwendet: hae sunt condiciones agrorum, quas cognoscere potui. nunc de generibus controversiarum perscribam, quae etc. (86, 17ff.; vgl. 140, 12). 3 Der Traktat des Agennius Urbicus, der sich in der Reihenfolge der Materien

an Frontin anschlieBt und die ebenfalls dem Aufbau der frontinischen Abhandlungen folgenden commenta sind hier ebensowenig berücksichtigt wie die übrigen

spüten Schriftateller des Corpus der Feldmeeser (bei Lachmann 209ff.). Über Balbus s. u. S. 168. Von dem älteren Agrimensor, den Agennius Urbicus ausgeschrieben hat (Lachmann hielt ihn für Frontin, s. o. S. 99, Anm. 3), stammen

vielleicht die Daratellungsschemata 36, 15ff. (vgl. 37,20; 38,7; 38,9) und 45, 3ff. (vgl. 20, 11ff.). Auch der häufige Gebrauch des Wortes genus wird bereits auf den Anonymus zurückgehen (26, 11; 34, 11; 25; 28; 39, 7; 41, 10; 42, 19; 45, 6; 48, 15; 49, 4); zweimal findet sich bei ihm das Substantiv condicio (49, 9 und 22). Gelegentlich weist er auf Unterschiede hin (31, 19: refert; 36, 4: rejert;

36, 6: differentia); der Kunstausdruck der FeldmeGtechnik heißt bei ihm appellatio (39, 15). 4 Kein Werk der antiken Fachliteratur ist von der modernen Forschung s0

gründlich untersucht wie die gajanischen Institutionen, die wichtigste Quelle

des vorjustinianischen Rechts. Der Titel Institutiones, handechriftlich nicht 104

ius privatum. Wird somit die Spitze der Begriffspyramide nicht in wünschenswerter Weise verdeutlicht, so findet sich auch im übrigen

die unverkennbare Intention, den Stoff systematisch zu entfalten,

nicht immer mit genügender Übersichtlichkeit verwirklicht. Diese Diskrepanz zwischen den Tendenzen des Werkes und ihrer Realisie-

rung zeigt sich echon bei der berühmten Dreiteilung des ius privatum!. Zwar ist ihr, von den vorangehenden $8 1—7 des 1. Buches abgesehen, der gesamte Stoff des Werkes untergeordnet. Einem auch sonst in den Institutionen fast immer beobachteten Stilgesetz gemäß stimmt fernerhin die Reihenfolge der Materien innerhalb des Werkes mit der zitierten Aufzählung überein. Die Trichotomie ist auBerdem für die Bucheinteilung maBgeblich; das Personenrecht wird im 1., das Sachenrecht im 2. und 3. und das Aktionenrecht im 4. Buche abgehandelt?. SchlieBlich ist die Dreiteilung dem Stoffe offenkundig

80 angemessen, daß es nur selten zu Überschneidungen kommt?. Allen diesen Tugenden der zweiten systematischen Rangstelle wird

jedoch die unscheinbare Formulierung, die der Verfasser für sie ge-

überliefert (s. Mommsen, Ges. Schr. 2, 1905, 26; Schanz-Hosius, Gesch. d. rôm. Lit. 3*, 1922, 195), beruht auf der Zitierweise spüterer Schriftsteller; s. Kübler, RE 7, 503, Art. Gaius; Bizoukides, Gaius 4, 1940, 241ff.; über den Titel Institutiones allgemein s. Bórner, De Quintiliani inst. or. dispositione, Diss. Leipzig 1911, 16ff.; der Verfasser selbst bezeichnet das Werk als commentarti (2, 23;

145; 228; 3, 17 u. ö.). Über die Person des Verfassers ist wenig bekannt; einen ausführlichen Überblick über die bisher aufgestellten Hypothesen gibt Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der rómischen Juristen, Forsch, z. róm. Recht 4, 1952, 186ff. Gaius schrieb zur Zeit der Antonine; die Institutionen sind um 101 n. Chr. entetanden; s. Kübler, a. O. 489; 403f.; Schanz-Hosius &.O. Das

Werk wurde in den letzten Jahrzehnten einer methodisch nicht immer unanfechtbaren Echtheitskritik unterzogen; s. hierüber F. Schulz, History of Roman

Legal Science, 1946, 159ff.; Kaser, Sav. Z., Rom. Abt. 70, 1953, 127ff.; die Lit. auch bei Jôrs-Kunkel-Wenger, Römisches Recht,

1949?, 33!*. Textkritische

Ausgaben veranstalteten Krüger und Studemund in der Collectio libr. iur. anteiust.

(Bd.I:

Ga$ Instüutiones,

1923?);

Seckel-Kübler in den Iurisprud.

anteiust. rel. (Bd. I, 1908* und Spezialausgabe der Inst., besorgt v. Kübler, 19357); in den zuletzt genannten Ausg. 397ff. bzw. 259ff. ein Conspectus, der

über den Aufbau des Werkes unterrichtet. ! Omne autem ius quo utimur vel ad personas pertinet vel ad res vel ad actiones

(1, 8). ! Der Verfasser scheint die Systemfuge zwischen dem 1. und 2. Buche durch eine kurze Bemerkung überbrückt zu haben, die sowohl den bereits abgehan-

delten wie den nunmehr abzuhandelnden Gegenstand nannte (2, 1 lautet mit der seit, Gôschen üblichen Ergänzung: superiore commentario de iure personarum

exposuimus; modo videamus de rebus); der Übergang vom 3. zum 4. Buche war offenbar zu einer Formel wie superest ut de actionibus loquamur verkümmert (die

geringe GrôBe der Lücke verbietet eine làngere Ergánzung; s. d. Ausg. zu 4, 1). * Markante Beispiele sind die beiden Rechtsakte der mancipatio und in iure t_:un'o, die sowohl dem Personen- wie dem Sachenrecht zugehôren; jene wird

ım 1., diese im 2. Buche abgehandelt (1, 119—123; 2, 24). 105

wühlt hat, nicht völlig gerecht. Behaglich durch ein autem an die vorangehenden Paragraphen angelehnt, ist sie in allzu leichtem Tone vorgetragen. Warum, so kónnte man fragen, erfährt man nicht durch einen ausdrücklichen Hinweis, daB es sich um eine divisto handelt, warum muß der Leser deren Bedeutung für die Anlage des gesamten Werkes selbst erschlieBen? Nur die $$ 1—7 des 1. Buches befinden sich, wie angedeutet, auBerhalb des im $8 dreigeteilten Rechtssystems. Ihre Stellung bringt diese Tatsache zu sinnfälligem Ausdruck. Sie enthalten kein Proómium, sondern führen sofort in gewisse Fundamentalbegriffe ein, die das gesamte System tragen, ohne sein Einteilungsgrund zu sein. Sie belehren über die Voraussetzungen des Systems, über seine Quellen, zunüchst allgemein über den doppelten Ursprung allen Rechts ($ 1: $us civile und ‘us gentium), sodann im besonderen über diejenigen Kategorien von Normen, die das rómische Recht konstituieren ($ 2—7). Die Unterscheidung des $ 1 hátte sich als Principium divisionis verwenden lassen. Da Gaius jedoch die Trichotomie persona — res — actio, ein materielles Einteilungskriterium, bevorzugt, kann er die Zugehórigkeit der einzelnen Rechtsinstitutionen zum :us civile oder ius gentium nicht durch den Aufbau, sondern nur durch besondere Hinweise zu erkennen geben (81 a. E.): quae singula qualia sint, suis locis proponemus!. Die Behandlung der dritten systematischen Rangstufe bereitet

erheblichere, sowohl sachliche wie formale Schwierigkeiten, und zwar innerhalb der drei Hauptteile in verschiedenem Maße. Àm wenigsten noch im 1. Buche. Denn das gesamte Personenrecht fällt unter die divisiones, die jeweils zu Beginn der betreffenden Abschnitte vorgetragen werden (1, 9; 48; 142). Auch hat die Darstellung hinreichend

für die Markierung dieser Disposition gesorgt: jede Einteilung wird ausdrücklich als divisio angekündigt; ein kurzer Übergang vermittelt zwischen den Abschnitten des Systems*. Aber einmal nehmen die einzelnen Glieder dieser divisiones bereits die vierte Rangstufe ein; die Einteilungen vertreten als solche die dritte. Sodann fehlt dem 1. Buch eine Gesamtdisposition, etwa eine Trichotomie, die dem Leser im

voraus einen Überblick über die genannten drei divisiones verschafft hätte. Statt dessen werden sie eine nach der anderen ohne umfassende Vorankündigung abgehandelt und, nur durch jene Formeln verknüpft, nebeneinandergestellt. Die Einteilungen des Personenrechts, ! Gaius hält sein Versprechen nur mangelhaft; s. 1, 52; 55; 78; 80; 82—80;

80; 108; 119; 156; 158; 189; 2, 40; 66—79; 3, 93; 132; 134; 154. S. o. S. 91 über das gleichartige Verfahren, das Celeus bei der Unterscheidung von akuten und chronischen Krankheiten befolgt.

3 Sequitur de ture personarum alia divisio (1,48); transeamus nunc ad aham divisionem (1, 142). 106

durchweg Dichotomien, zeigen schließlich noch die Eigentümlichkeit,

daß jeweils nur der eine Ast der Zweiteilung näher ausgeführt wird; der andere bleibt als systematische Leerstelle außerhalb der Betrachtung. Diese Feststellung gilt etwa für die zweite Dichotomie (1, 48— 50): nur die personae quae alieno iuri subiectae sunt werden näher

erürtert!; was es mit den personae sui iuris auf sich habe, verstehe sich dann, wie es ausdrücklich heiBt, von selbst. Sie gilt auch für die dritte (1, 142): den unter Vormundschaft oder Pflegschaft Stehenden werden die unbeschränkt Geschäftsfähigen entgegengesetzt; die ausführliche Erórterung wendet sich dann aber nur den in ihrer Geschäftsfáhigkeit Beschränkten zu. Sie gilt schlieBlich in Potenz für die erste Dichotomie des Personenrechts (1, 9—11): der Verfasser dringt hier über zwei einander untergeordnete Dichotomien, deren einer Zweig jeweils als Leerstelle beiseite bleibt, zur eigentlichen Behandlung des Stoffes vor: personae

ι

Ι

ΝΗ

liberi

servi

l

[

q

ingenus

libertini l

[

cives Romans

Ν

Latini

Ï

dediticiorum numero

SchlieBlich gibt das logische Verhältnis der drei personenrechtlichen Dichotomien zueinander zu Zweifeln AnlaB. Wenn man dem sprachlichen Ausdruck glauben darf, so stehen sie gleichrangig nebeneinander: es handelt sich eben um voneinander unabhängige Einteilungen des Personenrechts nach verschiedenen Kriterien. Für die erste und zweite Dichotomie trifft diese Feststellung auch sachlich zu. Zwischen

der zweiten und dritten waltet jedoch inhaltlich trotz der koordinierenden Ausdrucksweise das Verhältnis der Subordination: die dritte ist Untereinteilung des einen, als Leerstelle zunächst beiseite gelassenen Zweiges der zweiten?.

! Und zwar wird diese Materie sofort dreigeteilt (potestas, manus, in mancipio

ésse); im Rahmen dieser drei Abschnitte entfaltet sich sodann die konkrete Darstellung der personenrechtlichen Gewaltverhältnisse. * Von den gewaltfreien Personen, so heißt es 1, 142, stehen manche unter

Vormundschaft oder Pflegschaft, manche nicht.

Die personae quae neque in

Polestale neque in manu neque in mancipio sunt (5 142) sind identisch mit dem

emen Zweig der divisio dea $ 48, den personae sui iuris. Also Unterordnung, nicht Nebenordnung.

107

Die Mängel, die der systematischen Stoffauffächerung des zweiten Hauptteiles, des ius quod ad res pertinet, Abbruch tun, wiegen schwerer. Allerdings sind drei Materien einigermaßen deutlich voneinander abgehoben: ein erster Teil befaft sich vornehmlich mit dem Singularerwerb (2, 1—97), ein zweiter mit den verschiedenen Formen der Gesamt-

nachfolge (2, 97—3, 87) und ein dritter mit den Obligationen (3, 88— 225). In den beiden Systemfugen wird auf diese Gesichtspunkte der

Stoffzuweisung aufmerksam gemacht!. Man vermiDt jedoch einen Überblick über die genannten drei Abschnitte des Sachenrechts zu Beginn des 2. Buches, eine Disposition, wie sie der Gesamteinteilung in Personen-, Sachen- und Aktionenrecht zu Beginn der Institutionen (1, 8) entsprochen hätte. Nun fehlt, wie bereits erórtert, auch dem 1. Buche ein derartiger Plan: die drei das Personenrecht gliedernden Dichotomien werden ohne umgreifende Vorankündigung nacheinander &bgehandelt. Während aber dort jene Zweiteilungen jedem Abschnitte mit wünschenswerter Deutlichkeit vorangestellt sind, fehlt im Sachenrecht, jedenfalls zunüchst, auch dieser oder ein ähnlicher Hinweis &uf das System, so daB die Darstellung richtungslos

Satz an Satz zu knüpfen scheint. Erst die Systemfuge 2, 97 klärt nachtráglich darüber auf, daß bisher von der Singularsukzession gehandelt worden sei*. Ein weiterer formaler Mangel verschärft die Unklarheit des Systems. Denn zu Beginn des 2. Buches findet sich eine Dichotomie mit Untereinteilungen, die der ersten Zweiteilung des 1. Buches deutlich entspricht?; waren dort die personae näher bestimmt worden, s0 geschieht hier ein Gleiches mit den res (2, 2—11). Neben diese erste Unterscheidung von res divini und humani suris

tritt nun alsbald eine zweite, die sich mit den res corporales und incorporales befaBt (2,12—14), und gar noch eine dritte, die res mancipi und nec mancipi voneinander abgrenzt. Von der letzten Einteilung gleitet die Darstellung ohne jeden Hinweis auf die Systemfuge zu den Eigentumserwerbsgründen hinüber (2, 18 ff.): wie sich die Sachdefinitionen zu diesem, angeblich nur dem Erwerb einzelner Sachen

gewidmeten Teile systematisch verhalten, wird nicht erläutert. Auch kommt so die Unterscheidung von kórperlichen und unkórperlichen Sachen nicht zu ihrem Recht: sie wird an unscheinbarer Stelle vorgetragen, obwohl doch auf ihr der gajanische, Erb- und Forderungsrecht umfassende Begriff des Sachenrechts beruht, obwohl somit sie allein 1 2, 97 mit wünschenswerter Klarheit; 3, 88 sehr abrupt und dürr mit den Worten: nunc transeamus ad obligationes. ! Die sachliche Richtigkeit dieses Hinweises unterliegt Bedenken: einzelne

Teile des Abschnittes 2, 1—97 lassen sich kaum dem Gesichtapunkt der Singularsukzession unterordnen. S. hierzu Verf., Sav. Z., Rom. Abt. 73, 1956, 350.

3 Auch auf die Übereinstimmung des Wortlautes (summa divisio) sei hingewiesen.

108

die Trichotomie des ius quod ad res pertinet in Singularerwerb, Universalerwerb und Obligationen ermóglicht. Sie hätte somit an den Anfang des 2. Buches gestellt und aus ihr jene Dreiteilung abgeleitet werden müssen. Auch hier zeigt sich also eine Diskrepanz zwischen dem systematischen Gehalt und der für ihn gewählten Darstellungsform; der Leser muß gerade in diesem Abschnitte das ausdrücklich Mitgeteilte in einem Maße zu Ende denken, das ihm vom Verfasser der Institutionen sonst nirgends zugemutet wird. Denn schon vom zweiten Abschnitt des Sachenrechts an läßt sich der Plan wieder ohne die Hilfe kunstvoller Auslegung überblicken: hier steht eine Aufzáhlung der einzelnen Gründe der Gesamtnachfolge

an der Spitze (2, 98); die Reihenfolge der Materien stimmt in der Disposition und ihrer Ausführung überein!. Dem ersten und wichtigsten Institut der Universalsukzession, dem Erbrecht, wird eine aus den Berufungsgründen? gewonnene Dichotomie vorangestellt und in der Erórterung entsprechend verfahren. Die Rücksichtnahme auf den gehórigen systematischen Ort jeder Materie geht so weit, daß die aus ZweckmäBigkeitsgründen gebotene Umstellung des Vermáchtnisrechts zweimal begründet wird (2, 97; 191): hier zeigt sich, wie ernst der Ver-

fasser einerseits die abstrakte Gegenüberstellung von Singular- und

Universalerwerb nimmt und wie ihn andererseits sein verstündiger Sinn für inhaltlich Zusammengehóriges davor bewahrt, das Vermächtnisrecht vom Erbrecht abzusondern. Der dritte Abschnitt des Sachenrechts endlich, das Recht der Schuldverhältnisse, zeigt eine besonders klare Architektur; sein einfacher,

übersichtlicher Aufbau leuchtete den Späteren so sehr ein, daf) er sie zu jener inhaltlichen Vervollstándigung aufforderte, die ihm in den

gajanischen Institutionen noch abgeht. Er beginnt mit der berühmten

Unterscheidung

von

vertraglichen

und

deliktischen

Obligationen

(3, 88) und spaltet sofort den ersten Begriff in die vier Gattungen der

Real-, Verbal., Litteral- und Konsensualkontrakte auf (3, 89). Diese Vertragstypen

werden

sodann

in übereinstimmender Reihenfolge behandelt; der besonders wichtigen Gattung der Konsensualvertrüge

geht nochmals eine Disposition voran (3, 135). Die Einteilung des deliktischen Schuldrechts beruht auf den vier Tatbeständen furtum, rapina, damnum, iniuria (3, 182). Auch hier zeigt eine Bemerkung, daD systematischen Fragen eine nahezu pedantische Sorgfalt gewidmet wird: wührend sich beim vertraglichen Schuldrecht zunächst vier

Klassen unterscheiden ließen, die sich ihrerseits erst in die Einzeltat-

! 2, 98ff. Dem Katalog 2, 98 fehlt nur ein Hinweis auf die letzte der in der

Erórterung behandelten Figuren der Geeamtnachfolge, auf den Erbschaftskauf (3, 85—87). Β. hierzu Verf., a. O. 350ff.; dort weitere Literatur. ! ez testamento und ab intestato (2, 99). 109

bestände gliedern, gebe es im Deliktrecht nur eine Klasse, von der aus man sofort, ohne die Vermittlung von Unterklassen, zu den Tatbestánden gelange. Der Verfasser will ausdrücken, daß sich die Systeme der vertraglichen und deliktischen Schuldverhältnisse nicht vôllig

entsprechen: einer dreistufipen Pyramide dort steht hier eine bloß zweistufipe gegenüber. Der Abschnitt über das Schuldrecht enthält auch sonst Anzeichen einer ziemlich weit vorangetriebenen Abstraktion: der Spezialerórterung der Konsensualverträge werden ein paar

allgemeine, für sie alle gültige Bemerkungen vorangeschickt (3, 136— 137); ein besonderer Abschnitt befaBt sich mit den Beendigungsgründen von Schuldverhältnissen (3, 168—181); das Problem des Forderungserwerbs durch Gewaltunterworfene ist ebenfalls von der Behandlung der einzelnen Schuldverträge getrennt (3, 163—167a)!. Die Darstellungsform des dritten Abschnittes, des 4. Buches, das

sich mit dem Aktionenrecht befaBt, unterscheidet sich merklich von der Anlage der beiden vorangehenden Hauptteile. Er ist zwar durch

die Trichotomie zu Beginn des Werkes (1, 8) in den Gesamtplan des Systems einbezogen. Und wenn die beiden anderen Abschnitte mit Einteilungen der Begriffe persona und res einsetzen, 80 wird hier in entsprechender Weise der Fundamentalbegriff der actio zergliedert (4, 1 ff.). Während aber im Personen- und Sachenrecht die einzelnen Institutionen, die speziellen Tatbestände meist durch Zwischenstufen mit den Grundkonzeptionen persona und res verknüpft sind, fehlen hier die mittleren Begriffe der Systempyramide vóllig. Die einzelnen prozessualen Einrichtungen werden ohne das Bindemittel umfassender Aufgliederungen nebeneinandergestellt; erst auf den unteren Stufen, innerhalb einzelner Materien wie der legis actiones (4, 11—29), der

Formelelemente (4, 39 ff.), der Exzeptionen (4, 115 ff.) usw. zeigen sich die bekannten Formen der Stoffbewältigung, Dispositionen und Einteilungen.

$2. 1. Das wichtigste und auffülligste methodische Werkzeug der gajanischen Institutionen ist die Einteilung. Der Verfasser weist einige Male ausdrücklich auf das Verfahren hin; er bezeichnet ea dann meist substantivisch als divisio*. Im allgemeinen jedoch praktiziert er ! Die Erórterung dieser beiden Themen folgt dem vertraglichen Schuldrecht als Anhang nach, wie die Bemerkung ezpositis generibus obligationum quae ez

contractu nascuntur (3, 163) andeutet. $ 1, 9; 48; 142; 2, 2; 3, 88; 4, 142; 143; 156. In den Einteilungen 1, 9; 2,2;

3, 88 wird das Wort mit dem Attribut summa verbunden: offenbar will der Verfasser hierdurch die für ein bestimmtes Stoffgebiet ranghóchsten Einteilun-

gen hervorheben. Das Attribut principalis dagegen hat wohl vor allem die Bedeutung eines Zahlwortes; es mag außerdem noch auf die besondere Wichtigkeit der betreffenden Gliederung hinweisen (4, 142; vgl. 143; 166). AuDer 110

es einfach durch disjunktive Partikeln oder asyndetische Aufzühlungen: so bei der obersten Trichotomie des gesamten Werkes!, 80 auch an za&hlreichen anderen Stellen des Systems?. Meist handelt es sich um Dicho- und Trichotomien, doch begegnet auch eine beträchtliche Anzahl von Vierteilungen, und selbst zwei fünfgliedrige Eintei-

lungen finden sich?. 2. Gaius verwendet als Klassifikationsbegriffe die Substantive genus und epecies*. Die beiden Worte bezeichnen im allgemeinen die aus Einteilungen resultierenden Unterbegriffe, also ,,Arten''5. Sie sind dann divisio verwendet Gaius, um Einteilungen zu bezeichnen, die Verba diducere (2, 2 und 3, 88 pleonastisch mit divisio verbunden; ferner 1, 188; 3, 182) und discernere (4, 4), nicht &ber dividere. ! 1, 8: vel — vel — vel. “ S. z. B. 1, 1 (partim —partim); 10 (ali — alii); 12 (aut — aut — aut); 49; 96; 08; 110 (Asyndeton); 151; 159; 2, 10; 12; 14a; 98; 90; 101; 152; 171; 192; 3, 78; 89 u. 0. * Viergliedrige Einteilungen: 2, 192; 3, 89; 135; 182; 4,39; 53a; 82; 174. Fünfgliedrige Einteilungen : 2, 98; 4, 12. Die Einteilung der Rechtaquellen 1, 2 ist sechagliedrig. * Genus und species dienen auch als juristische Termini, etwa als Bezeichnungen für Gattungs- oder Stückwaren (4, 53d; 66; 2, 79). Bisweilen verwendet

Gaius das Wort genus, ohne auf bestimmte systematische Beziehungen hinweisen zu wollen; s. 1, 112 (genus sacrificit); 3, 193 (genus coneuti). Die Ad-

jektive generalie (2, 104; 4, 13) und specialis (1, 46) sowie die Adverbien generaliter (2, 238; 3, 156; 158; 195; 4, 11) und specialiter (1, 68; 74; 2, 104) haben niemals die Funktion, logische Beziehungen innerhalb des juristischen Begriffsnetzes aufzuhellen. Das Substantiv pars bezeichnet stets Teile eines kôrper-

lichen oder als kôrperlich vorgestellten Ganzen, z.B. in den ôfters wiederkehrenden Verbindungen pars suris, pars legis etc. (1, 78; 86; 2, 101; 289; 3, 47;

3, 66 u. ó.). Die partes formularum des Abschnitts 4, 39—44 haben für den Aufbeu der Darstellung dieselbe Funktion, wie sonst die genera und epecies; s. bierüber u. S. 119.

* genus: 2, 101—103 (genera testamentorum); 2, 181; 2, 192 (hierzu 2, 197; 202; 210; 215); 3, 89 (hierzu 3, 163; 182); 3, 132 und 134; 3, 164 nach PSI

XI 1182; 3, 170 und 173; 4, 17; ferner die sichere Textergünzung 1,12 und vielleicht auch 4, 114. epecies: 1, 99 (species adoptionis); 2, 62; 56; 59; 254; 3, 88; 91; 141; 173; 4, 36; 133. Beide Substantive werden bisweilen in abgeblaBter, unscharfer Weise verwendet: bei der ôfters wiederkehrenden Charakterisierung

einer ProzeBform als genus actionis (4, 54; 102; 133) soll man offensichtlich nicht fragen, wie sich diese Arten zu den beiden Hauptgattungen verhalten, die 4,1 unterschieden werden; ühnlich steht es wohl mit den alterius generis successiones bzw. fictiones (3, 82; 4, 34). SSpecies bezeichnet manchmal etwas,

wes man heute durch ,,Fall" oder ,,Falltypus‘‘ ausdrücken würde, da nicht so

sehr Artbegriffe als typische Gegebenheiten in konkreten Tatbeständen gemeint sind (1,85; 2, 235; 238). Sowohl genus als auch epecies charakterisieren stets

„Arten‘‘, die innerhalb der Systematik des rómischen Privatrechta die niedrigste Stufe einnehmen. Lediglich die 3, 88 und 3, 89 unterschiedenen SchuldverhältDisse werden noch weiter aufgeteilt; da es jedoch dort auf ihre Relation zur

übergeordneten Gattung, zum Schuldverháltnis überhaupt bzw. zum vertraglichen Schuldverhältnis ankommt, sind sie ebenfalls ,,Arten"'. 111

Synonyma und lassen sich miteinander vertauschen!. Anders steht es lediglich in drei Abschnitten, die Polemik und Berichte über Kon-

troversen enthalten und sich auf die systematisch richtige Einteilung bestimmter Rechtsinstitutionen bzw. eines Delikts beziehen. Der Verfasser bedient sich hier der Ausdrücke genus und species, ohne ihre genaue Bedeutung und vor allem die zwischen ihnen obwaltende Relation genügend zu verdeutlichen; der jeweilige Zusammenhang gestattet mit Sicherheit nur den einen Schluß, daß sie nicht synonym sein kónnen. Die erste Stelle, die sich mit der Vormundscheft befaBt, lautet*: ex his apparet, quot sint species tutelarum. 8% vero quaeramus, $n quot genera hae species diducantur, longa erst disputatio ... hoc tantisper sufficit admonuisse, quod quidam quinque genera esse dixerunt, ui Q. Mucius; alii tria, ut Ser. Sulpicius; ali$ duo, ut Labeo; alii tot genera esse crediderunt, quot eliam species essent. Offensichtlich wird hier die Zerlegung von species in genera behandelt; also bedeutet species ,,Gattung‘‘ und genus ,,Art‘“, und mit den Worten $n quot genera hae species diducantur wird nach der Gesamtzahl der Arten gefragt, in die diese Gattungen sich gliedern?. Die zweite Stelle erórtert die genera des Diebstahls (3, 183). Es heiBt dort: furtorum autem genera Ser. Sulpicius et Masurius Sabinus qualtuor esse dixerunt, manifestum et nec manifestum, conceplum et oblatum ; Labeo duo, manifestum et nec manifestum; nam conceptum εἰ oblatum species potius actionis esse furto cohaerentes quam genera furtorum; quod sane verius videtur .. . Der Sinn des Ganzen leuchtet ein; der Verfasser stimmt Labeo zu, seiner Klassifikation wie der Begründung, die er ihr gibt: beim furtum conceptum und oblatum handelt es

sich um ProzeBtypen; sie gehôren nicht ins materielle Recht; also gibt es nur zwei genera furtorum. Die species actionis und genera furtorum stehen nicht in unmittelbarem systematischem Zusammen1 S.3,173: est etlam alia species imaginariae solutionts per aes et libram. quod et ipsum genus etc. Vgl. ferner 3, 132 und 134 mit 3, 91 (genus bzw. epecies

obligationis: es handelt sich um gystematisch gleichrangige Typen des Litteralbzw. Realkontraktes); vgl. schließlich 4, 64; 102; 114; 133 (genue actionis) mit 4, 36 (species actionis). 3 1, 188; hierauf beziehen sich 1, 194; 195; 2, 122. * Die Stelle bereitet jedoch &us verschiedenen Gründen Schwierigkeiten.

Denn erstens ist trotz der zuversichtlichen Worte ex his apparet durchaus nicht deutlich, mit wie vielen Arten der Vormundachaft Gaius gerechnet hat: sicher-

lich konstituieren der testamentarisch bestellte und der gesetzliche Vormund (1, 144—154; 155—164a) je eine epecies; wie es sich jedoch mit den mannig-

fachen tutelae der $$ 165ff. verhält, ist nicht ersichtlich. AuBerdem läßt sich mit dem allzu kurzen Bericht über die Ansichten früherer Juristen wenig &nfengen. Die Zahl der Arten müßte die Zahl der Gattungen übertreffen; der Text scheint aber für die Auffassungen des Sulpicius und des Labeo das Gegenteil zu ergeben, und was jene Meinung besagen soll, nach der die Zahl der epecvs mit der Zahl der genera übereinstimmt, ist vollends unverstündlich. 112

hang. Der terminologische Gehalt der Wörter genus und species läBt sich daher nicht präzisieren. Die Haupteinteilung der Aktionen lautet, soweit erhalten (4, 1): quot genera actionum sint, verius videtur duo esse, n rem et in personam ;

nam qui qualtuor 6886 dixerunt ex sponsionum generibus, non animadverlerunt quasdam species actionum inier genera se reitulisse. Die hier befehdeten Juristen glaubten also, die genera sponsionum als Einteilungsgrund für die Aktionen heranziehen zu dürfen; der Verfasser wendet sich gegen diese Theorie mit der Bemerkung, auf diese Weise würden gewisse species bei den genera untergebracht. Da er selbst für eine geringere Anzahl solcher genera eintritt, nämlich für zwei, muß genus hier den übergeordneten Begriff bezeichnen. Genus heift also ,Gattung" und species ,,Art/, beides im streng terminologischen Sinne. Ob die species nach Ansicht des Verfassers unmittelbar unter das eine oder andere genws fallen, oder erst durch Vermittlung syste-

matischer Zwischenstufen, ist nicht ersichtlich. Wahrscheinlich hat er sich diese Frage überhaupt nicht vorgelegt, so daß hinsichtlich der

Relation zwischen den beiden Begriffen ein gewisses MaB von Unklarheit übrig bleibt. 3. Ein weiteres, minder auffälliges methodisches Hilfsmittel der gajanischen Institutionen besteht in der Gegenüberstellung und Unterscheidung parallelgeordneter Begriffe. Wo der Verfasser derartige Abgrenzungen mit besonderem Nachdruck durchführt, so daß ganze

Textpartien auf diesen Zweck hin angelegt sind, verwendet er fast stets das Verbum differre oder das dazugehôrige Substantiv differentia! ;

beide Begriffe haben bei ihm stets die hier umschriebene technische Bedeutung?. ! In der Distinktion 1, 3 gebraucht Gaius das Synonym distare. Der Katalog des Abschnittes 3, 118—123 soll nicht nur den Gegensatz zwischen dem sponsor und fidepromissor einerseits und dem fideiussor andererseits hervorheben, sondern zugleich auf die Gemeinsamkeiten hinweisen, die zwischen den beiden erstgenannten

Gattungen

von

Bürgschaftaschuldnern

beetehen:

um

diese

doppelte Abeicht anzudeuten, verwendet der Verfasser die Adjektive similis und dissimilis. Die Synonyma von differre und differentia dienen sonst nirgends der Gegenüberstellung von zwei gleichrangigen, derselben Gattung unterworfenen Kunstausdrücken der Rechtssprache, sondern bezeichnen beliebige sonstige Unterschiede; z. B. wird 3, 121 mit dem Verbum distare die besondere

Bedeutung zweier konkreter Rechtebestimmungen, der lex Furia und einer epistula Hadriani, dargelegt; s. ferner 1,90f. (distinguere); 1, 127 und 3, 197 (distinctio); 2, 78 und 3, 98 (diversitas; vgl. 2, 177); 1, 73; 89; 136; 173 u. ó.

(interease). ! differre: 1, 121; 153; 2, 268; 3, 57; 109. differentia: 1, 123; 2, 18; 172; 206;

284; 4, 66. 4, 122f. bedeutet differre ,,aufschieben''. So bleibt als einzige Ausnahme die lückenhafte Stelle 2, 136a; di/ferre ist jedoch dort mit einer Negation ;erbunden, wie sonst gewóbnlich interesse (e. die in der vor. Anm. genannten tellen). B

7624

Fuhrmann, Lehrbuch

113

Als eindrucksvollstes Modell des hier zur Erörterung stehenden

Verfahrens bietet sich der groBe Differenzenkatalog 2, 268 ff. an. Nach der gesonderten Behandlung zweier systematisch einander nebengeordneter Institutionen, der Legate (2, 191—245) und Fideikommisse (2, 246—267)!, fährt der Verfasser fort: multum autem differunt ea, quae per fideicommissum relincuntur, ab his, quae directo sure legantur (2, 268). Hiermit ist das Stichwort für den ganzen letzten Abschnitt des 2. Buches ($$ 268—289) gegeben?. In langer Aufzählung konfrontiert ein Satz nach dem anderen Charakteristika der beiden Gattungen letztwilliger Verfügungen, und wenn sich die Erórterung hin und wieder zu einer Gegenüberstellung der Fideikommisse einerseits und sonstiger Verfügungen von Todes wegen (Legat, Testament) andererseits ausweitet ($$ 273—277; 285 ff.), so läBt sich diese scheinbare Verletzung systematischer Konsequenz durch den Hinweis rechtfertigen, daß Fideikommisse ihrem Inhalt und Zweck nach bald Testamenten, bald Vermächtnissen entsprechen. Jedenfalls wird in diesem Abschnitt das methodische Prinzip, das Detailstudium eines stets von einem Objekt zum anderen wandernden Blickes, mit wün-

schenswerter Deutlichkeit angewandt?. Ein dem vorigen verwandtes methodisches Hilfsmittel besteht in der exakten Unterscheidung von Begriffsmerkmalen. Gemeinsamkeiten, in die sich sámtliche einer Gattung angehôrigen Arten teilen, werden mit Eigentümlichkeiten konfrontiert, die lediglich einer einzigen Art zukommen. Gaius verwendet, um diese Operation zu bezeichnen, die Adjektive communis und proprius*. Ein vorzügliches Beispiel enthált der Abschnitt, der die Adoption erôrtert (1, 97—107). Er zeichnet sich durch eine besonders übersichtliche Stilisierung aus. Einer überleitenden Bemerkung ($ 97) folgt die 1 Da es hier um die Methode geht, braucht nicht nüher erórtert zu werden, daß die gajanische Gegenüberstellung von Legat und Fideikommif ungenau ist. à Die historische Betrachtung der $$ 284ff. nimmt es mit den Worten erant

etiam aliae dijferentiae wieder auf. * Die $$ 3, 57—62 zeigen denselben Aufbau: das Thema der Unterscheidung

wird mit den Worten unde accidit ut longe differant etc. vorangeatellt; ihm folgt ein Katalog jeweila verschiedener Rechtsnormen: hier ist es so, dort dagegen s0 usw. Weiterhin enthält das Werk des Gaius noch eine Reihe einzelner Distinktionen; s. 1, 121 (die Unterscheidung bezieht sich hier nicht auf zwei einander nebengeordnete Begriffe; vielmehr wird eine Speziee mit einer Gruppe anderer,

parallelgeordneter Spezies konfrontiert); 153; 2, 18—22; 172; 204f.; 4, 66. Über 1, 3 und 3, 118—123 s. o. S. 113, Anm. 1. * Zu Beginn des Werkes charakterisiert das Begriffspaar die Grundkonrep-

tionen us gentium und $us civile; Β. hierzu o. S. 106. (Die Verbindung $us commune findet sich nur an dieser Stelle; auf das tus proprium civium Romanorum bezieht sich Gaius 1, 55; 108; 119; Β. ferner 3, 03; 134; 154 PSI XI 1182). Sodann

dienen communis und proprius in den Abschnitten 1, 103— 107 und 3, 124—127 zu Gegenüberstellungen; statt communis gebraucht Gaius 3, 126f. Wendungen, 114

divisio der Adoption in ihre beiden species ($ 98), allerdings nur der Sache nach: der Terminus divisio wird überhaupt nicht verwandt, der Terminus specses nur beiläufig im $ 99. Hier schließt sich ein Differenzenkatalog an, der bis zum $ 102 reicht: die Charakteristika der beiden Adoptionsformen werden einander der Reihe nach gegenübergestellt. Auch hier wird die Methode nicht ausdrücklich durch di/ferre oder differentia gekennzeichnet. Im $ 103 heiBt es sodann: illud uiriusque adoptionis commune est, und im $ 106 noch einmal: sed et illa quaestio ... utriusque adoptionis communis est; und schlieBlich im $ 107: sllud proprium est esus adoptionis quae per populum fit ... Da

auch die $$ 104—105 der Sache nach communia, gemeinsame Eigen-

schaften beider Adoptionsformen, enthalten, bilden die $$ 103—107 einen geschlossenen Zusammenhang wie der vorangehende Katalog von Distinktionen. Werden dort, in den $$ 99—102, Artmerkmale in der Weise voneinander unterschieden, daß jeweils ein Merkmal der einen Árt einem Merkmal der anderen entspricht, so finden sich hier zunüchst einige beiden Arten gemeinsame, in Wahrheit also der übergeordneten Gattung zukommende Kennzeichen zusammengestellt, denen ein spezifisches Kennzeichen der einen Art gegenübersteht!. 4. Die bisher erórterten Operationen konstituieren vornehmlich die Methode des gajanischen Werkes. Sie dienen dem System, das System der didaktischen Aufgabe der Institutionen; beide Zwecke, der unmittelbare wie der mittelbare, leuchten ohne weiteres ein. Sie sind die spezifischen Merkmale des gajanischen Lehrbuches: in der sonstigen rechtswissenschaftlichen Literatur der Rómer werden sie, abgesehen wohl von den übrigen Institutionenwerken, überhaupt nicht oder nur in

geringem Maße angewandt. Anders steht es mit zwei weiteren logisch-

methodischen Werkzeugen, deren sich Gaius überaus oft bedient, mit dem Begriff und der Definition. Ihrer kann weder er entraten, noch die

übrigen juristischen Schriftsteller: ohne feste Begriffe ist Jurisprudenz s0 wenig denkbar wie irgendeine andere

Wissenschaft.

Allerdings

unterscheidet auch hier der didaktische Zweck das Werk des Gaius

wenn nicht grundsützlich, so doch dem Grade nach vom sonstigen

Schrifttum: nicht nur bedingen die zahlreichen gajanischen Einteilundie mit dem Adjektiv par gebildet sind (par in dieser Bedeutung auch 2, 131). AuBerdem finden sich proprius und proprie bisweilen einzeln als Bezeichnung

für ,,Spezifisches'* (3, 154 PSI XI 1182: in hac societate . . . illud proprium erat etc.; 2, 243; 3, 116). Communis, proprius und proprie werden auch in mehr oder weniger untechnischer Bedeutung verwendet (communis bedeutet 3, 958 ,,all-

gemein"; proprius läßt sich 3, 186f.; 209; 4, 169 durch ,,besonders‘* wiedergeben usw.). ! Ein ühnlicher Aufbau läßt sich in dem Abschnitt 3, 118—127 festatellen: auch dort folgt die Gegenüberstellung von gemeinsamen und spezifischen

Merkmalen ($$ 124—127) auf eine Reihe von

Distinktionen (58 118—123;

. 0. S. 113, Anm. 1).

8

115

gen manchen spezifisch gajanischen, anderwärts nicht überlieferten

Begriff; die Absicht, einen ersten Überblick über das gesamte ius civile zu gewähren, bringt es außerdem mit sich, daß die Darstellung, je weniger sie sich dem Einzelnen, der Kasuistik, widmen kann, desto mehr beim Allgemeinen, den Begriffen und der abstrakten Bestimmung ihres Wesens, weilt. Ist der Begriff und sein Umfang in der auBerdidaktischen Literatur nur Hilfsmittel sachgerechter Fallentscheidung, so dient bei Gaius seine ausführliche Behandlung dem eisagogischen Zweck des Werkes. Somit muD für die Definition im wesentlichen die Feststellung genügen, daB sie sich im Werke des Gaius häufiger verwendet findet als in den Literaturgattungen, die der Kasuistik gewidmet sind. Während nun eine stattliche Anzahl von Einteilungen, Unterscheidungen usw. ausdrücklich als divisiones, differentiae etc. bezeichnet werden, bleibt der logische Charakter der Wesensbestimmung stets unerwähnt: Gaius definiert, ohne darauf hinzuweisen, daB es sich bei der vorliegenden Operation um eine Definition handele. Zwei gelegentliche Erwähnungen des Begriffs definitio bezeugen immerhin, daD ihm der übliche Terminus vertraut ist!. Innerhalb der gajanischen Institutionen streng zwischen Definitionen einerseits und Beschreibungen von Rechtseinrichtungen, Erläuterungen von Normen usw. andererseits unterscheiden zu wollen,

wäre ein miBliches Unterfangen: die sprachliche Form gibt hier nicht den Ausschlag, und der logischen Substanz nach dienen die Ausführungen des Gaius fast sámtlich der móglichst genauen Bestimmung von Begriffen. Doch darf eine besondere Stilisierung, durch die das in jeder Definition enthaltene Identitätsurteil auch sprachlich unverhüllt wiedergegeben wird, als Prototyp der Definition, als Wesensbestimmung im engeren Sinne gelten: es sind die Sätze, die das Definiendum an den Anfang stellen und mit der Bestimmung durch die Kopula esse verknüpfen. Dergleichen findet sich sofort in den einleitenden Sátzen, die von den Rechtsquellen handeln: lex est, quod populus iubet atque constituit. plebiscitum est, quod plebs subel atque

conatituit ($ 3) etc. und begegnet immer wieder innerhalb des gesamten

Werkes?. Im einzelnen zeigen sich erhebliche Unterschiede. Die Bestimmung begnügt sich bald mit einer kurzen Bezugnahme auf den systematischen Ort des Definiendum, z.B. wenn es heiDt: ingenui sunt, qui liberi nati sunt; libertini, qui ex iusta servitute manumissi sunt 1 Allerdings bezieht sich das Wort an beiden Stellen nicht auf Begriffe, Bondern auf Tatbestände (2, 94, wo auf 2, 91 verwiesen wird; 2, 235); es bedeutet

2, 94 ,,Mabgabe‘‘, , Einschránkung", 2, 235 ,,Bestimmung‘. Das Verbum definire findet sich in den Institutionen überhaupt nicht. Finitus bedeutet 1, 139 und 3, 18 ,,eingeschränkt‘‘; „beschränkt‘‘; 3, 184 (terminare) handelt es sich um die Abgrenzung eines Zeitraumes. $ S. hierzu u. S. 119. 116

(1, 11). Hier werden mit möglichst wenigen Worten die spezifischen

Differenzen angegeben; das zweite Element der Definition, die übergeordnete Gattung, läBt sich ohne weiteres aus der vorangehenden Einteilung ergünzen!. Bald aber werden der Wesensbestimmung sofort Beispiele zugefügt, s0 etwa in dem Satz: sunt ... agnati per virilia sexus personas cognatione suncti ... veluti frater eodem patre

natus etc. (1, 156)®. Diese Exempel müssen bisweilen die abstrakte

Bezeichnung des Begriffsumfanges ersetzen, z.B. wenn gesagt wird: susla ... causa manumssstonia est veluti si quis filium filiamve aut fratrem sororemve naturalem etc. apud consilium manumittat (1, 19)3. Diesem Typus steht ein anderer nahe, der einen Begriff durch die vollständige Aufzählung der unter ihn fallenden Arten verdeutlicht ; so in der Definition: $n rem actio est, cum aut corporalem rem intendimus nostram esse aut us aliquod nobia conpetere etc. (4, 3)*. Hin und wieder soll

ein Vergleich ein vorläufiges, noch ungenaues Verständnis eines Be-

griffes ermôglichen; ihm folgt alsbald eine ausführliche Beschreibung: est .. . mancipatio . . . imaginaria quaedam venditio . . . eaque res sic agitur etc. (1, 119)5.

Handelt es sich schon bei der Deutung eines Begriffs durch Beispiele, durch die untergeordneten Arten oder eine bildhafte Wendung nicht mehr um Definitionen im strengen Sinne, so haben vollends die zahlreichen Worterklárungen im Werke des Gaius nicht die Aufgabe,

das Wesen von juristischen Kunstausdrücken zu bestimmen. Sie solen vielmehr lediglich den Zugang zu einem Begriff erschlieBen helfen, ohne jedoch seinen Umfang und Inhalt, seine Stellung innerhalb des Systems hinreichend festlegen zu kónnen*. Auch hier variiert die Form: die Bedeutung des Wortes wird bald in einem besonderen Satze mitgeteilt”, bald in die Erórterung der Sache eingeflochten?*. Ebenso wechselt die Methode: meist geht die Erklärung von der

Etymologie des Wortes aus®; oft gibt sie durch eine Paraphrase den Sinn an 19, ! 1, 10: liberorum homtnum alii ingenui sunt, alii libertini. Ahnliche Definitionen z. B. 1, 96; 160; 161; 162; 2, 4; 11; 13; 14; 3, 184ff.

* Vgl. 3, 2; 4, 40ff.; 121f.

* Vgl. 2, 156.

* Vgl. 2, 14aff.; 3, 225.

* Vgl. 3, 169; 173f.

* Bisweilen wird durch die Definition des Begriffs zugleich das Wort erklürt; 8. z. B. 3, 136; 4, 40; 42; 43.

* Z.B. 1, 14: vocantur autem peregrini dediticit hi etc. So oft;s. die Anm. 9 und 10 genannten Beispiele.

* Z.B. 2, 194 bei der Erórterung des Vindikationslegate; das den Wortainn erláuternde Verbum vindicare füllt erst gegen Ende des Paragraphen.

* Nur selten sind die etymologischen Ableitungen s0 tóricht wie bei der

Erklärung der Wórter epurius (1,64) und mutuum (3, 90); s. z. B. 1, 14; 22; 99; 121; 122; 150; 154; 169; 184; 185; 2, 164; 214; 217; 264; 3, 176; 217; 4, 11 ; 36; 45—46; 71; 72; 126; 132; 169; 170.

1 8. z. B. 2, 61; 101; 104; 153; 157; 238; 3, 193; 4, 16; 18; 27; 20; 53. 117

5. Die bisherigen Erörterungen über Einteilungen, Gattungen und

Arten, über Distinktionert, Gattungs- und Artmerkmale sowie über Definitionen galten hauptes&chlich den Relationen, die zwischen den

Begriffen obwalten. Gerade bei der Klárung dieser Beziehungen zeigt sich die logische Seite der gajanischen Methode. Dagegen gewährt der einzelne Begriff, für sich betrachtet, im vorliegenden Zusammen-

hang nur geringen AnlaB zu Überlegungen. Begriffsbildung, Begriffsinhalt und -umfang kónnten nur vom Stoff der Einzelwissenschaft aus beurteilt werden, und auch die Methoden, die sich hierbei etwa sollten feststellen lassen, gehóren vornehmlich der betreffenden Einzelwissenschaft und nicht einer allgemeinen Wissenschaftslehre an. Der Verfasser der Institutionen bedient sich der Begriffe im allgemeinen ohne theoretische Hinweise auf ihre logische Funktion; einen scharf umrissenen Terminus technicus für den Begriff scheint er nicht zu kennen !. Immerhin kommt das Substantiv appellatio der hier gesuchten Bedeutung an zwei Stellen ziemlich nahe*. Die erste erôrtert die Gründe, die zur anfänglichen oder nachträglichen Unwirksamkeit von Testamenten führen (2, 114 ff.). Je nach dem Zeitpunkt des Ein-

tritts der Nichtigkeit und bei der nachträglichen Nichtigkeit je nach dem Grunde wird von einem testamentum non ture factum, irritum oder ruptum gesprochen. Diese Ausdrücke, heiBt es im $ 146, lieBen sich zwar auch vertauschen: sed quia sane commodius erat singulas causas eingulss appellationibus distuingui, ideo quaedam non sure fieri dicuntur, quaedam iure facta rumpt vel inrita fieri. Der Verfasser hat offenbar bemerkt, daB sich hier die Sprache der Juristen von der allgemeinen

Umgangssprache entfernt; diese Künstlichkeit zu begründen, weist er auf das Bedürfnis der Wissenschaft hin, jeden besonderen Gegenstand mit einem besonderen Begriffe zu bezeichnen. An einer anderen Stelle polemisiert er gegen die Fassung eines

Gesetzes, der lez Aquilia (3, 217): sie enthalte, um den Tatbestand festzusetzen, neben dem Ausdruck ruptum noch die Wórter ustum und fractum, quamquam potuerit sola rupti appellatio in omnes istas causas

sufficere. Der Begriff ruptum umfasse nicht nur jene beiden Audsrücke, sed etiam scisea et conlisa et effusa et quoquo modo vitiata aut perempia atque deteriora facta hoc verbo continentur. Auch diese in ihrer Vereinzelung doppelt wertvolle Bemerkung gewährt einen lehrreichen Einblick in die Werkstatt des Verfassers,

der die Terminologie seines Faches mit methodischer Exaktheit und ! Nomen bedeutet ,,Wort“, ,,Bezeichnung*' (1, 122; 2, 16; 3, 116); voz meint die ,,Vokabel‘‘ einer fremden Sprache (1, 64; 3, 93); verbum bezieht sich steta

auf den Wortlaut von Gesetzen, ProzeB- oder Geschäftsformularen (1, 112; 123; 132; 165; 2, 104; 119; 121; 128 u. 6.). 3 Drei weitere Stellen verwenden das Wort in Begriffsbestimmungen bzw.

Worterklärungen (1, 3; 3, 124; 4, 155). 118

strenger Ökonomie gehandhabt wissen will. Im ganzen jedoch ergibt sich, daß Gaius die sprachliche und die logische Seite der Begriffe

nicht scharf voneinander sondert; je nach dem Zusammenhang steht bald die eine, bald die andere im Vordergrunde. $3. 1. Das wichtigste Darstellungsschema der Institutionen setzt

sich aus einer Einteilung, Definitionen und deskriptiven Erórterungen zusammen; seine häufige Anwendung trägt am auffälligsten dazu bei, dem Werk die charakteristische Form eines Lehrbuches zu verleihen. Die Einteilung ist besonders scharf profiliert, während sich Definitionen und Beschreibungen im allgemeinen nicht streng voneinander abgrenzen lassen; Beschreibungen fehlen mitunter vôllig'. Sofern der Einteilung nicht sofort eine weitere Begriffsspaltung folgt?, werden alsbald die Artbegriffe einer nach dem anderen des näheren erórtert, gewóhnlich in derselben Reihenfolge, die sie in der Einteilung innehatten*. Gaius disponiert somit den Stoff nach folgendem Schema: À. Einteilung, enthaltend die Glieder 1, 2, 3 usw. B. Darstellung: 1. Glied: a) Definition

b) weitere Charakterisierung 2. Glied: &) Definition

b) weitere Charakterisierung usw.*. 2. Ein zweites in den Institutionen des Gaius ôfters wiederkehrendes formales Charakteristikum ist der Parallelismus, der als methodisches

Hilfsmittel der Stoffbewältigung einige grôBere Partien des Werkes beherrscht. Er besteht darin, daß dieselbe Materie zweifach in derselben Reihenfolge ihrer einzelnen Teile behandelt wird; auf &!, b!, c! usw. folgen also a*, b*, c*. Das Bedürfnis nach einer derartigen Ver-

doppelung entsteht dadurch, daß alle Glieder der einen Reihe lediglich auf ein umfassendes Prinzip hin untersucht werden und sich die ent-

! So 1, 2—7; 10—11; 2, 2—11; 12—14; 14a—17; 4, 1—3. Ebenso, nur um Beispiele erweitert, die Behandlung der Formelteile 4, 39ff. ! Bo 1, 8—10; 48—49 u. ô. * Anders nur 1, 12ff. * S. z.B. die Abschnitte 1, 2—7 (Rechtsquellen); 10—11 (ingenui und

libertins); 49ff. (gewaltunterworfene Personen); 110—115b (conventio in manum) ; 142ff. (Vormundschaft und Pflegschaft); 2, 2—11 sowie 12—14 und 14a—17

(res); 2, 97ff. (Universalsukzession); 2, 99ff. (Erbrecht); 2, 152—163 (heredes necessarii etc.);

obligationen);

191ff. (Legate); 3, 88&—225 (Obligationen); 89ff. (Kontrakta-

135—162

(Konsensualkontrakte);

182—225 (Delikte); 183ff.

(furtum); 4, 1—3 (actiones); 39ff. (Formelteile); 53aff. (pluris petitio); 103ff. (iudicia); 120ff. (exceptiones); 142ff. (interdicta); 156—160 (inferdicta simplicia und duplicia).

119

sprechenden Glieder der zweiten nach einem anderen Gesichtspunkt zu einem Ganzen zusammenfügen sollen.

Das eindrucksvollste Beispiel für diesen Parallelismus findet sich im 1. Buche ($8 48—141): die im $ 49 gegebene Einteilung wird zweimal

abgewickelt, zunáchst in dem Abschnitt 1, 52—123, sodann im unmittelbar folgenden Teile 1, 124—141, s0 daB die $8 52—107 und 125—130, die $$ 108&—115b und 137—137a sowie die $$ 116—123 und 138—141 jeweils miteinander korrespondieren. Der Verfasser làGt also den personenrechtlichen Gewaltverhältnissen der potestas, der manus und des in mancipio esse eine zweifache Behandlung zuteil werden; im ersten Abschnitt befaßt er sich mit ihrer Entstehung und ihrem Inhalt, im zweiten mit ihrer Beendigung. Der Gesichtspunkt, der den zweiten Teil bedingt, wird ausdrücklich erwähnt (1, 124): videamus nunc, quomodo hi, qui alieno turi aubiecti eunt, eo ture liberentur!. 3. Als weiteres Darstellungsschema der Institutionen verlangt die katalogartige Aufzählung einige Aufmerksamkeit. Sie reiht Tatbestände aneinander, die demselben Prinzip unterstehen, etwa sämtlich die gleiche Rechtswirkung herbeiführen. So charakterisieren z. B. die insgesamt achtmal wiederkehrenden Worte sinutilis est stipulatio deutlich den Katalog, der die Nichtigkeitsgründe von Stipulationen angibt (3, 97—109); erst gegen Ende des Abschnittes wird im Ausdruck gewechselt*.

4. SchlieBlich gehôren gewisse stereotype Übergangsformeln zu dem methodischen Rüstzeug des Gaius; sie sind gleichsam das Bindemittel für die Fugen im systematischen Gebäude. Manchmal verknüpfen sie eine Einteilung mit der nachfolgenden Darstellung?, oft 1 Dasselbe Aufbauschema kehrt bei der Erórterung des furtum wieder

(3, 183ff.): Gaius definiert zunüchst die einzelnen Tatbestünde (183—188) und erôrtert sodann in derselben Reihenfolge die jeweiligen Strafsanktionen (189— 192). SchlieBlich verdient die Darstellung der Kontraktaobligationen hier

berücksichtigt zu werden (3, 89—181). In diesem Falle lautet das Aufbauschema zwar nicht a*, b! usw., a*, b* usw. Gleichwohl besteht eine Entaprechung

zweier in sich gegliederter Abschnitte: mit den Schuldentstehungsgründen a!, b! usw. (89—162) korrespondieren die Tatbestände x*, y* usw., durch die Schuldverhältnisse beendigt werden können (168—181). Diese Abweichung ist durch sachliche Gründe bedingt: zu keinem Entstehungsgrund gehôrt ein besonderer Beendigungstatbestand, vielmehr kann jedes der im ersten Teile erórterten Schuldverhältnisse durch jeden der im zweiten Teil genannten Tatbestände beendigt werden. 3 S. ferner 1, 28—36; 58—64; 65ff.; 127f1.; 2, 45ff.; 52ff.; 66—79; 229—245; 3, 168—181; 4, 69ff. Allerdings finden sich in diesen Beispielen nur selten formelhafte Wendungen; bisweilen verwischen allerlei Einschübe die Umrisse des Katalogs.

3 1, 8; 12; 49ff.; 126; 142f.; 2, 09f.; 3, 89. 120

einen Abschnitt der Darstellung mit dem folgenden!; bisweilen wird zunächst der bereits erörterte Stoff kurz rekapituliert?. Nicht selten hebt ein nunc hervor, daß sich der Verfasser einer neuen Materie zuwendet?. Das dürre Vokabular enthält neben den Ausdrücken sequitur und superest* vor allem adhortative Formen wie videamus, dispiciamus und franseamusS.

Diese methodischen Hilfsmittel und Aufbauschemata geben den

Institutionen das Geprüge eines Lehrbuches, das einen ersten Überblick über das rómische Privatrecht vermitteln soll. Der Verfasser

hat sie, wie hier noch hinzuzufügen bleibt, sehr ungleichmäBig angewandt. Àn manchen Stellen háufen sich die Beispiele; dort zeichnet

sich dann die Darstellung durch Klarheit und Übersichtlichkeit aus. Bisweilen aber vermiBt der Leser Plan und Methode vóllig; die Assoziationen des Verfassers oder gänzliche Willkür scheinen hier Stoff

über Stoff gehäuft zu haben*. Das wirre Durcheinander dieser Partien ist überaus unersprieBlich und bewirkt, daB die Lektüre eines der bedeutendsten Werke antiker Fachwissenschaft keinen reinen Eindruck hinterläBt.

! 1, 48; 108; 116; 124; 142; 2, 41; 191 u. 6. 3 1,97; 2,1; 97; 114ff.; 3, 64f.; 163; 4, 161. Am Ende eines Stoffgebietes

bedient sich Gaius gern der Formel in summa sciendum est (1, 47; 2, 96; 3, 162; 208; 4, 183; vgl. 1, 141).

3 S.z.B. 1, 50; 108; 124; 142; 2, 80; 97.

* sequitur: 1, 48; 2, 40; 3, 55; 4, 161. euperest: 1, 116; 4, 114; 138.

5 videamus: 1, 8; 50; 108; 124; 142; 2, 1 u. 6. dispiciamus: 1, 12; 51; 125; 143; 2, 86 u. 0. transeamua: 1, 142; 2,246; 3, 88; 182. Auch die Wendung admonendi sumus kehrt des ófteren wieder (1, 141; 2, 80; 3, 163; 4, 82; 110). * S. z. B. 1, 13ff.; 65ff.; 2, 114ff.; 3, 25ff.

121

Zweiter Teil

BETRACHTUNGEN ZUR GESCHICHTE DES SYSTEMATISCHEN LEHRBUCHES

11. Kapitel

Die Ursprünge des systematischen Lehrbuches I. Die lange, Lehrbücher aus fünf Jahrhunderten umfassende Reihe von Analysen zeigt eine erstaunliche Gleichfórmigkeit des Typus. Môgen sich, wie etwa ein Vergleich der Rhetorik des Anaximenes mit dem Werke des auctor &d Herennium erkennen läBt, die Inhalte bei den einzelnen Disziplinen erheblich gewandelt haben: Methode und Darstellungsform sämtlicher erórterter Kompendien stimmen in allem Wesentlichen überein. Die Unterschiede betreffen meist ein grôBeres oder geringeres MaD methodischen Aufwandes: 2. Β. stehen dem komplizierten System der voll entwickelten Rhetorik die einfacheren Gliederungen der übrigen Disziplinen gegenüber; in den dürren Leitfäden eines Dionysius oder Kleoneides macht sich der Mechanismus der Einteilungen und Definitionen viel aufdringlicher bemerkbar als in den umfangreichen Werken eines Vitruv oder Celsus usw. In der Rhetorik des Anaximenes sind bereits sämtliche Charakteristika des Lehrbuches voll ausgebildet; die spätere Zeit hat dem Typus kein einziges Merkmal genommen oder hinzugefügt. Mógen die Systeme wie bei Anaximenes so auch bei anderen Schriftstellern

Lücken, Mängel, Unklarheiten zeigen: die Intention, die den Stoff in eine geschlossene Begriffspyramide einordnen móchte, läßt sich nirgends verkennen, und überall bedient man sich hierzu der Einteilung, der Zerlegung von Gattungen und Arten, man definiert, unterscheidet und stellt Gemeinsamkeiten fest, man verwendet hierbei stets dieselben stereotypen Ausdrücke und Formeln und hält sich mit peinlicher Genauigkeit an bestimmte Aufbauschablonen, die jeder Einzelmaterie ihre unverrückbare Stelle innerhalb der Darstellung zuweisen.

Während sich nun dieses Ergebnis ohne weiteres aus einer ver-

gleichenden Analyse ablesen läßt, sind über die Vorgeschichte der ültesten Τέχνη, über Entstehung und Entwicklung dieser bedeut122

samen Gattung wissenschaftlicher Schriftstellerei, nur Vermutungen möglich. Wie bei den Gattungen der Poesie zeigt auch hier der älteste auf die Nachwelt überkommene Repräsentant den Typus in voller Reife, und das allmähliche Werden muß aus Indizien erschlossen werden, die verschiedenen Deutungen zugänglich sind. Wer bisher auf die Methode in der rhetorischen Τέχνη des Anaximenes aufmerksam geworden ist, hat, um sie zu erklären, auf die sokratisch-platonische und aristotelische Logik hingewiesen!. In der Tat zeigt sie, soweit sie logische Operationen vornimmt und hierbei eine

bestimmte Terminologie verwendet, Übereinstimmungen mit philosophischen Lehren, und eine genaue Untersuchung des Sachverhaltes

müfte schon wegen des Standes der Quellen, der einseitig Akademie und Peripatos begünstigt, auf diese Móglichkeit, die Methodologie des Anaximenes verständlich zu machen, sorgfältige Rücksicht nehmen?. Indes, es empfiehlt sich wohl, zunáchst den Gegenstand selbst zu betrachten, der durch die platonisch-aristotelische Methodik und

Logik befruchtet worden sein soll: vielleicht lassen sich der Überlieferung Hinweise darüber entnehmen, wie es um die Theorie der Redekunst, um ihre Formen und Methoden bestellt war, ehe jene wissenachaftlichen Lehren auf sie einwirken konnten; vielleicht sind gewisse formale Charakteristika des anaximeneischen Lehrbuches durchaus verständlich, wenn man sie in das Bild einordnet, das sich aus den

Quellen über den Unterrichtsbetrieb der Sophistik ergibt. $1. Der älteste zusammenhängende Bericht über die Theorie der Rhetoren und den Inhalt ihrer Lehrbücher findet sich im platonischen

Phaidros (257 B Ε ; besonders 266 C—267 D)*. Hier verweist Phaidros, von Sokrates nach dem Gegenstande der üblichen Rhetorik befragt,

auf «X &v τοῖς βιβλίοις τοῖς περὶ λόγων τέχνης γεγραμμένοις. Daraufhin 1 So deutet z.B. Zeller, D. Philos. d. Gr. 2, 2?, 1879, 78*, die ‚„stehende Methode schulmüDiger Definitionen und Einteilungen'* in der Rhetorik ad Alexandrum als EinfluB der aristotelischen Lehre und zeigt sich deshalb geneigt,

das Werk dem Anaximenee v. Lampsakos abzusprechen. Um ihn zu widerlegen, beruft sich Barwick, Hermes 57, 1922, 33f., auf die sokratisch-platonische Philosophie. * S.u. S. 131ff.

* S. hierzu bes. Mras, W. St. 36, 1914, 302ff.; dort 295 richtig über Hirzel,

Über das Rhetorische und seine Bedeutung bei Plato, 1871 und Nowak, Jb. f. klass. Phil., Suppl. 13, 1884, 441—640. Weitere Lit. in den folgenden Anm. * Diese prüzise Formulierung schlieGt jeden Zweifel daran aus, daB sich die folgenden Bemerkungen auf schriftlich abgefaGte Theorie beziehen.

Der

Beg'nfl' τὶ-χνη allein ist mehrdeutig: er kann ebensowohl mündliche Anweisungen

Übungsreden, Beispielsammlungen etc. bezeichnen; so wahrscheinlich Plat Phaedr. 261B u. .; s.

Maass, Hermes 22, 1887, 575ff.; 5781; Rader-

mácher, Artium Scnptorea, SB Óst. Ak. d. Wiss. 227, 3, 1951, zu B VII 1 und

6; Kroll, RE Suppl. 7, 1044, Art. Rhetorik.

123

zählt Sokrates alle wichtigen Materien! der rhetorischen Theorie auf: er nennt an erster Stelle das προοίμιον und die διήγησις, dann eine Reihe von Begriffen, die mit dem Beweisverfahren zusammenhängen (μαρτυρίαι, τεκχμήρια, εἰκότα usw.), weiterhin Phänomene, die von der späteren Lehre der λέξις zugewiesen wurden (διπλασιολογία usw., ὀρθοέπεια) und schließlich den Epilog (266 D—267 D). Dieser Bericht, der sich durch eine Anzahl bestätigender Nachrichten ergänzen läßt, gibt einige wichtige Aufschlüsse.

1. Er zeigt zunächst, daß sich die damalige Rhetorik vornehmlich mit der sorgfältigen Gliederung der Rede, den μέρη λόγου, befaßte. Wenn sie nun ihr Hauptaugenmerk darauf richtete, daß der Redner mit Bedacht disponiere und über jede Materie an gehöriger Stelle spreche, so liegt die Vermutung überaus nahe, daß auch ihre schriftlichen Anweisungen einen bestimmten Aufbau zeigten. Sie werden eben jene μέρη λόγου als Gliederungsprinzip verwendet haben, und

Platons Bericht folgt dem Plan der damaligen Lehrbücher*. Nun ! Vgl. 207 Ὁ: ΣΩ. ταῦτα λέγω, xal εἴ «t σὺ ἄλλο ἔχεις εἰπεῖν λόγων τέχνης πέρι. DAI. σμικρά γε καὶ οὐκ ἄξια λέγειν. 1 So bereits Hamberger, Die rednerische Disposition in der alten τέχνη ῥητορική, Rhet. St. 2, 1914, 1ff.; Barwick, a.O. 11f. Der älteste Beleg für den t. t. μέρη λόγου wohl bei Isocr. Epist. 6, 8; vgl. Aristot. Rhet. A 1 1354 b 16. Was über die ersten Anfünge der Rhetorik überliefert wird, genügt kaum für zuverlässige Schlüsse auf ihr System: die Angaben Späterer sind entweder hóchst vage oder, wenn detailliert, nicht vertrauenswürdig. In nacharistotelischer Zeit wußte man von den Archegeten der Beredsamkeit offenbar nur

noch durch die Vermittlung des Aristoteles, seiner verlorenen Schrift Συναγωγὴ τεχνῶν (Fg. 136ff. Rose; s. bes. Cic. inv. 2, 2, 6—7 — A V8 R). Die Leistungen der beiden aus Syrakus stammenden Begründer, des Korax und Teisias, lassen sich nicht mehr voneinander abgrenzen (s. Stegemann, RE 5A, 141f., Art. Teisias; dort die ältere Literatur); insbesondere ist unsicher, ob Korax eine schriftliche Téyvn hinterlieB. (Zeugnisse B II7—12 R): wahrscheinlich hat Teisies die mündlichen Lehren des Korax aufgezeichnet (so zuletzt Navarre, Essai sur la Rhétorique Grecque avant Aristote, 1900, 12fF.; Hamberger, a.0. 12; Stegemann a. O.). Diese Τέχνη scheint nur die Gerichtarede behandelt zu haben (umstritten; s. Stegemann, &.O. 143; wie hier Hamberger, a.O. 12ff.). Wenn eie überhaupt eine Disposition hatte (bestritten von Süss, Ethos, 1910, 74), dann kónnen nur die Teile der Rede für sie maBgeblich gewesen sein (die divergierenden Angaben der spätgriechischen Rhetoren über die μέρη λόγου der syrakusanischen Theorie sind A V16 R zusammengestellt; Hamberger, 8.0,

21ff., glaubt, sie auf Aristoteles zurückführen zu kónnen, der dem Korax die Unterscheidung von sieben Redeteilen zugeschrieben habe).

Innerhalb der didaktischen Literatur der ülteren sophistischen Redelehrer scheinen Beispielsummlungen durchaus vorgeherrecht zu haben (die χοινοὶ τόποι; 6. Navarre, &.O. 166ff.; Kroll, a. O. 1044; man ist daher versucht, trotz Kroll, 8.0. 1046, in der Τέχνη des Teisias nichts anderes zu vermuten), feruer Übungsreden und Musterstücke wie die Helena und der Palamedes des Gorgiss (hierüber u. S. 129ff.), die Tetralogien des Antiphon usw. Ob Gorgias eine scbriftliche Τέχνη hinterlieD, ist fraglich (Zeugnisse B VII1—6 R; a. Rader124

werden dort, wie angedeutet, außer den μέρη λόγου nicht nur mehrere Arten des Beweises unterschieden, sondern auch Formen sprachlichen Schmuckes, denen die spätere Theorie keinen bestimmten Platz innerhalb der Rede anwies: sie mögen damals noch mit den Beweisen

unter dem Gesichtspunkt der Überredungsmittel zusammengefaßt worden sein!. 2. Des weiteren zeigen die Angaben Platons, daß die rhetorische

Theorie für ihre Adepten eine überaus differenzierte Terminologie bereit hielt, und daß die Redelehrer sich offenbar gegenseitig durch die Bildung künstlicher Ausdrücke zu übertrumpfen suchten?. So führt Platon neben der πίστωσις eine ἐπιπίστωσις 818 persónliche Leistung des

machers Anm. zu Fg. 1 und 6). Der ôfters im Phaidros als Redelehrer erwühnte Sophist Thrasymachos hat offenbar eine Τέχνη verfaDt (s. bes. die ironische Bemerkung Platons, Phaedr. 271A; unmittelbar darauf hei8t es: ἀλλ ̓ ol νῦν

γράφοντες ... τέχνας λόγων); doch verrüt die Überlieferung nichts über ihren Aufbau (s.

aber E.Schwartz,

Comm.

de Thrasymacho Chalced., Ind. lect.

Rostock 1892, 7ff.); deutlicher läßt sich erkennen, daß seine rhetorische Schriftstellerei auch Beispielsammlungen enthielt (die von Aristot. Rhet. I'11404816 erwühnten "E3eot; s. B IX11 R). Auch ein Lehrbuch des Rhetors Antiphon ist glaubwürdig bezeugt, sein Aufbau allerdings unbekannt (B X 1—2, 6—11 R).

Weitere mutmafliche Verfasser rhetorischer Kompendien: Theodoros (B XII 3ff. R; &. Radermacher zu 4); Polos (B XIV 1 und 4 R; vgl. 6); Theramenes (B XV 1—3 R; s. hierzu Kroll, a.O. 1048); Likymnios (B XVI 4 R); Euenos

(B XX 3 R); Polykrates (B XXI 1 R); Alkidamas (B XXII 2 — B XXIV 5 R); Lysias (B XXIII 4ff.; bes. 9—10 R); Isaios (BXXVIII 1 R); Theodektes (B XXXVII 1—2 R); Sibyrtios (BXXXVIII 1 R). Isokrates hat offenbar kein Lehrbuch geschrieben; s. Wendland, Anaximenes v. Lampsakoe, 1905, 36?; Kroll, &.O. 1049; Radermacher zu B XIV X 5 und 16.

Er scheint vielmehr lediglich in mündlicher Unterweisung gewisse Übertrei-

bungen seiner Vorgünger, etwa eines Theodoros, beseitigt zu haben und zu einer &chlichten Vierteilung der μέρη Aóyou zurückgekehrt zu sein (προοίμιον, [πρόθεσις,) διήγησις, πίστις, ἐπίλογος nach Dion. Hal de Lys. 16—17£f., 27, 12ff.

Us.—R. = B XXIV 29 R).

Dann hütten

schriftlich fixiert (8. Dion. Hal. &.O. ὡς

erst

seine

Schüler

diese Theorie

̓Ισοχράτει τε xal τοῖς xat' ἐκεῖνον τὸν

ἄνδρα κοσμουμένοις ἤρεσεν; vgl. die Lehre des Isokrateers Theodektes, Aristot.

Fg. 133 Rose; s. Solmsen Hermes 67, 1932, 145f. ; ders., RE 5 A, 1730f., Art. Theodektes). Isokrates war ein pädagogisches Genie, aber kein Systematiker. Des-

halb wirken alle seine Erórterungen über die Theorie der Rede sehr unbeetimmt; vgl. Blass, Die attische Beredsamkeit 2?, 1892. 117ff. Daher ist auch gegenüber einer Anzahl weiterer Zeugnisse (B XXIV 31—33; 35 R) größte Vorsicht ge-

boten: wenn sich spätgriechische Rhetoren auf eine Téxvn des Isokrates be-

rufen, s0 wird es sich stets um Schematisierungen seiner Schüler handeln. ! So richtig Barwick, a. O. 28f. Über Einteilungen der Beweislehre g.u. S. 128.

! Über diesen charakteristischen Zug der älteren Rhetorik s. Radermacher zu B II 23; B XIII 1—2 ( — Aristoph. equ. 1397ff.; nub. 317ff. : die Terminologie

eines Rhetors wird persifliert); vgl. Kroli, a.O. 1048. Nach B II 24 R hat sich

bereits Korax künstlich geschaffener Ausdrücke bedient: er soll das Prooimion &l8 κατάστασις bezeichnet haben.

125

Theodoros von Byzanz an!, und Euenos von Paros soll die ὑποδήλωσις, den παρέπαινος und den παράψογος erfunden, Polos die eindrucksvollen Komposita διπλασιολογία, γνωμολογία und elxovoAoyla* von Likymnios* übernommen haben*'.

3. SchlieBlich äuBert sich Phaidros mit den Worten ù £v χεφαλαίῳ

Éxacta ὑπομνῆσαι ἐπὶ τελευτῆς τοὺς ἀκούοντας περὶ 7Qv εἰρημένων über das Wesen des Epilogs; wahrscheinlich läBt Platon ihn hier die aus irgendeinem Lehrbuche entnommene Definition wiedergeben*. Dann wären, wie bei der künstlichen, von den Lehrern selbst geschaffenen Terminologie gar nicht verwunderlich, bereits die damaligen rhetorischen Kompendien mit dem methodologischen Hilfsmittel der Begriffsbestimmung vertraut gewesen®, Hierzu stimmt, daß sich in eben jener Zeit offenbar auch die Naturphilosophen, die Mathematiker und die Mediziner dieses Verfahrens zu bedienen anfingen?. Ob man ı Wie Aristot. Rhet. Γ 13 1414 b 14 berichtet, hat die Schule des Theodoros

eine διήγησις, ἐπιδιήγησις und προδιήγησις unterschieden; eine auch bei Platon enannte Verfeinerung ἔλεγχος und ἐπεξέλεγχος gehe ebenfalls auf ihn zurück.

%Tber die Bedeutung dieser Begriffe s. Navarre, &.O. 157; Solmsen, RE 5 À, 1844, Art. Theodoros; dort weitere Lit. ® Zur Sache s. Radermacher zu B XIV 10 und 11.

.

3 Über abgeschmackte Metaphern dieses Rhetors berichtet Aristot. Rhet. T 13 1414 b 17 (ἐπούρωσις, ἀποπλάνησις, ὄζος); s. Radermacher zu B XVI 4. * Für den Epilog nennt Platon noch den t. t. ἐπάνοδος (Phaedr. 267 D). * Platon charakterisiert den jungen Phaidros als einen mit den Lehrbüchern

gut vertrauten Schüler der Rhetorik; s. z. B. 273A: ΣΩ. ἀλλὰ μὴν τόν ye Τεισίαν αὐτὸν πεπάτηκας ἀκριβῶς. Zur Sache Volkmann, Rhetorik d. Gr. u. Rôm., 1885, 262 ff. ; Phaidros definiert also nicht den Inbegriff dessen, was die Spüteren (Aristot. u. a.) als Epilog bezeichneten, sondern lediglich eine seiner Funktionen, die ἀνάμνησις (ἀνακεφαλαίωσις). Vgl. die Worte &v κεφαλαίοις für die Bestimmung der παλιλλογία bei Anax. 20 (56, 9). * Am besten sind die Bemühungen der Sophisten um eine Bestimmung der Redekunst verbürgt; zwar wird die Münze πειθοῦς δημιουργός nicht schon von

Korex und Teisias geprägt worden sein, wie der B II 13 R ausgeschriebene späte Gewührsmann behauptet (vgl. B II 14 R), aber Gorgias wird diese Definition gekannt und vertreten haben; s. Plat. Gorg. 450 B — B VII 7 R; 462E — B VII 9 R; vgl. Phileb. 58 À — B VII 8 R; s. Radermacher zu B II 13; anders

Mutschmann, Hermes 53, 1918, 440ff.; vgl. noch B VII 10 R; B XXIV 18—19R sowie die gorgianische Definition der Farbe (Plat. Men. 76 D). Die Synonymik des Prodikos (s. hierüber u. S. 127f.) führte jedenfalls ohne weiteres zu Defini-

tionen der unterschiedenen Wórter, die, wie man vielleicht aus Plat. Prot. 337 B schlieBen darf, schon in der späteren Weise mit der Kopula εἶναι gebildet wurden:

edBoxuueïv .. . Éativ .. . Eraweiodar . . . (C) εὐφραίνεσθαι . . . ἔστιν . . . ἤδεσθθαι . .. ? S. Aristot. Met. A 5 987 a 19; Z 11 1036 b 8; H 2 1043 a 19; M 4 1078 b 19. Die ältesten mathematischen Definitionen sind erst zu Beginn der Traktate des Autolykos (um 310) erhalten (Ilepl κινουμένης σφαίρας etc. S. 2; 48 Hultsch); gie müssen aber, wie bereits Gomperz, Griechische Denker 1*, 1922, 405, feststellt, auf einer langen Tradition beruhen; vgl. die von Aristot. Met. B 2 998# 1ff. referierte Kritik, die Protagoras an der Definition der Tangente geübt hst.

Allgemein über die methodische Exaktheit der griechischen Mathematiker in 126

es freilich schon durch einen besonderen Kunstausdruck charakterisiert hat, läßt sich nicht ausmachen *. 82. System, Terminologie, Definition: dieses in Platons Phaidros erkennbare methodische Arsenal der älteren Rhetorik läßt sich um Wesentliches bereichern, wenn man die Untersuchung nicht auf eigentlich rhetorische Materien beschränkt, sondern auch die übrigen von den Sophisten gepflegten Studien berücksichtigt, insbesondere ihre grammatischen Einteilungen und Unterscheidungen, die eng mit ihrer Theorie der Redekunst verbunden waren?. 1. So entdeckte bekanntlich Protagoras die drei Geschlechter des Nomen; Aristoteles berichtet diese Tatsache mit den Worten (Rhet.

T6 1407b 6): Πρωταγόρας τὰ γένη tv ὀνομάτων Sınper, ἄρρενα xal θήλεα xal σκεύη. Nach Diogenes Laertios (9, 53 — B III 10 R) und Suidas (s. v. = B III 11 R) unterschied er weiterhin vier Satzarten (εὐχωλή, ἐρώτησις, ἀπόκρισις, ἐντολῆ); beide Gewährsmänner verwenden in ihrer Mitteilung den Ausdruck διαιρεῖνδ, Ferner soll Likymnios den Polos gewisse Einteilungen (διαιρέσεις) gelehrt haben, die vornehmlich die Wortbildungslehre zu betreffen scheinen (χύρια, σύνθετα etc. ὀνόματα; Herm. in Plat. Phaedr. 239, 12 — B XVI 2 R). 2. Prodikos widmete sich offenbar mit besonderem Eifer und Erfolg der Synonymik, d. h. der Unterscheidung der Bedeutungen sinnverwandter Wórter; Platon teilt im Protagoras eine Probe dieser Kunst mit und spielt auch sonst darauf an: stets verwendet er, um sie zu

charakterisieren,

das Verbum Staipetv*.

Sie hat sicherlich groGen

vorplatonischer Zeit van der Waerden, Erwachende Wissenschaft, 1956, bes. 146fF.; 187f.; 2O4fF. ; 223f.; 241 f. Eine Definition der Heilkunst in der ps. hipp.

Schrift Περὶ τέχνης $ 3 (VI 4 L).

! Wenn Spätere diesen oder jenen &poç eines voraristotelischen Rhetors erwühnen, so gebrauchen sie den ihnen selbet gelüufigen Terminus; s.

B XIX

7TR; B XXII4 R; B XXXV 2—3 R; ebenso wohl schon Aristoteles von den Rhetoren (Rhet. A 1 1354 b 16) und von den Vorsokratikern (s. vor. Anm.). ! Zum folg. s. Prant!, Gesch. d. Logik im Abendlande 1, 1855, 15ff.; Stein-

tbal, Gesch. d. Sprachwiss. b. d. Gr. u. Róm. 1*, 1890, 135f.; Gomperz, Sophistik \ll:d Rhetorik, 1012, 124f.; 198f.; H. Mayer, Prodikos v. Keos, Rhet. St. 1, 13.

* S.ferner Diog. Laert. 9, 52 — B III 24 R: πρῶτος (sc. Protagoras) μέρη

Xpévou διώρισε; vgl. noch B XXII 9 R (Alkidamas). * Prot. 337 Aff.; s. bes. 340 A (Sokrates zu Prodikos): τῆς σῆῇς μουσικῆς fj 16 τε

βούλεσθαι xal ἐπιθυμεῖν διαιρεῖς ὡς où ταὐτὸν ὄν; 341 C: τὰ ὀνόματα ὀρθῶς διαιρεῖν; #. ferner Lach. 107 D (von Prodikos): 8& δὴ δοκεῖ τῶν σοφιστῶν κάλλιστα τὰ

τοιαῦτα ὀνόματα διαιρεῖν; Charm. 163 D: καὶ γὰρ Προδίχου μυρία τινὰ ἀκήκοα περὶ

ὀνομάτων διαιροῦντος; Aristot. Top. B 6 112 b 22: καθάπερ Πρόδικος διῃρεῖτο τὰς εἰς χαρὰν xal τέρψιν καὶ εὐφροσύνην. 121

Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht! und mußte, auf Begriffe der rhetorischen Theorie angewandt, erheblich zur Verfeinerung des Systems beitragen. Antiphon wird daher von Prodikos angeregt worden sein, wenn er zwei Árten des Beweises, das σημεῖον und das

τεχμήριον, unterschied?, und vielleicht bezieht sich bereits Platon auf eine sorgfáltig differenzierte Beweislehre, wenn es ihm bei heißt (Gorg. 473 E): τί τοῦτο, & Πῶλε, γελᾷς; ἄλλο αὖ τοῦτο εἶδος ἐλέγχου ἐστίν, ἐπειδάν τίς τι εἴπῃ, καταγελᾶν, ἐλέγχειν δὲ μή; oder (Gorg.472C): ἔστιν μὲν οὖν οὗτός τις τρόπος ἐλέγχου (8c. διὰ μαρτύρων) ὡς σύ τε (sc. Πῶλος) οἴει xai ἄλλοι xoXAol*. Jedenfalls gestattet die isokrateische Wendung « εἰκότα xal τὰ τεχμήρια καὶ πᾶν 16 τῶν πίστεων εἶδος den SchluB, daß sich diese Materie in seiner Zeit zu einem Schema verfestigt hat*. Nun lieBe sich freilich gegen die meisten dieser Zeugnisse einwenden, daß die Berichterstatter sich der ihnen vertrauten Terminologie bedient hätten; allein wenn schon Protagoras, Prodikos und andere* planmäBig und bewubt das Einteilungs- und Unterscheidungsverfahren anwandten, um wissenschaftliche Resultate zu erzielen, 80 werden sie es auch bezeichnet haben, und zwar kaum durch andere Worte als durch διαιρεῖν und διαίρεσις, Srapéperv und διαφοράδ. $ 3. LäBt sich somit aus den dürftigen Quellen mit Wahrscheinlichkeit entnehmen, daB bereits die älteren Sophisten mit einer

gewissen

methodischen

Konsequenz

sprachliches

Material durch

1 S. Radermacher zu B VIII 10 und 11: dort zahlreiche Beispiele von Wort-

unterscheidungen in der gesamten attischen Literatur, z. B. Xen. Cyrop. 8, 1, 31 (von Kyros): Sipet 86 αἰδὼ xal σωφροσύνην τῇδε xT). * Anm. Περὶ διαφ. λεξ. 127 Valck. — B X8 R; vgl. hierzu C 36 und Radermachers Anm.; Radermacher móchte z. B. auch die Unterscheidung áBwla — ἁμάρτημα — ἀτυχία bei Anaximenes 4 (33, 1) auf die Synonymik des Prodikos

zurückführen (B VIII 11 R). * Vgl. Phaedr. 272 A: βραχυλογίας . . . ὅσα Av εἴδη μάθῃ λόγων. Der Klassi-

fikationsbegriff εἶδος kónnte allerdings dem Platon gehóren; s. jedoch d. folg. Anm.

* 15,280; s. ferner Antiph. 6,30; Dem. 22, 22; Isocr. 21, 4. Zum Begriff εἶδος, ἰδέα bei Isokrates s. Wersdôrfer, Die Φιλοσοφία des Isokrates im Spiegel ihrer Terminologie, Klass.-philol. Stud. 13, 1940, 43ff. (dort die ültere Lit.); zu dem hier zitierten Passus s. bes. 47. 5 S. noch Plat. Hipp. mai. 285 CD = B XI 11 R von den Unterscheidungs-

künsten des Hippias; vgl. Stob. (Plut.) 3, 38, 32: “Ιππίας λέγει 300 εἶναι φθόνους χτλ.; 8. Radermachers Anm. zu B XI 15.

* Das διαιρεῖν hatte schon in der eleatischen Diakussion über das Seiende einige Bedeutung; Parmenides 28 B 8, 22 D*; Melissos 30 B 10 D*; Gorgiss

(aus Περὶ toù μὴ ὄντος) 82 B 3 D* (2, 281, 4—5); vgl. 28 A 34 D* (1, 223, 268.) (ὁμοιότης — διαφορά); &. ferner im Dielsschen Index s. v. διαιρεῖν und ἀδιαίρετος. Vgl. auch Heraklit 22 B 1 D*; 22 B 50 D*. Die pythagoreische διαίρεσις

400 λογικοῦ ζῴου Iambl. V. P. 31 — 14, 7 D* 1äßt sich wohl trotz der Berufung auf Aristotelea nur mit Vorsicht als Beleg verwenden. 128

Einteilungen und Unterscheidungen zu ordnen versuchten, so ist freilich noch nichts darüber ausgemacht, in welcher Darstellungsform derartige Theorien verbreitet wurden. Einige Anzeichen deuten darauf, daß die pädagogische Routine schon früh den Lehrstoff in jene pedantischen Dispositionen und Schemata einfing, die den erhaltenen Lehr-

büchern ihr eigentümliches scholastisches Gepräge verleihen. Die ältesten mit minutiöser Genauigkeit eingehaltenen Gliederungen scheinen sich in den Schriften des Gorgias zu finden !. 1. In dem Preis, besser: in der Rechtfertigung Helenas bringt der

Verfasser nach der Einteilung eine bündige, durch eine Ankündigung vorbereitete* Disposition ($ 6): % γὰρ τύχης βουλήμασι xal θεῶν βουλεύμασι xal ἀνάγκης ψηφίσμασι . . . 7) Pla ἁρπασθεῖσα, 7) λόγοις πεισθεῖσα,

( ἔρωτι payeïca) sei Helena dem Paris nach Troja gefolgt. Diese vier Glieder werden nun der Reihe nach abgehandelt, wobei die ana-

phorisch wiederkehrende Konjunktion el und der Rückgriff auf die in der Gliederung verwendeten Ausdrücke die drei ersten Teile deutlich voneinander abheben: (8 6) εἰ μὲν obv διὰ τὸ πρῶτον ... ($7) εἰ δὲ βίᾳ ἡρπάσθη . . . (ξ 8) εἰ δὲ λόγος 6 πείσας . . . und zwischen dem dritten und vierten sogar eine aus Rekapitulation

und Ankündigung zu-

sammengesetzte Überleitungsformel vermittelt (815): xal ὅτι μέν, εἰ λόγῳ ἐπείσθη, οὐκ ἠδίκησεν dXX ἠτύχησεν, elpntau τὴν δὲ τετάρτην αἰτίαν τῷ τετάρτῳ λόγῳ διέξειμι. Die Zusammenfassung der Argumentation am Schluß der Rede zählt die vier erörterten Punkte noch ein-

mal auf, und zwar in umgekehrter Reihenfolge ($ 20): πῶς οὖν χρὴ

δίκαιον ἡγήσασθαι τὸν τῆς

̓Ελένης μῶμον, ἥτις εἴτ ̓ ἐρασθεῖσα εἴτε λόγῳ

πεισθεῖσα εἴτε βίᾳ ἁρπασθεῖσα εἴτε ὑπὸ θείας ἀνάγκης ἀναγκασθεῖσα

ἔπραξεν À ἔπραξε κτλ. 2. Der Palamedes ist ebenfalls nach einem starren Schema konstru-

iert, und wenn Gorgias auch durchaus nicht alle jene Einteilungen ausdrücklich mitteilt, die Gomperz? in dem seltsamen Gebilde erkennen will, so läBt sich kaum bestreiten, daß hinter der Argumentation

ein kompliziert verschachteltes System steckt. Jedenfalls wird die

Hauptdisposition der Verteidigungsrede wie in der Helena expressis verbis angekündigt*; wie dort hebt eine Überleitung beide Teile des Beweises deutlich voneinander ab*. Der Abschnitt πρὸς τὸν κατήγορον ! Zum folg. s. Blass, &.O.

1,71ff.; Gomperz, &.O. 11ff.;

Radermacher zu

B VII 39. * £6 a. E.: προθήσομαι τὰς αἰτίας κτλ. * A.O. 12ff. * $6:... oùx ἀληθῆ λέγειν (8c. Ulixen) διὰ 8100v ὑμῖν ἐπιδείξω τρόπων ̓ οὔτε

γὰρ βουληθεὶς ἐδυνάμην dv οὔτε δυνάμενος ἐβουλήθην ἔργοις ἐπιχειρεῖν τοιούτοις. * 88 12—13: πάντως ἄρα καὶ πάντῃ πάντα πράττειν ἀδύνατον 7jv μοι. σκέψασθε ::;:n;uxal tó3e* τίνος Évexa προσῆκε βουληθῆναι ταῦτα πράττειν, εἰ μάλιστα πάντων ἣν; 9

7624

Fuhrmann, Lehrbuch

129

zeigt die mehrstufige Gliederung der Gedanken besonders deutlich ($ 22): βούλομαι δὲ μετὰ ταῦτα πρὸς τὸν κατήγορον διαλεχθῆναι.... πότερα γάρ μου κατηγορεῖς (I) εἰδὼς ἀκριβῶς À (II) δοξάζων; (I) εἰ μὲν γὰρ εἰδώς, οἶσθα (a) ἰδὼν % (b) μετέχων À (6) του {μετέχοντος) πυθόμενος. (a) εἰ μὲν οὖν lBov . . . Hier findet sich zum ersten Male die charakteristische Mechanik der überlieferten Téyvn-Lehrbücher: auf eine erste Einteilung folgt sofort eine zweite, die das erste Glied der ersten Einteilung zerlegt; die Darstellung erórtert dann zunüchst der Reihe nach sämtliche Glieder der untergeordneten Einteilung und wendet sich daraufhin dem nächsten Glied der übergeordneten Einteilung zu usw.!. 3. Ein drittes Beispiel für diese virtuose Schachteltechnik repräsentiert offenbar die nicht im Wortlaut erhaltene ,,philosophische'' Schrift des Gorgias Περὶ τοῦ uñ ὄντος À περὶ φύσεως (82 B 1—3 D*): der Vergleich mit dem Palamedes und der Helena beweist, daß Sextus den gesamten Formalismus seines Referates, die Einteilungen, Zusammen-

fassungen und Überleitungen, aus dem Original übernommen hat. Hier kommt es in dem besonders verzwickten Beweis der ersten These? bis zu vierfacher Schachtelung der Einteilungen?. Die exzessive Dispositionstechnik des Gorgias* scheint in einer für praktische Zwecke bestimmten Rede niemals nachgeahmt worden 1 Die logischen Besonderheiten des Verfahrens, der Beweis von negativen

Alternativen durch Widerlegung der entgegengesetzten positiven Sätze u. dergl., kónnen hier auGer Betracht bleiben. * Nümlich daB nichts existiert. Die beiden anderen Thesen lauten: Wenn etwas existiert, 80 kenn man es nicht erkennen; wenn man es auch erkennen

kann, so läßt es sich nicht mitteilen. 3 3, 280, 1ff.: εἰ γὰρ ἔστι τι, fixoc τὸ Óv ἔστιν À 05 μὴ 6v, À xai .. . (19ff.) εἰ γὰρ *5 8v ἔστιν, Ἦτοι ἀίδιόν ἐστιν À γενητόν % etc. * Sie entetammt, wie der Gegenstand der Schrift Περὶ φύσεως und die in-

direkte Beweisführung (s. Thiele, Hermee 36, 1901, 218ff.; Gomperz, a. O. 28ff.; Bux, Hermes 76, 1941, 393ff.; dort weitere Lit.; anders Nestle, Hermes 57, 1922, 558f., der sie von Teisias und Korax abhängig sein là8t), der eleatischen Dislektik; s. Zenon 29 B 1—4 D*; Melissos 30 B 1ff. D*; bes. Fg. 7 zeigt Ansätze zu der von Gorgias gehandhabten Schematisierung; über den Stil der Eleaten s. Bux &. O.; Gigon, Sokrates, 1947, 191; Schick, Arch. Glott. It. 40, 1955, 1238. Vgl. auch Demokrit 68B 11 D*: γνώμης 86 800 εἰσὶν ἰδέαι, ) ukv γνησίη, à δὲ σχοτίη ̓ xal σκοτίης u£v . . . À δὲ γνησίη etc. (chiastische Ordnung). Fernerhin weist Usener, Kl. Schr. 2, 1013, 272f., mit Recht auf die Staatekonstruktion des Hippodamos

v. Milet (5. Jh.) hin; nach dem Bericht des Aristoteles (Polit. B 8 1267 b 30ff.; aäümtliche Zeugnisse 39 D*) teilte dieser Architekt, der Erfinder dee quadratischregelmäßigen Stádtebaues, sowohl die Bürgerschaft wie das Territorium in τρία μέρη, unterschied «pla εἴδη τῶν νόμων und drei Arten von Urteilesprüchen bei den Abstimmungen der Geschworenen. S. hierzu Susemihl, Aristot. Polit. 2, 1879, 66ff.; Erdmann, Philol. 42, 1884, 193—227. Diese Manier wurde in neupythagoreischen Fülschungen imitiert (Bruchstücke hat Stob. 4, 28—36; 5,

846 —848; 908—914 H aufbewahrt); s. Zeller, a.O. 3, 2*, 1003, 115*. SohlieBlich hat Usener &.O. die pythagoreisierende Schrift Τριαγμός des Ion v. Chios 130

zu sein!. Aber für den Stil der rhetorischen Lehrbücher war sie gewiß nicht ohne Bedeutung; jedenfalls zeigt sich hier wie dort die gleiche manieristische Gesinnung, gedanklichen Struktur.

dieselbe

überdeutliche

Betonung

der

IT. So zeigt denn die Sophistik mannigfache Tendenzen, die den Typus rhetorischer Lehrbücher geprägt haben môgen, wie ihn die Τέχνη des Anaximenes repräsentiert: dieses Werk weist sich somit nicht nur durch seinen Inhalt als echtes Erzeugnis des sophistischrhetorischen Unterrichtsbetriebes aus*, sondern stimmt auch in einer Reihe formaler und methodischer Eigentümlichkeiten mit Erscheinungen überein, die sich bis auf Protagoras, Prodikos und Gorgias zurückverfolgen lassen. Wenn einzelne Redelehrer ihren Ehrgeiz darein setzten, eine bereits komplizierte Fachterminologie um weitere Raffinements zu bereichern, so muDten sie ihr Publikum darüber unterrichten, was sie unter all den künstlich geschaffenen Ausdrücken zu verstehen beliebten; man wird daher viele der anaximeneischen

Definitionen als altüberkommenes Gut ansehen dürfen. Des weiteren müssen die Einteilungen und Unterscheidungen, wie sie von Protagoras und Prodikos mit methodischer Konsequenz betrieben wurden, auf die Theorie der Redekunst gewirkt haben, und schlieBlich findet

sich in der gesamten voraristotelischen Literatur kein Zeugnis, das

der geistigen Haltung der Rhetorik des Anaximenes so nahe stünde wie die gorgianischen Musterformulare mit ibrer pedantischen Manier

der Überleitungsfloskeln und ineinandergeschachtelten Dispositionen. Da sich nun den Quellen sowohl Einteilungsinhalte wie Dispositionsformen aus sophistischer Zeit entnehmen lassen, so darf vermutet (5. Jh.) in diesen Zusammenheng gestellt; s. bes. Fg. 1 (1, 379, 3—7 D*): ἀρχὴ

δέ μοι τοῦ λόγου' πάντα τρία x«l οὐδὲν πλέον À ἔλασσον τούτων tv τριῶν. ἑνὸς ἑκάστου ἀρετὴ τριάς" σύνεσις καὶ κράτος καὶ τύχη. ! Beispiele aus den attischen Rednern nehmen sich neben den gorgianischen Architekturen bescheiden aus; s. z. Β. das von Aristoteles, Rhet. B 23 1398 a 30, als τόπος &x διαιρέσεως bezeichnete Schema bei Isocr. Antid. $5 217—220; Busir.

$$ 42f.; vgl. Spengel, Aristot. Rhet., 1867, zu 1398 a 30 (2, 310f.); Blass, a.O. 1, 78. Daß die gorgianischen Dispositionen von der Epideixis gepflegt wurden,

lehrt die Rede Agathons in Platons Symposion (194E — 197 E); s. hierzu Scheel, De Gorgianae disciplinae veetigiis, Diss. Rostock 1890, 45f. Ziemlich unaufdringlich aind degegen die gelegentlichen Gliederungen bei Euripides (e. z. B. Med. 548ff.) oder Thukydidee (s.z. B.3,40,2f.). S. ferner das aus Ein-

teilung und Beschreibung bestehende Lehrstück des Archytas 47 B 2D*: da

die mathematische Literatur dergleichen nicht kannte und systematische Traktate der Musiktheorie wohl erst in hellenistischer Zeit entetanden, wird man geneigt sein, auch hier einen EinfluB des Gorgias zu konstatieren. Über

Dispositionen und verbindende Formeln in den Schriften des hippokratischen Corpus s. Maaas, a.O. 566 und u. S. 174f. 49; Hierüber besteht Einigkeit; s. z.B. Blass, e.O. 2, 389ff.; Wendland, a. O.

"

131

werden, daß man schon damals beides miteinander verbunden hat, und zwar in den rhetorischen Τέχναι. Die Einprägsamkeit der gorgianischen

Übungsreden ist evident; da die Schüler der Beredsamkeit sicherlich theoretische Anweisungen ebenso auswendig lernen mußten wie Bei-

spiele, so lag es nahe, hier wie dort auf eine die Gedächtnisarbeit er-

leichternde Schematisierung des Stoffes bedacht zu sein. Andererseits erscheint die Schrift des Anaximenes in mancher Hinsicht wie eine Ánwendung von Erkenntnissen der zeitgenóssischen Philosophie: vor allem das Wirken des Sokrates, Platons Auseinander-

setzung mit den Lehrern der Beredsamkeit sowie die aristotelische Schrift über die Rhetorik nótigen zu einer vergleichenden Betrachtung und zur Prüfung des Verháltnisses von philosophischer Methodologie und sophistischer Unterrichtspraxis. $4. 1. Man wird nun die Möglichkeit, daß die sokratische Philo-

sophie? zur Ausbildung des rhetorischen Kompendiums beigetragen habe, sofort auf den Bereich rein logischer Anregungen einschrünken. Denn die stilistischen Eigentümlichkeiten des Lehrbuches, die gleich-

fórmigen Überleitungen und Dispositionen, sind durch den Frager und Prüfer in den StraBen von Athen gewiB nicht gefórdert worden,

und ebensowenig kann die Rhetorik von ihm den Antrieb zu einem in sich geschlossenen System von Regeln empfangen haben. Denn wührend die Sophisten ihre Schüler sowohl im eristischen Gespräch wie im Vortrag von Reden übten, wührend sie selbst nicht nur sorgfültig ausgefeilte Prunkwerke deklamierten, sondern auch über ein

ihnen vom Publikum genanntes Thema improvisierten und sich anheischig machten, sich über dieselbe Sache sowohl mit prügnanter Kürze wie in breiter Ausführlichkeit zu äuBern, bestand Sokrates gegenüber dieser Vielfalt von Formen in der Handhabung des λόγος

hartnäckig auf der Wechselrede als der einzigen ihm gemäBen und der Verständigung über die Wahrheit fôrderlichen Methode*. So sehr 1 Auf das Sokrates-Problem kann hier nicht eingegangen werden. Die folgenden Betrachtungen haben das traditionelle Sokratesbild zur Voraussetzung,

wie man es bei Zeller, a.O. 2, 1*, 105ff.; Überweg-Prüchter, Die Philosophie des Altertums, 1953!*, 140ff. (dort die weitere Lit.) dargestellt findet, allerdings

in seiner durch Stenzel nicht unerheblich modifizierten Form; zur Logik des Sokrates s. daher bes. Stenzels Studien, 1931?, 142ff.; ders., RE 13, 999—1004, 3 Von der sokratischen Paränese darf hier abgesehen werden. Über den Unterricht der Sophisten im allgemeinen s. Navarre, a.O. 31ff.; Marrou, Geech. d. Erziehung im klass. Altertum, 1957, 75ff. Über Improvisation s. Gompers, &. O. 127f.; Kroll, &. O. 1043. Zur Epideixis s. Plat. Geog. 447A; Prot. 320C; 347 A ; Crat. 384 B; berühmte Prunkreden waren z. B. der Herakles des Prodikos

(Xen. Mem. 2, 1, 21ff.); die pythische und olympische Rede des Gorgias (Philostr. Vit. soph. 1, 9); s. Schmid, RE 6, 53ff., Art. ̓Επίδειξις. Über die Fühigkeit, 132

nun die scharfe Klinge dieser Eristik die Fähigkeit zur Abstraktion

ausbilden und im raschen Auffassen wie im sofortigen Überschauen der Konsequenzen üben mochte: zu einer wie immer gearteten Systematisierung, zu einer sinnvollen Anordnung zusammenhängender faktischer Gegebenheiten konnte man nur durch die wohldisponierten, ausgedehnten Vortráge der Sophisten Anleitung erhalten. Die äuBerliche, formalistische Organisation der Rede, die von der Theorie vielleicht seit Teisias und Korax, sicherlich aber seit Gorgias gefordert wurde, ließ sich sofort auf die Darstellung dieser Theorie übertragen!; die sokratische Frage nach dem Begriff dagegen enthielt lediglich einen neuen, fruchtbaren und folgenreichen Ansatz, wahrhaft wissenschaftliche Systeme zu bilden, doch hierzu bedurfte es der langen Entwicklung der platonischen und aristotelischen Philosophie?. 2. Aber auch die formallogische Operation an sich, das von Sokrates immer wieder praktizierte Verfahren des ὁρίζεσθαι καθόλου, hat die

Sophisten kaum sonderlich beeindruckt. Sie wurden einerseits durch ihren erkenntnistheoretischen und ethischen ,,Subjektivismus'' nie-

mals daran gehindert, sowohl gültige Aussagen über die verschiedensten Bereiche der Kultur, besonders die Sprache, anzustreben, als auch

ein Gefüge formaler rhetorischer Normen zu bilden: sicherlich sind sie

von sich aus in der Lage gewesen, die hierbei verwendeten Begriffe auf das Genaueste zu bestimmen und überhaupt nach den Regeln der Logik zu verfahren, ohne über sie reflektiert zu haben. Bedurften sie also in dieser Hinsicht nicht der Belehrung, so haben sie anderer-

seits das Wesentliche an dem sokratischen «( ἐστιν nicht verstanden :

daB hier auf der Basis des mit sich selbst identischen, objektiv gültigen , Begriffes‘‘ der sittliche Relativismus überwunden werden sollte*. sowohl kurz wie ausführlich zu reden, s. Plat. Gorg. 449 C; Prot. 329 B; 334 Eff. ; Phaedr. 267 B; Sokrates weist lange Reden &b: Prot. 334 Cff.; Gorg. 449 B

u. ó. Über das sokratische Gespräch s. Hirzel, Der Dialog 1, 1895, 68ff., wo die Dialoge der Sokratiker auf Niederschriften wirklich gehaltener Unterredungen zurückgeführt werden; hierzu v. Wilamowitz, Platon 2*, 1920, 21ff.; dort 29f.

richtig über den Dialog Platons: ,,Er hielt eine Szene des Lebens feet . . . Weil er Künstler ist, stilisiert er, weil er Poet ist, gestaltet er um''; vgl. Pohlenz,

Aus Platons Werdezeit, 1913, 1ff. H. Maier, Sakrates, 1913, gibt Sokrates zu viel, wenn er ihn als Begründer der sophistischen Disputierkunst, der dialektischen Eristik ansieht, Gigon ἃ. . zu wenig, wenn er die Dialoge Platons u. a.

für eine Literaturgattung hält, die keine Schlüsse auf die geechichtliche Wirklichkeit zulasse; hierzu richtig Kühn, Gnomon 26, 1954, 514.

! 6.0. S. 124, Anm. 2. ! Es ist ein unvermeidlicher Anachronismus, von der sokratischen Frage nach dem ,,Begriff'* zu eprechen; s. Überweg-Prüchter &.O.; Jaeger, Paideia 2, 1944, 168ff. * Aristot. Met. M 4 1078 b 27: δύο γάρ ἐστιν & τις ἂν ἀποδοίη Σωκράτει δικαίως,

τούς T° ἐπαχτικοὺς λόγους xal 16 ὁρίζεσθαι καθόλου; vgl. Xen. Mem. 1, 1, 16. * 8. hierzu Stenzel, Platon der Erzieher, 1928, 66ff.

133

85. 1. Auch bei Platon erschwert die grundsätzliche Verschieden-

heit der Standpunkte die Annahme, daß seine Philosophie auf die zeitgenóssische Rhetorik gewirkt habe: gewiB nicht in ethischer, aber auch nicht in wissenschaftetheoretischer und methodischer Hinsicht. Die frühen Schriften! zeigen das sokratische Problem, die Bestimmung von Begriffen, in seiner Bindung an das Wechselgesprüch und in seiner gegenständlichen Beschränkung auf Werte*: es ist nicht vorstellbar, wie die Praktiker der Beredsamkeit diese Untersuchungen aus ihren Zusammenhängen hätten lósen sollen, um sie als elementare Logik für die wissenschaftliche Fundierung ihrer Disziplin zu verwenden. In Platons erster Auseinandersetzung mit der Rhetorik, im Gorgias, entfaltet sich nun zwar die sokratische Begriffsuntersuchung zur Bildung eines mehrstufigen, aus Gattungen und Arten bestehenden Systems?. Allein so deutlich und umständlich hier auch in zweifachem Ansatz* Abgrenzungen und Bestimmungen der jeweils in ein Bezie-

hungsgefüge gestellten téyyn énropixi erarbeitet werden, diesen Lehren fehlt gleichwohl für die Anwendung auf eine bestimmte Disziplin noch jede Praktikabilität. In gegenständlicher Hinsicht konnten die Rhetoren aus dem Gorgias nicht lernen, da es nur um die Definition der Rhetorik selbst geht, nicht um ihre innere Organisation. Die Methode der Untersuchung hat noch keine voll ausgeprägte Terminologie’ 1 Zur Chronologie der pletonischen Schriften s. Überweg-Prüchter, a.O. 100ff.; Leisegang, RE 20, 2360ff., Art. Platon; dort die Lit.

3 Über Platons frühe, sogenannte sokratische Dialoge s.auDer der in der der vorigen Anm. genannten Lit. Ritter, Platon 1, 1910, 284ff.; v. Amim, Platons Jugenddialoge, 1914; Friedländer, Platon 2, 1957*, 1ff.; Jaeger, 8.0.

141ff.; weitere Lit. nennen Überweg-Prüchter, &. O. 74*ff.; der logische Gehalt

der platonischen Schriften ist überscharf herausgearbeitet von Leisegang, 8.0. 2399ff.; 2405ff. Im Laches z.B. geht es um die Definition (ὁρίζεσθαι 194 C) der Tapferkeit (ἀνδρεία «( ποτ ̓ ἐστίν 190 D; vgl. 194B); nachdem immer nur Erscheinungsformen der Tapferkeit genannt sind, stellt Sokrates die bedeutsame Frage (191 E): τί Óv &v πᾶσι τούτοις ταὐτόν ἐστιν. Im Charmides soll das Weeen der σωφροσύνη ergründet werden, im Lysis die φιλία. Der Euthyphron erôrtert die Frómmigkeit; nach einem ersten Definitionsversuche sagt Sokrates zu seinem Partner (6 D): où τοῦτό σοι διεκελευόμην, Év τι À 800 με διδάξαι τῶν πολλῶν ὁσίων, ἀλλ ̓ ἐκεῖνο αὐτὸ τὸ εἶδος ᾧ πάντα τὰ ὅσια ὅσιά ἐστιν; 8. jedoch hierzu Buchmann,

Die Stellung des Menon in der platonischen Philosophie, Philol. Suppl. 29, 3, 1936, 51ff. 8 Zum Gorgias im allg. s. Ritter, a. O. 391ff.; Friedlünder, a. O. 226ff.; Jaeger,

&. O. 188ff.; über die logischen Operationen s. Lukas, Die Methode der Eintheilung bei Platon, 1888, 112ff.; Leisegang, a.O. 2412ff.; richtiger Stenzel, RE 13, 1006ff. 4 447C — 455A; 402B — 466A. $ Gorgias wird nach dem τί seiner τέχνη gefragt (447 C), sodann nach ihrem

περὶ «( (449 D). Die Bestimmung περὶ λόγους (449 E) erweist sich 818 zu allge-

mein; Sokrates versucht, die spezifische Differenz zu ermitteln, und entwickelt zu diesem Zweck ein Schema der τέχναι (450 C ff.). Der Begriff τέχνη ist die oberste

134

und ist in hohem Maße auf die Anschauung des Beispiels, des Modells, der Analogie angewiesen!, insbesondere am mathematischen Denken orientiert*: der praktische Rhetor konnte mit derlei exakten Festlegungen für sein von Grund auf verschiedenes Material wenig anfangen. 2. Anders steht es dagegen mit Platons ausführlichster Kritik an

der zeitgenóssischen Rhetorik, mit dem zweiten Teil des Phaidros: die hier vorgetragenen Lehren hátten den Meistern der Beredsamkeit wirklich Anregung, Klárung und Fórderung angedeihen lassen kónnen?, Am Beispiel der zuvor gesprochenen Reden demonstriert Sokrates zunächst, daß mehrdeutige Begriffe definiert werden müDten, ehe man sich über sie verbreite: sonst komme es zu Täuschungen und MiBverständnissen. Sodann fordert er einen ,,organischen'' Aufbau: die einzelnen Teile müssen einander mit Notwendigkeit folgen und dürfen sich nicht nach Belieben vertauschen lassen. SchlieBlich entwickelt er die Dialektik, deren zwiefaches Verfahren darin bestehe εἰς μίαν ἰδέαν συνορῶντα ἄγειν vX πολλαχῇ διεσπαρμένα und τὸ πάλιν κατ ̓ εἴδη δύνασθαι διατέμνειν xav' ἄρθρα fj πέφυχεν; er bezeichnet es 818 διαίρεσις und συναγωγής. Nun hat Platon freilich mit der βοὶ 68 echten sei es fingierten Lysiasrede® ein Beispiel gewühlt, dessen Mängel gewiß nicht von allen ProGattung; als erstes Principium divisionis wird die Unterscheidung διὰ σιγῆς« — διὰ λόγου eingeführt (450 C—D), als zweites das Begriffspaar πίστις — ἐπιστήμη (454 C—E); s. die Tefel bei Leisegang, & O. 2413 -14. Die Erôrterung enthält

keinen einzigen t. t. der Logik, weder einen Klassifikationsbegriff noch ὀρίζειν noch διαιρεῖν.

In der Erórterung der vier miteinander korrespondierenden

τέχναι und ἐμπειρίαι (8. die Tafel bei Leisegang, &.O. 2415—16) verwendet Sokrates

den

Klassifikationsbegriff μόριον

(463 À

u.6.);

die

Scheinkünate

bezeichnet er als εἴδωλα der wahren (463 D). Über den Mangel einer festen logischen Terminologie in Pletons späten Schriften s. v. Wilamowitz, &.O. 1, 562.

! S. den stándigen Rekurs auf andere τέχναι (447 D ; 448 B ; 449 D ; 449 E—450 B usw.); über den τέχνη — MaBstab s. Hirechberger, Die Phronesis in der Philosophie Platons vor dem Staate, Philol. Suppl. 25, 1, 1933, 17ff.; Jeeger, a.O. 193 mit Anm.

! S. die ,,geometrische'* Proportion 405 B—C; über Platons mathematisches Denken s. Pohlenz, &.O. 416ff.; Stenzel, Platon der Erzieher, 163ff. * Zum 2. Teil des Phaidros (257 Bff.) s. Pohlenz, e. O. 341ff; v. Wilamowitz, 8.0,

1, 483ff.;

Natorp,

Platons

Ideenlehre,

1921?,

531f.; weitere Lit. bei

-Prüchter, a. O. 81*f.

* Über Begriff und Wesen der platonischen Dialektik s. v. Wilamowitz, a. O. 1, 503ff.; Stenzel, Studien, bes. 62 ff.; Platon der Erzieher, bes. 147 ff;. 297 ff.; weitere Lit. bei Ritter, Platons Dialog Phaidroe (Übersetzung), 1914, 24 ff. und Leisegang, a.O. 2419f.; die Stellen, in denen Platon seine Dialektik er-

órtert, bei Ritter, a.O. Anm. 112. v. Wilamowitz, a.O. 1, 468, meint, die Ausführungen über die Dialektik seien wohl nur den Schülern vollauf verständlich gewesen.

* Die Lit. über diese wohl zugunsten platonischer Nachahmung entachiedene

Frage bei Überweg-Prüchter, a.O. 81*f. 135

dukten der damaligen Beredsamkeit in derselben Weise geteilt wur-

den. So mochte mancher tüchtige Rhetor es sich längst angelegen sein lassen, dem ersten Postulat des platonischen Sokrates Genüge zu tun: wenn die eifrig geübte Kunst der Eristik darauf zielte, den Gegner durch geschickte Ausnutzung von mehrdeutigen Begriffen zu

fangen, so war man gerade durch sie vortrefflich geschult, mögliche Quellen von Mißverständnissen zu überblicken und, wenn man wollte, zu vermeiden!. Die Reden des Gorgias aber beweisen, daß man die Disposition des Stoffes durchaus nicht immer mit der naiven Willkür eines Lysias handhabte: im Palamedes zumal sind die einzelnen Teile der Argumentation mit solchem Raffinement ineinander verzahnt, daB nichts ohne Schaden für das Ganze von seinem Platze gerückt werden kann?. Derlei Erwägungen führen jedoch nicht zu dem Ergebnis, daß die Kritik des Phaidros das Wesen der zeitgenóssischen Rhetorik verkannt habe. Was Platon dort ignorierte, war lediglich teils unreflektierte Routine, teils in àuDerlicher Weise praktizierte formalistische Technik; seine Dialektik aber begnügte sich weder mit beliebigen Definitionen noch mit pedantischen Schemata, sondern gab Anweisungen für eine streng wissenschaftliche Methode, die jede formale Operation durch ihre Einsicht in die wahre Beschaffenheit des jeweils behandelten Gegenstandes legitimieren sollte. Durch diese Erkenntnisse hätte die Theorie der Rede einen Antrieb erhalten kónnen, ihr Material zu ordnen, Prinzipien herauszuarbeiten, Kategorien zu bilden, Zusammengehóriges zu verbinden und Verschiedenes zu trennen. Die Skizze des Phaidros láBt erkennen, wie es damals um die Rhetorik bestellt war: die μέρη λόγου waren das einzige Principium divisionis, das man bis dahin herausgefunden hatte; an die verschiedenen Arten von Beweisen, die sich zur Not noch als Redeteile auffassen lieBen, schlossen

sich, offenbar assoziiert durch den unklaren Gesichtspunkt des Überzeugungsmittels, stilistische Lehren an?. Dieses Material hätte geformt werden müssen.

Die Schrift des Anaximenes beweist jedoch, daB dergleichen niemals mit wünschenswerter Gründlicbkeit geschehen ist. Sowohl die oberflächlichen Definitionen als auch die oft ziemlich diffusen Lehren dieses Werkes, besonders aber der Formalismus der Dispositionen

und Überleitungen* setzen unbelehrt die pädagogische und methodische 1 Über die Eristik s. d. o. S. 132, Anm. 2 genannte Lit. Über die Synonymik des Prodikos und sonstige Spuren sophistischer Definitionen s. o. S. 126ff. * Hierüber s. o. S. 129f.

* S.o. S. 124f.

* S. hierüber o. S. 24ff., bes. S. 28. Berwicks Ableitung der anaximeneischen Definitionen aus der platonischen Philosophie (a.O. 33f.) beruht auf der unrichtigen Gleichsetzung von praktischer Anwendung und theoretischem Er-

kennen logischer Operationen. Auferdem muß beachtet werden, daß sich 136

Routine der älteren Rhetorik! fort. Die Lehrer der Beredsamkeit haben sich offenbar stets darauf beschrünkt, handliche, leicht faBliche Kenntnisse zu vermitteln; hierfür wáhlten sie den Weg des geringsten Risikos und lieBen auswendig lernen, Musterreden sowohl wie eine schematisierte Theorie*. Autoritativ boten sie ihren Stoff gleichsam als fertige Gegebenheit dar: nichts wurde begründet, bewiesen oder abgeleitet*. Appellierte man somit lediglich an das Gedáchtnis und nicht an die Einsicht der Zóglinge, so konnte man sich auch die Mühe

ersparen, tiefer in die Zusammenhänge der Materie einzudringen, und

gab sich statt dessen mit einer beliebigen äußeren Organisation zufrieden, auf die man um so größeren Wert legte, als sie eine wichtige Voraussetzung für die Gedächtnisarbeit der Schüler war*. Anaximenes repräsentiert die formale, methodische, pädagogische Gesinnung aller seiner verschollenen Vorgánger: was sein Werk an angewandter Logik enthält, beherrschten schon die älteren Sophisten ohne Reflexion ; dergleichen brauchte niemand von Platon zu lernen*. Was man dagegen aus seinem Phaidros erfahren konnte, hat man nicht verstanden oder jedenfalls nicht zu verwenden gewuBt®. Platons Kritik nicht nur gegen den formalen VerstoD einer unterlassenen Begriffsbestimmung (so Phaedr. 262 E—263 E), sondern auch gegen mangelnde

Einsicht in das wahre Wesen einer Sache (so z. B. Phaedr. 259 E ff.) richtet: an der inhaltlichen Unzulünglichkeit der rhetorischen Lehren aber hat sich, wie zahlreiche Definitionen des Anaximenes zeigen, nach dem Erscheinen des

Phaidros wenig oder nichts geündert; s. vor allem die mit Beispielen operieren-

den Bestimmungen des 8(xatov, νόμιμον usw. (13, 23 ff.), die deutlich die von Platon abgelehnte 86Ea τῶν πολλῶν widerepiegeln. ! Platon hat sie bekanntlich als ἐμπειρία und τριβή charakterisiert (Gorg. 463 B; vgl. Phaedr. 260 E); s. hierzu Pohlenz, a. O. 342 ff. 3 S, Navarre, &.O. 31 ff.; Kroll, a. O. 1043 ff.; Marrou, &.O. 83ff. Besonders Solmsen, Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik, N. philol. Unters. 4, 1929, 171ff., schâtzt die Bedeutung der μνήμη und der Mnemo-

technik im Denken der Sophisten richtig ein; s. vor allem Dialexeis 9, 1 (2, 416, 13f. D*): μέγιστον δὲ καὶ κάλλιστον ἐξεύρημα εὕρηται μνάμα xal ἐς πάντα χρήσιμον,

ἐς τὰν σοφίαν τε καὶ ἐς τὸν βίον. * Auf diese die anaximeneische Rhetorik scharf von den aristotelischen Schriften unterscheidende Gesinnung weist bereits Ipfelkofer, Die Rhetorik des Anaximenes unter den Werken des Aristoteles, Diss. Erlangen 1889, 15,

hip; vgl. u. S. 141. * Die das Gedüchtnis entlastende Funktion der διαίρεσις, d. h. eines systematischen Aufbaus, wird echon von Solmsen, &.O. 173, berücksichtigt.

* Daß die Anwendung logischer Gesetze ihrer theoretischen Betrachtung vorausgehen kann, bedarf keines Beweises. Áber was ,,noch" 818 Anwendung der Logik, was ,,schon'' als reine Logik zu gelten hat, läßt sich nicht leicht entScheiden; s. hierzu Stenzel, RE 13, 997 ff.; bes. 1006 ff., wo die Grenze zwischen

dem Gorgias und den spüteren Dialogen (Theaitetos, Sophistes, Politikos, Philebos) gezogen wird. * Die in der vorigen Anm. genannten späten Dialoge Platons gehóren der Geschichte der Logik an; sie sind im eigentlichen Sinne ihr Beginn; 8. Stenzel,

RE 13, 1006. Hier sind die Einteilungen der wichtigste Gegenstand der Dis137

$ 6. Erst Aristoteles hat aus den Lehren des Phaidros die Konsequenzen gezogen und, wie manches andere Gebiet der geschichtlichen

und gesellschaftlichen Wirklichkeit, so auch die Rhetorik nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu ordnen versucht!. Er war für diese Aufgabe in besonderem Mafe qualifiziert. Denn einerseits übernahm und entwickelte er die methodischen Erkenntnisse der platonischen Philosophie und bemühte sich, sie stets und überall fruchtbar zu machen. Andererseits schátzte er die Rhetorik prinzipiell anders ein als sein Lehrer: er wies sie dem Bereich der ἐνδεχόμενα xal ἄλλως ἔχειν zu und klassifizierte sie als formale Disziplin*. Hiermit erübrigte sich sofort der Teil der platonischen Kritik, der sich gegen die inhaltliche Unzulänglichkeit der Rhetorik, insbesondere gegen ihre ethische Indifferenz, gerichtet hatte. Ihre berkómmliche Thematik aber, die Materien, die seit jeher den Gegenstand des rhetorischen Unterrichts auszumachen pflegten, brauchte Aristoteles nicht mehr als unwesentlich zu ignorieren; er konnte den begrenzten Wert dieser Disziplin anerkennen und es als ein seiner würdiges Problem betrachten, ihre Objekte in einem sinnvollen Zusammenhang zu erfassen und darzustellen. Ein Vergleich der aristotelischen Rhetorik mit dem nur um einige

Jahre ülteren Lehrbuch des Anaximenes ist überaus lehrreich. Denn kussion (hierüber ausführlich Lukas, a.O. 136 ff.); Ziel der Untersuchung ist aber stets eine unanfechtbare Definition. Im Grunde erstrebt Platon, was erst Aristoteles in den Anal. pr. mit seiner SchluBlehre erreichte; Stenzels Forschun-

gen haben diesen Zusammenhang deutlich herausgearbeitet; s. ferner über diesen schwierigen, mit der Idealzahlenlehre zusammenhängenden Gegenstand Wilpert, Zwei aristotelische Frühschriften über die Ideenlehre, 1949, bes. 157 ff.; 202 ff.; dort 203* weitere Lit. Für die Geschichte der empirisch-praktisch orientierten Rhetorik ist Platons Leistung ohne Bedeutung: hätten die Lehrer der Beredsamkeit den Philosophen verstanden und seine Resultate angewandt, so müÂte das Lehrbuch des Anaximenes etwas davon verraten; das Niveau der Methode und der Darstellung überhaupt dürfte nicht so niedrig sein, Reflexe einer wissenschaftlichen Diskussion über systematische Fragen, Einteilungsgründe u. dergl. mübten sich finden lassen. 1 Die wissenschaftliche Untersuchung der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit wurde durch den Grundsatz ermóglicht, daß sich die Exaktheit der Beweise nach den jeweils betrachteten Gegenstünden richten müsse. Aristoteles hat ihn des ófteren formuliert, z. B. N. E. A 1 1094 b 11 ff.; s. Stewart, Notes on the Nic. Ethics of Aristotle, 1892 und Dirlmeyer, Aristoteles, Nik. Ethik, 1950, z. St.

3 S, Rhet. À 2 1357 & 22 ff. und À 1 1354 a 1

ff. Aristoteles hat seine Position

erst in allmählicher Entwicklung erreicht: die Kritik, die er zu Beginn seines Werkes (A 1 1354 a 11 ff.) an der Rhetorik übt, steht noch der platonischen Lehre nahe; sie entstammt offenbar der ältesten Schicht des Werkes. Die Dreiteilung der πίστεις ἔντεχνοι (A 2 1356 & 1 ff.) dagegen hat sich bereits von dieser

Auffassung entfernt; s. Barwick, a. O. 22f.; Solmsen, &.O. 196 ff. Der Verweis à 37 (vov 3& διαιροῦσι γελοίως) klingt zwar recht scharf; Aristoteles p 13 1414 urteilt hier aber nach Kriterien, die der Rhetorik selbet entnommen sind, nicht mit erkenntnistheoretischen oder ethischen MaGstäben. 138

einmal gehóren beide Werke zu derselben Gattung von Schriften, die, ohne literarische Ánsprüche nur auf ihren Zweck hin abgefaBt, aus dem athenischen Unterrichtsbetriebe des 4. Jahrhunderts erwachsen sind; zudem nimmt Aristoteles sich in seiner Rhetorik eines 808 sophistischen Traditionen stammenden Stoffes ordnend und umge-

staltend an. Die formalen und gegenständlichen Übereinstimmungen der Werke gestatten eine genaue Abschützung des Niveauunterschiedes; sie zeigen, wie sich der gute Durchschnitt der damals massenhaft kursierenden Handbücher neben dem Kulminationspunkt der rhetorischen Lehre ausnimmt. Sowohl Aristoteles wie Anaximenes wollen die Theorie der Redekunst in systematischer Ordnung darstellen. Während nun Anaximenes offenkundig vor allem eine formal intakte Organisation des Stoffes erstrebt, hat die aristotelische Rhetorik die Tiefendimension einer vielschichtigen Genesis; sie wurde ergänzt und umgearbeitet, und

Altes, Überwundenes blieb neben dem Neuerreichten stehen. Sie zeigt somit ein offenes, um der Wahrheit willen des ófteren von Grund auf

umgestaltetes

System!.

Das

Lehrbuch

des

Anaximenes

dagegen

reprüsentiert eine tráge Gesinnung, die móglichst am Überkommenen festhált und doch das Neue nicht unberücksichtigt lassen darf; so wird unentschlossen an dem Vorhandenen geflickt und gebessert, und die sorgsam ausgeklügelten Schemata geraten in Unordnung?. Wie der Aufbau des Ganzen, so gestattet auch die Verwendung des methodischen Apparates Schlüsse auf die wissenschaftliche Haltung

der beiden Verfasser. Der Mechanismus der Einteilungen? ist ihren ! Die Rhetorik des Aristoteles besteht aus drei Teilen: der erste handelt von den Beweisen (Buch 1 und 2), der zweite erórtert die λέξις (Buch 3, Kap.

1—12), der dritte die τάξις (Buch 3, Kap. 13—19). Der Leser wird &ber nicht

zu Beginn des Werkes, sondern erst am Anfang des 3. Buches mit dieser Trichotornie des Stoffes bekannt gemacht; das 3. Buch, eine ,,kleine Rhetorik für sich''

(Marx, SB d. süchs. Ges. d. Wiss. 1000, 245), gehórt nicht zur ursprünglichen Konzeption des Werkes. Für den Aufbau der beiden ersten Bücher sind zwei Einteilungen der πίστεις maBgeblich: die Unterecheidung von technischen und untechnischen Beweisen sowie die Gliederung der πίστεις ἔντεχνοι in ἤθη, πάθη

und Beweise &v αὐτῷ τῷ λόγῳ (Α 2 1355 b 36 ff.). Die Ausführung dieses Programms ist recht verwickelt, eın Urnstand, der sich nur genetisch erklüren läßt; s. Barwick, &.O. 14ff.; Solmsen, &.O. 13ff. Die aristotelische Rhetorik ist

irgendwie von dem Lehrbuch des Theodektes abhüngig; die Einzelheiten sind umstritten; s. auBer den genannten Arbeiten Solmsen, RE 5 A, 1720 ff., Art.

Theodektes; ders., Hermes 67, 1932, 144 ff., dort die ültere Lit.; vgl auch Kroll, 8.0. 1057 ff. * S. ο. S. 14.

* Über Anaximenee s. o. S. 17f. Aristoteles verwendet

die

διαίρεσις

in

wenigen Werken so häufig wie in der Rhetorik; s. A 2 1355 b 35 (πίστεις ἄτεχνοι

und ἔντεχνοι; τρία εἴδη 1Gv πίστεων sc. ἐντέχνων); À 2 1358 α 2 (εἴδη oder ἴδιαι προτάσεις und τόποι); A 3 1368 a 36 (εἴδη τῆς ῥητορικῆς oder γένος συμβουλευτικόν, δικανικόν, ἐπιδειχτικόν); À 4 1359b 19 (Stoffe der Beratungsrede; ent-

139

Werken ebenso gemeinsam wie die Praxis der Definitionen!, die Gattungen und Arten*, die Herausarbeitung von Unterschieden (διαφοραί)} spricht der anaximeneischen Einteilung Kap.2, 18, 14ff.); A 5 1360 b 19 (μέρη der εὐδαιμονία); À 8 1365 b 29 (Einteilung der Verfassungsformen); A 10 1368 b 1 (Dispositionsschema über die ἀδικία: Tatmotive, Tüterpsychologie, typische Opfer); À 10 1369 & 5 (Siebenteilung der Tatmotive); A 11 1370 a 18 (Einteilung der ἐπιθυμίαι); A 13 1373 b 1 (mehrfache Gliederung der ἀδικήματα und δικαιώματα); A 15 1375a 24 (Fünfteilung der ἄτεχνοι πίστεις); A 165 1375b26 (mehrstufige Einteilung der μάρτυρες); À 15 1377 & 8 (Disposition, die verschiedene Situationen beim Parteieneid schematisiert); B1 1378 a 23 (eine bei sämtlichen πάθη gleichfórmig angewandte Dreiteilung; vgl.B 3 1380 a 5; B5 1382a 20 usw.); B2 1378 b 13 (drei εἴδη der ὀλιγωρία); B 12 1388 b 30 (Einteilung der

49n, der Altersstufen und der τύχη); B 18 1301 b 24 (Übersicht über die κοινά = τόποι; hier wird also das zweite Glied der Dichotomie À 2 1358 a 2 weiter zerlegt); B 20 1393 a 23 (xotval πίστεις, 8. d. vor. Disposition; Unterteilung des

παράδειγμα); B 22 1396 b 23 (zwei εἴδη der ἐνθδυμήματα); B 25 1402 a 35 (Einteilung der Instanzen); Γ 1 1403 b 6 (Dreiteilung der Rhetorik); Γ 3 1406 b 34 und F 5 1407 a 19 (Schemata innerhalb der Ausdruckslehre); Γ 13 1414 a 39 (μέρη λόγου); T 14 1415 & 25 (Schematisierung der Lehre vom προοίμιον); T 17 1417 b 21 (Vierteilung der Streitpunkte); F 19 1419 b 10 (Einteilung des Epilogs) Dieser Befund erklärt sich gewiB in erheblichem Maße daraus, daß Aristoteles eine Reihe herkómmlicher Einteilungen übernommen hat. Aber auch die Materie hat zu der starken Systematisierung beigetragen: wie in der Rhetorik, eo begegnen Einteilungen vor allem in den Schriften des Organon, in der Politik und in den Ethiken, wührend sie in der Metaphysik und in den naturwissenschaftlichen Schriften, die zoologischen Werke ausgenommen, von geringer Bedeutung sind. Im einzelnen s. Cat. 4 1 b 25 (die Kategorien οὐσία, ποσόν, ποιόν usw. werden aufgezühlt, der Reihe nach durch Exempel erläutert und dann, von Kap. 5 an, definiert und ausführlich beachrieben. Dieses dreiteilige Schulschema scheint sich sonst in keiner Schrift des aristotelischen

Corpus zu finden; die Lit. zur Echtheitefrage der Cat. nennen Überweg-Prüchter, &. O. 366); 10 11 b 16 (Einteilung der ἀντικείμενα) usw.

De interpret. 1 1681

(Disposition über Grundbegriffe der Urteilsiehre; die aufgelockerte Darstellung reicht bis Kap. 6; in ühnlicher Weise werden zu Beginn des 12. Kap. einige Leitbegriffe genannt). Anal. pr. À 1 24& 10 (Disposition der Grundbegriffe); das ganze Werk hat wegen der ständigen Parallelerórterung der drei SchluDfiguren eine ziemlich strenge Architektur; das System wird jedoch nicht durch vorangestellte Einteilungen verdeutlicht. Die Topik und die sophistischen Widerlegungen haben neben der Rhetorik am deutlichsten scholestisches Gepräge: Top. À 4 101 b 11 werden die vier Grundbegriffe erórtert, auf denen

sich des ganze Werk aufbaut: συμβεβηκός (Buch 2—3); γένος (Buoh 4); ἴδιον (Buch 5); 6po; (Buch 6—7); weitere Dispositionen und Einteilungen À 2 101 a 26;A 7 1038 6; A 9 103 b 20;A 10 104 & 3; A 12 105 a 10; À 13 1058 20; B7112b27; E1128b14; Z 1 139 a 24; Elenct. 2 165 a 38 (vier γένη von Schlüssen); 3 165 b 12 (fünf Ziele der Sophisten); Aristoteles erórtert von Kap. 4—11 das erste Ziel, den ἔλεγχος, und zwar gliedert er ihn zunücbst in

zwei τρόποι, dann jeden τρόπος wieder in sechs bzw. sieben Unterarten. Von Kap. 12—14 befaßt sich die Darstellung mit den übrigen Zielen der Sophisten. Dieses System ist dee Aristoteles eigenste Leistung; s. 33 183 b 17. In geringem

MaBe ist der Stoff in den Polit. (s. jedoch A 12 1259 a 37; I' 7 1279 a 22; A2 1289 & 26 u. 6.), in den Ethiken (s. aber N. E. A 2 1006 b 17; A 7 1098 b 12; A 13 1102a 27; B 1 1103a 14: die den Aufbau des Werkes bestimmende 140

und die Abgrenzung gemeinsamer und spezifischer Merkmale (xouwvd und WBıa)‘. Doch während Anaximenes seinen Leser stets nur mit Resultaten bekannt macht, läßt Aristoteles die Theorie gleichsam vor ihm entstehen; er leitet ab und begründet, er deduziert von Prin-

zipien, er erläutert und entwickelt umständlich, was es mit den Einteilungen und Bestimmungen auf sich hat*. So wird die Rhetorik, dieses eigenartige Gemisch von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, Unterscheidung ethischer und dianoetischer Tugenden; B 2 1104 b 30; Β 4 1105 b 10; B 7 1108 a 9 usw.) und in der Poetik (s. aber 6 1450 a 7; 12 1452 b 14 u. ö.) systematisiert, fast überhaupt nicht in den übrigen Schriften (s. aber z. B. Phys. A 4 187 a 12; B 3 194 b 16; B 8 198 b 10;T 1 200 b 12; E 2 225 b 10; E 3 226 b 18; Meteorolog. À 8—9: eine Liste, die aus 18 Gliedern besteht; De an. B2 413 a 22; B 2 413 b 11; B 3 414 a 20 u.0.; Met. À 3 983 a 24; Z 3 1028 b 33; Z 7 1032 a 12 u. ó.). ! S.A 1 13548 1; A 1 1355 a 4; A 2 1355 b 25; ebendort 35; A 2 1356 b 2; À 2 1357 a 34; A2 1357 b 5; À 3 1359 a 7; A 5 1360 b 14; A 5 1360 b 30 usw.; À 6 1363 & 23 usw.; À 8 1365 b 31 ; A 9 1366 a 33; A 9 1367 b 27 usw. usw. ! γένος: À 11365b8 und 33; A 2 1358 8 17 und 31; A 2 1358 a 33 (yévn der Rhetorik, A 3 1358 & 36 als εἴδη bezeichnet, 1358 b 7 wieder als yévn; 80 auch B 1 1377 b 20; B 18 1391 b 24); A 15 1377 a 2; B 20 1393 & 24 u. ὃ. Im wesentlichen behält Aristoteles diesen Begriff der Klassifikation der drei genera causarum vor. Offenbar folgt er hierin der rhetorischen Schultradition. εἶδος :

A 2 1356 a 1 (τρία εἴδη πίστεων); À 2 1356 b 19; A 2 1358 a 14/16/17/27/30—33; À 3 1358 a 36 (εἴδη der Rhetorik, als auch yévn bezeichnet; s. 0.); À 4 1359 b 3;

À 4 1360a 21 ; A 9 1367 b 36; A 9 1368a 26 usw. μέρος: À 1 1354 b 19 (μόρια λόγου); À 2 1356 a30; A 5 1360 b 6 u. ô.; B 20 1393 a 25 usw. Das Subsatantiv bezeichnet

hauptsüchlich die Teile der Rede; s. F 1 1403 b 8; F 13 1414 a 31 u. ó. (statt dessen εἶδος P 17 1418 b 5); auch hierin scheint sich der Verfasser der üblichen Ausdruckswoise anzuschlieBen. * S. A2 1356 b 12; A 2 1357 b 5 und 22; A 2 1358 a 2 u. 6.; A 10 1369 b 12; A 15 1376& 31; B © 1387 a 3; B 22 1396 b 24 usw.

* S. À 1 1354 a 2; A 2 1355 b 33; À 2 1358a 12 ff.;A 7 1364 b 14; A 9 1367 b

36; A 9 1368a 26; A 10 1368 b 7f.; A 12 13728 10; A 13 1373b 4ff.; A 16 1375 a 23 usw.

* S.A 1 1354a 1ff. (Rhetorik als formale Disziplin charakterisiert); A 1 1356 b 8ff. (Definition der Rhetorik und ihre Begründung); À 2 1366 a 34 ff.

(über παράδειγμα und ἐνθύμημα); A 3 1358 a 36 ff. (Ableitung und Charakterisierung der drei Redegattungen) usw.; im Grunde zeugt fast jeder Satz des Werkes von der aristotelischen Darstellungsweise, die den AufbauprozeB der

Lehre unmittelbar abbildet und wenig oder nichts als fertige Gegebenheit hinstellt. Die wissenschaftliche Gesinnung des Anaximenes dagegen läBt sich mit

der Manier der peeudoplaton. “Ὅροι und der peeudaristotel. Διαιρέσεις (Divi-

&iones quae vulgo dicuntur Aristoteleae ed. Mutschmann, 1906, der in der Prae. fatio XVIIff. über den Umfang dieser Literatur unterrichtet) vergleichen ; wes die großen Philosophen in lebendigem Denken unter Anwendung der von

ihnen entwickelten Methoden geschaffen hatten, ist in diesen dürren Produkten, strikt schematisiert, zum Auswendiglernen zusammengestellt. Freilich wird solch einseitige Betrachtungsweise dem rhetorischen Kompendium nicht gerecht. Denn Anaximenes bringt keine Schulstubenweisheit, sondern eine Fülle

praktischer Ratechläge. Nur in Verwendungsweise und Zweckbestimmung der

Methode ateht er wenig über dem Niveau der Verfasser von Διαιρέσεις. 141

Advokatenkniffen und Stilistik, unter seinen Händen zu einer Wissenschaft, deren Methodik die Forderung Platons zu erfüllen scheint!. $ 7. Die bisherigen Betrachtungen haben ergeben, daß die Sophisten gewisse methodische Operationen wie Einteilungen, Begriffsbestimmungen u. dergl. praktisch anwandten, ehe man über die Gesetze der Logik reflektierte; die Annahme, Anaximenes habe in dieser Hinsicht von den Philosophen Belehrung empfangen, erschien somit entbehrlich. Andererseits aber lieB sich, wie weiterhin gezeigt wurde, die Unterrichtspraxis der Rhetoren von dem Wesensgehalt der platonischen Wissenschaftslehre nicht beeindrucken; erst Aristoteles verwirklichte in seiner Weise die programmatischen Ausführungen des Phaidros. Erwies sich somit das Werk des Anaximenes als ein im wesentlichen unverfülschtes Produkt des rhetorischen Unterrichts in platonisch-aristotelischer Zeit, so besteht auch kein zwingender Grund, die stilistischen Eigentümlichkeiten oder die Terminologie der anazximeneischen Téyvn aus verwandten Erscheinungen der philosophischen

Literatur abzuleiten. Vielmehr erklären sich die Überleitungsformeln, die Ankündigungen und Rekapitulationen, wie sie sowohl in den Schriften des Aristoteles als auch im Lehrbuch des Anaximenes begegnen, am einfachsten aus dem allen diesen Werken gemeinsamen scholastischen Ursprungsmilieu?*. Dasselbe Urteil gilt wohl für die meisten methodologischen Termini technici, die sich in der Schrift des Anaximenes angewandt finden. Ein bekanntes Fragment des Komikers Epikrates* scheint zwar zu lehren, da& so wichtige methodologische Ausdrücke wie διαιρεῖν,

διορίζειν und γένος vor allem in der Akademie gebrüuchlich waren, der 1 In gegenstündlicher Hinsicht ist das Werk des Aristoteles gleichsam ein Kompromib zwischen der herkómmlichen Rhetorik und dem Postulat Platons:

es berücksichtigt sowohl die im Phaidros mit Verachtung beiseite geschobenen

πίστεις und μέρη λόγου wie auch die dort (271 C ff.) als wahren Gegenstand der Rhetorik bezeichnete Psychologie (in der Lehre von den πάθη und ἤθη: B 1—18). * Über Anaximenes ε. o. S. 28; Aristoteles verwendet, um die Systemfugen

innerhalb seiner Werke zu kennzeichnen und die Teile einzufassen, geneu dieselben Redensarten, vor allem sehr häufig den charakteristischen Adhortativ, ın der Rhetorik z. B. À 1 1356 b 22 (περὶ . . . αὐτῆς ἤδη τῆς μεθόδου πειρώμεθα λέγειν); A 2 1368 & 34 (περὶ μὲν oùv τῆς δυνάμεως αὐτῶν, xal πῶς ἔχουσι πρὸς ἀλλήλας — nämlich Dialektik und Rhetorik — εἴρηται σχεδὸν ἱκανῶς); 1356 b 25; 1357 b 21; 1358 a 1 und 33; A 3 1359 & 26; A 4 1359 b 16 usw. Vielleicht enthielten bereits die Vorlesungskonzepte Platons derartige Formeln.

3 Fg. 11 (2, 287f.) Kock; s. bes. v. 13 ff.: repl γὰρ φύσεως ἀφοριζόμενοι | διεχώριζον ζῴων τε Blov / δένδρων τε φύσιν λαχάνων τε γένη. / x&v &v τούτοις τὴν χολοκύντην / ἐξήταζον τίνος ἐστὶ γένους. / καὶ «( mor ἄρ ̓ ὡρίσαντο καὶ τίνος γένους / εἶναι τὸ φυτόν; etc.; ν. 37 ff.: πάλιν. -. / ἀφορίζεσθαι τίνος ἐστὶ γένους ̓ / ol δὲ διήρουν. Vgl. die von Zeller, a.O. 2, 1, 961, genannten Stellen, die über Einteilungen in

Platons mündlichen Vortrügen berichten (hierüber s. u. S. 147, Anm. 5). 142

Bedeutung, die das Wort εἶδος dort hatte, nicht zu gedenken. Auch bleibt zunächst nicht ohne Eindruck, wenn Aristoteles seine Topik auf den Begriffen γένος, ἴδιον, ὄρος und συμβεβηκός aufbaut!. Während jedoch die Terminologie der Rhetorik im wesentlichen künstlich gebildet worden war, gehóren Wörter wie ὄρος, γένος und εἶδος, xorvés und ἴδιος sowie διαφέρειν und μέρος sämtlich der Umgangssprache an;

die Übertragung auf abstrakte Verhältnisse lag sehr nahe und läßt sich denn auch in älterer, z. T. nichtphilosophischer Literatur nachweisen*. Die komische Wirkung der Epikrates-Verse wird also nicht s0 sehr auf einzelnen Ausdrücken wie auf der Schilderung im Ganzen beruht haben. Die aristotelische Topik? aber läßt sich am ehesten &ls Árgument für die gegenseitige Unabhängigkeit von Philosophie und Rhetorik anführen: einer bis zu Porphyrs Quinque voces nachweisbaren, stets das συμβεβηκός berücksichtigenden peripatetischen Tradition* stehen die rhetorischen und nach dem Vorbild der Rhetorik aufgebauten Lehrbücher gegenüber, die zähe an dem schon bei Anaximenes verwendeten Numerus clausus methodologischer ! S. o. S. 139, Anm. 3.

! Das Wort γένος findet sich z. B. bei Philolaos in der metaphorischen Wendung 1# τῶ dpı9LG γενεᾷ (44 B 11 D*; Diels übersetzt ,,Geschlecht der Zahl'');

Xenophon gebraucht den Ausdruck γένη τῶν κυνῶν im Sinne von ,, Hunderassen'*

(Cyn. 3, 1 u. à.). Über εἴδος, l8£x in der vorplatonischen Literatur s. v. Wilamowitz, a. O. 2, 248 ff.; Buchmann, a.O. 38**; Diller, Hermee 80, 1952, 404;

wichtig z. B. Thuc. 2, 50, 1: el8oc τῆς νόσου; über die Verwendung des Wortes

bei Isokrates s. ο. S. 128, Anm. 4. Über διαιρεῖν 8. 0. S. 128, Anm. 6. Belege für μέρος, xotwóc, ἴδιος usw. erübrigen sich.

* Über die aristotelische Topik s. die grundlegende Abh. von Solmsen, bes. 162 ff. Die Topik oder Dialektik ist eine Methode, jedes Problem mit Wahrscheinlichkeiteschlüssen zu erórtern (À 1 100 a 18 ff.). Die nach ihrer Anweisung behandelten Sätze untersuchen entweder das γένος (dem die διαφορά zugeordnet wird), den 6poc, das ἴδιον oder das συμβεβηκχός (A 4 fÆ.).

* Über die Wirkungsgeechichte der Topik s. Walliee, Die griech. Ausleger der aristotel. Top., Beil. z. Progr. d. Sophien-Gymn. Berlin, 1891, 3ff.; Theophrast schrieb ebenfalla eine Topik (in drei Büchern: Diog. Laert. 5, 45; 49);

der Physiker Straton verfaBte Abhandlungen Περὶ τοῦ γένους, Περὶ τοῦ συμβεβη-

χότος, Περὶ τοῦ ὄρου, Περὶ τοῦ ἰδίου (Diog. Laert. 5, 60). Die ältesten Kommentatoren der aristotelischen Topik waren Herminos und Sotion, auf deren Arbeit

das teilweise erhaltene Erklärungswerk Alexanders v. Aphrodisias (Comm. in Arist. Graeca II, 2) aufbaut. Ein Blick in diesen Kommentar belehrt über die

Festigkeit der Tradition; s. bes. Stellen, die sich mit den Prädikabilien befassen, wie 37, 6 ff. Auch in der später Quinque Voces betitelten Schrift Porphyra, die

die fünf Begriffe γένος, διαφορά, cl8oc, ἴδιον und συμβεβηκός erörtert (Εἰσαγωγὴ

εἰς τὰς κατηγορίας, Arist. Op. ed. Ac. Reg. Bor. IV, 1 ff.), sind Sprache, Terminologie, Beispiele

und Argumentationsweise völlig gleich geblieben.

Die

unter dem Namen des Boethius überlieferten Traktate De divisione und De definitione enthalten ebenfalls peripatetisches Lebrgut (PL Migne LXIV, 2 875—910). Ciceroa Topik gibt dagegen rhetorische, der snventio zugehórige

Ánweisungen; die Philosophie ist stoischer Provenienz; s. u. S. 162, Anm. 2. 143

Ausdrücke festhielten und niemals das Akzidens für die fachwissenschaftliche Betrachtung fruchtbar gemacht haben!. So bleiben nur wenige methodologische Ausdrücke übrig, die nicht der Umgangssprache entnommen sind: das Substantiv μέθοδος z.B.

findet sich zuerst bei Platon?, πρόθεσις im Sinne von „Thema“, „Gegenstand der Untersuchung‘‘ zuerst bei Aristoteles angewandt. Hier móchte man trotz der Lückenhaftigkeit des überlieferten Materials vermuten, daB Anaximenes eine Anleihe bei den Philosophen gemacht hat?. Doch war er sich dessen wahrscheinlich nicht bewußt: dergleichen Prägungen sind gewiB rasch Gemeingut aller Schulen geworden.

12. Kapitel

Lehrbücher in hellenistischer Zeit Die ungeheure philosophische und fachwissenschaftliche Produktion der hellenistischen Epoche ist bis auf wenige Reste nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form erhalten; die Leistungen jener Jahrhunderte müssen meist aus rómischen Darstellungen oder aus jenen späten ! Lediglich

die

hellenistisch-rómische

Grammatik,

die

auch sonst ihre

Grundbegriffe und Methoden mehr der Philosophie, insbesondere der Stos, verdankte als der Rhetorik (s. u. S. 152ff.), räumte den von Diogenes dem Babylonier konstituierten συμβεβηκότα des Nomen und Verbum als παρεπόμενα

bzw. accidentia einen bescheidenen Platz in ihrem Lehrgebäude ein; s. hierüber Barwick, Remmius Palaemon und die rômische ars grammatica, Philol. Suppl. 15, 1922, 92ff.; dere., Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik, Abh. d. Sücha. Ak. d. Wiss. Leipzig, Phil.-hist. Kl., 1957, 49, 3, 47f.; vgl. o. S. 30, Anm. 6. 3 Vgl. hierzu Diller, ἃ. . 390f.

3 Über μέθοδος bei Anaximenes s. o. S. 20f. Das Wort hat bei ihm steta die aligemeine Bedeutung, in der Platon es z.B. Phaedr. 269 D verwendet; es

bezeichnet also keine bestimmte wissenschaftliche Methode (s0 meistens bei Platon; s. z. B. Rep. 7, 531 C; Soph. 227 A; Polit. 286 D). Im aristotelischen Sprachgebrauch ist es schon ziemlich abgegriffen und oft synonym von τρόπος; s. z. B. De an. À 1 402 a 14 ff. Das Wort πρόθεσις verwendet Anaximenes 18, 15; 20; 22; 20, 23 u. ö.; bei Aristoteles findet es sich in derselben Bedeutung Cat. 8 11 à 21; Top. À 1 1008 18; Rhet. B 18 1302 & 4 u. ó. S. ferner Anaxim. 29, 13—14: τῶν ὑπὸ τὴν αὐτὴν ἰδέαν πιπτόντων, Diese Wendung ist aristotelisch; s. z.B. N. E. B 2 1104 à 7; Top. A 15 102 & 37 (ὑπὸ τὴν αὐτὴν μέθοδον πίπτει τῷ γένει); Z 13 151 @ 16; vgl. [Plat.] Def. 416 (τῶν ὑπὸ τὸ αὐτὸ γένος κατά τινα διαφορὰν πιπτόντων); Tim. Locr. 100 B. SchlieGlich verwendet der Rhetor einmal στοιχεῖον im Sinne von ,,Hauptverfahren‘‘ oder auch ,,generelle Prümisse'", ,,allgemein verwendbare Materie für Argumente‘‘ (87, 7); diese Bedeutung erinnert an die aristotelische Identifikation von στοιχεῖον und τόπος (Rhet. B 26 1403 a 18; s. ferner Top. À 1 120 b 13; Soph. El. 15 174 a 18 u. 6.), doch findet sich das Wort in ähnlichem, wenn auch allgemeineren Sinne bei Xen. Mem. 2, 1, 1; Isocr. 2, 16 u. 6. („Prinzip‘‘). 144

Kompendien erschlossen werden, in denen sie schließlich nach mannigfachen Umschmelzungen aufgegangen sind!. Eine Betrachtungsweise, der es nicht 80 sehr auf Inhalte ankommt wie auf einen literarischen Typus, sieht sich daher zunüchst vor eine besondere Schwierigkeit gestellt: wenn jene Werke aus rómischer Zeit die Ergebnisse der hellenistischen Forschung in starrer scholastischer Schematisierung vortragen, so läßt sich nicht sofort mit Sicherheit entscheiden, ob und wieweit Methode, Terminologie und sprachliche Stilisierung ebenso in die alexandrinische Epoche zurückreichen wie der Inhalt. $ 1. Eines der wenigen erhaltenen Lehrbücher des Hellenismus, die

Τέχνη des Dionysius Thrax, bietet sich zunächst als Grundlage der Untersuchung an. Das Werk behandelt vornehmlich gewisse Elementarbegriffe der Grammatik und gehórt in den Bereich der philologischen Wissenschaft, die sich bekanntlich erst durch die Tätigkeit der alexandrinischen Forscher von der Philosophie emanzipiert hatte*. Der Inhalt dieses Abrisses ist nun kaum sonderlich originell gewesen: wie zahlreiche sorgfältige Untersuchungen gezeigt haben, läBt sich der Fortschritt grammatischer Kenntnisse von der Sophistik über Platon, Aristoteles und die Stoa bis zu den Alexandrinern hin verfolgen, so daß

sich die Leistung des Dionysius nahezu gänzlich auf die Darstellung,

die Stilisierung zu beschränken scheint, die er den bis zu seiner Zeit gewonnenen Einsichten verliehen hat*.

Doch darf von vornherein

vermutet werden, daß er auch für die Form, für die ungewóhnlich

rigorose Schematisierung des Stoffes Vorbilder gehabt hat. Unter den älteren Gelehrten des Museion freilich scheint niemand ein grammatisches Kompendium verfaBt zu haben: Dionysius Thrax, der unter

den späteren Philologen manchen Nachfolger fand*, hat sich offenbar ! S, hierzu Susemihl, Gesch. d. griech. Lit. i. d. Alexandrinerzeit 1, 1891, 327 ff. u. 6.; Christ-Schmid, Gesch. d. griech. Lit. 2, 1*, 1920, 246 ff.; 426 ff.

Über die römischen Lehrbücher und ihr Verhältnis zu hellenistischen Werken 8. u. S. 156 ff.

! S. die Anm. 1 Genannten; zuletzt Marrou, Gesch. d. Erziehung im klass. Altertum, 1957, 279 ff.; vgl. ferner Müller-Graupa, RE 16, 801 ff., Art. Mussion; Auswahl der Quellen und Lit. bei Gudeman, GrundriB d. Gesch. d. klass. Philologie, 1907, 23 ff.

* Überdie Geschichte der Grammatik s. R. Schmidt, De Stoicorum Grammatica, 1839; Schoemann, Die Lehre von den Redeteilen, 1862; Steinthal, Geech. d.

Sprachwiss. b. d. Griech. u. Róm. 1—2, 1890/1*; Gudeman, RE 7, 1780 ff., Art. Grammatik; Pohlenz, Die Begründung der abendländ. Sprachlehre durch die Stoa, Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. Gôttingen, Phil.-hist. Kl., 1939, NF 3, 6; ders., Die Stoa 1, 1948, 37 ff.; Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre äd Rhetorik, Abh. d. Sáchs. Ak. d. Wiss. Leipzig, Phil.-hist. Kl., 1957, 49, 3, . 41 ff.

* Über die Γραμματικά des Eratosthenes (in zwei Büchern, zitiert bei Clem. Al. Strom. 1, 365 P; Suid. s. v.) ist nichte bekannt; die Schol. in D. Thr. 160, 10

7624

Fuhrmann, Lehrbuch

145

als der erste seiner Zunft an einem systematischen Lehrbuche versucht. Er hat also die seinem Abriß eigentümliche Darstellungsweise nur in Werken anderer Disziplinen vorfinden kónnen, und zwar entweder in rhetorischen Kompendien, oder in einer bestimmten Gattung philosophischer Schriftstellerei. Die zuerst genannte Vermutung läßt sich mit dem Hinweis darauf begründen, daß der Aristarchschüler Dionysius als Sitz seiner Grammatikschule eben jenes Rhodos auserwählte, in dem um die Wende vom zweiten zum ersten vorchristlichen Jahrhundert die von den Alexandrinern hintangesetzte Rhetorik eine überaus fruchtbare Verbindung mit der Philologie einging!. Gleichwohl führt eine genauere Betrachtung des Sachverhaltes in eine andere Richtung: wahrscheinlich hat Dionysius nicht nur den größten Teil des Inhaltes, sondern auch die Form seiner Téyvr aus einem gleichartigen Werke stoischer Provenienz übernommen. 10 H schreiben dem vielseitigen Gelehrten eine Definition der Grammatik zu; s. Knaack, RE 6, 384f., Art. Eratosthenes Nr. 4. Auf wen die in den Schol. in D. Thr. 12, 3ff. überlieferte Einteilung in die vier μέρη διορθωτικόν, ἀναγνωστιxóv, ἐξηγητικόν, χριτικόν zurückgeht, läßt sich nicht bestimmen; s. Heinicke, De Quintiliani, Sexti, Asclepiadis arte grammatica, Dies. Straßburg 1904, 4; über die Konstruktion Useners, Kl.Schr. 2, 1913, 265—314, s. Wendel, RE 7 À, 1818, Art. Tyrannion Nr. 2. Der Aristarchschüler Chairis schrieb auBer Kommentaren ein Werk Περὶ γραμματικῆς; Schol. in D. Thr. 118, 10 und Sext. Emp. Adv.

math. 1, 76 (χάρης corr.) bringen seine Definition der Grammatik; sie wird bei Sextus mit den Worten &v τῷ πρώτῳ περὶ γραμματικῆς zitiert. S. Usener, a. O. 268: »Systematisches Werk über Grammatik''; Christ-Schmid, e.O. 428: ,Ob die Bchrift ... ein (der Τέχνη des Dionysius) üáhnliches Kompendium war, ist unsicher‘“. Das Περὶ γραμματικῶν betitelte Werk des Asklepiadea v. Myrlea (1. Jh. v. Chr.; s. B. A. Müller. De Asclepiade Myrleano, Diss. Leipzig 1903, 5ff.) hatte offenbar lediglich biographischen Inhalt; 8. Lebre, Analecta zu Herodiani Scripta IV, 1867 *, 436f. ; Wentzel, RE 2, 1629, Art. Asklepiades Nr.28; Dablmann, Varros Schrift de poematis und die hellenistisch-rómische Poetik, Ak. d. Wiss.

u. Lit. Mainz, Geistee- u. Sozialwiss. Kl., 1953, 3, 101f.; anders Usener, 8.0. S. 3001®, Dieser Asklepiades hat wohl auch das bei Sext. Emp. 1, 252f. (vgl. ebd. 47; 72ff.) ohne das Ethnikon des Verfassers zitierte Kompendium Περὶ γραμματικῆς geschrieben; Β. Wentzel &. O.; Uhlig in seiner Ausg. der Ars gramma-

ff. tica des Dionysius, 1883, 5; Dahlmann, &.O. 101f.; anders Lehrs, a.O. 436 Nach Sextus &.O. hat Asklepiades zunüchst drei πρῶτα μέρη, das τεχνυκόν,

ἱστορικόν und γὙραμματικόν unterschieden; den zweiten Teil gliederte er weiter auf in eine ἀληθήῆς, ψευδής und ὡς ἀληθὴς ἱστορία; die ἀληθὴς ἱστορία betrachtete

er nach den Gesichtspunkten πρόσωπα, τόποι---χρόνοι, πράξεις und der ψευδής unterstellte er das γενεαλογικόν. Von den γλῶτται wird gesagt: κοινῶς ὑποτάττεται

z& ἱστορικῷ. Über dieses System ausführlich Heinicke, &.O. 6 ff. Buidas nennt beim jüngeren Tyrannion eine

̓Εξήγησις τοῦ Τυραννίωνος μερισμοῦ betitelte

Schrift; der ültere (ciceron. Zt.) verfaDte also ein Werk Περὶ μερισμοῦ (wohl identisch mit dem von Suidas ebendort IlIepl τῶν μερῶν τοῦ λόγου genannten

Kompendium; s. Wendel, a.O. 1815). Eine Definition der Grammatik (θεωρία μιμήσεως) überliefern die Schol. in D. Thr. 121, 16; weiteres ist nicht bekannt; vgl. Wendel a.0. 1 So Christ-Schmid, a. O. 425f. 146

$2. Diese Rezeption setzt die Existenz eines bestimmten Typus philosophischer Lehrbücher voraus; und wenn man aus den späten Kompilationen auf die hellenistische Zeit zurückschlieBen darf, so hat es dergleichen vielleicht schon im ausgehenden 4., sicherlich aber im 3. und 2. vorchristlichen Jh. in stets wachsender Anzahl gegeben. 1. Die Erklärung dieses Phänomens muß zunáchst auf gewisse retrospektive Tendenzen hinweisen, die sich schon in der Forschung des Aristoteles zeigen: die Wissenschaft beginnt, sich der bisherigen Versuche und Ergebnisse zu versichern, ehe sie Neues zu erreichen strebt. Hierher gehóren vielleicht nicht so sehr die Berichte über die Meinungen früherer Denker, wie sie sich zu Beginn aristotelischer Werke finden!, jedenfalls aber die von ihm verfabten oder angeregten wissenschaftsgeschichtlichen Werke?; für die philosophiegeschichtliche Schriftatellerei zumal wurden besonders die Φυσικῶν δόξαι Theophrasts, die Grundlage der gesamten spüteren Doxographie, bedeutsam?, Zugleich bemüht man sich, die eigene Lehre in einer môglichst faBlichen, môglichst leicht tradierbaren Form mitzuteilen, und wenn bereits Aristoteles einzelne Gebiete seiner Lehre nicht, wie gewóhnlich, durch Argumentationen entwickelt, sondern mit Hilfe von Einteilungen und Dispositionsschemata als abgeschlossenes Ergebnis seines For-

schens darstellt*, so bemächtigt sich dieses Streben bereits bei seinen Zeitgenossen der gesamten Philosophie. Von dem Akademiker Xeno-

krates ist glaubwürdig bezeugt, daB die alsbald von der Stoa übernommene und für das ganze Altertum mabgebliche Dreiteilung Logik,

Physik, Ethik auf ihn zurückgehe; er soll zudem Erkenntnisweisen und Erkenntnisgegenstánde miteinander parallelisiert und überhaupt gern, vorzüglich durch Trichotomien, schematisiert habenS. In nach! Das berühmteste Beispiel ist das 1. Buch der Metaphysik; s. ferner De an. A2ff.; Phys. A2ff.; vgl. Zeller, Aristoteles und Philolaos, Kl. Schr. 1,

1910, 136 ff.

* Z. B. die verlorene Συναγωγὴ τεχνῶν ; 8. o. S.124, Anm. 2. Eudemos schrieb

Γεωμετρικαὶ ἱστορίαι, eine ̓Αριθμητικὴ ἱστορία und ̓Αστρολογικαὶ ἱστορίαι, Werke, auf die fast s&mtliche späteren Nechrichten über die älteren Mathematiker

und Astronomen zurückgehen. Menons ̓Ιατρικά widmeten sich der Geschichte der Medizin; s. Zeller, D. Philos. d. Gr. 2, 2*, 1879, 870; Diels, Hermes 28, 1893,

407 ff.; Jaeger, Aristoteles, 1923, 358f. * S. Diels, Doxographi Graeci, 1879, bes. 102 ff.; vgl. ferner Überweg-Prächter, Die Philos. d. Alt., 1953!*, 13 ff.; Regenbogen, RE Suppl. 7, 1535ff., Art. Theophrastoe; dort weitere Lit. * 8. o. S. 139, Anm. 3.

* Über systematische Ansätze in den Schriften Platons s. Zeller, a.O. 2, 1$,

1889, 583ff. Platon scheint in seinen Vorträgen deutlicher echematisiert zu haben als in seinen Dialogen; s. z. B. den ,,oft gesagten'' Aóvoc Epist. VII 342 Aff.

Die „in ihrem Kern skademischen'* Divisiones Aristoteleae (80 Wilpert, Zwei aristotelische Frühschriften über die Ideenlehre, 1949, 108) mógen mündliche ition enthalten oder lediglich aus den platonischen und aristotelischen 10*

147

aristotelischer Zeit nimmt diese scholastische Tendenz sofort merklich zu; es kann nicht Zufall sein, daß die späten Berichterstatter, insbesondere Diogenes Laértios, gerade dann gern bei Einteilungen und Unterscheidungen verweilen, wenn sie sich der Stoa widmen!. Daraus resultiert zunächst, daB die Dogmen jener Schule in rómischer Zeit besonders straff organisiert waren. Da es &ber nicht angeht, dergleichen

Schemata samt und sonders einer späten Doxographie zuzuschreiben, so wird man sie sich schon in altstoischer Zeit entstanden denken, und wenn man einen produktiven Geist wie Chrysipp nicht mit diesem äuBerlichen Formalismus belasten will*, so steht nichts im Wege, ihn seinen Schülern zuzutrauen, von denen nur bescheidene eigene Leistungen bekannt sind. 2. Rückschlüsse aus der Darstellungsform späterer Doxographie

weisen ebenfalls in die Jahrhunderte des Hellenismus?. So làDt sich

etwa 416 pseudoplutarchische Schrift IIepi τῶν ἀρεσκόντων φιλοσόφοις Schriften abstrehiert worden sein (z.B. die Dreiteilung der Güter, die Diog. Laert. 3, 80 unter Berufung auf Aristoteles dem Platon zuschreibt, aus Phaedr.

238 D-240 A; vgl. hierzu Zeller, &.O. 2, 1*, 951; Überweg-Prüchter, a.O. 343), sie bezeugen jedenfalls den hier zur Erórterung stehenden ErstarrungsprozeD;

vgl. o. S. 142, Anm. 3. Bei den Sralpeou-Übungen (Epikratesfragment usw.; s. o. 8. 142) ging es wohl hauptsächlich um logische Erkenntnis, nicht um wissenschaftliche Systematik. Von den drei Teilen der Philosophie heiBt es bei Sext. Emp. (7, 16): &v (sc. τῶν τῆς φιλοσοφίας μερῶν) δυνάμει μὲν Πλάτων ἐστὶν ἀρχηγός . . . ῥητότατα δὲ ol περὶ τὸν Ξενοκράτη καὶ ol ἀπὸ τοῦ Περιπάτου, ἔτι

8& ol ἀπὸ τῆς Στοᾶς ἔχονται τῆσδε τῆς διαιρέσεως. Über die Philosophie des Xenokrates s. Zeller, &. O. 1010ff.; Überweg-Prächter, a.O. 344f.; die von ihm überlieferten Dreiteilungen hat Diels, SB d. preuB. Ak. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., 1883, 479!, zusammengestellt. 1 Über Diogenes s. u. S. 149ff. Anderes ist durch Cicero, Stobäus usw. überliefert; e. z. B.SVF I Zeno Fg. 45 (Dreiteilung der Philosophie); 120 (δύο γένη πορός); 190 (ἀγαθά---κακά — ἀδιάφορα); ferner 192; 200; 211; 216; Aristo Fg.377; Cleanthes Fg. 528; II Chrysippus Fg. 35—44; 65; 182; 205; 331; 346; 458; 471 ff.; 500; 824; 827; 974; 989; III 70; 89; 91; 95 ff.; 118 121f.; 124f.; 131; 133; 136; 140 ff.; 173; 244; 204; 378; 416; 500 ff.; 507; 686. * Vgl. jedoch u. S. 154, Anm. 4.

* Die folgende Untersuchung befaßt sich lediglich mit Werken, die noch

erkennen lassen, daß ihre hellenistischen Vorlagen sowohl in methodischer als auch in stilistischer Hinsicht der Τέχνη des Dionysius Thrax ähnlich waren. So verraten zwar die Schriften des Sextus Empiricus deutlich ihre inhaltliche Abhängigkeit von den Produkten Früherer, insbeeondere des Ainesidemos (s

Zeller, &.O. 3, 2*, 1903, δ13; v. Arnim RE 2 A, 2057f., Art. Sextus Nr. 4); sie sind ferner nach sorgfültig durchgeführtem Plane aufgebaut (a. die Disposition der Hypotyposeis bei v. Arnim, a. O. 2058 ff.) und offenbaren auch sonst allenthalben ihre scholastische Herkunft; s. z. B. die Ankündigungen und Rekapitulationen Hypot. 1, 5—6; 1, 209; 2, 13; 2, 167f. usw.; Adv. dogm. 1 (— Adv. math. 7), 24—26; 28; 46—49; 261f. usw.; s. ferner u. S. 151, Anm. 1. Ihre flüssige und wortreiche Ausdrucksweise unterscheidet sie jedoch ebenso von

dem hier zur Erórterung stehenden Typus hellenistischer Kompendien wie ihre Ausführlichkeit und die Fülle des von ihnen dargebotenen Stoffes. Auch die 148

φυσικῶν δογμάτων zusammen mit den durch Stobäus erhaltenen Auszügen zunüchst auf die Placita des Aétius zurückführen (1. Jh. n. Chr.); Aétius &ber schópfte nach der Vermutung von Diels! aus den Δόξαι eines Unbekannten, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert gelebt haben muß. Das pseudoplutarchische Werk zeigt nun sofort zu Beginn deutlich scholastisches Gepräge: d& man die physikalischen Lehren darstellen wolle, heiBt es hier (273, 6 ff.), müsse man zunáchst διελέσθαι Thv τῆς φιλοσοφίας πραγματείαν, tv εἰδῶμεν, τί ἐστι καὶ πόστον uépoc αὐτῆς ἡ φυσικὴ διέξοδος. Der Schriftsteller bringt sodann die stoische

Definition und Trichotomie der Philosophie; er fährt fort (273, 18 ff.): . . τριμερής ἐστιν À φιλοσοφία ἧς τὸ uv φυσιχόν, Tù δὲ ἡθικόν, TO SE λογικόν. Der Einteilung folgen sofort Definitionen: καὶ φυσικὸν μέν, ὅταν περὶ

χόσμου ζητῶμεν καὶ τῶν Év χόσμῳ, ἠθικὸν SE κτλ. Der nächste Abschnitt befaßt sich mit der Bestimmung der φύσις (274, 18 ff.), der übernächste mit der διαφορά zwischen den Begriffen ἀρχή und στοιχεῖα (275, 13 ff.)

usw. Wenn nun auch der Gegenstand des Werkes keine fórmlichen Begriffshierarchien gestattet, s0 verrät sich doch allenthalben in dem wohlgeordneten Plane der Darstellung, in dem dürren Stil, in den zahlreichen, stets mit der Kopula εἶναι gebildeten Definitionen die Schultradition, der es angehärt*. Neben der rein doxographischen Literatur® standen seit hellenistischer Zeit biographische Gattungen, die mehr oder weniger mit Darstellungen der philosophischen Lehren durchsetzt waren, besonders die sogenannten AwxSoyal*: hier wurde die Geschichte einzelner Schulen nach dem Prinzip einander sukzedierender Vorstánde schematisiert, und schon Sotion, dessen Philosophenstammbäume der Kompilation

des Diogenes Laërtios zugrunde liegen, hatte die Schulen auch auseinander abgeleitet und die gesamte griechische Philosophie aus zwei philosphischen Werke Ciceros müssen im wesentlichen unberücksichtigt bleiben: 80 gewiB ihnen nicht selten dürre Lehrbücher der hellenistischen Zeit zugrunde liegen (s. Usener, Epicurea, 1887, LXV ff.; Hirzel, Der Dialog 1, 1895, 505 ff.; v. Arnim, Praef. d. SVF I, 1905, XIX ff.; Philippson, RE 7 A, 1104 ff., bes. 1138 ff., Art. M. Tullius Cicero), so sehr hat die schriftetellerische Gabe ihres Verfassers Schlüsse auf den Stil dieser Vorlagen unmóglich gemacht. Anders steht es lediglich mit den Partitiones oratoriae und den Topica; hierüber s. u.S.101 f.

! In den Prolegg. der Doxographi Graeci, 41 ff.; vgl. ders., SB d. preuß. Ak. d. Wise., Phil.-hist. Kl., 1893, 1, 102. Die vorliegende Abhandlung zitiert

die ps.plutarch. Schrift nach Seiten und Zeilen der Dielsschen Ausgabe. * Vgl. ferner die Definitionen 292, 22; 307,19; 308, 15; 309,12; 310,9; 312, 9; 313, 2 usw. Der Aufbau des Werkee ist aus dem Conspectus bei Diels, &. O. 268f., ersichtlich.

* Zu dieser Gruppe philosophischer Schriftstellerei gehórt insbesondere noch

die in augusteischer Zeit von Areios Didymos zusammengestellte ’Extrouñ, von der umfangreiche Reste erhalten sind (Doxogr. 447—472; Stob. 2, 37, 16—162, 25); über ihren Aufbau s. Susemihl, a. O. 2, 254f.; vgl. ferner Howald, Hermes 55, 1920, 68 ff.

* B. hierzu Überweg-Prüchter, &. O. 18 ff.

140

Wurzeln hervorgehen lassen!. Den Stil dieser Schriften mag ein ähnliches, von Diogenes übermitteltes Stemma bezeugen, das Philosophiegeschichte und philosophische Dogmatik zu einem scholastischen System vereinigt hatte (1, pr, 18 ff.): u£on . . . φιλοσοφίας τρία, φυσικόν, ἠθικόν, SuOextixÓv: φυσικὸν μὲν τὸ περὶ κόσμου Xal τῶν Év αὐτῶ ̓ ἡθικὸν 8& τὸ περὶ βίου καὶ «v πρὸς ἡμᾶς" διαλεκτικὸν δὲ Tù ἀμφοτέρων τοὺς λόγους πρεσβεῦον. In dieses wie üblich Einteilung und Definitionen miteinander verbindende Schema wird sofort die Geschichte einbezogen : xal μέχρι μὲν ̓Δρχελάου τὸ φυσικὸν εἶδος Hv ἀπὸ δὲ Σωκράτους.... τὸ ἠθικόν ̓ ἀπὸ δὲ Ζήνωνος τοῦ ̓Ελεάτου «6 διαλεκτικόν. τοῦ δὲ ἠθικοῦ, fährt Diogenes fort, γεγόνασιν αἱρέσεις δέκα, ̓Ακαδημαϊκή, Kupnvaleh, ̓Ηλιαχή, Μεγαpuch uew.; ̓Ακαδημαϊκῆς μὲν οὖν τῆς ἀρχαίας προέστη Πλάτων, heißt es dann, τῆς μέσης ̓Αρκεσίλαος, τῆς νέας Λακύδης" Κυρηναϊκῆς ̓Δριστέππος & Κυρηναῖος, ̓Ἤλιακῇς Φαίδων à ̓Ηλεῖος usw. Deutet schon dieser Abschnitt der Einleitung mit seinen strengen Parallelismen auf die Tradition, der Diogenes verpflichtet ist, 80 finden sich auch innerhalb seines Werkes, zumal in den dogmatischen Teilen, die Formen und Methoden systematischer Lehrbücher. So muß sich z. B. im 3. Buch der platonische Dialog ein mehrstufiges Gefüge von Einteilungen gefallen lassen; es heißt hier zunüchst (88 48 ff.)!: ἔστι ... διάλογος ἐξ ἐρωτήσεως xal ἀποχρίσεως συγχείμενος περί τινος τῶν φιλοσοφουμένων eto.; ($ 49) τοῦ δὲ λόγου τοῦ Πλατωνικοῦ δύο εἰσὶν ἀνωτάτω χαραχτῆρες, & τε ὑφηγητικὸς καὶ à ζητητικός. διαιρεῖται 8 à

ὑφηγητικὸς εἰς δύο ἄλλους χαρακτῆρας, θεωρηματικόν TE καὶ πραχτικχόν, Diogenes zerlegt sodann sowohl den θεωρηματικός wie den πραχτιχὸς λόγος in Unterarten, wendet sich hierauf dem ζητητικός zu, bei dem er zunächst πρῶτοι, dann um eine weitere Stufe untergeordnete yapaxτῆρες unterscheidet. Er weist ein anderes System ab: ob AavSdve: 8 ἡμᾶς ὅτι τινὲς ἄλλως διαφέρειν τοὺς διαλόγους φασί etc.*, bestimmt sämt1 Über Sotion (1. Hülfte d. 2. Jh.s v. Chr.) s. Susemihl, a.O. 1, 496 ff.; vgl. Diels, &.O. 147. Weitere Schriftsteller dieser Art nennen Überweg-Pràchtet, &. O. 19. Die Διαδοχαί berichteten haupteüchlich über die äuBere Geachichte der Schulen. Sie werden jedoch von Anfang an auch die Dogmatik berücksichtigt und sich nicht merklich von der Περὶ αἱρέσεων betitelten Literatur unter-

schieden haben; anders Überweg-Prüchter, a.O. 13 ff. Ein Werk Περὶ αἰρέσεων verfaüte bereits Hippobotos im &usgehenden 3. Jh.; v. Arnim, RE 8, 1722f., Art. H., móchte die bei Diog. Laert. pr, 19 aufgezählten neun ethischen Sekten auf ihn zurückführen; weitere Autoren, die über philosophische Schulen echrieben, bei Überweg-Prüchter, a.O. 24; über die ̓Επιδρομὴ τῶν φιλοσόφων des Diokles v. Magnesia s. u. S. 152. ! Vgl. hierzu die Definition und Einteilung der Schriften Platons in der

Εἰσαγωγή des Albinos, Kap. 1—3, Plat. Dial. VI, 1884, S. 147f. (Hermann}; ferner das System in den Προλεγόμενα τῆς Πλάτωνος φιλοσοφίας, Kap 14. und 17, ebd. S. 208; 211f.

3 Die hier von Diogenes abgelehnte Einteilung der Dialoge in δραματικοί,

διηγηματικοί und μικτοὶ διάλογοι findet sich, freilich ohne das μικτὸν γένος, such bei Plut. Quaest. Conv. 7, 8, 1. 150

liche von ihm selbst genannten Arten der untersten Stufe durch Beispiele ($50): εἰσὶ 3& τοῦ μὲν φυσικοῦ οἷον 6 Τίμαιος" τοῦ δὲ λογικοῦ & τε Πολιτικὸς καὶ & Ἰ ρατύλος etc. und beschließt seine Ausführungen mit den Worten ($ 51): καὶ περὶ μὲν διαλόγου, 1l ποτέ ἐστι, καὶ τίνες αὐτοῦ διαφοραί, ἀπόχρη λέγειν . Vor allem enthält der größte Teil des siebten, der Stoa gewidmeten

Buches schematisierte Doxographie: hier befaßt sich ein erster Abschnitt mit der Einteilung der Philosophie und den Grundbegriffen der Logik; drei weitere, deutlich voneinander abgehobene Textstücke erörtern die wichtigsten logischen, ethischen und physikalischen Dogmen der älteren Stoiker*. Alle diese Partien behandeln zwar ihren Stoff durchaus nicht in streng geschlossener Ordnung, lósen sich vielmehr nach deutlich profiliertem Einsatz allmählich in eine Art philosophischer Gnomologie auf; sie enthalten jedoch überall die membra disiecta eines offenbar in langer Tradition der Kompilatoren zerstôrten systematischen Aufbaus. So läßt z.B. der zweite, dem λογικὸν μέρος gewidmete Teil des einleitenden Abschnittes noch deutlich das in Lehrbüchern beliebte dreiteilige Darstellungsschema erkennen. Er beginnt mit der für die folgenden Ausführungen maBgeblichen Dichotomie ($ 41): τὸ . . . λογικὸν μέρος φασὶν Évtot εἰς 800 διαιρεῖσθαι ἐπιστήμας, εἰς ῥητοριυκὴν xal εἰς διαλεκτικήν. Ihr folgen nach einer Parenthese, die über abweichende Meinungen berichtet, die Definitionen jener beiden

Disziplinen

($ 42): τὴν τε ῥητορικὴν ἐπιστήμην

οὖσαν 700 εὖ λέγειν περὶ τῶν Ev διεξόδῳ λόγων καὶ τὴν διαλεκτικὴν τοῦ ὀρθῶς διαλέγεσθαι περὶ 1Gv &v ἐρωτήσει καὶ ἀποκρίσει λόγων und endlich werden Rhetorik und Dialektik ein drittes Mal genannt: Diogenes versucht, sie durch Einteilungen und sonstige deskriptive Ausführungen näher zu charakterisieren *.

! Áhnlich ist die angeblich platonische Lehre von der ἐπαγωγή schematisiert (3, 53—55); s. ferner die anderwärts unter dem Namen des Aristoteles überlieferten, von Diogenes dem Platon zugeechriebenen διαιρέσεις (3, 80—109; hierzu Mutechmann, Praef. der Divisiones, 1906, V ff.; vgl. o. S. 147, Anm. 6). Auch aristotelische Philosophie stellt Diogenes in der Form von mehr oder weniger streng zusammenhüngenden Gliederungen dar (5, 28—34). Sein Bericht über die pyrrhonische Skepsis übernimmt den seit Ainesidemos traditionellen Katalog von Aporien (9, 70—88; vgl. Sext. Emp. Hypot. 1, 36—163; ferner 9, 88—89; vgl. Sext. ebd. 1, 164—177; e. v. Arnim, RE 2 A, 2058 ff., Art. Sextus

Nr. 4; Überweg-Prüchter, a.O. 582 ff.). Ein Abschnitt des 10. Buches enthält διαφοραί zwischen den Lehren Epikurs und der Kyrenäer (88 136—138; vgl. hiermit die Abgrenzungen der Skepsis von anderen Sekten bei Sext. Emp. Hypot. 1, 209 ff.).

! $$ 38—48; 48—83; 84—131; 132—160. Über die Quellen dieser Abschnitte s. Schwartz, RE 5, 738 ff., Art. D.; v. Arnim, Praef. d. SVF I, bes. XX X ff ; vgl. ferner die Versuche Howalds, aus Diogenes und anderen Quellen ältere Lehrbücher zurückzugewinnen (Philol. 74, 1917, 119 ff. ; Hermes 55, 1920, 68 ff.).

* Die $$ 44—48 lassen bis auf die Dichotomie im $ 46 keine Gliederung des Btoffes mehr erkennen; über die 5$ 48—82 s. d. folg. Abe. Die zu Beginn dea 151

3. Während nun die bisher erörterte doxographische Überlieferung stets anonyme, durch eine Reihe unbekannter Mittler tradierte Stoffmassen enthält, birgt ein besonders wertvoller Abschnitt aus dem Werk des Diogenes, die Darstellung der stoischen Logik (7, 48— 82), ein unverfälschtes Stück philosophischer Schriftstellerei der hellenistischen Zeit: wie Diogenes versichert, wird hier wortgetreu (ἐπὶ λέξεως) das ̓Επιδρομὴ τῶν φιλοσόφων betitelte Werk des Diokles von Magnesia (1. Jh. v. Chr.) zitiert!. Dieser Traktat zeigt nun einerseits ein hohes Niveau, und zwar sowohl durch zahlreiche Mitteilungen über die verschiedenen Ansichten der einzelnen Philosophen als auch durch eine nicht selten angewandte Technik entwickelnder, argumentierender Gedankenführung. Andererseits aber ist der Stoff schon hier meistens zu den aus der späteren Doxographie bekannten scholastischen Schemata erstarrt; Einteilungen, Definitionen und Distinktionen, stets im gleichen dürren Stile vorgetragen, lósen einander in bisweilen ermüdender Einfórmigkeit ab. So beginnt Diokles seine Erórterungen mit dem Begriff der φαντασία; er grenzt sie zunächst gegen das φάντασμα ab*, definiert sie* und zerlegt sie nach verschiedenen Gesichtspunkten in Arten*. Der Schriftsteller erórtert dann die Begriffe αἴσθησις und νόησις; die νοούμενα werden nach einem sechsgliedrigen Dispositionsschema abgehandelt ($$ 52—53). Rekapitulierende Worte schlieBen diesen Abschnitt ab5. $3. Die Auszüge aus der ̓ Επιδρομὴ «àv φιλοσόφων erórtern u. a. den τόπος περὶ φωνῆς, die Sprachlehre ($8 55—62). Diokles beruft sich zwar ethischen Traktates genannte Einteilung ($ 84: ὁρμή, ἀγαθὰ x«l xaxá, πάθη eto.) ist offenbar nicht für die Darstellung mafgeblich, obwohl die Erórterung der ὁρμὴ die erste Stelle einnimmt ($$ 85—86): Diogenes hat hier nur kürzere, syste-

matisch voneinander unabhängige Abschnitte nach dem Prinzip vorangestellter Gliederungen abgefaGt (s.z.B. $$ 95; 98; 100 usw.) Die Behandlung der stoischen Physik beginnt mit zwei durch die Worte εἰδυεῶς und γενυκῶς von-

einander unterschiedenen Einteilungen ($ 132); Diogenes gliedert zunüchst die τόποι der zweiten ($$ 132—133); die weitere Darstellung ist ohne einen ersichtlichen Geeamtplan ausgeführt; vgl. Reinhardt, Poseidonios, 1021, 52f.

1 S. hierzu Maass, Philol. Unters. 3, 1880, 8 ff. ; Schwartz, a. O. 744f.; v. Arnim

a. O. XXXI; XXXVIIf.; Überweg-Prüchter, a. O. 19; Barwick, a.O. 13. Diogenes mag allenfalls durch Kürzungen oder Umstellungen in den Textbestand seiner Vorlage eingegriffen oder gelegentlich Stücke aus anderen Schriften eingeschoben haben. 3 $ 60: διαφέρει 86 φαντασία καὶ φάντασμα etc. * Ebendort: φαντασία δέ ἐστι τύπωσις &v ψυχῇ etc.

4 851: τῶν Bb φαντασιῶν κατ ̓ αὐτούς (8C. Stoicos) al μέν εἰσιν αἰσθητικαί, al 8 οὔ. αἰσθητικαὶ u£v . . . οὐκ αἰσθητικαὶ δέ etc. Erı «v φαντασιῶν al μέν εἰσι λογικαί, al δὲ ἄλογοι etc.

$ 853 a. E.: τοιάδε τινὰ χαὶ περὶ φαντασίας καὶ αἰσθήσεως xal νοήσεως δογ-

ματίζουσι. Über die $$ 55—62 Β. den folg. Abs.; s. ferner die zahlreichen Einteilungen und Definitionen in den $$ 63f.; 66f.; 68ff. usw. (ein Ansatz ru parallelem Aufbau in den $$ 71 ff.; ein Katalog in den $$ 79 ff.).

152

in diesem Abschnitt gelegentlich auch auf Chrysipp und andere Stoiker; vor allem aber nennt er Diogenes von Babylon!. Hieraus wurde mit Recht gefolgert, daB er die Τέχνη περὶ φωνῆς des Baby-

loniers benutzt habe?, Ein Vergleich dieser Textstücke mit den entsprechenden Partien aus dem Werk des Dionysius Thrax gibt weitere Aufschlüsse : Dionysius Threx

Diogenes Babylonius

Τέχνη

Τέχνη περὶ φωνῆς

$6

Diog. Laert. 7, 56

γράμματά ἐστιν εἰκοσιτέσσαρα ἀπὸ τοῦ & μέχρι toÙ @ . . . τὰ δὲ αὐτὰ καὶ στοιχεῖα χαλεῖται διὰ τὸ ἔχειν στοῖχόν τινα xal τάξιν. τούτων φωνήεντα μέν ἐστιν ἑπτά"

τῆς δὲ λέξεως στοιχεῖά ἐστι τὰ εἰχοσιτέσσαρα γράμματα. τριχῶς δὲ λέγεται τὸ γράμμα, {τό τε στοιχεῖον) Ó τε χαpaxthp τοῦ στοιχείου καὶ τὸ ὄνομα, οἷον ἄλφα. φωνήεντα δέ ἐστι τῶν στοιχείων ἑπτά ̓ αεηιουνω. ἄφωνα δὲ ἔξ' βγδπκτ.

αεηιουω

...

ἄφωνα

B6

ἐστιν

ἐννέα"

βγδχπτθφχ. MEıg ἐστὶ μέρος οὐνταξιν λόγου. λόγος

B&

ἐστι

811 ἐλάχιστον

πεζῆς

τοῦ

λέξεως

χατὰ

σύνθεσις

διάνοιαν αὐτοτελῇ δηλοῦσα. τοῦ Bb λό-

You μέρη ἐστὶν ὀχτώ: ὄνομα, ῥῆμα, μετοχῆ, ἄρθρον, ἀντωνυμία, πρόθεσις,

ἐπίρρημα, σύνδεσμος. À γὰρ προσηγορία ὡς εἶδος τῷ ὀνόματι ὑποβέβληται.

λέξις 8€ ἐστι... φωνὴ ἐγγράμματος, οἷον ἡμέρα. λόγος 86 ἐστι φωνὴ σημαντικὴ ἀπὸ διανοίας ἐκπεμπομένη (olov ἡμέρα ἐστί». 7, 57 τοῦ δὲ λόγου ἐστὶ μέρη πέντε ... ὄνομα, προσηγορία, ῥῆμα, σύνδεσμος, ἄρθρον.

$ 12

7, 68

ὄνομά ἐστι μέρος λόγου πτωτικόν ...

ἔστι δὲ προσηγορία μὲν .. . μέρος λόγου σημαῖνον κοινὴν ποιότητα, οἷον ἄνθθρω-

χοιγῶς TE χαὶ ἰδίως λεγόμενον, χοινῶς

μὲν οἷον ἄνθρωπος, ἵππος, ἰδίως δὲ οἷον Σωχράτης. 813

ῥῆμά ἐστι

λέξις

ἄπτωτος, ἐπιδεκτικὴ

πος, ἵππος. ὄνομα 8€ ἐστι μέρος λόγου δηλοῦν ἰδίαν ποιότητα, οἷον Διογένης, Σωκράτης. ῥῆμα SE ἐστι μέρος λόγου σημαῖνον ἀσύνθετον κατηγόρημα, ὡς 6

χρόνων τε καὶ προσώπων καὶ ἀριθμῶν,

Διογένης.

ἐνέργειαν À πάθθος παριστᾶσα.

ἄρθρον δέ ἐστι στοιχεῖον λόγου πτωτιxóv, διορίζον τὰ γένη 1Gv ὀνομάτων καὶ τοὺς ἀριθμούς, οἷον 6 4 τό, ol al τά. σύνδεσμος δέ ἐστι μέρος λόγου ἄπτωτον συνδοῦν τὰ μέρη τοῦ λόγου.

$16

ἄρθρον ἐστὶ u£poc Aóyou πτωτικόν, Ttpo-

τασσόμενον Xal ὑποτασσόμενον TT« κλίσεως τῶν ὀνομάτων. ... παρέπεται δὲ αὐτῷ

τρία' γένη, ἀριθμοί, πτώσεις. γένη μὲν οὖν εἶσι τρία ̓ 6 ποιητῆς, À ποίησις, T5 ποίημα. ἀριθμοὶ τρεῖς ̓ ἑνικός, δυικός, πληθυντοιός ̓ ἑνικὸς μὲν 6 À τό, δυικὸς δὲ τώ, τά, πληθυντικὸς δὲ οἱ αἱ τά. 520

αὐνδεσμός ἐστι λέξις συνδέουσα διάνοιαν μετὰ τάξεως καὶ τὸ τῆς ἑρμηνείας xexnνὸς δηλοῦσα.

! In den $$ 55—58 insgesamt siebenmal. 3 S. v. Arnim, a.O. 1Π, Diog. Bab. Fg. 17 ff. 153

Die sachlichen Unterschiede, der erhebliche Fortschritt sprachwissenschaftlicher Erkenntnis bei Dionysius!, sind ebenso unverkenn-

bar wie die vällige Übereinstimmung von Methode und Stil. Die beiden Werke erläutern sich gegenseitig: Dionysius hat die unüberbietbare Kahlheit seiner Ausdrucksweise von Diogenes übernommen; bereite Diogenes hatte ein grammatisches Werk verfaBt, dessen Sprache vóllig zur logischen Struktur erstarrt war. Zu dem dort angewandten methodischen Instrumentarium gehórten, wie die zitierten Partien zeigen, sowohl Einteilungen als auch eine mit abstrakter Charakterisierung und mit Exempeln operierende Definitionstechnik. Weiterhin wird die Τέχνη περὶ φωνῆς die Konfrontation gleichrangiger Begriffe praktiziert haben. Denn Diokles lá8t seinen Angaben über den Lautbestand eine Reihe von drei Distinktionen folgen*; man darf vermuten, daB diese Unterscheidungen ebenso wie alles übrige schon im Werke des Diogenes Babylonius gestanden haben, mag sich auch in der Τέχνη des Dionysius nichts Entsprechendes finden*. $ 4. Der AbriB des Dionysius Thrax erweist sich somit 818 Seitentrieb

eines Typs philosophischer Lehrbücher, der im 3. vorchristlichen Jahrhundert von den Stoikern ausgebildet wurde*. Seither tradierten also nicht nur die Meister der Beredsamkeit, sondern auch Philosophen, Doxographen und den Resultaten der Philosophie verpflichtete Grammatiker elementaren Wissensstoff in systematisch aufgebauten Kompendien von Generation zu Generation. Da nun die

rhetorischen Lehrbücher der hellenistischen Zeit sämtlich verloren gegangen sind, läBt sich das Verhältnis der von den beiden Bildungs-

richtungen verbreiteten Werke nicht durch die Evidenz eines Vergleiches bestimmen. Man darf jedoch annehmen, daß sich die Τέχνη eines Hermagoras in ihrer Schreibweise von den Kompendien des 1 S. hierüber die o. S. 145, Anm. 3 zitierte Lit. Die sechs μέρη der Grammatik (8. o. S. 29) sind offenbar nach dem Muster der rhetorischen Theorie gebildet; Dionysius hat sie ebenso aus den Tätigkeiten des Grammatiklehrers abstrahiert, wie die Rhetoren mit dem Schema der officta den ArbeitsprozeB von der Stoffsammlung bis zum Vortrage fixiert hatten; über die rhetorischen Épya s. Kroll, RE Suppl. 7, 1054 und 1096, Art. Rhetorik; Barwick, Hermes 57, 1922, 39 Β. 3 $57: διαφέρει φωνὴ xal λέξις, ὅτι φωνὴ utv ... λέξις B6 ... λέξις δὲ λόγου διαφέρει, ὅτι λόγος . . . λέξις SE . . . διαφέρει Bb καὶ τὸ λέγειν τοῦ προφέρεσθαι etc. * v. Arnim führt auch die Lehre von den ἀρεταὶ λόγου (ξ 59) und die Bestimmungen einiger logischer Begriffe ($$ 60—62) auf Diogenes zurück (a.0. III, Diog. Bab. Fg. 24—25); vgl. ferner $ 71. * v. Arnim, 8.0. XL ff., vermutet, daß bereits Chrysipp ein derartiges Werk verfait habe; er hält die im Schriftenverzeichnis (SVF II, 8, 30) unter dem Titel ‘Yxoypaph τοῦ Aóyou τοῦ (ἠθικοῦ) πρὸς Θεόπορον @” genannte Abhandlung für ein Kompendium der stoischen Ethik, deasen Inhalt sich aus Diog. Laert. W zurückgewinnen lasse; zustim7, 85—116 und Ar. Did. bei Stob. 2, 57—93 10. 2, mend Pohlenz, &.O.

154

Anaximenes, des auctor ad Herennium oder des jungen Cicero nicht erheblich unterschied; es ist demnach móglich, die wichtigsten Charakteristika der beiden Lehrbuchtypen umrißhaft miteinander zu konfrontieren.

Sowohl die Rhetoren als auch die Schriftsteller philosophischer Provenienz bedienten sich nunmehr derselben, vornehmlich mit Einteilungen, Definitionen und Distinktionen operierenden Methode. Die eisagogische Literatur der Philosophen hat sich also seit aristotelischer Zeit der Darstellungsweise und der pädagogischen Haltung der Redelehrer beträchtlich genähert: hier wie dort übermittelte man jetzt nach bestimmten, stereotyp wiederholten Regeln einen Wissenastoff, der durch Terminologie und Schemata gleichsam auf unumstôBliche Formeln gebracht war; man sieht überall eine scholastische Gesinnung am Werke, die das in schôpferischer Zeit Geleistete durch die formalistische Anwendung einer elementaren Begriffslogik für den Transport in kommende Jahrhunderte vorbereitet. Andererseits aber unterscheiden sich die beiden Lehrbuchtypen auf das bestimmteste durch ihren Stil. Die Rhetoren werden ihre Werke wie zuvor in aristotelischer und spáter in rômischer Zeit in einer flüssigen Schreibweise abgefaBt haben, die sie als Abbild des mündlichen Unterrichts erscheinen ließ, der Vorlesungsstunde mit ihren Rekapitulationen, Überleitungen und Verweisen; sie werden auch damals die wortreiche Wendigkeit einer Pädagogik zur Geltung gebracht haben, die denselben Gedanken in mannigfache Formulierungen zu kleiden wubte. Die stoischen Kom-

pendien dagegen spiegelten durch die geometrischen Figuren gleichende Kahlheit ihres Stils getreulich die herbe KompromiBlosigkeit altstoischer Gesinnung; ihre karge Würde mied jedes von der Sache nicht erforderte Wort und verschmähte alle jene Mittel, die dem Leser entgegenzukommen und ihm das Verständnis zu erleichtern geeignet waren. Wegen dieser Eigentümlichkeiten wird man die Form der stoi-

schen Kompendien nicht als Derivat der rhetorischen Lehrbücher, sondern als Ergebnis einer immanenten Entwicklung der Philosophie

ansehe!, n

$ 5. Nicht anders als die stoischen Kompendien und die Τέχνη des Dionysius entstammt auch der als Εἰσαγωγὴ ἁρμονική betitelte musiktheoretische Traktat der Produktion jener Schriftsteller, die in hellenistischer Zeit die Ergebnisse der Forschung zu Schulbüchern um-

prägten: ihm liegen offenbar die musikwissenschaftlichen Arbeiten

! Ungeachtet der Tatsache, daB sich die Unterrichteplüne der beiden Bildungerichtungen seit hellenistischer Zeit mehr und mehr aneinander anglichen; über diesen in den beiden ültesten rômischen Rhetoriken zum ersten Male deutlich erkennbaren rhetorisch-philosophischen Synkretismus s. u. S. 160 ff. 155

des Aristoxenos zugrunde!, Von den Werken dieses Aristotelesschülers sind vornehmlich große Teile der “Αρμονικὰ στοιχεῖα erhalten*:

dort weist trotz mancher Überarbeitung durch spätere Hände jede Zeile auf das methodische und stilistische Vorbild des Meisters: eine fast umständlich geführte Untersuchung entwickelt Schritt für Schritt die Theorie; alle nur denkbaren KEinwürfe werden berücksichtigt, die Ansichten der Vorgänger in lebhafter Polemik zurückgewiesen. Ein Stück lebendiger Wissenschaft, wurde das Werk wohl kaum als für den Schulunterricht geeignet befunden; so adaptierte

ein Musikmeister den dort und anderwärts gebotenen Stoff der üblichen Pädagogik, reduzierte ihn auf den óden Mechanismus der Schemata und fügte die Kataloge hinzu.

13. Kapitel

Rômische Lehrbücher und ihre hellenistischen Vorbilder Die erhaltenen rómischen Lehrbücher spiegeln meist hellenistische Wissenschaft: die fast gleichzeitig publizierten Kompendien des auctor ad Herennium und des jungen Cicero bezeugen an Stelle ihrer verlore-

nen griechischen Vorbilder nach einer Überlieferungslücke von zweieinhalb Jahrhunderten den Stand, den die rhetorische Doktrin seit Anaximenes erreicht hatte; Varros eigenwilliges Werk über die Landwirtschaft vermittelt neben reicher rómischer und karthagischer Erfahrung das in einer nahezu vóllig verschollenen hellenistischen Literatur aufgespeicherte Wissen; Vitruvs kostbares Lehrbuch über die

Architektur, der einzige übriggebliebene Repräsentant des Faches, beruht wieder vôllig auf griechischer Tradition und ebenso das ausführliche Werk des Celsus, der erste Beleg für die Entwicklung der griechischen Medizin seit Abfassung der jüngsten Teile im hippo-

kratischen Corpus. Lediglich die Feldmesser und Juristen bieten Stoffe, die im wesentlichen auf rómischer, in langer eigenstándiger Entwicklung bereicherter und differenzierter Fachkunde beruhen.

Dieser bedeutsame aus der Herkunft der Inhalte resultierende Unterschied weist der Betrachtung rómischer Lehrbücher den Weg. Denn wenn die Analyse die vôllige Gleichartigkeit aller Kompendien in Methode und Darstellungsform erwiesen hat, s0 steht für die rómisches ! 8.0, 8. 34, Anm. 1. v. Jan führt in seiner Ausgabe der Εἰσαγωγή die entaprechenden Partien der aristoxenischen Στοιχεῖα an. 1 Z. Folg. s. das grundlegende Werk von Laloy, Aristoxéne de Tarente, 1904, bes. 168 ff.; vgl. ferner die Komm. zu den Ausg. von Marquard, 1868 und Macran,

1902; schlieBlich v. Jan, RE 2, 1058 ff., Art. Aristoxenos Nr. 7; Zeller, a.0. 2, 2*, 881 ff.

156

Fachwissen wiedergebenden Werke von vornherein fest, daß ihre Verfasser die gesamte Methodik aus ihren bisherigen stofflichen Zusammenhängen gelöst, auf neue Gegebenheiten angewandt und 80 eine beachtliche, im Falle der Jurisprudenz sogar eine die Entwicklung von Jahrtausenden bestimmende wissenschaftliche Leistung vollbracht haben; hier kann es sich also lediglich um die Frage handeln, welche römischen Vorläufer ein Gaius oder Frontin etwa gehabt haben mögen, und außerdem, ob neben der systematischen Darstellungsform 818 solcher

gewisse den Aufbau der Werke bestimmende Schemata auch ihrem

Inhalte nach griechischer Überlieferung entlehnt sein kónnten. Andererseits bedarf es bei den rhetorischen Kompendien keiner Diskussion, daß

wie die Inhalte so auch das System und der methodologische Apparat aus griechischen Mustern stammen ; hier geht es also lediglich um die formale Entwicklung dieser Grunddisziplin seit Anaximenes und um Schlüsse, die sich daraus für die gesamte fachwissenschaftliche Schriftstellerei ziehen lassen. Zwischen diesen Extremen der Abhängigkeit und Selbstándigkeit stehen Schriftsteller wie Varro, Vitruv und Celsus;

bei ihnen fragt sich, ob man sie mit Gaius vergleichen darf, ob sie also eine von der Rhetorik oder Philosophie übernommene Methodik für neue, bisher lediglich in monographischer oder problematisch-kasuisti-

scher Literatur behandelte Disziplinen fruchtbar gemacht, oder ob sie

wie der auctor ad Herennium und Cicero die durch ihre Werke ver-

kórperten wohlabgerundeten Systeme bereits in ihren hellenistischen Mustern vorgefunden haben. $1. 1. Am Anfang der überlieferten rómischen Fachliteratur begegnet die Untersuchung allerdings zunächst Catos eigenartiger Schrift

über die Landwirtschaft, einem Werk, für das keines der genannten

Probleme zu gelten scheint. In diesem altertümlichen Denkmal lateinischer Prosa wird die Suche nach den methodischen Charakteristika systematischer Lehrbücher enttäuscht: auf eine kurze Einleitung

folgt sofort die Kasuistik der Einzelvorschriften; der Verfasser verrát nicht das mindeste über die Gliederung des Stoffes, bringt weder zu

Beginn noch später irgendeinen Hinweis auf die Disposition sei es des ganzen Gegenstandes, sei es eines beliebigen Teiles!. Er kann auch gar

nicht durch derartige Angaben im voraus über den Plan der Dar! Ein einziges Mal gibt Cato zu erkennen, daß er sich einer Abweichung von

einem angefangenen Thema bewuDt geworden ist: redeo ad sementim (c. 34). Die Praefatio enthält den einzigen Rückverweis: uf supra dixi. Ebendort heiBt e auch: w ad rem redeam und quod promisi institutum principium hoc erit;

der Sinn ist unklar. Auf gewisse Bündel zusammengehôriger Vorschriften wird manchmal vorher hingewieeen: haec erunt vilici officia (c. 5); vgl. ο. 6; 20; 22;

40 u.d. C. 41f. finden sich Anzeichen gliedernden Denkens: vitis insitio una

est per ver, altera est cum uva floret etc. C. 51f. nennen ihr Therna zu Beginn und

fasaen &s am SchluB zusammen. 157

stellung verfügen; denn offenbar liegt der bunten Vielfalt von kurzen, an den Stil der XII-Tafeln! erinnernden Anweisungen überhaupt kein Plan zugrunde. Allerdings scheinen die Vorschriften bisweilen nach bestimmten Stichwórtern geordnet zu sein*; auch wurde glaubhaft vermutet, daß die Überlieferung zu ihrem Teil an dem sich jetzt darbietenden Chaos mitgewirkt hat?. Dergleichen Feststellungen berüh-

ren jedoch kaum den Grundcharakter eines Werkes, das von jeher nur Kasuistik gebracht, jeweils nur einen Gegenstand aus nüchster Náhe und in vólliger Vereinzelung behandelt haben kann. So nimmt es auch nicht wunder, daß dem Werke des Cato sowohl die methodische Terminologie* wie die Methoden selbst vóllig fremd sind, durch deren Anwendung andere Lehrbuchverfasser Begriffe und Begriffsbeziehungen verdeutlichen und die Einzelheiten unter hóheren Gesichtspunkten zu einem Ganzen fügen. Es ist auch schwer vorstellbar, wie die literarische Darstellung hátte enthalten sollen, was am Objekte selbst noch nicht entdeckt war; der Verfasser hat sich das rómische Landgut offenbar nie als ein aus Teilen bestehendes Ganzes, als eine aus Wirtschaftszweigen bestehende Wirtschaftseinheit bewuBt gemacht. Die Form seiner Schrift ist somit dem Gegenstand, der durch griechischen EinfluB überaus differenzierten Landwirtschaft jener Zeit, schroff entgegengesetzt; erratisches Urgestein inmitten einer entwickelten Zivi-

lisation, steht sie ihrer geistigen Haltung nach etwa auf derselben Stufe wie die um drei Jahrhunderte zurückliegende XII-TafelGesetzgebung und verkórpert wie jene eine Welt, die zwei Generationen spáter vôllig untergegangen zu sein scheint5, von der jedenfalls die Rhetorik ad Herennium, das zweitälteste überlieferte Lehrbuch in lateinischer Sprache, nicht das Geringste mehr enthält. 1 Mit ihnen hat die catonische Schrift die kurzen, verbindungslos nebeneinanderstehenden Sátze gemeinsam; Haupteatzkonjunktionen sind selten; Substantive werden wiederholt, wo ein Pronomen genügt hätte.

! S. z. B. die Instrumentarienkateloge c. 10—13; die Vorechriften über den

Bau von Hüusern, Keltern, Olpreesen c. 14—22 (während der Kalkofen erst c. 38 erórtert wird); über das Pfropfen und Pflanzen von Bäumen c. 40—52; vgl. ferner c. 56—060; 74—88; 91—101 und 103 (und nochmals 128—130); 105—127 (außer 124); 136/7 und 144—150; 156—160. Daß das erste Drittel des Werkes sorgfültiger geordnet sei als die übrigen Teile (80 Schanz-Hoeius, Gesch. d. róm. Lit. 1*, 1927, 183f.; Helm, RE 22, 148 ff., Art. Cato Censorius; dort die ältere Lit.), ist nicht ersichtlich.

M. Porcius

8 Hierauf weisen die Wiederholungen (vgl. z.B. c. 91 und 129; 50 und 131;

b1f. und 133) und die Einzelvorschriften, die in jene nach Stichwortern geordneten Abechnitte versprengt sind; s.d. bei Schanz-Hosius, &.O. 184f. genannte Lit.

* Cato verwendet den Begriff genus bisweilen für Pflanzenarten; s. c. 6 (hoc genus oleae); 7 (alia genera) usw., doch immer nur beiláufig: der Stoff wird nicht nach genera gegliedert. * Über die verlorene landwirtechaftliche Schrift der Sasernae, die vielleicht ähnlichen Charakter hatte wie Catos Werk, s. Schanz-Hosius, a. O. 241f. 158

2. Mag somit das Werk über die Landwirtschaft den schärfsten Gegensatz zu den Lehrbüchern eines auctor ad Herennium oder eines Cicero bilden: in einem Punkte repräsentiert Cato bereits einen apäter ôfters begegnenden Typus rómischer Fachschriftsteller. Er behandelte

in seinen Unterweisungen ad filium nicht nur Medizin, Rhetorik und Landwirtschaft, sondern vielleicht auch Kriegswesen und Jurisprudenz; man bezeichnet ihn daher nicht zu Unrecht als den ältesten Enzyklopádisten!. Sein Werk wird zwar wenig oder nichts enthalten haben, was den Späteren für Form und Methode ihrer gleichartigen Unternehmungen zum Vorbild dienen konnte. Gleichwohl darf die literarhistorische Bedeutung dieser Bücher nicht gering veranschlagt werden: sie bezeugen zum ersten Male die den griechischen Spezialisten

unbekannte Erscheinung, daB ein Laie die verschiedensten Wissensgebiete darstellt und eine Reihe von Kompendien zu einem groBen Corpus vereinigt. Von hier führt die Entwicklung vor allem zu Varro und Celsus; aber bereits der auctor ad Herennium hat ein vielseitiges fachwissenschaftliches Programm wenn nicht verwirklicht, 80 doch immerhin angekündigt?. $2. 1. Die Libri ad Herennium und Ciceros Schrift De inventione

bezeugen zunüchst und hauptsüchlich, daß sich die Rhetorik in hellenistischer Zeit nach immanenten Gesetzen, ziemlich unbeeinflubt durch fremde Faktoren, entwickelt hat*. Gesichtspunkte wie die fünf officia des Redners und die Statuslehre, bereits im Werk des Anaximenes keimhaft angelegt*, sind nunmehr ein konstituierendes Element des rhetorischen Systems. Die Methodologie wird zwar in den rómischen

Werken viel intensiver und rigoroser angewandt als in der Τέχνη des 4. Jh.s; grundsätzlich aber hat sie seit den Tagen der Sophisten weder Zuwachs noch EinbuBe erlitten. Systematische Darstellung, Einteilungen, Gattungen, Arten, Distinktionen, bestimmte Schemata der Stoffanordnung und schlieBlich die überleitenden Bemerkungen: an diesem Inventar methodologischer Hilfsmittel hat die lange Periode, die die überlieferten Werke trennt, nichts geändert. Auch der Stil scheint ganz und gar die Traditionen des rhetorischen Unterrichts fortzusetzen; nach wie vor werden die Begriffe und Lehrsátze weder ! Die Lit. über die Enzyklopädisten wird u. S. 162, Anm. 3 genannt; die Lit. über Catos Libri ad filium findet sich bei Schanz-Hoeius, &. O. 182. ! Er stellt Schriften über Militärwesen und Staateverwaltung (3, 3) sowie über

Grammatik (4, 17) in Aussicht; er verspricht ferner, die Mnemotechnik in einer Monogrephie zu behandeln (3, 28) und zeigt sich geneigt, gegen die pueriles opiniones der Dialektiker anzugehen (2, 16). Seine Neigung zur Philosophie

(1, 1) bezeugt den Ausgleich zwischen philosophischer und rhetorischer Bildung; vgl. u. 8. 160ff.

* Bo richtig Kroll, RE Suppl. 7, 1090; 1096 ff., Art. Rhetorik. * 8. o. 8. 16f.

159

entwickelt noch abgeleitet, sondern autoritativ als fertige Gegeben-

heiten präsentiert; sie werden jedoch, ebenfalls in Übereinstimmung mit früherer Gepflogenheit, wortreich erklärt, paraphrasiert und durch

Exempel erläutert. Die abstrakte Dürre, die extreme Knappheit der stoischen Kompendien hat also, wie begreiflich, auf die Schriftstellerei

der Rhetoren nicht eingewirkt.

2. Gleichwohl ist die Ansicht begründet, daB sich in den beiden rômischen Kompendien deutliche Anzeichen eines philosophischrhetorischen Synkretismus erkennen lassen!. Zwar finden sich immer nur Einzelheiten, mannigfache Gedanken peripatetischen oder stoischen Ursprungs rezipiert; doch genügt die Zahl dieser Motive ebenso wie ihre abgegriffene, vulgarisierte Fassung als Beweis für die Tatsache, daß eine Allgemeinbildung entstanden ist, die Elemente verschiedenster Provenienz in sich zu vereinigen strebt. Von derartigem tralatizisch gewordenen Gedankengut sind für die vorliegende Untersuchung vor allem die Stellen wichtig, die sich mit elementarer Logik befassen; 816 enthalten ein gut Teil der formalen Regeln, nach denen die Verfasser rhetorischer oder philosophischer Lehrbücher seit jeher ver-

fuhren. So finden sich im Werk des auctor ad Herennium zweimal kurze Charakteristiken der Definition?; Cicero erórtert nicht nur fehlerhafte Wesensbestimmungen, sondern geht auch auf das Ver-

fahren der Einteilung und auf den Unterschied der Begriffe genus und pars ein und polemisiert schlieBlich mit diesem logischen Rüstzeug gegen die Systematik des Hermagoras?. Weiterhin behandelt er die

Rhetorik zu Beginn seines Werkes nach den fünf Gesichtspunkten genus, officium, finis, materia und partes*: dergleichen wissenschaftstheoretische Ausführungen mägen zwar letztlich auf Aristoteles zurückgehen; die Stilisierung jedoch, die zum Auswendiglernen bestimmte Zusammenfassung in einem dürren Schema wird der hellenistischen Unterrichtspraxis entstammenS5. Nun enthält freilich auch 1 Z. folg. s. Kroll, Rhetorik, 1100f.; ders., RE 7 A, 1094f., Art. M. Tullius Cicero; dort die weitere Lit. Das Prooemium von De inventione darf m diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben: es knüpft zwar an die synkretistischen Tendenzen des Unterrichts- und Bildungsbetriebes der Zeit an, enthält jedoch darüber hinaus mit seinem Entwurf einer Einheit von Philosophie, Rhetorik und Politik Ciceros persônliches, dem eigenen Wesen enteprungenee Lebensprogramm; s. hierüber Gelzer, RE 7 A, 832, Art. M. Tullius Cicero; Nieder-

berger, Die Staatetheorie Ciceros im Spiegel seiner Reden, Wiss. Beigabe z. 104. Jb. d. Stiftaschule Einsiedeln, 1942, 17f. und bes. Büchner, Gymn. 62, 1955, 299 ff. 3 S. o. S. 52.

! S. o. S. 63f.

* S. o. S. 68.

* Dergleichen Introduktorien finden sich in der gesamten technogrephischen Literatur; sie erórtern Grundbegriffe, die außerhalb des jeweils dargestellten Lehrsystems stehen ; s. hierüber Dahlmann, Varros Schrift de poematis und die

hellenistisch-rómische Poetik, Ak. d. Wiss. u. Lit. Mainz, Geistes- u. sozialwise. 160

die Τέχνη des Dionysius Thrax allerlei Logisches!, jedoch nicht, weil sich hier ursprünglich Geschiedenes vermischt hat, sondern weil man die Gesetze der Sprache und des Denkens noch nicht konsequent voneinander trennte. In den beiden rómischen Rhetoriken dagegen läBt sich wirklich eine neue Schicht philosophischer Lehren, darunter auch logischer Regeln, feststellen; sie verursacht in den Büchern De inventione sogar eine gewisse terminologische Verwirrung, da der Verfasser die Begriffe genus und pars bald in der nachlässigen Weise der Rhetoren als Synonyma verwendet, bald mit philosophischer Strenge voneinander unterscheidet *. Das Gegenstück zu dieser mit Philosophie verbrämten Rhetorik ist durch die Vermittlung von Ciceros Partitiones oratoriae und noch deutlicher durch seine Topik erhalten: beide Schriften gehen, wie man einleuchtend nachgewiesen hat, auf die rhetorischen Bemühungen der Akademiker Philon und Antiochos zurück und bezeugen ebenfalls

nicht nur den Ausgleich innerhalb der philosophischen Systeme, sondern zugleich die Annüherung von Philosophie und Rhetorik*. Die zahlreichen διαιρέσεις, die der einen Schrift den Titel gegeben Kl., 1953, 3, 105 ff., wonach auch das in den Poetiken übliche Schema ars-artifex als eine derartige Protheorie angesehen werden muß. S. ferner die einleitenden

Kapitel von Vitruva Werk De architectura (hierüber o. S. 79 und u. S. 172, Anm. 3) sowie die zu Beginn der gajanischen Institutionen behandelten Prinzipien (hierüber o. S. 106); vgl. schlieBlich Galen. XIV, 684 ff. K; Corp. Agrimens. Rom. I, 1, 20 ff. Th.; Dig. I, 1, 1. Vor allem die Grammatiker und Rhe-

toren ergingen sich in allerlei wortreichen Einführungen; s. z.B. die Scholien zu

Dionysius

(106 ff.,

Thrax,

etwa

die

Prolegg.

Voss.

(1ff. H);

die

Schol. Vat.

bes. 113, 11 ff.: loréov 8& ὅτι περὶ πᾶσαν τέχνην ὀκτώ τινα θεωρεῖται"

εἰσὶ δὲ ταῦτα αἴτιον, ἀρχή, Évvoux, ὕλη, μέρη, ἔργα, 6pyava, τέλος etc.); die Prolegg. artis rhet. in der von Rabe veranstalteten Sylloge (Rhet. Graeci XIV, 1931), etwa 18, 10 ff.: πέμπτον (8c. χεφάλαιον; die vorangehenden Kap. befassen sich

mit der Herkunft und Entstehung der Rhetorik) τίς ὄρος ἐστὶ τῆς ῥητορικῆς, xal τί τὸ τέλος τῆς ῥητορικῆς, Xal τί 0 Épyov τῆς ῥητορικῆς ̓ Éxtov πόσα εἴδη τῆς

ῥητορικῆς etc., vgl. 28,17ff.; s. ferner 64, 10ff.; 73,11ff. usw.; weitere Beispiele nennen Bórner, De Quintiliani inst. or. dispositione, Diss. Leipz. 1911, 66 ff.; Dahlmann a.0.

1 8. ο. Β. 31.

* S.o. S. 63f.

* Über die Partitiones oratoriae 8. Sternkopf, De C. pert. or., Diss. Münster 1014; Kroll, M. Tullius Cicero, 1102f.; dort weitere Lit.; über das Verhältnis

der Schrift zu Antiochos s. Kroll, Rh. Mus. 58, 1903, 582 ff. Über die Topik 8. Wallies, De fontibus top. C., Diss. Halle 1878; Kroll, Rh. Mus. 58, 1903,

589 . Über Antiochos allg. s. Zeller, D. Philos. d. Griech. 3, 1*, 1909, 618 ff.; Strache, Der Eklektizismus des Antiochus von Askalon, Philol Unters. 26, 1921; über den rhetor. Unterricht in der Akademie s. bes. Kroll, Rhetorik, 1086 ff. Die Partitiones beweisen, daß die hauptsächlich aus der späten Antike überlieferten Kompendien in Frage- und Antwortform (s.die von Norden,

Hermes 40, 1905, 509 ff. genannten Beispiele) schon damals verbreitet waren, also wie vieles andere auf den hellenistischen Schulbetrieb zurückgehen. Im

übrigen gehóren beide Schriften der Gattung streng systematischer Lehrbücher &n; der dürre, knappe Stil weist auf die philosophische Tradition. 11

7624

Fuhrmann, Lehrbuch

101

haben, sind allerdings kein Charakteristikum, für das ein bestimmter Name genannt werden kónnte, da sich im 2. und 1. vorchristlichen Jahrhundert Philosophen aller Richtungen einer einteilungsfreudigen Scholastik befleiBigten!. Die logischen Partien der Topik dagegen sind ein spezifisches Derivat der Stoa, Akademie und Peripatos harmonisierenden Tätigkeit des Antiochos?. Diese Erscheinungen haben nicht nur für das Verständnis rhetorischer Lehrbücher Bedeutung. Sie machen vor allem die Leistung jener

rômischen Schriftsteller begreiflich, die für ihre sprôden Disziplinen keine ausgearbeiteten Systeme vorfanden, vielmehr eine komplizierte Kasuistik ab ovo nach den Methoden griechisch-hellenistischer Wissenschaft formen mubten. Vor dieser Aufgabe standen, wie bereits angedeutet, in jedem Falle die Juristen und Agrimensoren; wenn nun deren Kompendien den gesamten methodischen Apparat der griechischen oder von griechischen Vorbildern abhängigen Lehrbücher enthalten, so braucht man sie sich weder als sklavisch folgsame Kopisten der rhetorischen Errungenschaften vorzustellen, die ohne Einsicht in die zugrunde liegenden logischen Gesetze methodische Operationen übernommen hátten, noch zu vermuten, daß sie sich, um den Sinn

ihres Vorgehens zu begreifen, in ein Studium des aristotelischen Organon oder der altstoischen Logik hätten vertiefen müssen. Die Elemente des formalen Denkens gehórten vielmehr seit späthellenistischer Zeit zur überall verbreiteten grammatisch-rhetorischen Allgemeinbildung; die rhetorischen Lehrbücher insbesondere zeigten die systematische Methode nicht nur in ihrer Anwendung auf die Redekunst, sondern vermittelten zugleich die wichtigsten Prinzipien der begriffslogischen Theorie. 83. Neben der Rhetorik bestimmte vor allem das Ideal der ἐγχύχλιος

παιδεία die weitere Geschichte des systematischen Lehrbuchs in der lateinischen Literatur*. Wie bereits angedeutet, konkretisierte sich 1 Vgl. Sternkopf, &.O. 44 ff.; 83ff. Philon erdachte z.B. die durch Stob. 2, 39,19ff. W überlieferte διαίρεσις ἠθικοῦ τόπου ; 8. hierzu Zeller, &. O. 611f. Antiochos

übernahm zwer mannigfache Einteilungen ÂAlterer, zurnal der Stoiker (s. Strache, &. O. 19 ff.; 27 ff.); daß er sich jedoch auf diesem Gebiete durch eigene Leistungen ausgezeichnet habe, ist nicht ersichtlich. Auch seine für Varro bedeuteame

Einteilung philosophischer Lehrmeinungen (s.u. S. 167) geht bereits auf Karneades zurück; s. Cic. Defin. 5, 16: Carneadea nobis adhibenda divisio est eto. 3 Cicero behandelt in der Topik u. &. ausführlich die Termini der Begriffslogik (definitio $ 9; genus $ 13; forma — species $ 14; differentia $ 16; nochmals die definitio $8 26 ff. ugw.). 3 Über das Bildungsziel der ἐγκύκλιος παιδεία und über die Geschichte dieses Begriffs seit hellenistischer Zeit s. Marrou, Saint Augustin et la fin de la culture

entique, 1938, 211 ff.; dort 219* die ültere Lit. Über die rómischen Enzyklopädisten s. Jahn, Ber. ü. d. Verh. d. Kgl. Süchs. Ges. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., 1850, 2, 263—287; Ilberg, N. Jb. 19, 1907, 377 ff.; wichtig sind die Feetetellungen Dahlmanns, RE Suppl. 6, 1256 ff., Art. M. Terentius Varro.

162

dieses Ideal erst bei den Römern in Sammelwerken, die, von ein und demselben Schriftsteller verfaßt, dem gebildeten Publikum über einen variierenden Kreis von Disziplinen einen allgemeinverständ-

lichen Überblick darboten. Catos von griechischem Wesen kaum berührte Praecepta ad filium werden den in der 2. Hälfte des 2. Jh.s rasch steigenden geistigen Bedürfnissen der Rómer bald nicht mehr genügt haben; es scheint daher verwunderlich, daB erst Varro wieder ein derartiges Unternehmen ausführte. Die Disciplinarum libri, die in je einem Buche die Grammatik, Dialektik, Rhetorik, die Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, schlieBlich die Medizin und Architektur behandelten !, hatten sicherlich unter allen seinen Werken den gróBten Erfolg; sie waren fortan das Fundament der lateinischen Bildung und wirkten indirekt als Vorstufe der Theologie auf den gesamten Schulbetrieb des Mittelalters ein. Das Werk ist verloren, seine Rekonstruktion so gut wie unmôglich, doch kónnen Form und Methode durch Indizien erschlossen werden: die Freude des Verfassers an Systemen und Einteilungen bekundet sich nicht nur durch die Bücher über die Landwirtschaft, sondern auch durch die erhaltenen Teile des Werkes De lingua Latina sowie durch Zeugnisse Spáterer. 1. Daß die Res rusticae wirklich ein ungewohntes Maß scholastischer Schematisierung enthalten, zeigt schon der Vergleich mit den

übrigen im ersten Teile analysierten Lehrbüchern. Ein Blick auf andere

Werke über die Landwirtschaft führt zu demselben Ergebnis. Von der griechischen Literatur ist allerdings nur eine Geoponika betitelte Exzerptensammlung in zwanzig Büchern erhalten?; sie wurde, wie sich aus dem vorausgeschickten Widmungsschreiben an den Kaiser

Konstantinos Porphyrogennetos ergibt, im 10. Jh. veróffentlicht. Sie stellt kaum mehr dar 818 eine Neuauflage einer im 6. Jh. von Cassianus

Bassus veranstalteten Kompilation, die ihrerseits auf den Florilegien des Vindanios Anatolios (4. Jh.) und eines Didymos (ebenfalls 4. Jh.)

beruht. Die in den Geoponika vereinigten Überreste dürfen also mit ! S. Ritschl, Opusc. philol. 3, 1877, 352 ff. * Die grundlegende griechische Lehrschrift über die Landwirtechaft war die

im Jahre 88 v. Chr. verôffentlichte Übersetzung und Umarbeitung, die Cassius Dionysius von dem Werke des Karthagers Mago angefertigt hatte; die geringen Reste bei Reitzenstein, De scriptorum rei rusticae ... libris deperditis, Diss. Berlin 1884, 57f.; Β. ferner die von Wellmann, RE 3, 1722, Art. Cassius Nr. 42, genannte Lit. Varro wird das Werk in dem Auszuge des Diophanes benutzt

haben; s. Dahlmann, &.O. 1200f.; im übrigen darf die hier zur Erôrterung stehende Frage nach den Formen des systematischen Lehrbuchee dergleichen

spezielle

Quellenprobleme auf sich beruhen lassen. Über die landwirtechaft-

liche Schriftstellerei der Griechen zwischen 88 v. Chr. und 180 n. Chr. ist nichte

bekannt; die in der Sammlung des Anatolios exzerpierten Werke und ihre Verfasser behandelt Oder, Rh. Mus. 45, 1890, 70 ff.; über die Geoponika ebendort, 58 ff. und Rh. Mus. 48, 1893, 1ff. 11*

163

derselben angemessenen Zurückhaltung zu Schlüssen auf die exzerpierten Werke benutzt werden wie die durch gleichartige spätantike Unternehmungen erhaltenen Auszüge. Die Sammlung selbst ist in Bücher und Kapitel abgeteilt; jedem Buch geht sowohl eine Inhalts-

angabe wie ein Verzeichnis der Kapitelüberschriften voraus. Wie der Vergleich mit Columella lehrt !, steht nichts im Wege, auch diese Orga-

nisation des Stoffes auf eine Gepflogenheit der exzerpierten Originalwerke zurückzuführen*. Das Werk ist im ganzen recht verstündig &ufgebaut?: das erste Buch erürtert als Vorbedingung landwirtschaftlicher Tätigkeit die Kalender- und Wetterkunde, das zweite den Ackerbau; das dritte bringt die Aufgaben des Landwirtes nach Monaten geordnet; die Bücher 4— 8 stellen den Weinbau dar usw. Im Gegensatz zum Verfahren Varros werden jedoch die Materien gemäß ihrer Bedeutung und inneren Zusammengehórigkeit ohne jeden systematischen Aufwand schlicht nacheinander abgehandelt; der Herausgeber zeigt weder im groBen noch bei einzelnen Gebieten Neigung, den Stoff nach Gattungen und Arten aufzugliedern. Die exzerpierten, oft ziemlich umfangreichen Bruchstücke enthalten ebensowenig das methodologische Instrumentarium systematischer Lehrbücher*; sie erwecken den Eindruck, daß die landwirtschaftliche

Literatur der Griechen von der Darstellungsform rhetorischer oder

1 Columella erklärt am Schluß des 11. Buches ($ 6ὅ): omnium librorum meorum argumenta subieci; demgemäB folgen in den meisten Handsohriften stichwortartige nach Büchern geordnete Inhaltsangaben. Sie wurden oft verdächtigt; neuerdings ist man geneigt, sie für echt anzusehen; so Oder, a.O. 48, 31; Lundstróm, in seiner Ausg.; Kappelmacher, RE 10, 1058f., Art. Iunius (Moderatus) Nr. 104. Oder weist auf die ausdrücklich angekündigte Inhalteangabe im Werke des Gellius hin (praef. 25); man kónnte auch an das erste Buch der Nat. hist. des Plinius erinnern. Vgl. ferner o. S. 85 (Vitruv). 3 So heißt es z. B. (Buch 2): τάδε ἕνεστιν &v τῇδε τῇ βίβλῳ, δευτέρᾳ μὲν οὔσῃ

1Gv περὶ ytopylac ἐκλογῶν, περιεχούσῃ δέ, ὁπόσα τοῖς ἀγροῖς συμβάλλεται, xal περὶ διαφόρων γενημάτων, σίτου φημὶ καὶ χριθῶν ... χατὰ τὰ ὑποτεταγμένα χεφάAx .. . &'. ὅτι πολὺ τῷ ἀγρῷ ὠφέλιμος À τοῦ δεσπότου παρουσία. B'. ὅτι μάλιστα παῖδες πρὸς τὴν γεωργίαν ἐπιτήδειοι etc. 3 S. Oder, &.O. 48, 3f. Die geringen Übereinstimmungen des Aufbaus der Geoponika mit der Disposition Columellas (anders Oder, &.O. 4) gestatten übrigens nicht den Schlu$, daß es in den landwirtachaftlichen Werken eine herkômmliche Anordnung der Materien gegeben habe. * Hin und wieder findet sich eine Definition, z. B. 5, 3, 1 φυτώριον καλεῖται

etc.; 10, 73, 1—2; oder eine Einteilung, z. B. 10, 75, 1: «peic τρόποι εἰσὶν ἐγκεντρισμῶν ete.; 11, 1; auch ist bisweilen von Gattungen die Rede, z.B. 2, 6, 35;

5, 16; 10, 23, 1—2; 10, 84, 1; oder von Unterschieden, z. B. 5, 14, 1 ; 5, 15,2;

schlieBlich haben sich ein paar Übergánge erhalten, z.B. 2,6,1; 3, 6,47; 6, 1, 1; 9, 9, 1. Dieser eindeutige Befund kann nicht durch die fragmentarische

Überlieferung verursacht sein; er bestätigt vielmehr die a priori wahrscheinliche Annahme, daß es in der landwirtachaftlichen Schriftatellerei der Griechen einen Typus systematischer Lehrbücher nicht gegeben hat. 164

philosophischer Kompendien ebenso unberührt geblieben ist wie etwa die Werke der beschreibenden Naturwissenschaft. Die vortrefflich disponierten Libri res rusticae von Columella! bezeugen ebenfalls die Einmaligkeit varronischer Gliederungskunst innerhalb des landwirtschaftlichen Schrifttums. Columella verwendet zwar bisweilen die üblichen Hilfsmittel der systematisierenden Methode, bleibt jedoch auch in den straff organisierten Teilen seines Werkes weit hinter dem pedantischen Fächerwerk des Reatiners zurück. Das 1. Buch erórtert, wie der Verfasser andeutet?, einige allgemeine Themen. Hierher gehóren z.B. die Eigenschaften des Landgutes, seine Verbindungswege, die Wasserzufuhr u.a.: diese Fragen werden zwanglos nacheinander abgehandelt, ohne daB eine vorausgeschickte Disposition den Gang der Darstellung festgelegt hätte. Das zweite, dem Ackerbau gewidmete Buch enthält einige Einteilungen, die einzelne Begriffe in genera zerlegen; dergleichen findet sich auch sonst, bestimmt jedoch im allgemeinen nicht den Aufbau

gróBerer Abschnitte*. Vielmehr bringt der Schriftsteller sowohl hier wie später die Gegenstánde meist in einer aufgelockerten Ordnung, die bald dem zeitlichen Nacheinander der landwirtschaftlichen Tätigkeiten, bald der eigenen Eingebung folgt. So bindet z.B. die Dreiteilung der arborum cura zu Beginn des 3. Buches* die Darstellung nicht, da Columella zunáchst den Weinbau (Buch 3—4) und sodann neben anderem die übrige Baumkultur erórtert (Buch 5). Wührend das 6. und 7. Buch, die sich mit der Viehzucht befassen, einmal wirklich die vorausgehende DispositionS im Wesentlichen einhalten, weicht der Verfasser bei der Darstellung der villaticae pastiones in den

! S, die Übersicht von Kappelmacher, a. O. 1056f. ! 1, pr, 33: quae reor ad universam disciplinam maxime pertinere. * S. 2, 2, 1 (genera terreni tria . . . campestre, collinum, montanum .. . $2 his œutem generibus singulis senae species contribuuntur); 2, 6, 1 ff. (seminum genera, tritict genera etc.); 2, 14, 1 fF. (tria genera stercoris); vgl. 5, 6, 2; 5, 11, 1 usw.; über die wichtigen Einteilungen des Werkes s. ο. im Text. Der Schriftateller vermeidet im allgemeinen die formelhaften Übergünge der Lehrbücher; s. aber z. B. 2, 6, 1: quontam sementi terram docuimus praeparare, nunc seminum genera

persequamur; 2, 10, 1: quoniam de frumentis abunde praecepimus, de leguminibus deinceps disseremus; ferner 2, 11, 1 ; 5, 6, 1 u. 6. * 3, 1, 1: sequitur arborum cura . . . $ 2 idque (sc. das genus der fruchttragenden Büume) tripertito dividitur. nam ex surculo vel arbor procedit, ut olea, vel frutez,

ut palma campestris, vel tertium quiddam, quod nec arborem nec fruticem proprie direrimus, ut est vitis.

* 6, pr, 6: cum sint duo genera quadripedum, quorum alterum paramus in consortium operum sicui bovem, mulam, equum, asinum, alterum voluptatis ac

reditus εἰ custodiae causa ut ovem, capellam, suem, canem, de eo genere primum dicemus, cuius usus nostri laboris est particeps. Die Darstellung widmet sich zuerst dem Rind (6, 1—26) und Pferd (6, 27—35), dann dem Maultier (6, 36—38) und Esel (7, 1); im übrigen stimmt sie mit der Disposition überein.

165

beiden folgenden Büchern schon wieder erheblich von der divisio zu Anfang des 8. Buches ab!. Das zehnte, den cultus hortorum erórternde Buch ist in Hexametern abgefaBt; die beiden letzten gehôrten nicht zu dem ursprünglichen Plan des Schriftstellers; sie behandeln als eine Art Nachtrag hauptsächlich die officia villici, nochmals den cultus hortorum in prosaischer Fassung (Buch 11) und schlieBlich die officia villicae (Buch 12). 2. Varro hat sein gelehrtes, umfangreiches Werk De lingua Latina mit kaum geringerer Gründlichkeit systematisiert als das Kompendium über die Landwirtschaft?. Die erste Hälfte des überlieferten Teiles, die Bücher 5—7 behandeln die Etymologie und Semasiologie einzelner Worter; sie enthalten ein nach Sachgruppen geordnetes Lexikon, wie dergleichen in hellenistischer Zeit auch sonst verbreitet war. Varro

verwendet hier für seine grammatischen Zwecke ein stoisches System!, das er durch Einteilungen von Stufe zu Stufe fortachreitend sorgsam

entfaltet. Ausgehend von den vier genera prima rerum, nümlich locus und corpus, tempus und actio (5, 11—13) behandelt er die Wörter, die

Órtlichkeiten und Kórper bezeichnen, im fünften und die Vokabeln der beiden anderen Kategorien im folgenden Buche, wührend das siebente Buch noch einmal dasselbe Schema in Anwendung auf den poetischen Sprachgebrauch abwickelt. Die loca werden in caelum und terra unterteilt (5, 16), die corpora in immortalia und mortalia (5, 57), die sterblichen Wesen wiederum in Luft-, Wasser- und Landbewohner (5, 75) usw. Auch die ebenfalls überlieferten Bücher 8—10, die den allgemeinen Teil der Flexionslehre enthalten, sind streng gegliedert, s0 wenig sich auch der hauptsächlich die Kontroverse

zwischen den Anomalisten und Analogisten behandelnde Gegenstand für eine systematische Darstellung eignen mochte*. In der Architektur des gesamten Werkes hat sicherlich der Parallelismus eine wichtige Funktion gehabt; offenbar leisteten die verlorenen Bücher 2—4 für die Etymologie, was die Bücher 8—10 für die Flexionslehre vollbringen, und die Bücher 11—13 waren wohl in derselben Weise den einzelnen Beugungsformen gewidmet, wie sich die Bücher 5—7 mit der speziellen ! S. die Einteilung 8, 1, 2—3; im Widerspruch hierzu werden die ἀμφίβιοι

aves schon im 8. Buch nach den Hühnern und Tauben (Kap. 13 ff.), statt im 9. unter der Rubrik circa villam erórtert; auBerdem geht das Kap. über die wilden Tiere (9, 1) der Darstellung der Bienenzucht (9, 2 ff.) voraus. * Z. Folg. s. Wilmanns, De M. Terenti Varronis libris grammaticis, 1804,

1ff.; Reitzenstein, M. Terentius Varro und Joh. Mauropus v. Euchaita, 1901, 31 ff.; Dahlmann, Varro und die hellenistische Sprachtheorie, Probl. 5, 1932, 1 ff.; ders., RE Suppl. 6, 1202 ff.; dort weitere Lit. * S. Dahlmann, Varro u. d. hell. Sprachtheorie, 16 ff.

« S. die Übersicht Dahlmanns, RE Suppl. 6, 1208 ff. 166

Etymologie befassen!, Die einzelnen Abschnitte des Werkes werden gewóhnlich durch überleitende Bemerkungen miteinander verbunden?. 3. Zu den eindrucksvollsten Dokumenten varronischer Scholastik

hat gewiB der Liber de philosophia gehórt, über dessen Inhalt ein ziemlich ausführliches Referat Augustins unterrichtet (C. D. 19, 1—3)?. In diesem Werke hat Varro seinen Lesern vorgerechnet, daß insgesamt 288 philosophische Lehrmeinungen denkbar seien. Er ging hierbei von viererlei menschlichen Trieben aus, die sich nach seiner Ansicht auf dreifache Weise zur virius verhalten kónnen: entweder sie dienen der virtus, oder jene dient ihnen, oder beide sind voneinander unabhängig. Die s0 entstehende Anzahl von zwólf Móglichkeiten verdoppele sich, wenn man eine zusützliche differentia in Betracht ziehe: ein jeder kónne eine dieser zwólf Lebensweisen entweder für sich allein erstreben, oder zugleich für einen socius. So geht es fort, bis durch Hinzufügung zweier weiterer verdoppelnder und einer verdreifachenden differentia die Zahl 288 erreicht ist. Varro, der sich für eine dieser

Môglichkeiten

entscheiden

móchte,

trágt

sodann das

kunstvolle

Gebäude Schicht um Schicht wieder ab: alle jene zusätzlichen Unterscheidungen seien unwesentlich, da sie nicht den finis boni, das eigentliche Lebensziel des Menschen, beträfen. Weiterhin erklärt er die anfängliche Vierteilung der Triebe für unnótig, so daB schlieBlich nur

drei Lehrmeinungen für die eigentliche Entscheidung übrigbleiben. Wahrscheinlich wurde der Polyhistor durch Antiochos zu seiner verstiegenen Rechnung angeregt; eine Stelle in Ciceros Schrift De finibus (5, 16 ff.) gibt zu erkennen, daß dieser Philosoph ebenfalls neben wirk-

lich vertretenen auch môglicherweise vertretbare Lehrmeinungen in Betracht zog. Doch mehr als eine Anregung kann Varro von dort nicht empfangen haben: der Grieche wird sich gehütet haben, das Einteilungsverfahren für allerlei Rechenkunststücke zu verwenden. So gebührt denn der Hauptanteil an den 288 sectae nicht anders als

! 8. Dahlmann, RE Suppl. 6, 1205f.; 1210f. Über den mutmaBlichen Aufbau der Bücher 14—25 zuletzt Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik, Abh. d. Sächs. Ak. d. Wiss. Leipzig, Phil.-hist. Kl., 1957, 49, 3, 22 ff. Nach dem Bericht Augustins (C. D. 6, 3) war der erste, die res humanae erórternde Teil der Antiquitates (Buch

1—25) ähnlich aufgebaut wie das Werk

über die lateinische Sprache; zur kunstvollen Gliederung des zweiten, der die res divinae behandelte (Buch 26—41), s. Dahlmann, a. O. 1229 ff.

3 B. z. B. 5, 14: incipiam de locis . . .; 6, 57: quod ad loca quaeque hts coniuncta

fueruni, dixi; nunc de his quae in locis esse solent immortalia et mortalia expediam, a ut prius quod ad deos pertinet dicam; B, 75: quod ad immortalis attinet, haec; deinceps quod ad mortalis attinet videamus; s. ferner 5, 80; 95; 102; 105; 160; 6, 3; 12; 27 usw. * Z. Folg. s. Zeller, &.O. 3, 1*, 692ff.; Dahlmann, RE Suppl. 6, 1259 ff.; dort weitere Lit.

167

an den 81 Fächern der Viehzucht Varros eigenem, lebenskräftigem Trieb zum Systematisieren!. 4. Bei diesem Stand der Dinge leidet es kaum Zweifel, daB auch

die Disciplinarum libri ihre Stoffe soweit nur irgend móglich in strenger Gliederung darboten. Für die Grammatik und Rhetorik fehlte es nicht an griechischen Vorbildern?, und auch die Dialektik hat Varro wahrscheinlich im Anschluß an irgendein Lehrbuch stoischer Provenienz bearbeitet?. Unter den mathematischen Fächern war sicherlich die Musik längst in Kompendien nach Art der Εἰσαγωγή des Kleoneides dargestellt*, so daB der rómische Schriftsteller hier ebenfalls die systematische Form mit dem Stoff übernommen haben wird*. Dagegen waren in der Geometrie, der Arithmetik und der Astronomie Varros

organisatorischen Bedürfnissen Grenzen gesetzt: wenn er die beiden erstgenannten Fächer nicht allzu kurz abtun wollte, muBte er neben Einteilungen und Definitionen auch Aufgaben bringen; die Astro1 Hirzel, Der Dialog 1, 1805, 553*, weist ferner auf das Rechenexempel mit

Stammwórtern und abgeleiteten Wörtern (L. L. 6, 36 ff.) hin. ! Über den Aufbau der varronischen Grammatik, der ersten rómischen,

von der die Überlieferung weiß, s. Wilmanns, a.O. 98ff.; Usener, Kl. Schr. 2, 1913, 278 ff.; Barwick, Remmius Palaemon und die rómische ars grammatica, Philol. Suppl. 15, 1922, 230 ff. * Augustins Schrift De dialectica geht offenbar auf Varro zurück; s. B. Fischer, De Augustini disciplinarum libro qui est de dialectica, Diss. Jena 1912, 47 f.; zustimmend Marrou, a. O. 578*. Varro wiederum benutzte wohl ein mit aristo-

telischen Elementen durchsetztes Lehrbuch der stoischen Dialektik, ale deesen Verfasser der Eklektiker Antiochos in Betracht kommt; s. Barwick, Probleme, &. O. 21f. 4 B. hierüber o. S. 34ff. Auf ein derartiges Kompendium geht sicherlich auch Vitruvs AbriB der Harmonielehre (5, 4) zurück, deesen straffe Schematisierung Lehrbuchtraditionen voraussetzt. Vielleicht war Varro der Mittler.

* Über Varros Musik s. bes. Holzer, Varroniana, Progr. Ulm, 1890, 1—19; es läßt sich allerdings nicht ausmachen, ob die dort gesammelten musiktheoretischen Ausfübrungen späterer Schrifteteller auf Varros Enzyklopüdie zurückgehen oder auf andere Werke des Polyhistors. Die Lit. zu den übrigen Büchern

der Disciplinae nennen Dahlmann, &.O. 1259; Schanz-Hosius, a. O. 568. * Die Lósung von Aufgaben war die gewóhnliche Darstellungsform dieser Disziplinen; Definitionen dagegen in Herons gleichnamiger Schrift. Das älteste

mathematische Werk in lateinischer Sprache, das erhalten blieb, die Expositio dee Balbus (trajan. Zt.), bringt neben metrologischen auch geometrische Grundbegriffe in dürrer Schematisierung, z.B. (Schr. d. róm. Feldmeeser 1, 1848, 100 ff.): genera angulorum rationalium sunt tria, rectum ebes acutum. haec habent species novem eto.; rectus angulus est .. .; ebes angulus est . . .; acutus angulus

est ... usw.; vgl. Tittel, RE 7, 1049, Art. Geminos Nr. 1; ders., RE 8, 1073, Art. Heron Nr. 5; weitere Lit. über Balbus nennen Schanz-Hosius, a. O. 2, 802. Nach Ritechl, a. O. 359 ff., hätte Varros Buch über die Geometrie auch Gromatik behandelt; vielleicht brachte es wie die Schrift des Balbus zugleich Metrologie, eine seit jeher in Tabellenform dargestellte Materie (s. Hultach, Metrolog. Script. Rel. I—II, 1804/6). Usener, &.O. 279%, weist auf Licentius bei Augustin, 26. Brief, v. 11, hin: inde figurarum positas sine pulvere formas etc.; diese 108

nomie ließ sich überhaupt nicht in systematischer Form behandeln. So bleibt lediglich für die Medizin und Architektur, die beiden letzten Teile der groBen Enzyklopädie, die Frage nach den griechischen Vorlagen und der von Varro gewählten Darstellungsform offen: sie soll im Zusammenhang mit den beiden erhaltenen Kompendien des Vitruv und des Celsus erórtert werden. $4. Von dem gesamten Schrifttum über die eigentliche Architektur ist auBer dem Werk Vitruvs nichts erhalten, und man muB sich, will

man die Voraussetzungen erschlieBen, die das umfassende Kompendium der augusteischen Zeit ermóglicht haben, mit einem überaus spärlichen Material begnügen. Denn lediglich für ein kleines Spezialgebiet der Libri de architectura, für die Lehre vom Geschützbau (10, 10—16), stehen griechische Vergleichsobjekte, die Schriften der soge-

nannten Poliorketiker!, zu Gebote, und weiterhin gibt ein später

Bericht über ein hellenistisches System der Mechanik einigen AufschluB. 1. Während

der

älteste

Poliorketiker,

Aineias

6 ταχτικός

(um

360 v. Chr.), noch verbindungslos Einzelheiten (Kriegslisten, Hilfs-

und Abwehrmittel) aneinanderreiht?,

scheint Philon

von Byzanz

(um 200 v. Chr.) bereits die gesamte Mechanik in systematisierender Form dargestellt zu haben. Zwar ist von seiner Μηχανικὴ σύνταξις nur das vierte, den Geschützbau erórternde Buch in originaler Fassung

erhalten?; doch verraten die Überleitungen zu Beginn und am SchluB dieses Buches, daß Philon seinem Kompendium einen umfassenden Plan zugrunde gelegt hatte. So heift es (Kap. 1 a. A.): Φίλων ̓Αρίστωνι Xalpgw: τὸ μὲν ἀνώτερον ἀποσταλὲν πρὸς o& βιβλίον περιεῖχεν ἡμῖν τὰ λιμενοποιικά" νῦν δὲ καθήχει λέγειν, καθότι τὴν && ἀρχῆς διάταξιν ἐποιησάμεθα πρὸς σέ, περὶ τῶν βελοποιικῶν ...; und (Kap. 62): καλῶς ἔχειν ὑπελάβομεν τὰ μὲν περὲ τῶν βελοποιικῶν λόγων καταπαῦσαι, μεταβῆναι δὲ i^ ἄλλο μέρος τῆς μηχανικῆς". Philon hatte also die Mechanik, wie Vitruv die Architektur, in eine Anzahl von μέρη zerlegt; er hatte wohl

ferner, hierin ebenfalls dem Augusteer vergleichbar, die Systemfugen tunlichst mit den Buchschlüssen zusammenfallen lassen und die Teile Worte sprechen für geometrische Aufgaben. Schematisierte Arithmetik lehren z. B. die Prolegg. in introduct. arithm. Nicomachi, Diophanti Opera ed. Tannery,

II, 1895, 73 .

! Über diesen Begriff s. Lammert, RE 21, 1381f., Art. Poliorketiker. ! Über das nur zu einem geringen Teil erhaltene Werk des Aineias 6. Kromayer-Veith, Heerwesen und Kriegführung der Griechen und Römer, 1928, 12f.

* Von Buch 7 und 8 existieren noch Auszüge, von Buch 6 eine arabische tzung.

* S. auch Kap. 14: καθότι δεδηλώκαμεν &v τῷ περὶ τῆς εἰσαγωγῆς βιβλίῳ,

πρώτῳ δὲ ὑπάρχοντι τῆς μηχανικῆς συντάξεως. 169

seines Werkes zu Beginn und am Schluß der Bücher durch rekapitulierende und ankündigende Bemerkungen miteinander verbunden. Auch darin scheint der hellenistische Mechaniker dem rómischen Baumeister zu ähneln, daB sich innerhalb der Bücher kein streng geschlossenes System entfaltet, die einzelnen Materien jedoch sorgsam voneinander abgehoben werden und sich energische Ansätze zur vorherigen Festlegung der Darstellung zeigen. Denn Philon behandelt zunüchst ohne dispositionellen Aufwand die Konstruktion von Geschützen in beliebiger GróBe, je nach dem Kaliber des Bohrloches (Kap. 1—14). Dann aber (Kap. 14 a. E.) faßt er zusammen und kündigt die weiteren Gegenstánde seiner Schrift &n, den von ihm erfundenen Keilspanner sowie den von Ktesibios dargestellten Erzspanner!. Im 15. Kapitel zählt der Verfasser sechs Vorteile seines Keilspanners auf; er wolle aber, erklärt er dann, bevor er diese χεφάλαια darlege, über die Nachteile der bisherigen Geschütze schreiben. Die Ausführung entspricht genau dem Programm; insbesondere werden die sechs χεφάλαια in übereinstimmender Reihenfolge und unter Aufnahme der in der Ankündigung verwendeten Worte behandelt*. Auch Herons? Βελοποιικά zeigen sich von der systematischen Methode beeinfluBt. Allerdings, wenn der Verfasser in der Einleitung seiner Schrift (Kap. 1) die βελοποιία ein μέρος der μηχανική nennt, folgt daraus noch nicht, daß er sich auf einen streng geschlossenen Aufbau dieser Disziplin bezieht. Eindeutig aber ist es, wenn das Ende

der Vorrede eine Disposition bringt, der alsbald eine Einteilung der ὄργανα sowie einige in üblicher Weise stilisierte Definitionen folgen*. Ob Herons Mechanik ebenfalls systematisch aufgebaut war, läBt sich 1 "Erel o5v δεδηλώκαμεν etc. καλῶς ἔχειν ὑπολαμβάνομεν xal (τὸ) διὰ τοῦ σφηνὸς ἐντεινόμενον ὀξυβελὲς ὄργανον λέγειν τὸ εὑρημένον μὲν ὑφ ̓ ἡμῶν ... τό TE χαλχέντονον

τὸ ὑπὸ Κτησιβίου παραδειχθέν etc. Der σφὴν wird Kap. 15—38 behandelt, das χαλκέντονον Kap. 39—50.

3 Kap. 15: δύναται γάρ (sc. das mit dem Keil gespannte Geechütz) μακρο-

βολεῖν ̓ δεύτερον Bb ἰσχυρὸν xal εὐσθενὲς &v τοῖς ἀγῶσι διαμένει" πρὸς Bb τούτοις εὐκατασκεύαστόν TE ἐστιν καὶ οὐ πολλῆῇς δεὀμ.ενον ψηλαφίας etc. κρίνω 8& ἀναγκαῖον clvar.. . πρότερον προενέγκασθαι τὰ &v τοῖς ἀρχαίοις ὄντα δύσχρηστα καὶ ἀσθενῆ etc. Philon befaßt sich von Kap. 16—19 mit diesen Mängeln; dann fährt er fort (Kap. 20): %v δὲ ἡμῖν ἡγούμενον περὶ TOU μακροβολεῖν. Ka.p.23 heiBt es: δεύτερον 8° ἡμῖν ἐξέκειτο περὶ τῆς ἰσχύος αὐτῶν xal τοῦ μένειν ἐν τοῖς ἔργοις ἀπαθέστερα τῶν ἄλλων etc.; enteprechend lauten die Anfänge der Kap. 25; 26; 28; 29.

? Über die umstrittene Lebenszeit dieses Mechanikers (um 100 v. Chr.?) s. Tittel, RE 8, 994 ff. * Kap. 2: ἐροῦμεν οὖν περί etc. προειπόντες (I.) περὶ τῆς τῶν ὀργάνων διαφορᾶς

xal (11.) ὡς τὴν ἀρχὴν ἕκαστον αὐτῶν προεβιβάσθη.

Die διαφορά lautet (Kap. 3):

τῶν οὖν εἰρημένων ὀργάνων τὰ μέν ἐστιν εὐθύτονα, τὰ δὲ παλίντονα καλεῖται. τὰ δὲ εὐθύτονα etc.; τὰ 8b παλίντονα etc. Auf die Definitionen der βελοποιική und des βέλος folgen die historischen Darlegungen (Kap.4): τὴν μὲν οὖν ἀρχήν eto. Die Beschreibung der einzelnen Geschützmodelle hat die Form mathematischer Aufgaben: ἔστω γὰρ *5 εἰρημένον τόξον τὸ ABI'A (Kap. 5) usw.

170

dem nur in arabischer Übersetzung erhaltenen, arg zerrütteten Text nicht mehr mit Sicherheit entnehmen; jedenfalls gliedert sich das zweite Buch ebenso einfach wie übersichtlich nach den fünf Potenzen

Welle, Hebel, Flaschenzug, Keil und Schraube! 3, 2. Zeigen schon hier hellenistische Fachtraditionen deutliche Anknüpfungspunkte für das Verständnis der Libri de architectura, so führt eine Nachricht, die der späte Mathematiker Pappos (diokletian. Zt.) in seiner Συναγωγή übermittelt?*, ziemlich nahe an den Aufbau von Vitruvs Kompendium heran*. Hier heiBt es nàmlich zu Beginn des 8. Buches (Kap. 1, 1022, 13 ff. Hultsch): τῆς 8& μηχανικῆς 16 u£v εἶναι λογικόν, τὸ δὲ χειρουργικὸν ol περὲ t5v "Hpova μηχανικοὶ λέγουσιν ̓ xal 16 μὲν λογικὸν συνεστάναι μέρος ἔκ τε γεωμετρίας καὶ ἀριθμητικῆς καὶ ἀστρονομίας καὶ τῶν φυσικῶν λόγων, τὸ δὲ χειρουργικὸν Ex TE χαλκχευτικῇς καὶ οἰκοδομικῆῇῆς x«l τεχκτονικῇῆς x«l ζωγραφικῆῇς καὶ τῆς Év τούτοις κατὰ χεῖρα ἀσκήσεως. Da die Mechaniker gewiß so anmaßend nicht gewesen sind, ihrer Disziplin sämtliche Fächer der theoretischen Mathematik unterzuordnen, 80 werden 810 dieses System nicht 80 sehr mit dem

Anspruch auf wissenschaftliche Geltung wie für die praktischen Zwecke der Berufsausbildung aufgestellt haben; jedenfalls zeigt der Bericht, daf sich in hellenistischer Zeit selbst Konstrukteure über den syste-

matischen Aufbau ihres Faches Gedanken machten5. Aus den Darlegungen des späten Gewührsmannes geht weiterhin hervor, daß Herons

Leute den Mechaniker und den Architekten auf eine Stufe stellten*; sodann bezeichnet Pappos, zwar nunmehr in eigenem Namen, doch

sicherlich in Übereinstimmung mit der zuvor von ihm berichteten Tradition, die γνωμονικὴ θεωρία als Teil der Mechanik (8. 2: 1026, 1 H) und erklärt sich schlieBlich folgendermaBen über die praktische An1 Die Einleitung des ersten Buches ist verloren; für das 2. Buch s. die Disposition 2,1 und die Rekapitulation 3,1 sowie die Exzerpte des Pappos, Heronis Op. II, 1 Nix-Schmidt, 272 ff. Herons übrige Werke, selbst die IIveuματικά und die Schrift Περὶ αὐτοματοποιητικῆς, sind in der euklidischen Form einzelner, nacheinander abgehandelter Aufgaben verfabt; s. Tittel, a.O. 1007.

* Die Schriften der übrigen Poliorketiker, die Kataoxeval πολεμικῶν ὀργάνων des Biton, Poliorketika des Apollodor usw., bringen ihre Stoffe ohne Dispositionen in schlichter Parataxe.

* In diesem.

Sammelwerk

verbindet

Pappos

Inhaltsangaben

berühmter

mathematischer Schriften mit eigenen Zusützen. Die wissenschaftesystematische

Betrachtung zu Beginn des 8. Buches ist die einzige ihrer Art; a. hierzu K. Ziegler, RE 18, 1105, Art. Pappos.

* Z. Folg. vgl. Tittel, &.O. 1005; über ein ähnliches System der alexandrinischen Árzteschule des Herophilos s. u. S. 177. * Tittel, a.O. 1004, vermutet, daß diese Einteilung in der verlorenen Vorrede der Mechanik Herons gestanden hat.

* Pappos fährt nümlich fort: τὸν μὲν obv £v ταῖς προειρημέναις ἐπιστήμαις &x

παιδὸς γενόμενον .. . χράτιστον ἔσεσθαι μηχανικῶν ἔργων εὑρετὴν xal ἀρχιτέκτονά φασιν.

171

wendung der Geometrie (8, 3: 1026, 21 ff. H): γεωμετρία γὰρ οὐδὲν βλάπτεται σωματοποιεῖν πεφυχυῖα πολλὰς τέχνας διὰ τὸ συνεῖναι AUTALG. μήτηρ οὖν ὥσπερ οὖσα τεχνῶν οὐ βλάπτεται διὰ τοῦ φροντίζειν ὀργανικῆς καὶ ἀρχιτεχτονικῆς" οὐδὲ γὰρ διὰ Tù συνεῖναι γεωμορίᾳ καὶ γνωμονιχῇ καὶ μηχανικῇ x«l σχηνογραφίᾳ βλάπτεταί τιϊ. In Anbetracht der Tatsache, daB die Libri de architectura als schlechthin einzige Quelle über den Aufgabenbereich des Architekten berichten?, enthält die von Pappos verwendete Terminologie einen wertvollen Kommentar zu den Ausführungen Vitruvs. Sie berechtigt jedenfalls zu der Annahme, daß die Unterscheidung von fabrica und ratiocinatio (1, 1, 1) und die Dreiteilung des augusteischen Werkes (1, 3, 1) auf ein hellenistisches Lehrgebäude zurückgehen; somit erübrigen sich Versuche, die Systematik Vitruvs als Anwendung rhetorischer Kategorien auf die Baukunst zu deuten?. Hiermit ist allerdings die Frage nach Vitruvs eigener Leistung noch nicht zureichend beantwortet. Drei Möglichkeiten scheinen sich anzubieten: entweder hat der Baumeister nicht nur die soeben erörterte Haupteinteilung, sondern auch den gesamten Plan seines Werkes in hellenistischen Kompendien vorgefunden, oder er hat, angeleitet durch jenes System, die Einzelheiten der Disposition selbständig ausgearbeitet und nur das stoffliche Detail seinen griechischen Quellen entnommen, oder ihm war bereits durch ein rómisches Kompendium,

etwa durch Varros Buch über die Architektur, vorgearbeitet, so daß er nur ein bereits gegebenes Gerüst auszufüllen brauchte. Gegen die erste Móglichkeit spricht der Umstand, daß zwar von einer monographischen Literatur, aber nicht von griechischen Lehrbüchern

berichtet wird, die den gesamten Stoff von Vitruvs Werk behandelt hátten*. Die zweite würde Vitruv ein ungerechtfertigtes Maß von ! Hultach athetiert diesen Passus von μήτηρ bis βλάπτεταί τι.

3 S. Puchstein, RE 2, 543f., Art. Architectura; vgl. Sackur, Vitruv, 1925, 1ff. 3 Nach Watzinger, Rh. Mus. 64, 1909, 222, waren die drei genera causarum der Rhetoren das Vorbild der drei partes Vitruve (1, 3, 1). Das Begriffspaar fabrica — ratiocinatio soll der in der rhetorischen Theorie geláufigen Unter-

scheidung von res und verba entsprechen; beides gehe auf Poseidonios zurück (a.O. 203 ff.). Auch die ésthetischen Kategorien des 2. Kapitels werden aus der Rhetorik abgeleitet (a.O. 209 ff.). Diesen unkontrollierbaren Vermutungen gegenüber scheint es sicherer, zunüchst an fachliche Traditionen anzuknüpfen;

im übrigen muß man wohl darauf verzichten, die Anfangekapitel der Lürs de architectura nach bestimmten Abhüngigkeiten zu untersuchen. In dem Duroheinander der verschiedensten Theoreme (1, 1, 1: fabrica — ratiocinatio; 1, 1, 3:

quod significatur — quod significat; ingenium — disciplina; enzyklopüdische Bildung) epiegelt sich offenbar ein damals allgemein verbreitetes, von jedem Gebildeten angelerntes Wissen. * Ausführliche Kompendien wie die Μηχανικὴ σύνταξις Philons werden weder

Sakralbeuten noch Privathäuser berückaichtigt haben. Über die Schrifteteller, die das Quellenverzeichnis 7, pr, 11 ff. nennt, s. Pernice, Hb. d. Arch., Textbd. 1, 1939, 250 ff.; bei den dort aufgeführten Publikationen griechischer Bau172

Selbständigkeit zutrauen!. Da nun über die beiden anderen römischen Vorgänger, deren Namen der augusteische Baumeister zu nennen weiß, nicht das mindeste bekannt ist?, scheint es angemessen, die

Libri de architectura 818 eine Wirkung Varros zu bewerten; Varro kónnte, hellenistischen Anregungen folgend, seinen systembildenden Drang ebenso an der Architektur geübt haben wie an der Landwirtschaft, und Vitruv, in Plan und Methode des Werkes sein gelehriger Schüler, trug zum Ganzen durch emsiges Kompilieren die Einzelheiten bei?. $5. Wie der augusteische Baumeister, so knüpfte auch Celsus an

längst bestehende fachliche Traditionen an, als er es unternahm, die medizinische Wissenschaft in systematischer Form darzustellen. Der Versuch, die Leistung des rómischen Enzyklopädisten abzuschätzen,

meister scheint es sich im allgemeinen um Berichte, Rechtfertigungen u. dgl.

zu handeln, die Plan und Ausführung einzelner Monumentalwerke betrafen; vgl. Klein, Geech. d. gr. Kunst 2, 1905, 72. Der Quellenkatalog geht nach einer ansprechenden Vermutung Oders, Philol. Suppl. 7, 1899, 365f.!*5, auf Varro

zurück; vgl. R. r. 1, 1, 8ff.

! Die Schrift Περὶ μηχανημάτων des Athenaios (hadrian. Zt. oder später; s. Diels, SB d. preuß. Ak. d. Wiss. Berlin, 1893,

1, 111?) geht auf dieselbe

Quelle zurück wie die entsprechenden Kapitel Vitruvs (10, 13, 1—15, 7 und 16, 4); s. Diels a. O.; Thiel, Quae ratio intercedat inter Vitruvium et Athenaeum mechanicum, Lpz.St. 17, 2, 1896, 275ff.; R. Schneider, Ausg. d. Athenaios, Abh.

d. Ges. d. Wiss. Gôttingen, Phil.-hist. Kl., 1912, 12,5, 2ff. Die sachlichen Kon-

kordanzen, 80 schlagend sie auch sein môgen, würden allerdings noch nicht zu einem allgemeinen Urteil berechtigen. Dagegen läßt es auf eine bedenkliche

Praxis schlieBen, daß Vitruv vorgibt, selbetändig über die Auswahl des Stoffes zu entecheiden und gleichwohl nach wie vor dieselbe

Quelle benutzt. Denn

wührend Athenaios an der enteprechenden Stelle (15, 9f.) mit den schlichten

Worten ἡμεῖς δὲ γράψομεν zu einer neuen Materie überleitet, versichert der rômische Baumeister (10, 13, 8): quae sunt a Diade de machinis scripta, quibus

sint comparationibus, exposut. nunc quemadmodum a praeceptoribus acceps εἰ utilia mihi videntur, exponam. S. hierzu Schneider, 8.0. 4. Allerdings gelangt

Sackur, &.O. 64 ff.; 66 ff., zu anderen, viel komplizierteren Resultaten über die Quellenverhältnisse, die, wenn sie zutreffen sollten, Vitruv entlasten würden; vgl. v. Gerkan, Gnomon 2, 1926, 421f. Über die Quellengemeinschaft der astronomischen Kapitel (9, 4—5) mit einer anonymen griechischen Sphären-

beschreibung s. Schanz-Hosius, a. O. 2, 391.

3 Über Fuficius und P. Septimius s. Schanz-Hosius, a. O. 386; ferner Münzer, RE 2 A, 1502, Art. Septimius Nr.11. Vitruv berichtet, daß Fuficius und Varro je ein volumen, P. Septimius deren zwei verfaßt hütten (7, pr, 14). Sein Lehrbuch ist also erheblich ausführlicher als die Schriften aller seiner rômischen

Vorgünger.

* Über Varro als Quelle Vitruvs s. Oder a.O. (betrifft Einzelheiten). Vielleicht läßt sich so auch erklären, warum die Haupteinteilung der Libri de architectura (1, 3, 1) nicht sämtliche in der Darstellung erórterte Materien um-

faßt (s. 0. S. 79): Vitruv schob neue Gegenstünde ein, ohne das von Varro übernommene, von jenem sicherlich genauestens befolgte Schema zu ändern.

173

ist zwar dadurch erschwert, daß sich von der überaus mannigfachen medizinischen Literatur der hellenistischen Zeit kein einziges Werk erhalten hat. Gleichwohl lassen die zahlreichen Schriften, wie sie einerseits durch das Corpus Hippocraticum, andererseits durch die Sammlung der Werke Galens auf die Nachwelt gekommen sind, mit genügender Deutlichkeit erkennen, daß die dem rhetorischen Unterricht entstammende und von einer Reihe anderer Disziplinen übernommene Methodologie auch die medizinische Literatur mehr und mehr geprägt hat. Weitere Auskunft geben doxographische Mitteilun-

gen über die systematischen Bemühungen der hellenistischen Arzteschulen, und schlieBlich fordern die in groBer Zahl überlieferten Titel hellenistischer Schriften einige Aufmerksamkeit um der Frage willen, ob neben monographischer, für den Fachmann bestimmter Literatur

schon damals umfassende, dem Werk des Celsus vergleichbare Kompendien einführenden Charakters entstanden sind. 1. Eine vergleichende Betrachtung ergibt, daB die gesamte von Celsus angewandte Methodik, die systematische Darstellungsform mit ihren Einteilungen, Gattungen und Arten, auf eine seit langem

in der medizinischen Literatur verbreitete Übung zurückgeht. Die Anfänge zeigt ein erheblicher Teil der zum Corpus Hippocraticum

vereinigten Schriften, während sich in einer Reihe von Werken Galens ein bisweilen überreichlicher Aufwand an scholastischen Mitteln praktiziert findet; eine gemäBigte, wegen der Ungunst der

Überlieferung allein durch das rómische Lehrbuch repräsentierte Phase fällt ziemlich genau in die Mitte dieser beiden Extreme. Eine unverkennbare, wenn auch noch nicht pedantisch starre Schematisierung des Stoffes begegnet schon in der hippokratischen Schrift Περὶ τῶν &v κεφαλῇ τρωμάτων (II, 1—29 K)!. Hier kündigt der 1 Im Folgenden werden lediglich einige charakteristische Beispiele genannt.

Eine umfassende Untersuchung des Aufbaues hippokratischer Schriften müßte wohl dreierlei unterscheiden: einmal das ursprüngliche und gewôhnlich befolgte gleichsam naive Verfahren, das verbindungslos Einzelheiten, etwa Prognoeen oder Repzepte, aneinanderreiht, sodann die Tendenz, den Stoff ohne ausdrückliche Hervorhebung der gliedernden Prinzipien systematisch zu ordnen

und schlieflich die hier zur Erôrterung stehende Darstellungsform. Weiterhin bedürfte einer genauen Prüfung, ob sich aus der Anwendung der systematischen Methode Argumente für das vieldiskutierte Problem des wechselseitigen Ver-

hältnisses von Philosophie, Sophistik und Medizin gewinnen lassen: s0 gewib die Medizinin dieser Hinsicht der empfangende Teil gewesen ist, s0 wenig werden

sich unmittelbare Einflüsse bestimmter Persónlichkeiten überzeugend nachweisen lassen; es fragt sich z. B., ob die sorgfältigen Überleitungen der Schrift Περὶ φυσῶν (VI, 90—116 L) als Wu'kung der gorgianischen Dispositionstechnik angoesehen werden müssen (so Maass, Hermes 22, 1887, 566). Obwohl auBerhalb des Corpus Hippocraticum so gut wie nichts von der technographischen Lite-

ratur der voraristotelischen Zeit erhalten ist, wird man annehmen dürfen, daß 174

Verfasser zunächst die mehrstufige Gliederung einer Materie in τρόποι

und ἰδέαι an (Kap. 4): τιτρώσκεται δὲ ὀστέον τὸ ἐν τῇ κεφαλῇ τοσούσδε τρόπους ̓ τῶν δὲ τρόπων ἑκάστου πλείονες ἰδέαι γίνονται τοῦ κατήγματος Év τῇ τρώσει. Er behandelt sodann insgesamt sieben τρόποι nebst untergeordneten ἰδέαι und verfehlt nicht, die Systematik des Stoffes gehörigen Ortes durch Hinweise zu betonen, z. Β. (Kap. 4): elc οὗτος τρόπος. ἰδέαι δὲ ῥωγμέων παντοῖαι γίνονται etc., oder (Kap. 5): δεύτερος οὗτος τρόπος. ἰδέαι δὲ τῆς φλάσιος πλείους γίνονται etc. Auch die kleine Schrift über das Behandlungszimmer des Chirurgen ( ατ ̓ ἰητρεῖον II, 30—45K)

zeichnet sich durch eine Reihe schematisierter Abschnitte aus; 80 heißt es etwa (Kap. 3): αὐγῆς . . . 900 el8ca, τὸ μὲν κοινόν, tù 86 τεχνητόν. τὸ μὲν oUv xotvóv etc.; τὸ δὲ τεχνητόν etc., oder (Kap. 7): ἐπιδέσιος δύο εἴδεα, εἰργασμένον xal ἐργαζόμενον. ἐργαζόμενον u£v ταχέως, ἀπόνως, εὐπόρως, εὐρύθμως" ταχέως μὲν ἀνύειν τὰ ἔργα" ἀπόνως δέ, ῥηϊδίως δρᾶν" εὐπορίη SE etc., εὐρυθμίη SE etc., εἰργασμένον etc. Schließlich finden sich in einer Anzahl weiterer Werke des Corpus, insbesondere in einigen

relativ späten Kompilationen, derart stilisierte Lehrstücke!.

keine Fachwissenschaft so früh von der Darstellungsweise rhetorischer Lehrbücher beeinfluBt wurde wie die Medizin; die ültesten Kochbücher und Werke über Landwirtschaft und was sonst gegen Ende des 5. und der ersten

Hälfte dea 4. Jh.s an technischen Schriften entatand (s. hierüber v. Wilamowitz, Euripides, Herakles, 1959*, 1, 20%), werden ihren Stoff kaum anders dargeboten

haben, als etwa Xenophons Κυνηγητικός oder die Aufzeichnungen des Taktikers Aineias; über die Literatur der mathematischen Disziplinen s. o. S. 131, Anm. 1. ! Die Schrift Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων (I, 33—71 K) bringt in den beiden ersten Kapiteln

eine ungezwungene,

die

wichtigsten

Stichwôrter

nennende

Disposition; die Erórterung folgt in den Kap.3—11. In dem Traktat Περὶ

ἀρχαίης ἰατρικῆς (I, 1—30 K) fallen die lehrhaften Wendungen auf, z. B. (Kap. 5) σκεψώμεθα; (Kap.11) σκέψασθαι 8b χρή; (Kap. 22) δεῖν SE μοι Boxet xal ταῦτα εἰδέvat etc. Der Schrift Περὶ διαίτης (VI, 466—637 L) geht eine über sámtliche Haupt&bschnitte des Werkes verfügende Disposition voraus (Kap. 2); hierüber sowie über gewisse Diskrepanzen zwischen Plan und Ausführung s. Diller, Hermes 87, 1959, 39 ff. Das Werk zeigt auch sonst Ansütze zu einer schematisierenden Darstellungsweise; s. bee. den Katalog Kap. 12—24 (hierzu Diller, a.O. 52 ff.); die nicht genau befolgte Einteilung zu Beginn von Kap. 61 sowie den Abschnitt

Kap. 68, der viel pedantischer stilisiert ist als die enteprechende Partie der wohl älteren Abhandlung Περὶ διαίτης ὑγιεινῆς (Kap. 1 : VI, 72ff. L; hierzu Diller, 8.0. 45). S. ferner die Dispositionen und Einteilungen in den Schriften Περὶ

ἄρθρων (Kap. 51: *jv 85 μηροῦ ἄρθρον ἐξ ἰσχίου ἐκπέσῃ, ἐκπίπτει Bb κατὰ τέσσαρας τρόπους etc.; s. Kap. 54; 57; 59; vgl. auch Kap. 70; 74 usw.); Περὶ ἰητροῦ (Kap. 7:

800 τρόποι σιχυῶν; Kap.11: πορεῖαι τέσσαρες); Περὶ φύσιος &vSporou (Kap. 15: εἴδεα τέσσαρα τῶν

πυρετῶν);

Περὶ

τόπων

τῶν

xat’

ἄνθρωπον (Kap.2: τρεῖς

μήνιγγες; Kap. 10: Aufzählung von sieben ῥόοι, die die Darstellung bis Kap. 22 bestimmen); Περὶ τῶν ἐντὸς παθῶν (Kap. 10—12: τρεῖς φθίσιες; ähnlich Kap. 14—17). Μοχλικός Kap. 20 ff. entapricht Περὶ ἄρθρων Kap. 51 ff.; doch werden

hier außerdem κοινά und ἴδια unterschieden; vgl. Kap. 2; 25; 26. Προρρητικὸν B°

bringt Kap. 5 ein aus vier Krankheiten bestehendes Scherna, das nach einigen allgemeinen Bemerkungen die Derstellung bestimmt (Kap. 6—10); vgl. Kap. 14. 175

Das systematische Hauptwerk Galens!, die berühmte Τέχνη ἰατρική (I, 305—412 K) gliedert sich in drei Teile, deren erster (Kap. 2) sich

mit dem σῶμα befaßt und deren zweiter und dritter (Kap. 3—22 und 23—37) die σημεῖα und αἴτια erórtern. Der Darstellung dieser Tricho-

tomie gehen eine kurze Einleitung über Unterweisungsmethoden und eine das herophileische System der laxvpocí entwickelnde, aus strengen Parallelismen konstruierte Erlàuterung der Grundbegriffe voraus!. Am Schluß des ersten Kapitels kündigt Galen die drei Hauptteile an:

ἀρξόμεθα ov ἀπὸ TOV σωμάτων πρῶτον ... μετὰ Ob ταῦτα τὸν περὶ τῶν σημείων τε καὶ αἰτίων διεξέλθωμεν λόγον; zwischen dem ersten und zweiten sowie zwischen dem zweiten und dritten Teile vermitteln überleitende Bemerkungen?. Innerhalb dieser Abschnitte entwickelt der Verfasser einen abstrakten Mechanismus von Einteilungsgesichtspunkten, der in seiner Starrheit Porphyrs logische Εἰσαγωγή vorwegzunehmen scheint. Als Musterbeispiele dürrer Scholastik dürfen weiter-

hin Schriften wie der Thrasybul* oder das vierte Buch der Abhandlung Περὶ διαφορᾶς σφυγμῶν gelten, das man zutreffend mit Varros Liber de philosophia verglichen hat*: wie der rómische Polyhistor erórtert Galen dort zunächst alle nur denkbaren Definitionen seines Gegenstandes; in einem zweiten Teil unterrichtet er über die im Laufe der Zeit tatsächlich aufgestellten Bestimmungen, um sie bis auf eine einzige sämtlich zu widerlegen. Unter den pathologischen Schriften zeichnet sich eine Reihe kleinerer Traktate durch die scharfe Gliede-

rung nach genau eingehaltenem Plane aus®; Ahnliches findet sich schon in einer frühen anatomischen Arbeit?. Von dem Hang zu umständlichen logischen Klassifikationen zeugt schlieBlich nahezu jede Seite von Galens umfangreichem Werk; nicht umsonst hat er eine

1 Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt

aus dem Werke dieses Arztes

lediglich ein paar anschauliche Beispiele. Einen rblick über seine sámtlichen Schriften gibt Ilberg, Rh. Mus. 44, 1889, 207—239; ebendort, 47, 1892, 489—514; ebd. 51, 1896, 165—190. * S. hierzu Schône, De Aristoxeni περὶ τῆς Ἣ ροφίλου αἱρέσεως 1. XIII a Galeno

adhibito, Diss. Bonn 1893, 24 ff.; vgl. u. S. 178. ? S. Kap. 2/3 und 22.

* S. Englert, Unters. zu Galens Schrift Thrasybulos, St. z. Geech. d. Medizin 18, 1929, 32 ff.; vgl. Ilberg, a. O. 51, 184. 5 So Schóne, &.O. 26f.; vgl. ebendort 6ff.

* S. Περὶ διαφορᾶς νοσημάτων (VI, 836—880 K), Kap. 1 (πρῶτον μὲν εἰπεῖν xpf τί ποτε νόσημα καλοῦμεν ... δεύτερον S° Enl τούτῳ, πόσα τὰ σύμπαντά ἐστιν ἅπλᾷ T& καὶ πρῶτα νοσήματα.... ἐφεξῆς δὲ τρίτον, ὁπόσα τὰ Ex τούτων συντιθέμενα

Ὑίνεται); Kap. 2ff. (über den Begriff der Krankheit); Kap. 4 (ἔστι δὲ δύο τὰ

πρῶτα πάθη) etc. Áhnlich verfáhrt Galen in den Schriften VII, 1—405 K ; vgl. Ilberg, a.O. 51, 166ff. Sehr aufdringlich ist schlieBlich auch die Abhandlung Περὶ τύπων gchematisiert (VII, 463—474 K). 7 [Iepl μήτρας ἀνατομῆς (IT, 887—908 K); vgl. Ilberg, &.O. 47, 490f.

176

Reihe logischer Abhandlungen, darunter die erhaltene ἘΪσαγωγή, verfaßt !.

2. Darf somit geschlossen

aus teils

werden,

daB

älterer,

Celsus

teils jüngerer

Methodik

und

Überlieferung

Darstellungsform

seines Werkes von der zeitgenóssischen medizinischen Literatur der Griechen übernehmen konnte, so gestatten doxographische Berichte, die den Aufbau seines Lehrbuches bestimmenden Schemata aus den

Traditionen hellenistischer Arzteschulen abzuleiten*. Zumal Galen bezeugt die mannigfachen Versuche jener Zeit, die medizinische Wissenschaft in ein System von Fächern einzuteilen; so schreibt er

z. B. zu Beginn seines nur in einer lateinischen Übersetzung erhaltenen Traktates De partibus artis medicativae?: de partibus medicalive, suste dilectissime, convenienter miht videris dubitare, cum alii et alis aliter eas distinguant. audire namque est aliquos quidem $n farmaciam εἰ cirurgiam εἰ dietam totam artem incidentes, deinde rursus unam quamque prediclarum partium dividentes, non tamen simpliciter omnes. et aliquos in curalivam (τὸ θεραπευτικόν) εἰ vocatam sanativam (τὸ ὑγιεινόν) etc. Für

das Alter dieser Systematik gibt es kein zuverlässigeres Kriterium

als den Vergleich zwischen Geschichtsschreibung und Medizin, den Polybios in seiner Charakteristik des Historikers Timaios ausführt (12, 25 D 2 ff.)*. Leider ist die Stelle arg verstümmelt; immerhin läBt sich

ihr mit Sicherheit eine Dreiteilung der ärztlichen Wissenschaft entnehmen ($ 3): oIov εὐθέως τῆς ἰατρικῆς, ἑνὸς μὲν μέρους αὐτῆς ὑπάρχοντος λογικοῦ, τοῦ δ ̓ ἑξῆς διαιτητικοῦ, τοῦ SE τρίτου χειρουργικοῦ xal φαρμαχευτικοῦ etc. Das λογικόν, heiBt es weiter ($ 4), werde vor allem von den

Schülern der alexandrinischen Ärzte Herophilos und Kallimachos gepflegt; Polybios bezeichnet mit diesen Worten dieselben Kreise,

die das bekannte stoische, aus zwei entgegengesetzten Begriffen und ihrem ,,Neutrum‘‘ zusammengesetzte Schema* auf die Medizin anwandten. Hierüber berichtet wiederum Galen in der wie der Traktat

De partibus

nur

lateinisch

erhaltenen

Subfiguratio

empirica

(52,

30 ff. D): xai “Ηρόφιλος οὕτως ἔθετο πᾶσαν τὴν ἰατρικὴν λέγων ἐπιστήμην

1 Zwei pseudogalenische Schriften, die Εἰσαγωγὴ ? ̓Ιατρός und die '"Opot (XIV, 674—797 K und XIX, 346—482 K), beweisen, daß die Werke Galens kein einseitiges Bild von dem methodischen Aufwand der medizinischen Literatur in der Kaiserzeit vermitteln.

® Die Systeme der antiken Medizin sind von der neueren Forschung eingehend erôrtert worden; die vorliegende Untersuchung beschrünkt sich daher auf die wichtigsten Zeugnisse. Das Material findet sich am Vollstándigsten bei

Englert, a. O. 21—31; vgl. ferner die in den folgenden Anm. Genannten. * 23, 7 ff. Schóne, Festechr. Greifswald 1911. * S. hierzu Wunderer, Polybios-Forschungen, 3. Teil: Gleichnisse und Metaphern bei P., 1909, 62 ff. * S. z. B. SVF II, 122; III, 117; 133; 501. 12

7624

Fuhrmann, Lehrbuch

177

εἶναι ὑγιεινῶν καὶ οὐδετέρων καὶ νοσωδῶν!. Man hat daher glaubhaft vermutet?, daß das auf dieser Trichotomie aufbauende verzweigte

System, wie Galen es in der Téyvn ἰατρική (Kap. 1: I, 307—309 K) entwickelt, bereits von Herophilos und seinen Schülern geschaffen sei*. Dieser Tradition der Dogmatiker lassen sich Einteilungen zur Seite stellen, die in der empirischen Schule vorgenommen wurden. Wie

Theodas bei Galen berichtet, verwandte man zwei verschiedene Principia divisionis, deren eines die Methoden gliedert, die Mittel, durch die der empirische Arzt das τέλος der Medizin zu erreichen strebt*. AuBer diesen drei συστατικὰ μέρη unterschied man eine gleiche Anzahl finaler Teile, das σημειωτικόν, θεραπευτικόν und ὑγιεινόνδ. Das θεραπευτικόν wiederum zerlegte man in die χειρουργία, δίαιτα und φαρμαχεία, und entsprechend wurden auch die beiden anderen τελικὰ μέρη unterteilt*. Da Galens Gewährsmann, Theodas von Laodikaia (um 120 n. Chr.), keine bestimmten Namen nennt, ist die Genesis dieses Systems unbekannt?; die trichotomische Methodenlehre läßt sich immerhin bis auf Serapion (um 225 v. Chr.), der ein Διὰ τριῶν betiteltes Werk

verfaDte, und auf Glaukias (um 175 v. Chr.), dessen entsprechende Schrift Τρίπους hieB, zurückverfolgen?*. ! Zitiert nach der Rückübersetzung, die Deichgräber seiner Ausgabe der Subfiguratio (D. griech. Empirikerschule, 1930, 42—90) beigefügt hat. Mit Galen stimmen die Verfasser der pseudgalenischen Schriften Εἰσαγωγὴ à ̓Ιατρός und ‘’Opoc ἰατρικοί überein; s. XIV, 688, 11—12 K und XIX, 351, 5—4 K; vgl. XI, 421, 15 ff. K. 3 So Schóne, a. O. 24 ff.; dort (25) ein Schema des herophileischen Systems. Zustimmend Deichgrüber, a. O. 290; Englert, &.O. 24, führt die hier zur Erôrterung stehende Dreiteilung mit dem Hinweis auf Wellmann, D. pneumat. Schule, Philol. Unters. 14, 1895, 67?, auf Athenaios (neron. Zt.) zurück. 3 Wellmann, D. pneumat. Schule, 67 und 131; ders., A. Cornelius Celsus,

Philol. Unters. 23, 1913, 10 sowie Englert, a. O. 22f., halten auch die von [Gal.] XIV, 689, 3ff. und XIX, 351, 12 ff. K überlieferten Fünfteilungen der Medizin in die μέρη φυσιολογικόν, αἰτιολογικὸν À παθολογικόν (παθογνωμονικόν nach pneu-

matischer Terminologie), ὑγιεινόν, σημειωτικόν, θεραπευτικόν für ein Produkt der Dogmatiker, wabrscheinlich mit Recht; jedoch läßt sich über das Alter dieses Schemas nichts Bestimmtes ausmachen. * 50, 12 ff. D: 7& 5 τῆς ἰατρικῆς μέρη 8v ὧν ἐπιτυγχάνομεν τοῦ τέλους 3v ἐμπειρίας χτώμεθα Ärecp διὰ τῆς αὐτοψίας γίγνεται xal τῆς ἱστορίας xal τῆς κατὰ τὸ ἀνάλογον

μεταβάσεως; vgl. 48, 5—10; 49, 10 ff.; 51, 20ff. Zur Sache ausführlich Deicbgrüber, &. O. 291 ff.

5 Gal. nach Theod., Subf. 51, 28 ff. D: &v ἰατρυεήν, ἧσπερ τὰ μέρη τελιχὰ σημειωτικὸν xal θεραπευτικὸν elval φασι καὶ ὑγιεινόν.

* Vgl. De part. art. med. 24, 38 ff.; 32, 24 ff. Sch (auch bei Deichgrüber, a.0.

119 ff.). Über die Einzelbeiten handelt Deichgrüber, a.O. 288 ff. (mit Figuren); dort wird zutreffend auf die stoischen Wurzeln dee empirischen Systems hingewiesen. O. 288!. * S. Deichgrüber, a.

* S. Deichgräber, &.O. 83; 164f.; 168ff.; 255 ff. Das Schema der ,,konstitu-

tiven'* Teile scheint Serapion noch nicht bekennt gewesen zu sein, da man sich 178

Die methodische Schule endlich scheint vor allem ihre Lehre von den κοινότητες schematisiert zu haben, von gewissen Grundzuständen des Kórpers, auf die man sämtliche Krankheiten zurückführen zu kónnen meinte; Celsus berichtet darüber (1, pr, 54—55): quidam medics saeculi nostri aub auctore, ut ipsi viders volunt, Themisone contendunt nullius causae notitiam quicquam ad curationes pertinere; satisque esse quaedam communia morborum intuers. siquidem horum tria genera esse, unum adstrictum, alterum fluens, tertium mixtumn etc.!. Die Empiriker pflegten demgegenüber auch auf die ἴδια, 416 besonderen Symptome einer Krankheit zu achten (Subf. 58, 26 ff. D): ἀναγκαῖόν èart . . . δια-

στέλλειν καὶ διορίζειν ἀπὸ τοῦ κοινοῦ τὸ ἴδιον 2. Aus dieser unterschiedlichen methodischen Einstellung der Schulen erklärt sich die auffällig häufige

Verwendung des Gegensatzpaares commune — proprium bei Celsus? *, 3. Wenn sich nun die für das römische Lehrbuch konstitutiven

Einteilungen auf die systematischen Bemühungen der hellenistischen

Medizin zurückführen lassen, so bleibt die Frage zu beantworten, ob sich derartige Systeme schon in der griechischen Literatur in eisagogischen, die gesamte Medizin darstellenden Kompendien kon-

kretisierten, oder ob man sich damit begnügte, theoretisch über Lehrgebäude zu diskutieren, im übrigen aber lediglich monographische,

größere oder kleinere Einzelgebiete behandelnde Schriften verfaBte. In dem einen Falle hätte Celsus alles Wesentliche einer einzigen Quelle entnehmen können, im anderen Falle mußte er sein Werk aus mannigfachen Vorlagen zusammenzimmern. Wie nun eine Prüfung

der in

stattlicher Anzahl

überlieferten

Buchtitel

ergibt,

scheint

zwar in älterer hellenistischer Zeit keine einzige lehrbuchartige Dar-

stellung entstanden zu sein®. Asklepiades von Prusa (1. Jh. v. Chr.)

hat jedoch offenbar nicht nur spezielle Gegenstánde

abgehandelt,

sondern auch einführende Werke verfaBt®. Seine " Opot betitelte Schrift

Spüter über die von ihm beabsichtigte Klassifikation des Analogieverfahrens

stritt; s. Deichgrüber, a. O. 256. ! Vgl. Gal. Περὶ alpécecov τοῖς εἰσαγομένοις, Kap. 5, Scr. min. III Helmreich 12, 9 ff.; zur Sache s. Edelstein, RE Suppl. 6, 363 ff., Art. Methodiker; dort weitere Belege.

* Vgl. ebendort, 59, 6 ff.; 60, 7 ff.; 61, 7 ff. D; Gal. Χ, 181, 15 ff. K.

* S. o. S. 94. Wellmann, Celsus, 7, folgert daraus zutreffend die empirische

Einstellung der von Celsus benutzten Quelle.

* Über die sehr unselbatändigen Einteilungen der Pneumatiker s. Englert, 8. O. 30f. Das in den ps. aristot. Διαιρέσεις überlieferte Schema (bei Diog. Laert. 3, 85 und im Cod. Marc., Nr. 6 in der Ausg. v. Mutschmann) entstammt wohl peripatetischer Tradition; s. Mutschmann, a. O.

X X XII; anders Englert, a. 0.27.

* S. die Zusammenstellungen Wellmanns bei Susemihl, Gesch. d. griech. Lit. l1. d. Alexandrinerzeit, 1891—2, 1, 777—828; 2, 414—447. * Z. Folg. s. Wellmann bei Susemihl, a.O. 2, 428 ff.; ders., RE 2, 1032f., Art. Asklepiades Nr. 39.

12*

179

in mehreren Büchern ähnelte gewiß den gleichnamigen pseudoplatonischen und pseudogalenischen Sammlungen!. Auch seine Kommentare zu den pseudohippokratischen Aphorismen und der Schrift Kar

ἴητρεῖον waren wohl eisagogischen Charakters. Des weiteren soll er die wichtige Unterscheidung zwischen chronischen und akuten Krankheiten eingeführt haben. So gewiD er sich hiermit in Wahrheit ältere

Erkenntnisse zu eigen machte, so deutlich zeugt die Nachricht von seinen systematischen Bemühungen; hierzu stimmt, daß er ein Kompendium Ilepl ὀξέων παθῶν verfalte, eine Schrift, deren schematischer Aufbau an Varros Werk De lingua Latina erinnert?*. Endlich läßt sowohl dieser Titel wie auch eine Reihe weiterer Buchbezeichnungen auf Abhandlungen schlieBen, die größere, auch für den Laien bedeutsame Gebiete berücksichtigten®. Das von der Persónlichkeit des Asklepiades überlieferte Bild bestürkt derartige Vermutungen, insbesondere die Nachricht, daß er sich zunächst als Lehrer der Bered-

samkeit in Rom betätigt, dann aber ohne gründliche medizinische Vorbildung die Heilkunst ausgeübt und durch die Anwendung von allerlei einfachen Mitteln, wie Diät, Wein, Reibungen, Spaziergängen und dergleichen, groBe Berühmtheit erlangt habe. Mag sich nun in dem Falle des Asklepiades eine popularwissenschaftliche oder für Schulzwecke bestimmte Schriftstellerei vermuten lassen, im ganzen bleibt das Material recht unergiebig. Zwar spricht die gróDere Wahrscheinlichkeit für das Bestehen einer vielfältigen eisagogischen Literatur in hellenistischer Zeit; doch wird man sich dergleichen teils nach Art der pseudogalenischen Εἰσαγωγή als dürftige

Abrisse vorstellen, teils als Werke, die sich, der galenischen, lediglich die Pathologie berücksichtigenden Τέχνη ähnlich, auf einzelne Gebiete der medizinischen Wissenschaft beschränkten. Celsus hat also offenbar nicht auf eine griechische Vorlage zurückgreifen kónnen, die, seinem Unternehmen an Umfang gleich, den gesamten von ihm behandelten Stoff in sich vereinigt hätte. Wenn Varros der Enzyklopädie zugehóriges Buch über die Medizin bereits die drei Zweige der Therapie ı Die ps. gal. Schrift bei Kühn, XIX, 346—462; vgl. ferner die Aufzeichnungen des sogenannten Anonymus Londinensis (ed. Diels, Suppl. Aristot. III, 1, 1893; Jones, 1947), die mit einer Reihe von Einteilungen, Definitionen und Distinktionen beginnen (1—4, 17).

3 S. Cael. Aur. À. M. 1, 15: phreneticos curana (sc. Asclepiades) primo libro celerum vel acutarum passionum expugnat eos, qui contraria poecuerunt adhibenda. secundo quomodo declinanda vel avertanda sit phrenitis docet. tertio quomodo curanda, cum facta fuerit. Asklepiades widmete somit das erste Buch der Polemik gegen seine Vorgänger, das zweite der Prophylaxe, des dritte der Therapie; vgl. Wellmann bei Susemihl, &.O. 2,439!2, Über Varros Dreiteilungen (pro, contra, vermittelnde eigene Meinung) s. o. S. 166.

* So De tuenda sanitate, De communibus auziliis, ΠΠαρασκευαί, Salutaria ad Gemintum.

180

mit semeiotischen und anatomischen Lehren vereinigt haben sollte, Bo konnte ihm Celsus kaum mehr entnehmen als System und Plan seines um ein Vielfaches ausführlicheren Kompendiums: für das Detail war er auf die monographische Literatur der Griechen angewiesen!. $6. Die rómischen Feldmesser haben aus verschiedenen Gründen

die besondere Aufmerksamkeit der Forschung erregt*. Sie verdienen diese Pflege nicht zuletzt deshalb, weil die Geschichte ihrer Zunft und ihres Faches manche mit der Entwicklung der Jurisprudenz verwandte

Züge aufweist. Die Vermessungskunde teilt mit jener den spezifisch rómischen Ursprung; wurde das $us civile zunüchst von den pontifices gepflegt und ausgebildet, so gehórte die Limitation ursprünglich zur Auguraldisziplin, von der sie sich in ähnlicher Weise emanzipiert haben mag, wie die Jurisprudenz von der alleinigen Ausübung durch die hóchsten Priester. Auch die Tatsache, daf seit Beginn der Kaiserzeit die Agrimensoren mehr und mehr in staatliche Dienste traten, erinnert an die ähnliche Entwicklung, die der Juristenstand durchmachte. Die Feldmesser waren zudem, wie die Rechtskundigen, auf lange Zeit hin lediglich praktischen Aufgaben zugewandt, und der gromatische Unterricht muf sich gleich dem juristischen ohne theoretische Unterweisung, ohne Bücher und ohne Schule vollzogen haben; der Lernende begleitete seinen Meister und beobachtete seine Tätigkeit. Von der Zeit Domitians bis ins 6. Jahrhundert reichen sodann die Zeugnisse methodisch betriebener Ausbildung, die zu didaktischen

Zwecken abgefabte Literatur der Feldmesser; wenn die Überlieferung nicht trügt, war Sextus Iulius Frontinus der Begründer dieser Gattung.

Wie die Analyse der erhaltenden Bruchstücke gezeigt hat?, wandte Frontin entschiedener als alle Nachfolger die übliche Methodologie systematischer Lehrbücher auf seinen Stoff an; da nichts darauf weist, daß ihm ältere Kollegen in dieser Behandlung der agrimensorischen Kunst vorgearbeitet hütten, wird man seinen den Bemühun-

gen der Rechtslehrer analogen Versuch, einer rein rómischen Fach-

kunde die Form einer hellenistischen τέχνη zu verleihen, gern als seine persónliche Leistung ansehen. Die Strategemata, eine Schrift über Kriegslisten, bestätigen diesen Befund: Frontin zeigt sich hier ebenso emsig wie in seinen agrimensorischen Aufzeichnungen darauf bedacht,

! Die Lit. zur Quellenkunde der Medizin des Celsus nennen Schanz-Hosius, ;-('). 2,727; über die Benutzung Varros s. Wellmann, D. pneumat. Schule, 5*; 552

* S. die o. S. 98, Anm. 6 genannte Lit.; weitere Arbeiten führen Schanz-

Hosius, a.O. 2, 796 und 800ff. an; z. Folg. vgl. vor allem Schulten, RE 7, 1886 ff., Art. Gromatici.

-

* S. 0. B. 98 ff.

181

das von ihm gesammelte Material in Gattungen und Arten einzuteilen!. Allerdings läBt sich nicht ausmachen, ob er auch in diesem Falle die für seine Darstellung maBgeblichen Schemata selbst erfunden hat: wiewohl weder die Strategemata des Polyainos noch einige spätere Sammlungen? eine derartige Stilisierung zeigen, ist es nicht unmôglich, daß er seine Rubriken nach hellenistischen Mustern eingerichtet hst.

Denn gewiB war er in seinem verlorenen Kompendium über die Theorie der Kriegswissenschaft von der Darstellungsform ülterer griechischer Werke abhängig; wenn sowohl die Τέχνη τακτική des Poseidoniosschülers Asklepiodotos wie die rómische Kompilation des Vegetius (um 400 n. Chr.) in Stil und Terminologie an die typische Form dee systematischen Lehrbuches erinnern, so darf man ein Gleiches für Frontins Schrift, eine der Quellen des Vegetius, vermuten*. ! Das Werk ist wahrscheinlich in einer erweiterten Faasung überliefert: in

späterer Zeit wurde neben einer Anzahl kleinerer Einschübe das ganze 4. Buch zu der ursprünglichen Sammlung hinzugefügt; die Lit. zu dieser Frage nennen

Schanz-Hosius, &.O. 2, 797f. Die Schrift enthält überhaupt keine Theorie, sondern lediglich historische Exempel, und zwar bringen die drei echten Bücher Kriegslisten, die nach militärischen Geeichtepunkten geordnet sind (1, pr): quo magis discreta ad rerum varietatem apte conlocarentur (sc. exempla), in tres libros ea didurimus: in primo erunt exempla, quae competant proelio nondum commisso, in secundo, quae ad proelium εἰ confectam pacationem pertineant; tertius inferendae solvendaeque obsidions habebit στρατηγήματα. Diese

fünf Hauptgruppen, deren das erste Buch eine, die beiden weiteren Bücher je zwei enthalten, werden abermals eingeteilt, so daG sich geradezu ein System

der Kriegslisten ergibt. Die Untergruppen der στρατηγήματα ante proelium haben z.B. folgende Titel (1, pr): de occultandis consiliis, de explorandis con-

siliis hostium, de constituendo statu belli, de traducendo exercitu per loca hosts infesta, de evadendo ex locis difficillimis etc. Die Listen quae ad proelium pertinent gliedern sich in die Rubriken de tempore ad pugnam eligendo, de loco ad pugnam eligendo, de acie ordinanda, de acie hostium turbanda etc. (2, pr) und entaprechend verfährt Frontin bei den übrigen Kategorien. Er bezeichnet seine ordnende Tätigkeit als discernere, diducere (1, pr) und disponere (2, pr), nennt die von ihm gebildeten Hauptgruppen genera (1, pr), die Untergruppen species (1, pr; 2, pr; 3, pr) und deutet die zwischen beiden obwaltende Relation der Über- und Unterordnung durch die Worte an: quibus deincepa generibus suas spectes attribui (1, pr). Die beiden Substantive haben somit in den Einleitungen

einen genauen terminologischen Sinn: genus meint die übergeordnete Gattung, species die untergeordnete Art (in den Beispielen hat das Wort genus den abgeblaßten Sinn von ,,Art''; s. z. B. 1, 2, 6; 5, 2; 11, 13; 2, 3, 7 usw.). Zwischen den

Büchern vermitteln typische Überleltungen zu Beginn des zweiten rekapituliert Frontin zunächst stichwortartig den Inhalt den ersten. Das unechte 4. Buch enthält nach moralischen Kriterien geordnete Kriegsanekdoten (de disciplino etc.); es ist wie die drei vorangeghenden Bücher stilisiert. 3 Hierüber Lammert, RE 21, 1432 ff., Art. Polyainos Nr. 8.

3 Über Frontins Werk De re militari s. Schanz-Hosius, a.O. 2, 796f.; über die gesamte kriegswissenschaftliche Lit. der Griechen und Rômer handeln Kromayer-Veith, Heerwesen und Kriegsführung d. Gr. u. Róm., 1928, 9ff.; dort 17 die Speziallit. über Asklepiodotos; s. vor allem K. K. Müller, RE 2, 1637 ff., Art. A.; dortselbst eine treffende Charakterisierung der Τέχνη. Die hier 182

87. 1. Die tionen, die

historischen

Entstehung

Bedingungen

einer

der

systematischen

gajanischen

Institu-

Rechtswissenschaft,

sind von der modernen Forschung lebhaft diskutiert worden!. Eine grundlegende Darstellung* ließ diesen Prozeß für die Abgrenzung der rechtsgeschichtlichen Epochen mabgeblich sein: sie prágte den Begriff einer ,,hellenistischen Periodie" der Jurisprudenz,

die dadurch charakterisiert sei, daB griechische Form die Potenzen der rómischen Fachkunde vom ivs aktualisiert, jene Kunde durch die Anwendung der ,,dialektischen Methode' zum Rang einer Wissenschaft erhoben habe*. Mag die Wahl der Bezeichnungen zu Beanstandungen Anlaß geben*: die Wichtigkeit des Vorgangs scheint richtig eingeschätzt zu sein. Die vorliegende Untersuchung gestattet, seinen Verlauf in einigen Punkten präziser zu bestimmen.

Die Institutionen des Gaius haben sich als Übertragung, gleichsam als die wortgetreue Übersetzung einer in Lehrbüchern zahlreicher Fachwissenschaften mehr oder minder intensiv befolgten Methode erwiesen. Der Vergleich zeigt besonders deutliche Beziehungen zu den

Kompendien der Rhetorik; sowohl aus &nderen Gründen als vornehmlich wegen der fundamentalen Bedeutung dieser Disziplin in Erziehung und Bildung der Antike wird man nicht anstehen, sie für den einseitig gebenden Teil zu halten. Der Rechtsunterricht hat also eine Form wissenschaftlicher Schriftstellerei ohne jede Modifikation rezipiert, und zwar übernahm er nicht einzelne logische Operationen wie etwa die Einteilung und die Unterscheidung von genera

und species, sondern ein geschlossenes Ganzes, das einen scharf umrissenen Kreis logischer Hilfsmittel mit einer ebenso konstanten Anzahl gemeinte Schematisierung des Stoffes macht sich vor allem am Anfang des

Werkes, in der Erórterung über die verschiedenen Waffengattungen, bemerkbar

(Kap. 1, 1): τῆς τελείας παρασκευῆῇς πρὸς πόλεμον διττῆς οὔσης, χερσαίας τε xal ναυτιχῆς, περὶ τῆς χερσαίας τὰ νῦν Aextéov. ταύτης τοίνυν τὸ μέν ἐστι μάχιμον, τὸ

Y εἰς τὴν τούτου χρείαν ὑπηρετοῦν, οἷον ἰατρῶν etc. τοῦ δὲ μαχίμου «5 μέν ἐστι πεζόν, τὸ 8b ὀχηματικόν etc.; der 2. Paragraph unterteilt sodann das πεζόν, der 3. die

ὀχηματικὴ δύναμις. Ähnlich beginnen die Taktik-Handbücher Aelians und ians, die zusammen mit der Schrift des Asklepiodotos in der Sammlung der griech. Kriegsschrifteteller von Kóchly und Rüstow, Bd. II, 1, 1855, herausgegeben sind. Über das Verhältnis der beiden jüngeren Werke zur Téyvn Asaklepiodota s. Fôrster, Hermes 12, 1877, 426 ff. Vegetius befaßt sich 2, 1 mit Grundbegriffen der res militaris; er teilt sie dort in die drei partes equites, pedites, classis ein usw.; vgl. auch 3, 5 (tria genera signorum). Über die Quellen s. Sander, Philol. 87, 1932, 369 ff. ! Zuletzt von Villey,

s. o. S. 7, Anm. 1; Wieacker, Sav. Z., Rom. Abt. 70, 1953, 93ff.; Mette, Ius civile in artem redactum, 1954; dort die ültere Lit. (diese auch bei Kunkel, Jôrs-K.-Wenger, Róm. Privatrecht, 19493, 22* und 393); vgl. 0. S. 104, Anm. 4.

3 In der ,,History of Roman Legal Science'', 1946, von Fritz Schulz. * So Schulz, a.O. 38 ff. * S, Kunkel, Sav. Z., Rom. Abt. 68, 1951, 563f. 183

von Darstellungsschemata vereinigt. Gerade dieser Umstand zwingt die historische Betrachtung, von der platonisch-aristotelischen oder stoischen Logik als befruchtenden Kräften rechtswissenschaftlicher Methoden im wesentlichen abzusehen und die systematische Jurisprudenz vornehmlich auf die Theorie der Redekunst zurückzuführen !. Wenn nun, wie gezeigt wurde, die gajanischen Institutionen eine unauflósliche Einheit von formallogischen und stilistischen Mitteln für die Darstellung des rómischen Rechts dienstbar machen, 80 verdient der Umstand Beachtung, daB hierzu lediglich das Einteilungsverfahren als solches, die Unterscheidung von genera und species überhaupt, nicht auch bestimmte einzelne Schemata und ein bereita inhaltlich festgelegtes System gehóren. Dieser Gesichtspunkt differenziert die Thematik des hier zur Erórterung stehenden Problems. Denn offenbar muß zwischen der Rezeption der Lehrbuchform an und für sich und der Verwendung einzelner sei es von der eigenen, sei es von einer fremden Disziplin erarbeiteter Begriffsreihen unterschieden werden. Es ist schwer vorstellbar, daß sich der zuerst genannte, durch die Institutionen des Gaius dokumentierte Prozeß stückweise vollzogen hat; er muB vielmehr als die Leistung einer einzelnen Persónlichkeit angesehen werden, die wie der Feldmesser Frontin eine fertige, in allen Details ausgebildete Form auf neue, autochthon rómische Gegebenheiten übertrug. Der zweite ProzeB dagegen hat ein Bündel von Motiven zum Gegenstand, eine Reihe von Elementen verachiedenster Herkunft, die sich wohl erst in allmählicher Entwicklung zum Aufbau des von Gaius dargestellten rechtswissenschaftlichen Lehrgebäudes zusammengefunden haben. Für diesen Vorgang hat das Kompendium aus der Zeit der Antonine keine abschlieBende Bedeutung; wie die Τέχνη des Anaximenes zwar schon die gesamte Methodologie, nicht aber die gesamte Doktrin der späteren Theorie der Redekunst enthält, so wenden die gajanischen Institutionen einerseits alle den Verfassern von Lehrbüchern geläufigen Operationen

und Ordnungsprinzipien systematischer Darstellung an, zeigen sich jedoch auf der anderen Seite mit manchem Schema der juristischen Dogmatik noch nicht vertraut oder bringen es in einer frühen Entwicklungsphase?. Im ganzen bezeugen die gajanischen Institutionen denselben Synkretismus heterogener Bildungselemente, wie er sich bereits in den 1 S. jedoch u. S. 186. * Ersteres gilt z.B. für die bekannte Unterscheidung von leges perfeciae, imperfectae, minus quam perfectae, mit der die Epitome Ulpians beginnt (Font. Jur. Rom. Anteiust. ed. Riccobono, Baviera etc. II: Auotores, 1940, 262); &.

hierüber u. S. 186, Anm. 2; oder für das Schema der sogen. Innominatkontrekte D. 19, 5, b, pr; zur Sache s. Kunkel, a.O. 243 ff. Die zweite Alternative trifft etwa für das System der Obligationen zu; s. Gai Inst. 3,88; D. 44, 7, 1 pr; Iust. Inst. 3, 13, 2. 184

beiden spätrepublikanischen Rhetoriklehrbüchern oder in der Einleitung des augusteischen Werkes über die Baukunst feststellen läBt!. Denn sie enthalten sowohl einen Stamm von Einteilungen und Unterscheidungen, welchen die Jurisprudenz selbst hervorgebracht, aus ihrem eigenen Material abgeleitet hat, wie auch Schemata, die, als Versatzstücke fremden Ursprungs mehr oder minder wórtlich übernommen, bald mit geringerem, bald mit gróBerem Geschick in das System eingefügt worden sind. So spiegelt sich in den gajanischen Institutionen zunächst und hauptsächlich die vielschichtige Tradition des ius civile; neben Gliederungen, die auf ältestes Gewohnheitsrecht zurückgehen und in republikanischer Zeit zum Formelbestand der

Gesetzgebung gehóren?, enthält das Werk Unterscheidungen, die der republikanischen und frühkaiserzeitlichen Jurisprudenz ihren Ursprung verdanken?. Sodann aber machen sich die Wirkungen des Rechtsunterrichts bemerkbar, der nicht nur mancherlei Eigenes hervor-

gebracht, sondern auch eine Reihe wichtiger Einteilungen aus anderen Disziplinen entlehnt hat. Aus ihm sind offenbar die Leitbegriffe des Systems erwachsen, die Trichotomie persona — res — actio sowohl wie die Unterscheidung von res corporales und incorporales*; auch eine

Reihe kleinerer Schemata mag aus didaktischen Gründen in das 1 S, o. S. 160ff. u. S. 172, Anm. 3. * Hierzu gehôren vor allem Begriffsreihen des Personenrechts; die Unterscheidung hberi — servi (Gai Inst. 1, 9) findet sich z.B. in der I. Antonia de

Termessibus (71 v. Chr.) 2, 1; zur Trichotomie Romant — Latini — dediticiorum numero (Gai Inst. 1, 12) vgl. die /. agraria d. J. 111 v. Chr., 29 und 83: Romanus

—Latinus — peregrinus. Sicherlich geht die Dreiteilung potestas — manus — mancipium (Gai Inst. 1, 49; vgl. 142; 2, 86; 96; 3, 163; 4, 80) auf die gleich-

lautende Formel republikan. Gesetze zurück; s. z.B. Fg. Vat. 298 (Font. Iur. Rom. Anteiust. II, 531; Zitat der [. Cincía); l. Actlia rep. (123/2 v. Chr.) 3 (ergünzt); vgl. ferner die /. municipii Salpensani (82—84 n. Chr.) 22 (hier bringt

die Rubrik die Begriffe in der Reihenfolge mancipio — manu — potestate; der Text nennt sie in der üblichen Anordnung). Die Verbindung sn demortui damnative loco (l. col. Genet. Iul., 44 v. Chr., 67) erinnert an die Erlóschensgründe

der patria potestas bei Gaius 1, 127f. Auch die Trichotomie usus — farreus — coemptio (Gai Inst. 1, 110) und anderes wird aus alten Formeln übernommen sem. Zur Rechtequellenlehre (Gai Inst. 1, 2 ff.) s. die Begriffsreihen ex legibus ple-

beique scitis

(l. Papiria de sacramentis, zwischen 242 und 122 v.Chr.; vgl.

l. Lat. tab. Bant. 2; 1. Acil. rep. 12); quae leges quodque $ous quaeque coneuetudo (l. Ant. de Term. 2, 18); legibua plebeive scitis senatusve consultis (tab. Heracl. — . Iul. municip., 45 v. Chr., 52; 72); ferner leges rogationes plebisve scita senatusve coneulta (l.de imp. Vesp., 69—70 n. Chr., 34); s. auch Lenel, Edictum perpetuum, 1927*, $$ 10 und 16. Zur Einteilung der res (Gai Inst. 2, 2 ff.) s. pequniae publicae eacrae religiossae (l. municip. Tarent., zwischen 89 und 65 v. Chr., 1); vgl. divi-

narum humanarum publicarum privatarumque rerum (l. de imp. Vesp., 17).

* Bo z. B. das System der Obligationen (Gai Inst. 3, 88 ff.); zu den Konsensualkontrakten 3, 135 ff. vgl. Lenel, a. O. $$ 106 ff. (bonae fidei iudicia). 4 Hierüber zuletzt Stroux, Rôm. Rechtswissenschaft und Rhetorik, 1949, 94 ff. ; Wieacker, a. O. 97 ff. ; Mette, a.O. 19 ff.

185

Gebäude der juristischen Dogmatik eingefügt worden sein!. Es geht kaum an, bei derartigen Erzeugnissen der Rechtsschule, wenn sie erkennbar nicht aus ihr selbst hervorgegangen sind, nach bestimmten Mittlern zu fragen; das seit langem tralatizische Gut wurde groBenteils sowohl durch den rhetorischen Unterricht wie durch die philosophische Doxographie verbreitet. Zudem hat sich der Rechtsunterricht bemüht, das übernommene Material zu amalgamieren und seinen juristischen Zwecken anzupassen; nur in wenigen Fällen wurden die Schemata s0

sklavisch kopiert, daß sie wie ein Zitat grammatischer oder rhetorischer Lehren wirken?. 2. Die gajanischen Institutionen haben die Forschung trotz des

überaus lückenhaften Materials oft zur Reproduktion des Entstehungsprozesses aufgefordert. Man hat mit Recht vermutet, daB sie bereits eine gewisse Tradition systematisierender Lehrbücher voraussetzen*.

Allerdings láBt sich über ältere, auf der Trichotomie persona — res — actio aufbauende Kompendien nichts Zuverlässiges in Erfahrung bringen: die zusammenfassenden Darstellungen des Q. Mucius Scaevola und des Sabinus haben die Materien offenbar in einer anderen Reihenfolge behandelt*. Dagegen scheint das sogenannte Fragmentum Dositheanum zu bezeugen, daß die didaktische Literatur des 2. nachchristlichen Jahrhunderts den gajanischen Institutionen vergleichbare 1 AuBer den von Kaser, Sav. Z. 70, 1963, 141ff., genannten Einteilungen scheinen auch die Schemata Gai Inst. 1, 151 (optio plena und angusta); 3, 225 (Tat-

bestände der atroz iniuria: ex facto, ex loco, ex persona); 4, 53a (Tatbestände der pluris petitio: re, tempore, loco, causa) auf den Rechtaunterricht zurückzugehen; vgl. die folg. Anm.

3 Als Analogiebildung zu Kunstausdrücken der Grammatik gibt sich z.B. die Unterscheidung leges perfectae — imperfectae — minus quam perfectae zu

Beginn der Epit. Ulp. (die Stelle ist lückenhaft überliefert; doch besteht kein Zweifel, daB sie die genannten drei t. t. enthielt) zu erkennen; vgl. z B. Sacerdos, Gramm. Lat. ed. Keil VI, 432, 10f.:tempora sunt tria, praesens, praeteritum, quod in tria dividitur, in imperfectum, perfectum, plusquamperfectum, et juturum;

ferner Donatus, ebendort IV, 384, 11 ff.; der Begriff minus quam perfectus als Synonym von imperfectus bei Probus, ebd. IV, 160, 31f. S. auch Diomedes, ebd. I, 329, 5:qualitates pronominum sunt tres, finita, infinita, minus quam finia; dieselbe Terminologie bei Servius, ebd. IV, 410, 5 ff. Diese Benennungen gehen im weeentlichen auf die stoische Grammatik zurück; s. Steinthal, Gesch. d. Sprachwiss. b. d. Griech. u. Róm., 1890/1?, 1, 307 ff.; 2, 300 ff.; Pohlenz, Die Stoa 1948/9, 1, 44 ff.; 2, 25f. Die Tatbestände der atroz insuria (Gai Inst. 3, 225: ex jacto, ex loco, ex persona) und der pluris petitio (4, 638: re, tempore, loco, causa) reihen Begriffe aneinander, die der Rhetorik als sog. Peristasen vertraut sind; zu den Kategorien, die man mit diesem Ausdruck zusammenfabte, gehórten vornehmlich πρόσωπον, πρᾶγμα, αἰτία, χρόνος, τόπος; Β. die von Volkmann, D. Rhet. d. Gr. u. Róm. 1885?, 36f., genannten Belege. 3 S. bes. Villey, a. O. 34 ff.; 52f. * S, hierzu Wieacker, a. O. 97 ff.; dort &uch über den Aufbau späterer juristischer Kompendien. 186

Werke hervorgebracht hat. Denn jenem zunächst die Rechtsquellenlehre und sodann die Freilassung erórternden Bruchstück liegt vielleicht kein willkürlich gewähltes Exzerpt, sondern der Anfang eines juristi-

schen Lehrbuches zugrunde!; die Übereinstimmung mit dem Beginn der gajanischen Institutionen läBt darauf schlieBen, daB dieses Kom-

pendium, wenn es nach einigen einleitenden Bemerkungen über den Ursprung der Rechtssätze von den Personen handelte, auch im übrigen die durch Gaius bekannte Ordnung der Materien befolgt und somit die Dreiteilung persona — res — actio als oberstes Gliederungsprinzip verwendet hat. Für Alter und Herkunft dieses Systems ergeben sich freilich auch hieraus keinerlei Indizien. Hingegen steht fest, daB die rómischen Juristen schon gegen Ende des 2. vorchristlichen Jahrhunderts begannen, sich Methoden und Darstellungsformen der griechischen Wissenschaften anzueignen?. Wie eines der wichtigsten Zeugnisse besagt, hat Q. Mucius Scaevola als erster das $us civile generatim behandelt (D. 1, 2, 2, 41). Dieser

Nachricht scheint zunüchst die Tatsache zu widersprechen, daß Cicero die Anwendung der griechischen Methodologie auf das ius als Aufgabe hinstellt, die noch ihrer Lósung harre?. Man hat daher wohl recht daran getan, jenes generatim sehr wôrtlich zu nehmen: Pomponius behaupte

lediglich, daß Mucius einzelne Rechtsinstitute nach Gattungen zu

gliedern versuchte*. Ciceros Forderungen dagegen wurden zutreffend auf eine geschlossene Begriffspyramide, ein sämtliche Materien um-

klammerndes didaktisches System nach Art griechischer Τέχναι bezogen S. Es scheint bedenklich, einen engen Zusammenhang zwischen den systematisierenden Tendenzen spätrepublikanischer Juristen und den

Quellen der gajanischen Institutionen anzunehmen. Denn jene ältesten

Bemühungen gingen von Mitgliedern des Adels aus, von Rechts! So bereite Jórs, RE 5, 1604, Art. Dositheanum fragmentum. Das benutzte Lehrbuch scheint im ausgehenden 2. Jh. entstanden zu sein; der Verfasser läßt sich nicht bestimmen ; s. Jórs &.O.; Schulz, a.O. 176.

* Z. Folg. s. Kübler, Atti del Congr. int. di dir. rom. 1, 1934, 79—98; abwegig Senn, ebendort, 99—110. Das umfangreichste Material bringen La Pira und Villey; s. o. S. 7, Anm. 1. S. ferner Kunkel, &.O. 21 ff.; Schulz, a.O. 62 ff.; Mette, a. O.7 ff.

* Er verfaBte bekanntlich eine besondere Schrift De iure civili in artem redigendo (Gell. 1, 22, 7;

Quint. 12, 3, 10); auch in den erhaltenen Werken wird

dieses Thema des ófteren erórtert (De orat. 1, 185ff.; Brut. 152f.); daB Ciceros Vorschlüge auf die Anwendung stoischer Methodenlehren zielen, zeigen La Pira, Bull. dell' Ist. di dir. rom. 44, 1936/7, 131 ff.; Mette, a.O. 50 ff.; vgl. Büchner, Humanitas Romana, 1957, 92 ff.

* Hierzu stimmt, was an Einteilungen des Q. Mucius überliefert ist (Gai Inst. 1, 188: fünf genera der Vormundschaft; D. 41, 2, 3, 23: genera poseesmionum).

* 8. Villey, &.O. 24 ff.; vgl. Schulz, &.O. 68f. 187

kundigen, die dem Kreise um Scipio angehörten!; das Institutionensystem dagegen entstammt offensichtlich der weder in wissenschaftlicher noch in sozialer Hinsicht sonderlich angesehenen Sphäre des Rechtsunterrichts?. Sodann führen die Zeugnisse über die methodischen Neuerungen spätrepublikanischer Juristen mit Sicherheit auf stoischen EinfluB*; man wird daher vermuten dürfen, daß jene älteste generatim geordnete Darstellung von derselben Kargheit war, wie sie alle in stoischer Weise stilisierte Werke der hellenistischen Zeit auszeichnet. Die freundliche Weitlàufigkeit eines Gaius dagegen, die bekannte, aus püdagogischen Motiven entsprungene Neigung, die eigenen Aussagen ΖῈ paraphrasieren, entspricht unverkennbar den

Stiltendenzen des rhetorischen Lehrbuchtyps. 1 8. Kunkel, Herkunft und soz. Stellung d. róm. Juristen, Forsch. z. rôm.

Recht, 4, 1952, bes. 38 ff. Die Lit. über den Kreis Scipios nennt Pohlenz, RE 18, 2, 418 ff., Art. Panaitios. * Die klassische Eechtewissenschaft ignoriert die gejanischen Institutionen; s. Kunkel, Rôm. Recht, 33; Herkunft u. g0z. Stellung, 187. * S. bes. Schmekel, D. Philos. d. mittl. Stoa, 1892, 440 ff.; Pohlenz, Stoa, 1, 101 ff.; 2, 97ff.

188

REGISTER Personen

îolianus (Taktiker) 1823

Chairis (Grammatiker) 145*

êtius (Doxograph) 149

Agathon 131! Age(;u:ius Urbicus

(Gromatiker)

995,

104

Agrimensoren s. Feldmesser Aineias (Taktiker) 169, 174! Ainesidemos 148*5, 151! Albinos 150* Alexandros v. Aphrodisias 143* Alkidamas 124* Anaximenes v. Lampsakos 8, 11ff, 122f., 128*, 131f., 136 ff., 155, 156f., 159, 184

Anonymus Londinensis 180! Antiochos v. Askalon 161f., 167, 168* Antiphon (Rhetor) 124?, 128

Chrysippos 148, 153, 154*, s. ferner Stoa Cicero, M. Tullius 9, 41!, 58ff., 143*, 148?, 155, 156ff., 187 Columella, M. Iunius Moderatus 164 ff.

Cornificius 8. Auctor ad Herennium Demokritos 130* Didymos v. Alexandrien (Geoponiker) 163

Diogenes v. Babylon 144!, 163f. Diogenes Laërtios 149ff. Diokles v. Magnesia 152ff. Diomedes (Grammatiker) 186? Dionysios Thrax 8, 29ff., 122, 145ff., 161

Diophanes (Geoponiker) 163*

Apollodoroe (Poliorketiker) 171* Archytas v. Tarent 131! Areios Didymos 149? Aristarchos (Grammatiker) 29!, 146

Dogmatiker (Arzteschule) 87, 177f.

Aristoteles 8, 11!, 123f., 132f., 137?, 137*, 138ff., 145, 147, 156, 160, 162,

Arrianus, Flavius 182*

Epikrates (Komiker) 142f. Eratosthenes v. Kyrene 145* Eudemos v. Rhodos 147* Euenos v. Paros 124*, 126 Eukleides (Mathematiker) 34!, 171!

Asklepiades v. Myrlea (Grammatiker)

Euripides 131!

168*, 184

Aristoxenos v. Tarent 34!, 156

Eleaten 128*, 130*

Empiriker (Árzteschule) 87, 178f.

145*

Asklepiades v. Pruse (Arzt) 179f. Asklepiodotos (Taktiker) 182 Athenaios (Arzt) 1781

Athenaios (Mechaniker) 173! Auctor ad Herennium 41ff., 58!, 122, 155, 156ff.

Augustinus, Aurelius 168 Autolykos 1267

Balbus (Gromatiker) 168* Biton (Poliorketiker) 171* Boethius, Anicius Manlius Severinus

Feldmesser 08ff., 156, 162, 181f. Frontinus, Sex. Iulius 98ff., 167, 181f. Fuficius 173* Gaius 99?, 104ff., 157, 1605, 183ff. Galenos 87*, 174, 176ff., 180 Gellius, À. 164!

Geoponiker 163f. Glaukias (Arzt) 178 Gorgias 124*, 120*, 128*, 120ff., 132*, 133, 136, 174! Gromatiker s. Feldmesser

143*

Cassianus Bassus (Geoponiker) 163 Cassius Dionysius (Geoponiker) 1632

Cato, M. Poroius Cato (g:nsorius 41!, 157f., 163

Celsus, À. Cornelius 8, 86ff., 106!, 122, 156f., 169, 169, 173f.

Herakleitos v. Ephesos 128* Hermagoras v. Temnos 154, 160 Herminos 143* Heron v. Alexandrien 168*, 170f. Herophilos (Arzt) 177f.

Hippias v. Elis 128° Hippobotos 150!

189

Hippodamos ν. Milet 130* Hippokratische Schriften 150, 174f. _

Protagoras 126°, 127f., 131 126?,

131!,

Hyginus d. Altere (Gromatiker) 98',

Pythagoreer 128*, 130*

Quintilianus, M. Febius 9

102ff.

Hyginus d. Jüngere (Gromatiker) 987, 100!, 103f.

Rationalisten (Arzteschule) s. Dogmatiker

Ion v. Chios 130* Isaios 124* Isokrates 124*, 128

Sabinus, Masurius 186 Sacerdos, Marius Plotius 186* Saserna 1685 Scaevoia, Q. Mucius pontifex 186ff. Septimius, P. 173* Serapion v. Alexandrien 178 Sextus Empiricus 148* Sibyrtios (Rhetor) 124* Siculus Flaccus (Gromatiker) 98*, 102f.

Kallimachos (Arzt) 177 Karneades v. Kyrene 162!

Kleoneides 34ff., 122, 155f., 188 Korax 124*, 125*, 1265, 130*, 133

Mago (landwirtschaftl. Schriftateller) 163*

Melissos 128*, 130* Menon 147*

Sokrates 123, 132ff. Sotion v. Alexandrien 149f. Sotion (Peripatetiker) 143*

Straton v. Lampsakos 143*

Methodiker (Arzteschule) 87, 179 Teisias 124?, 126*, 130*, 133 Theodektes 124*, 1391 Theodoros v. Byzanz 124*, 126 Theophrastos 143*, 147 Theramenes 124* Thrasymachos v. Chalkedon 124* Thukydides 131! Tyrannion (Grammatiker) 145*

Likymnios 124*, 126f. Lysias 124*, 135f.

Pappos (Mathematiker) 34!, 171 f. Parmenides 128* Philolaos v. Kroton 143*

Philon v. Byzanz 169f., 172* Philon v. Larissa 161 f.

Platon 123ff., 132 ff., 145, 147*, 184 Plinius, C. Plinius Secundus 1641

Varro, M. Terentius 8f., GOff., 166f., 159, 162!, 163ff., 172f., 176, 180f.

Pneumatiker (Arzteschule) 178*, 179*

Vegetius, P. Vegetius Renatus 182 Vindanios Anatolios 183

Poliorketiker 169 ff. Polos 126f.

Vitruvius Pollio 8, 78ff., 122, 156f.,

Polyainos aus Makedonien 182 Polykrates (Rhetor) 124*

1605, 168*, 160ff., 185 Xenokrates 147 Xenophon 143*, 174!

Porphyrios 143, 176 Poseidonios 172?, 182

Prodikos v. Keos 120*, 127f., 131, 132*

Zenon 130*

Sachen

γένος 7, 18, 21, 30f., 37, 1413, 142f. διαιρεῖν, διαίρεσις 7, 17, 30°, 30!, 37, 127 f., 131!, 135, 137*, 142, 140ff. Διαιρέσεις (pseudaristotel. Schrift) 1415, 1475, 161!

διαφέρειν, διαφορά 8, 22, 32, 37f., 128, 140f., 143, 149, 161f., 154, 170*

εἶδος, εἰδικός, ἰδέα 7, 18f., 21, 25, 3Of.,

37, 128, 130*, 134*, 136, 141?, 143, 175 ἴδιος 22f£., 32, 38, 141, 143, 176*, 179 χοινός, κοινωνία 22f., 32, 38, 124*, 141, 143, 175!, 179 μέθοδος 20f., 144

μέρος, μερίζειν 17, 19£., 31, 36f., 124f., 1413, 145*, 1491ff., 169f., 177f. 190

6poc, ὁρίζειν, ὁρισμός 24, 38*, 127, 133, 134*, 142f.

*Opot (pseudoplaton. Schrift) 141*, 180 'Oæl. (pseudogalen. Schrift) 177!, 180 πρόθεσις 144 στοιχεῖον 21, 1443

συμβεβηκός 143f. αυνιστάναι, σύστημα 21, 36, 38

appellatio 83*, 101*, 103*, 104?*, 118

communis 52, 65, 14, 82, 94, 114£., 179 definire, definitio 52, 66, 83, 95*, 116, 162* diducere 92, 110*, 1821

differre, differentia 60, 951, 103*, 104°, 113f., 162*, 167

discernere, discrimen 145, 82, 9410, 1102, 1821 distare 95!, 1131

distinguere 62!, 812, 921, 113! distribuere, distributio 47°, 01f., 813 diversus, diversitas 101, 103, 113! dividere, divisio 47f., 72, 81*, 92, 102, 110, 1621 genus, generalia 48ff., 63f., 73f., 81, 93, 100ff., 111ff., 161, 162*, 165f., 1821, 187 f. interesse 51, 65!, 74*, 95!, 1037, 113! nomen, nominatio 54, 67, 83, 103°, 118! pare, partitio 49f., 63f., 73f., 81, 93£., 101, 111*, 161 proprius, proprietas 52, 65*, 74, 82,

94, 101 114f., 179

56f., 50 ff., 68, 71, 75*, 70, 80*, 86ff., 96, 105ff., 119°, 173* Dispoeitionsschemata 17f., 36, 47f., 62, 72, 81, 92, 124f., 128ff., 136f., 147 1ff., 170ff. (paas.), s. ferner Einteilungen Dositheanum Fragmentum 186f. Doxographie 147ff., 167f., 186 Durchgangsbegriffe (Leerstellen in Systemen) 56*, 62f., 72f., 84, 107 Einteilungen jeweila im $2 der Kap. 1—10, 123!, 130*, 131!, 134£., 130f., 140ff., 161ff. (pase.) Enzyklopädien 159, 102f., 168f. Grammatik 29ff., 127f., 144!, 145f., 152ff., 1005, 166f., 186*

Gromatik s. Feldmesser Grundbegriffe (Introduktorien)

separatim 65, 94

simtlie 66*, 101*, 1131

43,

58£., 79, 106, 160°, 172*, 176

epectes, epeczalw 48, 63, 73f., 81, 93,

Inhaltsangaben 164

101£f., 111ff., 1622, 182l termmare‚ termmatw 83, 116! verbum 54, 67, 118! vocabulum 54, 67, 83, 101*, 103

Jurisprudenz 104ff, 156f., 162, 181, 183ff. Kontroversen (über Einteil n und Begriffe) 21f., 25, 415, 51f., 54, 70, 73, 93, 112f., 138°, 150 Landwirtschaft 69ff., 156ff., 103ff. Logik 123, 130!, 133ff., 137, 142ff., 152, 160ff., 170f. Mathematik 126, 131!, 168 Mechanik s. Architektur Medizin 86ff., 126, 131!, 166f., 173 f. Metrologie 168* Musiktheorie 34ff., 131!, 168 Naturphilosophie (Vorsokratik) 126, 128*, 130* Peripatos 123, 143, 1475, 160, 162, 179* Poetik 9!, 160* Rhetorik 9, 11ff., 41ff., 123ff., 131ff., 145, 164f., 156f., 150ff., 172*, 174!, 183ff.

Akademie 123, 1475, 161*, 162 Architektur, Mechanik 78ff., 150f., 169ff. Begriffsrelationen (Gattung — Art) 21, 31, 37, 49f., 63f., 74, 101, 161, 182!

Beispiele 24, 32f., 39, 52f., 66, 83, 95*, 117, 151 Buchechlüsse (als Systemfugen) 69f., 80, 105, 169

75, 44,

Daratellungsformen jeweils $ 3 in den Kap. 1—10, 120f., 139ff, 148ff, 165ff.

Definitionen jeweils im $ 2 der F 1—10, 123!, 126f., 133ff, 149ff., 170, 176, 180!

140

Definitionen durch Aufzählung der Arten 24f., 33, 39, 53, 67, 117 Definitionen der Gegenstände von Lehrschriften 11, 29, 34, 41f., 58, 78,

104f.

Dialektik 130*, 132f., 135f., 143*, 168 Dispositionen, die von der Darstellung nicht eingehalten werden (Unstimmigkeiten des systematischen Aufbaus) 14, 29f., 35, 42ff.,

Stoa 31*, 144!, 145ff., 160, 162, 166, 168, 184, 186*, 188 Taktik 182 Terminologie 25, 53, 125f., 134, 142ff.

07,

83,

118f.,

Überleitungsformeln jeweils im $ 3 der Kap. 1—10, 120f., 167, 169f., 176

142,

152,

104*,

Überschneidungen (innerhalb von Systemen) 15, 61, 105 Worterklärungen 32, 53, 101%, 117

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Nachträge Zu S. 29, Anm. 2 und S. 144ff.:

Das Problem der Authentizität ist neuerdings von Di Benedetto, Ann. della Scuola norm. sup. di Pisa, Ser. 2, 27, 1958, 169ff., scharfsinnig und gründlich behandelt worden. Nach Di Benedetto stammt der Hauptteil der Τέχνη ($$ 6ff.) aus dem 3. oder 4. Jh. n. Chr.; ein Kompilator habe ihm die dionysianische Bestimmung der Grammatik vorausgeschickt. Diese mutige Lósung beseitigt manche Schwierigkeit, ruft aber auch neue Fragen hervor; sollte sie das Richtige

treffen, so würde die vorliegende Untersuchung eines wichtigen die TéxvnLiteratur des Hellenismus veranschaulichenden Beispiels beraubt werden. Für die Geschichte von Form und Methode des systematischen Lehrbuches ergäben sich jedoch hieraus keine Konsequenzen: der stoische Kompendientyp und seine Derivate blieben nach wie vor unbestreitbar, und statt auf die unter deu{ Namen des Dionysius überlieferto Τέχνη konnte auf die grammatischen Papyri verwiesen werden; hierüber zuletzt Siegmann, Literarische griechische Texte

der Heidelberger Papyrussammlung, Verôff. a. d. Heidelb. Pap.samml., N.F. 2, 1956, 42ff.; Di Benedetto, a. O. 185 ff.

Zu S. 41, Anm. 1:

Über die Quellenfrage nunmehr ausführlich Matthes, Lustrum 1958, 3, 81ff.; ebendort, 115ff., über den Aufbau der beiden rômischen Rhetoriken. Zu S. 166, Anm. 2:

.

S. ferner Fehling, Glotta 35, 1956, 214ff. und 36, 1957, 481f. Fehlings Untersuchung gelangt für die Bücher L. L. 8—10 aus sachlichen Gründen zu denselben Ergebnissen wie die vorliegende formale Betrachtung von Varros

Gesamtwerk: ,,Eigensinn in Dispositionsdingen“ (35, 267); ,, Varro ist überall in der Disposition und Anordnung selbstàndig'' (36, 50); ,,Neigung zu m_at_hematischer Symmetrie'' (ebndt.) usw.; 36, 51ff. Beispiele für Varros eigenwillige, oft sachfremde Sucht, zu schematisieren und zu perallelisieren.

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